Verfassungsschutzbericht 2011 Vorwort von Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB Der Verfassungsschutzbericht des Jahres 2011 informiert über Art und Umfang verfassungsfeindlicher Entwicklungen in unserem Land sowie über Organisationen und Gruppierungen, die sich gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Er erscheint zu einer Zeit, da die Vorgänge in Zusammenhang mit der Entdeckung und Aufklärung der Mordserie des "National sozialistischen Untergrunds" (NSU) zu einer grundsätzlichen Dis kussion über den Verfassungsschutz und die Erfüllung seiner Auf gaben geführt haben. Es gibt insoweit auch nichts zu beschönigen: Neben etlichen Erfolgen, auf die der Verfassungsschutz verweisen kann, ist es ein schmerzlicher Misserfolg, dass es nicht gelungen ist, die rechtsextremistische Motivation der Gewalttäter frühzeitig zu erkennen, um den Ermittlungsbehörden den richtigen Fahn dungsansatz zu liefern. Mögliche Fehler müssen aufgeklärt und ihre Ursachen beseitigt werden. Die Vorgänge im Zusammenhang mit der Mordserie des NSU haben verdeutlicht, dass es Reformbedarf bei den Ver fassungsschutzbehörden von Bund und Ländern gibt. Der not wendige Umbau des Verfassungsschutzes muss so schnell wie möglich, aber auch mit der gebotenen Gründlichkeit angegangen werden. Denn ein moderner und leistungsfähiger Verfassungsschutz ist für unsere Gesellschaft und unseren demokratischen Rechtsstaat auch in Zukunft unverzichtbar. So konnte beispielsweise die islamistische Vereinigung "Millatu Ibrahim" nur dank der erfolg reichen Arbeit des Verfassungsschutzes verboten werden. 3 VORWORT BUNDESINNENMINISTER FRIEDRICH Mit seinem Streben nach einer völlig anderen Gesellschaftsord nung und seinen häufig gewalttätigen Aktionen fordert der radi kale Salafismus unseren Rechtsstaat heraus. Mit der konsequenten Anwendung aller rechtlichen Möglichkeiten wird der Staat diese Bewährungsprobe jedoch bestehen. Weitere Erfolge des Verfassungsschutzes in Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden sind die Verhinderung von sieben Anschlagsvorbereitungen im Bereich des Islamistischen Terroris mus in den letzten zehn Jahren, neun unanfechtbare Verbote von rechtsextremistischen Organisationen seit 1992, acht Vereinsver bote islamistischer Organisationen seit 2001 und zahlreiche Ver haftungen und Verurteilungen aufgrund von Vorermittlungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Bereich des Aus länderextremismus. Aber auch im Bereich der Spionageabwehr und der Beobachtung sonstiger Aktivitäten fremder Nachrich tendienste leistet der Verfassungsschutz hervorragende Arbeit. Beispielhaft führe ich hier die Einschätzung der Gefährdungslage durch Cyberspionage und die erfolgreiche Verhinderung von Proliferation an. Was mir Sorge bereitet ist, dass wir insgesamt eine sich ausbrei tende Radikalisierung und einen Anstieg der Gewalttaten zu verzeichnen haben. Während die Zahl rechtsextremistisch moti vierter Gewalttaten gegenüber dem Vorjahr mit 755 Fällen nahezu konstant geblieben ist, stiegen die linksextremistisch motivierten Gewalttaten im Jahr 2011 um 20% auf insgesamt 1.157 an. Fast alle Gewalttaten im linksextremistischen Spektrum gehen auf die autonome Szene zurück. Gerade der Kampf von linksextremistischen und rechtsextremis tischen Gruppen untereinander ist durch erhebliche gewalttätige Auseinandersetzungen geprägt. Bei solchen Aktionen zwischen Extremisten sind auch die Polizisten vor Ort erheblichen Gefah ren ausgesetzt. Sie sehen sich aggressiven Angriffen ausgesetzt und werden bei ihren Einsätzen oftmals Opfer schwerer körper licher Gewalt. Die Zahl der gegen Polizei und Sicherheitsbehörden gerichteten Gewalttaten ist im Jahr 2011 mit insgesamt 700 Fällen gegenüber 455 Fällen im Vorjahr signifikant angestiegen. 4 VORWORT BUNDESINNENMINISTER FRIEDRICH Der vorliegende Bericht zeigt einmal mehr auf, welche Bedeutung die Arbeit des Verfassungsschutzes für die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger hat. Unser Land kann auf einen moder nisierten und effektiven Verfassungsschutz als einen wesentlichen Eckpfeiler im System der deutschen Sicherheitsarchitektur auch in Zukunft nicht verzichten. Dr. HansPeter Friedrich, MdB Bundesminister des Innern 5 Inhaltsverzeichnis Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 13 1. Bundesamt für Verfassungsschutz 13 2. Militärischer Abschirmdienst 13 II. Weitere Strukturdaten 13 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz 16 II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse 17 III. Kontrolle des Verfassungsschutzes 20 IV. Verfassungsschutzbericht 21 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung 23 VI. Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI im Zeitraum von Januar 1990 bis Dezember 2011 (in chronologischer Reihenfolge) 28 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK 34 II. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 35 III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 36 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 36 1.1 Überblick 36 1.2 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten 38 1.2.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund 39 1.2.2 Rechtsextremistisch motivierte Straftaten mit antisemitischem Hintergrund 39 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten 40 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 40 2. Linksextremistisch motivierte Straftaten 43 2.1 Überblick 43 6 INHALTSVERZEICHNIS 2.2 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten 44 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 46 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 46 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 49 3.1 Überblick 49 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 50 Rechtsextremismus I. Überblick 54 1. Ideologie 54 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus 54 3. Organisationen und Personenpotenzial 56 4. Rechtsextremistische Kundgebungen 58 II. Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene 60 1. Personenpotenzial 60 2. Formen der Gewaltbereitschaft 60 2.1 Rechtsterrorismus/"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) 60 2.2 Gewaltpotenzial 65 3. Rechtsextremistische Strukturen mit überwiegender Gewaltbereitschaft 66 3.1 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 66 3.2 Neonazistische Strukturen 68 III. Parteien 75 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 75 1.1 Ideologische Merkmale 75 1.2 Strategische Ansätze 86 1.3 Organisation und Entwicklung 90 1.4 Unterorganisationen 96 1.4.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 96 1.4.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 99 1.4.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) 100 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) - Die Neue Rechte 101 IV. Rechtsextremistische Verbreitungsstrukturen 102 1. Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet 102 1.1 Allgemein 102 1.2 Rechtsextremistische Internetradios 105 2. Rechtsextremistische Musik 106 2.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 108 7 INHALTSVERZEICHNIS 2.2 Rechtsextremistische Bands und Liedermacher 110 2.3 Rechtsextremistische Musikvertriebe 112 3. Organisationsunabhängige Verlage, Vertriebsdienste und Publikationen 114 V. Ausgewählte rechtsextremistische Agitationsfelder 118 1. Antisemitismus 118 2. Islamfeindlichkeit 126 3. Geschichtsrevisionismus 130 VI. Internationale Verbindungen 136 Linksextremismus I. Überblick 140 1. Entwicklungen im Linksextremismus 140 2. Organisationen und Personenpotenzial 143 II. Gewaltbereiter Linksextremismus 145 1. Autonome 145 1.1 Selbstverständnis 145 1.2 Konfrontative Gewalt 151 1.3 Klandestin vorbereitete Anschläge 154 1.4 Entwicklung des Gewaltpotenzials 158 2. Feste organisatorische Strukturen 160 2.1 "Interventionistische Linke" (IL) 161 2.2 "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) 164 3. Traditionelle Anarchisten 165 III. Parteien und sonstige Gruppierungen 167 1. "DIE LINKE." 167 1.1 "Kommunistische Plattform der Partei ,DIE LINKE.'" (KPF) 173 1.2 "Sozialistische Linke" (SL) 175 1.3 "Marxistisches Forum" (MF) 175 1.4 "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" 176 1.5 "Antikapitalistische Linke" (AKL) 177 1.6 Jugendverbände 179 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 182 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 182 2.2 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 185 3. "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 187 4. "GegenStandpunkt" (GSP) 190 5. Trotzkisten 192 6. "Rote Hilfe e.V." (RH) 195 8 INHALTSVERZEICHNIS IV. Linksextremistische Verbreitungsstrukturen 198 1. Linksextremismus und Musik 198 2. Linksextremistische Aktivitäten im Internet 199 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen 202 V. Aktionsfelder 204 1. "Antirepression" 204 2. "Antimilitarismus" 210 3. "Antifaschismus" 213 4. Sonstige erwähnenswerte Aktionsfelder 217 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick 220 1. Entwicklungen im Islamismus/islamistischen Terrorismus 220 2. Organisationen und Personenpotenzial 224 II. Internationaler islamistischer Terrorismus 225 1. Aktuelle Entwicklungen 225 2. "AlQaida" ("Die Basis") 233 2.1 Kern"alQaida" 233 2.2 "AlQaida im Irak"/"Islamischer Staat Irak" 237 2.3 "AlQaida im islamischen Maghreb" (AQM) 238 2.4 "AlQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) 240 3. Regionale "jihadistische" Gruppierungen 242 3.1 "Ansar alIslam" (AAI - "Gruppe der Anhänger des Islam") 242 3.2 "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) 244 3.3 "Islamische JihadUnion" (IJU) 246 3.4 "Hezbe Islamiye Afghanistan" (HIA - "Islamische Partei Afghanistans") 248 3.5 "AlShabab" 250 4. Salafistische Bestrebungen 251 5. Nutzung des Internets 255 6. Übersicht ausgewählter Veröffentlichungen im Internet mit Deutschlandbezug im Jahr 2011 261 7. Übersicht ausgewählter islamistischterroristischer Anschläge 270 III. Islamismus 273 1. Arabischer Ursprung 273 1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") 273 1.2 "Hizb utTahrir" (HuT - "Partei der Befreiung") 276 1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" ("Harakat alMuqawama alIslamiya" - HAMAS) 279 9 INHALTSVERZEICHNIS 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB - "Gama'at alIkhwan alMuslimin") 283 1.5 "Jama'at alAdl walIhsan" (JAI - "Gemeinschaft für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit") 289 2. Türkischer Ursprung 290 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 290 2.2 "Türkische Hizbullah" (TH) 304 3. Sonstige 306 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten 306 3.2 "Tablighi Jama'at" (TJ - "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") 307 3.3 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) 310 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) I. Überblick 316 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) 316 2. Organisationen und Personenpotenzial 319 II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 320 1. Gruppierungen aus dem kurdischen Spektrum 320 1.1 Überblick 320 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 321 1.2.1 Allgemeine Lage 322 1.2.2 Organisatorische Situation 326 1.2.3 "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." ("Yekitiya Komalen Kurd Li Elmanya" - YEKKOM) 327 1.2.4 "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" ("Partiya Jiyanen Azadiya Kurdistan" - PJAK) 330 1.2.5 Propaganda der PKK 332 1.2.5.1 Medienwesen 332 1.2.5.2 Demonstrationen und Großveranstaltungen 334 1.2.6 Aktivitäten der "Komalen Ciwan" 336 1.2.7 Rekrutierung junger Anhänger der PKK in Deutschland für die Guerilla 339 1.2.8 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten 340 1.2.9 Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK 342 2. Gruppierungen aus dem türkischen Spektrum 344 2.1 "Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront" (DHKPC) 345 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten" (TKP/ML) 351 2.3 "MarxistischLeninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 355 2.4 "Ülkücü"Bewegung 358 10 INHALTSVERZEICHNIS 3. "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) 364 4. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) 367 5. Gruppierungen aus dem indischen Spektrum 372 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick 376 II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 378 1. Nachrichten und Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 378 1.1 Politische Rolle der russischen Nachrichtendienste 378 1.2 Strukturen und Aufgaben 378 1.3 Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte 380 1.4 Methodische Vorgehensweise 382 1.4.1 Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste 383 1.4.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung 385 2. Nachrichten und Sicherheitsdienste der anderen Mitglieder der GUS 387 III. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 389 1. Entwicklung in der Volksrepublik China 389 2. Strukturen und Aufgaben der chinesischen Nachrichtendienste 390 3. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte 391 4. Methodische Vorgehensweisen 392 4.1 Informationsgewinnung in Deutschland 392 4.2 Bekämpfung der "Fünf Gifte" in Deutschland 393 4.3 Aktivitäten in China 395 IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten anderer Staaten 395 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 396 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien 398 3. Nachrichtendienste der Sozialistischen LibyschArabischen VolksDschamahirija 399 4. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea 401 V. Proliferation 404 VI. Elektronische Angriffe 407 VII. Wirtschaftsschutz 412 VIII. Festnahmen und Verurteilungen 414 11 INHALTSVERZEICHNIS Geheimschutz, Sabotageschutz I. Geheimschutz 416 II. Sabotageschutz 417 III. Verfahren 418 "Scientology-Organisation" (SO) 1. Grundlagen und Zielsetzung 422 2. Werbung in der Öffentlichkeit 429 Gesetzestext und Register Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) 432 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes 452 (Sicherheitsüberprüfungsgesetz SÜG) 452 Register 470 Registeranhang 490 12 Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 1. Bundesamt für Verfassungsschutz Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2011 betrug 186.555.559 Euro (2010: 174.306.125 Euro). Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte 2.701 (2010: 2.641) Bedienstete. 2. Militärischer Abschirmdienst Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2011 betrug 71.749.302 Euro (2010: 70.418.548,97 Euro). Der Militärische Abschirmdienst hatte 1.181 (2010: 1.180) Bedienstete. II. Weitere Strukturdaten Anfang 2012 waren von Bund und Ländern im Nachrichten dienstlichen Informationssystem (NADIS) 1.507.168 (Anfang 2011: 1.482.504) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 1.121.526 Eintragungen (74,4%, Anfang 2011: 72,8%) auf grund von Sicherheitsüberprüfungen oder Zuverlässigkeitsüber prüfungen nach den Bestimmungen des Luftsicherheitsgesetzes oder des Atomgesetzes. 13 14 Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität 15 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland gewährt den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl von Frei heitsrechten. Diese Rechte stehen als Grundrechte auch Personen zu, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ableh nen. Eine klare Grenze ist allerdings dort zu ziehen, wo deutlich erkennbar wird, dass sie dazu missbraucht werden, die freiheitli che demokratische Grundordnung zu untergraben und damit das Fundament dieser Freiheitsrechte zu beseitigen. Die leidvollen Erfahrungen mit dem Ende der Weimarer Republik haben dazu geführt, dass im Grundgesetz das Prinzip der wehr haften Demokratie verankert ist. Wehrhafte Dieses Prinzip ist durch drei Wesensmerkmale gekennzeichnet: Demokratie # Wertegebundenheit, d.h. der Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, # Abwehrbereitschaft, d.h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen, und # Verlagerung des Verfassungsschutzes in den Bereich der Vor feldaufklärung, d.h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Der Verfassungsschutz ist somit ein Frühwarnsystem der Demo kratie. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie findet in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes seinen deutlichen Ausdruck: # Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt, dass wesentliche Grundsätze der Verfassung - insbesondere der Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG, und die in Art. 20 GG enthaltenen Prin zipien der staatlichen Ordnung (Demokratie, Föderalismus, Rechts und Sozialstaatlichkeit) - unabänderlich und damit einer Änderung auch durch den Verfassungsgesetzgeber ent zogen sind. # Nach Art. 21 Abs. 2 GG können Parteien vom Bundesver fassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie darauf abzielen, die freiheitliche demokratische 16 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. # Art. 9 Abs. 2 GG bestimmt, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind (vgl. Kap. VI). # Nach Art. 18 GG kann das Bundesverfassungsgericht die Ver wirkung bestimmter Grundrechte aussprechen, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundord nung missbraucht werden. # Art. 73 Abs. 1 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 Satz 2 GG sind Grundlage für die Einrichtung und Tätigkeit der Ver fassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse Wesentliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes Aufgaben und der Länder ist nach dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschut zes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesver fassungsschutzgesetz - BVerfSchG) die Sammlung und Auswer tung von Informationen über # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bun des oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des BVerfSchG für eine fremde Macht, # Bestrebungen im Geltungsbereich des BVerfSchG, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorberei tungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # Bestrebungen im Geltungsbereich des BVerfSchG, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. 17 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE InformationsEinen erheblichen Teil ihrer Informationen gewinnen die Ver gewinnung fassungsschutzbehörden aus allgemein zugänglichen Quellen. Sofern dies nicht möglich oder nicht effektiv ist, dürfen sie sich im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch sogenannter nach richtendienstlicher Mittel zur Informationsbeschaffung bedienen. Hierzu gehören insbesondere der Einsatz von Vertrauensleuten, die Observation, Bild und Tonaufzeichnungen sowie die Überwa chung des Brief, Post und Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief, Post und Fernmeldege heimnisses (Artikel 10Gesetz - G 10). Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämp fung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungs gesetz) wurden die Befugnisse des Bundesamtes für Verfas sungsschutz (BfV) erweitert.1 U.a. werden dem BfV unter engen Voraussetzungen Auskunftsrechte gegenüber Finanzunterneh men, Luftfahrtunternehmen, Postdienstleistungsunternehmen sowie Telekommunikations und Teledienstleistern eingeräumt. Keine polizeilichen Den Verfassungsschutzbehörden stehen bei der Erfüllung ihrer Befugnisse Aufgaben keinerlei polizeiliche Befugnisse zu, d.h. sie dürfen insbesondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen. SicherheitsDarüber hinaus haben die Verfassungsschutzbehörden die Auf überprüfungen gabe, bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen mitzuwirken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Infor mationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen bzw. ihn sich verschaffen können oder die an sicherheitsempfind lichen Stellen von lebens oder verteidigungswichtigen Einrich tungen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Befugnisse des BfV bei dieser Mitwirkung sind im Gesetz über die Voraussetzun gen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) im Einzelnen geregelt. 1 Die Regelungen waren zunächst bis zum 10. Januar 2007 befristet, wurden aber durch das am 5. Januar 2007 in Kraft getretene "Terrorismusbekämpfungsergänzungs gesetz" um weitere fünf Jahre verlängert und entsprechen inhaltlich leicht modifi ziert den Ergebnissen einer zuvor durchgeführten Evaluierung. Mit dem Gesetz zur Änderung des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 7. Dezember 2011 wurden die durch diese Gesetzgebung geschaffenen Befugnisse bis zum 10. Januar 2016 verlän gert und einer Evaluierung durch die Bundesregierung unterzogen. 