Verfassungsschutzbericht 2012 Vorwort von Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB Der Verfassungsschutzbericht 2012 informiert über Art und Umfang verfassungsfeindlicher Entwicklungen in unserem Land sowie über Organisationen und Gruppierungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Der Bericht zeigt deutlich: Deutschland steht weiter im Faden kreuz des islamistischen Terrorismus. Nach wie vor ist es beson ders der politische Salafismus, der die Sicherheit des Landes gefährdet. Die Zahl der Anhänger dieser national wie interna tional wichtigsten islamistischen Bewegung ist geradezu sprung haft von 3.800 im Jahr 2011 auf 4.500 im Jahr 2012 angestiegen. Auf der Grundlage eines salafistischen Weltbildes vollzieht sich eine ungebremste Radikalisierung. Diese Entwicklung verlangt die richtigen, generalpräventiven Antworten: Durch das Verbot der Vereine "DawaFFM", "Islamistische Audios" und "AnNussrah" ist ein wichtiger Einschnitt in die Strukturen des Salafismus gelungen. Eine weitere, zentrale Bedrohung stellt das Aufeinandertreffen von gewaltbereiten Salafisten und Rechtsextremisten dar. Dabei geraten besonders die "ProBewegungen" ins Blickfeld, die der angeblichen Islamisierung Deutschlands den Kampf angesagt haben. Beide Lager leben mit ihren extremistischen Anschauun gen nicht nebeneinander her, sondern befassen sich mit ihrem "Gegner" oft in Form von bewussten Provokationen. Diese sind geeignet, die jeweils eigene Ideologie zu bestätigen und damit das extremistische Selbstverständnis der eigenen Gruppierung zu verstärken. Die wechselseitigen Angriffe führen dazu, dass sich auch Personen mobilisieren und radikalisieren, die bisher die Anwendung von Gewalt für sich ablehnten. 3 VORWORT BUNDESINNENMINISTER FRIEDRICH Anlass zur Sorge sind auch die Konfrontationen von Rechts und Linksextremisten, die sich im Jahr 2012 weiter verschärft haben. Es kommt dabei zu erheblichen, teilweise schwersten Körperverletzungen. Im Einzelfall scheuen sich die Akteure nicht, ihre Aggressionen fortzusetzen, selbst wenn bereits die Polizei mit der Aufklärung des Vorfalls befasst ist. Diese Beispiele verdeutlichen, dass der Verfassungsschutz vor immer neuen, großen Herausforderungen steht, die bewältigt werden müssen. Damit dies gelingt, muss die Zusammenarbeit zwischen den beteiligten Behörden weiter verbessert werden. Wesentliche Grundlagen hierfür wurden durch die Einrichtung des Gemeinsamen Extremismus und Terrorismusabwehrzen trums im November 2012, in dem das bisherige Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus und terrorismus aufgegangen ist, sowie durch das bereits 2004 eröffnete Gemein same Terrorismusabwehrzentrum geschaffen. Die Einrichtung dieser Zentren beruht unter anderem auf der Überlegung, dass es nicht ausreicht, eine bestimmte Szene in den Blick zu nehmen. Vielmehr muss auch antizipiert werden kön nen, wie sich Extremisten aus unterschiedlichen Lagern wech selseitig beeinflussen. Es muss also festgestellt werden, welche Reaktionen die Aktionen eines Lagers im anderen Lager hervor rufen. Die Arbeit in den Zentren ermöglicht eine phänomenüber greifende Betrachtung, die neben die Beobachtung des einzelnen Bereichs tritt. Zugleich wird das ganzheitliche Denken gefördert. Nur so können Wechselwirkungen, Strukturen und Zusammen hänge des Extremismus erkannt und für die Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes entsprechend berücksichtigt werden. Damit Deutschland auch in Zukunft über einen effektiv arbei tenden Inlandsnachrichtendienst verfügt, hat sich das Bundes amt für Verfassungsschutz einer umfassenden Binnenreform unterzogen. Sie beinhaltet neben vielen Innovationen eine Neu ausrichtung in der Schwerpunktsetzung der inhaltlichen Arbeit des Bundesamtes. In Zukunft wird die Beobachtung und Samm lung von Informationen über Personen und Gruppierungen konsequent in den Vordergrund treten, die als gewaltorientiert einzustufen sind oder Gewalt ausüben. Dies ist nicht nur sach lich geboten, sondern auch angesichts der stets begrenzten per sonellen und sächlichen Ressourcen notwendig. 4 VORWORT BUNDESINNENMINISTER FRIEDRICH Darüber hinaus wird der Verfassungsschutz sein Informations und Beratungsangebot ausweiten, eine engere Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen pflegen und sich enger als bisher mit zivilgesellschaftlichen Akteuren vernetzen. Dies alles dient nicht nur der Intention eines schlagkräftigen Inlands nachrichtendienstes, sondern auch der stetigen Verwirklichung der Idee, dass der Verfassungsschutz seinen Platz in der Mitte der Gesellschaft hat. Dr. HansPeter Friedrich, MdB Bundesminister des Innern 5 Inhaltsverzeichnis Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 13 1. Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) 13 2. Militärischer Abschirmdienst (MAD) 13 II. Weitere Strukturdaten 13 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz 16 II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse 17 III. Reformprozess der Verfassungsschutzbehörden 21 IV. Kontrolle des Verfassungsschutzes 23 V. Verfassungsschutzbericht 24 VI. Verfassungsschutz durch Aufklärung 25 VII. Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2012 30 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK 35 II. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 36 III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 37 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 37 1.1 Überblick 37 1.2 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten 39 1.2.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund 40 1.2.2 Rechtsextremistisch motivierte Straftaten mit antisemitischem Hintergrund 40 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten 41 6 INHALTSVERZEICHNIS 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 41 2. Linksextremistisch motivierte Straftaten 43 2.1 Überblick 43 2.2 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten 44 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 46 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 46 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 48 3.1 Überblick 48 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 49 Rechtsextremismus I. Überblick 52 1. Ideologie 52 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus 52 3. Organisationen und Personenpotenzial 54 4. Rechtsextremistische Kundgebungen 56 II. Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene 60 1. Personenpotenzial 60 2. Formen der Gewaltbereitschaft 60 2.1 Rechtsterrorismus/"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) 60 2.2 Gewaltpotenzial 65 3. Rechtsextremistische Strukturen mit überwiegender Gewaltbereitschaft 67 3.1 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 67 3.2 Neonazistische Strukturen 70 III. Parteien 79 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 79 1.1 Ideologische Merkmale 79 1.2 Strategische Ansätze 91 1.3 Organisation und Entwicklung 95 1.4 Unterorganisationen 98 1.4.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 99 1.4.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 103 1.4.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) 104 2. "DIE RECHTE" 106 3. "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW") 109 IV. Rechtsextremistische Verbreitungsstrukturen 116 1. Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet 116 7 INHALTSVERZEICHNIS 2. Rechtsextremismus und Musik 124 3. Organisationsunabhängige Verlage, Vertriebsdienste und Publikationen 128 V. Ausgewählte rechtsextremistische Aktionsfelder 132 1. Antisemitismus 132 2. Islamfeindlichkeit 137 3. Geschichtsrevisionismus 142 Linksextremismus I. Überblick 150 1. Ideologie 150 2. Entwicklungen im Linksextremismus 150 3. Organisationen und Personenpotenzial 153 II. Gewaltbereitschaft in der linksextremistischen Szene 155 1. Autonome 155 1.1 Selbstverständnis 155 1.2 Konfrontative Gewalt 160 1.3 Anschläge 165 2. Feste organisatorische Strukturen 169 2.1 "Interventionistische Linke" (IL) 170 2.2 "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) 172 3. Aktionsfelder 174 3.1 "Antirepression" 174 3.2 "Antimilitarismus" 185 3.3 "Antifaschismus" 189 4. Entwicklung des Gewaltpotenzials 194 III. Parteien und sonstige Gruppierungen 197 1. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 197 1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 197 1.2 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 199 2. "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 203 3. "GegenStandpunkt" (GSP) 205 4. Trotzkisten 207 5. "Offen extremistische Strukturen" in der Partei DIE LINKE 209 5.1 "Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE" (KPF) 209 5.2 "Sozialistische Linke" (SL) 210 5.3 "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" (Cuba Si) 211 5.4 "Marxistisches Forum" (MF) 212 5.5 "Geraer/Sozialistischer Dialog in der Partei DIE LINKE" (GSoD) 214 5.6 "Antikapitalistische Linke" (AKL) 215 8 INHALTSVERZEICHNIS 6. "Rote Hilfe e.V." (RH) 217 IV. Linksextremistische Verbreitungsstrukturen 220 1. Linksextremismus und Musik 220 2. Linksextremistische Aktivitäten im Internet 221 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen 224 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick 228 1. Ideologie 228 2. Entwicklungen im Islamismus/islamistischen Terrorismus 229 3. Organisationen und Personenpotenzial 232 II. Internationaler islamistischer Terrorismus 234 1. Aktuelle Entwicklungen 234 2. "AlQaida" ("Die Basis") 244 2.1 Kern"alQaida" 244 2.2 "AlQaida im Irak"/"Islamischer Staat Irak" 246 2.3 "AlQaida im islamischen Maghreb" (AQM) 248 2.4 "AlQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) 249 2.5 "AlShabab" 252 3. Regionale "jihadistische" Gruppierungen 254 3.1 "Islamistischkurdische Netzwerke" 254 3.2 "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) 255 3.3 "Islamische JihadUnion" (IJU) 258 3.4 "Hezbe Islamiye Afghanistan" (HIA - "Islamische Partei Afghanistans") 259 3.5 "Boko Haram" (BH, "Sunnitische Gemeinschaft für Predigt und Jihad" - SGPJ) 261 4. Übersicht ausgewählter islamistischterroristischer Anschläge 263 III. Salafistische Bestrebungen 266 IV. Islamismus 272 1. "Hizb Allah" ("Partei Gottes") 272 2. "Islamische Widerstandsbewegung" ("Harakat alMuqawama alIslamiya" - HAMAS) 276 3. "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) 279 4. "Türkische Hizbullah" (TH) 282 5. "Hizb utTahrir" (HuT - "Partei der Befreiung") 284 6. "Tablighi Jama'at" (TJ - "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") 287 7. Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten 289 8. "Muslimbruderschaft" (MB - "Gama'at alIkhwan alMuslimin") 291 9 INHALTSVERZEICHNIS 9. "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 296 V. Nutzung des Internets 308 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) I. Überblick 320 1. Ideologie 320 2. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) 321 3. Organisationen und Personenpotenzial 323 II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 324 1. Gruppierungen aus dem kurdischen Spektrum 324 1.1 Überblick 324 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 326 1.2.1 Allgemeine Lage 327 1.2.2 Organisatorische Situation 330 1.2.3 "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." ("Yekitiya Komalen Kurd Li Elmanya" - YEKKOM) 332 1.2.4 "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" ("Partiya Jiyana Azad a Kurdestane" - PJAK) 335 1.2.5 Propaganda der PKK 336 1.2.5.1 Medienwesen 336 1.2.5.2 Demonstrationen und Großveranstaltungen 339 1.2.6 Aktivitäten der "Komalen Ciwan" 342 1.2.7 Rekrutierung junger Anhänger der PKK in Deutschland für die Guerilla 344 1.2.8 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten 346 1.2.9 Aktivitäten der PKK im Internet 348 1.2.10 Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK 349 2. Gruppierungen aus dem türkischen Spektrum 352 2.1 "Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront" (DHKPC) 352 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten" (TKP/ML) 359 2.3 "MarxistischLeninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 362 3. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) 365 4. Gruppierungen aus dem indischen Spektrum 369 10 INHALTSVERZEICHNIS Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick 374 1. Deutschland als Ziel nachrichtendienstlicher Ausspähung 374 2. Methodische Vorgehensweise fremder Nachrichtendienste 374 2.1 Spionage mit menschlichen Quellen 374 2.1.1 Legalresidenturen - Stützpunkte fremder Nachrichtendienste 374 2.1.2 Zentral gesteuerte Operationen 376 2.2 Spionage mit technischen Mitteln 377 3. Proliferation 379 II. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 382 1. Nachrichten und Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 382 1.1 Politische Rolle der russischen Nachrichtendienste 382 1.2 Strukturen und Aufgaben 382 1.3 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 384 1.4 Methodische Vorgehensweisen 386 1.4.1 Aktivitäten aus Legalresidenturen 386 1.4.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung 387 1.5 Bewertung 388 2. Nachrichten und Sicherheitsdienste der anderen Mitglieder der GUS 389 III. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 391 1. Aktuelle Entwicklung 391 2. Strukturen und Aufgaben der Nachrichtendienste 391 3. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 393 4. Methodische Vorgehensweisen 394 4.1 Aktivitäten aus Legalresidenturen 394 4.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung 395 4.3 Elektronische Angriffe 396 5. Bewertung 397 IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten anderer Staaten 397 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 397 1.1 Nachrichten und Sicherheitsdienste 397 1.2 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 398 1.3 Methodik der Informationsgewinnung 399 1.4 Bewertung 399 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien 400 2.1 Nachrichten und Sicherheitsdienste 400 2.2 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 400 2.3 Methodik der Informationsgewinnung 401 2.4 Bewertung 402 3. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea 403 11 INHALTSVERZEICHNIS 3.1 Nachrichten und Sicherheitsdienste 403 3.2 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung 404 3.3 Methodik der Informationsgewinnung 404 3.4 Bewertung 405 V. Proliferation 406 1. Islamische Republik Iran 406 2. Arabische Republik Syrien 407 3. Demokratische Volksrepublik Korea 407 4. Islamische Republik Pakistan 408 VI. Vorbeugende Maßnahmen des Verfassungsschutzes 409 1. Aufklärung Elektronischer Angriffe 409 2. Wirtschaftsschutz 409 3. Sensibilisierung im Bereich Proliferation 411 VII. Festnahmen und Verurteilungen 411 Geheimschutz, Sabotageschutz I. Geheimschutz 414 II. Sabotageschutz 414 III. Verfahren 416 "Scientology-Organisation" (SO) 419 Register Register 426 Registeranhang 444 12 Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 1. Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2012 betrug 209.713.761 Euro (2011: 186.555.559 Euro). Das BfV hatte 2.757 (2011: 2.701) Bedienstete. 2. Militärischer Abschirmdienst (MAD) Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2012 betrug 71.972.304 Euro (2011: 71.749.302 Euro). Der MAD hatte 1.135 (2011: 1.181) Bedienstete. II. Weitere Strukturdaten Anfang 2013 waren von Bund und Ländern im Nachrichten dienstlichen Informationssystem (NADIS) 1.597.968 (Anfang 2012: 1.507.168) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 1.202.279 Eintragungen (75,2%, Anfang 2012: 74,4%) aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen oder Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach den Bestimmungen des Luftsicherheitsgesetzes oder des Atomgesetzes. 13 14 Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität 15 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland gewährt den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl von Frei heitsrechten. Sie stehen als Grundrechte auch Personen zu, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen. Eine klare Grenze ist allerdings dort zu ziehen, wo diese Rechte dazu missbraucht werden, die freiheitliche demokratische Grundord nung zu untergraben und damit das Fundament dieser Freiheits rechte zu beseitigen. Die leidvollen Erfahrungen mit dem Ende der Weimarer Republik haben dazu geführt, dass im Grundgesetz das Prinzip der wehr haften oder streitbaren Demokratie verankert ist. Wehrhafte Dieses Prinzip ist durch drei Wesensmerkmale gekennzeichnet: Demokratie # Wertegebundenheit, d.h. der Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, # Abwehrbereitschaft, d.h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen, # Verlagerung des Verfassungsschutzes in den Bereich der Vor feldaufklärung, d.h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Der Verfassungsschutz ist somit ein Frühwarnsystem der Demo kratie. Das Prinzip der wehrhaften oder streitbaren Demokratie findet in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes seinen deutlichen Ausdruck: # Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt, dass wesentliche Grundsätze der Verfassung - insbesondere der Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, und die in Art. 20 GG enthaltenen Prin zipien der staatlichen Ordnung (Demokratie, Föderalismus, Rechts und Sozialstaatlichkeit) - unabänderlich und damit einer Änderung auch durch den Verfassungsgesetzgeber ent zogen sind. # Nach Art. 21 Abs. 2 GG können Parteien vom Bundesver fassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie darauf abzielen, die freiheitliche demokratische 16 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. # Nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG entbindet die Freiheit der Lehre nicht von der Treue zur Verfassung. # Art. 9 Abs. 2 GG bestimmt, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind (vgl. Kap. VII). # Nach Art. 18 GG kann das Bundesverfassungsgericht die Ver wirkung bestimmter Grundrechte aussprechen, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundord nung missbraucht werden. # Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG sind Grundlage für die Einrichtung und Tätigkeit der Verfas sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse Wesentliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes Aufgaben und der Länder ist nach dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschut zes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesver fassungsschutzgesetz - BVerfSchG) die Sammlung und Auswer tung von Informationen über # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bun des oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des BVerfSchG für eine fremde Macht, # Bestrebungen im Geltungsbereich des BVerfSchG, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei tungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 17 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE # Bestrebungen im Geltungsbereich des BVerfSchG, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. InformationsEinen erheblichen Teil ihrer Informationen gewinnen die Verfas gewinnung sungsschutzbehörden aus allgemein zugänglichen Quellen. Sofern dies nicht möglich oder nicht effektiv ist, dürfen sie sich im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch sogenannter nach richtendienstlicher Mittel zur Informationsbeschaffung bedienen. Hierzu gehören insbesondere der Einsatz von Vertrauensleuten, die Observation, Bild und Tonaufzeichnungen sowie die Überwa chung des Brief, Post und Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief, Post und Fernmeldege heimnisses (Artikel 10Gesetz - G 10). Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbe kämpfungsgesetz) wurden die Befugnisse des BfV erweitert.1 U.a. werden dem BfV unter engen Voraussetzungen Auskunftsrechte gegenüber Finanzunternehmen, Luftfahrtunternehmen sowie Telekommunikations und Teledienstleistern eingeräumt. Keine polizeilichen Den Verfassungsschutzbehörden stehen bei der Erfüllung ihrer Befugnisse Aufgaben keinerlei polizeiliche Befugnisse zu, d.h. sie dürfen ins besondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen. SicherheitsDarüber hinaus haben die Verfassungsschutzbehörden die Auf überprüfungen gabe, bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen mitzuwirken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Informationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen bzw. ihn sich verschaffen können oder die an 1 Die Regelungen waren zunächst bis zum 10. Januar 2007 befristet, wurden aber durch das am 5. Januar 2007 in Kraft getretene "Terrorismusbekämpfungsergän zungsgesetz" um weitere fünf Jahre verlängert und entsprechen inhaltlich leicht modifiziert den Ergebnissen einer zuvor durchgeführten Evaluierung. Mit dem am 10. Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Bundesverfas sungsschutzgesetzes vom 7. Dezember 2011 wurden die durch diese Gesetzgebung geschaffenen Befugnisse bis zum 10. Januar 2016 verlängert und werden erneut einer Evaluierung durch die Bundesregierung unterzogen. Die Befugnis des BfV, Auskünfte von Postdienstleistungsunternehmen verlangen zu können, wurde gestrichen und trat somit am 9. Januar 2012 außer Kraft. 18 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE sicherheitsempfindlichen Stellen von lebens oder verteidigungs wichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Befugnisse des BfV bei dieser Mitwirkung sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfun gen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) im Einzel nen geregelt (vgl. Berichtsteil Geheimschutz, Sabotageschutz). Die Verfassungsschutzbehörden tragen in ihrem Zuständigkeits Zusammenarbeit bereich dazu bei, die innere Sicherheit der Bundesrepublik mit deutschen Deutschland zu gewährleisten. Sie arbeiten mit anderen Sicher Sicherheitsbehörden heitsbehörden, insbesondere den anderen Nachrichtendiensten des Bundes - dem für den Bereich der Bundeswehr zuständigen MAD und dem mit Auslandsaufklärung befassten Bundesnach richtendienst (BND) - sowie Polizei und Strafverfolgungsbehör den auf gesetzlicher Grundlage vertrauensvoll und eng zusam men. Seit Ende 2004 tauschen Vertreter von Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Gemeinsamen Terrorismusabwehr zentrum (GTAZ) Informationen zur Bekämpfung des islamisti schen Terrorismus aus. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terro rismusbezug wird dadurch deutlich erleichtert und beschleunigt. Die Einrichtung einer gemeinsamen Antiterrordatei von Nach richtendiensten und Polizeibehörden des Bundes und der Länder im Frühjahr 2007 sowie die Möglichkeit zur Führung gemeinsa mer Projektdateien haben die Zusammenarbeit der Sicherheitsbe hörden gezielt unterstützt und den Informationsaustausch weiter optimiert. Mit dem am 31. August 2012 in Kraft getretenen "Rechtsextremis musDateiGesetz" (REDG) ist die gesetzliche Voraussetzung für eine weitere gemeinsame Datei der Sicherheitsbehörden geschaf fen worden: Diese Datei, die seit September 2012 im Wirkbetrieb ist, dient dazu, den Informationsaustausch zwischen den Ver fassungsschutz und den Polizeibehörden in Bund und Ländern sowie dem MAD im Bereich der Bekämpfung des gewaltbezoge nen Rechtsextremismus effektiver als bisher zu gestalten. Am 15. November 2012 wurde das Gemeinsame Extremismus und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) zur Bekämpfung des 19 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Rechtsextremismus/terrorismus, des Linksextremismus/terro rismus, des Ausländerextremismus/terrorismus, der Spionage sowie der Proliferation eingerichtet, in dem Vertreter der Sicher heitsbehörden von Bund und Ländern Informationen zu den genannten Phänomenbereichen austauschen. Die Aufgaben des im Dezember 2011 nach Bekanntwerden des rechtsterroristi schen "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) eingerichte ten Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechtsextremismus/Rechts terrorismus (GAR) werden seither im GETZ wahrgenommen. Ebenso wie das GTAZ ist das GETZ keine neue Behörde, sondern die zeitgemäße Ausformung einer Informations und Kommu nikationsplattform aller beteiligten Behörden. Durch die Ein richtung des GETZ werden weder Zuständigkeits noch Befug nisfragen tangiert. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen möglichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Internationale Angesichts der stetig zunehmenden Internationalisierung der Zusammenarbeit Bedrohungsphänomene steht das BfV darüber hinaus in inten sivem Kontakt zu Partnerdiensten im Ausland. Das BfV arbeitet vor allem mit den Staaten der Europäischen Union (EU) zusammen. Aufgrund des Aufklärungsbedürfnisses im Bereich des Internationalen Terrorismus (Herkunftsländer, Reise bewegungen von Terroristen) erstreckt sich die Kooperation des BfV auch auf Staaten außerhalb der EU, insbesondere USA und Kanada. Die Art der Kontakte mit ausländischen Nachrichten diensten ist quantitativ und qualitativ sehr unterschiedlich. Abgesehen von der anhaltenden Bedrohung durch den Inter nationalen Terrorismus sind auch Phänomenbereiche wie z.B. Proliferation, politischer Extremismus oder Cyberangriffe auf glo baler Ebene Themen, zu denen ein Austausch mit ausländischen Partnerdiensten erfolgt. Bei der ganzheitlichen und strategischen Bekämpfung des Inter nationalen Terrorismus gewinnt auch die multilaterale Zusam menarbeit in internationalen Gremien zunehmend an Bedeutung. Schwerpunkt dieser Form der Zusammenarbeit ist die Erstellung übergreifender Lagebilder und Analysen, um gemeinsam die Ursachen der Bedrohung zu erkennen, mögliche Entwicklungen aufzuzeigen und Gegenmaßnahmen zu erarbeiten. 20 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Auf europäischer Ebene arbeitet das BfV eng mit anderen Inlandsnachrichtendiensten zusammen und unterhält Kontakte zum "Intelligence Center" (IntCen) im Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD), um die Arbeit der EU bei der Terrorismusbekämp fung zu unterstützen. Ein weiteres Gremium ist das Civilian Intelligence Committee (CIC) der NATO. In diesem Forum, in dem In und Auslandsdienste vertreten sind, werden insbesondere Bedrohungsanalysen und Berichte für die NATOBotschafter erstellt. III. Reformprozess der Verfassungsschutzbehörden Im Zuge der Aufarbeitung der Mordtaten der rechtsextremisti schen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) wurden gravierende - auch strukturelle - Mängel in der Zusam menarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehörden ebenso wie zwischen Polizei und Nachrichtendiensten deutlich. Diese Mängel haben dazu geführt, dass im September 2012 sowohl in den Gre mien der Ständigen Konferenz der Innenminister und senatoren des Bundes und der Länder (Innenministerkonferenz - IMK) als auch im BfV selbst Reformprozesse für den Verfassungsschutz in Deutschland eingeleitet worden sind. Die IMK hat bereits im Dezember 2012 im Wesentlichen beschlos sen, die Zusammenarbeit zwischen den Verfassungsschutzbehör den durch eine umfassende gegenseitige Informationspflicht zu intensivieren und die Zentralstellenfunktion des BfV innerhalb des Verbundes zu stärken. Zur möglichst schnellen Umsetzung dieser Kernanliegen in die Behördenpraxis ist - im Vorgriff auf eine gesetzliche Regelung - eine am 31. Dezember 2012 in Kraft getretene Änderung der Richtlinie für die Zusammenarbeit des BfV und der Landesbehörden für Verfassungsschutz (Zusammen arbeitsrichtlinie) vorgenommen worden. Ferner hat sich die IMK auch auf eine beim BfV als Zentralstelle zu führende gemeinsame Datei für Vertrauensleute geeinigt, damit künftig ein besserer Überblick über die Zugangslage bei dem jeweiligen Beobach tungsobjekt besteht. 21 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Ziel des Reformprozesses im BfV ist es, sowohl Konsequenzen aus der Aufarbeitung des Ermittlungskomplexes NSU zu ziehen und die internen Abläufe zu verbessern, als auch das BfV zukunfts fähig aufzustellen. Hierzu gehören klare Vorschriften und eine effektive Kontrolle der Arbeitsprozesse. Ebenso geht es auch darum festzulegen, welche Kernkompetenzen das BfV künftig stärker betont und wie verlorenes Vertrauen wieder zurückge wonnen werden kann. Um eine Wiederholung der NSUEreig nisse zu vermeiden, will sich das BfV künftig stärker als bisher auf die Beobachtung gewaltorientierter Bestrebungen und Personen konzentrieren. Diese Aufgabenpriorisierung lässt sich im Wesent lichen wie folgt beschreiben: # Bei der Abwehr gewaltorientierter extremistischer Bestrebun gen, von denen eine besondere Gefahr ausgeht und die deshalb im besonderen Fokus des BfV stehen, wird das BfV stärker als bisher fall und personenorientiert arbeiten, den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln auf diesen Bereich konzent rieren und einen engen Informationsaustausch mit den ande ren Sicherheitsbehörden (einschließlich der Polizei) pflegen. # Die Aktivitäten nicht gewaltorientierter, gleichwohl verfas sungsfeindlicher Strukturen und Zusammenschlüsse (soge nannte Legalisten) werden auch weiterhin beobachtet. Jedoch wird hier der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln besonders zu prüfen sein. Eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit des BfV und eine erhöhte Transparenz gegenüber dem Parlament sollen helfen, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Um diese Neuausrichtung zu bewerkstelligen, bedarf es einer grundlegend veränderten Arbeitskultur, eines neuen Selbstver ständnisses sowie zielgerichteter Maßnahmen in den Bereichen Personalauswahl und qualifizierung, Informationsbeschaffung und auswertung, Unterrichtung der parlamentarischen Gre mien, Information der Öffentlichkeit und einer Verbesserung der Zusammenarbeit mit allen anderen Sicherheitsbehörden. Mit der Errichtung des GETZ (vgl. Kap. II) ist es gelungen, in kur zer Zeit eine weitreichende Verbesserung der Kommunikations und Informationsstruktur zwischen den Sicherheitsbehörden zu erreichen. 22 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE IV. Kontrolle des Verfassungsschutzes Hinsichtlich der Tätigkeit des BfV unterliegt die Bundesregierung Bundesregierung der Kontrolle durch den Deutschen Bundestag, die Fachaufsicht über das BfV wird durch das Bundesministerium des Innern (BMI) ausgeübt. Zur Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle ist beim Parlamentarisches Deutschen Bundestag ein Kontrollgremium eingerichtet. Dieses Kontrollgremium Gremium wird von der Bundesregierung in regelmäßigen Abstän den umfassend über die allgemeine Tätigkeit des BfV, des MAD und des BND, über Vorgänge von besonderer Bedeutung - und auf Verlangen auch über sonstige Vorgänge - unterrichtet (SS 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrich tendienstlicher Tätigkeit des Bundes - PKGrG). Das Parlamentari sche Kontrollgremium kann im Rahmen seines Rechts auf Kon trolle von Bundesregierung und BfV verlangen, Akten und andere Schriftstücke, gegebenenfalls auch im Original, herauszugeben und in Dateien gespeicherte Daten zu übermitteln. Ebenso kann es BfVAngehörige befragen oder von ihnen schriftliche Aus künfte einholen. Beschränkungen des Brief, Post und Fernmel degeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestellte unabhängige G 10Kommission grundsätzlich vor deren Vollzug auf ihre Zuläs G 10-Kommission sigkeit und Notwendigkeit überprüft. Gleiches gilt für die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz eingeräumten Auskunftsrechte, soweit sie gegenüber Telekommunikations und Teledienstleis tern geltend gemacht werden (vgl. Kap. II). Sowohl das BVerfSchG als auch den Aufgabenbereich des BfV Bundesbeauftragter berührende spezialgesetzliche Regelungen, z.B. das Antiterrordat für den Datenschutz eigesetz oder das Ausländerzentralregistergesetz, enthalten zahl und die Informareiche datenschutzrechtliche Bestimmungen. Der BfDI unterzieht tionsfreiheit (BfDI) das BfV auf dieser Grundlage einer kontinuierlichen datenschutz rechtlichen Überprüfung. Das BfV ist gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag unent Auskunftsrecht geltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt wird (SS 15 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Auskunft unterbleibt nur dann, 23 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE wenn einer der in SS 15 Abs. 2 BVerfSchG ausdrücklich bezeichne ten Verweigerungsgründe vorliegt. Gerichte Maßnahmen des BfV, die nach Darstellung der Betroffenen diese in ihren Rechten beeinträchtigen, unterliegen gerichtlicher Nach prüfung. V. Verfassungsschutzbericht Zweck des Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung Verfassungsschutzund Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrele berichtes vante Bestrebungen. Er beruht auf den Erkenntnissen, die das BfV im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Der Verfassungsschutzbericht stellt keine abschließende Auf zählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusam menschlüsse dar, sondern unterrichtet über die wesentlichen, während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungs schutzrelevanten Entwicklungen und deren Bewertung. Dies ent spricht der Erfüllung des im Bundesverfassungsschutzgesetz fest geschriebenen Aufklärungsauftrags. Eine Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrele vante Bestrebungen ist in aller Regel geboten, wenn im Hinblick auf den betreffenden Personenzusammenschluss auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung führen, dass dieser Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit zur Feststellung führt, dass es sich hierbei um eine extremistische Organisation handelt. Damit ist nicht die Feststellung verbunden, dass alle Mitglieder bzw. Anhänger extremistische Ziele verfolgen oder unterstützen. In den Zitaten sind eventuelle orthografische und grammatikali sche Fehler der Originaltexte nicht korrigiert. 24 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Alle Zahlenangaben zum Mitgliederpotenzial der im Bericht Personenzusammengenannten Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf die schlüsse Bundesrepublik Deutschland und sind z.T. geschätzt und gerun det. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungs schutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern dieser Personenzu sammenschlüsse individuelle Erkenntnisse vorliegen. VI. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Aufgabe "Verfassungsschutz durch Aufklärung" wird auf Bun desebene gemeinsam vom BMI und dem BfV, auf Länderebene von den Innenministerien und senaten bzw. den Landesbehör den für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Hauptaugen merk gilt dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes. Die Öffentlichkeits arbeit des Verfassungsschutzes bietet Informationen über seine Erkenntnisse an, die es jedermann ermöglichen sollen, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Extremismus und Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind für den demokratischen Rechtsstaat eine stete Herausforderung. Die umfassende Bekämp fung aller Formen des politischen Extremismus ist daher ein wesentlicher Schwerpunkt der Innenpolitik und dient zugleich der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die Bundesregierung misst der präventiven und repressiven Aus einandersetzung mit diesen Erscheinungen eine gleichermaßen zentrale Bedeutung zu. Sie wird z.B. die entsprechenden Pro gramme gegen Rechts wie auch Linksextremismus fortführen. Intensive und öffentlichkeitswirksame Aufklärung zum Themen feld Extremismus betreibt auch die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Die BpB stellt z.B. im Rahmen ihres Internetange bots thematische OnlineDossiers zu den Bereichen Rechts und Linksextremismus, Antisemitismus sowie Islamismus zur Ver fügung. 25 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Im Zusammenhang der Stärkung der Zivilgesellschaft ist auch das vom BMI und dem Bundesministerium der Justiz am 23. Mai 2000 gegründete "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extre mismus und Gewalt" zu nennen. Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, zivilgesellschaftliches Engage ment für Demokratie und Toleranz bekannt zu machen und öffentlich zu würdigen (www.buendnistoleranz.de). Ein weiteres Gremium zur Auseinandersetzung mit Fremden feindlichkeit, Rassismus und Gewalt ist das "Forum gegen Ras sismus", das sich im März 1998 konstituiert hat. Es umfasst rund 80 Organisationen und staatliche Stellen, darunter 55 bundes weit bzw. überregional tätige Nichtregierungsorganisationen. Das Forum bietet seinen Teilnehmern eine Plattform für den Dialog über Fragen, die für die Bekämpfung von Rassismus wichtig sind. Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne nachhaltige geistigpolitische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden. Eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes stellt daher auch die fundierte Aufklärung und Informationsvermittlung über Art und Umfang extremistischer Bestrebungen dar. Das BfV informiert im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit sei nen drei Wanderausstellungen bei zahlreichen Ausstellungs und Messeterminen, mit seinem Internetangebot, Publikationen sowie der Beantwortung vielfältiger Bürgeranfragen über aktuelle Ent wicklungen in den einzelnen Arbeitsfeldern. Das Interesse an den Wanderausstellungen des BfV war auch im Jahr 2012 ungebrochen groß. Insgesamt besuchten annähernd 59.000 Personen die bundesweit zwölfmal präsentierten BfVAus stellungen. Auch auf der Bildungsmesse "didacta" in Hannover (Niedersachsen) war das BfV mit einem Stand vertreten. Die Ausstellungen und Messestände wurden vor Ort von Verfas sungsschutzmitarbeitern betreut. Neben zahlreichen Einzelbesu chern nutzten hauptsächlich Schulklassen dieses Informations angebot. 26 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Im Bereich Wirtschaftsschutz intensivierte das BfV die Maßnah Prävention durch men zur Förderung des individuellen Sicherheitsbewusstseins Information ("Security Awareness"). Es erfolgten verstärkt Sensibilisierungs im Bereich vorträge und Informationsgespräche, sowohl bei deutschen Wirt Wirtschaftsschutz schaftsverbänden als auch in einzelnen Branchen. Begleitet wurden diese Aktivitäten durch die Veröffentlichung von themenbezogenen Faltblättern und Broschüren, umfang reiche Informationsangebote auf der Homepage des BfV und die Herausgabe eines Newsletters (vgl. Berichtsteil Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten, Kap. VI). Auch im Bereich Proliferation hielten Mitarbeiter des BfV Vor Prävention im träge im Rahmen von Sensibilisierungsmaßnahmen. Sowohl Bereich Industrie als auch Bildungs und Forschungseinrichtungen wur Proliferation den über die Proliferationsthematik und die Risiken für die Betroffenen in Deutschland - z.B. Reputationsverlust, wirtschaft liche Einbußen - informiert und entsprechend sensibilisiert. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen haben die Verfassungs schutzbehörden die Broschüre "Proliferation - Wir haben Ver antwortung!" herausgegeben. Sie ist ebenfalls auf der Website des BfV abrufbar (vgl. Berichtsteil Spionage und sonstige nachrichten dienstliche Aktivitäten, Kap. V). Das Internetangebot des BfV ist ein wichtiges Instrument zur Informationsportal Information der Öffentlichkeit und wird täglich von mehr als 2.300 Nutzern aufgerufen. Auf der Homepage finden sich Ausfüh rungen zu allen Tätigkeitsbereichen des Verfassungsschutzes. Sie werden durch aktuelle Hinweise, u.a. auf die Wanderausstellungen und die Publikationen aller Verfassungsschutzbehörden aus Bund und Ländern ergänzt. 27 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Ansprechpartner In allen Fragen des Verfassungsschutzes steht das Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstraße 100 50765 Köln Telefon: 0221/7920 oder 030187920 Telefax: 0221/7922915 oder 03018107922915 E-Mail: poststelle@bfv.bund.de als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Für Hinweise auf Planungen und Tatvorbereitungen im Zusam menhang mit dem islamistischen Terrorismus hat das BfV ein vertrauliches Hinweistelefon eingerichtet. Es steht unter Telefon: 02217923366 oder 030187920 E-Mail: HiT@bfv.bund.de jederzeit zur Verfügung. Seit dem 19. Juli 2010 bietet das BfV für Menschen, die sich aus einem Umfeld lösen möchten, in dem ein fanatischer, die Anwen dung von Gewalt befürwortender Islam gepredigt und gelebt wird, ein Aussteigerprogramm an. Das Aussteigerprogramm HATIF (Akronym für "Heraus aus Terrorismus und islamistischem Fanatismus" und arabisches Wort für "Telefon") sorgt für indivi duelle Beratung und konkrete Unterstützung von Ausstiegswilli gen. Eine Kontaktaufnahme ist jederzeit möglich unter Telefon: 02217926999 oder 030187920 E-Mail: HATIF@bfv.bund.de Für Ausstiegswillige aus dem Rechtsextremismus existiert ein spe zielles Aussteigerprogramm des BfV. Experten des Verfassungs schutzes beraten und betreuen Ausstiegswillige jederzeit unter Telefon: 022179262 oder 030187920 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de 28 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Seit dem 6. Oktober 2011 stellt das BfV für alle Angehörigen der linksextremistischen Szene ein spezielles Aussteigerprogramm bereit, das dem Hilfesuchenden eine Vielzahl individueller und unterstützender Maßnahmen anbietet. Eine Kontaktaufnahme ist jederzeit möglich unter Telefon: 02217926600 oder 030187920 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de Im Internet ist das Bundesamt für Verfassungsschutz unter www.verfassungsschutz.de erreichbar. 29 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE VII. Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2012 (Soweit nicht anders gekennzeichnet sind die Verbote unan fechtbar) Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Nationalistische Front" (NF) 26.11.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Deutsche Alternative" (DA) 08.12.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Nationale Offensive" (NO) 21.12.1992 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet "Arbeiterpartei Kurdistans" 22.11.1993 Strafgesetzwidrigkeit, AE (PKK)/ "Nationale BefreiGefährdung der inneren Sicherungsfront Kurdistans" heit und öffentlichen Ordnung (ERNK) und Teilorganisatisowie außenpolitischer Belange onen, Deutschlands "Förderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FEYKA-Kurdistan), "Kurdistan-Komitee e.V." "Wiking-Jugend e.V." (WJ) 10.11.1994 Vereinszweck gegen die verfassungsRE mäßige Ordnung gerichtet RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 30 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Kurdistan Informations20.02.1995 Ersatzorganisation des rechtskräftig AE büro" (KIB) alias "Kurdistan verbotenen "Kurdistan Komitee e. V." Informationsbüro in Deutschland" "Freiheitliche Deutsche 22.02.1995 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Arbeiterpartei" (FAP) mäßige Ordnung gerichtet "Revolutionäre Volksbefrei06.08.1998 Strafgesetzwidrigkeit und GefährAE ungspartei-Front" (DHKP-C) dung der inneren Sicherheit Ersatzorganisation der am 9. Februar 1983 rechtskräftig verbotenen "Revolutionären Linken" (Devrimci Sol) "Türkische Volksbefreiungs06.08.1998 Strafgesetzwidrigkeit und GefährAE partei/-Front" (THKP/-C) dung der inneren Sicherheit "Blood & Honour" (B&H) mit 12.09.2000 Vereinszweck gerichtet gegen RE "White Youth" - die verfassungsmäßige Ordnung - den Gedanken der Völkerverständigung "Kalifatsstaat" 08.12.2001 Vereinszweck gerichtet gegen ISiT und 35 Teilorganisationen 14.12.2001 - die verfassungsmäßige Ordnung 13.05.2002 - den Gedanken der Völkerverständi16.09.2002 gung Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 31 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Al-Aqsa e.V." 31.07.2002 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung (finanzielle Unterstützung der HAMAS und ihrer sogenannten Sozialvereine) "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 10.01.2003 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange "Yeni Akit GmbH" 22.02.2005 Leugnung und Verharmlosung des ISiT Verlegerin der Holocaust in volksverhetzender Europa-Ausgabe der Weise türkischsprachigen Tageszeitung "Anadoluda Vakit" Verbreitung antisemitischer/ antiwestlicher Propaganda "Bremer Hilfswerk e.V."2 SelbstaufISiT lösung mit Wirkung vom 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005 "YATIM-Kinderhilfe e.V." 30.08.2005 Nachfolgeorganisation des rechtsISiT kräftig verbotenen "al-Aqsa e.V." 2 Das BMI hatte am 3. Dezember 2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e.V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 32 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Collegium 18.04.2008 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Humanum" (CH) mäßige Ordnung gerichtet mit "Bauernhilfe e. V." Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Verein zur Rehabilitierung 18.04.2008 Vereinszweck gegen die verfassungsRE der wegen Bestreitens des mäßige Ordnung gerichtet Holocaust Verfolgten" Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze (VRBHV) "Mesopotamia Broadcast 13.06.2008 Verstoß gegen den Gedanken der AE A/S", "Roj TV A/S" 13.06.2008 Völkerverständigung "VIKO Fernseh Produktion Teilorganisation von GmbH" "Roj TV A/S" "Al-Manar TV" 29.10.2008 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Völkerverständigung "Heimattreue Deutsche 09.03.2009 Vereinszweck gegen die verfassungsRE Jugend - Bund zum Schutz mäßige Ordnung gerichtet für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze Ideologische Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut "Internationale Humanitäre 23.06.2010 Verstoß gegen den Gedanken der ISiT Hilfsorganisation e.V." (IHH) Völkerverständigung RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 33 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Hilfsorganisation für nati30.08.2011 Vereinszweck gegen die verfassungsRE onale politische Gefangene mäßige Ordnung gerichtet und deren Angehörige e.V." (HNG) Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Millatu Ibrahim" 29.05.2012 Vereinszweck gegen die verfassungsISiT mäßige Ordnung gerichtet Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung RE = Rechtsextremismus LE = Linksextremismus AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 34 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde nach einem Beschluss der IMK zum 1. Januar 2001 eingeführt. Danach werden als politisch motivierte Kriminalität bezeichnet und erfasst: 1. Alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festge stellt werden kann. Als solche klassischen Staatsschutzdelikte gelten die folgenden Straftatbestände: SSSS 8083, 8486a, 8791, 94100a, 102104a, 105108e, 109109h, 129a, 129b, 234a oder 241a des Strafgesetzbuches (StGB). 2. Im Übrigen aber auch Straftaten, die ebenso in der Allgemein kriminalität begangen werden können (wie z.B. Tötungs und Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsde likte, Sachbeschädigungen), jedoch nur, wenn in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind, weil sie # den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Ent scheidungen richten, # sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, # durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vor bereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesre publik Deutschland gefährden, # sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten 35 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (sogenannte Hasskriminalität); dazu zählen auch Taten, die nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt werden. Die erfassten Sachverhalte werden im Rahmen einer mehrdi mensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Hierbei werden insbesondere Feststellungen zur Qua lität des Delikts, zur objektiven thematischen Zuordnung der Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zur möglichen internationalen Dimension der Tat und zu einer gegebenenfalls zu verzeichnen den extremistischen Ausprägung der Tat getroffen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Bereich der Gewaltdelikte erwei tert und bundeseinheitlich festgelegt. Die differenzierte Darstel lung ermöglicht eine konkret bedarfsorientierte Auswertung der Daten und bildet damit die Grundlage für den zielgerichteten Einsatz geeigneter repressiver und präventiver Bekämpfungs maßnahmen. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den poli tisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). II. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das BKA registrierte für das Jahr 2012 insgesamt 27.440 (2011: 30.216) politisch motivierte Straftaten. In dieser Zahl sind 13.524 (49,3%) Propagandadelikte enthalten (2011: 12.771 Delikte = 42,3%). 2.464 Delikte (9,0%) sind der politisch motivierten Gewalt kriminalität zuzuordnen (2011: 3.108 = 10,3%). Politisch motivierte Nach Phänomenbereichen unterschieden wurden 17.616 Straftaten nach (2011: 16.873) Straftaten dem Bereich "Politisch motivierte Krimina Phänomenbereichen lität - rechts", 6.191 (2011: 8.687) dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" und 868 (2011: 1.010) dem Bereich der "Poli tisch motivierten Ausländerkriminalität" zugeordnet. Bei 2.765 (2011: 3.646) Straftaten konnte keine Zuordnung zu einem der o.g. Phänomenbereiche getroffen werden. 36 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Insgesamt wurden 21.265 Straftaten (77,5%) mit extremistischem Extremistisch Hintergrund ausgewiesen (2011: 21.610 = 71,5%), davon 17.134 motivierte (2011: 16.142) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Straftaten Kriminalität - rechts", 3.229 (2011: 4.502) aus dem Phänomenbe reich "Politisch motivierte Kriminalität - links" und 618 (2011: 730) aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländer kriminalität". 284 (2011: 236) Straftaten deuten aufgrund der Tatumstände auf einen extremistischen Hintergrund hin, diese wurden ohne Zuordnung zu einem Phänomenbereich gemeldet. III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen Extremistisch motivierte Straftaten bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Politisch motivierte Kriminalität". Es handelt sich um diejenigen Straftaten, bei denen es Anhaltspunkte dafür gibt, dass sie darauf abzielen, bestimmte Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, die für die freiheit liche demokratische Grundordnung prägend sind. 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 1.1 Überblick Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - Anstieg der rechts" wurden 17.616 (2011: 16.873) Straftaten zugeordnet, hier rechtsextremistischen von 12.250 (2011: 11.475) Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB Kriminalität und 842 (2011: 828) Gewalttaten. Als Teilmenge dieses Phänomen bereichs (vgl. Kap. III, 1. Abs.) wurden 17.134 (2011: 16.142) Strafta ten mit rechtsextremistischem Hintergrund erfasst, darunter 802 (2011: 755) Gewalttaten. Damit stieg die Zahl der rechtsextremis tisch motivierten Straftaten um 6,1% und die der Gewalttaten um 6,2%. Der Anteil der Gewalttaten an der Gesamtzahl der rechtsex tremistisch motivierten Straftaten beträgt 4,7% (2011: 4,7%). Bei 81,4% (2011: 80,6%) aller rechtsextremistisch motivierten Strafta ten handelte es sich entweder um Propagandadelikte (12.219 Taten, 2011: 11.401) oder um Fälle von Volksverhetzung (1.733 Taten, 2011: 1.605). Insgesamt wurden 189 Delikte 37 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (2011: 217) im Themenfeld "Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten" und 66 Delikte (2011: 61) im Themenfeld "Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner" ausgewiesen. Straftaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund * Gewalttaten: 2011 2012 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 5 6 Körperverletzungen 640 690 Brandstiftungen 20 21 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 27 10 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 6 6 Freiheitsberaubung 2 0 Raub 12 9 Erpressung 4 8 Widerstandsdelikte 39 51 Sexualdelikte 0 0 gesamt 755 802 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 1.377 1.151 Nötigung/Bedrohung 128 153 Propagandadelikte 11.401 12.219 Störung der Totenruhe 17 11 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung 2.464 2.798 gesamt 15.387 16.332 Straftaten insgesamt 16.142 17.134 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 38 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten Mit 393 Delikten wiesen rund 49,0% (2011: 46,4%) der rechts extremistisch motivierten Gewalttaten einen fremden feindlichen Hintergrund auf. Damit stieg die Zahl gegenüber dem Vorjahr (2011: 350) um 12,3%. 189 (23,6%) Gewaltdelikte (2011: 217 = 28,7%) richteten sich gegen tatsächliche oder ver meintliche Linksextremisten. Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * Zielrichtungen Gesamt Fremdenfeindliche Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner Antisemitische Gewalttaten 01.01.-31.12.2011 01.01.-31.12.2012 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. 39 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund * 2011 2012 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 3 5 Körperverletzungen 326 364 Brandstiftungen 7 9 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 1 2 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 0 4 Freiheitsberaubung 2 0 Raub 5 4 Erpressung 3 1 Widerstandsdelikte 3 4 Sexualdelikte 0 0 Fremdenfeindliche Gewalttaten insgesamt 350 393 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.2.2 Rechtsextremistisch motivierte Straftaten mit antisemitischem Hintergrund Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit antisemitischem Hintergrund stieg im Jahr 2012 auf insgesamt 1.286 Taten (2011: 1.162). Auch bei den rechtsextremistisch moti vierten Gewalttaten mit antisemitischem Hintergrund war ein Anstieg auf 36 zu verzeichnen (2011: 22). Insgesamt wiesen 4,5% (2011: 2,9%) aller rechtsextremistisch motivierten Gewaltdelikte einen antisemitischen Hintergrund auf.3 3 Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 40 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten* 2011 2012 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 0 Körperverletzungen 178 171 Brandstiftungen 7 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 19 5 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 2 0 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 6 3 Erpressung 1 2 Widerstandsdelikte 2 3 gesamt 217 189 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten rechtsextremistisch moti vierten Gewalttaten ereigneten sich mit 192 registrierten Delik ten in NordrheinWestfalen. Danach folgen Niedersachsen (104), SachsenAnhalt (68), Bayern (65), Brandenburg (57) sowie Sachsen (54) und Berlin (53). 41 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * in den Ländern 01.01.-31.12.2012 01.01.-31.12.2011 192 Nordrhein-Westfalen 180 104 Niedersachsen 84 68 Sachsen-Anhalt 63 65 Bayern 57 57 Brandenburg 36 54 Sachsen 84 53 Berlin 42 40 Baden-Württemberg 35 Mecklenburg38 Vorpommern 37 38 Hamburg 21 23 Schleswig-Holstein 27 22 Rheinland-Pfalz 31 19 Thüringen 34 13 Hessen 12 12 Saarland 6 4 Bremen 6 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 42 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 2. Linksextremistisch motivierte Straftaten 2.1 Überblick Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - Rückgang der links" wurden 6.191 (2011: 8.687) Straftaten zugeordnet, hiervon linksextremistischen 1.291 (2011: 1.809) Gewalttaten. In diesem Bereich wurden als Teil Kriminalität menge (vgl. Kap. III, 1. Abs.) 3.229 (2011: 4.502) Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund erfasst, darunter 876 (2011: 1.157) Gewalttaten. Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten ging um 28,3% zurück. Ebenso rückläufig war die Zahl der linksextremis tisch motivierten Gewalttaten, die im Jahr 2011 seit Einführung des geltenden Definitionssystems "Politisch motivierte Kriminali tät" im Jahr 2001 einen Höchststand erreicht hatte: Hier war 2012 ein Rückgang um 24,3% zu verzeichnen. 43 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Linksextremistisch motivierte Straftaten* Gewalttaten: 2011 2012 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 3 8 Körperverletzungen 583 471 Brandstiftungen 82 56 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 6 2 Landfriedensbruch 272 169 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 59 22 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 13 16 Erpressung 3 4 Widerstandsdelikte 135 128 Sexualdelikte 0 0 gesamt 1.157 876 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 1.889 1.483 Nötigung/Bedrohung 40 48 Andere Straftaten 1.416 822 gesamt 3.345 2.353 Straftaten insgesamt 4.502 3.229 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 2.2 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten Von den linksextremistisch motivierten Gewalttaten wurden 471 Fälle (2011: 700) im Themenfeld "Gewalttaten gegen die Polizei/ Sicherheitsbehörden", 405 (2011: 546) im Themenfeld "Gewaltta ten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremis ten" und 32 Gewalttaten (2011: 122) im Themenfeld "Kampagne gegen Umstrukturierung" ausgewiesen. 44 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * Zielrichtungen Gesamt Gewalttaten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Kampagne gegen Umstrukturierung 01.01.-31.12.2011 01.01.-31.12.2012 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. Da die erfassten Sachverhalte im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter ver schiedenen Gesichtspunkten bewertet werden, können Gewalttaten unter mehreren Zielrichtungen subsumiert sein. 45 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten* 2011 2012 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 2 Körperverletzungen 322 268 Brandstiftungen 27 24 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 130 45 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 21 10 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 8 12 Erpressung 3 4 Widerstandsdelikte 35 39 gesamt 546 405 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten linksextremistisch motivierten Gewalttaten ereigneten sich mit 147 registrierten Delikten in NordrheinWestfalen. Danach folgen - in absoluten Zahlen - Niedersachsen (122) und Bayern (99). 46 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * in den Ländern 01.01.-31.12.2012 01.01.-31.12.2011 147 Nordrhein-Westfalen 192 122 Niedersachsen 170 99 Bayern 57 93 Hessen 29 82 Sachsen 202 65 Baden-Württemberg 88 64 Hamburg 48 55 Berlin 156 Mecklenburg45 Vorpommern 39 32 Schleswig-Holstein 43 27 Brandenburg 25 21 Bremen 79 19 Sachsen-Anhalt 23 2 Rheinland-Pfalz 3 2 Thüringen 1 1 Saarland 2 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 47 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 3.1 Überblick Der Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkrimina lität" umfasst auch die Teilmenge (vgl. Kap. III, 1. Abs.) der poli tisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkrimina lität" wurden 868 (2011: 1.010) Straftaten zugeordnet, hiervon 179 (2011: 256) Gewalttaten. In diesem Bereich wurden 618 (2011: 730) Straftaten mit extremistischem Hintergrund erfasst, darunter 117 (2011: 191) Gewalttaten. Damit sank die Zahl der Straftaten im Bereich "Politisch motivier ter Ausländerkriminalität" mit extremistischem Hintergrund um 15,3%. Die Zahl der Gewalttaten in diesem Bereich sank um 38,7%. 48 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität"* Gewalttaten: 2011 2012 Tötungsdelikte 1 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 1 Körperverletzungen 109 52 Brandstiftungen 4 5 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Landfriedensbruch 48 34 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 2 1 Freiheitsberaubung 0 3 Raub 5 2 Erpressung 5 8 Widerstandsdelikte 14 11 Sexualdelikte 0 0 gesamt 191 117 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 102 87 Nötigung/Bedrohung 23 35 Andere Straftaten 414 379 gesamt 539 501 Straftaten insgesamt 730 618 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Köperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten Gewalttaten mit extremisti schem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Aus länderkriminalität" ereigneten sich mit 36 registrierten Delikten in NordrheinWestfalen. Danach folgen BadenWürttemberg (32) und Hessen (21). 49 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" * in den Ländern 01.01.-31.12.2012 01.01.-31.12.2011 36 Nordrhein-Westfalen 69 32 Baden-Württemberg 38 21 Hessen 8 9 Berlin 52 3 Bayern 12 3 Hamburg 1 3 Brandenburg 0 3 Rheinland-Pfalz 0 2 Bremen 8 2 Schleswig-Holstein 2 1 Saarland 1 1 Sachsen 0 1 Thüringen 0 Mecklenburg- 0 Vorpommern 0 0 Niedersachsen 0 0 Sachsen-Anhalt 0 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 50 Rechtsextremismus 51 Rechtsextremismus I. Überblick 1. Ideologie Kein ideologisch Der Rechtsextremismus stellt in Deutschland kein ideologisch einheitliches einheitliches Gefüge dar, sondern tritt in verschiedenen Ausprä Gefüge des gungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideo Rechtsextremismus logieelemente sowie unterschiedlichen, sich daraus herleitenden in Deutschland Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zuge hörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Wertever ständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz, welches die Würde des Menschen in den Mittel punkt stellt. Autoritärer Staat Neben diesen Ideologiefragmenten verbindet Rechtsextremisten und "Volksgemeinin aller Regel ihr autoritäres Staatsverständnis, wonach der Staat schafts"-Ideologie und das - nach ihrer Vorstellung ethnisch homogene - Volk als angeblich natürliche Ordnung zu einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der "Volksgemeinschaft" sollen die staatli chen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fehlen, z.B. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt durch Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bil dung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition. Struktur des Zum rechtsextremistischen Spektrum zählen hauptsächlich sub Spektrums kulturell geprägte Rechtsextremisten, die neonazistische Szene einschließlich der "Autonomen Nationalisten" sowie die "Natio naldemokratische Partei Deutschlands" (NPD). 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus Strafund Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straf und Gewalttaten Gewalttaten ist angestiegen (vgl. Berichtsteil Politisch motivierte Kriminali tät - PMK, Kap. III, Nr. 1). 52 RECHTSEXTREMISMUS Das rechtsextremistische Personenpotenzial ist 2012 insbesondere Rückgang des rechtsaufgrund der weiter anhaltenden Mitgliederverluste im Partei extremistischen enspektrum erneut gesunken. Die mit der Mitte 2012 endgültig Personenpotenzials erfolgten Auflösung der "Deutschen Volksunion" (DVU) einherge henden Verluste können durch die "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW") und die neugegründete Partei "DIE RECHTE" nicht ausgeglichen werden (vgl. Kap. III). Nachdem im November 2011 Existenz und Verbrechen der "Nationalsozialisrechtsterroristischen Gruppierung "Nationalsozialistischer Unter tischer Untergrund" grund" (NSU) bekannt geworden waren, erhob der Generalbun (NSU) desanwalt nach umfangreichen Ermittlungen im November 2012 Anklage gegen ein mutmaßliches Gründungsmitglied sowie vier mutmaßliche Unterstützer der rechtsterroristischen Gruppierung (vgl. Kap. II, Nr. 2). Vor dem Hintergrund einer stark durch Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung geprägten rechtsextremistischen Szene erscheint die Existenz weiterer rechtsterroristischer Strukturen zumindest möglich. Auch eine Übernahme sonstiger militanter Vorgehensweisen aus anderen extremistischen Phänomenberei chen ist vorstellbar. Im Jahr 2012 wurden insgesamt sechs neonazistische Gruppierun Zahlreiche Verbote gen durch die Innenminister der Länder verboten. Eine Reihe von neonazistischer Exekutivmaßnahmen aufgrund verschiedener einschlägiger Gruppierungen Straftaten - u.a. wegen des Verdachts des Waffenbesitzes - setzte die rechtsextremistische Szene zusätzlich unter Druck. Dies hatte zur Folge, dass weniger öffentlichkeitswirksame Aktionen durch geführt wurden und einzelne Führungsaktivisten die Szene ver ließen (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). Dem seit einem Jahr amtierenden NPDParteivorsitzenden Widersprüchlicher Holger Apfel gelang es nicht, den bei seinem Amtsantritt ange Parteikurs und kündigten Kurs einer "seriösen Radikalität" umzusetzen. Zudem Verbotsdebatte lastet die erneute Verbotsdiskussion auf der Partei. Hinzu kom belasten NPD men parteiinterne Streitigkeiten, die auch vor der Person Apfels nicht haltmachen (vgl. Kap. III, Nr. 1). Im Rahmen eines provokant betriebenen und maßgeblich durch Islamfeindliche islamfeindliche Agitation gekennzeichneten Landtagswahlkampfs Agitation erhöht der Partei "pro NRW" kam es im Mai 2012 zu gewaltsamen Gefährdungspotenzial 53 RECHTSEXTREMISMUS Ausschreitungen durch salafistische Gegendemonstranten, bei denen mehrere Personen verletzt wurden. Trotz der daraus resul tierenden hohen medialen Präsenz konnte die Partei keinen nen nenswerten Wahlerfolg erzielen und erhielt bei der Landtagswahl lediglich 1,5% der Wählerstimmen (vgl. Kap. III, Nr. 3 und Kap. V, Nr. 2). Rechtsextremistische Zentrales Medium zur Verbreitung rechtsextremistischer Propa Verbreitungsganda bleibt das Internet, das einen kontinuierlichen Bedeutungs strukturen zuwachs verzeichnet. Es dient auch als szeneinternes Kommuni kationsmittel und zur Vernetzung (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Die rechtsextremistische Musikszene ist nach wie vor von her ausragender Bedeutung. In Liedtexten werden offen oder unter schwellig Feindbilder und Ideologiefragmente vermittelt. Die Musik ist geeignet, insbesondere Jugendliche an die rechtsextre mistische Szene heranzuführen und an sie zu binden (vgl. Kap. IV, Nr. 2). 3. Organisationen und Personenpotenzial Weiterer Rückgang Das rechtsextremistische Personenpotenzial betrug Ende 2012 des rechtsextremisnach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften insgesamt 22.150 Per tischen Personensonen und war damit - wie bereits im Vorjahr - abermals leicht potenzials rückläufig (2011: 22.400). Hoher Anteil an Als gewaltbereit werden Personen bezeichnet, die bereits als gewaltbereiten rechtsextremistische Gewalttäter in Erscheinung getreten sind, Rechtsextremisten sich deutlich für die Anwendung von Gewalt aussprechen oder eine hohe Gewaltbereitschaft zeigen. Dem gewaltbereiten Spekt rum sind 9.600 (2011: 9.800) Rechtsextremisten zuzurechnen. Demnach ist annähernd jeder zweite Rechtsextremist als gewalt bereit einzustufen (vgl. Kap. II, Nrn. 1 und 2). Zahl der Neonazis Nach einem stetigen Wachstum in den vergangenen Jahren stag stagniert nierte 2012 die Zahl der Neonazis mit 6.000 (2011: 6.000). Aller dings beträgt ihr Anteil - ausgehend von dem insgesamt rückläu figen Personenpotenzial - nunmehr über ein Viertel des Gesamtpersonenpotenzials (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). 54 RECHTSEXTREMISMUS Die Zahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten ist im Erneuter RückBerichtszeitraum erneut leicht gesunken und beträgt nunmehr gang bei sub7.500 (2011: 7.600). Der Anteil am Gesamtpersonenpotenzial der kulturell geprägten Rechtsextremisten beträgt nach wie vor etwa ein Drittel, liegt Rechtsextremisten jedoch - wie bereits 2011 - über dem Anteil der in rechtsextremis tischen Parteien organisierten Personen und macht damit den größten Anteil am Gesamtpotenzial aus. Die Mitgliederzahl der NPD ist mit 6.000 Personen (2011: 6.300) Mitgliederverluste weiterhin rückläufig. bei NPD Insgesamt können auch die in diesem Jahr erstmals berück sichtigte "pro NRW" (1.000) bzw. die 2012 gegründete Partei "DIE RECHTE" (150) den seit Jahren anhaltenden Trend des Mitgliederrückgangs im rechtsextremistischen Parteienspektrum nicht kompensieren.4 Den sonstigen rechtsextremistischen Organisationen gehörten wie in den Vorjahren rund 2.500 Personen an. 4 Der aufgelösten "Deutschen Volksunion" (DVU) wurden zuletzt 1.000 Personen zugerechnet. 55 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremismuspotenzial1 2010 2011 2012 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 8.300 7.600 7.500 Neonazis2 5.600 6.000 6.000 in Parteien 9.600 7.300 7.150 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 6.600 6.300 6.000 "DIE RECHTE" - - 150 "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW")3 - - 1.000 "Deutsche Volksunion" (DVU)4 3.000 1.000 - Sonstige rechtsextremistische Organisationen 2.500 2.500 2.500 Summe 26.000 23.400 23.150 nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften5 25.000 22.400 22.150 davon gewaltbereite Rechtsextremisten 9.500 9.800 9.600 1 Die Zahlen sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der NeonaziSzene. 3 Die "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW") wird erstmals für das Jahr 2012 in die Übersicht aufgenommen. 4 Die "Deutsche Volksunion" (DVU) hat sich Mitte 2012 endgültig aufgelöst. 5 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen (für das Jahr 2011: 1.000; für das Jahr 2012: 1.000). 4. Rechtsextremistische Kundgebungen Demonstrationen von Die Verfassungsschutzbehörden registrierten im Jahr 2012 insge Neonazis samt 95 neonazistische Demonstrationen. Nach einem stetigen Anstieg in den vergangenen Jahren ist die Zahl der Veranstaltun gen nunmehr erheblich gesunken (2011: 167). Insbesondere die Aktionsform "Die Unsterblichen", unter deren Motto 2011 eine Vielzahl von Demonstrationen stattgefunden hatte, verlor an Bedeutung (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). 56 RECHTSEXTREMISMUS Schwerpunkte neonazistischer Demonstrationen blieben unver ändert die Agitation gegen "staatliche Repression" und den "poli tischen Gegner", Islamfeindlichkeit, soziale und allgemeinpoliti sche Themen sowie die Bombardierungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg. Die Anzahl der von der NPD und ihrer Jugendorganisation "Junge Demonstrationen Nationaldemokraten" (JN) durchgeführten Demonstrationen ist der NPD im Jahr 2012 auf 116 gestiegen (2011: 93). Etwa die Hälfte dieser Demonstrationen stand im Zusammen hang mit dem Versuch der NPD, ihre Kampagnenfähigkeit und Mobilisierungskraft unter Beweis zu stellen: Im Rahmen der sogenannten Deutschlandtour traten im Juli und August 2012 bundesweit in über 50 Städten durchweg Spitzenfunktionäre der Partei bei Kundgebungen u.a. gegen die Europäische Union und den Euro auf. Trotz des reklamierten Erfolgs der Kampagne blie ben die z.T. sehr geringen Teilnehmerzahlen insgesamt hinter den Erwartungen der Initiatoren zurück. Ähnlich verhielt es sich auch mit einer islamfeindlichen Kampagne der NPDLandtagsfraktion Sachsen - hier erfolgten Ende des Jahres Kundgebungen in neun Städten -, zu der ebenfalls nur eine geringe Mobilisierung der eigenen Anhängerschaft gelang (vgl. Kap. III, Nr. 1.2). Dennoch konnte die NPD zu einigen öffentlichen Veranstaltungen an festen oder angemieteten privaten Veranstaltungsorten jeweils rund 1.000 Teilnehmer mobilisieren. Das kulturelle Rahmen programm mit Auftritten rechtsextremistischer Musikgruppen spielte hierbei allerdings eine mindestens ebenso bedeutende Rolle wie die Redebeiträge der dort aufgetretenen Parteifunk tionäre. Die bereits aus den Vorjahren bekannte Tendenz zu kleineren Teilnehmerstärkste regionalen Demonstrationen ohne vorherige Anmeldung hält an. Veranstaltungen Auf diese Weise versucht man, Gegenveranstaltungen und mögli chen Blockaden entgegenzuwirken. Gleichwohl bemüht sich die rechtsextremistische Szene auch weiterhin, Großaufmärsche mit mehr als 1.000 Personen durchzuführen. Dies gelang im Jahr 2012 allerdings noch seltener als im Vorjahr. Ursächlich hierfür dürfte der im Zusammenhang mit dem NSUKomplex verstärkte staat liche Druck auf die Szene sowie die damit einhergehende anhal tende Verunsicherung sein. 57 RECHTSEXTREMISMUS Von den größten rechtsextremistischen Veranstaltungen im Jahr 2012 sind insbesondere die folgenden zu erwähnen: # An der von Neonazis alljährlich durchgeführten Demons tration anlässlich der Bombardierung der Stadt Magdeburg (SachsenAnhalt) im Zweiten Weltkrieg nahmen am 14. Januar 2012 rund 1.200 Personen teil (2011: 1.300). # Zum 67. Jahrestag der Bombardierung Dresdens (Sachsen) im Zweiten Weltkrieg rief die rechtsextremistische Szene zu einer Demonstration am 13. Februar 2012 auf, an der sich bis zu 1.600 Rechtsextremisten beteiligten (2011: 3.000). # Die NPD veranstaltete in Gera (Thüringen) am 7. Juli 2012 das "10. Rock für Deutschland"Konzert. An dieser Veranstaltung nahmen rund 1.000 Rechtsextremisten teil (2011: 700). # Am 11. August 2012 richtete die der NPD nahestehende "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" im mecklenbur gischen Pasewalk ihr jährlich stattfindendes Pressefest aus, zu dem sich rund 1.100 Besucher einfanden (2011: 1.500). Weitere Entwicklung In der rechtsextremistischen Szene wurde die Diskussion über die Wirksamkeit angemeldeter Demonstrationen neu entfacht. Bereits Ende 2011 veröffentlichte die inzwischen durch den Innenminister des Landes Niedersachsen verbotene Organisation "Besseres Hannover" den Beitrag "Demonstrationen - Nützliches politisches Kampfmittel oder Verschwendung der eigenen Kraft?", in dem die Anmeldung von Demonstrationen infrage gestellt wurde, da hierdurch sowohl dem politischen Gegner als auch den Behörden die Möglichkeit geboten werde, die Veranstaltungen zu blockieren bzw. zu verbieten.5 Auch die Redaktion der für die gesamte rechtsextremistische Szene bedeutsamen Internetplattform "Altermedia Deutschland" griff das Thema Ende August 2012 auf. Im Rahmen einer Umfrage ("Sind Demonstrationen noch eine zeitgemäße Aktionsform?") sprachen sich über die Hälfte der abstimmenden Forenteilnehmer gegen die bisherige Form von Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen aus. Als Gründe für die Ablehnung führten sie 5 Homepage "Besseres Hannover" (29. September 2011). 58 RECHTSEXTREMISMUS z.B. häufige Blockadeaktionen von Gegendemonstranten, aber auch die Sinnlosigkeit der Demonstrationen an: "(...) im Allgemeinen spielen Sie unseren Gegnern in die Hände, die Anzahl der Sicht-kontakte halten sich in Grenzen und wenn die Demonstrationen nicht verboten werden ( AKT, Dresden ) sind das meistens kleinere Demonstrationen, welche an den Stadtrand gedrängt werden, vollkommen abgeschirmt werden und der Linke Pöbel wird extra so positioniert, das er uns blockieren kann. Linke fotografieren den ganzen Demonstrationszug ab und werden dabei trotz Illegalität von der Polizei stark unterstützt. Was wirklich was bringt, sind subversive, spontane Aktionen, wie etwa die Unsterblichen. Eine gute Organisationsstruktur die auf Außenwirkung und Bildung viel Wert legt und eine möglichst breite Vernetzung, ich sehe in letzter Zeit viele Lichtblicke, aber ich denke die klassischen Aktions-Strukturen sind nicht mehr Zeitgemäß. Das wird jetzt durch die extreme Repression offensichtlicher, ist aber völlig unabhängig davon." (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 2. September 2012) Die seit Mitte 2011 von Neonazis praktizierte Aktionsform "Die Aktionsform Unsterblichen", mit der für einzelne Veranstaltungen bis zu 300 "Die Unsterblichen" Personen mobilisiert werden konnten, wurde auch im Jahr 2012 genutzt (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). In der zweiten Jahreshälfte hat die Mobilisierungsfähigkeit von Anhängern der Aktionsform "Die Unsterblichen" allerdings deutlich nachgelassen. Ursächlich hierfür dürfte u.a. das Ver bot der neonazistischen Gruppierung "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" im Juni 2012 gewesen sein, die auf ihrer Inter netplattform "Spreelichter" die Aktivitäten dieser Aktionsform z.T. koordiniert und professionell präsentiert hatte. Insgesamt wurden im Jahr 2012 sechs rechtsextremistische Grup pierungen verboten (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). Dies hat zu Mobilisie rungsschwierigkeiten in der Szene beigetragen, denn insbesondere ideologisch bislang noch nicht gefestigte Mitglieder der rechtsext remistischen Szene dürften von einer Teilnahme an Veranstaltun gen Abstand genommen haben, da sie Repressionen des Staates, aber auch Übergriffe durch Linksextremisten befürchteten. 59 RECHTSEXTREMISMUS II. Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene 1. Personenpotenzial Das Personenpotenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken und liegt nunmehr bei rund 9.600 Personen (2011: 9.800). Demnach ist fast jeder zweite Rechtsextremist gewaltbereit. In diesem Potenzial sind Personen berücksichtigt, die als Gewalttäter bekannt sind, sich deutlich für die Anwendung von Gewalt aussprechen oder eine hohe Gewaltbereitschaft, etwa bei Demonstrationen, zeigen. 2. Formen der Gewaltbereitschaft 2.1 Rechtsterrorismus/"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) "NationalsozialisAm 8. November 2012 erhob der Generalbundesanwalt vor dem tischer Untergrund" Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München (Bayern) (NSU) Anklage gegen das mutmaßliche Gründungsmitglied der rechtsterroristischen Gruppierung "Nationalsozialistischer Unter grund" (NSU) Beate Zschäpe sowie vier mutmaßliche Unterstützer und Gehilfen des NSU. Zschäpe werden u.a. die Bildung einer ter roristischen Vereinigung, Mittäterschaft an der Ermordung von neun Mitbürgern ausländischer Herkunft, am Mordanschlag auf zwei Polizeibeamte sowie an versuchten Morden durch zwei Sprengstoffanschläge in Köln vorgeworfen. Zwei der Mitangeklag ten wird Beihilfe zu den neun Mordfällen durch Beschaffung der Tatwaffe angelastet, dem dritten Mitangeklagten wird u.a. Beihilfe zu einem Sprengstoffanschlag und einem Raub und dem vierten Mitangeklagten Unterstützung der terroristischen Vereinigung in drei Fällen vorgeworfen.6 Die umfassenden Ermittlungen des Generalbundesanwalts und des Bundeskriminalamts (BKA) nach Aufdeckung des NSU im November 2011 lassen die Bewertung zu, dass die drei 6 Der Prozess begann am 6. Mai 2013. 60 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremisten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe als gleichberechtigte Mitglieder den Kern des NSU gebil det und sich als einheitliches Tötungskommando verstanden haben, das seine Mordanschläge aus rassistischen und staatsfeind lichen Motiven arbeitsteilig ausführte. Im Zeitraum von 2000 bis 2006 verübte das Trio insgesamt neun Morde an Kleingewerbe treibenden mit Migrationshintergrund im gesamten Bundesge biet ("CeskaMordserie") sowie im April 2007 einen Mord an einer Polizeibeamtin und einen Mordversuch an einem Polizeibeamten in Heilbronn (BadenWürttemberg). Die NSUMitglieder werden zudem verdächtigt, zumindest für zwei Bombenanschläge 2001 und 2004 in Köln (NordrheinWestfalen) verantwortlich zu sein. Darüber hinaus werden ihnen mindestens 15 bewaffnete Raub überfälle zur Last gelegt. Die wahre Identität und terroristische Zielsetzung des Trios Begrenzter war - nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen - nur Unterstützerkreis einem begrenzten Kreis von Unterstützern und Gehilfen bekannt. des NSU So wird den vier mutmaßlichen und ebenfalls angeklagten Unter stützern des NSU Beihilfe zur Verschleierung der wahren Identität der NSUMitglieder vorgeworfen, z.B. durch Überlassen von Rei sepässen und Führerscheinen. Gegen neun weitere ebenso der Unterstützung des NSU verdächtige Rechtsextremisten dauern die Ermittlungen noch an.7 Nach dem Bekanntwerden der Existenz des NSU setzte innerhalb Reaktionen der der rechtsextremistischen Szene eine intensive Diskussion zu die rechtsextremissem Thema ein, die im Laufe des Jahres 2012 jedoch zunehmend tischen Szene abebbte. Auch die Anklageerhebung gegen Zschäpe und die mut maßlichen Unterstützer des NSU führte zu keiner neuerlichen Intensivierung der Diskussionen. Ein Großteil der rechtsextremistischen Kommentare im Internet Keine Identifikation - überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum - ist von Ver mit NSU-Mitglied schwörungstheorien geprägt. So wird der NSU als staatlich bzw. Beate Zschäpe nachrichtendienstlich gesteuerte terroristische Gruppe dargestellt und fortwährend behauptet, Zschäpe sei eine Quelle der Verfas sungsschutzbehörden gewesen. Vereinzelt gipfelt diese Sichtweise 7 Hierzu gehört auch das mit Verfügung vom 28. Januar 2013 durch die Bundsanwalt schaft eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen einen weiteren Rechtsextremisten - den nunmehr 14. Beschuldigten im NSUKomplex - wegen Verdachts der Unter stützung einer terroristischen Vereinigung und anderer Straftaten. 61 RECHTSEXTREMISMUS in Spekulationen über einen staatlich geplanten, als Selbstmord getarnten Mord an Zschäpe, die als Mitwisserin einer Involvie rung staatlicher Stellen in die Gewalttaten des NSU beseitigt wer den solle: "Zschäpe wird das aussagen was ihr im letzten Jahr indoktriniert wurde. Sollte sie es nicht machen, wird sie verunfallen oder verselbstmorden wie die beiden Uwe's Das ist quasi der Abzug der V-Leute." (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 9. November 2012) Solidaritätsbekundungen für Zschäpe bleiben weitgehend aus. Vereinzelt wird sie als Opfer eines politischen Prozesses darge stellt, mit dem versucht werde, das rechtsextremistische Spek trum insgesamt zu stigmatisieren und zu kriminalisieren. So behauptet etwa der stellvertretende Bundesvorsitzende der "Nati onaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) Frank Schwerdt, es werde in dem bevorstehenden NSUProzess nicht darum gehen, "die Wahrheit über zehn Morde schlüssig nachzuwei sen"; vielmehr werde "politische Stimmung" gemacht, indem die Taten des NSU auf eine ausländerfeindliche Stimmung im Lande zurückgeführt würden. Wer mittlerweile in Deutschland "offen oder hinter vorgehaltener Hand die Einwanderung oder Multikulti" anzweifle oder ablehne, werde "schnell in die Nähe von Mördern gebracht". "Bestimmten politischen Kreisen" sei "die Angelegenheit sehr willkommen", um ihr "politisches Süppchen von der 'rechten Gefahr' zu kochen".8 Solidarisierung mit Der angeklagte NSUUnterstützer Ralf Wohlleben erfährt hingegen einem mutmaßlichen größere Solidarität der Szene. So wurde z.B. bei rechtsextremisti NSU-Unterstützer schen Konzerten zu Spenden für ihn aufgerufen. Vor allem Thürin ger Rechtsextremisten forderten über FacebookButtons im Inter net "Freiheit für Wolle" oder boten TShirts mit diesem Slogan an. Zudem erschien Ende September 2012 der MusikSampler "Solida rität IV"9 bei dem bundesweit bedeutsamsten rechtsextremisti schen Vertrieb "PC Records" aus Chemnitz (Sachsen). Auf dem Ton träger veröffentlichten 15 rechtsextremistische Musikgruppen und 8 Frank Schwerdt: "NSU - Das lohnende Dauerthema", Homepage "DSAktuell" (13. November 2012). 9 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste A); vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 28. Juni 2013. 62 RECHTSEXTREMISMUS Liedermacher insgesamt 20 Titel zu den Themenkomplexen "Repression" und "Meinungsfreiheit". In einem speziell Wohlleben gewidmeten Lied ruft die Thüringer Band "SKD" zur Solidarität mit ihm auf: "Schluss mit dem Schweigen, wir werden uns nie distanzieren. Freiheit für Wolle fordern wir, egal wohin der Weg auch geht. Drinnen wie draußen eine Front - Solidarität (...) Wehe wenn du frei im Geiste bist - man sperrt dich weg als Terrorist. Die Hetzjagd hat begonnen - die Presse lässt den Kessel kochen." (Musikgruppe "SKD", CD "Solidarität IV", Lied "Nationale Solidarität") Die überwiegend aus der rechtsextremistischen Szene Thüringens stammenden Unterstützungs und Solidaritätsaktionen für Wohl leben mögen auch in der Anerkennung seiner Verdienste beim Aufbau regionaler rechtsextremistischer Strukturen gründen, zei gen aber vielmehr, dass die mutmaßliche Unterstützung terroristi scher Aktionen nicht aus der Szene ausgrenzt und einer Akzeptanz als Leitfigur sogar förderlich sein kann. Wohlleben ist seit 1995 in NeonaziKreisen aktiv, war von 2006 bis 2008 stellvertretender NPDLandesvorsitzender und verfügt über zahlreiche Kontakte in alle rechtsextremistischen Spektren Thüringens. Die dortige Szene sieht in ihm eine Symbolfigur der staatlichen Unterdrückung nationaler Aktivisten und stellt die Anklageerhebung gegen ihn als staatliche Willkür bzw. als Inszenierung der Medien dar. Seine mut maßliche Beihilfe zu den NSUMorden - etwa durch seine Rolle bei der Beschaffung der Tatwaffe der "CeskaMordserie" - wird bei den Solidaritätsaktionen ausgeklammert. Zu den drei weiteren im NSUVerfahren angeklagten mutmaßlichen Unterstützern des Trios wurden keine Verlautbarungen aus Szenekreisen bekannt. Terrorismus stößt - wie die Gewaltverbrechen des NSU zeigen - Bewertung in extremistischen Zusammenhängen immer auch auf Vorbehalte und Ablehnung. Er ist stets das Werk einer selbsternannten Avantgarde, die hiermit eine Initialzündung für eine offensivere politische Positionierung beabsichtigt. Das ist im Rechtsextremis mus nicht anders. 63 RECHTSEXTREMISMUS Dennoch könnte der Umstand, dass der NSU jahrelang Morde bzw. schwerste Anschläge ohne entsprechende Tatbekennungen ("Taten statt Worte") verübte, die bei Migranten eine erhebliche Unsicherheit und in Teilen der rechtsextremistischen Szene eine gewisse Zustimmung - mutmaßlich auch ohne Kenntnis des rechtsterroristischen Hintergrunds der Taten - erzeugt haben, potenzielle Nachahmer zu entsprechendem Handeln motivieren. Auch ist im gewaltbereiten rechtsextremistischen Spektrum - wenn auch zahlenmäßig eher gering - ein Personenpotenzial vorhanden, das Terrorismus als Handlungsoption in Erwägung zieht. Der Aufklärungsschwerpunkt bei der Arbeit der Sicherheitsbehör den - und in besonderem Maße der Verfassungsschutzbehörden als Frühwarnsystem einer wehrhaften Demokratie - liegt somit auf dem gewaltbereiten Rechtsextremismus, der ein rechtsterro ristisches Handeln zum Erreichen der eigenen politischen Ziele nicht ausschließt. Durch eine personenorientierte Arbeitsweise, verbunden mit dem zielgerichteten Einsatz nachrichtendienst licher Mittel, gilt es, eine mögliche oder weitere Radikalisierung - sowohl von Klein und Kleinstgruppen als auch von Einzel personen - frühzeitig zu erkennen, um terroristische Struktu ren bereits im Anfangsstadium zu zerschlagen. Dafür wird die bundesweite intensive Beobachtung und Analyse der relevanten Personen, aber auch der Organisationen und sich stets verändern den Strukturen, gerade auf das Erkennen und die Bewertung der Faktoren ausgerichtet, die terroristisches Handeln vorbereiten oder begünstigen können, z.B. das Vorhandensein größerer Geld mengen oder Hinweise auf Überlegungen zu deren Beschaffung, Bemühungen um den Aufbau von Netzwerken und Gruppierun gen im In und Ausland zur Umgehung staatlicher Überwachung in Deutschland, Hinweise auf eine beabsichtigte oder bereits durchgeführte Ausbildung an Waffen und Sprengstoffen oder die Beschaffung bzw. das Vorrätighalten solcher Gegenstände. Ein intensiver Austausch sämtlicher relevanter Informationen im Verbund der Sicherheitsbehörden soll die Gewähr dafür bieten, dass künftig Erkenntnisse schneller zusammengeführt und entsprechende Gegenmaßnahmen abgestimmt und getrof fen werden können. Mit der Einrichtung des Gemeinsamen Abwehrzentrums Rechtsextremismus (GAR) zur Bekämpfung des 64 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremismus/terrorismus im Dezember 2011 und dessen Erweiterung zum Gemeinsamen Extremismus und Terrorismus abwehrzentrum (GETZ) im November 2012 wurden die organi satorischen Voraussetzungen verbessert, die Fachexpertise aller Sicherheitsbehörden unmittelbar zu bündeln, um einen mög lichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustel len und die notwendigen weiteren Maßnahmen einzuleiten (vgl. Berichtsteil Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. II). 2.2 Gewaltpotenzial Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, verbunden mit Hass und Ablehnung von Demokratie und pluralistischer Gesellschaft, bil den den Nährboden für rechtsextremistische Gewalttaten. Eine Abwertung und Entmenschlichung von Angehörigen erkannter Feindbilder fördert ein Sinken der Hemmschwelle zur Gewalt anwendung. Der in Teilen der Szene gepflegte Gewaltkult, der mit der Verherrlichung von "kriegerischsoldatischer Tugend" einhergeht, wirkt sich ebenfalls auf Gewaltbefürwortung und anwendung aus. In einem solchen Umfeld finden Gewalttaten statt, Terroranschläge sind möglich. Jenseits herausragender rechtsterroristischer Taten wird rechts extremistische Gewalt weiterhin überwiegend spontan verübt. Häufig erfolgen solche Taten aus einer Situation heraus, in der Rechtsextremisten - einzeln oder in kleinen Gruppen - auf Perso nen treffen, die den typischen rechtsextremistischen Feindbildern entsprechen. Im Verlauf rechtsextremistischer Demonstrationen bilden Gewalttaten meist die Ausnahme. Das Aggressionspoten zial entlädt sich vielmehr in Straftaten, die während der An und Abreise zu solchen Veranstaltungen begangen werden. Bei Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der rechts und linksextremistischen Szene ist je nach personeller Stärke, Organisationsgrad und Aggressionspotenzial zuweilen auch ein Übergang von spontanen zu geplanten Aktionen zu verzeichnen. So trägt das Anlegen und Verbreiten von Listen mit Daten politi scher Gegner, sei es über das Internet oder nur im kleinen Kreise, zur Verschärfung der Gefährdungslage bei - insbesondere, wenn sich auf beiden Seiten das Aggressionspotenzial aufgrund verbaler Attacken und "OutingAktionen" aufgeschaukelt hat. Ungeachtet 65 RECHTSEXTREMISMUS dessen, ob Ziel und Zweck solcher Auflistungen zwingend die unmittelbare Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner ist, werden dadurch potenziellen Tätern Ziele präsentiert. Affinität der Szene Darüber hinaus stellt die Affinität von Rechtsextremisten zu Waf zu Waffen und fen und Sprengstoff, insbesondere der Besitz von Waffen, Waffen Sprengstoff teilen und Munition, eine latente Gefährdung dar. Aktuelle Erkenntnisse aus Exekutivmaßnahmen, die 2012 gegen die rechtsextremistische Szene durchgeführt wurden - hier ins besondere die Verbote neonazistischer Gruppierungen - belegen Waffenbesitz bzw. affinität von Angehörigen des rechtsextremis tischen Spektrums: # Am 3. Mai 2012 fanden bei 16 Angehörigen der neonazis tischen Gruppierung "Jagdstaffel D.S.T." ("DeutschStolzTreu") Durchsuchungsmaßnahmen der bayerischen Polizei statt, bei denen u.a. scharfe Munition, erlaubnispflichtige Schusswaffen und eine Vielzahl an verbotenen Gegenständen beschlag nahmt wurden, so z.B. Schlagringe und Messer. # Am 10. Mai 2012 verbot der Innenminister des Landes NordrheinWestfalen die im Raum Köln angesiedelte neona zistische "Kameradschaft Walter Spangenberg". Im Rahmen der 19 vollstreckten Durchsuchungsbeschlüsse in Nordrhein Westfalen und RheinlandPfalz stellte die Polizei u.a. zwei erlaubnispflichtige Schusswaffen sowie weitere Hieb und Stichwaffen sicher. # Am 7. Juli 2012 fanden in Berlin, Brandenburg und Nordrhein Westfalen Durchsuchungsmaßnahmen bei fünf Angehörigen der gewaltbereiten NeonaziSzene statt. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, die Bildung einer bewaffneten Gruppe beabsichtigt zu haben. Im Vorfeld der Maßnahmen wurden anlässlich von Ermittlungen im Zusammenhang mit dem natürlichen Tod einer Person aus dem Umfeld der Betroffenen zahlreiche Waffen und Munition sichergestellt. Die Ermittlun gen zum Sachverhalt dauern noch an. # Bei Durchsuchungen im Zuge der Verbotsmaßnahmen gegen die neonazistischen Gruppierungen "Nationaler Wider stand Dortmund" (NWDO), "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) und "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm) wurden am 23. August 2012 u.a. Schusswaffen, Schlagwerkzeuge, Stichwaf fen sowie chemische Materialien (Schwarzpulver und Dünge mittel) beschlagnahmt. 66 RECHTSEXTREMISMUS Neben illegalen Waffen stellen die Sicherheitsbehörden bei Exe kutivmaßnahmen gegen Rechtsextremisten regelmäßig auch erlaubnisfreie Schusswaffen wie Softair bzw. GotchaWaffen oder funktionsunfähige DekoWaffen fest. Deren Kauf und Besitz sind zwar legal, gleichwohl stellen auch diese Waffen ein Gefahren moment dar, z.B. weil ihre Funktionsfähigkeit wiederhergestellt werden kann. Der auch diesbezüglich intensivierte Informationsaustausch zwi schen Nachrichtendiensten und Polizei hat den Ermittlungsdruck auf Angehörige des gewaltbereiten rechtsextremistischen Spek trums deutlich erhöht. 3. Rechtsextremistische Strukturen mit überwiegender Gewaltbereitschaft 3.1 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Die subkulturell geprägten Rechtsextremisten definieren sich Abnehmende hauptsächlich über szenetypische Musik und den damit verbun Bedeutung der denen Lebensstil. Diese Szene unterliegt bereits seit Jahren einem subkulturell Wandel: Insbesondere die SkinheadSubkultur, die in den 1980er geprägten und 1990er Jahren die gewaltbereite rechtsextremistische Szene Rechtsextremisten maßgeblich geprägt hatte, büßte weiter an Attraktivität für Jugendliche ein. Seit 2006 sinkt die Zahl der subkulturell geprägten Rechtsextre Personenpotenzial misten kontinuierlich. Auch 2012 war das Personenpotenzial wei weiter rückläufig ter rückläufig und liegt mit rund 7.500 Personen (2011: 7.600) um rund 30% niedriger als noch im Jahr 2006. Die eher lockeren Zusammenschlüsse innerhalb der subkulturell geprägten rechts extremistischen Szene haben in der Regel einen engen lokalen und regionalen Bezug. Hinzu kommen rechtsextremistische Musikgruppen und deren Umfeld. Dabei handelt es sich um Per sonen, die einschlägige Publikationen herausgeben, Homepages betreiben, Konzerte organisieren, entsprechende Musik vertreiben oder als Besucher rechtsextremistischer Konzerte den größten Teil der subkulturellen Szene ausmachen. 67 RECHTSEXTREMISMUS Merkmale Das Weltbild von Angehörigen rechtsextremistischer Subkulturen subkulturell ist nicht in sich geschlossen, sondern wird von einzelnen rechtsex geprägter tremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beein Rechtsextremisten flusst und geprägt. Aktivitäten mit Erlebnischarakter stehen im Vordergrund, etwa der Besuch einschlägiger Musikveranstaltun gen oder die Teilnahme an Demonstrationen. Ihnen fehlt der Wille zu Ideologiediskussionen und dauerhaften politischen Aktivitäten sowie zur Einbindung in feste organisatorische Strukturen. Hammerskins Die einzige bundesweit aktive SkinheadOrganisation ist die deutsche Sektion der international agierenden "Hammerskins". Die "Hammerskins" wurden 1988 in den USA mit dem Ziel gegründet, die Skinheads in einer sogenannten Hammerskin Nation zu vereinen. Die Aktivitäten der regional untergliederten Organisation ("Chapter") konzentrieren sich auf die Selbstorgani sation der "Hammerskin"Bewegung sowie die Planung und Durchführung rechtsextremistischer Konzerte. In Deutschland traten die "Hammerskins" erstmals zu Beginn der 1990er Jahre in Erscheinung. Die derzeit rund zehn deutschen "Chapter" entfalten abseits von Konzertveranstaltungen kaum öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Zu Musikveranstaltungen im Inland reisen dabei bis zu 200 Szeneangehörige aus dem ganzen Bundesgebiet an. Weitaus größere Zuschauerzahlen erreichen die "Hammerskins" jedoch bei im Ausland organisierten Konzerten. So reisten im November 2012 etwa 1.500 Teilnehmer aus ganz Europa zum jährlich stattfindenden und von deutschen Rechtsex tremisten mit organisierten "Hammerfest" nach Toul (Frankreich). Anders als die im Jahr 2000 verbotene Organisation "Blood & Honour" (vgl. Berichtsteil Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VII) konnten die "Hammerskins" aufgrund ihres elitären Selbstverständnisses keine dominierende Stellung innerhalb der subkulturellen rechtsextremistischen Szene erlangen. Honour & Pride Neben den "Hammerskins" existiert mit "Honour & Pride" eine weitere, jedoch wesentlich kleinere Gruppierung im Bereich des subkulturellen Rechtsextremismus. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten bildet die Organisation und Durchführung von rechtsextremistischen Konzerten: Am 26. Mai 2012 organisierte "Honour & Pride" in SchwanebeckNienhagen (SachsenAnhalt) das mit etwa 1.800 Besuchern größte rechtsextremistische Kon zert in Deutschland in diesem Jahr. 68 RECHTSEXTREMISMUS Kontakte zwischen Szeneangehörigen werden sowohl überregio Vernetzung nal als auch international, insbesondere bei Konzerten oder sons tigen rechtsextremistischen Veranstaltungen, über Internetforen sowie soziale Netzwerke geknüpft. Szeneangehörige, die als Band mitglieder oder im Musikvertrieb aktiv sind, nutzen darüber hin aus häufig ein auf persönlichen Kontakten beruhendes informel les Netzwerk. Die eventorientierten subkulturell geprägten Rechtsextremisten Rekrutierungsfeld für nehmen wegen der Möglichkeit, mit anderen Szeneangehörigen Neonazis und NPD in Kontakt zu treten, häufig an rechtsextremistischen Veranstal tungen, insbesondere der NeonaziSzene, aber auch der NPD, teil. Sie lassen sich in hohem Maße für Demonstrationen mobilisieren und werden überdies sowohl von neonazistischen Kameradschaf ten als auch von der NPD als Rekrutierungsfeld gesehen. Ein Merkmal der subkulturellen rechtsextremistischen Szene ist Gewaltpotenzial die relativ niedrige Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt. So der subkulturellen kommt es auf Konzertveranstaltungen - angeheizt durch Musik rechtsextremistimit aggressiven Texten und erhöhten Alkoholkonsum - nicht sel schen Szene ten auch zu körperlichen Auseinandersetzungen untereinander. Ebenso begehen Angehörige dieses Spektrums - überwiegend situativ - Gewalttaten gegenüber Personen, die dem eigenen Feindbild entsprechen: Am 29. April 2012 griff ein Angehöriger der subkulturellen rechts extremistischen Szene beim Besuch eines Volksfestes in Luther stadt Eisleben (SachsenAnhalt) eine zehnköpfige Familie aus Syrien an und fügte hierbei einer Person schwere Kopfverletzun gen zu. Zwei weitere, nachträglich hinzugekommene Personen, die in der Vergangenheit bereits durch rechtsextremistisch moti vierte Staatsschutzdelikte in Erscheinung getreten waren, betei ligten sich an dem Angriff und fügten weiteren Angehörigen der syrischen Familie Verletzungen zu. Am 27. Dezember 2012 wurde vor dem Amtsgericht (AG) Eisleben gegen die mutmaßlichen Täter Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung erhoben. Die Tat - wie auch ähnliche Gewalttaten in der Vergangen heit - belegt exemplarisch die grundsätzliche Gewaltbereitschaft von Angehörigen der subkulturellen rechtsextremistischen Szene gegenüber Dritten und den Willen, auf tatsächliche oder 69 RECHTSEXTREMISMUS vermeintliche Konflikte situativ und z.T. exzessiv mit körperlicher Gewalt zu reagieren. 3.2 Neonazistische Strukturen Ideologie Grundlage und feste Bezugsgröße des neonazistischen Spektrums ist der historische Nationalsozialismus mit den prägenden Ideolo gieelementen des Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus und Antipluralismus. Ziel von Neonazis ist ein eth nisch homogener, diktatorischer Staat. Rechte des Einzelnen, Mei nungsvielfalt und Pluralismus haben in der von ihnen angestrebten "Volksgemeinschaft", die Menschen fremder Kulturen und solche ausschließt, die aufgrund von Behinderungen, sexueller Orientie rung oder sozialer Marginalisierung als "unwert" bezeichnet werden, keinen Platz. Das Individuum soll sich dem vorgegebenen Gesamt willen unterordnen. Historische Tatsachen werden in revisionisti scher Weise bis hin zur Holocaustleugnung umgedeutet. Ethnische Vielfalt und pluralistische Gesellschaft bedrohen aus Sicht der Neo nazis die Existenz des eigenen Volkes. Der demokratische Rechts staat in seiner Gesamtheit wird als "Besatzerregime" abgelehnt. Trotz gemeinsamer ideologischer Grundelemente ist die neona zistische Szene nicht homogen, die Ideologieelemente innerhalb der Personenzusammenschlüsse sind unterschiedlich ausgeprägt. Insbesondere bei jüngeren Neonazis prägen antiamerikanische, antikapitalistische und antiimperialistische - und damit z.T. glo balisierungskritische - Einstellungen das jeweilige Weltbild. Das Spektrum reicht von Gruppen mit einem subkulturellen Einschlag über eine zunehmende Zahl von Gruppierungen, die für ideologische Varianten des Nationalsozialismus und die Über nahme neuer Verhaltensweisen aufgeschlossen sind, bis hin zu Aktivisten und Gruppen, die weiterhin eine Wiederherstellung des historischen Nationalsozialismus anstreben. Konstantes Dem neonazistischen Spektrum sind im Jahr 2012 insgesamt Personenpotenzial 6.000 Personen (2011: 6.000) zuzurechnen. Damit hat sich der seit 2003 zu beobachtende kontinuierliche Anstieg nicht weiter fort gesetzt. Allerdings fühlen sich insbesondere Jugendliche nach wie vor durch den Eventcharakter neonazistischer Veranstaltungen angesprochen und finden hier einen ersten Zugang zu diesem 70 RECHTSEXTREMISMUS Spektrum bzw. der dahinter stehenden Ideologie. Auch bei erleb nisorientierten Rechtsextremisten, die in der Vergangenheit eher über das subkulturelle Spektrum, vor allem durch die einschlägige Musik, Zugang zur Szene bekamen, finden die aktionsorientierten neonazistischen Gruppierungen Anklang. Der Anteil männlicher Aktivisten ist weiterhin überproportional hoch. Frauen können sich in der Szene aufgrund des vorherr schenden reaktionären Frauenbildes nur schwer Akzeptanz ver schaffen; in Führungspositionen sind sie nur selten vertreten. Der in den vergangenen Jahren festgestellte Abbau von Struktu Geringe ren innerhalb der neonazistischen Szene setzt sich weiter fort. Die OrganisationsMehrzahl der überwiegend regionalen Gruppierungen verzichtet struktur auf feste Organisationsformen, um Vereinsverbote zu erschweren und um möglichst wenig Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermitt lungsverfahren gegen Mitglieder der Gruppierungen zu bieten. Zudem erfordern die geringe Größe der Gruppen, die räumliche Nähe und der persönliche Kontakt der Aktivisten untereinander keinen ausgeprägten Organisationsgrad. Einige neonazistische Gruppierungen sind in überregionale Vernetzung Aktionsbündnisse eingebunden, in denen hauptsächlich die Füh rungsaktivisten der einzelnen regionalen Gruppen vertreten sind. Der Einsatz moderner Informations und Kommunikationsme dien in Bezug auf gruppeninterne und gruppenübergreifende Aktivitäten, Aktionsformen und Mobilisierungen gewinnt zuneh mend an Bedeutung. Allerdings können die virtuellen Vernet zungsmöglichkeiten das Gemeinschaftsgefühl und die Gruppen zugehörigkeit, welche die neonazistische Ideologie prägen, nur ergänzen, jedoch nicht ersetzen. Die politische Betätigung spielt für Angehörige der neonazistischen Aktivitäten und Szene sowohl innerhalb als auch außerhalb der Gruppe eine wich thematische tige Rolle. Insbesondere öffentlichkeitswirksame Aktionen sind für Schwerpunkte Szeneangehörige von Bedeutung. Die Mehrzahl der Gruppen führt regelmäßige Treffen durch, bei denen z.B. politische Schulungen abgehalten und gemeinsame Aktionen vorbereitet werden. Bei internen Treffen hat die positive Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus weiterhin Bedeutung, nach außen werden ent sprechende Inhalte wesentlich verhaltener formuliert oder sogar vermieden. Dies ist vor allem auf die mögliche strafrechtliche 71 RECHTSEXTREMISMUS Relevanz entsprechender Äußerungen und die mangelnde Akzep tanz dieser Einstellungsmuster in der Bevölkerung zurückzufüh ren. Neonazistische Gruppierungen treten über ihre Internetpräsen zen in Erscheinung, die sowohl zur Selbstdarstellung als auch als Kommunikationsplattform genutzt werden. So werden z.B. via Internet Propagandamittel und materialien veröffentlicht und Demonstrationen geplant bzw. im Nachgang bewertet. Kundge bungen finden etwa an Jahrestagen der Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg statt oder greifen aktuelle tagespoli tische Themen auf wie die Auswirkungen der Eurokrise, die Ände rung des Asylrechts, Auslandseinsätze der Bundeswehr oder die Bestrafung von Sexualstraftätern. Neonazis gerieren sich bei der artigen Veranstaltungen als Interessenvertreter der Bevölkerung. Gewaltbereitschaft Während situative Gewalttaten in der Regel eher von subkulturell der neonazistischen geprägten rechtsextremistischen Einzeltätern ohne erkennbare Szene Szeneanbindung begangen werden, sind geplante und zielgerich tete rechtsextremistische Straf und Gewalttaten eher dem neona zistischen Spektrum zuzurechnen. Die Gewalt und Waffenaffini tät, die der neonazistischen Ideologie immanent sind, begünstigen eine derartige Entwicklung. Verstärkt wird diese Tendenz durch die in der Szene verbreitete ideologische Festlegung von Feindbil dern und die Kampfbereitschaft. Dies kann bei einzelnen Personen oder Kleinstgruppen dazu führen, dass sie sich als Kämpfer verste hen, die ihre politischen Ziele auch mit Gewalt verfolgen. Rechts-Links-AusTrotz der zeitlichen und örtlichen Nähe von rechtsextremistischen einandersetzungen Demonstrationen und Gegendemonstrationen unter Beteiligung sowie Aktionen gegen von Linksextremisten verübten Rechtsextremisten Straf und den politischen Gewalttaten gegen politische Gegner eher im Zusammenhang mit Gegner den An und Abreisen zu den Versammlungsorten als während der Veranstaltungen. Zudem ist zwischen Angehörigen der rechts und linksextre mistischen Szene ein Aufschaukeln zu Straf und Gewalttaten im Rahmen regionaler Auseinandersetzungen festzustellen. Von Bedeutung sind hier insbesondere "OutingAktionen", bei denen Daten von Angehörigen der linksextremistischen Szene etwa über das Internet verbreitet werden. Derartige Veröffentlichungen kön nen - auch wenn sie nicht mit konkreten Aufrufen zu Aktionen 72 RECHTSEXTREMISMUS bzw. Gewaltaufrufen verbunden sind - Szeneangehörigen Ziele vorgeben und sie zu Straftaten animieren. Ziel rechtsextremistischer Straftaten sind nicht nur Links extremisten, sondern darüber hinaus auch Personen, die aufgrund ihres Einsatzes gegen den Rechtsextremismus als politische Geg ner wahrgenommen werden. Die Bereitschaft zu Übergriffen von Rechtsextremisten gegen Übergriffe auf Einrichtungen und Mitglieder von Parteien ist weiterhin hoch. Einrichtungen und So kam es im Spätsommer und Herbst 2012 in Berlin z.T. unter Mitglieder von Bezugnahme auf Verbote rechtsextremistischer Vereine in Parteien NordrheinWestfalen zu einer Serie von Gewaltdelikten mit unter schiedlicher Schadensintensität, die sich vorrangig gegen Einrich tungen und Wohnobjekte von Mitgliedern oder Ortsverbänden der SPD sowie der Jugendorganisation Sozialistische Jugend Deutschlands - Die Falken (SJD) und gegen die Partei DIE LINKE richteten. Einzelne Zielobjekte - z.B. das Wohnhaus eines Mitglieds der Partei DIE LINKE, an dem eine Fensterscheibe durch Steinwürfe beschädigt und der Briefkasten mit einem illegalen, gefährlichen Feuerwerkskörper gesprengt wurde - waren auf im Internet ein gestellten "Outing"Listen des Netzwerks "Nationaler Widerstand Berlin" benannt worden. Die "Autonomen Nationalisten" traten in den vergangenen Jahren "Autonome als besonders aktions, gewalt und jugendorientierter Bereich der Nationalisten" neonazistischen Szene in Erscheinung. Sie übernahmen von Linksextremisten sowohl Aktionsformen als auch Themenfelder und wirkten nach außen - verglichen mit anderen Teilen der Szene - weniger offensichtlich rechtsextremistisch. Dadurch gelang es ihnen, insbesondere jüngere Menschen zu erreichen. Ideologische Basis der "Autonomen Nationalisten" bleibt jedoch nach wie vor der historische Nationalsozialismus. Der bereits 2011 festgestellte Trend einer Übernahme der Vor gehensweisen, des äußeren Erscheinungsbildes und der Akti onsziele der "Autonomen Nationalisten" durch andere Teile der neonazistischen Szene hat sich verfestigt. Im Vergleich zu den Vorjahren ist allerdings ein Rückgang der Formierung in "Schwar zen Blöcken" festzustellen. Die Selbstverortung neonazistischer 73 RECHTSEXTREMISMUS Personenzusammenschlüsse als "Autonome Nationalisten" wird mittlerweile im Sinne eines modernen Selbstverständnisses, quasi als Trendmarke, unabhängig von der Frage der Gewaltbereitschaft praktiziert. Die Angleichung lässt eine zahlenmäßige Bezifferung des Personenpotenzials der "Autonomen Nationalisten" nicht mehr zu. Aktionsform Auch 2012 fanden - zumindest zum Jahresbeginn - wieder Aktio "Die Unsterblichen" nen in dem jugendaffinen und eventorientierten Aktionsformat "Die Unsterblichen" statt. Hierbei handelt es sich um flashmobar tige, meist in den späten Abendstunden durchgeführte Fackel märsche, bei denen die einheitlich dunkel gekleideten Teilnehmer weiße "Totenmasken" tragen und häufig Pyrotechnik einsetzen. Daneben kam es erneut zu Aktionen, bei denen sich eine meist geringe Anzahl von Szeneangehörigen in derselben Aufmachung für eine kurze Zeit an unpolitischen Veranstaltungen - z.B. Volks festumzügen - beteiligte und einschlägige Banner mit politischen Aussagen mitführte oder Propagandamaterial verteilte. Die diese Aktionsform kennzeichnende "gesichtslose" Erschei nung erzeugt bei den Teilnehmern ein Gefühl der Geschlossen heit, der Zugehörigkeit zu einer homogenen Gemeinschaft, hinter der das Individuum zurücktritt. Berichte zu den auch 2012 friedlich durchgeführten Aktionen wurden im Nachgang über das Internet verbreitet. Die medi ale Aufbereitung in Form von Videos mit heroisierender Verto nung - aber auch unter Verwendung unpolitischer Musikstücke bekannter Popgruppen - sowie professionelle Schnitttechniken waren den Akteuren auch 2012 ebenso wichtig wie die Durch führung der Aktionen selbst. Filmaufnahmen suggerierten durch taktisch gewählte Veranstaltungsorte (vorzugsweise enge Gassen, Tunnel etc.) und wiederkehrende Bildüberschneidungen eine erhebliche Zahl von Demonstrationsteilnehmern, die tatsächlich selten mehr als 50 betrug. Mit der Verbreitung im Internet, in sozialen Netzwerken und Foren wurde eine höchstmögliche Pro pagandawirksamkeit und häufige Nachahmung derartiger Aktio nen angestrebt. Mit dem Verbot der "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" durch den Innenminister des Landes Brandenburg am 19. Juni 2012 verlor die Aktionsform "Die Unsterblichen" 74 RECHTSEXTREMISMUS allerdings an Bedeutung. Hinzu kam ein deutlicher technischer Qualitätsverlust der Interneteinstellungen, was darauf zurückzu führen ist, dass die Aktivisten der Vereinigung unter der Bezeich nung "Spreelichter" eine Vorreiterrolle bei der Darstellung dieser Aktivitäten eingenommen hatten. Agitatorisch eingebettet ist die Aktionsform "Die Unsterblichen" Aktionen als Teil der in die Kampagne gegen den sogenannten Volkstod, die 2008 von "Volkstodkampagne" Mitgliedern der Gruppierung "Widerstandsbewegung in Südbran denburg" initiiert wurde und ein Aussterben des deutschen Volkes durch "Überfremdung", Geburtenrückgang und Abwanderung thematisiert. Unter der Losung "Die Demokraten bringen uns den Volkstod" wird das demokratische Staatssystem für diese Ent wicklung verantwortlich gemacht. Das Schlagwort "Volkstod" mit einem eindeutigen Bezug zu Ideologie und Terminologie des Nationalsozialismus steht bewusst im Mittelpunkt der Kampagne. Das Bundesverwaltungsgericht hat am 19. Dezember 2012 die Rechtskräftiges Klage der neonazistischen "Hilfsorganisation für nationale politi Verbot der HNG sche Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) gegen das am 1. September 2011 durch den Bundesminister des Innern ausge sprochene Vereinsverbot abgewiesen.10 Durch diese Verbotsmaß nahme wurde eine bundesweit agierende neonazistische Struktur zerschlagen (vgl. Berichtsteil Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VII). Im Jahr 2012 erhöhten die Sicherheitsbehörden durch zahlreiche Exekutivmaßnahmen Exekutiv und Verbotsmaßnahmen den Druck auf Angehörige der gegen "Aktionsbüro gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene. Mittelrhein" Am 13. März 2012 durchsuchte die Polizei die Wohnungen von 33 Angehörigen und Unterstützern des neonazistischen "Akti onsbüros Mittelrhein" (AB Mittelrhein) in BadenWürttemberg, NordrheinWestfalen, RheinlandPfalz und Thüringen. Der Exe kutivmaßnahme, bei der 24 Personen vorläufig festgenommen und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt wurde, liegt ein im Jahr 2010 eingeleitetes Ermittlungsverfahren der Staatsan waltschaft Koblenz (RheinlandPfalz) wegen Bildung und Mit gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, gefährlicher Körper verletzung, schweren Landfriedensbruchs und Verwendens von 10 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Dezember 2012, Az. 6 A 6.11. 