Verfassungsschutzbericht 2019 Vorwort des Bundesministers des Innern, für Bau und Heimat Horst Seehofer Der Verfassungsschutz ist das Immunsystem unserer freiheitlichen Gesellschaft. Das hat auch das Jahr 2019 wieder gezeigt: Wir müssen weiterhin wachsam und wehrhaft sein. Denn nur, wenn unsere Sicherheitsbehörden über die verschiedenen Gruppen und Unterstützer im Bilde sind, die gegen unsere freiheitlichen Werte und demokratische Grundordnung agieren, können wir unsere offene Gesellschaft wirksam schützen. Diese Aufklärung und Wissensaufbereitung ist Aufgabe unseres Verfassungsschutzes und des vorliegenden Jahresberichts. Antisemitismus, Fremdenund Islamfeindlichkeit bilden auch im Berichtsjahr 2019 Schwerpunkte rechtsextremistischer Agitation. Gerade der bei Rechtsextremisten strömungsübergreifend auftretende Antisemitismus schlägt sich in einem Anstieg antisemitischer Gewalttaten nieder. Insgesamt ist die Zahl der Gewalttaten im Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität (PMK) - rechts" im Berichtsjahr zwar gesunken. Allerdings wies das Jahr 2019 mit dem Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke und dem Anschlagsgeschehen in Halle (Saale) erschreckende rechtsextremistische Tötungsdelikte auf. Auch als Reaktion auf diese schrecklichen Bluttaten habe ich zahlreiche personelle und organisatorische Maßnahmen in den Sicherheitsbehörden sowie legislative Maßnahmen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus veranlasst. Im Bereich des Linksextremismus ist - neben zahlreichen Sachbeschädigungen und Brandstiftungen - insbesondere in der direkten Auseinandersetzung mit Polizeibediensteten und politischen 3 Kontrahenten festzustellen, dass die Hemmschwelle der Gewalttäter kontinuierlich sinkt. Eine Vielzahl verletzter Personen und ein geschätzter Sachschaden in dreistelliger Millionenhöhe sind die Folgen linksextremistischer Strafund Gewalttaten in Deutschland 2019. Auch "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" verbreiten weiterhin ihr krudes Gedankengut im Internet und bedrohen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Ämtern und Behörden mit Schreiben oder gehen diese sogar körperlich an. Hervorzuheben bleibt die Waffenaffinität vieler "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Es freut mich besonders, dass es uns in enger Zusammenarbeit mit den Waffenbehörden gelungen ist, eine Vielzahl der waffenrechtlichen Erlaubnisse von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" zu entziehen. Nach wie vor wird Deutschland von jihadistischen Organisationen als Feind wahrgenommen und steht unverändert in deren Zielspektrum. Die erneute Verhinderung von islamistisch motivierten Anschlägen im vergangenen Jahr ist hierfür ein eindrücklicher Beleg. Der Verfassungsschutz spielt dabei ebenso eine zentrale Rolle wie bei der Beobachtung der salafistischen Szene. Diese hat im vergangenen Jahr einen erneuten Zuwachs verzeichnet. Die Bemühungen von Sicherheitsbehörden und ihren zivilgesellschaftlichen Partnern bleiben der richtige Ansatz, um der islamistischen Gefahr gesamtgesellschaftlich, ganzheitlich und wirksam entgegenzutreten. Bestimmte ausländische Staaten setzen alle zur Verfügung stehenden Mittel und Wege des verdeckten Agierens ein, um mittels Spionage und Einflussnahme ihre Interessen zum Nachteil unseres Landes zu verfolgen. Dies gilt sowohl für die geheime und illegale Informationsbeschaffung als auch für die gerade in Krisenzeiten verstärkt initiierten Desinformationskampagnen, die auf die Destabilisierung unserer freiheitlichen Gesellschaft ausgerichtet sind. Die fortschreitende Digitalisierung vergrößert die Angriffsfläche für Cyberangriffe, die daher neben den "klassischen" Spionagemethoden vor allem auch für fremde Nachrichtendienste effektive Optionen bieten, sich wertige Informationen mit einem vergleichsweise geringen Entdeckungsrisiko zu beschaffen. Schließlich leisten Staat, Wirtschaft und Wissenschaft im Dachbündnis "Initiative 4 Wirtschaftsschutz" für im Fadenkreuz analoger und digitaler Angriffe stehende deutsche Unternehmen Hilfe zur Selbsthilfe. Eine der fundamentalen Aufgaben unseres demokratischen Staates ist es, die Sicherheit und Freiheit unserer Bürgerinnen und Bürger zu garantieren. Freiheit in stabiler Sicherheit ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Mein herzlicher Dank gilt daher allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz, die weiterhin mit großem Engagement und hoher Sachkunde die vielfältigen und zahlreichen Herausforderungen bewältigen und dabei helfen, unser Land jeden Tag ein Stück sicherer zu machen. Horst Seehofer Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat 5 INHALTSVERZEICHNIS Inhaltsverzeichnis Verfassungsschutz - ein unverzichtbares Instrument der wehrhaften Demokratie I. "Frühwarnsystem" Verfassungsschutz 15 II. Kontrolle des Verfassungsschutzes 17 III. Verfassungsschutz durch Aufklärung 18 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK 22 II. Gesamtüberblick PMK 23 III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 24 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 24 1.1 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten 26 1.1.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund 27 1.1.2 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten 28 1.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 29 2. Extremistische Straftaten von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" 30 3. Linksextremistisch motivierte Straftaten 32 3.1 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten 33 3.1.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 35 3.1.2 Gewalttaten von Linksextremisten gegen die Polizei/ Sicherheitsbehörden 36 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 37 4. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" 38 4.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 40 5. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität - ausländische Ideologie" 41 5.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 43 6 INHALTSVERZEICHNIS Rechtsextremismus/rechtsextremistischer Terrorismus I. Überblick 46 1. Entwicklungstendenzen 46 2. Personenpotenzial 53 II. Gewalt und rechtsterroristische Ansätze 54 1. Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten 54 2. Versuchtes Tötungsdelikt in Wächtersbach (Hessen) 55 3. Anschlag auf eine Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) am 9. Oktober 2019 56 4. Staatliche Maßnahmen 57 III. Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus 59 1. Methoden, Zielsetzung und Wirkungsweisen rechtsextremistischer Online-Netzwerke am Beispiel "Reconquista Germanica" 59 2. Rechtsextremistische Kampfsportszene im Fokus behördlicher Maßnahmen 61 3. Großveranstaltungen mit Musik und Redebeiträgen 63 4. Antisemitismus im Rechtsextremismus 66 5. Auslandsbeziehungen deutscher Rechtsextremisten 69 6. Rechtsextremistische Publikationen 71 7. Zeitzeugenvorträge als spektrenübergreifende Kontaktund Vernetzungsmöglichkeit 74 IV. Rechtsextremistisches Parteienspektrum 75 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 75 2. "DIE RECHTE" 78 3. "Der III. Weg" 80 V. Rechtsextremistische Verdachtsfälle innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD) 83 1. Verdachtsfall "Der Flügel" 83 2. Verdachtsfall "Junge Alternative für Deutschland" (JA) 87 VI. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) 90 VII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 93 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 93 1.1 "Junge Nationalisten" (JN) 95 1.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 96 1.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) 96 1.4 "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" (DS Verlag) 97 2. "DIE RECHTE" 98 3. "Der III. Weg" 99 4. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) 100 7 INHALTSVERZEICHNIS "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" I. Überblick 102 1. Entwicklungstendenzen 103 2. Erscheinungsformen 104 II. Gewalt und Militanz 106 III. Gefährdungspotenzial 107 IV. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 109 1. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 109 Linksextremismus I. Überblick 112 1. Entwicklungstendenzen 113 2. Entwicklung des Personenpotenzials 116 II. Linksextremistische Strukturen 116 1. Gewaltorientierte Linksextremisten 117 1.1 Autonome 117 1.2 Anarchisten 120 1.3 Gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten 121 2. Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten und sonstige Linksextremisten 123 2.1 Linksextremistische Parteien 123 2.1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 124 2.1.2 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 124 2.1.3 "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP) 125 2.2 "Rote Hilfe e.V." 126 III. Linksextremistische Gewalt 128 1. Funktion der Gewalt 129 2. Formen der Gewalt 131 3. Ziele der Gewalt 133 IV. Linksextremistische Vernetzungsbestrebungen 139 1. Vernetzungen innerhalb der linksextremistischen Szene 140 2. Beeinflussung demokratischer Diskurse 141 3. Vernetzungen mit Linksextremisten im Ausland 143 4. Vernetzungen ins ausländerextremistische Spektrum 144 V. Verdachtsfall "de.indymedia" 145 VI. Gefährdungspotenzial 148 VII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 151 1. "Interventionistische Linke" (IL) 151 8 INHALTSVERZEICHNIS 2. "...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis" (uG) 153 3. "Perspektive Kommunismus" (PK) 155 4. "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU) 156 5. "Gruppe ArbeiterInnenmacht" (GAM), deutsche Sektion der "Liga für die Fünfte Internationale" (L5I) mit Sitz in London 157 5.1 "REVOLUTION" (REVO), Jugendorganisation der "Gruppe ArbeiterInnenmacht" (GAM) 158 6. "Rote Hilfe e.V." (RH) 159 7. "junge Welt" (jW) 160 8. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 161 8.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 162 9. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 163 9.1 "REBELL" 164 10. "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP), deutsche Sektion des "Internationalen Komitees der Vierten Internationale" (IKVI, Abspaltung der "Vierten Internationale") 165 11. "Sozialistische Alternative" (SAV)/ "Sozialistische Organisation Solidarität" (Sol) 166 12. Extremistische Strukturen der Partei DIE LINKE 167 12.1 "Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE" (KPF) 167 12.2 "Sozialistische Linke" (SL) 168 12.3 "Antikapitalistische Linke" (AKL) 169 12.4 "marx21" 170 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick 172 1. Entwicklungstendenzen 173 2. Organisationen und Personenpotenzial 180 II. Internationale Konflikte und ihre Bedeutung für die Sicherheitslage in Deutschland 182 1. Jihad-Schauplatz Syrien/Irak 182 2. Jihad-Schauplatz Afghanistan/Pakistan 183 3. Weitere Jihad-Schauplätze 184 4. Internetpropaganda 185 5. Reisebewegungen 189 6. Gefährdungspotenzial 192 III. Salafistische Szene in Deutschland 193 IV. Antisemitismus im Islamismus 198 V. Entwicklungen im legalistischen Spektrum 199 9 INHALTSVERZEICHNIS VI. Staatliche Maßnahmen 203 VII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 206 1. "Islamischer Staat" (IS) 206 2. Kern-"al-Qaida" 208 3. "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) 209 4. "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) 211 5. "Al-Shabab" 212 6. "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) 213 7. "Tanzim Hurras al-Din" (THD) 214 8. "Hizb Allah" 215 9. HAMAS 217 10. "Türkische Hizbullah" (TH) 219 11. "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 220 12. "Muslimbruderschaft" (MB) 221 12.1 "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) 223 13. "Tablighi Jama'at" (TJ) 224 14. Einfluss regierungstreuer Iraner auf in Deutschland lebende Schiiten durch das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) 225 15. "Milli Görüs"-Bewegung 226 15.1 Der "Milli Görüs"-Bewegung zuzuordnende Vereinigungen 227 16. "Furkan Gemeinschaft" 229 17. "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA) 230 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) I. Überblick 232 1. Entwicklungstendenzen 232 2. Entwicklung des Personenpotenzials 235 II. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 236 1. Reaktionen der PKK in Deutschland auf die Entwicklungen in der Türkei und im Norden Syriens 236 2. Versammlungsgeschehen mit PKK-Bezug in Deutschland 238 3. Rekrutierungsmaßnahmen 241 4. Aktionsverhalten der PKK-Jugendorganisation 243 5. Hierarchische Organisationsstruktur der PKK 244 6. Finanzielle Situation 246 7. Medienwesen der PKK 247 8. Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK 248 9. Gefährdungspotenzial 249 10 INHALTSVERZEICHNIS III. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 251 IV. Türkischer Rechtsextremismus ("Ülkücü"-Bewegung) 257 V. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 264 1. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 264 1.1 "Komalen Ciwan"/"Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS) 266 1.2 "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAV-DEM) 267 1.3 "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED) 268 1.4 "AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V." (AZADI e.V.) 268 2. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 269 3. "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) beziehungsweise "Partizan" 270 4. "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 271 5. Türkische Rechtsextremisten ("Ülkücü"-Bewegung) 272 5.1 "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) 273 5.2 "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) 274 5.3 Weitere "Ülkücü"-Strukturen und unorganisierte Anhänger 275 6. "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) 276 7. Gruppierungen des extremistischen Sikh-Spektrums 278 7.1 "Babbar Khalsa International" (BKI) 278 7.2 "Babbar Khalsa Germany" (BKG) 279 7.3 "Sikh Federation Germany" (SFG) 279 7.4 "Sikh Federation International Germany" (SFIG) 280 Spionage, Cyberangriffe und sonstige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten für eine fremde Macht I. Überblick 282 1. Entwicklungstendenzen in der Spionage 282 2. Gefährdungsdimension Cyberangriffe 283 II. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 284 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 285 2. Methodik der Informationsgewinnung 286 3. Cyberangriffe 287 4. Gefährdungspotenzial 290 11 INHALTSVERZEICHNIS III. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China 291 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 292 2. Methodik der Informationsgewinnung 293 3. Cyberangriffe 296 4. Gefährdungspotenzial 298 IV. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 298 V. Nachrichtendienst der Republik Türkei 303 VI. Nachrichtendienste sonstiger Staaten 306 VII. Proliferation 308 VIII. Prävention in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung 312 IX. Ermittlungsverfahren, Festnahmen und Verurteilungen 314 X. Methodische Vorgehensweisen ausländischer Nachrichtendienste 314 XI. Strukturen und Aufgaben ausländischer Nachrichtendienste 319 1. Russische Föderation 319 2. Volksrepublik China 320 3. Islamische Republik Iran 322 4. Republik Türkei 324 Geheimund Sabotageschutz 326 "Scientology-Organisation" (SO) 334 Anhang 341 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2019 342 Register 348 Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2019 368 Bildnachweis 377 12 Verfassungsschutz - ein unverzichtbares Instrument der wehrhaften Demokratie Politisch motivierte Kriminalität 13 Verfassungsschutz - ein unverzichtbares Instrument der wehrhaften Demokratie Wehrhafte Eine der wesentlichen Aufgaben des demokratischen Staates ist es, Demokratie Sicherheit und Freiheit für seine Bürger zu garantieren. Demokratie kann sich erst im politischen und gesellschaftlichen Diskurs auf Basis der grundsätzlichen Werte einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung entfalten. Für eine Demokratie ist es deswegen unverzichtbar, dass sie bereit und in der Lage ist, diese Werte zu verteidigen. Diese unentbehrlichen Werte werden in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes (GG) konkretisiert: "" der Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG "" die zentralen Grundprinzipien der staatlichen Ordnung (Demokratie, Rechtsstaatlichkeit), Art. 20 GG Im GG werden auch Schutzinstrumente für den demokratischen Rechtsstaat benannt: "" Vereinigungen, deren Zweck oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind gemäß Art. 9 Abs. 2 GG verboten. "" Parteien können nach Art. 21 Abs. 2 GG vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden. Hierbei handelt es sich um die "schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Rechtsstaats gegen seine organisierten Feinde", wie das Bundesverfassungsgericht in den Leitsätzen zum Urteil im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens im Jahr 2017 feststellte. Eine Voraussetzung für die Abwehr von Gefahren, die von Feinden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ausgehen, ist eine umfassende Information der staatlichen Organe und der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen und Entwicklungen. Zur Sammlung von Informationen und Erkenntnissen über derartige Bestrebungen und sicherheitsgefährdende Tätigkeiten sind die 14 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG) eingerichtet worden; sie bilden einen unverzichtbaren Bestandteil der wehrhaften Demokratie. Freiheit in stabiler Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit. Im Jahr 2019 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Strukturdaten 3.864 (2018: 3.505) Bedienstete. Der Zuschuss aus dem Bundesgemäß SS 16 Abs. 2 haushalt betrug 399.114.450 Euro (2018: 345.879.829 Euro). Bundesverfassungsschutzgesetz Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst hatte 1.255 (2018: 1.169) Bedienstete und erhielt aus dem Bundeshaushalt einen Zuschuss von 113.251.923 Euro (2018: 95.627.497 Euro). Anfang 2020 waren von Bund und Ländern im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 2.330.122 (Anfang 2019: 2.256.041) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 1.861.136 Eintragungen (79,9 %, Anfang 2019: 80,8 %) aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen oder Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach den Bestimmungen des Luftsicherheitsgesetzes oder des Atomgesetzes. I. "Frühwarnsystem" Verfassungsschutz Dem Verfassungsschutz kommt in der deutschen SicherheitsarchiAufgaben tektur die Aufgabe zu, Bedrohungen durch politischen Extremismus, Terrorismus sowie Spionageaktivitäten weit im Vorfeld polizeilicher Maßnahmen zu erkennen und einzuschätzen. Darüber hinaus wirkt der Verfassungsschutz im Bereich des Geheimund Sabotageschutzes mit (z.B. durch Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind). Sein wesentliches Betätigungsfeld - niedergelegt in SS 3 Abs. 1 und 2 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (BVerfSchG) - besteht in der Sammlung und Auswertung von Informationen über: "" Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche 15 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben "" sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in Deutschland für eine fremde Macht "" Bestrebungen im Geltungsbereich des BVerfSchG, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden "" Bestrebungen in Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind Im Sinne eines effektiven "Frühwarnsystems" erstellt der Verfassungsschutz Lagebilder und Analysen, die es der Bundesregierung und den Landesregierungen ermöglichen, rechtzeitig Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die innere Sicherheit einzuleiten. Außerdem übermittelt der Verfassungsschutz, dem selbst keinerlei polizeiliche Befugnisse zustehen, Erkenntnisse an Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften, um exekutive Maßnahmen zu unterstützen oder einzuleiten. Die Aufgabe erfüllt sich also nicht bereits in der Sammlung und Auswertung von Informationen gleichsam als Selbstzweck, sondern erst in der Weitergabe der Erkenntnisse, damit sie zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verwendet werden. Nationale Die Verfassungsschutzbehörden arbeiten mit anderen deutschen Zusammenarbeit Sicherheitsbehörden in Kompetenzzentren zusammen. Diese gewährleisten die Bündelung von Fachwissen ebenso wie den schnellen Austausch von Informationen und Analysen. Bei den Informationsund Kommunikationsplattformen - so das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ, seit Ende 2004) und das Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum zur Bekämpfung des Rechtsextremismus/-terrorismus, des Linksextremismus/-terrorismus, des Ausländerextremismus/-terrorismus und der Spionage einschließlich proliferationsrelevanter Aspekte (GETZ, seit Ende 2012) - handelt es sich nicht um eigenständige Behörden. Internationale Einen wesentlichen Erkenntnisgewinn erzielt der VerfassungsZusammenarbeit schutz des Weiteren durch die Zusammenarbeit mit ausländischen Nachrichtendiensten und in internationalen Gremien. Diese 16 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Kooperation ist insbesondere vor dem Hintergrund des internationalen Terrorismus und der Gefährdung durch Cyberattacken von überragender Bedeutung. Sie muss weiter ausgebaut werden; im Informationsaustausch und bei der gemeinsamen Analyse muss sie außerdem die Potenziale zeitgemäßer IT nutzen. Einen erheblichen Teil ihrer Informationen gewinnen die VerInformationsfassungsschutzbehörden aus allgemein zugänglichen Quellen. gewinnung Fremde Nachrichtendienste, Extremisten und Terroristen arbeiten jedoch konspirativ und legen ihre Ziele nicht offen dar. Entsprechend ist der Verfassungsschutz befugt, im Rahmen gesetzlich festgelegter Grenzen und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung einzusetzen, wie zum Beispiel Observationen und Telekommunikationsüberwachungen. II. Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Tätigkeit des BfV wird vielfältig kontrolliert. Hierzu gehört die Fachaufsicht durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI). Die Bundesregierung unterliegt - auch in Bezug auf die Arbeit des Parlamentarisches Verfassungsschutzes - der Kontrolle durch den Deutschen BunKontrollgremium destag. Zur Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle ist beim Deutschen Bundestag ein Kontrollgremium eingerichtet, das von der Bundesregierung regelmäßig und umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Nachrichtendienste und über Vorgänge von besonderer Bedeutung unterrichtet wird. Auf Verlangen ist das Parlamentarische Kontrollgremium (PKGr) auch über sonstige Vorgänge zu unterrichten. Einmal jährlich führt das PKGr auf Grundlage von SS 10 Abs. 3 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (PKGrG) eine öffentliche Anhörung der Präsidenten des BAMAD, des BfV und des Bundesnachrichtendienstes (BND) durch. Bei dieser Anhörung werden insbesondere Fragen zur Umsetzung organisatorischer und befugnisrechtlicher Reformen und zur Aufklärung von Extremismus und Terrorismus von den Präsidenten beantwortet. 17 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE "Ständiger Zur Optimierung der parlamentarischen Kontrolle unterstützt ein Bevollmächtigter "Ständiger Bevollmächtigter des Parlamentarischen Kontrollgredes PKGr" miums" das Kontrollgremium bei seiner Arbeit einschließlich der Koordinierung mit der G 10-Kommission und dem Vertrauensgremium. G 10-Kommission Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom PKGr bestellte unabhängige G 10-Kommission auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Zudem legt das PKGr regelmäßig einen Bericht über Art und Umfang dieser Beschränkungen vor, der auch öffentlich als Drucksache des Deutschen Bundestages zugänglich ist. Bundesbeauftragter Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informafür den Datenschutz tionsfreiheit (BfDI) unterzieht das BfV einer kontinuierlichen und die InformatiÜberprüfung. Grundlage dafür sind die datenschutzrechtlichen onsfreiheit (BfDI) Bestimmungen im BVerfSchG und in den spezialgesetzlichen Regelungen, die den Aufgabenbereich des BfV berühren (z.B. das Ausländerzentralregister). Das BfV ist nach SS 15 Abs. 1 BVerfSchG gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an der Auskunft dargelegt wird. Die Auskunft unterbleibt nur dann, wenn einer der in SS 15 Abs. 2 BVerfSchG bezeichneten Verweigerungsgründe vorliegt. Gerichte Maßnahmen des BfV, die nach Darstellung der Betroffenen diese in ihren Rechten beeinträchtigen, unterliegen der gerichtlichen Nachprüfung. III. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Aufgabe, unsere Verfassung durch Aufklärung zu schützen, wird auf Bundesebene gemeinsam durch BMI und BfV wahrgenommen. 18 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann nur dauerhaft bewahrt werden, wenn sich die Gesellschaft inhaltlich mit den verschiedenen Ausprägungen des Extremismus auseinandersetzt. Eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes stellt daher die fundierte Aufklärung und Informationsvermittlung über Art und Umfang extremistischer Bedrohung dar. Die hierüber gewonnenen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes sind ausdrücklich nicht exklusiv; erst eine informierte Öffentlichkeit kann eine sicherheitspolitische Debatte sachgerecht führen. Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient dieser Aufklärung Verfassungsund beruht auf den Erkenntnissen, die das BfV im Rahmen seines schutzbericht gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Er stellt keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusammenschlüsse dar, sondern unterrichtet über die wesentlichen, während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungsschutzrelevanten Entwicklungen und deren Bewertung. Informationen zu ideologischen Hintergründen, Strukturdaten, Aktivitäten und Publikationen der wichtigsten Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes befinden sich in entsprechenden Einzelübersichten im Anschluss an die jeweiligen Berichtsteile. Dieser Verfassungsschutzbericht bezieht sich auf das Berichtsjahr 2019. Sofern Sachverhalte und Ereignisse aus dem Jahr 2020 dargestellt werden, handelt es sich lediglich um unselbstständige Fortläufe aus Entwicklungen des Berichtsjahres. Die Zahlenangaben zum Mitgliederpotenzial der im Bericht Personenpotenzial genannten Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. Es ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern dieser Personenzusammenschlüsse individuelle Erkenntnisse vorliegen. Im Rahmen dieser Zahlenangaben wird ebenfalls ausgewiesen, bei wie vielen dieser Personen von einer Gewaltorientierung auszugehen ist. Der OberGewaltorientierung begriff "gewaltorientiert" wird dann verwendet, wenn Extremisten als gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend oder gewaltbefürwortend eingeordnet werden können. Das BfV informiert im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit mit www.verfassungseinem umfangreichen Internetangebot sowie weiteren Publikatioschutz.de nen über aktuelle Entwicklungen in den einzelnen Arbeitsfeldern. 19 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE Newsletter Ein vierteljährlich erscheinender Newsletter enthält neben Beiträgen zu wichtigen Ereignissen in den einzelnen Bereichen des Extremismus auch phänomenübergreifende Artikel sowie Interviews der Amtsleitung und Hinweise auf neue BfV-Publikationen. Eine Anmeldung ist auf der BfV-Website (www.verfassungsschutz.de) möglich. Karriere im BfV Die vielfältigen Arbeitsund Karrierechancen im BfV werden auf der eigenen Karriereseite im Internet und auch bei öffentlichen Informationsveranstaltungen vorgestellt. Im Inlandsnachrichtendienst finden sich vielseitige Arbeitsfelder mit gesellschaftlichem Mehrwert für qualifiziertes Fachpersonal sowie Ausbildungsmöglichkeiten für Schülerinnen und Schüler. Ansprechpartner In allen Fragen zum Verfassungsschutz steht das Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstr. 100 50765 Köln Telefon: 0221/792-0 oder 030/18-792-0 Telefax: 0221/792-2915 oder 030/18-10-792-2915 E-Mail: poststelle@bfv.bund.de als Ansprechpartner zur Verfügung. Die Kontaktaufnahme zum Verfassungsschutz ist jederzeit möglich: "" Für Hinweise auf extremistische und terroristische Bestrebungen aller Phänomenbereiche hat das BfV ein vertrauliches Hinweistelefon eingerichtet: Telefon: 0221/792-6000 E-Mail: hinweise@bfv.bund.de "" Für Ausstiegswillige aus dem Rechtsextremismus existiert ein Aussteigerprogramm, in dem Experten des Verfassungsschutzes Ausstiegswillige beraten und betreuen: Telefon: 0221/792-62 oder 030/18-792-0 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de 20 VERFASSUNGSSCHUTZ - EIN UNVERZICHTBARES INSTRUMENT DER WEHRHAFTEN DEMOKRATIE "" Ebenso gibt es für Linksextremisten ein spezielles Aussteigerprogramm, das Hilfesuchenden eine Vielzahl an unterstützenden Maßnahmen anbietet: Telefon: 0221/792-6600 oder 030/18-792-0 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de 21 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK Als "Politisch motivierte Kriminalität" werden alle Straftaten bezeichnet und erfasst, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Als solche klassischen Staatsschutzdelikte gelten die folgenden Straftatbestände: SSSS 80 bis 83, 84 bis 91, 94 bis 100a, 102 bis 104a, 105 bis 108e, 109 bis 109h, 129a, 129b, 130, 234a oder 241a des Strafgesetzbuches (StGB). Auch Straftaten, die in der Allgemeinkriminalität begangen werden können (wie z.B. Tötungsund Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsdelikte, Sachbeschädigungen), fallen unter "Politisch motivierte Kriminalität", wenn in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind, weil sie "" den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, "" sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beziehungsweise eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, "" durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, "" sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten (sogenannte Hasskriminalität); dazu zählen auch Taten, die nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt werden. 22 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). II. Gesamtüberblick PMK Das BKA registrierte für das Jahr 2019 insgesamt 41.177 (2018: 36.062) politisch motivierte Straftaten. Davon sind 16.182 (39,3 %) Propagandadelikte (2018: 14.088 Delikte = 39,1 %). 2.832 Straftaten (6,9 %) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2018: 3.366 = 9,3 %). Nach Phänomenbereichen unterschieden wurden 22.342 (2018: Politisch motivierte 20.431) Straftaten dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - Straftaten nach rechts", 9.849 (2018: 7.961) dem Bereich "Politisch motivierte KriPhänomenbereichen minalität - links", 425 Straftaten dem Bereich "religiöse Ideologie" (2018: 586) und 1.897 dem Bereich "ausländische Ideologie" (2018: 2.487) zugeordnet. Bei 6.664 (2018: 4.597) Straftaten konnte keine Zuordnung zu einem der oben genannten Phänomenbereiche getroffen werden. Insgesamt wurden 31.472 Straftaten (76,4 %) mit extremistischem Extremistisch Hintergrund ausgewiesen (2018: 27.656 = 76,7 %). Bei diesen Strafmotivierte Straftaten taten gab es Anhaltspunkte dafür, dass sie darauf abzielten, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, die für die freiheitliche demokratische Grundordnung prägend sind. Von diesen 31.472 Straftaten konnten 21.290 (2018: 19.409) dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts", 6.449 (2018: 4.622) dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links", 362 (2018: 453) dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideolgie" und 1.354 (2018: 1.928) dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie" zugeordnet werden. 2.017 (2018: 1.244) Straftaten mit einem extremistischen Hintergrund wurden ohne Zuordnung zu einem bestimmten Phänomenbereich gemeldet. 23 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen Extremistisch motivierte Straftaten bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Politisch motivierte Kriminalität". Es handelt sich um diejenigen Straftaten, bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie darauf abzielen, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, die für die freiheitliche demokratische Grundordnung prägend sind. Die Fallzahlen basieren auf den Angaben des BKA. 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten Rechtsextremistische Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" Straftaten gestiegen wurden 22.342 (2018: 20.431) Straftaten zugeordnet, hiervon 14.247 (2018: 12.582) Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB und 986 (2018: 1.156) Gewalttaten. Als Teilmenge dieses Phänomenbereichs wurden 21.290 (2018: 19.409) Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund erfasst, darunter waren 925 (2018: 1.088) Gewalttaten. Damit ist die Zahl der Gewalttaten im Vergleich zum vorherigen Berichtsjahr um knapp 15 % zurückgegangen. Neben 5 versuchten Tötungsdelikten zählten hierzu aber, insbesondere mit der Ermordung des Regierungspräsidenten von Kassel (Hessen) und dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt), 2 vollendete Tötungsdelikte mit insgesamt drei Todesopfern. 24 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Straftaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund1 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 0 2 Versuchte Tötungsdelikte 6 5 Körperverletzungen 938 781 Brandstiftungen 11 6 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 2 Landfriedensbruch 14 8 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 12 5 Freiheitsberaubung 2 1 Raub 14 13 Erpressung 17 36 Widerstandsdelikte 74 66 Sexualdelikte 0 0 gesamt 1.088 925 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 905 923 Nötigung/Bedrohung 352 376 Propagandadelikte 12.404 13.988 Störung der Totenruhe 8 11 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung 4.652 5.067 gesamt 18.321 20.365 Straftaten insgesamt 19.409 21.290 1 Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur ein Mal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwererwiegende Straftatbestand gezählt. 25 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.1 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten Im Jahr 2019 ging die Zahl rechtsextremistischer fremdenfeindlicher Gewalttaten um 15,3 % zurück (695 Delikte, 2018: 821). Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stieg um 17,1 % auf insgesamt 1.844 Taten (2018: 1.575); in ähnlichem Maße (+16,7 %) stieg auch die Zahl der Gewalttaten auf insgesamt 56 Delikte (2018: 48). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * Gesamt Fremdenfeindliche Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner Antisemitische Gewalttaten 1.200 1.088 1.000 925 821 800 695 600 400 200 113 93 33 48 43 56 0 01.01.-31.12.2018 01.01.-31.12.2019 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. Da die erfassten Sachverhalte im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet werden, können Gewalttaten unter mehreren Zielrichtungen subsumiert sein. 26 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.1.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund Im Jahr 2019 sank die Anzahl der rechtsextremistisch motivierten Körperverletzungen mit fremdenfeindlichem Hintergrund um 18,6 %. Die Tötungsdelikte mit rechtsextremistischem Hintergrund wurden allesamt mit einer fremdenfeindlichen Motivation begangen. Hierzu zählten 5 versuchte und 2 vollendete Tötungsdelikte. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten gegen Asylunterkünfte ging im Jahr 2019 erneut zurück und liegt damit nach dem dramatischen Anstieg in den Jahren 2015 und 2016 deutlich unter den Zahlen des Jahres 2014 (2019: 116, 2018: 164, 2017: 286, 2016: 907, 2015: 894, 2014: 170). Die Zahl der Gewalttaten gegen Asylbewerberunterkünfte blieb gleich (2019 und 2018: 14); hierzu gehörten im Berichtsjahr 4 Brandanschläge (2018: 3). Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund2 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 0 2 Versuchte Tötungsdelikte 6 5 Körperverletzungen 770 627 Brandstiftungen 5 5 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 5 7 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 3 1 Freiheitsberaubung 1 1 Raub 12 8 Erpressung 9 20 Widerstandsdelikte 10 18 Sexualdelikte 0 0 gesamt 821 695 2 Siehe Fußnote 1. 27 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.1.2 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Die Anzahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten ist um 17,7 % zurückgegangen. Körperverletzungen sind hier weiterhin die am häufigsten verübten Gewalttaten. Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten3 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 94 75 Brandstiftungen 3 0 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 9 2 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 2 2 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 3 5 Erpressung 1 7 Widerstandsdelikte 1 1 gesamt 113 93 3 Siehe Fußnote 1. 28 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ereigneten sich mit 158 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen. Danach folgen Berlin (150), Brandenburg (90) und Sachsen-Anhalt (71). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * 01.01.-31.12.2019 01.01.-31.12.2018 158 Nordrhein-Westfalen 216 150 Berlin 121 90 Brandenburg 119 71 Sachsen-Anhalt 91 66 Sachsen 138 61 Bayern 63 Mecklenburg49 Vorpommern 43 49 Thüringen 66 48 Niedersachsen 47 40 Schleswig-Holstein 29 39 Baden-Württemberg 48 34 Rheinland-Pfalz 51 31 Hessen 25 25 Hamburg 11 11 Saarland 18 3 Bremen 2 0 40 80 120 160 200 240 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 29 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 2. Extremistische Straftaten von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" Strafund "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" wurden im Berichtsjahr Gewalttaten von 675 (2018: 864) politisch motivierte Straftaten zugerechnet, von "Reichsbürgern" und denen 589 (2018: 776) als extremistisch eingeordnet wurden. Unter "Selbstverwaltern" diesen extremistischen Straftaten waren insgesamt 121 Gewalttazurückgegangen ten (2018: 160). Hierzu zählten vor allem Erpressungsdelikte (81) und Widerstandsdelikte (30). Bei den weiteren Straftatbeständen dominieren insbesondere Nötigungen und Bedrohungen (156). Außerdem wurden "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" 24 antisemitische Straftaten zugeordnet, bei denen es sich im Wesentlichen um Volksverhetzungsdelikte (17), aber auch um eine Gewalttat handelte. Die - in absoluten Zahlen - meisten extremistischen Straftaten begingen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Bayern (219, davon 75 Gewalttaten und 71 Fälle von Nötigung beziehungweise Bedrohung). 30 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - 'Reichbürger und Selbstverwalter'" * 01.01.-31.12.2019 01.01.-31.12.2018 75 Bayern 89 15 Berlin 11 8 Baden-Württemberg 5 7 Niedersachsen 7 Mecklenburg- 6 Vorpommern 7 4 Brandenburg 6 Nordrhein-Westfalen 3 12 2 Schleswig-Holstein 2 1 Sachsen 6 0 Bremen 0 0 Hamburg 0 0 Hessen 8 0 Rheinland-Pfalz 2 0 Saarland 1 0 Sachsen-Anhalt 3 0 Thüringen 1 0 20 40 60 80 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 31 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3. Linksextremistisch motivierte Straftaten Anstieg linksDem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" extremistischer wurden 9.849 (2018: 7.961) Straftaten zugeordnet, hiervon 1.052 Straftaten (2018: 1.340) Gewalttaten. In diesem Bereich wurden als Teilmenge 6.449 (2018: 4.622) Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund erfasst, darunter 921 (2018: 1.010) Gewalttaten. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten stieg damit um 39,5 %, wohingegen die Zahl der Gewalttaten um 8,8 % sank. Linksextremistisch motivierte Straftaten4 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 2 Körperverletzungen 363 355 Brandstiftungen 108 164 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 8 Landfriedensbruch 90 72 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 48 45 Freiheitsberaubung 1 2 Raub 19 16 Erpressung 4 3 Widerstandsdelikte 376 254 gesamt 1.010 921 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 2.219 3.520 Nötigung/Bedrohung 71 116 Andere Straftaten 1.322 1.892 gesamt 3.612 5.528 Straftaten insgesamt 4.622 6.449 4 Siehe Fußnote 1. 32 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.1 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten Von den linksextremistisch motivierten Gewalttaten wurden 467 Fälle (2018: 625) im Themenfeld "Gewalttaten gegen die Polizei/ Sicherheitsbehörden" eingeordnet, was einen Rückgang um mehr als ein Viertel bedeutet. Die Zahl der "Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten" haben sich leicht erhöht auf insgesamt 297 Delikte (2018: 289), wohingegen die Zahl der "Gewalttaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole" um 85,1 % auf 385 Straftaten anstieg (2018: 208). Mehr als verdreifacht hat sich die Zahl der Gewalttaten im Themenfeld "Kampagne gegen Umstrukturierung" (2019: 174, 2018: 51). Etwa zwei Drittel dieser Straftaten (117) wurden in Berlin begangen. Im Berichtsjahr wurden Linksextremisten sechs antisemitische Straftaten zugeordnet (darunter keine Gewalttaten). 33 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * Gesamt Gewalttaten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Gewalttaten gegen den Staat, seine Einrichtungen und Symbole Kampagne gegen Umstrukturierung 1.200 1.010 1.000 921 800 625 600 467 400 385 289 297 208 200 174 51 0 01.01.-31.12.2018 01.01.-31.12.2019 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. Da die erfassten Sachverhalte im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet werden, können Gewalttaten unter mehreren Zielrichtungen subsumiert sein. 34 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.1.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Im Vergleich zum Vorjahr ist ein leichter Anstieg der Zahl der Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten um 2,8 % zu verzeichnen. Mehr als 60 % dieser Gewalttaten sind Körperverletzungsdelikte, gefolgt von Widerstandsdelikten. Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten5 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 2 Körperverletzungen 174 182 Brandstiftungen 17 30 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 4 Landfriedensbruch 24 20 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 12 7 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 14 13 Erpressung 3 3 Widerstandsdelikte 44 36 gesamt 289 297 5 Siehe Fußnote 1. 35 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.1.2 Gewalttaten von Linksextremisten gegen die Polizei/ Sicherheitsbehörden Die Zahl der Gewalttaten von Linksextremisten gegen die Polizei und Sicherheitsbehörden ist gegenüber dem Vorjahr um 25,3 % zurückgegangen. Bis zu vierstellige Deliktzahlen bei den Gewalttaten gegen die Polizei zeigten in den letzten Jahren, in welchen Berichtsjahren für die linksextremistische Szene relevante Großereignisse stattfanden (kein Großereignis im Jahr 2019 und 2018, G20-Gipfel im Jahr 2017, kein Großereignis im Jahr 2016, Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank im Jahr 2015). Gewalttaten von Linksextremisten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden6 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 146 131 Brandstiftungen 16 19 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 68 46 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 20 15 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 1 1 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 374 254 gesamt 625 467 6 Siehe Fußnote 1. 36 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten linksextremistisch motivierten Gewalttaten ereigneten sich mit 205 registrierten Delikten in Berlin. Das bedeutet im Vergleich zum Vorjahr für dieses Bundesland mehr als eine Verdoppelung. Danach folgen Nordrhein-Westfalen (200) und Sachsen (117). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * 01.01.-31.12.2019 01.01.-31.12.2018 205 Berlin 96 200 Nordrhein-Westfalen 446 117 Sachsen 115 112 Baden-Württemberg 60 62 Niedersachsen 65 47 Bayern 46 47 Sachsen-Anhalt 21 40 Thüringen 28 24 Brandenburg 17 Mecklenburg22 Vorpommern 26 15 Hamburg 39 13 Bremen 7 10 Schleswig-Holstein 5 5 Hessen 13 2 Rheinland-Pfalz 26 0 Saarland 0 0 40 80 120 160 200 240 280 320 400 440 480 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 37 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 4. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" Im Jahr 2019 wurden dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" 362 extremistische Straftaten zugerechnet (2018: 453). Der überwiegende Teil (314, 2018: 414) davon wies einen islamistisch-fundamentalistischen Hintergrund auf. Gewalttaten mit Von den 362 Straftaten mit religiös-ideologischer Motivation sind religiös-ideologischer insgesamt 41 Gewalttaten (2018: 44), zu denen unter anderem 1 Motivation versuchtes Tötungsdelikt, 32 Körperverletzungen und 4 Brandstifetwa gleich tungsdelikte gerechnet werden. 63 extremistische Straftaten im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" wurden als Vorbereitung einer schweren staatsgefährden Gewalttat (SS 89a-c, SS 91 StGB) eingestuft (2018: 63) und 64 Fälle (2018: 144) als Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung (SS 129b StGB). Im Berichtsjahr wurden 21 antisemitische Straftaten mit einer religiös ideologischen Motivation festgestellt, zu denen 3 Gewalttaten und 8 Volksverhetzungsdelikte zählten. 38 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Extremistische Straftaten aus dem Bereich "religiöse Ideologie"7 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 1 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 1 Körperverletzungen 37 32 Andere Gewalttaten 5 8 gesamt 44 41 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigung 16 11 Nötigung/Bedrohung 49 32 Volksverhetzung 26 16 Vorbereitung einer staatsgefährdenden Gewalttat 63 63 Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung 144 64 Andere Straftaten 111 135 gesamt 409 321 Straftaten gesamt 453 362 7 Siehe Fußnote 1. 39 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 4.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" * 01.01.-31.12.2019 01.01.-31.12.2018 12 Bayern 3 6 Berlin 7 5 Baden-Württemberg 4 4 Brandenburg 4 3 Niedersachsen 2 3 Sachsen 4 3 Schleswig-Holstein 6 2 Hamburg 1 1 Hessen 1 1 Nordrhein-Westfalen 8 1 Thüringen 0 0 Bremen 0 Mecklenburg- 0 Vorpommern 3 0 Rheinland-Pfalz 1 0 Saarland 0 0 Sachsen-Anhalt 0 0 5 10 15 20 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 40 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 5. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität - ausländische Ideologie" Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - ausDeutlicher Rückgang ländische Ideologie" wurden 1.897 Straftaten zugeordnet (2018: der Straftaten 2.487), hiervon 351 Gewalttaten (2018: 425). Einen extremistischen Hintergrund hatten 1.354 Straftaten (2018: 1.928), was einem Rückgang von knapp 30 % entspricht. Unter diesen Delikten waren hauptsächlich Verstöße gegen das Vereinsgesetz (45,2 %), Sachbeschädigungen (12,1 %), aber auch 248 Gewalttaten (18,3 %). Im Vergleich zu 2018 (355 Gewalttaten) hat sich die Zahl der Gewalttaten zwar verringert, ihr Anteil an den extremistischen Straftaten insgesamt ist aber annähernd gleich geblieben (2018: 18,4 %). Ihr überwiegender Teil sind Körperverletzungen (58,1 %) und Widerstandsdelikte (31,9 %). Im Berichtsjahr befand sich unter den Gewalttaten kein Tötungsdelikt, während im Jahr 2018 noch 1 vollendetes und 4 versuchte Tötungsdelikte gezählt worden waren. Ebenfalls konnten 53 antisemitische Straftaten mit einer ausländisch-ideologischen Motivation festgestellt werden, was einen deutlichen Rückgang um 43 % gegenüber dem vorherigen Berichtsjahr darstellt (2018: 93). Zu diesen Straftaten zählen 5 Gewalttaten (2018: 10) und 29 Volksverhetzungsdelikte (2018: 46). Zudem wurden auch 32 Delikte erfasst (2018: 55), bei denen den Tatverdächtigen angelastet wurde, eine ausländische terroristische Vereinigung zu unterstützen oder ihr anzugehören (SS 129b StGB). 41 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Extremistische Straftaten aus dem Bereich "ausländische Ideologie"8 Gewalttaten: 2018 2019 Tötungsdelikte 1 0 Versuchte Tötungsdelikte 4 0 Körperverletzungen 214 144 Brandstiftungen 14 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 47 16 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 7 1 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 5 1 Erpressung 3 2 Widerstandsdelikte 59 79 gesamt 355 248 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 211 164 Nötigung/Bedrohung 50 32 Verstöße gegen das Versammlungsgesetz 134 81 Verstöße gegen das Vereinsgesetz 841 612 Mitgliedschaft beziehungsweise Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung 55 32 Andere Straftaten 282 185 gesamt 1.573 1.106 Straftaten insgesamt 1.928 1.354 8 Siehe Fußnote 1. 42 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 5.1 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte - ausländische Ideologie" ereigneten sich mit 124 registrierten Delikten in Baden-Württemberg. Danach folgen Nordrhein-Westfalen (49) und Berlin (31). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie" * 01.01.-31.12.2019 01.01.-31.12.2018 124 Baden-Württemberg 51 49 Nordrhein-Westfalen 118 31 Berlin 66 13 Bayern 11 9 Niedersachsen 41 7 Sachsen 15 4 Hessen 12 4 Schleswig-Holstein 2 3 Saarland 2 2 Brandenburg 4 1 Bremen 5 1 Sachsen-Anhalt 3 0 Hamburg 19 Mecklenburg- 0 Vorpommern 4 0 Rheinland-Pfalz 2 0 Thüringen 0 0 20 40 60 80 100 120 140 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 43 44 Rechtsextremismus/ rechtsextremistischer Terrorismus 45 Rechtsextremismus/ rechtsextremistischer Terrorismus I. Überblick Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Demokratiefeindlichkeit prägen das rechtsextremistische Weltbild. Die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheidet nach dieser Auffassung über den Wert eines Menschen. Rechtsextremisten ordnen diesen Kriterien auch die Menschenund Bürgerrechte unter und stehen deswegen im fundamentalen Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 1. Entwicklungstendenzen Obwohl es im Zuge zurückgehender Asylbewerberzahlen in den letzten Jahren zu einer Verringerung der rechtsextremistischen Anti-Asyl-Agitation kam, besitzt dieses Thema weiterhin hohes Mobilisierungspotenzial, das Gefährdungsmomente nach sich ziehen kann. Dass sich Rechtsextremisten durch die emotionalisierte Zuwanderungsdebatte seit 2015 auch nach vielen Jahren radikalisieren können und Gewalttaten begehen, zeigt der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten, der Anfang Juni 2019 in Wolfhagen (Hessen) getötet wurde. Mord am Kasseler Wenn sich der Tatverdacht gegen die Beschuldigten bestätigt, wäre Regierungsdiese Gewalttat ein erneuter Beleg für die Einschätzung der Verfaspräsidenten sungsschutzbehörden, dass sich neue rechtsterroristische Ansätze nicht mehr nur innerhalb etablierter rechtsextremistischer Strukturen und Organisationen, sondern auch an ihrem Rand oder aber sogar gänzlich außerhalb der rechtsextremistischen Szene entwickeln. Insbesondere die Detektion von Kleingruppen und Einzeltätern stellt die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen. Bestätigt wird diese Erkenntnis auch durch den Anschlag eines Einzeltäters auf die Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) im Oktober 2019. Diese rechtsextremistisch motivierten Anschläge mit Schusswaffen zeigen erneut deutlich das Gefährdungspotenzial von entsprechendem Waffenbesitz bei Rechtsextremisten oder bei "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern". Die Verfassungsschutzbehörden 46 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS sind fortlaufend bestrebt, extremistische Inhaber von waffenrechtlichen Erlaubnissen zu identifizieren und auf deren Entzug hinzuwirken. Seit Ende 2017 lässt sich ein Versand von Erpressungsmails beobErpressungsmails, achten, die massive Beschimpfungen und rassistische Äußerungen Drohmails und mit Erpressungsversuchen verbinden. Der oder die Absender dro"Feindeslisten" hen beispielsweise damit, dass sie im Internet Waffen an Rechtsextremisten verkaufen oder dass sie rechtsextremistische Anschläge gegen Bezahlung begehen, wenn ihnen nicht eine hohe Geldsumme in einer Digitalwährung überwiesen wird. Sie verwenden dazu wechselnde Selbstbezeichnungen. Im Jahr 2019 gingen E-Mails mit Bombendrohungen bei Gerichten, kommunalen Einrichtungen und anderen öffentlichen Einrichtungen sowie bei diversen Landespolitikern in ganz Deutschland ein. Die Absender firmieren beispielsweise unter den Bezeichnungen "Staatsstreichorchester" und "Cyber Reichswehr". In den letzten Jahren sind den Sicherheitsbehörden auch immer wieder Informationssammlungen unterschiedlicher Art über politische Gegner von Rechtsextremisten bekannt geworden, die in der medialen Berichterstattung als "Feindes-" oder "Todeslisten" bezeichnet werden. Bei den darin aufgeführten Personen handelt es sich meist um Amtspersonen, Personen des öffentlichen Lebens oder Privatpersonen. Diese Listen werden zum Teil auch auf Websites veröffentlicht. Aus Sicht der Polizei erwachsen daraus im Regelfall keine konkreten personenbezogenen Gefährdungsaspekte; vielmehr dienen derartige Veröffentlichungen dem Aufbau einer Drohkulisse, die zu einer Einschüchterung der betroffenen Personen führen soll. Von Ausländern verübte Gewalttaten sorgen - unabhängig von der Reaktionen auf jeweiligen Motivlage und dem konkreten Tathintergrund - weiterTötungsdelikte hin für große und emotionale Resonanz. Dies zeigen vor allem die in Frankfurt und Reaktionen der rechtsextremistischen Szene auf die Tötung eines Stuttgart Kindes, das im Hauptbahnhof von Frankfurt am Main (Hessen) vor einen Zug gestoßen wurde, und auf einen tödlichen Schwertangriff in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Juli 2019. Die Reaktionen der rechtsextremistischen Szene reichen in Ausmaß und Inhalt an das Tötungsdelikt von Asylbewerbern an einem 47 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Deutschen in Chemnitz (Sachsen) 2018 heran. Ähnlich wie damals versuchten Rechtsextremisten, die gesellschaftliche Betroffenheit über die Tat zu nutzen, um asylund fremdenfeindliche Positionen in der demokratischen Mehrheitsgesellschaft zu verbreiten und zu verankern. Ein Beispiel hierfür ist die Hassbotschaft eines NPDFunktionärs im Zusammenhang mit der Tat in Frankfurt: "Na gut, (...) nach den Messermännern kommen jetzt halt die Gleisbettkiller (...). Ich hasse das Pack, was uns überschwemmt und unser Land in einen Freiluftpark für perverse Irre verwandelt. Ich hasse diese ganzen Minusmenschen, welche die entsprechenden Voraussetzungen schaffen. Ich hasse die ganzen idiotischen Schlafschafe, die klatschen, blöde gucken, mich als Feind ansehen und hinterher nicht wissen, woher die Nagelbombe kam, die in ihre Fresse geflogen ist. ICH HASSE EUCH." (Facebook-Seite eines NPD-Funktionärs, 29. Juli 2019) Die Partei "DIE RECHTE" kommentiert die Tat im Frankfurter Hauptbahnhof auf ihrer Website und gibt den offenen Grenzen und der Asylpolitik der Bundeskanzlerin die Schuld an der Tat: "Ein achtjähriger Junge ermordet, das Leben einer Familie zerstört, zahlreiche Passagiere und Bahnangestellte ihr Leben lang traumatisiert. - Und das nur, weil Grenzen nicht kontrolliert werden, weil unser Volk nicht geschützt wird, weil die Demokraten für die Verwirklichung ihres menschenund lebensverachtenden Multikulturalismus buchstäblich über Leichen gehen." (Homepage "DIE RECHTE", 30. Juli 2019) In solchen Zusammenhängen gibt es auch direkte oder indirekte Aufrufe zu Selbstschutz, Selbstjustiz und "Widerstand", wie beispielsweise ein Posting des Landesvorsitzenden der NPD-Sachsen zeigt: "Hätte das deutsche Volk Rückgrat, wäre das Berliner Regierungsviertel längst gestürmt worden! Was für eine abscheuliche Tat und was für eine abscheuliche Regierung, die solche Menschen wie diesen kranken Kinder-Mörder aus Eritrea einfach ins Land lässt!!!" (Facebook-Seite des sächsischen NPD-Landesvorsitzenden, 30. Juli 2019) 48 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Solche Botschaften und Aufrufe können Angehörige der rechtsextremistischen Szene oder Personen in deren Umfeld zu Gewalttaten anstacheln. Auch wegen der möglichen Gefahr einer Radikalisierung von Einzelpersonen müssen die Reaktionen von Rechtsextremisten in der virtuellen Welt, insbesondere in sozialen Netzwerken, weiterhin aufmerksam beobachtet werden. In den bisher gängigen sozialen Netzwerken wie Facebook oder Virtuelle Twitter werden extremistische Inhalte zunehmend gelöscht und Plattformen als Orte entsprechende Nutzerprofile gesperrt. Als Kommunikationsalterrechtsextremistischer nativen dienen daher zunehmend auch Videooder Gaming-PorAgitation tale9 im Internet. Sie haben schnell wachsende Nutzerzahlen und sind grundsätzlich keinem extremistischen Spektrum zuzuordnen. Aufgrund ihrer hohen Anonymität und fehlender Moderation können sie aber auch für Propagandaoder Provokationszwecke genutzt werden. Entsprechende Videobotschaften können in kürzester Zeit einer sehr hohen Zahl von Empfängern zugänglich gemacht werden. Daher dürften Gamingund Videoplattformen ebenso wie andere alternative Plattformen (beispielsweise Imageboards10) für die rechtsextremistische Szene immer bedeutsamer werden. Im vorherigen Berichtsjahr wies das rechtsextremistische DeDemonstrationsmonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit der Tötung eines geschehen Deutschen durch Asylbewerber in Chemnitz noch eine wachsende Tendenz auf - einer leicht gestiegenen Anzahl an Demonstrationen stand allerdings ein massiver Anstieg der Teilnehmerzahlen gegenüber. 2019 spiegelte sich die Bedeutung der rechtsextremistischen Anti-Asyl-Agitation allerdings nicht im Demonstrationsgeschehen wider. Die Anzahl rechtsextremistischer Kundgebungen reduzierte sich mit 186 im Vergleich zum Jahr 2018 (233) um rund 20 % und lag damit zugleich deutlich unter der im Jahr 2017 (202). Die Teilnehmerzahl ging sogar um mehr als die Hälfte auf circa 20.650 zurück (2018: circa 58.000) und liegt damit aber noch über dem Niveau des Jahres 2017 (circa 16.400). 9 Ein Videoportal erlaubt, digitale Videos im Internet bereitzustellen und auf Anforderung abzurufen. Gaming-Portale bieten entsprechende Möglichkeiten für Computerspiele. 10 Ein Imageboard ist ein Internetforum, in dem Bilder und Kurznachrichten zu unterschiedlichen Themen ausgetauscht werden. 49 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Rechtsextremistische Demonstrationen 2018 2019 NPD/JN 28 17 "DIE RECHTE" 33 25 "Der III. Weg" 18 20 Neonazis/sonstige Rechtsextremisten 154 124 Insgesamt 233 186 Rechtsextremisten Das Interesse von Rechtsextremisten an Kampfsport ist unveränund Kampfsport dert hoch. Es ist zu beobachten, dass sich Rechtsextremisten zunehmend Kampfsporttechniken aneignen beziehungsweise untereinander vermitteln. Kampfsportevents werden immer häufiger professionell veranstaltet und führen durch die Teilnahme ausländischer Kämpfer zu einer europaweiten Vernetzung der rechtsextremistischen Kampfsportszene. Erstmals jedoch konnten im Berichtsjahr von Rechtsextremisten organisierte Kampfsportveranstaltungen von den Behörden verboten werden (vgl. Kap. III, Nr. 2). MusikMusik bleibt weiterhin für die rechtsextremistische Szene wichtig. veranstaltungen Bei der Verbreitung von rechtsextremistischem Gedankengut, dem Einstieg in die Szene oder auch beim Ausbau der internationalen Vernetzung mit anderen Rechtsextremisten spielt sie eine nach wie vor bedeutende Rolle. Im Berichtsjahr fanden erneut diverse Musikgroßveranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmern statt, die im Vergleich zu den meisten anderen rechtsextremistischen Veranstaltungen wie zum Beispiel rechtsextremistischen Kundgebungen, Mahnwachen, Fackelmärschen und internen Szenetreffen höhere Besucherzahlen aufwiesen. Die teilnehmerstärkste Veranstaltung waren die "Tage der nationalen Bewegung" am 5. und 6. Juli 2019 in Themar (Thüringen), an denen bis zu 920 Rechtsextremisten teilnahmen (vgl. Kap. III, Nr. 3). Rechtsextremisten im Wenn Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter des öffentlichen Diensöffentlichen Dienst tes - insbesondere von Sicherheitsbehörden - Verbindungen in die rechtsextremistische Szene unterhalten oder sogar selbst eine rechtsextremistische Haltung an den Tag legen, erschüttern sie das 50 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Vertrauen in öffentliche Stellen beziehungsweise in die Sicherheitsbehörden. Eine rechtsextremistische Haltung steht im klaren Widerspruch zu den zentralen Eckpfeilern des Berufsbeamtentums - insbesondere zu der zwingend zugrunde zu legenden Verfassungstreue. Ihre Gefährlichkeit resultiert unter anderem aus Zugriffsmöglichkeiten auf sensible Informationen und Interna von Behörden. Hierzu gehören auch Kenntnisse über Methodik und Vorgehen von Polizei und Sicherheitsbehörden. Vernetzungsbestrebungen der rechtsextremistischen Szene sind Vernetzungserkennbar in der Musikszene, in subkulturellen Mischszenen bestrebungen (Hooligans/Rocker), in der Kooperation mit ausländischen Rechtsextremisten, aber auch bei sonstigen rechtsextremistischen Gruppierungen. Die frühzeitige Aufdeckung relevanter und gefährlicher rechtsextremistischer Vernetzung ist Kernund Daueraufgabe der Verfassungsschutzbehörden, welcher mit hoher Priorität nachgegangen wird. In den meisten Spektren des Rechtsextremismus ist der AntisemiAntisemitismus im tismus ein wichtiges Ideologieelement. Im rechtsextremistischen Rechtsextremismus Parteienbereich ist Antisemitismus tief verwurzelt. Die Partei "DIE RECHTE" nominierte die mehrfach verurteilte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019. Die Partei "Der III. Weg" spricht vom "zionistischen Geschwür im Nahen Osten". Aber auch Äußerungen von einzelnen beziehungsweise organisationsunabhängig handelnden Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum machen einen immer stärkeren Anteil der registrierten antisemitischen Straftaten aus. Dabei wird gerade das Internet als Propagandaund Kommunikationsinstrument von Rechtsextremisten genutzt, um antisemitische Ideologie zu verbreiten (vgl. Kap. III, Nr. 4). Dass Antisemitismus sogar zum Motiv für Tötungsdelikte werden kann, zeigt der Schusswaffenanschlag eines 27-Jährigen auf eine Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) am 9. Oktober 2019, in dessen Zusammenhang zwei Menschen getötet und sieben weitere zum Teil schwer verletzt wurden. Bereits aus dem im Internet verbreiteten Schriftstück des mutmaßlichen Täters wird ein aggressiver Antisemitismus deutlich (vgl. Kap. II, Nr. 3). Den Rechtsextremismus lange prägende und tragende ParteiRechtsextremistische strukturen zum Beispiel von "DIE RECHTE", "Der III. Weg" oder Parteien 51 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS der NPD verlieren seit einigen Jahren zumindest an öffentlicher und elektoraler Bedeutung. Dies lässt sich auch durch teils stark sinkende Mitgliederzahlen belegen. Die NPD beispielsweise verliert seit 2016 jährlich circa 500 Mitglieder und hat derzeit weniger als 4.000 Mitglieder. Auch die fortgesetzt schwachen Wahlergebnisse untermauern den Bedeutungsverlust rechtsextremistischer Parteien und sind Indiz ihrer abnehmenden Kampagnenfähigkeit. Gleichwohl behalten rechtsextremistische Parteien eine gewisse Bedeutung für die Binnenstruktur der rechtsextremistischen Szene (vgl. Kap. IV). 52 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 2. Personenpotenzial Rechtsextremismuspotenzial1 2018 2019 In Parteien 5.510 13.330 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" 4.000 3.600 (NPD) "DIE RECHTE" 600 550 "Der III. Weg" 530 580 Sonstiges rechtsextremistisches Personen380 8.600 potenzial in Parteien2 In parteiunabhängigen beziehungsweise 6.600 6.600 parteiungebundenen Strukturen3 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremis13.240 13.500 tisches Personenpotenzial4 Summe 25.350 33.430 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 24.100 32.080 Davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 12.700 13.000 1 Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Unter dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien werden die Mitglieder der AfD (selbst kein Beobachtungsobjekt) zugehörigen Teilorganisationen "Junge Alternative" (JA) (Verdachtsfall) und "Der Flügel" (im Berichtszeitraum Verdachtsfall) sowie der "Freien Bürger Union (FBU) - Landesverband Saarland" und der bayerischen Kleinpartei "Deutsche Konservative" gezählt. Zur JA und zum "Flügel" liegen tatsächliche Anhaltspunkte für eine rechtsextremistische Bestrebung vor, sodass diese durch das BfV im Berichtszeitraum im Rahmen eines Verdachtsfalles bearbeitet wurden. 3 Hierzu zählen ein Teil der insgesamt 950 rechtsextremistischen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", die in überregionalen Strukturen organisiert sind, sowie 600 Mitglieder der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD). 4 Hierzu zählt ein Teil der insgesamt 950 rechtsextremistischen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", die keiner festen Struktur zuzurechnen sind. 53 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS II. Gewalt und rechtsterroristische Ansätze Die rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten entwickelten sich im Jahr 2019 im Vergleich zum Vorjahr wie folgt: Die Gesamtzahl der Straftaten stieg um 9,7 % im Vergleich zum Vorjahr auf 21.290 Delikte an (2018: 19.409). Rechtsextremistische Gewalttaten gingen im Berichtsjahr im Vergleich zum Vorjahr um 15 % zurück (2019: 925; 2018: 1.088). Körperverletzungsdelikte, die mit über 84 % die überwiegende Zahl der Gewaltdelikte bildeten, gingen um 16,7 % zurück. Nachdem noch im letzten Jahr die Anzahl der rechtsextremistisch motivierten Körperverletzungsdelikte mit fremdenfeindlichem Hintergrund angestiegen war, wurde hier im Jahr 2019 ein Rückgang von 18,6 % verzeichnet (2019: 627; 2018: 770). Auch die Gesamtzahl der fremdenfeindlichen Gewalttaten ging um insgesamt 15,3 % zurück (2019: 695; 2018: 821). Rechtsextremistisch motivierte Brandstiftungsdelikte wurden nur noch in geringer Anzahl festgestellt (2019: 6; 2018: 11). Im Jahr 2019 wurden sieben rechtsextremistisch motivierte Tötungsdelikte gezählt, von denen zwei vollendet wurden. Hierbei handelt es sich um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten in Wolfhagen (Hessen) und den versuchten Anschlag auf die Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) mit zwei Todesopfern. Beide Taten verdeutlichen, dass auch bei einem zahlenmäßigen Rückgang rechtsextremistischer Gewalttaten Gefährdungsmomente im Rechtsextremismus bestehen, die nicht mehr nur innerhalb etablierter rechtsextremistischer Strukturen und Organisationen zu finden sind, sondern die sich am Rande oder sogar außerhalb der rechtsextremistischen Szene entwickeln können. 1. Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten In der Nacht auf den 2. Juni 2019 wurde der Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel Dr. Walter Lübcke auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen (Hessen) getötet. Am Morgen des 15. Juni 2019 nahm die Polizei den mutmaßlichen Täter fest. Der Generalbundesanwalt (GBA) hat die Ermittlungen am 17. Juni 2019 übernommen. Im Zuge der weiteren Ermittlungen erhärtete 54 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS sich der Tatverdacht gegen eine zweite Person. Gegen beide Tatverdächtige wurde Haftbefehl erlassen. Nach dieser Gewalttat und insbesondere nach der Festnahme des mutmaßlichen Täters kommentiert die rechtsextremistische Szene den Fortgang der Ermittlungen. Allgemeiner Tenor - insbesondere in Statements, die im Namen von rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen abgegeben werden - ist die behauptete Instrumentalisierung der Tat durch staatliche Stellen und die Presse. Ziel sei eine verschärfte Repression gegen die rechtsextremistische Szene. Exemplarisch spekuliert die dem Kreisverband Dortmund (Nordrhein-Westfalen) der Partei "DIE RECHTE" zuzurechnende Website "DortmundEcho" in einem Beitrag über die Motivation des Tatverdächtigen: Die Tat sei für die "staatlichen Repressionsorgane (...) ein willkommener Vorwand, neue Repressionen gegen die nationale Bewegung im Allgemeinen auszulösen". Der Staat behaupte rechtsextremistische Netzwerke, um Handhabe für Exekutivmaßnahmen gegen "legale, politische Strukturen, zu denen in Dortmund etwa die Partei DIE RECHTE" gehöre, zu erlangen. Daher müsse die "politische Rechte" einen "klaren Kopf" bewahren und Veränderungen nur auf "legalem und friedlichem Weg" zu erreichen suchen.11 2. Versuchtes Tötungsdelikt in Wächtersbach (Hessen) Am 22. Juli 2019 kam es zu einem versuchten Tötungsdelikt an einem eritreischen Asylsuchenden in Wächtersbach. Nachdem der Täter ihn durch Schüsse schwer verletzt hatte, konnte er zunächst vom Tatort flüchten. Der Täter nahm sich während eines Telefonats mit der Polizei das Leben. Über ihn lagen bei den Verfassungsschutzbehörden keine Erkenntnisse vor. Bei einer Wohnungsdurchsuchung wurden jedoch Gegenstände festgestellt, die auf eine fremdenfeindliche Tatmotivation hinweisen. Die Ermittlungen dauern an. 11 Homepage "DortmundEcho" (26. Juni 2019). 55 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 3. Anschlag auf eine Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) am 9. Oktober 2019 In den Mittagsstunden des 9. Oktober 2019 versuchte ein 27-Jähriger, in eine Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) einzudringen. Er trug unter anderem Tarnkleidung sowie einen Helm mit einer daran befestigten Kamera und war ausgerüstet mit selbst gebauten Schusswaffen und Sprengkörpern. In der Synagoge befanden sich wegen des höchsten jüdischen Feiertags, dem Jom-KippurFest, mehrere Dutzend jüdische Gläubige. Der mutmaßliche Täter erschoss eine zufällig vorbeikommende Passantin. Nachdem er keinen Zutritt zur Synagoge erlangen konnte, ergriff er die Flucht, tötete unterwegs eine weitere Person und schoss auf eintreffende Polizisten. Während seiner weiteren Flucht verursachte der mutmaßliche Täter einen Verkehrsunfall, in dessen Folge er festgenommen werden konnte. Wenige Minuten vor der Tat hatte der mutmaßliche Täter eine Erklärung auf einem sogenannten Imageboard ins Internet eingestellt; von dort aus führte ein Link zu einer Gaming-Plattform, auf der die Tat als Livestream verfolgt werden konnte. Der mutmaßliche Täter begann das Video mit einer rudimentären Vorstellung seiner politischen Überzeugungen. In englischer Sprache und offensichtlich an ein Internetpublikum gerichtet leitete er diese mit einem antisemitischen Statement ein. In vom mutmaßlichen Täter im Internet veröffentlichten Dokumenten spielten antisemitische, aber auch fremdenund muslimfeindliche Ideologieelemente eine Rolle. Der Livestream erinnert in Anbetracht der verbalen Kommentierung und der Kameraperspektive an sogenannte Lets-Play-Videos der Gaming-Szene12. Die Tat von Halle weist Parallelen zum Anschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland)13 auf: Auch dort gab der Täter vor seinem Anschlag eine "Erklärung" zu seiner politischen Motivation ab, trug Tarnkleidung während der Tat, verwendete mehrere Schusswaffen und übertrug das 12 Videos, in denen Computerspiele gespielt und dabei vom Spieler kommentiert werden. Sowohl Spielverlauf als auch Kommentare werden dabei aufgezeichnet und auf einschlägigen Videoportalen wiedergegeben. 13 In Christchurch wurden am 15. März 2019 durch ein rechtsextremistisch motiviertes Attentat auf zwei Moscheen 51 Menschen getötet. 56 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Tatgeschehen aus einer Ego-Shooter-Perspektive per Livestream ins Internet. 4. Staatliche Maßnahmen Die Polizei hat am 16. Januar 2019 die Wohnungen von 17 Beschul"National Socialist digten wegen Mitgliedschaft in der neonationalsozialistischen Knights of the Gruppierung "National Socialist Knights of the Ku Klux Klan" in Ku Klux Klan" insgesamt acht Bundesländern durchsucht. Ihnen wird vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gemäß SS 129 Strafgesetzbuch (StGB) gebildet zu haben. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen wurden über hundert zum Teil erlaubnispflichtige Waffen sichergestellt. Scharfe Schusswaffen wurden nicht gefunden. Exekutivmaßnahmen am 10. April 2019 richteten sich gegen "Schnelle Rechtsextremisten aus dem Raum Cottbus (Brandenburg). Den Eingreiftruppe" Beschuldigten, bei denen es sich überwiegend um Angehörige einer ehemaligen rechtsextremistischen Hooligan-Gruppierung handelt, wird vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung nach SS 129 StGB gebildet zu haben. Unter der Bezeichnung "Schnelle Eingreiftruppe" sollen sie das Ziel verfolgt haben, Informationen über politische Gegner und Journalisten regionaler Printund Rundfunkmedien zu sammeln und diese anlassbezogen körperlich anzugreifen. Weitere Durchsuchungen erfolgten am 30. Juli 2019 in Hessen, "Sturmbrigade/ Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Sachsen-Anhalt bei Wolfsbrigade 44" mutmaßlichen Mitgliedern einer Gruppierung unter dem Namen "Sturmbrigade/Wolfsbrigade 44". Die Durchsuchungsmaßnahmen basierten auf einem Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft gegen die Gruppierung wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 StGB. Anfang des Jahres 2018 war in einem Regionalzug eine Reisetasche gefunden worden, in der sich neben T-Shirts mit rechtsextremistischen Bezügen - unter anderem ein T-Shirt mit dem Aufdruck "Sturmbrigade 44 Köthen-Anhalt" - auch diverse Waffen befunden hatten (darunter eine abgesägte Schrotflinte nebst Munition). Der GBA hat am 18. Juni 2019 gegen acht mutmaßliche Mitglieder "Revolution der rechtsterroristischen Gruppe "Revolution Chemnitz" vor dem Chemnitz" Oberlandesgericht (OLG) Dresden (Sachsen) Anklage erhoben. Den 57 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Tatverdächtigen wird vorgeworfen, eine terroristische Vereinigung gemäß SS 129a StGB gebildet zu haben. Sie hatten sich vor dem Hintergrund der massiven asylfeindlichen Demonstrationen in Chemnitz (Sachsen) nach einem von Asylbewerbern am 26. August 2018 verübten Tötungsdelikt an einem Deutschen zusammengefunden. In einer Chatgruppe sollen die Beschuldigten gewalttätige Angriffe auf Ausländer und politische Gegner geplant haben. Ziel von "Revolution Chemnitz" soll der Sturz der Bundesregierung und ein Zusammenbruch der demokratischen Ordnung gewesen sein.14 Entzug Die Schusswaffenanschläge in Wolfhagen, Wächtersbach (beide waffenrechtlicher Hessen) und Halle (Sachsen-Anhalt) rücken das GefährdungsErlaubnisse potenzial von Schusswaffen im Besitz von Rechtsextremisten in den Fokus. Die Verfassungsschutzbehörden sind daher fortlaufend bestrebt, rechtsextremistische Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse zu identifizieren und auf den Entzug der Erlaubnisse (insbesondere Waffenbesitzkarten und Kleine Waffenscheine) hinzuwirken. Im Berichtsjahr verfügten knapp 900 Rechtsextremisten über eine waffenrechtliche Erlaubnis. Das noch im Berichtszeitraum von Bundestag und Bundesrat beschlossene Dritte Waffenrechtsänderungsgesetz (3. WaffRÄndG)15 erweitert die Möglichkeiten der Waffenbehörden, den legalen Waffenbesitz durch Extremisten zu unterbinden. Ab Inkrafttreten soll die zuständige Waffenbehörde bei jedem Erstantrag auf Erteilung einer waffenrechtlichen Erlaubnis und bei jeder Folgeüberprüfung der Zuverlässigkeit eines Waffenbesitzers beim zuständigen Landesamt für Verfassungsschutz abfragen, ob dort Bedenken gegen die Zuverlässigkeit der betreffenden Person bestehen. Außerdem wurde die gesetzliche Möglichkeit geschaffen, Mitgliedern einer verfassungsfeindlichen Vereinigung die waffenrechtlichen Erlaubnisse zu entziehen, selbst wenn diese Vereinigung formell nicht verboten ist. Bei den Verfassungsschutzbehörden fallen regelmäßig auch Hinweise auf illegalen Waffenbesitz von verfassungsschutzbekannten Rechtsextremisten an. Oft fallen Szeneangehörige dadurch auf, 14 Das OLG Dresden (Sachsen) verurteilte am 24. März 2020 acht Rechtsextremisten im Alter von 22 bis 34 Jahren wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Revolution Chemnitz" zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und drei Monaten und fünfeinhalb Jahren. 15 Das 3. WaffRÄndG vom 17. Februar 2020 wurde am 19. Februar 2020 im Bundesgesetzblatt verkündet (BGBl. I S. 166). 58 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS dass sie im Internet, in sozialen Netzwerken oder in Chatgruppen offen mit Waffen posieren. Bei einem erheblichen Teil der polizeilichen Durchsuchungen, die die Verfassungsschutzbehörden in solchen Fällen initiieren, werden dann allerdings nur Anscheinswaffen wie zum Beispiel Softair-Waffen gefunden. Hinzu kommt, dass die Polizei immer wieder aufgrund von Bürgerhinweisen Durchsuchungen bei Personen durchführt, die den Verfassungsschutzbehörden bis dahin nicht bekannt waren, und dabei neben illegal besessenen Waffen auch rechtsextremistische Devotionalien findet. Die Verfassungsschutzbehörden prüfen in solchen Fällen, ob es Hinweise auf eine tiefergehende Einbindung dieser Personen in die rechtsextremistische Szene gibt. Im Berichtsjahr gelang es den Polizeiund Ordnungsbehörden zuVeranstaltungsdem, Veranstaltungen der rechtsextremistischen Kampfsportszene verbote und und der Musikszene zu verbieten oder mit Auflagen einzuschrän-auflagen ken (Vgl. Kap. III, Nr. 2 und 3). III. Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus 1. Methoden, Zielsetzung und Wirkungsweisen rechtsextremistischer Online-Netzwerke am Beispiel "Reconquista Germanica" Rechtsextremistische Akteure und Gruppierungen nutzen das Internet zur Informationsvermittlung, Meinungsbildung und Vernetzung. Dazu gehört auch eine im Internet um die Meinungshoheit wetteifernde Vielzahl von "Influencern"16 und "Trollen"17. Sie leisten einen Beitrag zur Verrohung der Sprache und Konsensverschiebung im öffentlichen Diskurs. Darüber hinaus bergen die Tatsachen, dass das Internet das von Jugendlichen mit Abstand am häufigsten genutzte Medium ist und dass es aufgrund seiner Verbreitungsmöglichkeiten und einer zum Teil fehlenden Kontrollinstanz ein ideales Medium für rechtsextremistische Inhalte darstellt, ein besonderes Gefahrenpotenzial, durch das ein Szeneeinstieg begünstigt werden kann. 16 Als "Influencer" werden Meinungsführer und Multiplikatoren im Internet bezeichnet. 17 Als "Troll" werden im Internet Personen bezeichnet, die auf emotionale Provokation anderer Gesprächsteilnehmer zielen. 59 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS In der Auseinandersetzung um die Diskurshoheit kreieren Rechtsextremisten zum einen eine "alternative" mediale Öffentlichkeit mit "alternativen" Nachrichtenseiten und Blogs. Zum anderen versuchen sie, durch die von "Hatern"18 und "Troll-Armeen" platzierte und koordinierte Provokation über soziale Medien die Aufmerksamkeit auf eigene Narrative zu lenken und den demokratischen Diskurs zu manipulieren. Charakteristisch und zugleich neu ist die Entwicklung, dass sich sowohl Rechtsextremisten, Rechtspopulisten als auch Provokateure, die sich politisch nicht positionieren, auf einer Aktionsplattform innerhalb eines inhomogenen Milieus treffen und gemeinsam agitieren. Die Verbreitung von Hassbotschaften, insbesondere in sozialen Netzwerken, steht bei rechtsextremistischen Akteuren hierbei im Vordergrund. Ziel ist es, durch Verneinung der Gleichwertigkeit aller Menschen Ressentiments gegen Minderheiten zu schüren. Zwar ist die Anzahl derjenigen, die im Internet stark polarisieren, verhältnismäßig gering, diese wenigen Akteure erwecken jedoch durch ihre große Präsenz den Eindruck einer breiten Masse. "Trolle" bedienen sich hierzu einfacher Mittel und erstellen beispielsweise zahlreiche Fake-Accounts, um in den Kommentarspalten sozialer Medien Themenschwerpunkte zu setzen. Hinzu kommt, dass viele rechtsextremistische Aussagen unter dem Deckmantel des Humors und der Satire in den vorpolitischen Raum transportiert werden. Diese Vorgehensweise begünstigt eine Abschwächung der Vorbehalte anderer Diskursteilnehmer gegenüber rechtsextremistischen Inhalten. "Reconquista Der Hass im Internet geht sowohl von einzelnen Akteuren als auch Germanica" von Gruppen aus. Letztere können ihre Angriffe koordiniert und konzentriert durchführen. Ein Beispiel für eine solche rechtsextremistische Internetgruppierung ist "Reconquista Germanica" (RG), die erstmals vor der Bundestagswahl 2017 in Erscheinung trat und die sich im Oktober 2019 nach eigenen Angaben aufgelöst haben soll. Sie war primär anonym in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke aktiv, wo sie durch das Liken und Disliken von Inhalten mit in großer Zahl angelegten Fake-Accounts eine verzerrte Mehrheitsmeinung vortäuschte und durch die Verwendung von 18 Als "Hater" werden Personen im Internet bezeichnet, die ihre massive Abneigung gegen etwas oder jemanden in Wort und Schrift verbreiten. 60 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS "Memes"19 auf subtile Weise eigene rassistische Inhalte in den Diskurs steuerte. Ihre "Troll-Aktionen" wurden über verschlüsselte Sprachund Textkanäle einer Gaming-Plattform geplant und koordiniert. Die Gruppierung wies eine streng hierarchisch organisierte Struktur mit einer militärischen Rangordnung auf. Der Gründer von RG, in der Außendarstellung auch als "Oberbefehlshaber" bezeichnet, veröffentlichte zudem im Internet Videos zur Ideologie und den Zielen der RG. Die Ideologie der RG basierte auf rechtsextremistischen Narrativen. Es wurden Verschwörungstheorien einer bevorstehenden "Umvolkung" durch Fremde verbreitet und die "Remigration" bereits in Deutschland beheimateter Zuwanderer gefordert. Rechtsextremistische Motive wie Fremdenfeindlichkeit und Rassismus sind Bestandteil dessen, was auch in den Videos des "Oberbefehlshabers" der RG veröffentlicht wurde. Das Beispiel RG zeigt, dass es auf Basis virtueller Kommunikationsund Aktionsformen möglich ist, in kurzer Zeit eine inhomogene Gruppe zu mobilisieren, um den öffentlichen Meinungsbildungsprozess mit rechtsextremistischem Gedankengut zu beeinflussen. Weiter stellen diese technologischen Möglichkeiten der Kommunikation und Organisation, die vorrangig bei Onlinespielen von jungen, männlichen Erwachsenen genutzt werden, eine Verbreitungsmöglichkeit für rechtsextremistisches Gedankengut dar, die vergleichbar mit derjenigen der Musikoder der Kampfsportszene ist. 2. Rechtsextremistische Kampfsportszene im Fokus behördlicher Maßnahmen Die in den vergangenen Jahren zunehmend erstarkte und professionell organisierte rechtsextremistische Kampfsportszene stand im Jahr 2019 im Fokus behördlicher Maßnahmen. Seit 2013 fand jährlich das rechtsextremistische Kampfsportturnier Kampfsportturnier "Kampf der Nibelungen" (KdN) statt, das gerade in den letzten Jah"Kampf der ren stetig steigende Besucherzahlen aufweisen konnte (2018: 850). Nibelungen" verboten 19 "Memes" sind ein Internetphänomen, oft eine Kombination aus Bild und Text, welche sich im Internet viral verbreiten. Meist beziehen sich "Memes" auf aktuelle Ereignisse oder beliebte Serien und Filme. 61 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Nachdem das Turnier in früheren Jahren stets sehr konspirativ organisiert worden war, wurde es 2018 erstmals vom Veranstalter offiziell angemeldet und durchgeführt. Im Berichtsjahr gelang es den zuständigen Polizeiund Ordnungsbehörden zum ersten Mal, das für den 12. Oktober in Ostritz (Sachsen) angemeldete Turnier zu verbieten. Die Stadt Ostritz untersagte die Durchführung der Veranstaltung mit der Begründung, dass von ihr eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgehe. Wesentliche Teile der Verbotsverfügung stützten sich auf ein Behördenzeugnis des BfV. Der Widerspruch des Anmelders scheiterte, nachdem das Oberverwaltungsgericht Bautzen (Sachsen) am 11. Oktober 2019 das Verbot in letzter Instanz bestätigte. Kampfsportformat Anders als der im Vorfeld angemeldete KdN, aber vergleichbar "TIWAZ - Kampf der konspirativ wie frühere KdN-Veranstaltungen, wurde am 8. Juni freien Männer" 2019 in Zwickau (Sachsen) zum zweiten Mal das rechtsextremistische Kampfsportformat "TIWAZ20 - Kampf der freien Männer" mit rund 400 (2018: circa 450) Teilnehmern durchgeführt. Als Veranstaltungsort war ursprünglich eine alte Werkshalle in der Zwickauer Innenstadt vorgesehen. Nach Gesprächen mit der Polizei war der Vermieter vom Mietvertrag mit dem Veranstalter zurückgetreten. Kurzfristig gelang es den Organisatoren, die Veranstaltung nach Zwickau auf das Gelände einer Paintball-Anlage unter freiem Himmel zu verlegen. Durch ideologisch geprägte Reden während der Kämpfe wird auch das "TIWAZ" gezielt in einen weltanschaulichen, rechtsextremistischen Kontext gesetzt. Die Kampfsportturniere KdN und "TIWAZ" konkurrieren nicht miteinander. Die Organisatoren unterstützen sich vielmehr bei ihren Veranstaltungen. "Jugend im Sturm" Im Rahmen des Festivals "Jugend im Sturm" der rechtsextremistischen Kleinpartei "Der III. Weg" sollte am 6. Juli 2019 in Erfurt (Thüringen) ebenfalls zum zweiten Mal ein Kampfsportturnier stattfinden. Die gesamte Veranstaltung wurde im Vorfeld von den Erfurter Ordnungsbehörden untersagt. Darüber hinaus beteiligten sich deutsche Rechtsextremisten im Berichtsjahr als Besucher, Kämpfer, Betreuer und Trainer an 20 Der Name "TIWAZ" bezieht sich auf "Tyr", den germanischen Gott des Kampfes. Ihm ist die "Tiwaz"-Rune des nordischen Runenalphabets zugeordnet. 