Verfassungsschutzbericht Hamburg 1997 Freie und Hansestadt Hamburg Landesamt für Verfassungsschutz Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres Landesamt für Verfassungsschutz Johanniswall 4, 20095 Hamburg Telefon: 040/244443 Telefax: 040/338360 Internet-Homepage: http://www.hamburg.de/Behoerden/LfV/homepage.htm Auflage: 4.000 April 1998 Druck: Schmidt & Klaunig, Ringstraße 19, 24114 Kiel -2- Senator Hartmuth Wrocklage: Der freiheitliche Rechtsstaat bleibt wachsam und wehrhaft! Das Landesamt für Verfassungsschutz informiert mit diesem Verfassungsschutzbericht die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen und Aktivitäten im Jahre 1997. Der Bericht befaßt sich erstmalig auch mit den Aktivitäten der ScientologyOrganisation. Er erläutert zudem erstmals die Aufgabenstellungen im Bereich der Spionageaufklärung sowie bei der Mitwirkung im Geheimund Sabotageschutz. Die Arbeit des Verfassungsschutzes und seine Berichterstattung sind Ausdruck praktizierter wehrhafter Demokratie gegen Versuche von Verfassungsfeinden, Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anzugreifen, ihre Normen umzudefinieren und zu mißbrauchen, sie am Ende gar zu beseitigen. Die offensive Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie von links und rechts oder im Gewand einer scheinreligiösen Sekte kann nicht allein mit administrativen und juristischen Mitteln, mit Verboten und Gerichtsurteilen geführt werden. An erster Stelle muß vielmehr die alltägliche argumentative, geistig-politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Denken und Handeln politischer Extremisten stehen. Nur informierte Bürgerinnen und Bürger können Hintergründe und Zusammenhänge der von Extremisten verbreiteten Parolen und scheinbaren Problemlösungen durchschauen, die wahren Absichten ihrer Wortführer richtig beurteilen, ihre wahren Ziele erkennen. Gerade im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahl hat es im abgelaufenen Jahr wieder Beispiele extremistischer Organisationen gegeben, die sich mit Lippenbekenntnissen zum Grundgesetz als Verfechter demokratischer Prinzipien aufzuspielen versuchen. Es gehört zur Strategie dieser Gruppen, gesellschaftliche und soziale Konflikte agitatorisch zuzuspitzen, Unzufriedenheit und Protesthaltungen anzuheizen und so ein Klima zu erzeugen, in dem letztlich die Gefahren politischer Destabilisierung, gewaltsamer Konfrontationen und totalitärer Machtergreifung wachsen. Der vorliegende Bericht gibt einen Überblick über Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaates durch politisch motivierte extremistische Verhaltensweisen in Hamburg. Er beschränkt sich auf die Beschreibung der wichtigsten Bestrebungen im abgelaufenen Jahr. Die dargelegten wesentlichen Erkenntnisse und Analysen, Zusammenhänge und Bewertungen sind nur eine Orientierungshilfe. Sie können nicht erschöpfend informieren. Sie bedeuten auch keine juristische Würdigung, die Rückschlüsse auf die Verfassungstreue aller Einzelpersonen zuläßt, die einer der erwähnten Organisationen angehören. Die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz erstreckt sich auf die Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen, die Aufklärung geheimdienstlicher Tätigkeiten fremder Mächte in der Bundesrepublik Deutschland (Spionage) und die Extremismusbeobachtung. Letztere gliedert sich in die drei Hauptarbeitsbereiche Rechtsextremismus, Link-3- sextremismus, Ausländerextremismus sowie in den neuen Bereich verfassungsfeindlicher Betätigung der Scientology-Organisation. Auf dem Gebiet des Rechtsextremismus haben die Bürgerschaftswahlen 1997 gezeigt, daß Rechtsextremisten von wirtschaftlichen und sozialen Problemen und Sorgen der Bevölkerung profitieren. Hamburg ist der Einzug einer rechtsextremistischen Partei in die Bürgerschaft erspart geblieben - dies leider aber nur knapp. Populistisch agierenden Funktionären rechtsextremistischer Parteien gelingt es bei Wahlen zum Teil, Protesthaltungen gegen die "etablierten" demokratischen Parteien und Regierungen zuzuspitzen und Wählerpotentiale zu vereinnahmen. Bei der Bürgerschafts wähl am 21.09.97 sind rechtsextremistische Parteien an ihrer gegenseitigen Konkurrenz gescheitert, die gleichzeitigen Bezirksversammlungswahlen führten jedoch zum Einzug der DVU in 4 Bezirksversammlungen. Aktuelle Beobachtungen auf dem Sektor des Linksextremismus belegen: Ähnlich wie zwischen NPD und Neonazis zerfließen im Linksextremismus frühere gegenseitige Abgrenzungen. Die in den 80er Jahren vorherrschenden Berührungsängste zwischen dem organisatorisch festgefügten Lager dogmatisch orientierter Marxisten-Leninisten und der - kleinstrukturierten - gewaltgeneigten undogmatischen autonomen/anarchistischen Szene lösen sich auf. Wichtigste Komponente für das Zusammenwirken in Aktionen und Kampagnen war erneut das Thema "Antifaschismus" - in Hamburg wurde dies u.a. anläßlich der "Antifa"-Demonstration am 13.09.97 kurz vor der Bürgerschaftswahl deutlich. Die Bürgerschaftsund Bezirksversammlungswahlen haben im übrigen einmal mehr die wahlpolitische Bedeutungslosigkeit des Linksextremismus in Hamburg bestätigt. Im Ausländerextremismus sind auch 1997 die rückläufige Bedrohung durch kurdische Linksextremisten (PKK), die deutlich zugenommene Gewaltbereitschaft türkischer Marxisten-Leninisten (Devrimci Sol) und das anhaltend hohe Potential türkischer Islamisten (IGMG) bemerkenswert. Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hat 1997 in Hamburg und auch bundesweit auf - frühere Jahre prägende - militante Verhaltensformen weitgehend verzichtet. Dies trug zur Entspannung der Bedrohungslage bei. Allerdings trägt die Demokratiefeindlichkeit und Gegnerschaft islamistisch ausgerichteter Ausländerorganisationen gegenüber jeglicher nicht islamisch-religiös abgeleiteter staatlicher Herrschaft - wenn auch mit unterschiedlichen Gewichten - zur Bedrohung durch ausländische Extremisten bei. Darüber hinaus wirkt die integrationsfeindliche Rolle der Islamisten in Deutschland einer Eingliederung der auf sie hörenden moslemischen Glaubensanhänger in die übrige Bevölkerung entgegen. Wegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beobachtet der Verfassungschutz seit Mitte 1997 die ScientologyOrganisation (SO). Die SO reagierte hierauf sowie auf ihre negative Beurteilung in der Öffentlichkeit mit einer Art 'Menschenrechts'-Kampagne in den USA, wo sie -4- prominente SO-Anhänger vorschickte, um bei politischen Institutionen Rückendeckung gegen behauptete deutsche Willkürmaßnahmen (angebliche religiöse Diskriminierung) zu suchen. Auch in Deutschland startete die SO eine Propagandaoffensive mit Demonstrationen, Vergleichen zu nationalsozialistischem Unrecht und persönlichen Verunglimpfungen staatlicher Funktionsträger. Dieses und die unzutreffende Behauptung, ausschließlich religiöse Zwecke zu verfolgen, haben ihr wenig genützt: Die SO hat schon heute erheblichen Boden an Glaubwürdigkeit und Zuspruch verloren. Gerade die ehemalige Hamburger Vorzeigeorganisation sieht sich mit für sie existentiell äußerst kritischen personellen und materiellen Entwicklungen konfrontiert. Gemäß Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister und -Senatoren der Länder (IMK) vom 05./06.06.1997 werden die Verfassungsschutzbehörden der IMK im Herbst 1998 über ihre bis dahin erzielten Beobachtungsergebnisse berichten. Einen tieferen Einblick in das totalitäre Selbstverständnis und die rücksichtslosen Methoden der SO bietet die am 09.04.1998 vorgestellte Broschüre des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg unter dem Titel "Der Geheimdienst der ScientologyOrganisation - Grundlagen, Aufgaben, Strukturen, Methoden und Ziele ". Der Verfassungsschutzbericht 1997 beweist: Der freiheitliche demokratische Rechtsstaat bleibt gegen die vielfältigen Bedrohungen durch politische Extremisten wachsam und wehrhaft. [/U^A/^hi Senator Hartmuth Wrocklage Präses der Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg -5- Inhaltsverzeichnis Seite: I. Verfassungsschutz in Hamburg 10 II. Rechtsextremismus 16 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 16 1.1 Themen und Aktivitäten 16 1.2 Organisationen und Potentiale 25 1.3 Beteiligung an Wahlen29 2. Gewaltbereite Rechtsextremisten 33 2.1 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik 33 2.2 Rechtsextremistische Skinhead-Szene 40 2.3 Diskussionsstand im Hinblick auf terroristische Gewalt 45 3. Neonazismus 48 3.1 Aktuelle Entwicklung 48 3.2 Neonazistische Erscheinungsformen / Bestrebungen in Hamburg 56 3.3 Rudolf-Hess-Gedenkaktionen 65 4. Rechtsextremistische Parteien 69 4.1 Die Republikaner (REP) 69 4.2 Deutsche Volksunion (DVU) 73 4.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) nebst Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) 76 4.4 Hamburger Liste für Ausländerstopp (HLA) 84 4.5 Zusammenarbeitsbestrebungen 85 5. Neue Rechte 88 6. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen 92 7. Internationale Zusammenarbeit 94 8. Nutzung moderner Kommunikationsmittel 97 -6- III. Linksextremismus 102 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 102 1.1 Themen und Aktivitäten 102 1.1 Organisationen und Potentiale 105 1.3 Beteiligung an Wahlen 107 2. Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik 109 3. Linksextremistischer Terrorismus 112 4. Autonome und anarchistische Gruppen 119 4.1 Aktuelle Entwicklung 119 4.2 Gruppen und Strukturen in Hamburg 120 4.3 Aktionsfelder 129 4.3.1 Ausländerund Asylproblematik/ "Antirassismus" 129 4.3.2 Antifaschismus 132 4.3.3 Protest und Widerstand gegen Stadtteilentwicklung 136 4.3.4 Einflußnahme auf die Antikernkraftbewegung 140 4.3.5 Internationalismus 148 5. Parteien und sonstige Vereinigungen / Gruppierungen 149 5.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 149 5.2 Sonstige revolutionäre Marxisten 157 6. Nutzung moderner Kommunikationsmittel 162 IV. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 164 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 164 1.1 Themen und Aktivitäten 164 1.2 Organisationen und Potentiale 165 2. Strafund Gewalttaten im Ausländerextremismus / Statistik 168 -7- 3. Kurden / Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 171 4. Türken 182 4.1 Allgemeines 182 4.2 Linksextremisten 184 4.2.1 DHKP-C 184 4.2.2 THKP/-C 187 4.2.3 TKP/ML 189 4.2.4 TKP(ML) 191 4.2.5 MLKP 192 4.3 Türkische Islamisten 194 4.3.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 194 4.3.2 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) 196 4.3.3 Islamische Bewegung (IH) 197 5. Iraner 198 5.1 Regierungsseitige Bestrebungen und Anhänger der iranischen Regierung 199 5.2 Gegner der iranischen Regierung 202 6. Araber 205 V. Scientology-Organisation 210 1. Scientology - ein Fall für den Verfassungsschutz 210 2. Was ist Scientology? 211 3. Organisationsaufbau und Potentiale 213 4. Themen und Aktivitäten 215 5. Scientology in Hamburg 219 VI. Spionageabwehr 221 1. Allgemeines 221 2. Rußland 221 3. Nachrichtendienste des Nahen und Mittleren Ostens 224 4. Sensitive Exporte - Proliferation 224 VII.Geheimund Sabotageschutz 226 1. Allgemeines 226 2. Geheimschutz im Behördenbereich 226 2.1 Personeller Geheimschutz 226 2.2 Materieller Geheimschutz 227 3. Geheimschutz in der Wirtschaft 227 4. Sabotageschutz 227 Anhang: Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz 229 Abkürzungsverzeichnis 249 Stichwortverzeichnis 255 Hinweis auf Internet-Veröffentlichung: Dieser Bericht wird nach seiner öffentlichen Vorstellung in das Internet eingestellt und ist dort dann unter der Homepage http://www.hamburg.de/Behoerden/LfV/homepage.htm aufrufbar. Hinweis zu Zahlenangaben: Soweit in den Ausführungen dieses Berichtes Zahlenangaben (Mitglieder-/Anhängerstatistiken, Gewaltund Straftatenstatistiken) von Veröffentlichungen früherer Jahre abweichen, gehen die neuen Zahlen auf aktualisierte Erkenntnisstände, neue Bewertungen oder veränderte Erfassungskriterien zurück. Die Bezifferungen von Gewalttaten auf Bundesebene beruhen auf Zahlenangaben des BKA. Sachbeschädigungen sind nicht mehr als Gewalttaten erfaßt. Zeichenerklärung: Querverweise auf Textfundstellen sind mit O gekennzeichnet 9- I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Wehrhafte Demokratie Auf Grund der bitteren Erfahrungen, die Deutschland und seine Nachbarn nach dem Untergang der Demokratie in der abwehrschwachen Weimarer Republik unter den Folgen der Nazidiktatur sammeln mußten, hat sich die Bundesrepublik in ihrem Grundgesetz für eine wehrhafte Demokratie entschieden. Sie ist ihren Feinden gegenüber entschlossen abwehrbereit. Der Freiheitsanspruch einzelner steht in einem Spannungsverhältnis zum Freiheitsanspruch anderer und zum Recht aller Bürger auf Freiheit und Sicherheit. Beide Grundwerte müssen mit rechtsstaatlichen Mitteln gegeneinander ausbalanciert werden. Das Grundgesetz garantiert politisch Andersdenkenden bis hin zu radikalen Überzeugungen Freiheit. Auch radikale politische Überzeugungen und Gesinnungen haben ihren Platz in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung. Die Grenzen der Freiheit werden überschritten, wenn Organisationen oder politische Parteien die Demokratie und den Rechtsstaat in Frage stellen oder sie gar beseitigen wollen. Erst wenn Feinde der Freiheit sich als extremistische Bestrebungen bemerkbar machen, die Grundprinzipien und den Kernbestand unserer Verfassung antasten wollen, treten die Abwehrkräfte des demokratischen Rechtsstaates auf den Plan. Die Gesetze kennen die Begriffe "extremistisch" und "verfassungsfeindlich" nicht. In den Zuständigkeitsbereich des Hamburger Verfassungsschutzes fallen Organisationen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, daß sich ihre Bestrebungen "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes " richten oder "eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben. " 2. Freiheitliche demokratische Grundordnung Zu den wichtigsten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören: * die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - 10- * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. 3. Gesetzliche Grundlage Aufgaben und Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz werden durch das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 07.03.95 - zuletzt geändert am 27.08.97 - bestimmt. Das Gesetz entspricht insbesondere den hohen Anforderungen des Datenschutzes und stellt die gebotene Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sicher. Auftrag und Befugnisse sind vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt, etwaige Eingriffe in die Privatund Freiheitssphäre des Bürgers nur auf gesetzlicher Grundlage möglich. Die Arbeit des Verfassungsschutzes bedroht nicht die Freiheit der Bürger, sondern schützt sie. 4. Aufgabenstellung Der konkrete Aufgabenkatalog des Landesamtes für Verfassungsschutz ergibt sich aus SS 4 des Gesetzes. Sein vollständiger Wortlaut ist im Anhang zu diesem Bericht nachzulesen. Die bundeseinheitlich geregelten Aufgaben der Extremismusbeobachtung, der Spionageabwehr sowie der Mitwirkung beim Geheimund Sabotageschutz sind daraus ersichtlich. Der gesetzliche Auftrag bezieht sich auf alle Formen des politischen Extremismus. Er macht keine Bewertungsunterschiede zwischen verfassungsfeindlichen Positionen von links, von rechts oder von pseudo-religiösen Bestrebungen wie die der "Scientologen", zwischen Bestrebungen von Deutschen oder von Ausländern. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ein Inlandsnachrichtendienst. Es hat keine exekutiven Aufgaben oder Befugnisse. Das Amt beobachtet, sammelt Informationen, recherchiert, liest, analysiert und erstellt Lagebilder. Letztlich dient es als "Frühwarnsystem" gegen Bedrohungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; dieses erst recht, wenn sie getarnt und schleichend als " Wolf im Schafspelz" daherkommen. Organisationen oder unorganisierte Personenzusammenhänge, die unter den gesetzlichen Beobachtungsauftrag fallen, werden unter dem Arbeitsbegriff "extremistisch" eingeordnet. Diese Kennzeichnung hat auch in der öffentlichen Darstellung und Auseinandersetzung ihren Niederschlag gefunden. Das Landesamt für Verfassungsschutz beschreibt die Ziele und Aktivitäten von Organisationen und Personen, die extremistische Bestrebungen verfolgen, beziffert, schätzt und gewichtet darüber hinaus auch Organisationsund Bestrebungspotentiale. Insbesondere im Zusammenhang mit den Personenpotentialen der größeren extremistischen Organisationen bleibt zum Teil offen, ob eine bestimmte einzelne Person über ihre blo-11- ße Mitgliedschaft hinaus auch selbst aktive Trägerin extremistischer Bestrebungen ist oder nicht. Aus welchen Motiven jemand einer vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachteten Organisation angehört, bleibt vielfach ungewiß. Deshalb spricht der Bericht auch bei den Gesamtzahlen von "Mitgliedern", "Anhängern" oder "Angehörigen " und nicht von Extremisten. 5. Kontrolle Verfassungsschutz bewegt sich nicht in einer rechtlichen Grauzone, sondern hält sich streng an seinen gesetzlichen Auftrag und seine gesetzlichen Befugnisse. Sein Handeln ist stets an rechtsstaatliche Maßstäbe gebunden. Er unterliegt daher u.a. in seiner gesamten Arbeit der Kontrolle durch den parlamentarischen Kontrollausschuß, der Genehmigung und Überwachung der speziellen parlamentarischen G 10-Kommission bei Maßnahmen im Postund Fernmeldeverkehr, der Kontrolle des Datenschutzbeauftragten und der Nachprüfung durch die Gerichtsbarkeit. 6. Verfassungsschutz durch Aufklärung Das Landesamt informiert aber auch - wie mit diesem Bericht - die Öffentlichkeit. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung können nur dann mit nachhaltigen Erfolgen rechnen, wenn ihre Träger die Bürger über ihre wirklichen Absichten täuschen können. Verfassungsschutz durch Aufklärung ist daher ein wichtiges Anliegen dieser Veröffentlichung. Sie gibt Einblick in die Aufgabenbereiche des Landesamtes für Verfassungsschutz, beschreibt die Arbeitsfelder insbesondere in den Schwerpunkten der Extremismusbeobachtung, erläutert Zusammenhänge und berichtet über Beobachtungsergebnisse. 7. Bereiche des politischen Extremismus * Rechtsextremisten verfolgen zumeist das Ziel eines totalitären oder autoritären Staates. Sie predigen einen Nationalismus und völkischen Kollektivismus, der sich gegen die Völkerverständigung richtet, ethnische Minderheiten ausgrenzt und rassistisch geprägt ist. Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft werden von den meisten Rechtsextremisten heruntergespielt oder gar geleugnet. Die bei Rechtsextremisten vorzufindende aggressive Judenund Fremdenfeindlichkeit läßt immer wieder auch eine hohe Bereitschaft zur Gewalttätigkeit erkennen. Anschläge auf Wohnunterkünfte von Ausländern und jüdische Gedenkstätten, brutale Angriffe bis hin zur Ermordung deutscher und ausländischer Mitbürger beweisen die Gefährlichkeit dieser Extremisten. Die inneren Strukturen rechtsextremistischer Organisationen sind vielfach von einer Überbetonung militärischer und soldatischer Ordnungsklischees (Führerprinzip) geprägt. Nach außen wird eine übersteigerte, autoritär-diktatorische Staatsmacht -12- propagiert, in der die sich Rechte des Inviduums bedingslos der "Volksgemeinschaft" unterzuordnen haben. * Linksextremisten wollen die freiheitliche Demokratie revolutionär beseitigen und an ihrer Stelle eine kommunistische Diktatur oder eine Anarchie errichten. Sie rechtfertigen ihre Gewalt wird zumeist als "Gegengewalt", "zivilen Ungehorsam" oder als "gewaltfrei", wenn es sich "nur" um Sachbeschädigungen in Millionenhöhe handelt. Linksextremistische Terroristen haben mit Attentaten in der Vergangenheit viele Menschen getötet, sogenannte Autonome propagieren Militanz und verüben Gewaltakte gegen Personen und Sachen. * Im Ausländerextremismus sind - wie bei deutschen Extremisten - rechtsund linksextremistische Bestrebungen zu unterscheiden. Als wachsender Problembereich kommen islamische Extremisten hinzu. Der Verfassungsschutz sammelt nicht nur Informationen über Aktivitäten von Ausländern - z.B. in Bündnissen mit deutschen Extremisten - gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, sondern insbesondere auch über ausländische Gruppen, die ihre gegenseitigen oder gegen ihre Heimatländer gerichteten politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen. Hinzu kommen Ausländerorganisationen, die vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten vorbereiten oder durchführen und dadurch auswärtige Belange Deutschlands beeinträchtigen. * Auf Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister und -Senatoren vom 05706.06.1997 beobachten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder seit Mitte 1997 die Scientology-Organisation (SO), weil tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen der SO gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. Eine nach scientologischen Gesichtspunkten organisierte Gesellschaft würde die grundgesetzliche Werteordnung (z.B. den Gleichheitsgrundsatz, die Meinungsfreiheit, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition) beseitigen oder erheblich beeinträchtigen. Mit ihrer totalitären Gesamtstruktur und Zielrichtung widerstrebt die SO wichtigen Prinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ihr skrupelloses Expansionsund Machtstreben bedroht die demokratische und (werte)pluralistische Staatsund Gesellschaftsordnung. 8. Spionageabwehr und Geheimschutz Spionageabwehr und Geheimschutz sind Aufgabenbereiche, denen sich der Verfassungsschutz trotz des weltweiten Wandels auf politischem, militärischen und wirtschaftlichem Gebiet auch weiterhin aufmerksam widmen muß, um deutsche Sicherheitsinteressen zu wahren. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein interessantes Ausspähungsziel fremder Nachrichtendienste, darüber hinaus auch Zielgebiet -13- zur Unterwanderung in Deutschland lebender Ausländergruppen, die in Opposition zu ihren Heimatregierungen stehen. Materieller und personeller Geheimschutz sollen dazu beitragen, daß im staatlichen Interesse geheimzuhaltende Informationen nicht Unbefugten in die Hände fallen. Insbesondere Sicherheitsüberprüfungen sollen das Risiko ausschließen oder zumindest nachhaltig mindern, daß Personen mit Ausspähungsbzw. Verratsabsichten zu Geheimnisträgern werden. 9. Strukturdaten Um die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden transparenter zu machen, haben sich die Innenminister und -Senatoren der Länder 1992 dafür ausgesprochen, Strukturdaten der Verfassungsschutzbehörden zu veröffentlichen: 1. Der Haushaltsplan 1997 der Freien und Hansestadt Hamburg wies für das Landesamt für Verfassungsschutz am Jahresende 145,2 (1996: 149,2) Stellen aus. Am 1.1.1998 erfolgte ein weiterer Personalabbau um 6,9 Stellen auf 138,3 Stellen. 2. Der Haushaltsansatz für das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg (Sachausgaben und Personalkosten) betrug 1997 18.727.356 DM (1996: 13.668.000 DM). Darin waren 14.139.356 DM (1996: 8.754.000 DM) für Personalausgaben enthalten. Die erhebliche Differenz - trotz personeller und materieller Einsparungen - zwischen den Etatansätzen 1996 und 1997 resultiert aus einer veränderten Berechnung der auf die einzelnen hamburgischen Behörden entfallenden Personalkostenbudgets ab 1997. Im Gegensatz zur bis dahin gültigen Praxis werden seit 1997 Versorgungsund Beihilfeanteile nicht mehr zentral veranschlagt, sondern mit Pauschalsätzen in den Einzelbudgets ausgewiesen. Die auf das Landesamt für Verfassungsschutz entfallenden Sachausgaben und Personalkosten waren - anders als in der bloßen Zahlengegenüberstellung - 1997 deutlich geringer als 1996. 3. Durch das Landesamt für Verfassungsschutz waren am 30.12.1997 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 9.569 (31.12.1996: 10.858) Personen erfaßt, davon 32,64 Prozent (31.12.1996: 41,22 Prozent) im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen. 10. Arbeitsweise Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen, sicherheitsgefährdende Aktivitäten und im Rahmen der Mitwirkungsaufgabe im Zuge von Sicherheitsüberprüfungen. Instrument der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden sind unter anderem gemeinsame Dateien. Die "klassische" gemeinsame Datei im Sinne des SS 6 BVerfSchG ist die Personenzentraldatei (PZD) im Verbund des bundesweiten Nachrichtendienstlichen In- - 14- formationssystems (NADIS). Sie ist eine grundsätzlich allen Verfassungsschutzbehörden zur Verfügung stehende Sammlung von Hinweisen auf Unterlagen, die personenbezogene Informationen enthalten. Jede Verfassungsschutzbehörde speichert in eigener Verantwortung biographische Daten und das Aktenzeichen der betreffenden Unterlage. Im Zusammenhang mit Personalien wird lediglich eine Aktenfundstelle gespeichert, nicht die eigentliche Information. Durch die PZD soll im konkreten Bedarfsfall festgestellt werden können, ob eine Person bereits früher im Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung bekannt geworden ist. Die Nutzung von Informationen aus den Unterlagen ist ein von der PZD unabhängig und konventionell ablaufender zweiter Schritt. Wenn eine PZD-Fundstelle angezeigt wird, bedeutet das nicht zugleich, daß "belastende" Informationen vorliegen. Dieses gilt unter anderem für die überwiegende Zahl derjenigen Personen, an deren Sicherheitsüberprüfung die Verfassungsschutzbehörden mitgewirkt haben und zu denen keine sicherheitsrelevanten Informationen vorliegen. Zugriff zu gespeicherten Daten haben ausschließlich die Verfassungsschutzbehörden. Sie sind verpflichtet, nach präzise vorgegebenen Fristen und strengen Beurteilungsmaßstäben die gespeicherten Daten zu prüfen. Sind sie nicht mehr aufgabenrelevant bzw. ist ihre weitere Aufbewahrung nicht mehr erforderlich, werden sie gelöscht. Der Datenschutzbeauftragte kontrolliert, ob die Prüfungsund Löschungsfristen beachtet wurden und werden. -15- II. Rechtsextremismus 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 1.1 Themen und Aktivitäten Seit Jahren wiederholen sich weitgehend die Themen, die der gesamte Bereich des Rechtsextremismus in unterschiedlichen Intentionen, in verschiedenen Varianten und in differierender Schärfe für seine Agitation aufgreift: * rassistisch geprägte Ausländerfeindlichkeit, * nationalistische Vorstellungen als Gegenpol gegen die europäische Einigung, gegen die Einführung des Euro und die Globalisierung der Wirtschaft, * Wiedererschaffung des deutschen Reiches, * Antisemitismus, * Revisionismus, * Beklagung der staatlichen und der von politischen Gegnern ausgehenden Repression gegen "alle national denkenden Deutschen", * Verunglimpfung des Staates und seiner Organe, * sozialpolitische Themen, * Innere Sicherheit. Als aktuelle spezifische Themen des Jahres 1997 kamen der Widerstand gegen die als "anti-deutsch" attackierte "Wehrmachtsausstellung" des Hamburger Instituts für Sozialforschung und gegen Ende des Jahres "Rechtsextremistische Vorfälle in der Bundeswehr" hinzu. Die aufgezählten Komplexe werden häufig miteinander verquickt. Ihre Gewichtung verlagert sich von Jahr zu Jahr. Die Ausländer in der Bundesrepublik werden für alle sozialen und gesellschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht und Lösungen für den Fall zugesagt, daß ihre weit überwiegende Mehrzahl, insbesondere die Asylanten, das Land verläßt. Viele dieser Themen werden dazu genutzt, den Staat, seine Organe, die die Demokratie prägenden politischen Parteien und deren Parlamentarier in z. T. übelster Weise zu beschimpfen und ihnen das Recht abzusprechen, im Namen der Deutschen zu handeln. In völliger Verkennung der Realitäten werden soziale und gesellschaftliche Probleme als Symptome für ein " verfaulendes politisches System " hingestellt, dessen nahes Ende analog zu den umwälzenden Ereignissen in der DDR 1989 zu erwarten sei. Themen, die bestimmte Bevölkerungskreise besonders berühren und diese ansprechen bzw. Bürgerproteste ausdrücken sollen, werden populistisch für öffentliche Aktionen genutzt. Auf diese Weise sollen sowohl der eigene Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit gesteigert als -16- auch Bündnisund Einigungsbestrebungen in der rechtsextremistischen Szene gefördert werden. Rechtsextremisten versuchen zunehmend, die schwierige gesellschaftliche, wirtschaftliche und soziale Situation in der Bundesrepublik für sich auszunutzen und im Vorfeld kommender Wahlen von der Unzufriedenheit sowie von Protesthaltungen in der Bevölkerung zu profitieren. Dazu rücken jeweils aktuelle Brennpunktthemen in den Mittelpunkt ihrer Agitation. Ein zentraler Anknüpfungspunkt ist unverändert die Ausländerund Asylproblematik in der Bundesrepublik. Den politisch Verantwortlichen wird unterstellt, ein ungehemmtes Eindringen von Ausländern in die Bundesrepublik zu fördern, dadurch bewußt die nationale und kulturelle Identität des deutschen Volkes zu zerstören, die Deutschen SCHEINzur Minderheit im eigenen Lande zu machen und sie letztendlich durch gezielte ASYLANTEN "Rassenvermischung" zu vernichten. und Rechtsextremisten rufen zum Kampf gegen die "MaW-Ä'wW'-Gesellschaft u.a. KRIMINELLE deshalb auf, weil sie einen nach ihrer Überzeugung drohenden ethnisch bedingAUSLÄNDER ten Bürgerkrieg in Deutschland verhindern wollen. Die nahezu pauschal als "Sozialbetrüger" und "Schmarotzer" diffamierten Asylbewerber ("Asylanten") müßten das Land verlassen. In Deutschland lebende Ausländer, insbesondere wiederum ituu & Asylbewerber, werden außerdem für eine ausufernde Kriminalität und die zunehmende Brutalisierung von Verbrechen verantwortlich gemacht. In diesem ZusamAbb. 1 : DVU-Agitation im Hamburger menhang wird von einer "multiBürgerschaftswahlkampf kriminellen " Gesellschaft gesprochen. Dabei sehen sich die Rechtsextremisten nicht als Ausländerfeinde, sondern als einzig wahre Verfechter deutscher Interessen. Sie bezichtigen statt dessen die politisch Verantwortlichen als "Inländerfeinde" und "Deutschenhasser", die ihre im Grundgesetz festgeschriebene Verantwortung für das deutsche Volk nicht mehr wahrnähmen und so permanent ihren Amtseid brächen. Zur Ausländerproblematik wird eine Palette unterschiedlicher Schritte angeboten, deren Bandbreite auf eine radikale Gesamtlösung hinausläuft. Beispiele: -17- * Abschaffung von Sozialleistungen für Ausländer, * Ausweisung aller kriminellen oder arbeitslosen Ausländer, * Einwanderungsund Aufnahmestopp, * pauschale Ausweisung aller in der Bundesrepublik lebenden Ausländer. Auch Antworten auf Detailfragen (z. B. Arbeitsplatzvergabe, Belegung preiswerten Wohnraums) laufen stets auf die Standardforderung hinaus: S#* Zunächst sind nur Deutsche zu berücksichtigen. Die fortdauernde, teilweise äußerst agressive Agitation gegen Ausländer dürfte die wieder erheblich gestiegene Gewalt gegen Ausländer in der BundesAUSLÄNDER republik weiter fördern und von Gewalttätern zur Rechtfertigung aufgegriffen werden. STOPP! Vor dem Hintergrund der anAbb. 2: NPD-Agitation im Hamburger Bürgerdauernden hohen Arbeitsloschaftswahlkampf sigkeit und des Abbaues von Sozialleistungen versuchen sich Rechtsextremisten zunehmend als einzig wahre Interessenvertreter der Betroffenen darzustellen. Sozialpolitische Themen rücken immer stärker in den Vordergrund der Agitation, wie sich u.a. im Wahlkampf zur Hamburger Bürgerschaftswahl zeigte. Mißstände bzw. auch auf demokratischer Seite erkannte - aber noch ungelöste - Fehlentwicklungen werden unter rechtsextremistischen Vorzeichen aufgegriffen, zum Teil demagogisch angeprangert und zugespitzt. Die in der politischen Verantwortung Stehenden werden scharf angegriffen und zum Teil verunglimpft. So wurden erneut pauschal Politiker der demokratischen Parteien als Betrüger bezeichnet, die in die eigene Tasche wirtschafteten - unfähig, die anfallenden Probleme zu lösen. Obwohl Rechtsextremisten sich als Retter in der Not darstellen, kommen sie über pauschale Forderungen ohne konkrete - rechtsstaatlich und menschlich auch praktikable - Lösungsansätze kaum hinaus. Sprechblasenartige einfache Parolen und geschickt formulierte suggestive Fragenkataloge zeigen trotz ihrer Substanzlosigkeit bei einfachen, unpolitischen, mit ihrer persönlichen Situation unzufriedenen Menschen Wirkung. -18- Eine Verschärfung sozialer, wirtschaftlicher und bevölkerungsstruktureller Gegensätze und steigende Ängste vor Kriminalität und Einwanderungsfolgen in der Bundesrepublik bergen immer auch die Gefahr steigenden Wählerzuspruchs zugunsten rechtsextremistischer Parteien. Politischer Protest, soweit er sich noch nicht der Beteiligung an demokratischen Willensbildungsprozessen verweigert, wendet sich z. Zt. in erster Linie populistisch agierenden Rechtsparteien und rechtsextremistischen Parteien zu. Rechtsextremisten knüpften auch häufiger als früher an sozialpolitische Themen an, um Demonstrationen anzumelden bzw. andere öffentliche Aktionen zu organisieren. Sie wurden jedoch zumeist verboten. Ein Beispiel war die Demonstration am 24.05.97 in Bad Segeberg unter dem Motto "Deutschland in Not", an der sich insbesondere Neonazis aus Hamburg, SchleswigHolstein und Bayern beteiligten. Als Anmelder traten der in Süddeutschland ansässige "Freiheitliche Volks Block" (FVB) und eine "Kameradschaft Fissau" auf, die sich ursprünglich Plön als Demonstrationsort ausgesucht hatten, verbotsbedingt jedoch nach Bad Segeberg auswichen. In Demonstrationsaufrufen hieß es: "Laßt uns gemeinsam gegen die Not in Deutschland angehen! Der soziale Friede in unserem Lande ist durch die Massenarbeitslosigkeit, die unkontrolliert hohe Staatsverschuldung, durch kriminelle Elemente, linke Chaoten und Multikultis gefährdet. " Die für den 1. Mai von der NPD angemeldete zentrale Demonstration des "Nationalen Widerstands " in Leipzig war als Gegenpol zur gleichzeitig angesagten zentralen DGB-Veranstaltung gedacht. Am symbolträchtigen und traditionsreichen Tag der Arbeit sollte hier in einer überragenden und spektakulären Deutlichkeit der Eindruck erweckt werden, daß sich Rechtsextremisten der sozialen Ängste und Nöte der Menschen kämpferisch annehmen und gegen den unterstellAbb. 3: Mobilisierung zum 1. Mai im Zeichen des ten Verrat von VolksinLeipziger Völkerschlachtdenkmals teressen durch die Etablierten - einschließlich -19- des DGB - aufbegehren. In Aufrufeifzu dieser Veranstaltung hieß es: " Wir wehren uns dagegen! Heraus zum politischen Kampftag der Arbeit - 1. Mai in Leipzig - Demonstration des Nationalen Widerstandes". In erster Linie wollte die NPD jedoch den bei der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 01.03.97 in München erzielten bündnispolitischen und öffentlichkeitswirksamen Erfolg fortsetzen. Euphorisch rechneten die Veranstalter mit 10.000 Teilnehmern. Wie in München wollten sich über die unmittelbare NPDund JN-Anhängerschaft hinaus erneut diverse Neonazis und Skinheads beteiligen. Die Demonstration am 1. Mai wurde verboten. Während sich die NPD weitgehend an das Verbot hielt und weitere Aktionen unterließ, führten JN-Mitglieder und Neonazis mehrere dezentrale spontane Aktionen durch. Die größte Demonstration fand mit mehr als 300 Personen in Hann. Münden statt, wo von den Teilnehmern beim Marsch folgende Parolen gerufen wurden: * DGB-Arbeiterverräter! * Hier marschiert der nationale Widerstand! * Solidarisieren - mitmarschieren! * 1. Mai - chaotenfrei! Trotz der verhinderten Großdemonstration wurde der Aktionstag als Erfolg gewertet. Allerdings gab es Streitigkeiten zwischen den Beteiligten, weil Neonazis der NPD vorwarfen, bei der Organisation von Ersatzveranstaltungen versagt und sich nicht an den Spontanaktionen beteiligt zu haben. Zunehmend an Bedeutung gewinnt für Rechtsextremisten auch die Agitation gegen die fortschreitende europäische Vereinigung, insbesondere gegen die Umsetzung des Vertrages von Maastricht und die Einführung des Euro. Rechtsextremisten wollen diesen Prozeß stoppen und Widerstand dagegen organisieren. Den verantwortlichen Politikern werfen sie vor, die "Souveränitätsrechte des deutschen Volkes" aufzugeben, deutsche Kultur zu vernichten und die ohnehin von ihnen unterstellte Abhängigkeit der Bundesrepublik vom Ausland zu forcieren. Aus rechtsextremistischer Sicht befindet sich Deutschland bis heute in einer nach dem 2. Weltkrieg durch die "alliierten Besatzungsmächte " aufgezwungenen - zugleich aber auch willfährigen - " Umerziehung und Büßerhaltung". Mit der Anti-Euro-Kampagne versuchen Rechtsextremisten, den Verlust der D-Mark als einen aus ihrer Sicht wesentlichen Bestandteil deutscher Identität zu verhindern. Statt dessen propagieren sie Nationalismus als vermeintlich zukunftsträchtige Ideologie und einzig erfolgversprechende Alternative zur Lösung innenund außenpolitischer Probleme, einen deutschen Nationalstaat und ein "Europa der Vaterländer". Rechtsextremisten sehen sich in der Bundesrepublik immer stärker als Opfer von Unterdrückung sowie politischer und rechtlicher Ausgrenzung. Sie verweisen auf andau-20- ernde staatliche Repressionsmaßnahmen, u.a.: * Organisationsund Veranstaltungsverbote, * sonstige Verhinderungen von Aktionen und Veranstaltungen, * Durchsuchungsmaßnahmen, * Indizierungen von Buchund Musiktiteln, * Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen staatsschutzrelevante Straftatbestände und angebliche " Terrorurteile " * Protestaktionen politischer Gegner, * gewalttätige Angriffe insbesondere seitens linksextremistischer Autonomer auf Angehörige der rechtsextremistischen Szene. Daraus ergeben sich eine Verhärtung ihres Rollenverständnisses als vermeintlich berechtigte Fundamentalopposition zum derAnsage des NIT Berlin/Brandenburg zeitigen Staatsund Gesellschaftssystem so(18.03.97) zur Verurteilung des Rewie zunehmende Agressivität. Dieses äußert visionisten Udo WALENDY: sich in gesteigerten verbalen Attacken gegen politische Gegner und verantwortliche Poli"Kranke Systeme benötigen eine tiker bei öffentlichen Protestund Gedenkumfangreiche politische Justiz, um aktionen, aber auch in Form von Drohungen für eine Gleichschaltung der öffentliund tätlichen Angriffen gegen Linksextremichen Meinung zu sorgen. Passend sten. Insbesondere in Teilen Ostdeutschlands dazu erreichen politische Prozesse eskalierten in Einzelfällen die Auseinanderauch in der Bundesrepublik nie gesetzungen zwischen den rechten und linken kannte Ausmaße. Für Meinungsfreiextremistischen Flügeln. Hinsichtlich des heit ins Gefängnis, das gibt es nicht Umganges der "totalitären" Bundesrepublik nur in China oder dem Iran, sondern mit " national denkenden Menschen " wurden auch im freiheitlich-demokratischen Parallelen zu China und zum Iran gezogen. Rechtsstaat". Dem Staat wird vorgeworfen, jede nationale Opposition zu unterdrücken, zu kriminalisieren und sie jeglicher Rechte zu berauben. Ihm, dem Staat, wird ein Pakt mit "linksextremistischen Chaoten" unterstellt, derer er sich als "nützliche Idioten" bediene. In Aufrufen zur Bekämpfung politischer Gegner werden diese als Politverbrecher, Kriminelle, rote Chaoten und "Zecken" bezeichnet. Mehrfach meldeten Rechtsextremisten Protestdemonstrationen an, die sich gegen "staatliche Willkür" und Angriffe seitens politischer Gegner oder Ausländer richteten, so am 20.02.97 in Flensburg eine Kundgebung wegen der "perversen Begleitumstände " bei der Beerdigung des Altnazis und Revisionisten Thies CHRISTOPHERSEN, dessen Beisetzung dort verboten worden war. Weitere Beispiele waren eine Gedenkdemonstration am 10.05.97 in Neuhaus/Thüringen anläßlich des 2. Todestages eines von Linksextremisten getöteten Rechtsextremisten, der Aufruf zu einer Protestkundgebung der neonazistischen "Deutschen Nationalen Partei" (DNP) am 10.06.97 in Mühlhausen "gegen den -21- Mißbrauch der Justiz als Geisterinquisition" oder der Trauermarsch der NPD am 05.07.97 in Löban/Sachsen für einen von einem Farbigen in Notwehr erstochenen "Kameraden". Die steigende Agressionsbereitschaft innerhalb der rechtsextremistischen Szene offenbart sich auch in Aufrufen zum Widerstand gegen das "System", die von immer breiteren rechtsextremistischen Kreisen getragen werden. Ein Beispiel dafür ist der in großer Auflage verbreitete "Aufruf an alle Deutschen zur Notwehr gegen die Überfremdung", der von intellektuellen Rechtsextremisten - unter ihnen Professoren - mit unterschrieben worden ist. Darin werden "alle volkstreuen Deutschen zur Notwehr auch gegen den von der Staatsführung amtlich geplanten und mit brutalen Methoden durchgeführten Völkermord am Deutschen Volk" aufgerufen. Einige Rechtsextremisten sehen in der Bundesrepublik, z.B. wegen der Unterdrückung der "nationalen Opposition", wegen Preisgabe "nationaler" Interessen oder wegen einer der Bevölkerung aufgezwungenen Umwandlung in eine "Multi-Kulti-Gesellschaft" eine Notstandssituation erreicht, in der das verfassungsmäßige Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG wahrgenommen werden muß. Obwohl die meisten Rechtsextremisten noch auf gewaltfreie Widerstandsformen verweisen, zeigen einzelne Gewalt einschließende Drohungen unüberhörbar an, daß die Gefahr für Gewaltanwendungen steigt. Die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Institutes für Sozialforschung mit Bilddokumenten über Greueltaten von Wehrmachtsangehörigen im zweiten Weltkrieg wurde nahezu durchgängig von rechtsextremistischen Protestaktionen begleitet. Den Urhebern werden kommunistische Gesinnung, unwissenschaftliche Methodik, Geschichtsfälschung und bewußte Täuschung des Publikums durch Dokumentenfälschungen vorgeworfen. Sie würden die Ehre der "heldenhaften deutschen Soldaten" und deren Angehöriger beschmutzen. Besonders tat sich der Neonazi Manfred ROEDER hervor. Er rief mehrfach zu Aktionen auf und beteiligte sich an einigen auch persönlich, u.a. durch Sachbeschädigungen. Den Höhepunkt der Anti-"Verleumdungs"-Aktionen bildete die von der NPD angemeldete Demonstration am 01.03.97 in München. Die NPD hatte sie bewußt nicht als eigene Veranstaltung deklariert, sondern mit außergewöhnlichem Erfolg die Gunst der - breite rechtsextremistische Kreise erfassenden - Empörung genutzt, sie als gemeinschaftliche Aktion des "Nationalen Widerstands" darzustellen. Mit etwa 4.000 Teilnehmern war dies die seit Jahren größte rechtsextremistische Demonstration im Bundesgebiet. Die Beteiligungsbreite reichte von Burschenschaften über Mitglieder verschiedener rechtsextremistischer Organisationen bis hin zu einem erheblichen Anteil von Neonazis und Skinheads. Das Ereignis wurde daher als bündnispolitischer Erfolg aller Beteiligten herausgestellt. Der NPD verhalf der erreichte Ansehensgewinn dazu, ihren aktionistischen Kurs gestärkt fortzusetzen und sich Aktionsbündnissen mit Neonazis und Skinheads weiter zu öffnen. Die Proteste gegen die Ausstellung über Verbrechen der Wehrmacht gingen in den ersten Wochen des Jahres 1998 weiter. An einer -22- Demonstration am 24.01.98 in Dresden nahmen mehr als 1.000 Personen - überwiegend aus der Region - teil. Ende des Jahres erregten als "Bundeswehrskandal" pauschalierte rechtsextremistische Vorfälle in der Bundeswehr breite öffentliche Aufmerksamkeit, im wesentlichen ausgelöst durch die Nachricht, daß der Neonazi Manfred ROEDER im Jahre 1995 an der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr einen Vortrag gehalten hatte. Auf erhebliches öffentliches Unverständnis stieß auch die Meldung, daß der von ROEDER mitgeleiteten Organisation "Deutsch-russisches Gemeinschaftswerk - Förderverein Nord-Ostpreußen" ausgemusterte Bundeswehrfahrzeuge überlassen worden waren. Rechtsextremisten nutzten das in dieser Situation gesteigerte öffentliche Interesse, um mit Flugblattverteilungen vor Kasernen unter Soldaten für sich zu werben. WblL Rechtsradikal " I n \s iaht vo\ Darüber hinaus reklamierten insbe\ä**l$-- u w n s ich rmchtsntdlkjil bin, mu0 ich nich' mehr Inns Bundeswehr sondere Angehörige der JN öffentund kann mir auch den ätzenden lich ihr angeblich "bürgerliches Zivi sparen? Recht" auf Wehrdienstleistung und verwiesen darauf, daß mehrere JNFunktionäre bereits Wehrdienst zum Nutzen der Bundeswehr leisteten. Sie wollten dieses notfalls bis zur letzten Instanz einklagen. Entlassungen aus der Bundeswehr wegen "nationaler" politischer Gesinnungen bedeuteten eine weitere Diskriminierung der "nationalen Opposition". Für die JN stehe nicht die Ausbildung an der Waffe, sondern die sozialpolitische Bildung während des Wehrdienstes im Vordergrund. Entgegen solchen Behauptungen ist Abb. 4: NPD-Comic-Figur "Willy Widerdie Ausbildung an verschiedenen stand" ("Deutsche Stimme" Nr. 11/97) Waffentypen und der Umgang mit Sprengstoff das tatsächliche Hauptmotiv beim Eintritt vieler Rechtsextremisten in die Bundeswehr. Beides gilt als wichtiges Rüstzeug für den späteren "Ernstfall", der allerdings aus rechtsextremistischer Sicht ein anderer ist, als im Verteidigungsfall der Bundesrepublik gegenüber militärischen Angriffen von außen. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte, daß Rechtsextremisten die Bundeswehr unterwandern - etwa um sie zu einer nationalistisch ausgerichteten Armee umzufunktionieren. Antisemitismus ist ein bis heute integraler Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie und Praxis. Er ist auch weiterhin bei deutschen Rechtsextremisten besonders stark ausgeprägt. Dabei sind zwei Grundarten zu unterscheiden. Erstens gezielte sprachliche und -23- aktionistische Angriffe auf jüdische Personen, Institutionen und Einrichtungen. Hierunter fallen u.a. alltägliche verbale Attacken, Beleidigungen oder Drohungen gegen jüdische Repräsentanten, jüdische Mitbürger sowie Schändungen jüdischer Friedhöfe, Mahnmale und Gedenkstätten. Die zweite Form des Antisemitismus sind abstruse Weltverschwörungstheorien, in denen über das Judentum behauptet wird, es strebe durch weltweite Einflußnahme auf Politik und Wirtschaft eine zionistische Weltherrschaft an und wolle dabei insbesondere Deutschland durch gezielte fremdländische Einwanderungsströme zerstören. Hier stünden alle wichtigen staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche (Politik, Wirtschaft, Presse usw.) unter zionistischer Oberherrschaft. Das Land habe damit jegliche nationale Selbständigkeit verloren. Antisemitismus ist in praktisch allen rechtsextremistischen Organisationen vorzufinden, teilweise in recht subtiler Form, teilweise offen publiziert. Besonders abstoßende Beispiele antisemitischer Hetze im Bundesgebiet stammen von anonymen Urhebern, werden über das Internet verbreitet oder in Bild, Ton oder Schrift aus dem Ausland eingeführt. Bereits seit einiger Zeit werden anonyme antisemitische Pamphlete von Hamburg aus an Adressaten im Bundesgebiet versandt. Ein erheblicher Teil antisemitischer Straftaten entfällt auf Schändungen jüdischer Friedhöfe. Ebenso ist auch der Revisionismus weiterhin ein fundamentaler Bestandteil rechtsextremistischen Gedankengutes. Er widmet sich in unterschiedlichen Facetten der Leugnung bzw. Relativierung nationalsozialistischer Verbrechen - hier insbesondere der Leugnung des Holocaust an Juden und der kategorischen Verneinung deutscher Kriegsschuld. Daneben zeichnet er die Bundesrepublik als ein von den alliierten Siegermächten eingesetztes, von der deutschen Bevölkerung niemals legitimiertes staatliches Gebilde, das keinesfalls die Rechtsnachfolge des Deutschen Reiches angetreten habe. Gefordert wird u.a. die Wiederherstellung der deutschen Grenzen von 1937 (Gebietsrevisionismus). Das deutsche Volk sei nach 1945 systematisch "antideutsch erzogen" und "kollektiv gedemütigt" worden. Ihm sei ein permanentes Schuldbewußtsein eingeimpft worden. Dieses alles habe dazu geführt, daß weder Politiker noch die Masse des Volkes über ein nationales deutsches Identitätsbewußtsein verfügten. Mittlerweile ist im deutschen rechtsextremistischen Lager immer mehr umstritten, ob das offensive öffentliche Insistieren auf angeblichen Holocaust - "Lügen " oder ähnlichen revisionistischen Themen nach über 50 Jahren die Bevölkerung noch anspricht oder lieber zugunsten aktueller sozialer Themen zurückgestellt werden sollte. Nur noch eine kleine Minderheit setzt auf ausschließlich revisionistische Agitation, zumal sich ihre Argumentation abgenutzt hat und in der Bundesrepublik einer verschärften strafrechtlichen Beurteilung unterliegt. Demzufolge strömt revisionistische Propaganda fast ausschließlich aus dem Ausland nach Deutschland, insbesondere über das Internet. Einer der Hauptakteure ist weiterhin der in Kanada lebende deutschstämmige Ernst ZÜNDEL, -24- der seine Geschichtsverfälschungen mit großem finanziellen Aufwand über alle einschlägigen herkömmlichen und modernen Medien nahezu weltweit verbreitet. Via Internet erreichen u.a. aus Österreich stammende umfangreiche revisionistische Texte sowie die in England gefertigte Zeitschrift "National-Journal" das deutsche Publikum. Der in Belgien ansässige " Vrij Historisch ONDERZOEK" bietet umfangreiche revisionistische Literatur an. Aktuell wird in der Bundesrepublik dessen Schrift "Antwort auf die Goldhagenund Spielberglügen " an zahlreiche Adressaten versandt. Während klassische revisionistische Themen offensichtlich allmählich ausgedient ha^Er (tm) Pi ______ ben, ist aus einzelnen Äußerungen herauszuhören, daß ein auch weiterhin gepflegtes Argument rechtsextremistischer DelegitiLUGE Antwort mierungsversuche ins Zentrum des Widerstandes gegen das "System" rücken könnte: Da die auf Goldhagen Gründungsgeschichte der Bundesrepublik weitestAbb. 5: Anzeige in den Wochenzeitungen des DVUgehend als Produkt alliierVorsitzenden Dr. FREY mit dem Hinweis: ter Weisungen und nicht "Dokumentation und Widerlegung ungeheuerlicher antials Ausfluß souveräner deutscher Anklagen. Mit Tatsachen und Zeugenberichten, Entscheidungen erklärt die totgeschwiegen werden sollen. " (hier: DNZ Nr. 6 wird, wird ihr jegliche vom 31.01.97) staatliche Legitimation abgesprochen mit der Schlußfolgerung, niemand müsse sich an geltendes Recht und die bestehende Ordnung gebunden fühlen. 1.2 Organisationen und Potentiale 1996 war die Gesamtzahl der Rechtsextremisten gesunken. 1997 ist - nach Abzug von Doppelmitgliedschaften - eine deutliche Steigerung des bundesweiten rechtsextremistischen Potentials auf 48.400 Personen (1996: 45.300) festzustellen. Einschließlich Doppelmitgliedschaften entfallen 34.800 Mitglieder auf 3 rechtsextremistische Parteien, 7.600 auf gewaltbereite Rechtsextremisten, insbesondere Skinheads, 2.400 auf Neonazis, 4.300 auf sonstige rechtsextremistische Organisationen. Die Anzahl der von den Verfassungsschutzbehörden beobachteten rechtsextremistischen Organisationen beläuft sich auf 109 (1996 über 100): 40 neonazistische Gruppierungen, 3 gewaltbereite Personenzusammenhänge, 3 Parteien und 63 sonstige Organisationen/Einrichtungen. -25- 1997 - 48400 * C 1996 t 4b300 1995 L f-4B1UU p 1-56600 1994 L 0 199.1 L. 65450 0 199? T * 65700 5 * 1991 '" 39800 5 1990 C 3231)0 P T ab 1992 neu 1989 r 35000 -$ aufgenommen: 1988 C~* 28300 * s l P Die REPUBLIKANER _ ^^ 1987 r** - "* 25200 _ P ' Bundesweite IP"" r***" ~~$ rechtsextremistische 1PR5 r 1 22100 SS Mitglieder-/Anhänger22100 potentiale 1QR4 P(tm)*(tm) P ^ in den letzten 15 Jahren ^ i9ft.i r (tm) " 20300 0 10000 20000 30000 40000 50000 60000 70000 Rechtsextremistisches Personenpotential 1996 1997 Gewaltbereite Rechtsextremisten 6.400 7.600 Neonazis (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) 2.420 2.400 Parteien: 33.500 34.800 * davon REP 15.000 15.500 * davon DVU 15.000 15.000 * davon NPD 3.500 4.300 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 3.700 4.300 Summe Parteien und "Sonstige Organisationen" 37.200 39.100 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften: 36.480 38.400 Gesamtes Personenpotential nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften: 45.300 48.400 -26- Betrachtet man die mittelfristige Entwicklung der letzten Jahre, ist festzustellen, daß nach den deutlichen Mitgliederrückgängen seit 1992 im Jahre 1997 erstmals wieder ein Mitgliederzuwachs festzustellen ist. Steigerungen gab es insbesondere bei den gewaltbereiten Rechtsextremisten, bei den sonstigen rechtsextremistischen Organisationen sowie durch Zuwächse bei den Parteien, hier insbesondere bei der NPD. Das rechtsextremistische Potential ist in Hamburg entgegen dem Bundestrend 1997 mit 1.200 Personen nach Abzug der Doppelmitgliedschaften gegenüber 1996 etwa gleich geblieben. Damit wurde der seit 1994 andauernde Abwärtstrend gestoppt. 1997 1200 3 1996 1200 1995 1250 -- ~" 1300 1994 1 1993 1400 1400 1992 |ab 1991 neu aufgenommen: ; 1991 Die REPUBLIKANER 1400 1990 800 Hamburg: rechtsextremistische 1989 800 3 Mitglieder-/Anhängerpotentiale in den letzten 10 Jahren 700 200 400 600 800 1000 1200 1400 Allerdings sind deutliche Veränderungen in der rechtsextremistischen Szene in Hamburg zu bemerken. Während das Mitgliederpotential bei den rechtsextremistischen -27- Parteien eher rückläufig ist bzw. stagniert, gibt es deutliche Zuwächse bei den aktionistisch ausgerichteten Neonazis. Außerdem wurde erstmals eine größere gewaltbereite ausländerfeindliche Szene in mehreren Stadtteilen registriert. Die Mitgliederzahlen der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen, hier insbesondere der Neuen Rechten, von rassistischen, heidnischen Kulturorganisationen oder Jugendorganisationen sowie von Burschenschaften, blieben weitgehend konstant. Rechtsextremistisches Personenpotential in Hamburg 1996 1997 Gewaltbereite Rechtsextremisten 60 150 (davon Skinheads): (40) (50) Neonazis 80 100 DVU unter 500 600 REP 130 130 NPD 80 >80 HLA 40 40 DLVH 30 30 Sonstige 230 250 In den o.g. Zahlen enthaltene Doppelmitgliedschaften: 50 80 Die Zahl der Neonazis in Hamburg stieg von etwa 80 (1996) auf etwa 100 Personen. Diese Steigerung ist insbesondere auf die wachsende Zahl von Anhängern des "Personenkreises um Thomas Wulff" zurückzuführen, der aus der verbotenen "Nationalen Liste" (NL) hervorgegangen ist. Die Aktionsfähigkeit dieses Personenkreises wird durch ein bestehendes mobilisierbares Umfeld in Niedersachsen und SchleswigHolstein verstärkt. Der "Personenkreis um Thomas Wulff" ist stark aktionistisch ausgerichtet. Öffentliche Aktivitäten fanden insbesondere in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, bisher jedoch kaum in Hamburg statt. Unter den 150 erfaßten gewaltbereiten Rechtsextremisten befindet sich erstmals auch eine größere gewaltbereite ausländerfeindliche Szene in Hamburg. Sie setzt sich zumeist aus Jugendlichen und jungen Heranwachsenden zusammen, die nur zum Teil als rechtsextremistisch einzustufen sind. Neben Skinheads gehören dieser Szene Hooligans, kriminelle und sonstige gewaltbereite Jugendliche an. Es gibt starke Bindungen in das Hamburger Umland in Schleswig-Holstein und Niedersachsen hinein. Diese lose, unstrukturierte Szene ist in mehreren Stadtteilen Hamburgs anzutreffen und über persönliche Kontakte partiell verbunden. Sie zeichnet sich durch öffentliche Protestaktionen mit nationalsozialistischen Symbolen und durch ausländerfeindliche Strafund Gewalttaten aus. Daß die Anzahl ausländerfeindlicher Gewalttaten innerhalb der Hamburger Landesgrenzen im Jahre 1997 nicht gestiegen ist, dürfte u.a. darauf zurückzuführen sein, daß dieser Personenkreis eine erhebliche Anzahl von Taten außerhalb des Hamburger -28- Stadtgebietes verübte. In jüngster Zeit ist festzustellen, daß ein Teil dieser Szene sich stärker für eine Beteiligung an rechtsextremistischen Veranstaltungen und Aktionen sowie für eine Annäherung an rechtsextremistische Organisationen interessiert. Bei den rechtsextremistischen Parteien ist die DVU weiterhin mitgliederstärkste Organisation. Für das Berichtsjahr 1997 wurde die von der DVU selbst angegebene Mitgliederzahl von 500 verwendet. Gegenüber der Einschätzung im Verfassungsschutzbericht 1996 ("unter 600") erweckt die Differenz den Eindruck von Mitgliederverlusten. Tatsächlich dürfte die Mitgliederentwicklung jedoch stagnieren. Nach Ablauf des Berichtsjahres wirkte sich das Debakel bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft (21.09.97) bei den "Republikanern" in einem deutlichen Mitgliederschwund aus, der in den Zahlen dieses Berichtes noch nicht berücksichtigt ist. Die Hamburger NPD konnte den Mitgliederaufschwung der Bundespartei nicht parallel nachvollziehen. 1.3 Beteiligung an Wahlen Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 21.09.1997 haben die rechtsextremistischen Parteien "Deutsche Volksunion" (DVU), "Die Republikaner" (REP) und "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) insgesamt einen Stimmenanteil von 6,8 % erzielt: DVU REP NPD 4,9 % (40.957 Stimmen) 1,8% (15.207 Stimmen) 0,1 % (1.107 Stimmen) Bei den gleichzeitigen Wahlen zu den 7 Bezirksversammlungen ist es der DVU gelungen, in 4 Bezirken die 5 %-Hürden zu überspringen. Sie ist damit in der Mehrheit der Hamburger Bezirksparlamente - in Hamburg-Mitte, Wandsbek, Bergedorf und Harburg - vertreten. Im einzelnen erzielten die drei rechtsextremistischen Parteien bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen folgende Prozentanteile: Wahl zur BezirksDVU% REP% NPD% versammlung: Hamburg-Mitte 8,5 2,9 0,2 Altona 4,1 1,8 0,2 Eimsbüttel 3.8 1,7 0,1 Hamburg-Nord 4,1 1,5 0,1 Wandsbek 5,5 1,7 0,2 Bergedorf 5,4 3,4 0,1 Harburg 7,5 3,5 0,3 -29- 1993 hatten die DVU mit 2,8 %, die 1995 verbotene neonazistische "Nationale Liste" mit 0,0 % und die Republikaner (REP) mit 4,8 % abgeschnitten. Trotz rechnerisch zusammen 7,6 % hatten Konkurrenzkandidaturen schon damals knapp den Sprung über die 5 % -Hürde in das Landesparlament verhindert. Allerdings waren die REP 1993 erstmals in die Bezirksversammlungen Hamburg-Mitte und Harburg, die DVU in die Bezirksversammlung Bergedorf eingezogen. Der Versuch von rechtsextremistischer Seite, bei der Bürgerschaftswahl 1997 eine Wiederholung dieser Niederlage zu verhindern, ist gescheitert; dieses Mal verfehlte die DVU mit 4,977 % (40.957 Stimmen) allerdings nur um 190 Stimmen die 5 %-Hürde. Gegenseitige Appelle zur Einigkeit des "nationalen" Lagers und Kräftebündelung in Form von gemeinsamen Listen, Abtretung von Listenplätzen, Wahlbündnissen oder zu einem sonst wie abgestimmten Wahlverhalten verliefen im Sande. Egoismen, die sich gegenseitig ausschließenden Führungsansprüche und Profilierungsbedürfnisse erwiesen sich als unüberwindbare Barrieren. Infolgedessen traten NPD, DVU und REP auf allen Ebenen (Bürgerschaftswahl und in allen 7 Bezirken) in Konkurrenz zueinander an. Sie betrachteten den Stadtstaat Hamburg "als ideales Pflaster für ein Aufwärmtraining zur Bundestagswahl 1998" ("Junge Freiheit", 25.07.97). Der Anteil der Wähler rechtsextremistischer Parteien in Hamburg hat sich zur Wahl der Bürgerschaft gegenüber 1993 nicht erheblich verändert. In Prozentpunkten hat es sich sogar von 7,6 (1993) auf 6,8 (1997) verringert. Die Gewichte der rechtsextremistischen Parteien untereinander haben sich jedoch gravierend verschoben. Insbesondere vollzog sich ein Austausch zwischen den REP (1,8 %, 1993: 4,8 %) und der DVU (4,9 %, 1993: 2,8 %) - ein Zeichen dafür, daß nicht von einem hohen Stammwähleranteil der jeweiligen Partei, sondern eher von einem parteipolitisch austauschbaren rechten Protestpotential auszugehen ist. Der Erfolg der DVU kann im wesentlichen auf den massiven Einsatz von Wahlkampfmitteln zurückgeführt werden; die 1993 noch höhere 'Attraktivität' der REP beruhte dagegen u.a. auf ihrer damaligen Führungsfigur SCHÖNHUBER. Das absolute Schlußlicht in der rechtsextremistischen Wahlkonkurrenz bildete 1997 die NPD mit 0,1 % (1993: nicht angetreten). Alle drei Parteien haben ihre Wahlkämpfe primär mit externer Hilfe anderer Parteigliederungen und / oder kommerzieller Verteilerfirmen -30- bestritten. Hauptgegenstand der Wahlagitation waren die Problematik der Ausländerzuwanderung und Asylgewährung, die Kriminalitätsbekämpfung, Fragen der inneren Sicherheit und die kategorische Ablehnung der europäischen Integration - insbesondere der Einführung der Euro-Währung. Stärker als bei früheren Wahlen versuchten die rechtsextremistischen Parteien, sich insbesondere in Stadtteilen mit hoher Bevölkerungsdichte und hohen Anteilen ausländischer Wohnbevölkerung durch das Aufgreifen wirtschaftlicher und sozialer Proteststimmungen Vorteile zu verschaffen. Die DVU verfügte mit weitem Abstand über den höchsten Wahlkampfetat und stieß mit ihrer aggressiven Zuspitzung des Wahlkampfes auf Ausländerzuwanderungsund Asylfragen sowie steigende Kriminalität bei Wählern mit rechter Grundeinstellung auf Resonanz, die ihren Protest gegen die etablierten Parteien signalisieren wollten. Die dem politisch interessierten Wähler durchaus bekannten Schwächen der DVU - fehlendes Parteileben, Mangel an politischen Persönlichkeiten sowie schlechte bis nicht vorhandene parlamentarische Mitarbeit, spielen bei Protestwählern offenbar kaum eine Rolle. Die DVU hatte im Wahlkampf unter dem Grundtenor "Deutsch wählen!" u.a. mit der Parole geworben, den "Stimmzettel zum Denkzettel" zu machen. Zu den wiederkehrenden Wahlaussagen gehörten Forderungen wie "Asylbetrüger und kriminelle Ausländer raus! " In einer an "alle Haushalte" gerichteten Extraausgabe der "Deutschen Wochenzeitung" (DWZ) hieß es demagogisch u.a.: "Deutscher, so wirst Du ausgeplündert! Du, Deutscher, mußt für Dein Geld schwer schuften. Der Asylbetrüger aber kassiert vom Sozialamt, ohne einen Handschlag zu tun. ... 'Schnauze voll!!'... DVU, dann kommt Stimmung in die Bude! Nichts mehr gefallen lassen! Krach schlagen! Protest wählen! " Obwohl die Ausgangsposition für die REP nach ihrem erneuten Wahlerfolg bei der Landtagswahl vom 24.03.96 in Baden-Württemberg (9,1 %) günstig schien, scheiterten sie in Hamburg sowohl an eigenen Unzulänglichkeiten (Zerstrittenheit, fehlende Fachkompetenz und Erfolglosigkeit in den Bezirksversammlungen Hamburg-Mitte und Harburg, Farblosigkeit des Bundesvorsitzenden Dr. SCHLIERER gegenüber seinem -31- Vorgänger SCHÖNHUBER), unterlagen aber auch der 'Materialschlacht' in Höhe mehrerer Millionen DM der DVU. Das Bemühen, sich mit dem Image einer seriösen, kompetenten, verfassungstreuen, demokratischen und patriotischen Partei zu umgeben, damit von der DVU und NPD abzusetzen und auch Überzeugungswähler zu gewinnen, blieb wirkungslos. Die NPD hat u.a. vor dem Hintergrund des desolaten Zustandes ihres Hamburger Landesverbandes und eines sehr begrenzten Wahlkampfetats ihr gestecktes Ziel, mindestens 1 % der abgegebenen Stimmen und damit eine Wahlkampfkostenerstattung zu erhalten, weit verfehlt. Im Wahlkampf war sie wenig präsent. Ihre kurze aktive Phase vor dem Wahltag mit Schwerpunktaktivitäten, insbesondere einer Störaktion gegen einen Wahlkampfauftritt des damaligen Ersten Bürgermeisters VOSCHERAU am 13.09.97, reichte nicht, um sich im breiten Feld rechtsextremistischer und anderer rechtsgerichteter Parteien zu profilieren. Das Ergebnis der NPD steht im krassen Gegensatz zu ihrem mehrfach betonten Führungsanspruch im "nationalen" Lager. Zur Bundestagswahl am 27.09.1998 zeichnete sich bis zum Jahresende 1997 keine Auflösung Abb. 8: Wahlwerbung der NPD der Konkurrenzsituation rechtsextremistischer Parteien ab. Obwohl viele Rechtsextremisten erkannt haben, daß ein Erfolg der sog. "nationalen" Kräfte ein Aufeinanderzugehen ohne Vorbedingungen für eine Bündniskandidatur voraussetzen würde und obwohl es nicht an entsprechenden Mahnungen und Appellen fehlt, haben sich die Fronten zwischen den Vorsitzenden der Parteien DVU, REP und NPD nach dem Scheitern bei der Hamburger Bürgerschafts wähl in gegenseitigen Schuldzuweisungen weiter verhärtet. Die DVU hatte sich bis zum Jahresende noch nicht entschieden, ob sie an der Bundestagswahl teilnehmen will. REP und NPD haben ihre Kandidaturen definitiv angekündigt, mit den Kandidatennominierungen und Entwürfen ihrer Wahlkampfkonzepte begonnen. Durch die Gründung neuer rechter Sammlungsinitiativen bzw. Bündnisbewegungen, die sich u.a. zum Ziel gesetzt haben, die wahlpolitische Konkurrenz im rechtsextremistischen Lager aufzubrechen, hat sich ihr Spektrum bisher nur weiter aufgesplittet. Insbesondere aus der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) und ihrem publizistischen Umfeld heraus setzen rechtsextremistische Strategen auf grenzüberschreitende Lösungsimpulse u.a. seitens des französischen "Front National" (FN) und dessen Führer Le PEN. Es erscheint allerdings fraglich, ob es Le PEN gelingen wird, in -32- der Bundesrepublik Deutschland nachhaltige konkrete Unterstützung für die von ihm immer dringlicher geforderte europäische Vernetzung deutscher, französischer und z.B. belgischer Rechtsextremisten zu gewinnen. 2. Gewaltbereite Rechtsextremisten 2.1 Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik Vorbemerkung: In die statistische Erfassung rechtsextremistischer Gewalttaten flössen bis 1996 auch "Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung" ein. Sie werden nicht mehr unter 'Gewalttaten' susumiert, weil das Strafgesetzbuch (StGB) keinen so spezifizierten Straftatbestand enthält, sondern unterschiedslos von "Sachbeschädigungen" spricht. Zur Vergleichbarkeit mit den Gewalttatenzahlen der Vorjahre hat das Bundeskriminalamt (BKA) die Daten aus früheren Statistiken entsprechend bereinigt. Die Zahl der 1997 insgesamt im Bundesgebiet erfaßten Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund beläuft sich auf 11.719 (1996: 8.730). Dieses bedeutet eine Zunahme um über 34 %. Primär werden nachstehend die darin enthaltenen Gewalttaten ausführlich dargestellt. Nach mehreren Jahren des Rückgangs war im Jahre 1997 erstmals wieder eine deutliche Steigerung rechtsextremistisch motivierter Gewalt im Bundesgebiet festzustellen. Unverändert stammt die weit überwiegende Mehrzahl der Gewalttäter nicht aus organisierten oder strukturierten rechtextremistischen Zusammenhängen. Die Taten sind selten geplant, sondern resultieren zumeist aus Konflikten in alltäglichen Situationen. 1996 und 1997 waren nahezu 70 % der Gewalttäter Jugendliche und Heranwachsende unter 21 Jahren. Oft handelt es sich um Personen mit niedrigem Bildungstand und einer vorhandenen diffusen Gewaltbereitschaft. Nährböden ihrer Gewalt sind oft fehlende soziale Bindungen, für sie negative gesellschaftliche Entwicklungen wie Arbeitslosigkeit, Zukunftsängste und Orientierungslosigkeit sowie der häufig hinzukommende Einfluß erheblichen Alkoholkonsums. Die daraus entspringende Gewalt richtet sich vor allem gegen Mitbürger, denen sich die Täter überlegen fühlen (z.B. Ausländer, Obdachlose), teilweise jedoch auch gegen tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner. Die Gewaltbereitschaft steigert sich durch die Einbindung in lose, unstrukturierte Gruppen, die sich zum Teil aus Skinheads, Hooligans, kriminellen oder sonstigen gewaltbereiten Personen zusammensetzen. Gewalttaten dieses Spektrums sind häufig von äußerster Brutalität -33- gekennzeichnet. In Ostdeutschland hat sich ein größeres Potential dieser Art herausgebildet, als in den westlichen Ländern. Nach dem Höhepunkt mit bundesweit über 1.485 rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten im Jahre 1992 gab es zwar bis 1995 (612 Gewalttaten / ohne Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung) einen steilen Rückgang um knapp 59 %. Nach einem ersten leichten Wiederanstieg 1996 (auf 624) zeigten die aus dem gesamten Bundesgebiet zusammengeführten statistischen Erhebungen Ende 1997 eine sehr viel deutlichere Trendwende an. Die Gesamtzahl der Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund am Jahresende belief sich auf 790. Im Vergleich zum Vorjahr bedeutet das eine Steigerung um 26,6 %. Die Verfassungsschutzbehörden erfassen die Gesamtzahl der Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund und unterscheiden vier Tatrichtungskategorien: Bundesebene / Gewalttaten / Tatrichtungen: Anteil 1997 (rund): Fremdenfeindliche Gewalt 58,5 % Antisemitische Gewalt 1,4 % Gewalttaten gegen politische Gegner 14,4 % Sonstige rechtsextremistische Gewalttaten 25,7 % "Fremdenfeindliche Gewalttaten" und "Sonstige rechtsextremistische Gewalttaten" werden zudem differenziert nach * Tötungsdelikten, * Sprengstoffanschlägen, * Brandanschlägen, * Landfriedensbrüchen * Körperverletzungen. 1997 hatten Delikte mit verbalen und körperlichen Bedrohungen durch Rechtsextremisten erneut überwiegend einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Straftaten werden dann als fremdenfeindlich angesehen, wenn sie sich gegen Personen richten, denen die Täter wegen ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ein Bleibeund Aufenthaltsrecht in ihrer Wohnumgebung oder überhaupt in Deutschland bestreiten. -34- Läßt sich im Einzelfall nach polizeilichen Ermittlungen nicht ausschließen, daß eine fremdenfeindliche Straftat vorliegt, wird sie als solche statistisch erfaßt. Eine rechtsextremistische Motivation wird insbesondere dann vermutet, wenn sich der Täter zu einer entsprechenden Zielsetzung bekennt, oder wenn die Tatumstände einen vernünftigen Zweifel an einer rechtsextremistischen Motivation nicht aufkommen lassen. In der Summe der 1997 vom Bundeskriminalamt (BKA) erfaßten 790 Gewalttaten sind 1 Sprengstoffanschlag und 38 Brandstiftungen enthalten. 