75 RECHTSEXTREMISMUS Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zugrunde, das im Juni 2012 zur Erhebung der Anklage führte. Den Betroffenen werden insbesondere Straftaten im Rahmen ihrer "AntiAnti fa"Aktivitäten vorgeworfen. Sie sollen Informationen über poli tische Gegner (Angehörige der regionalen und überregionalen linksextremistischen Szene) gesammelt haben und sodann "offen gewalttätig" gegen diese vorgegangen sein. Die Festnahmen von zwei überregional bekannten Führungsak tivisten des neonazistischen Spektrums aus NordrheinWestfalen im Verlauf der polizeilichen Ermittlungen beeinträchtigten die Organisations und Mobilisierungsfähigkeit zumindest der regi onalen Szene im Rheinland erheblich: Bei mehreren rechtsextre mistischen Demonstrationen waren deutlich geringere Teilneh merzahlen festzustellen. Die Szene reagierte auf die Festnahmen von diversen Führungskadern der verbotenen Organisationen bundesweit mit Solidaritätsaktionen, in deren Verlauf u.a. meh rere Spendenkonten zur Unterstützung der inhaftierten Rechts extremisten eingerichtet wurden. Der Bundesvorsitzende der Partei "DIE RECHTE" Christian Worch meldete zudem für den 18. August 2012 in Koblenz (RheinlandPfalz) eine Demonstration unter dem Motto "Weg mit SS129 StGB11 - Freiheit für alle politi schen Gegner" an, an der sich rund 200 Rechtsextremisten betei ligten. Weitere Verbote Im Berichtszeitraum 2012 wurden insgesamt sechs neonazistische neonazistischer Vereinigungen aufgrund ihrer gegen die freiheitliche demokrati Organisationen sche Grundordnung gerichteten Agitation durch die jeweiligen Innenminister der Länder verboten. Überwiegend handelte es sich um Gruppierungen mit besonderer Relevanz für die Szene, die als Initiatoren und Koordinatoren gemeinsamer Vorhaben fungierten und zu einer hohen Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Szene beigetragen hatten. Am 10. Mai 2012 wurde in NordrheinWestfalen die überwiegend im Kölner Raum aktive "Kameradschaft Walter Spangenberg"12 verboten. Der damalige Kameradschaftsführer war bereits von den Exekutivmaßnahmen gegen das "AB Mittelrhein" im März 2012 betroffen und kurzzeitig inhaftiert. 11 Der Paragraph 129 StGB sanktioniert die Bildung einer kriminellen Vereinigung. 12 Die Kameradschaft benannte sich nach dem früheren Kölner SAMitglied Walter Spangenberg. 76 RECHTSEXTREMISMUS Mit Wirkung vom 19. Juni 2012 wurde mit der "Widerstandsbe wegung in Südbrandenburg" das größte und aktivste Netzwerk in Brandenburg verboten. Die Gruppierung hatte maßgeblichen Anteil an der Entwicklung und Durchführung der Aktionsform "Die Unsterblichen". Am 23. August 2012 wurden in NordrheinWestfalen zeitgleich Verbote gegen die drei neonazistischen Vereinigungen "Kamerad schaft Aachener Land" (KAL), "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm) sowie "Nationaler Widerstand Dortmund" (NWDO) ausgespro chen. In diesem Zusammenhang wurden fast 150 Verbotsverfü gungen zugestellt und rund 170 Objekte durchsucht. Diese Exeku tivmaßnahmen wurden in der rechtsextremistischen Szene stark thematisiert: Die Verbote wurden verhöhnt und als wirkungslos dargestellt. So bezeichnete z.B. Christian Worch die Verbots maßnahmen als "Ausdruck der politischen Hilflosigkeit" und als Unterdrückungsmaßnahmen gegen ein Volk, in dem es "gärt".13 Die am 25. September 2012 verbotene neonazistische Grup pierung "Besseres Hannover" aus Niedersachsen hatte insbe sondere durch fremdenfeindlich motivierte Propagandaaktionen ("AbschieBär") Aufsehen erregt (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Nach den Exekutivmaßnahmen sind öffentlichkeitswirksame Wirkung der Verrechtsextremistische Aktionen zurückgegangen. Das Verbot der botsund Exekutiv"Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" hat die dort zur Ver maßnahmen fügung gestellten virtuellen Vernetzungsstrukturen erkennbar gestört. Einige Aktivisten der verbotenen Organisationen haben der rechtsextremistischen Szene mittlerweile den Rücken gekehrt. Es ist allerdings davon auszugehen, dass sich der aktive Kern der jeweiligen Gruppierungen auch weiterhin in anderen rechtsex tremistischen bzw. neonazistischen Strukturen betätigen wird. Neonazistische Führungspersonen des NWDO und der KS Hamm beteiligten sich bereits kurz nach dem Verbot ihrer Organisatio nen an der Gründung des Landesverbandes NordrheinWestfalen der Partei "DIE RECHTE" (vgl. Kap. III, Nr. 2). 13 Homepage "DIE RECHTE" (23. August 2012). 77 RECHTSEXTREMISMUS Nachhaltige Auswirkungen hatte indes der Rückzug eines Füh rungsaktivisten der im Mai 2012 verbotenen "Kameradschaft Walter Spangenberg". Er war zuvor über viele Jahre bundesweit in der Szene aktiv und fungierte als Redner oder Anmelder rechts extremistischer Veranstaltungen. Mit seinem Ausstieg verlor die neonazistische Szene einen Agitator mit hohem Mobilisierungs potenzial. Radikalisierungstendenzen als Reaktion auf die Maßnahmen der Sicherheitsbehörden sind nicht auszuschließen, wenngleich kon krete Hinweise hierzu bislang nicht vorliegen. Besonders stark ideologisierte und dem Kampf für die politischen Ziele ver schriebene Aktivisten setzen ihre Aktivitäten ungeachtet staatli cher Maßnahmen zumeist fort. Aufrufe zu einer konspirativeren Vorgehensweise nach den Verboten deuten darauf hin, dass die rechtsextremistische Szene möglicherweise versuchen könnte, sich - auch zum Schutz vor weiteren staatlichen Maßnahmen - in Teilen stärker abzuschotten. In der Vergangenheit zeigten ähnli che Aufrufe jedoch selten eine längerfristige Wirkung. Verhältnis der Der weitaus größte Teil der NeonaziSzene kooperiert mit der Neonazis zum rechtsNPD und unterstützt diese regelmäßig. Aufgrund ideologischer extremistischen Gemeinsamkeiten und persönlicher Kontakte findet eine Zusam Parteienspektrum menarbeit z.B. im Rahmen von Wahlkämpfen statt. Angehörige des neonazistischen Spektrums fühlen sich aus Verbundenheit zu Führungsfunktionären der NPD, die ihre Wurzeln in der Neonazi Szene haben, zur Unterstützung der Partei verpflichtet und spe kulieren z.T. auch darauf, aus etwaigen Wahlerfolgen der NPD persönlichen Nutzen ziehen zu können. Ein Teil des neonazisti schen Spektrums distanziert sich hingegen von der NPD und wirft ihr eine "weichgespülte" Ideologie vor. In Teilen wird der Partei und ihren Funktionären aufgrund zurückliegender Skan dale nicht zugetraut, dauerhafte politische Erfolge zu erzielen. In einigen Regionen Deutschlands haben sich die Spannungen zwi schen der NPD und den "Freien Nationalisten" verschärft. Die 2012 gegründete Partei "DIE RECHTE" (vgl. Kap. III, Nr. 2) könnte sich zum Sammelbecken für die neonazistische Szene entwickeln. Dafür spricht insbesondere, dass nach dem Verbot neonazistischer Vereinigungen einige ihrer Mitglieder und Füh rungsaktivisten in die Partei eingetreten sind. Zudem gehörte der Bundesvorsitzende der Partei Worch in der Vergangenheit selbst 78 RECHTSEXTREMISMUS mehreren verbotenen neonazistischen Organisationen an und unterstützt regelmäßig Neonazis bei Demonstrationen. III. Parteien 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Berlin Bundesvorsitzender: Holger Apfel Mitglieder: 6.000 (2011: 6.300) Publikation: "Deutsche Stimme", monatlich, Auflage: 25.000 (eigene Angabe) Unterorganisationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN), "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV), "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 1.1 Ideologische Merkmale Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) richtet "Volksgemeinschaft" ihre politischen Positionen konsequent an weltanschaulichen als ideologisches Prinzipien aus, die für die Partei ungeachtet interner Debatten Kernelement über taktische und strategische Fragen unverhandelbar sind. Sie verfolgt die Idee einer "Volksgemeinschaft", die ein strikt ethnisch homogenes, "völkisches" Gemeinwesen voraussetzt, das als Gegen modell zur offenen, pluralistischen Demokratie präsentiert wird. Letztere ist aus Sicht der NPD Voraussetzung und Wegbereiter der zutiefst verachteten multikulturellen Gesellschaft. Die überra gende Bedeutung des völkischen Konzepts ist Maßstab für die Herangehensweise der NPD an politische, ökonomische oder sozi ale Themenfelder. Dies gilt umso mehr, als die NPD die 79 RECHTSEXTREMISMUS "Volksgemeinschaft" auf "lebensrichtige", gleichsam "naturgesetz liche" Annahmen zurückführt, die für jeden Einzelnen von exis tenzieller Bedeutung seien. In einer im April 2012 herausgegebe nen Argumentationsbroschüre für Mandats und Funktionsträger heißt es z.B.: "Wo das Volk stirbt (wie in der multikulturellen Gesellschaft), stirbt die Gemeinschaft; wo die Gemeinschaft stirbt, stirbt die Kultur; und wo die Kultur stirbt, stirbt der einzelne Mensch. Mensch kann der Mensch nur da sein, wo er unter seinesgleichen ist und eine solidarische Gemeinschaft ausbilden kann. Deshalb ist die multikulturelle Gesellschaft zutiefst inhuman." (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger", Berlin 2012, S. 12) Die NPD lehnt jedwede Relativierung des biologistischen Konzepts der "Volksgemeinschaft" unmissverständlich ab. Die deutsche Staatsbürgerschaft muss aus Sicht der Partei zwingend mit einer ebensolchen ethnischen Herkunft einhergehen: "Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnisch-kulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. (...) In eine Volksgemeinschaft kann man nicht einfach einoder austreten wie in einen Sportverein, man wird in sie hineingeboren. (...) Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind." (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger", Berlin 2012, S. 18 f.) Für die NPD besteht zwischen "Volksgemeinschaft" und "multi kultureller Gesellschaft" - bezogen auf das kollektive Gemeinwe sen und den einzelnen Menschen - der denkbar größte Gegen satz. Aus der völkischen Sicht der Partei ist nur ein "ethnisch geschlossener Gesellschaftskörper" ausreichend solidar und belastungsfähig, um Krisen bewältigen zu können. Nur dort 80 RECHTSEXTREMISMUS erfahre der Einzelne Heimat und Identität, während er sich in der "multikulturellen Gesellschaft" zum entwurzelten, gesichtslosen und vereinsamten Einheitsmenschen wandle und zum wehrlosen Spielball von Politik, Medien und Wirtschaft werde. Die Bevölke rungssituation, insbesondere in westeuropäischen Großstädten, setzt die NPD mit einem Verbrechen an der Menschlichkeit gleich und spricht vom "Völkermord an den Einheimischen".14 Reden und Texte von NPDFunktionären belegen, wie sehr das biologistische Konzept der "Volksgemeinschaft" im Zent rum des politischen Wollens und Handelns der Partei steht. Der NPDFraktionsvorsitzende im Landtag von Mecklenburg Vorpommern Udo Pastörs kritisierte auf einer Veranstaltung zum "Politischen Aschermittwoch" der saarländischen NPD in Völklingen (Saarland) am 22. Februar 2012, viele Analysen zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland und damit einhergehende Reformvorschläge blendeten die "Biologie unseres Volkes" gänzlich aus. Es gehe aber darum, das eigentliche Staats volk physisch und damit in seiner Leistungsfähigkeit zu erhalten sowie Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen die Zuversicht wachse, "neues deutsches junges Leben in die Welt zu setzen".15 Der sächsische NPDLandtagsabgeordnete Jürgen Gansel stellte in einem Beitrag für das Parteiorgan "Deutsche Stimme" (DS) die Europapolitik der Bundesregierung als einen Frontalangriff auf die "Volksgemeinschaft" dar, der dem Hochverrat gleich komme. "Die perverse Gesellschaftsutopie der Eurokraten" sei der postnationale Einheitsstaat mit identitätslosen und beliebig manipulierbaren Einheitsmenschen. Geplant seien die Zerstörung der europäischen Nationalstaaten und die Etablierung einer Welt gesellschaft, über die eines Tages eine totalitäre Weltregierung im Dienste des Großkapitals herrsche. Umso wichtiger sei die Erhal tung ethnisch homogener Völker mit politischem Gestaltungswil len, denn nur diese könnten dem internationalen Großkapital die Stirn bieten.16 14 Vgl. NPDParteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandats und Funktionsträger", Berlin 2012, S. 10 f. 15 Redebeitrag von Udo Pastörs beim "Politischen Aschermittwoch" der saarländi schen NPD in Völklingen am 22. Februar 2012. 16 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2012, August 2012, S. 10. 81 RECHTSEXTREMISMUS Die NPD scheut im Beharren auf ihrem strikt völkischen Stand punkt auch nicht vor unpopulären Forderungen zurück. So lehnt sie z.B. die Mitwirkung von Spielern ausländischer Herkunft in der deutschen Fußballnationalmannschaft - ungeachtet ihrer öffentlichen Beliebtheit oder ihres Stellenwerts als anerkannte Leistungsträger - kategorisch ab. Anlässlich der Fußballeuropa meisterschaft im Juni 2012 äußerte etwa der NPDBundesvor sitzende Apfel, er betrachte solche Spieler trotz formal deutscher Staatsangehörigkeit auch dann nicht als Deutsche, wenn sie einen deutschstämmigen Elternteil hätten.17 Das Streben nach Verwirklichung des "Volksgemeinschafts" Gedankens ist in der NPD zwar unumstritten, bisweilen bestehen jedoch unterschiedliche Auffassungen darüber, mit welcher Vehe menz und Unmittelbarkeit diese Doktrin in der Öffentlichkeit vertreten werden soll. Der stellvertretende NPDLandesvorsit zende von MecklenburgVorpommern Michael Gielnik forderte auf dem dortigen Landesparteitag am 24. November 2012 vor dem Hintergrund der Debatte um ein mögliches Parteiverbotsver fahren, offensiv zur eigenen Weltanschauung zu stehen und vor allem danach zu leben. Der biologische Fortbestand des eigenen Volkes müsse alleiniger Maßstab für das Handeln der NPD und für Bündnisse mit anderen Kräften sein. Ein in diesem Sinne verfasster Parteitagsantrag solle die Entschlossenheit der "nati onalen Bewegung" unterstreichen und nicht nur ein Signal für die Öffentlichkeit sein, sondern auch ein Zeichen in den eigenen Reihen setzen.18 Streben nach Die NPD lässt keinerlei Zweifel daran, dass sie das gegenwärtige Systemüberwindung politische System in Deutschland und dessen Repräsentanten ver achtet. Nach ihrem Verständnis muss die "wahre" Demokratie als "deutsche Volksherrschaft" konzipiert sein. Deren antipluralisti sche, ausgrenzende und antiegalitäre Merkmale sind unvereinbar mit den demokratischen und rechtsstaatlichen Wesensmerkma len des Grundgesetzes. 17 Nachrichtenportal "DeutschlandEcho" (7. Juni 2012). 18 Internetplattform "Altermedia Deutschland" (27. November 2012). 82 RECHTSEXTREMISMUS Den Bezug zwischen "Volksherrschaft" und "Volksgemeinschaft" erläutert die NPD im April 2012 wie folgt: "Demokratisch sind wir nicht nur deshalb, weil wir eine wahre Volksherrschaft an die Stelle der liberalistischen Parteienund Interessengruppen-Herrschaft setzen wollen, sondern auch, weil wir entschieden für eine deutsche Volksherrschaft anstelle einer multikulturellen Bevölkerungsherrschaft eintreten. Eine 'multikulturelle Demokratie' ist nicht vorstellbar, sondern Demokratie ist immer an ein konkretes, homogenes Staatsvolk gebunden und somit nur als Nationaldemokratie authentisch." (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger", Berlin 2012, S. 51 f.) Aus der angeblich unabdingbaren "Volksgemeinschaft" bzw. einer daran gebundenen "deutschen Volksherrschaft" leitet die NPD die Forderung nach Überwindung des derzeitigen politischen Systems ab, das die als "Völkermord" diffamierte multikulturelle Gesellschaft ermöglicht habe. Den Vorwurf der Demokratiefeind schaft weist die Partei trotz ihrer aggressiven Agitation jedoch entschieden mit der Behauptung zurück, es seien nicht die der zeitigen politischen Entscheidungsträger, die den authentischen Volkswillen vertreten, sondern die NPD. Dem früheren Bundes präsidenten Wulff warf der Parteivorsitzende Apfel etwa eine "widerwärtige Anbiederung" an den Islam vor, die bereits ein aus reichender Grund für eine frühzeitige Abdankung gewesen wäre.19 Angesichts des Dilemmas, innerhalb eines fundamental abge lehnten Systems politisch Einfluss gewinnen zu müssen, um die eigenen ideologischen Ziele zu erreichen, lotet die Partei aus, inwieweit strategische Erwägungen ein angepasstes Auftreten erforderlich machen. Diesen Aspekt thematisierte der dama lige Vorsitzende der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) Michael Schäfer in einem Beitrag mit dem Titel "Dürfen wir Pop sein?" in der Publikation "Der Aktivist" - dem unregelmäßig erschei nenden Zentralorgan der JN (vgl. Kap. III, Nr. 1.4.1). Er betonte die Notwendigkeit, sich so stark wie möglich von "diesem Sys tem der Dummheit, des Opportunismus und der Amoralität" 19 "Deutsche Stimme" Nr. 2/2012, Februar 2012, S. 2. 83 RECHTSEXTREMISMUS abzugrenzen. Gleichwohl gelte es zu bedenken, dass Parolen wie "Die Demokraten bringen uns den Volkstod" oder die Wendung "Nationaler Sozialismus" bei national gesinnten Interessenten wegen der damit verbundenen Assoziationen möglicherweise eine Distanz zur NPD schaffen könnten.20 Der JNBundesschu lungsleiter Pierre Dornbrach forderte demgegenüber in einer Replik auf diesen Beitrag, die "nationale Bewegung" solle - welt anschaulich begründet - auf das Attribut "demokratisch" ver zichten, um als Gegensatz zum derzeitigen maroden und sich demokratisch nennenden System wahrgenommen zu werden. In diesem Beitrag wandte er sich auch offen gegen das demokrati sche Gleichheitsprinzip: "Die Parole 'Die Demokraten bringen uns den Volkstod' hat ihren ursprünglichen Sinn, die Diskussion über Demokratie sowohl bei uns, als auch 'da draußen' bei den Bürgern zu entfachen, nicht verfehlt. (...) Natürlich befürworte ich eine Herrschaft im Sinne des Volkes. Nur glaube ich nicht, dass Demokratie wirklich diese Volksherrschaft darstellt. 'Demos' kommt aus dem Griechischen und wird dort auch heute noch u.a. für 'niederes Volk' gebraucht. Wir allerdings wollen doch eine Herrschaft der Leistungsfähigen und Opferbereiten, die sich für die Interessen unseres Volkes einsetzen und nicht für die Vorteile einiger weniger Kapitalisten." ("Der Aktivist", Nr. 2/2012, S. 20 f.) Rassismus/ Das "Volksgemeinschafts"Dogma, wonach nur ein ethnisch Fremdenfeindhomogenes, rassistisch definiertes Gemeinwesen nach außen kol lichkeit/Islamlektiven Schutz und nach innen gegenseitige Unterstützung für feindlichkeit den Einzelnen gewährleisten kann, hat bei der NPD eine tiefgrei fende Fremdenfeindlichkeit zur Folge: Der Verbleib von Migranten fremder bzw. außereuropäischer Herkunft innerhalb des eigenen "angestammten Lebensraums" wird als nicht zu tolerierender Angriff bewertet. Das konkrete Verhalten der Einwanderer, ihre Aufenthaltsdauer oder Ansässigkeit in zweiter oder dritter Genera tion bleiben hierbei außer Acht. Auch die kategorische Ablehnung des Islam in Europa basiert auf dem rassistischen Begründungs muster, dass Muslime einer "raumfremden" Religion angehören und in Deutschland durchweg als aggressive Eindringlinge 20 "Der Aktivist", Nr. 1/2012, S. 24 ff. 84 RECHTSEXTREMISMUS anzusehen seien. Die Forderung nach einer konsequenten "Aus länderrückführung" beschränkt sich nicht nur auf Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, sondern betrifft auch eingebürgerte Deutsche mit außereuropäischen Wurzeln. In der Argumentati onsbroschüre für Mandats und Funktionsträger heißt es hierzu: "Wir sind inländerfreundlich und nicht ausländerfeindlich. Deutschland hat das Land der Deutschen zu bleiben, und dort, wo das nicht mehr der Fall ist, durch eine rechtsstaatlich abgesicherte Ausländerrückführung wieder zu werden. (...) Deutscher ist, wer deutsche Eltern hat, also wer deutscher Abstammung ist. Deutsch ist eine ethnische Herkunftsbezeichnung und keine Bezeichnung des zufälligen Geburtsortes, momentanen Wohnortes oder des Passes. (...) Auch die Medienund Politikersprache zielt auf die Entsorgung der Deutschen (...). 'Deutsche afrikanischer Herkunft' oder 'Afro-Deutsche' kann es sowenig geben wie schwangere Jungfrauen." (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger", Berlin 2012, S. 8, 19 f.) Zum Islam heißt es: "Wo der Islam historisch beheimatet ist und die Lebensordnung der Menschen prägt, hat er sein volles Existenzrecht. (...) In Mitteleuropa aber ist der Islam eine fremdkörperhafte Aggressionsreligion. (...) In Deutschland aber haben Moslems und ihre Religion nichts verloren!" (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger, Berlin 2012, S. 8) Zudem wird der Islam mit negativ besetzten Begriffen wie All tagsgewalt, Bildungsdefizite, "Sozialschmarotzereien" und "reli giös motivierte Landnahme" in Verbindung gebracht.21 Die skizzierten fremden und islamfeindlichen Denk und Sprachmuster finden sich in einer Vielzahl der Äußerungen von 21 NPDParteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandats und Funk tionsträger", Berlin 2012, S. 9. 85 RECHTSEXTREMISMUS NPDFunktionären. Regelmäßig werden Fremde verunglimpft. So sprach der sächsische Landtagsabgeordnete Gansel in Bezug auf Asylbewerber durchweg von "Asylbetrügern", "Asylschwindlern", "gewaltanfälligen Scheinasylanten" oder "orientalischen und afrikanischen Junggesellen mit Beutezugsmentalität".22 Ronny Zasowk, Leiter des "Amtes Bildung" im NPDBundesvorstand, polemisierte, der Sozialstaat könne nicht als "Hängematte für Taugenichtse und Betrüger aller Herren Länder" herhalten, zumal diese weder bereit noch in der Lage seien, jemals nur einen ver schwindend geringen Anteil zur Finanzierung des Sozialsystems beizutragen. Unschuldig in Not geratenen Deutschen mangele es hingegen an der erforderlichen Unterstützung.23 Die NPD unterscheidet nicht zwischen Islam und Islamismus. So bezeichnete Zasowk den Islam schlicht als "totalitäre Ideologie". Millionen Muslime in Deutschland betrieben eine "aggressive Landnahme", die u.a. gekennzeichnet sei durch eine unduldsame Ablehnung hiesiger Gepflogenheiten.24 Gansel plädierte dafür, in der Bevölkerung existierende Vorbehalte gegen den Islam als "Türöffner für weitergehende ausländerpolitische Forderun gen der nationalen Opposition" zu nutzen. Immerhin sei es in Großstädten eine Alltagserfahrung einheimischer Deutscher, von "bandenmäßig organisierten OrientKrawallos" beleidigt und tät lich angegriffen zu werden. Der Islam sei in Deutschland kein "harmloses Mitbringsel zur Identitätspflege", sondern "mentales Rüstzeug zur kulturellen Eroberung und Inbesitznahme frem den Landes".25 Apfel verdeutlicht in einer Stellungnahme vom 20. September 2012 die rassistisch motivierte Ablehnung des Islam durch die NPD: Eine Politik, die nur gegen den Islam als solchen Stimmung mache, ohne dem Überfremdungsproblem an seiner Wurzel zu begegnen, sei primitiv und oberflächlich. Das Aufenthaltsrecht "für Araber, Türken oder auch Neger" in Deutschland sei nicht davon abhängig zu machen, ob diese zum Christentum konvertierten.26 Antisemitismus Der Antisemitismus ist in der NPD tief verwurzelt. In vielen Fällen äußert er sich beiläufig in Anspielungen, abwertenden 22 Homepage NPD Sachsen (10. Juli 2012 und 19. September 2012). 23 "Blickpunkt Rheinland & Westfalen", Nr. 1/2012; Homepage NPD (24. Mai 2012). 24 Homepage NPD (11. April 2012); Homepage NPD Hessen (6. Juli 2012). 25 Homepage NPD Sachsen (17. September 2012). 26 Homepage NPD SachsenAnhalt (20. September 2012). 86 RECHTSEXTREMISMUS Bemerkungen oder verunglimpfenden Zuschreibungen. Häufig greift die Partei zudem auf die Form des sogenannten sekundären Antisemitismus zurück, indem sie die Aufarbeitung der national sozialistischen Gewaltverbrechen an Juden scharf kritisiert (vgl. Kap. V, Nr. 1) und - in Umkehrung der TäterOpferRelation - unterstellt, es handele sich hierbei um eine von den Feinden Deutschlands aufgezwungene Umerziehung, die das Ziel verfolge, die nationale Identität der Deutschen nach der militärischen Nie derlage 1945 endgültig zu zerstören und ihren Widerstand gegen die Auflösung des ethnischen und kulturellen Zusammenhalts irreversibel zu brechen. Häufig nimmt die NPD auch den Nahost konflikt zum Anlass für eine pauschale Diffamierung der israeli schen Politik oder des israelischen Staates, wobei es ihr nicht um eine inhaltliche Auseinandersetzung mit diesem Thema geht, son dern vielmehr um die Verbreitung antisemitischer Stereotype. Exemplarisch kommt dies in der Broschüre für Mandats und Funktionsträger der Partei zum Ausdruck: "Selbstverständlich nehmen wir uns das Recht heraus, die Großmäuligkeit, Arroganz und die ewigen Finanzforderungen des Zentralrats der Juden in Deutschland zu kritisieren. (...) Die von jüdischer Seite seit mehr als 65 Jahren penetrant betriebene Schuldanklage und die ewige jüdische Opfertümelei muß sich kein Deutscher gefallen lassen. Die psychologische Kriegführung jüdischer Machtgruppen gegen unser Volk muß ein Ende haben. Es ist zu offensichtlich, daß die Holocaust-Industrie die Deutschen mit moralischen Vorwänden immer wieder finanziell auspressen und politisch gefügig machen will. (...) Wir akzeptieren es nicht, daß mit dem Totschlag-Vorwurf des 'Antisemitismus' jede Kritik am Aggressionsund Apartheidsstaat Israel unterdrückt wird." (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger", Berlin 2012, S. 16 f.) In häufigen verbalen Angriffen auf den Zentralrat der Juden in Deutschland versucht die NPD, das antisemitische Stereotyp eines dominanten jüdischen Einflusses zu verbreiten. Sie stellt einen Zusammenhang zwischen Positionen des Zentralrats und der Politik des Staates Israel her und konstruiert dabei eine global einheitliche jüdische Willensbildung jenseits der bzw. gegen die politischen Entscheidungsabläufe in den Nationalstaaten. Der 87 RECHTSEXTREMISMUS Pressesprecher der NPD Frank Franz warf dem Zentralrat der Juden vor, sich ständig und in unangemessener Weise in Belange außerhalb seiner Zuständigkeit einzumischen. Stattdessen solle er besser über die Lieferungen atomwaffenfähiger UBoote an "kriegssüchtige Kleinstaaten" aufklären.27 Die Debatte um ein umstrittenes Gedicht des Schriftstellers Günter Grass griff Gansel auf, um die in der Handreichung für Mandatsträger vorformulier ten antisemitischen Argumentationsmuster anzuwenden. Grass komme das Verdienst zu, Kritik an dem "Aggressions und Apart heidsstaat Israel" enttabuisiert zu haben. Umstandslos integrierte Gansel die Diskussion um das Gedicht in einen für die NPD typischen antisemitischen Deutungszusammenhang. Es gehe generell darum, die "penetrant betriebene Schuldanklage" von jüdischisraelischer Seite zurückzuweisen, die "psychologische Kriegsführung bestimmter jüdischer Machtgruppen" gegen das deutsche Volk zu beenden und die Auspressung der Deutschen durch die "HolocaustIndustrie" offenzulegen.28 Der stellvertre tende Berliner NPDLandesvorsitzende Uwe Meenen wiederum warnte davor, die Kritik des Publizisten Henryk M. Broder am ritualisierten AuschwitzGedenken als mögliche Entlastung für das deutsche Volk zu verstehen. Es gehe dem "Berufsjuden" viel mehr darum, dem globalen Antisemitismus entgegenzuwirken, denn die "Auschwitzkeule" verblasse allmählich im Vergleich mit der Politik Israels. Der von Broder attackierte weltweite Anti semitismus, der in der Wahrnehmung Israels als Brückenkopf der USA im Nahen Osten und einer zionistischen Dominanz in den USA zum Ausdruck komme, beschreibe jedoch im Kern eine zutreffende Konstellation. Um diese Kräfte handele es sich bei der Frage, ob man sich für oder gegen die "westlichen Werte" positio niere.29 Auf diesen Antagonismus spielte auch Udo Pastörs an, als er in seiner Rede zum "Politischen Aschermittwoch" behauptete, es bestehe ein unversöhnlicher Gegensatz zwischen der "Realität in der globalisierten Welt USraelischer Prägung" und nationalen Kräften.30 27 Homepage NPD RheinlandPfalz (8. Juni 2012). 28 Homepage NPD Sachsen (5. April 2012). 29 "Deutsche Stimme" Nr. 4/2012, April 2012, S. 5. 30 Redebeitrag von Udo Pastörs auf dem "Politischen Aschermittwoch" der saarländischen NPD in Völklingen am 22. Februar 2012. 88 RECHTSEXTREMISMUS Die wohlwollende Haltung der NPD gegenüber dem historischen Wohlwollende Nationalsozialismus kommt in öffentlichen Verlautbarungen Haltung gegenüber nicht unmittelbar zum Ausdruck. Die fortwährende Polemik dem historischen gegen vermeintlichen "Umerziehungszwang", "Schuldkult" und Nationalsozialismus "nationalen Selbsthass" ist indes Beleg für eine der seriösen Geschichtswissenschaft diametral entgegengesetzte Wahrnehmung des HitlerRegimes. Die historische Aufarbeitung der NSDiktatur sieht die NPD gleichsam als Fortsetzung des Krieges gegen das deutsche Volk mit anderen Mitteln. 1939 bis 1945 sei es den Alliier ten um die Beseitigung Deutschlands als konkurrierende und erfolgreiche Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus gegangen, während in der Nachkriegszeit das Wiedererstarken des so wirkmächtigen deutschen "Volksgemeinschafts"Gedankens bereits in Ansätzen habe verhindert werden sollen. Da der NPD unter den gegenwärtigen politischen Verhältnissen keine umfas sende Umdeutung der nationalsozialistischen Geschichte möglich erscheint, beschränkt sie sich überwiegend auf kalkulierte Provo kationen, Verweise auf vermeintlich positive Beispiele der NSHerrschaft oder beiläufige Rechtfertigungen der damaligen Machthaber. Zu Äußerungen in Bezug auf den historischen Natio nalsozialismus gibt die Argumentationsbroschüre für Mandats und Funktionsträger den folgenden Ratschlag: "Auf den Themenkomplex Holocaust, Kriegsschuldfrage 1939 und Nationalsozialismus sollte sich mit dem Hinweis auf die Gegenwartsaufgaben der NPD niemand festnageln lassen. Auf dieses rückwärtsgewandte Themenfeld will uns der Gegner locken, weil er a) mit der historischen Ahnungslosigkeit und damit der 'antifaschistischen' Verblendung der Zeitgenossen rechnen kann und b) damit bestens von seinem politisch-ökonomischen Gegenwartsversagen ablenken kann." (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger", Berlin 2012, S. 54) Die Charakterisierung des Dritten Reichs als menschenver achtende Gewalt und Willkürherrschaft gründet aus Sicht der NPD entweder auf Unkenntnis oder auf dem Motiv, dem deutschen Volk schaden zu wollen. In Bezug auf die "Schuldfrage" 89 RECHTSEXTREMISMUS Deutschlands wird in der Handreichung folgende Argumentation vorgeschlagen: "Am antideutschen Schuldkult und an einseitiger Trauerarbeit beteiligt sich die NPD grundsätzlich nicht. Was damals auch immer passiert sein mag - mich trifft weder eine Mitschuld noch beeinflußt das mein Verhältnis zu Deutschland. (...) Es muß Schluß sein mit dem widerlichen Schuldkult der Nestbeschmutzer." (NPD-Parteivorstand (Hrsg.): "Wortgewandt - Argumente für Mandatsund Funktionsträger", Berlin 2012, S. 55) Das Gedenken an die Opfer der alliierten Luftangriffe auf Dresden (Sachsen) am 13. Februar 1945 ist aus Sicht der NPD in besonderer Weise geeignet, um die Schuldfrage für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs umzudeuten und die Gräueltaten des NSRegimes zu relativieren. Der im Jahr 2005 mit der Wortwahl "BombenHo locaust" kalkulierte Eklat soll der Partei also nicht nur Auf merksamkeit verschaffen, sondern revisionistischen Positionen Vorschub leisten. Beispielhaft für eine solche Instrumentalisie rung war wiederum eine Äußerung Gansels vom 7. Februar 2012 anlässlich der Angriffe auf Dresden im Jahr 1945. Dabei ging es ihm weniger um die Faktenlage als um die zu erringende "Deu tungshoheit". Es sei wichtig, den "Exzessen einer selektiven, zu Lasten des eigenen Volkes gehenden Vergangenheitsbewältigung" entgegenzuwirken. Die Generation der Großeltern, die Geschichte noch jenseits der "Umerziehungsdogmen" und "antideutschen Geschichtslügen" kenne, trete bald unwiderruflich ab. Damit dann nicht die "große Stunde der Geschichtsverdreher" schlage, müsse auch weiterhin von der "polnischen Daueraggression als Vorge schichte des Zweiten Weltkrieges" berichtet werden. "Systemati sche Schuldneurotisierung" und "injizierte Schuldgefühle" seien ein entscheidendes Machtinstrument zur Niederhaltung des deut schen Volkes.31 Im Kontext der Finanzkrise variierte Gansel diese Argumentation mit der Behauptung, "Selbsterniedrigungsrituale" und "krankhafter Schuldkult" dienten dazu, die Deutschen als "Volksgemeinschaft" aufzulösen und stattdessen eine permanente "neudeutsche Schuld und Zahlgemeinschaft" zu etablieren.32 31 Homepage NPD Sachsen (7. Februar 2012). 32 Homepage NPD Sachsen (20. Mai 2012). 90 RECHTSEXTREMISMUS Auch in beiläufigen Bemerkungen von NPDFunktionären kommen die revisionistischen Auffassungen der Partei zu den Ursachen des Zweiten Weltkriegs zum Ausdruck. Der bayeri sche NPDFunktionär Manfred Waldukat forderte, Deutschland, dem von fremden und noch heute herrschenden Mächten ein verheerender Krieg aufgezwungen worden sei, müsse in seinen Grenzen von 1937 wiedervereinigt werden.33 Die frühere Vorsit zende des "Rings Nationaler Frauen" (RNF; vgl. Kap. III, Nr. 1.4.2) Edda Schmidt mahnte an, der Opfer der Wehrmachtssoldaten zu gedenken, die als Helden ihre Heimat geschützt hätten.34 Die NPD stellt vermeintliche Leistungen des NSRegimes als vorbildhaft heraus. So führte die NPDJugendorganisation JN in ihrem Jahreskalender 2012 zum "Tag der nationalen Arbeit" aus, in der klassenlosen "Volksgemeinschaft" des Dritten Reichs hätten sich "Arbeiter der Stirn" und "Arbeiter der Faust" aufgrund des hohen gegenseitigen Respekts miteinander identifizieren können. Zwischen 1933 und 1938 seien die Arbeitslosenzahlen von über sechs Millionen auf fast 100.000 gesunken, mit Blick auf die heu tigen Zahlen bedeute dies eine Bankrotterklärung für die Bundes regierung. Die "BRD" habe zielgerichtet die "deutsche Wertarbeit" zerstört, für die Deutschland in aller Welt als Vorbild gegolten habe.35 Mit derartigen Darstellungen versucht die NPD, das Dritte Reich als erfolgreichen Gegenentwurf zum heutigen "Bankrott system" erscheinen zu lassen. 1.2 Strategische Ansätze Die sogenannte VierSäulenStrategie - "Kampf um die Köpfe", "Vier-Säulen"Kampf um die Straße", "Kampf um die Parlamente" und "Kampf Strategie" um den organisierten Willen" - verdeutlicht seit Jahren das Bemühen der NPD, den demokratischen Verfassungsstaat auf unterschiedlichen Ebenen umfassend zu bekämpfen. Theorie und Programmarbeit sollen das Argumentationsniveau der Parteikader schärfen und sie in die Lage versetzen, gesell schaftlich relevante Themen flexibler aufzugreifen und in den 33 "Deutsche Stimme" Nr. 11/2012, November 2012, S. 5. 34 "Deutsche Stimme" Nr. 11/2012, November 2012, S. 24. 35 "JN Jahrweiser 2012", Kalenderblatt Mai. 91 RECHTSEXTREMISMUS eigenen ideologischen Deutungskontext zu integrieren. Als struk turstärkster Landesverband verfügt die sächsische NPD mit dem "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V." zudem über eine Einrichtung, die den Ideenaustausch der "politischen Rechten" in ihrer gesamten Bandbreite fördern soll - "von Natio nalkonservativen, Burschenschaftern und Freiheitlichen bis hin zu Nationalrevolutionären und nationalen Solidaristen". Der Lei ter des Bildungswerks und gleichzeitige Pressesprecher der säch sischen NPDLandtagsfraktion Thorsten Thomsen bezeichnet die zweimal jährlich stattfindenden Seminare für "Schüler, Studenten und junge Nachwuchskräfte" sowie die Herausgabe der Theorie zeitschrift "hier & jetzt" als Tätigkeitsschwerpunkte des Bildungs werks.36 Mit diesen Veranstaltungs und Veröffentlichungsreihen, die ein für das rechtsextremistische Spektrum verhältnismäßig hohes intellektuelles Niveau aufweisen, erreicht die NPD tatsäch lich ein über das unmittelbare Umfeld hinausgehendes Teilneh mer und Leserpublikum. Gleichwohl bleibt die Partei von der Einflussnahme auf einen gesellschaftspolitisch relevanten Diskurs weit entfernt. Die Straßenpräsenz durch Aufmärsche, Kundgebungen und Informationsstände ist für die NPD weiterhin von Gewicht. Sie zielt damit auf eine möglichst große öffentliche Aufmerksamkeit. Nach innen soll das Mobilisierungspotenzial der Partei erhalten und der bundesweite Geltungsanspruch unterstrichen werden. Die reale Präsenz vor Ort bleibt für die NPD trotz der zunehmen den Bedeutung elektronischer Medien unverzichtbar. Große strategische Relevanz haben darüber hinaus die Sitze der NPD in Kommunal und Landesparlamenten - dies ist aber keineswegs als Zustimmung zur repräsentativen Demokratie zu werten. Die bundesweit rund 330 Kommunal sowie 13 Landtags mandate der Partei in Sachsen und MecklenburgVorpommern begünstigen vielmehr einen kontinuierlichen organisatorischen Auf und Ausbau der Partei. Die "Parlamentsarbeit" bietet für die NPD außerdem eine Agitationsplattform mit beachtlichem öffentlichem Widerhall, Professionalisierungsmöglichkeiten für ihre Parteifunktionäre und zusätzliche finanzielle Ressourcen. 36 Homepage "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V." (4. Dezem ber 2012). 92 RECHTSEXTREMISMUS Die NPD sieht sich insgesamt als parlamentarischer Arm eines übergeordneten "nationalen Widerstands" und erhebt den Anspruch, dessen unterschiedliche Kräfte im "Kampf um den organisierten Willen" zu bündeln. Die szeneinterne Bedeutung der Partei ist vor allem von ihrer Kooperationsfähigkeit mit den parteiunabhängigen "Freien Nationalisten" abhängig. Die Mobili sierungsfähigkeit der NPD wird erheblich von dieser nicht span nungsfreien "Volksfront" bestimmt. Im Verhältnis zwischen NPD und "Freien Nationalisten" ist indes Fortbestand der sen keine eindeutige Führungsrolle der Partei auszumachen. "Volksfront" Ebenso kann nicht von einer bundesweit gleichgewichteten Machtkonstellation innerhalb des rechtsextremistischen Spek trums die Rede sein. Verflechtungsgrad und Kooperationsinten sität zwischen parteiorientierten und parteiunabhängigen Akteu ren sowie deren Selbstverständnis weisen im regionalen Vergleich beträchtliche Unterschiede auf. Sie reichen von prinzipiell getrennten oder gar konkurrierenden Ansätzen bis hin zu einem symbiotischen, von einem einheitlichen Willen geprägten Vorge hen. Reichweite und Bedeutung lokaler Auseinandersetzungen zwischen der NPD und neonazistischen Aktivisten sind deshalb oft schwierig zu bestimmen. Generell aber gilt, dass für die NPD die grundsätzliche Zusammenarbeit mit "Freien Nationalisten" wegen des damit verbundenen Wirkungspotenzials unverzichtbar bleibt und überdies auch wegen der erheblichen ideologischen Schnittmenge nicht zur Disposition steht. Nach Übernahme des Parteivorsitzes durch Apfel im November 2011 wurden rasch Stimmen laut, die angesichts des von ihm angekündigten Kurses einer "seriösen Radikalität" einen baldigen Erosionsprozess im Verhältnis zwischen NPD und Kame radschaftsszene prognostizierten. Tatsächlich deuteten im ersten Halbjahr 2012 die Rücktritte regionaler, in der neonazistischen Szene verankerter NPDFunktionäre in Sachsen und Bayern auf eine sich rasch auflösende Kooperationsbereitschaft der "Freien Nationalisten" hin.37 Im Einzelfall dürfte aber kaum zu beurteilen sein, ob in diesen Fällen der vermeintlich zu "gemäßigte" und "angepasste" Kurs der neuen Parteiführung als genannter Rück zugsgrund nicht von anderen Motiven überlagert wurde. Die NPD 37 Nachrichtenportal "DeutschlandEcho" (8. März 2012 und 7. Mai 2012) und Home page "Freies Netz Süd" (7. Mai 2012). 93 RECHTSEXTREMISMUS bezeichnete die "abtrünnigen" Funktionäre als "Querulanten" oder "Saboteure", deren Handeln von egoistischen Interessen bestimmt sei.38 Zu einem völligen Bruch in der Zusammenar beit zwischen NPD und "Freien Nationalisten" in Bayern oder Sachsen ist es jedenfalls nicht gekommen. Beide Seiten versi cherten, für eine Kooperation mit den "konstruktiven Kräften" der jeweiligen Gegenseite grundsätzlich zur Verfügung zu ste hen. In Sachsen etwa zeigt sich die Zusammenarbeit zwischen Partei und "Freien Nationalisten" darin, dass der neonazistische Führungsaktivist Maik Scheffler seit Sommer 2011 als stellvertre tender NPDLandesvorsitzender fungiert. Die NPD Mecklenburg Vorpommern wiederum demonstrierte auf ihrem Landespartei tag am 24. November 2012 eine gegenüber dem System bzw. den "Feinden unseres Volkes" identische Interessenlage von Partei und "Freien Nationalisten". Der stellvertretende Landesvorsitzende Michael Gielnik appellierte, als einheitliche Bewegung dürfe man sich nicht auseinanderdividieren lassen. Eine Trennung "zu irgendwelchen Gruppen" komme für die NPD nicht in Betracht, solange diese "im Sinne unseres Volkes wirkten und handeln".39 Kampagnenthemen Auch unter der Leitung Apfels blieb die NPD im Jahr 2012 weit der NPD von einer effektiven Kampagnenfähigkeit entfernt. Anders als in den letzten Jahren der Ära Udo Voigt wurden jedoch mobilisie rungs und anknüpfungstaugliche Themen nunmehr strukturier ter und systematischer bearbeitet und anschließend agitatorisch umgesetzt. Hierbei spielten 2012 - wie schon im Vorjahr - die Themen Finanz und EuroKrise sowie die vermeintliche Über fremdung durch "Asylmissbrauch" und "Islamisierung" eine besondere Rolle (vgl. Kap. V, Nr. 2). Am 12. Juli 2012 startete die NPD eine bundesweite "Deutschlandtour", an der sich durchweg Spitzenfunktionäre der Partei beteiligten. Innerhalb eines Monats fanden in 52 Städten Kundgebungen gegen EU und Euro statt. Die NPD setzte hierbei einen LKW ein, an dem gut sichtbar das NPDLogo und groß flächige Aufschriften wie "Heimat bewahren - Einwanderung stoppen", "Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein" oder "Raus aus dem Euro" angebracht waren. Den Abschluss der Rundfahrt bildete das "Deutsche Stimme"Pressefest am 11. August 2012 38 Homepage NPD Sachsen (7. März 2012); FacebookSeite NPD Bayern (7. Mai 2012). 39 Homepage NPD MecklenburgVorpommern (27. November 2012). 94 RECHTSEXTREMISMUS in Pasewalk (MecklenburgVorpommern). Die geringen Teilneh merzahlen in den jeweiligen Orten der Deutschlandtour blieben hinter den Erwartungen der NPD zurück. Dennoch verbuchte die Partei die Aktion als "vollen Erfolg", denn es ging ihr auch darum, durch die auf alle Bundesländer verteilten Kundgebungen ihren bundesweiten Geltungsanspruch und ihre Straßenpräsenz zu unterstreichen und den Anhängern der Partei ein Motivations und Mobilisierungssignal zu senden.40 Der sächsische NPDLandesverband veranstaltete vom 30. Okto ber bis 3. November 2012 eine "inländerfreundliche Aktionswo che" unter dem Motto "Einmal Sachsen und zurück - Asylmiß brauch & Islamisierung stoppen!". Im Rahmen der Kampagne wurden unter aktiver Beteiligung der NPDLandtagsabgeord neten Kundgebungen in neun Städten durchgeführt - jeweils in räumlicher Nähe zu Moscheen oder Asylbewerberunterkünften. Ungeachtet des auch hier mäßigen Zuspruchs der Anhänger schaft vor Ort wertete die NPD die "Aktionswoche" wiederum als Erfolg, denn durch die tagelange Berichterstattung sei die mediale "Schweigespirale" durchbrochen worden.41 Analog zur Eurokrise sieht die NPD auch in dem Thema Islam bzw. Islamisierung ein kampagnentaugliches Agitationsfeld mit "Türöffnerqualitäten". 1.3 Organisation und Entwicklung 2012 war die Mitgliederzahl der NPD erneut rückläufig und sank Mitgliederauf 6.000 Personen (2011: 6.300).42 Die nach dem Amtsantritt entwicklung Apfels als Bundesvorsitzender im November 2011 verstärkt auf tretenden Spannungen im Verhältnis zu den "Freien Nationalis ten" und die damit einhergehende Kritik an einer vermeintlich zu "gemäßigten" Neuausrichtung der Partei dürften zu diesen Ver lusten beigetragen haben. Die finanzielle Situation der NPD ist seit Jahren angespannt. Nach Finanzsituation mehrjährigem Rechtsstreit hat das Bundesverwaltungsgericht am der NPD 40 "Deutsche Stimme" Nr. 9/2012, September 2012, S. 13 und Nr. 10/2012, Okto ber 2012, S. 14. 41 FacebookSeite "Einmal Sachsen und zurück" (25. Oktober 2012). 42 Nach Angaben der NPD auf dem Bundesparteitag am 20./21. April 2013 in Wein heim (BadenWürttemberg) verfügte die Partei Ende 2012 nur noch über rund 5.400 Mitglieder. 95 RECHTSEXTREMISMUS 12. Dezember 2012 die Sanktionsforderung gegen die NPD wegen eines fehlerhaften Rechenschaftsberichts für das Jahr 2007 auf 1,27 Millionen Euro festgesetzt - hierdurch hat sich die wirtschaftliche Notlage der Partei erheblich verschärft. Obwohl damit rund 40% des jährlichen Gesamtbudgets der NPD wegge brochen sind, versuchte die Partei nicht, die Folgen dieser Strafe durch eine Stundungs und Tilgungsvereinbarung abzumildern. Die Bundestagsverwaltung hat die Forderung mit den der NPD 2013 zustehenden Abschlagszahlungen aus der staatlichen Teil finanzierung verrechnet. Unterdessen setzt die NPD die juristische Auseinandersetzung um den Rechenschaftsbericht 2007 vor dem Bundesverfassungsgericht fort.43 NPD profitiert nicht Von der Ende 2010 erfolgten Fusion mit der "Deutschen Volks von Verschmelzung union" (DVU) konnte die NPD auch im Jahr 2012 weder in Bezug mit der DVU auf Mitgliederpotenzial noch hinsichtlich einer erhöhten Akti onsfähigkeit profitieren. Die DVU, die nach der Verschmelzung mit der NPD in politische Agonie gefallen war, löste sich im Mai 2012 schließlich endgültig auf. Bereits kurz nach der Fusion stellten die meisten Landesver bände ihre Aktivitäten ein, ohne sich dabei offiziell aufzulösen. In einem Beitrag auf der Homepage des DVULandesverbandes Niedersachsen vom 29. Mai 2012 empfahl dieser den verbliebe nen Mitgliedern, sich einer anderen "freiheitlichen" Organisation anzuschließen. Vorangegangen war eine Vorentscheidung des Landgerichts München (Bayern) vom 27. Januar 2012, in der die Aussichtslosigkeit der Klagen von drei verbliebenen DVULandes verbänden festgestellt worden war, die sich gegen die Fusionsent scheidung der DVU gewandt hatten. Das Gericht stellte fest, dass die Kläger als unselbstständige Untergliederungen der DVU nicht berechtigt seien, die Unwirksamkeit von Mitgliederbeschlüssen der Bundespartei geltend zu machen. Die mit dem Wechsel von Voigt zu Apfel in der NPDParteianhän gerschaft erhoffte Aufbruchstimmung stellte sich nicht ein. Der 43 Das Bundesverfassungsgericht hat am 14. Mai 2013 im Wege einer einstweiligen Anordnung entschieden, dass die zum 15. Mai 2013 und 15. August 2013 anste henden Abschlagszahlungen an die NPD im Rahmen der staatlichen Teilfinan zierung vorläufig nicht mit dem Zahlungsanspruch verrechnet werden dürfen, den die Bundestagsverwaltung gegen die NPD wegen Unrichtigkeiten in deren Rechenschaftsbericht für das Jahr 2007 festgesetzt hat (Beschluss vom 14. Mai 2013, 2 BvR 547/13). 96 RECHTSEXTREMISMUS neue Parteivorsitzende konnte sein Professionalisierungsverspre chen - verbunden mit Stichworten wie Strukturausbau, Quali fizierung, Bürgernähe, Medienkompetenz, Kampagnenfähigkeit oder konsequenter Gegenwartsbezug - und die sich daran knüp fenden Erwartungen nicht erfüllen. Die Bandbreite der 2012 getroffenen Personalentscheidungen - auf der einen Seite die Wahl des sächsischen Landesvorsitzenden Mario Löffler, der den Anspruch erhebt, die NPD auch für "Rechtskonservative" attraktiv zu machen,44 und auf der anderen Seite die Wahl der exponier ten neonazistischen Aktivisten Sebastian Schmidtke und Daniel Knebel zu Landesvorsitzenden in Berlin bzw. in Hessen - verdeut lichten das in sich widersprüchliche Modernisierungskonzept der Partei. Eine innovative Erneuerung in der Außendarstellung bei gleichzeitig strikter Beibehaltung der ideologischen Positionen erwies sich als nicht durchführbar. Vergleichsweise aufwendige Kampagnen im zweiten Halbjahr 2012, an denen sich die Füh rungsfunktionäre der NPD nahezu geschlossen beteiligten, deu teten immerhin eine verstärkte parteiinterne Abstimmung und Binnenkommunikation an. Ein Mobilisierungsschub in der eige nen Mitglieder bzw. Anhängerschaft ergab sich daraus aber nicht. Die Partei selbst machte für die Schwierigkeit, Sympathisan ten oder neue Mitglieder zu gewinnen, die allgemeine "mediale Hetze" gegen "nationale Politik" sowie die andauernde Diskussion über ein erneutes NPDVerbotsverfahren verantwortlich. Um der Anhängerschaft gegenüber Handlungsfähigkeit zu demonstrieren und die Initiative zurückzugewinnen, reichte die NPD beim Bun desverfassungsgericht einen auf den 8. November 2012 datierten Antrag auf Feststellung der Verfassungskonformität ein.45 Am 14. Dezember 2012 hat der Bundesrat beschlossen, ein Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD nach Arti kel 21 Abs. 2 Grundgesetz einzuleiten. Gradmesser für die Erfolgsbilanz des neuen Bundesvorsitzenden Teilnahme Apfel sind die für die NPD äußerst enttäuschenden Resultate bei an Wahlen den drei Landtagswahlen im Jahr 2012. Im Vergleich zu den bereits schlechten Ergebnissen in den vorausgegangenen Wahlen verlor die Partei durchgängig weiter an Zuspruch. Während sie bei der Landtagswahl im Saarland am 25. März 2012 immerhin noch 44 Homepage NPDLandesverband Sachsen, 22. Januar 2012. 45 Mit einem am 5. März 2013 veröffentlichten Beschluss hat das Bundesverfassungs gericht den NPDAntrag verworfen (Beschluss vom 20. Februar 2013, 2 BvE 11/12). 97 RECHTSEXTREMISMUS auf einen Stimmenanteil von 1,2% (absolut: 5.606 Stimmen) kam, fiel sie bei den Landtagswahlen in SchleswigHolstein am 6. Mai 2012 (0,7%; absolut: 9.832 Stimmen) und Nordrhein Westfalen am 13. Mai 2012 (0,5%; absolut: 39.993 Stimmen) sogar deutlich unter die für die staatliche Teilfinanzierung von Parteien bei Landtagswahlen entscheidende EinProzentHürde. Bewertung Die ideologischen Positionen der NPD sind weiterhin Ausdruck eines geschlossen rechtsextremistischen Weltbilds. Der Führungs wechsel von Voigt zu Apfel im November 2011 hatte mithin keine inhaltliche Mäßigung der Partei zur Folge. Das vom neuen Bun desvorsitzenden propagierte Erneuerungskonzept sollte sich viel mehr auf die Außendarstellung und Organisation der NPD kon zentrieren, blieb aber in weiten Teilen erfolglos. Belege hierfür waren insbesondere der 2012 fortdauernde Mitgliederrückgang und die schwachen Landtagswahlergebnisse der Partei. Dennoch konnte die NPD in Ansätzen parteiinterne Abstimmungs und Kommunikationsprozesse verbessern. Trotz der aus Sicht der Partei bislang enttäuschenden Bilanz Apfels und der vermehrt laut gewordenen Kritik an einem ver meintlich zu "angepassten" Auftreten der Führungsmannschaft ist kein grundlegender Kurswechsel der NPD zu erwarten. Als NPDFraktionsvorsitzendem im Sächsischen Landtag stehen Apfel erhebliche personelle und materielle Ressourcen und damit eine maßgebliche Machtbasis in der Gesamtpartei zur Verfügung. Diese Mittel wird er nutzen, um die NPD in den für die Partei strategisch wichtigen Wahljahren 2013 und 2014 möglichst weiter nach seinem - objektiv allerdings widersprüchlichen - Konzept der "seriösen Radikalität" auszurichten. 1.4 Unterorganisationen Die NPD verfügt über drei relevante Unterorganisationen: die Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), die Frauen organisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) und die "Kommu nalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV). 98 RECHTSEXTREMISMUS 1.4.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Gründung: 1969 Sitz: Riesa (Sachsen) Bundesvorsitzender: Andy Knape Mitglieder: 350 (2011: 350) Publikation: Zentralorgan "Der Aktivist", unregelmäßige Erscheinungsweise Mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) verfügt die NPD über eine vergleichsweise gut ausgebaute Jugendorganisation, die laut Satzung "integraler Bestandteil" der Gesamtpartei ist. Ungeachtet ihrer organisatorischen Einbindung sind die JN bemüht, ihre Autonomie und Eigenständigkeit herauszustellen und betonen vor diesem Hintergrund die unterschiedlichen strategischen Aus richtungen von JN und NPD. Während die Mutterpartei als par lamentarischer Arm der "nationalen Opposition" fungieren soll, sehen die JN ihren Tätigkeitsschwerpunkt im "vorpolitischen Raum" und in der Bindegliedfunktion zu den "Freien Nationalis ten". Darüber hinaus streben sie die Ausbildung von Nachwuchs kräften zu einer "charakterlich und weltanschaulich geschulten Elite"46 an. Der badenwürttembergische JNLandesvorsitzende Martin Krämer äußerte dazu: "Es gilt, aus deutschen Jugendlichen eine neue Führungselite heranzuziehen, die in der Lage ist, mittelfristig Fackelträger für unsere Heimat zu werden." ("Der Aktivist", Ausgabe 2/2012, S. 7) Aufgrund ihres elitären Selbstverständnisses stellen die JN zumin dest theoretisch hohe Ansprüche an ihre Aktivisten. So dürfe sich der "Feldzug gegen die derzeit Herrschenden" nicht auf öffent lichkeitswirksame Aktionen beschränken, sondern müsse auch 46 JNKalender 2011: "Unsere Gemeinschaft", S. 22. 99 RECHTSEXTREMISMUS im privaten Umfeld fortgeführt werden, indem dort die "Bräuche und Sitten unseres Blutes" bewahrt und verteidigt würden.47 Im Jahr 2012 kam es innerhalb der Jugendorganisation zu diver sen Veränderungen, die teilweise auch als Eingeständnis der eige nen Unzulänglichkeiten gedeutet werden können. So überarbeite ten die JN ihr Zentralorgan "Der Aktivist" in konzeptioneller und gestalterischer Hinsicht. Die im Gegensatz zu früheren Ausgaben durchgängig farbig gestaltete und deutlich umfangreichere Pub likation erhebt nunmehr den Anspruch, ein "Blatt für die ganze Bewegung"48 zu sein und spiegelt somit die angestrebte Binde gliedfunktion der JN wider. Mitte Oktober 2012 gab die NPD die Verlegung der JNBundes geschäftsstelle von Halberstadt (SachsenAnhalt) in die Räum lichkeiten des "Deutsche Stimme"Verlags nach Riesa (Sachsen) bekannt. Am 27. Oktober 2012 wählte die Jugendorganisation in Kirchheim (Thüringen) bei ihrem Bundeskongress einen neuen Vorstand. Zum Nachfolger des bisherigen JNBundesvorsitzenden Michael Schäfer, der nach fünfjähriger Amtszeit nicht erneut kandidiert hatte, wurde sein bisheriger Stellvertreter Andy Knape bestimmt. Im Nachgang zu seiner Wahl kündigte der neue Vorsitzende ideo logische und strategische Kontinuität an, wies jedoch im Hinblick auf die strukturellen Schwächen der Jugendorganisation auch auf die Notwendigkeit hin, in verschiedenen Punkten Nachbesserun gen vorzunehmen.49 Auch im vergangenen Jahr brachten die JN in diversen Verlautba rungen ihre Ablehnung gegen das als "widernatürlich"50 charakte risierte demokratische System zum Ausdruck. Der Bundesschu lungsleiter Pierre Dornbrach schrieb hierzu: "Gerade wir als Nationalisten wissen, dass die Menschen unterschiedlich sind. Einem System, das sich auf Mehrheitsentscheidungen 47 "Der Aktivist", Ausgabe 2/2012, S. 34 f. 48 "Der Aktivist", Ausgabe 1/2012, S. 3. 49 InternetTVKanal "FSNTV" (28. Oktober 2012). 50 "Der Aktivist", Ausgabe 2/2012, S. 34 f. 100 RECHTSEXTREMISMUS stützt, kann demnach auch keine Ewigkeitsgarantie ausgesprochen werden." ("Der Aktivist", Ausgabe 2/2012, S. 20) Konsequenterweise verfolgt die Jugendorganisation das Ziel der Systemüberwindung. In einem Artikel, der die heutigen politi schen Verhältnisse mit der Situation zur Zeit des Volksaufstandes am 17. Juni 1953 in der damaligen DDR verglich, drohte sie: "Wir werden uns weiterentwickeln, wir werden besser werden und wir werden ein verrottetes System genau so aus den Angeln heben, wie es Geschlechter vor uns taten." ("Der Aktivist", Ausgabe 2/2012, S. 31 ff.) Als ideale Staatsform propagieren die JN nach wie vor einen "Nationalen Sozialismus", der auf einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" basiert. In diesem Zusammenhang fordern sie das "Loslösen vom Individuum" und setzen an dessen Stelle den "Wert der Gemeinschaft, des Stammes, der Sippe".51 In völkischrassistischer Diktion wird das deutsche Volk als "Schicksalsgemeinschaft"52 bezeichnet, die sich sowohl durch körperliche als auch seelische Eigenschaften von anderen Völkern unterscheide, die "ein gänzlich anderes Gesicht, ein anders gearte tes Seelenleben"53 hätten. Vor dem Hintergrund dieses Denkmus ters lehnen die JN die multikulturelle Gesellschaft vehement ab: "Herunter mit der Maske der Tyrannen und zurück zum deutschen Volksgesicht! (...) Es gelang bereits schon einmal, diesen multikulturellen, seelisch entgleisten Berliner Moloch zu befreien. Auch damals waren es Unbekannte, die einer Idee, einer Weltanschauung folgend, das scheinbar Unmögliche erreichten." ("Der Aktivist", Ausgabe 1/2012, S. 8) 51 Homepage JNBundesverband (20. Januar 2012). 52 Homepage JNBundesverband (14. August 2012). 53 Homepage JNBundesverband (19. Juni 2012). 101 RECHTSEXTREMISMUS Im Jahr 2012 setzten die JN ihre "Volkstodkampagne" fort und ins trumentalisierten den demographischen Wandel in Deutschland für ihre rechtsextremistische Agitation: Sie zeichneten ein düste res Szenario vom Aussterben des deutschen Volkes und behaup teten, die demographische Entwicklung sei das Ergebnis einer vorsätzlich volksfeindlichen Politik. Vor diesem Hintergrund for derten sie: "Eine Zukunft für uns kann es mit den verantwortlichen Akteuren, die diese Katastrophe zu verantworten haben, nicht mehr geben! Wir müssen sie selbst erkämpfen, wenn nicht die Geschichte eines viertausendjährigen Kulturvolkes in zwei Generationen Vergangenheit sein soll." (Homepage JN-Bundesverband, 19. September 2012) Zudem beteiligte sich die Jugendorganisation 2012 an der NPDKampagne "Raus aus dem Euro" und initiierte in diesem Zusammenhang auch eigene öffentlichkeitswirksame Aktionen. So verteilten JNAktivisten in mehreren deutschen Städten the menbezogene Flugblätter und Propagandamaterialien. Teilweise kopierten sie hierbei eine neonazistische Aktionsform der 1970er Jahre, indem sie mit Eselsmasken und Umhängeschildern auf traten.54 Von den JN initiierte Demonstrationen erlangten auch 2012 nur selten überregionale Bedeutung. Die größte Kundgebung rich tete die Jugendorganisation mit rund 250 Teilnehmern im Rah men ihrer "Volkstodkampagne" am 20. Oktober 2012 in Wismar (MecklenburgVorpommern) aus. 54 Ende der 1970er Jahre demonstrierten Neonazis mit Eselsmasken und Schildern mit der Aufschrift "Ich Esel glaube noch, dass in deutschen KZs Juden vergast wurden." 102 RECHTSEXTREMISMUS 1.4.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Gründung: 2006 Sitz: Egeln (Sachsen-Anhalt) Bundesvorsitzende: Sigrid Schüßler Mitglieder: über 100 (2011: über 100) Der "Ring Nationaler Frauen" (RNF) wurde im September 2006 als Sprachrohr und Ansprechpartner für alle "nationalen" Frauen gegründet. Die Mitgliedschaft im RNF ist nicht an eine Parteimit gliedschaft in der NPD gebunden, für die Übernahme von Funkti onen schreibt die RNFSatzung allerdings eine NPDZugehörigkeit vor. Der RNF erstellt Themenflugblätter zur Frauen und Famili enpolitik, in denen z.B. die Rolle der Frau als Hausfrau und Mutter propagiert und die Kindererziehung durch gleichgeschlechtliche Partner abgelehnt wird. Auf einer eigenen Internetseite werden Pressemitteilungen und Berichte über Aktivitäten der Organisation veröffentlicht. Vertreterinnen des RNF nehmen an Demonstratio nen der Mutterpartei teil oder organisieren Infostände auf Partei veranstaltungen, wie z.B. beim "Deutsche Stimme"Pressefest am 11. August 2012 in Pasewalk (MecklenburgVorpommern). Nachdem im Februar 2012 die bisherige RNFVorsitzende Edda Schmidt von ihrem Amt zurückgetreten war, wurde auf einem Bundeskongress am 28. April 2012 in Halberstadt (SachsenAnhalt) Sigrid Schüßler aus Bayern zur neuen Bun desvorsitzenden gewählt. Sie gehört kraft Amtes auch dem NPDBundesvorstand an. Zu ihren Stellvertreterinnen wurden die sächsische NPDLandtagsabgeordnete Gitta Schüßler, die von 2006 bis 2009 als Vorsitzende des RNF amtiert hatte, sowie die bis herige Schatzmeisterin Heidrun Walde gewählt. Sigrid Schüßler kündigte eine Änderung des Führungs stils an - durch neue Impulse und Ideen wolle sie den RNF aus der Sackgasse herausführen, in den er "auch durch eigene, zu hoch gesetzte Erwartungen" geraten sei.55 In einem ersten 55 Nachrichtenportal "DeutschlandEcho" (29. April 2012). 103 RECHTSEXTREMISMUS Rundschreiben an die RNFMitglieder äußerte Schüßler, der RNF habe alle Freiheit, sich selbst "als nationale Frauenorganisation zu erfinden, auszuprobieren, zu gestalten, zu präsentieren, und unsere eigenen Impulse nach außen zu senden". Es gelte aber, nicht wie etablierte Politikerinnen die besseren Männer sein zu wollen und zu "Mannweibern" zu mutieren, sondern Frau zu bleiben und so Frauen anzusprechen.56 Frauen, so die Bundesvor sitzende in einem Artikel für die Märzausgabe des NPDParteior gans "Deutsche Stimme" (DS), nähmen in ihrem von "Natur aus angedachten Beruf der Mutter" die zentrale Rolle für die "geistige und körperliche Gesunderhaltung" und die "Wiederherstellung des Wohles unseres Volkes" ein.57 1.4.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) Gründung: 2003 Sitz: Dresden (Sachsen) Bundesvorsitzender: Hartmut Krien Die 2003 gegründete "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) versteht sich als bundesweite Interessenvertretung für kommunale Mandatsträger der Partei. Am 16. September 2012 fand in Plauen (Sachsen) der Bundeskon gress der KPV statt. Bei der Vorstandsneuwahl wurde die Mehrheit der KPVFunktionäre in ihren Ämtern bestätigt. Als KPVBun desvorsitzender fungiert weiterhin der Dresdner NPDStadtrat Hartmut Krien, der dieses Amt seit 2007 bekleidet. Auch Kriens Stellvertreter, der NPDMultifunktionär Karl Richter, wurde wie dergewählt. Im Rahmen des Bundeskongresses wurden die Vor bereitungen für das "SuperKommunalwahljahr 2014" in den Mittelpunkt der Aktivitäten gerückt. Insbesondere gelte es, geeig nete Kandidaten "langfristig vorzubereiten"58, denn, so bemerkte 56 Homepage NPD Landesverband Bayern (2. Mai 2012). 57 "Deutsche Stimme" Nr. 3/2012, März 2012, S. 21. 58 Homepage KPV (21. September 2012). 104 RECHTSEXTREMISMUS der KPVBundesvorsitzende selbstkritisch, der Mangel an fähigen Personen sei das Hauptproblem der NPD auf kommunaler Ebene: "Die Schwachstelle ist nicht der Wähler - sondern der geeignete Kandidat/Mandatsträger vor Ort." (Homepage KPV, 21. September 2012) Die KPV zielt darauf ab, die kommunalpolitischen Aktivitäten der Aufgabenfeld NPD zu professionalisieren. In Schulungen für Mandatsträger der KPV werden Vernetzung und Erfahrungsaustausch gefördert. Ferner prangert die Vereinigung angebliche Benachteiligungen von NPDMandatsträgern öffentlichkeitswirksam an und gibt den Abgeordneten Ratschläge in Bezug auf ihr Verhalten in einem "feindlich gesonnenen Gremium"59. Langfristig will die KPV Vor kehrungen für einen von ihr prognostizierten wirtschaftlichen Zusammenbruch Deutschlands treffen, indem sie ein "Heer von geschulten Kameraden" heranbildet, die zu gegebener Zeit "die gesamte mittlere Leitungsebene von einem Tag zum anderen (...) übernehmen".60 Bundesweit verfügt die NPD über rund 330 Kommunalmandate. Bedeutung der Mehr als drei Viertel davon entfallen auf die neuen Bundesländer. Kommunalpolitik für In Anbetracht der antiparlamentarischen Ausrichtung der NPD die NPD hat die Kommunalpolitik jedoch nur eine instrumentelle Bedeu tung für die Partei: Kommunale Mandate sollen neue Agitations plattformen erschließen, die lokale Verankerung vorantreiben und letztlich den Grundstein für Erfolge auf Landes und Bun desebene legen. 59 NPDBroschüre "Der NPDLandesverband Sachsen stellt sich vor", S. 15. 60 "Deutsche Stimme" Nr. 1/2010, Januar 2010, S. 3. 105 RECHTSEXTREMISMUS 2. "DIE RECHTE" Gründung: 2012 Sitz: Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) Bundesvorsitzender: Christian Worch Mitglieder: 150 Am 27. Mai 2012 fand in Hamburg unter Ausschluss der Öffent lichkeit der Gründungsparteitag der Partei "DIE RECHTE" statt. Neben dem zum Bundesvorsitzenden gewählten, langjährig aktiven Neonazi Christian Worch gehören mehrere ehemalige Mitglieder der "Deutschen Volksunion" (DVU) zu den Grün dungsmitgliedern: Ingeborg Lobocki wurde zur stellvertretenden Bundesvorsitzenden und Schatzmeisterin gewählt, Martin Ziegler zum Beisitzer. Auf einem zweiten Bundesparteitag am 13. Okto ber 2012 wurde der Bundesvorstand mit Dennis Giemsch und Sascha Krolzig um zwei weitere Beisitzer erweitert, die bis zu den Verboten des "Nationalen Widerstands Dortmund" (NWDO) bzw. der "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm) als Führungsaktivisten in diesen neonazistischen Vereinigungen wirkten (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). Organisations"DIE RECHTE" verfügte Ende 2012 über zwei Landes und sechs struktur Kreisverbände. Der Landesverband NordrheinWestfalen wurde am 15. September 2012 gegründet. Ihm gehören die Kreisver bände Dortmund, Hamm, RheinErft, Mühlheim an der Ruhr und Münsterland an. Am 17. November 2012 folgte der Landesverband Hessen mit dem später hinzugekommenen Kreisverband MainKinzig.61 Programmatik und Ihr Parteiprogramm hat "DIE RECHTE" nach eigenen Angaben politische Ziele von der DVU übernommen, es sei allerdings in zahlreichen Punk ten sprachlich sowie inhaltlich modernisiert und ergänzt worden 61 Am 26. Januar 2013 wurde der Landesverband Brandenburg gegründet, zum Vor sitzenden wurde der ehemalige DVULandesvorsitzende Klaus Mann gewählt. Am 24. Februar 2013 folgte die Gründung des Landesverbands Niedersachsen, zum Vorsitzenden wurde der Neonazi HansRobert Klug gewählt. 106 RECHTSEXTREMISMUS - u.a. durch Aussagen zur Energie oder Europapolitik. Wenn gleich die Partei vorgibt, sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu bekennen, sind die einzelnen Programm punkte nationalistisch geprägt. Zur "Wahrung der Identität" der Deutschen und zum Schutz des "deutschen Staatsvolkes" fordert die Partei u.a. ein "Zurückdrängen der Amerikanisierung" und anderer "übermäßiger fremder Einflüsse", die "Eindämmung ungezügelter Zuwanderung", die "Aufhebung der Duldung von Ausländern" sowie ein "Werbeverbot in ausländischen Sprachen". Am 8. Juni 2012 erklärte Worch in Bezug auf die politische Ausrichtung der Partei, sie sei "weniger radikal als die NPD", aber "radikaler als die REPs [Partei Die Republikaner (REP)] und die 'PROBewegung'". Er kritisierte die Erfolglosigkeit der "ver krusteten" NPD, die sich nach einer Phase der Stagnation in der Ära Voigts unter ihrem neuen Vorsitzenden Apfel nunmehr "noch erkennbarer in den Sinkflug" begebe und unterstellte ihr nebenbei eine "möglicherweise sogar böswillige Zerschlagung der DVU".62 Trotz des indirekten Werbens um enttäuschte NPDWäh ler erklärte Worch wenig später, seine Partei werde im "Fall eines NPDVerbots" nicht als "Auffangbecken für dann ehemalige NPDAngehörige" dienen.63 Worch engagiert sich seit 35 Jahren überregional in der rechtsext Führungsremistischen Szene. Bis in die frühen 2000er Jahre zählte er zu den positionen durch bundesweit bedeutendsten Protagonisten des NeonaziSpekt Neonazis besetzt rums. Er organisiert auch heute noch neonazistische Kundgebun gen und tritt dort als Redner auf. Seit dem Landtagswahlkampf 2009 in Brandenburg engagierte sich Worch für die DVU, u.a. in der Funktion eines "Organisationsreferenten", ohne allerdings Parteimitglied gewesen zu sein. Er war ein entschiedener Gegner der Fusion von DVU und NPD. Mit der Wahl der beiden Neonazis und zugleich Angehörigen des Spektrums der "Autonomen Nationalisten" Giemsch und Krolzig in den Bundesvorstand der Partei "DIE RECHTE" dürfte der neo nazistische Einfluss auf Ausrichtung und Aktivitäten der Partei weiter zunehmen. Dies gilt insbesondere für den Landesverband NordrheinWestfalen, dem etliche Aktivisten der verbotenen 62 Homepage "DIE RECHTE" (8. Juni 2012). 63 Homepage "DIE RECHTE" (26. Juli 2012). 107 RECHTSEXTREMISMUS neonazistischen Organisationen beigetreten sind und dessen Vor stand mit vier ehemaligen Führungsfunktionären dieser Kame radschaften besetzt ist: Neben Giemsch und Krolzig wird der Lan desverband von zwei weiteren ehemaligen Führungsfunktionären des NWDO bzw. der KS Hamm geleitet. Niemand von ihnen hat sich bislang von den Zielen dieser Organisationen distanziert. Bislang wenig Die politischen Aktivitäten der Partei "DIE RECHTE" beschränken Aktivitäten der Partei sich bislang vorrangig auf Maßnahmen zur Erlangung des Partei enstatus, wie z.B. die offenkundig angestrebten Wahlbeteiligun gen. Eine ernsthafte Betätigung als Partei in der derzeitigen Grün dungsphase ist noch nicht festzustellen. Die Partei "DIE RECHTE" beabsichtigt eine Teilnahme an den Wahlen zum Deutschen Bundestag im September 2013. Zudem hat Worch angekündigt, die Partei werde 2014 an den Wah len des Europäischen Parlaments teilnehmen. Der Kreisverband Hamm beabsichtigt eine Beteiligung an den Kommunalwahlen in NordrheinWestfalen im Jahr 2014. Der Landesverband NordrheinWestfalen führte am 23. Dezem ber 2012 in Dortmund zeitversetzt drei Kundgebungen mit etwa 100 Personen durch. Die Aktionen richteten sich gegen drei orts ansässige Landes und Kommunalpolitiker, die sich wiederholt für die Bekämpfung des Rechtsextremismus eingesetzt hatten. Hierbei kann die Durchführung der Veranstaltungen in räum licher Nähe zu den Wohnorten der Politiker durchaus als Ver such gewertet werden, eine Drohkulisse gegen missliebige Reprä sentanten des demokratischen Systems und deren Engagement gegen extremistische Strukturen aufzubauen. Bewertung Programmatisch versucht "DIE RECHTE", sich zwischen der "seri ösen Radikalität" der völkisch argumentierenden NPD und der vordergründig auf Mäßigung bedachten islamfeindlichen Pro Bewegung zu positionieren. Allerdings erscheint angesichts der Besetzung maßgeblicher Führungspositionen mit langjährig akti ven Neonazis auch eine entsprechende politische Ausrichtung der Gesamtpartei denkbar. Dies dürfte auch zu innerparteilichen Spannungen führen, da "DIE RECHTE" somit über eine große Bandbreite an Mitgliedern verschiedener ideologischer Überzeu gungen verfügt - von neonazistischen Aktivisten bis hin zu ehe maligen DVUAnhängern. 108 RECHTSEXTREMISMUS Aufgrund der bislang knappen personellen Ressourcen beschränkte sich die Partei bis Ende 2012 vorwiegend auf virtuelle Aktivitäten; so richteten einzelne Landes und Kommunalver bände Internetpräsenzen ein und kommentierten dort tagespo litische Ereignisse. Insgesamt stellt "DIE RECHTE" innerhalb des rechtsextremistischen Lagers derzeit keine tatsächliche Konkur renz zur NPD dar: Trotz des Mitgliederschwundes verfügt die NPD über eine ungleich höhere Mobilisierungsfähigkeit als die Par tei "DIE RECHTE". Dennoch könnte einzelnen NPDMitgliedern angesichts des unklaren Parteikurses bzw. des bevorstehenden NPDVerbotsverfahrens ein Wechsel zur Partei "DIE RECHTE" opportun erscheinen. 3. "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW") Gründung: 2007 Sitz: Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzender: Markus Beisicht Mitglieder: 1.000 (2011: 1.000) Die "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW") wurde im Februar 2007 in Anlehnung an das lokale Modell der im Jahr 1996 entstandenen "Bürgerbewegung pro Köln e.V." ("pro Köln") 64 als Verein gegründet. Seit September 2007 ist "pro NRW" als Partei tätig. Als Regionalpartei beschränkt "pro NRW" ihre politische Tätigkeit mit ihren acht Bezirks und 37 Kreisverbänden, darun ter "pro Köln", hauptsächlich auf das Land NordrheinWestfalen, 64 Mit Urteil vom 26. Juni 2013 hat das Bundesverwaltungsgericht festgestellt, dass der Bericht über die "Bürgerbewegung pro Köln e.V." in den Berichtsteilen "Rechts extremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle" bzw. "Rechtsextremismus" in den Verfassungsschutzberichten 2008, 2009 und 2010 unzulässig war. In Fällen, in denen tatsächliche Anhaltspunkte erst einen Verdacht von Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ergeben, darf der Verfassungsschutz die Vereinigung zwar beobachten. Für ihre Aufnahme in den Verfassungsschutz bericht ist die derzeitige Regelung in SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz jedoch nicht hinreichend bestimmt. Dies gilt entsprechend für den Bericht über die "Bürgerbewegung pro Köln e.V." im Verfassungsschutzbericht 2011 sowie für den Bericht über die "Bürgerbewegung pro NRW" in den Verfassungsschutzberichten 2010 und 2011 jeweils in den Berichtsteilen "Rechtsextremismus". 109 RECHTSEXTREMISMUS verfügt aber auch über internationale Kontakte. Die Funktionäre sowie große Teile der Mitglieder und Sympathisanten stammen aus dem Umfeld von "pro Köln", einige waren zuvor in ande ren rechtsextremistischen Organisationen aktiv - z.B. in der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) oder der NPD. Etwa gut ein Drittel der Mitglieder von "pro NRW" kann als Akti visten bezeichnet werden. Islamfeindlichkeit/ Ein Hauptagitationsfeld von "pro NRW" ist nach wie vor der Fremdenfeindlichkeit Kampf gegen die angeblich drohende Islamisierung Deutschlands bzw. Europas (vgl. Kap. V, Nr. 2). Im Mittelpunkt stehen Kampag nen gegen den Bau von Moscheen und Minaretten, so z.B. anläss lich des Landtagswahlkampfs in NordrheinWestfalen. Die Partei, die sich selbst als "islamkritisch" bezeichnet, propagiert ein aggressives "Feindbild Islam" und unterscheidet grundsätzlich nicht zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als extremistischer Strömung. Auf diese Weise sollen Vorurteile über Muslime verbreitet und Ängste in der Bevölkerung geweckt bzw. verstärkt werden. Die Partei agitiert in Kundgebungen und Veranstaltungen - z.T. unter Beteiligung ausländischer Rechtsextremisten - sowie durch Flugblätter und Internetveröffentlichungen gegen eine angeb liche "Islamisierung Europas". Muslime werden aufgrund ihrer religiösen Überzeugung oder ihrer Abstammung pauschal und mit plakativen Äußerungen ausgegrenzt und als nicht integrier bar dargestellt. Aussagen und Forderungen von "pro NRW" zielen auf eine Einschränkung von grundgesetzlich verbürgten Rechten - wie der Religionsfreiheit - gegenüber der gesamten Bevölke rungsgruppe der Muslime ab und verletzen die Betroffenen in ihrer Menschenwürde. In fremdenfeindlichem Duktus werden "Fremde" pauschal für gesellschaftliche Probleme verantwortlich gemacht und diffa miert. So sei es verfehlt, "Geld für Integrationsunwillige und Zuwanderer in unsere sozialen Sicherungssysteme zu verschwen den"65, denn die hier lebenden Migranten würden wiederum als "Saugpumpe für weltweite Zuwanderer" fungieren.66 Durch eine 65 Homepage "pro NRW" (5. November 2012). 66 Homepage "pro NRW" (20. Juni 2012). 110 RECHTSEXTREMISMUS Vielzahl vergleichbarer Aussagen, stets verbunden mit Hinweisen auf die Staats bzw. Länderverschuldung, suggeriert "pro NRW", die Schieflage der staatlichen Haushaltssituation sei überwiegend auf die von vornherein zum Scheitern verurteilten Bemühungen staatlicher Stellen um Integration der Migranten zurückzuführen. "Pro NRW" schürt Überfremdungsängste in der Bevölkerung, indem Menschen mit Migrationshintergrund pauschal negative Eigenschaften zugeschrieben werden. So werden sie nicht nur als "Integrationsverweigerer", sondern auch als zunehmend kriminell und gewaltbereit dargestellt: "Die Gewaltdelikte (...), insbesondere die von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, werden immer brutaler. Schnell wird ein Messer oder eine andere Waffe gezogen. Oft ist Alkohol, 'verletzte Ehre' oder einfach der Hang zur Gewalt der Grund." (Homepage "pro NRW", 22. Februar 2012) Auch ethnische Minderheiten, wie z.B. Angehörige der Bevölke Antiziganismus rungsgruppe der Roma, die, so "pro NRW", zu Tausenden legal nach Deutschland einwanderten, um hier soziale Sicherungssys teme in Anspruch zu nehmen, werden als Bedrohung des gesell schaftlichen Lebens dargestellt. "Rotationseuropäer mit rumäni schem oder bulgarischen Pass" würden als "Bettlerhorden die Passanten nicht selten zur Abgabe von Geld nötigen".67 Ihr Verhal ten sei für das Erscheinungsbild in manchen deutschen Stadtvier teln verantwortlich, die von "Schlägereien, Vermüllung, Drogen handel und offener Prostitution" sowie von "Fäkaliengeruch" geprägt seien.68 Mit einer "Aufklärungskampagne" über "eine neue Welle Asyl bewerber aus Serbien und Montenegro" übt "pro NRW" massive Kritik an der Einreisewelle "zehntausender Roma und Sintis nach Deutschland, deren Anerkennungsquote als Asylanten bei annä hernd 0% liegt". Der "pro NRW"Vorsitzende Beisicht präsentiert seine Partei hierbei als einzige politische Kraft, die die Sorgen der Bürger ernst nehme und nicht - wie andere Parteien - aus 67 Homepage "pro NRW" (30. November 2011). 68 Homepage "pro NRW" (1. August 2012). 111 RECHTSEXTREMISMUS politischer Korrektheit die Ängste und Nöte der Bürger ver schweige: "Diese Hintergründe sollen freilich nicht öffentlich thematisiert werden (...) Politische Parteien wie PRO NRW, die dies zur Sprache bringen, stören da nur das multkultibewegte Traumbild vieler Journalisten und Politiker der Altparteien." (Homepage "pro NRW", 12. November 2012) Internationale "Pro NRW" ist in europaweite Kooperationsbestrebungen von Verbindungen zu Rechtspopulisten und Rechtsextremisten eingebunden und unter islamfeindlichen hält vielfältige Kontakte überwiegend zu Aktivisten des internatio Gruppierungen nalen islamfeindlichen Spektrums. Hierzu zählen u.a. der belgische Vlaams Belang (VB), die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) sowie die französischen Gruppierungen Nouvelle Droite Populaire (NDP) und Mouvement National Republicain (MNR). Am 6. März 2012 wurde unter dem Motto "Frauen gegen Isla misierung" eine weitere europäische Initiative in Antwerpen (Belgien) gegründet. An dieser durch den flämischen VB initiier ten Aktion beteiligten sich neben "pro NRW" auch der französi sche Front National (FN) und die FPÖ. Die Initiative versteht sich als "Widerstandsbewegung" gegen die "freiheitsfeindliche Ideolo gie des Islamismus", der die Frau zur "Hure oder Sklavin" mache. Am Rande der Veranstaltung kam es darüber hinaus zu Kontak ten des stellvertretenden Vorsitzenden von "pro NRW" mit dem wegen Holocaustleugnung verurteilten Vorsitzenden der British National Party (BNP) Nick Griffin.69 Der "pro NRW"Generalsekretär Markus Wiener trat am 10. Juni 2012 beim Landesparteitag der FPÖ in Wien (Österreich) auf. In seinem Grußwort verwies er auf den "international beach teten" Landtagswahlkampf von "pro NRW", der die "Sollbruch stellen und Konfliktlinien der multikulturellen Gesellschaft" auf gezeigt habe. Unter "heftigem Applaus der Parteitagsbesucher" forderte er ein "Umdenken in der Einwanderungs und Integrati onspolitik in ganz Europa".70 69 Homepage "pro NRW" (8. März 2012). 70 Homepage "pro NRW" (12. Juni 2012). 112 RECHTSEXTREMISMUS Am 13. Mai 2012 beteiligte sich "pro NRW" an der vorgezogenen Beteiligung an der Landtagswahl in NordrheinWestfalen. Hierzu initiierte die Partei Landtagswahl 2012 im Vorfeld einen provokanten Wahlkampf mit islamfeindlicher in NRW Intention. Unter dem Motto "Freiheit statt Islam - Grundgesetz statt Scharia" führten Parteimitglieder in zahlreichen Städten Kundgebungen vor im Bau befindlichen bzw. geplanten Moscheen und Islamzentren durch. Ergänzt wurde diese Wahl kampftour durch einen Anfang 2012 ausgerufenen "islamkriti schen Karikaturenwettbewerb".71 Dieser lehnte sich bewusst an die Veröffentlichung islamkritischer Karikaturen durch eine dänische Zeitung im Jahr 2005 an, die weltweit z.T. gewalttätige Proteste ausgelöst hatte. So kam es auch am 1. Mai 2012 in Solingen (NordrheinWestfalen) und am 5. Mai 2012 in Bonn (Nordrhein Westfalen) zu massiven Ausschreitungen salafistischer Gegen demonstranten (vgl. Berichtsteil Islamismus/islamistischer Terro rismus, Kap. II, Nr. 1), nachdem "pro NRW"Anhänger - wie im Vorfeld angekündigt - mehrere MohammedKarikaturen präsen tierten. "Pro NRW" verfehlte mit 1,5% (2010: 1,4%) jedoch deutlich den zum Einzug ins Parlament erforderlichen Stimmenanteil. Die Strategie der Partei, sich im Wahlkampf auf das Thema "Islamisie rung" zu konzentrieren, hat auch 2012 nicht zum Erfolg geführt. Weder die provokante Wahlkampftour noch die Gewalteskalation durch Gegendemonstranten in Bonn und Solingen brachten der Partei zusätzliche Wählerstimmen - in beiden Städten musste die Partei sogar Stimmenverluste hinnehmen (vgl. Kap. V, Nr. 2). Bei den zuvor genannten Kundgebungen in Solingen (Nordrhein Islamfeindliche Westfalen) und in Bonn (NordrheinWestfalen) kam es zu schwe Kundgebungen von ren Ausschreitungen und massiven Übergriffen durch salafistische "pro NRW" undGegendemonstranten, die sich durch dort gezeigte Mohammed Wechselwirkungen Karikaturen provoziert fühlten: Sie durchbrachen polizeiliche mit salafistischen Absperrungen, bewarfen die Teilnehmer der "pro NRW"Kundge Bestrebungen bung sowie die eingesetzten Polizeikräfte, aber auch Unbeteiligte, mit Steinen und schlugen sie mit Fahnenstangen. Dabei wurden u.a. 31 Polizeibeamte verletzt, zwei davon schwer. Eine vergleich bare Gewalteskalation von Seiten salafistischer Aktivisten konnte bislang nicht festgestellt werden und stellt eine neue Ausprägung 71 Homepage "pro NRW" (28. März 2012). 113 RECHTSEXTREMISMUS islamistisch motivierter Aktionsformen dar (vgl. Berichtsteil Islamismus/islamistischer Terrorismus, Kap. III). Zu dem Vorwurf, wegen der kalkulierten Provokationen eine Mit schuld an den Ausschreitungen zu haben, erklärte Beisicht: "Die Behauptung, wir seien schuld an den gewalttätigen Ausschreitungen der Salafisten hat ungefähr die gleiche Qualität, als wenn man einen Triebtäter damit entschuldigen wollte, sein Opfer habe sich zu provozierend angezogen. Nein, wir haben mit unserer Aktion nur die Sollbruchstelle unserer multikulturellen Gesellschaft aufgezeigt, in der unvereinbare Wertvorstellungen zusammengezwungen werden und in der die Mehrheitsgesellschaft es sich gefallen lässt, dass Fremde die Regeln festlegen." ("Multikulti-Sollbruchstellen", in: "ZUERST! Deutsches Nachrichtenmagazin", Juni 2012) Parteimitglieder und Sympathisanten beklagten zwar die Ver letzungen von Polizeibeamten, begrüßten jedoch, wie folgende Äußerungen von Bloggern belegen, die Eskalationen und forder ten z.B.: "Die Kundgebungen müssen härter gefahren (...) werden. Mohammed Karikaturen größer und nicht nur eine!" (Internetblog freiheitlich., 3. Mai 2012) Oder: "Jetzt muss es außer Kontrolle geraten - für die Etablierten!" (Internetblog freiheitlich., 3. Mai 2012) Derartige Kommentare und Reaktionen zeigen, dass durch das bewusste Zurschaustellen von MohammedKarikaturen eine Gewalteskalation in Kauf genommen wurde oder in Teilen sogar beabsichtigt war. Ziel war hierbei weniger die Ausübung der grundgesetzlich verbrieften Rechte auf freie Meinungsäußerung 114 RECHTSEXTREMISMUS und Versammlungsfreiheit. Vielmehr sollten Muslime generell als potenziell gewaltbereit bzw. gewalttätig präsentiert werden. Bereits die Ankündigung der Medienkampagne eines Karikatu renwettbewerbs durch "pro NRW" erzeugte innerhalb des nati onalen und internationalen islamistischen Spektrums starke emotionale Reaktionen: Das - z.T. gerichtlich erlaubte - Zeigen von MohammedKarikaturen wurde als Angriff des "Westens" auf religiöse Überzeugungen gewertet und eine Gewaltanwen dung zur "Verteidigung des Islam" als gerechtfertigt angesehen. Während der "pro NRW"Wahlkampftour bekräftigten Salafis ten in Deutschland, derartige Darstellungen nicht zu tolerieren. So wurden im Internet z.B. zahlreiche Drohvideos gegen "pro NRW"Mitglieder, aber auch gegen Richter und Politiker jen seits des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland veröf fentlicht (vgl. Berichtsteil Islamismus/islamistischer Terrorismus, Kap. II, Nr. 1). "Pro NRW" ist es in einem auf "maximale Provokation" ausgeleg Bewertung ten Wahlkampf, der "bis an die Schmerzgrenze gehen" sollte, nicht gelungen, Wähler zu mobilisieren. Die Ausschreitungen gewaltbe reiter Salafisten in Bonn und Solingen (NordrheinWestfalen) dürften - trotz verwaltungsgerichtlicher Billigung des Zeigens islamkritischer Karikaturen - von einem Großteil potenzieller Wähler der "Bürgerbewegung" angelastet worden sein und zumindest in Teilen von einer Stimmabgabe für die Partei abge schreckt haben. Dessen ungeachtet ergibt sich aus der von "proNRW"Anhän gern kalkulierten Provokation von Gegendemonstranten und Muslimen - insbesondere von gewaltbereiten Salafisten - ein erhöhtes Gefährdungspotenzial. So werten es "pro NRW" und ihre Sympathisanten als propagandistischen Erfolg, dass der politische Gegner dazu verleitet worden sei, sein "wahres Gesicht"72 zu offen baren. Da "pro NRW" die öffentliche Meinung weiterhin in ihrem Sinne beeinflussen will, ist auch in Zukunft mit ähnlich provoka tiven Aktionen der Partei zu rechnen. 72 Internetblog freiheitlich. (5. Mai 2012 und 9. August 2012). 115 RECHTSEXTREMISMUS IV. Rechtsextremistische Verbreitungsstrukturen 1. Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet Das Internet hat sich auch für Rechtsextremisten zu einem zent ralen Kommunikationsmedium entwickelt. Mit seinen mannig faltigen Möglichkeiten bietet das World Wide Web einen nahezu endlosen Fundus an Informationen zur schnellen und vor allem kostengünstigen Informationsbeschaffung. Im Rahmen der Ver netzungs und Mobilisierungsbemühungen der rechtsextremis tischen Szene kommt dabei neben klassischen Internetpräsenzen und Homepages auch anderen Diensten des Internets eine zuneh mende Bedeutung zu. Web 2.0basierte Anwendungen, die von Rechtsextremisten genutzt werden, sind - neben Musik und Videoportalen - vor allem soziale Netzwerke (z.B. Facebook) sowie der Kurznachrich tendienst Twitter. All diese Dienste werden genutzt, um einem möglichst großen Adressatenkreis szeneinterne Berichte, Veranstaltungstermine und Mobilisierungsaufrufe zur Kenntnis zu geben und um eine geeignete Kommunikationsplattform zur Verfügung zu stellen. Zahl der Homepages Die Anzahl der von Deutschen betriebenen eigenständigen leicht rückläufig rechtsextremistischen Homepages war im Berichtszeitraum leicht rückläufig und lag Ende 2012 bei ca. 950 (2011: 1.000), wobei auch weiterhin eine hohe Fluktuation zu beobachten ist. Ursächlich für diesen zahlenmäßigen Rückgang einschlägiger Webseiten dürfte eine Verlagerung der Internetaktivitäten hin zu den sozialen Netzwerken sein. Eine Vielzahl der rechtsextremistischen Inter netpräsenzen wird weiterhin über sogenannte Szeneprovider - insbesondere aus dem Ausland - bereitgestellt, die ihren Kun den mehr Sicherheit durch Anonymität gewährleisten. Der Anteil der nach deutschem Recht strafbaren rechtsextremistischen Homepages liegt Schätzungen zufolge unter fünf Prozent. Die von deutschen Rechtsextremisten eingestellten Inhalte sind in der Regel so formuliert, dass die rechtsextremistische Zielsetzung zwar klar erkennbar ist, für eine strafrechtliche Verfolgung jedoch keine Angriffsfläche geboten wird. 116 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremisten versuchen für nahezu jede geplante öffentliche Rechtsextremistische Veranstaltung via Internet zu mobilisieren, um mithilfe dieses Aktionsseiten Mediums einen größtmöglichen Adressatenkreis zu erreichen. Dazu werden spezielle anlassbezogene Kampagnen und Sonder seiten zu geplanten Aktionen gestaltet. Diese oftmals bereits viele Monate im Vorfeld eingerichteten Mobilisierungsseiten enthal ten zumeist Kontakttelefonnummern, über die Einzelheiten zu den Veranstaltungen abgefragt werden können. Sie übermitteln zudem Anfahrtsskizzen und schreiben Mitfahrgelegenheiten aus. Meist sind Hinweise mit dem Appell verbunden, die zugleich angebotenen Flugblätter herunterzuladen, zu vervielfältigen und zu verteilen. Die entsprechenden Demonstrationsaufrufe werden auf zahlreiche rechtsextremistische Seiten verlinkt. Auch per SMS oder Twitter wird szeneintern auf Veranstaltungen oder Demons trationen hingewiesen. In diesem Zusammenhang ist auch die Aktionsform "Die Unsterb lichen" zu erwähnen: Deren Anhängern gelang es im Rahmen der "Volkstodkampagne", durch eine moderne und professionelle mediale Darstellung über eigene und allgemein genutzte Inter netpräsenzen innerhalb der rechtsextremistischen Szene eine breite Akzeptanz zu erreichen. Die Aktionsvideos wurden u.a. auf YouTube eingestellt und dort diskutiert. Eine Vielzahl rechtsex tremistischer Internetpräsenzen verlinkte wiederum auf diese Einstellungen. Die mystisch erscheinenden Aufzüge (Flashmobs) zielten insbesondere auf jugendliche Aktivisten ab, die z.T. noch keinen gefestigten rechtsextremistischen Hintergrund haben und sich lediglich aufgrund des geheimnisvoll anmutenden, gemein schaftlichen Erlebens an den Aktionen beteiligten (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). Rechtsextremistische InternetDiskussionsforen haben aufgrund durchgeführter Exekutivmaßnahmen erheblich an Bedeutung verloren. Am 14. Juni 2012 wurden Durchsuchungsmaßnahmen gegen Exekutivmaßnahmen mutmaßliche Betreiber und Mitglieder des "ThiaziForums", des gegen die Betreiber bis dahin bundesweit bedeutsamsten rechtsextremistischen Inter des "Thiazi-Forums" netforums, durchgeführt. Noch am selben Tag wurde die Internet plattform abgeschaltet. Eigenangaben zufolge hatte das Forum zu diesem Zeitpunkt über 32.000 registrierte Nutzer, von denen mehr 117 RECHTSEXTREMISMUS als 2.600 als "aktive Benutzer" bezeichnet wurden. Das "ThiaziFo rum" diente der Vernetzung von Personen aus allen rechtsextre mistischen Spektren. Im Forum wurde das allgemeine Tagesge schehen diskutiert, zudem wurden Szeneinterna ausgetauscht und politische Theorien besprochen. Darüber hinaus wurden auch Inhalte eingestellt, die gegen strafrechtliche Bestimmungen verstießen. Die Exekutivmaßnahmen gegen das "ThiaziForum" führten zu einer spürbaren Verunsicherung der rechtsextremistischen Szene. Infolgedessen sowie zum Schutz gegen (weitere) staatliche Maß nahmen verschärften andere rechtsextremistische Betreiber die Zugangsbedingungen zu ihren Foren. Offenkundig ist das Inte resse vieler Nutzer an einer Kommunikation innerhalb der Foren aufgrund der Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gesunken. Alternative Der Trend, wonach Internetauftritte vermehrt im WeblogFormat Berichterstattung mit interaktiver Kommentarfunktion erscheinen, setzte sich fort. Diese für den Betreiber problemlos zu bedienenden und oftmals professionell gestalteten Weblogs bieten die Möglichkeit, aktuelle, für die Szene relevante Nachrichten - oftmals mit regionalem Bezug - schnell und einfach zu verbreiten. Leser dieser Dienste sollen dazu animiert werden, sich aktiv in die politische Arbeit einzubinden und diese mitzugestalten (sogenanntes Mitmach Internet). Ziel der Betreiber und Nutzer ist es, eine "Gegenöffentlichkeit" zu schaffen, da den sogenannten Systemmedien eine eindimen sionale, manipulierte Berichterstattung vorgeworfen wird. Sie stünden unter dem Zwang, auf staatlichen Druck hin oder mit Rücksicht auf Geldgeber und Anzeigenkunden mit "Halbwahrhei ten" arbeiten zu müssen. Um diesem Zustand entgegenzuwirken, setzen sich Rechtsextremisten das Ziel, über ihre Internetpräsen zen täglich "ungefilterte" Meldungen zu einer großen Bandbreite an politischen Themen zu verbreiten und dadurch "Aufklärungs arbeit" zu leisten. Internetportal Dabei kommt dem Internetportal "Altermedia Deutschland" wei "Altermedia terhin eine herausragende Bedeutung zu. Hier werden tagesaktu Deutschland" elle Berichte zur Verfügung gestellt und aus rechtsextremistischer Sicht kommentiert. Daneben werden auch Informationen über den politischen Gegner und Personen des öffentlichen Lebens in 118 RECHTSEXTREMISMUS z.T. diffamierender Weise verbreitet. So veröffentlicht "Alterme dia Deutschland" beispielsweise im Rahmen einer Artikelreihe "SUPERVERBRECHER des Nordens" seit Oktober 2012 Sammel spielkarten, die jeweils eine Person des öffentlichen Lebens und als Gegenstück einen Gewalttäter eines spektakulären Krimi nalfalls aus Niedersachsen zeigen. Den abgebildeten Personen werden dabei - analog zu Kinderspielkarten ("Quartett") - Punkte von 0 bis 5 in vier Kategorien ("Verursachter Schaden", "Krimi nelle Energie", "Risikofaktor" und "Lügen") zugewiesen, wobei die höhere Spielkarte gewinnt. Den Schwerstkriminellen wer den dabei grundsätzlich die niedrigeren Werte zugewiesen als den anderen Personen. Die Urheber dieser Sammelkarten zielen darauf ab, bekannte Personen des öffentlichen Lebens, die sich insbesondere der Bekämpfung des Rechtsextremismus widmen und für Integration von Menschen mit Migrationshintergrund eintreten, zu diskreditieren und der Lächerlichkeit preiszugeben.73 Unter dem Deckmantel der Anonymität des Internets werden Kommentare zu den Sammelkarten verfasst, die in Teilen beleidi gende und ehrverletzende Äußerungen enthalten: "Sehr gut! Die Spielkarten kann man sich ausdrucken und mit den Kindern am We [Wochenende] spielen. So lernen sie spielerisch den BRD-Abschaum kennen!" (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 9. Oktober 2012) Zwei Verantwortliche des Internetportals "Altermedia Deutschland" Spendenwurden im Oktober 2011 u.a. wegen Volksverhetzung und Auffor kampagnen derung zu Straftaten rechtskräftig zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Seit dem Frühsommer 2012 organisiert die rechtsextre mistische Szene Solidaritätsaktionen zugunsten des Hauptbetrei bers der Internetplattform, so wurde z.B. eine Spendenkampagne gestartet. Auch die 2012 ergangenen Verbotsverfügungen gegen die rechts extremistischen Gruppierungen "Besseres Hannover", "Nationa ler Widerstand Dortmund" (NWDO), "Kameradschaft Aachener 73 Internetplattform "Altermedia Deutschland" (6. Oktober 2012). 119 RECHTSEXTREMISMUS Land" (KAL) und "Kameradschaft Hamm" (KS Hamm, vgl. Kap. II, Nr. 3.2) zogen breit angelegte Spendensammlungen nach sich. Entsprechende Aufrufe wurden auf diversen rechtsextremisti schen Homepages, Weblogs und TwitterAccounts platziert sowie in Foren und sozialen Netzwerken aufgegriffen, um auf diese Weise den Rechtsstreit der betroffenen Personen bzw. Organisati onen durch Solidaritätsbeiträge mitzufinanzieren. InternetSpendenaufrufe, deren Erlöse zur Deckung der Betriebs kosten von Webpräsenzen dienen sollen, stellen ebenfalls keine Seltenheit dar. Diese Spendenkampagnen belegen beispielhaft, dass Rechtsextremisten das Internet auch als Mittel zur Finanzie rung nutzen. Soziale Netzwerke Ein großer Teil rechtsextremistischer Homepages verweist auf entsprechende TwitterAccounts, YouTubeVideos oder Angebote in sozialen Netzwerken. Vertreten sind hier rechtsextremistische Parteien, neonazistische Gruppierungen, Szenevertriebe einschlä giger Devotionalien oder Bekleidung, rechtsextremistische Musikgruppen, bekannte Rechtsextremisten, die mit Klarnamen auftreten sowie auch Personen, die anonym mit "Nicknames" agieren. Diese virtuelle Selbstdarstellung dient nicht nur der Erhöhung des eigenen Bekanntheitsgrads, sondern auch der Wer bung und Gewinnung neuer Interessenten bzw. Kunden sowie der effektiven Verbreitung von szenerelevanten Neuigkeiten wie CDVeröffentlichungen, Konzerttermine etc. an einen großen Empfängerkreis. Die sozialen Netzwerke bieten darüber hinaus die Möglich keit, bestimmte Inhalte nur einem ausgewählten Empfänger kreis zugänglich zu machen. In diesen Fällen entscheidet allein der Inhaber der entsprechenden Profilseite, ob und in welchem Umfang er einem anderen Nutzer Zugang zu seinem geschlosse nen Freundeskreis gewährt. In einigen Fällen erlangen ausschließ lich szenebekannte Personen oder nur dem Inhaber persönlich Bekannte Zutritt zu solchen Seiten. Insbesondere die wechselseitigen Verlinkungen unter den Nut zern sozialer Netzwerke fördern die Bildung von "Freundes kreisen". Diese Art der Internetkommunikation erzeugt bei den Teilnehmern ein Zusammengehörigkeitsgefühl und führt oftmals zur Entstehung virtueller Beziehungen. Bisweilen finden diese 120 RECHTSEXTREMISMUS Internetkontakte Widerhall im realen Leben und münden in per sönliche Verbindungen, Teilnahme an Treffen bis hin zur Grün dung von Personenzusammenschlüssen, die eigene Aktivitäten in der Realwelt entwickeln, welche dann wiederum im Internet publiziert werden. Auf diese Weise können sich schnell neue Per sonenzusammenschlüsse entwickeln. Nachdem die klassischen sozialen Netzwerke wie etwa Facebook vermehrt rechtsextremistische Inhalte gelöscht und die damit in Zusammenhang stehenden Profile gesperrt haben, wurde als Alternative ein Netzwerk speziell für "Nationalisten" gegrün det und auf bekannten Internetseiten der rechtsextremistischen Szene beworben. Das sogenannte Netzwerk Rechts ist hinsicht lich der Mitgliederzahl deutlich kleiner als vergleichbare soziale Netzwerke. Im Gegensatz zu den bekannten Netzwerkplattformen werden Nutzer hier jedoch nicht aufgrund extremistischer Profile und Äußerungen gesperrt, sodass für Rechtsextremisten ein freier Gedankenaustausch unter Gleichgesinnten möglich ist. Die insbesondere bei Jugendlichen sehr beliebten Musik und Musikund Videoplattformen bieten auch Rechtsextremisten die Gelegenheit, Videoportale eigene Filme einzustellen. Bei den entsprechenden Clips handelt es sich um Werbevideos einzelner Kameradschaften, selbst erstellte Filmaufnahmen, die anlässlich rechtsextremistischer Demonstrationen entstanden sind oder auch um Musikclips mit Liedern rechtsextremistischer Bands. Insbesondere die Musik videos sind z.T. strafrechtlich relevant. So existieren Videoclips mit strafbarem Liedgut, Darstellungen verfassungswidriger Kenn zeichen sowie gewaltverherrlichenden oder rassistischen Inhal ten. Videos mit strafbaren Inhalten werden oftmals von Nutzern aus dem Ausland eingestellt. Die im September 2012 durch den niedersächsischen Innenmi nister verbotene Vereinigung "Besseres Hannover" hatte insbe sondere durch den Einsatz von Propagandavideos im Internet überregionale Aufmerksamkeit erlangt. Bereits im Dezember 2011 kündigte die Gruppe "für die Durchsetzung unserer politischen Ziele und zur Bewahrung unserer Kultur" den Einsatz einer "neuen Waffe" an.74 Die Videoreihe präsentierte in zynischer Manier ausländerfeindliche Thesen. Zielgruppen dürften - neben 74 Homepage JNBundesverband (22. Dezember 2011). 121 RECHTSEXTREMISMUS den Angehörigen der rechtsextremistischen Szene - vorrangig Jugendliche und junge Erwachsene gewesen sein. Wesentliches Medium für die Verbreitung der "AbschieBär"Vi deos war die Videoplattform YouTube. In den Kommentarberei chen zu den einzelnen Videos bewerteten die Nutzer nicht nur die Filme selbst, sondern äußerten in z.T. fremdenfeindlicher Diktion auch ihre Meinungen zu anderen Themen (z.B. mögliches NPDVerbot, Deutschland als Einwanderungsland und die Inte gration der türkischstämmigen Bürger etc.): "Weiterso!!! Sehr lustig. Kommt mal hier her Bär. Hier gibts jede Menge Arbeit mit den Ölaugen...." (Videoplattform YouTube, 28. März 2012) Die mit dem Schutz durch "Nicknames" verbundene Anonymität begünstigte den teilweise sehr rüden Umgangston, der neben Beleidigungen mitunter auch strafbare Parolen einschloss: "Sieg Heil, Raus aus Deutschland ihr dreckigen Schweine oder geht wenigstens Sterben." (Videoplattform YouTube, 28. März 2012) Internetradios Rechtsextremistische Internetradios dienen hauptsächlich der Verbreitung einschlägiger Musik, wobei angesichts des vermeint lichen Schutzes des Internets auch Lieder mit indizierten oder strafbaren Inhalten verbreitet werden. Die Sendezeiten variieren von wenigen Stunden wöchentlich bis zu einem 24StundenPro gramm. Einige Radios moderieren ihre Titel zeitweise an und gehen auch auf Hörerwünsche ein. Mehrheitlich greifen die Ver antwortlichen zur Gewährleistung des Sendebetriebs allerdings auf entsprechende Software zurück. Im Jahr 2012 lag die Zahl der rechtsextremistischen Internet radios bei 19 (2011: 33) und ist damit deutlich zurückgegangen. Dieses Segment ist seit Jahren von hoher Fluktuation geprägt: Die meisten Radios senden nur für einen kurzen Zeitraum, nur wenige Ausnahmen werden über mehrere Jahre hinweg betrieben. 