62 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS mehreren lokalen Kampfsporttrainings oder -seminaren neonazistischer Strukturen. Zudem nahmen Szeneangehörige aus Deutschland an rechtsextremistischen Kampfsportturnieren in Bulgarien, Griechenland und der Ukraine teil, woraus eine wachsende Vernetzung der rechtsextremistischen Kampfsportszene in Deutschland mit ausländischen neonazistischen Kampfsportlern und Gruppierungen resultiert. 3. Großveranstaltungen mit Musik und Redebeiträgen Rechtsextremistische Musik und Musikveranstaltungen haben weiterhin eine wichtige Bedeutung für die rechtsextremistische Szene. Insbesondere die Teilnahme an rechtsextremistischen Musikveranstaltungen bietet jungen Szeneangehörigen ein identitätsstiftendes Gemeinschaftsund Stärkegefühl. Zugleich werden durch die Liedtexte rechtsextremistische Ansichten, Feindbilder und Ideologiefragmente verbreitet und gefestigt. Die Musik verbindet somit ideologische Agitation mit jugendspezifischen Formen der Freizeitgestaltung und Unterhaltung. Sie stellt damit einen bedeutenden und aus Sicht der Szene attraktiven Bestandteil des Rechtsextremismus dar, der sich dieser Szene gegenüber als umfassende Erlebniswelt darbietet. Im Berichtsjahr fanden erneut diverse Musikgroßveranstaltungen mit mehr als 500 Teilnehmern statt, die im Vergleich zu den sonstigen rechtsextremistischen Veranstaltungen hohe Besucherzahlen aufwiesen. Insbesondere diese Musikgroßveranstaltungen erzielten daher eine entsprechende Öffentlichkeitswirksamkeit. 63 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 2018 2019 Konzerte 60 64 Liederabende 95 133 Sonstige21 115 114 Insgesamt 270 311 Wie bereits in den letzten Jahren fanden die großen besucherstarken Musikund Rednerveranstaltungen im Bundesgebiet ausschließlich in Sachsen und Thüringen statt - zum Teil als zweitägige Festivals. Bei diesen Großveranstaltungen stellen die Musikbeiträge zwar den inhaltlichen und quantitativen Schwerpunkt dar, durch die Auftritte rechtsextremistischer Redner und durch Informationsstände rechtsextremistischer Parteien, sonstiger Organisationen oder rechtsextremistischer Medien erhalten sie jedoch den in der Vergangenheit auch mehrfach gerichtlich bestätigten Charakter einer politischen Versammlung. Damit unterliegen sie trotz ihrer rechtsextremistischen Inhalte dem grundgesetzlich garantierten Schutz der Versammlungsfreiheit, die nur unter hohen Voraussetzungen eingeschränkt werden darf. Veranstaltungsreihe Im Jahr 2019 fanden erneut in Ostritz (Sachsen) auf einem bereits "Schild & Schwert" mehrfach für rechtsextremistische Veranstaltungen genutzten Gelände im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Schild & Schwert" zwei größere Musikund Rednerveranstaltungen statt. Anmelder und maßgeblicher Organisator der Veranstaltung war ein weiteres Mal der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Thorsten Heise. Am 23. März 2019 kamen hierzu circa 560 sowie am 21. und 22. Juni 2019 bis zu 700 Teilnehmer aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland zusammen. Anders als 2018 reduzierte sich das geplante Angebot an Events bei der Veranstaltung im Juni jedoch erheblich. So fanden beispielsweise die angekündigte Kampfsportveranstaltung und die Tattoo-Convention nicht statt. Nach einem von der Stadt Ostritz 21 Darunter fallen unter anderem Demonstrationen, Parteiveranstaltungen oder Rednerauftritte, die von musikalischen Darbietungen rechtsextremistischer Interpreten flankiert werden. 64 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS verhängten und gerichtlich bestätigten Alkoholverbot beschlagnahmte die Polizei an den Veranstaltungstagen 4.400 Liter Bier. Die "Schild & Schwert"-Reihe soll laut Aussage des Veranstalters trotz abnehmender Besucherzahlen fortgesetzt werden. Die teilnehmerstärkste Musikveranstaltung fand wie schon im Jahr 2018 in Themar (Thüringen) statt. Bei der zweiten Auflage der Musikund Rednerveranstaltung "Tage der nationalen Bewegung" versammelten sich am 5. Juli 2019 circa 380 und am Folgetag circa 920 Rechtsextremisten aus dem ganzen Bundesgebiet sowie aus einigen europäischen Nachbarstaaten. Die Besucherzahl war jedoch erheblich geringer als im Juni 2018, als sich bis zu 2.250 Teilnehmer in Themar eingefunden hatten. Ein Alkoholverbot, das das Landratsamt Hildburghausen (Thüringen) im Vorfeld verhängt hatte, wurde gerichtlich bestätigt und führte zur polizeilichen Beschlagnahme der vorhandenen Alkoholvorräte und zur Untersagung des Alkoholausschanks in einem benachbarten Szenelokal. Der im Vergleich zum Vorjahr erheblich schwächere Besucherzuspruch dieser Musikund Rednerveranstaltungen dürfte insbesondere auf die konsequente Umsetzung der ordnungsbehördlichen Auflagen zurückzuführen sein. Im Berichtsjahr konnten weitere rechtsextremistische MusikverMusikveranstaltungen anstaltungen bereits im Vorfeld durch behördliche Maßnahmen verhindert verhindert werden. So sollte am 12. Oktober 2019 in Ellwangen (Baden-Württemberg) ein rechtsextremistisches Konzert mit Bezügen zu "Blood & Honour" stattfinden. Das Konzert sollte mutmaßlich als Gedenkkonzert für den 1993 verstorbenen Gründer der "Blood & Honour"-Bewegung Ian Stuart Donaldson dienen. Neben Teilnehmern aus Deutschland wurden auch Gäste aus dem europäischen Ausland erwartet. Nachdem das BfV den zuständigen Behörden Erkenntnisse über das geplante Konzert zur Verfügung gestellt hatte, erließen diese auf Grundlage des Verbots der "Blood & Honour Division Deutschland" aus dem Jahr 2000 eine Verbotsverfügung, die am Veranstaltungstag von der Polizei vollzogen wurde. Der Versuch, in den Landkreis Ansbach (Bayern) auszuweichen, scheiterte ebenfalls am Einschreiten der Polizei. Dennoch stellen die kombinierten Musikund RednerveranstalSpektrentungen derzeit immer noch die teilnehmerstärksten Veranstaltunübergreifende gen im deutschen Rechtsextremismus dar. Hierbei kommt es zu Vernetzung 65 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS einem Zusammentreffen der verschiedenen rechtsextremistischen Spektren, bei dem Angehörige der subkulturell geprägten sowie der neonazistischen Szene überwiegen. Eine das Gemeinschaftsgefühl stärkende Teilnahme an diesen Veranstaltungen führt zu einer Förderung der internen Vernetzung. Darüber hinaus werden Teile der erwirtschafteten Gewinne zu einem verstärkten Ausbau rechtsextremistischer Aktivitäten und Strukturen genutzt. 4. Antisemitismus im Rechtsextremismus Unter Antisemitismus versteht man die antizionistisch, religiös, sozial, politisch oder rassistisch motivierte Feindschaft gegen Juden. Hinzu kommt ein sekundärer Antisemitismus, der sich in Relativierung oder Leugnung des Holocaust, der Forderung nach einem Schlussstrich unter die Vergangenheit oder in der rhetorischen Umkehr von Opfern und Tätern äußert. Politischer Die im Rechtsextremismus am häufigsten anzutreffende Form des Antisemitismus Antisemitismus ist der sogenannte politische Antisemitismus. In dessen Rahmen nehmen vor allem Verschwörungstheorien an Bedeutung zu. Danach seien "die Juden" eine politisch einflussreiche Macht im Hintergrund, die auf die Zerstörung organisch gewachsener Völker abziele und etwa Pläne zur "Umvolkung" Deutschlands verfolge. So stellt beispielsweise die von Neonazis herausgegebene Publikation "Volk in Bewegung - Der Reichsbote" explizit einen entsprechenden antisemitischen Zusammenhang her: "Die 'BRD' ist seit dem verlorenen Zweiten Weltkrieg als Besatzungskonstrukt eine Fremdherrschaft, in der deutsche Handlanger das Deutsche Reich im Auftrag der alliierten Siegermächte besetzt halten und verwalten. Das erklärt die endlose Reihe an volksfeindlichen Handlungen der derzeitigen Machthaber wie etwa die Überfremdung und Verdrängung unseres Volkes und der übrigen Völker Europas durch Heerscharen außereuropäischer Eindringlinge. (...) Medien und Erziehungswesen sind in den Händen der Besatzer, und u.a. spielt ein 'Zentralrat der Juden in Deutschland' per 'Staatsvertrag' den einflussreichen Aufpasser." ("Volk in Bewegung - Der Reichsbote", Ausgabe 5/2019, S. 17 f.) 66 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Bedeutsam für die rechtsextremistische Propaganda ist zudem der Sekundärer und sogenannte sekundäre Antisemitismus. Dabei wird Juden unterantizionistischer stellt, die Erinnerung an den Holocaust für ihre politischen und Antisemitismus materiellen Interessen zu benutzen. Aktuell nimmt ferner der antizionistische Antisemitismus in der rechtsextremistischen Agitation einen breiten Raum ein. Für angebliche Verbrechen Israels werden hier Juden allgemein verantwortlich gemacht. Antisemitismus tritt strömungsübergreifend innerhalb des Rechtsextremismus in seinen unterschiedlichen Facetten auf: Insbesondere in seiner politischen, sekundären und antizionistiAntisemitismus schen Ausprägung spielt Antisemitismus im deutschen rechtsexim rechtstremistischen Parteienspektrum eine wichtige Rolle. So bedienen extremistischen regelmäßig Vertreter der "Nationaldemokratischen Partei DeutschParteienspektrum lands" (NPD) Verschwörungstheorien im Sinne eines politischen und antizionistischen Antisemitismus. "Ohne sich auf ein plumpes Juden-Bashing herablassen zu wollen, zeigen wir Gesicht gegen das Treiben von Menschen wie George Soros, welche die Geschicke lenken, die verlogenen Medien unter ihrer Kontrolle haben und die Überfremdung Europas gezielt mit ihrem Finanzkapital fördern. (...) Wir sind der Meinung: Es reicht nicht, immer nur gegen den Islam, die Lügenpresse, oder die Marionetten im Kanzleramt zu schimpfen. Man muss auch die, die diese Marionetten steuern, mit offenem Visier bekämpfen und die Menschen über diese bösartigen Eliten aufklären." (Homepage des NPD-Kreisverbands Nürnberg, 23. September 2019) Grundsätzlich ist antisemitisches Denken auch in der Partei "Der III. Weg" fest verankert, die sich auch programmatisch auf den historischen Nationalsozialismus bezieht. So wird Israel seit Jahren auf der Homepage der Partei als "Terrorstaat" bezeichnet sowie unter der Überschrift "Israel-Boykott: Was jeder gegen den zionistischen Völkermord tun kann" offen zum Boykott von Produkten aus Israel, dem "zionistischen Geschwür im Nahen Osten", dem "zionistischen Raubstaat", aufgerufen. Dies helfe dabei, "den Völkermord in Palästina [zu] bekämpfen".22 Im Berichtsjahr bot die Partei zudem 22 Homepage "Der III. Weg" (4. Dezember 2019). 67 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS in ihrem Materialvertrieb Aufkleber mit der Aufschrift "Terrorstaat Israel" oder "Keine Solidarität mit Israel!" an. Die Nominierung der mehrfach verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel durch die Partei "DIE RECHTE" als Spitzenkandidatin für die Europawahl 2019 und der auf ihre Haft fokussierte Wahlkampf zeigen die Bedeutung antisemitischer Positionen innerhalb dieser Partei. Eine Veranstaltung am 9. November 2019 in Bielefeld (Nordrhein-Westfalen) stand unter dem Motto "FREIHEIT FÜR URSULA HAVERBECK!". Anlass war der 91. Geburtstag von Haverbeck-Wetzel am Vortag. Während der Demonstration wurde unter anderem die Parole "Nie wieder Israel" skandiert. Zugleich propagiert die Partei mit solchen Äußerungen eine eindeutig antisemitische Haltung. Diese Veranstaltung wurde zusätzlich aufgeladen durch den Jahrestag der Reichspogromnacht 1938. Antisemitismus Noch aggressiver als im rechtsextremistischen Parteienspektin neonationalrum tritt Antisemitismus bei klandestin agierenden neonationalsozialistischen sozialistischen Kleingruppen wie etwa der "Atomwaffendivision Kleingruppen Deutschland" auf. Es handelt sich dabei um eine ursprünglich aus den USA stammende Gruppierung, die den totalen Bürgerkrieg zum Erhalt der weißen Rasse propagiert und terroristische Akte befürwortet. Ein Flyer, der im Juni 2019 unmittelbar vor dem 15. Jahrestag des NSU-Nagelbombenattentats in Köln-Mülheim (Nordrhein-Westfalen) verteilt wurde, bedroht zunächst Muslime, um dann Juden als den wahren Feind auszumachen: "Moslems in Deutschland! Eure Invasion in unser Land wird scheitern. Das deutsche Volk wacht auf, und wir erkennen immer klarer, dass ihr Feinde seid, und uns hasst. Ihr seid das willfährige Werkzeug der Juden, um Deutschland und Europa zu zerstören. Deshalb ist jeder einzelne von euch ein legitimes Ziel." Ebenfalls zu einem nationalsozialistisch geprägten Antisemitismus bekennt sich die Gruppierung "Nordadler". Diese überwiegend im Internet aktive Kleingruppe mit einer Mitgliederzahl im niedrigen zweistelligen Bereich thematisiert im Rahmen ihrer Gewaltund Machtergreifungsfantasien auch die großflächige Vertreibung und Auslöschung von Juden. 68 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Dass antisemitische Gewaltfantasien auch in die Tat umgesetzt Terroranschlag werden können, zeigt der Angriff vom 9. Oktober 2019 auf eine von Halle Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt). Der Attentäter versuchte, in das aufgrund eines jüdischen Feiertages gut besuchte Gotteshaus einzudringen, scheiterte aber an den dortigen Sicherheitsvorkehrungen. Daraufhin erschoss der Attentäter zwei nichtjüdische Personen, die ihm zufällig begegneten (vgl. Kap. II, Nr. 3). Kurz vor seinem Angriff auf die Synagoge leugnete der mutmaßliche Täter in englischer Sprache den Holocaust. Antisemitisches Gedankengut hat vielfältige Verbreitungswege. Im Internet wird es mittlerweile in Bevölkerungsgruppen transportiert, die bislang nicht für klassische Propaganda etwa in gedruckter Form erreichbar waren. Dies stellt die Sicherheitsbehörden vor enorme Herausforderungen. 5. Auslandsbeziehungen deutscher Rechtsextremisten Im Berichtsjahr setzten deutsche Rechtsextremisten ihre Kooperationen mit ausländischen Rechtsextremisten unvermindert fort. Hinsichtlich der internationalen Vernetzung spielt die Nutzung sozialer Netzwerke eine herausragende Rolle. Neben den institutionalisierten Kontakten sind diese Auslandsbeziehungen vornehmlich von persönlichen Kennverhältnissen geprägt. Rechtsextremistische Parteien zeigen ein breites Spektrum an Aktivitäten und Kontakten im Ausland. Nationale und europäische Parteien und Parteizusammenschlüsse (z.B. "Goldene Morgenröte"23 aus Griechenland, "Parti Nationaliste Francais" aus Frankreich, "Alliance for Peace and Freedom" als europaweites Bündnis) sowie außerparlamentarische nationalistische Oppositionsbewegungen (z.B. "Nordische Widerstandsbewegung"24, deren Teilorganisationen in den verschiedenen skandinavischen Staaten bestehen) zählen ebenso zu den Partnern deutscher Rechtsextremisten wie in der rechtsextremistischen Szene bekannte Einzelpersonen. So versuchen beispielsweise Aktivisten aus dem rechtsextremistischen Spektrum in der Ukraine, bei einschlägigen 23 "Chrysi Avgi". 24 "Nordiska motstandsrörelsen". 69 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Szeneveranstaltungen in Deutschland Kontakte zu knüpfen und Unterstützer für die dortige Szene zu werben. Die jährlich stattfindenden zentralen "Gedenkveranstaltungen" der internationalen rechtsextremistischen Szene - beispielsweise der "Tag der Ehre" am 9. Februar 2019 in Budapest (Ungarn) oder der am 16. Februar 2019 abgehaltene "Lukov-Marsch" in Sofia (Bulgarien) - bilden weiterhin einen Schwerpunkt für die internationale Vernetzung der rechtsextremistischen Szene. Die hohe und nach wie vor ansteigende Teilnehmerzahl deutscher Rechtsextremisten belegt den Stellenwert dieser Ereignisse, da sie regelmäßig die Gelegenheit bieten, neue Kontakte zu knüpfen und bestehende internationale Vernetzungen zu stärken beziehungsweise neu zu gründen. Auch nehmen umgekehrt ausländische Rechtsextremisten regelmäßig an Veranstaltungen der deutschen rechtsextremistischen Szene teil. Einen Schwerpunkt bilden hier Großkonzerte, szeneübergreifende Großveranstaltungen wie zum Beispiel das "Schild & Schwert"-Festival oder Veranstaltungen der rechtsextremistischen Kampfsportszene. Das Bestreben deutscher Rechtsextremisten nach der Intensivierung ihrer internationalen Kontakte zeigt sich auch in der Bildung länderübergreifender Allianzen. So wurde im Rahmen eines Treffens europäischer Rechtsextremisten am 20. und 21. April 2019 in Sofia das internationale Bündnis "Festung Europa" unter Beteiligung von Vertretern der Partei "DIE RECHTE" gegründet. Neben der Partei "DIE RECHTE" gehören dem Bündnis fünf weitere Gründungsorganisationen aus Bulgarien ("Bulgarski Nationalen Sajuz"/"Bulgarischer Nationalbund"), Frankreich ("Les Nationalistes"), Ungarn ("Legio Hungaria"/"Legion Ungarn"), Tschechien ("Narodni a socialni fronta"/"Nationale und Soziale Front") sowie Polen ("Szlurm"/"Angriff") an. Unter dem Leitspruch "Unsere Nationen - Unser Europa" soll eine länderübergreifende Allianz den bis dato eher lose gepflegten Austausch der im Bündnis versammelten Parteien und Organisationen festigen, um für eine bessere Koordination der länderübergreifenden Zusammenarbeit zu sorgen. In der Erklärung heißt es: "Mit dem 'Bündnis Festung Europa' ('Alliance Fortress Europe') starten wir ein Projekt, welches darauf abzielt, ein Allianz zwischen europäischen Nationalisten zu bilden. (...) Sicherlich verfolgen nicht alle Organisationen identische 70 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Ideen, doch das Ziel, den Charakter unseres Kontinentes zu bewahren, vereint sie." (Homepage "DortmundEcho", 9. Dezember 2019) Höchste Priorität müsse "das körperliche, kulturelle und spirituelle Überleben unserer Völker und der europäischen Zivilisation als Ganzes" besitzen. Man sehe sich in der Pflicht, Strukturen aufzubauen, um Europa vor seinen inneren und äußeren Bedrohungen zu schützen und Widerstand zu leisten gegen die "zerstörerischen EU-Machteliten". Zu diesem Zweck sollen auch mit weiteren Parteien und Organisationen Gespräche erfolgen, um die Allianz weiter auszubauen und zu stärken.25 6. Rechtsextremistische Publikationen Die Reichweite der wenigen verbliebenen rechtsextremistischen Periodika mit bundesweiter Bedeutung blieb auch im Jahr 2019 gering. Nur wenige Publikationen erreichen eine regelmäßige vierstellige Auflage, ebenso ist ihr Einfluss auf den gesamtgesellschaftlichen Diskurs unbedeutend. Verschiedene Akteure versuchten jedoch auch 2019, auf publizistisch unterschiedliche Weise ideologische Akzente zu setzen. Die rechtsextremistische Partei "Der III. Weg" setzte mit einer Zweite zweiten Broschüre unter dem Titel "Der Nationalrevolutionär - Grundlagenschrift Handbuch für Aktivisten unserer Bewegung" ihre "Nationalrevoder Partei lutionäre Schriftenreihe"26 fort, mit der sie auch über die Grenzen "Der III. Weg" der Partei hinaus ideologiebildend und handlungsanleitend wirken will. Die seit April 2019 über den parteieigenen Materialvertrieb angebotene Broschüre ist aufgrund ihrer visuellen Gestaltung und Praxisorientierung geeignet, auch außerhalb des traditionellen neonationalsozialistischen Spektrums Leser zu finden. Sie erschien nach eigenen Angaben in einer Auflage von 1.000 Exemplaren. Inhaltlich besaß die Veröffentlichung größtenteils den Charakter einer theoretischen Grundlagenschrift. In sechs Kapiteln behandelt die Broschüre grundlegende Aspekte von Weltanschauung, 25 Homepage "DortmundEcho" (9. Dezember 2019). 26 Ende 2017 hatte "Der III. Weg" bereits eine 58-seitige Broschüre mit dem programmatischen Titel "NATIONAL, REVOLUTIONÄR, SOZIALISTISCH" in einer - nach eigenen Angaben - Auflage von 1.000 Exemplaren herausgegeben. 71 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Organisationsform, Programmatik, Außendarstellung und Lebensführung für den einzelnen Aktivisten. Mit der Publikation setzt die Partei ihre Bemühungen fort, die nationalsozialistische Weltanschauung an die Umstände und Erfordernisse der modernen Zeit im Angesicht digitaler Massenkommunikation anzupassen. Die Bezüge zum historischen Nationalsozialismus bleiben aber trotz der Versuche einer formal äußerlichen Aktualisierung sowohl durch Verweise auf nationalsozialistische Schriftsteller als auch durch sprachliche und inhaltliche Parallelen klar erkennbar. Dabei richtet sich die Schrift allgemein an eine wesentlich breitere Leserschaft als die eigene Partei. Dies zeigt unter anderem die Auflagehöhe, die weit über die Mitgliederzahl der Partei "Der III. Weg" hinausgeht. Die zentrale politische Zielsetzung wird wie folgt formuliert: "Als Lösung (...) bieten wir unsere Vision eines Deutschen Sozialismus jenseits von ausbeuterischem Kapitalismus ebenso wie gleichmacherischem Kommunismus an. Wir kämpfen für ihn als Bewahrer unseres Volkstums. Die Verknüpfung der sozialen Frage mit der ethnischen wird das entscheidende Thema unserer Generation werden." ("Der Nationalrevolutionär - Handbuch für Aktivisten unserer Bewegung", S. 52) "Werk-Kodex" Mit einer zweiten Ausgabe der im Jahr 2018 erstmals erschienenen Publikation "Werk-Kodex" setzte der Herausgeber, ein ehemaliges Bundesvorstandsmitglied der NPD, seine Bemühungen um die Etablierung eines Magazins fort, das über die Grenzen des rechtsextremistischen Spektrums ausstrahlt und politische Themen beziehungsweise rechtsextremistische Weltanschauung durch Einkleidung in andere Themen transportiert. Die unter dem thematischen Schwerpunkt "Ernährung" stehende und optisch abermals aufwendig gestaltete Ausgabe enthält Beiträge verschiedener Autoren, darunter auch bekannter Rechtsextremisten. Die Texte sind geprägt durch die romantisierende Schilderung eines utopischen Idealzustands - der Mensch im Einklang mit der Natur - oder betonen Nachhaltigkeit und Ökologie als Grundpfeiler "rechter" Weltanschauung. Somit durchzieht das Heft trotz einer modernistischen Kritik an der vermeintlichen Dekadenz und Entfremdung der modernen Welt eine stets durchscheinende Fokussierung auf den historischen Nationalsozialismus als vorbildhafte 72 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Gesellschaftsordnung. So schreibt einer der Autoren der zweiten Ausgabe des "Werk-Kodex" unter der Überschrift "Biologische Landwirtschaft": "Kein Wunder, dass auch bei der deutschen Kultur-Erneuerung ab 1933 die Frage der richtigen Landwirtschaftsweise eine große Rolle spielte. Wir (...) wollen nur grundsätzlich festhalten, dass sowohl Rudolf Hess als auch Reichsbauernführer Richard Walter Darre die biologisch-dynamische Wirtschaftsweise nicht nur befürworteten, sondern tatkräftig förderten und dass sogar die Heilkräutergärten der SS biodynamisch gepflegt wurden." (Werk-Kodex Nr. 2, Winter 2018, S. 38) Damit steht "Werk-Kodex" beispielhaft für die strukturellen Probleme der rechtsextremistischen Publizistik: Sie scheitert regelmäßig an ideologischer Einengung und daraus resultierend an mangelnder Anschlussfähigkeit, die wiederum spektrenübergreifende Resonanz innerhalb der Szene verhindert. Die seit März 2017 zweimonatlich erscheinende Zeitschrift "N.S. "N.S. Heute" Heute" gehört mittlerweile zu den bedeutendsten neonazistischen Publikationen. Mit einer Auflage von 1.500 Exemplaren hat sie wie kaum eine andere derzeit erscheinende rechtsextremistische Publikation das Selbstverständnis eines übergreifenden Sprachrohrs sowie den Anspruch eines ideologischen Leitmediums für die gesamte Neonaziszene. Inhaltlich und sprachlich gelingt ihr dies auch insofern, als "N.S. Heute" ganz offen an den historischen Nationalsozialismus anknüpft. In einer zweiteiligen Reihe über "Mögliche Strategien für Nationale Sozialisten" heißt es etwa: "Eine zum Erfolg führende Strategie braucht zwingend ein unumstößliches Ziel. (...) Für uns als Nationale Sozialisten heißt dieses strategische Ziel Blut und Boden." ("N.S. Heute" Nr. 13, Januar/Februar 2019, S. 32 f.) Im Berichtsjahr versuchte die Publikation erstmals, ideologische Impulse mit einer eigenen Veranstaltung zu setzen: Am 2. November 2019 fand im Ruhrgebiet ein erstes "N.S. Heute"-Leserund Autorentreffen statt. Der Herausgeber leitete hier eine Podiumsdiskussion, die unter dem Titel "Nationaler Widerstand 2.0 - Ausgetretene Pfade verlassen, neue Wege beschreiten" stand. 73 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Als Vertreter unterschiedlicher Generationen der als "Nationaler Widerstand" bezeichneten Neonaziszene traten hier drei weitere Neonazis mit unterschiedlicher Organisationszugehörigkeit auf. Im September 2019 erhob die Staatsanwaltschaft Dortmund Anklage gegen den Herausgeber von "N.S. Heute" Sascha Krolzig, einen der beiden Bundesvorsitzenden der Partei "DIE RECHTE". Sie wirft ihm zum einen vor, den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise durch Herausgabe einer den Nationalsozialismus verherrlichenden Schrift gestört zu haben. Zum anderen habe der Angeklagte mit "N.S. Heute" zum Hass gegen Fremde angestachelt. Damit habe er Propagandamittel verbreitet, die dazu bestimmt seien, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation - und zwar der NSDAP - fortzusetzen. Dies werde nicht nur in der Forderung nach Wiedereinführung des nationalsozialistischen Führerprinzips und der Rassenlehre deutlich, sondern auch an dem aggressiven kämpferischen Stil der Publikation. 7. Zeitzeugenvorträge als spektrenübergreifende Kontaktund Vernetzungsmöglichkeit Zeitzeugenvorträge, bei denen Personen auftreten, die in der Zeit des historischen Nationalsozialismus sozialisiert wurden und ihre damaligen Lebenserinnerungen schildern, gehören seit Jahren zu den bedeutenden öffentlichen Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene. Derartige Veranstaltungen finden mittlerweile im gesamten Bundesgebiet statt. Wenngleich diese Zeitzeugenvorträge weitgehend szeneintern - etwa in geschlossenen Gruppen sozialer Netzwerke - beworben werden, ziehen sie zuweilen untere dreistellige Besucherzahlen an. Die Verknüpfung von Vorträgen mit Auftritten rechtsextremistischer Liedermacher steigert die Attraktivität der Zeitzeugenvorträge für ein historisch interessiertes Publikum und junge Szeneangehörige gleichermaßen. Derartige Vortragsveranstaltungen erfüllen zwei wichtige Funktionen für die rechtsextremistische Szene: Zum einen setzt sich der Zuhörerkreis aus unterschiedlichen Spektren des Rechtsextremismus zusammen. So nehmen Mitglieder rechtsextremistischer Parteien, Neonazis und Angehörige des subkulturellen Spektrums daran teil. Dadurch bieten sich Gelegenheiten, Kennverhältnisse 74 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS herauszubilden oder auszubauen. Zum anderen haben Zeitzeugenvorträge eine ideologiebildende Funktion: Die Angehörigen der sogenannten Erlebnisgeneration der Zeit des Nationalsozialismus, die sich für derartige Vorträge zur Verfügung stellen, stellen ihre Aktivitäten während dieser Zeit zumeist positiv dar und konzentrieren sich auf militärische Aspekte des Zweiten Weltkriegs. Das dient der Verklärung der NS-Diktatur und der Legitimierung der NS-Kriegsführung als "Abwehrkampf" des deutschen Volkes. Das hohe Lebensalter der "Zeitzeugen" hat inzwischen die Zahl möglicher Referenten auf einige wenige Personen reduziert. Neben soldatischen Erlebnisberichten von aktuell nicht in rechtsextremistische Organisationen eingebundenen ehemaligen Angehörigen der Wehrmacht und Waffen-SS finden sich unter den "Zeitzeugen" auch lebensältere Protagonisten der Neonaziszene, die bereits im "Dritten Reich" sozialisiert wurden. Hierzu gehört allen voran die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel, die vor ihrer Inhaftierung im Mai 2018 bei mehreren gut besuchten Vortragsveranstaltungen in Sachsen referiert hatte. Dem evidenten Problem des aus Altersgründen schwindenden Referentenkreises der "Zeitzeugen" begegnet die rechtsextremistische Szene inzwischen mit Vorträgen rechtsextremistischer Protagonisten der ersten Generation der bundesdeutschen Neonaziszene über ihre Aktivitäten in den 1970erund 1980er-Jahren. IV. Rechtsextremistisches Parteienspektrum 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Die NPD ist weiterhin ein relevanter Faktor im rechtsextremistischen Spektrum. Jedoch weist die Partei auch 2019 - wie bereits seit einigen Jahren - rückläufige Mitgliederzahlen und schwache Wahlergebnisse auf. Im Berichtsjahr reduzierte sich die Zahl der Mitglieder auf etwa 3.600 (2018: 4.000). Im "Superwahljahr 2019", Wahlergebnisse das geprägt war von der Wahl zum Europäischen Parlament und drei Landtagswahlen, verlor die NPD das einzige EU-Parlamentsmandat, das der ehemalige Parteivorsitzende Udo Voigt innehatte. Auch folgte aus den schwachen Wahlergebnissen der Verlust von finanziellen Mitteln aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Die NPD verzeichnete bei der Europawahl am 26. Mai 2019 mit einem 75 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Stimmenanteil von 0,3 % (absolut: 101.011) gegenüber dem 2014 erreichten Ergebnis von 1,0 % (absolut: 301.139) eine Einbuße von rund zwei Dritteln der Stimmen. Bei der Landtagswahl in Brandenburg am 1. September 2019 trat die NPD nicht an. Bei der parallel stattfindenden Wahl im einstigen Stammland Sachsen erlitt die NPD eine deutliche Wahlniederlage mit einem Ergebnis von lediglich 0,6 % der Zweitstimmen gegenüber dem vergleichsweise guten Ergebnis von 2014 mit 4,9 % und dem seinerzeit nur knapp verfehlten Wiedereinzug in den sächsischen Landtag. Auch bei der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober 2019 erzielte die NPD mit 0,5 % der Stimmen ein für sie enttäuschendes Resultat. Somit konnte die Einprozenthürde, die zur Teilnahme an der staatlichen Teilfinanzierung in Bezug auf Landtagswahlen berechtigt, nicht überwunden werden. "Schild & Schwert"Ungeachtet dieser Wahlergebnisse gelang es der Partei im Jahr Veranstaltungen 2019, eine grundsätzliche Handlungsund Kampagnenfähigkeit sicherzustellen. Der stellvertretende Parteivorsitzende Heise hatte bereits im April und November 2018 zwei "Schild & Schwert"-Festivals in Ostritz (Sachsen) durchgeführt, die Ausfluss einer modifizierten Parteistrategie mit einer aktionistischen Schwerpunktsetzung auf Veranstaltungen und Kampagnen waren. Dies wurde fortgesetzt mit einem Konzert im März 2019 unter dem Motto "Zurück zu den Wurzeln - Skinheads Back To The Roots" und einem zweitägigen Festival im Juni 2019. Allerdings konnten beide durchgeführten Veranstaltungen der Reihe "Schild & Schwert" nur bedingt an die 2018 erzielte Resonanz anknüpfen. Insbesondere gegenüber der im April 2018 stattgefundenen ersten Veranstaltung mit bis zu 1.300 Teilnehmern konnte im Juni 2019 mit etwa 700 Teilnehmern ein spürbarer Rückgang festgestellt werden. Trotz der zuletzt rückläufigen Besucherzahlen kündigte der Veranstalter im Berichtsjahr auf seiner Website an, die "Schild & Schwert"-Reihe im Jahr 2020 mit einem Konzert und einem Sommerfestival fortsetzen zu wollen. MobilisierungsAuch bei den traditionell durchgeführten Demonstrationen am fähigkeit 1. Mai (Maifeiertag) zeigte die NPD 2019 mit zwei Veranstaltungen in Dresden (Sachsen) und Wismar (Mecklenburg-Vorpommern) Präsenz. Es kamen 175 Teilnehmer in Dresden und 250 Demonstranten in Wismar zusammen. Auch mit einer am 23. November 2019 durchgeführten Demonstration gegen einen Journalisten, der 76 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS in der rechtsextremistischen Szene recherchiert, versuchte die Partei, ihre Aktionsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Thematisch stellt die Demonstration ein Novum in der rechtsextremistischen Szene dar, weil der bekannte Journalist explizit namentlich genannt und an den Pranger gestellt wurde. 120 Aktivisten wurden zu der Kundgebung mobilisiert. Auch die vom NPD-Bundesvorstand während des Bundestagswahlkampfs 2017 initiierte "Schutzzonen"-Kampagne wurde 2019 fortgesetzt. Hierbei führen Parteimitglieder provokante Einzelaktionen durch, bei denen sie glauben machen wollen, durch ihre Präsenz an einzelnen öffentlichen Orten für Sicherheit, insbesondere vor vermeintlich kriminellen Migranten, zu sorgen. Mit geringem personellem Aufwand versucht die Partei mit diesem KampagnenFormat, mediale Aufmerksamkeit für sich zu generieren. Am 19. Juli 2019 wurde von allen drei dazu berechtigten Verfassungsorganen, nämlich dem Bundesrat, dem Bundestag und der Bundesregierung, der Antrag27 auf Entscheidung, ob die NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung ausgeschlossen ist, beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingereicht. Die für die NPD enttäuschenden Wahlergebnisse, insbesondere bei der Wahl zum Europäischen Parlament, befeuerten den spätestens seit der Bundestagswahl 2017 offen schwelenden Konflikt um Ausrichtung und Kurs der Partei. Dem zunehmenden innerparteilichen Unmut versuchte der Parteivorsitzende Frank Franz mit einem Beitrag in der Novemberausgabe 2019 der Parteizeitung "Deutsche Stimme" (DS) zu begegnen, in dem er die Ergebnisse einer am 21. und 22. September 2019 in Berlin durchgeführten Klausurtagung des NPD-Parteivorstands erläuterte. Sie beinhalteten neben einer strategischen Neuausrichtung auch die Pläne für eine Namensänderung der Partei. Der NPD-Bundesparteitag beschloss am 30. November und 1. Dezember 2019 in Riesa (Sachsen) mehrheitlich, dass diese Pläne konkretisiert und weiterverfolgt werden sollen. 27 Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 im NPD-Verbotsverfahren wurde von Bundestag und Bundesrat eine am 20. Juli 2017 in Kraft getretene Grundgesetzänderung verabschiedet, die nach Art. 21 Abs. 3 GG im Verbindung mit SSSS 13 Nr. 2a sowie 43 ff. BVerfGG den Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der staatlichen Parteienfinanzierung ermöglicht. 77 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS NPDDie NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) feierte Teilorganisationen beim 43. Bundeskongress am 8. und 9. November 2019 in Neuensalz (Sachsen) ihr 50-jähriges Bestehen. Unter dem Motto "Volkserhalt statt Multikulti" versammelten sich einschließlich prominenter Parteifunktionäre und Vertreter aller JN-Generationen etwa 100 Teilnehmer. Die JN versteht sich nach wie vor als Bindeglied zwischen der Mutterpartei und "Freien Kräften", kämpft jedoch ebenso wie die Mutterpartei mit zunehmend defizitären Parteistrukturen. Weder der "Ring Nationaler Frauen" (RNF) noch die "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) traten 2019 nennenswert in Erscheinung. Die "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" (DS Verlag) veröffentlichte auch im Berichtsjahr weiter die Parteizeitung "Deutsche Stimme". 2. "DIE RECHTE" Die rechtsextremistische Kleinpartei "DIE RECHTE" gliedert sich in acht Landesverbände (Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und der Landesverband "Südwest" bestehend aus Rheinland-Pfalz und dem Saarland) mit circa 20 Kreisverbänden und wenigen Stützpunkten. Einige Verbände auf Kreisoder Landesebene sind im Aufbau (Sachsen) oder bestehen nur wenige Monate, werden inaktiv oder gründen sich neu, ohne sich vorher formell aufgelöst zu haben. Andere Verbände bestehen nur nominell und entfalteten zu keinem Zeitpunkt Aktivitäten. Dies spiegelt sich in rückläufigen Mitgliederzahlen wider. Der Schwerpunkt der Parteiaktivitäten liegt unverändert in Nordrhein-Westfalen. Ihr eindeutig rechtsextremistisches Weltbild propagiert "DIE RECHTE" mittels Demonstrationen, Infoständen, Flugblattverteilungen sowie Internetveröffentlichungen. Dies geht einher mit fremdenfeindlicher und rassistischer Agitation, geschichtsrevisionistischen Thesen und antisemitischen Positionen. Ein fundamentaler Systemwechsel in Deutschland ist das politische Ziel. Neuwahl des Am 5. Januar 2019 hielt "DIE RECHTE" ihren 10. Bundesparteitag Bundesvorstands ab und wählte Sascha Krolzig und Sven Skoda zu neuen Bundesvorsitzenden. Skoda war erst Ende 2018 in die Partei eingetreten und auf dem nordrhein-westfälischen Landesparteitag am 15. Dezember 2018 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt 78 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS worden. Der Parteigründer und langjährige Bundesvorsitzende Christian Worch kehrte nach seinem überraschenden Rücktritt im Oktober 2017 nunmehr als Schatzmeister und Beisitzer in den Bundesvorstand zurück. Bei der Europawahl im Mai 2019 trat die Partei mit einer KandidaEuropawahl 2019 tenliste an, die die inhaftierte Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel als Spitzenkandidatin anführte und sich ansonsten überwiegend aus Neonazis zusammensetzte, die wegen einschlägiger Delikte in der Vergangenheit bereits Haftstrafen verbüßt hatten. Nach ihrem "Wahlkampfabschluss zur Europawahl 2019" am 25. Mai 2019 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) mit rund 180 Teilnehmern erreichte die Partei mit einem Wahlergebnis von 24.598 Stimmen beziehungsweise 0,1 % eine deutliche Niederlage und rangierte damit letztlich am Rande der Bedeutungslosigkeit. Auch 2019 organisierte "DIE RECHTE" zahlreiche Solidaritätsveranstaltungen für Haverbeck-Wetzel, die als "politische Gefangene", "Dissidentin" und "Streiterin für Meinungsfreiheit" heroisiert wurde. So führten der Landesverband Nordrhein-Westfalen und der Kreisverband Ostwestfalen-Lippe der Partei am 9. November 2019 in Bielefeld (Nordrhein-Westfalen) eine Solidaritätskundgebung mit circa 230 Teilnehmern unter dem Motto "FREIHEIT FÜR URSULA HAVERBECK!" anlässlich ihres 91. Geburtstags durch. Die uneingeschränkte Solidarisierung mit der inhaftierten Holocaustleugnerin spiegelt einmal mehr den unverhohlenen Antisemitismus und die fundamental ablehnende Haltung der Partei gegenüber der Werteordnung des Grundgesetzes wider. Im Rahmen des Europawahlkampfes verwendete "DIE RECHTE" ein inhaltlich an eine NS-Parole angelehntes Plakat mit der Aufschrift "ZIONISMUS STOPPEN: ISRAEL IST UNSER UNGLÜCK! SCHLUSS DAMIT!". Die antisemitische Grundhaltung der Partei wurde im Berichtsjahr auch durch Twitter-Beiträge Krolzigs mit Aussagen wie "DIE RECHTE" sei "die einzige konsequent antiisraelische Partei auf dem Stimmzettel" oder Beiträge unter dem Hashtag "niewiederIsrael" unterstrichen.28 Diese explizite und pauschale "Anti-Israel-Agitation" überschreitet die Grenze bloßer Kritik an der Politik Israels und dient als Vehikel für eine möglichst öffentlichkeitswirksame, antisemitische Propaganda. 28 Twitter-Beiträge von Krolzig (18. Mai 2019 und 14. November 2019). 79 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Bei der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft trat die "DIE RECHTE" zwar als einzige rechtsextremistische Partei an, erreichte jedoch nur 403 Stimmen (0,03 %). Zum Antreten bei den Landtagswahlen 2019 in den drei östlichen Bundesländern fehlten der Partei die personellen und finanziellen Möglichkeiten. Kontakte ins Ausland Im Rahmen eines Treffens europäischer Rechtsextremisten am 20. und 21. April 2019 wurde in Sofia (Bulgarien) das internationale Bündnis "Festung Europa" unter Beteiligung von Vertretern der Partei "DIE RECHTE" gegründet (vgl. Kap. III, Nr. 5). Die Gründung dieses Bündnisses steht vermutlich im Zusammenhang mit der 2017 unter anderem von der Partei "DIE RECHTE" initiierten Anti-EU-Kampagne "Europa erwache! Unser Europa ist nicht eure Union!". Nach einem Auftaktkongress unter dem Motto "Gemeinsam für Europa" am 4. November 2017 in Schwerte (NordrheinWestfalen) und einer Demonstration am 14. April 2018 in Dortmund (Nordrhein-Westfalen), an der sich auch Rechtsextremisten aus dem europäischen Ausland beteiligten, ist davon auszugehen, dass die Kampagne "Europa erwache!" nun im Bündnis "Festung Europa" fortgesetzt wird. 3. "Der III. Weg" Parteistrukturen Der rechtsextremistischen Kleinpartei "Der III. Weg" gelang es 2019, ihre Strukturen - wenn auch nur geringfügig - auszubauen. Sie verfügt nun über 20 regionale "Stützpunkte" (2018: 18). Über die 2016 gegründeten drei Gebietsverbände Mitte, Süd und West ist die Partei bisher jedoch nicht hinausgekommen. "Der III. Weg" ist überwiegend in den Bundesländern Bayern, Berlin, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen aktiv, tritt aber auch in weiteren Bundesländern in Erscheinung. Die Partei dient nach wie vor als Auffangbecken von Personen, die der neonazistischen Szene angehören. In Bezug auf die Mitgliederzahlen ist vor allem durch den strukturellen Aufund Ausbau in Sachsen und Thüringen ein insgesamt geringfügiger Aufwärtstrend zu verzeichnen. Völkisches, Begrifflich lehnt sich die Partei in ihrem Programm zum Teil antipluralistisches an Vertreter eines "linken" Nationalsozialismus an. Sie propaMenschenbild giert zugleich ein völkisch-antipluralistisches Menschenund 80 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Gesellschaftsbild. Dabei werden unter anderem die Erhaltung und Entwicklung der "biologischen Volkssubstanz" und die Schaffung eines "Deutschen Sozialismus" postuliert. "Der III. Weg" agitiert insgesamt antisemitisch, ausländerfeindlich und revisionistisch. Mit den drei Betätigungsfeldern "Politischer Kampf", "Kultureller Kampf" und "Kampf um die Gemeinschaft" versteht sich "Der III. Weg" als "ganzheitliche Organisation". Zum "politischen Kampf" gehören unter anderem Demonstrationen, Kundgebungen, Verteilaktionen sowie der "Antritt als wahlpolitische Initiative". Der "kulturelle Kampf" bezieht sich auf die Brauchtumspflege. Der "Kampf um die Gemeinschaft" beinhaltet die Aspekte "Nachbarschaftshilfe", "gelebte Gemeinschaft", "gemeinsame Freizeitgestaltung" und "sportliche Zusammenkünfte", bei denen gerade Kampfsport eine besondere Rolle spielt. In einem im Oktober 2019 auf der Website der Partei veröffentlichten Kommentar zum Verbot des Kampfsportturniers "Kampf der Nibelungen" heißt es, Ziel der Veranstalter sei es, "den Sport nicht als Teil eines faulenden politischen Systems [zu] verstehen, sondern diesen als fundamentales Element einer Alternative zu eben jenem [zu] etablieren und in die Breite [zu] tragen".29 "Der III. Weg" möchte insofern den Sport zur Verbreitung der eigenen Ideologie instrumentalisieren. Auf seinem Bundesparteitag am 28. September 2019 beschloss "Der III. Weg" Satzungsänderungen, "um zukünftige Wahlantritte rechtlich gesehen auf ein sicheres Fundament zu bringen".30 Diese Änderungen zielen auf eine Umstrukturierung der Gebietsverbände in Landesverbände ab. Denn während die Partei bei den sächsischen Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 noch teilgenommen und jeweils ein Mandat in einem Stadtrat und einem Kreistag errungen hatte, war ihr die Teilnahme bei der sächsischen Landtagswahl am 1. September 2019 aus formalen Gründen vom Landeswahlausschuss verwehrt worden. Mit den Satzungsänderungen unterstrich "Der III. Weg" seine Absicht, auch künftig bei Wahlen anzutreten und so eine der für den Erhalt des Parteistatus notwendigen formellen Voraussetzungen zu erfüllen beziehungsweise zu festigen. Eine Teilnahme an den Landtagswahlen in Brandenburg und Thüringen hatte "Der III. Weg" von vornherein nicht beabsichtigt. 29 Homepage "Der III. Weg" (7. Oktober 2019). 30 Homepage "Der III. Weg" (1. Oktober 2019). 81 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Die Partei versucht, mit Kampagnen wie "Volkstreu & grün" inhaltlich an politische Themen der Mehrheitsgesellschaft anzuknüpfen und somit anschlussfähig zu werden. Dem steht allerdings entgegen, dass "Der III. Weg" eine allumfassende Ausrichtung des individuellen Lebensstils an der nationalsozialistischen Weltanschauung einfordert und seine Mitglieder - als "Träger der Weltanschauung" - in aggressiver Diktion darauf einschwört. Dominierende Die regionalen "Stützpunkte" der Partei führten 2019 regelmäßig Themen "Nationale Streifen" durch. Mit ihnen will "Der III. Weg" suggerieren, dass er der Bevölkerung das "verloren gegangene Sicherheitsgefühl" zurückgebe und sie durch Präsenz vor vermeintlich kriminellen Ausländern schützen wolle.31 Mit den "Nationalen Streifen" will "Der III. Weg" sich als "Kümmerer-Partei" und vermeintliche Brücke zur Mitte der Gesellschaft inszenieren. Hiermit rekurriert "Der III. Weg" zudem thematisch auf die Anti-Asyl-Agitation der vergangenen Jahre mit dem Ziel, Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit zu erregen. Auch im Berichtsjahr bildeten Aktionen wie die "Deutsche Winterhilfe" oder die "Volksküche", also die Sammlung von Kleidung oder Bereitstellung von Lebensmitteln für Bedürftige mit ausschließlich ethnisch deutscher Herkunft, einen weiteren Themenschwerpunkt. Solche Aktionen sollen gleichzeitig dem Zweck dienen, gegen die vermeintlich bevorzugte Behandlung von Asylbewerbern durch staatliche Stellen zu protestieren und zumindest lokal oder regional Akzeptanz über den engen Kreis der eigenen Klientel hinaus zu finden - ein Ziel, das die Partei in Plauen (Sachsen) bereits in Ansätzen erreicht. Breiteren Anklang möchte "Der III. Weg" ferner beispielsweise über die Verteilung von Schulbedarf und Süßigkeiten an deutsche Schulkinder anlässlich ihres ersten Schultags finden. Europawahl Für die Parteiführung wiederum bildeten Wahlkampfveranstaltungen im Vorfeld der Europaund Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 einen Tätigkeitsschwerpunkt, auch wenn "Der III. Weg" bei der Europawahl mit einem Wahlergebnis von 0,0 % (absolut: 12.756 Stimmen) unterhalb jeder Relevanz blieb. 31 Homepage "Der III. Weg" (25. November 2019). 82 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Am 1. Mai 2019 konnte "Der III. Weg" unter dem Motto "Soziale Gerechtigkeit statt kriminelle Ausländer" 500 Demonstrationsteilnehmer in Plauen (Sachsen) mobilisieren und fand damit im Vergleich mit den übrigen rechtsextremistischen Demonstrationen am 1. Mai die größte Resonanz. V. Rechtsextremistische Verdachtsfälle innerhalb der Partei Alternative für Deutschland (AfD)32 Das BfV hat nach intensiver Prüfung im Januar 2019 den Personenzusammenschluss "Der Flügel" sowie die offizielle Jugendorganisation der AfD, die "Junge Alternative für Deutschland" (JA), zu Beobachtungsobjekten (Verdachtsfälle) erhoben. 1. Verdachtsfall "Der Flügel" "Der Flügel" bezeichnet die "Erfurter Resolution" vom März 2015 als seine "Gründungsurkunde". Sie wurde vor dem Hintergrund damaliger innerparteilicher Machtkämpfe verfasst, um sich gegen den Kurs des damaligen Bundessprechers zu wenden. Die Erstunterzeichner der "Resolution" lehnten diesen Kurs ab, weil er sich "ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb [anpasst]: dem Technokratentum, der Feigheit und dem Verrat an den Interessen unseres Landes" und damit nicht für die dem Wähler angekündigte "Alternative" stehe. Sie geben an: "Zahllose unserer Mitglieder verstehen die AfD (...) gegen jede Verengungstendenz (...) als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.)" (Homepage "Der Flügel", 20. November 2019) "Der Flügel" sieht sich selbst deshalb als Sammlungsbewegung und Interessengemeinschaft von Personen innerhalb der AfD mit dem erklärten Ziel, sich mittels der AfD für eine "grundsätzliche politische Wende in Deutschland" und - in einem 32 Die AfD selbst ist kein Beobachtungsobjekt des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 83 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS fundamentaloppositionellen Sinne - für eine "echte Alternative zu den bestehenden Parteien" einzusetzen.33 Organisation Formal ist "Der Flügel" zwar nach SS 17 der AfD-Bundessatzung keine Partei-"Vereinigung". Dennoch ist er als Personenzusammenschluss anzusehen, der als "zentral organisierter, loser Verbund von Mitgliedern der Alternative für Deutschland im gesamten Bundesgebiet" strukturiert auf Grundlage eines gemeinsamen Willens agiert.34 Die zentrale Steuerung und regionale Struktur wurde im Jahr 2019 nochmals deutlicher, als bei verschiedenen Veranstaltungen sogenannte Obleute als regionale Ansprechpartner für die Bundesländer benannt und damit formal berufen wurden. Als offizielle Repräsentanten organisieren sie regionale Veranstaltungen, unterstützen die Vernetzung des "Flügels" vor Ort und tragen so maßgeblich zur Verbreitung der Ideologie des "Flügels" bei. Der thüringische AfD-Landesvorsitzende Björn Höcke ist unangefochten die Führungsfigur des "Flügels" und als solche sehr präsent. Daneben ist der im Berichtszeitraum brandenburgische AfDLandesvorsitzende und Vorsitzende der dortigen Landtagsfraktion Andreas Kalbitz das zweite prägende Gesicht des "Flügels". Aufgrund der fehlenden formellen Vereinsund Mitgliederstruktur kann nicht konkret beziffert werden, wie viele Anhänger "Der Flügel" tatsächlich hat. Verschiedene Aussagen von AfDund "Flügel"-Funktionären lassen aber den Schluss zu, dass dem "Flügel" bundesweit mindestens 20 % der AfD-Mitglieder zuzurechnen sind. Deshalb ist als untere Grenze von einem Personenpotenzial von circa 7.000 Anhängern auszugehen. Ideologie Die ideologischen Standpunkte des "Flügels" ergeben sich vor allem aus den Reden seiner exponierten Funktionäre sowie aus Verlautbarungen über die offiziellen Kommunikationskanäle. Das durch den "Flügel" propagierte Politikkonzept ist auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und letztlich weitgehende Rechtlosstellung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden gerichtet. 33 Homepage "Der Flügel" (20. November 2019). 34 Homepage "Der Flügel" (21. November 2019). 84 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS In einer Wahlkampfrede in Erfurt (Thüringen) am 26. Oktober 2019 agitierte Kalbitz gegen muslimische Zuwanderer, indem er von Deutschen sprach, die sich "nachts nicht mehr auf die Straße trauen oder an Bahnhöfe, weil da nämlich irgendwelche jungen syrischen oder afghanischen Deserteure (...) rumlungern. Hinter denen das Kopftuchgeschwader mit Mehrfachkinderwagen. Und was wir viel mehr brauchen, (...) als diese sinnentleerte, hirnlose, selbstzerstörerische Willkommenskultur, ist 'ne konsequente Abschiebekultur in unserem Land."35 Das Politikkonzept steht im Widerspruch zur Menschenwürdegarantie sowie zum Demokratieund Rechtsstaatsprinzip. "Der Flügel" sieht die AfD - so der mehrfach geäußerte apodiktische Anspruch - als die "letzte evolutionäre Chance für dieses Land". Ein ethnisch-homogenes Staatsvolksverständnis bildet den DrehEthnisch-homogener und Angelpunkt im politischen Denken des "Flügels", so führt Volksbegriff und beispielsweise Höcke beim "Kyffhäusertreffen" am 6. Juli 2019 in Fremdenfeindlichkeit Leinefelde (Thüringen) in seiner Rede aus: "Identität erzeugt Solidarität. Nur, wenn man einen Menschen als gleichgeartet identifiziert, erlebt, mit ihm im Austausch ist, mit ihm gemeinsame Verantwortungsräume gestaltet, im Ort, in den Kommunen, indem man merkt, man kann Vertrauen zu dem anderen schöpfen, man kann Vertrauen leben. Nur dann entsteht auch Solidarität. Solidarität wiederum erzeugt Stärke. (...) Der totalitäre Globalismus geht ganz anders vor. Er versucht, durch unbeschränkte Masseneinwanderung, ja durch die bewusste Erzeugung von Krisen die Gesellschaft permanent zu kochen und von allen identitären Bindungen zu befreien." (Videoportal YouTube, 14. November 2019) Nach Auffassung von "Flügel"-Funktionären ist das Überleben des - biologistisch definierten - Volkes durch die gegenwärtige Regierung bedroht. Wie ein roter Faden durchzieht deren Reden deshalb die Warnung vor einer vermeintlich bevorstehenden "Abschaffung" und "Auflösung" Deutschlands. 35 Videoplattform YouTube (27. Oktober 2019). 85 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS "Kulturfremde" Migranten gelten durchweg als nicht integrierbar, weswegen ihnen eine Bleibeperspektive konsequent zu verwehren sei. Diese Annahme wird durch pauschal flüchtlingsund muslimfeindliche Äußerungen verstärkt, indem Migration in ihren Auswirkungen als "Zivilisationsbruch" verunglimpft und bezogen auf ihre finanziellen, ökonomischen und sozialen Folgen für die einheimische Bevölkerung mit einem Krieg gleichgesetzt wird. So äußerte sich Höcke auf dem "Kyffhäusertreffen" wie folgt: "Aber klar ist auch, liebe Freunde, dass die seit Jahrzehnten praktizierte Politik der offenen Grenzen, und sie wird eigentlich schon seit 1955 praktiziert, dass diese von den Altparteien zu verantwortende irrationale Zuwanderungspolitik uns hat finanziell bluten lassen, als hätten wir einen weiteren Krieg verloren." (Videoportal YouTube, 8. Juli 2019) GeschichtsDie Haltung des "Flügels" zum "Dritten Reich" ist von einem gerevisionismus und schichtsrevisionistischen, die nationalsozialistischen GewaltverAntisemitismus brechen relativierenden beziehungsweise ausblendenden Ansatz geprägt. Ziel dabei ist es, mittels einer "erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad" ein unbelastetes und vermeintlich identitätsstiftendes Geschichtsbild zu vermitteln. Damit leistet "Der Flügel" dem sekundären Antisemitismus (vgl. Kap. III, Nr. 4) Vorschub, denn dessen geschichtsrevisionistische Positionen implizieren den Vorwurf, dass die Erinnerung an den vom NS-Regime verübten Genozid an der jüdischen Bevölkerung deutschen Interessen schadet. Auch vermeintlich globalisierungskritische Äußerungen von Akteuren des "Flügels" enthalten in moderner Ausprägung einen antisemitischen Kern. So werden komplexe gesellschaftliche Umbrüche unter Rekurs auf antisemitische Chiffren verschwörungstheoretisch auf das verdeckte Handeln finanzkapitalistischer Eliten zurückgeführt, wie zum Beispiel in einem Redebeitrag von Höcke am 1. Mai 2019 in Erfurt (Thüringen): "Den Preis für die hemmungslose, neoliberale Globalisierung - und diese EU ist in ihrer heutigen Form für mich nichts anderes als eine Globalisierungsagentur, die den als pervers zu bezeichnenden Geist eines George Soros exekutiert - den (...) zahlen all die Fleißigen in diesem Lande (...)." (Videoportal YouTube, 2. Mai 2019) 86 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Das seit 2015 jährlich stattfindende "Kyffhäusertreffen" ist die Veranstaltungen wichtigste Veranstaltung des "Flügels". Es dient dem persönlichen Kennenlernen seiner Anhänger, der ideologischen Selbstvergewisserung und der Stärkung des Gemeinschaftsgedankens in dieser Sammlungsbewegung. Das "Kyffhäusertreffen" am 6. Juli 2019 in Leinefelde (Thüringen) war mit 800 Teilnehmern wie seine Vorgängerveranstaltungen ausverkauft und hatte in Bezug auf seine Professionalität und Inszenierung eine bislang noch nicht erreichte Eventqualität. Die Verleihung von eigenen Auszeichnungen wie dem "Silbernen Flügelabzeichen", die Inhalte der Redebeiträge und nicht zuletzt der von Höcke postulierte Gestaltungsanspruch für die Gesamtpartei brachten das gestiegene Selbstbewusstsein des "Flügels" bei der Veranstaltung deutlich zum Ausdruck. Neben dem "Kyffhäusertreffen" fanden 2019 auch diverse regionale "Flügel"-Treffen statt, beispielsweise am 1. April in Berlin, am 4. Mai im Greding (Bayern) und am 23. November in Binz (MecklenburgVorpommern). "Der Flügel" sieht sich durch die Erfolge der von ihm dominierten östlichen AfD-Landesverbände bei den Landtagswahlen 201936 gestärkt und in der offensiven Agitation gegen parteiinterne Kritiker bestätigt. Insofern ist von einer zumindest konsolidierten Machtund Einflussbasis innerhalb der AfD auszugehen. Die "Flügel"Protagonisten nutzten ihr nach den Landtagswahlen gestiegenes Gewicht, um auf dem Bundesparteitag am 30. November und 1. Dezember 2019 in Braunschweig (Niedersachsen) ihre parteiinterne Machtbasis weiter auszubauen. So wurde beispielsweise Kalbitz, der neben Höcke zweite maßgebliche "Flügel"-Funktionär, erneut in den Bundesvorstand gewählt. 2. Verdachtsfall "Junge Alternative für Deutschland" (JA) Die 2013 gegründete "Junge Alternative für Deutschland" (JA) ist die offizielle Jugendorganisation der AfD.37 Die JA ist als eigenständiger, nicht eingetragener Verein konstiOrganisation tuiert, verfügt über eine eigene Satzung und ist hinsichtlich ihrer Finanzen sowie ihres Personals unabhängig. Die JA umfasst 36 Die AfD erreichte bei den Landtagswahlen in Brandenburg 23,5 %, in Sachsen 27,5 % und in Thüringen 23,4 % der Wählerstimmen. 37 Die AfD selbst ist kein Beobachtungsobjekt des BfV. 87 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS derzeit - nach Auflösung des Landesverbands Niedersachsen im November 2018 - 15 Landesverbände, die sich wiederum in Bezirksund Kreisverbände untergliedern. Nach eigenen Angaben hatte die JA im Jahr 2019 etwa 1.600 Mitglieder. Laut SS 17a der Bundessatzung der AfD soll die JA der "Innovationsmotor" sein, der "das Gedankengut der Partei in ihrem Wirkungskreis (...) verbreiten sowie die besonderen Anliegen der Jugend innerhalb der AfD" vertreten soll. Ideologie Die ideologischen Standpunkte der JA lassen sich neben den Äußerungen von Funktionären und Mitgliedern auch aus den verabschiedeten Programmen ableiten. Neben dem Grundsatzprogramm der JA, dem sogenannten Deutschlandplan, besitzen die Landesverbände Baden-Württemberg, Berlin, Rheinland-Pfalz und Thüringen eigene Programmschriften. Insbesondere der ursprüngliche "Deutschlandplan" enthielt Positionen, die tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung begründeten. Dieser wurde nach der Erhebung zum Verdachtsfall überarbeitet und entsprechende Positionen wurden gestrichen. Es kann noch nicht beurteilt werden, ob die programmatischen Veränderungen tatsächlich mit einer inhaltlichen Kurskorrektur der JA einhergehen oder vor dem Hintergrund der Beobachtung durch den Verfassungsschutz lediglich eine taktisch begründete Anpassung ohne weitere Substanz darstellen. Für eine rein kosmetische Mäßigung sprechen zum Beispiel das zum Teil enge Verhältnis zum "Flügel" und die fortbestehenden Verbindungen zur "Identitären Bewegung Deutschland". Die Ideologie der JA ist durch einen ethnisch-kulturell geprägten Volksbegriff bestimmt, der im Widerspruch zur Offenheit des Staatsvolkverständnisses des Grundgesetzes steht. Daneben finden sich islamund muslimfeindliche Einstellungen in der Jugendorganisation wieder, denen mit aggressiver Rhetorik Nachdruck verliehen wird. Anhaltspunkte für Bestrebungen, die sich gegen das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip richten, kommen ebenfalls zum Ausdruck. Reaktion auf Die Einstufung der JA zum Beobachtungsobjekt des VerfassungsVerdachtsfallschutzes noch 2018 in den Ländern Baden-Württemberg, Bremen einstufung und Niedersachsen und Anfang 2019 im Bund - als Verdachtsfall - führte zu einer ganzen Reihe von Austritten und Distanzierungen 88 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS ehemaliger und zum damaligen Zeitpunkt noch aktiver JA-Mitglieder. So erklärten am 16. November 2018 insgesamt 44 Mitglieder der JA Baden-Württemberg, unter ihnen zahlreiche Funktionäre, ihren Austritt aus der Organisation. In einer Erklärung hierzu, zu deren Unterzeichnern sogar unter anderem der damalige JALandesvorsitzende zählte, heißt es: "Bis zuletzt haben wir in Baden-Württemberg alles daran gesetzt, die Mehrheit der vernünftigen Kräfte, irrelevant aus welchem der sogenannten Flügel, zu bündeln und uns gegen die immer stärker wachsende politische Verantwortungslosigkeit zahlreicher Mitglieder zur Wehr zu setzen. Leider sind diese Versuche einem Radikalisierungsprozess zum Opfer gefallen, der insbesondere in den letzten Monaten noch einmal erheblich an Fahrt aufgenommen hat. So wurden etwa in mehreren Bezirksverbänden regelrechte Parallelstrukturen mit engen Verbindungen zu der vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung (IB) aufgebaut, obwohl die JA seit geraumer Zeit einen Unvereinbarkeitsbeschluss zu dieser Organisation getroffen hat." Die JA selbst reagierte auf die Einstufung als Verdachtsfall, indem sie eine eigene "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" einrichtete, deren Ergebnisse sowie die daraus resultierenden Konsequenzen für die Jugendorganisation auf einer Pressekonferenz im Juni 2019 vorgestellt wurden. So wurden unter anderem Stellen aus dem "Deutschlandplan" gestrichen, die im Gutachten des BfV als tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen angeführt worden waren. Außerdem habe man sich von 25 bis 30 Mitgliedern getrennt, die diesen Reformprozess nicht hätten mittragen wollen. Das in der Pressekonferenz angekündigte ReBranding drückte sich unter anderem in der Gründung des neuen Mitgliedermagazins "Patria", in einer Neugestaltung des JAErscheinungsbildes und der Verwendung eines neuen Logos mit stilisierter Flamme aus. 89 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS VI. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD)38 Seit Oktober 2012 wurde die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) zunächst im Internet bekannt, später trat sie mit Flashmobs oder Transparentaktionen in Erscheinung. Inzwischen ist sie mit regionalen Untergruppen dauerhaft bundesweit aktiv. Die IBD nutzt intensiv soziale Netzwerke wie Twitter oder Instagram, um Berichte, Videos und Bilder ihrer Aktionen zu verbreiten, und Messenger-Dienste wie Telegram zur Vernetzung und Kommunikation ihrer Mitglieder und Sympathisanten untereinander. Ein signifikanter Ausbau der nahezu bundesweit vorhandenen Organisationsstrukturen sowie eine weitere Steigerung des Aktivitätsniveaus waren im Berichtsjahr nicht zu konstatieren. Allerdings werden Bemühungen der IBD erkennbar, durch Gründung von Wirtschaftsunternehmen auch finanziell von der Umsetzung identitärer Projekte zu profitieren. Die Medienagentur "Okzident Media" offeriert Dienstleistungen wie Grafikund Webdesign, Kampagnenplanung und Marketingberatung. Zudem werden durch Websites, Social-Media-Kanäle und die App "Okzident News" eigene und ideologisch nahestehende Nachrichteninhalte online verbreitet. Das Unternehmen "Schanze Eins" agiert als Finanzdienstleister, durch welchen Investoren für identitäre Immobilienprojekte, die zukünftig als feste Anlaufstellen und Veranstaltungsorte für regionale "patriotische Strukturen" fungieren sollen, gewonnen werden sollen. Die "Kohorte UG" steht hinter dem IBDShop "Phalanx Europa", über welchen Merchandise-Artikel und Propaganda-Materialien der IBD vertrieben werden. Die IBD sieht sich selbst als außerparlamentarische patriotische Jugendbewegung. Zurzeit verfügt sie über etwa 600 Mitglieder (2018: 600). Ideologie Die IBD bekennt sich zum Konzept des Ethnopluralismus, nach dem die Idealvorstellung einer staatlichen beziehungsweise 38 Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Beobachtung der IBD durch das BfV, der Darstellung im Verfassungsschutzbericht 2016 sowie der öffentlichen Verlautbarung der Einstufung der IBD als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das BfV sind zurzeit Gerichtsverfahren vor dem VG Köln (Az: 13 K 4222/18), dem VG Berlin (Az: VG 1 K 606.17 und VG 1 K 180.18) sowie dem OVG Münster (Az: 5 B 1391/19) rechtshängig. 90 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS gesellschaftlichen Ordnung in einem ethnisch und kulturell homogenen Staat besteht. Diese ethnokulturelle Identität sieht die IBD durch den sogenannten Multikulturalismus bedroht, der durch eine behauptete unkontrollierte Massenzuwanderung zu einer Heterogenisierung der Gesellschaft führe. Daher fordert sie im Rahmen ihrer Kampagnen unter dem Schlagwort "Remigration" Maßnahmen zur Umkehrung der Flüchtlingsströme und die Rückführung von Migranten in deren Heimatländer. Sie kritisiert die aktuelle Asylpolitik als Förderung des "Großen Austauschs". Hierbei handelt es sich um ein verschwörungstheoretisches zentrales Ideologieelement der IBD, wonach eine nicht näher bestimmte Elite den Austausch der einheimischen Bevölkerung gegen Migranten zum Ziel habe. Zudem warnt die IBD pauschal vor einer "Islamisierung" Deutschlands. Die IBD bringt Narrative einer "Gegenkultur" gezielt in den öffentlichen Diskurs ein, um diesen zu dominieren. Besonders auffällig geschieht dies in den kampagnenartigen Aktivitäten zur Bekanntmachung von Forderungen wie "Remigration" oder der Theorie des vermeintlichen "Großen Austauschs". Die Verwendung solcher vermeintlich unbelasteter Begriffe geht zunächst mit keiner gesellschaftlichen Ablehnung oder gar Stigmatisierung einher. Tatsächlich aber sind die inhaltlichen Positionen der IBD nicht mit dem Grundgesetz (GG) vereinbar. Für die IBD ist nämlich die ethnische Herkunft allein maßgeblich für die Zugehörigkeit zum deutschen Volk und letztlich für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit. Damit bringt sie einen exkludierenden Biologismus zum Ausdruck, der den Wertungen des Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3 S. 1 GG zuwiderläuft. Zugleich liegt hierin ein Verstoß gegen den Kern des Demokratieprinzips. Denn aufgrund der Rückbindung aller Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) hätte die ethnische Definition des Volkes zwingend den Ausschluss derjenigen, die diesem Volk aus ethnischen Gründen nicht angehören, aus dem demokratischen Prozess zur Folge. Im Rahmen der seit 2015 laufenden IBD-Kampagne gegen den Aktionen "Großen Austausch" fand im März 2019 eine überregionale Aktionswoche "Remigration" mit verschiedenen Plakatund Banneraktionen sowie Einrichtung einer eigenen Kampagnenwebsite statt. 91 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Als inhaltliche Fortsetzung des im Jahr 2018 erstmals durchgeführten "Europa Nostra"-Festivals in Dresden (Sachsen) mobilisierte die IBD für den 20. Juli 2019 zu einer Demonstration unter dem Motto "Europa verteidigen - Es bleibt unsere Heimat" in Halle (Sachsen-Anhalt) mit anschließendem Sommerfest. Nachdem der Demonstrationszug aus Sicherheitsgründen durch die Versammlungsbehörde aufgrund der Gefahrenprognose im Zusammenhang mit der Demonstrationslage untersagt worden war, fand nur das Sommerfest mit etwa 250 Teilnehmern in und vor dem Hausprojekt "Flamberg" statt. Die IBD ist in dieser Immobilie, in welcher unterschiedliche Organisationen Büroräumlichkeiten unterhalten, allerdings seit November 2019 eigenen Verlautbarungen zufolge nicht mehr präsent. Die europaweite Vernetzung der IBD äußert sich insbesondere durch gemeinsame Aktionen. So errichtete eine europäisch zusammengesetzte Gruppe von Aktivisten der "Identitären Bewegung" unter Beteiligung der IBD bei der "Mission Alpes" im Rahmen der Kampagne "Defend Europe" im Frühjahr 2018 am Pass Col de l'Echelle im französisch-italienischen Grenzgebiet eine provisorische Grenze, um Migranten an der Reise nach Mitteleuropa zu hindern. Deutsche IBD-Aktivisten nehmen zudem regelmäßig an der jährlichen "Sommeruniversität" in Frankreich teil, wo ideologische Schulungen, Kampagnen-Workshops und Sporttrainings durchgeführt werden. 92 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS VII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Frank Franz Mitglieder/Anhänger 3.600 (2018: 4.000) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Deutsche Stimme" (Zeitung, monatlich, Auflage: nicht bekannt) "DS-TV" (YouTube-Kanal) Teil-/Nebenorganisa16 Landesverbände zzgl. Kreisund tionen: Regionalverbände "Junge Nationalisten" (JN; Jugendorganisation) "Ring Nationaler Frauen" (RNF) "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" (DS Verlag) 93 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ist trotz anhaltendem Negativtrend im Hinblick auf die Mitgliederzahlen die stärkste rechtsextremistische Partei in Deutschland. Ideologisches Kernelement der NPD ist die Vorstellung einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft". Das "Volksgemeinschafts"-Dogma bestimmt die grundsätzliche Fremdenfeindlichkeit der Partei. Die fremdenfeindliche Agitation der Partei belegt Deutsche mit Migrationshintergrund, Ausländer, Muslime und Asylbewerber pauschal mit Negativeigenschaften und diffamiert diese als Bedrohung für die einheimische Bevölkerung. Auch antisemitische Positionen sind in der Ideologie der NPD tief verwurzelt und gehen nicht selten mit der positiven Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus und geschichtsrevisionistischen Standpunkten einher. Die NPD agitiert außerdem gegen die bestehende politische Ordnung und strebt offen einen fundamentalen "Systemwechsel" in Deutschland an. Die sogenannte Vier-Säulen-Strategie - "Kampf um die Köpfe", "Kampf um die Straße", "Kampf um die Parlamente" und "Kampf um den organisierten Willen" - verdeutlicht seit Jahren die Intention der NPD, den demokratischen Verfassungsstaat systematisch und umfassend zu bekämpfen. 94 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 1.1 "Junge Nationalisten"39 (JN) Gründung: 1969 Sitz: Riesa (Sachsen) Leitung/Vorsitz: Paul Rzehaczek Mitglieder/Anhänger 280 (2018: 280) in Deutschland: Mit den "Jungen Nationalisten" (JN) verfügt die NPD über eine Jugendorganisation, die laut Satzung "integraler Bestandteil" der Gesamtpartei ist. Ziel der JN ist die Verbreitung nationalistischer und völkischer Positionen. Die JN sind bestrebt, eigene Akzente und Agitationsschwerpunkte zu setzen sowie entsprechende Kampagnen und öffentlichkeitswirksame Aktionen mit der Zielgruppe Jugendliche/Erstwähler zu initiieren. Während die Mutterpartei sich unter anderem als parlamentarischer Arm der "nationalen Opposition" versteht, wollen die JN ihrem eigenen Selbstverständnis und Anspruch nach eher im "vorpolitischen Raum" tätig werden, etwa durch ideologische Schulungen ihrer Mitglieder. 39 Bis zum 13.01.2018 unter der Bezeichnung "Junge Nationaldemokraten" aktiv. 95 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 1.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Gründung: 2006 Sitz: Pirmasens (Rheinland-Pfalz) Leitung/Vorsitz: Antje Mentzel Mitglieder/Anhänger nicht bekannt (2018: unter 100) in Deutschland: Der "Ring Nationaler Frauen" (RNF) propagiert frauenund familienpolitische Themen im Sinne der NPD und sieht sich als "Sprachrohr und Ansprechpartner für nationale Frauen". Vertreterinnen des RNF unterstützen die NPD bei Wahlkämpfen, nehmen an Demonstrationen der Mutterpartei teil oder organisieren Infostände auf Veranstaltungen. 1.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) Gründung: 2003 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Hartmut Krien Die in der Satzung der NPD verankerte "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) versteht sich als bundesweite Interessenvertretung für kommunale Mandatsträger der Partei. Die KPV zielt darauf ab, die kommunalpolitischen Aktivitäten der NPD zu professionalisieren. In Schulungen für Mandatsträger werden Vernetzung und Erfahrungsaustausch gefördert. 96 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 1.4 "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" (DS Verlag) Gründung: 1976 Sitz: Riesa (Sachsen) Leitung/Vorsitz: Peter Schreiber Publikationen/Medien: u.a. "Deutsche Stimme" (Zeitung, monatlich, Auflage: nicht bekannt) Der DS Verlag dient der NPD als Vertrieb für eigene Publikationen und verlegt als bedeutendste Schrift der NPD das monatliche Parteiorgan "Deutsche Stimme". Als Sprachrohr der Partei berichtet die "Deutsche Stimme" unter anderem über NPD-Aktionen, publiziert Stellungnahmen der Parteiführung oder liefert NPD-ideologisch ausgerichtete Reportagen. 97 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 2. "DIE RECHTE" Gründung: 2012 Sitz: Dortmund (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: seit 5. Januar 2019 Sascha Krolzig und Sven Skoda Mitglieder/Anhänger 550 (2018: 600) in Deutschland: Teil-/Nebenacht Landesverbände (Baden-Würtorganisationen: temberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und der Landesverband "Südwest", der RheinlandPfalz und das Saarland umfasst) mit insgesamt circa 20 Kreisverbänden beziehungsweise "Stützpunkten" Die ideologischen Schwerpunkte der Partei "DIE RECHTE" bilden Neonationalsozialismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. Zahlreiche Kundgebungen und Internetverlautbarungen richten sich gegen "staatliche Repression" und Zuwanderung. Bei ihren Propagandaaktionen setzen Parteimitglieder mitunter verstärkt auf Provokation des politischen Gegners und der Polizei. "DIE RECHTE" lehnt den Parlamentarismus grundsätzlich ab und betrachtet die Organisationsform einer politischen Partei lediglich als Mittel zum Zweck für ihren Kampf gegen "das System". Das politische Ziel der Partei ist ein fundamentaler Systemwechsel in Deutschland. Einige Unterorganisationen der Partei haben sich zu Auffangbecken für Neonazis entwickelt und Funktionen verbotener Neonazi-Gruppierungen übernommen. 98 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 3. "Der III. Weg" Gründung: 2013 Sitz: Weidenthal (Rheinland-Pfalz) Leitung/Vorsitz: Klaus Armstroff Mitglieder/Anhänger 580 Vollund Fördermitglieder in Deutschland: (2018: 530) Teil-/Neben- 3 Gebietsund 20 Regionalverbände organisationen: ("Stützpunkte") Die ideologischen Aussagen der Partei "Der III. Weg" sind geprägt vom historischen Nationalsozialismus, Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit. In ihrem "Zehn-Punkte-Programm" propagiert die Partei unter anderem die Schaffung eines "Deutschen Sozialismus" sowie die Entwicklung und Erhaltung der "biologischen Substanz des Volkes". Die fundamental ablehnende Haltung der Partei gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat kommt in ihrer politischen Agitation deutlich zum Ausdruck, insbesondere bei der mit einer aggressiven Rhetorik vorgetragenen Instrumentalisierung der Themen Asyl und Zuwanderung. 99 RECHTSEXTREMISMUS/RECHTSEXTREMISTISCHER TERRORISMUS 4. "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) Gründung: 2012 (Eintragung in das Vereinsregister 2014) Sitz: Paderborn (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Daniel Fiß und Nils Altmieks seit Januar 2020: Philip Thaler Mitglieder/Anhänger 600 (2018: 600) in Deutschland: Teil-/Nebenbundesweite Strukturen mit Regionalorganisationen: und Ortsgruppen Okzident Media UG Schanze Eins UG & Co. KG Kohorte UG (Online-Shop "Phalanx Europa") Die IBD versteht sich selbst als Teil einer "europaweiten patriotischen Jugendbewegung, die mittels friedlichem Aktionismus, politischer Bildungsarbeit sowie gemeinschaftlicher und kultureller Aktivitäten für die Werte Heimat, Freiheit und Tradition einsteht." Die tatsächlichen Positionen der IBD sind allerdings nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Die IBD zielt letztlich darauf ab, Menschen mit außereuropäischer Herkunft von demokratischer Teilhabe auszuschließen und sie in einer ihre Menschenwürde verletzenden Weise zu diskriminieren. Menschen ohne gleiche ethnische Voraussetzungen können aus Sicht der IBD niemals Teil einer gemeinsamen Kultur sein. Für die IBD existiert Kultur nur in einer dauerhaften Verknüpfung mit einer Ethnie (Ethnopluralismus). Dies zeigt sich unter anderen in Aktionen und Kampagnen wie "Der große Austausch". Die europaweite Vernetzung äußert sich durch gemeinsame Aktionen wie "Defend Europe" oder die jährliche "Sommeruniversität" in Frankreich. 100 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 101 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" I. Überblick Die Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist personell, organisatorisch und ideologisch heterogen. Sie setzt sich aus Einzelpersonen ohne Organisationsanbindung, Kleinstund Kleingruppierungen, länderübergreifend aktiven Personenzusammenschlüssen und virtuellen Netzwerken zusammen. Ihr verbindendes Element ist die fundamentale Ablehnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland sowie deren bestehender Rechtsordnung. Diese Ablehnung ist das Ergebnis verschiedener ideologischer Positionen, die sich teilweise stark voneinander unterscheiden. Dennoch sind sie insgesamt dazu geeignet, Personen ein verschwörungstheoretisches Weltbild zu vermitteln, dessen Ergebnis die Ablehnung des Staates sein kann. Die Unterscheidung zwischen "Reichsbürgern" einerseits und "Selbstverwaltern" andererseits ist teilweise äußerst schwierig. Die Argumente für ihre Ansichten sind im Wesentlichen deckungsgleich: "Reichsbürger" berufen sich hinsichtlich des Staatsgebiets und des Rechtsstandes auf ein wie auch immer geartetes "Deutsches Reich" und lehnen deshalb die Bundesrepublik Deutschland ab. "Selbstverwalter" hingegen sind Personen, die sich dem Staat nicht zugehörig fühlen. Sie behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus diesem austreten und seien deshalb nicht an die Gesetze gebunden. Dabei berufen sie sich oftmals auf eine UN-Resolution, die es ihrer Meinung nach ermöglichen würde, in eine "Selbstverwaltung" einzutreten. Ihr Wohnanwesen markieren sie mitunter durch (Grenz-)Linien, Schilder, "Wappen" oder andere Kennzeichen, durch die sich ihr angeblich souveräner Verwaltungsraum abgrenzen soll. Dieser wird teilweise auch gewalttätig verteidigt. Ein geringer Teil der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist auch dem Rechtsextremismus zuzurechnen. Überschneidungen finden sich insbesondere bei den Themenfeldern Gebietsund Geschichtsrevisionismus, völkischem und teilweise nationalsozialistischem Gedankengut sowie Antisemitismus. Bei den allermeisten Szeneangehörigen sind rechtsextremistische Ideologieelemente jedoch nur gering bis gar nicht auszumachen. 102 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" Die ideologische Bandbreite der "Reichsbürger" und "SelbstverPersonenpotenzial walter" begünstigt ihr hohes Personenpotenzial. Deutschlandweit sind ihr im Jahr 2019 etwa 19.000 Personen (2018: 19.000) zuzurechnen. Bei rund 950 davon handelt es sich um Rechtsextremisten (2018: 950). 1. Entwicklungstendenzen Das Personenpotenzial der Szene hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert. Die Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist zu circa drei Vierteln männlich. Obgleich der Frauenanteil gering erscheinen mag, ist er, verglichen mit der rechtsextremistischen Szene, erkennbar höher. Zudem sind Frauen in herausragenden Funktionen in einigen Gruppierungen tätig und dominieren diese teilweise. Die meisten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind zwischen 40 und 60 Jahre alt. Die "Vielschreiberei", also das Versenden seitenlanger Ausführungen mit einer häufig pseudojuristischen Argumentation, stellt das gängigste Vorgehen innerhalb der Szene dar. Mitunter wird in diesen Schreiben versucht, Behördenmitarbeiterinnen und -mitarbeiter zu bedrohen oder einzuschüchtern. So kündigte beispielsweise ein Mitglied der "Geeinten deutschen Völker und Stämme" (GdVuSt)40 in einem Schreiben an das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf in Berlin Bezug nehmend auf die angestrebte "Eigentumsübernahme" des Rathauses Steglitz an: "Mit jeder Überschreitung Ihrer Rechte nach Erhebung der Hoheitsgebiete Steglitz, Lichterfelde und Schöneberg sowie alle Weiteren in der Landschaft Berlin und Brandenburg, werden wir auch Sie, [Name genannt], außerhalb Ihrer handelsrechtlich wirkenden Haftungssicherung privat enteignen und in die Sippenhaftung stellen (...)." (Schreiben GdVuSt, 10. Januar 2019) 40 Durch Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) seit dem 19. März 2020 verboten. 103 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind häufig waffenaffin. Insgesamt wurden seit Einrichtung des Bundesbeobachtungsobjekts im Jahr 2016 mindestens 790 Szeneangehörigen ihre waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. Zum 31. Dezember 2019 waren noch rund 530 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" als Inhaber waffenrechtlicher Erlaubnisse bekannt (2018: 910). 2. Erscheinungsformen Definition "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Ausgewählte Insgesamt entfalten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" einen Aktivitäten hohen Grad an Aktivitäten. Ihr Vorgehen ist regelmäßig von bewussten Provokationen geprägt. Um den behördlichen und rechtsstaatlichen Ablauf zu stören, richten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" mannigfaltig Schreiben an Behörden und Ämter und suchen die Konfrontation mit ihnen. Darüber hinaus sollen behördliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eingeschüchtert und teilweise öffentlich bloßgestellt werden. Um ihre Ansichten zu verbreiten und unter Anhängern zu verfestigen, richten verschiedene Szenegruppierungen Seminare aus, die teilweise auch im Internet verbreitet werden. So lud eine sich unter anderem als "Amt für Menschenrechte" bezeichnende Gruppierung41 im Januar 2019 eine im Dezember 2018 in Italien abgehaltene Seminarveranstaltung über ihren YouTube-Kanal "MenschenrechtTV" hoch. Die Gruppierung hält sich selbst für eine staatliche Institution und erkennt die Bundesrepublik Deutschland nicht an. Hierzu verkündet das "Amt für Menschenrechte" auf seiner Homepage: 41 Die Gruppierung tritt unter verschiedenen Bezeichnungen auf, z.B. "Amt für Menschenrecht", "Gerichthof der Menschen", "Internationales Zentrum für Menschenrechte" (IZMR). 104 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" "Wir sind keine Organisation des Privatrechts, sondern des öffentlichen Recht (...). Die Organisationen der Bundesrepublik sind nicht grundrechtfähig und daher keine Träger von Rechten." (Homepage "Amt für Menschenrechte", 12. Dezember 2019) Szeneangehörige beanspruchen mitunter rechtswidrig hoheitliche Rechte und Aufgaben. Sie produzieren und vertreiben Fantasieausweise und Kfz-Kennzeichen oder nehmen Veränderungen an diesen vor. So wurde am 31. Juli 2019 bei Durchsuchungen in Sachsen gegen ein falsches "Verkehrsamt" vorgegangen. Die Betreiber, zwei "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", sollen über dieses "Verkehrsamt" in Dresden (Sachsen) unter anderem Fantasieführerscheine, -kennzeichen und falsche Zulassungsbescheinigungen ausgegeben haben. Außerdem sollen sie die Abnehmer ihrer Produkte aufgefordert haben, ihre Fahrzeuge nicht legal anzumelden oder zu versichern. Den beiden Beschuldigten wurde vorgeworfen, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik durch eigene Stellen ersetzen zu wollen. Bei der Durchsuchung wurden mehr als 50 Aktenordner und Computertechnik sichergestellt. Gegen einen Tatverdächtigen wird wegen Anstiftung zum Verstoß gegen die Haftpflichtversicherungspflicht und Kraftfahrzeugsteuerhinterziehung ermittelt. Das Verfahren gegen die andere beschuldigte Person wurde zwischenzeitlich eingestellt. Bei einer anderen Exekutivmaßnahme am 5. September 2019 gegen Mitglieder der bereits erwähnten Gruppierung GdVuSt, unter anderem wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, wurden eine Vielzahl an Speichermedien und anderen Materialien beschlagnahmt. Die GdVuSt verfolgen eine eigene Theorie von drei Staatsformen. Dabei sei die niedrigste Staatenbildung eine solche, die "auf dem Handel und den daraus sich ergebenden Abhängigkeiten und Zwängen" aufbaue. Dieser Kategorie wird die Bundesrepublik Deutschland zugeordnet, die als Staat ein "Handelskonstrukt" sei. Somit wird ihr die Legitimität abgesprochen.42 Die Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist durch ihre Antisemitismus staatsfeindlichen Einstellungen und Verschwörungstheorien geprägt. Letztere befördern auch eine Anschlussfähigkeit an antisemitische Erklärungsmuster. Daher finden sich bei "Reichsbürgern" 42 Homepage GdVuSt (22. Januar 2020). 105 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" und "Selbstverwaltern" immer wieder antisemitische Einstellungen und Äußerungen, wie beispielsweise bei der Vereinigung GdVuSt. Auch die Gruppierung "Verfassunggebende Versammlung" äußerte sich im von ihr online genutzten "ddb Netzwerk" antisemitisch, indem sie im Beitrag "Das ist die ELITE, das ist die NWO43!" behauptet, es würde eine Art verborgene jüdische Weltherrschaft geben: "Die politische Macht wurde von den Juden in fast jeder nichtjüdischen Nation zusammen mit der Finanzkraft erlangt, da jüdische Hofbanker Staatsgelder und Steuern manipulierten." (Website "ddbnews.org", 12. Dezember 2019) Antisemitismus bildet nicht bei allen Szeneangehörigen ein herausragendes Ideologieelement. Gerade aber im Zusammenhang mit Verschwörungstheorien, vor allem wenn es um angebliche Hintergründe der etablierten Politik geht, werden antisemitische Einstellungen sichtbar. II. Gewalt und Militanz Ein Großteil der Szene konzentriert sich auf Auseinandersetzungen mit Behörden und Ämtern. Staatliche Eingriffe werden generell als unrechtmäßig empfunden. Dabei kann jede staatliche Einmischung erhebliche Aggressionen bis hin zu Gefahrensituationen auslösen. Staatliche Dieses reaktive Gewaltpotenzial zeigte sich deutlich im SeptemMaßnahmen ber des Berichtsjahres. Bei einer Exekutivmaßnahme gegen einen Szeneangehörigen in Ottendorf-Okrilla (Sachsen) reagierte dieser mit erheblichem Widerstand. Unmittelbar nachdem die Polizei das Grundstück betreten hatte, begab sich der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in sein Fahrzeug und rammte das vor der Grundstückseinfahrt abgestellte Polizeifahrzeug. Bei der darauffolgenden 43 Die Abkürzung NWO steht für den englischen Begriff "New World Order" (auf Deutsch: neue Weltordnung). Damit wird in verschiedenen Verschwörungstheorien das vermeintlich angestrebte Ziel von vermuteten Eliten und Geheimgesellschaften umschrieben. 