1996 wurden 624 Gewalttaten registriert, darunter 33 Brandstiftungen, aber keine Sprengstoffexplosionen. Diese Gewalttaten addieren sich mit der weitaus höheren Zahl weiterer Straftaten, wie Sachbeschädigungen, Nötigungen/Bedrohungen, Verbreitung/Verwendung verbotener Propagandamittel, Volksverhetzung/Aufstachelung zum Rassenhaß usw. (1996 = 8.106, 1997 = 10.929) zu der einleitend vorangestellten Gesamtsumme von 11.719 (1996: 8.730). Gewalttaten*) mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextre^_ mistischen Hintergrund auf Bundesebene - Tatartenvergleich ) Körperverletzungen Landfriedensbruch *)Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Ab 1997 werden Sachbeschädigungen mit Brandstiftungen Gewaltanwendungen nicht mehr den Gewalttaten zugerechnet. Sprengstoff- * 1 Entsprechend wurden die explosionen (tm) u Zahlen des Vorjahres bereinigt. Tötungsdelikte I I " (auch Versuche) * ' /Z 100 200 300 400 500 600 700 D-1996 B1997] Von den 1997 insgesamt erfaßten 790 Gewalttaten waren 462 fremdenfeindlich motiviert (1996: 372) - ein Anstieg um 24,2 % gegenüber dem Vorjahr. Antisemitische Gewalttaten blieben mit 11 (1996: ebenfalls 11) in beiden Jahren auf einem - relativ - -35- niedrigen Niveau. Die Zahl der Gewalttaten gegen politische Gegner stieg von 79 auf 114, die der sonstigen rechtsextremistischen Gewalttaten von 162 auf 203. Bundesebene: Gewalttaten mit zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund Tatrichtung / Motivation 1996 1997 Veränder. Fremdenfeindlich 372 462 +24,2% Antisemitisch 11 11 0% Gegen politische Gegner 79 114 + 44,3 % Sonstige f~ 162 203 +25,3% Gewalttaten insgesamt: 624 790 + 26,6 % Die Ursachen dieser Gewalttaten sind außerordentlich komplex und in ihrer Motivzusammensetzung von Fall zu Fall recht unterschiedlich. Sie z.B. sozialund kriminalwissenschaftlich zu erforschen, ist nicht in erster Linie Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden. Diese haben primär die Aufgabe, Informationen über rechtsextremistische Bestrebungen zu sammeln, auszuwerten, darzustellen und frühestmöglich auf Entwicklungstendenzen sowie drohende Gefahren hinzuweisen. Als neuartiges Phänomen ragten 1997 drei Brandstiftungen in Lübeck mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation gegen Kirchen bzw. kirchennahe Objekte heraus - Ereignisse, die in Form mutmaßlicher Nachahmungstaten auf andere Städte, mit zum Teil verworrenem Motivhintergrund auch nach Hamburg, ausstrahlten. Anschlagsobjekte in Lübeck waren am: * 27.02.1997: die Gartenlaube eines Bischofs, * 25.05.1997 : die St. Vicelin-Kirche, * 29.06.1997: das Gemeindehaus der St. Augustinus-Kirche. Insbesondere nach dem Brandanschlag auf die St. Vicelin-Kirche am 25.05.97 - verübt offenbar aus Haß gegen das Engagement von Kirche und Pastor in der Ausländerbetreuung/Flüchtlingshilfe - ereigneten sich 19 (16 Propagandadelikte, 3 Brandstiftungen) von bundesweit insgesamt 36 Straftaten gegen Kirchen bzw. kirchennahe Einrichtungen im ersten Halbjahr 1997. Der Lübecker Brandanschlag hatte somit offenbar monatelang Fanalwirkung für rechtsextremistisch - aber zumindest in Hamburg auch anders - motivierte Gewaltund Propagandadelikte gegen Kirchen. Ähnliche Effekte, wenn auch mit breiterer Auswirkung, hatten in der Vergangenheit bereits die fremdenfeindlich motivierten Ausschreitungen in Hoyerswerda (1991) und in Rostock (1992), nach denen ein steiler Anstieg fremdenfeindlich motivierter Straftaten festzustellen war. -36- In Hamburg registrierte die Polizei 1997 insgesamt 299 rechtsextremistische Straftaten (einschließlich der fremdenfeindlichen und antisemitischen). In der Gesamtzahl aller rechtsextremistischen Straftaten sind zum einen 30 Gewalttaten, wie Brandstiftungen, Körperverletzungen und Landfriedensbruch, zum anderen 269 minder schwere Delikte - Sachbeschädigungen mit und ohne Gewaltanwendungen, Propagandadelikte, Nötigungen, Bedrohungen sowie sonstige Straftaten - erfaßt. Damit sind in Hamburg die Straftaten von 311 (1996) um 4 % zurückgegangen, die darin enthaltenen Gewalttaten (1996: 27) um gut 10 % auf 30 (1997) gestiegen. Von den 299 Straftaten (1997) hatten 34 % einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Damit setzte sich der sinkende Trend der Vorjahresanteile (1995: 40 %, 1996: 36 %) fort. Rund 9 % aller rechtsextremistischen Straftaten (26 Taten, Vorjahr: 33 Taten) hatten einen antisemitischen Hintergrund. Die Masse der Straftaten war mit rund 57 % (170 Taten, Vorjahr 165 Taten) rechtsextremistisch ohne gleichzeitigen fremdenfeindlichen oder antisemitischen Hintergrund motiviert. Hamburg: Rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten (Stand: 15.01.1998) Rechtsextremistische Fremdenfeindliche Antisemitische Gesamtzahl Straftaten ohne Straftaten Straftaten rechtsextremist., antisemitische und ohne fremdenfeindlicher fremdenfeindliche antisemitische und antisemitischer Straftaten Straftaten Straftaten 1996 1997 1996 1997 1996 1997 1996 1997 165 170 113 103 33 26 311 299 *) Gewalt taten => (27*) (30*) 1997 gab es in Hamburg kein vollendetes oder versuchtes Tötungsdelikt. Zuletzt registrierte die Polizei 1992 zwei Tötungsversuche, von denen einer fremdenfeindlich motiviert war. 1997 wurden 25 Körperverletzungen angezeigt, von denen 12 fremdenfeindlich und eine antisemitisch motiviert waren. Noch im Vorjahr war der Anteil fremdenfeindlicher Straftaten deutlich höher: Von 26 Körperverletzungen 1996 waren 21 Fälle fremdenfeindlich. Nach dem Brandanschlag auf die St. Vicelin-Kirche in Lübeck am 25.05.1997 gab es auch in Hamburg von Juni bis September 5 Anschläge auf kirchliche Einrichtungen von mutmaßlichen Nachahmungstätern. Die aus hinterlassenen Schmierereien erkennbare Symbolik sprach jedoch für eine diffuse Motivpalette ohne organisierten -37- bzw. sonstwie eindeutigen rechtsextremistischen Tathintergrund. Die Täter dokumentierten ihre Geisteshaltung in einer wirren Mixtur von Zeichen des Okkultismus/Satanismus und einzelnen rechtsextremistischen Symbolen. Hamburg: Rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten 1997 (Tatarten) Art der Delikte: Fälle davon insgesamt fremdenfeindl. antisemitisch Tötungsdelikte (vollendet): 1 o 0 0 Tötungsdelikte (versucht): 0 0 0 Brandstiftung: 5 0 0 Körperverletzung: 25 12 1 Landfriedensbruch: 1 o 0 0 Sachbeschädig./Gewaltanw.*): (3*) (1*) (0*) Sachbeschädigung*): 40+(3*) 9+(l*) l+(0*) Verwend. verbot. Kennzeichen: 148 31 2 Nötigung/Bedrohung: 18 15 0 Andere Straftaten: 60 35 22 Gesamt: 299 103 26 *) Sachbeschädigungen mit und ohne Gewaltanwendung ab 1997 zusammengefaßt Gewalttaten (1996 und 1997 ohne^ Sachbeschädigungen) mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund in Hamburg 1992 1993 1994 1995 1996 1997 -38 Sonstige Beispiele rechtsextremistischer bzw. fremdenfeindlicher Straftaten in Hamburg: * Im Verlaufe einer verbalen Auseinandersetzung mit anderen Fahrgästen in einer U- Bahn beleidigte und schlug ein 35 Jahre alter Mann einen Farbigen mit den Worten: "Asylantenpack, Halbmensch, dummer Affe, du stinkst, du Ausländer". Unter Hinweis auf seine Unterarmtätowierungen sagte er: "Das ist eine Tätowierung von der SS, die haben sieben Millionen umgebracht, weil sie so waren wie Du ". * Vier kurzhaarige, mit Bomberjacken und Springerstiefeln bekleidete Jugendliche beschimpften Anfang Mai Kinder in einem Asylbewerberwohnheim in HamburgSchneisen. U.a. drohten sie, die Wohnhäuser anzuzünden. Nachdem sie von den Eltern der Kinder vertrieben worden waren, kamen erneut ca. 15 - 20 Personen vor das Wohnheim und skandierten fremdenfeindliche Sprüche. * Ein 18jähriger Mann bedrohte am 29. Mai in einem Sportgeschäft in der Innenstadt einen farbigen Verkäufer mit einer Gaspistole und äußerte sich abfällig: "Diese Schwarzen sollte man vergasen! " * Im September beschimpfte ein Möbelanlieferer auf einem Schulhof drei ausländische Jugendliche: "Haut ab, Ihr Scheißkanaken! Euch sollte man vergasen. Ich bin Nazi. Ich stech Euch ab. Heil Hitler! " Dazu drohte er mit einem ausgeklappten Taschenmesser. Die weit überwiegende Mehrzahl derartiger Gewalttaten wurde nicht von organisierten Rechtsextremisten ausgeführt. Hamburg: Fremdenfeindliche Straftaten in 1991 -1997 (Tatarten) Art der Delikte: 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 Tötungsdelikte (vollendet): | 0 0 0 0 0 0 0 Tötungsdelikte (versucht): 0 0 1 0 0 0 0 Brandstiftung: 4 6 7 4 0 0 0 Körperverletzung : 3 24 35 19 28 21 12 Landfriedensbruch: 1o 1 0 0 0 0 0 Sachbeschädigung / Gewaltanw. 15 18 12 5 2 *) *) S achbeschädigung : r~9~~ 35 19 0 4 11 10 Verwend. verbot. Kennzeichen: 30 21 34 35 6 31 31 Nöti gung/B edrohung : 1 13 24 55 12 30 12 15 Andere Straftaten: 6 28 46 84 59 38 35 Gesamt: 80 157 209 159 129 113 103 *) hier unter "Sachbeschädigungen" erfaßt (1996: 3, 1997: 1) -39- 2.2 Rechtsextremistische Skinhead-Szene Skinheads bilden eine Jugendsubkultur mit unterschiedlichen Ausprägungen. Die Masse der Skins gliedert sich in einen unpolitischen - jedoch zumeist gewaltbereiten - und einen rechtsextremistisch motivierten Hügel, der sich ebenfallsdurch Gewalt u.a. gegen Ausländer auszeichnet und in seiner Musik nationalsozialistische, fremdenfeindliche und rassistische Texte verwendet. Eine Minderheit bilden politisch links stehende Skins. Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten, insbesondere rechtsextremistischer Skins, ist in Deutschland von 6.400 (1996) auf 7.600 stark gestiegen. Damit gingen einher: * eine erhebliche Zunahme von Gewalttaten, * eine wachsende Zahl von Skinmusikkonzerten, * eine verstärkte Politisierung der Skinszene, die sich in einer vermehrten Beteiligung an politischen Aktivitäten von Neonazis, aber auch rechtsextremistischer Parteien ausdrückt. -40- Mittlerweile nehmen an allen öffentlichen Aktionen von Neonazis auch Skinheads teil. In einigen Regionen stellen sie bereits einen bedeutenden Teil der Neonaziszene. Diese Entwicklung wird durch die Existenz und Neubildung loser, strukturloser "Kameradschaften" anstelle straff geführter Organisationen begünstigt. Selbst auf der NPDGroßveranstaltung am 07.02.98 in Passau stellten Skinheads ein erhebliches Potential der etwa 4.000 Besucher. Skinheads sind stellenweise auch Bestandteil örtlicher loser, gewaltbereiter ausländerfeindlicher Jugendszenen, die sich mit Hooligans und anderen gewalttätigen - teilweise auch allgemeinkriminellen - Jugendlichen vermischen. Von dieser diffusen Jugendszene gehen Gewalttaten insbesondere gegen Ausländer aus. Abb. 9: Hinweis auf deutsche "Hammerskins" im Internet Innerhalb der Skinheadunter dem 'Markenzeichen': "HASS-ATTACKE" szene gibt es weiterhin Strömungen internationalistisch ausgerichteter Skinheadbewegungen. Sie sind bestrebt, in Deutschland stärker Fuß zu fassen, die Skinheadszene zu politisieren und in eine strengere Disziplin einzubinden. Es handelt sich hierbei um die in den USA gegründeten "Hammerskins" und die aus England stammende "Blood and Honour''-Bewegung. Die "Hammerskins" sind eine besonders 'elitär' ausgeprägte Strömung, die sich als globaler Vorreiter einer Vereinigung der "Weißen Klasse" versteht und eindeutig rassistische Positionen, gepaart mit z.T. nationalsozialistischen Merkmalen, vertritt. Auch die "Blood and Honour"-Bewegung versteht sich als Teil einer weißen elitären Herrenrasse. Beide Gruppen verfügen mittlerweile über Anhänger in Deutschland, ohne bisher erheblichen Einfluß auf die Skinszene gewonnen zu haben. Allerdings haben sich beide Gruppen mit erheblichen Anteilen - zum Teil in Konkurrenz zueinander - als Konzertveranstalter hervorgetan. Die dadurch bedingte Rivalität hat zu Spannungen in der Szene geführt. Die Kommunikation innerhalb der Skinszene vollzieht sich insbesondere über Musikkonzerte und Fanzines genannte Schriften, die zugleich rege und weitverzweigte internationale Kontakte offenbaren. So treten auf Konzerten in der Bundesrepublik ausländische Bands, u.a. aus den USA, England, Skandinavien und Italien, auf. Ausländische Besucher nehmen an Konzerten in Deutschland teil, umgekehrt reisen deutsche Skinheads zu Veranstaltungen ins Ausland. Die wachsenden Aktivitäten deutscher Skin-41- heads zeigten sich in einer erneuten erheblichen Zunahme ihrer Konzerte. Verdoppelten sich diese Veranstaltungen bereits im Jahre 1996 auf 68 gegenüber 35 im Jahre 1995, war im Jahre 1997 eine weitere erhebliche Steigerung zu beobachten. Bereits Mitte des Jahres hatten über 50 Veranstaltungen - in Einzelfällen mit über 1.000 Teilnehmern und z.T. rechtsextremistisch einzuordnenden Begleiterscheinungen - stattgefunden. Staatliche Exekutivmaßnahmen gegen Musikverlage und Skinheadmusikgruppen seit 1993 hatten zu einer vorübergehenden - relativen - Mäßigung der Musiktexte und zu einem Rückgang bei Herstellung und Vertrieb von Skinmusik geführt. Im Gegensatz dazu war 1997 in der Skinmusikszene ein starker Aufwärtstrend festzustellen. Dabei spielt eine Rolle, daß der Verkauf derartiger Musikproduktionen ein einträgliches GeAbb. 10: "Kampffür Rasse & Nation" - Hamschäft darstellt, das nicht nur merskin-Werbung im Internet Szeneangehörige, sondern auch kommerzielle Anbieter anlockt. Darunter befinden sich Geschäftemacher rechtsextremistischer Couleur, aber auch unpolitische Produktpiraten. Rechtsextremistische Lieferanten wie die NPD oder die Zeitschrift "Nation und Europa " sehen auf diesem Sektor höchst willkommene Gelegenheiten, sich in der Skinheadszene bekannt zu machen und Einfluß zu gewinnen. Mittlerweile betätigen sich in der Bundesrepublik weit mehr als 20 Anbieter von Skinmusik. Nach wie vor werden Musiktitel mit gewaltverherrlichenden, antisemitischen, rassistischen und ausländerfeindlichen Texten verbreitet, die in Deutschland gegen Strafbestimmungen verstoßen. Diese Aufnahmen werden überwiegend im benachbarten Ausland produziert und illegal nach Deutschland eingeführt. Besonders aktiv ist dabei der von dem deutschen Skinhead Marcel SCHILF betriebene Vertrieb "NS 88" in Dänemark. Für besonderes Aufsehen sorgte eine CD der rechtsextremistischen Skinheadband "Die Zillertaler Türkenjäger" mit "12 Doitschen Stimmungshits", auf der bekannte Schlagermelodien mit rechtsextremistischen, antisemitischen, zur Gewalt aufrufenden Texten verbreitet werden. Zur Eindämmung dieser Entwicklung wurde im Jahre 1997 mit mehreren Exekutivmaßnahmen gegen Musikverlage und -vertriebe vorgegangen, wobei eine große Anzahl indizierter Musikträger beschlagnahmt wurde. -42- Am umfangreichsten war die von Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Rahmen der " Informationsgruppe zur Beobachtung und Bekämpfung rechtsextremistischer/'-terroristischer, insbesondere frentdeii&indlich^Gewahc&te" (IGR) initiierte bundesweite Aktion "Notenschlüssel II": Amjj.08.97 durchsuchtefdie Polizei in zehn Bundesländern Wohnund Geschäftsräume von 24 Anbietern rechtsextremistischer SkinheadMusik, darunter 16 Vertriebe. Ihnen wurde die Produktion und Verbreitung von Tonträgern mit volksverhetzenden Inhalten vorgeworfen. Als Beweismaterial wurden knapp 2.000 CD's, Hakenkreuzfahnen und anderes rechtsextremistisches Propagandamaterial, ferner Computer und Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Als Zufallsfunde wurden Waffen - darunter eine funktionsfähige MaschinenAbb. 11: CD-Cover der "Zillertaler Türkenjäger", Unpistole mit 500 Schuß tertitel: "12 Doitsche Stimmungshits" Munition - sichergestellt. Die Hamburger rechtsextremistische Skinheadszene stagniert weiterhin. Sie umfaßt etwa 50 Personen, die weit überwiegend dem neonazistischen "Personenkreis um Thomas Wulff" nebst weiterem Umfeld zuzurechnen sind. Innerhalb dieser Szenewa^ ren eine deutlich höhere Bereitschaft zu kontinuierlicher politischer Betätigung und eine erheblich gesteigerte Aktionsbereitschaft zu beobachten. Sie beteiligte sich in unterschiedlicher Personenzahl an allen öffentlichen Aktivitäten des "Personenkreises um Thomas Wulff", nahm aber auch an rechtsextremistischen Veranstaltungen und Aktionen sowie Skinheadkonzeiten im Bundesgebiet teil. Örtlicher Schwerpunkt der rechtsextremistischen Hamburger Skinszene sind unverändert die benachbarten Stadtteile Bramfeld, Farmsen-Berne und Rahlstedt im Bezirksamtsbereich Wandsbek. Innerhalb dieser mehr als 30 Personen umfassenden Szene hat der Hamburger Neonaziführer Thomas WULFF seinen Einfluß verstärkt. Angesichts des erhöhten Risikos, mit den von dieser Szene ausgehenden Straftaten in Verbindung gebracht zu werden, hat WULFF diesem Personenkreis offenbar eine gewisse Zurückhaltung verordnet. Vereinzelt kam es aber dennoch zu tätlichen Übergriffen, so -43- am 23.06.97 bei einer Auseinandersetzung dreier Skinheads mit Gästen des Treffs "Brakula" in Bramfeld. Angehörige der Bramfelder Skinszene geben die weit über Hamburg hinaus verbreitete Publikation "Hamburger Sturm heraus. Neben diesem örtlichen Schwerpunkt gibt es kleinere im Stadtgebiet verstreute Skinheadgruppen. Anhänger von "Hammerskins" und "Blood and Honour"Skins sind in Hamburg bisher nicht bekannt. Die Hamburger Skinheadszene verfügt über umfangreiche Kontakte zu Skinheads im engeren und weiteren Umland (Schleswig-Holstein, Niedersachsen). In Hamburg waren zwei Skinheadeinrichtungen von Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen der o.g. Aktif^^^menschlüssel II" betroffen: Der von zwei Brüdern betriebene Skin-Laden "Buy or Die" in Bergedorf und der von einem Neonazi betriebene Musikvertrieb ,lStreet Rebell". Beide Objekte hatten zum Zeitpunkt der Durchsuchung bereits ihre Geschäfte eingestellt. In der Wohnung eines der Ladenbetreiber wurde eine Maschinenpistole mit Munition gefunden. Nachdem mittlerweile auch der unter dem Label "White Pride Tapes (WPT)" werbende TonträgerlieTCrantiur3kinmusik seine Aktivitäten eingestellt hat, gibt es keine - Abb. 12: CD-Cover der Gruppe "Bonzenjäger", aktuell bekannten - entsprechenden die ihre musikalische 'Botschaft' in Form von 3 Einrichtungen in Hamburg mehr. Schußwaffenpatronen darstellt Es fanden auch keine Skinkonzerte in Hamburg statt. Es werden jedoch Tonträger zweier Hamburger Skinbands. "Oi Dramz" Lind "Wilde Jungs" vertrieben. Zum traditionellen Hamburger Skin-Fußballturnier trafen sieh 1997 etwa 130 Skinheads aus Norddeutschland in Langeloh (Niedersachsen). Während die rechtsextremistisch motivierten Straftaten in Hamburg insgesamt geringfügig abgenommen haben, zeigt u.a. die Zahl der Gewalttaten, daß diese gewaltbereite Szene prinzipiell weiterhin eine ständige potentielle Gefahr birgt. Insbesondere dann, wenn sich wieder eine eigenständige, von Hamburger Neonazis unabhängige Skinheadszene entwickeln sollte, ist mit einer Zunahme von Gewalttätigkeiten zu rechnen. Zunehmende Sorgen bereitet das Heranwachsen einer gewaltbereiten, ausländerfeindlichen Jugendszene in mehreren Hamburger Stadtteilen und im -44- Hamburger Umland, der neben Skinheads und Hooligans auch andere gewalttätige und kriminelle Jugendliche angehören. Personen aus dieser Szene waren an ausländerfeindlichen Straftaten in und außerhalb Hamburgs beteiligt. 2.3 Diskussionsstand im Hinblick auf terroristische Gewalt Nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden ist Terrorismus der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 des StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Es gibt in Deutschland weiterhin keine konkreten Anhaltspunkte für das Entstehen eines rechtsextremistischen Terrorismus. Gruppierungen, wie z.B. in den 80er Jahren die Wehrsportgruppe HOFFMANN, die Gruppe HEPP/KEXEL oder die "Deutschen Aktionsgruppen" des Manfred ROEDER, die gewaltsame Anschläge als politisches Mittel verfolgten, existieren derzeit nicht. Dem gewaltbereiten rechtsextremistischen Potential fehlt es nicht nur an Strukturen, Logistik und qualifizierten Führungspersonen, sondern auch an der auf Dauer angelegten Absicht, Gewalttaten zur Durchsetzung politischer Ziele zu begehen. Die große Mehrheit der Rechtsextremisten distanziert sich von terroristischer Gewalt als Mittel der Politik, wenn auch teilweise nur aus taktischen Gründen. Weiterhin kursieren jedoch unter Rechtsextremisten vereinzelt konkrete Anleitungen für gewalttätige Aktionen oder Schriften zu gewalttätigen Strategien. Eine praktische Anwendung dieser theoretischen Konzepte konnte bisher nicht festgestellt werden. Zunehmend beunruhigend ist auch das vermehrte Auffinden von Schußwaffen bei Rechtsextremisten. Sie stellen ein Gefahrenpotential dar, auch wenn keine Erkenntnisse über konkrete Planungen zum Einsatz der Waffen im politischen Kampf vorliegen. Die meisten der festgestellten Waffen stammen aus Osteuropa und sind im Zusammenhang mit der Auflösung der NVA und dem Abzug der sowjetischen Streitkräfte nach der deutschen Wiedervereinigung auf den Markt gekommen. Rechtsextremistische deutsche Söldner schmuggelten u.a. Waffen aus den Bürgerkriegsgebieten im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland. Auch werden Schreckschußoder Deko-Waffen zu scharfen Waffen umgebaut. Daß trotz fehlender terroristischer Strukturen rechtsextremistische Gewalttaten von Einzeltätern zu erwarten sind, zeigen der von dem Berliner Neonazi Kay DIESNER verübte Anschlag auf einen Buchhändler aus dem Umfeld der PDS und der nur wenige Tage später am 23.02.97 von DIESNER begangene Mord an einem Polizeibeamten auf dem Parkplatz Roseburg der Autobahn A 24. -45- In seiner wirren Begründung für die Taten gab DIESNER an, mit dem Anschlag auf den Buchhändler auf gewaltsame Übergriffe von Linksextremisten gegen JNMitglieder und Skinheads in Berlin reagiert zu haben. Er befinde sich im Kriegszustand mit dem Staat und übe sein Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 Grundgesetz aus. In der rechten Szene wurde deutlich und warnend kritisiert, daß derartige Anschläge zu Eskalationen führen würden, an deren Ende man nur verlieren könne. Das Beispiel RAF habe gezeigt, daß man mit Bomben und Terror keine Probleme lösen könne, sondern nur neue schaffe. Die stärkste Waffe gegen den Staat sei das Volk. Dieses gelte es zu überzeugen - "... mit Argumenten, nicht mit Waffen!" Allerdings gab es auch Kommentare, die DIESNER Verständnis entgegenbrachten. In der vom Dortmunder Rechtsextremisten Thomas KUBIAK (am 22.11.97 verstorben) herausgegebenen Zeitschrift "Freie Stimme" (Auflage ca. 2.000) wurde Kay DIESNER als "Kriegsgefangener des Systems" bezeichnet und ihm eine Begründung für seine Straftat zugestanden, die in dieser Art bisher nur aus dem Bereich des linksextremistischen RAF-Terrorismus bekannt war (Hervorh, n. i. Orig.): " Wir sind Revolutionäre. Und das System führt Krieg gegen uns, um unsere gewaltlose politische Agitation zu behindern. Jeder von uns hat diese Kriegshandlungen wohl schon zu spüren bekommen. Als Kamerad Diesner den Polizisten in der Routinekontrolle gegenüberstand, befand er sich einwandfrei in einer Notwehrsituation, um seine Gefangennahme zu verhindern. Daran ändert auch nichts, daß sein Gegenüber nur ein kleiner Verkehrspolizist war, der lediglich seine Pflicht tat. Diesner befand sich in diesem Augenblick im Krieg, - und da gelten bekanntlich andere Regeln! Kamerad Diesner hatte die Kriegserklärung unserer Feinde anund den bewaffneten Kampf auf genommen. Doch dürfen wir dem Kameraden Kay Diesner in seiner derzeitigen Situation als Kriegsgefangener des Systems unsere Solidarität nicht verweigern, da er seine persönliche Freiheit und das Leben des Polizisten einzig deshalb hergegeben hat, weil er sich aus Sorge um unser Volk zum Kampf gegen dessen Feinde entschlossen hat. " Mit der vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof am 12.11.97 erhobenen Anklage gegen die ehemaligen Hamburger Neonazis Henry FIEBIG und Christian SCHOLZ wird derzeit geprüft, ob sich hier politische Straftäter auf dem Wege zu ei-46- nem rechtsextremistischen Terrorismus befanden. Ihnen wird vorgeworfen, eine Vereinigung gegründet zu haben, deren Zwecke oder Tätigkeit darauf gerichtet waren, Mord und Totschlag sowie gemeingefährliche Straftaten zu begehen. FIEBIG und SCHOLZ versandten ab Anfang der 90er Jahre an ausgesuchte Interessierte aus rechtsextremistischen Kreisen ein gemeinsam erarbeitetes Konzept mit dem Ziel, "Aktivisten für Werwolf-Gruppen " zu rekrutieren. Ferner hatten sie sich entsprechend ihrer in einem Band IIb ("Handbuch für improvisierte Sprengtechnik"/,,Autorenkollektiv Werwolf") enthaltenen theoretischen Konzeption für den bewaffneten Kampf mit Waffen, Munition und Sprengmitteln ausgestattet. Die in diesem Band ausführlich beschriebenen Anleitungen zur Zusammensetzung und Herstellung von Brandund Sprengbomben waren äußerst praxisnah und als Grundlage zum Bau funktionsfähiger Spreng-, Brandund Zündvorrichtungen geeignet. Auf dem Weg zu einer gewaltsamen "Nationalsozialistischen Revolution" sollte die Einrichtung funktionsfähiger "Werwolf-Gruppen" einen ersten Schritt darstellen. Ein erfolgversprechendes Projekt sahen beide in der Gründung eines unter dem Arbeitsbegriff ORK/AN ("Organisation revolutionärer Kameradschaften / Aktive Nationalisten") beschriebenen theoretischen Konzeptes. Dabei sollten Kleinstgruppen ("Werwolfkämpfer") unabhängig und isoliert a) Psychologisch isolierter Gegner wird zu direktes,. voneinander mit den offenes Einpf gezwungen, Vervoifeinleiten greifen Kampfmitteln "Prodas Syst" an der entscheidenden Stelle en. paganda, Sabotage, Handstreiche " und I "Gegenterror" den Weg für eine natioby In weitesten Sinn entstehen "befreite Gebiete", in denen die.fleweuun<;die flacht Besitzt. Feindliche nalsozialistische Re"Iweln" unterliegen weiterhin den offensiven volution bereiten. Kampf der bevaffneten Kräfte. Im Rahmen dieser - unter der Losung c) Sämtliche noch verbleibenden gegnerischen Stütz- " Eine Bewegung in punkte werden (militärisch) zerschlagen.' Sie Be^ Waffen " erstellten - wegung setzt den eigenen Apparat en die Stelle des vernichteten des Systems, d.h. Machtergreifung Schriftenreihe veröffentlichten FIEBIG und SCHOLZ weiteAbb. 13: "Eine Bewegung in Waffen (Band II) Strategie und re Bände "Massenrevolutionärer Kleinkrieg" psychologie, Propaganda und Revolution" (Band I) und "Strategie und revolutionärer Kleinkrieg" (Band II), sowie "Dokumente zum Werwolf historischer Prägung" (Band IIa), die sie teilweise mit dem Pseudonym "Hans Westmar" zeichneten. Durch Kontakte zum Herausgeber der aus den USA gelieferten Propagandazeitung "NS-Kampfruf" Gary Rex -47- LAUCK und seiner NSDAP/AO gelang es ihnen, in der Zeit von Mai/Juni 1991 bis September/Oktober 1994 die Bände I und II in Fortsetzungen dort abzudrucken. Mitte Juni 1993 wurde zudem bekannt, daß die NSDAP/AO bei deutschen Rechtsextremisten eine Computer-Diskette vertrieb, auf der u.a. das Handbuch für improvisierte Sprengtechnik ("Eine Bewegung in Waffen, Band IIb") enthalten war. Die aufgefundenen Unterlagen und die dort beschriebenen theoretischen und praktischen Hinweise im Fall FIEBIG/SCHOLZ, aber auch der offenkundige Legitimationsversuch zur Tat des Polizistenmörders Kay DIESNER offenbaren, daß die Gefahr eines politisch motivierten rechtsextremistischen Terrorismus in der Bundesrepublik nach wie vor besteht. Die theoretischen Abhandlungen und die praktischen Anleitungen zum Bau von Bomben fanden nicht zuletzt mit der Verbreitung im "NSKampfruf" Eingang in eine Neonaziszene, die sich immer heftiger über zunehmende staatliche Repression und steigende Bedrohung durch den politischen Gegner beklagt. Ob hieraus die Überzeugung bei Einzelnen wächst, den politischen Kampf künftig auch in Form eines bewaffneten Untergrundkampfes führen zu müssen, muß sorgfältig beobachtet werden. Langjährige Erfahrungen mit dem linksextremistischen Terrorismus zeigen, daß theoretische Erörterungen über den bewaffneten Kampf eine Eigendynamik gewinnen können, die zu einer entsprechenden Praxis führt. Die aufgefundenen Unterlagen belegen außerdem die Tendenz, daß ein möglicher künftiger rechtsextremistischer Terrorismus intelligenter als bisherige Ansätze konzipiert wäre. 3. Neonazismus 3.1 Aktuelle Entwicklung Der neonazistischen Szene in der Bundesrepublik ist es 1997 gelungen, sich zu konsolidieren und zunehmend auf die durch Organisationsund Veranstaltungsverbqte entstandenen Schwierigkeiten einzustellen. Dabei verfolgt sie eine Doppelstrategiet Mehrere Neonazi-Führer propagieren das Konzept, auf feste Organisationsstrukturen zu verzichten, statt dessen eine Vielzahl örtlicher und regionaler "Kameradschaften" zu bilden und diese schließlich über vielseitige Kommunikationsstränge oder überregionale Aktionsbündnisse zu vernetzen. Dieser Ansatz wurde zumindest in einzelnen Regionen befolgt. Neben diesem Aufbau eigener Strukturen ohne formalen Status haben Neonazis dazu beigetragen, die NPD auf einen aktionistischen Kurs zu bringen und die Partei verstärkt als Bündnispartner für gemeinsame Aktivitäten zu gewinnen (O II/4.5). Sie erreichten dieses einerseits -48- durch Einflußnahme innerhalb der Partei, andererseits von außen durch punktuelles Kooperieren mit der NPD. Die Anzahl überregionaler neonazistischer Organisationen ist weiter rückläufig. Erwähnenswert sind lediglich noch * die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. " (HNG) als größte und älteste dieser Organisationen, * der in Süddeutschland ansässige "Freiheitliche Volks Block" (FVB), der in rigider Form eine Führungsrolle im neonazistischen Lager für sich beansprucht und daher isoliert ist. Dem Sammelbecken für Neonazis und Rechtsextremisten in Berlin und Brandenburg "Die Nationalen e.V." hatte sich eine Reihe örtlicher Kameradschaften angeschlossen. Der Verein löste sich im November 1997 selbst auf mit der Begründung, Aufgaben und Ziele der "Nationalen" hätten sich weitgehend erfüllt. Ziele seien der Aufbau eines informellen Netzwerks und die Unterstützung "nationaler" Einigungstendenzen gewesen. Nun könnten die Mitglieder ihre Aktivitäten in bestehenden Organisationen fortsetzen. Ein Teil der Mitglieder, u.a. der Vorsitzende Frank SCHWERDT, trat in die NPD ein und begann dort neue Kreisverbände zu gründen, andere setzten ihre Aktivitäten in autonomen neonazistischen "Kameradschaften" fort. Tatsächlich dürfte die Auflösung ein vorauseilender Akt gewesen sein, um einem befürchteten Verbot zuvorzukommen. In Brandenburg war bereits die rechtsextremistische "Kameradschaft Oberhavel" als gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Volksverständigung gerichtete Organisation gemäß SS 3 Vereinsgesetz vom dortigen Innenministerium im Vorfeld der HESS-Gedenkwoche (Z> II/3.3) verboten worden. Auch wenn die Neonazis ihr Konzept, sich neue, lockere - von staatlicher Repression unangreifbare - Strukturen zu schaffen, durch vernetzte autonome Kameradschaften in Ansätzen verwirklicht haben, sind sie von einer bundesweiten Bündelung ihrer Kräfte weit entfernt. Dafür gibt es mehrere Ursachen, u.a.: * weiterhin vorhandene Rivalität und Zerstrittenheit unter den Gruppen und Führungspersonen, * fehlende konstante Bindungen zwischen westund ostdeutschen Neonazis, * Mangel an befähigten, strategisch und konzeptionell denkenden Führungspersonen, die längerfristige Strategien in die Praxis umsetzen können. Insbesondere fällt auf, daß kaum junge Führungskräfte nachwachsen. Hauptträger konzeptioneller Umsetzungen sind weiterhin altbekannte Neonazi-Führer, wie Michael SZWIERCZEK, Christian MALCOCI, Thomas WULFF (Hamburg), Thorsten HEISE -49- oder nach seiner Haftentlassung Christian WORCH (Hamburg). Der Tod der drei führenden Neonazis Andree ZIMMERMANN, Thomas KUBIAK und Harald MEHR am 22.11.97 bei einem Autounfall hat eine - aus Sicht der Szene - nur schwer zu schließende Lücke hinterlassen. Bundesweit ist eine Fülle neonazistischer Kameradschaften entstanden, die örtlich oder überörtlich unterschiedlich bedeutend sind. Ihre teilweise erheblich fluktuierenden Anhängerschaften schwanken zwischen einigen wenigen und in Einzelfällen mehr als 50 Personen. Ihr Bestand sowie Art und Umfang ihrer Aktivitäten hängen weitgehend von der Qualität der Führungspersonen ab. Vernetzungen sind bisher lediglich in regionalen Ansätzen erkennbar. Sie gestalten sich recht unterschiedlich: * regionale und überregionale Aktionsbündnisse, * gemeinschaftliche überregionale Zeitungsprojekte, * gemeinsame Nutzung moderner Kommunikationsmittel (z .B. Internet, Mailboxen, Rundfunk). Neue identitätsstiftende Begriffe und Symbole werden zunehmend in Propagandamaterialien und bei Aktionen verwendet. So prägte der Hamburger Neonazi Thomas WULFF den Begriff "Freie Nationalisten" mit dem Symbol der schwarzen Fahne, um sich auch äußerlich bei gemeinsamen Aktionen von anderen rechtsextremistischen Organisationen abheben zu können. Neonazis in Süddeutschland verwenden ebenso wie die NPD den noch weitergefaßten Begriff "Nationaler Widerstand" als Ausdruck gemeinsamen Protestes der rechtsextremistischen Fundamentalopposition. Thomas WULFF brachte mit den "Freien Nationalisten Norddeutschland" ein länderübergreifendes neonazistisches Aktionsbündnis zustande. Dieses unterstützen insbesondere Neonazis aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Den Kern des Bündnisses bildet der "Personenkreis um Thomas Wulff" ( 3 II/3.2), der aus der verbotenen NL hervorgegangen ist. Ziel des Bündnisses ist es, die Aktivitäten der beteiligten "Kameradschaften" abzusprechen, zu koordinieren und gemeinsam zu mobilisieren. Daraus ergaben sich verstärkte öffentliche Aktionen insbesondere in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern ( 3 II/3.2) sowie eine erhebliche Steigerung der Teilnehmerzahlen. Mittlerweile konnte das Bündnis über 100 Personen zu Demonstrationen mobilisieren und sich zu überregionalen Anlässen, z. B. zur Großdemonstration gegen die Wehrmachtsausstellung in München (01.03.97), zu den HESS-Gedenkaktionen sowie zur NPD-Veranstaltung in Passau (07.02.98) koordinieren. Letztendlich fördern derartige Bündnisbildungen einen gesteigerten Aktionismus und stärken die Neonaziszene insgesamt, weil sie die Gemeinschaftsund Lagermentalität heben, die Mobilisierungsbereitschaft erhöhen und darüber hinaus ein Umfeld ansprechen (u.a. Skinheadszene), das zu kontinuierlicher politischer Arbeit mit re-50- gelmäßigen Gruppentreffen nicht bereit ist. Eine dauerhafte Zusammenarbeit mit Aktionsbündnissen in anderen Bundesländern wurde bisher nicht beobachtet, sondern lediglich punktuelle Verständigungen und Verabredungen zu einzelnen Großereignissen. Ein wichtiges Vernetzungselement sind gemeinsame Medienprojekte zum Aufbau einer informellen Logistik und Infrastruktur. Sie ermöglichen den umfassenden und zeitnahen Informationsm. aktuell Metagerr und NtatoW*" aus R A urrd 2wtg"*oW"n /' SeMBO&OlXO austausch über Szene-Interna, politische Gegner, staatliche Repressionsmaßnahmen und fördern politische, ideologische sowie strategische DebatNoch immerdrvcken uns arge ten, die Zusammenfln&oMo Probleme. Damit did arbeit und VerstänPtintäusgatu wie angekündigt digung. Medienproersehenen kann, benötigen wir jekte gelten als t^xu,*---^ ~~ .* noch dringend'Unterstützung!!! * " " ^ ^ . - * " * ! - * * * Vorstufe weitergehender BündnisproAbb. 14: "BBZ. Aktuell", Medienprojekt zur neonazistischen zesse und als BauVernetzung steine einer umfassenden eigenen Publizistik. Vorreiterprojekt ist der Zeitungsverbund um die "Berlin-Brandenburger Zeitung" (BBZ). Dieser war bis zum Schluß der aufgelösten Organisation "Die Nationalen e. V. " angeschlossen und verfügte in seiner Blütezeit über sechs Regionalausgaben und eine Gesamtauflage von etwa 60.000 Exemplaren. Im BBZ-Verbund kam es 1997 zu einer gewissen Zäsur: Die beiden Hauptverantwortlichen Frank SCHWERDT und Christian WENDT waren zeitweise inhaftiert, staatliche Maßnahmen und Geldmangel führten zu einem deutlichen Rückschritt und zu einer Umorientierung. So scheiterte der Versuch, eine weitere Regionalausgabe für Norddeutschland herauszugeben. Die BBZ erschien zunächst nur noch unregelmäßig, danach monatelang überhaupt nicht. Statt dessen begann der BBZMedienverbünd, einen wöchentlichen Pressedienst "Aktuell" zu versenden und im Internet eine eigene BBZ-Nachrichtenseite zu betreiben, die täglich aktuelle Meldungen herausgibt. Darüber hinaus hat WENDT einen Arbeitskreis "Vernetzte Medien " gegründet, in dem er mit Interessierten darauf hinarbeitet, die Nutzung elektronischer Nachrichtenmedien zu optimieren. Eine Rückkehr zum ursprünglichen Konzept einer überregionalen rechtsextremistischen Zeitung ist zumindest fraglich. -51- Ein neues überregionales Zeitungsprojekt - das "Zentralorgan" (ZORG) - erschien im Januar 1998 mit seiner ersten Ausgabe. ZORG versteht sich als Organ der "Freien Nationalisten " in der Bundesrepublik mit dem Ziel, durch die Bündelung regionaler Zeitungsprojekte ein zentrales Blatt für die Neonaziszene zu schaffen und so die Vernetzung autonomer Strukturen voranzubringen. Das Projekt haben u.a. die verstorbenen Führungspersonen der "Sauerländer Aktionsfront" (SAF) ZIMMERMANN und KUBIAK, der Betreiber des neonazistischen "DmwgrVersandsT Harald MEHR sowie Thomas WULFF .aus Hamburg maßgeblich mit ikonziyjiert^ugunsten des ZORG wurden die SAFZeitung "Freie Stimme" sowie das von Harald MEHR herausgegebene Blatt "Widerstand" eingestellt und das in Nordrhein-Westfalen ermMMM^iym scheinende Skinhead-Fanzine "Moonstomp" als Beilage in die neue Publikation integriert. Der Abb. 15: "Zentralorgan", VernetTod ZIMMERMANNS, KUBIAKs und MEHRs zungsprojekt unter maßgeblicher versetzte dem Projekt einen herben Rückschlag Mitwirkung Hamburger Neonazis und verzögerte die Erstausgabe erheblich. Das ZORG wird nunmehr weitgehend von Neonazis aus dem Personenkreis um WULFF hergestellt und verbreitet, Neonazis und andere Rechtsextremisten aus dem Bundesgebiet unterstützen es mit Beiträgen. Die Zukunft der Projekte hängt in erheblichem Maße davon ab, ob ihre Träger deren Finanzierung sichern können. Teile der Neonaziszene haben ihre Gewaltbereitschaft gesteigert. In einem bisher beispiellosen Fall haben Anhänger autonomer "Kameradschaften" aus dem Umfeld der "Nationalen e.V." am 16.04.97 in Berlin bei einer Auseinandersetzung zwei Angehörige der "Kameradschaft Wittenberg" erstochen. Die Täter - zwei bekannte Neonazis aus Berlin - wurden gefaßt und verurteilt. Ein inzwischen wegen Beihilfe zum Totschlag verurteilter Täter ist wieder auf freiem Fuß. Ebenfalls in Berlin wurden im Dezember bei Angehörigen der "Kameradschaft Treptow" u.a. Schußwaffen und Material zur Herstellung einer Rohrbombe aufgefunden. Die Vernehmungen ergaben, daß ursprünglich geplant war, eine Rohrbombe auf dem Balkon eines Mitglieds der "AG Junge Genossen" in der PDS zu zünden. Bei drei Angehörigen des "Thüringer Heimatschutzes" wurden anläßlich einer Durchsuchungsaktion Sprengstoff und funktionsfähige Sprengkörper ohne Zünder gefunden. Die Täter sind flüchtig. Bereits früher waren offensichtlich von diesem Personenkreis Bombenattrappen an die Stadtverwaltung, Polizeidirektion und die Redaktion der "Thüringer Landeszeitung" in Jena versandt worden. -52- Bedingt durch die andauernden staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen wird die Agitation gegen staatliche Einrichtungen und Repräsentanten über "Nationale Info-Telefone" sowie in Zeitschriften, Broschüren und sonstigen Propagandamaterialien aggressiver und die fundamentale Ablehnung des demokratischen Staates deutlich. Es wird das Recht auf Widerstand nach Artikel 20 Abs. 4 GG beschworen, weil die Herrschenden eine ''deutschfeindliche Politik" betrieben und mit einer "unerträglichen undemokratischen Repression gegen national denkende Menschen" diesen wichtige Grundrechte verweigerten. Es wird zunehmend in Zweifel gezogen, daß der "nationale Widerstand" sich auf Dauer auf legale Mittel beschränken könne. In besonders aggressiver Form rief in der Vergangenheit die von der "Sauerländer Aktionsfront" (SAF) herausgegebene "Freie Stimme" unverhohlen zur Gewalt auf. Gegen die Herausgeber wurden Verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Die aggressive Haltung von Neonazis dokumentieren auch Ausführungen des HNGAngehörigen Kurt MÜLLER anläßlich des Prozesses wegen Fortführung der verbotenen Organisation "Deutsche Alternative" (DA) in Koblenz. MÜLLER behauptete, das Verfahren habe nichts mit der Suche nach Recht oder Unrecht zu tun, sondern offenbare "von Haß und Killermentalität getragene alttestamentarische Rachefeldzüge". Der Neonazi Thorsten HEISE plädierte in einem Interview über die Bildung autonomer Kameradschaften in der Ausgabe Nr. 4 der neonazistischen Schrift "Reichsruf" dafür, gewaltfrei getrennt zu marschieren und vereint zuzuschlagen, solange es mit legalen Mitteln gehe. Er schränkte jedoch ein, daß "Mollies" (Molotow-Cocktails) und Steine nicht unter den Begriff 'legal' fielen. Es bleibt offen, ob er sich damit vorbehielt, zu einem selbst bestimmten Zeitpunkt den Kampf auch mit illegalen Mitteln fortzusetzen. Vermehrt gibt es auch Überlegungen in der Neonaziszene, Veranstaltungsverbote mit spontanen Aktionsformen nach dem Vorbild linksextremistischer Autonomer zu unterlaufen. Viele Neonazis haben erkannt, daß sie mit NS-nostalgischen oder revisionistischen Themen in der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen und ihre gesellschaftliche Isolierung so nicht durchbrechen können. Daher wenden sie sich - analog zu den rechtsextremistischen Parteiorganisationen - Themen zu, die vermehrt die steigenden gesellschaftlichen und sozialen Probleme in der Bundesrepublik aufgreifen. Themen wie Sozialabbau, Arbeitslosigkeit, Drogenmißbrauch oder Innere Sicherheit dienen einerseits dazu, sich der Öffentlichkeit als vermeintliche Alternative zu den "etablierten" politischen "Versagern" anzubiedern. Die Probleme werden als "Krankheitssymptome eines verrotteten Gesellschaftssystems" und als Vorboten eines unausweichlich nahenden Zusammenbruchs des demokratischen Systems in der Bundesrepublik dargestellt. Durch die Verquickung dieser Probleme mit der Ausländerproblematik bieten sich gleichzeitig Ansätze für rassistische Argumentationen. Neben der ganzjährigen Agitation gegen die "Anti-Wehrmachtsausstellung" des Hamburger Instituts für Sozialforschung, die durch zahlreiche Städte der Bundesrepublik -53- wandert, griffen Ende des Jahres Neonazis das öffentlich lebhaft diskutierte Thema "Rechtsextremisten in der Bundeswehr" auf und benutzten es für Propagandaaktionen. Ein zentraler Auslöser der als 'Bundeswehr-Skandal' debattierten Vorfälle war das nachträgliche Bekanntwerden eines Vortrages (1995) des Neonazis Manfred ROEDER an der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg und die kostenlose Überlassung ausrangierter Bundeswehr-Fahrzeuge an die von ROEDER maßgeblich betriebene Organisation "Deutsch-Russisches Gemeinschaftswerk - Förderverein Nord-Ostpreußen ". ROEDER hatte sich bereits in der Kampagne gegen die "Anti-Wehrmachtsausstellung" hervorgetan. Er nutzte jetzt geschickt und mit Erfolg die öffentliche Diskussion über den 'Bundeswehr-Skandal' und um seine Person, um sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu profilieren und sich hier Beachtung und Wertschätzung zu verschaffen. Seit den Veröffentlichungen um seine Person ist ROEDER ein außerordentlich gefragter Referent auf zahllosen rechtsextremistischen Veranstaltungen, wo er als eine Art Stargast Gelegenheit erhält, äußerst polemisch die Bundesregierung anzugreifen und sie für - vom rechtsextremistischen Standpunkt ganz andere, als in der demokratischen Öffentlichkeit diskutierte - 'bedenkliche' Entwicklungen in der Bundeswehr verantwortlich zu machen. Auf dem NPD-Bundesparteitag im November 1997 prophezeite ROEDER eine blutig verlaufende Revolution in der Bundesrepublik. Obwohl die große Mehrzahl angemeldeter Demonstrationen verboten wurden, führten Neonazis teils in Eigenregie, teils in Aktionsgemeinschaften mit anderen rechtsextremistischen Organisationen - insbesondere mit der NPD - eine Reihe von Demonstrationen und Kundgebungen durch. Mit Ausnahme der Aktionen zum Gedenken an Rudolf HESS und der spontanen Ersatzdemonstrationen für die von der NPD angemeldete, von der Stadt Leipzig verbotene 1. Mai-Demonstration, beachteten Neonazis weitgehend ihnen auferlegte Verbote bzw. Auflagen. Zunehmend gingen sie jedoch juristisch gegen Verbotsverfügungen und nach ihrer Ansicht ungerechtfertigte Polizeieinsätze bei Veranstaltungen vor. Anläßlich der Polizeimaßnahmen gegen die Teilnehmer an den Beerdigungen der verunglückten Neonazis ZIMMERMANN, KUBIAK und MEHR gründete der Hamburger Neonazi Christian WORCH nach linksextremistischem Vorbild einen "Ermittlungsausschuß", der das Verhalten der Polizeieinsatzkräfte dokumentieren, Aussagen und Bildmaterial der von gegnerischen Akten betroffenen Neonazis sammeln und Hilfestellung bei juristischen Gegenmaßnahmen durch vorformulierte Schriftsätze geben soll. Die Neonaziszene setzte ihre "Anti-Antifa "-Aktivitäten fort. Sie wirdjron Einzelaktivisten, kleinen spezialisierten regionalen Gruppen oder autonomen Kameradschaften -54- getragen. Unverändert ist keine bundesweite oder überregionale Koordination der "Anti-Antifa "-Recherchen und Einschüchterungsakte zu erkennen. Die "Feindaufklärung" hat zwei unterschiedliche Zielrichtungen: Politische Gegner insbesondere der linksextremistischen Szene namhaft zu machen und auszukundschaften, Erfassung sogenannter "Volksfeinde", zu denen ein breites Spektrum demokratischer Politiker, Polizisten, Juristen, Angehörige von Nachrichtendiensten, aber auch mißliebige Journalisten gehören können. Die "Anti-Antifa" sammelt Personalien, Daten und objektbezogene Informationen, 'enthüllt' die Ergebnisse in Flugblättern, rechtsextremistischen Publikationen und zunehmend über die "Nationalen InfoTelefone". In Mailboxen wurden umfangreiche Listen als linksextremistisch eingestufter Objekte und Personen gespeichert. Originäre "Anti-Antifa "-Schriften, wie der 1993 herausgegebene "Einblick", erschienen 1997 nicht. In der Neonaziszene kursieren immer wieder Aufrufe, das Sammeln von Daten politischer Gegner zu forcieren. In Veröffentlichungen wird unmißverständlich dazu aufgerufen, mit den "Anti-Antifa "-Informationen 'umzugehen' und politische Gegner anzusprechen. Daraus folgen Drohanrufe, Einschüchterungsversuche und tätliche Angriffe gegen geoutete Personen. Es bildeten sich Dokumentationstrupps, die bei linken und rechten Demonstrationen/Gegendemonstrationen politische Gegner und Polizeikräfte zwecks späterer Identifikation auf Fotos oder Videos festhalten bzw. Autokennzeichen von Teilnehmern notieren. Darüber hinaus wird versucht, durch Anzeigen oder durch Akteneinsicht bei Ermittlungsverfahren Personalien politischer Gegner, von Polizeibeamten, Richtern oder Staatsanwälten zu erlangen. Bestrebungen der "Anti-Antifa " liefern zunehmend auch Motive für Demonstrationen und Kundgebungen, die z.B. aus Protest gegen angebliche und tatsächliche Gewalttaten von Linksgegen Rechtsextremisten oder gegen angebliche staatliche Willkürmaßnahmen angemeldet werden. Von Linksextremisten wurde die Taktik übernommen, Gegendemonstrationen gegen Veranstaltungen politischer Gegner anzumelden, um so Verbote gegnerischer Veranstaltungen herauszufordern und auf eigene Proteste aufmerksam zu machen. Fallen eigene Vorhaben in solchen Fällen Verboten zum Opfer und bleiben linksextremistische Vorhaben verschont, wird dieses als willkommener weiterer Beweis für eine einseitige staatliche Unterdrückung "nationaler" Bürger herausgestellt. Neonazistische "Anti-Antifa "-Aktivitäten müssen auch künftig intensiv beobachtet werden: Die Militanz insbesondere linksextremistischer Autonomer gegen Rechtsextremisten sowie anhaltende staatliche Repressionsmaßnahmen verschärfen die Aggressionsbereitschaft auf der rechtsextremistischen Seite. Neben einer zahlenmäßigen Aufschaukelung tätlicher Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten ist auch eine weitere Brutalisierung zu befürchten. Für etwa drohende Gewaltanwendungen gegen staatliche Repräsentanten gibt es bisher keine Anzeichen. -55- Hauptträger der neonazistischen GeNACHRICHTEN fangenenhilfe ist weiterhin als mitgliederstärkste rechtsextremistische Organisation die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG). Ihre Anhänger rekrutieren sich aus verschiedenen nationalistischen Zusammenhängen, u.a. aus ehemaligen Mitgliedern verbotener Organisationen, die in der HNG über bestehende Organisationsgrenzen und Rivalitäten hinweg zusammenarbeiten. Die HNG bemüht sich, neutral zu bleiben und Streitigkeiten der rechtsextremistischen Szene nicht in die Organisation hineintragen zu lassen. Die HNG widmet sich zur Hauptsache der Herausgabe ihres Vereinsorgans "Nachrichten der HNG", die u.a. reAbb. 16: HNG-Publikation "Nachrichten gelmäßig eine Liste "nationaler" Geder HNG" fangener veröffentlicht und über Inserate rechtsextremistische Briefkontakte zu Gleichgesinnten vermittelt. Die Publikation veröffentlicht Leserbriefe von Gefangenen und prangert angebliche "Unrechtsurteile" sowie Beispiele behaupteter "Vollzugswillkür" an. Darüber hinaus gibt es einige wenige - bisher relativ unbedeutende - rechtsextremistische " Knastkameradschaften ". 3.2 Neonazistische Erscheinungsformen / Bestrebungen in Hamburg Die einzige größere neonaziZahl der Neonazis: ca. 100, davon: stische Gruppierung in Ham"Personenkreis um Thomas Wulff: ca. 40 burg stellt der "Personenkreis "Personenkreis um Andre GOERTZ": um Thomas Wulff" dar. Danein Hamburg ca. 10 ben bestehen nur noch kleinere Zusammenschlüsse mit nicht mehr als etwa zehn Anhängern, u.a. der "Personenkreis um Andre GOERTZ". Überregional bzw. bundesweit agierende Neonazi-Organisationen, wie die "Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. " oder die "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / 56 Auslandsund Außauorganisation " (NSDAP/AO) verfügen in Hamburg lediglich über Einzelmitglieder. "Personenkreis um Thomas Wulff: Dieser Personenkreis ist aus dem neonazistischen Verein "Nationale Liste" (NL) hervorgegangen. Die NL war am 24.02.1995 von der Hamburger Behörde für Inneres (Bfl) wegen ihrer aggressiv-kämpferischen Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemäß SS 3 des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst worden. Das Verbot ist noch nicht rechtskräftig, da die NL gegen die Verfügung der Bfl Klage bei dem Hamburgischen Oberverwaltungsgericht eingelegt hat und ein Urteil bislang nicht ergangen ist. Nach dem Vereinsverbot setzten ehemalige NL-Angehörige unter Leitung des früheren 1. Vorsitzenden Thomas WULFF ihre politische Arbeit fort, wobei sie sich zu einem "Kameradenkreis" ohne formale Strukturen zusammenschlossen. Durch ihren zunehmenden Aktionismus gelang es ihnen, die Zahl ihrer Anhänger im abgelaufenen Jahr auf ca. 40 zu verdoppeln. Den örtlichen Schwerpunkt bildete 1997 wiederum der Raum Bramfeld / Farmsen / Rahlstedt. Die aus diesem Bereich stammenden Aktivisten sind der dortigen Skinhead-Szene zuzurechnen, wo sie eine gewisse Führungsrolle übernommen haben und ein aus bis zu 20 Skinheads bestehendes Umfeld beeinflussen. Unverändert eng kooperiert der " Personenkreis um Thomas Wulff" mit rund zehn in Schleswig-Holstein - im Randgebiet zu Hamburg - wohnhaften ehemaligen NLAnhängern. Diese wirkten teilweise direkt an den Aktivitäten des "Personenkreises" mit, indem sie wiederholt als presserechtlich Verantwortliche für Propagandamaterialien, z.B. Flugblätter und Aufkleber, in Erscheinung traten und eine von ihnen genutzte Postfachanschrift in Henstedt-Ulzburg als Kontaktadresse zur Verfügung stellten. In dem Bemühen, nach dem Verbot der NL eine neue Plattform zur Fortsetzung ihrer politischen Tätigkeit zu erhalten, verfolgten die Angehörigen des "Personenkreises um Thomas Wulff" eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite unternahmen sie Anstrengungen, unter der Bezeichnung "Freie Nationalisten" ein neonazistisches Sammelbecken zu schaffen, auf der anderen Seite suchten sie Verbindungen zu nicht verbotsbedrohten rechtsextremistischen Organisationen. Das Konzept der "Freien Nationalisten" fußt auf dem Grundgedanken, die durch zahlreiche Vereinsverbote seit 1992 'heimatlos' gewordenen neonazistischen Kräfte zu bündeln, um so die Zersplitterung der Szene zu überwinden und deren Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Aus Furcht vor weiteren staatlichen Exekutivmaßnahmen wurde jedoch von vornherein darauf verzichtet, eine neue Vereinigung zu gründen. Statt einer organisatorischen Klammer sollte - in Anlehnung an die "Autonomen" des linken Spektrums - eine gemeinsame Geisteshaltung das verbindende Element der "Freien -57- Nationalisten" sein. In der Publikation "Zentralorgan" (s.u.) wurde dazu folgendes ausgeführt: "Ein freier Nationalist ist ein Kamerad oder eine Kameradin, welche/r sich zu allererst dem Volke und der Nation verpflichtet fühlt. Für mich bedeutet dies, daß ich immer wieder versuche, trotz aller Spaltungsversuche und Abgrenzungsbeschlüsse innerhalb der Nationalen Opposition, das gemeinschaftliche Handeln in den Vordergrund zu stellen. " Die "Freien Nationalisten" im norddeutschen Raum, denen sich neben dem federführenden "Personenkreis um Thomas Wulff" bislang vor allem Neonazis aus Niedersachsen und Schleswig-Holstein angeschlossen haben, verwenden regelmäßig die Zusatzbezeichnung (Hervorheb. n. i. Orig.) "Nationales und Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland". Dies bringt insbesondere das Bekenntnis der beteiligten Gruppierungen zum Nationalsozialismus deutlich zum Ausdruck und betont gleichzeitig den Charakter des Bündnisses als informelles Netzwerk ohne feste Organisationsstrukturen. Konkrete Aktionen, z.B. den Schutz rechtsextremistischer Veranstaltungen vor eventuellen Störungen seitens politischer Gegner, führen die "Freien Nationalisten" - ebenfalls nach linksextremistischem Vorbild - zunehmend unter fiktiven, themen-/anlaßbezogenen Phantasiebezeichnungen durch, z.B. "Einsatzkommando ^Haut den Roten auf die Pfoten '", Parallel strebten die Angehörigen des "Personenkreises um Thomas Wulff" während des abgelaufenen Jahres eine zumindest punktuelle Kooperation mit rechtsextremistischen Parteien an. Hintergrund dieses Vorgehens war offensichtlich das Bemühen, deren rechtliches Privileg (Art. 21 GG) sowie den dort vorhandenen Organisationsrahmen für die eigene politische Tätigkeit zu nutzen und damit eigene organisatorische Schwächen, die aus dem Verzicht auf eigene feste Strukturen resultierten, zu kompensieren. Abb. 17: Aufkleber des "NatioAls geeignete Partner faßten WULFF und seine nalen & Sozialen AktionsAnhänger insbesondere die "Nationaldemokratibündnisses Norddeutschland" sche Partei Deutschlands" (NPD) und deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) ins Auge, zumal die Abgrenzungsbeschlüsse der NPD/JN gegenüber Neonazis nicht mehr praktiziert werden. 58 Zahlreiche öffentliche Aktivitäten des "Personenkreises um Thomas Wulff" im Jahr 1997 spiegelten die Doppelstrategie wider, den Aufbau der "Freien Nationalisten" voranzutreiben, aber gleichzeitig Kontakte zur NPD nebst JN zu suchen: An einer von der NPD organisierten Demonstration gegen die Ausstellung " Vernichtungskrieg - Die Verbrechen der Wehrmacht" am 01.03.97 in München beteiligten sich Neonazis aus dem gesamten Bundesgebiet, darunter auch Anhänger WULFFs. In deren Publikation "Hamburger Sturm" (s.u.) wurde die Veranstaltung "für den Ehrenschutz des deutschen Frontsoldaten und seiner Führer" als "Heerschau aller aktiven Kräfte unserer Bewegung " gewertet. Unter der Firmierung "Initiative gegen Drogenfreigabe " führte der " Personenkreis um Thomas Wulff" zusammen mit schleswig-holsteinischen Neonazis und NPD-Mitgliedern am 15.03.97 in Quickborn (Schleswig-Holstein) eine Demonstration gegen die Legalisierung 'weicher' Drogen durch. Insgesamt nahmen an dem Aufmarsch, in dessen Verlauf u.a. WULFF als Redner auftrat, ca. 50 Personen teil. Eine anschließende Pressemitteilung der "Initiative gegen Drogenfreigabe" betonte vorrangig den Aspekt, daß parteiund organisationsgebundene Aktivisten gemeinsam aufgetreten seien. Nach der erfolgreichen Demonstration in München bereitete die NPD für den 01.05.97 in Leipzig eine weitere bundesweite Kundgebung vor, die erneut eine Einbindung von Neonazis vorsah. Ein Verbot durch die Stadt Leipzig verhinderte jedoch die geplante Veranstaltung. Anders als die NPD, die das Verbot befolgte, verAbb. 18: Forderung d. Todesstrafe sammelten sich JN-Mitglieder und Neonazis - u.a. Anhänger des Kreises um WULFF - in Hann. Münden (Niedersachsen) zu einem spontanen Aufmarsch. Die etwa 350 Teilnehmer skandierten Parolen wie "Arbeit zuerst für Deutsche". Trotz dieser Ausweichaktion warfen führende Vertreter des Neonazi-Spektrums der NPD angesichts der gescheiterten zentralen Kundgebung zum 1. Mai organisatorisches Versagen vor. Am 24.05.97 veranstalteten die "Freien Nationalisten im "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland'" gemeinsam mit dem neonazistischen "Freiheitlichen Volks-Block" (FVB) unter dem Motto "Gegen den Euro, die EG-Mißwirtschaft und den Sozialabbau" eine Demonstration in Bad Segeberg (Schleswig-Holstein). Nachdem die ca. 250 Teilnehmer in Marschformation durch die Stadt gezogen waren und in -59- Parolen "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" gefordert hatten, fand eine Abschlußkundgebung statt, auf der auch Thomas WULFF eine Ansprache hielt. In Lübeck wurde Ende Mai 1997 ein von WULFF presserechtlich verantwortetes Flugblatt verteilt, das gegen einen örtlichen Pastor agitierte, weil dieser einer ausländischen Flüchtlingsfamilie Kirchenasyl gewährte. Nach der Verbreitung des Flugblattes schmierten unbekannte Täter an die Kirche des Pastors wiederholt Drohungen und von Neonazis benutzte Symbole. Anläßlich der " 7. Hetendorfer Tagungswoche " vom 14. - 22.06.1997 stellten Hamburger Anhänger des "Personenkreises um Thomas Wulff" und Neonazis aus anderen Bundesländern eine "Schutztruppe", um das Anwesen in Hetendorf gegen eventuelle Übergriffe politischer Gegner zu verteidigen. Die Publikation "Hamburger Sturm" veröffentlichte Abb. 19: Thema Arbeitsplätze hierzu einen mit "Kampf um Hetendorf?!" Überschriebenen Artikel, in dem hervorgehoben wurde, daß die Schutzaktion eine "willkommene Gelegenheit" gewesen sei, sich als "Kampfgemeinschaft politischer Soldaten mit militärisch-diszipliniertem Auftreten ...zu beweisen. " Der Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf HESS bildete 1997 wiederum den Schwerpunkt in der politischen Arbeit der Personen um WULFF (Einzelheiten O II/3.3). Während der vom 09.-23.08.97 durchgeführten "Aktionswochen" entfalteten sie neben der "obligatorischen"diesmal allerdings gescheiterten - zentralen HESSKundgebung zahlreiche Aktivitäten im norddeutschen Raum, z.B. eine Flugblattverteilung, eine Kranzniederlegung und einen Fackelmarsch. Darüber hinaus verbreiteten sie - bundesweit - Propagandamaterialien in Form von Flugblättern und Plakaten. Die Weigerung der JN, sich an den Planungen zum HESS-Todestag zu beteiligen, verschärfte die im Zusammenhang mit der Mai-Kundgebung am 01.05.97 aufgekommenen Differenzen. In dem am 04.10.1997 gegründeten "Bündnis Rechts für Lübeck" (BRL) wirken Angehörige des "Personenkreises um Thomas Wulff" aktiv mit. Bei dem BRL handelt es sich um eine Wählergemeinschaft, der rechtsextremistische Organisationen, u.a. die NPD, sowie Neonazis angehören. Das BRL will zu den schleswig-holsteinischen Kommunalwahlen (22.03.98) in Lübeck antreten. Anfang November 1997 war der ehemalige stellvertretende NL-Vorsitzende Christian WORCH aus dem Gefängnis entlassen worden, nachdem er eine Haftstrafe wegen Fortführung der verbotenen -60- ANS/NA verbüßt hatte. Er übernahm sofort innerhalb des BRL eine führende Funktion, indem er sich maßgeblich in die Organisation des Wahlkampfes einbrachte. Nach dem Vorbild von Aktionen in den Vorjahren legten etwa 50 "Freie Nationalisten" zum "Heldengedenktag" am 16.11.97 auf einem Friedhof in Wittenburg (Mecklenburg-Vorpommern) einen Kranz für die gefallenen deutschen Soldaten der Weltkriege nieder. Aktivisten des "Personenkreises um Thomas Wulff" verteilten am 14.12.97 vor einer Bundeswehrkaserne in Hamburg-Fischbek ein Flugblatt der "Freien Nationalisten", in dem unterstellt wurde, die Bundeswehr diene immer weniger deutschen Interessen, da sie durch ihre Auslandseinsätze "den Handlanger für die UN und ihre US-amerikanische Weltpolizei" spiele. Gleichzeitig würden junge Nationalisten als Rechtsradikale denun- j " r iiii du SMLÄJÜI*] 4tt B l * 'tri -Vi u n i " de*" oiz-YKirW-Suj.;<; ziert und aus der Bundeswehr entfernt. Herausgeber des Kh wdbHhbi " * * überregional vor Kasernen in mehreren Bundesländern $PS#&* tt*M* verteilten Flugblattes war ein fiktiver "Bw-Koordina- ^ * * tionsausschuß "Rechts um!'" mit der oben erwähnten Henstedt-Ulzburger Kontaktadresse. Abb. 20: Ausschnitt aus dem Flugblatt an die WULFFs Anhänger haben ihr Konzept der "Freien Na"Kameraden der Bundestionalisten" somit in einer regelmäßigen Zusammenarwehr! " beit mit anderen norddeutschen Neonazi-Gruppierungen auch praktisch etabliert. Inhaltlich griffen sie verstärkt soziale Probleme, z.B. Arbeitslosigkeit und Drogenmißbrauch, auf und setzten sie populistisch für ihre politischen Ziele ein, um sich die erhoffte Resonanz in der Bevölkerung zu verschaffen und ihre gesellschaftliche Stigmatisierung und Isolierung zu durchbrechen. Vor dem Hintergrund gegensätzlicher Erwartungshaltungen gestalteten sich die Kontakte zur NPD und zu den JN jedoch nicht immer spannungsfrei. So sind die NPD und die JN zwar bereit, mit Neonazis zu kooperieren. In den 'freien' neonazistischen Zusammenhängen sehen sie vorrangig ein zusätzliches Mobilisierungspotential, das sie zu bestimmten Anlässen, wie etwa am 01.03.1997 in München, einplanen können. Sie können so ihre Fähigkeit beweisen, als "Speerspitze" einer "nationalen" Bewegung Masse und Stärke auf der Straße zu entfalten. Demgegenüber sind die 'freien' Strukturen gerade daran interessiert, über ihre Beteiligung an Veranstaltungen der NPD/JN grundsätzlich Einfluß auf den politischen Kurs der Partei zu gewinnen und ihn in ihrem Sinne mitzugestalten. Diese - gelegentlich streitauslösende - unterschiedliche Interessenlage ist z. Zt. jedoch nicht so tiefgrei-61- fend, daß sie die künftige punktuelie/anlaßbezogene Zusammenarbeit gefährden würde. Die Anhänger des "Personenkreises um Thomas Wulff" im Stadtteil Bramfeld publizieren weiterhin den "Hamburger Sturm" in einer Auflage von mehreren hundert Exemplaren. Obwohl durch Skinheads erstellt, ist der ,;Hamburger Sturm" nicht ausschließlich ein Skin-Fanzine, sondern berichtet außerdem in 'politischen' Beiträgen über Aktivitäten der Neonazi-Szene; die Inhalte - u.a. Verherrlichung der Wehrmacht, Hetze gegen das demokratische System und die angebliche Unterdrückung des deutschen Volkes durch internationale Organisationen - entsprechen der üblichen neonazistischen Propaganda. In dem Vorwort zur Ausgabe Nr. 14 (April 1997) heißt es wörtlich (Rechtschreibfehler i. Orig.): "Die ersten Vorboten des nationalen und sozialen Kampfes haben wir bereits erlebt: Die Kohlekumpel, die in Bonn - dem Synonym einer verfaulenden Gesellschaftsordnung - schon mit dem Zerlegen der Regierungsgebäude begonnen hatten. Die Bauarbeiter, die in Potsdam ihre Wut gegen den Arbeitsplatzklau durch Ausländerstau zu Tausenden auf die Straße trugen. Die Stahlarbeiter, die in Frankfurt am Main Front machten gegen jene internationale Bankenherrschaft und Hochfinanz, die unser Volk schon seit Generationen (!) über den Tisch zieht! Jawohl, am Ende dieses ausgehenden Jahrhunderts läßt sich feststellen: Wir leben in wahrhaft vor-revolutionären Zeiten und nicht wenige politische Forderungen, die wir als Nationale Opposition schon vor Jahren als richtig erkannt und proklamiert hatten und dafür vom System verfolgt wurden, stellen sich nun immer deutlicher als mögliche Lösungen für ein deutsches Volk dar, daß um sein Dasein und eine bessere Zukunft ringen muß, wenn es nicht als Sklavenheer einer paneuropäisch-multikulturellen 'Neuen Weltordnung' untergehen will. " Ein weiteres publizistisches Standbein schufen sich Angehörige des Kreises um WULFF am Jahresende durch ihre Mitwirkung an der über ein Hamburger Postfach vertriebenen Zeitschrift "Zentralorgan" (Nr. 1: Januar 1998). Das "Zentralorgan" entstand aus dem Zusammenschluß mehrerer neonazistischer Publikationen. Die Herausgeber wollen so innerhalb der 'freien' Strukturen ein Zeichen gegen die Zersplitterung setzen und ihre redaktionellen sowie finanziellen Kräfte bündeln. Nach eigenem Anspruch soll das Blatt "zur Kampfzeitung aller Aktivisten werden, zum Kampßlatt der Massen! ". Die Inhalte des "Zentralorgans" dokumentieren, daß sich die Urheber eindeutig in die Tradition des Nationalsozialismus stellen. So glorifizierte die Erstausgabe den HITLER-Stellvertreter Rudolf HESS und die Opfer des Marsches auf die Münchener Feldherrenhalle (23.11.1923); ein weiterer Beitrag war mit dem Pseudonym "S.A. Mann" gekennzeichnet. -62- Die von schleswig-holsteinischen Aktivisten des "Personenkreises um Thomas Wulff" erstellte, ebenfalls neonazistisch geprägte Publikation "Perspektive" erschien 1997 ausschließlich im Internet. Abrufbar war sie über eine Homepage unter der Bezeichnung "Nationaler Widerstand". Grundsätzlich stehen die Internet-Seiten des "Nationalen Widerstandes" allen Angehörigen 'freier' Strukturen zur Verfügung. Neben allgemeinen politischen Nachrichten aus "nationaler" Sicht finden sich hauptsächlich Berichte über Aktivitäten und Projekte, an denen "Freie Nationalisten" aus dem norddeutschen Raum beteiligt waren bzw. sind. Als weiteres Informationsmedium wurden gelegentlich die im ThuleNetz zusammengeschlossenen rechtsextremistischen Mailboxen genutzt. Im übrigen bediente sich WULFFs Anhängerschaft auch der 'klassischen' Propagandamittel in Form der - unter Rechtsund Linksextremisten gleichermaßen beliebten - Aufkleber und Flugblätter. Eine Aufkleberserie des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Norddas n3tlO(lal"rä [w TtrrwMw um! *VWnfcr.-Jailli 7 nerparteilicher Verhältnisse vor Ort REPUBLIKANER beteiligten sich die Hamburger Mitglieder auch kaum am Wahlkampf für die Bürgerschaftswahl. Sicherheit für Hamburg! Im Gegenteil: Parteimitglieder fochAbb. 24: Versprechungen, wie hier im bundesweiten Parteiorten die Kandidatengan "Der Republikaner", vertrauten bei der Hamburger Bürgernominierungen für schaftswahl nur noch 1,8 % der Wähler die Bürgerschaft und für die Bezirksversammlung Altona vor den zuständigen Wahlzulassungsgremien an und versuchten so, die Wahlteilnahme zu torpedieren - Vorgänge, die die gravierende Zerrüttung des Landesverbandes eindrucksvoll dokumentierten. Der Wahlkampf der REP sprach insbesondere die Themen Innere Sicherheit, Ausländer, Arbeit und Wirtschaft, Haushalt und Finanzen, Familie und Jugend, Wohnungsnot, Sauberkeit und Stadtbild, Kultur und Freizeit, Verkehr sowie Europa an. Er wurde zentral vom Bundesvorstand konzipiert und organisiert und weit überwiegend von auswärtigen Parteimitgliedern getragen. Die eingesetzten Propagandamittel ließen die -72- Absicht erkennen, sich nicht plump agierend, sondern als sachbezogen, seriös und kompetent, verfassungstreu und demokratisch darzustellen, um so Überzeugungwähler zu gewinnen. Dieses Vorhaben mißlang gründlich, insbesondere aufgrund mangelnder öffentlicher Präsenz und fehlender Geschlossenheit (1,8 % zur Wahl der Bürgerschaft, Bezirksversammlungswahlen: zwischen 1,5 und 3,5 %). Trotz des Wahldesasters zog der Landesverband der Hamburger REP keine personellen Konsequenzen. Die Vorstandswahlen auf dem außerordentlichen Landesparteitag am 01.11.97, bei denen weitgehend der alte Vorstand mit dem Landesvorsitzenden FIEDLER an der Spitze wiedergewählt wurde, lassen keine Erneuerung erwarten. Folge dieser Wiederwahl sind eine völlige Lähmung der politischen Arbeit und ein 1998 drohender Mitgliederschwund. Ein politischer und personeller Neuanfang innerhalb des Hamburger Landesverbandes ist nicht in Sicht. 4.2 Deutsche Volksunion (DVU) Zu den " nationalMitgliederzahlen : freiheitlichen " OrgaBundesweit ca. 15.000 (einschl. DVU e.V.) nisationen gehört neLandesverband Hamburg nach eigenen Angaben ca. 500 ben der Partei DVU der Verein Deutsche Bundessitz: München Volksunion e.V. mit Vorsitzender: Dr. Gerhard FREY den angegliederten AktionsgemeinschafLandesverband Hamburg: ten Landesvorsitzender: Sven EGGERS "Aktion Oder-Neiße" (AKON), "Aktion deutsches Radio und Fernsehen " (ARF), "Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten" (ER), "Initiative für Ausländerbegrenzung " (I.f.A.), "Deutscher Schutzbund für Volk und Kultur" (DSVK), " Volksbewegung für Generalamnestie" (VOGA), der nach der Gründung der Partei im Jahre 1987 an Bedeutung verloren hat. Laut Satzung sind die dem Verein und den Aktionsgemeinschaften angehörenden Personen automatisch DVU-Mitglieder, sofern sie dem nicht ausdrücklich widersprechen. Die DVU wird von ihrem Bundesvorsitzenden Dr. FREY zentralistisch und autoritär geführt. Dr. FREY bestimmt die politischen Inhalte und die Aktivitäten, nimmt Einfluß auf Personalentscheidungen auch auf regionaler Ebene und hält die Partei durch finanzielle Zuschüsse in Abhängigkeit. Der Bundesvorsitzende stützt sich bei der Parteiarbeit auf einige ihm ergebene Vertraute, die er nach Bedarf in verschiedenen Landes-73- verbänden einsetzt. So war der amtierende Hamburger Landesvorsitzende vorher Landesvorsitzender in Bremen; der Landesvorsitzende in Schleswig-Holstein trat gleichzeitig als Spitzenkandidat der DVU bei der Hamburger Bürgerschaftwahl auf. Die Masse der Mitglieder sind Beitragszahler, Zeitungsabonnenten von Dr. FREY und Kunden des von seiner Frau geführten "FZ-Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH", von dem Bücher, Medaillen, Videos und Devotionalien vertrieben werden. Das Parteiprogramm der DVU ist vage formuliert und vermeidet weitgehend extremistische Formulierungen. Es entspricht vom Umfang und Inhalt nicht den Programmen anderer Parteien. Die politische Propaganda der DVU wird in den von Dr. FREY in seinem eigenen Verlag ("DSZ-Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH") herausgegebenen Wochenzeitungen "Deutsche Nationalzeitung" (DNZ) - wöchentliche Auflage ca. 35.000 - und "Deutsche Wochenzeitung" (DWZ) - wöchentliche Auflage ca. 20.000 - betrieben. Mit den beiden Wochenblättern, die zwar nicht den Status von Partei-Zeitungen besitzen, tatsächlich jedoch die Funktion von Sprachrohren der Partei erfüllen, verfügt Dr. FREY über das größte und einflußreichste Presseimperium im rechten Lager. Außer der Berichterstattung über Aktivitäten xtes svfes ö*"** rf* e" 1 dtf* der DVU wird in diesen Blättern ausländerfeindliche, aggressiv nationa&& listische, revisionistische d(c)deg "ert*****?" und antijüdische Agitam^Ss tion betrieben. Am 15.03.97 führte die DVU in München ihren alljährlichen Bundespar- * --"JS teitag durch, an dem etwa 160 Mitglieder teilJÜdlsü*"^ 3 ^'"-':.. - nahmen. Bei den im Verlauf des Parteitages Ve r b r e c h vorgenommenen Vorstandswahlen wurde Dr. FREY als Bundesvorsitzender bestätigt. Abb. 25: Schlagzeilen der DWZ Nr. 36, 37, 47 zur Ausländerund Asylproblematik Etwa 2.500 Teilnehmer versammelten sich am 27.09.97 in der Passauer Nibelungenhalle zur Großkundgebung der DVU, die unter -74- dem Motto "Deutsche Zukunft - unsere Chance" stand. Diese jährlich stattfindende Großkundgebung ist die mit Abstand bedeutendste Veranstaltung für Mitglieder und Sympathisanten der Organisation. Sie dient dem Bundes Vorsitzenden zur Selbstdarstellung, soll ein Gemeinschaftserlebnis bieten, Geschlossenheit, Stärke sowie Begeisterung vermitteln und demonstrieren. Wie schon in den vergangenen Jahren begrüßte FREY außer einer "Abordnung aus dem deutschen Schlesien" und "Freunden aus dem deutschen Südtirol" auch flämische Volkstumspohtiker, Angehörige der "nationalen Schwarzenbewegung der USA", Vertreter der "indianischen Freiheitsbewegung der USA" sowie "nationale" Verleger und Publizisten. Dr. FREY hielt seine seit Jahren kaum veränderte Standardrede. Die DVU tritt nicht flächendeckend zu Wahlen an, sondern schwerpunktmäßig dort, wo sie sich bei hohem finanziellen Aufwand akzeptable Ergebnisse verspricht. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Bundesvorstand die Teilnahme an der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt beschlossen. Am Jahresende war noch offen, ob die DVU erstmals zur Bundestagswahl antritt. Angebote an den Bundesvorsitzenden der REP, Gespräche über eine gemeinsame Beteiligung an der Bundestagswahl zu führen, wurden von Dr. SCHLIERER abgelehnt. Die DVU in Hamburg hat nach eiAbb. 26: DVU-Aufkleber im Bürgerschaftsgenen Angaben 500 Mitglieder und wahlkampf ist damit weiterhin der Personenzahl nach die stärkste rechtsextremistische Kraft. Allerdings nehmen nur wenige Mitglieder an den Parteiveranstaltungen teil. Die nur schwach ausgeprägte Bereitschaft der Hamburger Mitglieder, sich aktiv für die Partei einzusetzen, zeigte sich in der geringen Beteiligung am Wahlkampf für die Hamburger Bürgerschaft. Der Hamburger Landesverband der DVU organisierte keine eigenen öffentlichen Aktivitäten und stellte keine eigenen Propagandamittel her. Auch 1997 trafen sich die Mitglieder des Hamburger DVU-Landesverbandes einmal monatlich beim "DVU-Klönschnack". Anläßlich der Bürgerschaftswahl haben sporadisch in einigen Stadtteilen zusätzliche Treffen stattgefunden. Im letzten Quartal 1997 war es Linksextremisten gelungen, das DVU-Trefflokal ausfindig zu machen. Die am 03.12.97 gegen das Treffen durchgeführte Demonstration vor dem Lokal bewirkte, daß -75- sich die DVU-Veranstaltung unter Polizeischutz auflöste und die Organisation Lokalverbot erhielt. Der Wahlkampf der DVU in Hamburg erregte öffentliches Aufsehen. Die Partei warb mit einem immensen Aufwand an Wahlplakaten und Stellschildern sowie einer Flut von DVU-Wahlbriefen, Werbeschreiben des Bundesvorsitzenden, Massendrucksachen, Postwurfsendungen, Flugblättern, Aufklebern etc., die die Briefkästen der Hamburger überschwemmte. Der Wahlkampfstab nutzte bei den Meldebehörden gespeicherte Einwohneradressen und wandte sich mit besonderen Schreiben an ausgesuchte Zielgruppen, wie z.B. Jungund Erstwähler, männliche Altwähler, mittelständische Selbständige (Ärzte, Apotheker usw.). Der Einsatz eines Kleinflugzeuges, das über dem Hamburger Stadtgebiet kreiste und die Parole "Wählt DVU" schleppte, bewirkte Gegenflüge anderer Luftunternehmer mit einem Banner "Nazis raus". Die Hauptaussage der Wahlkampagne "Deutsch wählen!" wurde bekräftigt und unterstützt durch Forderungen wie z.B. "Asylbetrüger und kriminelle Ausländer raus!", Ausländerbegrenzung, Mittelkürzungen für Asylbewerber, kein Ausländerwahlrecht, "Schluß" mit der Benachteiligung deutscher Kinder in multinationalen Klassen. Den EURO bezeichnete die DVU als "die idiotischste Währungsreform aller Zeiten" bzw. "Kohls EURO-Wahnsinn", die EU schwimme im deutschen Geld, Deutschland sei "Zahlmeister" bzw. "Melkkuh" Europas. Bei der Wahl zur Bürgerschaft scheiterte die DVU mit 4,977 % nur knapp an der Fünfprozenthürde, schaffte jedoch den Einzug in die Bezirksversammlungen Hamburg-Mitte (8,5 %), Wandsbek (5,5 %), Bergedorf (5,4 %) und Hamburg-Harburg (7,5 %). 4.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) nebst Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) Die älteste bestehende rechtsextremiNPD stische Partei in der Bundesrepublik ist Mitgliederzahlen: die 1964 gegründete NPD. Bei Wahlen Bundesweit über 4.300 derzeit bedeutungslos, hat sie ihren nach Landesverband Hamburg ca. 80 den Vorstandswahlen im März 1996 begonnenen Kurswechsel 1997 konsequent Bundessitz: Stuttgart fortgesetzt. Der 1996 nur mit knapper Vorsitzender: Udo VOIGT Mehrheit gewählte Bundesvorsitzende Udo VOIGT wurde am 10.01.98 auf dem Hamburg Bundesparteitag in Stavenhagen (MeckLandesvorsitzender: Ulrich HARDER lenburg-Vorpommern) von über 85 % der Delegierten wiedergewählt. VOIGT tritt für die Öffnung der Partei gegenüber Neonazis einschließlich ehemaliger Angehöriger verbotener Organisationen ein. Machte sich dieser Kurs im ersten Amtsjahr hauptsächlich durch zunehmenden Einfluß von -76- Neonazis in der Jugendorganisation der NPD - den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) - offen bemerkbar, belegte das Ergebnis der Bundesvorstandswahlen Junge Nationaldemokraten im Januar 1998, daß ehemalige MitMitgliederzahl: Bundesweit ca. 250 glieder neonazistischer OrganisatioBundessitz: Dresden nen bereits bis in den Bundesvorstand Vorsitzender: Holger APFEL der NPD aufgerückt sind. Hamburg Einzelmitglieder (kein Landesverband) So wurde neben den ehemaligen Mitgliedern der verbotenen "Nationalistischen Front" (NF), Steffen HUPKA und Jens PÜHSE, auch Frank SCHWERDT, Vorsitzender des im Sommer 1997 aufgelösten neonazistischen Vereins "Die Nationalen e.V.", in den Bundesvorstand gewählt. Außer HUPKA und PÜHSE gehören drei weitere JN-Bundesvorstandsmitglieder dem NPDBundesvorstand an. Die JN - laut VOIGT "Motor der Partei" - beeinflussen mittlerweile die Aktivitäten und Programmatik der NPD so erheblich, daß eine getrennte Darstellung beider Organisationen nicht mehr vorgenommen wird. Der Hamburger Landesverband der JN wurde zwar am 18.01.97 vom JNBundesvorstand aufgelöst, weil er sich der Öffnung gegenüber Neonazis nicht anschließen wollte. Gleichwohl machte sich auch in Hamburg der "Motor der Partei" bemerkbar: Nicht der marode Landesverband der NPD leitete den Bürgerschaftswahlkampf, sondern Achim EZER aus Bochum, der stellvertretende Bundesvorsitzende der JN. Der Wandel der NPD im Jahr 1997 läßt sich an drei Schwerpunkten aufzeigen: Konsolidierung: Nach Angaben des * innerparteiliche Konsolidierung Bundesvorstandes zählte die NPD bei * zunehmend aktionistische Ausrichtung der Amtsübernahme VOIGTs im März 1996 weniger als 3.000 Mitglieder und * aggressivere Programmatik. war stark verschuldet. Das im Oktober 1997 den Parteigremien vorgestellte "Konzept 99 - Planung und Zielsetzung" spielt darauf an: "Unter der Verantwortung G. Deckerts hatte die Partei völlig abgewirtschaftet, sie war ruiniert". Demgegenüber rühmt der jetzige Bundesvorsitzende sich und seine Führungsmannschaft, diesen Abwärtstrend nicht nur gestoppt, sondern die finanzielle und personelle Gesundung der Partei vorangebracht zu haben. Mittlerweile hat sich die finanzielle Krise der Partei entspannt, die Anhängerschaft auf etwa 4.300 Mitglieder - nach eigenen Angaben sogar über 5.000 - gesteigert. Seit seiner knappen Wahl im März 1996 hat VOIGT geschickt nach und nach die Parteibasis auf seine Seite gezogen und den nach eigenem Bekunden in "politischer" Haft befindlichen Vorgänger DECKERT demontiert. Um die Partei nicht zu spalten und wohlwissend, daß dieser aus dem Gefängnis heraus nicht in die täglichen Amtsgeschäfte eingreifen konnte, schlug VOIGT ihn als stellvertretenden Bundesvorsitzenden vor. -77- Gut dosiert ließ der Parteivorstand anschließend Interna über behauptete finanzielle Unregelmäßigkeiten der DECKERT-Ära an die Öffentlichkeit sickern und provozierte damit eine von DECKERT eröffnete verbale Schlammschlacht: * Udo VOIGT sei durch einen "Putsch" an die "Macht" gekommen, * der stellvertretende Bundes Vorsitzende Udo HOLTMANN sei bezahlter Spitzel des Verfassungsschutzes, * DECKERT soll die Zusendung aller Niederschriften des Parteipräsidiums, des Parteivorstandes sowie des JN-Bundesvorstandes verlangt und widrigenfalls rechtliche Schritte angedroht haben. Unmittelbar danach wurde DECKERT am 17.08.97 durch einstimmigen Beschluß der anwesenden Bundesvorstandsmitglieder als stellvertretender Parteivorsitzender amtsenthoben, die Eilfertigkeit bei dieser Maßnahme öffentlich erläutert ("Deutsche Stimme", Oktober): Bei einer Herausgabe der Unterlagen drohe der Partei eine "schwerwiegende Schädigung". DECKERTS Verlangen sei mit seiner Stellung in der Partei nicht vereinbar und grob "treuewidrig". VOIGTs Konsolidierungsstrategie ist aufgegangen. Seine am 27.03.96 erhobene Forderung nach einem neuen "Wir-Gefühl" anstelle innerparteilicher Fronten hat er innerhalb von 22 Monaten umgesetzt. Auf dem Bundesparteitag vom 10./11.01.98 hat der Parteivorsitzende seine Position zielstrebig ausgebaut. DECKERT, der sich trotz Diskreditierung aus dem Gefängnis heraus erneut als Stellvertreter bewarb, wurde bei der Vorstandswahl mit nur ca. 15 % der Stimmen abgeschlagen. Seine Bedeutung und die seiner Anhänger ist innerhalb der NPD auf ein Minimum gesunken. Zu diesen 'Bedeutungslosen' gehört auch der Hamburger NPD-Landesvorsitzende Ulrich HARDER, ein treuer 'DECKERT-Fan'. Aktionismus: Die 1997 forcierte aktionistische Ausrichtung der NPD machte sich zunächst am 1. März in München bemerkbar. Hier brachte sie mehr als 4.000 Demonstranten gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" auf die Straße. Die NPD (und die JN) hatten nicht explizit als Partei mobilisiert, sondern ihren Demonstrationsaufruf an den gesamten "Nationalen Widerstand" gerichtet. Diese scheinbare 'Uneigennützigkeit' sollte signalisieren, daß die NPD ihren durch den Par-78- teienstatus besonders geschützten Organisationsrahmen auch nicht organisierten bzw.von Verboten betroffenen Rechtsextremisten überläßt. Die NPD profitierte bei der Mobilisierung nach München davon, daß die Wehrmachtsausstellung auch auf nichtextremistischer Seite umstritten ist. Das NPD-Motto " Unsere Großväter waren keine Verbrecher" sprach viele Personen des rechten Spektrums an. Statt ihres altbekannten Revisionismus stellte die NPD quasi die Frage der "Ehre" in den Vordergrund. Dies erlaubte es unterschiedlichsten Gruppierungen, ansonsten konträre politische Positionen und Animositäten für einen Tag zurückzustellen und sich gemeinsam in einer seit Jahren unerreichten Zahl und Geschlossenheit im Straßenbild zu zeigen. Die Demonstration verlief gewaltfrei. Durch "Das Fanal von München" (VOIGT, "Deutsche Stimme" 3/97) ermutigt, wurde die Mobilisierung für eine Demonstration am 1. Mai in Leipzig forciert. Der Vergleich zweier Aussagen verdeutlicht den Kurswechsel (Hervorheb. n. im Orig.): * Meinte der JN-Bundesvorsitzende Holger APFEL noch im November 1996 in einem Artikel in der "Deutschen Stimme", der 1. Mai 1997 müsse der "zentrale Aktionstag aller Nationaldemokraten werden ", * erklärte VOIGT in der "Deutschen Stimme" 3/97 den 1. März zur "größten Demonstration des nationalen Widerstandes seit über 2 Jahrzehnten". Es dauere in Deutschland meist etwas länger, bis das Volk aufstehe, "doch wir können es in Ruhe abwarten, denn der nationale Widerstand formiert sich". Er hoffe, "daß wir uns daher am I.Mai auf der Straße wiedersehen, dann unter dem zukunftsweisenden Motto: 'Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!""'. Am Tage vor dem geplanten Ereignis in Leipzig, bei dem sich eine ähnliche Aufmarschstärke wie in München abzeichnete, wurde die Demonstration der NPD verboten. Es kam zu mehreren kleineren Demonstrationen außerhalb Leipzigs, darunter die größte mit ca. 350 Teilnehmern in Hann. Münden. An dieser 'Ersatzveranstaltung' nahmen hauptsächlich Neonazis aus dem norddeutschen Raum teil. Die NPD und ihre Mitglieder hielten sich weitgehend an das Verbot, obwohl der 'Rechtsexperte' der NPD in der Mai-Ausgabe der "Deutschen Stimme" die Verbotsbegründung als "Rechtsbeugung" anprangerte. Die am 1. Mai von der NPD-Führung gezeigte Bereitschaft, das Demonstrationsverbot zu respektieren, las sich bei anderen Rechtsextremisten als "Obrigkeitshörigkeit". Sie stieß bei den "Freien Nationalisten" auf Unverständnis und stellte die gerade begonnene aktionistische Zusammenarbeit in Frage. Während neonazistische Kreise sich durch Demonstrationsverbote nicht grundsätzlich aufhalten lassen, setzt die NPD aus taktischen Gründen auf eine propagandistische und juristische Aufarbeitung der Verbote. -79- Der Rechtsreferent der NPD nutzte das Verbot von Leipzig für "Rechtspolitische Folgerungen der NPD-Rechtsabteilung" ("Deutsche Stimme", Mai 1997). Wolle man " unserem demokratischen und rechtsstaatlichen Auftrag gerecht werden ", müsse man "den herrschenden Machtapparat in der BRD ganz klar als Unrechtssystem kennzeichnen". Hierzu verpflichte Artikel 20 Grundgesetz, der "uns gebietet, gegen jene, die es unternehmen, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen, Widerstand zu leisten". Unter Widerstand verstünden Nationaldemokraten jedoch stets gewaltfreien, geistigen Widerstand. Gewalt und Terror gehe demgegenüber stets von den Gegnern der NPD aus, "die sich mit infamer, pharisäerhafter Heuchelei als Hüter der verfassungsmäßigen Ordnung ausgeben". Am Ende hält sich die NPD schließlich doch noch Optionen für einen anderen Widerstandsbegriff offen, der Rechtfertigungen auf linksextremistischer Seite ähnelt, nach deren Sprachregelung eigene Gewalt nur als angebliche "Gegengewalt" existiert: "Sollten die BRD-Machthaber wegen unserer berechtigten und nicht zuletzt auch staatspolitisch notwendigen Kritik ihre Justiz dazu veranlassen, gegen uns die schon oft mißbrauchte juristische Keule zu schwingen, so würden wir dem nicht nur gelassen entgegensehen, sondern es vielmehr auch als eine willkommene Gelegenheit ansehen, unter persönlichem Risiko aktiv und kämpferisch für die Rechte des Volkes und für die freiheitlich-demokratische Grundordnung einzutreten, wie es unsere Verfassung will. " Trotz der aggressiveren Untertöne ist erkennbar, daß die Bundesführung der Nationaldemokraten auch weiterhin Einfluß auf die Mitglieder nimmt, das Recht auf Demonstrationen und das von der Rechtsabteilung propagierte Widerstandsrecht gewaltfrei wahrzunehmen. Die Partei hat sich allerdings zu einem rechtsextremistischen Sammelbecken ohne jegliche Berührungsängste gegenüber der neonazistischen Szene entwikkelt. Sie versucht auch nicht, dieses zu vertuschen, sondern sprach in ihren Demonstrationsaufrufen unverhüllt den gesamten nationalen Widerstand an. Dieser aber ist - das hat der 1 .Mai in Hann. Münden gezeigt - jederzeit bereit, Verbote zu mißachten. Das vom JN-Bundesvorstand am 19.08.97 herausgegebene "nationalistische Infoblatt 'Der Aktivist'" veröffentlichte eine Nachbetrachtung zum 1. Mai. Sie warfein Schlaglicht auf die Auswirkungen, die von den JN in ihrer Brückenfunktion zwischen Neonazis und der herkömmlichen NPD ausgehen und die den Wandel hin zu einem aggressiveren NPD-Erscheinungsbild fördern: "Rechtswidrige Verbote akzeptieren heißt politisch auf der Stelle treten und das heißt: Rückschritt! Wenn der Staat die direkte Konfrontation haben will, kann er sie bekommen. Wir werden jedenfalls in Zukunft auf Großdemos und -Veranstaltungen nicht verzichten. " -80- Nicht nur durch ihre zunehmend aktionistische Ausrichtung versucht die NPD, sich für ehemalige Mitglieder verbotener Organsiationen interessant zu machen, sondern auch durch ihre immer aggressiver werdende Programmatik. In ihrem im Dezember 1996 verabschiedeten neuen Parteiprogramm machte sich die NPD revisionistische Aussagen offen zu eigen: Es müsse Schluß sein mit der "Geschichtsklitterung" zum Nachteil Deutschlands, der "Aufwertung des Landesverrats " und der " Verherrlichung alliierter Kriegsverbrecher". Die "Wiederherstellung" Deutschlands sei mit der Vereinigung "der Besatzungskonstruktionen BRD und DDR nicht erreicht. Deutschland ist größer als die Bundesrepublik! " Die Ausländerfeindlichkeit der NPD tritt immer offener auf. In der "Deutschen Stimme" (Januar 1997) propagierte der Parteivorsitzende VOIGT "Ausländerstopp ist das Gebot der Stunde" und meinte "Da in der sozialen Hängematte immer mehr Ausländer ausgehalten werden, bleibt oft kein Platz mehr für Deutsche ". Im Oktober 1997 legte der Partei vorstand "Das strategische Konzept der NPD" mit drei strategischen Säulen des politischen Kampfes vor: * Programmatik - Schlacht um die Köpfe * Massenmobilisierung - Schlacht um die Straße * Wahlteilnahme - Schlacht um die Wähler Das Papier läßt keinen Zweifel, welche "Schlacht" für die NPD vorrangig ist: Mit wenig Geld könne eine Partei wie die NPD eine "Massenwirkung" nur durch die Mobilisierung der Straße erreichen. Hierbei dürften ...keine Tabus den "Blick für das Wesentliche trüben: Angepaßte, 'vernünftige' Bürger tragen selten ihre Wut auf die Straße, ... . Mobilisierbar sind heute in erster Linie jene Massen von jungen Menschen, die nicht nur um ihre berufliche Zukunft, sondern auch um ihr nationales und kulturelles Selbstwertgefühl betrogen werden, die sich zu Menschen zweiter Klasse herabgewürdigt fühlen und sich wie Fremde im eigenen Land vorkommen. " Jugendkulturen wie z.B. Skinheadgruppen seien eine "soziologische Selbstverständlichkeit", die NPD habe keine Probleme, mit solchen Gruppen zusammenzuarbeiten, wenn sie bereit seien, "als politische Soldaten zu denken und zu handeln". Dies kennzeichnet die veränderte Zielorientierung der NPD und ihr neues Selbstverständnis. Ihre Bemühungen um eine Zusammenarbeit mit den "Republikanern" und der DVU sind - in Hamburg zuletzt anläßlich der Bürgerschaftswahl - gescheitert. Die Partei spricht jetzt ohne taktische Rücksichtnahmen auf Abgrenzungsbedürfnisse potentieller Wahlbündnispartner gezielt das rechtsextremistische Spektrum außerhalb der -81- Wahlparteien an. Diesem Spektrum ebnet VOIGT das Feld für Aktionseinheiten unter dem Mantel der vom Parteienprivileg geschützten NPD. Hauptzielrichtung: Eine von der NPD als Speerspitze angeführte nationale außerparlamentarische Opposition. Diese außerparlamentarische Zielorientierung hindert die bei Wahlen weit abgeschlagene Partei aber nicht, weitere Wahlbeteiligungen in ihrem Papier als 3. Strategiesäule vorzusehen. Dabei stehen offensichtlich weniger Erfolgshoffnungen, als vielmehr Sekundäreffekte im Vordergrund: Die "Machthaber" verweigerten der "nationalen" Opposition systematisch und "im offenen Widerspruch zur Verfassung" die Grundund Parteienrechte. Während der Wahlkämpfe seien die Behörden jedoch wegen sonst drohender Wahlanfechtungen gezwungen, ihre "rechtswidrigen Behinderungspraktiken" einzuschränken. An Wahlteilnahmen sei auch das Parteienprivileg gemäß Art. 21 Grundgesetz geknüpft. Ferner dienten Wahlkämpfe dem Ausbau der Parteistrukturen, der Mitgliederwerbung und der Bekanntmachung der Parteiziele. Ihr Stregiekonzept wendet die NPD bereits regional und überregional an. Zur Kommunalwahl am 22.03.98 in Schleswig-Holstein beteiligt sie sich an der breiten rechtsextremistischen Wahlinitiative "Bündnis Rechts für Lübeck". Neben ihr gehören die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH), der "Bund für Gesamtdeutschland" (BGD) und - unter Führung der Hamburger Neonazis Christian WORCH und Thomas WULFF - "Freie Nationalisten" dem Bündnis an. Angesichts erkannter eigener organisatorischer Schwächen und eingeschränkter Aktionsfähigkeit setzen die NPD-Funktionäre im Wahlkampf auf das Zusammenwirken mit Neonazis. Zeichen einer positiven Resonanz der außerhalb der Partei stehenden rechtsextremistischen Szene auf die oben beschriebenen Veränderungen waren am " Tag des nationalen Widerstandes" am 07.02.98 in Passau erkennbar. Die NPD hatte den "gesamten nationalen Widerstand" zu ihrer als Wahlkongreß und Auftakt des Bundestagswahlkampfes angekündigten Großveranstaltung in die 'Nibelungen-Halle' eingeladen. Zu den etwa 4.000 Teilnehmern gehörten zahlreiche Neonazis und Personen aus der Skinheadszene. In seiner Rede vor über 500 Besuchern des alljährlich von den JN organisierten "Europäischen Kongresses der Jugend" am 18.10.97 in der Oberpfalz forderte der Parteivorsitzende VOIGT die "nationale Jugend" auf, mit "entschlossener Tatbereitschaft mitzuhelfen, den notwendigen Bewußtseinswandel im deutschen Volk herbeizuführen. " Unter dem Motto "Zerschlagt die EU-Diktatur des internationalen Großkapitals" hatten sich u.a. Vertreter rechtsextremistischer Gruppierungen aus Spanien, Frankreich, Griechenland, den USA sowie Südafrika versammelt. Grundgedanke dieser Veranstaltungen ist die Absicht, den angeblichen Verfechtern einer "One-World" Gesellschaft entgegenund für ein "Europa der Völker" einzutreten. -82- Bisher besteht die Annäherung von NPD/JN und nicht der Partei angehörenden Neonazis erst aus einer punktuellen Zusammenarbeit. Dieses ließ sich aus wiederkehrenden Differenzen ablesen. Als sich die Partei aus der Planung der diesjährigen HESSGedenkveranstaltungen heraushielt, verärgerte sie viele in den "Schlachten um die Straße" gewonnene neue Sympathisanten. Unmut stiftete der Streit um das Profil der JN-Vorfeldpublikation "Einheit und Kampf" (EuK). Nachdem im Juni 1996 die letzte Ausgabe unter der Federführung des "progressiven Nationalisten " Andre GOERTZ erschienen war, traf der nächste Bannstrahl des JN-Bundesvorstandes nach nur 3 Ausgaben im August 1997 den neuen Verantwortlichen Markus PRIVENAU wegen des Vorwurfs, sich nicht an die "JN-Linie" gehalten zu haben. Unter PRIVENAUs Verantwortung zeigten die EuK-Ausgaben verstärkt nationalsozialistische Tendenzen. Der Hamburger Landesverband der NPD hat bisher von dem bundesweiten Auftrieb der Partei nicht profitiert. Im Vergleich zu der permanent groß herausgestellten Zuwendung immer mehr junger Menschen, nimmt sich der etwa 80 Mitglieder zählende Hamburger Landesverband als "Altherrenverein " aus. Hier blockiert der Landesvorsitzende Ulrich HARDER eine Zusammenarbeit mit Hamburger Neonazis. Die Ablehnung beruht auf Gegenseitigkeit. Der Wahlkampf zur Hamburger Bürgerschaftswahl wurde zentral NA UND? U&ER vom Bundesvorstand geführt. Nur RECUTSRAP^Al ALS ARPÜTSam Rande beteiligte sich die örtliche Mitgliederbasis. Der stellverlOSi OPER? tretende JN-Vorsitzende Achim EZER, eigens hierfür nach Hamburg gezogen, wurde vom Parteivorstand als Wahlkampfleiter eingesetzt. Wahlkampfzeitungen lieferte die Bundespartei, der Landesvorsitzende HARDER 'durfte' sie presserechtlich verantworten. Ansonsten war der Hamburger Landesverband im Wahlkampf nicht wahrzunehmen. Der Versuch des Bundesvorstandes, Jungwähler mit Comic-Strips anzusprechen, blieb ebenso wirkungslos wie die Abb. 28: "Hein Hansen", NPD-Cartoon-Figur sonstige Wahlwerbung. Die NPD im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf mußte im Wahlkampf ohne funktionierende örtliche Partei strukturen und eine für Materialschlachten a la Dr. FREY (DVU) adäquate Geldausstattung auskommen. Der NPD-Wahlkampfleiter schaffte es lediglich, am 23.08.97 eine kleine Demonstration mit knapp 50 Teilnehmern in Hamburg-Billstedt zu organisieren. Statt ei-83- ner im Internet für den 13.09.97 angekündigten - aber nicht einmal angemeldeten - Großveranstaltung erschienen am vorgesehenen Datum nur etwa 30 "Skinheads", die eine Wahlveranstaltung des damaligen Ersten Bürgermeisters allerdings massiv störten. Der Verzicht auf eine Veranstaltung am 13.09.97 stieß bei vielen NPD-Sympathisanten auf Unverständnis - zumal für sie damit eine geeignete Möglichkeit ausgelassen worden war, das neue strategische Konzept auch praktisch umzusetzen. Die NPDWahlkampfleitung versuchte sich im Internet unter Hinweis auf die massive linksextremistische Gegenmobilisierung herauszureden. Die "gewaltbereite linke Szene", die vergeblich "den gesamten linken Mob in Hamburg mobilisiert" habe, sei geleimt und quasi vorgeführt worden. Im Ergebnis konnte sich die NPD nur die Stimmen von 1.107 Wählern (0,1 %) bei der Wahl zur Bürgerschaft erschließen. Ihr höchstes Ergebnis bei den Bezirksversammlungswahlen erzielte die NPD in Hamburg-Harburg (0,3 %, 241 Stimmen). Sie ist damit weder in der Bürgerschaft noch in einer Bezirksversammlung vertreten. Die Bundespartei und einzelne Landesverbände der NPD nutzen - im Gegensatz zur Hamburger Landesorganisation - zunehmend das Internet und andere moderne Kommunikationsmittel. Die von anderen Parteiverbänden abstechende Unbeweglichkeit und 'Rückständigkeit' der Hamburger NPD ist im übrigen aus der unprofessionellen und wenig aktuellen Gestaltung ihrer - ohnehin nur unregelmäßig erscheinenden - Publikation "Hamburger Nationaldemokraten" ersichtlich. Angesichts vielfältiger Übereinstimmungen mit den "HLA-Nachrichten" ( 3 II/4.4) wird deutlich, daß beide aus der gleichen "Feder" - nämlich Ulrich HARDERS - stammen. 4.4 Hamburger Liste für Ausländerstopp (HLA) Mitglieder zahl: unter 40 Die HLA ist weiterhin als eigenständige ParVorsitzender: Ulrich HARDER tei formell existent. Außer der Herausgabe der Publikation: "HLA-Nachrichten' Parteizeitung "HLA-Nachrichten" gingen im Berichtsjahr keinerlei Aktivitäten von der HLA aus. Obwohl sie zunächst ihre Wahlkandidatur angemeldet hatte, trat sie nicht zur Bürgerschaftswahl in Hamburg an, sondern rief zur Unterstützung der NPD auf. Vorsitzender der HLA und ebenfalls Landesvorsitzender der NPD ist Ulrich HARDER, der damit de facto ein Wahlbündnis mit sich selbst geschlossen hat. Es hat sich der Eindruck verfestigt, daß HARDER den Parteienstatus der HLA nur deshalb aufrecht erhält, um bei einer Abwahl als Landesvorsitzender der NPD seine "politische Karriere" als Vorsitzender der HLA fortsetzen zu können. HARDER ist mit Duldung der NPD-Bundesführung Vorsitzender der HLA, obwohl dies der Satzung der NPD widerspricht. Dort heißt es in SS 4 Absatz c, Funktionsträger der NPD dürften keiner anderen Partei angehören. -84- 4.5 Zusammenarbeitsbestrebungen Obwohl viele Rechtsextremisten längst einsehen, daß insbesondere Wahlerfolge nur über eine Bündelung der verschiedenen "nationalen Kräfte" zu erreichen wären und trotz fortwährender entsprechender Appelle und Ansätze, sind sie von einer Einigung der gesamten rechtsextremistischen Szene - oder wenigstens relevanter Teile - weiter denn je entfernt. Paradoxerweise haben neue Einigungsbestrebungen außerhalb der großen Organisationen die Zersplitterung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik weiter voranschreiten lassen. Unverändert verharren insbesondere die Führungspersonen der beiden großen rechtsextremistischen Parteien REP und DVU in ihren persönlichen Egoismen, ihrem absoluten Führungsanspruch und in der Beibehaltung mehr oder minder scharfer Abgrenzungsbeschlüsse. Daran änderten weder der - infolge konkurrierender Kandidaturen - erneut verpaßte Einzug in die Hamburger Bürgerschaft etwas, noch der sich aus dem gleichen Grunde abzeichnende Fehlschlag bei anstehenden Wahlen. Im Grunde reklamieren zwar alle relevanten rechtsextremistischen Kräfte für sich, eine Einigung oder Zusammenarbeit anzustreben, blockieren sich dabei jedoch gegenseitig wegen unterschiedlicher Bedingungen und Partneroptionen. Die meisten Konzepte sind schon vom Ansatz her aussichtslos. Deutlich wird dies am Beispiel der REP. Einerseits lehnte der Parteivorsitzende Dr. SCHLIERER nach der Hamburg-Wahl in Fortführung des Abgrenzungskurses gegenüber anderen rechtsextremistischen Organisationen "eine irgendwie geartete Zusammenarbeit mit rechten Phantomparteien wie der DVU ab". Eine solche Kooperation führe nicht zur Addition von Stimmenanteilen. Vor allem sei es unmöglich, etwaige Wahlerfolge solcher Allianzen auch beständig praktisch umzusetzen. Im Gegensatz zu den REP habe nämlich bisher keine Landtagsfraktion der DVU jemals auch nur eine Wahlperiode überstanden, geschweige denn parlamentarische Arbeit geleistet. Mit solchen (unzuverlässigen) Organisationen verbiete sich eine Zusammenarbeit. Andererseits stellte die Parteiführung auf dem "Republikaner-Tag 1997" die REP als "nationale Führungskraft" dar und forderte alle Patrioten auf, sich der Partei zur Verfügung zu stellen. Offenbar rührt sich im Parteivorstand die Einsicht, bei einer anhaltenden selbst gewählten Isolation auch künftig Erfolgschancen zu verpassen. Dieses zeigte sich auf dem REP-Bundesparteitag, wo eine gemeinsame Kandidatur mit der "Deutschen Sozialen Union" (DSU) bei der Landtagswahl in Sachsen/Anhalt (26.04.98) und eine Zusammenarbeit mit der "Deutschland-Bewegung" des Dr. Alfred MECHTERSHEIMER angekündigt wurden. Beide Organisationen fallen nach dem Dafürhalten Dr. SCHLIERERs nicht unter den Abgrenzungsbeschluß gegenüber der rechtsextremistischen Szene. Gleichzeitig kündigten die REP die Bildung einer gemeinsamen Fraktion im Europäischen Parlament mit den rechtsextremistischen Parteien "Front National" (FN) aus Frankreich und "Vlaamse Blok" aus Belgien im Falle -85- eines Wahlerfolges bei der kommenden Europawahl an. Der Führer des FN, Le PEN, läßt sich allerdings von sehr viel weiterreichenden Visionen treiben und möchte eine Kräftekonzentrierung der Rechtsextremisten in Deutschland nach französischem Vorbild initiieren. Diesem Projekt haben sich die REP bisher verschlossen. Auch der Vorsitzende der DVU, Dr. FREY, präsentierte anderen rechtsextremistischen Organisationen, insbesondere den REP und der NPD, Bündnisangebote. Nach dem Einzug in 4 Hamburger Bezirksversammlungen, dem knapp verfehlten Einzug in die Bürgerschaft und dem Platzwechsel mit den bis dahin im Wählerzuspruch führenden REP feierte Dr. FREY die DVU in seinen Wochenzeitungen als stärkste nationale Kraft. Schon von daher sieht er sich in seinem Führungsanspruch gegenüber anderen quasi prädestiniert. So wiederholte er unmittelbar nach der Hamburg-Wahl am 23.09.97 in einem Schreiben an den REP-Vorsitzenden Dr. SCHLIERER seine Verhandlungsvorschläge und lud den REP-Vorsitzenden als Zeichen seiner Verständigungsbereitschaft demonstrativ zur DVU-Großkundgebung nach Passau ein. Dieses Entgegenkommen schlug alsbald ins Gegenteil um. Nach Dr. SCHLIERERs rüder Absage griff Dr. FREY die REP und deren Bundesvorsitzenden als Hauptgegner und Hauptverantwortliche für die Blockade im Streben nach einer vereinheitlichten nationalen Rechten an. Auf der DVU-Veranstaltung in Passau beklagte Dr. FREY, man könne ihn nicht immer wieder mit Vorhaltungen über die Uneinigkeiten traktieren, so als ob er der "liebe Gott" wäre, der in seiner Allmacht das Handeln anderer bestimme, die in ihrer "Beschränkung nur nicht begriffen, daß er, Dr. Frey, von allen der beste sei". Da Dr. FREY potentielle Bündnispartner nach eigenem Gutdünken auswählt und kompromißlos Bedingungen stellt, stoßen seine Offerten auf keine Sympathie - zumal er bereits einmal bei einem Wahlbündnis mit der NPD getroffene Vereinbarungen mißachtet hat und seitdem als unzuverlässig gilt. Die NPD hat sich 1997 von ihrer alten Bündnisstrategie verabschiedet. Zur HamburgWahl bemühte sie sich vergeblich - angeblich letztmalig - um ein rechtsextremistisches Wahlbündnis. Unter dem zunehmenden Einfluß von Funktionären der JN, unter ihnen eine Reihe von Neonazis aus verbotenen Organisationen, verfolgt der Bundesvorsitzende der NPD nunmehr sein zweigleisiges neues Konzept: Die NPD primär als "Speerspitze" einer "Nationalen außerparlamentarischen Opposition" (NAPO) - auch als "Nationaler Widerstand" bezeichnet - längerfristig mit der Option als erfolgreiche Wahlpartei (O II/4.3). Bündnispartner sind dabei nicht mehr vorrangig die rechtsextremistischen Konkurrenzparteien, sondern in erster Linie Neonazis, Skinheads und sonstige junge Rechtsextremisten. Die angezeigte Eigenkandidatur zur Bundestagswahl ist ein klares Signal, daß die NPD - außer im kommunalen Bereich - vorerst auch keine Wahlbündnisse mehr anstrebt. Einstweilen scheint dieses Konzept der NPD aufzugehen: Das zeigen steigende Mitgliederzahlen sowie die umfangreiche Beteiligung von Neonazis und Skinheads an der -86- Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 01.03.97 und bei der Veranstaltung zum Bundestagswahlkampf am 07.02.98 in Passau, an denen jeweils mehr als 4.000 Personen teilnahmen. Ob es zu einem dauerhaften Erfolg führt, bleibt jedoch eher zweifelhaft, da die Bündnispartner mit sehr unterschiedlichen Intentionen antreten. Die NPD möchte mit diesem Bündnis ihre Organisation stärken und die Bedingungen für die Zusammenarbeit stellen. Demgegenüber will die Mehrzahl der Neonazis die Rahmenbedingungen der nicht verbotenen Partei für ihre Zwecke nutzen, Einfluß auf die Organisation nehmen, jedoch ihre Eigenständigkeit bewahren und sich nicht von der Partei beeinflussen lassen. Jenseits dieser Parteien gibt es eine Reihe weiterer Einigungsbestrebungen in unterschiedlichster Form und Reichweite. Die maßgeblichen Parteifunktionäre der großen rechtsextremistischen Parteien werden dabei umgangen. Erstes Ziel aller dieser nicht auf starren Parteischienen verlaufenden Einigungsansätze ist es, unorganisierte Rechtsextremisten und abzuwerbende / aussteigebereite unzufriedene Parteimitglieder zu bündeln. Initiatoren sind zumeist ehemalige Parteifunktionäre oder Führer kleinerer rechtsextremistischer Organisationen. Protagonisten derartiger Sammlungsbestrebungen sind u.a. der ehemalige REP-Bundesvorsitzende Franz SCHÖNHUBER, der rechtsextremistische Verleger und Publizist Peter DEHOUST und das DLVH-Mitglied Harald NEUBAUER. Diese drei erhoffen sich Rückenwind für ihre Bemühungen aus einer Zusammenarbeit mit dem Führer des französischen FN, Le PEN, der eine Vernetzung der Nationalisten auf europäischer Ebene anstrebt und dazu eine breite Zusammenarbeit mit allen relevanten nationalen Kräften sucht. Le PEN möchte sein Modell zur europaweiten Kräftekonzentrierung und zum Gewinn politischer Interventionsfähigkeit auf die Bundesrepublik übertragen. Es fanden bereits mehrere Treffen in Frankreich und Deutschland statt. In Deutschland warben die Initiatoren intensiv um Unterstützer. So nahmen z.T. mehrere Hundert Personen an entsprechenden Veranstaltungen des Leserkreises der rechtsextremistischen Publikation "Nation und Europa" teil. Anhänger SCHÖNHUBERS gründeten "Schönhuber-Freundeskreise". Bisher liegen keine Erkenntnisse darüber vor, ob die o.g. Troika' nebst Umfeld daran denkt, eine neue Organisation zu gründen. Als neue rechte Sammlungsbewegungen wurden bereits zwei neue Parteien gegründet, die Partei "Ab jetzt Bündnis für Deutschland" unter maßgeblicher Beteiligung des Vorsitzenden der rechtsextremistischen Kleinstgruppe "Bund für Gesamtdeutschland" (BGD) und die "Vereinigte Rechte" des ehemaligen REP-Funktionärs Leo THENN. Beide Gruppierungen tragen lediglich zur weiteren Zersplitterung des rechtsextremistischen Lagers bei. -87- Daneben gibt es weitere regionale Einigungsversuche. Die maßgeblich von der DLVH initiierten "Runden Tische" haben sich 1997 kaum noch versammelt. Ein nennenswertes Beispiel für regionale Bündnisbestrebungen ist jedoch das organisationsübergreifende "Bündnis Rechts für Lübeck", das im Hinblick auf eine Teilnahme an der schleswig-holsteinischen Kommunalwahl am 24.03.98 gegründet wurde. In einer Selbstdarstellung im Internet wurden exemplarisch als beteiligte Organisationen genannt: "Bund für Gesamtdeutschland" (BGD), "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH), NPD und JN, eine "Initiative gegen Drogenfreigabe" sowie "Freie Nationalisten". Bei den zwei Letztgenannten handelt es sich um Neonazis u.a. aus dem "Personenkreis um Thomas Wulff" (O II/3.2), die unter verschiedenen Bezeichnungen auftreten. Während die NPD einen erheblichen Teil der Kandidaten des Lübecker Bündnisses stellte, betrieben die Hamburger Neonazis Christian WORCH und Thomas WULFF nebst Anhängern maßgeblich die Organisierung der Wahlbeteiligung und den Wahlkampf. Neben diesem Lübecker Bündnis kandidierten keine anderen Rechtsextremisten. Eine chancenmindernde gegenseitige rechtsextremistische Wahlkonkurrenz, wie bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg, war damit ausgeschlossen. Die beteiligten Parteien - Seite an Seite mit Neonazis - sahen das Bündnis vor dem 24.03.98 als Modell für künftige Wahlbündnisse auf regionaler und sogar Landesund Bundesebene. Die Initiatoren erhofften sich eine Signalwirkung, die den Einigungsprozeß im rechtsextremistischen Lager beflügelt und verstärkt. Bei der Kommunalwahl in SchleswigHolstein hat das "Bündnis Rechts für Lübeck" aber nur ein Wählerpotential von 3,6 % binden können. In Hamburg sind z.Zt. keine Sammlungsbestrebungen zu erkennen. Während die DLVH, früher bundesweit Vorreiterin derartiger Bemühungen, weitgehend inaktiv ist, sind die Verhältnisse in den Landesorganisationen von NPD, DVU und REP derartig desolat und ihre Verhaltensweisen gegenüber anderen Organisationen so erstarrt, daß Veränderungen z.Zt. nicht erkennbar sind. Die Hamburger NPD hat die vom Bundesvorstand der Partei vollführte Öffnung gegenüber Neonazis und Skinheads bisher nicht nachvollzogen. Daher käme seitens des neonazistischen Personenkreises um Thomas WULFF eine Zusammenarbeit mit der Hamburger NPD erst nach einem Wechsel im Landesvorstand in Frage. 5. Neue Rechte Der Begriff "Neue Rechte" steht seit Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre für eine akademisch-intellektuelle, modernisierte Form rechten antidemokratischen Denkens. Nur Teile dessen, was heute unter dem Begriff "Neue Rechte" subsumiert wird, sind als rechtsextremistisch zu bewerten. Dies bezieht sich insbesondere auf bestimmte An-88- hänger der antidemokratischen Ideologie der "Konservativen Revolution". Diese Ideologie, die das rechte demokratische Denken in der Weimarer Republik geprägt und zu ihrem Zusammenbruch beigetragen hat, war Leitbild der historischen "Neuen Rechten" Ende der 60er Jahre, die ihren Anfang in Frankreich unter ihrem Chefideologe Alain de BENOIST nahm und sich in mehrere europäische Länder, u.a. die Bundesrepublik, ausdehnte. Als rechtsextremistisch sind insbesondere die Bereiche der "Neuen Rechten" anzusehen, die sich in der Tradition der Jungkonservativen, teilweise der Nationalrevolutionäre sehen. Kern des heutigen neurechten Theoriemodells ist der Anspruch, völkische und nationalistische Ordnungsvorstellungen intellektuell und wissenschaftlich zu fundieren und als ernstzunehmendes politisches Alternativmodell präsentieren zu können. Um der neurechten Weltanschauung auch politisch zum Durchbruch zu verhelfen, verfolgen ihre Vertreter einen kulturrevolutionären Ansatz. Es geht darum, als Vorbedingung für eine politische Vorherrschaft erst die kulturelle Vorherrschaft zu gewinnen, um so gesellschaftlich notwendige Rahmenbedingungen für eine Umschichtung politischen Denkmuster zu schaffen. Die eigentliche Bedeutung der "Neuen Rechten" liegt in der Modernisierung und Vervollkommnung von Teilen rechtsextremistischer Ideologie, die einerseits von anderen rechtsextremistischen Bereichen übernommen werden, andererseits in rechtskonservative Kreise ausstrahlen und damit Einfluß auf Bereiche des demokratischen Spektrums gewinnen. Die "Neue Rechte" ist in eine Vielzahl verschiedener geistiger Strömungen und unterschiedlicher Kleinorganisationen, Zirkel, Verlage, Zeitungsprojekte, Autoren und unabhängiger Publikationen zersplittert, die teilweise miteinander kooperieren, streiten oder sich ignorieren. Zu nennen sind u.a. das "Thule-Seminar", das als Ableger der französischen "Neuen Rechten" anzusehen ist, die "Deutsch-Europäische Studiengesellschaft" in enger Zusammenarbeit mit "Synergon Deutschland", der deutschen Sektion der "Europäischen Synergien". Überregionale Zeitungsprojekte, die der "Neuen Rechten " zuzuordnen sind oder in denen Beiträge ihrer Vertreter veröffentlicht werden, sind "Europa Vorn", Nation & Europa", "Junge Freiheit", "Criticon", "Staatsbriefe", "Sleipnir", "DESG-Inform" und "Junges Forum". "Neue Rechte" in Hamburg: In Hamburg sind verschiedene Personen, Zirkel und Organisationen aktiv, die unterschiedlichen Richtungen der "Neuen Rechten" zuzurechnen sind. Große öffentliche Aufmerksamkeit streben sie weder an, noch haben sie diese bisher erreicht. Zu den Institutionen der "Neuen Rechten" in Hamburg zählen der "Hamburger Kreis" und die "Deutsch-Europäische Studiengesellschaft" (DESG). Die DESG arbeitet eng mit "Synergon Deutschland" zusammen, das sich als Arbeitsgruppe der DESG etabliert hat. Hinzu kommt der geistige Mentor des "Deutschen Kollegs", Dr. Reinhold OBERLERCHER. Zwischen diesen Institutionen gibt es sowohl personelle Überschneidungen als auch gegenseitige Ablehnung. -89- Der "Hamburger Kreis" gehörte ursprünglich zu den sog. Leserkreisen der sich als nationalkonservativ verstehenden Wochenzeitung "Junge Freiheit". Im Juni 1996 trennte sich die "Junge Freiheit" von diesen Leserkreisen, weil deren teilweise rechtsextremistische Ausrichtung dem Versuch der Zeitung, sich von solchen Positionen abzusetzen und die Meinungsführerschaft im nationalkonservativen Spektrum zu übernehmen, entgegenstand. Der "Hamburger Kreis" war im August 1995 an der Gründung des unabhängigen Dachverbandes "Konservative Gesprächsund Arbeitskreise" (KGAK) beteiligt. Die diesem Verbund angehörenden Kreise weisen sowohl Berühungspunkte zum rechtsextremistischen wie zum rechtsdemokratischen Spektrum auf. Der "Hamburger Kreis" ist ein kleiner Zirkel mit intellektuellem Anspruch, der sich als ein vornehmlich an neurechten bzw. nationalrevolutionären Ideen und Positionen orientiertes Diskussionsund Veranstaltungsforum versteht. Im Berichtsjahr fanden kaum noch Veranstaltungen mit namhaften Referenten statt. Diese hatten früher (1996 u.a. Robert STEUCKERS, Stefan ULBRICH) auch Interesse in anderen rechtsextremistischen Kreisen erregt. Statt dessen intensivierte der "Hamburger Kreis" seinen Versuch, Einfluß auf die "Unabhängigen Ökologen Deutschlands" (UÖD) - einer rechtsgerichteten ökologischen Organisationen - zu nehmen. Der Landesverband der UÖD besteht fast ausnahmslos aus Mitgliedern des "Hamburger Kreises". Durch die Wahl eines von ihnen in den Bundesvorstand der UÖD konnten sie ihre Einflußmöglichkeiten bei den " Unabhängigen Ökologen " festigen. Politisches Hauptthema innerhalb des Landesverbandes der UÖD ist der in den USA als Teil der neuen spirituellen Ökologie entwickelte "Bioregionalismus", der durch eine ganzheitliche Wahrnehmung der Heimatregion ein neues Bewußtsein für Heimat erreichen will. Mit dem Slogan "Natur-Kultur-Identität", "Grünes Denken ist volkliches Denken und umgekehrt"', warben zwei sowohl im "Hamburger Kreis" als auch in den UÖD aktive Personen für eine Vortragsveranstaltung des Hamburger Landesverbandes der UÖD. Darüber hinaus wurden auch 1997 personelle Verknüpfungen und Kontakte der Mitglieder des "Hamburger Kreises" zu anderen rechtsextremistischen und rechtskonservativen Organisationen festgestellt. Die "Deutsch-Europäische Studiengesellschaft" (DESG) und der mit ihr verbundene "Verlag Deutsch-Europäischer Studien GmbH" sind die einzigen noch existierenden Organisationen der historischen nationalrevolutionären "Neuen Rechten". Die Aktivitäten der DESG beschränkten sich zuletzt weitgehend auf die Herausgabe des Nachrichtenblattes "DESG-Inform" und des Theorieorgans "Junges Forum". Zur Intensivierung der politischen Arbeit und um das Mitgliederpotential zu verbreitern und zu verjüngen, beschlossen die DESG und die 1995 gegründete Organisation -90- "Synergon Deutschland" mit Sitz in Hamburg eine enge Zusammenarbeit. Im April 1997 schloß sich "Synergon Deutschland" als Arbeitsgemeinschaft der DESG an. "Synergon" ist die deutsche Sektion der vom belgischen Rechtsextremisten Robert STEUCKERS gegründeten "Europäischen Synergien". Diese verstehen sich als europaweit agierendes Netzwerk, das bereits Untergliederungen in mehreren europäischen Ländern, auch in Osteuropa, unterhält. Die enge Beziehung der DESG und "Synergon Deutschlands" als "symbiotische Denkgemeinschaft" äußert sich in einer entsprechenden personellen Verflechtung. Die Aktivitäten sind rein theoretischer Natur und beschränken sich auf Kongreßveranstaltungen und die Herausgabe von Theorieorganen. Dr. Reinhold OBERLERCHER ist der geistige Mentor des "Deutschen Kollegs", das sich als Schulungseinrichtung der "nationalen Intelligenz" versteht. Dr. OBERLERCHER, der sich selbst als "völkisch-germanischer Nationalmarxist" bezeichnet und damit seinen politischen Vorlauf als einer der radikalsten Aktivisten des linksextremistischen "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (SDS) Ende der 60er Jahre andeutet, versucht seine sich angemaßte Rolle als führender nationalrevolutionärer Theoretiker zu bestätigen. Er repräsentiert weiterhin die radikalste und kompromißloseste Variante des " revolutionären Nationalismus ", der sich in seinem Fall mit einem aggressiven Antisemitismus und Rassismus paart. Er beabsichtigt, eine wissenschaftlich geschulte "nationale" Intelligenz heranzuziehen, die qualifiziert und stark genug ist, nach dem prognostizierten baldigen Niedergang des westlichen Liberalismus - vor der Machtergreifung einer "neuen deutschen Nationalbewegung" - die Meinungsführerschaft in ideologischen, politischen und ökonomischen Fragen zu übernehmen. Seit 1995 bemüht sich das "Deutsche Kolleg", allerdings bisher mit mäßigem Erfolg, eine bundesweite Schulungsarbeit zu leisten. Schulungsbasis sind in erster Linie die wissenschaftlichen Ausarbeitungen Dr. OBERLERCHERS zu verschiedenen Themen politischer Zukunftsgestaltung. Neben seinen bisherigen Ausarbeitungen, u.a. "700Tage-Programm einer Nationalen Notstandsregierung in Deutschland", "Reichsverfassungsentwurf" sowie den vom "Deutschen Kolleg" didaktisch aufgearbeiteten Kursen zur "Reichsbürgerkunde", "Politischen Ökonomie" und "Rechtsund Staatstheorie " veröffentlichte Dr. OBERLERCHER zu Beginn des Jahres eine weitere Ausarbeitung "Grundkurs Philosophie". Sein "Reichsverfassungsentwurf" war Bestandteil des in der Zeit vom 13.-17.08.97 veranstalteten Sommerkollegs zum Thema "Staatslehre" der "Freien deutschen Sommerakademie" von Kostelec bei Prag. Dr. OBERLERCHER versteht sich offensichtlich als universeller wissenschaftlicher Theoretiker. Er ist in der rechtsextremistischen Szene äußerst umstritten, wobei die Zahl seiner Kritiker die seiner Anhänger bei weitem übersteigt. Insbesondere wird kritisiert, daß seine völlig abgehobenen Theorien keinerlei Bezug zur politischen Praxis haben. Entsprechend wurde seine "Gebrauchsanleitung zur Weltgeschichtsformel" in der "Jungen Freiheit" karikiert. Befürworter von Dr. OBERLERCHERS Strategie -91- verweisen darauf, daß unbedingt ein schlüssiges politisches Konzept und ein alternatives Gesellschaftsmodell für die in absehbarer Zeit in Deutschland erwartete revolutionäre Situation zu erarbeiten sei. Genau dies leiste er. Die Schulungsarbeit des "Deutschen Kollegs" stagniert. Der begrenzte Verbreitungsgrad von Dr. OBERLERCHERS Ausarbeitungen steht in keinem Verhältnis zu seinem ehrgeizigen Anspruch. Auch die lebhafte Diskussion über seine Thesen, die sich u.a. im Thule-Netz vollzog, ist stark rückläufig. 6. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen Neben den bereits erwähnten gibt es eine Vielzahl weiterer rechtsextremistischer Organisationen, Einrichtungen und Bestrebungen. Ende des Jahres hatten die Verfassungsschutzbehörden 63 derartige Objekte mit zusammen etwa 4.300 Mitgliedern erfaßt, die als eingetragene Vereine, als Gesellschaften oder sonstige Interessenvereinigungen ohne besonderen rechtlichen Status auftreten. Es handelt sich um ein Sammelsurium unterschiedlichster Ausrichtungen mit teils regionaler, teils überregionaler Ausdehnung oder Bedeutung. Dazu gehören Kleinstparteien, aber auch Organisationen mit kultureller, traditionspflegender, weltanschaulicher oder heidnisch-germanischer Ausrichtung, Jugendund Studentenorganisationen sowie Rechtshilfevereine. Ihre Aktivitäten beschränken sich zumeist auf interne Veranstaltungen und Seminare sowie die Herausgabe von Propagandamaterialien und Publikationen. Teilweise werden offen revisionistische, rassistische und antisemitische Thesen vertreten. Die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) hat nach Aufgabe ihres Parteienstatus und Umwandlung in einen Verein weiter an Bedeutung verloren. Ihrem Anspruch, Speerspitze der Einigungsbestrebungen für ein nationales Bündnis zu sein, konnte die DLVH zu keinem Zeitpunkt gerecht werden. Um den organisatorischen und personellen Niedergang aufzufangen, strebt die DLVH eine engere Zusammenarbeit mit der größten Kulturvereinigung "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) an mit der Option, beide Organisationen zu vereinigen. Führende Funktionäre der DLVH bringen sich weiter über die Publikation "Nation & Europa " und deren Leserkreise in Gespräche mit französischen und belgischen Rechtsextremisten über eine engere europäische politische Kooperation ein, die auch positive Auswirkungen auf die nationalen Einigungsbestrebungen in Deutschland haben sollen. Diese Aktivitäten haben jedoch keinen direkten Bezug zur DLVH, weil sie auf persönlichen Initiativen einzelner Personen - nicht im Namen oder Auftrag der DLVH - beruhen. -92- Der Hamburger Landesverband der DLVH mit seinen etwa 30 Mitgliedern führte im Berichtszeitraum keine eigenen Aktivitäten mehr durch. Einige wenige Mitglieder beteiligten sich an Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Organisationen. Der im Februar 1998 verbotene "Heide-Heim e.V." mit Sitz in Hamburg (ebenso wie der ohne Bindestrich geschriebene und auch verbotene "Heideheim e.V.", Sitz Buchholz/Niedersachsen) war Betreiber des zur gleichen Zeit vom Innenminister des Landes Niedersachsen geschlossenen Kommunikationsund Veranstaltungszentrums in Hetendorf. Die Geschicke des Hetendorf-Komplexes wurden bis dahin maßgeblich durch den Rechtsextremisten und Hamburger Anwalt Jürgen RIEGER gestaltet. Er war sowohl Vorsitzender des "Heide-Heim e.V." als auch jeweils Vorstandsmitglied der ihn tragenden Vereine: * "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V." (GfbAEV), * "Artgemeinschaft" * "Nordischer Ring" (NR). Die GfbAEV hat ihren Status als eingetragener Verein verloren, da sie ihren Sitz nach Schweden verlegen wollte und Anfang 1997 beim Amtsgericht Norderstedt von Amts wegen abgemeldet wurde, in Schweden jedoch nicht zur Anmeldung gelangte. Die "Artgemeinschaft" ist eine Organisation heidnisch-germanischer Ausrichtung, die GfbAEV und NR sind Träger rassistischen Gedankengutes. In Hetendorf fanden im Berichtsjahr nur noch wenige rechtsextremistische Veranstaltungen statt. Bedeutendste war die 7. Hetendorfer Tagungswoche vom 14. - 22.06.97, die zunächst vom Landkreis Celle verboten worden war. Das OVG Celle hob das Verbot insbesondere wegen fehlerhafter Adressierung der Verbotsverfügung sowie wegen unterlassener Anhörung der veranstaltenden Vereine wieder auf. Der in den Vorjahren bereits rückläufige Trend der Teilnehmerzahlen zeigte sich erneut. Der nachlassende Zuspruch ist auf juristische Auseinandersetzungen sowie auf Gegenaktivitäten eines " Celler Bündnisses gegen die 7. Hetendorfer Tagungswoche " zurückzuführen, das mit mehreren Hundert Teilnehmern die Anfahrt der Tagungsteilnehmer blockierte. Dabei kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen. Laut Verbots Verfügung des niedersächsischen Innenministeriums gegen den "HeideHeim e.V." vom 09.02.98 hat das Finanzgericht Hamburg mit Urteil vom 08.12.97 die Klage des Vereins wegen Versagung der beantragten Körperschaftssteuerermäßigung (Gemeinnützigkeit) für das Jahr 1989 abgewiesen. RIEGER ist weiterhin ein bedeutender Rechtsextremist, der bei anderen Rechtsextremisten auch als Rechtsanwalt hoch angesehen ist. Seine Aktivitäten haben jedoch nachgelassen, seitdem er ein von ihm persönlich betriebenes landwirtschaftliches Gut in Schweden erworben hat. -93- Das im April 1992 in Hamburg gegründete "Deutsche Rechtsbüro" (DRB) fungiert bundesweit als Kontaktund Koordinierungsstelle für juristischen Rat suchende Personen und Organisationen. Der weitverbreiteten Unwissenheit und Unsicherheit in rechtsextremistischen Kreisen, insbesondere über strafrechtliche Zusammenhänge, will das DRB durch Öffentlichkeitsarbeit, Herausgabe von juristischen Ratgebern, Presseerklärungen, Schulungen und Vorträgen sowie Vermittlung kompetenter, "national" eingestellter Rechtsanwälte, die mit dem DRB zusammenarbeiten, begegnen. Neben den bisher vom DRB erstellten "Merklisten" sind 1997 die folgenden Ausgaben neu erschienen: * " Plakate und andere Mittel der politischen Werbung ", * "Pressehetze", * " Landfriedensbruch und ähnliche Straftaten ". Diese "Merklisten" enthalten Informationen über Rechtsmittel und Musterbegründungen zur juristischen Aufklärungsarbeit. Daneben veröffentlicht das DRB neuerdings auch Jahresberichte über die Entwicklung der "Verfassungswirklichkeit" der "nationalen" Deutschen in der Bundesrepublik und die (vermeintlich: für sie nur eingeschränkte) Geltung der Grundrechte. Es werden zur Zeit die Jahresberichte ab 1993 mit dem Titel "Verfassungswirklichkeit 1993" bis "Verfassungswirklichkeit 1996" angeboten. Die primär in Kreisen der "Neuen Rechten" betriebene Intellektualisierung rechtsextremistischen Gedankenguts ist auch bei einigen Burschenschaften festzustellen, die sich von ihrer Geschichte her als politisch motivierte Bünde verstehen und auch politisch aktiv sind. Einzelne Verbindungen innerhalb des Dachverbandes "Deutsche Burschenschaften" (DB), von denen sich ein gemäßigter Flügel Anfang 1996 abgespalten hat, stehen selbst in Burschenschaftskreisen in dem Ruf, rechtsextremistisches Gedankengut zu vertreten. Bei einigen dieser Burschenschaften vereinigen sich rechtsextremistisches Gedankengut sowie studentische Brauchtumspflege und burschenschaftliche Ideale zu insgesamt nationalistisch orientierten Gemeinschaften. Derartige Tendenzen waren auch bei wenigen Hamburger Burschenschaften festzustellen. 7. Internationale Zusammenarbeit Deutsche Rechtsextremisten pflegen auf unterschiedlichen Ebenen und mit unterschiedlichen Zielen Kontakte zu Rechtsextremisten in verschiedenen europäischen Ländern, den USA und Kanada. Sie kooperieren zumeist punktuell - teilweise auch enger - in vielfältiger Ausprägung und Intensität, etwa durch gegenseitige Veranstaltungsbesu-94- che, durch gegenseitige aktive Unterstützung von Aktionen oder durch die Verbreitung in Deutschland strafrelevanter Propagandamittel oder Tonträger aus dem Ausland. Nationalistische Organisationen streben eine europaweite Vernetzung als Gegenpol zu der von Rechtsextremisten abgelehnten Vereinigung Europas nach den Kriterien des Vertrages von Maastricht an. Diese Bestrebungen - speziell Einflußnahmeversuche erfolgreicher ausländischer rechtsextremistischer Organisationen auf Vereinigungsbestrebungen nationalistischer Kräfte in der Bundesrepublik - haben bisher kaum etwas erreicht. Insbesondere der Führer des französischen "Front National" (FN), Le PEN, bemühte sich um eine festere Zusammenarbeit mit deutschen Rechtsextremisten und dem belgischen " Vlaamse Blok". Dabei setzte LE PEN seine intensiven Kontakte zu den deutschen Rechtsextremisten Harald NEUBAUER, Peter DEHOUST und Franz SCHÖNHUBER auf mehreren Treffen und als Veranstaltungsteilnehmer fort. Die genannten drei Deutschen sind in den Einigungsbestrebungen des rechtsextremistischen Lagers führend aktiv. Ihnen fehlt jedoch die nötige organisatorische Basis, um ein Gegengewicht gegen die größten rechtsextremistischen Organisationen DVU und "Republikaner" (REP) zu bilden. Wegen dieser Schwäche kamen auch LE PENs Bemühungen bisher nicht von der Stelle. Die REP, die an ihrem Abgrenzungsbeschluß gegenüber anderen deutschen rechtsextremistischen Organisationen festhalten, zeigten sich nach unmittelbar an sie gerichteten Appellen des FN allenfalls bereit, sich mit ihm bei einem Wiedereinzug ins Europaparlament auf eine gemeinsame Fraktion einzulassen. Auf der Ebene rechtsextremistischer europäischer Jugendorganisationen sind die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) treibende Kraft für Vernetzungsbemühungen. Diesem Zweck diente der bereits traditionelle "Europäische Kongreß der Jugend" am 18.10.97 in Fürth im Wald. Es nahmen 400 - 500 Rechtsextremisten teil, darunter Personen aus acht europäischen Ländern, den USA und Südafrika. Bisher ist es den JN nicht gelungen, mit den beteiligten Organisationen daraus eine kontinuierliche Zusammenarbeit zu entwickeln. Ein reger Austausch und eine enge Zusammenarbeit findet zwischen deutschen, belgischen und holländischen Neonazis - insbesondere aus grenznahen Bereichen - statt. Deutsche Neonazis beteiligten sich vor allem aktiv an Veranstaltungen zu nationalsozialistischen Gedenktagen (z.B. HITLER-Geburtstag 20. April, Marsch auf die Feldherrenhalle 9. November). Anders als in Deutschland, können auf diesen Veranstaltungen in Belgien und Holland offen nationalsozialistische Gesinnungen und einschlägige Symbole gezeigt werden. Anhaltende Kontakte bestehen zur neonazistischen "Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung" (DNSB) sowie zu österreichischen Neonazis. Der Kontaktpflege mit ausländischen Rechtsextremisten dienen auch alljährliche Traditions-/Gedenkveranstaltungen, wie die flämische "Izerbedevaart" im belgischen -95- Diksmuide oder die Feiern anläßlich des Todestages General FRANCOs in Madrid. In Madrid nahmen insbesondere deutsche Neonazis, aber auch Vertreter der NPD und der JN teil. Die Bedeutung der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei Deutschlands/ Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) für die rechtsextremistische Szene in der Bundesrepublik ist in der Vergangenheit wegen der umfangreichen Verbreitung ihrer Propagandamittel deutlich überschätzt worden. Ihr Gründer und Führer LAUCK ist weiterhin in Hamburg inhaftiert, was die Bedeutung der Organisation weiter schwächt. Die Zentrale in den USA bekennt sich offen zur Ideologie des Nationalsozialismus und strebt dessen Restaurierung an. Sie ist zwar weiter aktiv, erreicht aber nicht mehr annähernd die noch unter LAUCKs Führung beobachtete Wirkung. Die deutschsprachige Ausgabe des zentralen Agitationsund Propagandablattes "NSKampfruf", das deutsche und niederländische Neonazis gemeinschaftlich erstellen, erschien nur noch sporadisch, 1997 mit drei Ausgaben. MPFRUF MSOfiPtAÜ Internst W"b SH" Adrkne - h*ü:i'.Wn.alpha Dro'nidap Die NSDAP/AOPropagandaverbreitung ist weiter deutlich zurückgegangen. Anweisungen im "NS-Kampfruf", eine Propagandaoffensive mittels effizienterer VerbreiAbb. 29: "NS-Kampfruf Nr. 119 (1997) tungsmethoden zu starten, blieben bisher wirkungslos. Unverändert gibt es keinerlei Hinweise auf die Existenz eines funktionierenden, zellenartig aufgebauten Verteilernetzes im Bundesgebiet. Die Person LAUCKs fand in der deutschen Neonaziszene wenig Resonanz. Eine vorzeitige Haftentlassung ist nicht absehbar, da das Hanseatische Oberlandesgericht im Februar 1998 eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung abgelehnt hat. Die Möglichkeit, rechtsextremistische Schriften mit (in Deutschland) strafbaren Texten im Ausland zu produzieren und von dort aus verbreiten zu lassen, hat für deutsche Rechtsextremisten erhebliche Bedeutung. Aufgrund der in diesen Ländern liberaleren Gesetzgebung eignen sich dafür speziell die Niederlande, Belgien, Dänemark, Schweden, Großbritannien, die USA und Kanada. Ein hoher Anteil der aus dem Ausland in -96- die Bundesrepublik eingeführten Propaganda enthält revisionistische Texte, deren Verbreitung wieder gewachsen ist. Ende des Jahres wurden zwei auch in größeren Auflagen versandte und z. T. im Internet veröffentlichte Schriften bekannt: Das mit einer Adresse in Großbritannien versehene "National Journal" der "Kampfgemeinschaft gegen antideutsche Politik und für die Wiederherstellung der Menschenrechte in Deutschland" sowie die Broschüre "Antwort auf die Goldhagenund Spielberglügen" des in Belgien ansässigen Herstellers "Vrij Historisch ONDERZOEK". Aktivster Revisionist ist weiterhin der in Kanada ansässige Ernst ZÜNDEL, der zunehmend die weltweiten Verbreitungsmöglichkeiten über das Internet nutzt und darüber neben dem "GermaniaRundbrief" auch Bildund Tonmaterial anbietet. Urnir dbaem Zttl?*an.. keine Ausländerflut Intensive internationale Kontakte und Begegnungen ergeben sich in der Skinheadszene durch keine Kriminalität Auftritte ausländischer Skinbands in der Bundeskeine Arbeitslosigkeit republik, durch gegenseitige grenzüberschreitende Konzertbesuche europäischer Skinheads und HSDAPM den europaweiten Austausch ihrer "Fanzines". BwMU,Liic(ili,HECSSe6VSA Deutsche Skinheads lassen darüber hinaus Tonträger mit strafbaren Inhalten bzw. indizierte Abb. 30: Aus dem Sortiment der Tonträger insbesondere in Skandinavien herstelNSDAP/AO"Mini-Plakate " len. Wichtiger Hersteller und Vertreiber derartiger Skinmusik sowie von Kassetten aufgezeichneter Skinkonzerte und Videos mit Darstellungen der NS-Zeit ist der Musikverlag "NS SS" in Dänemark. 8. Nutzung moderner Kommunikationsmittel Die wachsende Ausbreitung moderner Kommunikationstechnik und die Nutzung ihrer Vorzüge setzt sich auch bei Rechtsextremisten fort. Verstärkte Repressionsmaßnahmen des Staates hatten die Kommunikation sowie die Agitationsund Aktionsfähigkeit der Rechtsextremisten in der Bundesrepublik in den letzten Jahren erheblich beeinträchtigt, ihrer technischen Aufrüstung jedoch einen deutlichen Anschub verliehen. Ist der Nachrichtenverkehr über Mailboxen aus verschiedenen Gründen rückläufig, steigt entgegengesetzt die Bedeutung des Internet steil an. Es vereinigt vom Standpunkt politischer Extremisten aus gesehen mehrere Vorteile: Relativ ungehinderte Kommunikation, hoher Verbreitungsgrad, vor allem aber erschwerte oder gar unmögliche staatliche Überwachungsmaßnahmen sowie die Möglichkeit, strafrechtliche Folgen zu umgehen. -97- Wichtige szeneinterne Kommunikationsmittel sind zudem Infotelefone und Mobiltelefone ('Handies'). Mailboxen: Nach dem Aufbau einer Mailbox (Computer, Modem, Kommunikationssoftware) ist der Betreiber (Systemoperator = SysOp) in der Regel rund um die Uhr über das öffentliche Fernsprechnetz erreichbar. Die am Datenaustausch teilnehmenden sog. User können jederzeit aus ihrer Box Informationen abrufen oder umgekehrt auch einstellen. Wer sich als User an einer Mailbox beteiligen will, muß sich als Benutzer beim SysOp registrieren lassen. Neben dem üblichen Paßwortschutz sind die Zugangsberechtigungen zu den Datenbeständen der Mailbox durch Zugriffsebenen unterschiedlicher Reichweite (Gast, User, Aktivist, SysOp) geregelt, denen jeder Teilnehmer vom SysOp seinen Aktivitäten entsprechend zugeteilt wird. Nur wer aktiv in die Mailboxkommunikation einsteigt, erhält erweiterte Datenzugriffe. Als z. Zt. optimalen Schutz vor unerlaubtem Mitlesen durch politische Gegner (z.B. Linksextremisten) und Sicherheitsbehörden nutzen auch Rechtsextremisten das digitale Verschlüsselungsprogramm "Pretty Good Privacy" (PGP). Im März 1993 war die Mailbox Widerstand in Erlangen gestartet, um ein "Netz für nationale Datenfernübertragung" (DFÜ) zu errichten. Diesem Netz hatte sich die Phantom-Mailbox angeschlossen. Als Geburtsstunde des Thule-Netzes gilt der erste Nachrichtenaustausch dieser beiden Mailboxen am 20.03.93. In den folgenden Jahren gehörten dem Thule-Netz etwa 30 verschiedene Boxen an. Einige sind inzwischen ausgeschieden, u.a. wegen Meinungsstreitigkeiten zwischen den Betreibern (SysOps) oder vor dem Hintergrund von Strafverfahren gegen einzelne Betreiber. Zum Thule-Netz gehörten Ende des Jahres 10 Mailboxen - davon 3 ausländische. Davon sind aber einige zur Zeit außer Betrieb, so daß sich nur noch wenige Boxen aktiv am täglichen Nachrichtenaufkommen beteiligen. Auch die Mailbox Widerstand hat ihren Betrieb nach Ablauf des Berichtsjahres eingestellt. Regionaler Schwerpunkt deutscher Mailboxen ist Süddeutschland. Die Themenpalette im Mailboxverkehr erstreckt sich von speziellen Fragen zur Computertechnologie bis hin zu politischen Inhalten.Dabei wird auf die gesamte Bandbreite der allgemeinen und auch rechtsextremistischen Publizistik zurückgegriffen. Vielfach verbreiten die Nutzer (User) über das Thule-Netz Termine der deutschen rechtsextremistischen Szene (Skinheadkonzerte, Demonstrationen, Parteiveranstaltungen u.a.). Darüberhinaus bestehen Informations-ßreffer über rechtsextremistische Organisationen (REP, NPD, DLVH, DVU). Die Bretter werden nicht von den jeweiligen Parteien selbst beschickt, sondern enthalten von anderen beigesteuerte Nachrichten über die Organisationen. Die SysOps kontrollieren aufmerksam, daß keine Beiträge von Usern eingespielt werden, die den Tatbestand der Volksverhetzung, Aufstachelung zum Rassenhaß, Beleidigung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Kennzeichen erfüllen. Andernfalls könnten sie u.U. selbst - nicht die unter Pseudonymen schreibenden User - -98- staatlicherseits zur Verantwortung gezogen werden. Bisher ist es im Bundesgebiet zu vier Durchsuchungsmaßnahmen gegen SysOps wegen entsprechender Verstöße gekommen. Die Verbreitung strafrechtlich relevanter Informationen im Thule-Netz ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. Nach zahlreichen Verboten von Organisationen und Auflösungen diverser Gruppierungen bemüht sich die rechtsextremistische Szene um eine Vernetzung in unstrukturierten Aktionsbündnissen. Die Idee, sich dabei des Thule-Netzes als Kommunikationsbasis zu bedienen, hat sich nicht durchgesetzt. Im Januar 1997 schloß sich als jüngste Mailbox die Asgard.BBS dem Thule-Netz an. Nach Auseinandersetzungen innerhalb des Thule-Netzes wurden Asgard.BBS und Elias.BBS am 05.03.97 ausgeschlossen. Die Ausgeschlossenen gründeten zusammen mit einer dritten Mailbox das "Nordland-Netz"Nach einer anschließenden zaghaften Annäherung beider Netze kam es Ende 1997 zum vermutlich endgültigen Bruch. Sowohl unter den angeschlossenen Boxen als auch bei den Usern herrscht eine hohe Fluktuation. Der Verbund bietet zwar den Vorteil, organisationsübergreifend Informationen austauschen und allgemein interessierende Themen breit diskutieren zu können. Dabei zeigt sich jedoch, daß die unter den verschiedenen rechtsextremistischen Spektren herrschenden Rivalitäten und Unstimmigkeiten sich über die Mailboxen nahtlos fortsetzen und zu Ausgrenzungen und Austritten aus dem Verbund führen. Dadurch hat die Beteiligung - bei gleichzeitigem erheblichen Niveauabfall - stark nachgelassen. Internet: Einen steilen Bedeutungsanstieg in der rechtsextremistischen Szene verzeichnet das globale Computernetzwerk Internet. In den letzten Jahren hat sich das Angebot der Homepages im World-Wide-Web (WWW) rasant ausgeweitet. Das Internet bietet Vorteile durch seinen hohen Nachrichtenverbreitungsgrad jflfem; und durch seine Einstiegsvielfalt: Durch die Einschaltung im Ausland ansässiger Brettanbieter tt% %ämcfm (Provider) ist eine Verfolgung strafbarer Inhalte im Inland kaum möglich. r Wetter ! Zunächst hatten vor allem im Ausland lebende Rechtsextremisten ihre Propaganda ins Internet Abb. 31 : Aus der deutschsprachigen Homepage eingestellt. Inzwischen haben sich "InterNet Waffen SS" (erreichbar über einen kaauch die in Deutschland lebenden nadischen Server) Rechtsextremisten das Internet zunehmend erschlossen und nutzbar * gemacht. Automatische Verknüpfungen ( inks) ermöglichen gegenseitige -99- Zugriffe auf Internet-Seiten rechtsextremistischer Organisationen. Deutsche Rechtsextremisten können sich dadurch schnell und problemlos mit Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen versorgen, deren Verbreitung in Deutschland strafbar ist. Sie selbst können Beiträge ins Internet einstellen, mit denen sie strafbare Inhalte verbreiten. Wegen des verstärkten Angebots rechtsextremistischer Propaganda im Internet sind wiederholt auch die mitwirkenden Provider kritisiert worden. Mehrfach haben deswegen Provider auch bereits Homepages mit rechtsextremistischen Inhalten gesperrt. Mit Selbstbeschränkungen hat "America Online" (AOL) als erster Internet-Anbieter Konsequenzen aus der Forderung gezogen, in den frei zugänglichen Computernetzen freiwillige Selbstkontrollen der Provider hinsichtlich rechtsextremistischer Inhalte einzuführen. Neben Neonazis haben auch rechtsextremistische Parteien zunehmend die Bedeutung der neuen Medien und Informationstechniken erkannt. So sind die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), "Die Republikaner" (REP) und die "Deutsche Volksunion" (DVU) mit eigenen Homepages im Internet vertreten. Seit Anfang 1997 bietet sich der NPD-Bundesvorstand auch als Provider für andere Abb. 32: Homepage der "InterNet Waffen SS" m. d. rechtsextremistische OrganiAnmerkung.: "Achtung! Für linkes Pack und farbigen sationen an. Damit kann die Abschaum ist der Zutritt strengstens verboten". Selbstbeschränkung der gewerblichen Provider umgangen werden. Die Staatsanwaltschaft Augsburg ermittelte gegen den Betreiber der NPD-Homepage "Aufbruch " wegen des Verdachtes des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Betreiber stellte über einen Link auf seiner Homepage eine Verbindung zu der amerikanischen Homepage "Stormfront" her, auf der u.a. Hakenkreuze und SS-Runen abgerufen werden konnten. Die Homepage "Stormfront" wird von dem Rechtsextremisten Don BLACK betrieben und enthält zahlreiche Kennzeichen nationalsozialistischer Organisationen. Neben einer eigenen Homepage im Internet und der Mitarbeit im "Nordland-Netz" hat das rechtsextremistische Zeitungsprojekt "Berlin-Brandenburger Zeitung" (BBZ) auch - 100- innerhalb des Thule-Netzes ein Informationsbrett eingerichtet. In einem "Aufruf an alle Aktivisten " forderte der BBZ-Chefredakteur Christian WENDT eine umfassende Vernetzung aller "nationalen Medien". Seit Juli 1996 ist auch das Thule-Netz im internationalen Datenverbund Internet präsent. Die "Nationalen Info-Telefone" (NIT) haben sich im rechtsextremistischen Bereich zu einer weiteren wichtigen Kommunikationsund Informationsschiene entwickelt. Ende 1997 waren noch die NIT Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Berlin-Brandenburg, Preußen, Mitteldeutschland und Rheinland in Betrieb. Ihre Ansagetexte sind zum Teil mit identischen Grundinformationen versehen und werden durch regional-spezifische Informationen ergänzt, so daß von einer teilweisen Vernetzung der NIT ausgegangen werden kann. Sie dienen der Informationsbündelung und der aktuellen Koordinierung von Veranstaltungen. Auch die NIT-Betreiber achten darauf, in ihren Ansagetexten zwar klar erkennbare rechtsextremistische Botschaften zu verpacken, sie aber möglichst ohne Angriffsflächen für strafrechtliche Verfolgungen zu formulieren. -IOI- III. Linksextremismus 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 1.1 Themen und Aktivitäten Mit zunehmendem zeitlichen Abstand verliert das Scheitern der Sowjetunion, der DDR und der anderen ehemals sowjetisch beeinflußten staatskommunistischen Länder für die linksextremistische Szene in Deutschland an Bedeutung. Waren am Anfang in allen linksextremistischen Teilbereichen noch Demotivation und Orientierungslosigkeit über die historische Niederlage des Marxismus-Leninismus zu verzeichnen, hat sich dies nicht zuletzt aufgrund eines "Generationenwechsels" verändert. Bei den jüngeren Linksextremisten - insbesondere im Bereich der ohnehin nicht dogmatisch fixierten Autonomen - hat die aufgelöste sozialistische Staatengemeinschaft nur noch geschichtlichen Wert. Über die Gründe des Scheiterns wird nur noch am Rande diskutiert. Den außerhalb dogmatischer Organisationen stehenden Linksextremisten schwebt weniger eine "Diktatur des Proletariats", sondern eher totale Herrschaftsfreiheit - die Anarchie - vor ("Keine Macht für niemand!"). 