18 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Die Verfassungsschutzbehörden tragen in ihrem Zuständig Zusammenarbeit keitsbereich dazu bei, die innere Sicherheit der Bundesrepublik mit deutschen Deutschland zu gewährleisten. Sie arbeiten mit anderen Sicher Sicherheitsbehörden heitsbehörden, insbesondere den anderen Nachrichtendiensten des Bundes - dem für den Bereich der Bundeswehr zuständigen Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem mit Auslandsauf klärung befassten Bundesnachrichtendienst (BND) - sowie Poli zei und Strafverfolgungsbehörden auf gesetzlicher Grundlage vertrauensvoll und eng zusammen. Mit der Einrichtung einer gemeinsamen Antiterrordatei von Nachrichtendiensten und Poli zeibehörden des Bundes und der Länder im Frühjahr 2007 sowie der Möglichkeit zur Führung gemeinsamer Projektdateien wird die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gezielt unterstützt und der Informationsaustausch mithilfe einer verfahrensrecht lichen Vereinfachung des bereits nach geltenden Bestimmungen zulässigen Datenaustauschs weiter verbessert. Angesichts der stetig zunehmenden Internationalisierung der Internationale Bedrohungsphänomene steht das BfV darüber hinaus in intensi Zusammenarbeit vem Kontakt zu Partnerdiensten im Ausland. Das BfV arbeitet vor allem mit den Staaten der Europäischen Union (EU) sowie den USA und Kanada zusammen. Aufgrund des Aufklärungsbedürfnisses im Bereich des Internationalen Ter rorismus (Herkunftsländer, Reisebewegungen von Terroristen) erstreckt sich die Kooperation des BfV auch auf Staaten außerhalb der EU. Die Art der Kontakte mit ausländischen Nachrichten diensten ist quantitativ und qualitativ sehr unterschiedlich. Abgesehen von der anhaltenden Bedrohung durch den Interna tionalen Terrorismus sind auch Phänomenbereiche wie z.B. Proli feration, politischer Extremismus oder Cyberangriffe auf globaler Ebene Themen, zu denen ein Austausch mit Partnerdiensten im Ausland erfolgt. Bei der ganzheitlichen und strategischen Bekämpfung des inter nationalen Terrorismus gewinnt auch die multilaterale Zusam menarbeit in internationalen Gremien zunehmend an Bedeutung. Schwerpunkt dieser Form der Zusammenarbeit ist die Erstellung übergreifender Lagebilder und Analysen, um gemeinsam die Ursachen der Bedrohung zu erkennen, mögliche Entwicklungen aufzuzeigen und Gegenmaßnahmen zu erarbeiten. 19 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Das BfV ist u.a. in der Counter Terrorist Group (CTG) vertreten, einem Kooperationsforum europäischer Inlandsdienste außer halb der EUStrukturen. Die CTG unterhält Kontakte zum euro päischen Lagezentrum Joint Situation Center (SitCen) und unter stützt die Arbeit der EU bei der Terrorismusbekämpfung. Ein weiteres Gremium ist das Civilian Intelligence Committee (CIC) der NATO. In diesem Forum, in dem In und Auslandsdienste vertreten sind, werden insbesondere Bedrohungsanalysen und Berichte für die NATOBotschafter erstellt. III. Kontrolle des Verfassungsschutzes Bundesregierung Hinsichtlich der Tätigkeit des BfV unterliegt die Bundesregie rung der Kontrolle durch den Deutschen Bundestag, während die Fachaufsicht über das BfV durch das Bundesministerium des Parlamentarisches Innern ausgeübt wird. Zur Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrollgremium Kontrolle ist beim Deutschen Bundestag ein Kontrollgremium eingerichtet. Es ist von der Bundesregierung in regelmäßigen Abständen umfassend über die allgemeine Tätigkeit des BfV, des MAD und des BND, über Vorgänge von besonderer Bedeutung - und auf Verlangen auch über sonstige Vorgänge zu unterrichten (SS 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrich tendienstlicher Tätigkeit des Bundes - PKGrG). Das Parlamentari sche Kontrollgremium kann im Rahmen seines Rechts auf Kont rolle von Bundesregierung und BfV verlangen, Akten und andere Schriftstücke, gegebenenfalls auch im Original, herauszugeben und in Dateien gespeicherte Daten zu übermitteln. Ebenso kann es BfVAngehörige befragen oder von ihnen schriftliche Aus künfte einholen. Beschränkungen des Brief, Post und Fernmel degeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestellte unabhängige G 10-Kommission G 10Kommission grundsätzlich vor deren Vollzug auf ihre Zuläs sigkeit und Notwendigkeit überprüft. Gleiches gilt für die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz eingeräumten Auskunftsrechte, soweit sie gegenüber Postdienstleistungsunternehmen bzw. Tele kommunikations und Teledienstleistern geltend gemacht wer den (vgl. Kap. II). 20 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Sowohl das BVerfSchG als auch den Aufgabenbereich des BfV Bundesbeauftragter berührende spezialgesetzliche Regelungen, z.B. das Antiterror für den Datenschutz dateiengesetz oder das Ausländerzentralregistergesetz, enthalten und die Informazahlreiche datenschutzrechtliche Bestimmungen. Der BfDI unter tionsfreiheit (BfDI) zieht das BfV auf dieser Grundlage einer kontinuierlichen daten schutzrechtlichen Überprüfung. Das BfV ist gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag unent Auskunftsrecht geltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt wird (SS 15 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Auskunft unterbleibt nur dann, wenn einer der in SS 15 Abs. 2 BVerfSchG ausdrücklich bezeichne ten Verweigerungsgründe vorliegt. Maßnahmen des BfV, die nach Darstellung der Betroffenen diese Gerichte in ihren Rechten beeinträchtigen, unterliegen gerichtlicher Nach prüfung. IV. Verfassungsschutzbericht Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung Zweck des und Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrele Verfassungsschutzvante Bestrebungen. Er beruht auf den Erkenntnissen, die das BfV berichtes im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Lan desbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Der Verfassungsschutzbericht stellt keine abschließende Auf zählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusammen schlüsse dar, sondern unterrichtet über die wesentlichen, während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungsschutzrele vanten Entwicklungen und deren Bewertung. Dies entspricht der Erfüllung des im Bundesverfassungsschutzgesetz festgeschriebe nen Aufklärungsauftrags. Eine Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrele vante Bestrebungen ist in aller Regel geboten, wenn im Hinblick auf den betreffenden Personenzusammenschluss auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu 21 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE der Bewertung führen, dass dieser Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit zur Feststellung führt, dass es sich hierbei um eine extremistische Organisation handelt. Damit ist nicht die Feststellung verbunden, dass alle Mitglieder bzw. Anhänger extremistische Ziele verfolgen oder unterstützen. In den Zitaten sind eventuelle orthografische und grammatikali sche Fehler der Originaltexte nicht korrigiert. PersonenAlle Zahlenangaben zum Mitgliederpotenzial der im Bericht zusammenschlüsse genannten Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland und sind z.T. geschätzt und gerun det. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungs schutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern dieser Personenzu sammenschlüsse individuelle Erkenntnisse vorliegen. Dies folgt schon daraus, dass die Verfassungsschutzbehörden hauptsächlich einen Strukturbeobachtungsauftrag haben; umfassende perso nenbezogene Erkenntnisse zu allen Mitgliedern der beobachteten Personenzusammenschlüsse sind dafür nicht erforderlich. Berichterstattung Ausnahmsweise kann eine Berichterstattung im Verfassungs über "Verdachtsfälle" schutzbericht auch dann in Betracht kommen, wenn die im Hinblick auf einen Personenzusammenschluss vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte eine Bewertung als extremistisch noch nicht rechtfertigen. Unter Berücksichtigung der mit einer Nennung im Verfassungsschutzbericht einhergehenden Sank tionswirkung müssen in diesen Fällen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen, die aufgrund eines im konkreten Einzelfall hinzutre tenden besonderen Aufklärungsinteresses der Öffentlichkeit eine Berichterstattung erfordern. Soweit sich die Berichterstattung ausnahmsweise auf solche Ver dachtsfälle bezieht, sind diese - auch für den flüchtigen Leser erkennbar - im Text ausdrücklich als Verdachtsfall kenntlich gemacht. 22 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE V. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Aufgabe "Verfassungsschutz durch Aufklärung" wird auf Bun desebene gemeinsam vom Bundesministerium des Innern (BMI) und dem BfV, auf Länderebene von den Innenministerien und senaten bzw. den Landesbehörden für Verfassungsschutz wahr genommen. Das Hauptaugenmerk gilt dem Dialog mit den Bür gerinnen und Bürgern über die Aufgabenfelder des Verfassungs schutzes. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes bietet Informationen über seine Erkenntnisse an, die es jedermann ermöglichen sollen, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bil den, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Extremismus und Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind für den demokratischen Rechtsstaat eine stete Herausforderung. Die umfassende Bekämp fung aller Formen des politischen Extremismus ist daher ein wesentlicher Schwerpunkt der Innenpolitik und dient zugleich der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die Bundesregierung misst der präventiven und repressiven Aus einandersetzung mit diesen Erscheinungen eine gleichermaßen zentrale Bedeutung zu. Sie wird z.B. die entsprechenden Pro gramme gegen Rechts wie auch Linksextremismus fortführen. Intensive und öffentlichkeitswirksame Aufklärung zum Themen feld Extremismus betreibt auch die Bundeszentrale für politische Bildung (BpB). Die BpB stellt z.B. im Rahmen ihres Internetange bots thematische OnlineDossiers zu den Bereichen Rechts und Linksextremismus, Antisemitismus sowie Islamismus zur Ver fügung. Im Zusammenhang der Stärkung der Zivilgesellschaft ist auch das vom Bundesministerium des Innern und dem Bundesminis terium der Justiz am 23. Mai 2000 gegründete "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt" zu nennen. Seine Geschäftsstelle wurde im Jahr 2011 in die BpB integriert, um Synergieeffekte zu erzielen und sicherzustellen, dass somit die Ziele des Bündnisses zukünftig noch besser verwirklicht wer den können. Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, zivilgesellschaftliches Engagement für Demokratie und Toleranz 23 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE bekannt zu machen und öffentlich zu würdigen (siehe im Internet unter www.buendnistoleranz.de). Ein weiteres Gremium zur Auseinandersetzung mit Fremden feindlichkeit, Rassismus und Gewalt ist das "Forum gegen Ras sismus", das sich im März 1998 konstituiert hat. Es umfasst rund 80 Organisationen und staatliche Stellen, darunter 55 bundes weit bzw. überregional tätige Nichtregierungsorganisationen. Das Forum bietet seinen Teilnehmern eine Plattform für den Dialog über Fragen, die für die Bekämpfung von Rassismus wichtig sind. Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne nachhaltige geistigpolitische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden. Eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes stellt daher auch die fundierte Aufklärung und Informationsvermittlung über Art und Umfang extremistischer Bestrebungen dar. Das BfV informierte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit seinen drei Wanderausstellungen bei zahlreichen Ausstellungs und Messeterminen, mit seinem Internetangebot, Publikationen sowie der Beantwortung vielfältiger Bürgeranfragen über aktuelle Entwicklungen in den einzelnen Arbeitsfeldern. Das Interesse an den Wanderausstellungen des BfV war auch im Jahr 2011 ungebrochen groß. Insgesamt besuchten annähernd 92.000 Personen die bundesweit 26mal präsentierten BfVAus stellungen. Auch auf der Bildungsmesse "didacta" in Stuttgart (BadenWürttemberg) war das BfV mit einem Stand vertreten. Die Rechtsextremismusausstellung "DIE BRAUNE FALLE - Eine rechtsextremistische 'Karriere'" wurde in sechs Bundesländern an neun Terminen gezeigt. Das BfV präsentierte die Ausstellung "Es betrifft Dich! Demokratie schützen - Gegen Extremismus in Deutschland" zehnmal in fünf verschiedenen Bundesländern. Die Ausstellung "Die missbrauchte Religion - Islamisten in Deutsch land" wurde achtmal in fünf Bundesländern gezeigt. Die Ausstellungen und Messestände wurden vor Ort von Verfas sungsschutzmitarbeitern betreut. Neben zahlreichen Einzelbesu chern nutzten hauptsächlich Schulklassen dieses Informations angebot. 24 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Über seine Pressestelle steht das BfV allen Medienvertretern aus dem In und Ausland jederzeit als Gesprächspartner zur Verfü gung. Im Bereich Wirtschaftsschutz intensivierte das BfV die Maßnah Prävention durch men zur Förderung des individuellen Sicherheitsbewusstseins Information ("Security Awareness"). Es erfolgten verstärkt Sensibilisierungs im Bereich vorträge und Informationsgespräche, sowohl bei deutschen Wirt Wirtschaftsschutz schaftsverbänden als auch in einzelnen Branchen. Begleitet wurden diese Aktivitäten durch die Veröffentlichung von themenbezogenen Faltblättern und Broschüren, umfangrei chen Informationsangeboten auf der Homepage des BfV und die Herausgabe eines Newsletters (vgl. Spionage und sonstige nach richtendienstliche Aktivitäten, Kap. VII). Auch im Bereich Proliferation hielten Mitarbeiter des BfV Vor Prävention im träge im Rahmen von Sensibilisierungsmaßnahmen. Sowohl Bereich Proliferation Industrie als auch Bildungs und Forschungseinrichtungen wur den über die Proliferationsthematik und die Risiken für die Betroffenen in Deutschland - z.B. Reputationsverlust, wirtschaft liche Einbußen - informiert und sensibilisiert. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen haben die Verfassungs schutzbehörden die Broschüre "Proliferation - Wir haben Ver antwortung!" herausgegeben. Sie ist ebenfalls auf der Website des BfV abrufbar (vgl. Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten, Kap. V). Das Internetangebot des BfV ist ein wichtiges Instrument zur Informationsportal Information der Öffentlichkeit und wird täglich von mehr als 2.300 Nutzern aufgerufen. Auf der Homepage finden sich Ausfüh rungen zu allen Tätigkeitsbereichen des Verfassungsschutzes. Sie werden durch aktuelle Hinweise, u.a. auf die Wanderausstellun gen und die Publikationen aller Verfassungsschutzbehörden aus Bund und Ländern ergänzt. 25 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Ansprechpartner In allen Fragen des Verfassungsschutzes steht das Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstraße 100 50765 Köln Telefon: 0221/7920 oder 030187920 Telefax: 0221/7922915 oder 03018107922915 E-Mail: poststelle@bfv.bund.de als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Für Hinweise auf Planungen und Tatvorbereitungen im Zusam menhang mit dem islamistischen Terrorismus hat das BfV ein vertrauliches Hinweistelefon eingerichtet. Es steht unter Telefon: 02217923366 oder 030187920 E-Mail: HiT@bfv.bund.de jederzeit zur Verfügung. Seit dem 19. Juli 2010 bietet das BfV für Menschen, die sich aus einem Umfeld lösen möchten, in dem ein fanatischer, die Anwen dung von Gewalt befürwortender Islam gepredigt und gelebt wird, ein Aussteigerprogramm an. Das Aussteigerprogramm HATIF (Akronym für "Heraus aus Terrorismus und islamisti schem Fanatismus" und arabisches Wort für "Telefon") sorgt für individuelle Beratung und konkrete Unterstützung von Ausstiegs willigen. Eine Kontaktaufnahme ist jederzeit möglich unter Telefon: 02217926999 oder 030187920 E-Mail: HATIF@bfv.bund.de Für Ausstiegswillige aus dem Rechtsextremismus existiert ein spe zielles Aussteigerprogramm des BfV. Experten des Verfassungs schutzes beraten und betreuen Ausstiegswillige jederzeit unter Telefon: 022179262 oder 030187920 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de 26 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Seit dem 6. Oktober 2011 stellt das BfV für alle Angehörigen der linksextremistischen Szene ein spezielles Aussteigerprogramm bereit, das dem Hilfesuchenden eine Vielzahl individueller und unterstützender Maßnahmen anbietet. Eine Kontaktaufnahme ist jederzeit möglich unter Telefon: 02217926600 oder 030187920 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de Im Internet ist das Bundesamt für Verfassungsschutz unter www.verfassungsschutz.de erreichbar. 27 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE VI. Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI im Zeitraum von Januar 1990 bis Dezember 2011 (in chronologischer Reihenfolge) Maßnahmen gegen extremistische Bestrebungen in den Phäno menbereichen Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Nationalistische 26.11.1992 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts Front" (NF) die verfassungs bar extremismus mäßige Ordnung gerichtet "Deutsche 08.12.1992 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts Alternative" (DA) die verfassungs bar extremismus mäßige Ordnung gerichtet "Nationale 21.12.1992 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts Offensive" (NO) die verfassungs bar extremismus mäßige Ordnung gerichtet "Arbeiterpartei 22.11.1993 - Strafgesetzwidrig Unanfecht Ausländer Kurdistans" (PKK)/ keit, Gefährdung bar extremismus "Nationale Befreider inneren ungsfront Kurdistans" Sicherheit und (ERNK) und Teilorga öffentlichen nisationen, Ordnung sowie "Föderation der patriaußenpolitischer otischen Arbeiterund Belange Kulturvereinigungen Deutschlands aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FEYKA-Kurdistan), "Kurdistan-Komitee e.V." 28 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Wiking-Jugend e.V." 10.11.1994 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts (WJ) die verfassungs bar extremismus mäßige Ordnung gerichtet "Kurdistan Informa20.02.1995 - Ersatzorganisation Unanfecht Ausländer tionsbüro" (KIB) des rechtskräftig bar extremismus alias "Kurdistan verbotenen Informationsbüro in "Kurdistan Komitee Deutschland" e. V." "Freiheitliche 22.02.1995 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts Deutsche Arbeiterdie verfassungs bar extremismus partei" (FAP) mäßige Ordnung gerichtet "Revolutionäre 06.08.1998 - Strafgesetzwidrigkeit Unanfecht Ausländer Volksbefreiungsund Gefährdung der bar extremismus partei-Front" inneren Sicherheit (DHKP-C) - Ersatzorganisation der am 9. Februar 1983 rechtskräftig verbotenen "Revo lutionären Linke" (Devrimci Sol) "Türkische Volks06.08.1998 - Strafgesetzwidrigkeit Unanfecht Ausländer befreiungspartei/und Gefährdung der bar extremismus Front" (THKP/-C) inneren Sicherheit "Blood & Honour" 12.09.2000 - Vereinszweck Unanfecht Rechts (B&H) mit gerichtet gegen bar extremismus "White Youth" - die verfassungs mäßige Ordnung - den Gedanken der Völkerverstän digung 29 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Kalifatsstaat" 08.12.2001/ - Vereinszweck Unanfecht Islamis und 35 Teil 14.12.2001/ gerichtet gegen bar mus/isla organisationen 13.05.2002/ - die verfassungs mistischer 16.09.2002 mäßige Ordnung Terrorismus - den Gedanken der Völkerverstän digung - Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele "Al-Aqsa e.V." 31.07.2002 - Verstoß gegen Unanfecht Islamis den Gedanken der bar mus/isla Völkerverständi mistischer gung (finanzielle Terrorismus Unterstützung der HAMAS und ihrer sogenannten Sozial vereine) "Hizb ut-Tahrir" (HuT) 10.01.2003 - Verstoß gegen den Unanfecht Islamis Gedanken der bar mus/isla Völkerverständigung mistischer - Befürwortung von Terrorismus Gewalt zur Durch setzung politischer Belange "Yeni Akit GmbH" 22.02.2005 - Leugnung und Unanfecht Islamis Verlegerin der Verharmlosung des bar mus/isla EuropaAusgabe der Holocausts in volks mistischer türkischsprachigen verhetzender Weise Terrorismus Tageszeitung - Verbreitung "Anadoluda Vakit" antisemitischer/ antiwestlicher Propaganda 30 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Bremer Hilfswerk Selbstauf BMI hatte Islamis e.V." lösung mit am mus/isla Wirkung vom 3. Dezem mistischer 18.01.2005; ber 2004 ein Terrorismus Löschung vereins im Vereins rechtliches register am Ermittlungs 29.06.2005 verfahren mit dem Ziel eines Ver bots gegen das "Bremer Hilfswerk e.V." einge leitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflö sung zuvor gekommen. "YATIM-Kinderhilfe 30.08.2005 - Nachfolgeorganisa Unanfecht Islamis e.V." tion des rechtskräf bar mus/isla tig verbotenen mistischer "alAqsa e.V." Terrorismus "Collegium 18.04.2008 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts Humanum" (CH) die verfassungs bar extremismus mit "Bauernhilfe e.V." mäßige Ordnung gerichtet - Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze 31 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Verein zur 18.04.2008 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts Rehabilitierung der die verfassungs bar extremismus wegen Bestreitens des mäßige Ordnung Holocaust gerichtet Verfolgten" (VRBHV) - Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Mesopotamia 13.06.2008 - Strafgesetzwidrigkeit Anhängig Ausländer Broadcast A/S", - Verstoß gegen den beim extremismus "Roj TV A/S" Gedanken der BVerwG Völkerverständigung "VIKO Fernseh 13.06.2008 - Teilorganisation von Unanfecht Produktion GmbH" "Roj TV A/S" bar "Al-Manar TV" 29.10.2008 - Verstoß gegen den Unanfecht Islamis Gedanken der bar mus/isla Völkerverständigung mistischer Terrorismus "Heimattreue 09.03.2009 - Vereinszweck gegen Unanfecht Rechts Deutsche Jugend - die verfassungs bar extremismus Bund zum Schutz für mäßige Ordnung Umwelt, Mitwelt und gerichtet Heimat e.V." (HDJ) - Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze - Ideologische Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen mit nationalsozialisti schem Gedankengut "Internationale 23.06.2010 - Verstoß gegen den Unanfecht Islamis Humanitäre HilfsorGedanken der bar mus/isla ganisation e.V." (IHH) Völkerverständigung mistischer Terrorismus 32 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Hilfsorganisation für 30.08.2011 - Vereinszweck gegen Anhän Rechts nationale politische die verfassungs gig beim extremismus Gefangene und deren mäßige Ordnung BVerwG Angehörige e.V." gerichtet (HNG) - Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze 33 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innen minister und senatoren des Bundes und der Länder (IMK) zum 1. Januar 2001 eingeführt. Danach werden als politisch motivierte Kriminalität bezeichnet und erfasst: 1. Alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festge stellt werden kann. Als solche klassischen Staatsschutzdelikte gelten die folgenden Straftatbestände: SSSS 8083, 8486a, 8791, 94100a, 102104a, 105108e, 109109h, 129a, 129b, 234a oder 241a des Strafgesetzbuches (StGB). 