106 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" Festnahme griff er die Polizeikräfte an, die Pfefferspray einsetzten und so den Angriff unterbinden konnten. Die anhaltende Waffenaffinität der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" wurde auch 2019 durch erhebliche Waffenfunde im Zuge von Exekutivmaßnahmen belegt. So wurden zum Beispiel am 14. und 15. März 2019 bei Durchsuchungsmaßnahmen in Kordel (Rheinland-Pfalz) mehrere Hundert Waffen, Waffenteile, Munition und Sprengkörper sichergestellt. Gegen die beiden Betroffenen waren bereits Ende 2018 umfassende Waffenbesitzverbote ausgesprochen worden, verbunden mit der Pflicht zur Abgabe von Waffen und Sprengstoff. Dieser Pflicht waren sie nicht nachgekommen. Illegaler Waffenbesitz in der Szene der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" lässt sich auch an der Feststellung eines Waffenarsenals in Appenheim (Rheinland-Pfalz) dokumentieren. Am 15. Mai 2019 vollstreckten dort Polizeikräfte einen Haftbefehl gegen einen Szeneangehörigen, der wegen eines Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt worden war. Bei den Durchsuchungen konnten zahlreiche (Schuss-)Waffen und Waffenzubehör sichergestellt werden. III. Gefährdungspotenzial Aus ihren staatsfeindlichen Überzeugungen heraus entfalten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ein hohes Maß an Aktivität. Ihre Anschauungen verbreiten sie zumeist im Internet, aber auch darüber hinaus. Die mitunter aggressiven Verhaltensweisen der Szeneangehörigen richten sich vornehmlich gegen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Behörden und Ämtern. Einzelaktivisten treten häufig dadurch in Erscheinung, dass sie etwa mit szenetypischen Argumenten einen Staatsangehörigkeitsausweis ("Gelber Schein") beantragen und sich dabei auf ein wie auch immer geartetes Reich beziehen. Das Internet spielt eine zentrale Rolle zur Verbreitung der eigenen Ideologie, aber auch um Kontakte zu Gleichgesinnten zu suchen, "Werbung" zu betreiben oder Spendenaufrufe zu starten. Auf Dauer angelegte Personenzusammenschlüsse in der Szene zeichnen sich meist durch die Planung und Durchführung 107 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" von Seminaren, das Bereitstellen von "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Dokumenten oder durch ähnliche Aktionen aus. Oftmals liegt ihren Tätigkeiten neben der ideologischen auch eine finanzielle Motivation zugrunde. Beachtliches Gefährdungspotenzial besteht in der Waffenaffinität der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Die Sicherheitsbehörden sind deshalb bestrebt, auf den Entzug sämtlicher waffenrechtlicher Erlaubnisse bei Szeneangehörigen hinzuwirken beziehungsweise zu verhindern, dass eine solche bewilligt wird. Aufgrund ihrer Waffenaffinität muss aber damit gerechnet werden, dass sich Szeneangehörige nach einem Entzug der waffenrechtlichen Erlaubnis möglicherweise illegal bewaffnen. Da "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" staatliche Maßnahmen als unrechtmäßig empfinden, können diese zu Aggressionen und Gefahrensituationen bis hin zu schweren Gewalttaten führen. Die Szene birgt weiterhin ein hohes (reaktives) Gewaltpotenzial. Das krude Weltbild vieler "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", das von verschiedenen Verschwörungstheorien, einer Ablehnung des Staates und mitunter auch antisemitischen, rassistischen, gebietsund geschichtsrevisionistischen Einstellungen geprägt ist, führt dazu, dass Exekutivmaßnahmen gegen Szeneangehörige nur bedingt Wirkung zeigen. Es lässt sich teilweise eine vorübergehende Zurückhaltung der Betroffenen feststellen, eine dauerhafte Lossagung von der Szene findet aber zumeist nicht statt. Die anhaltend hohe verbale Aggression sowie das immanente Gefährdungspotenzial erfordern deshalb auch zukünftig eine intensive Beobachtung durch den Verfassungsschutz. 108 "REICHSBÜRGER" UND "SELBSTVERWALTER" IV. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Mitglieder/Anhänger 19.000 in Deutschland: Publikationen/Medien: Vielzahl von Internetpräsenzen mit entsprechenden Veröffentlichungen Bundesweit aktive Rund 26 länderübergreifend aktive Gruppierungen: Gruppierungen, unter anderem: - "Staatenbund Deutsches Reich" mit "Gliedstaaten" - "Geeinte deutsche Völker und Stämme"44 - "Amt für Menschenrechte" Außerdem zahlreiche Kleinund Kleinstgruppierungen sowie Einzelpersonen Als "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Personen und Gruppierungen zu bezeichnen, die aus unterschiedlicher Motivation und mit verschiedenen Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland verneinen und die gesamte Rechtsordnung ablehnen. Dabei berufen sie sich hinsichtlich der Staatsund Herrschaftsform sowie der Grenzverläufe auf verschiedene Erscheinungsformen des "Deutschen Reiches". Zudem bilden verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auch ein selbst definiertes Naturrecht das ideologische Fundament zur Leugnung der Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland. Dabei sprechen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" den demokratisch gewählten Repräsentanten ihre Berechtigung ab oder definieren sich gar ausnahmslos als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Deshalb besteht die Besorgnis, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind sehr aktiv: Sie behindern Behörden und Ämter in ihrer Arbeit und bedrohen mitunter deren Mitarbeiter. In Einzelfällen kommt es auch zu körperlichen Übergriffen. Insbesondere im Internet verbreiten sie intensiv ihr Gedankengut und ihre Argumentationsmuster. 44 Durch Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) seit dem 19. März 2020 verboten. 109 110 Linksextremismus 111 Linksextremismus I. Überblick Linksextremisten wollen die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen. An deren Stelle soll ein kommunistisches System beziehungsweise eine "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaft treten - je nach ideologischer Ausrichtung mit dem Sozialismus als Übergangsphase. Dabei sind Themen wie "Antifaschismus", "Antirepression" oder "Antigentrifizierung" anlassbezogen relevante, letztlich aber austauschbare Aktionsfelder, die immer nur der Umsetzung der eigenen ideologischen Vorstellungen dienen. Zu deren Erreichung sind Linksextremisten grundsätzlich bereit, Gewalt einzusetzen. Kommunismus und Die Ideologiefamilien des Linksextremismus sind KommunisAnarchismus als mus und Anarchismus. Kommunisten berufen sich in erster Linie Ideologiefamilien auf Karl Marx und Friedrich Engels sowie teilweise auf Wladimir Iljitsch Lenin, Josef Stalin, Leo Trotzki oder Mao Zedong. Fundament dieser ideologischen Weltsicht ist der von Marx als wissenschaftliche Tatsache propagierte "Historische Materialismus". Demnach sei der Ablauf der Geschichte eine durch ökonomische Prozesse gesetzmäßig vorherbestimmte Entwicklung der menschlichen Gesellschaft - von der Urgesellschaft über die Sklavenhaltergesellschaft und den Feudalismus, den "Kapitalismus" und den Sozialismus bis hin zum Kommunismus. In der derzeit vorherrschenden Entwicklungsstufe - dem "Kapitalismus" - existiere ein "Klassenkampf" zwischen der lohnabhängigen Klasse ("Proletariat") und der im Besitz der Produktionsmittel befindlichen, herrschenden Klasse ("Bourgeoisie"). Dieser "Klassenkampf" gipfele schließlich in der Revolution des "Proletariats", die alle Klassenunterschiede aufheben werde. Sozialismus als Der "gewaltsame Sturz der Bourgeoisie" durch die Arbeiterklasse Übergangsphase führe nach der Gesetzmäßigkeit des "Historischen Materialismus" über den Sozialismus ("Diktatur des Proletariats") zum Kommunismus. Marxisten streben den Sozialismus als Übergangsphase an, in welcher der Staat in Teilen bis zur Entwicklung zum Kommunismus bestehen bleiben und die Gesellschaft auf den Kommunismus vorbereitet werden soll. So soll in dieser Phase beispielsweise das 112 LINKSEXTREMISMUS Privateigentum an Produktionsmitteln zugunsten einer Vergesellschaftung abgeschafft werden. Im Gegensatz zu Kommunisten, die den Wert der sozioökonomischen Gleichheit verabsolutieren, setzen sich Anarchisten die Abschaffung jeder Form menschlicher Herrschaft über andere Menschen als Ziel. Den Sozialismus lehnen Anarchisten dabei genauso ab wie den "Historischen Materialismus". Sie sind konsequent staatsfeindlich und wollen die parlamentarische Demokratie unmittelbar durch eine "basisdemokratisch" organisierte Gesellschaft ersetzen. Einig sind sich Kommunisten und Anarchisten bei der unbedingten Kampf gegen den Notwendigkeit der Bekämpfung des "Kapitalismus". Unter diesem "Kapitalismus" Begriff verstehen Linksextremisten die untrennbare Einheit von marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung und demokratischem Rechtsstaat, welche allein der Manifestierung von Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnissen diene. Der "Kapitalismus" als "Wurzel allen Übels" sei unvereinbar mit der Vorstellung einer auf Freiheit und Gleichheit aller Menschen beruhenden Gesellschaft. Die notwendige Überwindung des "Kapitalismus" könne nicht durch politische Reformen, sondern nur durch einen Umsturz der bisherigen Staatsund Gesellschaftsordnung erfolgen. 1. Entwicklungstendenzen Die Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten hat im Jahr 2019 Mehr Straftaten erheblich zugenommen. Wurden im Vorjahr 4.622 Delikte erfasst, und gezielte Gewalt stieg die Zahl im Berichtsjahr um knapp 40 % auf 6.449, davon gegen Personen 921 Gewaltdelikte (2018: 1.010). Eine deutliche Zunahme um 58,6 % auf 3.520 Delikte zeigte sich insbesondere bei Sachbeschädigungen (2018: 2.219). Auch die Zahl der Brandstiftungen erhöhte sich um 51,9 % auf 164 (2018: 108). In zwei Fällen kam es zu versuchten Tötungsdelikten (2018: keine). Die Zahl der Körperverletzungsdelikte blieb mit 355 (2018: 363) in etwa konstant. Dagegen ging die Zahl der Widerstandsdelikte um 32,4 % auf 254 (2018: 376) zurück. Die mit Abstand meisten linksextremistischen Straftaten entfielen auf die Bundesländer Nordrhein-Westfalen (1.391) und Sachsen (1.286). Während die Zahl für Nordrhein-Westfalen mit nur leichten Zuwächsen konstant hoch blieb (2018: 1.351), war in Sachsen 2019 mehr als eine Verdopplung der Delikte (2018: 628) festzustellen. 113 LINKSEXTREMISMUS Zahlreiche verletzte Personen und ein geschätzter Sachschaden in dreistelliger Millionenhöhe sind die Folgen linksextremistischer Strafund Gewalttaten in Deutschland 2019. Trotz des quantitativen Rückgangs linksextremistischer Gewaltdelikte im Berichtsjahr hat sich die schon in den letzten Jahren festzustellende fortschreitende Entwicklung hin zu einer Erosion des Szenekonsenses der Ablehnung von gezielter Gewalt gegen Personen nochmals verschärft. In der Überzeugung, der "strukturellen" und "repressiven Gewalt des kapitalistischen Systems" selbst eine "revolutionäre Gewalt" entgegensetzen zu müssen, begingen vor allem Autonome eine Vielzahl schwerer Gewalttaten. In der direkten Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner, aber auch mit der Polizei, war bei autonomen Gewalttätern nur eine geringe Hemmschwelle festzustellen. Schwere Gesundheitsschädigungen und in Einzelfällen auch der mögliche Tod von Menschen wurden billigend in Kauf genommen. Insbesondere im Kampf für "autonome Freiräume" wurde gezielt Gewalt gegen Personen eingesetzt. Mit dem Angriff auf eine Mitarbeiterin eines Immobilienunternehmens in Leipzig (Sachsen), die von Linksextremisten in ihrer Wohnung überfallen und mit Faustschlägen ins Gesicht attackiert worden war, wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. Innerhalb des gewaltorientierten Spektrums hat sich gezeigt, dass sich die Fokussierung auf das Aktionsfeld "Antirepression" bundesweit zum stärksten Mobilisierungsfaktor entwickelt hat. Staatliche Exekutivmaßnahmen dienten insbesondere Autonomen auch 2019 als Anknüpfungspunkt für bundesweite militante Aktionen, die in Selbstbezichtigungsschreiben regelmäßig als Reaktion auf angebliche Polizeigewalt oder als Solidaritätsbekundung für inhaftierte Szeneangehörige bezeichnet wurden. Im Unterschied zu den übrigen Aktionsfeldern ist das Thema "Antirepression" kaum geeignet, zivilgesellschaftliche Akteure in großer Zahl zu mobilisieren und langfristig zu binden. Dennoch konnte die linksextremistische "Rote Hilfe e.V." (RH) im Jahr 2019 über 1.300 neue Mitglieder hinzugewinnen. Die RH hat dabei regelmäßig versucht, im Nachgang zu staatlichen Maßnahmen durch verstärkte Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen und den vermeintlich "repressiven Charakter" des demokratischen Rechtsstaates herauszustellen. 114 LINKSEXTREMISMUS Nach wie vor spielt die Instrumentalisierung demokratischer DisInstrumentalisiekurse im Linksextremismus eine große Rolle. Mit dem Aufgreifen rung demokratischer wichtiger tagespolitischer Themen wird versucht, gezielt Einfluss Diskurse auf gesellschaftliche Diskussionen zu nehmen. So sollen die eigenen Positionen, wie die Delegitimierung des Staates und seiner Institutionen, in die Debatten einfließen. Beispiele sind die Einflussnahmeversuche auf die Klimaprotestbewegung oder auf die Proteste gegen Mietpreiserhöhungen. Für postautonome und dogmatische Linksextremisten standen bei der Beteiligung an Aktionen der Klimaprotestbewegung vor allem der Versuch der Radikalisierung, der persönliche Kontakt zu nicht extremistischen Teilnehmern und die Anwerbung neuer Mitglieder im Vordergrund. Daneben gelten Proteste gegen Mietpreiserhöhungen und sogenannte Luxussanierungen unter Linksextremisten in Ballungsräumen als gesellschaftlich besonders anschlussfähig. Für das autonome Spektrum können auch kurzfristige Entwicklungen ausschlaggebend dafür sein, ob sich militante Aktionen auf eine entsprechende Thematik fokussieren. Im Jahr 2019 mussten vermeintlich "antisoziale Stadtstrukturen" und das Themenfeld "Antigentrifizierung" regelmäßig als Begründung für Strafund Gewalttaten herhalten. Diese reichten von Sachbeschädigungen über Brandstiftungen bis hin zu gezielten Angriffen auf Personen. Gerade im Begründungszusammenhang "Antigentrifizierung" zeigte sich 2019 die fortschreitende Radikalisierung der linksextremistischen Szene. Im Themenfeld "Antifaschismus" steht neben Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien oder Gruppierungen pauschal die von Linksextremisten als rechtsextremistisch bezeichnete AfD im Fokus linksextremistischer Aktionen. Immer wieder kommt es zu teils erheblichen Straftaten zum Nachteil von Mitgliedern oder Einrichtungen der AfD. Dazu zählen Sachbeschädigungen an Veranstaltungsräumen und Parteibüros oder Brandanschläge auf Pkw. Zudem kam es wiederholt zu Körperverletzungsdelikten zum Nachteil von Personen, die von Linksextremisten dem Rechtsextremismus zugeordnet werden. 115 LINKSEXTREMISMUS 2. Entwicklung des Personenpotenzials Linksextremismuspotenzial1 2017 2018 2019 Gewaltorientierte 9.000 9.000 9.200 Linksextremisten2 davon: Autonome 7.000 7.400 7.400 Anarchisten 800 800 900 Dogmatische Linksextremisten - 800 900 Nicht gewaltorientierte 21.400 24.000 25.300 dogmatische Linksextremisten und sonstige Linksextremisten Summe 30.400 33.000 34.500 Nach Abzug von Mehrfachmit29.500 32.000 33.500 gliedschaften 1 Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Bis zum Jahr 2017 wurde bei der Darstellung des Personenpotenzials nur die Gesamtzahl der gewaltorientierten Linksextremisten aufgeführt. Zum besseren Verständnis wird ab dem Jahr 2018 das Potenzial der gewaltorientierten Linksextremisten nunmehr aufgeschlüsselt und die Zahl der gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten separat ausgewiesen. Das linksextremistische Personenpotenzial ist im Jahr 2019 nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften um rund 4,7 % auf insgesamt 33.500 Personen gestiegen (2018: 32.000). Die Zahl der gewaltorientierten Linksextremisten stieg um rund 2,2 % auf 9.200 Personen (2018: 9.000). Mehr als jeder vierte Linksextremist ist somit als gewaltorientiert einzuschätzen. II. Linksextremistische Strukturen Charakteristisch für die linksextremistische Szene ist ihre ausgeprägte Heterogenität. Diese zeigt sich im Hinblick auf die verschiedenen ideologischen Ausprägungen, den Organisationsgrad, die bevorzugten Aktionsformen sowie das Verhältnis zur Gewalt. Anhand der Einstellung zur Frage, ob Gewalt derzeit ein konkretes, legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele ist, lässt sich die linksextremistische Szene in zwei Lager teilen - in gewaltorientierte und nicht gewaltorientierte Linksextremisten. 116 LINKSEXTREMISMUS 1. Gewaltorientierte Linksextremisten Mehr als jeder vierte Linksextremist in Deutschland ist als gewaltorientiert einzustufen. Zu dieser Gruppe zählen vor allem Autonome, Anarchisten sowie eine Minderheit des dogmatischen Spektrums. 1.1 Autonome Autonome bilden mit etwa 7.400 Personen die mit Abstand größte Gruppe im gewaltorientierten Linksextremismus. Obwohl Autonome ideologisch, strategisch und organisatorisch keine einheitliche Szene darstellen, teilen sie eine inhaltliche Grundannahme: Das Individuum und seine Selbstverwirklichung stehen im Mittelpunkt des politischen Handelns. Jede Form einer Fremdbestimmung wird abgelehnt. Alle Staatsund Herrschaftsformen werden so gleichermaßen als autoritär erachtet und sollen zugunsten einer herrschaftsfreien Ordnung überwunden werden. Eine proletarische Diktatur als Übergangsphase, wie sie der Marxismus vorsieht, wird daher ebenfalls nicht angestrebt. Die theoretische Basis des autonomen Linksextremismus bilIdeologische Basis den Versatzstücke anarchistischer Ideen des 19. Jahrhunderts, die in unterschiedlicher Art und Weise rezipiert werden. So findet sich das Verständnis einer Revolution als fortlaufender Prozess (William Godwin und Pjotr Kropotkin) ebenso in den Weltanschauungen der Autonomen wieder wie die "destruktive Gewalt" als revolutionäres Konzept (Michail Bakunin). Dabei meint "destruktive Gewalt" das planmäßige, systematische und erhebliche Schädigen insbesondere des Staates, ohne mit der einzelnen Tat etwas Konstruktives bewirken zu wollen. Den nach wie vor größten ideologischen Einfluss hat der individu"Politik der ersten alistische Anarchismus des frühen 20. Jahrhunderts. Diese nonkonPerson" formistische und antiautoritäre Auffassung versteht Privatleben und politisches Handeln als eine untrennbare Einheit. Abgezielt wird auf eine selbst gewählte Isolation von der Gesellschaft, ohne aber gänzlich von einer Einflussnahme auf diese abzusehen. Dieser Grundgedanke des individualistischen Anarchismus bildet zugleich die theoretische Basis einer "Politik der ersten Person", die 117 LINKSEXTREMISMUS Autonomen als revolutionäres Leitprinzip dient und sie von traditionellen anarchistischen Strömungen unterscheidet. Demnach sei Voraussetzung für die "Befreiung" der Gesellschaft die innere und äußere Befreiung jedes Individuums durch sich selbst. Autonome erheben sich selbst zum revolutionären Subjekt und streben keinen gesamtgesellschaftlichen "Klassenkampf" an. Vielmehr lehnen sie jede Form von Stellvertreterpolitik ab und verstehen ihr Handeln als den Versuch, sich selbst von allen gesellschaftlichen und ökonomischen Zwängen zu befreien: "Die Ohnmacht gegenüber Staat und Wirtschaft kann nur durch eigenes Handeln überwunden werden. Und ein Stein trifft die herrschende Ordnung besser als jeder Wahlzettel." (Internetplattform "de.indymedia", 26. Mai 2019) In ihren "Freiräumen" versuchen Autonome deshalb, alternative Lebensentwürfe zu verwirklichen, die an ihren eigenen Idealen orientiert sind. Damit gehen zwingend die Ablehnung und das Fernhalten staatlicher Ordnungsmacht einher. Revolutionärer Der einem niedrigen Organisationsgrad innewohnende Mangel an Ansatz Verbindlichkeit und Kontinuität erschwert jedoch das Initiieren eines effektiven und nachhaltigen revolutionären Aktes. Aus diesem Wissen heraus ist die Forderung nach Eigenverantwortung und Selbstbestimmung als gesellschaftspolitisches Ziel gleichzeitig erklärtes Mittel zu dessen Erreichung. Durch die ständige Eroberung und Verteidigung von "Freiräumen" sollen Teile des gesellschaftlichen Zusammenlebens der "kapitalistischen Verwertungslogik" und staatlichen Einflüssen entzogen werden. Dafür besetzen Autonome leer stehende Häuser, gründen Wohngemeinschaften und genossenschaftliche Kleinbetriebe oder eröffnen autonome Zentren, Läden und Einrichtungen. Dem "kapitalistischen Gesellschaftssystem" sollen Strukturen entgegengestellt werden, die die Einwirkungsmöglichkeiten seiner Institutionen punktuell außer Kraft setzen und so die Macht des Staates schrittweise bis zu seiner Auflösung reduzieren. Negierung des Nach autonomer Vorstellung bedarf es kaum der Formulierung Bestehenden konkreter politischer Ziele. Stattdessen wird die Verneinung des Bestehenden zum Leitmotiv. Daher begnügen sich autonome Positionen regelmäßig in der Formulierung von Antihaltungen, die tatsächliche oder empfundene Missstände aufzeigen, ihnen jedoch 118 LINKSEXTREMISMUS keine konstruktiven Lösungsansätze entgegenstellen. Die Beseitigung der Missstände könne nur mit der Beseitigung des Systems einhergehen. Aus der Ablehnung jeder Form von Fremdbestimmung resultiert Organisationsformen auch eine Abneigung gegenüber festen Organisationsstrukturen. Die meisten Autonomen bevorzugen unverbindliche Strukturen und bilden auf persönlichen Beziehungen beruhende Kleingruppen ("Bezugsgruppen"). Diese Kleingruppen stehen ihrerseits in losen Verbindungen zu anderen Kleingruppen und kooperieren anlassbezogen miteinander. Andere Autonome schließen sich aus strategischen Überlegungen langfristig in Gruppen und Netzwerken zusammen. Dadurch soll die politische Schlagkraft erhöht und ein effektiver Schutz vor politischen Kontrahenten sichergestellt werden. Anlassbezogen kooperieren Autonome auch mit nicht extremistischen Akteuren und Aktionsbündnissen, deren Forderungen gezielt um extremistische Inhalte erweitert und um eine militante Komponente ergänzt werden sollen. Postautonome entwickeln diese strategischen Überlegungen weiPostautonome ter und rücken die Vernetzung mit nicht extremistischen Gruppen Zusammenschlüsse und Akteuren ins Zentrum ihres politischen Handelns. Damit geht eine vereinzelte Abkehr vom autonomen Selbstverständnis einher, die zugunsten besserer Möglichkeiten der gesellschaftlichen und politischen Einflussnahme bewusst hingenommen wird. Vertreter dieser postautonomen Ausrichtung sind die "Interventionistische Linke" (IL) und das kommunistische Bündnis "...ums Ganze!" (uG). Bei der "Antifaschistischen Aktion" (kurz "Antifa") handelt es sich "Antifaschistische dagegen nicht um eine klar umgrenzte Organisation oder strukAktion" ("Antifa") turell verfestigte Gruppierung. Derzeit prägt den Begriff "Antifa" vor allem der "autonome Antifaschismus", der anlassbezogen oder kampagnenorientiert agiert. Unter dem Motto "Antifa heißt Angriff" rufen Linksextremisten im Rahmen des Aktionsfeldes "Antifaschismus" regelmäßig zu "Gegenaktionen" zum Nachteil ihrer Meinung nach "faschistischer" Personen, Gruppierungen oder Institutionen auf. Gemeint ist damit letztlich die Begehung von Straftaten wie Sachbeschädigungen, Brandstiftungen oder teils erheblicher Körperverletzungen, bei denen zum Teil auch der Tod von Menschen zumindest billigend in Kauf genommen wird (vgl. Kap. III, Nr. 3). 119 LINKSEXTREMISMUS Da es sich bei der "Antifa" nicht um eine verbotene verfassungswidrige "Organisation" handelt, ist auch das Verwenden des "Antifa"-Symbols nicht strafbar im Sinne des SS 86a Strafgesetzbuch. Dennoch findet es insbesondere im gewaltorientierten Linksextremismus breite Verwendung. Das Symbol der "Antifa" steht daher nicht allein für eine Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus, sondern gerade auch für die Abgrenzung von "bürgerlichem" oder "staatskonformem" Kampf gegen Rechtsextremismus mit rechtsstaatlichen Mitteln. So steht etwa die schwarze Fahne, die heute neben der roten im "Antifa"-Symbol verwendet wird, für den autonomen Anarchismus. Autonome als Autonome Szenen bilden sich primär in Großund/oder Universiurbanes Phänomen tätsstädten. Meist verfügt die jeweilige Szene über einen zentralen Anlaufpunkt, um den sich ein Geflecht von Kleingruppen, Einzelpersonen und lokalen Ablegern überregionaler oder bundesweiter Organisationen und Strukturen formiert. Die größten Szenen befinden sich in Berlin, Hamburg und Leipzig. Sie verfügen nicht nur über ein überdurchschnittlich hohes Aktionsniveau und Mobilisierungspotenzial, sondern begehen auch eine Vielzahl an Strafund Gewalttaten. Hinzu kommt an diesen Orten ein breites sympathisierendes und anlassbezogen mobilisierbares Szeneumfeld. 1.2 Anarchisten Vertreter des Anarchismus lehnen die Herrschaft von Menschen über andere Menschen ab. Das beinhaltet jede Form staatlicher Hoheitsgewalt, auch die innerhalb freiheitlicher Demokratien. Die Werte von Freiheit und Gleichheit sollen uneingeschränkt in einer vollkommen herrschaftsfreien Staatsund Gesellschaftsordnung gelebt werden können. Anders als Autonome streben Anarchisten daher nicht nur die Schaffung von "Freiräumen" innerhalb einer gegebenen Staatsform an. Stattdessen sollen Nationalstaaten ebenso überwunden werden wie die darin etablierten Herrschaftsformen - einschließlich der freiheitlichen Demokratie. Kennzeichnend für die anarchistische Szene ist ihr hoher Grad an Vernetzung, welche als unerlässlich für die revolutionäre Herbeiführung der anarchistischen Gesellschaft angesehen wird. 120 LINKSEXTREMISMUS Ideologisch existieren im Anarchismus verschiedene Strömungen, wovon eine Ausprägung in Deutschland der "Anarchosyndikalismus" ist. Dessen Anhänger verfolgen das Ziel, eine "soziale Revolution" durch Gewerkschaften herbeizuführen. Dieser Strömung folgt mit der "Freien Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU) auch die mit etwa 800 Mitgliedern größte anarchistische Organisation in Deutschland. 1.3 Gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten Dogmatische Linksextremisten führen ihre Ideologie im Wesentlichen auf die Theorien kommunistischer Vordenker wie Marx, Engels oder Lenin zurück. Verbindendes Element ist das gemeinsame Ziel einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, aus der langfristig eine "klassenlose" kommunistische Gesellschaft errichtet werden soll. Dabei schließen die derzeit etwa 900 gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten den Einsatz von Gewalt explizit nicht aus. So soll beispielsweise nach dem Aktionsprogramm der trotzkistischen "Gruppe ArbeiterInnenmacht" (GAM) mithilfe einer "kampffähigen Partei" das bestehende Gesellschaftssystem "zerbrochen" und durch Arbeiterräte ersetzt werden. Dafür suchen die GAM und ihre Jugendorganisation "REVOLUTION" (REVO) nach Möglichkeiten, um ihren Einfluss zu erhöhen. So engagieren sie sich in gesellschaftlichen Bewegungen wie der Klimaprotestbewegung oder bei den Protesten gegen Mietpreiserhöhungen, um diese für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Wie die GAM schließt auch REVO Gewalt als mögliches strategisches Mittel nicht aus. So heißt es zur Frage nach der Notwendigkeit von Gewalt im 2018 erneuerten politischen Programm von REVO, welches unter dem Titel "the road to REVOLUTION" nach wie vor auf der organisationseigenen Website abrufbar ist: "Wir vertreten die Position so viel Gewalt wie nötig, so wenig wie möglich. (...) Wir lehnen das Gewaltmonopol des bürgerlichen Staates ab. So kämpfen wir bei Bedrohungen durch Faschist_Innen gegenüber Geflüchtetenunterkünften für organisierte Selbstverteidigungsstrukturen, ebenso wie wir Streikposten aufbauen, die die Stilllegung der Produktion 121 LINKSEXTREMISMUS für den gesamten Zeitraum des Streiks, notfalls mit Gewalt, durchsetzen." ("the road to REVOLUTION", 2018, S. 47 f.) Auch für die Klimaproteste stellt REVO die Gewaltfreiheit infrage: "Da es hierbei um das Überleben der Menschheit geht, ist eigentlich klar, dass im Notfall leider Gewalt angewendet werden muss." (Homepage REVO, 29. Juli 2019) Neben GAM und REVO ist auch die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) als gewaltorientiert einzustufen. Die formal eigenständige Nachwuchsorganisation der nicht gewaltorientierten "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) distanziert sich nicht von der Anwendung von Gewalt und arbeitet im Rahmen ihrer Bündnispolitik mit anderen gewaltorientierten Gruppierungen zusammen. Zu den Zielen der SDAJ erklärt deren Bundesvorsitzende: "Man wird darauf hinweisen müssen, (...) dass früher oder später dieses System gestürzt werden muss, dass an die Stelle des Kapitalismus der Sozialismus treten muss. Da verbindet sich dann der Reformkampf (...) mit der Perspektive Sozialismus." ("junge Welt" Nr. 11, 14. Januar 2019, S. 12) Antiimperialisten Zu den gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten zählen auch die Antiimperialisten. Ihrer Anschauung nach zielen die "kapitalistischen" Staaten darauf ab, durch "imperialistische" Politik neue Märkte auch gewaltsam zu erschließen, um Profite zu maximieren. Um dem zu begegnen, stelle Gewalt eine notwendige Komponente für den Kampf gegen den "Kapitalismus" beziehungsweise den "Imperialismus" dar. Anders als bei Gruppierungen, die sich streng an ideologischen Vordenkern orientieren, basiert die Ausrichtung von Antiimperialisten auf einer selbstdefinierten Auswahl aus verschiedenen kommunistischen Theorien: Einzelne Ideologiefragmente werden herausgesucht, um die eigenen Forderungen zu untermauern. Diese ideologische "Freizügigkeit" kommt der in Teilen der gewaltorientierten linksextremistischen Szene zu beobachtenden (Re-) Ideologisierung entgegen. 122 LINKSEXTREMISMUS Zu den zentralen antiimperialistischen Zusammenschlüssen ge"Perspektive hört die "Perspektive Kommunismus" (PK). Im Jahr 2019 gehörten Kommunismus" zur PK vier Mitgliedsgruppen in drei Bundesländern. Bei ihrem strategischen Vorgehen setzt die sich selbst als kommunistisch bezeichnende PK zum einen auf einen "Klassenkampf" vor Ort. Dabei wird der Fokus auf die politische Aktivität der Mitgliedsgruppen in den jeweiligen Städten gelegt, um sich dort konkret am "Klassenkampf" zu beteiligen. Durch eine bundesweite Organisierung will die PK zudem überregional Kräfte bündeln, um insbesondere gewaltsame Aktionen gegen Großereignisse mit vorbereiten oder durchführen zu können. Zum antiimperialistischen Spektrum gehörte auch der "Jugend"Jugendwiderstand" widerstand" (JW), der im Juni 2019 seine Auflösung bekannt gab. Der JW gab sich streng dogmatisch und war kaderartig organisiert. Ideologisch zeigte er eine Verehrung für Mao und Stalin. Der vor allem in Berlin aktive JW fiel besonders durch sein geschlossenes Auftreten und seine Gewaltbereitschaft auf. Dabei zielte er vor allem auf potenziell bereits gewaltaffine Jugendliche ab, um deren Aggressionen ideologisch vereinnahmen und lenken zu können. Auch aufgrund seiner antizionistischen Haltung kam dem JW eine Außenseiterrolle in der linksextremistischen Szene zu. 2. Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten und sonstige Linksextremisten Die weit überwiegende Mehrheit der dogmatischen Linksextremisten ist als nicht gewaltorientiert einzustufen. Dennoch wird auch in diesem Spektrum die aktionsorientierte Zusammenarbeit mit gewaltorientierten Linksextremisten zunehmend befürwortet. 2.1 Linksextremistische Parteien Zum Spektrum der dogmatischen Linksextremisten zählen die linksextremistischen Parteien und parteiähnlichen Organisationen. Vor allem mithilfe demokratischer Mittel wie der Teilnahme an Wahlen verfolgen sie die Abschaffung des demokratischen Verfassungsstaates, die Errichtung des Sozialismus und - von diesem ausgehend - eine "klassenlose", kommunistische Gesellschaftsordnung. Zwar bescheinigen die derzeitigen Wahlergebnisse den 123 LINKSEXTREMISMUS linksextremistischen Parteien in Deutschland keine hohe politische Relevanz. Dennoch können sie durch ihre ideologische Basisarbeit auch zu "geistigen Brandstiftern" für gewaltorientierte Linksextremisten werden. Zudem sind die Parteien aufgrund ihrer Mitgliederstärke, ihrer Jugendarbeit und teils aufgrund ihrer Finanzstärke ein nicht zu vernachlässigender Faktor im deutschen Linksextremismus. 2.1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Die orthodox-kommunistische DKP mit etwa 2.850 Mitgliedern hält unverändert an ihrem Ziel des Sozialismus und Kommunismus fest. So betonte ein Vorstandsmitglied auf der 7. Tagung des Parteivorstands am 23. und 24. März 2019 in Essen (NordrheinWestfalen) die Notwendigkeit der revolutionären Überwindung der "kapitalistischen" Gesellschaftsordnung: "Klassenbewusstsein der Klasse (...) umfasst die Einsicht, dass die ökonomische, politische und geistig-moralische Befreiung der Arbeiterklasse nur durch die Erringung der politischen Macht und die Überwindung des Kapitalismus möglich ist. (...) Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur auf dem Weg der revolutionären Umwälzung erfolgen." (Homepage "unsere zeit", 29. März 2019) Bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2019 erhielt die DKP bundesweit 20.396 Stimmen (0,1 %). Bei der Europawahl 2014 hatte die Partei 25.147 Stimmen (0,1 %) erhalten. 2.1.2 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) ist streng maoistisch-stalinistisch ausgerichtet. Als Ziel strebt sie die Errichtung einer Gesellschaft des "echten Sozialismus" als Vorstufe einer "klassenlosen", kommunistischen Gesellschaft an. Im Jahr 2019 nahm die Partei mit der "Internationalistischen Liste/ MLPD" an zwei Wahlen teil. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2019 erhielt sie einen Stimmanteil von 0,0 % beziehungsweise 18.342 Stimmen (2014: 18.198). Ihre Teilnahme an der Europawahl begründete die MLPD damit, dass die Europäische 124 LINKSEXTREMISMUS Union als "imperialistischer Block" nicht umzugestalten sei, sondern bekämpft werden müsse. Im Oktober 2019 nahm die MLPD an den Landtagswahlen in Thüringen teil und erzielte mit 2.354 Erststimmen (0,2 %) sowie 2.945 Zweitstimmen (0,3 %) ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl. Ein weiterer Schwerpunkt war 2019 die Teilnahme an Veranstaltungen der Klimaprotestbewegung. Die MLPD begrüßte die "gewachsene Kampfentschlossenheit" der Jugendlichen und jungen Erwachsenen, sich für "die Rettung der Umwelt vor der Profitwirtschaft" einzusetzen. Die Partei und insbesondere ihr Jugendverband "REBELL" hätten sich nach eigener Darstellung bei Protestkundgebungen "vielerorts aktiv und richtungsweisend" mit "ihrem Know-how" für die Belange der Jugendlichen und der Klimapolitik eingesetzt. Der ehemalige MLPD-Vorsitzende Stefan Engel sieht das Engagement seiner Partei in der Klimaprotestbewegung als notwendigen Schritt an, den Kapitalismus zu überwinden und eine sozialistische Gesellschaft zu errichten: "Die gegenwärtige Umweltkrise ist ein Produkt der monopolisierten Großindustrie und der heute verbreiteten kapitalistischen Lebensweise, die der Menschheit aufgezwungen wird. Das kann erst beseitigt werden, wenn wir eine neue, eine sozialistische Gesellschaft haben (...)." ("Rote Fahne - Magazin der MLPD" Nr. 24/2019 vom 22. November 2019, S. 17) Vor allem der Jugendverband "REBELL" nutzte die Klimaproteste auch als Möglichkeit, mit Jugendlichen ins Gespräch zu kommen und sie anzuwerben. Mitgliederwerbung führte "REBELL" auch vor Schulen durch. Nach eigenen Angaben habe der Verband auf diese Weise einige Kontaktdaten von Jugendlichen erhalten. 2.1.3 "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP) Die trotzkistisch geprägte "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP) bildet die deutsche Sektion des trotzkistischen Dachverbandes "Internationales Komitee der Vierten Internationale" (IKVI). Die Partei verfolgt damit die trotzkistische Theorie einer sozialistischen 125 LINKSEXTREMISMUS Revolution als weltweitem permanentem Prozess unter Führung von Arbeiterräten. So heißt es in der Grundsatzerklärung der SGP: "Die sozialistische Revolution wird und kann nicht im nationalen Rahmen vollendet werden, sondern nur auf Weltebene, wie Trotzki (...) erklärte. (...) Folglich wird die sozialistische Revolution in einem neuen, breiteren Sinne des Wortes zu einer permanenten Revolution: (...) Die SGP setzt sich dafür ein, die Arbeiter in Deutschland für das Programm des internationalen Sozialismus zu gewinnen, sie auf der Grundlage dieses Programms zu vereinen und für die Eroberung der politischen Macht und die Errichtung eines Arbeiterstaates zu mobilisieren." (Homepage SGP, 18. Dezember 2019) Auch die SGP nahm an der Wahl zum Europäischen Parlament im Mai 2019 mit einer Bundesliste teil und erreichte 5.238 Stimmen (0,0 %). 2.2 "Rote Hilfe e.V." Die "Rote Hilfe e.V." (RH) ist mit rund 10.500 Mitgliedern und bundesweit etwa 50 Ortsgruppen eine der größten und wichtigsten Gruppierungen im deutschen Linksextremismus. Wesentliches Führungsgremium ist der Bundesvorstand. Innerhalb der letzten drei Jahre hat die RH einen starken Mitgliederzuwachs erfahren (2018: 9.200, 2017: 8.300). Sie beschreibt sich selbst als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Ihr primäres Betätigungsfeld ist die Unterstützung von linksextremistischen Straftätern sowohl im Strafverfahren als auch während der Haftzeit. Sie bietet politischen und sozialen Rückhalt und leistet juristische sowie finanzielle Unterstützung. Ihre Agitation zielt darauf ab, das strafrechtliche Abschreckungspotenzial zu mindern und die Legitimität des demokratischen Verfassungsstaates infrage zu stellen. Aufgrund ihrer ideologischen und strategischen Ausrichtung sorgt sie für eine bundesweite Vernetzung, sichert innerhalb der Szene den übergreifenden Zusammenhalt der unterschiedlichen Strömungen und bietet einen Legitimationsrahmen für die Begehung von Strafund Gewalttaten. 126 LINKSEXTREMISMUS Bei der Auswahl und Begründung der Unterstützungsfälle lässt sie erkennen, dass sie die Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung nicht nur befürwortet, sondern auch unterstützt: "Wir stellen uns gegen die Einschränkung linker Politik durch staatliche Institutionen. (...) Wir sind solidarisch mit den von Handlungen betroffenen Organisationen und Personen, unabhängig von ihren politischen Einstellungen und angewandten Aktionsformen." (Homepage "Solidarität verbindet", 18. Dezember 2019) In der Nacht zum 8. Juli 2019 - dem zweiten Jahrestag der gewalttätigen Ausschreitungen während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg - kam es in Hamburg zur Festnahme von drei Personen (von der Szene als die "Drei von der Parkbank" bezeichnet). Diese führten mehrere funktionsfähige Brandsätze mit sich. Laut Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hätten die drei Personen sich dazu verabredet, gemeinschaftlich drei Brandstiftungen und eine schwere Brandstiftung zu begehen, letztere zum Nachteil einer Hamburger Senatorin. Die Festnahmen kommentierte ein Mitglied des Bundesvorstands der RH mit dem Vorwurf: "Es ist unerträglich, wie die Repressionsorgane nunmehr seit Jahren unter Verweis auf den G20-Gipfel Grundrechte außer Kraft setzen, Rechtsbrüche zum Standard erheben und alltägliche Gesetzesverstöße als Anlass für Massenkriminalisierung benutzen." (Homepage RH, 7. Oktober 2019) Daneben versucht die RH, durch intensive Öffentlichkeitsarbeit Einfluss auf die Meinungsbildung zu nehmen und den vermeintlich "repressiven Charakter" des demokratischen Rechtsstaates hervorzuheben. So hieß es zur Entlassung eines Beschuldigten aus der Untersuchungshaft, die wegen des dringenden Verdachts der Beteiligung an den Elbchaussee-Ausschreitungen beim G20-Gipfel 2017 angeordnet worden war: "Bei der Verfolgung der G20-Proteste werden die verbliebenen Reste rechtsstaatlicher Vorstellungen massenhaft über Bord geworfen, und es ist kein Wunder, dass nun das Kollektivschuldprinzip offenbar in diesem Rahmen als neue Grundlage 127 LINKSEXTREMISMUS eines politischen Feindstrafrechts in der Rechtsprechung verankert wird." (Homepage RH, 20. Dezember 2019) Mit der Kampagne "Solidarität verbindet" wirbt die RH seit Herbst 2019 noch einmal verstärkt um Mitglieder und ist bemüht, auch prominente Unterstützer für sich zu gewinnen. Auf der Website der Kampagne wurde immer wieder die Solidarität mit den sogenannten politischen Gefangenen bekundet und um Spenden für die "Genossen" gebeten. III. Linksextremistische Gewalt Gewalt stellt für Teile des deutschen Linksextremismus einen elementaren Bestandteil ihrer politischen Agitation dar. In ihrer Überzeugung, der "repressiven Gewalt" des "kapitalistischen Systems" selbst "revolutionäre Gewalt" entgegenbringen zu müssen, begehen Linksextremisten eine große Zahl schwerer Gewalttaten. Neben Sachbeschädigungen oder Brandstiftungen ist insbesondere in der direkten Auseinandersetzung mit Polizeibediensteten und politischen Kontrahenten festzustellen, dass die Hemmschwelle der Gewalttäter kontinuierlich sinkt. Schwere Gesundheitsschädigungen und in Einzelfällen auch der Tod von Menschen werden billigend in Kauf genommen. Die Erscheinungsformen linksextremistischer Gewalt unterliegen einem stetigen Wandel. Galt die Eskalation von Demonstrationen lange Zeit als Ausdruck des eigenen revolutionären Anspruchs, verlor die demonstrationsbezogene Gewalt in den letzten Jahren massiv an Bedeutung. In Ermangelung politischer Großereignisse, wie zuletzt etwa dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg, liefen überregionale Mobilisierungsversuche im gewaltorientierten Spektrum in den letzten beiden Jahren meist ins Leere. Schwere Ausschreitungen bildeten so zuletzt die Ausnahme. Zunehmend Im Gegenzug ist eine zunehmende Fokussierung auf klandestine klandestine Aktionen Gewalt festzustellen. Demonstrationen werden immer häufiger durch Kleingruppen flankiert, die abseits des Versammlungsgeschehens Sachbeschädigungen und Brandstiftungen begehen oder politische Kontrahenten bei der Anund Abreise überfallen. 128 LINKSEXTREMISMUS Daneben kommt es mittlerweile fast täglich zu gänzlich versammlungsunabhängigen Straftaten durch linksextremistische Gewalttäter. 1. Funktion der Gewalt Für gewaltorientierte Linksextremisten ist Militanz die zentrale AntiHandlungsform. Da sie die repräsentative Demokratie ablehparlamentarismus nen, stellt der Parlamentarismus für sie keine legitime Art der politischen Betätigung dar. Ihrer Ansicht nach dienten Wahlen lediglich dazu, den "Kapitalismus" durch den Schein eines Mitbestimmungsrechts zu erhalten und eine angeblich strukturelle Gewalt des Staates zu legitimieren. Tatsächliche gesellschaftliche Veränderungen seien hingegen durch Wahlen nicht zu erreichen. Die Beseitigung von Ungleichheit und die Errichtung einer "freien Gesellschaft" könnten nur mit der Überwindung der bestehenden Verhältnisse realisiert werden. Außerdem stellen gewaltorientierte Linksextremisten die GesetzGewalt als gebungskompetenz der Parlamente in Abrede. Da sie ihre Selbstvermeintliche bestimmung als absolutes und natürliches Recht ansehen, stehe "Notwehrhandlung" es keinem Abgeordneten zu, ihr Leben zu regulieren. Dementsprechend wird staatliches Handeln, das sich auf die parlamentarische Gesetzgebung beruft, grundsätzlich als ungerechtfertigt angesehen. Gewaltsamer Widerstand gegen hoheitliches Handeln des Staates (z.B. Polizeieinsätze) wird zur legitimen Notwehrhandlung verklärt. Dieses Gewaltverständnis zeigt sich auch bei der "Eroberung" und Verteidigung Verteidigung "autonomer Freiräume". Da sie die öffentliche Ord"autonomer nung nicht anerkennen, ignorieren autonome Linksextremisten Freiräume" bestehende Eigentumsverhältnisse und errichten Orte, an denen sie selbst über die Regeln des gesellschaftlichen Zusammenlebens bestimmen wollen. Jegliche staatliche Eingriffe werden als Angriff auf die Selbstbestimmung verstanden. So kann bereits die bloße Anwesenheit von Polizeikräften innerhalb eines "Freiraums" gewalttätige Angriffe nach sich ziehen: 129 LINKSEXTREMISMUS "Da Bullen in Connewitz unerwünscht sind (...), wurden sie aufgefordert, das Viertel zu verlassen. Weil sie das nicht taten, wurde der Forderung durch einige Wurfgeschosse Nachdruck verliehen." (Internetplattform "de.indymedia", 27. Oktober 2019) Selbstermächtigung Ferner dient autonomen Linksextremisten Militanz auch als Mitin der Aktion tel der aktiven Konfrontation mit staatlichen Institutionen und politischen Gegnern. Aus dem Handlungskonzept der "Politik der ersten Person" leiten sie für sich eine Selbstermächtigung zur direkten Aktion ab. Nach ihrer Interpretation sehen sie sich dazu berechtigt, tatsächliche oder vermeintliche Missstände unmittelbar zu beseitigen - insbesondere durch die Begehung von Straftaten. Destruktives Vor allem gegen den Staat zeigen Autonome ein enormes GewaltRevolutionskonzept potenzial. Da sie dessen Beseitigung anstreben, dient jeder Angriff auf seine Institutionen und Symbole einem unmittelbaren politischen Zweck. Der Staat soll punktuell herausgefordert und durch die Kontinuität autonomer Militanz sukzessive dekonstruiert werden. Isoliert betrachtet haben die Taten kaum revolutionären Charakter. Jedoch sollen sie ihre Wirkung in der Summe entfalten. Öffentliche Durch diese Form von Militanz zeigen Autonome ihre UnversöhnAufmerksamkeit als lichkeit mit den herrschenden Verhältnissen. Zudem kann eine Ziel der Gewalt einzelne Gewalttat im Nachgang teils politische Symbolkraft entfalten und so unter Umständen zu Nachahmungstaten animieren. Die öffentliche Aufmerksamkeit nach einer Tat kann dazu genutzt werden, den eigenen Ansichten, die meist separat in einem Selbstbezichtigungsschreiben formuliert werden, Nachdruck zu verleihen. Verleitung des Für gewaltorientierte Linksextremisten aus dem dogmatischen Staates zur Spektrum steht eine solche Öffentlichkeitswirksamkeit sogar im "Überreaktion" Zentrum ihrer Aktionskonzepte. Sie vertreten die Ansicht, dass der Kapitalismus bereits im Kern faschistisch sei oder langfristig faschistisch werden müsse und er sich lediglich eine "demokratische Maske" aufsetzte. Durch diesen Schein demokratischer Mitbestimmungsrechte könne die Arbeiterklasse nicht erkennen, dass das System überwunden werden müsse. Durch militante Aktionen soll daher eine "Überreaktion des Staates" provoziert werden. Durch "unverhältnismäßige Repression" werde der Staat seine "Maske" 130 LINKSEXTREMISMUS ablegen und seinen vermeintlich wahren, unterdrückerischen Charakter offenbaren. Hierdurch steige in der Arbeiterklasse die Bereitschaft zu einem revolutionären Umsturz. 2. Formen der Gewalt Der gewaltorientierte Linksextremismus verfügt über ein breites Repertoire militanter Aktionsformen. Grundsätzlich kann dabei zwischen klandestiner und konfrontativer Gewalt unterschieden werden - die Grenzen verschwimmen jedoch zunehmend. Konfrontative Gewalt umfasst die direkte Auseinandersetzung mit Konfrontative Gewalt dem politischen Gegner, wie sie sich insbesondere im Verlauf öffentlicher Versammlungen ereignet. Aus großen Personengruppen heraus versuchen gewaltbereite Linksextremisten, Demonstrationen eskalieren zu lassen. Meist einheitlich schwarze Kleidung und Vermummung ("Schwarzer Block") sollen dabei eine Identifizierung der Gewalttäter erschweren. In Ermangelung politischer Großereignisse konzentrierte sich die konfrontative Gewalt nach den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg wieder primär auf lokale Demonstrationslagen, wobei Ausschreitungen zuletzt die Ausnahme bildeten. In den letzten Jahren lässt sich vermehrt eine Verlagerung der Ge"Kleingruppenwalt in das Umfeld von Demonstrationen beobachten. Die teilweimilitanz" se kampfsporterfahrenen gewaltbereiten Linksextremisten bewegen sich dabei in Kleingruppen, die deutlich dynamischer agieren können und damit für die Polizei schwerer zu kontrollieren sind. So begleiten sie dann Demonstrationen des demokratischen Spektrums oder gehen gewaltsam gegen Kundgebungen des politischen Gegners vor. Neben diesem strategischen Wechsel hin zur "Kleingruppentaktik" Angriffe auf kommt es immer häufiger zu Überfällen auf DemonstrationsteilTeilnehmer vor nehmer während der Anund Abreise. So kam es am 19. Januar oder nach einer 2019 etwa zu einem versuchten Tötungsdelikt zum Nachteil von Demonstration vier Teilnehmern einer rechtsextremistischen Gedenkkundgebung in Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Während der Rückreise wurden diese am Bahnhof in Dessau-Roßlau (Sachsen-Anhalt) durch eine vermummte Personengruppe abgefangen und mittels 131 LINKSEXTREMISMUS Faustschlägen, Tritten und Waffengewalt gegen den Kopf auch am Boden liegender Opfer teils lebensgefährlich verletzt. Anstieg Einer sinkenden Zahl konfrontativer Gewalttaten steht eine zuklandestiner Gewalt nehmende Fokussierung des militanten Spektrums auf klandestine und versammlungsunabhängige Aktionen gegenüber. Neben geplanten und spontanen Überfällen auf vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten und Auseinandersetzungen mit der Polizei begehen gewaltorientierte Linksextremisten eine Vielzahl von Straftaten wie vor allem Sachbeschädigungen, Brandstiftungen an Fahrzeugen und Gebäuden oder Körperverletzungsdelikte. Das konspirative Verhalten der Täter und die Unvorhersehbarkeit ihrer Taten sollen Ermittlungen erschweren und so strafrechtliche Konsequenzen verhindern. Tätergruppen können dadurch unerkannt eine Vielzahl klandestiner Aktionen durchführen und ihr Vorgehen weiter professionalisieren. "Outing-Aktionen" "Outing-Aktionen" sind insbesondere zur Schaffung eines Bedrohungsszenarios von zentraler Bedeutung. Von der Szene als Rechtsextremisten ausgemachte Personen werden mittels Internetbeiträgen, Plakaten oder Briefkasteneinwürfen in ihrem privaten Umfeld als "Nazis" gebrandmarkt. Dadurch sollen sie sozial geächtet und etwa durch den Verlust ihrer Arbeitsstelle auch wirtschaftlich geschädigt werden. In einigen Fällen werden diese "Outing-Aktionen" auch mit der Veröffentlichung persönlicher Daten kombiniert. Andere Linksextremisten sollen dadurch die Möglichkeit erhalten, ihrerseits gegen den als solchen identifizierten "Nazi" vorzugehen, etwa indem sie Kenntnis über Fahrzeuge und Adressen erhalten. Im Nachgang kommt es regelmäßig zu Fahrzeugbränden, Sachbeschädigungen an Wohnhäusern oder gewaltsamen Überfällen auf die "geoutete" Person. In einigen Fällen verwüsten Linksextremisten auch die Wohnungen ihrer Opfer. Da der Betroffene jederzeit mit einem Angriff linksextremistischer Gewalttäter rechnen muss, entfalten "Outing-Aktionen" selbst dann ihre Wirkung, wenn eine entsprechende Tat ausbleibt. Auch andere "unliebsame Personen" wie Politiker, Polizeibeamte und weitere Vertreter des Staates sowie Mitarbeiter von Wirtschaftsunternehmen werden Opfer solcher "Outings" und sind im Nachgang teils ebenfalls das Ziel von Straftaten. 132 LINKSEXTREMISMUS 3. Ziele der Gewalt Linksextremistische Gewalt richtet sich vor allem gegen den Staat, seine Einrichtungen und Repräsentanten. Das Hauptziel linksextremistischer Militanz ist dabei die Polizei. Polizei als Hauptziel Linksextremisten haben mit ihr im Alltag deutlich mehr Begeglinksextremistischer nungen als mit anderen Behörden. Zudem wird besonders durch Gewalt die Polizei das staatliche Gewaltmonopol sichtbar, weshalb sie bei Linksextremisten als Inbegriff staatlicher "Repression" gilt. Da sie in vielen Bereichen tätig wird, etwa bei Demonstrationen, Zwangsräumungen oder Abschiebungen, sind Angriffe auf die Polizei in diversen Zusammenhängen möglich: "" Bei einer Demonstration gegen die Abschiebung eines syrischen Asylbewerbers am 9. Juli 2019 in Leipzig-Volkmarsdorf wurden Polizeibeamte mit Flaschen und Steinen angegriffen. Elf Beamte wurden verletzt und drei Dienstwagen beschädigt. "" In der Nacht zum 21. Juli 2019 wurde eine Einsatzgruppe der Polizei in unmittelbarer Nähe zum "anarcha-queer-feministischen" Hausprojekt "Liebig34" in Berlin-Friedrichshain mit Pflastersteinen beworfen. "" In der Nacht zum 1. Januar 2020 griffen etwa 20 Autonome im Leipziger Stadtteil Connewitz die Polizei massiv mit Steinen und Pyrotechnik an. Ein Polizeibeamter wurde dabei gezielt mit Schlägen und Tritten gegen den Kopf angegriffen und so schwer verletzt, dass er operiert werden musste. Weitere Polizeibeamte erlitten leichte Verletzungen. Die Staatsanwaltschaft Leipzig nahm die Ermittlungen wegen des Verdachts des versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch auf. Neben diesen direkten Angriffen auf Polizeibeamte - meist im Zusammenhang mit Versammlungslagen - kommt es im Aktionsfeld "Antirepression" regelmäßig zu klandestinen Aktionen wie Anschlägen insbesondere auf staatliche Gebäude oder Dienstfahrzeuge. Die Angriffe stehen dabei häufig im Zusammenhang mit Räumungsankündigungen oder strafprozessualen Maßnahmen. Ziele von Sachbeschädigung oder Brandstiftung sind neben Polizeistationen beispielsweise auch Einrichtungen der Justiz, Jobcenter oder private Sicherheitsunternehmen. 133 LINKSEXTREMISMUS Die "Drei von der Wenn Szeneangehörige etwa als Tatverdächtige bei Gewalttaten Parkbank" festgenommen werden, kommt es regelmäßig zu "Solidaritätsaktionen". So wurden am 7. Juli 2019 drei Personen (in der Szene bekannt als die "Drei von der Parkbank") in einem Hamburger Park verhaftet. Diesen wurde unter anderem vorgeworfen, zum Jahrestag der Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 einen Brandanschlag geplant zu haben. Entsprechende Tatmittel wurden in ihren Rucksäcken gefunden. In der Folge kam es bundesweit zu einer Reihe von Gewalttaten, die in mehreren Selbstbezichtigungsschreiben als "Solidaritätsaktionen" für die "politischen Gefangenen" bezeichnet wurden. So wurden etwa am Morgen des 13. Dezember 2019 Steine und eine mit Farbe gefüllte Glasflasche gegen den Dienstwagen des Innensenators der Freien und Hansestadt Hamburg geworfen. Zum Tatzeitpunkt befanden sich der Innensenator, dessen Kind sowie der Fahrer im Fahrzeug. Aus einem mutmaßlich von den Tätern veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben geht hervor, dass sie den Politiker vor der Tat ausgekundschaftet hatten. Zudem werden weitere Strafund Gewalttaten angekündigt: "Unser Angriff unterstreicht, dass der militante Kampf in Hamburg nach der Festnahme der 3 von der Parkbank im Juli 2019 noch lange nicht vorbei ist und dass die Feinde der Freiheit wie Andy Grote weiterhin im Blick sind und ihr Wirken und Leben sehr genau beobachtet werden. Einige wilde Vögel haben die Verfolgungsbehörden ins Visier genommen, aber die Schwärme fliegen weiter und werden ihnen auch zukünftig auf den Kopf scheißen und zu gegebenem Zeitpunkt 'die Gewehre auf sie drehen - das wird sich lohnen'." (Internetplattform "de.indymedia", 14. Dezember 2019) Angriff auf den Ein weiteres Beispiel für militante Aktionen gegen staatliche EinBundesgerichtshof richtungen ist der Angriff auf das Gebäude des 5. Strafsenats des Bundesgerichtshofes in Leipzig in der Nacht auf den 1. Januar 2019. Bereits auf ihrem Weg zum späteren Tatort hatte eine Gruppe von 50 bis 60 vermummten Personen mindestens drei Kraftfahrzeuge beschädigt, Barrikaden aus brennenden Autoreifen errichtet und sogenannte Krähenfüße auf der Fahrbahn verteilt, um eine Verfolgung durch die Polizei zu vereiteln. Die Täter griffen zunächst das Haus einer lokalen Studentenverbindung mit Steinen und Farbe an. Von dort aus verschafften sie sich dann Zutritt zum Gelände des 134 LINKSEXTREMISMUS Gerichts. Dort besprühten sie Überwachungskameras mit Farbe, warfen Steine und Farbbeutel auf Fenster und Fassade und legten anschließend mittels Autoreifen Brände an zwei Eingangstüren. Weitere Brandsätze wurden an der Fassade platziert. Der Versuch, sich durch ein Fenster Zutritt zum Gebäude zu verschaffen, scheiterte. Am 3. Januar 2019 bekannten sich "Autonome Gruppen" auf "de.indymedia" zur Tat. Das Aktionsfeld "Antifaschismus" behielt im Jahr 2019 seine heGewalttaten rausragende Bedeutung für den militanten Linksextremismus in im Kontext Deutschland. Es wurden Wohnobjekte und Treffpunkte tatsächli"Antifaschismus" cher oder vermeintlicher Rechtsextremisten angegriffen, Fahrzeuge in Brand gesetzt und Menschen direkt körperlich attackiert. Die Taten stellen nicht nur unmittelbare Gewalt gegen Personen dar. Sie sollen zugleich ein Klima der Angst in der "rechten" und rechtsextremistischen Szene erzeugen. Das Ziel ist es, den politischen Gegner von der öffentlichen Meinungsbekundung abzuhalten. So hieß es in einem Selbstbezichtigungsschreiben im Vorfeld des rechtsextremistischen "Rudolf-Heß-Gedenkmarsches": "In dieser Woche wurden in Berlin mehrere Nazis zu Hause besucht und ihre Kneipen angegriffen. Der unmissverständliche Hinweis: Bleibt dem Gedenken an Rudolf Heß fern und erzählt all euren Freund*innen davon." (Internetplattform "de.indymedia", 16. August 2019) Dagegen konnten Demonstrationen oder Veranstaltungen von tatsächlichen oder als solchen bezeichneten Rechtsextremisten nur in Ausnahmefällen effektiv gestört oder verhindert werden. Im Aktionsfeld "Antifaschismus" stand häufig die AfD im Fokus gewaltorientierter Linksextremisten. Auch Unternehmen, die im Rahmen ihres Geschäftsbetriebs mit der AfD in Verbindung standen, wurden Opfer linksextremistischer Straftäter. So setzten beispielsweise in der Nacht auf den 20. Februar 2019 unbekannte Täter den Imbisswagen eines Dresdener Restaurants in Brand. Zwei Tage später hätte in dem Restaurant eine Veranstaltung der AfD zum Thema "Kommunaler Wohnungsbau" stattfinden sollen. Diese wurde in der Folge abgesagt. In einem Selbstbezichtigungsschreiben heißt es zu dem Anschlag: 135 LINKSEXTREMISMUS "Wir sagen es noch einmal deutlich (...), nicht nur jedes Mitglied der AfD wird unseren Hass zu spüren bekommen, sondern auch sämtliche Personen, Supporter_innen oder Strukturen, welche die AfD auf irgendeine Art und Weise unterstützen." (Internetplattform "de.indymedia", 21. Februar 2019) Im Jahr 2019 war im Aktionsfeld "Antifaschismus" eine gesteigerte Intensität bei gewaltsamen Übergriffen auf Einzelpersonen zu verzeichnen. Sowohl spontane als auch geplante Angriffe gipfelten regelmäßig in erheblichen Körperverletzungsdelikten. Hinzu kommen die Verwendung von Waffen oder gefährlichen Gegenständen, eine fortlaufende Professionalisierung des Vorgehens und eine immer weiter sinkende Hemmschwelle bei den Tätern. Bei Gewalttaten nehmen Linksextremisten immer häufiger auch lebensgefährliche Verletzungen in Kauf. Dies zeigte sich bei dem versuchten Tötungsdelikt in Dessau-Roßlau (vgl. Kap. III, Nr. 2), aber auch bei einer Reihe von Angriffen auf vermeintliche "Nazis" in Leipzig: "" Am 8. Januar 2019 wurde ein Kanalarbeiter während seiner Arbeit von vermummten Personen angegriffen. Mit Verweis auf ein Adlersymbol auf dessen Mütze diffamierten sie ihn als "Nazi" und fügten ihm lebensgefährliche Kopfverletzungen zu. "" Am 5. Mai 2019 griff eine ebenfalls vermummte Personengruppe einen Studenten an einer Bushaltestelle an. Auch er wurde unter Verweis auf eine Kleidungsmarke als "Nazi" beschimpft und durch Faustschläge und Tritte schwer verletzt. "" Am 27. Juni 2019 wurde ein Anhänger der "Identitären Bewegung" (IBD) in der Mensa einer Hochschule durch vermummte Personen unvermittelt angegriffen und erlitt eine Platzwunde im Gesicht. Angriffe auch auf Neben Vertretern staatlicher Hoheitsgewalt und politischen GegFeuerwehrleute und nern schrecken linksextremistische Gewalttäter auch nicht vor Journalisten Angriffen auf Feuerwehrleute sowie Journalisten zurück: "" In der Nacht zum 26. Oktober 2019 legten unbekannte Täter in Leipzig-Connewitz einen Brand auf einer Baustelle. Nach Abschluss der Löscharbeiten durch die Feuerwehr wurde das Feuer erneut entzündet. Etwa 50 Personen griffen die zurückkehrenden Einsatzkräfte von Polizei und Feuerwehr mit Pyrotechnik, 136 LINKSEXTREMISMUS Steinen und Flaschen an. Die Feuerwehr konnte den Brand nur unter Polizeischutz löschen. "" In den Morgenstunden des 31. Dezember 2019 setzten unbekannte Täter in Berlin das Fahrzeug eines Journalisten in Brand. Es wurde durch das Feuer vollständig zerstört. In einem Selbstbezichtigungsschreiben bezeichneten die Verfasser den Geschädigten als "Stichwortgeber von Rassist*innen, Rechten und von Reaktionären auf allen Feldern". Die Tat wurde als bereits "zweite Abmahnung" bezeichnet und der Journalist aufgefordert, "den Job zu wechseln". Der Geschädigte wurde bereits im Jahr 2014 Opfer einer Brandstiftung an seinem Fahrzeug. Der Kampf um "autonome Freiräume" sowie das eng damit verKampf um "autonome knüpfte Thema "Antigentrifizierung" waren auch im Jahr 2019 für Freiräume" den autonomen Linksextremismus in Deutschland von zentraler Bedeutung. In Leipzig zeigte sich das hohe Gewaltpotenzial insbesondere zum Jahresende, als es beginnend im Oktober in kurzer Zeit zu einer Reihe schwerer Strafund Gewalttaten kam. So setzten unbekannte Täter am 3. Oktober 2019 auf einer Baustelle in Leipzig drei Baukräne und einen Bagger in Brand und verursachten dabei einen Sachschaden in Millionenhöhe. Eine zusätzliche Gefahr entstand durch die Explosionen von Gasbehältern, die sich unmittelbar an den Baugeräten befanden. Ein Kran wurde durch das Feuer so instabil, dass er auf ein angrenzendes Wohnhaus zu stürzen drohte. Da unmittelbare Lebensgefahr für die Anwohner bestand, mussten diese vorübergehend ihre Wohnungen verlassen. In einem Selbstbezichtigungsschreiben vom 5. November 2019 hieß es zu diesem Anschlag: "Wir kämpfen nicht für mehr 'sozialen' Wohnungsbau neben Luxusgemäuern, sondern bekämpfen eine Gesellschaftsordnung in der es Menschen gibt die in Armut leben müssen - wir wollen keine Welt in der sich einige wenige ihre Tempel errichten können. Wir kämpfen für eine Stadt von unten und gegen die Reichen!" (Internetplattform "de.indymedia", 5. November 2019) Bereits wenige Tage nach diesem Anschlag wurden zwei Bagger an einer Baustelle im Leipziger Stadtteil Zentrum-West zerstört, nur 137 LINKSEXTREMISMUS drei Tage später brannte ein weiterer Bagger in Leipzig-Connewitz aus. Auch in Berlin reagiert die linksextremistische Szene auf den drohenden Verlust von "Freiräumen" regelmäßig aggressiv. Ein Beispiel ist das von Räumung bedrohte Hausprojekt "Liebig34". Obwohl der Pachtvertrag für das Projekt Ende des Jahres 2018 ausgelaufen und nicht verlängert worden war, weigerten sich die Bewohner, das Objekt zu verlassen. Bereits im Vorfeld der für den 15. November 2019 vor dem Landgericht Berlin angesetzten Verhandlung um das Szeneobjekt kam es zu Störaktionen, die sich während der Verhandlung fortsetzten. In den frühen Morgenstunden des Verhandlungstages folgten Farbschmierereien an der Fassade des Gerichtsgebäudes. Bei einem mit Farbe gefüllten Feuerlöscher, der wohl zur selben Zeit abgestellt worden war, konnte der Verdacht einer Unkonventionellen Sprengoder Brandvorrichtung erst nach dem Einsatz von Spezialisten der Polizei ausgeschlossen werden. Besetzerszene im In den Zusammenhang eines "Kampfes um Freiräume" gehören Hambacher Forst auch die Entwicklungen im Hambacher Forst und in der Region rund um das Rheinische Braunkohlerevier (beide Nordrhein-Westfalen). Nachdem im September und Oktober 2018 die Baumhäuser der Besetzerszene im Hambacher Forst geräumt wurden, waren ein Jahr später bis zu 60 Hütten und Bodenkonstruktionen wieder aufgebaut. Im Wald befindet sich eine wechselnde Klientel von etwa 80 Personen, von denen ein Teil den Aufbau einer "anarchistischen Gesellschaftsstruktur" verfolgt. Zu diesen anarchistischen Bestrebungen gehört einerseits die massive "Verteidigung" des Waldes etwa gegenüber der Polizei. Andererseits kommt es auch zu häufigen Angriffen auf Mitarbeiter oder Infrastruktur der RWE Power AG, der Betreibergesellschaft des unmittelbar benachbarten Tagebaus Hambach und des Rheinischen Braunkohlereviers. Hierzu gehören Steinwürfe oder der Zwillenbeschuss auf Menschen genauso wie das Inbrandsetzen von Fahrzeugen oder das Errichten brennender Barrikaden. Angriffe auf Mittlerweile kommt es in Deutschland fast täglich zu Angriffen Wirtschaftsvon Linksextremisten auf Wirtschaftsunternehmen. Dabei handelt unternehmen es sich in der Mehrzahl um Sachbeschädigungen oder Brandstiftungen an Fahrzeugen, Maschinen, Infrastruktur oder Gebäuden der Unternehmen. Diese sollen im Kern der Überwindung des 138 LINKSEXTREMISMUS "kapitalistischen Systems" dienen, werden vordergründig aber meist begründet mit konkreten Zusammenhängen wie "Antimilitarismus" (bei Rüstungsunternehmen), "Antirepression" (bei Unternehmen für Gefängnislogistik oder Überwachungstechnik) oder dem vermeintlichen Engagement für Klimaschutz (Tagebaubetreiber oder Energieunternehmen). Mit "Antigentrifizierung" stand im Jahr 2019 auch der Kampf gegen "antisoziale Stadtstrukturen" im Fokus linksextremistischer Straftäter. Eine neue Qualität personenbezogener Gewalt zeigte sich bei eiNeue Qualität nem Überfall in Leipzig. Am Abend des 3. November 2019 klingelpersonenbezogener ten zwei maskierte Täter an der Privatadresse einer Mitarbeiterin Gewalt eines Immobilienunternehmens, drängten sie nach dem Öffnen der Tür in ihre Wohnung und verletzten sie durch mehrere Faustschläge ins Gesicht. In einem Selbstbezichtigungsschreiben wird die Tat als Reaktion auf ein Bauprojekt des Unternehmens in Leipzig-Connewitz gerechtfertigt, für das die Mitarbeiterin verantwortlich sei: Wir haben uns (...) entschieden, die Verantwortliche für den Bau eines problematischen Projekts im Leipziger Süden da zu treffen wo es ihr auch wirklich weh tut: in ihrem Gesicht. (...) Das einzige auf das Kapitalanleger und Eigennutzer (...) treffen werden, sind kaputte Scheiben, brennende Autos und kaputte Nasen. Verpisst euch aus Connewitz!" (Internetplattform "de.indymedia", 3. November 2019) Bislang ließ sich direkte körperliche Gewalt szeneintern nur gegen "Repräsentantinnen und Repräsentanten des Staates" oder gegen Personen, die als "Nazis" identifiziert wurden, rechtfertigen. Hier wurde erstmals der Versuch unternommen, einen direkten körperlichen Angriff im Begründungszusammenhang "Antigentrifizierung" zu legitimieren, der nicht aus einer unmittelbaren, vermeintlichen "Verteidigung" eines "Freiraums" resultierte. IV. Linksextremistische Vernetzungsbestrebungen Das ständige Bemühen um die Ausweitung der eigenen Einflussmöglichkeiten ist ein Wesensmerkmal linksextremistischer Agitation. Linksextremisten versuchen, durch Vernetzung auf 139 LINKSEXTREMISMUS zahlreichen Ebenen nicht nur ihre Anliegen zu vermitteln, sondern auch ihre Schlagkraft zu erhöhen. Die Voraussetzung für eine solche Vernetzung bietet häufig ihr ideologisches Grundgerüst, welches trotz Unterschieden bei konkreten Zielen oder den teilweise gewaltsamen Aktionsformen spektrenübergreifend und auch über Ländergrenzen hinweg wirkt. Anknüpfungspunkte sind insbesondere die Kämpfe gegen den "Kapitalismus", den "Faschismus" und die "staatliche Repression" sowie für die Schaffung "autonomer Freiräume", in denen das staatliche Gewaltmonopol aufgehoben ist. Das Ausmaß der nationalen und internationalen Aktionsfähigkeit und Solidarität wird immer wieder bei Ereignissen sichtbar, die für die Szene Symbolkraft besitzen. 1. Vernetzungen innerhalb der linksextremistischen Szene Neben linksextremistischen Parteien haben sich seit einigen Jahren auch in organisationskritischen Bereichen wie dem autonomen Linksextremismus langlebige Vernetzungsstrukturen etabliert. Wesentliche Akteure sind die "Interventionistische Linke" (IL) und das Bündnis "...ums Ganze!" (uG). Diese strategischen Bündnisstrukturen spielen für die Überwindung der Organisationsdefizite, aber auch für die Kampagnenfähigkeit des Linksextremismus eine entscheidende Rolle. Sie besetzen gemeinsame Themen und initiieren anlassbezogene Protestformen. Die postautonome IL ist mit etwa 1.000 Mitgliedern in zahlreichen Arbeitsgruppen und regionalen Gliederungen erster Ansprechpartner bei der überregionalen Organisierung. Die IL bekennt sich nicht eindeutig zu einer traditionellen kommunistischen Lehre, sondern verfolgt einen kampagnenorientierten Ansatz. Ihre ideologische Unverbindlichkeit ermöglicht eine längerfristige Zusammenarbeit über die ideologischen Grenzen hinweg. Mit ihrem offenen Ansatz fungiert die IL als Bindeglied zwischen Autonomen, dogmatischen und sonstigen Linksextremisten bis hin zu demokratischen Protestinitiativen. Gleiches gilt für die Aktionsformen: Um eine Scharnierfunktion zwischen den verschiedenen Lagern wahrnehmen zu können, verzichtet die IL aus strategischen Gründen einerseits auf die Propagierung von Gewalt, ohne sich andererseits von gewaltsamen Aktionsformen zu distanzieren: 140 LINKSEXTREMISMUS "Es kann, abhängig von den Bedingungen, auch legitim sein, sich gegen Angriffe zu wehren. Auch denjenigen, die militantere Formen des Widerstands wählen, gilt unsere Solidarität, insoweit uns das Ziel eint, die gewalttätigen Verhältnisse zu überwinden." (Debattenblog IL, 20. November 2019) Auch uG hat die bundesweite Vernetzung zum Ziel. Das kommunistische Bündnis vereint "linksradikale und kommunistische Gruppen", um die Schlagkraft ihrer etwa 300 Mitglieder zu erhöhen. Allerdings folgt uG weniger dem kampagnenorientierten Ansatz. Das Bündnis ist stattdessen ein Zusammenschluss eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der autonomen Szene. Es versucht dabei auch, autonome Ideologiedefizite zu überwinden. Neben der Theoriearbeit agiert uG in der Praxis vor allem im Zusammenhang mit bundesweiten Großereignissen. Im Rahmen seines "antifaschistischen Kampfes" betreibt das Bündnis seit dem Jahr 2016 die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA). Diese richtet sich insbesondere gegen die AfD. Auch die "Rote Hilfe e.V." hat sich zu einer bundesweit agierenden und mit anderen Linksextremisten gut vernetzten Struktur entwickelt. Sie trägt insbesondere mit der finanziellen Unterstützung von potenziellen Strafund Gewalttätern sowie ihrer Solidaritätsund Öffentlichkeitsarbeit zum spektrenübergreifenden Zusammenhalt im Linksextremismus bei. Ihre Unterstützung gilt den potenziellen Tätern dabei unabhängig von ideologischen Standpunkten und auch bei gewaltsamen Aktionsformen. 2. Beeinflussung demokratischer Diskurse Zum strategischen Vorgehen von Linksextremisten gehört es, tagespolitisch bedeutsame Themen gezielt aufzugreifen, um Einfluss auf gesellschaftliche Diskussionen und Prozesse zu nehmen. So wird gezielt versucht, demokratische Protestgruppen und -bewegungen für eigene politische Aktivitäten zu nutzen und deren Anliegen um eigene ideologische Positionen zu ergänzen. Im Kern geht es Linksextremisten dabei vor allem um die Delegitimierung des Staates und seiner Institutionen. 141 LINKSEXTREMISMUS Ein Beispiel für die versuchte Beeinflussung demokratischer Diskurse ist das Agieren von Linksextremisten aus verschiedenen Teilen der Szene im Zusammenhang mit den Klimaprotesten. Seit Ende 2018 hat sich der Klimawandel durch die Entstehung einer neuen, weit überwiegend von demokratischen Gruppierungen getragenen Klimaprotestbewegung zu einem Schwerpunkt der öffentlichen Diskussion entwickelt. Aufgrund der hohen Medienaufmerksamkeit und des zum Teil jugendlichen Alters der Aktivisten ist die Klimaprotestbewegung ein attraktives Ziel für linksextremistische Einflussnahmeversuche. Gewaltorientierte Linksextremisten versuchen mithilfe von Aktionsbündnissen, maßgeblichen Einfluss auf die Proteste zu nehmen. Dabei kommt insbesondere dem vor allem durch die postautonome IL beeinflussten Bündnis "Ende Gelände" eine maßgebliche Rolle zu. Über "Ende Gelände" findet die IL Anschluss an die gesellschaftlich relevanten Themen Kohleausstieg und Klimaschutz, die sie um linksextremistische Ideologiefragmente zu ergänzen und zu radikalisieren versucht. "Massenaktion" von Im Mittelpunkt der Klimaproteste unter Beteiligung von Linksex"Ende Gelände" tremisten stand auch im Berichtsjahr wieder eine "Massenaktion zivilen Ungehorsams" vom 19. bis 24. Juni 2019 im westlich von Köln (Nordrhein-Westfalen) gelegenen Rheinischen Braunkohlerevier. Mit den Aktionstagen stellte sich "Ende Gelände" vorgeblich gegen den Abbau und die Verstromung von Braunkohle und den Betreiberkonzern des Tagebaus. Verbunden mit der Forderung "System Change, not Climate Change!" wurde die "Überwindung des Kapitalismus" als notwendiges Ziel ausgegeben. Bis zu 6.000 Personen beteiligten sich an dem vielfältigen Protestgeschehen. Darunter befanden sich auch zahlreiche Aktivisten aus dem europäischen Ausland. Damit handelte es sich um die zahlenmäßig größte Aktion der Kampagne "Ende Gelände", die erstmals im Jahr 2014 in Erscheinung getreten ist. Im Verlauf der Aktionen kam es vereinzelt zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Insgesamt wurden 16 Einsatzkräfte verletzt. Mehr als 550 Demonstranten wurden in Gewahrsam beziehungsweise festgenommen. In mehreren Demonstrationszügen - sogenannten Fingern - versuchten die Aktivisten, die Infrastruktur der Tagebaue zu stören. Instrumentalisierung Vor dem Hintergrund vermeintlich ausbleibender, konkreter klides Begriffs "ziviler mapolitischer Erfolge rechtfertigen Linksextremisten ihre AktiUngehorsam" onsformen bis hin zu Strafund Gewalttaten als legitimes Mittel 142 LINKSEXTREMISMUS im politischen Meinungskampf, indem sie den Begriff "ziviler Ungehorsam" instrumentalisieren. Militante Widerstandshandlungen verklären sie mit einem "natürlichen Recht auf Widerstand": "Ja, Ende Gelände ist nicht vom Gesetzbuch gedeckt, aber angesichts dieser Politik ist Ende Gelände absolut legitim und notwendig. Es entspricht der Tradition des zivilen Ungehorsams dem formalen Recht eine eigene, breitere Form der Legitimität von unten entgegenzustellen." (Homepage "Ende Gelände", 13. November 2019) Auch Organisationen aus dem dogmatischen Linksextremismus Gezielte Rekrutierung beteiligten sich an den Klimaprotesten und missbrauchten diese von Jugendlichen offensiv als politische Plattform. Zu nennen sind hier vor allem die MLPD und ihr Jugendverband "REBELL". Sie versuchen, ihr Ziel der Systemüberwindung in der Klimaprotestbewegung zu etablieren, indem sie behaupten, im "Kapitalismus" sei Umweltzerstörung "systemimmanent". Neben dem Versuch der Radikalisierung stehen insbesondere der persönliche Kontakt zu den Demonstrationsteilnehmern und die offene Mitgliederwerbung im Vordergrund. Daneben beteiligten sich auch die trotzkistische Organisation GAM und die ihr nahestehende Jugendorganisation REVO an den Klimaprotesten. Auch die SDAJ nutzt die Klimaproteste, um Teilnehmer an die Jugendorganisation der DKP zu binden. 3. Vernetzungen mit Linksextremisten im Ausland Auf internationaler Ebene verfolgen Linksextremisten verschiedene Formen der Zusammenarbeit. Ein Ansatz zielt darauf ab, grenzüberschreitende Organisationen zu etablieren oder Kampagnen zu initiieren. Allerdings ist es bislang kaum gelungen, schlagkräftige und auf Dauer angelegte Strukturen zu entwickeln. Eine deutlich größere Rolle spielt die Zusammenarbeit von Linksextremisten im Rahmen der Proteste bei Großereignissen. Den letzten derartigen Kristallisationspunkt von internationaler Bedeutung stellte der G20-Gipfel 2017 in Hamburg mit seinen zahlreichen Ausschreitungen dar, an denen sich auch Strafund Gewalttäter aus dem europäischen Ausland beteiligten. Im Jahr 2019 143 LINKSEXTREMISMUS bot der G7-Gipfel in Biarritz (Frankreich) vom 24. bis 26. August einen Anknüpfungspunkt für die internationale Vernetzung. So kam es am Rande des Gipfels mehrfach zu teils gewalttätigen Ausschreitungen gegenüber der Polizei. Unter den Gipfelgegnern befanden sich auch deutsche Linksextremisten. Drei Deutsche wurden nach einer Fahrzeugkontrolle im zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Gipfel aufgrund des Mitführens von Schutzausrüstung und Tränengas festgenommen und zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt. Insgesamt verliefen die Gipfelproteste aus linksextremistischer Sicht aber enttäuschend. Das konsequente Vorgehen der Sicherheitsbehörden schränkte die Handlungsspielräume der Gewalttäter vor Ort spürbar ein. Neben der anlassbezogenen Mobilisierung zu Massenprotesten agieren Linksextremisten grenzüberschreitend in klandestinen Kleingruppen mit dem Ziel, Strafund Gewalttaten zu begehen. So wurden am 16. März 2019 vier deutsche mutmaßliche Linksextremisten im Rahmen gewalttätiger Ausschreitungen anlässlich der Proteste der sogenannten Gelbwesten-Bewegung in Paris (Frankreich) festgenommen. Ihnen wurde die Beteiligung an der Vorbereitung von Gewalttaten gegen Personen oder Sachen sowie Hehlerei und bandenmäßiger Diebstahl vorgeworfen. 4. Vernetzungen ins ausländerextremistische Spektrum Eine weitere Form der Vernetzung ist die Zusammenarbeit deutscher Linksextremisten mit linksextremistischen Organisationen aus dem Bereich des säkularen Ausländerextremismus. Ein klassisches Betätigungsfeld ist die "Kurdistansolidarität". Teile der deutschen linksextremistischen Szene solidarisieren sich mit den kurdischen Autonomiebestrebungen allgemein und insbesondere mit der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). Diese Solidarität umfasst auch die syrische PKK-Schwesterorganisation "Partei der Demokratischen Union" (PYD) und deren bewaffneten "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) einschließlich der "Frauenverteidigungseinheiten" (YPJ). Der konkrete Beitrag deutscher Linksextremisten reicht von prokurdischer Propaganda über Strafund Gewalttaten in Deutschland bis hin zu Reisen in die kurdischen Siedlungsgebiete im Osten der Türkei, in Nordsyrien und im Nordirak. 144 LINKSEXTREMISMUS Der Beginn der türkischen Militäroperation in Nordsyrien am 9. Oktober 2019 führte zu zahlreichen Protestaktionen auch in Deutschland. So beteiligten sich am 19. Oktober 2019 Anhänger der PKK und deutsche Linksextremisten an den bundesweiten und am 2. November 2019 an den weltweiten Demonstrationen ("World Resistance Day") gegen die Militäroperation. Daneben riefen Linksextremisten wie die IL und die autonome "radikale linke | berlin" zusammen mit einem breiten Protestspektrum unter "#RiseUp4Rojava" zu weiteren Solidaritätsaktionen auf. In diesem Zusammenhang kam es dann auch zu Blockaden, Brandstiftungen und Sachbeschädigungen. V. Verdachtsfall "de.indymedia" Linksextremisten zielen mit ihrem Handeln auf eine möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit. Zum einen soll ihre Ideologie verbreitet werden. Zum anderen bedürfen vor allem gewaltorientierte Linksextremisten einer öffentlichen Plattform, um Strafund Gewalttaten gegenüber weiten Teilen der Gesellschaft vermitteln und ihren Forderungen Nachdruck verleihen zu können. Eine solche öffentliche Plattform war bis zu ihrem Verbot im August 201745 die linksextremistische Internetplattform "linksunten. indymedia", die in erheblichem Maße zur Veröffentlichung von Selbstbezichtigungsschreiben, Aufrufen zu Straftaten, Bauanleitungen für Sprengoder Brandvorrichtungen sowie Texten mit einer sonstigen strafrechtlichen oder verfassungsfeindlichen Relevanz genutzt wurde. Nach dem Verbot von "linksunten.indymedia" hat sich die Internetplattform "de.indymedia" zum wichtigsten Informationsund Propagandamedium für die linksextremistische Szene im deutschsprachigen Raum entwickelt. Gegründet wurde "de.indymedia" bereits im Januar 2001 in Hamburg als deutscher Ableger des im Herbst 1999 entstandenen globalen Mediennetzwerks Indymedia46. Ziel der im März 2001 online 45 Mit Urteilen vom 29. Januar 2020 wies das BVerwG die Klagen gegen das Vereinsverbot als unbegründet ab. 46 Abkürzung für Independent Media Center. 145 LINKSEXTREMISMUS geschalteten Plattform sei die Schaffung einer "Gegenöffentlichkeit" frei von staatlicher Kontrolle. Entsprechend funktioniert die Plattform nach dem Prinzip des "Open-Posting": Jeder Nutzer hat die Möglichkeit, über ein Eingabeformular eigene Beiträge anonym und ohne den Zwang zur Registrierung, in Echtzeit und ohne vorherige Kontrolle der Inhalte zu veröffentlichen. Verwaltet werden die Beiträge nach der Veröffentlichung von sogenannten Moderationskollektiven. Neben administrativen Aufgaben stellen diese nach eigener Darstellung sicher, dass "keine unerwünschten Inhalte" in Beiträgen zu finden sind. Die Überprüfung finde anhand von Moderationskriterien statt. Beiträge mit "sexistischem, rassistischem, antisemitischem u./o. faschistischem Inhalt" würden "versteckt", ebenso wie Persönlichkeitsrechte verletzende Beiträge. Beiträge oder Nicht gegen die Moderationskriterien verstößt offensichtlich eine Aufrufe zu Strafund Vielzahl an Beiträgen, die einen Bezug zu linksextremistischer GeGewalttaten walt und Straftaten haben oder selbst strafrechtlich relevant sind. So erscheinen regelmäßig Selbstbezichtigungsschreiben zu teils schweren Strafund Gewalttaten, wie sie in Auszügen hier bereits dargestellt wurden. Gleichzeitig wird dazu aufgerufen, weitere Taten zu begehen. Auch finden über "de.indymedia" immer wieder sogenannte Outing-Aktionen statt, wobei Bilder und personenbezogene Daten "unliebsamer Personen" veröffentlicht werden. Diese sind oftmals verbunden mit mehr oder minder offenen Aufrufen zur Begehung von Straftaten. Betroffen sind insbesondere tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Vertreter des verhassten "Repressionsstaats", aber auch Angehörige von Wirtschaftsunternehmen oder Journalisten. Der weit überwiegende Teil dieser Beiträge ist nach wie vor abrufbar und wird damit von den "Moderationskollektiven" mindestens geduldet. Ein Beispiel hierfür ist ein Beitrag, der offensichtlich als Reaktion auf die öffentliche Diskussion zu linksextremistischer Gewalt zum Jahresbeginn 2020 auf "de.indymedia" veröffentlicht worden ist. Auslöser war der Angriff von Autonomen auf die Polizei in der Nacht zum 1. Januar 2020 in Leipzig-Connewitz, bei dem mehrere Polizisten teils auch schwer verletzt worden waren. Der Beitrag versucht, die Gewalt zu rechtfertigen. 146 LINKSEXTREMISMUS Die direkte Konfrontation mit den Bullenschweinen an diesem Tag war vorprogrammiert, und gezielt von uns gewollt. Wir wollen weiterhin die Konfliktlinien gegenüber dem Staat schärfen und suchen die Eskalation. (...) Wir stellen klar, dass alleine die Präsenz der Bullen - durch das was sie sind, das was sie tun, das was sie schützen - unseren Hass schürt! (...) Warum sollen wir uns selbst entwaffnen und uns lediglich in den legalen Bahnen des Protests bewegen? (...) Wir wählen den Weg der Verteidigung, den Weg des Widerstands (...), den Weg des Angriffs, um uns im sozialen Krieg zu behaupten. (...) Für den Krawall, für einen militanten Widerstand. Am Tag (((i)))47 den Staat angreifen, Leipzig wird brennen. (Internetplattform "de.indymedia", 10. Januar 2020) Selbst dieses klare Bekenntnis zur Gewalt, verbunden mit dem Aufruf zu weiteren Straftaten, wurde nicht von der Plattform entfernt. Gelöscht werden von den "Moderationskollektiven" vor allem Beiträge, die mutmaßlich "unter falscher Fahne" veröffentlicht werden - beispielsweise von Rechtsextremisten. Auch massenhafte "Spam"-Beiträge, mutmaßlich zumeist ebenfalls aus der rechtsextremistischen Szene, werden umgehend entfernt. Schließlich werden wenige Beiträge mit linksextremistischem Hintergrund gelöscht, wenn diese eine erhebliche Gefährdung für Leib oder Leben von Menschen entfalten könnten. Zu nennen sind hier beispielsweise "Bastelanleitungen" für den Bau von Unkonventionellen Sprengoder Brandvorrichtungen. Umso mehr müssen sich die Betreiber von "de.indymedia" die Beiträge mit linksextremistischen oder strafbaren Inhalten zurechnen lassen, die nicht unmittelbar wieder gelöscht worden sind. Durch 47 Gemeint ist der 25. Januar 2020. Für diesen Tag hatten Linksextremisten zu Protesten und zur Begehung von Straftaten in Leipzig aufgerufen. Anlass war das Verfahren zur Rechtmäßigkeit des Verbots der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia", das dort vier Tage später vor dem Bundesverwaltungsgericht begann. 