1997 wurde die linksextremistische Szene überwiegend von den gleichen Themen wie im Vorjahr bewegt. Ein Schwerpunkt insbesondere der autonomen und anarchistischen Szene ist weiterhin der "antifaschistische Kampf" gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten. Antifaschistisches Engagement in seiner eigentlichen Bedeutung ist nicht Beobachtungsgegenstand des Verfassungsschutzes. Linksextremisten definieren ihren "Antifaschismus" aber mit anderen Inhalten. So zielt "Antifaschismus" im orthodox-kommunistischen Sprachverständnis letztlich darauf ab, eine sozialistische Gesellschaftsordnung im Sinne kommunistischer Idelogie zu erreichen. Linksextremisten nutzen die Wörter Faschismus und Antifaschismus als Kampfbegriffe und dehnen sie auch auf Konservative und Demokraten aus, wenn sich diese antikommunistisch äußern oder linksextremistische Standpunkte ablehnen. Linksextremistische Faschismustheorien gehen davon aus, daß letztlich die kapitalistische Produktionsweise Ursache für faschistische (i.S. rechtsextremistische) Bestrebungen ist. Daher propagieren insbesondere "autonome Antifaschisten" (im eigenen Sprachgebrauch: "Antifas"), daß sich der "antifaschistische Kampf" gegen das System (den Staat) als Verursacher und Unterstützer rechtsextremistischer Erscheinungsformen zu richten habe. Gerade die "Antifas" rechtfertigen Gewalttaten gern als "antifaschistischen Kampf" oder "Widerstand". In der linksextremistischen Szene besteht weitestgehender Konsens in der Überzeugung, daß gegen tatsächliche oder vermeintliche Strukturen "faschistischer" Ausprägung Gewalt gerechtfertigt ist. So sind zahlreiche Gewalttaten auch 1997 mit "antifaschistischer" Zielrichtung verübt worden. -102- Ein ähnliches Begründungsschema ist im Aufgreifen der Asylund Ausländerproblematik vorzufinden, die einen weiteren Schwerpunkt linksextremistischer Agitation bildete. Dieser Komplex wird von Linksextremisten gern mit dem "Antifaschismus" verknüpft. Linksextremisten behaupten, daß auch der angeblich staatlicherseits und in der Gesellschaft vorhandene "Rassismus" u.a. auf die "kapitalistische Produktionsweise" zurückzuführen sei. Politiker, Verwaltung und Justiz, die mit Ausländerangelegenheiten befaßt sind, werden oftmals als "Schreibtischtäter" und "Rassisten" verunglimpft. Ursachen für Flüchtlingsbewegungen und damit für die Anwesenheit von Asylbewerbern in Deutschland - wie soziale Not oder Bürgerkriege in der Dritten Welt - werden auf die angeblich "imperialistische Ausbeutung" der Entwicklungsländer durch die Industrienationen zurückgeführt. Insofern habe sich auch der "antirassistische " Kampf gegen den daran beteiligten deutschen Staat und die bestehende "kapitalistische" Gesellschaftsordnung zu richten, die sich in Krisenzeiten angeblich mit "faschistischen " Methoden um ihre Herrschaftssicherung bemühe. Ein dritter Schwerpunkt linksextremistischer Kampagnen war auch 1997 der Kampf ("Widerstand") gegen die atomare Energiegewinnung. Linksextremisten - wiederum primär aus dem autonomen Spektrum - versuchten, den auch von Personen des demokratischen Spektrums getragenen Protest gegen die Kernenergie zu instrumentalisieren und militant zuzuspitzen. Der bereits 1996 erkennbare Trend zu einer neuen Radikalisierung hat sich insofern fortgesetzt. Autonome klinkten sich insbesondere in Aktionen gegen Transporte abgebrannter Brennelemente (Castortransporte) ein. In vielen Publikationen wurde die Strategie propagiert, den Preis ("Kosten des Systems") derartiger Transporte in eine für Staat und Wirtschaft nicht mehr zu verkraftende Höhe zu treiben. Letztlich wird aber auch auf diesem Themenfeld klar, daß der Kampf gegen die Kernenergie für Autonome tatsäch"Es geht uns eben nicht nur um die Beseitigung lieh ein Kampf gegen die beder Atomtechnologie, sondern wir kämpfen gegen stehende Gesellschaftsordnung Atomtechnologie als ein Erscheinungsbild dieser ist. menschenverachtenden Verhältnisse und für eine Gesellschaft, in der der Mensch im Mittelpunkt Bemerkenswert erscheint, daß steht. " sich insbesondere das gewaltbereite Potential der Kern(Beitrag von "jungen Leuten aus dem autonomen kraftgegner aus zum Teil sehr Spektrum", "Interim" Nr. 412 vom 12.03.97). jungen Menschen zusammenHervorhebung im Original. setzt. Wie beim "Antifaschismus" herrscht auch hinsichtlich des Kampfes gegen die Kernenergie unter Linksextremisten ein breiter Konsens, daß Militanz ein "legitimes" Mittel politischer Auseinandersetzungen sei. Dabei werden Sachbeschädigungen, wie das Zersägen von Schienen, das Unterhöhlen von Gleiskörpern und Sabotageakte an Bahnoberleitungen nicht als Gewalt betrachtet. Heftig umstritten ist die Frage, ob sich Gewalt z.B. auch gegen Menschen (Polizisten) richten dürfe. Dieser nicht gelöste Streit im linksextremistischen Spektrum hindert die Wider- - 103- Standspotentiale aber nicht daran, immer wieder Bündnisse miteinander einzugehen bzw. sich gegenseitig zu tolerieren. Erst seit kurzem beschäftigen sich auch größere Teile der linksextremistischen Szene außerhalb des orthodox-kommunistischen Spektrums mit sozialpolitischen Themen, insbesondere der Arbeitslosigkeit. Während aus autonomen Zusammenhängen in anderen Bundesländern bereits Anschläge mit diesbezüglichen Tatbegründungen verübt wurden, befaßten sich Hamburger Linksextremisten bisher nur am Rande mit diesem Aspekt. Es ist allerdings damit zu rechnen, daß angesichts der anhaltenden Massenarbeitslosigkeit dieses Thema auch hier zunehmend aufgegriffen wird. Mit der rapide steigenden praktischen Nutzung der Gentechnik hat dieses Thema zwar für Linksextremisten wachsende Bedeutung, die daran anknüpfende Agitation - die sich in anderen Bundesländern bereits " Gentechnik unter korporativer Kontrolle in Sachbeschädigungen niedergeist ein totalitäres System, das zu einer Art schlagen hat - hat in Hamburg aber Technofaschismus führt ". noch keinen größeren Umfang erreicht. Dies mag insbesondere dar(Graswurzelrevolution Nr. 218, April 1997) an liegen, daß es auf hamburgischem Gebiet noch keine Freisetzungsversuche mit genmanipulierten Pflanzen gegeben hat. Aktuelle Tendenzen deuten darauf hin, daß sich Linksextremisten - insbesondere Anarchisten - 1998 verstärkt dieses Themas annehmen werden. Mit Analogien zur extremistischen Instrumentalisierung der Antikernkraftbewegung bei gleichzeitiger Überschneidung der handelnden Spektren ist zu rechnen. Der Widerstand gegen Stadtteilentwicklung/Umstrukturierung bzw. Proteste gegen angeblichen Vertreibungsdruck, Immobilienspekulantentum und "Yuppisierung" in Wohnvierteln berührten 1997 insbesondere die weitere Nutzung des ehemaligen Wasserturms an der Sternschanze, aber auch die Ablehnung polizeilicher Drogenbekämpfungsmaßnahmen im Schanzenviertel. Insgesamt war 1997 in Hamburg zu beobachten, daß die verschiedenen Spektren des Linksextremismus sowohl in der Themensetzung als auch aktionsbezogen vermehrt zusammenarbeiten. Die früher ausgeprägten Berührungsängste z.B. zwischen dem orthodox-kommunistischen Lager und den Autonomen scheinen weiter zu verschwinden. Ideologische Differenzen verlieren sichtbar an Bedeutung. Bei den zum Teil sehr jungen Autonomen und Anarchisten werden ideologische Debatten älterer Szeneangehöriger oftmals nur noch belächelt. Für sie zählt eher der "Kampf auf der Straße" mit der Folge, daß geplante Aktionen und Gewalttaten zuvor auch nicht mehr so gründlich ideologisch hinterfragt bzw. "abgewogen" wurden, wie in früheren Jahren. - 104- 1.2 Organisationen und Potentiale 1997 gliederten sich linksextremistische Organisationen und Vereinigungen bundesweit in 43 Parteien/Fraktionen und sonstige Kernund Nebenorganisationen (1996: 47). Die Zahl ihrer Mitglieder bzw. Angehörigen belief sich auf ca. 27.800 (1996: 28.900). Dieser Zahl sind noch ca. 7.000 "Gewaltbereite Linksextremisten" (Autonome, Anarchisten, Antiimperialistischer Widerstand (AIW)) hinzuzurechnen (1996: ebenfalls etwa 7.000). In den Bundeszahlen sind etwa 2.500 Mitglieder der "Kommunistischen Plattform " (KPF) der PDS enthalten (nur in einigen Ländern Beobachtungsobjekt, nicht in Hamburg). Bundesweit stufen die Verfassungsschutzbehörden somit insgesamt 34.800 (1996: 35.900) Personen als Linksextremisten ein. ^^^ 1997 34800 1996 _ 35900 _ P 1995 35500 _ P Bundesweite 1994 . 34100 linksextremistische zzzzz Mitglieder-/ 1993 34300 Anhängerpotentiale 1992 33300 _ Jß seit 1986 1991 26600 J 1990 29800 1989 38700 1988 50600 1987 52900 P 1986 '55100 5 10000 20000 30000 40000 50000 60000 -105- Betrachtet man die mittelfristige Entwicklung der letzten Jahre, bleibt festzuhalten, daß sich das linksextremistische Mitglieder-/Aktivistenpotential in der Bundesrepublik seit 1992 zahlenmäßig stabilisiert zeigt, nachdem es von 1989 bis 1991 zu einem massiven Einbruch gekommen war. Es ist den Linksextremisten allerdings nicht gelungen, ihre Stagnation der letzten Jahre zu durchbrechen. Der Einbruch der Mitgliederzahlen bis 1991 resultierte wesentlich aus der politischen "Wende" in der ehemaligen DDR und dem Ende der "sozialistischen Staatengemeinschaft" - insbesondere der Sowjetunion. Vorboten dieser Entwicklung hatten sich schon vor 1989 mit massiven Zerrüttungserscheinungen im Organisationsgefüge der DKP angekündigt. Die absolute Zahl der in Hamburg ansässigen Linksextremisten (ca. 1.440) hat sich gegenüber 1996 (ca. 1.450) kaum verändert. 1997 [ 1.440 ^ p r Hamburg: ^ (tm) "" jg^ linksextremistische 1996 1 1450 * Mitglieder-/ Anhängerpotentiale 1995 1 1355 _* seit 1987 1994 1 1220 1993 1 1250 ^ IJJU IjpP 1992 1 * A 1991 1 I9yu zP 1990 1 3500 _ J 1989 1 3600 ^ p il 1988 1 4700 ^p i-*^l 1987 r 4400 ~Js s 0 500 1000 1500 2000 2500 3000 3500 4000 4500 5000 - 106- Allerdings sind in Hamburg einige bemerkenswerte Umschichtungen und Gewichtsverschiebungen zu beobachten. Ferner ist bei der Bewertung der Zahlenübersicht zu berücksichtigen, daß 1997 (wie schon 1996) insbesondere im autonomen Spektrum zahlreiche junge Interessenten - zumeist im Schüleralter - erstmalig auftauchten, die sich an Aktionen unter Dominanz bekannter Autonomer beteiligten und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch deren politische Ziele teilen. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob sich dieses Nachwuchspotential tatsächlich dem autonomen Spektrum dauerhaft einfügt oder sich lediglich aus Neugierde oder partieller Interessengleichheit - z.B. aus gemeinsamer Ablehnung der Kernenergie - autonomen Bestrebungen nur sporadisch angeschlossen hat. Diese Personen sind in der angegebenen Gesamtsumme Hamburger Linksextremisten nicht enthalten. Wenngleich die Gesamtzahl Hamburger Linksextremisten statistisch fast konstant blieb, ist ein Trend zugunsten des wachsenden gewaltbereiten Potentials erkennbar. Das unter der Sammelbezeichnung "Autonome und Antiimperialistischer Widerstand" zusammengefaßte gewaltbereite linksextremistische Spektrum blieb in Hamburg mit 700 Personen (1996: 680) nahezu konstant. Trotz dieser Zahlenstabilität hat sich seine Zusammensetzung verändert. Das Teilspektrum "Antiimperialistischer Widerstand" (AIW, Synonym für das frühere terroristische Umfeld) verlor ca. 50 Personen. Dies ist u.a. auf die Inaktivität der nur noch formal existierenden "Rote Armee Fraktion" (RAF) zurückzuführen. Zahlreiche ehemalige RAF-Sympathisanten haben sich aus der politischen Arbeit zurückgezogen. Dafür stieg das autonome Potential (1996: 400) um annähernd die gleiche Anzahl. Bei den Zugängen handelt es sich um überwiegend sehr junge, aber gleichfalls äußerst gewaltbereite Personen. Sie engagierten sich auf den Themenfeldern "Antifaschismus", "Stadtteilentwicklung" und in der Antikernkraft-Bewegung. Als zweiter zahlenmäßiger Schwerpunkt innerhalb der linksextremistischen Szene Hamburgs folgt dem vorgenannten gewaltbereiten Potential die orthodox-kommunistisch ausgerichtete "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) mit nach wie vor über 400 Mitgliedern. Sonstige in Hamburg lebende Linksextremisten verteilen sich auf zahlreiche Kleinund Kleinstgruppen, die - abgesehen von der Marxistischen Gruppe (MG) - hinsichtlich ihrer Personenzahlen im einzelnen eher unbedeutend sind. Auch 1998 dürfte sich ein Anstieg besonderes im autonomen Spektrum bemerkbar machen. 1.3 Beteiligung an Wahlen Anläßlich der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am 21.09.1997 hat sich keine der hier vom Verfassungsschutz beobachteten linksextremistischen Organisationen im Rahmen einer unabhängigen Eigenkandidatur auf Landesebene dem Wählervotum gestellt. Als einzige überhaupt angetretene linksextremistische Organisation beteiligte sich die DKP -107- mit 2 Kandidaten auf der 10-köpfigen "offenen" Liste der "PDS/Linke Liste" zur Bürgerschaft auf den Plätzen 4 und 10. Auf diese Liste entfielen 5.354 Stimmen (0,7 %). Darüber hinaus beteiligten sich von der DKP nominierte Kandidaten an den PDS-Listen zu den Bezirksversammlungen Hamburg-Mitte (1.318 Stimmen = 1,5 %) und Wandsbek (1.254 Stimmen = 0,6 %). Lediglich in den Bezirken Eimsbüttel und Hamburg-Nord präsentierte sich die DKP mit eigenen Listen, die 6 bzw. 4 Kandidaten umfaßten. Auf diese Listen entfielen 586 Stimmen = 0,5 % bzw. 714 Stimmen = 0,5 %. Ein öffentliches Wahldiskussionspapier hatte die DKP mit der Aussage "Hamburg - Stadt der Klassengegensätze" betitelt. Im einleitenden Vorwort an die "lieben Hamburgerinnen und Hamburger" bezog sich die Partei auf den "Erfahrungsschatz aller Hamburger Kommunistinnen und Kommunisten":, der die Diskussion um künftige Politik "bereichern" sollte. In der Broschüre ergriff die DKP u.a. Partei für "die sofortige Beendigung aller Angriffe auf Isaac Velazco und andere hier lebende Repräsentantinnen und Repäsentanten der MRTA ". Bei VELAZCO handelt es sich um den in Hamburg lebenden "Europasprecher" der peruanischen Guerillaorganisation MRTA ("Tüpac Amaru), die um die Jahreswende 1996/97 für die wochenlange Geiselnahmeaktion in der japanischen Botschaft von Lima/Peru verantwortlich war. Die zur Bürgerschaftswahl nur auf dem Ticket einer anderen Partei mitkandidierende DKP hat schon durch ihr wahltaktisches Verhalten, im übrigen durch ihre Erfolglosigkeit ein Schlaglicht auf die derzeitige wahlpolitische Bedeutungslosigkeit des Linksextremismus in Hamburg geworfen. Ihr Kalkül, von sozialen und wirtschaftlichen Problemen sowie von einer Zuspitzung der linksextremistischen Kampagne gegen angeblichen staatlichen Rassismus und gegen einen angeblich unter dem Vorwand innerer Sicherheit (Stichwort: "Law and Order") betriebenen "Demokratieabbau" profitieren zu können, hat sich nicht erfüllt. Mit Blick auf die Bundestagswahl am 27.09.1998 veröffentlichte das DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) am 26.09.97 ein vom Parteivorstand verfaßtes Papier "Die DKP und die Bundestagswahl 1998". Darin stellte die Partei fest, die nächsten Bundestagswahlen fänden unter für die "Linke" günstigen Umständen statt. Ein revolutionärer Bruch mit dem Kapitalismus sei notwendig. Der PDS wurde vorgeworfen, entgegen politischer Notwendigkeit DKP-Mitglieder künftig von einer Kandidatur auf ihren Listen ausgrenzen zu wollen und damit positive Erfahrungen der Zusammenarbeit zu ignorieren. Mitglieder der DKP seien bereit, auf offenen Listen der PDS zu kandidieren oder sich in Absprache mit örtlichen Gliederungen der PDS als Direktkandidaten für die PDS zu bewerben. Definitiv hat bereits im September 1997 die trotzkistische "Partei für Soziale Gleichheit" (PSG) - vormals "Bund Sozialistischer Arbeiter" (BSA) - ihre Kandidatur zur Bundestagswahl 1998 angekündigt. Die PSG bezeichnet sich als deutsche Sektion der 1938 von Leo TROTZKI gegründeten "Vierten Internationale". In ihrer Parteizeitung "Neue Arbeiterpresse" Nr. 865 vom 11.09.97 (erscheint inzwischen als Monatsmaga- - 108- zin "Gleichheit") teilte sie mit, in 7 Bundesländern (nicht in Hamburg) Landeslisten aufstellen zu wollen. Die nur etwa 200 Mitglieder zählende Organisation hatte 1989 und 1994 - seinerzeit noch als BS A - bei den Europawahlen kandidiert. Sie war damals bundesweit und in Hamburg jeweils mit 0,0 % - Ergebnissen total gescheitert. Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) teilte in ihrem Zentralorgan "Rote Fahne" (Nr. 7/98 v. 13.02.98) mit, sich an der Bundestagswahl 1998 mit Landeslisten in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin und Nordrhein-Westfalen beteiligen zu wollen. In den übrigen Bundesländern sei die Aufstellung einzelner oder mehrerer Direktkandidaten vorgesehen. 2. Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik Vorbemerkung: Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Aus Gründen der Vergleichbarkeit wurde auch bei den Angaben für 1996 auf Zahlen des BKA zurückgegriffen. Letztere weichen jedoch wegen veränderter Erfassungskriterien von den im vorjährigen Hamburger Verfassungsschutzbericht veröffentlichten Zahlen ab. Die für Hamburg dargestellten Gewalttatenzahlen der Jahre vor 1996 (Säulendiagramm auf der folgenden Seite) sind lediglich zur Orientierung über die Entwicklungsrichtung von 1992 - 1995 aufgeführt und für absolute Vergleiche ungeeignet. Gewalttaten und sonstige Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund (Bundesebene, BKA-Zahlenstand 27.01.98) Gewalttaten: 1996 1997 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 0 Körperverletzungen 114 165 Brandstiftungen 60 77 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion | 5 1 Landfriedensbruch 230 299 Gefährl. Eingriffe Bahn-, Luft-, Schiffs-, Straßenverkehr | 237 154 Widerstandsdelikte 68 137 gesamt | 716 833 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen | 973 1.090 Nötigung/Bedrohung 269 93 Andere Straftaten | 577 1.063 gesamt 1.819 2.246 Straftaten insgesamt: 2.535 3.079 -109- Die größte Anzahl der 1997 festgestellten 833 Gewalttaten (1996: 716) ist Angehörigen des autonomen und anarchistischen Spektrums zuzuordnen. In Hamburg stieg die Zahl der Gewalttaten mit 19 ebenfalls deutlich an (1996: 8). Insgesamt gingen bundesweit 130 (1996: 69) Gewalttaten vom "antifaschistisch" bewegten Spektrum aus. Sie richteten sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Personen und Objekte der rechtsextremistischen Szene. In Hamburg kam es im Zusammenhang mit zwei "antifaschistischen" Demonstrationen zu Körperverletzungen (u.a. durch Steinwürfe anläßlich der Anti-DVU-Demonstration am 03.12.97, mehrere verletzte Polizeibeamte), Landfriedensbrüchen, Sachbeschädigungen und Diebstahlsdelikten. Allerdings enthielten Selbstbezichtigungen zu in Hamburg verübten Taten mit anderen Hauptzielrichtungen jeweils auch "antifaschistische" Begründungselemente. Da sich die meisten Autonomen in erster Linie als "Antifas" definieren, läge die Annahme nahe, daß in diesem Sektor auch das Hauptbetätigungsfeld von Gewalttätern zu finden ist. Demgegenüber richtete sich die "autonome" Gewaltbereitschaft jedoch weit überwiegend auf andere Themenfelder, so daß die Statistik nur eine relativ geringe Zahl primär "antifaschistisch" motivierter Straftaten ausweist. Gut 25 % (1996: über 32 %) aller von Linksextremisten begangenen Gewalttaten wurden wiederum im Zusammenhang mit dem "Kampf" gegen die Kernenergienutzung registriert. Gab es bundesweit hierzu 1996 noch 233 Aktionen, so verminderte sich diese Zahl 1997 auf 213. -110- Gewalttaten (Bundesebene) Anti-Castor-Kampagne: 1996 1997 Tötungsdelikte 1 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 1 9 8 Brandstiftungen 8 8 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 1 Landfriedensbruch 29 65 Gefährl. Eingriffe Bahn-, Luft-, Schiffs-, Straßenverkehr 1 164 114 Widerstandsdelikte 22 17 gesamt 233 213 Hamburger Autonome und Anarchisten waren auch an auswärtigen Aktionen beteiligt, in Hamburg führten sie 5 gewalttätige Aktionen und 3 unter anschlagsähnlichen Umständen verübte Sachbeschädigungen im Anti-Castor-Zusammenhang durch. Den größten Schaden (mehrere hunderttausend DM) richteten autonome Kernkraftgegner am 11.04.97 mit einem Brandanschlag auf ein HEW-Abspannwerk in Hamburg-Moorburg an. Weitere thematische Schwerpunkte für Gewaltverhalten in Hamburg waren der Widerstand gegen Stadtteilentwicklung/Umstrukturierung und die sog. "Antirassismus "- Kampagne. Die Tatsache, daß die Drogendealerszene zu einem erheblichen Teil von nicht deutschen Personen beeinflußt wird und sich auf bestimmte Szeneviertel konzentriert, hat sich in polizeilichen Bekämpfungsmaßnahmen niedergeschlagen. In den Aktionsbegründungen von Linksextremisten in den Szenevierteln führte dieses 1997 wiederholt dazu, daß die Urheber Aspekte des "Stadtteilwiderstandes" und der "Antirassismus "-Kampagne miteinander verknüpften. In diesem Zusammenhang begingen Täter aus dem autonomen und anarchistischen Spektrum bei mehreren Anlässen Gewalttaten. Sie gipfelten in einem Brandanschlag auf den "Revier-vor-Ort"-Bus der Hamburger Polizei am 06.10.97 im Schanzenviertel, der u.a. generell mit den Lebensbedingungen in diesem Stadtteil, speziell mit der angeblich "rassistischen" Verfolgung ausländischer Drogendealer, begründet wurde. Sowohl am 1. Mai als auch am 14./15.05.97 verübten jeweils etwa 30 Autonome im Schanzenviertel schwere Landfriedensbrüche nebst weiteren Straftaten. Die versuchte Brandstiftung am Altonaer Einkaufszentrum Mercado in der Silvesternacht 1997 wird in die Jahresstatistik 1998 einfließen. Bei den politisch-extremistisch motivierten Gewalttaten in Hamburg sind zum Teil sehr junge Täter aufgefallen. Während ältere Autonome bei Gewalttaten eher eine genaue Planung und "Vermitelbarkeit" beachten, steht für die jungen Gewalttäter stärker der "Lustfaktor" bei spontanen Aktionen im Vordergrund. Der Generationsumbruch in der gewaltbereiten linksextremistischen Szene spiegelt sich somit auch in den Umständen begangener Gewalttaten wider. -111- 3. Linksextremistischer Terrorismus Die Innere Sicherheit wird seit Mitte der 70er Jahre durch Terrorismus bedroht - im Zeitverlauf allerdings in sehr unterschiedlicher Intensität. Die Erforschung der Ursachen von Terrorismus und dessen entschlossene Bekämpfung dienen der Verteidigung des demokratischen Rechtsstaates. Terrorismus bedeutet im Sprachgebrauch der deutschen Sicherheitsdienste den systematischen, aus dem Verborgenen geführten Kampf für politische Ziele mit Anschlägen und anderen schweren Gewalttaten. Mit Anschlägen wollen Terroristen ihren Handlungswillen unterstreichen, gesellschaftliches Denken durch psychische Schockwirkung beeinflussen. Was von Anarchisten um die Jahrhundertwende als "Propaganda der Tat" bezeichnet wurde, soll die Aufmerksamkeit eines am Konflikt an sich 'unbeteiligten' Publikums erzwingen. Ein weiteres Ziel terroristischer Gewalttäter ist es, bereits "erkämpfte Freiräume" zu verteidigen und den Einwirkungsmöglichkeiten der Staatsmacht ("Herrschaftsausübung") zu entziehen. Mit dem Terminus Terrorismus verbinden sich in Deutschland im Bereich des Linksextremismus in erster Linie * die "Rote Armee Fraktion" (RAF), * die "Revolutionären Zellen" (RZ), * die Frauengruppe "Rote Zora", * die "Bewegung 2. Juni" (1980 Selbstauflösung), * die "Antiimperialistische Zelle" (AIZ). Die von der RAF praktizierte Form des Terrorismus wurde nach deren Deeskalationserklärung 1992 (Aussetzung gezielter Tötungsaktionen) von der AIZ modifiziert fortgeführt. "Rote Armee Fraktion": Trotz der drei im November/Dezember 1996 veröffentlichten und als authentisch zu bewertenden Stellungnahmen der RAF ist das "Projekt RAF" in der bisherigen Form und Wirkungsweise wohl als beendet anzusehen. In diesen Papieren hatte die RAF eine Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte angekündigt, die bis heute allerdings ausgeblieben ist. Die einzige nennenswerte Reaktion im Jahre 1997 auf die letzten Wortmeldungen der RAF stammen von der Frankfurterin Andrea WOLF. Diese war im Juli 1995 - wegen vermuteter Verwicklung in den Anschlag der RAF auf die Justizvollzugsanstalt Weiterstadt 1993 - in die "Illegalität abgetaucht" und nimmt inzwischen in den Reihen der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) am Krieg um die kurdische Autonomie teil. WOLF ließ über die Szene-Publikation "INTERIM" (Nr. 429 v. 07.08.97) einen Brief "an die raf" veröffentlichen, in dem sie ihre kritische Auseinandersetzung mit der RAF fortsetzte. Bereits in einem vorausgegangenen Brief (Juli 1996) hatte sie mit Blick auf die Rolle des "vs-spitzels Steinmetz" (RAF-Jargon) konstatiert, es kennzeichne den de- - 112- solaten Zustand der Linken, wenn eine "derart wichtige position", wie die Verbindung zwischen der Guerilla und der legalen Linken, "sozusagen unter einfluß des Verfassungsschutzes stand". Die RAF hatte dieser Behauptung in ihrem Brief mit der Kernaussage widersprochen, der Verfassungsschutz hätte "keinen einfluß auf politische entscheidungen" gehabt, "die die raf getroffen hat". Andrea WOLF reagierte unerwartet offen auf das RAF-Dementi. Sehr wohl habe der Staat mittels Klaus STEINMETZ einschätzen können, wie die Reaktion "der illegalen auf die kinkel-initiative im januar 1991 " ausfallen würde. STEINMETZ habe ausloten sollen, inwieweit "die linke, also auch ihr (gemeint: RAF) zu einer lösung mit dem Staat bereit seid". Bezogen auf den RAF-Anschlag von 1993 gegen den Neubau der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt bekannte WOLF, daß sie bereits im Dezember 1992 von der bevorstehenden "Sprengung eines knastes" wußte. Auch andere Szene-Angehörige seien informiert gewesen, daß die RAF mit dem Anschlag "eine in der linken schon existierende knast-kampagne aufgreifen und voranbringen" wollte. Unabhängig davon kommentierten ehemalige RAF-Mitglieder und Inhaftierte der RAF den derzeitigen Zustand der RAF. In einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" (Nr. 92 v. 13.10.97) forderte die inhaftierte Birgit HOGEFELD erneut eine Auflösung der RAF. Sie appellierte an die Adresse der RAF, ihrer "politischen Verantwortung" nachzukommen und "noch einmal etwas zu sagen". Deren Schweigen interpretierte sie "als intensiven Nachdenkprozeß über das 'Wie weiter'". Der inhaftierte Christian KLAR kam in einem Interview mit der "Süddeutschen Zeitung" (SZ-Magazin Nr. 17 v. 25.04.97) zu dem Ergebnis, daß die RAF "inzwischen Geschichte" sei. In diesem Sinne und zur gleichen Zeit äußerte sich auch die 1994 aus der Haft entlassene Irmgard MÖLLER gegenüber dem "Spiegel". Ihrer Meinung nach existiere die RAF nicht mehr. Festgehalten werden kann, daß die RAF nicht mehr als handelnde Einheit anzusehen ist. Die Erklärungen von 1996 sind eher Zeugnisse ihrer Sprachlosigkeit. Eine authentische Auflösun-gserklärung bleibt abzuwarten. Unterstätzer der inhaftierten Terroristen: Ein verbliebener Rest von Unterstützern bemühte sich 1997 intensiver um die Freilassung der letzten inhaftierten RAF-Mitglieder. Früher verfolgten solche Initiativen zugleich propagandistische und mobilisierende Zielrichtungen. Das heutige - deutlich geschwächte - Unterstützerspektrum ist nicht geeignet, dem linksextremistischen/-terroristischen Spektrum neue Impulse zu verleihen. Es hebt in seinen Freilassungsforderungen stärker denn je auf den Gesundheitszustand der Inhaftierten ab, so z.B. unbekannte Verfasser in einem Appell für Helmut POHL und andere Inhaftierte (Postkartenaktion an den Bundesjustizminister): -113- "Der Gesundheitszustand aller Gefangenen aus der RAF ist schwer angegriffen. Wir wissen, daß die Zuspitzung der jetzigen Situation das Ergebnis jahrelanger Isolationsfolter und der systematischen Verweigerung einer ausreichenden medizinischen Versorgung ist. Das gleicht einer Todesstrafe auf Raten. " Die Begründungslinie der Unterstützer stieß u.a. bei Inhaftierten auf Kritik. So reklamierte Rolf-Clemens WAGNER, daß "die Politik ... dabei nicht herausfallen" dürfe, "sonst saufen die wirklichen Zusammenhänge im Krankheitsgejammer ab". Das Prinzip, den Gesundheitszustand der inhaftierten RAF-Angehörigen in den Vordergrund zu stellen, ist aus der Sicht der Initiatoren folgerichtig. Die Appelle richten sich mehr an die demokratische Öffentlichkeit als an die linksextremistische Szene: Als "Märtyrer" eignen sich die Inhaftierten nicht mehr. "Revolutionäre Zellen" (RZ) und "Rote Zora": Weder RZ noch "Rote Zora" haben sich 1997 durch Anschläge oder Verlautbarungen bemerkbar gemacht. Die RZ waren in den 90er Jahren in eine Identitätskrise gestürzt. Einige Zellen kündigten ihre Selbstauflösung an, andere beanspruchten eine "Auszeit" für Neuorientierungen. Die "Rote Zora "-Frauen, die 1995 ihren letzten Anschlag verübten, hatten aber bereits zu früheren Zeiten immer wieder Aktionspausen eingelegt, so daß ihre aktuelle Zurückhaltung noch keine Entwarnung rechtfertigt. "Antiimperialistische Zelle" (AIZ): Anfang der 90er Jahre machte sich die AIZ ausdrücklich auf, die Nachfolge der RAF anzutreten. Mit steigender Intensität verübte diese terroristische Kleingruppe Anschläge, die sich zuletzt vornehmlich gegen weniger bekannte Funktionsträger aus Wirtschaft und Politik richteten. Bei ihren nach eigener Aussage "potentiell tödlichen Aktionen" nahm die AIZ billigend in Kauf, möglicherweise auch unbeteiligte Hausbewohner oder Passanten zu treffen. Namensänderungen, variable Anschlagsmodalitäten und sprunghafte Richtungswechsel in ihrer Tatbegründungsideologie sprachen deutlich für - möglicherweise mehrmalige - Veränderungen in der AIZ-Mitgliederzusammensetzung. Aussagen eines ehemaligen AIZ-Mitgliedes in einer "Spiegel 7Y"-Sendung am 18.01.1998 unterstützen diese These. Seit der Festnahme der mutmaßlichen Aktivisten Bernhard FALK und Michael STEINAU im Februar 1996 ist die AIZ in keiner Form mehr in Erscheinung getreten. Auch wenn sie in der Zeit von 1992 bis 1996 aus mehr als zwei Personen bestand, dürfte von einem Wirken dieser terroristischen Kleingruppe derzeit keine Gefahr ausgehen. Aus der linksextremistischen Szene begegnete der AIZ schon früh zum Teil ätzende Kritik, weil sie mit ihren Anschlägen auch 'Unbeteiligte' gefährdete und mit abstrusen Anschlagsbegründungen argumentierte. Mit ihrer Anbiederung an islamisch-fundamentalistische Terrororganisationen, (z.B. palästinensische HAMAS, algerische "Bewaffnete Islamische Gruppe", GIA) stellte sich die AIZ endgültig ins Abseits. Als FALK und - 114- STEINALT sich zu den "ersten muslimischen politischen Gefangenen deutscher Nationalität" erklärten, entsolidarisierten sich die letzten der ohnehin nur wenigen Unterstützer. Im Frühjahr 1997 kam es schließlich zur Entfremdung zwischen FALK und STEINAU selbst, als STEINAU den mit ihm in Lübeck inhaftierten rechtsextremistischen Gewalttäter Kay DIESNER als seinen "besten Freund hier in Lübeck" bezeichnete und eine Freilassungsforderung für DIESNER mit der Parole "Zusammen kämpfen!" abschloß. Das Urteil in dem Ende 1997 in Düsseldorf eröffneten Prozeß gegen FALK und STEINAU wird für 1998 erwartet. Der Prozeß blieb in der linksextremistischen Szene weitestgehend unbeachtet. "Antiimperialistischer Widerstand" (AIW): Das Scheitern der RAF führte zur Orientierungslosigkeit innerhalb des dem Linksterrorismus zugeneigten Lagers. Einige Angehörige dieses Spektrums haben in Ansätzen ihre selbstgewählte Zurückhaltung aufgegeben und neue ideologische Konzepte ihres "Widerstandes" entwickelt. Hierbei handelt es sich um Einzelpersonen oder Gruppen, deren Theorie und Handeln angeblich "antiimperialistisch" ausgerichtet sind und die grundsätzlich den "bewaffneten Kampf (militärische und/oder militante Anschläge) als Mittel der politischen Auseinandersetzung akzeptieren. Diese entsprechend als "Antiimperialistscher Widerstand" definierten Personenzusammenhänge haben sich bisher allerdings noch nicht auf ein geschlossenes einheitliches Handeln geeinigt. Zur Debatte stehen sowohl unterschiedliche "politische " Inhalte als auch das sich selbst zu erlaubende Maß für Gewaltanwendungen. Noch erschließt sich der AIW über zahllose Kleingruppen und wechselnde, oft namenlose Diskussionszirkel ohne eine breite tragfähige Interessentenbasis und ohne allseitig akzeptiertes ideologisches Fundament. Der AIW ist 1997 verschiedentlich mit Diskussionspapieren über den "bewaffneten Kampf" an die Szene-Öffentlichkeit getreten. Als bevorzugtes Medium für Beiträge zur "Militanzdebatte" diente erneut die Berliner Szene-Publikation "INTERIM". In der Ausgabe Nr. 429 (07.08.97) pointierte ein unbekannter Verfasser in einem Diskussionspapier "Gestern-heute-morgen und hoffentlich auch übermorgen" die Sichtweise verschiedener an diesen Diskussionen beteiligter Gruppen und Einzelpersonen, die sich oftmals hinter Phantasiebezeichnungen wie "Wawa der Waran" oder "Urmel" verstecken. Bezogen auf die terroristische Gruppe "Das K.O.M.I.T.E.E.", deren Angehörige im April 1995 einen Sprengstoffanschlag auf eine Abschiebehaftanstalt in BerlinGrünau versucht hatten, bedauerte der Verfasser, daß dies "nicht geklappt" habe. Das "K.O.M.I.T.E.E." habe "mehr als nur militante Symbolik umsetzen" wollen, weil es "konkret etwas kaputt" machen wollte, was sich nicht so schnell wiederaufbauen ließe. Auch die Urheber einer im Mai 1997 in Freiburg verbreiteten Publikation "ausblick - imperialistischer Angriff und Widerstand" verstehen ihr Machwerk als "Materialien für eine militante Debatte" bzw. zur Auseinandersetzung "um Internationalismus und Metropolenarbeit". Für die Verfasser steht bereits fest, daß "wir die Verantwortlichen und damit auch die Verantwortlichen für die Bedingungen hier angreifen " müßten. -115- Voraussetzung für "spürbaren Widerstand" sei Einigkeit innerhalb der zersplitterten Linken. Thematische Schwerpunkte setzte der AIW 1997 erneut in der Kurdistan-Solidarität und - anlaßbezogen - in der Aufarbeitung der eigenen Vergangenheit vor dem Hintergrund des sogenannten "Deutschen Herbstes". 1997 jährten sich zum 20. Mal die Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin SCHLEYER, die damit in Verbindung stehende Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" durch ein palästinensisches Terrorkommando, die anschließenden Selbstmorde der inhaftierten RAF-Mitglieder Andreas BAADER, Gudrun ENSSLIN und Jan-Carl RASPE sowie der Selbstmordversuch von Irmgard MÖLLER. In den bürgerlichen Medien fand diese Historie des Terrorismus einen herausragenden Niederschlag. Die linksextremistischeAterroristische Szene wollte diese "staatliche Geschichtsschreibung " jedoch nicht unkommentiert lassen und arbeitete bundesweit an eigenen Versionen. Eine " Veranstaltungsreihe zur bewaffneten Politik der Linken in Deutschland, Italien und der Schweiz" vom 15. bis 25. Mai 1997 in Zürich unter dem Motto "ZWISCHEN revolte, militanz & revolution BERICHTE" bildete den eigentlichen Auftakt. U.a. interpretierten und würdigten ehemalige RAF-Mitglieder rückschauend z.B. die "Politik der RAF der siebziger Jahre". Alle Referenten räumten eine "umfassende Niederlage" der RAF ein und verurteilten den "bewaffneten Kampf" als gescheiterten Ansatz. Unter den mehreren hundert Teilnehmern befanden sich zahlreiche jüngere Szene-Angehörige, die allerdings mehr an Zukunftsvisionen interessiert schienen, als an Interpretationen und Bekenntnissen der "Altrevolutionäre" über ihre Irrtümer und zu ihren Niederlagen. Überhaupt empfand die der RAFHistorie in unterschiedlicher Hinsicht verbundene Szene Auftritte ehemaliger "Widerstandskämpfer" und Bezeugungen einer gescheiterten "bewaffneten Politik" eher als abstoßend. Hamburg: Hier starteten verschiedene Gruppen eine eigene Kampagne zum Thema "20 Jahre Deutscher Herbst". Dem Zusammenschluß gehörten u.a. Gruppen an, die sich selbst als "Roter Aufbruch" oder zynisch "Schleierhaft" nennen. In einem gemeinsam mit der "Rote Hilfe" und der "Hochschul-Antifa" unterzeichneten Flugblatt agitierten sie gegen die angeblich "staatliche Geschichtsschreibung" und widersprachen der Mediendarstellung, daß die mit der RAF verbundenen Ereignisse unwiederholbare Geschichte seien. 20 Jahre nach dem "Deutschen Herbst" habe sich "keiner der Gründe erledigt, derentwegen eine militante Linke Ende der 60er, Anfang der 70er Jahre vom 'Protest zum Widerstand' (Ulrike Meinhof) überging ". -116- Das generelle Fazit des Flugblattes lautete, daß " in dieser Situation revolutionäre Politik notwendig ist und es keinen Grund gibt, den Kampf aufzugeben ". Ungeachtet auch szeneintern kontroverser Deutungen der Todesumstände von BAADER, RASPE und ENSSLIN am 18.10.77 in der Justizvollzugsanstalt Stammheim kolportierten die Verfasser des Flugblattes ihre angeblich zweifelsfreien - gleichwohl abstrusen - Mordthesen, die auch an anderer Stelle von jüngeren Szene-Angehörigen widerspruchslos übernommen wurden. Die Gruppe "Roter Aufbruch" hat sich als Teil des AIW 1997 an verschiedenen Aktionen, wie z.B. der "Antikriegstagsdemonstration" am 01. September und der Hamburger "Anti-Nazi "-Demonstration am 13.09.97 beteiligt. Ihr erstes, mit der Aussage "Es gibt viele Arten einen Menschen zu töten... " betiteltes Flugblatt war mit moderat verpackten Thesen offenbar darauf angelegt, auch außerhalb der eigentlichen Szene - insbesondere unter Abb. 33: Gruppe "Roter Aufbruch" mit Spruchband bei jüngeren Interessenten - der "Anti-Nazi"-Demonstration am 13.09.97 in Hamburg Zuspruch zu gewinnen. - eingesetzt als "Schutz" für den Lautsprecherwagen | Im Impressum tauchte ein erfundener Verantwortlicher "H.Anzala, Holstenstraße 5, 22767 Hamburg" auf, der Anfang der 90er Jahre bereits von einer aus Angehörigen des früheren RAF-Umfeldes bestehenden Gruppe "Komitee gegen den imperialistischen Krieg" verwendet worden war. Letzteres hatte sich aus Anlaß des Golfkrieges gegen den angeblichen weltweiten "Imperialismus und Kapitalismus "gegründet. Offenbar reichen die Biographien einiger Mitglieder des "Roten Aufbruch" in das ehemalige "Komitee gegen den imperialistischen Krieg" zurück. Bemerkenswert sind zudem deutliche Ähnlichkeiten zwischen den Tatbekennungen und Erklärungen der "Antiimperialistischen Widerstandszelle Nadia Shehada" (zeitweilige Bezeichnung der AIZ) und den Publikationen des "Komitees gegen den imperialistischen Krieg ". Unter der o.a. Zellenbezeichnung hatten AIZ-Angehörige am 21.11.92 einen Brandanschlag auf das "Rechtshaus" der Universität Hamburg verübt. Aus diesen Auffälligkeiten spricht eine über Jahre hinweg bewahrte Kontinuität und Langfristigkeit des AIW in der Verfolgung und Umsetzung von Zielen. -117- Ein weiterer Personenzusammenhang innerhalb des AIW konzentriert sich seit Jahren auf die Unterstützung der PKK ( 0 IV/3). Dieser relativ kleine Kreis entwickelt über sein engeres Umfeld hinaus eine überdurchschnittliche, auf die sonstige linksextremistische Szene übergreifende Außenwirkung. Die aus Deutschen bestehende, dem AIW zuzurechnende Gruppe "Kurdistan Solidarität" hat sich von der PKK für verschiedene Aktionen einspannen lassen, so z.B. für die "Anti-Verbotskampagne" (Tenor: "Dialog statt Verbot") und den sogenannten europäischen "Friedenszug Musa Anter" von Brüssel (Belgien) nach Diyarbakir (Türkei) anläßlich des geplanten "Antikriegstages" (01.09.97). Deutsche Aktivisten/innen beteiligten sich weiterhin als "Internationalistinnen" an den bewaffneten Auseinandersetzungen in der Türkei bzw. in der kurdischen Region um eine kurdische Autonomie. Ein über den von der PKK zu Propagandazwecken genutzten Fernsehsender "MED-TV" ausgestrahlter Dokumentarfilm schilderte im Mai 1997 eingehend die Situation der "Internationalistinnen". Dabei wurden auch zwei Frauen aus Hamburg vorgestellt, die sich bereits 1993 der PKK angeschlossen hatten. Für die Sicherheitsbehörden stellt sich hinsichtlich der ideologischen und militärischen Ausbildung von Deutschen in den Reihen der PKK die Frage nach Parallelen zum Werdegang späterer Terroristen, die in den 70er und 80er Jahren militärische Ausbildungslager im Nahen Osten durchlaufen haben. In der Dokumentation von MED-TV kam auch die bereits oben zitierte Andrea WOLF zu Wort: Als ehemalige Angehörige der "radikalen Linken" habe sie seinerzeit gemeinsam mit " Genossinnen und Genossen " überlegt, von welchem Prozeß in der Welt man "lernen" könne (i.S.: für den Kampf in Deutschland). Wenngleich sie im Juni 1996 noch behauptet hatte, sich nicht bei der PKK aufzuhalten oder in deren Schoß begeben zu wollen, hat sie sich offensichtlich doch für die PKK-Guerilla entschieden. In der "INTERIM" Nr. 430 (21.08.97) konkretisierte WOLF, was sie unter "Lernen" versteht: "die politische fähigkeit zu mobilisieren, zu organisieren und den kämpf zu führen ". Ein Angehöriger der "Kurdistan Solidarität" aus Hamburg (Pseudonym: "Haki") verglich in einem Interview ("Neues Deutschland", Dezember 1996) den "Einsatz" deutscher "Genossinnen und Genossen" mit dem Kampfeinsatz der sogenannten "Interbrigadisten" gegen das spanische FRANCO-Regime. "Haki" hat nach eigenen Angaben ein Jahr lang in Kurdistan bewaffnet gekämpft und sieht im "Imperialismus" die "größte Gefahr der Menschheit". Auch er bezeichnete seinen Kurdistanaufenthalt als "Schule". Am 05.02.98 wurden in Hamburg und in Köln mehrere Wohnungen von Personen durchsucht, die erst vor kurzem aus Kurdistan nach Deutschland zurückgekehrt sind. Gegen sie führt die Bundesdanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren wegen Mitgliedschaft in einer (neuen) terroristischen Vereinigung. -118- "Haki", Andrea WOLF u.a. sind Einzelfälle. Ihre persönlichen Optionen, aus dem bewaffneten Kampf der Kurden für den "Prozeß" (in Deutschland) "lernen" zu wollen, sind keinesfalls repräsentativ für die Mehrheit der deutschen PKK-Sympathisanten. Zusammenfassend ist festzustellen: Die Gefährdung der Sicherheit in der Bundesrepublik Deutschland durch einen organisierten linksextremistischen Terrorismus ist insbesondere vor dem Hintergrund der entschärften Situation im RAF-Komplex zum gegenwärtigen Zeitpunkt trotz bestehender Gefährdungspotentiale (AIW) eher als gering einzuschätzen. Terroristische Anschläge sind im Berichtsjahr ausgeblieben. Die innerhalb des AIW und in den diffusen Übergängen zum autonomen Spektrum aktiven Gefährdungspotentiale bedürfen jedoch der weiteren aufmerksamen Beobachtung. Unberechenbare Anschläge aus den Zusammenhängen des AIW, der RZ / "Rote Zora" heraus sind jederzeit möglich. Als mögliche Anknüpfungsthemen kommen u.a. "Antifaschismus", "Antirassismus", "Internationalismus" und "Gen-Technologie" in Frage. 4. Autonome und anarchistische Gruppen 4.1 Aktuelle Entwicklung Autonome Linksextremisten und Anarchisten lehnen die aus ihrer Sicht "herrschenden staatlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse ab und stellen sich bewußt außerhalb der durch sie geprägten Ordnung. Sie verstehen sich als subversiv, propagieren Spontaneität und "praktischen" Widerstand als Richtlinien ihres Handelns. Sie betrachten Gewalt als legitimes Mittel oder gar als Gebot 'politischer' Auseinandersetzung. Die Zielobjekte dieser Gewalt sind beliebig austauschbar, soweit sie nur irgendwie als Symbole des ihnen verhaßten Systems "vermittelbar" sind, seien es Sachen (z.B. sog. "Nobelkarossen") oder Gebäude (z.B. Banken oder staatliche Einrichtungen). Manche lassen dafür nicht einmal sprachlich den Begriff "Gewalt" zu, weil Sachen keine Gewalt 'empfinden' könnten. Gewalt gegen Menschen wird zwar prinzipiell abgelehnt. Allerdings gilt dieses häufig nicht im Verhalten gegenüber Polizisten und tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten. Dieses beweisen Beispiele, bei denen sogenannte "Faschisten" fast zu Tode geprügelt oder Polizisten durch Steinwürfe oder Stahlkugeln schwer verletzt wurden. Seit Jahrzehnten ist es für viele Autonome selbstverständlich, sich bei Demonstrationen unter Vermummungen zu verstecken, Polizeibeamte mit Steinen und anderen lebensgefährlichen Wurfgeschossen zu attackieren sowie Signalmunition oder Zwillen als Distanzwaffen einzusetzen. Sowohl in Hamburg als auch in Berlin ist es 1997 erneut zu -119- Landfriedensbrüchen gekommen, bei denen Brandbomben ("Molotowcocktails") gezielt auf mit Menschen besetzte Autos geschleudert wurden. Die größten Brutalitäten gingen von sehr jungen Autonomen aus. Die Täter verursachten zum Teil immense Sachschäden. So verübten Autonome in der Nacht zum 07.11.97 einen Brandanschlag auf ein Arbeitsamt in Göttingen und richteten Sachschäden in Höhe von etwa 500.000 DM an. In Berlin brannten Autonome einen Monat zuvor (03.10.97) einen Supermarkt mit Millionenschaden nieder. Die Aktionen wurden in weiten Teilen des autonomen Spektrums begrüßt. Es wurde nur kritisiert, daß in Berlin einige Autos von Privatpersonen (i.S.: "normaler" Bürger) in Mitleidenschaft gezogen worden waren. Am 06.10.97 haben Hamburger Autonome einen im Problemgebiet Schanzenviertel eingesetzten "Revier vor Ort (KVO)-Bus" der Polizei "abgefackelt" (Szenejargon) und Streifenbeamte gezielt angegriffen. Nur glücklichen Umständen war es zu verdanken, daß anläßlich eines Brandanschlages in der Silvesternacht 1997/98 auf das von der Szene jahrelang bekämpfte Einkaufszentrum "Mercado" im Stadtteil Altona nur geringer Sachschaden entstand. 4.2 Gruppen und Strukturen in Hamburg In Hamburg existieren nur wenige, auch über Jahre hinweg beständige autonome Zusammenhänge. Die meisten Gruppen schließen sich nur anlaßbezogen oder spontan zusammen. Es besteht ein Trend zu immer kleineren, konspirativ, spontan und beweglich operierenden Gruppen, die sich so gegen Vorfeldbeobachtungen durch Verfassungsschutz und Polizei abzuschotten versuchen, um präventiven polizeilichen Maßnahmen (z.B. gegen geplante Anschläge) zu entgehen. Hier ist eine besondere Wachsamkeit und nachhaltig wirksame Aufklärung erforderlich, um nach Möglichkeit z.B. andernfalls zu erwartende erhebliche Sachbeschädigungen zu verhindern (O III/4.1). Aufgrund der wechselhaften Gruppenstrukturen beschränken sich die nachstehenden Beschreibungen auf Beispiele autonom oder anarchistisch geprägter Zusammenhänge und Einrichtungen. "Rote Flora": Auch 1997 hatten sich die im autonomen Stadtteilund Kulturzentrum "Rote Flora" - zum Teil gegensätzlich - Einfluß nehmenden Kräfte mit einer hausgemachten Sinnund Selbstverständniskrise auseinanderzusetzen. Die Konfliktlinien verlaufen im wesentlichen zwischen 'Politveteranen der ersten Stunde' und eher unpolitisch ambitionierten Nachrückern bzw. zwischen politischen und eher kulturellen Akzentsetzungen. Ende der 80er Jahre hatten Linksextremisten im Schanzenviertel den Flora-Komplex als sog. "Freiraum" autonomer Lebensverwirklichung für sich reklamiert - fernab von "staatlichen Herrschaftsansprüchen und Reglementierungen". Altgediente Flora-Strategen, die den "Freiraum" noch unter politischen Vorzeichen mit Leben erfüllten, haben sich mit der Zeit zurückgezogen. Anstelle politischer (Kampf- ) Veranstaltungen prägte zunehmend ein (sub)-kultureller Betrieb bis hin zu Freizeit-120- festivitäten den Charakter des Zentrums. Viele der heute in der Flora verankerten Gruppen verfolgen nur noch am Rande politische Ziele und stehen im Ruf, sich nur noch für das kostengünstige Raumangebot zu interessieren. Eine der wenigen Gruppen, die nach eigener Einschätzung noch originär mit politischem Anspruch arbeitet, ist die "Anti-AKW-Gruppe". Nach den Zerstörungen durch den Brand in der Flora (1995) konnten die Betreiber das Gebäude mit Unterstützung der autonomen Szene zwar wieder nutzbar machen, stießen dabei bisher jedoch in primär politisch ambitionierten Kreisen auf nur geringe Resonanz und Integrationsbereitschaft. Außenstehende bemängeln u.a. undurchschaubare Strukturen und sich abschottende Aktivenzirkel. Nur ein zusammengeschmolzener Restkern älterer Florakämpfer hält die Flora-Projektidee notdürftig am Leben. In der Hauspostille "Zeck" der "Roten Flora" (Nr. 63, Oktober 1997) wurde eine Initiative "Edutainment Club" (Wortkreuzung aus Education und Entertainment) vorgestellt, die der Flora wieder zu höherem politischen Gewicht innerhalb der Hamburger Autonomenszene verhelfen soll. Neben diesen internen Richtungsproblemen sah sich die "Rote Flora" - nach eigenem Selbstverständnis einst primär Bastion gegen das herrschende System - 1997 erstmals mit Widrigkeiten aus einer wohl unerwarteten Richtung konfrontiert: Am 26.04.97 kam es zu einer symbolischen Besetzung der Flora durch bosnische Kriegsflüchtlinge. Mit Hilfe deutscher - zum Teil autonomer/linksextremistischer - Unterstützer forderten die Besetzer Solidarität gegen mögliche Abschiebungen. Entgegen ansonsten in der Szene geläufiger "antirassistischer" Entschlossenheit entbrannte eine endund fruchtlose Flora-interne Diskussion mit dem Ergebnis, daß den Besetzern Aufenthaltsräume angeboten wurden, auf die letztere unter Hinweis auf eine nach ihrem Verständnis nicht überzeugende Solidaritätshaltung der FloraBetreiber verzichteten. Obendrein sah sich die im Herzen des Schanzenviertels gelegene "Rote Flora" zunehmend selbst unmittelbar mit den Auswirkungen illegalen Drogenhandels und -konsums konfrontiert sowie zu der Klarstellung veranlaßt, daß unter ihrem Dach der Drogenkonsum nicht freigegeben sei. Drogenkonsumenten sind nach linksextremistischer Lesart Opfer einer verfehlten repressiven staatlichen Drogenpolitik. Hinsichtlich der Dealer scheiden sich die Geister. Während die " Verfolgung " schwarzafrikanischer Drogenhändler nach außen hin szenegerecht als rassistisch angeprangert wird, klingt es hinter vorgehaltener Hand auch anders. Der Zwiespalt unterschiedlicher Einflüsse in der Flora zeigte sich auch hier: Es dauerte Monate, bis unter dem Titel " Gegen die herrschende Drogenund Flüchtlingspolitik" eine Faltbroschüre mit einer "Erklärung der Roten Flora zu Drogenkonsum und -handel" erscheinen konnte. Die Broschüre klagt die angeblich repressive Drogenpolitik, dadurch bedingte Mißstände im Schanzenviertel und die Stigmatisierung von Schwarzafrikanern als kriminelle Drogenhändler an, um schließlich " uneingeschränktes Bleiberecht für alle " zu for-121- dem. Kriminelle Handlungen von Flüchtlingen gelten wegen angeblich fehlender anderer Existenzmöglichkeiten als legitimiert. Trotz innerer Widersprüche lasse sich die Flora nicht " vor den Karren der staatlichen und gesellschaftlichen Vertreibungshetze spannen", sondern sei als autonomes Stadtteilprojekt immer noch der Utopie eines herrschaftsund ausgrenzungsfreien Lebens verpflichtet. Die Broschüre endet - vor dem Hintergrund des Brandanschlags auf den "RVO"-Bus am 06.10.97 - mit Absagen an Sicherheitspartnerschaften, mobile Revierwachen und Platzverweise. Zu den seltener gewordenen größeren Szeneveranstaltungen in der "Roten Flora" gehörte am 10.09.97 ein Vorbereitungstreffen (250 Personen) für die Hamburger "AntiNazi"-Demonstration am 13.09.97. Politische Schwerpunkte bei sonstigen Veranstaltungen waren die Solidarität für Betroffene "vom 16.06.95" (Verfahren der Generalbundesanwaltschaft im Zusammenhang mit der Untergrundzeitschrift "radikal") sowie die Frühjahrsmobilisierung nach Gorleben gegen Castor-Transporte. Auch zur "Antifa"-Kampagne und "IrlandSolidarität" fanden linksextremistisch beeinflußte Solidaritätsveranstaltungen statt. Am 26.01.97 errichteten Besucher eines "Solikonzertes" zugunsten der "Antifaschistischen Jugendfront" (AJF) vor dem Gebäude brennende Barrikaden. Feuerwehrbeamte wurden bis zum Eintreffen von Polizeikräften gewaltsam am Löschen gehindert. Fast noch mehr als die Flora selbst steht die " Vereinspostille aus der Roten Flora " (Eigenangabe) namens "Zeck" für autonomes Selbstverständnis. In ihr finden sich immer wieder auch Texte mit eindeutig linksextremistischen Inhalten. So wurde u.a. die Bekennung zum Brandanschlag am 06.10.97 auf den erwähnten "RVO "-Bus der Polizei im Schanzen viertel Abb. 34: "Zeck" - Hauspostille der unkommentiert und ungekürzt abgedruckt. In "Roten Flora" einer weiteren Ausgabe fand sich die Bekennung einer militanten "Gruppe Revolutionäre Wasserkante" zu einer Sabotageaktion am 27.02.97 in Hamburg-Rahlstedt an einem Bahngleis der Deutschen Bahn AG (Hintergrund: Protest gegen Castortransporte). Neben dem Sprachrohr "Zeck" finden sich an der Hausfront des Flora-Gebäudes Plakatwände mit wechselnden politischen Aussagen. So wurde hier u.a. im Sommer "Solidarität mit der Interim " gefordert, einer autonomen Szenezeitschrift aus Berlin, die im - 122- Juni 1997 Ziel staatlicher Zugriffsmaßnahmen war. Weiter hieß es "Für eine linksradikale Widerstandspresse. Finger weg von unserem Vereinsblatt - wir lesen was wir wollen". Im November 1997 prangte an gleicher Stelle die Sympathiebekundung "Sofortige Freilassung von Helmut Pohl und Heidi Schulz - Gefangene aus der RAF....Freiheit für alle politischen Gefangenen ". Das in den vergangenen Jahren aus einem Generationenkonflikt erwachsene Spannungsverhältnis zum anarchistisch geprägten "Libertären Zentrum" (LIZ) hat sich entschärft. Früher wegen wachsender Kommerzialisierungstendenzen vom LIZ-Spektrum noch als " Goldene Flora " verspottet, leistete die Flora dem krisengeschüttelten anarchistischem Treffpunkt nunmehr 1997 finanzielle Unterstützung durch den Erlös von Solidaritätsveranstaltungen. Treffobjekt Brigittenstraße 5 ("B 5"): Mit dem Bedeutungsverlust der "Roten Flora" ist 1997 die Bedeutung des im Szenejargon "B 5" genannten Treffpunktes autonomer Gruppen in der Brigittenstraße 5 (Stadtteil St. Pauli) weiter gestiegen. Ein vielfältiges Gruppenspektrum nutzt die "B 5" inzwischen regelmäßig als Treffoder Veranstaltungsort. Die Bandbreite reicht von der dem AIW zuzurechnenden "Kurdistan Solidarität Hamburg" (O III/3) über Antifa-Zusammenhänge bis zu - nicht ausschließlich linksextremistischen - "Antirassismus "-Gruppen. "Nadir" (ehemals "Infogruppe Hamburg"): In der "B 5" ist auch das von der autonomen "Infogruppe Hamburg" initiierte "Nadir"-Projekt angesiedelt, das ein eigenes "Archiv" im Internet unterhält. Nach aktueller Selbstdefinition will "Nadir" eine "virtuelle Version eines Infoladens" sein. Die Betreiber verstehen sich als Internet-Provider für die linke Szene. Sie bieten anderen linksextremistischen Gruppen Raum zur Selbstdarstellung mittels EDV-gestützter Kommunikationsmedien, E-Mail-Erreichbarkeit sowie Recherchemöglichkeiten über ein umfangreiches Archiv. Linksextremistische Periodika (z.B. "Angehörigen-Info", "Kurdistan Report", Berliner Autonomenzeitung "Interim", Hamburger "Zeck") werden komplett elektronisch angeboten. Technisch wird "Nadir" von der sogenannten "Nadir-Kombüse" betreut, in der die (ehemalige) "Infogruppe Hamburg" aufgegangen ist. "Nadir" will über rein technischen Service hinaus "Teil sein in der Wieder-, Weiterund Neu-Entwicklung einer emanzipativen Perspektive, die international und internationalistisch allen Widerständen und Kämpfen eine gemeinsame Richtung gibt". Zunehmend fanden auch Aufrufe zu den jeweils aktuellen "antifaschistischen Demonstrationen" Verbreitung über das "Afaäf;>"-Projekt. "Nadir" strebt eine überregionale Zusammenarbeit mit anderen linken Infonetzen an. In einem gemeinsamen Faltblatt mit der Berliner Online-Zeitung "Trend" und dem "squat!net" (ebenfalls Berlin) wurde ein Ausbau der schon bestehenden Zusammenarbeit angekündigt. - 123- "Rote Hilfe e.V.": Die 1989 wiedergegründete Hamburger Ortsgruppe der "Roten Hilfe" sieht sich in der Tradition der schon 1924 existierenden gleichnamigen Hilfsorganisation der damaligen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Sie hat sich vereinsrechtlich konstituiert (eingetragener Sitz: Dortmund, Sitz des Bundesvorstandes: Kiel). Gemäß ihrer Satzung versteht sich die "Rote Hilfe" als "parteiunabhängige, Strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die "politisch Verfolgten " über Prozeßkostenbeihilfen juristischen Beistand garantieren will. Bundesweit gehören der Organisation nach eigenen Angaben etwa 3.000 Beitragszahler (Hamburg etwa 180) an, von denen sich allerdings die wenigsten innerhalb der "Roten Hilfe" politisch engagieren. Das tatsächliche Verhalten der "Roten Hilfe" geht deutlich über den aus der Satzung herauszulesenden Rahmen hinaus. 1997 stand die Praxis im Zeichen des zwanzigsten Jahrestages des "deutschen Herbstes" bzw. der Freilassungskampagne für inhaftierte RAF-Terroristen. Im Oktober 1997 gab die "Rote Hilfe" hierzu eine Sonderbeilage in der Tageszeitung "junge weit" heraus, in der linksextremistische Positionen vertreten wurden. Die Hamburger Ortsgruppe organisierte verschiedene Informationsveranstaltungen zum "deutschen Herbst". Im Rahmen dieser Kampagne unterzeichnete die "Rote Hilfe" ein Flugblatt der zum "Antiimperialistischen Widerstand" (AIW) zählenden Gruppe "Roter Aufbruch", in dem positiv zum "bewaffneten Kampf" Stellung bezogen wurde. Nach dem Ende der Geiselnahme durch peruanische Terroristen in der Residenz des japanischen Botschafters in Lima/Peru untersagte die Hamburger Behörde für Inneres dem in Hamburg lebenden Europasprecher der Guerillaorganisation MRTA (Revolutionäre Bewegung Tüpac Amaru), Isaac VELAZCO, öffentliche Äußerungen, die im Zusammenhang mit den Zielen und dem Verhalten der MRTA in Peru die Anwendung von Gewalt befürworten, rechtfertigen oder ankündigen. Ein Sprecher der "Roten Hilfe" bezeichnete das zugrundeliegende Ausländergesetz als "rassistisches Sondergesetz " * VELAZCO hatte die Geiselnahme gerechtfertigt und die Fortsetzung des MRTA-Kampfes angekündigt. Der Bundesvorstand der "Roten Hilfe" forderte trotzdem in einem offenen Brief den Senator der Behörde für Inneres auf, den "Maulkorb-Erlaß" nicht zu verhängen, da dieser die "Informationsfreiheit" massiv einschränke. Andere Anknüpfungsinhalte waren in Hamburg das PKK-Verbot, Solidaritätskampagnen für linksextremistische Palästinenser, für Angehörige der terroristischen baskischen Organisation ETA sowie für die inhaftierte Monika HAAS, die sich wegen einer mutmaßlichen Beteiligung an der Entführung der Lufthansamaschine "Landshut" (Oktober 1977) z. Zt. vor Gericht verantworten muß. Weitere autonome Zusammenhänge, die sich überwiegend mit "antifaschistischer" Politik beschäftigen, sind im Kapitel O 4.3.2 "Antifaschismus" beschrieben. - 124- Anarchisten: Anläßlich verschiedener Aktionen gab es auch in Hamburg ein Zusammenwirken autonomer und anarchistischer Gruppen. Anarchisten sind überzeugt, daß sich der Mensch in einer staatenlosen und herrschaftsfreien Gesellschaft besser entfalten und damit freier leben kann. Daraus resultiert eine totale Ablehnung jeglicher staatlicher Ordnung - gleich welcher Ausrichtung. Diese Variante des Linksextremismus geht fest davon aus, daß das menschliche Miteinander sich z.B. durch kollektive Verbände von Berufstätigen ohne staatliche Rahmenbedingungen selbst regulieren, problemlos entwickeln und organisieren kann. Die ohnehin zahlenmäßig schwache anarchistische Szene ist wegen erheblicher ideologischer Differenzen zersplittert. Die Richtungsvielfalt reicht von jeglicher Verneinung eines ordnenden Systems bis hin zur Theorie einer " revolutionären Diktatur des Proletariats", wie ihn die "Freie Arbeiter-Union/Anarchistische Partei" (FAU/AP) vertritt. Als Kampfformen erträumen einige Anarchisten eine günstige Situation für sogenannte "direkte Aktionen", worunter sie z.B. Sabotage, Boykotts oder Massenstreiks verstehen. Ihre Praxis ist von dieser Theorie aber in der Regel weit entfernt. In Hamburg existieren u.a. folgende anarchistischen Gruppierungen und Zentren: "Libertäres Zentrum" (LIZ): Das "LIZ" ist ein 1986 von der Hamburger Ortsgruppe der "Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union" (FAU) eingerichtetes Kommunikationszentrum, das anarchistischen und libertären Gruppierungen als Kontaktund Anlaufstelle dienen sollte mit dem Ziel, "auch in Hamburg verstärkt der gesellschaftlichen wie auch der libertär/anarchistischen Vereinzelung, Zersplitterung und Entpolitisierung entgegenzuwirken". 1996 hat die FAU sich aus dem "LIZ" zurückgezogen. Das Zentrum blieb - nach eigenen Angaben in Flugblättern und Schriften - ein selbstverwaltetes Kommunikationszentrum, das in dieser Form schon zuvor bis 1995 an anderer Stelle bestand. Es gilt das Prinzip "JedeR hat die Möglichkeit, im LIZ aktiv zu werden, in einer nicht-hierarchischen Atmosphäre mitzubestimmen ". Das Zentrum ist anhaltend ein zentraler Bezugspunkt der militant-aktionistischen Szene aus dem Karolinenund Schanzenviertel. Zu den Dauereinrichtungen des "LIZ" gehören regelmäßige " Volxküchen "/Cafe-Treffen, ein monatliches Plenum sowie eine "L/Z"-interne Kulturgruppe "Pestclub", die wöchentlich "Kino-Kneipen-Abende" durchführt. Diverse andere Gruppen und Personen sind Mitbenutzer des Zentrums. Solidaritätskonzerte zugunsten des "LIZ" in verschiedenen Szeneeinrichtungen und ein Spendenaufruf "Revolutionssteuer" waren 1997 äußere Anzeichen für eine finanzielle Notlage, die offenbar die Existenz des "LIZ" gefährdete und dessen politische Arbeit stocken ließ. In Italien stehen seit Oktober 58 Anarchisten vor Gericht. Sie sind angeklagt, eine terroristische Vereinigung gebildet bzw. unterstützt zu haben. Im Internet präsentierte sich aus diesem Anlaß seit Dezember neben einem Münchener Komitee auch ein Hamburger "Solidaritätskomitee Italien". Kontaktadresse ist in Hamburg das "LIZ". Anläßlich des 2. Prozeßtages in Italien (01.12.97) wurde offenbar aus den hinter dem Komi-125- tee stehenden "LIZ"-Zusammenhängen heraus per Flugblatt "Solidarität mit den angeklagten Anarchistinnen in Italien!" zu einer Hamburger Kundgebung vor dem italienischen Generalkonsulat aufgerufen. Ein Teil der mobilisierten Kundgebungsteilnehmer dürfte dementsprechend dem "ZJZ"-Spektrum angehören. Die anarcho-syndikalistische "Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union" (FAU) mit bundesweit etwa 120 Anhängern (Hamburg: etwa 10) gibt sich als umstürzlerische Klassenkampforganisation aus. Schon angesichts dieser bescheidenen Größenordnung erscheinen ihr Streben nach einer Staatsund klassenlosen Ordnung sowie Absichtserklärungen, dieses Ziel über revolutionäre Gewerkschaftsund Betriebsarbeit und "direkte Aktionen" (nach anarcho-syndikalistischem Theorieansatz z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks und Sabotage) zu erreichen, realitätsfern. Die der praktischen Bedeutung weit vorauseilende Theorie kennzeichnet u.a. die Tatsache, daß die FAU schon Bedarf zur Gründung einer "Gewerkschaft Naturkost-Landwirtschaft-Lebensmittelindustrie " (GNLL) entdeckte, nachdem ein Hamburger Mitglied im Januar einen Naturkostladen eröffnet hatte. Die GNLL gibt vier Kontaktadressen im Bundesgebiet an, von denen die Hamburger Adresse mit der hiesigen FAU-Adresse identisch ist. Die seit Herbst 1996 im Objekt der FAU beheimatete "Libertäre Jugend" Hamburg stellte sich in einem Flugblatt vom Mai 1997 "Schulkampf und mehr..." erstmals selbst dar. Danach ist sie ein seit 1995 existierender Zusammenschluß von anarchistischen Schülerinnen, Azubis, Zivis, Arbeiterinnen und Arbeitslosen, um sich "unabhängig von jeglichen Institutionen wie u.a. Schülerinnenkammer, Parteien oder offiziellen Gewerkschaften, zu organisieren und gemeinsam gegen die Unterdrücker und Ausbeuter in unseren verschiedensten Lebensbereichen zu kämpfen". Zugleich warb sie um weitere Interessenten bzw. für die Bildung unabhängiger Gruppen in Schulen oder Vierteln mit der Aufforderung, für eigene Interessen zu kämpfen. Die "Libertäre Jugend" organisierte das bundesweite "Anarchistische Sommercamp" am Hohendeicher See im Bezirk Bergedorf (25.07.-03.08.97), aus dem heraus Teilnehmer zur Störung einer Wahlveranstaltung im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf mit dem damaligen Bürgermeister VOSCHERAU im Stadtteil Langenhorn anreisten. In mehreren Flugblättern verbreitete die "Libertäre Jugend" Hamburg ihre Sichtweisen jeweils aktueller politischer Themen. Einem Faltblatt (Oktober) war zu entnehmen, daß sie sich in "Anarchistische Gruppe1' umbenannt hat. Darin warben u.a. die "Anarchistische Gruppe" und die FAU für eine Veranstaltungsreihe im Rahmen eines "Club Libertaire" (Auftaktthema: "Anarchismus und revolutionäre Bewegung in Rußland"), für "offene" Abende, ein "libertäres Cafe", eine "libertäre" Bibliothek sowie für einen "Proletarischen Vilm Club" (PVC). Ein Flugblatt vom Oktober bezog sich auf die - anarchistische Grundüberzeugungen wiedergebende - 'philosophische Weisheit' "Regiert sein, das heißt unter polizeilicher Überwachung zu stehen..." und verlangte: "Schluß damit! Nehmen wir unser Leben in unsere eigenen - 126- Hände! Kämpfen statt wählen!". Als Kontakt war die "Anarchistische Gruppe" angegeben. "Föderation gewaltfreier Aktionsgruppen" (FÖGA): Die FÖGA umfaßt bundesweit mehrere hundert Personen und versteht sich als Klammer der anarchistischen, basisdemokratischen "Graswurzelbewegung". Über sie vollzieht sich u.a. die überregionale Vernetzung von Personen, die in sogenannten "Gewaltfreien Aktionsgruppen" aktiv sind. Angegliederte Einrichtungen sind die "Graswurzelwerkstatt" in Köln als Koordinierungsstelle und der " Verlag Graswurzelrevolution e. V. " in Heidelberg, von dem auch die gleichnamige Zeitung herausgegeben wird. Graswurzelrevolution bedeutet aus Sicht dieser Variante des Linksextremismus "eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung, in der durch Macht von unten alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft werden sollen". Der Begriff "gewaltfrei" wird selektiv ausgelegt und beschränkt sich darauf, daß Menschen bei Aktionen nicht körperlich zu Schaden kommen dürfen. Sachbeschädigungen oder objektbezogene Anschläge bzw. Sabotageakte werden somit akzeptiert, praktiziert und nicht als Gewalt definiert. Ob dabei - wenn auch ungezielt - Menschen körperlichen Schaden erleiden, hängt letztlich von der Genauigkeit der Risikoberechnungen auf der Täterseite ab. Soweit sich Gewalttäter dabei in der Vergangenheit quasi 'verrechneten', entledigten sie sich ihrer Schuld zumeist mit dem Ausdruck des Bedauerns unter Berufung auf 'Irrtümer'. Die der "Graswurzelbewegung" zugehörigen Personen beschäftigten sich im Berichtsjahr wieder überwiegend mit den Zentralthemen des Widerstandes gegen die Kernenergienutzung (3 4.3.4) und Gentechnik. In Hamburg spielte das Thema Gentechnik keine nennenswerte Rolle. Dies mag daran liegen, daß es in Hamburg keine Freisetzungsversuche genmanipulierten Saatgutes gab. In linken Publikationen wurde wiederholt über Besetzungen und Zerstörungen von Versuchsfeldern mit genveränderten Pflanzen im Bundesgebiet berichtet. "Sozialrevolutionäre": Eine sich teilweise aus anarchistischen Überzeugungen ableitende Variante des Linsextremismus vertreten die "Sozialrevolutionäre". Ihre Personenzusammenhänge sind zumeist mit der autonomen/anarchistischen Szene verzahnt. Protest und Widerstand gegen das "System" drücken sich zum Teil durch militante Aktionen gegen dessen soziale Verhältnisse aus. Nach "sozialrevolutionärem" Verständnis herrscht in Deutschland eine "rassistische" und unmenschliche Sozialund Ausländerpolitik zu Lasten sozialer Randgruppen. Selbstverständnis und Strategien der "Sozialrevolutionäre" lehnen sich zum Teil an das RZ-Konzept autonomer "revolutionärer Kerne" an. Eine Art Theorieorgan ist die Zeitschrift " Wildcat". In der Vergangenheit war es die zuletzt 1985 erschienene Zeitschrift "Autonomie - Neue Folge", die wesentlich von einem führenden Hamburger Sozialrevolutionär beeinflußt wurde, und der sich mit kapitalismuskritischen Schriften hervorgetan hatte. Dazu gehört das Thesenpapier von 1993 "Die Wiederkehr der Proletarität und die Angst der Linken ", in dem vom " Toyotismus " (gemeint: gesteigerte Form von Ausbeu-127- tung in der industriellen Massenproduktion) als Modell des "Postfordismus" die Rede ist. Nachdem Sozialrevolutionäre in Hamburg jahrelang kaum noch öffentlich in Erscheinung getreten waren, gab es in Hamburg 1997 neue Ansätze. Die mindestens seit 1994 existierende Gruppe "Blauer Montag" stellte sich nach einigen Flugblättern und Veröffentlichungen (1994-1996) im "SoZ-Magazin" (Publikation der "Vereinigungfür Sozialistische Politik" /VSP, Nr. 7, Ostern 1997) erstmalig selbst öffentlich vor: Ihre Angehörigen stammten aus den ehemaligen "Jobberund Erwerbsloseninitiativen Hamburg", seien Gewerkschafterinnen oder kämen aus "internationalistischen Zusammenhängen". Sie hätten seit etwa 3 Jahren versucht, in Hamburg eine "teilbereichsübergreifende" Debatte zu den unterschiedlichsten "Aspekten und Facetten von Klassenrealität" zu organisieren und sich dabei u.a. mit dem "Toyotismus" (vgl. o.) beschäftigt. Zuletzt habe man sich verstärkt dem Protest gegen die DGBKampagne "Bündnis gegen illegale Beschäftigung", der Solidarität mit Streikenden in Frankreich und den streikenden Liverpooler Hafenarbeitern gewidmet; außerdem sei man gegen die "Ausgrenzungsund Vertreibungspolitik" des Hamburger Senats gegenüber Bettlern, Obdachlosen, Junkies u.a. aktiv geworden. Anlaß der Selbstdarstellung war ein an gleicher Stelle abgedruckter redaktioneller Beitrag. Die Gruppe "Blauer Montag" zeichnet für eine zweijährige themenund szenenübergreifende Veranstaltungsreihe zur Arbeitsmarktund Sozialpolitik verantwortlich. Im Rahmen der "Aktionswoche gegen Innenstadtvertreibungen" (02.-08.06.97) lud sie per Flugblatt zu einer Diskussionsveranstaltung (03.06.97) ein. Motto: "Auch Szeneviertel müssen sauber bleiben! Sicherheitspartnerschaft Bürger und Polizei im Schanzenviertel?", Tenor: "Eine Debatte über Drogen, Sicherheit, Rassismus, Ausgrenzung und Schwäche der Linken in einer Autonomen-'Hochburg'". Es folgte eine Diskussionsveranstaltung "Alltägliche Ausgrenzung als akzeptierte soziale Praxis im Schanzenviertel?" (11.09.97). Zu den im Hamburger Schanzenviertel stattgefundenen sog. "Informationstagen gegen Rassismus, Ausgrenzung und Vertreibung" (17.