Verfassungsschutzbericht Hamburg 1993 Freie und Hansestadt Hamburg Landesamt für Verfassungsschutz Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres Landesamt für Verfassungsschutz Johanniswall 4, 20095 Hamburg Auflage: 4.000 Mai 1994 Druck: Schmidt & Klaunig, Ringstraße 19, 24114 Kiel Vorwort Mit dem Verfassungsschutzbericht 1993 legt der Hamburger Verfassungsschutz zum ersten Mal einen umfassenden Bericht über die extremistischen Gruppierungen in Hamburg der Öffentlichkeit vor. Er soll seinen Beitrag zur Information und Meinungsbildung der Bürgerinnen und Bürger über Ziele, Aktivitäten und Potentiale verfassungsfeindlicher Bestrebungen leisten und zugleich die Schwerpunkte des Landesamtes für Verfassungsschutz dokumentieren. Mit seinen auf gesetzlicher Grundlage verankerten Aufgaben und Befugnissen steht der Verfassungsschutz grundsätzlich in einem Spannungsverhältnis zwischen den individuellen Freiheitsrechten der Bürger und den Sicherheitsinteressen einer wehrhaften Demokratie. Aufgaben und Ergebnisse sind kein Selbstzweck, sie dienen vielmehr der Unterrichtung von Regierung, Parlament und Öffentlichkeit über Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaates und sollen zum Schutz der Verfassung durch Aufklärung beitragen. 1993 ist das dritte Jahr in Folge, das durch brutale fremdenfeindliche Gewalt und einen gestärkten Rechtsextremismus gekennzeichnet ist. Ein kurzfristiger Niedergang des menschenverachtenden und menschenverletzenden Rechtsextremismus ist nicht in Sicht. Diese Aufgabe kann von den Sicherheitsbehörden allein nicht bewältigt werden, sie bedarf vor dem Hintergrund unserer Geschichte der breiten politischen und gesellschaftlichen Ächtung der Intoleranz und Gewaltgeneigtheit des Rechtsextremismus in seinen verschiedenen organisatorischen Verästelungen. Die Bürgerschaftswahl am 19. September 1993 hat uns gezeigt, daß es rechtsextremistischen Parteien trotz fehlender organisatorischer Stärke möglich war, 7,6 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sich zu vereinen. Hamburg ist zwar - wie bei der ersten Welle des Rechtsextremismus der 60er Jahre - der Einzug extremistischer Parteien in die Bürgerschaft erspart geblieben, doch bleiben die Ergebnisse Warnung und Herausforderung für alle Demokraten. Die Bedrohung durch fremdenfeindliche Gewalt und einen Rechtsextremismus, der nicht nur aus den alten Unverbesserlichen, ewig Gestrigen besteht, darf nicht die Augen davor verschließen, daß es immer noch Extremismus, Militanz und Terrorismus durch verfassungsfeindliche linksextremistische Bestrebungen gibt. Der deutlich geschrumpfte organisierte Linksextremismus ist zwar spätestens seit dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialis- 3 unverändert Träger militanter und terroristischer Ideologiekonzepte nach Resonanz und Unterstützung für ihre Bekämpfung des demokratischen Rechtsstaats. Dabei spielt der stärker gewordene Rechtsextremismus als Anknüpfungsthema eigener Ziele und Aktivitäten eine wichtige Rolle mit der Gefahr einer gegenseitigen militanten Aufschaukelung. Sicherheitsgefährdende Bestrebungen ausländischer Extremisten haben 1993 unseren Bürgerinnen und Bürgern erneut dramatisch vor Augen geführt, daß innenpolitische Konflikte oder Kriege anderer Staaten die politischen Aktivitäten und Gewalttätigkeiten der in der Bundesrepublik lebenden Anhänger und Gegner bestimmen. Die militärischen Auseinandersetzungen in der Osttürkei haben zu einer Radikalisierung und Eskalation der Auseinandersetzung in der Bundesrepublik geführt. Der demokratische Rechtsstaat stellt sich dieser gewalttätigen Herausforderung entgegen. Den Nährboden und die Ursachen der Eskalation ausländischer verfassungsfeindlicher Bestrebungen kann er damit nicht beseitigen. Hamburg, im April 1994 Werner Hackmann Senator der Behörde für Inneres 4 INHALTSVERZEICHNIS SEITE AUFGABEN UND STRUKTURDATEN DES LANDESAMTES FÜR VERFASSUNGSSCHUTZ RECHTSEXTREMISMUS ALLGEMEINE SITUATION 1993 12 Grundlagen und Formen des Rechtsextremismus 25 BESONDERE ENTWICKLUNGEN UND EREIGNISSE Vernetzungen im deutschen Rechtsextremismus 32 Anti-Antifa 39 Das "Deutsche Rechtsbüro" 42 Ideologie und Erscheinungsformen der "Neuen Rechten" 45 Die Revisionismus-Kampagne 49 Rechtsextremistisch und fremdenfeindlich motivierte Straftaten 54 Rechtsterrorismus 59 IN HAMBURG VERTRETENE RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 63 Deutsche Volksunion (DVU) 65 Die Republikaner (REP) 71 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 78 Hamburger Liste Ausländerstopp (HLA) 80 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 82 und Nebenorganisationen Nationale Liste (NL) 88 MILITANTE RECHTSEXTREMISTEN: INSBESONDERE SKINHEADS 95 LINKSEXTREMISMUS ALLGEMEINE SITUATION 1993 100 BESONDERE ENTWICKLUNGEN UND EREIGNISSE Aktivitäten von Linksextremisten gegen die Änderung des Asylrechts 111 Bestrebungen autonomer "Antifaschisten" zum Aufbau einer bundesweiten Organisation 114 Linksextremistisch motivierte Straftaten 116 LINKSTERRORISMUS Die Spaltung der RAF und die Entwicklung innerhalb des RAF-Umfeldes118 IN HAMBURG VERTRETENE LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND ORGANISATIONEN Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 128 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) 132 Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK) 132 Ex-KB-Mehrheit 133 Gruppe K 134 Marxistisch-leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 134 Trotzkisten 135 Vereinigte Sozialistische Partei (VSP) 136 Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg (VF) 137 ANARCHISTEN. AUTONOME UND SOZIALREVOLUTIONÄRE IN HAMBURG Allgemeines 138 Situation der St. Pauli Hafenstraße 140 Die Rote Flora 141 Proteste gegen die Stadtteilentwicklung 143 Autonome Antifa-Arbeit 145 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN ALLGEMEINE SITUATION 1993 152 AKTIVITÄTEN EINZELNER NATIONALITÄTEN IRANER 154 Anhänger der iranischen Regierung 154 Gegner der iranischen Regierung 156 7 ARABER 157 159 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 159 Föderation der Arbeitervereine aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (KOMKAR) 164 TÜRKEN 165 Devrimci Sol 165 TKP/M-L 167 ISLAMISCHER EXTREMISMUS Allgemeines 168 Die türkische "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) 169 Die "Islamische Bewegung" 170 STICHWORTVERZEICHNIS 171 8 * Aufgaben und Strukturdaten des Landesamtes für Verfassungsschutz Die Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz werden in SS 3 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Februar 1978 beschrieben. SS3 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Sammlung und Auswertung von Auskünften, Nachrichten und sonstigen Unterlagen über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht im Geltungsbereich des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes vom 27. September 1950 mit der Änderung vom 7. August 1972 (Bundesgesetzblatt I 1950 Seite 682, 1972 Seite 1382) in der jeweils geltenden Fassung, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Bundesgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, 9 die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich dienstlich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Die Novellierung des Gesetzes mit der Anpassung an die Entwicklung des Datenschutzrechts befindet sich in der parlamentarischen Beratung und wird zu einer Präzisierung der Rechtsgrundlagen für die Erhebung und Verarbeitung von personenbezogenen Informationen durch das Landesamt für Verfassungsschutz führen. Unverändert bleiben die bundeseinheitlich geregelten Aufgaben der Extremismusbeobachtung, Spionageabwehr sowie der Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen. Der Verfassungsschutzbericht 1993 gibt Aufschluß über Tätigkeitsbereiche des Landesamtes für Verfassungsschutz, beschreibt sie in den Schwerpunkten der Extremismusbeobachtung mit den Zusammenhängen und Ergebnissen. Der Bericht verzichtet auf eine Darstellung der Aufgaben und Ergebnisse der Aufgabenfelder Spionageabwehr und Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen. Die Gesetze kennen die Begriffe "extremistisch" und "verfassungsfeindlich" nicht. In den Zuständigkeitsbereich des Hamburger Verfassungsschutzes fallen Organisationen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, daß sich ihre Bestrebungen "gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes" richten. Organisationen oder unorganisierte Personenzusammenhänge, die diese Voraussetzungen erfüllen, werden mit dem Arbeitsbegriff "extremistisch" bezeichnet, der auch in der öffentlichen Darstellung und Auseinandersetzung seinen Niederschlag gefunden hat. Der Verfassungsschutz unterscheidet damit bei der Darstellung der Organisation und der Benennung ihrer Mitgliederzahlen nicht zwischen Organisationen, die zunächst nur "tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht" bieten und denen, zu denen Gerichtsentscheidungen vorliegen, die von "verfassungsfeindlichen Bestrebungen" sprechen oder gar von verbotenen Organisationen, deren "Verfassungswidrigkeit" gesetzlich und gerichtsfest geregelt ist. 10 Zur Verbesserung der Arbeit der Verfassungsschutzbehörden haben sich die Innenminister und -Senatoren der Länder am 22. Mai 1992 dafür ausgesprochen, Strukturdaten der Verfassungsschutzbehörden zu veröffentlichen. 1. Der Haushaltsplan 1993 weist für das Landesamt für Verfassungsschutz 167,5 Stellen aus. 2. Der Haushaltsansatz ohne Personalkosten und abzüglich der Einsparungen betrug für das Landesamt für Verfassungsschutz 1993 5.812.000 DM. 3. Durch das Landesamt für Verfassungsschutz waren am 31.12.1993 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 13.137 Personen erfaßt, davon 33,01 Prozent im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen. Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen, sicherheitsgefährdende Aktivitäten und im Rahmen der Mitwirkungsaufgabe Sicherheitsüberprüfung. Instrument der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden sind unter anderem gemeinsame Dateien. Die "klassische" gemeinsame Datei im Sinne des SS 6 BVerfSchG ist die Personenzentraldatei (PZD) des Nachrichtendienstlichen Informationssystems (NADIS). Sie ist eine grundsätzlich allen Verfassungsschutzbehörden zur Verfügung stehende Sammlung von Hinweisen auf Unterlagen, die personenbezogene Informationen enthalten. Jede Behörde speichert in eigener Verantwortung biographische Daten und das Aktenzeichen der betreffenden Unterlage. Gespeichert wird im Zusammenhang mit Personalien lediglich eine Fundstellenangabe der Akten, nicht die eigentliche Information. Die PZD soll es im konkreten Bedarfsfall ermöglichen, festzustellen, ob eine Person bereits früher im Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung bekannt geworden ist. Das Nutzen der Informationen aus den Unterlagen ist ein von der PZD unabhängig, konventionell ablaufender Vorgang. Die PZD-Auskunft bedeutet nicht, daß "belastende" Informationen vorliegen. Dieses gilt unter anderem für die überwiegende Zahl der Personen, an deren Sicherheitsüberprüfung die Verfassungsschutzbehörden mitgewirkt haben und zu denen keine sicherheitsrelevanten Informationen vorliegen. Zugriff zu gespeicherten Daten haben ausschließlich die Verfassungsschutzbehörden. Sie sind verpflichtet, nach bestimmten Fristen die Relevanz gespeicherter Daten zu prüfen und diese ggf. zu löschen. Die Beachtung von Prüfungsund Löschungsfristen wird von den Datenschutzbeauftragten kontrolliert. 11 RECHTSEXTREMISMUS ALLGEMEINE SITUATION 1993 Seit dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" in Europa und der Wiedervereinigung Deutschlands ist in der Bundesrepublik eine Verschiebung in der gesellschaftlichen und politischen Bedeutung der politischen Extreme zugunsten des Rechtsextremismus spürbar. Dieser Wandel setzte sich 1993 fort. Die gesellschaftliche Entwicklung in der Bundesrepublik und die rasanten Veränderungen in Europa, die in Teilen der ehemaligen kommunistisch regierten Länder Ostund Südosteuropas eine Renaissance starker nationalistischer Tendenzen hervorbringen, bestärken die deutschen Rechtsextremisten in ihrem Optimismus, von diesem Trend zunehmend zu profitieren. Waren vor 1989/90 die kommunistischen Parteien in der UdSSR und DDR Vorbild und Geldgeber für die politische Arbeit der wichtigsten kommunistischen Organisationen in der Bundesrepublik, könnten in der Zukunft nationalistische Strömungen in europäischen Staaten eine ähnliche Bedeutung für die Rechtsextremisten in der Bundesrepublik bekommen. Diese Entwicklung ist ein Grund dafür, daß die Rechtsextremisten in der Bundesrepublik trotz starker staatlicher Repressionen und fortdauernder innerer Zerrissenheit optimistische Zukunftserwartungen haben. Ein zweiter Grund ist der von ihnen prognostizierte fortschreitende gesellschaftliche und politische Verfall der Bundesrepublik, dessen Symptome die Politikverdrossenheit vieler Bürger, die sich verschlechternden Lebensbedingungen aber auch die harten Repressionsmaßnahmen gegen die extremen politischen Gegner seien. Die Fortschritte des Rechtsextremismus liegen nicht in der personellen Stärkung seiner Organisationen. Gefährlich ist vielmehr die wachsende Akzeptanz seiner Parolen in Bevölkerungsschichten, die bisher nicht mit dem Rechtsextremismus in Verbindung gebracht wurden und die, da sie unstrukturiert, unorganisiert, also anonym sind, in ihrem Umfang und ihren Details schwer erfaßbar sind. Ihr Vorhandensein wird jedoch u.a. deutlich in den 12 Wahlerfolgen rechtsextremistischer Parteien aber auch in der Vielzahl ausländerfeindlicher Straftater, über die bisher keine rechtsextremistischen Erkenntnisse vorlagen. In diesen Bevölkerungsschichten sehen die Rechtsextremisten für die Zukunft ihr Mobilisierungsund Rekrutierungspotential. Daß es gerade den rechtsextremistischen Wahlparteien weiterhin an realistischen politischen Konzepten und Programmen für eine Bewältigung der realen Probleme fehlt, ist für ihre Wähler offenbar ebensowenig von Belang, wie die absolute parlamentarische Wirkungslosigkeit rechtsextremistischer "Volksvertreter" in Landesoder Kommunalparlamenten. Anstelle von Sacharbeit waren rechtsextremistische Fraktionen überwiegend mit sich selbst beschäftigt, was infolge persönlicher und innerparteilicher Querelen sogar zum Bruch etlicher rechtsextremistischer Fraktionen - zuletzt in Bremen und Schleswig-Holstein führte. Die Welle rechtsextremistischer Gewalt verringerte sich gegenüber dem Vorjahr zwar, verblieb jedoch auf einem sehr hohen Niveau. Der Rückgang ist kein Grund zur Entwarnung. Der bisher schwerwiegendste fremdenfeindliche Brandanschlag in Solingen zeigt, daß neuerliche schwerste Gewalttaten mit einer nachfolgenden Gewaltwelle jederzeit wieder möglich sind. Eine zentrale Steuerung rechtsextremistischer Gewalt war auch 1993 nicht vorhanden. Die Straftaten wurden zumeist von örtlichen Straftätern, oftmals spontan und unter Einfluß von Alkohol begangen. Umherreisende rechtsextremistische Gewalttäter wurden nicht festgestellt. Unverändert hoch unter den Gewalttätern war der Anteil von Personen, die bisher als Rechtsextremisten nicht bekannt waren. Organisierte Rechtsextremisten beteiligten sich nur in geringem Maße an den Gewalttaten. Waren im vorangegangenen Jahr die rechtsextremistischen Gewalttaten in den ostdeutschen Ländern noch wesentlich höher als in den westdeutschen Ländern, wurde die Bilanz zwischen Ostund Westdeutschland im Jahre 1993 ausgeglichen. Die staatlichen Organe setzten ihre im Vorjahr nach dem Anschlag in Mölln begonnene konsequente Bekämpfung insbesondere des radikalen und militanten Rechtsextrerriismus durch Organisationsund Veranstaltungsverbote aber auch durch permanente Strafverfolgung fort. Nach den Verboten der neonazistischen Organisationen "Deutsche Alternative" (DA), "Nationalistische Front" (NF), "Nationale Offensive" (NO) und "Deutscher Kameradschaftsbund" (DKB) 1992 wurden mit den regional aktiven Gruppierungen "Freundeskreis Freiheit für Deutschland" (FFD), "Nationaler Block" (NB) und "Heimattreue Vereinigung Deutschlands" (HVD) drei weitere neonazistische Organisation nach dem Vereinsgesetz verboten. Darüber hinaus wurden Anträge auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und damit Verbot der neonazistischen Parteien "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) und "Nationale Liste" 13 (NL) beim Bundesverfassungsgericht gestellt. Beide Verfahren sind noch nicht entschieden. Obwohl durch die Verbote von Kundgebungen und Demonstrationen die öffentliche Selbstdarstellung rechtsextremistischer Organisationen weitgehend unterbunden werden konnte, gelang es nicht, rechtsextremistische Aktivitäten völlig zu verhindern. Durch neue organisatorische Konzepte, durch den verstärkten Einsatz technischer Mittel, wie Faxgeräte, Mobiltelefone, nationale Info-Telefone oder Mailboxen und durch eine verstärkte Zusammenarbeit bisher verfeindeter Personen und Organisationen bemühten sich die Neonazis, sich ihrer vom Staat auferlegten Fesseln zu entledigen und weiter politisch aktiv zu arbeiten. Der Ablauf des "Rudolf-Hess-Gedenkmarsches", bei dem ca. 800 Rechtsextremisten von einem Organisationsstab nach Fulda dirigiert wurden und dort demonstrieren konnten, zeigte den Grad ihrer Mobilität und Organisationsfähigkeit, der sie in die Lage versetzte, in Einzelfällen trotz staatlicher Verbote aktiv zu agieren. Da die Organisationsverbote auch die Gründung von Nachfolgeorganisationen untersagen, sind die Neonazis kaum in der Lage, die bisherigen Gruppierungen durch neue bundesweite Organisationen zu ersetzen. Dieses Manko soll durch eine Vernetzung regionaler Gruppierungen und die punktuelle Zusammenarbeit zwischen Mitgliedern von Organisationen unterschiedlicher rechtsextremistischer Bereiche trotz bestehender Animositäten und Unvereinbarkeitsbeschlüsse zumindest teilweise kompensiert werden. Neben dem Bemühen um eigene politische Aktivitäten haben sich Rechtsextremisten Mittel und Wege ausgedacht, um die staatlichen Stellen zu beschäftigen und möglichst lahmzulegen. So werden beispielsweise verstärkt Demonstrationen angemeldet, wohl wissend, daß keine Aussicht auf Durchführung besteht. Ferner soll eine Flut von Klagen gegen staatliche Maßnahmen, Presseorgane oder Privatpersonen staatliche Stellen blockieren. Haben die Repressionsmaßnahmen des Staates einerseits geholfen, die Kreise der Rechtsextremisten erheblich einzuengen, bergen sie andererseits aber auch unübersehbare Gefahren in sich. Entschlossene, zur Militanz neigende Rechtsextremisten könnten durch die fortdauernden Repression zu dem Ergebnis kommen, daß anstelle legaler politischer Arbeit nur noch Gewalt zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele möglich ist. Auf diese Weise entstünde die Grundlage für einen rechtsextremistischen Terrorismus. Zwar ist ein derartiger Terrorismus konkret noch nicht feststellbar, erste Anzeichen für eine solche Entwicklung sind jedoch sichtbar. So wird in der militanten rechtsextremistischen Szene stärker als früher über ein Widerstandsrecht auch in bewaffneter Form nach Art. 20 Abs. 4 GG nachgedacht oder über die Frage, ob in der Bundesrepublik bereits eine vorrevolutionäre Phase eingetreten ist, 14 diskutiert. Von führenden Neonazis wird in der Öffentlichkeit den staatlichen Organen vorgeworfen, sie trügen die alleinige Verantwortung dafür, wenn ein Terrorismus von rechts, eine "braune RAF" entstehe. Da zugleich immer häufiger Konzepte für die Führung eines bewaffneten Kampfes und Anleitungen zum Bau verschiedener Brandund Sprengkörper in der neonazistischen Szene auftauchen, sind geplante rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten von Einzelpersonen oder kleinen Gruppen künftig nicht mehr auszuschließen. Welche Gefahr eine derartige Entwicklung birgt, wurde durch die Briefbombenattentate Ende des Jahres in Österreich schlagartig deutlich. Dem organisierten Rechtsextremismus gelang es auch 1993 nicht, sein gestiegenes Wählerpotential durch verstärkte Mitgliedschaften an sich zu binden. Die Bereitschaft zum Beitritt in rechtsextremistische Parteien ist eher schwach ausgeprägt. Die Fluktuation der Mitglieder ist teilweise hoch, weil die rechtsextremistischen Parteien die Erwartungen ihrer Mitglieder häufig nicht erfüllen. Insbesondere bei Jugendlichen, die einen überproportional hohen Anteil der Wähler rechtsextremistischer Parteien ausmachen, sind die Mitgliedschaft und insbesondere die aktive Mitarbeit in derartigen Organisationen wenig attraktiv. Alle größeren rechtsextremistischen Organisationen haben ihren Schwerpunkt in den westlichen Bundesländern. Obwohl Organisationen wie die "Republikaner", die DVU, die NPD oder die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) aufgrund der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Probleme in Ostdeutschland und des in der Bevölkerung vorhandenen Unmutes über die politische Entwicklung nach der Wiedervereinigung dort ein stärkeres Reservoir für die Mobilisierung neuer Anhänger erwarteten, gelang es keiner dieser Parteien, in den ostdeutschen Bundesländern ihre Organisation durch flächendeckende Gründungen von örtlichen Verbänden auszubauen und im wesentlichen Maße neue Anhänger zu gewinnen. Gründe dafür sind u.a., daß die ausschließlich von den westlichen Parteizentralen bestimmte Politik bisher kaum Lösungen für die spezifischen ostdeutschen Probleme anbietet und Ostdeutsche in den Führungsgremien der Parteien bisher kaum eine Rolle spielen. Wie gering der Organisationsgrad rechtsextremistischer Wahlparteien in Ostdeutschland auf örtlicher Ebene ist, zeigten zuletzt die Kommunalwahlen in Brandenburg, wo diese Parteien nur in wenigen Wahlbezirken antraten und keine relevanten Ergebnisse erzielten. Obwohl das Wahlergebnis bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg, wo Republikaner und DVU zusammen zwar 7,6 % der abgegebenen Stimmen erhielten, jedoch keine der beiden Parteien in die Bürgerschaft einziehen konnte, den Rechtsextremisten verdeutlichte, daß der Sprung über die "5%-Hürde" nur in gemeinsamen Kandidaturen oder durch Konzentration auf eine rechte Partei 15 erreicht werden kann, hielt die Zersplitterung und die Konkurrenz unter diesen Parteien unvermindert an. Ursache dafür sind die Rivalitäten der Führungspersonen, die durch die Ablehnung einer Zusammenarbeit oder Unvereinbarkeitsbeschlüsse eine Annäherung der wichtigsten rechtsextremistischen Parteien auf Landesoder gar Bundesebene verhinderten. Auf örtlicher Ebene wurde dagegen die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit unterschiedlicher rechtsextremistischer Organisationen erkannt und trotz der bestehenden Hemmnisse durch die Parteiführungen zumindest punktuell in die Praxis umgesetzt. Dabei wurden teilweise Neonazis in die gemeinsamen Aktivitäten einbezogen. Obwohl 1994 mit seinen insgesamt 18 Wahlen für den Rechtsextremismus ein entscheidendes Jahr für die künftige Entwicklung der Bundesrepublik werden wird, zeichnete sich Ende 1993 keine Annäherung der rechtsextremistischen Parteien für eine gemeinsame Kandidatur oder eine umfassende Zusammenarbeit ab. Im Gegenteil, neue Protestparteien könnten den rechtsextremistischen Parteien sogar noch weitere Wähleranteile abwerben. Bundesweit blieben DVU und Republikaner die mitgliederstärksten rechtsextremistischen Parteien. Nach der Bürgerschaftswahl zeichnet sich ab, daß die Republikaner künftig die größten Wahlchancen aller rechtsextremistischen Parteien haben werden. Für die DVU wird es zunehmend schwerer, ihre Wahlerfolge, die ihr den Einzug in die Landesparlamente von Bremen und Schleswig-Holstein brachten, zu wiederholen. Neben diesen beiden größten Parteien haben es die weiterhin stagnierenden Parteien NPD und DLVH schwer, ihre personelle und organisatorische Stagnation und ihre wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu überwinden und zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz zu werden. Gegenüber 1992 sank die Zahl der erkannten Rechtsextremisten im Bundesgebiet im Jahre 1993 um etwa 250 auf etwa 65.450 (1992: etwa 65.700). Aufgrund der Verbote neonazistischer Organisationen verringerte sich die Anzahl der von den Verfassungsschutzbehörden beobachteten rechtsextremistischen Organisationen auf 78 (1992: 83). Die Rechtsextremisten teilen sich (unter Berücksichtigung der Doppelmitgliedschaften) auf in: - etwa 5.600 militante Rechtsextremisten, insbesondere Skinheads, von denen der weit überwiegende Teil keinen festen Organisationsstrukturen angehört. In diesem Bereich wurden lediglich vier feste Personenzusammenschlüsse erfaßt; 16 - etwa 2.450 Neonazis, davon etwa 1.500 in 27 Organisationen und etwa 950 nichtorganisierte Neonazis, darunter etwa 650 ehemalige Mitglieder der seit Ende 1992 verbotenen Organisationen; - etwa 26.000 Mitglieder in drei national-freiheitlichen Organisationen (u.a. DVU); - etwa 5.200 Mitglieder in fünf nationaldemokratischen Organisationen; - etwa 23.000 Mitglieder der Partei "Die Republikaner" (REP); - etwa 4.100 Mitglieder in 38 sonstigen Zusammenschlüssen. Darunter fallen sehr unterschiedliche Organisationen wie die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH), rechtsextremistische Kleinparteien, überwiegend jedoch parteiunabhängige Jugendorganisationen, Kulturund Weltanschauungsorganisationen sowie heidnische und rassistische Gruppierungen. Weiterhin gab es 1993 in der Bundesrepublik 33 rechtsextremistische unabhängige Verlage und Vertriebsdienste, 8 Buchverlage, 18 Zeitungsund Schriftenverlage und 7 Vertriebsdienste. Von rechtsextremistischen Gruppen und unabhängigen Personen und Redaktionskollektiven wurden insgesamt 86 Schriften mit sehr unterschiedlicher Erscheinungsweise und Auflagenzahl herausgegeben. 62 Schriften erschienen mindestens viermal im Jahr. Diese Schriften hatten eine Gesamtauflage von 6.442.000 Exemplaren. Rechtsextremisten - Bund * *65.700 65.450 CH Mitgliedschaften 22.100 22.100 22.100 1981 1082 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1990 1991 1992 1993 *=neu autgenommen Die Republikaner Jahr 17 Unverändert mitgliederstärkster Bereich des Rechtsextremismus bleiben die von dem Münchner Verleger Dr. Frey zentralistisch geführten sogenannten national-freiheitlichen Organisationen, von denen lediglich die Partei "Deutsche Volksunion" (DVU) von Bedeutung ist. In ihrem Bemühen, zur dominierenden Kraft im deutschen Rechtsextremismus zu werden, erlitt sie 1993 einen schweren Rückschlag. Zwar blieb die DVU mit etwa 26.000 Mitgliedern weiterhin die personell größte rechtsextremistische Partei, in der Wählergunst wurde sie bei der Hamburger Bürgerschaftswahl jedoch eindeutig von den Republikanern übertroffen. Diese Entwicklung führte dazu, daß die Führung der DVU ihre Position der Stärke, aufgrund der sie eine Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Organisationen ablehnte, zumindest pro forma aufgab. Statt dessen bemüht sich die DVU nun, - allerdings erfolglos -, um eine engere Kooperation mit den erfolgreicheren Republikanern. Der Vorsitzende der DVU, Dr. Frey, ist selbst im rechtsextremistischen Lager äußerst umstritten. Ihm wird vorgeworfen, er betreibe seine politischen Aktivitäten ausschließlich zur persönlichen Bereicherung. Der ältesten rechtsextremistischen Partei in der Bundesrepublik, der seit 30 Jahren bestehenden NPD, gelang es nicht, sich finanziell und personell zu konsolidieren. Obwohl sie zumindest in Westdeutschland organisatorisch noch immer mit am besten durchstrukturiert ist, hat sie innerhalb des rechtsextremistischen Parteienspektrums auf Bundesebene nur noch eine untergeordnete Bedeutung. Erfolge erzielt sie allenfalls noch auf regionaler Ebene. Ihre Mitgliederzahl stagnierte bei etwa 5.000, dem geringsten Mitgliederbestand in ihrer Parteigeschichte. Ihre desolate finanzielle Situation erlaubte es ihr nicht, starke politische Aktivitäten zu entfalten. Teile ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) versuchten durch militante Aktionen Aufmerksamkeit zu erregen. Vorstandsmitglieder der JN arbeiten mittlerweile offen mit Neonazis zusammen. In ihren ideologischen Abhandlungen bekennen sich die JN zunehmend zu nationalrevolutionären Ideen. Hier ist deutlich eine Hinwendung zu intellektuellen ideologischen Ansätzen der vielfach im studentischen Bereich aktiven "Neuen Rechten" festzustellen. Im Hinblick auf das Wahljahr 1994 mit insgesamt 18 Wahlen haben die Republikaner, trotz stagnierender Mitgliederzahlen bei etwa 23.000, eine dominierende Rolle im deutschen Rechtsextremismus eingenommen. Mittlerweile werden in erheblichen Teilen des Rechtsextremismus den Republikanern die besten Chancen eingeräumt, in die Parlamente einzuziehen und dort "nationale Politik" zu vertreten. Bis in Neonazi-Kreise hinein gibt es Aufrufe, zumindest bei der Bundestagswahl die Stimmen des nationalen Lagers auf die Republikaner zu bündeln. Trotz der Distanzierungsund 18 Abgrenzungsbemühungen der Partei werden die Republikaner von großen Teilen des rechtsextremistischen Spektrums als gemäßigter Bestandteil des nationalen Lagers angesehen. Die Republikaner bemühten sich mit Ausnahme von Niedersachsen bisher vergeblich, juristisch gegen den Beschluß der Ämter für Verfassungsschutz, die Partei bundesweit zu beobachten, vorzugehen. Die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) konnte zwar ihre Mitgliederzahl von 800 auf 900 steigern, ihrem Anspruch als nationale Sammlungsbewegung jedoch in keiner Weise gerecht werden. Als Bündnispartner wird sie von den anderen rechtsextremistischen Parteien kaum akzeptiert. Innerhalb des nicht neonazistischen Parteienspektrums hat die DLVH von den rechtsextremistischen Wahlparteien die geringste Bedeutung. Trotz der Organisationsverbote stieg die Anzahl der Neonazis im Bundesgebiet weiter an. Ende des Jahres umfaßte die Neonaziszene insgesamt etwa 2.540 Personen (1992: 2.200), davon 1.500 Mitglieder in 27 Organisationen und etwa 950 nichtorganisierte Neonazis, davon etwa 650 ehemalige Mitglieder der verbotenen Organisationen. Größte Organisation waren die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei" (FAP) mit etwa 430 Mitgliedern und die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) mit etwa 220 Mitgliedern. Die Verbote mehrerer Organisationen hatten erhebliche Auswirkungen auf die neonazistische Szene. Wegen der Gefahr einer sofortigen Unterbindung ihrer weiteren politischen Arbeit gelang es den Führern der verbotenen Organisationen nicht, ihre Anhängerschaft in neuen überregionalen Gruppierungen zusammenzuhalten. Erschwert wurde die Situation der Neonazis durch ein fast nahtloses Verbot öffentlicher Aktivitäten. Dadurch wurde ihnen die Möglichkeit genommen, ihre Anhänger zu mobilisieren und für eine kontinuierliche Mitarbeit zu aktivieren. Es zeigte sich jedoch schnell, daß durch diese Maßnahme die neonazistische Szene weder personell noch ideologisch ausgetrocknet wurde. Die führenden Köpfe der Neonazis wurden vielmehr gezwungen, zügig neue politische und strategische Konzepte für die Fortführung der politischen Arbeit zu entwickeln. Dabei lehnen sie sich an bereits bestehende Organisationsund Planungskonzepte linksextremistischer Autonomer an. Das neue neonazistische Handlungskonzept der Vernetzung regionaler Gruppen konnte bisher erst in Ansätzen verwirklicht werden. Hemmend wirkten sich die weiterhin vorhandenen Animositäten und Feindschaften unter den neonazistischen Führern aus, die nur punktuell überwunden werden konnten und kontinuierliche gemeinsame Aktionen weiter verhinderten. Darüber hinaus fehlt es an geeigneten Führungspersonen auf regionaler Ebene, die eine kon19 tinuierliche Arbeit vieler regionaler Gruppen über einen längeren Zeitraum überhaupt erst ermöglichen. Trotz ihrer fehlenden Aktionsmöglichkeiten gelang es führenden Neonazis während des gesamten Jahres, durch Auftritte in Funk und Fernsehen und eine Fülle von Interviews in Zeitungen auf sich aufmerksam zu machen und erfolgreiche politische Agitation zu betreiben. Besonderes Aufsehen in der Öffentlichkeit erregte die von dem Hamburger Christian Worch maßgeblich initiierte "Anti-Antifa"-Arbeit, in deren Rahmen nach dem Vorbild autonomer linksextremistischer "Antifaschisten" die politischen Gegner ausgespäht und Informationen über Personen und Objekte veröffentlicht werden, die auch zur Anwendung von Gewalt genutzt werden können. In zahlreichen rechtsextremistischen Broschüren wurden derartige Angaben veröffentlicht. In Einzelfällen wurden veröffentlichte Personen durch Anrufe oder anonyme Schreiben massiv bedroht. Den Höhepunkt erreichte die "Anti-AntifaKampagne" mit dem Erscheinen der ersten zentralen Anti-Antifa-Zeitung "Einblick" im November. Darin sind Angaben über tatsächlich oder vermeintlich linke Personen und Objekte aus nahezu der gesamten Bundesrepublik enthalten. Der "Einblick" wird über ein Postfach in Dänemark vertrieben, das einem Mitglied der "Dänischen Nationalsozialistischen Bewegung" (DNSB) gehört. Der "Einblick" setzt in zweierlei Hinsicht neue Maßstäbe. Zum einen ruft er unverhohlen zur Gewalt gegen den politischen Gegner auf. Zum zweiten wird der Personenkreis der durch die Anti-Antifa-Aktivitäten betroffenen Personen erheblich erweitert. Betroffen sind nunmehr nicht mehr nur aktive, insbesondere autonome linksextremistische "Antifaschisten", sondern sämtliche Personen, die in offensiver Gegnerschaft zu den Rechtsextremisten stehen und daher als "Volksfeinde" betrachtet werden. Die "Anti-Antifa"Tätigkeit birgt die Gefahr einer erheblichen Eskalierung der gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen militanten Linksund Rechtsextremisten, die bereits in der vergangenen Zeit zu vielen Verletzten und sogar Todesfällen geführt hat. Durch die Ausweitung des Betroffenenkreises ergibt sich künftig eine potentielle Bedrohung von Personen, die bisher nicht in die gewaltsamen Auseinandersetzungen verwickelt waren. Das größte und gefährlichste Gewaltpotential des Rechtsextremismus bilden weiterhin die militanten Rechtsextremisten, insbesondere rechtsextremistische Skinheads. Allerdings ging ihre Gesamtzahl im Bundesgebiet im Jahre 1993 erstmals zurück. Sie beträgt nunmehr 5.600. Der Rückgang erfolgte insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern. Skinheads zeichnen sich durch äußerste Brutalität bei ihren Angriffen auf Ausländer, politische Gegner, Obdachlose, Behinderte oder Homosexuelle aus. Bei den gewalttätigen Angriffen gab es eine hohe Anzahl verletzter Personen und mehrere Todesfälle. Die Skinheadszene ist weiterhin wenig strukturiert. Skinheads 20 haben in der Regel keine gefestigten politischen Vorstellungen, sondern sind meist durch einfache politische Parolen rechtsextremistischer Personen beeinflußt. Skinheads haben geringes Interesse an einer kontinuierlichen politischen Arbeit. Sie sind nur in seltenen Fällen Mitglieder politischer Organisationen, bewegen sich aber z.T. befristet im Umkreis neonazistischer Organisationen und können bei geeigneten Anlässen auch gezielt zu Gewalttaten angestiftet werden. Der Zusammenhalt der Skinheadszene, der überwiegend durch die Fanzines, die skinspezifische Musik und Musikkonzerte aufrechterhalten wird, konnte durch behördliche Maßnahmen empfindlich gestört werden. In bundesweiten Aktionen wurden die Herstellung und der Vertrieb von Fanzines sowie von Musikaufnahmen der Skin-Musik unterbunden. Gegen Hersteller, Verleger und Musikgruppen wurden Strafverfahren eingeleitet. Eine Reihe von Skinmusikkonzerten wurde verboten. Abseits des organisierten Rechtsextremismus haben sich Zeitungszirkel, Diskussionsforen, Verlage aber auch burschenschaftliche Bereiche gebildet, die in Anlehnung an das Vorbild der französischen "Nouvelle Droite" unter dem Sammelbegriff "Neue Rechte" zusammengefaßt sind. Sie streben eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus an. Mit ihrer an die "Konservative Revolution" der Weimarer Zeit anknüpfenden Ideologie sind sie sowohl Ideengeber und ideologischer Wegweiser für weite Bereiche des Rechtsextremismus als auch Bindeglied zwischen rechtsextremistischen und nationalkonservativen Kreisen. Darüber hinaus tragen studentische Kreise durch Mailboxen zur Verbesserung der Kommunikation und durch juristische Schulungen zur rechtlichen Absicherung politischer Aktivitäten bei. In zwei Hamburger Burschenschaften wurden rechtsextremistische Tendenzen festgestellt. Ob und inwiefern derartige Ansätze auch in studentischen Verbindungen außerhalb Hamburgs vorhanden sind, läßt sich noch nicht sicher beurteilen. Beherrschende Agitationsthemen des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik bleiben der Nationalismus, der Rassismus, der vielfach Grundlage für die Ausländerfeindlichkeit ist, Antisemitismus und Revisionismus. Der Nationalismus zeichnet sich im Inneren durch antiliberale und antidemokratische Züge, aber auch durch Vorstellungen zu einer nationalen Kulturrevolution aus. Nationalismus beinhaltet auch die Herabwürdigung anderer Völker oder Gebietsansprüche gegenüber Staaten. Dabei gibt es unterschiedliche Variationen, die u.a. vom erneuten Anschluß Österreichs über die Übernahme der ehemaligen Ostgebiete in Polen und Rußland zu Vorstellungen über ein deutsches Reich in den Grenzen von 1914 oder 1938 reichen. Der von den 21 Rechtsextremisten z.T. äußerst aggressiv formulierte Nationalismus schadet dem Ansehen der Bundesrepublik im Ausland. Der Rassismus ist ein besonderes Merkmal des deutschen Rechtsextremismus, der in ähnlich aggressiver Form in anderen Ländern kaum zu finden ist. Noch immer ist die von den Nationalsozialisten aufgestellte Rassenlehre Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie, die besonders im Neonazismus und in rassistischen Weltanschauungsvereinigungen, Zustimmung findet. Der Rassismus moderner Form wird von Rechtsextremisten unter dem Begriff "Ethnopluralismus" verbreitet. Die Grundbegriffe des Rassismus sind in modernere, nicht auf Anhieb erkennbare Formulierungen gekleidet worden, die bis in konservative Kreise hinein Eingang gefunden haben. Seine Grundstrukturen haben sich jedoch kaum gewandelt. Im Jahr 1993 war ein deutlicher Anstieg des Antisemitismus festzustellen. Dieser drückte sich sowohl durch Anschläge auf jüdische Friedhöfe und KZGedenkstätten als auch durch die zunehmende Bedrohung von prominenten Persönlichkeiten jüdischen Glaubens in der Bundesrepublik aus. In den Propagandamaterialien nahezu des gesamten Rechtsextremismus findet sich teilweise in verdeckter, subtiler Form, teilweise in offenen, aggressiven Äußerungen antisemitische Hetze. Ein bedrohliches Anzeichen für das Wiedererstarken des Antisemitismus ist die zunehmende Verbreitung der Weltverschwörungstheorie, die bereits in der Zeit vor dem Nationalsozialismus weit verbreitet und die Grundlage für die Judenvernichtung im Dritten Reich war. In der Weltverschwörungstheorie wird den Juden unterstellt, daß sie die Weltherrschaft anstreben, die sie durch Unterwanderung der einzelnen Staaten erreichen wollen. Sowohl westliche Demokratien als auch der Kommunismus werden als Instrumente der jüdischen Weltverschwörer angesehen. Den Juden wird unterstellt, daß sie die verschiedenen Völker, insbesondere das deutsche Volk, als Rasse vernichten wollen und u.a. für die Zuwanderung von Ausländern nach Deutschland, die damit verbundene Vernichtung der Rassen und damit letztendlich für die Vernichtung der "hochwertigen deutschen Rasse", verantwortlich sind. Ein wichtiges gesellschaftspolitisches Thema für die Rechtsextremisten ist der Revisionismus. Durch den Revisionismus soll der wissenschaftliche Beweis angetreten werden, daß die beschriebenen Gewalttaten der Nationalsozialisten der Propaganda der Siegermächte des 2. Weltkrieges entspringen und nicht der geschichtlichen Wahrheit entsprechen. Kernpunkt des Revisionismus ist die Leugnung der Judenvernichtung und der Existenz von Vergasungseinrichtungen in den Konzentrationslagern im III. Reich. In einer aufwendigen Propaganda wird in Broschüren, Filmen, auf Veranstaltungen, im Ausland auch in Rundfunkund Fernsehsendungen für den Revisionismus 22 geworben. Die Hauptverfechter dieser Thesen befinden sich im Ausland. Der in Kanada lebende Deutsche Ernst Zündel, der von Kanada aus nach eigenen Angaben nahezu weltweit revisonistisches Material versendet und in Rundfunkund Fernsehsendungen verbreitet, der britische selbsternannte Historiker David Irving und der französische Professor Robert Faurisson sind die wichtigsten Vertreter des Revisionismus. In der Bundesrepublik hat der Revisionismus in nahezu allen Bereichen des Rechtsextremismus Anhänger. Für die absehbare Zukunft erhoffen sich die Vertreter des Revisionimus den Durchbruch ihrer geschichtlichen Sicht der Dinge. Sie erwarten dadurch den Zusammenbruch der gesellschaftlichen Grundlagen in der Bundesrepublik, die durch Umerziehung des deutsches Volkes durch die alliierten Siegermächte entstanden. Den Deutschen sei eine selbstzerstörerische Schuld durch die Verfälschung der geschichtlichen Wahrheit auferlegt worden, die bis heute die Deutschen zu Büßern mache und ihr nationales Selbstbewußtsein zerstöre. Obwohl Hamburg keine Hochburg des Rechtsextremismus ist, dürfen das in der Stadt vorhandene rechtsextremistische Potential und seine Einwirkungsmöglichkeiten nicht unterschätzt werden. 396 rechtsextremistische Straftaten wurden im Jahr 1993 in Hamburg erfaßt. Diese Statistik sagt jedoch nichts über das subjektive Bedrohungsempfinden der von diesen Straftaten betroffenen Bevölkerungskreise wie hier lebende Ausländer, jüdische Mitbürger, Behinderte oder vermeintliche oder tatsächliche politische Gegner aus. Nahezu täglich werden Bürger dieser Stadt mit tätlichen Angriffen, mit verbalen Drohungen, mit anonym verteilten Propagandapamphleten oder mit öffentlich angebrachten rechtsextremistischen Hetzparolen oder Nazisymbolen konfrontiert. Die gestiegene Anzahl von Anzeigen derartiger Delikte bei der Polizei zeigt, daß die Bürger sensibilisiert worden sind und derartige Belästigungen nicht mehr hinnehmen. Diese Sensibilisierung der Bevölkerung trägt in erster Linie dazu bei, daß Hamburg in der bundesweiten Statistik der rechtsextremistischen Straftaten weit vorne angesiedelt ist. Tatsächlich ist die Bedrohung durch rechtsextremistische Straftäter in Hamburg nicht höher als in den anderen Teilen des Bundesgebietes. Ein weiterer Hinweis auf die Stärke des Rechtsextremismus in Hamburg ist der Wahlerfolg der rechtsextremistischen Parteien bei der Hamburger Bürgerschaftswahl. Daß weder REP noch DVU in die Bürgerschaft einzogen, lag einzig an der Uneinigkeit im rechtsextremistischen Lager. Zusammen erzielten sie immerhin 7,6 % der abgegebenen gültigen Stimmen, in einigen Bereichen Hamburgs sogar weit über 10 %. Der organisierte Rechtsextremismus ist in Hamburg relativ schwach ausgeprägt. Das liegt zum einen an fehlenden Führungspersönlichkeiten in den größeren Organisationen, zum anderen an der konsequenten Verhinderung 23 öffentlicher Aktivitäten durch anhaltende staatliche Repressionsmaßnahmen und die Übermacht der politischen Gegner, die z.T. auch militant die öffentliche Präsenz von Rechtsextremisten unterbindet. Diese Vorgehensweise insbesondere militanter linksextremistischer Autonomer birgt allerdings das Risiko gewalttätiger politischer Auseinandersetzungen zwischen den politischen Extremen. Durch die von Rechtsextremisten begonnene Anti-Antifa-Kampagne wird diese Gefahr noch erhöht. Die Mitgliederentwicklung rechtsextremistischer Organisationen in Hamburg seit Mitte der 80er Jahre hat zwar zu einer Verdoppelung der Gesamtzahlen von 700 auf 1.400 geführt, erklärt sich jedoch zum Teil aus der Einbeziehung der Partei Die Republikaner und dem Anwachsen der DVU. Der Zuwachs ist jedoch auch das Ergebnis des stärker gewordenen Neonazismus (von 60 auf 100) sowie der Entwicklung der rechtsextremistischen Skinheads. Seit 1991 sind die Gesamtmitgliedschaften konstant geblieben. Die 1993 etwa 1.400 bekannten Rechtsextremisten verteilten sich auf in: etwa 100 rechtsextremistische Skinheads etwa 100 Neonazis davon etwa 30 in der "Nationalen Liste" (NL) und etwa 10 in der FAP unter 700 Mitglieder der DVU etwa 200 Mitglieder der Republikaner etwa 100 Mitglieder der NPD etwa 130 Mitglieder der "Hamburger Liste für Ausländerstopp" (HLA) etwa 30 Mitglieder der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) sowie etwa 200 in sonstigen Organisationen organisierte Rechtsextremisten und unorganisierte Rechtsextremisten. (In der Aufstellung sind Doppelmitgliedschaften berücksichtigt.) Die meisten dieser Organisationen beschränkten sich auf die Abhaltung interner Veranstaltungen. Nur vereinzelt wurden in Hamburg hergestellte Propagandamaterialien verbreitet. In der Öffentlichkeit beachtete Aktivitäten gingen insbesondere von der auf Hamburg beschränkten neonazistischen Partei "Nationale Liste" aus, die durch ihre Zeitung "Index", durch Presseerklärungen, durch ihre bundesweite Mitwirkung an neonazistischen Aktivitäten und durch die häufige Präsenz ihrer führenden Person Christian Worch in den öffentlichen Medien auf sich aufmerksam machte. Neben Worch ist der bei seiner rechtsextremistischen Klientel angesehene Rechtsanwalt Jürgen Rieger einer der wenigen Hamburger Rechtsextremisten mit überregionaler Bedeu24 tung. Die Hamburger FAP richtete im September ein sogenanntes "Nationales Info-Telefon" ein. Die Hamburger Skinheadszene ist weiterhin regional zersplittert mit Schwerpunkten in den Stadtteilen Bergedorf und Bramfeld, Rahlstedt, Farmsen/Berne. Ihre gewalttätigen Aktivitäten waren 1993 rückläufig. GRUNDLAGEN UND FORMEN DES RECHTSEXTREMISMUS Der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik hat sich seit seinen ersten Erfolgen Mitte der sechziger Jahre in seinen ideologischen Grundzügen kaum gewandelt. Charakteristisch ist, daß er über kein geschlossenes wissenschaftliches Lehrgebäude wie etwa der Marxismus-Leninismus verfügt, das durch Schulung vermittelt werden kann. Die rechtsextremistischen Lehrsätze setzen sich aus Fragmenten verschiedener ideologischer Teilbereiche zusammen. Das Fehlen einer geschlossenen Theorie wird durch das im Rechtsextremismus praktizierte Führungsprinzip zumindest teilweise ersetzt. Rechtsextremistische Politik ist weitgehend abhängig vom Willen und den Fähigkeiten der Führungspersonen. Deren politische Grundanschauungen bestimmen die Zielsetzung und die Schwerpunktsetzung der politischen Themen. Die Grundelemente des Rechtsextremismus sind Nationalismus, Verabsolutierung des Staates und völkische Ideologie, in Deutschland in der verschärften Form einer Rassenideologie. Die Aktivitäten rechtsextremistischer Organisationen sind gegen die Verfassung gerichtet. Mit dem Urteil vom 23. Oktober 1952, in dem die Verfassungswidrigkeit der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) festgestellt wurde, hat das Bundesverfassungsgericht die Merkmale beschrieben, die für rechtsextremistische Organisationen kennzeichnend sind: - Die Mißachtung wesentlicher Menschenrechte, besonders die Würde des Menschen, sein Recht auf freie Entfaltung und der Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz. Hintergrund sind die Ideologie des absoluten Primats des Staates vor der Person und die Wiederbelebung des Antisemitismus. - Die Bekämpfung des für eine freiheitliche Demokratie wesentlichen Mehrheitsprinzips. Hintergrund sind die grundsätzliche Verunglimpfung der anderen Parteien als "Systemparteien" und deren Bekämpfung mit dem Ziel, sie auszuschalten. - Der innere Aufbau der Partei, der nicht den Normen der Demokratie entspricht, sondern im Geist des Führerprinzips von oben nach unten durch25 geführt wird. Das Gericht ging von dem allgemeinen Schluß aus, daß eine Partei die Strukturprinzipien, die sie bei sich selber verwirklicht hat, auch im Staat durchsetzen wird. - Die Wesensverwandschaft von Vorstellungswelt und Gesamtstil mit der früheren NSDAP. Hintergrund sind der mythisierte Reichsgedanke, das überhebliche Sendungsbewußtsein, die Vorstellung von deutscher Hegemonie, die sich in Äußerungen führender Funktionäre, in Veröffentlichungen oder Parteiprogrammen rechtsextremistischer Parteien finden. Diese Merkmale gelten nicht in gleichem Maße und in ihrer Gesamtheit für alle Bereiche des Rechtsextremismus. Vielmehr ist eine rechtsextremistische Organisation bereits dann als verfassungsfeindlich anzusehen, wenn sie gegen einzelne fundamentale Verfassungsgrundsätze verstößt. Rechtsextremistische Organisationen versuchen zunehmend, durch offene Bekenntnisse zum Grundgesetz, durch neutral gehaltene, möglichst juristisch unangreifbare Programme und durch Mäßigung in ihrem öffentlichen Auftreten und in ihrer öffentlichen Propaganda aus taktischen Gründen ihre wahren Absichten zu verschleiern. Dies gilt mittlerweile auch für neonazistische Gruppierungen. Diese Taktik erschwert den Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit. Der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik hat in den vergangenen Jahren in seiner Vielfalt zugenommen. Die lange Zeit vorgenommene Einteilung in die Bereiche Neonazismus, nationaldemokratische Organisationen, national-freiheitliche Organisationen, unabhängige Jugendorganisationen oder Kulturund Weltanschauungsorganisationen läßt heute eine treffende Beschreibung nicht mehr zu. Mit den Republikanern und der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) haben sich beispielsweise größere Organisationen gebildet, die sich aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte nicht in dieses Schema einordnen lassen. Aufgrund weitgehend übereinstimmender politischer Positionen ist eine derartige Einteilung eher willkürlich geworden und entspricht eher den Egoismen der jeweiligen Führungen. Abseits vom organisierten Rechtsextremismus hat sich aus Theoriezirkeln, Zeitungen, Verlagen aber auch Burschenschaften ein intellektueller Rechtsextremismus herausgebildet, der mit dem Begriff "Neue Rechte" unzureichend umschrieben wird. Diese intellektuelle "Neue Rechte", die sich weitgehend auf die Ideologie der "Konservativen Revolution" aus der Weimarer Republik stützt, ist zum einen Ideengeber und Vordenker des Rechtsextremismus und zum anderen Bindeglied zum nichtextremistischen nationalkonservativen Spektrum geworden. Dadurch werden modern geprägte Begriffe und Ideen der "Neuen Rechten", die nicht ohne weiteres als rechtsextremistisch zu erkennen sind, bis in demokratische Bereiche hineingetragen. Diese Entwicklung trägt 26 mit dazu bei, verdeckte rechtsextremistische Ideologien in nichtextremistischen Gesellschaftsschichten hoffähig zu machen. Eine pauschale Einstufung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik als neonazistisch oder faschistisch ist unzulässig. Die verschiedenen Bereiche des Rechtsextremismus unterscheiden sich zumindest teilweise in ihren Aktionsformen aber auch in ihrer politischen Ausrichtung, so in ihrer Stellung zum National-sozialismus. Der Neonazismus unterscheidet sich vom sonstigen Rechtsextremismus durch unverhohlenen Radikalismus und öffentlichen Aktionismus, der die Begehung von Straftaten einbezieht. Neonazismus ist die radikalste Form des Rechtsextremismus, etliche seiner Anhänger bezeichnen sich selbst als "ultraradikale Rechte". Die Neonazis knüpfen mit ihren Vorstellungen an Weltanschauung, Programm und Machtanspruch des Nationalsozialismus an. Für die weit überwiegende Mehrheit von ihnen ist Adolf Hitler die beherrschende Leitfigur. Eine Minderheit orientiert sich an der Sozialrevolutionären Frühform des Nationalsozialismus, die insbesondere von den Gebrüdern Strasser repräsentiert wurde. Diesem neonazistischen Flügel gehören insbesondere die Anhänger der verbotenen "Nationalistischen Front" (NF) an. Die Neonazis übernehmen die symbolischen Elemente des Nazismus, insbesondere das Hakenkreuz, und erstreben eine Neukonstituierung nationalsozialistischer Organisationen. Wegen der verschärften Anwendung der einschlägigen strafrechtlichen Bestimmungen werden diese Symbole und Hinweise auf dieses politische Ziel zumeist nur noch anonym ohne mögliche Zuordnung zu einer Organisation verwendet. Offene Werbung für den Nationalsozialismus erfolgt fast ausschließlich aus dem Ausland, insbesondere durch die von Gary Lauck geführte NSDAP-AO aus den USA, die über enge Kontakte zu deutschen Neonazis verfügt und deren Propagandamaterialien in erheblichem Umfang in der Bundesrepublik verbreitet werden. Die Neonazis bekämpfen die demokratische Staatsform der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel ihrer Vernichtung. An ihre Stelle soll eine totalitäre Regierungsform mit Führer-Gefolgschaftsprinzip nach dem Vorbild des Dritten Reichen treten. Die Neonazis vertreten rassistische Ideen, insbesondere in Form des Antisemitismus und aggressiver Ausländerfeindlichkeit. Sie leugnen die Greueltaten des Nationalsozialismus. Die neonazistischen Aktivisten sind zumeist junge Menschen, die nach dem zweiten Weltkrieg geboren sind und den Nationalsozialismus selbst nicht erlebt haben. Vereinzelt sind auch noch alte Nationalsozialisten aktiv. 