147 LINKSEXTREMISMUS die bisherige Verfahrensweise wird Linksextremisten bewusst eine Plattform geboten, die diese in zunehmendem Maße für ihre Zwecke nutzen. Die Beiträge auf "de.indymedia", die von den "Moderationskollektiven" nicht unmittelbar entfernt werden, lassen in der inhaltlichen Gesamtschau eindeutig eine verfassungsfeindliche Linie erkennen. Vor diesem Hintergrund liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine linksextremistische Bestrebung vor, die eine Bearbeitung von "de.indymedia" im Rahmen eines Verdachtsfalls durch das BfV begründen. VI. Gefährdungspotenzial Schon die zahlenmäßigen Indikatoren des Linksextremismus belegen ein anhaltend hohes Gefahrenniveau sowohl im Bereich der Strafund Gewalttaten als auch des Personenpotenzials. Dabei verläuft die Entwicklung des gewaltorientierten Personenpotenzials weitgehend unabhängig von der Entwicklung der Gewalttaten. Äußere Anlässe sorgen für eine Welle von Gesetzesverletzungen, die danach wieder abebbt. Dagegen ist die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten im Jahr 2019 auch ohne ein symbolträchtiges Großereignis erneut angestiegen. Insbesondere Berlin und Leipzig haben sich im Berichtszeitraum als Schwerpunkte linksextremistischer Gewalt bestätigt. Neben weiteren urbanen Räumen wie Bremen oder Hamburg ist auch das Rheinische Braunkohlerevier mit dem Hambacher Forst regelmäßig Ort linksextremistisch motivierter Strafund Gewalttaten. Neben den quantitativen Veränderungen im Gewaltniveau lässt sich auch ein Wandel in Art und Intensität der Gewalt feststellen. Während Ausschreitungen und "Schwarze Blöcke" bei Demonstrationen an Bedeutung verlieren, ist abseits solcher Veranstaltungen ein planvolles Vorgehen gegen Menschen und Sachwerte zu beobachten. Gut organisierte Kleingruppen begehen unter dem Kampfbegriff des "Antifaschismus" direkte Angriffe mit schwersten Verletzungen auf politische oder vermeintlich politische Gegner, um "nazifreie Zonen" zu schaffen. Auch "Antigentrifizierung" oder "Antirepression" dienen als Rechtfertigungsgründe für direkte, körperliche Angriffe auf Polizeikräfte, Politikerinnen und 148 LINKSEXTREMISMUS Politiker oder Angehörige von Wirtschaftsunternehmen. Darüber hinaus sorgen klandestin durchgeführte Brandanschläge auf Ziele wie Fahrzeuge, Baumaschinen und Gebäude für teilweise enorme Schadenssummen. Linksextremistische Gewalt ist ein strategisches Instrument, um politische Meinungsbildungsund wirtschaftliche Entscheidungsprozesse zu beeinflussen. Daher werden Linksextremisten Gewalt auch weiterhin gezielt einsetzen. Vor allem die autonome Szene in Leipzig hat ihr Zielspektrum erweitert und ihren Einflussbereich auf gewaltbereite Fußball-Ultras und die Kampfsportszene ausgedehnt. Aber auch an vielen anderen Orten hat sich insbesondere der Kampf um "autonome Freiräume" - um einzelne Szeneobjekte oder ganze städtische Bereiche - verschärft. Das Aggressionspotenzial beschränkt sich nicht nur auf Schwerpunkte wie Berlin, Hamburg und Leipzig. Teile der autonomen Szene verfolgen ihre Agenda derart nachhaltig und kompromisslos, dass sie sich längst außerhalb des Szenekonsenses bewegen, wonach die Ziele und Mittel der Aktionen stets erklärund vermittelbar bleiben müssen. Für Linksextremisten lange Zeit wichtige Ereignisse im Jahreskalender, wie zum Beispiel der Tag der politischen Gefangenen oder der revolutionäre 1. Mai, verlieren zunehmend an Bedeutung. An ihre Stelle treten immer häufiger Aktionen, die einer regional orientierten "Selbstermächtigung" dienen. Es besteht eine hohe Bereitschaft, das Heft des Handelns vor Ort selbst in die Hand zu nehmen, was nicht nur zu verbaler, sondern auch gewaltförmiger Solidarität innerhalb der Szene führt - national wie international. Eine umso größere Bedeutung werden einzelne politische Entscheidungen und staatliche Maßnahmen erhalten, die von Linksextremisten in Angriffe auf "militante Strukturen" umgedeutet werden. Dazu gehören zum Beispiel weitere Festnahmen wie im Fall der "Drei von der Parkbank" oder bevorstehende Räumungen von Szeneobjekten. Diese Reizpunkte führen regelmäßig zu Resonanzstraftaten, die sich in Angriffen auf Infrastruktureinrichtungen, Immobilien-, Bau-, Telekommunikations-, Logistikund Rüstungsunternehmen oder auf staatliche Institutionen wie Gerichte, Polizei und Bundeswehr entladen. Die von Linksextremisten angestrebte "Revolution" sehen auch sie selbst noch in weiter Ferne liegen. Menschen werden daher vor 149 LINKSEXTREMISMUS allem als unpersönliche Vertreter von Institutionen verletzt. Daneben kommt es aber auch immer wieder zu gezielten Bedrohungen von Einzelpersonen, zum Beispiel im Rahmen von sogenannten Hausbesuchen. Einen Beitrag zu diesen Strafund Gewalttaten leistet auch der nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremismus, sei es durch die Schaffung ideologischer Begründungszusammenhänge oder durch konkrete Unterstützungshandlungen im Umfeld. Insbesondere die linksextremistischen Parteien sind trotz fehlender parlamentarischer Relevanz im politischen Meinungsdiskurs durchaus in der Lage, alte und neue Anhänger mit linksextremistischen Themen und Ideologiefragmenten zu indoktrinieren und als geistige Wegbereiter dazu beizutragen, den Linksextremismus weiterhin zum Teil des Alltagsgeschehens zu machen. 150 LINKSEXTREMISMUS VII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Interventionistische Linke" (IL) Gründung: Ende 2005 Mitglieder/Anhänger in 1.000 (2018: 1.000) Deutschland: in 33 Ortsgruppen Publikationen/Medien: "Arranca!" (Zeitschrift, halbjährlich, Auflage: 1.500) sowie verschiedene, aktionsabhängig unregelmäßig erscheinende Publikationen Ortsgruppen, die in ih"I Furiosi" rem Namen nicht sofort (Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen) die Zugehörigkeit zur IL "see red!" erkennen lassen: (Düsseldorf, Nordrhein-Westfalen) "Antifaschistische Linke Freiburg" (Freiburg, Baden-Württemberg) "Antifaschistische Linke International" (A.L.I.) (Göttingen, Niedersachsen) "Basisdemokratische Linke" (Göttingen, Niedersachsen) "Aktion, Kritik und Theorie Heidelberg" (AKUT [+C]) (Heidelberg, Baden-Württemberg) "Antifaschistische Initiative" (Heidelberg, Baden-Württemberg) "Organisierte Linke Heilbronn" (Heilbronn, Baden-Württemberg) "Gruppe D.O.R.N." (Kassel, Hessen) "K2" (Köln, Nordrhein-Westfalen) "PRISMA - IL Leipzig" (Leipzig, Sachsen) "Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t." (Marburg, Hessen) 151 LINKSEXTREMISMUS Die "Interventionistische Linke" (IL) wurde 2005 als bundesweites Netzwerk mit dem Ziel einer verbindlichen "Organisierung" autonomer Gruppierungen und Aktivisten gegründet. Umgeformt zu einer bundesweiten Organisation verfügt die IL heute über 33 Ortsgruppen in ganz Deutschland. Diese haben sich überwiegend als IL-Ortsgruppen benannt, sodass auch lokales Handeln eindeutig als Handeln der IL wahrgenommen werden kann. Ortsgruppen, die aufgrund ihres Namens nicht sofort als zur IL gehörig zu erkennen sind, agieren anlassbezogen unter dem gemeinsamen IL-Label. Einzelne Ortsgruppen der IL sind auch international gut vernetzt, vor allem mit Linksextremisten aus den jeweils benachbarten Staaten. Zudem gibt es mit der "IL Graz" auch eine Ortsgruppe in Österreich. Ziel der IL ist die Überwindung des "Kapitalismus" mittels eines revolutionären Umsturzes. Entsprechend bildet der "Antikapitalismus" einen ideologischen Schwerpunkt. "Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und dem globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates und allen Formen von Unterdrückung, Entrechtung und Diskriminierung orientiert. ("Selbstverständnis", Homepage IL, 19. Dezember 2019) Die IL bemüht sich in Bündnissen und Initiativen um eine aktionsorientierte Zusammenführung linksextremistischer Akteure unterschiedlicher ideologischer Prägung zugunsten einer erhöhten Handlungsfähigkeit sowohl in Deutschland als auch in internationalen Kampagnen und Netzwerken. Die IL fungiert dabei als Scharnier zwischen militanten Strukturen und nicht gewaltorientierten Linksextremisten sowie nicht extremistischen Gruppen und Initiativen. So beteiligt sich die IL beispielsweise maßgeblich mit dem von ihr beeinflussten Bündnis "Ende Gelände" an den Protesten gegen den Braunkohleabbau. Die Einstellung der IL zur Gewalt ist taktisch geprägt. 152 LINKSEXTREMISMUS 2. "...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis" (uG) Gründung: 2006 Mitglieder/Anhänger in 300 (2018: 330) Deutschland: in zwölf Ortsgruppen Publikationen/Medien: "mole" (Englisch für: "Maulwurf"; Zeitung erscheint unregelmäßig) Mitgliedsgruppen: "Theorie Organisation Praxis" (Berlin) "AGB - Antifaschistische Gruppe Bremen" (Bremen) "Basisgruppe Antifaschismus" (BA) (Bremen) "Critique'n'act" (Dresden, Sachsen) "Kritik&Praxis" (Frankfurt am Main, Hessen) "Redical [M]" (Göttingen, Niedersachsen) "Fast Forward" (Hannover, Niedersachsen) "Antifa AK Köln" (Köln, Nordrhein-Westfalen) "the future is unwritten" (Leipzig, Sachsen) "antifant - Autonome Antifa München" (München, Bayern) "...resist!" (Saarbrücken, Saarland) "LevelUP" (Tübingen, Baden-Württemberg) 153 LINKSEXTREMISMUS Das 2006 gegründete und bundesweit agierende Bündnis "...ums Ganze!" (uG) ist ein Zusammenschluss eigenständiger, lokal verankerter Gruppen der autonomen Szene, die ihre Kräfte bündeln, um überregional wahrnehmbar und handlungsfähig zu sein. Mit der Wiener Gruppierung "autonome antifa [w]" verfügt uG zudem über eine Mitgliedsgruppe in Österreich, die eng mit den deutschen Gruppierungen vernetzt ist und vor allem über die sozialen Netzwerke, aber auch über die Teilnahme an hier stattfindenden Veranstaltungen nach Deutschland hineinwirkt. Während die einzelnen Mitgliedsgruppen lokal autark agieren, treten sie in Aktionsbündnissen und bei Großveranstaltungen als uG-Bündnis öffentlich in Erscheinung. Das Bündnis bezeichnet sich selbst als kommunistisch und beschreibt damit seine ideologische Ausrichtung. Es sieht im "Kapitalismus" das nicht reformierbare Grundübel der Menschheit, das es bedingungslos zu bekämpfen gelte. Es müsse mitsamt "seinem" Staatssystem durch eine revolutionäre Umwälzung überwunden werden. Im Rahmen seines "antifaschistischen Kampfes" betreibt uG seit dem Jahr 2016 die Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA). Diese richtet sich insbesondere gegen die Partei Alternative für Deutschland (AfD), die zum "Erste-Klasse-Gegner" erklärt wurde. Weiterhin für das Bündnis relevant sind vor allem die Themen "Antigentrifizierung" und "Antirassismus". So mobilisierte uG im Jahr 2019 beispielsweise zur Teilnahme an bundesweiten Protesten gegen hohe Mietpreise und für Enteignungen von Wohnungseigentümern oder zu Demonstrationen und Aktionen gegen den AfDBundesparteitag in Braunschweig (Niedersachsen). Zudem solidarisierte sich das Bündnis mit den "Massenprotesten" gegen den Braunkohleabbau im Rheinland und beteiligte sich unter anderem am 21. Juni 2019 an einer Großdemonstration der Klimaprotestbewegung in Aachen (Nordrhein-Westfalen). 154 LINKSEXTREMISMUS 3. "Perspektive Kommunismus" (PK) Gründung: April 2014 Mitglieder/Anhänger in 120 (2018: 40) Deutschland: in vier eigenständigen Organisationen Publikationen/Medien: Unregelmäßig erscheinende Schriften; "1. Mai Zeitung 2019 - In die revolutionäre Offensive" (Zeitung erscheint jährlich zum 1. Mai) Mitgliedsgruppen: "Antikapitalistische Linke München" "Revolutionäre Aktion Stuttgart" "Linke Aktion Villingen-Schwenningen" "Roter Aufbau Hamburg" Die "Perspektive Kommunismus" (PK) ist ein antiimperialistisch ausgerichteter Zusammenschluss. Sie wurde bislang von drei lokal in Baden-Württemberg und Bayern verankerten Organisationen aus dem Linksextremismus getragen. Im Jahr 2019 kam mit dem "Roten Aufbau Hamburg" eine vierte Organisation hinzu. Die einzelnen Organisationen orientieren sich ideologisch am MarxismusLeninismus. Dieser Ausrichtung zufolge müsse der "Kapitalismus" "revolutionär überwunden und damit auch sein bürgerlicher Staat abgeschafft werden". Der Zusammenschluss bemüht sich um eine "bundesweite revolutionäre Organisation", die "auf ideologischer, kultureller und politischer Ebene eine reale Gegenmacht zur Macht von Staat und Kapital aufbaut". "Das Ziel ist der Aufbau des Sozialismus hin zu einer befreiten, einer kommunistischen klassenlosen Gesellschaft." ("Unser Grundlagentext", Homepage PK, 13. Dezember 2019) Die PK nimmt sich vieler Themen des Linksextremismus wie "Antigentrifizierung", "Antimilitarismus", "Antifaschismus" oder "Antirassismus" an. So mobilisierte sie im Jahr 2019 gegen die Münchener Sicherheitskonferenz und für die Teilnahme am "Rheinmetall entwaffnen"-Camp in Unterlüß, einem Ortsteil der Gemeinde Südheide (Niedersachsen). Daneben rief die PK zu Solidaritätsaktionen mit "Rojava"48 auf. Zudem beteiligte sie sich 2019 an überregional bedeutsamen Protesten wie der "Revolutionären 1. Mai"-Demonstration in Berlin. 48 Mit "Rojava" sind die von Kurden besiedelten Gebiete in Nordsyrien gemeint. 155 LINKSEXTREMISMUS 4. "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU) Gründung: 1977 Sitz: Jena (Thüringen) Leitung/Vorsitz: Geschäftskommission (gewählt für jeweils zwei Jahre) Mitglieder/Anhänger 800 in Deutschland: Publikationen/Medien: "Direkte Aktion" (Onlinezeitung, unregelmäßig) Die "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU) bezeichnet sich selbst als eine "klassenkämpferische Gewerkschaftsföderation", die von einem "grundsätzlichen Interessengegensatz zwischen Kapital und Lohnarbeit" ausgeht. Verkürzt kann man die FAU als eine anarchistische Gewerkschaft bezeichnen, die ideologisch dem sogenannten Anarchosyndikalismus49 zuzuordnen ist. Die föderalistisch aufgebaute FAU setzt sich aus in Deutschland verteilten lokalen Gewerkschaften zusammen, den sogenannten Syndikaten. Wie andere Gewerkschaften setzt sich die FAU für "bessere Arbeitsbedingungen" ein. Sie ist allerdings der Ansicht, dass diese tatsächlich nur in einer anarchistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung gegeben sein können. Für die Umsetzung ihrer Ziele wählt die FAU die "direkte Aktion". Diese für Autonome und Anarchisten essenzielle Aktionsform soll den Prinzipien der Herrschaftslosigkeit und der Selbstorganisation gerecht werden und schließt militante Aktionen und Straftaten mit ein. Als idealtypisch betrachtet die FAU alle Mittel, die "unmittelbaren Druck" auf ihre "Gegner" ausüben. Dagegen sei der Parlamentarismus ungeeignet, den "Kapitalismus" als zentrales Hindernis für gesellschaftliche Emanzipation und individuelle Selbstbestimmung zu überwinden. Neben eigenen Demonstrationen ist die FAU auch als Teilnehmerin bei Protestkundgebungen vertreten, die in keinem unmittelbaren gewerkschaftlichen Zusammenhang stehen. 49 Das Hauptziel des "Anarchosyndikalismus" ist die revolutionäre Überwindung des Staates und der "kapitalistischen" Gesellschaft durch die unmittelbare Übernahme der Produktionsmittel in gewerkschaftlicher Selbstorganisation. 156 LINKSEXTREMISMUS 5. "Gruppe ArbeiterInnenmacht" (GAM), deutsche Sektion der "Liga für die Fünfte Internationale" (L5I) mit Sitz in London Gründung: 1982 (seit 2003 Mitglied der L5I) Sitz: Berlin Mitglieder/Anhänger 50 (2018: 50) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Neue Internationale" (Zeitung, monatlich) "Revolutionärer Marxismus" (Theoriemagazin, jährlich, zuletzt erschienen im November 2019) "Fight! Revolutionäre Frauenzeitung" (Zeitung, jährlich, zuletzt erschienen im März 2019) Die "Gruppe ArbeiterInnenmacht" (GAM) gehört dem internationalen trotzkistischen Dachverband "Liga für die Fünfte Internationale" (L5I) an. Das Ziel der GAM ist die Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft trotzkistischer Prägung. Beabsichtigt ist die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft mittels einer sozialistischen Weltrevolution. Die GAM agitiert im außerparlamentarischen Raum, insbesondere beschäftigt sie sich mit gewerkschaftlicher Arbeit in Betrieben. Mitglieder rekrutiert sie zumeist über ihre Jugendorganisation "REVOLUTION" (REVO). Die GAM nimmt regelmäßig an bundesweiten Protestaktionen und Kampagnen teil, insbesondere solchen im Kontext "Antiglobalisierung" und "Antifaschismus" sowie an der jährlichen "Revolutionären 1. Mai"-Demonstration in Berlin. Für den Anschluss an ein zivildemokratisches Protestspektrum engagierte sich die GAM im Jahr 2019 vor allem für Proteste gegen Mietpreiserhöhungen sowie der Klimaprotestbewegung. Daneben bietet die Gruppierung bei diversen Veranstaltungen wie Lesekreisen und Vortragsreihen die Möglichkeit zur Diskussion und Schulung. Für die Außendarstellung der Organisation ist das jährlich stattfindende "Sommercamp" von besonderer Bedeutung. 2019 stand es unter dem Motto "Revolutionärer Internationalismus" und wurde unter anderem gemeinsam mit REVO durchgeführt. 157 LINKSEXTREMISMUS 5.1 "REVOLUTION" (REVO), Jugendorganisation der "Gruppe ArbeiterInnenmacht" (GAM) Gründung: 1999 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Exekutivkomitee Mitglieder/Anhänger 60 (2018: 60) in Deutschland: Publikationen/Medien: "REVOLUTION" (Zeitung, unregelmäßig, 2019 zwei Ausgaben) "Fight! Revolutionäre Frauenzeitung" (Zeitung, jährlich, zuletzt erschienen im März 2019) Die Gruppierung "REVOLUTION" (REVO) steht in der Tradition eines "undogmatischen und offenen Marxismus" und zielt auf die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaft trotzkistischer Prägung. REVO ist als eigenständige trotzkistische Jugendorganisation Teil der deutschen Sektion der "Liga für die Fünfte Internationale" (L5I) mit Sitz in London. Laut ihrem überarbeiteten Programm vom November 2018 steht REVO für den "revolutionären Kampf für eine befreite Gesellschaft". Gefordert werden ein Systemwechsel mithilfe einer sozialistischen Revolution sowie die internationale Organisierung der Jugend und "Arbeiter_innenklasse unter Führung einer revolutionären, internationalen Partei". REVO beteiligte sich im Jahr 2019 an diversen Demonstrationen, insbesondere in den thematischen Zusammenhängen "Kurdistansolidarität", "Antifaschismus" und "Antiglobalisierung" sowie an der "Revolutionären 1. Mai"-Demonstration in Berlin. Wie in den Vorjahren führte REVO im Vorfeld ein "1. Mai-Demotraining" durch. Wie viele andere linksextremistische Gruppierungen beteiligte sich auch REVO an den Demonstrationen der Klimaprotestbewegung. Dabei stand für REVO insbesondere das Bemühen im Vordergrund, neue Mitglieder anzuwerben und die Teilnehmer ideologisch zu beeinflussen. Gemeinsam mit der GAM veranstaltet REVO jährlich ein "Sommercamp", das 2019 unter dem Motto "Revolutionärer Internationalismus" stand. 158 LINKSEXTREMISMUS 6. "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung: 1975 Sitz: Göttingen (Niedersachsen) Bundesgeschäftsstelle Leitung/Vorsitz: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger 10.500 (2018: 9.200) in Deutschland: in 50 Ortsgruppen Publikationen/Medien: "DIE ROTE HILFE" (Zeitschrift, vierteljährlich und als Onlinemagazin) Die "Rote Hilfe e.V." (RH) definiert sich laut Satzung als eine "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Sie leistet Strafund Gewalttätern aus dem linksextremistischen Spektrum politische und finanzielle Unterstützung, beispielsweise bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten sowie bei Geldstrafen und Geldbußen. Ferner versucht die RH, durch meinungsbildende Öffentlichkeitsarbeit (Publikationen, Vorträge, Demonstrationen) die Sicherheitsund Justizbehörden sowie die rechtsstaatliche Demokratie zu diskreditieren. Dazu organisiert sie unter anderem Informationsund Diskussionsveranstaltungen zu Themenfeldern wie "staatliche Repression" und fordert dazu auf, grundsätzlich die Zusammenarbeit mit Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden bei der Aufklärung von Straftaten zu verweigern. Darüber hinaus betreut die RH rechtskräftig verurteilte Straftäter während ihrer Haft, um diese weiter beziehungsweise stärker an die "Bewegung" zu binden. Beispielsweise hält sie persönlichen Kontakt zu Inhaftierten, um sie zum "Weiterkämpfen" zu motivieren. Zur Struktur der RH gehört das "Hans-Litten-Archiv e.V." (HLA), das am 18. Februar 2005 in Göttingen gegründet worden ist und sich nach seiner Satzung selbst als "Rote-Hilfe-Archiv" bezeichnet. Das Verwaltungsgericht Berlin hat die Zuordnung des HLA zur Struktur der RH sowie die Nennung im Verfassungsschutzbericht 2018 als rechtmäßig erachtet.50 Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig. 50 Vgl. VG Berlin, Beschluss vom 29.10.2019 - VG 1 L 247.19. 159 LINKSEXTREMISMUS 7. "junge Welt" (jW) Gründung: 1947 Sitz: Berlin Verlag: "Verlag 8. Mai GmbH"; gehört zur "Linke Presse Verlags-, Förderungsund Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G." (LPG) Chefredakteur: Stefan Huth Erscheinungsweise: täglich Die kommunistisch ausgerichtete Tageszeitung "junge Welt" (jW) tritt für die Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft ein. Sie ist das bedeutendste und mit einer wöchentlichen Auflage von 25.600 beziehungsweise 27.900 Exemplaren der Samstagsausgabe das auflagenstärkste Printmedium im Linksextremismus. Die Ausgabe zum 1. Mai 2019 umfasste nach Eigenangaben der Organisation 126.000 Exemplare. Zum Selbstverständnis der jW heißt es etwa: "In wenigen Worten lässt sich die Frage, was die junge Welt ist, so beantworten: Sie ist die einzige marxistische Tageszeitung im deutschsprachigen Raum und ergreift als solche klar Partei." ("Mediadaten-Anzeigenpreisliste" Nr. 28, 1. März 2019, S. 3) Einzelne Redaktionsmitglieder und einige der Stammund Gastautoren sind dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Nach Eigenangaben von Redaktion, Verlag und Genossenschaft will die Zeitung nicht nur informieren, sondern auch für Aktionen mobilisieren und den Widerstand formieren. Die jW bekennt sich dabei nicht ausdrücklich zur Gewaltfreiheit. Vielmehr bietet sie immer wieder eine öffentliche Plattform für Personen, die politisch motivierte Straftaten gutheißen. 160 LINKSEXTREMISMUS 8. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Patrik Köbele Mitglieder/Anhänger 2.850 (2018: 2.850) in Deutschland: Publikationen/Medien: "unsere zeit" (Zeitung, wöchentlich) "Marxistische Blätter" (Theoriemagazin, zweimonatlich) Jugendorganisation: "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) bekennt sich ausdrücklich dazu, eine "marxistisch-leninistische Partei" zu sein. Als solche strebt sie einen "grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen" und die Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft an. Die DKP versteht sich als politische Nachfolgerin der 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Sie betont zudem, dass sie stets eng verbunden war mit der damaligen "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED). Die DKP betätigt sich hauptsächlich in den Aktionsfeldern "Antifaschismus", "Antimilitarismus" und "Antikapitalismus". Bei Wahlen erzielt sie - sofern sie antritt - keine nennenswerten Erfolge. 161 LINKSEXTREMISMUS 8.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Gründung: 1968 Sitz: Essen (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Lena Kreymann Mitglieder/Anhänger 670 (2018: 670) in Deutschland: Publikationen/Medien: "POSITION" (Magazin, zweimonatlich) Der marxistisch-leninistisch orientierte Jugendverband "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) ist formal unabhängig, betrachtet sich aber als Nachwuchsorganisation der DKP. Ziel der SDAJ ist die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Zu ihrer Verortung im Marxismus-Leninismus erklärt sie: "Außerdem gehen wir mit Lenin davon aus, dass die revolutionäre Bewegung eine revolutionäre Organisation braucht, die (...) alle gesellschaftlichen Konflikte konsequent auf die Klassenund letztlich die Systemfrage zuspitzt. Damit unterscheidet sich der Marxismus-Leninismus von anderen Weltanschauungen auch durch sein Verhältnis zur Praxis." (Homepage SDAJ, 12. November 2019) Die SDAJ sieht in Bündnispolitik eine Voraussetzung für den revolutionären Kampf. Bei der Wahl ihrer Bündnispartner schließt sie gewaltbereite Linksextremisten nicht aus. Die Akteure bemühen sich durch nachhaltige Agitation in Theorie und Praxis (z.B. Beteiligung an Demonstrationen, Veranstaltungen, Aktions-/Blockadetrainings) darum, ihre Ansichten öffentlichkeitswirksam zu bewerben und die "revolutionären Kräfte" in Deutschland zu stärken, um auf diese Weise den Boden für eine künftige Systemänderung zu bereiten. Neben den Aktionsfeldern, in denen sich auch die DKP betätigt, versucht die SDAJ verstärkt, Einfluss auf die Klimaprotestbewegung zu nehmen. 162 LINKSEXTREMISMUS 9. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz: Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Gabi Fechtner (geb. Gärtner) Mitglieder/Anhänger 2.800 (2018: 2.800) in Deutschland: in sieben Landesverbänden Publikationen/Medien: "Rote Fahne" (Magazin, zweiwöchentlich) Jugendorganisation: "REBELL" Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) hält streng an ihrer maoistisch-stalinistischen Ausrichtung fest. Als Ziel strebt die Partei die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft als Übergang zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft an. Dafür sei "die Vergesellschaftung aller wesentlichen Produktionsmittel, ihre Überführung in Gemeineigentum und ihre Unterstellung unter die Verwaltung durch die Arbeiterklasse und die werktätigen Massen" nötig. "Das erfordert also die revolutionäre Umwälzung der ganzen Gesellschaft. Dafür ist im politischen System des staatsmonopolistischen Kapitalismus kein 'Rechtsweg' vorgesehen." ("Rote Fahne - Magazin der MLPD", Nr. 08/2019 vom 12. April 2019, S. 7) Schwerpunkte im Jahr 2019 waren die Teilnahme an der Europawahl (Stimmanteil 0,0 %, 18.342 Stimmen) und an der Landtagswahl in Thüringen. Dort erzielte die MLPD mit 2.354 Erststimmen (0,2 %) und 2.945 Zweitstimmen (0,3 %) ihr bislang bestes Landtagswahlergebnis. Daneben zeigte die Partei großes Engagement in der Klimaprotestbewegung, vor allem bei Demonstrationen. Die für die MLPD schon immer wichtige Jugendarbeit wurde hier verstärkt. Die Partei sieht in der Jugend eine "praktische Avantgarde im fortschrittlichen Stimmungsumschwung". Gerade die MLPD-Jugendorganisation "REBELL" (vgl. Nr. 9.1) wirbt sehr aktiv unter Jugendlichen um neue Mitglieder. 163 LINKSEXTREMISMUS 9.1 "REBELL" Gründung: 1992 Sitz: Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Inessa Kober und Jonas Dachner (Verbandsleitung) Mitglieder/Anhänger 150 (2018: 150) in Deutschland: in 65 Ortsgruppen (Eigenangabe) Publikationen/Medien: Magazin "REBELL" (Zeitschrift, zweimonatlich) Der im Jahr 1992 gegründete Jugendverband "REBELL" ist die Jugendorganisation der MLPD und wie diese streng maoistisch-stalinistisch ausgerichtet. Gemeinsam mit der MLPD setzt sich der "REBELL" für eine Gesellschaft des echten Sozialismus ein. Darunter wird die "Zusammenfassung der fortgeschrittensten Ideen und Errungenschaften der Menschheit" verstanden. Den Sozialismus als Vorstufe zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft sehen beide als den nächsten gesellschaftlichen Schritt an. "REBELL" unterstützte die MLPD in den Wahlkämpfen 2019 und zeigte starkes Engagement im Rahmen der Klimaproteste. Bei Demonstrationen der Klimaprotestbewegung wurden Flyer verteilt. Teilnehmer wurden gezielt angesprochen, um sie für "REBELL" zu begeistern. Daneben wirbt der Verband auch gezielt vor Schulen - nicht zuletzt mit der Absicht, Mitglieder anzuwerben. Der Jugendverband führte am 8. und 9. Juni 2019 ein "Pfingstjugendtreffen" durch und organisierte vom 20. Juli bis 10. August 2019 ein "Sommercamp". Beide Veranstaltungen werden zum Kennenlernen und zur Vernetzung der "REBELL"-Mitglieder genutzt. 164 LINKSEXTREMISMUS 10. "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP), deutsche Sektion des "Internationalen Komitees der Vierten Internationale" (IKVI, Abspaltung der "Vierten Internationale") Gründung: 2017 (vormals PSG beziehungsweise BSA) Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Ulrich Rippert Mitglieder/Anhänger 274 (2018: 271) in Deutschland: Publikationen/Medien: "World Socialist Web Site" (Onlinepublikation) Die "Sozialistische Gleichheitspartei" (SGP) ist eine Nachfolgepartei des im Jahr 1971 gegründeten "Bund Sozialistischer Arbeiter" (BSA). Aus dem BSA hatte sich zunächst von 1997 bis 2017 die "Partei für Soziale Gleichheit" (PSG) formiert, die sich 2017 in SGP umbenannte. Die SGP erkennt die Autorität des trotzkistischen Dachverbands "Internationales Komitee der Vierten Internationale" (IKVI) an und folgt damit grundsätzlich der trotzkistischen Theorie von einer sozialistischen Revolution als weltweitem ständigem Prozess unter Führung von Arbeiterräten ("Permanente Revolution"). Die SGP geht von einem mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbarenden marxistischen Klassendenken sowie einer Propagierung des Klassenkampfes aus. Sie fordert den Sturz des "Kapitalismus" - nicht allein bezogen auf das Wirtschaftssystem, sondern als Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Durch die Kandidatur bei Wahlen sowie durch Vortragsveranstaltungen versucht die Partei, für ihre politischen Vorstellungen öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Zur Europawahl 2019 kandidierte die SGP mit einer Bundesliste, erzielte jedoch keinen nennenswerten Wahlerfolg. 165 LINKSEXTREMISMUS 11. "Sozialistische Alternative" (SAV)/ "Sozialistische Organisation Solidarität" (Sol) Gründung: 1994 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Bis zum 7. September 2019: Bundesleitung aus fünf "gleichberechtigten BundessprecherInnen" Seit dem 8. September 2019: Provisorische Leitung Mitglieder/Anhänger 400 (2018: 300) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Solidarität" (Zeitung, monatlich) "sozialismus.info" (Theoriemagazin, vierteljährlich) Die trotzkistische "Sozialistische Alternative" (SAV) verfolgt das Ziel, eine kommunistische Gesellschaft zu errichten. Sie versucht, eine "revolutionär-sozialistische Massenorganisation" aufzubauen, und strebt die Einheit aller revolutionär-marxistischen Kräfte in einer "Internationale" an. Die SAV versteht sich als "revolutionäre, sozialistische Organisation in der Tradition von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und Liebknecht". Die SAV bedient sich der Strategie des Entrismus: Ihre Mitglieder agieren vorwiegend im extremistischen Zusammenschluss "Antikapitalistische Linke" (AKL) der Partei DIE LINKE, um Einfluss auf die Partei nehmen zu können. Außerdem versucht die SAV, Bündnisse und Kampagnen durch eigene Mitarbeit für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Nach programmatischen Auseinandersetzungen hat sich die SAV auf einer Sonderkonferenz am 7. September 2019 in Berlin gespalten. Die ausgetretenen Mitglieder, darunter die Mehrheit der früheren SAV-Leitungsgremien, gründeten am 8. September 2019 die "Sozialistische Organisation Solidarität" (Sol). Genau wie die SAV will auch die Sol am Ziel festhalten, eine kommunistische Gesellschaftsordnung trotzkistischer Prägung zu schaffen. 166 LINKSEXTREMISMUS 12. Extremistische Strukturen der Partei DIE LINKE 12.1 "Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE" (KPF) Gründung: Dezember 1989 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: Bundessprecherrat (vier Mitglieder) Mitglieder/Anhänger 1.122 (2018: 1.200) in Deutschland: in 13 Landesverbänden Publikationen/Medien: "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform" (Zeitschrift, monatlich) Die "Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE" (KPF) gehört zu den mitgliederstärksten Strukturen innerhalb der Partei. Die KPF definiert sich auf ihrer Website selbst als "offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE". Ihr Ziel ist die Überwindung des derzeitigen kapitalistischen Gesellschaftsund Wirtschaftssystems und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft als Vorstufe zu einer klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Im Rahmen der dritten Tagung der 19. Bundeskonferenz heißt es dazu: "Uns geht es (...) nicht darum, welchen kapitalhörigen Strukturen wir den Vorzug geben, sondern darum, den Kapitalismus und den Imperialismus zu entlarven, zu bekämpfen und letztlich zu überwinden." (Homepage KPF, 1. Dezember 2018) Die KPF beteiligte sich aktiv am Wahlkampf für die Europawahl 2019 und vertrat dabei ihre Kernthemen "friedenspolitische Prinzipien" und "antikapitalistischer Antifaschismus". 167 LINKSEXTREMISMUS 12.2 "Sozialistische Linke" (SL) Gründung: August 2006 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: "BundessprecherInnenrat" (mindestens vier, maximal zwölf Mitglieder) Mitglieder/Anhänger 953 (2018: 836) in Deutschland: Publikationen/Medien: "realistisch und radikal" (Debattenmagazin, unregelmäßig) Der extremistische Zusammenschluss "Sozialistische Linke" (SL) in der Partei DIE LINKE knüpft unter anderem an "linkssozialistische" sowie "reformkommunistische Traditionen" an und vertritt marxistische Positionen. Ziel ist die Überwindung des "Kapitalismus". Um dieses Ziel zu erreichen, setzt die SL auf die kommunistische Strategie der Bündnispolitik. Sie ist demnach bestrebt, möglichst breite Bündnisse im linksextremistischen Spektrum und darüber hinaus aufzubauen. Dazu werden strittige Themen oder grundsätzliche Differenzen der unterschiedlichen Akteure aus taktischen Gründen bewusst ausgeklammert: "Die Sozialistische Linke steht in der Tradition der sozialistischen, marxistisch geprägten Arbeiterinnenund Arbeiterbewegung. (...) Wir stellen die gemeinsamen Interessen der großen Mehrheit und den Kampf gegen gemeinsame Gegner in den Mittelpunkt: (...) Es geht um eine möglichst große Einheit der lohnabhängigen Klasse sowie breite Bündnisse auch mit kleinbürgerlichen Gruppen." (Homepage SL, 31. Oktober 2019) Mitglieder der SL streben Funktionen in der Partei DIE LINKE an und versuchen, den ideologischen Kurs der Partei zu beeinflussen. Neben gewerkschaftlichen Themen stellen Umwelt und politische Bildungsarbeit weitere Aktionsfelder der SL dar. Im Rahmen ihrer jährlichen öffentlichen "Sommerakademie" werden dazu die "Grundlagen linker Politik im und gegen den Kapitalismus" behandelt. 168 LINKSEXTREMISMUS 12.3 "Antikapitalistische Linke" (AKL) Gründung: 2006 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: "BundessprecherInnenrat" (acht Mitglieder) Mitglieder/Anhänger 1.060 (2018: 1.011) in Deutschland: Publikationen/Medien: "aufmüpfig konsequent links" (Bulletin, unregelmäßig) Die seit 2012 als Bundesarbeitsgemeinschaft in der Partei DIE LINKE organisierte "Antikapitalistische Linke" (AKL) fordert einen "grundsätzlichen Systemwechsel" sowie die Überwindung der bestehenden "kapitalistischen" Gesellschaftsordnung. Dazu soll das "antikapitalistische Profil" der Partei DIE LINKE weiter gestärkt werden. "[Die AKL] sieht sich als Brückenglied zwischen der Partei DIE LINKE und der übrigen politischen Linken in diesem Land und international sowie zu den außerparlamentarischen Bewegungen." (Homepage AKL, 11. November 2019) Mitglieder der AKL streben Funktionen in der Partei DIE LINKE an und versuchen - auch über das Einreichen von Anträgen -, Einfluss auf den ideologischen Kurs der Partei zu nehmen. "Für uns bedeutet Sozialismus öffentliches Eigentum an Produktionsmitteln, demokratische Kontrolle und Verwaltung durch die Arbeiter*innenklasse und demokratische wirtschaftliche Kooperation und Planung statt Profitprinzip und Konkurrenz. Vor allem erwarten wir, dass sich die gesamte Führung der LINKEN offensiv für Enteignung/Wiederaneignung und Sozialismus ausspricht (...)." (Homepage AKL, 14. Oktober 2019) Als ideologische Taktgeber engagieren sich in der AKL auch Mitglieder der trotzkistischen SAV/Sol (vgl. Nr. 11). Auf diese Weise versuchen sie etwa durch eigene Anträge auf Parteitagen, den Kurs der Partei DIE LINKE in ihrem Sinne zu beeinflussen. 169 LINKSEXTREMISMUS 12.4 "marx21" Gründung: September 2007 Sitz: Berlin Leitung/Vorsitz: marx21 - Koordinierungskreis (derzeit 20 Personen) Mitglieder/Anhänger 300 (2018: 300) in Deutschland: Publikationen/Medien: "marx21" (Zeitung, fünf Ausgaben pro Jahr) "theorie21" (unregelmäßig) Das trotzkistische Netzwerk "marx21" ist kein vom Parteivorstand der Partei DIE LINKE anerkannter Zusammenschluss innerhalb der Partei. Gleichwohl versucht das Netzwerk, mit der Strategie des Entrismus Einfluss auf die Partei zu gewinnen. Darüber hinaus agitiert "marx21" im extremistischen Zusammenschluss SL (vgl. Nr. 12.2) der Partei DIE LINKE. Nach eigenen Ausführungen arbeiten Mitglieder des Netzwerks auch in Ortsgruppen verschiedener Strukturen der Partei DIE LINKE. Ziel von "marx21" ist die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Das Netzwerk betätigt sich hauptsächlich in den Aktionsfeldern "Antiimperialismus", "Antimilitarismus" und "Antiglobalisierung". Dazu gehört auch die Teilnahme an Protestaktionen und Kampagnen. Außerdem richtet "marx21" eigene Konferenzen und Versammlungen aus, insbesondere den seit dem Jahr 2007 jährlich in Berlin stattfindenden Kongress "Marx Is Muss" mit - laut eigenen Angaben - zuletzt rund 600 Teilnehmern. 170 Islamismus/ islamistischer Terrorismus 171 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick Der Begriff "Islamismus" bezeichnet eine Form des politischen Extremismus. Unter Berufung auf den Islam zielt der Islamismus auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab. Der Islamismus basiert auf der Überzeugung, dass der Islam nicht nur eine persönliche, private "Angelegenheit" ist, sondern auch das gesellschaftliche Leben und die politische Ordnung bestimmen oder zumindest teilweise regeln sollte. Der Islamismus postuliert die Existenz einer gottgewollten und daher "wahren" und absoluten Ordnung, die über den von Menschen gemachten Ordnungen steht. Mit ihrer Auslegung des Islam stehen Islamisten insbesondere im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Grundsätzen der Volkssouveränität, der Trennung von Staat und Religion, der freien Meinungsäußerung und der allgemeinen Gleichberechtigung. Ein wesentliches ideologisches Element des Islamismus ist außerdem der Antisemitismus. Unter dem Oberbegriff "Islamismus" werden verschiedene Strömungen zusammengefasst, die sich hinsichtlich ihrer ideologischen Prämissen, ihrer geografischen Orientierung und ihrer Strategien und Mittel unterscheiden. Legalistische Strömungen wie die "Milli Görüs"-Bewegung versuchen, über politische und gesellschaftliche Einflussnahmen eine nach ihrer Interpretation islamkonforme Ordnung durchzusetzen. Die Anhänger islamistisch-terroristischer Gruppierungen wie HAMAS und "Hizb Allah", deren Ziel die Vernichtung des jüdischen Staates Israel ist, sind auf ihre Herkunftsregionen fokussiert und wenden schwerpunktmäßig dort terroristische Gewalt an. Jihadistische Gruppierungen, wie zum Beispiel der "Islamische Staat" (IS) und "al-Qaida", sehen in ihrem Kampf für einen "Gottesstaat" in terroristischer Gewalt ein unverzichtbares Mittel gegen "Ungläubige" und sogenannte korrupte Regime. Ihre terroristische Agenda ist global und bedroht auf internationaler Ebene viele Staaten. Eine seit Jahren wachsende Strömung im Islamismus ist der Salafismus. Salafisten geben vor, sich in ihrem Denken und Handeln ausschließlich an einem wortgetreuen Verständnis von Koran und Sunna (zur Nachahmung empfohlene Handlungsweisen und 172 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Aussagen des Propheten) sowie am Vorbild der Gefährten des Propheten zu orientieren. Damit lehnen sie nicht nur die freiheitliche demokratische Grundordnung in Gänze ab, sondern negieren auch weitestgehend die Geschichte des Islam und der Muslime. Salafisten vertreten einen Exklusivitätsanspruch; sie sehen sich als die einzigen "wahren" Muslime. 1. Entwicklungstendenzen Die Gefährdungslage in Deutschland wurde im Jahr 2019 im WeGefährdungslage sentlichen durch dieselben Strukturen und Einflussfaktoren bestimmt wie in den Vorjahren. Die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus war weiterhin hoch, auch wenn Anschläge und Anschlagsvorhaben in Deutschland und Europa insgesamt rückläufig sind. Vor allem im gewaltbereiten salafistischen Spektrum war die Lage geprägt von der damit einhergehenden scheinbaren Abnahme von prägnanten, klar umrissenen Bedrohungsszenarien zugunsten einer unterschwellig-diffusen Bedrohungslage. Obwohl der "Islamische Staat" (IS) im Jahr 2019 seine letzte territoriale Basis verloren hat und sich auch bei "al-Qaida" keine neuen Dynamiken abzeichneten, zeigte sich die anhaltende Relevanz jihadistischer Ideologie in weiterhin existierenden Strukturen, einem fortbestehenden Anhängerund Sympathisantenpotenzial und ausgeprägter Internetpropaganda. Deutschland wird von jihadistischen Organisationen nach wie vor als Feind wahrgenommen und steht unverändert in deren Zielspektrum. Seit August 2017 ist es in Deutschland zu keinem islamistisch-terroristischen Anschlag mehr gekommen. Das dürfte eine mögliche Folge der militärischen Niederlage des IS in Syrien sein, ist aber auch auf die umfangreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Gleichzeitig belegen vereitelte Anschlagsplanungen das weiterhin vorhandene Gefährdungspotenzial. Das gilt insbesondere für die Gefahr von durch die terroristischen Organisationen inspirierte Einzeltäteranschläge, die im Vorfeld nur schwer aufzuklären sind. Allerdings agieren auch diese nicht vollkommen isoliert. Fast 173 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS immer erhält der Täter bei der Planung und Vorbereitung seiner Tat Beratung und Unterstützung durch Angehörige einer Terrororganisation im Ausland. Komplexe und langfristig geplante Anschläge können auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden. Antisemitismus Auch im Jahr 2019 kam es zu einer Vielzahl islamistisch motivierter im Islamismus antisemitischer Vorfälle. Antisemitismus stellt eine ideologische Klammer aller islamistischen Strömungen dar. Die überwiegende Mehrheit der in Deutschland aktiven islamistischen Organisationen hegt antisemitisches Gedankengut und verbreitet es auf unterschiedlichsten Wegen. Militärische Ende März 2019 verlor der IS mit dem Fall der Ortschaft al-Baghuz Niederlage des IS im Osten Syriens nahe der irakischen Grenze seine letzte Enklave. Damit war die territoriale Herrschaft des IS in der Region beendet. Der IS kontrollierte in Syrien und im Irak zeitweilig ein Gebiet von mehr als der Hälfte der Fläche Deutschlands. In der Nacht auf den 27. Oktober 2019 kam der IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi bei einer US-amerikanischen Militäroperation in der Provinz Idlib (Nordwest-Syrien) ums Leben. Dennoch sind sowohl die jihadistische Ideologie des IS wie auch ein größerer Teil seines Anhängerpotenzials weiterhin vorhanden. Das IS-"Kalifat" lebt nun als Utopie weiter. Der IS hat sich nach seiner vollständigen militärischen Niederlage in Syrien und im Irak dort von einem quasistaatlichen Akteur wieder zu einer Terrorgruppe im Untergrund gewandelt. Die Organisation setzt dabei weiterhin auf eine Strategie des Terrors, vor allem gegen "weiche" Ziele. Auch "al-Qaida" steht unter Druck - einerseits aufgrund der anhaltenden staatlichen Verfolgung und andererseits infolge der fortdauernden Rivalität mit dem IS, aus der "al-Qaida" und die mit "al-Qaida" sympathisierenden Gruppen bislang keinen Vorteil ziehen konnten. "Al-Qaida" Dass Kern-"al-Qaida" weiterhin eine Führungsrolle innerhalb der globalen jihadistischen Szene und unter den zahlreichen weiterhin aktiven regionalen Ablegern beansprucht, zeigte nicht zuletzt das Video von "al-Qaida"-Anführer Aiman al-Zawahiri zum 18. Jahrestag der Anschläge des 11. September 2001. Das gut halbstündige Video, in dem er zu weltweiten Anschlägen aufrief, enthält ein klares Drohpotenzial, das deutlicher als in den vergangenen Jahren zum 174 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ausdruck gebracht wurde. Gleichwohl reichen die propagandistischen Fähigkeiten von "al-Qaida" weiterhin in keiner Weise an die des IS heran. Beide Organisationen haben den Anspruch, jede sich bietende Gelegenheit zur Durchführung von terroristischen Gewalttaten zu nutzen. Sie sind bestrebt, insbesondere zu eigenständig geplanten und durchgeführten terroristischen Gewalttaten durch (selbst-) radikalisierte Einzelpersonen oder autonom handelnde (Kleinst-) Gruppen zu animieren. Die Lage im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika blieb auch im Jahr 2019 instabil, geprägt von einer Vielzahl von regionalen Konflikten, die oft über Jahre hinweg gewaltsam ausgetragen und von verschiedenen regionalen und überregionalen Akteuren beeinflusst werden. Häufig nehmen diese Dauerkonflikte den Charakter von Stellvertreterkriegen an. Ein Beispiel dafür ist Libyen, wo kein Ende des seit Jahren andauBeispiel Libyen ernden Bürgerkriegs abzusehen ist. Internationale Friedensbemühungen gestalten sich wegen der Beteiligung zahlreicher externer Akteure in diesem Konflikt äußerst schwierig. Vor allem IS-nahe jihadistische Kräfte nutzten das staatliche Machtvakuum für sich und etablierten ab 2014 die "Provinz Libyen" des IS. Zwar konnte der IS zwei Jahre später aus dem von ihm kontrollierten Küstenstreifen bei der Stadt Sirte vertrieben werden, er ist jedoch weiterhin in Libyen präsent und verübt dort regelmäßig Anschläge. Die Lage hatte sich seit April 2019 durch eine gegen die international anerkannte Regierung in Tripolis gerichtete militärische Offensive des abtrünnigen Generals Khalifa Haftar nochmals verschärft. In Syrien hat das Ende des "Kalifats" zur Folge, dass jihadistische Syrien Kämpfer und ihre Angehörigen die Region verlassen oder es beabsichtigen. Darunter sind auch Personen, die ursprünglich aus Deutschland ausgereist waren. Viele halten sich in Gefängnissen und Lagern in den kurdisch kontrollierten Gebieten auf. Einige versuchten, in die von "al-Qaida"-nahen Gruppierungen kontrollierten Gebiete in der Region Idlib zu gelangen. Im Oktober 2019 begann die Türkei eine Militäroffensive in den kurdisch kontrollierten nördlichen syrischen Grenzgebieten. Die nach wenigen Tagen mit einer Waffenruhe beendete Offensive 175 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS wirkt sich auch auf die jihadistischen Kämpfer aus, die sich im Grenzgebiet aufhalten. So besteht weiterhin das Risiko, dass es Personen mit deutscher Staatsangehörigkeit oder sonstigem Deutschlandbezug, die sich in kurdischer Haft oder in Gewahrsam befinden, gelingt, in Zusammenhang mit den türkisch-kurdischen Auseinandersetzungen zu flüchten oder unterzutauchen. Noch ist nicht absehbar, inwieweit die Lageveränderung durch die türkische Militäroffensive und ihre Folgen Reisebewegungen von IS-Sympathisanten nach Europa und damit auch die Sicherheitslage in Deutschland beeinflussen werden. Reisebewegungen Seit dem Jahr 2012 wurden mehr als 1.050 Personen bekannt, die aus islamistischer Motivation heraus aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak gereist sind. Mehr als ein Viertel davon sind Frauen. Im Jahr 2019 kam es kaum noch zu Ausreisen nach Syrien und in den Irak, die auch aktuell nur noch in Einzelfällen zu erwarten sind. Ebenso sind weitere Jihad-Schauplätze aktuell nicht in Sicht. Ungefähr ein Drittel der ausgereisten Personen ist inzwischen wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Bislang ist keine "Rückkehrerwelle" erkennbar. Gleichwohl sind stärkere Rückreisebewegungen in Zukunft nicht auszuschließen. Es liegen Ende 2019 Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen im unteren dreistelligen Bereich vor, die aus Syrien oder dem Irak ausreisen möchten und/oder die sich aktuell in Syrien oder dem Irak in Haft beziehungsweise in Gewahrsam befinden. Die Mehrheit dieser Personen dürfte eine Rückkehr nach Deutschland beabsichtigen. Umgang mit Eine allgemeingültige Aussage über das Verhalten von RückkehRückkehrern rern in Deutschland kann nicht getroffen werden. Die Sicherheitsbehörden müssen jeden Fall einzeln betrachten, da das persönliche Umfeld, die familiäre Anbindung und auch die verbliebenen sozialen Strukturen das Verhalten nach der Rückkehr beeinflussen können. Das gilt vor allem für Personen, bei denen anzunehmen ist, dass sie sich bis zum Schluss in der letzten Enklave des IS-"Kalifats" aufgehalten haben. 176 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Eine besondere Herausforderung stellt der Umgang mit den zurückkehrenden Frauen dar, denen - ohne Beteiligung an Kampfhandlungen - strafbare Handlungen oft nur schwer nachzuweisen sind. Dennoch sind viele von ihnen klar jihadistisch motiviert und haben den IS logistisch und propagandistisch unterstützt. Im Laufe des Jahres 2019 kam es zu ersten Gerichtsurteilen gegen Rückkehrerinnen, die diesem Dilemma Rechnung trugen. Bei zurückkehrenden Kindern und Jugendlichen darf es zu keiner pauschalen Stigmatisierung kommen. Es ist zu vermuten, dass sie indoktrinierenden Einflüssen wie IS-Propaganda und Gewalterfahrungen ausgesetzt waren. Sie müssen vor allem als Opfer der Ideologie ihrer Eltern betrachtet werden. Schon allein aus Gründen der Fürsorge muss ein Fokus auf die Gruppe der Kinder und Jugendlichen gelegt werden. Dabei handelt es sich um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, nicht primär um eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Nach wie vor bildet der Salafismus den ideologischen Unterbau Salafistische Szene für den gewaltbereiten Jihadismus. Während Gewaltbereitschaft in Deutschland in weiten Teilen der salafistischen Szene als eine mögliche Option legitimiert ist, stellt Gewalt im Jihadismus die wichtigste Methode zur Erreichung der Ziele dar. Der Konflikt in Syrien und im Irak bildet mit Abstrichen bis heute eine wichtige ideologische Klammer für den Islamismus insgesamt, insbesondere aber für Jihadismus und Salafismus. Die Entwicklungen der letzten Jahre, insbesondere Aufstieg und Niederlage des IS, aber auch die staatlichen Verbotsmaßnahmen, haben auch die salafistische Szene beeinflusst. Das Wachstum des salafistischen Personenpotenzials hält weiterhin an, wenn auch nicht mehr so deutlich wie im Zeitraum 2012 bis 2016. Im Berichtsjahr ist es insgesamt um 850 Personen auf 12.150 Personen gestiegen (Stand: 31. Dezember 2019). Die salafistische Szene in Deutschland befindet sich in einer Art "Konsolidierungsphase". Allgemein akzeptierte und deutschlandweit aktive Führungspersonen, die eine Identifikation und eine Marschrichtung vorgeben, gibt es nicht (mehr) - die Szene ist fragmentiert. Einzelne, gut vernetzte Personen üben vor allem lokal und regional Einfluss aus. In der Öffentlichkeit agiert die Szene 177 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS gegenwärtig eher zurückhaltend. Häufig ist die Ideologie auf den ersten Blick kaum noch erkennbar. Frauen, deren Anteil leicht zugenommen hat, sind in eigenen Netzwerken aktiv. Aber auch jihadistische Aktionsfelder sind weiterhin vorhanden: So bewerben deutschsprachige Jihadisten im Internet Spendenprojekte für Frauen in kurdischen Flüchtlingslagern/-camps in Syrien. Die salafistische Szene hat sich durch die Ereignisse der vergangenen Jahre nicht nur strukturell verändert. Durch den Zerfall des IS-"Kalifats", aber auch infolge der Verbote von verschiedenen salafistischen Vereinen ist eine gemeinschaftsstiftende Zielrichtung in den Hintergrund getreten. Die Fragmentierung der Szene begünstigt damit eine größer werdende Bandbreite innerhalb des salafistisch-jihadistischen Spektrums. Sie reicht von einem vordergründig missionarisch orientierten politischen Salafismus, der gegenüber anderen islamistischen Gruppierungen und teilweise sogar jenseits des extremistischen Milieus grundsätzlich anschlussfähig ist, bis hin zu Personen mit starker Gewaltorientierung auf teilweise rudimentärer ideologischer Basis. Jihadistische Die fortdauernde Attraktivität der Ideologie zeigt sich insbesondeInternetpropaganda re in der jihadistischen Internetpropaganda von IS und "al-Qaida", die immer noch vom Konflikt in Syrien und im Irak dominiert wird. Im Jahr 2019 hat es in der jihadistischen Propaganda weiterhin Aufrufe zu Anschlägen im Westen gegeben, auch wenn die Häufigkeit gegenüber dem Vorjahr etwas zurückgegangen ist. Die IS-Propaganda beherrscht die jihadistische Internetszene auch nach dem Verlust des IS-"Kalifats". Durch auf Übersetzungen spezialisierte IS-nahe Medienstellen werden Teile der offiziellen ISPropaganda nicht arabischsprachigen (einschließlich deutschsprachigen) Anhängern zugänglich gemacht. Im April 2019 meldete sich IS-Anführer al-Baghdadi zum ersten Mal seit dem Jahr 2014 wieder mit einem Video zu Wort, in dem er sich unter anderem zum Fall der letzten IS-Bastion al-Baghuz äußerte. Das Video wurde von deutschen IS-Unterstützern sehr positiv aufgenommen. Im September 2019 löste eine weitere Botschaft al-Baghdadis unter IS-Unterstützern weltweit Sympathiebekundungen für den IS aus. 178 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Nach dem Tod al-Baghdadis und seines Sprechers im Oktober 2019 stieß auch die erste Verlautbarung des neuen Sprechers zum neuen IS-"Kalifen", der unter dem Aliasnamen Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi eingeführt wurde, auf große Akzeptanz und Zustimmung in der Anhängerschaft. Der Tod al-Baghdadis konnte dadurch dazu genutzt werden, neue Impulse für die IS-Propaganda zu setzen. Im Unterschied dazu fand die bereits erwähnte Audiobotschaft von "al-Qaida"-Anführer al-Zawahiri vom 11. September 2019 relativ wenig Echo in der deutschsprachigen Szene - trotz deutlicherem Drohpotenzial. Die verhaltenen Reaktionen der deutschsprachigen Anhänger auf die jährliche Botschaft deuten auch darauf hin, dass die "al-Qaida"-Führung weiterhin nicht in der Lage ist, eine neue Dynamik zu entfalten. Deutschsprachige Onlineakteure, die mit der Ideologie von "alQaida" sympathisieren, rufen jedoch nach wie vor zur Ausreise nach Syrien und zur Unterstützung des Jihad auf. Ende November 2019 führten staatliche Maßnahmen unter Koordinierung der europäischen Polizeibehörde Europol zur Löschung einer Vielzahl von jihadistischen Websites sowie Kanälen und Gruppen auf verschiedenen Messenger-Diensten. Die Aktion betraf auch Kanäle und Gruppen auf dem Messenger-Dienst Telegram, der von der deutschsprachigen Unterstützerszene bis dahin vorrangig genutzt wurde. Neben der Verbreitung von Propaganda dienen die Messenger-Dienste der Szene auch zur Vernetzung. Bislang hat sich für die Betroffenen noch keine vergleichbare alternative Kommunikationsstruktur herauskristallisiert. Die islamistische Szene in Deutschland wird zwar stark durch das salafistische und jihadistische Personenpotenzial geprägt. Gleichwohl nehmen auch andere islamistische Richtungen mit teils großem Anhängerpotenzial einen breiten Raum ein. Dazu gehören die vielfältigen Bestrebungen von islamistischen Deutschland als Organisationen, die Deutschland als Rückzugsraum für ihre islaRückzugsraum mistisch-terroristischen Aktivitäten im Ausland nutzen, ebenso wie solche Organisationen, die ihre verfassungsfeindlichen Ziele durch den Einsatz legalistischer Mittel anstreben. 179 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS So agiert zum Beispiel die libanesische "Hizb Allah" mit ihren terroristischen Aktionen gegen Israel und israelische Interessen auch außerhalb des Nahen Ostens. Deutschland gilt dabei jedoch überwiegend als Rückzugsraum. Legalistische Legalistische Organisationen, wie die dem Spektrum der extreOrganisationen mistischen "Muslimbruderschaft" (MB) zuzurechnende "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG), zielen auf eine langfristige Änderung der Gesellschaft ab. Die MB verfolgt entsprechend ihrer langfristigen Strategie eine Durchdringung der Gesellschaft mit dem Ziel einer perspektivischen Errichtung eines auf der Scharia basierenden gesellschaftlichen und politischen Systems. 2. Organisationen und Personenpotenzial Insgesamt ergibt sich für das Jahr 2019 aus den ausreichend gesicherten Zahlenangaben ein im Vergleich zum Vorjahr um rund 5,5 % gestiegenes Islamismuspotenzial von 28.020 Personen (2018: 26.560). 180 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Personenpotenzial Islamismus/islamistischer Terrorismus1 Organisationen 2017 2018 2019 Salafistische Bestrebungen 10.800 11.300 12.150 "Islamischer Staat" (IS) Kern-"al-Qaida" "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) keine keine keine "al-Shabab" gesicherten gesicherten gesicherten "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) Zahlen Zahlen Zahlen "Hizb Allah"2 950 1.050 1.050 "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" (HAMAS)2 320 320 380 "Türkische Hizbullah" (TH) 400 400 400 "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 350 350 430 "Muslimbruderschaft" (MB)/"Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG)3 1.040 1.040 1.350 "Tablighi Jama'at" (TJ) 650 650 650 "Islamisches Zentrum Hamburg e.V." (IZH) keine keine keine gesicherten gesicherten gesicherten Zahlen Zahlen Zahlen "Milli Görüs"-Bewegung und zugeordnete Vereinigungen 10.000 10.000 10.000 "Furkan Gemeinschaft"4 - 290 350 "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA) keine keine gesicherten gesicherten Zahlen Zahlen 100 Sonstige5 1.300 1.160 1.160 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 "Hizb Allah" und HAMAS gelten international als terroristisch, nutzen Deutschland bislang jedoch in erster Linie als Rückzugsraum. 3 Bis zur Umbenennung im September 2018 lautete der Vereinsname "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD). 4 Die "Furkan Gemeinschaft" wurde im Jahr 2018 zum Beobachtungsobjekt des BfV erhoben. 5 Weitere Organisationen, deren Mitgliederund Anhängerzahlen im Islamismuspotenzial zu berücksichtigen sind. 181 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS II. Internationale Konflikte und ihre Bedeutung für die Sicherheitslage in Deutschland Internationale Entwicklungen haben erhebliche Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland. Dies gilt insbesondere für Entwicklungen, in die der transnationale islamistische Terrorismus involviert ist. 1. Jihad-Schauplatz Syrien/Irak Bedrohung durch den Im Verlauf des Jahres 2013 nahm der IS eine zentrale Rolle im syri"Islamischen Staat" schen Bürgerkrieg ein und eroberte Anfang 2014 auch Gebiete im (IS) Nordirak. Am 29. Juni 2014 rief der damalige IS-Anführer al-Baghdadi das "Kalifat" aus. Inzwischen ist das IS-"Kalifat" militärisch besiegt und hat nach dem Fall der ostsyrischen Stadt al-Baghuz im März 2019 sein gesamtes Territorium im syrisch-irakischen Kerngebiet verloren. Infolge der militärischen Verdrängung des IS und der damit einhergehenden Neuorganisation der Gruppierung gingen die Anschlagsaktivitäten des IS in Syrien und im Irak zunächst deutlich zurück. Doch schon im Laufe des Jahres 2019 waren wieder vermehrt Anschläge durch den IS in Syrien und im Irak zu verzeichnen. Die Bekämpfung des IS scheint bei den vorherrschenden vielschichtigen Konfliktlagen in Syrien und im Irak in den Hintergrund getreten zu sein. Dieses Vakuum weiß der IS, der in beiden Ländern nach wie vor über eine große Zahl von Anhängern verfügt, für sich zu nutzen. Die Restrukturierung des IS von einem quasistaatlichen Akteur zu einer klassischen Terrorgruppe im Untergrund ist offenbar abgeschlossen. Nach dem Tod al-Baghdadis ernannte der IS binnen weniger Tage einen Nachfolger unter dem Aliasnamen Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi zum neuen Anführer und "Kalifen". Vermutlich handelt es sich dabei um den Turkmenen Amir Muhammad Sa'id Abdal Rahman al-Mawla. Dieser Wechsel an der Spitze dürfte kurzund mittelfristig nicht zu wesentlichen Veränderungen innerhalb des IS oder dessen Strategie führen. Vielmehr ist anzunehmen, dass der neue "Kalif" den Kurs seines Vorgängers weiterverfolgen wird. 182 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Gleichwohl ist festzuhalten, dass der IS infolge seiner militärischen Niederlagen bereits seit einiger Zeit unter großen Erfolgsdruck steht. In den Augen seiner Anhänger muss er erneut seine Legitimation durch aufsehenerregende Anschläge unter Beweis stellen. Der Tod al-Baghdadis könnte diesen Druck noch einmal erhöht haben. Eine nicht zu unterschätzende terroristische Gefahr geht dabei weiterhin von den durch den IS inspirierten Einzeltätern und Kleinstgruppen sowohl in islamischen Ländern als auch im Westen aus. Das letzte größere zusammenhängende Gebiet in Syrien, das im "Al-Qaida"-Lager Jahr 2019 noch durchgehend von regimefeindlichen Kräften beherrscht wurde, befindet sich in der Region um Idlib und Aleppo im Nordwesten des Landes. Insbesondere die "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) kontrolliert dort weite Gebiete. Die HTS ging aus der "Jabhat al-Nusra" (JaN) hervor und ist ein Zusammenschluss verschiedener jihadistischer Gruppierungen mit mehreren Tausend Mitgliedern. Ursprünglich war die Gruppe eindeutig dem "al-Qaida"-Lager zuzurechnen. Seit 2017 emanzipierte sie sich zunehmend und verfolgt eine primär regionale Agenda. Der derzeit bedeutendste Repräsentant des "al-Qaida"-Lagers in Syrien ist die Anfang 2018 gegründete "Tanzim Hurras al-Din"51 (THD). In ihr schlossen sich Angehörige unterschiedlichster "alQaida"-naher Gruppierungen zusammen, die teilweise auch mit der zunehmenden Emanzipation der HTS von Kern-"al-Qaida" unzufrieden waren. 2. Jihad-Schauplatz Afghanistan/Pakistan "Al-Qaida" befindet sich weiterhin in einer schwierigen Phase. Kern-"al-Qaida" Ihr Anführer Aiman al-Zawahiri wirkt in seinen Botschaften wenig charismatisch und versteht es im Gegensatz zum IS nicht, ein junges Publikum zu begeistern und zeitgemäß anzusprechen. Die Organisation ist überaltert und leidet unter einem erkennbaren Mangel an Nachwuchskräften. In den vergangenen Jahren hatte "al-Qaida" versucht, Hamza Bin Ladin, den Sohn des "al-Qaida"Gründers Usama Bin Ladin, als Vertreter einer jüngeren Generation 51 Arabisch für "Organisation der Wächter der Religion". 183 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS aufzubauen. Im Jahr 2019 bestätigten die USA allerdings, dass Hamza Bin Ladin bei einem Antiterroreinsatz getötet wurde. Trotzdem versteht sich "al-Qaida" weiterhin als Avantgarde des islamistischen Terrorismus und ruft unverändert zu Anschlägen gegen westliche Ziele auf. Anspruch und tatsächliche Fähigkeiten liegen jedoch weit auseinander. Der Nimbus der Organisation - begründet durch die Anschläge des 11. September 2001 in den USA und den Ruf ihres Gründers - schwindet zunehmend. Im Konflikt mit dem IS wirkt "al-Qaida" hilflos. Auch die fortgesetzte Schwächung des IS infolge seiner militärischen Niederlagen im Jahr 2019 konnte "al-Qaida" nicht für sich nutzen. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Die Überalterung der "alQaida"-Führung dürfte dazu führen, dass diese den Bezug zur weltweiten jihadistischen Bewegung verloren hat, die vorwiegend aus jüngeren Anhängern besteht. Darüber hinaus ist der Verfolgungsdruck auf die "al-Qaida"-Führung in ihrem Rückzugsgebiet in Afghanistan und in Pakistan unverändert hoch. Dies erschwert die sichere Kommunikation innerhalb der Organisation und führt auch bei der Veröffentlichung von Propaganda zu zeitlichen Verzögerungen. "Taleban" Die "Taleban" verfolgen auch weiterhin eine regionale Agenda. Sie konnten im Jahr 2019 ihren Einfluss in Afghanistan ausbauen und zusätzliche Gebiete erobern. Die Strategie der "Taleban" scheint derzeit darin zu bestehen, sich sowohl durch Verhandlungen als auch durch Terroranschläge und Guerillakriegsführung maximalen Einfluss in Afghanistan zu sichern. Das Ziel dürfte sein, sich dadurch bestmöglich für eine Machtübernahme nach einem etwaigen Abzug der westlichen Streitkräfte aus Afghanistan aufzustellen. Der Konflikt zwischen den "Taleban" und dem regionalen IS-Ableger "Islamischer Staat - Khorasan Provinz" (ISKP) dauert an. Dabei musste der ISKP weitere Niederlagen hinnehmen. Landesweit ist seine Bedeutung im Vergleich zu den "Taleban" mittlerweile gering. 3. Weitere Jihad-Schauplätze Das IS-"Kalifat" wurde territorial zerschlagen. Kern-"al-Qaida" ist weiterhin geschwächt und vermag es nicht, sich im Machtkampf 184 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS innerhalb der jihadistischen Szene gegen den IS durchzusetzen. Ungeachtet dessen ist der jihadistische Terror immer noch in vielen Ländern virulent. Dazu gehören auch Regionen abseits der hinlänglich bekannten Jihad-Schauplätze. Diese "Nebenschauplätze" werden durch eine Vielzahl unterDynamik von schiedlicher Faktoren geprägt. Dazu gehören etwa eine schwach "Nebenschauplätzen" ausgeprägte Staatsgewalt, langjährige Kriegserfahrung der Bevölkerung oder ethnische Spannungen. Lokale Konfliktherde entwickeln häufig eine unvorhersehbare Eigendynamik und tragen zur Destabilisierung ganzer Regionen bei. Jihadistische Gruppierungen nutzen solche Entwicklungen insbesondere dort, wo sie bereits seit Längerem als Konfliktakteure aktiv waren. Sie stoßen aber auch in neue Gebiete vor, wenn sich entsprechende Gelegenheiten bieten. Zu den Regionen, in denen jihadistische Gruppierungen mit Bezug zum IS oder zu "al-Qaida" aktiv sind, gehören der Jemen, die Sahelzone, Libyen, Somalia, die Philippinen sowie die Sinai-Halbinsel. Die konkreten Auswirkungen der "Nebenschauplätze" auf den Westen blieben im Vergleich zu den Schauplätzen Syrien/Irak und Afghanistan/Pakistan bislang eher gering. Dennoch unterliegen dortige westliche Einrichtungen weiterhin einer hohen Anschlagsgefährdung. Westliche Personen, die sich aus unterschiedlichsten Gründen dort aufhalten, sind zudem einem hohen Entführungsrisiko ausgesetzt. Zwar finden auch regionale Konflikte und Jihad-Schauplätze in der Propaganda von IS und "al-Qaida" ihren Widerhall. Ausreisen westlicher Jihadisten in solche Regionen mit dem Ziel der Kampfteilnahme konnten bislang aber nur vereinzelt festgestellt werden. 4. Internetpropaganda Die global ausgerichteten jihadistischen Gruppierungen IS und "al-Qaida" dominieren nach wie vor die islamistische Propaganda. Die offizielle Propaganda des IS konnte ihr Niveau von 2018 auch Offizielle im Berichtszeitraum weitgehend aufrechterhalten, indem NachIS-Propaganda richtenmeldungen, Videos und Artikel in etwa derselben Quantität und Qualität produziert und verbreitet wurden. Nach dem Verlust 185 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS des IS-Territoriums wurden mehrere Propagandakampagnen gestartet, um die militärische Niederlage zu bagatellisieren. In der im Sommer 2019 veröffentlichten Kampagne "Und das gute Ende gehört den Gottesfürchtigen" zeigt sich eine stärkere Konzentration auf die "Provinzen" des IS, die ehemals propagierte Konfrontation mit dem Westen tritt in den Hintergrund. Die zentralen Medieninstrumente des IS bilden nach wie vor das Onlinemagazin "al-Naba", die Nachrichtenagentur "Amaq" und eine Reihe von offiziellen Medienzentren. Etliche IS-nahe Medienstellen sorgen für die Übersetzung der offiziellen Propaganda in eine Vielzahl von Sprachen, unter anderem auch ins Deutsche. Der Fokus der offiziellen IS-Propaganda lag im Jahr 2019 auf den militärischen Aktivitäten des IS, theologischen Fragen sowie der Hilfe für inhaftierte IS-Angehörige, vor allem in den zumeist von Kurden geführten Lagern/Haftanstalten in Nordsyrien. Ferner wurden Kinder und Jugendliche als Basis der künftigen jihadistischen Generation beschworen. Explizite Aufrufe zu Anschlägen im Westen, wie sie Abu Bakr alBaghdadi noch im Jahre 2018 artikulierte, wurden im Berichtszeitraum von offizieller Seite des IS nicht verkündet. Arabischsprachige Im Gegensatz zur offiziellen IS-Propaganda haben die PropagandaIS-Unterstützerszene aktivitäten der arabischsprachigen IS-Unterstützerszene nachgelassen. Ursächlich dürften die Versuche der IS-Führung sein, die inoffizielle Propaganda stärker zu kontrollieren, um Abweichungen von der zentralen Ideologie zu unterbinden. Auch der Verlust des "Kalifats" dürfte auf die IS-Anhänger nachwirken und ihre Aktivitäten zumindest zeitweise eingeschränkt haben. Die inoffizielle IS-Propaganda beschränkt sich zunehmend auf die Weiterverbreitung der offiziellen IS-Propaganda. Unabhängige, IS-nahe Onlinemagazine wie "Shabab al-Khilafa" oder "From Dabiq to Rome" sind im Herbst 2019 eingestellt worden. Die Zahl IS-naher Medienstellen ist rückläufig. Europaweite, von Europol koordinierte Löschaktionen im Internet führten Ende 2019 dazu, dass der Messenger-Dienst Telegram seine bisherige Bedeutung als Hauptaktionsfeld der IS-Unterstützerszene vorerst verloren hat. Bislang hat sich noch keine vergleichbare alternative Kommunikationsstruktur herauskristallisiert. 186 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Schwächung der Propagandaaktivitäten der arabischsprachigen IS-Unterstützerszene dürfte zugleich durch die IS-internen ideologischen Kontroversen, die Ende 2018 ihren Anfang nahmen und sich über das Jahr 2019 fortsetzten, beeinflusst sein. IS-Ideologen übten Kritik an der IS-Führung und riefen auch zum Sturz von al-Baghdadi auf. Die deutschsprachige IS-Unterstützerszene verbreitet auch nach Deutschsprachige dem Verlust des "Kalifats" Propaganda. Tägliche Meldungen des IS IS-Unterstützerszene über militärische Operationen werden von Sympathisanten in der Regel ins Deutsche übersetzt. Videound Audiobotschaften werden hingegen nur in Einzelfällen mit deutschen Untertiteln oder in transkribierter Form verbreitet. Reaktionen auf zentrale Ereignisse des Jahres 2019 zeigen, dass deutschsprachige IS-Sympathisanten auf ein Fortbestehen der ISIdeologie und einen Neuaufbau des "Kalifats" hoffen. So wurde die Bombardierung der letzten IS-Enklave in Syrien im März 2019 intensiv verfolgt und verurteilt. Deutschsprachige IS-Sympathisanten riefen zu Bittgebeten für die dortigen IS-Kämpfer auf und legten ihre Hoffnung in die junge Generation von IS-Anhängern, die im "Kalifat" oder im Sinne der IS-Ideologie aufwuchsen und dem IS früher oder später zu einem Comeback verhelfen würden. Im April 2019 wurde das Video, in dem der IS-Anführer al-Baghdadi zum ersten Mal seit dem Jahr 2014 in Erscheinung trat, von deutschen IS-Unterstützern gefeiert. Seit Sommer 2019 widmet sich die deutschsprachige IS-Unterstützerszene verstärkt deutschen IS-Anhängerinnen, die sich in kurdischem Gewahrsam befinden. Sie berichtet über die schlechten humanitären Bedingungen vor Ort, bittet um Spenden und ruft zur Befreiung der Frauen und ihrer Kinder auf. Im September 2019 löste eine Audiobotschaft von al-Baghdadi in der IS-Unterstützerszene eine weltweite Initiative aus, bei der Bilder mit handschriftlichen Sympathiebekundungen für den IS verbreitet wurden. Dabei wurden auch vereinzelt deutschsprachige Huldigungen in Umlauf gebracht. Am 31. Oktober 2019 bestätigte der neue offizielle Sprecher des IS Abu Hamza al-Qurashi in einer Audiobotschaft den Tod des IS-Anführers al-Baghdadi und seines offiziellen Sprechers Abu al-Hasan 187 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS al-Muhajir und benannte unter dem Aliasnamen Abu Ibrahim alHashimi al-Qurashi einen neuen IS-"Kalifen". In diesem Zusammenhang würdigten deutschsprachige IS-Anhänger die Leistung des ehemaligen IS-Anführers. Gleichzeitig wurde betont, dass der IS nicht von individuellen Führungspersonen abhängig sei, sondern auch unter der neuen Führung seinen Weg fortsetzen und letztendlich siegreich sein werde. Dem neuen IS-Anführer wurde die Treue geschworen. Die Bedeutung des neuen IS-Anführers für die weitere Entwicklung der IS-Propaganda ist schwer abzuschätzen, da er bislang weder als Person bekannt war noch mit konkreten Botschaften in Erscheinung getreten ist. Die Nachbesetzung der Führungsposition könnte den Propagandaaktivitäten aber neue Impulse verleihen. Die europaweiten Löschmaßnahmen staatlicher Stellen haben sich spürbar auf die IS-Propaganda ausgewirkt. Die Maßnahmen betrafen auch Kanäle und Gruppen auf dem Messenger-Dienst Telegram, die von der deutschsprachigen Unterstützerszene genutzt wurden. Es bleibt abzuwarten, auf welche alternativen Plattformen die IS-Propagandisten ausweichen werden. Deutschsprachige Deutschsprachige Akteure im Internet, die mit der Ideologie von "al-Qaida""al-Qaida" sympathisieren, betreiben Propaganda für die in der Sympathisanten Region Nordwestsyrien aktiven "al-Qaida"-nahen Gruppierungen wie HTS oder THD. Überdies werden deutsche Übersetzungen von "al-Qaida"-nahen Ideologen erstellt und verbreitet. Deutschsprachige "al-Qaida"-Sympathisanten geben unter anderem an, selbst am Jihad in Syrien teilzunehmen und zeigen sich online mehrfach bei Wachdiensten oder bei der Waffenausbildung. Sie rufen in Beiträgen in sozialen Medien und Messenger-Diensten regelmäßig zur Ausreise nach Syrien auf. Wer nicht ausreisen könne, so appelliert dieser Personenkreis an die in Deutschland gebliebenen Gefolgsleute, der solle den Jihad zumindest finanziell unterstützen. Im Fokus der deutschsprachigen "al-Qaida"-Sympathisanten stehen die Angriffe des syrischen Regimes und seiner Verbündeten (insbesondere Russlands) auf die von der HTS dominierte nordwestsyrische Deeskalationszone um Idlib - der letzten verbliebenen Hochburg von jihadistischen und anderen bewaffneten 188 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS regimefeindlichen Gruppierungen in Syrien. Dabei betonen die Akteure, dass sie auch im Angesicht einer möglichen Großoffensive des syrischen Regimes gewillt seien, für die Verteidigung der "befreiten Gebiete" ihr Leben zu opfern. Die Zukunft der aus Syrien berichtenden deutschsprachigen "al-Qaida"-Sympathisanten ist demnach stark abhängig von den militärischen Entwicklungen vor Ort. 5. Reisebewegungen Seit Jahren lassen sich islamistisch-terroristisch motivierte Reisebewegungen von deutschen Islamisten respektive Islamisten aus Deutschland in Krisenregionen feststellen. Das 2014 durch den damaligen IS-Anführer al-Baghdadi ausge"Hotspot" rufene "Kalifat" entfaltete eine enorme Sogwirkung. Auch aus Syrien/Irak Deutschland folgten Personen den Aufrufen des IS zur Ausreise in sein syrisch-irakisches Kerngebiet. Neben dem IS schlossen sich Ausgereiste ebenso "al-Qaida" sowie anderen terroristischen Gruppierungen vor Ort an. Die Ausreisewelle nach Syrien und in den Irak, die in den Jahren Ausreisen auf 2013 und 2014 ihren Höhepunkt erreichte, ebbte seit 2015 merkniedrigem Stand lich ab. Der IS hat sein Territorium im syrisch-irakischen Kerngebiet verloren. Folglich werden neue Ausreisen in Richtung Syrien und Irak nur noch vereinzelt bekannt. In naher Zukunft wird sich die Zahl der Reisen nach Syrien und in den Irak nicht steigern, sondern auf einem niedrigen Niveau bleiben. Mit Ablauf des Jahres 2019 lagen den deutschen SicherheitsbehörEntwicklung der den Erkenntnisse zu mehr als 1.050 Personen vor, die seit 2012 in Ausreisen seit 2012 Richtung Syrien und Irak gereist sind. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie aufseiten terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen beziehungsweise teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen beziehungsweise unterstützt haben. Nicht in allen Fällen verfügen die Sicherheitsbehörden über Erkenntnisse, dass sich die ausgereisten Personen 189 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS tatsächlich in Syrien und im Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Dagegen liegen zu mehr als 230 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Entwicklung der Ausreisezahlen seit 2012 500 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Erkenntnisse zu Etwa ein Drittel aller in Richtung Syrien und Irak ausgereisten zurückgekehrten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Den Personen Sicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse zu über 110 bislang zurückgekehrten Personen vor, welche sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt haben oder dafür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Verurteilte Die Zahl rechtskräftiger Verurteilungen zurückgekehrter Personen Rückkehrer bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Diese Personen werden - je nach Strafmaß - nach Verbüßung ihrer Strafen innerhalb der nächsten Jahre wieder aus der Haft entlassen. Der Umgang mit inhaftierten Islamisten und damit verbunden der Umgang mit Islamisten nach der Inhaftierung stellt für Justiz-, Sicherheitsbehörden sowie staatliche und nicht staatliche Akteure der Deradikalisierung und Reintegration eine Herausforderung dar. Ob und inwiefern sich diese Personen nach ihrer Haftentlassung wieder aktiv in der salafistischen beziehungsweise jihadistischen Szene in Deutschland betätigen, kann nicht prognostiziert werden. Mehr RückkehrEs liegen Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen willige aus Syrien im unteren dreistelligen Bereich vor, die aktuell aus Syrien und und dem Irak dem Irak ausreisen möchten und/oder die sich aktuell in Syrien oder im Irak in Haft beziehungsweise in Gewahrsam befinden. 190 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Inhaftierte IS-Anhänger wurden bislang nur im Einzelfall nach Deutschland zurückgeführt. Im vierten Quartal 2019 gab es lediglich Rückführungen von Frauen mit ihren Kindern nach Deutschland. Bezüglich der von Rückkehrern ausgehenden Gefährdung ergibt Gefährdung durch sich ein heterogenes Bild. Die Spanne bei der Einschätzung dieser Rückkehrer Personen reicht von "Desillusionierten", deren szenetypische Aktivitäten nach der Rückkehr deutlich abnehmen oder nicht mehr feststellbar sind, bis hin zu gewaltbereiten Personen mit Kampferfahrung. Ein besonderes Sicherheitsrisiko stellen Personen dar, die während ihres Aufenthalts in Syrien und im Irak ideologisch indoktriniert, militärisch im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult wurden und/oder Kampferfahrungen sammeln konnten. Bei zurückkehrenden Kindern und Jugendlichen ist zu vermuten, Kinder und dass diese indoktrinierenden Einflüssen ausgesetzt waren (z.B. Jugendliche durch Propaganda des IS und Gewalterfahrungen im Alltag). Sie müssen somit vor allem als Opfer der Ideologie ihrer Eltern betrachtet werden und dürfen nicht pauschal stigmatisiert werden. Dabei handelt es sich nicht primär um eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden, sondern um eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Bei Personen, die nach Deutschland zurückkehren, greift das geBehördliche samte sicherheitsbehördliche Instrumentarium. Jede dieser PerMaßnahmen sonen wird als Einzelfall behandelt. Für ihre Straftaten in Syrien müssen sich die aus Deutschland ausgereisten Jihadisten vor deutschen Gerichten verantworten. Daneben sind Maßnahmen der Deradikalisierung und Reintegration - im Sinne eines ganzheitlichen Ansatzes der Bundesregierung in der Terrorismusbekämpfung - bei der Befassung mit aus dem IS-Gebiet Zurückgekehrten stets gleichwertig miteinzubeziehen. Im Hinblick auf die Entwicklung der Zahl der Rückkehrer sind lageverschärfende Ereignisse wie die türkische Militäroffensive im Herbst 2019 im Nordosten Syriens zu berücksichtigen. Nicht nur im Zuge dieser Militäroffensive ist es Personen, die sich in Syrien in Haft oder Gewahrsam befunden haben, gelungen zu flüchten. Eine unkontrollierte Rückkehr von IS-Kämpfern und deren Angehörigen nach Europa und Deutschland gilt es zu verhindern. 191 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Um die Sicherheit innerhalb des Schengenraums zu gewährleisten, sind an den Außengrenzen der EU systematische Kontrollen für alle in die EU einreisenden Menschen eingeführt worden. Es erfolgt ein systematischer Abgleich aller Personen, die über eine Außengrenze der EU einreisen wollen, mit Datenbanken für gestohlene und verlorene Reisedokumente, mit dem Schengener Informationssystem und mit weiteren Datenbanken. Die Kontrollen werden an allen Luft-, Seeund Landgrenzen durchgeführt. Migration Deutschland ist Zielland von Migrationsbewegungen, die ihren Ursprung meist in Ländern des Nahen und Mittleren Ostens, Afrikas sowie Südostasiens haben. Einfluss auf die Nach Einschätzung der deutschen Sicherheitsbehörden können Gefährdungslage Sympathisanten oder Anhänger jihadistisch-islamistischer Gruppierungen versuchen, innerhalb von Migrationsbewegungen unter Ausnutzung von Lücken in der Flüchtlingserfassung beziehungsweise dem Einsatz von Falschidentitäten nach Westeuropa zu gelangen. Die intensive Zusammenarbeit mit internationalen Partnern ist hier unerlässlich. In Deutschland werden islamistische Organisationen beobachtet, die eine Kontaktaufnahme mit dem Ziel der Rekrutierung von in Deutschland lebenden Migranten verfolgen. Einen weiteren Aufklärungsschwerpunkt bilden Migranten, die sich erst nach (längerem) Aufenthalt in Deutschland ohne erkennbaren Bezug zu einer ausländischen beziehungsweise hier aktiven extremistischen Gruppierung radikalisieren und sich im äußersten Fall zu einem Anschlag entschließen. 6. Gefährdungspotenzial Terroristische Deutschland wird von jihadistischen Gruppierungen als Feind Gewalttat als Ziel wahrgenommen und steht damit unverändert in deren Zielspektrum. Die Gruppierungen haben den Anspruch, jede sich bietende Gelegenheit für eine terroristische Gewalttat zu nutzen. Komplexe Anschläge, gesteuert durch terroristische Gruppen aus dem Ausland, haben in Deutschland bislang nicht stattgefunden, sind aber jederzeit denkbar. 192 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Einzeltäteranschläge sind mittlerweile ein fester Bestandteil der terroristischen Gewaltstrategie und der dominierende Anschlagstyp der letzten Jahre mit zum Teil hohem Wirkungsgrad. Anschläge dieser Art trafen Deutschland in den Jahren 2016 und 2017: Die Täter, zumeist jung und männlich, konsumierten im Vorfeld häufig gewaltorientierte Propaganda und durchliefen oft eine längere Radikalisierungsund Planungsphase. In vielen Fällen erhielten die Täter Beratung und Unterstützung durch Angehörige von Terrororganisationen im Ausland. Die Kommunikation verlief zumeist über Messenger-Dienste. Inhalte dieser Kommunikation umfassten die Radikalisierung, Inspiration und teilweise auch die Tatanleitung bis unmittelbar zum Anschlagsereignis. Inspirierte Einzeltäteranschläge sind Beispiele für eine erfolgreiche Umsetzung der Propagandastrategie von Terrororganisationen. Einzeln agierende Personen fühlen sich durch ihr Vorhaben in ihrem Selbstwert gestärkt. Insbesondere die selbst erklärte Zugehörigkeit zu einer Terrororganisation und die damit einhergehende ideologische Überzeugung führt zum Gefühl, auserwählt zu sein. Im Jahr 2019 konnte kein Anschlagsvorhaben in Deutschland in Kein Anschlag in 2019 die Tat umgesetzt werden. Ein Grund hierfür dürfte der Verlust des IS-Territoriums in Syrien und im Irak sein, welcher die Fähigkeit der Organisation zur Durchführung eines komplexen Anschlags mittels Ausbildung von Attentätern vor Ort und Entsendung dieser in Form von Zellen nach Europa einschränkt. Ebenso tragen die umfangreichen Maßnahmen der deutschen Sicherheitsbehörden zur Verhinderung von Anschlagsvorhaben bei. So wurde in den letzten Jahren - auch unter Mitwirkung des BfV - eine Vielzahl islamistisch motivierter Anschlagsplanungen frühzeitig aufgedeckt beziehungsweise vereitelt. III. Salafistische Szene in Deutschland Das Personenpotenzial im Salafismus ist im Jahr 2019 um 850 Personen angestiegen. Es umfasst nun insgesamt 12.150 Personen. Seit der Erhebung der Salafismuszahlen im Jahr 2011 hat sich die Zahl der Anhänger damit mehr als verdreifacht. 193 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Personenpotenzial Salafistisches Personenpotenzial 2011-2019 14.000 12.000 12.150 11.300 10.000 10.800 9.700 8.000 8.350 6.000 6.680 5.740 4.000 4.500 3.800 2.000 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 In den Jahren 2011 bis 2013 gab es einen relativ moderaten Anstieg von insgesamt 1.940 Personen. Zwischen den Jahren 2013 und 2017 - der Hochphase des IS-"Kalifats" - stieg die Zahl um insgesamt 5.060 Personen an. In diese Zeit fielen viele öffentlichkeitswirksame Aktionen der salafistischen Szene in Deutschland - beispielsweise die öffentliche Koranverteilaktion "LIES!". Seit 2017 verlangsamt sich das Wachstum jedoch deutlich. Zurückzuführen ist dies unter anderem auf staatliche Maßnahmen. Personenpotenzial Obwohl die Szene weiterhin von Männern dominiert wird, ist der wird heterogener den Verfassungsschutzbehörden bekannte Anteil der Frauen auf über 13 % angestiegen. Eine Veränderung der Szene infolge des verstärkten Zuzugs syrischer und irakischer Migranten ist trotz festgestellter Einflussnahmeversuche durch salafistische Akteure nicht feststellbar. Aktuell werden bestehende Strukturen (u.a. auch in Form von salafistischen Einrichtungen) durch Geflüchtete lediglich zur Ausübung ihres Glaubens angenommen. Wo es keine religiösen Angebote gibt, schaffen sie sich selbst solche Angebote, um ihren Glauben praktizieren zu können. Eine signifikante Vermischung mit der hiesigen salafistischen Szene ist zurzeit nicht festzustellen. Offenbar nutzen Migranten die vorhandenen Angebote, ohne dabei jedoch die salafistische Ideologie zu übernehmen. 