-20.09.97) verfaßte die Gruppe zehn "Thesen zur Situation im Schanzenviertel", die in der "Rote Flora "-Postille "Zeck" (Nr. 65, Dezember) veröffentlicht wurden. Sie laufen letztlich auf die Unterstellung hinaus, daß Verarmungsund Verelendungsprozesse - gekoppelt mit "aggressiver" Ausgrenzung und Vertreibung - Programmfacetten staatlicher Politik sind. Bereits 1996 hatte die Gruppe "Blauer Montag" in einem Beitrag für die Zeitung "analyse & kritik" (Nr. 394, 19.09.96) im Zusammenhang mit der behaupteten "Kampfansage gegen Randgruppen, Leistungsunfähige und Marginalisierte" von einer "Analogie zur nazistischen Volksgemeinschaft" gesprochen. Das unter Sozialrevolutionären gebräuchliche Symbol der "Schwarzen Katze" ist u.a. in der Namensgebung der bundesweit existierenden "Wildcat"-Gruppen wiederzufinden. Das zweimonatliche "Wildcat"-Zirkular gab in der Nr. 38 / Juli 1997 Kontaktadressen in Berlin, Köln, Hamburg und Mannheim-Ludwigshafen an. - 128- 4.3 Aktionsfelder 4.3.1 Ausländerund Asylproblematik / "Antirassismus" Das Jahr 1997 war in der Europäischen Union zum Jahr gegen Rassismus erklärt worden. Nach dem Verständnis einer Reihe von Flüchtlingsund Asylanten-Initiativen, kirchlicher Kreise, Bürgerinitiativen sowie Antirassismusgruppen richtete sich die damit verbundene Botschaft nicht in erster Linie an die gesellschaftliche Allgemeinheit, sondern primär an die Adresse staatlicher Institutionen. Mit diversen Aktionen, Veranstaltungen und Schriften protestierten auch linksextremistisch beeinflußte Zusammenhänge gegen die angeblich "rassistische" deutsche Asylund Flüchtlingspolitik, die sich insbesondere in einer behaupteten menschenverachtenden Abschiebepraxis manifestiere. Wie schon in den Vorjahren, versuchten Linksextremisten diese Thematik zumeist mit dem Ziel zu besetzen, sie als Deckmantel für ihre viel weiter reichenden - gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten - Stoßrichtungen zu mißbrauchen. Auf Flugblättern und in Publikationen warben sie für die alljährliche bundesweite Demonstration in Büren (1. Juni) unter dem Tenor: "Weg mit allen Abschiebeknästen! Bundesweite Demo gegen die herrschende Flüchtlings-ZAsylpolitik und den Abschiebeknast Büren. - Grenzen auf! Bleiberecht für alle!1'. Zum Tag der Menschenrechte (10. Dezember) fanden an mehreren deutschen Flughäfen - auch in Hamburg - Mahn wachen und Aktionen gegen die Politik von Bund und Ländern unter dem Motto "Asj/ ist Menschenrecht! " statt. Ein permanentes Zielgebiet von "Antirassisten" ist das Gelände der offenen Justizvollzugsanstalt Glasmoor in Norderstedt, auf dem seit 1994 eine Abschiebehafteinrichtung für abgelehnte Asylbewerber überwiegend aus Hamburg untergebracht ist. Die 1994 begonnenen regelmäßigen "Sonntagsspaziergänge" dorthin - u.a. durch Personen linksextremistischer "antirassistischer" Gruppen aus Hamburg und Norderstedt - wurden im Berichtsjahr fortgesetzt. Anläßlich eines "Großen Sonntagsspazierganges" mit Live-Musik am 15. Juni hieß es in der "Rote Flora"-Postille "Zeck" (Nr. 60): "Die Gefangenen brauchen unsere Solidarität! Weg mit allen Abschiebeknästenl"'. "Bleiberecht für alle Menschen" verlangte ein Flugblatt anläßlich einer Fahrraddemonstration zum Sonntagsspaziergang vom 21. September mit den weiteren Forderungen: "Weg mit dem rassistischen Asylbewerberleistungsgesetz. Weg mit den Abschiebeknästen. Gegen die rassistischen Ausländergesetze"'. Flugblätter und Veröffentlichungen - wiederum auch in der "Zeck" (Nr. 59, Mai 1997) - machten auf Aktionen in Hamburg unter dem Motto: "Die Stadt gehört allen! Aktionswoche gegen Ausgrenzung und Vertreibung vom 2. bis 8. Juni 1997" aufmerksam, die von Flüchtlingsinitiativen und antirassistische Gruppen gemeinsam vorbereitet wurden. Per Flugblatt wurde ein "Protokoll vom Hamburger Vorbereitungstreffen zur bundesweiten Innenstadt-Aktionswoche vom 2.-8. Juni" veröffentlicht. Es enthielt -129- Hinweise auf Vorbereitungsund Bündnistreffen der autonomen Szene - u.a. in der "Roten Flora". Zum Auftakt der Hamburger Aktionswoche wurde am 2. Juni auf das Wohnhaus eines Mitgliedes der Bürgerschaft und Vorstandsmitglieds der "Hamburger Hochbahn-AG" (HHA) ein Anschlag verübt. Tatmittel waren Pflastersteine und mit Farbe gefüllte Flaschen. Die dem autonomen Spektrum zugerechneten Täter riefen am Schluß ihres fünfseitigen Bekennerschreibens zur Teilnahme an der "Innenstadtkampagne" auf und forderten u.a. ein "Bleiberecht für alle!". Für den Anschlag könnte ein offensichtlich schon seit mehreren Jahren existierender Personenkreis aus dem autonomen Spektrum verantwortlich sein, der schon mehrfach mit Gewalttaten auf sich aufmerksam gemacht hat und dabei unter wechselnden Bezeichnungen wie "Autonome Zelle" oder "Autonome Zelle Hamburg" aufgetreten ist. Im Gegensatz zu den Gruppen, von denen 1997 in Hamburg Landfriedensbrüche ausgingen, dürfte die "Autonome Zelle" aus älteren und ideologisch ausgerichteten Autonomen bestehen. Ab 1. März war vorgesehen, vorübergehend in Hamburg aufgenommene Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien in ihre Heimat zurückzuführen. Aus Protest gegen die angeblich "größte Abschiebeaktion in der Geschichte der Bundesrepublik" rief ein breites Bündnis hamburgischer und außerhamburgischer Initiativen/Unterstützer - laut Flugblatt Flüchtlingsinitiativen, antirassistische Gruppen und Initiativen, eine "Anarchistische Alternative" (Bremen), ferner Gliederungen von DKP und SDAJ - für den 22. Februar zu einer Demonstration (etwa 500 Teilnehmer) auf und verlangte: "Wer bleiben will, soll bleiben*.". Nach einer bundesweiten Konferenz "antirassistischer" und in der Flüchtlingsunterstützung tätiger Gruppen am 28. Juni in Kassel formierte sich zur Unterstützung von "illegalisierten Flüchtlingen" in Deutschland eine Initiative unter dem Motto "Kein Mensch ist illegal". Als Vorbild dienten die französischen "Sans Papiers" (die "Papierlosen" - eine Bewegung illegaler Westafrikanerinnen in Frankreich seit den Pariser Kirchenbesetzungen vom März und Juni 1996). Über 150 unterstützende Organisationen (Bandbreite: von autonomen Gruppen bis hin zu kirchlichen und gewerkschaftlichen Initiativen) sowie mehr als 1.000 Einzelpersonen unterzeichneten einen am 15. Oktober in Bonn auf einer Pressekonferenz vorgestellten Appell unter dem o.a. Aufrufmotto. Ziele der Initiative sind u.a. eine Vernetzung der Unterstützergruppen und offensive Öffentlichkeitsarbeit. Die örtliche Hamburger Initiative gab als Kontakt eine von hiesigen Flüchtlingsgruppen Anfang 1995 gegenüber der Ausländerbehörde eingerichtete Anlaufstelle für Flüchtlinge ("Info-Cafe") an. -130- Am 06. Oktober verübten Autonome im Schanzenviertel einen Brandanschlag auf einen "Revier vor Ort" (RVO)-Bus der Polizei. In einem Schreiben wurde die Aktion mit antirassistischen Parolen begründet. Wenige Tage zuvor (03.10.97) hatten Autonome bereits einen Supermarkt in Berlin niedergebrannt, weil sich diese Ladenkette angeblich an der "antirassistischen Behandlung" von Asylbewerbern beteiligt hätte. Diverse "antirassistische" Initiativen unterstützten am 08. November eine Demonstration unter dem Tenor "Rechte für afrikanische Flüchtlinge in Deutschland! Unser Leiden geht weiter in Hamburg!". Unterstützer und Flüchtlinge forderten mehr Aufenthaltsgenehmigungen und bessere Lebensbedingungen. Sie seien keine Kriminellen. Der Prozeß in Lübeck um den Brandanschlag (18.01.96) auf ein von Asylanten bewohntes Haus war am 30. Juni mit einem Freispruch für den angeklagten Mitbewohner zu Ende gegangen. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf eine Revision. Bis zur Urteilsverkündung - insbesondere im Zusammenhang mit dem Jahrestag des Anschlags - fanden bundesweit und in Hamburg laufend Abb. 35: Mit (u.a.) "antirassistischer" Begründung: ZerstöVortrags-, Diskussirung einer mobilen Polizeiwache im Schanzenviertel ons-, Konzertund Filmveranstaltungen statt. Während der gesamten Prozeßdauer sowie vorund hinterher wurden der Polizei und Justiz von linksextremistischer Seite permanent offen oder verklausuliert unterstellt, die Ermittlungen und den Prozeß aus einer rassistischen Grundhaltung heraus geführt zu haben. Sogenannter "Antirassismus" war 1997 und bleibt 1998 für Linksextremisten - vornehmlich aus dem autonomen / anarchistischen Spektrum - ein vorrangiges Dauerthema. -131 - 4.3.2 Antifaschismus "Antirassismus" und "Antifaschismus" haben für Linksextremisten anhaltend nahezu gleichhohe Bedeutung. In der Agitation und in Tatbegründungen zu beiden Kampagnen kommt es daher auch immer wieder zu Überschneidungen. Da Deutschland nach linksextremistischem Befund ein "faschistischer" oder wenigstens "faschistoider" Staat ist, fällt es leicht, ihm zusätzlich auch gleich des Etikett "rassistisch" anzuheften. Linksextremistische "Antifas" richten ihren Protest vordergründig gegen "rechte" Gewalt und "faschistische" Strukturen, z.B. der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), der "Deutschen Volksunion" (DVU) oder der Partei "Die Republikaner" (REP). Eigentliches Angriffsziel aber ist das "System" der Bundesrepublik. Diesem wird eine anhaltende Verwurzelung im Faschismus des "3. Reiches" unterstellt. Es begünstige rechtsextremistische Organisationen und Betätigungen oder funktionalisiere sie sogar zur eigenen "kapitalistischen/imperialistischen" Herrschaftssicherung. Die "Antifa" sieht sich als "Speerspitze" gegen tatsächliche oder behauptete rechtsextremistische Zusammenhänge. Autonome Antifaschisten versuchen aus diesem Selbstverständnis heraus, "rechte" Strukturen auszuforschen, aufzudecken, "Faschisten angreifbar" zu machen und direkt gegen sie vorzugehen. Aktionen gegen "Faschos" sollen generell öffentliche Auftritte von Rechtsextremisten verhindern oder zumindest empfindlich behindern. Gewaltanwendung bedarf dabei wegen des - vom "Antifa"Standpunkt aus gesehen - höheren Zwecks keiner besonderen Begründung. Militantes Vorgehen gegen rechtsextremistische Organisationen oder Einzelpersonen, zuweilen bis hin zu Brandanschlägen, widerspricht nicht dem Selbstverständnis autonomer "Antifaschisten ". Als Ansätze zu bundesweiten Vernetzungen der autonomen "Antifa" sind derzeit die 1992 gegründete Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) und das im Frühjahr 1995 entstandene "Bundesweite Antifa-Treffen" (BAT) hervorzuheben. Hamburger "Antifas" sind in der AA/BO mit der "Antifaschistischen Gruppe Hamburg" (AGH) vertreten. Im BAT engagiert sich die Hamburger "Autonome Männer-Antifa" (AMA). Unter dem bundesweiten Dach der 1993 in Hamburg gegründeten, sich an der AA/BO orientierenden "Antifaschistischen Jugend/Bundesweiter Zusammenschluß" (AJ/BZ) sammeln sich diverse Antifa-Jugendgruppen, so auch die "Antifa Jugendfront Hamburg" (AJF). AGH und AJF veranstalten im Szene-Treff "B 5" regelmäßig gemeinsam das "Antifa Jugend Cafe". Neben diesen an bundesweite Vernetzungsinitiativen angebundenen Hamburger Gruppen gibt es zahlreiche andere lokale "Antifa "-Gruppen (häufig Stadtteiloder anderweitig bereichsbezogen) und Bündnisverflechtungen. Seit 1989 existiert eine vorrangig an der Universität und den Hamburger Hochschulen wirkende, von Linksextremisten beeinflußte studentische "Hochschul-Antifa". Das hamburgweite "Bündnis Keinen Fußbreit den Faschisten" - 1993 anläßlich der Hamburger Bürgerschaftswahl gegründet - -132- hat sich 1997 aufgelöst. Dessen Funktionen hat weitgehend das Anfang des Jahres gegründete und in der "B 5" angesiedelte "Antifa-Vernetzungstreffen" übernommen. Breite und Vielfalt der im Berichtsjahr von der Hamburger autonomen "Antifa "-Szene entwickelten Aktivitäten können hier nur ausschnittweise dargestellt werden. Den Hauptkristallisationspunkt bildeten Protestaktionen - nicht nur - im Vorfeld des Bürgerschaftswahlkampfes gegen Kandidaturen und Auftritte rechtsextremistischer Parteien (NPD, DVU, REP) sowie anderer rechtsgerichteter Organisationen (insbesondere "Bund Freier Bürger" (BFB)) - für "Antifas" allesamt "Faschisten". Bereits im Juli und August wurden Wahlhelfer der " rechten " Parteien sowie Protestverantstaltungen angegriffen. Am Tag der Wahlzulassung (22.08.97) protestierten "Antifas" während der öffentlichen Landeswahlausschußsitzung gegen die Zulassung der "Rechten" und demonstrierten abends mit etwa 150 Personen - darunter Linksextremisten, die sich allerdings größere Resonanz erhofft hatten - gegen den BFB. Ein kraftvolleres Zeichen "antifaschistischen Widerstandes" sollte am 01.09.97 die in Hamburg traditionelle "Antikriegstags "-Demonstration setzen. Ein für den 13.09.97 u.a. im Internet mit großem Propagandagetöse und drohendem Unterton angekündigter zentraler Aufmarsch der kandidierenden NPD in Hamburg löste dann allerdings eine über Hamburgs Grenzen hinausreichende massive Gegenmobilisierungskampagne aus. Ein offensichtlich hoch motiviertes breites Bündnis antifaschistischer Gruppierungen wollte sich diesem Aufmarsch entgegenstellen und moAbb. 36: Autonome auf der "Antifa "-Demonstration in bilisierte mit bundesweiHamburg am 13.09.97 ter Resonanz etwa 2.400 Gegendemonstranten, davon etwa 1.000 - 1.200 aus dem autonomen Spektrum. In seinem Aufruf forderte das Bündnis konsequentes Einschreiten gegen faschistische Gewalt und Propaganda und übersetzte auch, was darunter nach antifaschistisch-autonomem Selbstverständnis zu verstehen ist: -133- "Dieser Staat wird nie ernsthaft gegen Faschisten vorgehen. Statt des Appells an Polizei und Justiz fordern wir auf die antifaschistische Seihsthilfe zu organisieren!... Das heißt für uns... den Nazis offensiv und mit allen dafür notwendigen Mitteln entgegenzutreten!" (Unterstr. n. i. Orig.). Den gedruckten Wortlaut flankierte ein abgebildetes Demonstrationstransparent mit der Aufschrift "Antifa heißt Angriff !". Der dennoch - bis auf einige Steinund Farbbeutelwürfe - weitgehend friedliche Verlauf dürfte vorrangig darauf zurückzuführen sein, daß die NPD ihren Aufmarsch ausfallen ließ und es somit zu keiner Konfrontation zwischen Rechtsund Linksextremisten kam. Einem weiteren, für den Wahlabend (21.09.97) angekündigten Aufzug des antifaschistischen Spektrums verlieh der befürchtete Parlamentseinzug der DVU angesichts ihres äußerst knappen Ergebnisses (4,977 %) besondere Brisanz. Rund 600 Personen, darunter etwa 200 militante Linksextremisten, machten ihrem Unmut über den Wahlverlauf bzw. den Stimmenzuwachs für die "rechten" Parteien Luft. Der Aufzug verlief trotz der Umstände weitgehend friedlich. Am Rande kam es vereinzelt zu Sachbeschädigungen. Im Oktober erregten die konstituierenden Sitzungen der Bezirksversammlungen in Hamburg-Mitte, Wandsbek, Bergedorf und Harburg im Hinblick auf die dort eingezogenen DVU-Abgeordneten erhöhtes Interesse in der autonomen Szene, führten jedoch zu keinen Ausschreitungen. Die Stimmengewinne der DVU bei der Bürgerschaftswahl und ihr Einzug in nunmehr 4 Bezirksversammlungen rückte die DVU bis zum Jahresende auf der Seite der Hamburger "Antifa"-Szene in den Vordergrund. Am 03.12.97 fand in Billstedt eine Demonstration gegen ein Treffen Hamburger DVU-Anhänger statt. Ein buntes Konglomerat von etwa 400 Demonstranten aus dem antifaschistisch-autonomen Spektrum sowie aus örtlichen (Billstedter) Jugendlichen protestierte vor dem Versammlungslokal gegen die DVU. Der Demonstrationsverlauf spitzte sich zu, Demonstranten gingen gegen das Lokal vor und griffen Polizeikräfte an, die zum Schutz des Lokals eingesetzt waren. Eine Eskalation der so provozierten Auseinandersetzungen konnte die Polizei nur mit erheblicher Anstrengung verhindern. "Antifaschistische Gruppen aus Hamburg und Umgebung" werteten die Aktion später in einem Flugblatt als Erfolg und erläuterten ihren Standpunkt zur Gewalt (Kommafehler n. korrig., Unterstr. n. i. Orig.): "Wirfinden es notwendig und richtig Treffen und Veranstaltungen faschistischer Parteien praktisch zu verhindern. Dies schließt militante Aktionsformen ... mit ein. Antifaschismus, der... die Arbeit und den Aufbau faschistischer Strukturen konkret beund verhindern will kann nicht darauf verzichten. " -134- Hamburger "Antifaschisten " beteiligten sich auch an Aktionen im nahen Umland. Am 16.11.97 protestierten ca. 120 Versammlungsteilnehmer unter Beteiligung autonomer Antifaschisten aus Hamburg in Henstedt-Ulzburg gegen die dortige traditionelle Kranzniederlegung am Volkstrauertag durch die Gemeinde, zu der sich seit einigen Jahren auch Rechtsextremisten berufen fühlen. Unter dem Motto "Gegen die Verdrehung der Geschichte - Kein Heldengedenken in Henstedt-Ulzburg" wandten sich die Protestierer gegen eine "Gleichsetzung von Tätern und Opfern". Nach Beendigung ihrer angemeldeten Veranstaltung sammelten sich einige der Demonstrationsteilnehmer erneut, um direkt zum Platz der Gedenkveranstaltung vorzudringen und diese zu stören bzw. zu verhindern. Die Polizei unterband diesen Versuch, indem sie ca. 60 Personen (etwa zur Hälfte minderjährig) in Gewahrsam nahm. Die Aktionen in Billstedt und Henstedt-Ulzburg bestätigten einen auch durch Erkenntnisse bei anderen Gelegenheiten beobachteten Trend innerhalb der Hamburger antifaschistischen Szene: Der zu militanten Verhaltensweisen neigende Teil rekrutiert sich zunehmend aus immer jüngeren Angehörigen. Zahlreiche andere außerhamburgische Ereignisse und Aktionen zogen auch die Hamburger "Antifa "-Szene an. In der Regel handelte es sich um Reaktionen auf Aufmärsche der NPD, der JN und andere rechtsextremistische Aktivitäten. Am 15.02.97 protestierten militante Linksextremisten gegen einen von den JN angekündigten Aufmarsch in Berlin. Etwa 350 autonome Antifaschisten griffen auf dem S- und U-Bahnhof Berlin-Wuhletal rund 30 dort ankommende Rechtsextremisten an. Diese konnten sich nur in Sicherheit bringen, indem sie über die Gleise flüchteten und sich ein einem Bahnwaggon verbarrikadierten. Der Polizei gelang es unter dem Einsatz aller verfügbaren Kräfte, der Situation Herr zu werden. Über 100 Personen wurden vorläufig festgenommen. Ein dauerhaftes Reizthema nahezu der gesamten rechtsextremistischen Szene war das Jahr über die Ausstellung des Hamburger Instituts für Sozialforschung unter dem Motto "Vernichtungskrieg - Verhrechen der Wehrmacht 1941 bis 1944". Protesten von Ausstellungsgegnern auf rechtsextremistischer Seite standen Gegenproteste von linksextremistischer Seite gegenüber. Vom 25.02. - 06.04.97 gastierte die Ausstellung im Münchener Rathaus und verhalf dort mit ihrer kritischen Darstellung der Wehrmacht im System des Nationalsozialismus ungewollt am 01.03.97 der NPD und ihrer Jugendorganisation JN zu ihrem größten bundesweiten Mobilisierungserfolg. Als Ergebnis einer ebenfalls massiven bundesweiten linksextremistischen Gegenmobilisierung standen sich bei der NPD-Abschlußkundgebung jeweils mehrere Tausend Anhänger beider Lager in einem aufgeheizten Klima gegenüber. Die Polizei konnte eine drohende Eskalation im Falle eines gewalttätigen Aufeinanderprallens beider Gruppen nur durch Einsatz mehrerer Hundertschaften knapp abwenden. -135- Die Meinungspolarisierung im Zuge der Wehrmachtsausstellung führte in Marburg am 14.09.97 zu Krawallen. Bei Kundgebungen kam es hier zu Auseinandersetzungen, als "Antifa "-Demonstranten Vertreter rechtsextremistischer Organisationen angriffen. Mehrere Kontrahenten wurden zum Teil erheblich verletzt. Die Etablierung eines "nationalen" Jugendzentrums in Saalfeld/Thüringen führte zur Anmeldung einer gruppenübergreifend getragenen Demonstration mit bundesweiter Mobiliserung in der Stadt Saalfeld. Am 11.10.97 sollte unter dem Motto "Kein Nazizentrum in Saalfeld ! Den rechten Konsens durchbrechen! Faschistische Strukturen aufdecken und zerschlagen!" ein mahnendes Zeichen gegen die Entwicklungen der " rechten " Szene in der Region gesetzt werden. Dieses Mal kündigten rechte Gruppierungen eine Gegendemonstration an. Beide Veranstaltungen wurden wegen drohender Ausschreitungen kurzfristig verboten, was Linksextremisten mit massiven Störaktionen in der Region quittierten. In einem Zug der Deutschen Bahn AG randalierten 70 Personen. Sie mußten auf dem Geraer Bahnhof in Gewahrsam genommen werden. Rund 300 Demonstranten blockierten über Stunden die A9 bei Eisenberg. Am Nachmittag des 11.10.97 kam es zu mehreren - weitgehend friedlichen - Spontandemonstrationen in Leipzig, Erfurt und Jena mit mehreren hundert Teilnehmern. Insgesamt wurden an diesem Tag über 450 Rechtsund Linksextremisten vorläufig festgenommen. Im Vorfeld der Bundestagswahl am 27.09.1998 - auch im Hinblick auf die nahende Euro-Einführung - werden Rechtsextremisten neue Anläufe unternehmen, mit massiver Propaganda die öffentliche Meinung sowie das Wählerverhalten in ihrem Sinne zu beeinflussen und dabei auch auf den Straßen Präsenz zu zeigen. "Antifaschistische" Gegenmobilisierungen sind damit vorprogrammiert. Angesichts einer generell festzustellenden steigenden Gewaltbereitschaft bei Rechtsextremisten sind Aufschaukelungseffekte zwischen "Rechts" und "Links" nicht auszuschließen. 4.3.3 Protest und Widerstand gegen Stadtteilentwicklung In früheren Jahren entzündete sich der Hauptprotest autonomer Hausbesetzer an der Zukunft des sogenannten "Laue-Komplexes" (ehemals Gelände einer Gewürzfabrik) im Schanzen viertel. Wegen des Leerstandes mehrerer tausend Quadratmeter potentieller Wohnfläche weckte das Objekt innerhalb der autonomen Szene des Stadtviertels Empörung und Begehrlichkeiten. Zahlreiche Besetzungsaktionen sollten den Anspruch auf brachliegende Wohnraumressourcen manifestieren. Zum einen begründeten die verschiedenen Besetzergruppen die unerlaubte Inbesitznahme von Gebäuden des Komplexes schlichtweg mit der eigenen unzureichenden persönlichen Wohnsituation. Es sei moralisch gerechtfertigt, das Eigentum von "Bonzen und Spekulanten" quasi in Selbsthilfe zu "enteignen". Zum anderen sollte Umstrukturierung - u.a. einer sogenannten " Yuppisierung " - des Viertels entgegengewirkt wer-136- den. Den neuen Eigentümern und anderen Immobilienbesitzern wurden Spekulationsabsichten vorgeworfen, indem sie Altbauten gewinnbringend in hochwertigen Wohnraum und Luxusläden umwandeln würden. Das von der autonomen Szene als 'eigenes' Viertel betrachtete Territorium würde dann, resultierend aus einem "Vertreibungsdruck", einer im übrigen angeblich auch staatlicherseits betriebenen Umstrukturierung unterworfen. Sozial schwache Bewohner müßten das Gebiet zugunsten neu zugezogener, zahlungskräftiger Mieter und Eigentümer räumen. Inzwischen hat sich der Streit um die ehemalige Gewürzfabrik entspannt. Die Sanierung/Modernisierung des Komplexes hat begonnen und der Investor hat zugesichert, eine der ehemaligen Besetzergruppen darin unterzubringen. Das Wahrzeichen des Schanzenviertels, der als solcher ausgediente Wasserturm im Schanzenpark, ist seit zwei Jahren ein neuer Anknüpfungspunkt des " Stadtteilwiderstandes " auch der autonomen Szene. Autonome hatten sich u.a. an einer "Wasserturm-Initiative " beteiligt, die sich im anarchistischem "Libertären Zentrum " (LIZ) traf. Die von Autonomen Abb. 37: Protestschmiererei im Schanzenviertel gegen die und Anarchisten maßgeblich beeinflußte sog. Pläne zur künftigen Nutzung des Wasserturms "Wasserturm-Ini" hatte sich den Widerstand gegen die Pläne des Eigentümers/Investors hinsichtlich einer Nutzung als Hotel auf ihre Fahnen geschrieben. Sie behauptete negative Auswirkungen für die Bewohner des Viertels, u.a. im Zuge erhöhten Verkehrsaufkommens sowie zwangsläufig verschärfter Sicherungsmaßnahmen durch Wachdienste etc. im Schanzenpark. Zudem würde es sich bei der Hotelkundschaft schon wegen der Nähe zum Messegelände überwiegend um unerwünschte " Yuppies" und "Bonzen" handeln. Für die Bewohner des Schanzenviertels sei das Hotel absolut nutzlos, für sie seien Übernachtungen dort ohnehin unerschwinglich. Auf Anregung der "Wasserturm-Initiative" entstand ein "Wasserturm-Bündnistreffen", das sich regelmäßig im Autonomenzentrum "Rote Flora " traf. - 137- Nach anfänglich noch relativ friedlichen Protesten gegen den Turm, kam es am 01.05.97 zu gewalttätigen Ausschreitungen im Schanzenviertel. Etwa 30 Vermummte errichteten am Maifeiertag, dessen Traditonsgehalt sich seit mehreren Jahren für manche Autonome (ausgehend von Berlin) als Signal zur Gewalt erschließt, an mehreren Stellen im Viertel Barrikaden und setzten diese in Brand. Polizeiund Feuerwehrkräfte wurden z.T. unter massiver Gewaltanwendung angegriffen und behindert. Militante Straßenkämpfer schreckten nicht davor zurück, mit Steinen und Signalmunition gegen Polizeibeamte vorzugehen. Auf der Straße hinterließen Täter sog. "Krähenfüße", die eine polizeiliche Verfolgung erschweren sollten. Ein Einsatzfahrzeug der Polizei wurde dadurch beschädigt. Die Täter begründeten ihre Aktion mittels diverser im Viertel gesprühter Parolen, die sich gegen die Hotelpläne im Wasserturm und gegen eine befürchtete " Yuppisierung" richteten. Bei einer Nachfolgeaktion am 14.05.97 ging vermutlich das gleiche Täterspektrum in fast identischer Weise vor. Wiederum errichteten etwa 30 Vermummte Barrikaden. Eintreffende Polizeiund Feuerwehrbeamte wurden abermals mit Steinen beworfen, ein Funkstreifenwagen der Polizei wurde hierbei beschädigt. Darüber hinaus setzten die Täter einen Bagger in Brand. Nicht zuletzt aufgrund dieser Tat entstand ein Sachschaden von etwa 250.000 DM. Schließlich begingen die Täter noch Sachbeschädigungen an einer Hamburger Bankfiliale. Eben diese Zweigstelle war bereits zwei Jahre zuvor (01.05.95) Opfer von Gewalteskalationen autonomer Straßenkämpfer gewesen. Am 14.05.97 begründeten die Täter ihre Aktion mit einem am Tatort hinterlassenem Transparent mit der Aufschrift: "Kein Hotel im Wasserturm". Ihren vorläufigen Abschluß fand die Serie von Gewaltausbrüchen mit dem Begründungshintergrund "Wasserturm" am 10.07.97. Vermutlich vier Täter hatten in den frühen Morgenstunden an sechs Geschäften am Neuen Wali in der Hamburger Innenstadt die Schaufensterscheiben mit Steinen eingeworfen. Bei dieser im Szenejargon "Entglasungsaktion" genannten Sachbeschädigung hinterließen die Täter Flugblätter mit der hinlänglich bekannten Parole "Kein Hotel im Wasserturm". - 138- Am Abend des 06.10.97 war wieder das Schanzenviertel Schauplatz autonomer Gewalttäter. Etwa 30-40 schwarzbekleidete Vermummte setzten an der Ecke Schanzenstraße/ Susannenstraße einen "Revier vor Ort"Bus (RVO-Bus) der Hamburger Polizei in Brand. Das Fahrzeug war für die bürgernahe Polizeiarbeit im Brennpunkt "Drogenszene im Schanzenpark" eingesetzt und wurde völlig zerstört. Während des Angriffs wurde eine Fußstreife der Polizei mit Signalmunition beschossen. Etwa 20 Personen versuchten zunächst erfolglos, den Bus umzuwerfen und zündeten ihn daraufhin an. Danach zogen sich die Angreifer in die Susannenstraße zurück, wo zeitgleich zum Angriff bereits eine brennende Barrikade aus fünf Autoreifen Abb. 39: Zerstörter Bauwagen als Ausdruck von errichtet worden war. Wieder"Stadtteilwiderstand" im Schanzenviertel um waren "Krähenfüße" ausgestreut. Während der Aktion skandierten die Täter u.a. die Parole "Bullen raus aus dem Schanzenpark". Als Werkzeuge wurden später Molotowcocktails, Pflastersteine, Schlagstöcke, Kartuschen für Signalmunition, diverse "Krähenfüße" und ein Vorschlaghammer sichergestellt. Im Gegensatz zu den früheren Gewaltaktionen folgte einige Tage später ein tatbegleitendes Schreiben. Die Verfasser verknüpften darin autonome Forderungen zur Stadtteilpolitik mit "antirassistischen" Begründungselementen. Die Urheber beklagten vor allem repressives staatliches Vorgehen gegen das nach Meinung der Verfasser quasi " herbeigeredete " Drogenproblem im Schanzenviertel und behauptete eine "Stigmatisierung" von Schwarzafrikanern als potentielle Drogendealer. In der Taterklärung unter der Überschrift "Schluß mit dem rassistischen Polizeiterror" heißt es u.a.: "Diese Aktion ist ein Ausdruck von grundlegendem Widerstand gegen die unerträglich hohe Polizeipräsenz im Schanzenviertel....Das Schanzenviertel ist zum Experimentierfeld rassistischer Sicherheitsund Sauberkeitsideologien in Staat und Gesellschaft geworden. Es ist höchste Zeit, daß sich viele gegen diese Entwicklung stemmen und vielfältigen Widerstand organisieren." - 139- Neben Polizei, Staat, politischen Parteien und den Medien werden besorgte Bewohner des Schanzenviertels kurzerhand als "Bürgermob" beschimpft: * "Parallel zu dieser Selbstinszenierung staatlicher Gewalttätigkeit haben sich einige Anwohnerinneninitiativen und Gewerbetreibende zu einem schlagkräftigem Bürgermob formiert. In egoistischer "Betroffenheit" und Selbstmitleid versunken, haben sie sich ein Bedrohungsszenario zurechtgebastelt, welches in Form von Drogen, Elend und Schwarzen scheinbar ihre Wohnidylle, bzw. ihre Verkaufsbilanzen ankratzt. " Abschließend erklären die Verfasser, daß "gegen unerträgliche Lebensverhältnisse...nicht das Treten nach 'Unten'" helfe, "sondern organisierter Widerstand!" Mit der Parole "DIE STADT GEHÖRT ALLEN!" schließt das Schreiben. Tat und Erklärung sind nicht nur "Antworten" auf eine angeblich rassistische und repressive Drogenpolitik staatlicherseits. Es wird auch deutlich, daß innerhalb des Schanzenviertels zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen ein Spannungsverhältnis in dieser Frage besteht. In der Nacht vom 31.12.97 auf den 01.01.98 'verabschiedete' sich die Szene aus dem Jahr 1997 mit einer weiteren militanten Aktion autonomer Umstrukturierungsgegner. Unbekannte richteten Sachbeschädigungen an dem Einkaufszentrum Mercado in Ottensen an. Die Täter zerstörten Schaufensterscheiben mehrerer Geschäfte und warfen Farbbeutel gegen die Fassaden. Zwei Molotowcocktails verursachten aufgrund glücklicher Umstände nur begrenzten Schaden. Am Tatort sprühten die Täter Parolen'wie "Kampf", "Rache für 97" sowie "Gegen innere Sicherheit". "Rache für 97" sollte offenbar eine 'Generalabrechnung' mit der Polizei andeuten. 4.3.4 Einflußnahme auf die Antikernkraft-Bewegung Vor dem Hintergrund eines in den Beweggründen, Aussageinhalten, Aktionsformen und von den Trägerkreisen her breit gefächerten Protestes gegen die Nutzung der Kernenergie suchen Linksextremisten Möglichkeiten, sich mit ihren Positionen in das gesellschaftlich stark beachtete Thema einzuklinken. Neben orthodox-kommunistischen Gruppierungen, die sich mehr theoretisch damit auseinandersetzen, sind es vor allem gewaltbereite AKW-Gegner, die den Protest entscheidend praktisch prägen. Für linksextremistisch motivierte Kernkraftgegner ist der Widerstand lediglich eine Variante ihrer generellen Bekämpfung der "herrschenden Ordnung". Die Agitation richtete sich wie schon in den vergangenen Jahren vor allem gegen sog. Castortransporte. Seit 1995 wurde der Begriff "Castor" zum Synonym für den Protest gegen die Atomkraftnutzung. Der militante Widerstand konzentrierte sich 1997 wiederum vornehmlich auf einen Transport in das wendländische Atommüllzwischenlager -140- in Gorleben/Niedersachsen. Zu einem im Vorfeld begangenen sog. "Hakenkrallenanschlag" gegen eine Bahntrasse der Deutschen Bahn AG am 25. Februar 1997 heißt es in einer Taterklärung der "AUTONOMEN GRUPPEN" hierzu: "Wenn wir den Transport verhindern können, wäre dies ein großer Sieg für uns. Dennoch wird dann der Widerstand gegen das herrschende System selbstverständlich auf anderen Ebenen weitergehen, bis zur völligen Zerschlagung sämtlicher Strukturen von Macht, Herrschaft, Ausbeutung und Unterdrückung ". Vom 03. - 05.03.97 fand - nach 1995 und 1996 - der dritte Castortransport Sofortige Stilfegung ] Gif er Atomanlagen | in das Atommüllzwischenlager Gorleben e#e<* statt. Schon beim ersten a,otf Transport war es gewaltbereiten Castorgegnern gelungen, über massiven Widerstand die Transportkosten durch provozierte schutzpolizeiliche Maßnahmen etc. auf 55 Mio. DM hochzuschrauben. Infolge des beim zweiten Transport nochmals erhöhten ProAbb. 40: Parolenbeispiele (autonome Szenezeitschrift testaufkommens stiegen "Interim" Nr. 412 v. 13.03.97) die Kosten abermals an, um schließlich 1997 etwa 111 Mio. DM zu erreichen. 30.000 Polizisten wurden beim dritten Transport eingesetzt, 77 Beamte wurden u.a. durch Steine, Stahlkugeln etc. verletzt. In der 'heißen Phase' wurden 659 Straftaten registriert. Bereits im Vorfeld ereigneten sich zahlreiche militante Protestaktionen, vorzugsweise sog. Hakenkrallenanschläge, fast flächendeckend im gesamten Bundesgebiet - mit Schwerpunkten in Niedersachen und Berlin/Brandenburg. Die Aktionen waren zum Teil koordiniert, indem zeitgleich an mehreren Orten Hakenkrallen in elektrischen Oberleitungen der Deutschen Bahn AG plaziert wurden. In einem Flugblatt hatten sich u.a. "Autonome Gruppen" zu einer solchen konzertierten Aktion bekannt. Auch im Hamburger Umland praktizierten militante AKW-Gegner dieses Vorgehen. Als der Transport am 03.03.97 mit sechs Castor-Behältern von Walheim in BadenWürttemberg aus startete, wurde er zunächst nördlich von Göttingen massiv durch eine - 141- Blockadeaktion behindert. Trotz einiger weiterer kleiner Widerstandsaktionen im Streckenverlauf schwoll der Protest erst mit dem Eintreffen im Wendland auf ein gefährliches Niveau an. Die Castor-Gegner hatten sich mit mehreren Camps in der Nähe der Transportstrecke günstigste Ausgangspositionen ausgesucht. Militante Anti-AKWAkteure bedienten sich größtenteils 'bewährter' Widerstandsformen. Probate Mittel waren Sabotageakte an Bahnschienen durch Zersägen und Demontieren der Gleiskörper, Errichten von Barrikaden, Unterhöhlen von Straßen etc. Auch "friedliche" Aktionsformen, wie z.B. Blockaden durch Menschenbarrieren, wurden z.T. mit linksextremistischer Theorie begründet. Besonders hervorgetan hatte sich hier die anarchistische "Graswurzelbewegung", die mit ihrer Aktion "X-tausendmal quer" vor dem Castorverladebahnhof in Dannenberg für Aufsehen sorgte. Gerade diese Aktion führte innerhalb des Protestspektrums im nachhinein z.T. zu heftigen, verbal geführten Schlagabtauschen zwischen gewaltbereiten Autonomen (Gewalt gegen Sachen und z.B. Polizeibeamten) und den sich selbst als gewaltlos (hinsichtlich menschenverletzender Gewalt) bezeichnenden Anhängern der Graswurzelideologie. Letztere definiert Gewalt gegen Sachen als "gewaltlos", weil Sachen keinerlei Gewalt 'empfinden'. Solange keine Menschen zu Schaden kommen, gelten Sachbeschädigungen - wie auch Blockadeaktion - als legitime Mittel für "Interventionen". In der "Interim" Nr. 413 vom 20.03.97 monierte Abb. 41: "Gewaltfreie" Schienendemontage. Foto aus der "Ein Autonomer" diese Broschüre "Kampf dem Atomstaat" (Sommer 1997), UntertiDifferenzierung wie tel: "Castor stoppen - die Verhältnisse zum Tanzen bringen" folgt: "Real hat X-tausendmal Quer den Bullen mehr genutzt als geschadet. Die Spaltung in friedliche Demonstranten und Chaoten wurde von X-tausendmal Quer vorweggenommen und immer wieder bestätigt. Die Bullen konnten sich als Mensch in Uniform etablieren...Es geht nicht an, daß sich vorm publicityträchtigen Verladekran, eine Gruppe mit einem ausschließlichen Konzept inszeniert und andere des Platzes verweist...Wenn aber das, was X-1000mal Quer praktiziert hat, Graswurzellinie ist, dann hat sich diese - 142- Bewegung vom Widerstand verabschiedet...Wir Militanten sollten uns gut überlegen, wie wir uns in Zukunft z.B. zu "X-IOOOmal Quer" verhalten. " Der Widerstand konzentrierte sich abermals auf das letzte Transportstück zwischen Dannenberg und Gorleben. Da hier der Castor nicht mehr auf der Schiene, sondern per LKW auf der Straße transportiert werden mußte, ist dieser Abschnitt regelmäßig die 'Achillesferse' bei der Transportsicherung gegen Blockadeund Sabotageakte. So gelang es Störern denn auch bei Splitau, ein Straßenstück zu unterhöhlen und für den schwergewichtigen Castor unpassierbar zu machen. Etliche Aktionisten suchten direkte Konfrontationen mit der Polizei, wobei es zu teils heftigen Ausschreitungen kam. Am 04.03.97 hatte eine aus etwa 600 Personen bestehende Gruppe bei Langendorf - offenbar mit LÖ * r r - m m m t '_ EUR H Tu(tm) (tm) |^" ^ ^ ^ ^ -M ^"_ ^ m J H B * * WE Sabotageabsichten gegen ein Straßenstück - dort anAbb. 42: Sabotagemittel militanter Kernkraftgegner gewesende Polizeibeamte gen elektrische Oberleitungen der Deutschen Bahn AG: z.T. massiv angegriffen. "Hakenkralle " Mit Polizeiverstärkungen gelang es, 569 Personen festzusetzen. Knapp die Hälfte von ihnen - überwiegend aus dem autonomen Spektrum - stammte aus Hamburg. Dieser Umstand dokumentiert die verhältnismäßig hohe Beteiligung Hamburger Aktivisten an den Widerstandsaktionen im Wendland. Für Hamburger Teilnehmer war eigens ein Anti-Castor-Camp bei Quickborn eingerichtet worden. Obwohl der Transport am 05.03.97 schließlich das Atommüllzwischenlager erreichte, feierten die Castor-Gegner ihren Widerstand wie üblich als Erfolg, weil der "Atomstaat" sich nur mit polizeilichen Massenaufgeboten und millionenschwerem Kostenaufwand hatte durchsetzen können. Auch in Hamburg selbst begleiteten militante Widerstandsaktionen den dritten 'wendländischen' Castoitransport. Im Hamburger Umland wurden Wurfanker an Bahnoberleitungen plaziert. Vermutlich hatten - auch aus Hamburg stammende - Täter für diese Aktionsform die Deckung des ländlichen Raums vorgezogen. Eine weitere spektakuläre Sabotageaktion ereignete sich bereits einige Tage vor dem Castortransport am Hamburger Stadtrand. In den frühen Morgenstunden des 27.02.97 verübten bisher unbekannte Täter an der Bahnstrecke Hamburg-Ahrensburg im Bereich - 143- Rahlstedt erhebliche Sachbeschädigungen an Steuerungseinrichtungen der Deutschen Bahn AG. Fünf Schaltkästen (Achs-/Radzähleinrichtungen) wurden manipuliert. Zwei Kästen setzten die Täter in Brand, an den übrigen wurde die Steuerungselektronik durch Kurzschluß u.a. sabotiert. Dadurch fielen drei Schrankenanlagen und diverse Signalsteuerungen aus. Zwei der Schrankenanlagen befinden sich auf hamburgischem Landesgebiet (Übergänge Dassauweg und Nornenweg). Es kam zu erheblichen Beeinträchtigungen im Schienenund Straßenverkehr. Die Sachschäden belaufen sich nach Angaben der Bahn auf etwa 20.000 DM, ein Personenschaden blieb zunächst aus. In einer an verschiedene Hamburger Tageszeitungen semitteilung" be"Pressemitteilung zur Sabotageaktion an der Bundeskannte sich eine bis bahnstrecke Hamburg-Lübeck am 27.2.1997 (...) Heute dahin nicht in Ermorgen wurden von uns (...) zwischen Rahlstedt und Ahscheinung getretene rensburg in beiden Fahrtrichtungen mehrere Achszähl"Revolutionäre geräte der Deutschen Bahn zerstört. Wir hoffen, daß mit Gruppe Wasserdieser Aktion, die zu keinem Zeitpunkt Leben oder Gekante" zu der Tat sundheit von Bahnpersonal oder Fahrgästen gefährdete, und agitierte darin der Fahrplan der DB ein wenig durcheinander geraten gegen den bevorsteist." henden Castortransport. Die Aktion (Auszug aus dem Bekennungsschreiben der "Revolutionären cnlltp Hpn WirlprGruppe Wasserkante" vom 27.02.97, Hervorh, n. i. O.) stand dagegen unterstützen. Kurz darauf ereignete sich am 01.03.97 am Bahnübergang Dassauweg ein tödlicher Verkehrsunfall. Nachdem die Steuerungsanlagen am Tag zuvor repariert worden waren, öffneten sich aufgrund einer erneuten Betriebsstörung die Schranken, obwohl sich ein Personenzug näherte. Ein PKW wurde von dem herannahenden Zug erfaßt, der Fahrer erlag wenig später seinen schweren Verletzungen. Ob die Betriebsstörung ursächlich mit den zwei Tage zuvor erfolgten Sachbeschädigungen in Zusammenhang steht, konnte nicht abschließend geklärt werden. Es gibt auch keinerlei Hinweise auf neuerliche Manipulationen kurz vor dem Unglück. Trotzdem distanzierte sich die "Revolutionäre Gruppe Wasserkante" in einer " Stellungnahme zur Sabotage an der Bundesbahnstrecke Hamburg-Lübeck und dem tödlichen Unfall am Bahnüberghang Dassauweg", veröffentlicht in der "Rote Flora"-Postille "Zeck" (Nr. 60, Juni 1997) sowie in der "Interim" (Nr. 420 vom 15.05.97) von ihrer Tat. Ihre Aktionsform, bei der sich die Gruppe offenbar von einer " Sabotageanleitung " der Gruppe " Flammende Herzen " hatte inspirieren lassen, sei nicht hundertprozentig sicher und daher "nicht verantwortbar". Solange nicht auszuschließen sei, daß Menschen zu Schaden kommen können, müsse auf Wiederholungen verzichtet werden. -144- Ebenfalls am 27.02.97, nur wenige Stunden nach der Aktion in Rahlstedt, manipulierten andere Täter zahlreiche Ampelanlagen im Hamburger Stadtgebiet. Sie hinterließen Flugblätter mit Anti-Castor-Begründungen. Der Straßenverkehr wurde in den betroffenen Bereichen teilweise stark behindert. Nennenswerte Sachoder gar Personenschäden wurden nicht bekannt. Die gleichen Anti-Castor-Flugblätter hatten unbekannte Täter bereits bei einer nächtlichen Anschlagsserie am 18.02.97 gegen ein Kundenzentrum der "Hamburgischen Electricitäts-Werke AG" (HEW) in der Osterstraße, das Schulungszentrum einer Bank in der Oberstraße sowie ein Verwaltungsgebäude der "Deutschen Bahn AG" in der Museumstraße in Altona hinterlassen (beträchtliche Sachschäden durch zerstörte Fenster, Farbschmierereien). Die Vorgehensweise der Täter weist Parallelen zu einer Aktion am 18.04.96 auf, als HEW-Kundenbüros in Eimsbüttel und Altona beschädigt wurden. Dieses Mal meldeten sich die Täter allerdings in einem Bekennerschreiben als "Linksradikaler Arbeitskreis für die Stillegung aller Atomanlagen und der herrschenden Klasse" - abgedruckt u.a. in der "Interim" (Nr. 410 vom 27.02.97). Es faßte typische Forderungen autonomer Castor-Gegner in folgenden Parolen zusammen: * "Den Atomstaat und seine kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Wurzeln angreifen II " * "Kampf gegen den Castor heißt Kampf gegen die herrschende Ordnung" * "Demonstriert, blockiert, sabotiert in Hamburg und im Wendiandll" * "Laßt es krachen und klirren - lohnende Ziele gibt es überall!!" Begleitet wurden diese Anschläge von zahlreichen Schmieraktionen, bei denen Parolen und Symbole im Hamburger Stadtgebiet gemalt und gesprüht wurden. Am 15.02.97 sprühten Unbekannte die Standardparole "Stoppt Castor" mit großen Lettern auf den Rasen des Volksparkstadions. "Den Atomstaat und seine kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Wurzeln angreifen!!! Kampf gegen den Castor heißt Kampf gegen die herrschende Ordnung!!! Wir haben in der Nacht zum 18.2.97 die Geschäftsräume der HEW (...), der DRESDNER BANK (...), und der DEUTSCHEN BAHN AG (...) entglast und mit Farbe eingedeckt! Sie sind Teil der Verflechtung von Privatwirtschaft, Politik, Militär, Polizei, Kontrollgremien und Aufsichtsbehörden im Atomstaat BRD." Auszug aus Bekennerschreiben (Hamburg), unterzeichnet: "Linksradikaler Arbeitskreis für die Stillegung aller Atomanlagen und der HERRschenden Klasse ". Auch nach dem sog. " Tag X3 " gingen die militanten und sonstigen Proteste von AntiKernkraft-Gruppen in Hamburg weiter - getreu der eigenen Vorgabe, sich von der ein-145- seitigen Fixierung auf Castortransporte nach Gorleben zu lösen und unabhängig davon bundesweit eine unablässige dezentralisierte Konzeption zu verfolgen. In Hamburg schlug sich diese strategische Erweiterung u.a. in Aktionen nieder, bei denen zunächst erneut die HEW als Atomstromproduzent ins Visier genommen wurden: Unbekannte verübten in der Nacht zum 28.04.97 einen Brandanschlag auf ein HEWAbspannwerk in Waltershof und verursachten Sachschaden in Millionenhöhe. Die Täter hatten einen dreifachen Stacheldrahtzaun überwunden, mit maschineller Hilfe ein Loch in die Stahltür eines Relaishäuschens geschnitten und mit Brandbeschleunigern Kabelstränge zerstört. Die Stromversorgung in der Umgebung des Abspannwerkes wurde beeinträchtigt. In einem am Tatort abgelegten Selbstbezichtigungsschreiben bezeichneten sich die Täter als Gruppe "gegen den ström". Anläßlich des Jahrestages von Tschernobyl richte sich der Anschlag gegen die Nutzung von Kernenergie bzw. die sie forcierenden Wirtschaftsunternehmen. Diese setzten sich aus Profitinteresse über die nukleartechnischen Gefahren für die Bevölkerung hinweg (Uranabbau, Atomkraftwerke, Plutoniumproduktion, Atommüllagerung). Die Stromerzeuger, von denen sich die Regierungen aus machtpolitischem Kalkül abhängig gemacht hätten, diktierten der Gesellschaft die Atomkraft auf. Daher sei es "wieder zeit, die Interessen der menschen außerparlamentarisch zu vertreten". Den Konzernen werde gezeigt, daß ihre Herrschaft nicht geduldet werde und sie nicht damit rechnen könnten, "störfrei zu arbeiten". Eine verfehlte Politik habe ihre Legitimität verloren und müsse bekämpft werden - wie Großkonzerne, die ihre " volkswirtschaftlich-moralische Verantwortung " mißachteten. Am 04.08.97 blockierten knapp 40 Störer in Hamburg-Winterhude stundenlang einen Castorbahntransport vom AKW Brunsbüttel in die französische Wiederaufbereitungsanlage La Hague. Mit Seilen und Bergsteigerausrüstungen hängten sich vier Blockierer über den Gleiskörper (laut Transparent: "Querhängen gegen Castor und Atomstaat"). An weiteren Blockadeaktionen im Hamburger Umland waren Hamburger - zum Teil maßgeblich - beteiligt. Ein sog. "Schienenaktionswochenende" (20./21.09.97) am AKW Krümmel bei Geesthacht trug das Motto "Nix mehr - 5000 auf die Krümmel-Schienen". Gemeint war das Schienenstück zwischen dem AKW und Bergedorf. Da an diesem Wochenende kein Atomtransport anstand, hatte die Veranstaltung mehr demonstrative Bedeutung. Das Mobilisierungsmotto "Nix mehr - 5000 auf die Krümmel-Schienen" lehnte sich an eine vorangegangene Kampagne "1000 Hamburgerinnen mehr ins Wendland" an, die maßgeblich zur Organisierung Hamburger Teilnehmer beim dritten Gorlebentransport geführt hatte. Auch jetzt war das hiesige Anti-AKW-Spektrum maßgeblich an der Organisierung beteiligt - erneut insbesondere das linksextremistisch beeinflußte Hamburger "Anti-Atom-Büro " (AAB). - 146- Autoren des AAB hatten schon häufiger mit extremen Aussagen - u.a. gegen die HEW - agitiert und in verschiedenen Publikationen durchblicken lassen, daß es ihnen um mehr als einen bloßen Kampf gegen Kernenergie geht. Neben zahlreichen friedlichen Protestaktionen nutzten gewaltbereite AKW-Gegner das Krümmel-Wochenende als Plattform ostentativen Widerstandes (u.a. Schienendemontageaktionen / Schrauben und Sägen an Gleiskörpern). In Bergedorf unterhöhlten Demonstranten ein Schienenstück und errichteten eine brennende Barrikade auf den Gleisen. Zahlreiche Protestler beteiligten sich an Bahnstreckenblockaden. Polizeifahrzeuge wurden mit dem Anarchiezeichen beschmiert. Bereits am 17.09.97 hatten Unbekannte an mindestens vier Stellen die Gleise angesägt. Abseits vom Geschehen zwischen Krümmel und Bergedorf wurde in Pinneberg (Schleswig-Holstein) am 20.09.97 im Bahnhofsgleisbereich die Attrappe einer Sprengbzw. Brandvorrichtung mit der Aufschrift "Alarm, stoppt Castor, stoppt Castor" aufgefunden. m^auio^-u^ t* \ * Anfang November setzte das Anti-AKWSpektrum seine Aktionen in Krümmel fort. JDemeiisifl Als ein Castortransport am 04.11.97 das AKW verlassen sollte, verA3^ suchten etwa 50 Blokkierer, dies zu verhindern. An den Tagen unmittelbar vor dem Transport kam es zu mehreren illegalen Aktionen gewaltbereiter Castor-Gegner. Am 03.11.97 hatten bereits ctm: 4CA2 3 7 etwa 15 Personen in Bergedorf ein Gleisstück unterhöhlt und Abb. 43: Klebezettel ("Spucki") zur "Anti-Castor-Demo" am Strohballen entzündet. 16.12.97 beim AKW Krümmel Am 16.12.97 kam es abermals zu Blockadeversuchen am AKW Krümmel, als ein weiterer Transport anstand. Worin militante AKW-Gegner ihren Erfolg sehen, verriet ein Beitrag in der "Interim" (Nr. 403 v. 09.01.97). Dort heißt es: -147- "Die Bahn als Atommülltransporteurin ist natürlich nicht alles, was mensch ... angreifen kann. Es ist aber aus strategischen Gründen nach wie vor sinnvoll, dies zu tun, und es auch leonzentriert zu tun! Die bisherige Politik zeitigt schließlich Erfolge. (...) Bei weit über 200 Sabotageaktionen gegen die Bahn, in gut zwei Jahren, ist der entstandene Sachschaden enorm, und erwischt wurde keineR. (...) Die Kosten für die Durchsetzung der Transporte steigen schon im Vorfeld munter an. Neben den konkret verursachten materiellen Schäden durch vielfältigste Aktionen tritt ein erhöhter Bewachungsaufwand". Durch derartige "Erfolgs"-Bilanzen fühlen sich linksextremistische Kernkraftgegner für die Zukunft angespornt. Zudem hoffen sie auf weitere Chancen zur Einflußsteigerung über eine fortgesetzte "Bündnispolitik" auch mit ausschließlich ökologisch motivierten Personen. Sollte sich 1998 ein weiterer Castortransport nach Gorleben abzeichnen, ist mit erneuten gewalttätigen Auseinandersetzungen zu rechnen. Fernab von diesem Brennpunkt fand am 18./19.10.97 ein sog. "Schienenaktionswochenende" am BrennelementeZwischenlager in Ahaus (Nordrhein-Westfalen) statt, bei dem militante AKW-Gegner ebenfalls erhebliche Sachbeschädigungen verursachten. Ahaus wurde bereits zum Ende des Berichtsjahres als Mobilisierungsziel für Protestaktionen im März 1998 unter dem Motto "Nix 4" propagiert. 4.3.5 Internationalismus Solidaritätsarbeit für den sogenannten "Trikont" (Dritte Welt) hat für deutsche Linksextremisten aus unterschiedlichen Gründen seit Jahrzehnten hohe Bedeutung. Kommunistischen Dogmatikern paßt es gut in das Wunschbild von einer "proletarischen" Weltbewegung im internationalen Klassenkampf. Die meisten Linksextremisten führen jegliches Elend in der 3. Welt auf die Ausbeutung von Entwicklungsländern durch die "Metropolenstaaten" (gemeint: Industrieländer) zurück, was die Unterstützung aller Befreiungsbewegungen in der 3. Welt gebiete. Manche meinen, von den tatsächlich oder vermeintlich um Freiheit kämpfenden Organisationen in der 3. Welt lernen zu können, da deren Entwicklung dem ("antiimperialistischen") Widerstand in den Industriestaaten vorauseile. Galt früher die größte Sympathie dem Kampf der Palästinenser um einen eigenen Staat, haben sich heute die meisten deutschen Linksextremisten von ihnen abgewendet. Ihr Hauptaugenmerk richten sie heute u.a. auf den kurdischen Befreiungskampf, wenngleich die darin führende "Arbeiterpartei Kurdistans " (PKK) nicht unumstritten ist. Hamburger Gruppen richteten ihr Interesse 1997 auch auf Lateinamerika, wenn auch weniger intensiv, als in der Befassung mit der Kurdistan-Thematik. Überragendes - 148- Thema war Anfang des Jahres das Geiseldrama in der Residenz des japanischen Botschafters in Peru. Dort hatten am 17.12.96 peruanische Guerillos der MRTA zunächst mehrere hundert Geiseln genommen, um die Freilassung inhaftierter Gesinnungsgenossen zu erpressen. Der in Hamburg lebende MRTA-Funktionär (Europasprecher) Isaac VELAZCO wurde anläßlich verschiedener Szeneveranstaltungen als Referent eingeladen. Als bei der Geiselbefreiung durch peruanische Sicherheitskräfte am 22.04.97 alle 14 Geiselnehmer ums Leben kamen, reagierten Hamburger Linksextremisten am 23.04.97 mit einer Protestdemonstration (ca. 150 Teilnehmer). Nach dieser friedlichen Aktion wurden an vier Gebäuden Parolenschmiereien zugunsten der MRTA entdeckt. Am gleichen Tag hatte sich unter VELAZCOs Beteiligung eine kleine Schar von MRTA-Sympafhisanten vor dem peruanischen Generalkonsulat in Hamburg friedlich versammelt. Außerhalb Hamburgs gab es auch gewaltsame Reaktionen. Autonome zerstörten am 25.04.97 in Hannover mehrere Fensterscheiben einer Bank. Mit zunehmendem zeitlichem Abstand von den Ereignissen in Peru ließ die linksextremistische Szene das Thema fallen. Das grundsätzliche Interesse an Ereignissen im mexikanischen Bundesstaat Chiapas im Zusammenhang mit der Befreiungsorganisation EZLN (Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung) schlug sich bis auf einige Informationsveranstaltungen und ein Benefizkonzert in der "Roten Flora" nicht in größeren Aktionen Hamburger Linksextremisten nieder. Auch die Ermordung von 45 Menschen im mexikanischen Dorf Acteal/Chiapas am 22.12.97 und die Mutmaßung, daß "staatliche Schergen" hinter diesem Attentat stehen könnten, löste keine nennenswerten Reaktionen aus. Erst nach Jahresabschluß fand am 05.01.98 dazu eine kleine Kundgebung mit 25 Teilnehmern vor dem mexikanischen Konsulat in Hamburg statt. Die Festnahme deutscher mutmaßlicher Mitglieder bzw. Unterstützer der spanischen Terrorgruppe ETA in Frankreich bzw. in Deutschland erzeugte in relevanten Hamburger Szenekreisen keine nach außen dringende Resonanz. Bis auf Besonderheiten in der Kurdistan-Solidarität wurde insoweit von deutschen Linksextremisten das "Banner des Internationalismus" mehr verbal hochgehalten, als in praktischen Aktionen vorangetragen. Das liegt in erster Linie daran, daß die Solidaritätsbewegung kaum noch Befreiungsbewegungen findet, deren Politik sie vorbehaltlos zustimmt. 5. Parteien und sonstige Vereinigungen/Gruppierungen 5.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld Im Sog der weltpolitischen Veränderungen Ende der 80er / Anfang der 90er Jahre, des Zerfalls des sowjetkommunistischen Einflußbereiches und der Ablösung der kommunistischen Diktatur im ersten angeblichen deutschen "Arbeiterund Bauernstaat" war die orthodox-kommunistisch ausgerichtete DKP in eine personelle und finanzielle Kri-149- se - zugleich aber auch in eine Glaubwürdigkeitskrise - gestürzt. Ihre Ziele und ihre Agitation haben sich bis heute dennoch kaum verändert. Schon ihr Internet-Logo mit Hammer und Sichel, den Emblemen der aufgelösten Sowjetunion, läßt sinnfällig erkennen, welcher ideologischen Ausrichtung und Anlehnung sie sich in ihrem neuen "Anlauf zum Sozialismus" verpflichtet fühlt. Das Parteiprogramm von 1978 gilt weiter, wurde allerdings durch "Thesen zur programmatischen Orientierung" (1993) und ein "Aktionsprogramm" (1996) ergänzt. Die DKP bekennt sich - vom Scheitern des ehemaligen osteuropäischen Staatssozialismus ideologisch offenbar unberührt - zum Marxismus-Leninismus. Sie versteht sich als die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse. In ihrem vom Parteitag im Februar 1996 beschlossenen Aktionsprogramm verneint sie Abb. 44: Das DKP-Programm von 1978 ausdrücklich die Mögist noch heute gültig lichkeit, eine sozialistische Gesellschaft über Reformschritte herbeizuführen. Ziel des angestrebten revolutionären Bruchs ("Überwindung des Kapitalismus") ist die ,JDominanz gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und die hierauf gegründete Macht der Arbeiterklasse". Als identitätsbildenden Kern präsentiert die rund 6.200 Mitglieder (1996: 6.000) umfassende DKP ihre Vision von einer neuen "sozialistischen Alternative", die über einen "dritten Anlauf zum Sozialismus" - nur mit anderen Worten - bisher verfehlte alte Ziele weiter verfolgt. Zwei Themen hatten für die DKP im Berichtsjahr erhöhte Bedeutung: 1. Kontakte zu anderen - auch undogmatischen (z.B. autonomen) - Linksextremisten zu knüpfen bzw. zu intensivieren; Perspektive: gemeinsames Handeln in Aktionseinheiten, 2. die parteiinterne Sozialismus-Diskussion. - 150- Die DKP will dazu beitragen, die angebliche "Rechtsentwicklung" im Land durch Sammeln und Bündeln "linker Kräfte" zu stoppen, Widerstand gegen angebliche "Kriegspolitik, Sozialund Demokratieabbau" zu entwickeln. Dabei agierte die DKP 1997 in die Richtung zweier Etappenziele, die sich auf folgende Formel bringen lassen: Den behaupteten "nationalen/rechten Konsens brechen" und einen "politikfähigen linken Konsens suchen". Gegenseitige linke / linksextremistische Abund Ausgrenzungen oder Alleinvertretungsansprüche sollen der Vergangenheit angehören. Vor diesem Hintergrund begrüßte und unterstützte die DKP die Appelle bzw. Signale der "Erfurter Erklärung" vom 09.01.97, mit der ein grundlegender Politikwechsel in Deutschland und eine außerparlamentarische Bewegung gefordert werden. Späterer Mitunterzeichner ist der DKP-Bundesvorsitzende Heinz STEHR. Offensichtlich erhoffte sich die DKP aus der Erklärung eine ähnliche Signalwirkung wie aus dem "Krefelder Appell" von 1980, der seinerzeit zu einer maßgeblich aus DKP-Einflußorganisationen heraus angetriebenen Mobilisierungskampagne gegen die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland geführt hatte. Während jedoch vor annähernd zwei Jahrzehnten der "Krefelder Appell" u.a. auch Ausgangspunkt für die erfolgreichste Kampagne orthodoxer Kommunisten in Deutschland war, ist es der DKP bisher offensichtlich nicht gelungen, die "Erfurter Erklärung" ähnlich effektiv für eigene Bestrebungen zu vereinnahmen. Die von etwa 500 Teilnehmern besuchte Marxismus-Konferenz der DKP-Einrichtung "Institut für marxistische Studien und Forschungen" (IMSF) vom 14.-16.03.97 in Hannover ("Marxismus an der Schwelle zum 21.Jahrhundert - Bilanz und Perspektiven "), entsprach dem Streben der DKP nach einer Zusammenführung " linker Kräfte ". Statt sich wie früher in Schuldzuweisungen zu ergehen, hätten sich Anhänger von DKP, Jusos, PDS, Trotzkisten und Gewerkschafter" in konstruktiver Kritik geübt ("junge weit" vom 19.03.97). Laut "Neues Deutschland" (22723.03.97) kamen auch Teilnehmer aus dem anarchistischen Spektrum. Die Schwäche marxistischer Theoriebildung wurde dafür verantwortlich gemacht, daß der Klassenund Geschlechterkampf sowie die Bewegungen zu Umweltfragen und "Antirassismus" noch weitgehend getrennt agierten. Die Plena und sonstigen Veranstaltungen der Marxismus-Konferenz wurden von DKPbzw. PDS-nahen Personen dominiert. Das Abschlußplenum plädierte für eine gemeinsame linke Strategie auf der Basis einer breiten Massenbewegung. Damit wurde eine wichtige Komponente aus dem überarbeiteten 3. Parteiprogramm der aufgelösten "Kommunistischen Partei der Sowjetunion" (KPdSU) aus dem Jahre 1986 aufgegriffen. Dort ordnete man die "demokratischen Massenbewegungen" in den "kapitalistischen" Ländern - als Vehikel für den angestrebten Umsturz - erstmals den Haupttriebkräften der gesellschaftlichen Entwicklung" zu. Der Ansatz - "Massenbewegungen" anzuschieben, zu instrumentalisieren und zuzuspitzen - ist ein elementarer Bestandteil der DKP-Strategie, Wege zu der von ihr anvi-151- sierten revolutionären "Umwälzung" zu bahnen. In diesem Sinne versuchte sie auch, die Studentenstreiks gegen Ende des Jahres auf eine Linie zu bringen, die nicht allein gegen Mißstände angeht, sondern die Systemfrage stellt. Dieser Versuch ist gescheitert (s.u. JUKO). Das 10. UZ-Pressefest ("Unsere Zeit", DKP-Wochenzeitung) in Dortmund vom 29. bis 31.08.97 besuchten etwa 40.000 Teilnehmer. Die DKP erhoffte sich von diesem Fest auch einen weiteren Anschub der außerparlamentarischen Bewegung. Gäste aus dem kommunistischen Nordkorea empfingen als Ausdruck der "internationalen Solidarität" einen Scheck über 14.000 US-Dollar. Neben Mitgliedern der "Kommunistischen Partei Chinas" waren auch kommunistische Parteivertreter aus Kuba, Südafrika und kubanische Gäste sowie Angehörige unterschiedlicher kurdischer Parteien anwesend. Ihre Verbundenheit mit der verbotenen PKK drückte die DKP auch dadurch aus, daß der DKP-Vorsitzende Heinz STEHR zu den Erstunterzeichnern des "Aufrufs zur Kampagne gegen das sogenannte PKK-Verbot" gehörte. Mit ihrem Papier "Sozialismusvorstellungen" will sich die DKP einen weiteren programmatischen Baustein schaffen. Der Entwurf wurde auf Parteiveranstaltungen und über Diskussionstribünen in der "UZ" der Parteibasis vermittelt und soll auf dem 14. Parteitag (22.-24.05.98 in Hannover) verabschiedet werden. Wie sich der nach den Vorstellungen der DKP über breite Bündnisse führende Weg zum Sozialismus konkret gestalten werde, läßt die DKP "offen". Mit dieser Wortwahl umgeht sie eine eindeutige Absage an Gewalt. Im überarbeiteten Entwurf der "Sozialismusvorstellungen" fehlt der im ersten Entwurf noch vorhandene Hinweis auf ein Mehrparteiensystem mit einem Parlament als höchstem politischen Machtorgan des zukünftigen Sozialismus. Das Scheitern des "realen Sozialismus" wird auf "Konterrevolution" zurückgeführt - nicht auf innere Ursachen. Das seit Juli 1996 wieder wöchentlich erscheinende DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) leidet erneut unter einer Finanzkrise, weil die Abonnentenverluste (Abo-Auflage Januar 1998: 8.824) nicht ausgeglichen werden konnten. Der Parteivorstand rief deshalb zu einer Spendenaktion auf, die bis zum Jahresende 130.000 DM erbracht haben soll. Aus DKP-Sicht soll die UZ die Entwicklung außerparlamentarischer Bewegungen unterstützen und ist schon von daher als Medium unverzichtbar. Auf Empörung stieß der Unvereinbarkeitsbeschluß des Schweriner PDS-Parteitages vom 19.01.97, der eine bis dahin tolerierte Doppelmitgliedschaft PDS/DKP nicht mehr zuläßt. Die PDS entfalte damit eine "antikommunistische" Beflissenheit. Gleichwohl sieht die DKP in der PDS weiterhin ihre wichtigste politische Bündnisund Kooperationspartnerin. -152- Als festen Bestandteil ihrer internationalen Solidaritätsarbeit hat die DKP ihre Aktivitäten in der "Kuba-Solidarität" fortgesetzt. Kuba mit seiner Parteidiktatur unter Fidel CASTRO bleibt trotz - auch von der DKP wahrgenommener - widersprüchlicher innerer Entwicklungen (u.a. Dollar als Nebenwährung) Identifikationspunkt ihrer sozialistischen Propaganda (z.B. "kostenloses Gesundheitssystem für alle"). Das Land gilt quasi als eines der letzten 'Leuchtfeuer des Sozialismus' nach dem Abschmelzen der kommunistischen Staatengemeinschaft An den 80. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution erinnerte die DKP bundesweit mit öffentlichen Veranstaltungen. In Berlin erklärte das Vorstandsmitglied Manfred SOHN vor 700 Teilnehmern, daß die DKP ohne "Wenn und Aber" die ehemalige DDR als das beste Deutschland bezeichne, das es bisher gab. Unter dem Agitationstenor "Solidarität mit den Opfern der Siegerjustiz" Abb. 45: Im Internet bezieht sich machte sich die DKP u.a. zum Interessenverdie DKP bildhaft auf Fidel treter verurteilter Spione des ehemaligen CASTROS einstigen Weggefährten "Ministeriums für Staatssicherheit" (MfS, Che GUEVARA "StaSi"). Unter den in der UZ erwähnten " Opfern " befand sich auch ein ehemaliger Mitarbeiter der Spionageabwehr des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Die DKP-Bezirksorganisation Hamburg hat sich mit gut 400 Mitgliedern konsolidiert. Sie forcierte ihre bündnispolitischen Bemühungen vor allem im sogenannten "antifaschistischen" Bereich und beteiligte sich dazu an dem "Hamburger Bündnis gegen Faschismus und Rassismus", das vor und nach der Bürgerschaftswahl besonder aktiv war. Ein Scharnier zu anderen Linksextremisten ist die DKP-Schulungseinrichtung "Marxistische Abendschule" (MASCH), die z.B. mit dem vorwiegend von Linksextremisten genutzten Kommunikationszentrum "B 5" (O III/4.2) gemeinsame Veranstaltungen macht. Die Hamburger Wahlen am 21.09.97 bescherten der DKP - soweit sie überhaupt antrat - ein weiteres Mal deutliche Wählerabsagen (O III/l .3). Geraeinsam mit der Hamburger DKP-Einrichtung "Kuratorium Gedenkstätte Ernst Thälmann" und der PDS wurde am 05.11.97 im Hamburg-Haus Eimsbüttel eine von mehreren hundert Personen besuchte eintrittsgeldpflichtige Festveranstaltung zum 80. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution durchgeführt. Neben Referenten der DKP und der "Kommunistischen Plattform" (KPF) der PDS sprachen auch ein Mitglied des - 153- Sekretariats des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF) sowie der Botschafter Kubas. Mit der Hamburger DKP-Hochschulgruppe "Junge Kommunisten" (JUKO) kandidierte im Januar 1997 erstmals nach der 1990 erfolgten Auflösung des "Marxistischen Studentenbundes Spartakus" (MSB-Spartakus) wieder eine orthodox-kommunistische Studentenorganisation zum Studierendenparlament der Hamburger Universität. Sie gewann einen Sitz, ebenso bei der Wahl im Januar 1998. Die JUKO betätigten sich als treibende Kraft des an der Uni agierenden "Aktionskomitees gegen Bildungsklau", das u.a. während der parlamentarischen Debatte über das Hamburger Hochschulgesetz am 04.06.97 in der Bürgerschaft durch Störungen und Zeigen eines Transparentes "Stimmt Nein zum HmbHG" eine Sitzungsunterbrechung provozierte. Der Versuch, gegen Ende des Jahres den Studentenstreik an der Hamburger Universität für eigene politische Anliegen zu instrumentalisieren (Insistieren auf " gesamtgesellschaftlichen Zusammenhängen", Bezugnahme auf die Studentenrebellion Ende der 60er Jahre) schlug wegen der anders gelagerten Interessenlage der Studentenmehrheit fehl. Wie so häufig scheiterte die DKP auch hier daran, Abb. 46: Neuer "Anlauf zum Sozialismus" mit daß ihre in ideologischer AntiHammer und Sichel / DKP-homepage im Inquiertheit erstarrenden Theorien ternet keine praktischen Antworten auf reale Probleme geben. Gleichwohl halten die DKP und ihre Nebenorganisationen an ihren Dogmen unbeweglich fest. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ): Trotz gegenteiliger Bekundungen ist die Verklammerung der am 05.05.68, dem 150. Geburtstag von Karl Marx, gegründeten orthodox-kommunistischen SDAJ mit der DKP weiterhin offenkundig. Gleiche ideologische Ausrichtung sowie eine gemeinsame Anschrift in der Hoffnungstraße in Essen sind exemplarische Anhaltspunkte dafür. Wie der Broschüre des SDAJ-Bundesvorstandes "Es reicht! Ausbildung und Übernahme für Alle!" vom August 1997 zu entnehmen ist, geht es der SDAJ um mehr als um Reformen: " Wir wollen ein Gesellschaftssystem, in dem der Mensch und nicht der Profit im Mittelpunkt steht. Wir kämpfen für eine sozialistische Bundesrepublik (...)". Dazu müßten der Widerstand in Gorleben gegen den "Atomstaat", die Kämpfe der Stahl-, Bergund Bauarbeiter um den Erhalt ihrer Arbeitsplätze, die Kämpfe gegen die neuen Ladenschlußzeiten sowie der Widerstand zum Erhalt der Lohnfortzahlung gebündelt werden, weil sie sich an den gleichen Adressaten richteten: Die Herrschenden in diesem Land - Kapital und Regierung. -154- Schwerpunkt der 200 Mitglieder umfassenden SDAJ war ihre Beteiligung an den 14. Weltfestspielen der Jugend und Studenten (14, WFS) auf Kuba (vom 27.07.-05.08.97), die der ehemals sowjetkommunistisch beeinflußte " Weltbund der Demokratischen Jugend" (WBDJ) durchführte. Die SDAJ war an der Vorbereitung beteiligt. Kuba wird von ihr als Kristallisationspunkt des "antiimperialistischen Kampfes" und als gesellschaftliche Alternative angesehen - als Land, das seine wirtschaftlichen und politischen Errungenschaften gegen den " US-Imperialismus " habe erkämpfen müssen. Die 14. WFS riefen dazu auf, nach Einheit im Kampf zu streben und eine internationale Jugendbewegung zu schaffen, die in der Lage ist, der Aggression des Imperialismus nicht nur zu widerstehen, sondern auch in die Gegenoffensive zu gehen auf dem Weg zur Umwälzung der Gesellschaft. Auch die Tätigkeit der Hamburger SDAJ mit ihren rund 20 Mitgliedern stand ganz im Zeichen der Vorbereitung der 14. Weltfestspiele. Sie warb für die Arbeit der sogenannten Hamburger Festival-Vorbereitungsgruppe, die von ihr dominiert wurde, fand aber bei der umworbenen Zielgruppe linker Jugendlicher nicht die erhoffte Resonanz. Öffentliche Veranstaltungen mit Vorträgen über Kuba, die zum Teil gemeinsam mit DKPGliederungen bestritten wurden, hatten zum Ziel, durch Spendensammlung das Reisekostenbudget aufzubessern und für die SDAJ zu werben. Zur Agitation fanden auch öffentliche SDAJ-Nachbereitungsveranstaltungen der 14. WFS mit Kuba-Berichten statt, so am 27.11.97 im vorwiegend von autonomen Linksextremisten angelaufenen Kommunikationszentrum Brigittenstraße 5 ("B 5"). Der dem Hamburger Landesverband angehörende SDAJ-Bundesvorsitzende Michael GÖTZE kandidierte auf Vorschlag der DKP - erfolglos - für die PDS/Linke Liste zur Hamburger Bürgerschaftswahl (O III/1.3). Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten e.V. (VVNBdA): Die 1947 gegründete "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) öffnete sich ab 1972 jüngeren Menschen, die nicht mehr zu den Verfolgten des Naziregimes gehörten und nennt sich seitdem VVN-BdA. Sie ist mit ihrer auf die alten Länder beschränkten Bundesorganisation und in der Mehrzahl der alten Bundesländer eine orthodox-kommunistisch beeinflußte Organisation. In ihr wirken Kommunisten und Nicht-Kommunisten zusammen. Sie arbeitet mit Partnerverbänden der neuen Bundesländer ("Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstandskampf, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener e.V."/ IVVdN und "Bund der Antifaschisten "/BdA) zusammen. Die VVN-BdA vertritt die kommunistische Faschismus-Analyse, die den Kapitalismus als eigentlichen Urheber des Faschismus und unschädlich zu machenden Gegner definiert. "Kapitalisten" sind danach Wegbereiter des "Faschismus", "Antikommunisten" Befürworter des "Kapitalismus". Diese orthodox-kommunistische Sichtweise führte neben der Überalterung zu einem gravierenden Mitgliederschwund (1989 noch ca. -155- 14.000, 1997 nur noch ca. 7.000 Mitglieder). Um dem Schrumpfungsprozeß entgegenzuwirken, öffnete sich die VVN-BdA ab 1990 auch gegenüber Linksextremisten anderer Richtungen. Inzwischen beteiligte sich die Organisation auch an Solidaritätsbekundungen für einsitzende RAF-Terroristen oder für die mit Betätigungsverbot belegte PKK. Sie begründet dieses damit, daß eine Unterscheidung in "gute und böse Antifaschisten nicht akzeptabel" sei und erhofft sich offensichtlich Zuwächse aus dem Sympathisantenumfeld dieser Bereiche, die sie zu den "staatlich Verfolgten" zählt. Dieses Kalkül ist allerdings bislang nicht in größerem Umfang aufgegangen. Ihr fünfzigjähriges Bestehen feierte die VVN-BdA am 15.03.97 in Frankfurt/M. Ein bundesweit bekanntes aktives DKP-Mitglied wies in einem diesem Anlaß gewidmeten Artikel in der "jungen Welt" vom 15.03.98 auf die enge Verbundenheit der VVN-BdA mit der (ehemaligen) DDR hin, aus der sie u.a. Geld und Unterlagen zur Enthüllung des Jiefbraunen Untergrundes des Bonner Establishments" erhalten habe. Die Kontakte zu jungen Antifas bezeichnete er als "kompliziert", aber akzeptabel. An dem "Appell an die Jugend", den der Festkongreß verabschiedete, ist bemerkenswert, daß er die Jugend aufruft, die Tradition des antifaschistischen Widerstandes aufzunehmen und ihn "auf ihre eigene Art und Weise" weiterzuführen. Diese Aussage kann als Fortsetzung von VVN-Bemühungen gesehen werden, auch militante Autonome anzusprechen. So hatte schon 1996 ein führender VVN-BdAFunktionär der miliAbb. 47: Zusammen mit Autonomen und Anarchisten riefen tanten Antifa (M)" in Göttingen zur DKP und VVN-BdA zur "Anti-Nazi "-Demonstration am Einstellung eines 13.09.97 in Hamburg auf. Transparent autonomer Antifas: Strafverfahrens ge"Die Koalition von 'law an order' angreifen" gen diese Gruppe gratuliert. In seiner Grußadresse hieß es: "Eure Standhaftigkeit hat die beamteten 'Anti-Antifaschisten' scheitern lassen und Solidarität hat sich im Kampf bewährt. Alle guten Wünsche für die Zukunft". -156- Auch die Hamburger Landesvereinigung (LV) der VVN-BdA versucht, Mitgliederverlusten gegenzusteuern und die Bündnisbreite zu erweitern. Dazu arbeitete sie in dem organisatorischen Zusammenschluß des 1997 gegründeten "Hamburger Bündnisses gegen Faschismus und Rassismus", dem neben autonomen Antifas mit der Gruppe "Roter Aufbruch" auch eine Gruppierung des antiimperialistischen Widerstands angehörte. Dieses Bündnis führte am 13.09.97 eine "Anti-Nazi-Demonstration" in Hamburg durch. Die VVN-Angehörigen marschierten in der ersten Reihe, ihnen folgte der autonome Block, der über die Hälfte der Demonstrationsteilnehmer stellte. Bereits am 15.03.97 hatte sich die VVN-BdA in Hamburg an der Demonstration "Freiheit für alle politischen Gefangenen " beteiligt. Die LV führte auch im autonomen linksextremistischen Zentrum Brigittenstraße 5 ("B5") Veranstaltungen durch. Die Bündnispolitik hat die Mitgliederentwicklung (etwa um 400) bisher nicht gravierend positiv beeinflußt. Die VVN-BdA versucht in Hamburg durch die Unterstützung "antirassistischer" Gruppen, dieses auch für andere Linksextremisten wichtige Thema mit zu besetzen. 