122 RECHTSEXTREMISMUS Ursächlich für die rückläufige Entwicklung dürften die diversen Exekutivmaßnahmen in den vergangenen Jahren sein, die zu einer großen Verunsicherung in der Szene geführt haben. Neben dem Internetradio "FSN"75 wird seit August 2012 erstmals Internet-TV auch ein InternetTV "FSN" betrieben. Das Programm besteht aus Nachrichten, CDVorstellungen, Gewinnspielen, Rechtsberatun gen, Gesprächen mit Studiogästen sowie anderen, variierenden Programmpunkten und wird regelmäßig zwei Stunden pro Woche ausgestrahlt. Rechtsextremisten haben in der Vergangenheit immer wieder Neue Werbemittel bewiesen, dass sie sehr schnell in der Lage sind, die sich neu eröff nenden Möglichkeiten des Internets für ihre Zwecke zu nutzen. Seit kurzem werden innerhalb der rechtsextremistischen Szene beispielsweise sogenannte Quick ResponseCodes (QRCodes) zur Verbreitung von Informationen mit rechtsextremistischen Bezü gen genutzt bzw. deren Einsatz beworben. Die entsprechenden QRCodes werden zum Download oder alternativ als Aufkleber angeboten, die etwa an Häuserwände oder Laternenpfähle geklebt werden sollen. QRCodes sind ein probates Werbemittel, da ihr Erscheinungsbild Aufmerksamkeit und Neugier weckt. Weil der im QRCode abgelegte Inhalt bzw. die Weiterleitung auf ein Inter netangebot mit rechtsextremistischem Inhalt auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist, dürfte die Hemmschwelle relativ niedrig sein, den Code mit einem geeigneten Mobiltelefon (Smartphone) zu aktivieren. Auf diese Weise erhöht sich die Wahrscheinlich keit, dass selbst Personen, die rechtsextremistisches Gedankengut ablehnen, mit dieser Ideologie konfrontiert werden. Angesichts der Kostenfreiheit, leichten Handhabung sowie der technisch simplen Möglichkeiten zur Herstellung und Verbreitung von QRCodes ist davon auszugehen, dass die rechtsextremistische Szene dieses Instrument verstärkt zur Werbung nutzen wird. Auch die Verwendung von virtuellen Anstecknadeln, sogenannten PicBadges, hat sich inzwischen in der rechtsextremistischen Szene etabliert. Insbesondere in sozialen Netzwerken - zum Beispiel in FacebookProfilen - nutzen Rechtsextremisten die Möglichkeit, 75 Die Abkürzung "FSN" steht für das in der Kameradschaftsszene verwendete Motto "Frei Sozial National". 123 RECHTSEXTREMISMUS durch das Gestalten und Veröffentlichen eigener Anstecker ihre Gesinnung zum Ausdruck zu bringen. Bewertung In dem Maße, in dem das Internet an Bedeutung für nahezu alle Lebensbereiche gewinnt, nimmt auch die Nutzung dieses Medi ums durch Rechtsextremisten zu. Es ermöglicht Rechtsextremis ten, ihr verfassungsfeindliches Gedankengut breit zu streuen und ist wirkungsvolles Mobilisierungsinstrument und attraktiver Wer beträger zugleich. Über das Internet können neue Interessenten kreise, insbesondere unter Jugendlichen, angesprochen werden. Dem Medium Internet dürfte daher in den nächsten Jahren bei der Verbreitung rechtsextremistischer Propaganda, als Kommuni kationsplattform und nicht zuletzt bei der Koordination von Akti vitäten der rechtsextremistischen Szene eine weiter wachsende Bedeutung zukommen. Die Internetauswertung der Sicherheits behörden hat sich auf diese Entwicklung eingestellt. 2. Rechtsextremismus und Musik Bedeutung der Musik mit rechtsextremistischen Texten spielt auch weiterhin eine rechtsextremistiwichtige Rolle für das gesamte rechtsextremistische Spektrum. schen Musik Sowohl offen als auch unterschwellig werden hier rechtsextremis tische Feindbilder verbreitet und nationalistische, fremdenfeindli che, antisemitische sowie antidemokratische Ideologiefragmente transportiert, entsprechende Denkmuster geformt und verfestigt sowie ein subkulturelles Identitätsgefühl beschworen. Rechtsextremistische Konzertveranstaltungen ermöglichen einer seits das ungehemmte Ausleben der eigenen Gesinnung, anderer seits den Aufbau und die Verfestigung szeneinterner Bindungen. Dadurch werden die oftmals informellen, netzwerkartigen Struk turen innerhalb der Szene gepflegt und ausgebaut. Die Konzerte werden häufig konspirativ geplant und zumeist nur auf szenein ternen Kommunikationswegen publik gemacht. Um polizeilichen Kontrollmaßnahmen zu entgehen bzw. diese zu erschweren, wer den die Veranstaltungsorte z.T. sehr kurzfristig festgelegt. Der mit einer solch flexiblen Organisationsform verbundene "EventCha rakter" wirkt auch auf Jugendliche und junge Erwachsene attrak tiv, die noch nicht fest der Szene zuzurechnen sind, und begüns tigt oft deren Einstieg in die rechtsextremistische Szene. 124 RECHTSEXTREMISMUS Der Gewaltbezug ist ein Kernelement der rechtsextremistischen Herabsetzen der Musikszene. Die häufige Thematisierung von Gewalthandlungen Hemmschwelle zur in einschlägigen Liedtexten bewirkt ein Herabsetzen der Gewaltanwendung Hemmschwelle in Bezug auf Gewalttaten gegen den politischen Gegner, Angehörige ethnischer und gesellschaftlicher Minderhei ten oder den Staat und dessen Vertreter. Das subkulturelle Identi tätsgefühl erhält durch die Musik eine zumindest latente Gewalt dimension - hierdurch steigt die Wahrscheinlichkeit realer Gewalthandlungen. Die Szene ist nach wie vor bemüht, die Produktion strafrechtlich relevanter Tonträger zu vermeiden, um den Sicherheitsbehör den keine Ansatzpunkte für exekutive Maßnahmen zu liefern. Dennoch weisen zahlreiche Liedtexte Inhalte auf, die aufgrund der festgestellten Jugendgefährdung zumindest eine Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) rechtfertigen. Hierunter fallen insbesondere Liedtexte, die zu Rassenhass und Gewalttätigkeiten anreizen oder den Nationalso zialismus verherrlichen. Die Texte rechtsextremistischer Musikgruppen enthalten Anspie Aufforderung zur lungen oder auch konkrete Aufforderungen zu Gewalttaten mit Gewalt in Texten antisemitischem, antidemokratischem sowie fremdenfeindlichem rechtsextremistischer Hintergrund. Musikgruppen So spiegeln die Gewaltaufrufe in dem Lied "Skinheadkraft" der Gruppe "Volkstroi" (Brandenburg) rassistische und antisemitische Ideologiefragmente des historischen Nationalsozialismus wider. Zugleich werden Gewalthandlungen gegenüber politischen Geg nern und Fremden befürwortet: "Parasiten wisst ihr, wer das ist, das ist der Jude und der Kommunist. (...) Doch wir meinen jetzt ist Schluss damit, wenn wir alle dagegen stehen, werden sie bald untergehen. (...) Türken dealen, die Neger klauen, doch wir werden ihnen die Fresse einhauen. " (Musikgruppe "Volkstroi", CD "Skinheadkraft", Lied "Skinheadkraft")76 76 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 29. Juni 2012. 125 RECHTSEXTREMISMUS Während der Großteil der etablierten Musikgruppen strafrecht liche Textpassagen vermeidet, ist dies bei anonym agierenden Musikgruppen und projekten, die in der Regel nicht auf Kon zerten auftreten, nicht der Fall: Deren Texte überschreiten oft die Grenze zur Strafbarkeit. Zahlreiche Musiktexte aus diesem Spekt rum sind zudem antisemitisch geprägt bis hin zu mehr oder min der offenen Gewaltaufrufen mit antisemitischem Hintergrund. In dem Lied "Ab in die Hölle" der Musikgruppe "Zug um Zug" heißt es z.B.: "Seht ihr da unten im fernen Land, die krummen Nasen mit gieriger Hand. Sie zetteln Kriege an und zerstören die Welt, es geht diesem Pack nur ums Geld. Vor 2000 Jahren wusste man schon, der Galgen ist der gerechte Lohn. Und heute sieht es nicht anders aus, ich sage es deutlich, Judäa raus. Zug um Zug ab ins Lager, Zug um Zug totale Deportation. Zug um Zug ab in die Hölle. Zug um Zug für eine reine Nation." (Musikgruppe "Zug um Zug", CD "Ab in die Hölle", Lied "Ab in die Hölle")77 Ein weiteres Beispiel für antisemitische Gewaltaufrufe ist ein Lied der Musikgruppe "Schwarze Division Sachsen", in dem es heißt: "Doch wer ist bald das schwächste Glied, ganz klar es ist der Semit. Wer wird sein Handeln bald bereuen, jedes verdammte Judenschwein." (Musikgruppe "Schwarze Division Sachsen", CD "Juden sind hier unerwünscht", Lied "Der Jud")78 Die antidemokratische Haltung rechtsextremistischer Musik gruppen kommt in deren Liedtexten deutlich zum Ausdruck: Die Demokratie und ihre Vertreter werden verleumdet und es wird zum Kampf gegen das "System" aufgerufen. Mitunter wird sogar 77 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 31. Mai 2012. 78 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 52 vom 30. März 2012. 126 RECHTSEXTREMISMUS konkrete Gewalt gegen den Staat bzw. dessen Vertreter propagiert, wie das folgende Beispiel zeigt: "Ich hasse das System und eure kranke Politik, aber ich kann euch versprechen, auf euch wartet der Strick. Wir werden euch kriegen und bringen euch zur Strecke, dann werdet ihr hängen an jeder Ecke." (Musikgruppe "Aktion Reinhard", CD "Demo", Lied "Auf euch wartet der Strick")79 Die Anzahl der rechtsextremistischen Konzerte war 2012 mit Anzahl rechts82 Veranstaltungen (2011: 131) rückläufig. Dies dürfte zum einen extremistischer auf den seit Jahren zu beobachtenden Rückgang des subkulturell Musikveranstalgeprägten Personenpotenzials zurückzuführen sein. Zum anderen tungen gesunken ist eine gewisse Verunsicherung der Szene im Zusammenhang mit den intensiven Aufklärungs und Bekämpfungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden (Organisationsverbote, Durchsuchungen etc.) zu beobachten, was sich in einer offensichtlichen Zurückhal tung der Konzertveranstalter niederschlägt. Die Zahl der durchgeführten Liederabende verringerte sich im Jahr 2012 auf 17 (2011: 30), ebenso rückläufig war die Anzahl sons tiger Veranstaltungen, bei denen beispielsweise im Rahmenpro gramm rechtsextremistischer Parteiveranstaltungen einschlägige Musiker auftraten (2012: 49, 2011: 57). Im Jahr 2012 konnten insgesamt 19 rechtsextremistische Musik Staatliche veranstaltungen durch intensive Aufklärungsarbeit der Sicher Maßnahmen heitsbehörden und polizeiliche Kontrollen im Vorfeld verhindert werden (2011: 13). Die Anzahl der rechtsextremistischen Musikgruppen stieg 2012 auf 182 (2011: 178), die der Liedermacher entsprach mit 23 (2011: 22) etwa dem Niveau des Vorjahres. 2012 existierten bundesweit 82 Vertriebe (2011: 91) zur Verbrei tung von Tonträgern rechtsextremistischer Musikgruppen sowie einschlägiger Szenebekleidung. 79 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 29. Juni 2012. 127 RECHTSEXTREMISMUS 3. Organisationsunabhängige Verlage, Vertriebsdienste und Publikationen Zahlreiche Verlage und Vertriebsdienste agieren unabhängig von rechtsextremistischen Parteien und Vereinen und veröffentlichen eine Fülle von Büchern und Schriften, in denen sie eine rechtsext remistische Weltsicht verbreiten. Periodische Insgesamt wurden 2012 in der rechtsextremistischen Szene 91 Publikationen (2011: 85) periodische Publikationen verbreitet. Themenfelder Ein Großteil der angebotenen Bücher und Zeitschriften befasst sich mit stets denselben Themen der deutschen Geschichte - ins besondere mit der NSZeit. Jedes Jahr erscheint eine Vielzahl neuer, teilweise hochwertig gestalteter Werke, die auf einen ein schlägig interessierten Leserkreis treffen. Da Internetbuchhand lungen rechtsextremistische Publikationen - meist mit dem origi nalen Werbetext - neben seriöser Literatur anbieten, erreichen entsprechende Veröffentlichungen auch einen nicht rechtsextre mistisch vorgeprägten potenziellen Kundenkreis. Strafverfahren wegen volksverhetzender Schriften oder Indizie rungsmaßnahmen behindern die Verbreitung bereits produzierter Werke und schmälern die Gewinne der verantwortlichen Unter nehmen. Gewinnorientierte Verlage versuchen daher in der Regel, die Grenzen der Strafbarkeit nicht zu überschreiten. Allerdings werden in Deutschland verbotene oder indizierte Werke häufig aus dem Ausland eingeführt oder sind kostenlos im Internet erhältlich. "Verlag libergraphix" Neben etablierten Verlagen treten immer wieder auch neue Unternehmen auf. Der im Aufbau befindliche "Verlag libergra phix" bot 2012 einer für Verschwörungstheorien empfänglichen Leserschaft die Neuerscheinung "Mord und Perversion - Ver schwiegenes aus der Welt der Demokraten" an. Das Werk zielt darauf ab, das Vertrauen der Bürger in die Demokratie zu erschüt tern, indem es unterstellt, in der "Welt der Demokraten" würden "politisch unkorrekte Zeitgenossen" ermordet und die Taten anschließend als Unfall oder Selbstmord dargestellt: "Wolfgang Hackert weist wiederholt auf die erstaunliche Tatsache hin, daß 95 Prozent aller normalen Mordfälle von der 128 RECHTSEXTREMISMUS Kriminalpolizei aufgeklärt werden, doch die unterschiedlichen 'Unfälle' und 'Selbstmorde' politisch unkorrekter Zeitgenossen mit Deutungsmustern versehen werden, die einer Beleidigung des gesunden Menschenverstandes gleichkommen." (Wolfgang Hackert: "Mord und Perversion - Verschwiegenes aus der Welt der Demokraten", Gröditz 2012, Buchrückseite) Der Autor schildert eine Vielzahl angeblicher "Fallbeispiele" und kommt zu dem Schluss: "Die signifikant große Zahl der Politiker, die einen ungewöhnlichen Tod starben, deutet darauf hin, daß eine einflußreiche Hintergrundmacht dafür sorgt, daß volkstreue und unbequeme Leitfiguren verschwinden, sofern sie bestimmten vitalen Interessen im Wege stehen." (Wolfgang Hackert: "Mord und Perversion - Verschwiegenes aus der Welt der Demokraten", Gröditz 2012, S. 334) 2011 war der Verlag bereits durch eine antisemitische Veröffentli chung80 aufgefallen, die 2012 in die Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen wurde.81 Zu den größeren langjährig aktiven Unternehmen zählen u.a. der "GrabertVerlag" in Tübingen (BadenWürttemberg) sowie der "ArndtVerlag" in Kiel (SchleswigHolstein). Der von Wigbert Grabert geleitete Verlagskomplex, zu dem "Grabert-Verlag" neben dem "GrabertVerlag" das Schwesterunternehmen "Hohen rainVerlag" gehört, verbreitet zahlreiche Eigenveröffentlichun gen, darunter auch zwei langjährig erscheinende Periodika: die Monatsschrift "EuroKurier. Aktuelle Buch und Verlagsnachrich ten" sowie die Vierteljahresschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG). Als deren Chefredakteur fungiert der stellvertretende Vorsitzende der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und Chefredakteur der "Deutsche Stimme" Karl Richter. Die Verlagsveröffentlichungen verharmlosen die Zeit 80 Wolfgang Hackert: "Die jüdische Epoche - Ordo ab chao", Gröditz 2011. 81 Das Buch wurde durch die BPjM indiziert, vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 31. Dezember 2012. 129 RECHTSEXTREMISMUS des Nationalsozialismus, relativieren die Schuld der NSFührung am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und verbreiten Verschwö rungstheorien. "Arndt-Verlag" Wirtschaftlich erfolgreich agiert seit Jahren die von Dietmar Munier geleitete "Lesen & Schenken GmbH", der auch der "ArndtVerlag" angehört. Während Eigenveröffentlichungen des Verlags vorsichtig abgefasst sind und latent die Bewunderung für das NSRegime zum Ausdruck bringen, unterhält der Verlagsinha ber zahlreiche Kontakte in das rechtsextremistische Spektrum. So war bei einer als privat deklarierten Sonnenwendfeier Muniers im Juni 2012 der mehrfach verurteilte Holocaustleugner Ernst Zündel zu Gast. Derartige auf Volksbrauchtum abgestellte Feierlichkeiten dienen traditionell der ideologischen Festigung der Teilnehmer. Neben Bildbänden, welche die NSZeit beschönigen, indem sie beispielsweise ohne politische Einordnung die Festungsarchitek tur oder Wehrtechnik des Dritten Reichs verherrlichen, liegt ein besonderer Schwerpunkt auf grenzrevisionistischen Texten: "Das letzte Wort über unsere deutschen Ostprovinzen und über das Sudetenland ist noch nicht gesprochen. Wir selbst dürfen natürlich nicht von unserem Anspruch ablassen. (...) Was Schlesien angeht, heißt unsere Aufgabe: 'Immer daran denken, bei jeder Gelegenheit darüber reden, nie verzichten!'" (Dietmar Munier: "Der Schlesier muß leben!", in: "Lesen & Schenken - Der Jahreskatalog 2012", S. 39) Diesem Ziel dient auch weiterhin die Anfang 2011 von Munier übernommene und seither modernisierte Wochenschrift "Der Schlesier. Gesamtdeutsche Wochenzeitung"82. Trotz optisch zeit gemäßer Gestaltung bleibt die Publikation thematisch auf tradi tionellem Kurs. "Gesellschaft für Dem Meinungsaustausch rechtsextremistischer Verleger und freie Publizistik e.V." Autoren dient seit 1960 die "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." (GfP) (GfP) mit mehr als 500 Mitgliedern. Die 52. Jahrestagung der GfP 82 Bis zur Ausgabe Nr. 1011/2011 vom 11./18. März 2011 hatte die Schrift den Titel "Der Schlesier. Breslauer Nachrichten. Unabhängige gesamtdeutsche Wochen zeitung". 130 RECHTSEXTREMISMUS unter dem Motto "Das Volk befragen! - Der Euro und das Demo kratiedefizit" fand vom 18. bis 20. Mai 2012 in Kirchheim (Thürin gen) mit etwa 100 Teilnehmern statt. Die dort auftretenden Red ner diffamierten das politische System Deutschlands als "Demokratielüge", verunglimpften die "'Demokratie' als Kulisse der Fremdbestimmung und Machtausübung seit 1789", wandten sich gegen die "Umerziehung" und forderten die Befreiung der Völker aus dem "Würgegriff der Globalisierung": "Solange die ethnische Homogenität eines Volkes nicht grundlegend verändert worden ist, können Umerzogene wieder umerzogen werden. Es wundert nicht, daß die Globalisierer fleißig daran arbeiten, in EUropa ethnisch unumkehrbare Verhältnisse herbeizuführen. Auch Deutschland, Österreich und die Schweiz wären zweifellos in der Läge, sich aus dem Würgegriff der Globalisierung zu befreien." (Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (Hrsg.): "Das Volk befragen! - Der Euro und das Demokratiedefizit", Tübingen 2012, S. 124) Durch eine seriöse Präsentation und z.T. aufwendige und Bewertung moderne optische Gestaltung ihrer Publikationen bemühen sich die Herausgeber, rechtsextremistische Ideologiefragmente zu transportieren, ohne dass auf den ersten Blick der tatsächliche Hintergrund der Schriften offenbar wird. Gerade unbedarften, nichtextremistischen Lesern können durch die einseitige und z.T. verfälschte Darstellung der deutschen Geschichte oder politischer Prozesse undemokratische, antisemitische und revisionistische Einstellungsmuster vermittelt werden. Die Erzeugnisse rechtsex tremistischer Verlags und Vertriebsdienste können daher auch als Einstiegsfeld in die rechtsextremistische Ideologie dienen, abseits eines neonazistischen oder subkulturellen Eventcharak ters. 131 RECHTSEXTREMISMUS V. Ausgewählte rechtsextremistische Aktionsfelder 1. Antisemitismus Begriffsdefinition Unter Antisemitismus versteht man die politisch, sozial, rassis tisch oder religiös (Antijudaismus) grundierte Feindschaft gegen über Juden. Der Antisemitismus ist ein Basiselement rechtsextremistischer Ideologie und zeigt sich - offen, unterstellend oder verbrämt - in annähernd all seinen Erscheinungsformen. Der rassischvöl kische, vor allem aber der sozioökonomische und politische Antisemitismus sowie der antizionistische Antisemitismus sind im aktuellen deutschen Rechtsextremismus in unterschiedlicher Stärke präsent. Rechtsextremisten argumentieren verschwörungs theoretisch - als wesentliche dunkle Macht im Hintergrund erscheinen "die Juden" bzw. das "Weltjudentum". Konkrete Poli tikfelder erhalten hier ihre pseudotheoretische Grundlage: Alles und jedes wird verknüpft mit einem angeblichen jüdischen Wir ken, Fremdherrschaft ebenso wie die sich antagonistisch gegen überstehenden Modelle Kapitalismus und Kommunismus. Da judenfeindliche Agitation in Deutschland auf Ablehnung stößt, steht sie nicht im Mittelpunkt rechtsextremistischer Argu mentation, sondern fließt vielmehr - wie selbstverständlich - in Nebensätze und Randbemerkungen ein. Politischer Der politische Antisemitismus unterstellt "den Juden" in ver Antisemitismus schwörungstheoretischer Manier, dass sie die Weltherrschaft anstreben. "Die Juden" werden als Macht dargestellt, die hinter den Kulissen der Politik "die Strippen zieht" und mit der "Machteroberung" in den USA die Umsetzung der Weltverschwörung vorantreibt: "Mit dem Holocaust-Status erlebte das Judentum die größte Blütezeit seiner gesamten Existenz. Juden eroberten die Macht in den USA und kontrollieren seither die Welt - politisch wie militärisch über die USA. Natürlich lenkten Führungsjuden schon immer die Geschicke der Welt hinter den Kulissen. Aber im gewöhnlichen Volk sah man in den Juden mehr oder weniger gemeine Gauner. Doch mit der 132 RECHTSEXTREMISMUS Holocaust-Lüge erwuchs der gesamten Judenheit ein quasi göttlicher Status. In den Augen der Menschheit, so hoffte man im Führungsjudentum, würde sich der 'verachtete Jude' in eine neue Gottheit verwandeln." (Homepage "National Journal", 1. September 2012) In aktuellen rechtsextremistischen Publikationen wird gern auf vermeintlich seriöse "Wissenschaftler" oder "Studien" des Dritten Reichs verwiesen, um antisemitischen Äußerungen einen wissen schaftlichen Anstrich zu verleihen: "Die Weltclique der jüdischen Finanz-Lobby entwickelte sich über Jahrtausende hinweg und wurde von den Führern geradezu für die Aufgabe der Weltunterwerfung durch Weltausraubung herangezüchtet, wie in dem Buch 'Wie kam der Jude zum Geld?' nachgewiesen wird. Einige könnten jetzt einwenden, dass dieses die Welt erklärende Buch ja in der Hitlerzeit herausgekommen sei und deshalb derartige Schlüsse darin zu lesen seien. Falsch, gerade heute wird diese Tatsache von den höchsten Rabbinern in Israel bestätigt, nämlich dass der Rest der Menschheit nur eine Aufgabe zu erfüllen habe, dem Judentum zu dienen: 'Nichtjuden sind nur auf dieser Welt, um den Juden zu dienen.'" (Homepage "National Journal", 13. März 2012; Hervorhebungen im Original) Der antizionistische Antisemitismus zeigt sich vor allem in der Antizionistischer kategorischen Ablehnung des Staates Israel. Unter dem Deckman Antisemitismus tel der Kritik an Israel stellen Rechtsextremisten das Existenzrecht Israels infrage und verschleiern dabei ihre grundsätzliche Ableh nung des Judentums.83 Indem sie die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit den nationalsozialistischen Verbrechen an 83 Zur Abgrenzung zwischen Israelkritik und antisemitischem Antizionismus vgl. Aribert Heyder/Julia Iser/Peter Schmidt: Israelkritik oder Antisemitismus? Mei nungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 3, Frankfurt am Main 2005, S. 144165. 133 RECHTSEXTREMISMUS den Juden gleichsetzen, versuchen sie zudem, die Gräueltaten während des NSRegimes zu relativieren: "Die Tage reiste der neue Bundespräsident Joachim Gauck zu den üblich ritualisierten Anbiederungsversuchen ins besetzte Palästina. Dabei versicherte das bundesdeutsche Staatsoberhaupt dem zionistischen Gebilde gebetsmühlenartig erneut das vermeintliche Existenzrecht zu, als hätte er darüber zu befinden. Per Scheckbuch-Diplomatie wurden bereits vor dem Gastspiel Gaucks deutsche U-Boote an die kriegslüsterne Mischpoke geliefert." (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 31. Mai 2012) Sekundärer Der sekundäre Antisemitismus beruht auf der Behauptung, "die Antisemitismus Juden" instrumentalisierten den Holocaust, um Deutschland finanziell und politisch zu erpressen. Rechtsextremisten knüpfen damit an eine in Teilen der Bevölkerung vorhandene Abneigung gegen weitere Erörterungen des Genozids an. Der Vorwurf, "die Juden" benutzten die Erinnerung an den Holocaust für ihre Zwecke, geht häufig mit einer Relativierung oder gänzlichen Leugnung des Holocaust einher: "War für einen guten Christen in der Vergangenheit die Pilgerfahrt nach Jerusalem heilige Pflicht, oder zumindest der Besuch der Ruhestätte des heiligen Santiago, des Retters vor den Muselmanen, so steht uns heute Auschwitz zur Verfügung, um uns demütig im Staub zu wälzen. Und wehe, es nimmt jemand nicht an der Pilgerfahrt teil, gleich kommt Herr Graumann, oberster moralischer Vollstrecker des Rates der weisen Juden in Deutschland, und droht das Vierte Reich an. Deshalb, fahr auch Du nach Auschwitz, Genosse. Und nicht nur einmal im Jahr, sondern mehrmals. Jedem Deutschen sollte das heilige Verpflichtung sein." (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 5. Juni 2012) Sozialer bzw. Der soziale Antisemitismus schreibt "den Juden" einen privilegier wirtschaftlicher ten sozialen oder wirtschaftlichen Status zu. Rechtsextremisten Antisemitismus verleumden sie als Wucherer, Betrüger, ausbeuterische Kapitalis ten und Spekulanten, die auf Kosten der "Nichtjuden" Macht und Reichtum anhäuften. Dies gipfelt in der Behauptung, "die Juden" 134 RECHTSEXTREMISMUS seien für wirtschaftliche Not und Massenarbeitslosigkeit verant wortlich und beherrschten den Staat. Häufig wird in der Agitation auf eine angebliche jüdische Kontrolle des Finanzsektors und sei ner wesentlichen Organe abgestellt: "Die FED [Federal Reserve System, US-Notenbank] alleine war der Israel-Lobby in den USA nicht genug. Dass sie über das von der US-Regierung hergestellte Geld selbst verfügen und von den Amerikanern auch noch Zinsen dafür verlangen durften, reichte ihnen nicht. Neben den Milliarden an Zinsen für nichts, wollten sie die Amerikaner auch noch für ihre Finanzwetten in Billionenhöhe berappen lassen." (Homepage "National Journal", 1. August 2012) Der rassistische Antisemitismus geht auf die im 19. Jahrhundert Rassistischer von Rassetheoretikern vorgenommene Klassifizierung von Völ Antisemitismus kern nach körperlichen und mentalen Eigenschaften zurück. Ras sistische Antisemiten behaupten, Juden seien gegenüber der ari schen, weißen oder nordischen Rasse genetisch minderwertig. Während sie Juden eine Fülle von negativen Eigenschaften zuschreiben, gilt ihnen die weiße Rasse als durchweg positiv. Es liege unabänderlich im Wesen "der Juden", die "Weißen" durch Vermischung der Rassen beseitigen zu wollen. Zuwanderung deu ten sie dementsprechend als von Juden gesteuerte Maßnahme zur Vernichtung der "weißen Rasse". Antisemitische Verschwörungstheorien haben innerhalb der rechts Verschwörungsextremistischen Szene eine lange Tradition. Demnach seien "die theorien Juden" eine einflussreiche soziale Macht, die mit politischen Absich ten als Kollektiv die Herrschaft im jeweiligen Land oder gar die Weltherrschaft anstreben, die Regierung der USA steuern, die Wirt schaft, Finanzwelt und Medien beherrschen und durch ihre Ver schwörung politische Umbrüche wie Kriege, Revolutionen oder Wirtschaftskrisen herbeiführten. Indem scheinbar einfache Erklä rungen für komplexe Phänomene des Weltgeschehens angeboten werden, bieten sich derartige Verschwörungsszenarien zumal in Krisenzeiten verunsicherten Personen als Welterklärungsmodell an. Aktueller Schwerpunkt antisemitischer Verschwörungstheorien ist nach wie vor die weltweite Finanz und Wirtschaftskrise, als deren vermeintliche Nutznießer die Juden dargestellt werden. Die 135 RECHTSEXTREMISMUS Verschärfung der "Eurokrise" und beschlossene Maßnahmen wie der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) werden als Teil eines "jüdischen" Plans zur Erringung der Weltherrschaft dargestellt: "Die Deutschen sollen also tatsächlich unter dieser Psycho-Peitsche als willenlose Sklaven für 'Amerikas heimliche jüdische Weltregierung' schuften - bis zum Tod. Mit der neuen ESM-Regierung, dieser anonymen Finanzherrschaft über die Deutschen, die Teil der jüdischen FED ist, sollen die Deutschen nicht nur alles abliefern was sie besitzen (Zwangsanleihen), sondern auch ihre gesamte Arbeitsleistung diesen Menschenfeinden zu 100 Prozent verpfänden." (Homepage "National Journal", 1. September 2012) Offener Aufgrund eines in der Öffentlichkeit vorherrschenden Grundkon Antisemitismus senses gegen Antisemitismus und angesichts der Wachsamkeit der Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf volksverhetzende Pro paganda wird offener Antisemitismus nur in Teilen der rechtsext remistischen Szene propagiert. Dies gilt insbesondere für Neo nazis und für subkulturell geprägte Rechtsextremisten; dort verbreiten vor allem rechtsextremistische Musikgruppen unver hohlen offene antisemitische und rassistische Texte. So wird in einem Lied der rechtsextremistischen Musikgruppe "Terrorkorps" unter Anspielung auf bekannte Konzentrations lager erneut zur Tötung von Juden aufgerufen: "Auschwitz, Dachau und Buchenwald Da machen wir die Juden aufs Neue kalt Auschwitz, Dachau und Buchenwald Da machen wir das miese Schwein aufs Neue kalt Sollen die Juden unsere Herren sein Das deutsche Volk sagt nein Wo sitzen unsere Feinde In der jüdischen Gemeinde" (Band "Terrorkorps", CD "Hakenkreuz Rock'n'Roll", Lied "Auschwitz, Dachau und Buchenwald")84 84 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 28. September 2012. 136 RECHTSEXTREMISMUS Mehrheitlich vermeiden Rechtsextremisten eine offen antisemi Antisemitismus durch tische Rhetorik und greifen stattdessen auf Andeutungen zurück, Andeutungen bei denen die Intention zwar erkennbar, strafrechtlich aber nicht relevant ist. Derartige Anspielungen werden in der rechtsex tremistischen Szene wie eine Art "Code" verstanden und sind geeignet, latent vorhandene antisemitische Einstellungsmuster zu bedienen. Sie tragen darüber hinaus zur Tradierung antisemi tischer Stereotype bei. Im rechtsextremistischen Diskurs dienen Begriffe wie "Wall Street", "USOstküste", "Park Avenue Boys", "Hochfinanz" oder "Hintergrundmächte" als Synonyme für "die Juden": "Die USA und die dahinter stehende Geldmacht verfolgen seit Woodrow Wilsons Präsidentschaft das Ziel, geostrategisch die politische Weltherrschaft zu erringen, teils auf militärischem Wege, mehr jedoch mit den Mitteln der Hochfinanz." (Meinhard Müller: "Der falsche Weg. De Gaulles 'Europe des Patries' - oder eine supranationale EU von Wall Streets-Gnaden?", in: "Deutschland in Geschichte und Gegenwart", Heft 2, Juli 2012, S. 24) Der Antisemitismus bleibt für die überwiegende Mehrheit der Bewertung deutschen Rechtsextremisten ein nahezu unverzichtbares Ideolo gieelement. Rechtspopulistische Strategien, die keine antisemiti sche Prägung aufweisen oder sich gar israelfreundlich geben, sto ßen im Lager der übrigen Rechtsextremisten - wie bei der NPD oder neonazistischen Gruppierungen - weitestgehend auf Ableh nung. 2. Islamfeindlichkeit Das Aktionsfeld der "Islamfeindlichkeit" als eine moderne Form der Islamfeindlichkeit als Fremdenfeindlichkeit hat im Rechtsextremismus in den vergange moderne Form der nen Jahren an Bedeutung gewonnen. Hierbei versuchen Fremdenfeindlichkeit Rechtsextremisten, Überfremdungsängste bzw. Vorurteile gegen über der Religion des Islam bzw. Muslimen zu erzeugen oder Ressentiments zu schüren, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Sie verbreiten die These einer vermeintlich "drohenden Islamisierung Europas". Aus anfänglich eher vereinzel ten Agitationsformen haben sich inzwischen auch internationale 137 RECHTSEXTREMISMUS Kooperationsbestrebungen entwickelt. Die Übergänge zwischen extremistischer Islamfeindlichkeit und populistischer Islamkritik sind hierbei oft fließend. Abgrenzung zur Rechtsextremisten missachten die Menschenwürde der Muslime Islamkritik und sprechen ihnen das Recht als gleichwertige Persönlichkeiten in der Gesellschaft ab. Menschen werden wegen ihrer religiösen Überzeugung, ihrer ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Nationa lität pauschal abgewertet oder als nicht integrierbar dargestellt. Aufgrund der Ablehnung des Islam bzw. der Muslime als "undeutsch" fordern Rechtsextremisten z.B., Muslimen bestimmte Grundrechte - etwa der Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Artikel 3 Grundgesetz oder die Religionsfreiheit gemäß Artikel 4 Grundgesetz - einzuschränken oder gar gänzlich abzusprechen. Eine derartige Agitation überschreitet die durch die Meinungs freiheit gedeckte Islamkritik bei Weitem. Gleichsetzung Aus ideologischtaktischen Gründen differenzieren Rechtsextre von Islam und misten regelmäßig nicht zwischen der Religion des Islam, dem Terrorismus Islamismus und dem islamistischen Terrorismus. In Deutschland lebende Muslime werden daher als Bedrohung der inneren Sicherheit Deutschlands dargestellt. Durch diese Gleichsetzung soll suggeriert werden, mit einer steigenden Anzahl von Musli men wachse auch die Terrorgefahr hierzulande. Rechtsextremis ten versuchen auf diese Weise, den Anschein zu erwecken, es gehe ihnen um das legitime Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung. Tat sächlich verschleiern sie jedoch ihre fremdenfeindliche Grund überzeugung hinsichtlich einer homogenen deutschen Bevölke rungsstruktur. "VolksgemeinDie islamfeindlichen Agitationsformen der NPD sind nicht nur schafts"-Ideologie auf bloße Ressentiments und das Aufgreifen rechtspopulistischer der NPD als Themen zurückzuführen, sondern wurzeln in ideologischen Gegenpart zur Grundüberzeugungen. Dies wird insbesondere in dem von der Islamisierung Partei konstruierten Ideal einer ethnisch homogenen "Volksge meinschaft" deutlich. Dieser in vielen Stellungnahmen sowie im Parteiprogramm der NPD zum Ausdruck kommenden Grundprämisse liegen die fol genden Denkmuster zugrunde: Der Einzelne erfahre nur durch die Einbindung in eine genetisch definierte Abstammungsge meinschaft Schutz, Solidarität und Würde als soziales Wesen, 138 RECHTSEXTREMISMUS während der Verlust dieses Bezugs zu Vermassung, Haltlosigkeit und Entwurzelung führe. Ein Staat, der nicht auf einer solchen "Volksgemeinschaft" basiere, könne weder Schaffenskraft noch Kulturfähigkeit entfalten und falle fremden Interessen zum Opfer. Aus der Annahme, es handele sich bei diesen Überzeugungen um biologische bzw. naturgesetzliche Konstanten - die NPD spricht in diesem Zusammenhang auch von einem "lebensrichtigen Men schenbild" -, ergibt sich für Parteiaktivisten die Verpflichtung, der "Überfremdung" bzw. "Islamisierung" Deutschlands entschieden entgegenzuwirken. Die scharfe und umfangreiche NPDAgitation gegen den Islam, Migranten und Minderheiten lässt auf eine ideologisch begrün dete, fundamental rassistische Fremdenfeindlichkeit schließen. Aus einer solchen Perspektive erwächst die Forderung nach einer klaren Unterscheidung zwischen dem "Fremden" und dem "Eige nen", anstatt sich in gesellschaftspolitischen Diskussionen und Differenzierungen zu verlieren. Dieser Ansatz ist z.B. bei Äußerungen festzustellen, in denen die NPD den Islam nicht aufgrund bestimmter radikaler Ausformun gen kritisiert, sondern letztlich als "raum und rassefremde Reli gion" ablehnt (vgl. Kap. III, Nr. 1). Auch die erst 2012 gegründete Partei "DIE RECHTE" bemüht sich Islamfeindliche darum, ihr Profil durch islamfeindliche Aussagen zu schärfen und Agitation der Partei Zustimmung im relevanten Wählerspektrum zu erlangen (vgl. "DIE RECHTE" Kap. III, Nr. 2). Mit der Begründung, der Islam sei unvereinbar mit "den abend ländischen Werten unserer Kultur", lehnt "DIE RECHTE" in ihrem Parteiprogramm einen Islamunterricht an Schulen pauschal ab. Vielmehr solle den Schülern "deutsche Kultur" und Sprache vermittelt und "die Liebe zu Heimat und Volk" gefördert werden. Ungeachtet ihrer Forderung, Kindern "umfassende Kenntnisse über Demokratie" zu vermitteln, versuchen die Agitatoren in Wirklichkeit, ein Bild von gegensätzlichen und unvereinbaren Menschengruppen zu suggerieren. Dabei werden der Islam und dessen Anhänger als grundsätzlich "undeutsch" und für die Ent wicklung von Kindern als eher hinderlich angesehen.85 85 Parteiprogramm der Partei "DIE RECHTE" 2012, S. 16. 139 RECHTSEXTREMISMUS Bei der Partei "DIE RECHTE" kann die islamfeindliche Ausrich tung weniger an einzelnen Kommentaren, denn am Gesamt bild entsprechender Aussagen festgemacht werden. So setzt die Partei z.B. auf einem im Juni 2012 veröffentlichten Flugblatt in Deutschland lebende Ausländer pauschal mit Islamisten gleich und fordert u.a., dass die Duldung von dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländern aufgehoben wird. Nur wenn "unsere Kinder ein Leben ohne Kopftuch und Muezzin führen können", könne "Deutsche Zukunft erhalten" werden.86 Islamfeindliche Im Vorfeld des nordrheinwestfälischen Landtagswahlkampfes Äußerungen von 2012 kündigte der Parteivorsitzende der "Bürgerbewegung pro "pro NRW" NRW" ("pro NRW") Markus Beisicht eine "maximale Provokation" und einen "bis an die Schmerzgrenze gehenden Wahlkampf an, in dem wir (...) keine Tabuthemen scheuen werden".87 Unter dem Motto "Freiheit statt Islam - Grundgesetz statt Scha ria" fanden in der Zeit vom 28. April bis 8. Mai 2012 in 25 Städten vor dort befindlichen bzw. geplanten Moscheen und Islamzentren Kundgebungen von "pro NRW" statt. Bereits zu Beginn der soge nannten Moscheentour äußerte sich der Wahlkampfleiter von "pro NRW" Lars Seidensticker in polemischer Weise: "Und lassen Sie uns unsere Forderung nach dem sofortigen Ende der Masseneinwanderung so laut und deutlich (...) wiederholen, dass auch im letzten Muselmanenkaff klar sein muss: Wir wollen sie nicht! Wir wollen sie nicht! Wir wollen sie nicht!" (ZDF-Reportage "Pulverfass Deutschland? Islamisten gegen Rechtsextreme", 2012) Flankierend zur Moscheentour initiierte die Partei einen "islam kritischen Karikaturenwettbewerb" und lobte ein Preisgeld für die "besten" Einsendungen aus, die sich "in kritischer Form mit dem Islam oder mit dem Diskussionsverbot" zu diesem Thema aus einandersetzen.88 "Pro NRW" lehnte sich hierbei bewusst an die Veröffentlichung islamkritischer Karikaturen durch eine dänische 86 Flugblatt "Deutsche Zukunft erhalten!", Homepage "DIE RECHTE" (21. Juni 2012). 87 Homepage "pro NRW" (19. März 2012). 88 Homepage "pro NRW" (28. März 2012). 140 RECHTSEXTREMISMUS Zeitung im Jahr 2005 an, in deren Folge es zu weltweiten, teils gewaltsamen Protesten gekommen war. Bei Kundgebungen am 1. Mai 2012 in Solingen (Nordrhein Westfalen) und am 5. Mai 2012 in Bonn (NordrheinWestfalen) kam es zu schweren Ausschreitungen und massiven Übergriffen durch salafistische Gegendemonstranten, die sich durch dort gezeigte MohammedKarikaturen provoziert fühlten (vgl. Kap. III, Nr. 3 und Berichtsteil Islamismus/islamistischer Terrorismus, Kap. II, Nr. 1). Auf europäischer Ebene bemühen sich rechtspopulistische und Internationale rechtsextremistische Gruppierungen auch weiterhin um einen Vernetzung Ausbau der Kooperation. Bei der Agitation gegen eine erkannte "Islamisierung Europas" - sie wird sowohl für soziale Probleme als auch für gesellschaftliche Missstände verantwortlich gemacht - kommt dem 2008 gegründeten Bündnis "Städte gegen Islamisie rung" die größte Bedeutung zu. Gemäß seiner Charta lehnt das Bündnis, dem u.a. der flämische Vlaams Belang (VB) und die Frei heitliche Partei Österreichs (FPÖ) angehören, das Recht auf Religi onsfreiheit für europäische Muslime ab. Wichtigster Bündnispart ner auf deutscher Seite ist "pro NRW", die im Rahmen des nordrheinwestfälischen Landtagswahlkampfes 2012 entspre chende Unterstützung durch den VB und die FPÖ erhielt. Islamfeindliche Äußerungen aus dem rechtsextremistischen Bewertung Spektrum sind überwiegend fremdenfeindlich, in Teilen rassis tisch motiviert. Insbesondere Rechtsextremisten aus dem legalis tischen Bereich sehen hier ein wichtiges Aktionsfeld. Durch offen sives Aufgreifen bestehender Zukunftsängste und Vorbehalte gegenüber "Fremden" und durch eine tendenziöse Darstellung der Muslime als potenzielle Straftäter und Terroristen versuchen sie, auf emotionaler Ebene ein Feindbild (z.B. "der Islam gegen den Westen" oder "der Islam gegen die Volksgemeinschaft") aufzu bauen. Dadurch sollen insbesondere diejenigen Bürger angespro chen werden, die bislang durch eine allzu offene, herkömmliche rechtsextremistische Agitation nicht erreicht werden konnten. Die provokativ geführte AntiIslamkampagne von "pro NRW" im Rahmen des Landtagswahlkampfs in NordrheinWestfalen hat gezeigt, dass in einer aufgeheizten Stimmungslage mit geziel ten Aktionen und geringem Aufwand eine ungleich größere 141 RECHTSEXTREMISMUS Öffentlichkeit erreicht werden kann, als es durch einen kon ventionellen Wahlkampf möglich gewesen wäre. Gewalttätige Ausschreitungen werden hierbei zumindest billigend in Kauf genommen. 3. Geschichtsrevisionismus Bedeutung und Der zeitgeschichtliche Revisionismus89 gehört nach wie vor zu Methoden den wichtigsten Aktionsfeldern im Rechtsextremismus. Hierunter versteht man die ideologisch motivierte Umdeutung historischer Tatsachen durch Rechtsextremisten, die eine verfälschende Geschichtsbetrachtung propagieren: Die Verantwortung des Hit lerRegimes für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wird ange zweifelt und der systematische Massenmord an Juden abgestrit ten oder relativiert. Bemühungen, die Zeit des Nationalsozialismus in einem mög lichst günstigen Licht erscheinen zu lassen, sind - in unterschied lichen Ausprägungen - ein verbindendes Element in der gesam ten rechtsextremistischen Szene. Die auf diesem Feld agitierenden Rechtsextremisten leugnen meist ihre eigentliche Motivation und behaupten, sich als objek tive Forscher um die Aufklärung historischer Sachverhalte zu bemühen. Sie geben vor, den bisherigen Wissensstand aufgrund neuer Erkenntnisse und Forschungsergebnisse unvoreingenom men überprüfen und korrigieren zu wollen. In Wahrheit han delt es sich jedoch um politisch motivierte Bemühungen, das Geschichtsbild über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Betrachtung umzuschreiben. Dabei sind die wenigsten Akteure tatsächlich ausgebildete Historiker und ihre Methoden alles andere als wis senschaftlich. 89 Revision bzw. Revisionismus bedeutet im eigentlichen Sinne des Wortes gemein hin Änderung einer Meinung nach gründlicher Prüfung. Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch versteht man darunter die wissenschaftliche Überprüfung ver meintlich gesicherter Erkenntnisse. Rechtsextremistische Revisionisten hingegen zielen nicht darauf ab, neue seriöse wissenschaftliche Forschungsergebnisse zu präsentieren. 142 RECHTSEXTREMISMUS Rechtsextremistische Revisionisten versuchen die geschichtliche Wahrnehmung zu manipulieren, indem sie # gefälschte oder bewusst einseitig interpretierte Dokumente verwenden, # Quellen unterschlagen, die nationalsozialistische Untaten belegen, # sich auf pseudowissenschaftliche Gutachten berufen, # vermeintlich positive Aspekte der nationalsozialistischen Herrschaft überbetonen, # Maßnahmen des Nationalsozialismus verschweigen oder beschönigen, # den Holocaust und andere Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere durch eine Gleichsetzung mit Untaten der Sie germächte des Zweiten Weltkriegs, relativieren oder leugnen. Revisionismus im weiteren Sinne umfasst nahezu alle von den Erscheinungsformen Geschichtsfälschern genutzten Thesen, mit denen etwa die Schuld des NSRegimes am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs oder der verbrecherische Charakter der NSDiktatur bestritten werden. In diesen Zusammenhang gehören etwa die Verklärungen von Funk tionsträgern des Dritten Reichs oder Angehörigen der WaffenSS. Der Revisionismus im engeren Sinne leugnet den an den europäi schen Juden begangenen Völkermord - eine Agitation, die in eini gen europäischen Staaten unter Strafe steht und in Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Die revisionistische Szene behauptet, das aktuelle Geschichtsbild sei Agitation gegen von den Alliierten vorgegeben und den Deutschen durch "Umerzie angebliche hung" vermittelt worden. Dies gelte es rückgängig zu machen: "Umerziehung" "Nur wenige wissen, dass Deutschland bis heute vertraglich gebunden ist, sich an die Geschichtsschreibung der Siegermächte zu halten. Die Verpflichtung Deutschlands, die eigene Geschichte durch eine fremde Brille zu sehen, wurde 1990 vertraglich im Zwei-plus-vierVertrag verlängert. Vorgeschlagen wurde diese radikale Gehirnwäsche bekanntlich noch während des Krieges von Louis Nizer, und zwar in seinem Pamphlet 'What to do with Germany?'" ("Die Bundesrepublik - offiziell immer noch 'Feindstaat'", in: "Der Schlesier. Gesamtdeutsche Wochenzeitung" Nr. 11-12/2012, 16./23. März 2012, S. 10) 143 RECHTSEXTREMISMUS Gedenkmärsche Revisionistische Agitation äußert sich auch in Demonstrationen und Aufmärschen, bei denen oftmals Ereignisse des Zweiten Welt kriegs thematisiert werden, insbesondere Bombenangriffe der Alliierten auf deutsche Städte. Mit derartigen Verweisen sollen deutsche Kriegsverbrechen sowie die Massenvernichtung der Juden relativiert werden - augenfällig hierfür ist der von Rechts extremisten verwendete Begriff "Bombenholocaust". Das neonazistisch ausgerichtete "Aktionsbündnis gegen das Ver gessen" (AgdV) veranstaltete am 13. Februar 2012 anlässlich des 67. Jahrestages der Zerstörung der Stadt Dresden (Sachsen) im Zweiten Weltkrieg einen Gedenkmarsch mit 1.600 Teilnehmern. Während des Marsches wurden Transparente mit Parolen wie "Dresden - Mord verjährt nie" oder "Vergesst niemals die Hun derttausend Opfer des Bombenholocaust" gezeigt (vgl. Kap. I, Nr. 4). Rechtsextremisten geht es bei diesen Aktionen nicht um das Gedenken an die deutschen Luftkriegstoten, sondern um die öffentliche Zurschaustellung ihrer Ideologie. Publikationen Revisionistische Auffassungen werden in zahlreichen Büchern und sonstigen Schriften verbreitet. Zum Teil handelt es sich dabei um "Standardwerke" rechtsextremistischer Autoren, die immer wieder neu beworben werden. Leugnung der Breiten Raum nimmt hierbei die Leugnung der deutschen Schuld Kriegsschuld am Zweiten Weltkrieg ein. So heißt es etwa in Bezug auf den Überfall Deutschlands auf Polen am 1. September 1939: "Der Kriegsausbruch mit Polen 1939 hatte nichts mit einem beabsichtigten 'Mord an den Juden' zu tun (...). Auch seine Ausweitung zum Weltkrieg hat nicht Deutschland betrieben, sondern war dem Reich bei Ablehnung der wiederholten Friedensappelle Adolf Hitlers aufgezwungen worden! Gegenteilige, aus der Kriegspropaganda der Alliierten abgeleitete und kraft Siegermacht durchgesetzte Nachkriegsdogmen können diese Sachverhalte nicht ändern! Nicht Deutschland hatte Judea den Krieg erklärt, sondern Judea 144 RECHTSEXTREMISMUS am 24. März 1933 ohne die gerringste berechtigte Veranlassung Deutschland!" ("Historische Tatsachen" Nr. 106, S. 35)90 Die offene Holocaustleugnung lässt sich aufgrund strafrechtlicher Leugnung des Sanktionen in der Bundesrepublik Deutschland seltener feststel Holocaust len. Eine derartige Agitation findet hauptsächlich auf einschlägi gen ausländischen Homepages statt, auf denen - meist anonym - indizierte oder strafbare Schriften zum kostenlosen Download angeboten werden. Darüber hinaus werden auch entsprechende Schriften aus dem Ausland eingeführt. So bietet der britische Verlag "Castle Hill Pub lishers" gezielt entsprechende Veröffentlichungen in deutscher Sprache an. 2012 indizierte die BPjM auf Anregung des BfV erneut eine Schrift dieses Verlages.91 Zu einer Verlagsneuerscheinung aus dem Jahr 2012 mit dem Titel "Widerstand ist Pflicht", die die Verteidigungsrede des 2007 verurteilten und 2009 aus der Haft entlassenen Holocaustleugners Germar Rudolf wiedergibt, hat das BfV ebenfalls eine Indizierung angeregt. Rudolf war nach seiner Haftentlassung ausgewandert und setzt seine Agitation nun aus dem Ausland fort. Auch in Deutschland halten Rechtsextremisten an der Holocaust leugnung fest: "Bald wird dergleichen gelenkte Meinungsmache kaum noch jemand glauben. Dann zählen Tatsachen nachprüfbare, forensische Beweise für ungeheuerliche Anklagen. Bis heute harre ich vergeblich der Antwort des Zentralrates auf meine Frage: 'Wann, wo und wie fand die Vergasung von 6 Millionen Juden statt, nachdem Auschwitz 90 Die Broschüre "Historische Tatsachen Nr. 106 - Es war nicht Rache, sondern Ver brechen", Verlag für Volkstum + Zeitgeschichtsforschung, Vlotho und "The Barnes Review Washington", USA, wurden auf Anregung des BfV durch die BPjM indiziert, vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 27. April 2012. 91 Die bereits 2010 erschienene Publikation "Sobibor: Holocaust - Propaganda und Wirklichkeit" wurde durch die BPjM indiziert, vgl. Bundesanzeiger, Amtlicher Teil vom 28. September 2012. 145 RECHTSEXTREMISMUS als Synonym für dieses Verbrechen nicht mehr aufrecht erhalten werden konnte?" (Ursula Haverbeck: "Brief an den Zentralrat der Juden", in: "Stimme des Reiches" Nr. 3/2012, S. 4) Agitation gegen Zudem agitieren rechtsextremistische Revisionisten auch gegen strafrechtliche die Strafrechtsnorm des SS 130 StGB (Volksverhetzung), welche die Verfolgung Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt: "Mein Eindruck ist: Durch gnadenlose strafgesetzliche Bestimmungen werden Lügenbehauptungen über die deutsche Geschichte zum Schaden des deutschen Volkes bis zum St.Nimmerleinstag weiterverbreitet." (Wolfgang Hendlmeier: "Neunzehnhundertvierundachtzig", in: "Volk in Bewegung & Der Reichsbote" Nr. 5/2012, S. 32) "Europäische Dem Kampf gegen Strafrechtsnormen anderer Länder (insbeson Aktion" (EA) dere der Schweiz und Österreich), welche ebenfalls die Verbrei tung rechtsextremistischer Hasspropaganda sanktionieren, hat sich auch die seit 2010 aktive "Europäische Aktion" (EA) verschrie ben, in der sich europäische Holocaustgegner gesammelt haben. Die Agitation der Organisation ist antisemitisch ausgerichtet. Zudem enthält sie auch rassistische Aussagen, die in der Forde rung zur "Repatriierung92 der Fremdkontinentalen" gipfeln: "Im Interesse aller Völker arbeitet die EUROPÄISCHE AKTION deswegen auf den Zeitpunkt hin, in dem die durcheinander geschobenen Völkerund Rassemassen wieder entflochten werden können (...) Weiße Ehegatten begleiten ihre Partner, Mischlinge siedeln sich in der Heimat ihres farbigen Elternteils an. (...) Nach Ablauf der Frist werden Säumige und Renitente polizeilich oder militärisch abgeschoben." (Bernhard Schaub: "Die Europäische Aktion. Aufbau und Ziele der Europäischen Freiheitsbewegung", Dornach (Schweiz) 2011, S. 20 f.) 92 Rückführung einer Person in ihr Heimatland. 146 RECHTSEXTREMISMUS Der Sitz der EA befindet sich mit dem sogenannten Zentral sekretariat in der Schweiz. Vorsitzender der Organisation ist der Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub, Gründungs vorsitzender des 2008 verbotenen "Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV, vgl. Berichtsteil Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VII). Als "Landesleiter Deutschland" fungiert der ehemalige Mandatsträger der NPD und rechtsextremistische Publizist Rigolf Hennig. Die EA, deren Mitglieder über gute Kontakte vor allem in das neonazistische Spektrum verfügen, ist weit davon entfernt, eine Sammlungsbewegung europäischen Ausmaßes darzustellen. Füh rungsmitglieder der EA versuchen allerdings, insbesondere durch eine rege Vortragstätigkeit, ihren Einfluss im rechtsextremisti schen Spektrum auszudehnen. Dabei wenden sie sich gezielt auch an jüngere Rechtsextremisten aus der aktionsorientierten Kame radschaftsszene. Aktivisten der EA streben unverhohlen den Machtwechsel an und drohen mit einer dann fälligen Bestrafung von Funktions und Entscheidungsträgern: "In Regierung, Parlament und Bundesverfassungsgericht allerdings gibt es eine ganze Anzahl solcher, die wissen, was sie tun. Es wird nicht ausbleiben, dass das Volk ihre Bestrafung verlangt. Dann nehme die Gerechtigkeit ihren Lauf." (Bernhard Schaub: "Der Staat der Deutschen. Geschichte und Rechtslage des Deutschen Reiches und der Bundesrepublik Deutschland", Dornach (Schweiz) 2009, S. 38) Am 8. September 2012 fand das zweite "Europafest" der EA im Elsass (Frankreich) statt. Französische Behörden verhinderten die Durch führung einer Saalveranstaltung; daraufhin führten rund 60 Anhän ger der Organisation eine Ersatzveranstaltung im Freien durch. Ihr Leiter rief in aggressiver Weise seine Anhänger zum Kampf gegen "das System" - mit dem man sich im Krieg befinde - auf und for derte den "Kampf für unsere biologische Existenz als weiße Rasse".93 93 Redebeitrag von Bernhard Schaub beim "Europafest" am 8. September 2012, Home page "Europäische Aktion" (23. September 2012). 147 RECHTSEXTREMISMUS Im November 2012 fanden im Rahmen disziplinarrechtlicher Ermittlungen Exekutivmaßnahmen gegen einen Bundespoli zisten statt, der für die EA als "Abteilungsleiter Sicherheit" in Deutschland fungierte. Die Ermittlungen dauern noch an. Der zeitgeschichtliche Revisionismus wird auf absehbare Zeit eines der wichtigsten verbindenden Elemente im Rechtsextremis mus bleiben. 148 Linksextremismus 149 Linksextremismus I. Überblick 1. Ideologie Allgemeine Linksextremisten richten ihr politisches Handeln an revolutio Zielsetzung närmarxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Sie wollen die bestehende Staats und Gesellschaftsordnung abschaf fen und durch ein sozialistisches bzw. kommunistisches System oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft ersetzen. Marxisten-Leninisten Für MarxistenLeninisten bilden die Lehren von Marx, Engels und und andere revolutioLenin die Richtschnur ihres politischen Handelns, um eine sozia näre Marxisten listische Gesellschaftsordnung und letztlich den Kommunismus zu errichten. Die zahlenmäßig eher unbedeutenden Trotzkisten versuchen über eine "Unterwanderungspolitik" (Entrismus) Ein fluss in anderen, meist konkurrierenden Organisationen zu erlangen. Anarchisten Anarchisten streben eine staats und herrschaftsfreie Gesell schaftsordnung an. Gewaltbereite Gewaltbereite Linksextremisten, die sich mehrheitlich als Auto Linksextremisten nome bezeichnen, grenzen sich in ihrem Selbstverständnis deut lich von anderen linksextremistischen Akteuren ab. Ihr Selbstver ständnis ist geprägt durch eine Vielzahl von AntiEinstellungen ("antifaschistisch", "antikapitalistisch") und diffusen anarchisti schen und kommunistischen Ideologiefragmenten ("Klassen kampf", "Revolution"). 2. Entwicklungen im Linksextremismus Zunahme der Gewalt Im gewaltbereiten Spektrum des Linksextremismus ist ein Anstieg des Gewaltpotenzials der Akteure festzustellen. Dies zeigt sich darin, dass Körperverletzungen bewusst in Kauf genommen werden; so ist die Anzahl der versuchten Tötungsdelikte im Jahr 2012 auf acht gestiegen (2011: 3). Die Angriffe richten sich vor allem gegen Polizisten und gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. 150 LINKSEXTREMISMUS Nahezu alle in 2012 verübten 876 Gewalttaten mit linksextremis tisch motiviertem Hintergrund (2011: 1.157) sind der autonomen Szene zuzurechnen. Autonome halten die Anwendung von Gewalt (auch gegen Personen) zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele für legitim und rechtfertigen sie als ein unverzichtbares Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines Systems von "Zwang, Aus beutung und Unterdrückung". Der Kampf gegen "staatliche Repression" bestimmt weiterhin "Antirepression" in hohem Maße die Aktivitäten gewaltbereiter Linksextremis ten. Auch im Jahr 2012 agitierten sie intensiv in Wort und Tat gegen den Staat und seine "Handlanger" und verübten zahlreiche Anschläge, darunter auch Brandstiftungen, überwiegend gegen Einrichtungen von Sicherheitsfirmen. Während bislang vor allem Gewalt gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten szeneintern vermittelbar war, hat seit einiger Zeit die Akzeptanz gewalttätiger Angriffe auch auf Vertreter des "Repressionsappa rates" - insbesondere auf Polizeikräfte - weiter zugenommen. Die Anzahl der 2012 gegen Polizeibeamte verübten Gewaltdelikte mit linksextremistischem Hintergrund ist indessen deutlich rückläu fig. Nach wie vor nimmt die Solidarität mit inhaftierten "Genos sen" im In und Ausland innerhalb der "Antirepressionsarbeit" einen besonderen Stellenwert ein. Linksextremisten räumten auch 2012 ihrer "antimilitaristischen" "Antimilitarismus" Arbeit eine unverändert hohe Bedeutung ein, wenngleich es keine herausgehobenen Ereignisse gab, die "antimilitaristische" Strukturen in linksextremistischen Zusammenhängen besonders förderten. Die Ziele militanter Aktionen waren neben der Bundes wehr auch privatwirtschaftliche Unternehmen, die Rüstungsgüter herstellen oder mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Das Aktionsniveau gewaltbereiter Linksextremisten entsprach dem des Vorjahres. Das Aktionsfeld "Antifaschismus" hat für Linksextremisten, insbe "Antifaschismus" sondere im gewaltbereiten Spektrum, seit jeher einen hohen Stel lenwert. Linksextremisten empfinden das offene Auftreten von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten zuneh mend als Provokation. Die verstärkte Präsenz rechtsextremisti scher Akteure im Vorfeld von Wahlen bietet oftmals den Anlass für militiante "antifaschistische" Protestaktionen. Gewalttätige Ausschreitungen gegen Aufmärsche und Versammlungen der 151 LINKSEXTREMISMUS rechtsextremistischen Szene belegen das anhaltend hohe Gewalt potenzial von Linksextremisten in diesem Aktionsfeld. DKP Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin und will eine sozialistische Gesellschaftsordnung und letztlich den Kommunis mus errichten. Der seit nunmehr drei Jahren offen ausgetragene Richtungsstreit über die Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist, lähmt die Partei. Zudem wird wegen Überalterung das Potenzial der aktiven und mobilisierbaren Mitglieder immer geringer. Akti vitäten beschränken sich im Wesentlichen auf die Teilnahme an Aktionen der Antifaschismus, Frauen, Friedens und sozialen Bewegung. Eigenständige Aktionen fallen der Partei zunehmend schwer. MLPD Die MLPD feierte im November 2012 ihren 30. Gründungstag. Seit 1982 hält die Partei unverändert an ihrer maoistischstali nistischen Ausrichtung fest. Sie praktiziert das Organisations und Führungsprinzip des "demokratischen Zentralismus", dem zufolge nachgeordnete Bereiche der Partei sich bedingungslos dem Zentralkomitee unterordnen müssen. Grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der "Diktatur des Monopolkapitals" und die Errichtung der "Diktatur des Proletariats". Im Herbst 2012 führte die Partei ihren IX. Parteitag durch, dessen logistische Vorbereitung und Durchführung wie bei den vorangegangenen Parteitagen äußerst konspirativ verliefen. So erhielten "einfache" Parteimitglieder erst im Rahmen einer Festveranstaltung zum 30. Gründungsparteitag Kenntnis vom durchgeführten Parteitag. Trotzkisten Die rund 1.400 Anhänger der trotzkistischen Ideologie in Deutschland sind in zwölf aktiven internationalen trotzkistischen Dachverbänden mit etwa 20 Sektionen oder Resonanzgruppen organisiert. Strategisches Element für trotzkistische Zusammen schlüsse ist nach wie vor der Entrismus, d.h. die gezielte Unter wanderung anderer Organisationen mit dem Ziel, dort - offen oder verdeckt - Einfluss zu gewinnen. Aktivste trotzkistische Organisation ist wie in den Jahren zuvor das Netzwerk "marx21". "Rote Hilfe e.V." Die "Rote Hilfe e.V." (RH) wird von Linksextremisten unterschied licher ideologischpolitischer Ausrichtung getragen. Sie definiert sich in ihrer Satzung als eine "parteiunabhängige, strömungsüber greifende linke Schutz und Solidaritätsorganisation". Ihr 152 LINKSEXTREMISMUS Arbeitsschwerpunkt liegt auf der materiellen und politischen Unterstützung von Personen, die "staatlicher Repression" ausge setzt sind, darunter auch Straf und Gewalttäter. In unterschiedlicher Ausprägung liegen bei den offen extremisti Offen extremistische schen Zusammenschlüssen in der Partei DIE LINKE tatsächliche Strukturen in der Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen gegen die Partei DIE LINKE freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland vor. Diese Zusammenschlüsse bekennen sich dazu, die bestehende Staats und Gesellschaftsordnung zu überwinden und an deren Stelle eine sozialistische Gesellschaft zu etablieren. Angehörige von offen extremistischen Zusammenschlüssen sind im Parteivorstand und in der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE vertreten. 3. Organisationen und Personenpotenzial Das linksextremistische Personenpotenzial betrug Ende 2012 Weiterer Rückgang nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften insgesamt 29.400 Per des linksextremissonen und war damit - wie bereits im Vorjahr - abermals leicht tischen Personenrückläufig (2011: 31.800). potenzials Dies ist auf eine Abnahme im Spektrum der marxistisch leninistischen und sonstigen revolutionärmarxistischen Zusam menschlüsse zurückzuführen, das 2012 auf 22.600 Personen (2011: 25.000) gesunken ist. Das Personenpotenzial der gewaltbereiten Linksextremisten hat Konstantes sich gegenüber dem Vorjahr nicht verändert und umfasste Personenpotenzial Ende 2012 7.100 Personen, darunter ca. 6.400 Autonome. im gewaltbereiten Linksextremismus 153 LINKSEXTREMISMUS Linksextremismuspotenzial1 2010 2011 2012 Gewaltbereite Linksextremisten2 6.800 7.100 7.100 davon: Autonome 6.200 6.400 6.400 Anarchisten 600 700 700 Marxisten-Leninisten 25.800 25.000 22.600 und andere revolutionäre Marxisten3 Summe 32.600 32.100 29.700 Nach Abzug von Mehrfach32.200 31.800 29.400 mitgliedschaften4 1 Die Zahlen sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Erfasst sind nur Personenzusammenhänge, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist keine Voraussetzung für die Erfassung im gewaltbereiten Spektrum. 3 Die Zahl beinhaltet das Personenpotenzial der offen extremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE. 4 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen Zusammenschlüsse wurden vom Gesamt potenzial abgezogen. 154 LINKSEXTREMISMUS II. Gewaltbereitschaft in der linksextremistischen Szene Struktur: Zusammenschlüsse existieren in nahezu allen größeren Städten, insbesondere in den Ballungszentren Berlin, Hamburg und dem Rhein-MainGebiet, den Regionen Dresden/Leipzig (Sachsen) und Nürnberg (Bayern), aber auch in kleineren Universitätsstädten wie Göttingen (Niedersachsen) und Freiburg (Baden-Württemberg) Anhänger: 7.100 (2011: 7.100) Das Spektrum des gewaltbereiten Linksextremismus hat sich in den letzten Jahren sowohl in quantitativer als auch in qualitativer Hinsicht deutlich gewandelt: Das Gefahrenpotenzial ist spürbar angestiegen. Während die Gewalt gegen Rechtsextremisten in der Szene stets vermittelbar war, wächst seit einiger Zeit auch die Akzeptanz gewalttätiger Angriffe auf Vertreter des "Repressions apparats". Gewaltbereite Linksextremisten begehen eine Vielzahl politisch motivierter Straf und Gewalttaten, um ihren systemfeindlichen Vorstellungen Nachdruck zu verleihen. Einzelne autonome Per sonenzusammenhänge, die vornehmlich ohne oder unter wech selnden Aktionsnamen auftreten, verübten zahlreiche Anschläge. Neben diesen klandestinen Aktionen begingen Linksextremisten aber auch im Zusammenhang mit Demonstrationen und Groß veranstaltungen zahlreiche Gewalttaten. 1. Autonome 1.1 Selbstverständnis Autonome bilden mit 6.400 (2011: 6.400) Angehörigen die weitaus größte Personengruppe des gewaltbereiten deutschen Linksextre mismus. Das Spektrum ist nicht homogen, die mehr oder weniger gefestigten Zusammenschlüsse verfügen nicht über ein einheitli ches ideologisches Konzept. 155 LINKSEXTREMISMUS Autonome zeichnen sich durch Gewaltorientierung, undogmati sches Ideologieverständnis sowie durch eine grundlegende Orga nisationskritik aus. Führungsstrukturen und Hierarchien werden zumeist abgelehnt. Ihr Selbstverständnis ist geprägt durch eine Vielzahl von AntiEinstellungen ("antifaschistisch", "antikapitalis tisch"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefrag mente ("Klassenkampf", "Revolution") bilden den Legitimations rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Kampf für eine Jegliche Handlungen werden legitimiert durch eine fortlaufende "herrschaftsfreie" Bestandsaufnahme der gesellschaftlichen Verhältnisse und den Gesellschaft Kampf für ein freies, selbstbestimmtes Leben innerhalb "herr schaftsfreier Räume" ("Autonomie") bzw. für eine andere, eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund reklamieren Autonome sogenannte Frei räume wie etwa besetzte Häuser oder Jugendzentren, die dem staatlichen Zugriff entzogen sind und "selbstverwaltet" werden. Die Szene sieht diese nach ihrem Verständnis vom Staat nicht kontrollierten Räume als unabdingbar für die Verwirklichung der eigenen Lebensentwürfe an und versteht sie als Rückzugsgebiet und Ausgangspunkt ihrer antistaatlichen Aktivitäten. Behördliche Präsenz oder Exekutivmaßnahmen in diesen Arealen gelten als "gewaltsame Durchsetzung kapitalistischer Interessen". Entspre chend aggressiv reagiert die Szene auf den tatsächlich oder ver meintlich drohenden Verlust solcher "Freiräume". Gewalt als notDie Anwendung von Gewalt - auch gegen Personen - halten wendiges Mittel zur Autonome zum Erreichen ihrer Ziele für erforderlich. Sie recht Überwindung der fertigen die eigene Gewalt als notwendiges Mittel in der politi Gesellschaftsordnung schen Auseinandersetzung, um sich gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrü ckung" zu wehren. Insbesondere grenzen sich gewaltbereite Linksextremisten immer wieder von aus ihrer Sicht reformisti schen und gewaltfreien Bewegungen ab: "Wir haben das Ziel einer Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln zu erreichen, dies wird den bewaffneten (Massen-)Aufstand ebenso konzeptionell einschließen wie die bewaffnete Verteidigung gegen 156 LINKSEXTREMISMUS reaktionäre Bestrebungen vor, während und nach einer politischen und sozialen Umwälzung. (...) Eine organisierte Aufstandspolitik der revolutionären Linken ist nicht denkund umsetzbar, wenn sie sich auf einige wenige Ausdrucksmittel beschränken lässt oder selbst beschränkt. (...) [D]ie politische Umsetzung und Aufrechterhaltung einer sozialen Utopie ist ohne die von Beginn an konzeptionell mitgedachte und mit-praktizierte militante und bewaffnete Option lediglich Hirngespinst und Redensart." ("radikal" Nr. 165, Winter 2012, S. 14 bis 19) Dabei ist Gewalt für Autonome nicht nur ein "Mittel subjektiver Befreiung", sondern auch ein Instrument, um antagonistische Positionen zum Ausdruck zu bringen. Darüber hinaus verbinden Autonome mit der Inszenierung von Gewalthandlungen stets auch die Hoffnung auf eine öffentliche Wahrnehmung und Ver mittelbarkeit der eigenen politischen Vorstellungen, vor allem in den Medien. In struktureller Hinsicht ist die aktuelle Entwicklung geprägt von einer Öffnung des klassischen autonomen Milieus. Vor allem jüngere Autonome formieren sich immer weniger in auf Dauer angelegten Zusammenhängen, sondern interagieren zunehmend punktuell und aktionsbezogen, beispielsweise im Rahmen von Kampagnen. Diese Entwicklung hat zur Konsequenz, dass sich das autonome Vielzahl von OrganiSpektrum in zwei gegenläufige Richtungen ausdifferenziert: sierungsmodellen Während vielerorts weitgehend voneinander unabhängige aktive Kleinstgruppen auszumachen sind, bemühen sich strategisch orientierte Aktivisten um den Ausbau und die Verfestigung bun desweiter Zusammenschlüsse. In der Folge ist eine Vielzahl von Organisierungsmodellen mit spezifischen ideologischen Ausrich tungen entstanden. Die Spanne reicht von lokalen Bezugsgruppen über Bündnisstrukturen - unter der Bedingung der Beibehaltung der eigenen Gruppenidentität - bis hin zu weit ausdifferenzierten organisatorischen Strukturen. Ein Beispiel eines Bündnisses unter Beibehaltung der Gruppen identität ist das im Jahr 2006 gegründete "...ums Ganze!"Bünd nis. Darin sind nach eigenen Angaben "linksradikale und 157 LINKSEXTREMISMUS kommunistische Gruppen aus NordrheinWestfalen, Hessen, Berlin, Sachsen, Bremen, Niedersachsen und Wien (Österreich)" organisiert94, die eine antinationale Strömung im Linksextre mismus vertreten. Anliegen des Bündnisses ist die grundlegende Gesellschaftskritik mit dem Ziel eines Systemwechsels hin zum Kommunismus: "Es geht um eine Kritik, für die es weder Ins titutionen noch Parlamente noch feste Verfahren gibt: um die Kritik gesellschaftlicher Herrschaft als ganzer."95 Nach diesem Selbstverständnis organisiert das "...ums Ganze!"Bündnis "Kon gresse" zur theoretischen Auseinandersetzung mit den gesell schaftlichen Verhältnissen (2007: "No way out?" in Frankfurt am Main (Hessen), 2010: "So, wie es ist, bleibt es nicht!" in Bochum (NordrheinWestfalen)) und ist gleichzeitig in die linksextremis tische Kampagnenarbeit sowie die Vorbereitung und Durchfüh rung von Veranstaltungen eingebunden, bei denen es vielfach zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt wie z.B. beim "M31 - European Day of Action against Capitalism" in Frankfurt am Main gegen die anhaltende Finanzkrise (vgl. Kap. II, Nr. 1.2). Darüber hinaus hat sich 2010 mit dem "[3A]*Revolutionären Bündnis" ein in ideologischer Hinsicht neuartiges Netzwerk her ausgebildet: "Der Aufbau einer revolutionären Organisation, die kontinuierliche theoretische und praktische Arbeit, die Verankerung in der Klasse der Lohnabhängigen, die Zusammenarbeit mit anderen fortschrittlichen Kräften und die Unterstützung aller fortschrittlichen und revolutionären Aktivitäten und Organisierungen, ist der Weg, um den aufgerüsteten bürgerlichen Staat zu überwinden." (Antifaschistisches/Antimilitaristisches Aktionsbündnis: "Krieg, Krise, Kapitalismus", 2011, S. 21) Unter Beteiligung von "in Deutschland lebenden Revolutionä rInnen aus verschiedenen Ländern"96 verfolgt das Bündnis eine am MarxismusLeninismus orientierte Zielsetzung mit bundes weitem Anspruch. Besonderes Merkmal ist die Heterogenität 94 "Wer ist ...", Homepage "...ums Ganze!"Bündnis (1. Dezember 2012). 95 Ebenda. 96 "Selbstverständnis", Homepage "[3A]*Revolutionäres Bündnis" (1. Dezember 2012). 158 LINKSEXTREMISMUS der ideologischen Ausrichtungen der Beteiligten: "Die Gruppen eint, trotz der vorhandenen Unterschiede in der Herangehens weise, der Kampf für den Kommunismus."97 Doch auch vor dem Hintergrund des Versuchs der nachhaltigen Vereinigung von Theorie und Praxis stellt der Einsatz von Gewalt eine wesentliche Handlungsoption dar. So heißt es in einem auf der Homepage des "[3A]*Revolutionären Bündnisses" eingestellten Aufruf: "Dabei sind militante Aktionen kein Selbstzweck, sondern lediglich eine Spielart des erfolgreichen Widerstands, welche durch andere Aktionsformen ergänzt werden müssen, aber auch Platz für diese Schaffen können, z.B. wenn Polizeikräfte gebunden werden." ("Aufruf gegen den ,TddZ' 982012", 13. Mai 2012) Perspektivisch kann unter diesen Bedingungen die Chance auf Bündnispolitische Anschlussfähigkeit durch die Etablierung einer bündnispoliti Doppelstrategie schen Doppelstrategie erhöht werden. Einerseits ist durch eine Vernetzung innerhalb des gewaltorientierten linksextremisti schen Spektrums die Bündelung der eigenen Kräfte zu erreichen. Andererseits kann die Durchsetzungskraft über das eigene Lager hinaus durch anlassbezogene Bündnisse und Kooperationen mit legalistischen Linksextremisten ebenso wie mit nichtextremisti schen, gesellschaftlichen Gruppen, Initiativen, Gewerkschaften und Parteien gesteigert werden. In diesem Zusammenhang spie len das Netzwerk "Interventionistische Linke" (IL) und die Gruppe "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) eine beson dere Rolle (vgl. Kap. II, Nr. 2). Somit führt die Öffnung gegenüber anderen ideologischen Strömungen nicht zwangsläufig zu einem Verlust der Hand lungsfähigkeit. Um dem Mangel an politischer Kontinuität ent gegenzuwirken, wird die Gewalt zum identitätsstiftenden und handlungsleitenden Bindeglied für Teile des linksextremistischen Spektrums. 97 "Selbstverständnis", Homepage "[3A]*Revolutionäres Bündnis" (1. Dezember 2012).. 98 Akronym für "Tag der deutschen Zukunft", eine von der neonazistischen Szene seit 2009 alljährlich im Juni in Norddeutschland organisierte Veranstaltung (vgl. auch Kap. II, Nr. 3.3). 159 LINKSEXTREMISMUS 1.2 Konfrontative Gewalt In der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ist ein anhal tend hohes Aggressionsniveau festzustellen. Eine typische Form autonomer Gewalt, für einige sogar der wichtigste Ausdruck "militanter Politik", ist die sogenannte Massenmilitanz, d.h. Stra ßenkrawalle, die sich situativ im Rahmen von Demonstrationen und Großveranstaltungen oder in deren Anschluss entwickeln. Gewalt soll als legitimer Protest in der politischen Auseinander setzung erscheinen; gewalttätige Ausschreitungen, so die Bot schaft, sind bei jeder Demonstration einzukalkulieren und wer den billigend in Kauf genommen. Entsprechend bilden sich bei Demonstrationen mitunter "Schwarze Blöcke", zu denen sich vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung" for mieren. Durch das provokative Auftreten dieser Blöcke zumeist an der Spitze von Demonstrationszügen wird die Stimmung unter den Teilnehmern aufgeheizt. "M31 - European Zu den Schwerpunkten organisierter Massenmilitanz zählten meh Day of Action against rere Veranstaltungen in der Finanzmetropole Frankfurt am Main Capitalism" (Hessen). Im Rahmen des "M31 - European Day of Action against Capitalism" riefen Linksextremisten für den 31. März (M31) 2012 zu einer Demonstration "gegen die autoritäre Krisenpolitik der Troika aus EUKommission, IWF und EZB" auf. Die spektrenübergreifende Mobilisierung wurde getragen von dem kommunistischen antina tionalen "...umsGanze!"Bündnis, dem sozialrevolutionären und antinationalen "Krisenbündnis Frankfurt" sowie der anarchosyndi kalistischen "Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union" (FAU). An dem Aufzug beteiligten sich mehrere Hundert gewaltbereite Linksextremisten, die sich massive Auseinandersetzungen mit Poli zeikräften lieferten und diese mit Steinen und Flaschen sowie MolotowCocktails angriffen. 15 Polizeibeamte wurden teilweise schwer verletzt. Darüber hinaus setzten Demonstranten Müll und Baucontainer in Brand und beschädigten mehrere Gebäude. Insge samt wurden mehr als 450 Aktivisten vorläufig festgenommen. Ein Sprecher des Organisationsbündnisses für den Aktionstag rechtfertigte die Gewalt wie folgt: "Die Angriffe mit Farbbeuteln und Steinen auf u.a. den Sitz der Europäischen Zentralbank, die Wache der Stadtpolizei und die 160 LINKSEXTREMISMUS Arbeitsagentur können wir in Anbetracht der immer brutaler werdenden sozialen Bedingungen nachvollziehen. Wir verstehen diese militanten Aktionen als Ausdruck der Wut über die autoritäre Krisenpolitik in der EU. Die Staaten sanieren den Kapitalismus auf Kosten der Lohnabhängigen und sozial Schwachen. Dagegen wehren wir uns." (Internetportal "Indymedia Deutschland", 3. April 2012) Bereits im Vorfeld des Aktionstags war es am 27. und 28. Februar 2012 unter Bezugnahme auf die Finanzkrise in Griechenland in Hamburg zu Sachbeschädigungen an insgesamt sechs Banken gekommen. In einer Taterklärung hoffen die Verfas ser auf eine Eskalation der Lage: "Auf das viele Menschen am 31. März in Frankfurt und zu anderer Zeit an anderem Ort ihre Wut auf die Straße tragen. Für einen heißen Sommer!" (Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", 8. März 2012) Der "M31 - European Day of Action against Capitalism" galt Aktionstage szeneintern als "Antikapitalistisches Warm Up für die rebellischen "Blockupy Maifestspiele 2012". Vom 16. bis 19. Mai 2012 beteiligten sich Frankfurt" Linksextremisten, darunter die in die Vorbereitung eingebundene "Interventionistische Linke" (IL, vgl. Kap. II, Nr. 2), an den von einem breiten Bündnis getragenen europäischen Aktionstagen unter dem Motto "Blockupy Frankfurt". Im Mittelpunkt der Akti vitäten stand die beabsichtigte Blockade des Neubaus der Europä ischen Zentralbank (EZB). Die IL kündigte ähnliche Aktionen für die Zukunft an: "Ob in Frankfurt 2014 die neue EZB eröffnet wird, ist für uns noch lange nicht ausgemacht."99 Aufgrund der Aus schreitungen am 31. März 2012 wurden die Aktionstage von der Stadt Frankfurt am Main (Hessen) mit einem umfassenden Veran staltungsverbot belegt. An einer genehmigten Demonstration am 19. Mai 2012 mit insgesamt rund 20.000 Teilnehmern beteiligten sich etwa 1.000 in zwei "Schwarzen Blöcken" formierte Angehö rige des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums. Aus dem Aufzug heraus kam es zu Angriffen auf Polizeibeamte sowie zum 99 Homepage IL (1. Dezember 2012). 161 LINKSEXTREMISMUS Abbrennen von Bengalischen Feuern, Rauchbomben und Leucht munition. Überwindung des Die linksextremistische "Antifaschistische Revolutionäre Aktion Kapitalismus Berlin" (ARAB) veröffentlichte Ende Februar 2012 die erste Aus gabe einer Szenezeitschrift zur "Krisenanalyse" mit dem Titel "Perspektive - Texte für den revolutionären Aufbauprozess". Darin stellt sie mit Blick auf die Proteste im März und Mai 2012 in Frankfurt am Main (Hessen) fest, es gehe nicht um eine moderate Kapitalismuskritik, sondern um die Überwindung des Kapitalis mus im Ganzen. Zudem gelte es, gegen ein "in manchen Situatio nen geradezu absurdes Dogma der 'Gewaltfreiheit'" vorzugehen: "Heranführen an den zivilen Ungehorsam, das Bekämpfen des Ohnmachtsgefühls, man könne gegen den allmächtigen Staatsapparat nichts ausrichten, dies sind die praktischen Aufgaben der Stunde." (Broschüre "Perspektive Nr.1" der ARAB, Frühjahr 2012, S. 24) Bei der Mobilisierung wolle man auch die Rolle des "deutschen Imperialismus" hervorheben: "Wir möchten den Widerstand gegen diese autoritäre deutsch-europäische Krisenpolitik in diesem Frühjahr ins Herz der Bestie tragen, ins politische und ins finanzielle Zentrum, nach Berlin und Frankfurt." (Broschüre "Perspektive Nr.1" der ARAB, Frühjahr 2012, S. 29) Mit der gleichen Begründung setzten am 8. April 2012 bislang unbekannte Täter neun Firmenfahrzeuge der Deutschen Telekom AG in BerlinPankow in Brand. Vier weitere Fahrzeuge wurden durch das Feuer beschädigt. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von 200.000 bis 250.000 Euro. In einer Erklärung bezichtigte sich das nach einem griechischen Aktivisten benannte "Kommando Lambros Foundas"100 der Tat gegen das Unternehmen, das von der weltweiten Wirtschaftskrise profitiere. Mit der Aktion verbinde 100 Hierbei handelt es sich um ein mutmaßliches Mitglied der gewalttätigen grie chischen Gruppierung "Revolutionärer Kampf", das am 10. März 2010 bei einem Polizeieinsatz in Griechenland tödlich verletzt wurde. 162 LINKSEXTREMISMUS man die Hoffnung, "die Wut der Menschen in das Herz des euro päischen Kapitalismus zu tragen". Unter dem Motto "Wir fordern nichts, wir wollen alles!" wurde für "Revolutionärer den Zeitraum vom 26. April bis zum 1. Mai 2012 im Rahmen soge 1. Mai" nannter Insurrection Days ("Tage des Aufstands") zu dezentralen Aktionen des bewussten Widerstands aufgerufen: "Am 1. Mai wissen die Bullen wann und wo es knallen könnte und waren in den letzten Jahren bestens darauf vorbereitet. Die Nächte und Tage davor wollen wir uns jedoch selbst gestalten. Mal bunt, aber auch tiefschwarz, mal friedlich und bestimmt, mal mit feuriger Wut." (Internetportal "insurrectiondays.noblogs", 18. Januar 2012) Der "Revolutionäre 1. Mai" - als "Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung" nach wie vor von herausragender Bedeutung im linksextremistischen Veranstaltungskalender - fand im Jahr 2012 überwiegend im Zeichen der Wirtschafts und Finanzkrise statt. Die Schwerpunkte lagen wie in den Vorjahren in den autonomen Hoch burgen Berlin und Hamburg. Die Teilnehmerzahl in Berlin lag leicht über der des Vorjahres, in Hamburg deutlich darunter. Das Gewalt niveau ging insgesamt zurück, was für die szeneinternen Bemühun gen um eine Repolitisierung der eigenen Aktionen spricht. Den Mittelpunkt der Protestaktivitäten in Berlin bildete erneut die "Revolutionäre 1. MaiDemo" ("18UhrDemo"). Unter dem Motto "Der Druck steigt - für die soziale Revolution!" sollte sie erstmals aus Kreuzberg heraus in die Stadtmitte führen, in die "Zentren der politischen Macht". Zum 25. Jahrestag der ersten MaiKrawalle in Berlin im Jahr 1987 wurde der "internationale Widerstand gegen die vor allem durch die BRD forcierte Verarmungspolitik als ver meintliche Lösung der Weltwirtschaftskrise" ausgerufen.101 An dem Aufzug beteiligten sich rund 10.000 Teilnehmer (2011: 9.300); unmittelbar nach dem Start vermummten sich die Teilnehmer an der Aufzugsspitze. Es wurde Pyrotechnik gezündet und Polizei beamte, eine Bankfiliale, mehrere Geschäfte und Tankstellen mit Steinen und Flaschen beworfen. Vereinzelt wurden Hindernisse auf den Straßen errichtet und Müllcontainer in Brand gesetzt. 101 Internetportal "Indymedia Deutschland" (2. April 2012). 163 LINKSEXTREMISMUS Im Zusammenhang mit einer Diskussion über das Verbot einzel ner Abschnitte der Demonstrationsroute wird ein Sprecher der ARAB in den Medien mit folgender Aussage zitiert: "Wenn die Polizei uns Steine in den Weg legt, muss sie sich nicht wundern, wenn diese zurückfliegen." (Homepage taz, 11. April 2012). In Hamburg beteiligten sich bis zu 1.400 Personen (2011: 2.100) an einer Demonstration unter dem Motto "Keine Alternative zur Revolution". Wiederholt attackierten Teilnehmer die Polizeikräfte mit Böllern, Flaschen und Steinen. Am Zielpunkt des Aufzugs kam es zu massiven Angriffen auf die Polizisten. Danach setzten sich die Teilnehmer der Kundgebung in Kleingruppen in das Schan zenviertel ab und sammelten sich vor dem Szeneobjekt "Alte Flora". Dort skandierten sie "ganz Hamburg hasst die Polizei" und entzündeten Müll auf der Straße. Nachdem die Polizei von etwa 200 Personen angegriffen wurde, setzte sie Wasserwerfer gegen die Gewalttäter ein. Erst nach Mitternacht beruhigte sich die Lage; bis dahin war es an unterschiedlichen Stellen im Schanzenviertel immer wieder zu Tätlichkeiten gegen die Einsatzkräfte und ver einzelt auch zu Brandlegungen gekommen. Weitere nennenswerte 1. MaiDemonstrationen, an denen sich z.T. mehrere Hundert Linksextremisten beteiligten, dar unter auch gewaltbereite, fanden in Köln, Siegen, Wuppertal (NordrheinWestfalen), Nürnberg (Bayern) und Stuttgart (Baden Württemberg) statt. Darüber hinaus nahmen Linksextremisten auch an Protestaktionen gegen Aufzüge des rechtsextremisti schen Spektrums beispielsweise in Bonn (NordrheinWestfalen), Hof an der Saale (Bayern), Mannheim (BadenWürttemberg), Neubrandenburg (MecklenburgVorpommern), Neumünster (SchleswigHolstein) und Wittstock (Brandenburg) teil. In einem Aufruf zu den Gegenprotesten in Bonn heißt es: "Konsequenter Antifaschismus ist mehr als das blockieren von Nazi-Aufmärschen. (...) Konsequenter Antifaschismus bedeutet sich denjenigen verbal, inhaltlich oder wenn nötig militant in den Weg zu stellen, die sich positiv auf den Nationalsozialismus beziehen 164 LINKSEXTREMISMUS (...). In diesem Sinne: Naziaufmärsche verhindern, Faschismus konsequent bekämpfen. Kommt am 1. Mai nach Bonn! Blockiert, seid kreativ, bleibt in Kontakt!" (Internetportal "Indymedia Deutschland", 19. April 2012) Am 25. August 2012 fand das alljährliche Hamburger Schanzen "Schanzenviertelfest" viertelfest statt, das angesichts der sozialen Proteste in Griechenland unter dem Motto "Kapitalismus, Krise, Widerstand: Schanzenfest auf Griechisch" stand. Nach friedlichem Verlauf des Festes entwickelten sich in den späten Abendstunden gewalttätige Ausschreitungen, die bis in die frühen Morgenstunden anhielten. Gewalttäter beschädigten aus einer Gruppe von etwa 40 Personen heraus eine Filiale der Hamburger Sparkasse und versuchten, die Eingangstür des Bankgebäudes aufzubrechen. Einschreitende Poli zeikräfte wurden massiv angegriffen. Im weiteren Verlauf kam es zu Brandlegungen und Sachbeschädigungen im Umfeld des Szene objektes "Rote Flora". An den Ausschreitungen waren insgesamt rund 300 Aktivisten beteiligt. 1.3 Anschläge Neben der konfrontativen Straßengewalt verüben einzelne Per sonenzusammenhänge des gewaltbereiten Spektrums schwere, verdeckt vorbereitete Anschläge. Diese Gewalttaten sind planvoll konzipiert und sollen eine Signalwirkung erzeugen. Häufig wer den die Anschläge in Selbstbezichtigungsschreiben, die an Presse medien versandt oder im Internet verbreitet werden, ideologisch begründet und gerechtfertigt. Zum Schutz vor Strafverfolgung verwenden die Täter in ihren Erklärungen meist wechselnde Aktionsbezeichnungen oder verzichten gänzlich auf Namen ("no name"Gewalt). Nur wenige Gruppierungen operieren dagegen unter gleichbleibenden Bezeichnungen, um die Kontinuität ihres Kampfes zu dokumentieren und ansprechbar für Szenediskussio nen zu bleiben. Nach einer mehrmonatigen Pause ist Mitte April 2012 eine neue Modelle des gewaltAusgabe der konspirativ hergestellten und vertriebenen Szene tätigen Widerstands zeitschrift "radikal - publikation der revolutionären linken" erschienen (Nr. 165, Winter 2012). Mit drei Beiträgen unter der 165 LINKSEXTREMISMUS Rubrik "Vom Protest über den Widerstand zum Aufstand" knüp fen die Herausgeber an den theoretischen Schwerpunkt der letz ten Ausgabe aus dem Sommer 2011 an und entwickeln weitere Modelle des gewalttätigen Widerstands. Herausgeber des in einem Tarnumschlag verbreiteten Heftes ist die linksextremistische Gruppierung "Revolutionäre Linke" (RL). Im redaktionellen Vorwort heißt es, die "radikal" wolle künftig in verstärktem Maße ihre Rolle als "kollektiver Propagandist, Agita tor und Organisator" erfüllen; mehr denn je sei die "revolutionäre Linke" auf ein solches Blatt als "meinungsmachendes Organ" angewiesen: "In einem solchen Organ finden Debatten ihren Platz, die nicht bereits am Erscheinungstag faktisch nur noch Informationen von vorgestern enthalten, sondern nachhaltig wirken. Sie sollen Handlungsgrundlagen schaffen, um innerhalb des Organisierungsprozesses der revolutionären Linken an Orientierung und Perspektive gewinnen zu können." ("radikal" Nr. 165, Winter 2012, S. 3) Unter dem Titel "Massenmilitanz, bewaffneter Kampf und die Aufstandsperspektive der revolutionären Linken" propagieren die Autoren die Einrichtung einer MilizStruktur. Sie beziehen sich damit ausdrücklich auf das Positionspapier "(Stadt)Guerilla oder Miliz?" der "militanten gruppe (mg)" von Dezember 2004. Während es sich bei der Guerilla um eine Offensivstruktur im "antiimperialistischen Befreiungskampf" handele, solle die Miliz als Struktur des "bewaffneten Selbstschutzes des Proletariats" eine eigenständige Position innerhalb der Widerstandsebenen eines "revolutionären Aufbauprozesses" einnehmen: "Wichtig ist dabei, dass sich die Aktivitäten der klandestin-militanten Kerne und der Miliz nicht groß überlagern, sondern sich durch abgegrenzte Tätigkeitsbereiche gegenseitig stärken." ("radikal" Nr. 165, Winter 2012, S. 13) 166 LINKSEXTREMISMUS In einem weiteren Beitrag werden die Überlegungen zum Thema "SozialRebellismus und revolutionäre Linke" aus der "radikal"Ausgabe Nr. 164 fortgesetzt. Die Autoren beschreiben die Handlungsperspektiven von "sozialrebellischen Banden" als potenziellen Akteuren im Rahmen des "revolutionären Aufbau prozesses". Sie entwickeln eine Art Leitfaden mit Kriterien, die für das Funktionieren solcher Strukturen wesentlich seien: "Grundsätzlich bilden sozial-rebellische Banden einen solidarischen autonomen Verbund im Umfeld der Organisierung der revolutionären Linken. 'Eigentum ist Diebstahl!' - nach dieser Devise gehören die Enteignungsund Umverteilungsaktionen zu den wesentlichen Aktivitäten sozial-rebellischer Banden. (...) Sozial-rebellische Banden sind ein Selbstschutzbund gegen staatsterroristische und neo-nazistische Attacken." ("radikal" Nr. 165, Winter 2012, S. 24) Eine weitere Interventionsform neben der "Enteignung" sei die "Offensivtat" der Sabotage, die mehr sei als ein bloßer Akt der Zerstörung. Sabotage bedeute auch, "einen potenziellen Aufruhr vorbereiten zu helfen, in dessen Verlauf mit der Übernahme von (industriellen und behördlichen) Schlüsselsektoren begonnen wird, um sie in die Selbstverwaltung zu überführen".102 In der Schrift wird aber auch die klassische Form der Anschlags Anschlag auf das tätigkeit aufgeführt. Als gelungenes Beispiel für eine zielgerichtete Amtsgericht in Intervention benennen die Verfasser einen Brandanschlag in Göttingen Göttingen (Niedersachsen) am 2. Dezember 2011, am Vorabend der Demonstration "Nazis morden! Der Staat schiebt ab". Unbe kannte Täter hatten vor dem Eingangsbereich des dortigen Amts gerichts einen Brandsatz aus Gaskartuschen entzündet und dadurch mehrere Sicherheitsglasscheiben beschädigt. An die Fas sade sprühten sie die Parole "NAZIS MORDEN! DER STAAT SCHIEBT AB". An zwei Säulen wurde zudem der Schriftzug "RAZ" hinterlassen. Erst deutlich später, am 31. Januar 2012, veröffent lichte eine "sektion m.z. (göttingen)!" im Internet eine Taterklä rung, in der die Aktion begründet wird als Protest gegen die staatliche Abschiebemaschinerie auf der einen sowie die 102 "radikal" Nr. 165, Winter 2012, S. 24. 167 LINKSEXTREMISMUS Komplizenschaft mit Nazis auf der anderen Seite. Man sei ent schlossen, sich "als feministisch/revolutionäre/antirassistische gruppe dem 'großen ganzen' (raz) mit theorie und praxis anzu schließen", indem man eigenständig und autonom mitgestalte, anstatt nur tatenlos zuzusehen. Die Redaktion der "radikal" veröffentlicht dazu eine kurze Notiz der "Revolutionären Aktionszellen" (RAZ) von Dezember 2011, in der sich die Gruppe ausdrücklich mit dem Anschlag in Göttingen solidarisierte: "Auch wenn diese klandestine Intervention nicht direkt aus unserem Gruppenzusammenhang erfolgte, haben wir keinerlei Widerspruch zur Objektauswahl und zur Aktionsdurchführung. Im Gegenteil, wir sehen darin einen präzisen Eingriff von Seiten der revolutionären Linken, gegen das Duett von Staat und Nazis auf einer klandestin-militanten Ebene vorzugehen. Wir sehen diese Aktion als Teil unseres Organisierungsprozesses als RAZ in der BRD und hoffen, dass wir (...) euch und anderen solidarischen GenossInnen weitere konkrete Orientierungen geben, damit wir uns zukünftig in ein engeres gemeinsames Verhältnis setzen können." ("radikal" Nr. 165, Winter 2012, S. 33) Brandanschlag auf Am 15. Oktober 2012 wurde ein Brandanschlag auf ein Fahrzeug ein Fahrzeug des des griechischen Militärattaches in einer Tiefgarage in Berlin griechischen MiliTiergarten verübt. Das Fahrzeug brannte vollständig aus. In einer tärattaches in Berlin Taterklärung unter der Aktionsbezeichnung "international arson ist union" wird der griechische Militärattache als "legitimes ziel militanter angriffe" bezeichnet, denn er trage Verantwortung für den "mienenkrieg an der grenze zur türkei", für Waffengeschäfte Griechenlands, die die Bevölkerung in ein "soziales Desaster trei ben", für die "sparpolitik der griechischen regierung, welche als marionette der troika den reichtum der eliten" sichere, sowie für die "gewalt gegen demonstrierende in athen und anderen städ ten". Die Verfasser solidarisieren sich mit "den gefangenen des sozialen krieges in griechenland" sowie den "unterschiedlichen gruppen der stadtguerilla". Die Erklärung endet mit den Worten "Viva la Anarchia".103 103 Internetportal "linksunten.indymedia" (19. Oktober 2012). 168 LINKSEXTREMISMUS 2. Feste organisatorische Strukturen Die Gruppierungen "Interventionistische Linke" (IL) und "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) bilden derzeit die organisatorisch am weitesten entwickelten und beständigsten Strukturen im aktionsorientierten linksextremistischen Spek trum. Als Gruppierungen mit bundesweitem Anspruch nehmen sie eine Scharnierfunktion zwischen den gewaltbereiten und nichtgewaltbereiten Bereichen des linksextremistischen Spek trums wahr. Zwar treten sie nicht offen gewalttätig oder gewalt befürwortend auf, ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit lehnen sie jedoch ab. Mit einer strategisch ausgerichteten Bündnispolitik bemühen sich insbesondere die IL und AVANTI, ideologisch unterschiedlich ausgerichtete Aktivisten und Gruppierungen zu integrieren und sich dadurch als strömungsübergreifende Akteure zu etablie ren. Dabei kommt es trotz aller Bemühungen immer wieder zu Spannungen hinsichtlich der Abgrenzung zur Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung. Durch die Bündelung der Kräfte im gewaltbereiten Linksextremismus solle die "radikale Linke" aus der Minorität geführt werden, wobei selbstkritisch einge räumt wird, "dass ihre Verankerung und Mobilisierungsfähigkeit jenseits punktueller Großkampagnen eher schwach ausgeprägt ist." Die "radikale Linke" sei deshalb angewiesen auf "einen gesell schaftlichen Resonanzraum."104 In der Vergangenheit seien diese Bündnisbemühungen oftmals durch gewalttätige Aktionsformen belastet worden - einen inhaltsleeren "Militanzkult", "der im Einsatz von Gewalt das entscheidende Kriterium revolutionärer Politik sieht", lehne AVANTI allerdings ab.105 Es gelte aber weiter hin, dass "für die Veränderung der Gesellschaft eine Revolution notwendig ist".106 104 Homepage IL (1. Dezember 2012). 105 Homepage AVANTI (1. Dezember 2012). 106 Homepage AVANTI (1. Dezember 2012). 169 LINKSEXTREMISMUS 2.1 "Interventionistische Linke" (IL) Gründung: Ende 2005 Struktur: bundesweites informelles Netzwerk von Aktivisten überwiegend aus dem autonomen und antiimperialistischen Spektrum Publikationen: aktionsabhängig (z.B. "Dazwischengehen - Zeitung für eine interventionistische Linke", "Vergesellschaftung") Gründung und Die "Interventionistische Linke" (IL) trat erstmals im Jahr 1999 Zusammensetzung nach den Protesten gegen die EURatstagung und den Weltwirt schaftsgipfel in Köln (NordrheinWestfalen) in Erscheinung. Aus einem zunächst informellen Treffen undogmatischer Linksextre misten aus verschiedenen Strömungen entstand ein bundesweit agierendes informelles Netzwerk. Seit der formellen Gründung im Jahr 2005 etablierte sich die IL im linksextremistischen Spektrum und brachte sich in nahezu alle linksextremistischen Themenfel der aktiv ein. Eine prominente Rolle spielte das Netzwerk 2007 im Zusammenhang mit der Organisation der Proteste gegen den G8Gipfel in Heiligendamm (MecklenburgVorpommern). Die IL setzt sich vor allem aus Aktivisten und Gruppierungen des auto nomen und antiimperialistischen Spektrums zusammen. VernetzungsDie IL bemühte sich auch 2012, verschiedene Strömungen des strategie autonomen Spektrums zusammenzuführen und zu organisieren. Ziel ist es, die oftmals lediglich lokal verankerten Gruppierungen aus der politischen Bedeutungslosigkeit herauszuführen und ihnen Einfluss auf die Entwicklung von Politik und Gesellschaft zu verschaffen. "Ausgangspunkt für das Projekt Interventionistische Linke war das gemeinsame Bedürfnis, sich nicht mit einer bloß kommentierenden und kritisierenden Rolle zu begnügen, sondern praktisch in die realen politischen und sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen - eben zu intervenieren." ("G8Xtra Nr. 1", Februar 2006, S. 2) 170 LINKSEXTREMISMUS In den vergangenen Jahren wurden in Karlsruhe und Tübingen (BadenWürttemberg) sowie Köln (NordrheinWestfalen) und München (Bayern) eigenständige ILOrtsgruppen gegründet. Die hiermit verbundenen Erwartungen der IL in Bezug auf eine Zusammenführung der unterschiedlichen Gruppierungen haben sich bislang jedoch nicht erfüllt, da deren Politikansätze zu unter schiedlich sind. Insbesondere lehnen einige autonome Gruppen die mit dem ILProjekt verfolgte Einbindung in feste Organisati onsstrukturen bzw. eine gemeinsame ideologische Fundierung ab, da sie um ihre Eigenständigkeit fürchten und festgefügte Formen der Entscheidungsfindung nicht akzeptieren. Das Anliegen dieser Bündnispolitik ist eine Erhöhung der Hand lungsfähigkeit der im ILNetzwerk organisierten Gruppen. Aus der Sicht gewaltbereiter Linksextremisten werden durch diese Bündnisse allerdings eigene Aktionsformen in den Hintergrund gedrängt und ideologische Positionen aufgeweicht. Im Zuge der Finanzkrise fokussierte sich die IL im Jahr 2012 vor Aktivitäten nehmlich auf das Aktionsfeld "Antikapitalismus". Sie gehörte z.B. dem Trägerkreis des "European Resistance" an, der die "europa weiten Aktionstage" vom 16. bis 19. Mai 2012 in Frankfurt am Main (Hessen) unter dem Motto "Blockupy Frankfurt" organi sierte. ILGruppen beteiligten sich auch am sogenannten "M31 - European Day of Action against Capitalism" am 31. März 2012 in Frankfurt am Main (Hessen), bei dem es zu gewalttätigen Aus schreitungen kam. Das Netzwerk engagierte sich daüber hinaus auch in den linksex tremistischen Aktionsfeldern "Antifaschismus" und "Antimilita rismus": Eine Vielzahl der in der IL vernetzten Gruppen beteiligte sich z.B. im Bündnis "no pasaran" im Februar 2012 an den Protest und Blockadeaktionen gegen die Aufmärsche von Rechtsextre misten in Dresden (Sachsen) bzw. unterstützte die von verschie denen linksextremistischen Zusammenhängen 2011 initiierte Kampagne "War starts here". 171 LINKSEXTREMISMUS 2.2 "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) Gründung: 1989 Struktur: Ortsgruppen in Norderstedt, Kiel, Lübeck (alle Schleswig-Holstein), Hamburg, Hannover (Niedersachsen), Bremen und Berlin. AVANTI ist Teil des informellen Netzwerks IL Publikation: aktionsabhängig (z.B. "Avanti Positionen", "Denkblockaden", "Extrem Wichtig: Linke Politik") Die Gruppierung "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) bemüht sich ebenso wie die "Interventionistische Linke" (IL), Teile des strukturarmen Spektrums des gewaltbereiten Linksextremismus zusammenzuführen. Abweichend vom klassi schen Ansatz informeller Netzwerke verfügt AVANTI über eigene regionale Strukturen (Ortsgruppen) in mehreren norddeutschen Bundesländern und ist gleichzeitig einer der einflussreichsten Akteure innerhalb der IL. Eine seit Jahren angestrebte bundes weite Präsenz ist AVANTI nicht gelungen. AVANTI verfolgt mit den Bemühungen um den eigenen organisa torischen Auf und Ausbau das Ziel, eine handlungsfähige Struk tur der "radikalen Linken" zu schaffen. Während die meisten Gruppierungen im gewaltbereiten Linksextremismus eine organi sationskritische Position beziehen, betrachtet AVANTI die Organi sierung als notwendige Voraussetzung für eine Revolution. Im Grundsatzpapier heißt es dazu: "Unsere Überzeugung war und ist, dass diese Gesellschaft revolutionär verändert werden muss und dass die hierfür notwendige gesellschaftliche Gegenmacht nicht allein aus spontanen Bewegungen bestehen kann, sondern die Beteiligung revolutionärer Organisationen braucht." (Homepage AVANTI, 1. Dezember 2012) 172 LINKSEXTREMISMUS Die Etablierung einer "gesellschaftlichen Gegenmacht" ist aus Gesellschaftliche Sicht von AVANTI Voraussetzung für die revolutionäre Überwin Gegenmacht dung des "Gesellschaftssystems". Die Politik der "Organisierung von RevolutionärInnen" soll einen Beitrag dazu leisten, dass "sich zukünftig noch mehr Menschen (...) in grundsätzlichem Gegen satz zum System sehen".107 In diesem Sinne verfolgt AVANTI eine strategisch angelegte Bündnispolitik, um ein möglichst breites Spektrum an Unterstützern für ihre politischen Ziele zu mobili sieren. Die theoretische Basis von AVANTI ist von revolutionärmarxisti Gewalt und schen Ideologieelementen geprägt. Ein ideologischer Kernbestand Revolution des Projekts ist die Bekämpfung des Kapitalismus. Die Agitation beschränkt sich jedoch nicht auf eine bloße Gesellschaftskritik, sondern mündet in die Ablehnung des demokratischen Systems und in die Vorstellung von einer alternativen politischen Ord nung. So heißt es im Grundsatzpapier von AVANTI, "Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus" seien "grundlegende Strukturen, die unsere heutige Gesellschaft wesentlich organisieren". Deshalb müsse "der Kapitalismus revolutionär überwunden werden und an seine Stelle der Sozialismus treten".108 Um den Systemwechsel zu erreichen, legitimiert AVANTI revolu tionäre Gewalt als letztes Mittel: "RevolutionärInnen [haben] immer wieder zum Mittel der Gewalt gegriffen. In vielen historischen Situationen halten wir diese Entscheidung für richtig und unvermeidlich. (...) Die Erfahrungen (...) zeigen aber auch, dass der Einsatz von Gewalt immer auch Tendenzen zur Verrohung in den eigenen Reihen hervorgebracht hat. Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann." (Homepage AVANTI, 1. Dezember 2012) 107 Homepage AVANTI (1. Dezember 2012). 108 Homepage AVANTI (1. Dezember 2012). 173 LINKSEXTREMISMUS Aktivitäten Als Bündnis mit bundesweitem Geltungsanspruch ist AVANTI in nahezu allen linksextremistischen Aktionsfeldern präsent. Im ver gangenen Jahr lagen die Schwerpunkte in den Bereichen "Antika pitalismus", "Antifaschismus" und "Antirassismus". Die ideologi sche Arbeit bezog sich aber auch auf den "Antimilitarismus", den "Internationalismus" und die "Sozialen Kämpfe". So beteiligte sich AVANTI an dem "antikapitalistischen" Aktionstag "M31 - Euro pean Day of Action against Capitalism", in dessen Verlauf am 31. März 2012 in Frankfurt am Main (Hessen) gewalttätige Angriffe auf Polizisten verübt wurden. Die "antifaschistischen" Aktivitäten der Gruppierung richten sich vordergründig gegen Rechtsextremisten, dienen aber gleichzeitig als Plattform zur Verbreitung linksextremistischer Deutungsmus ter. Beispiele sind die Gegenveranstaltungen zu den Aufmärschen von Rechtsextremisten am 13. und 18. Februar 2012 in Dresden (Sachsen) und zum "Tag der deutschen Zukunft" am 2. Juni 2012 in Hamburg (vgl. Kap. II, Nr. 3.3). 3. Aktionsfelder 3.1 "Antirepression" Anhaltend hohe Der Kampf gegen "staatliche Repression" hat für gewaltbereite Bedeutung für Linksextremisten einen besonders hohen Stellenwert. Im Jahr Linksextremisten 2012 agitierten sie intensiv in Wort und Tat gegen den Staat und seine "Handlanger". In einem Aufruf autonomer Gruppen aus Berlin von Ende Oktober 2012 werden z.B. Polizei und Behörden als "Repressionsapparat" diffamiert, der zur Aufrechterhaltung der "falschen Gesellschaft" dient: "Wir finden uns nicht damit ab, die bestehende Gesellschaft als alternativlos anzusehen und die Repression von Flüchtlingen, linken Hausprojekten, Aktivisten, emanzipatorischen Gruppen sowie alle anderen Abweichungen vom braven, deutschen, pünktlich zur Arbeit und alle vier Jahre wählen gehenden Durchschnittsbürger als Verteidigung der demokratischen Grundordnung zu bejubeln. Stattdessen betrachten wir Nationalstaat und das Kapital als Erscheinungen, die einem selbstbestimmten Leben freier Menschen entgegenstehen, sowie Polizei und Behörden als Repressionsapparat, dessen Funktion 174 LINKSEXTREMISMUS es ist, diese falsche Gesellschaft aufrechtzuerhalten und gegen Andersdenkende zu verteidigen. Wir schließen keinen Frieden mit dieser Gesellschaft. Folglich sind die, die sie verteidigen auch weder unsere Freunde noch unsere Helfer. Prepare for Resistance." (Internetportal "linksunten.indymedia", 26. Oktober 2012) Wesentlich befördert wurden die Aktivitäten gewaltbereiter Aufdecken des NSU Linksextremisten in diesem Aktionsfeld durch das Bekanntwer befördert Aktivitäten den der Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" gegen die Sicher(NSU) im November 2011: Insbesondere die behaupteten Verstri heitsbehörden ckungen der Sicherheitsbehörden, namentlich von Verfassungs schutz und Polizei, in die Verbrechen wurden von der Szene auf gegriffen. Bei demonstrativen Aktionen spielten häufig auch die Aktionsfelder "Antirassismus" und "Antifaschismus" eine Rolle. So riefen u.a. autonome Gruppen aus der Region Nürnberg (Bayern) zu einer "Antifa"Demonstration am 31. März 2012 unter dem Motto "Nazistrukturen bekämpfen, Verfassungsschutz abschaffen! Antifa in die Offensive" auf und formulierten in einem Mobilisierungsflugblatt: "Antifaschismus heißt die Zusammenhänge zu benennen und zu bekämpfen. So lange die Gesellschaft kapitalistisch organisiert ist, so lange wird es faschistische Verbrechen als konsequente und logische Folge dieser Herrschaftsform geben. Ein Ende dieses Schreckens kann nur durch eine grundlegende und endgültige Umwälzung der Gesellschaft erreicht werden. (...) Dass diese Veränderung nicht von den jetzt herrschenden Funktionseliten herbeigeführt wird, liegt auf der Hand. Ebenso, dass wir uns im Kampf gegen Neonazis und ihre Gewalt nicht auf Polizei und Staatsanwaltschaften verlassen dürfen, ist spätestens durch die offene Zusammenarbeit mit den Mördern des NSU klar. (...) Setzen wir ein klares Zeichen gegen den nazistischen Terror! Verfassungsschutz abschalten, Nazistrukturen zerschlagen!" (Homepage "redside.tk", 6. März 2012) Im Verlauf der Demonstration kam es zu teilweise schweren Aus einandersetzungen mit Polizeikräften. Ein 19jähriger türkisch stämmiger Linksextremist, der mit der Spitze einer Fahnenstange 175 LINKSEXTREMISMUS mehrere Polizeibeamte angegriffen hatte, wurde am 14. Novem ber 2012 vom Landgericht NürnbergFürth (Bayern) wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen und Landfriedens bruchs zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt (vgl. auch Kap. II, Nr. 4). Protestaktionen Am 10. November 2012 beteiligten sich in Köln (Nordrhein gegen das BfV Westfalen) bis zu 1.000 Personen, darunter eine Vielzahl aus linksextremistischen Zusammenhängen, an Protestveranstaltun gen gegen das BfV, zu denen ein Aktionsbündnis "Verfassungs schutz auflösen!" aufgerufen hatte. Im Rahmen einer Auftakt kundgebung in KölnChorweiler bezichtigten die Veranstalter das BfV einer Mitverantwortung für die NSUMorde und forderten die Auflösung des Amtes. Im Anschluss an die Auftaktkundgebung zogen rund 350 Perso nen, darunter ein "Schwarzer Block", in einem Protestmarsch zum Dienstgebäude des BfV, führten dort eine etwa einstündige Stand kundgebung durch und zeigten themenbezogene Transparente. Gegen Ende der Kundgebung wurden vereinzelt u.a. Steine und Böller in Richtung der Polizeibeamten und mit Farbe gefüllte Fla schen gegen die Wache des BfV geworfen. An den Protestaktionen beteiligten sich deutsche und türkische Linksextremisten. Die Demonstration in Köln (NordrheinWestfalen) war Teil einer bundesweiten Kampagne "Verfassungsschutz auflösen Rassismus bekämpfen!". Bereits in der Woche zuvor, anlässlich des Jahres tages der Aufdeckung des NSU am 4. November 2011, beteiligten sich in mehreren deutschen Städten insgesamt mehr als 3.500 Personen, darunter Angehörige des linksextremistischen Spek trums, an einem bundesweiten Aktionstag. Am 3. November 2012 nahmen in Hamburg rund 1.000 z.T. mit Sturmhauben vermummte Personen an einem Aufzug unter dem Motto "Rassismus entgegentreten Faschismus bekämpfen - Ver fassungsschutz auflösen!" teil. Aus dem Aufzug heraus wurden vereinzelt pyrotechnische Gegenstände gezündet. Proteste gegen IMK Zu den regelmäßigen Terminen im Protestkalender vor allem und Polizeikongress gewaltbereiter Linksextremisten zählen der jährlich im Februar in Berlin stattfindende Europäische Polizeikongress sowie die Frühjahrs und Herbstsitzungen der Ständigen Konferenz der 176 LINKSEXTREMISMUS Innenminister und senatoren des Bundes und der Länder (Innenministerkonferenz - IMK). Beide Veranstaltungen gelten Linksextremisten als Spitzen treffen der "Repressions und Abschiebefanatiker". So heißt es in einem Protestaufruf "Deutsche Innenminister sind kalther zige Schweine" gegen die IMK vom 5. bis 7. Dezember 2012 in Warnemünde (Mecklenburg Vorpommern): "Die Innenminister von Bund und Ländern sowie Polizisten, Geheimdienstler und andere Unsympathen kommen zweimal im Jahr zusammen, um 'sicherheitsrelevante' Themen geheim zu diskutieren und dann ihre Beschlüsse in populistischer Verpackung öffentlich zu präsentieren. (...) Grundlage für Menschenverschickungen, Menschenjagd, Internierung und institutionellen Rassismus sind die Gesetze der Innenminister. Und wir können uns alle nur zu gut vorstellen, wie sie scherzend bei Kaffe und Kuchen den Tod zehntausender beschließen. (...) Wir müssen Zeichen setzen gegen die Innenministerkonferenz und die herrschenden Zustände zusammen und überall bekämpfen. IMK versenken!" (Internetportal "linksunten.indymedia", 23. Oktober 2012) Regelmäßig kommt es im Vorfeld und im Verlauf der Veran staltungen zu "begleitenden" militanten Aktionen vor allem gegen Vertreter von Polizei und Ordnungsbehörden sowie gegen Unternehmen und Einrichtungen, die als "Handlanger und Profi teure" des "Repressionsapparates" gelten: # So setzten bislang unbekannte Täter in der Nacht zum 11. Januar 2012 in Berlin Fahrzeuge einer Wohnungsbaugesell schaft und eines Sicherheitsunternehmens in Brand. In einer noch am selben Tag veröffentlichten Taterklärung wurden die Anschläge mit dem am 14./15. Februar 2012 stattfinden den 15. Europäischen Polizeikongress in Berlin sowie mit der Funktion der beiden Firmen innerhalb der "Sicherheits und Kontrollgesellschaft" begründet. Beide Firmen seien "Betei ligte staatlicher Unterdrückungsapparate" und als solche zu 177 LINKSEXTREMISMUS bekämpfen. Abschließend hieß es: "Smash den Polizeikongress im BCC Berlin!".109 # In den frühen Morgenstunden des 11. November 2012 zer störten ebenfalls bislang unbekannte Täter mit Hämmern und Steinen insgesamt 40 Fensterscheiben eines Bürogebäudes in Berlin, in dem sich u.a. der Hauptsitz eines SoftwareUnter nehmens befindet. In der Taterklärung wird Bezug auf den 16. Europäischen Polizeikongress am 19./20. Februar 2013 in Berlin genommen. Das angegriffene Unternehmen sei Sponsor und Aussteller des Polizeikongresses und unterstütze staatli che Behörden, u.a. Justiz und Polizei, logistisch bei der effek tiven Verwaltung und Auswertung großer Datenmengen und leiste somit einen Beitrag zu umfassender Repression. Die Beteiligung am Europäischen Polizeikongress mache die Firma zu einem legitimen Angriffsziel. Eindeutig ist auch hier die Schlussparole der Taterklärung: "Nieder mit der Polizei!".110 Gewalt gegen Innerhalb des Aktionsfeldes "Antirepression" hat sich die Tendenz Polizeibeamte fortgesetzt, mit einem hohen Maß an Aggressivität und Risikobe reitschaft gegen Polizeibeamte als "Handlanger des Repressions apparates" vorzugehen. Davon zeugt auch die radikale Diktion entsprechender Taterklärungen. Linksextremisten sehen in der Polizei ein zentrales Element des verhassten "Repressionsapparates". Angriffe auf Beamte, die Demonstrationen oder sonstige Veranstaltungen sichern, sowie auf Polizeistreifen und reviere werden weitgehend akzeptiert, sofern Menschenleben dadurch nicht unmittelbar gefährdet werden. Allerdings nehmen Kleingruppen bei ihren Anschlägen zumindest schwere Verletzungen billigend in Kauf: # In der Taterklärung einer Gruppe "AlleBullensindSchweine Team Kreuzberg 36" wird ein Angriff auf Streifenwagen in Berlin, bei dem mehrere Beamte verletzt wurden, wie folgt kommentiert: "Am 01. Januar 2012 haben wir kurz nach Mitternacht einen Mannschaftswagen und zwei Funkstreifen an der Oberbaumbrücke in Kreuzberg/Friedrichshain mit Steinen angegriffen. 