194 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Der Salafismus ist eine islamistische Ideologie und zugleich eine Extremistische extremistische Gegenkultur mit einem abgrenzenden Lebensstil Gegenkultur durch markante Alleinstellungsmerkmale (z.B. Kleidung und Sprache). Der Salafismus will eine eingeschworene Gemeinschaft mit intensivem Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugen. Dies zieht insbesondere Personen an, die sich von der Mehrheitsgesellschaft marginalisiert fühlen. Gerade ungefestigte Personen, die auf der Suche nach einem Lebenssinn, nach Orientierung und Sicherheit sind, werden durch das umfassende salafistische Regelwerk angesprochen, welches das tägliche Leben bis in seine Details hinein bestimmt. Der Einzelne wird durch salafistische Propaganda zu einem Teil einer vermeintlichen Elite, zum Vorkämpfer des "wahren Islam", ausgezeichnet durch seine moralische Überlegenheit gegenüber einer "Welt des Verdorbenen". Diese Elemente machen im Wesentlichen die Anziehungskraft der Ideologie salafistischen Ideologie aus, die vom Wahhabismus, der "Staatsdoktrin" Saudi-Arabiens, geprägt ist und eine besonders strenge und radikale Strömung innerhalb des Islamismus darstellt. Salafisten sehen sich als Verfechter eines ursprünglichen, unverfälschten Islam. Sie geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran, dem Vorbild des Propheten Muhammad und der ersten drei muslimischen Generationen, den sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arab. al-Salaf al-Salih), auszurichten. Das Handeln nach dem Vorbild der Altvorderen betrifft nicht nur religiöse Fragen, sondern ebenso Politik, Wirtschaft und so gut wie alle Bereiche des Lebens bis hin zur Intimsphäre. In dieser Konsequenz versuchen Salafisten, einen "Gottesstaat" nach ihrer Auslegung der Regeln der Scharia zu errichten, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung keine Geltung mehr hätte. Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen politiImmanente schem und jihadistischem Salafismus. Beide Richtungen teilen Gewaltorientierung dieselben ideologischen Grundlagen, wählen aber unterschiedliche Mittel, um einen "salafistischen Gottesstaat" zu etablieren. Politische Salafisten versuchen, ihre islamistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten - die sie als "Missionierung" ("Dawa") bezeichnen - zu verbreiten und die Gesellschaft in einem langfristig angelegten Prozess nach salafistischen Normen zu verändern. In Teilbereichen positionieren sich die Anhänger des politischen Salafismus ausdrücklich gegen Terrorismus, heben den 195 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS friedfertigen Charakter des Islam hervor und vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt. Dennoch ist festzustellen, dass der politische Salafismus ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele pflegt, da religiös legitimierte Gewalt nicht prinzipiell ausgeschlossen wird. Salafisten beziehen sich in ihrer Islamauslegung selektiv auf klassische Werke der islamischen Rechtsliteratur, die im Umgang mit Nichtmuslimen eine starke Affinität zu Gewalt aufweisen. Nach salafistischer Islamauslegung muss der universelle Geltungsanspruch des Islam aufgrund seiner Überlegenheit und nach göttlichem Heilsplan der gesamten Menschheit zuteil und notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden. Damit ist die grundsätzliche Bejahung von Gewalt ein immanenter Bestandteil salafistischer Ideologie. Die beiden salafistischen Strömungen haben unterschiedliche, aber leicht zu überbrückende Auffassungen darüber, unter welchen Voraussetzungen Gewalt angewendet werden darf. Das erklärt auch, weshalb der Übergang vom politischen zum jihadistischen Salafismus fließend ist. Strukturen Die Fragmentierung der salafistischen Szene setzt sich deutschlandweit fort. Es gibt viele kleine Gruppen und Personen, die Aktivitäten entfalten, dabei jedoch nicht systematisch oder zwingend im Kontakt miteinander stehen müssen. Diese Fragmentierung ist auch ein Ergebnis der vermehrten Ausreisen vieler Protagonisten nach Syrien und in den Irak sowie der staatlichen Maßnahmen in den letzten Jahren. Der Konflikt in Syrien und im Irak war bis dato ein verbindendes Thema der salafistischen Szene in Deutschland. Durch seinen Niedergang hat der IS an Attraktivität eingebüßt. Entsprechend ist der IS zurzeit nur noch begrenzt in der Lage, den gemeinsamen ideologischen Referenzrahmen zu stellen. Hinzu kommt, dass Reiseprediger in Deutschland kaum noch Großveranstaltungen durchführen und deutschlandweite Kampagnen wie die öffentlichen Koranverteilaktionen in Fußgängerzonen von "LIES!" nicht mehr stattfinden. Es gibt jedoch eine hohe zweistellige Anzahl an Personen, die lokal und regional begrenzt Einfluss auf die salafistische Szene nehmen. Da Verantwortliche von salafistischen Moscheevereinen verstärkt darauf achten, verfassungsfeindliche Aussagen in Predigtinhalten 196 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS zu vermeiden, finden Radikalisierungen vor allem in kleinen konspirativen privaten Zirkeln und im Internet statt. Salafistische Propaganda wird im Internet verbreitet und konsumiert. Onlineseminare und -videos, auch von bekannten salafistischen Predigern, sind jederzeit abrufbar. Generell können salafistische Angebote im Internet sowie die Teilnahme in Chatgruppen identitätsstiftend sein. Radikalisierungen können somit ohne Szenekontakte oder mit ausschließlich virtuellen Szenekontakten vollzogen werden. Die Bearbeitung des online gelebten Salafismus stellt den Verfassungsschutzverbund vor neue Herausforderungen. Der Rückzug ins Private verstetigt sich auf unterschiedliche Weise. Rückzug ins Private Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen, Islamseminare, Missionierungen in Moscheen sowie Straßenmissionierungen ("Street Dawa") finden nur noch selten statt. Diese Entwicklung erschwert es der lokalen salafistischen Szene, potenziell interessierte Personen anzusprechen und an die Szene heranzuführen. Das Rekrutierungsspektrum ist somit im Gegensatz zu früheren Jahren eingeschränkt. Die salafistische Szene scheint weniger gut vernetzt zu sein als vor Ausblick einigen Jahren und befindet sich zurzeit in einer "Konsolidierungsphase". Inwiefern die vielen verschiedenen lokalen und regionalen Hauptakteure ihr Einflussgebiet vergrößern könnten, kann derzeit nicht verlässlich bewertet werden. Es sind Einzelkontakte von Personen aus der salafistischen Szene zu anderen islamistischen Organisationen festzustellen. Es scheint sich dabei um vereinzelte pragmatische Allianzen zu handeln. Dessen ungeachtet ist das Gefährdungspotenzial des Salafismus immer noch hoch. Obschon die Arbeit des Verfassungsschutzes durch den Rückzug ins Private und die vermehrten Onlineaktivitäten erschwert wird, ist es auch künftig eine wichtige Aufgabe, salafistische Bestrebungen frühzeitig zu erkennen. 197 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS IV. Antisemitismus im Islamismus Ideologie Antisemitismus stellt auch ein wesentliches Element in der Ideologie des islamistischen Spektrums dar. Unter dem Begriff "Antisemitismus" versteht man die politisch, sozial, rassistisch oder religiös fundierte Feindschaft gegenüber Juden. Antisemitisch sind jegliche Äußerung und jegliches Verhalten, das sich gegen einen Juden als Juden beziehungsweise gegen die jüdische Gemeinschaft richtet. Dabei ist es unerheblich, ob sich diese Gemeinschaft im Verband des Staates Israel organisiert oder außerhalb. Erscheinungsbild In der islamistischen Propaganda verbinden sich oftmals religiöse und politische Motive zu einem antisemitischen Weltbild. Das "Feindbild Judentum" bildet deshalb einen zentralen Pfeiler in der Propaganda nahezu aller islamistischen Gruppierungen. Dabei werden Stereotype und Vorurteile verwendet, die mit der judenfeindlichen Hetze in Europa vom Mittelalter bis hin zur nationalsozialistischen Rassenideologie im 20. Jahrhundert in Verbindung gebracht werden können. Einen besonderen Stellenwert nimmt im islamistischen Antisemitismus die "jüdische Weltverschwörung" ein. Ähnlich wie im Rechtsextremismus werden Juden als Drahtzieher einer weltweiten politischen Verschwörung gesehen und kollektiv für verschiedene nationale und internationale Übel und Missstände verantwortlich gemacht. Antisemitische Das BfV stellte auch im Jahr 2019 eine Vielzahl antisemitischer Vorfälle Vorfälle fest. Das Spektrum der Ereignisse reicht dabei von antisemitischen Reden und Predigten über judenfeindliche Postings in sozialen Medien bis hin zu verbalen oder körperlichen Attacken gegen einzelne jüdische Personen. Im Folgenden zwei Beispiele: "" Ein Facebook-Nutzer mit albanischem Hintergrund kommentierte am 1. März 2019 einen Beitrag der Facebook-Seite "MuslimStern" zur Anklage des israelischen Premierministers wegen Korruption mit den Worten: "Eher wegen Mord sollte er vor Gericht stehen. Verfluchten Zionisten. Teufels Kinder!!" "" Auf seinem Telegram-Account kommentierte am 28. Mai 2019 ein "al-Qaida"-Sympathisant die Schlagzeile einer Zeitung "Die Kippa gehört zu Deutschland!" mit den Worten: "Wenn das so 198 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ist, dann holt eure Juden und Zionisten sofort nach Deutschland und gebt Palästina den Muslimen zurück!" Nach Feststellungen der Verfassungsschutzbehörden hegt die überwiegende Mehrheit der in Deutschland aktiven islamistischen Organisationen antisemitisches Gedankengut und verbreitet dies auf unterschiedlichsten Wegen. Dieses Gedankengut stellt eine erhebliche Herausforderung für das friedliche und tolerante Zusammenleben in Deutschland dar. Zwar ist die Zahl der körperlichen Angriffe gegen jüdische Personen derzeit noch gering. Allerdings verdeutlichen schon diese Einzelfälle, dass die ideologische Radikalisierung von Menschen und die Aufstachelung zu Hass und Gewalt durch antisemitisches Gedankengut zu gewalttätigen antisemitischen Ausschreitungen führen können, selbst wenn die Täter weder Mitglied noch Anhänger einer islamistischen Organisation sind. Dies gilt nicht zuletzt für Personen, die im arabischen Raum in gesellschaftlichen Milieus sozialisiert wurden, in denen antisemitische Einstellungen weitverbreitet sind.52 Beispielhaft hierfür steht ein arabischstämmiger junger Mann, der am 26. April 2019 einen israelischen Touristen in Berlin mit den Worten "Scheiß-Jude! Ich bring' Dich um, Du Kindermörder!" beleidigte und bedrohte. V. Entwicklungen im legalistischen Spektrum Während jihadistische Gruppierungen, wie der IS oder "al-Qaida", einen gewaltsamen Umsturz unter anderem mithilfe terroristischer Anschläge anstreben, agieren andere islamistische Gruppen in Deutschland legalistisch. Sie verfolgen ihre jeweiligen Ziele - in der Regel eine langfristige Veränderung des deutschen gesellschaftlichen und politischen Systems - auf Grundlage der hiesigen Gesetze. Zu ihnen zählen beispielsweise die der "Muslimbruderschaft" (MB) nahestehenden Organisationen, schiitische Vereine wie das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) oder die "Furkan Gemeinschaft". 52 In den Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie im nördlichen Afrika sind antisemitische Einstellungen bei circa 75 % bis circa 90 % der Gesamtbevölkerung zu finden (vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 18/11970, Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus vom 7. April 2017, Berlin 2017, S. 91 ff.). 199 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "MuslimbruderIm Jahr 1928 gründete der ägyptische Lehrer Hasan al-Banna die schaft" (MB) "Jama'at al-Ikhwan al-Muslimin"53, auch "Muslimbruderschaft" genannt. Durch diese Bewegung sollte die moralische Erneuerung zunächst des Individuums, dann der Gesellschaft und schließlich des Staates auf der Grundlage des "wahren Islam" erfolgen. Langfristiges Ziel ist die Vereinigung aller Muslime weltweit in einem auf Koran und Scharia basierenden Kalifat. Al-Banna strukturierte seine Organisation nach dem "Usra"-Konzept. Dies sind kleine Schulungsgruppen, die im Verborgenen agieren und sich gegen Außenstehende abschotten. Diese Struktur ist ein unverwechselbares Kennzeichen der MB. Keine andere Organisation weltweit verwendet die Bezeichnung "Usra" (Arabisch für "Familie") für ihre kleinsten Organisationseinheiten. In Deutschland tritt die MB seit Mitte der 1950er-Jahre in Erscheinung. Zu diesem Zeitpunkt übernahm Said Ramadan, der persönliche Sekretär und Schwiegersohn al-Bannas, in München (Bayern) die Leitung des dortigen Moscheebauvereins, den er zur "Islamischen Gemeinschaft in Süddeutschland e.V." umwandelte. Diese entwickelte sich später zur bundesweit agierenden "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) und zugleich zur wichtigsten Organisation der MB in Deutschland. 2018 erfolgte die Änderung des Vereinsnamens in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG). "Deutsche Neben unübersehbaren personellen Verflechtungen gibt es enge Muslimische strukturelle und ideologische Verbindungen der DMG zur MB. Sie Gemeinschaft e.V." ist außerdem die zentrale Organisation der MB in Deutschland. (DMG) Dies impliziert, dass sie die langfristige Strategie der Muslimbrüder zur Durchdringung der Gesellschaft und zur perspektivischen Errichtung eines auf der Scharia basierenden gesellschaftlichen und politischen Systems teilt. Diese Einschätzung wurde unter anderem durch den Verwaltungsgerichtshof (VGH) Hessen bestätigt. Dieser betonte in einem Urteil aus dem Jahr 2017, dass es sich bei der IGD (heute DMG) um eine der MB zuzurechnende Organisation handelt, welche die "Grundüberzeugungen der MB - die Errichtung islamischer Herrschaftsordnungen auf der Grundlage von Koran und Sunna -, die mit demokratischen Prinzipien wie der 53 Arabisch für "Gemeinschaft der Muslimbrüder". 200 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Meinungsfreiheit, der Volkssouveränität und der Gleichberechtigung unvereinbar sind", teilt.54 Dass die DMG wiederholt in der Öffentlichkeit jegliche Verbindung zur MB bestritten hat und sich stattdessen immer wieder zum Grundgesetz und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekennt, gehört zu ihrem konspirativen Vorgehen und verdeutlicht die Janusköpfigkeit der Organisation. Das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH), das Träger der "Islamisches "Imam Ali Moschee" mit Sitz in Hamburg ist, ist neben der BotZentrum Hamburg schaft die wichtigste Vertretung des Iran in Deutschland und zue.V." (IZH) dem ein bedeutendes Propagandazentrum des Iran in Europa. Mithilfe des IZH versucht der Iran, Schiiten verschiedener Nationalitäten an sich zu binden und die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte des iranischen Staates in Europa zu verbreiten. Zudem existieren in Deutschland eine Reihe von weiteren islamischen Zentren und Organisationen, die durch ihre Verbindungen zum IZH als beeinflusst durch den Iran gelten. Der Leiter des IZH Mohammad Hadi Mofatteh gilt darüber hinaus als Vertreter des iranischen "Revolutionsführers" Ayatollah Seyyed Ali Khamenei in Europa. Das IZH hat ein bundesweites Kontaktnetz innerhalb der zahlreichen schiitisch-islamischen Moscheen und Vereine aufgebaut und übt auf diese großen Einfluss aus, bis hin zur vollständigen Kontrolle. Als wichtiges Element für die Steuerung der Interessen des IZH dient der schiitische Dachverband "Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands e.V." (IGS). Alljährlich findet der "al-Quds"-Tag55 am letzten Freitag im Fasten"Al-Quds"-Tag monat Ramadan statt. Es handelt sich um einen schiitischen Gedenktag, der an die von Ayatollah Khomeini im Jahre 1979 geforderte "Befreiung Jerusalems" erinnern soll. Dem palästinensischen Volk soll Solidarität mit "seinem Befreiungskampf" bekundet werden. Weltweit werden jährlich anlässlich dieses Tages Demonstrationen abgehalten. In Deutschland finden Demonstrationen in Berlin und 54 VGH Hessen, Urteil vom 21.11.2017 - 5 A 2126/16. 55 Die Bezeichnung wird vom arabischen Namen für Jerusalem "al-Quds" abgeleitet. 201 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS in Frankfurt am Main (Hessen) statt. Diese hatten im Jahr 2019 das Motto: "Demonstration für einen gerechten Frieden in Palästina - Gemeinsam gegen Zionismus und Antisemitismus". Wie in den Vorjahren wurde im Vorfeld der Veranstaltung das aktuelle politische Geschehen im Nahen Osten thematisiert. Der Teilnehmerkreis besteht überwiegend aus pro-iranischer und pro-palästinensischer Klientel, die teilweise öffentlich antiisraelische, antiwestliche und antisemitische Parolen und Äußerungen verbreitet. "Furkan Die deutsche Anhängerschaft der "Furkan Gemeinschaft" orienGemeinschaft" tiert sich an Alparslan Kuytul, dem Gründer und geistigen Oberhaupt der in der Türkei ansässigen "Furkan Stiftung für Bildung und Fürsorge" ("Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi"). Ideologisch steht die Organisation in der Tradition des türkischen Islamismus, weist aber auch Einflüsse aus dem arabischen Islamismus, insbesondere der MB, auf. Die Organisation propagiert die erneute Vereinigung aller Muslime in einer "islamischen Zivilisation", die sich an Koran und "Sunna des Propheten" ausrichten soll. Dieses Ziel soll durch Herausbildung einer "avantgardistischen Generation" verwirklicht werden, die Kuytuls Ideologie verinnerlicht habe und über die Eigenschaften von islamischen Gelehrten verfüge. Daher richtet die "Furkan Gemeinschaft" ihr Augenmerk auf die Bildungsarbeit. Kuytul stellt den Westen als "Ursprung allen Übels" dar, polemisiert gegen den türkischen Staat, andere islamische Gemeinden und Religionen und spricht sich klar gegen die Demokratie als Staatsform aus, da er diese für unvereinbar mit dem Islam hält. Zudem spricht er Israel das Existenzrecht ab. Zur Verbreitung ihrer Ideologie nutzt die Organisation insbesondere das Internet. Sie unterhält verschiedene Websites, Profile und Kanäle in sozialen Netzwerken, ein eigenes Nachrichtenportal ("Furkan Haber"), einen Onlinefernsehsender ("TV Furkan") und publiziert eine eigene Zeitschrift ("Furkan Nesli Dergisi - Öncü Neslin Sesi"). Auch die deutschen Ableger der "Furkan Gemeinschaft" sind in sozialen Netzwerken vertreten. Der Anführer Kuytul ist nach 22 Monaten am 5. Dezember 2019 aus der Haft in der Türkei entlassen worden. Ihm wurden unter anderem die Gründung und Führung einer kriminellen Vereinigung zur Begehung von Straftaten sowie schwerer Betrug vorgeworfen. Kuytuls Entlassung wurde von seinen Anhängern in der Türkei 202 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und in Deutschland lautstark gefordert. So fanden seit der Inhaftierung Kuytuls im Jahr 2018 in Deutschland mehrere öffentliche Kundgebungen statt. VI. Staatliche Maßnahmen Aus einer Vielzahl von Verfahren im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus werden die folgenden exemplarisch aufgeführt: "" Am 27. Februar 2019 leitete das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen ein Netzwerk von Vereinen ein, an dessen Spitze die Vereine "Ansaar International e.V." (AI) in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) und "WorldWide Resistance-Help e.V." (WWR-Help) in Neuss (Nordrhein-Westfalen) stehen. In der Folge führten die Polizeibehörden der Länder am 10. April 2019 auf der Grundlage gerichtlicher Durchsuchungsbeschlüsse umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen in neun Bundesländern durch. Von den Maßnahmen waren circa 90 Personen und Objekte betroffen. Rund die Hälfte davon befand sich in Nordrhein-Westfalen, die übrigen entfielen auf die Länder Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Ziel der Durchsuchungen war es, Beweismittel zu finden, welche die Vereinsaktivitäten und die für ein Vereinsverbot relevanten Handlungen der Beteiligten dokumentieren. Das Netzwerk ist unter anderem verdächtig, in seinen Aktivitäten propagandistisch und finanziell die HAMAS zu unterstützen. Der Verein AI wurde unter der Bezeichnung "Ansaar Düsseldorf e.V." im September 2012 gegründet und 2014 umbenannt. Nach eigenen Angaben unterstützt der Verein weltweit Projekte für bedürftige Muslime. WWR-Help besteht seit August 2014 und bezeichnet sich selbst als Hilfsverein zur Förderung und Unterstützung von Kriegsopfern, deren Hinterbliebenen, Kriegsgefangenen und Notleidenden in Kriegsund Krisengebieten. "" Mit Beschluss vom 19. März 2019 bestätigte der Bundesgerichtshof ein Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf zur Verurteilung von vier Angeklagten zum versuchten Bombenanschlag im Bonner Hauptbahnhof und zur geplanten 203 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ermordung des damaligen Vorsitzenden der rechtsextremistischen "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW"). Das Urteil wurde damit rechtskräftig. Bei einem der Angeklagten stellte das OLG Düsseldorf eine besondere Schwere der Schuld fest und verurteilte ihn zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe. Der deutsche Staatsangehörige wurde für die versuchte Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion am Bonner Hauptbahnhof am 10. Dezember 2012, die Gründung einer terroristischen Vereinigung im Inland und die Verabredung zum Mord an dem benannten Vorsitzenden verurteilt. Die drei anderen Angeklagten wurden wegen Gründung einer terroristischen Vereinigung im Inland, Verabredung zum Mord und Verstoßes gegen das Waffengesetz verurteilt. Dabei ergingen je zwei Urteile über zwölf Jahre sowie ein Urteil über neun Jahre und sechs Monate Freiheitsentzug. "" Am 5. Juli 2019 verurteilte das OLG Stuttgart (Baden-Württemberg) eine Syrien-Rückkehrerin zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren. In dem Urteil wurde die deutsche Staatsangehörige der mitgliedschaftlichen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Kriegsverbrechen gegen Eigentum, der Ausübung der tatsächlichen Gewalt über zwei Kriegswaffen und des Besitzes zweier halbautomatischer Kurzwaffen schuldig gesprochen. Das Urteil ist das erste gegen eine deutsche IS-Rückkehrerin. Die Richter berücksichtigten in ihrem Urteil die Inbesitznahme von verlassenen Wohnungen durch deutsche IS-Anhänger und sahen dies als Verstoß gegen das Völkerrecht und als Plünderung an. Das Urteil ist seit dem 17. Dezember 2019 rechtskräftig. "" Eine Verfassungsbeschwerde des Vereins "Farben für Waisenkinder e.V." (FfW) wurde laut Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 2. August 2019 nicht zur Entscheidung angenommen. Der Verein wurde bereits im April 2014 durch das BMI wegen Verstoßes gegen den Gedanken der Völkerverständigung verboten und aufgelöst, wogegen dieser dann ohne Erfolg vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) Rechtsmittel einlegte. Gegen die ablehnende Entscheidung des BVerwG legte FfW Beschwerde vor dem BVerfG ein. Dass die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen wurde, begründete das Gericht mit der Verhältnismäßigkeit des Verbots. FfW unterstützte demnach jahrelang und in beträchtlichem Umfang die libanesische "Shahid Stiftung", auch "Libanesisches Märtyrerinstitut" genannt. Diese Stiftung ist 204 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS integraler Bestandteil der "Hizb Allah", die das Existenzrecht Israels negiert und zu dessen gewaltsamer Beseitigung aufruft. "" Am 17. September 2019 wurde ein deutscher Staatsangehöriger vom Staatsschutzsenat des OLG Frankfurt am Main (Hessen) wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland schuldig gesprochen. Das Strafmaß bemisst sich, unter Einbeziehung einer Freiheitsstrafe aus dem Jahr 2015, auf eine Freiheitsstrafe von insgesamt zweieinhalb Jahren, die ohne Bewährung verhängt wurde. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Beschuldigte im Herbst 2013 den Entschluss fasste, nach Syrien auszureisen, um sich der Terrororganisation "Islamischer Staat Irak und Großsyrien" (ISIG), die sich im Jahr 2014 in IS umbenannte, anzuschließen. Nach seiner Ankunft in Syrien machte er im Rahmen der Registrierung beim IS deutlich, dass er sich der Organisation als "Kämpfer" anschließen wolle. Aufgrund persönlicher Umstände verließ der Beschuldigte Syrien bereits nach kurzer Zeit wieder, um nach Deutschland zurückzukehren. Aufgrund seiner Registrierung sah der Senat die Unterstützung von ISIG jedoch als erwiesen an. "" Am 13. November 2019 verurteilte das OLG Hamburg zwei irakische Staatsangehörige zu mehrjährigen Haftstrafen. Die kurdischen Iraker wurden zu je vier Jahren und acht Monaten Haft wegen der gemeinschaftlichen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verurteilt. Das OLG Hamburg sah es als erwiesen an, dass die beiden Angeklagten einen islamistischen Terroranschlag unter Verwendung von Sprengstoff geplant hatten. Ein dritter Angeklagter mit irakischer Staatsangehörigkeit wurde zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und neun Monaten wegen Beihilfe zur gemeinschaftlichen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat verurteilt. Er soll die beiden Hauptbeschuldigten bei der Beschaffung einer Waffe unterstützt haben. Der Kauf der Waffe wurde jedoch nicht realisiert, da es zu Unstimmigkeiten in Bezug auf den Kaufpreis gekommen sein soll. Im Einzelnen wurde den Verurteilten vorgeworfen, dass sie im Internet Kontakte zu Anhängern des IS im Ausland geknüpft, einfache Sprengsätze gebaut (Schwarzpulver aus Silvesterknallern) und Fahrunterricht genommen hatten, um ein Fahrzeug in eine Menschenmenge steuern zu können. Damit hatten sie - so die Anklage - ein Klima der Angst schüren wollen. 205 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS VII. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Islamischer Staat" (IS) Gründung: Ende 2003 als "al-Qaida im Irak", seit Mitte 2014 "Islamischer Staat" Leitung: bis Oktober 2019: Abu Bakr al-Baghdadi ab Oktober 2019: Amir Muhammad Sa'id Abdal Rahman al-Mawla alias Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Naba" (arabischsprachiges Onlinemagazin, erscheint wöchentlich) "Amaq" (Nachrichtenagentur) "al-Hayat Media Center" (Medienstelle) Betätigungsverbot: Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 12. September 2014 206 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Im Verlauf des Jahres 2013 nahm der "Islamische Staat" (IS) eine zentrale Rolle im syrischen Bürgerkrieg ein und eroberte Anfang 2014 auch Gebiete im Nordirak. Am 29. Juni 2014 rief der damalige IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi das "Kalifat" aus. Seit Beginn der US-geführten Luftangriffe gegen den IS im Jahr 2014 rief al-Baghdadi auch zu Anschlägen im Westen auf. Zahlreiche Anschläge wurden im Namen des IS begangen, auch in Deutschland. Mit dem Fall der syrischen Stadt al-Baghuz im März 2019 hat der IS sein Territorium im syrisch-irakischen Kerngebiet verloren. Das "Kalifat" ist nicht mehr existent. Der Tod des IS-Anführers al-Baghdadi sowie des IS-Sprechers Abu al-Hasan al-Muhajir Ende Oktober 2019 gilt als symbolische Niederlage für die Terrororganisation. Bereits am 31. Oktober 2019 gab der neue offizielle Sprecher des IS Abu Hamza al-Qurashi in einer Audiobotschaft einen Nachfolger unter dem Aliasnamen Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi als neuen IS-"Kalifen" bekannt. Vermutlich handelt es sich dabei um den Turkmenen Amir Muhammad Sa'id Abdal Rahman al-Mawla. Der IS hat sich in Syrien und im Irak im Untergrund konsolidiert und verfügt über ein weltweites Netzwerk von verbündeten Gruppen, die ihren Kampf unter dem Nachfolger al-Baghdadis vermutlich fortsetzen werden. Eine nicht zu unterschätzende terroristische Gefahr geht dabei von den durch den IS inspirierten Einzeltätern und Kleinstgruppen sowohl in islamischen Ländern als auch im Westen aus. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 207 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2. Kern-"al-Qaida" Gründung: Mitte der 1980er-Jahre Leitung: Aiman al-Zawahiri Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "as-Sahab" (Medienstelle) Die von Usama Bin Ladin gegründete "al-Qaida" strebt ein islamistisches Regime zumindest in den mehrheitlich von Muslimen bewohnten Ländern und darauf aufbauend eine globale Ausdehnung an. Ihr Kampf gilt sowohl dem "äußeren Feind" (dem westlichen Einfluss, insbesondere den USA und Israel) als auch dem "inneren Feind" (den sogenannten unislamischen Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika). "Al-Qaida" versteht sich dabei als Avantgarde einer internationalen jihadistischen Bewegung. Das weltweite Netzwerk von Regionalorganisationen und klandestinen Unterstützerstrukturen besteht fort. "Al-Qaida" und der IS konkurrieren um den Einfluss und die Deutungshoheit bei Jihadisten weltweit. Trotz des Verlustes des ISTerritoriums gelang es "al-Qaida" im Gegenzug nicht, ihren Einfluss auf den Jihad-Schauplätzen zu stärken. Mit zumeist detaillierten theologischen Propagandabotschaften erreicht "al-Qaida" keine neuen Anhänger. Erklärtes Ziel von "al-Qaida" sind nach wie vor komplexe, medienwirksame Anschläge. Daneben sind Einzeltäter oder Kleinstgruppen dazu aufgerufen, Anschläge ohne Absprache und formale Anbindung an die Organisation durchzuführen. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 208 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3. "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) Gründung: September 2006 Beitritt der algerischen "Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) zu "al-Qaida", anschließende Umbenennung im Januar 2007 in "alQaida im islamischen Maghreb" (AQM) Leitung: Abdalmalik Droukdal Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Andalus" (Medienstelle) "al-Zallaqa" (Medienstelle) 209 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Mit der Umbenennung im Januar 2007 in "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) vollzog sich auch ein Wandel der jihadistischen Agenda. Die AQM beanspruchte nun als ihren Einflussbereich die Maghreb-Staaten (im Sinne der AQM sind damit Tunesien, Algerien, Marokko, Libyen, Mauretanien, Mali und Niger gemeint). Der nachhaltige Verfolgungsdruck der algerischen Sicherheitsbehörden führte zu hohen personellen Verlusten auch innerhalb der Führungsebene. Zunehmender Bedeutungsund Handlungsverlust waren die Folge. Die AQM konzentrierte sich deshalb auf die Sicherung ihrer Rückzugsorte in den unzugänglichen Bergregionen Algeriens. Im Frühjahr 2019 kam es in Algerien zu Protesten gegen die geplante fünfte Wiederwahl des damaligen Präsidenten Abdelaziz Bouteflika. Der Versuch der AQM, sich hier mit propagandistischen Mitteln an die Spitze der Protestbewegung zu setzen, misslang. Im Jahr 2017 hatte die AQM ihren Aktionsradius in den westafrikanischen Teil der Sahelzone, insbesondere in den Norden von Mali, verlagert. Die AQM vereinigte sich in Mali mit Mitgliedern der Tuareg-Stämme und anderen regionalen afrikanischen Ethnien und agiert dort unter der Bezeichnung "Jama'at Nusrat al-Islam walMuslimin" (JNIM)56. Die JNIM ist Teil der AQM und leistete gegenüber der Führung von Kern-"al-Qaida" den Treueeid. Die JNIM führt zunehmend komplexe Angriffe gegen die Truppen der G5-SahelStaaten57 sowie Angehörige der UN-Mission MINUSMA58. Auch die Bundeswehr ist im Raum Gao im Norden von Mali im Einsatz. Westliche Staatsangehörige unterliegen in der Region einem latent hohen Entführungsrisiko. In der am 5. September 2017 vom UNSicherheitsrat verabschiedeten Resolution 2374/2017 zur Situation in Mali werden die Aktivitäten verschiedener regionaler Terrororganisationen, darunter der JNIM, verurteilt. Mitglieder dieser Organisationen sind von internationalen Sanktionen bedroht. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 56 Arabisch für "Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime". 57 G5-Sahel-Staaten: Mali, Niger, Burkina Faso, Mauretanien und der Tschad. 58 Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali; auf Französisch: Mission multidimensionnelle integree des Nations Unies pour la stabilisation au Mali (MINUSMA). 210 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 4. "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) Gründung: Januar 2009 Leitung/Vorsitz: Qasim al-Raimi (wurde Anfang des Jahres 2020 im Rahmen einer Anti-TerrorOperation im Jemen getötet) Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Anmerkung: Publikationen/Medien: "Madad" (Onlinemagazin) Verschiedene jihadis"al-Malahem Media" (Medienstelle) tische Organisationen benutzen häufig dasIm Januar 2009 schlossen sich "al-Qaida im Jemen" (AQJ) und "alselbe Logo; vgl. Logo IS. Qaida"-Kräfte aus Saudi-Arabien zu "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) zusammen, wodurch die bis dahin ausschließlich im Jemen aktive AQJ ihren terroristischen Aktionsradius auf Saudi-Arabien erweiterte. Ziel ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf der Arabischen Halbinsel. Seit ihrer Gründung hat die AQAH ihre operative Handlungsfähigkeit durch Anschläge und Anschlagsversuche unter Beweis gestellt. Ziele waren unter anderem der internationale Luftverkehr und staatliche Einrichtungen auf der Arabischen Halbinsel. Der weiter andauernde Krieg im Jemen, auch unter Beteiligung ausländischer Militärkräfte, verschafft der AQAH geeignete Voraussetzungen für ihre terroristischen Aktivitäten. Medienprodukte, die sich explizit an westliche Abnehmer richten, hat die AQAH auch im Jahr 2019 nicht veröffentlicht. Stattdessen fokussierte sie sich in ihrer Propaganda fortlaufend auf regionale Themen. Dabei spielte auch die Auseinandersetzung mit dem IS im Jemen eine Rolle. Al-Raimi wurde Anfang des Jahres 2020 im Rahmen einer Antiterroroperation im Jemen getötet. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 211 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 5. "Al-Shabab" Gründung: 2006 in Somalia Leitung: Ahmad Umar alias Abu Ubaidah Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Kataib" (Medienstelle) "al-Andalus" (Medienstelle) Die Organisation trat im Jahr 2006 als Sammlungsbewegung militanter Anhänger der entmachteten "Union islamischer Gerichtshöfe" in Somalia in Erscheinung. "Al-Shabab" bekämpfte primär die bis zum Jahr 2009 in Somalia stationierten äthiopischen Truppen sowie die damalige somalische Übergangsregierung. Im Anschluss richtete sie ihre terroristischen Aktivitäten auch gegen die im Jahr 2012 eingesetzte offizielle Regierung in Somalia. Im Februar 2012 wurde "al-Shabab" zudem von Kern-"al-Qaida" als regionaler Ableger in Ostafrika anerkannt. Neben Überfällen auf polizeiliche oder militärische Kontrollstellen in weiten Teilen Somalias sind ebenso komplexe Anschläge auf von westlichen Personen besuchte Einrichtungen in der Hauptstadt Mogadischu, aber auch im benachbarten Kenia, durch "al-Shabab" zu verzeichnen. Ein Kommando von "al-Shabab" brachte Mitte Januar 2019 eine unter anderem von US-amerikanischen Staatsangehörigen frequentierte Hotelanlage in Nairobi (Kenia) für mehrere Stunden in seine Gewalt und tötete 21 Menschen. Den Anschlag begründete die Terrormiliz mit der Verlegung der US-Botschaft in Israel von Tel Aviv nach Jerusalem und hob hervor, der Angriff stehe im Einklang mit dem vom "al-Qaida"-Anführer benannten Ziel des "fernen Feindes". IS-Strukturen in Somalia werden durch "al-Shabab" systematisch bekämpft. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 212 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 6. "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS)59 Gründung: Ende 2011 als "Jabhat al-Nusra" (JaN)60, Ende Juli 2016 Umbenennung in "Jabhat Fath al-Sham" (JFS)61, Ende Januar 2017 aufgegangen in "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS) Leitung: Abu Muhammad al-Jaulani Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "IBAA" (Nachrichtenagentur) Die ursprünglich "al-Qaida"-nahe Organisation "Hai'at Tahrir alSham" (HTS) strebt die Errichtung eines islamistischen Staatswesens in "Großsyrien" an. Der regionale Schwerpunkt der Gruppierung liegt momentan im nordwestlichen Teil Syriens in der Region um Aleppo und Idlib. Seit dem Jahr 2017 emanzipiert sich die HTS zunehmend von Kern-"al-Qaida". Sie strebt an, in Syrien als unabhängiger Akteur ohne erkennbaren Einfluss einer Terrororganisation wie "al-Qaida" zu gelten. So übt sie die Herrschaft in dem von ihr kontrollierten Gebiet durch nach außen formal unabhängige Strukturen aus, die faktisch aber der HTS unterstellt sind. Im Kampf um die Herrschaft über das von der HTS besetzte Gebiet kam es im Berichtszeitraum wiederholt zu Kampfhandlungen zwischen der HTS und anderen islamistischen Gruppierungen. Anschlagspläne der HTS gegen Ziele in westlichen Ländern sind derzeit nicht bekannt. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 59 Arabisch für "Komitee zur Befreiung Großsyriens". 60 Arabisch für "Unterstützungsfront". 61 Arabisch für "Front zur Eroberung Großsyriens". 213 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 7. "Tanzim Hurras al-Din" (THD)62 Gründung: Anfang 2018 Leitung: Samir Hijazi alias Faruq al-Suri alias Abu Hammam al-Shami Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Falah" (Onlinemagazin) "Sham al-Ribat" (Medienstelle) "Tanzim Hurras al-Din" (THD) ist der Zusammenschluss mehrerer Kern-"al-Qaida" nahestehender Gruppierungen und Einzelpersonen in der nordsyrischen Provinz Idlib. Ziel ist die "Befreiung" Syriens von der Assad-Regierung und die Errichtung eines islamistischen Staatswesens. Aktuell treibt die THD den Ausbau und die Festigung der eigenen Strukturen sowie den personellen Aufwuchs, auch durch Abwerbung bei anderen Gruppierungen vor Ort, voran. Perspektivisch könnte die global-jihadistische Komponente in der jungen Organisation durch ihre ideologische Nähe zu Kern-"alQaida" an Bedeutung gewinnen. Strukturen der Gruppierung in Deutschland sind nicht bekannt. 62 Arabisch für "Organisation der Wächter der Religion". 214 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 8. "Hizb Allah"63 Gründung: 1982 im Libanon Sitz: Beirut (Libanon) Leitung: Generalsekretär Hassan Nasrallah, Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger 1.050 (2018: 1.050) in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Ahd - al-Intiqad" (Zeitschrift, wöchentlich) "al-Manar" (TV-Sender) Betätigungsverbot Verbotsverfügung des Bundesministers gegen "al-Manar TV": des Innern vom 29. Oktober 2008 Vereinsverbot gegen Verbotsverfügung des Bundesministers "Waisenkinderprojekt des Innern vom 2. April 201465 Libanon e.V." (WKP)64: 63 Arabisch für "Partei Gottes". 64 In der Mitgliederversammlung des WKP am 22. Februar 2014 wurde die Namensänderung in "Farben für Waisenkinder e.V." (FfW) beschlossen und am 6. Oktober 2014 an das zuständige Amtsgericht überstellt. Die Eintragung erfolgte am 16. Oktober 2014. In einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 8. Juli 2014 war zuvor die aufschiebende Wirkung der vom Verein eingelegten Klage gegen die Verbotsverfügung unter Auflagen wiederhergestellt worden. 65 Das BVerwG hat das Verbot am 16. November 2015 in seinem Urteil gegen den FfW bestätigt. Die Klage des Vereins gegen das Verbot wurde als unbegründet abgewiesen. Damit ist das Vereinsverbot rechtskräftig. 215 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" bestreitet das Existenzrecht Israels. Sie propagiert den bewaffneten, mit terroristischen Mitteln geführten Kampf gegen Israel als "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens", der als "legitimer Widerstand" bezeichnet wird. Es muss damit gerechnet werden, dass die "Hizb Allah" auch außerhalb des Nahen Ostens weiterhin terroristische Aktionen gegen Israel oder israelische Interessen plant. In Deutschland pflegen die Anhänger der "Hizb Allah" den organisatorischen und ideologischen Zusammenhalt unter anderem in örtlichen Moscheevereinen, die sich in erster Linie durch Spendengelder finanzieren. Das BVerwG hat mit Urteil vom 16. November 2015 seine ständige Rechtsprechung zur HAMAS (vgl. Nr. 9) auf die "Hizb Allah" übertragen. Danach richtet sich die "Hizb Allah" insgesamt gegen den Gedanken der Völkerverständigung, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall als politische, soziale oder terroristische Struktur in Erscheinung tritt. Sie stellt das Existenzrecht des Staates Israel offen infrage und ruft zu dessen gewaltsamer Beseitigung auf. 216 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 9. HAMAS66 Gründung: Ende 1987 aus dem palästinensischen Zweig der "Muslimbruderschaft" (MB) Sitz: Palästinensische Autonomiegebiete, Gazastreifen Leitung: Isma'il Haniya Mitglieder/Anhänger 380 (2018: 320) in Deutschland: Publikationen/Medien: "al-Aqsa TV" (TV-Sender) Vereinsverbot gegen Verbotsverfügung des Bundesministers "al-Aqsa e.V.": des Innern vom 31. Juli 2002 Vereinsverbot gegen Verbotsverfügung des Bundesministers "YATIM-Kinderhilfe des Innern vom 30. August 2005 e.V.": 66 Abkürzung für "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - "Islamische Widerstandsbewegung". Das arabische Wort HAMAS bedeutet übersetzt "Begeisterung, Eifer". 217 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ziel der HAMAS ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" - auch durch bewaffneten Kampf. So heißt es in einem im Jahr 2017 verfassten Strategiepapier: "Der Widerstand gegen die Besatzung mit allen Mitteln und Wegen ist ein legitimes Recht, das durch göttliche Gesetze und internationale Normen und Gesetze garantiert wird. Im Kern davon liegt der bewaffnete Widerstand (...)." Unter "Palästina" versteht die HAMAS das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, was damit auch das Territorium des Staates Israel einschließt. Westliche Staaten wie Deutschland werden von der HAMAS als Rückzugsraum betrachtet, in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spendengelder zu sammeln, neue Anhänger zu rekrutieren und ihre Propaganda zu verbreiten. Seit dem Jahr 2001 werden die "Izz-al-Din-al-Qassam-Brigaden" als militärischer Flügel der HAMAS als Terrororganisation auf der sogenannten EU-Terrorliste geführt, seit dem Jahr 2003 die HAMAS insgesamt. Aufgrund einer Klage der HAMAS gegen die Rechtmäßigkeit dieser Einstufung wurde die Einstufung im Juli 2017 durch eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zunächst bestätigt und zu einer materiellen Prüfung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Diese wies die Klage der HAMAS im März 2019 ab, sodass die HAMAS auf der EU-Terrorliste verbleibt. Das BVerwG hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. Urteile zum Verbot des "al-Aqsa e.V." vom 3. Dezember 2004 und zum Verbot der "Internationalen Humanitären Hilfsorganisation e.V." vom 18. April 2012) festgestellt, dass die HAMAS sich insgesamt gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, unabhängig davon, ob sie im Einzelfall als politische, soziale oder terroristische Struktur in Erscheinung tritt. 218 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 10. "Türkische Hizbullah" (TH) Gründung: 1979 in Batman (Türkei) Leitung: Edip Gümüs (Führer), Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger 400 (2018: 400) in Deutschland: Publikationen/Medien: Zeitungen/Zeitschriften: "INZAR" "Dogru Haber" "Kelhaamed" Onlinemagazine: "Hurseda" "Huseynisevda" Hauptziel der sunnitischen, kurdisch dominierten "Türkischen Hizbullah" (TH) ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem Gebiet der Türkei und dessen kontinuierliche, letztlich globale Ausweitung. Zur Durchsetzung ihrer Ziele hält die TH die Anwendung von Gewalt für gerechtfertigt. Die TH nutzt Deutschland als Rückzugsraum zur Gewinnung neuer Mitglieder, Spendensammlung und Veranstaltung religiöser und kultureller Treffen. 219 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 11. "Hizb ut-Tahrir"67 (HuT) Gründung: 1953 in Jerusalem (Israel) Leitung: Ata Abu al-Rashta alias Abu Yasin Mitglieder/Anhänger 430 (2018: 350) in Deutschland: Publikationen/Medien: Zeitungen/Zeitschriften: "al-Khilafa" "Hilafet" "Köklü Degisim" "al-Waie" "Expliciet" Betätigungsverbot: Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 10. Januar 2003 Ziel der panislamisch ausgerichteten "Hizb ut-Tahrir" (HuT) ist die "Befreiung" aller Muslime von Unterdrückung und ihre Vereinigung in einem weltweiten Kalifat. Aus Sicht der HuT haben "unterdrückte" Muslime das Recht auf "Selbstverteidigung" mit allen Mitteln. Als Konsequenz werden Gewalttaten anderer islamistischer Gruppierungen oftmals gebilligt. Ein weiteres Charakteristikum der HuT ist ein ausgeprägter Antisemitismus. Die HuT kann in Deutschland wegen des Betätigungsverbots keine öffentlichen Aktivitäten entfalten, setzt jedoch ihre Agitation und die Rekrutierung neuer Mitglieder im Untergrund fort. Insbesondere in sozialen Netzwerken lassen sich zahlreiche Gruppierungen feststellen, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Dazu zählen die Initiativen "Realität Islam" und "Generation Islam". 67 Arabisch für "Partei der Befreiung". 220 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 12. "Muslimbruderschaft"68 (MB) Gründung: 1928 in Ägypten Leitung: Muhammad Badi Mitglieder/Anhänger 1.35069 (2018: 1.040) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Risalat al-Ikhwan" (Zeitschrift) 68 Deutsch für "al-Ikhwan al-Muslimun". 69 Einschließlich 400 Mitglieder der "Deutschen Muslimischen Gemeinschaft e.V." (DMG; vgl. Nr. 12.1). 221 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die "Muslimbruderschaft" (MB) gilt als älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Sie ist eigenen Angaben zufolge in mehr als 70 Ländern in unterschiedlicher Ausprägung vertreten. Ziel der MB, die auch heute noch in wesentlichen Elementen von der Ideologie ihres Gründers Hasan al-Banna geprägt wird, ist die Errichtung eines politischen und gesellschaftlichen Systems auf der Grundlage von Koran und Sunna. Das Credo der MB lautet unverändert: "Gott ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Gott ist unser nobelster Wunsch." Diese Ideologie sowie die von der MB angestrebte islamistische Staatsform sind nicht mit demokratischen Grundprinzipien wie dem Recht auf freie Wahlen, dem Recht auf Gleichbehandlung sowie der Meinungsund Religionsfreiheit vereinbar. Zahlreiche islamistische, zum Teil terroristische Organisationen wie die palästinensische HAMAS oder die ägyptische "al-Gama'a alIslamiya" sind aus der MB hervorgegangen. Die MB selbst postuliert seit den 1970er-Jahren zwar den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele, davon ausgenommen ist jedoch der Widerstand gegen "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. Im Zuge des sogenannten Arabischen Frühlings stellte die MB von 2011 bis 2013 in Ägypten sowohl die stärkste Fraktion im Parlament als auch mit Mohammed Mursi von 2012 bis 2013 den Staatspräsidenten. In dieser Zeit zeigte sich, dass die Muslimbrüder nicht bestrebt waren, Teil eines demokratischen Systems zu sein, sondern dass sie demokratische Wahlen lediglich als Sprungbrett nutzen wollten, um ihre Vorstellung eines islamistisch geprägten politischen Systems durchzusetzen. So enthielt der erste Entwurf für eine neue Verfassung, der ausschließlich von Muslimbrüdern und salafistischen Gruppierungen erarbeitet wurde, eine massive Beschneidung der Rechte von Frauen und die Pflicht zur Überprüfung jedes neuen Gesetzes durch islamische Gelehrte auf eine Islamkonformität. Nach der Übernahme der Staatsgewalt durch das Militär unter dem jetzigen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi im Juli 2013 wurde die MB in Ägypten verboten und als Terrororganisation eingestuft. 222 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 12.1 "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG) Gründung: 1958 Sitz: Köln (Nordrhein-Westfalen), Berlin Leitung/Vorsitz: Khallad Swaid Mitglieder in 400 (2018: 400) Deutschland: Die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V." (DMG), bis zu ihrer Umbenennung im September 2018 "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD), ist die wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland. Ziel der DMG ist es unter anderem, gegenüber Politik, Behörden und zivilgesellschaftlichen Partnern als Ansprechpartner eines gemäßigten, weltoffenen Islam in Erscheinung zu treten. Sie verfolgt eine an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich. Bei öffentlichen Auftritten werden Bekenntnisse zur MB und verfassungsfeindliche Äußerungen vermieden. Zahlreiche Verbindungen zwischen hochrangigen DMG-Funktionären und namhaften ausländischen Muslimbrüdern verdeutlichen jedoch die Zugehörigkeit der Organisation zum weltweiten MB-Netzwerk. Die DMG unterhält eigene Moscheen und Gemeindezentren und koordiniert darüber hinaus nach eigenen Angaben ihre Aktivitäten mit über 100 weiteren islamischen Gemeinden in ganz Deutschland. 223 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 13. "Tablighi Jama'at"70 (TJ) Gründung: 1926 in Britisch-Indien Leitung: bis 2018: Führungszirkel (Schura), Vorsitzender: Maulana Ibrahim Saad derzeit: keine gesicherten Informationen (Umbruchphase) Mitglieder/Anhänger 650 (2018: 650) in Deutschland: Die transnationale Missionierungsbewegung "Tablighi Jama'at" (TJ) wurde 1926 in Britisch-Indien gegründet. Genaue Anhängerzahlen sind nicht bekannt; vermutlich liegt die Zahl der TJ-Anhänger weltweit im mittleren zweistelligen Millionenbereich. Die TJ orientiert sich eng an dem Islamverständnis der islamischen Frühzeit. Langfristiges Ziel ist es, der Scharia zu universeller Geltung zu verhelfen. Die Ablehnung säkularer Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen können die Bildung abgeschotteter Parallelgesellschaften zur Folge haben und individuelle Radikalisierungsprozesse zumindest passiv begünstigen. Die Aktivitäten der TJ in Deutschland werden über informelle Kontakte in einem hierarchisch aufgebauten Netzwerk herausragender Akteure koordiniert. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Werbung neuer Anhänger unter Muslimen und der Durchführung von "Missionierungsreisen" im Inund Ausland. Vor einigen Jahren entbrannte in der Führungsriege auf dem indischen Subkontinent ein offener Streit um die Einführung von Reformen. Neben Neuerungen im religiösen Bereich führte auch die Etablierung eines Leitungsgremiums (Schura) mit weitreichenden Kompetenzen zu teilweise starken Reaktionen innerhalb der TJ. So kam es im Jahr 2018 in Bangladesch aber auch in Großbritannien zum Teil zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Befürwortern der Neuerungen. 70 Urdu für "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission". 224 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 14. Einfluss regierungstreuer Iraner auf in Deutschland lebende Schiiten durch das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) Gründung: 1962 Sitz: Hamburg Leitung/Vorsitz: Mohammad Hadi Mofatteh Mitglieder/Anhänger keine gesicherten Zahlen in Deutschland: Publikationen/Medien: Zeitungen/Zeitschriften: "al-Fadschr" (vierteljährlich) "SALAM! Zeitschrift für junge Muslime" (vierteljährlich) In Deutschland existiert eine Reihe islamischer Zentren und Organisationen regierungstreuer Iraner, mit deren Hilfe der Iran versucht, Einfluss auf hier lebende Schiiten unterschiedlicher Nationalität zu nehmen. Das größte und einflussreichste Zentrum ist das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH), das Träger der "Imam Ali Moschee" ist. Der Leiter des IZH gilt als Vertreter des "Revolutionsführers" der Islamischen Republik Iran - derzeit Ayatollah Seyyed Ali Khamenei - in Deutschland. Die Aktivitäten des IZH sind darauf ausgerichtet, die islamische Lehre schiitisch-iranischer Prägung auf unterschiedliche Art und Weise in Deutschland und Europa zu verbreiten. Hierfür organisiert das IZH unter anderem regelmäßige Gebetsund Vortragsveranstaltungen, religiöse Feierlichkeiten sowie Sprachunterricht und andere Lehrveranstaltungen. 225 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 15. "Milli Görüs"-Bewegung Die "Milli Görüs"-Bewegung besteht aus mehreren Vereinigungen, die von einer gemeinsamen ideologisch-religiösen Ausrichtung und der ideellen Bindung an den türkischen Politiker Necmettin Erbakan zusammengehalten werden. Obgleich alle Vereinigungen selbstständig und unabhängig voneinander agieren, ist die "Milli Görüs"-Ideologie - wenn auch in unterschiedlich starker Ausprägung - das verbindende Element. Die von Erbakan geprägten Schlüsselbegriffe seines politischen Denkens sind "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"). "Gerecht" sind für Erbakan die Ordnungen, die auf "göttlicher Offenbarung" gegründet, "nichtig" jene, die von Menschen entworfen wurden. Gegenwärtig dominiere mit der westlichen Zivilisation eine "nichtige", auf Gewalt, Unrecht und Ausbeutung der Schwachen basierende Ordnung. Dieses "nichtige" System müsse durch eine "Gerechte Ordnung" ersetzt werden, die sich ausschließlich an islamischen Grundsätzen ausrichte, anstatt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln". Alle Muslime sollen an der Verwirklichung der "Gerechten Ordnung" mitwirken. Hierzu müssen sie eine bestimmte Haltung einnehmen und einen bestimmten Blick ("Görüs") auf die Welt gewinnen, nämlich einen nationalen/religiösen ("Milli") Blick, einen "Milli Görüs". 226 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 15.1 Der "Milli Görüs"-Bewegung zuzuordnende Vereinigungen "Ismail Aga Cemaati" (IAC) Die "Ismail Aga Cemaati" (IAC) ist der weitverzweigten mystischen Bruderschaft der Naqshbandiya zuzuordnen. Die IAC gilt allgemein als einer der radikaleren Zweige der Bruderschaft. Spirituelles Oberhaupt ist der in der Türkei lebende Scheich Mahmud Ustaosmanoglu, der seine Anhänger in der Vergangenheit immer wieder zur Unterstützung der "Milli Görüs"-Ideologie aufgefordert hat. Bis zu seiner Abschiebung in die Türkei am 23. Oktober 2015 prägte der Prediger Nusret Cayir die IAC in Deutschland. Seiner Auffassung zufolge gebe es niemanden außer der "Milli Görüs", der die Türkei "retten" könne. Seit Cayirs Ausreise in die Türkei werden seine Predigten für seine Anhänger - in der Regel via Skype - live nach Deutschland übertragen. "SAADET Europa e.V." Die "Saadet Partisi" (SP), seit dem Jahr 2001 die politische Vertretung der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei, hatte im Jahr 2013 damit begonnen, auch außerhalb der Türkei Strukturen aufzubauen. Die offizielle Gründungsveranstaltung der Deutschlandvertretung der SP fand am 27. Dezember 2013 in Köln (NordrheinWestfalen) statt. Nachdem der Verein davor zunächst in München (Bayern) eine vereinsrechtliche Anmeldung eingereicht hatte, ist er zwischenzeitlich unter der Bezeichnung "SAADET Europa e.V." beim Vereinsregister in Köln eingetragen. In Köln befinden sich sowohl die Zentrale für Deutschland als auch für Europa. Erklärtes Ziel der Auslandsvertretungen ist zum einen die Verbreitung der "Milli Görüs"-Ideologie und zum anderen die Unterstützung der Mutterpartei, zum Beispiel bei Wahlen in der Türkei. "Europavertretung der Erbakan-Stiftung" Die "Erbakan-Stiftung" wurde im Juni 2013 in der Türkei gegründet. Fatih Erbakan, der Sohn Necmettin Erbakans und der Vorsitzende der Stiftung, erklärte, die Stiftung habe das Ziel, eine Wiederbelebung der Ideen Necmettin Erbakans herbeizuführen. Auf dieses Ziel solle die gesamte "Milli Görüs"-Bewegung wieder stärker verpflichtet werden. Am 24. November 2013 fand in Solingen (Nordrhein-Westfalen) unter Teilnahme von Fatih Erbakan die offizielle Gründungsveranstaltung der "Europavertretung der Erbakan-Stiftung" statt. 227 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Milli Gazete" Als Sprachrohr der "Milli Görüs"-Bewegung bildet die formal unabhängige türkische Tageszeitung "Milli Gazete" ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Komponenten der Bewegung und trägt zur Verfestigung der ideologischen Positionen bei. In Deutschland ist die Europa-Ausgabe der "Milli Gazete" erhältlich (seit Mai 2011 lediglich im Abonnement). "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) wurde im Jahr 1985 in Köln als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) gegründet. Die auch weiterhin bestehenden Verbindungen zu Teilbereichen der "Milli Görüs"-Bewegung sind belegt. Insgesamt gesehen löst sich die IGMG zunehmend aus der Einflussnahme der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei. Extremismusbezüge der IGMG sind in den letzten Jahren deutschlandweit - allerdings in regional unterschiedlicher Intensität - schwächer geworden. Der IGMG-Vorsitzende Kemal Ergün verfolgt das Ziel, der IGMG ein eigenständiges Profil zu geben. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt inzwischen eindeutig im religiösen Bereich, zum Beispiel auf dem Ausbau entsprechender Bildungseinrichtungen. Die IGMG veröffentlicht neben einer Vielzahl von Broschüren unter anderem die Zeitschriften "Perspektif" (monatlich oder zweimonatlich) und "Camia" (zweiwöchentlich). 228 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 16. "Furkan Gemeinschaft" Gründung: 1994 in der Türkei Leitung: Alparslan Kuytul Mitglieder/Anhänger 350 (2018: 290) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Furkan Haber" (Nachrichtenportal) "TV Furkan" (Onlinefernsehsender) "Furkan Nesli Dergisi - Öncü Neslin Sesi" (Zeitschrift) Die "Furkan Stiftung für Bildung und Fürsorge" ("Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi") wurde im Jahr 1994 gegründet. Das Zentrum der Organisation befindet sich in der südtürkischen Stadt Adana. In Deutschland firmiert die Organisation unter dem Namen "Furkan Gemeinschaft" und verfügt über Strukturen in Bayern, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Die Organisation verfolgt das Ziel, eine "islamische Zivilisation" zu begründen, die durch das islamische Recht geprägt sein soll und sich ausschließlich an Koran und Sunna orientiert. Demokratie wird grundsätzlich abgelehnt. Dies findet seinen Ausdruck auch im Verbot der Teilnahme an Wahlen. Der Westen wird zum Feindbild erklärt und Israel das Existenzrecht abgesprochen. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten der Organisation liegt in der Missionierungsarbeit unter Muslimen jedweder Herkunft. Zur Verbreitung ihrer Ideen betreibt die in der Türkei ansässige "Furkan Stiftung" auch in Deutschland zahlreiche Websites und Profile in sozialen Netzwerken. 229 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 17. "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA)71 Gründung: Mitte der 1970er-Jahre im pakistanischen Exil Leitung: Gulbuddin Hekmatyar Mitglieder/Anhänger 100 in Deutschland: Die sunnitische "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA) ist eine der ältesten islamistischen Gruppierungen Afghanistans und hatte ihren Ursprung in einer Studentenbewegung an afghanischen Universitäten. In den 1980er-Jahren spielte die HIA eine zentrale Rolle im Kampf gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan. Nach Abzug der sowjetischen Besatzer kämpfte die HIA bis zum Friedensabkommen mit der afghanischen Regierung im Jahr 2016 mit Waffengewalt und Terror für die Errichtung eines islamistischen Regimes auf der Grundlage der Scharia in Afghanistan. Die HIA versucht, sich inzwischen als politische Partei im afghanischen Parlament zu etablieren. In Deutschland gibt es mehrere Moscheegemeinden der HIA, vorwiegend in Hamburg und Frankfurt am Main (Hessen). Die Gemeinden haben enge Kontakte zur Führung der HIA in Afghanistan. Anhänger in Deutschland werben im Internet beziehungsweise in afghanischen TV-Kanälen mit islamistischer Rhetorik für die Aktivitäten der HIA. Die Anhänger betrachten Deutschland vorwiegend als Rückzugsraum und unterstützen die HIA zumeist finanziell. 71 "Islamische Partei Afghanistans". 230 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 231 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) I. Überblick Im nicht islamistischen Ausländerextremismus finden sich Ideologieelemente aus dem Rechtsund Linksextremismus sowie Organisationen, die separatistische Bestrebungen in ihren Heimatländern verfolgen. Insoweit handelt es sich nicht um ein einheitliches, tendenziell bündnisfähiges Spektrum, sondern um unterschiedliche Interessengruppen, die nur fallund anlassbezogen untereinander oder mit deutschen extremistischen Gruppierungen zusammenarbeiten. Überwiegend bestimmen die Situation in den jeweiligen Herkunftsländern sowie die Vorgaben der dortigen zentralen Organisationseinheiten Politik, Strategie und Aktionen der nicht islamistischen extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland. Entsprechend zielen sie auf eine radikale Veränderung der politischen Verhältnisse im Heimatland - dort oftmals auch durch den Einsatz von Gewalt und Terror. Damit verstoßen von Deutschland aus agierende extremistische Ausländerorganisationen nicht nur gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Sie können darüber hinaus auch hierzulande die innere Sicherheit gefährden. Den meisten dieser Organisationen gilt Deutschland als sicherer Rückzugsraum. Von hier aus unterstützen sie ihre Heimatorganisationen propagandistisch, aber auch durch den Nachschub von Geld, Material und neu rekrutierten Kämpfern. 1. Entwicklungstendenzen Agitation und Militanzniveau der ausländerextremistischen Organisationen sind weit überwiegend von der politischen Entwicklung in den Heimatländern abhängig. In Deutschland lebende Anhänger sind in der Regel die Empfänger politisch-strategischer Richtlinien der Organisationen in den jeweiligen Heimatländern; es herrscht die Bereitschaft vor, diese Vorgaben konsequent in die Tat umzusetzen. 232 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Für die innere Sicherheit in Deutschland bleiben - wie bereits in den Vorjahren - die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) sowie die rechtsextremistische "Ülkücü"-Bewegung von herausgehobener Bedeutung: die PKK wegen ihrer gewalttätigen Aktionen in der Heimatregion, die DHKP-C wegen ihres offenen Bekenntnisses zum bewaffneten Kampf in der Türkei und die "Ülkücü"-Bewegung wegen ihrer militanten Ablehnung des Gleichheitsgrundsatzes. Die Aktivitäten der PKK wurden im Jahr 2019 wesentlich von der PKK: bewaffneter im Oktober gestarteten türkischen Militäroffensive in Nordsyrien und politischer (Operation "Quelle des Friedens") bestimmt. Als Reaktion darauf Kampf fanden bundesweit zahlreiche demonstrative Aktionen statt. Die anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen mit dem türkischen Militär bleiben weiterhin ein beherrschendes Thema innerhalb der Organisation. Darüber hinaus war das Versammlungsgeschehen im Berichtsjahr von der Sorge um den Gesundheitszustand und die Haftsituation des PKK-Gründers Abdullah Öcalan bestimmt, der auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftiert ist. Aufgrund der Situation in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, in Nordsyrien und im Irak gelingt es der PKK auch weiterhin, ihre Anhängerschaft in einem hohen Maße zu anlassbezogenen Demonstrationen sowie zu alljährlich stattfindenden Veranstaltungen zu mobilisieren. Der im Jahr 2018 noch festgestellte teils deutliche Rückgang der Teilnehmerzahlen bei PKK-Veranstaltungen setzte sich im Berichtszeitraum nicht weiter fort. Die DHKP-C strebt unverändert die Errichtung einer sozialistiDHKP-C: schen Gesellschaftsordnung in der Türkei mit den Mitteln des beDeutschland als waffneten Kampfes an. Das Ausmaß ihrer militanten und terroris"Rückfront" für den tischen Aktionen in der Türkei war im Jahr 2019 jedoch gering. In bewaffneten Kampf erster Linie dürfte dies auf die seit dem gescheiterten Putsch von in der Türkei 2016 fortbestehend verschärfte Sicherheitslage in der Türkei zurückzuführen sein. So war im Berichtszeitraum auch die DHKP-C von Festnahmen und Durchsuchungen der türkischen Sicherheitsbehörden betroffen. 233 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Deutschland bleibt für die DHKP-C nach wie vor als sogenannte Rückfront des in der Türkei geführten bewaffneten Kampfes unverzichtbar. Die Organisation entfaltet hierzulande insbesondere verschiedene Propagandaaktivitäten. Ein wesentlicher Schwerpunkt bleiben dabei die Auftritte der der DHKP-C zuzurechnenden Musikgruppe "Grup Yorum". Neben mehreren kleineren Konzerten fand am 1. Juni 2019 in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) ein größeres Konzert der "Grup Yorum" vor rund 1.000 Zuschauern statt. Ein für den 24. November 2019 in Köln (Nordrhein-Westfalen) geplantes Konzert wurde von der Polizei mit der Begründung verboten, dass "Grup Yorum" als integraler Bestandteil der DHKP-C von deren Verbot in Deutschland mit umfasst sei. Neben diesen Propagandaveranstaltungen betreibt die DHKP-C auch eine Kampagne gegen Drogenund Glücksspielsucht, mittels derer sie auch in Deutschland versucht, ihre Unterstützerbasis auszuweiten und neue Anhänger zu rekrutieren - nicht zuletzt auch für den bewaffneten Kampf in der Türkei. "Ülkücü"-Bewegung: Die rechtsextremistische türkische "Ülkücü"-Ideologie wird in gemäßigte Agitation Deutschland im Wesentlichen durch die beiden Dachverbände des organisierten "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Kerns Deutschland e.V." (ADÜTDF) und "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) vertreten. Daneben finden sich weitere Strukturen und unorganisierte Anhänger. Während sich die Dachverbände nach außen um ein gesetzeskonformes Verhalten bemühen, demonstrieren unorganisierte Anhänger der "Ülkücü"-Bewegung insbesondere im Internet ihre rassistischen Überlegenheitsvorstellungen. Entsprechend der aus ihrer Sicht insgesamt positiven politischen Entwicklung in der Türkei haben die organisierten Anhänger der "Ülkücü"-Bewegung von der Durchführung von Aktionen zur politischen Lage in der Türkei unter eigenen Organisationsnamen abgesehen. Vielmehr haben die Verbandsstrukturen öffentlich zu Gewaltlosigkeit und Zurückhaltung aufgerufen. Vereinzelte Gewalttätigkeiten zwischen den politischen Lagern, vor allem am Rande von PKK-Demonstrationen, waren situativ bedingt und insbesondere der emotional aufgeheizten Stimmung sowie wechselseitigen Provokationen geschuldet. Im Gegensatz zu den zahlreichen Protestkundgebungen gegen die erneute türkische Militäroffensive in Nordsyrien im Herbst 2019 234 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) kam es nur in weit geringerem Umfang zu Solidaritätskundgebungen für die Türkei. Hieran beteiligten sich auch türkische Rechtsextremisten, die zum Teil durch das Verwenden von Symbolen der "Ülkücü"-Bewegung zu erkennen waren. Das Aufeinandertreffen rivalisierender extremistischer GruppieWechselwirkungen rungen aus der Türkei - insbesondere im Rahmen von Demonstrazwischen tionen - stellt nach wie vor eine Gefahr für die innere Sicherheit extremistischen in Deutschland dar. Dabei kann es jederzeit zu spontanen und siGruppierungen tuativ bedingten gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen. Dies gilt insbesondere für nicht verbandlich organisierte türkische Rechtsextremisten und jugendliche Anhänger der PKK. 2. Entwicklung des Personenpotenzials Das Personenpotenzial nicht islamistischer sicherheitsgefährdender beziehungsweise extremistischer Ausländerorganisationen verringerte sich im Jahr 2019 auf insgesamt 28.820 Personen (2018: 30.350). Dieser Rückgang fand ausschließlich im Bereich der nicht türkischen Separatisten statt. Die zahlenmäßig bedeutsamste Organisation in Deutschland ist unverändert die PKK mit 14.500 Anhängern (2018: 14.500). 235 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Personenpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen1 (ohne Islamismus) 2017 2018 2019 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 14.500 14.500 14.500 Türkische Rechtsextremisten 11.000 11.000 11.000 Türkische Linksextremisten 2.550 2.550 2.550 Sonstige2 2.500 2.300 770 Summe 30.550 30.350 28.820 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. Auch das Personenpotenzial der mit Verbot belegten Gruppen wird hier mit erfasst. 2 Hier sind die in Deutschland lebenden Anhänger der übrigen weltweiten sicherheitsgefährdenden/extremistischen Bestrebungen zusammengefasst. Darunter befinden sich 150 Anhänger auslandsbezogener Organisationen, zu denen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für eine sicherheitsgefährdende/extremistische Bestrebung vorliegen, sodass die jeweilige Gruppierung durch das BfV im Rahmen eines Verdachtsfalles bearbeitet wird. II. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 1. Reaktionen der PKK in Deutschland auf die Entwicklungen in der Türkei und im Norden Syriens Die Aktivitäten der etwa 14.500 Anhänger (2018: 14.500) der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)72 wurden im Jahr 2019 wesentlich von folgenden Faktoren bestimmt: "" der im Oktober 2019 begonnenen türkischen Militäroffensive in den kurdischen Siedlungsgebieten in Nordsyrien, "" den europaweiten Aktionen für eine verbesserte Haftsituation des PKK-Gründers Abdullah Öcalan und der Sorge um dessen Gesundheitszustand, "" der innenpolitischen Lage in der Türkei. 72 "Partiya Karkeren Kurdistan". 236 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen in ihren türkischen, aber auch syrischen Siedlungsgebieten zählen unverändert zu den Kernforderungen der PKK. Die Kampfhandlungen zwischen dem türkischen Militär und den Türkische Guerillaeinheiten der PKK in den südostanatolischen Gebieten Militäroffensive mit überwiegend kurdischer Bevölkerungsmehrheit hielten im in Nordsyrien Berichtszeitraum an. Insbesondere in den nordsyrischen Siedlungsgebieten verschärften sich die militärischen Auseinandersetzungen nach Beginn der türkischen Militäroperation "Quelle des Friedens". Die Befriedung der Lage durch eine Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen zwischen der PKK und der türkischen Regierung erscheint gegenwärtig sehr unwahrscheinlich. Bis zum Beginn der türkischen Militäroffensive im Oktober 2019 Besuchserlaubnis schien eine Annäherung zwischen PKK und türkischer Regierung für Öcalan zumindest nicht ausgeschlossen. So wurden im Mai 2019 zum ersten Mal seit fast acht Jahren Anträge der Anwälte Öcalans für einen Besuch bei ihrem Mandanten genehmigt. In der Folge wurde eine Aufhebung des Besuchsverbots seitens des türkischen Justizministeriums bekannt gegeben. Öcalan durfte daraufhin bis August 2019 mindestens drei weitere Besuche seiner Anwälte sowie zwei Besuche von Familienangehörigen empfangen. Die Situation in der Türkei war geprägt von den am 31. März 2019 Kommunalwahlen durchgeführten Kommunalwahlen. Diese waren für die PKK in in der Türkei Europa im Vergleich zu den richtungsweisenden Parlamentsund Präsidentschaftswahlen im Juni 2018 von eher geringem Interesse. Auch die Wahlwiederholung in Istanbul nach der Niederlage des Kandidaten der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP)73 rief keine größeren Reaktionen in Deutschland hervor. Anders dagegen nach der Absetzung dreier kurdischer BürgerAbsetzung von meister in den Provinzhauptstädten Diyarbakir, Mardin und Van kurdischen im kurdisch besiedelten Südosten der Türkei am 19. August 2019 Bürgermeistern durch das türkische Innenministerium: In den darauffolgenden Tagen kam es in deutschen und weiteren europäischen Städten zu zahlreichen Protestaktionen gegen die türkische Regierung, 73 Adalet ve Kalkinma Partisi. 237 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) an denen sich auch PKK-Anhänger beteiligten. Alle drei aus ihren Ämtern entfernten Politiker gehören der prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP)74 an. Einer auf der Website der PKK-nahen Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF)75 veröffentlichten Stellungnahme zufolge verurteilte der Exekutivrat der "Union der Gemeinschaften Kurdistans" (KCK)76 das Vorgehen der türkischen Regierung umgehend und rief zu Protesten auf: "Die Absetzung dreier Bürgermeister zeigt die feindliche Haltung zum erklärten politischen Willen des kurdischen Volkes und hat das Ziel, alle demokratischen Kräfte zu zerschlagen und den kurdischen Genozid zu vollenden. (...) Von unserem Volk in allen Teilen Kurdistans und im Ausland fordern wir daher mit Nachdruck, sich gegen diese Angriffe zur Wehr zu setzen und den Kampf überall zu steigern." (Homepage ANF, 19. August 2019) 2. Versammlungsgeschehen mit PKK-Bezug in Deutschland Mittels zentral gesteuerter, öffentlichkeitswirksamer Propagandaaktionen versucht die PKK in Deutschland und dem benachbarten Ausland immer wieder, Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu erlangen. Zu diesem Zweck richtet sie regelmäßig Kundgebungen und zentrale Großveranstaltungen sowie Podiumsdiskussionen, Unterschriftenkampagnen, Hungerstreiks oder Mahnwachen aus. Im Fokus stehen dabei vor allem das Schicksal des in der Türkei inhaftierten Organisationsgründers Öcalan, die militärischen Auseinandersetzungen in den kurdischen Siedlungsgebieten sowie staatliche Maßnahmen gegen die Organisation und ihre Einrichtungen. Grundsätzlich gelingt es der PKK regelmäßig, ihre Anhängerschaft in hohem Maße zu mobilisieren, wie es die nachfolgenden Beispiele verdeutlichen: "" 16. Februar 2019, Straßburg (Frankreich): Großdemonstration zum 20. Jahrestag der Festnahme Öcalans (7.000 Teilnehmer, darunter ein Großteil aus Deutschland, 2018: 11.000 Teilnehmer). 74 Halklarin Demokratik Partisi. 75 "Ajansa Nuceyan a Firate". 76 "Koma Civaken Kurdistan". Bei der KCK handelt es sich um einen kurdischen Dachverband, dem neben der PKK auch ihre Schwesterparteien im Irak, im Iran und in Syrien sowie verschiedene gesellschaftliche Gruppen angehören. 238 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "" 23. März 2019, Frankfurt am Main (Hessen): Zentrale Großkundgebung zum traditionellen kurdischen Neujahrsfest "Newroz" unter dem Motto "Lasst uns die Isolation aufbrechen, den Faschismus stürzen und Kurdistan befreien" (25.000 Teilnehmer, 2018: 11.000 Teilnehmer). "" 21. September 2019, Maastricht (Niederlande): "28. Internationales Kurdisches Kulturfestival" unter dem Motto "Status für Rojava77, Freiheit für Öcalan!" (7.000 Teilnehmer, darunter ein Großteil aus Deutschland, 2018: 3.500 Teilnehmer). Nimmt man die letzten zehn Jahre als Vergleich, sind die erzielten Teilnehmerzahlen nach wie vor als niedrig einzustufen. Allerdings setzte sich der im Jahr 2018 noch festgestellte teils deutliche Rückgang der Teilnahme bei PKK-Veranstaltungen im Berichtszeitraum nicht weiter fort. Ob es sich dabei um eine bloße Konsolidierung oder schon um eine Trendwende handelt, wird das Jahr 2020 zeigen. Teilnehmerzahlen des "Internationalen Kurdischen Kulturfestivals" 40.000 35.000 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Seit Dezember 2018 führten Anhänger der PKK HungerstreikaktioHungerstreikaktionen nen in der Türkei und in Europa durch. Diese standen unter dem beendet Motto "Die Isolation durchbrechen, den Faschismus zerschlagen, Kurdistan befreien". Mit ihrer Aktion wollten sie für die Aufhebung der "Isolationshaft" Öcalans protestieren und ihre Solidarität mit einer sich in der Türkei im Hungerstreik für Öcalan befindenden HDP-Abgeordneten zum Ausdruck bringen. Nachdem im Mai 2019 Besuchsanträge der Anwälte Öcalans genehmigt worden waren, beendeten PKK-Anhänger sowohl in der Türkei als auch in Deutschland und weiteren europäischen Ländern ihre Hungerstreiks. 77 Mit "Rojava" sind die von Kurden besiedelten Gebiete in Nordsyrien gemeint. 239 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Reaktionen auf Neben der Situation Öcalans und den traditionellen zentralen die türkische Großveranstaltungen der PKK bestimmte vor allem die türkische Militäroffensive Militäroffensive in den kurdischen Siedlungsgebieten im Norden in Nordsyrien Syriens das Versammlungsgeschehen in Deutschland. Am 9. Oktober 2019 begann die Operation "Quelle des Friedens", die der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan bereits seit Langem angekündigt hatte. Als Ziel wurde die Errichtung einer "Sicherheitszone" im Norden Syriens ausgegeben. Bereits unmittelbar nach dem Beginn der Offensive fanden ab dem 9. Oktober 2019 deutschlandund europaweit spontane Protestkundgebungen statt. Bundesweit wurden in der Folge zahlreiche weitere Veranstaltungen im thematischen Zusammenhang durchgeführt, wobei der Monat Oktober den zahlenmäßigen Höhepunkt des Protestgeschehens abbildete. Ende Oktober 2019 ging das Versammlungsgeschehen dann deutlich zurück. Die höchsten Teilnehmerzahlen wurden bei Protestveranstaltungen in Köln (Nordrhein-Westfalen) am 12. Oktober 2019 mit etwa 15.000 Teilnehmern und am 19. Oktober 2019 mit etwa 10.000 Demonstranten erreicht. Getragen wurde das Protestgeschehen primär von Anhängern der PKK, die dabei auch von deutschen Linksextremisten unterstützt wurden. Während der überwiegende Teil der Demonstrationen weitgehend friedlich verlief, kam es bei einigen Veranstaltungen durch Demonstrationsteilnehmer zu Angriffen auf Polizeibeamte. Gewaltsame Auseinandersetzungen gab es zudem zwischen kurdischen Demonstranten und Personen mit einem mutmaßlich türkisch-nationalistischen Hintergrund. Ursächlich hierfür waren meist vorangegangene Provokationen, wie beispielsweise das Zeigen des "Wolfsgrußes", dem Erkennungszeichen von Anhängern der rechtsextremistischen türkischen "Ülkücü"-Bewegung. Darüber hinaus führte die PKK auch unangemeldete Protestkundgebungen durch, die sie selbst als "Besetzungsaktionen" bezeichnete. In diesem Zusammenhang kam es beispielsweise an mehreren deutschen Flughäfen zu Protesten mit Fahnen und Transparenten gegen den Militäreinsatz der Türkei in Nordsyrien. Diese Aktionen verliefen im Wesentlichen störungsfrei. 240 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 3. Rekrutierungsmaßnahmen Die PKK ist weiterhin bestrebt, auch in Deutschland insbesondere jugendliche Anhänger zu indoktrinieren und für den bewaffneten Kampf zu rekrutieren. Die türkische Militäroffensive in Nordsyrien hat diese Bemühungen weiter verstärkt. In der PKK-Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) vom 10. September 2019 nahm ein Mitglied des Exekutivrates der KCK in der Rubrik "Forum" Stellung zu den Berichten über in der türkischen Stadt Diyarbakir protestierende kurdische Familien von Guerillakämpfern. Die Protestierenden hatten die PKK zur Herausgabe ihrer Söhne aufgefordert: "Die kurdischen Jugendlichen gehen freiwillig in die Berge, es ist ihre Liebe zur Heimat, die sie in die Berge bringt. In allen Gesellschaften auf der Welt kämpfen die jungen Menschen für die Freiheit ihres Volkes, warum sollten das nicht auch die kurdischen Jugendlichen tun dürfen. Angesichts des schmutzigen Krieges, den der türkische Staat gegen die Kurden führt, ist ihr Kampf nur legitim." (YÖP, 10. September 2019, S. 1/15.) Auch im Jahr 2019 wurden mindestens vier Fälle bekannt, in denen Getötete deutsche deutsche Staatsangehörige im Einsatz für die Guerillaeinheiten der PKK-Kämpfer PKK ums Leben gekommen sind. Die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF berichtete im Januar 2019 über den Tod eines 23-jährigen Deutschen. Dieser war laut ANF Angehöriger des bewaffneten Arms der PKK, der Guerillaeinheiten der "Volksverteidigungskräfte" (HPG)78, und soll bereits am 9. Juli 2018 bei einer Militäroperation der türkischen Armee in der an den Irak und den Iran grenzenden türkischen Provinz Hakkari getötet worden sein. Im Juni 2019 berichtete ANF dann unter Berufung auf die Medienstelle der HPG, dass eine 33-jährige deutsche Staatsangehörige bei einem Angriff der türkischen Armee getötet worden sei. Sie soll sich bereits im Jahr 2017 den Guerillaeinheiten der PKK in den 78 "Hezen Parastina Gel". 241 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) kurdischen Siedlungsgebieten angeschlossen haben und zuletzt als Kommandantin eingesetzt worden sein. Am 26. August 2019 gaben die HPG über ihr Pressezentrum den Tod eines 30-jährigen deutschen Staatsangehörigen bekannt. Demnach soll dieser bereits am 14. Dezember 2018 bei einem Luftangriff des türkischen Militärs im Nordirak getötet worden sein. Er habe sich im Jahr 2017 als "Internationalist" mit großem Enthusiasmus der PKK angeschlossen. Medienberichten zufolge ist zudem am 16. Oktober 2019 ein 24-jähriger deutscher Staatsangehöriger bei einem Luftangriff des türkischen Militärs auf die nordsyrische Ortschaft Ras al-Ain ums Leben gekommen. Dieser soll sich bereits im September 2016 den "Volksverteidigungseinheiten" (YPG)79 angeschlossen haben. Nach einer zwischenzeitlichen Rückkehr nach Deutschland sei er erneut in die Kampfgebiete ausgereist. Diese Fälle belegen, dass in Deutschland rekrutierte Personen tatsächlich militärisch ausgebildet und im Kampf eingesetzt werden. Die getöteten deutschen PKK-Kämpfer gehörten vor ihrer Ausreise und der Rekrutierung durch die PKK teilweise der deutschen linksextremistischen Szene an. Wie sie haben sich seit Juni 2013 rund 270 Personen aus Deutschland in die kurdischen Kampfgebiete im Südosten der Türkei, im Nordirak und in Nordsyrien begeben und sich dort verschiedenen Kampfeinheiten der PKK angeschlossen. Von den Ausgereisten sind mindestens 23 Personen in den Kampfgebieten ums Leben gekommen. Etwa 135 Personen sind mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt. Die Mehrheit der Ausreisewilligen wird durch PKK-Kader angeworben. Eine besondere Bedeutung kommt dabei Funktionären der PKK-Jugendorganisation "Komalen Ciwan"/"Tevgera Ciwanen Soresger" zu. Zum Rekrutierungsprozess gehören meist ideologische Schulungen und eine Prüfung der Tauglichkeit für den bewaffneten Kampf. Erst dann werden die Rekruten in die Kampfgebiete geschickt. 79 "Yekineyen Parastina Gel". Die YPG sind die bewaffneten Einheiten der syrischen PKK-Schwesterorganisation "Partei der Demokratischen Union" ("Partiya Yekitiya Demokrat", PYD). 242 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In einigen Fällen bestehen im Vorfeld der Ausreise keine Kontakte zur PKK. Diese Personen reisen selbstständig aus und wenden sich erst in den Kampfgebieten als freiwillige Kämpfer an die örtlichen Strukturen der Organisation. Gerade der Tod ausländischer Kämpfer wird von der PKK für ihre Zwecke instrumentalisiert, um damit die Aufmerksamkeit einer breiteren Öffentlichkeit zu erhalten. Die Gefallenen werden von der Organisation als "Märtyrer" verehrt. Dieser Märtyrerkult dient sowohl der Motivation der eigenen Anhänger als auch der Rekrutierung von Kämpfern, die bislang keine Bezüge zur Organisation aufgewiesen haben. Solange die bewaffneten Konflikte in Syrien, im Nordirak und in der Türkei andauern, ist davon auszugehen, dass die Rekrutierungsaktivitäten der PKK in Deutschland und Europa auf hohem Niveau verbleiben. 4. Aktionsverhalten der PKK-Jugendorganisation Die in der PKK-Jugendorganisation "Komalen Ciwan"/"Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS)80 organisierten Jugendlichen und jungen Erwachsenen bilden das Rückgrat der PKK, wenn es um die Rekrutierung für den bewaffneten Kampf oder um militante Aktionen und Straftaten gegen staatliche türkische Einrichtungen oder türkische Rechtsextremisten geht. Von der Mehrheitsgesellschaft missbilligte, strafbare Handlungen werden dabei mit dem Namen "Komalen Ciwan" verknüpft. Die TCS dagegen soll mit positiv besetzten Themen in Verbindung gebracht werden und tritt vor allem bei der Mobilisierung oder der Durchführung von Demonstrationen oder Veranstaltungen mit Bezug zur PKK auf. Auch 2019 haben sich die Entwicklungen in den kurdischen Siedlungsgebieten auf das Aktionsverhalten der PKK-Jugendorganisation ausgewirkt. Insbesondere die Offensive der türkischen Armee in Nordsyrien hat zu Reaktionen bei der Jugendorganisation geführt. Immer wieder gab es Aufrufe, Widerstand zu leisten und Aktionen durchzuführen. So wurden die Jugendlichen in zwei Erklärungen vom 14. und 15. Oktober 2019 dazu aufgefordert, jeden Ort in ein Widerstandsgebiet zu verwandeln: 80 "Gemeinschaft der Jugendlichen"/"Bewegung der revolutionären Jugend". 