5.2 Sonstige revolutionäre Marxisten Als Nachfolgeprodukte der antiautoritären - vorwiegend studentischen - "Außerparlamentarischen Opposition" (APO) waren nach 1968 in den alten Bundesländern Deutschlands autoritär und zentralistisch geprägte kommunistische Kaderorganisationen entstanden, die sich nach Höhepunkten in den 70er Jahren insbesondere unter dem Einfluß der aufkommenden Ökologiebewegung und basisdemokratischer Gruppierungen zum überwiegenden Teil bis Mitte der 80er Jahre aufgelöst haben. Nur wenigen - zum Teil an Politsekten erinnernden - Überbleibseln ist es seitdem notdürftig gelungen, den drohenden Zerfall abzuwenden durch wiederholte Anpassungen, persönliche Engagements einzelner Kader, im Falle der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) auch durch ein anhaltend stringentes inneres Regiment, zum Teil aber auch durch Fusion oder Kooperation mit anderen Organisationen. Trotz aller Überlebenskunst klaffen die hoch gesteckten politischen Ansprüche und der praktische Einfluß dieser Reste der ehemals als "Dogmatische Neue Linke" bezeichneten Linksextremisten weit auseinander. BWK-Nachfolgestrukturen: Der "Bund Westdeutscher Kommunisten" (BWK) hatte 1993 zunächst eine organisierte Zusammenarbeit mit der PDS beschlossen. Im März 1995 erklärte der BWK seine Auflösung als politische Partei. Anstelle ehemaliger BWK-Landesverbände entstanden "Arbeitsgemeinschaften BWK in und bei der PDS". Der überregionale BWK-Identitätszusammenhang wurde vorübergehend über eine "Bundeskonferenz" dieser Arbeitsgemeinschaften gewahrt. Diese Konstruktion war jedoch auf Argwohn beim PDS-Bundesvorstand gestoßen, der eine unmißverständliche - auch in der Namensgebung zum Ausdruck kommende - politisch-organisatorische -157- Trennung vom BWK verlangte. Die BWK-Bundeskonferenz hat sich daraufhin auf ihrer Frühjahrskonferenz am 15./16.03.97 in Köln aufgelöst und als "Forum kommunistischer Arbeitsgemeinschaften" neu konstituiert. Laut Satzung sind deren Trägerorganisationen rechtlich, organisatorisch, politisch und wirtschaftlich selbständige Zusammenschlüsse. Zwar möchte das neue "Forum" in seinen Diskussionen auch künftig von Positionen, wie sie sich im "Standort des BWK in der sozialistischen Programmdiskussion" niedergeschlagen haben, ausgehen. Die Gesamtumstände, unter denen ehemalige BWKMitglieder ihren neuen politischen Mittelpunkt in der PDS gefunden haben, sprechen demgegenüber dafür, daß die BWK-Historie 1997 ihren Schlußpunkt erreicht hat. Die "AG BWK in und bei der PDS/Linke Liste Hamburg" ist seit 1996 nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Vereinigung für Sozialistische Politik (VSP): Die VSP - bis 1995 "Vereinigte Sozialistische Partei" - dürfte in Hamburg nur noch über gut 20 bis 30 Mitglieder (bundesweit erheblich unter 200) verfügen. Auch diese Organisation ist ein Beispiel für einen, wenn auch schleichenden, so doch kontinuierlichen Niedergang dogmatischer Organisationen, die noch Ende der 70er Jahre hohe Mitgliederzahlen aufwiesen: Im Zeichen beiderseitiger Rückentwicklungen hatten sich 1986 Trotzkisten der ehemaligen "Gruppe Internationale Marxisten" (GIM) und Mitglieder der ehemals maoistischen (später albanienorientierten) KPD (Marxisten-Leninisten) zur VSP zusammengeschlossen, um einen "Beitrag" zum Aufbau einer "revolutionären sozialistischen Massenpartei" zu leisten. Nach existenzbedrohenden Abspaltungen und Mitgliederabwanderungen wurde dieser Anspruch als gescheitert betrachtet. Seit 1994 hat eine Reihe von VSP-Mitgliedern Doppelmitgliedschaften bei der PDS erworben und sieht dort den Mittelpunkt ihres politischen Wirkens. Das VSP-Mitglied Lieselotte LOTTERMOSER war Spitzendkandidatin auf der Liste der "PDS/Linke Liste" zur Hamburger BUrgerschaftswahl am 21.09.97. Eine VSP-Initiative zur Unterstützung der PDS bei der Bundestagswahl 1998 war am Jahresende angedacht. Sporadische öffentliche Aktivitäten der Hamburger VSP-Ortsgruppe - u.a. auf dem sog. "Internationalismus"-Sektor zur Unterstützung von Befreiungsbewegungen in verschiedenen Ländern - können nicht verdecken, daß die VSP nur noch ein unscheinbarer politischer Theoriezirkel ist. Ähnlich wie beim BWK haben die Kräftverschiebungen in die PDS hinein dazu geführt, daß die VSP unter Auszehrung leidet und sich im übrigen angesichts ausbleibender Nachwuchskräfte kaum noch personell erneuert. Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB): Der AB ist eine marxistischleninistische Kernorganisation, die sich auch heute noch auf Theorien Stalins und Mao Tse-Tungs beruft, die "herrschende Ausbeuterklasse" beseitigen, eine "Diktatur des Proletariats" errichten und eine "klassenlose Gesellschaft" verwirklichen möchte. Die -158- Hamburger AB-Ortsgruppe besteht nur aus einem kleinen Mitgliederzirkel mit Kontakten zu mehreren anderen deutschen, türkischen und kurdischen linksextremistischen Organisationen. Aus dem AB heraus wurde 1996/97 unter Mitwirkung Hamburger Personen Einfluß auf die bundesweite, von Linksextremisten unterstützte "Antirassismus "-Kampagne genommen. Dabei ging es erneut insbesondere um den Rassismus-Vorwurf gegen den Staat im Zusammenhang mit der Aufklärung und strafrechtlichen Behandlung des Brandes vom 08.01.96 in einem von Asylbewerbern bewohnten Haus in Lübeck. Marxistische Gruppe (MG): Die Anfang der 70er Jahre entstandene MG hatte bis 1991 mehr als 10.000 fest eingebundene Anhänger erreicht. In Hamburg - eine der MG-Hochburgen - wurde damals von etwa 1.000 Mitgliedern, Kandidaten und Sympathisanten ausgegangen. Überraschend hatte die "Marxistische Gruppe" (MG) 1991 - offensichtlich zum Schein - ihre Selbstauflösung bekanntgegeben, nachdem zahlreiche MG-Aktivisten "geoutet" worden waren und in der damaligen Organisation eine "Spitzel"-Psychose grassierte. Zudem war 1991 eine Aufklärungsbroschüre des Bundesinnenministers erschienen, die die MG als "Kommunistischen Geheimbund" beschreibt. Unter vermeintlich unverfänglichen Bezeichnungen treten "ehemalige" MG-ler in Hamburg inzwischen wieder offen auf, so u.a. als "Gruppe Kritik und Diskussion" (K&D). Vieles spricht dafür, daß die MG in ihren Kernbereichen weiter besteht. Der Zusammenhalt der MG-Anhängerschaft erschließt sich - auch in Hamburg - insbesondere über Wohngemeinschaften, die Merkmale organisatorischer Grundeinheiten tragen, sich nach außen jedoch als private Zirkel darstellen. Zu den Klassikern des Marxismus-Leninismus pflegt die MG ein eher distanziertes Verhältnis. Sie bedient sich ihrer Philosophien auch nur selektiv und steht auch nicht an der Spitze irgendeines sozialen " Widerstandes von unten ". Mit ihrem Zynismus, ihrer spitzfindigen Dialektik und einem intellektuell-elitären Sprachduktus kann sie "proletarische" Zielgruppen nicht erreichen. Sie ist daher auch kein mögliches Zentrum revolutionärer Massenmobilisierungen. Die Redaktion der Publikation "Gegenstandpunkt" tritt auch in Hamburg als Veranstalterin von Diskussionsforen auf. Eine Initiative "Arbeitslose Akademiker / Nachwuchsorganisation - Studentischer Verein für politische und kulturelle Bildung von Studentinnen und Studenten zur Vorbereitung auf ihren zukünftigen Lebensweg in Hamburg " (AA/NO) agitiert im Bereich der Hamburger Universität in Zusammenarbeit mit der Gruppe K&D. Personen der Gruppe K&D haben mit Mitgliedern der DKP, der "Kommunistischen Plattform" (KPF) der PDS, unorganisierten Einzelpersonen sowie weiterer Gruppie-159- rungen auf der Ebene eines sog. "Offenen Kommunistischen Forums" (OKF) einen Diskussionszusammenhang gebildet. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands: Die 1982 gegründete MLPD nimmt für sich in Anspruch, den Marxismus-Leninismus und die Mao TSETUNG-Ideen "schöpferisch" auf die Gegenwart anzuwenden. Die MLPD konstatiert einen Verrat des Sozialismus in der ehemaligen Sowjetunion und der DDR nach 1956 sowie in China nach dem Tode Mao TSETUNGS. Sie selbst strebt nach einem revolutionären "Sturz des Imperialismus" und dem Aufbau des "echten Sozialismus". Im Mittelpunkt ihrer Thesen steht die "Lehre von der proletarischen Denkweise" bei gleichzeitiger Bekämpfung "kleinbürgerlicher" Tendenzen {"Hauptwaffe der Monopole"), die angeblich das Klassenbewußtsein zersetzen. Mit permanenten Anforderungen zu (lebensfremden) proletarischen Denkweisen setzt die Parteiführung ihre Anhängerschaft psychisch und intellektuell unter Druck. Um die Figur des Parteivorsitzenden Stefan ENGEL herum sind Tendenzen zur Herausbildung eines Personenkultes erkennbar. Im Juli stellte die MLPD ein Reorganisierungsbzw. Umstrukturierungskonzept vor. Es könnte Ausdruck einer internen Krise sein. Eine Säuberungswelle hatte zu Verlusten an Mitgliedern und Funktionären geführt und den Organisationsaufbau geschwächt. Der Partei sind der Jugendverband "REBELL" ("Vorschule und Hauptreservoir" der MLPD) und die Kinderorganisation "ROTFÜCHSE" angeschlossen. Der Frauenverband "Courage" wird als "überparteiliche Selbstorganisation" hingestellt, was für Kommunisten jedoch nicht Unabhängigkeit von ihrer Partei bedeuten muß. Die im Verhältnis zur bundesweiten Gesamtmitgliedschaft (rund 2.500) kleine Hamburger MLPD-Gruppe (um 30) verfügt über nur unbedeutende Außen Wirkung. Im Rahmen der wesentlich von der MLPD beeinflußten Solidaritätsund Hilfsorganisation "Solidarität International" (SI) befaßte man sich zum Jahresende u.a. mit dem "revolutionären Weg der Befreiung im demokratischen Kongo". Trotzkisten: Trotzkisten lehnen im allgemeinen STALINs Vorstellungen vom "Aufbau des Sozialismus in einem Land" ab und folgen der Maxime TROTZKIS, nach der die Revolution nur im weltweiten Maßstab (" Weltpartei des Proletariats, proletarische Weltrevolution") Erfolg haben kann. Die weltweit in zahlreichen Ländern vorzufindenen trotzkistischen Organisationen sind seit Jahren - auch in Deutschland - in zahllose kleinste Gruppierungen und Strömungen zersplittert und zumeist relativ einflußlos. Sie werden in diesem Bericht nur der Vollständigkeit halber berücksichtigt. Der "Revolutionär-Sozialistische Bund" (RSB) rechnet sich der trotzkistischen "IV. Internationale" (über 20 Sektionen und sympathisierende Gruppen) mit dem Anspruch einer deutschen Sektion zu. Nach dem Stand vom 25.11.97 ist der RSB beim Bundeswahlleiter als anerkannte Partei im Sinne des Parteiengesetzes registriert, dessen nach -160- außen auftretendem Bundesvorstand eine Person aus Hamburg angehört. In seiner "Programmatischen Erklärung" spricht der RSB ausdrücklich vom "revolutionären Sturz des Kapitalismus" bzw. "weltweiten" Klassenkampf. Er sieht seinen Schwerpunkt in "außerparlamentarischen Kämpfen". Der RSB gibt die Zeitung "Avanti - die internationale" heraus. Die "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG) ist eine weitere trotzkistische Kernorganisation. Sie ist die deutsche Sektion des in London ansässigen trotzkistischen Dachverbandes "International Socialists" (IS), der mit über 20 Sektionen weltweit über mehr als 10.000 Anhänger verfügt. Die SAG erstrebt den Aufbau einer revolutionären kommunistischen Partei, eine proletarische Revolution und die Entwicklung eines von Arbeiterräten geführten Staates. Dieses Ziel soll u.a. über konsequente Betriebsund Gewerkschaftsarbeit erreicht werden. Die Organisation hat ihren Sitz in Hannover und verfügt bundesweit über Kontaktadressen. Entsprechend der 1994 in London stattgefundenen Weltkonferenz der IS hat sich die SAG der trotzkistischen Strategie der Entrismuspolitik - d.h. der Infiltrierung anderer Organisationen - verschrieben. Sie gibt die Schrift "Linksruck" heraus und hat das in Hamburg ansässige "Linksruck-Netzwerk" (LR) gegründet, das innerhalb von JusoGliederungen arbeitet. Eine LR-Bundeskoordination leitet von Hamburg aus die Aktivitäten einzelner Ortsgruppen. 1997 arbeiteten in Hamburg S AG-Mitglieder als "JusoMitglieder" verschiedentlich in "antifaschistischen" Bündnissen mit Autonomen und Angehörigen des "Antiimperialistischen Widerstandes" (AIW) zusammen. Der "Linksruck"-Zusammenhang war im Vorfeld der Hamburger Bürgerschaftswahl maßgeblich an Aktionen gegen rechtsextremistische und andere rechte Parteien beteiligt, so an der Demonstration vorwiegend autonomer "Antifas" gegen die NPD am 13.09.97, bei der es zu vereinzelten Ausschreitungen kam. "Linksruck" erscheint mit einer auf 5.000 angewachsenen Auflage. Im Februar 1997 meldete das Blatt 104 Neueintritte innerhalb von 2 Monaten und wies 36 Kontaktanschriften in neun Bundesländern auf. In einem Beitrag " War Lenin ein Diktator? " kam der Autor zu dem Schluß: "Lenin war nicht nur kein Diktator. Er war einer der konsequentesten Kämpfer für wirkliche Freiheit und echte Demokratie. " "Spartakist Arbeiterpartei Deutschlands" (SpAD): Die SpAD wurde am 21.01.90 in Berlin als deutsche Sektion der trotzkistischen "Internationalen Kommunistischen Liga" (Vierte Internationale) von der "Trotzkistischen Liga Deutschlands" (TLD) und Mitgliedern sog. "Spartakist-Gruppen" (ansässig auf dem Territorium der damaligen DDR) gegründet. Sie ist Politisch verbunden mit der "International Communist League" (ICL, Sitz: New York/USA, weltweit unter 1.000 Anhänger). In Deutschland steuert sie das "Komitee für soziale Verteidigung" (KfsV, Sitz: Berlin), deren amerikanische Schwesterorganisation das "Partisan Defense Committee" ist. -161- Die Organisation hat sich in der Vergangenheit öffentlich mit ehemaligen Funktionären des SED-Regimes (u.a. Erich MIELKE, Markus WOLF) solidarisiert und eine "antikommunistische Hexenjagd" beklagt. Auch sie propagiert die trotzkistische Strategie des Entrismus durch Unterwanderung von "Massenorganisationen" und Parteien. Die vom Zentralkomitee herausgegebene Publikation "Spartakist" erscheint im "Verlag Avantgarde GmbH", der über Adressen in Hamburg und Berlin verfügt. In Hamburg präsentiert sich die SpAD mit einer Jugendgruppe "Spartakist-Jugend". Beide machten mit einer Reihe von Marxismus-Schulungen auf sich aufmerksam. Auf Veranstaltungen wollte die SpAD 1997 in Hamburg u.a. der Frage nachgehen, "wie der sowjetische Arbeiterstaat erwürgt wurde" und "Wie die spanische Revolution verraten wurde ". Die in Hamburg nicht vertretene "Partei für Soziale Gleichheit" (PSG) - Gründungskonferenz am 30.03.97, vormals "Bund Sozialistischer Arbeiter" (BSA) - mit Sitz in Essen hat ihre Kandidatur zur Bundestagswahl 1998 mit Landeslisten in 7 Bundesländern (nicht Hamburg) angekündigt (O 1.3 Beteiligung an Wahlen). Nach den beim Bundeswahlleiter eingereichten Unterlagen gem. SS 6 (3) Parteiengesetz verfügt die PSG über keine Landesverbände (Stand: 22.09.97). Sie verfolgt laut ihrer " Perspektivresolution " das Ziel, die " arbeitende Bevölkerung " für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft zu gewinnen. Sie sieht sich in der "Tradition" und als deutsche Sektion der "Vierten Internationale", geleitet vom "Internationalen Komitee" (IKVI). Tiefe Eingriffe in die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse seien eine Frage der "Kräfteverhältnisse" und könnten "nur im Kampf" verwirklicht werden. Seit November gibt die PSG die Zeitung "Gleichheit" heraus (vorher: "Neue Arbeiterpresse "). 6. Nutzung moderner Kommunikationsmittel Mit der rasanten Verbreitung des Internet und stark gesunkenen Kosten im Telekommuniktionsbereich fand die Nutzung moderner Kommunikationsmittel auch in der linksextremistischen Szene steigende Akzeptanz. Während es früher noch verpönt war, Mobiltelefone zu nutzen, sind diese heute gerade bei jüngeren Szeneangehörigen verbreitet. Sie werden nicht nur zur persönlichen Kommunikation genutzt, sondern als mobiles Instrument zur besonders zeitnahen und unmittelbaren Lenkung von Demonstrationen eingesetzt. Dieses war insbesondere bei der "antifaschistischen" Demonstration am 13.09.97 in Hamburg zu beobachten. Vor, während und insbesondere nach der Demonstration wurden "Melder" im gesamten Stadtgebiet eingesetzt, um - allerdings weitgehend vergeblich - nach Ansammlungen von Rechtsextremisten Ausschau zu halten. Auch anläßlich einer verbotenen Demonstration in Saalfeld wurden Mobiltelefone ver- - 162- stärkt eingesetzt, um die auf die Umgebung verteilten Linksextremisten über beabsichtigte Aktionen laufend zu unterrichten. Das Internet hat durch seine Nutzerbreite die Mailboxsysteme in ihrer Bedeutung abgelöst. Zahllose linksextremistische Gruppen und Parteien tummeln sich mittlerweile im Internet und unterhalten dort eigene Homepages. Dadurch sind Mailboxsysteme wie "Spinnennetz" und "Comlink" ins Hintertreffen geraten. Über elektronische Medien werden nicht nur für Linksextremisten bedeutsame politische Ereignisse und Hintergründe berichtet, sondern auch aktuelle Informationen über bevorstehende Demonstrationen - vornehmlich "antifaschistischen" Inhalts - verbreitet. Das Internet wird bei der Vernetzung linksextremistischer Gruppen weiter an Bedeutung gewinnen. Dies stellt die Sicherheitsbehörden vor zusätzliche Herausforderungen. Zum einen bietet das Internet eine Informationsfülle zu verschiedensten für die Aufgabenerfüllung relevanten Themen, die nur mit gesteigerten arbeitstechnischen Kapazitäten zu bewältigen ist. Hindernisse ergeben sich aber durch die jedermann zugängliche Verschlüsselungstechnik bei der Versendung elektronischer Nachrichten. Entsprechende Programme sind im Internet frei und kostenlos verfügbar. Hier wächst die Gefahr, daß die Sicherheitsbehörden technisch ins Hintertreffen geraten. Zunehmend entdecken gewaltbereite Potentiale, insbesondere im autonomen Spektrum, daß hochtechnisierte Kommunikations verfahren die Informationsgesellschaft angreifbarer machen. So hatten Autonome am 09.07.96 unter der Kommandobezeichnung "K.A.B.E.L.S.C.H.N.I.T.T." in der Nähe des Flughafens Frankfurt/M. ein Glasfaserkabel der Deutschen Telekom durchtrennt und dadurch den Flugbetrieb erheblich gestört. Am 30.01.97 wurde unter Bezugnahme auf den vorgenannten Anschlag ein Film " Gefahr für das Datennetz - How to get through " an der Hamburger Universität aufgeführt. Die Veranstalter wollten die Vorführung "als Beitrag zur politischen Debatte der antirassistischen Bewegung und als Widerstand gegen staatliche Repression " verstanden wissen. Seit Ende 1997 wird eine umfangreiche Broschüre vertrieben, die offensichtlich von Autonomen erstellt wurde. Unter Bezugnahme auf den o.a. Anschlag von "K.A.B.E.L.S.C.H.N.I.T.T." werden Ratschläge erteilt, wie und an welchen Stellen ähnliche Sabotageakte durchgeführt werden können. -163- IV. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 1.1 Themen und Aktivitäten In Deutschland leben offiziell etwa 7,37 Millionen Ausländer (Bevölkerungsanteil rund 9 %). Unter der bundesweiten ausländischen Gesamtbevölkerung sind türkische Staatsangehörige (etwa 2,11 Millionen - rund 28,6 %) am stärksten vertreten. Mit knapp 273.000 Ausländern (31.12.97) bzw. rund 16 % liegt der ausländische Bevölkerungsanteil in Hamburg - wie in vielen Ballungszentren - weit über dem Bundesdurchschnitt. In Hamburg wurden Ende 1997 etwa 2.800 Ausländer denjenigen Organisationen zugerechnet, die dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes unterliegen - das sind gut 1 % der hier lebenden Ausländer. Diese Größenangabe läßt sich nicht exakt nachzählen, weil z.B. das Ausmaß und die Intensität, mit denen die Anhängerschaft und das nahestehende Umfeld der jeweiligen Organisationen deren Zielsetzungen und Vorgehens weisen mittragen, variieren. Außerdem hängt es sehr von konkreten Einzelsituationen ab, welche Unterstützungspotentiale sich ihnen anlaßbezogen anschließen. Es kennzeichnet den Ausländerextremismus, daß die von ihm ausgehenden Aktivitäten zumeist auf ungelösten politischen Problemen und landestypischen Gegebenheiten der Herkunftsländer beruhen. Dazu kommen auf dem linksextremistischen Sektor die von deutschen Marxisten-Leninisten her bekannten Ideologiemuster, die sich vereinzelt auch gegen den deutschen Staat als Teil eines angeblichen weltweiten "Imperialismus" richten. Neben weltanschaulichen und politisch-religiösen Motivationslagen sind Uneinigkeiten zwischen Volksgruppen, Autonomieund Hegemoniebestrebungen sowie soziale und ökonomische Spannungen in den Herkunftsländern ursächlich für extremistische - auch mit Gewalt verfolgte - Zielsetzungen. Kurdische Linksextremisten verfolgten auch 1997 ihr wichtigstes Ziel: Die Schaffung eines weitgehend unabhängigen kurdischen Staates. Ihr Hauptgegner ist die türkische Regierung. Die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) konzentrierte sich hier verstärkt darauf, eine Aufhebung dieses Verbotes zu erreichen, um ihren Aktionsspielraum für die propagandistische und logi-164- stische Unterstützung ihres bewaffneten Kampfes im Heimatgebiet erweitern zu können. Unter türkischen Linksextremisten haben sich die seit Jahren schwelenden internen Zwistigkeiten in mehreren schweren gegenseitigen Gewaltakten - insbesondere in Hamburg - zugespitzt. Gleichwohl sind sich alle türkischen Linksextremisten darin einig, sich auch vom Territorium des Gastlandes aus für einen revolutionären Umsturz in der Türkei einzusetzen. Nationalistische Türken orientieren sich u.a. an Ideen von einem großtürkischen Reich. Sie bilden den Gegenpol zur linksextremistischen Seite, woraus eine latente Gefahr gegenseitiger Gewaltanwendungen resultiert. Islamistische Ausländerorganisationen setzen sich für die Errichtung islamischer Systeme in ihren Heimatländern ein und orientieren sich dabei zum Teil am Vorbild des Iran. In der Türkei wollen sie die laizistische Staatsordnung beseitigen. Insbesondere türkisch-islamistische Organisationen in der Bundesrepublik sind bestrebt, eine integrationsfeindliche "muslimische Identität" unter den hier lebenden Türken - verstärkt unter Kindern und Jugendlichen - voranzutreiben. Die Islamisierung wird als wichtige Voraussetzung verstanden, einem weltweiten Gottesstaat näherzukommen. Unter den hier lebenden iranischen Staatsangehörigen versuchen die Gegner der iranischen Regierung, sich als im Exil befindliche, seriöse Gegenmacht im Wartestand darzustellen, zugleich jedoch mit umfangreichen Aktionen Unterstützungsgelder für den bewaffneten Kampf zum Sturz des "Mullah-Regimes" zu sammeln. Anhänger der iranischen Regierung werben in der Bundesrepublik für die Verbreitung der " islamischen Revolution " nach iranischem Vorbild und bekämpfen die hier agierenden gegnerischen Landsleute dieser Revolution. Linksextremistische, islamistische sowie die als terroristisch (z. B. GIA, ABU NIDALOrganisation, PU, PFLP-GC) geltenden Organisationen arabischer Herkunft verfügen in der Bundesrepublik zum Teil nur über wenige Anhänger und/oder kleinere Zusammenhänge. Für die meisten von ihnen waren auch 1997 die Gegensätze im stokkenden nahöstlichen Friedensprozeß ein Hauptthema. 1.2 Organisationen und Potentiale Das Potential der in der Bundesrepublik vertretenen 61 (1996: 65) ausländischen extremistischen Organisationen (einschließlich verbotener Organisationen) hat sich von 57.300 (1996) auf 58.200 (1997) Mitglieder/Anhänger erhöht. Im Gesamtkomplex der in Deutschland oder von deutschem Territorium aus agierenden politischen Extremisten entfällt somit auf ausländische Organisationen der größte Anteil. -165- 58200 1997 1996 57300 3 Bundesweite Mitglieder-/ 1995 55500 Anhängerpotentiale ausländischer extremistischer 1994 47050 Organisationen seit 1987 (einschl. verbotener Organisationen) 1993 39950 I 1992 39800 1991 42980 1990 49350 97260 1989 \y 1988 101600 108600 1987 20000 40000 60000 80000 100000 120000 Untergliedert nach politischen Standortkategorien gab es 1997 etwa 19.400 Anhänger linksextremistischer (1996: 18.600), 8.000 Anhänger extrem-nationalistischer (1996: 7.800) und 30.800 Anhänger islamisch-extremistischer (1996: 30.900) Organisationen. Darin waren 12.300 Personen (1996: 11.200) verbotener Organisationen enthalten. StaatsWolkslinksextremistisch extrem-nationalist. islamistisch zugehörigkeit 1997 (1996) 1997 (1996) 1997 (1996) Kurden 11.800 (10.800) (davon PKK) (11.000) (10.000) Türken 5.400 (5.300) 7.000 (6.900) 28.100 (28.300) Araber 300 (750) 2.500 (2.300) Iraner 900 (850) 200 (300) Sonstige 1.000 (900) 1.000 (900) Gesamt 19.400 (18.600) 8.000 (7.800) 30.800 (30.900) - 166- Die vorstehenden Zahlenverhältnisse sind nicht gleichzusetzen mit den Gefährdungsintensitäten, die von den einzelnen Spektren bzw. darin enthaltenen Gruppierungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgehen. So waren die gut 33,3 % umfassenden ausländischen Linksextremisten in 40 Gruppierungen 1997 für einen weit überwiegenden Teil der Gewalttaten verantwortlich. Mit bundesweit etwa 11.000 Mitgliedern / Anhängern behauptete die verbotene "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) einen Anteil von etwa 18,9 % am Gesamtpotential ausländischer Extremisten. Die Zahl der von ihnen verübten Gewalttaten war weiter rückläufig. Ausländische Nationalisten verteilten sich auf 4, Islamisten auf 17 Gruppen. Der weit überwiegende Teil (rund 69,6 %) der o.g. Potentiale bzw. Richtungen entfiel auf 15 Organisationen türkischer Volkszugehörigkeit. Die zweitgrößte Volksgruppe ausländischer Extremisten bildeten - mit 20,3 % - Personen kurdischer Herkunft in 22 Gruppen. Es folgten mit weitem Abstand Araber (4,8 %, 15 Gruppen), Iraner (1,9 %, 2 Gruppen) und sonstige Nationalitäten / Volkszugehörigkeiten (3,4 %, 7 Gruppen). Das heute etwa 2.800 Personen (1996: 2.260) umfassende Gesamtpotential ausländischer Extremisten in Hamburg war in der ersten Hälfte der 90er Jahre sprunghaft angestiegen, blieb von 1995 auf 1996 relativ stabil und erhöhte sich 1997 um etwa 540. 3000 Mitglieder/Anhänger ausländischer extremistischer Organisationen in Hamburg 2500 2000 2000 1500 1000 500 0 1994 1995 1996 1997 Die für 1997 vorgenommene Korrektur des Gesamtpotentials nach oben beruht im wesentlichen auf meßbaren Zuwächsen, zugleich aber auch auf einer aktualisierten Einschätzung/Abgrenzung fest angebundener oder nur anlaßbezogen mobilisierbarer Personenpotentiale kurdischer Linksextremisten und türkischer Nationalisten. In Hamburg stellte -167- die PKK mit nunmehr etwa 700 (1996: etwa 500) Mitgliedern/Anhängern (einschließlich des außerhamburgischen Einzugsgebietes) rund 25 % des insgesamt gut 2.800 Personen umfassenden Gesamtpotentials ausländischer Extremisten. Die PKKGefolgschaft hat sich damit von nur etwa 80 Anhängern im Jahre 1991 in Hamburg inzwischen in etwa verneunfacht. Das in Hamburg vorhandene Spektrum von etwa 1.730 (1996: 1.360) türkischen Extremisten verteilte sich auf etwa 180 Linksextremisten, rund 500 extreme Nationalisten und unverändert auf geschätzte 1.050 fest angebundene Anhänger islamisch-extremistischer Ausrichtung. Neben türkischen und kurdischen Extremisten gehören in Hamburg annähernd 300 Personen iranischen, arabischen sowie Organisationen und Gruppen sonstiger Nationalitäten/Volksgruppen - zum Teil ohne örtliche Strukturen - an. 2. Strafund Gewalttaten im Ausländerextremismus / Statistik Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA und sind mit den in früheren Hamburger Verfassungsschutzberichten veröffentlichten Statistiken nicht vergleichbar (Ausnahme: schwere Gewalttaten). Die Angaben zum Zeitraum 1992 - 1995 im Säulendiagramm für Hamburg dienen nur zur Orientierung über die Entwicklungsrichtung während dieser Zeit. Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendungen sind nicht mehr als Gewalttaten erfaßt. 1800 ^fH r f-i 1 1600 Straftaten mit ~" erwiesenem oder zu 1400 1608 1 vermutendem 1IL 1200 ausländerex1470 1 1000 tremistischem 800 Hintergrund 600 (Bundesebene) 400 / " ^ J 200 1 349 1 314 PJ 0 t ^ Gewalttaten 1996 1997 [3 Straftaten insges. Im vergangenen Jahr wurden bundesweit insgesamt 314 Gewalttaten erfaßt, bei denen ein ausländerextremistischer Hintergrund erwiesen oder nach den Gesamtumständen zu vermuten ist. Diese Zahl bedeutet einen Rückgang um etwa 10 % gegenüber 1996. Einen außergewöhnlichen Rückgang gab es bei den schweren Gewalttaten (Tötungs-168- delikte, Sprengstoffanschläge, Brandstiftungen): Sie sanken von 124 (1996) auf 30 (1997), mithin um knapp 76 %. Demgegenüber stiegen die sonstigen Straftaten um gut 15 % von 1.121 auf 1.294. Alle Gewalttaten und sonstigen Straftaten summierten sich 1997 auf 1.608(1996: 1.470). Gewalttaten und sonstige Straftaten 1996 1997 Tötungsdelikte 2 2 Versuchte Tötungsdelikte 0 9 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 1 Brandstiftungen 120 18 Summe der schweren Gewalttaten 124 30 Freiheitsberaubungen 15 17 Raub/Erpressung 120 162 Körperverletzungen 63 98 Landfriedensbrüche 27 7 Summe der sonstigen Gewalttaten 225 284 Gewalttaten insgesamt ^*ALj^H Sachbeschädigungen 213 166 Nötigung / Bedrohung 90 99 Andere Straftaten 818 1.029 Insgesamt 1.470 1.608 -169- Mit bundesweit 98 Körperverletzungstaten (Hamburg 2) und 162 Raub-/Erpressungstaten (Hamburg 7) entfällt auf diese beiden Deliktarten der Hauptanteil aller Gewalttaten, die überwiegend aus den unter türkischen und kurdischen extremistischen Organisationen üblichen rigiden Methoden bei ihren Spendenkampagnen sowie den untereinander geführten Streitigkeiten resultieren. In Hamburg ging die Zahl der Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem ausländerextremistischem Hintergrund gegenüber dem Vorjahr ebenfalls zurück. Sie sank - deutlicher als im bundesweiten Trend - um fast 2/3 von 35 (1996) auf 13. Während in Hamburg 1996 noch 9 Brandanschläge ausländischer Extremisten gezählt wurden, gab es 1997 in dieser Delikart keinen Vorfall mehr. Die 1996 verübten Brandanschläge resultierten aus Hungerstreikaktionen türkischer und kurdischer Linksextremisten in türkischen Gefängnissen. Deren Haftbedingungen hatten massive Protestaktionen in Deutschland lebender türkischer/kurdischer Organisationen ausgelöst. Einen neuen Brennpunkt im Bereich türkischer Linksextremisten kennzeichneten im Berichtsjahr 1 vollendetes und 3 versuchte Tötungsdelikte, die auf das Konto der aus der "Devrimci Sol" hervorgegangenen Gruppierungen DHKP-C und THKP/-C Devrimci Sol gehen. Beiden ist auch ein Großteil festgestellter Körperverletzungen und Erpressungen zuzuschreiben. Aber auch PKK-Anhänger sind in Hamburg wieder mehrfach durch Erpressungen aufgefallen - eine Deliktart, bei der von einer hohen Dunkelziffer -170- nicht angezeigter Vorfälle auszugehen ist. Auf Hintergründe und Einzelheiten wird in den nachfolgenden Kapiteln - im Kontext mit den beschriebenen Organisationen - eingegangen. 3. Kurden / Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Allgemeines: etwa 22 Millionen Kurden leben als Minderheiten in einem Siedlungsraum, der sich etwa zur Hälfte auf die Türkei, im übrigen auf Randregionen u.a. der Staaten Iran, Irak, Syrien und Armenien erstreckt. Der überwiegende Teil der Kurden (12 Millionen - etwa 1/5 der gesamten türkischen Bevölkerung) lebt in der Türkei. Ein vertraglich festgelegter Minderheitenstatus existiert dort nicht. Die Zahl der - statistisch nicht erfaßten - in Deutschland lebenden Kurden läßt sich nur schätzen. Es wird von 450.000 bis 500.000 Menschen kurdischer Volkszugehörigkeit, aber türkischer Staatsangehörigkeit, ausgegangen (Hamburg: bis zu 28.000). Eine Reihe kurdischer Parteien in der Türkei und im Irak strebt auf friedlichem Wege eine kurdische Teilautonomie an. Die 1978 gegründete linksextremistische PKK - diktatorisch geführt vom Generalvorsitzenden Abdullah ÖCALAN - ist seit 1984 in einen zum Teil terroristisch geführten Kampf gegen den türkischen Staat verwickelt. Ihr bewaffneter Arm ist die " Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK). Am 22.11.93 erließ der Bundesinnenminister gegen die PKK und deren Propagandaorganisation ERNK ("Nationale Befreiungsfront Kurdistans") ein Betätigungsverbot. Nach der zugleich verbotenen Dachorganisation " FEYKA-Kurdistan" übernahm 1994 die " Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) wichAbb. 48: Fahne der ARGK tige Funktionen. Der Hamburger Verein "Kurdistan Volkshaus e. V. " ist Mitgliedsverein der neuen Föderation. Von den bundesweit auf etwa 11.000 geschätzten PKK-Anhängern enfallen auf den Hamburger Einzugsbereich etwa 700. Das bundesweite Sympathisantenumfeld umfaßt etwa 50.000 Personen, also ein Zehntel aller hier lebenden Kurden. -171- Auch nach dem Verbot gingen von der PKK Gefahren aus, die sich gegen die Sicherheit der Bundesrepublik richteten. Die Organisation paßte sich den veränderten Bedingungen an, agierte mindestens so erfolgreich wie zuvor und baute ihre Strukturen sogar noch aus. YEK-KOM unterhält nach Verdoppelung auf jetzt 10 Regionen inzwischen auch Strukturen in den neuen Bundesländern. Zum Teil mit äußerster Brutalität durchgeführte Anschläge und Gewaltaktionen bestimmten das Erscheinungsbild der PKK bis zum Frühjahr 1996. Sie mißachtete die Ordnung des Gastlandes und forderte die staatlichen Sicherheitsorgane heraus. Offenbar hat die PKK-Führung inzwischen erkannt, daß die Konsequenzen der von ihr ausgehenden Bedrohung sich gegen ihre eigenen Interessen richten. ÖCALAN bekannte 1996, die öffentliche Meinung falsch eingeschätzt zu haben und versprach Mäßigung. Gewaltverzichtsappelle an seine Anhängerschaft wurden auch 1997 weitgehend befolgt. Noch ist ungewiß, ob der weitgehende Verzicht der PKK auf Gewalt in Deutschland aufrichtig gemeint und dauerhaft oder bloße Taktik ist. Demonstrative Aktivitäten: Das kurdische Neujahrsfest "NEWROZ" (21. März) ist für die PKK ein wiederkehrender Aktionsanlaß. Bundesweit waren im März zahlreiche Veranstaltungen angemeldet worden. Soweit Verbotsverfügungen ergingen, wurden diese beachtet, im übrigen beteiligten sich jeweils zwischen 200 und 1.500 Personen, darunter Deutsche aus den "Kurdistan-Solidaritätsgruppen". In Sindelfingen fand eine zentrale süddeutsche "7VPS'W7?OZ"-Veranstaltung - als "Kulturveranstaltung" deklariert - mit etwa 8.000 Personen statt. Diese und die Mehrzahl der übrigen Umzüge und öffentlichen Kundgebungen blieben störungsfrei. Vereinzelt gezeigte Fahnen der PKK und Bilder des Generalvorsitzenden ÖCALAN wurden nach Aufforderungen durch die Polizei meist schnell wieder entfernt. In zwei Fällen leisteten PKK-Anhänger Widerstand. Bei einer NEWROZ-Demonstration in Berlin wurden Einsatzkräfte der Polizei mit Steinen und brennenden Fackeln beworfen, als PKK-Fahnen und Embleme beschlagnahmt werden sollten. Es kam deshalb zu 15 vorläufigen Festnahmen. In Kiel weigerten sich Teilnehmer einer "NEWROZ"Kundgebung, PKK-Symbole zu entfernen. Kurdische Demonstranten schoben ihre Kinder als Schutzschilde gegen die Polizei vor, als diese eingreifen wollte. Bei diesen Vorfällen dürfte es sich nicht um organisierte Provokationen, sondern eher um spontane Unbesonnenheiten einzelner Teilnehmer gehandelt haben. In Hamburg fand am 20. März eine mit dem "MsW?OZ"-Fest im Zusammenhang stehende Demonstration unter der Losung "Ein Licht ins Dunkel bringen!" statt. An der vom "Hamburger Komitee zur Unterstützung der Samstagsmütter in der Türkei und Kurdistan " initiierten friedlichen Demonstration nahmen ca. 400 Personen (ca. 200 Fackelträger/-innen) teil, darunter 40 Deutsche. Im "Samstagsmütter"-Komitee haben sich Personen aus verschiedenen linksextremistischen deutschen sowie der PKK nahestehenden Organisationen zusammengeschlossen. Mit ihren Solidaritätsveranstaltungen wollen sie die Proteste türkischer und kurdischer Frauen ("Samstagsmütter") in Istan-172- bul unterstützen, die dort jeden Samstag gegen das Verschwinden ihrer Männer und Söhne in türkischen Gefängnissen demonstrieren. Am 29. März fand eine zentrale NEWROZ-Saalveranstaltung für den norddeutschen Raum in der Alsterdorfer Sporthalle in Hamburg statt, an der rd. 8.000 - 9.000 Personen teilnahmen. Eine telefonische Grußbotschaft des PKK-Generalvorsitzenden ÖCALAN beschränkte sich zum Teil auf Allgemeinplätze, beschrieb die Rolle der PKK und wies auf Unterdrückungsmethoden des türkischen Staates hin. Im Gegensatz zu früheren Veranstaltungen waren lediglich etwa 20 Fahnen mit PKK/ERNKSymbolen im Veranstaltungssaal zu sehen, jedoch keine auf der Bühne. Sonstige demonstrative Aktionen und herausgehobene Veranstaltungen: Sonstige von der PKK ausgegangene öffentliche Veranstaltungen und Kampagnen griffen in erster Linie die Ziele "Aufhebung der PKKVerbote" sowie "Friedliche Beilegung des Konfliktes in der Türkei" auf. Trotz gelegentlicher Mitwirkung deutscher Unterstützergruppen und einer weiterhin bemerkenswerten Mobilisierungsfähigkeit zeigte die PKK eine offenbar abnehmende Kampagnenfreudigkeit. Provokatives Zeigen verbotener PKK-Symbole hielt sich in Grenzen und führte nur vereinzelt zum polizeilichen Einschreiten. Veranstaltungsverbote wurden durchweg befolgt. Im März veranstalteten die PKK-gesteuerten Organisationen "Konföderation kurdischer Vereine in Europa" (KON-KURD), die "Union der Jugendlichen aus Kurdistan " (YCK) und der " Union der Studentinnen aus Kurdistan " (YXK) einen Marsch von Brüssel zum Europaparlament nach Straßburg. Daran beteiligten sich auch Anhänger der PKK aus Deutschland. KON-KURD forderte u.a. die Aufhebung der Verbote kurdischer Organisationen in Deutschland, ein Ende der "Repressionen" gegen in Europa lebende Kurden, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Organisationsfreiheit "für das kurdische Volk", Einflußnahme der europäischen Staaten auf die Türkei und einen politischen Dialog zur Lösung der Kurdenproblematik. Seit 1996 führt die PKK-Frauenorganisation "Freier Frauenverband Kurdistans" (YAJK) Veranstaltungen aus Anlaß des weltweiten "Internationalen Frauentages" -173- durch, um dabei auch für die politischen Ziele der PKK zu werben. Bei der Demonstration am 09.03.96 in Bonn war es noch zu erheblichen gewalttätigen Angriffen auf Polizeibeamte gekommen. Die Demonstration am 08. März 1997 in Köln mit etwa 1.100 Personen (u.a. etwa 700 YAJK-Mitglieder und deutsche Autonome) verlief gewaltfrei. Die Teilnehmerinnen riefen themenbezogene und PKK-Parolen, zeigten Transparente und verteilten Flugschriften. Nach der Demonstration, bei der vereinzelt verbotene PKK/ERNK-Fahnen gezeigt - und anschließend sichergestellt - wurden, stellte die Polizei die Identität von 20 Fahnenträgerinnen fest. Gegen 8 Personen wurden wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz Ermittlungen eingeleitet. Für eine Beilegung des Kurdenkonflikts in der Türkei wurde auch mit einer im wesentlichen vom Kölner Kurdistan-Informations-Zentrum (KIZ) ausgegangenen Demonstration am 26. April in Dortmund geworben. Unter dem Motto: "Die Zeit ist reiffür Frieden in Kurdistan" versammelten sich etwa 45.000 Personen - Kurden aus dem Bundesgebiet und westeuropäischen Nachbarländern, unterstützt von linksextremistischen Türken und Personen aus der deutschen Kurdistan-Solidaritätsszene. Aus dem Hamburger Einzugsbereich waren zwischen 1.000 und 1.500 Teilnehmer angereist. Vom Veranstalter eingesetzte Ordner erreichten durch energisches Einschreiten, daß verbotene Fahnen und Symbole der PKK eingeholt wurden. In einer während der Kundgebung verbreiteten Rede des PKK-Generalvorsitzenden ÖCALAN bekundete dieser Friedensbereitschaft und wiederholte den Wunsch, mit der Bundesregierung in einen Dialog einzutreten. An den Veranstaltungen des Deutschen GewerkYekMya Ciwanen Coreggeron schaftsbundes (DGB) zum 1. Mai beteiligten sich 'WalatpBrezen ' - erheblich weniger Anhänger der PKK als in den Kurdistan Vorjahren. In Hamburg beteiligten sich an der Kundgebung des DGB (etwa 15.000 Personen) ca. 1.200 Kurden, von denen einige verbotene Symbole der PKK zeigten. Auch auf den Mai-Demonstrationen in anderen Großstädten zeigten PKKAnhänger ihre Symbole und skandierten politische Parolen. Zu den aus früheren Jahren bekannten Blockaden oder Übergriffen auf Polizeibeamte kam es in diesem Jahr nicht. Unter dem Motto "Millionen Stimmen für den Frieden" versammelten sich am 28. Juni etwa 4.500 PKK-Anhänger aus dem Bundesgebiet, den *ttnVWinlm Niederlanden und Belgien zu einer Großveranstaltung in Rüsselsheim. Nach einem Bericht der Abb. 50: Fahne der PKKPKK-nahen Tageszeitung "Özgür Politika" vom Jugendorganisation YCK 30. Juni war die Veranstaltung vom PKK-gesteuerten Frauenverband YAJK organisiert worden. -174- Hintergrund war der erste Todestag einer kurdischen Selbstmordattentätenn, die sich am 30.06.96 bei einer Militärparade in Tunceli (Türkei) in die Luft gesprengt und mindestens 6 türkische Soldaten mit in den Tod gerissen hatte. Auch hier zeigten einige Teilnehmer verbotene Symbole der PKK. Zu größeren Zwischenfällen kam es nicht. Auf Initiative der PKK war geplant, am 26. August einen vom Verein "Appell von Hannover" organisierten "Musa-Anter-Friedenszug" von Brüssel nach Diyarbakir (Osttürkei) in Bewegung zu setzen. Der Schriftsteller Musa ANTER soll - laut PKK - 1992 vom türkischen Geheimdienst ermordet worden sein. Hintergrund dieses Friedenszuges, an dem zahlreiche "Friedensaktivisten" teilnahmen, war die Absicht, am "Antikriegstag " ( 1. September) in Diyarbakir für eine friedliche Lösung im Kurdenkonflikt zu demonstrieren. Nach Intervention des Bundesinnenministeriums stornierte die Deutsche Bahn AG den gecharterten "Europäischen Friedenszug", was in einigen Städten des Bundesgebietes zu spontanen - gewaltfreien - Protesten führte. Das diesjährige "Kurdische Kulturund Friedensfestival" fand am 6. September in Köln statt. Bei den rund 70.000 Teilnehmern im Müngersdorfer Stadion handelte es sich in der Mehrzahl um Mitglieder und Anhänger der PKK sowie deren Teilorganisationen aus dem Bundesgebiet und dem westeuropäischen Ausland. Obwohl der Veranstalter zuvor ausgeschlossen hatte, daß das Festival zur Werbung für die PKK mißbraucht werde, wurden mehrfach Fahnen der PKK und Transparente mit Lobsprüchen auf ihren Generalvorsitzenden gezeigt. In einer über Lautsprecher eingespielten Rede ÖCALANs beschwor dieser die Einheit aller Kurden, verurteilte die angebliche Doppelmoral der europäischen Politik Abb. 51: PKK-Fahne und forderte die in Europa lebenden Kurden auf, unter Beachtung der im jeweiligen Gastland geltenden Gesetze gegen den "Krieg in Kurdistan" zu protestieren. Eine am 3. November in Berlin als politische Werbeaktion gestartete Bustour durch das Bundesgebiet "Dialog statt Verbot - Für die Aufhebung des PKK-Verbotes" sollte am 26. November (Jahrestag des PKK Verbotes) am Ausgangspunkt Berlin enden. Am 4. November machte der Bus in der Hamburger Innenstadt Zwischenstation, wo eine kleine Kundgebung vor etwa 30 Teilnehmern stattfand. Später folgte im Ortsteil Ottensen -175- eine Kundgebung mit etwa 65 Teilnehmern. Vor dem Hintergrund dürftiger Resonanz, geringer Werbewirksamkeit und vereinzelter Veranstaltungsverbote (überwiegend im süddeutschen Raum) wurde die Bustour außerplanmäßig am 26. November in Hamburg mit einer kleineren Veranstaltung in der Johanniskirche in Altona (etwa 200 Teilnehmer) beendet. Zur hiesigen Gedenkveranstaltung anläßlich des 19. Jahrestages der Parteigründung am 1. November - abermals in der Alsterdorfer Sporthalle - kamen trotz weit über Hamburg hinausgegangener regionaler Mobilisierung lediglich maximal 3.000 Personen - gegenüber den Vorjahren weniger als die Hälfte. Für dieses überraschend rückläufige Interesse der PKK-Anhängerschaft gab es keine offensichtlichen Ursachen. Am 10. Dezember veranstaltete die "Internationale Liga für Menschenrechte", die von Mitgliedern der PDS, dem örtlichen Berliner PKK-Verein und auch von der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) sowie dem "Kurdistan-Informations-Zentrum" unterstützt wurde, den schon länger angekündigten Friedenszug "Musa Anter gegen Kanther" unter dem Motto "Friedenszug zum Tag der Menschenrechte" von Berlin nach Bonn. In Bonn führten rund 500 Teilnehmer in der Nähe des Bundesinnenministeriums eine Kundgebung durch, wobei kurzfristig zwei Fahnen mit verbotenen Symbolen der PKK geschwenkt wurden. Ebenso wie die Bustour empfand man auch diese Veranstaltung angesichts unerwartet geringer Teilnehmerzahlen als Fehlschlag. Auch hier bleibt die auffallende Zurückhaltung von PKKAnhängern beim Zeigen verbotener Symbole festzuhalten. Aktionen aus Anlaß der türkischen Invasion: Seit Jahren begründet die militärische Führung der Türkei ihre wiederkehrenden Frühjahrsoffensiven gegen die PKK jenseits der türkisch-irakischen Grenze mit der Bedrohung ihres Territoriums durch "vom Nordirak aus operierende separatistische Terroristen" und mit einem PKK-Angriffen Vorschub leistenden "Machtvakuum" in der nordirakischen Kurdenregion. Irakischkurdische Gruppen kämpften untereinander um die Vormacht, statt sich - den Vorstellungen des türkischen Militärs gemäß - gemeinsam der PKK entgegenzustellen. Am 14. Mai rückte die türkische Armee mit Hunderten von Panzern und ca. 50.000 Soldaten in den Nordirak ein. Pressemeldungen zufolge beteiligten sich an der Offensive türkischer Streitkräfte auch Einheiten der "Demokratischen Partei Kurdistan/Irak" (DPK, auch KDP abgekürzt). Gegen den Einmarsch in den Nordirak erhoben sich im Mai in verschiedenen europäischen Städten, insbesondere in der Bundesrepublik, zahlreiche demonstrative Proteste. An - gewaltfreien - Veranstaltungen in Berlin, Hamburg, Münster, Osnabrück, Oldenburg, Hannover, Bielefeld, Bonn, Saarbrücken, Frankfurt/M., Mannheim und Heilbronn nahmen bis zu 2.200 Personen teil, die sich vielfach vor türkischen staatlichen Einrichtungen (Konsulaten, Botschaft) versammelten. In einigen Fällen wurden Fahnen mit verbotenen Symbolen gezeigt und PKK-Parolen skandiert. - 176- Am 21. Mai führten die "Freunde des kurdischen Volkes" in Hamburg eine Protestkundgebung und Kranzniederlegung vor dem türkischen Generalkonsulat mit rund 400 Teilnehmern durch. Unter dem Motto: "Protest gegen den Einmarsch der türkischen Armee in Südkurdistan!" nahmen Personen u.a. aus der PKK sowie der linksextremistischen Organisationen TKP/ML (Türken) und KOMKAR (Kurden) teil. Es wurden zwei Fahnen mit verbotenen Symbolen und mehrere Transparente gezeigt sowie eine türkische Fahne verbrannt. Am 22. Mai folgte in Hamburg unter gleichem Motto eine von den "Freunden des kurdischen Volkes" initiierte Protestkundgebung mit ca. 300 Personen - diesmal vor dem amerikanischen Generalkonsulat, dem eine Resolution übergeben wurde. Das - wiederum gewaltfreie - Gesamtszenario entsprach in etwa dem des Vortages: Vereinzelte Transparente und Fahnen mit verbotenen Symbolen, Verbrennung abgebildeter amerikanischer und türkischer Flaggen, Kranzniederlegung. Ein erstmalig aufgetretenes "Komitee für ein freies Kurdistan" - als Anmelder stellten sich Personen aus deutschen linksextremistischen/autonomen Zusammenhängen zur Verfügung - führte in Hamburg am 24. Mai eine volksfestähnliche Kundgebung unter Beteiligung u.a. von KOMKAR, TKP/ML und PKK durch. Die ca. 2.200 Teilnehmer zeigten anfangs zahlreiche Fahnen und Transparente mit verbotenen Emblemen der PKK. Hier sowie in der Woche zuvor an Info-Ständen in Altona und am Sternschanzenbahnhof wurden insgesamt rund 1.100 Unterschriften gegen den Einmarsch türkischer Truppen in den Irak gesammelt und dem Bundesaußenminister übersandt. Am 22. Mai besetzten etwa 200 Kurden die Eingangshalle des europäischen Hauptquartiers der Vereinten Nationen in Genf und protestierten gegen die türkische Offensive im Nordirak. Sie verlangten eine offizielle Verurteilung der Militäroperation durch die UN. Auch vor dem Gebäude des Europarats in Straßburg demonstrierten etwa 100 Kurden gegen die Türkei. Nach einer vom Hamburger Verein "Kurdistan Volkshaus e.V. " angemeldeten Auftaktveranstaltung am 10. Juni machte ein Sympathisant des hiesigen YEK-KOM-MitgliedsVereins mit einem "Marathonlauf" von Hamburg nach Brüssel auf den türkischen Einmarsch aufmerksam. Am 20. September begann in diesem Jahr die zweite grenzüberschreitende türkische Offensive in den Nordirak. Mindestens 10.000 Soldaten und mehr als 100 Panzer rückten unter Beteiligung der türkischen Luftwaffe gegen mutmaßliche Stützpunkte der PKK vor. Von Seiten des türkischen Außenministeriums wurde die Aktion als "begrenzte Routineoperation " bezeichnet. Tatsächlicher Hintergrund waren offenbar Hinweise, die PKK wolle die Hochburg der "Demokratischen Partei Kurdistans-Irak" (DPK) angreifen. Der Vorstoß wurde aber auch als Reaktion auf den Versuch der PKKKämpfer, in ihre bei der Frühjahrsoffensive zerstörten Stellungen zurückzukehren, bezeichnet. In Straßburg fand wegen dieser zweiten Offensive am 25. Oktober eine Demonstration statt, die von der PKK-Jugendorganisation " Union der Jugendlichen aus - 177- Kurdistan" (YCK) initiiert worden war. Es beteiligten sich rund 2.000 Jugendliche aus Deutschland, Belgien, den Niederlanden und Frankreich. Durchsuchungen, Festnahmen, Strafverfahren und sonstige Exekutivmaßnahmen: Auch dieses Jahr stellte die Polizei bei Durchsuchungen von PKK-Objekten umfangreiches Beweismaterial (Spendenquittungen, Spendenlisten und Geldbeträge) sicher. Es machte deutlich, daß die PKK nach wie vor darauf angewiesen ist, ihren Finanzbedarf auch aus Spendenbeiträgen zu decken. Aufgefundene Schußwaffen lassen die Gewaltgeneigtheit einzelner PKK-Anhänger erkennen. Hervorzuhebende Ereignisse: Bei einer Durchsuchung der "Mesopotamien-Verlags - und Vertriebs - GmbH" in Köln am 29. Januar vorgefundene Beweismittel lassen den Schluß zu, daß es sich bei dem Verlag um eine europaweit tätige Vertriebsstelle der PKK handelt. Der Verlag dürfte die Funktion des 1995 aufgrund einer Gewerbeuntersagung geschlossenen AGRIVerlages übernommen haben. Am 2. April wurde das Asylbewerberheim im sächsischen Ort Grimma-Bahren durchsucht, da Hinweise vorlagen, wonach in dem Heim regelmäßig PKK-Versammlungen und Spendengeldsammlungen durchgeführt und Propagandamaterial verteilt würden. Nach Angaben der Polizei soll ein sogenanntes Heim(Ordnungs-) Komitee der PKK verantwortlich gewesen und die Teilnahme an Versammlungen und Spendengeldzahlungen auch mit Gewalt durchgesetzt haben. Es wurden Propagandamaterial, Spendenquittungen, Spendenlisten, und eine Schußwaffe sichergestellt. Eine Durchsuchung von PKK-Objekten am 3. Juni in Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Berlin erbrachte neben dem üblichen Beweismaterial drei Schußwaffen. Festnahmen: 1997 haben die Sicherheitsbehörden abermals hochrangige PKK-Funkionäre festgenommen und damit die personelle Struktur der PKK in Deutschland empfindlich gestört. So ist es z.B. am 1. April auf Veranlassung der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gelungen, den von 1992 bis 1994 verantwortlichen Leiter des ERNK-Bezirks Hannover zu ergreifen. Ihm wurden mehrere schwere Brandstiftungen und Sachbeschädigungen vorgeworfen. Am 7. Oktober wurde ein mutmaßlicher PKK-Rädelsführer festgenommen, der u.a. einen Auftrag zur Ermordung eines Kurden gegeben haben soll. Ferner nahm die Polizei mehrere mit Haftbefehl gesuchte PKK-Funktionäre und - Aktivisten wegen mutmaßlicher Spendengelderpressungen fest. Strafverfahren: Im Berichtsjahr wurden verschiedene Strafverfahren gegen PKKFunktionäre abgeschlossen. Mit den Urteilen wurden Schlußstriche unter die in den vergangenen Jahren begangenen Straftaten gezogen und zugleich deutlich gemacht, daß die rechtsstaatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland kriminelle Umtriebe von PKK-Angehörigen nicht duldet. Die konsequente Ahndung dürfte zur Verunsicherung potentieller Straftäter auf der PKK-Funktionärsebene beitragen und die Bereitschaft zu politisch motivierten Gewalttaten dämpfen. Wegen der zugrundeliegenden besonderen Tatschwere sind folgende Verurteilungen hervorzuheben: - 178- Am 5. März verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg die ehemalige Verantwortliche für die PKK-Region Nord-West, die ehemalige Verantwortliche für das PKK-Gebiet Bremen und den Verantwortlichen für den PKK-Raum Bremen wegen versuchten Totschlags zu Freiheitsstrafen zwischen drei und fünf Jahren. Die Verurteilten wurden für zwei versuchte Tötungsdelikte verantwortlich gemacht, die am 07.10.94 auf zwei PKK-Mitglieder in Bremen und Hamburg verübt worden waren. Die Opfer hatten sich als Anhänger des ehemaligen PKK-Mitbegründers und einstigen ÖCALANKampfgefährten Selim CÜRÜKKAYA zu erkennen gegeben, der sich zu einem erbitterten Kritiker des Generalvorsitzenden der PKK gewandelt hat. Die ursprüngliche Anklage gemäß SS 129 a StGB (Bildung einer terroristischen Vereinigung) hatte die Staatsanwaltschaft fallengelassen. Die ehemaligen Verantwortlichen der ERNK-Bezirke Wiesbaden und Frankfurt/M. sowie der Leiter für Außenbeziehungen dieser Bezirke wurden am 13. Oktober vom OLG Frankfurt/M. - nach zweijähriger Verhandlungsdauer - wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Beteiligung an Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen zu Freiheitsstrafen von elf Jahren, sechseinhalb Jahren sowie zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Verurteilten waren von Mitte 1993 bis zu ihrer Festnahme 1994 maßgeblich an Anschlägen der PKK im Rhein-Main-Gebiet beteiligt. Darunter befand sich auch der Anschlag am 04.11.93 auf eine türkische Gaststätte in Wiesbaden, bei dem ein türkischer Staatsangehöriger ums Leben gekommen und 8 Personen z.T. schwer verletzt worden waren. Gegen den ehemaligen Europasprecher der PKK, Faysal DUNLAYICI ("Rani YILMAZ"), wurde am 06.01.98 ein Strafverfahren eröffnet. Großbritannien hatte ihn am 19.08.97 an die Bundesrepublik Deutschland ausgeliefert, nachdem er am 26.10.94 in London festgenommen worden war und sich seitdem in Auslieferungshaft befand. Laut Haftbefehl vom 31.10.94 stand er u.a. unter Verdacht der Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung. Am 11.02.98 verurteilte ihn das OLG Celle wegen Beteiligung an schweren Brandstiftungen und versuchten Brandstiftungen in Tateinheit mit Sachbeschädigungen zu einer Freiheitsstrafe von 7 Vi Jahren, die unter Anrechnung der Auslieferungshaft für 5 Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist rechtskräftig. Bündnisbestrebungen: Im Januar 1997 wurde ein Ende 1996 vereinbartes Abkommen zwischen der PKK und der DHKP-C ( "KARATAS"-F\üge\ der türkischen linksextremistischen "Devrimci Sol") bekannt. In einer gemeinsamen Erklärung vom 22.12.96 begründeten beide die Notwendigkeit, eine gemeinsame "revolutionäre Front" zu gründen. Im Vordergrund dieser neuen Allianz steht das Ziel, europaweit mit vereinter Kraft gegen den gemeinsamen Feind - den türkischen Staat - vorzugehen, dessen etablierte Staatsform mit allen Mitteln zu bekämpfen und zu beseitigen. Wörtlich: "...ohne eine Kampfund Organisationsart abzulehnen". Praktisch blieb das Abkommen nahezu bedeutungslos. -179- Die PKK knüpfte parallel dazu auch Kontakte zu anderen - teils im Untergrund tätigen - türkischen Organisationen mit dem Ziel einer breiten "demokratischen" Plattform einschließlich zahlreicher linksliberaler, sozialdemokratischer und linksorthodoxer Gruppierungen/Organisationen. Gegenüber der militärischen Allianz mit der DHKP-C sollte sich die mit den anderen Gruppierungen geplante Plattform auf politische Zielsetzungen beschränken. Trotz wohlwollender Statements einzelner Gruppierungen gegenüber der PKK gab es bis zum Jahresende keine gesicherten Erkenntnisse für ein dauerhaftes Zusammengehen der PKK mit anderen Organisationen. Übergriffe von PKK-Anhängern: Ein türkischer Staatsangehöriger aus dem PKKUmfeld wurde am 12. Mai in Stuttgart nach eigenen Angaben von vier Landsleuten gezwungen in ein Auto zu steigen. Später wurde er in einem Waldstück mit Fußtritten und Fäusten malträtiert. Die vorliegenden Informationen belegen, daß es sich um eine "disziplinarische Maßnahme" der PKK handelte. Am 21. Mai verübten PKK-Funktionäre einen Brandanschlag auf einen deutsch-türkischen Verein in Bad Kreuznach. Es handelte sich nach den Ermittlungen der Polizei um eine Einzelaktion von 2 Personen, von denen lediglich eine ermittelt werden konnte. Nach Aussagen des Festgenommenen reagierten die Täter damit auf den Einmarsch der türkischen Armee in den Nord-Irak Anfang des Monats. Es entstand nur geringer Sachschaden. In der Nacht zum 16. Juli drangen in Lingen (Niedersachsen) sechs mutmaßliche Angehörige der PKK in die Wohnung von Landsleuten ein. Ein von ihnen gesuchter Kurde sprang offensichtlich aus Furcht vor den Eindringlingen aus einem Obergeschoßfenster. Trotz schwerer Knochenbrüche und innerer Verletzungen wurde er von den Angreifern in ein Fahrzeug gezerrt. Die Polizei konnte die Täter festnehmen. Nach Ermittlungen der Polizei wollten sie das Opfer wegen eines beabsichtigten Partei - austritts bestrafen. Am 15. August suchten in Oldenburg (Niedersachsen) vier unbekannte Kurden einen Mann in seiner Wohnung auf, schlugen ohne Vorwarnung mit Holzknüppeln auf ihn ein und fügten ihm einen Armbruch, Kopfverletzungen und Prellungen zu. Da das Opfer sich 1994 von der PKK getrennt und danach Zahlungen an die Organisation verweigert hatte, ging die Polizei von einer Strafaktion der PKK aus. In Osterholz-Scharmbeck (Niedersachsen) überfielen am 22. August vermutlich Angehörige der PKK einen türkischen Studenten mit Baseballschlägern. Dieser hatte am Vortag in einem Vortrag im Bremer Bürgerhaus die politische Entwicklung in der Türkei erläutert und u.a. das Existenzrecht der PKK in Frage gestellt. Das Opfer erlitt bei dieser - nach eigenen Angaben - Strafaktion erhebliche Verletzungen. Beurteilung und Aussichten: In den letzten Jahren ist die PKK in Deutschland sehr wechselhaft aufgetreten. Insbesondere nach dem Betätigungsverbot von 1993 hatten - 180- sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit staatlichen Sicherheitsorganen gehäuft. Sie eskalierten 1994 und 1995 in einem bis dahin nicht gekannten Ausmaß. Ende 1995 kehrte eine kurze Phase relativer Beruhigung ein. Die zeitweilige Rückkehr zur Gewalt in der ersten Märzhälfte 1996 nährte die Befürchtung, daß die PKK nur eine taktische Pause im Wechsel von Militanz und Mäßigung eingelegt hatte. Offenbar förderten jedoch die von ÖCALAN - insbesondere nach dem Newroz-Fest Ende März 1996 - abgegebenen mäßigenden Erklärungen ein Umdenken auch in der PKK-Anhängerschaft. ÖCALANs Eingeständnis, in der Vergangenheit Fehler begangen zu haben und sein im September 1996 abgegebenes Versprechen, seine Anhänger zum Gewaltverzicht in Deutschland anzuhalten, hat Wirkung gezeigt. Abgesehen von Unbesonnenheiten einzelner sind in der Bundesrepublik massive organisierte Gewalttaten aus den Reihen der PKK im Rahmen öffentlicher Veranstaltungen seit nunmehr fast zwei Jahren ausgeblieben. Anzeichen für eine Abkehr von diesem Kurs liegen nicht vor. Die forcierten Initiativen zur Aufhebung ihres Betätigungsverbots kennzeichnen das derzeitige Hauptanliegen der in der PKK organisierten Kurden in Deutschland. Das Verbot berührt fundamentale Interessen der PKK und wird mit Verweis auf bewiesene Friedfertigkeit insbesondere deshalb als schmachvoll empfunden, weil es das Verbot einschließt, die mit der Organisationsidentität verbundenen nationalen Forderungen und Ansprüche auch nach außen symbolträchtig zur Schau zu tragen. Der Generalbundesanwalt hat in einer Erklärung vom 12.01.98 daraufhingewiesen, daß seit August 1996 keine von den PKK-Kadern in Deutschland gesteuerten - auf Tötungsund Brandstiftungsdelikte ausgerichteten - Anschläge mehr nachweisbar seien. Nach Einschätzung der deutschen Justiz stellt die Führungsstruktur der PKK in Deutschland aber weiterhin eine Vereinigung dar, deren Zweck auf die Begehung von Straftaten, z.B. Kindesentziehung, Spendenerpressung, Urkundenfälschung, Körperverletzung und Waffendelikte, gerichtet ist. Bei der Beurteilung der Friedfertigkeit der PKK können Erkenntnisse der Polizeibehörden zu Übergriffen und Straftaten gegenüber Landsleuten und ehemaligen Anhängern im vergangenen Jahr ("Disziplinierungsakte") nicht außer Betracht bleiben. Noch ist unklar, ob es dazu Weisungen "von ganz oben4', von der mittleren oder gar unteren "Führungsebene" gegeben hat. Es ist denkbar, daß übereifrige untergeordnete Funktionäre verantwortlich sind. Die PKK hat sich von diesen Straftaten bisher nicht öffentlich distanziert. Der Bundesinnenminister hat u.a. vor diesem Hintergrund keinen Zweifel daran gelassen, daß das Betätigungsverbot für die PKK aufrechterhalten bleibt. -181- 4. Türken 4.1 Allgemeines In Hamburg leben 71.426 (Stand: 31.12.97) türkische Staatsbürger. Türkische Staatsangehörige nichtkurdischer Volkszugehörigkeit (etwa 45.000) bilden die größte Gruppe von Ausländern in Hamburg. Das Spektrum der türkischen politisch-extremistischen Organisationen reicht von revolutionär-marxistischen über islamistische bis hin zu extrem-nationalistischen Gruppen. In Hamburg verfügt dieses Gesamtspektrum über etwa 1.730 Anhänger, mithin über etwa 3,8 % der hiesigen nichtkurdischen türkischen Bevölkerung. Unter dem Aspekt der Bedrohung deutscher Sicherheitsinteressen sind jene revolutionär-marxistischen Gruppierungen von besonderer Bedeutung, die in ihrer Heimat mit Gewalt gegen die dortige Regierung vorgehen. Sie unterstützen von deutschem Territorium aus den Kampf ihrer Gefährten in der Türkei propagandistisch und finanziell und geraten in ihrem praktischen Verhalten nicht selten in Konflikt mit deutschen Rechtsnormen. Ihr Verständnis von moralisch "berechtigter" Gewalt und "legalem" Widerstand, z.B. bei rabiaten "Spenden"-Erhebungen, bei demonstrativen Auftritten und militanten Vorgehensweisen, führt in der Praxis immer wieder zu Konflikten mit deutschen Sicherheitsorganen. Der politische Einfluß der seit 1983 in Deutschland verbotenen linksextremistischen Organisation "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") sowie der ehemaligen TKP/M-L ("Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten") ist seit lahren durch selbstzerstörische Spaltungsprozesse geschwächt. Besonders die zum Teil blutigen Rivalitäten der konkurrierenden "Devrimci Sol "-Flügel DHKP-C und "THKP/- C Devrimci Sol" überlagerten im abgelaufenen Jahr die eigentlichen politischen Anliegen. Die Spaltung der TKP/M-L dauert an, obwohl gravierende Unterschiede in den politischen Zielsetzungen kaum zu entdecken sind. Selbst in den Namensgebungen verlieren sich die künstlich und absurd anmutenden Unterschiede in Strichen und Klammern: Während sich das ausgescherte sog. "Ostanatolische Gebietskomitee" (DABK) mit Klammersetzung TKP(ML) präsentiert, setzt sich der (stärkere) Stammflügel mit der Schrägstrichschreibweise TKP/ML davon ab. Beide verfügen zusammen über etwa 2.000 Anhänger und verzichten darauf, ihre ohnehin begrenzten Kapazitäten in einem gewaltsamen Gegeneinander aufzureiben. Auch die - in Hamburg mit einem Stützpunkt vertretene - MLKP ("Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei") ist eine Abspaltung der TKP/M-L. Ein MLKPAktivist, der 1996 an der Ermordung eines Abtrünnigen beteiligt war, wurde 1997 zu -182- einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, ein 2. Tatverdächtiger bei Paris festgenommen. Nationalistische türkische Organisationen halten sich seit Jahren in Deutschland öffentlich weitgehend zurück. Latente Gefahren resultieren aus der krassen Gegensätzlichkeit dieses im letzten Jahr in Hamburg zahlenmäßig gewachsenen und organisatorisch expandierten Potentials zum Lager der linksextremistischen türkischen und kurdischen Organisationen. Die Führung der ATF ("Almanya Türk Federasyonu" = Deutsche Türk Föderation, vorher: ADÜTDF) scheint zu berücksichtigen, daß eine Verwicklung ihrer Anhängerschaft in Gewaltakte ihren Interessen abträglich wäre. Sie hält ihre Mitglieder daher an, die deutsche Rechtsordnung zu respektieren. Diese werden aufgrund des gelegentlich benutzten Erkennungssymbols auch als "Graue Wölfe" bezeichnet. Neben dem Hamburger ATF-Mitgliederverein " Türkische Familien Union in Hamburg und Umgebung e. V. " ist im Bezirk Harburg im abgelaufenen Jahr ein zweiter Verein mit analoger Bezeichnung entstanden. Islamistische Organisationen, allen voran die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. " (IGMG), haben erheblichen Einfluß unter der hier lebenden türkischen Bevölkerung. Die bis zum Verbot (16.01.98) der türkischen Wohlfahrtspartei ("Refah Partisi") des ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin ERBAKAN an diese angelehnte IGMG vertritt ein islamistisches Staatsbzw. antiwestliches Demokratieverständnis. Sie wirkt der gesellschaftlichen Integration in Deutschland ansässiger Moslems entgegen. Als weitere türkisch-islamistische Organisation neben der IGMG ist die "Islamische Bewegung" (IH) mit einem eigenständigen Verein in Hamburg vertreten. Der Verein betreibt eine Moschee im Stadtteil Wilhelmsburg. Die IH ist als Abspaltung aus dem sog. KAPLAN-Verband (ICCB) hervorgegangen, der durch unverhüllte aggressive Polemik auffällt. Die Ermordung eines Abtrünnigen gab im Berichtsjahr Anlaß zu staatlichen Exekutivmaßnahmen. Die engere Anhängerschaft islamistischer türkischer Organisationen in Hamburg wird unverändert auf über 1.000 Personen geschätzt, bundesweit auf 28.100. - 183- 4.2 Linksextremisten 4.2.1 DHKP-C Die DHKP-C ("Devrimci Halk Kurtulus Partisi - Cephesi" = "Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front") ist neben der mit ihr rivalisierenden "THKP/-C Devrimci Sol" (O 4.2.2) aus einer sich Anfang 1993 entwickelnden Spaltung der - bereits 1983 in Deutschland verbotenen - "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen. Die 1978 in der Türkei gegründete und dort terroristisch operierende ursprüngliche "Devrimci Sol" will - wie auch heute noch die beiden neu formierten Parteien - in der Türkei einen politischen Umsturz erkämpfen und eine kommunistische Gesellschaftsordnung errichten. Ihre Terrorakte richten sich vor allem gegen türkische Sicherheitskräfte und gegen Personen des öffentlichen Lebens. Nach einer Serie gewalttätiger Ausschreitungen ist die Organisation seit Februar 1983 in Deutschland verboten, zählt aber inzwischen wieder zu den gefährlichsten der hier operierenden türkischen Gruppierungen. Die inzwischen endgültige Spaltung der "Devrimci Sol" war durch Differenzen um die Person des bis dahin unumstrittenen Leiters, Dursun KARATAS, ausgelöst worden, dem ein oppositioneller Flügel - die heutige "THKP/-C Devrimci Sol" - u.a. Führungsfehler und Verrat vorwirft. Dieser dem KARATAS-Flügel gegenüberstehende Flügel wird nach dem Namen seines ehemaligen Führers, Bedri YAGAN, auch als YAGAN-Flügel bezeichnet. Die Anhängerschaft der beiden sich unversöhnlich gegenüberstehenden Organisationen wird bundesweit auf 1.300 geschätzt. Die DHKP-C stellt davon 1.000 und den weitaus aktiveren Teil. In Hamburg werden den verfeindeten Flügeln insgesamt weniger als 100 Personen zugerechnet. Die DHKP-C ist hier - in annähernder Umkehr der bundesweiten Kräfteverhältnisse - in der Minderheit. Die THKP/-C verfügt in Hamburg über einen ihrer bundesweit nur wenigen Stützpunkte. Insbesondere aus der DHKP-C heraus gab es gesteigerte Versuche, mit handgreiflichen Einschüchterungsakten Anhänger der Gegenseite zu veranlassen, ihre politischen Aktivitäten aufzugeben oder gar in die DHKP-C zu wechseln. Nach einem vorläufigen Höhepunkt der spaltungsbedingten Auseinandersetzungen im Mai 1996 kennzeichnete seit Mai 1997 eine neue Folge von Provokationen, unfriedlichen Reaktionen bzw. zum Teil blutigen Vergeltungsschlägen das gegenseitige Verhalten. Innerhalb von fünf Monaten wurden in verschiedenen Städten insgesamt sieben äußerst gewalttätige Übergriffe der verfeindeten Gruppen bekannt, bei denen in fünf Fällen auch Schußwaffen eingesetzt wurden: -184- * 19.05.97 Köln: DHKP-C-Aktivisten (KARATAS-Flügel) greifen einen türkischen Landsmann an - möglicherweise Auslöser der folgenden Kette von Gewalttaten, * 13.06.97 Frankfurt /M.: Vier Türken überfallen einen DHKP-C -Anhänger (KARATAS-Flügel) und verletzen das Opfer schwer durch Schläge, Tritte und Schüsse in die Beine schwer, * 12.07.97 Hamburg-Ottensen: In einem türkischen Lokal überfallen morgens kurz nach 01.00 Uhr 5 - 6 Türken zwei Landsleute, denen sie Stich-, Schlagund schließlich Schußverletzungen an den Beinen zufügen. Eines der Opfer ist als Anhänger der hiesigen "THKP/-C Devrimci Sol" (YAGAN-Flügel) bekannt, das zweite kommt aus Frankfurt. Es liegt nahe, als Urheber der Tat Anhänger der DHKP-C (KARATAS-Flügel) zu vermuten, * 09.08.97 Hamburg-St.Pauli: 3 oder 4 Täter versuchen im Eingang eines türkischen Kulturvereins einen "Kurtulus"-Verkäufer (DHKP-C-Publikation), also DHKP-C - Anhänger (KARATAS-Flügel) zu ermorden. Das Opfer kommt aus Leipzig. Von neun auf den Zeitungsanbieter abgegebenen Schüssen treffen ihn zwei lebensgefährlich, * 20.08.97 Hamburg-Ottensen: 2 Türken schlagen vor einem türkischen Lokal zwei DHKP-C-Anhänger (KARATAS-Flügel) auf offener Straße blutig zusammen. Die Opfer kommen aus Leipzig und Bielefeld, * 22.08.97 Frankfurt/M.: beim Aufeinandertreffen zweier gegnerischer Gruppen wird ein Türke durch Schüsse lebensgefährlich verletzt (Knieund Bauchschuß). Sechs Tatbeteiligte werden festgenommen, darunter der Schütze, ein bewaffneter DHKP- C - Funktionär aus Frankreich, * 05.09.97 Hamburg-Altona: Personen des KARATAS-Flügels schießen einen Anhänger der "THKP/-C Devrimci Sol" (YAGAN-Flügel) morgens beim Verlassen seines Hauses an (Beine und Leistengegend). Die Polizei stellt einen den - vermutlich drei - Tätern zugerechneten französischen Pkw sicher, Fahrzeughalter ist ein DHKPC-Aktivist. Während bei den vorhergegangenen Taten die eingeschüchterten Opfer in keinem Fall Aussagen zu Tätern oder Tathintergrund machten, nannte der Geschädigte diesmal die Namen zweier mutmaßlicher Täter/Mittäter. Wenige Tage darauf werden zwei hochrangige DHKP-C -Funktionäre in Hamburg festgenommen. Provokatives Auftreten, etwa bei Spendensammlungen und beim Verkauf des Organs "Kurtulus", sorgte in Hamburg für ein zusätzliches 'Reizklima'. Dieses gilt auch, wenn -185- es zum Aufeinandertreffen mit eher nach rechts tendierenden Türken kommt, wie es am 25.04.97 in Hamburg-Wilhelmsburg geschehen ist. Dort wurde ein Türke von einem unbekannten Täter erschossen, nachdem DHKP-C - Anhänger in seinem Imbiß zuvor vergeblich versucht hatten, ihre Zeitschrift "Kurtulus" zu verkaufen. Das europaweite Potential der DHKP-C ließ sich erneut an den mehr als 4.000 Teilnehmern einer Gedenkveranstaltung zur Parteigründung am 05.04.97 in Hengelo/NL ablesen. Auch wenn dieser Besuch Familienangehörige und Sympathisanten anderer Organisationen einschließt und 1996 noch etwa 6.000 Personen teilnahmen, ist dieses ein zahlenmäßiges Potential, das der verfeindete sog. YAGAN-Flügel Flügel nicht mobilisieren könnte. Von den oben beschriebenen Auftritten einiger Gewalttäter abgesehen, hatte die DHKP-C das Jahr über kaum eigene öffentliche Aktivitäten inj-lamburg vorzuweisen. Auffällig war eine stärkere Präsenz auf einer von insgesamt etwa 500 ausländischen und deutschen Personen besuchten Demonstration in Hamburg am 15.03.97 zum "Internationalen Tag der Gefangenen" (u.a. TKP/ML, PKK, DKP, deutsche Autonome). Erneut nahmen Hamburger DHKP-C-Anhänger (u.a. neben PKK-Anhängern) am 21., 22. und 24.05.97 an Kundgebungen mit dem Tenor "Protest gegen den Einmarsch der türkischen Armee in Südkurdistan " teil. Die Schlagkraft der Hamburger Gruppe wird zu bestimmten Anlässen offensichtlich durch auswärtige Anhänger verstärkt. Das ergaben zahlreiche polizeiliche Überprüfungen bei Plakatierern, "Kurtulus "-Verkäufern, im Vereinsobjekt der DHKP-C bzw. im Zusammenhang mit den gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Polizei stieß dabei relativ häufig auf Auswärtige, die in den neuen Bundesländern wohnen. Am 25.11.97 durchsuchte die Polizei die Zentrale der DHKP-C in Köln und beschlagnahmte umfangreiches Material, Computer und Zubehör. Abb. 52: DHKP-C-Publikation "Kurtulus" Auch wenn dieses für eine gewisse Zeit die Handlungsfähigkeit der Organisation beeinträchtigen dürfte, bleibt die DHKP-C eine - 186- ständige Gefahrenquelle, zumal vermutlich noch einige 'Rechnungen' offengeblieben sind und das Ziel, die gegnerische Anhängerschaft gänzlich aus Europa zu vertreiben, fortbesteht. Es ist damit zu rechnen, daß die DHKP-C zu gegebener Zeit ihre Angriffe auf Anhänger der Gegenseite wieder aufnehmen wird. Ein im Dezember 1996 veröffentlichtes "Protokoll" über die Gründung einer Allianz von DHKP-C und PKK mit dem Ziel, eine "revolutionäre Front" zu bilden, hat bisher in der Türkei oder in anderen Ländern zu keinen erkennbaren Konsequenzen in Richtung auf ein dauerhaftes Zusammenwirken geführt. Vereinzelte Anhaltspunkte, z.B. der Austausch von Grußadressen, sprechen dafür, daß die Idee noch nicht aufgegeben worden ist. In Hamburg gab es dafür jedoch keine erkennbaren Belege. Seit September 1997 verbreitet die DHKP-C über ihr "Informationsbüro Amsterdam" ihren Entwurf einer "Volksverfassung" für die Türkei. Sie beruft sich darin zwar nicht mehr auf den "Marxismus-Leninismus"', haftet aber stellenweise noch an dessen üblichem Vokabular (Kapitalismus, Imperialismus, Faschismus). Der Entwurf nennt als Ziel eine "Demokratische Republik des Volkes", enthält planwirtschaftliche Visionen und gibt keine eindeutigen Hinweise auf Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung 4.2.2 THKP/-C Devrimci Sol Die "THKP/-C Devrimci Sol" ("Türkiye Halk Kurtulus PartisiACephesi" = "Türkische Volksbefreiungspartei/Front", sog. YAGAN-Flügel) ist neben der DHKP-C (3 4.2.1) aus der "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen. Auch für sie gilt das 1983 gegen die Ursprungsorganisation durch den Bundesminister des Innern verhängte Verbot. Die Organisation tritt gelegentlich auch unter der Bezeichnung "Devrimci Sol Gücler" auf. Zur Bedeutung und spaltungsbedingten derzeitigen Konfliktsituation wird auf die Ausführungen unter 4.2.1 verwiesen. Wie aus den dort aufgelisteten Vorfällen deutlich wird, stehen sich die beiden rivalisierenden Organisationen in ihrer grundsätzlichen Gewaltbereitschaft in nichts nach. Es bleibt allerdings festzustellen, daß Einschüchterungsund Bestrafungsaktionen 1997 in erster Linie von der DHKP-C (KARATAS-Flügel) ausgingen. Hamburg hat sich 1996/97 als ein Brennpunkt gegenseitiger handgreiflicher Auseinandersetzungen erwiesen. Trotz der zusammen nur knapp 100 Personen ausmachenden rivalisierenden Stammpotentiale gibt deren Verhalten Anlaß zur Sorge, weil die Wahrscheinlichkeit eines Aufeinandertreffens der Anhängerschaften hoch ist, sie Schußwaffen mitführen und Verstärkungen von auswärts hinzuziehen. Vermutlich um Differenzen mit der auch verbal feindseligen Gegenseite zu vermeiden, hielt sich die Anhängerschaft der "THKP/-C Devrimci Sol" im vergangenen Jahr mit - 187- organisierten öffentlichen Auftritten zurück. Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft gegen die Organisation wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung hatten in der zweiten Jahreshälfte 1996 zu Durchsuchungen und Festnahmen mehrerer Funktionäre geführt. Sie dürften zu dieser politischen Zurückhaltung beigetragen haben. Im April 1997 wurden in dem genannten Verfahrenszusammenhang in Hamburg fünf Aktivisten der Organisation zu Bewährungsstrafen verurteilt. Sie waren an einem blutigen Überfall auf DHKP-C - Anhänger im August 1995 beteiligt. Im übrigen dürfte die Parteiführung in Hamburg davon ausgehen, daß ihre Anhängerschaft den Sicherheitsbehörden weitgehend bekannt ist. Trotz der Rivalität zur DHKP-C und der von dieser angedrohten Gewalttaten nahm eine Reihe von Anhängern der THKP/-C (YAGAN-Flügel) am 15.03.97 in Hamburg an einer Demonstration teil, die - offenbar auch aufgrund entsprechender Vorsichtsmaßnahmen der Veranstalter - ohne Zwischenfälle verlief. Bei der DGB-Demonstration am 1. Mai wagte sich die Anhängerschaft sogar öffentlich mit einem Spruchband als "Devrimci Sol Gücler" vor, ebenso auf einer weiteren Demonstration am 03.05.97 ("Internationaler Tag der Gefangenen"), obwohl hier auch die DHKP-C mit einer starken Abordnung vertreten war. Fiftdi ; Jski ÜMtiniei Offenbar unter dem Eindruck der schweren fcfitati Gin '-. tiirl Zusammenstöße in den Monaten Juni bis September waren in der zweiten Jahreshälfte Abb. 53: THKP/-C-Publikation keine Aktivitäten mehr erkennbar. Daß der "Devrimci Cözüm" schwelende Konflikt mit der DHKP-C jederzeit und unberechenbar neu eskalieren kann, offenbarte sich in Hamburg schlaglichtartig schon kurz nach Ablauf des Berichtsjahres: Auf offener Straße verübte am 29.01.98 eine mutmaßliche 5-köpfige THKP/-CSpendenerpressergruppe einen Mordanschlag auf eine DHKP-C-Gruppe, wobei 2 Opfer durch Schüsse schwer verletzt wurden. Auch bei einem der Opfer wurde eine Schußwaffe gefunden. Am 19.04.96 fand eine europaweite Kulturveranstaltung von Anhängern und Sympathisanten der THKP/-C statt, diesmal in Gent/Belgien. Während eine vergleichbare Veranstaltung im Vorjahr noch etwa 600 - 800 Besucher zählte, blieb es in diesem Jahr bei ca. 400 Teilnehmern - eine Zahl, die das gegenüber der DHKP-C (4.000) bei vergleichbarem Anlaß bedeutend geringere Mobilisierungspotential veranschaulicht. - 188- 4.2.3 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) - "Partizan "-Flügel der ehemaligen TKP/M-L 1994 hat sich die 1972 in der Türkei gegründete "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten Leninisten " (TKP/M-L) gespalten. Es entstanden die in diesem Abschnitt behandelte TKP/ML (auch "Partizan "-Flügel genannt) und die im nachfolgenden Abschnitt 4.2.4 behandelte TKP(ML) (auch "DAß/T-Flügel genannt). Beide Flügel - zusammen etwa 2.000 Anhänger - berufen sich auf die Programmatik der Ursprungsorganisation und betrachten sich gleichsam als deren rechtmäßige Erben. Die im hier vorangestellten grundsätzlichen Aussagen gelten somit für beide Flügel: Beide orientieren sich am Marxismus-Leninismus, ergänzt um die Ideen Mao TSETUNGs. Ihr Ziel ist die Beseitigung der bestehenden türkischen Staatsordnung und die Errichtung einer angeblich "demokratischen Volksrepublik". Hierzu verübten ihre Anhänger in der Türkei wiederholt Terrorakte. Bereits 1972 bildete die TKP/M-L einen militärischen Arm, die "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO). Der von der TIKKO geführte bewaffnete Guerillakrieg soll in eine "demokratische" Volksrevolution münden. Entsprechend der in der Türkei unterhaltenen Jugendorganisation TMLGB existieren in Deutschland - in Anlehnung an die Parteiflügel - konkurrierende Jugendflügel mit selbständigen Bezeichnungen. Die TKP/ML {"Partizan"-Flügel) wird in Westeuropa von einer als "Auslandsbüro" fungierenden Funktionärsspitze dirigiert. Sie steuert in Deutschland über ihre Basisorganisation "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland" (ATIF) örtliche Vereine und Komitees, in Hamburg den "Solidaritäts - und Kulturverein der Arbeitnehmer aus der Türkei in Hamburg e. V. ". Hamburg gehört zum Gebietskomitee Nord. Diesem wiederum untersteht das Stadtkomitee Hamburg. Alle Ebenen arbeiten streng konspirativ. Die Jugendorganisation "Neue Demokratische Jugend" (YDG) ist direkt der europäischen Dachorganisation "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa " (ATIK) unterstellt. Anhänger der Partei treten in Deutschland vorwiegend publizistisch und propagandistisch auf, anlaßbezogen aber auch durch militante Aktionen. Wenn es um die Unterstützung der Heimatorganisation geht, greifen TKP/ML-Anhänger gelegentlich zu den unter türkischen und kurdischen Extremisten gemeinhin üblichen rigiden - auch gewaltsamen - Methoden zur Eintreibung von "Spenden". Auch in Hamburg gehörten türkische Geschäftsleute (Ladeninhaber, Imbißbetreiber u.a.) bisher zu den bevorzugten "Spenden"-Opfern. Es wird davon ausgegangen, daß im Winterhalbjahr 1996/97 europaweit auf diese Weise wiederum Sammlungsergebnisse erzielt wurden, deren Summe sich der Größe von 1 Million DM nähert und auch Zielvorgabe der Kampagne 1997/98 sein dürfte. Angesichts eines von der Führung ausgehenden hohen Erfolgsdruckes auf die Geldsammler kann es vorkommen, daß sich potentielle "Spender" genötigt sehen, ganze Monatsgehälter, Weihnachtsgelder oder gar Sozialhilfebezüge zu opfern. - 189- Seit 1996 gibt es Hinweise auf interne Differenzen und Spaltungstendenzen in der TKP(ML) vor dem Hintergrund persönlicher Machtkämpfe. Während einer Konferenz des DABK-Flügels in der Türkei am 08.03.96 waren in diesem Streitzusammenhang acht des Verrats verdächtigte Führungsfunktionäre von eigenen Leuten erschossen worden. Im Rahmen der seitdem geführten "Säuberungsaktion" (Codewort: "Kardelen Hareketi" = "Schneeglöckchenbewegung") innerhalb des DABK wurden mindestens fünf weitere Anhänger in der Türkei getötet. Angebliche "Verräter" und "Kollaborateure" werden europaweit gesucht und lassen auch hier Liquidierungsund Bestrafungsaktionen möglich erscheinen. Obwohl ihre Aktionsfähigkeit unter diesen Spannungen abnahm, hat die hohe Mobilisierungsfähigkeit der TKP(ML) offenbar bisher nicht gelitten: An einer europaweiten Zentral Veranstaltung in Köln am 03.05.97 zu Ehren des Parteigründers KAYPAKKAYA nahmen etwa 7.000 Personen teil - gegenüber 1996 eine verdoppelte Besucherzahl. Die Hamburger TKP(ML) bzw. das "DABK" verhielten sich - nach Brandanschlägen gegen einen dem türkischen Generalkonsulat nahestehenden Verein und gegen ein Reisebüro im Jahre 1996 - im Berichtsjahr gewaltfrei. Sporadisch beteiligten sich Hamburger Mitglieder an Kundgebungen und Aufrufen zusammen mit anderen türkischen, kurdischen und deutschen Linksextremisten - insbesondere an Protesten gegen das Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte gegen die PKK im Irak sowie das Verhalten der USA, Deutschlands und anderer angeblich "imperialistischer" Staaten. 4.2.5 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Die bundesweit auf etwa 700 Mitglieder (Hamburg etwa 30) geschätzte MLKP ist 1994 aus der Vereinigung der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten Leninisten Bewegung" (TKP/ML H) und der unbedeutenden "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) hervorgegangen. Sie ist letztlich - ebenso wie die in den vorherigen Abschnitten behandelten TKP/ML und TKP(ML) - ein Abspaltungsprodukt der TKP/M-L. Schon die vorstehend ersichtliche Abkürzungsverwirrung kennzeichnen die (nicht nur unter türkischen) Linksextremisten symptomatische Neigung, einerseits die - sogar weltweite - Einigkeit des "Proletariats" zu beschwören, sich andererseits aber bereits im eigenen engsten Umfeld in ideologischen Haarspaltereien, Linienstreitigkeiten und sektiererischen Rivalitäten zu verlieren. 192 Die MLKP erstrebt für die Türkei einen revolutionären Übergang in den Sozialismus. Sie betont die herausragende Rolle der "Avantgarde der Arbeiterklasse" und ihre "antiimperialistische" Zielsetzung. Insbesondere die letztgenannte Ausrichtung schlägt - auch in Hamburg - eine Brücke zum deutschen "Antiimperialistischen Widerstand" (AIW, 3 III/4). Die MLKP versteht sich als wahre Vertreterin der Interessen auch des kurdischen Volkes und will in der Türkei mittels bewaffneter Kämpfe das "faschistische kolonialistische Joch " zerbrechen. Ihre Guerillaorganisation nennt sich "AZZS ". Nach einem Kommunique des Zentralkomitees (ZK) behandelte die 1. MLKP-Parteikonferenz im Herbst 1995 u.a. Fragen des illegalen Kampfes und militärischer Organisationsund Kampfformen. Laut ZK soll die "kollaboratorische kapitalistische Monopolordnung " (i. d. Türkei) "dem Erdboden gleichgemacht" werden. Basisorganisation der MLKP in Deutschland ist die AGIF ("Almanya Göcmen heiler Federasyonu") = "Föderation der ArbeitsimmiAbb. 56: Hammer und Sichel - grant/innen aus derTürkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V. " mit etwa 20 Mitgliedsvereiauch bei der MLKP Insignien nen. Sie befaßt sich vom kommunistischen politischer Zielsetzungen Standpunkt aus publizistisch mit den Problemen ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland und wendet sich gegen den angeblichen "Faschismus als Instrument der deutschen Monopolbourgeoisie". Die Partei verfügt über eine Jugendorganisation (KGÖ), die sich in Hamburg in der Vergangenheit u.a. durch Parolenschmierereien, anläßlich der 1. Mai-Kundgebung 1997 auch mit Klebezetteln bemerkbar gemacht hat. Die in Deutschland aufhältlichen MLKP-Anhänger betätigen sich politisch über die örtlichen AGIF-Vereine. Wie bei anderen ausländischen Linksextremisten genießen Spendensammlungen für die logistische und sonstige praktische Unterstützung der Heimatorganisation hohen Stellenwert. Öffentliche Aktivitäten entwickeln Angehörige der MLKP fast ausschließlich gemeinsam mit anderen linksextremistischen türkischen - auch kurdischen - Organisationen sowie deutschen Linksextremisten des autonomen und "antiimperialistischen" Spektrums - so anläßlich von Demonstrationen in Hamburg am 15.03.97 ("Internationaler Tag der Gefangenen") und am 24.05.97 ("Stoppt die Okkupation von Süd-Kurdistan "). -193- 1996 und 1997 gab es Hinweise auf eine verstärkte Hinwendung zur DHKP-C unter gleichzeitiger Abwendung von der rivalisierenden THKP/-C Devrimci SoL Bereits im August 1995 hatte sich in der MLKP eine oppositionelle Abspaltung herauskristallisiert - die "Kommunistische Partei / Aufbauorganisation" (KP/IÖ). Dies hatte dazu geführt, daß am 27.08.96 ein KP/IÖ-Funktionär in Duisburg von MLKPAktivisten erschossen worden war. Einer der Täter wurde 1997 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, ein zweiter Tatverdächtiger am 09.06.97 nahe Paris festgenommen. Obwohl die MLKP im Berichtsjahr unter gravierenden Führungsproblemen, Zerrüttungsund Lähmungstendenzen litt, schaffte sie es, zu einer "Märryrer"-Gedenkveranstaltung am 22.11.97 in der Kölner Sporthalle 4.000 (1996: 5.000) Personen aus Deutschland und dem benachbarten Ausland zu mobilisieren. In Hamburg beteiligten sich MLKP-Anhänger u.a. am 03.12.97 an der "Antifa"-Demonstration gegen ein DVU-Treffen in Billstedt. Bei der Anti-NPD-Großdemonstration am 13.09.97 wirkten MLKP-Anhänger vorbereitend mit. 4.3 Türkische Islamisten 4.3.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Die in Köln ansässige IGMG und die daneben existierende "Europäische Moscheenbauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) sind 1995 aus der "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V. " (AMGT) hervorgegangen. Während die EMUG die Verwaltung des umfangreichen Immobilienvermögens der ehemaligen AMGT übernahm, ist die IGMG laut Satzung für "soziale, kulturelle und religiöse Aufgaben" zuständig. Die AMGT hatte vor dem Verwaltungsgericht Köln die Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer Erwähnung im Bundesverfassungsschutzbericht 1993 verklagt. Das Verfahren wurde am 04.12.97 unanfechtbar eingestellt. Ein Antrag der AMGT auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gegen die Freie und Hansestadt Hamburg, ihre Erwähnung im Hamburger Verfassungsschutzbericht 1993 zurückzunehmen und im Verfassungsschutzbericht 1994 zu unterlassen, wurde vom Verwaltungsgericht Hamburg 1995 abgewiesen. Die IGMG verfügt nach eigener Angabe ("Milli Görüs & Perspektive" Nr. 35, November 1997) über 160.000 Mitglieder in Europa. Schätzungen der Verfassungsschutzbehörden gehen von ca. 26.500 Anhängern in Deutschland - davon 1.000 in Hamburg - aus. Die IGMG ist damit die mitgliederstärkste und bedeutendste Organisation unter den türkischen Extremisten in Deutschland. Entgegen häufigen eigenen Behauptungen, demokratische Prinzipien anzuerkennen, vertritt die Organisation ein politisches Islamverständnis, das mit den Grundsätzen der pluralistischen Demokratie -194- nicht im Einklang steht. Sie stand in enger Verbindung zur Partei des zeitweiligen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin ERBAKAN, der "Refah Partisi" (RP, "Wohlfahrtspartei"). Die IGMG hatte die RP in der Vergangenheit so nachhaltig propagandistisch - auch bei Wahlkämpfen - unterstützt, daß sie als Auslandsarm der RP gelten konnte. Die RP wurde am 16.01.98 durch das türkische Verfassungsgericht wegen ihrer - so die Presse - "erwiesenen Aktivitäten gegen die Grundprinzipien der säkularen Republik" verboten. Die RP habe als "Zentrum fundamentalistischer Aktivitäten" den Laizismus (Trennung von Staat und Religion) abschaffen und die Türkei in einen islamischen Gottesstat verwandeln wollen. Das Verbotsurteil wurde nach Veröffentlichung im Amtsblatt am 22.02.98 gültig. Das aufstrebende Mitgliederpotential der IGMG läßt sich auch aus den wachsenden Teilnehmerzahlen bei ihren jährlichen internen Generalversammlungen ablesen. Im Juni 1996 hatten sich in Dortmund noch etwa 20.000 Besucher aus dem Inland und dem benachbarten Ausland versammelt, am 14.06.97 waren es bei der mit einem "Friedensund Kulturfestival" verbundenen Veranstaltung bereits über 30.000 - ein Mobilisierungszuwachs um 50 Wo. Bei Veranstaltungen, die sich an die Öffentlichkeit richten, ist die Mobilisierungsfähigkeit der IGMG zwar deutlich geringer, im Verhältnis zu anderen in Deutschland agierenden Abb. 57: IGMG-Symbol: Der europäische extremistischen Organisationen Kontionent im Zeichen des Halbmondes punktuell aber durchaus beachtlich. Zu einer Demonstration am 27.09.97 in Köln aus Protest gegen die Einführung der achtjährigen Schulpflicht in der Türkei gingen etwa 3.500 Personen auf die Straße. Die IGMG unterstellte der türkischen Regierung, mit der verlängerten Schulpflicht "die Religion auszurotten". Dies war die erste öffentliche Großveranstaltung der IGMG seit Jahren überhaupt - ein Hinweis darauf, wie ernsthaft sich Islamisten von dieser Neuregelung betroffen fühlen, deren Auswirkungen auf die Schließung zahlreicher Koranschulen in der Türkei hinauslaufen. Auch in Deutschland bemüht sich die IGMG um stärkeren Einfluß unter Kindern und Jugendlichen. Das Streben nach einer Ausweitung "muslimischer Identität" wirkt Integrationsbemühungen entgegen. -195- Dem von der IGMG Hamburg betreuten Organisationsbereich, der Schleswig-Holstein und Teile Niedersachsens einschließt, sind etwa 15 Moscheen der IGMG zuzurechnen, davon 7 in Hamburg. Die "Zentralmoschee" liegt in der Böckmannstraße im Hamburger Stadtteil St. Georg. In Hamburg werden etwa 1.000 Personen der IGMGAnhängerschaft zugerechnet, wobei der Einflußbereich weit über dieses unmittelbare Umfeld hinausreicht. Die Zentralmoschee bietet etwa 3.000 Besuchern Platz. 4.3.2 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) Die umgangssprachlich auch als "KAPLAN-Verband" bekannte Organisation ist aus einer Abspaltung der IGMG (damals noch AMGT) entstanden und hat sich 1985 unter der Bezeichnung ICCB ("Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi") in Köln vereinsrechtlich angemeldet. Der ICCB strebt einen "Kalifatstaat" als weltweiten Zusammenschluß aller Muslime an. 1992 hatte der 1995 verstorbene Cemaleddin KAPLAN den "Föderativen Islamstaat Anatolien" (AFID) ausgerufen und sich selbst zum Kalifen ernannt. Unter Metin KAPLANS Führung, der die Nachfolge seines Vaters im ICCB auch als selbsternannter "Kalif der islamischen Welt in Deutschland" angetreten hat, wird zunehmend die Organisationsbezeichnung "Kalifatstaat" benutzt. Die Akzeptanz des Sohnes war allerdings von Anfang an unter den ICCB-Anhängern umstritten, was u.a. zu einem drastischen Mitgliederschwund beigetragen hat. Zu Metin KAPLANS härtesten Kritikern und Gegnern gehörte der am 08.05.97 in Berlin von unbekannten Maskierten mit mehreren Schüssen ermordete Abtrünnige und selbsternannte " Gegenkalif", Halil SOFU. Der Verein erstrebt die Weltherrschaft des Islam und - auch mit Gewalt - den Sturz der türkischen Regierung sowie die Errichtung einer islamischen Republik Türkei unter Einführung des Korans als Fundament des Staatsaufbaus (Gottesstaat). Mitglieder der türkischen und der deutschen Regierung gelten als "Tyrannen und Ungläubige". Das Feindbild des ICCB setzt sich u.a. aus Kapitalismus, Demokratie, Laizismus, Mehrparteiensystem und dem Judentum zusammen. U.a. wird im Verbandsorgan "Ümmet-iMuhammed" (Die Gemeinde Mohammeds) kontinuierlich gegen Andersgläubige po- - 196- lemisiert, insbesondere gegen Juden. In der Ausgabe vom 06.11.97 wurde Demokratie als ein " Virus" dargestellt, der die Menschheit zu "infizieren" drohe. Am 09.09.97 wurden Büros, Lagerräume und Moscheen des ICCB in Köln, Düsseldorf, Berlin und Augsburg polizeilich durchsucht. Die Exekutivmaßnahmen waren Teil eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Augsburg gegen einen örtlichen Funktionär und Prediger des ICCB-Vereins in Augsburg; dieser steht im Verdacht, zur Ermordung eines "Abtrünnigen" (evtl. SOFU) aufgerufen zu haben. Der Generalbundesanwalt leitete u.a. gegen KAPLAN ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Mitgliedschaft/Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung (SS 129a StGB) ein. Die polizeilichen Durchsuchungsaktionen wurden in der Publikation "Ümmet-i-Muhammed" als "Überfälle auf Gebetsstätten" bzw. "Stürmung von heiligen Stätten" bezeichnet, die von "Feinden des Islam" verübt worden seien. Die deutsche Polizei habe damit ein Tabu gebrochen. Der ICCB stützt sich bundesweit auf etwa 1.300 Mitglieder. In Hamburg existiert seit der Spaltung des Verbandes (1989) kein ICCB-Stützpunkt mehr. Die hier verbliebene Anhängerschaft besteht aus wenigen Einzelmitgliedern. 4.3.3 Islamische Bewegung (IH) Die "Islamische Bewegung " ("Islami Hareket"; IH) ist 1989 in Köln als Abspaltung des "Verbandes der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB) entstanden. Die Abspalter reagierten mit diesem Schritt darauf, daß sich die Führung des ICCB vom iranischen Einfluß gelöst hatte. Es gelang der "Islamischen Bewegung", bundesweit (z. Zt. etwa 300 Abb. 59: Symbole der "Islamischen Bewegung" Mitglieder) mehrere örtliche ICCB-Vereine zu übernehmen. Die etwa 50 Personen umfassende Hamburger IH-Anhängerschaft trifft sich in einer Moschee, die sich in der Mokrystraße im Stadtteil Wilhelmsburg befindet und von dem Verein "Zentrum für Forschung und Kultur des Islam e.V. " getragen wird. - 197 - Die IH hat sich zum Ziel gesetzt, in der Türkei einen "Islamischen Staat" nach dem Vorbild Irans zu errichten. Sie geht nicht davon aus, dieses mit friedlichen Mitteln zu erreichen. In Flugblättern agitierte und polemisierte sie in der Vergangenheit gegen die "kapitalistischen und zionistischen Teufel", äußerte sich rassistisch anti-jüdisch, propagierte Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele und glorifizierte das Märtyrertum. Nach Auffassung der IH ist der Kampf gegen Israel auch gewaltsam, notfalls unter Einsatz des Lebens zu führen. Gemeinsam mit Anhängern anderer islamisch-extremistischer Gruppierungen beteiligten sich Hamburger Anhänger der IH am 01.02.97 an der Berliner Großdemonstration zum "Jerusalem-Tag". Dieser Anlaß war seinerzeit vom iranischen Ayatollah KHOMEINI proklamiert worden, um so immer wieder die "Befreiung Jerusalems vom Zionismus " anzumahnen. 5. Iraner In Deutschland leben über 100.000 iranische Staatsangehörige, in Hamburg 13.755 (Stand 31.12.97). Iraner stellen damit in Hamburg nach Türken, Jugoslawen und Polen die viertgrößte Gruppe von Ausländern. Ein Teil von ihnen engagiert sich politisch im Sinne der iranischen Regierung, ein oppositioneller Teil entgegengesetzt. Das gesamte private und staatliche Leben in der Islamischen Republik Iran ist durch eine schiitische staatliche Grundorientierung geprägt. Schiiten sind Anhänger der "schi'at Ali", der "Partei Alis", einer der beiden Hauptrichtungen der islamischen Religion. Schiiten bilden weltweit mit etwa 15% eine Minderheit der Muslime, die Mehrheit sind Sunniten (Anhänger der Sunna). Sunniten und Schiiten trennten sich im Streit um die Nachfolge des im Jahre 632 n.Chr. verstorbenen Propheten Mohammed. Im Iran leben etwa 95 % Muslime schiitischen Glaubens. Als Ergebnis der "Islamischen Revolution" von 1979 und der Machtübernahme durch den 1989 verstorbenen Ayatollah KHOMEINI wurde das schiitische Staatsund Herrschaftsprinzip in der Verfassung der Islamischen Republik Iran verankert. Es beruht auf der "Herrschaft des anerkannten Gottesgelehrten" ("wilayat-e Faqih"). Das Volk hat sich dem Willen Gottes und seiner Vertreter auf Erden - dem anerkannten geistlichen Führer oder einem Gelehrtenkollegium - unterzuordnen. Der Iran hat für verschiedene islamische Bewegungen eine Leitbildfunktion, aber eine nur eingeschränkte Führungsrolle. Seine Impulse für eine Rückbesinnung auf den "wahren Islam" erreichten auch andere Staaten der islamischen Welt, denen KHOMEINI die vermeintlichen Verantwortlichen für ihre politische, wirtschaftliche und kulturelle Schwäche aufzuzeigen meinte: Die "dekadenten" und "satanischen" Kolonialund Supermächte - allen voran die USA als "großer Satan". In anderen Um- - 198- Schreibungen werden für dieses Feindbild auch Begriffe wie "Weltarroganz" und "Lakaien" sowie die Fiktion einer "zionistischen Weltverschwörung" verwendet. KHOMEINIs politischem und religiösem Testament von 1983 zufolge werden die "Feinde des Islam" von den "ungehemmten und terroristischen" USA angeführt, als deren Verbündeter der "internationale Zionismus" gilt. Dem Westen gegenüber aufgeschlossene arabische Politiker gelten als "Kriminelle im Dienste Amerikas und Israels" bzw. als "Verräter". KHOMEINI betrachtete den "Islam als Politik". Höchste iranische Autorität ist nicht der Staatspräsident, sondern der "Führer", zur Zeit Ayatollah KHAMENEI. Er hat die Möglichkeit, direkt oder indirekt in Exekutive, Legislative und Rechtsprechung einzugreifen. Pluralismus oder ein Mehrparteiensystem im Sinne des westlichen Demokratieverständnisses werden abgelehnt. KHOMEINIs Revolutionsziele sind bis heute als Leitlinien verfassungsmäßig verankert: Unterdrückung und Ausschaltung von Opposition, Machtbehauptung und Export der islamischen Revolution, Sturz der "dekadenten " - weil westlich beeinflußten - Regierungen in der islamischen Welt, Islamisierung der gesamten übrigen Welt. 5.1 Regierungsseitige Bestrebungen und Anhänger der iranischen Regierung Der Rahmen für die regierungsseitige Bekämpfung von Dissidenten und Oppositionellen im Inund Ausland reicht von nachrichtendienstlicher Beobachtung über Infiltration und Schwächung bis hin zu direkter Gewaltanwendung - Liquidierungen nicht ausgeschlossen. Die Maßnahmen richten sich gegen Personen und Gruppen, die kulturelle und religiöse Werte der islamischen Revolution in Frage stellen. Iranischen Sicherheitsdiensten werden mehrere Mordanschläge auf im Ausland lebende führende Oppositionelle zugerechnet. Sie werden als legitimes Mittel iranischer Außenund Sicherheitspolitik verstanden. Spektakulärstes Beispiel in Deutschland war 1992 die Ermordung von vier Oppositionellen im Berliner Lokal "Mykonos", zu dessen Urhebern der inzwischen abgelöste iranische Minister für Nachrichtendienstund Sicherheitsangelegenheiten, Ali FALLAHIAN, gehörte. In dem am 10.04.97 vom Berliner Kammergericht verkündeten " Mykonos "-Urleti bezeichnete das Gericht die Morde als Auftragstat der iranischen Regierung, organisiert von FALLAHIAN. Der staatsterroristische Hintergrund stelle einen eklatanten Verstoß gegen das Völkerrecht dar. Das Urteil (u.a. für die 2 Hauptangeklagten jeweils lebenslängliche Freiheitsstrafen) und dessen Begründung stieß auf eine Welle von Protesten - 199- und Drohungen von iranischer Seite. Mehrere hundert Freiwillige ließen sich angeblich für Selbstmordanschläge auf deutsche Ziele registrieren. Iranische Regierungsvertreter und hohe Würdenträger haben mehrfach bekräftigt, daß sie die "göttliche Fatwa" (Rechtsgutachten) des verstorbenen Revolutionsführers Ayatollah KHOMEINI vom Februar 1988 gegen den Schriftsteller Salman RUSHDIE (Verfasser der "Satanischen Verse") für unumkehrbar und somit für unverändert gültig halten. RUSHDIE lebt seitdem unter der ständigen Drohung, daß sein Todesurteil vollstreckt wird. Ein inzwischen auf 2,5 Millionen Dollar erhöhtes Kopfgeld soll Attentäter anspornen. Im Iran bekräftigten die Revolutionsgarden ("Pasdaran") ihre Entschlossenheit, die Fatwa auszuführen. Eine entsprechende Erklärung wurde im Februar in zwei iranischen Zeitungen veröffentlicht. Ein schiitischer Geistlicher kündigte nach Pressemeldungen vom Juli bei einer Demonstration vor der UNO-Vertretung in Teheran die nahende "Hinrichtung" Salman Rushdies durch "Hisbollah"-Kämpfer an. Der Geistliche forderte zudem alle islamischen Fundamentalisten auf, "israelische Ziele auf der ganzen Welt" anzugreifen. Ebenso riefen im Juli 1997 iranische Großayatollahs zur Zerstörung des "zionistischen Regimes" auf. Außerhalb Deutschlands sind mehrere Anschläge gegen Personen bekannt geworden, die die von RUSHDIE verfaßten "Satanischen Verse" übersetzt oder verlegt haben. KHOMEINI hatte seine "Fatwa" auch auf alle Personen ausgedehnt, die das Buch nur verbreiten. RUSHDIE gilt aus iranischer Sicht als personifizierte Verschwörung des Westens gegen den Islam. Das iranische Regime versucht mit vielfältigen Methoden, die islamische Revolution zu 'exportieren'. Um prowestliche und laizistische Regime im Nahen und Mittleren Osten zu destabilisieren, unterstützt es z.B. in anderen Staaten islamische Revolutionen bzw. rebellierende sogenannte islamische "Befreiungsbewegungen ". Blutige Terroranschläge der "Islamischen Widerstandsbewegung" (HAMAS) in Israel werden als "göttliche Vergeltung" und "gerechte Strafe" verstanden. Die iranische Regierung distanzierte sich bisher zwar von mehreren Attentaten radikaler Palästinenser in Israel, verurteilte sie jedoch auch nicht. Statt dessen würdigte sie z.B. die HAMAS, die 1982 im Libanon mit iranischer Unterstützung gegründete HIZB ALLAH ("Partei Gottes") und den "Palästinensischen Islamischen Jihad" (PU) als "islamische Befreiungsbewegungen", die das "zionistische Regime" bekämpfen. Einer dpa-Meldung zufolge teilt auch der neue iranische Staatspräsident KHATAMI diese Sichtweise (Januar 1998 / Interview des Nachrichtensenders CNN). Unterstützungsleistungen können z. B. auf dem Wege militärischer Förderung, durch Ausbildungshilfen, finanzielle Leistungen und religiös-ideologische Schulungen erbracht werden, was von offizieller Seite jedoch bestritten wird. Der Führer der libanesischen HIZB ALLAH, Scheich Hassan NASRALLAH, hat die Unterstützung seiner Organisation durch den Iran erneut im Oktober 1997 öffentlich -200- eingestanden. Von iranischen Offiziellen wurde die "Tapferkeit des libanesischen Widerstandes " gelobt und der HIZB ALLAH gratuliert. Islamisches Zentrum Hamburg: Für den Export der islamischen Revolutionsidee spielt in Deutschland das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH) - Träger der "ImamAli-Moschee" - eine herausragende Rolle. Es hat sich zu einem Propagandazentrum der Islamischen Republik Iran entwickelt und gilt als europaweit hochrangige Verbindungsstelle. Die jeweiligen Leiter der Moschee bzw. des IZH werden im Iran bestimmt. Es gibt Anhaltspunkte dafür, daß der Iran versucht, bundesweit andere Moscheen zu unterwandern, zu beeinflussen und letztendlich eine steuernde Funktion zu erlangen, indem er z.B. finanzielle oder organisatorische Unterstützung anbietet. Wegen der herausragenden Stellung des IZH muß davon ausgegangen werden, daß auch das IZH in diese Bestrebungen eingebunden ist. Das IZH verfügt über Zweigstellen in Münster {"Islamisches Zentrum in Münster - F ATIME Versammlung e. V. ") und Hannover ( "Islamisches Zentrum Salman Farsi Moschee e. V. ") und strebt weitere Niederlassungen in anderen Städten an. Der im Mai 1997 gewählte iranische StaatsAbb. 60: Islamisches Zentrum Hamburg (IZH), Schöne präsident KHATAMI Aussicht 36 war von 1979 - 1981 Leiter des IZH. Die Nachricht über seine Wahl wurde von der jetzigen - vorwiegend orthodox eingestellten - IZH-Führung zurückhaltend aufgenommen. Regierungstreue Iraner und Angehörige muslimischer Gruppen anderer Nationalitäten - insgesamt etwa 400 Personen, darunter z.B. Anhänger der HIZB ALLAH - suchen das IZH zu Versammlungen, Gebeten, Vorträgen, Seminaren, Lesungen, islamischen Festen und Trauerfeiern auf. Obwohl von offizieller Seite Toleranz und Offenheit bekräftigt werden, ist das IZH ein Ort, an dem das Weltgeschehen und Fragen des täglichen Lebens bevorzugt im Sinne einseitiger iranischer Lesart interpretiert werden. Das betrifft z.B. die iranische Stellen schwer belastenden Erkenntnisse im Mordkomplex "Mykonos ", die Todesdrohungen gegen Salman RUSHDIE und die klare Ablehnung der Nahost-Friedensverhandlungen zwischen Palästinensern und Israelis. Antiwestliche Agitation und einseitige pauschale Schuldzuweisungen überwiegen. -201- Das IZH ist Mitorganisator der alljährlich im Bundesgebiet stattfindenden Großdemonstration zum "Jerusalem-Tag" - dem von KHOMEINI kreierten "QODS-Tag", an dem allen Muslimen die Wiedereroberung Jerusalems und die Befreiung der heiligen Stadt vom Zionismus für den Islam immer wieder als Ziel vor Augen geführt werden soll. Am Ol. Februar demonstrierten in Berlin aus diesem Anlaß bundesweit etwa 2.000 Muslime (aus Hamburg etwa 300; u.a. Iraner, Türken, Araber) - größtenteils Anhänger islamisch-extremistischer Organisationen. Der IZH-Leiter ANSARI hob dort in einer Rede die Bedeutung Jerusalems im oben erwähnten Sinne hervor und beschimpfte u.a. ARAFAT als Verräter. Während der Demonstration kam es zu Zwischenrufen wie "Tod den USA " und "Tod den Zionisten ". 5.2 Gegner der iranischen Regierung Die iranische Opposition ist breit gefächert und umfaßt u.a. Monarchisten, Marxisten, Maoisten, Trotzkisten sowie eine klerikale Opposition. Die kontinuierlich auf die Schwächung und Ausschaltung der iranischen Opposition zielende Politik der iranischen Führung erlaubt es oppositionellen Kräften kaum, im Iran offen aufzutreten und ebensowenig, eine handlungsfähige Basis auzubauen. Der Exilopposition fehlen vor allem die Bereitschaft und Kraft, sich unter einem gemeinsamen Dach zu sammeln. Bündelungs versuche scheitern zumeist an internen Problemen und sind nur von kurzer Dauer. Die meisten Gruppen können sich im Iran selbst nur auf eine schmale Basis stützen und agieren daher vom Ausland aus. Der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) bzw. die darin dominierenden "Volksmodjahedin Iran" sind heute die sichtbarste opositionelle Organisation. Der NWRI nimmt für sich in Anspruch, "der iranische Widerstand" überhaupt zu sein. Er sieht sich als demokratische Alternative zur gegenwärtigen Regierung, die nach dem Sturz des "Mullah-Regimes" einen laizistischen und demokratischen Staat im Iran errichten will. Die "Volksmodjahedin Iran" sehen sich als Vertreter einer gemäßigten islamischen Linie mit annähernd sozialdemokratischer Prägung, streben aber den gewaltsamen revolutionären Sturz der iranischen Regierung an. Die Organisation war 1965 eigentlich gegründet worden, um die Diktatur des Schahs zu bekämpfen. Sie beteiligte sich 1979 auch an der Revolution gegen den Schah, geriet aber nach dem Umsturz in Opposition zur neuen Regierung, gegen die sie seit 1981 bewaffneten Widerstand leistet. Vom iranischen Regime werden ihre Anhänger verächtlich "Munafiqeen Khalq Organization" (MKO, sinngemäß "Heuchler") genannt. -202- Die Organisation beschränkt sich nicht auf politische Propaganda zum Sturz des "Mullah-Regimes". Eine 1987 gegründete, im Irak stationierte "Nationale Befreiungsarmee" ("National Liberation Army", NLA) und ein Widerstandsnetz im Iran selbst führen auch direkte Operationen durch. Bei bewaffneten Aktionen im Iran gelang es, Unruhen auszulösen, Regierangsanhänger zu töten, Objekte der Infrastruktur (insbesondere Pipelines und Ölanlagen) zu zerstören und militärische Zentren der Revolutionsgarden anzugreifen. Der bereits Ende 1996 erfolgte Umzug der vom "iranischen Widerstand" gewählten "designierten Staatspräsidentin" Maryam RADJAVI aus der Nähe von Paris in den Irak soll inzwischen angeblich zur Stärkung der NLA und des Widerstandes im Iran beigetragen haben. In der Propaganda der Organisation haben Meldungen über Menschenrechtsverletzungen und Hinweise auf angebliche wie tatsächliche Terroraktionen der iranischen Regierung zentrale Bedeutung. Im Gegenzug läßt die iranische Führung keine Gelegenheit aus, die "Munafiqeen " für Unruhen und Anschläge im Heimatland verantwortlich zu machen, um sie vor der Bevölkerung als "Verräter" abzustempeln, die im Krieg zwischen Iran und Irak auf Seiten des Irak gegen den Iran gekämpft haben. In diesem ZusamAbb. 61 : Maryam RADJAVI - nach menhang wird Deutschland vorgeworfen, eine Vorstellungen des NWRI künftige "Brutstätte von Attentätern, Terroristen und Staatspräsidentin des Iran Mördern" zu sein. Andere Oppositionsgruppen halten im allgemeinen Distanz zu den "Volksmodjahedin Iran", obwohl diese sich in ihrer Propaganda betont diplomatisch und als für den Westen attraktive politische Alternative darzustellen versuchen. Sie betonen zwar Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Pluralismus, Gleichberechtigung usw., halten aber an militärischen Lösungen gegen die "Mullah-Diktatur" fest. Der Anhängerschaft wird vermittelt, daß das iranische Regime nur durch die "Bewegung des Volkes" und den bewaffneten Kampf der "Nationalen Befreiungsarmee" gestürzt werden könne, nicht aber durch Reformen oder durch die Teilnahme an Parlamentswahlen. Anhänger der "Volksmodjahedin Iran " sind seit Mitte der achtziger Jahre in Deutschland in der "Iranisch Moslemischen Studenten-Vereinigung Bundesrepublik Deutschland e. V. " (IMSV) mit Sitz in Köln organisiert. Die deutsche NWRI-Zentrale residiert -203- ebenfalls wie das "Büro für internationale Beziehungen der Volksmodjahedin Iran" in Köln. Eine Hamburger Niederlassung, die den gesamten norddeutschen Raum betreut, befindet sich in Hamburg-Langenhorn. Diese organisierte im Verlauf des Jahres mehrere interne Veranstaltungen mit bis zu etwa 400 Teilnehmern aus Norddeutschland, vorwiegend aus Hamburg. Propaganda, überwiegend politische Eigenwerbung, wurde auch über den 'Offenen Kanal' Hamburg in den Fernsehsendungen "Simaye Asadi", "Aihneh-e Iran" und "Omide Iran" sowie über das Internet (homepage unter http://www.iran-e-azad.org/) verbreitet. Außerdem wurden vermehrt andere moderne, aber kostenintensive Kommunikationstechniken (z.B. Konferenzschaltungen und Satellitenübertragungen) genutzt. Zentrales Thema der politischen Auseinandersetzung des NWRI mit der iranischen Regierung war der Prozeß wegen der Ermordung von vier iranisch-kurdischen Oppositionellen am n.September 1992 im Berliner Lokal "Mykonos". Dazu veranstaltete er am 10. April 1997 eine Demonstration vor dem Kammergericht Berlin unter dem Motto "Gegen iranischen Staatsterrorismus". Anlaß war das an demselben Tag verkündete, von NWRI-Anhängern mit Beifall aufgenommene Urteil im "MykonosProzeß". Damit versuchte der NWRI, das Ergebnis der Gerichtsverhandlung auch als Resultat seiner fortwährenden Oppositionsarbeit darzustellen. Ein besonderes Anliegen der Organisation ist es, Informationen über die Vorgehensweise des iranischen Geheimdienstes gegen die Volksmodjahedin Iran zu verbreiten. Danach soll angeblich eine vom iranischen Geheimdienst ins Leben gerufene - aus " Volksmodjahedin "-Dissidenten bestehende - Gruppierung existieren, die sich im Sinne des iranischen Regimes betätigt und gezielt die " Volksmodjahedin Iran " diffamiert. U.a. wurde vor in Hamburg lebenden Personen als Multiplikatoren gewarnt. Um die bisherigen politischen Erfolge nicht zu gefährden und die propagierte Rolle als "Hauptopfer des iranischen Terrorismus" hervorzuheben, verlaufen Kundgebungen betont friedlich, so z.B. unter dem Motto "Fest der Solidarität für Demokratie und Frieden" am 20. Juni 1997 in Oberhausen mit - nach Polizeiangaben - etwa 5.000 Personen, darunter einige hundert aus dem Hamburger Raum. Die Veranstalter hatten mit 12.000 Besuchern gerechnet. Aus Frankreich war die Führungsspitze des NWRI angereist. Am 20.06.1981 war eine Demonstration in Teheran durch Einheiten der Pasdaran gewaltsam niedergeschlagen worden. Die Wiederkehr dieses Datums wird von den Volksmodjahedin Iran seit vielen Jahren als "Tag des iranischen Widerstandes" gefeiert. Am 30. September 1997 führte die IMSV in der Eibchaussee vor einer Dienstwohnung der UNO mit etwa 100 Personen eine friedliche Demonstration "gegen die terroristischen Aktivitäten des islamischen Regimes" durch. Mit der Aktion sollte auf einen am Vortag erfolgten Angriff der iranischen Luftwaffe auf NLA-Stützpunkte im Irak hin-204- gewiesen werden. In einem Flugblatt des Kölner "Büros für internationale Beziehungen der Volksmodjahedin Iran " hieß es, man habe sich "zu einer Zeit versammelt, in der das krisengeschüttelte Mullah-Regime in innere Auseinandersetzungen verstrickt und in Angst und Schrecken wegen der zunehmenden Stärke der NLA geraten ist". Der Luftangriff verstoße gegen die UN-Resolution 598. Das Flugblatt meldete, die Modjahedin hätten in den 7 Monaten zuvor dem "schwankenden Regime" bei 294 Operationen im Iran "schwere Schläge" versetzt. Die NLA erfreue sich eines "großen Zustroms". Die Verfasser zeigten sich überzeugt, "daß die NLA das einzige Instrument für den Sturz dieser mittelalterlichen Diktatur und zur Errichtung der Demokratie in unserem Land ist". Der NWRI nimmt für sich in Anspruch, auch "sozialpolitische" Aufgaben zu erfüllen. So unterstützt er - für Außenstehende nicht erkennbar - bundesweit auftretende Hilfsstrukturen mit regional unterschiedlichen Schwerpunkten, die sich zumeist unter dem Mantel der Gemeinnützigkeit und im Vereinsstatus einen vorwiegend karitativenhumanitären Anstrich geben. Die unterschiedlichen Namensgebungen sind Fassaden und sollen Spendern auf der Straße Unabhängigkeit von politischen Organisationen suggerieren. Über Straßensammlungen, u.a. der IMSV, der "Flüchtlingshilfe Iran" (FHI), des "Vereins zur Eingliederung iranischer Flüchtlinge" (VEIF) und "Frauen für Demokratie im Iran" wird vermutlich auch Geld für die Unterhaltung des Organisationsapparates des iranischen Widerstandes beschafft, was allerdings bestritten wird. Der NWRI leidet notorisch unter finanziellen Schwierigkeiten und hat große Probleme, den umfangreichen Apparat aus eigenen Mitteln am Leben zu erhalten. Auch unter der Hülle des "Vereins Iranischer Demokratischer Akademiker" (VIDA) und des "Vereins zur Förderung der Musik im Iran" wurden punktuell Belange des NWRI bzw. der IMSV wahrgenommen. 6. Araber Im Zuge des ins Stocken geratenen israelisch-arabischen Friedensprozesses hat sich das Mißtrauen in der arabischen Welt gegenüber Israel und seinen westlichen Verbündeten wieder vertieft. Mit den Palästinensern vereinbarte Termine zum Abzug israelischer Truppen sowie Fristen z.B. für die Freilassung palästinensischer Gefangener sind ergebnislos verstrichen. Die Siedlungspolitik der israelischen Regierung ist anhaltend tief umstritten. Das radikale arabische Lager und die palästinensischen Oppositionsgruppen sehen einen "Verrat" arabischer Interessen und Verzicht auf einen von "den Juden" unrechtmäßig erworbenen Besitz. -205- Die zu diesem Lager gehörende HAMAS ist eine 1987 gegründete islamistische Organisation der sunnitischen "Muslimbruderschaft" (MB). Sie ist der Überzeugung, daß Palästina im bewaffneten Kampf gegen die "zionistischen Okkupatoren " befreit werden muß. Ihr militärischer Arm, die "Izzedin-al-Kassem-Brigaden" , ist für Terroraktionen verantwortlich. Das am 21.03.97 durch die palästinensische Terrororganisation HAMAS erfolgte Selbstmordattentat in Tel Aviv gilt als Protest gegen die Siedlungspolitik. Ende Juni 1997 wurden in Hebron Plakate geklebt, die den Propheten Mohammed als Schwein darstellen. Seitens der HAMAS wurden wegen der Erniedrigung des Propheten ein neuer Aufstand der Araber und Racheakte in Israel angedroht. Aus dem islamistischen Lager wurden Forderungen laut, israelische Ziele auf der ganzen Welt anzugreifen. Ein Bombenanschlag der HAMAS am 30.07.97 in Jerusalem hinterließ über ein Dutzend Tote und 170 Verletzte, ein weiterer Bombenanschlag am 04.09.97 mindestens 7 Tote und etwa 200 Verletzte. Der Anfang Oktober 1997 von Israel freigelassene geistliche Führer und Gründer der HAMAS, Scheich Ahmed YASSIN, unterstrich die Notwendigkeit bewaffneter Aktionen bis zum völligen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten. Die HAMAS wird u.a. von Anhängern aus dem europäischen Ausland finanziell unterstützt. Sie hat sich bisher offiziell von Attentaten gegen Angehörige von Drittstaaten oder gegen israelische Bürger und Einrichtungen in Drittstaaten distanziert. Die im Bundesgebiet lebenden HAMAS-Anhänger haben neben der agitatorischen Tätigkeit die Aufgabe, Geld für den Kampf in der Heimat zu beschaffen. In Hamburg ist die HAMAS mit etwa einem Dutzend Personen vertreten, die sich u.a. in Moscheen im Stadtteil St.Georg treffen, öffentliche Aktionen jedoch meiden. Intern reagierten sie auf die gegen Israel gerichteten Anschläge mit einer gewissen Genugtuung. Die Siedlungspolitik der "Besatzer" und die durch Zurückweisungen palästinensischer Arbeitnehmer verschlechterten Wirtschaftsund Lebensbedingungen vor allem in den palästinensischen Lagern triebe immer mehr Palästinenser in die Arme der HAMAS. Nach wie verübt die libanesisch-schiitische HIZB ALLAH ("Partei Gottes") im Südlibanon Anschläge gegen dort stationierte israelische Truppen und griff wiederholt vom Südlibanon aus den Norden Israels an. Die HIZB ALLAH wurde 1982 auf Betreiben des Iran gegründet. Sie will im Libanon eine islamische Republik nach iranischem Vorbild installieren und ist massiv gegen Friedensverhandlungen. Sie versteht sich als Speerspitze im Kampf gegen die israelische Besetzung und verfolgt das Ziel, den Staat Israel auszulöschen und Jerusalem zu "befreien". Mit Selbstmordanschlägen gegen US-amerikanische und französische Friedenstruppen (1983) erzwang die HIZB ALLAH den Rückzug der internationalen Truppen. Insbe-206- sondere bei Autobombenexplosionen oder in Hinterhalten wurden in der südlibanesischen Sicherheitszone Dutzende israelische Soldaten getötet. Der HIZB ALLAH-Führer im Libanon, Scheich NASRALLAH, hat 1996 öffentlich zugegeben, daß seine Organisation vom Iran finanziert und politisch unterstützt werde. Im Oktober 1997 hielt sich NASRALLAH zu Gesprächen mit dem geistlichen Führer des Iran, KHAMENEI, in Teheran auf. Während KHAMENEI den HIZB ALLAH-Widerstand gegen die "zionistischen Aggressoren" lobte, wies NASRALLAH Berichte über iranische Militärhilfe zurück. Es gäbe keinen Frieden, solange Palästina vom zionistischen Feind besetzt sei: " Nur unsere Gewehre und unsere Märtyrer werden Frieden in diese Region bringen". Einige Dutzend Anhänger der HIZB ALLAH sind im Raum Hamburg vertreten. Abb. 62: HIZB ALLAH-Symbol Die islamisch-extremistischen arabischen Organisationen machen sich in Deutschland kaum durch öffentliche Aktionen bemerkbar, sondern beschränken sich vornehmlich auf interne Veranstaltungen, erörtern die sie bewegenden Ereignisse im Sinne ihrer ideologisch-religiösen Zielsetzungen und verhalten sich dabei höchst konspirativ. Ein zentraler Anlaß, öffentlich und gruppenübergreifend aufzutreten, ist der alljährliche sogenannte "Jerusalem-Tag". Am 01.02.97 demonstrierten aus diesem Anlaß etwa 2.000 Personen in der Berliner Innenstadt auch zum Zeichen der Solidarität mit dem Kampf der Palästinenser gegen Israel (Redner: IZH-Leiter ANSARI, vgl. 3 IV/5.1). Es wurden antiamerikanische und antiisraelische Parolen skandiert. In Flugblättern wurde zur Vernichtung des "zionistischen Gebildes" und des "Krebsgeschwürs" (gemeint: Israel) aufgerufen. Die sunnitische "Muslimbruderschaft" (MB, arabisch: "al-Ikhwan al-Muslimun") wurde 1928 in Ägypten gegründet und verbreitete sich auf nahezu alle arabischen Staaten. Sie ist Ursprung vieler islamistischer Bewegungen im Nahen Osten und erstrebt streng an der islamischen Gesetzgebung ausgerichtete Staatsformen. Ihrer Ansicht nach noch unislamische arabische Regime müssen zuvor gestürzt werden. In Ägypten ist die MB verboten, wurde aber jahrelang geduldet. Inzwischen geht die ägyptische Regierung gegen die MB vor, weil sie eine "terroristische Konspiration gegen die Sicherheit und Stabilität Ägyptens" eingeleitet habe. -207- Insbesondere in den nordafrikanischen Staaten haben sich regionale MB-Zweige ausgebildet, darunter die algerische "Islamische Heilsfront" (FIS) und die tunesische "En Nahda". Auch die palästinensische "HAMAS" sowie die für Anschläge auf Touristen und Sicherheitskräfte in Ägypten verantwortlichen Gruppen "Jamaat al-Islamiya" (auch "Gamaat Islamiya") und "Al-Jihad Al-Islami {"Islamischer Heiliger Krieg") haben ihren Ursprung in der MB. Die "Gamaat Islamiya" bekannte sich zum bisher schwersten Terroranschlag in Ägypten am 17.11.97 bei Luxor, wo 68 Menschen, darunter 58 Touristen (4 Deutsche), getötet wurden. Öffentlich bedauerten Terrorgruppen, daß dabei keine Bürger der USA und Israels getötet worden seien. Weil z.B. die USA, Deutschland, Japan und SaudiArabien die ägyptische Regierung unterstützten, müßten Bürger dieser Staaten auch künftig damit rechnen, getroffen zu werden. Im Bundesgebiet sind MB-Angehörige verschiedener arabischer Nationalitäten vorwiegend in islamischen Zentren und in diversen islamischen Vereinigungen organisiert. Ihr vorrangiges Interesse gilt hier der Rekrutierung von Muslimen für die MB. Gewaltaktivitäten auf deutschem Boden wurden bisher nicht bekannt. In Hamburg existiert ein den syrischen "Islamischen Avantgarden" zugeordneter Verein. "Islamische Heilsfront" (FIS): Bei der FIS handelt es sich um den regionalen Zweig der MB in Algerien, die das Land in einen islamistischen Staat verwandeln möchte und seit 1992 verboten ist. Mit ihrem militärischen Arm "Islamische Heilsarmee" (AIS) verfolgt sie dieses Ziel auch mit Gewalt. Außerhalb Algeriens wird die FIS durch ihre "Exekutivinstanz der FIS im Ausland" (Leiter: Rabah KEBIR wohnhaft in Nordrhein-Westfalen) vertreten, dessen Position allerdings umstritten ist. Möglicherweise hat sich in Frankreich oder Großbritannien eine neue Auslandsvertretung, "Koordinationsrat der FIS im Ausland", gegründet. In Deutschland verfügt die FIS über wenige aktive Mitglieder/Anhänger/Sympathisanten ohne bekannte Organisationsstrukturen. FIS-Vertreter tauchen bundesweit auf Veranstaltungen als Redner auf. In Deutschland lebende Anhänger unterhalten Beziehungen zu FIS-Anhängern in anderen westeuropäischen Ländern. Ein Auslandsnetzwerk kümmert sich u.a. um logistische Unterstützung für den Kampf in Algerien. "Bewaffnete Islamische Gruppe" (GIA): Die GIA wurde nach dem Verbot der FIS im April 1992 gegründet und vereinigt eine Reihe kleinerer, überwiegend autonomer Gruppen. Auch sie will einen islamistischen Staat Algerien, rivalisiert vielfach mit der FIS und lehnt - im Gegensatz zur FIS - jeglichen Dialog mit der algerischen Regierung rigoros ab. Die GIA ist für zahlreiche Morde an Ausländern und für massenhafte - äußerst grausame und brutale - Mordexzesse an der eigenen algerischen Bevölkerung verantwortlich. Ohne bekannte feste Strukturen sind die in Deutschland lebenden GIA-208- Anhänger in europaweit agierende Netze mit logistischen Aufgaben für den Kampf im Heimatland eingebunden. Im Rahmen von Ermittlungen (Verdacht der Bildung einer kriminellen Vereinigung) richteten sich Exekutivmaßnahmen des Bundeskriminalamts (BKA) am 10.09.97 gegen mutmaßliche algerische Islamisten. Es wurden 27 Objekte - vornehmlich in Hessen - durchsucht und u.a. Utensilien zum Fälschen von Personaldokumenten, zahlreiche Personaldokumente verschiedener Staaten sowie Blanko-Originale deutscher Aufenthaltsgenehmigungen sichergestellt. Es dürfte sich um Hilfsmittel für illegale bzw. getarnte Aktivitäten (Schleusungen, Waffenbeschaffungen usw.) handeln. Als verkehrsgeographischer Schnittpunkt in Europa und als Hafenstadt ist auch Hamburg von den Logistikund Vernetzungsaktivitäten der FIS / GIA berührt. -209- V. Scientology-Organisation (SO) 1. Scientology - ein Fall für den Verfassungsschutz Am 06. Juni 1997 beschloß die Ständige Konferenz der Innenminister und -Senatoren (IMK), die Scientology-Organisation (SO) bundesweit vom Verfassungsschutz beobachten zu lassen. Zuvor hatte eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Verfassungsschutzbehörden unter Beteiligung Hamburgs am 06. Mai 1997 in einem Bericht Erkenntnisse über Zielsetzungen und Vorgehensweisen der SO vorgelegt. Auf dieser Grundlage stellte die IMK fest, daß bei der SO tatsächliche Anhaltspunkte für politisch bestimmte Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. Bereits Ende 1995 hatte der Politologe Hans-Gerd JASCHKE in einem Gutachten die These aufgestellt, Scientology sei eine neue Form des politischen Extremismus. Theorie und Praxis der SO erfüllten alle Merkmale einer totalitären Organisation: ideologischer Alleinvertretungsanspruch, rigider Dogmatismus, hermetisch abgeschlossene Organisationsstruktur, Führerkult und totale Unterordnung der Mitglieder, dualistisches FreundFeind-Bild, kollektivistisches Denken und eine ideologische Fachsprache mit z.T. redefinierten Begriffen. Die von den Verfassungsschutzbehörden festgestellten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO ergeben sich insbesondere aus einer Reihe von Aussagen ihres Gründers L. Ron HUBBARD (1911-1986). Bis heute gilt in Scientology der Grundsatz, daß alle wörtlich oder schriftlich dokumentierten Lehren und Anweisungen von HUBBARD, die sich auf die sog. Organisationstechnologie oder administrative Technologie beziehen, "dauerhaft gültig" sind. Sie dürfen zwar redaktionell, aber nie inhaltlich verändert werden. Diese speziellen Richtlinien "formen unbeschadet ihres Datums oder Alters das Know-how, wie man eine Organisation, Gruppe oder Firma leitet.'''' In einer scientologischen Gesellschaft sollen, so HUBBARD, nur sog. "Clears", d.h. von allen geistigen Störungen befreite, "ehrliche" und "produktive" Menschen Rechte genießen. Diese Forderung läuft in -210- der von der SO formulierten Absolutheit auf die Abschaffung der Menschenrechte für die übrigen Mitglieder der Gesellschaft hinaus. Abzulesen ist diese totalitäre Tendenz bereits heute darin, daß die SO u.a. die Meinungsund Pressefreiheit und andere Freiheitsund Gleichheitsrechte mißachtet, indem sie versucht, jegliche öffentliche Kritik rigoros zu unterdrücken. In einem scientologisch geführten Staat gäbe es auch kein Recht auf Bildung und Ausübung einer politischen Opposition, da diese im Widerspruch zur herrschenden unfehlbaren Lehre der Scientology stünde. Sogenannte "unterdrückerische Personen", also diejenigen, die Scientology kritisieren oder aktiv ablehnen, gehören nach Meinung HUBBARDS wie Pockenkranke von der Gesellschaft isoliert. Es gibt weiterhin Anhaltspunkte dafür, daß die SO ihr innerorganisatorisches Rechtssystem auf die sie umgebende Gesellschaft übertragen will, ohne Gewährleistung rechtlichen Gehörs und ohne Anspruch auf gesetzliche und unabhängige Richter. In einem scientologisch geführten Staat läge die politische Macht ausschließlich - unmittelbar oder mittelbar - in den Händen des obersten Managements; das Prinzip der Gewaltenteilung wäre außer Kraft gesetzt. 2. Was ist Scientology? Der Absolutheitsanspruch der Scientology, die sich selbst als eine "angewandte religiöse Philosophie" bezeichnet, klingt bereits in der Übersetzung ihres Namens an: "Wissen, wie man weiß". Nach Darstellung HUBBARDS ist die von ihm "entdeckte" Scientology eine " Wissenschaft vom Wissen " und vom Leben selbst, eine axiomatische Lehre, die keiner Kritik mehr zugänglich ist, weil sie sozusagen geistige Naturgesetze beschreibt, die nur akzeptiert, aber nicht ignoriert oder gar straflos übertreten werden können. Für HUBBARD ist deshalb jeder, der sich gegen Scientology stellt, ein Krimineller. Gegenüber der Öffentlichkeit gebraucht die SO - anders als im internen Sprachgebrauch - eine religiöse Terminologie, um den Schutz der verfassungsrechtlichen Garantien für Religionsgesellschaften und weitere, z.B. steuerrechtliche, Vorteile zu erlangen. Scientology wird zwar zu Recht der Charakter einer Religion abgesprochen, gleichwohl darf aber auch nicht übersehen werden, daß sie ungeachtet ihres Strebens nach Geld, Macht und Einfluß und trotz ihrer Ausbeutungspraxis nicht ausschließlich von materialistischen Motiven beherrscht wird, sondern ihre "Unternehmensphilosophie" auf eine metaphysische Ebene hebt. Die SO strebt "weltliche" Macht an, um letztlich auf dieser Basis die von ihr postulierte universelle Befreiung des menschlichen Geistes - "Thetan" genannt - mittels ihrer geistigen "Technologie", dem sogenannten "Auditing", durchsetzen zu können. Für Scientologen geht es daher um mehr, als "nur" um Macht und Einfluß: Es geht für sie um ihr ewiges Schicksal und das des Planeten. -211- Scientology ist von ihrem Ursprung und Wesen her eine "geistesmagische" (W. THIEDE: "Scientology - Religion oder Geistesmagie?", Neukirchen-Vluyn 1995), mit sozialdarwinistischem Gedankengut verbrämte Lehre vom "Überleben", die Elemente aus dem Gnostizismus, dem Okkultismus, der Psychologie und Psychotherapie sowie der Science Fiction-Literatur verarbeitet und auf Beherrschung und Kontrolle über und durch den menschlichen Geist abzielt. Ihr oberstes - wenn auch unrealistisch fernes - Ziel ist geistige Weltbeherrschung sowohl als weltweit anerkannte individuelle Erlösungsphilosophie als auch im Sinne einer totalitären Staatsdoktrin, nach deren Grundsätzen sich alles staatliche und gesellschaftliche Handeln zu richten hat. Scientology will daher nicht nur alle relevanten Bereiche des Staates und der Gesellschaft infiltrieren, sondern strebt eine uneingeschränkte Machtposition an. Sie verfolgt hierbei eine Strategie, die sich nicht direkt an politischen Willensbildungsund Entscheidungsprozessen ausrichtet. Sie will vielmehr mittels ihrer "überlegenen" Geistestechnologie "Schlüsselpersonen" der Politik, der Wirtschaft, der Medien und anderer gesellschaftlicher Bereiche beeinflussen, instrumentalisieren und letztlich kontrollieren, um so an die Schalthebel der Macht zu gelangen. Mit anderen Worten: Die SO will die Führungseliten im scientologischen Sinne "umprogrammieren" und alle gesellschaftlichen Institutionen so unter ihre Kontrolle bringen. Ziel ist die "Befreiung" des Planeten ("Clear Planet") und die Errichtung einer "neuen Zivilisation ohne Geisteskrankheit, ohne Verbrecher und ohne Krieg". Die drei grundlegenden Elemente zur Umsetzung der scientologischen Strategie umschreibt die SO mit den Begriffen "Ethik", "Technologie" und "Verwaltung" (Administration). "Ethik" ist nach scientologischer Definition "Vernunft in Richtung auf die höchste Stufe des Überlebens" für das Individuum und die gesamte Menschheit. Und weil Scientology sich als absolut wahr und "vernünftig" sieht, ist alles ethisch, was ihr nützt, "unethisch" alles, was ihr schadet. Der Zweck von "Ethik" ist deshalb, alle Scientology widerstrebenden, widersprechenden bzw. mit ihrer Lehre unvereinbaren Absichten zu eliminieren. Erst wenn "Ethik" durchgesetzt ist, d.h. wenn jeder Widerstand gegen Scientology gebrochen und sie vollständig anerkannt ist, können die scientologischen Organisationen aus ihrer Sicht in vollem Umfang die " Technologie " liefern, mit der die individuellen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen angeblich verbessert werden können. Ist die " Technologie " erst einmal angenommen, so können auch die Organisationsund Managementtechniken ("Verwaltung") von HUBBARD zum Zuge kommen, mit denen alle politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prozesse gesteuert werden sollen. -212- 3. Organisationsaufbau und Potentiale Organisatorisch stellt sich Scientology als ist ein multinationaler, streng hierarchisch aufgebauter und feingliedrig strukturierter Konzern dar, mit einer Vielzahl von Nebenund Tarnorganisationen. Die Spitze der Scientology-Pyramide bildet das 1982 gegründete "Religious Technology Center" (RTC). Das RTC ist das oberste Leitungsund Kontrollgremium der SO, das als Inhaberin aller Rechte und Besitzerin aller " Warenund Dienstleistungszeichen" der Scientology die Existenz der Organisation garantieren und ihre Funktionsfähigkeit sicherstellen soll. Seinen Sitz hat die neue, von HUBBARD-Nachfolger David MISCAVIGE geführte Schaltzentrale mitten in der Filmstadt Hollywood. Die sehr komplexe Gesamtstruktur von Scientology umfaßt verschiedene Arten von Organisationen und Arbeitszweigen, die in elf Sektoren zusammengefaßt sind und die vom sogenannten "Watchdog-Comittee" (WDC, "Wachhund-Komitee"), der obersten Managementeinheit, gesteuert und überwacht werden. Die nächste internationale Managementebene unterhalb des WDC, das "Flag Command Bureaux" (FCB), kontrolliert insgesamt sechs Managementgruppen. Eine entsprechende Organisationsstruktur findet sich auch auf der kontinentalen Managementebene. Die Europa-Zentrale, das "Continental Liaison Office" (CLO) in Kopenhagen, managt und kontrolliert - mit Ausnahme von England und Italien, die über eigene CLOs verfügen - die lokalen Organisationen {"Kirchen" und "Missionen") in den einzelnen europäischen Ländern. Eine nationale Führungsebene gibt es in der Scientology-Organisation nicht. Zu den wichtigsten Organisationen, die in das internationale scientologische Netzwerk eingegliedert sind, gehört die sogenannte "Sea Org", eine paramilitärisch organisierte Eliteeinheit, die innerhalb der Scientology höchstes Ansehen genießt und weitestgehende Machtbefugnisse hat. Die "Sea Org" betreibt z.B. die Strafund Arbeitslager der SO, die sogenannten RPFs ("Rehabilitation Project Force"). Das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) ist der scientologische Wirtschaftsverband. WISE soll die Organisationsund Managementtechnologien von HUBBARD in der Geschäftswelt verbreiten und einflußreiche Wirtschaftsführer an Scientology binden. Der WISE-Bereich ist mittlerweile zu einer lebenswichtigen Finanzquelle der SO geworden. Bevorzugte wirtschaftliche Aktionsfelder sind Unternehmensund Managementberatung, Computer-Hardund Softwarehandel, Immobilienhandel sowie in den USA auch Spekulationsund andere Börsengeschäfte. Die "Association for Better Living and Education" (ABLE) ist eine Vereinigung verschiedener SO-Initiativen, die im gesellschaftspolitischen und sozialen Bereich aktiv sind, z.B. in der Drogenund Gefangenenrehabilitation (Narconon, Criminon), im Bildungsbereich {Applied Scholastics) oder im Kampf gegen die Psychiatrie, die für Scientology der weltanschauliche Gegner Nr. 1 ist {"Kommission für Verstöße der -213- Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V.", KVPM; international: Citizens Commission on Human Rights, CCHR). Das "Celebrity Center International" betreut prominente Scientologen und andere wichtige Persönlichkeiten, um deren Popularität und Einfluß insbesondere für Propagandazwecke zu nutzen. Eine besondere Stellung und Funktion innerhalb der Gesamtorganisation nimmt das Netzwerk " Office of Special Affairs " (OSA) ein, das für Rechtsangelegenheiten und Public Relations zuständig ist sowie geheimdienstliche Operationen durchführt (s.u.). Die sogenannten Class-IV-Organisationen ("Kirchen") sind ebenfalls streng nach den Organisationsund Managementrichtlinien von HUBBARD organisiert. Sie sind in insgesamt sieben Abteilungen gegliedert: die Führungsabteilung (Abt. 7), die Abteilung des HUBBARD Kommunikationsbüros (Abt. 1), die Verbreitungsabteilung (Abt. 2), die u.a. für den Verkauf von Büchern und anderen Materialien zuständig ist, die Finanzabteilung (Abt. 3), die Technische Abteilung (Abt. 4), die das "Auditing" liefert, die Qualifikationsabteilung, die die richtige Anwendung der Auditing-Technologie kontrolliert (Abt. 5), und die Öffentlichkeitsabteilung (Abt. 6), die neue Mitglieder anwerben soll und Einführungsdienstleistungen (Persönlichkeitstest, Kommunikationskurs, u.a.) liefert. Da die SO streng hierarchisch geführt wird, sind die lokalen Organisationen in Deutschland letztlich nur Befehlsempfänger und ausführende Organe des internationalen Managements. Alle wichtigen Entscheidungen werden in der Europazentrale in Kopenhagen oder im Hauptquartier in Los Angeles getroffen. Die von der SO genannte Zahl von 8 Millionen Mitgliedern ist extrem übertrieben. Da Scientology nach Anweisung von HUBBARD als eine stets expandierende Bewegung dargestellt werden muß, wurden die Mitgliederzahlen in Laufe der Jahre permanent nach oben manipuliert, um ein beständiges Wachstum zu suggerieren. Die internationale Mitgliederorganisation der SO, die "International Association of Scientologists" (IAS), die 1984 gegründet wurde, hat gegenwärtig weltweit nur ungefähr 100.000 Mitglieder. Zum weiteren Umfeld der SO können nach Angaben hochrangiger Aussteiger noch etwa 50.000 Personen gerechnet werden. Fast alle Scientologen, die zielstrebig das Kursprogramm der SO absolvieren wollen, sind IAS-Mitglieder, entweder jeweils für ein Jahr (für 300 $) oder auf Lebenszeit (2.000 $). Da alle Kurse und Dienstleistungen für IAS-Mitglieder zu stark ermäßigten Preisen angeboten werden, besteht ein erheblicher finanzieller Anreiz, der IAS möglichst bald beizutreten. In Deutschland dürfte es maximal 10.000 IAS-Mitglieder geben. Weniger optimistische Schätzungen gehen von höchstens 6.000 deutschen Scientologen in der IAS aus. Aus einem internen Papier der "Scientology Kirche Deutschland e.V." geht hervor, daß es 1990 erst 3.000 sogenannte IAS-Lebenszeit-Mitglieder in Deutschland gab. Die erstaunlich niedrigen Zahlen erklären sich aus dem Umstand, daß sich nur ein geringer -214- Prozentsatz der sehr viel größeren Zahl von Personen, die mit Scientology in Berührung kommen, Bücher kaufen und Dienstleistungen in Anspruch nehmen, dauerhaft an die Organisation bindet. Ehemalige Scientologen schätzen diesen Anteil auf etwa 10 %. Weltweit soll die SO 8.000 Mitarbeiter haben. Weltweit gibt es derzeit auch nur etwa 159 "Kirchen", die berechtigt sind, höheres "Auditing" bis zur Stufe "Clear" anzubieten. In Deutschland unterhält die SO sieben "Kirchen" - in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, München und Stuttgart - sowie zwölf unterhalb davon angesiedelte "Missionen". Des weiteren existieren noch 3 sogenannte "Celebrity Centers" (CC, besondere Einrichtungen für Prominente und andere wichtige Personen) in Düsseldorf, München und Hamburg (Hamburg 1995 umbenannt in Scientology Kirche Eppendorf), die intern ebenfalls als "Kirchen" geführt werden. Verläßliche Zahlen über die von der Organisation erzielten Umsätze und Gewinne liegen nicht vor und werden von der SO auch nicht mehr genannt. Deutlich übertrieben erscheint ihre Angabe, daß sich der Wert ihrer international angebotenen Dienstleistungen Ende der achtziger Jahre auf 1,1 Milliarden Dollar belaufen habe. Nach einem Bericht der "New York Times" vom 09. März 1997 geht aus Unterlagen der amerikanischen Steuerbehörde "Internal Revenue Service" (1RS) hervor, daß Scientology Anfang der neunziger Jahre durch Kursgebühren, Verkauf von Büchern und anderen Materialien, Lizenzgebühren und Wirtschaftdienstleistungen Einnahmen von insgesamt etwa 300 Millionen Dollar pro Jahr erzielt hat. Nach Aussage von SO-Funktionären seien die jetzigen Einnahmen aber geringer. Da nach Schätzungen ehemaliger Insider die SO 80 % ihres Umsatzes in den USA erzielt und dort seit 1993 keine Steuern mehr bezahlen muß, ist anzunehmen, daß trotz rückläufiger Umsätze die SO nach wie vor stattliche Gewinne erzielt und über erhebliche finanzielle Rücklagen verfügt. 