27 In der Bundesrepublik gibt es keine einheitliche neonazistische Bewegung, weder als bundesweite übergreifende Organisation noch als ideologische Bewegung. Diese Zerrissenheit, die im Grunde genommen für den gesamten Rechtsextremismus symptomatisch ist, hat mehrere Gründe. Ihm fehlt es an einem langfristig angelegten realistischen Programm mit Handlungsanweisungen für die sich rasch verändernde moderne Gesellschaft, das zur Schulung und politischen Festigung der Anhänger und als permanente Aktionsgrundlage dienen könnte. Es gibt zuwenig qualifizierte Personen, die einerseits in der Lage sind, systematische politische Schulungen durchzuführen und andererseits die Fähigkeiten oder das Interesse haben, sich intensiv für politische Dinge zu interessieren und die politischen Inhalte zu verinnerlichen. Die große Masse der Neonazis aber auch anderer Rechtsextremisten sind in geringem Maß politisierte Mitläufer, die dadurch aber nicht minder gefährlich sind. Das Funktionieren des Systems des Neonazismus hängt vom Bestehen einer herausragenden, unumstrittenen Führungsperson ab, die das blinde Vertrauen ihrer Anhänger genießt und ein richtungsweisendes Programm vorweisen kann. Eine derartige Führungsperson fehlt in der Bundesrepublik. Statt dessen fühlt sich eine Reihe von Aktivisten zum "Führer" berufen und sorgt so für Konkurrenzkämpfe, Abgrenzungen und Spaltungen innerhalb des neonazistischen Lagers. Den bisher weitestgehenden Einfluß im neonazistischen Lager hatte der verstorbene Michael Kühnen. Die um seine Homosexualität geführte Debatte bewirkte eine tiefe Spaltung seiner Anhängerschaft, die bis heute nicht überwunden werden konnte. Bis zur Verbotswelle Ende 1992/1993 hatte sich eine Vielzahl regionaler und überregionaler Organisationen, teilweise in Form von Parteien mit sehr unterschiedlichen Mitgliederzahlen und stark differierender Bedeutung und Lebensdauer gebildet. Nach den Verboten in den letzten beiden Jahren sind als bedeutende neonazistische Organisationen lediglich die Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) und die auf Hamburg begrenzte Nationale Liste (NL) sowie die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) übrig geblieben. Gegen beide genannten Parteien liegen mittlerweile Verbotsanträge beim Bundesverfassungsgericht vor. Von den 1993 neugegründeten Organisationen haben sich bislang die in Rheinland-Pfalz ansässigen "Deutschen Nationalisten" (DN), die sich um eine überregionale Ausdehnung bemühen, und das in Ostdeutschland von abgespaltenen NF-Mitgliedern gegründete "Förderwerk Mitteldeutsche Jugend" (FMJ), das mittlerweile auch unter der Bezeichnung "Direkte Aktion/Mitteldeutschland" (JF) auftritt, stabilisieren können. Den ältesten noch bestehenden Teil des deutschen Rechtsextremismus bilden die sich selbst nationaldemokratisch nennenden Organisationen: Die "National28 demokratische Partei Deutschland" (NPD), deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) und deren Studentenorganisation "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB). Obwohl die Wurzeln der Nationaldemokraten bis zu Vorgängerorganisationen in der Zeit kurz nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs zurückgehen und an der Gründung der Partei NPD im Jahre 1964 ehemalige Nationalsozialisten beteiligt waren, berufen sich die Nationaldemokraten ideologisch nicht auf den Nationalsozialismus. Allerdings leugnen sie dessen Verbrechen. Ausgangspunkt jeglicher nationaldemokratischer Politik ist ein Staatsbegriff, der sich auf eine rassisch geprägte Volkstumsideologie gründet. Konstitutiv ist ferner die Weigerung, die historisch-politischen Gegebenheiten nach Beendigung des II. Weltkriegs anzuerkennen. Die Partei, die ihren Höhepunkt 1969 mit etwa 28.000 Mitgliedern hatte und damals nur knapp den Einzug in den Bundestag verfehlte, hat den vorläufigen Tiefpunkt ihrer Parteigeschichte erreicht. Im Gegensatz zu den Neonazis ist die NPD bemüht, ihr rechtsextremistisches Gedankengut zu verschleiern. Zum nationaldemokratischen Organisationsspektrum zählt auch die auf Hamburg begrenzte Partei "Hamburger Liste für Ausländerstopp" (HLA), die 1982 von Teilen der Hamburger NPD für eine Beteiligung an der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft gegründet wurde. Diese Abspaltung von der NPD hatte rein taktische und persönliche Gründe, erfolgte nicht aufgrund politischer oder ideologischer Differenzen. Die enge Nähe beider Parteien zeigt sich insbesondere darin, daß der Vorsitzende des Landesverbandes Hamburg der NPD auch Vorsitzender der HLA ist. Mitgliederstärkster Bereich im deutschen Rechtsextremismus sind die sich selbst "national-freiheitlich" nennenden Organisationen des Müncheners Verlegers Dr. Gerhard Frey. Der von Dr. Frey absolutistisch geführte "national-freiheitliche Gesamtkomplex" besteht aus dem 1971 gegründeten Verein "Deutsche Volksunion" (DVU) mit seinen sechs Aktionsgemeinschaften sowie der Partei "Deutsche Volksunion" (DVU), die 1987 unter dem Namen "Deutsche Volksunion - Liste D" (DVU-Liste D) gegründet wurde. Kraft Satzung sind die Mitglieder des Vereins und der Aktionsgemeinschaften auch Mitglied der Partei, sofern sie dieses nicht ausdrücklich ablehnen. In ihrem Ursprung sind die "National-freiheitlichen" eine Abspaltung der NPD. Dr. Frey hatte vor Gründung des Vereins DVU hohe Funktionen im Bundesvorstand der NPD. Die weit überwiegende Mehrzahl der Mitglieder ist nach dem politischen Konzept der Parteiführung politisch inaktiv, um eine unliebsame Opposition in den Organisationen zu verhindern. Sie beschränken sich zumeist auf das Abonnieren der Wochenzeitungen des Dr. Frey, der Entrich29 , tung von Beiträgen und Spenden und den Erwerb von Gedenkmedaillen, Schallplatten, Kassetten und Büchern mit rechtsextremistischem Inhalt von dem von Dr. Freys Ehefrau betriebenen "Freiheitlichen Zeitungsverlag GmbH". Für diese Artikel wird in der Wochenzeitung des Dr. Frey "Deutsche NationalZeitung (DNZ) und "Deutscher Anzeiger" (DA) massiv geworben. Finanzielle Aspekte sind bei den politischen Ambitionen des Dr. Frey von Bedeutung. Die "national-freiheitlichen" Organisationen haben keine eigene Ideologie entwickelt. Grundthemen sind die von einem rassistischen Volksverständnis gegen die Überfremdung des deutschen Volkes ausgehende ausländerfeindliche Propaganda, ein früher aggressiver, heute subtilerer Antisemitismus und ein stark ausgeprägter Nationalismus, der sich in Beschimpfungen vermeintlich deutschfeindlicher Staaten und Gebietsforderungen insbesondere gegenüber Polen, aktuell auch im Zusammenspiel mit Schirinowski, ausdrückt. Außerdem werden deutsche Kriegsschuld und Verbrechen des Dritten Reiches permanent geleugnet. "Die Republikaner" (REP) sind die einzige rechtsextremistische Partei, die aus demokratischen Wurzeln hervorgegangen ist. 1983 als CSU-Abspaltung entstanden und seit der Übernahme des Parteivorsitzes durch Franz Schönhuber auf deutlichem Rechtskurs, komplettieren die REP als "nationalpopulistische" Partei das rechtsextremistische Spektrum. Die REP sind - und dies gilt für alle rechtsextremistischen Parteien - keine Programmsondern eine Weltanschauungspartei. Im Vergleich zu anderen rechtsextremistischen Parteien, wie der NPD, steht jedoch nicht ein geschlossenes politisch-ideologisches Konzept im Vordergrund, sondern ein massenwirksamer, rechter Populismus, der darüber hinwegtäuschen soll, daß die REP politisch nicht viel zu bieten haben. Der demagogische, auf das Schüren von Emotionen gerichtete Populismus Schönhubers lebt statt dessen von Feindbildern und "Anti"-Effekten, von der Vereinfachung komplexer politischer Problemfelder und dem Schüren von Ressentiments gegen die demokratischen Institutionen und seine führenden Repräsentanten, die einer "deutschfeindlichen" Politik bezichtigt werden. Der REP-Chef stilisiert sich zum "Erneuerer Deutschlands" hoch, der historisch berufen sei, Deutschland zu "retten". Der "völkisch-kollektivistische" Nationenbegriff und ein autoritäres Staatsverständnis stehen - wie bei NPD oder DVU - im Mittelpunkt des politischen Denkens und Handelns. Die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) wurde als nationale Sammlungsbewegung von abgespaltenen Anhängern der NPD und der Republikaner im Jahre 1991 unter dem Namen "Deutsche Liga" (DL) gegründet. Ihr ist nicht gelungen, sich eigenständige politische Positionen zu erarbeiten und sich programmatisch von konkurrierenden rechtsextremistischen Parteien zu unterscheiden. Das Parteiprogramm enthält sprachliche 30 und ideologische Anlehnungen an das Programm der NPD. Ihre Agitationsthemen entsprechen denen der anderen rechtsextremistischen Organisationen. Neben der Partei besteht der "Förderverein Vereinigte Rechte", der seine Aufgabe in der Wahrung, Pflege und Förderung deutscher Interessen insbesondere durch die Förderung eines Zusammenschlusses nationaler Parteien und Verbände zu einer gemeinsamen Wahlpartei sieht. Neben den genannten rechtsextremistischen Organisationen gab es Ende 1993 38 weitere mit zusammen etwa 4.100 Mitgliedern. Bei ihnen handelt es sich um ein Sammelsurium von Organisationen unterschiedlichster Ausrichtung mit teils regionaler, teils überregionaler Bedeutung. Zu ihnen gehören rechtsextremistische Kleinstparteien aber auch Organisationen, die sich mit Kultur, Traditionspflege und Weltanschauungen beschäftigen. Die Aktivitäten dieser Vereine beschränken sich zumeist auf die Durchführung von internen Veranstaltungen und mehrtägigen Seminaren, auf denen z.T. prominente Referenten Vorträge halten. In einigen dieser Organisationen werden offen rassistische und antisemitische Thesen vertreten. Größte dieser Organisationen ist die "Gesellschaft für freie Publizistik" (GFP) mit etwa 420 Mitgliedern. Die GFP ist eine 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Funktionären gegründete Organisation, die die NS-Verbrechen rechtfertigt und NSFührungspersonen glorifiziert. Zu den größeren Organisationen gehören weiter - die "Deutsche Kulturgemeinschaft Europäischen Geistes " (DKEG) mit dem Charakter eines national-völkischen Kulturvereins, - die "Deutsche Kulturgemeinschaft" (DKG) mit ähnlicher politischer Ausrichtung, - die "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" (GfbAEV), die die Erhaltung der biologischen Substanz der nordischen Rasse anstrebt, - der "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V.", der die antiparlamentarische, rassistische und antisemitische Weltanschauung der Mathilde Ludendorff vertritt; - der "Freundeskreis Ulrich von Hütten e.V., der in seinen Veröffentlichungen die Bundesrepublik Deutschland verunglimpft und gegen das Prinzip der repräsentativen, parlamentarischen Demokratie agitiert; 31 - die "Deutsch-Europäische Studiengesellschaft" (DESG), eine Gruppe der "Neuen Rechten", die das Forum für Vortragsund Diskussionsveranstaltungen u.a. für theoretische Erörterungen gesellschaftlicher Zukunftsperspektiven aus rechtsextremistischer Sicht stellt. Die überwiegende Anzahl dieser Organisationen hat weit weniger als 100 Mitglieder. Bedeutendste parteiunabhängige Jugendorganisation ist die "Wiking-Jugend" (WJ) mit bundesweit etwa 400 Mitgliedern. Sie bezeichnet sich selbst als "volkstreue nordländische Jugendbewegung" und empfindet sich im Rahmen der von ihr vertretenen "völkisch-germanischen Nordland-Ideologie" als "herauszubildende Elite". Sie propagiert die elitäre nordische Rasse. Die WJ arbeitet mit verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen, u.a. der NPD und der FAP, zusammen. Sie beteiligt sich an der Organisation rechtsextremistischer Veranstaltungen. Die Hauptaktivitäten der WJ liegen in der Durchführung von Jugendlagern und Fahrten, in deren Rahmen paramilitärische Übungen und ideologische Schulungen durchgeführt werden. Der WJ ist es gelungen, in Ostdeutschland Anhänger zu gewinnen. BESONDERE ENTWICKLUNGEN UND EREIGNISSE VERNETZUNGEN IM DEUTSCHEN RECHTSEXTREMISMUS Seit Anfang der 90er Jahre sind im deutschen Rechtsextremismus Ansätze zur Vernetzung erkennbar. Bestimmten in der alten Bundesrepublik Zersplitterung und persönliche Animositäten das Bild des Rechtsextremismus, so sind seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten Tendenzen zu engerer Zusammenarbeit unübersehbar. Zwar sind Vernetzungsansätze im Rechtsextremismus auf den ersten Blick ein Widerspruch in sich selbst, weil festgefügte Organisationen und strenge Hierarchien bislang geradezu zum ideologischen Rüstzeug der Rechtsextremisten gehörten, gleichwohl macht es unter den geänderten politischen Rahmenbedingungen für Rechtsextremisten durchaus Sinn, neue, unkonventionelle Organisationsund Agitationsformen 32 zu suchen. Daß derartige Bemühungen vor allem von führenden neonazistischen Funktionären vorangetrieben werden, erklärt sich aus dem starken Druck, dem ihre Organisationen sowohl von Seiten des Staates als auch der politischen Gegner ausgesetzt sind. Die Anfänge dieser Entwicklung liegen in der ersten Hälfte des Jahres 1992. Erste Auslöser waren der erstinstanzliche Freispruch im Prozeß gegen die beiden Täter, die den Neonazi Rainer Sonntag in Dresden auf offener Straße erschossen hatten und die Ermordung eines Mitgliedes der Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH) in einem Lokal in Berlin vermutlich durch Ausländer. Diese Ereignisse sowie weitere gewalttätige Angriffe hinterließen bei zahlreichen Rechtsextremisten den Eindruck, persönlich ernsthaft gefährdet zu sein. Da etliche Neonazis eine Ausweitung linksextremistischer Angriffe zu bürgerkriegsähnlichen Verhältnissen erwarteten, entschlossen sie sich zum Aufbau einer Art Selbstschutz. In dieser Situation entwickelte der "Chefideologe" der Hamburger "Nationalen Liste" (NL), Christian Worch, ein Konzept, das unter der Bezeichnung "Anti-Antifa" eine gemeinsame rechtsextremistische Basis für den Kampf mit dem politischen Gegner schaffen sollte. In der Ausgabe August 1992 ihrer Zeitung "Index" veröffentlichte die NL unter dem Begriff "Anti-Antifa" erste Informationen zu diesem Projekt. Es wurde dazu aufgerufen, Informationen über "Linke" zu sammeln, um bei erneuten linksextremistischen Angriffen die Täter identifizieren und somit dem Zugriff der Polizei ausliefern zu können. Zugleich wurden mit der Anti-Antifa "gleiche Kampfbedingungen" geschaffen, d.h. die Rechtsextremisten eröffneten sich die Möglichkeit, den politischen Gegner mit dessen "eigenen Waffen" zu bekämpfen (s. auch Kap. Anti-Antifa). Über diese "Feindaufklärung" durch Sammlung von Daten und deren interne Verbreitung hinaus besitzt das Projekt Anti-Antifa jedoch noch eine zweite, strategisch zumindest gleichrangige Komponente. Nach den Vorstellungen Worchs soll mit der Anti-Antifa die Grundlage zur Schaffung einer rechtsextremistischen "Einheitsfront" gelegt werden. Aus der Einrichtung regionaler, organisationsübergreifender Aktionsgemeinschaften und deren Vernetzung soll sich allmählich eine "Volksfront von rechts" (Worch) entwickeln. Ähnlich wie das Thema Antifa-Arbeit für den Bereich des Linksextremismus wird die "Anti-Antifa"-Arbeit für Rechtsextremisten zunehmend zu einem herausragenden Thema, von dem alle Bereiche betroffen sind und das deshalb zur Klammer gemeinsamer Interessen und gemeinsamer Aktivitäten werden kann. Die "Anti-Antifa" ist der Einstieg für die Vernetzung konkurrierender Gruppierungen von Neonazis und Anstoß zur Bildung von Aktionsund Interessengemeinschaften von Angehörigen rechtsextremistischer Organisationen 33 weit über die Neonazi-Szene hinaus. Zwingende Voraussetzung für das Funktionieren dieses Konzeptes ist die Einrichtung organisationsübergreifender Aktionsgemeinschaften, an denen sich Neonazis der unterschiedlichsten Gruppen aber auch regionale Anhänger anderer rechtsextremistischer Organisationen beteiligen. Damit können Unvereinbarkeitsbeschlüsse von Organisationen wie der NPD, der "Jungen Nationaldemokraten", der DLVH, der DVU oder der Republikaner zu Neonazis und deren Durchsetzung durch die jeweiligen Bundesvorstände unterlaufen werden, bestehende Organisationsgrenzen aufgebrochen und eine "Einheitsfront" mit Breitenwirkung im nationalistischen Lager geschaffen werden. Im Bereich des Linksextremismus ist der antifaschistische Kampf zum beherrschenden Thema für organisationsübergreifende Aktionsbündnisse geworden. Die "Anti-Antifa"-Arbeit ist auf dem besten Weg für Rechtsextremisten eine ähnliche Bedeutung zu erlangen und Personenkreise an aktionistische Formen des politischen Kampfes heranzuführen, die bisher überwiegend den Neonazis und militanten Skinheads vorbehalten waren. Das Projekt "Anti-Antifa" ist seit seiner Konzipierung im Jahre 1992 bei Rechtsextremisten unterschiedlicher Couleur auf fruchtbaren Boden gestoßen. Seitdem beschäftigen sich außer in Hamburg mindestens neun weitere regionale Gruppen in mehreren Bundesländern mit "Anti-Antifa"-Arbeit. Weitere Gruppen sind im Aufbau und schließlich gibt es eine große Anzahl örtlicher Zuträger, die Informationen an diese Gruppen weitergeben. Zwischen diesen "Anti-Antifa"-Gruppen findet ein reger Informationsaustausch über tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner statt. Diese Informationen werden teilweise in Flugschriften oder Zeitungen veröffentlicht. Seit November wird über eine dänische Deckadresse eine umfangreiche "Anti-Antifa"Broschüre mit dem Namen "Einblick" vertrieben. Darüber hinaus werden örtliche aber auch überregionale "Anti-Antifa-Aktivitäten" wie Demonstrationen oder Flugblattaktionen gegen einzelne politische Gegner durchgeführt. Inwieweit diese Aktivitäten zu konkreten Aktionen gegen erfaßte und veröffentlichte Linksextremisten geführt haben, ist schwer nachvollziehbar. In Einzelfällen kam es zu verbalen Bedrohungen und tätlichen Angriffen. Insgesamt hat die Gewalt von Rechtsextremisten gegen Linke zugenommen. Das "Anti-Antifa"-Konzept hat sich als probates Mittel erwiesen, neue organisationsunabhängige Strukturen im Rechtsextremismus aufzubauen und Konkurrenz und Feindschaften insbesondere im Bereich des Neonazismus abzubauen. Der strategische Ansatz, über den Kampf gegen den gemeinsamen politischen Gegner zu größerer Zusammenarbeit und Geschlossenheit im eigenen Lager zu finden, ist insofern aufgegangen. Die "Anti-Antifa" war allerdings nur der erste Anstoß zur Vernetzung der rechtsextremistischen Szene. Einen zusätzlichen Schub für die Intensivierung 34 der Vernetzungsbestrebungen brachten die verschärften staatlichen Repressions-maßnahmen, die infolge der stark angestiegenen fremdenfeindlichen Straftaten Ende 1992 eingeleitet wurden. Die gegen neonazistische Organisationen ausgesprochenen Verbote, insbesondere die sich daraus ergebenden strafrechtlichen Möglichkeiten, eine Fortführung der politischen Arbeit dieser verbotenen Organisationen zu unterbinden, zwangen die betroffenen Rechtsextremisten zu neuen Organisationsund Aktionsmodellen, um die tatsächlichen Aktivitäten vor den Sicherheitsbehörden zu verschleiern. Die bloße Gründung direkter Nachfolgeorganisationen versprach wenig Erfolg. Als eine gangbare Möglichkeit wurde die Fortführung der politischen Arbeit unter dem Deckmantel bestehender, nicht neonazistisch orientierter Parteien angesehen. Insbesondere Mitglieder der verbotenen "Deutschen Alternative" (DA) nahmen an der Parteiarbeit insbesondere der NPD und der DLVH teil. Es zeigten sich jedoch nur bedingte Erfolge, da wegen der von den Bundesvorständen dieser Parteien weiter betriebenen Abgrenzungen gegenüber Neonazis nur eine punktuelle Zusammenarbeit auf regionaler Ebene möglich war. Die Kandidatur des ehemaligen DA-Bundesvorsitzenden Frank Hübner als Oberbürgermeisterkandidat für die DLVH bei der Kommunalwahl am 5. Dezember bildete eine Ausnahme. In dieser Situation entwarf wiederum der Hamburger Neonazi Christian Worch in Anlehnung an die Organisationsform der "Anti-Antifa"-Arbeit ein neues Modell der Fortführung und Stärkung der politischen Arbeit. Ausgangspunkt seiner Überlegung war, daß unter den derzeitigen politischen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik die Gründung einer bundesweiten oder überregionalen neonazistischen Organisation ähnlich der ANS/NA unter der Führung von Michael Kühnen nicht möglich ist, ohne ein sofortiges Verbot zu provozieren. Als Alternative wird die Bildung einer Fülle regionaler Gruppen unterschiedlichster Organisationsformen vorgestellt, die als eingetragene oder nicht eingetragene Vereine, als Parteien, als Gruppen mit neutralem Namen, die nicht ohne weiteres als Rechtsextremisten zu erkennen sind, als autonome Kameradschaften oder Leserkreise auftreten können. Diese regionalen Gruppen sollen sich möglichst im gesamten Bundesgebiet bilden. Sie haben den Vorteil, den regionalen Zusammenhang zu festigen, vor Ort politische Arbeit leisten und sich in kleinem privaten Rahmen treffen zu können und sie bedürfen keines großen organisatorischen Aufwandes. Dieses Konzept kann jedoch nur unter bestimmten Bedingungen funktionieren: Es müssen genügend fähige regionale Führer vorhanden sein, die die politische Arbeit der jeweiligen Gruppe leiten und die Mitglieder motivieren können. Weiter muß ein enger Kontakt zu den bundesweit agierenden neonazistischen Führungspersonen berendes Kommunikationsnetz aufgebaut werden, das die einzelnen regionalen Gruppen vernetzt und damit sowohl den notwendigen 35 Informationsaustausch als auch eine umfassende und schnelle bundesweite Mobilisierung zur Verbesserung der eigenen Flexibilität gewährleistet. Auch dieses Konzept orientiert sich, ähnlich wie das "Anti-Antifa"-Konzept, in den Grundzügen an Vorbildern der linksextremistischen autonomen Szene. Die Durchsetzung eines derartigen Konzeptes wurde jedoch noch unter einem weiteren Gesichtspunkt aktuell. Fast noch gravierender als durch die Organisationsverbote wird die politische Arbeit der Rechtsextremisten durch nahezu flächendeckende Verbote öffentlicher Kundgebungen, Aufmärsche aber auch Saalveranstaltungen und Parteitage behindert. Insbesondere die für ihre Selbstdarstellung wichtigen öffentlichen Aktivitäten werden von den zuständigen Behörden kaum noch zugelassen. Davon betroffen sind nicht nur Neonazis. Die Rechtsextremisten sind sich darüber im klaren, daß sie in absehbarer Zeit praktisch keine öffentlichen Veranstaltungen im Bundesgebiet mit den herkömmlichen Mitteln mehr durchführen können. Da sie andererseits auf derartige Aktionen angewiesen sind, um ihre Anhänger motivieren und mobilisieren zu können, mußte ein neuer Ansatz für die politische Öffentlichkeitsarbeit gefunden werden. Um auf die veränderten Bedingungen reagieren zu können, entstand ein neues, flexibles Konzept der Vernetzung. Anstatt wie bisher bereits frühzeitig Datum, Ort und Umfang einer Veranstaltung festzulegen, sind die Rechtsextremisten dazu übergegangen, im Vorfeld einer geplanten Aktion eine Vielzahl von Demonstrationen an verschiedenen Orten anzumelden. Erst unmittelbar am Veranstaltungstag wird den Teilnehmern dann von einer Art mobilen Leitstelle der eigentliche Versammlungsort bekanntgegeben. Dem Verfasser dieses Konzeptes war von vornherein klar, daß dessen Verwirklichung entscheidend von der Nutzung der gesamten Bandbreite moderner Kommunikationsmittel, also dem Einsatz von Faxgeräten, BTX, Mobiltelefonen, Funkgeräten, Info-Telefonen und Mailboxen abhängig ist. Da diese Kommunikationsmittel in der rechtsextremistischen Szene kaum vorhanden waren, wurde zunächst mit dem beschleunigten Aufbau dieser technischen Netze begonnen. In Teilbereichen, wie bei Mailboxen, mußte auf Personen zurückgegriffen werden, die über die nötigen technischen Kenntnisse verfügten. Worchs Konzept ist auf breite positive Resonanz im Rechtsextremismus weit über den Neonazismus hinaus gestoßen und befindet sich sowohl im organisatorischen als auch im technischen Bereich in der Phase der Umsetzung. Nahezu im gesamten Bundesgebiet bilden sich neue neonazistische Gruppen und Kameradenkreise, die sich an diesem Konzept orientieren und die aufgrund ihrer regionalen Begrenztheit und ihrer teilweise konspirativen Verhaltensweise von den Behörden nur schwer erfaßt und beobachtet werden kön36 nen. Sie werden zunehmend in die überregionalen Strukturen eingebunden und sind bei geeigneten Aktionen für die Neonazi-Führer verfügbar. Wegen mangelnder Kontinuität in der politischen Arbeit und unfähiger Führungspersonen existieren einige dieser Gruppen allerdings nur kurze Zeit. Auf breiter Front ist in nahezu allen Bereichen des Rechtsextremismus die immense Bedeutung der modernen Kommunikationsmittel sowohl für den Zusammenhalt größerer Organisationen als auch für die Kommunikation und die Zusammenarbeit unterschiedlichster Gruppierungen und Personen erkannt worden. Die technische Aufrüstung begann mit Faxgeräten, die in der rechten Szene bereits verbreitet sind und über die ein erheblicher Teil der Kommunikation läuft, und BTX insbesondere bei mitgliederstärkeren Parteien wie den Republikanern und der NPD, die auf diesem Wege sowohl Nachrichten und Informationen an ihre Mitglieder als auch an Presse oder alle interessierten BTX-Benutzer absetzen können. Sie sind damit in der Lage, ihre politischen Ansichten unabhängig von der Presse unzensiert und unkommentiert verbreiten zu können. Insbesondere bei Neonazis wird der Einsatz von Mobiltelefonen des C- und des D-Netzes verstärkt, weil zumindest das D-Netz abhörsicher ist und somit die befürchtete Telefonüberwachung bei konspirativen Gesprächsinhalten unterlaufen werden kann. Darüber hinaus sind Mobiltelefone unabdingbar, um Demonstrationsteilnehmer zu kurzfristig bekanntgebenen Versammlungsorten lotsen zu können. Seit relativ kurzer Zeit werden von Rechtsextremisten auch sogenannte nationale Info-Telefone analog der Antifa-Info-Telefone genutzt. Bisher wurden fünf nationale Info-Telefone in Wiesbaden, Mainz, Hallenberg/Sauerland, Hamburg und Frankfurt bekannt, die mit einer Ausnahme von Neonazis betrieben werden. Teilweise wurde der Betrieb eingestellt oder durch staatliche Maßnahmen unterbrochen. Über diese Info-Telefone werden unterschiedliche Informationen, wie Maßnahmen von staatlichen Institutionen gegen Rechtsextremisten, Aktivitäten von Linksextremisten, Termine von Rechtsextremisten oder Hinweise auf rechtsextremistische Verlage, Presseprodukte oder Organisationen vermittelt. Diese Ansagedienste haben sich zu einem wichtigen Kommunikationsmittel in der rechtsextremistischen Szene entwickelt. Ihre Bedeutung liegt insbesondere darin, daß sie für jeden Interessenten jederzeit erreichbar sind und Informationen aus dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum, von den Republikanern bis zu neonazistischen Parteien wie der FAP vermitteln. 37 Ebenfalls einen hohen Stellenwert nehmen die Mailboxen ein, deren Anzahl sich laufend erhöht. Viele sind im sogenannten "Thule-Netzwerk" zusammengefaßt. Beim Aufbau und Betrieb von Mailboxen haben vielfach Rechtsextremisten aus dem studentischen Bereich mitgewirkt. Die Mailboxen sind für Rechtsextremisten in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung. Zum einen gelten sie als das Kommunikationsmittel, das vor Aufzeichnungsmaßnahmen von Sicherheitsbehörden am besten geschützt ist, da es Schwierigkeiten bereitet, in die speziell gesicherten Bereiche der Mailbox einzudringen. Dadurch hat eine Mailbox klare Vorzüge gegenüber Telefonen und Faxgeräten. Zum anderen bietet sie die Möglichkeit, nicht nur umfangreiche Informationen abzufragen, sondern auch mit relativ geringem finanziellen und technischen Aufwand umfassend miteinander zu kommunizieren. Dadurch können Informationen der unterschiedlichsten Art zu den unterschiedlichsten Themen abgesetzt werden. Neben Terminplänen, Informationen über einzelne politische Bereiche, über politische Organisationen und rechtsextremistische Publikationen, kann auch politisches Schulungsmaterial weitergegeben oder rechtliche Beratung durchgeführt werden. Darüber hinaus wird durch die Fülle der Benutzer die Kommunikation zwischen rechtsextremistischen Organisationen und Personen gefördert, die früher wegen bestehender Berührungsängste kaum miteinander in Kontakt traten. Der Einsatz der modernen technischen Mittel hat für den Rechtsextremismus einen positiven Effekt gebracht. Gerade unter dem wachsenden politischen Druck hat er dazu beigetragen, die Rivalitäten und Animositäten innerhalb des neonazistischen Lagers zu verringern, wieder zu gemeinsamen Aktionsbündnissen zu kommen und Absprachen über weitere gemeinsame Vorgehensweisen zu treffen. Ferner können Neonazis nunmehr direkten Kontakt zu Mitgliedern der traditionellen rechten Parteien aufnehmen und so an den Parteiführungen vorbei einen gewissen Einfluß auf Teile der Basis nehmen. Welche Bedeutung die Vernetzung und der Einsatz technischer Hilfsmittel für die künftige Aktionsfähigkeit insbesondere der Neonazis haben wird, zeigen die Szenarien anläßlich des "Rudolf-Hess-Gedenkmarsches" 1993, der letztlich unter Beteiligung von etwa 800 Personen in Fulda durchgeführt wurde, und der Versuch eines Aufmarsches zum Heldengedenktag am 14. November, der zwar scheiterte, der aber ein großes Aufgebot an Sicherheitskräften und eine komplizierte Koordination mehrerer betroffener Bundesländer erforderlich machte. Die Durchführung derartiger mobiler Großveranstaltungen trotz Verbote durch die Behörden, bei denen der Zielort erst am Tage der Veranstaltung bekannt wird, ist den Rechtsextremisten nur durch die enorme technische Aufrüstung möglich geworden. Diese technischen Mittel 38 ermöglichen die dafür notwendige bundesweite Vernetzung von Gruppen und Einzelpersonen und das Dirigieren einer großen Zahl von Personen zu einem zentralen Punkt. Damit sind die Organisatoren in der Lage, den tatsächlichen Demonstrationsort kurzfristig zu bestimmen, Schwächen der Behörden vor Ort auszunutzen und so Zielorte vor den Behörden und den politischen Gegnern bis zuletzt geheimzuhalten. Sie agieren, allen anderen bleibt nur die Möglichkeit zu reagieren. Veranstaltungen wie der "Rudolf-HessGedenkmarsch" sind vornehmlich für die Neonazis ein Kräftemessen mit den staatlichen Organen geworden. Sie sind gleichsam Prestigeobjekte, mit denen sie ihre Handlungsund Mobilisierungsfähigkeit und ihre Stärke demonstrieren können. Neben der Motivierung der eigenen Anhängerschaft soll vor allem durch das breite Presseecho die Öffentlichkeit provoziert werden. Diese Taktik wird sich auch nach dem mißlungenen "Heldengedenktag" nicht ändern. Ein anderer wichtiger Aspekt der Vernetzung ist der breite Austausch über rechtliche Fragen, die rechtliche Beratung von Organisationen und Personen über Handlungen, die zu Straftaten führen können, über Gerichtsurteile, über Demonstrationsund Organisationsverbote, aber auch über Verhaltensweisen gegenüber Polizei, Justiz oder Verfassungsschutz. Gerade in diesem Bereich haben Rechtsextremisten aus dem studentischen Bereich erheblich an Bedeutung gewonnen. Eine Institution, wie das Deutsche Rechtsbüro, das in diesen Fragen bundesweit u.a. durch die Herstellung von Broschüren und über Mailboxen beratend tätig ist, ist für den Rechtsextremismus unverzichtbar geworden. ANTI-ANTIFA Die Anti-Antifa-Kampagne wurde im Frühjahr 1992 vom stellvertretenden Vorsitzenden der neonazistischen Hamburger "Nationalen Liste", Christian Worch, als Reaktion auf die zunehmenden Angriffe linksextremistischer "Antifaschisten" ins Leben gerufen. Ursprüngliches Ziel der Anti-Antifa-Arbeit war vor allem eine "bessere Aufklärung der feindlichen Aktivitäten, ihrer Drahtzieher und Anführer". Diese Aufklärung, so erläuterte das NL-Blatt "Index" bereits im März 1992, sei deshalb so wichtig, weil der größte Vorteil der militanten "Antifaschisten" in ihrer Anonymität begründet liege. Mittlerweile wird die Anti-Antifa nicht mehr ausschließlich als "Feindaufklärung" zur Gefahrenabwehr betrieben, sondern dient offensichtlich auch dazu, politische Gegner einzuschüchtern und auf subtile Art und Weise Gewaltakte gegen sie zu initiieren. 39 Konkret lassen sich zwei Grundanliegen der Anti-Antifa feststellen: Zum einen sollen die gespeicherten Informationen dazu dienen, gewalttätige Autonome, die Angriffe auf Rechtsextremisten verüben, zu identifizieren, um sie anschließend dem Zugriff der Exekutive ausliefern zu können. In diesem Zusammmenhang behauptet die NL gern, daß "sowohl politische Erwägungen als auch das Legalitätsprinzip es ihr leider verböten, auf Überfälle in gleicher Weise zu antworten". Zum anderen wird mit der Veröffentlichung persönlicher Daten von "Linken" eine Präventivwirkung angestrebt. Die Nennung von Namen und Adressen soll politischen Gegnern signalisieren, daß sie bereits im Blickfeld der Rechtsextremisten stehen, und ihnen bei "Aktionen" strafrechtliche Verfolgung oder gar "Gegenmaßnahmen" rechter Gruppierungen drohen. Daß derlei Veröffentlichungen darüber hinaus geeignet sind, politische Gegner auch von friedlichen Protesten und Aufklärungskampagnen abzuhalten, liegt auf der Hand. Die "Deanonymisierung" besitzt mithin keineswegs nur den defensiven Charakter, den die Rechtsextremisten gern in den Vordergrund stellen. Vielmehr setzen die Initiatoren der Anti-Antifa bewußt darauf, mit ihrem Konzept politisch mißliebige Personen und Institutionen einzuschüchtern und so mundtot zu machen. Wie dieser Effekt erzielt werden soll, veranschaulicht exemplarisch das im November erstmals erschienene Anti-Antifa-Magazin "Einblick", das auf rund 40 Seiten Anschriften von "linken" Personen und Einrichtungen aus den Gebieten "Berlin/Brandenburg", "Rhein/Main", "Nord", "Süd" und "West" auflistet. Mit juristisch meist unverfänglichen Formulierungen werden politische Gegner zunächst denunziert, anschließend wird den "Kameraden" nahegelegt, die genannten Personen auf ihre Gesinnung "anzusprechen". Daß diese Formulierung allerdings nicht als Aufforderung zur Kontaktaufnahme zwecks friedlicher Grundsatzdiskusion verstanden werden soll, verdeutlichen die Zusammenhänge und Textpassagen, in die die Namen und Adressen der "Linken" eingebettet sind. Nach dem Vorwort der Herausgeber soll der "Einblick", der über ein Postfachadresse in Dänemark zu beziehen ist, ein Mitteilungsblatt der Anti-Antifa sein, mit dem der Widerstand gegen die militante Linke vereinheitlicht werden solle. Es gehe um jene Leute, die "Nationalisten jeglicher Form ... angreifen verletzen, letztendlich sogar töten". Ihnen und den "geistigen Brandstiftern", den Literaten, Professoren, Richtern, Anwälten und Journalisten, wolle man "unruhige" Nächte bescheren. Ihre Adressen würden veröffentlicht, um eine "Gegenwehr" und "Gegenaktionen" zu ermöglichen. Die Herausgeber führen in diesem Zusammenhang aus: "Wir werden es hier tunlichst vermeiden, zur 40 Gewalt im Sinne von Körperverletzungen, Tötungen usw. gegenüber unseren Gegnern aufzurufen. Jeder von uns muß selbst wissen, wie er mit den ihm hier zugänglich gemachten Daten umgeht. Wir hoffen nur, IHR GEHT DAMIT UM". Jeder solle nach seiner eigenen persönlichen Kraft - "die kriminellen Gegner" entlarven und sie mit den zur Verfügung stehenden Mitteln bestrafen. Aufgrund der in dem Vorwort enthaltenen unverhüllten Aufforderung zu Straftaten leitete der Generalbundesanwalt am 1. Dezember gegen die Verfasser und Herausgeber des "Einblick" ein Verfahren wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ein. Zweites zentrales Ziel der Anti-Antifa-Kampagne ist der Versuch, mithilfe der Anti-Antifa-Arbeit organisationsübergreifende Strukturen aufzubauen, an denen sich Neonazis aus allen Gruppierungen beteiligen können und sollen, um so bestehende Organisationsgrenzen aufzubrechen (s. dazu Kap. Vernetzungsbestrebungen ...). Man will im nationalistischen Lager eine aus qualifizierten Mitarbeitern bestehende Gruppe bilden, die sich schwerpunktmäßig oder ausschließlich der "Aufklärungsarbeit" widmet. Auf dieses Konzept wird in neonazistischen, aber auch anderen rechtsextremistischen Kreisen, wie z.B. den "Jungen Nationaldemokraten", der Jugendorganisation der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands", zunehmend positiv reagiert; so haben zahlreiche Einzelaktivisten und eigens zu diesem Zweck gegründete Anti-Antifa-Gruppen bereits die Ausforschung des politischen Gegners in Angriff genommen. Die gesammelten Informationen werden - zum Teil mit identischem Wortlaut - auf Flugblättern und in rechten Publikationen, wie dem "Index" der NL, den "Nachrichten der Hilfsgemeinschaft für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." oder der illegalen Untergrundschrift "Die Neue Front", veröffentlicht. In der "lndex"-Sonderausgabe vom August 1992 wurden erstmals linke Objekte, allerdings auf Hamburg beschränkt, mit Fotos und Anschrift aufgelistet. Neben den schriftlichen Veröffentlichungen wird sowohl über die rechten Mailboxen als auch über die Nationalen Info-Telefone ein umfangreicher Informationsaustausch abgewickelt und für ein Engagement in der Anti-Antifa-Kampagne geworben. Ein regelmäßiger Kontakt zwischen den verschiedenen Anti-Antifa-Gruppen ist zur Zeit jedoch noch nicht zu erkennen. Als Grund hierfür ist neben dem bislang noch regionalen Charakter der einzelnen Gruppen das erklärte Bestreben der Anti-Antifa anzusehen, keine festen und nach außen sichtbaren Strukturen entstehen zu lassen, um einer eventuellen Verbotsverfügung nach dem Vereinsgesetz vorzubeugen. 41 Die Bedeutung der Anti-Antifa wird, nicht zuletzt durch das Erscheinen des "Einblick", sowohl für die linke als auch für die rechte Szene weiter zunehmen. Bisher waren die Rechtsextremisten insbesondere den militanten linksextremistischen "Antifaschisten" personell, materiell und konzeptionell unterlegen. Mit der Aufklärungsarbeit übernehmen sie die Arbeitsmethodik des politischen Gegners und wenden diese zunehmend für die eigenen Aktivitäten an. Innerhalb der Neonazi-Szene zeichnet sich die angestrebte organisationsübergreifende Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Anti-Antifa bereits ab. Verbunden mit dieser partiellen Kooperation ist eine veränderte Einstellung der rechten Gruppen gegenüber dem politischen Gegner; war man dem linken Spektrum bislang vor allem zahlenmäßig unterlegen und befand sich daher ständig in der Defensive, fühlt man sich nunmehr durch die Tätigkeit der AntiAntifa in der Lage, in die Offensive überzugehen. In diesem Zusammenhang trägt insbesondere das Fehlen einer ansonsten im rechten Bereich üblichen Organisationsund Führungsstruktur, die es den einzelnen Aktivisten und Gruppen erlaubt, Maßnahmen nach eigenem Ermessen durchzuführen, zur Unberechenbarkeit und damit zur Gefährlichkeit der Anti-Antifa bei. Auf der anderen Seite haben linke Gruppierungen, für die der "Antifaschismus" einer der wenigen gemeinsamen politischen Ansatzpunkte ist, ihre Aktivitäten gegen die politische Rechte ebenfalls intensiviert. Die Zunahme von gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten innerhalb der letzten Jahre spiegelt diese Entwicklung deutlich wider. Vor diesem Hintergrund wächst das Risiko, daß die gegenseitige organisierte Ausspähung weiter fortschreitet und in systematisch vorbereiteten Auseinandersetzungen zwischen dem rechten und dem linken Lager eskaliert. DAS "DEUTSCHE RECHTSBÜRO" Das "Deutsche Rechtsbüro" (DRB) wurde Anfang 1992 in Hamburg von Rechtsanwälten, Jurastudenten und Privatpersonen als juristische Selbsthilfeeinrichtung der bundesweiten rechten Szene gegründet. Seit 1993 machte das DRB durch Anzeigen, Beilagen und Kurzberichte in verschiedenen rechtsextremistischen Publikationen, darunter "Nation und Europa/Deutsche Monatshefte", "Deutsche Rundschau" und "Das Freie Forum" auf sich aufmerksam. Eigenen Angaben zufolge möchte das DRB sein juristisches Fachwissen der rechten Szene zur Verfügung stellen und insbesondere an Aktivisten weitergeben, damit dieser Personenkreis bei gerichtlichen und sonstigen Verfahren rechtlich besser informiert und vorbereitet ist. Der weitverbreiteten Unwissenheit in der gesamten rechten Szene über 42 strafrechtliche Zusammenhänge soll begegnet werden. Beklagt wird in diesem Zusammenhang, daß die "juristische Auseinandersetzung gegen rechte Deutsche" immer schärfer werde. Das DRB verfügt über ein eigenes Urteilsarchiv, aus dem wichtige Urteile zu strafrechtlich relevanten Themen angeboten werden. Weiter bietet das DRB juristische Schulungen im norddeutschen Raum an und ist bei der Vermittlung kompetenter Rechtsanwälte im Bundesgebiet behilflich. In Anzeigen und durch persönliche Kontaktaufnahme werden Rechtsanwälte um Mitarbeit gebeten. Personen aus dem rechten Lager, die wichtige Urteile o.a. zur Verfügung stellen können, werden gebeten, diese Materialien zuzusenden. Die Initiatoren dieser Selbsthilfeeinrichtung verstehen ihre bisher aufgenommene Tätigkeit als Einstieg in weitergehende Aufgaben. Ziel ist offensichtlich, das DRB über den noch regionalen Rahmen hinaus in Zusammenarbeit mit anderen Initiativen von einer reinen "Informationsbörse" zu einem bundesweit operierenden juristischen "Netzwerk" zu entwickeln. Als erstes Projekt des DRB ist die über 100 Seiten starke Broschüre "Mäxchen Treuherz und die juristischen Fußangeln" anzusehen, die im Frühjahr 1992 veröffentlicht wurde. Verfasserin ist eine in der rechtsextremistischen Szene mittlerweile bundesweit bekannte Hamburger Rechtsanwältin, die für ihre Veröffentlichungen das Pseudonym Gisela Sedelmaier benutzt. Verschiedene strafrechtliche Themenbereiche werden den Lesern in leicht verständlicher und praxisnaher Form erläutert. In verschiedenen rechtsextremistischen Blättern wurde für diesen juristischen Ratgeber geworben. Die Resonanz in der Szene war einhellig positiv. So hob beispielsweise der neonazistische "Endsieg"-Verlag aus Bruchsal lobend hervor, daß "Mäxchen Treuherz" Pflichtlektüre für jeden Nationalisten sein müsse. Auf so ein Buch habe man lange warten müssen. Im Vorwort verleiht die Autorin ihrer Hoffnung Ausdruck, daß in Deutschland von immer mehr Deutschen "eine volkserhaltende und volksfördernde Politik" betrieben werden kann und daß politisch Aktive dabei nicht mehr durch Unwissenheit oder Leichtsinn mit den Strafgesetzen in Konflikt kommen. Durch diese erste Veröffentlichung sollte der "in unseren Kreisen herrschenden Unwissenheit und Unsicherheit" Einhalt geboten und den politisch Tätigen die Möglichkeit gegeben werden, "alle legalen Mittel ausschöpfen" zu können. Angespornt durch den Erfolg von "Mäxchen Treuherz" - 1993 erschien das Buch bereits in der 3. Auflage - verfaßte die Hamburger Rechtsanwältin im Januar 1994 unter dem Titel "Mäxchen Treuherz und die Fallstricke der Behörden" einen zweiten Teil. Angekündigt wurde diese Fortsetzung, die sich intensiv mit verwaltungsrechtlichen "Fußangeln" beschäftigt, u.a. in der Sep43 tember-Ausgabe der FAP-Zeitung "Standarte". Verleger des ersten Bandes von "Mäxchen Treuherz" ist ein ehemaliges Vorstandsmitglied der Hamburger REP, das bis zum Umzug des DRB nach Münsing im Juli auch das DRBPostfach in Hamburg verwaltete. Ausführliche Berichte in Presse und Rundfunk im Juni brachten dem bis dahin unter Ausschluß der Öffentlichkeit agierenden Projekt ungewollte Publicity. Die Verbindung der Hamburger DRB-Anwältin zu den REP wurde offengelegt und schließlich wurde in einem Fernsehmagazin auch der Betreiber des DRBPostfaches in Hamburg namentlich genannt. Diese öffentliche Berichterstattung führte dazu, daß das DRB sein Postfach auflöste und im Juli ins bayerische Münsing umsiedelte. Anlaß für den Umzug dürften Befürchtungen gewesen sein, durch die nicht mehr gewahrte Anonymität möglicherweise Ziel von Angriffen politischer Gegner zu werden. Zugleich ergab sich für die Betreiber des DRB allerdings auch ein positiver Nebeneffekt: Durch die Medienberichterstattung wurde das DRB schlagartig im gesamten "nationalen" Spektrum bekannt. In verschiedenen rechtsextremistischen Publikationen wie "DESG-Inform", "Nation und Europa" oder "HNG-Nachrichten" macht das DRB regelmäßig durch Pressemitteilungen auf sich aufmerksam. Im Mai erläuterte die Selbsthilfeeinrichtung beispielsweise, daß ihrer Meinung nach das Verwenden der Odalsrune nicht strafbar sei. Vor der Verbreitung des sog. "Asylbewerbergedichtes", eines rassistischen Pamphlets gegen Asylbewerber in Deutschland, wurde hingegen gewarnt. Im Dezember äußerte sich das DRB über die Rechtmäßigkeit von Verboten und Auflösungen nichtöffentlicher Versammlungen. Unterstützt wird die Arbeit des DRB auch durch das Nationale Infotelefon der FAP-Hamburg, das auf die Aktivitäten und die Dienstleistungen des DRB hinweist. Im Oktober und im Dezember wurden Kameraden, die wegen des in Brandenburg verbotenen sog. "Kühnen-Grußes" juristische Probleme hatten, über das Infotelefon aufgefordert, sich an das DRB zu wenden. Das DRB ist auch Mitbenutzer der von Rechtsextremisten betriebenen Erlangener Mailbox "Widerstand BBS". Das DRB ist eine wichtige und zunehmend von unterschiedlichsten Personen, Gruppen und Organisationen der rechtsextremistischen Szene genutzte juristische Einrichtung, die jedoch nur Kontaktund Koordinierungsfunktionen wahrnehmen darf. Die Etablierung des DRB fällt in eine Phase, in der von staatlicher Seite der Rechtsextremismus entschieden bekämpft wird. Das DRB stößt damit auf einen immer größer werdenden Bedarf an juristischer Beratung und juristischem Beistand. Die Organisationsverbote und die anschließenden Exekutivmaßnahmen, die angestrengten Parteiverbote, die Demonstrationsund Versammlungsverbote sowie die Verbote neonazistischer Erkennungszeichen wie der Reichskriegsflagge führen dazu, daß viele 44 Aktivisten der rechtsextremistischen Szene in strafrechtliche Verfahren verstrickt werden, denen sie häufig unvorbereitet gegenüberstehen. Da die im Zusammenhang mit der rechtsextremistischen Gewaltwelle drastisch angestiegene Zahl der Strafverfahren noch für zusätzlichen Bedarf an erfahrenen, möglichst "linientreuen" Rechtsanwälten sorgt, ist eine Etablierung des DRB wahrscheinlich. IDEOLOGIE UND ERSCHEINUNGSFORMEN DER "NEUEN RECHTEN" Der Begriff "Neue Rechte" (NR) steht seit mehr als 20 Jahren für eine akademisch-intellektuelle, modernisierte Variante rechten antidemokratischen Denkens. Dabei ist die NR kein ausschließlich deutsches, sondern ein europäisches Phänomen, dessen Ausgangspunkt in Frankreich liegt. Sie versteht sich als eine Art intellektuelles und kulturelles, auch länderübergreifend arbeitendes Verbundsystem, das seinen Ausdruck in verschiedenen politischen und intellektuellen Zeitschriften, Magazinen und Büchern, Theorieund Lesezirkeln, "Denkfabriken" und anderen theoretisch arbeitenden Vereinigungen findet. Anders als in Frankreich, wo die "Nouvelle Droite" (Neue Rechte) zu einem feststehenden Begriff geworden ist, gibt es in Deutschland keine klar umrissene Struktur. Der Begriff "Neue Rechte" wird daher von ihren politischen Protagonisten selbst äußerst zurückhaltend verwendet. Die NR wurde 1989 als "ein planlos, uferlos zerfranstes Feld unübersehbarer nonkonformer Geister und Gruppen, die alles andere als unter einen Hut zu bringen" seien, beschrieben. Trotz einer amorphen Struktur verbindet die unterschiedlichen Gruppierungen ein relativ enges personelles und ideologisches Beziehungsgeflecht. Gemeinsam ist den verschiedenen Strömungen innnerhalb der NR zumindest, daß sie sich allesamt auf ein historisch ebenso vielschichtiges Vorbild beziehen: Die "Konservative Revolution" der Weimarer Zeit. Die NR ist weder Organisation noch politische Bewegung. Sie betreibt auch keine Parteipolitik. Ihr Ziel ist es, der "authentischen" Rechten in den gesellschaftlichen Auseinandersetzungen am Ende dieses Jahrhunderts Attraktivität und politische Kompetenz zu verleihen. Die neuen, intellektuellen Rechten sehen sich dabei in erster Linie als "geistige Wegbereiter" und "Ideenlieferanten" für eine "Gegenrevolution" zu 1968. Statt politischer Organisierung und Führung setzt die NR (zunächst) auf Ideologiebildung und die Verankerung dieser neurechten Ideologeme in der demokratischen Mehrheitskultur. Mit kulturrevolutionärem Habitus wendet sie sich gegen das politische System und die herrschende Kultur und Zivilisation. Dabei beklagt sie 45 namentlich den zunehmenden Werteverlust, den ausufernden Nihilismus, die "Wurzellosigkeit" und den "Identitätsverlust" der Individuen in der modernen Gesellschaft, der in "terroristische Aggression" und politischen Radikalismus umschlage. Insbesondere nach dem Scheitern der sozialistischen Utopie will die NR "Nation" und "volkliche Identität" als neue gemeinschaftsstiftende Werte anbieten. Leitbild der NR in Deutschland sind die seit Ende der 60er Jahre aktive französische "Nouvelle Droite" und ihr Chefideologe, der Publizist Alain de Benoist. Die schulbildende NR in Frankreich sieht sich ihrerseits in der Tradition der "Konservativen Revolution" der Weimarer Zeit verwurzelt, jener Zirkel um die Intellektuellen Carl Schmitt, Arthur Möller van den Brück, Edgar Julius Jung oder Hans Freyer, die das rechte, antidemokratische Denken in der Weimarer Republik geprägt und zu ihrem Untergang beigetragen haben. Einige Autoren in Deutschland griffen zunächst ab Mitte der 70er Jahre über diesen französischen Umweg auf die Ideen der "Gegenrevolution" von Weimar zurück und eröffneten somit für die bislang im Schatten des Nationalsozialismus stehende "nationale Rechte" in Deutschland ein neues geistig-intellektuelles Bezugsfeld. Der scheinbar widersprüchliche Name "Konservative Revolution" ist dabei Programm: Der "Konservatismus" der NR sei nicht rückwärts gewandt und wolle keine geschichtlich überwundenen Verhältnisse restaurieren, sondern einen "revolutionären", geistig-politischen Prozeß in Gang setzen, um überhaupt erst in einer vom "Liberalismus zersetzten Welt Verhältnisse zu schaffen und Werte hervorzubringen, die der Bewahrung wert sind". Seit 1968, dem Gründungsjahr der von Benoist mit ins Leben gerufenen neurechten Denkschule G.R.E.C.E (Groupement de recherche et d'etude pour la civilisation europeenne = Forschungsund Studiengruppe für die europäische Zivilisation) in Nizza, propagiert und diskutiert die "Nouvelle Droite" in den Zeitschriften "Nouvelle Ecole" und "Elements" die Ideen ihrer rechtsintellektuellen Vorläufer, um einen umfassenden ideengeschichtlichen Bezugsrahmen für eine moderne rechte Programmatik zu erarbeiten. Im Vordergrund steht der Kampf gegen den vom Christentum, Liberalismus und Marxismus herbeigeführten "Egalitarismus" und die Besinnung auf die Werte vor 1789. Unter Berufung auf eugenische und verhaltenstheoretische Forschungen streben die Protagonisten der NR daher die "wissenschaftliche" Widerlegung der als "Ideologie der Menschenrechte" diffamierten, universalistischen Prämisse an, nach der alle Menschen frei und gleich geboren und mit allgemeingültigen, unveräußerlichen Menschenrechten ausgestattet sind. Gegen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit setzt die NR die Bindung an die (Volks-) Gemeinschaft, die natürliche Ungleichheit der Menschen und Rassen sowie den 46 Gedanken sich selbst bildender, heroischer, zur Führung des Volkes berufener Eliten. Ihr soziobiologistisches Weltund Menschenbild, das unter dem Begriff "Ethnopluralismus" auch Eingang in den rechten Diskurs in Deutschland gefunden hat, geht davon aus, daß die in der genetischen Vielfalt wurzelnde Ungleichheit der Menschen nicht aufhebbar sei und jedes Individuum primär durch seine "kulturelle" und "völkische" Zugehörigkeit definiert sei, was jedoch angeblich keine "Ungleichwertigkeit" der Kulturen impliziere. Die größten Feinde der europäischen Zivilisation seien demnach gleichmacherische Ideologien wie Liberalismus und Kommunismus. Teilweise unter Bezugnahme auf den Rassenursprungsmythos des "Indoeuropäertums" agitiert die NR gegen die vorgebliche politische, militärische und kulturelle Hegemonie der USA, die als Prototyp eines "entwurzelten" multiethnischen Einheitsstaates und Endpunkt des liberalkapitalistischen Individualismus betrachtet wird. Sie setzt stattdessen auf die nationale Identität der Völker und die Selbstbestimmung Europas, das die Anbindung an die eigenen ethnischen Ursprünge, an die Strukturen der vorchristlichen, germanischen Geisteswelt brauche. Liberalismus und Sozialismus seien dagegen "Kinder des judeo-christlichen Ungeistes". Von dem italienischen marxistischen Theoretiker Antonio Gramsci übernahmen zunächst Benoist und seine Mitstreiter die Vorstellung eines Kulturkampfes, in dem es darum gehe, vor der politischen die kulturelle Hegemonie zu gewinnen. Gramsci zufolge muß eine politische Bewegung, die die politische Macht erobern will, zunächst die Vorherrschaft über die Leitbegriffe des kulturellen Überbaus einer Gesellschaft gewinnen. Adressat der ideologischen Infiltration sind die sog. "organischen Intellektuellen" in den Medien, Parteien, Kulturbetrieben, in den Hochschulen, Kirchen und sonstigen gesellschaftlichen Institutionen, die als "Multiplikatoren von Ideen" und als "Organisatoren öffentlicher Meinungsprozesse" dienen. Der mit dem Begriff "Metapolitik" umschriebenen Strategie der NR liegt die Überzeugung zugrunde, daß das Fortbestehen der neurechten Ideologie innerhalb des bestehenden politisch-kulturellen Systems gesichert und ihr innerhalb dieses Systems zum Durchbruch verholfen werden müsse. Ohne Infiltration in die politische Kultur bleibe die "authentische Rechte" dauerhaft chancenlos. Nach Ansicht Benoists habe die alte Rechte die Bedeutung der kulturellen Macht und der "kulturellen Kriegsführung" in Bezug auf Politik völlig verkannt und führe deshalb eine "verlorene Schlacht mit den Waffen von gestern". Die Vordenker der NR ziehen aus dieser Analyse den Schluß, daß das als "liberalistisch" diffamierte politische System nicht frontal bekämpft werden dürfe, sondern von innen her ideologisch "aufgeweicht" und durch die Umdeutung liberal-konservativer Positionen im konservativ-revolutionären Sinne mit neurechtem Gedankengut durchsetzt werden müsse. 