243 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "Mit dem Aufruf zur Mobilisierung fordern wir vor allem die gesamte Jugend Kurdistans, generell aber die gesamte revolutionäre, demokratische, patriotische, sozialistische, internationalistische Jugend, (...) die für ein ehrenvolles, freies und menschenwürdiges Leben eintritt, dazu auf, gegen die Besetzung Rojavas, die auf dem Konzept des vom faschistischen, kolonialistischen, genozidalen türkischen Okkupationsstaat gegen die Völker Kurdistans initiierten totalen Krieges fußt, (...) aktiv zu werden und jeden Ort, zum Widerstandsgebiet zu machen." (Homepage ANF, 14. August 2019) Neben Spontankundgebungen kam es mit Beginn der Militäroffensive auch zu Straftaten der Jugendorganisation wie Sachbeschädigungen oder Farbschmierereien. Darüber hinaus kam es immer wieder während beziehungsweise nach Demonstrationen gegen die türkische Militäroperation zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen PKK-Jugendlichen und mutmaßlich nationalistischen Türken - meist aufgrund vorangegangener, wechselseitiger Provokationen. "Langer Marsch" Auch in diesem Jahr fand wie stets vor dem "Internationalen der Jugendlichen Kurdischen Kulturfestival" der mehrtägige "Lange Marsch"81 der Jugendlichen statt. Dieser führte vom 9. bis 13. September 2019 in fünf Etappen von Bonn nach Mönchengladbach (beide Nordrhein-Westfalen) und verlief im Gegensatz zum Vorjahr überwiegend friedlich. Es kam lediglich vereinzelt zu gewalttätigen Reaktionen auf die Anweisungen der den Marsch begleitenden Polizeibeamten sowie auf verbale Provokationen durch mutmaßlich türkischstämmige nationalistisch eingestellte Personen. 5. Hierarchische Organisationsstruktur der PKK Die PKK in Europa hat in den vergangenen Jahren mehrere Namensänderungen vorgenommen, um nach außen hin den Eindruck einer politischen und demokratischen Neuausrichtung zu erwecken. Dadurch versucht sie insbesondere, sich von der öffentlichen Wahrnehmung als Terrororganisation zu befreien. Trotz mehrfacher Ankündigungen der Einführung interner 81 "Mesa Direj". 244 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) demokratischer Strukturen hält die Organisation nach wie vor an ihrer autoritären Führung und dem Kaderprinzip fest. Demokratisierungsansätze wurden auch im Jahr 2019 weder auf struktureller noch auf personeller Ebene realisiert. Bei den PKK-Strukturen in Europa, mithin auch in Deutschland, handelt es sich nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) weder um organisatorisch selbstständige (Teil-)Vereinigungen noch sind sie in ihrem Willensbildungsprozess von der ausländischen Hauptorganisation PKK unabhängig.82 Zum einen sind sie nahtlos in den PKK-Aufbau eingegliedert, zum anderen werden auch die politisch-ideologischen Zielsetzungen und die Art und Weise ihrer Umsetzung von der PKK-Führungsspitze vorgegeben und sind für die Strukturen der Organisation im Ausland verbindlich. Deren eigenverantwortlicher Entscheidungsspielraum ist somit äußerst gering und bewegt sich ausschließlich im Rahmen der vorgegebenen Direktiven. Die PKK hat ihre im Jahr 2016 geänderte Struktur in Deutschland Struktur in mit neun Regionen und 31 Gebieten mit jeweils einem FührungsDeutschland funktionär an der Spitze beibehalten. Die verantwortlichen Führungsfunktionäre, deren Tätigkeit in aller Regel zeitlich begrenzt ist, agieren zumeist konspirativ und leiten organisationsinterne Anweisungen und Vorgaben zur Umsetzung an nachgeordnete Ebenen weiter. Für die Umsetzung von Vorgaben nutzt die PKK überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Als Dachverband der PKK-nahen Vereine in Deutschland fungierte lange das "Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAV-DEM)83. Anfang Mai 2019 hat die PKK die Umstrukturierung ihrer bisher nicht ausdrücklich von dem Betätigungsverbot umfassten Strukturen maßgeblich vorangetrieben. Im Rahmen einer zweitägigen Veranstaltung, die am 4. Mai 2019 Gründung eines in Essen und am 5. Mai 2019 in Bergisch Gladbach (beide Nordneuen Dachverbands rhein-Westfalen) stattfand, wurde eine neue Dachorganisation für Deutschland gegründet, die "Konföderation der Gemeinschaften 82 BGH, Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10. 83 "Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanyaye". 245 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED)84. Dem neuen Dachverband sollen insgesamt fünf regionale Föderationen angehören, welche wiederum den örtlichen Vereinen vorstehen. Die Strukturen der KON-MED haben seitdem nach und nach die Aufgaben von dem bisherigen Dachverband NAV-DEM übernommen. Dazu zählte zum Beispiel die Organisation von Großveranstaltungen der PKK. Es ist zu erwarten, dass die neu geschaffenen Strukturen sukzessive weiter aufwachsen werden, um sich vollumfänglich der Erfüllung ihrer neuen Aufgaben widmen zu können. Die PKK versucht, ihre Politik weiterhin mithilfe sogenannter Massenorganisationen zu popularisieren, in denen sie ihre Anhänger nach sozialen Kriterien oder Berufsund Interessengruppen organisiert. Besonders hervorzuheben sind die Jugendorganisation "Komalen Ciwan"/TCS, die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (AKKH/TJK-E)85 sowie die Studentenorganisation "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK)86. Zu erwähnen sind auch Religionsgemeinschaften wie die "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), die "Föderation der demokratischen Aleviten e.V." (FEDA) und der "Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V." (NAV-YEK). 6. Finanzielle Situation Erneutes RekordDie PKK erzielte im Jahr 2019 bei ihrer "Jahresspendenkampagne" ergebnis bei der ("kampanya") mehr als 16 Millionen Euro allein in Deutschland. "JahresspendenDamit steigerte sie erneut das Rekordergebnis der Vorjahreskamkampagne" pagne (2018: mehr als 15 Millionen Euro). In den zurückliegenden zehn Jahren konnte die PKK ihre Einnahmen aus Spendengeldern mehr als verdreifachen. Der Gesamtspendenerlös in Europa wird demgegenüber konstant auf über 25 Millionen Euro geschätzt. Die erneute Steigerung des Spendenerlöses ist unter anderem auf die hohe Emotionalisierung der PKK-Anhängerschaft zurückzuführen. Das nochmals intensivierte Vorgehen des türkischen Militärs in den kurdischen Siedlungsgebieten hat nicht nur unter PKK-Anhängern, sondern innerhalb der gesamten kurdischen Gemeinschaft ein großes Solidaritätsgefühl erzeugt und dadurch den 84 "Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya". 85 AKKH ist die türkische Abkürzung, TJK-E die kurdische Abkürzung. 86 "Yekitiya Xwendekaren Kurdistan". Weibliche Studierende sind in dem YXK-Ableger "Studierende Frauen Kurdistans" ("Jinen Xwendekar en Kurdistan", JXK) organisiert. 246 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Spenderkreis vergrößert. Zudem dürften sich die Sorge um den angeblich verschlechterten Gesundheitszustand des in der Türkei inhaftierten PKK-Gründers Öcalan sowie die Aktionen zur Verbesserung seiner Haftsituation ("Isolationshaft") positiv auf die Spendenbereitschaft im Sammlungszeitraum ausgewirkt haben. Die in Deutschland und Europa gesammelten Gelder (Einnahmen aus der Spendenkampagne, Mitgliedsbeiträge, Verkauf von Publikationen, Durchführung von Veranstaltungen) werden vor allem für den Unterhalt der Organisation und des umfangreichen Propagandaapparats in Europa genutzt. Die Kadereinheit "Wirtschaftsund Finanzbüro" (EMB)87 steuert und kontrolliert die finanziellen Aktivitäten der PKK in Deutschland und Europa. 7. Medienwesen der PKK Zur Verbreitung ihrer Ideologie und Propaganda unterhält die PKK einen aufwendigen Medienapparat. Die Beschlüsse und Planungen der Organisation enthalten regelmäßig konkrete Vorgaben für die Arbeit von Zeitung, Fernsehen und Presseagentur. Mittels dieses Medienwesens beeinflusst und mobilisiert die Organisation nicht nur ihre Anhänger und Sympathisanten. Vielmehr will die PKK die Gesamtheit der in Deutschland lebenden Kurden in ihrem Sinne "informieren", um damit den von ihr propagierten Alleinvertretungsanspruch für "kurdische Politik" herauszustellen. Bei allen diesen Medien erhalten hochrangige PKK-Funktionäre regelmäßig eine öffentliche Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda. Von besonderer Bedeutung im PKK-Medienapparat sind der in Norwegen beheimatete PKK-Fernsehsender "Sterk TV"88 und die in Neu-Isenburg (Hessen) herausgegebene PKK-Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP)89. Die YÖP erscheint mit einer täglichen Auflage von etwa 10.000 Exemplaren in türkischer und kurdischer Sprache und verfügt ausweislich ihres Impressums über regionale Vertretungen in mehreren deutschen Städten und in der Schweiz. 87 "Ekonomi ve Maliye Bürosu". 88 "Stern TV". 89 "Neue Freie Politik". 247 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Täglich in mehreren Sprachen berichtet die in den Niederlanden angesiedelte PKK-nahe Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF)90 im Sinne der PKK. Anspruch der ANF ist es, die kurdische Presse durch ein Korrespondentennetz im Nahen Osten sowie in den europäischen Staaten zu repräsentieren. Durch das seit August 2008 bestehende Portal "Gerila TV"91 wird zudem mit speziellen Beiträgen der bewaffnete Kampf der Organisation verherrlicht. Mit der in den Niederlanden verlegten, monatlich erscheinenden PKK-Zeitung "Serxwebun"92 wird PKK-Kadern kontinuierlich die ideologische Ausrichtung der PKK vermittelt. Die am 12. Februar 2019 durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat als Teilorganisationen der PKK verbotenen und aufgelösten "Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH" und "MIR Multimedia GmbH" waren innerhalb des Medienwesens der PKK vor allem für die Verbreitung von PKK-Publikationen (insbesondere von Büchern des PKK-Gründers Öcalan) und von einschlägigen Musikproduktionen zuständig. Beide Unternehmen haben gegen das Verbot Klagen eingereicht, welche derzeit beim Bundesverwaltungsgericht anhängig sind. Neben den genannten Medienformaten nutzt die PKK sehr stark das Internet und die sozialen Medien für die Emotionalisierung der eigenen Anhängerschaft sowie zur Agitation gegen den politischen Gegner. Dabei zielt sie vor allem auf die jüngere Anhängerschaft. Auf diesem Weg werden auch Propagandavideos über die PKK-Guerillaeinheiten verbreitet, mit dem Ziel, neue Kämpfer für den bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten zu gewinnen. 8. Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Auch im Jahr 2019 wurden Strafverfahren gegen PKK-Mitglieder und -Funktionäre geführt, zum Beispiel: "" Am 17. April 2019 verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) Celle (Niedersachsen) vier Angeklagte unter anderem wegen versuchter schwerer Brandstiftung und Unterstützung der 90 "Ajansa Nuceyan a Firate". 91 "Guerilla TV". 92 "Unabhängigkeit". 248 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) ausländischen terroristischen Vereinigung PKK zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten beziehungsweise zwei Jahren und drei Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass zwei Angeklagte 2018 in Hannover (Niedersachsen) einen Pkw in Brand gesetzt hatten. Ebenfalls 2018 hatten alle vier Angeklagten gemeinschaftlich versucht, ein Gebäude in Brand zu setzen. Nach Überzeugung des Gerichts begingen die Angeklagten die Taten auf Anweisung eines Leiters der PKK-Jugendorganisation. Durch die Taten hätten die Angeklagten die Gefährlichkeit der PKK in Kenntnis dessen gefestigt, dass diese ihre Ziele auch durch das Begehen von schweren Gewalttaten bis hin zu Kapitalverbrechen durchzusetzen versucht und damit eine terroristische Vereinigung im Ausland unterstützt. Bei zwei der Verurteilten ist die Rechtskraft der Urteile bereits eingetreten. "" Am 5. November 2019 verurteilte das OLG Stuttgart (BadenWürttemberg) einen PKK-Funktionär wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte von Mai 2015 bis Juni 2018 als Raumverantwortlicher und seit Ende Dezember 2017/Anfang Januar 2018 bis Juni 2018 als Gebietsleiter für die PKK tätig war. 9. Gefährdungspotenzial Die PKK ist unverändert die mitgliederstärkste und schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation in Deutschland. Die hohe Zahl an Protestveranstaltungen als Reaktion auf die türkische Militäroffensive im Herbst 2019 hat erneut das erhebliche Mobilisierungspotenzial der PKK verdeutlicht. Die Organisation ist weiterhin in der Lage, Personen weit über die eigene Anhängerschaft hinaus zu mobilisieren. Die Entwicklung in Nordsyrien hat zu einer deutlichen Emotionalisierung der PKK-Anhängerschaft in Deutschland geführt und wird sich voraussichtlich auch weiterhin auf die Sicherheitslage in Deutschland auswirken. Die dadurch noch einmal verstärkten Spannungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen/ rechtsextremistischen Türken sind auf beiden Seiten anhaltend hoch. 249 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Gewalt bei Ein permanentes Konfliktpotenzial bieten die zahlreichen im Demonstrationen Bundesgebiet abgehaltenen Kundgebungen, bei denen es auch im Verlauf des Jahres 2019 zu Konfrontationen beider Lager kam. Die Auseinandersetzungen zeigten teilweise eine Gefährdungsdimension, in der auch Todesopfer nicht auszuschließen sind. So kam es im Rahmen einer angemeldeten Demonstration in Lüdenscheid (Nordrhein-Westfalen) am 16. Oktober 2019 nach verbalen Provokationen zwischen kurdischund türkischstämmigen Personen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit diversen Körperverletzungsdelikten. Dabei wurde einem 50-jährigen, türkischstämmigen Deutschen ein Messer in den Rücken gestoßen. Das Opfer erlitt schwere Verletzungen. Neben den Zusammenstößen beider Lager hat sich in Deutschland auch die Wahrscheinlichkeit militanter Aktionen gegen (halb-) staatliche Einrichtungen der Türkei erhöht. Solange in der Türkei beziehungsweise in Syrien keine Lageentspannung eintritt, dürfte dieser Zustand anhalten und eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit in Deutschland darstellen. Selbstverbrennung Am 20. Februar 2019 hatte sich ein mutmaßlicher PKK-Anhänger vor dem Amtsgericht in Krefeld (Nordrhein-Westfalen) selbst in Brand gesetzt und verstarb einige Tage später im Krankenhaus infolge der Verletzungen. In einem angeblich von ihm vor der Tat verfassten Brief schilderte er seine Beweggründe und nahm dabei explizit Bezug auf die "Isolationshaft" Öcalans. Bereits im Vorjahr war es zu einer Selbstverbrennung sowie zu einer versuchten Selbstentzündung gekommen. Der PKK-nahen Nachrichtenagentur ANF zufolge äußerte sich die Vorstandsvorsitzende des Dachverbands PKK-naher Vereine NAV-DEM ablehnend zu dieser Form des politischen Kampfes, instrumentalisierte die Tat jedoch gleichzeitig, um auf die Belange der PKK aufmerksam zu machen: "In Deutschland werden alle unsere Tätigkeiten angegriffen. Unsere Aktivitäten, unsere Farben und sogar unsere kurdischen Bücher werden verboten. Wir lehnen diese Aktionsform ab, aber [Name im Original genannt] hat offenbar keine Alternative mehr gesehen." (Homepage ANF, 21. Februar 2019) Wenngleich in Europa weiterhin friedliche Veranstaltungen und Aktivitäten im Vordergrund stehen, bleibt Gewalt eine strategische 250 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Option der PKK-Ideologie. Dies wird nicht zuletzt durch die Rekrutierungen für die eigene Guerilla deutlich. Die PKK ist in der Lage, zumindest punktuell Gewalt auch in Deutschland einzusetzen, sofern dies aus ihrer Sicht geboten scheint. Darüber hinaus werden Gewalttaten ihrer jugendlichen Anhängerschaft zumindest geduldet. III. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C)93 strebt den revolutionären Umsturz der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei an. Ihr Ziel ist es, dort eine sozialistische Gesellschaft zu errichten. Die wesentlichen Feindbilder der DHKP-C sind die als "faschistisch" und "oligarchisch" bezeichnete Türkei und der "US-Imperialismus". Aus Sicht der DHKP-C wird die Türkei in politischer, wirtschaftlicher und vor allem militärischer Hinsicht von den USA dominiert. Die Überwindung dieser Situation und das Errichten der sozialistischen Gesellschaft sind laut dem Parteiprogramm der DHKP-C ausschließlich über den "bewaffneten Volkskampf" zu erreichen. Ihre ideologische Grundhaltung wird in den Veröffentlichungen der Organisation regelmäßig zum Ausdruck gebracht. Beispielhaft heißt es dazu in der in Deutschland verbotenen Parteipublikation "Yürüyüs": "Wir führen immer noch einen bewaffneten Kampf für die marxistisch-leninistische Ideologie, die revolutionäre Volksmacht und den Sozialismus." ("Yürüyüs" Nr. 129, 28. Juli 2019) "Gegen den Imperialismus und seinen Partner vor Ort, die Oligarchie, treten wir für eine komplett unabhängige Türkei 93 "Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi". Die Organisation untergliedert sich in einen politischen Arm, die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP - "Devrimci Halk Kurtulus Partisi"), und in einen ihr nachgeordneten militärisch-propagandistischen Arm, die "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC - "Devrimci Halk Kurtulus Cephesi"). 251 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) ein! Gegen den Faschismus treten wir für Demokratie, gegen den Kapitalismus für Sozialismus ein! Hierfür sind wir seit 48 Jahren im Widerstand, hierfür kämpfen wir seit 48 Jahren!" ("Yürüyüs" Nr. 136, 15. September 2019) Nach wie vor sieht sich die DHKP-C selbst als führende Kraft des "bewaffneten Volkskampfes" unter der Leitung ihres militärischen Armes, der "Revolutionären Volksbefreiungsfront" (DHKC). Daran konsequent festzuhalten, betrachtet die DHKP-C als ihr Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Gruppierungen aus dem linksextremistischen Spektrum. Die Organisation pflegt damit weiterhin das Image einer politischen "Avantgarde": "Wir sind die einzigen, die gegen die Oligarchie und gegen die Ausbeutungspolitik der Oligarchie einen Kampf führen. (...) Wir sind die einzige marxistisch-leninistische Bewegung in der Welt, die noch kämpft. (...) Wir kämpfen, um die politische Macht des Volkes zu errichten. Dabei weichen wir von unserem Kampf, den wir für die Realisierung der Unabhängigkeit, der Demokratie und des Sozialismus führen, keinen Millimeter ab." ("Yürüyüs" Nr. 111, 24. März 2019) In Deutschland unterliegt die DHKP-C seit 1998 einem Organisationsverbot; von der Europäischen Union ist sie seit 2002 und von den USA bereits seit 1997 als terroristische Organisation gelistet. Aktivitäten der Obwohl sich die DHKP-C in ihren ideologischen Aussagen klar DHKP-C in der Türkei und eindeutig zur Durchführung des bewaffneten Kampfes in der Türkei bekennt, gelang es ihr im Berichtszeitraum nicht, diesen erfolgreich in die Tat umzusetzen. Der bereits an der Einlasskontrolle zum türkischen Parlament in Ankara gescheiterte Versuch zweier DHKP-C-Anhänger, am 15. Mai 2019 das Gebäude mit einer Bombenattrappe und einem improvisierten Messer (an einem Bleistift war eine Rasierklinge befestigt worden) zu betreten, wurde von der Organisation dennoch im Nachgang propagandistisch zu einem Anschlagsversuch hochstilisiert: "Ein Stift, ein Rasiermesser und dazu Wagemut! Das hat dem AKP-Faschismus den Verstand geraubt! Mit unserem 252 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Machtanspruch und mit unserem Mut werden wir siegen!" ("Yürüyüs" Nr. 122, 9. Juni 2019) Vereinzelt waren kleinere militante Aktionen der sogenannten Milizen der DHKP-C in der Türkei festzustellen, die in einigen sozialen Brennpunkten, insbesondere in Istanbul, über bewaffnete Kräfte verfügen. Der Rückgang gewaltsamer Aktionen der Organisation in der Türkei dürfte in erster Linie der seit dem gescheiterten Putsch von 2016 verschärften Sicherheitslage in der Türkei geschuldet sein. Überwiegend betätigten sich die Anhänger der DHKP-C in der Türkei in verschiedenen politisch-propagandistischen Kampagnen, die sich hauptsächlich mit dem Vorgehen des türkischen Staates gegen die Organisation befassten. Gegenstand waren hierbei die in der Türkei auch 2019 erfolgten Festnahmen und Durchsuchungen insbesondere von zentralen Räumlichkeiten der DHKP-C. Unter den Festgenommenen befanden sich Anwälte des der DHKP-C nahestehenden Rechtsanwaltskollektivs "Halkin Hukuk Bürosu" (HHB)94 und Mitglieder der der DHKP-C zuzurechnenden Musikgruppe "Grup Yorum". Am 6. Februar 2019 hat der Staatsschutzsenat des Hanseatischen Strafverfahren gegen Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg den Europaleiter der DHKP-C DHKP-C-Mitglieder wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er seit 2009 das Bindeglied zwischen der Führung der DHKP-C und den Strukturen der Organisation in mehreren westeuropäischen Staaten, der sogenannten Rückfront, gewesen ist. Das Urteil ist rechtskräftig. Am 27. Juni 2019 hat das OLG Hamburg einen weiteren Funktionär der DHKP-C ebenfalls wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Dieser war bereits seit 2002 als Funktionär für die Organisation tätig, unter anderem zwischen 2008 und 2010 als Gebietsverantwortlicher der DHKP-C für Hamburg und zwischen 2012 und 2013 für Berlin. 94 "Rechtsbüro des Volkes". 253 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Von den am 28. November 2017 in Griechenland verhafteten neun Mitgliedern der DHKP-C, die mit möglichen Anschlagsplanungen der DHKP-C in der Türkei in Verbindung gebracht worden waren, sind im Mai 2019 lediglich sechs wegen des Besitzes von Kleinwaffen verurteilt worden. Die Personen, unter denen sich Führungskader aus Deutschland und weiteren westeuropäischen Staaten befanden, waren zwischenzeitlich alle aus der Haft entlassen worden. Aktivitäten Deutschland bleibt für die DHKP-C als sogenannte Rückfront des der DHKP-C in in der Türkei geführten bewaffneten Kampfes nach wie vor unverDeutschland zichtbar. Umfang und Zielrichtung der Aktivitäten in Deutschland werden maßgeblich von Ereignissen in der Türkei bestimmt. So wurde die "Kampagne für Gerechtigkeit", mit der sich die Organisation in der Türkei unter anderem für die inhaftierten Anwälte des Rechtsanwaltskollektivs HHB und inhaftierte Mitglieder der "Grup Yorum" einsetzt, auch von der DHKP-C in Deutschland mit eigenen Kundgebungen aufgegriffen. Die Strukturen der DHKP-C in Deutschland agieren aufgrund des bestehenden Verbots der Organisation unter verschiedenen Tarnbezeichnungen, wie zum Beispiel "Halk Cephesi"95, "Dev Genc"96, "Halk Meclisi"97, "Anadolu Federasyonu"98 oder "HFG". Das im Mai 2018 in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) eröffnete "Hasan Ferit Gedik99 - Kampfzentrum gegen Drogen und Glücksspielsucht", allgemein nur als "HFG" bezeichnet, wurde zwar nach nur zehn Monaten Ende März 2019 wieder geschlossen. Die mit dem Begriff "HFG" verbundene Kampagne gegen Drogenund Glücksspielsucht - der Kampf gegen die sogenannte Degeneration - wird jedoch fortgeführt. Die Kampagne hat sich aus Sicht der DHKP-C zu einem propagandistischen Erfolgsmodell entwickelt, mit dem sie über die eigene Anhängerschaft hinausgehende Kreise erreicht. Ideologisch wird die Kampagne als Teil des antiimperialistischen Kampfes gegen die "Degeneration" eingeordnet: 95 "Volksfront". 96 Kurzform für "Devrimci Genclik" - "Revolutionäre Jugend". Die "Dev Genc" ist die Jugendorganisation der DHKP-C. 97 "Volksrat". 98 "Anatolische Föderation". 99 Hasan Ferit Gedik war Mitglied der "Dev Genc" in Istanbul. Er wurde im September 2013 von Mitgliedern einer Drogenbande erschossen. 254 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "Drogen sind die organisierte Vergiftung des Volkes. Sie sind das Mittel des Imperialismus, um der Völker habhaft zu werden! Daher stehen wir in unserem Kampf gegen Degeneration dem Imperialismus und der Oligarchie gegenüber. Der Kampf gegen Drogen ist somit der Kampf gegen den Imperialismus." ("Yürüyüs" Nr. 130, 4. August 2019) Nach eigenen Angaben sieht die DHKP-C in dieser Kampagne auch die Möglichkeit, Personen für ihren bewaffneten Kampf zu rekrutieren: "Denn wir wissen, dass der Krieg gegen den Drogenmissbrauch ein Krieg zwischen der Ideologie des Imperialismus und der revolutionären Ideologie ist. (...) Wie werden wir diesen Krieg gewinnen? Wir werden diese Blumen auf dem Müll aus den Müllhaufen retten, auf die sie geworfen wurden, und sie gegen Imperialismus und Faschismus einsetzen. So werden wir gewinnen. Bislang haben wir sechs Genossen, die wir aus dem Sumpf gezogen haben, beim Kampf gegen den Faschismus als Märtyrer verloren. Aber die Zahl der Revolutionäre, die aus jenem Sumpf kommen, wird steigen und sie werden der Alptraum des Faschismus sein. (...) Mit Hilfe der Komitees für den Krieg gegen Drogen werden wir eine radikale und militante bewaffnete Volksbewegung erschaffen!" ("Yürüyüs" Nr. 138, 29. September 2019) Wie in jedem Jahr führte die DHKP-C anlässlich ihres traditionellen "Märtyrergedenkens" und Parteigründungstages wieder einen Protestmarsch und eine Gedenkveranstaltung durch, die am 14. April 2019 mit rund 200 Teilnehmern (2018: 250 Teilnehmer) in Köln (Nordrhein-Westfalen) stattfanden. Die bei Anschlägen in der Türkei getöteten Kämpfer der DHKP-C werden von ihr als "Märtyrer" idealisiert. Die Betonung ihrer Vorbildfunktion, verbunden mit der Bekräftigung des fortgesetzten bewaffneten Kampfes, hat einen besonders hohen Stellenwert innerhalb der Propaganda der Organisation. Am traditionellen Sommerund Familiencamp der DHKP-C, das vom 27. Juli bis 11. August 2019 in Südfrankreich stattfand, nahmen über 200 Personen aus ganz Europa teil. Damit konnte die Organisation eine deutliche Zunahme im Vergleich zum Vorjahr mit nur 100 Teilnehmern verzeichnen. Wie in den Vorjahren wurden 255 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) die Teilnehmer in täglichen Diskussionsund Schulungsveranstaltungen mit den aktuellen organisationstypischen Themen der DHKP-C vertraut gemacht - wie der Bedeutung der Parteizeitung "Yürüyüs" oder der Musikgruppe "Grup Yorum" und dem Kampf gegen die "Degeneration". Zusammenkünfte dieser Art dienen der politischen Schulung und der Rekrutierung von Nachwuchsmitgliedern. Sie fördern durch ihren gemeinschaftlichen, kollektiven Charakter den inneren Zusammenhalt der Organisation. Konzerte der Die Konzertauftritte der Musikgruppe "Grup Yorum" sind das der"Grup Yorum" in zeit wichtigste Propagandainstrument der DHKP-C, da die Gruppe Deutschland eine weit über die eigene Anhängerschaft hinausgehende Resonanz entfaltet. Auch im Berichtszeitraum hat sich erneut gezeigt, dass Konzerte der "Grup Yorum" von den Strukturen der DHKP-C in Deutschland vorbereitet, beworben und durchgeführt werden. Nachdem die größeren Konzerte der "Grup Yorum" in den Jahren seit 2016 unter freiem Himmel stattgefunden hatten, gelang es der DHKP-C, am 1. Juni 2019 ein Konzert vor rund 1.000 Zuschauern in einer Halle in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) auszurichten. Neben weiteren, kleineren Auftritten einzelner Musiker von "Grup Yorum" war für den 24. November 2019 ein Konzert in einer privaten Veranstaltungshalle in Köln geplant. Die Polizei untersagte jedoch die Durchführung des Konzerts, da die "Grup Yorum" als integraler Bestandteil der in Deutschland verbotenen DHKP-C zu betrachten sei. GefährdungsAuch wenn in den letzten Jahren die terroristischen Aktivitäten potenzial der DHKP-C in der Türkei nachgelassen haben, kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Organisation auch künftig jede sich bietende Gelegenheit nutzen wird, Gewalt vor allem gegen türkische und US-amerikanische Einrichtungen zu verüben. Dabei kommt es weniger auf eine "erfolgreiche" Durchführung oder die Größe des Schadens an. Auch bloße Anschlagsversuche werden propagandistisch als Nachweis der eigenen Handlungsfähigkeit genutzt. Die Strukturen der DHKP-C in Westeuropa und insbesondere in Deutschland sind dabei als Rückzugsraum und logistische Versorgungsbasis für die Organisation nach wie vor unverzichtbar. Insbesondere ihre Propagandaaktivitäten und die aktuelle Kampagne 256 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) gegen Drogenund Glücksspielsucht machen zudem deutlich, dass die DHKP-C Deutschland auch als eine Basis zur Rekrutierung potenzieller Attentäter für Anschlagsziele in der Türkei betrachtet. IV. Türkischer Rechtsextremismus ("Ülkücü"-Bewegung) Die rechtsextremistische türkische "Ülkücü"-Bewegung ("Idealisten"-Bewegung) entstand Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei. Sie fußt auf einer nationalistischen und rassistischen rechtsextremistischen Ideologie, deren Wurzeln im Panturkismus/Turanismus liegen. Die ideologische Bandbreite dieser Bewegung reicht von neuheidnischen Elementen über einen nationalistischen Kemalismus bis in den Randbereich des Islamismus. Das Ziel dieser Bewegung ist die Verteidigung und Stärkung des Türkentums. Als Idealvorstellung gilt den "Ülkücü"-Anhängern die Errichtung von "Turan" - ein ethnisch homogener Staat aller Turkvölker unter Führung der Türken. Für die Gründung dieses Staates sollen "Turan" die Siedlungsgebiete aller Turkvölker einverleibt werden. Je nach ideologischer Lesart erstrecken sich diese vom Balkan bis nach Westchina oder Japan. Die "Ülkücü"-Bewegung sieht die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als höchsten Wert an. Die so unterstellte kulturelle und religiöse Überlegenheit äußert sich in der Überhöhung der eigenen türkischen Identität und resultiert in einer - auch völkerverständigungswidrigen - Herabwürdigung anderer Volksgruppen, die zu "Feinden des Türkentums" erklärt werden. Symbol und bekanntestes Erkennungszeichen der "Ülkücü"-Bewegung ist der "Graue Wolf" ("Bozkurt") und der daraus abgeleitete sogenannte Wolfsgruß, bei dem die Finger der rechten Hand am ausgestreckten Arm den Kopf eines Wolfs formen. Oft werden Anhänger der "Ülkücü"-Bewegung daher auch als "Graue Wölfe" ("Bozkurtlar") bezeichnet. 257 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) ADÜTDF als Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine größter "Ülkücü"in Deutschland e.V." (ADÜTDF)100 ist der größte "Ülkücü"-DachDachverband verband in Deutschland. Er vertritt hierzulande die Interessen der extrem nationalistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP)101. Dem Dachverband gehören rund 170 lokale Vereine an, in denen etwa 7.000 Mitglieder organisiert sind. In ihrer öffentlichen Darstellung demonstriert die ADÜTDF ein gesetzeskonformes Verhalten und ist stark um ein gemäßigtes Auftreten bemüht. Tatsächlich ist die ADÜTDF Verfechterin einer nationalistisch-rechtsextremistischen Ideologie im Sinne ihrer Mutterpartei MHP. So ist der Verband nicht nur aufgrund seiner Mitgliederstärke ein ernst zu nehmender Träger und Verbreiter nationalistisch-rechtsextremistischen Gedankenguts unter den in Deutschland lebenden Türken. Einer der Vordenker der "Ülkücü"-Bewegung ist der rassistisch-nationalistische sowie antisemitische Autor und Historiker Nihal Atsiz (1905-1975), dessen Schriften die ADÜTDF propagiert und verbreitet. Auch die türkische Unterweltgröße Abdullah Catli (1956-1996), dem unter anderem mehrere politische Morde zur Last gelegt werden und der ein Verfechter der "Turanistischen Idee" war, wird in etlichen ADÜTDF-Vereinen verehrt. Beispielhaft ist folgender Eintrag auf Facebook: "Der Vorsitzende der Ülkü Ocaklari der Provinz Ankara im Jahre 1977 Abdullah CATLI 01.06.1956 - 03.11.1996 VERGESSEN IST VERRAT..." (Facebook-Seite "ATF Osnabrück Ülkü Ocagi", 3. November 2019) Die ADÜTDF ist entgegen ihrem nach außen demonstrierten Integrationswillen und legalistischen Auftreten überzeugt von der Überlegenheit des Türkentums. Dieses Weltbild verstößt gegen den im Grundgesetz verankerten Gleichheitsgrundsatz und wirkt 100 "Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu". 101 "Milliyetci Hareket Partisi". Die 1969 gegründete MHP gilt als Urorganisation der "Ülkücü"-Bewegung. Sie ist im türkischen Parlament vertreten und unterstützte in den zurückliegenden Jahren die Politik von Staatspräsident Erdogan und seiner Partei AKP. 258 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) einer Integration türkischstämmiger Migranten in die deutsche Gesellschaft entgegen. Das Bekenntnis zur "turanistischen" Ideologie wird regelmäßig unterstrichen durch Äußerungen der Vereine oder einzelner Mitglieder sowie durch die Zurschaustellung einschlägiger Symbole und Gesten in den sozialen Netzwerken. Beispiele sind das Zeigen des "Wolfsgrußes" oder das Verwenden der "Üc Hilal" ("drei Halbmonde")102. Eines der Feindbilder der ADÜTDF sowie der gesamten "Ülkücü"-Bewegung stellen die PKK sowie generell alle Kurden dar. Dennoch kam es im Berichtszeitraum nicht zu größeren gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der verfeindeten Lager. Dies mag auch auf die Vorgaben für die verbandlich organisierten "Ülkücü"-Anhänger zurückzuführen sein. In einer Stellungnahme zur türkischen Militäroperation "Quelle des Friedens" in Nordsyrien betonte der ADÜTDF-Vorsitzende Sentürk Dogruyol, dass sich sein Verband von jeglicher Art der Aufwiegelung und der Provokation fernhalten werde. Gleichwohl verfolge man seit Beginn der Offensive mit großer Sorge die zuweilen gewaltsamen Demonstrationen und Aktionen der PKK in Deutschland. Dass die Gewalt insbesondere durch wechselseitige Provokationen - darunter auch das Zeigen türkisch-rechtsextremistischer Symbolik - hervorgerufen worden war, erwähnte Dogruyol nicht. Ein weiterer Dachverband, der der "Ülkücü"-Bewegung zuzurechATIB als weiterer nen ist, ist die "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen KulturverDachverband der eine in Europa e.V." (ATIB)103. "Ülkücü"-Bewegung Die ATIB hat sich im Jahr 1987 von der heutigen ADÜTDF abgespalten, ohne sich dabei oder in der Folge ideologisch neu auszurichten. Wie die ADÜTDF gehört die ATIB so auch heute nach wie vor der türkisch-rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung an, steht im Vergleich zur ADÜTDF aber für einen stärker islamisch-religiös orientierten Teil der Bewegung. In Bezug auf ihre Strukturen in Deutschland spricht die ATÄdegB selbst von 80 Vereinen mit über 8.000 Mitgliedern. Tatsächlich dürften es deutlich weniger sein. So können dem Dachverband mit Sitz in Köln derzeit rund 102 Die "Üc Hilal" auf rotem Grund dienen als Zeichen für das Osmanische Reich und sind zugleich das Parteilogo der MHP. 103 "Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi". 259 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 20 Ortsvereine mit insgesamt etwa 1.200 Mitgliedern zugeordnet werden. Die ATÄdegB ist um gesellschaftliche Akzeptanz und die damit einhergehenden Mitsprachemöglichkeiten in Deutschland bemüht. Der Selbstdarstellung auf ihrer Website zufolge sei ihr Ziel, die kulturelle und religiöse Identität der türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland zu bewahren und sich dabei für die Völkerverständigung und Akzeptanz der unterschiedlichen Kulturen einzusetzen. Tatsächlich wurzelt der eingetragene Verein in der "Ülkücü"-Ideologie, die eine Überhöhung des Türkentums vertritt und von einem ausgeprägten Freund-Feind-Denken geprägt ist, das zu systematischer Abwertung anderer Volksgruppen oder Religionen, insbesondere der Kurden und des Judentums, führt. Anders als von der ATIB nach außen propagiert, erzeugt der Dachverband eine desintegrative Wirkung und fördert einen türkischen Nationalismus mit rechtsextremistischen Einflüssen. Die Zuordnung der ATIB zur rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung beruht insbesondere auf: "" ihrer in der Bewegung liegenden organisatorischen Herkunft, "" ideologischen Gemeinsamkeiten, "" der Nutzung der "Ülkücü"-Symbolik und "" den Äußerungen und dem Verhalten ihrer Vertreter und einzelner Mitglieder. So bezeichnen die ATIB und ihre Vertreter sich selbst als "Ülkücü". Positive Verweise auf die turanistische Idee durch die ATÄdegB und einzelne Mitglieder belegen eine ideologische Ausrichtung, wie sie in der "Ülkücü"-Bewegung üblich ist. Vordenker der rechtsextremistischen "Ülkücü"-Ideologie wie Nihal Atsiz, Alparslan Türkes (1917-1997) oder Muhsin Yazicioglu (1954-2009) und deren Lehren werden in der ATÄdegB noch heute verehrt und zitiert. Die zur Schaffung des Staates "Turan" gestellten Territorialansprüche vom europäischen Balkan bis nach China in Verbindung mit der Verehrung kriegerischer "Turk"-Eroberer von der Antike bis zum Osmanischen Reich verstoßen zudem gegen den Gedanken der Völkerverständigung. 260 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Entsprechend hat das Verwaltungsgericht München im Jahr 2019 die Zuordnung der ATIB zur "Ülkücü"-Bewegung als rechtmäßig erachtet.104 Die Entscheidung ist rechtskräftig. Ein militärisches Vorgehen der türkischen Sicherheitskräfte in Reaktionen auf den türkisch-syrischen Grenzregionen findet unter "Ülkücü"-Andie türkische hängern regelmäßig ein fast ausnahmslos zustimmendes Echo. So Militäroperation wurde auch die Anfang Oktober 2019 gestartete Operation "Quelle "Quelle des Friedens" des Friedens" überwiegend positiv aufgenommen. Infolge der Vielzahl an Protestkundgebungen, die sich gegen die türkische Offensive richteten und an denen sich auch PKK-Anhänger beteiligten, kam es vereinzelt auch zu Solidaritätskundgebungen zur Unterstützung der türkischen Streitkräfte. Diese Demonstrationen wurden nicht von "Ülkücü"-Organisationen angemeldet, die ihre Mitglieder in diesem Zusammenhang durchweg zur Zurückhaltung aufgerufen hatten. Vielmehr versammelte sich meist ein breites Spektrum von Personen mit überwiegend türkischem Migrationshintergrund, unter denen auch Anhänger der "Ülkücü"-Bewegung festzustellen waren. Häufigstes Erkennungszeichen war der "Wolfsgruß", aber auch andere türkisch-rechtsextremistische Symbolik. So wurde zum Beispiel bei einer Demonstration mit etwa 500 Teilnehmern am 20. Oktober 2019 in Heilbronn (Baden-Württemberg) sowohl vom Lautsprecherfahrzeug herab als auch aus dem Teilnehmerkreis heraus häufig der "Wolfsgruß" gezeigt. Auch einer der Redner beendete unter dem Beifall der Kundgebungsteilnehmer seinen Redebeitrag mit dem "Wolfsgruß" und einem leicht abgewandelten Liedtext des im Februar 2019 verstorbenen Künstlers Ozan Arif, der in der "Ülkücü"-Szene immer noch große Popularität genießt: "Solange der Koran in den Mündern und Herzen existiert, wird das Vaterland, die türkische Heimat nicht verwüstet. Hoch lebe der Sohn des Türken, hoch lebe der Turan. Die Bozkurts waren mit uns." ("Avrupa'da meydanlara sigmadik ... Muhtesemdin Heilbronn!", YouTube, 20. Oktober 2019) 104 Vgl. VG München, Urteil vom 23.05.2019 - M 30 K 17.1230. 261 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Antisemitismus Antisemitismus ist ein Wesensmerkmal der "Ülkücü"-Ideologie. innerhalb der Schon Nihal Atsiz, der bedeutendste ideologische Vordenker des "Ülkücü"-Bewegung türkischen Rechtsextremismus, propagierte den Antisemitismus, wobei er die Juden über eine Fülle anderer angeblicher Feinde der Türken hinaus zum "Feind aller Völker" erklärte. Die antisemitischen Stereotype anderer türkischer Rechtsextremisten reichen von rassistischen Vorstellungen von "minderwertigen" Juden über Verschwörungstheorien - mit Juden als finsteren "Strippenziehern" eines internationalen Imperialismus - bis hin zu einer religiös-islamisch begründeten Ablehnung der Juden als Unbeziehungsweise Falschgläubige. Bei den verbandlich organisierten "Ülkücü"-Vereinen tritt ein offener Antisemitismus nach außen hin kaum zutage. Die um ein positives Erscheinungsbild bemühten Vertreter wirken insoweit erfolgreich auf ihre Mitglieder ein. Unter den unorganisierten "Ülkücü"-Anhängern finden sich überwiegend in den sozialen Netzwerken einzelne Personen, welche sich auf Grundlage ihrer Ideologie auch offen antisemitisch zeigen. Häufig werden diese Postings allerdings nicht selbst verfasst, sondern entsprechende Aussagen geteilt oder zustimmend kommentiert. Unorganisierte Die unorganisierte "Ülkücü"-Bewegung besteht zu einem großen "Ülkücü"-Bewegung Teil aus internetaffinen Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Diese stehen vor allem über soziale Netzwerke miteinander in Kontakt. Dort pflegen sie ihre Feindbilder und agitieren mittels Hass-Postings gegen ihre "Feinde". Einzelne "Ülkücü"-Anhänger engagieren sich aber auch zunehmend in türkischen Vereinigungen, die keine vordergründig extremistische Programmatik vertreten, sondern sich lediglich loyal zur Türkei verhalten. Im Gegensatz zu einem kleiner werdenden kemalistisch eingestellten Teil der "Ülkücü"-Bewegung, der der türkischen Regierungspartei kritisch gegenübersteht, geht in der Mehrheit der unorganisierten Szene die Loyalität zur Türkei mit einer Akzeptanz der gegenwärtigen türkischen Regierungspolitik einher. Die unorganisierte "Ülkücü"-Anhängerschaft hält sich bei der Verwendung rechtsextremistischer Symbolik oft weniger zurück. 262 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Allerdings ist nicht jeder, der den "Wolfsgruß" zeigt, nur deshalb sofort den "Ülkücü" zuzuordnen. Zwar entspringt dieses Zeichen eindeutig dem türkischen Rechtsextremismus. Dennoch wird es auch von Personen, die nicht der "Ülkücü"-Bewegung angehören, zum Beispiel bei öffentlichen Veranstaltungen, gezielt als Provokation gegenüber Andersdenkenden genutzt. Zudem gehören einige türkische Rechtsextremisten einem Kreis "informeller Sicherheitsleute" an, die sich etwa seit 2016 für Schutzund Hilfsaufgaben am Rande von Veranstaltungen zur Verfügung stellen. Diese traten zum Beispiel bei der der Eröffnung der DITIB-Zentralmoschee in Köln (Nordrhein-Westfalen) durch den türkischen Staatspräsidenten Erdogan am 29. September 2018 in Erscheinung. Ein Teil dieser Personen entstammt dem Milieu der türkisch-rechtsextremistischen rockerähnlichen Vereinigungen. Die seit 2014 verstärkt festzustellenden türkisch-nationalistischen Rockerähnliche beziehungsweise türkisch-rechtsextremistischen rockerähnlichen Gruppierungen Gruppierungen haben spätestens seit dem Jahr 2018 wieder an innerhalb der Bedeutung verloren. Diese Zusammenschlüsse zur "Verteidigung "Ülkücü"-Bewegung der Interessen der Türkei" erwiesen sich damit als relativ kurzlebig. Zeitweise überregional bestehende Vereinigungen des "Turkos MC" und des "Turan e.V." haben sich 2018 aufgelöst. Nachfolgeaktivitäten zur Fortsetzung beziehungsweise Wiederaufnahme der Bestrebungen zeigten bisher keine erwähnenswerten Erfolge. Die wenigen verbliebenen, zersplitterten und oft führungslosen Kleinstgruppierungen stellen in dieser Form keinen nennenswerten Faktor im türkischen Rechtsextremismus mehr dar. Zu dieser Entwicklung dürften unter anderem auch staatliche Maßnahmen beigetragen haben, die sich gegen kriminelle Aktivitäten der Gruppierungen oder einzelner Mitglieder richteten. 263 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) V. Überblick mit Strukturdaten zu Beobachtungsobjekten 1. "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung: 1978 in der Türkei Leitung/Vorsitz: Abdullah Öcalan Mitglieder/Anhänger 14.500 (2018: 14.500) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Serxwebun" (Zeitung, monatlich) "Yeni Özgür Politika" (Zeitung, täglich) "Sterk TV" (TV-Sender) Betätigungsverbot in Verbotsverfügung des Bundesministers Deutschland: des Innern vom 22. November 1993; das Verbot bezieht sich auch auf alle späteren Umbenennungen: "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" ("Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane" - KADEK) "Volkskongress Kurdistans" ("Kongra Gele Kurdistan" - KONGRA GEL) "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" ("Koma Komalen Kurdistan" - KKK) "Union der Gemeinschaften Kurdistans" ("Koma Civaken Kurdistan" - KCK) Jugendorganisation: "Komalen Ciwan"/"Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS) 264 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die im Jahr 1978 in der Türkei gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ist die mitgliederstärkste und bedeutendste Kurdenorganisation. Zentrale Forderungen der PKK sind die Anerkennung der kurdischen Identität sowie unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden in ihren Siedlungsgebieten, vor allem in der Türkei und verstärkt auch in Syrien. Daneben konzentrieren sich die politischen Forderungen der PKK auf die Freilassung ihres seit 1999 inhaftierten Führers Abdullah Öcalan beziehungsweise auf die Verbesserung seiner Haftbedingungen. Ein wesentlicher Schwerpunkt der PKK-Aktivitäten in Deutschland ist die logistische und finanzielle Unterstützung der Gesamtorganisation. Diesem Zweck dienen Spendenkampagnen und Großveranstaltungen, die auch dazu genutzt werden, weitere Anhänger für die Parteiarbeit und für den aktiven Guerillakampf zu gewinnen. Die Anhänger der PKK in Deutschland fordern die Aufhebung des im Jahr 1993 gegen die Organisation verfügten Betätigungsverbots. 265 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.1 "Komalen Ciwan"/"Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS) Gründung: 2005/2013 Publikationen/Medien: "Sterka Ciwan" (Zeitschrift, monatlich) Die Jugendorganisation der PKK firmiert nach mehreren Umbenennungen seit 2005 unter der Bezeichnung "Komalen Ciwan". Parallel dazu wurde im April 2013 die "Ciwanen Azad" gegründet, die seit Oktober 2018 unter dem Namen "Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS) auftritt. Die TCS wurde zwar als europäischer Dachverband der PKK-Jugendorganisation gegründet, tatsächlich aber bestehen die TCS und die "Komalen Ciwan" parallel nebeneinander und umfassen denselben Personenkreis. Während TCS als offizielle Bezeichnung für die Jugend der PKK und als legaler Verband fungieren soll, wird die Bezeichnung "Komalen Ciwan" nur noch im Zusammenhang mit in der Öffentlichkeit negativ konnotierten Aktionen kurdischer Jugendlicher genutzt (z.B. bei Aufrufen zum Beitritt zur PKK-Guerilla). Der TCS sollen dagegen ausschließlich positive Schlagzeilen zugeschrieben werden (z.B. im Zusammenhang mit der Durchführung von friedlichen Demonstrationen). Schwerpunkt der Aktivitäten bildet die Mobilisierung zu sowie die Durchführung von Kundgebungen und Demonstrationen mit thematischem Bezug zur PKK beziehungsweise zur Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten. Darüber hinaus ist die Jugendorganisation verantwortlich für anlassbezogene "Hit and Run"-Aktionen (z.B. Brandanschläge auf türkische Einrichtungen) und für die Rekrutierung von Personen für den bewaffneten Kampf der PKK (z.B. durch Aufrufe oder das Veranstalten von Jugend-Camps). 266 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2 "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAV-DEM) Gründung: 27. März 1994 als "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM)105 Gleichberechtigte Ayten Kaplan und Tahir Köcer Vorstandsvorsitzende: Für die Umsetzung von Vorgaben der in Deutschland verbotenen europäischen Führungsspitze der PKK - insbesondere in Bezug auf die Durchführung von Großveranstaltungen - und für den Informationsfluss zur Basis bedient sich die PKK überwiegend der örtlichen kurdischen Vereine in Deutschland, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkte und Anlaufstellen dienen. Als Dachverband dieser Vereine fungierte bislang das "Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAV-DEM). Der Dachverband ist damit ein Beispiel für eine der unselbstständigen (Teil-)Vereinigungen der PKK, deren eigenverantwortlicher Entscheidungsspielraum sich ausschließlich im Rahmen der von der PKK-Führung vorgegebenen Direktiven bewegt.106 Seit ihrer Gründung im Mai 2019 übernimmt die "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED) (vgl. Nr. 1.3) sukzessive das Aufgabenspektrum des NAV-DEM. 105 "Yekitiya Komalen Kurd li Elmanya". 106 Vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2010 - 3 StR 179/10. 267 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.3 "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED) Gründung: Mai 2019 Gleichberechtigte Vorstandsvorsitzende: Leyla Acar und Tahir Köcer Im Mai 2019 wurde mit der "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V." (KON-MED) eine neue Dachorganisation für Deutschland gegründet. Seitdem haben die Strukturen der KON-MED nach und nach die Aufgaben von dem bisherigen Dachverband NAV-DEM (vgl. Nr. 1.2) übernommen. Der neuen Dachorganisation sollen insgesamt fünf regionale Föderationen unterstehen, welche wiederum den örtlichen kurdischen Vereinen übergeordnet sind. Es ist zu erwarten, dass die neu geschaffenen Strukturen sukzessive weiter aufwachsen werden. 1.4 "AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V." (AZADI e.V.) Gründung: 1996 Publikationen/Medien: "AZADI infodienst" (Zeitschrift, monatlich) Bei dem "AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V." (AZADI e.V.) mit Sitz in Köln (Nordrhein-Westfalen) handelt es sich um einen Verein, dessen Hauptzweck in der finanziellen beziehungsweise materiellen Unterstützung von Personen liegt, die aufgrund ihrer Tätigkeit für die PKK in Deutschland strafrechtlich verfolgt werden. Der Rechtshilfefonds übernimmt zum Beispiel ganz oder teilweise Anwaltsund Prozesskosten für verurteilte Personen und unterstützt Inhaftierte finanziell. Auf diese Weise sollen die Betroffenen auch weiterhin an die Organisation gebunden werden. Es bestehen enge Verbindungen zu PKK-nahen Organisationen und zum linksextremistischen Verein "Rote Hilfe e.V.". 268 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2. "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 30. März 1994 in Damaskus (Syrien) Leitung/Vorsitz: Gruppe von Führungskadern Mitglieder/Anhänger 650 (2018: 650) in Deutschland: Publikationen/Medien: Zeitungen/Zeitschriften: "Yürüyüs" (wöchentlich) "Devrimci Sol" (jährlich) "Bizim Genclik" (unregelmäßig) "DHKC Gerilla" (unregelmäßig) Organisationsverbot: Verbotsverfügung des Bundesministers des Innern vom 6. August 1998; hierunter fällt auch ein Verbreitungsverbot der Wochenzeitschrift "Yürüyüs" Tarnbezeichnungen: "Volksfront" ("Halk Cephesi") "Volksrat" ("Halk Meclisi") Jugendorganisation: "Devrimci Genclik" (kurz: "Dev Genc") Die marxistisch-leninistische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) ist aus der 1978 in der Türkei gegründeten Organisation "Devrimci Sol", einer politisch-militärischen Organisation, hervorgegangen. Der ideologische Leitgedanke der DHKP-C ist die Errichtung eines sozialistischen Gesellschaftssystems durch gewaltsame Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung der Türkei. Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele hält die DHKP-C an der Durchführung von Terroranschlägen in der Türkei fest. Einrichtungen des türkischen Staates bleiben dabei vorrangige Angriffsziele. In Deutschland leisten Anhänger der DHKP-C als sogenannte Rückfront logistische, finanzielle und propagandistische Unterstützung. 269 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 3. "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML)107 beziehungsweise "Partizan" Gründung: 1972 in der Türkei Mitglieder/Anhänger 800 (2018: 800) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Özgür Gelecek" (Zeitung/Zeitschrift, 14-täglich) Die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) gründete sich 1972 in der Türkei. Öffentlichkeitswirksam agiert sie auch unter der Bezeichnung "Partizan". Ideologisch ist die TKP/ML fest im Marxismus-Leninismus verankert, sie folgt dabei aber einer maoistischen Linie. Ihr Ziel ist die gewaltsame Zerschlagung des Staatsund Gesellschaftssystems in der Türkei und die Errichtung eines kommunistischen Systems. Ereignisse in der Türkei werden von der TKP/ML in Deutschland propagandistisch aufgegriffen. 107 "Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist". 270 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 4. "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei"108 (MLKP) Gründung: 1994 in der Türkei Zusammenschluss der "TKP/ ML-Hareketi" und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) Leitung/Vorsitz: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger 600 (2018: 600) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Atilim" (Zeitung, wöchentlich) Die "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) bekennt sich ideologisch zum revolutionären Marxismus-Leninismus. Sie strebt in der Türkei die gewaltsame Zerschlagung der staatlichen Ordnung und die Errichtung eines kommunistischen Gesellschaftssystems an. Zur Erreichung dieses Zieles bedient sie sich in der Türkei terroristischer Mittel. Nach eigenen Angaben versteht sich die MLKP als politische Vorhut des Proletariats der türkischen und kurdischen Nation sowie der nationalen Minderheiten. Mit Kampagnen und Kundgebungen in Deutschland gedenkt die MLKP ihrer für die Revolution gefallenen "Märtyrer" und unterstützt propagandistisch den gewaltsamen Kampf in der Türkei. 108 "Marksist Leninist Komünist Parti". 271 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 5. Türkische Rechtsextremisten ("Ülkücü"-Bewegung) Mitglieder/Anhänger 11.000 (2018: 11.000) in Deutschland: Verbandliche Strukturen "Föderation der Türkisch-Demokratiin Deutschland: schen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) "Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) Die "Ülkücü"-Bewegung ist eine heterogene türkisch-rechtsextremistische Bewegung, deren Ursprünge in der nationalistisch-rassistischen panturkistischen Ideologie des frühen 20. Jahrhunderts liegen. Die unterschiedlichen Ausprägungen reichen von klassischem Rassismus bis in den Randbereich des Islamismus. Die türkische Nation wird von allen "Ülkücü"-Anhängern politisch-territorial und ethnisch-kulturell als höchster Wert erachtet. Die geschichtliche Größe beziehungsweise die politischen Errungenschaften des Osmanischen Reiches werden zu einem hegemonialen Nationalismus und Nachweis angeblicher türkischer Überlegenheit verklärt. Die sich so zugeschriebene Sonderstellung äußert sich in der Idealisierung der türkischen Identität bei gleichzeitiger Herabwürdigung anderer Volksgruppen und politischer Gegner. Die Überhöhung der eigenen türkischen Ethnie und Kultur stellt ein signifikantes Hindernis bei der Integration von "Ülkücü"-Anhängern in die deutsche Gesellschaft dar. Neben einem in Verbänden organisierten Teil der "Ülkücü"-Bewegung gibt es auch zahlreiche unorganisierte Anhänger der "Ülkücü"-Ideologie. Diese äußern sich vor allem im Internet mitunter unverhohlen rassistisch und antisemitisch - im Gegensatz zu den organisierten Teilen der Bewegung, die gerade einen offenen Antisemitismus vermeiden. Langfristiges Ziel und geografischer "Sehnsuchtsort" aller "Ülkücü"-Anhänger ist ein ethnisch und kulturell homogener Staat Turan als Heimat aller Turkvölker. 272 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 5.1 "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) Gründung: 1978 in Frankfurt am Main (Hessen) Sitz: Frankfurt am Main Leitung/Vorsitz: Sentürk Dogruyol Mitglieder/Anhänger 7.000 (2018: 7.000) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Bülten" (Zeitung/Zeitschrift, unregelmäßig) Die extrem nationalistische türkische "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) ist die Hauptorganisation der "Ülkücü"-Bewegung. Die MHP wurde 1969 von Alparslan Türkes (1917-1997) gegründet, der bis heute als "ewiger Führer" ("Basbug") verehrt wird. Derzeitiger Vorsitzender der Partei ist Devlet Bahceli. Die MHP ist im türkischen Parlament vertreten. In Deutschland wird die MHP durch die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) vertreten, dem mit 7.000 Mitgliedern größten "Ülkücü"-Dachverband im Bundesgebiet. Die hierarchisch aufgebaute ADÜTDF teilt Deutschland organisatorisch in 13 "Bölge" ("Gebiete") ein, in denen sie rund 170 Vereine unterhält. In der Außendarstellung ist die ADÜTDF bemüht, einen positiven und legalistischen Eindruck zu vermitteln. Tatsächlich vertritt die ADÜTDF eine extrem nationalistische, rechtsextremistische Ideologie, die über die Mitgliedsvereine, das Internet und bei Kulturveranstaltungen verbreitet wird. Dies fördert die Bildung einer Parallelgesellschaft von türkischen Nationalisten in Deutschland. 273 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 5.2 "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) Gründung: 1987 Sitz: Köln (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Durmus Yildirim Mitglieder/Anhänger 1.200 in Deutschland: Publikationen/Medien: "Referans" (Zeitschrift, zweimonatlich) Die "ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V." (ATIB) hat sich im Jahr 1987 von der heutigen ADÜTDF (vgl. Nr. 5.1) abgespalten, ohne sich dabei oder in der Folge ideologisch neu auszurichten. So gehört die ATIB heute nach wie vor der türkisch-rechtsextremistischen "Ülkücü"-Bewegung an, steht im Vergleich zur ADÜTDF aber für einen stärker islamisch-religiös orientierten Teil der Bewegung. In Bezug auf ihre Strukturen in Deutschland spricht die ATIB selbst von 80 Vereinen mit über 8.000 Mitgliedern. Tatsächlich dürften es deutlich weniger sein. So können dem Dachverband mit Sitz in Köln derzeit rund 20 Ortsvereine mit etwa 1.200 Mitgliedern zugeordnet werden. Die ATÄdegB ist um gesellschaftliche Akzeptanz und die damit einhergehenden Mitsprachemöglichkeiten in Deutschland bemüht. Ihrer Selbstdarstellung zufolge sei ihr Ziel, die kulturelle und religiöse Identität der türkischstämmigen Einwanderer in Deutschland zu bewahren und sich dabei für die Völkerverständigung und Akzeptanz der unterschiedlichen Kulturen einzusetzen. Anders als von der ATIB nach außen propagiert erzeugt der Dachverband durch seine Verwurzelung in der "Ülkücü"-Ideologie eine desintegrative Wirkung und fördert einen türkischen Nationalismus mit rechtsextremistischen Einflüssen. Die Zuordnung der ATIB zur "Ülkücü"-Bewegung wurde im Jahr 2019 vom Verwaltungsgericht München als rechtmäßig erachtet.109 109 Vgl. VG München, Urteil vom 23.05.2019 - M 30 K 17.1230. 274 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 5.3 Weitere "Ülkücü"-Strukturen und unorganisierte Anhänger Mitglieder/Anhänger 2.800 in Deutschland: Neben den verbandlich in der ADÜTDF oder der ATIB organisierten "Ülkücü"-Anhängern werden 2.800 Personen weiteren "Ülkücü"-Strukturen sowie der unorganisierten "Ülkücü"-Bewegung zugerechnet, mit der sie insbesondere ideologisch verbunden sind. Die unorganisierte "Ülkücü"-Bewegung besteht überwiegend (aber nicht ausschließlich) aus jüngeren Menschen, die zum Teil über soziale Netzwerke miteinander in Kontakt stehen. Dort pflegen sie ihre Feindbilder und agitieren gegen ihre "Gegner". Vor allem Kurden, Armenier, Griechen, Juden oder die USA werden von "Ülkücü"-Anhängern in völkerverständigungswidriger Hinsicht herabgewürdigt und zu Feinden des Türkentums erklärt. Emotionale Hauptbezugspunkte der unorganisierten "Ülkücü"-Bewegung sind die Türkei sowie der Konflikt der Türkei mit der kurdischen PKK. Mitunter schließen sich Teile der unorganisierten "Ülkücü"-Bewegung in rockerähnlichen Vereinigungen zusammen. Diese Verbindungen sind jedoch oft nicht von langer Dauer. 275 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 6. "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP)110 Gründung: 1967 Sitz: Damaskus (Syrien) Leitung/Vorsitz: Generalsekretär Ahmad Sa'adat (in Israel inhaftiert); Vertreter: Abu Ahmad Fuad Mitglieder/Anhänger 120 (2018: 100) in Deutschland: Publikationen/Medien: "Al-Hadaf" (früher als Zeitung, heute Onlinepublikation) 110 Englisch: "Popular Front for the Liberation of Palestine" (PFLP). 276 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Seit ihrer Gründung im Jahr 1967 zählt die marxistisch-leninistisch geprägte "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) zum Spektrum der terroristischen palästinensischen Organisationen. Die PFLP lehnt die Existenz des Staates Israel ab. Sie verfolgt das Ziel eines palästinensischen Staates in den Grenzen des historischen Palästina vor Gründung des modernen Staates Israel, mit einem ungeteilten Jerusalem als Hauptstadt. Dazu propagiert die PFLP den bewaffneten Kampf und sucht den Schulterschluss mit anderen Organisationen, die den Staat Israel bekämpfen, wie HAMAS111 und "Hizb Allah"112. Insbesondere in den 1960erund 1970er-Jahren führten Mitglieder der PFLP zahlreiche Flugzeugentführungen, Geiselnahmen und Attentate mit Todesopfern durch. In den nachfolgenden Jahrzehnten gingen die terroristischen Aktionen mit PFLP-Beteiligung merklich zurück. Dennoch kommt es nach wie vor zu Anschlägen mit Todesopfern. Auch hierbei offenbart die PFLP ihren von ihr selbst nach außen hin geleugneten antisemitischen Charakter, indem sie ihre Anschläge gezielt gegen jüdische Israelis richtet. In Deutschland ist die PFLP nicht terroristisch aktiv. Die hier aktiven Anhänger verbreiten insbesondere israelfeindliche Propaganda und versuchen, politische Unterstützung zu generieren. Die PFLP unterhält auch Kontakte zum deutschen Linksextremismus, vor allem zur "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) sowie zum "antiimperialistischen" Spektrum. 111 Abkürzung für "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - "Islamische Widerstandsbewegung". 112 Arabisch für "Partei Gottes". 277 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 7. Gruppierungen des extremistischen Sikh-Spektrums 7.1 "Babbar Khalsa International" (BKI) Gründung: 1978 in Indien Sitz: Düren (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Vereinsvorstand Mitglieder/Anhänger 100 (2018: 100) in Deutschland: Die "Babbar Khalsa International" (BKI) ist die Auslandsorganisation der 1978 in Indien gegründeten "Babbar Khalsa" (BK). Wie alle hier aufgeführten Gruppierungen aus dem extremistischen Sikh-Spektrum verfolgt die BK separatistische Bestrebungen. Ihr Ziel ist die Gründung eines von Indien unabhängigen Staates "Khalistan" ("Land der Reinen") auf dem Gebiet des indischen Bundesstaates Punjab. Durch die Begehung terroristischer Anschläge in Indien versucht die BK, die politische Lage - insbesondere im Punjab - gezielt zu destabilisieren. Die Anhänger der BKI in Deutschland sind nicht terroristisch aktiv. Sie unterstützen die Separationsbestrebungen in Indien in erster Linie propagandistisch. Im Kampf für "Khalistan" getötete Sikh-Kämpfer werden als "Märtyrer" verehrt. Zudem werden Spendengelder für in Indien inhaftierte BK-Anhänger und deren Angehörige gesammelt. 278 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 7.2 "Babbar Khalsa Germany" (BKG) Gründung: 2008 in Deutschland Sitz: Düren (Nordrhein-Westfalen) Leitung/Vorsitz: Vereinsvorstand Mitglieder/Anhänger 100 (2018: 100) in Deutschland: Die "Babbar Khalsa Germany" (BKG) hat sich Ende 2008 von der BKI (vgl. Nr. 7.1) abgespalten. Für ihr Ziel, den eigenen Staat "Khalistan", sind die Anhänger der BKG in Deutschland propagandistisch tätig. 7.3 "Sikh Federation Germany" (SFG) Gründung: 2007 in Deutschland Leitung/Vorsitz: Vereinsvorstand Mitglieder/Anhänger 150 (2018: 150) in Deutschland: Die 1984 in Großbritannien gegründete "International Sikh Youth Federation" (ISYF) ist in Deutschland in zwei Organisationen gespalten. Die ehemalige "Bittu-Fraktion" (ISYF-B) agiert hierzulande seit Mitte 2007 unter dem Namen "Sikh Federation Germany" (SFG). Für die Schaffung des unabhängigen Staates "Khalistan" und mehr Rechte für die Sikhs in Indien beteiligen sich die Anhänger der SFG regelmäßig an Protestveranstaltungen vor indischen diplomatischen Vertretungen. 279 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 7.4 "Sikh Federation International Germany" (SFIG) Gründung: 2012 in Deutschland Leitung/Vorsitz: Vereinsvorstand Mitglieder/Anhänger 150 (2018: 150) in Deutschland: Die ehemalige "Rode-Fraktion" (ISYF-R) der ISYF (vgl. Nr. 7.3) agiert in Deutschland als eigenständige Organisation seit Anfang 2012 unter der Namen "Sikh Federation International Germany" (SFIG). Auch die SFIG strebt einen eigenen Staat "Khalistan" und damit die Unabhängigkeit von Indien an und unterstützt hierzulande die Separationsbestrebungen propagandistisch durch die Teilnahme an Protestkundgebungen. 280 Spionage, Cyberangriffe und sonstige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten für eine fremde Macht 281 Spionage, Cyberangriffe und sonstige sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten für eine fremde Macht I. Überblick 1. Entwicklungstendenzen in der Spionage Dynamische Fremde Mächte setzen gegenüber der Bundesrepublik Deutschund komplexe land alle zur Verfügung stehenden Mittel und Wege des verdeckten Bedrohungslage Agierens ein, um ihre Interessen zu verfolgen; die Bedrohungslage kann als dynamisch und komplex charakterisiert werden. Deutschland ist wegen seiner Mitgliedschaft in der NATO und der EU, aber auch wegen seiner nichtständigen und auf zwei Jahre befristeten Mitgliedschaft seit dem 1. Januar 2019 im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen Ziel politischer Spionage. Wegen seiner Wirtschaftskraft, seiner innovativen Unternehmen und der Leistungen in anwendungsorientierter Forschung wie Grundlagenforschung ist Deutschland auch ein Ziel für Wirtschaftsund Technologiespionage fremder Nachrichtendienste. Fälle von Staatsterrorismus, bei denen ausländische Nachrichtendienste oder von fremden Staaten gesteuerte andere Strukturen zentrale Akteure sind, weisen eine weitere besonders ernst zu nehmende Gefährdungsdimension auf. Das gilt auch für mögliche sabotagevorbereitende Operationen fremder Dienste insbesondere in Bezug auf Kritische Infrastrukturen113. Die negativen Folgen von Spionage sind vielfältig. Dazu zählen unter anderem beeinflusste demokratische Willensbildungsprozesse, vorab bekannt gewordene vertrauliche diplomatische Verhandlungspositionen und Verstöße gegen Recht und Gesetz. Die Ausforschung und Unterwanderung oppositioneller Gruppen aus Drittstaaten durch ausländische Dienste in Deutschland stellt eine weitere Beeinträchtigung der nationalen Souveränität dar. 113 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen von besonderer Bedeutung für das Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere z.T. dramatische Folgen eintreten können. Dies gilt z.B. für Energieund Telekommunikationsunternehmen oder Kraftwerkssteuerungen. 282 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Aber auch der Know-how-Verlust sowie die betriebsund volkswirtschaftlichen Schäden sind immens.114 Weiterhin sind die Russische Föderation, die Volksrepublik China, Hauptakteure die Islamische Republik Iran und die Republik Türkei Hauptakteure der gegen Deutschland gerichteten Spionage und Einflussnahme. Dabei bestimmen die innenund außensowie wirtschaftspolitischen Ziele dieser Länder die Schwerpunkte der Aktivitäten ihrer jeweiligen Dienste. 2. Gefährdungsdimension Cyberangriffe Mit der weiterhin voranschreitenden Entwicklung zur Digitalisierung und Vernetzung unserer Gesellschaft hat sich auch die Angriffsfläche für Cyberangriffe und damit die Bedrohungslage durch Cyberspionage und Cybersabotage vergrößert. Besonders die Nachrichtendienste der Russischen Föderation und Angreifer der Volksrepublik China entfalten Cyberspionageaktivitäten gegen überwiegend aus deutsche Stellen. Hierzu gehört auch der Auftrag, die eigene VolksRussland und China wirtschaft mit Informationen zu unterstützen, die auf nachrichtendienstlichem Weg beschafft wurden. Solche Angriffe zur Informationsgewinnung gefährden in hohem Maß den Erfolg und die Entwicklungsmöglichkeiten deutscher Unternehmen. Dieser Gefährdungslage wird in Deutschland mit einer umfassenden Cybersicherheitsarchitektur entgegengewirkt, die sich aus einer Vielzahl von Behörden zusammensetzt. Das BfV leistet hierbei einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung und Abwehr von Cybergefahren durch die Detektion von Angriffen, ist zuständig für die Attribution zu einem bestimmten Angreifer sowie die sich aus diesen Erkenntnissen ergebenden Möglichkeiten zur Prävention. Zur Intensivierung der Zusammenarbeit der zuständigen BehörZusammenarbeit den dient das Nationale Cyber-Abwehrzentrum (Cyber-AZ), an im Cyber-AZ dem auch das BfV maßgeblich beteiligt ist. Ziel des Cyber-AZ ist die 114 Nach seiner regelmäßigen Umfrage beziffert der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien (Bitkom) die Gesamtschadenssumme für den Zeitraum 2018/2019 auf 102,9 Mrd. Euro, fast doppelt so viel wie in der Vorgängerstudie von 2017. Die Ergebnisse der Studie "Wirtschaftsschutz in der digitalen Welt" sind abrufbar unter www.bitkom.org. 283 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Optimierung des Informationsaustauschs insbesondere staatlicher Stellen sowie die bessere Koordinierung von Schutzund Abwehrmaßnahmen gegen potenzielle IT-Vorfälle. II. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation sind ein wichtiges Instrument für die russische Staatsführung. Mit vielfältigen Aktivitäten sind die russischen Nachrichtendienste an Vorbereitung und Umsetzung von Entscheidungen der russischen Staatsführung beteiligt. Die nachrichtendienstliche Aufklärung Russlands richtet sich auf alle deutschen Politikfelder mit möglichen Auswirkungen auf Russland, insbesondere die Außenund Wirtschaftspolitik. Auch seine Einflussnahmeaktivitäten setzt der Kreml über verschiedene Kanäle fort. Im Rahmen seiner geopolitischen Ambitionen geht Russland weiter gegen die Sanktionen vor, die die EU wegen der Annexion der Krim und der Intervention in der Ukraine 2014 beschlossen hatte. Hinsichtlich des Mordes an einem georgischen Staatsangehörigen am 23. August 2019 in Berlin bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Tötung im Auftrag staatlicher Stellen der Russischen Föderation oder solchen der teilautonomen Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt sein könnte. Dies und die unzulängliche russische Kooperation bei der Aufklärung belasten die deutsch-russischen Beziehungen zusätzlich. Die russische Auslandsspionage ist ein wichtiger Pfeiler der nachrichtendienstlichen Informationsgewinnung. Insbesondere hat sie mit der Abkühlung der politischen Beziehungen Russlands zur westlichen Staatengemeinschaft noch weiter an Bedeutung gewonnen. Auch mittels hybrider Aktivitäten versucht Russland, in seinem Sinne auf andere Staaten und ihre Institutionen einzuwirken. 284 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Mit ihren breit angelegten Beschaffungsund BeeinflussungsHohe Präsenz bemühungen - letztere besonders seit Beginn des Russlandund Intensität Ukraine-Konflikts - sind die russischen Nachrichtendienste seit vielen Jahren mit hoher Präsenz und Intensität in Deutschland beziehungsweise gegen deutsche Interessen aktiv. Im Fokus stehen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik sowie das Militär. Von besonderem Interesse sind die politische Haltung der Bundesregierung gegenüber der Russischen Föderation und solche Aufklärungsziele, die russische Interessen tangieren. Die Nachrichtendienste versuchen, ihrer eigenen Regierung Einblick in Positionen der deutschen Seite zu ermöglichen und ihr damit bei wichtigen politischen Ereignissen einen Wissensvorsprung zu verschaffen. Schwerpunkte der Ausspähungsversuche sind das deutsch-russische Verhältnis sowie die deutsche Politik innerhalb der NATO und der EU. Mit Blick auf die deutsche Innenpolitik versuchen die russischen Dienste, Informationen zu parteipolitischen Strukturen und Entwicklungen, zu inhaltlichen Positionen einzelner Parteien sowie zur Einschätzung von Wahlen auf allen Ebenen zu erlangen. Besonderes Augenmerk richteten sie auf die Europawahl im Mai 2019, die Ausrichtungen und Ziele der einzelnen Parteien sowie die Aussichten der populistischen Parteien in Europa. Auch der europäische Diskussionsprozess vor dem Hintergrund der fortbestehenden EU-Wirtschaftsund Handelssanktionen115 gegen die Russische Föderation hatte einen hohen Stellenwert bei den Aufklärungsbemühungen. Insbesondere die ökonomischen Folgen für die deutsche und die russische Wirtschaft standen dabei im Blick. Die Dienste versuchten ferner, frühzeitig Informationen über energiepolitische Entscheidungen Deutschlands zu erlangen, die gerade für Russland als wichtigem Exporteur fossiler Brennstoffe von großer Bedeutung sind. Neben seinen Spionageinteressen ist Russland bestrebt, die politiEinflussnahme und sche und öffentliche Meinung in Deutschland im Sinne der rusDesinformation sischen Politik zu beeinflussen. Russische Stellen - jedoch nicht 115 Zuletzt im Dezember 2019 verlängert und bis Ende Juli 2020 gültig. 285 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN notwendigerweise nachrichtendienstliche Strukturen - zielen mittels Propaganda und Einflussmaßnahmen auf eine Beeinflussung beziehungsweise Desinformation verschiedener Adressatengruppen ab. Damit soll die deutsche Bevölkerung zum Nutzen Russlands beeinflusst werden. Dazu sind auf unterschiedliche Weise sowohl im russischen Sinn handelnde Einzelpersonen, vermeintlich staatsfreie Vereinigungen als auch staatliche Einrichtungen Russlands tätig. Sie agieren in sozialen Netzwerken und auf diskussionsorientierten Websites, betreiben eigene Websites oder treten als vermeintlich staatsfreier Think Tank auf. Von besonderer Bedeutung sind in Deutschland angesiedelte, jedoch vom russischen Staat betriebene Medien. Die zentralen Rollen nehmen dabei der Internet-Sender RT Deutsch sowie die Nachrichtenagentur Sputnik ein. Im Vergleich zu den letzten Jahren ist jedoch in Bezug auf Deutschland eine gewisse Mäßigung zu verzeichnen. Zwar verfolgen die russischen Akteure weiterhin das Ziel, in Deutschland den Willen zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftssanktionen zu schwächen. Dies erfolgt aber in weniger aggressiver Form als in der Vergangenheit. So wurde beispielsweise im Berichtsjahr zwar die Rechtfertigung der Annexion der Krim durch Russland aufrechterhalten, gleichzeitig trat aber die Betonung der beiderseitigen wirtschaftlichen Vorteile, die sich bei einem Wegfall der Sanktionen ergeben würden, deutlich in den Vordergrund. Darüber hinaus lassen russische Akteure die USA als Bedrohung für ein angeblich friedliches Russland erscheinen und versuchen, das Ansehen der NATO in der deutschen Bevölkerung zu beschädigen. Versehen mit der Absicht, Zweifel am deutschen Engagement in dem Verteidigungsbündnis zu säen, wird die NATO zu diesem Zweck als aggressives Machtinstrument dargestellt. 2. Methodik der Informationsgewinnung Legalresidenturen Spionageaktivitäten russischer Nachrichtendienste gehen in erster Linie von sogenannten Legalresidenturen aus, die innerhalb der offiziellen diplomatischen und konsularischen Vertretungen untergebracht sind (vgl. Kap. X, Abs. 2). 286 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN In Russland selbst richten die Nachrichtendienste ihren Blick Gefährdung im überwiegend auf Personen, die sich beruflich oder privat für länAusland gere Zeit dort aufhalten. Dazu zählen insbesondere Angehörige diplomatischer Vertretungen und Behördenvertreter, Firmenrepräsentanten, Wissenschaftler oder Studierende. Persönliche Daten in Visaanträgen, Grenzkontrollen sowie die Telefonund Internetüberwachung bieten den Diensten in der Russischen Föderation zahlreiche Möglichkeiten, geeignete Zielpersonen für eine Ansprache zu ermitteln. Sofern die gewonnenen Informationen die Zielpersonen kompromittieren können, scheuen die Dienste nicht vor aggressiven Anwerbungsversuchen zurück. 3. Cyberangriffe Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation nutzen in groSteuerung durch ßem Umfang Cyberangriffe zur Informationsbeschaffung. Auf dierussische Dienste se Weise erlangte Informationen werden in einzelnen Fällen auch zu Desinformation und Propaganda genutzt. Die Cyberspionageoperationen sollen vor allem der Stärkung der äußeren und inneren Sicherheit Russlands, der Sicherung strategischen Einflusses sowie der Förderung russischer Militärund Energieexporte und russischer Spitzentechnologie dienen. Russische Cyberangriffe richten sich unter anderem gegen Regierungsstellen, Parlamente und Politiker, Streitkräfte, supranationale Organisationen, internationale Wirtschaftsunternehmen sowie Wissenschaftsund Forschungseinrichtungen. Zudem stehen Regierungskritiker, Journalisten und Nichtregierungsorganisationen sowie internationale Großbanken und Medienunternehmen im Fokus. Nach wie vor kommen unterschiedliche, teils schwierig aufzuklärende Angriffsmethoden zum Einsatz. Diese umfassen sowohl E-Mails mit Schadanhang oder Hyperlinks zu Websites mit Schadcode als auch gefälschte Log-in-Seiten oder Watering-HoleAngriffe116. Zu den am häufigsten angewandten Angriffsvektoren 116 Bei einem Angriff mit sogenannten Watering Holes identifiziert der Angreifer Websites, die für das Opfer potenziell interessant sind, und leitet dieses mithilfe einer hinterlegten Liste (sogenannte White List) auf den infizierten Webserver um. Hierüber erfolgt die Installation der Schadsoftware bei dem Opfer des Cyberangriffs. 287 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN von APT-Gruppierungen117 zählen Spear-Phishing-Angriffe118, die sich durch auf das Opfer zugeschnittene E-Mails auszeichnen und auf einem guten Social Engineering119 basieren. Insgesamt dürfte von einer hohen Dunkelziffer nicht erkannter, qualitativ sehr hochwertiger Cyberangriffe auszugehen sein. APT 28 APT 28 (auch Sofacy, Fancy Bear, Pawn Storm oder Sednit genannt) ist eine seit mindestens 2004 aktive russische Angreifergruppierung mit Opfern weltweit. Neben Spionageangriffen führt sie auch Maßnahmen zur gezielten Desinformation und Propaganda durch. Steuerung durch Aufgrund der vorliegenden, auch nachrichtendienstlichen ErNachrichtendienst kenntnisse rechnet das BfV APT 28 dem militärischen Nachrichtendienst GRU zu. Hierfür sprechen insbesondere die Opferauswahl beziehungsweise das dahinterstehende Aufklärungsinteresse. Neben Strukturen der NATO, der OSZE sowie westlichen Verteidigungsund Außenministerien rechnet das BfV auch Behörden im Kaukasus und russische Oppositionelle zu den Opfern der Gruppierung. Dementsprechend schließt sich die Cyberabwehr der seit Oktober 2018 von einer Reihe westlicher Regierungsstellen öffentlich gemachten Einschätzung an, wonach die GRU für eine Welle APT 28 zugeschriebener Cyberangriffe verantwortlich ist. Angriffsziele Seit 2015 ist zu beobachten, dass APT 28 sich vor allem auf Opfer im politischen Raum konzentriert. So halten zum Beispiel die seit 2016 festzustellenden Cyberangriffe auf politische Parteien und Stiftungen in Deutschland weiter an. Seit Mitte 2017 sind auch vermehrt Organisationen im Bereich der internationalen Zusammenarbeit, der Korruptionsbekämpfung sowie der Politikberatung (Think Tanks) im Fokus von APT 28. 117 APT steht für "Advanced Persistent Threat" (etwa "fortgeschrittene, andauernde Bedrohung") und bezeichnet einen komplexen, zielgerichteten und effektiven Angriff auf IT-Strukturen durch einen gut ausgebildeten und ressourcenstarken Angreifer. 118 Spear-Phishing ist eine Spezialform des Phishing-Angriffs, bei dem nicht breitflächig, sondern nur ein kleiner Empfängerkreis attackiert wird. Voraussetzung für einen erfolgreichen Angriff ist eine gute Vorbereitung und die Einbettung des Angriffs in einen für das Opfer glaubwürdigen Kontext im Rahmen des sogenannten Social Engineering. 119 Ausspionieren über das persönliche Umfeld, durch zwischenmenschliche Beeinflussung bzw. durch geschickte Fragestellung, meist unter Verschleierung der eigenen Identität (Verwenden einer Legende). Social Engineering hat das Ziel, unberechtigt an Daten, geheime Informationen, Dienstleistungen oder Gegenstände zu gelangen. 288 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN So kam es auch im Jahr 2019 erneut zu Cyberangriffen von APT 28 gegen politische Organisationen in Deutschland. Betroffen war hierbei unter anderem ein deutscher Think Tank, bei dem als Angriffsvektor Credential-Phishing-E-Mails genutzt wurden. Bei solchen Angriffen wird das Opfer per E-Mail dazu verleitet, seine Zugangsdaten (Credentials) für den E-Mail-Account auf einer vom Angreifer erstellten, gefälschten Log-in-Seite einzugeben. Zu diesem Zweck registrierte APT 28 mehrere Domains, die die Originaldomain des Think Tanks imitierten. Mit den erbeuteten Credentials konnte sich der Angreifer erfolgreich in E-Mail-Accounts der Organisation einloggen und E-Mails ausleiten. Auch die Angriffe gegen internationale Sportorganisationen beziehungsweise Antidopingagenturen wurden fortgesetzt. Das Security Response Center des US-amerikanischen UnternehIoT im Fokus mens Microsoft veröffentlichte am 5. August 2019 einen Bericht120 zu Angriffen von APT 28 gegen sogenannte IoT-Geräte121. Das Unternehmen konnte unter anderem Kompromittierungen von VoIP-Telefonen122 und WLAN-Druckern durch APT 28 feststellen. Nach Einschätzung der Cyberabwehr des BfV geht von IoT-Geräten eine besondere Gefährdung aus, da diese im Vergleich zu anderen IT-Systemen oftmals schlechter abgesichert sind. Kompromittierte IoT-Geräte können in der Folge als initialer Einfallspunkt für die weitere Ausbreitung in einem Netzwerk genutzt werden. Bei der APT-Gruppierung Snake (auch Uroburos oder [Epic] TurSnake la genannt) handelt es sich um einen äußerst klandestin vorgehenden Angreifer mit internationaler Zielauswahl; entsprechende Aktivitäten können bis ins Jahr 2005 zurückverfolgt werden. Das BfV rechnet Snake einem russischen Nachrichtendienst zu. Die ausgewählten Ziele stehen regelmäßig im staatlichen Aufklärungsinteresse. 120 "Corporate IoT - a path to intrusion"; APT 28 wird von Microsoft als "Strontium" bezeichnet. 121 Internet of Things (IoT), dt.: Internet der Dinge; unter IoT versteht man die zunehmende Einbeziehung von Alltagsgegenständen (Küchengeräte, Kleidung, Möbel etc.) in den Cyberraum. Ziel ist die Minimierung der Informationslücke zwischen der realen und virtuellen Welt. 122 Voice over IP; bezeichnet eine Technologie zur internetbasierten Übertragung von Sprachdaten unter Nutzung des Internetprotokolls (Internet-Telefonie). 289 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die festgestellten Angriffe erfolgen extrem zielgerichtet und passgenau; bei hochwertigen Zielen geht die Gruppe besonders vorsichtig vor. Oftmals wird eine Erstinfektion über Monate aufrechterhalten, laterale Ausbreitung und spätere Datenausleitung erfolgen erst nach mehrmaligen, teils längeren Wartezeiten. Von den fortdauernden Angriffsoperationen der APT-Gruppierung Snake geht nach wie vor eine hohe Gefahr für deutsche Stellen in Regierung und Verwaltung, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung aus. Angriffsziele Der vornehmliche Fokus des Angreifers liegt weiterhin auf Außenministerien und diplomatischen Vertretungen, sonstigen Regierungseinrichtungen sowie supranationalen Organisationen. Weitere zuletzt bekannt gewordene Aufklärungsziele von Snake waren weltweit unter anderem Polizeiund Grenzschutzbehörden, Entwicklungshilfeorganisationen sowie mehrere Technologieunternehmen, beispielsweise im Bereich der Raumfahrt. Ein wachsendes Interesse gilt zudem Militärund Marinethemen. Geografisch verteilen sich die Aufklärungsziele auf Europa, Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, Nordund Südamerika, den Nahen Osten, Asien und den Pazifikraum. 4. Gefährdungspotenzial Nach wie vor stellen die russischen Nachrichtendienste aufgrund ihrer hohen Präsenz und regen Aktivität im Bundesgebiet sowie ihrer Cyberangriffe eine besondere Gefährdung für schutzwürdige Interessen der Bundesrepublik Deutschland dar. Wenn mittels politischer Spionage Positionen der deutschen Seite vor wichtigen politischen Ereignissen bekannt werden, kann ein solcher Informationsvorsprung die nationale Sicherheit beziehungsweise die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands oder des NATO-Bündnisses beeinträchtigen. Durch geheimdienstliche Aktivitäten in und gegen Deutschland ist eine permanente Bedrohungslage gegeben. Insbesondere vor dem Hintergrund der anhaltenden EU-Wirtschaftsund Handelssanktionen gegen die Russische Föderation sind Spionageaktivitäten gegen die deutsche Wirtschaft, insbesondere den Energiesektor, zu befürchten. Auf absehbare Zeit ist nicht mit einem Nachlassen der Spionageaktivitäten Russlands zu rechnen. Allerdings gelingt es der deutschen 290 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Spionageabwehr immer wieder, konkrete oder sich abzeichnende Gefährdungen zu beenden oder abzuwenden. Von den fortdauernden Cyberangriffsoperationen aus Russland geht nach wie vor eine hohe Gefahr für Politik und Verwaltung sowie Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft aus. Am 23. August 2019 wurde der georgische Staatsangehörige Selimchan Changoschwili alias Tornike Kawtaraschwili in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten getötet. Der Generalbundesanwalt hat am 4. Dezember 2019 das Ermittlungsverfahren wegen Mordes übernommen. Nach seiner ersten Prüfung liegen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Tötung im Auftrag staatlicher Stellen der Russischen Föderation oder solchen der Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt ist. Aufgrund der mangelnden Unterstützung bei der Aufklärung des Mordes hat das Auswärtige Amt zwei Mitarbeiter der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin zu "personae non gratae" erklärt. Auf die deutschen Ausweisungen reagierte die russische Regierung mit der Ausweisung zweier Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Moskau. III. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China Seit dem Machtantritt des Staatsund Parteichefs Xi Jinping im November 2012 hat im politischen System Chinas die Bedeutung der Nachrichtendienste stetig zugenommen. Mit ihren umfangreichen Befugnissen dienen auch die Nachrichtendienste maßgeblich dem Machterhalt der "Kommunistischen Partei Chinas" (KPCh) im dortigen Einparteiensystem. Der Ausbau von Macht und Einfluss, der Umbau der Volkswirtschaft zu einer entwickelten Industriegesellschaft sowie die Technologieführerschaft in Zukunftsbranchen sind ehrgeizige Ziele der Staatsund Parteiführung. Dabei kommt den Nachrichtendiensten eine hervorgehobene Rolle zu. Einflussnahmeaktivitäten haben im Gefolge der Auseinandersetzungen um die Proteste der Demokratiebewegung in Hongkong zugenommen. 291 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 1. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Politische Spionage Der Umfang erkennbarer politischer und wirtschaftlicher Spionage hat erheblich zugenommen, ohne Aspekte der Informationsbeschaffung zu militärischen Aufklärungszielen zurückzudrängen. Der Bedarf an Erkenntnissen über supranationale Einrichtungen wie die EU sowie über internationale Konferenzen wie den G20-Gipfel nimmt stetig zu. Auch politische wie wirtschaftliche Positionen, die China betreffen (wie die Beteiligung chinesischer Unternehmen am Aufbau von 5G-Netzen, die technologiepolitische Auseinandersetzung oder der Handelskonflikt mit den USA), sind für das Land von größtem Interesse und für strategische Entscheidungen unentbehrlich. In Deutschland stehen darüber hinaus auch folgende Aufklärungsziele im Fokus der Dienste: " Wirtschaft, Wissenschaft und Technik: China ist verstärkt dazu übergegangen, durch den Aufkauf deutscher mittelständischer Unternehmen aus dem Spitzentechnologiesektor technologische Lücken zu schließen, um sein ambitioniertes industriepolitisches Hightech-Programm "Made in China 2025" (MIC 2025)123 realisieren zu können. Denkbar ist dabei auch ein Szenario, wonach China durch den Erwerb sicherheitsrelevanter Unternehmen sensible Daten und damit Wissen erlangt, das auch deutsche Sicherheitsinteressen beeinträchtigt. "" Militär: Struktur sowie Bewaffnung und Ausbildung der Bundeswehr sind von besonderem Interesse wie auch moderne Waffentechnik aus der deutschen Sicherheitsund Verteidigungsindustrie - trotz bestehender Exportbeschränkungen. Bekämpfung oppositioneller Gruppen, die - aus der Sicht Pekings - das Machtmonopol der Partei infrage stellen und die nationale Einheit bedrohen. Zu den von den chinesischen Behörden als "Fünf Gifte" bezeichneten Bewegungen zählen die nach Unabhängigkeit strebenden ethnischen Minderheiten der Uiguren und Tibeter, die regimekritische Falun-Gong-Bewegung, die Demokratiebewegung und die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit der Insel Taiwan. Hinzugekommen sind 123 Zentrale industriepolitische Strategie der chinesischen Regierung, um in zehn ausgewählten Branchen eine führende Rolle auf dem Weltmarkt einzunehmen. 292 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN aufgrund der Entwicklungen seit dem Sommer 2019 die Unterstützer der Demokratiebewegung in Hongkong. 2. Methodik der Informationsgewinnung Aus den chinesischen Legalresidenturen in Deutschland (vgl. Kap. X, Aktivitäten aus Abs. 2) erfolgt überwiegend eine offene Informationsbeschaffung Legalresidenturen einschließlich eines Monitorings von Medien, anderen Publikationen und offenen, webbasierten Quellen. Daneben sammeln Angehörige der Legalresidenturen Informationen im Rahmen einer harmlos wirkenden Kontaktpflege (Gesprächsabschöpfung). Zu den Aufgaben der Nachrichtendienstmitarbeiter gehört ferner die Kontrolle und Steuerung der in Deutschland ansässigen chinesischen Auslandsgemeinde. Durch die enge institutionelle Anbindung von chinesischen Unternehmen, Studentenorganisationen sowie kulturellen Vereinen und Instituten soll linientreues Verhalten sichergestellt und die beschworene sogenannte Einheitsfront im Ausland gestärkt werden. Bei der Informationsbeschaffung stützen sich chinesische NachZentrale Steuerung richtendienste nicht nur auf Mitarbeiter ihrer Legalresidenturen im Ausland, sondern steuern Operationen auch unmittelbar aus ihren Zentralen beziehungsweise regionalen Büros in China. So werden Zielpersonen mit hochwertigen Zugängen bei Aufenthalten in China angesprochen und mit der Aussicht auf eine reizvolle Entlohnung angeworben. Die in der Folge stattfindenden Treffs werden in Drittländern durchgeführt, um die Beziehung zu dem Agenten zu verschleiern. Die Steuerung erfolgt über webbasierte verschlüsselte Kommunikation. Chinesische Nachrichtendienste nutzen soziale Netzwerke wie Soziale Netzwerke LinkedIn für Anbahnungsoperationen. Der Modus Operandi ist und Sozialkreditfast immer der gleiche: Vermeintliche Wissenschaftler, JobvermittSysteme ler und Headhunter knüpfen Kontakte mit Personen, die über ein aussagekräftiges Personenprofil verfügen. Sie werden mit verlockenden Angeboten geködert und schließlich nach China eingeladen; dort erfolgt die nachrichtendienstliche Anbahnung. Auch das Sammeln von in Deutschland generierten Daten für Datenbanken chinesischer Sozialkredit-Systeme kann eine Informationsquelle sein: Chinesische, aber auch deutsche Staatsangehörige können 293 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN in Deutschland Bezahlsysteme von chinesischen Unternehmen wie Tencent (WeChat Pay) und Alibaba (Alipay) sowie andere Apps, Webdienste und Mobilitätsangebote wie beispielsweise von Fahrrad-Anbietern nutzen. Deren Datenserver stehen in China, der Zugriff staatlicher chinesischer Stellen darauf ist möglich. Wirtschafts-, Die Nachrichtendienste eruieren intensiv Arbeitsbereiche und Wissenschaftsund Wissenspotenziale chinesischer Wissenschaftler, die in DeutschTechnikspionage land arbeiten. Über freundschaftliche Beziehungen und informelle Kontakte versuchen sie, ausgewählte Personen aus diesem Kreis für eine Zusammenarbeit zu gewinnen ("Non-Professionals"). Wegen der engen Verflechtung von Staat und Wirtschaft in China ist es im Einzelfall kaum möglich, zwischen staatlich betriebener Wirtschaftsspionage und Ausspähung durch konkurrierende Unternehmen zu unterscheiden. Ausländische China betreibt unter anderem mit der "Belt and Road Initiative" Direktinvestitionen (BRI)124, MIC 2025 sowie den regelmäßigen "Fünf-Jahres-Plänen"125 eine langfristig angelegte strategische Außenwirtschaftspolitik, die neben wirtschaftlichen auch geopolitische Investitionsziele verfolgt und gezielt Direktinvestitionen im Ausland vorsieht (vgl. Kap. X, letzter Abs.). Daneben besteht ein erheblicher staatlicher Einfluss auf Unternehmen. Dieser äußert sich beispielsweise in weitreichenden Pflichten zur Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden, unternehmensinternen Parteizellen, Investitionsgenehmigungen, strikten Kapitalverkehrskontrollen, selektiver Kreditvergabe sowie im Monitoring von Unternehmen und deren Mitarbeitern durch die staatlichen Social-Scoring-Verfahren. Diese zwei Aspekte - geopolitische Investitionsziele und staatlicher Einfluss - machen China aus nachrichtendienstlicher und sicherheitspolitischer Sicht zur größten Herausforderung in Bezug auf ausländische Direktinvestitionen in Deutschland. Zwar war 2019 - wie schon 2018 - ein quantitativer Rückgang chinesischer Investitionstätigkeit zu beobachten, was jedoch nichts 124 Investitionsprogramm, das von der Staatsund Parteiführung erstmals im Herbst 2013 vorgestellt wurde (auch "Neue Seidenstraße" genannt) und weltweit chinesische Infrastrukturinvestitionen umfasst. 125 Die zentral verwaltete chinesische Volkswirtschaft wird über diese sogenannten Fünf-Jahres-Pläne gesteuert. Für den Zeitraum 2016 bis 2020 gilt in der Volksrepublik China der "13. Fünf-Jahres-Plan". 294 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN über die Qualität einzelner Übernahmen aussagt. Zudem muss in technologischen Schlüsselbranchen weiterhin mit gezielten Unternehmensübernahmen gerechnet werden, da die Investitionsstrategien Chinas langfristig angelegt sind. Nach wie vor ist die Einbindung politischer oder wissenschaftliThink Tanks cher Think Tanks in die nachrichtendienstlichen Strategien Chinas von Bedeutung. Diese haben die Aufgabe, zur Ansehenssteigerung des chinesischen Staates beeinflussend beizutragen. Sie helfen bei der Verbreitung chinesischer Werte und dienen so der Umsetzung einer "Soft-Power-Politik"126. Es bestehen offizielle Kooperationen mit politischen Stiftungen in Deutschland. Die Nachrichtendienste nutzen diese Institutionen aber auch als Tarnung für Reisen nach Deutschland und - meist in China - für die Kontaktaufnahme zu jungen Studenten, Diplomaten und Geschäftsleuten. So dienen die chinesischen Think Tanks auch dazu, sensible Informationen zu sammeln (nicht zuletzt zur Vorbereitung von Cyberangriffen) sowie geeignete Zielpersonen auszuwählen und nachrichtendienstliche Aktivitäten zu tarnen. Die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und China eröffnen vielfältige Möglichkeiten zur Wirtschaftsund Technologiespionage, beispielsweise über deutsche Firmenniederlassungen in China (u.a. Joint Ventures). Die Nachrichtendienste werden dabei von staatlichen und privaten Unternehmen unterstützt. Die umfassend praktizierten Überwachungsmaßnahmen in China, Aktivitäten in China die neben der einheimischen Bevölkerung auch den dort lebenden ausländischen Diplomaten, Studierenden, Wissenschaftlern, Geschäftsleuten und selbst Touristen gelten, bieten dabei konkrete Anknüpfungspunkte für nachrichtendienstliche Operationen. Seit Mai 2019 ist für Reisen nach China zudem online ein neues Formular zur Beantragung eines Visums auszufüllen. Im Vergleich zum vorherigen Formular werden damit erheblich mehr Informationen abgefragt. Die nunmehr notwendigen Detailangaben erleichtern es den chinesischen Nachrichtendiensten, Personen aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft mit interessantem Profil 126 Politische Machtausübung mittels kultureller, ideologischer und anderer nicht materieller Werte, auch mithilfe internationaler Institutionen. Im Kontext dieses politikwissenschaftlichen Begriffes spielen ökonomische und militärische Machtausübung keine Rolle. 295 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN automatisiert aus der Masse von Antragstellern herauszufiltern. Vor Ort in China können dann mit vergleichsweise geringem Risiko Anwerbungsversuche unternommen werden. Politische Daneben versuchen chinesische Akteure verstärkt, politischen Einflussnahme Einfluss im Ausland zu gewinnen. Einen Anlass dafür boten die Auseinandersetzungen um die Demokratiebewegung in Hongkong. Entscheidend für den Erfolg hierbei ist es, ein wohlwollendes politisches Umfeld zu schaffen. Dies geschieht durch umfassende Versuche, die Einflusssphäre Pekings weltweit in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft auszudehnen. Dafür spannen staatliche, halbstaatliche und private chinesische Akteure gut vernetzte deutsche Entscheidungsträger und Multiplikatoren als "Lobbyisten" für chinesische Interessen ein. Zudem erzeugen chinesische Investitionen in Deutschland wirtschaftliche Abhängigkeiten, die China bei Bedarf als Hebel für politische Zugeständnisse einsetzen kann. 3. Cyberangriffe Chinesische Nachrichtendienste verfügen über die Möglichkeit zur Durchführung langfristiger und strategisch angelegter Cyberspionageangriffe. Die Kapazitäten umfassen dabei nicht nur die Fähigkeit, komplexe internationale Angriffe zielgerichtet durchzuführen, sondern diese auch parallel mit einer Vielzahl von Opfern zu betreiben. Chinesische Cyberakteure haben dabei in den letzten Jahren eine beachtliche technologische Weiterentwicklung demonstriert und zeigen eine deutliche Fokussierung auf die Verschleierung von Angriffen. Wirtschaftsspionage In den letzten Jahren konnten weltweit diverse Opfer von mutdurch Cyberangriffe maßlich chinesischen Cyberakteuren, auch in Deutschland, beobachtet werden. Als Kernziel kristallisierten sich vornehmlich Wirtschaftsunternehmen heraus. Die Angreifer verfolgen dabei mutmaßlich das Ziel, durch Wirtschaftsspionage und illegitimen Wissenstransfer ausgewählte chinesische Wirtschaftszweige zu fördern und somit insgesamt die chinesischen Ambitionen auf dem Weg zur weltweit führenden Wirtschaftsmacht zu stützen. Den Rahmen für Cyberangriffe setzen unter anderem der aktuelle "Fünf-Jahres-Plan", MIC 2025 sowie die BRI. Die umfangreiche Wirtschaftsspionage und der gezielte, systematische illegitime 296 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Wissenstransfer durch chinesische Cyberangriffe richten dabei einen signifikanten Schaden bei betroffenen Unternehmen und der gesamten Volkswirtschaft an. Angriffe auf politische Ziele durch mutmaßlich chinesische CyberWandel des akteure konnten in der Vergangenheit überwiegend im asiatischen Zielspektrums zu Raum beobachtet werden. Seit 2018 scheinen auch Regierungsstelpolitischen Zielen len in europäischen beziehungsweise westlichen Staaten vermehrt im Fokus zu stehen. Insbesondere betroffen davon sind beispielsweise supranationale Institutionen, mit denen China politisch und geostrategisch kooperiert oder konkurriert, sowie Regierungsinstitutionen, die mit China im Rahmen der BRI-Konzeption in politischen Kooperationsverhandlungen standen und noch stehen. Zu den mutmaßlichen Akteuren zählen beispielsweise Gruppierungen wie APT 27 alias Emissary Panda, die mittels der eigens entwickelten Schadsoftware HYPERBRO und FOCUSFJORD zahlreiche Regierungsinstitutionen angegriffen hat. Betroffen waren insbesondere solche Staaten, die mit Peking Verhandlungen zum Infrastrukturausbau im Rahmen von BRI geführt haben. Weitere Akteure, die das BfV China zurechnet, sind unter anderem WinNTI, APT 15, APT 25 oder APT 31, die teilweise auch Regierungsnetzinfrastrukturen in europäischen Staaten angegriffen haben. Deutschland war und ist aufgrund seiner politischen und militärischen Einbindung in internationale Bündnisse und Organisationen auch politisch ein lohnenswertes Ziel. 2019 wurde eine umfangreiche Cyberangriffskampagne der WinNTI APT-Gruppierung WinNTI auf die deutsche Wirtschaft bekannt. Die Angriffe sind mutmaßlich zwischen 2016 und 2019 erfolgt; unter den Opfern befanden sich unter anderem große DAX-Konzerne. Der Begriff "WinNTI" bezeichnet vermutlich einen losen Zusammenschluss mehrerer Angreifer, die insbesondere eine gleichnamige Schadsoftware für Angriffe einsetzen und derzeit als sehr aktiv gelten. Für eine Beauftragung durch den chinesischen Staat spricht, dass sich die globalwirtschaftlich ausgerichtete Opferfläche mit dem Aufklärungsinteresse chinesischer Nachrichtendienste und den wirtschaftlichen Entwicklungszielen Chinas deckt. Zudem weisen auch technische Indikatoren auf eine chinesische Urheberschaft hin. 297 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 4. Gefährdungspotenzial Die weltpolitische Situation und die damit im Zusammenhang stehenden politischen wie wirtschaftlichen Ambitionen Chinas lassen eine weitere Intensivierung der Spionageaktivitäten wie auch der Einflussnahmeaktivitäten erwarten. Nach wie vor setzt das Regime zudem auch im Ausland auf eine umfassende Kontrolle der eigenen Bevölkerung durch die Partei. Mit neuen, strikteren Sicherheitsgesetzen stärkte China die Macht des Sicherheitsapparats und dessen Einfluss auf die Wirtschaft und alle gesellschaftlichen Bereiche. Wenn die Staatsund Parteiführung "Kerninteressen" verletzt sieht, ist sie bereit, in eigener Sache über viele Kanäle massiv Spannungen zu schüren oder auch Druck auszuüben. Hatten sich die chinesischen Nachrichtendienste in Deutschland früher auf die Bekämpfung der Exilopposition konzentriert, sind in den letzten Jahren vor allem in der klassischen Spionage in den Feldern Politik und Militär, Wirtschaft und Technologie wesentliche Akzentverschiebungen deutlich geworden. Während in der Vergangenheit vorrangig im Ausland lebende chinesischstämmige Personen als Agenten rekrutiert worden waren, versuchen die Dienste seit geraumer Zeit verstärkt, Personen aus westlichen Ländern vor Ort in China oder über soziale Netzwerke als Informanten oder Agenten zu werben. Die Cyberabwehr des BfV geht von einem weiterhin hohen Bedrohungspotenzial staatlich gelenkter Cyberangriffe mit mutmaßlich chinesischem Ursprung sowohl für Unternehmen und Forschungseinrichtungen als auch für Politik und Verwaltung sowie andere Einrichtungen in Deutschland aus. IV. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Die Ausspähung und die Bekämpfung oppositioneller Bewegungen und Akteure im Inund Ausland stellen nach wie vor die Schwerpunkte der Arbeit der iranischen Nachrichtendienste dar. Darüber hinaus beschaffen die Dienste im westlichen Ausland Informationen aus den Bereichen Politik und Militär sowie Wirtschaft und Wissenschaft. 298 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Iran versteht sich als Regionalmacht mit einem Gestaltungswillen über die eigenen Grenzen hinaus - einschließlich einer ausgeprägten antiwestlichen sowie antiisraelischen Stoßrichtung. Damit einhergehend ist das iranische Regime an Informationen über die künftige Politik des Westens interessiert - beispielsweise über die deutsche Außenund Sicherheitspolitik. Die zunehmende Konfrontation im Nahen und Mittleren Osten wie auch mit Israel prägt die iranischen nachrichtendienstlichen Aktivitäten. Wegen mutmaßlicher staatsterroristischer Aktivitäten iranischen Ursprungs wurden 2019 weitere Sanktionen unter dem EU-Anti-Terrorismus-Regime verhängt. Neben den USA zählen der Staat Israel, seine Repräsentanten und exponierte Unterstützer zu den erklärten Feinden Irans. Hierzu können auch führende Vertreter jüdischer Organisationen in der Diaspora gehören. Ausspähungsaktivitäten gegen (pro-)israelische sowie (pro-)jüdische Ziele in Deutschland gehören daher zum Aufgabenfeld nachrichtendienstlich agierender Einrichtungen des Iran. Hauptakteur der gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten ist Zielbereiche des weiterhin das Ministry of Intelligence (VAJA127, zumeist MOIS abMOIS gekürzt). In seinem Fokus stehen insbesondere die in Deutschland aktiven iranischen Oppositionsgruppen. Daneben belegen nachrichtendienstliche Aktivitäten im Inund Ausland ein anhaltendes Aufklärungsinteresse des MOIS in den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik. Das MOIS beschafft Informationen durch nachrichtendienstliche Methodik Operationen, die unter Einbeziehung der Legalresidenturen vor Ort oder zentral in Teheran (Iran) und dort insbesondere durch das Hauptquartier des MOIS gesteuert werden. Zur Anbahnung im Heimatland nutzt der Dienst insbesondere beruflich oder familiär bedingte Reisen seiner Zielpersonen in den Iran. Dort können sie sich dem Zugriff des MOIS kaum entziehen, was eine ideale Voraussetzung für nachrichtendienstliche Ansprachen darstellt. Am 28. Oktober 2019 ließ der Staatsschutzsenat am OberlanStrafverfahren gegen desgericht Koblenz (Rheinland-Pfalz) die Anklage gegen einen iranischen Agenten deutsch-afghanischen Staatsangehörigen wegen Landesverrats in einem besonders schweren Fall und der Verletzung von 127 In Farsi: Vezarat-e Ettela'at-e Jomhouri-ye Eslami-ye Iran - VAJA. 299 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Dienstgeheimnissen in 18 Fällen zu. Er war am 15. Januar 2019 festgenommen worden und befand sich danach in Untersuchungshaft. Der Beschuldigte war als Übersetzer und landeskundlicher Berater bei der Bundeswehr tätig und soll in dieser Eigenschaft Erkenntnisse an einen iranischen Nachrichtendienst weitergegeben haben. Das BfV hat das Ermittlungsverfahren durch Erkenntnismitteilungen unterstützt. Am 12. Dezember 2019 wurde gegen die Ehefrau Anklage wegen Beihilfe zum Landesverrat erhoben.128 Anschlagsplanung Wie bereits im Verfassungsschutzbericht 2018 ausgeführt, wurde am 1. Juli 2018 ein an der iranischen Botschaft in Wien (Österreich) akkreditierter Diplomat aufgrund eines europäischen Haftbefehls der belgischen Strafverfolgungsbehörden in Deutschland festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, als hauptamtlicher Mitarbeiter des MOIS Drahtzieher eines geplanten Sprengstoffanschlags auf das Jahrestreffen der "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) in Villepinte bei Paris (Frankreich) am 30. Juni 2018 gewesen zu sein. In diesem Zusammenhang habe der iranische Diplomat ein belgisches Ehepaar iranischer Abstammung als Agenten geführt und mit der Tatausführung beauftragt. Anfang Oktober 2018 wurde der Beschuldigte nach Belgien ausgeliefert. Die Ermittlungen des Generalbundesanwaltes gegen den Diplomaten wurden um das Agentenehepaar sowie zwei weitere Verdächtige erweitert. Die Ermittlungen in Deutschland und Belgien dauerten im Berichtsjahr an. Sanktionen gegen Infolge dieses geplanten Anschlags setzte die EU am 8. Januar 2019 den Iran eine Abteilung des MOIS, den als Drahtzieher angeschuldigten iranischen Diplomaten und einen ehemaligen stellvertretenden Minister des MOIS auf die EU-Terrorliste. Der Rat der Außenminister stellte in seinem Beschluss fest, dass die genannten Personen und Einrichtungen an terroristischen Handlungen beteiligt waren. Ferner hat die Bundesregierung ab dem 21. Januar 2019 eine Ruhensanordnung für die Betriebsgenehmigung der iranischen Fluglinie Mahan Air von und nach Deutschland erlassen. Die Maßnahme ist sowohl eine Reaktion auf die Transporte der 128 Am 23. März 2020 verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz (Rheinland-Pfalz) den Ehemann wegen Landesverrats in einem besonders schweren Fall zu sechs Jahren und zehn Monaten Haft. Seine mitangeklagte Ehefrau wurde wegen Beihilfe zum Landesverrat zu zehn Monaten Haft verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist rechtskräftig. 300 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Fluglinie in das Kriegsgebiet Syrien als auch auf die iranischen Spionagetätigkeiten. Neben dem MOIS ist die auch geheimdienstlich agierende Quds Quds Force Force der Iranischen Revolutionsgarden129 in Deutschland aktiv. Ihre umfangreichen Ausspähungsaktivitäten richten sich insbesondere gegen (pro-)israelische beziehungsweise (pro-)jüdische Ziele. Auch wenn sich eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben von Personen oder Objekten bislang nicht feststellen ließ, ist anzunehmen, dass diese Ausspähungen zum Zwecke der Vorbereitung von späteren Anschlägen auf die ausgespähten Zielpersonen beziehungsweise Einrichtungen erfolgen. Im Februar 2019 führte das Bundeskriminalamt eine ExekutivExekutivmaßnahmen maßnahme gegen eine Person in Hessen durch, die verdächtigt wird, im Auftrag der Quds Force nachrichtendienstliche Aktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland entfaltet zu haben. Das Ermittlungsverfahren dauert an. Auch die im September/Oktober 2017 eingeleiteten Ermittlungen des Generalbundesanwalts gegen zehn im Januar 2018 von Exekutivmaßnahmen betroffene mutmaßliche Agenten der Quds Force laufen weiter. Iranische Cyberoperationen richten sich hauptsächlich gegen Cyberangriffe Ziele im Nahen Osten, insbesondere gegen die traditionellen politischen Gegenspieler Saudi-Arabien und Israel, sowie die USA. Betroffen sind aber auch Ziele in Deutschland und anderen westlichen Staaten. Das Potenzial des Iran zur Durchführung von Cyberoperationen hat sich in den letzten Jahren signifikant erhöht, was zu gesteigerten Aktivitäten iranischer Cyberakteure gegen Ziele im Inund Ausland geführt hat. Angegriffen werden vor allem Ziele in Verwaltung und Regierung, in Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie Dissidenten und Oppositionelle. Dies dürfte nicht zuletzt mit der Lage am Persischen Golf in Zusammenhang stehen. Die politischen Spannungen nahmen deutlich zu, nachdem die USA im Mai 2018 aus dem Joint Comprehensive Plan of Action (JCPoA)130 mit Iran ausgestiegen waren und das 129 In Farsi: Sepah Pasdaran. 130 Auch als "Nuklearabkommen" bekannt; vgl. Kap. VII. 301 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Land mit verstärkten Sanktionen belegt hatten. Die gesteigerten Aktivitäten zeigen sich in Deutschland unter anderem durch die verstärkte Nutzung deutscher IT-Infrastruktur durch iranische Akteure. Hierbei scheinen die Angriffe und deren Vorbereitung mit dem Anwachsen der Spannungen am Persischen Golf zu korrelieren. Zweck der Angriffe dürfte zum einen die Umgehung der Sanktionen gegen Iran sein und zum anderen die Absicht, Hintergrundinformationen von Entscheidungsträgern über geplante politische Manöver zu erlangen. Iranische Cyberakteure versuchen, einen dauerhaften Zugang zu schützenswerten Informationen zu erlangen. Hauptangriffsmethode ist in der Regel Spear-Phishing. Besonders charakteristisch ist dabei das durchweg hochwertige Social Engineering. Für die Cyberangriffe kommen häufig öffentlich verfügbare Tools zum Einsatz, die unter anderem zum Zweck des Webhackings (z.B. Durchführung von SQL-Injections131) angewendet werden. Dass bei den Cyberangriffen auch Ziele in Deutschland in den Fokus geraten, zeigt das Beispiel einer weltweiten iranischen Cyberangriffskampagne, von der die Cyberabwehr 2019 Kenntnis erlangte. Die Mitarbeiter der betroffenen deutschen Firmen erhielten Spear-Phishing-E-Mails mit gefälschten Jobangeboten eines namhaften ausländischen Unternehmens. Dem vermeintlichen Jobangebot war ein Hyperlink beigefügt, der auf maliziöse Anwendungen weiterleitete. Durch die Ausführung dieser Anwendungen konnte unbemerkt Schadsoftware auf den Rechner des Opfers geladen werden. GefährdungsDie iranischen Nachrichtendienste sind ein zentrales Instrupotenzial ment der politischen Führung zur Sicherung ihres Herrschaftsanspruchs. Demzufolge wird die iranische Opposition - erst Recht nach den inneriranischen Protesten im November 2019 - weiter im Blickpunkt des MOIS sowie des Nachrichtendienstes der Revolutionsgarden und den Quds Forces stehen. Die Gefährdungslage für iranische Oppositionelle in Deutschland und Europa hat sich 2019 weiter verschärft. Ein Beispiel für die 131 Das Ausnutzen einer Sicherheitslücke im Zusammenhang mit Datenbanken, die auf der Datenbanksprache "Structured Query Language" (SQL) beruhen. Durch die Einschleusung eigener Datenbankbefehle beabsichtigt der Angreifer Daten auszuspähen. 302 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN gestiegene Gefährdung ist der Fall eines in Frankreich lebenden prominenten Oppositionellen. Dieser wurde unter einem Vorwand in den Irak gelockt und von dort unter maßgeblicher Beteiligung der Revolutionsgarden am 14. Oktober 2019 in den Iran entführt. Der Vorfall unterstreicht - neben den bekanntgewordenen Anschlagsplanungen - das aggressive Vorgehen Irans auch gegen im Ausland lebende Oppositionelle. Neben China und Russland hat sich Iran als handlungsfähiger und potenter Akteur im Bereich der Cyberspionage etabliert. Eine weitere Zunahme der Kapazitäten sowie eine gestiegene Bereitschaft des Einsatzes dieser Möglichkeiten sind wahrscheinlich. Dies gilt umso mehr nach der Aufkündigung des JCPoA durch die USA und der verstärkten Sanktionspolitik gegenüber Iran. Es ist davon auszugehen, dass die krisenhaften Ereignisse am Persischen Golf zu einem weiteren Anwachsen der Auseinandersetzung beitragen können. Als Folge wären aufseiten des Iran verstärkte Spionageund Cyberaktivitäten auch gegen deutsche Interessen zu erwarten. V. Nachrichtendienst der Republik Türkei Der türkische Inund Auslandsnachrichtendienst Milli Istihbarat MIT Teskilati (MIT) ist ein zentrales Element der türkischen Sicherheitsarchitektur. Er dient der türkischen Regierung unter dem Staatspräsidenten und dessen Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP) zur Durchsetzung der Regierungspolitik, der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit und nicht zuletzt der Informationsbeschaffung, die politische Entscheidungen vorbereitet. Der MIT verfügt über 8.000 bis 9.000 hauptamtliche Mitarbeiter und wird seit 2010 von Direktor Hakan Fidan geleitet. Er ist mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet. Im Fokus des MIT sind vor allem solche Organisationen, die die Zielbereiche Türkei als extremistisch oder terroristisch einstuft. Darüber hinaus besteht ein erhebliches Aufklärungsinteresse an Vereinigungen und Einzelpersonen, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Gegenwärtig vorrangig für den MIT ist die Aufklärung der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und der Bewegung des islamischen 303 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Predigers Fethullah Gülen. Letztere wird von der türkischen Regierung für den gescheiterten Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich gemacht und als "Terrororganisation" angesehen. Die zumeist in Kooperation mit den zuständigen staatlichen Stellen des jeweiligen Gastlandes durchgeführten Rückführungen mutmaßlicher Gülen-Anhänger aus dem Ausland in die Türkei unterstreichen dieses hohe Verfolgungsinteresse. In Einzelfällen kam es dabei wahrscheinlich zu eigenmächtigen Entführungen des MIT ohne Wissen des Gastlandes. Gemäß türkischen Medienberichten wurde Ende August 2019 ein Hauptverantwortlicher der Gülen-Bewegung in Malaysia durch eine Zusammenarbeit zwischen dem MIT und malaysischen Behörden gefasst und in die Türkei verbracht. Darüber hinaus richten sich die Aufklärungsaktivitäten des MIT auch auf die Bereiche Politik, Wirtschaft, Militär sowie Wissenschaft und Hochtechnologie. Methodik Der Dienst gewinnt seine Informationen sowohl aus offenen und allgemein zugänglichen Quellen als auch durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel auf verdeckte Weise. Aufgrund der großen türkeistämmigen Gemeinde und der Vielzahl türkischer Organisationen und Institutionen sowie der großen Zahl diplomatischer Vertretungen besteht für den MIT eine günstige Beschaffungslage in Deutschland. In der Türkei richtet sich der Blick des MIT auch auf Angehörige deutscher diplomatischer Vertretungen. Besonders heikel ist die Situation für Türkeireisende, die neben der deutschen auch die türkische Staatsbürgerschaft besitzen, wie zahlreiche Haftfälle und Einreisesperren in der jüngeren Vergangenheit belegen. Staatliche Flankiert werden die Aktivitäten des MIT durch EinflussnahmeEinflussnahme versuche auf türkeistämmige Gemeinschaften in Deutschland sowie punktuelle Einflussnahmeversuche auf den politischen Willensbildungsund Entscheidungsfindungsprozess in der deutschen Gesellschaft insgesamt. Regierungsnahe Organisationen mit unterschiedlich starker struktureller Anbindung an Ankara werben in Deutschland und anderen europäischen Staaten für die gegenwärtige türkische Politik und nehmen sie gegenüber Kritik in Schutz. 304 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Ein wesentlicher Teil dieser Einflussnahmestrategie ist es, die Öffentlichkeit auf vermeintliche und tatsächliche Fälle von Rassismus, Islamophobie und Türkei-Feindlichkeit hinzuweisen sowie angebliche Fehlentwicklungen in Deutschland sowie Europa besonders zu betonen, um auf diesem Weg kritischen Tönen gegenüber der politischen Entwicklung in der Türkei zu begegnen. Der größte türkisch dominierte staatsbeziehungsweise regierungsnahe Interessenverband ist die "Union of International Democrats" (UID). Der Dachverband mit Sitz in Köln wurde 2004 als Lobbyorganisation der AKP gegründet. Mittlerweile verfügt die UID über circa 13 Regionalverbände in Westdeutschland und Berlin, die sich wiederum in eine Vielzahl von Ortsvereinen mit Mitgliedsstatus auffächern. Gegenüber der Öffentlichkeit gibt sich die UID betont gemäßigt und ist bemüht, die Verbindungen und Abhängigkeitsverhältnisse zur Türkei herunterzuspielen. Das Streben nach aktiver Einflussnahme erklärt sich primär durch die Bedeutung der in Deutschland befindlichen türkischen Gemeinden für die politischen Strukturen und Prozesse in der Türkei. So waren zum Zeitpunkt der türkischen Präsidentschaftsund Parlamentswahlen 2018 rund 1,4 Millionen in Deutschland lebende türkische Staatsbürger wahlberechtigt, wovon sich rund 600.000 an den Wahlen beteiligten. Darüber hinaus gibt es immer wieder punktuelle Versuche, die türkeistämmige Diaspora für türkische Regierungspolitik im Inund Ausland zu instrumentalisieren. Deutschland bleibt für den MIT weiterhin eines der vorrangigen GefährdungsAusforschungsziele außerhalb der Türkei. Unabhängig von der potenzial gegenwärtigen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung des Landes wird die Intensität türkischer nachrichtendienstlicher Aktivitäten auf dem festgestellten hohen Niveau konstant bleiben. Die im Rahmen einer aktiven Diasporapolitik betriebene Einflussnahme auf die türkeistämmige Gemeinschaft in Deutschland wird ebenso fortgesetzt werden. 305 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN VI. Nachrichtendienste sonstiger Staaten Die Aufklärungsund Abwehraktivitäten der deutschen Spionageabwehr richten sich gegen sämtliche illegalen nachrichtendienstlichen Aktivitäten. Im Rahmen dieser "360deg-Bearbeitung" können beim Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte für nachrichtendienstliche Aktivitäten in Deutschland auch solche Nachrichtendienste in den Fokus geraten, mit denen das BfV in anderen Zusammenhängen vertrauensvoll und partnerschaftlich zusammenarbeitet. Denn es ist auch in solchen Fällen nicht zu tolerieren, dass ausländische Nachrichtendienste durch Überwachung von Telekommunikation oder mittels menschlicher Quellen in beziehungsweise gegen Deutschland Spionage betreiben. Pakistanische Pakistan unterhält drei große Nachrichtendienste. Der Inter-SerNachrichtendienste vices Intelligence (ISI) ist der größte Dienst, der aufgrund seiner Ausgestaltung und Schwerpunktsetzung auch als "Staat im Staate" bezeichnet wird. Er ist auch in Deutschland aktiv und beobachtet in Deutschland lebende Angehörige oppositioneller Gruppierungen. Daneben existieren noch das zivile Intelligence-Bureau (IB) und die Military Intelligence (MI). Indische Am 12. Dezember 2019 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt Nachrichtendienste am Main (Hessen) ein indisches Ehepaar wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Der Ehemann wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt, deren Vollstreckung für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Seine Ehefrau wurde wegen Beihilfe zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen verurteilt. Der Verurteilte hatte seit 2015 für einen indischen Nachrichtendienst Informationen über aus Indien stammende und in Deutschland lebende Angehörige der Sikhs beschafft. Ab Juli 2017 unterstützte ihn seine Ehefrau bei dieser nachrichtendienstlichen Tätigkeit. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Syrische 2019 gelang es dem syrischen Regime, seine Machtposition zu Nachrichtendienste konsolidieren, ein Großteil des Landes steht nun unter seiner Kontrolle. Damit einher ging auch eine Stabilisierung der nachrichtendienstlichen Strukturen. Der Aufgabenschwerpunkt syrischer Nachrichtendienste im Ausland ist die Ausforschung der Gegner des syrischen Regimes, zu denen sowohl islamistische und islamistisch-terroristische 306 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Gruppierungen als auch Menschenrechtsaktivisten und die breit gefächerte säkulare und kurdische Opposition zählen. Deutschland steht als Hauptaufnahmeland syrischer Flüchtlinge in Europa weiterhin im Fokus der syrischen Nachrichtendienste. Die syrischen Dienste scheinen den Zustrom syrischer Flüchtlinge nach Deutschland ab 2015 genutzt zu haben, um hier neue Strukturen und Agentennetze zu etablieren. Im Vergleich zu den Vorjahren ist 2019 die Zahl der Hinweise auf entsprechende Aufklärungsbemühungen nicht nur im Flüchtlingsumfeld erheblich gestiegen. Neben klassischer nachrichtendienstlicher Ausforschung konnten auch Bestrebungen festgestellt werden, die öffentliche Meinung in Deutschland im Sinne der syrischen Regierung zu beeinflussen. Ägypten als bevölkerungsstärkstes arabisches Land hat eine lange Ägyptische Tradition im Kampf gegen den Islamismus und islamistischen TerNachrichtendienste rorismus. Dort sind auch zahlreiche Anschläge des sogenannten Islamischen Staats zu verzeichnen, unter anderem auf koptische Kirchen. Die größte illegale Oppositionsgruppe ist die "Muslimbruderschaft" (MB). Aus ägyptischer Sicht handelt es sich bei der MB um eine terroristische Vereinigung. Ihre Organisationen sind daher ein Hauptaufklärungsziel ägyptischer Sicherheitsbehörden; ihre Anhänger und Sympathisanten werden in Ägypten verfolgt, verhaftet und häufig auch zum Tode verurteilt. In Deutschland sind der ägyptische Auslandsdienst General Intelligence Service (GIS) und der Inlandsdienst National Security Service (NSS) tätig mit der Hauptzielrichtung, Erkenntnisse über in Deutschland lebende Oppositionelle wie beispielsweise die Mitglieder der MB zu gewinnen. Auch andere ägyptischstämmige Personen wie Angehörige der christlichen koptischen Gemeinden können in den Fokus der Nachrichtendienste geraten. Hinweisen zufolge versuchen ägyptische Dienste, in Deutschland lebende Landsleute für nachrichtendienstliche Zwecke zu gewinnen; hierzu nutzen sie Vorsprachen dieser Personen in den ägyptischen diplomatischen Vertretungen in Deutschland sowie deren Reisen nach Ägypten. 307 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Im Dezember 2019 wurden durch das Bundeskriminalamt im Auftrag des Generalbundesanwalts Exekutivmaßnahmen gegen einen Mitarbeiter des Presseund Informationsamtes der Bundesregierung durchgeführt, der über Jahre hinweg einem ägyptischen Nachrichtendienst zugearbeitet haben soll. Das Ermittlungsverfahren dauert an. Jordanische Am 22. Oktober 2019 verurteilte das Oberlandesgericht Thüringen Nachrichtendienste einen deutschen Staatsbürger zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Der Verurteilte hatte zwischen 2016 und 2018 für einen jordanischen Nachrichtendienst Informationen und Lichtbilder zu deutschen Staatsbürgern übergeben, die sich im Umfeld des salafistischen und jihadistischen Spektrums bewegten. VII. Proliferation Die Weiterverbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie entsprechender Waffenträgersysteme (z.B. Raketen und Drohnen) einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows wird als Proliferation bezeichnet. Die Herstellung von Massenvernichtungswaffen und deren Verbreitung stellen eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Sie können ferner zu einer erheblichen Destabilisierung ganzer Regionen beitragen. Trotz eines teilweise erheblichen technologischen Fortschritts bleiben proliferationsrelevante Staaten132 bei der Forschung und Herstellung solcher Waffen und Trägersysteme auf den Weltmarkt angewiesen. Unter anderem versuchen sie, notwendige Produkte unter Umgehung von Genehmigungspflichten und Ausfuhrverboten auch in Deutschland zu beschaffen. Die direkte Beschaffung solcher Güter bildet inzwischen eher die Ausnahme. Die bestehenden strengen deutschen und europäischen 132 Es handelt sich um Länder, von denen zu befürchten ist, dass von dort aus ABCWaffen in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht wird. 308 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Exportkontrollbestimmungen zur Verhinderung entsprechender Käufe haben zu einer Veränderung des Einkaufsund Beschaffungsverhaltens proliferationsrelevanter Staaten geführt. Zur Umgehung eines Ausfuhrverbots durch die Genehmigungsbehörden beschaffen sie die Produkte über Drittländer (sog. Umgehungsausfuhren), schalten Tarnfirmen ein oder machen bei "Dual Use"-Gütern - dies sind Produkte, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können und daher ebenfalls Exportkontrollen unterliegen - falsche Angaben über deren Verwendungszweck. Auch die direkte Finanzierung derartiger Geschäfte und Produkte aus den relevanten Staaten ist eher die Ausnahme. Diese läuft vielmehr über Firmenund Bankennetzwerke, um auch hier den Hintergrund von Käufern zu verschleiern. Für Studenten und Wissenschaftler proliferationsrelevanter Länder kommen deutsche Universitäten, Fachhochschulen, wissenschaftliche Institute und Forschungsgesellschaften sowie Forschungsabteilungen in der Industrie als mögliche Quellen zur Beschaffung von Wissen in Betracht. Pakistan gehört zu den weltweit vier Ländern, die den AtomwafIslamische fensperrvertrag und die dazugehörigen Sicherheitsabkommen Republik Pakistan nicht unterzeichnet haben, und betreibt neben einem zivilen auch ein umfassendes militärisches Nuklearund Trägertechnologieprogramm. Pakistan und Indien stehen seit ihrer Staatsgründung in einem anhaltenden Spannungsverhältnis. Grund hierfür ist, dass beide Staaten die Region Kaschmir für sich beanspruchen. Daraus resultiert eine angespannte Lage zwischen den beiden Staaten, die bis heute andauert. Der Ausbau des eigenen Kernwaffenpotenzials durch die Entwicklung und Stationierung neuer nuklearfähiger Raketen sowie die Produktionssteigerung spaltbarer Materialien ist für das Land weiterhin von großer Bedeutung. Auch 2019 waren in Deutschland und zahlreichen anderen westlichen Ländern in hohem Maß pakistanische Beschaffungsversuche festzustellen, wobei insbesondere Güter mit einer Verwendungsmöglichkeit im Bereich der Nukleartechnik im Fokus standen. 309 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Entsprechend intensive Bemühungen sind auch zukünftig zu erwarten, insbesondere der Einsatz verdeckter pakistanischer Beschaffungsstrukturen. Die Aufklärung und Verhinderung proliferationsrelevanter pakistanischer Beschaffungsversuche zählt damit auch zukünftig zu den Schwerpunkten der Proliferationsabwehr. Islamische Die Bearbeitung des Iran bildet weiterhin einen Schwerpunkt der Republik Iran Proliferationsabwehr. Eine wichtige Aufgabe ist hierbei die Aufklärung möglicher Proliferationsbemühungen für das iranische Nuklearprogramm. Zudem stehen insbesondere seit den letzten Jahren mögliche Beschaffungsaktivitäten für das ambitionierte und international sanktionierte Raketenund Trägertechnologieprogramm im Fokus. Nach den Berichten der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) hatte sich Iran bis Mai 2019 an die im Juli 2015 im JCPoA vereinbarten Beschränkungen seines Nuklearprogramms gehalten. Trotz der Berichte der IAEO gaben die USA bereits am 8. Mai 2018 ihren Ausstieg aus dem JCPoA mit Iran bekannt. Gleichzeitig setzten die USA ihre nationalen Sanktionen gegen Iran in zwei Phasen - am 6. August 2018 und am 4. November 2018 - wieder in Kraft. Dies wirkt sich auch auf deutsche Unternehmen und ihre wirtschaftlichen Aktivitäten mit Iran aus. Konkret müssen Firmen, die sich nicht an die neuen US-Sanktionen halten, mit Schwierigkeiten bei Geschäften mit den USA rechnen. Zudem verschärften die USA ihre Sanktionen gegen Iran im Jahr 2019 weiterhin erheblich, was zu einer wirtschaftlichen Krise im Iran geführt hat. Iran kritisiert seit dem Ausstieg der USA aus dem JCPoA insbesondere auch die europäischen Länder. Er hält diesen vor, den Ausstieg und die damit verbundenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht aktiv genug zu kompensieren. Um entsprechenden Druck auf die verbliebenen Vertragspartner auszuüben, setzte der Iran 2019 teilweise die Vereinbarungen aus. Das BfV konnte 2019 nur vereinzelt Anhaltspunkte für proliferationsrelevante Beschaffungsversuche des Iran für sein Nuklearprogramm feststellen. Solche Anhaltspunkte ergeben sich, wenn das methodische Vorgehen zur Beschaffung von Gütern, deren 310 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Einsatzmöglichkeit auch in einem Nuklearprogramm und/oder vorliegende Erkenntnisse zum Endempfänger beziehungsweise zur anfragenden Stelle auf einen potenziellen proliferationsrelevanten Beschaffungshintergrund hindeuten. Soweit eine Verifizierung dieser Anhaltspunkte möglich war, erbrachten diese keinen Beweis für einen Verstoß gegen den JCPoA in Deutschland. Im Bereich Trägertechnologie/Raketenprogramm, der nicht von den Regelungen des JCPoA umfasst wird, konnte im Gegensatz zu 2018 kein neuerlicher Anstieg proliferationsrelevanter Beschaffungsversuche festgestellt werden; die Zahlen waren ähnlich hoch wie 2017. Nordkorea verfügt über ein weit fortgeschrittenes Kernwaffenund Demokratische Raketenprogramm, das ungeachtet der bestehenden SanktionsreVolksrepublik Korea gime nach wie vor qualitativ wie quantitativ weiterentwickelt wird. (Nordkorea) Als Reaktion auf die zahlreichen Kernwaffenund Raketentests verhängten die Vereinten Nationen sowie die EU insbesondere seit 2017 weitgehende Sanktionen, die sich auch auf den Finanzund Energiesektor erstrecken. 2018 prägten zunächst Gesten der Diplomatie gegenüber der internationalen Gemeinschaft, insbesondere gegenüber Südkorea und den USA, die nordkoreanische Politik. Im April 2018 kündigte Nordkorea einen Stopp seiner Kernwaffenund Raketentests an. Seit Ende 2018 und im Lauf des Jahres 2019 erfolgten jedoch wiederholt Verstöße gegen die Resolutionen der Vereinten Nationen, unter anderem durch mehrere Tests taktischer Waffen und Kurzstreckenraketen. Die weitere Entwicklung der politischen Situation bleibt ungewiss. Eine proliferationsrelevante Güterbeschaffung durch Nordkorea ist in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht festzustellen, wenngleich von nordkoreanischer Seite vereinzelte Interessensbekundungen an "Dual Use"-Produkten zu beobachten waren. Die Aktivitäten konzentrieren sich weiterhin auf die Beschaffung von Devisen für das Regime. Da das Land der Entwicklung seines Atomwaffenprogramms absolute Priorität einräumt, ist die staatlich gesteuerte Volkswirtschaft in jeder Hinsicht mit dessen Finanzierung verbunden. Somit geht jegliche Devisenbeschaffung Nordkoreas mit einer mittelbaren Proliferationsfinanzierung einher. Legale Geschäfte kann Nordkorea wegen der internationalen Sanktionen in Deutschland kaum noch durchführen. Ein Ausweichen 311 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN auf Alternativen zur Devisenbeschaffung ist sehr wahrscheinlich. Entsprechende Aktivitäten beobachten die Verfassungsschutzbehörden weiterhin. Arabische Syrien ist 2013 dem Chemiewaffenübereinkommen (CWÜ) beiRepublik Syrien getreten und als Vertragsstaat in die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) aufgenommen worden. 2014 wurden große Mengen an chemischen Waffen aus Syrien unter internationaler Aufsicht vernichtet. Inzwischen ist jedoch anzunehmen, dass die syrische Erstdeklaration zu den Chemiewaffenbeständen unvollständig war und demnach nicht alle Vorräte entsprechend vernichtet wurden. Die umfassenden restriktiven Maßnahmen gegen das syrische Regime wurden 2019 vom Rat der Europäischen Union erneut um ein Jahr verlängert. Zudem verhängte die EU am 21. Januar 2019 Sanktionen unter anderem gegen Wissenschaftler sowie das Scientific Studies and Research Center (SSRC), das als Hauptträger der syrischen Massenvernichtungsprogramme gilt. Ihnen wird vorgeworfen, für die Verbreitung und den Einsatz chemischer Waffen verantwortlich zu sein. Die fortschreitende Stabilisierung des syrischen Regimes und der damit verbundene Wiederaufbau des Landes lassen auch den Aufbau von Forschung, Entwicklung und Produktion der militärischen Programme in Syrien erwarten, wovon auch proliferationsrelevante Güter betroffen sein dürften. Im Fokus syrischer Beschaffungsbemühungen in Deutschland steht derzeit laborspezifische Ausrüstung, die den Aufund Ausbau von Chemieund Biolaboren nahelegt. VIII. Prävention in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung Deutsche Unternehmen sind aufgrund ihrer Innovationsstärke und Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten facettenreichen Bedrohungen ausgesetzt. Fremde Staaten und ihre Nachrichtendienste versuchen auf vielfältige Weise, Informationen und Knowhow der deutschen Wirtschaft abzuschöpfen oder absichtlich wirtschaftliche Abläufe zu stören, um der eigenen Volkswirtschaft Vorteile zu verschaffen. 312 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Überdies können auch Forschungseinrichtungen und Behörden Ziele von Spionageund Sabotageaktivitäten fremder Staaten werden. Im Rahmen der Prävention informiert das BfV über eigene Erkenntnisse und Analysen, die dazu beitragen, dass Wirtschaft, Wissenschaft sowie Politik und Verwaltung sich eigenverantwortlich und effektiv gegen Ausforschung, illegalen Wissensund Technologietransfer, Sabotage sowie Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können. Im Rahmen der 13. Sicherheitstagung von BfV und dem Bundesverband der Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) am 27. März 2019 in Berlin beleuchteten Experten aus Wissenschaft, Wirtschaft und Verfassungsschutz die Implikationen von Linksund Rechtsextremismus sowie islamistischem Extremismus/Terrorismus unter der Überschrift: "Extremismus - steigende Gefahr für Sicherheit und Reputation von Unternehmen". Das BfV war im Jahr 2019 auch Ansprechpartner auf verschiedenen Messen und Fachveranstaltungen, wie zum Beispiel auf Europas größter IT-Sicherheitsmesse "it-sa" vom 8. bis 10. Oktober 2019 in Nürnberg (Bayern). Der präventive Wirtschaftsschutz ist ein zentrales Anliegen des gesamten Verfassungsschutzverbundes. Daher wurden auch 2019 wieder mehrere Veranstaltungen wie beispielsweise regionale Wirtschaftsschutztage gemeinsam mit den jeweiligen Landesbehörden für Verfassungsschutz durchgeführt. Dort werden für die Sicherheit in der Wirtschaft relevante Informationen ausgetauscht und somit flächendeckend zum Schutz von Unternehmen und Wissenschaftseinrichtungen zur Verfügung gestellt. Die Aktivitäten unterstreichen, dass Wirtschaftsschutz eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Wirtschaft und Wissenschaft ist. Das BfV engagiert sich darüber hinaus in der Weiterentwicklung der vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat koordinierten Initiative Wirtschaftsschutz. In diesem Dachbündnis setzen sich Sicherheitsbehörden, Unternehmen und Verbände, Wissenschaft und Forschung gemeinsam dafür ein, analoge und digitale Angriffe durch Wirtschaftsspionage und Wirtschaftskriminalität von der deutschen Wirtschaft abzuwehren. 313 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN IX. Ermittlungsverfahren, Festnahmen und Verurteilungen Im Jahr 2019 leitete der Generalbundesanwalt insgesamt zwölf neue Ermittlungsverfahren im Bereich der Spionage ein (2018: 19 Verfahren). Davon betrafen zehn Ermittlungsverfahren den Verdacht der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 StGB) und zwei Ermittlungsverfahren den Verdacht des Landesverrats (SS 94 StGB). Im Berichtszeitraum wurde ein Haftbefehl vollstreckt. Zwei Personen wurden wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit rechtskräftig verurteilt. X. Methodische Vorgehensweisen ausländischer Nachrichtendienste Spionage gegen Deutschland wird sowohl mit technischen Mitteln als auch mit menschlichen Quellen durchgeführt, die offen oder konspirativ agieren. Im Zuge der Digitalisierung verschränken fremde Nachrichtendienste beide Methoden der Spionage miteinander. Nutzung von Sogenannte Legalresidenturen stellen eine Ausgangsbasis für SpioLegalresidenturen nageaktivitäten ausländischer Nachrichtendienste dar. Eine Legalresidentur ist der Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer offiziellen (z.B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z.B. Presseagentur, Fluggesellschaft) Vertretung seines Landes im Gastland. Die an den Auslandsvertretungen tätigen Nachrichtendienstoffiziere agieren dabei unter diplomatischer Tarnung und nutzen ihren Status als Diplomaten gezielt aus. So sind sie beispielsweise vor einer etwaigen strafrechtlichen Verfolgung geschützt. Offene und verdeckte Nachrichtendienste gewinnen ihre Informationen aus offenen, Informationsallgemein zugänglichen Quellen (z.B. Fachmessen, Kongresse und beschaffung Tagungen), aber auch aus konspirativen, mit einer Legende aufgebauten Verbindungen. Fremde Dienste wählen dabei perspektivisch meist arglose Zielpersonen im Hinblick auf deren aktuelle und langfristige Zugangsmöglichkeiten aus. Mit geschickter Gesprächsführung gelingt es oftmals, sensible Informationen zu erlangen oder auch Hinweise auf weitere potenzielle Quellen zu gewinnen. Zielpersonen derartiger Ausspähungsbemühungen sind 314 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN vor allem Behördenvertreter, Bundeswehrangehörige, Vertreter politischer Institutionen (z.B. Parteien und Stiftungen), Wissenschaftler sowie Mitarbeiter von Unternehmen und Banken. Nachrichtendienstliche Operationen gegen deutsche Interessen Operationen aus den werden auch unmittelbar aus den jeweiligen Zentralen der Dienste Dienstzentralen in den Heimatländern initiiert und gesteuert. Außerdem nehmen ausländische Nachrichtendienste gezielt deutsche Bürger ins Visier, wenn diese sich für längere Zeit im jeweiligen Land aufhalten oder regelmäßig dorthin reisen. Dazu zählen Angehörige diplomatischer Vertretungen und Behördenvertreter, Firmenrepräsentanten, Gastwissenschaftler und Studierende. Dabei nutzen die Dienste heimische Überwachungsund Kontrollmöglichkeiten. Nachrichtendienstoffiziere aus der Dienstzentrale sind im ZusamReisende menhang mit Erkundungsund Treffreisen auch in anderen LänFührungsoffiziere dern operativ tätig. So werden deutsche Quellen von ihren Fühund Quellen rungsoffizieren auch im Ausland getroffen ("Drittlandtreff"). Die Nachrichtendienstangehörigen nutzen dabei die Reisefreiheit innerhalb des 26 europäische Länder umfassenden Schengenraums. Auch verlagern sie ihre Aktivitäten in Länder außerhalb Europas, in denen sie sich vor einer Entdeckung sicher fühlen. Nachrichtendienste nutzen für Anbahnungsoperationen mittlerSoziale Netzwerke weile auch soziale Netzwerke wie Facebook oder die Karriereplattform LinkedIn. Der Modus Operandi ist dabei fast immer gleich: Vermeintliche Wissenschaftler, Jobvermittler und Headhunter knüpfen Kontakte zu Personen, die über ein aussagekräftiges Personenprofil verfügen. Sie werden aufgefordert, aus ihrem Arbeitsbereich zu berichten oder in das jeweils agierende Land eingeladen. Dort erfolgt dann die nachrichtendienstliche Anbahnung. Der Einsatz von Nachrichtendienstangehörigen, die mit einer "Illegale" falschen Identität und langfristigen Perspektive im Ausland eingesetzt werden, erfordert einen besonders hohen Aufwand. Andererseits sind diese "Illegalen" wegen ihrer sorgfältigen Abdeckung entsprechend schwer zu enttarnen. Die weiter voranschreitende Digitalisierung hat der nachrichtenSpionage mit dienstlichen Informationsbeschaffung neue Möglichkeiten eröfftechnischen Mitteln net. Informationen, die früher nur durch menschliche Quellen zu erlangen waren, sind heutzutage verhältnismäßig leicht und ohne 315 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN größere Risiken auf technischem Weg zu beschaffen. Dazu gehört das Abhören inländischer Kommunikation und der internationalen Kommunikationsverbindungen über Server oder Internetknoten im Ausland. FernmeldeFernmeldeaufklärungsmaßnahmen ausländischer Nachrichtenaufklärungsdienste in Deutschland in Bezug auf relevante Informationen der maßnahmen Bundesregierung werden wegen ihrer günstigen Lage und Exterritorialität besonders von den jeweiligen Botschaftsgebäuden im Zentrum Berlins aus durchgeführt. Insbesondere im Regierungsviertel muss daher bei allen über Funk geführten Kommunikationsverbindungen (z.B. Gespräche mit Mobiltelefonen, WLANund Bluetooth-Verbindungen) mit einer Überwachung gerechnet werden. Auch in WLAN-Netzen eingebundene mobile Endgeräte und die darauf gespeicherten Daten könnten so einem unberechtigten Zugriff ausgesetzt sein. Cyberangriffe Cyberangriffe mit und gegen IT-Infrastrukturen haben sich in den letzten Jahren als wichtige Methode ausländischer Nachrichtendienste etabliert. Sie umfassen das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, den Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme computergesteuerter und netzgebundener Produktionsund Steuereinrichtungen. Solche Cyberangriffe können von außen über Computernetzwerke wie das Internet oder durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner erfolgen (z.B. über manipulierte Hardwarekomponenten wie USB-Sticks). Staat und Wirtschaft Seit 2005 werden in Deutschland zielgerichtete nachrichtendienstim Fokus liche Cyberangriffe auf breiter Basis gegen Bundesbehörden, Politik und Wirtschaftsunternehmen festgestellt. Von besonderem Interesse für ausländische Nachrichtendienste sind dabei vor allem die Bereiche Außenund Sicherheitspolitik, Wirtschaft und Finanzen sowie Militär und Rüstung. Die Dauer einzelner Angriffsoperationen und die globale Ausrichtung bei der Auswahl von Themen und Opfern weisen deutlich auf ein strategisches Vorgehen hin. Komplexität und Da die Angreifer die eingesetzten Schadprogramme permanent Dunkelfeld weiterentwickeln, steigt die Effektivität derartiger Angriffe. So werden die Methoden zunehmend komplexer, zudem ist die Dunkelziffer nicht erkannter Cyberangriffe als hoch einzuschätzen. 316 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Insbesondere die Anonymität des Internets erschwert Identifizierung und Verfolgung der Täter. Oft ist aber aufgrund bestimmter Merkmale und Indizien eine Zuordnung des Angriffs zu einem bestimmten nachrichtendienstlichen Verursacher möglich. Aber nicht nur bei der geheimen und illegalen InformationsStaatliche beschaffung mit menschlichen und technischen Quellen setzen Einflussnahme und fremde Staaten ihre Nachrichtendienste aktiv ein. Einflussnahmehybride Bedrohungen aktivitäten und Desinformation waren und sind gängige Handlungsoptionen von Staaten. Zum Einsatz kommen hierzu sowohl Nachrichtendienste als auch sonstige staatliche Stellen, staatlich beeinflusste Organisationen oder soziale Medien. Im Rahmen von sogenannten hybriden Bedrohungen greifen Akteure zentral gesteuert und in der Regel unter gezielter Verschleierung der Herkunft Institutionen demokratischer Staaten an, wirken auf deren Funktionsweisen ein und nutzen deren systemische Schwächen gezielt aus, um so Entscheidungsprozesse zu stören oder sogar zu manipulieren. Das Instrumentarium, dessen sich hybride Akteure bedienen können, ist vielgestaltig. Die strategische Auswahl der Instrumente für eine hybride Beeinflussung hängt von den spezifischen Rahmenbedingungen im Zielland sowie der Zielsetzung des Einflussnehmers ab. In Deutschland waren bisher vor allem Desinformationskampagnen, wirtschaftliche Einflussnahmen sowie das Einwirken auf bestimmte Diasporagemeinschaften zu beobachten. Der Einsatz verschiedener denkbarer Mittel hybrider Einflussnahme wird dabei fortwährend angepasst und verfeinert, um die Wirksamkeit der gewählten Instrumente zu maximieren. Das Aufspüren und korrekte Attribuieren von verschleierten und mit einem typischerweise hohen Maß an Professionalität durchgeführten Einflussnahmeoperationen stellt im Bereich der hybriden Bedrohungen eine zentrale Herausforderung für Deutschland und seine Partner dar. Deutschland ist ein gegenüber ausländischen Direktinvestitionen Ausländische offenes Land. Im Zuge eines Unternehmensaufkaufs kann es aber Direktinvestitionen zu unerwünschten Informationsabflüssen kommen. Neben dieser Gefahr können ausländische Direktinvestitionen insbesondere im Bereich Kritischer Infrastrukturen zu Abhängigkeiten von staatlich kontrollierten ausländischen Investoren und - im äußersten Fall - zu Kontrollverlusten über kritische und sicherheitsrelevante Infrastruktur führen. Immer wieder erfolgen solche Übernahmen 317 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN im Bereich von Hochtechnologien und Kritischen Infrastrukturen (beispielsweise Transport, Energie, Sicherheitstechnik, Telekommunikation). Es ist nicht immer eindeutig, ob hinter Investitionen in diesen Bereichen lediglich rein wirtschaftliche Interessen stehen. Beteiligungen an deutschen Unternehmen können neben einem Know-how-Abfluss auch dazu dienen, sensible Informationen zu erlangen. Letztgenanntes kann etwa der Fall sein, wenn ein Unternehmen aufgrund von Geschäftsbeziehungen mit öffentlichen Stellen Zugang zu sicherheitsrelevanten Informationen hat. Hinter den ausländischen Direktinvestitionen können staatliche - nicht zwingend nachrichtendienstliche - Stellen stehen, die versuchen, wirtschaftliche und politische Machtverhältnisse zugunsten ihrer Länder zu beeinflussen. 318 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN XI. Strukturen und Aufgaben ausländischer Nachrichtendienste 1. Russische Föderation SWR Ziviler Auslandsnachrichtendienst Slushba Wneschnej Raswedki Leitung: Sergej Narischkin Mitarbeiterzahl: mindestens 15.000 Der SWR ist für Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie zuständig. Zu seinen Aufgaben zählen ferner die Ausforschung von Zielen und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtenund Sicherheitsdienste sowie die elektronische Fernmeldeaufklärung. Der Dienst wirkt zudem an der Bekämpfung von Proliferation und Terrorismus mit. GRU Militärischer AuslandsnachrichtenGlawnoje Raswedywadienst telnoje Uprawlenije Leitung: Vize-Admiral Igor Kostjukow Mitarbeiterzahl: ca. 37.000 (inkl. ca. 25.000 SpetsNaz133) Aufgabenschwerpunkt der GRU ist die Beschaffung von Informationen in den Bereichen Militär und Sicherheitspolitik. Zu den Zielobjekten zählen die Bundeswehr, die NATO und andere westliche Verteidigungsstrukturen sowie organisationsübergreifend militärisch nutzbare Technologien. 133 Militärische Spezialeinheit der GRU. 319 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN FSB Inlandsnachrichtendienst Federalnaja Slushba Besopasnosti Leitung: Armeegeneral Alexander Bortnikow Mitarbeiterzahl: ca. 350.000, davon mehr als 200.000 im Grenzschutzdienst Zu den Kernaufgaben des FSB gehören die Spionageabwehr, die Beobachtung oppositioneller Gruppierungen sowie die Bekämpfung von Extremismus, Terrorismus und Organisierter Kriminalität. Zudem zählen der Schutz der russischen Industrie vor Wirtschaftsspionage und Organisierter Kriminalität, der Schutz ausländischer Investoren vor Wirtschaftskriminalität sowie die Sicherung der Staatsgrenzen zu seinen Aufgaben. In Einzelfällen betreibt der FSB Gegenspionage auch im Ausland. 2. Volksrepublik China MSS Ziviler Inund AuslandsMinistry of State nachrichtendienst Security Leitung: Minister Chen Wenqing Das MSS ist sowohl mit Abwehrals auch mit offensiven Spionageaktivitäten im Ausland betraut. In Fragen der nationalen Sicherheit nimmt das MSS eine zentrale Rolle unter den chinesischen Diensten ein. Das Ministerium ist für die Bekämpfung von Gefahren für die staatliche Ordnung und Sicherheit zuständig und hierfür auch mit Polizeibefugnissen ausgestattet. In Deutschland bemüht es sich nachhaltig um Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und späht aktive oppositionelle chinesische Gruppierungen aus. 320 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN MID (vormals 2PLA134) Militärischer Inund AuslandsnachMilitary Intelligence richtendienst Directorate Leitung: Direktor Chen Guangjun Der Dienst MID ist dem Joint Staff Department Intelligence Bureau (JSD-IB) der Zentralen Militärkommission unterstellt und weltweit offensiv tätig. Er entsendet Militärattaches und unterhält Verbindungen zu ausländischen Streitkräften. Er ist für die Beschaffung von Informationen zuständig, die die äußere Sicherheit der Volksrepublik betreffen. Hierzu gehören unter anderem Struktur, Stärke und Ausrüstung fremder Streitkräfte. Spionageziele sind aber auch Politik, Wissenschaft und Technik anderer Staaten. Im Zuge der Militärreform ist das MID verpflichtet worden, sich auf militärisch-strategische Aufklärungsziele zu konzentrieren. NSD Technischer militärischer NachrichtenNetwork Systems dienst Department Leitung: Kommandeur Zheng Junjie Das NSD ist der Ende 2015 gegründeten Teilstreitkraft PLA Strategic Support Force (SSF) unterstellt. Es betreibt weltweite Fernmeldeaufklärung, elektronische Kriegsführung (Electronic Warfare), Cyberspionage und Psychologische Kriegsführung (PsyOps). Darüber hinaus ist der Dienst für Telekommunikationsüberwachung, IT-Sicherheit und Cyberabwehr im Militärbereich zuständig. 134 People's Liberation Army ("Volksbefreiungsarmee"). 321 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN MPS Ministerium für Öffentliche Sicherheit Ministry of Public Security Leitung: Minister Zhao Kezhi Das MPS ist für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zuständig und kann hierzu auf die Ordnungsund Kriminalpolizei zurückgreifen. Ferner verfügt das MPS über nachrichtendienstliche Spezialeinheiten, die auch verdeckt im Ausland tätig sind. Das Aufgabenspektrum dieser Spezialeinheiten überschneidet sich teilweise mit dem des MSS. Überdies kontrolliert und zensiert das MPS die Medien und den Internetverkehr. 3. Islamische Republik Iran VAJA/MOIS Ziviler Inund AuslandsMinistry of Intellinachrichtendienst gence135 Leitung: Minister Mahmud Alawi Der Dienst VAJA (vormals VEVAK136, auch MOIS abgekürzt) wurde 1984 als Nachfolger verschiedener im Nachgang der sogenannten islamischen Revolution im Iran entstandener Nachrichtendienstorganisationen gegründet. VAJA/MOIS ist wegen seiner Größe und Bedeutung für den Machterhalt der Regierung eines der mächtigsten Ministerien. In seiner Funktion als Minister hat der Leiter des VAJA/MOIS einen Sitz im Kabinett. Kernaufgabe ist die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Bewegungen im Inund Ausland. Darüber hinaus werden im westlichen Ausland Informationen aus den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik, Wirtschaft und Wissenschaft beschafft. 135 In Farsi: Vezarat e Ettela'at-e Jomhouri-ye Eslami-ye Iran - VAJA. 136 In Farsi: Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Keshsvar - VEVAK ("Ministerium für Information und Sicherheit"). 322 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN RGID Militärischer Inund Revolutionary Guards Auslandsnachrichtendienst Intelligence Department137 Leitung: Hossein Taeb Der Nachrichtendienst der Iranischen Revolutionsgarden ist sowohl für Spionage im Ausland als auch für Abwehraufgaben im Inland zuständig. Quds Force138 Militärische Spezialeinheit (auch: al-Quds-Einheit, Quds-Brigaden oder Sepah-Qods) Leitung: Brigadegeneral Ismail Ghaani (seit Januar 2020) Die Spezialeinheit der Revolutionsgarden wurde Anfang der 1990er-Jahre gegründet. Sie ist auf extraterritoriale und verdeckte militärische Operationen (z.B. in Afghanistan, Irak, Libanon, Syrien) sowie auf nachrichtendienstliche Ausspähungen spezialisiert. 137 In Farsi: Sepah Pasdaran. 138 In Farsi: Niru-ye Quds (diese Bezeichnung der Einheit wird von dem arabischen Namen für Jerusalem "al-Quds" abgeleitet). 323 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 4. Republik Türkei MIT Ziviler Inund AuslandsMilli Istihbarat Teskilati nachrichtendienst Leitung: Hakan Fidan Mitarbeiterzahl: 8.000 bis 9.000 Der MIT wurde 1926 unter der Bezeichnung MillA(r) Emniyet Hizmeti Riyaseti gegründet. Der mit Exekutivbefugnissen ausgestattete Dienst ist zentraler Bestandteil der türkischen Sicherheitsarchitektur. Seine Befugnisse wurden im Rahmen einer Reform 2014 erheblich ausgeweitet. Im August 2017 erhielt er durch zwei neue Dekrete mit Gesetzeskraft weitere Kompetenzen. Es erfolgte auch eine Neuordnung des Unterstellungsverhältnisses: Der bisher dem türkischen Ministerpräsidenten unterstellte Dienst ist seit 2017 direkt dem Staatspräsidenten verantwortlich. Das Aufklärungsinteresse des MIT in Deutschland gilt grundsätzlich allen Organisationen und Einzelpersonen, die in tatsächlicher oder mutmaßlicher Opposition zur gegenwärtigen türkischen Regierung stehen. Die vorrangigen Ziele seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeiten sind derzeit die Gülen-Bewegung, welcher die Verantwortung für den gescheiterten Putsch 2016 zugeschrieben wird, die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) sowie die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C). Weitere Aufklärungsziele bilden wirtschaftliche, politische, militärische und technologische Themen innerhalb Deutschlands und dessen Rolle innerhalb der EU und der NATO. 324 Geheimund Sabotageschutz 325 Geheimund Sabotageschutz Zielsetzung Informationen, deren Bekanntwerden den Bestand, die Sicherheit oder die Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden oder schädigen können, dürfen nur solchen Personen zugänglich gemacht werden, die über die hierfür erforderliche besondere Zuverlässigkeit verfügen. Diese Zuverlässigkeit zu überprüfen, ist Aufgabe des personellen Geheimschutzes. Dazu werden die Instrumente des Gesetzes über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) eingesetzt. Lebensund verteidigungswichtige Einrichtungen können Ziel von Sabotagehandlungen werden, insbesondere aus terroristischen Motiven. Ziel des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes ist es daher, sicherzustellen, dass an sicherheitsempfindlichen Stellen solcher Einrichtungen keine Personen beschäftigt sind, bei denen Sicherheitsrisiken vorliegen. Rechtliche Nach SS 3 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1, 2 und 4 BVerfSchG in VerbinGrundlagen dung mit SS 3 Absatz 2 SÜG hat das BfV die gesetzliche Aufgabe, auf Bundesebene an Sicherheitsüberprüfungen von Personen mitzuwirken. Demgemäß führt das BfV im Auftrag der für die Sicherheitsüberprüfung zuständigen Stellen die erforderlichen Maßnahmen durch. Zuständige Stelle ist grundsätzlich die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes oder politische Partei nach Artikel 21 GG, für welche die zu überprüfende Person tätig werden soll, das heißt, die eine Person mit einer sogenannten sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betrauen will (sogenannte betroffene Person). Überprüfungen, die sicherheitsempfindliche Tätigkeiten in nicht öffentlichen Stellen betreffen, fallen grundsätzlich in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Auch an diesen wirkt das BfV mit. Sonstige gesetzliche Bestimmungen im Sinne des SS 1 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 BVerfSchG, die eine Sicherheitsüberprüfung nach den Vorgaben des SÜG unter Mitwirkung des BfV regeln, sind "" das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel-10-Gesetz - G 10), 326 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ "" das Gesetz zum Schutz vor Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland durch das Verbreiten von hochwertigen Erdfernerkundungsdaten (Satellitendatensicherheitsgesetz - SatDSiG) und "" das Gesetz über das Bundeskriminalamt und die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in kriminalpolizeilichen Angelegenheiten (Bundeskriminalamtgesetz - BKAG). Je nach Schutzbedüftigkeit erfolgt die Einstufung von Informationen bzw. von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen (sog. Verschlusssache - VS)139 in einen der vier Geheimhaltungsgrade: VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, VS-GEHEIM oder VS-STRENG GEHEIM. Diese Einstufung und der Zugang zu VS sind u.a. maßgeblich für das "Ob" und "Wie" der durchzuführenden Sicherheitsüberprüfung. Überprüft werden Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit im Sinne des SÜG ausüben sollen. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn der Stelleninhaber Zugang zu VS ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH erhalten soll, sich diesen Zugang bei der Ausübung seiner Tätigkeit verschaffen kann oder in einem Sicherheitsbereich einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Bundes tätig werden soll (personeller Geheimschutz). Der Zugang zu VS des Geheimhaltungsgrades VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH setzt hingegen nicht die Durchführung einer Sicherheitsüberprüfung voraus. Hier ist der Stelleninhaber vor Zugang zu solchen VS nach den Regelungen der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum materiellen Geheimschutz (Verschlusssachenanweisung - VSA) besonders zu verpflichten. 139 Nach SS 4 Abs. 1 SÜG sind VS im öffentlichen Interesse, insbesondere zum Schutz des Wohles des Bundes oder eines Landes, geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse unabhängig von ihrer Darstellungsform. VS können auch Produkte und die dazu gehörenden Dokumente sowie Schlüsselmittel zur Entschlüsselung, Verschlüsselung oder Übertragung von Informationen sein (Kryptomittel). Geheimhaltungsbedürftig im öffentlichen Interesse können auch Geschäfts-, Betriebs-, Erfindungs-, Steueroder sonstige private Geheimnisse oder Umstände des persönlichen Lebensbereichs sein. 327 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt auch aus, wer an einer sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung140 beschäftigt ist oder werden soll (vorbeugender personeller Sabotageschutz). Verfahren Den Ausgangspunkt einer Sicherheitsüberprüfung, die nur mit ausdrücklicher Zustimmung der zu überprüfenden Person erfolgen darf, bildet eine von dieser Person auszufüllende Sicherheitserklärung, die an das BfV übermittelt wird. Die geforderten Angaben und der Umfang der durchzuführenden Überprüfungsmaßnahmen orientieren sich an der jeweiligen Sicherheitsüberprüfungsart. Im Bereich des personellen Geheimschutzes werden drei Arten von Sicherheitsüberprüfungen unterschieden, die sich jeweils an der Höhe des Geheimhaltungsgrades orientieren, zu dem die betroffene Person Zugang erhalten soll: "" die einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü1), " die erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü2) und "" die erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3). In die Überprüfungen der beiden höchsten Sicherheitsstufen werden auch die Partnerin oder der Partner (mitbetroffene Person)141 der von der Sicherheitsüberprüfung betroffenen Person mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung einbezogen. Im Bereich des Sabotageschutzes ist eine einheitliche Überprüfungsart vorgegeben, 140 Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, (1.) deren Beeinträchtigung aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr (z.B. Explosions-, Brand-, Verseuchungsgefahr etc.) die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann oder (2.) die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde (z.B. die Versorgung der Bevölkerung mit Postund Telekommunikationsleistungen). Verteidigungswichtig sind außerhalb des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Verteidigung auch solche Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung aufgrund (1.) fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit die Funktionsfähigkeit, insbesondere die Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie der Zivilen Verteidigung, oder (2.) der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann (vgl. SS 1 Abs. 5 SÜG). 141 Unter Partnerin/Partner ist zu verstehen: die volljährige Ehegattin oder der volljährige Ehegatte der betroffenen Person, die Lebenspartnerin oder der Lebenspartner der betroffenen Person oder die volljährige Partnerin oder der volljährige Partner, mit der oder dem die betroffene Person in einer auf Dauer angelegten Gemeinschaft lebt (Lebensgefährtin oder Lebensgefährte). 328 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ deren Maßnahmen auf die diesbezügliche spezifische Zielsetzung (Verhinderung von Sabotagehandlungen durch Innentäter) ausgerichtet sind. Je nach vorgegebener Überprüfungsart hat das BfV im Rahmen Maßnahmen der SÜ der Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen bestimmte Maßnahmen durchzuführen. Die im Rahmen einer Ü1 durchzuführenden Maßnahmen sind gleichzeitig Standardmaßnahmen der Ü2 und Ü3. Bei allen Überprüfungsarten erfolgt eine sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Zudem gehören zu den (Standard-)Maßnahmen der Ü1 "" die Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister (BZR), "" ein Ersuchen um eine Datenübermittlung aus dem Zentralen Staatsanwaltschaftlichen Verfahrensregister (ZStV), "" eine Anfrage an das Bundeskriminalamt (BKA), "" eine Anfrage an die Bundespolizei (BPol) und "" Anfragen an die Nachrichtendienste des Bundes (Bundesnachrichtendienst/BND und Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst/BAMAD). Auch die Beteiligung ausländischer Sicherheitsbehörden ist bei Auslandsaufenthalten von ununterbrochen längerer Dauer als sechs Monate in den vergangenen fünf Jahren möglich. Hierfür ist eine gesonderte Zustimmung der betroffenen bzw. mitbetroffenen Person in der Sicherheitserklärung erforderlich. Die Beteiligung ausländischer Sicherheitsbehörden ist ausgeschlossen, wenn auswärtige Belange oder Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland oder schutzwürdige Interessen der betroffenen oder der mitbetroffenen Person entgegenstehen. In diesem Fall kommen Ersatzmaßnahmen in Betracht. Soweit im Einzelfall erforderlich, kann bei ausländischen Staatsangehörigen (eine Ausnahme bilden freizügigkeitsberechtigte Unionsbürger) zusätzlich auch ein Ersuchen an das Ausländerzentralregister (AZR) erfolgen. 329 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Darüber hinaus werden bei der Ü2 die Polizeibehörden der innegehabten Wohnsitze im Inland, in der Regel beschränkt auf die letzten fünf Jahre, angefragt, und es wird eine Identitätsprüfung zur betroffenen Person vorgenommen. Für die mitbetroffene Person werden die für die Ü1 und Ü2 vorgesehenen Maßnahmen ebenfalls durchgeführt. Abweichend hiervon erfolgt eine Ü2 im Bereich des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes ohne Einbeziehung der Partnerin/des Partners. Im Rahmen der Ü3 werden über die Maßnahmen der Ü1 und Ü2 hinaus von der betroffenen Person angegebene Referenzpersonen und weitere geeignete Auskunftspersonen befragt. Bei allen Überprüfungsarten kann zudem zu der betroffenen Person in erforderlichem Maße Einsicht in öffentlich zugängliche Internetseiten genommen werden, mit Ausnahme des öffentlich sichtbaren Teils sozialer Netzwerke. In diese darf grundsätzlich nur bei den beiden höchsten Überprüfungsarten (Ü2, Ü3) Einsicht genommen werden. Zudem können die betroffene und die mitbetroffene Person selbst befragt werden, soweit es eine sicherheitserhebliche Erkenntnis erfordert. Reicht diese Befragung nicht aus, stehen ihr schutzwürdige Interessen entgegen, oder erfordert es die Prüfung der Identität, können auch weitere geeignete Auskunftspersonen oder andere geeignete Stellen befragt oder Einzelmaßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung durchgeführt werden. Ferner kann die betroffene Person aufgefordert werden, für die Abklärung der sicherheitserheblichen Erkenntnis geeignete Unterlagen beizubringen. Zusätzlich können von öffentlichen Stellen Akten beigezogen werden - von Gerichten, Staatsanwaltschaften oder Finanzbehörden auch über Strafverfahren wegen einer Steuerstraftat im Sinne des SS 369 der Abgabenordnung. Auswirkungen Mit der Novelle des SÜG im Jahr 2017 wurde das Niveau der Sicherder Novelle des SÜG heitsüberprüfungen auf Bundesebene durch die Erweiterung der in der Praxis Aktualisierungsund Wiederholungsüberprüfungsverfahren und die Einführung neuer Überprüfungsinstrumente angehoben. So führt insbesondere das Instrument der Internetrecherche zu einer Ausweitung der Bewertungsgrundlagen. Mit der Möglichkeit der Beteiligung des AZR lassen sich nun Angaben in der Sicherheitserklärung bezüglich des Aufenthaltsstatus effektiver überprüfen. Eine breitere Datenbasis steht dem BfV durch die Beteiligung des ZStV zur Verfügung, wodurch nun auch anhängige strafrechtliche 330 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Ermittlungsverfahren im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung bekannt werden. Die im Rahmen des Sicherheitsüberprüfungsverfahrens festgeSicherheitsrisiken stellten Erkenntnisse werden vom BfV auf ihre Sicherheitserheblichkeit geprüft. Ein Sicherheitsrisiko liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte im Einzelfall, bezogen auf die sicherheitsempfindliche Tätigkeit, "" Zweifel an der Zuverlässigkeit der betroffenen Person bei der Wahrnehmung der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, "" eine besondere Gefährdung der betroffenen Person, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, bei möglichen Anbahnungsund Werbungsversuchen142 oder "" Zweifel am Bekenntnis der betroffenen Person zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen. Auch tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen entsprechender Sicherheitsrisiken bei der Partnerin oder dem Partner können sich negativ auf das Gesamtergebnis der Überprüfung auswirken. Zweifel an der Zuverlässigkeit können sich aus zahlreichen Anhaltspunkten ergeben, wie z.B. Verstößen gegen Strafvorschriften, übermäßigem Alkoholkonsum, Abhängigkeit oder Konsum von Betäubungsmitteln/Medikamenten oder psychischen Erkrankungen. Zunehmende Bedeutung haben seit Jahren Überprüfungsfälle, bei denen finanzielle Probleme sicherheitsmäßig bewertet werden müssen. Eine besondere Gefährdung kommt unter anderem bei Verbindungen zu oder in Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken in Betracht. Aber auch Erkenntnisse, die auf eine Spielsucht oder Geldgier der zu überprüfenden Person schließen lassen, spielen bei dieser Risikogruppe eine Rolle. Ebenso können Verhaltensweisen einer Person, die diese unbedingt vor Dritten verborgen halten will, wie etwa das Unterhalten einer außerehelichen Beziehung, eine Angriffsfläche für Erpressungsversuche bieten. 142 Als Akteure kommen hier ausländische Nachrichtendienste, Vereinigungen im Sinne der SSSS 129 bis 129b des Strafgesetzbuches oder extremistische Organisationen in Frage, die Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 BVerfSchG verfolgen. 331 GEHEIMUND SABOTAGESCHUTZ Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung können sich grundsätzlich ergeben, wenn zu ihr Erkenntnisse aus den Bearbeitungsfeldern des BfV vorliegen. Das Ergebnis der durchgeführten Maßnahmen wird der jeweils zuständigen Stelle in Form eines Votums mitgeteilt, auf dessen Grundlage sie eigenverantwortlich über den Einsatz der überprüften Person in der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit entscheidet. Materieller Das SÜG enthält auch allgemeine, materielle Grundsätze zum Geheimschutz Schutz von VS. So sind zum Beispiel Bundesbehörden und sonstige öffentliche Stellen des Bundes verpflichtet, VS durch Maßnahmen des materiellen Geheimschutzes (Schaffung der organisatorischen und technischen Vorkehrungen zum Schutz von VS) so zu schützen, dass ihre Vertraulichkeit dauerhaft gewahrt bleibt. Wer berechtigt Zugang zu einer VS erlangt, ist zur Verschwiegenheit verpflichtet und hat dafür Sorge zu tragen, dass keine unbefugte Person Kenntnis von der VS erlangt. Entwicklungen Im Durchschnitt hat das BfV in den vergangenen fünf Jahren jährlich an rund 42.000 Sicherheitsüberprüfungen im Geheimund Sabotageschutz mitgewirkt. Im Jahr 2019 wurden im Geheimschutz 6.102 einfache Sicherheitsüberprüfungen, 29.095 erweiterte Sicherheitsüberprüfungen und 2.325 erweiterte Sicherheitsüberprüfungen mit Sicherheitsermittlungen durchgeführt. Hinzu kamen 7.327 Überprüfungen im Bereich des Sabotageschutzes sowie 11.407 Aktualisierungsüberprüfungen. Insgesamt lag die Anzahl der Überprüfungen im Geheimund Sabotageschutz, an denen das BfV mitgewirkt hat, bei 56.256. Damit setzt sich die Tendenz der vergangenen Jahre zu mehr und intensiveren Sicherheitsüberprüfungen fort. Schulung und Das BfV trägt durch die Schulung von Geheimund SabotageSensibilisierung schutzbeauftragten von Behörden dazu bei, dass sich dort eine möglichst gleichwertige Sicherheitsstruktur etabliert. Darüber hinaus stellt es geeignete Materialien zur Verfügung, um auch bei den Geheimnisträgern selbst ein nachhaltiges Sicherheitsbewusstsein zu fördern. 332 "Scientology-Organisation" (SO) 333 "Scientology-Organisation" (SO) Die "Scientology-Organisation" (SO) beabsichtigt, weltweit eine "scientologische Gesellschaft" zu etablieren. Die Mitgliederzahl in Deutschland liegt bei rund 3.500 Personen. Die Zahl der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten ist weiterhin gering. Die SO richtet jedoch beständig Informationsstände in Städten der gesamten Bundesrepublik aus. Sie besitzt neben drei repräsentativen Zentren, sogenannten Idealen Orgs, zwölf weitere Niederlassungen, die je nach Größe und Ausstattung "Missionen" beziehungsweise "Orgs" genannt werden. Darüber hinaus besitzt die SO für ihre in der Gesellschaft berühmten Mitglieder sogenannte Celebrity Centres. Bei diesen Einrichtungen handelt es sich um besonders serviceorientierte Niederlassungen. Ideologie Die SO gründet ihre Ideologie dogmatisch auf den Schriften des Gründers und der Leitfigur Lafayette Ron Hubbard (1911-1986). Die SO bewarb im Berichtsjahr, allen voran mit dessen Buch "Dianetik", umfassend und ohne Einschränkungen die Lehren Hubbards, die nach Aussage der SO alle Aspekte des menschlichen Daseins beeinflussen.143 Hubbard wird von der SO ohne Vorbehalt als "Menschenfreund"144 bezeichnet. Eine Distanzierung der SO von den verfassungsfeindlichen Aussagen Hubbards findet ausdrücklich nicht statt. "Er bleibt im Geiste und durch das Vermächtnis seiner Lehren und ihrer ständigen Ausübung auf der ganzen Welt für uns präsent." (Homepage SO, 2. Dezember 2019) Hubbard veröffentlichte das Buch "Dianetik" bereits 1950. Darin entwickelte er eine Methode, die er als "Technologie", "Dianetik" beziehungsweise "Scientology" bezeichnete, mit der sich der Benutzer selbst von jeglichen psychischen und physischen Belastungen befreien könne. Ziel dieser Methode ist die Erschaffung des perfekten Menschen, der "Clear" beziehungsweise der "Nichtaberrierte"145. Menschen, die nicht zu den "Clears" gehö143 Homepage SO (2. Dezember 2019). 