4. Themen und Aktivitäten Im Gegensatz zu Deutschland kann die SO in den USA ihre Ziele ungehindert verfolgen. Scientology geht davon aus, daß ihre wachsende Ausbreitung nur von einer relativ kleinen Gruppe sehr einflußreicher und mächtiger Personen, Institutionen oder Regierungen beoder verhindert werden kann. Dieses Problem zu lösen, d.h. "Ethik" auf diesem Planeten durchzusetzen und die "Unterdrückung" von Scientology zu stoppen, ist vorrangige Aufgabe des weltweiten OSA-Netzwerkes. Das OSA ist darüber hinaus verantwortlich für die Herstellung guter Beziehungen zu Regierungen, Behörden und Medien, um die vollständige Anerkennung von Scientology zu erreichen. Neben Rechtsund PR-Angelegenheiten obliegt der OSA aber vor allem die offene und geheime Informationsbeschaffung sowie die -215- Durchführung von "verdeckten Operationen" gegen SO-Gegner, um diese zu neutralisieren. Im Vergleich zu seinem Vorläufer "Guardian Office" (1966 - 1983), dessen führende Mitarbeiter 1979 u.a. wegen Einbruchdiebstahls in Regierungsgebäude und Verschwörung gegen die US-Regierung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, operiert das OSA vorsichtiger. Geichwohl finden auch in Deutschland die meisten Angriffstaktiken weiterhin Anwendung: Schmähartikel in der Scientology-Presse, sogenannte Informationsbriefe an Personen des öffentlichen Lebens, offene und verdeckte Informations-/Materialsammlungen über Kritiker (z.B. legendierte Anrufe und "Umfragen"), "lautstarke Untersuchungen"', Versenden von Briefen mit falschen Anschuldigungen, Verleumdungen, Bespitzelung durch Privatdetektive, nächtlicher Telefonterror, Einschleusung von Scientology-Agenten in Kritikerorganisationen und -Veranstaltungen, Einschüchterung durch Prozeßandrohungen, u.a.m.. In den USA schreckt die SO nach Aussage persönlich betroffener Aussteiger auch nicht vor Gewaltanwendungen zurück, um ihr gefährlich werdende Zeugen einzuschüchtern und mundtot zu machen. Nach wie vor sei das sogenannte "Freiwild"'-Gesetz in Kraft, nach dem eine "Unterdrückerische Person" praktisch für "vogelfrei" erklärt werden kann: "Ihr kann das Vermögen weggenommen werden, oder ihr kann durch jedes Mittel Schaden zugefügt werden von jedem Scientologen, ohne daß dieser dafür irgendwie zur Rechenschaft gezogen wird. Sie kann ausgetrickst, verklagt oder belogen oder vernichtet werden ". Ihre schärfsten Angriffe führt die SO heute über ihre Rechtsanwälte, deren Honorare sich Scientology jährlich etliche Millionen kosten läßt. Scientologische Anwaltskanzleien wiederum beschäftigen im Auftrag der SO Privatdetekteien, die SO-Gegnern nachspüren. Kritiker und Feinde werden mit Prozessen eingedeckt, frei nach dem HUBBARD-Wort: Prozesse führt man mehr, um zu zermürben und abzuschrecken, als um Recht zu bekommen. Das OSA ist auch für die gegen Deutschland gerichtete Diffamierungskampagne verantwortlich. Seit Jahren - verstärkt seit 1997 - attackiert die SO vor allem in großformatigen Anzeigen in internationalen Zeitungen wie "New York Times", "International Herald Tribune", "The Economist" sowie in ihrer sogenannten "Hatewatch Germany 1997"Site im Internet die Bundesregierung wegen angeblicher Verfolgung religiöser Minderheiten und neonazistischer Tendenzen. Deutsche Politiker würden heute Scientologen so verfolgen, wie die Nazis in den dreißiger Jahren die Juden. Staatliche Maßnahmen zum Schutz gegen Scientology werden in infamer Weise in eine Reihe mit neonazistisch motivierten Gewalttaten gestellt. Für den am 09. Januar 1997 in der "International Herald Tribune" veröffentlichten "Offenen Brief an Helmut KOHL", in dem die angebliche staatliche Verfolgung angeprangert wurde, konnte die SO zahlreiche prominente Nicht-Scientologen aus dem Showbusiness als Unterzeichner gewinnen. Auch in Hollywood verfügt die SO mittlerweile über erheblichen Einfluß. -216- Die SO versucht darüber hinaus auf vielfältige Weise, z.B. durch Schreiben an inund ausländische Politiker und andere wichtige Personen und Einrichtungen, durch Anrufung internationaler Einrichtungen, wie die OSZE oder die UNO-Menschenrechtskommission, sowie durch Aktionen in der Öffentlichkeit gegen die staatlichen Maßnahmen in Deutschland vorzugehen. Sie nutzt ihre politischen Kontakte zu hochrangigen Kreisen in der US-amerikanischen Administration und im Kongreß, um politischen Druck auf deutsche Stellen zu erzeugen. Am 18. September 1997 wurde den prominenten Scientologen John TRAVOLTA, Chick COREA und Isaac HAYES die Gelegenheit gegeben, sich vor einem eigens eingesetzten Ausschuß des US-Kongresses über die angebliche Diskriminierung von Scientologen in Deutschland zu beklagen. Die Forderung, bei der OSZE Beschwerde gegen Deutschland einzulegen, wurde vom Vorsitzenden Senator positiv aufgegriffen. Er sagte zu, auf der nächsten OSZE-Tagung im November in Warschau darauf zu dringen, daß die Bundesrepublik die "Belästigung" von Scientologen einstelle. Mit einer baldigen Beendigung dieses Propagandakrieges der SO ist nicht zu rechnen. OSA-Chef Mike RINDER äußerte 1997 im OSA-Nachrichtenjournal "Winning!" unmißverständlich: "Wir befinden uns zur Zeit in einem massiven Kampf gegen diese Unterdrückung. Es handelt sich um eine äußerst intensive Auseinandersetzung, die sicher anhalten wird, da wir nicht damit aufhören werden, bis wir die SPs (Suppressive Persons = Unterdrückerische Personen) bezwungen ... haben." HUBBARDS "Technologie" zur Bekämpfung der "Unterdrückung" helfe, "die Barrieren aus dem Weg zu räumen und letztlich die Gesellschaft zu retten. " Daß zumindest für diejenigen, die Scientology öffentlich kritisieren oder gar bekämpfen, der Schutz der Grundrechte nicht mehr gelten soll, ergibt sich u.a. aus Aussagen HUBBARDS, die in der jüngsten Ausgabe des Propagandablattes "Freiheit" (November 1997) veröffentlicht wurden. Sie zeigen, daß die SO heute wie zu HUBBARDS Zeiten die gleiche menschenrechtswidrige Ideologie vertritt: " Wenn Sie die Technologie des Verstandes kennen, dann wissen Sie, daß es ein Fehler ist, 'individuelle Rechte' und 'Freiheit' als Argumente zu verwenden, um diejenigen zu schützen, die nur zerstören würden. Individuelle Rechte wurden nicht entwickelt, um Kriminelle zu schützen ... Freiheit ist für ehrliche Menschen. ... Das Recht einer Person auf Überleben steht in direktem Verhältnis zu ihrer Ehrlichkeit. ... Persönliche Freiheit gibt es nur für diejenigen, die die Fähigkeit haben, frei zu sein ". Diese Fähigkeit aber, so der Zirkelschluß im totalitären Denken der Scientology, haben letztlich nur die, die sich von Scientology auf die "Brücke zur völligen Freiheit" führen lassen. Die von der internationalen Führungsspitze organisierte und gesteuerte AntiDeutschland-Kampagne hat intern höchste Priorität, weil sich die deutschen Organisationen gegenwärtig personell, finanziell und organisatorisch z.T. in einer äußerst kriti-217- sehen Verfassung befinden und dringend auf Unterstützung angewiesen sind. Mit den von der scientologisch geführten Tarnorganisation "Freedom for Religions in Germany" (FRG) organisierten Demonstrationen am 21. Juli 1997 in Frankfurt und am 27. Oktober 1997 in Berlin bemühte sich die SO-Führung, ihre Propagandaaktivitäten stärker nach Deutschland zu verlagern. Scientology versucht, sich als eine in der Ausübung ihrer Religionsfreiheit grundrechtswidrig beeinträchtigte "Kirche" darzustellen, um so einerseits neue Sympathien zu gewinnen und um andererseits den internationalen Ruf Deutschlands zu schädigen. Zwar hat die internationale Medienberichterstattung - primär in den USA - Propagandaeffekte erzielt. Die o.g. Demonstrationen dürften aber weder von den Teilnehmerzahlen noch von der öffentlichen Resonanz in Deutschland her die Erwartungen der internationalen Führung erfüllt haben. In Frankfurt kamen 1.500 Scientologen und Angehörige anderer " religiöser Minderheiten " - hauptsächlich aus dem Ausland - zusammen. An der Berliner Demonstration, für die international geworben wurde, beteiligten sich nach Polizeiangaben nur rund 3.000 Scientologen, von denen ebenfalls die meisten aus dem Ausland angereist waren. Erwartet wurden offiziell 10.000 Teilnehmer. Auf einem Spruchband war dort zu lesen: "Reichen 6.000.000 Deportierte nicht aus, um den Faschismus auszutreiben?" Um das Thema weiter aktuell zu halten, schob die SO Ende 1997 noch eine Broschüre zum Thema "Religiöse Apartheid" nach, in der ausführlich über die angeblich "fortgesetzte Unterdrückung von Grundrechten religiöser Minderheiten durch deutsche Behörden und Regierungsstellen" berichtet wird. Ferner griff die SO den Fall einer deutschen Scientologin auf, der in Florida wegen religiöser Verfolgung angeblich Asyl gewährt worden sei, um diesen propagandistisch auszuschlachten. Die jüngste, im Herbst 1997 erschienene deutsche Ausgabe des internationalen Propagandablattes "Freiheit", das nach eigenen Angaben weltweit in einer Auflage von bis zu 2 Millionen Exemplaren kostenlos verteilt wird, beschäftigte sich fast ausschließlich mit der angeblichen "Mißachtung von Menschenrechten" in Deutschland und der " internationalen Empörung " darüber. In einer Sonderausgabe der "Freiheit" vom November 1997 polemisierte die SO auch gegen den Verfassungsschutz. Sie unterstellte ihm, seine Beobachtungsergebnisse hinsichtlich Scientology im Interesse der eigenen Existenzsicherung zu verfälschen. Es sei zu befürchten, daß "die VS-Agenten alles zu tun und zu sagen bereit sind, um ihr eigenes, vom Grundgesetz keinesfalls gedecktes Vorgehen gegen eine Religionsgemeinschaft zu rechtfertigen. " Außer haltlosen Anschuldigungen hat die SO aber offensichtlich nichts vorzubringen. Bisher hat die ansonsten so prozeßfreudige Organisation davon Abstand genommen, bei den zuständigen Verwaltungsgerichten gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz Klage zu erheben. -218- 5. Scientology in Hamburg Die "Scientology Kirche Hamburg e.V. ", die sich von 1973 bis 1985 noch "College für Angewandte Philosophie e. V. " nannte, gehörte Ende der achtziger / Anfang der neunziger Jahre zu den umsatzstärksten und erfolgreichsten Scientology Organisationen der Welt. Durch den Verkauf von Büchern und sogenannten "E-Metern" (Hautwiderstandsmesser, der beim sog. Auditing eingesetzt wird) durch Kursund Auditinggebühren sowie durch Spenden erfolgreicher Scientologen aus dem WISE-Bereich erzielte die Hamburger " Org " Umsätze in Höhe von mehreren Millionen DM pro Jahr. In ihren Hochzeiten hatte die Hamburger " Org " nach eigenen Angaben 220 hauptund nebenberuflich tätige Mitarbeiter und führte rund 5.500 Personen in ihren Karteien (die als Vereinsmitglieder ausgegeben wurden). Die in den letzten Jahren nicht zuletzt durch die öffentliche Aufklärungsarbeit und zunehmende kritische Berichterstattung mit ausgelöste Abwärtsentwicklung führte Anfang 1995 zu einem Führungswechsel. Die bis dahin amtierende Leitende Direktorin, Wiebke HANSEN, wurde in die USA strafversetzt. Ihr Nachfolger, der Amerikaner Mark LIZER, ist Angehöriger der "Sea Org". Zum Einzugsbereich der Hamburger "Org", der größere Teile Norddeutschlands erfaßt, dürften gegenwärtig höchstens 1.000 IAS-Mitglieder gehören. Nach Aussage eines Hamburger Scientologen, der sich gegenüber dem Nachrichtenmagazin "Focus" äußerte, gibt es in Hamburg noch ca. 800 Scientologen, von denen die meisten aber Karteileichen seien. Die Auditierräume stünden weitgehend leer. Ende 1996 mußte die "Scientology Kirche Eppendorf e.V." (Ex-"Celebrity Center") ihr Gebäude in der Eppendorfer Landstraße 35 aufgeben und ist seitdem weitgehend inaktiv. Auch im wirtschaftlichen Bereich ist die Entwicklung negativ. -219- Die Anzahl der Firmen, bei denen ein Zusammenhang mit WISE erkennbar ist, ist deutlich geschrumpft. Das früher florierende Geschäft mit der Umwandlung von Mietin Eigentumswohnungen ist eingebrochen. Die Aktivitäten Hamburger Scientologen auf dem Immobiliensektor haben sich bereits seit geraumer Zeit in andere Regionen, z.B. nach Berlin, verlagert. Neben sinkenden Einnahmen sieht sich die Hamburger " Org " mit Rückzahlungsforderungen ehemaliger Scientologen konfrontiert. Im April 1997 stimmte die Hamburger SO-Führung einem gerichtlichen Vergleich zu, mit dem sie sich zur Rückzahlung von Kursgebühren an ein ehemaliges Mitglied in Höhe von knapp 46.000 DM verpflichtete. Um neue Interessenten zu gewinnen, warb die Hamburger " Org " in ihren Einladungszetteln und Werbebriefen u.a. für einen "beitragfreien und unverbindlichen Workshop über Scientology" sowie für einen kostenlosen "Stress-Test". Mit Infotischen versuchte die SO - mit wenig Erfolg - in der Innenstadt, auf sich aufmerksam zu machen. Am 20. Juni 1997 versammelten sich rund 40 Scientologen in der Hamburger Innenstadt, um gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu demonstrieren. Gemäß Beschluß der Ständigen Konferenz der Innenminister und -Senatoren der Länder (IMK) vom 05./06.06.1997 werden die Verfassungsschutzbehörden der IMK im Herbst 1998 über ihre bis dahin erzielten Beobachtungsergebnisse berichten. Einen tieferen Einblick in das totalitäre Selbstverständnis und die rücksichtslosen Methoden der SO bietet die am 09.04.1998 vorgestellte Broschüre des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg unter dem Titel "Der Geheimdienst der ScientologyOrganisation - Grundlagen, Aufgaben, Strukturen, Methoden und Ziele ". -220- VI. Spionageabwehr 1. Allgemeines Der in den vergangenen Jahren durch weltweite politische Entwicklungen - insbesondere durch die Auflösung der Blockkonfrontation - eingeleitete Entspannungsprozeß zwischen Ost und West hielt auch 1997 an. Er hat inzwischen dazu geführt, daß sich ehemalige Ostblockländer und potentielle militärische Gegner des westlichen Lagers, wie z. B. Polen, Ungarn, Tschechien, erfolgreich um Mitgliedschaften in verschiedenen Organisationen des westlichen Staatengefüges - z. B. in der NATO - bemühen. Dessenungeachtet bleibt die Bundesrepublik Deutschland angesichts ihrer politischen Bedeutung, ihrer Wirtschaftskraft und ihres wissenschaftlich-technischen Niveaus nach wie vor das Ziel eines gesteigerten Aufklärungsinteresses fremder Nachrichtendienste. Dieses nachrichtendienstliche Interesse geht in erster Linie von der Russischen Föderation aus. Aber auch Länder des Nahen und Mittleren Ostens setzen ihre Dienste zur verdeckten Informationsbeschaffung ein, um u.a. in politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bereichen geheimgehaltene Informationen zu gewinnen, die sie benötigen, um ihre eigenen Positionen zu verbessern und im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähiger zu werden. Die Aufgabenpalette der Spionageabwehr des Landesamtes für Verfassungsschutz umfaßt nicht nur die Aufdeckung und Verhinderung der klassischen Spionage fremder Nachrichtendienste in den Bereichen Politik, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Auch die unbefugte Weitergabe von Komponenten und Mitteln zur Herstellung von Massenvernichtungsund anderen Waffen an Länder, die selbst bisher nicht über entsprechende Arsenale verfügen (Proliferation), unterliegt der Beobachtung. Hinzu kommen die Erkennung und Beobachtung unerwünschter Aktivitäten fremder Mächte - insbesondere der Krisenländer (Iran, Irak, Syrien, Libyen) - zur nachrichtendienstlichen Ausspähung und Infiltration ausländischer Oppositionsgruppen in Hamburg. 2. Rußland Die mit der politischen Wende nach der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion begonnene Neugestaltung des Sicherheitsapparates der Russischen Föderation ist abgeschlossen. Ihre Nachrichtenund Sicherheitsdienste sind in das politische Machtgefüge integriert. Die Kontrollfunktionen über die russischen Nachrichtendienste verteilen sich auf das Parlament, den Präsidenten der Russischen Föderation sowie auf Gremien wie den Nationalen Sicherheitsrat und den Nationalen Verteidigungsrat. Kontrollaufgaben -221 - nimmt auch das erst im August 1997 per Dekret von Präsident JELZIN neu geschaffene Militärinspektorat wahr. Die Aufgabenbereiche sowie die Organisationsstruktur der russischen Dienste blieben 1997 gegenüber den Vorjahren im wesentlichen unverändert. Die Nachrichtendienste der Russischen Föderationen besetzen im politischen und staatlichen Machtgefüge Rußlands eine mit beachtlicher Macht verbundene Position. Als fester Bestandteil des Sicherheitsapparates haben sie wieder Ansehen und Einfluß hinzugewonnen. Mit mindestens sieben Nachrichtenund Sicherheitsdiensten, die mit unterschiedlichen Gewichtungen fast alle zugleich im Inund Ausland operieren, besitzt Rußland heute wieder den größten und mächtigsten Staatssicherheitsapparat der Welt. Die wichtigsten Dienste sind (Erläut. s. Abkürzungsverz.): * SWR Die zivile Auslandsaufklärung ist Aufgabe des SWR. Der SWR zählt etwa 15.000 Mitarbeiter. Er betreibt offene wie geheime Nachrichtenbeschaffung mit den Aufklärungszielen Innen-, Außenund Sicherheitspolitik, Wissenschaft und Technik sowie Zielen im Bereich Ökonomie. Leiter des SWR ist Wjatscheslaw TRUBNIKOW. * GRU Für die russische militärische Auslandsaufklärung ist primär die GRU zuständig. Sie umfaßt etwa 12.000 Mitarbeiter unter der Leitung von Walentin KORABELNIKOW. Die GRU hat den Auftrag, Informationen u. a. über Militärpolitik, militärische Planungen sowie Infrastruktur und Bewaffnung der Bundeswehr wie auch generell über westliche Verteidigungsbündnisse zu beschaffen. Die GRU befaßt sich nicht nur mit militärspezifischer Aufklärung, sondern versucht, auch wirtschaftliche und wissenschaftlich-technische Informationen mit zivilen und militärischen Nutzungsmöglichkeiten zu erlangen. * FSB Der russische Abwehrund Sicherheitsdienst FSB unter der Leitung von Generaloberst Nikolaj KOWALJOW verfügt über eine Personalstärke von etwa 100.000 Mitarbeitern. Als Inlandsdienst ist der FSB vornehmlich für die zivile Spionageabwehr, die innere Sicherheit der russischen Streitkräfte sowie die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität zuständig. Er kann zum Schutz russischer Wirtschaftsinteressen aber auch Auslandsaufklärung betreiben. * FAPSI Die Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information hat vor allem technische Abwehrund Aufklärungsaufgaben. Zur Erfüllung seines Auftrags erfaßt und entschlüsselt der Dienst auf elektronischem Wege ausländische Fernmeldeverkehre und dringt im Inund Ausland mit technischen Mitteln in Einrichtungen -222- anderer Staaten ein, die ihm als nachrichtendienstliche Objekte interessant erscheinen. Die russischen Nachrichtendienste beschaffen sich ihre Informationen durch Agenten, offene Gesprächsabschöpfungen sowie durch Funk-, Fernmeldeund elektronische Aufklärung. Die Praxis dieser Bemühungen ist wieder verstärkt durch konspirative Umstände und Methoden gekennzeichnet. Nach wie vor werden an den offiziellen Vertretungen Rußlands nachrichtendienstlich tätige Personen in Form sogenannter Legalresidenturen als Angehörige der diplomatischen und konsularischen Vertretungen eingesetzt. Diese Tarndienstposten bilden eine Ausgangsbasis für vielfältige nachrichtendienstliche Aktivitäten. Neben der offenen Gesprächsabschöpfung gehört dazu auch das klassische konspirative Repertoire geheimdienstlicher Aufklärung, wie Forschung, Werbung und Führung von Agenten. Der unverändert hohe Anteil von Nachrichtendienstoffizieren an russischen Auslandsvertretungen zeigt, welche hohe Bedeutung die Legalresidenturen bei der Informationsbeschaffung - insbesondere im Zusammenhang mit dem Aufklärungsziel Deutschland - haben. Die auf Tarndienstposten der Legalresidenturen eingesetzten Nachrichtendienstoffiziere werden u. a. auch mit der Beschickung und Leerung sog. "Toter Briefkästen " beauftragt. Neben der politischen Ausspähung - weiterhin Domäne des russischen zivilen Aufklärungsdienstes SWR - ist der militärische Bereich eine weitere wichtige Zielrichtung der Aufklärung. Auf diesem Sektor setzt die GRU ihre Aktivitäten in Deutschland unvermindert fort, wobei sie sich auch konspirativer Arbeitsmethoden bedient. Als Fazit bleibt festzuhalten: Ungeachtet der Fortschritte in der politischen Annäherung und Verständigung zwischen Rußland und den Ländern des Westens haben die russischen Nachrichtendienste ihre Aktivitäten in diesen Ländern - insbesondere in Deutschland - auch 1997 vollen Umfangs fortgesetzt. Abschließend muß auch darauf hingewiesen werden, daß Bundesbürger, die privatoder dienstlich/beruflich nach Rußland reisen, quasi automatisch in das Blickfeld des FSB geraten. U. a. ist es Aufgabe dieses Abwehrund Sicherheitsdienstes, Verstöße der Besuchsreisenden gegen dortige Gesetze herauszufinden, um sie als Druckmittel für eventuelle nachrichtendienstliche Ansprachen auszunutzen. Diese einschlägig bekannte Vorgehensweise hat sich bereits in früheren Zeiten als eine bewährte Methode des KGB erwiesen. -223- 3. Nachrichtendienste des Nahen und Mittleren Ostens Nachrichtendienste einzelner Staaten des Nahen und Mittleren Ostens betätigen sich in Deutschland nicht nur auf dem Sektor der klassischen Spionage. Manche werden darüber hinaus auch auf dem Gebiet der Ausforschung und Bekämpfung oppositioneller Bestrebungen hier lebender eigener Landsleute sowie im Zuge von Proliferationsinteressen (Proliferation = Erläuterung siehe unten letzten Absatz) aktiv. Bisweilen scheuen sie auch vor staatsterroristischen Handlungen nicht zurück. Neben dem Iran zählen zu dieser Kategorie auch Staaten wie Syrien, Libyen und Irak. Schwerpunkte solcher primär gegen eigene Landsleute auf dem Territorium der Bundesrepublik Deutschland gerichteter nachrichtendienstlicher Aktivitäten setzte bisher der Iran mit Maßnahmen gegen die in Westeuropa aktiven iranischen Widerstands- / Oppositionsgruppen der "Volksmodjahedin Iran" bzw. des. "Nationalen Widerstandsrates Iran" (NWRI). Die Ausspähungsaktivitäten gehen zu einem nicht unerheblichen Teil von Angehörigen amtlicher iranischer Vertretungen aus, die dabei unter dem Schutz und der Tarnung diplomatischer Immunität agieren. In Hamburg gilt die Überwachungstätigkeit hauptsächlich der hier ansässigen iranischen Exilgemeinde, die etwa 13.000 Personen umfaßt. Die Gegner der iranischen Regierung, die in zahlreichen - untereinander allerdings auch zerstrittenen - Gruppen organisiert sind, sollen durch die Dienste ihres Heimatlandes neutralisiert und ausgeschaltet werden. 4. Sensitive Exporte - Proliferation Die Bundesrepublik Deutschland ist für Schwellenländer, wie auch für Industrieländer und Staaten der Dritten Welt, ein bedeutender Wirtschaftspartner. Das umfassende Produktangebot, der Vorsprung an wissenschaftlich-technischem Know-how bei der Warenherstellung sowie das hohe Niveau der Produktqualität sind wichtige Gründe, weshalb Waren aus deutscher Produktion auf bevorzugtes Interesse fremder Nachrichtendienste stoßen. Dies gilt insbesondere auch für Produkte, die zur Herstellung bzw. Entwicklung von Rüstungsgütern geeignet sind. Darunter befinden sich auch Rohstoffe, Waren, Konstruktionsteile und technische Erzeugnisse, die zum Bau atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen sowie dafür notwendiger Trägersysteme, z. B. Raketen, verwendet werden können. Vor allem die sog. Krisenländer (Iran, Irak, Syrien, Libyen) bemühen sich, in den Besitz entsprechender Produkte und des dazugehörenden Know-how zu gelangen. Sie tragen dadurch zur Proliferation bei. Unter Proliferation versteht man die Weitergabe atomarer, biologischer oder chemischer Waffen (ABC-Waffen) sowie der Mittel und des Know-how zu deren Herstellung an Länder, von denen zu befürchten ist, daß von ihren Territorien aus diese Waffen in -224- einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. Die auf nachrichtendienstlichen Wegen erlangten Gegenstände und Erkenntnisse ersparen es den auf diesem Beschaffungssektor erfolgreichen Staaten zugleich, dafür eigene Forschungsund Entwicklungskosten aufwenden zu müssen. Diesem Ziel dienende Geschäfte verstoßen in der Regel gegen das Außenwirtschaftsgesetz oder Kriegswaffenkontrollgesetz, die den unerlaubten Export bestimmter Handelsgüter in Krisengebiete verbieten. Sie werden daher auch als sensitive Exporte bezeichnet, weil die Abb. 65: Das wichtigste Raketensystem in den sich aufAusfuhr direkt oder mittelrüstenden Staaten ist immer noch die SCUD bar nachhaltige sicherheitspolitische Störeffekte seitens der Empfangerstaaten auslösen oder begünstigen können. Die Beschaffung der dazu erforderlichen Erkenntnisse erfolgt zunehmend konspirativ. Einkäufe erfolgen nicht mehr nur in einem einzigen Land, sondern verteilen sich auf unterschiedliche Herkunftsländer. Zur Verschleierung und Spuren Verwischung werden zudem Umwege beim Transport vom Herstellerland in das jeweilige Krisengebiet eingeschlagen. Die Beschaffung bezieht sich dabei nicht nur auf Endprodukte, die meist unmittelbar Verwendungsmöglichkeiten in Bereichen eröffnen, deren Weiterentwicklung gerade nicht gefördert werden soll. Gegenstand sind vielmehr auch die sog. Dual use-Güter. Hierunter versteht man Produkte und deren Teile, die sich sowohl für eine erlaubte als auch für eine ausfuhrverbotene Nutzung eignen. Die Dosierung bzw. Zerlegung von Beschaffungsaufträgen in kleine, für sich allein unverdächtig erscheinende Positionen, sowie die Streuung der Aufträge auf mehrere Lieferfirmen und Länder sollen von den wahren Verwendungsabsichten ablenken und erschweren die Proliferationsbekämpfung. Die aufgezeigten Täuschungsmethoden auf dem Proliferationssektor unterstreichen, wie notwendig es ist, in dieser Hinsicht im nationalen und internationalen Zusammenwirken von Behörden und Wirtschaft zu einer umfassenden Kontrolle zu kommen, um möglichst alle entsprechende Umgehungsversuche zuverlässig zu unterbinden. -225- VII. Geheimund Sabotageschutz 1. Allgemeines Informationen, deren Erlangung durch Unbefugte den Bestand lebenswichtiger Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden könnte, sind wirkungsvoll zu schützen. Sie müssen im Interesse des Staaates geheimgehalten werden. Die dem Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg dabei obliegenden Mitwirkungsaufgaben sind in SS 4 Absatz 2 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes (siehe Anhang) geregelt. Behörden, Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen gehören zu den klassischen Aufklärungszielen der Nachrichtendienste fremder Staaten. Das Geheimschutzreferat des Landesamtes versucht daher, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Sicherheit vor der Ausforschung durch Unbefugte zu erreichen. Im Bereich der Hamburger Behörden und der Wirtschaft führt das Landesamt deshalb Sicherheitsüberprüfungen von Personen durch und veranlaßt bzw. trifft selbst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Darüber hinaus werden Zuverlässigkeitsüberprüfungen aus Gründen des personellen Sabotageschutzes durchgeführt. Vereinzelt kommen Überprüfungen bei Unternehmen, Verbänden und anderen Institutionen hinzu, um mögliche sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten aufzuklären. 2. Geheimschutz im Behördenbereich 2.1 Personeller Geheimschutz Grundlage und zentrales Instrument des personellen Geheimschutzes ist die Sicherheitsüberprüfung. Sie wird auf Bundesebene nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 20.04.94, in Hamburg nach den Sicherheitsrichtlinien vom 20.11.90 durchgeführt. Das für Hamburg hierfür vorgesehene Landesgesetz befindet sich in Arbeit und soll so schnell wie möglich verabschiedet werden. Die Sicherheitsüberprüfung sieht verschiedene Verfahrensarten vor. Sie richten sich primär nach dem Grad der vorgesehenen Betrauung und Ermächtigung einer Person zum Umgang mit Verschlußsachen. Man unterscheidet im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen die Verschlußsachengrade "STRENG GEHEIM", "GEHEIM" und "VS-VERTRAULICH". Im Jahr 1997 hat das Geheimschutzreferat des Landesamtes insgesamt 902 (1996: 920) Sicherheitsüberprüfungsvorgänge aller Hamburger Behörden und Ämter bearbeitet. -226- 2.2 Materieller Geheimschutz Im Rahmen des materiellen Geheimschutzes berät das Landesamt für Verfassungsschutz öffentliche Stellen des Landes bei der Planung und Durchführung technischer Sicherungsmaßnahmen. Im Rahmen diesser Aufgabe hat das Landesamt auch 1997 u.a. über Alarmsysteme, Stahlschränke und Schließanlagen informiert. Ferner wurden die Bedarfsträger über notwendige Maßnahmen aufgeklärt, um Verschlußsachen bei der Übertragung auf dem Fernmeldeweg, in Datennetzen oder während ihrer Bearbeitung auf PC-gestützten Systemen vor unbefugten Zugriffen zu schützen. 3. Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge ausführen, werden in das Geheimschutzverfahren von Bund und Ländern aufgenommen. Soweit der Bund diese Aufträge erteilt, führt er auch die Sicherheitsüberprüfungen der Mitarbeiter der Unternehmern durch, die diese Staatsaufträge dann konkret bearbeiten. Die Betreuung dieser Unternehmen erfolgt durch die Verfassungsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes. Das Geheimschutzreferat des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg betreut zur Zeit etwa 100 Unternehmen der verschiedensten Branchen. Neben Einzelberatungen direkt vor Ort in den Firmen und in den Räumen der Behörde hat 1997 im Landesamt für Verfassungsschutz eine Informationsveranstaltung für die geheimschutzbetreuten Unternehmen in Hamburg stattgefunden. Die rege Teilnahme spiegelte das große Interesse an Informationen zu Sicherheitsthemen und das Verantwortungsbewußtsein der Unternehmensleitungen wider. 4. Sabotageschutz Im Rahmen des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes war das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz im Berichtszeitraum 1997 an der Durchführung von 3.784 (1996: 3.560) Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. Im Vordergrund standen dabei Überprüfungen von Personen nach SS 29 d des Luftverkehrsgesetzes, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen des Hamburger Flughafens beschäftigt werden sollen, gefolgt von Überprüfungen nach SS 12 b des Atomgesetzes. Danach sind Personen zu überprüfen, die Kernbrennstoffe befördern oder in kerntechnischen Anlagen beschäftigt sind. Ferner wurden Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen durchgeführt, die an besonders sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen tätig sind. Hier handelt es sich insbesondere um Stellen der elektrischen Energieversorgung. -227- Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 7. März 1995, zuletzt geändert am 27. August 1997 Der Senat verkündet das nachstehende von der Bürgerschaft beschlossene Gesetz: 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Zusammenarbeit SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS5 Begriffsbestimmungen SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit desLandesamtes für Verfassungsschutz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger -229- 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuß SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses SS 26 Aufgaben des Ausschusses SS 27 Eingaben 6. Abschnitt Schlußvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 29 Inkrafttreten 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Zu diesem Zweck tritt dieses Gesetz neben das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG -) vom 20. Dezember 1990 (Bundesgesetzblatt I Seiten 2954, 2970). SS2 Zuständigkeit (1) Der Verfassungsschutz wird innerhalb der zuständigen Behörde vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausschließlich hierfür zuständig. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist es an Gesetz und Recht gebunden (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). -230- (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. Ihm stehen polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Zusammenarbeit (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses Gesetzes und soweit eigenes Landesrecht dies zuläßt, der Bund gemäß SS 5 Absatz 2 BVerfSchG nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es die Rechtsvorschriften dieses Gesetzes und der anderen Länder zulassen. SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Absatz 1 BVerfSchG), 4. Bestrebungen und Tätigkeiten, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes) oder das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 des Grundgesetzes) gerichtet sind. -231- Das Landesamt für Verfassungsschutz hat insbesondere den Senat über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 zu informieren und die dafür zuständigen staatlichen Stellen in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ihrer Abwehr zu ergreifen. Darüber hinaus unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz mindestens einmal jährlich die Öffentlichkeit über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1. m (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt gemäß SS 3 Absatz 2 Satz 1 BVerfSchG mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich dienstlich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen und Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. An einer Überprüfung nach Absatz 2 Satz 1 Nummern 1 und 2 darf das Landesamt für Verfassungsschutz nur mitwirken, wenn die zu überprüfende Person zugestimmt hat. Gleiches gilt für Personen, die in die Überprüfung einbezogen werden. SS5 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für -232- einen Personenzusammenschluß, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluß handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt (SS 4 Absatz 1 Sätze 1 und 2 BVerfSchG). Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verhaltensweisen gemäß Satz 1 von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluß handeln, wenn sie gegen Schutzgüter dieses Gesetzes mit Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder diese sonst angreifen und bekämpfen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne diese Gesetzes zählen gemäß SS 4 Absatz 2 BVerfSchG 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und ihre Ablösbarkeit, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluß jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nur Maßnahmen ergreifen, wenn und soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind; dies gilt insbesondere für die Erhebung und weitere Verarbeitung personenbezogener Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige zu treffen, die den einzelnen insbesondere in seinen Grundrechten und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine behördliche Auskunft gewonnen werden kann. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil füh-233- ren, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, daß er nicht erreicht werden kann. 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen erheben und weiter verarbeiten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf bei den hamburgischen Behörden und den der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht die Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz des Betroffenen dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Ist zum Zwecke der Datenerhebung die Übermittlung von personenbezogenen Daten unerläßlich, ist sie auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken. Schutzwürdige Interessen des Betroffen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen verdeckt erheben. Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ist vorbehaltlich SS 6 Absatz 1 nur zulässig, wenn 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 bestehen, 2. er sich gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen richtet, von denen auf Grand bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, daß sie für den Betroffenen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder wei-234- tergeben, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zu gewinnen, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden können oder 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die so gewonnenen Informationen nur für die in Satz 2 genannten Zwecke verwenden. Unterlagen, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen schriftlichen Unterlagen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen sie einem Verwertungsverbot. (2) Zulässige nachrichtendienstliche Mittel sind 1. verdeckt eingesetzte hauptamtliche Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, 2. verdeckt eingesetzte Personen, die nicht in einem arbeitsvertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Landesamt für Verfassungsschutz stehen, wie Vertrauensleute, Informanten, Gewährspersonen, 3. planmäßig angelegte Beobachtungen (Observationen), 4. Bildaufzeichnungen, 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, *6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen (Artikel 13 des Grundgesetzes), 8. Beobachten und Aufzeichnen des Funkverkehrs, soweit nicht der Postund Fernmelde verkehr nach Maßgabe des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13. August 1968 (Bundesgesetzblatt I Seite 949), zuletzt geändert am 27. Mai 1992 (Bundesgesetzblatt I Seiten 997,998), betroffen ist, 9. Aufbau und Gebrauch von Legenden, -235- 10. Beschaffen, Erstellen und Verwenden von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 11. Überwachen des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz sowie 12. weitere vergleichbare Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Tonund Datenaufzeichnungen, um die nach Absatz 1 erforderlichen Informationen zu gewinnen. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind abschließend in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationserhebungen re.gelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde. Dem Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (3) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnissesgleichkommt, bedarf der Zustimmung des Präses, bei dessen Verhinderung des Staatsrates der zuständigen Behörde. (4) Im Falle des Absatzes 3 sind der betroffenen Person nachrichtendienstliche Maßnahmen nach ihrer Beendigung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Läßt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren noch nicht eingetreten ist. SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten weiter verarbeiten, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, daß die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 teilnimmt, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist oder -236- 4. es nach SS 4 Absatz 2 tätig wird. In Akten dürfen über Satz 1 Nummer 2 hinaus personenbezogene Daten auch verarbeitet werden, wenn dies zur Erforschung und Bewertung nicht gewalttätiger Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist. (2) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 4 Absatz 2 Nummer 1 dürfen in automatisierten Dateien nur personenbezogene Daten über die Personen gespeichert werden, die einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen wurden. Daten über Personen, die in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen wurden, dürfen ohne Einwilligung dieser Personen nicht in automatisierten Dateien gespeichert werden. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Bei der Einzelfallbearbeitung, im übrigen jeweils spätestens vier Jahre beginnend ab der ersten Speicherung, prüft das Landesamt für Verfassungsschutz, ob die Speicherung der personenbezogenen Daten weiterhin erforderlich ist. (4) Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 dürfen länger als zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten Information nur mit Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde oder der von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz gespeichert bleiben. * SSio Verarbeitung von Daten Minderjähriger (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 9 Daten über Minderjährige in Sachakten und amtseigenen Dateien speichern und weiter verarbeiten. Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nicht in gemeinsamen Dateien (SS 6 BVerfSchG), Daten Minderjähriger vor Vollendung des 14. Lebensjahres nicht in amtseigenen Dateien gespeichert werden. (2) Daten über Minderjährige in Dateien sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der weiteren Speicherung zu überprüfen; spätestens nach fünf Jahren sind diese Daten zu löschen, es sei denn, daß nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 4 Absatz 1 angefallen sind. -237- SS11 Berichtigung, Sperrung und Löschung (1) Erweist sich eine Information nach ihrer Übermittlung als unrichtig oder unvollständig, hat die übermittelnde Stelle ihre Information unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt sein können. Die Berichtigung erfolgt dadurch, daß die unrichtigen Angaben, soweit sie in Akten enthalten sind, entfernt werden und, soweit sie in Dateien gespeichert sind, gelöscht werden. Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Trennung von zu berichtigenden und richtigen Informationen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. (2) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle oder der Datensicherung gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder bei Verdacht des Datenmißbrauchs genutzt werden. (3) Im übrigen gilt für die Berichtigung, Sperrung und Löschung SS 19 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vom 5. Juli 1990 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 133, 165, 226), zuletzt geändert am 10. März 1992 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 39). 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenerfüllung erlangten Daten, die nicht personenbezogen sind, an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermitteln, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Empfänger erforderlich sein können. SS13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste (1) Gemäß SS 5 Absatz 1 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder alle personenbezogenen Daten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der Empfänger erforderlich ist. -238- (2) Gemäß SS 21 Absatz 2 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten. SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zwingend erforderlich ist oder der Empfänger nach SS 4 Absatz 2 tätig wird. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Hierauf ist er hinzuweisen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf über Absatz 1 hinaus Informationen einschließlich personenbezogener Daten an die Staatsanwaltschaften und die Polizei übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand eine in den SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz, SS 100 a Nummern 3 und 4 Strafprozeßordnung und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat plant, begeht oder begangen hat sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. Personenbezogene Daten, die das Landesamt für Verfassungsschutz selbst mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 8 erhoben hat, dürfen nur dann an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei übermittelt werden, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für deren Erhebung mit entsprechenden Befugnissen zur verdeckten Datenerhebung nach der Strafprozeßordnung oder nach den SSSS 9 bis 12 und SS 23 Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) vorgelegen hätten. SS15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (Bundesgesetzblatt II 1961 Seiten 1183, 1218) übermitteln. Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Der Empfänger ist darauf -239- hinzuweisen, daß er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen oder wenn dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, daß er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermitteln, es sei denn, daß die Übermittlung zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und der Präses oder bei seiner Verhinderung der Staatsrat der zuständigen Behörde seine Zustimmung erteilt hat. Dies gilt nicht bei Erhebungen nach SS 7 Absatz 3. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Übermittlung nach Absatz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck und die Veranlassung der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Hierauf ist er hinzuweisen. SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Übermittlung personenbezogener Da-240- ten nur zulässig, wenn sie zu einer sachgerechten Information zwingend erforderlich ist. Stehen schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegen, kommt eine Übermittlung der personenbezogenen Daten des Betroffenen nur dann in Betracht, wenn die Interessen der Allgemeinheit deutlich überwiegen. SS19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die hamburgischen Behörden und die der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind befugt, die Daten zu übermitteln, um die das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 7 Absatz 2 ersucht hat, soweit sie diesen Stellen bereits vorliegen. (2) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln dem Landesamt für Verfassungsschutz alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung vorliegenden Informationen über gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gemäß SS 4 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 und über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummern 2 und 3. (3) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekanntgewordene Informationen über Bestrebungen nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamte's für Verfassungsschutz erforderlich ist. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100 a Strafprozeßordnung (StPO) bekanntgeworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß jemand eine der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung personenbezogener Informationen, die auf Grund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen oder verdeckter Datenerhebungen nach SS 2 Absatz 3 Satz 3 oder nach den SSSS 9 bis 12 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) bekanntgeworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten bestehen; die Übermittlung ist auch zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine in SSSS 74a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat bestehen oder eine sonstige Straftat, bei der aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, daß sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet ist. Auf die nach Satz 2 übermittelten Informationen und die dazu gehörenden Unterlagen ist Artikel 1 SS 7 Absätze 3 und 4 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechend anzuwenden. Die nach Satz 2 übermittelten Informationen dürfen nur zur Erforschung gewalttätiger -241- Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten genutzt werden. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen die personenbezogenen Daten einem Verwertungsverbot und sind entsprechend zu kennzeichnen. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. Vorschriften in anderen Gesetzen über die Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz und über ihre Dokumentation bleiben unberührt. SS20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in von öffentlichen Stellen geführte Register und Datensammlungen einsehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen über 1. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1), oder 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2) oder 3. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3), oder 4. Bestrebungen und Tätigkeiten, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4). (2) Eine Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, -242- 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis ihr nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. (4) Die auf diese Weise gewonnenen Unterlagen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Daten sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) Über die Tatsache der Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommenen Stellen sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen gegen unbefugten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. SS21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen (1) Die Übermittlung von Informationen nach diesem Abschnitt unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, daß die Informationen zu vernichten sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen oder für den Empfänger nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder f 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, daß unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen. (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationsübermittlungen zulassen, einschränken oder verbieten sowie die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleiben unberührt. SS22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger (1) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, wenn tatsächliche -243- Anhaltspunkte dafür bestehen, daß der Minderjährige eine der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat, im übrigen, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 10 erfüllt sind. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS23 Auskunftserteilung Für die Auskunftserteilung gilt SS 18 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes. 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS24 Parlamentarischer Kontrollausschuß Zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes bildet die Bürgerschaft einen Kontrollausschuß. Dieser tagt in nichtöffentlicher Sitzung. SS25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses (1) Der Ausschuß besteht aus sieben Mitgliedern der Bürgerschaft. (2) Die Mitglieder des Ausschusses werden von der Bürgerschaft in geheimer Abstimmung gewählt. (3) Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in dem Ausschuß bekanntgeworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ausschuß oder aus der Bürgerschaft. (4) Der Ausschuß wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. -244- (5) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam des Landesamtes für Verfassungsschutz und können nur dort von den Ausschußmitgliedern eingesehen werden. (6) Scheidet ein Mitglied des Ausschusses aus der Bürgerschaft oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Ausschuß; für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu bestimmen. Das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuß ausscheidet. (7) Der Parlamentarische Kontrollausschuß erstattet der Bürgerschaft jährlich einen Bericht über seine Kontrolltätigkeit. Dabei sind die Grundsätze des Absatzes 3 zu beachten. SS26 Aufgaben des Ausschusses (1) Der Ausschuß übt die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes aus. Die Rechte der Bürgerschaft und des Bürgerausschusses bleiben unberührt. (2) Zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben kann der Ausschuß vom Senat die erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Akten und Dateieinsichten, Stellungnahmen und den Zutritt zu den Räumen des Landesamtes für Verfassungsschutz und die Entsendung bestimmter Angehöriger des öffentlichen Dienstes als Auskunftspersonen verlangen. Der Senat bescheidet ein solches Kontrollbegehren abschlägig oder schränkt die Aussagegenehmigung ein, wenn gesetzliche Vorschriften oder das Staatswohl entgegenstehen. In diesem Fall legt der Senat dem Ausschuß seine Gründe dar. (3) Der Senat unterrichtet den Ausschuß in Abständen von höchstens drei Monaten oder auf Antrag eines Mitglieds über die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz. (4) Der Senat hat dem Ausschuß 1. Gefahren für die Schutzgüter des SS 1, 2. die Dienstvorschrift über nachrichtendienstliche Mittel nach SS 8 Absatz 2 Satz 2 sowie ihre Änderungen, 3. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 3, die Weiterspeicherung nach SS 9 Absatz 4, -245- 4. die tatsächliche Arbeitsaufnahme mit einer Datei, für die eine Dateibeschreibung nach SS 9 Absatz 1 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vorgeschrieben ist, und ihre wesentlichen inhaltlichen Änderungen, 5. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte nach SS 15, 6. die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen nach SS 16, 7. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nach SS 17 mitzuteilen und jährlich über die Prüfungen nach SS 9 Absatz 3 Satz 2 zu berichten. . SS27 Eingaben Eingaben einzelner Bürger oder einzelner Angehöriger des Verfassungsschutzes über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sind dem Ausschuß zur Kenntnis zu geben. Der Ausschuß hat auf Antrag eines Mitglieds Petenten und Auskunftspersonen zu hören. SS 26 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung. Die Rechte des Eingabenausschusses bleiben unberührt. 6. Abschnitt Schlußvorschriften SS28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz In SS 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 17. Januar 1969 mit der Änderung vom 02. Februar 1981 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt 1969 Seite 5, 1981 Seite 24), wird folgender Absatz 5 angefügt: "(5) Die Kommission ist ausschließlich für die Überprüfung der von der zuständigen Behörde angeordneten Beschränkungsmaßnahmen zuständig. Sie kann zu ihrer Unterstützung den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ersuchen, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten." -246- SS29 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Februar 1978 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 51) außer Kraft. Der Senat -247- Abkürzungsverzeichnis AA/BO Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation AAB Anti-Atom-Büro (Hamburg) AA/NO Arbeitslose Akademiker / Nachwuchsorganisation - Studentischer Verein für politische und kulturelle Bildung von Studentinnen und Studenten zur Vorbereitung auf ihren zukünftigen Lebensweg in Hamburg AB Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD ABLE Association for Better Living and Education ADHF Föderation der demokratischen Völker in Deutschland ADHK Konföderaton für demokratische Völker in Europa ADÜTDF Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Europa AFID Föderativer Islamstaat Anatolien (Hintergrund: ICCB) AGH Antifaschistische Gruppe Hamburg AGIF Föderat. d. Arbeitsimmigrant/innen aus d. Türkei i. d. Bundesrep. Deutschi. e.V. AIS Islamische Heilsarmee (Algerien) AIW Antiimperialistischer Widerstand AIZ Antiimperialistische Zelle AJ/BZ Antifaschistische Jugend / Bundesweiter Zusammenschluß AJF Antifa-Jugendfront AKON Aktion Oder-Neiße e.V. AMA Autonome Männer Antifa AMGT Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V. ANS/NA Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Alternative APO Außerparlamentarische Opposition ARF Aktion Deutsches Radio und Fernsehen ARGK Aitesa Rizgariya Gele Kurdistan = Volksbefreiungsarmee Kurdistans ATF Almanya Türk Federasyonu = Deutsche Türk-Föderation ATIF Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. ATIK Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa B B5 Brigittenstraße 5 BAT Bundesweites Antifa-Treffen BBZ Berlin-Brandenburger Zeitung BdA Bund der Antifaschisten BFB Bund Freier Bürger BGD Bund für Gesamtdeutschland BRL Bündnis Rechts für Lübeck BSA Bund Sozialistischer Arbeiter BWK Bund Westdeutscher Kommunisten -249- Celebrity Center ce Citizens Commission on Human Rights CCHR Continental Liaison Office CLO D DA Deutsche Alternative DABK Ostanatolisches Gebietskomitee DB Deutsche Burschenschaften DESG Deutsch-Europäische Studiengesellschaft DGH Demokratische Jugendbewegung [TKP(ML)] DHKP-C Devrimei Halk Kurtulus Partisi-Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/Front DKP Deutsche Kommunistische Partei DLVH Deutsche Liga für Volk und Heimat DNP Deutsche Nationale Partei DNSB Dänische Nationalsozialistische Bewegung DNZ Deutsche National-Zeitung DPK Demokratische Partei Kurdistans-Irak (auch KDP genannt) DRB Deutsches Rechtsbüro DSU Deutsche Soziale Union DSVK Deutscher Schutzbund für Volk und Kultur DVU Deutsche Volksunion DWZ Deutsche Wochenzeitung E EMUG Europäische Moscheenbauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. ER Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten ERNK Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan = Nationale Befreiungsfront Kurdistans ETA Euskadi Ta Askatasuna = Baskenland und Freiheit EuK Einheit und Kampf EYSB Internationaler Schriftstellerund Künstlerbund [TKP(ML)] EZLN Ejercito Zapatista de Liberaciön Nacional = Zapatistische Armee der Nationalen Befreiung F WHEEEEEEEnEEEHEKEEEMEKEKEEEHEEM FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAPSI Federalnoye Agentstvo Pravitelstvennoy Suyazi I (Bundesagentur für das Nachrichtenund Informationssystem der Regierung (russischer Dienst, vor allem technische Abwehrund Aufklärungsaufgaben) FAU/AP Freie Arbeiter-Union/Anarchistische Partei FAU Freie Arbeiter Union FCB Flag Command Bureaux FHI Flüchtlingshilfe Iran -250- FIS Islamische Heilsfront (Algerien) FN Front National FÖGA Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen FRG Freedom for Religions in Germany FSB Federalnaya Sluzhba Bezopasnosti (Föderaler Sicherheitsdienst, russischer Abwehrund Sicherheitsdienst FVB Freiheitlicher Volks Block G GfbAEV Gesellschaft f. biologische Anthropologie, Eugenik u. Verhaltensforschung e.V. GFP Gesellschaft für freie Publizistik GIA Bewaffnete Islamische Gruppe (Algerien) GIM Gruppe Internationale Marxisten GNLL Gewerkschaft Naturkost-Landwirtschaft-Lebensmittelindustrie GRU Glavnde Razvedyvatelnoe Upravleniye Generalnogo Shtaba (Hauptverwaltung Aufklärung des Generalstabes, russischer Nachrichtendienst/militärische Auslandsaufklärung) H HAMAS Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya = Islamische Widerstandsbewegung HK Hamburger Kreis HLA Hamburger Liste für Ausländerstopp HN Hamburger Nationaldemokraten HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. IAS International Association of Scientologists ICL International Communist League ICCB Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V. Köln U.A. Initiative für Ausländerbegrenzung IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V IH Islamische Bewegung IMSF Institut für Marxistische Studien und Forschungen IMSV Iranische Moslemische Studentenvereinigung Bundesrepublik Deutschland IVVdN Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener IZH Islamisches Zentrum Hamburg J JN Junge Nationaldemokraten JUKO Junge Kommunisten -251- K K&D Gruppe Kritik und Diskussion KDP Demokratische Partei Kurdistans-Irak (auch DPK genannt) KfsV Komitee für soziale Verteidigung KGAK Konservative Gesprächsund Arbeitskreise KGÖ Kommunistische Jugendorganisation (der türkischen MLKP) KIZ Kurdistan-Informations-Zentrum KOMKAR Verband der Vereine aus Kurdistan e.V. KON-KURD Konföderation kurdischer Vereine in Europa KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPdSU Kommunistische Partei der Sowjetunion KPF Kommunistische Plattform KP/IÖ Kommunistische Partei / Aufbauorganisation (MLKP-Abspaltung) KPRF Kommunistische Partei der Russischen Föderation KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. LIZ Libertäres Zentrum M MASCH Marxistische Abendschule MB Muslimbruderschaft MED-TV kurdischer Fernsehsender MG Marxistische Gruppe MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MKO Munafiqeen Khalq Organization (verächtliche Bez. f. Volksmodjahedin Iran) MRTA Movimiento Revolucionario Tupac Amaru N NAPO Nationale Außerparlamentarische Opposition NF Nationalistische Front NIT Nationales Infotelefon NL Nationale Liste NL A National Liberation Army (Volksmodjahedin Iran) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NR Nordischer Ring e.V. NSDAP/AO Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / Auslandsu. Aufbauorganisation NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran -252- o OKF Offenes Kommunistisches Forum OSA Office of Special Affairs PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PFLP-GC Popular Front for the Liberation of Palestine - General Command : Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando PGP Pretty Good Privacy PIJ Palästinensischer Islamischer Jihad PKK Partiya Karkeren Kurdistan = Arbeiterpartei Kurdistans PSG Partei für Soziale Gleichheit PVC Proletarischer Vilm Club RAF Rote Armee Fraktion RBF Republikanischer Bund der Frauen REP Die Republikaner RepBB Republikanischer Bund der öffentlichen Bediensteten RHV Republikanischer Hochschulverband RJ Republikanische Jugend RMV Republikanische Mittelstandsvereinigung RP Refah Partisi = Wohlfahrtspartei RPF Rehabilitation Project Force RSB Revolutionär-Sozialistischer Bund RTC Religious Technology Center RVO Revier vor Ort RZ Revolutionäre Zellen bzw. Rote Zora SAF Sauerländer Aktionsfront SAG Sozialistische Arbeitergruppe SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SI Solidarität International SP Supressive Person SpAD Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands SWR Sluzhba Vneshney Razvedki (Russischer ziviler Auslandsnachrichtendienst) SysOp Systemoperator THKP/-C Türkiye Halk Kurtulus Partisi-Cephesi = Türkische Volksbefreiungspartei/-Front TIKKO Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsannee -253- TKIH Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung TKP/M-L (ehemalige) Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten TKP(ML) DABK-Flügel der ehemaligen TKP/M-L TKP/ML Partizan-Flügel der ehemaligen TKP/M-L TKP/ML-H Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (Bewegung) TLD Trotzkistische Liga Deutschlands TMLGB Türkischer Marxistisch-Leninistischer Jugendbund u UÖD Unabhängige Ökologen Deutschlands UZ Unsere Zeit VB Vlaamse Blok VEIF Verein zur Eingliederung iranischer Flüchtlinge VIDA Verein Iranischer Demokratischer Akademiker VOGA Volksbewegung für Generalamnestie VSP. Vereinigung für Sozialistische Politik VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten w WBDJ Weltbund der demokratischen Jugend WDC Watchdog-Comittee WFS Weltfestspiele der Jugend und Studenten WISE World Institute of Scientology Enterprises WPT White Pride Tapes WWW World-Wide-Web YAJK Union der freien Frauen aus Kurdistan bzw. Freier Frauenverband Kurdistans YCK Yekitiya Ciwanen Kurdistan = Union der Jugendlichen aus Kurdistan YDG Neue Demokratische Jugend [TKP/ML] YDK Neue Demokratische Frau [TKP(ML)] YEK-KOM Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V. YXK Yekitiya Xwendevanen Kurdistane = Union der Studentinnen aus Kurdistan ZORG Zentralorgan -254- 1 ^_ Stichwortverzeichnis Anti-AKW-Gruppe * 121 Anti-Antifa * 54; 55 u Antifa Jugend Cafe * 132 AA/BO * 132 Antifa Jugendfront Hamburg * Siehe AJF AA/NO "159 Antifaschistische Aktion/Bundesweite OrAAB * 146 ganisation * 132 AB * 158 Antifaschistische Gruppe Hamburg (AGH) Ab jetzt Bündnis für Deutschland * 87 *132 ABLE "213 Antifaschistische Jugend/Bundesweiter ABU NIDAL-Organisation * 165 Zusammenschluß (AJ/BZ) * 132 ADHF-191 Antifa-Vernetzungstreffen * 133 ADHK * 191 Antiimperialistische Widerstandszelle NaADÜTDF" 183 dia Shehada "117 AFID * 196 Antisemitismus * 23; 34; 36; 37; 42; 64; 91 AG BWK in und bei der PDS/Linke Liste Anzala,H. "117 Hamburg * 158 APFEL, Holger * 77; 79 AGH * 132 APO * 157 AGIF * 193 Appell von Hannover * 175 AGRI-Verlag * 178 Applied Scholastics * 213 AIS * 208 ARAFAT * 202 AIW-105; 107; 115; 118; 119; 123; 124; Arbeiterbund für den Wiederaufbau der 161; 193 KPD (AB) * 158 AIZ" 112; 114; 117 Arbeiterpartei Kurdistans * Siehe PKK AJ/BZ * 132 ARF * 73 AJF"122;132 ARGK" 171 AKON * 73 Artgemeinschaft * 93 Aktion deutsches Radio und Fernsehen * Association for Better Living and EducatiSiehe ARF on * Siehe ABLE Aktion Oder-Neiße * Siehe AKON ATF'183 Al-Jihad Al-lslami * 208 ATIF'189 Alsterreport * 72 ATIK"189 AMA * 132 Au Backe * 64 AMGT"194; 196 Auditing "211; 214; 215; 219 analyse & kritik * 128 Aufbruch (NPD-Homepage) * 100 Anarchisten * 105; 110; 119; 125; 142; 156 Autonome "57; 105; 107; 110; 111; 119; Anarchistische Alternative (Bremen) * 130; 133; 135; 138; 141; 156; 161; 186; 130 193 Anarchistische Gruppe * 126 Autonome Männer-Antifa (AMA) "132 Anarchistisches Sommercamp * 126 Autonome Zelle * 130 Angehörigen-Info * 123 Autonome Zelle Hamburg "130 ANS/NA * 61 Autonomie - Neue Folge * 127 ANSARI * 202; 207 -255- Club Libertaire * 126 B College für Angewandte Philosophie e.V. * B 5 - 1 2 3 ; 132; 133; 153; 155 219 BAADER, Andreas * 116; 117 Comlink' 163 BAT * 132 Continental Liaison Office * Siehe CLO BBZ"51; 100 Courage * 160 BdA * 155 Criminon "213 BENOIST, Alain de * 89 Criticön * 89 Bewaffnete Islamische Gruppe * Siehe CÜRÜKKAYA, Selim * 179 GIA Bewegung 2. Juni * 112 BFB "133 D BGD * 82; 87; 88 DABK * 182; 191 Bioregionalismus * 90 Dänische Nationalsozialistische Bewegung Blauer Montag * 128 * Siehe DNSB Blood and Honour * 41 ; 44 DECKERT, Günther * 77; 78 Bonzenjäger * 44 DEHOUST, Peter * 70; 87; 95 Brigittenstraße 5 * Siehe B 5 Demokratische Jugendbewegung * Siehe BRL * 60; 82; 88 DGH BSA * 108; 162 Demokratische Partei Kurdistan/Irak * Bund der Antifaschisten (BdA) * 155 Siehe DPK (auch KDP) Bund Freier Bürger (BFB) "133 Der Aktivisf 80 Bund für Gesamtdeutschland * Siehe DESG * 89; 90 BGD DESG-Inform * 89; 90 Bund Sozialistischer Arbeiter * Siehe Deutsche Aktionsgruppen * 45 BSA Deutsche Alternative (DA) "53 Bund Westdeutscher Kommunisten * Siehe Deutsche Kommunistische Partei * Siehe BWK DKP Bundesweites Antifa-Treffen * 132 Deutsche Liga für Volk und Heimat * SieBündnis Keinen Fußbreit den Faschisten * he DLVH 132 Deutsche Nationale Partei (DNP) * 21 Bündnis Rechts für Lübeck * Siehe BRL Deutsche Nationalzeitung * Siehe DNZ Burschenschaften * 94 Deutsche Soziale Union * Siehe DSU Buy or Die * 44 Deutsche Stimme * 23; 78; 79; 80; 81 BWK "157; 158 Deutsche Türk Föderation * 183 Deutsche Volksunion * Siehe DVU c Deutsche Wochenzeitung * Siehe DWZ Deutscher Schutzbund für Volk und Kultur C O 214; 215; 219 * Siehe DSVK CCHR'214 Deutsches Kolleg * 89; 91; 92 Celebrity Center International * 214 Deutsches Rechtsbüro * Siehe DRB Celebrity Centers * Siehe CC Deutsch-Europäische Studiengesellschaft CHRISTOPHERSEN, Thies * 21 * Siehe DESG Citizens Commission on Human Rights * Deutschland-Bewegung * 85 Siehe CCHR Deutsch-russisches Gemeinschaftswerk - Clear "210; 215 Förderverein Nord-Ostpreußen * 23; 54 Clear Planet "212 Devrimci Cözüm * 188 CLO * 213 -256- Devrimci Sol * HO; 179; 182; 184 Siehe ETA * 124; 149 auch: DHKP-C und THKP/-C DeEthik (SO)'2 vrimci Sol EuK * 83 Devrimci Sol Gticler * 187; 188 Europa Vorn * 89 DGH * 191 Europäische Moscheenbauund UnterstütDHKP-C' 170; 179; 180; 182; 184; 187; zungsgemeinschaft e. V. ' Siehe EMUG 188; 194 Europäische Synergien * 89; 91 Die Nationalen e.V. * 49; 51; 52; 77 Europäischer Kongreß der Jugend * 82; Die Republikaner * Siehe REP 95 DIESNER, Kay * 45; 48; 115 EYSB * 191 DKP" 106; 107; 108; 130; 149; 159; 186; EZER, Achim * 77; 83 190 EZLN * 149 DLVH * 28; 32; 70; 82; 87; 88; 92; 98 DNSB * 67; 95 DNZ * 25; 74 F Donner-Versand * 52 FALK, Bernhard "114 DPK"176; 177 FALLAHIAN, Ali * 199 DRB * 94 Fanzine "41; 52; 62; 97 DSU * 85 FAP * 63 DSVK * 73 FAPSI * 222 DSZ-Druckschriftenund Zeitungsverlag Fatwa * 200 GmbH '14 FAU "125; 126 DUNLAYICI, Faysal * 179 FAU/AP * 125 DVU * 25; 26; 28; 29; 30; 69; 72; 73; 81; FCB "213 83; 85; 86; 95; 98; 100; 132; 133; 134; FEYKA-Kurdistan * 171 190; 194 FHI * 205 DWZ "31; 74 FIEBIG, Henry * 46 FIEDLER, Hans * 69; 73 E FIS * 208; 209 Flag Command Bureaux * Siehe FCB Edutainment Club "121 Flammende Herzen * \AA EGGERS, Sven * 73 Flüchtlingshilfe Iran (FHI) * 205 Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum FN "32; 69; 70; 85; 87; 95 Schutz der Frontsoldaten * Siehe ER Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Einblick "55 Deutschland * Siehe ATIF Einheit und Kampf' Siehe EuK Föderation der Arbeitsimmigrant/innen Einsatzkommando 'Haut den Roten auf die aus derTürkei in der Bundesrepublik Pfoten' "58 Deutschland e. V. * Siehe AGIF E-Meter"219 Föderation der demokratischen Völker in EMUG * 194 Deutschland * Siehe ADHF En Nahda * 208 Föderation gewaltfreier Aktionsgruppen * ENGEL, Stefan * 160 Siehe FÖGA ENSSLIN,Gudrun"116;117 Föderation kurdischer Vereine in DeutschER "73 land e.V. * Siehe YEK-KOM ERBAKAN, Necmettin * 183; 195 FÖGA * 127 Erfurter Erklärung "151 Forum kommunistischer ArbeitsgemeinErmittlungsausschuß * 54 schaften "158 ERNK"171; 178; 179 Franz-Schönhuber-Freundeskreise * 70; 87 -257- Frauen für Demokratie im Iran * 205 Gleichheit' 109; 162 Freedom for Religions in Germany * Siehe GNLL * 126 FRG GOERTZ, Andre * 63; 83 Siehe auch Freie deutsche Sommerakademie * 91 "Personenkreis um Andre Goertz" Freie Nationalisten * 50; 52; 57; 58; 59; GÖTZE, Michael "455 61; 63; 79; 82; 88 Graswurzelbewegung * 127; 142 Freie Nationalisten Norddeutschland * 50 Graswurzelrevolution * 104; 127 Freie Stimme * 46; 52 Graswurzelwerkstatt * 127 Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union * Graue Wölfe' 183 Siehe FAU GRU * 222; 223 Freier Frauenverband Kurdistans ' Siehe Gruppe Revolutionäre Wasserkante "122 YAJK Guardian Office "216 Freiheit * 217; 218 GUEVARA, Che * 153 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei * ÄeAe FAP Freunde des kurdischen Volkes * 177 H FREY, Dr. Gerhard * 25; 73; 74; 75; 83; 86 HAAS, Monika * 124 FRG * 218 Haki (Pseudonym) ' 118; 119 Front National * Siehe FN HAMAS * 114; 200; 206; 208 FSB * 222; 223 Hamburger Kreis * 89; 90 FVB * 19; 49; 59 Hamburger Liste für Ausländerstopp * SieFZ-Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenhe HLA verlag GmbH * 74 Hamburger Nationaldemokraten (HN) ' 84 Hamburger Sturm * 44; 59; 60; 62 G 1 Hammerskins * 41 ; 44 HANSEN, Wiebke "219 Gamaat Islamiya ' 208 HARDER, Ulrich * 76; 78; 83; 84 gegen den ström "146 Hatewatch Germany 1997 "216 Gegenstandpunkt * 159 Heide-Heim e.V. * 93 Geheimschutz * 226 HEISE, Thorsten * 50; 53 im Behördenbereich * 226 Heldengedenktag "61 in der Wirtschaft * 227 HEPP/KEXEL-Gruppe * 45 Gentechnik * 104 HESS * 49; 50; 54; 60; 62; 65; 66; 67; 68; Gentechnologie "119 83 Germania-Rundbrief* 97 HESS, Rudolf (Aktionsanlaß, GedenkakGesellschaft für biologische Anthropolotionen usw.) * Siehe Stichwort "HESS" gie, Eugenik und Verhaltensforschung Hetendorf * 60; 93 e.V. * Siehe GfbAEV Hilfsorganisation für nationale politische Gesellschaft für freie Publizistik * Siehe Gefangene und deren Angehörige e. V. * GfP Siehe HNG Gewaltbereite Linksextremisten * 105 Hisbollah * 200 Gewaltfreie Aktionsgruppen "127 HIZB ALLAH * 200; 201; 206 Gewerkschaft Naturkost-LandwirtschaftHLA * 28; 84 Lebensmittelindustrie (GNLL) * 126 HLA-Nachrichten * 84 GfbAEV * 93 HNG * 49; 53; 56 GfP "71; 92 Hochschul-Antifa "116; 132 GIA'114; 165; 208 HOGEFELD, Birgit * 113 GIM*158 HOLTMANN, Udo * 78 -258- Hooligans * 28 IVVdN" 155 HUBBARD * 210; 211; 212; 213; 214; 216 herbedevaart * 95 HUPKA, Steffen * 77 IZH * 201; 202; 207 Izzedin-al-Kassem-Brigaden * 206 I I.f.A. * 73 J IAS"214;219 Jamaat al-Islamiya * 208 ICCB"183;196;197 Jerusalem-Tag * 198; 202; 207 ICL-161 JN * 20; 23; 46; 58; 61 ; 65; 76; 86; 88; 95; IGMG * 183; 194; 196 96; 132; 135 IH" 183; 197 Jobberund Erwerbsloseninitiativen HamIMSF * 151 burg * 128 MSV * 203; 205 JUKO * 154 Infogruppe Hamburg "123 Junge Freiheit'%9; 90; 91 Initiative für Ausländerbegrenzung * Siehe Junge Nationaldemokraten * Siehe JN I.f.A. Junges Forum * 89; 90 Initiative gegen Drogenfreigabe * 59; 63; 88 Interim103; 112; 115; 118; 122; 123; K 141; 142; 144; 145; 147 K&D * 159 International Association of ScientoloK.A.B.E.L.S.C.H.N.I.TT. * 163 gists * Siehe IAS K.O.M.I.T.E.E. * 115 International Socialists (IS) "161 Kameradschaft Fissau "19 Internationale Kommunistische Liga * Kameradschaft Oberhavel * 49 161 Kameradschaft Treptow * 52 Internationale Liga für Menschenrechte * Kameradschaft Wittenberg * 52 176 Kampfgemeinschaft gegen antideutsche Internationaler Schriftstellerund KünstPolitik und für die Wiederherstellung lerbund * Siehe EYSB der Menschenrechte in Deutschland * Internationales Komitee (IKVI) * 162 97 Internet Waffen SS * 99; 100 KAPLAN, Cemaleddin * 196 Iranische Moslemische StudentenKAPLAN, Metin * 196; 197 Vereinigung Bundesrepublik DeutschKAR AT AS, Dursun * 184 land e.V. (IMSV) * Siehe IMSV KARATAS-Flügel (= DHKP-C) * Siehe Irland-Solidarität * 122 DHKP-C Islamische Avantgarden * 208 KÄS, Christian * 70 Islamische Bewegung * Siehe IH KAYPAKKAYA * 190; 192 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. KDP * 176 * Siehe IGMG KEBIR, Rabah * 208 Islamische Heilsarmee * Siehe AIS KfsV * 161 Islamische Heilsfront * Siehe FIS KGAK * 90 Islamischer Heiliger Krieg * 208 KGB * 223 Islamisches Zentrum Hamburg * Siehe IZH KGÖ * 193 Islamisches Zentrum in Münster - FATIME KHAMENEI" 199; 207 Versammlung e.V. * 201 KHATAMI * 200; 201 Islamisches Zentrum Salman Farsi MoKHOMEINI * 198; \99; 200; 202 schee e.V. * 201 mm FAIRSTANDNIS Menschenwürde achten - Gegen Fremdenhall