47 An die von der "Nouvelle Droite" (G.R.E.C.E.) unter Berufung auf die Ideen der "Konservativen Revolution" in die Diskussion eingeführten ideologischen Axiome und an die von ihr für die Rechte fruchtbar gemachte metapolitische Strategie knüpfen die neuen Rechten in Deutschland mit unterschiedlicher Intensität und unterschiedlichen Schwerpunkten an. Unter Einführung neuer Begrifflichkeiten und Auffrischung der Sprache sowie mit dem Anspruch der Wissenschaftlichkeit rekultivieren sie die organischen Gesellschaftsideen der 20er Jahre. Vom Konzept des "Ethnopluralismus" einmal abgesehen, finden sich alle Ideen der NR bereits im Repertoire der konservativ-revolutionären Gegenaufklärung der Weimarer Zeit. Auch in ihren unterschiedlichen Strömungen und Aufsplitterungen stellt die NR in Deutschland ein fast orginalgetreues Abbild der wichtigsten Gruppen der "Konservativen Revolution" der Weimarer Zeit (Völkische, Nationalrevolutionäre, Jungkonservative) dar. Obwohl es nach Aussage von Alain de Benoist keinen autorisierten offiziellen Ableger der "Nouvelle Droite" in Deutschland gibt, versteht sich das 1980 in Kassel gegründete "Thule-Seminar" als deutsches, wenn auch miniaturisiertes und praktisch bedeutungsloses Gegenstück zu G.R.E.C.E. Die vom ThuleSeminar herausgegebene Zeitschrift "Elemente der Metapolitik zur europäischen Neugeburt", in der Benoist als ständiger Mitarbeiter aufgeführt wird, und die sich wie keine andere neurechte Publikation an ihre französischen Vorbilder "Elements" und "Nouvelle Ecole" anlehnt, soll nach dreijähriger Abstinenz 1994 wieder mit einer neuen Ausgabe (Nr. 6) erscheinen. Gab es in den 70er Jahren nur vereinzelte ideologische Zirkel innerhalb des deutschen Rechtsextremismus, die sich mit dem Politikansatz der französischen Nouvelle Droite auseinandersetzten, so ist den 90er Jahren eine deutlich spürbare Einbeziehung der Konzeption der NR zu registrieren. Zeitschriften wie "Europa Vorn", "Nation und Europa - Deutsche Monatshefte", "Wir selbst", "Etappe", "Staatsbriefe", "Zeitenwende" sowie "Junges Forum" versuchen im Rahmen der Intellektualisierung des Rechtsextremismus eine Brückenfunktion zwischen dem "konservativ-revolutionären sowie nationalrevolutionären" Spektrum und dem "bürgerlich-nationalkonservativen Spektrum wahrzunehmen. Das seit 1951 erscheinende, heute der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) nahestehende Monatsmagazin "Nation und Europa - Deutsche Monatshefte" dient unterschiedlichen, traditionell altrechten wie auch "jungkonservativen" Autoren als Forum und ist somit eine Art publizistisches Bindeglied zwischen dem "alten" und dem "neuen" Rechtsextremismus. Das im September 1988 erstmals erschienene neurechte Blatt "Europa Vorn", das von dem Ex-Republikaner und jetzigen DLVH-Funktionär Manfred Rouhs 48 herausgegeben wird, weist eine starke "befreiungsnationalistische" und antiamerikanische Tendenz auf. "Europa Vorn" erscheint seit Oktober 1991 vierzehntäglich in Form eines Nachrichtenblattes. Im vierteljährlichen Rhythmus erscheint zusätzlich eine Magazinversion mit längeren thematischen Abhandlungen. Zu den ständigen Mitarbeitern gehört laut Impressum Alain de Benoist. Die in Koblenz erscheinende Zeitschrift "Wir selbst", die sich in ihrem Untertitel "Zeitschrift für nationale Identität" nennt, verfolgt einen "nationalrevolutionären" Ansatz mit einer offenen Flanke zum linken Spektrum. Das "Junge Forum" vertritt einen weiteren Typus "neurechter" Publizistik. Das seit mittlerweile über 20 Jahren erscheinende Theorieorgan will abseits jeglicher Parteiund Tagespolitik durch den Abdruck von Beiträgen deutscher und ausländischer Autoren theoretische Vorarbeit leistet. Während Zeitschriften wie "Nation und Europa" und "Europa Vorn" diese Brückenfunktion vom rechtsextremistischen Spektrum aus wahrnehmen, kommt der Zeitschrift "Junge Freiheit" - gewollt oder nicht gewollt - diese Brückenfunktion aus dem noch nicht rechtsextremistischen Spektrum zu. Sie versteht sich als "überparteilich" und "undogmatisch". Trotz mancher Bedenken setzen JF-Redakteure auf die "Republikaner", die zwar nicht Wunschpartner sind, aber zur Zeit als unentbehrlich für die Rückkehr der "Rechten" in das deutsche Parteiensystem gelten. Mit dem programmatischen Schlagwort "Eine konservative Revolution" sollen Brücken gebaut werden zwischen den verschiedenen nationalen Kräften. Durch einen "modernen Nationalkonservativismus, verbunden mit einem aggressiven Antiliberalismus" sollen "Berührungsängste zwischen Konservativen, Nationalen und Nationalrevolutionären abgebaut" werden. DIE REVISIONISMUS-KAMPAGNE Seit Anfang der 50er Jahre erscheinen Bücher und Broschüren, die beweisen wollen, daß es keine Judenvernichtung im III. Reich gegeben habe und " die sechs Millionen Opfer nur eine schändliche Erfindung des allmächtigen Weltjudentumes" seien. Interessanterweise sind die maßgeblichen Autoren keine Historiker, sondern haben andere Berufe. So ist der Autor der Schrift "Es gab keine Gaskammern", Robert Faurisson, Dozent für französische Literatur des 20. Jahrhunderts. Der in Dänemark lebende deutsche "Agrarjournalist" Thies Christophersen und der Jurist Wilhem Stäglich verfaßten die Schrift "Die Auschwitzlüge" und das Buch "Der Auschwitzmythos". Schon diese kurze Aufzählung relevanter Protagonisten des Revisionismus macht das Hauptproblem bei der Bekämpfung des Revisionismus deutlich. Der Großteil 49 der propagandistischen Aktivitäten wirkt vom Ausland nach Deutschland hinein, weil dort der strafrechtliche Verfolgungsdruck bislang nicht wie in der Bundesrepublik gegeben ist. Ausgangspunkt rechtsextremistischer Geschichtsbetrachtung ist die völlige Ablehnung der deutschen Nachkriegsentwicklung. Nach dem Verständnis fast aller Organisationen des sogenannten "nationalen Lagers" sei die Bundesrepublik von antideutscher Umerziehungsagitation und kollektiver Demütigung des deutschen Volkes durch Oktroyierung eines permanenten Schuldbewußtseins geprägt. Dieses verberge sich hinter der geschichtsverzerrenden Vokabel "Vergangenheitsbewältigung". Die Revisionisten versuchen durch ihre beharrliche Propagandaarbeit bewußtseinsverändernde Wirkungen insbesondere bei dem jüngeren Teil der Bevölkerung, der die Zeit des "Dritten Reiches " nicht aus eigener Anschaung kennt, zu erzielen. Das "nationale Lager" ist sich weitgehend darin einig, daß das deutsche Volk in wesentlichen Fragen seiner jüngeren Geschichte im Interesse der "historischen Wahrheit" rehabilitiert werden müsse. Dahinter steht freilich der kaum zu verschleiernde Versuch, über das Infragestellen der Verbrechen des III. Reiches, dieses einerseits zu rehabilitieren und damit zugleich auch die Grundlagen der Bundesrepublik Deutschland in Frage zu stellen. Dies gilt sowohl für das politische System als auch für die in der bundesrepublikanischen Gesellschaft entstandene politische Kultur und ihre Werte. An revisionistischen Veranstaltungen, auf denen zumeist der selbsternannte britische Historiker und Schriftsteller David Irving als Redner auftritt, nehmen regelmäßig Rechtsextremisten fast aller Bereiche teil. Der Revisionismus hat somit über Organisationsgrenzen hinweg eine ideologische Klammerfunktion. Er wird von Rechtsextremisten als wichtiges politisches Thema zur Einigung der rechtsextremistischen Szene und zur gemeinsamen Mobilisierung gegen den demokratischen Rechtsstaat eingesetzt. Vor allem zwei, von der ständigen Rechtsprechung als historisch bewiesene Tatsachen eingestufte Sachverhalte leugnen die rechtsextremistischen Revisionisten, weil sie sie als prägend für die "Schuldgefühle" der Deutschen ansehen : 1. die Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg und 2. die Massentötung von Juden in deutschen Vernichtungslagern . Als Revisionismus im engeren Sinne wird die Leugnung der massenhaften Judenvernichtung, auch "Auschwitzlüge" genannt, verstanden. Die Verstärkung der Revisionismuskampagne (etwa seit 1989) wurde 1988 durch 50 einen Strafprozeß vor dem Bezirksgericht Toronto/Kanada gegen den in Kanada lebenden deutsch-kanadischen Neonazi und Revisionisten Ernst Zündel ausgelöst. Zündel, der häufig in Deutschland präsenter Kopf der Revisionismus-Bewegung ist, beeinflußt in signifikanter Weise auch neonazistische Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. Er stammt aus Baden-Württemberg und bezeichnet seine zersetzende Propaganda als den Kampf zwischen dem schwäbischen David und dem jüdischen Goliath. Damit spielt er auf die "Weltverschwörungstheorie" (s.u.) an. In dem Prozeß war Zündel der wissentlichen Verbreitung falscher Nachrichten angeklagt. Zu seiner Entlastung legte er ein von ihm in Auftrag gegebenes Gutachten des Ingenieurs Fred A. Leuchter aus Boston/USA vor. Dieser kam entsprechend den Erwartungen seines Auftraggebers zu dem "wissenschaftlich belegten" Ergebnis, daß es weder in Auschwitz noch in Birkenau oder Majdanek Gaskammern zur Vernichtung von Menschen gegeben habe. Der "Leuchter-Bericht" wurde Innerhalb rechtsextremistischer Kreise der Bundesrepublik als "wissenschaftliches Beweismittel" verbreitet. Tatsächlich handelt es sich um eine pseudowissenschaftliche, längst widerlegte, plumpe NS-apologetische Propagandaschrift. Gleichwohl endete das Verfahren gegen Zündel am 27. August 1992 vor dem obersten Gericht Kanada, dem Supreme Court, mit einem Freispruch. Das Gericht begründete den Freispruch im Kern damit, daß alle Meinungsäußerungen verfassungsrechtlich geschützt seien, solange sie friedlich vertreten würden. Zündel wertete den Freispruch für kanadische Verhältnisse als revolutionär. Von der "Zionisten-Lobby in den 60er Jahren geschaffene, dem Volksverhetzungsparagraphen in Deutschland ähnliche Gesetze, kämen dadurch ins Wanken. Der Freispruch verschaffte Zündel erhebliche Publizität. Mit diesem Spruch, so erklärte er, sei das Holocaust-Thema für ihn zufriedenstellend gelöst, er wollte sich nun wichtigeren Themen zuwenden. In der Ausgabe Nr. 160 des von ihm herausgegebenen und vertriebenen "Germania-Rundbriefes" vom 11. September 1992 erklärte er, aufdecken zu wollen, daß es sich bei der "Holocausf'-Angelegenheit nicht so sehr um Wiedergutmachung des Unrechts an Menschen, sondern vielmehr um ein globales Verbrechen handele. Dieses sei von genialen teuflischen Gehirnen während des Krieges oder gar vorher schon ausgeheckt worden, um hunderte von Millionen Mark und enorme andere Schätze durch Erpressung auf Staatsebene, ohne jegliche Gegenleistung zu ergaunern. Dieser teuflische Plan sollte aber nicht nur seine Erfinder und Nutznießer bereichern, sondern zugleich Deutschland und die anderen weißen Nationen, auch die Sieger, für Jahrhunderte durch Tributzahlungen schwächen. Was hier sichtbar werde, so behauptete Zündel weiter, sei ein raffiniertes Wirtschaftsverbrechen globalen Ausmaßes. Die 51 Verbrecher hätten höchstwahrscheinlich vorsorglich eingeplant, ein Staatsgebilde künstlich zu schaffen, wo es in Jahrtausenden keines gegen habe, in das sie hätten flüchten können, um ihre Beute und sich selbst in Sicherheit zu bringen (gemeint ist der Staat Israel). Dieses Staatsgebilde, so führte Zündel weiter aus, diene aber nur vordergründig als Staat. Hauptsächlich werde es benutzt, um Wirtschaftsspionage und Sabotage in anderen Staaten, auch befreundeten, zu betreiben. Daneben werde dieser Staat als Basis für enorme Waffenschiebereien, Waffenproduktion und Trainingslager für Mordkommandos benutzt. Zündel stellte abschließend fest, daß diese neue Richtung vorübergehend sei, denn er lasse sich nicht ewig von "diesen Psychopathen und Teufeln" in seinem Handeln behindern. Es gelte, dieser Gangster habhaft zu werden und die Fesseln Deutschlands zu sprengen. Nach diesen Äußerungen war klar, daß die revisionistischen Hauptaktivitäten von nun an auch antisemitischer/antizionistischer Prägung sein würden. Tatsächlich entsprachen die revisionistischen Aktivitäten im wesentlichen dem von ihm vorgegebenen neuen Kurs. So veröffentlichte der Alt-Nazi Otto-Ernst Remer in der von ihm herausgegebenen "Remer Depesche" vom Dezember 1992 einen "Aufruf an alle Deutschen: Keine Gewalt gegen Ausländer". Darin wird die Behauptung aufgestellt, daß Israel daran interessiert sei, die deutsche Nation weltweit zu diffamieren. Dazu passe es am besten, dem deutschen Volk kollektiven Ausländerhaß unterzuschieben. Er warnte davor, sich zu Gewalttaten provozieren zu lassen. Die Subjekte, die zur Gewalt aufriefen, seien meist Provokateure. Die Schuld für die verheerenden Zustände in Deutschland sei nicht bei den Zuwanderern zu suchen. "Die wahren Schuldigen" hat Remer in Bonn und in den Landesregierungen geortet. In dem "Germania-Rundbrief Nr. 115 vom 10. Februar kündigte Zündel an, daß er sich durch "Medienspektakel" eine größtmögliche Medienpräsenz schaffen wolle. Zur Intensivierung der "revisionistischen Aufklärungsarbeit" habe er in den USA Radio-Sendezeiten gekauft, um so weltumspannend und unzensiert wirken zu können. Diese Sendungen der "Stimme der Freiheit" wurden über den kommerziellen US-Sender WRNO/New Orleans, zu dessen Kunden hauptsächlich Anbieter mit religiösem Hintergrund gehören, von Mai bis September verbreitet. Sie waren in Deutschland zu empfangen, erzielten hier aber keine nachhaltige Wirkung. Der demokratische Rechtsstaat begegnet den revisionistischen Propagandadelikten mit Maßnahmen, die sich im wesentlichen auf die SSSS 130 (Volksverhetzung ) und 131 (Aufstachelung zum Rassenhaß) des StGB stützen. Das OVG Schleswig bestätigte am 5. Oktober eine Entscheidung des Kreises Segeberg vom November 1991 und die erstinstanzliche Entscheidung gegen David Irving. Ihm wurde damals untersagt, auf einer Veranstaltung des NPD-nahen Freundeskreises "Ein Herz für Deutschland" am 8. November 1991 in Lentföhrden seine Thesen zur "Auschwitzlüge" zu verbreiten. Der Kreis 52 Segeberg begründete sein Verbot damit, daß Irvings öffentlich vertretenen, erwiesenermaßen falschen Äußerungen, der Holocaust habe nie stattgefunden, eine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit darstellten. Das OVG stellte fest, der Historiker könne sich in diesem Fall nicht auf das Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit berufen. Ziel der Veranstaltung sei nicht die Diskussion wissenschaftlicher Thesen, sondern die Indoktrination der Zuhörer gewesen. Diese politische Betätigung sei nachrangig gegenüber anderen Rechtsgütern wie etwa dem Schutz der Ehre aller noch lebenden und getöteten Juden. Revision wurde nicht zugelassen. Am 28. Oktober sollte der amerikanische Revisionist und Zündel-Adept, Fred Leuchter, in der SAT1-Sendung "Schreinemakers live" zu seinen "Forschungsergebnissen" zum Vernichtungslager Auschwitz Stellung nehmen. Dazu kam es jedoch nicht, weil er kurz vor der Sendung auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Mannheim wegen Verdachts der Volksverhetzung verhaftet wurde. Hintergrund der Maßnahme war, daß Leuchter am 10. November 1991 auf einer vom NPD-Bundesvorsitzenden Günter Deckert initiierten Veranstaltung in Weinheim sein Gutachten zur Unmöglichkeit der Vergasungen in Konzentrationlagern vorgetragen hatte. Am 30. November wurde Leuchter gegen eine Kaution von 20.000,DM auf freien Fuß gesetzt und flog zurück in die USA. Zuvor erklärte er, es würde ihm eine Ehre sein, an der mündlichen Verhandlung Anfang nächsten Jahres teilzunehmen. Es ist zu erwarten, daß Zündel, als Auftraggeber Leuchters versuchen wird, das Strafverfahren in eine Propagandaveranstaltung umzufunktionieren . David Irving wollte Anfang November an einer Veranstaltung mit rechtsextremistischem Hintergrund zum 55. Jahrestag der Reichspogromnacht in München teilnehmen. Dies gelang ihm jedoch nicht, weil die Münchener Ausländerbehörde ihn am 9. November auswies. Sie begründete die Ausweisung damit, daß das Interesse von Rechtsextremisten an Irvings Veranstaltungen ungebrochen sei. Den Behörden sei es nicht zuzumuten, Irvings Äußerungen permanent zu überwachen und gegebenenfalls nur im Nachhinein strafrechtlich ahnden zu können. Irving habe durch seine Auftritte dazu beigetragen, daß die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch zunehmende Ausschreitungen gefährdet seien. Der durch Gewalt und Rassenhaß verursachte wirtschaftliche Schaden sei beträchtlich; das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland werde erheblich geschädigt. Damit wurde Irving attestiert, daß er zu den geistigen Brandstiftern gerechnet wird. Irving ist auch in anderen Staaten "unerwünschte Person". Der Bundesgerichtshof veröffentlichte am 25. November eine Entscheidung vom 16. November, mit der er das Urteil des LG Schweinfurt vom 22. Oktober 1992 gegen Otto-Ernst Remer bestätigte. Seinerzeit wurde Remer zu einer 53 Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten wegen Volksverhetzung in fünf Fällen in Tateinheit mit Aufstachelung zum Rassenhaß verurteilt. Remer hatte u.a. behauptet, der systematische Judenmord in den Gaskammern des "Dritten Reiches" sei eine Erfindung der Juden, um das deutsche Volk bis in die Gegenwart um riesige Summen zu erpressen. Das LG lehnte es ab, über Remers Behauptungen Beweis zu erheben, da die Morde an Juden eine offenkundige Tatsache seien. Der BGH billigte dies, da es mit der ständigen Rechtsprechung übereinstimme. RECHTSEXTREMISTISCH UND FREMDENFEINDLICH MOTIVIERTE STRAFTATEN Obwohl die Anzahl rechtsextremistischer Gewalttaten nach der Statistik des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) im Jahr 1993 im Vergleich zum Vorjahr deutlich sank, hält die Bedrohung von Ausländern, jüdischen Mitbürgern, von Personengruppen, die von Rechtsextremisten als unwertes Leben eingestuft werden - wie Obdachlosen und Behinderten - sowie von politischen Gegnern in der Bundesrepublik unverändert an. 54 Wie die Ereignisse von Rostock, Mölln oder Solingen gezeigt haben, können besonders schwere Anschläge einen Flachenbrand rechtsextremistischer Gewalt auslösen. Ein erneutes Ansteigen der Fallzahlen ist deshalb jederzeit möglich. Rechtsextremistische Gewalttaten werden auch weiterhin zum Teil mit äußerster Brutalität durchgeführt. Das Absinken der Zahl der Todesopfer von 17 im Jahre 1992 auf acht in 1993 bedeutet kein Entwarnungssignal, da es häufig dem Zufall unterliegt, wieviele Menschen bei Brandanschlägen getötet werden oder ob Opfer bei brutalen Körperverletzungen getötet oder schwer verletzt werden. Die Straftaten werden in aller Regel ungesteuert aus der örtlichen Rechtsextremismus-Szene verübt, überwiegend von Jugendlichen, Skinheads aber auch von Personen, die bisher nicht als Rechtsextremisten in Erscheinung getreten sind. Ihnen fehlten ein geschlossenes politisches Konzept und entsprechende organisatorische Strukturen. Zwar handeln die Täter meist spontan und unter Alkoholeinfluß, gleichwohl liegen dem Handeln bestimmte politische Überzeugungen zugrunde. Parolen, wonach vor allem Ausländer Schuld seien an sozialen Mißständen wie Wohnungsnot, Arbeitslosigkeit oder Kriminalität haben bei vielen Tätern zweifellos meinungsbildend gewirkt. Ihre Taten spiegeln insofern nur das Vorrücken rechtsextremistischen Gedankenguts wider. Die Altersstruktur der ermittelten Tatverdächtigen hat sich leicht nach oben entwickelt. Waren noch 1992 etwa 70% unter 21 Jahre alt, betrug ihr Anteil 1993 nur noch 56%. Zwischen 21 und 30 Jahren waren 37% der Tatverdächtigen. Noch deutlicher wird diese Veränderung bei der Betrachtung der Altersgruppe der über 30-jährigen. 1991 waren 3% der Tatverdächtigen über 30 Jahre alt, 1992 noch 2,1%. 1993 stieg der Anteil älterer Täter auf 5% bei der Altersgruppe zwischen 31 und 40 Jahre und auf 2% bei der Altersgruppe über 41 Jahre an. Auch der Anteil der an den Gewalttaten beteiligten (jugendlichen) Skinheads ist geringer als im Vorjahr. In Westdeutschland wurden etwa 78% aller Gewalttaten verübt, auf die ostdeutschen Bundesländer entfielen 22% (Vorjahr: 67% West, 33% Ost). Der Anteil der Frauen lag bei 4,2%, der der Männer bei 95,8%. Bei 78% aller verurteilten Gewalttäter ging die Schulbildung nicht über den Besuch der Hauptschule hinaus. Entsprechend dem jugendlichen Alter befand sich auch die weitaus größte Zahl der Tatverdächtigen (rund 48%) noch als Schüler oder Auszubildender in der Ausbildung. Der Anteil der Arbeitslosen betrug rund 20%. Bei den Erwerbstätigen stellen nach allen vorliegenden Erkenntnissen Facharbeiter und ungelernte Arbeiter den größten Anteil der Gewalttäter dar. 55 Stark zurückgegangen ist die Zahl der Taten, an denen große Gruppen von Gewalttätern beteiligt waren. Hier liegen weiterhin die Schwerpunkte in den neuen Bundesländern. Fremdenfeindliche und sonstige rechtsextremistische Gewalttaten werden meist als (Klein-)Gruppendelikte begangen. Der Anteil von Tätern aus rechtsextremistischen Organisationen ist gering. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten hat sich gegenüber dem Vorjahr bundesweit von 2.639 auf 2.232 verringert. Zählt man die 8.329 "weiteren Gesetzesverletzungen" (z.B. Bedrohungen, Volksverhetzungen Beleidigungen usw.) mit erwiesener oder zu vermutender rechtsextremistischer Motivation hinzu, ergibt sich eine Gesamtzahl von 10.561 Straftaten. Im Monatsvergleich der Jahre 1992/1993 bewegte sich die Zahl der festgestellten Gewalttaten bis Juli deutlich über den Vorjahreszahlen, fiel dann jedoch ab August kontinuierlich unter Vorjahresniveau. Das Gros der Gewalttaten ereignete sich in den Monaten unmittelbar nach den Brandanschlägen von Mölln am 23. November 1992 und Solingen am 29. Mai 1993. Fast 72% (1992: ca. 90%) der Gewalttaten hatten eine fremdenfeindliche Ausrichtung, in absoluten Zahlen 1.609. Auch bei den fremdenfeindlichen Gewalttaten bewegten sich die Zahlen des Jahres 1993 bis zum Juli deutlich über den Vorjahreszahlen, um dann - nur unterbrochen durch eine Spitze im Oktober - bis zum Jahresende stark abzusinken. Die schwersten rechtsextremistischen Gewalttaten 1993: Nach einem Rockkonzert in Hoyerswerda am 20. Februar war es zwischen rivalisierenden Jugendlichen der rechten und linken Szene zu gewaltsamen Auseinandersetzungen gekommen, in deren Verlauf der Fahrer einer HeavyMetal-Band so schwer verletzt wurde, daß er am 26. Februar verstarb. In Mülheim an der Ruhr starb am 9. März ein 56jähriger Türke nach einer Auseinandersetzung mit zwei Deutschen. Die beiden Täter hatten ihr Opfer zunächst mit ausländerfeindlichen Parolen beleidigt und danach zu Boden gestoßen. Einer der Täter zielte daraufhin mit einer Schreckschußpistole auf den Türken und betätigte dreimal den Abzug der Waffe, die jedoch versagte. Nachdem die Angreifer den Tatort verlassen hatten, setzte sich das Opfer, das durch zwei Herzinfarkte gesundheitlich vorbelastet war, auf eine Mauer. Dort sackte der Mann in sich zusammen und verstarb. Die Polizei nahm zwei Tatverdächtige fest, von denen einer ein Geständnis ablegte und Angaben über die fremdenfeindliche Gesinnung seines Mittäters machte. Etwa 40 bis 50 vermummte Skinheads drangen am 24. April in eine Diskothek in Obhausen (Sachsen-Anhalt) ein. Einer der Skinheads schoß eine Leucht56 kugel in Richtung Theke. Die Tater verletzten drei deutsche Gäste durch Schlage mit Baseballschlägern und begingen erhebliche Sachbeschädigungen. Zwei der Opfer wurden in ein Krankenhaus eingeliefert, wo eines am 27. April seinen schweren Schädelverletzungen erlag. In Solingen wurde am 29. Mai ein Brandanschlag auf ein von türkischen Staatsangehörigen bewohntes Mehrfamilienhaus verübt. Dabei fanden zwei Frauen und drei Kinder den Tod. Sieben weitere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Die Situation in Hamburg Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten insgesamt ist in Hamburg von 383 auf 397 gestiegen (ca. 4%). Rund 53% dieser Taten (210) hatten eine fremdenfeindlich Ausrichtung; 1992 lag der Anteil bei 41 %. Während bei den fremdenfeindlichen Straftaten ein deutlicher Zuwachs von 157 auf 210 Fälle zu verzeichnen ist, sind die rechtsextremistischen Straftaten ohne fremdenfeindlichen Bezug von 226 auf 187 zurückgegangen. Vor allem bei Sachbeschädigungen und den Propagandadelikten (Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) wurden 1993 weniger Fälle ohne fremdenfeindliche Bezüge registriert. Als fremdenfeindliche Straftaten werden Straftaten angesehen, die gegen Personen begangen werden, denen der Täter aufgrund ihrer Nationalitat, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ein Bleibeoder Aufenthaltsrecht in seiner Wohnumgebung oder in der gesamten Bundesrepublik bestreitet. Im Zweifelsfall, wenn fremdenfeindliche Motive nach den polizeilichen Ermittlungen nicht feststehen, aber auch nicht auszuschließen sind, wird in Hamburg eine Straftat als fremdenfeindlich eingestuft. In der Gesamtzahl der rechtsextremistischen Straftaten sind neben den schweren Straftaten wie - Tötungsdelikten (Vollendung und Versuch) - Brandstiftungen (einschließlich Versuch) - Körperverletzungen - Landfriedensbrüchen und - Sachbeschädigungen mit Gewaltanwendung auch Delikte wie sonstige Sachbeschädigungen, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung, Aufstachelung 57 zum Rassenhaß und andere Straftaten sowie Nötigungen und Bedrohungen erfaßt. Der Anteil der schweren Straftaten hat sich gegenüber dem Vorjahr von 73 auf 69 Fälle verringert. Fast 80% dieser Straftaten (55 Fälle) hatten eine fremdenfeindliche Ausrichtung (1992: 49 Fälle). Die Zahlen im Einzelnen: Im Bereich der schweren Straftaten gab es zwei Tötungsversuche (1992: 1), von denen einer fremdenfeindlich (1992: 0) motiviert war. Von den festgestellten elf Brandstiftungen (1992: 7) waren sieben fremdenfeindlich (1992: 6). Die Zahl der Körperverletzungen lag im Berichtszeitraum bei 40 (1992: 29), von denen sich 35 (1992: 24) gegen Fremde richteten. Landfriedensbrüche wurden nicht festgestellt (1992: 1 fremdenfeindliche Feststellung). Bei den 16 Sachbeschädigungen (1992: 35) mit Gewaltanwendung gingen elf (1992: 18) zu Lasten von ausländischen Mitbürgern. Bei den "weniger" gravierenden Delikten, deren subjektive Wirkung unbestritten ist, stiegen die Gesamtzahlen von 310 auf 328 Straftaten, darunter der Anteil der Straftaten mit fremdenfeindlicher Zielrichtung von 108 auf 155. Das häufigste Delikt war die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen mit 145 (1992:169) bekanntgewordenen Fällen. Auch in Hamburg war nach dem Möllner Brandanschlag als Folgewirkung noch im Januar 1993 bei der Gesamtzahl aller fremdenfeindlichen Straftaten ein hohes Niveau zu verzeichnen, das aber bis zum Brandanschlag in Solingen am 29. Mai deutlich abfiel. Im Sog dieses brutalen Anschlages erreichten die Hamburger Fallzahlen im Juni ihre Jahresspitze mit 34 festgestellten Straftaten. In der 2. Jahreshälfte war - nur unterbrochen durch ein kurzfristiges Ansteigen der Fallzahlen im Monat September (Bürgerschaftswahl/Spitzenwert, der bundesweit nicht zu finden ist) ähnlich wie in der Bundesentwicklung ein kontinuierliches Abfallen des Meldeaufkommens zu verzeichnen. in der Altersstruktur der ermittelten 102 Tatverdächtigen sind wesentliche Veränderungen festzustellen. Während 1991 und 1992 die unter 20jährigen bei den Tatverdächtigen dominierten, ist deren Anteil 1993 auf 39% gesunken. Parallel dazu stieg der Anteil der über 30jährigen als Tatverdächtige fremdenfeindlicher Straftaten; ihr Anteil ist von 0 (1991) über 2 1 % (1992) auf nahezu 40% gestiegen. Bei den "Verbaldelikten" stellen sie die am stärksten belastete Altersgruppe. Mitglieder rechtsextremistischer Organisationen wurden 1993 nur in geringem Maße als Tatverdächtige fremdenfeindlicher Straftaten festgestellt. Weniger als 20% waren Skinheads. Mit 17 Tatverdächtigen stellten sie in der Altergruppe der unter 20jährigen einen Anteil von rd. 50%. 58 Bei mehr als der Hälfte der Tatverdachtigen waren Vorerkenntnisse aus dem Bereich der allgemeinen Kriminalität vorhanden, wegen politisch motivierter Delikte waren nur sechs Tatverdächtige bekannt. RECHTSTERRORISMUS Die verschiedenen rechtsterroristischen Ansätze seit 1977 unterscheiden sich grundsätzlich von der Organisationsform, der personellen Dichte und Abschottung, aber auch von den strategisch angelegten Konzepten des Linksterrorismus. Rechtsextremistisch motivierte Terroristen wurden oft nicht auf der Grundlage eines konkreten Entschlusses oder Diskusionsprozesses zu Terroristen, "rutschten" in eine terroristische Karriere hinein. Zwar wurden und werden gerade in der Anfangsphase bei den üblichen Sauftreffs oft Gewaltund Anschlagsvorschläge besprochen, sie waren jedoch nur selten Ausgangspunkt einer tatsächlichen Aktion. Kontinuierliche und detaillierte Planung und exakte Vorbereitung von Gewalttaten wie bei der Gruppe Hepp/Kexel waren die Ausnahme. Zumeist gehen die Anschläge auf rechtsterroristische Einzeltäter zurück, die als Exzeßtäter mit ihrer Tat ein Fanal setzen wollen. Nach dem Grundsatz "Je schlimmer, desto besser" agierend, setzen sie notfalls auch die eigene Existenz aufs Spiel. Ihre Anschlage sind daher weit weniger kalkulierbar als solche von Linksterroristen, die auf der Grundlage eines klaren strategischen Konzepts Ziel und Mittel in Relation zueinander setzen. In der Vergangenheit war das Grundproblem der Rechtsterroristen das Unvermögen, der Öffentlichkeit ihre Anschläge zu vermitteln. Es gab keine offen auftretende sympathisierende Szene, die den bewaffneten Kampf unterstützte. Daher verzichteten sie auf schriftliche Bekennungen und ließen die Taten für sich sprechen. Ebenso fehlten dem organisierten Rechtsextremismus in der Vergangenheit strategische und taktische Konzepte zum Aufbau klassischer illegaler Strukturen. Er operierte durchweg aus der Legalität. Für die künftige Entwicklung wird allerdings von Bedeutung sein, wie sich eine bislang unbekannte Zahl an Rechtsextremisten, die zur Zeit als Söldner im ehemaligen Jugoslawien tätig ist, nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik verhalten wird. Gewisse Parallelen zur Wehrsportgruppe Hoffmann, von der sich Teile in den Libanon abgesetzt hatten und mit militärischen Kenntnissen in die Bundesrepublik zurückkamen, sind zumindest ansatzweise erkennbar. 59 Die bisher aktivste Phase des rechtsextremistischen Terrorismus in der Bundesrepublik reichte von 1977 bis 1982. Höhepunkt war der Anschlag auf das Münchener Oktoberfest am 26.9.1980, bei dem 13 Personen ums Leben kamen und 215 verletzt wurden. Mit der Zerschlagung der Hepp/Kexel-Gruppe, die - antiimperialistisch motiviert - im Dezember 1982 in Hessen Anschläge auf Fahrzeuge amerikanischer Soldaten verübte, endete seinerzeit der rechtsextremistische Terror. Anzeichen für ein Wiederaufleben eines organisierten, systematisch geplanten rechtsextremistischen Terrorismus sind seit 1992 zu beobachten, als gegen Rechtsextremisten Verfahren nach SSSS 129 und 129a StGB eingeleitet wurden. Diese Entwicklung könnte durch die staatlichen Repressionsmaßnahmen gegen Rechtsextremisten noch verstärkt werden. Insbesondere nach den Verboten einer Reihe neonazistischer Organisationen sehen einige Anhänger des militanten Neonazismus einen Ausweg aus ihrer Situation nur im bewaffneten Kampf. Einen ernstzunehmenden Hinweis auf eine solche Entwicklung gab auch der Hamburger Rechtsextremist und Anwalt Jürgen Rieger in der Fernsehsendung "PANORAMA" am 13. Januar 1993. "Wenn diese Verbote (gegen Nationalistische Front, Deutsche Alternative, Nationale Offensive) tatsächlich durchgehen sollten, kriegen wir eine rechte RAF, da können Sie sicher sein. Wenn die ersten Reporter und Richter umgelegt worden sind, dann wissen Sie, es geht los! Nicht die Großen, wie der Präsident des Verfassungsgerichtes, sondern Reporter, Richter, Polizisten. Diese Gruppierungen sind dann dran". Koordinierend tätig und zunehmend interessanter wird in diesem Zusammenhang für Teile der deutschen Rechtsextremisten die US-amerikanische "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) in Lincoln/Nebraska, die ohne Verfolgungsdruck der Strafverfolgungsbehörden ihr Propagandamaterial weltweit, insbesondere nach Deutschland, verschickt. Hauptproduzent dieses Materials ist seit rund zwanzig Jahren der sich als Propagandaleiter bezeichnende Amerikaner Gary Rex Lauck. Die Masse des Propagandamaterials besteht aus Aufklebern (sog. "Spuckis"), daneben auch aus Flugblättern und Plakaten mit der Abbildung der Hakenkreuzflagge und primitiven neonazistischen Parolen wie z.B. "Jetzt NSDAP, Kampf den Judenparteien KPD SPD CDU CSU FDP, Trotz Verbot nicht Tot, Ausländer raus!, Kauft nicht bei Juden" und "Rotfront verrecke!" Laucks Aufkleber werden von Neonazis in ganz Deutschland bezogen und verklebt. Seine Partei ist der wichtigste Materiallieferant dieses Personenkreises. Darüber hinaus produziert Lauck zweimonatlich die deutschsprachige Zeitung "NS-Kampfruf, die speziell für Rechtsextremisten im Bundesgebiet konzipiert ist und von diesen teilweise auch als Verbreitungsplattform eigener Texte genutzt wird. In der Januar 1994-Ausgabe des NS-Kampfruf 60 veröffentlichte Lauck unter der Überschrift "Gewalt als Kampfmittel" einen Artikel, der in gleicher Form bereits 1982 bei ihm erschienen war. Mit den vorangestellten Bemerkungen, daß man Gewaltanwendung ablehne und nur einen Gedankenaustausch in der NS-Bewegung forcieren wolle, wird in einer "FÜR" und "WIDER" - Form die Bedeutung der "Gewalt" gewürdigt. Daß mit derartigen Veröffentlichungen deutsche Rechtsextremisten zu Gewalttaten motiviert werden sollen, verdeutlichen einige Zitate: "Wir brauchen nicht auf die Gewalt als Kampfmittel zu verzichten". "Unsere heutige Gewaltanwendung wäre keineswegs ein Putschversuch, sondern nur eine Ausweitung des Propagandakampfes und eine gerechte Selbstverteidigungsmaßnahme". "Gegen den fanatischen Einzelkampfer, der klar denkt und kaltblütig handelt, gibt es keinen Schutz. (Vor allem wenn er den Mund hält)". "Wenn das ungerechte NS-Verbot und unsere Forderung für seine Aufhebung betont wird und unsere Angriffsziele richtig ausgewählt werden, wird es Verständnis und Sympathie haben". "Es ist unsere Pflicht, jeden NS-Einsatz propagandistisch auszunutzen, gleich ob er friedlich ist oder nicht". "In fast jedem Falle wird der Einsatz wirksamer, wenn NSDAP/AO Propagandamaterial benutzt oder hinterlassen wird." Die Aktivitäten des Gary Lauck sind in den Vereinigten Staaten von Amerika weder mit Strafe bedroht noch verboten. Im November/Dezember 1992 wurde bekannt, daß von Unbekannten eine Publikation "Eine Bewegung in Waffen - Band IIb - Handbuch für improvisierte Sprengtechnik / Herausgeber: Autorenkollektiv Werwolf - Copyright 1992/103 by Horst-Wessel-Verlag" verschickt worden war. Auf ihrem Titelblatt befinden sich die Abbildung eines auf die Spitze gestellten Hakenkreuzes und die Abbildung eines Sturmgewehres. Aufgabeort war bei den bekannt gewordenen Fällen Hamburg. Absendeanschrift war ein Postfach in Rotterdam/Niederlande. Als Vorlage dieser Publikation könnte nach ersten Einschätzungen ein Armee-Handbuch gedient haben. Es befaßt sich detailliert mit der Herstellung von Brandund Sprengbomben und beschreibt Sprengtechniken. Fachleute des Bundeskriminalamtes 61 bewerteten die Anleitungen als geeignet. Dort beschriebene Zündvorrichtungen seien bereits bei Anschlägen im Bundesgebiet verwendet worden. Mitte Juni 1993 wurde bekannt, daß die NSDAP/AO des Gary Lauck bei deutschen und österreichischen Rechtsextremisten eine Computer-Diskette vertreibt, auf der u.a. das Handbuch für improvisierte Sprengtechnik ("Eine Bewegung in Waffen, Band IIb") enthalten ist. Den gewaltbereiten Kameraden wird empfohlen, "diverse Rezepturen gegebenenfalls vor dem Einsatz zu erproben und zu testen". Das "Handbuch für improvisierte Sprengtechnik" ist Teil einer Schriftenreihe, deren Bände I ("Massenpsychologie, Propaganda und Revolution") und II ("Strategie und revolutionärer Kleinkrieg") bereits teilweise im NS-Kampfruf veröffentlicht worden waren. Während der Band I eine theoretisch ideologische Abhandlung über "Grundsätze der Massenpsychologie", "Revolutionsjournalismus" und "Die nationalsozialistische Revolution" ist, unterteilt sich Band II in die Teile "Die Strategie im politischen Kampf, "Der revolutionäre Kleinkrieg" und "Anhang". Band II beschreibt u.a. die Koordinierung und Organisierung des illegalen Kampfes durch Gründung einer Kaderorganisation, die nach dem "Führerprinzip" aufgebaut ist. Dieser illegale Arm wäre dann für "Werwolfaktionen" und "Abwehr terroristischer Kampfhandlungen des politischen Gegners" zuständig. Unklar bleibt bisher, ob und inwieweit die theoretische Phase dieser Planung bereits die Schwelle zur praktischen Ausführung überschritten hat. Es ist z.Zt. auch nicht erkennbar, ob bereits Personen für die Mitarbeit in einem illegalen Arm gewonnen werden konnten. Das Auftauchen dieser Schriften belegt deutlich, daß die Gefahr eines politisch motivierten rechtsextremistischen Terrorismus in der Bundesrepublik gewachsen ist. Die breiten theoretischen Abhandlungen und die Anleitungen zum Bau von Bomben finden nicht zuletzt durch die Verbreitung von Gary Lauck Eingang in die deutsche Neonaziszene zu einem Zeitpunkt, in dem einzelne Neonazis aufgrund der andauernden und noch zunehmenden Repression durch die staatlichen Institutionen und die zunehmende Bedrohung durch den politischen Gegner zur Überzeugung gelangen können, daß der politische Kampf nur noch in Form eines bewaffneten Untergrundkampfes durchgeführt werden kann. Die langjährigen Erfahrungen mit dem linksextremistischen Terrorismus zeigen, daß theoretische Erörterungen über den bewaffneten Kampf nahezu zwangsläufig in die Praxis überführt werden. Es ist zu befürchten, daß künftig mit einem intelligenteren rechtsextremistischen Terrorismus als bisher zu rechnen ist, da Elemente des Nationalsozialismus mit Erfahrungen des linksextremistischen Terrorismus kombiniert werden. 62 IN HAMBURG VERTRETENE RECHTSEXTREMISTISCHE PARTEIEN DEUTSCHE LIGA FÜR VOLK UND HEIMAT (DLVH) Die DLVH versteht sich - ebenso wie der "Förderverein Vereinigte Rechte" - als eine "Sammlungsbewegung demokratischer Patrioten", die es sich zum Ziel gesetzt hat, "...das ewige Gegeneinander innerhalb des rechten und patriotischen Lagers..." zu beenden. Dieser Anspruch, die Rechte in einer parteipolitischen Organisationsform zusammenzufassen, umfaßt das gesamte rechtsextremistische Spektrum von den "Republikanern" bis hin zu den offen neonazistisch agierenden Gruppen. Bislang ist der DLVH der erhoffte Durchbruch im "rechten Lager" zwar nicht gelungen, gleichwohl ist eine leichte Aufwärtsentwicklung festzustellen. Nach Angaben des DLVH-Bundesschatzmeisters ist die Mitgliedschaft im letzten Jahr von 800 auf 900 angestiegen. Mitgliederzuwächse seien vor allem in Norddeutschland zu verzeichnen gewesen. Das als "Gründungsmanifest" bezeichnete Parteiprogramm von 1991 beansprucht noch keine Endgültigkeit. Ideologische Gemeinsamkeiten mit NPD, DVU und den REP sind unverkennbar. Kernpunkt der Programmatik ist die Aussage, daß die "Nation" bzw. "Volk" und "Staat" möglichst homogen zu sein hätten. Die Agitation der DLVH war schwerpunktmäßig ausländerfeindlich angelegt. In erster Linie trat die Partei mit Flugblattaktionen an die Öffentlichkeit. Grundtenor war dabei immer der Versuch, einerseits Stimmung gegen Ausländer zu machen, sie zu "Sündenböcken" für tatsächlich bestehende gesellschaftliche Probleme zu stempeln und andererseits die Regierenden in Bund und Ländern als unfähig hinzustellen, die Probleme zu regeln. So endete eine beispielhafte Aktion zur öffentlichen Profilierung der DLVH mit einer Anklage wegen Volksverhetzung und Amtsanmaßung. Einzelne Mitglieder der DLVH hatten im Kölner Raum Flugblätter verteilt, auf denen die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" ein Handgeld in Höhe von DM 1000.für die "Ergreifung" einer nach erfolgter Abschiebung illegal nach Deutschland zurückgekehrten Roma aussetzte. 63 Durch spektakuläre, medienwirksame Aktionen versuchte die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" - in erster Linie die Kölner Ratsfraktion - verstärkt, den Bekanntheitsgrad der Partei bundesweit zu erhöhen. Dabei kam es der DLVH häufig weniger auf die politischen Inhalte als vielmehr auf den Showeffekt an. Eine Vielzahl angemeldeter Veranstaltungen/Demonstrationen, die verboten wurden, sind Ausdruck dieser Taktik. Zu den parteieigenen Publikationen zählen - neben einer Mehrzahl unbedeutender regionaler Schriften, zu denen auch das Info-Blatt "Die Nordlichter" für den Bereich Norddeutschland gehört, - die Monatszeitschrift "Nation und Europa" sowie die "Deutsche Rundschau". Letztere ist über eine Verlagsund Vertriebsgesellschaft in Landshut zu beziehen, die zahlreiche revisionistische und nationalistische Schriften in ihrem Programm hat. Alleiniger Geschäftsführer des Verlages ist der DLVH-Funktionär Franz Glasauer, ein ehemaliges Mitglied der REP und der NPD - gerngesehener Gast und Vortragender auch auf Neonazi-Veranstaltungen, wie 1992 beim "Rudolf-Hess-Gedenkmarsch". Obwohl die DLVH - nicht zuletzt aufgrund mangelnder Finanzen - kaum an Wahlen beteiligt war, verfügt sie durch eine geschickte die Flügelkämpfe der großen rechtsextremen Parteien nutzende Taktik zur Abwerbung von Mandatsträgern, u.a. im Europa-Parlament, aber auch in einigen Landesund Kreisparlamenten über Abgeordnete. So traten beispielsweise nach den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein 1992 in kurzer Folge vier Abgeordnete, die für die DVU in den Kieler Landtag eingezogen waren, zur "Deutschen Liga für Volk und Heimat" über. Als nunmehr parlamentarische Vertreter der DLVH erlangten sie den Fraktionsstatus und damit auch entsprechende öffentliche Gelder, die als fester Bestandteil in die Gesamtfinanzierung der rechtsextremen Partei einflossen. Wandte sich die DLVH mit ihrer Strategie der parlamentarischen "Mitgliedergewinnung" bisher überwiegend an Vertreter der REP oder DVU, wurde Ende des Jahres erstmals ein Neonazi als eigener Kandidat bei einer Wahl präsentiert. Mit Frank Hübner trat im Dezember der ehemalige Vorsitzende der verbotenen neonazistischen DA für die DLVH bei den brandenburgischen Kommunalwahlen in Cottbus zur Wahl des Oberbürgermeisters an, blieb jedoch mit 2,5% praktisch erfolglos. Da der Bundesvorstand der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" nach außen hin großen Wert auf die Einhaltung bestehender Unvereinbarkeits/Abgrenzungs-beschlüsse zu Neonazis legt, wurde der Landesvorstand BerlinBrandenburg wegen der Unterstützung suspendiert. Allerdings galt diese Maßnahme nur vorübergehend, was auf die "Ernsthaftigkeit" derartiger Abgrenzungsversuche schließen läßt. Zweifellos stellt die DLVH einen potentiellen politisch-ideologischen "Partner" für jene Personen dar, denen die politische Betätigung infolge eines Organisationsbzw. Parteienverbotes erschwert 64 worden ist. Entsprechend wird sie von (führenden) Vertretern neonazistischer Gruppierungen als alternatives politisches Betätigungsfeld betrachtet. An der Parteibasis werden diese Kontaktversuche nicht ohne ein gewisses Wohlwollen registriert. Auch in Hamburg und dem angrenzenden Umland besteht bei einzelnen DLVH-Mitgliedern Interesse an einer solchen Zusammenarbeit. Neonazis sind in die Partei aufgenommen worden und bei der Festnahme eines Mitgliedes des DLVH-Landesverbandes Hamburg wegen eines versuchten Tötungsdeliktes wurden in dessen Wohnung neben parteieigenen Schriften auch Materialien der neonazistischen FAP sichergestellt. Die festgenommene Person war vor ihrem Eintritt in die DLVH langjähriges Mitglied der FAP und hatte dort im Landesverband Hamburg Vorstandsfunktionen inne. Der Landesverband Hamburg wurde am 2. November 1991 gegründet. Ihm gehören auch ehemalige NPDund HLA-Mitglieder an. Wie im Bundesgebiet ist auch in Hamburg die Zahl der Mitglieder leicht, nämlich auf ca. 30 angewachsen. Auch im dritten Jahr seines Bestehens geht die Außenwirkung des Landesverbandes Hamburg nur unwesentlich über Flugblattaktionen - meist ausländerfeindlichen Inhalts - hinaus. Neben Themen wie "Rettet die D-Mark" und "Deutschland als Zahlmeister - Europäische Union immer teurer !" wandte sich die DLVH mit einer Serie von Flugblattveröffentlichungen unter dem Tenor "Gewalt gegen Deutsche" an hamburgische Haushalte. An der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft beteiligte sich die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" nicht. DEUTSCHE VOLKSUNION (DVU) Von den politischen Organisationen des Münchner Verlegers Dr. Gerhard Frey hat die Partei "Deutsche Volksunion" (DVU) die größte Bedeutung. Ihre Mitgliederzahl liegt bundesweit unverändert bei etwa 26.000, die DVU gibt traditionell höhere Mitgliederzahlen an. Neben der Partei DVU gibt es den Verein "Deutsche Volksunion e.V." Angehörige dieses Vereins oder einer der ihm angeschlossenen Aktionsgemeinschaften - "Aktion Oder-Neiße" (AKON), - "Aktion deutsches Radio und Fernsehen (ARF), - "Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz der 65 Frontsoldaten" (ER), - "Initiative für Ausländerbegrenzung" (l.f.A.), - "Deutscher Schutzbund für Volk und Kultur" - "Volksbewegung für Generalamnestie" (VOGA) sind laut Satzung automatisch DVU-Parteimitglieder, sofern sie dem nicht ausdrücklich widersprechen. Die DVU wird von ihrem Bundesvorsitzenden Dr. Frey von München aus autoritär und zentralistisch geführt. Sie ist in allen Bundesländern mit eigenen Landesorganisationen vertreten. Die DVU-Mitglieder in Berlin und Brandenburg sind im Landesverband Berlin-Brandenburg zusammengefaßt. Das zwölf Punkte umfassende Parteiprogramm der DVU mit Forderungen wie "Bewahrung der deutschen Identität", "Gleichberechtigung für Deutschland", "Schaffung von Arbeitsplätzen", "Schutz vor Kriminellen" oder "Direkte Demokratie für deutsche Bürger" ist vage formuliert und vermeidet weitgehend extremistische Formulierungen. Die DVU verfügt über keine offizielle Parteizeitung. Die politische Propaganda wird in den beiden Wochenzeitungen "DEUTSCHE NATIONALZEITUNG" (DNZ) und "DEUTSCHE WOCHENZEITUNG" (DWZ) betrieben. Die Zeitungen stammen aus Freys Verlag und werden von ihm in einer wöchentlichen Auflage von 50.000 bzw. 30.000 Exemplaren herausgegeben. Damit verfügt er über das größte und einflußreichste Presseimperium im rechtsextremen Lager. Außer der Berichterstattung über Aktivitäten der DVU werden in diesen Blättern Themen wie Ausländerfeindlichkeit, antijüdische Agitation, Nationalismus und Revisionismus in aggressiver Form behandelt. Eine strafrechtliche Relevanz einzelner Artikel konnte jedoch bisher nicht nachgewiesen werden. In der DNZ und der DWZ wird für Bücher, Medaillen und Videos geworben, die im "FZ-Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenhandel" von Dr. Freys Ehefrau angeboten werden. Die DVU grenzt sich durch Unvereinbarkeitsbeschlüsse von Skinheads und neonazistischen Parteien ab. Dadurch sowie durch Lippenbekenntnisse zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung versucht die DVU, sich als "seriöse Alternative" zu demokratischen Parteien darzustellen. Regionale und überregionale Aktivitäten können von den Landesverbänden nur mit Zustimmung der Parteizentrale durchgeführt werden. Veranstaltungen sind selten und zumeist nicht öffentlich. Von den Parteimitgliedern nimmt nur ein geringer Teil an der politischen Arbeit der Partei teil. Die Mehrheit der Mitglieder beschränkt sich auf den Bezug der 66 Wochenzeitung des Dr. Frey und den Erwerb von Artikeln aus dem "FZFreiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH". Die unter dem Motto "Deutschland muß leben!" am 2. Oktober durchgeführte DVU-Großveranstaltung in der Passauer Nibelungenhalle mit 2.000 - 3.000 Teilnehmern (nach DVU-Angaben 5.000 Teilnehmer) verlief im wesentlichen störungsfrei und wurde von der Freyschen Presse als voller Erfolg und "DVUTriumph von Passau" gewertet. Außer Dr. Frey trat als Hauptredner Wladimir Schirinowski auf. Der sich vertiefende Kontakt zwischen Dr. Frey und Schirinowski nach dessen Erfolg bei den russischen Parlamentswahlen erregte öffentliches Aufsehen in der Bundesrepublik. Dr. Frey begrüßte den Erfolg Schirinowskis als "Fanal zum Schulterschluß der beiden größten Völker des Abendlandes, den Russen und den Deutschen". In der Freyschen Presse wird Schirinowski als zuverlässiger Freund der Deutschen herausgestellt. Die Verweigerung des Visums zur Einreise nach Deutschland nach dem Wahlsieg stieß bei der DVU auf Unverständnis und Verärgerung, die negative Berichterstattung in der Presse wurde als "Verteufelung" und "antifaschistischen Lügen" bezeichnet. Für die geplante Großveranstaltung der DVU am 24. September 1994 wird Schirinowski bereits als Referent angekündigt. In seinen Wochenzeitungen veröffentlichte Dr. Frey auch Beiträge über seine langjährige und enge Zusammenarbeit mit demokratischen Persönlichkeiten. So wurde bekannt, daß der führende Grundgesetzkommentator, der Staatsrechtler Prof. Maunz, der DVU jahrelang als juristischer Berater zur Verfügung stand. Er habe die Satzung der DVU auf ihre rechtliche Vereinbarkeit mit dem Parteiengesetz überprüft. Desweiteren wurde in einem Nachruf auf den verstorbenen ehemaligen bayerischen Innenminister Seidl (CSU) auf die enge Verbundenheit zwischen Frey und Seidl und auf Seidls Beratertätigkeit für Frey hingewiesen. Die Wahlerfolge der DVU aus den Vorjahren setzten sich 1993 nicht fort. Ermutigt durch die Wahlerfolge im Jahre 1991 zur Bremer Bürgerschaft (6,2%, sechs Mandate) und 1992 zum Kieler Landtag (6,3%,sechs Mandate) trat die DVU bei den hessischen Kommunalwahlen am 7. März in Frankfurt an und erlitt dort mit 2,7% eine Niederlage. Politische Arbeit der DVU-Landtagsfraktionen in Bremen und Schleswig-Holstein fand so gut wie nicht statt. Querelen mit dem Bundesvorstand der Partei führten letztlich zum Auseinanderbrechen der Fraktionen und zum Austritt 67 mehrerer Abgeordneter aus der DVU. Die DVU in der Bremer Bürgerschaft verlor ihren Fraktionsstatus, da drei Abgeordnete im Laufe des Jahres die Partei verließen und die "Nationalkonservative Gruppe" gründeten. Nachdem zunächst drei der sechs DVU-Abgeordneten im Kieler Landtag aus der DVU ausgetreten waren, zerfiel auch die Kieler DVU-Fraktion und verlor ihren Fraktions-Status. Mittlerweile sind vier der ehemals sechs DVU-Abgeordneten der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) beigetreten. Der negative Trend setzte sich auch bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft fort, an der Landesverband der DVU das erste Mal teilnehmen durfte. Zahlenmäßig stellt die DVU mit rund 700 Mitgliedern die personell stärkste rechtsextremistische Organisation in Hamburg dar. Offiziell existiert sie nur als Landesverband ohne Kreisorganisationen. Versuche oder auch nur Ansätze zu eigenständiger politischer Arbeit hat Frey in der Vergangenheit immer unterbinden können. Damit wurde ein organisatorisches Eigenleben mit der Heranbildung von aktiven und organisationserfahrenen Mitgliedern bewußt verhindert. Die hohen Mitgliedszahlen bundesweit sind auch das Ergebnis der Postwurfsendungen in Wahlkämpfen, mit dem Versuch verbunden, Leser für die Frey'schen Publikationen zu gewinnen. Die von Frey in der Vergangenheit gesammelten Anhänger seiner Deutschen Volksunion e.V. und den angeschlossenen einflußund funktionslosen Aktionsgemeinschaften dürften vielfach nicht wissen, daß sie seit einer Satzungsänderung automatisch DVUParteimitglieder sind, wenn sie es nicht ausdrücklich schriftlich ablehnen. Bei den so entstandenen Mitgliedschaften handelt es sich eher um organisierte Leserschaften denn um Parteimitglieder. Nur ein geringer Prozentsatz weiß um die im Regelfall monatlich stattfindenden internen Veranstaltungen auf Landesebene. Bürgerschaftswahlkampf Unmittelbar nachdem bekannt wurde, daß eine Wiederholung der Bürgerschaftswahl erforderlich sei, beschloß der Bundesvorstand der DVU am 5. Mai die Wahlteilnahme. Die DVU verbreitete diesen Beschluß in den Frey'schen Zeitungen vom 14. Mai. Für die Bürgerschaft nominierte die Partei 63 Kandidaten, darunter 2 Mitglieder der NPD. Die Kandidatenliste wurde angeführt von dem in der DVU funktionslosen Rudolf Reimers. Für die Wahlen zu den Bezirksversammlungen stellte die Partei in Hamburg-Mitte 12, Altona 5, Eimsbüttelö, Hamburg-Nord 9, Wandsbek 16, Bergedorf 6 und Harburg 12 Kandidaten auf. 68 Im Vorfeld der Kandidatenbenennung wurde zusammen mit der Wahlwerbung ein Aufruf an die Mitglieder verschickt, sich als Kandidat zur Verfügung zu stellen. Ein entsprechender Vordruck war beigefügt. Wahlziel der DVU war es, als stärkste rechte Partei in die Bürgerschaft einzuziehen und den dort vertretenen demokratischen Parteien eine "nationale" Politik entgegenzustellen. Durch Meinungsumfragen, die der DVU einen Stimmenanteil von 7,6% bzw. 7,8% versprachen, fühlte sie sich in den Erwartungen bestärkt. Ihre Wahlkampfaussagen veröffentlichte sie in Broschüren, Flugblättern, Karten und Sonderausgaben der "Deutschen Wochenzeitung". Kandidaten wurden weder namentlich erwähnt noch über Fotos bekannt gemacht. Argumente waren austauschbar mit Wahlkampfparolen in Bremen und Schleswig-Holstein. Sie beschränkten sich weitgehend auf allgemeine, schlagwortartig vorgetragene Aussagen, die parolenhaft vorgetragen wurden, etwa: Protest gegen Politiker, die nur an sich denken und mit Steuergeldern prassen! Protest gegen Leute, die mehr für Ausländer übrig haben als für die eigenen Landsleute! Protest gegen Politiker, die Verbrecher aus Gefängnissen rauslassen und über die Grenzen nach Deutschland reinlassen! Protest gegen Politiker, die Deutsche in Not im Stich lassen! Mit dieser Strategie präsentierte sich die DVU als nationalistische Protestpartei. Das Wahlkampfprogramm enthielt fünf Schwerpunktthemen: "Abschiebung von Scheinasylanten", "Hilfe für den Mittelstand", "Schutz von Kriminalität", "Hilfe für Familien", "Mehr Demokratie". Im einzelnen lauteten die Forderungen: "Deutsche Bürgerinnen und Bürger Hamburgs dürfen bei Sozialleistungen, Wohnungsund Arbeitsplätzevergabe nicht mehr länger gegenüber Ausländern benachteiligt werden", "Sozialleistungen an Scheinasylanten müssen gestrichen werden. Das Geld soll zuerst Deutschen, die in Not geraten, zugute kommen", "die Zahl der Ausländer in Hamburg ist zu begrenzen", "der Zustrom von illegalen, kriminellen Fremden sowie von Scheinasylanten muß ganz gestoppt werden", "es soll kein Steuergeld mehr für Schmutz und Schund in öffentlichen Einrichtungen wie Theater usw. verwendet werden". "Es dürfen keine sogenannten Kunstwerke aus der Steuerkasse angeschafft werden, die bei den meisten Bürgern nur Ekel und Abscheu hervorrufen". "An den Hamburger Schulen sollen die Lehrpläne von antideutscher Nestbeschmutzung, Dekadenz und einseitiger politischer Ausrichtung befreit werden", "Politiker, die sich rechtswidrig an Steuergeldern bereichern oder in anderer Hinsicht korrupt sind, müssen ebenso hart bestraft werden wie Bankräuber". 