109 Internetportal "linksunten.indymedia" (12. Januar 2012). 110 Internetportal "linksunten.indymedia" (12. November 2012). 178 LINKSEXTREMISMUS Die Funkstreifen waren danach nicht mehr einsatzfähig. Die feiernden Menschen auf der Brücke honorierten unsere Aktion mit Applaus." (Internetportal "linksunten.indymedia", 3. Januar 2012) # Zu einer ähnlichen Aktion am 14. März 2012 schrieben die Täter: "Wir haben gestern Abend am Rande des Görlitzer Park einen Streife fahrenden Bullenwagen mit Pflastersteinen zerlegt. (...) Wir hoffen auf nachahmung. (...) Es ist sehr einfach, die feigen Schweine, die in ihrer Gruppe Stark sind, aber alleine im Pflasterhagel nur das Rennen kennen, angst zu lehren ... also tut es! Gegen diesen Staat und seine Handlanger mit allen Mitteln und auf allen Ebenen!" (Internetportal "linksunten.indymedia", 16. März 2012) In einem Kommentar auf derselben Internetseite wird der Angriff als "super Aktion" gefeiert. # Eine ähnlich zustimmende Reaktion findet sich auch im Kom mentar einer Taterklärung zu einem weiteren Angriff auf Polizeifahrzeuge am 10. Juni 2012 in BerlinKreuzberg. Ein anonymer Verfasser postet knapp 20 Minuten nach der Ver öffentlichung der Selbstbezichtigung folgenden Kommentar: "burn it down! Ich beobachte nun schon länger die großen und kleinen BekennerInnenschreiben aus Berlin zu Angriffen auf Bulleninfrastruktur. Mir geht jedesmal das Herz auf, wenn ihr die Bullenschweine angreift. Weiter so und nicht nachlassen!" (Internetportal "linksunten.indymedia", 10. Juni 2012) Weitere im Jahr 2012 erfolgte Übergriffe auf Polizeibeamte im Einsatz geben Anlass zu der Einschätzung, dass bei personenbezo genen Anschlägen auf Polizeikräfte billigend in Kauf genommen wird, dass die angegriffenen Beamten hierbei zu Tode kommen 179 LINKSEXTREMISMUS können. Neben dem bereits erwähnten Angriff mit einer Fah nenstange während einer Demonstration in Nürnberg (Bayern) am 31. März 2012 werden folgende Gewalttaten als versuchte Tötungsdelikte gewertet: # Im Rahmen von Protesten gegen eine rechtsextremistische Demonstration griffen Linksextremisten am 14. Januar 2012 in Magdeburg (SachsenAnhalt) Polizeibeamte an. U.a. wurde aus einem "linksalternativen" Zentrum eine Betonplatte geworfen, die unmittelbar neben einem Polizisten zerschellte. # Im Rahmen der zentralen Demonstration zum Aktionstag "M31 - European Day of Action against Capitalism" kam es am 31. März 2012 in Frankfurt am Main (Hessen) zu schwe ren Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. Dabei wurde ein Polizeibeamter durch Demonstrationsteilnehmer gezielt abgedrängt und durch Schläge, Tritte und hochkonzentriertes Pfefferspray so schwer verletzt, dass er mehrere Tage intensiv medizinisch behandelt werden musste. # In BerlinKreuzberg wurde am 5. Mai 2012 ein an einer Ampel haltender Streifenwagen von bislang nicht identifizierten Tätern mit Kleinpflastersteinen beworfen. Die Täter rissen eine Fahrzeugtür auf und setzten den Rücksitz durch ein soge nanntes Bengalisches Feuer in Brand. Ein weiterer Brandsatz zerbrach an der Fahrertür und entzündete den Streifenwagen von außen. Beide Feuer konnten gelöscht werden. Am Tatort wurden weitere Brandsätze gefunden. Solidarität mit Die Solidarität mit inhaftierten "Genossen" im In und Ausland inhaftierten hat innerhalb der "Antirepressionsarbeit" nach wie vor einen Gewalttätern hohen auch symbolischen Stellenwert. Die meisten Linksextre misten betrachten Solidaritätsarbeit als einen unverzichtbaren Aspekt ihrer Politik und Praxis. In einem Aufruf "Kampf der kapi talistischen Repressionsmaschinerie!", der von dem "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" Anfang Januar 2012 ver fasst wurde, heißt es z.B., Solidarität sei die logische Antwort auf "Repression" und Bestandteil revolutionärer Politik: "Wenn in der kapitalistischen Logik Repression auf Widerstand folgt, folgt aus einem revolutionären Verständnis heraus Solidarität auf Repression! Dafür ist es notwendig, Repression als Mittel zur Aufstandsbekämpfung, also als Teil des Klassenkampfes von oben und als Konsequenz Antirepressionsarbeit als Teil des Klassenkampfs von 180 LINKSEXTREMISMUS unten zu betrachten. Daher muss für uns klar sein, Antirepression als elementaren Bestandteil von revolutionärer Politik und Organisierung zu verstehen und Gefangene als deutlichsten Ausdruck der Repression - in unsere Kämpfe miteinzubeziehen. Solidarität stellt nichts anderes als die Basis dar, von der aus sich weiterer Widerstand entwickeln und entfalten kann und muss - gerade angesichts der zunehmenden und sich verschärfenden Strafen." (Internetportal "linksunten.indymedia", 3. Januar 2012) Trotz derartiger Erklärungen hat die tatsächliche Betreuung inhaftierter Aktivisten in den letzten Jahren an Bedeutung ver loren. Inhaftierungen von linksextremistischen Akteuren und anschließende Gerichtsverfahren werden von der Szene aber nach wie vor mit Interesse registriert. In diesem Zusammenhang sind insbesondere Gruppierungen wie die "Rote Hilfe e.V." (RH, vgl. Kap. III, Nr. 6), das "Anarchist Black Cross Berlin" und das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" sowie eigens gebildete "Solidaritätskomitees" aktiv. In Stellungnahmen und Demonstrationsaufrufen rechtfertigen die Unterstützer üblicherweise die Straftaten der "Genossen" und diffamieren Gerichte und Strafverfolgungsbehörden als "Klas senjustiz". So bildete sich auch unmittelbar nach der Festnahme des türkischstämmigen Mitglieds der "MarxistischLeninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP, vgl. Berichtsteil Ausländerex tremismus, Kap. II, Nr. 2.3), der am 31. März 2012 in Nürnberg (Bayern) Polizeibeamte mit der Spitze einer Fahnenstange ange griffen hatte (vgl. Kap. II, Nr. 4), ein "Solidaritätskomitee", um den Strafprozess "mit Aktionen und Pressearbeit" zu begleiten. Im Aufruf zu einer Solidaritätsdemonstration am 13. Oktober 2012 in Nürnberg (Bayern) wurde der Täter als Opfer stilisiert: "So absurd das Geschehen bei nüchterner Betrachtung scheint, die Strategie von Polizei und Justiz ist umso perfider: Durch die krassen Vorwürfe und die damit verbundene Höhe der Strafe soll eine Solidarisierung mit Deniz verhindert werden. Wie so oft soll ein Einzelner zur Kriminalisierung einer gesamten Bewegung herhalten. Doch auch hier wird ein solidarischer Umgang der Repression einen Strich durch die Rechnung machen. (...) Wir stellen uns in vollem Umfang hinter Deniz und verurteilen die mediale und juristische 181 LINKSEXTREMISMUS Hetze gegen die antifaschistische Bewegung und unseren Freund und Genossen." (Homepage "redside.tk", 10. Oktober 2012) Gruppierungen aus der deutschen und der türkischen links extremistischen Szene begleiteten den Prozess mit diversen Solidaritätsbekundungen. An diesen Aktionen waren u.a. die Jugendorganisation der "Partizan"Fraktion der "Türkischen Kommunistischen Partei/MarxistenLeninisten" (TKP/ML, vgl. Berichtsteil Ausländerextremismus, Kap. II, Nr. 2.2), die türkische "Kommunistische Jugendorganisation der MLKP" (vgl. Berichts teil Ausländerextremismus, Kap. II, Nr. 2.3), die "MarxistischLe ninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und deren Jugendorga nisation "REBELL" (vgl. Kap. III, Nr. 2), die anarchosyndikalistisch organisierte "Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion" (FAU), die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ, vgl. Kap. III, Nr. 1.2) sowie örtliche linksextremistische Zusammenschlüsse beteiligt. Solidarität aus der Szene erfahren auch zwei frühere Mitglieder der terroristischen Vereinigung "Revolutionäre Zellen" (RZ), die sich seit dem 21. September 2012 wegen des Vorwurfs der RZMit gliedschaft sowie Beteiligung an Brand und Sprengstoffanschlä gen in den Jahren 1977/78 vor dem Landgericht Frankfurt am Main (Hessen) verantworten müssen. "Der Staat vergisst nicht - Wir auch nicht!" heißt es hierzu in einem Protestaufruf der RH anlässlich der Prozesseröffnung: "Auch mehr als 30 Jahre nach den Aktionen der Stadtguerilla scheuen die Repressionsbehörden weder Kosten noch Mühen, linke Politik zu kriminalisieren. (...) Der deutsche Staat will hier die Geschichte linker Politik neu schreiben, und militante Aktionen gegen Atomkraft und so genannte Stadtaufwertungsprozesse sollen Jahrzehnte später noch bestraft werden. Diese sind aber heute wie damals wichtiger Bestandteil linker sozialer Kämpfe." ("INTERIM" Nr. 743, Oktober 2012, S. 17) 182 LINKSEXTREMISMUS Am 24. September 2012 griffen bislang unbekannte Täter im Angriff auf WohnZusammenhang mit dem Frankfurter Strafprozess das Wohnhaus haus der Hamburger der Hamburger Justizsenatorin an. Sie warfen mit Farbe gefüllte Justizsenatorin Gläser gegen die Fassade und zerstörten hierbei u.a die Haustür scheiben. In der Taterklärung führen sie aus, dass Solidarität auch militant angegangen werden könne: "Unsere Solidarität (...) beinhaltet die Verteidigung des umfangreichen Erfahrungsschatzes revolutionärer Theorie und Praxis von RZ und Roter Zora gegen jegliche Kriminalisierung. Themen wie Anti-AKW-Widerstand, Kahlschlagsanierung bzw. Gentrifizierung, internationalistische Solidarität, Freiheit bzw. Befreiung der Gefangenen sind nach wie vor noch aktuell und werden von der radikalen Linken mitunter auch militant angegangen." ("junge Welt" Nr. 225, 26. September 2012, S. 8) Angesichts derzeit nur weniger für die Szene bedeutsamer Pro Unterstützung zesse in Deutschland befassen sich die Akteure intensiv mit Ver ausländischer fahren gegen Linksextremisten im Ausland. Insbesondere das Aktivisten Spektrum der gewaltbereiten Linksextremisten solidarisierte sich mit in Griechenland inhaftierten Angehörigen der dortigen mili tanten linksextremistischen Gruppen "Conspiracy of Cells of Fire"111 und "Revolutionärer Kampf"112. So setzten bislang unbekannte Täter in den frühen Morgenstun den des 8. April 2012 auf einem verschlossenen Firmengelände in Berlin neun Fahrzeuge der Deutschen Telekom AG in Brand. In einer am selben Tag im Internetportal "linksunten.indyme dia" veröffentlichten Taterklärung übernahm ein "Kommando 111 Die griechische Gruppe "Conspiracy of Cells of Fire" hat seit Anfang 2008 in Griechenland zahlreiche Sprengstoffanschläge verübt. Sie bekannte sich im November 2010 zum Versand mehrerer Postsendungen mit einer geringen Menge Schwarzpulver und einer Zündvorrichtung, die an diplomatische Vertretungen, zwischenstaatliche Einrichtungen und Regierungen adressiert waren, darunter auch an die Bundeskanzlerin. 112 Der "Revolutionäre Kampf" trat in Griechenland erstmals im Jahr 2003 in Erschei nung. Der Organisation werden mehrere Brand bzw. Sprengstoffanschläge auf griechische Regierungseinrichtungen und die USamerikanische Botschaft in Athen in den Jahren 2003 bis 2009 zugerechnet. 183 LINKSEXTREMISMUS Lambros Foundas"113 die Verantwortung für den Anschlag, der ein "Zeichen unserer feurigen Solidarität mit allen GenossInnen welt weit im Kampf gegen Staat und Herrschaft" sei. Das angegriffene Unternehmen habe eine Monopolstellung im internationalen Telekommunikationsgeschäft und sei Vorreiter einer lückenlosen Überwachung. Die Taterklärung endet mit der Forderung "Viva la Anarchia! Freiheit für Stella Antoniou114 und alle anderen Genos sInnen in Haft!". In der Nacht zum 15. Oktober 2012 verübten Unbekannte in Berlin einen Brandanschlag auf ein Fahrzeug des griechischen Militärattaches. In einer mit "international arsonist union" gezeichneten Selbstbezichtigung115 wird die Tat u.a. begründet mit der "gewalt gegen demonstrierende in athen und anderen städten", für die der griechische Militärattache Mitverantwortung trage und daher "legitimes ziel militanter angriffe" sei. Die Verfas ser solidarisieren sich mit "den gefangenen des sozialen krieges in griechenland" sowie den "unterschiedlichen gruppen der stadt guerilla". Darüber hinaus erklärten sich deutsche Linksextremisten auch mit inhaftierten "GenossInnen" insbesondere in Italien, der Schweiz und Belgien solidarisch. Aktivitäten Zum "Tag der politischen Gefangenen" (18. März) finden im zum 18. März und linksextremistischen Spektrum traditionell Veranstaltungen statt. zum 19. Juni 2012 2012 wurden in Berlin und Stuttgart (BadenWürttemberg) Kund gebungen mit etwa 220 bzw. 60 Teilnehmern abgehalten. Wie bereits in den Vorjahren gab die "Rote Hilfe e.V." (RH, Kap. III, Nr. 6) zu diesem Anlass als Beilage der linksextremistischen Tages zeitung "junge Welt" (jW, vgl. Kap. IV, Nr. 3) eine Sonderausgabe mit Beiträgen zu inhaftierten Aktivisten heraus. 113 Der Kommandoname bezieht sich auf ein mutmaßliches Mitglied der griechi schen Organisation "Revolutionärer Kampf", das am 10. März 2010 bei einem Poli zeieinsatz in Griechenland tödlich verletzt wurde. 114 Die griechische Anarchistin Stella Antoniou, mutmaßliche Angehörige der "Con spiracy of Cells of Fire", wurde Anfang Dezember 2010 in Griechenland festge nommen und am 4. Juni 2012 unter Auflagen aus der Haft entlassen. Der Prozess gegen sie und weitere Angehörige der Gruppe begann am 8. Oktober 2012. 115 Internetportal "linksunten.indymedia" (19. Oktober 2012). 184 LINKSEXTREMISMUS Daneben wurde wie im Vorjahr auch zu Protestveranstaltun gen anlässlich des "Tags der revolutionären Gefangenen" am 19. Juni 2012 mobilisiert. Dazu heißt es kämpferisch im Aufruf eines Zusammenschlusses aus Berlin: "Unsere Gefangenen sind unsere Würde. (...) Wir werden nicht aufhören, unsere Genossen hinter Gittern zu unterstützen und Ihnen unsere uneingeschränkte Solidarität in Wort und Aktion zukommen zu lassen. Denn dass der bürgerliche Staat für sich und seine Erhaltung eine Notwendigkeit darin sieht, Menschen, die sich politisch engagieren, zu verfolgen, einzuschüchtern und einzusperren, (...) wurde uns historisch bereits oft genug bewiesen. Der Knast in der BRD ist nichts weiter als ein perfides Herrschaftsinstrument der bestehenden Ordnung. (...) Beteiligt euch an Aktionen (...), lasst Gefangenen-Soli-Arbeit und politische Antirepression wieder Alltag werden und organisiert euch im Kampf gegen die kapitalistische Repressionsmaschinerie und für eine klassenlose Gesellschaft. Ob gegen Nazis oder Bullen - der Selbstschutz unserer Klasse ist legitim!" (Homepage "Zusammen Kämpfen [Berlin]", 13. Juni 2012) Die linksextremistische Szene nimmt die in den vergangenen Jahren zu verzeichnende geringe Beteiligung an den Aktionstagen selbstkritisch zur Kenntnis. Angesichts dieses Befundes wird in einem Protestaufruf zum 19. Juni 2012 gefordert: "Die Situation und Thematik der politischen Gefangenen darf nicht mehr Randthema der linken Szene bleiben! (...) Zeigen wir ihnen, wofür wir kämpfen! Der Kampf geht weiter! Freiheit für alle politischen Gefangenen!" (Internetportal "linksunten.indymedia", 1. Juni 2012) 3.2 "Antimilitarismus" Obgleich es im Jahr 2012 keine herausgehobenen Ereignisse oder Aktionsniveau Veranstaltungen gab, die der linksextremistischen Szene einen gleichbleibend hoch besonderen Anlass für "antimilitaristische" Reaktionen geboten 185 LINKSEXTREMISMUS hätten, entsprach das Aktionsniveau gewaltbereiter Linksextre misten in diesem Bereich dem Niveau des Vorjahres. Ziele mili tanter Aktionen waren neben der Bundeswehr auch privatwirt schaftliche Unternehmen, die Rüstungsgüter herstellen oder mit der Bundeswehr zusammenarbeiten. Im Fokus "antimilitaristischer" Agitation standen die "Internati onal Urban Operations Conference", welche vom 31. Januar bis 2. Februar 2012 in Berlin stattfand, die jährlich Anfang Februar in München (Bayern) abgehaltene "Konferenz für Sicherheitspoli tik" ("Munic Security Conference", MSC) und das Gefechtsübungs zentrum (GÜZ) der Bundeswehr in Letzlingen bei Magdeburg (SachsenAnhalt), weil dort für weltweite Kriegseinsätze geübt werde. Linksextremisten verbinden ihren "antimilitaristischen" Protest regelmäßig mit einer umfassenden Kapitalismuskritik. Nach ihrer Diktion fördert das "kapitalistische System" nahezu zwangsläufig kriegerische Auseinandersetzungen. So heißt es in einem Aufruf zur Demonstration gegen die Münchner Sicherheitskonferenz: "Ausbeutung und Krieg haben dieselbe Ursache: das kapitalistische System. Um den Kapitalismus zu überwinden, braucht es eine revolutionäre Bewegung, die die kapitalistischen Eigentumsverhältnisse aufhebt und für den Kommunismus kämpft (...)". (Internetportal "linksunten.indymedia", 1. Februar 2012) Die Proteste gegen die "International Urban Operations Con ference", die 2012 erstmals in Berlin stattfand und an der sich u.a. Vertreter von Rüstungsunternehmen und der Bundeswehr beteiligten, wurden vom linksextremistischen Spektrum mit dem Protest gegen den jährlich in Berlin stattfindenden Polizeikon gress verknüpft (vgl. Kap. II, Nr. 3.1). In einem Aufruf unter dem Motto "Fight capitalist war - Fight capitalist peace! Gegen die Perfektionierung staatlichen Mordens!" wird eine militärische Ein flussnahme auf Polizeistrukturen behauptet und die Vermischung polizeilicher und militärischer Zuständigkeiten unterstellt. An einer Demonstration am 28. Januar 2012 in Berlin beteiligten sich rund 1.000 Personen, darunter eine Vielzahl aus dem gewaltbe reiten linksextremistischen Spektrum. Sowohl während des Auf zugs als auch im Nachgang kam es zu massiven Übergriffen auf 186 LINKSEXTREMISMUS die Polizei, bei denen 48 Polizeibeamte verletzt wurden. Bereits die Mobilisierung zu Protestaktionen gegen die Konferenz und den Polizeikongress wurde von militanten Aktionen begleitet. So wurde ein Brandanschlag auf zwei Lkw der Deutschen Post AG am 22. Januar 2012 in Berlin in einen Begründungszusammenhang mit dem zivilmilitärischen Engagement der Deutschen Post gestellt.116 Die im Vorjahr von Linksextremisten initiierte Kampagne "Krieg Fortführung beginnt hier. War starts here. Kampagne gegen die kriegerische Nor der Kampagne malität" wurde 2012 fortgesetzt. Bei zahlreichen militanten Aktio "Krieg beginnt hier" nen, die z.T. hohe Sachschäden verursachten, wurde Bezug auf die Kampagne genommen, mit der suggeriert wird, "der Krieg" beginne in Deutschland und müsse daher auch hier aufgehalten werden. Folgende militante "antimilitaristische" Aktionen sind hervorzu heben: # Am 6. Juni 2012 drangen unbekannte Täter auf ein Gelände des BundeswehrDienstleistungszentrums in Hannover (Niedersachsen) ein und setzten dort insgesamt 13 neuwertige Bundeswehrfahrzeuge in Brand. Hierbei entstand ein Sach schaden in Höhe von ca. 600.000 Euro. In einer Taterklärung ohne Gruppenbezeichnung thematisierten die Verfasser die Auslandseinsätze der Bundeswehr, deutsche Rüstungsexporte und die zivilmilitärische Zusammenarbeit zwischen der Bun deswehr und Unternehmen der Privatwirtschaft. # Am 26. Juli 2012 setzten bislang unbekannte Täter in Berlin einen Lkw einer Firma in Brand, die u.a. auch im militärischen Bereich tätig ist. Ein Personenzusammenschluss "Abrüstungs ini" bekannte sich zu dem Anschlag und führte hierzu aus, dass die Firma bei der Ausrüstung von Kriegsschiffen mitwirke, sie trage z.B. eine Mitverantwortung für den Beschuss somalischer Küstenregionen im Rahmen der Mission Atalanta. Bundes wehreinsätze werden generell abgelehnt: "Diesen Krieg der NATO gegen sogenannte 'Piraten' gilt es genauso zu sabotieren wie jeden anderen Einsatz der Bundeswehr, egal ob er als Rekrutierungsveranstaltung in deutschen Schulen oder am Horn von Afrika stattfindet." (Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", 31. Juli 2012) 116 Internetportal "linksunten.indymedia" (24. Januar 2012). 187 LINKSEXTREMISMUS # Am 27. August 2012 wurden drei Fahrzeuge der Deutsche Bahn Fuhrpark Gruppe in Berlin durch bislang nicht identifizierte Täter in Brand gesetzt, vier weitere Fahrzeuge wurden durch das Feuer beschädigt. Am selben Tag wurden in Berlin auf dem Gelände des Technischen Hilfswerks (THW) ein Sattelschlep per in Brand gesetzt und u.a. an einer Niederlassung des Son derforschungsbereichs 700 (SFB 700)117 der Freien Universität (FU) Sachbeschädigungen festgestellt. Auf der Fahrbahn vor dem Universitätsgebäude befand sich der Schriftzug "WAR STARTS HERE". In einer Taterklärung unter der Bezeichnung "antimilitarist_innen" wurde u.a. auf die Kampagne "Krieg beginnt hier" und auf den "Internationalen Antikriegstag am 1. September" Bezug genommen. Überdies kritisieren die Ver fasser eine aus ihrer Sicht wachsende Zusammenarbeit der Bundeswehr mit Privatunternehmen wie z.B. der Deutschen Bahn AG. Dem SFB 700 wird vorgeworfen, für den Krieg im Dienst deutscher Macht und Wirtschaftsinteressen zu for schen. Abschließend erklären die Verfasser: "ohne die Abschaffung der Bundeswehr, nationalstaatlicher Grenzen und der kapitalistischen Weltordnung wird es kein friedliches und selbstbestimmtes Zusammenleben der Menschen geben. (...) Nie wieder Deutschland! (...) Kriegstreiberei und Militarisierung markieren, blockieren, sabotieren!" (Internetportal "linksunten.indymedia", 28. August 2012) # Im Vorfeld des "Antikriegstages" am 1. September 2012 kam es in Kiel (SchleswigHolstein) und Hamburg zu "antimili taristisch" motivierten Anschlägen mit Bezugnahme auf die Kampagne "Krieg beginnt hier". So setzten bislang nicht identi fizierte Täter am 29. August 2012 in Kiel zwei Kleintransporter eines Unternehmens in Brand, auf das bereits im Juli 2012 in Berlin ein Brandanschlag verübt worden war. Beide Fahrzeuge brannten vollständig aus. Die Fassade des Firmengebäudes wurde mit der Parole "WAR STARTS HERE" und der Eingangs bereich mit roter Farbe beschmiert. 117 Der SFB 700 beschäftigt sich mit den Bedingungen von GovernanceLeistungen insbesondere in den Bereichen Sicherheit und Wohlfahrt und den dabei auftreten den Problemen. 188 LINKSEXTREMISMUS # In Hamburg wurden am 30. August 2012 durch Brandstiftung sechs neuwertige Firmenfahrzeuge einer Firma zerstört. Ihr wird in einem Bekennerschreiben vorgeworfen, Schiffspro peller für Kriegsschiffe herzustellen. Zudem wurden Farban schläge auf Wohnhäuser von Personen des öffentlichen Lebens verübt, denen Verbindungen zur Bundeswehr bzw. wirtschaft liche Aktivitäten im Zusammenhang mit der Vergabe von Bürgschaften für deutsche Rüstungsprojekte vorgeworfen wurden. # Im zeitlichen Zusammenhang mit einem antimilitaristi schen Aktionscamp vom 12. bis 17. September 2012 gegen das Gefechtsübungszentrum (GÜZ) der Bundeswehr in der Altmark (SachsenAnhalt) kam es in Berlin zu mehreren "antimilitaris tisch" motivierten Anschlägen: Am 14. September 2012 setzten bislang unbekannte Täter ein Fahrzeug der Deutschen Bahn AG in Brand. Die Flammen griffen auf ein weiteres Fahrzeug über. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von ca. 32.000 Euro. In einer Taterklärung diffamieren "Autonome Gruppen" den Konzern als "Kriegsprofiteur", der auf allen Ebenen angegriffen werden müsse.118 Am 17. September 2012 kam es zu einer Sach beschädigung am Gebäude einer Firma für Flugtechnik. In der Taterklärung bezeichnen anonyme Verfasser das Unternehmen als weltweit größten Rüstungsfabrikanten im Bereich Luft und Raumfahrt, der an Kriegen und damit am Tod und der Zerstö rung für Kapitalinteressen profitiere.119 3.3 "Antifaschismus" Das traditionelle Aktionsfeld "Antifaschismus" war auch 2012 Zentrales Aktionsfeld zentrales Element der politischen Arbeit von Linksextremisten, insbesondere aus dem gewaltbereiten Spektrum. Linksextremis ten empfinden das Auftreten von tatsächlichen oder vermeintli chen Rechtsextremisten als Provokation. Insbesondere deren Prä senz im Vorfeld von Wahlen veranlasst die Szene zu militianten "antifaschistischen" Protestaktionen. Die gewalttätigen Ausschrei tungen gegen Aufzüge und Versammlungen der rechtsextremisti schen Szene belegen das hohe Gewaltpotenzial von Linksextre misten. 118 Internetportal "linksunten.indymedia" (17. September 2012). 119 Internetportal "linksunten.indymedia" (20. September 2012). 189 LINKSEXTREMISMUS Die Aktivitäten von Linksextremisten zielen nur vordergrün dig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Im eigentlichen Fokus steht der Kampf gegen die freiheitliche demo kratische Grundordnung, die als "kapitalistisches System" diffa miert wird, und deren angeblich immanente "faschistische" Wur zeln beseitigt werden sollen. Dabei rufen sowohl gewaltbereite als auch diskursorientierte Linksextremisten zu Aktionen auf. Direkte Während die eher diskursorientierten Linksextremisten den Konfrontation Schwerpunkt ihrer Aktivitäten auf die Herstellung eines Zusam menhangs zwischen den "NaziAktivitäten" und dem "kapitalisti schen System" als deren angebliche Ursache legen, stellen aktionsorientierte Linksextremisten im Rahmen ihrer "Antifa schismusArbeit" das aus ihrer Sicht legitime Mittel der Gewalt in den Vordergrund: die direkte Konfrontation mit Rechtsextremis ten. Unter dem Motto "Antifa heißt Angriff!" suchen sie dabei die unmittelbare Auseinandersetzung mit tatsächlichen oder ver meintlichen "Faschisten" auf der Straße. So heißt es in einer Interneteinstellung gewaltbereiter Links extremisten: "Konsequenter Antifaschismus ist mehr als das blockieren von Nazi-Aufmärschen. Neonazis und rechtsradikale Organisationen sind auch nicht zu tolerieren, wenn sie ihre Weltanschauung vermeintlich zurückhaltend propagieren. Gerade wegen der permanente Bedrohung Aller, die nicht ins 'Völkische-Wir' der Neonazis passen, ist es notwendig diese zu bekämpfen. In der Praxis bedeutet das, ihre Propagandaveranstaltungen zu stören oder zu verhindern, ihnen keinen öffentlichen Raum zur Rechtfertigung oder 'Erklärung' ihrer Ideologie zu geben und dort, wo sie unerkannt bleiben wollen, ihr Umfeld über sie Aufzuklären. Konsequenter Antifaschismus bedeutet sich denjenigen verbal, inhaltlich oder wenn nötig militant in den Weg zu stellen, die sich positiv auf den Nationalsozialismus (NS) beziehen oder eine andere Form des Faschismus und/oder Antisemitismus propagieren - in der Schule, auf der Arbeit, in der Bahn und auf der Straße!" (Internetportal "Indymedia Deutschland", 19. April 2012) 190 LINKSEXTREMISMUS Da polizeiliche Maßnahmen bei Demonstrationen zumeist eine direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner verhinderten, richtete sich die Gewalt der Linksextremisten oftmals gegen die Polizei, die als Vertreter des "repressiven" Staates bezeichnet wird - eines Staates, der durch sein Gesellschaftssystem Rechtsextre mismus erst ermögliche. Typisch für militante Proteste gegen Rechtsextremisten sind Militante folgende Beispiele: Protestaktionen # Gegen den von Rechtsextremisten am 2. Juni 2012 in Hamburg initiierten "4. Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung" demonstrierten rund 3.500 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum, darunter etwa 1.500 gewalt bereite Linksextremisten. Dabei kam es den ganzen Tag über zu massiven Ausschreitungen, bei denen 38 Polizeibeamte ver letzt und ein Polizeifahrzeug sowie mehrere private Kraftfahr zeuge in Brand gesetzt wurden. Während der Rückreise der Demonstranten kam es in Uelzen (Niedersachsen) zu weiteren Auseinandersetzungen zwischen rund 200 Veranstaltungsteil nehmern der rechts und linksextremistischen Szene. Hierbei wurden zwei Rechtsextremisten verletzt, einer davon schwer. Bereits am Morgen des 2. Juni 2012 hatten unbekannte Täter elf Fahrzeuge der Polizei in Brand gesetzt und Einsatzaus rüstungen zerstört. Der entstandene Sachschaden beläuft sich auf mehrere Hunderttausend Euro. # Am 6. Oktober 2012 beteiligten sich in Göppingen (BadenWürttemberg) etwa 600 gewaltbereite Linksextremis ten an Protestaktionen von insgesamt bis zu 1.500 Perso nen gegen einen Aufmarsch der "Autonomen Nationalisten Göppingen". Sie versuchten, in größeren Gruppen Absperrun gen zu durchbrechen oder in Kleingruppen zu umgehen. Als es der Polizei gelang, ein direktes Aufeinandertreffen von Links und Rechtsextremisten zu verhindern, wurde sie massiv angegriffen. Insgesamt wurden 28 Einsatzkräfte leicht ver letzt und etwa 100 Demonstrationsteilnehmer in Gewahrsam genommen. Direkte körperliche Angriffe auf tatsächliche oder vermeintliche Körperliche Rechtsextremisten werden bei gewaltbereiten Linksextremisten Angriffe 191 LINKSEXTREMISMUS als legitim und vermittelbar angesehen. So bekräftigten Links extremisten im Internet: "Die Formen des Antifaschismus reichen von Aufklärung über faschistische Strukturen, über Massenblockaden ihrer Aufmärsche bis zu direkten Aktionen gegen Nazis, ihre Treffpunkte und Veranstaltungen. Dabei sind militante Aktionen kein Selbstzweck, sondern lediglich eine Spielart des erfolgreichen Widerstands, welche durch andere Aktionsformen ergänzt werden müssen, aber auch Platz für diese Schaffen können, z.B. wenn Polizeikräfte eingebunden werden." (Homepage "3a.blogsport.de", 15. Mai 2012) Dazu einige Beispiele: # Am 14. Januar 2012 demonstrierten in Magdeburg (SachsenAnhalt) etwa 10.000 Personen, darunter gewaltbe reite Linksextremisten, gegen einen Aufmarsch von Rechts extremisten anlässlich des 67. Jahrestags der Bombardierung der Stadt. In der Abreisephase stürmten mehrere Linksextre misten eine Regionalbahn und griffen fünf im Zug befindliche mutmaßliche Rechtsextremisten mit Faustschlägen, Fußtritten und Glasflaschen an. # Am 14. April 2012 wurden in Düsseldorf (Nordrhein Westfalen) im Vorfeld einer Demonstration von Linksextre misten drei Personen des rechtsextremistischen Spektrums im Bereich des Hauptbahnhofs erkannt und mit Glasflaschen und Pfefferspray angegriffen. Am frühen Morgen des 15. April 2012 griffen in Düsseldorf mehrere mutmaßliche Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene einen Rechtsextre misten mit Faustschlägen gegen den Kopf an, woraufhin dieser im Krankenhaus behandelt werden musste. # Im Verlauf einer Aktionswoche der sächsischen NPDLandtags fraktion attackierten ca. 20 schwarz gekleidete und vermummte Personen am 1. November 2012 in Dresden (Sachsen) vier mit NPDAngehörigen besetzte Fahrzeuge mit Fahnen und Stöcken. Eine Person erlitt eine Kopfwunde, eine weitere wurde durch einen Biss verletzt. Zudem wurden die Fahrzeuge beschädigt. Recherchearbeit Bei der Identifizierung potenzieller Angriffsziele kommt der soge nannten Recherchearbeit im gewaltbereiten Linksextremismus ein hoher Stellenwert zu: Linksextremisten sammeln detaillierte 192 LINKSEXTREMISMUS Informationen über rechtsextremistische Funktionäre, Treff lokale, Schulungseinrichtungen, "Naziläden" sowie andere logisti sche Einrichtungen und veröffentlichen das Ergebnis meist im Internet und in Szenepublikationen. Aktivitäten tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremis ten werden mit dem Ziel öffentlich gemacht, Einzelpersonen zu "outen" und ihnen zu "verdeutlichen", dass ihre Aktivitäten Konsequenzen haben werden. Zudem sollen rechtsextremisti sche Strukturen nachhaltig gestört und Rechtsextremisten ein öffentliches Agieren unmöglich gemacht werden. So initiierten Linksextremisten z.B. im März 2012 im Vorfeld der Landtagswahl in SchleswigHolstein eine Kampagne "Farbe bekennen", in deren Verlauf Farbanschläge auf Wohngebäude oder Fahrzeuge von NPDKandidaten verübt wurden. Szeneangehörige bekräftigten in einem Aufruf zur Kampagne "Farbe bekennen": "Nazis können sich auf Kundgebungen nicht mehr sicher fühlen, denn sie haben Namen und Adressen, die auf den öffentlich einsehbaren Wahllisten auftauchen. Türschlösser können verklebt, Autos zerdeppert werden. Plakate können farblich umgestaltet werden, genauso wie Nazis und Rassist_innen an sich. (...) Eurer Kreativität sind keine Grenzen gesetzt." (Homepage "farbebekennen-sh.tumblr.com", 22. November 2012) Dass Rechercheergebnisse zur Vorbereitung und Durchführung "militanter" Aktionen genutzt werden, belegen auch folgende Beispielsfälle: # Angehörige der linksextremistischen Szene bekannten sich am 1. Mai 2012 zu einem Farbanschlag auf die Wohnung eines NPDMitglieds in Kiel (SchleswigHolstein). Kurz zuvor, im April 2012, waren Informationen über den Geschädigten, u.a. dessen neuer Wohnort, durch einen Beitrag im Internet bekannt gemacht worden. # In der Nacht zum 20. November 2012 verübten mutmaß liche Linksextremisten in Bochum (NordrheinWestfalen) einen Brandanschlag auf das Privatfahrzeug eines Rechtsex tremisten. Der Kleinwagen brannte vollständig aus. Bereits 193 LINKSEXTREMISMUS am 30. August 2012 hatten sich Szeneangehörige vor dessen Wohnung versammelt, um ihn in seinem Wohnumfeld als "Faschist" bloßzustellen. In der Taterklärung zum Brandanschlag heißt es: "in der nacht vom 19.11. auf den 20.11. wurde die im sommer durchgeführte outing-aktion gegen den neonazi (...) zu ende gebracht in dem sein privat pkw (...) abgefackelt wurde." (Internetportal "linksunten.indymedia", 23. November 2012) 4. Entwicklung des Gewaltpotenzials Linksextremistisch motivierte Gewalt zeigt sich in allen Akti onsfeldern, wobei der Kampf gegen den "repressiven Staat", der "Antifaschismus" sowie der Widerstand gegen die "Militarisierung der Gesellschaft" seit Jahren die wichtigsten Begründungszu sammenhänge liefern. In quantitativer Hinsicht war seit 2003 ein Anstieg des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpo tenzials zu verzeichnen. Auch für die absehbare Zukunft ist von einer weiterhin hohen Gewaltbereitschaft und einer niedrigen Hemmschwelle auszugehen. Die für 2012 registrierte Anzahl der Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund ist jedoch rückläufig. In qualitativer Hinsicht ist ein deutlicher Anstieg des Gewaltpotenzials festzustellen. Die Angriffe richten sich gegen die klassischen "Feindgruppen": tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten sowie in zunehmendem Maße Polizisten. Zunehmende Zahlreiche Ausschreitungen im Zusammenhang mit Demonstratio Angriffe auf nen belegen die sinkende Hemmschwelle von Linksextremisten. Zu Polizisten massiven Gewalthandlungen, oft verbunden mit direkten Angriffen auf Polizeibeamte, kommt es insbesondere im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Demonstrationen und dem Gegenprotest linksextremistischer Akteure, die eine Vielzahl von Tatmitteln ein setzen, die für den Straßenkampf tauglich sind (z.B. Steine, Flaschen, Knüppel, Quarzsandhandschuhe, Fahnenstangen, Pfefferspray, Pyrotechnik und Molotowcocktails). Die hohe verbale Radikalität in Verlautbarungen und Selbstbezichtigungsschreiben ist ein zusätzli cher Beleg für das Ausmaß linksextremistischer Aggression. 194 LINKSEXTREMISMUS Linksextremisten sehen in der Polizei ein zentrales Element des verhassten "Repressionsapparates". Angriffe auf Polizisten, die Demonstrationen oder sonstige Veranstaltungen sichern, sowie auf Polizeistreifen und reviere finden weitgehend Akzeptanz, sofern Menschenleben dadurch nicht unmittelbar gefährdet werden. Gezielte Angriffe mit der Absicht, Polizisten schwer zu verletzen oder gar zu töten, sind hingegen in der linksextremistischen Szene weiterhin nicht vermittelbar. Allerdings nehmen Kleingruppen bei ihren Anschlägen oftmals zumindest schwere Verletzungen billi gend in Kauf (vgl. Kap. II, Nr. 3.1). Beispielhaft seien erwähnt: # 14. Januar 2012, Magdeburg (SachsenAnhalt): Im Rahmen von Protesten gegen eine Demonstration von Rechtsextremisten griffen linksextremistische Gegendemons tranten Polizisten an. Aus einem "linksalternativen" Zentrum wurde eine Betonplatte geworfen, die etwa einen Meter neben einem Polizisten zerschellte. # 31. März 2012, Nürnberg (Bayern): Teilnehmer einer Demonstration von Linksextremisten griffen Polizisten an, als diese die Demonstranten am Verlassen der Demonstrationsroute hinderten. Dabei griffen zwei Personen mit einer spitz zulaufenden Fahnenstange Einsatzkräfte an. # 31. März 2012, Frankfurt am Main (Hessen): Im Rahmen der zentralen Demonstration zum Aktionstag "M31 - European Day of Action against Capitalism" kam es zu schweren Ausschreitungen und Sachbeschädigungen. Meh rere Demonstranten drängten einen Polizisten gezielt ab und sprühten ihm hoch konzentriertes Pfefferspray ins Gesicht. Insbesondere Linksextremisten aus dem autonomen Spektrum entwickeln eine hohe Gewaltbereitschaft gegenüber Polizisten. Wenngleich die Einsatzkräfte zurzeit lediglich aufgrund ihrer Funktion im Staat, nicht aber als zu bekämpfende Individuen das Ziel von Gewalttaten sind, besteht die Gefahr, dass zumindest einzelne Akteure zu konkret personenbezogenen Angriffen auf Polizisten übergehen. Eine Ausdehnung linksextremistisch moti vierter Sozialproteste könnte die Rechtfertigung und den Rahmen für derartige Gewalthandlungen bieten. Die anhaltende Finanz und Wirtschaftskrise birgt z.B. ein hohes Kein sozialrevolutioEskalationspotenzial - dies zeigen die gewalttätigen Proteste in närer Terrorismus Griechenland. Unter dem Namen "Verschwörung der Feuerzellen" verübt dort eine Untergrundorganisation seit einigen Jahren 195 LINKSEXTREMISMUS terroristische Anschläge. Der sozialrevolutionäre Terrorismus der "Feuerzellen" bietet ideologische Anknüpfungspunkte für gewalt bereite Linksextremisten in anderen europäischen Ländern. Auch in Deutschland bildet sich - begleitet von einer Vielzahl klandestiner Anschläge - eine neue Form des antikapitalistischen Widerstands. Unter dem Motto "M31 - European Day of Action against Capitalism" (31. März 2012) bzw. "Blockupy Frankfurt" (16. bis 19. Mai 2012) wurde der Protest in die Bankenmetropole Frankfurt am Main (Hessen) und damit an den Sitz der "Euro päischen Zentralbank" (EZB) getragen. Trotz unterschiedlicher Ausgangsbedingungen existiert eine Vielzahl von Wechselbezie hungen zwischen den Aktivitäten der gewaltbereiten Linksex tremisten in Griechenland und in Deutschland. In mehreren Taterklärungen zu linksextremistisch motivierten Anschlägen in Deutschland nehmen die Verfasser Bezug auf die Situation in Griechenland und bekunden ihre Solidarität mit inhaftierten griechischen Genossen. Solche Taterklärungen sollen eine mobi lisierende Wirkung auf deutsche Aktivisten entfalten. Allerdings hat die "antikapitalistische Gewalt" in Deutschland bislang über wiegend symbolischen Charakter. Gewalttätige Aktionen finden als begrenzte Reaktionen auf die Ereignisse in Griechenland statt, jedoch nicht im Sinne einer Umsetzung sozialrevolutionärer Theorien in die "militante Praxis". Trotz der anhaltenden Ver bundenheit mit den Protestierenden in Griechenland reagieren deutsche Linksextremisten nicht mit dem Gang in den sozialre volutionären Terrorismus, dem bewaffneten Kampf nach grie chischem Vorbild. Stattdessen setzen sie den Versuch fort, demo kratische Protestmilieus mit dem Ziel eines Systemwechsels zu instrumentalisieren. 196 LINKSEXTREMISMUS III. Parteien und sonstige Gruppierungen 1. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen (Nordrhein-Westfalen) Bundesvorsitzende: Bettina Jürgensen Mitglieder: 3.500 (2011: 4.000) Publikationen: "unsere zeit" (uz) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: ca. 5.400 (2011: 6.000); "Marxistische Blätter" (theoretisches Organ), sechs Ausgaben im Jahr Die DKP bekennt sich zu den Theorien von Marx, Engels und Ideologischer Lenin als Richtschnur ihres politischen Handelns. Ihr Ziel bleibt Richtungsstreit weiterhin der Umsturz der politischen Verhältnisse und die dauert an Errichtung des Sozialismus/Kommunismus. Zu der Frage, wie dies zu erreichen sei, herrscht seit 2009 ein ideologischer Richtungs streit: Die Mehrheit im Parteivorstand hält an den "Politischen Thesen" fest, welche die Bedeutung der Arbeiterklasse als revolu tionäres Subjekt sowie die Avantgarderolle der Partei relativieren und dafür plädieren, dass die DKP in allen fortschrittlichen Bewe gungen mitarbeitet. Demgegenüber votiert die innerparteiliche Opposition weiterhin für die unbedingte Rückkehr zur unver fälschten Lehre des MarxismusLeninismus. Dieser Richtungs streit konnte auch 2012 nicht beigelegt werden. Der Richtungsstreit geht einher mit finanziellen Schwierigkeiten Angespannte der Partei. So wurde auf der 8. Parteivorstandstagung im Mai 2012 finanzielle Situation beschlossen, wegen des Defizits von rund 30.000 Euro, das bei der Organisation des letzten uzPressefestes im Juni 2011 entstanden 197 LINKSEXTREMISMUS war, im Jahr 2013 kein Pressefest auszurichten. Das uzPressefest wurde von seinen Veranstaltern in der Vergangenheit als "das größte Fest der Linken" bezeichnet. Es fand seit dem Jahr 1973 alle zwei Jahre unter internationaler Beteiligung statt. Ein weiteres Indiz für die angespannte finanzielle Lage liefert der Parteivorstandsbeschluss im September 2012, zum 20. Parteitag im März 2013 keine Vertreter internationaler kommunistischer Parteien oder sonstige Gäste - abgesehen vom Botschafter der Republik Kuba - einzuladen. Die DKP verfüge derzeit nicht über die finanziellen Ressourcen, um eine adäquate Unterbringung, Bewirtung und Betreuung der Gäste zu gewährleisten.120 Auch in Bezug auf die Mitgliederentwicklung zog der Vertre ter der Berliner Landesorganisation Patrik Köbele eine negative Bilanz. Die Zahl der Mitglieder habe sich seit Mitte des Jahres 2010 von 3.897 auf 3.506 verringert. Gleichzeitig sinke das Potenzial der aktiven und mobilisierbaren Mitglieder aufgrund der Überal terung der Partei. Nachwachsende Kader aus dem Jugendver band "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ, vgl. Kap. III, Nr. 1.2) könnten die entstehenden Lücken nicht füllen - dies liege u.a. an der Entfremdung zwischen Jugendverband und Partei und nicht zuletzt auch an dem Richtungsstreit. Probleme beim Das DKPZentralorgan "unsere zeit" (uz) ist ebenfalls von finanzi Zentralorgan uz ellen Problemen und einem Abonnentenrückgang betroffen. Auf der 8. Parteivorstandstagung im Mai 2012 musste der Chefredak teur Wolfgang Teuber einen Rückgang der Abonnenten auf 4.769 (2006 waren es noch 6.611) bei einer Druckauflage von 5.382 ein räumen. Darüber hinaus konstatierte er, dass derzeit nur noch 3 3/4 Planstellen für Redakteure vorhanden seien - vor wenigen Jahren seien es noch sieben gewesen.121 Reaktionen auf das Unmittelbar nach Bekanntwerden der Mordserie der rechtsextre Bekanntwerden der mistischen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" NSU-Mordserie (NSU) im November 2011 erschienen in der uz mehrere Artikel unter dem Titel "Funktionen des Terrors", in denen der Anspruch 120 "DKPInformationen" Nr. 4/2012, 19. September 2012, S. 23. 121 "DKPInformationen" Nr. 2/2012, 11. Mai 2012, S. 17. 198 LINKSEXTREMISMUS erhoben wurde, Ursachen und Wirkungen rechtsextremistischen Terrors innerhalb der Gesellschaft zu analysieren. Der uzRedak teur Adi Reiher behauptete, faschistische Aufmärsche würden nicht nur geduldet, sondern sogar "gehätschelt": "die Entstehung eines republikumspannenden rechten Netzwerkes wird nicht nur totgeschwiegen und geduldet, sondern V-Leute ziehen dem wabernden braunen Sumpf erst die Korsettstangen ein, an denen er sich organisiert.(...) Warum hätschelt man die Braunen? Es sind im Wesentlichen die gleichen Antworten wie vor 1933. Gerade in der Krise braucht man sie als Waffe gegen jede Art von Widerstand gegen die Krisenfolgen. (...) Den braunen Terror halten weder Brüning noch Merkel auf, das kann nur die übergroße Mehrheit der antifaschistisch und antirassistisch Gesinnten in diesem Land tun." (Homepage uz, 18. November 2012) Das bereits seit Jahren geringe Aktionspotenzial der DKP ist durch Aktivitäten den Richtungsstreit sowie die finanziellen und personellen Pro bleme nahezu erschöpft. Aktivitäten beschränkten sich auf Auf rufe zu oder Teilnahmen an Aktionen der Antifaschismus, Frauen, Friedens und sozialen Bewegung. 1.2 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Der marxistischleninistisch orientierte Jugendverband SDAJ ist formal unabhängig, gleichwohl aber mit der DKP verbunden, und agiert als deren Jugendverband. Der Organisation gehören wie im Vorjahr 500 Mitglieder an. Die Organisation hält an ihrer Kernforderung nach einer sozialistischen Gesellschaftsordnung fest: "Für uns ist der Sozialismus die Alternative für die wir kämpfen. Diese Alternative werden wir nicht allein durch Verbesserungen der bestehenden Verhältnisse erreichen, sondern dafür brauchen wir einen Bruch mit diesem System, dem Kapitalismus. Für uns ist dieser Bruch, den wir im Kampf um notwendige Verbesserungen unserer Lebensbedingungen erreichen wollen, unvermeidbar um 199 LINKSEXTREMISMUS eine sozialistische Gesellschaft zu erreichen. Wir sind deshalb eine antikapitalistische und revolutionäre Organisation." (Homepage SDAJ, 20. November 2012) Spannungen im Der überwiegende Teil der SDAJMitglieder steht den von der Verhältnis zur DKP Mehrheit im DKPVorstand vertretenen "Politischen Thesen" (vgl. Kap. III, Nr. 1.1) unverändert kritisch gegenüber und fordert - wie die innerparteiliche Opposition der DKP - eine strikte Rückkehr zur unverfälschten Lehre des MarxismusLeninismus. So heißt es: "Die SDAJ ist eine Bundesweit organisierte kommunistische Jugendorganisation. Unser Ziele sind die revolutionäre Umwälzung der kapitalistischen Verhältnisse und der Aufbau einer sozialistischen Gesellschaftsordnung. Unsere kollektive politische Praxis steht auf dem theoretischen Fundament des Marxismus-Leninismus." (Homepage SDAJ Tübingen, 20. November 2012) Fortsetzung des Die zweite Tagung des 20. Bundeskongresses am 22./23. Septem 20. Bundeskongresses ber 2012 in Nürnberg (Bayern) befasste sich ausschließlich mit der Fortschreibung des "Zukunftspapiers"122 als ideologisches Grund satzprogramm des Jugendverbandes.123 Die nach kontroversen Diskussionen verabschiedete Neufassung mache "deutlich, auf welche Weise eine sozialistische Gesellschaft erkämpft werden" könne und worin die Aufgaben des Verbandes "in den Kämpfen unserer Zeit" bestünden.124 Kampagne Aufgrund einer im Oktober 2011 beschlossenen Kampagne "Nazifreie Zone!" "Nazifreie Zone!" konzentrierte die SDAJ ihre Kräfte im Berichts jahr auf das Aktionsfeld "Antifaschismus". Im ersten Halbjahr 2012 entfaltete der Jugendverband zahlreiche Aktivitäten mit dem Ziel, sich den "Angriffen von rechts und aus der selbsterklärten Mitte der Gesellschaft" auf die eigenen Lebensbedingungen "ent gegenzustellen" und gegen einen staatlich verordneten "Antikom munismus" Stellung zu beziehen. In lokalen Bündnissen müsse 122 Die Erstfassung des "Zukunftspapiers" wurde bereits im Jahr 2000 von der SDAJ verabschiedet. 123 Homepage SDAJ Aachen (21. November 2012). 124 Homepage SDAJ (21. November 2012). 200 LINKSEXTREMISMUS darüber aufgeklärt werden, wie "Faschisten und Rassisten" gegen die Interessen von Schülern und Auszubildenden agierten.125 In der Zeit vom 25. bis 28. Mai 2012 richtete die SDAJ in Köln Festival der Jugend (NordrheinWestfalen) ihr traditionelles "Festival der Jugend" aus, das unter dem Motto stand "Zeit zu kämpfen, Zeit zu feiern - nazifreie Zonen schaffen". Im Rahmen dieser Veranstaltung beantworteten die DKPVorsitzende Bettina Jürgensen und die damalige Leiterin der Jugendkommission des Parteivorstands der DKP Wera Richter Fragen zu kommunistischer Politik und zu den Positionen der Partei. Internationale Gäste von kommunistischen Schwesterorganisationen der SDAJ aus Griechenland, Spanien, Belgien und Luxemburg berichteten über ihre Erfahrungen im Zusammenhang mit der Sozial und Finanzkrise.126 Die zumeist auf lokaler Ebene stattfindende Zusammenarbeit Zusammenarbeit mit regionaler SDAJGliederungen mit linksextremistischen Gruppie linksextremistischen rungen aus dem gewaltbereiten Spektrum geht in Einzelfällen Gruppen aus dem über die traditionell übliche Bündnis oder Aktionspolitik hinaus. gewaltbereiten Spektrum Anlässlich der "LuxemburgLiebknechtDemonstration" am 15. Januar 2012 in Berlin veröffentlichte die dortige SDAJGruppe gemeinsam mit gewaltbereiten autonomen linksextremisti schen Gruppierungen wie der "Antifaschistischen Linke Berlin" (ALB) und der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) einen gemeinsamen Aufruf, in dem es heißt: "Nur in der sozialistischen Revolution kann die alltägliche kapitalistische Ausbeutung überwunden werden. Dabei ist es notwendig, die gesammelten Erfahrungen aus den Klassenkämpfen aufzuheben und in eine revolutionäre Aktion zu überführen." (Homepage ALB, 21. November 2012) Die SDAJ Berlin ist die einzige Organisation des traditionellen kommunistischen Spektrums - neben diversen gewaltbereiten linksextremistischen Gruppen - im "SilvioMeierBündnis", das jedes Jahr im November Gedenkveranstaltungen anlässlich des 125 Homepage SDAJ (21. November 2012). 126 Homepage SDAJ (21. November 2012). 201 LINKSEXTREMISMUS von Rechtsextremisten am 21. November 1991 ermordeten Haus besetzers organisiert.127 Die SDAJ München beteiligte sich im Februar 2012 in München (Bayern) u.a. gemeinsam mit der "Interventionistischen Linken München" (IL, vgl. Kap. II, Nr. 2.1) und weiteren gewaltberei ten linksextremistischen Gruppierungen an Protesten gegen die "48. Münchner Sicherheitskonferenz". In einem im Internet veröf fentlichten Bericht zu den Protesten heißt es: "Früh zeichnete sich aber eine tragfähige überregionale Beteiligung aus Bayern und Baden-Württemberg und die Zusammenarbeit mit der SDAJ München ab. Das Konzept für dieses Jahr sah schließlich einen internationalistischen Block vor. Die SDAJ München rief zusätzlich zu einem Jugendblock als Teil des gemeinsamen internationalistischen Blocks auf. Unser Aufruf zu einem Internationalistischen Block nahm einen klaren Klassenstandpunkt gegen Krieg ein und setzte bei der alltäglichen Erfahrung kapitalistischer Ausbeutung an. (...) Unterstützt haben den Aufruf schließlich: Revolutionäre Aktion Stuttgart, (...), SDAJ München, Interventionistische Linke München, Organisierte Autonomie Nürnberg, radikale linke Nürnberg, Rote Aktion Mannheim, Antifaschistische Linke Freiburg, Revolutionäre Linke Heilbronn." (Homepage "Antikapitalistische Linke München", 22. November 2012) 127 Homepage "SilvioMeierBündnis" (22. November 2012). 202 LINKSEXTREMISMUS 2. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz des Gelsenkirchen Zentralkomitees: (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzender: Stefan Engel Mitglieder: ca. 1.900 (2011: 2.000) Publikation: "Rote Fahne" (RF) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: 8.000; "Lernen und kämpfen" (LuK) (Mitgliedermagazin), mehrmals jährlich; "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "REBELL"); zweimonatlich Die MLPD feierte im November 2012 ihr dreißigjähriges Bestehen. 30 Jahre MLPD: Seit ihrer Gründung am 20. Juni 1982 hält die Partei unverändert unveränderte an ihrer maoistischstalinistischen Ausrichtung fest. Die revoluti ideologische onären Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung Ausrichtung bilden nach ihrer Überzeugung die "Grundlage für einen neuen Aufschwung im Kampf für den Sozialismus". "Bei der Verteidigung, Weiterentwicklung und schöpferischen Anwendung des Marxismus-Leninismus und der Maotsetungideen wendet sich die Partei gegen rechtsund linksopportunistische Abweichungen und bekämpft insbesondere den modernen Revisionismus (...) und das Liquidatorentum. (...) Die Partei verteidigt die Große Proletarische Kulturrevolution als höchste Form des Klassenkampfs im Sozialismus und hält an der Weiterführung des Klassenkampfes unter der Diktatur des Proletariats (...) fest." (Homepage MLPD, 30. November 2012) 203 LINKSEXTREMISMUS IX. Parteitag Im Herbst 2012 veranstaltete die Partei ihren IX. Parteitag. Die logistische Vorbereitung und die Durchführung verliefen wie bei den vorangegangenen Parteitagen äußerst konspirativ. Die "einfachen" Mitglieder erfuhren hiervon erst im Nachhinein durch die Rede des Parteivorsitzenden Stefan Engel bei einem Festakt unter dem Motto "30 Jahre MLPD" am 3. November 2012 in Dortmund (NordrheinWestfalen). Engel führte aus, dass 23 Delegationen ausländischer Organisationen dem Bundespartei tag beigewohnt und 45 weitere Organisationen Grußbotschaften geschickt hätten. Es sei - so Engel - der "zweifellos beste Parteitag in der Geschichte der MLPD" gewesen.128 Als einen der Schwer punkte der Partei bezeichnete er die internationalistisch ausge richtete Jugendarbeit. Ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld sah Engel in der länderüber greifenden Unterstützung und Koordinierung eines auf vielen Ebenen zu führenden Klassenkampfes: "Dazu muss es künftig gelingen, bei solchen bedeutenden Kämpfen länderübergreifend (...) durch Streiks und Demonstrationen eine koordinierte taktische Überlegenheit gegenüber diesen Institutionen herzustellen. Im Klartext bedeutet das nichts anderes, als dass die Koordinierung und Revolutionierung über Ländergrenzen hinweg künftig zu einer unbeirrbar durchzuführenden Aufgabe in der Betriebsund Gewerkschaftsarbeit sein muss. (...) Am wichtigsten ist natürlich der Zusammenschluss der revolutionären Parteien und Organisationen zur Koordinierung und Kooperation von Parteiaufbau und Klassenkampf. Aber auch die Arbeiterkämpfe müssen international koordiniert werden, ebenso die Frauenbewegung, die Jugendbewegung, die Umweltbewegung oder der Kampf für den Weltfrieden. So wird sich Stück für Stück eine antiimperialistische Front herausbilden, die dem Imperialismus überlegen sein wird, ihn besiegen kann und den Weg zum Aufbau des Sozialismus ebnet. (...) [F]ester Bestandteil unserer marxistisch-leninistischen Betriebsund Gewerkschaftsarbeit ist eine positive Gewerkschaftsarbeit. (...) Und in Deutschland wissen wir, dass die Spaltung in der Arbeiterbewegung zwischen revolutionären und reformistisch beeinflussten Arbeitern die wesentliche Ursache für die Niederlage vor dem 128 Homepage MLPD (30. November 2012). 204 LINKSEXTREMISMUS Faschismus war. Erst im Konzentrationslager haben sich Sozialdemokraten und Kommunisten wieder die Hände gereicht. Das darf uns nicht noch einmal passieren. Damit würden sich nur die klassenkämpferischen Kräfte von der Masse der Kollegen isolieren und sie dem Einfluss von Reformismus und Sozialchauvinismus überlassen. Wir treten entschieden dafür ein, dass die Gewerkschaften zu Kampforganisationen für die Verbesserung der Arbeitsund Lohnbedingungen werden und tragen dabei den Geist des Klassenkampfs in die Gewerkschaften." (Homepage MLPD, 30. November 2012) Die MLPD trat - abgesehen von kleineren, regionalen Veranstal Kaum eigene tungen - 2012 kaum mit eigenen Veranstaltungen und Aktionen öffentlichkeitsin Erscheinung. Überregional beteiligte sie sich an Aktionen und wirksame Aktionen Demonstrationen von anderen linksextremistischen Personenzu sammenhängen. 3. "GegenStandpunkt" (GSP) Gründung: 1992 Sitz: München (Bayern) Mitglieder: 5.000 (2011: 7.000) Publikation: "GegenStandpunkt - Politische Vierteljahreszeitschrift" (GSP), vierteljährlich Die Gruppe "Gegenstandpunkt" (GSP) vertritt eine modifizierte MarxismusKonzeption. Ihr Fernziel ist die revolutionäre Über windung der bestehenden, pauschal als "Kapitalismus" verun glimpften verfassungsmäßigen Ordnung, allerdings ist dies nach eigener Einschätzung gegenwärtig nicht zu verwirklichen. Die angestrebte "herrschaftsfrei" organisierte kommunistische Plan wirtschaft, die auf jeglichen staatlichen Orientierungsrahmen verzichtet, sei in einer solchen Form bislang noch nie praktiziert worden. 205 LINKSEXTREMISMUS In einfachen Grundbotschaften, die mit variierender Detailschärfe beständig wiederholt werden, formuliert der GSP sein eindimen sionales Weltbild, das die komplexe gesellschaftliche Wirklichkeit auf ihre ökonomischen Aspekte reduziert. So bestehe etwa der alleinige Zweck der "kapitalistischen" Wirtschaftsordnung darin, "aus Geld mehr Geld [zu] machen"129, wobei der Reichtum der Nationen auf der "Armut der Massen"130 beruhe. Theorie als Praxis, Der GSP befindet sich in einer selbst gewählten Isolation. Er initi destruktive Kritik iert keine eigenen Kampagnen und beteiligt sich nicht an der als Methode Kampagnenarbeit anderer linksextremistischer Personenzusam menschlüsse. Ebenso wenig geht er mit diesen oder nichtextre mistischen Strukturen anlassbezogene Bündnisse ein. Der GSP pflegt vielmehr ein atypisches Praxisverständnis, indem er sich auf die Erarbeitung und interne Vermittlung theoretischen "Wis sens" über die vermeintliche Funktionsweise des "Kapitalismus" beschränkt. Den "Kapitalismus" sieht der GSP von einem "fal schen Bewusstsein" getragen, das es durch "destruktive Kritik" zu zerstören gelte. Der verantwortliche Redakteur des vierteljährlich erscheinenden GSPHeftes formulierte dies im April 2012 in seinen im Internet veröffentlichten "Thesen zu den Charaktermasken des Kapitals, den sozialen Klassen - und was für antikapitalistische Politik daraus folgt" mit den Worten: "Die Arbeiterschaft hat zu erkennen, dass die ganze Ordnung ein zum System gewordenes feindliches Interesse gegen sie und dass ihre eigene Erwerbsquelle kein Besitzstand ist, sondern nichts als die freiheitliche Form der Dienstbarkeit für fremde Zwecke." (Homepage "kritikundintervention.org", Juni 2012) Seine "destruktive", die bestehende verfassungsmäßige Ord nung grundsätzlich infrage stellende Kritik verbreitet der aka demisch geprägte GSP in seiner vierteljährlich erscheinenden Publikation, in zahlreichen im Internet veröffentlichten Text und Tonbeiträgen, im Rahmen öffentlicher Diskussions und 129 GSP, Ausgabe 112, 23. März 2012, S. 153. 130 GSP, Ausgabe 112, 23. März 2012, S. 69. 206 LINKSEXTREMISMUS Vortragsveranstaltungen sowie in sogenannten Jours Fixes, die in etwa 20 deutschen Städten mit einiger Regelmäßigkeit stattfin den. Hinsichtlich der Größe seiner Anhängerschaft befindet sich der netzwerkartig organisierte GSP in einem anhaltenden Abwärts trend. 4. Trotzkisten In Deutschland sind derzeit zwölf (2011: 20) aktive internatio nale trotzkistische Dachverbände mit etwa 20 Sektionen oder Resonanzgruppen vertreten, deren Gesamtmitgliederpotenzial auf 1.400 zurückgegangen ist (2011: 1.600). Trotzkisten verfolgen die Strategie des Entrismus. Darunter ver Strategie des steht man die gezielte Unterwanderung anderer, meist konkurrie Entrismus render Organisationen mit dem Ziel, diese durch verdeckte oder auch offene Einflussnahme für eigene ideologische und taktische Zwecke zu instrumentalisieren. Diese Methode wird insbesondere von den trotzkistischen Gruppierungen "Sozialistische Alterna tive" (SAV) und "marx21" praktiziert und bezieht sich bei der Par tei DIE LINKE auf bestimmte offen extremistische Zusammen schlüsse (vgl. Kap. III, Nr. 5). Das Netzwerk "marx21" ist die deutsche Sektion des internationa "marx21" len trotzkistischen Dachverbandes "International Socialist Ten dency" (IST) mit Sitz in London (Großbritannien). Wie in den Vor jahren war "marx21" auch 2012 die aktivste trotzkistische Organisation in Deutschland. Für die Außendarstellung des Netzwerks ist der alljährlich statt findende Kongress "MARX IS MUSS" von besonderer Bedeutung, der vom 7. bis 10. Juni 2012 in Berlin veranstaltet wurde. Nach Angaben des Veranstalters haben rund 500 Personen den Kon gress besucht. Neben dem alljährlichen Kongress kommt der Internetpräsenz mit täglich aktualisierten Informationen und der Beteiligung an sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter eine zentrale Bedeutung zu. 207 LINKSEXTREMISMUS Als publizistische Plattform dient dem Netzwerk das gleichna mige Magazin "marx21". Die Zahl der abonnierten Exemplare liegt 2012 nach eigenen Angaben bei 916 (2011: 868).131 Die links extremistische Ausrichtung des Netzwerks wird in den im Maga zin veröffentlichten Beiträgen deutlich. "Sozialistische Die SAV mit ihren rund 400 Mitgliedern ist die deutsche Sektion Alternative" (SAV) des internationalen trotzkistischen Dachverbandes "Committee for a Worker's International" (CWI) mit Sitz in London (Großbritannien). In ihrem Statut definiert sie sich als "revolutio näre, sozialistische Organisation in der Tradition von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und Liebknecht". Einen Beleg für die entristische Strategie der Trotzkisten lieferte die SAV Bundeskonferenz im Februar 2012, bei der die Mitglieder aufge fordert wurden, der "Antikapitalistischen Linken" (AKL, vgl. Kap. III, Nr. 5.6) beizutreten. Ein Bundessprecher der SAV erklärte: "Wir wollen mit diesem Schritt die innerparteiliche Linke stärken und einen Beitrag dazu leisten, in der Partei für einen kämpferischen und sozialistischen Kurs zu kämpfen. (...) [J]e stärker eine in der LINKEN wirkende marxistische Kraft wird, desto eher kann eine weitere Rechtsentwicklung der Partei verhindert werden und kann die Grundlage für die Schaffung einer revolutionär-marxistischen Massenkraft in der Zukunft gelegt werden." (Homepage SAV, 27. März 2012) Hervorzuheben sind die jährlichen "Sozialismustage" der SAV, die im Berichtsjahr vom 6. bis 8. April 2012 in Berlin stattfanden. Weiterhin beteiligt sich die SAV regelmäßig an bundesweiten Pro testaktionen und Kampagnen, so u.a. an den Protesten gegen die "48. Münchner Sicherheitskonferenz" vom 3. bis 5. Februar 2012 in München (Bayern) oder an den Kundgebungen im Rahmen der Kampagne "Verfassungsschutz auflösen - Rassismus bekämpfen!". Die SAV ist wie "marx21" in sozialen Netzwerken aktiv. Auf ihrem Internetportal können die organisationseigenen Publikationen abgerufen werden. 131 "marx21" Nr. 27, September/Oktober 2012, S. 57. 208 LINKSEXTREMISMUS Die kleineren trotzkistischen Zusammenschlüsse wie der "Revo Weitere kleine lutionär Sozialistische Bund" (RSB/IV. Internationale), die trotzkistische "Gruppe Arbeitermacht" (GAM) sowie die "internationale sozialis Zusammenschlüsse tische Linke" (isL) sind im Linksextremismus von geringerer Bedeutung. Ein führender Aktivist der isL ist seit Mai 2012 Mitglied im Bun dessprecherInnenrat der AKL (vgl. Kap. III, Nr. 5.6).132 5. "Offen extremistische Strukturen" in der Partei DIE LINKE 5.1 "Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE" (KPF) Die KPF ist mit ihren 1.250 Mitgliedern133 nach wie vor der größte offen extremistische Zusammenschluss innerhalb der Partei DIE LINKE.134 Die KPF definiert sich in ihrer Satzung als ein "bun desweiter Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommu nisten in der Partei DIE LINKE". Der BundessprecherInnenrat ver sicherte im April 2012 auf der KPFBundeskonferenz, man werde die "kommunistische Identität nicht aufgeben".135 Die KPF hält weiterhin an marxistischleninistischen Positionen fest und strebt die Überwindung des Kapitalismus als Gesell schaftssystem mit dem Ziel einer sozialistischen Gesellschaft an. In einem Beschluss der 1. Tagung der 16. Bundeskonferenz der KPF am 28. April 2012 tritt die KPF "für einen Systemwechsel ein".136 132 Homepage AKL (17. Mai 2012), ("Protokoll: AKLLänderrat im Mai 2012 in Düsseldorf"). 133 "KPFMitteilungen", Heft 12/2011, Dezember 2011, S. 15. 134 Satzung der KPF vom 25./26. Februar 1995, geändert am 26. April 2008, Präambel, 1. Satz. 135 Bericht des BundessprecherInnenrats an die 1. Tagung der 16. Bundeskonferenz der KPF, 28. April 2012. 136 "KPFMitteilungen", Heft 5/2012, Mai 2012, S. 2. 209 LINKSEXTREMISMUS Nach wie vor zeichnet die KPF ein besonders positives Bild des Realsozialismus und betont dessen Legitimität: "Wir setzen uns für die vorurteilsfreie Analyse des Sozialismus im 20. Jahrhundert ein und unterstreichen unsere Position, dass dieser historisch legitim war." (Beschluss der 1. Tagung der 16. Bundeskonferenz der KPF am 28. April 2012, "KPF-Mitteilungen", Heft 5/2012, Mai 2012, S. 2) In ihrer Satzung bekennt sich die KPF zum Internationalismus und wirbt für ein "breites Bündnis mit kommunistischen Par teien, Gruppen und Zusammenschlüssen sowie anderen linken Kräften".137 So bezeichnete die Bundeskonferenz am 28. April 2012 den Internationalismus als "hohes Gut".138 Besonderen Stellenwert nimmt für die KPF die "Solidarität mit dem sozialistischen Kuba" ein.139 Die KPF arbeitet weiterhin mit inländischen Linksextremisten und anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen in der Partei DIE LINKE zusammen. Monatlich gibt der Bundeskoordinierungsrat der KPF die Publi kation "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE" mit einer Auflage von rund 1.700 Exemplaren140 her aus. Die Finanzierung erfolgt zum Großteil durch Leserspenden. 5.2 "Sozialistische Linke" (SL) Die SL konnte ihre Mitgliederzahl im Jahr 2012 geringfügig auf nunmehr über 800 (2011: knapp 800) steigern.141 Sie ist mit sieben Personen im Bundesvorstand der Partei DIE LINKE vertreten. Mitglieder der SL gehörten Ende 2012 als Abgeordnete der Partei 137 Satzung der KPF vom 25./26. Februar 1995, geändert am 26. April 2008, Präambel, Absatz (3). 138 "KPFMitteilungen", Heft 5/2012, Mai 2012, S. 2. 139 "KPFMitteilungen", Heft 5/2012, Mai 2012, S. 2 und 13. 140 "KPFMitteilungen", Heft 5/2012, Mai 2012, S. 23. 141 Homepage SL (5. November 2012). 210 LINKSEXTREMISMUS DIE LINKE dem Deutschen Bundestag142 oder dem Europäischen Parlament an. Innerhalb der SL arbeitet nach wie vor das trotzkistische Netz werk "marx21" (vgl. Kap. III, Nr. 4) mit.143 So ist ein Mitglied des Bundessprecherrats der SL zugleich Mitglied des Koordinierungs kreises von "marx21".144 Unter den der SL angehörenden Bundes tagsabgeordneten befinden sich zwei Mitglieder von "marx21". Die SL definiert sich in ihrer Gründungserklärung als eine breite Strömung, die an "linkssozialdemokratische und reformkommu nistische Traditionen anknüpft".145 Nach ihrer Überzeugung können "fortschrittliche gesellschaft liche Veränderungen" heute nur im Zusammenwirken poli tischparlamentarischer Kräfte und außerparlamentarischer sozialer Bewegungen durchgesetzt werden. Keine andere bisher hervorgetretene "Strömung in der neuen Linken" werde bislang diesem Anspruch gerecht. Die SL grenzt sich deshalb ausdrücklich von Ansätzen in der "neuen Linken" ab, "die sich in den Verhält nissen einrichten und lediglich in diesem Rahmen die Probleme lindern wollen".146 5.3 "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" (Cuba Si) Die 1991 gegründete, bundesweit tätige "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" hatte im Jahr 2011 rund 400 Mitglieder.147 Die Mitglieder zahl für 2012 ist nicht bekannt. Politische und materielle Solidarität mit dem sozialistischen Kuba sind Grundanliegen und wesentlicher Inhalt der Tätigkeit der Arbeitsgemeinschaft (AG), wie die am 30. Oktober 2011 beschlos sene Satzung ausweist. Die AG unterhält freundschaftliche und solidarische Kontakte zu zahlreichen kubanischen Organisatio nen und Einrichtungen, u.a. zur "Kommunistischen Partei Kubas" 142 Homepage SL (3. Dezember 2012). 143 Homepage "marx21" (10. Oktober 2012). 144 Homepage "marx21" und Homepage SL (5. November 2012). 145 Homepage SL (3. Dezember 2012). 146 Gründungserklärung der "Sozialistischen Linken", vgl. Homepage SL (23. Juni 2012). 147 DISPUT, Juni 2011, S. 34 ff. 211 LINKSEXTREMISMUS (PCC) sowie zum "Kommunistischen Jugendverband Kubas" (UJC).148 Eine kritische Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverstößen in Kuba findet in der Regel nicht statt. Die AG bekennt sich viel mehr zu uneingeschränkter Solidarität mit dem sozialistischen Regime. 5.4 "Marxistisches Forum" (MF) Das orthodoxkommunistische MF konnte die Zahl seiner Mit glieder auf etwa 350 Personen149 steigern (2011: über 300). Ihm fehlt nach wie vor die förmliche Anerkennung als bundesweiter Zusammenschluss in der Partei DIE LINKE. Viele MFMitglieder arbeiten auch in anderen offen extremisti schen Zusammenschlüssen der Partei wie der KPF, der "Antika pitalistischen Linke" (AKL), dem "Geraer/Sozialistischer Dialog" (GSoD) und der SL.150 Das MF nimmt in einer Broschüre positiv Bezug auf die kommu nistischen Vordenker Marx, Engels und Lenin und bezeichnet den Sozialismus als Vorstufe zum Kommunismus: "Im 21. Jahrhundert werden die Auseinandersetzungen unweigerlich von zunehmender Barbarei und erneuten Kämpfen für eine andere Gesellschaft geprägt sein. (...) Ohne eine mobilisierte, für ihre Interessen kämpfende arbeitende Klasse, ohne eine grundlegende Veränderung der Klassenmachtverhältnisse werden sowohl der angestrebte ''Politikwechsel'' gegen den Neoliberalismus als auch die 'Überwindung des Kapitalismus' nicht mehr als interessante Ideen bleiben. Als Dreigestirn sind Marx, Engels und Lenin auch heute Identifikationskerne all jener, die dafür eintreten, den Marxismus als Theorie progressiver Gesellschaftsveränderung, als im politischen Kampf taugliche Handlungsorientierung für das 21. Jahrhundert zu aktualisieren. (...) Sozialismusgestaltung bedarf der politischen 148 Homepage "AG Cuba Si" (15. Oktober 2012). 149 Homepage MF (15. Oktober 2012). 150 Homepage MF (15. Oktober 2012). 212 LINKSEXTREMISMUS Machteroberung durch die arbeitende Klasse, die tatsächlich 'despotische Eingriffe in das Eigentumsrecht' (K. Marx/F. Engels: Manifest der Kommunistischen Partei, MEW, Band 4, Berlin 1969, S. 48 f.) vornehmen muss. (...) Sozialismus ist keine kurze Übergangsphase zum authentischen Kommunismus, und nur der voll entwickelte Sozialismus im Weltmaßstab kann überhaupt zum Kommunismus führen." ("Marxistisches Forum", Heft 65, Januar 2012, S. 1) In einem Text zum Thema "Klassenmachtverhältnisse, Klas senohnmacht und Klassenmobilisierung" bekennt sich der Spre cher der landesweiten, selbstständigen Gliederung "Marxistisches Forum Sachsen" zur Klassen bzw. Revolutionstheorie von Marx, Engels und Lenin, die weiterzuentwickeln sei: "Das 21. Jahrhundert wird wie das vergangene vom Klassenkampf zwischen Sozialismus und kapitalistischer Barbarei bestimmt sein. (...) Die Zusammenhänge zwischen der politischen Klassenbildung der Arbeiterklasse und dem revolutionären Kampf um die politische Macht wie auch zwischen kapitalistischen Krisen und Revolutionserwartungen haben sich als komplizierter erwiesen, als Karl Marx, Friedrich Engels und ihre Schüler vermuteten. (...) Die Revolutionstheorie, die mit Karl Marx und W. I. Lenin davon ausging, dass das in Großbetrieben konzentrierte Proletariat das eigentliche revolutionäre Subjekt ist, hat sich als ergänzungswürdig erwiesen. (...) Das potentiell revolutionäre Subjekt ist heute die arbeitende Klasse, das ausgebeutete Volk im Bündnis mit den Mittelschichten, wobei der Industriearbeiterklasse als ökonomisches Zentrum der kapitalistischen Gesellschaft nach wie vor eine zentrale Bedeutung zukommt." (Homepage "linkes-buendnis-dortmund", Dezember 2012) Weiter betont er, ohne mobilisierte Klasse seien weder "Politik wechsel noch erfolgreiche Revolution" möglich: "Zum Verständnis der Bedingungen des Klassenkampfes (...) gehört die Analyse der bestehenden Klassenmachtverhältnisse bzw. politischen Hegemonieverhältnisse. (...) Diese machtpolitischen Zustände können nur in einem längeren Kampf um politische organisatorische und geistig-kulturelle Gegenmacht verändert werden. (...) 213 LINKSEXTREMISMUS Klassentheorie ist ganz wesentliche Handlungstheorie. (...) Sehr schnell schlug der demokratisch sozialistische Aufbruch im November 1989 in eine Konterrevolution um." (Homepage "linkes-buendnis-dortmund", Dezember 2012) 5.5 "Geraer/Sozialistischer Dialog in der Partei DIE LINKE" (GSoD) Der GSoD151 mit seinen 173 Mitgliedern (keine Veränderung gegenüber 2011) will auf marxistischer Grundlage insbesondere seinen Kurs zur Förderung der Zusammenarbeit der konsequent sozialistischen Kräfte entwickeln. Mit einem Redaktionsbeirat für die Publikation "Bulletin" will sich die Gruppierung für andere Personen aus dem Spektrum der konsequent sozialistischmarxis tischen Meinungsbildung öffnen.152 Die Mitgliederversammlung verabschiedete zudem eine Erklä rung "Nie wieder! Mit Geschichtsbewusstsein, Gesellschaftsana lyse und humanistischer Aufklärung gegen Faschismus heute". Darin heißt es u.a.: "Um die politische Macht der Unternehmen zu brechen, um die Raubzüge des deutschen Kapitals, das seine Interessen der Ausbeutung von Mensch und Natur zur Not auch mit Hilfe von Faschisten und Krieg durchzusetzen bereit war und ist, um dagegen die Perspektive demokratischer Verfügung aller zu eröffnen, ist die Enteignung der Banken, Monopole und Großunternehmen von entscheidender Bedeutung, und Antifaschismus ist auch der Kampf um die Vergesellschaftung der Produktionsmittel." (Homepage GSoD, 21. März 2012) Der SprecherInnen und Koordinierungsrat des GSoD bekräftigte im November 2012 die "prinzipielle Perspektive der Überwindung des Kapitalismus". Politische Richtungswechsel würden nicht "im 151 Anlässlich der Mitgliederversammlung am 11. Februar 2012 benannte sich der Zusammenschluss "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SoD) in "Geraer/ Sozialistischer Dialog" (GSoD) um. 152 Homepage GSoD (7. November 2012). 214 LINKSEXTREMISMUS Parlament und in der Regierung entschieden", sondern "vorrangig durch außerparlamentarische Bewegung durchgesetzt". 2011 begrüßte der SprecherInnen und Koordinierungsrat des GSoD die "Kommunismusdebatte" und erklärte am 7. Januar 2011, die Überwindung des "Kapitalismus" sei notwendig, um "andere, menschliche gesellschaftliche Verhältnisse" zu schaffen: "Der Artikel 'Wege zum Kommunismus' motiviert in diesem Sinne, die im Programmentwurf gegebene Handlungsorientierung zu unterstützen, die den Kapitalismus nicht nur verbessern, sondern überwinden will." (Homepage GSoD, 19. März 2011) 5.6 "Antikapitalistische Linke" (AKL) Die AKL wurde im März 2006 durch 30 Erstunterzeichner eines Aufrufs "Für eine antikapitalistische Linke" als loses Netzwerk innerhalb der damaligen "Linkspartei.PDS" gegrün det. Seither haben über 1.850 Personen153 (2011: 1.700) den Aufruf unterzeichnet, darunter Mitglieder ande rer offen extremistischer Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE, der DKP sowie verschiedener trotzkistischer Gruppierungen. Am 9. Dezember 2012 wurde die AKL vom Partei vorstand der Partei DIE LINKE förmlich als innerparteilicher Zusammenschluss anerkannt.154 Die AKL ist mit fünf Personen im Bundesvorstand der Partei DIE LINKE vertreten, darunter ein Mitglied des aus sechs Perso nen bestehenden BundessprecherInnenrats (zuvor "Koordinie rungskreis") der AKL. Mitglieder der AKL gehörten Ende 2012 als Abgeordnete der Partei DIE LINKE dem Deutschen Bundestag oder dem Europäischen Parlament an. 153 Homepage AKL (8. November 2012). 154 Gemäß SS 7 Abs. 2 der Bundessatzung der Partei DIE LINKE zeigen bundesweite Zusammenschlüsse ihr Wirken dem Parteivorstand an. 215 LINKSEXTREMISMUS In der AKL arbeiten Mitglieder der trotzkistischen "Sozialisti schen Alternative" (SAV) mit.155 So ist ein SAVBundessprecher156 zugleich AKLAnsprechpartner im Land Berlin.157 Die angestrebte Überwindung der bestehenden Gesellschaftsord nung hin zum "demokratischen Sozialismus" wird von Teilen der AKL nur als Etappenziel angesehen: "Einige von uns sehen in einem demokratischen Sozialismus noch nicht das Ende der Geschichte. Sie werden dabei von der marxistischen Gesellschaftsphilosophie oder von humanistischen Idealen geleitet. Einige von uns bezeichnen eine solche erstrebte klassenlose und ausbeutungsfreie Gesellschaftsordnung in der Tradition der Autoren des Kommunistischen Manifests, Karl Marx und Friedrich Engels, als Kommunismus." (Erklärung einiger Mitglieder des Länderrates der AKL, 13. Januar 2011, Homepage AKL, 19. März 2013) Die AKL befürwortet einen "neuen sozialistischen Internationalis mus" sowie die Solidarität mit dem kubanischen Regime. Mit anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen in der Partei DIE LINKE (SL, "Geraer/Sozialistischer Dialog", KPF und MF) arbeitet die AKL zusammen. 155 Homepage AKL (3. Dezember 2012). 156 "Solidarität" Nr. 116, Oktober 2012, S.4. 157 Homepage AKL (3. Dezember 2012). 216 LINKSEXTREMISMUS 6. "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung: 1975 Sitz: Göttingen ((Niedersachsen) (Bundesgeschäftsstelle) Mitglieder: 6.000 (2011: 5.600) in 48 Ortsgruppen Publikation: "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Die "Rote Hilfe e.V." (RH) wird von Linksextremisten unterschied licher ideologischpolitischer Ausrichtung getragen. Die Organi sation definiert sich in ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strö mungsübergreifende linke Schutz und Solidaritätsorganisation". Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt in der Unterstützung von Straf und Gewalttätern aus dem "linken" Spektrum, die "wegen ihres politi schen Engagements zum Ziel staatlicher Repression" werden. So gewährt sie ihnen zu Anwalts und Prozesskosten sowie Geldstra fen und Geldbußen finanzielle Beihilfen. Die RH versteht sich keineswegs als wohltätige Organisation zur Gefangenenunterstützung, sondern als "Solidaritätsorganisation für die gesamte Linke", die den Betroffenen ausdrücklich auch politische Hilfe leisten will. So heißt es in einem Beitrag mit dem Titel "Die Rote Hilfe ist keine karitative Einrichtung": "Die Unterstützung für die Einzelnen soll zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Bewegung sein. Jede und Jeder, die sich am Kampf beteiligen, soll das in dem Bewußtsein tun können, daß sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen." (Homepage "ROTE HILFE E.V.", 9. November 2012) 217 LINKSEXTREMISMUS Die RH verkehrt damit die Verhältnisse der strafrechtlichen Ahn dung und wendet sich indirekt gegen das Prinzip der wehrhaften Demokratie, das sie als staatliche Unterdrückung und "politische Verfolgung" diffamiert: "Außer der unmittelbaren Unterstützung für Betroffene sieht die Rote Hilfe ihre Aufgabe auch darin, sich im allgemeinen Sinn an der Abwehr politischer Verfolgung zu beteiligen." (Homepage "ROTE HILFE E.V.", 9. November 2012) In der Konfrontation zwischen dem "repressiven" Staat und der "Opposition" stellt sich die Organisation an die Seite der Gefan genen sowie sonstiger von staatlichen Maßnahmen Betroffener. Zum alljährlichen "Tag der politischen Gefangenen" am 18. März 2012 gab die RH - wie auch in den Jahren zuvor - eine Sonderausgabe ihrer Publikation "DIE ROTE HILFE" heraus, in deren Vorwort die Notwendigkeit der Unterstützung "politischer Gefangener" begründet wird: "Das bürgerlich-kapitalistische Akkumulationsregime kann nur durch die mit Verwertungslogik unterfütterte, nationalstaatlich regulierte Ausbeutung der Arbeitskräfte und Rohstoffe bestehen. (...) Dabei muss Repression letztendlich als ein mit aller Macht durchgesetztes Mittel des autoritären Polizeirechtsstaats zur Herrschaftsund Eigentumssicherung verstanden werden. Das wohl wichtigste staatliche Repressionsinstrument, das oftmals den Schlusspunkt systematischer Attacken gegen linke Oppositionelle bildet, ist nach wie vor der Knast (...) Setzen wir den Angriffen des Systems auf unsere Genoss_ innen und Strukturen unseren entschlossenen Widerstand entgegen!" ("SONDERAUSGABE DER ROTEN HILFE 18.03.2012", S. 1 f.) Anlässlich des Prozesses gegen die ehemalige Angehörige der terroristischen Vereinigung "Rote Armee Fraktion" (RAF) Verena Becker wegen Beihilfe zum Mordanschlag auf Generalbundes anwalt Siegfried Buback und dessen Begleiter am 7. April 1977 behauptete die RH, dieses Verfahren verdeutliche, "dass dem Staatsschutzsenat, der Bundesanwaltschaft und der Nebenklage" 218 LINKSEXTREMISMUS jedes Mittel recht sei, "um die ehemaligen Militanten der RAF zu brechen und zur Denunziation ihrer politischen Geschichte" zu veranlassen: "Obwohl alle früheren RAF-Mitglieder bereits hohe Haftstrafen verbüßt haben, wurden in den letzten Jahren gegen einige von ihnen zusätzliche Ermittlungsverfahren eingeleitet - und es können weitere folgen. Offensichtlich müssen alle, die sich nicht von ihrer Geschichte distanzieren, mit neuen Verfahren rechnen." ("DIE ROTE HILFE" Nr. 1/2012, S. 44) In einer Pressemitteilung des RHBundesvorstands im Zusam menhang mit den von Linksextremisten unterstützten Akti onstagen gegen die "kapitalistische Krisenpolitik" vom 16. bis 19. Mai 2012 in Frankfurt am Main (Hessen) protestiert die Orga nisation gegen die Polizeieinsätze: "Vier Tage völlig überzogener Polizeiaufgebote, Stilllegung der Frankfurter Innenstadt und schwerwiegender Versammlungsrechtsbrüche verdeutlichen die Angst des Staates vor seinen Kritiker_innen. (...) Die Rote Hilfe wird die willkürlichen Verbote und die umfassende Kriminalisierung linker Proteste nicht hinnehmen und ruft zur Solidarität mit den von staatlicher Repression Betroffenen auf." (Homepage "ROTE HILFE E.V.", 20. Mai 2012) Zum Prozessbeginn gegen zwei kurdische Aktivisten am 14. September 2012 vor dem Oberlandesgericht Stuttgart (Baden Württemberg) wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Ver einigung konstatierte der RHBundesvorstand: "Damit reiht sich dieser Prozessauftakt ein in die Serie von Repressionsschlägen der bundesdeutschen Justizbehörden gegen linke Aktivistinnen und Aktivisten aus der Türkei sowie die kurdische Befreiungsbewegung, gegen die der politische Gesinnungsund Gummiparagraph 129b in Anschlag gebracht wird." (Homepage "ROTE HILFE E.V.",14. September 2012) 219 LINKSEXTREMISMUS IV. Linksextremistische Verbreitungsstrukturen 1. Linksextremismus und Musik Musik zur gezielEin bislang nur wenig beachtetes Agitationsfeld im Linksextre ten Verbreitung mismus ist die Musik, die sowohl von gewaltbereiten als auch von ideologischer orthodoxen Linksextremisten gezielt zur Verbreitung ihrer ideo Vorstellungen logischen Vorstellungen genutzt wird. Darüber hinaus dient Musik dazu, Teilnehmer für Veranstaltungen zu mobilisieren, Aktivisten zu gewinnen und Gelder für die Szenearbeit zu erwirt schaften. Über Musik wird ein weites Spektrum von aktiven Links extremisten bis hin zu Personen ohne gefestigte linksextremistische Überzeugungen erreicht. Einzelne Liedtexte enthalten Hasstiraden gegen Polizisten oder rufen zum gewalttätigen Kampf gegen Rechtsextremisten und die staatliche Ordnung auf. Häufig wird Musik im Rahmen der Vorbereitungen bzw. im Verlauf größerer Demonstrationen eingesetzt. Musikunterlegte "MobilisierungsVideos" im Internet transportieren ideologische Positionen und sprechen damit vor allem jüngere Menschen an. Bei Demonstrationen werden Lautsprecheranlagen auf Fahrzeu gen mitgeführt, um die Teilnehmer zwischen den Redebeiträgen und während des Marsches mit Einspielungen von Musik zu unterhalten und aufzustacheln. Musik als Auch als Einnahmequelle ist die Musik für Linksextremisten von Einnahmequelle für erheblicher Bedeutung. Die erwirtschafteten Gelder dienen dazu, Linksextremisten die eigenen Aktivitäten oder die Verteidigung von Szeneangehöri gen in Strafprozessen zu finanzieren. Dazu werden etwa in "Autonomen Zentren" Konzertabende mit linksextremistisch motivierten oder mit der Szene sympathisie renden Musikern organisiert. Zudem gibt es "SolidaritätsPartys", deren Einnahmen überwiegend in die Antifa und Solidaritätsar beit fließen. Die Verbreitung linksextremistisch motivierter Musik erfolgt über Direktverkauf bei Konzerten, aber auch im Internet über Szene vertriebe. Linksextremistische Liedtexte werden in unterschiedli chen Musikrichtungen verbreitet. 220 LINKSEXTREMISMUS 2. Linksextremistische Aktivitäten im Internet Der Einsatz neuer Medien spielt im Linksextremismus eine zen trale Rolle. Dabei unterscheidet sich das Nutzerverhalten von Linksextremisten in funktionaler Hinsicht kaum von dem Ver halten der Akteure in anderen Extremismusfeldern. Das Internet dient linksextremistischen Gruppen sowohl als Kommunikati onsplattform und offenes Medium zur propagandistischen Agita tion als auch zur Mobilisierung und Rekrutierung. Darüber hinaus wird es auch für Anwendungen im verdeckten, passwortgeschütz ten Bereich von der "antifaschistischen Hackerszene" und der "Cyberguerilla" genutzt. Zahlreiche Internetportale und Nachrichtenblogs fungieren als Internetportale und Drehscheibe für die Information und Koordination innerhalb des Nachrichtenblogs linksextremistischen Spektrums. Die geschlossenen Foren werden mit dem Hinweis auf die Errichtung einer szeneeigenen digitalen Infrastruktur zum Schutz der Kommunikationswege als "Rote Zonen" bezeichnet. Ein wesentliches Instrument zur kommunikativen Vernetzung "Indymedia bildet das auch von Linksextremisten genutzte Portal "Indymedia Deutschland" Deutschland". Die Plattform trat erstmals im Vorfeld des Castor transports im März 2001 in Erscheinung. "Indymedia Deutschland" ist Teil des globalen IndymediaNetzwerks, das nach eigenen Angaben weltweit über mehr als 100 lokale independent media center (imc) verfügt. Anlässlich der Proteste gegen die WTO in Seattle (USA) entstand dort im Jahr 1999 durch Vernetzung unterschiedlicher Medienaktivisten das erste "Unabhängige Medienzentrum". Indymedia verfolgt den Ansatz, eine "Gegenöffentlichkeit zu schaffen, indem die Menschen an der gesellschaftlichen Basis DIREKT zu Wort kommen" und bezeichnet sich als Teil "der Bewegung, von der es berichtet".158 Den Mittelpunkt des Portals bildet der "Open Posting"Bereich, der es den Internetnutzern ermöglicht, ohne besondere Zugangsberechtigung Aktionsaufrufe und berichte sowie ideologische Beiträge einzustellen und mit entsprechendem Bild oder Videomaterial zu versehen. 158 Internetportal "Indymedia Deutschland" (1. Dezember 2012). 221 LINKSEXTREMISMUS "linksunten.Das Internetportal "linksunten.indymedia" ist seit 2009 als erstes indymedia" regionales imc in Deutschland online. Die Betreiber bezeichnen das Portal als "Waffe im sozialen Kampf (...). Mit Indymedia linksunten wollen wir uns diese Waffe der Subversion aneig nen."159 Nachrichtenblog Eine bedeutende Rolle in der linksextremistischen NetzInfra directactionde.ucrony struktur spielt auch der Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", der seit Ende 2007 abrufbar ist. Dort werden zeitnah Meldungen über gewalttätige Aktionen und - soweit vorhanden - Taterklä rungen, Tatortbilder, Presse oder Polizeimeldungen veröffent licht. Die Betreiber des Blogs wollen "jenseits des Vermittlungs theaters der Massenmedien (...) über jede direkte Aktion berichten, von der in der BRD zu hören oder zu lesen ist."160 Zudem soll die Datenbank des Blogs "Ressource sein für alle kon frontativen direkten Aktionen gegen Staat und Kapital, gegen alle seine Vertreter und Vertreterinnen".161 In einem anderen Bereich sollen Textbeiträge zur "sozialen revolte" theoretisches Material sowohl mit Bezug zu Deutschland als auch für den internationa len Raum eingestellt werden: "Unter der Rubrik 'Texte/Broschüren' könnt ihr Beiträge finden welche sich theoretisch mit Konzepten, Strategien und Organisierung für eine aufständische/revolutionäre Perspektive beschäftigen. Weiter werden wir aktuelle Debattenbeiträge mit dem Schwerpunkt Militanz, welche sich auf internationale und lokale Kämpfe beziehen, hochladen. Ziel ist es, dadurch Diskussionen voranzutreiben und interessierten Leuten zugänglich zu machen, sowie die Akte der Revolte, welche immer auch an die Idee einer herrschaftsfreien Gesellschaft geknüpft sind, in diesem Kontext darzustellen." (Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", 1. Dezember 2012) "Antifaschistische Neben der Etablierung "Roter Zonen" bilden Hackingangriffe von Hackerszene" und Linksextremisten eine spezielle Art des "antifaschistischen "Cyber-Guerilla" Kampfes" und haben in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung 159 Internetportal "linksunten.indymedia" (1. Dezember 2012). 160 Nachrichtenblog "directactionde.ucrony" (1. Dezember 2012). 161 Nachrichtenblog "directactionde.ucrony" (1. Dezember 2012). 222 LINKSEXTREMISMUS gewonnen. Sie richteten sich gegen Internetpräsenzen des "politi schen Gegners". Diese Angriffe sind oftmals mit einem sogenann ten Defacement verbunden, d.h. Internetauftritte werden durch einen elektronischen Angriff optisch und inhaltlich verfälscht. Darüber hinaus ist in Teilen des gewaltbereiten Linksextremismus seit längerem auch die Rede von der Bildung einer "CyberGue rilla". Darunter sind alle Aktivitäten zu verstehen, "die Seiten der Herrschenden direkt angreifen, diese vorübergehend lahmlegen oder gänzlich zerstören. (...) Dem eigenen Aktionsfeld im Internet selbst sind bei entsprechender technischer Kenntnis kaum Grenzen gesteckt. Gegen einen wirkungsvollen Angriff auf eine Seite/ eine Einrichtung im Netz per Viren oder Datenüberlastungsaktionen ist ein Sprengstoffanschlag in seiner Wirkung kaum mehr als Peanuts. (...) Cyber-Guerilla, vielleicht DIE militante Option des Widerstands im 21. Jahrhundert, wir werden's sehen." ("Red Cyber against Kapitalist Reality. Der Kapitalismus, das Internet und die radikale Linke", in: Barricada, Juni 2000, S. 2 und 3) Die Frage nach dem Verhältnis von realen und digitalen Aktions formen wird in der linksextremistischen Szene seit langem ebenso kritisch wie vielschichtig diskutiert. Es existiert eine Vielzahl von teilweise verschlüsselten Kommunikationsbeziehungen über Mail server, Foren, Blogs und Chats sowie über Nachrichtendienste wie Twitter oder soziale Netzwerke wie Facebook. Allerdings finden dort zentrale Debatten des Linksextremismus, etwa zur Frage der Grenzen des Einsatzes von Gewalt im politischen Meinungskampf, kaum statt. Vielmehr tragen eingeführte Kooperationsformen - etwa durch die konspirativ hergestellten Szenepublikationen wie "radikal" (vgl. Kap II, Nr. 1.3) oder "INTERIM", durch "Auto nome Kongresse" und die durch persönliche Kontakte vermittel ten Ideologie und Strategiediskussionen in den "Bezugsgruppen" und "Autonomen Zentren" - weiterhin entscheidend zur Mobi lisierung, Radikalisierung und Rekrutierung bei. Zwar lassen sich über das Internet niederschwellige Aktivierungserfolge erzielen; allerdings kann die virtuelle Agitation bis heute die reale Agitation nicht vollständig ersetzen. Es hat sich ein Zusammenspiel der beiden Aktionsräume etabliert, in dessen Rahmen sich die spezifi schen Wirkungen gegenseitig verstärken. 223 LINKSEXTREMISMUS 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen Die von den Verlagen und Vertriebsdiensten herausgegebenen Zeitungen, Zeitschriften und sonstigen Publikationen mit zumin dest teilweise linksextremistischen Inhalten werden nahezu aus nahmslos auch auf entsprechenden Homepages veröffentlicht. Auf diese Weise verliert das eigentliche Printmedium im links extremistischen Spektrum zunehmend an Bedeutung. Die wenigen organisationsunabhängigen Publikationen werden nur noch in einer geringen Auflagenhöhe herausgegeben und haben demzufolge nur einen begrenzten Verbreitungsgrad. Tageszeitung Das derzeit noch bedeutendste und auflagenstärkste Printme "junge Welt" (jW) dium im Linksextremismus ist die traditionskommunistisch aus gerichtete Tageszeitung "junge Welt" (jW) mit jährlich 1,6 Millio nen verkauften Exemplaren. Die tägliche Auflagenhöhe liegt bei etwa 17.000 Exemplaren.162 Nach eigenen Angaben erreicht die Zeitung täglich bundesweit rund 50.000 Leserinnen und Leser. Ihre Internetausgabe verzeichne monatlich rund fünf Millionen Seitenaufrufe.163 Die früher von der SEDJugendorganisation "Freie Deutsche Jugend" (FDJ) herausgegebene Zeitung erscheint heute im eigen ständigen "Verlag 8. Mai GmbH" mit Sitz in Berlin. Haupteigen tümerin ist die "Linke Presse Verlags, Förderungs und Beteili gungsgenossenschaft junge Welt e.G." (LPG junge Welt eG), der im November 2012 insgesamt 1.342 "Genossinnen und Genossen" angehörten.164 Die jW pflegt ein explizit "linkes, marxistisch orientiertes" Selbst verständnis. Sie verunglimpft die freiheitliche demokratische Grundordnung pauschal als "Kapitalismus", den sie in einer "Phase der Zuspitzung wirtschaftlicher und sozialer Widersprü che" sieht. Die jW unterstütze "den Kampf für (gesellschaftliche) Alternativen, den Dialog und die Vernetzung zwischen den ver schiedenen Strömungen der Linken".165 162 jW Nr. 40, 16./17. Februar 2008, S. 16. 163 Homepage jW (3. Dezember 2012). 164 Homepage jW (27. November 2012). 165 Homepage jW (3. Dezember 2012). 224 LINKSEXTREMISMUS Einzelne Redaktionsangehörige der jW und ein nicht unerheb licher Teil der Stamm und Gastautoren sind dem linksextre mistischen Spektrum zuzurechnen. Diesen Personen bietet die Zeitung ein Forum zur Verbreitung revolutionären Gedankengu tes. Selbst gegenüber eindeutig gewaltbereiten Linksextremisten bestehen seitens der jW keine Vorbehalte. So fand sich etwa in der OnlineAusgabe der Zeitung vom 26. September 2012 unter der Überschrift "Revolutionäre Subversion" ohne jeglichen distanzie renden Kommentar das Bekennerschreiben zu einer Sachbeschä digung an dem Wohnhaus der Hamburger Justizsenatorin (vgl. Kap. II, Nr. 3.1). Im abgedruckten "Bekennerschreiben" nahmen die Täter Bezug auf den Prozessauftakt gegen zwei mutmaßliche Angehörige der früheren terroristischen "Revolutionären Zellen" (RZ) vor dem Landgericht (LG) Frankfurt am Main (Hessen) und bekundeten nicht nur Solidarität mit den beiden Angeklagten, sondern auch unverhohlene Sympathie für den "umfangreichen Erfahrungsschatz revolutionärer Theorie und Praxis von RZ und Roter Zora", den es "gegen jegliche Kriminalisierung" zu verteidi gen gelte.166 Die maßgeblich von der jW unter dem Motto "Wir verändern die Welt" veranstaltete "XVII. Internationale RosaLuxemburgKon ferenz" am 14. Januar 2012 in Berlin zählte rund 1.700 Besucher, darunter auch mehrere Vertreter ausländischer kommunistischer Parteien. Der weitere Fortbestand der jW ist aufgrund finanzieller Probleme ungewiss.167 166 Homepage jW (26. September 2012). 167 Homepage jW (3. November 2012). 225 226 Islamismus/ islamistischer Terrorismus 227 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick 1. Ideologie Islamisten missDer Islamismus in Deutschland ist kein einheitliches Phänomen. brauchen den Islam Allen Ausprägungen gemeinsam ist der Missbrauch der Religion für politische Ziele für politische Ziele und Zwecke durch Islamisten. Islamistische Ideologie geht von einer göttlichen Ordnung aus, der sich Gesellschaft und Staat unterzuordnen haben. Dieses "Islam"Verständnis steht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Verletzt werden dabei vor allem die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Reli gion, der Volkssouveränität, der Gleichstellung der Geschlechter sowie der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung. Islamismus Die verschiedenen Ausprägungen des Islamismus unterscheiden in Deutschland sich auch in den Mitteln, mit denen sie ihre Ziele verfolgen. Grup nicht einheitlich pierungen wie die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) lehnen Gewalt ab. Sie versuchen mit politischen Mitteln, ihren Mitgliedern ein nach ihrer Interpretation islamkonformes Leben in Deutschland zu ermöglichen. Organisationen wie die HAMAS und die "Hizb Allah" dagegen, die stark auf ihre Her kunftsregionen ausgerichtet sind, befürworten Gewalt als ein mögliches Mittel und wenden diese dort auch an. Die auch "Jihadisten" genannten islamistischen Terroristen, die z.B. für "alQaida" oder ihre regionalen Ableger kämpfen, propagieren und praktizieren terroristische Gewalt als das einzige Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. Salafismus - eine Eine besonders radikale Strömung innerhalb des Islamismus stellt besonders radikale der Salafismus dar. Salafisten versuchen, den Islam der ersten drei Strömung Generationen von Muslimen, den sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (assalaf assalih), unverändert in der heutigen Zeit zu praktizieren. Das salafistische Spektrum in Deutschland reicht von politischen Salafisten, die Gewalt - zumindest in Deutschland - ablehnen, bis hin zu "jihadistischen" Salafisten, die Gewalt global befürworten und diese auch einsetzen. 228 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2. Entwicklungen im Islamismus/islamistischen Terrorismus Die islamistische Szene besteht aus verschiedenen Strukturen, die Bedrohungslage stark miteinander vernetzt sind. Hieraus resultieren Gefahren für allgemein die innere Sicherheit, die jederzeit in Form von Anschlägen unter schiedlicher Dimension und Intensität real werden können. Das Spektrum islamistischterroristischer Strukturen in Deutschland reicht von Netzwerken gewaltbereiter Islamisten, die in enger Beziehung zu "jihadistischen" Organisationen im Ausland stehen, über weitgehend autonom operierende Kleinst gruppen bis hin zu Einzeltätern, die sich - zum Teil in rasanter Geschwindigkeit über das Internet - selbst radikalisieren und Anschläge selbstständig planen. Dass Deutschland weiterhin im Fokus islamistischterroristischer Bestrebungen liegt, wurde in 2012 u.a. an folgenden Entwicklun gen deutlich: Am 25. Juli 2012 begann vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf Gefährdung durch (NordrheinWestfalen) der Prozess gegen vier Mitglieder der soge "al-Qaida" nannten Düsseldorfer Zelle, die u.a. wegen des Verdachts der Mit am Beispiel der gliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung "Düsseldorfer Zelle" "alQaida" angeklagt wurden. Einem der Angeklagten wird vorge worfen, im Januar 2010 von Deutschland aus in ein Lager von "alQaida" im afghanischpakistanischen Grenzgebiet gereist zu sein, um dort im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult zu werden. Im Mai 2010 sei er im Auftrag der "alQaida"Führung nach Deutschland zurückgekehrt und habe die Mitangeklagten für ein Anschlagsvorhaben rekrutiert (vgl. Kap. II, Nr. 1). Im Jahr 2012 hat die Anzahl der Reisebewegungen von Personen Reisebewegungen aus dem islamistischen Spektrum in Deutschland in Richtung Afghanistan/Pakistan stark abgenommen. Die Region gilt wegen des erhöhten Verfolgungsdrucks mittlerweile als zu risikoreich. Auch Reisen nach Somalia konnten nur vereinzelt festgestellt werden. Die geringere Anzahl von Ausreisen ist auch auf die anhaltenden Maßnahmen der Sicherheitsbehörden zurückzufüh ren, Ausreisen von Personen aus dem islamistischen Spektrum in Deutschland zu verhindern. 229 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Verstärkte Reisebewegungen fanden jedoch in Richtung Ägypten statt. Neben dem Wunsch, in einem islamischen Land zu leben und die arabische Sprache zu erlernen, besteht vereinzelt die Absicht, über Ägypten in ein terroristisches Ausbildungslager oder in ein "Jihad"Gebiet weiterzureisen (vgl. Kap. II, Nr. 1). Eine weitere Ursache für vermehrte Reisen nach Ägypten ist in der Ausreise eines führenden salafistischen Propagandisten aus Deutschland nach Ägypten zu sehen, der über die Vereinigung "Millatu Ibrahim" "jihadistische" Propaganda verbreitete und für viele seiner Anhänger eine Vorbildfunktion ausübt (vgl. Kap. II, Nr. 1 und Kap. III). Salafismus Der Salafismus ist sowohl in Deutschland wie auch auf internatio naler Ebene die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Er verzeichnet in Deutschland weiterhin steigende Anhängerzahlen. Die Propaganda wird insbesondere über das Internet verbreitet, erfolgt aber auch durch sogenannte Islamseminare und öffent lichkeitswirksame Kampagnen (vgl. Kap. III). MuhammadAkteure des politischen Salafismus vermeiden nach wie vor offene Karikaturen Aufrufe zur Gewalt. Die gewalttätigen Ausschreitungen Anfang Mai 2012 in NordrheinWestfalen gegen das Zurschaustellen der MuhammadKarikaturen des Dänen Kurt Westergaard während der Wahlkampftour der "Bürgerbewegung pro NRW" haben allerdings gezeigt, welches Gewaltpotenzial, das sich anlassabhän gig entladen kann, vorhanden ist. Mit erneuten gewalttätigen Aktionen salafistischer Akteure muss insbesondere gerechnet werden, wenn islamkritische bzw. islamfeindliche Positionen öffentlichkeitswirksam in Deutschland vertreten werden (vgl. Kap. III). Islamfeindlicher Film Am 11. September 2012 wurde im Internet ein Trailer zu dem islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" veröffentlicht. Der Film zeichnet ein verächtliches Bild des Propheten und stellt den Islam als eine Gefahr für alle Nichtmuslime dar. In der Folge kam es weltweit zu Protesten. Demonstranten stürmten am 14. September 2012 die Deutsche Botschaft in der sudanesischen Hauptstadt Khartum. 230 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Diverse "jihadistische" Gruppierungen und Prediger haben den Trailer zum Anlass genommen, zur Gewalt gegen den "Westen" und westliche Einrichtungen weltweit aufzurufen. So bezeichnete der Generalsekretär der "Hizb Allah" den Film als bisher schlimmsten Angriff auf den Propheten. Im September 2012 fanden in mehreren deutschen Städten Demons trationen von "Hizb Allah"Anhängern statt, die weitgehend störungsfrei verliefen (vgl. Kap. III; Kap. IV, Nr. 1 und Kap. V). Die Produzenten von (Internet)Propaganda sowie führende isla Propaganda und mistische und "jihadistische" Aktivisten nutzen das entstandene Radikalisierung Emotionalisierungspotenzial beispielsweise nach einer islamfeind lichen Veröffentlichung, um die Radikalisierung von Muslimen voranzutreiben. Derartige Ereignisse werden darüber hinaus als Legitimationsgrundlage für ihre Ideologie verwendet (vgl. Kap. V). Mit Verfügung vom 29. Mai 2012 hat der Bundesminister des Vereinsverbote Innern die salafistisch"jihadistische" Vereinigung "Millatu Ibrahim" verboten und vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren gegen die ebenfalls salafistischen Vereine "DawaFFM" und "Die Wahre Religion" (DWR) eingeleitet (vgl. Kap. II, Nr. 1 und Kap. III). Die am 14. Juni 2012 erfolgten Durchsuchungsmaßnahmen wur den im Internet polemisch als Ausdruck des Kampfes gegen die Muslime und den Islam dargestellt (vgl. Kap. V). Auch im Jahr 2012 versuchte die IGD, durch Veranstaltungen wie "Islamische Gemeindie Jahreskonferenz im Juni oder die Kampagne "Auf gute Nach schaft in Deutschland barschaft" zum Ramadan, ihren Führungsanspruch innerhalb der e.V." (IGD) nichttürkischen muslimischen Gemeinschaft in Deutschland zu unterstreichen. Die seit dem Jahr 2011 anhaltenden verstärkten Aktivitäten der IGD zeigen, dass der "Arabische Frühling" und der Machtzuwachs der "Muslimbruderschaft" (MB) einschließlich Regierungsbetei ligungen in arabischen Ländern zu einer erhöhten Motivation und einem erhöhten Engagement ihrer Anhänger in Europa bzw. Deutschland geführt haben (vgl. Kap. IV, Nr. 8). Die IGMG - mitgliederstärkste türkische Gruppierung in "Islamische GemeinDeutschland (31.000 Mitglieder/Anhänger) - befindet sich in einer schaft Milli Görüs personellen und strukturellen Umbruchphase. Der Vorsitzende ist e.V." (IGMG) 231 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS bemüht, die Arbeit der IGMG zu professionalisieren und das Profil der Organisation religiöser auszurichten. Dementsprechend kon zentriert er sich auf den Ausbau der religiösen Bildungsarbeit. Dies könnten erste konkrete Anzeichen dafür sein, dass die IGMG tatsächlich bestrebt ist, ihre Position neu zu definieren und ihre Verbindungen zur "Milli Görüs"Bewegung in der Türkei zu lockern. Gleichwohl fehlt es für eine weiterreichende Loslösung nach wie vor an eindeutigen Signalen (vgl. Kap. IV, Nr. 9). 3. Organisationen und Personenpotenzial Ende 2012 gab es 30 (2011: 30) bundesweit aktive islamisti sche Organisationen. Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland ist von 38.080 (2011) auf 42.550 gestiegen. Der Anstieg beruht insbesondere auf der erstmaligen Einrechnung der den salafistischen Bestrebungen zugeordneten Mitglieder/Anhän ger (4.500) in das Gesamtpotenzial. Zu den in Deutschland in internationale "jihadistische" Netzwerke eingebundenen Personen liegen keine gesicherten Zahlen vor. 232 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Islamismuspotenzial1 Organisationen2 2010 2011 2012 "Al-Qaida" keine gesicherkeine gesicherkeine gesicherund affiliierte terroristische Organisationen ten Zahlen ten Zahlen ten Zahlen Islamistisch-kurdische Netzwerke/ keine gesicherkeine gesicherkeine gesicher"Ansar al-Islam" (AAI) ten Zahlen ten Zahlen ten Zahlen "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) keine gesicherkeine gesicherkeine gesicherten Zahlen ten Zahlen ten Zahlen "Islamische Jihad-Union" (IJU) keine gesicherkeine gesicherkeine gesicherten Zahlen ten Zahlen ten Zahlen "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA) 200 200 200 "Boko Haram" noch nicht noch nicht keine gesicheraufgeführt aufgeführt ten Zahlen Salafistische Bestrebungen keine gesicherkeine gesicherten Zahlen ten Zahlen (ca. 3.800) 4.500 "Hizb Allah" 900 950 950 "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" (HAMAS) 300 300 300 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) 500 500 500 "Türkische Hizbullah" (TH) 350 350 350 "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 300 300 300 "Tablighi Jama'at" (TJ) 700 700 700 "Islamisches Zentrum Hamburg e.V." (IZH) keine gesicherkeine gesicherkeine gesicherten Zahlen ten Zahlen ten Zahlen "Muslimbruderschaft" (MB) 1.300 1.300 1.300 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 30.000 31.000 31.000 Sonstige 3 2.920 2.480 2.450 Summe 37.470 38.080 42.550 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Die Reihenfolge der Auflistung ist geordnet von terroristischen Organisationen bis zu Organisationen, die auf Gewalt verzichten. 3 Weitere Organisationen, deren Mitglieder und Anhängerzahlen im Islamismuspotenzial zu berücksichtigen sind. 233 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS II. Internationaler islamistischer Terrorismus 1. Aktuelle Entwicklungen Der internationale islamistische Terrorismus ist eine massive Bedrohung für die internationale Staatengemeinschaft und stellt für die innere Sicherheit Deutschlands - trotz zahlreicher Fahn dungserfolge - weiterhin eine der größten Gefahren dar. Auch nach dem Tod des "alQaida"Gründers Usama Bin Ladin im Mai 2011 verfolgt die Organisation unter seinem Nachfolger Aiman alZawahiri weiterhin ihre Hauptziele: Das Zurückdrängen westlichen Einflusses auf muslimische Länder sowie den Sturz der nach Ansicht von "alQaida" unislamischen Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika, um letztendlich an den Grundsätzen der Scharia ausgerichtete, islamische Gottes staaten zu errichten. Die mit dem "Arabischen Frühling" einhergehende Destabilisie rung der Sicherheitsstrukturen in Ländern wie Tunesien, Ägypten und Syrien bildet dabei einen guten Nährboden für die Etablie rung terroristischer Strukturen. Diese Entwicklung versucht sich "alQaida" zunutze zu machen und ihren Einfluss in diesen Regi onen auszubauen. Entwicklungen Im Jahr 2012 hat die Anzahl der Reisebewegungen von Personen in Deutschland aus dem islamistischen Spektrum in Deutschland in Richtung Afghanistan/Pakistan stark abgenommen. Die Region gilt wegen des erhöhten Verfolgungsdrucks mittlerweile als zu risikoreich. Auch Reisen nach Somalia konnten nur vereinzelt festgestellt werden. Die geringere Anzahl erfolgter Ausreisen ist auch auf die anhaltenden Bestrebungen der Sicherheitsbehörden zurückzu führen, Ausreisen von Personen aus dem islamistischen Spektrum in Deutschland zu verhindern. Verstärkte Reisebewegungen fanden jedoch in Richtung Ägypten statt. Die Anzahl der Ausreisen lag im Jahr 2012 im mittleren zweistelligen Bereich. Neben dem Wunsch, in einem islamischen Land zu leben und die arabische Sprache zu erlernen, besteht vereinzelt die Absicht, über Ägypten in ein terroristisches Ausbil dungslager oder in ein "Jihad"Gebiet weiterzureisen. 234 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Eine Ursache für vermehrte Reisen nach Ägypten ist in der Aus reise des Propagandisten Mohamed Mahmoud zu sehen, der über die Vereinigung "Millatu Ibrahim" (vgl. Kap. III) "jihadistische" Propaganda verbreitete und für viele Anhänger eine Vorbildfunk tion ausübt. Aus den Aktivitäten des Vereins wurde dessen aggres sivkämpferische Grundhaltung deutlich. In einem Video vom 16. Januar 2012 diskreditierte einer der Gründer und Repräsentanten von "Millatu Ibrahim" die verfassungsmäßige Ordnung und pries die Scharia als "Medizin gegen die Krankheit Demokratie": "Die Leute, die die Gesetze machen, die sind die Schlimmsten. (...) Wie kann ich auf so 'ne Leute ihre Gesetze hören. (...) Und diese anderen Politiker, die sind alle Dreck. Haben nichts anderes zu tun, als Muslime zu unterdrücken, die Muslime schlecht zu machen. (...) Wir sind die Medizin. Der Islam ist die Medizin. Die Scharia ist die Medizin gegen die Krankheit Demokratie und Integration und diese westliche Ideologie. Und daher rufe ich zu (...) Jihad auf." (Salafistisch-"jihadistischer" YouTube-Kanal, 16. Januar 2012) Die aggressivkämpferische Grundhaltung des Vereins mani festierte sich auch in Aussagen und Reaktionen anlässlich der gewaltsamen Ausschreitungen am 1. Mai 2012 in Solingen und am 5. Mai 2012 in Bonn (beide NordrheinWestfalen). In einem Video vom 12. Mai 2012 veröffentlichte ein Reprä sentant der Vereinigung ein Video von "Millatu Ibrahim" mit einem "Nasheed" ("rhythmischer Kampfgesang") mit dem Titel "Labbayk" ("zu Diensten"): "Das Leben hat für uns keinen Wert, wenn der Prophet beleidigt wird. (...) Kein Zweifel, der Islam wird herrschen, und der Sieg ist schon sehr nah. (...) Deutschland wurde gewarnt, doch haben sie es ignoriert. (...) Wir warnen euch, Pro-NRW! Gebt acht, wenn ihr nachts schlafen geht. (...) In Deutschland lassen wir den Boden beben, das nur für Allah. (...) Demokratie, die größte Lüge (...) bekämpfen wir." ("Jihadistischer" Internetblog, 12. Mai 2012) 235 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Das mit Bildern und Videosequenzen der o.g. gewaltsamen Aus schreitungen unterlegte Video glorifizierte die Ausschreitungen und hob sie in den Rang eines religiös verbindlich vorgeschriebe nen Kampfes gegen den demokratischen Rechtsstaat und seine Institutionen zur Verteidigung der Religion. "Millatu Ibrahim" rechtfertigte damit Gewalt als Mittel der politischen Auseinander setzung. Der Bundesminister des Innern hat die Vereinigung mit Verfü gung vom 29. Mai 2012 wegen Bestrebungen gegen die verfas sungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständi gung verboten. Mahmoud war bereits im April 2012 nach Ägypten ausgereist. Festnahmen und Am 10. Februar 2012 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt Verurteilungen am Main (Hessen) den kosovarischserbischen Attentäter des Frankfurter Flughafenanschlags vom 2. März 2011 wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in drei Fällen zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Das Gericht stellte u.a. fest, dass der Angeklagte einen islamistisch motivierten Anschlag auf eine Gruppe USamerikanischer Soldaten verübt und dabei zwei USamerikanische Soldaten getötet und zwei weitere schwer ver letzt hat. Seine Taten seien Ausdruck einer durch "jihadistische" Propaganda hervorgerufenen radikalislamistischen Einstellung. Der Angeklagte sei am 1. März 2011 im Internet auf ein "jihadisti sches" Propagandavideo über angebliche Vergewaltigungen mus limischer Frauen durch ausländische Soldaten gestoßen. Dies habe bei ihm den Entschluss ausgelöst, am Frankfurter Flughafen möglichst viele USamerikanische Soldaten mit dem Einsatzziel Afghanistan zu töten. Es handelte sich um den ersten islamistisch motivierten terroristischen Anschlag in Deutschland. Am 27. März 2012 verurteilte das Oberlandesgericht Schleswig (SchleswigHolstein) einen deutschen Konvertiten zu einer Jugendhaftstrafe von drei Jahren und drei Monaten. Das Gericht stellte u.a. fest, dass der Angeklagte Propaganda für die ausländi schen terroristischen Vereinigungen "Islamische Bewegung Usbe kistans" (IBU, vgl. Kap. II, Nr. 3.2) und "Islamischer Staat Irak" (vgl. Kap. II, Nr. 2.2) über das Internet verbreitet und zum "individuel len Jihad" aufgerufen hatte. Dabei habe er sich gezielt an Deutsche gewandt. 236 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Am 22. Mai 2012 verurteilte das Oberlandesgericht Koblenz (RheinlandPfalz) eine Person mit deutscher und afghanischer Staatsangehörigkeit wegen Mitgliedschaft in zwei ausländischen terroristischen Vereinigungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Ange klagte zwischen April und Juli 2009 Mitglied der IBU war und sich im August 2009 "alQaida" angeschlossen hatte, der er bis zu seiner Festnahme im Juli 2010 in Kabul (Afghanistan) als Mitglied angehörte. Der Angeklagte soll von einem hochrangigen "alQai da"Mitglied dafür vorgesehen worden sein, in Deutschland an einem Netzwerk der Organisation mitzuwirken. Am 18. Juni 2012 wurde ein deutscher Staatsangehöriger aus Tansania nach Deutschland abgeschoben und bei seiner Ankunft am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) festgenommen. Der Beschuldigte ist u.a. dringend verdächtig, sich ab Mai 2010 als Mit glied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "alQaida" beteiligt zu haben. Er soll Anfang April 2010 von Deutschland in das afghanischpakistanische Grenzgebiet gereist sein und sich dort "alQaida" angeschlossen haben, um sich am gewaltsamen "Jihad" zu beteiligen. Zu seinen Aufgaben soll es gehört haben, Gelder zur Finanzierung von Munition und Waffen sowie zur Bezahlung von Selbstmordattentätern zu beschaffen. Nach einem seit Beginn des Jahres 2011 andauernden Aufenthalt in Somalia soll der Beschuldigte Anfang Mai 2012 von dort nach Kenia und anschließend nach Tansania gereist sein. Der Beschuldigte befin det sich seit dem 19. Juni 2012 in Untersuchungshaft. Am 25. Juli 2012 begann vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (NordrheinWestfalen) der Prozess gegen vier Mitglieder der soge nannten Düsseldorfer Zelle, die u.a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung "alQaida" angeklagt wurden. Die Angeklagten (ein marokkani scher Staatsangehöriger, eine Person mit deutscher und marok kanischer Staatsangehörigkeit, eine Person mit deutscher und iranischer Staatsangehörigkeit sowie ein deutscher Staatsange höriger) sollen im Auftrag der "alQaida"Führung geplant haben, einen Terroranschlag in Deutschland zu verüben. Laut Anklage soll einer der Beschuldigten im Januar 2010 von Deutschland aus in ein Lager von "alQaida" im afghanischpakistanischen Grenz gebiet gereist und dort im Umgang mit Waffen und Sprengstoff geschult worden sein. Im Mai 2010 sei er dann im Auftrag 237 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der "alQaida"Führung nach Deutschland gereist und habe die Mitangeklagten für ein Anschlagsvorhaben rekrutiert. Drei der Angeklagten waren am 29. April 2011 in Düsseldorf und Bochum (beide NordrheinWestfalen) festgenommen worden, der vierte Angeklagte am 8. Dezember 2011 in Bochum. Die Bundesanwaltschaft erhob am 19. September 2012 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (NordrheinWestfalen) Anklage gegen einen türkischen Staatsangehörigen wegen Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat Irak" und Werbung um Mitglieder oder Unterstützer für weitere ausländische terroristische Vereinigungen, darunter "alQaida" und IBU. Der Angeschuldigte soll laut Anklage von März 2009 bis Februar 2011 im Internet terroristische Anschläge, das "Märtyrer tum" und die "Mujahidin" verherrlicht haben, um Mitglieder und Unterstützer für ausländische terroristische Vereinigungen und deren gewaltsamen "Jihad" zu rekrutieren. So habe er im März 2009 in einem "jihadistischen" Internetforum ein Gewalt verherrlichendes Video über die Hinrichtung von 18 Mitarbeitern des irakischen Innenministeriums durch Mitglieder des "Islami schen Staates Irak" veröffentlicht. IslamistischDas islamistischterroristische Spektrum in Deutschland reicht terroristisches von Gruppierungen, die enge Beziehungen zu islamistischen Spektrum in Organisationen im Ausland haben, bis hin zu unabhängigen Deutschland Kleinstgruppen oder selbstmotivierten Einzeltätern. Eine organi satorische Anbindung an "alQaida" ist in den wenigsten Fällen gegeben. Insbesondere kleine islamistische Personengruppen agieren zwar oft im Sinne von "jihadistischen" Netzwerken bzw. lassen sich durch Aufrufe dieser Netzwerke inspirieren, sind aber hinsichtlich der Art und Weise ihres Handelns nicht "auftragsgebunden" und verfolgen somit einen selbstgestalteten "individuellen Jihad". Radikalisierung im Die Sicherheitsbehörden stehen vor besonderen Herausforderun Internet gen durch sich im Internet (vgl. Kap. V) selbstradikalisierende und motivierende Einzeltäter. Diese agieren teilweise unabhängig von Netzwerkstrukturen, sodass Anschlagspläne oder Vorbereitungs handlungen, auch wegen der zurückgezogenen Lebensweise die ser Personen, im Vorfeld nur schwer zu erkennen sind. 238 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Besondere Bedeutung kommt Strukturen zu, die sich aus radi "Homegrown"kalisierten Personen der zweiten und dritten Einwanderergenera Netzwerke tion sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Obwohl die Personen, die zu diesem Täterspektrum gehören, zumeist in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen sind, stehen sie dem hiesigen Wertesystem feindlich gegenüber. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist die Ausrichtung an der globalen "alQaida"Ideologie. "Homegrown"Strukturen stellen die Sicher heitsbehörden vor besondere Herausforderungen, zumal der Anteil von Netzwerken, deren Mitglieder überwiegend "Home grown"Kriterien erfüllen, auch in Deutschland in den vergange nen Jahren stetig gewachsen ist. In Deutschland spielen Jugendliche im Bereich des islamistisch Jugendlichkeit motivierten Terrorismus eine immer größere Rolle. Zum einen "jihadistisch" motierfolgt der Einstieg in diese Szene in der Regel im jugendlichen vierter Akteure Alter. Zum anderen zeichnete sich in den letzten Jahren eine Abnahme des Altersdurchschnitts der "jihadistischen" Akteure ab. Jugendliche dieses Spektrums werden von der Öffentlichkeit verstärkt wahrgenommen und fallen auch durch verbalradikali sierende Äußerungen stärker auf. Sie sind gleichzeitig in höherem Maße Ziel islamistischterroristischer Propaganda. Das Internet hat bei Jugendlichen einen hohen Stellenwert und spielt daher auch für islamistischterroristisch motivierte Jugend liche eine zentrale Rolle. Es verhilft zum Einstieg in die Szene. Einfach, schnell, kostengünstig und zunächst anonym kann der Kontakt zur Szene aufgebaut werden. Einen allgemeingültigen Radikalisierungs und Rekrutierungsver Radikalisierungslauf gibt es nicht. Art und Gewichtung radikalisierungsfördernder prozesse Faktoren (z.B. soziale Situation, kulturelle Herkunft und Persön lichkeitsstruktur) unterscheiden sich z.T. erheblich. Zwar gehen Radikalisierungsprozesse einer möglichen Rekrutierung voraus, sie führen aber nicht zwangsläufig zu terroristischen Aktivitäten. Personen, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert bzw. Terroristische aktiv an paramilitärischen Kampfhandlungen teilgenommen Ausbildungslager haben, stellen bei einer Wiedereinreise nach Deutschland ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Von diesem Personenkreis kön nen sicherheitsgefährdende Aktivitäten drohen bzw. bei Verbleib 239 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS in der Region Gefährdungen deutscher oder ausländischer Inter essen ausgehen. Das Kammergericht Berlin verurteilte am 13. Dezember 2012 einen deutschen Staatsangehörigen wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung "Deutsche Taliban Mujahideen" in Tateinheit mit Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Das Gericht stellte fest, dass der Ange klagte Mitglied der "Deutschen Taliban Mujahideen" war. Er habe eine Ausbildung im Umgang mit Schusswaffen und Sprengstoff zum Zwecke der Begehung von Anschlägen erhalten. Darüber hinaus habe er in zwei Internetbotschaften den gewaltsamen "Jihad" verherrlicht und um Unterstützung für die "Deutschen Taliban Mujahideen" geworben. Bei den "Deutschen Taliban Mujahideen" handelte es sich um eine kleine Gruppierung, die vor allem aus deutschen Konverti ten, DeutschTürken und Türken bestanden hatte. Nach eigenem Bekunden rechneten sich die "Deutschen Taliban Mujahideen" zu den "Taleban"; eine entsprechende Bestätigung der "Taleban" erfolgte jedoch nie. Die "Deutschen Taliban Mujahideen" traten erstmalig im September 2009 in einem von der "Medienstelle Elif Medya" produzierten Video öffentlich auf. Seit April 2010 konnten keine neuen Veröffentlichungen der Gruppierung festgestellt werden. Am 28. April 2010 wurden der Gründer und Anführer der "Deutschen Taliban Mujahideen" sowie ein weiteres Gründungs mitglied, ein deutscher Konvertit, bei einem Feuergefecht mit pakistanischen Sicherheitskräften getötet. Daraufhin zerstreute sich die ohnehin mitgliederschwache Splittergruppe. Den Sicherheitsbehörden des Bundes liegen derzeit Informa tionen zu insgesamt rund 235 Personen mit Deutschlandbe zug (deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund bzw. Konvertiten sowie Personen mit anderer Staatsangehörigkeit, die sich in Deutschland aufhalten bzw. aufgehalten haben) und islamistischterroristischem Hintergrund vor, die seit Beginn der 1990er Jahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben sol len bzw. eine solche beabsichtigten. Zu rund 100 dieser 235 Perso nen existieren konkrete Hinweise, die für eine absolvierte parami litärische Ausbildung bzw. die Beteiligung an Kampfhandlungen in Krisenregionen sprechen. Es ist davon auszugehen, dass sich 240 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS mehr als die Hälfte dieser 100 Personen wieder in Deutschland aufhält. Die Motive zur Ausreise in den "Jihad" sind dabei vielgestaltig. Sie können sowohl religiöse oder politische Gründe enthalten, aber auch Abenteuerlust oder Frustration. Meistens liegt ein Motiv bündel vor, das dem Einzelnen nicht immer bewusst ist. Schließ lich kann auch entsprechende Internetpropaganda dazu führen, einen latent vorhandenen Ausreisewunsch in die Tat umzusetzen. Ausreisen nach Ägypten sind wegen der dortigen Infrastruktur, den politischen Verhältnissen und wegen der Möglichkeit, von dort in andere "Jihad"Gebiete zu gelangen, zurzeit attraktiv. Der islamistische Terrorismus ist nach wie vor männlich domi Frauen in niert. Allerdings ist eine zunehmende Einbindung von Frauen in islamistischislamistischterroristische Strukturen festzustellen, insbesondere terroristischen in Unterstützernetzwerken im Internet. Das Internet dient ihnen Strukturen in als Radikalisierungs, Wissens und Propagandamedium sowie als Deutschland Kommunikationsplattform. Vereinzelt äußern auch junge Frauen den Wunsch, die "Mujahidin" aktiv in "Jihad"Gebieten zu unter stützen; sie stellen jedoch bislang noch eine Minderheit dar. Die Aktivitäten der Frauen beschränken sich in der Regel auf das Sammeln von Spenden und auf Propaganda für den gewaltsamen "Jihad". In den letzten Jahren konnte ein Trend festgestellt werden, wonach sich die aktive Unterstützung des "Jihad" durch Frauen in InternetNetzwerken voraussichtlich verstärken und weiterent wickeln wird (vgl. Kap. V). Am 16. Februar 2012 verurteilte ein Gericht in Detroit (USA) einen Entwicklungen in nigerianischen Staatsangehörigen zu einer lebenslangen Frei Europa und weltweit heitsstrafe. Der Angeklagte hatte versucht, am 25. Dezember 2009 ein Flugzeug der Delta Air Lines mit 278 Menschen an Bord auf dem Flug von Amsterdam (Niederlande) nach Detroit zu spren gen. Zu dem versuchten Anschlag hatte sich "alQaida auf der Ara bischen Halbinsel" (AQAH) am 28. Dezember 2009 im Internet bekannt (vgl. Kap. II, Nr. 2.4). Am 11., 15. und 19. März 2012 tötete ein französischer Islamist bei drei Anschlägen im Großraum Toulouse (Frankreich) sieben Menschen, darunter drei Kinder und einen Lehrer einer jüdischen Schule. Als Motive für seine Taten gab er das Schicksal palästi nensischer Kinder, das französische Engagement in Afghanistan 241 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und das in Frankreich geltende Verschleierungsverbot an. Der Attentäter wurde am 22. März 2012 nach 32stündiger Belagerung seiner Wohnung von französischen Polizisten erschossen. Diese Anschläge verdeutlichten erneut die von radikalisierten Einzelpersonen aus dem "Homegrown"Spektrum ausgehende Gefahr. Am 4. Juni 2012 verurteilte ein Gericht in Kopenhagen (Dänemark) drei schwedische Staatsangehörige arabischer Her kunft und einen tunesischen Staatsangehörigen zu Freiheitsstra fen von jeweils zwölf Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten am 29. Dezember 2010 die Redaktionsräume der dänischen Zeitung JyllandsPosten in Kopenhagen gestürmt hatten und deren Mitarbeiter ermorden wollten. Die erstmals im September 2005 in der Zeitung veröffentlichten Karikaturen über den Propheten Muhammad hatten massive - in der islamischen Welt z.T. gewalttätige - Proteste ausgelöst. JyllandsPosten war seither mehrfach das Ziel von Anschlägen bzw. Anschlagsver suchen. Lage in Afghanistan Afghanistan blieb als Schauplatz des islamistischen Terrorismus und an anderen auch im Jahr 2012 von Bedeutung. Deutsche Interessen im In "Jihad"-Schauplätzen und Ausland stehen trotz des angekündigten Abzugs der Bundes wehr aus Afghanistan weiterhin im Zielspektrum des islamisti schen Terrorismus (vgl. Kap. V). Bei Kämpfen und terroristischen Angriffen wurden zahlreiche Menschen getötet, darunter in den vergangenen Jahren auch Angehörige der Bundeswehr. Bereits seit 2005/2006 verüben ins besondere die "Taleban" Anschläge auf die multinationalen Trup pen, die im Rahmen der "International Security Assistance Force" (ISAF) unter Führung der NATO den Wiederaufbau in Afghanistan unterstützen. Im Rahmen der sogenannten Frühjahrsoffensive der "Taleban" kam es am 15. und 16. April 2012 zu koordinierten Angriffen im Stadtzentrum von Kabul (Afghanistan) und anderen Landesteilen. In Kabul wurde das Botschafts und Regierungsviertel attackiert und u.a. die Deutsche Botschaft beschädigt. Bei den Angriffen sol len 48 Menschen ums Leben gekommen sein, darunter drei Zivi listen. Gleichzeitig befreiten mutmaßliche "Taleban"Mitglieder 242 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS in Pakistan, nahe der Grenze zu Afghanistan, mehrere Hundert Insassen aus einem Gefängnis - darunter zahlreiche "Taleban". Am 22. Juni 2012 kamen bei einem Angriff der "Taleban" auf ein Ausflugshotel in der Nähe von Kabul (Afghanistan) mindestens 23 Menschen ums Leben. Neben den vier Angreifern wurden 15 Zivilisten - überwiegend Hotelgäste - und vier Sicherheits kräfte getötet. Mit derartigen Aktionen verfolgen die "Taleban" hauptsächlich den Zweck, eine größtmögliche mediale Aufmerk samkeit auf sich zu lenken. Im Vergleich zu den Vorjahren hat die afghanischpakistani sche Grenzregion als "Jihad"Gebiet jedoch an Bedeutung ver loren. "Jihadisten" aus Deutschland orientieren sich offenbar in Richtung anderer Gebiete, darunter Ägypten und Syrien. Insbe sondere Syrien entwickelte sich im Jahr 2012 zu einem neuen "Jihad"Schauplatz und gewinnt zunehmend an Bedeutung. Seit dem Ausbruch des gewaltsamen Konfliktes zwischen der syrischen Regierung und oppositionellen Kräften im März 2011 gilt Syrien zunehmend auch als Reiseziel für "jihadistisch" moti vierte Islamisten aus Europa. So führt u.a. die Medienpräsenz des Konfliktes zu einer hohen Aufmerksamkeit innerhalb des islamis tischen Spektrums. Auch Mali könnte sich in der Zukunft zu einem bedeutenden "Jihad"Schauplatz auch für "Jihadisten" aus Deutschland entwi ckeln. Bereits in der Vergangenheit wurde beobachtet, dass Mali in den Fokus militanter Islamisten gerückt ist. Nach einem Mili tärputsch in der südmalischen Hauptstadt Bamako im März 2012 eroberten islamistische Gruppierungen den Norden Malis. Im Januar 2013 intervenierte Frankreich mit der Entsendung von Soldaten nach Mali. 243 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2. "Al-Qaida" ("Die Basis") 2.1 Kern-"al-Qaida" Gründung: Mitte der 1980er Jahre Leitung: Aiman al-Zawahiri Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die von Usama Bin Ladin gegründete "alQaida" strebt weiterhin das Zurückdrängen westlichen Einflusses auf muslimische Länder sowie den Sturz ihrer Ansicht nach "unislamischer" Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika an. Die Destabilisierung der vorherrschenden Sicherheitsstrukturen im Zuge des "Arabischen Frühlings" in Ländern wie Tunesien, Ägypten und Syrien versucht sich "alQaida" zunutze zu machen. Um ihren Einfluss in diesen Regionen zu stärken, unterstützt die Organisation den Aufbau terroristischer Strukturen. Die Organisation verfügt weltweit über ein zahlenmäßig schwer zu schätzendes Potenzial von Anhängern, die sich der "alQaida"Ideologie verschrieben haben. Kennzeichen dieser Ideologie ist ein globaler Ansatz, der eine "Verteidigung der mus limischen Gemeinschaft gegen Ungläubige" vorgibt und westliche Gemeinschaften und ihre Werte militant ablehnt. Am 2. Mai 2011 wurde Bin Ladin, Gründer und Anführer von "alQaida", beim Zugriff durch USamerikanische Spezialeinhei ten in Abbottabad (Pakistan) getötet. Am 16. Juni 2011 benannte "alQaida" offiziell den vorherigen Stellvertreter Bin Ladins, alZawahiri, als dessen Nachfolger. Die operative Handlungsfähigkeit von "alQaida" wurde in den vergangenen Jahren durch den hohen Verfolgungsdruck gegen die Organisation deutlich geschwächt. Auch im Jahr 2012 sind Verluste von Führungspersonen und Mitgliedern zu verzeichnen. So wurde der stellvertretende "alQaida"Anführer Abu Yahya alLibi am 4. Juni 2012 bei einem Drohnenangriff in Pakistan getötet. 244 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Propaganda von "alQaida" wendet sich vermehrt an Ein zeltäter oder Kleinstgruppen, die dazu aufgerufen werden, "jiha distisch" motivierte Anschläge zu planen bzw. zu begehen. Eine formale oder kommunikative Anbindung an Kern"alQaida" ist nicht erforderlich. Die Tat oder die Vorbereitung erfolgt jedoch im Einklang mit der von "alQaida" propagierten Leitlinie. Auslöser sind dabei meist subjektiv als islamfeindlich empfundene Ereig nisse, Äußerungen oder Handlungen sowie "jihadistische" Inter netpropaganda oder auch Maßnahmen der Sicherheitsbehörden. Auch im Jahr 2012 gab es mehrere Erklärungen von Verlautbarungen "alQaida"Führern, insbesondere von alZawahiri. In der am im Internet 13. Februar 2012 in einem "jihadistischen" Internetforum festge stellten Videobotschaft "Vorwärts, Löwen von Syrien" warf alZawahiri der syrischen Regierung vor, einen "brutalen und skrupellosen Krieg" gegen die eigene Bevölkerung zu führen. Er lobte die hohe Opferbereitschaft, Standhaftigkeit und Tapferkeit der syrischen Bevölkerung. Ziel sei der Sturz des Regimes und die Errichtung eines islamischen Staates. AlZawahiri forderte das syrische Volk auf, "dem Westen", den USA, der Arabischen Liga, den Herrschern arabischer Länder und der Türkei nicht zu ver trauen. Am 11. September 2012 wurde in "jihadistischen" Internetforen eine Videobotschaft von alZawahiri mit dem Titel "Löwe des Wissens und des Jihad" festgestellt, in der er den Tod alLibis bestätigte und ihn als "vorbildlichen Gelehrten" bezeichnete. AlZawahiri kündigte an, der "Jihad" werde sich weiter ausbreiten und intensiver werden, je mehr "Mujahidin" getötet würden. Die Muslime in Libyen forderte er auf, den Tod alLibis zu rächen. In einer am 13. September 2012 in einem "jihadistischen" Inter netforum veröffentlichten Videobotschaft zur Erinnerung an die Anschläge vom 11. September 2001 begründete alZawahiri unter dem Titel "Die scheinende Sonne des Sieges über die siegende Gemeinschaft und die geschlagenen Kreuzzügler" die Anschläge mit der "Besatzung der islamischen Länder", insbe sondere Palästinas, durch die "Zionisten und Kreuzzügler". Die Schaffung eines "Gleichgewichts des Schreckens" sei Ziel der Anschläge gewesen. Die "Feinde des Islam" sollen wie die Mus lime leiden und ihrer Wirtschaft solle Schaden zugefügt werden. AlZawahiri rief die Muslime dazu auf, die "Schwäche der USA" 245 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS auszunutzen und die Demonstrationen für den Sturz der "Agen ten des Westens", insbesondere der "Regenten" auf der Arabischen Halbinsel und im Maghreb168, fortzusetzen. Bewertung Strukturen von "alQaida" in Deutschland sind nicht bekannt. Der fortgesetzte hohe Verfolgungsdruck im afghanischpakistanischen Grenzgebiet, das sich seit Jahren als Planungs und Ausbildungs stützpunkt für "alQaida" und assoziierte Gruppierungen etabliert hat, sowie die damit verbundenen personellen Verluste erschwe ren eine zentral ausgerichtete Führung durch Kern"alQaida". Von selbstradikalisierten Einzeltätern und weitgehend unabhängig agierenden Kleinstgruppen, die auf Grundlage der Ideologie von "alQaida" in Deutschland aktiv werden, geht jedoch weiterhin eine Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland aus. 2.2 "Al-Qaida im Irak"/"Islamischer Staat Irak" Gründung: Ende 2003 Leitung: Abu Bakr al-Baghdadi al-Husaini al-Qurashi Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Trotz der insgesamt verbesserten Sicherheitslage kam es im Irak weiterhin zu einer Vielzahl von Terroranschlägen. Insbesondere im Zentral und Nordirak halten die Spannungen zwischen ethni schen und konfessionellen Gruppierungen an. Die aktivste terroristische Gruppierung im Zentral und Südirak bleibt die von dem Jordanier Ahmad Fadil Nazal alKhalaila alias Abu Mus'ab alZarqawi gegründete sunnitischterroristische "alQaida im Irak". AlZarqawi war bei einem gezielten Luftangriff der USamerikanischen Streitkräfte am 7. Juni 2006 getötet wor den. Seit Oktober 2006 tritt "alQaida im Irak" nach außen unter der Bezeichnung "Islamischer Staat Irak" auf. 168 Maghreb umfasst im engeren Sinne die nordafrikanischen Staaten Tunesien, Algerien und Marokko; im weiteren Sinne auch Libyen und Mauretanien. 246 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Der Organisation konnten im Jahr 2012 zahlreiche Anschläge im Irak zugerechnet werden, die sich u.a. gegen Regierungseinrich tungen, Polizeistationen und religiöse Feierlichkeiten der schiiti schen Bevölkerung richteten. Am 21. Juli 2012 wurde die erste Audiobotschaft von Abu Bakr alBaghdadi als Emir des "Islamischen Staates Irak" über "jihadistische" Internetforen verbreitet, in der er die Rolle des "Islamischen Staates Irak" im Kampf gegen die "jüdische, christli che und schiitische Kampagne" hervorhob. Abu Bakr alBaghdadi erklärte, dass der "Krieg der USAmerikaner" gegen die Muslime verloren sei und drohte mit Anschlägen in den USA. Zudem kün digte er eine neue Phase im Kampf des "Islamischen Staates Irak" mit der Bezeichnung "Zerstörung der Mauern" an, die auch die Befreiung inhaftierter Kämpfer der Organisation zum Gegenstand haben werde. Abschließend rief er die Muslime weltweit dazu auf, sich dem "Islamischen Staat Irak" und dem gewaltsamen "Jihad" anzuschließen. Die Offensive wurde mit einer Angriffsserie am 23. Juli 2012 eröff net, die zeitlich koordiniert in 19 irakischen Städten durchgeführt wurde und 113 Tote sowie 250 Verletzte forderte. Am 25. Juli 2012 wurde in "jihadistischen" Internetforen eine auf den 23. Juli 2012 datierte "Erklärung zur ersten Welle der Operation 'Zerstörung der Mauern'" veröffentlicht, in der sich der "Islamische Staat Irak" zu der Anschlagsserie bekannte. Das "Kriegsministerium" habe dem Aufruf Folge geleistet, mit der Kampagne "Zerstörung der Mauern" eine neue Phase des "Jihad" einzuläuten, um die Gebiete, aus denen sich der "Islamische Staat Irak" zurückgezogen habe, zurückzuerobern. Bei einer landesweiten Anschlagsserie in 14 Städten am 9. September 2012 wurden mehr als 100 Menschen getötet und mindestens 360 verletzt. Neben den üblichen Schwerpunkten im Nord und Zentralirak betrafen die Anschläge nunmehr auch Gebiete im Süden des Landes. Ungeachtet des unvermindert hohen Verfolgungsdrucks erweist Bewertung sich die Organisation weiterhin als schlagkräftig. Es ist daher davon auszugehen, dass sie auch künftig schwerwiegende Anschläge im Irak begehen wird. 247 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Strukturen des "Islamischen Staates Irak" in Deutschland sind bislang nicht bekannt. 2.3 "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) Gründung: Ende der 1990er Jahre in Algerien Leitung: Abdalmalik Darduqal alias Abu Mus'ab Abdalwadud Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) hatte sich Ende der 1990er Jahre von der algerischen "Bewaffneten Islami schen Gruppe" ("Groupe Islamique Arme" - GIA) abgespalten. Die GSPC war im Jahr 2003 für die Entführung von 32 Touristen, dar unter 16 Deutsche, im Süden Algeriens verantwortlich. Nachdem sich die GSPC bereits seit Längerem um ideologische Annäherung an "alQaida" bemüht hatte, wurde ihr Beitritt zu "alQaida" am 11. September 2006 offiziell bekannt gegeben. Seit Januar 2007 nennt sich die Gruppierung "alQaida im islamischen Maghreb" (AQM). Die AQM ist die derzeit größte und aktivste islamistischterroris tische Organisation im Maghreb. Mit dem Anschluss an "alQaida" gingen eine Ausweitung der Anschlagsstrategien, u.a. Anschläge durch Selbstmordattentäter sowie eine Erweiterung des Zielspek trums auf ausländische Staatsbürger und Einrichtungen einher. Die Aktivitäten der AQM konzentrieren sich insbesondere auf Algerien und Mali, erstrecken sich jedoch auch auf zahlreiche wei tere nord und westafrikanische Staaten. Auch im Jahr 2012 führte die AQM Anschläge insbesondere gegen algerische Militär und Sicherheitskräfte durch. 248 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die AQM profitiert von den Umbrüchen im Norden Malis, die im Frühjahr 2012 durch eine Rebellion der Tuareg ausgelöst wur den. In Kooperation mit der "Bewegung für die Einheit und den Jihad in Westafrika" ("Mouvement pour l'Unicite et le Jihad en Afrique de l'Ouest" - MUJAO), einer Abspaltung der AQM, und der Gruppierung "Ansar alDin" kontrolliert die AQM weitgehend die Gebiete in Nordmali und strebt weiter in Richtung Süden. Die Eroberung weiterer Gebiete geht einher mit der Einführung der Scharia. Die Situation in Mali stellt eine bedrohliche Entwicklung für die Bewertung Sicherheitslage in der Region dar. Der einstige Rückzugsraum Nordmali wird für die AQM zunehmend zu einer Machtbasis. Im gesamten nördlichen Afrika muss weiterhin mit Anschlägen gegen westliche Ausländer bzw. Einrichtungen gerechnet werden. Es besteht darüber hinaus insbesondere in den an die Sahara angrenzenden Staaten die Gefahr, Opfer von Entführungen zu werden. Mehrere westliche Geiseln - darunter keine deutschen Staatsangehörigen - befinden sich weiterhin in der Gewalt von AQM. Strukturen der AQM in Deutschland sind bislang nicht bekannt. 2.4 "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) Gründung: Januar 2009 Leitung: Nasir Abdalkarim Abdallah al-Wuhaishi alias Abu Basir Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen "AlQaida im Jemen" (AQJ) galt noch im Jahr 2003 als weitge hend zerschlagen, erstarkte jedoch 2006 unter der Führung von alWuhaishi wieder und machte durch eine Reihe von Anschlä gen auf sich aufmerksam - insbesondere durch den Anschlag gegen die USamerikanische Botschaft in Sanaa (Jemen) am 17. September 2008, bei dem mindestens 16 Personen getötet wurden. 249 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Im Januar 2009 schlossen sich AQJ und "alQaida"Kräfte aus SaudiArabien zur "alQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) zusammen. Die bis dahin ausschließlich im Jemen aktive AQJ erweiterte hierdurch ihren terroristischen Aktionsradius auf SaudiArabien. Ziel der AQAH ist die Beseitigung ausländischer Einflüsse auf der Arabischen Halbinsel sowie der Kampf gegen die von ihr als unislamisch angesehenen Regierungen, z.B. in SaudiArabien. In einem Interview rechtfertigte alWuhaishi hierbei auch die Tötung von Touristen und westlichen Ausländern. Seit ihrer Gründung hat die AQAH ihre operative Handlungs fähigkeit mehrfach unter Beweis gestellt. Auch der internatio nale Luftverkehr war bereits mehrfach Anschlagsziel der AQAH. So bekannte sich AQAH zu der versuchten Sprengung eines Flugzeugs der Delta Air Lines mit 278 Menschen an Bord auf dem Flug von Amsterdam (Niederlande) nach Detroit (USA) am 25. Dezember 2009. Ebenso gehen die vereitelten Paketbomben anschläge auf Frachtflugzeuge Ende Oktober 2010 auf das Konto der AQAH. Im Mai 2012 gelang es den USamerikanischen Behörden, einen weiteren Anschlag auf ein Passagierflugzeug zu verhindern. Der für den Anschlag vorgesehene Sprengsatz konnte bereits im Vor feld sichergestellt werden. Nachdem im Jahr 2011 keine Anschläge bzw. Anschlagsversuche außerhalb des Jemen bekannt geworden sind, unterstreicht dieser erneute Versuch, dass AQAH an ihrer internationalen Strategie festhält. Im Juni 2010 erschien die erste Ausgabe des englischsprachigen OnlineMagazins "INSPIRE" der AQAH. Wesentlicher Bestandteil des Magazins ist die Rubrik "Open Source Jihad". Dort werden Muslime aufgerufen, mit einfachen Mitteln Anschläge in ihren westlichen Aufenthaltsländern zu begehen. So enthält die erste Ausgabe eine Anleitung zum Bombenbau. In der fünften Ausgabe vom März 2011 wird u.a. der Schuss waffenanschlag auf USamerikanische Soldaten am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) am 2. März 2011 thematisiert. Ein 21jähriger "mutiger kosovarischer 'Mujahid'" habe am Flughafen Frankfurt in Deutschland zwei amerikanische Soldaten getötet 250 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und zwei weitere verletzt. Er habe angegeben, von der Internet propaganda der "Mujahidin" inspiriert worden zu sein: "It was said that he was inspired by the internet works of the mujahidin." ("INSPIRE" Nr. 5, S. 6) An der Erstellung der ersten sieben Ausgaben des Magazins sollen maßgeblich Anwar alAulaqi und Samir Khan beteiligt gewesen sein, die beide am 30. September 2011 im Jemen getötet wurden. Der in den USA geborene alAulaqi, jemenitischer und USameri kanischer Staatsangehöriger, war von 1996 bis 2000 als Imam an einer Moschee in San Diego (USA) tätig und soll dort in Kontakt zu zwei späteren Attentätern des 11. September 2001 gestanden haben. AlAulaqi war insbesondere aufgrund seiner englischen Sprachkenntnisse ein wichtiger Propagandist der AQAH. Neben "INSPIRE" veröffentlichte er eine Vielzahl von Videobotschaften im Internet, in denen er u.a. zum "Jihad" gegen die USA aufrief. Nach dem Tod von alAulaqi und Khan erschien es zunächst ungewiss, ob weitere Ausgaben von "INSPIRE" folgen würden. Im Mai 2012 erschienen jedoch zeitgleich die achte und neunte Ausgabe, wobei die achte Ausgabe auf den Herbst 2011 datiert war. Neben ihren internationalen Aktivitäten begeht AQAH auch wei terhin Anschläge im Jemen, wobei sie zumeist unter ihrem alter nativen Namen "Ansar alSharia" auftritt. So kamen bei einem Selbstmordanschlag der Organisation auf jemenitische Streit kräfte in Sanaa (Jemen) am 21. Mai 2012 etwa 100 Menschen ums Leben. Auf der Arabischen Halbinsel, insbesondere im Jemen und in Bewertung SaudiArabien, stehen neben staatlichen Institutionen und Ein richtungen der Ölindustrie auch Interessen westlicher Staaten im Zielspektrum der AQAH. Es muss daher mit weiteren Anschlägen, aber auch mit gezielten Entführungen und Tötungen westlicher Ausländer, gerechnet werden. 251 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Darüber hinaus zeigen die vereitelten Anschläge auf den inter nationalen Luftverkehr, dass AQAH ihren Aktionsradius über die Arabische Halbinsel hinaus ausgedehnt hat und internatio nal weiterhin als die schlagkräftigste Regionalorganisation von "alQaida" angesehen werden muss. Strukturen bzw. Unterstützer der AQAH in Deutschland sind bis lang nicht bekannt. 2.5 "Al-Shabab" Gründung: 2006 in Somalia Leitung: Sheik Mokhtar Abel Rahman alias Abu Zubair Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die Gruppierung "alShabab" hat sich im Jahr 2006 von der "Union islamischer Gerichtshöfe" (UIG) abgespalten und sich im Wesentlichen aus jungen, radikalen Kämpfern der UIG formiert. Nachdem sie bereits in der Vergangenheit die ideologische Nähe und Zugehörigkeit zu "alQaida" proklamiert hatte, wurde am 9. Februar 2012 in "jihadistischen" Internetforen eine Videoverlaut barung veröffentlicht, in der "alShabab" von alZawahiri als regi onaler Arm des "alQaida"Netzwerkes offiziell anerkannt wurde. Ziel Ziel von "alShabab" ist der Sturz der von ihr als unislamisch und westlich angesehenen somalischen Regierung, um ein "groß somalisches Kalifat" unter Einschluss der äthiopischen Region Ogaden zu errichten und sämtliche westlichen Einflüsse aus dem Land zurückzudrängen. Die Organisation versucht, den Neuaufbau eines staatlichen Regierungssystems mit Anschlägen auf politische Repräsentan ten zu behindern. So verübten zwei Selbstmordattentäter am 1. August 2012 einen Anschlag auf die verfassungsgebende Ver sammlung in Mogadischu (Somalia), bei dem neben den Atten tätern zwei Sicherheitskräfte ums Leben kamen. 252 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Der Präsident Somalias war am 12. September 2012 - zwei Tage nach seiner Wahl - Ziel eines Attentats. Die beiden Attentäter wurden von Sicherheitskräften erschossen, der Präsident blieb unverletzt. "AlShabab" übernahm die Verantwortung für den Anschlag. Diese Anschläge unterstreichen, dass die Organisation nach wie vor in der Lage ist, Selbstmordattentate durchzuführen. Internationale Truppen der "Mission der Afrikanischen Union in Somalia" (AMISOM) eroberten im August und September 2012 die Hochburgen der "alShabab", Marka und Kismaayo. Trotz der Anerkennung als regionaler Arm des "alQaida"Netz werkes verlor "alShabab" im Jahr 2012 durch den Verlust der Kontrolle über weite Gebiete in Zentral und Südsomalia maß geblich an Einfluss. Auch in Teilen der somalischen Bevölkerung und der somalischen Diaspora im Ausland hat die Organisation an Rückhalt eingebüßt. Aufgrund der hohen Anzahl von somalischen Flüchtlingen in somalischen Nachbarstaaten ist damit zu rechnen, dass "al Shabab" weiterhin versucht, auf diesen Personenkreis Einfluss zu nehmen und neue Anhänger zu rekrutieren. Ihre internationale Handlungsfähigkeit demonstrierte "al Shabab" mit Selbstmordattentaten am 11. Juli 2010 in Kampala (Uganda). Bei nahezu zeitgleichen Explosionen in einem Sport club und einem Restaurant kamen während der Übertragung des Finales der Fußballweltmeisterschaft 74 Personen ums Leben. Organisationsstrukturen von "alShabab" in Deutschland sind Bewertung nicht bekannt. Die Sicherheitsbehörden gehen von einzelnen Unterstützern bzw. Sympathisanten aus. So haben auch "Jihadis ten" aus Deutschland - z.T. erfolgreich - versucht, sich der "al Shabab" anzuschließen. 253 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3. Regionale "jihadistische" Gruppierungen 3.1 "Islamistisch-kurdische Netzwerke" Islamistische Gruppierungen kurdischer Prägung haben ihren Ausgangspunkt vor allem im Nordirak. Die ehemals unter einem Dach organisierte islamistischkurdische Szene zersplitterte im letzten Jahrzehnt in zahlreiche Gruppierungen und Organisati onen. Ziel aller Gruppierungen ist ein unabhängiges, islamisches Kurdistan auf Grundlage der Scharia. Als wichtigste Gruppierung in diesem Spektrum gilt die islamis tische Terrororganisation "Ansar alIslam" (AAI - "Gruppe der Anhänger des Islam"). Die AAI entstand im Jahr 2001 aus einem Zusammenschluss verschiedener "jihadistisch" orientierter kur discher Splittergruppen im Nordirak. Seit Herbst 2003 sah sich die AAI als Teil des islamistischterroristischen "Widerstands" im Irak, der sich primär auf den Kampf gegen die Koalitionsstreitkräfte konzentrierte. Nach deren Abzug im Dezember 2011 ist damit zu rechnen, dass das ursprüngliche Ziel der AAI, die Errichtung eines islamischen Staates im kurdischen Teil des Irak, wieder in den Vordergrund gerückt ist. So forderte der Emir der AAI Shaikh Abu Hashim Muhammad Bin Abd alRahman aal Ibrahim in einer im Januar 2012 in "jihadistischen" Internetforen veröffentlichten Textbotschaft vor dem Hintergrund des Abzugs der USamerika nischen Truppen aus dem Irak den Übergang des "Jihad" von der "Phase der präventiven Verteidigung" in die "Phase des präventi ven Angriffs". Der in Norwegen lebende Gründer und ehemalige Anführer der AAI Mullah Krekar stellt für islamistische Kurden weiterhin eine zentrale Identifikationsfigur dar und übt einen großen Einfluss auf islamistischkurdische Netzwerke in Deutschland, Europa und im Irak aus. Krekar wurde am 26. März 2012 von einem norwegischen Gericht wegen Todesdrohungen gegen eine norwe gische Politikerin und weitere Personen zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt und befindet sich seitdem in Haft. Am 28. August 2012 wurde er wegen erneuter Drohungen gegen den norwegischen Staat und weitere Personen zu einem weiteren Jahr Freiheitsstrafe verurteilt. Durch Revisionsentscheidung im Dezember 2012 wurde die Freiheitsstrafe auf zwei Jahre und zehn Monate festgesetzt. 254 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Nahezu alle Gruppierungen verfügen über Sympathisanten und Anhänger innerhalb der irakischkurdischen Diaspora in Deutschland. Die Anhänger der AAI in Deutschland orientierten sich bislang Aktivitäten in weitgehend an den Vorgaben der terroristischen Kerngruppe im Deutschland Irak. Sie unterstützen die Ziele der AAI vor allem durch Spenden sammlungen und deren Transfer in den Irak. Im Jahr 2012 wur den keine Unterstützungshandlungen zugunsten der AAI im Irak beobachtet. Unabhängig vom Organisationsbezug besteht in Deutschland ein Bewertung Personenpotenzial irakischer Kurden, das islamistischterroristi sche Aktivitäten im Irak nicht nur als legitim ansieht, sondern auch von Deutschland aus fördert und unterstützt. 3.2 "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) Gründung: 1998 Leitung: Usman Ghazi Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Nach ihrer Gründung im Jahr 1998 in Kabul (Afghanistan) verfolgte die IBU zunächst das Ziel, das säkulare Regime in Usbekistan zu stürzen, um dort einen islamischen Staat zu errich ten. Später erweiterte sie ihr Operationsgebiet und strebt nun die Schaffung eines islamischen Kalifats in Zentralasien an. Aufgrund des Zusammenbruchs des "Taleban"Regimes in Afghanistan musste die IBU ihre früheren Rückzugsgebiete in Afghanistan und Tadschikistan verlassen und in das afgha nischpakistanische Grenzgebiet ausweichen. Am 3. August 2012 bestätigte die IBU auf ihrer Homepage den Tod ihres Emirs Usman Odil. Als neuer Emir wurde Usman Ghazi benannt, ein langjähriges Führungsmitglied der Organisation. 255 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ihre Ziele versucht die IBU vorwiegend durch paramilitärische Operationen zu erreichen. Sie griff im Jahr 2012 staatliche Sicher heitskräfte und Einrichtungen in Afghanistan und Pakistan sowie die multinationalen Truppen der ISAFMission an, darunter auch Kräfte der Bundeswehr. Dabei agierte sie zum größten Teil nicht eigenständig, sondern kooperierte mit anderen "jihadistischen" Organisationen wie den "Taleban" und "alQaida". Die IBU unterhält paramilitärische Ausbildungslager, in denen Kämpfer auf den gewaltsamen "Jihad" vorbereitet werden. Auch deutsche Staatsangehörige waren im Jahr 2012 auf Seiten der IBU an Kampfhandlungen beteiligt. In einer am 25. August 2012 auf der Homepage der IBU veröffentlichten Videobotschaft wurde der "Märtyrertod" eines deutschen Staatsangehörigen bestätigt. Die IBU bemühte sich auch im Jahr 2012 um verstärkte "inter nationale" Präsenz. Mit teilweise mehrsprachigen Video und Textbotschaften versuchte sie, ihre Anhängerschaft zu vergrößern, weitere Kämpfer zu rekrutieren und neue finanzielle Ressour cen zu erschließen. Hauptthemen der IBUBerichterstattung, in der getötete Kämpfer als "Märtyrer" verehrt werden, blieben Kampfeinsätze in Afghanistan und Pakistan gegen staatliche bzw. internationale Sicherheitskräfte und die Verurteilung der Lebens weise in westlichen Staaten sowie Missstände in muslimischen Ländern. Seit 2009 haben deutschsprachige Produktionen einen großen Stellenwert in der Propagandaarbeit der IBU. Verantwortlich hierfür sind vor allem die aus Bonn (NordrheinWestfalen) stam menden Brüder Monir und Yassin Chouka. Auch im Jahr 2012 produzierte die IBU zahlreiche deutschsprachige Botschaften, in denen u.a. Deutschland als "Feindstaat" dargestellt wurde. In der am 9. Februar 2012 in "jihadistischen" Internetforen ver öffentlichten Videobotschaft "Böses Vaterland" kritisierte Monir Chouka die deutsche Regierung für ihre Unterstützung der USA und kündigte als "Rache und Lektion" eine Serie von Anschlägen in Deutschland an, "auch gegen das Volk". Im März 2012 folgte die Videobotschaft "Ja, wir sind Terroris ten!", in der Yassin Chouka Deutschland als Teil eines gegen den Islam gerichteten "kreuzzüglerischen Bündnisses" bezeichnete. 256 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Er verteidigte den gewaltsamen "Jihad" als "legitimes Recht zur Verteidigung der islamischen Welt": "Ja, ja, wir sind Terroristen. Wir sind Terroristen, und wir sind stolz, Terroristen zu sein. Wir terrorisieren die Feinde Allahs und die Übertreter, die Unheilstifter. Wir bekämpfen und terrorisieren jeden, der unsere Religion beleidigt und unsere Heiligkeit mit Füßen tritt, der das Schwert gegen uns erhebt, der unsere Ehre, Würde und vor allem unsere Schwester im Islam entwürdigt, die die Diener Allahs und vor allem unsere Gelehrten einsperren (...)." ("Jihadistische" Internetforen, 8. März 2012) Mit der Audiobotschaft "Tod der ProNRW" nahm die IBU Stel lung zu den Auseinandersetzungen zwischen der Partei "pro NRW" und salafistischen Aktivisten im Mai 2012 in Solingen und Bonn (beide NordrheinWestfalen, vgl. Kap. III). Yassin Chouka forderte die Muslime in Deutschland dazu auf, Mitglieder von "pro NRW" zu töten: "So raten wir euch, lauert und sucht einzelne Personen der Pro NRW im Geheimdienstverfahren auf. Sammelt genug Informationen, Informationen über ihre Wohnorte, über ihre täglichen Routen, ihre Arbeitsplätze und sonstige Informationen. Und dann, nach guten und ausreichenden Recherchen und einem strategischen Plan, schlagt zu. Schlagt, euch auf Allah verlassend, am Besten im Schutz der Dunkelheit oder des Morgengrauens zu. Und dabei ist zu bevorzugen (...) dass ihr sie tötet. Und wenn dies nicht möglich ist, dann schlagt so lange auf sie ein (...) bis sie aufs Äußerste bereuen, jemals das Siegel aller Propheten beleidigt zu haben." ("Jihadistische" Internetforen, 18. Mai 2012) Ziel der Botschaft ist es, Sympathisanten des "globalen Jihad" in Deutschland zum Handeln zu motivieren. Mit seinem Aufruf zu eigeninitiativ durchgeführten Anschlä gen lehnt sich Yassin Chouka an die von dem englischspra chigen OnlineMagazin "INSPIRE" propagierte Strategie des "individuellen Jihad" an. Potenzielle Akteure ("lone wolves") 257 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS sollen - propagandistisch motiviert durch real bzw. vermeint lich an Muslimen begangene Ungerechtigkeiten - selbstständig Anschläge in ihrem Umfeld durchführen. Am 1. August 2012 verurteilte das Oberlandesgericht Düsseldorf (NordrheinWestfalen) einen deutschen Staatsangehörigen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in zwei Fällen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Der Angeklagte hatte der IBU über einen Mittelsmann Geldbeträge im Wert von insgesamt 39.000 Euro zukommen lassen. Am 17. September 2012 wurde eine Person mit deutscher und afghanischer Staatsangehörigkeit in Bonn festgenommen. Der Beschuldigte steht im Verdacht, Mitglied der ausländischen ter roristischen Vereinigung IBU zu sein und in Deutschland für die finanzielle und logistische Ausstattung der Organisation sowie für die Rekrutierung von "Jihadwilligen" verantwortlich gewesen zu sein. Hierfür soll er regelmäßig mit Monir und Yassin Chouka in Kontakt gestanden haben. Bewertung Auch in diesem Jahr gehörte die IBU zu einer der medial aktivsten terroristischen Gruppierungen. Es ist auch zukünftig damit zu rechnen, dass sie versuchen wird, mit deutschsprachigen Bot schaften für sich zu werben und Anhänger aus dem deutschspra chigen Raum für den gewaltsamen "Jihad" zu gewinnen. 3.3 "Islamische Jihad-Union" (IJU) Gründung: 2002 Leitung: Abdullah Fatih Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bei der IJU handelt es sich um eine im Jahr 2002 bekannt gewor dene Abspaltung der IBU. Nachdem sich die IJU zunächst auf die Errichtung eines isla mischen Staates in Usbekistan konzentriert hatte, konnte sie 258 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS zwischenzeitlich ihren Wirkungskreis im Sinne des "globalen Jihad" auch auf Europa ausweiten. Mit den Selbstmordanschlägen gegen die israelische und die USamerikanische Botschaft in der usbekischen Hauptstadt Taschkent am 30. Juli 2004 war die IJU erstmals gegen westliche Einrichtungen vorgegangen. Drei der vier Mitglieder der sogenannten SauerlandGruppe, die Sprengstoffanschläge in Deutschland geplant hatten und am 4. März 2010 vom Oberlandesgericht Düsseldorf (Nordrhein Westfalen) zu langjährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, waren von Mitte 2006 bis zu ihrer Festnahme im September 2007 Mitglieder der IJU. Die vierte Person war als Unterstützer der IJU in die Anschlagspläne involviert. Der sich bereits in den Vorjahren abzeichnende Bedeutungsver Bewertung lust der IJU setzte sich auch im Jahr 2012 fort. Für "Jihadisten" aus Deutschland haben inzwischen andere "Jihad"Schauplätze an Bedeutung gewonnen (vgl. Kap. I, Nr. 1). 3.4 "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA - "Islamische Partei Afghanistans") Gründung: Mitte der 1970er Jahre im pakistanischen Exil Leitung: Gulbuddin Hekmatyar Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 200 (2011: 200) Die HIA hat ihren Ursprung in einer Ende der 1960er Jahre an afghanischen Universitäten aktiven islamischen Studentenorga nisation. Einer der Anführer war Hekmatyar, der die Organisation Mitte der 1970er Jahre im pakistanischen Exil gründete. Die sunnitische HIA kämpft auch mit Waffengewalt dafür, in Ziele Afghanistan eine Ordnung auf Grundlage der Scharia zu errichten. In den 1980er Jahren spielte die HIA eine zentrale Rolle im Kampf gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan. 259 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Mit dem Ziel, sich selbst als führende Kraft in Afghanistan zu eta blieren, kämpfte sie später gegen andere afghanische islamistische Gruppierungen. Aktuelle Ziele sind die Absetzung der afghanischen Regierung unter Ministerpräsident Hamid Karzai sowie die gewaltsame Vertreibung der Koalitionstruppen aus Afghanistan. In einem auf der Homepage der HIA veröffentlichten Fernsehinterview äußerte Hekmatyar: "Selbstmordattentäter, die wichtige Ziele des Feindes ausschalten, verdienen einen höheren Rang als gewöhnliche Märtyrer, und haben unsere volle Unterstützung." (Homepage HIA, 20. September 2012) Regelmäßig bekennt sich die HIA in Internetauftritten zu - auch gegen deutsche Soldaten gerichteten - Anschlägen in Afghanistan. So bekannten sich Sprecher der HIA gegenüber mehreren Medien zu einem Selbstmordanschlag am 18. September 2012 auf einen Bus mit Zivilangestellten einer südafrikanischen Fluggesellschaft. Die HIA bezeichnete den Anschlag, bei dem zwölf Menschen getö tet wurden, auf ihrer Homepage als "Vergeltung für die Beleidi gung des Propheten in einem amerikanischen Video" ("Innocence of Muslims").169 Organisation Die Organisation verfolgt einen zweigleisigen Ansatz: Der gewalt und Aktivitäten orientierte extremistische Zweig unter Hekmatyar agiert aus dem afghanischpakistanischen Grenzgebiet mit Waffengewalt gegen nationale und internationale Sicherheitskräfte in Afghanistan. Der politische Bereich untersteht dem Schwiegersohn Hekma tyars, Ghairat Bahir. Dieser grenzt sich zumindest nach außen vom militanten Zweig ab und versucht, durch Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung an Einfluss zu gewinnen. Mit Abdul Hadi Arghandiwal ist ein Vertreter des politischen Bereiches der HIA als Wirtschaftsminister im afghanischen Parlament vertreten. Nach vorliegenden Erkenntnissen übt Hekmatyar auf den politi schen Bereich entscheidenden Einfluss aus. 169 Homepage HIA (18. September 2012). 260 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In Deutschland existieren keine festen Strukturen der HIA. Die Aktivitäten in Anhänger treffen sich in Moscheen, ohne dass diese oder deren Deutschland Führung zwingend der HIA nahestehen. Einzelne Anhänger ver suchen, auf politische Entscheidungsträger Einfluss zu nehmen und für die Aktivitäten der HIA in Afghanistan zu werben. Die Schwerpunkte der Aktivitäten sind, entsprechend der Vertei lung der afghanischstämmigen Bevölkerung in Deutschland, Hamburg und München (Bayern). In verschiedenen Internetforen und afghanischen Fernsehkanä len treten in Deutschland lebende Personen als HIAAnhänger auf und rufen zum Teil auch mit islamistischer Rhetorik zur Unterstützung der HIA in Afghanistan auf. Die hier lebenden HIAAnhänger betrachten Deutschland primär Bewertung als Rückzugsraum. Sie fühlen sich ihrem Heimatland und der dort aktiven HIA verbunden und versuchen, durch Unterstützungsleis tungen deren Ziele voranzutreiben. Dies äußert sich auch durch Kontakte zu Führungspersonen der HIA im Ausland. 3.5 "Boko Haram" (BH, "Sunnitische Gemeinschaft für Predigt und Jihad" - SGPJ) Gründung: 2000 in Nigeria als Zusammenschluss mehrerer islamistischer Gruppierungen unter dem Namen "Boko Haram" Leitung: Abu Bakr Bin Muhammad Shekau Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die "Boko Haram" (BH), die im Jahr 2000 aus verschiedenen isla mistischen Gruppierungen hervorging, bezeichnet sich selbst als "Sunnitische Gemeinschaft für Predigt und Jihad" (SGPJ). Ihr Ziel ist es, in Nigeria einen islamischen Staat auf Grundlage der Scha ria zu errichten. 261 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Sie galt noch im Jahr 2009 als von den nigerianischen Sicherheits behörden zerschlagen, reorganisierte sich jedoch im Jahr 2010 und operiert seitdem nach dem Muster der AQM (vgl. Kap. II, Nr. 2.3) bzw. des "globalen Jihad" in Nigeria. Die BH ist eng mit anderen "jihadistischen" Gruppierungen, insbesondere der AQM verknüpft. Seit 2010 wurden bei Anschlägen der BH - vor allem auf christ liche Einrichtungen und nigerianische Sicherheitskräfte - mehr als 2.000 Menschen getötet. Bei einem Sprengstoffanschlag auf das Hauptgebäude der Vereinten Nationen in der nigerianischen Hauptstadt Abuja am 26. August 2011 kamen 23 Menschen ums Leben. Im Januar 2012 entführte die BH einen deutschen Staatsangehö rigen in Nigeria, übergab die Verhandlungsführung jedoch der AQM (vgl. Kap. II, Nr. 2.3 und Kap. V). Diese forderte die Freilas sung einer in Deutschland inhaftierten Muslimin im Austausch für die deutsche Geisel. Die deutsche Geisel wurde im Mai 2012 durch die BH getötet. Bewertung Organisationsstrukturen von BH in Deutschland sind nicht bekannt. 262 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 4. Übersicht ausgewählter islamistisch-terroristischer Anschläge Datum Ereignis Opfer 26. Februar 1993 Bombenanschlag auf das World Trade 6 Tote, Center, New York (USA); über 1.000 Verletzte der Anschlag wird mit "al-Qaida" in Verbindung gebracht 7. August 1998 Anschläge auf die US-amerikanischen 223 Tote, Botschaften in Daressalam (Tansania) und über 4.000 Verletzte Nairobi (Kenia); die Anschläge werden regionalen "al-Qaida"-Strukturen zugeschrieben 12. Oktober 2000 Sprengstoffanschlag auf den US-Zerstörer 17 Tote, "Cole" im Hafen von Aden (Jemen); 39 Verletzte der Anschlag wird mit "al-Qaida" in Verbindung gebracht 11. September 2001 Selbstmordanschläge auf das World ca. 3.000 Tote, Trade Center und das US-amerikanidarunter sche Verteidigungsministerium durch 10 Deutsche, "al-Qaida"-Mitglieder ca. 6.000 Verletzte 11. April 2002 Anschlag auf eine Synagoge auf der 21 Tote, Ferieninsel Djerba (Tunesien); darunter "al-Qaida" bekannte sich im Juni 2002 zu 14 Deutsche, dem Anschlag 24 Verletzte 12. Oktober 2002 Anschläge auf eine Diskothek und ein Cafe über 200 Tote, im Badeort Kuta auf Bali (Indonesien); darunter 6 Deutsche, der Anschlag wird mit "al-Qaida" in mehr als Verbindung gebracht 330 Verletzte 28. November 2002 Selbstmordanschlag auf ein überwiegend 16 Tote, von israelischen Touristen besuchtes Hotel ca. 80 Verletzte in Mombasa (Kenia); der Anschlag wird mit "al-Qaida" in Verbindung gebracht 263 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum Ereignis Opfer 16. Mai 2003 Bombenanschläge in 41 Tote, Casablanca (Marokko) ca. 100 Verletzte 5. August 2003 Bombenanschlag auf das Marriott-Hotel in 13 Tote, Jakarta (Indonesien); ca. 150 Verletzte der Drahtzieher stand in Verbindung zu "al-Qaida" 11. März 2004 Sprengstoffanschläge auf vier Pendlerzüge 191 Tote, in Madrid (Spanien) ca. 1.600 Verletzte, darunter 1 Deutscher 7. Juli 2005 Selbstmordanschläge auf drei U-Bahn-Züge 56 Tote, und einen Bus in London (Großbritannien) 528 Verletzte, darunter 5 Deutsche 2. Juni 2008 Selbstmordanschlag auf die Dänische 8 Tote, Botschaft in Islamabad (Pakistan) 15 Verletzte 26.-29. November Anschläge auf die Finanzmetropole Mumbai 172 Tote, 2008 (Indien); darunter 3 Deutsche, die Anschläge werden mit der pakista295 Verletzte, nischen islamistischen Organisation darunter 3 Deutsche "Lashkar-e-Taiba" (LeT - "Armee der Reinen") in Verbindung gebracht 27. November 2009 Anschlag auf einen Schnellzug während 28 Tote, der Fahrt von Moskau nach St. Petersburg ca. 90 Verletzte (Russland); die Gruppierung "Riyad al-Salihin" bekannte sich zu dem Anschlag 9. März 2010 Selbstmordanschläge auf die Moskauer 40 Tote, Metro (Russland); 84 Verletzte zu den Anschlägen bekannte sich Dokku Umarov ("Nordkaukasische Separatistenbewegung" - NKSB) in einer im Internet veröffentlichten Videobotschaft 264 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum Ereignis Opfer 24. Januar 2011 Selbstmordanschlag auf den Moskauer 37 Tote, Flughafen Domodedowo (Russland); darunter zu dem Anschlag bekannte sich Dokku ein Deutscher, Umarov ("Nordkaukasische Separatistenüber 100 Verletzte, bewegung" - NKSB) in einer im Internet darunter eine veröffentlichten Videobotschaft Deutsche 2. März 2011 Schusswaffenanschlag auf US-amerikani- 2 Tote, 2 Verletzte sche Soldaten am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) 13. Juli 2011 Sprengstoffanschläge in Mumbai (Indien) 24 Tote, über 130 Verletzte 11. März 2012 Mordanschlag auf einen Soldaten in 1 Toter Toulouse (Frankreich) 15. März 2012 Mordanschlag auf drei Soldaten in 2 Tote, 1 Verletzter Montauban (Frankreich) 19. März 2012 Mordanschlag auf mehrere Personen vor 4 Tote, mehrere und in einer jüdischen Schule in Toulouse Verletzte (Frankreich) 18. Juli 2012 Anschlag auf Reisebus mit israelischen 7 Tote, 30 Verletzte Touristen in Burgas (Bulgarien); mit dem Anschlag wird die "Hizb Allah" in Verbindung gebracht 265 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS III. Salafistische Bestrebungen Der Salafismus ist sowohl in Deutschland wie auch auf internati onaler Ebene die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Er verzeichnet in Deutschland sprunghaft steigende Anhängerzah len. Dem salafistischen Spektrum in Deutschland werden derzeit 4.500 Personen zugerechnet (2011: 3.800). Ideologie Unter dem Oberbegriff Salafismus wird eine besonders radikale Strömung innerhalb des Islamismus verstanden, die sich an den vermeintlichen Ideen und der Lebensweise der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit orientiert. So geben Salafisten vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime - der sogenannten recht schaffenen Altvorderen (arab. alsalaf alsalih) - auszurichten. Die Scharia, die von Gott in seiner Offenbarung gesetzte Ordnung, ist nach salafistischer Ideologie jeder weltlichen Gesetzgebung übergeordnet. Dies hat zur Folge, dass Salafisten die Geltung staat licher Gesetze ablehnen. Der deutschlandweit agierende salafistische Prediger Ibrahim AbouNagie erklärte in einem Radiointerview: "Wie kann ich als Muslim ein anderes System akzeptieren als Allahs System? (...) Also Dinge, die gegen die Scharia sind, die lehnen wir ab und die Scharia kommt von unten und nicht von oben. (...) Also ich wünsche, dass Allahs Scharia weltweit herrscht. Denn das ist unser Schöpfer der uns erschaffen hat und uns seine Gebrauchsanweisung im Koran herab gesandt hat." (Radiointerview, ausgestrahlt am 24. Mai 2012) Ziel Zentrales Anliegen der salafistischen Bewegung ist die vollstän dige Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individuellem Lebensvollzug nach diesen - als "gottgewollt" postulierten - Nor men. 266 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Salafisten versuchen, ihre Ideologie durch intensive Propaganda Salafistische aktivitäten zu verbreiten. Sie selbst bezeichnen diese Aktivitäten Propaganda als "Missionierung" (arab. da'wa). Salafistische Ideologie wird zunehmend professionell und adres satenorientiert verbreitet. Ihre Vertreter wissen sich öffentlich keitswirksam in Szene zu setzen und üben eine beträchtliche Anziehungskraft vorwiegend auf junge Menschen aus, darunter auch Konvertiten. Breitenwirkung wird vor allem durch das Internet erzielt, durch eine Vielzahl deutschsprachiger Webseiten sowie durch zahlreiche Videos, z.B. im Internetportal YouTube. Eine wichtige Rolle bei der Verbreitung salafistischer Ideologie nehmen sogenannte Islamseminare und Vorträge von salafisti schen Predigern ein. Im Berichtsjahr haben Salafisten über 160 "Islamseminare" und Vortragsveranstaltungen deutschlandweit abgehalten. Hierbei treten zumeist mehrere salafistische Prediger auf und richten sich an ein Publikum, das aus Gleichgesinnten, aber auch aus jungen Menschen besteht, die sich auf der Suche nach Orientierung und Halt befinden. Das gemeinsame Lernen und die gemeinsamen Aktivitäten schaffen ein Gemeinschafts gefühl. Dabei bietet der Salafismus mit seinem Regelwerk, das bis ins Detail auch die persönliche Lebensführung bestimmt, eine klare Orientierung. Zudem erzeugt er das Gefühl, einer Elite anzugehören und eröffnet die Möglichkeit des Protests gegen die Mehrheitsgesellschaft. Salafistische Propaganda verbreitet sich auch über deutschland weit organisierte "IslamInfostände", die Verteilung von Broschü ren und Flugblättern sowie Publikationen und Übersetzungen salafistischer Grundlagenwerke. Der Salafismus unterteilt sich in eine politische und eine Erscheinungsformen "jihadistische" (terroristische) Ausprägung. "Jihadistische" wie salafistischer auch politische Salafisten rezipieren die Ideen derselben Autoritä Ideologie ten und Vordenker. Sowohl die ideologischen Grundlagen wie auch die angestrebten politischen und gesellschaftlichen Ziele sind bei beiden Gruppen gleich. 267 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Sie unterscheiden sich jedoch vor allem in der Wahl der Mittel. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit, um gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Anhänger des "jihadistischen" Salafismus hingegen glauben, ihre Ziele durch Gewaltanwendung realisieren zu können. Die Übergänge zwischen politischem und "jihadistischem" Salafismus sind - wie Auswertungen von Radikalisierungsverläu fen gezeigt haben - fließend. Salafistische Im Mai 2012 trat zum ersten Mal eine neue Aktionsform auf: die Straßengewalt salafistische Straßengewalt. Als im Rahmen des nordrheinwestfälischen Wahlkampfes Mitglieder der "Bürgerbewegung pro NRW" ("pro NRW") am 1. Mai 2012 vor der "Millatu IbrahimMoschee" in Solingen (NordrheinWestfalen) und am 5. Mai 2012 vor der "KönigFahd Akademie" in Bonn (NordrheinWestfalen) MuhammadKarika turen des Dänen Kurt Westergaard zeigten, eskalierte die Situa tion. Salafistische Gegendemonstranten griffen Mitglieder von "pro NRW" und Polizisten an. Insgesamt wurden bei den Aus schreitungen 31 Polizisten verletzt. Ein türkischer Staatsangehöriger stach bei den Ausschreitungen am 5. Mai 2012 mit einem Messer auf zwei Polizeibeamte ein und verletzte sie schwer. Er wurde wegen dieser Handlungen ange klagt, zeigte während der Verhandlung aber keine Einsicht. Er rechtfertigte seine Tat mit den Worten: "Gelehrte sagen, wer den Propheten beleidige, verdiene den Tod" und kündigte an, auch künftig so handeln zu wollen. Am 19. Oktober 2012 befand das Landgericht Bonn (NordrheinWestfalen) den Angeklagten des Landfriedensbruchs, der gefährlichen Körperverletzung sowie des Widerstands gegen Vollzugsbeamte für schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren sowie zur Zahlung von Schmerzensgeld. Diese gewalttätigen Proteste stellen in Deutschland eine im Bereich des Salafismus neue Aktionsform dar. Sie weist Merkmale einer Straßenmilitanz und Parallelen zu linksextremistischen Ausschreitungen auf, so z.B. durch das Mitführen von Fahnen, Steinen und Messern, teilweise Vermummen und das Tragen von martialisch anmutender Kleidung. 268 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Akteure der salafistischen Straßengewalt entstammen sowohl poli tischen als auch "jihadistischen" Gruppierungen und definieren eine neue Rolle für sich: Da der Islam in Deutschland beleidigt und bekämpft wird, sei es für militante Salafisten nunmehr legitim, ihren unmittelbaren Beitrag zur "Verteidigung des Islam" auch hier zu leisten. Sie bezeichnen ihre gewalttätigen Aktionen als Glau benspflicht und "VerteidigungsJihad" der Muslime in Deutschland. Gewalt betrachten sie bei ihrem Kampf als legitimes Mittel. Dabei werden die gewaltsamen Aktionen in Deutschland als Ergänzung der "Verteidigung des Islam" weltweit verstanden. Ins besondere islamkritische oder islamfeindliche Aktionen eröffnen ihnen einen lokalen Wirkungskreis. Am 5. Mai 2012 hielt ein salafistischer Prediger vor der "KönigFahdAkademie" eine Rede, in der er unverhohlen drohte: "Diese Provokationen sind nicht hinnehmbar für die Muslime. Kein Muslim möchte so entehrt werden. Und das wird auch keiner akzeptieren. Ich appelliere hier an die Merkel persönlich direkt - und an den Bundesinnenminister. Wir sind für ein friedliches Zusammenleben. Hier leben Millionen von Muslimen. Und es leben deutsche Brüder überall in den islamischen Ländern. Wenn sie wollen, dass kein Deutscher verschleppt wird, weil es gibt überall Muslime - man hat gesehen, was passiert ist nach den Karikaturen von Westergaard, möge Allah ihn verfluchen. Man hat gesehen, dass Menschen gestorben sind auf dieser Erde. Kein Mensch möchte die Eskalation. Wir möchten diese Eskalation nicht. Aber dafür, dass deutsches Blut auch nirgendwo vergossen wird - deutsche Bürger leben in Ägypten, deutsche Bürger leben in Tunesien, in Marokko und reisen auch in unsere Länder. Bundesminister Friedrich soll sich explizit, und Frau Merkel auch, ganz genau wissen, dass die ihre Bürger in Gefahr setzen, wenn sie das zulassen." (YouTube-Kanal "DawaFFM", 5. Mai 2012) Nach den gewaltsamen Ausschreitungen im Mai 2012 ist es mehrfach zu wechselseitigen Provokationen zwischen Anhängern rechtspopulistischer bzw. rechtsextremistischer Gruppierungen und Parteien auf der einen Seite und salafistischen Akteuren auf der anderen Seite gekommen: "German Defence League", "pro 269 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Deutschland" und "pro NRW" richteten islamkritische bzw. islam feindliche Kundgebungen aus, organisierten Gegenaufmärsche zu salafistischen Demonstrationen oder kündigten an, islamfeindli che Publikationen zu verbreiten. So plante z.B. "pro Deutschland", den Film "Innocence of Muslims" öffentlich aufzuführen, nach dem sie bereits den Trailer auf ihrer Internetseite veröffentlicht hatte. Die Aufführung fand jedoch nicht statt. Vereinsrechtliche Mit Verfügung vom 29. Mai 2012 hat der Bundesminister des Maßnahmen des Innern die salafistisch"jihadistische" Vereinigung "Millatu Bundesministeriums Ibrahim" verboten und vereinsrechtliche Ermittlungsverfahren des Innern gegen die salafistischen Vereine "DawaFFM" und "Die Wahre Reli gion" (DWR) eingeleitet. "Millatu Ibrahim" Die Vereinigung "Millatu Ibrahim" (vgl. Kap. II, Nr. 1) richtete sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Die Verbotsverfügung legt dar, dass diese Vereinigung die Muslime in Deutschland zum aktiven Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung aufrief und dabei nicht nur gewalttätige Ausschreitungen nachdrücklich befürwortete, sondern zu weiterer Gewalt anstachelte. Das Verbot ist seit dem 16. Juli 2012 unanfechtbar. "DawaFFM" Am 13. März 2013 hat der Bundesminister des Innern den salafisti schen Verein "DawaFFM" einschließlich dessen Teilorganisation "Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e.V." verboten. Aus der Verbotsverfügung geht hervor, dass "DawaFFM" z.B. das Demo kratie und Rechtsstaatsprinzip als Säulen der bestehenden staatli chen Ordnung sowie die Glaubens und Gewissensfreiheit ablehnte. Des Weiteren richtete sich der Verein gegen den Gedanken der Völ kerverständigung, da er u.a. zum Hass gegen Angehörige anderer Religionen und Vertreter anderer religiöser Überzeugungen aufrief. Das Missionierungsnetzwerk "DawaFFM" mit Sitz in Frankfurt am Main (Hessen) ist nach eigenem Bekunden im Jahr 2008 gegrün det worden. Sein Angebot richtete sich in erster Linie an junge Muslime sowie Konvertiten. Zur Verbreitung salafistischer Inhalte im Internet nutzte der Verein vorrangig soziale Netzwerke und Videoplattformen. "Die Wahre Religion" Die Internetplattform DWR existiert nach eigenen Angaben seit (DWR) 2005. Gründer von DWR ist AbouNagie. 270 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ziel ist nach eigenen Angaben "die Verbreitung der reinen Bot schaft" des Islam. Dazu sei es notwendig, "die Verhaltensregeln aus dem Koran und der Sunnah zu kennen und zu praktizieren. Diesem Ziel dient die Verteilung und Verbreitung der im Down loadbereich zur Verfügung gestellten Vorträge."170 Durch die geschickte Nutzung des Internets gelingt es DWR nicht nur, eine Vielzahl junger Muslime für den Salafismus zu begeistern, sondern sie soweit zu motivieren, dass diese wiederum Da'waAktivitäten entfalten und versuchen, weitere Muslime und Nichtmuslime für den Salafismus zu gewinnen. DWR verbreitet salafistisches Gedankengut nicht nur über das Internet, sondern führt auch deutschlandweit "Islamseminare" durch. Zwar vermeiden Akteure in Teilbereichen des politischen Bewertung Salafismus nach wie vor offene Aufrufe zur Gewalt und geben vor, ihre Ziele mit politischen Mitteln erreichen zu wollen. Die gewalt tätigen Ausschreitungen Anfang Mai 2012 in NordrheinWestfalen haben allerdings gezeigt, wie schnell Salafisten ihr Verhältnis zu Gewalt revidieren können. Diese neue Aktionsform verdeutlicht das auf salafistischer Seite vorhandene Gewaltpotenzial. In erheb lichen Teilen der salafistischen Szene in Deutschland hat zudem eine Solidarisierung mit den Gewalttätern stattgefunden. Mit erneuten gewalttätigen Aktionen salafistischer Akteure muss immer dann gerechnet werden, wenn islamkritische bzw. islam feindliche Positionen öffentlichkeitswirksam in Deutschland ver treten werden. Des Weiteren bildet das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung, die zuwei len zu Gewaltbereitschaft und schließlich auch zu einer anschlie ßenden Rekrutierung für den islamistischen Terrorismus führen kann. Es liegen bislang keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Dynamik salafistischer Bestrebungen in Deutschland abschwächt. 170 Homepage DWR (25. Mai 2012). 271 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS IV. Islamismus 1. "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 im Libanon Leitung: Generalsekretär Hasan Nasrallah, Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 950 (2011: 950) Publikationen: u.a. "al-Ahd - al-Intiqad" ("Die Verpflichtung - die Kritik"), überregional, wöchentlich; TV-Sender "al-Manar" ("Der Leuchtturm", Beirut) Betätigungsverbot in Verbotsverfügung vom Deutschland gegen 29. Oktober 2008 "al-Manar": Nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon wurde dort 1982 mit massiver Unterstützung aus dem Iran die "Hizb Allah" gegründet. Sie entwickelte sich rasch zu einer militanten und dominanten Sammelbewegung libanesischer Schiiten mit Schwerpunkten im Südlibanon, in den Vororten von Beirut und im BekaaTal (an der Grenze zu Syrien). Die "Hizb Allah" konnte sich - mit Unterstützung des Iran und Syriens - im Libanon organisatorisch etablieren und ihren Einfluss ausbauen. Bis heute gibt es nachhaltige Verbindungen zwischen der "Hizb Allah" und diesen beiden Staaten. Ziele Die "Hizb Allah" bestreitet das Existenzrecht Israels. Ihr erklärtes Ziel ist der auch mit terroristischen Mitteln geführte und als "legi timer Widerstand" bezeichnete Kampf gegen Israel als "unrecht mäßigem Besatzer palästinensischen Bodens". Eingebunden in die politischen und gesellschaftlichen Strukturen im Libanon strebt die "Hizb Allah" heute vor allem danach, ihren 272 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Einfluss zu festigen und zu vergrößern. Sie verfügt in der schiiti schen Bevölkerung nach wie vor über großen Rückhalt. Innenpolitisch konzentriert sich die "Hizb Allah" seit 1992 ver Aktivitäten stärkt auf die Arbeit im libanesischen Parlament. Bei den letzten Parlamentswahlen 2009 konnte das ehemalige Oppositionsbünd nis um die "Hizb Allah" 57 von 128 Mandaten im Parlament errin gen. 2011 wurde der von der "Hizb Allah" unterstützte sunnitische Politiker Najib Miqati zum neuen Ministerpräsidenten des Libanon gewählt. 2012 beteiligte sich die "Hizb Allah" zusammen mit der 1975 gegründeten, extremistischen Organisation "Grup pen des libanesischen Widerstandes" ("Afwaj alMuqawama alLubnaniya" - AMAL) und anderen Parteien an der Regierung im Libanon. Dabei stellte sie die Minister für die Ressorts Verwal tungsreform und Landwirtschaft. Neben den öffentlich wahrnehmbaren politischen Aktivitäten unterhält die "Hizb Allah" nach wie vor den bewaffneten Arm "alMuqawama alIslamiya" ("Islamischer Widerstand"), der zusammen mit dem Sicherheitsdienst der Organisation sowohl für militärische Auseinandersetzungen mit Israel als auch für die Durchführung von Anschlägen, insbesondere gegen israelische und jüdische Ziele, verantwortlich gemacht wird. Die breit angelegte antiisraelische sowie antijüdische Propaganda wird u.a. über den organisationseigenen TVSender "alManar" und über Homepages verbreitet. In jüngerer Zeit gibt es Hinweise, dass die "Hizb Allah" ein gewaltsames Vorgehen gegen Israel auch außerhalb des Nahen Ostens wieder aufnehmen könnte. So wurde am 7. Juli 2012 auf Zypern eine Person festgenommen, der vorgeworfen wird, in Anschlagsplanungen gegen israelische Ziele auf Zypern involviert gewesen zu sein. Am 18. Juli 2012 starben nach einem Anschlag auf einen mit israelischen Touristen besetzten Reisebus in Burgas (Bulgarien) fünf Israelis, der bulgarische Busfahrer sowie der Attentäter. Die Urheberschaft wird bei der "Hizb Allah" vermutet, ist allerdings bisher nicht belegt worden. Am 17. September 2012 hat eine Großkundgebung der "Hizb Allah" in Dahiyeh (Libanon) anlässlich des am 11. September 2012 im Internet veröffentlichten Trailers zu dem islamfeindlichen 273 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Film "Innocence of Muslims" stattgefunden. Nasrallah bezeich nete den Film als bisher schlimmsten Angriff auf den Propheten Muhammad. Er forderte weltweit alle Muslime zu Protesten gegen den Film auf. Aktivitäten in Außerhalb des Libanons ist die "Hizb Allah" nicht einheitlich Deutschland strukturiert. In Deutschland pflegen die Anhänger den organisa torischen und ideologischen Zusammenhalt u.a. in örtlichen Moscheevereinen. Die junge Anhängerschaft vernetzt sich ver stärkt über das Internet (soziale Netzwerke, Foren). Jedes Jahr beteiligen sich "Hizb Allah"Anhänger am letzten Frei tag des islamischen Fastenmonats Ramadan an der Demonstra tion zum "alQudsTag" in Berlin. Ayatollah Khomeini hatte 1979 den "JerusalemTag" ausgerufen, um die Muslime an ihre Pflicht zur "Befreiung" der heiligen Stadt zu erinnern. Nahmen in den 1990er Jahren noch bis zu 3.000 Personen an dieser Demonstra tion teil, hatte sich die Teilnehmerzahl in den letzten Jahren kon tinuierlich verringert (2011: ca. 600 Teilnehmer). 2012 war mit der Teilnahme von 1.100 Personen erstmals wieder eine Steigerung zu verzeichnen. Der diesjährige Anstieg der Teilnehmerzahl an der "alQuds" Demonstration in Berlin auf fast das Doppelte des Vorjahres ist in Zusammenhang mit der Krisensituation im Nahen und Mittleren Osten zu sehen. Seit dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon am 25. Mai 2000 finden zudem jährlich "Siegesfeierlichkeiten" zum "Tag der Befreiung" statt. Am 26. Mai 2012 beteiligten sich in Berlin ca. 700 Teilnehmer an der bundesweit größten Veran staltung aus diesem Anlass. Der Stellenwert dieser überregio nalen Veranstaltung wird auch durch die Teilnahme von "Hizb Allah"Abgeordneten des libanesischen Parlaments deutlich. Im September 2012 kam es in mehreren Städten im Bundes gebiet zu Demonstrationen als Reaktion auf den Trailer des islamfeindlichen Films "Innocence of Muslims", die von "Hizb Allah"Anhängern organisiert wurden bzw. an denen "Hizb Allah"Sympathisanten teilnahmen. Die Demonstrationen verlie fen störungsfrei. 274 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die "Hizb Allah"nahen Moscheevereine in Deutschland finanzie Finanzierung ren sich in erster Linie durch Spendengelder, die vorwiegend im Rahmen religiöser Feierlichkeiten gesammelt werden, sowie durch Mitgliedsbeiträge. Darüber hinaus unterstützen "Hizb Allah"Anhänger aus Deutschland die Organisationen im Libanon finanziell. Der in Deutschland ansässige Spendensammelverein "Waisenkin Organisierte derprojekt Libanon e.V." (WKP) erzielt Spenden vorwiegend durch Spendensammlungen sogenannte Patenschaftsverträge, die längerfristig einen festen monatlichen Betrag zur Unterstützung eines Kindes im Libanon vorsehen. Darüber hinaus werden Spendensammeldosen in Moscheevereinen oder libanesischen Lebensmittelläden aufge stellt. Die in Deutschland vom WKP gesammelten Gelder werden an die "alShahid Association" ("MärtyrerStiftung") mit Sitz im Libanon transferiert, die Teil des Sozialnetzwerkes der "Hizb Allah" ist. Die in Deutschland lebenden Anhänger der "Hizb Allah" sind auf Bewertung grund verwandtschaftlicher, geschäftlicher und persönlicher Kontakte eng mit dem Libanon verbunden. Sie entfalten -- bezo gen auf mögliche Aktivitäten für die "Hizb Allah" -- wenig Außen wirkung und weisen ein eher unauffälliges Verhalten auf, das im privaten Alltag auf Sicherung des Lebensstandards ausgerichtet ist. Die von Deutschland aus feststellbaren finanziellen sowie logistischen Hilfen für die "Hizb Allah" im Libanon fördern jedoch den bewaffneten Kampf gegen Israel. Die Demonstrationen mit "Hizb Allah"Bezügen gegen den Trailer des islamfeindlichen Films "Innocence of Muslims" in Deutschland zeigen die Bereitschaft der Anhänger, Aufrufen von Nasrallah Folge zu leisten. 275 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2. "Islamische Widerstandsbewegung" ("Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - HAMAS) Gründung: Anfang 1988 im Gazastreifen/ heutiges palästinensisches Autonomiegebiet Leitung: Khalid Mash'al (Sitz: bis Januar 2012 Damaskus/Syrien), Isma'il Haniya (Sitz: Gazastreifen) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 300 (2011: 300) Nach Beginn der ersten "Intifada" ("Aufstand") der Palästinenser im Dezember 1987 schlossen sich Anfang 1988 die palästinen sischen Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB, vgl. Kap. IV, Nr. 8) unter Führung von Ahmad Yasin zur HAMAS zusammen. Als Gründungsdatum wird von der Organisation der 14. Dezem ber 1987 angegeben. In ihrer Charta bekennt sich die HAMAS zu dem Ziel, einen isla mischen Staat auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" zu errichten. Unter "Palästina" versteht die HAMAS das Gebiet zwischen Mit telmeer und Jordan, somit auch das Territorium des Staates Israel. Die HAMAS fordert die Beseitigung des Staates Israel und lehnt eine Zweistaatenlösung ab. Zur Verwirklichung dieses Zieles befürwortet sie Gewalt und wendet diese strategisch an, um Frie densgespräche zwischen Israel und der Palästinensischen Auto nomiebehörde zu vereiteln oder um Vergeltung für Maßnahmen israelischer Sicherheitskräfte gegen die HAMAS zu üben. Im November 2012 brachen die heftigsten militärischen Aus einandersetzungen zwischen Israel und der HAMAS seit dem Gazakrieg Ende 2008/Anfang 2009 aus. Bis zur Verkündung eines Waffenstillstands am 21. November 2012 kam es zu Luftangriffen von Israel auf HAMASStellungen im Gazastreifen und zu Rake tenangriffen der HAMAS aus dem Gazastreifen auf Israel. Hierbei 276 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS gelang es der HAMAS erstmalig, israelische Großstädte mit Rake ten zu attackieren. Die HAMAS ist ein einheitliches Gebilde, dessen verschiedene Aufbau Zweige in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen.171 Dabei werden im Wesentlichen drei Bereiche unterschieden: Der politische Bereich ist zugleich für die Gesamtleitung der Organi sation verantwortlich. Die "Izzaddin alQassamBrigaden" sind maßgeblich verantwortlich für terroristische Aktivitäten, insbe sondere in Form zahlreicher Selbstmordanschläge gegen israeli sche Ziele. Vor allem aufgrund der Aktivitäten des sozialen Bereichs mit seinen karitativen Einrichtungen und Bildungsstät ten hat die HAMAS Rückhalt in der palästinensischen Bevölke rung. Der Bürgerkrieg in Syrien hatte maßgeblichen Einfluss auf die Auflösung HauptAktivitäten der HAMAS. Im Januar 2012 sah sich die HAMAS quartier in Syrien - auch vor dem Hintergrund der in Opposition zum Regime von Machthaber Assad stehenden MB - gezwungen, ihren Hauptsitz in Damaskus (Syrien) aufzulösen und sich vom syrischen Regime zu distanzieren. Deutschland wird von der HAMAS als Rückzugsraum betrachtet, Aktivitäten in in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spendengelder Deutschland zu sammeln, neue Mitglieder zu gewinnen und ihre Propaganda zu verbreiten. Die HAMAS tritt in Europa nicht offen auf. Als Plattform nutzt sie stattdessen u.a. das "Palestinian Return Centre" (PRC) mit Sitz in London (Großbritannien). Das PRC fordert ein "Rückkehrrecht" für palästinensische Flücht linge nach Israel. Diese Forderung wird durch Veranstaltun gen und Publikationen unterstützt. Seit 2003 organisiert das PRC jährlich im Frühjahr eine internationale Großveranstaltung ("Palestinians in Europe Conference") mit mehreren Tausend Teil nehmern in verschiedenen europäischen Städten. 171 Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 3. Dezember 2004 - 6A 10.02 - (DVBl. 2005, S. 290 ff). 277 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In Deutschland fand die Konferenz bislang dreimal statt (2004, 2010 und 2011). "Generalsekretär" dieser Veranstaltungsreihe ist der in Österreich lebende Adel Doghman, der öffentlich auch als "Adel Abdallah" auftritt. Er leitete die "Palästinensische Vereinigung in Österreich", die 2003 von den USA wegen Zugehörigkeit zum welt weiten HAMASFinanzierungsnetzwerk in die Liste der Organisati onen aufgenommen wurde, die den Terrorismus unterstützen. An der diesjährigen "10. Konferenz der Palästinenser in Europa" am 28. April 2012 in Kopenhagen (Dänemark) nahmen ca. 4.500 Personen teil, hierunter auch eine größere Anzahl aus Deutschland. Das Motto der Konferenz lautete "Unser Frühling lässt unsere Rückkehr sprießen - Jerusalem ist unser und Freiheit für die Gefangenen". In seinen Redebeiträgen bekräftigte Doghman das "Rückkehr recht" palästinensischer Flüchtlinge: "Von diesem Podium hier auf der zehnten Konferenz sagen wir (...): Wir sind stärker als zuvor, wir sind stärker als zuvor! Wir durchleben in diesem Jahr einen arabischen Frühling, der andauern wird, bis er in Form der Rückkehr in Palästina, in Jerusalem und in der al-Aqsa-Moschee erblühen wird." "Unser Volk bekräftigt Tag für Tag, dass es an seiner Identität festhält, dass es an seiner Sache festhält, dass es an der Rückkehr in seine Dörfer, in seine Heimat Palästina festhält, ohne dass dieses Recht in irgendeiner Weise angetastet werden kann. Dieses Recht ist ein heiliges Recht. Es ist unausweichlich, dass wir nach Palästina zurückkehren." (Internetvideos, 8. und 15. Mai 2012) Als prominenter Gastredner trat Jamal alKhudari, ehemaliger Minister der 2006 u.a. von der HAMAS gebildeten Regierung, auf. Ferner befanden sich unter den Gastrednern auch mehrere Perso nen aus Deutschland. Bewertung Die HAMAS nutzt westliche Staaten wie Deutschland als Rück zugsgebiet und Aktionsraum für propagandistische Vorhaben, aus denen auch logistische und finanzielle Unterstützung durch 278 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Spendengelder generiert werden. Ihre hoch motivierten und gut organisierten Anhänger versuchen weiterhin, den Einfluss der HAMAS auf die palästinensischstämmige Bevölkerung in Deutschland auszubauen, um für eine Solidarisierung mit den Zielen der HAMAS im Gazastreifen zu werben. Gleichzeitig ist die HAMAS bemüht, in westlichen Staaten nicht in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden zu geraten. Im Zusammenhang mit den militärischen Auseinandersetzungen im November 2012 kam es auch in Deutschland zu antiisraelischen Demonstrationen aus dem HAMASSpektrum. Die Lage beruhigte sich zeitnah nach der Verkündung des Waffenstillstands. 3. "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) Gründung: Anfang der 1990er Jahre im Kaukasus Mitglieder/Anhänger in Deutschland: insgesamt 500 (2011: 500) Die Organisation ist gespalten in "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) Leitung: Ahmed Zakaev Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 300 (2011: 300) und "Kaukasisches Emirat" (KE) Leitung: Dokku Umarov Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 200 (2011: 200) Nach dem Zerfall der UdSSR führte die 1991 in Tschetschenien gegründete CRI einen Guerillakrieg für die Unabhängigkeit der Teilrepublik von der Russischen Föderation und die Errichtung eines islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia. 279 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2007 proklamierte Umarov, der damalige CRIPräsident, das islamistisch ausgerichtete KE, das mit terroristischen Mit teln für einen islamischen Staat auf dem Gebiet des gesam ten Nordkaukasus kämpft. Dieser Strategiewechsel führte zur Spaltung. Die Leitung der CRI übernahm Zakaev, der sich auf die politische Durchsetzung des Unabhängigkeitsbestrebens für Tschetschenien beschränkt. Innerhalb des Verfassungsschutzverbundes wird übergreifend der Begriff NKSB verwendet. Aktuelle In einer im Februar 2012 veröffentlichten Videobotschaft erklärte Entwicklungen Umarov, dass die "Mujahidin" unter seinem Kommando zukünftig russische Zivilisten bei Anschlägen verschonen würden. Er habe allen Kämpfern und den innerhalb des KE agierenden Untergrup pierungen, die Anschläge gegen die Russische Föderation planen, befohlen, "unschuldige Opfer" zu vermeiden. Russische Militär und Sicherheitskräfte sowie die prorussische Führung in Tschetschenien sollten jedoch weiterhin legitime Angriffsziele bleiben. Mit dieser Botschaft machte Umarov erstmals Zugeständ nisse und dürfte damit auch der Mehrheit der in Deutschland lebenden Kaukasier entsprechen, die Anschläge mit zivilen Opfern ablehnen. Mit einer im Mai 2012 veröffentlichten Videobotschaft wandte sich Umarov entgegen sonstiger Gepflogenheit an die Tschetschenen, die "zerstreut außerhalb des Kaukasus leben", und rief sie zur Vereinigung und zum Anschluss an die "Mujahidin" auf. Im Juli 2012 schloss sich die in Tatarstan (Autonome Republik der Russischen Föderation) ansässige Gruppierung "Mujahidin von Tatarstan" dem KE an und schwor Umarov die Treue. Damit weitete sich das Emirat vom Nordkaukasus in den östlichen Teil des europäischen Russlands aus. In einer Videobotschaft bekannte sich der Anführer und Militärführer "Muhammad" zu einem Doppelattentat auf zwei Vertreter der offiziellen Führung der Muslime in Tatarstan. Er wandte sich an die dortigen Imame mit der Forderung, zu den Grundlagen der Scharia zurückzukehren, und rief zur Beteiligung am "Jihad" auf. 280 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Vom 7. bis 23. Februar 2014 werden die Olympischen Winterspiele Olympische in Sotschi (Krasnodar, Russland, Grenzgebiet zum Nordkaukasus) Winterspiele in stattfinden. Kaukasische "Mujahidin" hatten bereits im Vorfeld Sotschi 2014 angekündigt, Sportveranstaltungen und stätten verstärkt als Angriffsziel ins Visier zu nehmen. Anfang 2011 wurden in der Nähe von Sotschi Anschläge verübt. Obwohl keine Bekenner schreiben vorliegen, gehen die russischen Sicherheitsbehörden von der Urheberschaft militanter kaukasischer Gruppierungen aus. Darüber hinaus werden auch in der autonomen Republik Tatarstan internationale Sportwettkämpfe ausgetragen (Sommer Universiade 2013, Schwimmweltmeisterschaft 2015, FIFA Confe derations Cup 2017). Die Gruppierung "Mujahidin von Tatarstan" hat in diesem Zusammenhang mit militanten Aktionen gedroht. In Deutschland und Europa werden vorrangig Gelder zur Unter Aktivitäten in stützung der militanten Separatistenbewegung im Nordkaukasus Deutschland gesammelt. Einzelpersonen sind hierbei mit kriminell organisier ten Strukturen in Europa, insbesondere in Belgien, Österreich und Tschechien vernetzt. Anschläge und Anschlagsversuche des KE bzw. kaukasischer Bewertung Gruppierungen in der Russischen Föderation sollen dem KaukasusKonflikt weltweite Aufmerksamkeit sichern und zudem die angebliche Unfähigkeit russischer Sicherheitsbehörden demonstrieren. Von Anhängern der NKSB in Deutschland geht nach bisherigen Erkenntnissen keine Bedrohung für Personen oder Einrichtungen aus. Deutschland dient primär als Rückzugsraum für die finan zielle und logistische Unterstützung der Organisation im Nord kaukasus. Es liegen zudem keine Anhaltspunkte vor, dass sich die seit Jahren konstanten Anhängerzahlen in Deutschland in naher Zukunft deutlich verändern werden. 281 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 4. "Türkische Hizbullah" (TH) Gründung: 1979 in Batman (Türkei) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 350 (2011: 350) Publikationen: "Yeni Müjde" ("Neue Frohe Botschaft"), "Inzar" ("Warnung"), "Dogru Haber" ("Wahre Nachricht"), "Kelhaamed" ("Prächtiges Diyarbakir"), "Kendi Dilinden Hizbullah" ("Die Hizbullah in eigenen Worten") Die TH entstand laut einem im Jahr 2012 veröffentlichten Mani fest 1979 durch den Zusammenschluss kleiner kurdischer Grup pierungen in Batman (Türkei). Obwohl die Anhänger der TH mehrheitlich sunnitische Kurden sind, wird der Begriff "Türki sche Hizbullah" in Abgrenzung zur schiitischen libanesischen "Hizb Allah" (vgl. Kap. IV, Nr. 1) verwendet. Ziele Hauptziel der Organisation ist die Beseitigung des laizistischen Staatssystems in der Türkei und langfristig die Errichtung eines weltumfassenden Staates auf der Grundlage der Scharia. Zur Umsetzung ihrer Vorstellungen rechtfertigt die TH die Anwen dung von Gewalt. AuseinanderDer Organisation, die sich von Ende der 1980er bis Mitte der setzungen in der 1990er Jahre blutige Auseinandersetzungen mit der "Arbeiterpar Türkei tei Kurdistans" (PKK, vgl. Berichtsteil "Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamis mus), Kap. II, Nr. 1.2) lieferte, wurden in der Vergangenheit eine Vielzahl von Morden und weiteren Gewalttaten zugerechnet, u.a. gegen liberale türkische Journalisten und Staatsvertreter sowie "Verräter" aus den eigenen Reihen. 282 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In den Jahren 1999/2000 wurde die Organisation in der Türkei durch Exekutivmaßnahmen empfindlich geschwächt. Bei einer dieser Maßnahmen wurden ihr damaliger Anführer Hüseyin Velioglu getötet und zahlreiche Führungsfunktionäre verhaf tet. Der Verfolgungsdruck führte dazu, dass sich zahlreiche TH Aktivisten nach Westeuropa, insbesondere nach Deutschland, absetzten. 2011 wurden mehrere THFunktionäre, die in der Türkei zu lang Manifest (2012) jährigen Haftstrafen verurteilt worden waren, aus der Haft entlas sen. Dazu zählt auch Edip Gümüs, der im Januar 2012 in einem Manifest anlässlich des 12. Todestages des ehemaligen Anführers Velioglu als neuer Anführer der Organisation benannt wurde. In dem Manifest werden die Grundprinzipien des ideologischen Hauptwerkes der Organisation, "Die Hizbullah in eigenen Wor ten" ("Kendi Dilinden Hizbullah"), fortgeschrieben. Demnach betrachtet sich die TH als die einzige legitime Vertretung des kur dischen Volkes in "Nordkurdistan" und hält es für ihre Pflicht, für die "Befreiung" von "besetztem islamischem Boden" zu kämpfen. Ferner sollen alle Bewegungen unterstützt werden, die für die "Befreiung" Jerusalems aktiv sind. Neben radikalen Vorstellungen bezüglich einer "korankonformen" Erziehung wird auch das "Märtyrertum" glorifiziert: "Artikel 32 - Die Glaubensgemeinschaft Hizbullah sieht das Märtyrertum, die Inhaftierung und die Auswanderung als eine natürliche Folge des Kampfes an und hält es für eine ihrer Hauptaufgaben, sich um die Familien der Märtyrer, der Inhaftierten und der Ausgewanderten zu kümmern und sich dieser anzunehmen." ("Hizbullah Cemaat'nin Manifestosu"/Manifest TH, Januar 2012) 2012 fand - wie bereits im Vorjahr - eine Veranstaltung anlässlich Veranstaltung der "Geburt des Propheten" ("Kutlu Dogum") in Temse (Belgien) anlässlich der statt. An dem Treffen im April 2012 beteiligten sich 2.000 Perso "Geburt des nen aus ganz Europa. Aus Deutschland reisten u.a. Teilnehmer aus Propheten" Hamburg, Leipzig (Sachsen) und Wiesbaden (Hessen) an. Bei der Veranstaltung wurde eine Grußbotschaft des neu ernann ten Anführers Gümüs verlesen, die von den Zuhörern mit den 283 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Worten "Lebbeyk ya Edip, Lebbeyk ya Hizbullah" - sinngemäß "Zu Diensten Edip, zu Diensten Hizbullah" - bejubelt wurde. Bewertung Die TH nutzt Deutschland als Rückzugsraum zur personellen und logistischen Reorganisation. Die Organisation sammelt in Deutschland Spenden, vertreibt Publikationen und lädt - oftmals aus religiösen oder kulturellen Anlässen - zu Veranstaltungen ein. Die TH ist dabei bemüht, ihre verdeckten Strukturen in Deutschland auszubauen. Dabei werden die Mitglieder und Anhänger auch zukünftig für Außenstehende keinen Organisati onsbezug erkennen lassen, da sie sich weiterhin des hohen Verfol gungsdrucks, insbesondere in der Türkei, bewusst sind. 5. "Hizb ut-Tahrir" (HuT - "Partei der Befreiung") Gründung: 1953 in Jerusalem (Israel) Leitung: Ata Abu al-Rashta alias Abu Yasin (seit April 2003) Mitglieder/Anhänger in 300 (2011: 300) Deutschland: Publikationen: "al-Khilafa" ("Das Kalifat", englisch und arabisch); "Hilafet" ("Das Kalifat", türkisch) und "Köklü Degisim" ("Grundlegender Wandel", türkisch); "al-Waie" ("Das Bewusstsein", arabisch); "Expliciet" (niederländisch) Betätigungsverbot in Verbotsverfügung vom Deutschland: 10. Januar 2003 Die HuT wurde 1953 von Taqiaddin alNabhani (19091977) in Jerusalem (Israel) gegründet. Sein Hauptwerk "Die Lebensord nung des Islam" ("Nizam alIslam") bildet bis heute die ideolo gische Grundlage der Organisation. Demnach regelt der Islam 284 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS abschließend alle gesellschaftlichen, politischen und wirtschaft lichen Belange sowie das Alltagsleben. Ziel der panislamisch ausgerichteten HuT ist die Vereinigung der Ziele Gemeinschaft aller Muslime (Umma) in einem einzigen, die ganze Welt umfassenden Staatsgebilde. Gesetzliche Grundlage dieses unter der Führung eines Kalifen stehenden Staates (Kalifat) soll die islamische Rechtsordnung (Scharia) sein. In einer Erklärung auf der Internetseite der HuT heißt es zum Absolutheitsanspruch des Kalifats: "Die Umma erkennt mehr und mehr, dass nur ein Islamischer Staat die Menschheit ideologisch führen kann, weil eben einzig die islamische Lebensordnung diejenige ist, die der Natur des Menschen entspricht und bewiesen hat, dass sie bei richtiger Anwendung zum Aufstieg der Völker geeignet ist." (Homepage HuT, 15. Oktober 2012) Die HuT sieht alle Muslime in der Pflicht, sich aktiv für die Wiedererrichtung des Kalifats einzusetzen. Zu diesem Zweck bemüht sich die Organisation insbesondere um die Rekrutierung angehender Akademiker, die perspektivisch in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen platziert werden sollen, um zu einem spä teren Zeitpunkt die Macht zu übernehmen und das Kalifat zu errichten. Die häufig jungen Sympathisanten der HuT werden dazu in meist wöchentlichen Schulungen an die Lehren des Grün ders alNabhani herangeführt. Gewalt wird als legitimes Mittel zur Errichtung und Ausbreitung Befürwortung des Kalifats angesehen: von Gewalt "Das Kalifat wird Armeen entsenden, deren Gleichschritt die Erde zum Beben bringt und Raketen in den Himmel jagen, die die Sonne über dem ungläubigen Westen verdunkeln - auf dass die Verbrecher bestraft werden (...)." (Homepage HuT, 24. September 2012) 285 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Auch aktuelle tagespolitische Themen können Anlass für Gewalt befürwortende Kommentare sein: Die Veröffentlichung des Trai lers zum islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" war Auslöser für Angriffe auf diplomatische Vertretungen in Ägypten, Tunesien, Jemen und im Sudan zwischen dem 11. und 15. Septem ber 2012. "Auf feindselige Angriffe reagiert die Umma nicht mehr mit Dialogbereitschaft und Besänftigung, sondern zeigt ihre Zähne und bietet der Welt die Stirn. Sie hat erkannt, dass der sogenannte Dialog mit den hasserfüllten Vertretern der kapitalistischen Ideologie zu keinem Resultat führt." (Homepage HuT, 24. September 2012) Beschwerde beim Die Organisation kennzeichnet eine ausgeprägte antisemitische EGMR erfolglos und antiisraelische Grundhaltung, die mit dem Gedanken der Völ kerverständigung unvereinbar ist. 2003 wurde der HuT durch den Bundesminister des Innern die Betätigung im Bundesgebiet untersagt. Die Beschwerde der HuT (und mehrerer ihrer Mitglie der) beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) wurde im Juni 2012 für unzulässig erklärt. Die Ziele der HuT stün den "in klarem Gegensatz zu den Werten der [Menschenrechts] Konvention, namentlich dem Bekenntnis zur friedlichen Beile gung internationaler Konflikte und der Unantastbarkeit mensch lichen Lebens."172 Aktivitäten Obwohl die HuT seit dem Betätigungsverbot in Deutschland nicht in Deutschland mehr öffentlich auftritt, strahlen ihre Aktivitäten hierher aus. In und Europa Europa wird - ausgehend von Großbritannien und Österreich - der Großteil der medialen Agitation der HuT über das Internet verbreitet. Darüber hinaus finden in Großbritannien regelmäßig Vortragsveranstaltungen, Flugblattaktionen und Demonstratio nen statt. Deutsche HuTAktivisten weichen in Nachbarländer aus, in denen die Organisation nicht verboten ist. Ende Juni 2012 fand in Amsterdam (Niederlande) eine internationale HuTKonferenz mit 172 EGMR, 5. Sektion, Entscheidung vom 12. Juni 2012, Individualbeschwerde Nr. 31098/08. 286 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS mehreren Hundert Teilnehmern statt, an der auch eine große Anzahl von Sympathisanten aus Deutschland teilnahm. Eine ähnliche Veranstaltung im März 2012 in Österreich wurde nicht zuletzt aufgrund massiver Reaktionen aus Politik, Gesellschaft und Medien durch die dortigen Behörden untersagt. Bereits im Vorfeld war die Ausrichtung einer gleichartigen Konferenz in Belgien verboten worden. Die HuT kann in Deutschland aufgrund des Betätigungsverbots Bewertung keine öffentlichen Aktivitäten entfalten, setzt jedoch ihre Agita tion und die Rekrutierung neuer Mitglieder im Untergrund fort. Insbesondere jüngere Menschen werden von der HuT für ihre extremistische und integrationsfeindliche Ideologie angeworben. Es gibt etliche Fälle, in denen HuTAnhänger den Weg in "jihadisti sche" Kreise gefunden haben. Die stagnierende Mitgliederzahl der HuT in Deutschland ergibt sich aus den relativ gleichbleibenden Zu und Abgängen. Dieser Trend ist auch in Zukunft zu erwarten. 6. "Tablighi Jama'at" (TJ - "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") Gründung: um 1926 in Indien Leitung: Welt-Schura-Rat Vorsitzender: Maulana Ibrahim Saad Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 700 (2011: 700) Die TJ wurde um 1926 von Maulawi Mohammad Ilyas (18851944) Transnationale als islamische Erweckungs und Missionierungsbewegung in Bri Massenbewegung tischIndien gegründet. Die Organisation expandierte über den indischen Subkontinent nach Südasien, später auf die arabische Halbinsel und über Afrika und Europa (in den 1960er Jahren) bis Nordamerika. Heute ist die TJ eine transnationale Massenbewe gung mit weltweit zehn bis zwölf Millionen Anhängern. Die TJ ist hierarchisch gegliedert und wird durch einen Führungs zirkel (Schura) mit Zentren in Dhaka (Bangladesch), NeuDelhi 287 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS (Indien) und Raiwind (Pakistan) geleitet. Neben einigen bekann ten Zentren auf nationaler Ebene wird eine übergeordnete Zent rale für Europa in Dewsbury (Großbritannien) vermutet. Ideologie/ TJGründer Ilyas leitete aus dem Gebot des Koran, "das Rechte zu Missionierung befehlen und das Verwerfliche zu verbieten", die Pflicht aller Mus lime zur Verbreitung der islamischen Botschaft ab. Durch welt weite Missionierung versucht die TJ dementsprechend, Muslime von einer Lebensführung zu überzeugen, die vollkommen durch ihr enges, an der islamischen Frühzeit orientiertes Verständnis islamischer Vorschriften geregelt ist. Inhaltliche und organisatori sche Vorgaben der TJFührung werden auf sogenannten Ratsver sammlungen vermittelt, die auf regionaler, nationaler und konti nentaler Ebene regelmäßig stattfinden. Weltweit haben 2012 internationale Treffen u.a. in der Türkei, Skandinavien, Frankreich, Italien und Pakistan stattgefunden. Teilnehmen kann an diesen Versammlungen nur, wer sich - zunächst als Laienprediger - auf Missionierungsreisen bewährt hat. Katalysator für Die mit der Rückbesinnung auf den "ursprünglichen" Islam und "jihadistische" dessen Propagierung einhergehende Ablehnung westlicher Wert Rekrutierungsvorstellungen kann desintegrativ wirken und zur Entstehung von bemühungen Parallelgesellschaften beitragen. Wenngleich die TJ selbst keine Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele propagiert, können islamistische Radikalisierungsprozesse bis hin zur Bereit schaft, terroristische Gewalttaten zu begehen, befördert werden. Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die TJ "jihadistischen" Organisationen und Netzwerken als Rekrutierungspool dient. In Einzelfällen sollen Mitglieder terroristischer Netzwerke die Infra struktur der TJ auch für ihre Ausreise in ein "Jihad"Gebiet miss braucht haben. Aktivitäten in Die Anhängerzahl der TJ in Deutschland stagniert seit Jahren. Die Deutschland Organisation finanziert sich aus Eigenmitteln ihrer Anhänger und Spenden. Die Aktivitäten werden über ein hierarchisch aufgebau tes Netzwerk herausragender Akteure sowie informelle Kontakte der Anhänger untereinander koordiniert. Eine übergeordnete, weisungsbefugte Instanz ist in Deutschland nicht feststellbar. Als bedeutsame TJStandorte gelten Berlin, Bochum (Nordrhein Westfalen), Friedrichsdorf (Hessen), Hamburg, Hannover (Niedersachsen), Köln (NordrheinWestfalen), München und Pappenheim (beide Bayern). An überregionalen Versammlungen 288 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der TJ haben im Berichtszeitraum in Frankfurt am Main (Hessen) im Februar 2012 ca. 250 und in Hamburg im Juni 2012 ca. 400 Anhänger teilgenommen. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom Einbürgerung/ 25. Oktober 2011 ausgeführt, dass die TJ keine Vereinigung sei, die Zugehörigkeit zur TJ sich selbst terroristisch betätigt oder die Begehung terroristischer Taten durch Dritte (und sei es auch nur durch Werben für terro ristische Ideologien und Ziele) fördert oder befürwortet. Das reine Bekenntnis zur TJ ist kein Ausweisungsgrund. Das Oberverwaltungsgericht BerlinBrandenburg hat allerdings in seinem Urteil vom 7. Juni 2012 die Abweisung der Klage eines pakistanischen Staatsangehörigen auf Einbürgerung wegen Zuge hörigkeit zur TJ bestätigt und festgestellt, dass die Zugehörigkeit zur TJ ein Einbürgerungshindernis darstellt, weil sich die TJ gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet. Die TJ tritt als friedliche, unpolitische Bewegung auf, die vorgibt, Bewertung ausschließlich die religiöse Rückbesinnung des einzelnen Mus lims im Blick zu haben. Die Missionierungsbewegung stützt sich jedoch bis heute auf Schriften aus ihrer Gründerzeit, die fordern, dass alle Regeln der Scharia unverändert praktiziert werden müs sen. Als unfehlbarer Kanon soll ausschließlich die Scharia das gesamte religiöse, politische, soziale und individuelle Leben sowohl der Muslime als auch das der im islamischen Staat geduldeten Andersgläubigen regeln. "Menschengemachtes" Recht, und damit auch Demokratieprinzip, Rechtsstaatlichkeit, Gleich heitsgrundsatz sowie der Schutz von Individual und Minderhei tenrechten, wird von dieser Ideologie und der auf ihr basierenden Staatsvorstellung abgelehnt. 7. Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten In Deutschland existieren eine Reihe schiitischislamischer Zen tren und Organisationen regimetreuer Iraner, mit deren Hilfe das iranische Regime versucht, Einfluss auf hier lebende Schiiten unterschiedlicher Nationalität zu nehmen. Diese Zentren und Organisationen sind der iranischen Staats führung unterstellt und damit auch der iranischen Verfassung 289 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und der ihr zugrundeliegenden theokratischen Staatsdoktrin verpflichtet, nach der die Staatsgewalt nicht vom Volk ausgeht, sondern allein religiös legitimiert wird. "Islamisches Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegründete Zentrum Hamburg IZH, das Träger der "Imam Ali Moschee" in Hamburg ist. Der e.V." (IZH) Leiter des IZH Reza Ramezani gilt als Vertreter des "Revolutions führers" der Islamischen Republik Iran - derzeit Ayatollah Seyyed Ali Khamenei - in Mitteleuropa. Auch 2012 setzte Ramezani seine Bemühungen fort, das IZH und sich selbst als unpolitisch, kooperativ und für eine mode rate Islaminterpretation stehend darzustellen. Gleichwohl sind die Aktivitäten des IZH weiterhin darauf ausgerichtet, die isla mische Lehre schiitischiranischer Prägung auf unterschied lichste Art und Weise in Deutschland und Europa zu verbreiten. Hierzu gehört auch die Unterstützung schiitischer Vereine in Deutschland. Das IZH organisiert u.a. regelmäßige Gebets und Vortragsveran staltungen, religiöse Feierlichkeiten sowie Sprachunterricht und andere Lehrveranstaltungen. Hierzu unterhält es ein großes Ange bot an eigenen Schriften. Am 18. August 2012 nahmen Führungsfunktionäre des IZH an der jährlich in Berlin durchgeführten Demonstration anlässlich des "alQuds"Tages teil (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Am 25. August 2012 feierte das IZH unter dem Motto "50 Jahre Blaue Moschee an der Alster" sein 50jähriges Bestehen und versuchte dabei, sich im Sinne ihres Leiters Ramezani als offene und dialogbereite Einrichtung nach außen darzustellen. Auch die Werbekampagne wurde modern gehalten. Nach eigener Darstel lung des Zentrums besuchten mehr als 4.000 Muslime und Nicht muslime die Veranstaltung. Bewertung Die extremistische Ausrichtung des IZH besteht unverändert fort. Die Aktivitäten des Zentrums sind nach wie vor durch den unver ändert gültigen Auftrag der iranischen Verfassung zur Errichtung einer islamischen Weltgemeinschaft iranischer Prägung bestimmt. Derzeit gibt es keine Anhaltspunkte für eine Änderung dieser Linie. 290 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 8. "Muslimbruderschaft" (MB - "Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin") Gründung: 1928 in Ägypten Leitung: Muhammad Badi (Sitz: Ägypten) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 1.300 (2011: 1.300) Publikationen: "Risalat al-Ikhwan" ("Rundschreiben der Bruderschaft") Die MB wurde 1928 in Ägypten von dem Lehrer Hasan alBanna (19061949) gegründet. Sie ist die älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Nach eigenen Angaben ist sie in mehr als 70 überwiegend muslimischen Ländern in unter schiedlicher Ausprägung vertreten und agiert dabei häufig unter anderem Namen. Neben dem Gründer alBanna beeinflussen vor allem die Lehren von Sayyid Qutb (19061966) die MB bis heute. Zahlreiche islamistische Organisationen, z.B. die ägypti schen Gruppierungen "alGama'a alIslamiya" (GI) und "alJihad alIslami" (JI) sowie die palästinensische HAMAS (vgl. Kap. IV, Nr. 2), sind aus der MB hervorgegangen. Ursprüngliches Ziel der MB war es, die Kontrolle Großbritanniens Ziele über das Königreich Ägypten zurückzudrängen. Dabei propagierte die MB die Rückkehr zu den "wahren" Werten des Islam und strebte die Schaffung eines "wahrhaft islamischen Staates" an. Am Ende dieser Entwicklung sollte ein föderales, islamisches Welt reich unter Führung eines Kalifen (Kalifat) stehen. Heute plädiert die MB für die Errichtung eines "bürgerlichen Staates mit islamischen Werten". Die MBPartei "Freedom and Justice Party" (FJP - "Partei für Freiheit und Gerechtigkeit") for dert, dass die Scharia als von Gott geschaffene islamische Rechts und Werteordnung Hauptquelle der Gesetzgebung sein müsse und auf alle Lebensbereiche anzuwenden sei. 291 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In einer Erklärung vom 31. Oktober 2012 äußerte sich die MB zur Scharia wie folgt: "Die Scharia weckt somit den Glauben, bessert das Verhalten, verbessert die allgemeine Umwelt der gesamten Gesellschaft und bessert die Moral auf, und zwar durch Überzeugung und Erziehung, ohne irgendeinen Zwang. Zum Schutz dieser auf der Basis der Scharia gegründeten zivilisierten Gesellschaft ist das Strafsystem die Verkörperung höchster Gerechtigkeit und Genauigkeit. Niemand wird bestraft, es sei denn, er begeht eine konkrete Straftat. Zuvor wird die Gesellschaft darauf vorbereitet, die Scharia zu verstehen und zu akzeptieren, die behutsam und schrittweise angewandt würde, um ihre für den Menschen und die Gesellschaft unabdingbaren Zwecke zu erreichen, nämlich sowohl Glaube, Geist und Seele als auch privates Eigentum und Geld zu schützen, um so schließlich zu psychischer und physischer Sicherheit in der Gesellschaft zu gelangen." (Homepage MB, 21. November 2012) Seit den 1970er Jahren formuliert die MB ausdrücklich den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele. Eine Ausnahme bildet jedoch der "Widerstand" gegen "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. Vor diesem Hintergrund rufen führende Mitglieder der MB regelmäßig dazu auf, "Palästina" zu "befreien" und die HAMAS (vgl. Kap. IV, Nr. 2) zu unterstützen. Die MB, die den Staat Israel nicht anerkennt, fordert Nachverhandlungen für den im Jahr 1979 geschlossenen Friedensvertrag zwischen Ägypten und Israel. Politische EntwickBei den von Ende 2011 bis Anfang 2012 in mehreren Etappen lungen in Ägypten durchgeführten Parlamentswahlen ging das von der MBPartei FJP dominierte Wahlbündnis als Wahlsieger hervor. Das Parla ment wurde allerdings im Juni 2012 aufgelöst, nachdem das Ver fassungsgericht Teile des Wahlgesetzes für verfassungswidrig erklärt hatte. Für voraussichtlich Mitte 2013 sind Neuwahlen vor gesehen. Zudem ist am 25. Dezember 2012 eine neue Verfassung in Kraft getreten, der im Rahmen eines Referendums die Mehrheit der Wähler zugestimmt hatte. Die Opposition kritisiert die Verfas sung, die von einer von Vertretern der MB und Salafisten domi nierten verfassungsgebenden Versammlung ausgearbeitet worden war, als deutlich islamistisch geprägt. 292 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Mit der Wahl des von ihr nominierten Mohammed Mursi zum neuen ägyptischen Präsidenten konnte die MB im Jahr 2012 einen weiteren Erfolg verbuchen, auch wenn Mursi nach seiner Wahl aus der MB austrat. Er stärkte nach der Verkündung seines Wahlsieges am 24. Juni 2012 seine Position, indem er durch den Militärrat vor der Präsidentschaftswahl erlassene Verfassungs änderungen, die die Befugnisse des Präsidenten einschränkten, revidierte und wenig später die Militärspitze austauschte. Mursi nahm mehrere im November 2012 erlassene Verfassungs dekrete, die seine Macht abermals wesentlich erweiterten, nach massiven landesweiten Protesten wenig später wieder zurück. Der MB gelang es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Ausdehnung zahlreichen europäischen Ländern ein Netz von Moscheen, nach Europa Instituten, Verbänden und Schulen zu schaffen, über das bis heute ihre ideologische Interpretation des Islam verbreitet wird. Neben den nationalen "Islamischen Zentren" wurden insbeson dere internationale Einrichtungen geschaffen. In dem 1989 gegründeten europäischen Dachverband "Federation of Islamic Organizations in Europe" (FIOE - "Föderation Islamischer Orga nisationen in Europa") mit Sitz in Brüssel (Belgien) sind zahlrei che MBnahe Verbände vertreten. Die europäischen Einrichtun gen haben zumeist keine offen erkennbaren organisatorischen Verbindungen zur MB; offiziell werden diese auch dementiert. Gleichwohl wurde der stellvertretende Vorsitzende und General sekretär der FIOE, der Ägypter Ayman Aly, im August 2012 in den Beraterstab des neuen ägyptischen Präsidenten Mursi berufen. Außerdem ist er Mitglied der verfassungsgebenden Versammlung in Ägypten. Eine weitere Institution auf europäischer Ebene mit zentraler Bedeutung ist der auf Initiative der FIOE gegründete "European Council for Fatwa and Research" (ECFR - "Europäischer Rat für Fatwa und wissenschaftliche Studien"), der seinen Sitz in Dublin (Irland) hat. Mit dem ECFR wurde erstmals in Europa ein Gremium für islamisches Recht geschaffen. Vorsitzender des ECFR ist der in Katar ansässige ägyptische Islamgelehrte Yusuf alQaradawi, der die MB ideologisch maßgeblich beein flusst. 293 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Islamische GemeinIn Deutschland nutzen die MBAnhänger eine Vielzahl schaft in Deutschland "Islamischer Zentren" für ihre Aktivitäten. Die mit mehreren e.V." (IGD) Hundert Mitgliedern wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern der MB in Deutschland ist die IGD. Hervorgegangen ist sie aus einer 1958 gegründeten Moscheebauinitiative, die das "Islamische Zentrum München e.V." (IZM) errichtete. Neben ihrem Hauptsitz in Köln (NordrheinWestfalen) unterhält die IGD "Islamische Zentren" in Braunschweig (Niedersachsen), Frankfurt am Main (Hessen), Marburg (Hessen), München (Bayern), Münster (NordrheinWestfalen), Nürnberg (Bayern) und Stuttgart (BadenWürttemberg).173 Darüber hinaus koordiniert sie eigenen Angaben zufolge ihre Aktivitäten mit mehr als fünfzig weiteren Moscheegemeinden.174 Als Gründungsmitglied der FIOE verfolgt die IGD deutschland und europaweit eine an der MBIdeologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich. Zudem versucht sie in ihren Zentren, u.a. durch Koranunterricht, gezielt auf Kinder und Jugendliche einzuwirken. Die 32. Jahreskonferenz der IGD fand am 16. Juni 2012 in München (Bayern) und am 17. Juni 2012 in Bonn (Nordrhein Westfalen) unter dem Motto "Frühling weckt Hoffnung und Wil len zur Veränderung" mit insgesamt über 1.000 Besuchern statt. Hauptthemen der Veranstaltung waren der "Arabische Frühling" und dessen Auswirkungen sowie die gegenwärtige Situation der Muslime in Deutschland. Zum Fastenmonat Ramadan im Jahr 2012 initiierte die IGD die Kampagne "Auf gute Nachbarschaft", an der sich 25 Moscheen und Vereine beteiligten. Um ein positives Bild der teilnehmenden Einrichtungen zu vermitteln, suchte sie gezielt den Kontakt auch zu nichtmuslimischen Nachbarn und sprach u.a. Einladungen zum Fastenbrechen aus. Bewertung Die IGD verfolgt eine an der MBIdeologie ausgerichtete Strategie, die darauf abzielt, in Deutschland mittel bis langfristig eine 173 "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V.", "Islamisches Zentrum Frankfurt e.V.", "Orientbrücke Marburg e.V.", "Islamisches Zentrum München e.V." (IZM), "Islamische Gemeinschaft Münster e.V.", "Islamische Gemeinde Nürnberg e.V." und "Islamisches Zentrum Stuttgart e.V.". 174 Homepage IGD (10. Oktober 2012). 294 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS politischgesellschaftlich relevante Einflussgröße zu werden. Dies bedingt eine entsprechende Schulung und Unterweisung der Mit glieder. Die Organisation strebt die Schaffung von gesellschaftli chen Freiräumen an, in denen säkulare gesellschaftliche Konven tionen und westlich geprägte pluralistische Normen nicht gelten. Stattdessen sollen die von der Organisation postulierten islamisti schen Wertvorstellungen Anwendung finden. Die von den IGDZentren durchgeführten Aktivitäten sind letztlich geeignet, gesellschaftlich desintegrativ auf hier lebende Muslime zu wirken. Die IGD engagiert sich programmatisch in überregionalen musli mischen Verbänden. Es ist zu erwarten, dass sie auch auf diesem Wege versuchen wird, die Diskussion gesellschaftspolitischer Themen, wie die in Deutschland angestrebte eigenständige ImamAusbildung, in ihrem Sinne zu beeinflussen. Auch im Jahr 2012 versuchte die IGD, durch Veranstaltungen wie die Jahreskonferenz im Juni oder die Kampagne "Auf gute Nach barschaft" zum Ramadan, ihren Führungsanspruch innerhalb der nichttürkischen muslimischen Gemeinschaft in Deutschland zu unterstreichen. Die seit dem Jahr 2011 fortgesetzten verstärkten Aktivitäten der IGD zeigen, dass der "Arabische Frühling" und der Machtzuwachs der MB einschließlich Regierungsbeteiligungen in arabischen Ländern zu einer erhöhten Motivation und einem erhöhten Engagement ihrer Anhänger in Europa bzw. Deutschland geführt haben. Die Jugendorganisation MJD unterhält enge Verbindungen zur "Muslimische Jugend IGD. Gleichwohl ist die MJD bemüht, sich als unabhängige Orga in Deutschland e.V." nisation darzustellen. Wie die IGD unterhält die MJD Beziehun (MJD) gen zu Einrichtungen auf europäischer Ebene, in denen eine Viel zahl von MBnahen Verbänden vertreten ist. Zudem ist sie Gründungsmitglied des europaweit tätigen "Forum of European Muslim Youth and Student Organizations" (FEMYSO), einer Dachorganisation für muslimische Jugendliche in Europa und gleichzeitig Nebenorganisation der FIOE. Zielgruppe der MJD sind Muslime im Alter von 13 bis 30 Jahren. Die MJD verfügt nach eigenen Angaben über 900 Mitglieder und ist bundesweit in sogenannten Lokalkreisen organisiert, die sich hauptsächlich auf die westlichen Bundesländer verteilen. Ihren 295 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Hauptsitz hat sie in Berlin. Die MJD führt religiöse Erziehung und Bildung über zielgruppenorientierte Schulungs und Freizeitakti vitäten durch. Sie gibt an, sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträ gen zu finanzieren. Größte Veranstaltung der MJD war im Jahr 2012 das 18. Jahres meeting in Bad Orb (Hessen), das vom 25. bis zum 28. Mai unter dem Motto "Wir gewinnt" stattfand. Das Programm umfasste zahlreiche Vorträge, Arbeitsgemeinschaften und Gesprächskreise und wurde von Musikdarbietungen sowie sportlichen Aktivitäten umrahmt. 9. "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Gründung: 1985 in Köln (Nordrhein-Westfalen) (als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." - AMGT) Leitung: Kemal Ergün Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 31.000 (2011: 31.000) Publikationen: u.a. "IGMG Perspektif", unregelmäßig; "Cami'a" (Gemeinde), neu ab Oktober 2012, 14-täglich; "Milli Gazete" (formal unabhängiges "Sprachrohr" der "Milli Görüs"Bewegung), täglich Die IGMG ist mit 31.000 Mitgliedern die größte islamistische Organisation in Deutschland. Aufgrund ihrer zahlreichen Ein richtungen und vielfältigen Angebote erreicht sie jedoch einen weitaus größeren Personenkreis, wobei nicht alle Mitglieder/ Anhänger der IGMG islamistische Ziele verfolgen oder unterstüt zen. Nach eigenen Angaben zählen zur IGMG weltweit mehr als 108.000 Mitglieder,175 die Zahl der Besucher ihrer Einrichtungen 175 Interview mit dem ehemaligen IGMGVorsitzenden Yavuz Celik Karahan (15. März 2011). 296 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS wird mit ca. 300.000176 angegeben. Sie soll derzeit über 520 Moschee und Kulturvereine,177 davon 323 in Deutschland,178 ver fügen. Die IGMG wird seit Mai 2011 von Kemal Ergün geleitet. Mit der Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes der IGMG ist seit 1995 die "Europäische Moscheebau und Unterstützungs gemeinschaft e.V." (EMUG) betraut. Die ideologischen Wurzeln der IGMG reichen bis zu den Ideen des Ideologische türkischen Politikers Necmettin Erbakan zurück, der Ende der Wurzeln 1960er Jahre die "Milli Görüs"Bewegung gründete. Die von Erbakan geprägten Schlüsselbegriffe seines politischen Denkens sind "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"). Nach seinem Geschichtsverständnis stehen sich in einzelnen Epochen gegensätzliche Zivilisationen unversöhnlich gegenüber, die entweder auf grundsätzlich "gerechten" oder auf "nichtigen" Voraussetzungen beruhen. "Gerecht" sind für Erbakan die Ordnungen, die auf "göttlicher Offenbarung" gegründet, "nichtig" jene, die von Menschen entworfen wurden. Gegenwärtig dominiere mit der westlichen Zivilisation eine "nichtige", also nach Erbakan eine auf Gewalt, Unrecht und Ausbeutung der Schwachen basierende Ordnung. Dieses "nichtige" System müsse durch eine "gerechte Ordnung" ersetzt werden, die sich aus schließlich an islamischen Grundsätzen ausrichte, anstatt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln". Als zentrale Ziele propagierte Erbakan in Anlehnung an das Osmanische Reich die Schaffung einer "neuen großen Türkei", die Überwindung des Laizismus sowie - letztlich mit globalem Anspruch - die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsord nung. Konsequenz dieser Sichtweise ist die Ablehnung westlicher Demokratien. Die Anhänger der "Milli Görüs"Bewegung in der Türkei sind poli "Milli Görüs"tisch in der "Saadet Partisi" (SP - "Partei der Glückseligkeit") orga Bewegung nisiert. Am 27. Februar 2011 verstarb der Gründer der "Milli in der Türkei Görüs"Bewegung und SPVorsitzende Erbakan im Alter von 84 Jahren. Seit März 2011 führt Mustafa Kamalak, langjähriger Weggefährte Erbakans, die SP und tritt als treuer Sachwalter des 176 Homepage IGMG (1. August 2012). 177 Interview mit dem ehemaligen IGMGVorsitzenden Yavuz Celik Karahan (15. März 2011). 178 Homepage IGMG (1. August 2012). 297 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ideologischen Erbes seines Vorgängers auf. Somit bleibt die Partei auch nach dem Tod Erbakans dessen Prinzipien treu. Diese Treue zeigte sich auch in zahlreichen Veranstaltungen, Aus stellungen und Symposien zum Gedenken an den Verstorbenen, auf die Anfang Februar 2012 in der Zeitung "Milli Gazete" hinge wiesen wurde.179 So hat die SP die Woche vom 24. Februar bis zum 2. März 2012 zur "ErbakanWoche" ausgerufen, um dem Volk und der Jugend die Ziele Erbakans - die Schaffung einer lebenswerten Türkei, einer "neuen großen Türkei", und die "Islamische Union" sowie die "Gerechte Ordnung" - zu erklären.180 In zahlreichen Reden anlässlich dieser Feierlichkeiten wurde an Erbakans Ziele angeknüpft. So lobte der SPVorsitzende Kamalak Erbakan als einen wahren Glaubenskämpfer. Er habe eine "wahre Mission" sowie eine reine und klare Organisation hinterlassen, die diese Mission zum Ziel führen werde.181 In einem türkischsprachigen Nachrichtenportal182 wurde außer dem berichtet, dass nunmehr jährlich zum Todestag Erbakans Aktivitäten wie Symposien und "JugendNächte" geplant seien. Am 27. Februar selbst sollten in der Türkei, aber auch in den euro päischen Ländern, in denen die IGMG organisiert ist, Lesungen aus dem Koran und dem Prophetenleben veranstaltet werden. Vertreter der "Milli Görüs"Bewegung prangern regelmäßig Kapi talismus, Imperialismus, Zionismus und Rassismus an, die als Ursache der derzeit herrschenden "ungerechten Weltordnung" gesehen werden. Der Weg der "Milli Görüs"Bewegung wird als der einzige Weg zur Rettung der gesamten Welt propagiert. Der "Milli Gazete"Kolumnist Mevlut Özcan hob im Rahmen des Gedenkens an Erbakan hervor, dieser habe im Geiste des "Jihad" dafür gearbeitet, dass die Muslime und die gesamte Menschheit in Frieden leben können. Er habe die zerstörerischen Projekte und Pläne des Zionismus gekannt und die Menschheit davor gewarnt.183 179 "Milli Gazete", 8. Februar 2012, S. 1 und 9. 180 "Milli Gazete", 15. Dezember 2011, S. 1 und 11. 181 "Milli Gazete", 20. Februar 2012, S. 1 und 10. 182 Türkischsprachiges Nachrichtenportal (3. Februar 2012). 183 "Milli Gazete", 23. Februar 2012, S. 17. 298 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Unterstützung beim Aufbau einer "Neuen Welt" erwartet die "Milli Görüs"Bewegung auch von dem D8Staatenbündnis ("Developing Eight"), das Erbakan 1997 als türkischer Minister präsident initiiert hatte. Das Bündnis umfasst die größten Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung (Türkei, Indonesien, Iran, Ägypten, Bangladesch, Malaysia, Pakistan und Nigeria) und folgt dem Vorbild des G8Staatenbündnisses. In der Fortfüh rung dieses Ansatzes soll perspektivisch die Gründung islamisch geprägter Institutionen in Anlehnung an die EU, die Vereinten Nationen und die NATO erfolgen. In diesem Sinn kritisierte der SPVorsitzende Kamalak, dass der Imperialismus die gesamte Welt ausbeute und die islamischen Staaten vernichte. Ein eigenes Machtbündnis sei der einzige Weg, um den Imperialismus zu stoppen. Als Gegenstück zur NATO müsse ein "Islamischer Verteidigungspakt" geschlossen, als Gegenstück zur UNO die "Vereinten Islamischen Nationen" gegründet, der "Islamische Dinar" als Gegenstück zum Dollar und zum Euro eingeführt und die "Islamischkulturelle Kooperation" als Gegenstück zur UNESCO gegründet werden. Das einzige Land, das dem Imperialismus Einhalt gebieten könne, sei eine Türkei unter Führung der "Milli Görüs".184 Ähnlich äußerte sich Kamalak anlässlich eines Parteikongresses der marokkanischen "Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung" ("Parti de Justice et Developpement" - PJD), bei dem er diese For derungen auch vor einem internationalen Publikum vertrat. Um den "globalen Imperialismus" aufzuhalten, rief er zur Gründung einer "Islamischen NATO" und einer "Islamischen Union" auf. Nur mit Macht könne man den rassistischen Imperialismus stoppen, und um diese Macht zu erlangen, müsse die "Islamische Union" gegründet werden.185 Die "Milli Görüs"Bewegung umfasst unterschiedliche Kompo IGMG und "Milli nenten, die von einer gemeinsamen ideologischreligiösen Aus Görüs"-Bewegung richtung und der Bindung an Erbakan zusammengehalten wer den. Der "Milli Görüs" sind in der Türkei die SP, die Tageszeitung "Milli Gazete", der Fernsehsender "TV 5", die Jugendorganisation "Verein der Anatolischen Jugend" ("Anadolu Genclik Dernegi" 184 "Milli Gazete", 4. Mai 2012, S. 1 und 10. 185 "Milli Gazete", 16. Juli 2012, S. 1 und 10. 299 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS - AGD) sowie das "Zentrum für Wirtschafts und Sozialforschung" ("Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi" - ESAM) zuzuordnen. In Deutschland bzw. Europa wird die "Milli Görüs"Bewegung von der IGMG repräsentiert, die damit von zentraler Bedeutung für die außerhalb der Türkei lebenden Anhänger Erbakans ist. In weiten Teilen der IGMG wird Erbakan auch nach seinem Tod als Begründer und geistiger Führer der "Milli Görüs"Bewegung verehrt. Dies zeigte sich insbesondere bei den vielfältigen Gedenk veranstaltungen, welche die IGMG zu Erbakans Ehren durch führte,186 sowie bei der Teilnahme von IGMGAngehörigen an Gedenkfeierlichkeiten in der Türkei.187 Mehrfach waren auch SPFunktionäre aus der Türkei bei Ver anstaltungen der IGMG anwesend. Bei einer Veranstaltung des IGMGRegionalverbands Südbayern würdigten sowohl IGMGFunktionäre als auch der aus der Türkei angereiste SPFunktionär Sevket Kazan Leben und Wirken Erbakans.188 Bei einer Funktionärsversammlung des IGMGRegionalverbands Bremen hielt Kazan eine Rede zur Entstehung und Entwicklung der "Milli Görüs"Bewegung in Europa und ehrte Erbakan als den Begründer dieser Mission.189 Der ehemalige AGDFunktio när Nevzat Bakir, der sich mehrfach bei IGMGVeranstaltungen im Bereich des IGMGRegionalverbands Düsseldorf (Nordrhein Westfalen) aufhielt,190 zitierte bei einer Veranstaltung in Krefeld (NordrheinWestfalen) Erbakans Visionen.191 Für einige Gedenkfeierlichkeiten der IGMG wurde schon im Vorfeld mit der Teilnahme von SPFunktionären geworben.192 Für eine Veranstaltung in Duisburg (NordrheinWestfalen) war sogar eine mehrköpfige, hochrangig besetzte SPDelegation ange kündigt worden, darunter Fatih Erbakan, Sohn des verstorbe nen "Milli Görüs"Gründers und Berater des SPVorsitzenden Kamalak.193 An der Veranstaltung nahm auch Zeynep Erbakan, 186 "Milli Gazete", 27. Februar 2012, S. 2; 29. Februar 2012, S. 2, 8 und 20; 2. März 2012, S. 2; 6. März 2012, S. 2. 187 "Milli Gazete", 28. März 2012, S. 5. 188 "Milli Gazete", 27. Februar 2012, S. 2. 189 "Milli Gazete", 19. Januar 2012, S. 20. 190 "Milli Gazete", 31. Januar 2012, S. 2. 191 "Milli Gazete", 6. März 2012, S. 2. 192 "Milli Gazete", 18./19. Februar 2012, S. 12, Facebook (22. Februar und 12. März 2012). 193 Homepage IGMG Duisburg (29. Juni 2012). 300 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS die Schwester von Fatih Erbakan teil. Fatih Erbakan unterstrich in einer Rede auch die Zugehörigkeit der IGMG zur "Milli Görüs"Bewegung und stellte heraus, dass das Ziel der Bewegung die Fortführung der Mission seines Vaters sei: "Die Mission der Milli Görüs besteht nicht allein darin, zu fasten oder zu beten und wie eine Wohltätigkeitsorganisation zu arbeiten. Wenn es eine Arbeit in Europa geben soll, dann ist es ganz natürlich, dass sie in Deutschland beginnt, denn die Bevölkerungszahl unserer Leute ist hier fast so hoch wie die Gesamtbevölkerung Belgiens oder der Niederlande. Außerdem hat die Milli Görüs ihre ersten Organisationen hier errichtet. Die Menschen, die den Hodscha Erbakan lieben und ihm treu sind, spiegeln ihre Liebe auch uns wider. Es gibt eine starke Nachfrage, und deshalb werden wir diese Versammlungen wiederholen."(...) "Wir haben eine Organisation, eine große Gemeinschaft und eine Partei. Unser Ziel ist es nicht, diese zu spalten oder zu zerschlagen. Unser Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass diese Menschen ihren Weg fortsetzen, indem sie den von Hodscha Erbakan festgelegten Standpunkten verbunden bleiben. Die Mission wird nach Hodscha Erbakan nicht enden, sie wird weitergeführt. Nach dem Tod des Hodschas haben wir heute in Europa die Arbeit der nächsten 40 Jahre in Gang gesetzt." (Türkischsprachiges Nachrichtenportal, 3. Juli 2012) IGMGGruppen reisten auch im Jahr 2012 regelmäßig in die Türkei und bekundeten mit dem Besuch von Einrichtungen der "Milli Görüs"Bewegung ihre Verbundenheit mit der Bewegung. So besuchten Koranschüler einer Berliner IGMGMoschee im Februar 2012 die Zentrale des AGD, die Redaktion des Fernseh senders "TV 5", die "Milli Gazete"Redaktion sowie das SPBüro in Istanbul (Türkei).194 Zählte für die Teilnehmer dieser Reisen in früheren Jahren das persönliche Gespräch mit Erbakan zu den unvergesslichen Erlebnissen, bildet nunmehr der Besuch seiner Grabstätte einen der Höhepunkte im Reiseprogramm.195 194 "Milli Gazete", 29. Februar 2012, S. 19. 195 "Milli Gazete", 9. Januar 2012, S. 20; 30. April 2012, S. 5; 4. Mai 2012, S. 19 sowie 19./20. Mai 2012, S. 3. 301 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Milli Gazete" Als Sprachrohr der "Milli Görüs"Bewegung bildet die formal unabhängige türkische Tageszeitung "Milli Gazete" ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Komponenten der Bewegung und trägt zur Verfestigung der ideologischen Positionen bei. Repräsentanten der "Milli Görüs"Bewegung aus unterschiedli chen Bereichen stellen regelmäßig die Bedeutung der Publikation heraus. In Deutschland ist die EuropaAusgabe der "Milli Gazete" erhältlich (seit Mai 2011 lediglich im Abonnement), in deren Berichterstattung neben der "Milli Görüs"Bewegung insbeson dere auch die IGMG und deren Veranstaltungen breiten Raum einnehmen. Damit ist die "Milli Gazete" neben der Publikation "IGMG Perspektif" und der zentralen IGMGHomepage eine der wichtigsten Informationsquellen für die Anhänger der Organi sation. Die Zeitung feierte im Januar 2012 ihr 40jähriges Bestehen. Zu diesem Anlass wurden am 12. Januar 2012 mehrere Artikel zur Geschichte und Entwicklung der "Milli Gazete" veröffentlicht, in denen auch ein klares Bekenntnis zu Erbakan und seinen Zielen ausgesprochen wurde. Chefredakteur Mustafa Kurdas erinnerte: "Wir glauben fest daran, dass jeder, der sagt 'Ich liebe unseren Hodscha Erbakan', sich wie er einsetzt. Denn die Milli Gazete ist sein Fenster, seine Haltung, seine Anschauung und sein Duft. Und mit Gottes Erlaubnis wird die Milli Gazete für alle Zeiten die Geisteshaltung Erbakans und die muslimischen Anschauungen beibehalten." ("Milli Gazete", 12. Januar 2012, S. 7) Auch im Rahmen der "ErbakanWoche" wurde über die Rolle der Publikation referiert. So bezeichnete Kurdas bei einer Sitzung der SP die Zeitung als "Fenster, aus dem man die Ereignisse nach Art von Erbakan betrachtet".196 Auf einer weiteren Veranstaltung erläuterte er, die Zeitung werde "bis zum jüngsten Tag" eine "Rolle im Kampf um das Gerechte und das Nichtige" spielen. Die Beson derheit der "Milli Gazete" sei, dass sie in den 40 Jahren niemals von ihrer Publikationspolitik abgewichen sei. Die Mission der 196 "Milli Gazete", 13. Februar 2012, S. 8. 302 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Milli Görüs" basiere auf den ideellen Werten Erbakans und die "Milli Gazete" sei die Stimme dieser Mission.197 Auf den für die EuropaAusgabe der "Milli Gazete" ergänzten Seiten finden sich zu einem großen Teil Berichte zur IGMG, die in ihrer Vielfältigkeit das Vereinsleben der IGMG widerspiegeln, wie z.B. Berichte über IGMGVeranstaltungen, Glückwunschinserate zu persönlichen Anlässen von IGMGMitgliedern, Kleinanzei gen und Spendenaufrufe. Weiterhin werden Presseerklärungen der IGMG, die Feiertagsgrußbotschaften des IGMGVorsitzenden sowie die von der IGMGAbteilung für religiöse Rechtleitung her ausgegebenen Texte der Freitagspredigt in der EuropaAusgabe der "Milli Gazete" veröffentlicht. Der Geschäftsführer der "Milli Verlags und Pressevertriebs GmbH" in Frankfurt am Main (Hessen) Mehmet Karacabey betonte die Notwendigkeit der "Milli Gazete" für den Zusammenhalt und die Solidarität der türkischstämmigen Einwanderer in Europa sowie ihre Funktion als Barriere gegen die "Assimilation". Die Zei tung bedeute für den Leser, an seinen religiösen und kulturellen Werten festhalten zu können und sie nicht zu vergessen.198 Parallel zum Gründungsjubiläum startete die Zeitung eine Werbe kampagne "40.000 Abonnenten für Milli Gazete", an der sich auch die IGMG intensiv beteiligte. Ein begeisterter Leser aus Freising (Bayern) erklärte in einem Leserbrief seine Unterstützung für die Kampagne und forderte die Leser auf: "Lasst uns die Milli Gazete lesen, damit wir uns nicht in Deutschland assimilieren." ("Milli Gazete", 8. Februar 2012, S. 2) Im Zusammenhang mit der Kampagne wurde im Februar 2012 ein Treffen zwischen "Milli Gazete"Abonnenten und Lesern im Bereich des IGMGRegionalverbands Bayern veranstaltet. Hierbei wurde das Lesen der Zeitung als Versprechen gegenüber Erbakan dargestellt und daran erinnert, dass jeder Anhänger der 197 "Milli Gazete", 25./26. Februar 2012, S. 1 und 12. 198 "Milli Gazete", 24. Februar 2012, S. 2. 303 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Milli Görüs" die Pflicht habe, dazu beizutragen, dass die Zeitung noch breiteren Kreisen zugänglich gemacht werde.199 Innerhalb der IGMG wird weiterhin regelmäßig für den Bezug der Zeitung geworben. Zum einen bot die Organisation der Zeitung vielfach Gelegenheit, bei internen Veranstaltungen an Informa tionsständen neue Abonnenten zu gewinnen.200 Zum anderen riefen IGMGFunktionäre bei Veranstaltungen zur Unterstützung der Zeitung auf.201 Auch Gedenkveranstaltungen für Erbakan - z.B. in Bremen und Herborn (Hessen) - wurden mit dem Anliegen der Abonnentenkampagne verknüpft.202 Einzelne Kolumnisten und führende Angestellte der Zeitung sind regelmäßig als Vortragende in Veranstaltungen der IGMG eingebunden.203 Der Chefredakteur der EuropaAusgabe der "Milli Gazete" Mehmet Sen gehörte zu den Referenten eines Seminars zum Thema Medien im "Islamischen Mädchenkolleg Bergkamen" (NordrheinWestfalen), einer IGMGBildungseinrichtung.204 Bei der Vorstellung einer Projektwoche derselben Einrichtung rief der "Milli Gazete"Geschäftsführer Karacabey eindringlich zu materi eller und ideeller Unterstützung der Zeitung auf.205 IGMGFunktionäre besuchten wiederholt Büros der "Milli Gazete". So stattete der IGMGVorsitzende Ergün führenden Vertretern des Europabüros der Zeitung, darunter auch Karacabey, einen Besuch ab und erläuterte künftige Ziele der IGMG.206 Der neue Vorsitzende des IGMGRegionalverbandes Hessen Bilal Kacmaz diskutierte anlässlich seiner Amtsübernahme bei einem Antrittsbesuch mit Karacabey u.a. über die Abonnentenkampagne. Der IGMGFunkti onär hob hervor, dass die türkische Presse die Probleme der türki schen Migranten in Europa zur Sprache bringe.207 Neben der Berichterstattung zu aktuellen Themen und Veran staltungshinweisen wird in der "Milli Gazete" auch zu religiösen 199 "Milli Gazete", 24. Februar 2012, S. 1 und 18. 200 "Milli Gazete", 3. April 2012, S. 17; 26. Juni 2012, S. 1 und 20 sowie 27. Juni 2012, S. 19. 201 "Milli Gazete", 2. März 2012, S. 2; 12. April 2012, S. 20 sowie 12. Juni 2012, S. 1 und 20. 202 "Milli Gazete", 2. März 2012, S. 2. 203 "Milli Gazete", 9. Januar 2012, S. 2 sowie 23. Februar 2012, S. 2. 204 "Milli Gazete", 22. Mai 2012, S. 20. 205 "Milli Gazete", 25. Juni 2012, S. 2. 206 "Milli Gazete", 3. Februar 2012, S. 2. 207 "Milli Gazete", 14./15. April 2012, S. 20. 304 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Themen Stellung genommen. Insbesondere Sevket Eygi vermit telt in seinen Kolumnen ein restriktives Islamverständnis und lehnt Reformen ab. Mehrfach forderte Eygi in der Vergangenheit die Einführung einer ausschließlich an Koran und Sunna orien tierten staatlichen Ordnung und einer an der Scharia orientierten Rechtsprechung. Regelmäßig kritisiert er dabei auch Initiativen in der Türkei, den Islam zu reformieren. So ermahnte er im Februar 2012 in einer Kolumne Theologen und Islamwissen schaftler, die einen laizistischen bzw. säkularen Islam kreieren wollten, dass es im Islam keine Trennung zwischen Religion und Staat gebe. Es sei ausgeschlossen, dass der Islam Säkularismus akzeptiere. Deshalb müssten die Muslime mit aller Kraft am Koran, an der Sunna, der Scharia sowie an den Gesetzen und Regeln der islamischen Wertvorstellungen festhalten.208 Insbesondere die Vorschriften der Scharia und deren Befolgung sind für Eygi unantastbarer Teil des Islam. Die Scharia hat für Eygi Vorrang vor allen anderen Normen. Dementsprechend sind für ihn Demokratie und Islam in ihren Grundprinzipien nicht mitei nander vereinbar, wobei er einräumt, dass in wirklich demokrati schen Staaten Muslime häufig wesentlich freier und sicherer seien als in einigen muslimischen Ländern. Er warnt vor der Vorstel lung, Laizismus und Säkularismus als unabdingbare Vorausset zung der Demokratie zu betrachten; vielmehr bezeichnet er sie als "Katastrophe für die Muslime". Um wirkliche Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit auf Erden zu haben, brauche man den Frieden des Islam. Muslime könnten mit Willenskraft und gut organisiert von einer Demokratie zu einer islamischen Ordnung übergehen. Die Demokratie sei lediglich ein Mittel und kein Zweck.209 Der IGMGVorsitzende Ergün hatte zu seinem Amtsantritt im Schwerpunkte der Mai 2011 angekündigt, die Schwerpunkte der künftigen Arbeit der IGMG-Jugendund IGMG auf "Dienstleistungen" und "Tätigkeiten, welche die Bildung Bildungsarbeit und die religiöse Rechtleitung betreffen", legen zu wollen. Ziel der Jugend und Bildungsarbeit der IGMG bleibt dabei weiterhin die "Bewusstseinsbildung" und Herausbildung einer "islamischen Identität", aber auch die Heranführung von Nachwuchskräften an die Organisation. 208 "Milli Gazete", 8. Februar 2012, S. 15. 209 "Milli Gazete", 12./13. Mai 2012, S. 3. 305 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Bei ihrer Bildungsarbeit stützt sich die IGMG neben Koran und Sunna auf zahlreiche selbst entwickelte Unterlagen. Dabei ori entiert sie sich auch am Islamverständnis und den Zielsetzungen der "Milli Görüs"Bewegung, was zum Teil in deutlichem Wider spruch zur offiziell bekundeten Integrationsbereitschaft steht. So forderte der Vorsitzende der Abteilung für Bildung und Erzie hung des IGMGRegionalverbandes Hannover (Niedersachsen) Muhittin Aykac bei der Abschlussfeier des dreijährigen sogenann ten YildizProjekts210 die von Erbakan anvertrauten Organisatio nen weiterzuentwickeln.211 Bei der Feier eines zur IGMG gehörenden Jugendvereins in Berlin hielt der Imam und Prediger der HaciBayramMoschee einen Vortrag über den Verfall moralischer Werte in der westlichen Welt, was erhebliche Krisen nach sich ziehe. Die anwesenden Jugendlichen zogen aus dem Gesamtprogramm laut "Milli Gazete" für sich das Resümee: "Entweder wir nehmen die Kultur an, die zu uns gehört, oder wir werden zu Komparsen der anderen Kulturen." ("Milli Gazete", 6. Januar 2012, S. 20) Bewertung Seit der Amtsübernahme von Ergün im Mai 2011 befindet sich die IGMG in einer personellen und strukturellen Umbruchphase. Ergün ist bemüht, die Arbeit der IGMG zu professionalisieren und das Profil der Organisation religiöser auszurichten. Dementspre chend konzentriert er sich auf den Ausbau der religiösen Bil dungsarbeit. Dies könnten erste konkrete Anzeichen dafür sein, dass die IGMG tatsächlich bestrebt ist, ihre Position neu zu defi nieren und ihre Verbindungen zur "Milli Görüs"Bewegung in der Türkei zu lockern. Gleichwohl fehlt es für eine weiterreichende Loslösung nach wie vor an eindeutigen Signalen. Auch wenn der Vorsitzende versucht, die IGMG als völlig losgelöst von "Parteien und Medienorganen, die in der Türkei verortet sind"212, 210 Das "SternProjekt" richtet sich an Jugendliche ab 17 Jahren und soll die Teil nehmer darauf vorbereiten, Leitungsfunktionen innerhalb der Organisation ein zunehmen. 211 "Milli Gazete", 11. Juli 2012, S. 2. 212 Presseerklärung IGMG (30. Mai 2012). 306 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS darzustellen, bestehen weiterhin Anhaltspunkte für eine über die rein historisch gewachsene ideelle Verbundenheit mit Erbakan hinausgehende Einbindung der IGMG in die "Milli Görüs"Bewe gung. Die Vielzahl der ErbakanGedenkveranstaltungen spiegelt das Bedürfnis der IGMGBasis wider, "ihrem Hodscha" ein ehrendes Andenken zu bewahren und ihre andauernde Verbundenheit zu ihm auch öffentlich zu bekunden. Mit dieser Haltung steht die Basis vermutlich in einem gewissen Gegensatz zur Zurückhaltung der IGMGFührung. Dies ist symptomatisch für den aktuellen Umgang mit dem Erbe Erbakans in der IGMG. Die vorsichtigen Distanzierungsbestrebungen des IGMGVorstands scheinen der Basis nicht immer vermittelbar, da in Teilen weiterhin eine tiefe Verbundenheit mit Erbakan und der von ihm gegründeten "Milli Görüs"Bewegung vorherrscht. Dies stellt die verbalen Bekenntnisse der IGMG zur freiheitli chen demokratischen Grundordnung und die damit verbundene Abkehr von den ideologischen Vorgaben Erbakans und der "Milli Görüs"Bewegung unverändert infrage. Die weiterhin bestehende generelle Prägung durch die "Milli Görüs"Ideologie ist dazu geeignet, eine ablehnende Haltung gegenüber westlichen Werten zu verstärken und Demokratiedistanz zu fördern. Der Bundesminister des Innern hat mit Verfügung vom Verbot der 23. Juni 2010 den Verein IHH wegen des Verstoßes gegen den "Internationalen Gedanken der Völkerverständigung gemäß SS 3 Abs. 1 Vereinsge Humanitären setz verboten (vgl. Berichtsteil Verfassungsschutz und Demokra Hilfsorganisation tie, Kap. VII). e.V." (IHH) Bei der IHH handelte es sich um einen bundesweit tätigen Ver ein zur Sammlung von Spenden mit Sitz in Frankfurt am Main (Hessen). Die Spenden sollten nach Angaben der Organisation vornehmlich für humanitäre Zwecke in Krisenregionen verwen det werden. Tatsächlich überwies die IHH u.a. über 6,6 Millio nen Euro an Sozialvereine, die der islamistischen HAMAS (vgl. Kap. IV, Nr. 2) zugerechnet werden können. Die IHH hat jahrelang in beträchtlichem Umfang den in den Palästinensergebieten ansässigen HAMASSozialvereinen Spendengelder überwiesen und damit mittelbar die terroristischen Aktivitäten der HAMAS unterstützt. 307 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Das Verbot der IHH wurde am 12. Juli 2010 vollzogen und der Ver ein aufgelöst. Am 18. April 2012 wurde die Klage der IHH gegen das Verbot vom Bundesverwaltungsgericht vollumfänglich abgewie sen. Nach Überzeugung des Gerichts hat die IHH Spendengelder in beträchtlichem Umfang und über einen langen Zeitraum der "Islamic Society" und der "Salam Society for Relief & Develop ment" überlassen. Diese im GazaStreifen tätigen Sozialvereine sind Bestandteile des Gesamtgefüges der HAMAS, die terroristische Handlungen begeht und Gewalt in das Verhältnis des israelischen und palästinensischen Volkes hineinträgt. Die IHH hat nach Dar stellung ihres Rechtsanwalts im Juli 2012 Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erhoben. Die IGMG bestimmte über das ausschließlich aus ihren Funkti onären bestehende Kuratorium der IHH die Vereinsaktivitäten. Mitglieder des Kuratoriums waren u.a. der Generalsekretär der IGMG, der damalige stellvertretende Vorsitzende der IGMG und der damalige Leiter der Rechtsabteilung der IGMG. Laut Satzung wurde der Vorstand der IHH vom Kuratorium ernannt und konnte von diesem jederzeit abberufen werden. Zudem musste der Verein das Kuratorium über Rechtsgeschäfte ab einem Wert von 10.000 Euro vorab schriftlich unterrichten. V. Nutzung des Internets Das Internet als wichtigstes Kommunikations und Propagan damedium ermöglicht Islamisten und islamistischen Terroristen die unkomplizierte und schnelle Kontaktaufnahme zu Gleichge sinnten, ohne dabei die echten Identitäten oder Absichten preis geben zu müssen. Der Austausch erfolgt dabei sowohl über offen zugängliche als auch über passwortgeschützte Kommunikations plattformen. Die im Internet verbreitete Propaganda wie auch die sich dort konstituierenden "virtuellen" Netzwerke tragen dazu bei, dass sich Aktivisten und Sympathisanten des "globalen Jihad" als Teil einer einzigen Bewegung begreifen, selbst wenn sich ihre Ziele und Handlungsmotive zuweilen stark unterscheiden. "Jihadistische" Propaganda wird im Internet in vielfältigen For maten veröffentlicht und verbreitet. So werden regelmäßig 308 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Videos, Audiodateien, OnlineZeitschriften und Bücher, Beken nungen zu Anschlägen, Interviews mit Anführern oder Mitglie dern "jihadistischer" Gruppierungen sowie Ehrungen von soge nannten Märtyrern veröffentlicht. Die Veröffentlichung "jihadistischer" Propaganda in möglichst vielen verschiedenen Sprachen als Form des "medialen Jihad" hat weiter zugenommen. Sowohl in Bezug auf Sprachen als auch in Bezug auf Themen hat sich die "Jihad"Propaganda erweitert. Erstmals wurden auch legale Demonstrationen - wie die von Salafisten im Frühsommer 2012 gegen die Wahlkampftour der "Bürgerbewegung pro NRW" (vgl. Kap. III) - propagandistisch zu einer Selbstopferung für das Überleben des Islam stilisiert. Nach wie vor nutzen "jihadistische" Organisationen wie Verbreitung "alQaida" (vgl. Kap. II, Nr. 2.1) und deren regionale Ableger soge "jihadistischer" nannte Medienzentren zur Verbreitung ihrer Veröffentlichungen. Propaganda Das seit 2006 existierende Medienzentrum "alFajr" spielt hierbei eine herausragende Rolle. "AlFajr" stellt über autorisierte "Korrespondenten" Propagan damaterial insbesondere in "jihadistische" Diskussionsforen ein. Hierdurch soll die Authentizität des Materials sichergestellt wer den. Die Akteure von "alFajr" bleiben ebenso wie die "Korrespon denten" anonym. Neben dieser Mittlerrolle bietet "alFajr" seit September 2012 auch technische Unterstützung für "jihadistische" Diskussionsforen an, um diese bestmöglich vor virtuellen Angriffen zu schützen und so die kontinuierliche Verbreitung "jihadistischer" Propaganda und die Kommunikation der Forenmitglieder sicherzustellen. Die Sympathisanten des "globalen Jihad" tragen ebenfalls zur Verbreitung "jihadistischer" Propaganda bei, indem sie diese Bot schaften entweder nochmal an anderen Stellen veröffentlichen, zu diesen verlinken und sie mit Kommentaren versehen oder Übersetzungen in andere Sprachen fertigen, um das Material einem möglichst breiten Adressatenkreis zugänglich zu machen. Nichtislamistische Internetdienste, wie Videoplattformen und Nutzung OnlineKontaktnetzwerke, bieten eine zweckmäßige Umgebung, nichtislamistischer um "jihadistische" Propaganda zu verbreiten, zu kommentieren Internetdienste 309 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und selbst zu produzieren. Zudem werden insbesondere OnlineKontaktnetzwerke genutzt, um automatisiert z.B. zu Demonstrationen einzuladen. Vereinzelt sind "jihadistische" Gruppen auf diesen Plattformen mit einer eigenen Präsenz vertreten und haben oftmals eine große Anhängerschaft, wobei nicht immer ersichtlich ist, ob die Präsenz von den Gruppen selbst oder aber von Sympathisanten betrieben wird. Der Vorteil der Nutzung nichtislamistischer Internetdienste liegt für "Jihadisten" vor allem in der Erschließung eines breiten, nicht unbe dingt dem islamistischen Spektrum zuzurechnenden Publikums. Aktuelle Themen Obwohl sich der Anführer von Kern"alQaida" (vgl. Kap. II, Nr. 2.1) Aiman alZawahiri im Verlauf des Jahres 2012 regelmäßig mit Veröffentlichungen zu Wort meldete, fiel die Propaganda von Kern"alQaida" relativ unspezifisch und wenig aktuell aus. Bei spielsweise positionierte sich alZawahiri erst einen Monat nach Aufflammen der weltweiten Proteste gegen die Veröffentlichung des Trailers zu dem Film "Innocence of Muslims", indem er zwar die USamerikanische Politik der Meinungsfreiheit kritisierte, ansonsten aber vage blieb. Umbrüche in der Neben alZawahiri ist Adam Yahya Gadahn im Berichtsjahr mit arabischen Welt einer fünfteiligen Videoreihe an die Öffentlichkeit getreten. Hierin geht er vor allem auf die Umbrüche in der arabischen Welt ein. Nachdem Gadahn seit 2004 regelmäßig in "alQaida"Veröf fentlichungen auftrat, war er in den Jahren 2010 und 2011 kaum präsent. Möglicherweise versucht Kern"alQaida", die personellen Verluste auszugleichen, indem sie Propagandisten "reaktiviert". "INSPIRE" "AlQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH, vgl. Kap. II, Nr. 2.4) gab Anfang Mai 2012 zeitgleich die achte und neunte Aus gabe des englischsprachigen "jihadistischen" OnlineMagazins "INSPIRE" heraus. Die sprachliche Qualität und inhaltliche Kohä renz der beiden Ausgaben ist deutlich geringer als bei den vorher gehenden Ausgaben. Neben Nachrufen auf die im Jahr 2011 getö teten Anwar alAulaqi und Samir Khan, die maßgeblich an dem Magazin beteiligt waren, steht der "individuelle Jihad" im Mittel punkt, der vor allem gegen USamerikanische und europäische Ziele geführt werden soll. 310 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan (vgl. Kap. II, Nr. 1) Afghanistan sowie die Rolle Deutschlands als Veranstaltungsort für Konferen zen, die in Verbindung mit Vermittlungen im "Afghanistan Konflikt" standen, veranlassten die "Taleban" mehrfach zu Ver lautbarungen. Anlässlich der zweiten AfghanistanKonferenz im Dezember 2011 in Bonn (NordrheinWestfalen) warfen die "Taleban" den Teil nehmerstaaten vor, sie seien nicht an echten Problemlösungen interessiert, sondern wollten Afghanistan weiterhin ausbeuten und zugleich neueste militärische Technologie austesten. Ähnlich argumentierten die "Taleban" in einer am 15. Januar 2012 veröf fentlichten Textbotschaft bezüglich der Konferenz zwischen Ver tretern der ehemaligen Nordallianz und Vertretern der USRegie rung am 9. Januar 2012 in Berlin. Dem Gastgeberland Deutschland wurde nahegelegt, den Krieg in Afghanistan nicht zu verschärfen und nicht zu weiterem "Unglück" beizutragen. Die Diskussion über die Rolle der Frau im bewaffneten "Jihad" Rolle der Frau (vgl. Kap. II, Nr. 1) wurde 2012 vor allem durch zwei Veröffentli chungen weitergeführt. Am 3. Februar 2012 edierte das "alFajr"Medienzentrum die zweite Ausgabe des "jihadistischen" OnlineMagazins für Frauen mit dem Titel "alShamikha". In der Ausgabe wird die Bedeutung der Rolle der Ehefrau eines "Jihadisten" beschrieben: Sie soll ihren Ehemann unterstützen, die Kinder zu "Jihadisten" erziehen und den "Jihad" durch finanzielle Spenden, auch in Form ihres persön lichen Schmuckes, unterstützen. Zudem werden die Frauen auf gerufen, "jihadistische" Propaganda zu verbreiten. So sollen sie die einflussreichsten Videos und Audios aus den einschlägigen "jiha distischen" Internetforen herunterladen, auf CD kopieren und unentdeckt in der Öffentlichkeit verbreiten, indem sie diese bei spielsweise in öffentlichen Verkehrsmitteln oder im Park bewusst liegen lassen. Darüber hinaus werden Grundlagenkenntnisse über die Kommunikation im Internet vermittelt. Die Ehefrau von alZawahiri trat mit einer "An die muslimischen Frauen nach den Revolutionen" überschriebenen Textbotschaft vom 8. Juni 2012 erstmals seit 2009 wieder in Erscheinung. In ihrer Botschaft hebt sie die Rolle der Frau während der Aufstände in der arabischen Welt zum "Sturz der Tyrannen" hervor und 311 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ermahnt diese, sich für die Einführung islamischer Rechtsvor schriften einzusetzen. Zudem gibt sie ihrer Hoffnung Ausdruck, dass durch das Engagement der Frauen aus dem "Arabischen Frühling" letztlich ein "Islamischer Frühling" werde. Die Frau diene als Unterstützerin durch die Erziehung der Kinder zu zukünftigen Kämpfern. Zudem sei es die Aufgabe der Frauen, ihre Ehemänner dazu zu bringen, sich für inhaftierte Musliminnen einzusetzen. Deutschsprachige Die "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU, vgl. Kap. II, Nr. 3.2) Propaganda ist seit 2009 noch immer diejenige ausländische "jihadistische" Organisation, die Deutschland in ihrer Propaganda am häufigsten thematisiert. Es ist anzunehmen, dass ihre oftmals zeitnahe und umfangreiche propagandistische Würdigung der Ereignisse in Deutschland auf die intensive Propagandaarbeit der aus Deutsch land stammenden Brüder Monir und Yassin Chouka zurückzu führen ist. Von Januar bis August 2012 wurden allein neun Bot schaften der IBU veröffentlicht, an denen die Brüder mitwirkten. Hervorzuheben sind "Böses Vaterland" vom 9. Februar 2012 sowie "Ja, wir sind Terroristen" vom 13. März 2012, in denen einerseits der Bundeswehreinsatz in Afghanistan kritisiert und andererseits Deutschland zum legitimen Ziel der "Jihadisten" erklärt werden. Seit dem 15. Juni 2012 publiziert das internationale Propagan danetzwerk "Globale Islamische Medienfront" (GIMF) erstmals seit 2008 wieder deutschsprachige Propaganda. Bei den veröf fentlichten Texten handelt es sich teils um Übersetzungen älterer Schriften, Übersetzungen aktueller Propaganda "jihadistischer" Organisationen und Eigenproduktionen. In manchen dieser Publi kationen wird direkt Bezug auf Ereignisse in Deutschland genom men bzw. zu Gewalthandlungen in Deutschland aufgerufen. Seit dem 3. November 2012 tragen die deutschsprachigen Veröf fentlichungen der GIMF auch das Logo von der in Deutschland verbotenen Vereinigung "Millatu Ibrahim". Dies kann als Hinweis gewertet werden, dass Mohamed Mahmoud - führender Protago nist von "Millatu Ibrahim" (vgl. Kap. II, Nr. 1 und Kap. III) - wieder Kontakt zur GIMF aufgenommen hat und mit dieser kooperiert. Bis Ende 2012 hat die GIMF insgesamt vier Botschaften mit dem Logo von "Millatu Ibrahim" herausgegeben. 312 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Im Berichtszeitraum standen neben dem üblichen Aufruf zur Zentrale Themen mit materiellen und personellen Unterstützung des "Jihad", die durch Deutschlandbezug Spenden, Ausreisen oder "jihadistische" Aktionen in Deutschland geleistet werden sollte, folgende Themen im Mittelpunkt der "jihadistischen" Propaganda mit Deutschlandbezug: Ein islamistisch motivierter Attentäter hatte am 11. und Attentate in 15. März 2012 drei französische Soldaten und am 19. März 2012 Frankreich drei Kinder sowie einen Lehrer einer jüdischen Schule in der Umgebung von Toulouse (Frankreich) getötet. Der Attentäter widersetzte sich seiner Verhaftung und starb bei den Auseinan dersetzungen mit der Polizei (vgl. Kap. II, Nr. 1). In der "jihadistischen" Propaganda wurde der Attentäter als "Mär tyrer" stilisiert und seine Anschläge als vorbildlich gepriesen. Neben den üblichen Segenssprüchen und Lobgedichten kam in einschlägigen Diskussionsforen wiederholt der Wunsch nach einem "deutschen" Attentäter auf. Am 4. April 2012 drohte ein Nutzer in einer arabischsprachigen Textbotschaft unter Verweis auf die Attentate in Frankreich mit Anschlägen "im Herzen Berlins". Mit der am 5. April 2012 veröffentlichten deutschsprachigen Audiobotschaft der IBU "Der Ritter von Toulouse" stilisierte Monir Chouka den Attentäter zum Vorbild und gewährte ihm somit die Anerkennung einer bekannten "jihadistischen" Organi sation: "Steht auf und lasst dem arabischen Frühling einen europäischen Sommer folgen. Im Jihad gibt es keine Grenzen. Jeder Muslim wird für sich selbst verantwortlich gemacht, ob und in welchem Ausmaß er sich am globalen Jihad beteiligt. Nur Allah wird dies bewerten." ("Jihadistisches" Internetforum, 5. April 2012) Seit Sommer 2011 wird die Unterstützung von in westlichen Unterstützung Gefängnissen inhaftierten Islamisten von unterschiedlichen sala inhaftierter fistischen und "jihadistischen" Gruppierungen kontinuierlich pro Islamisten pagandistisch begleitet. Dieses Thema ist nicht nur für Solidari täts und Spendenkampagnen geeignet, sondern auch zur Bildung 313 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und Radikalisierung von Unterstützernetzwerken in verschiede nen Ländern, so auch in Deutschland. Über eigens eingerichtete Internetpräsenzen wird dazu aufgefordert, den inhaftierten Isla misten Briefe zukommen zu lassen oder deren Verwandte zu unterstützen. Desgleichen werden angebliche Briefe aus dem Gefängnis veröffentlicht, in denen einerseits die Haftbedingungen als unerträglich und menschenunwürdig geschildert und anderer seits die Standhaftigkeit des jeweiligen Inhaftierten betont werden. Einen breiten Raum nahm die Inhaftierung einer bekannten deutschen Islamistin ein. Die Inhaftierung einer "wehrlosen rei nen Muslimin" gilt in islamistischen Kreisen als eine unmittelbare Ehrverletzung und löste eine Vielzahl von propagandistischen Verlautbarungen aus. "AlQaida im islamischen Maghreb" (AQM, vgl. Kap. II, Nr. 2.3) veröffentlichte am 18. März 2012 eine Videobotschaft, in der die Organisation die Haftentlassung der deutschen Islamistin im Gegenzug für die Freilassung einer in Nigeria verschlepp ten deutschen Geisel verlangte. Zudem forderte AQM finanzielle Kompensation für die angeblichen Misshandlungen der Islamis tin während der Haft sowie die Möglichkeit einer Ausreise in ein Land ihrer Wahl. Die im September 2012 durchgeführte Hausdurchsuchung der ehemals Inhaftierten gab zu erneuter Propaganda Anlass. Ein Nut zer eines arabischsprachigen "jihadistischen" Diskussionsforums reagierte am 3. Oktober 2012 mit einem Eintrag, in welchem er die Muslime auffordert, sich für die deutsche Islamistin einzusetzen: "Diese Angelegenheit wird nicht beendet, ohne dass wir von dem Blut der Deutschen trinken und ihre Interessen überall angreifen. Gibt es jemanden, der sich aufrafft, meine Lieben?? Wo sind die Löwen des Islam???" ("Jihadistisches" Diskussionsforum, 3. Oktober 2012) Wahlkampftour der Als im Rahmen des nordrheinwestfälischen Wahlkampfes "Bürgerbewegung Mitglieder der "Bürgerbewegung pro NRW" am 1. Mai und am pro NRW" 5. Mai 2012 MuhammadKarikaturen zeigten (vgl. Berichtsteil Rechtsextremismus, Kap. III, Nr. 3), griffen salafistische 314 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Gegendemonstranten Mitglieder von "pro NRW" und Polizisten an (vgl. Kap. III). Die Ereignisse wurden zahlreich im Internet kommentiert. Ins besondere führende Mitglieder der salafistischen Bewegung in Deutschland nahmen dies zum Anlass, Drohungen gegen Deutschland auszusprechen. In einer am 22. Mai 2012 veröffentlichten Textbotschaft mit dem Titel "Die Deutschen sind verwirrt" geht die IBU, nach ihrer ebenfalls im Mai 2012 veröffentlichten Botschaft "Tod der PRO NRW" (vgl. Kap. II, Nr. 3.2), wiederholt auf den Konflikt zwischen gewaltbereiten Salafisten und "pro NRW"Anhängern ein. Emp fohlen wird den deutschen Muslimen, den "Kampf gegen die Ungläubigen verdeckt zu führen und sie auf geheimen Wegen zu vernichten". Am 10. Juli 2012 veröffentlichte die GIMF die deutsche Über setzung eines bereits Mitte Mai 2012 auf Arabisch erschienenen Textes eines führenden salafistischen Predigers in Ägypten. Hin sichtlich der von "pro NRW" gezeigten Karikaturen erklärt er die Tötung desjenigen zur Pflicht, der den Propheten Muhammad beleidigt: "Dies sollen die Kuffar [Ungläubige] in Europa wissen, und sie sollen auch wissen, dass der Prophet Muhammad - Allahs Segen und Frieden seien auf ihm - Gefolgschaften hat, welche (...) denjenigen töten, der ihn beleidigt oder verhöhnt, egal wie hoch auch immer die Kosten und Konsequenzen sind." ("Jihadistisches" Internetforum, 10. Juli 2012) Er ruft dazu auf, dieser Pflicht nachzukommen und die Muslime in Deutschland zu unterstützen, die sich für den Propheten auf der Straße eingesetzt haben. Mit Verfügungen vom 29. Mai 2012 hat der Bundesminister des Exekutivmaßnahmen Innern die salafistisch"jihadistische" Vereinigung "Millatu gegen salafistische Ibrahim" (vgl. Kap. II, Nr. 1) verboten und vereinsrechtliche Ermitt Vereinigungen lungsverfahren gegen die salafistischen Vereine "DawaFFM" und "Die wahre Religion" (DWR) eingeleitet (vgl. Kap. III). 315 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Durchsuchungsmaßnahmen am 14. Juni 2012 wurden im Internet als Ausdruck des Kampfes gegen die Muslime und den Islam interpretiert und mit "Nazipolitik" sowie dem "Holocaust" gleichgesetzt. Der Anführer von "Millatu Ibrahim", der sich zur Zeit der Maß nahmen im Ausland aufhielt, berichtete u.a. auf arabischsprachi gen "jihadistischen" Diskussionsforen und in OnlineKontakt netzwerken über die Durchsuchungen. Dabei diffamierte er den Bundesminister des Innern als "Zauberer Schmutz Schwein". Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland und die Demokra tie insgesamt bezeichnete er als "schmutziger als schweinekott [und] nicht mal als klopapier tauglich". Film "Innocence of Die Veröffentlichung des Trailers zu dem Film "Innocence of Muslims" Muslims" führte zusammen mit weiteren islamfeindlichen Veröf fentlichungen wie den MuhammadKarikaturen der französi schen SatireZeitschrift "Charlie Hebdo" zu heftigen Reaktionen von Muslimen weltweit und mündete auch in gewaltsame Aus schreitungen in verschiedenen Ländern. Diverse "jihadistische" Gruppierungen und Prediger haben den Trailer zum Anlass genommen, zur Gewalt gegen den "Westen" und westliche Einrichtungen weltweit aufzurufen. Die GIMF veröffentlichte am 21. September 2012 einen deutsch sprachigen Text mit dem Titel "Abrechnung mit Deutschland", anhand dessen deutlich wird, dass alle Schmähungen des Pro pheten Muhammad einheitlich wahrgenommen werden: Es wird dazu aufgerufen, die "Feinde des Islams" zu köpfen, dies videogra phisch zu dokumentieren und anschließend medial zu verbreiten. Zu diesen "Feinden" zählen nicht nur der Schauspieler, der in "Innocence of Muslims" den Propheten spielte und angeblich deutscher Staatsbürger sei, sondern auch Mitglieder der "pro NRW" sowie alle Politiker, die das Zeigen von MuhammadKari katuren bewilligen bzw. gutheißen und alle diejenigen, die derar tige "Herabwürdigungen" des Propheten unterstützen. Bewertung Die "jihadistische" Propaganda enthält nach wie vor in großem Umfang Deutschlandbezüge. Im Vergleich zum Vorjahr ist eine weitere Vernetzung deutscher Islamisten und "Jihadisten" in Ver bindung mit einer zunehmenden Internationalisierung von auf 316 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Deutschland bezogenen Sachverhalten zu erkennen. Die Ereig nisse in Deutschland und die Aktionen von "jihadistischen" Akti visten in Deutschland werden nicht nur im Internet veröffentlicht und teilweise übersetzt, sondern auch in der Propaganda auslän discher "jihadistischer" Organisationen weiter verarbeitet. Die im Internet geführten Diskussionen anlässlich islamfeindli cher Veröffentlichungen und das Zurschaustellen der Muham madKarikaturen durch rechtspopulistische Bewegungen zeigen wiederholt, dass die einzelnen Ereignisse in der "jihadistischen" Propaganda in einen Zusammenhang gesetzt werden, der die postulierte Islamfeindlichkeit des "Westens" belegen soll. Die Macher der Propaganda sowie führende islamistische und "jiha distische" Aktivisten nutzen das entstandene Emotionalisierungs potenzial, um die Radikalisierung von Muslimen voranzutreiben. Derartige Ereignisse werden darüber hinaus wiederholt als Legiti mationsgrundlage für ihre Ideologie verwendet. 317 318 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 319 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) I. Überblick 1. Ideologie Das nichtislamistischausländerextremistische Spektrum ist sehr heterogen, es ist geprägt von Strömungen aus dem linksextremis tischen, dem nationalistischen und auch dem separatistischen Bereich. Marxisten-Leninisten Linksextremistische Ausländergruppierungen überwiegend türki schen Ursprungs, deren ideologische Wurzeln zumeist auf einer marxistischleninistischen bzw. maoistischen Weltanschauung basieren, verfolgen nach wie vor die "revolutionäre" Zerschlagung der bestehenden Gesellschaftsordnung und die Errichtung sozia listischer bzw. kommunistischer Systeme in ihren Heimatländern. Bei einigen extremistischen Ausländergruppierungen ist die ursprüngliche sozialistisch/kommunistische Ausrichtung zuneh mend in den Hintergrund getreten. Hierzu zählt z.B. die "Arbeiter partei Kurdistans" (PKK), die im Kampf für kulturelle und politi sche Eigenständigkeit der kurdischen Volksgruppe - vor allem in der Türkei - auch Gewalt einsetzt. Nationalisten Nationalistische Ausländerorganisationen messen der Nation sowohl ethnischkulturell als auch politischterritorial den höchsten Stellenwert zu und missachten die Rechte und Interes sen anderer Völker. Sie bemessen den Wert eines Menschen nach seiner Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse. Dies steht in einem elementaren Widerspruch zu den fundamentalen Men schenrechten und dem Gedanken der Völkerverständigung. Separatisten Separatistische Organisationen streben die Loslösung eines Teils des Staatsgebietes ihrer Heimatländer und die Errichtung eigener Staaten teilweise unter Anwendung von Gewalt an. Hierzu gehö ren z.B. die "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) und extre mistische Organisationen aus der Religionsgemeinschaft der Sikhs. 320 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) Die Aktivitäten der in Deutschland agierenden - nichtislamisti schen - extremistischen Ausländerorganisationen wurden auch 2012 im Wesentlichen durch aktuelle politische Entwicklungen und Ereignisse in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Die meisten dieser Gruppierungen betrachten Deutschland als siche ren Rückzugsraum, von dem aus sie ihre Mutterorganisationen im Heimatland propagandistisch und materiell unterstützen können. Die in Deutschland seit 1993 mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei PKK setzte ihren nach eigenem Bekunden auf eine friedliche Kurdistans" (PKK) Lösung des Kurdenkonflikts gerichteten Kurs fort. Die Organisa tion fordert seit Jahren die kulturelle und politische Eigenständig keit für die kurdische Minderheit in der Türkei sowie die Freilas sung, zumindest jedoch eine Verbesserung der Haftbedingungen ihres inhaftierten Führers Abdullah Öcalan. Die PKKAnhänger in Deutschland unterstützten diese Forde rungen - insbesondere durch die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEKKOM) - auch im Jahr 2012 insbeson dere im Rahmen von Großveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen. Im türkischirakischen Grenzgebiet kam es 2012 zwischen den Guerillaeinheiten der PKK und dem türkischen Militär zu deutlich verschärften bewaffneten Auseinandersetzungen, die in Europa - wie bei vergleichbaren Situationen der vergange nen Jahre - auch zu Spannungen zwischen den hier leben den der PKKnahestehenden Kurden und nationalistischen Türken führten. In Deutschland wurden öffentlichkeits und medienwirksame Besetzungen und militante Aktionen durch Anhänger der Jugendorganisation der PKK, der "Komalen Ciwan", durchgeführt. Vor allem die jugendlichen Anhänger der PKK nutzen die vielfäl tigen Möglichkeiten und diversen Dienste des Internets, das ihnen anonymes Agieren erlaubt, sowohl für propagandistische Zwecke als auch als Kommunikations und Agitationsmedium. Zudem werden auf Videoportalen und vor allem organisationsbezogenen Homepages, wie beispielsweise die der Guerillaeinheiten der PKK, 321 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) der sogenannten Volksverteidigungskräfte (HPG), oder "Gerilla TV", auch glorifizierende Beiträge und Darstellungen über die Guerillaeinheiten zur Verfügung gestellt. Türkische linksEinige der türkischen linksextremistischen Gruppierungen pro extremistische pagieren den bewaffneten Kampf und übernehmen auch im Jahr Organisationen 2012 wieder die Verantwortung für terroristische Anschläge in ihrem Heimatland. In Deutschland agieren diese Organisationen gewaltfrei. In ihrer Agitation nehmen sie insbesondere Bezug auf Vorkommnisse in der Türkei. Sie äußern sich aber auch zu Ereignissen in der Bundesrepublik Deutschland und gerieren sich als Vertreter von Migranten und Arbeiterinteressen. Asiatische Separatistische asiatische Organisationen wie die LTTE und Orga Separatisten nisationen aus der Religionsgemeinschaft der Sikhs streben die Loslösung vom Staat Sri Lanka bzw. Indien und die Errichtung eigener Staaten an. In Deutschland konzentrierten sich die Anhänger dieser Gruppierungen auf propagandistische Aktivitä ten und die Beschaffung von Geldmitteln zur Unterstützung ihrer Organisationen im jeweiligen Heimatland. 322 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 3. Organisationen und Personenpotenzial Das Mitglieder und Anhängerpotenzial der insgesamt 44 (2011: 45) nichtislamistischen sicherheitsgefährdenden bzw. ext remistischen Ausländerorganisationen ist mit 28.810 Personen gegenüber dem Vorjahr (2011: 26.410) angestiegen: Während sich die Anhängerzahl der linksextremistischen Ausländergruppierun gen gegenüber 2011 von 18.570 auf 17.970 Personen verringerte, stieg das Potenzial der nationalistischen Ausländergruppierungen von 7.840 auf 10.840 Personen. Mitgliederpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen1,2 (ohne Islamismus) 2010 2011 2012 Linksextremisten 17.070 18.570 17.970 davon: "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 11.500 13.000 13.000 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 650 650 650 "Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) 1.300 1.300 1.300 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 600 600 600 "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) 1.000 1.000 1.000 Sonstige 2.020 2.020 1.420 extreme Nationalisten 7.840 7.840 10.840 Summe 24.910 26.410 28.810 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Hier werden auch Mitglieder/Sympathisanten der mit Verbot belegten Gruppen gezählt. 323 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 1. Gruppierungen aus dem kurdischen Spektrum 1.1 Überblick Von den rund 800.000 in Deutschland lebenden ethnischen Kur den gehören 13.000 (2011: 13.000) zur Anhängerschaft der PKK, die hier seit 1993 mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegt ist. Zentrale Forderungen der Organisation sind die kultu relle und politische Eigenständigkeit für die kurdische Minderheit in der Türkei sowie die Freilassung, zumindest jedoch eine Verbes serung der Haftbedingungen des auf der türkischen Gefängnisin sel Imrali inhaftierten PKKFührers Öcalan. Das Aktionsverhalten der PKK in Deutschland wird weiterhin entscheidend von der aktuellen Lage in der Türkei und in den kurdischen Siedlungsge bieten beeinflusst. Zu den wesentlichen Aufgaben der PKK in Deutschland gehört neben der finanziellen und logistischen Unterstützung der Gesamtorganisation die Vorbereitung und Durchführung von Großveranstaltungen, die oftmals sowohl für propagandistische Zwecke als auch zur Anwerbung neuer Anhänger genutzt werden. Die PKK verstärkte ihre Bemühungen - vor allem durch die YEK KOM - durch eine aktive Öffentlichkeits und Kampagnenarbeit und den Aufbau von Kontakten zu politischen Entscheidungsträ gern, um Unterstützung für ihre Anliegen zu finden. Sowohl im türkischirakischen als auch im türkischsyrischen Grenzgebiet kam es 2012 zu weiter verschärften militärischen Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und den Guerillaeinheiten der PKK, den sogenannten Volksvertei digungsräften (HPG), die in Europa zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen PKKSympathisanten und nationalistischen Türken führten. So gab es anlässlich des zum "20. Internationalen Kurdischen Kulturfestivals" (vgl. Kap. II, Nr. 1.2.3) von PKKJugendlichen abgehaltenen mehrtägigen "Mar sches der Jugend" tätliche Auseinandersetzungen zwischen Kur den und nationalistischen Türken, wobei es zu Verletzten kam. 324 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die PKK ist in Deutschland jederzeit in der Lage, ihre Anhänger schaft bei bestimmten emotionalisierenden Ereignissen kurz fristig zu mobilisieren, insbesondere im Zusammenhang mit der Haftsituation Abdullah Öcalans oder dem sich zuspitzenden mili tärischen Konflikt in der Heimatregion. 325 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung: 27.11.1978 als "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) in der Türkei weitere Bezeichnungen: - "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane - KADEK) - "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA GEL) - "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (Koma Komalen Kurdistan - KKK) - "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan - KCK) Führung: Abdullah Öcalan Mitglieder/Anhänger 13.000 (2011: 13.000) in Deutschland: Publikationen/Medien: u.a.: "Yeni Özgür Politika" (YÖP - "Neue Freie Politik"), täglich; "SerxwebUn" ("Unabhängigkeit"), monatlich; "Sterka Ciwan" ("Stern der Jugend"), monatlich; "Roj TV" (Fernsehsender - bis Februar 2012); "Sterk TV" (Fernsehsender - ab Februar 2012); "Nuce TV" (Fernsehsender - ab März 2012) Betätigungsverbot: Verbotsverfügung vom 22. November 1993 326 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.1 Allgemeine Lage Die seit 2002 von der Europäischen Union (EU) als terroristische Organisation gelistete PKK213 ist in Deutschland die mit Abstand mitgliederstärkste extremistische Ausländerorganisation aus dem nichtislamistischen Spektrum. Die Organisation ist bestrebt, auf der politischen Ebene als einzi ger legitimer Vertreter und Ansprechpartner in der Kurdenfrage anerkannt zu werden; in Westeuropa bemüht sie sich deshalb um ein weitgehend gewaltfreies Erscheinungsbild. In der Türkei und der nordirakischen Grenzregion, aber auch im Osten Syriens, setzt die PKK hingegen mit ihren bewaffneten Einheiten weiterhin auf die Anwendung von Gewalt. An dieser ambivalenten Ausrichtung änderten die seit 2002 erfolgten diversen Umbenennungen der Organisation nichts, die mit dem Ziel erfolgt waren, nach außen hin den Eindruck einer politischen Neuausrichtung der PKK zu erwecken und sie vom Makel einer Terrororganisation zu befreien. Trotz der mehrfach angekündigten Einführung interner demo kratischer Strukturen hält die Organisation an einem strikt hierarchischen Kaderaufbau mit einer autoritären Führung fest. Ansätze einer Demokratisierung, z.B. die avisierte Einbindung der Basis in Entscheidungsabläufe, wurden bislang weder strukturell noch personell realisiert. Nach wie vor werden organisations interne Anweisungen und Vorgaben nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam an die jeweils nachgeordneten Kaderbereiche weitergegeben. Unumstrittener Anführer ist weiterhin der seit 1999 auf der türki schen Gefängnisinsel Imrali inhaftierte Gründer der Organisation Öcalan. Er wird von der PKKAnhängerschaft als Führungs und Integrationsfigur des kurdischen Freiheitskampfes verehrt und verfügt - obwohl er kaum "offizielle" Nachrichten aus der Haft 213 Der Europäische Rat erklärte im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem der vorrangigen Ziele der EU. Seither können Personen, Vereinigun gen und Körperschaften in einer EUListe erfasst ("gelistet") werden, wenn eine zuständige Behörde eines EUMitgliedstaates über Beweise oder schlüssige Indi zien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Entscheidungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen können ebenfalls berücksichtigt werden. Konsequenz der halbjährlich erfolgenden Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtiger Personen und Organisationen. 327 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) nach außen kommunizieren kann - weiterhin über einen maß geblichen Einfluss auf Vorgehen und Strategie der Organisation. Die Forderung nach Freilassung Öcalans, zumindest jedoch die Beendigung seiner als "Isolationshaft" bezeichneten Haftbedin gungen, ist eines der zentralen Agitationsthemen der PKK. Seit Juli 2011 verweigern türkische Behörden den Rechtsanwälten Öcalans die Kontaktaufnahme und den Besuch ihres Mandanten.214 Auch 2012 kam es deshalb wieder zu zahlreichen Protestaktionen: Anhänger und Sympathisanten der PKK führten im April sowie von September bis Mitte November 2012 sowohl in der Türkei als auch in Westeuropa zahlreiche Hungerstreikaktionen durch, die erst beendet wurden, nachdem Öcalan am 17. November 2012 seinen Bruder Mehmet empfangen konnte und daraufhin über ihn eine entsprechende Botschaft an die Hungerstreikenden sandte. Vertreter Öcalans ist der Vorsitzende des Koma Civaken Kurdistan (KCK)Exekutivrats Murat Karayilan. Er steht an zweiter Stelle in der PKKHierarchie. Der "Volkskongress Kurdistans" (KON GRA GEL), der nach außen hin eine parlamentsähnliche Struktur suggeriert, ist offiziell das oberste Entscheidungsgremium der PKK und dient der internen Meinungsfindung und Beschlussfas sung. Tatsächlich trifft allein die PKKFührungsebene alle Ent scheidungen und lässt sie allenfalls im Nachhinein durch den KONGRA GEL "legitimieren". Führende PKKKader betonen immer wieder, die Organisation habe die früher vertretenen separatistischen Ziele aufgegeben. Gleichwohl strebt die PKK weiterhin einen länderübergreifenden föderalen Verbund aller Kurden im Nahen Osten an. Eine sol che Föderation würde die Souveränität der betroffenen Staaten erheblich einschränken. Inwieweit die derzeitigen Veränderungen in der Region Auswirkungen auf dieses Ziel haben, kann noch nicht beurteilt werden. Dies gilt insbesondere für Syrien, wo in einigen Provinzen im Osten des Landes PKKnahe Kräfte Teile der staatlichen Kontrolle übernommen haben. Die PKK hat - auch und gerade in Deutschland - diesen Prozess unterstützt. 214 Öcalan hatte seit dem 27. Juli 2011 keinen Kontakt mehr zu seinen Rechtsan wälten. Sein Bruder Mehmet erhielt nur drei Besuchserlaubnisse (Oktober 2011, September und November 2012). Im Rahmen des Friedensprozesses zwischen dem türkischen Staat und der PKK bestätigte die Regierung im Dezember 2012 erstmals offizielle Sondierungsgespräche mit Öcalan. Daraufhin wurden einer Delegation kurdischer Politiker im Verlauf der Monate Januar und Februar 2013 Besuche beim inhaftierten PKKFührer gestattet. 328 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Ende Januar 2012 veröffentlichten prokurdische Medien einen PKKBeschluss, wonach das Jahr 2012 zum "Freiheitsjahr Öcalans" erklärt wurde, in dem der "revolutionäre Volkskrieg vertieft" wer den sollte. Anlässlich des 13. Jahrestags der Festnahme Öcalans (15. Februar 1999) erklärte Cemil Bayik, Mitglied des KCKExe kutivrats, die PKK führe derzeit einen intensiven Existenzkampf, in dem die in Europa lebenden Kurden und insbesondere die kurdische Jugend eine besondere Rolle zu übernehmen hätten. Wörtlich heißt es: "Als Bewegung haben wir von jeher den revolutionären Volkskrieg geführt. In der kommenden Phase wird der Kampf der Guerilla noch effektiver geführt werden. Jetzt bleibt es nicht mehr bei den Bergen, Städten und Metropolen, sondern der Krieg wird auf alle Bereiche ausgeweitet. (...) Solange der türkische Staat nicht von seiner Politik des kulturellen Völkermordes und der Vernichtung abrückt und keine demokratisch-politische Lösung ins Auge fasst, wird dieser Kampf andauern." ("Yeni Özgür Politika", 7. Februar 2012, S. 1 und 10) In einer Erklärung vom 16. März 2012 warfen die "Freiheitsfalken "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), die nach eigenen Angaben aus den HPG her Kurdistans" (TAK) vorgegangen und seit dem 21. Dezember 2006 von der EU als Terrororganisation gelistet sind215, dem türkischen Staat eine zer störerische Kurdenpolitik vor und drohten mit Anschlägen in den türkischen Touristengebieten. Die Urlaubs gebiete kämen als Anschlagsziele in Betracht, da der türkische Staat die mit dem Touris mus erwirtschafteten Gelder in neue Waffen und Bomben für sei nen "schmutzigen Krieg" investiere. Hieran machten sich die Tou risten mitschuldig. Wörtlich heißt es in der Erklärung: "Wir warnen alle ausländischen und inländischen Touristen, nicht in die Touristengebiete in der Türkei zu gehen. Wir sind nicht verantwortlich für diejenigen, welche sterben werden infolge der Aktionen, 215 Vgl. Fn 213. 329 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) die in diesen Gebieten passieren werden. Die Türkei ist kein sicheres Land und wird es niemals sein. (...) Wir befinden uns im Krieg." (Homepage TAK, 20. März 2012) Bis 2012 verübten die TAK insbesondere in den Metropolen und den Touristenzentren der Westtürkei mehr als 50 Anschläge auf zivile Ziele. Ein irrtümlicher Angriff türkischer Luftstreitkräfte am 28. Dezember 2011 in der türkischirakischen Grenzregion, bei dem 35 kurdische Zivilisten zu Tode kamen, führte auch in Westeuropa zu zahlreichen Protestaktionen und Demonstrati onen von PKKAnhängern. In BerlinWedding wurde in diesem Zusammenhang am 3. Januar 2012 ein Brandanschlag auf einen überwiegend von türkischstämmigen Nationalisten besuchten Verein verübt, zu dem sich eine mit der PKK sympathisierende Jugendinitiative bekannte. Militärische AusIm Sommer 2012 kam es zunächst im türkischnordirakischen einandersetzungen in und sodann im türkischsyrischen Grenzgebiet zu intensiven türkischen Grenzmilitärischen Kampfhandlungen zwischen Guerillaeinheiten der gebieten wirken sich PKK und der türkischen Armee, die europaweit zu sowohl prokur auf Europa aus dischen als auch protürkischen Protestkundgebungen führten, die zum Teil in gewalttätige Auseinandersetzungen mündeten. Entführung Am 12. August 2012 kam es in der Region Tunceli (Türkei) erst eines türkischen mals zu einer Entführung eines Parlamentsabgeordneten durch Abgeordneten ein bewaffnetes PKKKommando. Die Aktion wurde damit durch die PKK begründet, dass der Politiker in seiner Heimatregion Tunceli dem Einfluss der PKK entgegengewirkt habe. Nach zweitägiger Geisel haft wurde der kurdischstämmige Politiker, ein Angehöriger der oppositionellen "Republikanischen Volkspartei" (CHP), unversehrt freigelassen. 1.2.2 Organisatorische Situation Die PKK unterliegt seit 1993 unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen (KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK) einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Dies gilt auch für den poli tischen Arm der Organisation, die "Nationale Befreiungsfront 330 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Kurdistans" (ERNK), die derzeit unter der Bezeichnung "Koordina tion der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) die Aktivitäten der PKK in Europa maßgeblich bestimmt. Die Führungsfunktionäre der CDK halten sich vorwiegend in den europäischen Nachbarländern auf. Die verantwortlichen Kader in Deutschland, deren Tätigkeit in aller Regel zeitlich begrenzt ist, werden in der Regel durch die CDKLeitung eingesetzt. Sie agieren konspirativ und leiten organisationsinterne Anweisungen und Vorgaben nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam an nach geordnete Ebenen weiter. Die neunte Generalversammlung der CDK fand in der Zeit vom Neunter Jahres2. bis 5. Juli 2012 in den Niederlanden statt. Laut Berichten in kongress der CDK PKKnahen Medien verständigten sich die Delegierten auf einen "totalen Kampf" gegen die "menschenunwürdige" Behandlung Öcalans und den "Genozid" in Kurdistan. Diese Formulierung ent spricht dem jahrelang geltenden PKKDuktus. Die Generalversammlung beschloss zudem eine Änderung der OrganisationsPKKOrganisationsstruktur in Deutschland: Bislang gab es drei struktur in sogenannte SAHAs, auch SERITs genannt, für die Bereiche Nord, Deutschland Mitte und Süd. Der Bereich Süd wurde nunmehr in zwei Bereiche nunmehr in vier aufgeteilt. Diesen vier SAHAs sind insgesamt 28 Gebiete216 unter Bereiche aufgeteilt geordnet. Ihnen steht jeweils ein Führungsfunktionär vor. Die PKK unterhält zudem zahlreiche Massenorganisationen, in Massendenen Anhänger aus verschiedenen Bevölkerungs, Berufs oder organisationen Interessengruppen organisiert sind. Besonders hervorzuheben sind die Jugendorganisation "Komalen Ciwan" (sinngemäß "Gemein schaft der Jugendlichen"), die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (AKKH) sowie die Studentenorganisation "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK). Ebenfalls zu nennen sind die Organisationen "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK), "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), "Union der Juristen Kurdistans" (YHK), "Union der Schriftsteller Kurdistans" (YNK), "Union kurdi scher Familien" (YEKMAL) sowie die Religionsgemeinschaften 216 Berlin, Bielefeld, Bochum/Essen, Bodensee, Bonn, Bremen, Darmstadt, Dortmund, Düsseldorf, Duisburg, Frankfurt am Main, Freiburg, Gießen, Hamburg, Hannover, Heilbronn, Kassel, Köln, Mannheim, München, Nürnberg, Oldenburg, Saarbrücken, Salzgitter, Sachsen, SchleswigHolstein/MecklenburgVorpommern, Stuttgart und Ulm. 331 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), "Föderation der demokra tischen Aleviten" (FEDA), "Union der Aleviten aus Kurdistan" (KAB), "Föderation der yezidischen Vereine e.V." (FKE) und "Union der Yeziden aus Kurdistan" (YEK). 1.2.3 "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." ("Yekitiya Komalen Kurd Li Elmanya" - YEK-KOM) Für die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis bedienen sich PKK und CDK überwie gend ihrer örtlichen Vereine der Organisation in Deutschland, die den Anhängern als Treffpunkte und Anlaufstellen dienen. Als Dachverband dieser Vereine fungiert die YEKKOM, der nach eigenem Bekunden 43 Vereine angeschlossen sind.217 Beratung einer Zum Abschluss der 2011 von der YEKKOM initiierten "Identitäts PKK-Eingabe im kampagne" wurden knapp 60.000 Unterschriften an den Petitionsausschuss Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages übergeben. Der des Deutschen YEKKOMVorsitzende Yüksel Koc erhielt am 15. Oktober 2012 die Bundestages Gelegenheit, dem Ausschuss die Petition vorzustellen, in der hauptsächlich die Anerkennung der Kurden als eigenständige Ethnie, die Aufhebung des gegen die PKK verhängten Betäti gungsverbots, die Zulassung kurdischer Vornamen, die Förderung der kurdischen Sprache sowie die Anerkennung des kurdischen Neujahrsfestes Newroz als Feiertag gefordert werden. Der Petiti onsausschuss hat die Eingabe bislang nicht beschieden. Gewalttätige AusAm 8. September 2012 führte die YEKKOM auf dem Maimarktge einandersetzungen lände in Mannheim (BadenWürttemberg) unter dem Motto im Rahmen des "Freiheit für Öcalan - Ein Status für Kurdistan" das "20. Internati "20. Internationalen onale Kurdische Kulturfestival" durch. Nach polizeilichen Schät Kurdischen zungen haben bis zu 40.000 Besucher aus dem gesamten Bundes Kulturfestivals" in gebiet und dem benachbarten europäischen Ausland an dieser Mannheim europaweit beworbenen Veranstaltung teilgenommen. Der PKK Fernsehsender "Sterk TV" berichtete live über das Festival. Der YEKKOMVorsitzende Yüksel Koc bezeichnete in seiner Eröffnungsrede den in der Türkei inhaftierten PKKFührer Öcalan 217 Homepage YEKKOM (15. November 2012). 332 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) als Ansprechpartner des kurdischen Volkes bei der Lösung der Kurdenfrage. Die PKKJugendorganisation "Komalen Ciwan" rief in ihrer Grußbotschaft zur Teilnahme am Guerillakampf auf. Der Vorsitzende des Exekutivrates der KCK Murat Karayilan bezeich nete in einer Videobotschaft die Freiheit Öcalans sowie die Aner kennung der Autonomie Kurdistans als Grundvoraussetzungen für ein gemeinsames Leben zwischen Türken und Kurden. Unter Bezugnahme auf den Kampf der PKKGuerilla forderte er, dass jeder Kurde dort, wo er lebe, aktiv am Kampf teilnehmen müsse. Insbesondere den etwa 1,5 Millionen in Europa lebenden Kurden komme eine wichtige Rolle bei der "Revolution" zu. Im Rahmen der im Umfeld des Festivalgeländes durchgeführten polizeilichen Personenkontrollen wurden u.a. vier Messer, ein Schlagring sowie Fahnen und TShirts mit verbotenen Symbolen sichergestellt. In diesem Zusammenhang wurden gegen 19 Per sonen Ermittlungsverfahren eingeleitet. Trotz der Vorkontrollen gelang es Aktivisten, bei der Veranstaltung verbotene Fahnen von PKKOrganisationen zu zeigen. Außerhalb des Veranstaltungsgeländes griffen Gruppen von ca. 100200 Kurden Polizeikräfte tätlich an, die vom Veranstalter zur Hilfe gerufen worden waren, weil eingesetzte Ordnungs kräfte vergeblich versucht hatten, einen minderjährigen Kurden daran zu hindern, mit einer verbotenen Fahne das Gelände zu betreten. Die Einsatzkräfte wurden mit Gegenständen beworfen, darunter volle Glasflaschen, Ziegelsteine, Feuerwerkskörper und Absperrgitter. An den Ausschreitungen beteiligten sich im weite ren Fortgang bis zu 1.500 gewaltbereite - zumeist jugendliche - Festivalbesucher, die von Tausenden weiteren Teilnehmern mit lautstarken Parolen und Beifall unterstützt wurden. Insgesamt wurden 80 Polizisten verletzt, einer davon schwer. Zudem wurden 13 Dienstfahrzeuge der Polizei beschädigt. Die Gewalttäter konnten unerkannt in der Menschenmenge entkom men. Auch 2012 ging dem Festival wieder ein mehrtägiger "Marsch der Jugend" von Anhängern der "Komalen Ciwan" voraus, der am 1. September 2012 in Straßburg (Frankreich) gestartet war und in Mannheim (BadenWürttemberg) am Tag des Festivals endete. Im Verlauf des Marsches, an dem sich in der Spitze etwa 150 meist 333 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) kurdischstämmige Personen beteiligten, kam es immer wieder zu kleineren Handgreiflichkeiten von Demonstrationsteilnehmern gegen eingesetzte Polizeikräfte. Zu schweren tumultartigen Aus schreitungen zwischen kurdischstämmigen Marschteilnehmern und nationalistischen Türken kam es am 5. September 2012 in Bruchsal (BadenWürttemberg), nachdem die türkische Natio nalflagge gezeigt und Beleidigungen skandiert worden waren, woraufhin kurdischstämmige Teilnehmer die in ihren Fahrzeu gen fliehenden Türken mit Steinen, Flaschen, Stangen und sogar Gullydeckeln angriffen. Zwei Teilnehmer und fünf Polizisten wur den bei diesen Auseinandersetzungen verletzt. Weitere Ausschreitungen nach erneuten Provokationen nationa listischer Türken auf der letzten Etappe zwischen Hockenheim und Mannheim (beide BadenWürttemberg) am 7. September 2012 konnten durch den Einsatz der Polizei verhindert werden. Zwei Polizeibeamte wurden hierbei verletzt. Aufgrund der aggressiven Grundstimmung der Demonstrationsteilnehmer, die zudem in Begleitfahrzeugen Pflastersteine sowie Hieb und Stichwaffen mit führten, wurde der Marsch von der Polizei beendet. Die Waffen und Wurfgeschosse der "Komalen Ciwan"Anhänger belegen deren Absicht, auch gewalttätig gegen die Polizei oder provozierende Türken vorzugehen. Eine derartig hohe Eskalationsbereitschaft war seit den Krawallen im Zusammenhang mit der Verhaftung Öcalans durch türkische Sicherheitskräfte im Jahr 1999 nicht mehr zu beobachten. Neu ist auch die geradezu eruptive Heftigkeit, mit der sowohl die Kon frontation zwischen Türken und Kurden ausgetragen wurde als auch die Gewaltanwendung gegen die Polizei. Die YEKKOM wies in einer Stellungnahme jegliche Verantwor tung für die Ausschreitungen zurück: "Die Verantwortung für den Ausbruch der Gewalt trägt in erster Linie die Polizei, die in den vergangenen Tagen vor allem die kurdischen Jugendlichen drangsalierte und zu provozieren versuchte. (...) die Polizei unterstellte schon im Vorfeld, die erwarteten kurdischen Versammlungsteilnehmer seien grundsätzlich gewalttätig und ein Sicherheitsproblem. Durch diese Desinformation der türkischen 334 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Lobby wurde die Sicherheitslage für die Veranstaltung bewusst gefährdet und kriminalisiert." (Homepage YEK-KOM, 10. September 2012) Das von einer Vielzahl PKKnaher Organisationen und einigen Zusammenarbeit linksextremistischen deutschen Gruppierungen, z.B. der "Marxis mit deutschen tischLeninistischen Partei Deutschlands" (MLPD, vgl. Berichtsteil Linksextremisten Linksextremismus, Kap. III, Nr. 2) oder der "Antifaschistischen im Rahmen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB, vgl. Berichtsteil Linksextre der Kampagne mismus, Kap. II, Nr. 1.2) getragene Aktionsbündnis Kampagne "Tatort Kurdistan" "Tatort Kurdistan" führte auch 2012 eine Vielzahl von Veranstal tungen und Kundgebungen durch. So veranstaltete z.B. der im Aktionsbündnis aktive "AZADI e.V., Rechtshilfefonds für Kurdin nen und Kurden in Deutschland", vom 20. bis 22. April 2012 in Köln (NordrheinWestfalen) eine Konferenz unter dem Motto "Internationale Repressionsstrategie gegen die kurdische Bewe gung und die türkische Linke". 1.2.4 "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" ("Partiya Jiyana Azad a Kurdestane" - PJAK) Nach Angaben des seinerzeitigen KONGRA GELVorsitzenden Zübeyir Aydar aus dem Jahr 2004 ist die im selben Jahr gegründete PJAK Mitglied im KONGRA GEL - damit ist die Partei letztlich ein Mitglied bzw. eine Teilstruktur der PKK. Die PJAK ist nach außen hin allenfalls organisatorisch und durch eine separate Anhänger schaft von der PKK zu unterscheiden. Die PJAK unterhält in Deutschland mit Ausnahme eines engen Führungszirkels um den Parteivorsitzenden, den deutschen Staatsangehörigen Rahman HajAhmadi, nach wie vor kaum eigene Vereinsstrukturen und entfaltet auch sonst wenig Aktivi täten hierzulande. Dies liegt nicht zuletzt an der relativ geringen Zahl in Deutschland lebender Kurden iranischer Abstammung. Im Iran selber unterhält die PJAK eigene bewaffnete Einheiten, die "Freiheitskräfte Kurdistans" (HRK), die eng mit den HPG ver zahnt sind. Allerdings entfalteten die HRK im Jahr 2012 wesent lich geringere Aktivitäten als die Guerillaeinheiten der PKK. 335 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die PKKnahe Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) veröffentlichte am 6. Februar 2012 eine Erklärung der PJAK zur Situation der politischen Häftlinge im Iran sowie zur zunehmen den Folter in iranischen Gefängnissen, in der die Partei an alle im Iran lebenden Ethnien appelliert, in einem breiten Bündnis Widerstand zu leisten: "Der Iran fordert täglich immer mehr die Liquidierung kurdischer Frauen und Jugendlicher. (...) Wir rufen alle Ethnien im Iran, Araber, Azeris, Parsen, Belutschen und insbesondere Kurden auf, gegen dieses Regime, das ihre Kinder unmenschlich und unmoralisch behandelt, nicht zu schweigen." (Homepage ANF, 6. Februar 2012) Anlässlich des ersten Jahrestages intensiver bewaffneter Ausein andersetzungen zwischen Guerillaeinheiten der PJAK und dem iranischen Militär veröffentlichte die PJAK im September 2012 eine Erklärung, in der sie die gefallenen Kämpfer als "Märtyrer" glorifiziert und ausführt, dass ein "historischer Sieg" errungen worden sei: "Als Ergebnis eines heldenhaften Widerstands unserer Genossen und unserer Märtyrer wurde eine neue Phase geschaffen, welche dazu führte, die iranischen Revolutionsgarden zu besiegen. Als 'Partei für ein freies Leben in Kurdistan' (PJAK) werden wir an alle Märtyrer der kurdischen Befreiungsbewegung (...) erinnern und manifestieren unser Festhalten an ihren Konzepten und Linien und wiederholen unser Versprechen, ihre Kämpfe fortzusetzen." (Homepage PJAK, 20. September 2012) 1.2.5 Propaganda der PKK 1.2.5.1 Medienwesen Die PKK verfügt zur Verbreitung ihrer Propaganda und Ideolo gie über ein vielfältiges Medienwesen. Dadurch informiert bzw. mobilisiert sie nicht nur ihre Anhänger, sondern sie versucht 336 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) auch, die in Deutschland lebenden Kurden insgesamt im Sinne der Organisation zu beeinflussen. Funktionäre der PKK erhalten in den verschiedenen Medien regelmäßig eine öffentliche Platt form zur Verbreitung ihrer Propaganda. Die Nachrichtenagentur ANF mit Sitz in den Niederlanden betreibt eine PKKnahe Informationspolitik. Sie hat sich zum Ziel gesetzt, die kurdische Presse durch ein Korrespondentennetz in der Türkei, im Iran, Irak, in Syrien sowie in den europäischen Staaten zu vertreten und berichtet täglich in türkischer und kur discher Sprache. Von besonderer Bedeutung ist die in türkischer Sprache in Deutschland herausgegebene PKKTageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) mit einer Auflage von knapp 10.000 Exemplaren. Die monatlich erscheinende PKKZeitung "Serxwebun", die in den Niederlanden verlegt wird, soll PKKKadern die ideologischen Grundlagen der Organisation vermitteln. In der Vergangenheit war der mit dänischer Lizenz in Belgien pro duzierende PKKSatellitensender "Roj TV" das zentrale Informa tionsmedium der Organisation. Er war sowohl in Europa als auch in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei und im Nahen Osten zu empfangen. Der Sender ist nach behördlichen Maßnah men in Dänemark seit Anfang 2012 abgeschaltet. Vorausgegangen waren der Abschaltung am 19. Juni 2008 vom Betätigungsverbote Bundesminister des Innern ausgesprochene Betätigungsverbote gegen "Roj TV"/ gegen den PKKFernsehsender "Roj TV", das Unternehmen "VIKO "VIKO Fernseh Fernseh Produktion GmbH" als dessen Teilorganisation sowie Produktion GmbH" gegen das in Kopenhagen (Dänemark) ansässige Unternehmen "Mesopotamia Broadcast A/S". In der Verbotsverfügung war fest gestellt worden, dass der Betrieb des Fernsehsenders "Roj TV" gegen deutsche Strafgesetze verstieß und sich gegen den Gedan ken der Völkerverständigung richtete (vgl. Berichtsteil Verfas sungsschutz und Demokratie, Kap. VII). In den Entscheidungen über die von beiden Firmen einge reichte Anfechtungsklage stellte das Bundesverwaltungs gericht im Februar 2010 fest, dass sich Tätigkeit und Zweck von "Roj TV" gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne des Artikels 9 Abs. 2 des Grundgesetzes richten. Das 337 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Bundesverwaltungsgericht hatte die Verfahren seinerzeit auf grund der dänischen Sendelizenz für "Roj TV" ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Voraben tscheidung vorgelegt, ob bzw. unter welchen Voraussetzungen die Anwendung einer nationalen Vorschrift über ein Vereinsverbot in den durch die EGFernsehrichtlinie koordinierten Bereich falle. Der Vorlagebeschluss des Bundesverwaltungsgerichts an den EuGH in Luxemburg wurde am 22. September 2011 beschieden. Das Bundesverwaltungsgericht folgte den Entscheidungsgründen des EuGH und bestätigte am 23. Juli 2012 die Rechtmäßigkeit des Betätigungsverbots sowie des Verbots, in Deutschland Beiträge für "Roj TV" zu produzieren und Veranstaltungen zu organisieren, bei denen Sendungen in einem öffentlichen Rahmen gezeigt werden. Zwar könne in Deutschland die Ausstrahlung der Programme von "Roj TV" nicht verhindert werden, aber "Roj TV" dürfe sich in Deutschland nicht mehr betätigen, auch eine zu seinen Gunsten erfolgende Betätigung sei verboten.218 Nachdem ein dänisches Gericht in Kopenhagen am 10. Januar 2012 "Roj TV" wegen Unterstützung der PKK verur teilt hatte, beendete der französische Satellitenbetreiber Eutelsat die Zusammenarbeit mit "Roj TV"; der Empfang war kurzzeitig vom 23. Januar 2012 bis zum 9. Februar 2012 noch über Internet livestream möglich. Obwohl "Roj TV" gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt hat, schuf die PKK mit "Sterk TV" und "Nuce TV" bereits Ersatz: Diese beiden Sender haben die Nach folge von "Roj TV" nahtlos angetreten. Da die weitere Existenz des Senders "Roj TV" ungewiss war, nahm der Fernsehsender "Sterk TV", der bereits im Jahr 2008 gegründet worden war, am 6. Februar 2012 den Sendebetrieb unter norwe gischer Lizenz auf und orientiert sich inhaltlich an "Roj TV". Der Sender kann ebenso wie "Roj TV" über Satelliten der französi schen Firma Eutelsat empfangen werden. Ab dem 5. März 2012 trat das 2004 gegründete, mit dänischer Lizenz sendende "Nuce TV", ebenso wie "Roj TV" ein Unternehmen der "Mesopotamia Broadcast A/S", neben dem in abgeschwächter Form weiter sen denden "Sterk TV" als weiterer Ersatz für "Roj TV" auf, musste 218 Bundesverwaltungsgericht 6 A 3.11 und Bundesverwaltungsgericht 6 A 4.11 vom 23. Juli 2012. 338 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) allerdings am 3. Oktober 2012 nach einem von den dänischen Telekommunikationsbehörden ausgesprochenen zweimonati gen Sendeverbot für das PKKMedienunternehmen "Mesopota mia Broadcast A/S" den Sendebetrieb vorübergehend einstellen. Unverzüglich übernahm "Sterk TV" die Berichterstattung im Sinne der PKK und verdeutlichte damit seine Ersatzfunktion als PKKSender. Bereits seit August 2008 ist der PKKnahe Fernsehsender "Gerilla TV" über Internet zu empfangen - Beiträge in diesem Internet portal verherrlichen den bewaffneten Kampf der PKK. Für die Verbreitung von PKKnahen Publikationen ist nach wie "Mezopotamien vor die in Neuss (NordrheinWestfalen) ansässige "Mezopotamien Verlag und Verlag und Vertrieb GmbH" zuständig. Die Verlagsgesellschaft, die Vertrieb GmbH" im Wesentlichen Publikationen des PKKFührers Öcalan - auch in deutscher Sprache - vertreibt, war auch 2012 wieder mit Verkaufs und Informationsständen bei PKKnahen Veranstaltungen vertre ten. Musiktonträger von PKKnahen Künstlern vertreibt die eben falls in Neuss ansässige "MIR Multimedia GmbH". 1.2.5.2 Demonstrationen und Großveranstaltungen Mit zentral gesteuerten Propagandaaktionen, in deren Mittel punkt die Situation des in der Türkei inhaftierten PKKFührers Öcalan sowie der militärische Konflikt im Grenzgebiet der Türkei zum Nordirak stehen, versucht die PKK in Deutschland und dem benachbarten Ausland immer wieder, öffentliche Aufmerksam keit zu erlangen. Es gelingt der PKK nach wie vor, ihre Anhängerschaft zu Demons trationen und Großveranstaltungen, Hungerstreiks und Mahn wachen, Unterschriftenkampagnen und Podiumsdiskussionen zu mobilisieren. Als Reaktion auf den irrtümlichen Angriff der türkischen Luft waffe am 28. Dezember 2011 auf kurdische Zivilisten im tür kischnordirakischen Grenzgebiet fanden in den darauffolgen den Tagen zahlreiche Protestveranstaltungen in ganz Europa statt, u.a. vor türkischen Konsulaten und Botschaften. In Deutschland kam es hierbei in einigen Fällen zu gewalttätigen 339 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Auseinandersetzungen von PKKAnhängern mit der Polizei, so z.B. am 30. Dezember 2011 in Frankfurt am Main (Hessen) und Mannheim (BadenWürttemberg). Am 3. Januar 2012 verübten in Berlin mutmaßliche PKKAnhänger einen Brandanschlag auf Räumlichkeiten eines überwiegend von türkischstämmigen Nati onalisten besuchten Vereins (vgl. Kap. Nr. II, 1.2.1). Anlässlich des 13. Jahrestags der Festnahme Öcalans führten etwa 10.000 Anhänger der PKK, darunter ein Großteil aus Deutschland, am 18. Februar 2012 in Straßburg (Frankreich) eine zentrale Groß kundgebung durch.219 Auch in Deutschland kam es in zahlreichen Städten zu diversen, teilweise militanten Protestaktionen. Am 15. Februar 2012 wurden z.B. Brandanschläge auf ein Redakti onsbüro der türkischen Tageszeitung Zaman in Köln sowie den "DeutschTürkischen Kulturverein" in Bonn (beide Nordrhein Westfalen) verübt. Etwa 13.000 Anhänger der PKK begingen am 24. März 2012 in Bonn (NordrheinWestfalen) mit einer zentralen Großkundge bung das traditionelle kurdische Neujahrsfest "Newroz" ("neuer Tag"). Die von der YEKKOM angemeldete und organisierte Ver anstaltung stand unter dem Motto "Newroz - Fest des Friedens, der Freiheit und der Völkerverständigung. Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan". Anlässlich des 63. Geburtstags Öcalans beteiligten sich am 4. April 2012 in Straßburg (Frankreich) rund 10.000 PKKAnhänger aus Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden, Österreich und der Schweiz an einer friedlich verlaufenen Demonstration mit einem Sitzstreik und einer Kundgebung vor dem Gebäude des Europarates. Am 16. Juni 2012 fand in Gelsenkirchen (NordrheinWestfalen) das vom "Kurdischen Frauenbüro für Frieden e.V." (CENI) 219 Auf massiven Druck der Türkei hin hatte die syrische Regierung seinerzeit Öcalan die Unterstützung entzogen und ihn veranlasst, sein Exil in Damaskus am 9. Okto ber 1998 aufzugeben. Nach Auffassung des KONGRA GEL markiert dieser Tag den Beginn eines "internationalen Komplotts", das schließlich zur Festnahme Öcalans am 15. Februar 1999 in Kenia und zu seiner Verurteilung in der Türkei führte. 340 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) ausgerichtete "8. ZilanFrauenfestival"220 statt, an dem sich etwa 2.000 Personen aus Deutschland und benachbarten europäischen Staaten beteiligten. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Freiheit für Öcalan, Schluss mit dem Genozid". Zum "15. Mazlum Dogan221 Jugend, Kultur und Sportfes tival" unter dem Motto "Entweder Freiheit oder Freiheit" am 30. Juni 2012 in Bonn (NordrheinWestfalen) konnten etwa 3.000 jugendliche Teilnehmer kurdischer Volkszugehörigkeit mobilisiert werden. Die diesjährige Veranstaltung war einem 2011 bei Kampf handlungen in der Türkei ums Leben gekommenen PKKMitglied gewidmet. Der KCKVorsitzende Karayilan bekannte sich in einer Videobotschaft zum Widerstandsrecht des kurdischen Volkes und rief die kurdische Jugend in Europa auf, sich ihrer Verantwortung bewusst zu werden. Auch eine Grußbotschaft der PKKJugendor ganisation "Komalen Ciwan" wurde verlesen. Das seit Ende Juli 2012 andauernde Kontaktverbot des PKKFüh rers Öcalan zu seinen Anwälten veranlasste PKKAnhänger in Europa am 27. und 28. Juli 2012 zu zahlreichen Protestaktio nen. Auch in Deutschland wurden Demonstrationen, Kundge bungen und Mahnwachen durchgeführt. Am 27. Juli besetzten PKKAktivisten kurzzeitig ein Büro einer schwedischen Zeitung in Stockholm (Schweden), ein Büro der Turkish Airlines in Wien (Österreich) und eine SPDGeschäftsstelle in Darmstadt (Hessen). Anlässlich des 28. Jahrestages der Aufnahme des bewaffneten Kampfes der PKK in der Türkei führten Anhänger der Organisa tion am 15. August 2012 in zahlreichen deutschen Städten fried lich verlaufene Demonstrationen durch. Zum 14. Jahrestag der Ausweisung Öcalans aus seinem Exil in Syrien (9. Oktober 1998) organisierten örtliche PKKnahe Vereine bundesweit friedlich verlaufene Protestkundgebungen. 220 Die Veranstaltung ist benannt nach Zeynep Kinaci alias Zilan, die in PKKKreisen als "Märtyrerin" verehrt wird. Zilan hatte am 30. Juni 1996 in Tunceli (Türkei) wäh rend einer militärischen Fahnenparade eine Bombe zur Detonation gebracht. Bei diesem Selbstmordanschlag wurden nach türkischen Angaben mindestens sechs Soldaten getötet und mehr als 20 Personen verletzt. 