2. Im Übrigen aber auch Straftaten, die ebenso in der Allgemein kriminalität begangen werden können (wie z.B. Tötungs und Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsde likte, Sachbeschädigungen), jedoch nur, wenn in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind, weil sie # den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Ent scheidungen richten, # sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, # durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vor bereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesre publik Deutschland gefährden, # sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen 34 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten (sogenannte Hasskriminalität); dazu zählen auch Taten, die nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt werden. Die erfassten Sachverhalte werden im Rahmen einer mehrdi mensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Hierbei werden insbesondere Feststellungen zur Qua lität des Delikts, zur objektiven thematischen Zuordnung der Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zur möglichen internationalen Dimension der Tat und zu einer gegebenenfalls zu verzeichnen den extremistischen Ausprägung der Tat getroffen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Bereich der Gewaltdelikte erwei tert und bundeseinheitlich festgelegt. Die differenzierte Darstellung ermöglicht eine konkret bedarfs orientierte Auswertung der Daten und bildet damit die Grundlage für den zielgerichteten Einsatz geeigneter repressiver und präven tiver Bekämpfungsmaßnahmen. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den poli tisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). II. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das BKA registrierte für das Jahr 2011 insgesamt 30.216 (2010: 27.180) politisch motivierte Straftaten. In dieser Zahl sind 12.771 (42,3%) Propagandadelikte enthalten (2010: 12.796 Delikte = 47,1%). 3.108 Delikte (10,3%) sind der politisch motivierten Gewalt kriminalität zuzuordnen (2010: 2.636 = 9,7%). Nach Phänomenbereichen unterschieden wurden 16.873 Politisch motivierte (2010: 16.375) Straftaten dem Bereich "Politisch motivierte Kri Straftaten nach minalität - rechts", 8.687 (2010: 6.898) dem Bereich "Politisch Phänomenbereichen motivierte Kriminalität - links" und 1.010 (2010: 917) dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" zugeordnet. Bei 3.646 (2010: 2.990) Straftaten konnte keine Zuordnung zu einem der o.g. Phänomenbereiche getroffen werden. 35 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Extremistisch Insgesamt wurden 21.610 Straftaten (71,5%) mit extremistischem motivierte Hintergrund ausgewiesen (2010: 20.811 = 76,6%), davon 16.142 Straftaten (2010: 15.905) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts", 4.502 (2010: 3.747) aus dem Phänomenbe reich "Politisch motivierte Kriminalität - links" und 730 (2010: 790) aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminali tät". 236 (2010: 369) Straftaten deuten aufgrund der Tatumstände auf einen extremistischen Hintergrund hin, diese wurden ohne Zuordnung zu einem Phänomenbereich gemeldet. III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 1. Rechtsextremistisch motivierte Straftaten 1.1 Überblick Anstieg der Rechtsextremistisch motivierte Straftaten bilden eine Teilmenge rechtsextremistischen des Phänomenbereichs "Politisch motivierte Kriminalität - rechts". Kriminalität Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" wurden 16.873 (2010: 16.375) Straftaten, hiervon 11.475 (2010: 11.401) Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB und 828 (2010: 806) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Phänomenbereich wurden 16.142 (2010: 15.905) Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, darunter 755 (2010: 762) Gewalttaten erfasst. Damit stieg die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten um 1,5%, die der Gewalttaten sank um knapp 1%. Der Anteil der Gewalttaten an der Gesamtzahl der rechtsextremistisch moti vierten Straftaten beträgt 4,7% (2010: 4,8%). Bei gleichbleibend 80,6% (2010: 80,6%) aller rechtsextremistisch motivierten Straftaten handelte es sich entweder um Propagandadelikte (11.401 Taten, 2010: 11.384) oder um Fälle von Volksverhetzung (1.605 Taten, 2010: 1.433). Insgesamt wurden 217 Delikte (2010: 275) im The menfeld "Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeint liche Linksextremisten" und 61 Delikte (2010: 42) im Themenfeld "Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner" ausgewiesen. 36 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Straftaten mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund * Gewalttaten: 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 6 5 Körperverletzungen 638 640 Brandstiftungen 29 20 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 0 Landfriedensbruch 25 27 Gefährliche Eingriffe in den Bahn, Luft, Schiffs und Straßenverkehr 4 6 Freiheitsberaubung 0 2 Raub 7 12 Erpressung 3 4 Widerstandsdelikte 48 39 Sexualdelikte 0 0 gesamt 762 755 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 1.335 1.377 Nötigung/Bedrohung 127 128 Propagandadelikte 11.384 11.401 Störung der Totenruhe 18 17 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung 2.279 2.464 gesamt 15.143 15.387 Straftaten insgesamt 15.905 16.142 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 37 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2 Zielrichtungen der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten Mit 350 Delikten wiesen rund 46,4% (2010: 37,4%) der rechtsex tremistisch motivierten Gewalttaten einen fremdenfeindlichen Hintergrund auf. Damit stieg die Zahl gegenüber dem Vorjahr (2010: 285) um 22,8% und erreichte wieder das Niveau des Jahres 2009 (351 = 39,4%). 217 (28,7%) Gewaltdelikte (2010: 275 = 36,1%) richteten sich gegen (mutmaßliche) Linksextremisten. Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * Zielrichtungen Gesamt Fremdenfeindliche Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner Antisemitische Gewalttaten 800 762 755 700 600 500 400 350 300 285 275 217 200 100 61 42 29 22 0 01.01.-31.12.2010 01.01.-31.12.2011 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. 38 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2.1 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund * 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 3 Körperverletzungen 263 326 Brandstiftungen 12 7 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 5 1 Gefährliche Eingriffe in den Bahn, Luft, Schiffs und Straßenverkehr 1 0 Freiheitsberaubung 0 2 Raub 1 5 Erpressung 0 3 Widerstandsdelikte 1 3 Sexualdelikte 0 0 Fremdenfeindliche Gewalttaten insgesamt 285 350 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.2.2 Rechtsextremistisch motivierte Straftaten mit antisemitischem Hintergrund Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten mit anti semitischem Hintergrund bewegte sich im Jahr 2011 mit insge samt 1.162 Taten nahezu auf dem Niveau des Vorjahres (1.166). Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten mit antisemitischem Hintergrund fiel von 29 (2010) auf 22. Insgesamt wiesen 2,9% (2010: 3,8%) aller rechtsextremistisch motivierten Gewaltdelikte einen antisemitischen Hintergrund auf.2 2 Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 39 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten * 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 3 2 Körperverletzungen 232 178 Brandstiftungen 14 7 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Landfriedensbruch 12 19 Gefährliche Eingriffe in den Bahn, Luft, Schiffs und Straßenverkehr 2 2 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 4 6 Erpressung 2 1 Widerstandsdelikte 5 2 gesamt 275 217 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten rechtsextremistisch moti vierten Gewalttaten ereigneten sich mit 180 registrierten Delikten in NordrheinWestfalen, das allerdings bezogen auf je 100.000 Einwohner im mittleren Feld der Statistik liegt. Danach folgen Sachsen (84; bezogen auf die Einwohnerzahl an dritter Stelle) und Niedersachsen (84; bezogen auf die Einwohnerzahl an achter Stelle), SachsenAnhalt (63, bezogen auf die Einwohnerzahl an erster Stelle), Bayern (57, bezogen auf die Einwohnerzahl an dritt letzter Stelle) sowie Berlin (42; bezogen auf die Einwohnerzahl an sechster Stelle) und MecklenburgVorpommern (37; bezogen auf die Einwohnerzahl an zweiter Stelle). 40 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * in den Ländern 01.01.-31.12.2011 01.01.-31.12.2010 180 NordrheinWestfalen 149 84 Sachsen 98 84 Niedersachsen 80 63 SachsenAnhalt 67 57 Bayern 58 42 Berlin 22 Mecklenburg 37 Vorpommern 29 36 Brandenburg 66 35 BadenWürttemberg 39 34 Thüringen 44 31 RheinlandPfalz 20 27 SchleswigHolstein 37 21 Hamburg 21 12 Hessen 20 6 Saarland 7 6 Bremen 5 0 30 60 90 120 150 180 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 41 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * je 100.000 Einwohner in den Ländern 01.01.-31.12.2011 01.01.-31.12.2010 2,70 SachsenAnhalt 2,84 Mecklenburg 2,25 Vorpommern 1,76 2,02 Sachsen 2,35 1,52 Thüringen 1,96 1,44 Brandenburg 2,63 1,21 Berlin 0,64 1,18 Hamburg 1,18 1,06 Niedersachsen 1,01 1,01 NordrheinWestfalen 0,83 0,95 SchleswigHolstein 1,31 0,91 Bremen 0,76 0,77 RheinlandPfalz 0,50 0,59 Saarland 0,68 0,45 Bayern 0,46 0,33 BadenWürttemberg 0,36 0,20 Hessen 0,33 0 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen (Stichtag: 31.12.2010) der Länder. 