69 Wie bei vorangegangenen Wahlen führte die DVU einen finanziell aufwendigen Wahlkampf. Schätzungen zufolge dürften zwischen 500.000 und 1.000 000 DM dafür aufgewendet worden sein. Der Wahlkampf wurde von der Parteizentrale in München gesteuert und finanziert, sämtliche Werbemittel dort erstellt. Die Beteiligung der Hamburger Mitglieder am personell weitgehend anonymen Wahlkampf blieb gering. Auf öffentliche Veranstaltungen oder Kundgebungen zur Vorstellung der Kandidaten bzw. auf die Durchführung von Informationsständen wurde fast vollständig verzichtet. Erst in der Schlußphase präsentierte die Partei im Rahmen einer Pressekonferenz ihren Spitzenkandidaten. Schwerpunkt der Wahlwerbung waren Postwurfsendungen in hoher, zum Teil flächendeckender Auflage an alle Haushalte. Sie enthielten Wahlbriefe, "Fragenkataloge Hamburg", DVU-Wahlzeitungen, verschiedene Flugblätter und Karten sowie Extraausgaben von Freys Wochenblatt "Deutsche Wochenzeitung". Das Werbematerial enthielt darüber hinaus Spendenaufrufe, Beitrittsformulare für die Organisationen des Dr. Frey, Vordrucke zum Abonnement seiner Zeitungen und für die Anforderung seiner sonstigen Werbematerialien und Produkte. Mit dem Versand dieser Materialien begann die DVU bereits sehr frühzeitig mit dem öffentlichen Wahlkampf. In der Endphase wandte sie sich gezielt an Jungwähler. Zur Realisierung ihrer Wahlstrategie führte die DVU Rechtsstreitverfahren u.a. gegen die Stadt Hamburg wegen der Anbringung von Stellschildern an Masten, was der DVU versagt wurde. Mit dem "Hamburger Verkehrsverbund" stritt sie über die Werbung in Bahnhöfen und Zügen, für die sie entsprechende Werbeflächen angemietet hatte. Die DVU obsiegte. Gegen den Norddeutschen Rundfunk klagte sie wegen der Anzahl der zugestandenen Wahlspots. Ihr waren zwei Sendetermine dafür eingeräumt worden. Das Hamburgische Oberverwaltungsgericht erkannte ihr drei Sendetermine mit der Begründung zu, daß ihre Wahlchancen größer wären als die anderer kleinerer Mitbewerber und sich die Partei voraussichtlich einem Stimmenanteil von 5% nähere. Das Gericht teilte die Auffassung der DVU, daß sie - zumindest in Norddeutschland - das rechte Wählerspektrum repräsentiere. Ebenso verpflichtete das Hamburgische Oberverwaltungsgericht den Norddeutschen Rundfunk, einen Vertreter der Partei zu einer Sendung am 15. September einzuladen, in der Mitglieder der vier im Rathaus vertretenen Parteien live zur bevorstehenden Wahl diskutieren sollten. Da die demokratischen Parteien ihre Teilnahme absagten, fiel die Sendung aus. Zuspruch besonderer Art erfuhr die DVU durch die öffentliche Wahlkampfunterstützung der Hamburger Liste für Ausländerstopp (HLA). Die HLA begrün70 dete ihr Votum für die DVU mit der Person Dr. Freys, der im Gegensatz zu Schönhuber ein national glaubwürdiger und zuverlässiger Mann wäre. Eine "nationale Opposition" sei im Rathaus notwendig und die DVU habe reelle Chancen, in die Bürgerschaft einzuziehen. Am Wahltag erzielte die DVU insgesamt 23.579 = 2,8% Stimmen. Die besten Ergebnisse wurden in den Wahlbezirken Hamburg-Mitte (4,3%), Harburg (3,3%) und Bergedorf (3,2%) erzielt. In Wandsbek erreichte sie 3,0%, in Hamburg-Nord und Altona je 2,2% und im Bezirk Eimsbüttel 2,0%. Diese Ergebnisse spiegetn-sich mit Ausnahme Bergedorfs auch bei den Wahlen zu den Bezirksversammlungen wider. Allein in Bergedorf schaffte die DVU mit 5,6% den Sprung in die Bezirksversammlung, weil die Republikaner nicht zugelassen waren. Ihr selbst gestecktes Ziel hatte die DVU deutlich verfehlt. Die Wahlniederlage in Hamburg scheint Dr. Frey schwer getroffen zu haben. Die bisher im rechtsextremen Lager weitgehend isolierte DVU änderte plötzlich ihre Taktik. Auf der DVU-Großveranstaltung in Passau am 2. Oktober wurden Flugblätter verteilt mit dem Hinweis darauf, daß weder DVU noch Republikaner in die Hamburger Bürgerschaft einziehen konnten, zusammen aber fast 8% der Wählerstimmen erzielt hatten. Die DVU-Anhänger wurden zur Abstimmung über ein gemeinsames Vorgehen der DVU mit den Republikanern aufgefordert. Frey bekräftigte sein Angebot an den Vorsitzenden der Republikaner, das Trennende zu überwinden. In den Wochenzeitungen des Dr. Frey erschienen Abdrucke des Abstimmungsbogens und Frey erklärte mehrfach seine Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit den Republikanern und mit anderen Gruppierungen des "rechten Lagers". Er appellierte an das "demokratische rechte Spektrum", Gräben zuzuschütten und eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. DIE REPUBLIKANER (REP) Die Republikaner wurden am 26. November 1983 von den ehemaligen CSUBundestagsabgeordneten Franz Handlos und Ekkehard Voigt sowie dem ehemaligen stellvertretenden Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks, Franz Schönhuber, in München gegründet. Nach heftigen Auseinandersetzungen um die politische Ausrichtung der Partei und dem Austritt des Parteivorsitzenden Handlos wurde Schönhuber am 16. Juni 1985 zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt, der die REP zu einer rechtspopulistischen Partei entwickelte. 1990 kam es zu einem parteiinternen Machtkampf zwischen dem 71 Parteichef und mehreren Mitgliedern des Bundesvorstandes, die eine Zusammenarbeit mit den übrigen Parteien des rechtsextremistischen Spektrums anstrebten. Schönhuber, der gegen eine solche Zusammenarbeit war, setzte sich durch und ist seitdem verstärkt darum bemüht, die REP vom Rechtsextremismus abzugrenzen und als "alleinig demokratisch legitimierte Kraft auf der rechten Seite" darzustellen. 1993 umfaßte die Partei rund 23.000 Mitglieder. Seit 1985 geben die REP auch eine eigene Parteizeitung heraus: Der "Republikanische Anzeiger" wurde 1986 in "Der Republikaner" umbenannt und erscheint monatlich in einer Auflage von 135.000 Exemplaren. Für die Republikaner standen zwei Entwicklungen im Vordergrund: Zum einen versuchte sich die Partei auf gerichtlichem Wege gegen den Beschluß des Bundesamtes und der Landesämter für Verfassungsschutz zur Wehr zu setzen, die REP bundesweit unter Einschluß nachrichtendienstlicher Mittel zu beobachten. Zum anderen konnten sich die REP bei den Kommunalwahlen in Hessen und den Bürgerschaftswahlen in Hamburg innerhalb des "nationalen" Parteienspektrums endgültig als dominierende Kraft durchsetzen. Den Anstoß für die am 15. Dezember 1992 getroffene Entscheidung, die REP bundesweit mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu beobachten, gaben Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden von Nordrhein-Westfalen und Hamburg, die die REP bereits seit dem 30. September 1989 bzw. 4. Januar 1990 mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten. Aus dem vorgelegten Material ergaben sich nach übereinstimmender Ansicht aller Verfassungsschutzämter tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen seitens der REP. Die Republikaner reagierten mit großer Empörung auf diesen Beschluß: Gegen die Partei sei ein Vernichtungskrieg eröffnet worden, der an die Verfolgung politischer Gegner im III. Reich erinnere. Dem Protest ließen die REP rechtliche Schritte folgen. In Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bayern, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz, in Berlin und im Saarland riefen die jeweiligen Landesverbände die Verwaltungsgerichte an, um die nachrichtendienstliche Beobachtung unterbinden zu lassen. Die am 20. Januar 1993 eingereichte Organklage der Partei gegen den Bundesminister des Innern als obersten Dienstherrn des BfV beim Bundesverfassungsgericht wurde im September wieder zurückgezogen. Auch die Klage gegen das Land Berlin wurde im August zurückgenommen, nachdem das LfV Berlin erklärt hatte, keine nachrichtendienstlichen Mittel gegen die REP einzusetzen. Den einzigen gerichtlichen Erfolg konnten die REP in Niedersachsen verbuchen, wo dem LfV Niedersachsen vom VG Hannover mit Entscheidung vom 29. November die nachrichtendienstliche Beobachtung untersagt wurde. 72 Insgesamt ist die Rechtsprechung der einzelnen Verwaltungsgerichte noch uneinheitlich, bis auf die Verwaltungsgerichte Hannover und München wiesen jedoch alle Verwaltungsgerichte in erster Instanz den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes für die REP ab, da der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache zumindest offen sei bzw. starke Zweifel am Erfolg der Klage bestünden. In Bayern wurde ein gegenteiliges Urteil des VG München vom Verwaltungsgerichtshof aufgehoben, so daß auch dort die Beobachtung fortgesetzt werden konnte. In Nordrhein-Westfalen wurde der Antrag der REP auch in zweiter Instanz vom OVG Münster mit Entscheidung vom 13. Januar 1994 zurückgewiesen. Das OVG Münster führte nach Prüfung der vorgelegten REP-Unterlagen u.a. aus, daß "tragende Konstitutionsprinzipien des Grundgesetzes wie die Achtung der Menschenwürde als Mittelpunkt des Wertesystems der Verfassung und das Verbot der Diskriminierung wegen Rasse, des Glaubens oder der Nationalität fortlaufend mißachtet" würden. Ob und inwiefern die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz die Wahlchancen der Republikaner beeinträchtigt, ist ungewiß. Bei der hessischen Kommunalwahl am 7. März erzielten die REP mit 8,3% ein unerwartet hohes Ergebnis. In den Wahlprognosen hatten die REP bei höchstens 6 - 7% gelegen. In Frankfurt kamen sie trotz Konkurrenz durch die DVU, die dort 2,7% erreichte, sogar auf 9,3% der Wählerstimmen. Personeller Zulauf anderer Art sorgte dafür, daß die Republikaner seit Sommer 1993 auch im Bundestag vertreten sind. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Rudolf Krause/Bonese (Sachsen-Anhalt), der mit seiner rechtsextremen "Denkschrift zu nationalen deutschen Fragen" für Aufregung und heftige Kritik in den eigenen Reihen gesorgt hatte, kam im Mai einem Parteiausschluß durch seinen Wechsel zu den Republikanern zuvor. Krause hatte in seiner Schrift u.a. die NPD, die DVU, die DLVH und die REP in einem Atemzug als "rechtskonservative Parteien" bezeichnet, deren Programme im wesentlichen verfassungskonform seien und die von der "linken Presse-Mafia" als rechtsextrem verunglimpft würden. Er sprach sich für ein gemeinsames Vorgehen der "konservativen" Kräfte aus, bei dem die Gemeinsamkeiten in den Vordergrund und die Unterschiede zurückgestellt werden müßten. Dem Beispiel Krauses folgte im August der thüringische CDU-Landtagsabgeordnete Matthias Ritter, der jetzt die REP im Erfurter Landtag vertritt. Obwohl die REP sich auf ihrem Augsburger Bundesparteitag am 26727. Juni auch ein neues Parteiprogramm gaben, kann von einer programmatischen Erneuerung der Partei keine Rede sein. Positionswechsel sind - wie selbst eingestanden wird - mit der Verabschiedung des mittlerweile vierten Parteiprogramms in zehn Jahren nicht verbunden. Es handelt sich vielmehr um eine 73 Aktualisierung und Fortschreibung bekannter Positionen und Forderungen, in denen die bislang als verfassungsfeindlich kritisierten Passagen umformuliert wurden. An der grundsätzlichen Feststellung, daß die Programmatik der REP einer kollektivistischen, "Volksgemeinschafts"-ldeologie das Wort redet, die die homogene, sich gegen alles Fremde abschottende, nationalbewußte Gemeinschaft in den Mittelpunkt des politischen Denkens und Handelns stellt, hat sich nichts geändert. Das neue Parteiprogramm steht deshalb nach wie vor im Gegensatz zum Grundgesetz, dessen Ausgangspunkt das Individuum und der Schutz seiner Würde ist. Die Programmatik der REP widerspiegelt den Versuch, rechtsextremistische Strömungen aufzufangen und in Stimmengewinne umzumünzen, ohne sich dabei eines offen rechtsextremistischen Sprachgebrauchs zu bedienen. Der Landesverband Hamburg wurde als erster Landesverband der REP außerhalb Bayerns am 15. März 1984 gegründet. Angeführt werden die etwa 200 Hamburger Republikaner seit 1985 von dem mittlerweile 81-jährigen Werner Jamrowski. Die Partei gliedert sich in die vier Kreisverbände Wandsbek, Mitte/Bergedorf, Eimsbüttel und Altona. Voraussetzung für die Bildung von Kreisverbänden ist die Mindestzahl von 20 Mitgliedern. Auf Landesebene führen die Republikaner monatliche geschlossene Versammlungen durch, zu denen jedoch Gäste Zutritt haben und die zugleich als Mitgliederwerbeveranstaltungen dienen. Während durchschnittlich 40-50 Personen teilnehmen, steigt die Besucherzahl bei auswärtigen Referenten bis zu 90 an. Bürgerschaftswahlkampf "Anders als vor zwei Jahren werden wir Republikaner die politischen "Eiterbeulen" hamburgischer Politik offenlegen und der Bevölkerung klarmachen, warum diese schöne Stadt eine andere Regierung braucht". Mit diesen Worten im Parteiorgan "Der Republikaner" kündigte der Landesvorsitzende an, im Gegensatz zur Bürgerschaftswahl 1991 diesmal einen aggressiven und flächendeckenden Wahlkampf führen zu wollen. Angesichts der Tatsache, daß es die einzige Landtagswahl in diesem Jahr und das Interesse der Medien deshalb wegen des Superwahljahres 1994 besonders groß sein würde, kam dem Ergebnis nach Ansicht des Bundesvorstandes eine geradezu strategische Bedeutung zu. Ein gutes Abschneiden hätte eine positive Ausstrahlung auf die kommenden Wahlen. Entsprechend der Bedeutung war das finanzielle Engagement der Bundespartei, die den größten Teil der Wahlkampfkosten von mindestens 400.000 DM 74 trug. An jedem Wochenende sollten mindestens 100 auswärtige Parteimitglieder Wahlkampfhilfe leisten. Die Wahlkampfleitung wurde in die Hände des stellvertretenden Bundesvorsitzenden und baden-württembergischen Landesvorsitzenden Christian Käs sowie des Bundesorganisationsleiters Udo Bosch gelegt. Auf der vorgezogenen Landesmitgliederversammlung am 10. Juli wurden mit der Wahl des Landesvorstandes und der Bürgerschaftskandidaten die innerparteilichen Weichen gestellt. Die Wahl der Listenplätze 6 - 25 mußte wegen Verfahrensfehlern später wiederholt werden. Das Landeswahlamt hatte das "Blockwahlverfahren" beanstandet. Angeführt wurde die Landesliste vom stellvertretenden Landesvorsitzenden Ernst-Ulrich Böttcher. In allen sieben Bezirken stellte die Partei Kandidaten für die Bezirksversammlungen auf. Für Bergedorf wurde der Wahlvorschlag jedoch wegen Verfahrensfehlern abgelehnt. In einem 18 Punkte umfassenden Papier formulierte die Partei ihre Wahlaussagen. Die Auswahl der Themen umfaßte die ganze Bandbreite politischer Aufgabenfelder, dabei wurden Aussagen zur Ausländerpolitik unter der Überschrift "Überfremdung" zusammengefaßt. So hieß es in diesem Abschnitt, daß Ausländer "Gäste" in Deutschland seien, die keinen Anspruch darauf hätten, "unser Leben nach ihren Vorstellungen zu verändern". In ihrem Wahlprogramm bezeichnen die Republikaner sich als "rechts, aber nicht extremistisch". Sie seien gegen Ausländerfeindlichkeit, aber auch gegen soziale Benachteiligung deutscher Bürger. Als "soziale Patrioten" sehen sie sich in der politischen "Nachfolge der internationalen Sozialdemokratie und deren ideologisierter Führungsclique". Hinsichtlich der zunehmenden Staatsverschuldung forderten die REP eine "starke Einschränkung" der deutschen "Scheckbuchdiplomatie gegenüber allen Ländern der Welt". Die Deutschen seien auch nicht der "Zahlmeister einer europäischen Träumerei und Superbürokratie in Brüssel". Zum Thema "Jugendliche" merkte die Partei an, daß für die Jugend "keine Regeln und Tabus" mehr existieren würden. Alles sei erlaubt, nichts könne sie mehr überraschen oder schockieren. Was Jugendliche vermissen, sei eine "vertrauensvolle Führung". Der demokratische Staat habe seine Jugend allein gelassen. Die Jugend brauche wieder Visionen, die "ständigen Schuldzuweisungen 50 Jahre nach Kriegsende durch Politiker, Medien und interessierte Minderheiten" könne die Jugend von heute nicht begreifen. Erziehung und Bildung seien inhaltlich darauf zu richten, daß der Einzelne "Verantwortungsbewußtsein gegenüber seinem Volk" entwickele. Die Familie als Keimzelle des deutschen Volkes sei bedroht. Die "Infragestellung fast aller Werte und Ideale, ethischer und moralischer Ordnungsfaktoren durch eine am maßlosen Genuß und Profitdenken orientierte liberalistische Gesellschaft" führe zu "Sinnentlehrung, Zielund Hilflosigkeit". Die Schulen und Hochschulen 75 müßten wieder eine "bejahende Einstellung zu Volk, Staat, Nation, Heimat und Vaterland" vermitteln. Die Partei begann ihren Wahlkampf offiziell am 17. Juli. Er beschränkte sich im wesentlichen auf die Verteilung von Flugblättern. Die Verteilaktionen sollten das ganze Stadtgebiet, in erster Linie jedoch Ballungszentren erreichen. Bis zum 18. September sollten nach Aussagen des Wahlkampfleiters Käs insgesamt rund 800.000 Flugblätter und Zeitungen in Hamburg verteilt worden sein. Zur Unterstützung des Wahlkampfes reisten Parteianhänger vor allem aus Baden-Württemberg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Berlin und Hessen an. Ergänzt wurden die Verteilaktionen durch insgesamt drei Postwurfsendungen. Dabei unterlief den Republikanern gleich bei der ersten von der Bundeszentrale gesteuerten Postwurfsendung eine Panne, weil ein großer Teil der Flugblätter seine Adressaten in Hamburg nicht erreichte sondern infolge der Postleitzahlenumstellung und der mangelnden Ortskenntnis der Parteizentrale in außerhamburgischen Randgebieten landete. Stellschilder wurden erst kurz vor der Wahl aufgestellt, um die frühzeitige Zerstörung durch politische Gegner zu verhindern. Plakate fanden sich zunächst nur an Litfaßsäulen. Informationstische, die von einzelnen Kreisverbänden angemeldet worden waren, wurden nur kurzfristig durchgeführt, um Zusammenstöße mit Demonstranten zu vermeiden. Auf eine Veranstaltung mit Franz Schönhuber, wie sie 1991 durchgeführt worden war, verzichtete die Partei. Sorgen bereitete den Republikanern vor allem die flächendeckende und kostenaufwendige Propaganda der DVU, gegenüber der man sich im Hintertreffen sah. Im weiteren Verlauf des Wahlkampfes konzentrierte sie sich daher verstärkt darauf, die unliebsame Konkurrenz zu diskreditieren. Schönhuber forderte die Wähler auf - ohne die DVU beim Namen zu nennen - sich "nicht von Gruppierungen irritieren zu lassen, die vorgeben, patriotisch zu handeln". Diese wären lediglich angetreten, "um der einzig chancenreichen Rechten, den REP, zu schaden". Da die Republikaner im Gegensatz zur DVU nur je zwei Wahlspots im NDRFernsehund Hörfunkprogramm senden durften, gerieten sie gegenüber der DVU auch hier ins Hintertreffen. Aufgeschreckt durch Prognosen, die für die eigene Partei ein Ergebnis von unter 5% voraussagten, der DVU jedoch den Einzug ins Rathaus prophezeiten, wandten sich die Republikaner gegen Ende des Wahlkampfes direkt gegen die DVU. In einem Flugblatt mit der Überschrift "Wer ist die DVU, was will sie? Wer ist Dr. Frey, was will er?" bezeichneten sie die DVU als PhantomPartei, die keine Basis habe, sondern einzig und allein aus der Person des Dr. Frey und der Redaktion seiner "National-Zeitung" bestehe. Im Gegensatz zu den REP sei die DVU in so gut wie keinem Stadtoder Gemeinderat vertreten. 76 Republikaner seien im Europaparlament, im Bundestag und in zwei Landtagen zu finden. Dr. Frey setze auf Postwurfsendungen statt auf politische Arbeit, auf Protest statt Programme und versuche die Probleme von gestern zu lösen. Die DVU sei - ob zu Recht oder zu Unrecht - im Bundesverfassungsschutzbericht als verfassungsfeindliche Organisation ausgewiesen - "wir Republikaner nicht". Im letzten Teil ihres Flugblattes unterstellen die Republikaner Dr. Frey sogar unterschwellig, in unbekanntem Auftrag als Spaltpilz der REP zu handeln. Bei der Bürgerschaftswahl erreichten die Republikaner 40.817 Stimmen = 4,8% zu den Bezirksversammlungen 37.642 = 4,5%. Die Stimmen verteilten sich auf die Bezirke wie folgt: Bezirk Büraerschaft Bezirksversammlu ngen HH-Mitte 6.033 (6,2%) 6.110(6,4%) Altona 5.270 (4,5%) 5.212(4,5%) Eimsbüttel 5.311 (4,3%) 5.184(4,3%) HH-Nord 5.502 (3,7%) 5.402 (3,7%) Wandsbek 9.575 (4,5%) 9.287 (4,4%) Bergedorf 2.611 (4,8%) 0 (0,0%) *) Harbura 6.515(7.3%) 6.447 (7.3%) absolut 40.817(4.8%) 7.642 (4.5%) *) In Bergedorf durften die REP aufgrund unkorrekter Kandidatenaufstellung nicht für die Bezirksversammlung kandidieren. Das Wahlergebnis von 4,8% bedeutete im Vergleich zur Bürgerschaftswahl 1991 eine Vervierfach ung. Als zählbarer Erfolg blieb jedoch nur, erstmals in zwei Bezirksversammlungen vertreten zu sein. Zur Unterstützung ihrer Bezirksabgeordneten gründeten die Republikaner im November eine sog. "Arbeitsfraktion", die den Bezirksfraktionen kommunalpolitisch zuarbeiten soll. Bereits kurz nach der Wahl äußerten die REP den Verdacht, durch Wahlmanipulationen um den Einzug in die Bürgerschaft gebracht worden zu sein. Anfang November gaben die Hamburger REP offiziell bekannt, die Wahl anfechten zu wollen. Angesichts der Tatsache, daß 18.228 Stimmen (2,1%) für ungültig erklärt worden waren - so viele wie noch nie -, verlangten die REP eine erneute Auszählung, sowie eine weitere Durchsicht der ungültigen Stimmen. Einspruch legte die Partei auch gegen die Entscheidung des Landeswahlausschusses ein, den Wahlvorschlag der REP zur Bezirksversammlungswahl Bergedorf wegen Verfahrensfehlern bei der Kandidatenaufstellung abzulehnen. 77 Mit dem Wahlerfolg in Hamburg konnten die REP ihre Vormachtstellung innerhalb des rechtsextremistischen Parteienspektrums festigen. Die Wahlen in Hessen und Hamburg machten deutlich, daß die DVU nicht mehr gegen die Republikaner gewinnen, sondern ihnen lediglich entscheidende Zehntelprozentpunkte nehmen kann. Diese Erkenntnis veranlaßte denn auch den DVUVorsitzenden Dr. Frey, der noch Ende 1992 einen Schulterschluß mit den REP kategorisch abgelehnt hatte, den Republikanern kurz nach der Hamburg-Wahl ein Angebot zur Zusammenarbeit zu machen. Sein Appell zur "Einheit der Rechten" wurde vom Bundespräsidium der REP jedoch klar abgelehnt. Hinter dieser Entscheidung steht auch die Strategie Schönhubers, die REP vom übrigen rechtsextremistischen Parteienspektrum politisch deutlich abzugrenzen, um trotz eigener rechtsextremistischer Ansätze den Anschein der Verfassungstreue zu wahren. FREIHEITLICHE DEUTSCHE ARBEITERPARTEI (FAP) Nach einer von parteiinternen Querelen gekennzeichneten Phase des Niedergangs gelang es der 1979 von dem Rechtsextremisten Martin Pape gegründeten und ab 1984 von Anhängern des verstorbenen Neonazi-Führers Michael Kühnen unterwanderten FAP, ihre Mitgliederzahl 1993, insbesondere durch Zuwächse in den neuen Bundesländern, von 220 auf 430 annähernd zu verdoppeln. Damit konnte die Partei, die über Landesverbände in Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen verfügt, ihre Stellung als mitgliederstärkste neonazistische Organisation in der Bundesrepublik behaupten. Weltanschaulich setzt sich die FAP in ihrem aktuellen Parteiprogramm vom März 1992 für einen "völkischen Sozialismus" ein. Im Vordergrund müsse statt des marxistischen Klassenkampfes oder der kapitalistischen Ausbeutung des Arbeiters die Volksgemeinschaft stehen. Als Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit werden die Vergabe von Arbeitsplätzen zunächst an Deutsche, ein Einwanderungsstop für Ausländer und Scheinasylanten sowie eine Volksabstimmung über die Rückführung der in Deutschland lebenden Ausländer in ihre Heimat gefordert. Zum Schutz der Wirtschaft sei ein Austritt der Bundesrepublik aus der "Europäischen Gemeinschaft" (jetzt "Europäische Union") erforderlich. Um eine Plattform für die Propagierung ihrer politischen Zielsetzungen zu erhalten, ist die FAP bestrebt, sich bundesweit in neonazistische Aktionsbündnisse einzubringen und sich an Kundgebungen zu beteiligen, auf denen der 78 Parteivorsitzende Friedhelm Busse die Gelegenheit erhält, als Referent aufzutreten. Darüber hinaus findet eine Zusammenarbeit mit anderen Organisationen auch durch das Engagement einzelner FAP-Funktionäre in der AntiAntifa-Kampagne statt. In den Blickpunkt der' Öffentlichkeit trat die FAP insbesondere durch ihre Teilnahme an der überregionalen Demonstration anlaßlich des 6. Todestages des Hitler-Stellvertreters Rudolf Hess am 14. August in Fulda. Die von einer dem FAP-Umfeld zuzurechnenden Person angemeldete und in ihrem Erscheinungsbild von der FAP geprägte Kundgebung bestärkte die Bundesregierung, am 15. September beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der FAP zu stellen, weil "die Zunahme rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten, das dreiste Auftreten von Neonazis in der Öffentlichkeit und die neue Dimension rechtsradikaler Organisationsformen in Deutschland zu einer ernsthaften Bedrohung der inneren Sicherheit würden". Der Bundesrat entschied am 24. September auf Initiative des Landes Niedersachsen ebenfalls, beim Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der FAP einzureichen. Die der Partei für eine Stellungnahme zu dem Antrag der Bundesregierung eingeräumte Frist wurde um einen Monat bis zum 31.1.94 verlängert, weil der Vertretungsberechtigte der FAP, der Bundesvorsitzende Friedhelm Busse, am 6. November in Bonn von unbekannten Tätern angegriffen worden war und daraufhin einen Schlaganfall erlitten hatte. Als Reaktion auf das mit dem Aufmarsch in Fulda verbundene Medieninteresse meldete die FAP in der Folge zahlreiche, weitere Veranstaltungen an, um erneut in die Schlagzeilen zu gelangen. Die Kundgebungen wurden jedoch sämtlich untersagt bzw. verbotene oder unangemeldet durchgeführte Demonstrationen von der Polizei aufgelöst. An Wahlen beteiligte sich die FAP 1993 nicht, jedoch beschloß sie auf ihrem Bundesparteitag am 10. Juli im thüringischen Reifenstein eine Teilnahme an der Europawahl 1994. Das Auftreten der Partei in der Öffentlichkeit wurde im Raum Hamburg in erster Linie durch Konfrontationen mit dem politischen Gegner und der Polizei geprägt. So mußte die Polizei am 6. Februar in Halstenbek einschreiten, als eine Auseinandersetzung zwischen autonomen Antifas und FAP-Anhängern vor der dortigen FAP-Bundesgeschäftsstelle zu eskalieren drohte. Darüber hinaus kam es im Verlauf des ersten Halbjahres wiederholt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen mit Antifas, als FAP-Mitglieder Sitzungen der Ge79 meindeversammlung in Halstenbek und andere öffentliche Veranstaltungen besuchten und mit ausländerfeindlichen Äußerungen provozierten. Die von der FAP Hamburg erstellte Publikation "Standarte", die in ihren Beiträgen u.a. gegen Ausländer und Asylberwerber hetzt und gegen die Politik der etablierten Parteien polemisiert, wurde mit Wirkung vom September 1993 zum offiziellen Parteiorgan bestimmt. Herausgeber der nach eigenen Angaben in einer Auflage von 1.000 Exemplaren erscheinenden Schrift ist seitdem der Bundesvorsitzende Friedhelm Busse; die presserechtliche Verantwortung trägt der Hamburger Landesvorsitzende Andre Goertz. Als weitere Druckerzeug wer durch den Landesverband Berlin die Publikation "Aufbruch" sowie unter Beteiligung der Bayerischen FAP die Broschüre "Junges Franken - Zeit für die Sache des Volkes", die als Gemeinschaftsprojekt mehrerer nationaler Gruppierungen konzipiert ist, erstellt. Der FAP-Landesverband Hamburg konnte sich auf einem Niveau von 10-15 Mitgliedern stabilisieren. Seine Aktivitäten blieben allerdings im wesentlichen auf die Veranstaltung von Kameradschaftsabenden beschränkt. Am 20. September wurde durch Mitglieder der FAP das Nationale Info-Telefon Hamburg in Betrieb genommen. Der Ansagedienst, der sich als organisationsübergreifendes Kommunikationsmittel innerhalb der rechtsextremistischen Szene versteht, kommentiert politische Ereignisse und informiert über Termine und Kontaktadressen des rechtsextremen Lagers und gibt Namen und Adressen politischer Gegner im Rahmen der "Anti-Antifa"-Arbeit bekannt. HAMBURGER LISTE FÜR AUSLÄNDERSTOPP ( HLA ) Die HLA wurde am 4. April 1982 auf Initiative Hamburger NPD-Funktionäre mit Unterstützung des NPD-Parteivorstandes zur Teilnahme an der Hamburger Bürgerschaftswahl als Partei gegründet. Bei ihrer letzten Teilnahme an einer Hamburger Bürgerschaftswahl am 2. Juni 1991 erhielt sie 0,7%. Die HLA umfaßt rund 130 Mitglieder und versteht sich als politischer Zusammenschluß Hamburger Bürger deutscher Nationalität. In ihrem Propagandaorgan "HLA - Nachrichten" behauptet sie, "die Partei für deutsche Interessen in Hamburg" zu sein. Tatsächlich fördert sie mit ihrer Agitation hauptsächlich ausländerfeindliche Tendenzen und bekämpft mit platten, angstschürenden Parolen den europäischen Einigungsprozeß. Bestimmendes Thema der HLA im letzten Jahr war die Frage der Beteiligung an den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen. 80 Die HLA beschloß auf ihrem 10. ordentlichen Parteitag am 22. Mai, nicht selbst zu den Hamburger Wahlen am 19. September zu kandidieren. Da ein Konsens zu einer gemeinsamen Kandidatur mit den übrigen in Hamburg kandidierenden Parteien des "nationalen Lagers", insbesondere den Republikanern nicht erreichbar war, entschied sich die HLA, die DVU im Wahlkampf zu unterstützen. Die HLA bewertete die DVU als eine Partei, die "den weiteren Niedergang Deutschlands aufhalten" könne. Ihren Mitgliedern und Sympathisanten erklärte die HLA den erstmaligen Verzicht auf Beteiligung an einer Hamburger Wahl mit der Gefahr einer weiteren Aufsplitterung des "nationalen" Wählerpotentials in Hamburg. Dies dürfe sich angesichts der schlechten Erfahrungen aus der Frankfurter Kommunalwahl vom Frühjahr 93, bei der fünf "nationale Parteien" antraten, in Hamburg nicht wiederholen. Weiter behauptete die HLA, Dr. Frey (DVU) träte seit 30 Jahren unbeirrt für die nationalen Rechte Deutschlands ein und sei im Gegensatz zu Schönhuber, dem die HLA SED-Nähe nachsagt, ein national glaubwürdiger und zuverlässiger Mann. Da die HLA der DVU gute Chancen einräumte, in die Bürgerschaft einzuziehen, empfahl sie ihren Mitgliedern und Anhängern DVU zu wählen. Die praktische Wahiunterstützung der HLA für die DVU erstreckte sich auf das Versenden von DVU-Wahlwerbematerialien an die eigene Klientel unter gleichzeitiger Erläuterung des eigenen Verzichts auf eine Kandidatur. Daneben wurde in der organisationseigenen Publikation "HLANachrichten" für eine Stimmenabgabe zugunsten der DVU mit deren Aussagen geworben. Der HLA - Parteitag bestätigte die Spitzenfunktionäre in ihren Ämtern. Ulrich Harder wurde als Vorsitzender und Michael Andrejewski als stellvertretender Vorsitzender wiedergewählt. Hervorgehoben wurde, daß die HLA schuldenfrei sei, aber ständigen Finanzbedarf habe, der nicht "vom Staat und der Großindustrie" gedeckt werde. In einer Bilanz des Jahres 1993 konstatiert die HLA eine ähnliche Lage wie am Ende der Weimarer Republik und stellt fest, daß das "Ausländerproblem weiterhin virulent" bleibe. In diesem Zusammenhang kritisiert sie die Neuregelung des Asylrechtes. Gleichzeitig behauptet sie, daß alles, "was wie wir gewaltlos national" sei, zunehmend diffamiert werde. Die HLA kündigt unter Reflektierung ihres Verhaltens zur Bürgerschaftswahl trotz des unbefriedigenden Ausgangs an, auch künftig nach dem Grundsatz zu verfahren: "Eine Wahl - nur eine Partei". Sie will demzufolge auch bei den Wahlen 1994 die Partei unterstützen, der sie am meisten vertraut und für die sie die besten Chancen sieht. Dieses Taktieren warf natürlich die Frage der weiteren eigenen Existenzberechtigung auf. Welche Pobleme die HLA mit dem argumentativen Nachweis ihrer Existenzberechtigung neben der Hamburger NPD, die ebenfalls von Harder geführt wird, hat, belegt eine Passage aus der HLA - >Jahresbilanz< : " Das alles spricht dafür, die politische Arbeit der HLA zu 81 erhalten und weiterzuführen. Für Hamburg gesehen ist sie immer noch die intakteste und arbeitsfähigste Organisation und auch dem Gesamtinteresse nicht schädlich Würden wir in einer anderen Partei aufgehen, verlören wir unsere ... Effektivität zwischen den Wahlen in Hamburg. Das ist alles etwas kompliziert, aber Sie verstehen es sicher und es ist goldrichtig." Der HLA gelang es nicht, plausibel die Notwendigkeit ihrer weiteren organisatorischen Eigenständigkeit neben dem Hamburger NPD-Landesverband, von dem sie sich 1982 abspaltete und von dem sie sich in ihren politischen Inhalten nicht unterscheidet, zu erklären. Sie baut vielmehr auf die kritiklose Übernahme ihrer Bewertung durch die eigene Klientel. Während in Hamburg kaum öffentliche Aktivitäten der HLA festzustellen waren und insbesondere die in den vergangenen Jahren in großer Auflagenzahl durchgeführten Flugblattverteilungen mit zumeist ausländerfeindlichen Inhalten weitgehend ausblieben, verlagerte die HLA ihr Aktionsfeld verstärkt nach Mecklenburg-Vorpommern. Zur Kommunalwahl in Mecklenburg-Vorpommern am 12. Juni 1994 will die HLA unter dem Namen: "Mecklenburg-Vorpommern bleibt unser" (MBU) antreten. MBU wurde im Dezember 1992 als " Aktion Rostock bleibt deutsch" unter dominierender Beteiligung von HLA-Funktionären gegründet. Zum Vorsitzenden wurde Michael Andrejewski gewählt. NATIONALDEMOKRATISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (NPD) Die NPD ist eine Partei, die in ihren Äußerungen rassistische und nationalistische Zielsetzungen und Denkweisen erkennen läßt. Sie versucht, dies unter Berufung auf "die Vielfalt des Lebens und seiner Erscheinungen" zu rechtfertigen. Sie versteht sich als Gegnerin eines "längst überholten Dogmas der vorgeblichen Gleichheit aller Menschen". Diese prinzipielle Haltung beruht auf ihrem Menschenund Weltbild der Ungleichheit. Vor diesem ideologischen Hintergrund agitiert die NPD in ihren Propagandamaterialien, zu denen an erster Stelle das Parteiorgan "Deutsche Stimme" zählt, gegen Ausländer, insbesondere gegen Asylbewerber. Die verfassungsfeindliche Haltung erschließt sich nicht so sehr aus ihrem Programm sondern aus einer Vielzahl von Funktionärsäußerungen, die sich die Partei zurechnen lassen muß. So heißt es in einem Flugblatt des geschäftsführenden Landesvorstandes der NPD Nordrhein-Westfalens: "Uns Nationaldemokraten wird völkischer Kollektivismus als etwas besonders Radikales vorgeworfen. Wir sollten dazu stehen, denn völkischer Kollektivismus ist die Alternative zu der multikulturellen und multinationalen Gesellschaft, die von der Mehrheit der etablierten Politiker von 82 Schwarz über Grün und Gelb bis Rot angestrebt wird. Denn das Blut der Deutschen ist ein besonderer Saft und unterscheidet sich gründlich vom übelriechenden Schleim". Ein weiteres ständiges Propagandathema ist die Agitation gegen den Maastricht-Vertrag, der'nach Ansicht der NPD für Deutschland den "Untergang der Eigenstaatlichkeit" bedeute. Die Wiedervereinigung sieht die NPD als noch nicht abgeschlossen an und spricht demzufolge von "Mitteldeutschland", wenn sie das Gebiet der ehemaligen DDR meint. Für sie wäre die Wiedervereinigung erst abgeschlossen, wenn die deutsche Grenze wieder an der Memel verlaufe. Die NPD umfaßte wie im Vorjahr rund 5.000 Mitglieder. Die seit der Vereinigung erhofften Mitgliederzuwächse aus den fünf neuen Ländern blieben aus. Mit dem 1991 gewählten Günther Deckert steht eine Person an der Spitze, die nicht die ungeteilte Zustimmung der Partei hat. Viele Mitglieder lehnen Deckerts aktionistischen Kurs ebenso wie seine offen gezeigten Sympathien für revisionistisches Gedankengut ab. Außerdem wird ihm vorgeworfen, sich trotz gegenteiliger öffentlicher Bekundungen nicht eindeutig genug von Organisationen neonazistischer Prägung abzugrenzen. Die Finanzlage der Partei ist desolat. Die Verwaltung des Deutschen Bundestages und das Land Baden-Württemberg haben gegenüber der NPD RückZahlungsforderungen von insgesamt über eine Million DM. Die RückZahlungsverpflichtungen entstanden durch schlechte Wahlergebnisse bei der Bundestagswahl 1990 und bei der Landtagswahl 1992, mit der Folge, daß die Wahlkampfkostenvorauszahlungen zu erstatten sind. Durch die Anklageerhebung gegen einen ehemaligen und einen aktiven Funktionär geriet die NPD öffentlich politisch in Bedrängnis. Bei den Personen handelt es sich um, den ehemaligen NPD-Kreisvorsitzenden aus Hagenow/Mecklenburg-Vorpommem und den stellvertretenden Landesvorsitzenden der NPD Schleswig-Holsteins, der gleichzeitig NPD-Aufbaubeauftragter für Mecklenburg-Vorpommern ist. Beide wurden wegen Organisierung bzw. Beteiligung an dem Überfall auf ein Asylbewerberheim am 31. Juli 1992 in Bahlen bei Boizenburg angeklagt. Der ehemalige NPD-Kreisvorsitzende aus Hagenow wurde am 29. Juni wegen Landfriedensbruch, versuchter schwerer Brandstiftung und versuchter gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Gericht war dabei der Überzeugung, er sei maßgeblicher Organisator des Überfalls gewesen. Die NPD distanzierte sich in dem Organ des Landesverbandes Hamburg "Hamburger Nationaldemokraten" (HN) vom Frühjahr 1993 von ihm: "Er gehört zu den jungen Leuten der Ex83 DDR, die nach der Vereinigung spontan Mitglied wurden". Auf die Funktionärstätigkeit wurde in keiner Weise eingegangen. Im weiteren beteuerte die NPD, daß sie im "Kern urdemokratisch" sei, "keine Diktatur anstrebe und vor allem nicht gewalttätig sei". Wer als NPD-Mitglied zur Gewalt neige, würde aus der Partei ausgeschlossen. Scheinheilig wird darauf verwiesen, daß sich nach den gewaltlosen Demonstrationen in Leipzig niemand in der NPD vorstellen konnte, daß junge Leute der ehemaligen DDR Gewalt ausüben würden. Wiederholt unternommene, krampfhafte Bemühungen der NPD, die DVU und die Republikaner für gemeinsame Wahlbündnisse zu gewinnen blieben erfolglos. Dieses Angebot unterbreitete die NPD aus einer Position der Schwäche heraus, denn Republikaner und DVU waren bei Landtagswahlen im Gegensatz zur NPD erfolgreich. Am 18. September führte die NPD ihren 25. Bundesparteitag in Coppenbrügge/Niedersachsen durch. Die etwa 250 Delegierten bestätigten den Vorsitzenden Günther Deckert mangels einer tragfähigen Alternative im Amt. Wegen Störungen durch "antifaschistische" Demonstranten wurde der Parteitag vorzeitig beendet. Die Hamburger NPD, die von Ulrich Harder geführt wird, der gleichzeitig HLAVorsitzender ist (siehe HLA), verharrte in Lethargie. Trotz der etwa 100 Mitglieder gehen von dem Hamburger NPD-Landesverband kaum noch wahrnehmbare politische Impulse aus. Dies liegt zur Hauptsache daran, daß Harder sein Hauptaktionsfeld in Mecklenburg-Vorpommern sieht. Der Landesverband mit seinen sechs Kreisverbänden - in Bergedorf ist die NPD nicht präsent - hat es wie in der Vergangenheit nicht vermocht, öffentliche Veranstaltungen zu organisieren. Wenn überhaupt, versucht die Partei, die Mitglieder auf Kreisebene über interne Versammlungen zu erreichen. Ihre Publikation "Hamburger Nachrichten" (HN) wird zweimal im Jahr mit einer Auflage von ca. 800 Exemplaren verteilt oder auf Anforderung verschickt. Junge Nationaldemokraten (JN) Die JN sind als Jugendorganisation der NPD zur Mitarbeit in deren Gremien verpflichtet. Sie agieren als Kaderorganisation mit derzeit bundesweit rund 170 Mitgliedern (Mitgliedschaft ab 14 Jahre) und haben ihren Sitz in Wuppertal. Sie verstehen sich als "die nationalistische Alternative Deutschlands". In ihrem Theorieorgan "Einheit und Kampf werben sie für völkisch-kollektivistisches Gedankengut und erklären idealistisch, nicht in bürgerlichem Besitzdenken zu 84 verharren, sich nicht von Geld, Konsum und Wohlstand korrumpieren zu lassen. Die JN wollen einen neuen Lebensstil verkörpern. Sie verbergen ihre Absichten nicht, wenn sie in eindeutiger Weise betonen, sie wollten die "Verlogenheit und Dumpfheit des Systems anprangern und die Heuchelei und den Opportunismus der... Spießer und Anpasser überwinden". Sie streben ein "auf der Solidargemeinschaft deutscher Stämme begründetes neues Reich" an. Die JN schreiben sich selbst einen "jugendpolitischen Auftrag" zu, der eine wirkliche - revolutionäre - Alternative zum System bieten soll. Dafür wollen sie einen nationalistisch ausgestalteten "Freizeitausgleich" anbieten, der zum Politisieren genutzt werden soll. Als begleitende Maßnahme sehen sie intensive politische Schulungsarbeit als unerläßlich an. Wchtige Grundlage für ein Engagement bei den JN ist die Bereitschaft zu praktischen politischen Aktivitäten. Dies sehen sie als unabdingbar an, denn es müsse hart gearbeitet werden, "um tatsächlich das System radikal zu ändern". Die JN stellen ihre Arbeit in den Dienst des Aufbaues einer nationalistischen Bewegung. Der erste Schritt dorthin sei die politische Gesinnungsgemeinschaft. Die dafür erforderlichen Aktivisten sollten bereit sein, auch persönliche Opfer zu bringen, zu allem bereit sein und die Öffentlichkeit mit gezielten Aktionen auf sich aufmerksam machen. Mittelfristig wollen sie den von ihnen prognostizierten, sich verstärkenden Druck der Straße, den Aufstand der Bevölkerung gegen die "korrupte Pseudodemokratie des Bonner Klüngels" steuern und "unpolitische Leute, die lediglich für bestimmte Veränderungen eintreten, im Kampf gegen das Establishment" gewinnen. Der 22. JN-Bundeskongreß vom 27. Februar in Langendiebach/Hessen wählte Andreas Storr, Berlin, zu seinem Bundesvorsitzenden und Holger Apfel, Hannover, zu dessen Stellvertreter. Der im rechtsextremen Lager angesehene Hamburger Rechtsanwalt Jürgen Rieger hielt ein Gastreferat, dessen rassistischer Inhalt großen Anklang fand. Er stellte seinen "Neun-Punkte-Plan zur Ausländerrückführung" vor. In diesem werden Forderungen wie "Arbeitgeber haben für jeden Ausländer, den sie beschäftigen, eine Integrationssteuer von DM 50.000,pro Jahr zu zahlen. Wenn Arbeitgeber dieses nicht wollen, können sie den Ausländer entlassen" - oder "arbeitslose Gastarbeiter haben Deutschland innerhalb von drei Monaten zu verlassen" erhoben. Die Mutterpartei NPD war mit ihrem Generalsekretär vertreten. Der äußerte seine Hoffnung, daß die JN einen Aufschwung erzielen und weiterhin, wenn auch kritisch, zur NPD stehen mögen. Damit umschrieb er diplomatisch die fortdauernden Spannungen zwischen NPD und JN, die sich zwar zu Ideologie und Zielsetzung der NPD bekennen, sich aber in der Öffentlichkeit wesentlich aggressiver artikulieren und verhalten. Entsprechend ihrem Anspruch, die "Propaganda der Tat" für die Eigenwerbung zu nutzen, machten die JN am 25. Juli bei der Eröffnung der Bayreuther 85 Wagner-Festspiele durch eine demonstrative Tat auf sich aufmerksam. Zwei Täter warfen Eier in Richtung des bayerischen Ministerpräsidenten Stoiber und des ehemaligen Generalsekretärs der KPdSU und ehemaligen Präsidenten der Sowjetunion, Gorbatschow. Einer der Täter führte ca. 100 JN-Flugblätter "Den Bonzen den Marsch blasen" mit sich. In diesen wurde gegen "Systempolitiker" polemisiert, die "dem deutschen Volk durch die Gleichmacherei seiner Kultur" auch seine Seele rauben wollten. Erst ein nationalistisches Deutschland - so wird in dem Flugblatt weiter ausgeführt - werde das deutsche Volk aus geistiger, kultureller und politischer Entmündigung und Unterdrückung befreien, ihm Ehre und Würde zurückgeben. Auf Einladung der JN hatte die Skin-Band "Noie Werte" (Oi-Musik) im August in Jülich spielen sollen. Für die Veranstaltung, die unter dem Thema "Balladen für Deutschland" stehen sollte, wurde bundesweit geworben. Der Vermieter kündigte den Mietvertrag für den Veranstaltungsraum jedoch, nachdem er den wahren Charakter der Veranstaltung erkannt hatte. Polizeikräfte verhinderten das Treffen und kontrollierten verdächtige Fahrzeuge. Dabei wurden Baseballschläger, Schreckschußpistolen, Knüppel und Reizgas sichergestellt. Dies belegt einmal mehr, daß man sich permanent auf Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner aus dem sogenannten antifaschistischen Bereich einstellt. In einer Art Jahresbilanz erklärte der JN-Bundesvorsitzende Storr im Dezember, die letzten Monate hätten gezeigt, daß "die nationalistische Opposition in Deutschland nur dann, wenn sie gemeinsam handelt, in der Lage ist, den politischen Druck standzuhalten und die Fackel unseres politischen Widerstandes weiter hochzuhalten. Der gemeinsame Widerstand erfordert gleiche Ideale, Erlebnisse und Kameradschaft. Nicht die organisatorische Einheit, sondern die Einheit in der Aktion ist das Gebot der Stunde". Zum Jahreswechsel 93/94 gab es erstmals Hinweise, daß die JN sich in die Anti-Antifa-Arbeit integrieren will. In Hamburg existiert kein JN-Landesverband. Mehrfach unternommene Versuche, die JN-Arbeit in Hamburg wieder zu reaktivieren waren auch 1993 nicht erfolgreich. Mit dem JN-Mitteilungsblatt "Junger Norden", das vom "Freundesund Förderkreis der JN Hamburg und Schleswig-Holstein" seit Mai 1993 in unregelmäßigen Abständen erscheint, wurde ein erster Ansatz geschaffen. Das Mitteilungsblatt unterrichtet über "nationale Aktivitäten" und enthält die programmatische Aussage, daß man sich zu Volk, Land und Stolz bekenne: "Wir bekämpfen die Korruption, die Lügen, die Ausbeutung, die Überfremdung". In der Ausgabe Nr. 2 vom September 1993 wird klargestellt, daß die JN "das System treffen wollen". Außerdem wurde in dieser Ausgabe vor Polizei und Verfassungsschutz gewarnt. Mit der Warnung einher ging das Angebot, Informationen zu den Methoden des Verfassungsschutzes an 86 Interessierte zu übermitteln sowie die Aufforderung, entsprechende Kenntnisse an das JN-Blatt zu schicken. Mit diesen Maßnahmen sollen die systematische Aufklärung der Sicherheitsbehörden und die innerorganisatorische Sensibilität gefördert werden. Die Entwicklung der letzten drei Jahre im neonazistischen Bereich hat besonders in Norddeutschländ die Kontakte zwischen JN-Funktionären und Mitgliedern mit Neonazis intensiviert. Ausdruck war die sichtbare JN-Teilnahme an den Rudolf-Hess-Demonstrationen. Damit ist nicht nur der Einfluß neonazistischer Positionen innerhalb der NPD-Jugendorganisation größer geworden, die JN bietet sich aus der Sicht der der Neonazis der verbotenen Organisationen als potentielles Auffangbecken an. Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB) Der NHB ist die Studentenorganisation der NPD. Er wurde in den vergangenen Jahren von der Partei vernachlässigt und entwickelte an den Hochschulen keinerlei Aktivitäten. Der Bundesvorstand des NHB gibt seit Oktober 1990 die Zeitschrift "Vorderste Front - Zeitschrift für politische Theorie und Strategie" heraus. Er arbeitet auf der Grundlage seines Theorieorgans mehr als informelle Gruppe und versteht sich als elitärer Zusammenschluß ("Klasse statt Masse"). Schon 1990 vertrat er die Ansicht, daß statt einer neuen Partei eine Organisation mit Volksfrontcharakter zur Durchsetzung der politischen Ziele notwendig sei. Die Zeitschrift des NHB hat sich zu einem in der rechtsextremistischen Szene beachteten Theorieorgan entwickelt. Themen sind u.a. die theoretische Systemauseinandersetzung und Entwicklung einer Strategie den Rechtsstaat Bundesrepublik Deutschland in revolutionärer Weise zu beseitigen. Der NHB lehnt die Bundesrepublik Deutschland ab, weil sie nicht reformierbar sei. Anstelle des bisherigen Systems soll die Bundesrepublik nach dem Modell der "Dritten Position" ("International Third Position", ITP) umgestaltet werden. Die "Dritte Position" geht von einer dialektischen Geschichtsentwicklung aus, derzufolge das herrschende materialistische Weltbild in seinen beiden Ausprägungen mit Kapitalismus und Kommunismus durch etwas Neues ersetzt werden müsse. Nur ein dritter Weg jenseits vom Kapitalismus und Kommunismus und jenseits einseitiger Orientierung an Materialismus und Geist/Spiritualismus könne die Probleme der Zukunft lösen. Der NHB sieht die "Dritte Position" hauptsächlich als eine Synthese aus Geist/Materie, daneben aus Arbeit/Kapital, als unvermeidlich und revolutionär an. Er ist der Meinung, wer als erster die richtige Synthese definiere, werde den Sieg davontragen. Es 87 handele sich also um eine unvermeidliche Weiterentwicklung der Gesellschaft auf ein höheres Niveau. Daher sei es absurd, die "Dritte Position" als "links" oder "rechts", als "antikommunistisch" oder "prokommunistisch" einzuordnen. Zugleich vergißt der NHB nicht, darauf hinzuweisen, daß die "ITP" ab 1991 die Parole "Intifada weltweit" herausgab, wobei die Intifada sich gegen ihre zionistischen Untedrücker gewandt habe. Im konzeptionellen Bereich schwebt dem NHB vor, Gegenmacht durch Schaffen "befreiter Zonen" zu etablieren. Dabei komme es darauf an, Freiräume zu schaffen, in denen man praktisch die Macht ausübe, in denen Sanktionsfähigkeit bestehe und Abweichler bestraft werden könnten. Dieses Konzept stellt eine eindeutige Ablehnung der Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates dar. Der Kampf soll unter dem Tenor "Für die Sache des Volkes" ablaufen. Der NHB beklagt in diesem Zusammenhang, daß die Erfolglosigkeit der politischen Kämpfer darin begründet liegt, daß der Staat alles versuche, um jede Form des Widerstandes ins Unverbindliche, ins Private und damit letztlich ins Unpolitische abzudrängen oder in offenkundige Sackgassen zu lenken. Daraus entwickelt der NHB die Frage, was man gegen dieses teuflische System tun könne und meint, sämtlichen "Erpressungsversuchen" entgehen zu können, indem man sich selbst zum Arbeitgeber mache. Dabei müßten Sektoren abgedeckt werden, "die vom Feind (System) nicht genutzt werden können". Die hinter dieser geschilderten taktischen Vorgehensweise zu Erreichung des revolutionären Ziels erkennbare Methode kann auf die Kurzformel gebracht werden "das System von innen heraus knacken". Der NHB stellt das bildlich auch so dar! Hinter dieser Handlungsanleitung steht das Analyseergebnis, daß ein revolutionärer Umsturz in der Bundesrepublik Deutschland nur über die Erringung einer wirtschaftlichen Hegemonie erreicht werden könne. Dieses Konzept sei aber nur mit dem Volk erreichbar, weshalb man sich mit ihm solidarisieren müsse. Vor diesem Hintergrund sind rechtsextremistische Hetztiraden gegen Asylbewerber und die Regierenden, die eine Polarisierung Volk-Regierung insbesondere aus wirtschaftlichen Aspekten zum Ziel haben, einzuordnen. Der NHB hat jedoch keine personellen Möglichkeiten, seine Theorien in die Praxis umzusetzen. NATIONALE LISTE (NL) Die "Nationale Liste" (NL) wurde am 13. März 1989 in Hamburg als Landespartei von Anhängern des mittlerweile verstorbenen Neonaziführers Michael Kühnen gegründet. Entgegen der Mehrzahl der ehemaligen KühnenAnhänger, die sich nach dem Verbot von Kühnens "Aktionsfront Nationaler 88 Sozialisten/Nationale Aktivisten" (ANS/NA) der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) angeschlossen hatten, schufen sich die Hamburger Kühnen-Anhänger mit der NL eine eigene politische Plattform. Die Mitgliederzahl der NL ist seit ihrer Gründung nur unwesentlich von 20 auf nunmehr 30 Mitglieder gestiegen. Seit April 1989 gibt die NL eine eigene Publikation mit dem Namen "Index" heraus, die in einer Auflage von 800 bis 1.000 Exemplaren acht mal jahrlich erscheint. Darin berichtet die NL über ihre und die Aktivitäten anderer rechtsextremistischer Organisationen in und außerhalb Hamburgs, veröffentlicht im Rahmen der von ihr betriebenen AntiAntifa-Arbeit die Namen, Anschriften und Trefforte "politischer Gegner" und nimmt zu den verschiedensten Themen aus nationaler Sicht Stellung. Die Führungspersonen der NL sind der Vorsitzende Thomas Wulff und der stellvertretende Vorsitzende Christian Worch. Wulff und Worch gehören seit Jahren zu den maßgeblichen Aktivisten der bundesdeutschen Neonaziszene. Vor Kühnens Tod zählten sie zu seinen engsten Mitarbeitern und identifizierten sich vollständig mit dessen politischer Zielsetzung und nationalsozialistischer Gesinnung. Die NL bezeichnet sich in ihrem Programm als "Partei des neuen Nationalismus". Ihre offiziellen politischen Forderungen sind in dem seit Gründung der Partei unverändert bestehenden Programm formuliert und werden durch Beiträge in der Parteizeitung ergänzt. Gegenstand ihrer politischen Agitation sind die Ausländerpolitik, die Sozialpolitik, die Wohnungspolitik die Innere Sicherheit, die Kulturpolitik, die Umweltpolitik und das herrschende System. Schwerpunktthema der NL sind jedoch die Ausländerund Asylpolitik. Die NL kämpft gegen die "Überfremdung unseres Vaterlandes". Der Zuzug immer neuer "Ausländermassen" und der "ungebremste Asylantenzustrom" müßten beendet werden. Dazu schlägt die Partei Maßnahmen wie "Zuzugstopp", "umgehende Abschiebung" vor. Wörtlich fordert sie eine "Säuberung" von Ausländern und Asylanten, um dem "Ausländerund Asylantenproblem" begegnen. Als Folge der jetzigen Ausländerpolitik prophezeit die NL Ausschreitungen wie in Hoyerswerda und "Rassenunruhen...durch Bandenkriege". Die Ausländer sollten nach Hause geschickt werden, bevor der Volkszorn so groß werde, daß Tote nicht mehr die Ausnahme seien, sondern zur Regel würden und sich der Volkszorn "blutig gegen Ausländermassen und Ausländerkriminalität Bahn brechen wird". Gewalttätige Ausschreitungen gegen Ausländer und Asylanten werden als "Volksaufstand" mit "Signalwirkung" und indirekt als gerechtfertigte "Notwehr" der Bürger gegen den "Asylterror" und die 89 "Unfähigkeit" des herrschenden Systems nachempfunden. Die "irrigen Versuche der Auslanderintegration oder die Schaffung einer multikulturellen Gesellschaft" werden "ganz energisch" abgelehnt. Die derzeitige als "Volksbeschiß" bezeichnete Ausländerund Asylpolitik sei durch "Unfähigkeit und Ignoranz" der etablierten Politiker gekennzeichnet. Die beleidigenden und herabsetzenden Formulierungen im Zusammenhang mit Ausländern offenbaren eine offen rassistische Grundhaltung, die durch Äußerungen über die "überdurchschnittliche Überlegenheit" der "deutschen Rasse" und des "deutschen Volkes" gegenüber anderen Völkern noch unterstrichen wird. "Multikultureller und multikrimineller Mischmasch" werden abgelehnt, die "Überfremdung" als zur "Zerstörung unserer Lebensgrundlagen" und des deutschen Volkes und der deutschen Identität führender "Schaden" bezeichnet. Dabei wird Ausländern und Asylbewerbern unterstellt, sie seien schmutzig und kriminell, entsprächen nicht dem "deutschen Schönheitsideal" und seien für gesellschaftliche Probleme wie Drogenkriminalität, Wohnungsnot und Arbeitslosigkeit und damit für die "Verslumung" und "Massenverelendung sozial schwacher Deutscher" verantwortlich. Es wird der Eindruck vermittelt, jegliche politischen, ökonomischen und sozialen Probleme würden gelöst, wenn es keine Ausländer mehr in der Bundesrepublik gäbe. Ein anderes Agitationsfeld der NL ist der Antisemitismus. Israel wird als "Raubstaat" bezeichnet, der versuche, aufgrund "unserer ach so schrecklichen Vergangenheit", die Deutschen zu erpressen und auf die deutsche Politik Einfluß zu nehmen. Massiven Verunglimpfungen sehen sich auch das politische System der Bundesrepublik Deutschland bzw. seine Repräsentanten und Institutionen ausgesetzt. Die Demokratie wird verächtlich als "Demokratur" bezeichnet und das derzeitige Staatsund Wirtschaftssystem mit seiner "Ideologie des Geldes" und seiner "jahrzehntelangen Erziehung hin zum losgelösten Individuum ohne Gemeinschaftssinn" beklagt. Die Repräsentanten der Bundesrepublik werden diffamiert. Den Parteien und Politikern als "sogenannten Volksvertretern" wird "sklavische Hörigkeit" gegenüber den Siegermächten des Zweiten Weltkrieges", "korrumpierbares", "käufliches" und "kriminelles" Handeln vorgeworfen. Sie seien "unfähig", werden als "Verräter" bezeichnet und ihnen wird der "Ausverkauf deutscher Interessen" unterstellt. Polizei und Justiz werden rechtswidriges und willkürliches Handeln vorgeworfen. Es werde "politische Gesinnungsjustiz" und "politische Unterdrückung" betrieben. 90 Die derzeitigen "Machthaber" der Bundesrepublik, trügen mit ihren "Zugeständnissen an Gewalt und Zerstörung", ihrer "antiautoritären Politik", ihrem "Einschlagen" auf die für Recht und Ordnung kämpfende nationale Opposition und ihrer Ausländerund Asylantenpoltik die Verantwortung für die bedrohlichen Zustände in "unserem" Land. Die NL sieht eine Parallele zu den Endzeiten des SED-Regimes, dessen Machthaber vom Volk hinweggefegt worden seien. Unter Ablehnung des herrschenden Systems propagiert die NL einen "Nationalen Sozialismus" in einem "Deutschen Reich" als "dritten Weg" zwischen Kapitalismus und Sozialismus. Sie sieht im Zusammenwirken beider Strömungen die "einzige große Chance für das Überleben unseres Volkes". Sie fordert die "Auflösung" des hiesigen Systems zugunsten eines "Deutschen Reiches" sowie die "freie Wahl der Staatsordnung und der in ihr vertretenen Parteien". Die NL zeigt nach ihrem Gesamtbild eine Wesensverwandschaft mit dem Nationalsozialismus. Aus Äußerungen der NL geht hervor, daß sie dem nationalsozialistischen System mit seiner Diktatur und dem Führerprinzip positiv gegenübersteht. Sie verehrt Adolf Hitler und führende Vertreter des NS-Regimes wie den Hitler-Stellvertreter Rudolf Hess, den NS-Propagandaminister Josef Goebbels, den NS-Politiker und Leiter der Geheimen Staatspolizei Reinhard Heydrich und den ehemaligen SS-Gruppenführer und "Pilot des Führers" Hans Baur. Im Zusammenhang mit dem nationalsozialistischen System unter Adolf Hitler spricht sie von einer "neuen Weltanschauung von Ehre, Freiheit, Vaterland" und beführwortet eine auch im Nationalsozialismus propagierte "Blutund Boden-Ideologie". Hitlers "Mein Kampf wird als "aktuelles", "wichtiges Werk" und als der "Inbegriff einer klaren, verständlichen und für viele überzeugenden Weltanschauung" bezeichnet. Die Gewalttaten des Nationalsozialismus werden von der NL verharmlost. Der Einmarsch der Deutschen 1941 in die ehemalige Sowjetunion wird als "dringend notwendig" bezeichnet. Die Deutsche Führung sei weit davon entfernt gewesen ein "Kriegsverbrechen" zu begehen. Sie habe "rasch, wirkungsvoll und sittlich gerechtfertigt" gehandelt. Unter dem Stichwort "Revisionismus" werden die Verbrechen des III. Reiches in Zweifel gezogen. Die NL rühmt sich selbst, etliche öffentliche Aktionen des Revisionismus aktiv und teilweise maßgeblich mit unterstützt zu haben. Auch wenn sich die NL nie eindeutig zu ihren wahren politischen Zielen bekennt, sprechen der politische Werdegang ihrer Führungspersonen und deren Verbundenheit mit Michael Kühnen und dessen Zielsetzung, die Auswahl ihrer Agitationsthemen und ihre Argumentationsweise, ihre ablehnende Darstellung des herrschenden demokratischen Systems und seiner Einrichtungen und ihre 91 Nähe zum Nationalsozialismus dafür, daß die NL die Errichtung eines nationalsozialistischen Systems anstrebt. Ein offenes Eintreten für die Errichtung eines nationalsozialistischen Systems verbietet sich ihr aus strafrechtlichen Gründen. Die öffentlichen Aktivitäten der NL in Hamburg liegen im wesentlichen in der Verbreitung ihres aus Flugblättern, Aufklebern und Presseerklärungen bestehenden Propagandamaterials. Die Stadtteile Bramfeld und Bergedorf stellen hierbei die örtlichen Schwerpunkte der NL-Aktivitäten dar. Die NL arbeitet in diesen Bereichen auch mit Skinheads zusammen. Neben der Verteilung von Propagandamaterial führte die NL in Hamburg sogenannte Mahnwachen und Flugblattaktionen durch. Am 20. März protestierten etwa 15 Anhänger der NL vor einer Asylbewerberunterkunft in HamburgBramfeld mit Flugblättern und Transparenten "gegen den zunehmenden Sozialabbau in Deutschland" , gegen die "soziale Verelendung" der Deutschen und erklärten "wir wollen keine Asylantenheime", "Deutsche brauchen Wohnungen, Asylanten kriegen sie". Am 27. März führten insgesamt 15 NL-Anhänger aus Schleswig-Holstein zusammen mit Hamburger NL-Aktivisten in Henstedt-Ulzburg vor einer dortigen Mc Donald-Filiale eine Flugblattaktion "gegen amerikanische Unkultur und Umweltverschmutzung" durch. Die Flugblätter wurden wegen fehlenden Impressums von der Polizei eingezogen und die Personalien der Teilnehmer festgestellt. Am 24. April führten etwa 35 Anhänger der NL in Hamburg-Bergedorf eine weitere "Mahnwache" vor einer im Bau befindlichen Asylbewerberunterkunft durch. Nach dem Beschluß über die Wiederholung der Hamburger Bürgerschaftswahl konzentrierte die NL ihre Aktivitäten auf den Wahlkampf, in dessen Rahmen sie mehrere Kundgebungen mit etwa 300 bis 500 Teilnehmern anmeldete. In allen Fällen erließ die Hamburger Innenbehörde z.T. gerichtlich bestätigte Veranstaltungsverbote. Schwerpunkt ihrer Agitation war dabei die Ausländerund Asylpolitik. Den Wählern wurde versprochen, dafür zu sorgen, daß "unserem Volk nicht länger von Asylbetrügern und kriminellen Ausländern auf der Nase herumgetanzt" werde. Dem Bau weiterer Asylantenheime in Hamburg wolle man "entschlossenen politischen Widerstand" entgegensetzen. Durch die Wahl einer national orientierten Partei ins Rathaus würden die "Großen an ihre Pflichten gegenüber unserem Volk erinnert". Die NL sei angetreten, um "unsere Heimat und unser Volk vor Verbrechern und Schmarotzern zu schützen und die Zukunft zu gestalten." Man werde den "etablierten Politikerschwindlern als nationale Opposition mit allen politischen Mitteln entgegentreten". 92 Trotz der, für die finanziellen und personellen Möglichkeiten der NL relativ umfangreichen Wahlkampfaktivitäten, gelang es ihr weder, die Zahl der im Vorwege gesammelten Unterstützerunterschriften (500), noch das 1991 erzielte Wahlergebnis (431 Stimmen, 0.1%) zu erreichen. Die NL erhielt insgesamt 384 Stimmen (0.0%). Den höchsten Stimmenanteil (102 Stimmen = 0,2%) erzielte sie, wie bei der vorherigen Bürgerschaftswahl, im Stadtteil Bergedorf. Das schlechte Wahlergebnis der NL wurde von ihren Anhängern nicht als Niederlage empfunden. In Anbetracht ihrer geringen Erfolgschancen wird die Teilnahme an Wahlen als "rein sachlicher Zwang" zur Festigung des Parteistatus und als gute Möglichkeit für eine Eigenwerbung in den Medien gesehen. Bedauert wurde das Aufspürten rechter Wählerstimmen durch das Antreten dreier rechter Parteien in Hamburg. Für das kommende Wahljahr kündigt die NL an, mit aller Kraft daran mitzuwirken, durch ein einheitliches Auftreten der Nationalen einen Umbruch in der Parteienlandschaft zu erreichen. Über den Hamburger Raum hinaus war die NL auch auf Bundesbene in großem Umfang aktiv. Obwohl die Partei laut Satzung organisatorisch auf Hamburg beschränkt ist, sieht sie sich als Landespartei mit bundesbzw. reichsweitem Anspruch. Sie bezeichnet sich selbst als "Speerspitze", "Vorreiter" und "Avantgarde des Aktivismus" und nennt sich selbst die "Partei der Reisekader". Die beiden Vorsitzenden der NL - Worch und Wulff - gelten bundesweit als führende Aktivisten und Strategen der gesamten "ultraradikalen Rechten". Ihrem bundesweiten Führungsanspruch kommt die NL zum einen nach, indem sie sich an der Vorbereitung und Durchführung organisationsund länderübergreifender Kundgebungen und Aktionen beteiligt oder sie gar initiiert. Ihre politischen Ansichten finden über die Publikation "Index" bundesweite Verbreitung. Darüber hinaus übernimmt Worch auch die juristische Beratung für andere neonazistische Organisationen und deren Anhänger, z.B. für den am 21. Dezember 1992 vom niedersächsischen Innenminister verbotenen "Deutschen Kameradschaftsbund Wilhelmshaven" (DKB). Strategisches Ziel der NL ist die Schaffung einer Art rechtsextremistischen Netzwerks. Über gemeinsame Veranstaltungen Kampagnen zu gemeinsamen Themen versucht die Parteiführung zu einer organisationsübergreifenden und im Hinblick auf die zunehmenden "staatlichen Repressalien" zu einer organisationsunabhängigen Form der Zusammenarbeit zu kommen. Bestehende Organisationsgrenzen und -strukturen sollen aufgebrochen und eine Einheitsfront mit Breitenwirkung in Form einer "Volksfront von rechts" geschaffen werden. 93 Als bislang erfolgreichstes Instrument einer übergreifenden nationalen Zusammenarbeit hat sich bislang die ebenfalls von der NL initiierte Anti-AntifaArbeit erwiesen, deren Ziel die Bekämpfung "politischer Gegner" ist. Mittlerweile haben zahlreiche Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet die Anti-Antifa-Arbeit aufgenommen und arbeiten dabei mit anderen Anti-Antifa-Aktivisten und Gruppen zusammen. Nach der Verurteilung des seit Januar 1992 in Wien inhaftierten österreichischen Kühnen-Anhängers Gottfried Küssel wegen nationalsozialistischer Wiederbetätigung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Jahren, rief die NL im September bundesweit zu Protestaktionen gegen das "Terrorurteil" und zu Boykottmaßnahmen gegen Österreich auf. Im "Index" veröffentlichte sie den Namen des verantwortlichen Richters für eine "direkte Ansprache" und verwahrte sich gegen den Versuch der österreichischen "Politmafia" und der bundesdeutschen Behörden als "Drahtzieher" dieses Urteils, die nationale Bewegung zu diskriminieren und zu unterdrücken. Im Oktober bildete sich als länderübergreifender, "unabhängiger und überparteilicher Zusammenschluß nationaler Menschen" die "Nationale Initiative Freiheit für Gottfried Küssel", mit Sitz in Langen. Ihr Anliegen ist es, mittels Propagandaktionen auf das Schicksal Küssels aufmerksam zu machen und dessen Freilassung zu fordern. Ebenfalls im Oktober startete Worch eine weitere parteiübergreifende "konzertierte Aktion". Als Reaktion auf die zunehmenden staatlichen "Repressalien" gegen das "Nationale Lager" entwarf er die Kampagne "Wählt Heitmann", mit der Steffen Heitmann bei seiner Kandidatur für das Amt des Bundespräsidenten offenkundig unterstützt werden sollte. Der Rückzug der Kandidatur Heitmanns wurde von der NL als "spektakulärer Erfolg" gefeiert. Durch ihre scheinbare Unterstützung des Präsidentenkandidaten seien diesem Verbindungen nach rechts unterstellt worden, was in der BRD gleichbedeutend mit "einem politischen Todesurteil" sei. Nach der Verhaftung des sogenannten amerikanischen Gaskammerexperten Fred A. Leuchter im Oktober kündigte die NL für den in der Bundesrepublik bevorstehenden Prozeß gegen den Amerikaner an, man werde Leuchter mit einer Kampagne unterstützen und die Kräfte der "radikal-nationalen Opposition" organisieren. Das Verfahren werde von der "weltweit vernetzten Revisionisten-Szene" als "Geschenk des Himmels" gesehen, da erstmals seit Bestehen der BRD ein Gericht nicht auf die ständig behauptete "Offenkundigkeit" der Tatsache der Vergasung von Juden in Ausschwitz berufen könne, sondern Experten hören müsse. 94 Als weitere gemeinsame Initiative gegen die Verbote rechter Organisationen fand vom 4. bis 11. Dezember eine internationale Solidaritätswoche inund ausländischer Nationalisten statt. Die Aktivisten waren aufgefordert, Flugblätter zu verteilen, Mahnwachen und Spontandemonstrationen durchzuführen. Auch die NL veröffentlichte einen Aufruf zur "Solidaritätswoche". Die Solidaritätswoche fand bei den Neonazis nur geringen Zuspruch und brachte auch nicht die erhoffte Wirkung in der Öffentlichkeit. Die meisten der geplanten Aktionen wurden durch Verbote der Behörden verhindert. Am 31. August beantragte der Hamburger Senat beim Bundesverfassungsgericht die Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NL gemäß Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz. In der Antragsschrift heißt es zur Begründung, die NL gehe nach ihren Zielen darauf aus, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beseitigen. Sie tue dies in der Absicht, eine mit den Grundelementen der freiheitlich demokratischen Grundordnung nicht mehr vereinbare neue Staatsstruktur aufzubauen. Das von der NL geforderte Reich solle in seiner Struktur eine Fortsetzung des III. Reichs unter Adolf Hitler sein. Die Antragsschrift wurde der NL mit einer Äußerungsfrist bis zum 31. Dezember am 13. Oktober zugestellt. Die NL reagierte auf den Verbotsantrag mit der Bemerkung, damit habe das System wieder einmal sein unrechtsstaatliches Handeln gezeigt und seine freiheitlich-demokratische Maske fallen lassen. MILITANTE RECHTSEXTREMISTEN: INSBESONDERE SKINHEADS Setzten sich militante Rechtsextremisten in den achtziger Jahren überwiegend aus Mitgliedern neonazistischer Organisationen zusammen, so prägen in den neunziger Jahren die Skinheads die rechtsextremistische Militanz. 1992 lagen zum ersten Mal in der Bundesrepublik die rechtsextremistischen Militanzpotentiale mit 6.400 (davon 2.800 im Westen und 3.400 im Osten) deutlich über denen der gewaltbereiten Autonomen mit rund 5.000. Für 1993 reduzierten sich zwar die Gesamtzahlen auf 5.600 militante Rechtsextremisten, doch weisen sie mit 3.000 im Westen und 2.600 im Osten noch immer auf eine überproportionale Existenz militanter rechtsextremistischer Zusammenhänge in den neuen Bundesländern hin. Im Gegensatz zum militanten Linksextremismus zeichnet sich rechtsextremistische Militanz durch Dezen95 tralisierung und geringere Vernetzung aus, die einer breiteren, überregionalen aktionistischen Ausschöpfung der Potentiale im Wege stehen. Angesichts des Land-Stadt-Gefälles wirken gerade Großstädte wie Hamburg einer Mobilisierung und damit kontinuierlichen Rekrutierung entgegen. So fiel 1993 in Hamburg die Zahl der zumeist strukturschwachen militanten Rechtsextremisten, auch unter dem Eindruck von Repressionsmaßnahmen, auf rund 100. Ihr Anteil an den fremdenfeindlichen Straftaten ist - wie auch im Bundesgebiet - weiterhin relativ gering. Ein Großteil militanter Rechtsextremisten entstammt dem Skinheadmilieu, auch in Hamburg. Die Skin-Bewegung stellt keinen organisierten Zusammenschluß fest indoktrinierter Rechtsextremisten dar. Sie steht zunächst für eine Subkultur, für eine besondere Lebensweise vorwiegend männlicher Jugendlicher. Die Skin-Szene ist nicht einheitlich. Neben den zahlenmäßig kleinen linksorientierten S.H.A.R.P.-Skins gibt es die in erster Linie gewaltorientierten Skins, die ausschließlich an der Oi-Musik orientierten Skins sowie die rechtsextremistisch positionierten Skins. Klar formulierte politische Motive stehen deshalb nicht im Vordergrund beim Anschluß an bestehende Skinzusammenhänge. Die Angehörigen der rechtsextremistisch positionierten Skin-Szene bringen nur ein geringes politisches Allgemeinund Hintergrundwissen in die Gruppen ein. Sie sind gewaltfasziniert und setzen stärker auf die gewalttätige denn auf die argumentative Auseinandersetzung. Sie leben das Faustrecht rechtsextremer Ideologiemuster aus, ohne jedoch ideologisch gefestigt und sicher zu sein. Für viele sind ausländerfeindliche, nationalistische oder gar rassistische Ideologiefragmente handlungsanleitend, aber nicht immer bestimmend. Rechtsextreme, antidemokratische Ideologiefragmente werden über parolenhafte Verkürzung oder über Symbole angeeignet bzw. verbreitet. Die diesen Ideologien anhaftenden personengebundenen klar fixierten Feindbilder - abweichend von den komplizierten Strukturfeindbildern des Linksextremismus - begünstigen das Ausleben der Gewalt am personifizierten anonymen Haßobjekt. Dabei kommt dem Alkohol häufig eine verstärkende Wirkung bei den Gewalttaten, aber auch eine gemeinschaftsbildende und gemeinschaftsstabilisierende Rolle bezogen auf die Gruppe zu. Skin-Zusammenhänge sind in der Regel nicht bereit, sich in eine politische Organisation fest einbinden zu lassen. Auch wenn sie zumeist zu langfristiger politischer Arbeit nicht fähig sind, greifen sie dennoch in die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner ein. So gehören vermeintliche oder tatsächliche politische Gegner zu ihren Angriffszielen. Die politische Aufladung der Gruppen ist abhängig von ihrer Konstanz, den Führungsfiguren, der Existenz festumrissener Feindbilder, dem Steigerungseffekt der Wiederholungstaten 96 sowie den Fremdeinflüssen durch Propagandamaterial fester rechtsextremer Organisationen. Ihre Politisierung kann durch Personen gefördert werden, die selber Mitglied einer rechtsextremen Organisation waren oder sind oder zu ihr oder einzelnen Personen Kontakte unterhalten. Derartige Kontakte sind jedoch meist zeitlich begrenzt und führen nur in Einzelfällen zu einer längerfristigen politischen Zusammenarbeit. Die politische Aufladung kann jedoch durch wirkungsvolles Einwirken der Strafverfolgungsbehörden auch jäh unterbrochen werden. Auf die strukturarmen Skin-Gruppen, die über keine festen Vernetzungen untereinander verfügen, wirken zwei Kommunikationsschienen, die auf eine breitere Politisierung und ein gruppenübergreifendes Zusammengehörigkeitsgefühl hinwirken können, die Skin-Bands und die Fanzines. Skin-Bands mit rechtsextremer Ausrichtung drücken mit ihrer Musik und den Texten die Weltanschauung einer White Power - Bewegung, die für Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus steht. Die Musik propagiert Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung von politischen Zielen. Da der Szene gefestigte Strukturen fehlen bzw ihr fremd sind, wirkt die Musik als Integrationsund Aggressionsfaktor. Dabei bieten Musikveranstaltungen Möglichkeiten der Begegnung und stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. Die zweite Kommunikationsschiene stellen die Fanzines dar. Sie vermitteln mit ihrer einfach gehaltenen Aufmachung bei geringen Auflagen neben der SkinMusik die gemeinsamen Wertvorstellungen der Skin-Szene. Sie fordern die Leser zu Aktivitäten gegen einen gemeinsamen Feind auf. Ihr Inhalt ist aktionistisch. Neben Erlebnisberichten über Feten, Konzerte und neue Platten bzw. Demotapes sowie Interviews mit inund ausländischen Skinbands, in denen diese zum Teil ihre politische Motivation darlegen, wird über Schlägereien informiert, wobei besonders auf die Auseinandersetzung mit Ausländern und als "Zecken" bezeichnete Linke verwiesen wird. Gegen die Kommunikationsschienen richteten sich bundesweite Durchsuchungsbeschlüsse und Beschlagnahmen. Am 3. Februar wurden in sieben Bundesländern Exekutivmaßnahmen gegen Hersteller und Verbreiter rechtsextremistischer Skin-Musik durchgeführt. Insgesamt wurden 36 Durchsuchungsbeschlüsse gegen zehn Skin-Bands und zwei Musikverlage vollstreckt. Dabei wurde umfangreiches Beweismaterial sichergestellt, das Gesetzesverstöße auch bei Skin-Konzerten nach SSSS 86; 86a; 111; 126; 130; 130a; 131 StGB sowie nach den Vorschriften des "Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften" belegen soll. 97 In Hamburg richteten sich die Durchsuchungsbeschlüsse gegen vier Mitglieder der Bergedorfer Band "Commando Pernod" sowie vier Mitglieder der Sinstorfer Band "Oi Dramz". Am 15. Juli wurden im Rahmen von Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts von Straftaten nach den Landespressegesetzen in Verbindung mit SSSS 86a; 90a; 90b; 130 StGB sowie des Verdachts von Verstößen gegen das "Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften" in sechs Bundesländern gegen 12 Hersteller von Skinhead-Fanzines und zwei Geschäftsführer eines Versandhandels Durchsuchungen von Wohnungen, Autos und Postschließfächern durchgeführt. Die gegen die Skinhead-Kommunikationsschienen gerichteten Maßnahmen haben 1993 die Handlungsund Agitationsräume rechtsextremer Skins beeinträchtigt. Besonders die Skin-Bands sahen sich angesichts der Strafverfolgungsmaßnahmen zunehmenden Schwierigkeiten ausgesetzt, auf Veranstaltungsräume oder Plätze für ihre Konzerte zurückzugreifen. Damit verbunden war eine Beeinträchtigung des öffentlichen Aktionsraumes aber auch der Begegnung regional sehr unterschiedlicher Skin-Zusammenhänge. Der Rückgang militanter Rechtsextremisten (insbesondere Skinheads) in Hamburg von rund 120 auf 100 ist nicht nur auf die Maßnahmen gegen die Kommunikationsschienen zurückzuführen, sondern ist der noch fortdauernden Wirkung der Strafverfolgungsmaßnahmen des Jahres 1992 gegen eine gewalttätige Skin-Gruppe im Harburger Raum zuzurechnen. Der Rückgang findet seine Ursache ergänzend auch in den tätlichen Übergriffen militanter Autonomer und jugendlicher Ausländer. Am 7. Juli 1992 wurden nach Hinweisen des Hamburger Verfassungsschutzes gegen zehn Mitglieder der "Sinstorfer Skinheads", die im Verdacht standen, neben einem versuchten Brandanschlag auf die Räume der "Arbeiterkultur e.V.", wo regelmäßig das "Harburger Bündnis gegen Rassismus" tagte, für eine Reihe von ausländerfeindlichen Anschlägen im Süden Hamburgs verantwortlich zu sein, Durchsuchungsbeschlüsse vollstreckt. Unter den Tatverdächtigen befanden sich auch Mitglieder der Skin-Band "Oi Dramz". Das Hamburger Jugendgericht verurteilte im April fünf Jugendliche wegen versuchter Brandstiftung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und unerlaubten Waffenbesitzes zu Strafen zwischen acht Monaten und einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung. Das Vorgehen gegen die sich verfestigende Gruppe hatte über den Harburger Raum hinaus deeskalierende Wrkung auf andere Skin-Zusammenhänge, so daß seitdem keine ausländerfeindlichen Gewalttaten mit klarem Gruppenbezug mehr in Hamburg festzustellen waren. Gleichzeitig gehört Harburg nicht mehr zu den absoluten Schwerpunkten der Hamburger Skinheadszene. 98 Nur ein Teil der Skinheads ist an neonazistische Organisationen direkt oder lose angebunden. Die Nationale Liste (NL) bezieht sowohl im Lohbrügger Raum als auch in den Stadtteilen Rahlstedt/Bramfeld/Farmsen/Beme Skins in die politische Arbeit ein. Die in Hamburg zahlenmäßig schwächere und weniger aktive FAP hat nicht zuletzt wegen ihrer seit den achtziger Jahren bestehenden Kontakte in den Skinheadbereich, ihrem aktionistischen und militanten Image bei Skins und der weiteren Verbreitung ihrer Propagandamaterialien eine größere Bekanntheit. Sowohl im Umfeld der FAP-Bundesgeschäftsstelle in Halstenbek (Schleswigolstein) als auch beim FAP-Landesverband mit Sitz in Harburg bestehen S ontakte zu Skinheads. Insgesamt erweist sich die Skinheadszene in Hamburg als rückläufig und durch fehlende Motivation gekennzeichnet. Die Zahl der Gemeinschaftsveranstaltungen allein oder mit Organisationen ist zurückgegangen, zum Teil sind Zusammenkünfte ins Umland verlagert worden. Die Bereitschaft, die politische Einstellung durch die äußere Erscheinung zu dokumentieren, reduzierte sich, gleichwohl bedarf sie als aktivierbares Gewaltpotential weiterhin der Aufmerksamkeit. 99 *< LINKSEXTREMISMUS ALLGEMEINE SITUATION 1993 Herausragendes Ereignis im Linksextremismus war die Entwicklung innerhalb der Roten Armee Fraktion (RAF) bis hin zum offenen Bruch. Obwohl Kritik der "Hardliner" am Kommandobereich und politisch-ideologische Differenzen zwischen dem Gefangenen-Kollektiv um Brigitte Mohnhaupt, Helmut Pohl und Christian Klar einerseits und der RAF-Kommandoebene sowie den Celler Gefangenen Karl Heinz Dellwo, Knut Folkerts und Lutz Taufer andererseits bereits in der zweiten Hälfte des Vorjahres deutlich geworden waren, mußte die Heftigkeit, mit der der Konflikt zwischen diesen beiden Flügeln im Herbst 1993 offen zutage trat, doch überraschen. Im Kern geht es dabei um die Frage, unter welchen Umständen und zur Durchsetzung welcher Ziele Gewalt eingesetzt werden soll, wann Anschläge oder Attentate aus Sicht des Kommandobereichs der RAF bzw. der Gefangenen um Mohnhaupt und Klar politisch opportun sind. Kritik hatten die "Hardliner" in dieser Debatte insbesondere an der Verknüpfung eines zeitweiligen Gewaltverzichts von Seiten der Kommandoebene der RAF mit Fortschritten in der "Gefangenenfrage" geübt. Zum endgültigen Bruch kam es jedoch erst, als die "Hardliner"-Gefangenen im Spätsommer Kenntnis von einem angeblichen "Deal" des Kommandobereichs 100 und der Celler Gefangenen mit dem Staat erhielten. Ihrer Ansicht nach hätten "die gefangenen in celle, birgit (Hogefeld, d. Verf.) und die raf... spätestens seit mai '93 hinter unserem rücken konkret auf einen tauschhandel mit dem Staat hingearbeitet" (Eva Haule). Dieser Vorwurf bezog sich auf den bis dahin geheimgehaltenen Versuch der Celler Gefangenen Karl Heinz Dellwo, Knut Folkerts und Lutz Taufer, über Vermittler Kontakt zu Mitgliedern der Bundesregierung herzustellen und dort die Bedingungen für eine vorzeitige Haftentlassung der RAF-Gefangenen auszuloten. Wie weit die Entfremdung unter den bisherigen "Kampfesgenossen" bereits fortgeschritten war, verdeutlichten die Briefe, in denen beide Seiten kurz nach Bekanntwerden des "Deals" ihr Vorgehen öffentlich rechtfertigten. Die aggressive, zeitweise persönlich beleidigende Sprache in den einzelnen Beiträgen unterstreicht, daß die Formulierung "Bruch" keinesfalls übertrieben ist. Welcher Flügel in Zukunft die Debatte im linksterroristischen Spektrum dominieren wird, ist derzeit noch ungewiß. Das RAF-Umfeld zeigt sich indifferent und ist bislang nicht bereit gewesen, vorbehaltlos für die eine oder andere Richtung Partei zu ergreifen. Der Bruch im RAF-Gefüge stellt zwar eine Schwächung dar, macht sie jedoch nicht handlungsunfähig. Die Frage, ob auch in Zukunft mit Anschlägen der RAF oder von Anhängern der "Hardliner'-Gefangenen gerechnet werden muß, wird von den internen Auseinandersetzungen nicht berührt. Die derzeitige RAF-Kommandoebene hat deutlich erklärt, daß Gewalt für sie nach wie vor ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele sein könne. Gleiches gilt für die neuentstandene terroristische Vereinigung "antiimperialistische Widerstandszelle Nadia Shehadah" (AIW). Sie bejaht den bewaffneten Kampf in seiner ganzen Bandbreite bis hin zu tödlichen Anschlägen als absolut notwendiges Mittel für revolutionäre Politik. Die politischen Ziele der AIW basieren auf einer antiimperialistischen Ideologie. So vertritt sie den Standpunkt, daß die internationalen Großkonzerne für die Ausbeutung der Menschen verantwortlich seien und aus diesem Grund bekämpft werden müßten. Dieses könne nur im Rahmen eines internationalistischen Kampfes geschehen. Insoweit sind für die AIW ausländische Organisationen wie die kurdische PKK oder die türkische Dev Sol gewünschte Bündnispartner. Darüber hinaus will sie sich zunehmend nationalen Themen wie der Arbeitslosigkeit zuwenden. Ihr strategisches Konzept sieht die Gründung verschiedener militanter Gruppen vor, die autark agieren, durch eine gemeinsame antiimperialistische und antikapitalistische Ideologie aber miteinander verknüpft sein sollen. 101 Daß die Verlautbarungen der AIW ernst zu nehmen sind, belegen ihre bisher verübten Anschläge bzw. demonstrativen Aktionen: - Brandanschlag auf das Rechtshaus der Universität Hamburg am 21. November 1992 - Inbrandsetzen von Sägespänen vor dem elterlichen Wohnhaus eines - GSG 9-Beamten am 18. August 1993 in Solingen - Schußwaffenanschlag am 17. November 1993 auf das Gebäude des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Köln. Nach fast fünfjähriger Abstinenz meldete sich im Dezember die "Rote Zora" wieder zu Wort. Die "Rote Zora" ist eine militante autonome Frauengruppe, die seit 1977 innerhalb der terroristischen Vereinigung "Revolutionäre Zellen" (RZ) existiert. Die RZ waren erstmals 1973 mit terroristischen Aktivitäten in Erscheinung getreten. Im Mai 1975 umrissen sie in einer illegalen Druckschrift ihre Strategie: Durch die Organisierung von "Gegenmacht in kleinen, autonom arbeitenden Kernen, die Teil der politischen Massenarbeit sind", sollte der Boden bereitet werden für die "Stadtguerilla als Massenperspektive". Ausgehend von der Mitarbeit in autonomen Stadtteilgruppen und Initiativen wollen die Mitglieder der RZ auf allen gesellschaftlichen Konfliktfeldern mit Mitteln des "bewaffneten Kampfes" eingreifen. Nach diesem Konzept agierte in den 80er Jahren auch die "Rote Zora". Ihre Aktionen und Anschläge setzte sie überwiegend in engen Bezug zu frauenspezifischen Themen. Dies gilt sowohl für ihre Aktionen gegen die Gentechnologie als auch für mehrere Brandanschläge auf eine Bekleidungsfirma im Jahre 1987, die mit dem Hinweis auf die Ausbeutung der dort beschäftigten Frauen gerechtfertigt wurden. In ihrer Ende 1993 veröffentlichten, fast 40seitigen Broschüre "Mili's Tanz auf dem Eis" unternimmt die "Rote Zora" den Versuch, Einschätzungen und Aktivitäten der Vergangenheit darzustellen und gleichzeitig eine Zukunftsperspektive zu entwickeln. Die Überzeugung, daß Frauenkampf kein Teilbereichskampf sein könne, sondern daß die Befreiung vom Patriarchat Grundlage für jede Befreiung sei, habe letztlich zur organisatorischen Trennung zwischen "Roter Zora" und Revolutionären Zellen geführt. Unter diesen veränderten Voraussetzungen schließt die "Rote Zora" Bündnisse mit Männern oder "gemischten" Gruppen nicht aus, kann sie aber künftig selbst bestimmen. Ihre längere öffentliche Abstinenz erklärt die Gruppe mit der Kompliziertheit ihrer eigenen Diskussionsstruktur und der hohen personellen Fluktuation Der erste Entwurf für diese Broschüre hätte schon vor zwei Jahren vorliegen sollen und auch d.eses Exemplar sei nicht das Ergebnis einer abgeschlossenen 102 Diskussion. Es sei lediglich ein Einblick in einen laufenden Klärungsprozeß, der dazu beitragen solle, daß die Politik der "Roten Zora" weitergehe. In die Zeit der Neubestimmung fielen so gravierende Ereignisse der Weltgeschichte, daß sich die "Rote Zora" förmlich gelähmt fühlte. Da war der Mauerfall, der nicht nur die Wiedervereinigung zur Folge gehabt, sondern zur Auflösung des Ostblocks und damit zum Ende des "2 Blöcke - Machtsystems" geführt habe. Der anschließende Golfkrieg sei für die "Rote Zora" der Beweis gewesen, mit welchem Zerstörungspotential die imperialistische "Neue Weltordnung" durchgesetzt werden solle. Ein ursprünglich positiv bewertetes Ereignis, das Ende eines patriarchalen und staatsbürokratischen Systems, habe nur das Ende des Ost - West Konflikts besiegelt. Der Kapitalismus sei damit dem Zwang enthoben, sich als das bessere soziale System zu beweisen und könne nun noch brutaler und unverblümter vorgehen. Die "Rote Zora" sieht ihre Hauptaufgabe in der Abschaffung der patriarchalen Macht. Dabei stellt sich für sie das Problem, daß die Zerstörung der herrschenden Machtverhältnisse nicht zwangsläufig die Auflösung der bisherigen Strukturen zur Folge hat. Frühere Befreiungskriege hätten gezeigt, daß die Mächtigen zwar vertrieben werden könnten, die neuen Machthaber sich aber lediglich an deren Stelle setzten, um den vorhandenen Apparat zu übernehmen. Diesen Weg will die "Rote Zora" nicht gehen, auch wenn sie davon überzeugt ist, daß weibliche Macht im Grunde positiv ist. Deshalb benutzt sie als Abgrenzung zur herrschenden Macht den Begriff "Gegenmacht". Er wird verstanden als Widerstand gegen patriarchale Macht. Er kann sich in Form bewaffneter Angriffe, aber auch bei der Verteidigung bereits erkämpfter Strukturen ausdrücken. Die Stellungnahme der "Roten Zora" muß in die Grundsatzdebatte über die Zukunft der RZ eingeordnet werden, die bereits seit Anfang 1992 läuft. Im März 1992 hatte erstmals eine RZ-Gruppe aus Nordrhein-Westfalen öffentlich ihre Selbstauflösung erklärt. Seitdem wird innerhalb der RZ-Zusammenhänge kontrovers über die eigene Perspektive diskutiert. Bundesweit haben 1993 die Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund zugenommen. Sie stiegen zwar von 980 auf 1.085 Gewalttaten, blieben aber deutlich unter dem Niveau der 80er Jahre mit den Höhepunkten 1981 (2.241 Gewalttaten) und 1986 (1.902 Gewalttaten). Träger linksextremistisch motivierter Gewalt sind in erster Linie militante autonome Personenzusammenhänge, deren Aktivitäten abhängig sind von 103 Kampagnenthemen. Waren Rückgang und Schwankungen in den 80er Jahren Ausdruck fehlender dauerhafter Aktionsthemen und der sich abzeichnenden ideologischen Sinnkrise, so sprechen die seit 1991 steigenden Gewalttaten für die militante Relevanz des Kampagnenthemas Antifaschismus/Antirassismus. Allein das Segment Gewalt gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten macht rund 30 Prozent der linksextremistisch motivierten Gewalttaten mit dem Schwerpunkt in den alten Bundesländern aus. Gewaltbereitschaft ist das wesentliche Merkmal einiger Gruppen aus dem autonomen Antifa-Bereich. Die Mitglieder dieser Gruppen, die sich selbst als "aktive Antifaschisten" verstehen, nehmen für sich ausdrücklich das Recht in Anspruch, bei der Bekämpfung des politischen Gegners auch Gewalt anzuwenden. Obwohl sich die Täter damit genau jener Methoden bedienen, die sie ihren Gegnern anlasten, scheuen sie sich nicht, ihre Gewalt als "antifaschistische Selbsthilfe" zu verharmlosen, um ihr so den Anschein der Legitimität zu verleihen. Zwar weist die Statistik für 1993 einen leichten Rückgang militanter Aktionen von Linksextremisten gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten auf, ein Blick auf die Entwicklung seit 1991 zeigt jedoch, daß sich derartige linksextremistische Straftaten 1993 auf einem verhältnismäßig hohen Niveau eingependelt haben und diese Art von Gewalt offenbar alltäglich zu werden droht. Es liegt in der Natur der militanten Auseinandersetzungen Links-Rechts aber auch Rechts-Links, daß das Dunkelfeld weiterer Gewalttaten unbekannt bleiben muß, weil mit der Anzeigebereitschaft ein "minimaler Dialog" mit den Strafverfolgungsbehörden erforderlich ist. 104 Linksextremistisch motivierte Gewalttaten - Bund 2500 2241 * Gewalttaten 2000 * 1 1902 1 15971540 1604 | I UQ7 1500 lllllllll.tili 1085 980 1000 500 c o c o c o o o c o c o c o o o c o o *"CNJ co 0 5 0 ) 0 ) 0 0 ) 0 0 0 ) 0 ) O O O O O O O O Jahr Insgesamt wurden 1993 337 militante Aktionen von Linksextremisten gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten bekannt, was gegenüber 1992 einen Rückgang um 53 Fälle bedeutet. Die Zahlen des Jahres 1991 verdeutlichen jedoch die nach wie vor besorgniserregende Höhe derartiger Straftaten. Gegenüber den insgesamt 132 militanten Aktionen von Linksextremisten gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten im Jahre 1991 stellen sowohl die Angaben von 1992 als auch von 1993 mehr als eine Verdoppelung dar. Auffallend ist, daß diese Straftaten immer dann sprunghaft anstiegen, wenn kurz zuvor schwere rechtsextremistische Gewalttaten stattgefunden hatten. Diese Entwicklung ließ sich 1993 insbesondere nach dem Brandanschlag auf ein von Türken bewohntes Haus am 29. Mai in Solingen beobachten. Im Gefolge dieser Tat schnellten im Juni die linksextremistischen Straftaten bundesweit in die Höhe. Ähnliche Entwicklungen waren 1992 bereits nach den fremdenfeindlichen Ausschreitungen in Rostock Ende August oder dem Brandanschlag von Mölln (23. November), bei dem drei türkische Staatsangehörige ums Leben kamen, festzustellen. Da in der Vergangenheit ein drastischer Anstieg von Strafund Gewalttaten gegen tatsächliche oder vermeintliche politische Gegner auch im umgekehrten Fall zu verzeichnen war, spielt das gegenseitige Aufschaukeln bei den gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Linksund Rechtsextremisten offensichtlich eine gewichtige Rolle. 105 Insgesamt gab es bei den militanten Aktionen von Linksextremisten gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten 1993 - keine Tötungsdelikte (1992: 1), - einen Sprengstoffanschlag (3), - 41 Brandanschläge (49), - 60 Landfriedensbrüche (77), - 56 Körperverletzungen (75) und -179 Sachbeschädigungen mit erheblicher Gewaltanwendung (185). Wie nah einige "Antifaschisten" in ihrer Art der politischen Auseinandersetzung ihrem Gegenpart sind, belegen auch die wiederholten Veröffentlichungen von Namen und Adressen angeblicher Faschisten. Bereits geraume Zeit bevor Rechtsextremisten die Namen echter oder vermeintlicher Linksextremisten veröffentlichten, war Entsprechendes in den Zeitschriften der linksautonomen Szene gang und gäbe. Zwar wird bei solchen "Deanonymisierungen von Faschisten" nicht immer offen zur Gewalt gegen die genannten Personen aufgerufen, die öffentliche Klassifizierung als "Faschist" ist jedoch für einige Antifa-Gruppen schon Anlaß genug, gewaltsam gegen jene vorzugehen. So wurde beispielsweise das Fahrzeug des ehemaligen Landesvorsitzenden der Berliner Republikaner von einer autonomen Gruppe in Brand gesetzt, nachdem er mehrfach in Publikationen der linksextremistischen Szene als "Faschist... enttarnt" worden war. Höhepunkt derartiger "Aufklärungs"-Kampagnen war die Veröffentlichung einer drei Jahre alten Abonnentendatei der neurechten Zeitschrift "Junge Freiheit" in der Berliner Szene-Zeitung "Interim". Die veröffentlichten Personen wurden zunächst pauschal als Faschisten bezeichnet. Weil nicht auszuschließen sei, daß die Abonnentendatei auch Nichtfaschisten enthalte, wurde zu einem vorsichtigen Umgang mit den Daten geraten. In unverfänglichem Stil rief die Interim-Redaktion dazu auf, "kritische Blicke" auf die Genannten zu werfen. Obwohl sich derartige Praktiken nicht von entsprechenden Vorgehensweisen der Rechtsextremisten unterscheiden, sind sie im Gegensatz zu diesen von den Medien und der politischen Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden. Offensichtlich ist es der autonomen Antifa-Bewegung gelungen, im Wind106 schatten friedlich-demokratischer Proteste gegen den zunehmenden Rechtsextremismus in der Bundesrepublik ihre verfassungsfeindlichen, gewalttätigen Aktivitäten zu betreiben. Wie sehr der Begriff des Antifaschismus von Teilen der Antifa mittlerweile mißbraucht wird, verdeutlicht ein Zitat aus der MaiAusgabe des autonomen Rhein-Main-Infos "Swing": "Der Tod eines Faschisten muß nicht gezieltes Kalkül sein, dies widerspricht unserer politischen Moral. Es gibt allerdings Mittel und Wege, die ein Todesrisiko gering halten, aber mehr verursachen als nur ein paar blaue Flecken. Die Faschisten müssen wieder Angst bekommen, ihre Gesinnung offen zu präsentieren. Sie müssen sich fürchten, ihre Aufnäher zu tragen, und fürchten, eine Glatze zu haben ... Macht sie unschädlich und zerstört ihre Treffpunkte. Schließt Euch in Eurer Wut zusammen. Fünf Menschen machen auch eine fette Glatze fertig." Uneinheitlich gestaltete sich die Mitgliederentwicklung bei linksextremistischen Parteien und Organisationen. Zählten die linksextremistischen Kernorganisationen einschließlich der Autonomen, Sozialrevolutionäre und der RAF-Anhänger Mitte der 80er Jahre noch rund 53.000 Mitglieder, darunter 40.000 von der DKP, so müssen die derzeitigen Zahlen mit rund 29.000 als Stabilisierung auf deutlich abgesenktem Niveau bezeichnet werden. Der einst mitgliederstärksten DKP sind noch 6.000 Anhänger verblieben - 1.000 weniger als im Jahr zuvor. Als größte linksextremistische Organisation gilt unverändert die Marxistische Gruppe (MG) trotz ihrer 1991 behaupteten "Auflösung" mit rund 10.000 fest an die Gruppe gebundenen Mitgliedern, die jedoch unter der Bezeichnung MG nicht mehr öffentlich auftreten. Gestiegen ist die Zahl der Angehörigen der Marxistisch-leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) von 1.700 auf etwa 2.000. Zugleich erhöhte sich die Zahl der Trotzkisten von 1.300 auf 1.500. 107 Linksextremisten - Bund * Mitgliedschaften 53.000 52100 52.800 52.700 53.C 290Q0 28.300 1987 Jahr In Hamburg zeichnet sich eine Konsolidierung der linksextremistischen Mitgliedschaften noch nicht ab. Gegenüber dem Vorjahr fielen die Zahlen von rund 1.350 auf 1.250, gemessen an den Spitzen der 80er Jahre ein dramatischer Abfall. Stabil geblieben ist die Zahl der gewaltbereiten Autonomen in Hamburg aber auch in der Bundesrepublik insgesamt. Während sie in Hamburg bei rund 400 liegen, betragen sie auf Bundesebene weiterhin rund 5.000. Autonome sind meist nur locker in Stadtteilgruppen oder Initiativen organisiert. Ohne eigene, klar umrissene Programmatik eint sie vor allem die Ablehnung von Staat und Gesellschaft bzw. die Bereitschaft, mit Gewalt gegen deren Repräsentanten und Institutionen vorzugehen. Mitgliedschaften in linksextremistischen Organisationen - Hamburg Mitgliedschaften 108 Trotz der relativen Stabilisierung kann von einer Relevanz kommunistischer Parteien und Gruppierungen in der öffentlichen politischen Diskussion nach wie vor keine Rede sein. Angesichts ihrer totalen politischen Diskreditierung kurz nach dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" und ihrer drohenden völligen Auflösung bewerten es etliche Gruppen schon als Erfolg, daß sie sich, zumindest im Kern, überhaupt in das vereinigte Deutschland hinüber retten konnten. So erklärte der ehemalige DKP-Vorsitzende, Herbert Mies, während des Pressefestes der DKP-Zeitung "Unsere Zeit" (UZ) am 25. September in Bottrop, die größte Leistung der DKP in den letzten 25 Jahren sei, sich über die Niederlage des Sozialismus erhalten zu haben. Von erheblicher Bedeutung für das politische Überleben zahlreicher linksextremistischer Organisationen sind zweifellos tatsächliche und vermeintliche rechtsextremistische Tendenzen in der Bundesrepublik gewesen. Waren den Linksextremisten nach der Beendigung des Ost-West-Konflikts und dem offen zutage tretenden wirtschaftlichen Ruin der DDR mit den Themen "Frieden" und "Ökonomie" die bis dahin wichtigsten Agitationsfelder zunächst abhanden gekommen, so boten nunmehr die Angriffe der Rechtsextremisten auf Ausländer oder politische Gegner und die Ausbreitung rechtsextremistischer Organisationen und Propaganda eine Gelegenheit, sich erneut zu profilieren. Im Kampf gegen den "wiedererstarkenden deutschen Faschismus" eröffnete sich den Linksextremisten die Chance, die bis dahin vorherrschende Perspektivlosigkeit und Sinnkrise zu überwinden und sich am Widerstand gegen den konstatierten Rechtsruck politisch und organisatorisch wieder aufzurichten. Binnen kurzer Zeit erfuhren zentrale Begriffe des Linksextremismus wie Antifaschismus, Antirassismus und Antiimperialismus eine Renaissance, die es ihren Verfechtern ermöglichte, zumindest teilweise in die politische Öffentlichkeit zurückzukehren. Dies gelang insbesondere in den Diskussionen um die Änderung des Asylrechts und um Out-of-Area-Einsätze der Bundeswehr. Wie wichtig die Wiederbelebung der alten, klassischen Agitationsthemen für die Entwicklung im linksextremistischen Spektrum ist, zeigt auch die Tatsache, daß unter der Fahne des Antifaschismus bzw. Antirassismus Bündnisse von kommunistischen Organisationen zustande kamen, die sich sonst ideologisch zumeist scharf voneinander abgrenzen. Ideologische Gegensätze über die einzig wahre Form des Sozialismus bzw. den Weg dorthin traten vielfach in den Hintergrund. Zwar ist eine Einebnung der ideologischen Differenzen auch weiterhin äußerst unwahrscheinlich, Ansätze zu größerer Kooperationsbereitschaft als bisher sind 1993 gleichwohl unverkennbar gewesen. Dies gilt insbesondere bei der Bildung von Aktionsgemeinschaften zu konkreten politischen Anlässen (z.B. Verhinderung der 109 Abschiebung von Asylbewerbern oder der Wahlteilnahme rechtsextremistischer Parteien). Sowohl inhaltlich als auch zeitlich eng begrenzt, boten solche Bündnisse die Möglichkeit, gemeinsam in der Öffentlichkeit aufzutreten, ohne gleich die eigene Ideologie komplett opfern zu müssen. Zugleich darf bei diesen Bündnissen allerdings nicht übersehen werden, daß nicht nur die Einigkeit gegen den "politischen Gegner" Motiv für die Zusammenarbeit ist, sondern daß auch die personelle Schwäche aller Organisationen zur Kooperation zwingt. Bundesweite Gruppierungen mit wenigen hundert Anhängern, wie die Volksfront oder die Vereinigte Sozialistische Partei (VSP), verfügen ganz einfach nicht (mehr) über die notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen, um öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen zu organisieren. Und selbst eine Partei wie die DKP, die Mitte der 80er Jahre noch rund 40.000 Mitglieder hatte (1985), muß nach dem drastischen Mitgliederschwund der letzten Jahre (1993 noch 6.000 Mitglieder) und dem ersatzlosen Wegfall von Geldern aus der ehemaligen DDR die Begrenztheit ihrer organisatorischen Möglichkeiten erkennen. Vorbei sind für die DKP die Zeiten, da sie über ein breitgefächertes Instrumentarium von Nebenund beeinflußten Organisationen verfügte, die sie über finanzielle Mittel und personelle Rochaden auf der gewünschten ideologischen Linie hielt. Mit dem Zusammenbruch der DDR wurde zugleich die Bühne der tatsächlichen Abhängigkeiten innerhalb der DKP-Imperiums sichtbar mit der Folge des dramatischen Mitgliederschwundes. Die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), die nie offizielle Jugendorganisation aber Bestandteil des DKP-Machtgefüges war, galt immer als bedeutendes Reservoir potentieller junger DKP-Mitglieder. Von 15.000 Mitgliedern im Jahre 1980 stürzte sie auf 300 in diesem Jahr ab. Geblieben sind der Partei die Altkommunisten auch in früheren beeinflußten oder gesteuerten Organisationen - etwa in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (WN/BdA) - aber mit immer geringerer Reichweite und öffentlicher Wahrnehmbarkeit. Völlig aufgegeben hat die DKP ihre Einwirkungsmöglichkeiten im studentischen Bereich. Der "Marxistische Studentenbund Spartakus" (MSB) hatte sich bereits 1990 aufgelöst. Die Einsicht vieler Linksextremisten in die Schwäche ihrer jeweiligen Organisation dürfte auch zur Bildung des Wahlbündnisses "Linke Alternative - Wehrt Euch!" zur Hamburger Bürgerschaftswahl beigetragen haben. Zwar erreichte auch sie nur 0,5% der Stimmen, von den Initiatoren wurde ihr Zustandekommen dennoch positiv bewertet. Ob dieses Bündnis, in dem zahlreiche linksextremistische Parteien und Gruppierungen vertreten waren, Modellcharakter haben wird, muß allerdings bezweifelt werden. 