221 Der Name "Mazlum Dogan" soll die Erinnerung an einen PKKFunktionär bewah ren, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben genommen hat und seitdem inner halb der Organisation als "Märtyrer" verehrt wird. 341 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Unter dem Motto "Freiheit für Öcalan" startete am 8. Sep tember 2012 eine Bustour, die durch 67 Städte in acht euro päischen Staaten (Belgien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Niederlande, Österreich, Schweden und Schweiz) führte. Mit die ser Aktion wollte die "Initiative für die Freiheit Öcalans"222 die europäische Öffentlichkeit auf dessen Haftsituation hinweisen und zudem für eine politische Lösung der Kurdenfrage unter Ein beziehung der PKK werben. In Deutschland fanden Kundgebun gen in 36 Städten statt. Die Bustour endete am 24. November 2012 in Düsseldorf (NordrheinWestfalen) mit einer Abschlusskundge bung, an der etwa 650 PKKAnhänger teilnahmen. Fast im gleichen Zeitraum, vom 12. September bis 18. Novem ber 2012, führten mehrere Hundert in der Türkei inhaftierte PKKAnhänger sowie Angehörige der "Freiheitspartei der Frauen Kurdistans" (PAJK) einen Hungerstreik durch und for derten ebenfalls die Freilassung Öcalans, zumindest jedoch eine Beendigung seiner als Isolationshaft bezeichneten Haftbe dingungen. Darüber hinaus verlangten sie die Aufhebung aller gesetzlichen Barrieren zum Gebrauch der kurdischen Sprache in der Türkei. In Deutschland solidarisierten sich PKKAnhän ger mit den Hungerstreikenden und führten im Oktober und November 2012 in zahlreichen Städten Protestkundgebungen und kurzzeitige Hungerstreikaktionen durch, die nach einer Botschaft Öcalans endeten, die er seinem Bruder bei dessen Haftbesuch am 17. November 2012 übergeben hatte (vgl. Kap. II, Nr. 1.2.1). 1.2.6 Aktivitäten der "Komalen Ciwan" Die PKKJugendorganisation "Komalen Ciwan" hat ihre im Herbst 2011 begonnenen medienwirksamen (Besetzungs)Akti onen im Jahr 2012 fortgesetzt. Bei den durchweg nur kurzzeitig durchgeführten Besetzungsaktionen versuchten die Teilnehmer in der Regel, Erklärungen mit PKKunterstützenden Inhalten zu übergeben oder verlangten, dass solche veröffentlicht werden. Hervorzuheben sind dabei folgende gewalttätige bzw. gefährliche Aktionen: # 15. Februar 2012: Straßenblockade in Frankfurt (Hessen) 222 Ein Zusammenschluss verschiedener Gruppierungen und Einzelpersonen aus Deutschland und dem Ausland. 342 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) # 15. April 2012: Besetzung eines Ausflugsschiffs in Köln (NordrheinWestfalen) # 18. April 2012: Besetzung einer Straßenkreuzung in Berlin # 19. April 2012: Besetzung eines Ausflugsschiffs in Hamburg # 28. Juli 2012: Besetzung eines Ausflugsschiffs in Düsseldorf (NordrheinWestfalen) Auch im benachbarten europäischen Ausland kam es in diesem Zeitraum zu ähnlichen Aktionen. Im Januar und Februar 2012 kam es aus Anlass des irrtümlichen Luftangriffs der türkischen Luftwaffe auf kurdische Zivilisten (vgl. Kap. II, Nr. 1.2.1) und des Jahrestages der Festnahme Öcalans (vgl. Kap. II, Nr. 1.2.5.2) wieder zu "HitandrunAktionen"223. So wurde z.B. am 3. Januar 2012 in Berlin ein Brandanschlag auf ein türkisches Vereinsheim verübt (vgl. Kap. II, Nr. 1.2.1). "Komalen Ciwan" veröffentlichte hierzu die Taterklärung einer "Jugend initiative Haki Karer"224, in welcher der Anschlag als Racheakt für den Luftangriff bezeichnet wurde. Am 15. Februar 2012 wurde in Köln (NordrheinWestfalen) ein Brandanschlag durch kurdische Jugendliche auf die Redaktion der türkischen Zeitung Zaman ver übt (vgl. Kap. II, Nr. 1.2.5.2). Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen der PKKJugend und nationalistischen Türken haben auch im Jahr 2012 wie der regelmäßig stattgefunden. Beschimpfungen und gegenseitige Provokationen - zumeist in sozialen Netzwerken im Internet - sind an der Tagesordnung. Die Anonymität des Internets verführt Nutzer oft zu heftigen verbalen Attacken bis hin zu Drohungen, die in der Regel jedoch nicht in die Tat umgesetzt werden. Im Internet getroffene Verabredungen zu Schlägereien wurden eben falls nur sehr selten realisiert. Die im Internet zur Verfügung stehenden Videoportale werden zunehmend von PKKJugendlichen genutzt. So posieren sie bei spielsweise zumeist auf martialische Art und Weise und zeigen sich mit einschlägigen Symbolen und Erkennungszeichen der PKK. Derartige Clips sind meistens mit HipHop oder RapMusik 223 Hierbei handelt es sich grundsätzlich um mittels Brandbeschleunigern versuchte bzw. durchgeführte Brandanschläge auf überwiegend türkische Einrichtungen in Deutschland. 224 Homepage "Komalen Ciwan" (6. Januar 2012). 343 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) unterlegt. Darüber hinaus wird das Internet von Anhängern der "Komalen Ciwan" gezielt für Propagandazwecke genutzt, um Aktionen und die zugrundeliegenden politischen Anliegen zeit nah einer möglichst breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. So wurde die Besetzung eines Ausflugsschiffs am 15. April 2012 in Köln (NordrheinWestfalen) durch einen - nicht an der Aktion beteiligten - Sympathisanten gefilmt und zeitnah in ein Internet videoportal eingestellt. Neben Handgreiflichkeiten anlässlich von Demonstrationen gibt es auch immer wieder spontane Auseinandersetzungen außerhalb von Organisationsveranstaltungen. Die "Komalen Ciwan" bringen ihre Aktionsbereitschaft in Verlaut barungen zum Ausdruck, in denen stereotyp zum "Kampf" auch in Europa aufgerufen wird. So hieß es zum 15. August 2012, dem 28. Jahrestag der Aufnahme des bewaffneten Kampfes: "Aus diesem Grund müssen alle kurdischen Jugendlichen in Europa in den Ländern, in denen sie leben, einen effektiven Kampf führen, damit die Isolation des Führers aufgehoben wird und in einer freien Atmosphäre Politik betrieben werden kann. (...) Mit dieser Überzeugung rufen wir die gesamte kurdische Jugend dazu auf, alle Orte, an denen sie lebt, zu Gebieten des Serhildan225 zu machen." ("Sterka Ciwan" Nr. 110, Juli 2012, S. 8) 1.2.7 Rekrutierung junger Anhänger der PKK in Deutschland für die Guerilla Die PKK wirbt nach wie vor offen für die Teilnahme am bewaff neten Kampf. So werden Aufrufe der Organisation in allen PKK Medien (Zeitschriften, Internet, TV) veröffentlicht. Einige dieser Aufrufe richten sich ausdrücklich an europäische Jugendliche. 225 Kurdische Bezeichnung für "Aufstand". 344 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) So fordert ein HPGKommandant mit dem Decknamen Bahoz Erdal: "Von diesem Gesichtspunkt aus ist es sinnvoll, dass jeder kurdische Jugendliche in Europa sich seinem Land, den Bergen Kurdistans zuwendet, um zu seinem Inneren zu finden. (...) Die Jugend Kurdistans muss durch ihre aktive Beteiligung in der Guerilla jedem, Freund und Feind, zeigen, dass sie die Freiheitsmission des Volkes zum Sieg tragen wird." ("Sterka Ciwan" Nr. 106, März 2012, S. 23) Auch auf dem "KurdistanFestival" am 8. September 2012 in Mannheim (BadenWürttemberg, vgl. Kap. II, Nr. 1.2.3) wurde der Übertritt zur Guerilla gefordert: "Die Zeit der Unterdrückung ist vorbei. Wir Jugendlichen engagieren uns für die Freiheit weiter. Unseren Willen kann keiner mehr stoppen. Freiheit für Öcalan. Jeder von uns. Die Jungs sollen aktive Arbeit leisten. Wir sollen uns den HPG-Guerillas an der Front anschließen. Wenn die Feinde uns das Leben schwer machen, machen wir deren Leben schwer." ("Sterk TV", 8. September 2012) Auch im Jahr 2012 wurden wieder Fälle bekannt, in denen sich junge PKKAnhänger aus Deutschland der Guerilla angeschlossen haben. Die Organisation veröffentlicht immer wieder Berichte über getötete "Märtyrer", die in Deutschland rekrutiert worden seien. So wurde auf der Internetseite der HPG über eine im Jahr 1994 in Bremen rekrutierte und getötete ranghohe Guerillakämpferin berichtet.226 Am 3. Dezember 2012 durchsuchte die niederländische Polizei in einer Ferienanlage in Ellemeet (Niederlande) Räumlichkeiten, in denen ein Treffen von Angehörigen der "Komalen Ciwan" und der 226 Homepage HPG (16. Oktober 2012). 345 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) PKKStudentenorganisation "Verband der Studierenden aus Kur distan" (YXK) zur Rekrutierung neuer Anhänger für die PKKGue rilla stattfand (vgl. Kap. II, Nr. 1.2.9). Im Rahmen der Exekutivmaß nahme wurden 55 Personen vorläufig festgenommen, darunter auch hochrangige Funktionäre der "Komalen Ciwan" und der YXK aus Deutschland und dem benachbarten europäischen Ausland. Es ist zu erwarten, dass die Europaorganisation auch künftig ver suchen wird, in Europa Jugendliche für den kurdischen Kampf zu rekrutieren. In diesem Zusammenhang dürften auch im kom menden Jahr erneut ideologische Schulungscamps in Europa durchgeführt werden. 1.2.8 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten In einer Videobotschaft zum "20. Kurdischen Kulturfestival" in Mannheim (BadenWürttemberg, vgl. Kap. II, Nr. 1.2.3) betonte der Vorsitzende der KCK Murat Karayilan, der militärische Einsatz der HPG verlaufe erfolgreich. Gleichzeitig forderte er dazu auf, die Guerilla nicht allein zu lassen und sie auch finanziell zu unter stützen. Europa und insbesondere Deutschland stellen für die PKK auch unter finanziellen Gesichtspunkten eine rückwärtige Basis für ihren politischen und militärischen Kampf dar. Die jährlich stattfindende "Spendenkampagne" (kampanya) ist nach wie vor die wichtigste Einnahmequelle der Organisation. Im Jahr 2012 konnte die PKK aufgrund ihrer gewalttätigen und terroristischen Aktivitäten in der Türkei und der ungeklärten, aus PKKSicht aber vielversprechenden Lage in Syrien eine erhöhte Spendenbereitschaft ihrer Anhänger nutzen und einen zweistelli gen Millionenbetrag in Europa einsammeln. Während von kurdischen Familien mehrere Hundert Euro jähr lich veranlagt werden, müssen Geschäftsleute mehrere Tausend Euro entrichten. Die von den Sammlern geforderten Spenden für die "Freiheit Kurdistans" werden häufig bei vertrauenswür digen Geschäftsleuten zwischengelagert und anschließend von Kurieren meist ins Ausland verbracht. Wegen der in Deutschland 346 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) bestehenden Strafandrohung227 halten die Spendensammler bestimmte konspirative Sicherheitsmaßnahmen ein, um das Risiko einer Beschlagnahme der Beträge bzw. der entlarvenden Quittungen durch die Polizei möglichst gering zu halten. Aufgrund des erheblichen Finanzbedarfs der Organisation in der Türkei und im Irak müsste im Berichtszeitraum ein erhöhter Anteil aus der Spendenkampagne durch Kuriere in die Region transferiert worden sein. Die Ausgaben der Organisation in Europa sind nach wie vor hoch, da umfangreiche Organisations und Propagandastruktu ren finanziert werden müssen. Zusätzlich zur Jahresspendenkampagne wurde eine Sonderspen denkampagne für die Beschaffung von Gasmasken für die Gue rilla durchgeführt, die jedoch nicht das von der PKK gewünschte Ergebnis erbracht hat. Weitere Einkünfte erzielt die PKK aus Mitgliedsbeiträgen, dem Vertrieb von Publikationen und aus Veranstaltungen wie dem jährlichen "KurdistanFestival". Im Finanzsystem der PKK stellt das sogenannte "Wirtschafts und Finanzbüro" ("Ekonomi ve Maliye Bürosu" - EMB) ein wichtiges Element dar. Funktionäre dieser Organisationseinheit kontrol lieren die Einnahmen und Ausgaben der einzelnen PKKGebiete ("Bölge") und koordinieren die Bargeldtransporte in Deutschland und Europa. Gegen den am 27. April 2012 in Köln (NordrheinWestfalen) festgenommenen ehemaligen Leiter des EMB hat die Bundesan waltschaft am 23. Januar 2013 Anklage vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf (NordrheinWestfalen) wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK erhoben. 227 Eine Spende oder ein anderer finanzieller Beitrag für die PKK stellt eine Unterstüt zung einer in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten Organisation dar und kann nach dem Vereinsgesetz mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe geahndet werden. Nach neuer Rechtsprechung könnte sich ein Spendensammler auch der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung gem. SSSS 129b i.V.m. 129a StGB strafbar machen. 347 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In den USA ist die PKK gemäß dem "Foreign Narcotics Kingpin Designation Act" (Gesetz zur Kennzeichnung ausländischer Dro genhändler) als eine in den Drogenschmuggel involvierte Orga nisation gelistet. In Deutschland liegen keine Hinweise dafür vor, dass Organisationsstrukturen der PKK direkt in den Drogenhan del verwickelt sind. 1.2.9 Aktivitäten der PKK im Internet Die PKK und insbesondere die Jugendorganisation "Komalen Ciwan" nutzen zunehmend das Internet parallel zu den bisheri gen Formen der Informationsweitergabe. Nahezu alle Teilorganisationen der PKK pflegen eine oder meh rere eigene Internetpräsenzen. In der Regel enthalten diese Eigendarstellungen und Erklärungen oder Kommentierungen zu PKKrelevanten Themen. Die Jugendorganisation "Komalen Ciwan" stellt bisweilen Infor mationen zu ihren Aktionen unmittelbar nach Durchführung im Internet ein und dokumentiert sie mit Bildern oder Videos. So wurde von der Schiffsbesetzung in Köln am 15. April 2012 bereits kurz nach der Besetzung auf der Internetplattform YouTube ein Video der Aktion eingestellt. Auch andere Besetzungsaktionen wurden mit entsprechenden Bildern auf der Internetseite der Jugendorganisation dargestellt. Während die PKK und ihre Teilorganisationen das Internet zunehmend als Mobilisierungs und Rekrutierungsmedium nut zen, spielt es bei ihren Anhängern als Informationsmedium eine bedeutende Rolle, insbesondere die sogenannten Social Net works wie Facebook sind vor allem bei jüngeren Anhängern der PKK sehr beliebt. So werden gezielt Veranstaltungshinweise in diesen Foren verbreitet. Einige Teilorganisationen der "Komalen Ciwan" betreiben zwischenzeitlich eigene Gruppen auf Facebook. Es handelt sich sowohl um offene als auch geschlossene Foren, d.h. um virtuelle Räume u.a. zum Austausch von Informationen und Meinungen. Während eine Teilnahme an den offenen Foren an keine Voraussetzungen geknüpft ist, müssen sich Teilnehmer an den geschlossenen Foren zunächst mit einem Nutzernamen 348 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) und Passwort anmelden und erhalten nur nach Zustimmung des Administrators Zutritt. 1.2.10 Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Auch im Jahr 2012 hatten sich wieder mehrere Führungsfunktio näre der Organisation vor Gericht zu verantworten: # Am 6. März 2012 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Hessen) einen kurdischstämmigen türkischen Staatsangehörigen wegen vereinsrechtlicher Verstöße rechts kräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich der Angeklagte zwischen 2005 und 2007 als Gebietsleiter innerhalb der Kaderstruktur der PKK zunächst in Mainz (RheinlandPfalz) und danach in Darmstadt (Hessen) betätigt hatte. # Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg verurteilte am 13. Februar 2013 einen türkischen Staatsangehörigen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereini gung zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren. Das Gericht stellte fest, dass der Verurteilte als Gebietsleiter der PKK von Hamburg, Bremen, Kiel (SchleswigHolstein) und Oldenburg (Niedersachsen) in den Jahren 2007 bis 2008 durch Spenden geldsammlungen und Propagandatätigkeiten die PKK in ihrem GuerillaKampf gegen die Türkei unterstützt hat. # Seit dem 13. September 2012 verhandelt das Oberlandesgericht Stuttgart (BadenWürttemberg) gegen zwei im Juli 2011 festge nommene und seitdem in Untersuchungshaft befindliche tür kische Staatsangehörige wegen Mitgliedschaft in der ausländi schen terroristischen Vereinigung PKK. Beiden Personen wird vorgeworfen, als hochrangige Kader der "Komalen Ciwan" und der "Koordination der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) tätig gewesen zu sein. # Am 21. Januar 2013 wurde vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf (NordrheinWestfalen) der Prozess gegen einen 21jährigen türkischen Staatsangehörigen wegen Mitglied schaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK eröffnet. Der Angeklagte ist dringend verdächtig, sich von Ende Oktober 2009 bis März 2011 zunächst in Berlin und später in der Schweiz als Mitglied der PKK betätigt zu haben. Er sei als hochrangiger Kader der "Komalen Ciwan" u.a. damit 349 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) betraut gewesen, die Teilnahme kurdischer Jugendlicher an Kundgebungen, Aufzügen und Versammlungen der PKK zu organisieren. Der Angeklagte war am 10. Juli 2012 in der Nähe von Paris (Frankreich) aufgrund eines internationalen Haftbefehls der Bundesanwaltschaft festgenommen und am 25. Juli 2012 an die deutschen Strafverfolgungsbehörden über stellt worden. # Am 1. November 2012 wurde ein hochrangiger Funktionär der "Komalen Ciwan" aus der Schweiz nach Deutschland aus geliefert. Dem 34Jährigen wird vorgeworfen, sich seit 2008 als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK beteiligt zu haben. Er soll zunächst in Berlin und später europaweit als hochrangiger Kader der "Komalen Ciwan" tätig gewesen sein. So habe er u.a. junge Mitglieder oder potenzielle Kämpfer angeworben oder deren Anwerbung koordiniert und in diesem Zusammenhang mehrere Schulungsveranstaltun gen geleitet, u.a. in Deutschland und Italien. Der Funktionär war am 20. Juli 2011 aufgrund eines Festnahmeersuchens des Generalbundesanwalts in der Nähe von Würenlos (Schweiz) festgenommen worden. # Am 16. Dezember 2012 wurde ein PKKFunktionär aufgrund eines europäischen Haftbefehls, der in Dänemark wegen des Verdachts der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung (PKK) erlassen worden war, in Rheinzabern (RheinlandPfalz) festgenommen. Das Amtsgericht Landau (RheinlandPfalz) ordnete am 17. Dezember 2012 die vorläufige Auslieferungs haft an. Bewertung Die Aktivitäten der PKK in Deutschland werden sich weiterhin auf einem hohen Niveau bewegen. Insbesondere die Haftsituation Öcalans sowie die sich zuspitzenden militärischen Auseinander setzungen in der Türkei und Syrien zeigen, dass aktuelle Entwick lungen in der Heimatregion unmittelbare, bis zur Gewalttätigkeit reichende Reaktionen bei der in Deutschland lebenden PKK Anhängerschaft hervorrufen. Die Organisation ist jederzeit imstande, insbesondere ihre jugendliche Anhängerschaft in kür zester Zeit zu mobilisieren und medienwirksame Aktionen durch zuführen. Wesentliche Aufgabe in Deutschland wird auch künftig die Sammlung von Geldern zur Finanzierung und Aufrechterhaltung 350 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) der Organisationsstrukturen, der Propagandaaktivitäten sowie zur Unterstützung der militärischen Aktivitäten der HPG sein. Die PKK wird ihre politische Lobbyarbeit weiter intensivieren und bestrebt sein, als legitimer Vertreter und Ansprechpartner in der Kurdenfrage anerkannt zu werden. Die Ausschreitungen in Mannheim (BadenWürttemberg, vgl. Kap. II, Nr. 1.2.3) belegen eine deutlich höhere Eskalationsbe reitschaft der PKKAnhänger. In vergleichbarer Form hat es dies zuletzt 1999 anlässlich der Verhaftung Öcalans gegeben. Bemer kenswert war 2012 die Heftigkeit der Konfrontation zwischen Kurden und nationalistischen Türken sowie die Gewaltanwen dung gegenüber der Polizei. Ob zukünftige Zusammenstöße zwischen Kurden und Türken bzw. militante Aktionen von Anhängern der PKKJugendorgani sation "Komalen Ciwan" ein vergleichbares quantitatives Ausmaß erreichen werden wie in Mannheim (BadenWürttemberg), wo sich ein großes Reservoir an Unterstützern der Gewalttätigkeiten bot, wird nicht allein von äußeren Anlässen, sondern auch von der jeweiligen Situation abhängen. Derartige Gelegenheiten bieten sich jedoch mehrfach im Jahr, u.a. bei diversen - z.T. jährlich statt findenden - Großveranstaltungen von PKKAnhängern. Insbesondere die jugendlichen PKKAnhänger werden die "Neuen Medien" verstärkt für propagandistische Zwecke nutzen. 351 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2. Gruppierungen aus dem türkischen Spektrum 2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 30. März 1994 in Damaskus (Syrien) nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten, 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") Leitung: bis 2008: Generalsekretär Dursun Karatas, verstorben am 11. August 2008; Nachfolger nicht bekannt Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 650 (2011: 650) Publikationen: "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke"), unregelmäßig; "Yürüyüs" ("Marsch"), wöchentlich; "HALK GERCEGI" (Zukunft des Volkes), unregelmäßig Organisationsverbot: Verbotsverfügung vom 6. August 1998 Auf der Grundlage des MarxismusLeninismus spricht sich die DHKPC nach wie vor für einen revolutionären Umsturz der bestehenden Staats und Gesellschaftsordnung in der Türkei aus und strebt die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft an. Sie propagiert einen bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung. Von der EU ist die in Deutschland seit 1998 verbotene Organisa tion seit dem 2. Mai 2002 als terroristische Organisation gelistet. 352 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Ihr Bekenntnis zum revolutionären Umsturz bekräftigte die DHKPC auch 2012 wieder in einer Erklärung ihres politischen Arms "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP) anlässlich des Jahrestages der Parteigründung: "Die PARTEI bedeutet Beharren auf Revolution. Die PARTEI ist eine Alternative zum Imperialismus, der gegenwärtig unter der Bezeichnung "Globalisierung" versucht, die Welt zu beherrschen. Die PARTEI ist unser Herrschaftsanspruch. Die PARTEI bedeutet, gestärkt wieder auf die Beine zu kommen, wenn die Oligarchie wieder einmal verkündet hat, sie vernichtet zu haben. (...) Sämtliche Entwicklungen der Welt zeigen, die einzige Rettung für die Völker LIEGT IM SOZIALISMUS. Der einzige Weg zur Verwirklichung des Sozialismus IST DIE REVOLUTION. (...) Egal um welchen Preis, wir werden auf dem Weg zum Sozialismus bis zur Erlösung Krieg führen. Wir werden der Türkei und den Völkern der Welt die antiimperialistische und antioligarchistische Volksherrschaft zum Geschenk machen." ("Yürüyüs" Nr. 310, 1. April 2012, S. 4 ff.) In der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift "Yürüyüs" präsen tiert sich die DHKPC als "Speerspitze" des bewaffneten Kampfes: "Da in unserem Land eine revolutionäre Lage herrscht, sind die objektiven Bedingungen für den bewaffneten Kampf gegeben. Das bedeutet, dass die Massen dazu neigen, sich um Organisationen zu scharen, die den bewaffneten Kampf führen. (...) Sich organisieren, das Volk organisieren und es in den Krieg führen. Das sind die beiden Bedingungen der Revolution. (...) Entscheidend jedoch ist die bewaffnete Propaganda. Wenn wir nur bei Worten bleiben, glaubt das Volk ohnehin nichts. (...) Kurzum, wenn Revolutionäre in unserem Land Revolution machen wollen, müssen sie zur Waffe greifen." ("Yürüyüs" Nr. 304, 19. Februar 2012, S. 21) 353 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In einer anderen Publikation der Organisation heißt es kämpferisch: "Der Imperialismus ist ein verrottender und degenerierender Kapitalismus. Die Geschichte hat ihn zum Tode verurteilt. Wir werden ihn hängen. Sie werden verschwinden. Wir werden sie vernichten. (...) Wir sind Revolutionäre. Wir sind Marxisten-Leninisten. Revolutionäre Einstellung ist eine Identität. Diese Identität einigt sich niemals mit dem System. (...) Wir sind Mitglieder der Front. Wir führen Volkskrieg gegen Imperialismus und Oligarchie." ("HALK GERCEGI" Nr. 17, 1. Januar 2012) In der Zeitschrift "Devrimci Sol" äußert sich die DHKPC u.a. zum "legalen, demokratischen Kampf" und zum bewaffneten Kampf - aus Sicht der Partei sind beide Kampfformen unabdingbar mit einander verknüpft: "In unserem faschistisch regierten Land sind die im demokratischen Bereich eingesetzten Kader und Führungsfunktionäre einer kriegerischen Organisation gleichzeitig auch jene Mitglieder, die bereit sein sollen, jederzeit in den illegalen und bewaffneten Kampf zu wechseln. Alle Revolutionäre, die im demokratischen Bereich offene Aktivitäten durchführen, müssen sich so betrachten und sich darauf vorbereiten. Arbeitsweise, Denkweise und Organisationsverständnis müssen auf der Perspektive des bewaffneten Kampfes und der Geheimhaltung basieren. (...) Unabhängig davon, ob unsere Kader und Führungskräfte im illegalen oder legalen, im demokratischen oder bewaffneten Bereich eingesetzt sind, alle unsere Organisationsbereiche sind unsere Kriegsstellungen, jede Handbreit anatolischen Bodens ist unser Kampfgebiet und jeder einzelne unserer Genossen ist der dortige Kommandeur. (...) Wir werden nicht vergessen, dass der demokratische Kampf die Luftröhre des illegalen und bewaffneten Kampfes ist. Der demokratische Kampf ist unsere Kaderquelle, [er bietet] Möglichkeiten, logistische Unterstützung und Unterstützung der Massen. Die Verschmelzung der Kriegsorganisation mit den Massen ist abhängig von der Kraft des demokratischen Kampfes". ("Devrimci Sol" Nr. 23, Mai 2012, S. 70 ff.) 354 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die Anhänger der DHKPC in der Türkei sind vor allem poli Aktivitäten tischpropagandistisch aktiv, in verschiedenen Kampagnen in der Türkei befassten sie sich hauptsächlich mit den Inhaftierten der Organi sation und der Gefängnispolitik der türkischen Regierung. Der militärische Arm der DHKPC, die "Revolutionäre Volksbefrei ungsfront" (DHKC), verübte in den letzten Jahren in der Türkei militante Aktionen. Überwiegend handelte es sich um Sachbe schädigungen und Brandanschläge mit Molotowcocktails. Wie derholt kam es jedoch auch zu Festnahmen von Personen, die offenbar Sprengstoffanschläge in der Türkei geplant hatten. Seit Juni 2012 ist eine neue Anschlagsoffensive der DHKC in der Türkei zu verzeichnen: Im Juni, September und Dezember 2012 bekannte sich die DHKC zu drei bewaffneten Überfällen auf Poli zeiwachen in Istanbul (Türkei), bei denen neben den Attentätern zwei Polizisten getötet und mehrere Personen verletzt wurden. Bei weiteren fünf bewaffneten Angriffen wurden ebenfalls zwei Polizisten getötet. In Verlautbarungen rechtfertigte die Organisa tion die Anschläge als Vergeltung für die von türkischen Sicher heitskräften getöteten Aktivisten und drohte weitere Aktionen an: "Wir haben geschwiegen (...). Wir haben gewartet (...). Wir haben Gerechtigkeit gefordert. Jetzt ist Schluss. Von nun an werden wir zeigen, dass es in der Türkei keine Justiz gibt. Fürchtet Euch vor unserer Wut, die sich in den Zeiten aufgestaut hat, als wir noch schwiegen. Wir werden Eure Angst noch verstärken. Wir werden für die Gerechtigkeit unseres Volkes und unserer Märtyrer sorgen! Wir haben Gerechtigkeit gefordert, ihr habt sie uns nicht gegeben und werdet es auch nicht tun (...). Aber wir werden sie uns mit Gewalt nehmen! Wir werden die Hände und Schlagstöcke brechen, die gegen unser Volk und unsere Genossen erhoben werden! Wir werden weiterhin die AKP-Polizisten (...) zur Rechenschaft ziehen!" (Homepage DHKP-C, Erklärung Nr. 390, 16. Juni 2012) In Deutschland entfaltet die DHKPC ihre propagandistischen Aktivitäten in Aktivitäten vor allem über Kampagnen ihrer Tarnorganisation Deutschland "Anatolische Föderation". Thematischer Schwerpunkt der Kampagnenarbeit war 2012 die Mordserie des rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen 355 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Untergrunds" (NSU). Unter dem Motto "Vereinigen und organisie ren wir uns gegen den Faschismus und Rassismus!" führte die "Anatolische Föderation" verschiedene Aktionen durch, in denen z.B. die Bestrafung der Verantwortlichen und ein Verbot der NPD gefordert sowie eine angebliche Verstrickung des Verfassungs schutzes in die Taten des NSU behauptet wurden. Trotz fortwäh render Bemühungen, sich über die Instrumentalisierung des Themas in Migrantenkreisen besser zu positionieren, konnte die DHKPC bei diesen Aktionen keine breitere öffentliche Resonanz erlangen. Am 2. Juni 2012 fand in Düsseldorf (NordrheinWestfalen) eine Konzertveranstaltung einer der DHKPC nahestehenden türki schen Musikgruppe statt, bei der ebenfalls das Kampagnenthema aufgegriffen wurde. Unter dem Motto "Ein Herz und eine Stimme gegen Rassismus" nahmen an der Veranstaltung nach Angaben der DHKPC rund 10.000 Besucher aus Deutschland und dem angren zenden Ausland teil. Anhänger der Organisation im Bundesgebiet hatten die Veranstaltung über mehrere Monate mit großem Auf wand vorbereitet und beworben. In der Begrüßungsansprache ging der stellvertretende Vorsitzende der "Anatolischen Föderation" auf das Kampagnenthema Rassismus ein. Aktivisten der DHKPC haben in der Vergangenheit wiederholt derartige Konzertveranstaltungen in Deutschland und im angrenzenden Ausland durchgeführt. Verschiedene der DHKPC nahestehende Vereine würdigten mit Gedenkveranstaltungen im Juni und September 2012 die bei Anschlägen auf Polizeiwachen in Istanbul (Türkei) getöteten Attentäter sowie einen im Juli 2012 bei seiner Festnahme durch die Polizei in Istanbul getöteten Aktivisten. Bei diesen Zusam menkünften wurden Erklärungen verlesen, in denen sich die DHKC zu den Attentaten bekannte. Anlässlich des 18. Jahrestags ihrer Parteigründung veranstaltete die DHKPC am 21. April 2012 eine europaweite Gedenkveranstal tung in Lüttich (Belgien). Unter den ca. 300 Teilnehmern befanden sich auch Aktivisten aus Deutschland. In dem mit Parolen wie "Wir sind auf dem Weg und folgen der Spur von Mahir Cayan228 228 Mitbegründer einer Vorgängerorganisation der DHKPC, verstorben am 30. März 1972. 356 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) und Dursun Karatas" geschmückten Veranstaltungssaal gedach ten die Anwesenden mit einer Schweigeminute der "Märtyrer" der Organisation. In einer politischen Erklärung wurde bekräftigt, dass die Rettung für die Völker allein im Sozialismus liege. Überall dort, wo der Imperialismus herrsche, gebe es nur Hunger, Armut und Massaker. Teilnehmer marschierten mit Fahnen auf und skandierten Parolen wie "Die DHKC ist der Name der Hoffnung" und "Zittre Oligarchie! Die Partei/Front kommt". Im Jahr 2012 wurden folgende Strafverfahren gegen DHKPC Strafrechtliche Funktionäre und Aktivisten geführt: Maßnahmen in # Am 9. Februar 2012 verurteilte das Oberlandesgericht Deutschland Düsseldorf (NordrheinWestfalen) zwei türkische Staats angehörige wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terro ristischen Vereinigung DHKPC zu Freiheitsstrafen von vier bzw. sechs Jahren. Das Gericht wertete ihre Aktivitäten als Werbung von Mitgliedern, Beschaffung von Geldern und Bil dung eines Rückzugsraums als unverzichtbaren Beitrag für die Ziele der Terrororganisation. # Am 23. Mai 2012 verurteilte der 6. Strafsenat des Oberlandes gerichts München (Bayern) ein Ehepaar wegen Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigung DHKPC. Den beiden türkischen Staatsangehörigen wurde eine achtmona tige Freiheitsstrafe mit Strafaussetzung zur Bewährung bzw. eine Geldstrafe auferlegt. # Das Oberlandesgericht Düsseldorf (NordrheinWestfalen) ver urteilte am 19. Juli 2012 eine Funktionärin der DHKPC zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und neun Monaten wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung DHKPC. Der Staatsschutzsenat des Bundesge richtshofs hatte ein Urteil vom 16. Dezember 2010 an das Oberlandesgericht Düsseldorf zurückverwiesen, da nicht alle Gesichtspunkte, die für die Beurteilung der Rädelsführer schaft von Bedeutung seien, ausreichend berücksichtigt wor den seien. # Am 19. Juli 2012 begann vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts Berlin die Hauptverhandlung gegen eine DHKPCFunktionärin, der ebenfalls die Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung DHKPC zur Last gelegt wird. Sie soll 2002 bis 2008 die DHKPC in Europa geleitet haben. Insbesondere sei sie für die Beschaffung von Geldern zur Finanzierung der terroristischen Aktivitäten der 357 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) DHKPC in der Türkei zuständig gewesen, habe sich aber auch an der Rekrutierung von Kurieren für die Übermittlung von Nachrichten und den Transport von Waffen in die Türkei und der Verfälschung von Ausweispapieren für die Schleusung von Organisationsmitgliedern beteiligt. # Am 1. Oktober 2012 begann vor dem 5. Strafsenat des Oberlan desgerichts Düsseldorf (NordrheinWestfalen) die Hauptver handlung gegen einen weiteren türkischen Staatsangehörigen, dem Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Verei nigung DHKPC vorgeworfen wird. Er soll zwischen 2007 und 2011 als Mitglied der DHKPC im Kölner Raum in Propaganda und Schulungsaktivitäten der Organisation und die Sammlung von Spendengeldern eingebunden gewesen sein. Insbesondere habe er sich um die Herstellung und den Vertrieb der Wochen zeitschrift der DHKPC und um die Organisation von Veran staltungen gekümmert. Bewertung Die Strafverfolgungsmaßnahmen haben die DHKPC in Deutschland personell und strukturell nachhaltig geschwächt und der Basis verdeutlicht, wie sehr sie im Fokus der Sicherheits behörden steht. Trotz der eingeschränkten Handlungsfähigkeit wird die DHKPC mit verbliebenen und neuen Kadern versuchen, ihre Aktivitäten in Deutschland fortzuführen und sich über die Darstellung ihrer Propagandaaktivitäten im Internet gegenüber der Anhängerschaft als intakte Organisation zu präsentieren. Gleichzeitig wird sie sich über die Kampagnenarbeit der "Anato lischen Föderation" als Organisation darstellen, die sich für die Belange von Immigranten einsetzt. Die sich im Jahr 2012 häu fenden Anschläge der Organisation in der Türkei - insbesondere seien hier die tödlichen Schüsse auf Polizeibeamte erwähnt - haben zu einem Motivationsschub bei den Anhängern in Europa geführt. Es gelingt der DHKPC vermehrt, ihre Anhänger zu mobi lisieren und neue, vor allem junge Unterstützer zu rekrutieren. Gleichzeitig schafft sie es, strukturelle Schwächen zu beseitigen. 358 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Gründung: 24. April 1972 in der Türkei Mitglieder/Anhänger: insgesamt 1.300 (2011: 1.300) Die Organisation ist in zwei Fraktionen gespalten: "Partizan" Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 800 (2011: 800) Publikation: "Özgür Gelecek" ("Freie Zukunft"), 14-täglich und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) (bis September 2002 "Ostanatolisches Gebietskomitee" - DABK) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 500 (2011: 500) Publikation: "Halk Icin Devrimci Demokrasi" ("Revolutionäre Demokratie für das Volk"), 14-täglich Die TKP/ML wurde 1972 in der Türkei als kommunistische Kader organisation gegründet. Sie strebt einen gewaltsamen Umsturz in der Türkei an, um eine kommunistische Gesellschaftsord nung zu errichten. Von Beginn an führte die Organisation einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat, der auch im Jahr 2012 wieder Todesopfer forderte. 1994 führte eine Spaltung der Mutterpartei TKP/ML zur Bildung zweier selbstständiger, mitei nander konkurrierender Fraktionen, "Partizan" und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP). Beide Flügel nehmen für sich in 359 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Anspruch, die eigentliche Nachfolge der Mutterpartei TKP/ML angetreten zu haben. In einem Flugblatt des Politbüros des Zentralkomitees der "Partizan"Fraktion anlässlich des 40. Jahrestages der Parteigrün dung am 24. April 1972 heißt es u.a.: "Vierzig Jahre auf dem Weg der Unerschrockenen, nicht der Verzweifelten! Mit Wissenschaft und mit Krieg! Mit Beharren und Hartnäckigkeit! Ganz sicher und absolut! (...) Die Partei hat überlebt, weil hunderte Kameraden, Führer, Aktivisten und Guerillakämpfer ihr Leben gegeben haben. (...) Noch große Kämpfe stehen bevor (...). Dafür, dass wir Krieg führen, kämpfen und Widerstand leisten und dabei nicht erfolgreich sind, gibt es keinen Grund. Wir werden erfolgreich sein!" (Flugblatt des Politbüros des Zentralkomitees der "Partizan"-Fraktion, April 2012) Sowohl die "Partizan"Fraktion als auch die MKP verfügen über einen bewaffneten Arm: Für die "Partizan"Fraktion ist dies die "Türkische Arbeiter und Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO), für die MKP die "Volksbefreiungsarmee" (HKO). Beide Teilorganisati onen bekennen sich in der Türkei zu bewaffneten Aktionen gegen polizeiliche und militärische Einrichtungen. In einer TKP/MLPublikation heißt es unter der Überschrift "Die Gefallenen der Partei und der Revolution sind unsterblich!": "Ja, lasst es uns kraftvoll wiederholen. Die Zukunft der Weltrevolution und der Revolution der Türkei liegt im Kampf, der Hunderten unserer Märtyrer Blut und Leben gekostet hat. (...) Hoch leben unsere Gefallenen, denen die Ehre zuteil wurde, für eine große Sache zu sterben! Die Gefallenen unserer Partei sind unsterblich! Hoch lebe der Volkskampf (...)." (Publikation TKP/ML in türkischer Sprache, ohne Datum) 360 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Beide TKP/MLFlügel entwickeln in Deutschland Vereins und Propagandaaktivitäten. Die teilnehmerstärkste Veranstaltung der "Partizan"Fraktion war die Feier anlässlich des 40. Jahrestags der Gründung der TKP/ML am 19. Mai 2012 in Ludwigshafen (RheinlandPfalz), an der mehrere Hundert Mitglieder und Sym pathisanten teilnahmen. Die Fraktionen agieren in Deutschland und dem europäischen Ausland zumeist konspirativ. Propagandistische Unterstützung erfahren sie durch ihre offen auftretenden Umfeldorganisationen. Die propagandistische Unterstützung ihrer jeweiligen Hauptorga Bewertung nisation in der Türkei wird auch künftig im Mittelpunkt der Akti vitäten beider Fraktionen stehen. Diese umfasst vor allem das Ein schwören der Anhängerschaft auf die von der Organisation vertretene Ideologie und die festgesetzten Ziele. Daneben werden weiterhin auch innenpolitische Themen in Deutschland aufge griffen und im Sinne der marxistischleninistischen bzw. maoisti schen Ideologie interpretiert. 361 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Gründung: 1994 in der Türkei durch einen Zusammenschluss der "TKP/ML-Hareketi" ("Bewegung") und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 600 (2011: 600) Publikationen: "Atilim" ("Vorstoß"), wöchentlich; "Internationales Bulletin der MLKP", monatlich; "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei"), vierteljährlich Ziel der marxistischleninistischen MLKP ist die Zerschlagung der staatlichen Ordnung in der Türkei durch einen Volksaufstand und die Errichtung der Diktatur des Proletariats mit dem Ziel einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Das Zentralkomitee (ZK) als höchstes Funktionärsgremium der Organisation fordert seine Kader auf, das Bewusstsein für Revo lution der Völker in Europa und in der Türkei zu fördern. In einer Verlautbarung der Organisation zur 3. Europakonferenz im Juli 2012 wird die migrantische Jugend aufgerufen, am Kampf teilzu nehmen: "Unsere Konferenz hat die möglichen Folgen der Krise in Europa erörtert und die zunehmenden Chancen für eine Revolution unterstrichen. Unsere gesamte Partei in Europa muss dementsprechend neu aufgestellt werden (...). Unsere Konferenz hat betont, dass wir in der kommenden Phase die protestorientierte Haltung überwinden 362 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) müssen (...) und dass wir unsere Grenzen und unsere Haltung zum Status quo stärker in Frage stellen müssen (...). Unsere Konferenz ruft euch, migrantische Jugend, dazu auf, euch (...) zu organisieren und an dem Kampf teilzunehmen" (Homepage AvEG-Kon, 10. September 2012) Die MLKPFührung rät ihren Kadern u.a. Erfahrung und Praxis "bei der Institutionalisierung der Mittel, Wege und Methoden der revolutionären Gewalt" zu sammeln. In einem "internationalen Bulletin" des ZK vom 1. April 2012 pro pagiert die MLKP die Anwendung von Gewalt als Antwort auf die Aktionen des türkischen Staates: "Was können wir tun? Es liegt auf der Hand (...). Auf der Basis der Strategie des revolutionären Volkskrieges bis zuletzt Widerstand gegen diese Angriffe des türkischen Kolonialismus leisten (...). Mit einer passiven - zögerlichen Haltung gewinnt man in dieser Zeit rein gar nichts. Für den Erfolg ist es nötig, dass jeder eine widerstandsfähige Haltung einnimmt und Opfer bringt." (Homepage MLKP, Nr. 115, April 2012) Zu Beginn des Jahres 2012 verübte die MLKP eine Reihe von Bom benanschlägen in der Türkei: Sie übernahm die Verantwortung für einen Bombenanschlag am 2. Januar 2012 auf das Büro der türkischen Regierungspartei in Istanbul (Türkei) sowie für zwei weitere Bombenanschläge in der türkischen Hauptstadt. In der Taterklärung heißt es: "Wir, die Krieger der MLKP, haben am 27. März die Firma Develi Oto, die den Service für Polizeifahrzeuge des Istanbuler Polizeipräsidiums durchführt, und am 2. April die Regierungsunterkunft in Gaziosmanpasa bombardiert. Unsere Aktionen haben Sachschäden verursacht. Die Aktion gegen die Develi Oto ist eine Warnung an die mörderische und faschistische AKP-Regierung und 363 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) ihre faschistischen (...) Kräfte, die am Newroztag229 Haci Zengin230 ermordeten und gegen das kurdische Volk Unterdrückungsund Gewaltpolitik am Newroz anwendeten. Für alle ihre Grausamkeiten gegen das Volk werden sie Rechenschaft ablegen. (...) Mit unserer Aktion (...) grüßen wir die ehrenhaften Guerillakämpferinnen der "Volksverteidigungskräfte" (HPG)231 und unsere ehrenhaften Genossinnen Yasemin Ciftci232 (...), die (...) im Kampf gegen den Faschismus (...) zu Märtyrerinnen wurden." (Homepage ANF, 13. April 2012) Am 29. April 2012 bzw. 30. April 2012 verübten MLKPAnhänger in Istanbul (Türkei) Sprengstoffanschläge auf die Polizeikomman dantur und auf die Regionaldirektion des Ministeriums für Arbeit und Soziale Sicherheit. Bei allen Anschlägen entstanden Sachschäden, Menschen kamen nicht ums Leben. Einer der Schwerpunkte der MLKPAktivitäten in Europa war die Unterstützung des kurdischen "Befreiungskampfes". Parteifunkti onäre aus Deutschland nahmen nach Einladung der FEKAR233 an dem "Freiheitsmarsch" von Deutschland nach Basel (Schweiz) im Februar 2012 und an dem Hungerstreik kurdischer Aktivisten im März 2012 in Straßburg (Frankreich) teil. Bewertung Die MLKP propagiert nach wie vor den Einsatz von Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Ihre propagandistischen Aktionen in Deutschland blieben im Gegensatz zu den Terroraktionen in der Türkei gewaltfrei und stießen auf wenig Resonanz in der Öffentlichkeit. Es ist weiter davon auszugehen, dass die MLKP ihre auf propagandistische Aktionen konzentrierten Aktivitäten in Deutschland in demselben Maße fortsetzen wird. 229 Am 21. März wird alljährlich das kurdische Neujahrsfest begangen. 230 Verstorbenes Mitglied der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP) in der Türkei. 231 Guerillaeinheiten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK, vgl. Kap. II, Nr. 1.2.1). 232 In einer Erklärung auf der Homepage der MLKP vom 13. Februar 2012 gab das ZK der Partei bekannt, dass die 22jährige Yasemin CiftCi bei einer Explosion am 9. Februar 2012 getötet wurde. Sie wollte im Namen der MLKP einen Bombenan schlag verüben; die Bombe in ihrem Rucksack detonierte wegen eines technischen Fehlers frühzeitig. 233 FEKAR steht für "Föderation der kurdischen Vereine in der Schweiz". 364 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 3. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Gründung: 1972 (in Sri Lanka) Leitung: Führungskader der deutschen Sektion Mitglieder/Anhänger in 1.000 (2011: 1.000) Deutschland: Erklärtes Ziel der LTTE ist die Errichtung eines von Sri Lanka Ziele und unabhängigen TamilenStaates "Tamil Eelam" im überwiegend Situation von Tamilen bevölkerten Norden und Osten der Insel. Bis zu ihrer militärischen Zerschlagung im Mai 2009 und dem Tod ihres Füh rers Velupillai Prabhakaran verfolgte die Organisation dieses Ziel auch mit Waffengewalt und Terroranschlägen. Die weitgehend intakt gebliebenen LTTEStrukturen innerhalb der weltweiten tamilischen Diaspora sind bestrebt, den Wiederaufbau der LTTE voranzutreiben. Die LTTE werden seit dem 29. Mai 2006 auf der EUListe terroris tischer Organisationen geführt. Auch über drei Jahre nach Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka Lage in Sri Lanka bemüht sich die dortige Regierung um eine Stabilisierung der Situ ation in den ehemaligen Kampfgebieten. So sollen inzwischen viele ehemalige - auch ranghöhere - LTTEKämpfer aus den Gefängnissen entlassen worden sein. Die nach wie vor entgegenge setzten Positionen beider Konfliktparteien führten jedoch auch 2012 nicht zu einer Normalisierung der Lage. So wurden etwa auf LTTEnahen Internetseiten die generelle Benachteiligung der tamilischen Bevölkerung sowie angeblich vom srilankischen Militär an den Tamilen begangene Kriegsverbrechen angeprangert. Die nach der militärischen Niederlage und der Tötung Prabhaka rans entstandene Spaltung der LTTE in einen vorgeblich mode raten Flügel, vertreten durch das "Transnational Government of Tamil Eelam" (TGTE), und einen unter dem Namen "Inter nationale Verbindungsstelle" firmierenden sogenannten Hard linerFlügel besteht auch 2012 fort. 365 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Das TGTE hält an seinem Alleinvertretungsanspruch für alle Tamilen weltweit fest und fordert gleichberechtigte Gespräche mit der Regierung in Sri Lanka. Der angestrebte unabhängige Tamilenstaat "Tamil Eelam" soll nach Angaben der Organisation gewaltfrei und auf politischem Wege erreicht werden. Nach wie vor wird das TGTE von der srilankischen Regierung jedoch nicht als Gesprächspartner akzeptiert. Diesen - zumindest vordergründig - politischen Ansatz der TGTE teilen die konkurrierenden LTTEStrukturen sowie deren Sympa thisanten innerhalb der tamilischen Diaspora nicht. Die "Inter nationale Verbindungsstelle", die in der Diaspora von nationalen "Tamil Coordinating Committees" (TCC) vertreten wird, lehnt die Vorstellungen der TGTE vielmehr strikt ab. Ihre Führungsfunk tionäre verfolgen weiter den Weg des bewaffneten Kampfes zur Errichtung eines eigenen Staates "Tamil Eelam". LTTE in Deutschland Beide LTTEFraktionen sind in Deutschland vertreten. Über die deutlich größere Anhängerschaft verfügt die "Internationale Ver bindungsstelle", die hier durch das in Oberhausen (Nordrhein Westfalen) ansässige TCC repräsentiert wird. Aufgrund des kleine ren Anhängerpotenzials ist der Einfluss des TGTE auf die gesamte tamilische Diaspora in Deutschland hingegen vergleichsweise gering. Veranstaltungen Die LTTE waren auch 2012 bestrebt, die Öffentlichkeit durch Ver anstaltungen und Demonstrationen auf ihre Belange aufmerksam zu machen. So fand am 5. März 2012 vor dem Gebäude der Vereinten Nationen (UN) in Genf (Schweiz) eine Großdemonstra tion von LTTEAnhängern statt, an der mehrere Tausend Tamilen aus vielen europäischen Staaten teilnahmen, einige Hundert auch aus Deutschland. Sie forderten u.a. eine internationale Untersu chung des angeblichen Genozids an den Tamilen in Sri Lanka, den sofortigen Rückzug des srilankischen Militärs aus den tamili schen Siedlungsgebieten sowie die Aufarbeitung angeblicher Kriegsverbrechen der srilankischen Armee. Einige Demonstran ten führten Bilder des verstorbenen LTTEFührers Prabhakaran und LTTEFahnen mit sich. In Deutschland hatte das TCC zur Teilnahme an der Kundgebung aufgerufen. 366 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Zum "War Crimes Day" am 18. Mai 2012 organisierten die konkur rierenden LTTEFlügel - wie erstmals beim "Heldengedenktag" 2011 - erneut zwei getrennte Veranstaltungen. Am 22. September 2012 beteiligten sich ca. 3.500 Tamilen, dar unter einige Hundert aus Deutschland, an der seit 2003 jährlich stattfindenden Kundgebung "Pongu Tamil" (Tamil Uprising) in Genf (Schweiz). Der Demonstrationszug endete vor dem dor tigen UNGebäude, in dem zu dieser Zeit die 21. Sitzung des UNMenschenrechtsrates stattfand. Auf einer vor dem Gebäude aufgebauten, mit LTTEFahnen und einem Bild des verstorbenen LTTEFührers Prabhakaran dekorierten Bühne wurden neben kulturellen Darbietungen in Redebeiträgen die bekannten For derungen vorgetragen. Veranstalter waren wieder die TCC. Das deutsche TCC hatte, wie bereits in den vergangenen Jahren, mit Handzetteln für eine Teilnahme an der Veranstaltung in Genf geworben. Wie in jedem Jahr veranstalteten die LTTE traditionell am Geburtstag des verstorbenen Führers Prabhakaran zum Geden ken an die im Kampf gefallenen "Märtyrer" der Organisation am 27. November 2012 Feierlichkeiten zum sogenannten Hel dengedenktag der LTTE. Die konkurrierenden LTTEFraktionen führten separate Veranstaltungen durch. Die Feier in Dortmund (NordrheinWestfalen), an der etwa 3.000 zumeist tamilische Besucher teilnahmen, wurde vom TCC ausgerichtet, während der konkurrierende Flügel eine Veranstaltung in Essen (Nordrhein Westfalen) ausrichtete, an der sich etwa 300 Tamilen beteiligten. Am 8. November 2012 wurde in Paris (Frankreich) der Europa Funktionär der "Internationalen Verbindungsstelle" und Leiter des französischen TCC erschossen. Im Zusammenhang mit der Tat wurden in Frankreich zwei Personen tamilischer Herkunft verhaftet. Die Aufklärung der Tathintergründe dauert noch an. In Deutschland wurde ebenso wie in anderen europäischen Staaten zu Teilnahmen an Trauerfeiern für den Getöteten aufgerufen. Neben der zentralen Trauerfeier in Paris am 24. November 2012, an der auch zahlreiche LTTEAnhänger aus Deutschland teil nahmen, wurden auch in Deutschland solche Gedenkveranstal tungen abgehalten, so etwa am 11. November 2012 in Dortmund (NordrheinWestfalen). 367 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Bewertung Auch dreieinhalb Jahre nach der militärischen Niederlage der LTTE in Sri Lanka haben sich die Auslandsstrukturen der LTTEFraktionen nicht zu einer gemeinsamen handlungsfähigen Plattform konsolidieren können. Beide Seiten bemühen sich, Ein fluss auf die tamilische Gemeinde in Deutschland zu gewinnen bzw. auszuweiten. Ein möglichst großer Unterstützerkreis spielt nicht zuletzt im Zusammenhang mit den generierbaren Spenden geldern eine Rolle, sofern die LTTE - wie bis 2009 praktiziert - Spendenaktionen zur Verwirklichung ihrer Ziele wieder aufneh men sollten. Die Aktivitäten beider Strömungen gehen jedoch derzeit nicht über die Durchführung von kulturellen Veranstaltungen, Demonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit hinaus. 368 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 4. Gruppierungen aus dem indischen Spektrum "Babbar Khalsa International" (BKI) Gründung: 1978 (in Indien) Leitung: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 200 (2011: 200) "Babbar Khalsa Germany" (BKG) Gründung: 2008 (in Deutschland) Leitung: Vereinsvorstand Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 30 (2011: 30) "International Sikh Youth Federation" (ISYF) Gründung: 1984 (in Großbritannien) Leitung: gespalten in zwei Fraktionen mit jeweils eigenem Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger in 550 (2011: 550) Deutschland: Separatistischextremistische Organisationen aus der Religions Ziel "Khalistan" gemeinschaft der Sikhs streben die Gründung eines eigenen, von Indien unabhängigen Staates "Khalistan" auf dem Gebiet des nordindischen Bundesstaates Punjab an. Die verschiedenen Grup pierungen, deren Führungsspitzen überwiegend ihren Sitz in Pakistan haben, versuchen, dieses Ziel bereits seit Jahrzehnten auch mit terroristischen Mitteln durchzusetzen. Anschläge rich ten sich vornehmlich gegen indische Politiker und Sicherheits kräfte. Zur Destabilisierung der politischen Sicherheitslage im Punjab sind auch einzelne Führer aus dem religiösen Sikh Spektrum Ziel von Anschlägen. 369 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die BKI und die ISYF sind von der EU seit 2002 als terroristische Organisationen gelistet. Aktivitäten in In Deutschland sind vor allem die BKI, die ISYF und die im Jahr Deutschland 2008 als Abspaltung von der BKI gegründete BKG aktiv. Diese Organisationen verfügen hierzulande über insgesamt etwa 780 Anhänger. Bisher sind von den genannten Organisationen im Bundesgebiet keine terroristischen Aktionen ausgegangen. Hauptziel der SikhGruppierungen in Deutschland ist die propa gandistische und vor allem die finanzielle Unterstützung der jeweiligen Mutterorganisation in Indien. Auf regelmäßig durch geführten Kundgebungen wird die Kritik an der Politik der indi schen Regierung mit Forderungen nach mehr Rechten für die Sikhs in Indien und einem eigenen Staat "Khalistan" verbunden. Bei Versammlungen werden Geldspenden gesammelt. Einen Teil dieser Gelder dürften die Mutterorganisationen in Indien auch zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes verwenden. Solche Spendengelder dienen ferner zur Unterstützung von Angehöri gen der getöteten "Märtyrer" extremistischer SikhOrganisatio nen oder zur Finanzierung von Rechtshilfe für deren inhaftierte Anhänger. Verurteilung von fünf Am 17. Dezember 2012 verurteilte der 5. Strafsenat des Oberlan Sikh-Terroristen desgerichts Frankfurt am Main (Hessen) vier indische Staatsange hörige u.a. wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereini gung "Khalistan Zindabad Force" (KZF), darunter die beiden Hauptangeklagten, wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der KZF, der Annahme eines Erbietens zum Mord sowie wegen Ver stößen gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten bzw. vier Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beiden führenden KZFFunktionäre von Deutschland aus u.a. in Anschlagsvorhaben auf Luftwaffenstützpunkte und auf den Führer einer Religions gemeinschaft aus dem SikhSpektrum im indischen Bundesstaat Punjab sowie in die Planung und Durchführung eines Mordan schlags auf einen religiösen SikhFührer aus Indien bei einer Veranstaltung in Österreich eingebunden waren. Zwei weitere Angeklagte, welche die Aktivitäten der beiden Haupttäter in Deutschland unterstützt hatten, wurden zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung bzw. zu einer 370 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Geldstrafe verurteilt. Das Verfahren gegen den fünften Angeklag ten hatte das Oberlandesgericht abgetrennt und ihn bereits am 2. Oktober 2012 wegen Verstößen gegen das Waffengesetz zu einer Freiheitsstrafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt. Die KZF, die von Pakistan aus agiert, ist seit dem 21. Dezem ber 2005 auf der EUListe terroristischer Organisationen verzeich net. Im Rahmen des Urteils wurde sie erstmalig als terroristische Vereinigung im Sinne der SSSS 129 a, b StGB eingestuft. Bei dem Prozess vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main Bewertung (Hessen) wurden erstmals Organisationsmitglieder aus dem extre mistischen SikhSpektrum in Deutschland wegen terroristischer Straftaten verurteilt. Das Urteil dürfte zwar auch bei den Anhän gern anderer extremistischer SikhOrganisationen in Deutsch land Beachtung finden, jedoch wahrscheinlich zu keiner nachhal tigen Verunsicherung innerhalb der Strukturen führen. 371 372 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 373 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick 1. Deutschland als Ziel nachrichtendienstlicher Ausspähung Spionage gegen Die Bundesrepublik Deutschland ist für fremde Nachrichten Deutschland dienste aufgrund der geopolitischen Lage, der Rolle in der Euro päischen Union (EU) und in der NATO sowie als Standort zahlrei cher Unternehmen der Spitzentechnologie sehr attraktiv. Ihre offene und pluralistische Gesellschaft erleichtert Nachrichten diensten anderer Staaten die Informationsbeschaffung. Viele Nachrichtendienste handeln nicht allein nach gesetzli chen Aufgabenzuweisungen, sondern werden zudem politisch gesteuert. Die Schwerpunkte ihrer jeweiligen Beschaffungsakti vitäten orientieren sich an den aktuellen politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Staaten. Die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste reichen von der Informations beschaffung aus Politik, Wirtschaft, Militär sowie Wissenschaft und Technik bis hin zur Ausspähung und Unterwanderung in Deutschland ansässiger Organisationen und Personen, die in Opposition zu den jeweiligen Regierungen im Heimatland stehen. Akteure Hauptträger der Spionageaktivitäten gegen Deutschland sind der zeit die Russische Föderation und die Volksrepublik China. Darüber hinaus sind Länder des Nahen und Mittleren Ostens zu nennen. 2. Methodische Vorgehensweise fremder Nachrichtendienste 2.1 Spionage mit menschlichen Quellen 2.1.1 Legalresidenturen - Stützpunkte fremder Nachrichtendienste Präsenz Nachrichtendienste fremder Staaten sind in unterschiedlicher ausländischer Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Nachrichtendienste Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort sogenannte Legalresidenturen. Hierbei handelt es sich um 374 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Stützpunkte fremder Nachrichtendienste, die in einer offiziellen (z.B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z.B. Presse agentur, Fluggesellschaft) Vertretung im Gastland abgetarnt sind. In den Vertretungen ist das nachrichtendienstliche Personal in allen Arbeitsbereichen eingesetzt und bildet in seiner Gesamt heit innerhalb dieser Stützpunkte Legalresidenturen, die vor Ort geheimdienstliche Tätigkeiten aller Art entfalten. Die meisten Nachrichtendienstangehörigen verfügen über Diplo matenstatus und profitieren von der damit verbundenen Immu nität, die sie in der Regel vor Strafverfolgung im Gastland schützt. Diese angeblich als Diplomaten oder auch Journalisten tätigen Nachrichtendienstmitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - Informationsbeschaffung oder leisten Unterstüt zung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentralen der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Wenn solchen "Diplomaten" statuswidrige Aktivitäten nachge wiesen werden, kann dies zur Ausweisung aus Deutschland füh ren. Einen Großteil ihres Informationsbedarfs decken die Nachrich Offene tendienste durch die Auswertung offener Quellen wie des Inter Informationsnets und anderer Medien, durch Besuche von Industriemessen beschaffung und Teilnahmen an öffentlichen Vortragsveranstaltungen, Tagun gen und Diskussionsrunden. Um ihre Erkenntnisse zu vertiefen, nutzen die Legalresidenturof fiziere die durch ihre offizielle Tätigkeit aufgebauten Kontakte zu interessanten Gesprächspartnern. Zielpersonen sind insbesondere solche, die als Informationsquellen für eine längerfristige Nut zung geeignet erscheinen. Wichtige Kriterien sind dabei die aktu ellen Zugangsmöglichkeiten der Kontaktperson und ihre beruf liche Perspektive; außerdem muss der Nachrichtendienstoffizier die Chance sehen, einen persönlichen Zugang zur Zielperson auf zubauen. So entsteht allmählich ein Netz von Gesprächspartnern, die ohne engere nachrichtendienstliche Anbindung regelmäßig oder bei Bedarf abgeschöpft werden. Durch geschickte Gesprächs führung versuchen die Dienstangehörigen, an sensible Informa tionen oder Hinweise auf andere interessante Zielpersonen zu gelangen, ohne dass ihre Gesprächspartner dies bemerken. Ziel 375 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN derartiger Ausspähungsbemühungen sind u.a. Vertreter deutscher Behörden und Unternehmen sowie Wissenschaftler, aber auch Bundeswehrsoldaten. Verdeckte Die Nachrichtendienstoffiziere wenden jedoch auch konspirative InformationsMethoden an, um besonders sensible Informationen zu beschaf beschaffung fen. Da verdeckte Geheimdienstarbeit und das Verleiten zum Ver rat geschützter Informationen gegen den diplomatischen Status verstoßen, erweitern die Nachrichtendienstangehörigen zum Schutz vor Enttarnung ihre Sicherheitsvorkehrungen für konspi rative Treffen und sorgen für eine sichere Kommunikation. Zudem halten sie ihre Zielpersonen unter Hinweis auf die Ver traulichkeit zu besonderer Vorsicht an. Spätestens zu diesem Zeit punkt erkennt auch die sorgloseste Kontaktperson den nachrich tendienstlichen Charakter der Verbindung. 2.1.2 Zentral gesteuerte Operationen Nachrichtendienste führen auch Operationen ohne Beteiligung ihrer Legalresidenturen durch. Gefährdung Sie nutzen z.B. im eigenen Land zahlreiche Möglichkeiten der im Ausland Informationsbeschaffung über ausländische Staatsangehörige. Dazu gehören u.a. die Grenzkontrollen ein und ausreisender Per sonen, die Überwachung von Auslandsvertretungen, die Zusam menarbeit mit Deutschland im wirtschaftlichen und wissen schaftlichen Bereich sowie die nachrichtendienstliche Internet und Telefonüberwachung. Ins Blickfeld der Nachrichtendienste geraten vor allem Personen, die sich privat oder beruflich für längere Zeit in dem jeweiligen Land aufhalten oder regelmäßig dorthin reisen. Insbesondere Angehörige deutscher diplomatischer Vertretungen, Behörden vertreter auf Dienstreisen, aber auch Firmenrepräsentanten sowie Personen, die in dem Land einer freiberuflichen Tätigkeit nachge hen oder studieren, müssen mit nachrichtendienstlichen Anspra chen rechnen. Bei diesem Personenkreis haben die Nachrichten dienste viele Möglichkeiten, ihren "Heimvorteil" zu nutzen, da sie auf eigenem Territorium gezielt nach Ansatzmöglichkeiten suchen und sich gefahrlos mit Ausländern treffen können. In anderen Fällen versuchen die Nachrichtendienstoffiziere, ihre 376 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Zielperson für sich einzunehmen und sie auf freundschaftlicher Basis zu werben. Nach erfolgreicher Werbung werden die Operationen im Regelfall aus den Dienstzentralen gesteuert. Die Kommunikation erfolgt in solchen Verbindungen etwa durch Agentenfunk, Geheimschreibverfahren oder über "Tote Briefkäs ten" (TBK).234 Auch das Internet wird zunehmend als Kommunika tionsmittel zum Informationsaustausch genutzt. Außerdem unternehmen Nachrichtendienstoffiziere aus der Reisende Dienstzentrale im Rahmen ihrer operativen Aktivitäten vereinzelt Führungsoffiziere Erkundungs und Treffreisen in andere Länder. Dabei nutzen sie konsequent die Reisefreiheit innerhalb des Schengenraums. Auch treffen sich Agenten mit ihren Führungsoffizieren zuweilen Reisende Quellen nicht in Deutschland, sondern im europäischen Ausland. Als "Illegale" werden Nachrichtendienstoffiziere bezeichnet, die "Illegale" mit einer Falschidentität ausgestattet in Zielländer eingeschleust werden. Sie erfüllen dort langfristige Spionageeinsätze oder erle digen vorübergehend bestimmte nachrichtendienstliche Aktivitä ten als "ReiseIllegale". Nach erfolgreicher Legalisierung ihrer Falschidentität können sie langfristig eingesetzt werden und sich eine Fülle von Zugängen verschaffen. Aufgrund ihrer professio nellen und sorgfältigen Abdeckung sind sie durch die Spionage abwehr besonders schwer zu enttarnen. In den vergangenen fünf Jahren sind in Mitgliedsländern der EU und der NATO mindes tens 15 von russischen Diensten eingesetzte "Illegale" enttarnt worden. 2.2 Spionage mit technischen Mitteln Neben den klassischen Spionagemethoden hat die technische Elektronische Informationsbeschaffung in den letzten Jahren zunehmend an Angriffe Bedeutung gewonnen. Insbesondere "Elektronische Angriffe" haben sich zu einer wichtigen Methode der Informationsgewin nung entwickelt. 234 Getarnte Ablagestellen (z.B. Erdverstecke) zum Informations und Materialaus tausch oder für Aufträge und finanzielle Zuwendungen an geheime Mitarbeiter. 377 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Definition Als "Elektronische Angriffe" werden gezielt durchgeführte Maß nahmen mit und gegen ITInfrastrukturen bezeichnet, die auf eine Informationsbeschaffung oder auf eine Schädigung bzw. Sabotage der attackierten Systeme abzielen. Dazu gehören das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder ITInfrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten netzgebunde nen Produktions und Steuereinrichtungen. Die Angriffe können von außen über Computernetzwerke, z.B. über das Internet oder durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner erfolgen, z.B. über manipulierte Hardwarekomponenten wie Speichermedien. Ein Beispiel für einen solchen Angriff stellt die im März 2012 ent deckte Schadsoftware "Flame" dar, über welche in den deutschen Medien breit berichtet wurde. Nach Bewertung internationaler Experten besitzt dieses Schadprogramm eine ähnlich hohe Qua lität wie das bekannte "Stuxnet"Virus und verfügt über umfang reiche Ausspähungsfunktionen. Deutsche Stellen waren jedoch - soweit bekannt - nicht betroffen. Die Urheber "Elektronischer Angriffe" sind oft nicht zweifelsfrei zu identifizieren. Allerdings bedienen sich auch fremde Nachrich tendienste solcher Techniken. In diesen Fällen fällt die Bearbei tung in die Zuständigkeit der Spionageabwehr. Feststellungen Seit 2005 werden auf breiter Basis durchgeführte, zielgerichtete in Deutschland "Elektronische Angriffe" gegen Bundesbehörden, Politik und Wirtschaftsunternehmen festgestellt, die auch 2012 wieder ein hohes Niveau erreichten. Insbesondere solche Informationen, die auf diesem Wege bei staatlichen Stellen abgeschöpft werden können, sind für fremde Nachrichtendienste von Interesse. Die große Anzahl "Elektroni scher Angriffe" gegen Bundesbehörden mit mutmaßlich nach richtendienstlichem Hintergrund verdeutlicht den hohen Stellen wert dieser Art der Informationsbeschaffung. 378 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die zur Durchführung der Angriffe erforderlichen Infrastruktu ren und die verwendeten Schadprogramme werden ständig wei terentwickelt, sodass sich ihre Effektivität stetig verbessert. "Elektronische Angriffe" haben eine hohe Erfolgswahrscheinlich keit, da sie auch von Opfern mit erhöhtem Sicherheitsbewusstsein nur schwer zu erkennen sind. Hierfür sind u.a. folgende Faktoren ausschlaggebend: Die EMails weisen ein gutes "Social Enginee ring" auf, d.h. sie sind so gestaltet, dass sie zu den Interessen bzw. Aufgabengebieten der Opfer passen. Zudem werden die Absen deradressen der Schadmails gefälscht, um den Empfängern eine Vertrauenswürdigkeit vorzutäuschen, die in Wirklichkeit nicht besteht. Hinzu kommt, dass die von den Angreifern eingesetzte Schadsoftware selbst von aktuellen Virenschutzprogrammen oft nicht erkannt wird. Ein Erkennen und Aufklären "Elektronischer Angriffe" wird auch dadurch erschwert, dass die Angreifer ausgefeilte Tarnstrategien zur Verschleierung ihrer Aktivitäten einsetzen, ein Trend, der bereits seit einiger Zeit zu beobachten ist und sich auch künftig fortsetzen wird. Es ist davon auszugehen, dass neben der klassischen Troja nerEMail, bei der das Schadprogramm zumeist im Anhang eingebunden ist und erst durch dessen Öffnen aktiviert wird, sehr spezielle und kaum erkennbare Angriffsmethoden angewandt werden. Diesbezüglich ist mit einer hohen Dunkelziffer nicht erkannter, qualitativ sehr hochwertiger Angriffe gegen ausge wählte Ziele zu rechnen. Die Anonymität des Internets erschwert die genaue Identifizie Verursacher rung der Täter erheblich. Aufgrund bestimmter Merkmale und Indizien hinsichtlich erkannter Angriffe ist jedoch oftmals zumindest eine regionale Zuordnung der Herkunft "Elektroni scher Angriffe" möglich (vgl. Kap. II, Nr. 1.4.2 und Kap. III, Nr. 4.3). 3. Proliferation Einige Länder bemühen sich, in den Besitz von Technologien für Massenvernichtungswaffen zu gelangen. Sie versuchen, Kontrollmaßnahmen in den Ausfuhrländern durch Lieferungen 379 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN über Drittländer zu verschleiern oder durch die Beschaffung von "dual use"Gütern235 zu umgehen. Definition Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von ato maren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie ent sprechender Waffenträgersysteme (z.B. Raketen und Drohnen) einschließlich des dafür erforderlichen Knowhows. Massenvernichtungswaffenprogramme können zu einer erheb lichen Destabilisierung in den betroffenen Regionen beitragen und stellen eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Es ist zu befürchten, dass proliferationsrelevante Länder Massen vernichtungswaffen im Fall eines bewaffneten Konflikts einsetzen oder deren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Dies kann in den Nachbarländern zu einer Neubewertung der eigenen Bedrohungslage führen und birgt daher die Gefahr eines militärischen Wettrüstens in den einzelnen Regionen. Vertikale Das Streben von Ländern, die bereits im Besitz von Massenver Proliferation nichtungswaffen sind, nach einer Ausweitung und Fortentwick lung ihrer Arsenale wird als vertikale Proliferation bezeichnet. Diese Staaten versuchen ihren Beschaffungsbedarf vor allem an "dual use"Gütern zu einem großen Teil in den Industrie oder Schwellenländern236 zu decken. Horizontale Einzelne Proliferation betreibende Staaten treten auch selbst als Proliferation Lieferanten auf. Sie bieten u.a. Maschinen, Ausrüstungsgegen stände und Knowhow an oder verkaufen vollständige und ein satzfähige Raketensysteme zur Ausbringung von Massenvernich tungswaffen. So unterstützen sie sich gegenseitig bei der Herstellung und Weiterentwicklung dieser Waffen. In solchen Fällen spricht man von horizontaler Proliferation. 235 Hierbei handelt es sich um Produkte, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendet werden können. 236 Als Schwellenländer werden Staaten bezeichnet, die zu den fortgeschrittenen Ent wicklungsländern gehören, da sie aufgrund hoher wirtschaftlicher Eigendynamik beachtliche Industrialisierungsfortschritte erzielen konnten und in ihrem Ent wicklungsstand deutlich gegenüber den Industrienationen aufgeholt haben. 380 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die proliferationsrelevanten Länder sind teilweise bereits selbst in Beschaffungsder Lage, ihren Bedarf an Produkten und Knowhow zu decken. aktivitäten Sie unterhalten z.B. eigene Produktionsstätten zur Herstellung von Maschinen und Stoffen oder verfügen über wissenschaftliche Einrichtungen, die ihre Forschungsergebnisse für die Entwicklung von Waffenprogrammen zur Verfügung stellen. Da diese Einrichtungen jedoch in unterschiedlichen Bereichen der Forschung, Entwicklung und Herstellung dieser Waffen und Trägersysteme bis heute nicht autark sind, beschaffen sie die not wendigen Güter auf dem Weltmarkt - u.a. auch in Deutschland. Die seit geraumer Zeit bestehenden restriktiven Exportkontrollbe Beschaffungsstimmungen zur Verhinderung entsprechender Wareneinkäufe in methode Europa haben das Einkaufs und Beschaffungsverhalten prolifera Produkte tionsrelevanter Staaten beeinflusst. Die direkte Beschaffung einer Ware oder eines Gutes bildet eher die Ausnahme, da das Risiko der Entdeckung und damit der Verhängung eines Ausfuhrverbots durch die Genehmigungsbehörden zu groß geworden ist. Um den noch in den Besitz notwendiger Produkte zu gelangen, wählen sie vielfach die Beschaffung über Drittländer (sogenannte Umge hungsausfuhren), schalten Tarnfirmen ein oder machen gegenüber dem Hersteller oder Händler falsche Angaben über den Verwen dungszweck mit dem Ziel, den tatsächlichen Einsatz eines Produk tes in proliferationsrelevanten Verwendungen zu verschleiern. Wissenschaftler aus diesen Ländern nutzen vielfach bestehende Beschaffungsinternationale Kontakte zu Universitäten, Instituten oder For methode schungseinrichtungen, um sich einschlägiges Grundlagenwissen Know-how oder Spezialkenntnisse anzueignen. Gegenüber ihren Gesprächs partnern verschweigen sie die geplante Verwendung des erlang ten Wissens in einem Massenvernichtungswaffenprogramm und missbrauchen auf diese Weise den internationalen wissenschaftli chen Informations und Erfahrungsaustausch. Im Bereich der Proliferationsabwehr arbeiten das BfV, das Bun desamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das Zollkrimi nalamt, das BKA und der BND eng zusammen. Die Bundesrepublik Deutschland wird als eine der führenden Bewertung Industrienationen mit Spitzentechnologie und hohem wissen schaftlichem Standard auch in Zukunft ein wichtiges Ziel für 381 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN proliferationsrelevante Beschaffungen sein. Insbesondere die Aktivitäten des Iran und Nordkoreas geben großen Anlass zur Sorge und erfordern daher eine Intensivierung entsprechender Abwehrmaßnahmen. II. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 1. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 1.1 Politische Rolle der russischen Nachrichtendienste Die Nachrichtendienste nehmen im politischen System Russlands eine besondere Stellung ein. Als wichtiger Pfeiler in der Sicher heitsarchitektur dienen sie der Staatsführung sowohl zur Infor mationsbeschaffung im Ausland als auch zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit sowie zur Durchsetzung der Regierungspo litik. Durch die starke Präsenz von Nachrichtendienstangehörigen in vielen staatlichen Einrichtungen und Bereichen des öffent lichen Lebens sowie die Spionagetätigkeit im Ausland sind die Dienste maßgeblich in die politische, wirtschaftliche und gesell schaftliche Entwicklung Russlands eingebunden. Ihre Aufgaben und Zuständigkeiten haben sich im Jahr 2012 kaum verändert. 1.2 Strukturen und Aufgaben Folgende Nachrichtendienste der Russischen Föderation entfalten Aktivitäten gegen deutsche Sicherheitsinteressen: SWR Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR (Slushba Wneschnej Raswedki) betreibt mit mehr als 13.000 Mitarbeitern Spionage in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Zu weiteren wesentlichen Aufgaben gehören die Ausforschung von Zielen und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden sowie die elektronische Fernmeldeauf klärung. Darüber hinaus wirkt der SWR auch an der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Proliferation mit. 382 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Der militärische Auslandsnachrichtendienst GRU (Glawnoje GRU Raswedywatelnoje Uprawlenije) verfügt über ca. 12.000 Mitarbei ter, die schwerpunktmäßig mit der Informationsbeschaffung in den Bereichen Sicherheitspolitik und Militär befasst sind. Zu ihren Zielobjekten zählen Bundeswehr, NATO und andere westli che Verteidigungsstrukturen, aber auch militärisch nutzbare Technologien. Der Inlandsnachrichtendienst FSB (Federalnaja Slushba FSB Besopasnosti) verfügt über ein besonders breit gefächertes Aufga benspektrum sowie über umfangreiche Befugnisse. Zu seinen Kernaufgaben gehören die zivile und militärische Spionageab wehr, die Beobachtung des politischen Extremismus sowie die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität (OK). Neben der Beteiligung an den fortdauernden Auseinander setzungen im Nordkaukasus soll er die russische Industrie vor Wirtschaftsspionage und OK sowie ausländische Investoren vor Wirtschaftskriminalität schützen und proliferationsrelevante Aktivitäten in Russland unterbinden. Zu seinen Aufgaben zählen ferner die Sicherung der Staatsgren zen und Grenzkontrollen, die Fernmeldesicherheit sowie die Sicherheit in der Informationstechnik. Außerdem betreibt der FSB in Russland eine intensive Internetüberwachung. Er verfügt über einen ständigen Zugriff auf den Datenverkehr, der über rus sische Anbieter von Internetzugängen abgewickelt wird. Zudem hat er dauerhaften Zugang zu Datenbanken russischer Telefon gesellschaften, in denen Personendaten und Informationen über Telefonkunden und deren Telefongespräche erfasst sind. So kön nen auch ausländische Staatsangehörige in sein Blickfeld geraten und gezielt überwacht werden, wenn sie in Russland das Internet nutzen oder telefonieren. Nach russischem Recht darf der FSB Einzelpersonen, z.B. offizielle Vertreter von Medien oder gesellschaftlichen Organisationen, verwarnen, wenn diese aus seiner Sicht gegen die öffentliche Ordnung verstoßen. Betroffenen, die seine Vorgaben missachten, drohen Geld oder Haftstrafen. Der FSB kann unter Verweis auf das Gesetz gegen missliebige Veröffentlichungen sowie uner wünschte Aktivitäten oppositioneller Kreise oder nichtstaatlicher Organisationen vorgehen. Im Juli 2012 trat in Russland ein Gesetz in Kraft, das Nichtregierungsorganisationen vorschreibt, sich als 383 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN "ausländische Agenten" registrieren zu lassen, wenn sie finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten. In Einzelfällen betreibt der FSB sogar Gegenspionage im Ausland. Ausländer in Russland müssen mit Versuchen des Dienstes rech nen, sie für eine Agententätigkeit zu werben. Zuweilen wird auch gezielt Druck auf Zielpersonen ausgeübt, um sie zu einer Zusam menarbeit zu bewegen. Die Personalstärke des FSB liegt bei etwa 350.000 Mitarbeitern, von denen mehr als 200.000 Grenzschutzaufgaben wahrnehmen. 1.3 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Die Bundesrepublik Deutschland ist weiterhin ein wichtiges Aus spähungsziel für die russischen Nachrichtendienste. Ihre Spiona geaktivitäten erstrecken sich mit unterschiedlicher Intensität auf alle Zielbereiche. Politik Bei der politischen Spionage liegt der Fokus nachrichtendienstli cher Arbeit auf allen Politikfeldern, soweit dort Entscheidungen getroffen werden, die russische Interessen beeinflussen können. Hierzu gehören insbesondere die Bündnispolitik innerhalb der NATO und EU sowie die deutsche Außenpolitik. Dabei standen Konflikte zwischen den NATOMitgliedsstaaten aufgrund unterschiedlicher Sichtweisen und Interessenlagen sowie der NATOGipfel in Chicago (20. und 21. Mai 2012) im Mittelpunkt. Im Bereich der Sicherheitspolitik waren auch Infor mationen zur deutschen Haltung in Bezug auf den Bürgerkrieg in Syrien und den Konflikt um das iranische Nuklearprogramm von Bedeutung. Ebenso von Interesse waren im Jahr 2012 die deut sche Sichtweise und der Standpunkt anderer EUStaaten zu den politischen Umwälzungen im Maghreb und auf der arabischen Halbinsel. Aufmerksamkeit fand ferner die Beurteilung der Handlungsmög lichkeiten Deutschlands auf europäischer Ebene. Diesbezüglich versuchten die russischen Nachrichtendienste Strategien und konkrete Maßnahmen zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise in EuroLändern auszuforschen. 384 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Fester Bestandteil der Spionageaktivitäten ist die Beschaffung von Informationen über das deutschrussische Verhältnis. Dabei ste hen die vorrangigen Ziele und die politische Haltung der Bundes regierung gegenüber der Russischen Föderation im Vordergrund. In Bezug auf den Bereich der Innenpolitik bemühten sich die Dienste um Informationen zu parteipolitischen Strukturen und Entwicklungsprozessen, zu inhaltlichen Positionen einzelner Par teien sowie zur Einschätzung von Wahlergebnissen auf allen Ebenen. Wirtschaftliche und politische Spionage sind häufig miteinander Wirtschaft verflochten. Dies gilt z.B. für die Informationsbeschaffung über die Maßnahmen zur Stabilisierung des Euro. Außerdem interes sierten sich russische Nachrichtendienste in hohem Maße für die deutsche Energiewirtschaft. Der Russischen Föderation als wichti ger Lieferant fossiler Brennstoffe ist daran gelegen, frühzeitig Informationen über die Auswirkungen energiepolitischer Ent scheidungen Deutschlands zu erlangen (Atomausstieg, Erneue rung der EnergieInfrastruktur o.ä.). Dazu gehört auch die Ein schätzung der künftigen Preisentwicklung fossiler Energieträger. Im militärischen Bereich standen vor allem die Konzeption der Militär Europäischen Sicherheits und Verteidigungspolitik sowie die Perspektiven der NATOOsterweiterung und die künftige Bünd nisstrategie im Blickfeld. Außerdem versuchten die russischen Dienste, an Informationen über den zwischen Russland und der NATO umstrittenen Raketenabwehrschild in Europa zu gelangen. Die technische Ausrüstung der Bundeswehr war ebenso Gegen stand der Ausforschungsbemühungen wie ihre Umstrukturierung nach der Abschaffung der Wehrpflicht. Auf wissenschaftlichtechnologischem Gebiet konnte u.a. ein Wissenschaft Interesse an Informationen über IT und Kommunikationstech und Technik nologien sowie am aktuellen Forschungsstand bei alternativen Energien, Elektrotechnik und Antriebssystemen im maritimen Bereich festgestellt werden. 385 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 1.4 Methodische Vorgehensweisen Zur Informationsbeschaffung in Deutschland nutzen die russi schen Nachrichtendienste vor allem ihre Legalresidenturen. Es gibt jedoch auch Spionageaktivitäten, die aus den Dienstzentralen in Moskau (Russland) erfolgen und unmittelbar von dort gesteu ert werden. Dazu gehören die Führung von Agenten sowie eine intensive Fernmeldeaufklärung. Außerdem kommt es in Russland und auf dem Territorium anderer Staaten zu nachrichtendienst lichen Aktivitäten, die gegen Deutschland gerichtet sind. 1.4.1 Aktivitäten aus Legalresidenturen Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Föderation dienen den russischen Nachrichtendiens ten als wichtigste Plattform zur Tarnung ihrer Mitarbeiter in Deutschland. Dort sowie bei einigen russischen Medienvertretun gen ist für die Nachrichtendienste eine große Anzahl von Stellen reserviert. Im Rahmen ihrer offiziellen Tätigkeit suchen und unterhalten die Legalresidenturoffiziere Kontakte zu vielen Gesprächspartnern. "Halboffene" Bei Kontaktpersonen, deren Zugang zu sensiblen Informationen Beschaffung aus nachrichtendienstlicher Sicht besonders wertvoll erscheint, versuchen sie, den offenen Abschöpfkontakt in eine "halboffene" Verbindung mit bestimmten konspirativen Elementen umzuwan deln. Dazu legt der Nachrichtendienstoffizier die Modalitäten und den Zeitpunkt für Folgetreffen sowie einen Ausweichtermin bereits im Voraus fest. Damit will er zusätzliche Kontakte zur Termin vereinbarung vermeiden, da diese in das Blickfeld der Verfas sungsschutzbehörden geraten könnten. Aus demselben Grund bittet er seinen Gesprächspartner, ihn nicht in der Vertretung anzurufen. Begründet wird dies u.a. mit häufigen Abwesenheiten oder Sprachproblemen in der Telefonzentrale. Bei den Treffen, die überwiegend in Restaurants stattfinden, bemüht sich der Nach richtendienstangehörige um eine freundschaftliche Atmosphäre, verbunden mit materiellen und immateriellen Zuwendungen. Im Laufe der Zeit erweitert er die allgemeine Gesprächsabschöpfung 386 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN um konkrete Aufträge, die anfangs als Bitte um eine Gefälligkeit formuliert werden. Die russischen Dienste bezeichnen solche langfristig angelegten Kontakte als "vertrauliche Verbindungen". Sie dienen allein der Beschaffung von Informationen gegen Sachgeschenke, Geld oder andere Vorteile. Wenn die Dienstzeit von Nachrichtendienstange hörigen in Deutschland endet, übergeben sie ihre Gesprächspart ner häufig an einen Nachfolger. Manche dieser Verbindungen werden im Laufe der Zeit nach klas Agentenführung sischem Muster zu echten Agentenoperationen weiterentwickelt. Das geschieht etwa, wenn der Kontaktpartner Zugang zu beson ders schutzwürdigen Informationen hat und bereit ist, diese preiszugeben. Neben ihren eigenen Beschaffungsaktivitäten leisten die Legal residenturangehörigen vor Ort Hilfsdienste für ihre Zentrale und unterstützen nachrichtendienstliche Operationen, die direkt aus Russland gesteuert werden. 1.4.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung Russische Nachrichtendienste setzen - wie schon ihre sowjeti schen Vorgänger - bei Beschaffungsoperationen, die unmittelbar aus den Dienstzentralen gesteuert werden, weiterhin auf die bewährten "Illegalenoperationen", obwohl solche Einsätze hohe Kosten verursachen und einen beträchtlichen operativen Auf wand erfordern. Ein im Oktober 2011 nach umfangreichen Ermittlungen der Spio Anklageerhebung nageabwehr in Deutschland verhaftetes russisches "Illegalenehe gegen Illegale paar" wurde im September 2012 vom Generalbundesanwalt wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit angeklagt.237 Die Ehe leute hatten über 20 Jahre mit österreichischer Falschidentität in Deutschland gelebt. Im März 2012 waren die Ermittlungen der Spionageabwehr von einem weiteren Erfolg gekrönt: Es kam zur Festnahme eines Mitarbeiters des niederländischen Außenminis teriums, der von den "Illegalen" als Agent geführt worden war. Er 237 Der Prozess gegen das "Illegalenehepaar" wurde am 15. Januar 2013 vor dem Ober landesgericht Stuttgart eröffnet. 387 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN hatte seinen SWRFührungspersonen gegen Bezahlung sensible Informationen über die NATO übergeben. Das anhaltend starke Interesse der russischen Nachrichtendienste am deutschen Meldeverfahren lässt den Schluss zu, dass weitere "Illegale" unerkannt nach Deutschland eingeschleust werden sollen oder sich bereits hier aufhalten. Gefährdung In Russland selbst sucht vor allem der FSB nach geeigneten Ziel in Russland personen. Die Auslandsnachrichtendienste SWR und GRU verfügen aber ebenfalls über Organisationseinheiten, die dort unter auslän dischen Staatsangehörigen Agenten werben. Persönliche Daten in Visaanträgen, Grenzkontrollen sowie die Telefon und Inter netüberwachung bieten den Diensten im eigenen Land zahlreiche Möglichkeiten, Zielpersonen für eine Ansprache zu ermitteln. Der FSB nutzt u.a. Fehlverhalten oder persönliche Schwächen von potenziellen Zielpersonen aus, um sie gegebenenfalls durch Aus übung von Druck zu einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit zu bewegen. In anderen Fällen versuchen die Nachrichtendienstoffi ziere, die Zielperson für sich einzunehmen und auf freundschaft licher Basis zu werben. Elektronische Es ist davon auszugehen, dass auch die russischen Nachrichten Angriffe dienste "Elektronische Angriffe" als Mittel zur Informationsbe schaffung nutzen. Zumindest weisen einige der Angriffe auf Bun desbehörden Indizien auf, die auf einen russischen Ursprung hindeuten. 1.5 Bewertung Nachrichtendienstlich beschaffte Informationen aus allen Zielbe reichen haben in Russland traditionell einen hohen Stellenwert. Sie dienen der russischen Staatsführung als Orientierungshilfe für wichtige Entscheidungen. Die politische Informationsbeschaf fung stellt den Schwerpunkt der Spionageaktivtäten dar und wird bei einer Fortsetzung der überwiegend von nationalen Interessen geleiteten russischen Außenpolitik auch künftig ihre Bedeutung behalten. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass Russland seine Ausforschungsbemühungen gegen Deutschland in naher Zukunft reduzieren bzw. einstellen wird. 388 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die russischen Nachrichtendienste wenden weiterhin traditi onelle Methoden zur Informationsgewinnung an. Besonders bemerkenswert ist dabei z.B. der "Illegalenkomplex", der anschei nend in seiner gesamten Ausprägung aufrecht erhalten wird. Vor allem der SWR setzt sie zur Führung von Agenten ein, die über besonders hochwertige und empfindliche Zugänge verfügen. Sofern der "Illegale" über eine sorgfältig abgedeckte Falschiden tität verfügt, ist das Risiko einer Enttarnung gering. Nutzt er die Identität des Staatsbürgers eines SchengenVertragsstaats, kann er sich auf dem Gebiet sämtlicher SchengenStaaten frei bewegen und in mehreren Ländern tätig werden. Trotz der Vorliebe für traditionelle Methoden bei der Führung nachrichtendienstlicher Operationen zeigen sich insbesondere jüngere Nachrichtendienstoffiziere russischer Dienste gegenüber neuen Technologien aufgeschlossen. Anders als ihre Vorgänger nutzen sie auch das Internet zum Austausch von Informationen. Moderne Verfahren zur elektronischen Datenübertragung ermög lichen überdies eine schnelle und unauffällige Kommunikation zwischen Führungsstelle und Agenten. 2. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der anderen Mitglieder der GUS Auch die anderen Mitglieder der GUS238 verfügen über eigene Nachrichtendienste Nachrichten und Sicherheitsdienste, die ursprünglich aus den in der GUS betreiben regionalen Geheimdienststrukturen der ehemaligen Sowjetunion z.T. Auslandsspionage hervorgegangen sind. Es handelt sich vor allem um zivile Dienste mit Aufgabenschwerpunkt in den Bereichen der inneren Sicher heit und der Spionageabwehr. Einige GUSStaaten unterhalten eigenständige zivile Auslandsnachrichtendienste und betreiben zuweilen auch zusätzlich eigene Militärspionage. Diese Auslands nachrichtendienste beschränken ihre Tätigkeit zumeist auf angrenzende Länder und treten kaum durch Aktivitäten mit Ziel richtung Deutschland in Erscheinung. 238 Zur GUS gehören Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Usbekistan und Weißrussland. Turkmenistan ist lediglich noch beigeordnetes Mitglied ohne feste Zugehörigkeit. Das Gründungsmitglied Ukraine betrachtet sich als Teilnehmerstaat ohne formelle Mitgliedschaft. 389 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die GUS, nach dem Zerfall der Sowjetunion als politisch und wirtschaftlich geschlossene Einheit gegründet, hat in den vergan genen Jahren an Bedeutung verloren. Viele Mitglieder haben sich inzwischen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene emanzi piert, verfolgen eigene Ziele und haben zusätzlich Bündnisse mit anderen Staaten geschlossen. Zusammenarbeit mit Trotz der politischen Veränderungen pflegen die meisten Mitglie den russischen Nachder der GUS auf nachrichtendienstlicher Ebene untereinander richtendiensten nach wie vor traditionelle Kontakte. Es findet weiterhin eine förmlich vereinbarte Zusammenarbeit statt. Neben dem Aus tausch von Informationen leistet Russland Unterstützung bei der technischen Ausstattung und Schulung des Personals. Gefährdung bei Im Rahmen dieser Kooperation sollen auch Erkenntnisse über Aufenthalten in Ein und Ausreisen ausländischer Staatsangehöriger und Perso Mitgliedsländern der nen, für die sich die Nachrichtendienste der GUS besonders inter GUS essieren, untereinander weitergegeben werden. Daher dürfte für bestimmte Personen - etwa Mitarbeiter von Behörden - nicht nur bei Reisen nach Russland, sondern auch in andere Länder der GUS ein erhöhtes Risiko bestehen, in das Blickfeld der dortigen Nachrichtendienste zu geraten. Legalresidenturen Nur wenige Nachrichtendienste der übrigen Mitglieder der GUS unterhalten in ihren Auslandsvertretungen in Deutschland Legal residenturen. Zu diesen Staaten gehört beispielsweise die Repub lik Weißrussland. Bewertung Aus der Aufgabenstellung und Residenturpräsenz einiger Nach richtendienste der übrigen Mitglieder der GUS sowie deren Ein bindung in den nachrichtendienstlichen Informationsaustausch - insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten der Russischen Föderation - ergibt sich eine latente Bedrohung deutscher Sicherheitsinteressen. Vor allem der Politikwechsel in der Ukraine hat erkennbar Aus wirkungen auf die Tätigkeit der dortigen Nachrichtendienste. So ist zu erwarten, dass sie künftig zumindest auf eigenem Territo rium ihr besonderes Interesse auf Staatsangehörige aus Mitglieds ländern der EU und der NATO richten. 390 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN III. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 1. Aktuelle Entwicklung Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh), die das Land autoritär Politisches System regiert, steht vor einem Generationswechsel in der Führung. Nach und wirtschaftliche den Beschlüssen des Parteitags vom 8. November 2012 gehen die Stabilität Spitzenpositionen in der Partei und Regierung auf Xi Jinping und Li Keqiang über. Der Wechsel fällt in eine Zeit, in der heftige Aus einandersetzungen über den weiteren Kurs der Partei erkennbar sind. Das leicht gesunkene Wirtschaftswachstum Chinas nähert sich den Vorgaben des aktuellen Fünfjahresplans, der ein "Über hitzen" der Wirtschaft verhindern will. Der wirtschaftliche Auf stieg des Landes bleibt weiterhin wichtig für die soziale Stabilität und dient der KPCh als Herrschaftslegitimation. China unterhält mit der Volksbefreiungsarmee (VBA) die größte Militärische Armee der Welt, deren Ausrüstung jedoch in weiten Teilen ande Aufrüstung ren modernen Streitkräften unterlegen ist. Vor diesem Hinter grund soll der Verteidigungshaushalt des Landes erneut erhöht werden. So rüstet China seine Marine mit einem eigenen Flug zeugträger und AntiSchiffFlugkörpern auf. Dies gewinnt insbe sondere angesichts zahlreicher territorialer Konflikte im Südchi nesischen Meer, bei denen das Land seine Interessen konsequent verfolgt, an Bedeutung Die starken sozialen und wirtschaftlichen Wandlungsprozesse Menschenrechte und sowie die bevorstehenden personellen Wechsel haben die Staats Minderheitenpolitik führung für Fragen der öffentlichen Ordnung besonders sensibili siert. Der Machterhalt der KPCh hat oberste Priorität und lässt dahinter Menschenrechte, wie beispielsweise das Recht auf freie Meinungsäußerung, zurücktreten. Die chinesische Führung ver folgt eine repressive Politik gegen Oppositionelle sowie ethnische und religiöse Minderheiten. Verbunden mit sozialen Problemen führt dies immer häufiger zu lokalen Protesten. 2. Strukturen und Aufgaben der Nachrichtendienste Die chinesische Regierung setzt zur Stabilisierung des Machtan spruchs gezielt ihren umfangreichen Sicherheitsapparat ein. Die Nachrichtendienste sollen ihren Beitrag für den Erhalt der 391 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN sozialen Stabilität leisten und gleichzeitig wirtschaftliche Inter essen fördern. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit liegt auf der nach drücklichen Bekämpfung oppositioneller Kräfte, von denen die Regierung eine Gefährdung der staatlichen Ordnung befürch tet, so z.B. die Befürworter von Unabhängigkeitsbestrebungen. Rechtsstaatlichen Beschränkungen sind die Dienste bei ihrer Auf gabenerfüllung nur formell unterworfen. In Deutschland sind mehrere chinesische Nachrichtendienste vertreten. Hierzu zählen sowohl staatliche Strukturen als auch solche, die direkt zum Apparat der KPCh gehören. MSS Das Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS) mit seinem großen Mitarbeiterbestand ist sowohl mit Abwehr als auch mit Spionageaktivitäten betraut. Innerhalb Chinas ist es für die Bekämpfung von Gefahren für die öffentliche Ordnung zuständig und in diesem Bereich auch mit Polizeibefug nissen ausgestattet. Bei der Auslandsspionage nimmt das MSS eine zentrale Rolle unter den chinesischen Diensten ein. In Deutschland bemüht es sich nachhaltig um Informationen aus den Bereichen Politik und Wirtschaft und späht hier aktive oppo sitionelle chinesische Gruppierungen aus. MID Der militärische Nachrichtendienst (Military Intelligence Depart ment - MID) gehört zur Volksbefreiungsarmee und ist weltweit offensiv tätig. Er ist zuständig für die Beschaffung von Informati onen, die die äußere Sicherheit der Volksrepublik betreffen. Hierzu gehören unter anderem Struktur, Stärke und konkrete Ausrüstung fremder Streitkräfte. Ebenso von Interesse sind Infor mationen aus Sicherheitspolitik, Wissenschaft und Technik. Zur Wahrung der inneren Sicherheit nimmt er zusätzlich an der Bekämpfung oppositioneller Bestrebungen teil. MPS Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit (Ministry of Public Security - MPS), das chinesische Polizeiministerium, ist für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung zuständig. Hierzu unterstehen ihm z.B. die Ordnungs und Kriminalpolizei. Zur Unterdrückung politischer und sozialer Unruhen arbeitet es auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. So sammelt das MPS sowohl innerhalb als auch außerhalb Chinas Informationen über solche Bevölkerungsgruppen, die von der KPCh als Ursache für Sicher heitsgefährdungen angesehen werden. Zusätzlich überwacht das 392 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Ministerium die Medien und den Internetverkehr. Davon sind auch Ausländer betroffen. Ende Dezember 2012 wurde Guo Shengkun neuer Leiter des Ministeriums. Er ist Wirtschafts und Verwaltungsfachmann ohne einschlägige Erfahrungen im Sicherheitsbereich. Das Büro 610 - benannt nach dem Gründungsdatum am Büro 610 10.6.1999 - untersteht dem Zentralkomitee der KPCh. Es ist zuständig für die Beobachtung und Verfolgung der regimekriti schen Meditationsbewegung Falun Gong. Obwohl der Dienst lediglich ein Parteiorgan ist, arbeiten ihm die Verwaltungs, Justiz und Polizeibehörden des Staates zu. Das Büro 610 ist sowohl in China als auch im Ausland aktiv - so auch in Deutschland. 3. Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Die chinesische Zentralregierung sieht die größte Gefahr für ihren Bekämpfung der Machterhalt in den Personengruppen, die sie als staatsfeindlich "Fünf Gifte" betrachtet und als "Fünf Gifte" diffamiert. Hierzu gehören die Angehörigen der Meditationsbewegung Falun Gong und Mitglie der der Demokratiebewegung. Auch die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Uiguren und Tibeter sowie Befür worter einer Eigenstaatlichkeit Taiwans werden hierzu gezählt, weil sie nach Auffassung der KPCh die territoriale Integrität Chinas infrage stellen. Angehörige der "Fünf Gifte" werden nicht nur in China, sondern auch in Deutschland ausgespäht. Im Rahmen der Auslandsaufklärung sollen die Nachrichtendienste Politik und Militär auch den Informationsbedarf der chinesischen Regierung über die deutsche Außenpolitik, z.B. gegenüber China und in internationa len Organisationen wie der EU, decken. Auch militärische und sicherheitspolitische Aspekte sind nicht zuletzt vor dem Hinter grund der Umstrukturierung und Aufrüstung der VBA von anhal tender Bedeutung. So stehen z.B. die militärische Ausrüstung der Bundeswehr und deren Rolle in der NATO im Blickfeld der Dienste. Da die ökonomische Entwicklung Chinas von großer Bedeutung Wirtschaftsspionage für die innere Stabilität ist, bemühen sich die Nachrichtendienste auch um sensible Informationen aus der Wirtschaft wie z.B. aktu elle Forschungsergebnisse und technische Neuentwicklungen. 393 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN In der Vergangenheit wurden in deutschen Firmen wiederholt illegale Ausspähungsaktivitäten festgestellt. Ob es sich hierbei um staatlich betriebene Wirtschaftsspionage oder um private Konkurrenzspionage handelt, ist wegen der engen Verflechtung von Wirtschaft und Staat in China im Einzelfall nur schwer zu beurteilen. 4. Methodische Vorgehensweisen 4.1 Aktivitäten aus Legalresidenturen Nachrichtendienstangehörige entfalten ihre Spionageaktivitäten aus den Legalresidenturen in den diplomatischen und konsulari schen Vertretungen Chinas heraus. Im Vergleich zu den russischen Legalresidenturen sind die chinesischen personell deutlich schwä cher besetzt. Die chinesischen Dienste setzen demgegenüber mehr Journalisten ein, z.T. sind diese offiziell akkreditiert. Im Gegensatz zu Diplomaten genießen sie allerdings keine Immunität. Bei der Informationsbeschaffung agieren die chinesischen Nachrichtendienste gegenüber deutschen Zielpersonen anfangs äußerst vorsichtig und geduldig; bei ihren Landsleuten und chi nesischstämmigen Personen treten sie hingegen forscher auf. In jüngster Zeit war in einigen Fällen jedoch auch ein offensiveres Vorgehen gegenüber Zielpersonen zu beobachten, die nicht aus China stammen. Aufbau von Im Rahmen ihrer offiziellen Tätigkeit unterhalten die Legalresi Beziehungen denturmitarbeiter eine Vielzahl von Kontakten. Verfügen ihre Gesprächspartner über interessante Zugänge oder Informationen, versuchen die Nachrichtendienstangehörigen durch regelmäßige Treffen, wertvolle Sachgeschenke sowie Einladungen zu Restau rantbesuchen oder zu Reisen nach China eine persönliche Bezie hung aufzubauen. Durch diese langfristig angelegte, geduldige "Kultivierung" soll der Wissensträger die Scheu davor verlieren, seinem vorgeblichen Freund auch vertrauliche Informationen preiszugeben. Aggressive Im Gegensatz zur Informationsbeschaffung in den Bereichen Bekämpfung der Politik, Militär und Wirtschaft verhalten sich die Nachrichten "Fünf Gifte" dienste bei der Ausforschung und Bekämpfung der "Fünf Gifte" 394 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN deutlich aggressiver und schrecken teilweise auch nicht vor Dro hungen zurück. Zudem versuchen sie, Agenten im Unterstützer kreis oppositioneller Gruppen anzuwerben. Die Dienste diffamieren die den "Fünf Giften" zugerechneten Per sonen häufig pauschal als Gewalttäter oder Terroristen. Dadurch sollen hiesige Behörden, auch mit Blick auf die deutschchine sischen Beziehungen, bei etwaigen Veranstaltungen jener Per sonengruppen in Deutschland zu einem Einschreiten veran lasst und mögliche Veranstaltungsverbote erwirkt werden. Im Zusammenhang mit dem WeltTibettag im März 2012 richte ten sich Ausforschungsbemühungen chinesischer Dienste gegen ProTibetAktivisten in Deutschland. Im September 2012 ver suchte das Generalkonsulat in München erfolglos, eine inter nationale Tagung von Uiguren zu verhindern, indem es gegen über der Vizepräsidentin des Bayerischen Landtags andeutete, dass andernfalls die chinesischbayerische Freundschaft Schaden nehmen könne. 4.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung Auf chinesischem Hoheitsgebiet überwachen die mit weitreichen Überwachung den Befugnissen ausgestatteten Sicherheitsdienste die eigene von Bevölkerung Bevölkerung und im Land lebende Ausländer. Auch ausländische und Reisenden Besucher unterliegen einer intensiven Überwachung durch die Behörden. In den für die Einreise in die VR China erforderlichen Visaanträgen werden seit Mitte 2011 zum Teil sehr detaillierte per sonenbezogene Daten erhoben. In Einzelfällen wurden z.B. sogar die Namen von Vorgesetzten und genaue Angaben zum Arbeits platz nachgefordert. Bereits beim Grenzübertritt bietet sich den Diensten daher die Möglichkeit, gezielt bestimmte Einreisende intensiv zu kontrollieren und ihr Verhalten zu dokumentieren. Die Sicherheitsdienste verfügen über moderne Anlagen zur Kom munikationsüberwachung. Neben einer generellen Überwachung des Internetverkehrs können diese Systeme auch für gezielte Abhörmaßnahmen eingesetzt werden. Zur Erkenntnisgewinnung in Deutschland nutzen die Dienste die Non-Professionals Möglichkeiten, die sich aus zahlreichen zwischenstaatlichen Wirt schafts und Wissenschaftskooperationen ergeben. Derzeit leben 395 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN und arbeiten etwa 79.000 Chinesen in Deutschland, darunter zahlreiche Gastwissenschaftler, Praktikanten und Studenten. Diese Personengruppe verfügt über ein großes Wissenspotenzial, das sich die Nachrichtendienste zunutze machen, indem sie sich einen Überblick über deren Arbeitsbereiche und Zugänge ver schaffen und Kontakte aufbauen. Die nachrichtendienstliche Nut zung dieser Personen, die als NonProfessionals bezeichnet wer den, hat für die Dienste den Vorteil, dass bei Bekanntwerden eines Ausspähungsversuchs nicht ersichtlich ist, ob eine Person aus Eigeninitiative oder im staatlichen Auftrag aktiv war. Beeinflussung Einige Aktivisten aus dem Bereich der "Fünf Gifte" erhielten tele von Aktivisten fonische Aufforderungen aus China, ihre Tätigkeit einzustellen. Dies betraf auch Einzelpersonen und Organisationen in Deutschland. Mit der Fortführung derartiger Maßnahmen von chinesischer Seite ist auch künftig zu rechnen. 4.3 Elektronische Angriffe Die überwiegende Zahl der in Deutschland festgestellten "Elek tronischen Angriffe" mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund ist auf Stellen in China zurückzuführen. Die Nachhaltigkeit, mit der die mutmaßlichen Angreifer aus China weltweit Informationen zu beschaffen versuchen, trägt deutliche Anzeichen einer strategischen Informationsbeschaf fung. Bei zahlreichen festgestellten Angriffen in Deutschland deuten technische Parameter auf China als Ursprungsland des Angriffes hin. Angriffe gegen Mitglieder der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie und Schwel Stellen der G 20 lenländer (G 20) waren auch 2012 bevorzugtes Ziel "Elektronischer Angriffe". Die auf diesem Weg zu erlangenden Informationen ver setzen den Angreifer in die Lage, die Entscheidungen dieses Zusammenschlusses zu Fragen der internationalen Finanzsysteme, der Wirtschaft und der Energie bereits im Vorfeld abzuschätzen und entsprechend darauf zu reagieren. Derartige Informationen sind für fremde Nachrichtendienste von besonderem Interesse. Die hierbei eingesetzten EMails sind gleichermaßen profes sionell und überzeugend gestaltet. Ansprache, Inhalt und der 396 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN vermeintliche Absender täuschen dem anvisierten Opfer eine authentische EMail vor. Die Schadsoftware befindet sich übli cherweise im Anhang und wird nur in Ausnahmefällen von den gängigen Virenschutzprogrammen erkannt. Aufgrund der Merkmale und bestehender Parallelen zu den Angriffen auf das deutsche Regierungsnetz wird der Ursprung auch dieser Angriffe Stellen in China zugeordnet. "Elektronische Angriffe" richteten sich auch gegen Aktivitäten Elektronische von Angehörigen der "Fünf Gifte", so wurden z.B. oppositionelle Maßnahmen gegen Websites streng kontrolliert oder auch gänzlich blockiert. die "Fünf Gifte" 5. Bewertung Schwerpunkt der Ausforschungsaktivitäten der chinesischen Nachrichtendienste sind die "Fünf Gifte". Im Blickfeld stehen ins besondere die Volksgruppe der Uiguren und ProTibetGruppen, die als besondere Bedrohung empfunden werden. Das Interesse an Informationen aus diesem Bereich wird daher zumindest mit telfristig bestehen bleiben. Bei der politischen Spionage hat sich der Fokus der Dienste aufgrund der gewachsenen politischen Bedeutung Chinas auf internationaler Ebene bereits verschoben. Sie passen ihre Methoden zunehmend an und versuchen z.B., auch Quellen außerhalb der chinesischen Ethnie zu gewinnen, wenn diese über Zugänge zu sensiblen politischen und militäri schen Informationen verfügen. IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten anderer Staaten 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 1.1 Nachrichtenund Sicherheitsdienste Die iranischen Nachrichtendienste stellen seit Gründung der Islamischen Republik Iran im Jahr 1979 ein zentrales Instrument der politischen Führung zur Sicherung ihres Herrschaftsanspru ches dar. 397 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Hauptträger der nachrichtendienstlichen Aktivitäten sind das Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (Ministry of Infor mation and Security - MOIS, in Farsi: Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Kehsvar - VEVAK) und der Nachrichtendienst der ira nischen Revolutionsgarden (Revolutionary Guards Intelligence Department - RGID). MOIS Der zivile In und Auslandsnachrichtendienst MOIS wurde 1984 als Nachfolger verschiedener unter dem revolutionären Regime im Iran entstandener Nachrichtendienstorganisationen gegrün det. Wegen seiner Organisationsgröße und seiner großen Bedeu tung für den Machterhalt des Regimes ist es eines der mächtigsten Ministerien der iranischen Regierung. In seiner Funktion als Informationsminister hat der Leiter des MOIS einen Sitz im ira nischen Kabinett. RGID Das RGID der iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolutio nary Guards Corps - IRGC, in Farsi: Sepah Pasdaran) ist sowohl mit Spionage im Ausland als auch mit Abwehraufgaben im Inland betraut. Die iranischen Revolutionsgarden wurden nach der Machtüber nahme Khomeinis 1979 gebildet und agieren neben den regulären Streit und Sicherheitskräften als verlängerter Arm des iranischen Regimes. Sie sind der besonderen Treue gegenüber dem Revoluti onsführer verpflichtet und bilden einen loyalen Machtfaktor zur Sicherung und Festigung der Islamischen Revolution nach innen und außen. 