42 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 2. Linksextremistisch motivierte Straftaten 2.1 Überblick Linksextremistisch motivierte Straftaten bilden eine Teilmenge Anstieg der des Phänomenbereichs "Politisch motivierte Kriminalität - links". linksextremistischen Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" Kriminalität wurden 8.687 (2010: 6.898) Straftaten, hiervon 1.809 (2010: 1.377) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 4.502 (2010: 3.747) Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund, darunter 1.157 (2010: 944) Gewalttaten, erfasst. Damit stieg die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten um 20,1%, die der Gewalttaten um 22,6% an. Somit wurden im Jahr 2011 die höchsten Fallzahlen linksextre mistisch motivierter Gewalttaten seit der Einführung des gelten den Definitionssystems "Politisch motivierte Kriminalität" im Jahr 2001 erreicht. 43 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Linksextremistisch motivierte Straftaten * Gewalttaten: 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 4 3 Körperverletzungen 541 583 Brandstiftungen 81 82 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 5 6 Landfriedensbruch 148 272 Gefährliche Eingriffe in den Bahn, Luft, Schiffs und Straßenverkehr 34 59 Freiheitsberaubung 0 1 Raub 15 13 Erpressung 4 3 Widerstandsdelikte 112 135 gesamt 944 1.157 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 1.640 1.889 Nötigung/Bedrohung 62 40 Andere Straftaten 1.101 1.416 gesamt 2.803 3.345 Straftaten insgesamt 3.747 4.502 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 2.2 Zielrichtungen der linksextremistisch motivierten Gewalttaten Von den linksextremistisch motivierten Gewalttaten wurden 700 Fälle (2010: 455) im Themenfeld "Gewalttaten gegen die Poli zei/Sicherheitsbehörden", 546 (2010: 443) im Themenfeld "Gewalt taten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechts extremisten" und 122 Gewalttaten (2010: 23) im Themenfeld "Kampagne gegen Umstrukturierung" ausgewiesen. 44 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * Zielrichtungen Gesamt Gewalttaten gegen die Polizei/Sicherheitsbehörden Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Kampagne gegen Umstrukturierung 1.200 1.157 1.000 944 800 700 600 546 455 443 400 200 122 23 0 01.01.-31.12.2010 01.01.-31.12.2011 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. Da die erfassten Sachverhalte im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter ver schiedenen Gesichtspunkten bewertet werden, können Gewalttaten unter mehreren Zielrichtungen subsumiert sein. 45 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten * 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 0 Körperverletzungen 308 322 Brandstiftungen 18 27 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Landfriedensbruch 63 130 Gefährliche Eingriffe in den Bahn, Luft, Schiffs und Straßenverkehr 7 21 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 14 8 Erpressung 4 3 Widerstandsdelikte 27 35 gesamt 443 546 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten linksextremistisch motivier ten Gewalttaten ereigneten sich mit 202 registrierten Delikten in Sachsen, das bezogen auf je 100.000 Einwohner an zweiter Stelle liegt. Danach folgen - in absoluten Zahlen NordrheinWestfalen (192; bezogen auf die Einwohnerzahl an achter Stelle) und Niedersachsen (170, bezogen auf die Einwohnerzahl an sechster Stelle). 46 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * in den Ländern 01.01.-31.12.2011 01.01.-31.12.2010 202 Sachsen 128 192 NordrheinWestfalen 152 170 Niedersachsen 109 156 Berlin 81 88 BadenWürttemberg 74 79 Bremen 24 57 Bayern 172 48 Hamburg 27 43 SchleswigHolstein 64 Mecklenburg 39 Vorpommern 24 29 Hessen 14 25 Brandenburg 30 23 SachsenAnhalt 37 3 RheinlandPfalz 4 2 Saarland 2 1 Thüringen 2 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 47 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * je 100.000 Einwohner in den Ländern 01.01.-31.12.2011 01.01.-31.12.2010 11,96 Bremen 3,63 4,87 Sachsen 3,07 4,51 Berlin 2,35 2,69 Hamburg 1,52 Mecklenburg 2,37 Vorpommern 1,45 2,15 Niedersachsen 1,37 1,52 SchleswigHolstein 2,26 1,08 NordrheinWestfalen 0,85 1,00 Brandenburg 1,19 0,99 SachsenAnhalt 1,57 0,82 BadenWürttemberg 0,69 0,48 Hessen 0,23 0,45 Bayern 1,37 0,20 Saarland 0,20 0,07 RheinlandPfalz 0,10 0,04 Thüringen 0,09 0 2,0 4,0 6,0 8,0 10,0 12,0 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen (Stichtag: 31.12.2010) der Länder. 48 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 3.1 Überblick Der Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkrimi nalität" umfasst auch die Teilmenge der politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Dem Phänomen bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" wurden 1.010 (2010: 917) Straftaten, hiervon 256 (2010: 153) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 730 (2010: 790) Strafta ten mit extremistischem Hintergrund, darunter 191 (2010: 130) Gewalttaten erfasst. Damit sank die Zahl der Straftaten im Bereich "Politisch motivier ter Ausländerkriminalität" mit extremistischem Hintergrund um 7,6%. Die Zahl der Gewalttaten in diesem Bereich stieg hingegen um 46,9% an. 49 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" * Gewalttaten: 2010 2011 Tötungsdelikte 0 1 Versuchte Tötungsdelikte 2 2 Körperverletzungen 77 109 Brandstiftungen 7 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 1 Landfriedensbruch 31 48 Gefährliche Eingriffe in den Bahn, Luft, Schiffs und Straßenverkehr 1 2 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 1 5 Erpressung 3 5 Widerstandsdelikte 5 14 Sexualdelikte 0 0 gesamt 130 191 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 119 102 Nötigung/Bedrohung 10 23 Andere Straftaten 531 414 gesamt 660 539 Straftaten insgesamt 790 730 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Köperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die meisten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" ereig neten sich mit 69 registrierten Delikten in NordrheinWestfalen. Danach folgen Berlin (52) und BadenWürttemberg (38). 50 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" * in den Ländern 01.01.-31.12.2011 01.01.-31.12.2010 69 NordrheinWestfalen 25 52 Berlin 14 38 BadenWürttemberg 51 12 Bayern 5 8 Bremen 3 8 Hessen 1 2 SchleswigHolstein 1 1 Hamburg 1 1 Saarland 0 0 Niedersachsen 26 0 Sachsen 1 0 SachsenAnhalt 1 0 Thüringen 1 0 Brandenburg 0 Mecklenburg 0 Vorpommern 0 0 RheinlandPfalz 0 0 10 20 30 40 50 60 70 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 51 52 Rechtsextremismus 53 Rechtsextremismus I. Überblick 1. Ideologie Kein ideologisch Der Rechtsextremismus stellt in Deutschland kein ideologisch einheitliches einheitliches Gefüge dar, sondern tritt in verschiedenen Aus Gefüge des prägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Rechtsextremismus Ideologieelemente und unterschiedlichen, sich daraus herlei in Deutschland tenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Wertever ständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grund gesetz, welches die Würde des Menschen in den Mittelpunkt stellt. Autoritärer Staat Neben diesen Ideologiefragmenten verbindet Rechtsextremisten und "Volksgemeinin aller Regel zudem ihr autoritäres Staatsverständnis, in dem der schafts"-Ideologie Staat und das - nach ihrer Vorstellung ethnisch homogene - Volk als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der "Volksgemeinschaft" sollen die staat lichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, fehlen. Struktur des Zum rechtsextremistischen Spektrum zählen hauptsächlich sub Spektrums kulturell geprägte Rechtsextremisten, Neonazis einschließlich der "Autonomen Nationalisten" sowie die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD). 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus Strafund Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten ist leicht Gewalttaten angestiegen, wenngleich ein Rückgang des Gewalttatenaufkom mens festgestellt werden kann (vgl. Politisch motivierte Krimina lität - PMK, Kap. III, Nr. 1). 54 RECHTSEXTREMISMUS Das rechtsextremistische Personenpotenzial ist 2011 erneut Rückgang des rechtsgesunken. Grund hierfür sind insbesondere die anhaltenden extremistischen erheblichen Mitgliederverluste der "Deutschen Volksunion" Personenpotenzials (DVU, vgl. Kap. III, Nr. 2). Zudem setzte sich die strukturelle Verschiebung innerhalb der Strukturelle rechtsextremistischen Subkulturen und im Verhältnis zu der neo Veränderungen in nazistischen Szene fort (vgl. Kap. II, Nr. 3.1). Dies bildet sich auch der subkulturell in einer Verschiebung innerhalb der Personenpotenziale ab. geprägten Szene setzten sich fort Im November 2011 wurde die Existenz der rechtsterroristischen "NationalsozialisGruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannt. tischer Untergrund" Die von ihr verübte Mordserie stellt einen neuen Höhepunkt (NSU) rechtsextremistischer bzw. rechtsterroristischer Gewalt dar. Die dreizehn Jahre im Untergrund lebende Gruppe ermordete gezielt mindestens zehn Einzelpersonen, ohne mit Selbstbezichtigungen in Erscheinung zu treten oder sonst eine rechtsextremistische Motivation der Gewalttaten erkennen zu lassen (vgl. Kap. II, Nr. 2.1). Vor dem Hintergrund einer stark durch Gewaltbereitschaft und Gewaltanwendung geprägten rechtsextremistischen Szene kön nen vergleichbare Radikalisierungsverläufe für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden. Auch eine Übernahme entsprechender Vorgehensweisen aus anderen Phänomenbereichen wäre vorstell bar. Im neonazistischen Spektrum nehmen die "Autonomen Neonazi-Szene - Nationalisten" eine bedeutende Stellung ein. Auch wenn 2011 Hohe Anziehungsein Rückgang des Personenpotenzials bei den "Autonomen kraft der "AutonoNationalisten" - bei gleichzeitigem Anstieg der Gesamtzahl der men Nationalisten" Neonazis - feststellbar war, prägen diese weiterhin das öffentliche Erscheinungsbild des Spektrums entscheidend mit, da sie über ein großes Mobilisierungspotenzial verfügen. Die Szene besteht überwiegend aus regionalen Gruppierungen mit losen Organisati onsstrukturen und geringen Mitgliederzahlen (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). Nach den für die NPD enttäuschenden Wahlresultaten im ersten NPD wählt neuen Halbjahr 2011 und dem verpassten, bereits als sicher geglaubten Bundesvorsitzenden Einzug in den Landtag von SachsenAnhalt brach eine erneute Debatte über die strategische Ausrichtung der Partei sowie um den Parteivorsitz aus. Beim 33. ordentlichen Bundesparteitag am 55 RECHTSEXTREMISMUS 12./13. November 2011 in Neuruppin (Brandenburg) unterlag der Amtsinhaber Udo Voigt deutlich gegen seinen Konkurrenten Holger Apfel (vgl. Kap. III, Nr. 1). Auflösungsprozess Der Anfang 2011 begonnene Rechtsstreit darüber, ob die Fusion der DVU dauert an mit der NPD und die daraus folgende Auflösung der DVU recht mäßig zustande gekommen ist, dauert an. Die Partei versinkt in Agonie (vgl. Kap. III, Nr. 2). Rechtsextremistische Ein zentrales Medium zur Verbreitung rechtsextremistischer Pro Verbreitungspaganda ist das Internet. Dieses dient zudem als szeneinternes strukturen Kommunikationsmittel und zur Vernetzung (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Rechtsextremistische Musik bleibt innerhalb der Szene von herausragender Bedeutung. In Liedtexten werden offen oder unterschwellig Feindbilder und Ideologiefragmente vermittelt. Die Musik dient als Mittel, insbesondere Jugendliche an die rechtsextremistische Szene heranzuführen und an sie zu binden (vgl. Kap. IV, Nr. 2). 