110 So ungewiß die organisatorische Entwicklung innerhalb des linksextremistischen Spektrums ist, so offen und deutlich waren die Versuche eben dieser Gruppierungen, mit Hilfe des Antifaschismus die alte "Volksfront-Strategie" wiederzubeleben. Der Faschismus, so propagieren sie, sei der gemeinsame Feind aller Demokraten. Um die drohende braune Gefahr abzuwehren, sei es deshalb notwendig, daß sich alle "Antifaschisten" zu einem möglichst breiten "Bündnis gegen Rechts" zusammenfinden: Kommunisten, Sozialisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftler, Christen und aufgeklärtes Bürgertum. Hinter diesem Ansatz steht der geradezu klassische Versuch der Linksextremisten, durch "Bündnisse" mit demokratischen Parteien und Verbänden von deren politischer Legitimation zu profitieren und so die geringe eigene Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erhöhen. Der "Antifaschismus" wird also genutzt, um sich in die Reihe der Demokraten einzugliedern, schließlich selbst als demokratisch anerkannt zu werden und die politische Isolation zu überwinden. BESONDERE ENTWICKLUNGEN UND EREIGNISSE AKTIVITÄTEN VON LINKSEXTREMISTEN GEGEN DIE ÄNDERUNG DES ASYLRECHTS Seit Anfang des Jahres riefen autonome Gruppen und Infoläden aus Nordrhein-Westfalen zu Aktionen am Tag der dritten Lesung des Asylrechtsänderungsgesetzes im Bundestag auf, die sie im Frühjahr erwarteten. Da das genaue Datum der abschließenden Parlamentsberatung lange Zeit nicht feststand, wurde im Zusammenhang mit den diskutierten Aktionen vom "Tag X" gesprochen. Vorrangiges Ziel der autonomen Gruppen war es, sämtliche Zugänge zum Bundestag zu blockieren. Den Abgeordneten sollte der Zutritt zum Parlament verwehrt und so die Änderung des Asylrechts verhindert werden. In Wuppertal gründeten Autonome ein Organisationsbüro, das für die Koordination der geplanten Bundestagsblockade zuständig sein sollte. Im Hamburger Aktionsbündnis waren die Autonomen zunächst deutlich in der Minderzahl, da sie starke Vorbehalte gegen den Tenor der Demonstration in Bonn hatten, der sich lediglich gegen die Verschärfung des Asylrechtes wandte und sich nicht für ein uneingeschränktes Recht auf Asyl einsetzte. Das Hamburger Aktionsbündnis gab sich den Namen "Plenum für offene Grenzen" und favorisierte zunächst dezentrale Aktionen in Hamburg, z.B. Kundgebungen vor der Ausländerbehörde oder die Besetzung eines SPD-Büros an einem "Tag minus X". Im April riefen die Hamburger in einem Flugblatt "Die 111 Brandstifter sitzen in Bonn" zur Teilnahme an einer Bundestagsblockade auf. Eine antirassistische Bewegung könne nur erfolgreich sein, wenn sie nicht beim Kampf gegen "Faschistinnen" stehen bleibe, sondern gleichzeitig den Herrschaftsverhältnissen den Kampf ansage, die Rassismus, Faschismus und Sexismus ermöglichten. In Schreiben an etliche Bundestagsabgeordnete drohten Mitte März vermutlich Autonome aus Berlin denjenigen Abgeordneten mit Gewalt, die bei einer namentlichen Abstimmung für die Änderung des Artikels 16 GG votieren würden. Am 1. April verübten Unbekannte einen Farbbeutelanschlag auf das Haus des parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesjustizministerium Dr. Rainer Funke in Hamburg. Zu der Tat bekannte sich eine "Autonome Zelle Sadri Berisha". (Anm.: Berisha war am 8. Juli 1992 in Kemnat Ostfildern (Baden-Württemberg) von Skins erschlagen worden.) Die Verfasser der Bekennung stellten ihre Aktion als Teil der Kampagne zur Bundestagsblockade am "Tag X" und als Beitrag zur bundesweiten "Anti-Lager-Kampagne" dar. Sie wollten mit dem Anschlag "die Schreibtischtäterinnen zur Rechenschaft" ziehen. Funke wurde als mitverantwortlicher Bürokrat und "whitecollar Rassist" bezeichnet, der an der Formulierung und Ausarbeitung des neuen Asylrechtes mitgewirkt habe. Die Auswirkungen seiner Arbeit könne man in den "Internierungslagern" der Flüchtlinge auf den Containerschiffen in Hamburg-Neumühlen ansehen. Am Ende des Schreibens riefen die Verfasser zu weiteren Aktionen gegen namentlich im Text aufgeführte Bundestagsabgeordete auf. In der Folgezeit erhielten auch etliche andere Abgeordnete Drohschreiben, in denen Angriffe auf ihre Person ankündigt wurden, falls sie sich für den Asylkompromiß einsetzten. Bereits am 15. März waren Farbanschläge auf Büros von CDU und SPD in Hannover und Göttingen verübt worden. An den Protestaktionen am "TAG X" (26. Mai) in der Nähe des Deutschen Bundestages beteiligten sich rund 8000 Personen, von denen weniger als die Hälfte aus linksextremistischen Gruppierungen stammte. Aus dem extremistischen Spektrum mobilisierten vor allem die "außerparlamen-tarischen Aktionsgruppen und unabhängigen Flüchtlingsgruppen gegen die Abschaffung des Grundrechts auf Asyl" zu einer Blockade des Bundestages. Aus diesen Reihen heraus erfolgten Angriffe auf Bundestagsabgeordnete und Polizeibeamte. Den Kern des Bündnisses bildeten 1500 Personen aus dem gewaltbereiten autonomen/antiimperialistischen Spektrum, die die Zufahrtswege zum Bundestag blockierten. An den sternförmig angelegten Blockaden beteiligten sich Autonome aus Süddeutschland, Hamburg, Köln, Duisburg, dem Rhein-Main Gebiet, Berlin, Fulda, Oldenburg, Göttingen 112 und Wuppertal. Parlamentarier wurden mit Farbbeuteln beworfen und tätlich angegriffen. Mehrfach versuchten Gruppen, die Bannmeile zu durchbrechen und attackierten Polizeibeamte mit Molotowcocktails. Ihr Ziel, die namentliche Abstimmung über die Asylrechtsänderung durch eine Blockade des Bundestages zu verhindern, verfehlten die autonomen Gruppen gleichwohl, da die Abgeordneten per Hubschrauber oder per Schiff zum Parlamentsgebäude gelangten. Im August veröffentlichte das autonome Hamburger Blatt "Ohm" eine kritische Stellungnahme von "Einigen Leuten aus der Vorbereitungsgruppe" zum "Tag X". Zwar sei Hamburg die Stadt mit den meisten autonomen Blockierern gewesen, von einer erfolgreichen Aktion könne man aber dennoch nicht sprechen. Verantwortlich für den aus Sicht der Autonomen unbefriedigenden Verlauf seien vor allem organisatorische Mängel und persönliches Fehlverhalten einzelner Leute gewesen. So hätten Entscheidunge von Städtedelegierten aufgrund des fehlenden Lautsprecherwagens nicht effektiv umgesetzt werden können. In anderen Fällen seien vorher eingeteilte Personen einer Informationskette kurzerhand von ihren Plätzen verschwunden und hätten sich "in die Sonne gesetzt". Insgesamt wurde die Bundestagsblockade als "unorganisierter Sonntagsausflug" bezeichnet. Ein weiterer Beitrag von "Einigen Leuten, die in Hamburg und Bonn dabei waren" enthält im wesentlichen die gleichen Kritikpunkte. Darüber hinaus wird moniert, daß es zu Beginn des Hamburger Bündnisses keine inhaltliche Grundsatzdiskusssion über die "Tag X Kampagne" und den eigenen politischen Anspruch gegeben habe. Abschließend veröffentlichte "Ohm" die Namen derjenigen Abgeordneten, die am 26. Mai der Asylrechtsänderung zugestimmt hatten. Eine bundesweite Nachbereitung zum "Tag X" hat es nicht gegeben. Das Thema Asylrecht/Solidarität mit Flüchtlingen ist im gesamten linken Spektrum weiterhin aktuell und Anlaß für vielfältige Unterstützungsaktionen für Asylbewerber, gegen angeblich menschenunwürdige Unterbringung ("AntiLager-Kampagne") oder Abschiebung. Es bildeten sich in Hamburg zahlreiche Antirassismusgruppen, denen nur zum Teil Linksextremisten angehören. Das Hamburger Antirassistische Telefon (ArT) alarmiert die linke Szene über Telefonketten, wenn Fahrwachen oder Schutzmaßnahmen für Asylbewerberunterkünfte notwendig erscheinen. Außerdem nahm das ArT Aufgaben als "Ermittlungsausschuß" bei antifaschistischen Demonstrationen wahr. Im Oktober veröffentlichte es gemeinsam mit verschiedenen Flüchtlingsgruppen die Nullnummer der antirassistischen Zeitung "Off Limits", um die eigene Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern. Sie soll ein Forum sein, in dem kontroverse 113 Standpunkte zur Theorie und Praxis des Antirassismus zur Diskussion gestellt werden. BESTREBUNGEN AUTONOMER "ANTIFASCHISTEN" ZUM AUFBAU EINER BUNDESWEITEN ORGANISATION Angesichts der zunehmenden Gewalt von Neonazis und Skinheads und der vermehrten öffentlichen Auftritte von Rechtsextremisten wird im Spektrum der autonomen Antifa seit einiger Zeit wieder intensiv über die Notwendigkeit diskutiert, sich stärker in verbindlichen Strukturen zu organisieren. Eine regionale und überregionale Koordination der eigenen Kräfte soll, so der Grundgedanke, künftig ein effektiveres Vorgehen gegen Rechtsextremisten gewährleisten. Ausgelöst durch den Anschlag auf ein von Türken bewohntes Haus in Mölln im Herbst 1992 entstanden zum Jahreswechsel 1992/93 in Hamburg zahlreiche Stadtteilgruppen mit zumeist jugendlichen Antifa-Angehörigen, die sich mit Gruppen aus schleswig-holsteinischen Randgemeinden zu einer "Antifa Koordination Hamburg Nord" zusammenschlossen. Auf Bundesebene setzten die Bemühungen um eine Organisierung bereits im Sommer 1992 ein. Am 25. Juli 1992 hatten sich in Wuppertal erstmals Autonome aus verschiedenen Städten getroffen, um über die Gründung einer bundesweiten antifaschistischen Organisation zu diskutieren. Ende Mai 1993 nahm diese Idee konkrete Formen an, als auf einem "Kongreß" in Göttingen die "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) gegründet wurde. Nachdem zeitweise Antifa-Gruppen aus über 15 Städten an der Vorbereitung einer bundesweiten Organisation teilgenommen hatten, hat sich die Zahl der in der AA/BO tatsächlich vertretenen "Städte" auf zehn reduziert. Hauptbetreiber der AA/BO sind in erster Linie Angehörige der Göttinger "Autonomen Antifa (M)". Politisches Fernziel der AA/BO ist die Schaffung eines breiten antifaschistischen Bündnisses, das ausdrücklich auch über die autonome Szene hinausreichen und ein eigenständiger politischer Faktor werden soll. Um den dazu erforderlichen Zugang auch zu jenen Personen und Gruppen zu bekommen, die der Antifa bisher kritisch gegenüberstehen, will die AA/BO versuchen, die Öffentlichkeitsarbeit zu verbessern und die eigene Themenpalette über reine Antifa-Arbeit hinaus zu erweitern. Zunächst steht jedoch im Vordergrund, mit einer Art bundesweitem Dachverband die "internen" Kommunikationstrukturen zu optimieren und eine größere Verbindlichkeit bei abgesprochenen Aktionen zu erreichen, um so die eigene politische Schlagkraft zu erhöhen. 114 In der Broschüre "EinSatz" vom September stellte die AA/BO ihre politischen Grundlagen dar. Die Notwendigkeit zur Organisierung sei aus der Erkenntnis entstanden, daß die Antifa-Bewegung nur dann zu einem gesellschaftlich relevanten, politischen Faktor werden könne, wenn man u.a. die autonome Ghettopolitik verlasse und sich für Bündnisse und Massenmedien öffne. Man wolle eine kontinuierliche theoretische Arbeit leisten und eine praxisorientierte, überregionale Zusammenarbeit beginnen. Eigene Aktionen sollen durch die Medien in eine öffentliche Diskussion transportiert werden, um dadurch zu einem sichtbaren politischen Faktor zu werden. Die AA/BO sei ein verbindlicher Zusammenhang, der die einzelnen Gruppen vor Ort autonom agieren lasse. Die Bundestreffen werden als Delegiertentreffen durchgeführt und sollen dem Erfahrungsaustausch der Städteantifas dienen, Kampagnen initiieren und eine Informationsstruktur schaffen. Für Interessierte ermöglicht ein zeitlich begrenzter "Beobachterstatus", die Arbeit der AA/BO kennenzulernen. Die praktische Arbeit der AA/BO beinhaltet Schulungen, Pressearbeit und das Organisieren "antifaschistischer Selbsthilfe". Dazu zählen die Behinderung "faschistischer Treffen" und militante Aktionen gegen Rechtsextremisten. Diesem Konzept stehen etliche autonome Gruppen und Einzelpersonen jedoch ablehnend gegenüber. Sie kritisieren vor allem fehlende Praxisbezogenheit, eine zu starre Organisationsform und einen hierarchischen Aufbau ohne gewachsene Strukturen. Konkret befürchten sie, daß im Rahmen einer durchstrukturierten Bundesorganisation die unterschiedlichen Erfahrungen und Politikansätze der einzelnen regionalen Grupppierungen zugunsten einer vereinheitlichten Linie verloren gehen könnten. In einer zweiten bundesweiten Strömung streben sie deshalb eine eher lockere "Organisierung" auf Bundesebene bei regionaler Autonomie an. Diese Kritiker der AA/BO vermeiden es bewußt, bereits jetzt von bundesweiter "Organisation" zu sprechen. Sie wollen zunächst eine bessere Organisierung von Aktionen im Sinne von Koordinierung und Informationsaustausch erreichen. Eine Organisation kann für sie nur am Ende eines Vernetzungsprozesses stehen. Diese Gruppen, von denen einige vorher in der AA/BO mitgearbeitet hatten, haben ihrerseits bereits eigene Bundestreffen durchgeführt, die vom Umfang nicht hinter denen der AA/BO zurückblieben. Auf ein eigenes Konzept konnten sich die Unterstützer dieser bundesweiten Initiative allerdings noch nicht einigen. Die Diskussionen in den Arbeitsgruppen verliefen ergebnislos. Die Anhänger dieser Strömung hoffen jedoch, auf einem Bundeskongreß im Frühjahr 1994 Fortschritte bei einer gemeinsamen Positionsbestimmung zu erzielen. 115 Vertreter der Hamburger Antifa hatten zunächst in der AA/BO mitgearbeitet, wechselten jedoch im Laufe des Jahres zu den AA/BO-Kritikern. Sie beteiligen sich nun am Aufbau loserer Strukturen im Rahmen des zweiten bundesweiten Organisationsprojekts. Neben den genannten Ansätzen existiert mit den "Edelweißpiraten" bereits seit einiger Zeit eine bundesweit agierende Bewegung. Im letzten Jahr machte sie vor allem mit einer bundesweiten Kampagne gegen rechte Publikationen unter dem Titel "Stoppt NaziZeitungen" auf sich aufmerksam. Die Begründung der Kampagne in einem Flugblatt vom Mai hat den Charakter einer politischen Grundsatzerklärung und beschreibt den Antrieb für autonome Antifaarbeit im allgemeinen: "Wir betreiben diese Kampagne, weil uns die Entwicklung in diesem Land total ankotzt: Die Linke ist immer mehr am resignieren, antifaschistische Menschen stehen oft vor totaler Ratlosigkeit, ziehen sich zurück. Demgegenüber eine erstarkende Rechte, massiver Nationalismus, der von Presse, Politik ...geschürt wird und als Folge daraus ein erstarkender Rassismus, der immer häufiger in Angriffen und sogar Morden gipfelt....wir könnten uns ja auch gegen die bürgerliche Presse wenden, da sie den Nährboden für die Volksverdummung und rechtsextremes Gedankengut schafft. Doch uns geht es darum, gezielt die offen faschistische Propaganda zu bekämpfen...ob und welche Konsequenzen von den jeweiligen Antifas gezogen werden, bleibt ihnen natürlich in jedem Fall selbst überlassen. Z.B. ob legale oder illegale Aktionen folgen...". Das Flugblatt stellt rechte Zeitungen vor, die bundesweit verkauft werden. LINKSEXTREMISTISCH MOTIVIERTE STRAFTATEN In Hamburg gab es 62 linksextremistisch motivierte Straftaten. Gegenüber dem Vorjahr (57) ist dies zwar eine leichte Steigerung, gemessen an den Zahlen zum Ende der 80er Jahre jedoch ein Rückgang um über 50%. 159 linksextremistisch motivierte Straftaten 1988 und 160 in 1989 deuten darauf hin, daß parallel zum politischen Niedergang des organisierten Linksextremismus auch die linksextremistischen Straftaten deutlich abgenommen haben. Der Großteil dieser Straftaten entfiel sowohl 1992 (29) als auch 1993 (32) auf "Sachbeschädigungen mit erheblicher Gewaltanwendung". Deutlich zurückgegangen ist die Zahl der Brandanschläge. Hatte es 1991 und 1992 noch jeweils sechs solcher Delikte gegeben, war 1993 kein linksextremistisch motivierter Brandanschlag mehr zu verzeichnen. Sprengstoffanschläge sind bereits seit 1986, Schußwaffenanschläge seit 1988 nicht mehr registriert worden. Linksextremistisch motivierte Tötungsdelikte lagen 1993 ebenfalls nicht vor. Unverändert gegenüber dem Vorjahr blieb die Zahl der 116 Landfriedensbrüche (3); sie lag 1990 mit 19 und 1991 mit 13 allerdings erheblich höher. Für öffentliches Aufsehen sorgten in Hamburg in erster Linie "Farbanschläge". Die erste Straftat dieser Art wurde am 1. April auf das Haus des Staatssekretärs im Bundesjustizministerium, Dr. Rainer Funke, verübt. Am folgenden Tag bekannte sich eine autonome Zelle "Sadri Berisha" zu der Aktion. Sie begründete ihre Tat mit dem Hinweis, Funke habe in seiner Funktion als Staatssekretär im BMJ maßgeblich an der Änderung des Artikels 16 GG mitgewirkt und somit zur Abschaffung des Grundrechts auf Asyl beigetragen. Neben der reinen Bekennung solidarisierten sich die Täter mit allen kämpfenden Gefangenen und den Abschiebehäftlingen. Sie wollten gegen den staatlichen Rassismus/Faschismus eintreten und setzten sich für das alternative Stadtteilprojekt Flora ein. Dieselbe Gruppe deponierte am 29. Oktober eine Bombenattrappe vor der Deutschen Bank in Norderstedt. In ihrer Bekennung verwies die Gruppe darauf, daß "Sadri Berisha" im Juli 1992 in Kemnat Ostfildern (Baden-Württemberg) von Skinheads erschlagen worden war. Man wolle für mehrere Stunden das blutige Kapitalgeschäft der Deutschen Bank stören bzw. zum Stillstand bringen. Die Aktion habe sich gegen das bestehende herrschende System gerichtet, in das die Deutsche Bank mit ihren faschistisch und kontinuierlich laufenden Geschäften verankert sei. Dieses System würde seit über 20 Jahren einen Vernichtungsfeldzug gegen jede nichtstaatliche Opposition führen. Als unmittelbaren Anlaß nannte die Gruppe die bevorstehende Anhörung von Irmgard Möller im Rahmen einer möglichen Freilassung. Irmgard Möller sei die Gefangene der RAF, die am längsten einsäße und alle Brutalitäten dieses Systems zu spüren bekommen habe. Die bewaffnete Guerilla (RAF) habe diesem System den Krieg erklärt und das sei "gut so". Die Gruppe schloß ihre Bekennung mit Zitaten aus Schreiben der RAF zum Tode von Wolfgang Grams. Ein weiterer "Farbarischlag" wurde am 31. Mai auf das Haus der Hamburger Kultursenatorin Christina Weiss verübt. In der Bekennung warf eine "Autonome Zelle HH" der Senatorin vor, sich nicht für die Belange einer Gruppe von Roma eingesetzt zu haben, die aufgrund der geänderten Asylgesetze fürchteten, abgeschoben zu werden. Die Roma hatten in der Gedenkstätte des ehemaligen KZs Neuengamme gegen ihre drohende Abschiebung protestieren wollen, was von der Kultursenatorin jedoch untersagt worden war. Sie ließ die eigentliche Gedenkstätte von der Polizei sichern und bot den Roma statt dessen an, in unmittelbarer Nähe verbleiben zu können. 117 Innerhalb der Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten gab es auch Angriffe auf Personen, die der Zusammenarbeit mit dem politischen Gegner verdächtigt wurden. Am 1. September störten einige linksextremistische Antifaschisten eine Versammlung der DVU so massiv, daß diese aufgelöst werden mußte. Anschließend vergossen sie Buttersäure im Versammlungsraum und drohten dem Wirt weitergehende Konsequenzen an, falls er seine Räume nochmals an "Rechte" vermieten sollte. Ende Dezember wurde das Restaurant erneut Ziel eines Buttersäureanschlags. Die Täter begründeten ihr Vorgehen damit, daß der Wirt im September, entgegen seiner vorgetäuschten Unwissenheit, genau gewußt habe, daß damals "Rechte" seine Räume angemietet hätten. Ein am Tatort hinterlassenes Schreiben endete mit der Forderung, "Keine Räume - Keine Unterstützung - Kein Fußbreit den Faschisten". LINKSTERRORISMUS DIE SPALTUNG DER RAF UND DIE ENTWICKLUNG INNERHALB DES RAF-UMFELDES Die Spaltung der RAF Die Rote Armee Fraktion (RAF) wurde auch 1993 von tiefgreifenden Auseinandersetzungen über Strategie und Taktik erschüttert, die ihre weitere Existenz mehrfach in Frage stellten. Gleichwohl bewies sie mit dem Sprengstoffanschlag auf die JVA Weiterstadt am 27. März, daß sie nach wie vor zu schwersten terroristischen Straftaten in der Lage ist. Die bestehenden, derzeit unüberbrückbaren Streitigkeiten innerhalb des RAFGefüges gehen auf eine Entscheidung der RAF aus dem Jahr 1992 zurück. Im April 1992 hatte sie ihre Strategie geändert und dem Staat eine "Deeskalation" des Konflikts angeboten. Um wieder Bewegung in die festgefahrene Frage nach einer vorzeitigen Entlassung inhaftierter Terroristen zu bringen, stellte man seinerzeit in Aussicht, für eine gewisse Zeit auf gezielte tödliche Anschläge zu verzichten. Vom Staat erhoffte die RAF für diesen Schritt Entgegenkommen in der Gefangenenfrage. Darüber hinaus verfolgte die RAF mit ihrer Deeskalationserklärung auch das Ziel, die eigene Akzeptanz 118 innerhalb des linken Spektrums zu erhöhen, um so dem beabsichtigten "Aufbau einer sozialen Gegenmacht von unten" ein Stück näher zu kommen. Allerdings hatte sich die Kommandoebene vorbehalten, zu Tötungsaktionen zurückzukehren, wenn im Hinblick auf eine vorzeitige Entlassung einsitzender RAF-Mitglieder seitens des Staates keine konkreten Schritte unternommen werden sollten und der Staat am "Ausmerzverhältnis" festhalten wolle. Während die vorübergehende "Kampfpause" von den inhaftierten RAF-Mitgliedern zunächst mitgetragen wurde, war der Schritt im RAF-Umfeld von Beginn an umstritten. Die Ankündigung der RAF wurde von vielen als Kapitulation angesehen. Anstatt die in weiten Teilen der Medien positiv aufgenommene Erklärung der RAF für eine eigene Freilassungskampagne zu nutzen, wurde das Engagement des RAF-Umfeldes durch eine kontroverse interne Diskussion über die Zukunft des bewaffneten Kampfes aufgezehrt. Die Hardliner unter den RAFInhaftierten um Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Eva Haule und Helmut Pohl betrachteten diese Entwicklung mit der Sorge, das noch vorhandene Unterstützerpotential könne eventuell wegbrechen. Um den drohenden Bruch mit der "Guerilla" zu vermeiden, veröffentlichte Mohnhaupt im Februar 1993 einen Brief, in dem sie offen eingestand, daß es den Gefangenen nicht gelungen sei, die unterschiedlichen Sichtund Denkweisen soweit zu klären, daß es zu einem gemeinsamen Grundverständnis über das erforderliche politische Handeln gereicht hätte. Da sie die Verknüpfung der Gefangenenfrage mit der "Zäsur" (gemeint: die "Kampfpause") für falsch halte, forderte sie die RAF auf, beide Themenbereiche voneinander zu trennen. Die Unterschiedlichkeit der Vorstellungen über die richtige Strategie zeigte sich bereits bei dem Anschlag auf die kurz vor der Inbetriebnahme stehende Justizvollzugsanstalt (JVA) Weiterstadt. Am 27. März drang das vierköpfige RAFKommando "Katharina Hammerschmidt" in den Neubau der JVA Weiterstadt ein, nahm das Wachpersonal gefangen und sprengte anschließend den gesamten Neubaukomplex. Es entstand ein Sachschaden von 100 Millionen DM. In ihrer Bekennung bekräftigte die RAF die nach wie vor notwendige Neuorientierung und den Versuch, eine "Gegenmacht von unten" aufbauen zu wollen. Entweder schaffe die Linke einen neuen Aufbruch, der seine Wirkung in die Gesellschaft habe, oder der "Aufbruch" bleibe der faschistischen Seite vorbehalten. Dem Staat warf die RAF vor, auf die von ihr angebotene Deeskalation mit einer Verschärfung der Verfolgung fortschrittlicher Menschen reagiert zu haben. 119 Insbesondere die antifaschistische Organisierung werde kriminalisiert. Dies gehe mit einer Verschärfung der Asylgesetze einher. Da der Staat keine Antwort auf die bestehende Krise habe, versuche er, alle niederzumachen, die "auf eine antifaschistische und antirassistische mobilisierung von unten" aus seien. Dies gelte auch für sein Verhältnis gegenüber den "politischen" Gefangenen. Auch deshalb sei die Verknüpfung des bewaffneten Kampfes mit der Gefangenenfrage, entgegen der Meinung Brigitte Mohnhaupts, richtig gewesen. Da die RAF die staatliche Reaktion auf die einseitige Rücknahme des Druckes seit April 1992 nicht habe einschätzen können, habe man sich mit einem weiteren Papier im August 1992 bewußt die Option offenhalten wollen, "da zu intervenieren, wo es notwendig ist, dem staatlichen ausmerzverhältnis grenzen zu setzen." In ihrem Bekennerschreiben zum Weiterstadt-Anschlag unterstreicht die RAF die Gültigkeit dieser Strategie mit einem Zitat aus jenem "August-Papier": "wir werden die bewaffnete Intervention dann als ein moment des zurückdrängens bestimmen und nicht als weitere Strategie, wir werden also nicht einfach zum alten zurückkehren, diese eskalation ist nicht in unserem interesse. aber der staat muß wissen, wenn er keine andere möglichkeit zuläßt, daß es auf unserer seite die mittel, die erfahrung und die entschlossenheit gibt, sie dafür zur Verantwortung zu ziehen." Große Teile der Szene reagierten positiv, teilweise sogar begeistert auf den RAF-Anschlag. Begrüßt wurden insbesondere die technische "Perfektion", der hervorgerufene Schaden und die Tatsache, daß keine Person zu Schaden gekommen war. Der Anschlag führte zu einem vorübergehenden Motivationsschub in der terroristischen Szene. Auch außerhalb des RAF-Umfeldes fand der Weiterstadt-Anschlag Zustimmung. So stellten die Herausgeber der Berliner Zeitschrift "Arranca" fest, daß die erkennbaren Veränderungen bei der RAF wichtige Anzeichen für eine Neuzusammensetzung der Linken seien. Die moralische Integrität, ihr langer Atem und die Tatsache, daß die RAF seit über 20 Jahren immer wieder den Staat anzugreifen vermochte, gäben ihr eine besondere Rolle in dieser notwendigen linken Neuorientierung. Die durch den Anschlag auf die JVA Weiterstadt neu entfachte Richtungsdiskussion wurde im Juni 1993 durch die Ereignisse in Bad Kleinen überschattet. Im Rahmen einer nachrichtendienstlichen Operation konnten Strafverfolgungsbehörden an die mit Haftbefehl gesuchten RAF-Mitglieder Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams herangeführt werden. Am 27. Juni erfolgte auf dem Bahnhof 120 in Bad Kleinen der polizeiliche Zugriff. Während Birgit Hogefeld überwältigt werden konnte, kamen Wolfgang Grams und der Polizist Michael Newrzella bei einem Schußwechsel ums Leben. Die Ereignisse in Bad Kleinen, insbesondere der Tod von Wolfgang Grams, riefen auch über das RAF-Umfeld hinaus heftige Reaktionen hervor. Linksextremisten gingen von Beginn an von einer gezielten Hinrichtung des Grams aus. Dies hat sich auch nach dem Vorliegen der Gutachten, die von einer Selbsttötung ausgehen, nicht geändert. Mit unverhohlenen Solidaritätsund Sympathiekundgebungen für die RAF traten insbesondere die autonomen Gruppen hervor, die sich in der "Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation" zusammengeschlossen haben. Die "Autonome Antifa (M)" aus Göttingen nannte den Tod von Grams eine Hinrichtung, der Staat habe an ihm einen politischen Mord begangen. Am 3. Juli fand in Hamburg eine Demonstration statt, an der sich 200 Personen beteiligten. In einem von Bewohnern der Hafenstraße in der "taz" veröffentlichten Demonstrationsaufruf wurde ebenfalls von der "Ermordung" Grams' gesprochen. Am 11. Juli forderten ca. 2.000 Teilnehmer einer zentralen Protestkundgebung in Wiesbaden mit bundesweiter Beteiligung die rückhaltlose Aufklärung der Geschehnisse in Bad Kleinen. In der Florazeitung "Zeck Nr. 17" vom 17. August unterstellten die Redakteure, daß es in Deutschland eine neue Arbeitsteilung gebe. Für das Grobe (Behinderte, Ausländer, Linke) habe der Staat die "Faschos". Wo dies nicht ausreiche, lege der Staat selbst Hand an, um mit gezielten Exekutionen jede Art von Opposition zu zerschlagen. Am 6. Juli hatte bereits die RAF-Kommandoebene zu den Ereignissen in Bad Kleinen Stellung genommen. Der Einsatz in Bad Kleinen sei eine gezielte "killfahndung" gewesen. Die Guerilla sei sich bewußt gewesen, daß der Staat trotz ihrer Deeskalations-Erklärung weiter versuchen werde, die RAF mit "militärischen schlagen " zu "vernichten". Zwar sprach die RAF davon, daß die "Ermordung" von Grams sie vor eine neue Situation gestellt hätte, welche Konsequenzen für sie daraus zu ziehen seien, erläuterte sie jedoch nicht. Auch die Hardliner-Gefangenen zeigten sich über den polizeilichen Zugriff entsetzt. Sie waren der Ansicht, daß es den Sicherheitsbehörden nur durch die seit Jahren bei der Guerilla zu beobachtende "Beliebigkeit" der politischen Gesinnung gelingen konnte, einen V-Mann bis an die Kommandoebene heranzuschleusen. Sie kritisierten insbesondere Birgit Hogefeld dafür, daß sie eine derart enge Verbindung zu ihrer Mutter unterhalten und Aufzeichnungen 121 über Treffen mit Kontaktpersonen mit sich geführt hatte. Damit habe sie auf Jahre hinaus den Sicherheitsbehörden Gelegenheit gegeben, Menschen aus legalen Strukturen zu kriminalisieren. Am 27. August veröffentlichte die "taz" einen Brief von Helmut Pohl, der auch im Namen weiterer inhaftierter Terroristen erstmals "offiziell" einen möglichen Bruch zwischen Gefangenen und Kommandobereich andeutete. Er erteilte Äußerungen eine klare Absage, nach der die Gefangenen eventuell bereit sein könnten, den bewaffneten Kampf für beendet zu erklären. Einen Frieden mit dem Staat und eine "Schlußabwicklung unserer Geschichte" werde es nicht geben. Pohl erklärte für die Hardliner-Gefangenen den Versuch der "Deeskalation" für beendet. Um die wachsende Verunsicherung in der terroristischen Szene zu beenden und sich endgültig sowohl von der Kommandoebene als auch vom Celler Gefangenenkolletiv zu distanzieren, veröffentlichte Brigitte Mohnhaupt am 28. Oktober auch im Namen von zehn weiteren Hardliner-Inhaftierten einen mehrseitigen Brief, in der sie die endgültige Trennung sowohl von den in Celle inhaftierten Terroristen als auch von der Kommandoebene ankündigte. Sie warf der RAF und den Celler Inhaftierten vor, versucht zu haben, mit dem Staat einen "deal" abzuschließen. So hätten die Celler und die RAF dem Staat angeboten, daß nach einer befriedigenden Lösung der Gefangenenfrage die Auflösung der RAF stehen könne. Mit diesem Angebot habe es - so Mohnhaupt - eine eigene politische Bestimmung der RAF nicht mehr gegeben, man habe die Entscheidung, ob und wie zu kämpfen sei, dem Staat in die Hände gelegt. Die bewaffnete Aktion sei in den Händen der jetzigen RAF zu einer Ware verkommen. Selbst nach Bad Kleinen sei Birgit Hogefeld für die Fortsetzung dieses Weges gewesen. Weitere Verlautbarungen anderer Inhaftierter bestätigten den Bruch. Nur kurze Zeit später, am 2. November, nahm die RAF-Kommandoebene zu dem von ihr als "spaltungserklärung" bezeichneten Brief der Hardliner-Gefangenen schriftlich Stellung. Vehement bestritt die Guerilla die durch die Hardliner erhobenen Vorwürfe. Es sei in den Überlegungen der RAF nie darum gegangen, "den bewaffneten kämpf für die freiheit der politischen gefangenen zu 'verdealen'. - alle behauptungen, die das gegenteil suggerieren, sind dreck, unwahr." Sie - die RAF - habe im April 1992 die Eskalation zurückgenommen, da mit den globalen Veränderungen die Funktion des bewaffneten Kampfes in "der strategischen Vorstellung der vergangenen epoche" zusammengebrochen war. Man sei für alle denkbaren Transformationen - auch hinsichtlich der Organisationsform der RAF - offen. Dies bedeute aber nicht die "aufgäbe der Option auf bewaffneten kämpf." 122 Die RAF betonte in ihrer Antwort, daß sie mit dem von den Hardliner-Gefangenen herbeigeführten Bruch umgehen könne. Um eine endgültige Spaltung dennoch abzuwenden, forderte sie die Gefangenen nochmals auf, auf die Linie der Kommandoebene einzuschwenken. In späteren Äußerungen der Inhaftierten wurde jedoch schnell deutlich, daß die Gefangenen nicht zu einer Änderung ihrer Ansichten bereit sind. Damit dürfte der Bruch im RAF-Gefüge irreparabel geworden sein. Das RAF-Umfeld Das RAF-Umfeld zeigte sich auch im Verlauf des Jahres 1993 in einem verrissenen und orientierungslosen Zustand. Die bestehenden Differenzen bei den Gefangenen blieben auch dort nicht ohne Wirkung. Der RAF-Anschlag auf die JVA Weiterstadt vermochte nur einen kurzfristigen Motivationsschub auszulösen. Dieser positive Effekt wurde bald durch den Zugriff in Bad Kleinen überlagert. Wenngleich sich zunächst zahlreiche Gruppen und Einzelpersonen auch außerhalb des RAF-Umfeldes aufgrund des "Mordes" an Grams mit der RAF solidarisierten, waren eine Verunsicherung über den Umfang der sichergestellten Asservate und Furcht vor weiteren Zugriffen der Polizei auch im Umfeld deutlich spürbar. Verstärkt wurde diese Unsicherheit noch durch die Tatsache, daß es einer Sicherheitsbehörde gelungen war, einen V-Mann an die Kommandoebene der RAF heranzuführen. In dieser Situation wurde der Pohl-Brief vom August 1993 von Teilen des RAFUmfeldes mit Erleichterung aufgenommen. Insbesondere die gewaltgeneigten Umfeldangehörigen hatten die Deeskalationspolitik des Kommandobereiches eher negativ gewertet und waren von der weiteren Notwendigkeit des bewaffneten Kampfes überzeugt. Pohls Brief wurde als Signal interpretiert, daß auch aus Sicht der Gefangenen der Versuch, die Freilassung durch das Verfolgen eines moderateren Kurses zu erreichen, endgültig gescheitert war. Die nach dem Bruch im RAF-Gefüge entfachte Diskussion ist bundesweit noch nicht beendet, sondern steht erst an ihrem Beginn. Hatten sich zunächst sehr viele Umfeldangehörige nach der Erklärung der Mohnhaupt im Oktober 1993 spontan für den Hardliner-Flügel um Mohnhaupt, Helmut Pohl und Eva Haule entschieden und deren Verratsvorwurf insbesondere hinsichtlich der Celler Inhaftierten übernommen, wurde nach der Erklärung der RAF-Kommando vom 2. November diese Haltung erneut modifiziert. In der Folgezeit setzte sich die Einschätzung durch, daß beiden Fraktionen innerhalb des nun nicht mehr 123 existenten Gefangenenkollektivs eine Mitschuld an dem gegenwärtigen Zustand zukommt. Etwaige Verhandlungen mit dem Staat mit dem Ziel, die Existenz der Guerilla in Frage zu stellen, um die Freilassung der Gefangenen zu erreichen, wird von der Mehrzahl der RAF-Umfeldangehörigen abgelehnt. Es setzt sich nach und nach die Einsicht durch, daß man gerade aus einer Position der Schwäche, in der sich die Linke derzeit befinde, nicht derartig vorgehen könne. Die Politik der Kommandoebene und der Celler Gefangenen um Karl Heinz Dellwo sei insoweit abzulehnen. Aber auch das Vorgehen der Hardliner-Gefangenen wird von vielen kritisiert. So sei deren Entscheidung, den endgültigen Bruch herbeizuführen, nicht ausreichend und genügend nachvollziehbar begründet. Beide Fraktionen wurden wiederholt aufgefordert, sich erneut zu erklären. Zur Zeit gibt es nur wenige RAF-Umfeldangehörige, die sich endgültig auf eine der beiden Fraktionen festgelegt haben, die Mehrheit scheint noch unentschlossen. Deutlich spürbar ist das gestiegene Bedürfnis nach einer neuen Verbindlichkeit und nach "Harmonie". Dabei sollen bestehende Widersprüche nicht übertüncht werden. Viele RAF-Unterstützer sind nicht bereit, stillschweigend die Argumentation der einen oder anderen Fraktion zu übernehmen. Erstaunlich selbstbewußt zeigen sich gerade die jüngeren Umfeldangehörigen sowohl gegenüber den Gefangenen als auch gegenüber der Kommandoebene. Sie argumentieren, daß sie sich nicht durch alte Streitigkeiten in ihrer politischen Arbeit lahmen lassen wollen. Sie würden nicht die Fortsetzung der Fraktionierung im Umfeld mitmachen. Insgesamt setzte sich im RAF-Umfeld die Auffassung durch, daß sowohl die RAF-Kommandoebene als auch die Gefangenen nicht mehr in der Lage seien, eine Orientierung zu vermitteln. Man sei vielmehr auf sich selbst angewiesen und müsse sich gegen die Vereinzelungstendenzen und die zunehmende Fraktionierung stemmen. Diese Einstellung zeugt von einem neuen Selbstbewußtsein und -Verständnis. Zwar ist auch für das Umfeld die Forderung nach Freilassung ajjer "politischen" Gefangenen wichtig und mit Nachdruck zu vertreten, aber die Gefangenen stehen nicht mehr im Mittelpunkt jeglichen politischen Handelns. Andere Themen wie der Antifaschismus oder soziale Problemfelder seien von gleicher Bedeutung. Weder die Kommandoebene noch die Gefangenen hätten (nach den gemachten Fehlern) Anspruch auf Meinungsführerschaft. Eine andere, vorwiegend aus jüngeren RAF-Unterstützern zusammengesetzte Gruppe initiierte unter maßgeblicher Hamburger Beteiligung die bundesweite Arbeitskonferenz "Über den Tag hinaus", die vom 17. bis 19. Dezember in Dassel/Niedersachsen stattfand. Auf dieser Arbeitskonferenz wurde deutlich, daß sich gerade die jüngeren Umfeldangehörigen von dem Bruch im RAF124 Gefüge nicht beeindrucken lassen wollen. Für sie sind neben der Gefangenenproblematik auch andere Themen von Belang. Wenngleich die Arbeitskonferenz ohne konkrete Ergebnisse endete, wurde doch die Bereitschaft zu größerer Verbindlichkeit im Umgang miteinander erkennbar. Immerhin gelang es auf der Konferenz, die vorher herrschende Sprachlosigkeit innerhalb des RAF-Umfeldes zu überwinden. Einige Teilnehmer sahen in dem Bruch sogar die Chance für einen Neuanfang ohne Belastung durch die alten Dogmen. Die im Verlauf des Jahres 1992 bis zum Beginn des Jahres 1993 zu beobachtenden Bemühungen von RAF-Unterstützern, sich auch in andere linksextremistische Zusammenhange einzubringen, wurden im weiteren Verlauf des Jahres 1993 kaum intensiviert, sondern gingen - zumindest in Hamburg - wieder zurück. Nach wie vor betrachten es die meisten RAF-Unterstützer als erforderlich, im Sinne einer politischen Neuorientierung auf andere Gruppen zuzugehen, um so den "Aufbau einer Gegenmacht von unten" zu forcieren. Aber durch die den Gesamtkomplex RAF erschütternden Vorgänge bedingt, drehten sich die Umfeldangehörigen in den letzten Monaten um sich selbst. Bevor man auf. andere zugehen will, beabsichtigt man offensichtlich, sich zunächst Klarheit über die eigenen politischen Zukunftsabsichten zu verschaffen. Trotz der Verwerfungen innerhalb der RAF konnte das Hamburger RAF-Umfeld (derzeit ca. 120 Personen) einige gutbesuchte Veranstaltungen durchführen, die vorwiegend die Forderung nach Freilassung der "politischen Gefangenen" unterstützen sollten. Ein Teil des RAF-Umfeldes konzentrierte sich dabei auf die in Lübeck inhaftierte Irmgard Möller. Diese "Freilassungsinitiative Irmgard Möller" organisierte verschiedene Veranstaltungen, die auch von Personen außerhalb des RAF-Umfeldes besucht wurden. "Bewohner und Bewohnerinnen der Hafenstraße" riefen anläßlich des Todes von Wolfgang Grams zu einer Solidaritätsdemonstration am 3. Juli in Hamburg auf. An der Demonstration nahmen 100 Szeneangehörige und 80 Personen aus dem Hochschulbereich teil. Bis zur Abschlußkundgebung vor dem Komplex Hafenstraße reduzierte sich die Teilnehmerzahl auf 40 Personen. Dies war, gemessen an sonstigen Ereignissen dieser Bedeutung, eine ernüchternd geringe Teilnehmerzahl. 125 Antiimperialistische Widerstandszelle Nadia Shehadah (AIW) Die "Deeskalations-Politik" der RAF, die in den letzten Jahren offensichtlich nicht mehr die "Bedürfnisse" einiger besonders militant eingestellter Szeneangehöriger abdeckte, führte zur Gründung einer weiteren terroristischen Vereinigung, die sich 1993 erstmals unter dem Namen "antiimperialistische Widerstandszelle Nadia Shehadah" (AIW) zu Wort meldete. Folgt man den Angaben in den jüngsten Schreiben der AIW, besteht der entsprechende Personenzusammenschluß mindestens seit 1991. Bereits kurz nach der Veröffentlichung des Deeskalationsschrittes der RAF am 10. April 1992 nahm sie in einem Papier vom 22. April 1992 kritisch dazu Stellung. In diesem Papier bezeichneten sich die Autoren als "Teil des Wderstandes in der BRD". Das Schreiben gab fast ausschließlich Zitate/Auszüge aus alten RAF-Verlautbarungen aus deren Gründerzeit wieder. Im Mai 1992 äußerte sich die AIW erstmals über sich selbst. Man sei keine "RAF-Splittergruppe", sondern habe eigene Formen militanter Politik und werde diese weiterentwickeln. Den Schritt der "Kampfpause" könnten die Verfasser nur für die RAF, nicht aber für sich selbst akzeptieren. Sie plädierten für eine Kontinuität des (militanten) Widerstandes. Man habe auch Kontakte zu ausländischen Genossen, diese seien über die Erklärung der RAF entsetzt gewesen. Ohne Militanz könne es keine Freiheit geben. Gerade hinsichtlich der geplanten neuen Rolle der Bundeswehr seien in der "BRD ... militante Aktionen nicht nur moralisch notwendig, sondern auch politisch sinnvoll". In einem Schreiben vom 5. September nannten sich die Unbekannten erstmals "Widerstandszelle Nadia Shehadah" und übernahmen die Verantwortung für folgende, bis dahin nicht zuzuordnende Aktionen: Im August hatten bis dahin unbekannte Täter Sägespäne vor dem Wohnhaus der Eltern eines ehemaligen Angehörigen der GSG 9 in Solingen entzündet. In ihrem mit einem Foto des in Bad Kleinen ums Leben gekommenen Wolfgang Grams versehenen Papier begründeten sie ihre Aktion mit den Vorgängen in Bad Kleinen und forderten die Zusammenlegung und Freilassung von politischen Gefangenen. Diese Forderung gelte auch für die in Deutschland inhaftierten irischen, kurdischen und palästinensischen Genossinnen. In einem am 21. November 1992 auf das Gebäude der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg verübten Brandanschlag hatten die Täter mehr als 200 Liter Benzin in verschiedenen Teilen des Gebäudes ausgegossen und mit Zeitzündern in Brand gesetzt. Es entstand Sachschaden in Millionenhöhe. Am 126 Tatort hatten die Täter eine in drei Themenkreise gegliederte neunseitige Tatbekennung hinterlassen. Der erste Themenkreis befaßte sich mit dem "verhalten der rechtsund staatswissenschaftlichen fakultät der Universität hamburg im dritten reich" und zeugte von rechtshistorischer Detailkenntnis der Verfasser. Der zweite Themenkreis behandelte die "justizielle Verfolgung von kommunistlnnen in der brd bis 1968". Auch bei der Behandlung dieses Themenkreises besaßen die Verfasser fundiertes Hintergrundwissen zum Themenkomplex. Mit dem dritten Themenkomplex "asylrecht in der realität des brd-staates", und dem Hinweis auf den Tod eines Palästinensers in einem israelischen Gefangenenlager am 15. Oktober 1992, gefolgt von einem Zitat aus der Erklärung der RAF zum Mordanschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972, verdeutlichten die Verfasser die Bedeutung von Internationalismus und bewaffneter Politik für die revolutionäre Linke. Die AIW betonte im Schreiben vom 5. September, daß sie in den "vergangenen jähren" versucht habe, mit militanten Aktionen unterschiedlichster Art politisch zu intervenieren und dies wolle sie auch weiterhin tun. Sie machte deutlich, daß sie sich künftig verstärkt neben klassischen antiimperialistischen Themen im internationalistischen Sinne auch sozialen Problemfeldern wie der Massenarbeitslosigkeit widmen werde. Da ihre bisherige "politik als autonome" politisch nicht mehr viel bringe, habe sie grundsätzlich über militante Politik nachgedacht, mit der Schlußfolgerung, daß "gewalt... nur mit revolutionärer gegengewalt beantwortet werden könne". Am 17. November beschoß die AIW das Gebäude des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall in Köln. Sowohl das dazugehörige Bekennerschreiben als auch ein weiteres Schreiben vom 13. Dezember machten deutlich, daß die AIW im Laufe des Jahres immer mehr das antiimperialistische Gedankengut der RAF aus ihrer Gründungsphase adaptiert hat. In diesem Schreiben bekannte sie sich nochmals zu den Prinzipien des bewaffneten Kampfes. Sowohl das "Konzept Stadtguerilla" als auch das "Frontpapier" der RAF aus den Jahren 1971 bzw. 1982 hätten auch für die 90er Jahre noch einen hohen Gebrauchswert. In beiden Papieren hatte die RAF seinerzeit betont, daß ein erfolgversprechender bewaffneter Kampf gegen die bestehende Gesellschaftsordnung nur aus dem illegalen Untergrund heraus erfolgreich sein kann. 127 Die anzuwendenden Mittel seien nach Ansicht der AIW "vielfältig", "schußwaffen gehören natürlich dazu". Gerade sie seien ein "ausgezeichnetes mittel für gezielte aktionen, mit symbolischer bis tödlicher Wirkung". Dabei könne auf "gezielte angriffe auf einzelne funktionsträger aus politik und Wirtschaft" nicht verzichtet werden. Die Aktionen in den letzten zwölf Monaten habe die AIW als "phase des Übergangs" bestimmt. Künftig werde man auch "militante/bewaffnete aktionen durchführen", werde dies aber nicht unter dem bisherigen Namen tun. Die Aktivitäten der Gruppe führten bei anderen revolutionären Linksextremisten nur zu wenigen, durchweg negativen Reaktionen. IN HAMBURG VERTRETENE LINKSEXTREMISTISCHE PARTEIEN UND ORGANISATIONEN DIE DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) Auch 1993, im 25. Jahr ihres Bestehens, hielt die DKP unverändert an ihren alten Maximen fest. In den "Thesen zur programmatischen Orientierung der DKP", die auf dem 12. Parteitag am 16./17. Januar in Mannheim verabschiedet wurden heißt es: "Das Hauptziel der kommunistischen Bewegung ist es, an die Stelle der bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen den Kommunismus ... zu setzen." Die historische Alternative zum gegenwärtig herrschenden System des Imperialismus sei der Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaft. "Zentrale Triebkraft der Geschichte" sei nach wie vor der "Klassenkampf'. Da die "Arbeiterklasse ... nach der Erkenntnis des historischen Materialismus die Trägerin des gesellschaftlichen Fortschritts" sei, komme ihr und insbesondere der DKP als "Partei der Arbeiterklasse" entscheidende Bedeutung bei der Schaffung einer fortschrittlichen (kommunistischen) Gesellschaft zu. In der Realität allerdings entfernt sich die DKP immer weiter von diesem Anspruch. Ihre Mitgliederzahl ist seit Mitte der 80er Jahre von rund 40.000 auf 6.000 geschrumpft. Knapp 40% der Mitglieder sind über 50 Jahre alt, so daß die Partei vor der Überalterung steht. Angesichts dieser Entwicklung ist es nicht überraschend, daß auch die politische Arbeit in den Betrieben fast vollständig zum 128 Erliegen gekommen ist. Selbst in einer Stadt wie Hamburg gibt es mittlerweile nur noch eine DKP-Betriebsgruppe. Obwohl die DKP mehrfach die Notwendigkeit breiter linker Bündnisse angesichts der "Gefahr von Rechts" betonte, beschloß sie, eigenständig zur Wahl des Europäischen Parlaments im Juni 1994 zu kandidieren. Gespräche mit führenden PDS-Vertretern über eine gemeinsame Kandidatur hatten zuvor zu keiner Einigung geführt. Das Angebot der PDS, DKP-Mitglieder als Einzelpersonen neben anderen auf einer offenen PDS-Liste kandidieren zu lassen, hatte die DKP abgelehnt. Sie wolle sich bei der Europawahl nicht als Wählerinitiative der PDS wiederfinden. Eine weitere DKP-Initiative zur Zusammenarbeit "linker" Parteien war die Einrichtung eines zentralen "Roten Tisches", eines Diskussionsforums "marxistischer Kräfte", das am 13. Februar in Hannover zusammentrat. Gemeinsam mit Vertretern von Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK), Kommunistischer Partei Deutschlands (KPD), Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB) und PDS diskutierte die DKP sowohl über Eckpunkte kommunistischer Programmatik als auch über mögliche Kooperation bei Wahlen. Die Teilnehmer vereinbarten, ihre theoretisch-programmatischen Runden fortzusetzen und 1994 zu konkreten Vorbereitungen von Wahlbündnissen erneut zusammenzutreffen. Der Rückgang der Mitgliederzahl hat sich verlangsamt. Hatte die DKP nach dem Fall der Berliner Mauer im November 1989 zunächst noch mehrere tausend Mitglieder pro Jahr verloren, sank ihre Mitgliederzahl 1993 von 7.000 auf 6.000. In ihren Versammlungen konstatierte die DKP zunehmende Schwierigkeiten, Menschen für ihre zentralen Veranstaltungen zu mobilisieren. Sie erklärte sich dies mit dem anhaltenden "Rechtstrend" in der Bundesrepublik, mit dem auch die Diffamierung von Kommunisten und Sozialisten spürbar zunehme. Dieser Ausgrenzung wolle sich - zumal in Zeiten zunehmender Arbeitslosigkeit - niemand mehr aussetzen. Um dennoch nicht völlig aus dem politischen Leben zu verschwinden, hält der Vorstand seine Parteimitglieder unermüdlich an, bei Aktionen und Demonstrationen, vor allem "gegen Rechts", Flagge zu zeigen. Zugleich wird einer aktiven Bündnispolitik ein hoher Stellenwert eingeräumt. In vielfältigen Bemühungen um das Zustandekommen von Aktionsbündnissen hat die DKP ihre frühere ablehnende Haltung gegenüber anderen Linksextremisten aufgegeben. 