1.2 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Schwerpunktaufgabe des iranischen Nachrichtendienstapparates ist die intensive Beobachtung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen im In und Ausland. Darüber hinaus werden im westlichen Ausland Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft beschafft. Die gegen Deutschland gerichteten Aktivitäten des Iran gehen vor allem vom MOIS aus. In dessen Fokus stehen insbesondere die "Volksmodjahedin IranOrganisation" (MEK) und ihr politischer Arm, der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI). 398 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die Ausforschungsbemühungen gegen deutsche Einrichtungen im In und Ausland belegen das anhaltende operative Interesse des MOIS an deutschen Zielobjekten, vor allem in den Bereichen Außen und Sicherheitspolitik. 1.3 Methodik der Informationsgewinnung Die Steuerung nachrichtendienstlicher Aktivitäten zur Infor mationsbeschaffung erfolgt in erster Linie durch die Zentrale in Teheran. Zur Anbahnung nutzt das MOIS insbesondere Reisen sei ner Zielpersonen in den Iran, die aus familiären oder beruflichen Gründen erfolgen. Den Betroffenen ist es dort kaum möglich, sich dem Zugriff des Dienstes zu entziehen; damit liegen ideale Vor aussetzungen für nachrichtendienstliche Ansprachen vor. Neben der zentralen Steuerung nimmt auch die Legalresidentur des MOIS an der Iranischen Botschaft in Berlin eine wichtige Funktion bei der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaf fung wahr. Zu den Aufgaben der dort eingesetzten Nachrichten dienstmitarbeiter gehören die Durchführung und Unterstützung nachrichtendienstlicher, von der MOISZentrale ausgehender Operationen. In der Hauptsache richten sich diese gegen Ausfor schungsziele in Deutschland, vereinzelt aber auch gegen Personen oder Einrichtungen im europäischen Ausland. Mitarbeiter der konsularischen Vertretungen des Iran sind ver pflichtet, die Legalresidentur des MOIS an der Iranischen Bot schaft zu unterstützen. 1.4 Bewertung Die Sicherung des Regimes ist die Hauptaufgabe des iranischen Nachrichtendienstapparates. Daher wird die iranische Exilop position in Deutschland auch in Zukunft im Blickfeld des MOIS stehen. Aufgrund der großen Bedeutung der deutschen Außen und Sicherheitspolitik für den Iran ist auch in diesem Bereich mit weiteren Spionageaktivitäten zu rechnen. 399 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien Das Jahr 2012 war durch eine erhebliche Verschlechterung der Sicherheitslage in Syrien gekennzeichnet, da die Mitte März 2011 in Syrien begonnenen Proteste der Bevölkerung gegen das syri sche Regime mit Forderungen nach einem politischen Wandel andauern. Teile der syrischen Opposition bewaffneten sich und bildeten zusammen mit desertierten Soldaten die "Freie syri sche Armee". Die syrischen Sicherheitskräfte setzten den Einsatz massiver Gewalt gegen Demonstranten und bewaffnete Aufstän dische fort. Die "Freie syrische Armee" sowie lokale bewaffnete Gruppen reagierten hierauf ebenfalls mit Gewalt. Auch eine UNBeobachtermission und verschiedene internatio nale Vermittlungsinitiativen konnten die Lage in Syrien bislang nicht beruhigen. 2.1 Nachrichtenund Sicherheitsdienste Die zahlreichen syrischen Nachrichten und Sicherheitsdienste sowie Armee und Polizeikräfte spielen als Stützen des Regimes eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung der Proteste. Zu den wichtigsten Geheimdiensten zählen der allgemeine Nach richtendienst Idarat AlMukhabarat AlAmma, der militärische Nachrichtendienst Shu'bat AlMukhabaratAlAskarya, der poli tische Sicherheitsdienst Idarat AlAmn AlSiyasi sowie der Nach richtendienst der Luftwaffe Jihaz AlMukhabaratLi'lQuwwat AlJawwiyya. Sowohl der allgemeine Nachrichtendienst als auch der militäri sche Nachrichtendienst waren im Jahr 2012 in Deutschland nach richtendienstlich aktiv. 2.2 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Die Aktivitäten der syrischen Nachrichtendienste in Deutschland dienen vor allem der Ausforschung von oppositionellen Gruppie rungen und Einzelpersonen, die aus Sicht des Regimes eine Gefahr darstellen. Hierzu zählen islamistische und kurdische Gruppierun gen sowie Regimekritiker und Menschenrechtsaktivisten. 400 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Mit der Ausweitung der Unruhen in Syrien konnte in Erfolg der SpionageDeutschland ein Anstieg der nachrichtendienstlichen Tätigkeit abwehr - Exekutivsyrischer Dienste festgestellt werden. Die Spionageabwehr hat maßnahmen gegen entsprechende Aktivitäten verstärkt überwacht und mehrere Per syrische Agenten sonen identifiziert, die Kontakte zu einem syrischen Nachrichten dienst unterhielten. Die durch umfangreiche Vorermittlungen gewonnenen Informa tionen wurden dem Generalbundesanwalt zur Verfügung gestellt, der daraufhin weitere Tatverdächtige identifizieren konnte. Schließlich wurden gegen insgesamt neun Personen Ermittlungs verfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agen tentätigkeit eröffnet. Im Zusammenhang mit den Verfahren wies das Auswärtige Amt am 9. Februar 2012 vier syrische Diplomaten aus Deutschland aus.239 Im Dezember 2012 verurteilte das Kammergericht Berlin zwei Personen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu Frei heitsstrafen, eine zu drei Jahren und drei Monaten, die andere zu zwei Jahren auf Bewährung. Die Verurteilten hatten die syrische Oppositionellenszene in Deutschland ausgespäht und die Infor mationen an syrische Dienste weitergegeben. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Des Weiteren wies das Auswärtige Amt vor dem Hintergrund der politischen Situation in Syrien am 29. Mai 2012 den syrischen Botschafter und am 10. Dezember 2012 vier weitere Mitarbeiter der Botschaft aus Deutschland aus. 2.3 Methodik der Informationsgewinnung Für ihre Aktivitäten in Deutschland unterhielten die Dienste eine Legalresidentur an der Syrischen Botschaft in Berlin. Die dort täti gen Nachrichtendienstangehörigen führen ein Agentennetz im Bundesgebiet und bemühen sich bis zu ihrer Ausweisung, dieses auszubauen. 239 Grundlage der Ausweisung war Artikel 9 des WÜD (Wiener Übereinkommen über diplomatische Beziehungen). 401 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten stellte auch im Jahr 2012 wieder die Ausspähung von Demonstrationen hier lebender Syrer in zahlreichen deutschen Städten dar, die sich gegen das syrische Regime oder die Vorgänge in Syrien richteten. Die Dienste ver suchten, Teilnehmer zu identifizieren und gewonnene Erkennt nisse gegen die Zielpersonen oder ihre in Syrien lebenden Ange hörigen zu verwenden. Zudem konnten Bemühungen festgestellt werden, die syrischen Oppositionsgruppen in Deutschland zu unterwandern und ihre Treffen durch Agenten oder Informanten auszuforschen. Bei der Werbung neuer Agenten und zur Einschüchterung von Regimegegnern schrecken syrische Nachrichtendienste nicht vor Repressalien gegen Betroffene oder deren Angehörige im Heimat land zurück. In Deutschland lebende Zielpersonen müssen bei einem Besuch in Syrien mit Anbahnungsversuchen oder Festnah men, Verhören und Misshandlungen rechnen. Von derartigen Maßnahmen sind nicht nur Syrer betroffen. Auch die deutsche Staatsangehörigkeit stellt bei Reisen nach Syrien keinen zuverlässigen Schutz vor repressiven Maßnahmen der dor tigen Sicherheitsdienste dar. 2.4 Bewertung Die Maßnahmen der Spionageabwehr des BfV und die Exekutiv maßnahmen der Polizei haben zu einer erheblichen Störung der nachrichtendienstlichen Aktivitäten in Deutschland geführt. In Deutschland lebt eine der größten syrischen ExilGemeinden in Europa. Das grundsätzliche nachrichtendienstliche Interesse der syrischen Dienste insbesondere an hier lebenden Oppositi onellen wird ungeachtet der bürgerkriegsähnlichen Situation in Syrien weiter andauern. Die Spionageabwehr wird deshalb ein besonderes Augenmerk auf die Aktivitäten der syrischen Dienste haben und die Ermittlungstätigkeit der Strafverfolgungsbehörden unterstützen. 402 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 3. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea 3.1 Nachrichtenund Sicherheitsdienste Nordkorea verfügt zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und zur Stützung des Regimes über eine Vielzahl von Nachrich tendiensten, die hauptsächlich auf Südkorea ausgerichtet sind. Durch Diffamierung des politischen Systems in Südkorea soll das Ansehen Nordkoreas in der öffentlichen Meinung gestärkt wer den. Weitere Schwerpunkte sind die Informationsbeschaffung aus dem Ausland sowie die intensive Beobachtung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen im In und Ausland. Zur Spionage gegen Deutschland unterhalten folgende nordkore anische Nachrichtendienste Legalresidenturen an der Botschaft in Berlin, die jeweils aus einem Residenten bestehen: Die Abteilung Vereinigungsfront ist der Koreanischen Arbeiter Abteilung partei unterstellt und u.a. für Propaganda und psychologische Vereinigungsfront Kriegsführung gegen Südkorea zuständig. Im Ausland späht sie oppositionelle Gruppierungen aus und ver sucht, deren Aktivitäten bereits im Ansatz zu verhindern. Außer dem beeinflusst sie hier lebende südkoreanische Sympathisanten des Regimes im Sinne Nordkoreas, indem sie diese z.B. bei der Organisation kultureller Veranstaltungen unterstützt. Der Resident der Abteilung Vereinigungsfront ist Politoffizier an der Botschaft und somit Ansprechpartner für alle Nordkoreaner in Deutschland bei Reisen in ihr Heimatland und bei Kontaktauf nahmen zu dort lebenden Familienangehörigen. Zur politischen Indoktrinierung ruft er wöchentlich alle in und um Berlin woh nenden Nordkoreaner in die Botschaft. Innerhalb der Botschaft kontrolliert er die Einhaltung und Umsetzung parteipolitischer Richtlinien und Vorgaben. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfSS) untersteht dem Nati Ministerium für onalen Verteidigungskomitee und ist in Nordkorea für die Auf Staatssicherheit rechterhaltung der inneren Ordnung verantwortlich. In Deutschland und im benachbarten Ausland gewährleistet das MfSS die personelle und materielle Sicherheit an den jeweiligen 403 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Botschaften. Sein Resident ist zudem für alle Sicherheitsfragen nordkoreanischer Delegationen und hier lebender Studenten bzw. Gastwissenschaftler zuständig. Zu seinen Aufgaben zählt ferner die Aufklärung von Fällen, in denen Personen sich durch Flucht einer Rückkehr nach Nordkorea entzogen haben. Nach Möglich keit organisiert er die Rückführung dieser Personen und unter sucht diese Vorfälle auch außerhalb des Botschaftsgeländes. Die Beobachtung und Ausforschung von nordkoreanischen Staatsan gehörigen erfolgt mit dem Ziel, eventuelle Fluchtabsichten mög lichst frühzeitig zu erkennen und zu unterbinden. Büro für Das Büro für Allgemeine Aufklärung untersteht dem Ministerium Allgemeine für Volksstreitkräfte. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört die Aufklärung weltweite Technologiebeschaffung für die nordkoreanische Armee. Der Vertreter des Büros an der Botschaft ist für die Bereiche mili tärische Wissenschaft und Handel zuständig, insbesondere für Entwicklung, Patente und KnowhowTransfer. 3.2 Zielbereiche und Schwerpunkte der Informationsbeschaffung Die nordkoreanischen Nachrichtendienste betreiben in Deutschland in begrenztem Umfang politische Spionage. Sie zeigen zunehmend Interesse an Stiftungen und Organisationen, insbesondere in den Bereichen Außen und Sicherheitspolitik, z.B. bei Themen mit Bezug zur Bündnispolitik der NATO. Ebenso im Fokus steht die alternative Energiewirtschaft. Auch deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen sind wegen ihres hohen technologischen Standards und technischen Knowhows ein wichtiges Ausspähungsziel. Nach dem Tod des ehemaligen Staatsführers Kim Jong Il kommt dem Gesundheits sektor auch weiterhin eine besondere Bedeutung zu. 3.3 Methodik der Informationsgewinnung Die nordkoreanischen Nachrichtendienste nutzen ihre Legalresi denturen zur Informationsbeschaffung und Quellenwerbung. Die Nachrichtendienstoffiziere knüpfen bei ihren offiziellen Aufgaben 404 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Kontakte zu interessanten Personen in allen Zielbereichen, insbe sondere zu Vertretern von Wirtschaftsorganisationen, politischen Stiftungen, Firmen oder Hochschulen. Neben der Gesprächsabschöpfung von Kontaktpersonen nutzen sie allgemein zugängliche Informationsquellen. Zu diesem Zweck bedienen sie sich der vorübergehend in Deutschland lebenden nordkoreanischen Gastwissenschaftler und Studenten, die in der Regel über gute Fremdsprachenkenntnisse verfügen und dem Regime gegenüber loyal eingestellt sind. Die Botschaft führt regelmäßig ideologische Schulungen für diese Personengruppen und auch für alle sonstigen in Deutschland lebenden nordkorea nischen Staatsbürger durch. Als Bedrohung empfundene Vorkommnisse (z.B. Untertauchen von nordkoreanischen Staatsangehörigen in Deutschland) wer den von der Botschaft konsequent bei den zuständigen deutschen Behörden angezeigt. Durch detaillierte Aufklärung solcher Vor kommnisse sollen eventuelle Gefahren für das Regime abgewehrt werden. 3.4 Bewertung Auch wenn in Deutschland zuletzt keine ausgeprägten operativen Tätigkeiten der nordkoreanischen Nachrichtendienste feststell bar waren, lässt die andauernde Unterstützung und ideologische Beeinflussung südkoreanischer Anhänger des Regimes auf ein fortlaufendes nachrichtendienstliches Interesse an diesem Perso nenkreis schließen. Der Tod Kim Jong Ils und der Machtübergang an seinen Sohn Kim Jong Un hatten bisher keine feststellbaren Veränderungen in der Struktur und operativen Ausrichtung der Nachrichtendienste zur Folge. 405 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN V. Proliferation 1. Islamische Republik Iran Eine militärische Dimension des iranischen Nuklearprogramms ist nach wie vor ungeklärt. Die Internationale AtomenergieOrga nisation (IAEO) bezweifelte auch im Jahr 2012 den von iranischer Seite behaupteten friedlichen Charakter des iranischen Atompro gramms.240 Der IAEO liegen Informationen vor, die nahelegen, dass der Iran zumindest bis Ende 2003 in einem strukturierten Programm Aktivitäten entfaltet hat, die zur Entwicklung eines Nuklearsprengkörpers genutzt werden können. Teilweise könnten diese Aktivitäten auch nach 2003 fortgesetzt worden sein und manche sogar bis heute andauern. Trotz mehrerer Verhandlungsrunden fand auch 2012 keine sub stanzielle Kooperation des Iran mit der internationalen Staa tengemeinschaft statt. Die EU hat vor diesem Hintergrund am 15. Oktober 2012 weitere Verschärfungen der Sanktionsmaßnah men gegen den Iran beschlossen.241 Die vom BfV festgestellten iranischen Beschaffungsversuche in Deutschland nehmen seit Jahren zu. Dies betrifft vor allem Güter, die im Bereich Nukleartechnik eingesetzt werden können. Im August 2012 wurden vier Personen wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaf fenkontrollgesetz verhaftet. Sie werden verdächtigt, unter Umge hung von Ausfuhrkontrollen Zubehör für einen Schwerwasser reaktor in den Iran geliefert zu haben. Das Ermittlungsverfahren basierte auch auf Informationen der Spionageabwehr. Neben der Beschaffung von Nukleartechnik betreibt der Iran ein ambitioniertes Trägertechnologieprogramm, das auch der Aus bringung von Kernwaffen dienen könnte. 240 Berichte der IAEO vom 25. Mai 2012, vom 20. August 2012 und vom 16. November 2012, abrufbar auf der Homepage Institute for Science and Interna tional Security (ISIS). 241 Durchführungsverordnung (EU) Nr. 945/2012 und Beschluss 2012/635/GASP vom 15. Oktober 2012, abrufbar auf der Homepage des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA). 406 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Auch künftig sind intensive Beschaffungsbemühungen des Iran in Deutschland zu erwarten. 2. Arabische Republik Syrien Im Mai 2011 haben die europäischen Staats und Regierungschefs wegen der gewaltsamen Repressionen gegen die syrische Protest bewegung Sanktionen gegen Syrien beschlossen. Diese beinhalten ein Waffenembargo, ein Verbot der Ausfuhr von Ausrüstung, die zur internen Repression verwendet werden kann, Beschrän kungen für die Einreise in die EU, das Einfrieren der Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen von Personen und Organisationen, die für das gewaltsame Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung in Syrien verantwortlich sind, sowie seit 2012 ein europaweites Landeverbot für die Fluggesellschaft Syrian Arab Airlines und ein Ölembargo. Zudem erweiterte die EU die bestehenden Sanktionen durch ein Exportverbot von zahlreichen technischen Gütern, um zu verhin dern, dass insbesondere chemische und biologische Stoffe gegen die syrische Bevölkerung eingesetzt werden. Die immer heftige ren Kämpfe lassen die Sorge in Bezug auf die Chemiewaffen des Landes wachsen. Das ChemiewaffenArsenal Syriens gilt als eines der größten der Welt. Ob die Unruhen in Syrien eine veränderte politische Ausrichtung der Regierung bewirken und Auswirkungen auf die militärischen Programme und damit auf proliferationsrelevante Beschaffungs versuche haben werden, lässt sich in der aktuellen Situation noch nicht beurteilen. 3. Demokratische Volksrepublik Korea Nordkorea verfügt über ein weit fortgeschrittenes Atomwaf fenprogramm und ist zu eigenständigen Entwicklungen beim Bau von Reaktoren in der Lage. Auch nach der Machtüber nahme des neuen Herrschers Kim Jong Un wird das Atomwaf fenprogramm unverändert fortgesetzt. Dies bestätigt ein Ende August 2012 veröffentlichtes Memorandum des nordkoreani schen Außenministeriums, in dem Nordkorea ankündigte, seine 407 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN "nukleare Abschreckung über die Vorstellungskraft der USA hin aus zu modernisieren und zu erweitern."242 Unabhängig hiervon verfolgt das Land weiterhin ein umfangrei ches Waffenträgerprogramm und tritt weltweit als Exporteur von Raketen auf. Gleichzeitig bietet es anderen Staaten Unterstützung beim Aufbau eines eigenen Raketenentwicklungsprogramms an. 4. Islamische Republik Pakistan Pakistan hat den KernwaffenNichtverbreitungsvertrag und die zugehörigen Sicherungsabkommen nicht unterzeichnet und besitzt neben einem zivilen auch ein umfangreiches militärisches Nuklear und Trägertechnologieprogramm. Dieses ist ausschließ lich gegen den "Erzfeind" Indien gerichtet. Auch wiederholte Versuche einer politischen Annäherung der beiden Länder führten bislang nicht zu einem Stopp oder einer Reduzierung der Weiterentwicklung der vorhandenen Waffen programme. Für die Weiterentwicklung seines Massenvernichtungswaffenpro gramms sowie zur Instandhaltung der vorhandenen Nuklear anlagen und Trägersysteme benötigt Pakistan hochwertige neue Produkte sowie Ersatzteile. Sofern diese nicht im eigenen Land her gestellt werden können, wird versucht, sie u.a. von Herstellerfirmen oder Händlern aus Deutschland zu beschaffen, wobei insbesondere langjährig bestehende Geschäftsverbindungen genutzt werden. Nach wie vor besteht Interesse am Erwerb von technischem Knowhow. Zu diesem Zweck entsendet Pakistan z.B. Studen ten und Wissenschaftler an Universitäten, Institute oder wis senschaftliche Einrichtungen in Deutschland. Das bei solchen Aufenthalten erworbene Fachwissen könnte im Heimatland vor allem im Nuklear oder Trägertechnologiebereich von großer Bedeutung sein. Im Gegensatz zum Zeitraum bis 2003 liegen derzeit keine Hin weise vor, dass Pakistan aktuell horizontale Proliferation betreibt. 242 Süddeutsche Zeitung, 1. September 2012: "Nordkorea will aufrüsten". 408 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN VI. Vorbeugende Maßnahmen des Verfassungsschutzes 1. Aufklärung Elektronischer Angriffe Aufgabe der Spionageabwehr ist es, nachrichtendienstlich gesteu erte "Elektronische Angriffe" zu erkennen, zu analysieren sowie geeignete Maßnahmen zur Sensibilisierung des Opfer bzw. Emp fängerkreises solcher Angriffe einzuleiten. Die Verfassungsschutz behörden gehen deshalb gezielt auf betroffene Stellen zu und klären sie über die bestehenden Gefahren auf. Damit soll auch ein Gespür dafür vermittelt werden, insgesamt vorsichtiger mit den modernen Kommunikationsmedien umzugehen. Grundsätzlich muss sich jeder Anwender bewusst sein, dass von ihm auf ITSystemen abgelegte vertrauliche Informationen potenziell besonders dann gefährdet sind, wenn ein direkter Anschluss des Speichersystems an ein öffentliches Netz, z.B. an das Internet, besteht. 2. Wirtschaftsschutz Die Bundesrepublik Deutschland als Standort zahlreicher Unter Problemstellung nehmen der Spitzentechnologie und Forschungseinrichtungen von hohem internationalem Niveau weckt Begehrlichkeiten fremder Staaten und ihrer Nachrichtendienste. Im Mittelpunkt steht der Versuch, auf vielfältige Weise Informationen abzuschöp fen und Knowhow zu beschaffen mit dem Ziel, der eigenen Volkswirtschaft Wettbewerbsvorteile zu verschaffen und mög lichst schnell Technologielücken zu schließen. Die Bundesregierung misst dem Wirtschaftsschutz und seinem Ziel, deutsches Knowhow als Wettbewerbsvorteil zu sichern, hohe Bedeutung zu. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sehen sich daher in der Pflicht, zum Schutz der deutschen Wirtschaft auch präventiv gegen diese Bedrohungen vorzugehen. Aktuellen Studien zufolge schätzen deutsche Unternehmen Wirt schaftsspionage zwar als wachsende Bedrohung ein, gleichwohl halten sie das Risiko, selbst Opfer von Wirtschaftsspionage zu 409 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN werden, für eher gering. Diese Diskrepanz veranschaulicht das mangelnde Gefährdungsbewusstsein insbesondere kleiner und mittelständischer Unternehmen; noch deutlicher ist diese Ein stellung allerdings in Forschungseinrichtungen und Hochschulen anzutreffen. Die Schutzwürdigkeit eigener innovativer Prozesse und Produkte wird ebenso unterschätzt wie die Vielfalt der Angriffsvektoren, die von Innentätern über "Elektronische Angriffe" bis hin zu ver meintlichen Geschäftspartnern reicht. Nahezu gänzlich ignoriert werden die konkreten Risiken, selbst Opfer eines zielgerichteten Angriffs zu werden. Prävention durch Im Bereich Prävention setzt das Informations und Beratungsan Information gebot des BfV an. Konkret werden folgende Leistungen angebo ten: # Informationsvorträge auf Veranstaltungen mit Multiplikato rencharakter # Bilaterale themen und risikobezogene Informationsgespräche (auch vertraulicher Art) mit Unternehmen und Forschungsein richtungen # Sensibilisierung von Management und Mitarbeitern für die Belange des Knowhow und Informationsschutzes # Aufklärung über potenzielle Gefahren und Schutzmaßnahmen bei Geschäftsreisen in Staaten mit besonderen Sicherheits risiken # Jährliche vom BfV ausgerichtete ASW243/BfVSicherheitsta gungen # Stand der Verfassungsschutzbehörden bei der "SECURITY" Messe # Aktuelle Informationen auf der Homepage des BfV unter der Rubrik Wirtschaftsspionage/Wirtschaftsschutz # Newsletter (bis zu sechs Ausgaben pro Jahr) # Risiko und themenbezogene Faltblätter # Broschüren # Tagungsbände # Verteilung themen und risikobezogener Informationen # Beratung und Unterstützung beim Verdacht auf Wirtschafts spionage unter Zusicherung der vertraulichen Behandlung aller Informationen. 243 ASW - Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft e.V., Zentralorganisation der Wirtschaft in Sicherheitsfragen. 410 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die genannten Informationsangebote sollen den Unternehmern Vertrauen im Dialog helfen, abstrakt geschilderte Gefährdungen dahingehend einzu schätzen, ob sie auch ihren eigenen Betrieb bedrohen könnten. Sie bieten Denkanstöße, bisher unbeachtete Risikofaktoren zu erken nen und zu konkretisieren. Letztlich sollen sie helfen, den Weg zu einem eigenen qualifizierten Sicherheitskonzept zu beschreiten. Das vielfältige Informationsangebot des BfV dient schließlich auch dazu, den kontinuierlichen Informationsfluss in die Unter nehmen zu verstetigen und ihr Vertrauen in die Kompetenz der Verfassungsschutzbehörden zu festigen, denn nur unter dieser Voraussetzung wird der Verfassungsschutz als kompetenter Part ner zur Aufklärung eines Verdachtsfalls hinzugezogen werden. 3. Sensibilisierung im Bereich Proliferation Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit klärt das BfV über die Pro liferationsthematik auf und sensibilisiert in Bezug auf die damit verbundenen Risiken (vgl. Berichtsteil Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI). VII. Festnahmen und Verurteilungen Im Jahr 2012 leitete der Generalbundesanwalt insgesamt 15 neue Ermittlungsverfahren im Bereich Spionage/Proliferation ein. Die Anzahl der Vorgänge liegt damit in etwa auf gleichem Niveau wie im Vorjahr (18 Vorgänge). Davon wurden sieben Ermittlungsver fahren wegen Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 StGB), ein Verfahren wegen des Verdachts des Offenbarens von Staatsgeheimnissen (SS 95 StGB) sowie drei Verfahren wegen des Verdachts der Landesverräterischen Ausspähung/des Aus kundschaftens von Staatsgeheimnissen (SS 96 StGB) geführt. Im selben Zeitraum wurden drei Haftbefehle erlassen und vollstreckt. Eine Person wurde wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit rechtskräftig verurteilt. Vier Personen wurden wegen des Ver dachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz verhaftet. 411 412 Geheimschutz, Sabotageschutz 413 Geheimschutz, Sabotageschutz I. Geheimschutz Aufgaben des Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unver Geheimschutzes zichtbar. Er sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Verschlusssachen Verschlusssachen (VS) sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkennt nisse, die - unabhängig von ihrer Darstellungsform - geheim zu halten und entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit mit einem Geheimhaltungsgrad STRENG GEHEIM, GEHEIM, VSVERTRAU LICH oder VSNUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeich nen sind. Personeller Der personelle Geheimschutz soll verhindern, dass Personen mit Geheimschutz Sicherheitsrisiken Zugang zu VS erhalten. Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, werden deshalb zuvor einer sogenannten Sicherheitsüberprüfung unter zogen, um festzustellen, ob sie die für solche Tätigkeit erforderli che Zuverlässigkeit aufweisen. II. Sabotageschutz Personeller Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde als eine Reak Sabotageschutz tion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 eingeführt. Das Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) regelte bis dahin nur die Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die aus Gründen des Geheimschutzes erforderlich sind. Ziel des vorbeugenden perso nellen Sabotageschutzes ist es, potenzielle Saboteure (Innentä ter) von sicherheitsempfindlichen Stellen fernzuhalten. Überprüft 414 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ werden Personen, die innerhalb von lebens244 oder verteidigungs wichtigen245 Einrichtungen an sicherheitsempfindlichen Stellen246 beschäftigt sind oder werden sollen und die tatsächlich auf die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen Einfluss nehmen können. Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz wurde das seit langem im personellen Geheimschutz eingesetzte Verfahren zunächst ohne Weiteres auf den vorbeugenden personellen Sabotageschutz übertragen. Im Rahmen der Evaluierung der durch das Terro rismusbekämpfungsgesetz geänderten Bestimmungen des SÜG wurden durch Art. 4 des Gesetzes zur Änderung des Bundes verfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576, 2578) die Bestimmungen zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz, orientiert an den spezialgesetzlichen Sabotageschutzregelungen des Luftsicherheits und des Atomge setzes, modifiziert. In der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung vom Rechtsverordnung, 30. Juli 2003 (BGBl. I S. 1553) - neu gefasst durch Verordnung vom Leitfaden 12. September 2007 (BGBl. I S. 2292 bis 2294) und zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes zur Änderung des BVerfSchG vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576) - werden die lebens und ver teidigungswichtigen Einrichtungen verbindlich genannt. Das BMI hat unter Federführung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und 244 Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, deren Beeinträchtigung aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben gro ßer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann oder die für das Funktionie ren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde. 245 Verteidigungswichtig sind außerhalb des Geschäftsbereichs des BMVg solche Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung aufgrund fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit die Funktionsfähigkeit, insbesondere die Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie der Zivilen Verteidigung, oder aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann. 246 Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist der Anwendungsbereich des vorbeugen den personellen Sabotageschutzes auf sicherheitsempfindliche Stellen innerhalb der lebens bzw. verteidigungswichtigen Einrichtungen beschränkt. Damit sind die kleinsten selbstständig handelnden Organisationseinheiten gemeint, die vor unberechtigtem Zugang geschützt sind. Nur diejenigen, die dort beschäftigt sind, werden sicherheitsüberprüft. 415 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ dem Bundesministerium der Verteidigung (BMVg) einen Leitfaden "Vorbeugender personeller Sabotageschutz im nichtöffentlichen Bereich; Satellitendatensicherheit" verfasst. Er kann im Internet unter www.bmwisicherheitsforum.de abgerufen werden. III. Verfahren Zuständigkeit Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im SÜG geregelt. Die Verantwortung für die Sicherheitsmaßnahmen liegt bei den zuständigen Stellen. Im öffentlichen Bereich des Bundes ist dies in der Regel die Beschäftigungsbehörde. Nicht nur in öffentlichen Institutionen, sondern z.B. auch in Wirt schaftsunternehmen wird mit staatlichen VS umgegangen, deren Schutz gewährleistet werden muss. Hier nimmt das BMWi die Verantwortung wahr. Mitwirkung des BfV Das BfV wirkt an Sicherheitsüberprüfungen mit (SS 3 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 4 BVerfSchG, SS 3 Abs. 2 SÜG). Sicherheitsüberprüfungen sind für Personen vorgeschrieben, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben sollen, bei der sie entweder Zugang zu VS ab VSVERTRAULICH erhalten bzw. sich verschaffen können (Geheimschutz) oder die an einer sicherheits empfindlichen Stelle innerhalb einer lebens oder verteidigungs wichtigen Einrichtung beschäftigt sind (Sabotageschutz). Zustimmung Hervorzuheben ist, dass eine Sicherheitsüberprüfung sowohl im Geheimschutz als auch im Sabotageschutz nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen darf. Unterschiedliche Je nach Art der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder Intensität der eine einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü 1), eine erweiterte Sicher Überprüfungen heitsüberprüfung (Ü 2) oder eine erweiterte Sicherheitsüber prüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü 3) durchgeführt. Der Umfang der Maßnahmen für die einzelnen Überprüfungs arten ist im SÜG geregelt. Hierzu gehören z.B. Anfragen bei 416 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ Sicherheitsbehörden und beim Bundeszentralregister. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel wie Observationen, technische Überwachungsmaßnahmen u.ä. ist im Rahmen von Sicherheits überprüfungen ausgeschlossen. Einem Einsatz in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit können ins Sicherheitsrisiken besondere folgende Gründe entgegenstehen: # Zweifel an der Zuverlässigkeit (z.B. aufgrund von Straftaten, Drogen oder Alkoholmissbrauch), # Gefährdung durch Anbahnungs und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (z.B. bei Beziehungen und Reisen in sogenannte Länder mit besonderen Sicherheitsrisiken, weil sich hierdurch eine erleichterte Möglichkeit für eine Anspra che durch einen Nachrichtendienst des jeweiligen Landes eröffnet; Überschuldung, da dies ein Ansatzpunkt sein kann, um den Betroffenen gegen Geldzahlung zu einer Verletzung seiner Pflichten zu veranlassen), # Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (z.B. wegen politischextremistischer Betäti gung, da in diesem Falle die Loyalität zur freiheitlichen demo kratischen Grundordnung fraglich ist). Die Frage, ob sich aus einem derartigen Umstand tatsächlich ein Sicherheitsrisiko ergibt, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichti gung der Art der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu prüfen. Nach der Modifizierung der Bestimmungen des SÜG zum vorbeu genden personellen Sabotageschutz (unterschiedliche Ziele von Geheim und Sabotageschutz) hat sich diese Prüfung noch stärker als bisher an der vorgesehenen Art der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu orientieren. Aufgrund des Ergebnisses seiner Überprüfung gibt das BfV eine Empfehlung ab, ob die überprüfte Person mit einer sicherheitsemp findlichen Tätigkeit betraut werden soll. Die Entscheidung darüber trifft allein die für die Sicherheitsüberprüfung zuständige Stelle. Im Jahr 2012 wurden im Geheimschutz 39.593 Sicherheitsüber Statistik prüfungen (einschließlich der Überprüfungen auf Antrag auslän discher Dienststellen), im Sabotageschutz 10.149 Sicherheitsüber prüfungen abgeschlossen. 417 Aufgeschlüsselt nach Überprüfungsarten ergibt sich folgendes Bild: Ü1 Ü2 Ü3 Geheimschutz 19.938 17.236 2.419 Sabotageschutz 1.171 8.978 0 Im Geheimschutz wurden im Berichtszeitraum 115 Sicherheits überprüfungen, im Sabotageschutz drei Sicherheitsüberprüfun gen mit der Feststellung von Sicherheitsrisiken abgeschlossen. Die abschließende Entscheidung, ob diese Personen mit einer sicher heitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden können, wurde durch die zuständige Stelle getroffen. 418 "Scientology-Organisation" (SO) 419 "Scientology-Organisation" (SO) Gründung: 1954 (in den USA), 1970 erste Niederlassung in Deutschland Sitz: Los Angeles (USA) ("Church of Scientology International", [CSI]) Mitglieder: in Deutschland: 3.500 bis 4.500 (2011: 4.000 bis 5.000) Publikationen: u.a. "FREIHEIT", "IMPACT", "Source", "The Auditor" Teilorganisationen: In Deutschland zehn "Kirchen", (Auswahl) darunter zwei "Celebrity Centres" Vorgebliches Ziel der "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD), einer Teilorganisation der 1954 in den USA gegründeten "ScientologyOrganisation" (SO), ist die Schaffung einer "Kul tur ohne Krieg, ohne Wahnsinn und ohne Kriminalität".247 Die angestrebte Gesellschaft wird beschrieben als "eine Zivilisation ohne Geisteskrankheit, ohne Verbrecher und ohne Krieg, in der der Fähige erfolgreich sein kann und ehrliche Wesen Rechte haben können und in der der Mensch die Freiheit hat, zu größe ren Höhen aufzusteigen".248 Aus einer Vielzahl von Publikationen der SO ergibt sich jedoch, dass in einer nach ihren Vorstellun gen gestalteten Gesellschaft wesentliche Grund und Menschen rechte wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung abge schafft bzw. eingeschränkt würden. So propagiert der SOGründer L. Ron Hubbard (1911 - 1986) - seine ständig neu aufgelegten Schriften bilden nach wie vor die Grundlage für die Ideologie und 247 Vgl. SS 2 Abs. 1 SKDSatzung. 248 Homepage SO (3. Dezember 2012). 420 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Zielsetzung der gesamten Organisation - die Einführung einer scientologischen Zweiklassengesellschaft: "Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nichtaberrierter Menschen, Clears, die ihr Leben in einer nichtaberrierten Kultur führen: (...) Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte vor dem Gesetz verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele." (Hubbard, "Dianetik - Ein Leitfaden für den menschlichen Verstand", Ausgabe 2007, S. 482 f.) Zudem strebt die SO eine Gesellschaft ohne allgemeine und glei che Wahlen an. "Wahre Demokratie" ist nach Hubbards Lehre nur in einer Nation von "Clears" möglich. Seine Schriften enthalten Passagen, in denen die Abschaffung von Prinzipien der freiheit lichen demokratischen Grundordnung zugunsten des Aufbaus einer neuen Zivilisation gefordert wird. Hubbard beschreibt die scientologische Zivilisation u.a. als Grundrechte nur für Rechtsordnung, in der die Existenz des Einzelnen - gar das Scientologen Lebensrecht selbst - vom willkürlichen Ermessen der SO abhängt. Demnach stehen Grund und Freiheitsrechte nur den Personen zu, die nach einer Auslese aus Sicht der Organisation zu den "Ehr lichen" gehören. Die SO lehnt das demokratische Rechtssystem ab und will es Ablehnung des langfristig durch ihren eigenen Gesetzeskodex ersetzen. Insbeson demokratischen dere im Bereich der SOTeilorganisation "World Institute of Rechtssystems Scientology Enterprises" (WISE) - ein Zusammenschluss unternehmerisch tätiger Scientologen - ist bei Streitigkeiten von Mitgliedern untereinander die Anrufung eines sogenannten CharterKomitees vorgeschrieben, die im scientologischen Rechtssystem als "Gerichte" fungieren. Die Zahl der in Deutschland etablierten "CharterKomitees" ging im Berichtszeit raum auf nunmehr fünf Komitees zurück. WISEMitglieder ver pflichten sich, den organisationseigenen Kodex einzuhalten, d.h. insbesondere auch bei Streitigkeiten mit anderen Mitgliedern keine rechtsstaatlichen Gerichte anzurufen, sondern sich auf ein 421 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) internes Verfahren zu beschränken. Die Nichteinhaltung dieses Verfahrens stellt in den Augen der SO eine "unterdrückerische Handlung" dar, die eine Einstufung als "unterdrückerische Per son" zur Folge haben kann. Die SO erklärt, ihr Ethik und Rechtssystem sei "mehr als eine rein persönliche Angelegenheit. Es ist ein wesentlicher Bestandteil des umfassenderen Erlösungszieles".249 Die "CharterKomitees" sind aus Sicht der SO der rechtsstaatlichen Gerichtsbarkeit überlegen: "Die Idee und die Ausübung von Recht, wie es heute in der Gesellschaft existiert, ist jedoch zunehmend ineffektiv. Recht und Unrecht, Schuld und Unschuld werden kaum in Betracht gezogen. (...) L. Ron Hubbard entwickelte ein anderes System, eines, das seinesgleichen sucht: ein System, das sowohl schnell als auch gerecht ist und das man verwenden kann, um die anständigen und produktiven Menschen zu schützen." (Homepage eines deutschen "Charter-Komitees" von WISE-Mitgliedern, 26. November 2012) Streben nach Der totalitäre Charakter der Organisation zeigt sich u.a. darin, dass absoluter Kontrolle die SO eine weitestgehende Kontrolle über ihre Mitglieder anstrebt. Diese werden z.B. dazu aufgefordert, "Wissensberichte" über "jegliche unterdrückerischen Handlungen gegen Scientology oder Scientologen" oder Fehlverhalten von Gruppenmitgliedern zu verfassen und an das "Religious Technology Center" (RTC) in den USA zu melden. Als Fehlverhalten gilt etwa auch, "öffentlich von Scientology wegzugehen".250 Ziel der Die SO ist bestrebt, sich in der Öffentlichkeit als unpolitische und Errichtung einer demokratiekonforme Religionsgemeinschaft darzustellen. Ihr scientologischen politisches Fernziel, eine scientologische Gesellschaft, versucht sie Gesellschaft daher nicht durch Teilnahme am Prozess der politischen Willens bildung zu erreichen, sondern durch eine ständige Vergrößerung der Organisation, Steigerung der Einnahmen sowie durch erfolg reiche Bekämpfung ihrer Kritiker. Zu den eigentlich verfolgten 249 Homepage SO (26. November 2012). 250 Homepage SO (29. November 2012). 422 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Zielen heißt es in einer Broschüre der SOTeilorganisation "Inter national Association of Scientologists" (IAS): "Während wir unsere humanitären Programme weithin verbreiten, sind sie lediglich ein erster Schritt in Richtung unseres letztendlichen Ziels eines geklärten Planeten." ("Wir sind die IAS", 2010, S. 40) Von besonderer Bedeutung für die IAS ist der Aufbau sogenannter Idealer Orgs in "kulturellen Zentren bedeutender Weltstädte". Von dort aus soll das Gedankengut der SO "auf noch nie dagewesenem Niveau in die Gesellschaft einströmen".251 In Deutschland exis tieren bislang zwei "Ideale Orgs": Die SONiederlassung in Berlin wurde 2008 gegründet, seit dem 21. Januar 2012 gibt es auch in Hamburg eine Einrichtung dieser Art. 252 Regionale Schwerpunkte in Bezug auf Mitgliederanzahl und Akti Regionale vitäten der SO sind in Deutschland weiterhin Bayern, Baden Schwerpunkte Württemberg, Berlin, der Großraum Hamburg sowie Nordrhein Westfalen. Daneben gibt es in Hessen und Niedersachsen jeweils eine größere Anzahl an Mitgliedern. Die SO führte auch 2012 ihre Werbeaktivitäten zur Gewinnung Werben in der neuer Mitglieder regional fort. Wie schon in den Vorjahren blieben Öffentlichkeit diese Aktionen - überwiegend Infostände in Fußgängerzonen - in der Regel ohne größeren Zuspruch in der Bevölkerung. In Berlin, dem Schwerpunkt der Werbemaßnahmen in den letzten Jahren, war zudem ein Rückgang der öffentlichkeitswirksamen Aktivitä ten der SO zu verzeichnen. Die SO nutzt das Internet zunehmend als zentrale Werbeplatt Verstärkte Werbung form und hat ihr Angebot entsprechend weiter ausgebaut. Auf im Internet technisch aufwendig gestalteten, umfangreichen Homepages bie tet die SO in mehreren Sprachen Informationen zu ihrer Geschichte, ihren Zielen und Teilorganisationen sowie zu den von ihr geförderten Programmen an. Darüber hinaus wirbt sie auch dort für ihre Schriften und Kurse. Im Vergleich zu den Vorjahren 251 "IMPACT", Ausgabe 129/2011, S. 17. 252 "Neue Zivilisation, Magazin der Scientology Kirche Hamburg", Sonderausgabe 2012, S. 7 ff. 423 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) bietet die Organisation verstärkt kostenlose "OnlineKurse aus dem Scientology Handbuch" an, um Interessenten an das SOAn gebot heranzuführen. Kampagne der KVPM Beispielhaft für Aktivitäten von SOTeilorganisationen ist die Kampagne der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM). In der SOIdeologie gelten die Psy chiatrie bzw. der gesamte Berufszweig der Psychiater als Feindbil der. Infolgedessen fokussiert die KVPM ihre Öffentlichkeitsarbeit auf entsprechende Proteste. Außenwirkung erzielte sie auch im Jahr 2012 wieder mit der Ausstellung "Psychiatrie: Tod statt Hilfe", die u.a. im Juli 2012 in Frankfurt am Main (Hessen) gezeigt wurde, sowie im Rahmen einiger Straßenaktionen und Mahnwachen, u.a. vor Kliniken. Die Organisation forderte zudem die Polizei dazu auf, gegen Psychiater vorzugehen. In Schreiben an einige Poli zeipräsidien behauptete sie, "dass Psychiater eine Art neue Kate gorie von Straftätern hervorbringen können, ohne dafür jemals zur Rechenschaft gezogen zu werden".253 253 Brief "KVPM Deutschland e.V." (3. Mai 2012). 424 Register 425 REGISTER Register alFajr (Medienzentrum) ......................309, 311 alGama'a alIslamiya (GI) ............................ 291 A alJihad alIslami (JI) ....................................... 291 aal Ibrahim, Shaikh Abu Hashim Muhammad Bin Abd alRahman .............. 254 alKhalaila, Ahmad Fadil Nazal (alias alZarqawi, Abu Mus'ab) .................... 246 Abel Rahman, Sheik Mokhtar (alias Abu Zubair) .............................................. 252 alKhilafa (Das Kalifat, Publikation) ........ 284 AbouNagie, Ibrahim .............................266, 270 alKhudari, Jamal .............................................. 278 Abrüstungsini alLibi, Abu Yahya ..........................................244 f. (Personenzusammenschluss) ...................... 187 alManar (Der Leuchtturm, AbschieBär .................................................... 77, 122 Fernsehsender) ................................................272 f. Abteilung Vereinigungsfront ...................... 403 alMuqawama alIslamiya (Islamischer Widerstand) .............................. 273 Afwaj alMuqawama alLubnaniya (AMAL - Gruppen des libanesischen alNabhani, Taqiaddin .................................284 f. Widerstandes) ..................................................... 273 alQaida auf der Arabischen Halbinsel Agentenführung ............................................... 387 (AQAH) ...........................................241, 249 ff., 310 Agentenfunk ....................................................... 377 alQaida (Die Basis) ............. 228 f., 234, 237 ff., 244 ff., 250, 252 f., 256, 263 f., 309 f. Aktion Reinhard (Musikgruppe) ................ 127 AlQaida im Irak/ Aktionsbündnis gegen das Vergessen Islamischer Staat Irak .............236, 238, 246 ff. (AgdV) ..................................................................... 144 alQaida im islamischen Maghreb Aktionsbüro Mittelrhein (AQM) ...............................................248 f., 262, 314 (AB Mittelrhein) ............................................... 75 f. alQaida im Jemen (AQJ) ............................249 f. alAhd - alIntiqad (Die Verpflichtung - die Kritik, Publikation) ................................... 272 alQaradawi, Yusuf ........................................... 293 alAqsa e.V. ..............................................................32 alQudsTag (JerusalemTag) ....................... 274 alAulaqi, Anwar .......................................251, 310 alRashta, Ata Abu (alias Abu Yasin) ......... 284 alBaghdadi alHusaini alQurashi, alShabab ...........................................................252 f. Abu Bakr ............................................................... 246 alShahid Association alBanna, Hasan ................................................ 291 (MärtyrerStiftung) .......................................... 275 426 REGISTER alShamikha ........................................................ 311 Antimilitarismus ...................151, 171, 174, 185 Altermedia Deutschland Antirassismus ..................................................174 f. (Internetportal) ............ 58 f., 62, 82, 118 f., 134 Antirepression .......... 151, 174, 178, 180 f., 185 alWaie (Das Bewusstsein, Publikation) ... 284 Antisemitismus ........25, 70, 86 ff., 132 ff., 190 alWuhaishi, Nasir Abdalkarim Abdallah (alias Abu Basir) ...............................................249 f. Apfel, Holger ........... 53, 79, 82 f., 86, 93 ff., 107 Aly, Ayman ........................................................... 293 Arabischer Frühling ...............................234, 312 alZarqawi, Abu Mus'ab (alias alKhalaila, Arbeiterpartei Kurdistans Ahmad Fadil Nazal) .......................................... 246 (PKK) .........................30, 282, 320 ff., 335 ff., 364 alZawahiri, Aiman ...... 234, 244 f., 252, 310 f. Arbeitsgemeinschaft Cuba Si (Cuba Si) .............................................................211 f. Anadolu Genclik Dernegi (AGD = Verein der Anatolischen Jugend) ................................ 299 ff. Arghandiwal, Abdul Hadi ............................. 260 Anarchist Black Cross Berlin ....................... 181 Armee der Reinen (LashkareTaiba - LeT) .................................. 264 Anarchisten ................................................150, 154 ArndtVerlag ....................................................129 f. Anatolische Föderation ............................ 355 ff. Atilim (Vorstoß, Publikation) ...................... 362 Ansar alDin ........................................................ 249 Ausbildungslager ..................230, 234, 239, 256 Ansar alIslam (AAI - Gruppe der Anhänger des Islam) ................................................. 233, 254 f. Autonome .......................................... 150 f., 153 ff. Ansar alSharia .................................................. 251 autonome Gruppen ............................ 171, 174 f. AntiAKWWiderstand .................................. 183 Autonome Nationalisten ...52, 73 f., 107, 191 AntiAntifaAktivitäten ....................................76 AVANTI - Projekt undogmatische Linke ...............................................159, 169, 172 ff. Antifaschismus ............. 151 f., 164, 171, 174 f., 189 f., 192, 194, 199 f., 214 Aydar, Zübeyir .................................................... 335 Antifaschistischen Linke Berlin (ALB) .... 201 Aykac, Muhittin ................................................. 306 Antifaschistische Revolutionäre Aktion AZADI e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen Berlin (ARAB) .................................. 162, 164, 201 und Kurden in Deutschland ........................ 335 Antikapitalistische Linke (AKL) ................................... 202, 208 f., 212, 215 f. 427 REGISTER B Bremer Hilfswerk e.V. ........................................32 Babbar Khalsa Germany (BKG) ...............369 f. British National Party (BNP) ....................... 112 Babbar Khalsa International (BKI) ........369 f. Bulletin, Publikation ....................................... 214 Badi, Muhammad ............................................. 291 Bürgerbewegung pro Deutschland (pro Deutschland) ..........................................269 f. Bahir, Ghairat ..................................................... 260 Bürgerbewegung pro Köln e.V. Bahoz, Erdal ......................................................... 345 (pro Köln) ...........................................................109 f. Bakir, Nevzat ....................................................... 300 Bürgerbewegung pro NRW (pro NRW) ....53, 55 f, 109 ff., 140 f., 230, 235, 257, 268, 270, 309, Bauernhilfe e.V. .....................................................33 314 ff. Bayik, Cemil ........................................................ 329 Büro 610 ................................................................ 393 Becker, Verena .................................................... 218 Büro für Allgemeine Aufklärung .............. 404 Beisicht, Markus ....................109, 111, 114, 140 C Besseres Hannover ....................58, 77, 119, 121 Cami'a (Gemeinde, Publikation) ................ 296 Bewaffnete Islamische Gruppe (Groupe Islamique Arme - GIA) ................ 248 Castle Hill Publishers ...................................... 145 Bewegung für die Einheit und den Jihad in Castortransport ................................................. 221 Westafrika (Mouvement pour l'Unicite et le Cayan, Mahir ....................................................... 356 Jihad en Afrique de l'Ouest - MUJAO) .... 249 Celebrity Centres .............................................. 420 Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V. ............................................................92 CeskaMordserie ...........................................61, 63 Bin Ladin, Usama .....................................234, 244 CharterKomitees ..........................................421 f. Bin Muhammad Shekau, Abu Bakr .......... 261 Chouka, Monir .............................256, 258, 312 f. Blockupy ............................................ 161, 171, 196 Chouka, Yassin .................................... 256 ff., 312 Blood & Honour (B&H) ..............................31, 68 Church of Scientology International (CSI) ......................................................................... 420 Böhnhardt, Uwe ...................................................61 Collegium Humanum (CH) .............................33 Boko Haram (BH, Sunnitische Gemeinschaft für Predigt und Jihad - SGPJ) .............233, 261 Committee for a Worker's International (CWI) ....................................................................... 208 428 REGISTER Conspiracy of Cells of Fire ........................183 f. Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V., siehe auch Cyberguerilla .............................................221, 223 Islamische Zentren .......................................... 294 Devrimci Sol D (Revolutionäre Linke) ........... 31, 166, 352, 354 Darduqal, Abdalmalik DHKPC - Revolutionäre (alias Abu Mus'ab Abdalwadud) ................. 248 Volksbefreiungspartei ...............31, 323, 352 ff. DawaFFM .......................................231, 269 f., 315 Dianetik ................................................................. 421 Dazwischengehen - Zeitung für eine inter Die Hizbullah in eigenen Worten ventionistische Linke (Publikation) ......... 170 (Kendi Dilinden Hizbullah) .......................282 f. Der Aktivist (Publikation) ................83 f., 99 ff. DIE RECHTE .......53, 55 f., 76 ff., 106 ff., 139 f. Der Schlesier. Gesamtdeutsche DIE ROTE HILFE (Publikation) ............. 217 ff. Wochenzeitung (Publikation) ............130, 143 Die Unsterblichen .............56, 59, 74 f., 77, 117 Deutsche Alternative (DA) ...............................30 Die Wahre Religion (DWR, Deutsche Kommunistische Partei Internetplattform) .....................231, 270 f., 315 (DKP) ...............................................152, 197 ff., 215 directactionde.ucrony Deutsche Liga für Volk und Heimat (Nachrichtenblog) .......................... 161, 187, 222 (DLVH) ................................................................... 110 DISPUT (Publikation) ..................................... 211 Deutsche Stimme - DSAktuell (Homepage) ....................................62 DKPInformationen (Publikation) ........... 198 Deutsche Stimme (Publikation) ....79, 81, 83, Doghman, Adel (alias Adel Abdallah) ...... 278 88, 91, 94 f., 100, 103 ff., 129 Dogru Haber (Publikation) ........................... 282 Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH ..................................58 Dornbrach, Pierre ...................................... 84, 100 Deutsche Taliban Mujahideen .................... 240 Düsseldorfer Zelle ...................................229, 237 Deutsche Volksunion (DVU) ........................................ 53, 55 f., 96, 106 ff. E Deutschland in Geschichte und Gegenwart Elektronische Angriffe ...... 377 ff., 388, 396 f., (DGG, Publikation) ..................................129, 137 409 f. Elif Medya (Medienstelle) ............................. 240 429 REGISTER Engel, Stefan ....................................................203 f. Föderation der patriotischen Arbeiter und Kulturvereinigungen aus Kurdistan Entrismus .......................................... 150, 152, 207 in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKAKurdistan) ..............................................30 Erbakan, Fatih .................................................300 f. Föderation der yezidischen Vereine e.V. Erbakan, Necmettin ......................297 ff., 306 f. (FKE) ........................................................................ 332 Erbakan, Zeynep ............................................... 300 Föderation Islamischer Organisationen in Ergün, Kemal ....................................296 f., 304 ff. Europa (FIOE) ................................................ 293 ff. EuroKurier. Aktuelle Buch und Verlags Föderation Kurdischer Vereine nachrichten (Publikation) ............................ 129 in Deutschland e.V. (YEKKOM) ................. 321, 324, 332, 334 f., 340 Europäische Aktion (EA) .......................... 146 ff. Forum of European Muslim Youth and Europäische Moscheebau und Unter Student Organizations (FEMYSO) ............ 295 stützungsgemeinschaft e.V. (EMUG) ........ 297 Franz, Frank ............................................................88 European Council for Fatwa and Research (ECFR - Europäischer Rat für Fatwa und Freedom and Justice Party (FJP - Partei wissenschaftliche Studien) ........................... 293 für Freiheit und Gerechtigkeit) ...............291 f. Expliciet (Publikation) .................................... 284 Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion (FAU) ..............................................................160, 182 Extrem Wichtig: Linke Politik (Publikation) ....................................................... 172 Freie Deutsche Jugend (FDJ) ........................ 224 Eygi, Sevket .......................................................... 305 Freie Nationalisten .......................... 78, 93 ff., 99 Freies Netz Süd (FNS) .........................................93 F Freie syrische Armee ....................................... 400 Fatih, Abdullah .................................................. 258, Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei Firat News Agency (ANF) ...........................336 f. (FAP) ...........................................................................31 Föderation der demokratischen Aleviten Freiheitliche Partei Österreichs (FEDA) .................................................................... 332 (FPÖ) ..............................................................112, 141 Föderation der kurdischen Vereine in der FREIHEIT (Publikation) ................................. 420 Schweiz (FEKAR) ............................................... 364 Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) ...........329 f. Freiheitskräfte Kurdistans (HRK) .............. 335 430 REGISTER Freiheitspartei der Frauen Kurdistans Gerilla TV (Internetportal) ..................322, 339 (PAJK) ...................................................................... 342 German Defence League ............................... 269 Freiheits und Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) ...............................326, 330 Geschichtsrevisionismus .............................. 142 Freiräume ............................................................. 156 Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (GfP) ......................................................................... 130 Front National (FN) .......................................... 112 Ghazi, Usman ...................................................... 255 FSB (russischer Inlandsnachrichtendienst) ......................................................................... 383 f., 388 Gielnik, Michael ............................................82, 94 FSN (Internetradio) .......................................... 100 Giemsch, Dennis .......................................... 106 ff. FSNTV (InternetTVKanal) ..............100, 123 Globale Islamische Medienfront (GIMF) ....................................................... 312, 315 f. Fünf Gifte ........................................................ 393 ff. GrabertVerlag ................................................... 129 G Grabert, Wigbert ............................................... 129 G8Xtra (Publikation) ....................................... 170 Griffin, Nick ......................................................... 112 Gadahn, Adam Yahya ...................................... 310 Groupe Islamique Arme (GIA - Bewaffnete Islamische Gruppe) .......................................... 248 Gansel, Jürgen ..................................81, 86, 88, 90 Groupe Salafiste pour la Predication et le GegenStandpunkt ............................................ 205 Combat (GSPC - Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf) ......................................... 248 GegenStandpunkt (Publikation) ............... 205 Gruppe Arbeitermacht (GAM) .................... 209 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans Gruppe der Anhänger des Islam (PKK) ..............................................................326, 330 (Ansar alIslamGruppe - AAI) ................254 f. Gemeinschaft der Verkündung und Mission Gruppen des libanesischen Widerstandes (TJ) ..............................................................233, 287 ff. (AMAL - Afwaj alMuqawama alLubnaniya) ...................................................................................... 273 Geraer/Sozialistischer Dialog (GSoD) ....................................................... 212, 214 f. GRU (russischer militärischer Auslands nachrichtendienst) ..................................383, 388 Gerechte Ordnung (Adil Düzen) .............297 f. Gümüs, Edip ...............................................283, 284 Gerechtigkeits und Entwicklungspartei (AKP) ..............................................................355, 363 431 REGISTER H Hizb utTahrir (HuT - Partei der Befreiung) ...32, 233, 284 ff. Hackert, Wolfgang .........................................128 f. HohenrainVerlag ............................................ 129 HajAhmadi, Rahman ..................................... 335 HomegrownNetzwerke ............................... 239 HALK GERCEGI (Zukunft des Volkes, Publikation) ................................................352, 354 HomegrownStrukturen ............................... 239 Halk Icin Devrimci Demokrasi Honour & Pride ....................................................68 (Revolutionäre Demokratie für das Volk, Hubbard, L. Ron ............................................ 420 ff. Publikation) ......................................................... 359 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) I ............................ 32, 228, 233, 276 ff., 291 f., 307 f. Idarat AlAmn AlSiyasi (Syrischer Hammerskins ........................................................68 politischer Sicherheitsdienst) ..................... 400 Haniya, Isma'il ................................................... 276 Idarat AlMukhabarat AlAmma (Syrischer Haverbeck, Ursula ............................................... 146 ziviler Nachrichtendienst) ............................ 400 Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Identitätskampagne ........................................ 332 Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V. IGMG Perspektif (Publikation) ..........296, 302 (HDJ) ..........................................................................33 Illegale ......................................................377, 387 ff. Hekmatyar, Gulbuddin ...............................259 f. Illegalenoperation ............................................ 387 Hendlmeier, Wolfgang ................................... 146 Ilyas, Maulawi Mohammad ......................287 f. Hennig, Rigolf .................................................... 147 Imam Ali Moschee ........................................... 290 Hezbe Islamiye Afghanistan (HIA - Islamische Partei Afghanistans) ...233, 259 ff. IMPACT (Publikation) ...........................420, 423 hier & jetzt (Publikation) ..................................92 independent media center (imc) ............... 221 Hilafet (Das Kalifat, Publikation) ............... 284 Individueller Jihad ........................ 236, 238, 257 Hilfsorganisation für nationale politische Indymedia Deutschland ............ 161, 163, 165, Gefangene und deren Angehörige e.V. 190, 221 (HNG) ..................................................................34, 75 indymedia (Internetportal) ................168, 175, Hizb Allah (Partei Gottes) .......... 228, 231, 233, 177 ff., 181, 183 ff., 194, 222 265, 272 ff., 282 Initiative für die Freiheit Öcalans ............. 342 432 REGISTER Innocence of Muslims ... 230, 260, 270, 274 f., Intifada .................................................................. 276 286, 310, 316 Inzar (Warnung, Publikation) ..................... 282 INSPIRE (OnlineMagazin) ....250 f., 257, 310 Islamfeindlichkeit ........57, 84, 110, 137 f., 317 INTERIM (Publikation) .........................182, 223 Islamic Revolutionary Guards Corps International Association of Scientologists (IRGC, Iranische Revolutionsgarden) ...... 398 (IAS) ......................................................................... 423 Islamic Society ................................................... 308 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) ...............33, 307 f. Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) ....................233, 236 ff., 255 ff., 312 f., 315 Internationaler Antikriegstag ....................... 188 Islamische Gemeinde Kurdistans Internationaler Jugendverein - (CIK) ........................................................................ 332 Dar al Schabab e.V. ............................................ 270 Islamische Gemeinde (Umma) ..... 285 f., 294, Internationales Bulletin der MLKP 332 (Publikation) ....................................................362 f. Islamische Gemeinschaft in Deutschland Internationales Kurdisches Kulturfestival e.V. (IGD) ................................................... 231, 294 f. ................................................................... 324, 332, 346 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. internationale sozialistische Linke (isL) ... 209 (IGMG) .......................................228, 231 ff., 296 ff. Internationale Verbindungsstelle ........ 365 ff. Islamische JihadUnion (IJU) ......... 233, 258 f. Internationalismus ....................... 174, 210, 216 Islamische Partei Afghanistans (HIA) ..........................................................233, 259 ff. International Sikh Youth Federation (ISYF) ....................................................................369 f. Islamische Rechtsordnung (Scharia) ........ 113, 140, 234 f., 249, 254, 259, 261, 266, 279 f., 282, International Socialist Tendency (IST) ... 207 285, 289, 291 f., 305 Internetplattformen ..... 58 f., 62, 82, 117, 119, Islamischer Staat Irak/ 134, 270, 348 AlQaida im Irak .......................236, 238, 246 ff. Internetportale ............................... 221, 267, 339 Islamischer Widerstand (alMuqawama alIslamiya) ................273, 276 Internetpropaganda ..................... 241, 245, 251 Islamisches Mädchenkolleg Bergkamen 304 Internetradios (rechtsextremistische) .... 122 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. Interventionistische Linke (IZH) ...............................................................233, 290 (IL) .................................. 159, 161, 169 f., 172, 202 433 REGISTER Islamisches Zentrum München (IZM) .... 294 Junge Nationaldemokraten (JN) ............................... 57, 79, 83 f., 91, 98 ff., 121 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) ..... 32, 228, 233, 276 ff., 291 f., 307 f. junge Welt (jW, Tageszeitung) .... 183 f., 224 f. Islamische Zentren .......................................... 294 Jürgensen, Bettina ...................................197, 201 Islamische Gemeinde Nürnberg e.V. ....... 294 K Islamische Gemeinschaft Münster e.V. .. 294 Kacmaz, Bilal ....................................................... 304 Islamisches Zentrum Frankfurt e.V. ......... 294 Kalifat .....................................252, 255, 284 f., 291 Islamisches Zentrum Stuttgart e.V. .......... 294 Kalifatsstaat ............................................................31 Islamseminare ................................. 230, 267, 271 Kamalak, Mustafa ........................................ 297 ff. Izzaddin alQassamBrigaden .................... 277 Kameradschaft Aachener Land (KAL) ......................................................66, 77, 119 f. J Kameradschaften .............................69, 108, 121 Jagdstaffel D.S.T. ...................................................66 Kameradschaft Hamm Jihad .................230, 233 ff., 240 ff., 247, 249 ff., (KS Hamm) ....................................66, 77, 106, 120 254, 256 ff., 261 f., 269, 280, 288, 291, 298, 308 ff., 313 Kameradschaft Walter Spangenberg .........66, 76, 78 JihadGebiete ..........................230, 234, 243, 288 Karacabey, Mehmet ......................................303 f. Jihadisten/jihadistisch ......228, 239, 243, 245, 253 f., 259, 310 ff., 316 Karahan, Yavuz Celik ....................................296 f. jihadistische Gruppierungen, Karatas, Dursun ........................................352, 357 regionale ............................................................... 254 Karayilan, Murat ...................328, 333, 341, 346 jihadistische Internetforen ...... 238, 245, 247, 252, 254, 256 f., 311 Karzai, Hamid ..................................................... 260 jihadistische Netzwerke ........................232, 238 Kaukasisches Emirat ....................................... 279 jihadistische Propaganda ...230, 235 f., 308 f., Kazan, Sevket ...................................................... 300 311, 313, 316 f. Kelhaamed (Publikation) .............................. 282 Jihaz AlMukhabaratLi'IQuwwat Kendi Dilinden Hizbullah AlJawwiyya (Syrischer Nachrichtendienst (Publikation) ....................................................282 f. der Luftwaffe) ..................................................... 400 434 REGISTER KernalQaida ..................................... 244 ff., 310 Konferenz der Palästinenser in Europa (Palestinians in Europe Conference) ....277 f. Khalistan Zindabad Force (KZF) .............370 f. Konfrontative Gewalt ..................................... 160 Khan, Samir ................................................251, 310 KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans), Khomeini, Ayatollah ..............................274, 398 siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ................................. 326, 328, 330, 335, 340 Kinaci, Zeynep (alias Zilan) .......................... 341 Kongress für autonome Politik .................. 223 Klandestine Aktionen ..................................... 155 KönigFahdAkademie ................................268 f. Klandestin vorbereitete Anschläge .......... 196 Kontaktpersonen .....................................386, 405 Klug, HansRobert ............................................ 106 Konvertiten .........................236, 239 f., 267, 270 Knape, Andy ....................................................... 99 f. Koordination der kurdischdemokrati Knebel, Daniel .......................................................97 schen Gesellschaft in Europa (CDK), siehe Koc, Yüksel ........................................................... 332 auch Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) ...................................................... 331 f., 349 Köklü Degisim (Grundlegender Wandel, Publikation) ......................................................... 284 Krämer, Martin .....................................................99 Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Krekar, Mullah ................................................... 254 Jugendlichen, Jugendorganisation der PKK) Krieg beginnt hier. War starts here. ..171, 187 ..........................................321, 331 ff., 341 ff., 348 ff. Krien, Hartmut .................................................. 104 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) ........ 424 Krolzig, Sascha .............................................. 106 ff. Kommunalpolitische Vereinigung der NPD Kurdas, Mustafa ................................................. 302 (KPV) ......................................................79, 98, 104 f. Kurdische Frauenbewegung in Europa Kommunistische Partei Chinas (KPCh) ......... (AKKH) ................................................................... 331 ................................................................................. 391 ff. Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V. Kommunistische Partei Kubas (PCC) ...211 f. (CENI) ..................................................................... 340 Kommunistische Plattform der Partei Kurdistan Informationsbüro (KIB) ..............31 DIE LINKE (KPF) .........................209 f., 212, 216 KurdistanKomitee e.V. .....................................30 Kommunistischer Jugendverband Kubas (UJC) ........................................................................ 212 435 REGISTER L Märtyrer ...... 256, 260, 275, 283, 309, 313, 336, 341, 345, 355, 357, 360, 367, 370 LashkareTaiba (LeT - Armee der Reinen) .............................. 264 MärtyrerStiftung (alShahid Association) .................................. 275 Legalresidenturen 374 ff., 386, 390, 394, 399, 401, 403 f. marx21 (Publikation) ...................................... 208 Lernen und kämpfen marx21 (LuK, Publikation) ............................................. 203 (trotzkistisches Netzwerk) ......152, 207 f., 211 Lesen & Schenken GmbH ............................. 130 Marxistische Blätter (Publikation) ............ 197 Liberation Tigers of Tamil Eelam Marxistisches Forum (MF) ...................212, 216 (LTTE) ......................................... 320, 322 f., 365 ff. Marxistisches Forum (Publikation) .......... 213 Linke Presse Verlags, Förderungs und Beteiligungsgenossenschaft MarxistischLeninistische Kommunistische junge Welt e.G. .................................................... 224 Partei (MLKP) .......................... 181 f., 323, 362 ff. Linksextremismus und Musik .................... 220 MarxistischLeninistische Partei Deutsch lands (MLPD) ..............................152, 182, 203 ff. linksunten.indymedia (Internetportal) ............... 168, 175, 177 ff., 181, Mash'al, Khalid ................................................... 276 183 ff., 194, 222 Massenmilitanz ........................................160, 166 Lobocki, Ingeborg ............................................. 106 Mazlum Dogan Jugend, Kultur und Löffler, Mario .........................................................97 Sportfestival ........................................................ 341 Meenen, Uwe .........................................................88 M Mesopotamia Broadcast A/S ........... 33, 337 ff. M31 - European Day of Action against Capitalism ..... 158, 160 f., 171, 174, 180, 195 f. Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH .......................... 339 Mahmoud, Mohamed ........................ 235 f., 312 Military Intelligence Department Manifest der Kommunistischen Partei .. 213 (MID, chinesischer militärischer Nachrichtendienst) .......................................... 392 Mann, Klaus ......................................................... 106 Millatu Ibrahim ..... 34, 230 f., 235 f., 268, 270, Maoistische Kommunistische Partei 312 f., 315 f. (MKP) ...................................................................359 f. Millatu IbrahimMoschee ............................ 268 Marsch der Jugend ........................................... 333 436 REGISTER MillA(r) Gazete (Publikation) ...............296, 298 ff. Mujahidin von Tatarstan ............................280 f. Milli GörüsBewegung ....232 f., 296 ff., 306 f. Müller, Meinhard .............................................. 137 Milli Görüs (Nationale Sicht) ... 228, 231, 233, Mundlos, Uwe .......................................................61 297, 299, 301 ff., 307 Munier, Dietmar ................................................ 130 Milli Verlags und PressevertriebsGmbH ................................... 303 Mursi, Mohammed .......................................... 293 Ministerium für Staatssicherheit Muslimbruderschaft (MfSS, nordkoreanischer ziviler (MB) ....................................... 231, 233, 276, 291 ff. Nachrichtendienst) .......................................... 403 Muslimische Jugend in Deutschland e.V. Ministry of Information and Security (MJD) ....................................................................295 f. (MOIS, iranischer ziviler In und Auslandsnachrichtendienst) ....................398 f. N Ministry of Public Security (MPS, Nasheed ................................................................. 235 chinesisches Polizeiministerium) ............. 392 Nasrallah, Hasan .................................. 272, 274 f. Ministry of State Security (MSS, chinesischer ziviler Nachrichtendienst) ............................ 392 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ..........................52 f., 55 ff., 62 f., 69, 78 ff., MIR Multimedia GmbH ................................ 339 102 ff., 107 ff., 122, 129, 137 ff., 147 Mission der Afrikanischen Union in Somalia Nationale Befreiungsfront Kurdistans (AMISOM) ............................................................ 253 (ERNK) alias Koordination der kurdisch demokratischen Gesellschaft in Europa Mitteilungen der Kommunistischen (CDK) ................................................... 30, 330 f., 349 Plattform der Partei DIE LINKE (Publikation) ....................................................... 210 Nationale Offensive (NO) .................................30 Mouvement National Republicain Nationaler Widerstand Berlin .......................73 (MNR) ..................................................................... 112 Nationaler Widerstand Dortmund Mouvement pour l'Unicite et le Jihad (NWDO) ................................ 66, 77, 106, 108, 119 en Afrique de l'Ouest (MUJAO Bewegung für die Einheit und den Jihad in Nationale Sicht (Milli Görüs) ... 228, 231, 233, Westafrika) ........................................................... 249 296 ff., 307 MuhammadKarikaturen .....230, 268, 314 ff. Nationalistische Front (NF) .............................30 Mujahidin ....................238, 241, 245, 251, 280 f. National Journal ................................... 133, 135 f. 437 REGISTER Nationalsozialismus ... 70 ff., 75, 89, 125, 130, Ostanatolisches Gebietskomitee 142 f., 164, 190 (DABK) ................................................................... 359 Nationalsozialistischer Untergrund OutingAktionen ..........................................65, 72 (NSU) .................................. 20 ff., 53, 57, 60 f., 198 Özcan, Mevlut .................................................... 298 Neonazis ......54, 56, 58 f., 63, 66, 69 f., 72, 78 f., 102, 106 ff., 136, 175, 190 Özgür Gelecek (Freie Zukunft, Publikation) ........................ 359 Neonazistische Strukturen ........................70 ff. Netzwerk Rechts (Internetportal) ............. 121 P Newroz ............................................... 332, 340, 364 Palästinensische Vereinigung in Österreich ....................................................... 278 Nizam alIslam (Publikation) ...................... 284 Palestinian Return Centre (PRC) ............... 277 nonameGewalt .............................................. 165 Palestinians in Europe Conferences (Konfe NonProfessionals .........................................395 f. renz der Palästinenser in Europa) ............. 277 no pasaran (Bündnis) ...................................... 171 Partei der Befreiung (Hizb utTahrir - HuT) ...............32, 233, 284 ff. Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) ........................................ 233, 264 f., 279 ff. Partei der Glückseligkeit (Saadet Partisi - SP) ............................. 297 f., 302 Nouvelle Droite Populaire (NDP) .............. 112 Partei für ein freies Leben in Kurdistan Nuce TV ........................................................326, 338 (PJAK) .................................................................335, f. Partei für Freiheit und Gerechtigkeit O (Freedom and Justice Party - FJP) ..........291 f. Öcalan, Abdulllah ................ 321, 324 ff., 332 f., Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung 339 ff., 345 (Parti de Justice et Developpement - Odil, Usman ......................................................... 255 PJD) .......................................................................... 299 Open Posting ...................................................... 221 Partinin Sesi (Stimme der Partei, Publikation) ............... 362 Organisierte Autonomie (OA), Nürnberg .............................................................. 202 Partizan (Organisation) ....................182, 359 ff. Orientbrücke Marburg e. V., Pastörs, Udo .....................................................81, 88 siehe auch Islamische Zentren ................... 294 PC Records ..............................................................62 438 REGISTER Personenzusammenschluss Revolutionäre Gewalt ............................173, 363 Abrüstungsini ..................................................... 187 Revolutionäre Linke PKK (Arbeiterpartei (Devrimci Sol) .............................................. 31, 352 Kurdistans) .............30, 282, 320 ff., 335 ff., 364 Revolutionärer Kampf ...................... 162, 183 f. Pongu Tamil (Tamil Uprising) ..................... 367 Revolutionärer Volkskrieg ..................329, 363 Prabhakaran, Velupillai ............................. 365 ff. Revolutionäre Volksbefreiungsfront Proliferation 20, 27, 379 f., 382, 406, 408, 411 (DHKC) .............................................................. 355 ff. Revolutionäre Volksbefreiungspartei Q (DHKP) ................................................................... 353 Qutb, Sayyid ........................................................ 291 Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront (DHKPC) .........................................31, 323, 352 ff. R Revolutionäre Zellen (RZ) ................ 182 f., 225 Radikalisierungsprozesse .....................239, 288 Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) ........................................................................ 209 Ramezani, Reza .................................................. 290 Revolutionary Guards Intelligence REBELL (Jugendverband) ....................182, 203 Department (RGID, Nachrichtendienst REBELL (Publikation) ..................................... 203 der iranischen Revolutionsgarde) ............. 398 Rechtsextremistische Internetradios ...... 122 Richter, Karl ...............................................104, 129 Rechtsextremistische Ring Nationaler Frauen Musik .............................54, 67 ff., 71, 122, 124 ff. (RNF) ...............................................79, 91, 98, 103 f. Rechtsextremistische Risalat alIkhwan (Rundschreiben der Verbreitungsstrukturen .......................... 54, 116 Bruderschaft, Publikation) ........................... 291 Rechtsterrorismus ........................................20, 60 Riyad alSalihin ................................................. 264 Religious Technology Center (RTC) ......... 422 Roj TV (Fernsehsender) .............. 33, 326, 337 f. Republikanische Volkspartei (CHP) ......... 330 RosaLuxemburgKonferenz ...................... 225 Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) .......167 f. Rote Armee Fraktion (RAF) .......................218 f. Revolutionäre Demokratie für das Volk Rote Fahne (RF, Publikation) ....................... 203 (Publikation) ....................................................... 359 Rote Flora ............................................................. 165 439 REGISTER Rote Hilfe e.V. (RH) ......... 152, 181, 184, 217 ff. Schüßler, Gitta ................................................... 103 Rote Zonen .......................................................... 221 Schüßler, Sigrid ..............................................103 f. Rudolf, Germar .................................................. 145 Schwarze Division Sachsen (Musikgruppe) .................................................... 126 S Schwarzer Block ................................................ 176 Saadet Partisi Schwerdt, Frank ....................................................62 (SP - Partei der Glückseligkeit) ..... 297 f., 302 Scientology Kirche Deutschland e.V. Saad, Maulana Ibrahim .................................. 287 (SKD) ....................................................................... 420 Salafismus/Salafisten/salafistisch .........114 f., ScientologyOrganisation (SO) ............. 419 ff. 228, 231, 266 f., 269 ff., 315 Seidensticker, Lars ............................................ 140 Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf (Groupe Salafiste pour la Predication et le Sen, Mehmet ....................................................... 304 Combat - GSPC) ................................................ 248 Serxwebun salafistische Prediger ....................................266 f. (Unabhängigkeit, Publikation) ..........326, 337 Salam Society for Relief & Shu'bat AlMukhabaratAlAskarya Development ...................................................... 308 (syrischer militärischer Nachrichtendienst) .......................................... 400 SauerlandGruppe ........................................... 259 SKD (Musikgruppe) .............................................63 Schadsoftware ....................................... 378 f., 397 Skinheads (rechtsextremistische) ............ 67 f. Schäfer, Michael ......................................... 83, 100 Solidarität (Publikation) ................................ 216 Schanzenviertelfest ......................................... 165 Source (Publikation) ........................................ 420 Scharia (islamische Rechtsordnung) ...... 113, 140, 234 f., 249, 254, 259, 261, 266, 280 ff., 285, Soziale Netzwerke ............................................ 120 289, 291 f., 305 Sozialistische Alternative (SAV) .... 207 f., 216 Schaub, Bernhard ..........................................146 f. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Scheffler, Maik ......................................................94 (SDAJ) ........................................................182, 198 ff. Schiiten/schiitisch .............................. 272, 289 f. Sozialistische Linke (SL) .................. 210 ff., 216 Schmidt, Edda ............................................. 91, 103 Spreelichter (Internetportal) ...................59, 75 Schmidtke, Sebastian .........................................97 Städte gegen Islamisierung (Bündnis) .... 141 440 REGISTER Sterka Ciwan (Stern der Jugend - The Auditor (Publikation) ............................. 420 Publikation) ............................................ 326, 344 f. ThiaziForum ...................................................117 f. Sterk TV ...........................................326, 332, 338 f. Thomsen, Thorsten ............................................92 Stimme des Reiches (Publikation) ............ 146 TKP/MLHareketi ............................................. 362 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten .......................................56, 67 Tote Briefkästen (TBK) ................................... 377 Sunnitisch ............246, 259, 261, 273, 282, 291, Transnational Government of Tamil Eelam (TGTE) .................................................................365 f. Sunnitische Gemeinschaft für Predigt und Jihad (SGPJ - Boko Haram) .................233, 261 Trotzkisten .....................................150, 152, 207 f. SWR (russischer ziviler Tschetschenische Republik Itschkeria Nachrichtendienst) ............................. 382, 388 f. (CRI) ......................................................................279 f. Türkische Arbeiter und T Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) ............. 360 Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Türkische Hizbullah (TH) ...............233, 282 ff. Verkündung und Mission) .............. 233, 287 f. Türkische Kommunistische Tag der deutschen Zukunft Arbeiterbewegung (TKIH) ............................ 362 (TddZ) .................................................. 159, 174, 191 Türkische Kommunistische Partei/Marxis Tag der politischen Gefangenen .......184, 218 tenLeninisten (TKP/ML) ......182, 323, 359 ff. Taleban .............................. 240, 242 f., 255 f., 311 "Türkische Volksbefreiungspartei/Front" (THKP/C) ..............................................................31 Tamil Coordinating Committee (TCC) 366 f. TV 5 (Fernsehsender) ..............................299, 301 Tamil Eelam ..................................320, 323, 365 f. Tatort Kurdistan (Kampagne) ..................... 335 U Terrorismus, Umarov, Dokku ................................ 264 f., 279 f. internationaler islamistischer ............... 234 ff. Umma (islamische Gemeinde) ................285 f. Terrorismus, rechtsextremistischer .....20, 60 umsGanze!Bündnis ....................................... 160 Terroristische Ausbildungslager ........................... 230, 234, 239 Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) ....................................................................... 332 Terrorkorps (Musikgruppe) .......................... 136 441 REGISTER Union der Journalisten Kurdistans VierSäulenStrategie ........................................91 (YRK) ....................................................................... 331 VIKO Fernseh Produktion GmbH ..... 33, 337 Union der Juristen Kurdistans (YHK) ...... 331 virtuelle Netzwerke ...................................... 308 ff. Union der kurdischen Lehrer (YMK) ....... 331 Vlaams Belang (VB) .................................112, 141 Union der Schriftsteller Kurdistans (YNK) ...................................................................... 331 Voigt, Udo ..................................................94, 96, 98 Union der Yeziden aus Kurdistan Volk in Bewegung & Der Reichsbote ....... 146 (YEK) ....................................................................... 332 Volksbefreiungsarmee (HKO) ..................... 360 Union islamischer Gerichtshöfe (UIG) ... 252 Volksfront ...............................................................93 Union kurdischer Familien Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), (YEKMAL) ........................................................... 331 siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans unsere zeit (uz, Publikation) ................... 197 ff. (PKK) ................................. 326, 328, 330, 335, 340 uz Pressefest .....................................................197 f. Volksmodjahedin IranOrganisation (MEK) ...................................................................... 398 V VolkstodKampagne .......................75, 102, 117 Velioglu, Hüseyin .............................................. 283 Volkstroi (Musikgruppe) ................................ 125 Verband der Studierenden aus Kurdistan Volksverteidigungskräfte (YXK) ..............................................................331, 346 (HPG) ......... 322, 324, 329, 335, 345 f., 351, 364 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK), siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans W (PKK) ................................. 326, 328, 330, 333, 341 Waisenkinderprojekt Libanon e.V. Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa (WKP) ..................................................................... 275 e.V. (AMGT) .......................................................... 296 Walde, Heidrun .................................................. 103 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten Waldukat, Manfred .............................................91 (VRBHV) ......................................................... 33, 147 War Crimes Day ................................................. 367 Verlag 8. Mai GmbH ........................................ 224 White Youth ...........................................................31 Verlag libergraphix .......................................... 128 Widerstandsbewegung in VEVAK (Iranischer ziviler In und Südbrandenburg ................................ 59, 74 f., 77 Auslandsnachrichtendienst) ....................... 398 442 REGISTER Wiener, Markus ........................................112, 401 Z WikingJugend e.V. (WJ) ...................................30 Zakaev, Ahmed ...............................................279 f. Wirtschaftsschutz ...................................27, 409 f. Zaman (türkische Tageszeitung) .......340, 343 Wirtschaftsspionage .............383, 393 f., 409 f. Zasowk, Ronny ......................................................86 Wirtschafts und Finanzbüro (EMB) ....... 347 Zentrum für Wirtschafts und Sozialforschung (ESAM) ................................ 300 Wohlleben, Ralf ................................................ 62 f. Ziegler, Martin .................................................... 106 Worch, Christian ..............................76 ff., 106 ff. Zilan (alias Zeynep Kinaci) ........................... 341 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) ..................................................................421 f. ZilanFrauenfestival ........................................ 341 Zschäpe, Beate ..................................................60 ff. Y ZUERST! Yasin, Ahmad .............................................276, 284 Deutsches Nachrichtenmagazin ............... 114 YATIMKinderhilfe e.V. .....................................32 Zug um Zug (Musikgruppe) ......................... 126 Yeni Akit GmbH ...................................................32 Zündel, Ernst ...................................................... 130 Yeni Müjde (Publikation) .............................. 282 Zusammen Kämpfen (ZK), Berlin ............. 185 Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue Freie Politik, Tageszeitung) ................................... 326, 329, 337 Yürüyüs (Marsch, Publikation) ................352 f. 443 REGISTERANHANG Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2012 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl A Aktion Reinhard (Musikgruppe) 127 Aktionsbündnis gegen das Vergessen (AgdV) 144 Aktionsbüro Mittelrhein (AB Mittelrhein) 75 f. al-Aqsa e.V. 32 al-Fajr (Medienzentrum) 309, 311 al-Gama'a al-Islamiya (GI) 291 al-Jihad al-Islami (JI) 291 al-Manar (Der Leuchtturm, Fernsehsender) 272 f. al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 241, 249 ff., 310 al-Qaida (Die Basis) 228 f., 234, 237 ff., 244 ff., 250, 252 f., 256, 263 f., 309 f. al-Qaida im Irak/Islamischer Staat Irak 236, 238, 246 ff. al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 248 f., 262, 314 al-Qaida im Jemen (AQJ) 249 f. al-Shabab 252 f. al-Shahid Association (Märtyrer-Stiftung) 275 Anarchist Black Cross Berlin 181 Anatolische Föderation 355 f. Ansar al-Islam (AAI - Gruppe der Anhänger des Islam) 233, 254 f. Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) 162, 164, 201 Antikapitalistische Linke (AKL) 202, 208 f., 212, 215 f. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 30, 282, 320 ff., 335 ff., 364 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si (Cuba Si) 211 f. Armee der Reinen (Lashkar-e-Taiba - LeT) 264 Arndt-Verlag 129 f. AVANTI - Projekt undogmatische Linke 159, 169, 172 ff. AZADI e.V., Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in 335 Deutschland 444 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl B Babbar Khalsa Germany (BKG) 369 f. Babbar Khalsa International (BKI) 369 f. Bauernhilfe e.V. 33 Besseres Hannover 58, 77, 119, 121 Bewaffnete Islamische Gruppe (Groupe Islamique Arme - GIA) 248 Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V. 92 Blood & Honour (B&H) 31, 68 Boko Haram (Sunnitische Gemeinschaft für 233, 261 Predigt und Jihad - SGPJ) Bremer Hilfswerk e.V. 32 C Church of Scientology International (CSI) 420 Collegium Humanum (CH) 33 D DawaFFM 231, 269 f., 315 Deutsche Alternative (DA) 30 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 110 Deutsche Taliban Mujahideen 240 Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V., 294 siehe auch Islamische Zentren Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 31, 166, 352, 354 DIE RECHTE 53, 55 f., 76 ff., 106 ff., 139 f. Die Wahre Religion (DWR, Internetplattform) 231, 270 f., 315 E Elif Medya (Medienstelle) 240 Europäische Aktion (EA) 146 ff. Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft 297 e.V. (EMUG) European Council for Fatwa and Research (ECFR - Europäischer 293 Rat für Fatwa und wissenschaftliche Studien) F Firat News Agency (ANF) 336 f. Föderation der demokratischen Aleviten (FEDA) 332 445 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen 30 aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) Föderation der yezidischen Vereine e.V. (FKE) 332 Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE) 293 ff. Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (YEK-KOM) 321, 324, 332, 334 f., 340 Forum of European Muslim Youth and Student Organizations 295 (FEMYSO) Freedom and Justice Party 291 f. (FJP - Partei für Freiheit und Gerechtigkeit) Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) 160, 182 Freies Netz Süd (FNS) 93 Freie syrische Armee 400 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 31 Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 329 f. Freiheitskräfte Kurdistans (HRK) 335 Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK) 342 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) 326, 330 FSN (Internetradio) 100 FSN-TV (Internet-TV-Kanal) 100, 123 G GegenStandpunkt 205 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK), 326, 330 siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Gemeinschaft der Verkündung und Mission (TJ) 233, 287 ff. Geraer/Sozialistischer Dialog (GSoD) 212, 214 Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei (AKP) 355, 363 Gerilla TV (Internetportal) 322, 339 German Defence League 269 Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (GfP) 130 Globale Islamische Medienfront (GIMF) 312, 315 f. Grabert-Verlag 129 Groupe Islamique Arme (GIA - Bewaffnete Islamische Gruppe) 248 Gruppe Arbeitermacht (GAM) 209 Gruppe der Anhänger des Islam (Ansar al-Islam-Gruppe - AAI) 254 f. H HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 32, 228, 233, 276 ff., 291 f., 307 f. 446 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für Umwelt, 33 Mitwelt und Heimat e.V. (HDJ) Hekmatyar, Gulbuddin 259 f. Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren 34, 75 Angehörige e.V. (HNG) Hizb Allah (Partei Gottes) 228, 231, 233, 265, 272 ff., 282 Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der Befreiung) 32, 233, 284 ff. Hohenrain-Verlag 129 Honour & Pride 68 I Imam Ali Moschee 290 INSPIRE (Online-Magazin) 250 f., 257, 310 INTERIM (Publikation) 182, 223 International Association of Scientologists (IAS) 423 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) 33, 307 f. Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e.V. 270 internationale sozialistische Linke (isL) 209 International Sikh Youth Federation (ISYF) 369 f. Internetplattformen 58 f., 62, 82, 117, 119, 134, 270, 348 Interventionistische Linke (IL) 159, 161, 169 f., 172, 202 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) 233, 236 ff., 255 ff., 312 f., 315 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 332 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 231, 294 f. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 228, 231 ff., 296 ff. Islamische Jihad-Union (IJU) 233, 258 f. Islamische Partei Afghanistans (HIA) 233, 259 ff. Islamischer Staat Irak/Al-Qaida im Irak 236, 238, 246 ff. Islamisches Mädchenkolleg Bergkamen 304 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 233, 290 Islamisches Zentrum München (IZM) 294 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 32, 228, 233, 276 ff., 291 f., 307 f. Izzaddin al-Qassam-Brigaden 277 J Jagdstaffel D.S.T. 66 447 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Junge Nationaldemokraten (JN) 57, 79, 83 f., 91, 98 ff., 121 K Kalifatsstaat 31 Kameradschaft Aachener Land (KAL) 66, 77, 119 f. Kameradschaft Hamm (KS Hamm) 66, 77, 106, 120 Kameradschaft Walter Spangenberg 66, 76, 78 Kaukasisches Emirat 279 Khalistan Zindabad Force (KZF) 370 f. Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen, 321, 331 ff., 341 ff., 348 ff. Jugendorganisation der PKK) Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen 424 Menschenrechte e.V. (KVPM) Kommunalpolitische Vereinigung der NPD (KPV) 79, 98, 104 f. Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE (KPF) 209 f., 212, 216 KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans), siehe auch 326, 328, 330, 335, 340 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) König-Fahd-Akademie 268 f. Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in 331 f., 349 Europa (CDK), siehe auch Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) Kurdische Frauenbewegung in Europa (AKKH) 331 Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V. (CENI) 340 Kurdistan Informationsbüro (KIB) 31 L Lashkar-e-Taiba (LeT - Armee der Reinen) 264 Lesen & Schenken GmbH 130 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 320, 322 f., 365 ff. Linke Presse Verlags-, Förderungsund 224 Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G. M Märtyrer-Stiftung (al-Shahid Association) 275 marx21 (trotzkistisches Netzwerk) 152, 207 f., 211 Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 359 f. Marxistisches Forum (MF) 212, 216 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 181 f., 323, 362 ff. Mesopotamia Broadcast A/S 33, 337 ff. 448 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Millatu Ibrahim 34, 230 f., 235 f., 268, 270, 312 f., 315 f. Muslimbruderschaft (MB) 231, 233, 276, 291 ff. Muslimische Jugend in Deutschland e.V. (MJD) 295 f. N Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) alias Koordination 30, 330 f., 349 der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) Nationale Offensive (NO) 30 Nationaler Widerstand Berlin 73 Nationaler Widerstand Dortmund (NWDO) 66, 77, 106, 108, 119 Nationalistische Front (NF) 30 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 20 ff., 53, 57, 60 f., 198 Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 233, 264 f., 279 ff. O Organisierte Autonomie (OA), Nürnberg 202 Orientbrücke Marburg e. V., siehe auch Islamische Zentren 294 Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) 359 P Palästinensische Vereinigung in Österreich 278 Palestinian Return Centre (PRC) 277 Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) 335, f. Partei für Freiheit und Gerechtigkeit 291 f. (Freedom and Justice Party - FJP) Partizan (Organisation) 182, 359 ff. Pastörs, Udo 81, 88 PC Records 62 R REBELL (Jugendverband) 182, 203 Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) 167 f. Revolutionäre Linke (Devrimci Sol) 31, 352 Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC) 355 ff. Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP) 353 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 31, 323, 352 ff. Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) 209 Ring Nationaler Frauen (RNF) 79, 91, 98, 103 f. Riyad al-Salihin 264 449 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Rote Hilfe e.V. (RH) 152, 181, 184, 217 ff. S Schwarze Division Sachsen (Musikgruppe) 126 Scientology-Organisation (SO) 419 ff. Sozialistische Alternative (SAV) 207 f., 216 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 182, 198 ff. Sozialistische Linke (SL) 210 ff., 216 Sunnitische Gemeinschaft für Predigt und Jihad 233, 261 (SGPJ - Boko Haram) T Tablighi Jama'at 233, 287 f. (TJ - Gemeinschaft der Verkündung und Mission) Taleban 240, 242 f., 255 f., 311 Tamil Coordinating Committee (TCC) 366 f. Terrorkorps (Musikgruppe) 136 TKP/ML-Hareketi 362 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 279 f. Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) 360 Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung (TKIH) 362 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten 182, 323, 359 ff. (TKP/ML) TV 5 (Fernsehsender) 299, 301 U umsGanze!-Bündnis 160 Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) 332 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) 331 Union der Juristen Kurdistans (YHK) 331 Union der kurdischen Lehrer (YMK) 331 Union der Schriftsteller Kurdistans (YNK) 331 Union der Yeziden aus Kurdistan (YEK) 332 Union islamischer Gerichtshöfe (UIG) 252 Union kurdischer Familien (YEK-MAL) 331 V Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 331, 346 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK), 326, 328, 330, 333, 341 siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 450 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des 33, 147 Holocaust Verfolgten (VRBHV) Verlag 8. Mai GmbH 224 Verlag libergraphix 128 Volksbefreiungsarmee (HKO) 360 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), 326, 328, 330, 335, 340 siehe auch Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Volkstroi (Musikgruppe) 125 Volksverteidigungskräfte (HPG) 322, 324, 329, 335, 345 f., 351, 364 W Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) 275 White Youth 31 Widerstandsbewegung in Südbrandenburg 59, 74 f., 77 Wiking-Jugend e.V. (WJ) 30 Wirtschaftsund Finanzbüro (EMB) 347 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 421 f. Y YATIM-Kinderhilfe e.V. 32 Yeni Akit GmbH 32 Z Zentrum für Wirtschaftsund Sozialforschung (ESAM) 300 Zug um Zug (Musikgruppe) 126 Zusammen Kämpfen (ZK), Berlin 185 451 452 Impressum Herausgeber: Bundesministerium des Innern Alt Moabit 101 D 10559 Berlin Redaktion: Bundesamt für Verfassungsschutz Bildnachweis: dpa Druck: Werbedruck GmbH Horst Schreckhase, Spangenberg Der Verfassungsschutzbericht 2012 ist auch über das Internet abrufbar, unter: www.bmi.bund.de oder www.verfassungsschutz.de ISSN: 0177-0357 Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern und Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwandt werden. Artikelnummer: BMI13006