144 Homepage L. Ron Hubbard (2. Dezember 2019). 145 L. Ron Hubbard, "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", Kopenhagen 2007, S. 537 ff. 334 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) ren, sollen Grundrechte und die Menschenwürde abgesprochen werden. "Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen." (L. Ron Hubbard, "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", Kopenhagen 2007, S. 483) "Eines Tages wird es vielleicht ein viel vernunftgemäßeres Gesetz geben, das nur Nichtaberrierten erlaubt, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen." (L. Ron Hubbard, "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", Kopenhagen 2007, S. 373) "Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nicht aberrierter Menschen, Clears, die ihr Leben in einer nichtaberrierten Kultur führen ... Es genügt nicht, als einzelner nicht aberriert zu sein." (L. Ron Hubbard, "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", Kopenhagen 2007, S. 482) Laut Hubbard ist eine Nation nur zur "wahren Demokratie" befäStrategie higt, wenn sie ausschließlich aus "Nichtaberrierten" besteht. Die SO sieht sich selbst als Führungselite, die durch die Anwendung der Lehren Hubbards als einzige Menschengruppe den Rest der Menschheit regieren sollte. Das - die Demokratie ersetzende - System einer solchen alleinherrschenden scientologischen Regierung ist nicht mit dem Demokratieprinzip des Grundgesetzes vereinbar. Alle Staatsgewalt ginge in solch einem System weder vom Volke aus, noch wäre sie durch eine ununterbrochene Legitimationskette an das Volk gebunden. Der totalitäre Charakter der SO zeigt sich unter anderem in der Methode, eine in alle Lebensbereiche erstreckende Kontrolle über die Mitglieder auszuüben und diese aufzufordern, sich gegenseitig zu melden. So werden Organisationsmitglieder dazu aufgefordert, regelmäßig "Wissensberichte" über andere Mitglieder zu verfassen, um deren vermeintliches "Fehlverhalten" zu protokollieren. Weiterhin ist es in der SO üblich, Mitglieder dazu aufzufordern, bei vermeintlich "schlechtem" Einfluss durch Freunde und Familienangehörige auf diese, jeglichen Kontakt in Gänze und endgültig abzubrechen. 335 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Aus den Schriften Hubbards ergibt sich, dass die angestrebte scientologische Gesellschaftsordnung durch eine langfristig ausgerichtete Expansionsstrategie, eine Maximierung der finanziellen Einnahmen sowie durch die Bekämpfung der Kritiker der SO erreicht werden soll. Nach außen stellt sich die SO als unpolitische Religionsgemeinschaft dar. Die Organisation nutzt das Internet als zentrale Propagandaund Werbeplattform. Mittels sozialer Netzwerke betreibt sie Imagepflege, Mitgliederwerbung und Vernetzung. Mit zahlreichen multimedialen Angeboten zielt die SO besonders auf Jugendliche ab. Nach wie vor werden kostenlose "Online-Kurse aus dem Scientology Handbuch" angeboten, um Interessenten auf diese Weise an das kostenintensive SO-Angebot heranzuführen. Bei den meisten Websites wird der Bezug zur SO nicht auf den ersten Blick erkennbar angegeben. Die Angebote der SO umfassen stets konkrete Hilfsangebote, um die Hilfesuchenden dann an die SO zu binden. Einen weiteren Ausdruck der vielfältigen Werbemethoden der SO stellt die Partnervermittlungsplattform "FreeSpiritSingles" in englischer Sprache dar, die sich auf den SO-Leitfaden "The Way to Happiness" bezieht. Auch hier ist die SO nicht direkt als Urheber zu erkennen. Die Website bietet, neben der kostenfreien Anmeldung, kostenpflichtige Abonnements an, die mit einer höheren Reichweite des Profils des Abonnenten oder einer erhöhten Privatsphäre verknüpft sein sollen.146 Kampagnen und Mit "Scientology Network" betreibt die SO eine kostenfreie, engTeilorganisationen lischsprachige und deutsch untertitelte Streaming-Website und verbreitet Internetfernsehen über verschiedene Anbieter. Zu sehen sind Werbespots und eigenproduzierte Dokumentationen. Alle Inhalte dieser Seite befassen sich mit der SO. Thematisch geht es in allen Produktionen um eine angebliche Verbesserung der Welt durch die SO oder das persönliche Potenzial, welches ein Individuum mit scientologischer "Technologie" ausschöpfen könne. Das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) ist ein Dachverband von scientologisch geführten Unternehmen, die Geld für die SO erwirtschaften und innerhalb der Unternehmen 146 Homepage "FreeSpiritSingles" (4. November 2019). 336 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) scientologische Methoden zur Führung und Schulung der Mitarbeiter nutzen. Die SO führt weiterhin diverse Sozialkampagnen durch und betreibt vermeintliche Hilfsorganisationen. Beispielhaft seien genannt: Der Verein "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben" gibt an, insbesondere Jugendliche über Drogenmissbrauch und -prävention aufklären zu wollen. Letztlich sollen Ratsuchende dadurch jedoch für scientologische Maßnahmen und Angebote interessiert werden. Diese Kampagne ist etwa im März 2019 mit Informationsständen in Buxtehude (Niedersachsen) in Erscheinung getreten. "" "NARCONON" dient als Anlaufstelle und Entzugseinrichtung für Drogenabhängige. "" "CRIMINON" bietet Hilfeleistungen und scientologische Kurse für Straftäter an. "" "Applied Scholastics" bietet ein scientologisches Nachhilfeprogramm für Schüler und Studierende an. "" "Youth for Human Rights" verbreitet Informationen, die an das Gedankengut der Organisation heranführen sollen, gibt aber an, junge Menschen über Menschenrechte aufzuklären. "" In München (Bayern) wurde im Berichtsjahr regelmäßig ein Informationsstand unter dem Titel "Dianetik führt zum Frieden" aufgestellt, um scientologisches Material zu verteilen. "" Die "Volunteer Ministers" leisten weltweit humanitäre Hilfe in Krisengebieten und verteilen scientologische Inhalte. "" Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e.V." (KVPM) will angebliche Missbräuche und Menschenrechtsverletzungen in der Psychiatrie aufdecken und bekämpfen. Im Berichtsjahr präsentierte die KVPM eine bereits seit Längerem existente internationale Wanderausstellung dreimal in Deutschland. Sie fand in Stuttgart (Baden-Württemberg) vom 26. März bis 4. April 2019, in Berlin vom bis 20. bis 30. Mai 2019 und in Frankfurt am Main (Hessen) vom 17. bis 30. Juli 2019 statt. Die SO-Teilorganisation "International Way to Happiness Foundation" bietet scientologische Produkte an und wirkt als Marketingorgan der SO. Mit dem Leitfaden "The Way to Happiness" gibt die "International Way to Happiness Foundation" eine Handreichung 337 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) für alltägliche Lebensfragen heraus. Im Jahr 2019 hat die "International Way to Happiness Foundation" in Günzburg (Bayern) überdurchschnittlich viele Werbebroschüren verteilt, sodass die dortige Stadtverwaltung den Bezug der Broschüren zur SO klargestellt hat, um die Bürger zu warnen. 338 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) "Scientology-Organisation" (SO) Gründung: 1954 in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Sitz: Los Angeles (USA) ("Church of Scientology International", CSI), München (Bayern) ("Scientology Kirche Deutschland e.V.", SKD) Leitung/Vorsitz: USA: David Miscavige Deutschland: Helmuth Blöbaum Mitglieder/Anhänger 3.500 (2018: 3.400) in Deutschland: Publikationen/Medien: Internetfernsehen: (Auswahl) "Scientology Network" Zeitungen/Zeitschriften: "Impact" "International Scientology News" "The Auditor" "Source" "Freewinds" 339 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Teil-/Nebenorganisaneun "Kirchen" in Deutschland, dationen: runter zwei "Celebrity Centres" (Auswahl) "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e.V." (KVPM) "Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben" "Youth for Human Rights" "NARCONON" "CRIMINON" "International Way to Happiness Foundation" Nach wie vor sind die Schriften des Organisationsgründers L. Ron Hubbard (1911-1986) maßgeblich. In ihnen wird deutlich, dass in einer Gesellschaft nach scientologischen Vorstellungen wesentliche Grundund Menschenrechte, wie beispielsweise die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit, ebenso wenig gewährleistet sind wie das Recht auf Gleichbehandlung. 340 Anhang 341 VERBOTSMASSNAHMEN Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2019 (Soweit nicht anders gekennzeichnet, sind die Verbote unanfechtbar) Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Nationalistische Front" (NF) 26.11.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Deutsche Alternative" (DA) 08.12.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Nationale Offensive" (NO) 21.12.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Arbeiterpartei Kurdistans" 22.11.1993 Strafgesetzwidrigkeit, AE (PKK)/"Nationale BefreiGefährdung der inneren Sicherheit ungsfront Kurdistans" (ERNK) und öffentlichen Ordnung und Teilorganisationen, sowie außenpolitischer Belange "Förderation der patriotiDeutschlands schen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FEYKA-Kurdistan), "Kurdistan-Komitee e.V." "Wiking-Jugend e.V." (WJ) 10.11.1994 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Kurdistan Informations20.02.1995 Ersatzorganisation des rechtskräftig AE büro" (KIB) alias verbotenen "Kurdistan Komitee e.V." "Kurdistan Informationsbüro in Deutschland" RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 342 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Freiheitliche Deutsche 22.02.1995 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Arbeiterpartei" (FAP) mäßige Ordnung gerichtet "Revolutionäre 06.08.1998 Strafgesetzwidrigkeit und GefährAE Volksbefreiungsparteidung der inneren Sicherheit Front" (DHKP-C) Ersatzorganisation der am 9. Februar 1983 rechtskräftig verbotenen "Revolutionäre Linke" ("Devrimci Sol") "Türkische 06.08.1998 Strafgesetzwidrigkeit und GefährAE Volksbefreiungsparteidung der inneren Sicherheit Front" (THKP-C) "Blood & Honour" (B&H) mit 12.09.2000 Vereinszweck gegen die verfassungsRE "White Youth" mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Kalifatsstaat" 08.12.2001 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT und 35 Teilorganisationen 14.12.2001 mäßige Ordnung gerichtet 13.05.2002 16.09.2002 Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele "al-Aqsa e.V." 31.07.2002 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung (finanzielle Unterstützung der HAMAS und ihrer sogenannten Sozialvereine) RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 343 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 10.01.2003 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange "Yeni Akit GmbH" 22.02.2005 Leugnung und Verharmlosung des ISiT Verlegerin der Holocaust in volksverhetzender Europa-Ausgabe der türWeise kischsprachigen Tageszeitung "Anadolu'da Vakit" Verbreitung antisemitischer/ antiwestlicher Propaganda "Bremer Hilfswerk e.V."147 SelbstaufISiT lösung mit Wirkung vom 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005 "YATIM-Kinderhilfe e.V." 30.08.2005 Nachfolgeorganisation des rechtsISiT kräftig verbotenen "al-Aqsa e.V." "Collegium 18.04.2008 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Humanum" (CH) mäßige Ordnung gerichtet mit "Bauernhilfe e.V." Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze 147 Das BMI hatte am 3. Dezember 2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e.V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 344 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Verein zur Rehabilitierung 18.04.2008 Vereinszweck gegen die verfassungsRE der wegen Bestreitens des mäßige Ordnung gerichtet Holocaust Verfolgten" (VRBHV) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Mesopotamia Broadcast 13.06.2008 Verstoß gegen den Gedanken der AE A/S", "Roj TV A/S" Völkerverständigung "VIKO Fernseh Produktion 13.06.2008 Teilorganisation von "Roj TV A/S" GmbH" "al-Manar TV" 29.10.2008 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung "Heimattreue Deutsche 09.03.2009 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Jugend - Bund zum Schutz mäßige Ordnung gerichtet für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze Ideologische Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut "Internationale Humanitäre 23.06.2010 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Hilfsorganisation e.V." (IHH) Völkerverständigung "Hilfsorganisation für natio30.08.2011 Vereinszweck gegen die verfassungsRE nale politische Gefangene mäßige Ordnung gerichtet und deren Angehörige e.V." (HNG) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 345 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Millatu Ibrahim" 29.05.2012 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Dawa FFM" einschließlich 25.02.2013 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT der Teilorganisation "Intermäßige Ordnung gerichtet nationaler Jugendverein - Dar al Schabab e.V." Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "an-Nussrah" 25.02.2013 Teilorganisation des rechtskräftig ISiT verbotenen Vereins "Millatu Ibrahim" "DawaTeam 25.02.2013 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT Islamische Audios" mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "Waisenkinderprojekt 02.04.2014 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Libanon e.V." (WKP) Völkerverständigung (Umbenennung in "Farben für Waisenkinder e.V." am 16.10.2014) "Islamischer Staat" (IS) alias 12.09.2014 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT "Islamischer Staat im Irak" mäßige Ordnung gerichtet alias "Islamischer Staat im Irak und in Groß-Syrien" Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 346 VERBOTSMASSNAHMEN Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Tauhid Germany" (TG) 26.02.2015 Ersatzorganisation des rechtskräftig ISiT verbotenen Vereins "Millatu Ibrahim" "Altermedia Deutschland" 04.01.2016 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Weisse Wölfe Terrorcrew" 10.02.2016 Vereinszweck gegen die verfassungsRE (WWT) mäßige Ordnung gerichtet "Die Wahre Religion" (DWR) 25.10.2016 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung "linksunten.indymedia" 14.08.2017 Vereinszweck und -tätigkeit gegen LE die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Mezopotamien Verlag und 01.02.2019 Teilorganisation der mit Verfügung AE Vertrieb GmbH"148 des Bundesministeriums des Innern vom 22.11.1993 verbotenen PKK "MIR Multimedia GmbH"149 01.02.2019 Teilorganisation der mit Verfügung AE des Bundesministeriums des Innern vom 22.11.1993 verbotenen PKK 148 Die Vereinigung wurde mit Wirkung zum 12. Februar 2019 vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat verboten und aufgelöst. Gegen die Verbotsverfügung wurde Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben. Das Verbot ist daher bisher nicht bestandskräftig. 149 Die Vereinigung wurde mit Wirkung zum 12. Februar 2019 vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat verboten und aufgelöst. Gegen die Verbotsverfügung wurde Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben. Das Verbot ist daher bisher nicht bestandskräftig. RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 347 REGISTER Register al-Gama'a al-Islamiya .......................................222 A al-Hashimi al-Qurashi, Abu Ibrahim ......................... 179, 182, 188, 206 f. Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP - Partei für Gerechtigkeit und al-Hayat Media Center (Medienstelle).......206 Aufschwung) ............................237, 258, 303, 305 al-Ikhwan al-Muslimun Adil Düzen (Gerechte Ordnung) ..................226 (MB - Muslimbruderschaft) ...........................221 Agent .................................. 293, 298 ff., 306 ff. 314 al-Jaulani, Abu Muhammad ...........................213 Ajansa Nuceyan a Firate al-Kataib (Medienstelle) ...................................212 (ANF - Firat News Agency) .........238, 241, 244, 248, 250 al-Khilafa (Publikation) ....................................220 Aktion, Kritik und Theorie Heidelberg Alliance for Peace and Freedom .................... 69 (AKUT [+C]) ............................................................151 al-Malahem Media (Medienstelle)...............211 Aktionsbündnis ............................... 119, 142, 154 al-Manar TV (Fernsehsender) ..............215, 345 Aktionsfelder..... 112, 114, 161 f., 168, 170, 178 al-Mawla, Amir Muhammad Sa'id al-Ahd - al-Intiqad (Publikation).................215 Abdal Rahman (alias Abu Ibrahim al-Hashimi al-Qurashi)....................... 182, 206 f. al-Andalus (Medienstelle der al-Qaida im islamischen Maghreb) ................................209 Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu al-Andalus (Medienstelle der (ADÜTDF - Föderation der Türkischal-Shabab) ..............................................................212 Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V.)............... 234, 258 f., 272 ff. al-Aqsa e.V. ........................................................217 f. al-Muhajir, Abu al-Hasan .................. 187 f., 207 al-Aqsa TV (Fernsehsender) ............................217 al-Naba (Onlinemagazin) ......................186, 206 al-Baghdadi, Abu Bakr ..........174, 178 f., 182 f., 186 ff., 206 f. al-Qaida ...................... 172 ff., 178 f., 181, 183 ff., 188 f., 199, 208 al-Banna, Hasan .........................................200, 222 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel al-Fadschr (Publikation)...................................225 (AQAH) ...........................................................181, 211 al-Falah (Onlinemagazin) ................................214 al-Qaida im Irak...................................................206 348 REGISTER al-Qaida im islamischen Maghreb Ansaar Düsseldorf e.V. ......................................203 (AQM).......................................................... 181, 209 f. Ansaar International e.V. (AI).........................203 al-Qaida im Jemen (AQJ)..................................211 Anschlagsplanungen ........ 173 f., 193, 254, 300 al-Quds-Tag............................................................201 Anschlussfähigkeit....73, 82, 105, 115, 142, 178 al-Qurashi, Abu Hamza ..................... 187 f., 207 Anti-Asyl .....................................................46, 49, 82 al-Raimi, Qasim ..................................................211 Antifa ....................................................................119 f. al-Rashta, Ata Abu (alias Abu Yasin)............220 Antifa AK Köln .....................................................153 al-Shabab ......................................................181, 212 antifant - Autonome Antifa München .....153 Alternative für Deutschland Antifaschismus.................................112, 115, 119, (AfD) ...........53, 83 ff., 87 f., 115, 135 f., 141, 154 135 f., 141, 148 Altmieks, Nils ........................................................100 Antifaschistische Aktion..............................119 f. al-Waie (Publikation).........................................220 Antifaschistische Gruppe Bremen ..............153 al-Zallaqa (Medienstelle) ..................................209 Antifaschistische Initiative, Heidelberg ....151 al-Zawahiri, Aiman ................174, 179, 183, 208 Antifaschistische Linke Freiburg .................151 Amaq (Nachrichtenagentur) ................186, 206 Antifaschistische Linke International (A.L.I.), Göttingen.................................................151 Amt für Menschenrecht, Amt für Menschenrechte .................. 104 f., 109 Antigentrifizierung ..... 112, 115, 137, 139, 148 Anadolu Federasyonu Antiglobalisierung ................................ 157 f., 170 (Anatolische Föderation) .................................254 Antiimperialisten ............................................122 f. Anarchismus ..................................112, 117, 120 f. Antikapitalismus .......................................152, 161 Anarchisten..............113, 116 f., 120 f., 138, 156 Antikapitalistische Linke (AKL)..........166, 169 Anarchosyndikalismus...........................121, 156 Antikapitalistische Linke München ...........155 Anatolische Föderation (Anadolu Federasyonu) ....................................254 Antimilitarismus ....................139, 155, 161, 170 Angriff (Szlurm) ..................................................... 70 Antiparlamentarismus .....................................129 349 REGISTER Antirassismus ...................................................154 f. Autonome........................114 ff., 129 f., 133, 135, 137, 140 ff., 149, 152 ff., 156 Antirepression ............... 112, 114, 133, 139, 148 Avantgarde, praktische .....................................163 Antisemitismus ................................. 51, 66 ff., 86, 105 f., 174, 198 f., 262 AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in Deutschland e.V. Antisoziale Stadtstrukturen .................115, 139 (AZADI e.V.) ............................................................268 Applied Scholastics ............................................337 AZADI infodienst (Publikation) ...................268 APT 15 ......................................................................297 B APT 25 ......................................................................297 Babbar Khalsa (BK) .............................................278 APT 27 ......................................................................297 Babbar Khalsa Germany (BKG) .....................279 APT 28 ..................................................................288 f. Babbar Khalsa International (BKI) ..............278 APT 31 ......................................................................297 Badi, Muhammad ...............................................221 APT-Gruppierung ................................288 ff., 297 Basisdemokratische Linke, Göttingen ......151 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK - Basisgruppe Antifaschismus (BA), Partiya Karkeren Kurdistan) ............... 144, 233, Bremen.....................................................................153 235 ff., 264 f., 342, 347 Besetzerszene ........................................................138 Argumentationsmuster .........................104, 109 Betätigungsverbot ....206, 215, 220, 245, 264 f. Armstroff, Klaus..................................................... 99 Bewegung der revolutionären Arranca! (Publikation) ......................................151 Jugend (Tevgera Ciwanen Soresger, TCS)...............................................243, 246, 264, 266 as-Sahab (Medienstelle)....................................208 Bezugsgruppen ....................................................119 Atilim (Publikation) ...........................................271 Bin Ladin, Hamza ...........................................183 f. Atomwaffendivision Deutschland................68 Bin Ladin, Usama ......................................183, 208 Atsiz, Nihal ......................................... 258, 260, 262 Bizim Genclik (Publikation) ...........................269 aufmüpfig konsequent links (Publikation) ..........................................................169 Blockade ........................................................145, 162 350 REGISTER Blood & Honour............................................65, 343 CRIMINON ..................................................337, 340 Bozkurt/Bozkurtlar Critique'n'act, Dresden.....................................153 (Grauer Wolf/Graue Wölfe) ..................257, 261 Cyberangriffe ..............................4, 281 ff., 287 ff., Braunkohleabbau......................................152, 154 290 f., 295 ff., 301 f., 316 Braunkohlerevier ............................ 138, 142, 148 Cyberattacken......................................................... 17 Bulgarischer Nationalbund Cyber-AZ (Bulgarski Nationalen Sajuz) ............................ 70 (Nationales Cyber-Abwehrzentrum) .........283 Bülten (Publikation) ..........................................273 Cyber Reichswehr ................................................. 47 Bund Sozialistischer Arbeiter (BSA) ...........165 D Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit .......................... 18 DawaFFM ................................................................346 Bundessprecherrat/ ddb Netzwerk........................................................106 Bundessprecherinnenrat........................... 167 ff. Degeneration .................................................. 254 ff. Bundesverfassungsgericht (BVerfG)............................................14, 77, 161, 204 de.indymedia (Internetplattform)................... 118, 130, 134 ff., Bündnis......... 69 f., 80, 119, 122, 140 ff., 152 ff., 139, 145 ff. 162, 166, 168, 286, 290, 297, 313 Demokratiefeindlichkeit .................................. 46 C Demokratische Partei der Völker (HDP - Halklarin Demokratik Partisi) ..................238 f. Camia (Publikation) ...........................................228 Demokratisches Gesellschaftszentrum Catli, Abdullah ......................................................258 der KurdInnen in Deutschland e.V. (NAVCayir, Nusret .........................................................227 DEM - Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanyaye)............. 245 f., 250, 267 f. Celebrity Centres .......................................334, 340 Der Flügel (Verdachtsfall) ......................53, 83 ff. Chemiewaffen-Übereinkommen (CWÜ) .......................................................................312 Der III. Weg .......50 f., 53, 62, 67, 71 f., 80 ff., 99 Christchurch ........................................................... 56 Desinformation................................ 4, 285 ff., 317 Clears ....................................................................334 f. Destruktive Gewalt ............................................117 351 REGISTER Deutsche Kommunistische Partei Direkte Aktion (Publikation) .........................156 (DKP) ........................................ 122, 124, 143, 161 f. Direktinvestitionen .............................. 294, 317 f. Deutsche Konservative....................................... 53 Dogmatischer Linksextremismus ........ 115 ff., Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V. 121 ff., 130, 140, 143, 150 (DMG)................................... 180 f., 200 f., 221, 223 Dogru Haber (Publikation) .............................219 Deutsches Reich.........................................102, 109 Dogruyol, Sentürk ....................................259, 273 Deutsche Stimme (DS, Publikation) ........ 77 f., 93, 97 Drei von der Parkbank.................. 127, 134, 149 Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH Drittlandtreff ..............................................293, 315 (DS Verlag) ..................................................78, 93, 97 Drohmails ................................................................. 47 Deutschlandplan ............................................... 88 f. Droukdal, Abdalmalik .......................................209 Devrimci Genclik (Dev Genc) ..............254, 269 DS-TV (YouTube-Kanal) ..................................... 93 Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C - Revolutionäre E Volksbefreiungspartei-Front )....233 f., 251 ff. 269, 324, 343 Einflussnahme ................4, 114 f., 117, 119, 127, 141 f., 162, 166, 169 f., 172 f., 194, 196 f., Devrimci Halk Kurtulus Partisi (DHKP - 201, 223, 225, 228, 283 ff., 291, 294, Revolutionäre Volksbefreiungspartei) ......251 296, 298, 304 f., 317, 335 Devrimci Sol (Organisation) ................269, 343 Einzeltäter ...................... 46, 173, 183, 193, 207 f. Devrimci Sol (Publikation) .............................269 Ekonomi ve Maliye Bürosu (EMB - Wirtschaftsund Finanzbüro) ......247 DHKC Gerilla (Publikation) ............................269 Ende Gelände (Kampagne) ............... 142 f., 152 Dianetik ..................................................... 334 f., 337 Entrismus......................................................166, 170 DIE RECHTE........................... 48, 50 f., 53, 55, 68, 70, 74, 78 ff., 98 Erbakan, Fatih .......................................................227 DIE ROTE HILFE (Publikation) ....................159 Erbakan, Necmettin .......................................226 f. Die Wahre Religion (DWR) .............................347 Erbakan-Stiftung.................................................227 Diktatur des Proletariats..................................112 Erdogan, Recep Tayyip.................. 240, 258, 263 352 REGISTER Ergün, Kemal .........................................................228 Föderation der demokratischen Aleviten e.V. (FEDA)............................................246 Ethnopluralismus ........................................90, 100 Föderation der Türkisch-Demokratischen Europavertretung der Idealistenvereine in Deutschland e.V. Erbakan-Stiftung.................................................227 (ADÜTDF - Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Europawahl ....................... 51, 68, 75, 79, 82, 124, Federasyonu) ............................ 234, 258 f., 272 ff. 163, 165, 167, 285 Föderation Kurdischer Vereine Exekutivkomitee .................................................158 in Deutschland e.V. (YEK-KOM - Yekitiya Komalen Kurd li Elmanya) ...........267 Expansionsstrategie ...........................................336 Franz, Frank ......................................................77, 93 Expliciet (Publikation) ......................................220 FreeSpiritSingles..................................................336 F Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) ..............................121, 156 Fake-Accounts ....................................................... 60 Freie Bürger Union (FBU) - Fantasieausweise .................................................105 Landesverband Saarland ................................... 53 Farben für Waisenkinder e.V. (FfW)...................................................... 204, 215, 346 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK - Kongreya Fast Forward, Hannover...................................153 Azadi u Demokrasiya Kurdistane)...............264 Fechtner, Gabi .......................................................163 Freiräume ...114, 118, 120, 129, 137 f., 140, 149 Feindeslisten............................................................ 47 Fremdenfeindlichkeit/ fremdenfeindlich ..............26 f., 46, 48, 54 f., 61, Fernmeldeaufklärung ................... 316, 319, 321 78, 85, 94, 98 f. Festung Europa ...............................................70, 80 From Dabiq to Rome (Onlinemagazin).....186 Fight! Revolutionäre Frauenzeitung Front zur Eroberung Großsyriens (Publikation) ......................................................157 f. (JFS - Jabhat Fath al-Sham) ............................213 Firat News Agency (ANF - Ajansa Nuceyan Frühwarnsystem ............................................... 15 f. a Firate) ............................. 238, 241, 244, 248, 250 FSB (russischer Fiß, Daniel ..............................................................100 Inlandsnachrichtendienst) .............................320 353 REGISTER Führungsoffizier ..................................................315 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK - Koma Komalen Fünf Gifte ................................................................292 Kurdistan) ...............................................................264 Furkan Gemeinschaft ..........181, 199, 202, 229 Gemeinschaft der Verkündigung und Mission (TJ - Tablighi Jama'at) ............181, 224 Furkan Haber (Nachrichtenportal).... 202, 229 Generalbundesanwalt (GBA) ..........54, 57, 291, Furkan Nesli Dergisi - 300 f., 308, 314 Öncü Neslin Sesi (Publikation) ...........202, 229 Generation Islam.................................................220 Furkan Stiftung für Bildung und Fürsorge (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi) .......202, 229 Gerechte Ordnung (Adil Düzen) ..................226 Gerichthof der Menschen ...............................104 G GerA(r)la TV..................................................................248 G7-Gipfel.................................................................144 geschichtsrevisionistisch........... 78, 86, 94, 108 G20-Gipfel .............36, 127 f., 131, 134, 143, 292 Gewalt und Militanz ..........................................106 G20-Proteste..........................................................127 Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) ............... 69 Gaming-Portale ..................................................... 49 Grauer Wolf/Graue Wölfe Geeinte deutsche Völker und (Bozkurt/Bozkurtlar) ...............................257, 261 Stämme (GdVuSt) .........................103, 105 f., 109 Groupe Salafiste pour la Predication et Gefährdungspotenzial ......... 46, 58, 107 f., 148, le Combat (GSPC - Salafistische Gruppe 173, 192, 197, 249, 256, 290, 298, 302, 305 für Predigt und Kampf) ....................................209 Geistige Brandstifter..........................................124 Grup Yorum ....................................234, 253 f., 256 Gelber Schein ........................................................107 Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) ............................................. 121 f., 143, 157 f. Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) ........... 16 Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t., Marburg ...................151 Gemeinsames Gruppe D.O.R.N., Kassel ...................................151 Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) ........... 16 Gruppe für die Unterstützung des Islam Gemeinschaft der Jugendlichen und der Muslime (Jama'at Nusrat (Komalen Ciwan) ................ 242 f., 246, 264, 266 al-Islam wal-Muslimin - JNIM)....................210 354 REGISTER GRU (russischer militärischer Hijazi, Samir (alias Faruq al-Suri Auslandsnachrichtendienst) ................288, 319 alias Abu Hammam al-Shami) ......................214 Gümüs, Edip .........................................................219 Hinweistelefon ....................................................... 20 Historischer Materialismus........................112 f. H Hit and Run-Aktionen......................................266 Hai'at Tahrir al-Sham (HTS - Komitee zur Befreiung Großsyriens) ......181, 183, 188, 213 Hizb Allah (Partei Gottes) ................. 172, 180 f., 205, 215 f., 277 Halklarin Demokratik Partisi (HDP - Demokratische Partei der Völker) ...........238 f. Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der Befreiung) ...... 181, 220, 344 Halle (Sachsen-Anhalt) .................24, 46, 51, 54, 56, 58, 69, 92 Höcke, Björn .......................................................84 ff. Hambacher Forst.......................................138, 148 hoheitliche Rechte und Aufgaben ..............105 Haniya, Isma'il .....................................................217 Hooligan .............................................................51, 57 Hans-Litten-Archiv e.V. (HLA) ......................159 Hubbard, Lafayette Ron ....................334 ff., 340 Harakat al-Muqawama al-Islamiya Hungerstreik .....................................................238 f. (HAMAS - Islamische Hurseda (Onlinemagazin) ...............................219 Widerstandsbewegung) ...............172, 181, 203, 216 ff., 222, 277, 343 Huseynisevda (Onlinemagazin) ...................219 Hasan Ferit Gedik-Zentrum (HFG) .............254 Huth, Stefan ...........................................................160 Hassbotschaften .............................................48, 60 I Haverbeck-Wetzel, Ursula............51, 68, 75, 79 I Furiosi, Düsseldorf ...........................................151 Heise, Thorsten ...............................................64, 76 IBAA (Nachrichtenagentur)............................213 Hekmatyar, Gulbuddin ....................................230 Ideale Org................................................................334 Hezb-e Islami-ye Afghanistan (HIA - Islamische Partei Idealisten-Bewegung (ÜlkücüAfghanistans) ..............................................181, 230 Bewegung) ................233 ff., 240, 257 ff., 272 ff., Hezen Parastina Gel Identitäre Bewegung Deutschland (HPG - Volksverteidigungskräfte) ...........241 f. (IBD) ......................................53, 88, 90 ff., 100, 136 355 REGISTER Illegale ......................................................................315 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) .................. 181, 200, 223 Imam Ali Moschee ....................................201, 225 Islamische Gemeinschaft in Imperialismus................ 122, 167, 251, 255, 262 Süddeutschland e.V. ...........................................200 Informationsgewinnung ...17, 283 f., 286, 293 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) .....................................228 Initiative Wirtschaftsschutz...........................313 Islamische Partei Afghanistans (HIA - Instrumentalisierung ................55, 99, 115, 142 Hezb-e Islami-ye Afghanistan) ...........181, 230 International Sikh Youth Federation (ISYF) .....................................................................279 f. Islamische Rechtsordnung (Scharia) ............................ 180, 195, 200, 224, 230 International Way to Happiness Foundation............................................... 337 f., 340 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS - Harakat al-Muqawama Internationale Atomenergieal-Islamiya).........................................172, 181, 203, Organisation (IAEO)...........................................310 216 ff., 222, 277, 343 Internationales Komitee der Vierten Islamischer Staat - Internationalen (IKVI) ............................125, 165 Khorasan Provinz (ISKP) .................................184 Internationale Humanitäre Islamischer Staat (IS) ..........172 ff., 181 ff., 191, Hilfsorganisation e.V. (IHH) ...........................345 193 f., 196, 199, 204 ff., 211 f., 346 Internationales Kurdisches Islamischer Staat im Irak und Großsyrien Kulturfestival ..............................................239, 244 (ISIG)......................................................................... 205 Internationales Zentrum für Islamisches Zentrum Menschenrechte (IZMR) ..................................104 Hamburg e.V. (IZH) ................181, 199, 201, 225 Interventionistische Linke (IL) .....119, 140 ff., islamistischer Terrorismus ............... 171 f., 181 145, 151 f. INZAR (Publikation) ..........................................219 Ismail Aga Cemaati (IAC) .................................227 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) ....246 Israel ....... 67 f., 79, 172, 180, 198, 202, 205, 208, 212, 216, 218, 220, 222, 229, 276 f., 299, 301 Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands e.V. (IGS) ...........201 Izz-al-Din al-Qassam-Brigaden ...................218 356 REGISTER J Kalifat ...................... 174 ff., 178, 182, 184, 186 f., 189, 194, 200, 207, 220, 343 Jabhat al-Nusra (JaN - Unterstützungsfront) ..............................183, 213 Kampagnen..........................33 f., 52, 76 f., 80, 82, 90 ff., 95, 100, 128, 140 ff., 152, 154, 157, 166, Jabhat Fath al-Sham (JFS - 170, 186, 196, 234, 253 ff., 271, 336 f. Front zur Eroberung Großsyriens) .............213 Kampagnenfähigkeit .......................... 52, 76, 140 Jahresspendenkampagne (kampanya) ......246 Kampf der Nibelungen (KdN) .............. 61 f., 81 Jama'at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM - Gruppe für die Unterstützung Kampfsportszene ............ 50, 59, 61, 63, 70, 149 des Islam und der Muslime) ...........................210 Kapitalismus 72, 112 f., 122, 124 f., 129 f., 140, 142 f., 152, 154 ff., 163, 165, 167 f., 252 Jihad..........................176 ff., 182 ff., 188, 208, 222 Kaplan, Ayten ........................................................267 Jihadisten/jihadistisch .......172 ff., 183 ff., 188, 190 ff., 195 f., 199, 208, 210 f., 214, 308 Kelhaamed (Publikation) .................................219 jihadistische Gruppierungen ..... 172, 185, 199 Kern-al-Qaida ............174, 181, 183 f., 208, 210, 212 f., 214, 218, Jinen Xwendekar en Kurdistan (JXK - Studierende Frauen Kurdistans) ....246 Khalistan ........................................................... 278 ff. Joint Comprehensive Plan of Action Khamenei, Ayatollah Seyyed Ali ........201, 225 (JCPoA) .....................................................................301 Klandestine Gewalt ..........128, 131 ff., 144, 208 Jugend im Sturm ................................................... 62 Klassenkampf ..........................112, 118, 123, 165 Jugendwiderstand (JW) ....................................123 Kleingruppen 46, 68, 119 f., 128, 131, 144, 148 Junge Alternative für Deutschland (JA) (Verdachtsfall) .............................53, 83, 87 ff. Kleinstgruppen ...................................... 183, 207 f. Junge Nationalisten (JN) ...............50, 78, 93, 95 Klimaprotestbewegung ................115, 121, 125, 142 f., 154, 157 f., 162 ff. junge Welt (jW, Tageszeitung)..............122, 160 Klimaproteste ...................... 122, 125, 142 f., 164 K Klimaschutz .................................................139, 142 K2, Köln....................................................................151 Köbele, Patrik ........................................................161 Kalbitz, Andreas .......................................... 84 f., 87 Köcer, Tahir ........................................................267 f. 357 REGISTER Kohorte UG Konföderation der Gemeinschaften (Online-Shop Phalanx Europa) .............90, 100 Kurdistans in Deutschland e.V. (KON-MED - Konfederasyona Civaken Köklü Degisim (Publikation) .........................220 Kurdistaniyen li Almanya) .............245 f., 267 f. Koma Civaken Kurdistan Konfrontative Gewalt .......................................131 (KCK - Union der Gemeinschaften Kurdistans) ..... 238, 241, 264 Kongra Gele Kurdistan (KONGRA GEL - Volkskongress Kurdistans) ..............................264 Koma Komalen Kurdistan (KKK - Gemeinschaft der Kommunen Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane in Kurdistan) ..........................................................264 (KADEK - Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) ................264 Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen) ....................... 242 f., 246, 264, 266 Kreymann, Lena ..................................................162 Komitee zur Befreiung Großsyriens Krien, Hartmut ....................................................... 96 (HTS - Hai'at Tahrir al-Sham) ............ 181, 183, Kritik&Praxis, Frankfurt am Main ..............153 188, 213 f. Krolzig, Sascha ...................................... 74, 78 f., 98 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e.V. kulturelle Autonomie .............................237, 265 (KVPM) ...........................................................337, 340 Kurdische Frauenbewegung in Europa Kommunalpolitische Vereinigung (AKKH/TJK-E) .......................................................246 der NPD (KPV) ...................................... 78, 93, 96 f. Kurdistansolidarität .................................144, 158 Kommunismus ............72, 112 f., 121 ff., 140 f., 153 ff., 157 f., 160 ff., 166 ff., Kuytul, Alparslan .................................. 202 f., 229 170, 270 f., 291, 324 Kyffhäuser-Treffen ..........................................85 ff. Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ....291 Kommunistische Partei Deutschlands L (KPD) .........................................................................161 Landtagswahl ................. 75 f., 80 f., 87, 125, 163 Kommunistische Plattform der Partei Legalresidenturen ..................286, 293, 299, 314 DIE LINKE (KPF)..................................................167 Legion Ungarn (Legio Hungaria) ................... 70 Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya (KON-MED - Konfoderation Legitimität ....................... 102, 105, 109, 126, 143 der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V.) ................................245 f., 267 f. Leninisten ...........................................................270 f. 358 REGISTER Les Nationalistes.................................................... 70 Marxisten....112, 124, 161, 163, 270 f., 277, 324 LevelUP, Tübingen ..............................................153 Marxistische Blätter (Publikation) ..............161 Libanesisches Märtyrerinstitut Marxistische Leninistische (Shahid Stiftung)..................................................204 Kommunistische Partei (MLKP - Marksist Leninist Liebig34..........................................................133, 138 Komünist Parti) ..........................................271, 324 Liga für die fünfte Internationale (L5I) ........................................................................157 f. Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD).... 124 f., 143, 163 f., 277 Linke Aktion Villingen-Schwenningen ....155 materieller Geheimschutz ..............................332 Linke Presse VerlagsFörderungsund Beteiligungsgenossenschaft junge Medienstelle ......................................178, 186, 206, Welt eG (LPG) ........................................................160 208 f., 211 f., 214, 241 linksunten.indymedia MenschenrechtTV...............................................104 (Internetplattform)......................... 145, 147, 347 Lübcke, Walter ........................................................ 54 Mentzel, Antje ......................................................... 96 Mezopotamien Verlag und M Vertrieb GmbH .....................................................248 Madad (Onlinemagazin) ..................................211 Militanz................................... 106, 129 f., 133, 232 Made in China 2025 ...........................................292 Militäroffensive (Operation Quelle Maizeitung 1. Mai 2019 - In die des Friedens) .................175 f., 191, 233 f., 236 f., revolutionäre Offensive (Publikation) ......155 240 f., 244, 249, 259 maoistisch-stalinistisch ..................... 124, 163 f. Military Intelligence Directorate (MID, chinesischer militärischer Märtyrer .....................................243, 255, 271, 278 Inund Auslandsnachrichtendienst).........321 Marx is Muss..........................................................170 Millatu Ibrahim................................................346 f. marx21 (Publikation).........................................170 MillA(r) Gazete (Publikation) ...............................228 marx21 (trotzkistisches Netzwerk) .............170 Milli Görüs (Nationale Sicht) .........................226 Marxismus-Leninismus .................... 155, 161 f., 251 f., 269 ff. Milli Görüs-Bewegung ............ 172, 181, 226 ff. 359 REGISTER Milliyetci Hareket Partisi NARCONON ................................................337, 340 (MHP - Partei der Nationalistischen Bewegung) ................................................ 258 f., 273 Nasrallah, Hassan ................................................215 Ministry of Intelligence (VAJA, zumeist National Socialist Knights of the abgekürzt MOIS, vormals VEVAK, Ku Klux Klan (NSK KKK) ................................... 57 iranischer ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst) ...........299 ff., 322 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ..... 14, 48, 50, 52 f., 64, 67, Ministry of Public Security (MPS, 72, 75 ff., 93 ff. chinesisches Polizeiministerium)................322 Nationale Sicht (Milli Görüs) .........................226 Ministry of State Security (MSS, chinesischer ziviler Inund Nationale Streifen ................................................. 82 Auslandsnachrichtendienst) ..........................320 Nationale und Soziale Front MiR Multimedia GmbH .........................248, 347 (Narodni a socialni fronta) ................................ 70 MIT (türkischer ziviler Inund Nationalismus ist keine Alternative Auslandsnachrichtendienst) ...........303 ff., 324 (NIKA) .............................................................141, 154 Mitteilungen der Kommunistischen Nationalsozialismus ......57, 67 f., 71 ff., 80, 82, Plattform (Publikation) ....................................167 86, 94, 98 f., 102, 198 Mobilisierung............. 46, 61, 76 f., 92, 114, 128, Naturrecht ....................................................104, 109 144, 233, 238, 243 f., 249, 266 Navenda Civaka DemokratA(r)k ya Mofatteh, Mohammad Hadi ...............201, 225 Kurden li Almanyaye (NAV-DEM - Demokratisches Gesellschaftszentrum mole (englisch: Maulwurf; Publikation) ...153 der KurdInnen in Deutschland e.V.) ......245 f., 250, 267 f. Mursi, Mohammed .............................................222 Neonaziszene/neonazistische Szene ... 50, 63, Muslimbruderschaft (MB - al-Ikhwan al66, 73 ff., 79 f., 98 Muslimun) .........180 f., 199 ff., 217, 221 ff., 307 Network Systems Department N (NSD, chinesischer militärischer technischer Nachrichtendienst) ..................321 N.S. Heute (Publikation)................................. 73 f. Neue Internationale (Publikation) ..............157 Nachrichtendienstliches Informationssystem (NADIS) .......................... 15 Newroz .....................................................................239 360 REGISTER Newsletter ................................................................ 20 P Nichtaberrierte.................................................334 f. Palästina .......................... 67, 199, 202, 218, 276 f. Non-Professionals ..............................................294 Parlamentarisches Kontrollgremium (PKGr)...................................................................... 17 f. Nordadler .................................................................. 68 Partei der Befreiung Nordische Widerstandsbewegung (HuT - Hizb ut-Tahrir) .............................181, 220 (Nordiska motstandsrörelsen) ........................ 69 Partei der Demokratischen Union (PYD)................................................................144, 242 O Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP - Milliyetci Öcalan, Abdulllah.................. 233, 236 ff., 247 f., Hareket Partisi)...........................................258, 273 250, 264 f. Partei für Gerechtigkeit und Öffentlichkeitsarbeit .....19, 114, 127, 141, 159 Aufschwung (AKP - Adalet ve Kalkinma Partisi) ....................237, 258, 303, 305 Okzident Media UG ....................................90, 100 Partei für soziale Gleichheit (PSG) ..............165 Online-Kurse.........................................................336 parteiunabhängige bzw. Online-Netzwerk .................................................. 59 parteiungebundene Strukturen ..................... 53 Operation Quelle des Friedens .......... 233, 237, Parti Nationaliste Francais (PNF)................... 69 240, 259, 261 Partiya Karkeren Kurdistan Organisation der Wächter der Religion (PKK - Arbeiterpartei (THD - Tanzim Hurras al-Din).....................183, Kurdistans) ............... 144 f., 233 ff., 236 ff., 259, 188, 214 261, 264 ff., 275, 303, 324 Organisation für das Verbot Partizan ....................................................................270 chemischer Waffen (OVCW) ..........................312 Permanente Revolution...................................165 Organisierte Linke Heilbronn .......................151 personeller Geheimschutz........................ 326 ff. Ostritz (Sachsen) ......................................62, 64, 76 Perspektif (Publikation) ...................................228 Outing-Aktionen.......................................132, 146 Perspektive Kommunismus (PK) .......123, 155 Özgür Gelecek (Publikation) ..........................270 Politik der ersten Person .......................117, 130 361 REGISTER Popular Front for the Liberation REBELL (Publikation)........................................164 of Palestine (PFLP - Volksfront für die Befreiung Palästinas) ......................276 f. Rechtsextremistische Musik .......................63 ff. POSITION (Publikation) ..................................162 rechtsterroristisch ..................................46, 54, 57 Postautonome .........................115, 119, 140, 142 Reconquista Germanica (RG)......................59 ff. PRISMA - IL Leipzig ..........................................151 Redical [M], Göttingen ......................................153 Proliferation ....................................16, 308 ff., 319 Referans (Publikation) ......................................274 Propaganda ............49, 51, 67, 90, 144 f., 177 ff., Reichsbürger .............................. 30, 46, 53, 102 ff. 184 ff., 197 f., 201, 234, 238, 247 f., 255 f., 286 ff., 336 Rekrutierung ........143, 157, 192, 197, 218, 220, 232, 234, 241 ff., 251, 255 ff., 266, 298 Prophet Muhammad ..................... 173, 195, 202 Remigration ......................................................61, 91 Putsch ..........................................233, 253, 304, 324 Repression ....55, 98, 127, 130, 133, 140, 146, 159 Q ...resist! ......................................................................153 Quds Force (iranische militärische Resonanzstraftaten ............................................149 und nachrichtendienstliche Spezialeinheit) ........................................ 301 f., 323 REVOLUTION (REVO) ........... 121 f., 143, 157 f. Revolution Chemnitz...................................... 57 f. R Revolution des Proletariats ............................112 radikale linke | berlin.........................................145 Revolutionäre Aktion Stuttgart....................155 Radikalisierung ...............46, 49, 89, 115, 141 ff., 175, 193, 197, 199 Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC - Devrimci Halk Kurtulus Ramadan, Said ......................................................200 Cephesi) ...............................................................251 f. Rassismus........................................46, 61, 272, 305 Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP - realistisch und radikal (Publikation)..........168 Devrimci Halk Kurtulus Partisi) ..................251 Realität Islam ........................................................220 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C - Devrimci Halk Kurtulus REBELL (Jugendverband) .........125, 143, 163 f. Partisi-Cephesi) ..............233 f., 251 ff., 269, 324 362 REGISTER Revolutionärer Internationalismus .......157 f. Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben ......................................337, 340 Revolutionärer Marxismus (Publikation) ..........................................................157 Salafismus ..................... 172 f., 177 f., 193, 195 ff. Revolutionary Guards Intelligence Salafisten/salafistisch ........... 172 f., 177 ff. 181, Department (RGID, iranischer 190, 193 ff., 209, 222, 308 militärischer Inund Auslandsnachrichtendienst der Salafistische Gruppe für Predigt Iranischen Revolutionsgarden) ....................323 und Kampf (GSPC - Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat) ...............209 Ring Nationaler Frauen (RNF) ..........78, 93, 96 Salafistische Prediger ....................................196 f. Rippert, Ulrich ......................................................165 SALAM! Zeitschrift für junge Muslime Risalat al-Ikhwan (Publikation)....................221 (Publikation) ..........................................................225 #RiseUp4Rojava ...................................................145 Schanze Eins UG & Co. KG .......................90, 100 rockerähnliche Gruppierungen/ Scharia Vereinigungen ............................................263, 275 (islamische Rechtsordnung).......180, 195, 200, 224, 230 Rojava ..........................................145, 155, 239, 244 Scharnierfunktion ..............................................140 Rote Fahne (Publikation) .......................125, 163 Schiiten/schiitisch .................199, 201, 216, 225 Rote-Hilfe-Archiv ...............................................159 Schild & Schwert.................................. 64 f., 70, 76 Rote Hilfe e.V. (RH) ....114, 126 ff., 141, 159, 268 Schnelle Eingreiftruppe ..................................... 57 Roter Aufbau Hamburg....................................155 Schreiber, Peter ...................................................... 97 Rückkehrer ..................................176 f., 190 f., 204 Schutzzonen-Kampagne ................................... 77 Rzehaczek, Paul...................................................... 95 Schwarzer Block ........................................131, 148 S Scientific Studies and Saad, Maulana Ibrahim ....................................224 Research Center (SSRC) ....................................312 SAADET Europa e.V............................................227 scientologische "Technologie" ......................336 Saadet Partisi (SP) ................................................227 Scientology Handbuch .....................................336 363 REGISTER Scientology Network ...............................336, 339 Solidaritätsaktionen ...................... 134, 145, 155 Scientology-Organisation (SO) ............... 333 ff. Solidaritätsorganisation ........................126, 159 see red!, Düsseldorf ............................................151 Sommercamp ......................................... 157 f., 164 Selbstbezichtigungsschreiben............ 114, 130, Souveränität ...................................... 102, 109, 282 134, 145 f. soziale Netzwerke ...90, 262, 275, 293, 298, 315 Selbstverbrennung .............................................250 Sozialismus ......... 72, 81, 99, 112 f., 122 ff., 126, Selbstverwalter...................... 30 f., 46, 53, 101 ff. 155, 164, 169, 251 f. Serxwebun (Publikation) .......................248, 264 sozialismus.info (Publikation).......................166 Shabab al-Khilafa (Onlinemagazin) ...........186 Sozialistische Alternative (SAV)..........166, 169 Shahid Stiftung Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (Libanesisches Märtyrerinstitut) ..................204 (SDAJ) .................................................122, 143, 161 f. Sham al-Ribat (Medienstelle) ........................214 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) ..........................................................................161 sicherheitsempfindliche Tätigkeit......... 326 ff. Sozialistische Gleichheitspartei Sicherheitsüberprüfung...................... 15, 326 ff. (SGP) ............................................................ 125 f., 165 Sicherheitsüberprüfungsgesetz Sozialistische Linke (SL) .........................168, 170 (SÜG) ................................................326 ff., 330, 332 Sikh Federation Germany (SFG) ...............279 f. Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) ............................................................................166 Sikh Federation International Germany (SFIG).........................................................................280 Sozialkredit-System ...........................................293 Sikh/Sikhs................................................278 ff., 306 Staatenbund Deutsches Reich ......................109 Skoda, Sven .......................................................78, 98 Staatliche Maßnahmen ...................57, 106, 203 Snake .....................................................................289 f. Staatsangehörigkeitsausweis .........................107 Social Engineering....................................288, 302 Staatsstreichorchester......................................... 47 Soft-Power-Politik ..............................................295 Sterk TV (Fernsehsender).......................247, 264 Solidarität (Publikation)...................................166 Sterka Ciwan (Publikation).............................266 364 REGISTER Strukturdaten .....15, 19, 93, 109, 151, 206, 264 the road to REVOLUTION (Publikation) ......................................................121 f. Studierende Frauen Kurdistans (JXK - Jinen Xwendekar en Kurdistan)......246 The Way to Happiness (Leitfaden) ..........336 f. Sturmbrigade/Wolfsbrigade 44...................... 57 Themar (Thüringen) .....................................50, 65 subkulturell................................................51, 66, 74 Theorie Organisation Praxis ..........................153 Swaid, Khallad .....................................................223 Theorie21 (Publikation) ...................................170 SWR (russischer ziviler Think Tanks ....................................286, 288 f., 295 Auslandsnachrichtendienst) ..........................319 TIWAZ - Kampf der freien Männer ............. 62 Synagoge ................................24, 46, 51, 54, 56, 69 TKP/ML-Hareketi ...............................................271 System Change not Climate Change! ........142 Systemwechsel ......................78, 94, 98, 158, 169 Tötungsdelikte.....22, 24 f., 27 f., 32, 35 f., 38 f., 41 f., 47, 51, 54 ff., 58, 113, 131, 136 Szeneobjekt ..................................................138, 149 Trotzkismus/trotzkistisch...........121, 125, 143, 157 f., 165 f., 169 f. T Turan ................................................257 ff., 263, 272 Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) ........181, 224 Turan e.V..................................................................263 Tage der nationalen Bewegung ...............50, 65 Türkes, Alparslan .......................................260, 273 Taleban .....................................................................184 Türkische Hizbullah (TH) ......................181, 219 Tanzim Hurras al-Din Türkische Kommunistische (THD - Organisation der Wächter Arbeiterbewegung (TKIH)...............................271 der Religion) ...................................... 183, 188, 214 Türkische Kommunistische Partei/ Tauhid Germany (TG)........................................347 Marxisten-Leninisten (TKP/ML - Tevgera Ciwanen Soresger Türkiye Komünist Partisi/ (TCS - Bewegung der revolutionären Marksist-Leninist)...............................................270 Jugend) .................................... 242 f., 246, 264, 266 Türkiye Komünist Partisi/ Thaler, Philip .........................................................100 Marksist-Leninist (TKP/ML - Türkische Kommunistische Partei/ the future is unwritten, Leipzig ....................153 Marxisten-Leninisten) ......................................270 365 REGISTER Turkos MC ..............................................................263 V Turla ..........................................................................289 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK - Yekitiya TV Furkan (Onlinefernsehsender) ....202, 229 Xwendekaren Kurdistan) .................................246 Verdeckte Informationsbeschaffung.........314 U Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT) .......................................228 Ülkücü-Bewegung (Idealisten-Bewegung) .......233 ff., 240, 257 ff., Vereinsverbot ............ 145, 203, 215, 217, 342 ff. 272 ff. Verfassunggebende Versammlung .............106 Umar, Ahmad (alias Abu Ubaidah) ..............212 Verlag 8. Mai GmbH ...........................................160 ...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis.............................................119, 140, 153 f. Vernetzung/ Vernetzungsbestrebung ........50 f., 59, 63, 65 f., Umvolkung .......................................................61, 66 69 f., 74, 84, 90, 92, 96, 100, 119 f., 126, 139 ff., 143 f., 164, 179, 283, 336 Union der Gemeinschaften Kurdistans Verschlusssache ...............................................326 f. (KCK - Koma Civaken Kurdistan) ........................................... 238, 241, 264 verschwörungstheoretische Argumentationsmuster .........................104, 109 Union islamischer Gerichtshöfe ..................212 Verschwörungstheorien ........... 61, 66 f., 105 f., Union of International Democrats (UID) 108, 262 305 Vielschreiberei ......................................................103 unsere zeit (uz, Publikation) .................124, 161 Vier-Säulen-Strategie .......................................... 94 unstrukturiertes rechtsextremistisches Voigt, Udo ................................................................. 75 Personenpotenzial ................................................ 53 Volk in Bewegung - Der Reichsbote ............ 66 Unterstützungsfront (JaN - Jabhat al-Nusra)............................183, 213 Volksfront (Halk Cephesi) .....................254, 269 Uroburos .................................................................289 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP - Popular Front for the Liberation Ustaosmanoglu, Mahmud .............................227 of Palestine)........................................................276 f. 366 REGISTER Volkskongress Kurdistans (Kongra Wirtschaftsund Finanzbüro Gele Kurdistan - KONGRA GEL) ..................264 (EMB - Ekonomi ve Maliye Bürosu)...........247 Volksrat (Halk Meclisi) ............................254, 269 Wirtschaftsschutz .....................................283, 313 Volksverteidigungseinheiten Wissensberichte...................................................335 (YPG - Yekineyen Parastina Gel) ........144, 242 Wolfhagen (Hessen) ...............................46, 54, 58 Volksverteidigungskräfte Wolfsgruß ........................ 240, 257, 259, 261, 263 (HPG - Hezen Parastina Gel) .....................241 f. Worch, Christian ................................................... 79 Volunteer Ministers ...........................................337 World Institute of Scientology Enterprises vorbeugender personeller (WISE) .............................................................336, 340 Sabotageschutz...........................................326, 328 World Socialist Web Site (Publikation) .....165 W WorldWide Resistance-Help e.V. (WWR-Help) ..........................................................203 Wächtersbach (Hessen) ...............................55, 58 Waffenaffinität .................................................107 f. Y Waffenbesitz ........................................... 46, 58, 107 YATIM-Kinderhilfe e.V............................217, 344 waffenrechtliche Erlaubnisse .................. 47, 58, Yeni Özgür Politika 104, 108 (YÖP, Tageszeitung) ........................ 241, 247, 264 Waisenkinderprojekt Libanon e.V. Youth for Human Rights .......................337, 340 (WKP) ..............................................................215, 346 Yürüyüs (Publikation) .......... 251 ff., 255 f., 269 Wechselwirkungen ............................................235 Z Werk-Kodex (Publikation) ............................ 72 f. Zeitzeugenvorträge .......................................... 74 f. Widerstand.........22, 25, 27 f., 30, 32, 35 f., 41 f., 48, 69, 71, 73 f., 106, 113, 129, 141, 143, Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V. 147, 160, 216 ff., 222, 243 f., 252, 277 (NAV-YEK) ..............................................................246 WinNTI ....................................................................297 Ziviler Ungehorsam .......................................142 f. 367 REGISTERANHANG Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2019 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl A AGB - Antifaschistische Gruppe Bremen 153 Aktion, Kritik und Theorie Heidelberg (AKUT [+C]) 151 al-Aqsa e.V. 217 f. al-Gama'a al-Islamiya 222 al-Ikhwan al-Muslimun (MB - Muslimbruderschaft) 221 Alliance for Peace and Freedom 69 Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu 234, 258 f., 272 ff. (ADÜTDF - Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. ) al-Qaida 172 ff., 178 f., 181, 183 ff., 188 f., 199, 208 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 181, 211 al-Qaida im Irak 206 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 181, 209 f. al-Qaida im Jemen (AQJ) 211 al-Shabab 181, 212 Amt für Menschenrechte alias Amt für Menschenrecht 104 f., 109 Anadolu Federasyonu (Anatolische Föderation) 254 Anatolische Föderation (Anadolu Federasyonu) 254 Angriff (Szlurm) 70 Ansaar International e.V. (AI) 203 Antifa AK Köln 153 antifant - Autonome Antifa München 153 Antifaschistische Initiative, Heidelberg 151 Antifaschistische Linke Freiburg 151 Antifaschistische Linke International (A.L.I.), Göttingen 151 Antikapitalistische Linke (AKL) 166, 169 Antikapitalistische Linke München 155 Applied Scholastics 337 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK - Partiya Karkeren Kurdistan), 144, 233, 235 ff., 264 f., alias KADEK, alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK 342, 347 368 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl ATIB - Union der Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa 234, 259 ff., 272, 274 f. e.V. (ATIB - Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi) Atomwaffendivision Deutschland 68 Avrupa Türk Islam Kültür Dernekleri Birligi (ATIB - Union der 234, 259 ff., 272, 274 f. Türkisch-Islamischen Kulturvereine in Europa e.V.) AZADI Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in 268 Deutschland e.V. (AZADI e.V.) B Babbar Khalsa Germany (BKG) 279 Babbar Khalsa International (BKI) 278 Basisdemokratische Linke, Göttingen 151 Basisgruppe Antifaschismus (BA), Bremen 153 Bewegung der revolutionären Jugend (TCS - Tevgera Ciwanen 243, 246, 264, 266 Soresger), ehemals Ciwanen Azad (Freie Jugend) Bulgarischer Nationalbund (Bulgarski Nationalen Sajuz) 70 C CRIMINON 337, 340 Critique'n'act, Dresden 153 D DawaFFM 346 Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in 245 f., 250, 267 f. Deutschland e.V. (NAV-DEM - Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanyaye) Der III. Weg 50 f., 53, 62, 67, 71 f., 80 ff., 99 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 122, 124, 143, 161 f. Deutsche Konservative 53 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e.V. (DMG) 180 f., 200 f., 221, 223 Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH (DS Verlag) 78, 93, 97 Devrimci Genclik (Dev Genc - Revolutionäre Jugend) 254, 269 Devrimci Halk Kurtulus Cephesi (DHKC - Revolutionäre 251 f. Volksbefreiungsfront) Devrimci Halk Kurtulus Partisi (DHKP - Revolutionäre 251 Volksbefreiungspartei) Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C - 233 f., 251 ff., 269, 324, 343 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) Devrimci Sol 269, 343 369 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl DIE RECHTE 48, 50 f., 53, 55, 68, 70, 74, 78 ff., 98 Die Wahre Religion (DWR) 347 E Ekonomi ve Maliye Bürosu (EMB - Wirtschaftsund Finanzbüro) 247 Erbakan-Stiftung 227 Europavertretung der Erbakan-Stiftung 227 F Farben für Waisenkinder e.V. (FfW) 204, 215, 346 Fast Forward, Hannover 153 Föderation der demokratischen Aleviten e.V. (FEDA) 246 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in 234, 258 f., 272 ff. Deutschland e.V. (ADÜTDF - Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM - 267 Yekitiya Komalen Kurd li Elmanya) Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) 121, 156 Freie Bürger Union (FBU) - Landesverband Saarland 53 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK - 264 Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Furkan Gemeinschaft 181, 199, 202, 229 Furkan Stiftung für Bildung und Fürsorge (Furkan Egitim ve 202, 229 Hizmet Vakfi) G Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 103, 105 f., 109 Gemeinschaft der Jugendlichen (Komalen Ciwan) 242 f., 246, 264, 266 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK - Koma 264 Komalen Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Gerichthof der Menschen, siehe auch Amt für Menschenrechte 104 Goldene Morgenröte (Chrysi Avgi) 69 Grup Yorum 234, 253 f., 256 Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) 121 f., 143, 157 f. Gruppe d.i.s.s.i.d.e.n.t., Marburg 151 Gruppe D.O.R.N., Kassel 151 Gruppe für die Unterstützung des Islam und der Muslime 210 (Jama'at Nusrat al-Islam wal-Muslimin - JNIM) 370 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl H Hai'at Tahrir al-Sham (HTS - Komitee zur Befreiung Großsyriens) 181, 183, 188, 213 Halk Cephesi (Volksfront) 254, 269 Halk Meclisi (Volksrat) 254, 269 Halkin Hukuk Bürosu (HHB - Rechtsbüro des Volkes) 253 Hans-Litten-Archiv - Verein zur Errichtung und Förderung 159 eines Archivs der Solidaritätsorganisationen der Arbeiterund Arbeiterinnenbewegung und der sozialen Bewegungen (Rote-Hilfe-Archiv) e.V. (HLA) Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS - Islamische 172, 181, 203, 216 ff., 222, Widerstandsbewegung) 277, 343 Hasan Ferit Gedik-Zentrum (HFG) 254 Hezb-e Islami-ye Afghanistan (HIA - Islamische Partei 181, 230 Afghanistans) Hezen Parastina Gel (HPG - Volksverteidigungskräfte) 241 f. Hizb Allah (Partei Gottes) 172, 180 f., 205, 215 f., 277 Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der Befreiung) 181, 220, 344 I I Furiosi, Düsseldorf 151 Idealisten-Bewegung (Ülkücü-Bewegung) 233 ff., 240, 257 ff., 272 ff., Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 53, 88, 90 ff., 100, 136 International Sikh Youth Federation (ISYF) 279 f. International Way to Happiness Foundation 337 f., 340 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) 345 Internationales Zentrum für Menschenrechte (IZMR), 104 siehe auch Amt für Menschenrechte Interventionistische Linke (IL) 119, 140 ff., 145, 151 f. Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 246 Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden 201 Deutschlands e.V. (IGS) Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 181, 200, 223 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 228 Islamische Partei Afghanistans (HIA - Hezb-e Islami-ye 181, 230 Afghanistan) Islamischer Staat - Khorasan Provinz (ISKP) 184 Islamischer Staat (IS) 172 ff., 181 ff., 191, 193 f., 196, 199, 204 ff., 211 f., 346 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 181, 199, 201, 225 371 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Ismail Aga Cemaati (IAC) 227 Izz-al-Din al-Qassam-Brigaden 218 J Jama'at Nusrat al-Islam wal-Muslimin (JNIM - Gruppe für die 210 Unterstützung des Islam und der Muslime) Jinen Xwendekar en Kurdistan (JXK - Studierende Frauen 246 Kurdistans) Jugendwiderstand (JW) 123 Junge Nationalisten (JN) 50, 78, 93, 95 f. junge Welt (jW) 122, 160 K K2, Köln 151 Koma Civaken Kurdistan (KCK - Union der Gemeinschaften 238, 241, 264 Kurdistans), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Koma Komalen Kurdistan (KKK - Gemeinschaft der Kommunen 264 in Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen) 242 f., 246, 264, 266 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschen337, 340 rechte e.V. (KVPM) Kommunalpolitische Vereinigung der NPD (KPV) 78, 93, 96 f. Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE (KPF) 167 Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya (KON-MED - 245 f., 267 f. Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland e.V.) Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland 245 f., 267 f. e.V. (KON-MED - Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya) Kongra Gele Kurdistan (KONGRA GEL - Volkskongress 264 Kurdistans), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane (KADEK - Freiheits264 und Demokratiekongress Kurdistans), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Kritik&Praxis, Frankfurt am Main 153 Kurdische Frauenbewegung in Europa (AKKH/TJK-E) 246 L Legion Ungarn (Legio Hungaria) 70 Les Nationalistes 70 LevelUP, Tübingen 153 372 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Linke Aktion Villingen-Schwenningen 155 Linke Presse Verlags-, Förderungsund Beteiligungsgenossen160 schaft junge Welt eG (LPG) M marx21 170 Marxistische Leninistische Kommunistische Partei 271, 324 (MLKP - Marksist Leninist Komünist Parti) Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 124 f., 143, 163 f., 277 Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH 248 Millatu Ibrahim 346 f. Milli Görüs-Bewegung 172, 181, 226 ff. MÄdegR Multimedia GmbH 248, 347 Muslimbruderschaft (MB - al-Ikhwan al-Muslimun) 180 f., 199 ff., 217, 221 ff., 307 N NARCONON 337, 340 National Socialist Knights of the Ku Klux Klan (NSK KKK) 57 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 14, 48, 50, 52 f., 64, 67, 72, 75 ff., 93 ff. Nationale und Soziale Front (Narodni a socialni fronta) 70 Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanyaye 245 f., 250, 267 f. (NAV-DEM - Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V.) Nordadler 68 Nordische Widerstandsbewegung (Nordiska motstandsrörelsen) 69 O Organisation der Wächter der Religion (THD - Tanzim Hurras 183, 188, 214 al-Din) Organisierte Linke Heilbronn 151 P Partei der Demokratischen Union (PYD - Partiya Yekitiya 144, 242 Demokrat) Partiya Karkeren Kurdistan (PKK - Arbeiterpartei Kurdistans), 144 f., 233 ff., 236 ff., 259, alias KADEK, alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK 261, 264 ff., 275, 303, 324 Partiya Yekitiya Demokrat (PYD - Partei der Demokratischen 144, 242 Union) 373 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Partizan, siehe auch Türkische Kommunistische Partei/ 270 Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Perspektive Kommunismus (PK) 123, 155 Popular Front for the Liberation of Palestine (PFLP - Volksfront 276 f. für die Befreiung Palästinas) PRISMA - IL Leipzig 151 R radikale linke | berlin 145 REBELL 125, 143, 163 f. Rechtsbüro des Volkes (HHB - Halkin Hukuk Bürosu) 253 Reconquista Germanica (RG) 59 ff. Redical [M], Göttingen 153 ...resist!, Saarbrücken 153 REVOLUTION (REVO) 121 f., 143, 157 f. Revolution Chemnitz 57 f. Revolutionäre Aktion Stuttgart 155 Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC - Devrimci Halk 251 f. Kurtulus Cephesi) Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP - Devrimci Halk 251 Kurtulus Partisi) Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C - Devrimci 233 f., 251 ff., 269, 324 Halk Kurtulus Partisi-Cephesi) Ring Nationaler Frauen (RNF) 78, 93, 96 Rote Hilfe e.V. (RH) 114, 126 ff., 141, 159, 268 Roter Aufbau Hamburg 155 S SAADET Europa e.V. 227 Sag NEIN zu Drogen - Sag JA zum Leben 337, 340 Schnelle Eingreiftruppe 57 Scientology-Organisation (SO) 333 ff. see red! Düsseldorf 151 Sikh Federation Germany (SFG) 279 f. Sikh Federation International Germany (SFIG) 280 Sozialistische Alternative (SAV) 166, 169 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 122, 143, 161 f. Sozialistische Gleichheitspartei (SGP), ehemals Partei für soziale 125 f., 165 Gleichheit (PSG) Sozialistische Linke (SL) 168, 170 Sozialistische Organisation Solidarität (Sol) 166 374 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Staatenbund Deutsches Reich 109 Studierende Frauen Kurdistans (JXK - Jinen Xwendekar en 246 Kurdistan) Sturmbrigade/Wolfsbrigade 44 57 T Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Verkündigung und 181, 224 Mission) Taleban 184 Tanzim Hurras al-Din (THD - Organisation der Wächter der 183, 188, 214 Religion) Tauhid Germany (TG) 347 Tevgera Ciwanen Soresger (TCS - Bewegung der revolutionären 242 f., 246, 264, 266 Jugend), ehemals Ciwanen Azad (Freie Jugend) the future is unwritten, Leipzig 153 Theorie Organisation Praxis, Berlin 153 Turan e.V. 263 Türkische Hizbullah (TH) 181, 219 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten 270 (TKP/ML - Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist) Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (TKP/ML - 270 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) Turkos MC 263 U Ülkücü-Bewegung (Idealisten-Bewegung) 233 ff., 240, 257 ff., 272 ff., ...ums Ganze! - kommunistisches Bündnis (uG) 119, 140, 153 f. Union der Gemeinschaften Kurdistans (KCK - Koma Civaken 238, 241, 264 Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Union islamischer Gerichtshöfe 212 V Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK - Yekitiya 246 Xwendekaren Kurdistan) Verfassunggebende Versammlung 106 Verlag 8. Mai GmbH 160 Volksfront (Halk Cephesi) 254, 269 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP - Popular Front 276 f. for the Liberation of Palestine) Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL - Kongra Gele 264 Kurdistan), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 375 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Volksrat (Halk Meclisi) 254, 269 Volksverteidigungseinheiten (YPG - Yekineyen Parastina Gel) 144, 242 Volksverteidigungskräfte (HPG - Hezen Parastina Gel) 241 f. W Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) 215, 346 Wirtschaftsund Finanzbüro (EMB - Ekonomi ve Maliye Bürosu) 247 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 336, 340 WorldWide Resistance-Help e.V. (WWR-Help) 203 Y YATIM-Kinderhilfe e.V. 217, 344 Yekineyen Parastina Gel (YPG - Volksverteidigungseinheiten) 144, 242 Yekitiya Komalen Kurd li Elmanya (YEK-KOM - Föderation 267 Kurdischer Vereine in Deutschland e.V.) Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK - Verband der 246 Studierenden aus Kurdistan) Youth for Human Rights 337, 340 Z Zentralverband der Ezidischen Vereine e.V. (NAV-YEK) 246 376 BILDNACHWEIS Bildnachweis 56 Screenshot aus dem Tatvideo 57 https://nsknightsgermany.jimdofree.com 57 w ww.facebook.com 60 http://bitchute.com 62 w ww.facebook.com 62 w ww.facebook.com 64 https://schildundschwertfestival.de 67 www.der-dritte-weg.info 70 dpa 71 www.der-dritte-weg.info 73 www.nsheute.com 74 https://die-rechte.net 76 dpa 79 www.twitter.com 83 dpa 91 www.ibladen.de 91 https://phalanx-europa.com 103 http://deutsche-voelker.de/ 104 www.youtube.com/user/MenschenrechtTV 105 dpa 106 www.verfassunggebende-versammlung.com 106 https://ddbnews.wordpress.com 107 dpa 121 https://arbeiterinnenmacht.de 121 https://onesolution.de 123 http://jugendwiderstand.blogspot.com 124 https://shop.unsere-zeit.de 124 www.facebook.com 124 https://rf-news.de 125 https://gleichheit.de 377 BILDNACHWEIS 126 w ww.twitter.com 128 https://solidaritaet-verbindet.de 130 dpa 132 https://de.indymedia.org 133 https://de.indymedia.org 134 www.twitter.com 134 dpa 138 dpa 138 dpa 140 https://interventionistische-linke.org 141 https://nationalismusistkeinealternative.net 142 dpa 142 dpa 143 https://international.nostate.net 144 w ww.facebook.com 145 https://riseup4rojava.org 145 https://de.indymedia.org 174 https://telegram.org 178 https://telegram.org 186 www.twitter.com 186 https://telegram.org 186 https://telegram.org 187 www.facebook.com 187 https://telegram.org 239 dpa 240 dpa 256 www.facebook.com 257 www.facebook.com 257 dpa 260 www.twitter.com 283 BfV 284 Cyberabwehrzentrum 378 BILDNACHWEIS 286 Adobe Stock 289 BfV 292 dpa 294 https://unsplash.com 296 dpa 305 http://uetd.org 308 BfV 313 BfV 314 dpa 315 dpa 316 https://pixabay.com 327 dpa 329 https://pixabay.com 332 dpa 336 www.freespiritsingles.com 337 www.scientology.tv 379 NOTIZEN 380 NOTIZEN 381 NOTIZEN 382 NOTIZEN 383 NOTIZEN 384 NOTIZEN 385 NOTIZEN 386 Impressum Herausgeber: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat Alt-Moabit 140 10557 Berlin Redaktion: Bundesamt für Verfassungsschutz Satz & Layout: Satzweiss.com Print Web Software GmbH, Saarbrücken Druck: Kern GmbH, Bexbach Der Verfassungsschutzbericht 2019 ist auch über das Internet abrufbar, unter: www.bmi.bund.de www.verfassungsschutz.de ISSN: 0177-0357 Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. 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