129 Ein wichtiger Pfeiler der politischen Arbeit und des früheren Selbstverständnisses sind ihr Internationalismus und die Reste ihrer internationalen Verbindungen. Die DKP sprach sich für eine Stärkung der internationalen Zusammenarbeit der kommunistischen und revolutionären Kräfte aus und will weiterhin kommunistische und sozialistische Länder und Bruderparteien in ihrem "Kampf um die Befreiung vom imperialistischen Joch" unterstützen. Seit dem Zusammenbruch der DDR und der osteuropäischen sozialistischen Staatengemeinschaft bemüht sie sich dabei verstärkt um Beziehungen zu den wenigen verbliebenen kommunistischen Ländern. Delegationsreisen der DKP nach Nord-Korea, China und Vietnam hatten die "Vertiefung und Weiterentwicklung" der bereits bestehenden Kontakte zu den dort regierenden kommunistischen Parteien zum Ziel. Bereits seit 1991 bekundet die DKP Interesse an intensiven Kontakten zur kommunistischen Partei Chinas. Einen besonderen Rang nahmen die Kontakte zu Kuba bzw. zur dortigen Kommunistischen Partei ein. Höhepunkt der entsprechenden Aktivitäten war die bundesweite Solidaritätsdemonstration "Solidarität mit Cuba - Schluß mit der Blockade durch USA, EG und BRD!" am 16. Oktober in Bonn mit 2.000 Teilnehmern. Neben der DKP beteiligten sich daran auch SDAJ, PDS und kommunistisch beeinflußte "Freundschaftsgesellschaften". Mit dem Aufruf zur Demonstration wurde das Ende der Wirtschaftsblockade gegen Kuba gefordert. In Hamburg waren politische Aktivitäten kaum zu verzeichnen. Die Partei war im wesentlichen mit sich selbst beschäftigt. Eine unangenehme Überraschung erlebte sie dabei nach Abschluß der Mitgliedsbuch-Umtaüschaktion, als sie feststellen mußte, daß sie statt der angenommenen 600 nur noch rund 450 Mitglieder in den sechs Kreisorganisationen (Altona, Eimsbüttel, Nord, Mitte, Wandsbek, Harburg) hatte. Die Struktur des DKP-Bezirksvorstands wurde erneut geändert. Das in den letzten Jahren praktizierte Modell eines "Sprecherrates" an der Spitze der Partei wurde für ineffektiv befunden und durch einen konventionellen Vorstand mit einem Vorsitzenden, einem Stellvertreter und 16 weiteren Mitgliedern ersetzt. Noch ungünstiger als in der Bundespartei ist die Alterstruktur bei der Hamburger DKP. Nach eigenen Angaben sind 60% der Mitglieder über 60 Jahre alt, mehr als ein Drittel der Gesamtmitgliedschaft ist sogar 70 Jahre oder älter. Bereits jetzt werden in der weitgehenden Passivität der Partei die unmittelbaren Folgen dieser Überalterung sichtbar. Politische Kampagnen und größere öffentliche Veranstaltungen sind entweder nur noch gemeinsam mit anderen linksextremistischen Organisationen möglich oder bleiben mangels ei130 gener Kraft ganz aus. Der Partei fehlen die vielen hauptamtlichen Funktionäre der 70er und 80er Jahre, die mit dem Geld der SED im Rücken und systematischer Organisationsschulung Kampagnen konzipieren und realisieren konnten. Gelingt es der DKP nicht, den Überalterungsprozeß schnell zu stoppen, droht ihr in absehbarer Zeit das Absinken in den Status einer Sektierergruppe. Inwiefern die am 28. November in Hamburg gegründete Gruppe "Junge Kommunistinnen" (JUKO) diesem Trend entgegenwirken kann, ist derzeit nicht absehbar. Die Gruppierung, die sowohl aus "parteiunabhängigen Genossen" als auch aus DKP-Mitgliedern besteht, will aus den "eigenen Erfahrungen heraus" eine "eigene Praxis" entwickeln und damit eingefahrene Politikrituale der DKP verlassen. Durch Aufgreifen neuer Themen und neuer Aktionsformen sollen junge Leute, etwa aus dem Antifa-Bereich, angesprochen werden. Die Gruppe umfaßt 15 bis 20 Personen. Da im Statut der DKP eine eigenständige Jugendgruppe nicht vorgesehen ist, will sie sich als Hochschulgruppe organisieren. Außerhalb Hamburgs fanden ähnliche Neugründungen nicht statt. An der Hamburger Bürgerschaftswahl am 19. September nahm die DKP im Rahmen des Wahlbündnisses "Linke Alternative - Wehrt Euch!" teil. Nachdem sie im Mai zunächst Gespräche mit der PDS über eine gemeinsame Teilnahme an der Wahl geführt hatte, folgten im Juni mehrere Vorbereitungstreffen von Personen aus der DKP, PDS/LL, AL, VVN-BdA, BWK, MLPD, VSP, Spartakist Arbeiterpartei und der Volksfront, die schließlich zu der Gründung des Wahlbündnisses führten. Von den zehn zur Bürgerschaftswahl nominierten Kandidaten gehörten vier der DKP an. Wie wichtig der DKP das Zustandekommen dieses linken Wahlbündnisses gewesen ist, belegt die Forderung eines führenden Funktionärs aus dem Bundesvorstand der DKP: "Ob und wie in Hamburg ein Bündnis entsteht, ist egal." Auf jeden Fall habe es Signalwirkung für alle 1994 anstehenden Wahlen. Obwohl das Ergebnis der "Linken Alternative - Wehrt Euch!" bei der Bürgerschaftswahl nur 0,5 % der abgegebenen gültigen Stimmen betrug, zog die DKP-Hamburg auf ihrer Bezirksdelegiertenkonferenz am 677. November ein positives Fazit. Insbesondere die Bildung des linken Bündnisses in einer "Situation, in der die Bundesrepublik nach rechts abdriftet", wurde als richtig und wichtig hervorgehoben. Mitgliederschwund und das Versiegen der SED-Unterstützung führten die Partei auch in Hamburg in finanzielle Schwierigkeiten. Um Kosten einzusparen wurde im Sommer die Bezirksgeschäftsstelle vom Fiete-Schulze-Zentrum in Räume der "Gedenkstätte Ernst Thälmann" verlegt. Der Kreis Mitte mußte sein 131 Büro im Fiete-Schulze-Zentrum aufgeben und zum Kreis Eimsbüttel in dessen Büro, das Magda-Thürey-Zentrum, umziehen. Im Juni wurde das Antifa-Archiv der DKP von Hamburg nach Leverkusen in das dortige DKP-Schulungszentrum verbracht. ARBEITERBUND FÜR DEN WIEDERAUFBAU DER KPD (AB) Ziel des AB ist die Beseitigung der "herrschenden Ausbeuterklasse" und die Errichtung einer "Diktatur des Proletariats", um den Kommunismus in einer klassenlosen Gesellschaft zu verwirklichen. Der AB bekennt offen, daß dies nur mit Gewalt zu erreichen sei, da die "herrschende Klasse" nicht freiwillig auf ihre Macht verzichte. Seine maoistisch orientierte Basis hat der AB vor allem in Bayern, wo rund die Hälfte der 200 Mitglieder ansässig ist. In anderen Regionen der alten Länder unterhält er sogenannte Stützpunkte. Die Leitung des AB erfolgt über ein Zentralkomitee mit Sitz in München. Seit 1989 bestehen zwei Flügel innerhalb des AB, die sich im wesentlichen durch unterschiedliche Vorstellungen über die Art der Agitation unterscheiden. Die öffentlichen Aktivitäten der rund 15 Hamburger Mitglieder des AB erschöpften sich in der Teilnahme an gemeinsamen Aktionen im "Antifa-Bereich" und einer Veranstaltung zum 1. Mai. Ferner unterstützte der AB in Hamburg das Wahlbündnis "Linke Alternative - Wehrt Euch!". Eigenständige Aktionen des AB gab es in Hamburg nicht. Wie gering das politische Gewicht des AB ist, zeigt die auch Tatsache, daß er im letzten Jahr auf eine Veranstaltung zu seinem 25-jährigen Bestehen verzichtete, weil er nur mit einer sehr geringen Besucherzahl rechnete. BUND WESTDEUTSCHER KOMMUNISTEN (BWK) Der BWK, der 1980 mit 600 Mitgliedern aus einer Abspaltung vom "Kommunistischen Bund Westdeutschlands" entstand und die Errichtung einer sozialistischen Rätedemokratie durch proletarischen Klassenkampf anstrebt, hat auch 1993 keine nennenswerten eigenständigen Aktivitäten entwickelt' Öffentlich machte sich der BWK - wenn überhaupt - lediglich durch die Herausgabe seiner 14-täglich erscheinenden "Politischen Berichte" Cm S S Ä : " L o k a , b f c h t e H a m b u r 9") sowie durch Teilnahme an einzelnen Veranstaltungen anderer Gruppierungen bemerkbar einzelnen 132 Die Partei umfaßt auf Bundesebene etwa 300 und in Hamburg rund 30 Mitglieder. Um trotz dieser geringen personellen Stärke und mangelnder politischer Akzeptanz politisch überleben zu können, war der BWK intensiv auf der Suche nach Kooperationsmöglichkeiten im linksextremistischen Spektrum. So verabschiedete er nach mehreren Diskussionen eine gemeinsame Plattform mit der VSP und beteiligte sich an Sitzungen des "Roten Tisches", einem Diskussionsforum, das die DKP zur gemeinsamen Beratung sozialistischer Programmatik initiiert hat. Zu einem konkreten Ergebnis haben die verschiedenen Sondierungen des BWK offensichtlich mit der PDS geführt. Nachdem sich, zunächst in den alten, später auch in den neuen Ländern, auf unterer Ebene eine Zusammenarbeit zwischen den beiden Parteien entwickelt und die PDS Doppelmitgliedschaften für möglich erklärt hatte, wurde auf der 13. Delegiertenkonferenz des BWK am 13./14.März in Köln "die Zusammenarbeit mit der Partei des demokratischen Sozialismus (PDS) beschlossen. Der Beschluß ermöglicht es den BWKLandesverbänden, Arbeitsgemeinschaften bei Landesverbänden der PDS zu bilden. In Hamburg sprach sich im Juni 1993 eine Mitgliederversammlung des BWK-Hamburg für einen solchen Schritt aus. Mit seiner Beteiligung an den linksextremistischen "GNN-Gesellschaften für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung mbH" (GNN) ist der BWK auch im publizistischen Bereich aktiv. Die GNN drucken und verlegen "emanzipatorische, antifaschistische, antiimperialistische Literatur", darunter neben Publikationen des BWK auch Schriften der "Volksfront", der VSP oder der PDS. EX-KB-MEHRHEIT Die knapp 100 Mitglieder zählende kommunistische Gruppierung "Ex-KBMehrheit", die aus dem am 20. April 1991 aufgelösten Kommunistischen Bund (KB) hervorgegangen ist, trat in Hamburg mit eigenen Veranstaltungen nicht an die Öffentlichkeit. Als Herausgeberin der in Hamburg gedruckten Zeitung "analyse und kritik" (ak), die im Bundesgebiet mit einer Auflage von 4.000 Exemplaren vertrieben wird, beansprucht sie, die "linke Debatte und Praxis" mitzubestimmen. 133 GRUPPE K Die Gruppe K gründete sich am 7. Juli 1991. Wie die Ex-KB-Mehrheit war sie als ehemalige "KB-Minderheit" aus dem Kommunistischen Bund (KB) hervorgegangen. Alle zwei Monate gibt sie eine als "Zirkular" bezeichnete Zeitung mit dem Titel "Bahama News" heraus, die in Hamburg gedruckt wird. Mit dem bewußt gewählten Begriff "Zirkular" will die Gruppe K die Vorläufigkeit ihrer Zeitung verdeutlichen. Politisches Ziel ist ein mit Gruppen und Personen der "antinationalen" Linken gemeinsam erarbeitetes Zeitungsprojekt. Derzeit sieht die Gruppe K dafür allerdings keine Ansätze. Auf einem bundesweiten Treffen der Gruppe K am 879. Oktober in Berlin wurde deshalb beschlossen, die Zeitung auch künftig allein herauszugeben, zumal mit der letzten Ausgabe des Jahres 1993 erstmals eine Auflagenhöhe von über 1.000 Stück erreicht worden sei. Die Gruppe K umfaßt etwa 80 Mitglieder. MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD) Nachdem sich die 1982 aus dem "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands" gegründete MLPD im letzten Jahr auf den Parteiaufbau in den neuen Bundesländern konzentriert hatte, widmete sie sich 1993 der Betriebsund Gewerkschaftsarbeit sowie insbesondere der Jugendarbeit. So trug nicht zuletzt die Wiederbelebung des zwischenzeitlich eingestellten Jugendmagazins "Rebell" seit Februar zur Stabilisierung des gleichnamigen MLPD-Jugendverbandes bei. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch das VI. Internationale Pfingstjugendtreffen der MLPD vom 29. bis 31. Mai in Essen, an dessen Hauptveranstaltung sich nach Angaben der MLPD etwa 18.000 Besucher beteiligt haben. Auch wenn diese Zahlen zu hoch gegriffen scheinen, zeigt das Treffen, daß die etwa 2.000 Mitglieder starke Partei über einen festen Zusammenhalt und erhebliche organisatorische Möglichkeiten verfügt. Dies verdeutlicht auch die am 2 Oktober in Duisburg durchgeführte bundesweite Konferenz "Arbeitsplätze für Millionen", an der nach MLPD-Angaben 326 Personen aus 75 Städten der Bundesrepublik teilgenommen hätten. Zweck der Aktion war die Verbesserung der Betriebsund Gewerkschaftsarbeit. Erfolglos blieb der Versuch, die PDS für ein gemeinsames Bündnis für die kommende Bundestagswahl zu gewinnen. Die PDS hatte entsprechenden Bemühungen der MLPD eine Absage erteilt, weil sich diese nach wie vor zu Stalin bekenne. Der etwa 30 Personen starke Landesverband Hamburg entwickelte Aktivitäten nur in Zusammenarbeit mit anderen linksextremistischen Organisationen, ins134 besondere bei Aktionen gegen Rassismus, Faschismus und Krieg. Schließlich unterstützte die MLPD die Bemühungen, zur Hamburger Bürgerschaftswahl mit einer gemeinsamen Liste anzutreten und war im Wahlvorschlag der "Linken Alternative - Wehrt Euch" durch einen eigenen Kandidaten vertreten . TROTZKISTEN Im Gegensatz zu den meisten anderen kommunistischen Organisationen haben die Trotzkisten weiteren Zulauf zu verzeichnen. Wurden vor zwei Jahren noch rund 500 Personen diesem Spektrum zugeordnet, so beträgt ihre Anhängerzahl mittlerweile etwa 1.500. Von den knapp 20 im Bundesgebiet aktiven Organisationen betätigen sich vier in Hamburg: Die Gruppe "Jugend gegen Rassismus in Europa" (JRE), die "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG), die "Gruppe AVANTI - IV. Internationale" sowie die "Spartakist Arbeiterpartei Deutschlands" (SpAD) mit dem ihr zuzurechnenden "Komitee für soziale Verteidigung" (KfsV). Die Organisation "Jugend gegen Rassismus in Europa" (JRE) wird von der trotzkistischen Tarnorganisation "VORAN zur sozialistischen Demokratie e.V." gesteuert. Mit bundesweit etwa 800 Mitglidern ist die JRE ist die bedeutendste trotzkistische Organisation. Ihre Mitglieder haben sich in nahezu 30 Ortsgruppen organisiert. Die JRE ist Mitglied im internationalen Verbund "Youth against Racism in Europe". Wie "VORAN" arbeitet auch die JRE nach der auf Trotzki zurückgehenden "Entrismus"-Taktik: Ohne ihre trotzkistische Gesinnung erkennen zu lassen, versuchen JRE-Aktivisten in demokratische Organisationen einzudringen. Die dort erreichten Positionen nutzen sie, um den linksextremistischen Hintergrund ihrer Aktionen zu verschleiern . In Hamburg hat sich im November eine eigene, 25-köpfige Ortsgruppe der JRE gegründet. Sie ist bisher mit Flugblättern, aber noch nicht mit eigenständigen Veranstaltungen an die Öffentlichkeit getreten. Weitere Ortsgruppen existieren in Norddeutschland in Lübeck und Bremen. Ihre politischen Ziele sieht die JRE primär im Kampf gegen Rassismus und Faschismus. Sie bezeichnet das geänderte Asylrecht als "rassistisch" und sieht darin einen Beitrag zur Diskriminierung von Ausländern. Da die JRE sowohl einen Rückgang der Asylbewerberzahlen als auch eine Abnahme der anerkannten Asylbewerber im Zuge der "staatlichen Abschottungspolitik" erwartet, will sie dem Thema Immigration künftig einen besonders hohen Stellenwert 135 einräumen. Als eher übergreifende Aufgabe sieht sie sich auch im Widerstand gegen Sozialabbau und staatliche Repressionen gefordert. Die Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) ist die deutsche Mitgliedsorganisation im internationalen trotzkistischen Dachverband "Internationale" Sozialisten" mit Sitz in London. Ihre Mitgliederzahl ist seit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten kontinuierlich auf mittlerweile 250 (Hamburg:30) angestiegen. In Hamburg hat die SAG eine Reihe eigener Veranstaltungen durchgeführt. Wie die JRE arbeitet sie nach der Taktik des Entrismus. Die "Gruppe AVANTI - IV. Internationale" entstand 1992 aus dem Zusammenschluß des ehemaligen trotzkistischen Flügels der VSP mit der "Gruppe Revolutionäre Sozialistinnen" und ostdeutschen Anhängern des "Vereinigten Sekretariats" der trotzkistischen IV. Internationale. Obwohl die "Gruppe AVANTI" 1993 mehrere öffentliche Veranstaltungen in Hamburg organisierte, hat sich an ihrer unbedeutenden Rolle wenig geändert. Sie hat in Hamburg weniger als ein Dutzend Mitglieder. Die "Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands" (SpAD) umfaßt ca. 120 Mitglieder. Sie ging im Januar 1990 aus der "Trotzkistischen Liga Deutschlands" und Mitgliedern von "Spartakist-Gruppen" hervor. Zur SpAD gehört das "Komitee für soziale Verteidigung" (KfsV). Die SpAD bezeichnet sich als "Deutsche Sektion der trotzkistischen "Internationalen Kommunistischen Liga (IV. Internationale)". Ihre bundesweit erscheinende Zeitschrift "Spartakist" wird alle zwei Monate in Hamburg herausgegeben. Die SpAD hat in Hamburg regelmäßig, das "Komitee für soziale Verteidigung" unregelmäßig Veranstaltungen durchgeführt. VEREINIGTE SOZIALISTISCHE PARTEI (VSP) Ziel der 1986 durch Zusammenschluß der trotzkistischen "Gruppe Internationaler Marxisten" (GIM) und der damaligen stalinistisch-proalbanischen "Kommunistischen Partei Deutschlands / Marxisten-Leninisten" (KPD) mit etwa 600 Mitgliedern entstandenen VSP ist der Aufbau einer revolutionären, sozialistischen Massenpartei. Die seit Jahren zu beobachtende Erosion der Partei hält an, die Bereitschaft unter den Mitgliedern, sich in oder für die Partei zu engagieren, schwindet. Die Zahl der Mitglieder sank unter 300. öffentliche politische Aktivitäten gingen von der VSP 1993 nicht aus. "Hauptereignis" war am 20./21. März in Duisburg eine "Außerordentliche zentrale Delegiertenkonferenz", bei der es um das Verhältnis der VSP zur trotzkistischen "IV. Internationale" ging. Es wurde beschlossen, daß die VSP eine aus verschiedenen Strömungen bestehende, 136 eigenständige, revolutionäre Organisation bleibe und der IV. Internationale deshalb nicht beitrete. Gleichwohl sei man um ein freundschaftliches Verhältnis zur IV. Internationale bemüht. Auf einer ordentlichen Zentralen Delegiertenkonferenz am 19./20 Juni beschloß die VSP, ihr Programm um die "neuen" Fragen Rassismus, Patriarchat, Umwelt und Globalisierung der Entwicklung zu ergänzen. In Hamburg umfaßt die VSP etwa 60 Mitglieder. Abgesehen von der Teilnahme an einigen wenigen gruppenübergreifenden Aktionen im linksextremistischen Spektrum, entwickelte sie kaum politische Aktivität. Einzige Ausnahme war die Teilnahme an der Bürgerschaftswahl im September. Die Teilnahme war nötig geworden, weil der Partei nach mehrjähriger Wahlabstinenz auf Bundesund Landesebene ansonsten der Verlust des Parteienstatus gedroht hätte. Einen öffentlich wahrnehmbaren Wahlkampf führte die VSP jedoch nicht. Ihr Ergebnis lag bei 0,0%. VOLKSFRONT GEGEN REAKTION, FASCHISMUS UND KRIEG (VF) Die VF ist eine Bündnisorganisation des BWK. Ihre Mitgliederzahl halbierte sich 1993 von 400 auf 200. Die politischen Aktivitäten der VF beschränkten sich im wesentlichen auf Bündnisaktionen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen, insbesondere der VVN-BdA, zum Thema "Antifaschismus". Im publizistischen Bereich ist die VF als Mitherausgeberin der "Antifaschistischen Nachrichten" aktiv. Die Zeitung (Auflage ca. 600) erscheint alle 14 Tage im GNN-Verlag in Köln, an dem auch der BWK und die VSP beteiligt sind. Da sich der Verlag in einer angespannnten finanziellen Situation befindet, bemühen sich die Betreiber seit längerem um zusätzliche Mitherausgeber und riefen erneut zu Spendenaktionen auf. In Hamburg richtete sich das politische Hauptaugenmerk der etwa 35 Volksfrontmitglieder auf die Mitarbeit im Wahlbündnis "Linke Alternative - Wehrt Euch!", in dem sie einen der zehn Kandidaten stellte. Die VF beteiligte sich an einem Bündnis Hamburger-Antifa-Gruppen, das gegen den Einzug rechtsextremistischer Parteien in die Bürgerschaft gegründet wurde. 137 ANARCHISTEN. AUTONOME UND SOZIALREVOLUTIONÄRF IN H A M B U R G Allgemeines Auch wenn sich die autonome Szene 1993 nur durch wenige militante Aktionen in Hamburg bemerkbar gemacht hat, besteht die Bereitschaft dieses Personenkreises, Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele einzusetzen, fort. Trotz unterschiedlicher personeller Zusammensetzung ist die zahlenmäßige Stärke Hamburger Autonomer, Sozialrevolutionäre und Anarchisten mit etwa 400 Anhängern seit Jahren verhältnismäßig konstant. Da zu bestimmten Themenkomplexen oder Demonstrationen unterschiedliche Kreise angesprochen werden, sind anlaßbezogen teilweise jedoch weit mehr Menschen mobilisierbar. Die Autonomen verfügen über keine geschlossene Ideologie. Ihre Vorstellungen über eine zukünftige Gesellschaft setzen sich sowohl aus kommunistischen als auch aus anarchistischen und syndikalistischen Ideologiefragmenten zusammen. Intensive theoretische Schulung spielt für sie im Gegensatz zu "klassischen" Kommunisten kaum eine Rolle. Bestehende Widersprüche zwischen einzelnen Gruppen werden bewußt hingenommen. Bindeglied der bundesweit etwa 5.000 Autonomen ist in erster Linie ihr gemeinsamer Haß auf den Staat und die Gesellschaft. Die Hauptbetätigungsfelder für ihre politische Arbeit sehen Autonome in den Themen Antifaschismus und Antirassismus. Beide Bereiche haben im letzten Jahr für sie an Bedeutung gewonnen. Da sie aufgrund des geänderten Asylrechts vermehrte und unzulässige Abschiebungen befürchteten, versuchten sie, mit "Farbanschlägen", Kundgebungen (z.B. vor den Flüchtlingsschiffen in Altona) oder Flugblättern Widerstand zu leisten. Oft mißbrauchen Autonome die berechtigte Empörung gegenüber rechtsextremistischen Anschlägen zu eigenen militanten Aktionen. Als am 2. Juni auf einer friedlichen Kundgebung der Opfer des Solinger Brandanschlages gedacht werden sollte, ließen Autonome diese Aktion in Gewalttätigkeiten enden. Sie lieferten sich mit der Polizei eine mehrstündige Auseinandersetzung, die zu erheblichen Sachschäden führte und mit dem eigentlichen Anliegen der Veranstaltung nichts mehr zu tun hatte. Der Brandanschlag von Solingen war auch Anlaß für die Blockade der Autobahnanschlußstelle "Horner Kreisel", wo am 31. Mai der gesamte Autoverkehr für mehrere Stunden lahmgelegt wurde. 138 Am 11. Juni demonstrierten rund 200 Personen aus dem autonomen Bereich vor dem Axel-Springer-Verlag und dem Verlagsgebäude des "Spiegel". Ebenfalls auf Solingen bezogen behaupteten sie, die Berichterstattung in den Medien leiste rechtsextremistischen Ausschreitungen Vorschub. Unter dem Motto "Aus Schlagzeilen werden Brandsätze" gaben sie der Presse eine Teilschuld an dem Anschlag. Intensiv beschäftigen sich Autonome mit den Bereichen Antiimperialismus/ Antikolonialismus. Als Verteidigungsminister der Bundesrepublik Deutschland stand der Hamburger Volker Rühe dabei besonders häufig in der Kritik. Medienöffentlichkeit erlangte in diesem Zusammenhang ein Demonstrationszug vor das Haus des Bundesverteidigungsministers am 26. Juni. Zu der Aktion hatte ein autonomes Plenum anläßlich der Wiener UN-Menschenrechtskonferenz - zusammen mit anderen Gruppen - aufgerufen. In der Auftaktkundgebung hatte ein Vertreter des autonomen Plenums zuvor der Bundesrepublik vorgeworfen, eine rassistische Politik zu betreiben und sich Interventionsbestrebungen hinzugeben. Volker Rühe sei als "Kriegsminister" und ehemaliger Generalsekretär der CDU für diese Politik mitverantwortlich. Der Beitrag endete mit der Forderung, die "TotalKriegsdienstverweigerer" und Deserteure nicht zu kriminalisieren und einem Aufruf zu Desertion und Sabotage. An der weitgehend friedlichen Demonstration beteiligten sich etwa 200 Personen. Thematisch stand die Demonstration im Zusammenhang mit dem Einsatz deutscher Soldaten in Somalia und der Diskussion um eine Beteiligung der Bundesrepublik an einer möglichen internationalen Militärintervention in ExJugoslawien. Vom "Komitee gegen den imperialistischen Krieg" (autonomer Zusammenschluß, der sich anläßlich des Golfkrieges Ende 1990 in Hamburg gegründet hat), wurde der Bundesrepublik sogar die volle Verantwortung für den Krieg im früheren Jugoslawien zugewiesen. Nach Ansicht des Komitees wolle die Regierung die Bundeswehr "marschieren" lassen, um den deutschen Konzernen ihren Anteil aus der Plünderung von Rohstoffen und der Ausbeutung der Arbeiter zu sichern. Um sich dem Kriegskurs der Bundesrepublik entgegenzustellen, sei es notwendig, Verbindung zu allen revolutionären Organisationen herzustellen, die in dem Kampf um ihre Befreiung und gegen imperialistische Ausbeutung eingebunden seien. 139 SITUATION DER ST. PAULI HAFENSTRAßE Der seit etwa drei Jahren zu beobachtende Rückgang politischer Aktivitäten der Hafenstraßenbewohner hielt auch 1993 an. Dem verbleibenden, politisch aktiven Teil gelang es nicht, feste Strukturen und kontinuierliche inhaltliche Arbeit aufzubauen. Die Bewohner bemühten sich seit April verstärkt, wieder regelmäßige interne Plena durchzuführen. Die Zusammenarbeit mit anderen Szeneeinrichtungen, wie der Roten Flora sollte intensiviert werden, nachdem man eine wachsende Isolation von der übrigen Hamburger autonomen Szene festgestellt hatte. Der Zusammenhalt mit den Nachbarn im Viertel sollte verstärkt und so ein breiter Widerstand gegen den städtischen Bebauungsplan St. Pauli Süd formiert werden. Um ihren Protest gegen die Neugestaltungspläne des Senats zu dokumentieren, drangen am 17. April sechs Vermummte in das für die Bebauung zuständige Architektenbüro ein und zerstörten das offizielle Modell zur Neugestaltung der St. Pauli Landungsbrücken. Einige Bewohner erstellten ein Alternativkonzept zum bereits beschlossenen städtischen Bebauungsplan. Um vom negativen "Hafenstraßenimage" abzurücken, entschlossen sich die Bewohner, eine Genossenschaft zu gründen und breite gesellschaftliche Kreise für den Erhalt der Häuser zu gewinnen. Dieser Vorschlag war unter den Bewohnern und auch in der autonomen Szene umstritten. Ein Beitrag in der Flora Zeitschrift "Zeck" kritisierte unter dem Tenor "Eiapopeia am Hafenrand oder die Hafenstraße auf dem Weg durch die Instanzen", daß es den Bewohnern nicht mehr um autonome Politik, sondern um den Erhalt einer Nische im System gehe. Nachdem das OLG Hamburg am 16. April in einem Urteil festgestellt hatte, daß die Bewohner sich nicht auf den Kündigungschutz des sozialen Mietrechts berufen könnten, fand am 26. April die Gründung der Genossenschaft statt. In einem Flugblatt erklärten "Einige aus dem Hafen", daß sie sich nicht wiederfänden in den Darstellungen der "Heilen Welt am Hafen". Die Themen, mit denen sie sich im Einzelnen befassen würden, seien vielfältig und reichten von der Freilassungsforderung für politische Gefangene über Sexismus und Antirassismus bis zu Solidarität mit Kurden und Kuba. Die Verfasser stellten klar: "Wir definieren uns aber nicht mehr über den Hafen. Es gibt Unterschiede und Widersprüche unter uns...". In einem weiteren Flugblatt versuchten die gleichen Verfasser, an den verloren gegangenen politischen Anspruch des Hafens anzuknüpfen. Es gehe nicht nur darum, die Räumung von Hafen und Flora zu verhindern, sondern um eine gesamtgesellschaftliche Veränderung und um soziale Gegenmacht von unten. 140 Am 25726. Juni gab das Landgericht bekannt, daß noch keine Räumungsurteile vollstreckt würden, da man abwarten wolle, ob eine am 1.September 1993 in Kraft tretende Änderung im BGB den Bewohnern nachträglich Kündigungsschutz gewähren würde. In Urteilen des Landgerichts Hamburg im November wurden die Räumungen bestätigt und unterschiedliche Fristen dafür gesetzt. Die Bewohner nahmen die Urteile ohne erkennbare Sorge auf und reichten Klage beim Bundesverfassungsgericht ein. Sie betonten stets, daß die Entscheidung über eine Räumung letztlich auf der politischen Ebene fallen würde. (Die Klage wurde Anfang 1994 vom Bundesverfassungsgericht nicht angenommen.) Parallel intensivierten die Hafenstraßenbewohner ihre Bemühungen, Prominente aus allen gesellschaftlichen Bereichen für das alternative Bebauungskonzept zu gewinnen. Im Sommer fanden Gespräche zwischen Vertretern der Flora und der Hafenstraße statt, um eine gemeinsame Offensive für den Erhalt beider Objekte zu starten. Die Diskussion war seitens der Flora von Anfang an von Skepsis geprägt. Kritisiert wurde insbesondere das Anbiedern der Hafenstraßenbewohner an Prominente, in einer Zeit, in der sie in der Szene an Unterstützung verloren hätte. Der Schulterschluß zwischen Flora und Hafenstraße mißlang auf beiden Seiten aufgrund zu vieler Vorbehalte und Unzuverlässigkeiten. Der Hafenrandverein und Bewohner versuchten mit einer Demonstration unter dem Tenor "Uns stinkt's!" am 4. Dezember erneut, ein gemeinsames solidarisches Vorgehen mit der Flora und alternativen Stadtteilinitiativen zu erzielen. Das eigenmächtige Handeln der Initiatoren, die ohne vorherige Abstimmung plakativ ein kollektives Zusammenghörigkeitsgefühl beschworen, stieß auf massive Kritik im Floraplenum. Eine Unterstützung der Demonstration wurde deshalb abgelehnt. In der Hamburger Szene hat die Hafenstraße an Symbolwert verloren, da die Bewohner in den letzten Jahren kaum noch als politischer Faktor in Erscheinung traten. Ihnen wird vorgeworfen, daß sie für sich Solidarität erwarteten, selbst aber nicht mehr bereit seien, diese gegenüber anderen zu leisten. DIE ROTE FLORA Seit seiner Entstehung im Jahre 1989 dient das Alternativ-Projekt Rote Flora einer Reihe autonomer Gruppen als Anlaufstelle und ist nach den Häusern an der Hafenstraße das bekannteste Hamburger Alternativprojekt. In der gesam141 ten linksextremistischen und autonomen Szene besitzt die Rote Flora deshalb nach wie vor einen hohen Stellenwert. Die Betreiber selbst verstehen das "autonome Stadtteilzentrum" als Angebot an die Bewohner des Schanzenviertels und St. Paulis, in einem antikapitalistischen Freiraum selbstbestimmt aktiv zu werden, sei es im Bereich Politik, Sport oder Kultur. Zwar soll die Flora ausdrücklich auch für Personen und Gruppen offen stehen, die nicht aus dem autonomen Spektrum stammen, diese müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllen: Sie dürfen weder "rassistischem" noch "patriarchalem" noch "sonstigem hierarchischen" Gedankengut anhängen. Welche Personen oder Initiativen tatsächlich in der Flora aktiv werden dürfen, entscheidet ausschließlich "das Plenum" als Entscheidungsinstanz der Flora. Seine Mitglieder treffen sich einmal wöchentlich und beraten alle Probleme der Flora. Die Flora definiert sich als "herrschaftsfreier Raum", in dem es weder staatliche noch hierarchische Überbzw. Unterordnungsverhältnisse gibt. Wer sich in der Flora politisch oder kulturell engagiert, soll dazu beitragen, daß dieses Objekt einer solidarisch orientierten Gesellschaft näherkommt, die kapitalistisches Gewinnstreben ablehnt. Öffentlichkeitsarbeit betreibt die Flora weitgehend über die Szene-Zeitschrift "Zeck". Diese Zeitschrift war ursprünglich das Publikationsblatt der Flora. Mittlerweile ist der Anspruch der Herausgeber jedoch gewachsen. Die "Zeck" wird zwar noch von der Flora herausgegeben, ist aber kein Blatt dieses Projektes mehr. Die Zeitschrift versteht sich heute als autonome StadtteilInformationsschrift, die in ihrer Berichterstattung gegen patriarchale, rassistische und kapitalistisch/imperialistische Strukturen Stellung nimmt. Die Flora ist zwar auch weiterhin Mittelpunkt der Berichterstattung, die Herausgeber berichten aber auch zu überregionalen Themen. Das politische Selbstverständnis des Stadtteilzentrums als "autonom" ist auf Veranstaltungen und Aktionen der Flora ebenso deutlich spürbar, wie bei der Bildung von "Bündnissen" u.a. mit linksextremistischen Gruppierungen gegen "Faschismus" oder "Rassismus". So beteiligten sich am 26. Mai zahlreiche Mitglieder der Flora an den teilweise auch gewalttätigen Protestaktionen gegen die Änderung des Asylrechts am gleichen Tag. Schwere Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und zahlreichen FloraAngehörigen im Karolinenviertel gab es am 2. Juni, als es im Anschluß an eine Kundgebung anläßlich des Solinger Brandanschlags zu Ausschreitungen gekommen war. 142 Zu erheblicher Unruhe im Flora-Plenum führte im Juni die Mitteilung, daß ein Funktionär der neonazistischen "Nationalen Offensive" in die unmittelbare Nachbarschaft der Flora gezogen sei. Nachdem die Flora-Angehörigen bereits einige vergebliche Versuche unternommen hatten, um den "Fascho" aus ihrem Viertel zu vertreiben", eskalierte eine erneute Demonstration vor dem Haus des Neonazis. Um die unmittelbar drohende Anwendung von Gewalt sowohl seitens des Bewohners als auch einzelner Demonstranten zu verhindern, mußte die Polizei eingreifen. Eine Beruhigung der Situation trat erst ein, nachdem der Rechtsextremist aus dem Viertel verzogen war. Im November wies die rechtsextremistische "Anti-Antifa"-Publikation "Der Einblick" auf die Existenz der Flora hin. Das "Alternativ-Projekt" ist unter der Bezeichnung "Veranstaltungszentrum Links/Anarchistischer Gruppen im Schanzenviertel" aufgeführt. Ein Jahr zuvor war die Flora bereits in der AntiAntifa-Sonderausgabe der NL-Zeitschrift "Index" als das Veranstaltungszentrum der Autonomen Gruppen und Aushängeschild für die Linken bezeichnet worden. PROTESTE GEGEN STADTENTWICKLUNG Für die autonome Szene war die "Stadtteilarbeit" auch 1993 ein wichtiges Betätigungsfeld. Dieser Bereich ist für Autonome und andere Linksextremisten besonders interessant, weil sie glauben, dort neue Angehörige für ihre Zusammenhänge rekrutieren zu können. Themenschwerpunkte innerhalb der Stadtteilarbeit waren der Widerstand gegen die "Umstrukturierung" von bestimmten Stadtvierteln und die Kampagne für den Erhalt von Wohnraum. Beide Punkte stehen in engem sachlichen Zusammenhang und bezwecken, die Bevölkerungsstruktur der "eigenen" Viertel möglichst wenig zu verändern. Dabei wurden sowohl friedliche als auch militante Aktionsformen gewählt. Bei der Agitation gegen die Umstrukturierung werfen die Autonomen der Stadt vor, in bestimmten Gebieten, vor allem im Bezirk Altona, sogenannte Luxussanierungen zu genehmigen und damit verantwortlich für die anschließenden drastischen Mieterhöhungen zu sein. Diese sei von den meisten bisherigen Mietern nicht aufzubringen, so daß sie die Wohnung verlassen müßten. Die neuen Mieter seien hingegen reich genug und würden nach und nach die Struktur des gesamten Viertels verändern. Verschärft werde diese Entwicklung 143 durch den Zuzug teurer Geschäfte und Restaurants. Sie würden durch überhöhte Preise zur Vertreibung der alteingesessenen Bewohner beitragen und eine nur auf Kommerz ausgerichtete Wohnsituation schaffen. Der Protest für den Erhalt von Wohnraum zielt in die gleiche Richtung. Schon mehrfach hätten Hauseigentümer Wohnraum absichtlich verkommen lassen, um nach genehmigtem Abriß mit dem Verkauf neugebauter Eigentumswohnungen hohe Profite zu erzielen. Die Stadt toleriere dieses Vorgehen einiger Spekulanten immer wieder und sei deshalb für die Vernichtung von Wohnraum mitverantwortlich. Aktueller Ansatzpunkt für die autonome Stadtteilarbeit war 1993 insbesondere die Auseinandersetzung um das Großprojekt "Hertie Quarree". Allein aufgrund der Größe des Objekts fürchtete die autonome Szene eine völlige Veränderung des Viertels. In Zusammenarbeit mit Bewohnern der Umgebung versuchten Autonome deshalb, die Bebauung zu verhindern. Nachdem die Hamburger Bürgerschaft der Bebauung im August 1993 endgültig zugestimmt hatte, wollte die Senatorin der Stadtentwicklungsbehörde am 7. September eine Wahlveranstaltung durchführen, was von Autonomen jedoch verhindert wurde. Aus Protest gegen die Entscheidung der Bürgerschaft störten sie die Veranstaltung so intensiv, daß sie abgebrochen werden mußte. Daß Autonome ihren Einfluß auch gegen Veränderungswünsche aus dem Viertel geltend machen, wenn sie den eigenen Vorstellungen widersprechen, mußte der Altonaer Bürgerverein erleben. Im Juni 1993 kritisierte er in einem Forderungskatalog, daß es zuviele Punker, Drogenabhängige und Bettler in seiner Wohngegend gebe. Eine gegen diesen Forderungskatalog durchgeführte Demonstration am 22. Juni verlief zunächst zwar friedlich, unter Beteiligung einiger Autonomer begannen überwiegend Punker jedoch zu randalieren und verursachten erhebliche Sachschäden. Angehörige der autonomen Szene waren es auch, die am 29. November eine Veranstaltung über die weitere Entwicklung Ottensens mit dem Hamburger CDU-Bundestagsabgeordneten und Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Jürgen Echternach im Gemeindesaal der Christuskirche in Hamburg-Altona "sprengten". Daß Echternach zuvor in der Presse Befürchtungen über eine drohende "Verslumung" bestimmter Teile Altonas, vor allem Ottensens, geäußert hatte, war offenbar für viele Autonome Anlaß genug, seinen geplanten Vortrag durch Lärmen so stark zu stören, daß die Versammlung schließlich abgebrochen werden mußte. Zusätzlich vergossen die Störer Buttersäure im Raum. 144 Als in linksextremistischen Zusammenhängen bekannt wurde, daß an der Feldstraße ein Hotel gebaut werden sollte, erschien in der autonomen Stadtteil-Zeitschrift "Zeck" eine Anzeige, in der die Initiativen "Gegen das Hotel" und "für ein freies Karoviertel" zu einer Demonstration am 11. Dezember aufriefen. In dem militant abgefaßten Aufruf erklärten die Verfasser, daß es verschiedene Möglichkeiten geben müßte, um gegen imperialistische Messebesucher vorzugehen. Es wurden Infoveranstaltungen, aber auch Besetzungen und Sabotage genannt. Die Demonstration selbst verlief bei einer Beteiligung von 60 - 80 Personen friedlich. Eher symbolischen Charakter hatten die "Hausbesetzungen". Wurde früher versucht, die Objekte längerfristig zu übernehmen und gegen die Polizei zu verteidigen, so zählten die Besetzungen 1993 eher nach Stunden und verliefen friedlich. Teilweise mit wenigen Personen und überwiegend jugendlichen Besetzern sollte auf leerstehenden Wohnraum aufmerksam gemacht werden. Offensichtlich haben sich militant eingestellte Extremisten aus diesem Bereich zurückgezogen. Die Ausnahme bildete eine Aktion am 14. Mai in Bergedorf, bei der eine 30köpfige Gruppe ein ehemaliges Firmengelände besetzte und ein zweites Wohnprojekt für Bergedorf forderte. Nachdem die Besetzer am Abend wieder abgezogen waren, kehrten sie zwei Tage später zurück. Da sie sich diesmal weigerten das Gelände zu verlassen, wurde es zwei Tage später, am 18. Mai, von der Polizei geräumt. AUTONOME ANTIFA-ARBEIT Obwohl sich der Begriff Antifa-Arbeit wörtlich nur auf Antifaschismus bezieht, gehen seine Inhalte doch weit darüber hinaus. In der Definition der Autonomen beinhaltet Antifa-Arbeit auch den Kampf gegen Kapitalismus, Imperialismus und Patriarchat. Nach ihrer Auffassung bietet die Antifa-Arbeit die besten Möglichkeiten, junge Leute zu gewinnen und zu politisieren. Zugleich sei in diesem Bereich die Bereitschaft zur Militanz am höchsten. Tatsächlich haben Antifas bereits in den achtziger Jahren begonnen, Namen und Adressen von "Faschos" zu sammeln und zu veröffentlichen. In Aufrufen zur "antifaschi Selbsthilfe" forderten autonome Antifas direkt oder indirekt zu Gewalt gegenüber tatsächlichen oder vermeintlichen Faschisten auf. Neben der Propagierung von Gewalt gegenüber dem politischen Gegner bemühen sich Autonome, im Rahmen der Antifa Aufklärungsarbeit-Arbeit über die politischen, 145 ökonomischen und gesellschaftlichen Ursachen und Folgen des Faschismus zu leisten. Verstärkt versuchen sie dafür auch die Medien zu nutzen. Um die zahlreichen Antifa-Aktivitäten in Zukunft besser koordinieren zu können, wurden 1993 die Bestrebungen zum den Aufbau bundesweiter Strukturen intensiviert (s. Kap. "Bestrebungen autonomer "Antifaschisten" zum Aufbau einer bundesweiten Organisation"). In Hamburg bestehen zahlreiche, dem autonomen Spektrum zuzurechnende Gruppen, die sich im "Antifa-Bereich" engagiert haben. Kontinuität, Effizienz und Art der Aktivitäten waren dabei ebenso unterschiedlich wie personelle Größe und Zusammensetzung der einzelnen Gruppen. So gibt es geschlechtsspezifische Zusammenhänge wie die "Frauen/Lesben-Antifa" ebenso wie eine "Autonome Männer-Antifa", es existieren Antifa-Gruppen, die sich nach ihrer regionalen Herkunft (z.B. Antifa Altona) nennen oder solche, die auf ihren Arbeitsoder Ausbildungsplatz verweisen, wie beispielsweise die HochschulAntifa, in der allerdings nur teilweise Extremisten mitarbeiten. Allgemein ist ein Wandel in der Altersstruktur der Hamburger Antifaszene zu verzeichnen. Immer häufiger sind es jugendliche, politisch unerfahrene Personen, die sich vor allem in ihren Stadtteilen gegen das Auftreten von Skins und rechtsextremistischen Jugendlichen engagieren. Eine Zusammenarbeit mit langjährig in der Antifaarbeit engagierten Autonomen findet meist nur anlaßbezogen statt. Zwar existiert seit einem Jahr mit der "Antifa-Koordination-Nord" ein Forum, in dem die Aktivitäten der Nord-Hamburger und der Umland-Antifagruppen aufeinander abgestimmt werden sollen, diesem Anspruch konnte das Gremium aber bislang nur ansatzweise gerecht werden. Das Antifa-Plenum Hamburg, ursprünglich als Koordinationsgremium der Antifa-Arbeit geplant, löste sich Anfang 1993 mangels Beteiligung selbst auf. Ob das Ende des Jahres neu entstandene Antifa-Bündnis "Kein Fußbreit den Faschisten" diese Lücke schließen kann, ist deshalb offen.Obwohl der autonomen Antifa in Hamburg ein funktionierendes, gruppenübergreifendes Plenum zur Koordination ihrer politischen Aktivitäten fehlte, waren einige gemeinsame Hamburger AntifaAktionen zu verzeichnen. So waren neugegründete, jugendliche Antifagruppen im ersten Vierteljahr besonders in Hamburg-Niendorf und im schleswigholsteinischen Halstenbek aktiv. Während es in Niendorf dabei in erster Linie um Rivalitäten von rechten und linken Jugendlichen ging, war in Halstenbek die dort ansässige Bundesgeschäftsstelle der neonazistischen FAP Anlaß für Aktionen der Antifa. Seit Ende des Jahres 1992 demonstrierten Mitglieder der Antifa wiederholt gegen das FAP-Objekt. Am 6. Februar eskalierte eine Demonstration, als einer der in der Geschäftsstelle anwesenden Neonazis mit einer Gaspistole auf die rund 1.500 Demonstranten zielte. Die Polizei 146 verhinderte durch schnelles Eindringen in die Geschäftsstelle der FAP jedoch eine mögliche gewaltsame Auseinandersetzung, so daß der Aufzug friedlich endete. Die Fähigkeit der autonomen Antifa, kurzfristig Protestpotential zu mobilisieren, zeigte sich bei einer Spontändemonstration anläßlich der Ermordung einer Freiburger Antifaschistin durch eine Paketbombe am 22. Januar. Da die Antifa unmittelbar nach der Tat an einen rechtsextremistischen Anschlag glaubte, organisierte sie nur drei Tage später bundesweit Spontankundgebungen. An der Hamburger Demonstration beteiligten sich am 25. Januar rund 500 Personen. (Erst später stellte sich heraus, daß der Täter aus dem persönlichen Umfeld stammte.) Zu gewalttätigen Ausschreitungen von seiten autonomer "Antifaschisten" kam es Ende Juni in Hamburg. Auslöser war der Brandanschlag am 29. Mai in Solingen. Ebenso wie in anderen Teilen der Bundesrepublik reagierten auch in Hamburg deutsche Linksextremisten und einige Türken mit Gewalt. Im Anschluß an eine Demonstration von rund 5.500 Personen am 2. Juni (überwiegend deutsche und ausländische Schüler) gegen die Morde in Solingen spalteten sich etwa 3.400 Teilnehmer (davon 250 Linksextremisten und zahreiche türkischen Jugendliche) ab und zogen randalierend durch die Innenstadt. Die Polizei, die versucht hatte, die Ausschreitungen einzudämmen, wurde von den Demonstranten kurze Zeit später im Schanzenviertel in eine stundenlange, militante Auseinandersetzung verwickelt. Ebenfalls gewaltsam versuchten im Juni autonome "Antifaschisten" einen Rechtsextremisten aus dem Schanzenviertel zu vertreiben. Nachdem bekannt geworden war, daß ein Mitglied der verbotenen, neonazistischen "Nationalen Offensive" direkt neben der Flora wohnt, fand am 11. Juni eine Kundgebung vor dessen Haus statt. Aus dem Kreis der rund 250 Demonstranten, die zunächst Flugblätter gegen den Neonazi verteilt hatten, löste sich eine Gruppe und versuchte, sich gewaltsam Einlaß in dessen Wohnung zu verschaffen. Zuvor hatte bereits die Juni-Ausgabe der Flora-Zeitung "Zeck" dazu aufgerufen, ihn mit vielfältigen Aktionen aus dem Schanzenviertel zu vertreiben. Ähnlich wie bei den Kundgebungen gegen die FAP-Geschäftsstelle in Halstenbek müsse eine kontinuierliche Mobilisierung gegen den "Fascho" geschaffen werden. Er verfüge über Verbindungen zu militanten faschistischen Kadern. Es sei notwendig, den "antifaschistischen Selbstschutz" zu organisieren. In den folgenden Wochen fanden Nachbarschaftstreffen statt, auf denen auch ein Steckbrief entworfen wurde, den man später in die Hausbriefkästen im Viertel verteilte. Weitere Aktionen gegen den Rechtsextremisten, der inzwischen seine Wohnung aufgegeben hat, fanden jedoch nicht statt. 147 Höhepunkt der bundesweiten Antifa-Aktivitäten war auch 1993 der Versuch, die erwartete Kundgebung von Rechtsextremisten zum Todestag des ehemaligen Hitler-Stellvertreters und verurteilten Kriegsverbrechers Rudolf Hess zu verhindern und eine öffentliche Gegendemonstration zu veranstalten. Nachdem die Antifa bereits im Frühjahr auf Bundestreffen mit ersten Planungen begonnen hatte, erschien Mitte Juli unter dem Motto "Verhindern wir den Schulterschluß der Krawattenund Stiefelnazis" ein bundesweit verbreiteter Aufruf zur Demonstration gegen den rechtsextremistischen "Rudolf-Hess-Gedenkmarsch" auf. Der Gedenkmarsch wurde als Bindeglied zwischen den verschiedenen "Fraktionen der Faschistinnen im europäischen Maßstab" bezeichnet. Da sich in der Vergangenheit gezeigt habe, daß eine Verhinderung der Gedenkfeier kaum möglich sei, sollte der Aufmarsch der Rechtsextremisten wenigstens nach Kräften behindert werden. Zugleich hoffte man, auf zwei zentralen Kundgebungen eigene politische Stärke demonstrieren zu können. Die jeweils regional vorgesehene Mobilisierung lief in Hamburg zunächst nur schleppend an. Mitte Juli gab es erste Hamburger Vorbereitungstreffen, an denen in der Mehrzahl unerfahrene Antifas teilnahmen. Da die Veranstalter des Hess-Gedenkmarsches angekündigt hatten, den tatsächlichen Kundgebungsort erst kurzfristig festzulegen, beschlossen die Autonomen nach mehreren bundesweiten Treffen, sich aufzuteilen. Ein Teil sollte in Weimar eine eigene Antifa-Kundgebung organisieren, während der andere Teil versuchen sollte, den Rechtsextremisten zu folgen und deren Aufmarsch, soweit wie möglich, zu behindern. Die Hamburger Autonomen sprachen sich geschlossen für eine Fahrt zum tatsächlichen Kundgebungsort der Rechtsextremisten aus. Wie in den vergangenen Jahren wurde mit Bussen aus Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen ein "norddeutscher Konvoi" gebildet. Bei der Abfahrt in Hamburg wurde als Reiseziel Bischofferode als tatsächlicher Kundgebungsort für die Gedenkfeier angegeben. Nach einem Zwischenstop mit Kundgebung in Duderstadt, wo die "Antifaschisten" eine Gedenkfeier rechter Gruppen vermutet hatten, setzte sich der norddeutsche Konvoi mit neun Bussen Richtung Kassel/Fulda in Bewegung. Der Versuch, gemeinsam mit "Antifaschisten" aus Berlin und Nürnberg die Gedenkfeier zu behindern, mißlang jedoch, weil die Autobahnabfahrten in Fulda von Polizeikräften gesperrt worden waren. Nachdem bekannt wurde, daß die Gedenkfeier in Fulda beendet war, traten die "Antifaschisten" ebenfalls die Heimreise an. Ein Zusammentreffen rechter und linker Demonstranten konnte dabei durch die Polizei verhindert werden. 148 In Weimar demonstrierten indes 200 Angehörige eines breiten Bündnisses linker und linksextremistischer Gruppen, die überwiegend aus den neuen Ländern angereist waren. Wie bereits im Vorjahr gelang es den Autonomen nicht, die rechtsextremistische Kundgebung zu verhindern. Eine kritische Aufarbeitung der gescheiterten Aktion fand unter den Hamburger Teilnehmern nicht statt. Allerdings wurde auf mehreren bundesweiten Nachbereitungstreffen unter Beteiligung Hamburger Antifas das Konzept für "Wunsiedel 94" diskutiert. Danach strebt man eine Mischung aus regionalen Aktionen und einer zentralen Demonstration z.B. vor einem rechten Parteibüro von überregionaler Bedeutung an. Vom bloßen Hinterherfahren hinter den Teilnehmern am "Hess-Gedenkmarsch" wollte man Abstand nehmen. Ebenfalls überregionalen Charakter hatte eine von der Hamburger "Antifa Jugendfront" organisierte Demonstration zum Jahrestag des Mordanschlages auf ein von Türken bewohntes Haus in Mölln am 27. November 1992. In einem Flugblatt forderte sie die Politiker auf, entschieden gegen rechtsextreme Aktivitäten vorzugehen und "antifaschistische Arbeit" nicht zu behindern. 500 zumeist jugendliche Antifas aus Hamburg, Berlin, Göttingen und SchleswigHolstein nahmen an der Gedenkkundgebung teil. Aufgrund der Ereignisse in Solingen und der Angriffe von Neonazis und Skins hat sich die Gruppe mittlerweile radikalisiert. Erkennbar wird diese Tendenz insbesondere im "Antifa Jugendinfo Hamburg", einer unregelmäßig von der "Antifa Jugendfront" herausgegebenen Zeitung. Eine wichtige Rolle bei der Koordination der Hamburger Antifaschismusarbeit nahm das "Antirassistische Telefon" (ArT) ein. Die Einrichtung existiert seit Oktober 1991 und erhebt den Anspruch, Informationsund Interventionsstelle in allen Fragen zu sein, die den Rassismus betreffen. Das ArT wurde von "Leuten aus unterschiedlichen politischen Zusammenhängen und Gruppen" anlaßbezogen , z.B. bei Demonstrationen rund um die Uhr besetzt und vornehmlich durch Spenden unterhalten. Neben der Auslösung von Telefonalarmketten zum Schutz vor "faschistischen Angriffen" wurde auch eine Presseund Veranstaltungsarbeit für die Rechte von Immigranten und Flüchtlingen betrieben. Im Oktober erschien die Nullnummer des Organs "Off Limits", welches das ArT gemeinsam mit verschiedenen antirassistischen Initiativen publiziert. Die zweimonatlich erscheinende Zeitschrift gibt Hintergrundinformationen über rechtsextremistische Organisationen und einen Überblick über antirassistische Arbeit in Hamburg. 149 Aktivitäten autonomer "Antifaschisten" anläßlich der Hamburger Bürgerschaftswahl am 19. September Der erste Bezug der Antifa zur Bürgerschaftswahl fand sich in einem Flugblatt der Antifa Hochschulgruppe von Anfang Juni. Unter dem Motto "Von Heuchlern und Meuchlem" wurde darin ein Zusammenhang zwischen der Abschaffung des Asylrechts und den Morden in Solingen hergestellt und zu einem Aktionstag an der Universität am 9. Juni aufgerufen. Nach Ansicht der Verfasser sei die Änderung des Asylrechtes das Fanal zu einer neuen Welle der Gewalt gegen Ausländer gewesen. Die nun einreisenden Flüchtlinge seien illegal und damit rechtlos und "Brandmaterial für Faschisten". Das Ziel antifaschistischer Politik bei den Bürgerschaftswahlen müsse es daher sein, den Einzug von DVU und Republikanern ins Parlament zu verhindern. Im Vorfeld der Wahl versuchten autonome "Antifaschisten" mehrfach rechtsextremistische Parteien zu behindern. So störten am 1. September ca. 40 Autonome eine DVU-Veranstaltung in Altona. Die Flora Zeitung "Zeck" vom Oktober berichtete von dieser Aktion. Im "Restaurant Eckhardt" habe es nur Rangeleien und Wortgefechte gegeben. Man sei mit der Aktion zufrieden, da es gelungen sei, die Veranstaltung zu sprengen. Das Restaurant habe gewußt, daß es sich um eine DVUVeranstaltung handelte, im Gegensatz zum "Restaurant Eggers" in Rahlstedt, wo eine DVU-Pressekonferenz stattfand, die Betreiber des Restaurants jedoch angeblich nichts über die Veranstalter gewußt hätten. Ziel der Antifas bleibe, Treffpunkte und Räume bekannt zu machen, die von Rechten genutzt werden würden. Den Anbietern müsse klar gemacht werden, daß eine Vermietung an Rechtsextremisten nicht geduldet werde. Am 29. Dezember wurde ein Buttersäureanschlag auf das Restaurant "Eckhardt" verübt. In der Bekennung hieß es, das Lokal sei als Tagungsort der DVU, z.B. am 1. September, bekannt. Die Verfasser erläutern: "Wir bekämpfen die DVU als Teil der rechtsradikalen, rassistischen, faschistischen Szene... Sie ist wesentlich mitverantwortlich, für Angriffe und Morde an den Menschen, die ihrem Bild ... nicht entsprechen. Das Personal und die Besitzer des Restaurents wissen das... Es war ihnen bekannt, daß es sich ... um DVU-Versammlungen handelt. Sie unterstützen somit aktiv die menschenverachtende Politik, indem sie der DVU Räume ... zur Verfügung stellen..." Mit einem Flugblatt "Die Nazis kommen" mobilisierten Antifas gegen die Tagung des Wahlprüfungsausschusses am 20. August in der Patriotischen Gesellschaft. Dort sollten auch die rechtsextremistischen Parteien NL, DVU und Republikaner ihre Kandidaten benennen. Während sich 90 Personen vor dem Gebäude der Patriotischen Gesellschaft aufhielten, drangen ca. 60 Autonome 150 in das Gebäude ein und störten die Veranstaltung mit Zwischenrufen und Farbeiern. Nur einen Tag später demonstrierten 200 Personen aus den Bereichen Flora, RAF-Umfeld, Autonome Antifas und Hafensträßler friedlich gegen die Beteiligung von rechten Parteien an der Bürgerschaftswahl. Mobilisiert wurde wegen einer später verbotenen NL-Kundgebung zur Wahl. Wie die Antifa sich ihre Auseinandersetzung mit den neonazistischen Parteien im Wahlkampf vorstellte, erhellte die Septemberausgabe der Flora-Zeitschrift "Zeck". In einem Beitrag, in dem Ideologie und politische Ziele der NL beschrieben werden, heißt es, Ziel der Antifas müsse es sein, jede Meinungsäußerung dieser Partei zu verhindern und sie als Drahtzieher faschistischer Organisationen anzugreifen. Am Abend der Hamburger Bürgerschaftswahl kam es zu einer Demonstration mit 2.000 Teilnehmern, darunter ein autonomer Block von 400 Personen, gegen DVU und Republikaner. Nach der Abschlußkundgebung auf dem Rathausmarkt zogen 300 Personen durch die Innenstadt und warfen die Schaufenster einiger Geschäfte ein. Anschließend begaben sich 150 Personen, teilweise mit Schlagstöcken ausgerüstet, zu einer Wahlparty der Republikaner im EKZ Farmsen. Beim Eintreffen der Polizei ließen sie von ihrem Vorhaben ab, die REP-Veranstaltung zu stören. Auch nach der Bürgerschaftswahl protestierten Antifas gegen den Einzug von DVU und Republikanern in die Bezirksversammlungen Bergedorf, HamburgMitte und Harburg. Am 7. Oktober versammelten sich 200 Menschen als die DVU ins Bezirksparlament Bergedorf einziehen wollte. Unter dem Tenor "Lieber raus auf die Strasse, als heim ins Reich" demonstrierte am 26. Oktober ein breites Bündnis von SAG, W N , Autonomen und Bürgerinitiativen gegen den Einzug der Republikaner ins Harburger Bezirksparlament. Ebenfalls gegen die Republikaner richtete sich am 9. November eine Demonstration von etwa 100 Personen vor dem Ortsamt Billstedt. Da an diesem Tag die konstituierende Sitzung des Ortsausschusses mit einem Mitglied der Republikaner stattfinden sollte, hatte ein Antifaschistisches Forum Bitte zum Protest aufgerufen. 151 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN ALLGEMEINE SITUATION 1993 In Hamburg leben etwa 260.000 Ausländer verschiedener Herkunft. Das sind rund 15% der Gesamtbevölkerung. Nur etwa 1.300 gehören Organisationen von Ausländern an, die der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegen. Etliche dieser Personen finden sich wiederum nur in einer dieser Gruppen zusammen, um ihre Sprache, Religion und Kultur zu pflegen sowie Unterstützung im Alltag zu erhalten, so daß aus einer Mitgliedschaft nicht zwangsläufig auf eine extremistische Haltung geschlossen werden kann. Das Hauptgewicht im Bereich des "Ausländerextremismus" liegt bei Organisationen und Gruppierungen, die aus politischen Gründen mit gewalttätigen Aktionen in Erscheinung treten. Die Aktivitäten des in diesem Rahmen beobachteten Spektrums extremistischer Gruppierungen werden in erster Linie von Konfliktund Krisensituationen bestimmt, die in den Herkunftsländern herrschen. Eine Reihe von Gruppen engagiert sich nicht nur propagandistisch für ihre Heimatorganisationen, sondern unterstützt terroristische Aktionen in ihrer Heimat durch erhebliche Geldmittel, die sie hier bei Anhängern und Sympathisanten aufbringen. Sie nutzen ihr Gastland als Operationsbasis und Agitationsfeld sowie als Ruheraum und zur Rekrutierung neuer Unterstützer. Angesichts des Anstiegs rechtsextremistischer Gewalt gegen Ausländer bestand die Besorgnis, daß sie darauf mit Gewalt reagieren könnten. 152 Nach dem Mord an türkischen Staatsangehörigen in Solingen am 29. Mai kam es im Anschluß an Protestdemonstrationen in Hamburg am 31. Mai und 2. Juni zu schweren Ausschreitungen, an denen neben Ausländern auch deutsche Extremisten beteiligt waren. Für eine Entwicklung hin zu gezielten gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Ausländerorganisationen und deutschen Rechtsextremisten gab es keine Anhaltspunkte. In dem breiten Spektrum hier aktiver militanter Gruppierungen und Organisationen waren wenige, die im vergangenen Jahr mit gewalttätigen Aktionen - wie Besetzungen oder Anschlägen - auf sich aufmerksam machten. Während die türkischen Organisationen Devrimci Sol und die TKP/M-L noch 1992 eine Reihe von zum Teil militanten Protestaktionen - u.a. gegen das türkische Generalkonsulat - ausführten, hielten sie sich 1993 zurück. Um so mehr steigerten die Anhänger der seit 1984 in der Türkei paramilitärisch vorgehenden kurdischen PKK ihre Aktivitäten. Passiv blieb die türkische Organisation "Devrimci Isci" (Revolutionärer Arbeiter), deren Anhängerzahl seit Jahren rückläufig ist. Die seit 1983 im Bundesgebiet verbotene türkische Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) fiel durch gewalttätig ausgetragene innerparteiliche Konflikte auf. Die Dev' Sol ist seit Ende 1992 in zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende Flügel gespalten. Die jeweiligen Anhänger tragen ihre Auseinandersetzungen sowohl in Schlägereien als auch unter Verwendung von Schußwaffen aus. Neben mehreren Schwerverletzten gab es im Bundesgebiet bisher ein Todesopfer bei einem Schußwechsel am 1. Mai in Berlin. Die Differenzen bestehen fort und lassen eine weitere Eskalation befürchten. Am 26. November wurde die PKK mit ihren Nebenorganisationen durch den Bundesminister des Inneren verboten, nachdem ihre Anhänger angesichts der militärisch eskalierenden Lage in der Osttürkei im Laufe des Jahres durch eine Reihe von gewalttätigen Aktionen gegen türkische Einrichtungen in der Bundesrepublik für Aufsehen gesorgt hatten, zuletzt mit einer Anschlagswelle am 4. November als Reaktion auf die Zerstörung der Stadt Lice am 22. Oktober. Durch einen der PKK zugerechneten Brandanschlag auf ein Wohngebäude kam am 4. November in Wiesbaden ein Mann ums Leben. Zwar wurden durch das Verbot die Organisationen der PKK-Anhängerschaft aufgelöst und damit zunächst ihre Aktionsfähigkeit eingeschränkt. Es bestehen jedoch Anhaltspunkte dafür, daß sich die Anhängerschaft nicht von der PKK abwendet, sondern sich konspirativ neu formiert. Eine weitere auch in Hamburg vertretene Kurdenorganisation, die-Föderation der Arbeitervereine aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (KOMKAR)." betätigte sich fast ausschließlich publizistisch. Sie hat sich der PKK angenähert. 153 Häufig gehen ausländische Extremistenorganisationen mit ideologisch nahestehenden deutschen Gruppierungen Aktionsbündnisse ein oder werden von ihnen propagandistisch unterstützt. So haben türkische und kurdische Gruppen einen festen Unterstützerkreis im Umfeld Hamburger "autonomer" Gruppen, der "Internationalismusgruppe", dem "Komitee gegen den imperialistischen Krieg" sowie - insbesondere die PKK - bei den "Freunden des kurdischen Volkes". Weniger aufsehenerregend, doch von nicht minderer Bedeutung ist der deutlich wachsende islamische Extremismus, vertreten insbesondere durch iranische und türkische Organisationen. In Hamburg sind weiterhin eine Reihe von Kleinstgruppen verschiedener Nationalitäten mit extremistischem Hintergrund vertreten, deren Aktivitäten im vergangenen Jahr ohne nennenswerte Außenwirkungen waren. AKTIVITÄTEN EINZELNER NATIONALITÄTEN IRANER Der politische Extremismus unter den in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Iranern hat seine Wurzeln in den seit Jahrzehnten andauernden politischen, religiösen und sozialen Konflikten im Iran, die sich 1979 in der islamischen Revolution und der Übernahme der Macht durch Ayatollah Khomeini entluden. Dessen Interpretation des Islam bedroht mit seinem Fundamentalismus andere Staaten und greift gegenüber Andersdenkenden zu Gewalt. Schiitische Fundamentalisten verfolgen Dissidenten und Oppositionelle weltweit und schrecken auch vor deren Liquidierung nicht zurück. Anhänger der iranischen Regierung Zu den außerhalb des Iran lebenden Anhängern der Islamischen Republik Iran zählen die in regionalen Vereinen des islamisch-extremistischen Dachverbandes "Union islamischer Studentenvereine in Europa" (U.I.S.A.) organisierten und vom Iran finanzierten iranischen Studenten. Die U.I.S.A., in Hamburg mit etwa 25 Personen vertreten, setzt sich als einzige iranische Organisation in Deutschland für die Islamische Revolution ein. Zu ihren Hauptaufgaben gehört die Propagierung der Revolutionsideen Khomeinis, die Ver154 teidigung der Islamischen Republik Iran, die Gewinnung neuer Anhänger sowie die Bekämpfung von Dissidenten und Oppositionellen. U.l.S.A.-Mitglieder sind verpflichtet, "bis zum Tode den islamischen Glauben und die islamische Revolution zu verteidigen". Maßgeblich sind U.l.S.A.-Mitglieder an der Vorbereitung und Durchführung der alljährlich im Bundesgebiet stattfindenden Großdemonstration zum "Jerusalemtag" (auch Ghods-Tag genannt) beteiligt, an der jährlich bis zu 5.000 Muslime teilnehmen, zuletzt in Berlin am 20. März. Der Leiter des "Islamischen Zentrums Hamburg e.V." hielt, wie in den vergangenen Jahren, auch während dieser Demonstration eine Rede. Der "Jerusalemtag" wurde von Khomeini ins Leben gerufen, um allen Muslimen das Ziel der Wiedereroberung von Jerusalem und die Befreiung der heiligen Stadt vom Zionismus für den Islam immer wieder vor Augen zu führen. In Hamburg verkehren U.l.S.A.-Mitglieder in der "Imam Ali Moschee" des "Islamischen Zentrums Hamburg e.V." (IZH), wo auch bundesbzw. europaweite Treffen der Organisation durchgeführt werden. Das IZH hat sich nach der Rückkehr Ayatollah Khomeinis in den Iran zu einem wichtigen Propagandainstrument der Islamischen Republik Iran für Westeuropa entwickelt. Neben regierungstreuen Iranern besuchen regelmäßig schiitische arabische Muslime, darunter Iraker und Libanesen sowie Afghanen schiitischer Glaubensrichtung und Pakistani, gelegentlich Türken und deutsche Konvertite die Veranstaltungen in der Moschee. Die jeweiligen Leiter der Moschee wurden und werden offiziell vom Iran bestimmt und eingesetzt, die finanziellen Mittel werden aus dem Iran zur Verfügung gestellt und durch Spenden von Besuchern angereichert. Das IZH stellt den dort verkehrenden Muslimen anderer Nationalitäten kostenlos Räumlichkeiten für ihre eigenen Gruppentreffen und Veranstaltungen zur Verfügung. Die iranische Regierung sowie hohe iranische Würdenträger bekräftigten mehrfach die unumkehrbare Geltung der Fatwa (einer Art göttlichen Urteils) des verstorbenen Revolutionsführers Ayatollah Khomeini vom Februar 1988 gegen den britisch-indischen Schriftsteller Salman Rushdie, der seitdem unter der ständigen Drohung eines Todesurteils leben muß. In der Vergangenheit gab es mehrere Anschläge bis hin zu Mord auf Personen, die die von Rushdie verfaßten "Satanischen Verse" übersetzten oder verlegten. Khomeini hatte seine Fatwa auch auf alle Personen erstreckt, die das Buch verbreiten. Etwa 1.000 Muslime verschiedener Nationalitäten demonstrierten am 13. Februar in Hamburg vor dem britischen Generalkonsulat gegen Rushdie. Als Veranstalter traten mehrere islamisch-extremistische Organisationen auf. 155 Gegner der iranischen Regierung Die iranische Opposition ist organisatorisch zersplittert. Sowohl im Iran als auch im Ausland fehlt ihr der Wille, sich unter einem gemeinsamen Programm sowie einer einheitlichen Führung unter Zurückstellung persönlicher Interessen zusammenzuschließen. Die Entpolitisierung der Emigranten und Schwächung der Opposition wird von den iranischen Auslandsvertretungen forciert, indem sie verstärkt zur Rückkehr in den Iran auffordern. Einzig nennenswerte iranische Oppositionsgruppe sind die Volksmodjahedin Iran. Ihrem Selbstverständnis zufolge sieht sich die Organisation als Vertreterin einer gemäßigten islamischen Ausrichtung mit annähernd sozialdemokratischer Prägung, strebt aber trotzdem den gewaltsamen Sturz des iranischen Regimes an. Die Organisation war an der Revolution gegen den Schah 1979 beteiligt, geriet aber nach dem Umsturz in Opposition zur neuen Regierung, gegen die sie seit 1981 bewaffneten Widerstand leistet. Aufgrund der früheren Unterstützung des iranischen Regierung sehen andere iranische Oppositionsgruppen in den Volksmodjahedin Iran "Verräter" und meiden jegliche Kooperation. Sie ist aufgrund ihrer streng hierarchischen und zentralistischen Struktur in der Lage, mit weltweit koordinierten Aktivitäten der Regierung mit lautstarker Propaganda und gewaltsamen Aktionen entgegenzutreten. In der Bundesrepublik Deutschland sind Anhänger der Volksmodjahedin Iran in der "Iranisch Moslemischen Studenten-Vereinigung Bundesrepublik Deutschland e.V." (IMSV) organisiert. Die Organisation vertritt vehement die Interessen des Ehepaares Massoud und Maryam Radjavi. Um beide Personen wird ein Kult betrieben, Wderspruch nicht geduldet. Im Juli wurde Maryam Radjavi zur "zukünftigen Präsidentin Irans" gewählt. Der Führungsrat, das oberste beschlußfassende Gremium der Volksmodjahedin Iran, besteht ausschließlich aus Frauen. Auch in anderen Führungsgremien sind sehr viele Frauen vertreten. Dies ist Ausdruck des hohen Stellenwertes, den die Organisation den Frauen im Befreiungskampf beimißt. Mit ständigen und eindringlichen Appellen fordert die Organisation zum Eintritt in die im Irak stationierte "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) auf, die vor Ort mit militärischen Aktionen gegen den Iran vorgeht. Nicht weniger wichtig ist der Führung die Steigerung der Spendenbereitschaft und die Werbung neuer Mitglieder. In Hamburg kann die Organisation aufgrund starker Zuwächse mehr als 100 Anhänger verzeichnen. Bundesweit finden Straßensammlungen unter der Bevölkerung statt, offiziell mit dem Ziel der Unterstützung iranischer Flücht156 ünge. Die Sammler sind mit Ausweisen und Bescheinigungen der "Flüchtlingshilfe Iran e.V." (FHI) mit Sitz in Hamburg ausgestattet. Die Führung der Organisation unternimmt weltweite Bemühungen, sich als einzige "demokratische Alternative" zur iranischen Regierung darzustellen. In Hamburg und anderen Städten der Bundesrepublik versammelten sich Anhänger der Volksmodjahedin Iran am 29. November zu kleineren Demonstrationen, um gegen die iranischen Luftangriffe auf NLA-Basen im Irak zu protestieren. Im Gegensatz zum Jahr 1992 verzichtete die IMSV auf gewalttätige, öffentlichkeitswirksame Aktionen, als das iranische Generalkonsulat in Hamburg zeitlich mit Aktionen in Bonn und München sowie im Ausland gestürmt und verwüstet wurde. Deutschland wird derzeit von der Organisation nicht als militärisches Kampfgebiet gegen den Iran, sondern als politisches Agitationsfeld und unverzichtbares Terrain für die Geldbeschaffung verstanden. Diese Möglichkeiten müssen aus Sicht der Organisation zum Überleben unbedingt erhalten bleiben. Sie ist deshalb bemüht, bei "Nadelstichaktionen" gegen in die Bundesrepublik reisende iranische Funktionsträger die erhoffte Solidarität der westlichen Öffentlichkeit nicht zu gefährden. ARABER Die politische Diskussion unter den in der Bundesrepublik lebenden Arabern wurde durch die Nahost-Friedensgespräche und den Abschluß eines israelisch-palästinensischen Friedensabkommens beherrscht. Insbesondere unter den palästinensischen Organisationen sorgte der am 13. September zwischen Israel und der "Palästinensischen Befreiungsbewegung" (PLO) unterzeichnete Grundlagenvertrag ("Declaration of principles of interim self-government arrangements") für heftige Debatten. Das Abkommen ist das erste konkrete Ergebnis der fast zweijährigen NahostFriedensverhandlungen. Es regelt den israelischen Truppenabzug aus dem Gazastreifen und aus Jericho sowie die Gewährung der Autonomie für die restlichen besetzten Gebiete und gibt einen detaillierten Zeitplan zur Umsetzung der schrittweisen palästinensischen Autonomie vor. Zehn palästinensische Gruppen, darunter die marxistisch-leninistische "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP), die "Demokratische Front für die Befreiung Palästinas" (DFLP) - beide PLO-Mitgliedsorganisationen -, die "Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando" (PFLP-GC) und die islamisch-extremistische "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) begründeten Anfang September ihre Ablehnung des Gaza-Jericho-Pianes in 157 einer Erklärung an das "palästinensisch-arabische Volk" und an die "arabischislamische Nation". Das Abkommen wurde darin als "äußerst schwerwiegendes Ereignis", "unglückselig" und "verräterisches Kapitulationsabkommen", "totale Unterwerfung unter vorausgegangene amerikanisch-zionistische Vorschläge", "Verankerung und Legalisierung der Besatzung" etc. bezeichnet. Der innerpalästinensische Kampf soll mit politischen Mitteln und nicht mit Waffen geführt werden. Die Palästinenser in Hamburg reagierten überwiegend positiv auf das GazaJericho-Abkommen. Grundsätzlich positiv war die Haltung der aus Israel stammenden Palästinenser. Die aus den besetzten Gebieten stammenden Palästinenser waren etwa gleichermaßen in Befürworter und Gegner gespalten. Während die Vertragsinhalte grundsätzlich befürwortet wurden, wurde die Rolle Arafats sehr unterschiedlich bewertet. Viele warfen ihm einen Alleingang vor. Bei PFLPund HAMAS-Anhängern in Hamburg ist die Haltung analog zur offiziellen Linie der Organisationen völlig ablehnend. Ende September veröffentlichten "Sympathisant/inn/en der PFLP u. DFLP in der BRD" in einem Flugblatt eine Erklärung zum Gaza-Jericho-Abkommen. Die Kollektivführung beider Organisationen bekräftigte darin ihre kategorische Ablehnung des Abkommens und lehnte zugleich die "korrumpierte" Führung unter Arafat ab. Sämtliche Vereinbarungen, die er treffe, werden für sie unverbindlich erklärt. Es wurde angekündigt, mit allen anderen palästinensischen Kräften, die gegen das Abkommen sind, zu beraten, mit welchen Mitteln dieses "erniedrigende" Abkommen zu Fall gebracht werden könnte. Gleichzeitig betonten die Verfasser, daß jegliche Form von Gewaltanwendung innerhalb der palästinensischen Reihen abgelehnt wird. Auch die vom Iran unterstützte schiitisch-extremistische libanesische "HIZB ALLAH" (Partei Gottes), die im Südlibanon Anschläge gegen die dort stationierten israelischen Truppen durchführt und im Libanon eine Islamische Republik nach iranischem Vorbild installieren will, ist massiv gegen das Abkommen. Ihr erklärtes Ziel ist die Auslöschung des Staates Israel und die "Befreiung" Jerusalems. Angehörige der schiitisch-irakischen Opposition, der "Hizb Al Da'Wa Al Islamiya" (Partei des islamischen Rufs/der islamischen Mission), hier vertreten durch die "Islamische Union Irakischer Studenten" (I.U.I.S.), die im Irak mit Unterstützung des Irans einen islamischen Staat nach iranischem Vorbild errichten will, lehnen das Abkommen ebenfalls ab. Unter sunnitischen Extremisten, an vorderster Stelle die "Muslimbruderschaft" (MB), die in nahezu allen arabischen Ländern verbreitet ist, stieß das GazaJericho-Abkommen gleichfalls auf Kritik. In der MB befinden sich Islamisten verschiedener Nationalitäten, darunter überwiegend Nordafrikaner, die in ihren jeweiligen Ländern einen Umsturz mit dem Ziel der Errichtung eines islamischen Staates beabsichtigen. Als Fernziel strebt die MB die Islamisierung 158 der ganzen Welt an. Je nach aktueller Ausgangssituation nutzt sie unterschiedliche Mittel, die von parlamentarischer Arbeit bis hin zum gewaltsamen Umsturz reichen. KURDEN Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Allgemeines Die Kurden sind ein Volk ohne eigenen Nationalstaat. Obwohl sie eine gemeinsame Sprache, Geschichte und Kultur verbindet, leben sie bis heute aufgeteilt auf mehrere Staaten als Minderheiten. Annähernd die Hälfte der etwa 20 Millionen Kurden lebt im Südosten der Türkei, die anderen im Iran, Irak und in Syrien. Einen vertraglich fixierten Minderheitenstatus, der es ihnen ermöglichen würde, zumindest ihre kulturelle Identität zu wahren, besitzen sie in genannten Staaten nicht. Am stärksten ist der kurdische Nationalismus in der Türkei ausgeprägt, wo die von Abdullah öcalan 1978 gegründete Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) seit zehn Jahren einen Guerilla-Krieg gegen die türkische Oberhoheit führt. Ziel der PKK ist ein selbständiger, kommunistisch geprägter Nationalstaat unter ihrer Führung. Damit unterscheidet sich die PKK von einigen kurdischen Gruppen aus dem Irak oder dem Iran, die für ihre Volksgruppe lediglich einen Autonomiestatus innerhalb des jeweiligen Staates anstreben. Von den rund 450.000 in Deutschland lebenden türkischen Kurden sind etwa 6.000 Anhänger der PKK. Die straff organisierte, marxistisch-leninistisch ausgerichtete Kaderpartei ist damit, wie bisher, die größte und aktivste Kurdenorganisation in Deutschland. Für die PKK hat die Bundesrepublik eine hohe strategische Bedeutung. Die in der Bundesrepublik lebenden Kurden stellen die größte Gruppe außerhalb der Türkei dar. Sie sind für die Finanzierung, Rekrutierung neuer Anhänger aber auch für die Öffentlichkeitsarbeit von zentraler Bedeutung. Um unter den in der Bundesrepublik lebenden Kurden größere Unterstützung zu gewinnen, wird Deutschland - nach der Türkei - zum wichtigsten "Kriegsgegner" hochstilisiert. Im Hamburger Einzugsgebiet zählt die PKK etwa 500 Anhänger, die Zahl der Sympathisanten liegt allerdings erheblich höher. 159 Bis zur Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern waren die Anhänger der PKK in der Bundesrepublik in Mitgliedsvereinen unter dem Dach der "Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FEYKA-Kurdistan) organisiert. In der Bundesrepublik war die FEYKA-Kurdistan die Basisorganisation der PKK, in der die auf Ortsebene tätigen Vereine zusammengeschlossen waren. In Hamburg war der "Kurdische Kulturverein Hamburg und Umgebung e.V." Mitglied der FEYKA-Kurdistan. Außerhalb der FEYKA gab es weitere Nebenorganisationen der PKK in Deutschland. Sie richteten sich gezielt an bestimmte Bevölkerungsschichten, z.B. Arbeiter, Jugendliche, Frauen, Intellektuelle, Gläubige oder Studenten und versuchten diese Gruppen innerhalb des PKK-"Verbundes" zu organisieren. Zur Durchsetzung ihrer Ziele gliedert sich die PKK in einen politischen und einen militärischen Arm: In die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) als Propagandaorganisation und die "Volksbefreiungsorganisation Kurdistans" (ARGK) als Kampfeinheit in der Türkei. Die ERNK hat die Aufgabe, den "Befreiungskampf propagandistisch zu unterstützen, die ARGK dient ausschließlich dem militärischen Kampf. Aktivitäten Das ganze Jahr über wurden zahlreiche, teilweise gewalttätige Aktionen der PKK-Anhänger festgestellt. Teilweise fanden Kundgebungen auch zusammen mit anderen Gruppierungen (z.B. Freunde des kurdischen Volkes, KOMKAR, DKP Hamburg, Komitee gegen den imperialistischen Krieg, Antifaschistisches Bündnis) statt. Tenor der verschiedenen Kundgebungen und Demonstrationen war in erster Linie der Protest gegen die permanenten Angriffe türkischen Militärs gegen die Zivilbevölkerung der kurdischen Städte und Dörfer. Die erste öffentliche Protestveranstaltung von Kurden und ihren Symphatisanten fand im Februar statt. Am 5. Februar zog ein rund 800-köpfiger, von ERNK-Sympathisanten angemeldeter Demonstrationszug durch Hamburg, um Solidarität mit 700 Kurden aus ganz Europa zu bekunden, die am 24. Januar in Brüssel einen Hungerstreik begonnen hatten. Der Hungerstreik in der belgischen Hauptstadt war von der PKK initiiert worden, um gegen die Angriffe türkischer Militärs auf Kurden in der Türkei zu protestieren. An der Aktion nahmen auch ca. 50 Personen aus Hamburg teil. Am Ende der Brüsseler Aktion (16. Februar) traten rund 120 Menschen auch in Hamburg für drei Tage in den Hungerstreik, um noch einmal auf das Anliegen der PKK aufmerksam zu machen. 160 Eine von der ERNK in Hamburg initiierte "Fackeldemo" unter dem Motto "Gegen die koloniale Unterdrückung Kurdistans durch den türkischen Staat" konnte am Vorabend des kurdischen Neujahrsfestes (Newroz, 20. März) sogar 1.000 Teilnehmer mobilisieren. Waren Kundgebungen und Demonstrationen in den ersten Monaten friedlich geblieben, so kam es am 3. Juni erstmals wieder zu gewalttätigen Aktionen. In Hamburg wurden türkische Einrichtungen (Banken, Reisebüros und die Turkish Airlines) von ca. 25 Jugendlichen angegriffen, wobei es zu Sachschäden kam. Die bei einer Sofortfahndung festgenommenen Personen rechtfertigten die Tat als Reaktion auf die Bombardierung kurdischer Zivilisten durch die türkische Armee. Die Übergriffe unterstrichen die bisherige "Linie" der PKK in der Bundesrepublik nur dann gegen türkische Einrichtungen vorzugehen, wenn zuvor kurdische Zivilisten in der Türkei bei Operationen der türkischen Armee getötet worden waren. In diesen Fällen folgen die gewaltsamen Proteste unmittelbar und unter konkreter Bezugnahme auf die beklagten Angriffe gegen die kurdische Zivilbevölkerung. Verluste im Rahmen militärischer Auseinandersetzungen führen dagegen nicht zu öffentlichen Reaktionen der PKK im Ausland. Am 22. Juni gab es erneut eine gewalttätige Aktion von kurdischer Seite. Vier unbekannte Personen stürmten in die Münchener Büroräume der Zeitschrift FOCUS und verwüsteten die Einrichtung. Der Anschlag wurde in Zusammenhang gebracht mit einem Interview öcalans, der darin angeblich die ausländerfeindlichen Aktionen deutscher Staatsangehöriger begrüßt haben soll (Solingen). Nach der Veröffentlichung bestritt dieser, sich in der dargestellten Weise geäußert zu haben. Am 24. Juni drangen 13 bewaffnete Personen gewaltsam in das türkische Generalkonsulat in München ein und nahmen ca. 20 Geiseln. Ziel der Geiselnahme war es, den Bundeskanzler zu veranlassen, sich öffentlich zur Kurdenproblematik und den Bombardierungen in der Türkei zu äußern. Sie drohten an, wenn die Forderung nicht erfüllt würde, das Gebäude in die Luft zu sprengen. Gegen Mitternacht ergaben sich die Geiselnehmer. Sie wurden festgenommen und ihre Waffen sichergestellt. Parallel dazu kam es im gesamten Bundesgebiet zu einer Vielzahl von Übergriffen auf türkische Banken, Reisebüros und türkische Fluglinien sowie auf türkische Generalkonsulate. Aus Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen wurden Überfälle und Verwüstungen gemeldet. 161 4 In Hamburg zertrümmerten etwa 15 bis 20 Männer mit Äxten und anderen Schlagwerkzeugen Schaufensterscheiben mehrerer türkischer Einrichtungen und verwüsteten die Innenräume. Eine Gruppe von etwa 15 Personen versuchte, das türkische Generalkonsulat zu stürmen. An dem Gebäude wurden Fensterscheiben zertrümmert. Insgesamt wurden 21 Tatverdächtige festgenommen. Aus Frankreich und der Schweiz wurden Besetzungen von diplomatischen Vertretungen gemeldet. In Bern wurde ein PKK-Angehöriger aus der Botschaft heraus erschossen. In den folgenden Tagen kam es im Bundesgebiet zu insgesamt 80 gewalttätigen Straftaten und demonstrativen Aktionen gegen diplomatische Vertretungen der Türkei bzw. gegen sonstige türkische Institutionen (Niederlassungen von Banken und Reisebüros). Es entstanden Sachschäden von ca. 2 Mio. DM. An den Aktionen beteiligten sich nach polizeilichen Einschätzungen etwa 7.000 Personen. Am 4. September fand das Kurdistan-Festival statt. An der internationalen Großveranstaltung, die anläßlich des 9. Jahrestages der Aufnahme des bewaffneten Kampfes 1984 im Frankfurter Waldstadion stattfand, nahmen zwischen 45.000 und 50.000 Personen teil. Das kurdische Folklorefestival verlief friedlich. Lediglich bei einigen Verstößen gegen die Auflage der Stadt Frankfurt/M., keinerlei Werbung für die PKK, ERNK oder ARGK zu machen, schritt die Polizei kurzfristig ein, um die Vorführung eines Videofilmes über Öcalan zu verhindern und einige PKK-Transparente zu beschlagnahmen. Aus dem Großraum Hamburg waren über 3.000 Personen nach Frankfurt gereist. Während der von Folklorevorstellungen geprägten Veranstaltung wurden Grußbotschaften verlesen. Eine weitere Großdemonstration mit etwa 15.000 Teilnehmern fand am 30. Oktober in Köln statt, nachdem am 22. Oktober in der türkischen Stadt Lice bei erneuten Angriffen des türkischen Militärs viele Zivilisten getötet worden waren. Am 4. November kam es erneut zu bundesweiten gewalttätigen Protestaktionen von Kurden gegen türkische Einrichtungen. Wie im Juni waren militärische Angriffe auf kurdische Zivilisten (in Lice) der Auslöser. In vielen Städten wurden türkische Niederlassungen und erstmals auch private Einrichtungen verwüstet oder gar in Brand gesetzt. In Wiesbaden kam bei einem Brandanschlag ein Türke ums Leben. Bundesweit wurden rund 50 Brandsätze (sogenannte Molotow-Cocktails) gezählt. In Hamburg wurden keine Anschläge verübt, da potentielle Anschlagsziele von der Polizei vorsorglich unter Bewachung gestellt worden waren. 162 Parallel zu den im Bundesgebiet registrierten Anschlägen gab es auch im benachbarten westlichen Ausland gewalttätige Aktionen der PKK. Verbot und Reaktionen der PKK Waren bereits im Sommer in Folge der gewaltsamen Aktionen der PKK, insbesondere aber aufgrund der Geiselnahme in München am 24. Juni, Überlegungen getroffen worden, die PKK zu verbieten, so veranlaßten die PKK-Anschläge am 4. November den Bundesminister des Inneren, seine Verbotsüberlegungen zu konkretisieren. Zwar bestritt die PKK jegliche Verbindungen mit den gewalttätigen Ausschreitungen, bundesweit von der Polizei durchgeführte Durchsuchungen von PKK-Hilfsorganisationen versetzten den Bundesminister des Innern jedoch in die Lage, die Verbotsverfügung zu erlassen. Obwohl noch am 20. November ca. 30.000 Kurden auf einer von der ERNK initiierten Kundgebung versuchten das sich abzeichnende Verbot zu verhindern, vollzogen am 26. November die Polizeibehörden bundesweit die Verbotsverfügung. Sie richtete sich gegen die PKK, die ERNK, Feyka-Kurdistan und verschiedene kurdische Kulturund Arbeitervereine. Bereits am selben Tag setzten in einigen Städten Demonstrationen vor den versiegelten FEYKA-Vereinszentren ein, die sich am 27. November in größerem Umfang bundesweit zum Teil mit Auseinandersetzungen mit eingesetzten Polizeikräften fortsetzten. In Hamburg kam es an diesem Tag lediglich zu einer kurzzeitigen Blockierung einer Straße durch rund 30 Anhanger der verbotenen Organisationen. Am 28. November drangen zunächst ca. 25 Personen nach Zerstörung des Siegels in die Räume des verbotenen "Kurdischen Kulturzentrums" ein. Nachdem sich die Anzahl der Besetzer im Laufe des Nachmittags auf etwa 150 - 200 erhöht hatte und eine Pressekonferenz abgehalten worden war, verließen sie am Abend die Vereinsräume jedoch friedlich. In den folgenden beiden Tagen versammelten sich erneut jeweils etwa 120 Personen vor dem Vereinsgebäude, um gegen die polizeiliche Schließung ihres Kulturzentrums zu protestieren. Da am 30. November zehn Personen das Gebäude erneut besetzt hatten und einer Aufforderung zum Verlassen nicht nachkamen, wurde das Haus von Beamten des Mobilen Einsatzkommandos der Hamburger Polizei geräumt. Letzte größere Protestaktion in Hamburg gegen das PKK-Verbot bzw. die Schließung der Vereinsräume war eine Demonstration am 2. Dezember. Auf Initiative verschiedener türkischer, kurdischer und deutscher Gruppen (u.a. 163 KOMKAR, HEVKAR, TKP-ML, BWK, Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD, Antifa Altona und PDS) protestierten ca. 2.000 Personen zunächst friedlich gegen das Verbot. Als im Anschluß an die Demonstration allerdings die Vereinsräume des verbotenen "Kurdischen Kulturzentrums" im Wallgraben 34 besetzt wurden, kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen einigen "Demonstranten" und der Polizei. Das Gebäude wurde noch in der Nacht polizeilich geräumt. Vereinsgründungen Während der zahlreichen bundesweiten Besetzungen von Vereinsräumen der verbotenen Kulturund Arbeitervereine begannen in einigen Städten Gespräche zwischen Vertretern der Kurden und Vertretern der jeweiligen Stadtverwaltungen. Als erste Stadt im Bundesgebiet zeigte sich Frankfurt bereit, die geschlossenen Vereinsräume an einen neu zu gründenden Verein zu geben, wenn sichergestellt würde, daß im Verein keine PKK-Politik vertreten wird. Voraussetzung war demzufolge, einen neuen Vorstand zu wählen, dem keine Personen angehören durften, die PKK-Interessen verfolgen. Dieses "Frankfurter Modell" wurde auch in anderen Städten des Bundesgebietes übernommen. In Hamburg führten entsprechende Gespräche zwischen kurdischen Vertretern und der Behörde für Inneres am 6. Dezember zu der Neugründung eines Vereines, der den Namen "Kurdistan Volkshaus" trägt. Bis zum 18. Dezember traten einige Kurden in den Vereinsräumen in einen Hungerstreik, um auf das Vereinsverbot vom 22. November aufmerksam zu machen. Bundesweit liefen ähnliche Aktionen. Föderation der Arbeitervereine aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (KOMKAR) KOMKAR ist ein aus 16 kurdischen Vereinen bestehender Dachverband mit bundesweit rund 400 Mitgliedern, davon unter 100 in Hamburg. Ziel ist ein föderativer kurdisch-türkischer Staat. Nach seinem Selbstverständnis vertritt der Dachverband die orthodox-kommunistischen Ziele mit nationaler Komponente der "Sozialistischen Partei Kurdistans" (PSK). Die bis Anfang des Jahres vorhandene gegenseitige Feindschaft zwischen PSK und PKK - und analog zwischen KOMKAR und FEYKA-Kurdistand bzw. den jeweiligen lokalen Untergliedungen - wurde mit einem von den Generalsekretären BURKAY (PSK) und ÖCALAN (PKK) im Zusammenhang mit dem 164 einseitigen Waffenstillstandsangebot der PKK vom März unterschriebenen Protokoll beigelegt. Dessen ungeachtet bestehen weiterhin grundsätzliche Differenzen in bezug auf Weg und Ziel des Kampfes gegen den türkischen Staat. Die PSK - mithin auch die KOMKAR - favorisiert die politische Auseinandersetzung. Sie räumt dem militärischen Kampf um ein unabhängiges Kurdistan in der gegenwärtigen Phase keinerlei Erfolgsaussichten ein und sieht einen kurdisch-türkischen Staat auf föderalistischer Basis als ein anzustrebendes realistisches Ziel an. Gewalttätige Aktivitäten des PKK-Spektrums außerhalb der Türkei werden als der kurdischen Sache abträglich kritisiert. TÜRKEN Allgemeines Unter den ausländischen Staatsangehörigen in Hamburg bilden die Türken mit etwa 70.000 Personen die größte Gruppe. Etwa 1.000 von ihnen gehören Gruppierungen an, die als extremistisch eingestuft werden. Besondere Aufmerksamkeit gilt den Gruppen, die in ihrer Heimat mit gewalttätigen Mitteln gegen die Regierung vorgehen. Ihre Anhänger, die sich als Revolutionäre verstehen, suchen sich in der Bundesrepublik Deutschland einen Ruheraum, um von hier aus den Kampf ihrer Genossen in der Heimat propagandistisch und finanziell unterstützen. In Hamburg besteht eine Reihe türkischer Gruppierungen, die in der Heimat im bewaffneten Kampf mit ihrer Regierung stehen. Das sind in erster Linie die in Deutschland verbotene Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) und die TKP/M-L (Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) mit ihren Abspaltungen. Weniger spektakulär, aber ebenfalls sicherheitsgefährdend sind die Aktivitäten islamisch-extremistischer Organisationen, die auch in Hamburg über eine große Anhängerschaft verfügen (siehe Kapitel "Islamischer Extremismus"). Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) Devrimci Sol versteht sich als marxistisch-leninistische Volksbewegung, die mit Hilfe einer bewaffneten Revolution die Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges anstrebt. Sie verfügt in der Türkei hauptsächlich in den Groß165 Städten über Organisationsstrukturen und verübt mit ihrer Nebenorganisation "Silahli Devrimci Birlikler" (Bewaffnete Revolutionäre Einheiten) Terroranschläge vorrangig auf Personen des öffentlichen Lebens. Seit ihrer Gründung 1978 wird sie für weit über 200 Tötungsdelikte verantwortlich gemacht, zu denen sie sich in der Regel auch bekennt. In Deutschland ist die Organisation seit 1983 verboten, mit derzeit etwa 650 Mitgliedern aber unter der Tarnbezeichnung Devrimci Sol Gücler (Revolutionäre Linke Kräfte) weiterhin aktiv. Eine der Hauptfinanzierungsquellen sind jährliche Spendenkampagnen, die häufig mit der Androhung von Gewalt verbunden sind. Seit Ende 1992 ist die Organisation sowohl in der Türkei als auch im Ausland in zwei sich unversöhnlich gegenüberstehende Flügel gespalten, deren Differenzen sich an der Person ihres bisher führenden Funktionärs Dursun Karatas entzündeten. Ihm werden Führungsfehler sowie fahrlässiger oder gezielter Verrat von Organisationsangehörigen vorgeworfen. Im März kam die führende Person des oppositionellen Flügels, Bedri Yagan, mit vier weiteren Funktionären in der Türkei bei einem Polizeieinsatz ums Leben. Die Verantwortung dafür wurde dem Kreis um Karatas angelastet. Seit März werden die Differenzen zwischen den Flügeln in Schlägereien und mit Schußwaffen ausgetragen. Schlägergruppen beider Seiten versuchten, mit Einschüchterungen, Drohungen und Gewaltakten die Gegenseite zur Selbstkritik, zum Einlenken und zur Abwendung vom gegnerischen Flügel zu veranlassen. Am 1. Mai wurde in Berlin bei einer derartigen Auseinandersetzung ein Anhänger des oppositionellen Flügels erschossen. Im Verlauf des vergangenen Jahres gab es mehrere Schwerverletzte insbesondere unter Anhängern des Yagan-Flügeis. Zahlreiche polizeiliche Maßnahmen im Laufe des Jahres verunsicherten die Organisation und trugen neben den internen Konflikten zu einem Rückgang ihrer öffentlichen Aktivitäten bei. Aufgrund ernstzunehmender gegenseitiger Todesdrohungen und der vorhandenen Kompromißlosigkeit und Gewaltbereitschaft beider Flügel ist unverändert mit neuen gewalttätigen Auseinandersetzungen zu rechnen. Die Anhänger beider Fraktionen sind bewaffnet und machen bei einem Aufeinandertreffen von ihren Waffen auch Gebrauch. Die Anhängerschaft in Hamburg und dem Umland wird auf bis zu 100 Personen geschätzt, Unter ihnen stellen die Yagan-Anhänger die Mehrheit. Konflikte zwischen den beiden Flügeln gab es unter Beteiligung auswärtiger Mitglieder im April. Dabei kam es mehrfach zu Handgreiflichkeiten und Zerstörungen im damaligen Vereinslokal. 166 Die faktische Spaltung der Organisation führte zu einem deutlichen Rückgang ihrer Aktivitäten in Hamburg. Während 1992 noch eine Reihe z.T. gewalttätiger Aktionen der Dev' Sol zu verzeichnen waren, sorgten sie im vergangenen Jahr nur einmal für Aufmerksamkeit: Am 7. März verübten sie einen Anschlag auf das türkische Generalkonsulat, nachdem am Vortag fünf ihrerFunktionäre in der Türkei bei Polizeirazzien getötet worden waren. TKP/M-L Die 1972 gegründete TKP/M-L strebt in der Türkei mit ihrer Frontorganisation, der "Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO), den revolutionären Umsturz an. Sie kündigte offen an, den Guerillakampf weiterzuentwickeln und auszudehnen. Dabei steht sie nicht in Gegnerschaft zur PKK, sondern ist sich mit dieser im Kampf gegen die "faschistische" Türkei einig. Die TKP/M-L versteht sich als türkische Sektion des militantmaoistischen Dachverbands "Revolutionäre Internationalistische Bewegung" (RIM), der auch der terroristische "Sendero Luminoso" in Peru angehört. Die politische Arbeit der TKP/M-L wird in Deutschland von der "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." ( ATIF ) unterstützt, der etwa 1.600 Mitglieder zugerechnet werden. In Hamburg hat sie etwa 70 Anhänger. Wie andere extremistische Türkenorganisationen auch, sammelt sie unter Mitgliedern und Sympathisanten in Deutschland erhebliche Spendensummen, um sie für die Heimatorganisation in die Türkei zu transferieren. Auch hier wurden Einzelfälle von Spendenerpressung bekannt. Deutliches Beispiel für die Militanz der TKP/M-L war die Ermordung eines "Verräters" am 12. Dezember in Duisburg, zu dem sich die Organisation auch öffentlich bekannte. Bundesweit engagierte sich die TKP/M-L in Solidaritätsaktionen für den in Peru inhaftierten Führer der Terrororganisation "Sendero Luminoso", Guzman. In diesem Zusammenhang beteiligten sich ihre Anhänger am 15. Mai an einer Demonstration des "Hamburger Komitees zur Verteidigung des Lebens von Dr. Guzman". Auf die Festnahme mehrerer Parteifunktionäre in der Türkei reagierten Anhänger und Sympathisanten der TKP/M-L in mehreren Städten mit Protestaktionen. In Hamburg besetzten sie am 28. April vorübergehend eine türkische Bank und demonstrierten anschließend spontan gegen die Verhaftungen. 167 ISLAMISCHER EXTREMISMUS Allgemeines Die meisten der hier ansässigen Ausländer aus der Türkei und dem Nahen Osten bekennen sich zum Islam. Darunter sind Gläubige beider Richtungen vertreten, sowohl Schiiten als auch Sunniten. Die Ausübung der islamischen Religion ist durch die grundgesetzlich garantierte Religionsfreiheit im Rahmen der Gesetze gewährleistet. Diese Freiheit wird dort übertreten, wo Anhänger des Islam danach streben, Staat und Gesellschaft den Regeln des Korans und des islamischen Rechts unterzuordnen, also eine theokratische Staatsordnung zu errichten. Diese Position, als islamisch-extremistisch bezeichnet, wird in der Regel von antijüdischer Agitation begleitet. Organisationen, die dieses Gedankengut vertreten, stehen zum Grundgesetz, zu Pluralismus und Rechtsstaatlichkeit sowie zu der in Deutschland gebotenen weltanschaulichen Neutralität und Toleranz des Staates in Widerspruch. Die islamischen Extremistengruppen bilden den mitgliederstärksten Bereich des Ausländerextremismus. Ihre Positionen vertreten sie in Deutschland sowohl in verdeckter als auch offener Form und in unterschiedlicher Aggressivität. Nicht zu diesen Organisationen zählen die Einrichtungen und Moscheen der von staatlicher türkischer Seite unterstützten Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB). Gemeinsames Ziel der islamischen türkischen Extremistengruppen ist die Abschaffung des jetzigen türkischen politischen Systems und die Errichtung eines islamischen Staates. Die in ihren Äußerungen radikalste islamisch-extremistische Organisation, der von Cemaleddin Kaplan geführte türkische "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB) hat mehrfach offen erklärt, Demokratie sei mit dem Islam unvereinbar und zum Sturz der türkischen Regierung aufgerufen. Der Verband verfügt in Deutschland über mehr als 4.000 Mitglieder und konnte in der Vergangenheit bis zu 8.000 Personen für seine Veranstaltungen mobilisieren. In Hamburg besteht keine Organisationsstruktur des ICCB. Da168 gegen verfügt die von ihm 1989 abgespaltene "Islamische Bewegung" (IH) in Hamburg über einen Stützpunkt. Ebenfalls eine "Islamische Republik Türkei" strebt die türkische "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) an. Für dieses Ziel und zur Ausweitung des Islam in Europa entwickelt sie vielfältige Aktivitäten. Sie übt in Hamburg über ihre Zentralmoschee und ein Dutzend weiterer Moscheen im Umland, die auch von zahlreichen Besuchern anderer Nationalitäten aufgesucht werden, einen erheblichen Einfluß aus. Gewalttaten von Anhängern islamisch-extremistischer Organisationen wurden in Deutschland bisher nicht festgestellt. Die türkische "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) Die "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) ist mit Abstand die mitgliederstärkste türkische Extremistenorganisation. Sie verfügt in Deutschland über mindestens 15.000 Mitglieder. Die AMGT strebt mit politischen Mitteln eine "Islamische Republik Türkei" unter Führung der Refah Partisi (RP) an, die sie publizistisch und finanziell sowie mit intensiver Wahlwerbung unterstützt. Mit ihren Veröffentlichungen vertritt sie Positionen, die sich insbesondere gegen Juden und den Staat Israel richten. Dies geschieht auf eine Weise, die dem Gebot der Toleranz zwischen den Religionsgemeinschaften und dem Gedanken der Völkerverständigung widerspricht. Die auf Expansion bedachte Organisation ist mit erheblicher Finanzkraft ausgestattet. Durch Neugründung von Moscheen verbunden mit dem Erwerb von Grundstücken sowie mit Hilfe ihrer für verschiedene Bereiche eingerichteten Nebenorganisationen (Jugendliche, Frauen, Wissenschaftler, Studenten) erweitert sie sich ständig. Seit geraumer Zeit ist sie bemüht, in demokratischen regionalen und überregionalen Organisationszusammenschlüssen ihren Einfluß auszudehnen. Die öffentlichen Aktivitäten blieben allerdings gering. Einzige Ausnahme war eine Demonstration in Dortmund am 9. Mai für die Moslems in Bosnien-Herzegowina, an der etwa 7.000 Personen teilnahmen. In Hamburg wird die Mitgliedszahl auf mehr als 300 Personen geschätzt. Zum AMGT-Bezirk Hamburg gehören neben den sieben Hamburger Moscheen weitere sechs im Umland. Der Einflußbereich der AMGT übersteigt die Zahl der Mitglieder erheblich. Allein in die Zentralmoschee kommen täglich etwa 100, vereinzelt bis zu 1.000 Besucher. Wie im Bundesgebiet trat die AMGT 169 auch in Hamburg öffentlich kaum in Erscheinung. Einzig nennenswerte Aktion war eine Demonstration am 13. Februar gegen die Veröffentlichung der türkischen Übersetzung von Salman Rushdies "Satanischen Versen", zu der sie gemeinsam mit der Islamischen Bewegung aufgerufen hatte. An der Veranstaltung nahmen etwa 1.000 Personen teil. Erstmals wandte sich die AMGT auch über das Fernsehen an die Öffentlichkeit. In fünf einstündigen, selbstproduzierten TV-Beiträgen, die im "Offenen Kanal Hamburg" ausgestrahlt wurden, versuchte sie, das Medium Fernsehen zur Weiterverbreitung ihrer "Lehre" und zu verbalen Angriffen auf Israel oder Amerika zu nutzen. So wurde im April unkommentiert die Aufzeichnung eines Kindertheaters gesendet, in dem ein islamisch gekleidetes Mädchen mehrfach antisemitische Äußerungen machte (z.B. "Ihr Juden-Bestien!"). Im Oktober kam in einem AMGT-Beitrag ein zum Islam übergetretener Schweizer zu Wort, der erklärte: "Deutschland ist viel zu wichtig, als daß man es den Amerikanern und den Zionisten und dieser Mafia in Paris und London überlassen soll, Deutschland den Deutschen und den Moslemen!" Die "Islamische Bewegung" Die "Islamische Bewegung" (IH) ist 1989 als Abspaltung vom Kaplan-Verband (ICCB) entstanden, nachdem sich dieser vom iranischen Einfluß abgewandt hatte. Die Moschee der Islamischen Bewegung in Wilhelmsburg wird von einem Verein "Zentrum für Forschung und Kultur des Islam e.V." getragen. In der Moschee ausliegende Schriften weisen auf die Nähe der IH zum Iran und die Ablehnung eines laizistischen Staatswesens hin. Die IH polemisiert in Flugschriften gegen die Juden, die sie als historische Feinde des Islam, als Verbrecher und Terroristen bezeichnet. Die Anhängerschaft wird bundesweit auf 250 Personen geschätzt. In Hamburg beträgt die Zahl der Mitglieder mindestens 30. 170 STICHWORTVERZEICHNIS . A Aktion Rostock bleibt deutsch, 82 Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA), 35; 89 Aktionsgemeinschaften, 33 AMGT, 169 analyse und kritik (ak), 133 Anarchisten, Autonome und Sozialrevolutionäre, 138 Andrejewski, Michael, 81; 82 Anti-Antifa, 20; 33; 39; 86; 89 Anti-Lager-Kampagne, 112; 113 Antifa, 145 Antifa Jugendinfo Hamburg, 149 Antifa-Koordination-Nord, 146 Antifa-Plenum, 146 Antifaschismus, 104; 109; 138 Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO), 114; 121 Antifaschistische Nachrichten, 137 Antifaschistische Selbsthilfe, 104 Antifaschistisches Bündnis, 160 Antiimperialismus, 109; 139 Antiimperialistische Widerstandszelle Nadia Shehadah (AIW), 101; 126 Antirassismus, 104; 109; 138 Antirassistisches Telefon (ArT), 113; 149 Antisemitismus, 22 Apfel, Holger, 85 Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD (AB), 132 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), 101; 153; 159; 163 ARGK, 160 Arranca, 120 ATIF, 167 Aufbruch, 80 August-Papier, 120 Auschwitzlüge, 49; 50 Ausmerzverhältnis, 119 Autonome, 108; 112; 144 Autonome Antifa, 145; 151 171 Autonome Antifa (M), 114; 121 Autonome Zelle "Sadri Berisha", 117 Autonome Zelle HH, 117 Autonomes Stadtteilzentrum, 142 B Bad Kleinen, 120 Bahama News, 134 Benoist, Alain de, 46; 48 Bosch, Udo, 75 Böttcher, Ernst-Ulrich, 75 Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V., 31 Bund Westdeutscher Kommunisten (BWK), 132 Bundestagsblockade, 111 Busse, Friedhelm, 79 C Christophersen, Thies, 49 D Deckert, Günther, 83 Deeskalation, 118 Dellwo, Karl Heinz, 100 Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP), 157 DESG-Inform, 44 Deutsch-Europäische Studiengesellschaft (DESG), 32 Deutsche Kommunistische Partei (DKP), 107; 110; 128; 160 Deutsche Kulturgemeinschaft (DKG), 31 Deutsche Kulturgemeinschaft Europäischen Geistes (DKEG), 31 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH), 19; 30; 63 Deutsche Nationalzeitung (DNZ), 66 Deutsche Rundschau, 64 Deutsche Volksunion (DVU), 18; 29; 65; 81; 150; 151 Deutsche Wochenzeitung (DWZ), 66 Deutschen Nationalisten (DN), 28 Deutsches Rechtsbüro (DRB), 42 DevrimciSol, 101; 153; 165 Devrimci Sol Gücler, 166 DFLP, 157 Die Nordlichter, 64 Direkte Aktion/Mitteldeutschland (JF), 28 Dritte Position" ("International Third Position", ITP), 87 172 E Edelweißpiraten, 116 Einblick, 20; 34; 40; 143 Einheitsfront, 93 EinSatz, 115 Elemente der Metapolitik zur europäischen Neugeburt, 48 Entrismus, 135 ERNK, 160; 163 Etappe, 48 Ethnopluralismus, 47 Europa Vorn, 48 Ex-KB-Mehrheit, 133 F Fatwa, 155 Faurisson, Robert, 23; 49 FEYKA, 160; 163 Fiete-Schulze-Zentrum, 131 Flüchtlingshilfe Iran e.V., 157 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (AUF), 167 Föderation der Arbeitervereine aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (KOMKAR), 153; 160; 164 Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan), 160; 163 Folkerts, Knut, 100 Förderverein Vereinigte Rechte, 63 Förderwerk Mitteldeutsche Jugend (FMJ), 28 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), 19; 28; 78; 99 Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenhandel, 66 Freunde des kurdischen Volkes, 154; 160 Freundesund Förderkreis der JN Hamburg und Schleswig-Holstein, 86 Freundeskreis Ulrich von Hütten e.V, 31 Frey, Dr. Gerhard, 18; 29; 65; 76 Frontpapier, 127 G G.R.E.C.E (Groupement de recherche et d'etude pour la civilisation europPSenne, 46 Gedenkstätte Ernst Thälmann, 131 173 Germania-Rundbrief, 51 Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung (GfbAEV), 31 Gesellschaft für freie Publizistik (GFP), 31 Glasauer, Franz, 64 GNN-Gesellschaften für Nachrichtenerfassung und Nachrichtenverbreitung mbH, 133; 137 Goertz, Andre, 80 Grams, Wolfgang, 120 Gruppe AVANTI - IV. Internationale, 135 Gruppe K, 134 H Hafenstraße, 125; 140; 151 HAMAS, 157 Hamburger Liste für Ausländerstopp (HLA), 29; 80 Harder, Ulrich, 81; 84 Haule, Eva, 119 Hausbesetzungen, 145 Hepp/Kexel-Gruppe, 60 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG), 19; 28 Hizb Allah (Partei Gottes), 158 HLANachrichten, 81 HNG-Nachrichten, 44 Hogefeld, Birgit, 120; 121 Hübner, Frank, 35; 64 I I.U.I.S., 158 IH, 170 Index, 24; 33; 39; 89; 143 Infoläden, 111 Interim, 106 Internationale (Vierte), 136 Internationalismus, 130 Iranisch Moslemische Studenten-Vereinigung Bundesrepublik Deutschland e.V., 156 Irving, David, 23; 50; 52 Islamische Bewegung (IH), 170 Islamische Union Irakischer Studenten (LU.LS.), 158 174 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS), 157 Islamischer Extremismus, 168 Islamisches Zentrum Hamburg e.V., 155 J Jamrowski, Werner, 74 Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE), 135 Junge Freiheit, 49; 106 Junge Kommunistinnen (JUKO), 131 Junge Nationaldemokraten (JN), 18; 29; 84 Junger Norden, 86 Junges Forum, 48 Junges Franken - Zeitschrift für die Sache des Volkes, 80 JVA Weiterstadt, 118; 119 K Karatas, Dursun, 166 Käs, Christian, 75 KB-Minderheit, 134 Klar, Christian, 100; 119 Komitee für soziale Verteidigung (KfsV), 135 Komitee gegen den imperialistischen Krieg, 154; 160 KOMKAR, 153; 160; 164 Kommando "Katharina Hammerschmidt", 119 Kommunikationsmittel, 36 Konservative Revolution, 21; 26; 45 Krause, Dr. Rudolf, 73 Kühnen, Michael, 28; 35; 78; 88 Kurdischer Kulturverein Hamburg und Umgebung e.V., 160 Kurdisches Kulturzentrum, 163 Kurdistan Volkshaus, 164 Küssel, Gottfried, 94 L Lauck, Gary Rex, 27; 60 Leuchter, Fred A., 51; 53; 94 Linksextremisten, Anzahl, 107 Linksextremistisch motivierte Straftaten, 116 Linksextremistische Gewalttaten, 103 Lokalberichte Hamburg, 132 M Magda-Thürey-Zentrum, 132 Mailboxen, 36; 38 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), 107; 134 Marxistische Gruppe (MG), 107 Marxistischer Studentenbund Spartakus (MSB), 110 Massoud, 156 Mäxchen Treuherz, 43 Mecklenburg-Vorpommern bleibt unser (MBU), 82 Mies, Herbert, 109 Mohnhaupt, Brigitte, 100; 119; 122 Möller, Irmgard, 125 Münsing, 44 Muslimbruderschaft (MB), 158 N Nation und Europa, 44; 48; 64 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), 18; 29; 82 Nationaldemokratischer Hochschulbund (NHB), 29; 87 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK), 160; 163 Nationale Liste (NL), 28; 33; 88; 99 Nationales Info-Telefon, 25; 36; 37 Nationalismus, 21 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO), 27; 60 Neonazis, 19; 27 Neue Rechte, 21; 26; 45 Nouvelle Droite, 21; 45 NS-Kampfruf, 60 O Off Limits, 113; 149 Ohm, 113 Oi-Musik, 96 Ö Öcalan, Abdullah, 159; 164 P Pape, Martin, 78 PFLP, 157 PFLP-GC, 157 PKK, 101; 153; 159; 163 176 Pohl, Helmut, 100; 119; 122 Politische Berichte, 132 R Radjavi, Maryam, 156 RAF-Umfeld, 123; 151 Rassismus, 22 Rebell, 134 Rechtsextremisten, Anzahl, 16 Rechtsextremisten, militante, 95 Rechtsextremistische Einheitsfront, 33 Rechtsextremistische Gewalt, 13 Rechtsextremistische Straftaten, 54 Rechtsterrorismus, 14; 59 Refah Partisi (RP), 169 Reimers, Rudolf, 68 Remer Depesche, 52 Remer, Otto-Ernst, 52; 53 Republikaner (REP), 18; 30; 71; 151 Revisionismus, 22; 49 Revolutionäre Zellen (RZ), 102 Rieger, Jürgen, 24; 60; 85 Rote Armee Fraktion (RAF), 100; 118 Rote Flora, 140; 141; 151 Rote Zora, 102 Roter Tisch, 129 Rouhs, Manfred, 48 Rudolf-Hess-Gedenkmarsch, 38; 148 S Schirinowski, Wladimir, 67 Schönhuber, Franz, 30; 71 Sedelmaier, Gisela, 43 Sendero Luminoso, 167 Silahli Devrimci Birlikler, 166 Skinheads, 20; 95 Soziale Gegenmacht von unten, 119; 125 Sozialistische Arbeitergruppe (SAG), 135 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ), 110 Sozialistische Partei Kurdistans (PSK), 164 Spartakist Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD), 135 Staatsbriefe, 48 Stadtguerilla, 127 Stadtteilarbeit, 143 Stäglich, Wilhelm, 49 Standarte, 80 Storr, Andreas, 85 Swing, 107 T TagX, 111 Taufer, Lutz, 100 Thule-Netzwerk, 38 Thule-Seminar, 48 TKP/M-L, 153; 167 Trotzkisten, 107; 135 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO), 167 U U.I.S.A, 154 Umstrukturierung, 143 Union islamischer Studentenvereine in Europa (U.I.S.A.), 154 Unsere Zeit (UZ), 109 Unvereinbarkeitsbeschlüsse, 16; 34 V Verbote, 13; 28 Vereinigte Sozialistische Partei (VSP), 110; 136 Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT), 169 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN/BdA), 110 Verfassungswidrigkeit, 25; 79; 95 Verlage und Vertriebsdienste, 17 Vernetzung, 14; 32 Volksbefreiungsorganisation Kurdistans (ARGK), 160 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), 157 Volksfront für die Befreiung Palästinas - Generalkommando (PFLP-GC), 157 Volksfront gegen Reaktion, Faschismus und Krieg (VF), 137 Volksfront von rechts, 33; 93 Volksfront-Strategie, 111 Volksmodjahedin Iran, 156 178 VORAN, 135 Vorderste Front - Zeitschrift für politische Theorie und Strategie, 87 W Wehrsportgruppe Hoffmann, 59 White Power, 97 Wiking-Jugend (WJ), 32 Wir selbst, 48 Worch, Christian, 20; 33; 39; 89 Wulff, Thomas, 89 Y Yagan, Bedri, 166 Z Zeck, 121; 140; 142; 145; 151 Zeitenwende, 48 Zündel, Ernst, 23; 51 r - * FAIRSTÄNDNIS Die Innenminister von Bund und Ländern