3. Organisationen und Personenpotenzial Weiterer Rückgang Ende 2011 gab es in Deutschland 225 (2010: 219) rechtsextremis des rechtsextremistitische Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Die Zahl schen Personenihrer Mitglieder sowie der nichtorganisierten Rechtsextremisten potenzials in Deutschland liegt nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften mit insgesamt 22.400 Personen erneut unter der des Vorjahres (2010: 25.000). Anstieg Als gewaltbereit werden rechtsextremistische Gewalttäter und gewaltbereiter solche Rechtsextremisten bezeichnet, die sich deutlich für die Rechtsextremisten Anwendung von Gewalt aussprechen oder im Übrigen eine hohe Gewaltbereitschaft aufweisen. Dieses Personenpotenzial ist auf 9.800 (2010: 9.500) angestiegen (vgl. Kap. II, Nrn. 1 und 2). Zahl der Neonazis Neonazis konnten mit nunmehr 6.000 (2010: 5.600) Personen erneut angestiegen erneut einen deutlichen Anstieg verbuchen. Die Anzahl der "Autonomen Nationalisten", denen derzeit etwa 15% des neona zistischen Personenpotenzials zugerechnet werden, war demge genüber rückläufig (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). 56 RECHTSEXTREMISMUS Die Zahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten ist im Weiterer Rückgang Berichtszeitraum ein weiteres Mal gesunken und beträgt 7.600 bei subkulturell (2010: 8.300) Personen. geprägten Rechtsextremisten Die Mitgliederzahl der NPD ist mit 6.300 Personen (2010: 6.600) Mitgliederverluste weiter rückläufig, die Mitgliederzahl der DVU sank auf nunmehr bei NPD und DVU 1.000 (2010: 3.000) Personen. Die Zahl der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen ist mit 64 (2010: 63) nahezu gleich geblieben. Diesem Spektrum gehörten wie im Vorjahr rund 2.500 Personen an. Rechtsextremismuspotenzial1 2009 2010 2011 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 1 9.000 1 8.300 2 7.600 Neonazis2 132 5.000 153 5.600 157 6.000 in Parteien 2 11.300 2 9.600 2 7.300 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 6.800 6.600 6.300 "Deutsche Volksunion" (DVU) 4.500 3.000 1.000 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 60 2.500 63 2.500 64 2.500 Summe 195 27.800 219 26.000 225 23.400 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften3 26.600 25.000 22.400 davon gewaltbereite Rechtsextremisten4 9.500 9.800 1 Die Zahlen sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der NeonaziSzene. In der Zahl der Gruppen sind nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen enthalten, die ein gewisses Maß an Organisationsstruktur aufweisen. 3 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen (für das Jahr 2010: 1.000; für das Jahr 2011: 1.000). 4 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wurde die Zahl der gewaltbereiten Rechts extremisten 2010 erstmals gesondert ausgewiesen (vgl. Kap. II, Nrn. 1 und 2.2). 57 RECHTSEXTREMISMUS 4. Rechtsextremistische Kundgebungen Demonstrationen von Im Jahr 2011 fanden 167 neonazistische Demonstrationen statt. Neonazis Die Zahl der Veranstaltungen hat sich damit gegenüber dem Vorjahr (2010: 148) nochmals erhöht. Maßgeblich für den Anstieg waren insbesondere zwei Entwicklungen: Zum einen gewann innerhalb der neonazistischen Szene eine Aktionsform an Bedeu tung, mit der Neonazis unter der Bezeichnung "Die Unsterb lichen" mit nächtlichen, unangemeldeten Aufzügen in deutschen Innenstädten in Erscheinung treten. Zum anderen organisierten Rechtsextremisten im Vorfeld von Großveranstaltungen im Rah men sogenannter Aktionswochen zusätzliche Veranstaltungen. Themenschwerpunkte waren die Agitation gegen staatliche Repression und den "politischen Gegner", Islamfeindlichkeit, sozi ale und allgemeinpolitische Themen sowie die Bombardierungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg. Demonstrationen der Die Anzahl der von der NPD und ihrer Jugendorganisation "Junge NPD Nationaldemokraten" (JN) durchgeführten Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen ist mit 93 (2010: 92) konstant geblie ben. Die weiterhin hohe Zahl der rechtsextremistischen Veranstal tungen belegt die anhaltende Mobilisierungs und Aktionsbereit schaft der Szene. Teilnehmerstärkste Die bereits aus den Vorjahren bekannte Tendenz zu kleineren Veranstaltungen regionalen Demonstrationen ohne vorherige Anmeldung hält an. Auf diese Weise versucht die Szene, Gegenveranstaltungen und Blockaden entgegenzuwirken. Gleichwohl bemühten sich Rechts extremisten auch 2011, größere Aufmärsche mit über 1.000 Teil nehmern zu organisieren, um ihre Bedeutung und Mobilisierungs kraft unter Beweis zu stellen. Diese Veranstaltungen besitzen für die Szene eine große Signalwirkung und werden von Organisato ren und Teilnehmern als besonderer Erfolg gewertet. Von den am stärksten besuchten rechtsextremistischen Veranstal tungen im Jahr 2011, die allesamt im neonazistischen Spektrum anzusiedeln waren, sind insbesondere die folgenden zu erwähnen: # An dem seit 1999 alljährlich im Januar durchgeführten Trauer marsch anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der 58 RECHTSEXTREMISMUS Stadt Magdeburg (SachsenAnhalt) im Zweiten Weltkrieg nah men 1.300 (2010: 1.000) Rechtsextremisten teil. # Anlässlich des 66. Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden (Sachsen) im Zweiten Weltkrieg rief die rechtsextre mistische Szene zu drei Veranstaltungen am 19. Februar 2011 auf, an denen rund 3.000 (2010: 6.400) Rechtsextremisten - sowohl aus dem neonazistischen Spektrum, als auch aus der NPD, wie die Landesvorsitzenden von Sachsen und MecklenburgVorpommern, Holger Apfel und Udo Pastörs - teilnahmen. Unter den Demonstranten befanden sich auch etwa 1.000 gewaltbereite. # An einer Kundgebung zum "3. Tag der deutschen Zukunft" im Juni 2011 im niedersächsischen Peine beteiligten sich 1.000 (2010: 620) Rechtsextremisten. # Zum alljährlich im September organisierten "Nationalen Antikriegstag" in Dortmund (NordrheinWestfalen) konnten 800 (2010: 900) Rechtsextremisten mobilisiert werden. Als neue neonazistische Aktionsform, zu der über das Internet Neue Aktionsform: mobilisiert wird, haben sich im Jahr 2011 unangemeldete, meist "Die Unsterblichen" nächtliche Aufmärsche der "Unsterblichen" etabliert, zu denen sich bis zu 300 mit weißen Masken vermummte und mit Fackeln sowie Pyrotechnik ausgestattete Rechtsextremisten an einem im Vorfeld konspirativ abgesprochenen Ort trafen. Nach dem Entzünden der Leuchtmittel marschierten sie für einen kurzen Zeitraum durch städtische Wohngebiete und skandierten rechts extremistische Parolen. Professionell aufbereitete und im Internet mit entsprechenden "Erlebnisberichten" veröffentlichte Videos zu den Fackelmärschen suggerierten, es seien mehrere Hundert bis Tausend Rechtsextremisten für einen längeren Zeitraum unbehel ligt durch deutsche Innenstädte marschiert. Mit den Fackelmärschen der "Unsterblichen", die von Szene angehörigen meist auf regionaler Ebene durchgeführt wurden, hat sich die neonazistische Szene Demonstrationsmöglichkeiten jenseits angemeldeter, behördlich reglementierter Kundgebungen mit Gegendemonstrationen geschaffen. Der Propagierung dieser Aktionsform im Internet wird große Bedeutung beigemessen, da man hofft, hiermit insbesondere Jugendliche ansprechen zu können. 59 RECHTSEXTREMISMUS II. Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene 1. Personenpotenzial Das Personenpotenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten hat sich im Vergleich zum Vorjahr leicht erhöht und liegt nunmehr bei rund 9.800 Personen (2010: 9.500). Die Mehrzahl von ihnen gehört dem subkulturell geprägten rechtsextremistischen Skinhead, "National Socialist Hatecore" (NSHC) und "National Socialist BlackMetal" (NSBM)Spektrum an. Angehörige der neonazistischen Szene (vgl. Nr. 3.2) und des rechtsextremistischen Parteienspektrums (vgl. Kap. III) sind dabei berücksichtigt, sofern sie als Gewalttäter bekannt sind, sich deut lich für die Anwendung von Gewalt aussprechen oder eine hohe Gewaltbereitschaft, etwa bei Demonstrationen, zeigen. 2. Formen der Gewaltbereitschaft 2.1 Rechtsterrorismus/"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) "NationalsozialisIm November 2011 wurde die Existenz der rechtsterroristischen tischer Untergrund" Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannt. (NSU) Gegen die Mitglieder und Unterstützer der Gruppierung führt der Generalbundesanwalt (GBA) ein Ermittlungsverfahren wegen Bil dung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB. Nach bisherigen Erkenntnissen bildeten den Kern des NSU die drei Rechtsextremisten Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Im Zeitraum von 2000 bis 2006 verübten zumindest die beiden Männer insgesamt neun Morde an Kleingewerbetrei benden mit Migrationshintergrund im gesamten Bundesgebiet ("CeskaMordserie") und einen Mord bzw. Mordversuch an zwei Polizeibeamten in Heilbronn (BadenWürttemberg) im April 2007. Darüber hinaus werden die Mitglieder des NSU verdächtigt, zumindest für zwei Bombenanschläge 2001 und 2004 in Köln (NordrheinWestfalen) verantwortlich zu sein. Überdies werden 60 RECHTSEXTREMISMUS dem NSU neben diesen Taten mindestens 14 Banküberfälle sowie ein Überfall auf einen Lebensmitteldiscounter zur Last gelegt. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe waren seit den 1990er Jahren überwiegend in der thüringischen rechtsextremistischen Szene aktiv. Sie betätigten sich im "Thüringer Heimatschutz" (THS), einem Zusammenschluss neonazistischer Kameradschaften, dem seinerzeit rund 120 Personen angehörten. Böhnhardt war 1997 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt worden, nachdem er im Jahr zuvor einen Puppentorso mit einer Bombenattrappe und dem Schild "Jude" an einer Autobahnbrücke befestigt hatte. Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe standen zudem im Verdacht, Bombenattrappen an eine Zeitungsredaktion, eine Polizeidirektion und die Stadtverwaltung in Jena (Thüringen) verschickt zu haben. 1998 setzten sich die drei im Zuge von Durchsuchungsmaßnahmen der Polizei, bei denen vier funktionsfähige Rohrbomben und 1,4 kg Sprengstoff sichergestellt wurden, ab und entzogen sich den gegen sie ergangenen Haftbefehlen durch Flucht.3 Den Sicherheitsbehörden gelang es in den folgenden Jahren nicht, den Aufenthalt des Trios festzustellen oder ihm die Mordserie zuzuordnen. Erst im Zusammenhang mit einem Banküberfall in Eisenach (Thüringen) im November 2011, in dessen Nachgang sich Böhnhardt und Mundlos gegenseitig bzw. selbst erschossen, gelangten die Rechtsextremisten wieder in den Blick der Öffentlichkeit bzw. der Sicherheitsbehörden. Zschäpe, die mutmaßlich die Wohnung der NSU-Mitglieder in Zwickau (Sachsen) zur Explosion gebracht hatte, stellte sich mehrere Tage nach dem Tod der beiden der Polizei. Auf DVDs, die sowohl in der zerstörten Wohnung der NSU-MitDVD mit NSUglieder aufgefunden als auch im Verlauf des November 2011 an Propagandafilm mehrere Empfänger im Bundesgebiet versandt wurden, bekannte sich der NSU erstmals öffentlich zu den von seinen Mitgliedern begangenen Straftaten. Die DVDs enthalten Bilder von der Mordserie sowie den Bombenanschlägen. Durch die Videos läuft die Comicfigur Paulchen Panther, gezeigt wird eine Art Motto des NSU: "Taten statt Worte". 3 Nach der Verurteilung Böhnhardts im Oktober 1997 wurde bis zum Zeitpunkt der Durchsuchungen im Januar 1998 die Haft nicht angetreten. 61 RECHTSEXTREMISMUS Reaktionen Innerhalb der rechtsextremistischen Szene stießen die Gewaltver der rechtsextremisbrechen des NSU nach ihrem Bekanntwerden im November 2011 tischen Szene weitgehend auf Ablehnung. Dies entspricht einer in allen extre mistischen Phänomenbereichen häufigen Reaktion auf terro ristische Aktionen des eigenen Lagers: Der "bewaffnete Kampf" wird, außer in Zeiten eines revolutionären Umsturzes, nur von einer Minderheit - einer (selbsternannten) Avantgarde - geführt; Terrorismus stößt bei einer Mehrheit meist auf Ablehnung oder zumindest auf Vorbehalte. Die Distanzierungen sind jedoch unterschiedlich motiviert und zuweilen von taktischen Über legungen geprägt. Dies gilt auch im Fall des NSU. So bemängelten Kommentatoren aus dem Neonazispektrum die unzureichende Vermittelbarkeit der Taten, die auf dem fehlenden Symbolgehalt der Mordopfer beruhe: "Ich sehe keinen militärischen geschweige denn politischen Zweck, wenn ein paar isolierte Spinner jahrelang in der Weltgeschichte herum turnen und die klägliche Existenz von kleinen Lichtern beenden. Wie willst Du dies dem Volk vermitteln? Einer der Knackpunkte welcher auf eine Inzinierung der Geheimdienste hinweist." ("Thiazi-Forum", 3. Dezember 2011) In derartigen Statements wird die Ablehnung der Taten aus takti schen Gründen mit verschwörungsideologischen Ausführungen verknüpft. Ein anderes Argumentationsmotiv der rechtsextremisti schen Szene lautet, die Morde des NSU seien als logische Folge der gesellschaftlichen Entwicklung anzusehen. "Nationalisten" hätten aufgrund der Politik des "Systems" und staatlicher Repression keine anderen Artikulationsmöglichkeiten mehr als Gewalttaten. Die rechtsextremistischen Parteien reagierten auf die Taten des NSU mit deutlicher Ablehnung. Damit war vor allem bei der NPD im Hinblick auf die Ende 2011 erneut eingesetzte Diskussion über ein Verbot die Absicht verbunden, eine Verbindung zwischen den Mitgliedern des NSU und ihren Unterstützern einerseits und der Partei andererseits zu negieren (vgl. Kap. III, Nr. 1). Der neue NPDBundesvorsitzende Holger Apfel sowie andere Funktionsträger der NPD behaupteten in einer Reihe von Kom mentaren, die neuerlichen Forderungen der Politik nach einem 62 RECHTSEXTREMISMUS Verbot dienten nur dazu, die vermeintlichen Verstrickungen des Verfassungsschutzes in den NSUKomplex in den Hintergrund treten zu lassen. In der neonazistischen und subkulturell geprägten rechtsextre mistischen Szene gibt es indes auch durchaus Zeichen der Zustim mung bzw. der unterschwelligen Freude über die Mordtaten. Bereits kurz nach der Tat wurden in der Szene TShirts mit dem Aufdruck "Killerdöner nach Thüringer Art" angeboten. Zudem wurde die in den Videos des NSU benutzte Comicfigur Paulchen Panther auf Internetplattformen des rechtsextremistischen Spektrums gezielt als Symbol genutzt. Auf der Website der "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) war der rosarote Panther beispielsweise einige Tage zusammen mit dem Slogan "Zwickau Rulez" zu sehen. Auf verschiedenen rechtsextremistischen Kon zerten wurden Parolen der Zustimmung zum NSU skandiert. In einem Kommentar im neonazistischen "ThiaziForum" werden die Taten des NSU gar als "Selbstopferung" für eine gute Sache heroisiert: "Der typische Döner-Verkäufer um die Ecke stellt sich wie ein Fußsoldat des türkischen Staates dar und auch als Einfallstor für weiteren Nachzug. (...) Böhnhardt und Mundlos mögen aus Sicht der Türkei feige Mord-Terroristen sein, aus der Sicht nationalistischer Weltanschauung haben sie sich für ein freies Deutschland geopfert." ("Thiazi-Forum", 29. November 2011) Entstehung und Existenz des NSU sind - aus heutiger Sicht und Bewertung unter Berücksichtigung des derzeitigen Erkenntnisstandes - im Kontext der Entwicklung des Rechtsextremismus in den 1990er Jahren zu werten. In dieser Zeit ist der Rechtsextremismus jünger, aktionistischer und militanter geworden, ein Befund, der bis in die Gegenwart trägt. Die Zahl der Gewalttaten stieg hierbei rapide an. Brandanschläge wie der in Solingen oder die Ausschreitungen eines fremdenfeindlichen Mobs in RostockLichtenhagen stehen beispielhaft für eine Serie rassistisch motivierter, gewaltsamer Übergriffe. 63 RECHTSEXTREMISMUS Zugleich kursierten im rechtsextremistischen Spektrum Texte, die zum bewaffneten Kampf aufrufen. Verbreitet und diskutiert wurden beispielsweise der von William Pierce (unter Pseudonym) in den "Turner Diaries" propagierte Rassenkrieg und das von Louis Beam entworfene Konzept des "leaderless resistance", wel ches autonome terroristische Aktionen voneinander unabhängi ger Zellen vorsieht. In Schriften des neonazistischen Netzwerks "Blood & Honour" (in Deutschland im Jahr 2000 durch den Bun desminister des Innern verboten) wurden diese Ideen aufgenom men bzw. ähnliche Überlegungen angestellt und weiterverbreitet. Unabhängig davon, ob die Mitglieder des NSU derartige Strategie papiere bei ihren Taten als konkrete Handlungsleitlinien verwen deten, erscheint ihre Prägung durch derartige Schriften und das oben beschriebene Milieu des gewaltbereiten Rechtsextremismus der 1990er Jahre aufgrund ihres Vorlaufs naheliegend. In jedem Fall ist die radikale Fremdenfeindlichkeit der Szene als ideologi sche Basis der Terrorzelle anzusehen. So rechtfertigte auch der NSU seine Morde mit dem "Erhalt der deutschen Nation". Ausge hend von einer Ideologie der Ungleichheit und einer Überbewer tung ethnischer Zugehörigkeit erfahren Personen "undeutscher Herkunft" eine Abwertung und Entmenschlichung. Dies ist der Nährboden für fremdenfeindliche Gewalt. Terrorismus - der mittels schwerer Straftaten an Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen geführte "bewaffnete Kampf" für politische Ziele - kann auch als Kommunikationsstrategie verstanden werden. Er zielt einerseits darauf, Unsicherheit, Angst und Schrecken zu verbreiten. Andererseits sollen Sympathie und Unterstützung im eigenen Lager erzeugt werden. Hierzu verfass ten die Mitglieder des NSU entsprechende Tatbekennungen, die aber aus bislang unbekannten Gründen erst Ende 2011 öffentlich verbreitet wurden. Die Taten des NSU sind als solche geeignet, diese doppelte Kommunikationswirkung zu entfalten. Sie erzeu gen Unsicherheit und Angst bei Migranten und können in der rechtsextremistischen Szene mit - teilweise allerdings unausge sprochener - Sympathie rechnen. Da Fremdenfeindlichkeit ein wesentliches Grundelement des Rechtsextremismus ist, sind Nachahmungstaten denkbar. Der unvermittelte Angriff auf Menschen, die dem Feindbild der rechts extremistischen Szene entsprechen, könnte von potenziellen 64 RECHTSEXTREMISMUS Nachahmern als Strategie nach der vom NSU verwandten These "Taten statt Worte" verstanden werden. Eine unmittelbare Über nahme dieser Vorgehensweise ist allerdings nicht die einzige künftig zu beachtende Möglichkeit rechtsterroristischer Aktivitä ten. Die "Wiederentdeckung" von Konzepten der Vergangenheit (z.B. "leaderless resistance") ist ebenso vorstellbar wie eine Beein flussung durch Vorgehensweisen von Terroristen anderer Phä nomenbereiche. Dort wie hier erhöht sich infolge der vielfältigen Möglichkeiten internetbasierter Kommunikation die Gefahr von Gewalttaten durch selbstradikalisierte Einzeltäter oder Kleinst gruppen. 2.2 Gewaltpotenzial Jenseits herausragender rechtsterroristischer Einzeltaten wird rechtsextremistische Gewalt weiterhin überwiegend spontan ver übt. Häufig erfolgen solche Taten aus einer Situation heraus, in der Rechtsextremisten - einzeln oder in kleinen Gruppen - auf Personen treffen, die dem typischen rechtsextremistischen Feind bild entsprechen. Im Verlauf rechtsextremistischer Demonstrati onen bilden Gewalttaten meist die Ausnahme. Das Aggressions potenzial entlädt sich vielmehr in Straftaten, die während der An und Abreise begangen werden. Bei Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der rechts und linksextremistischen Szene ist je nach Stärke, Organisations grad und Aggressionspotenzial vereinzelt auch ein Übergang von spontanen zu geplanten Aktionen zu verzeichnen - insbesondere, wenn sich das gegenseitige Aggressionspotenzial aufgrund verba ler Attacken und "OutingAktionen" aufgeschaukelt hat. Ein Umfeld, in dem Fremdenfeindlichkeit und Rassismus in einem endzeitlichen Duktus formuliert werden, schafft den geis tigen Nährboden für Gewalttaten bis hin zu terroristischen Akti onen. Die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff Affinität der Szene bildet darüber hinaus ein latentes Gefährdungspotenzial. zu Waffen und Sprengstoff 65 RECHTSEXTREMISMUS 3. Rechtsextremistische Strukturen mit überwiegender Gewaltbereitschaft 3.1 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Abnehmende Die gewaltbereiten subkulturell geprägten Rechtsextremisten Bedeutung der subdefinieren sich hauptsächlich über szenetypische Musik und den kulturell geprägten damit - zumindest über einen längeren Zeitraum - verbundenen Rechtsextremisten Lebensstil. Diese Szene unterliegt bereits seit Jahren einem Wandel. Insbesondere die Skinhead-Subkultur verliert zunehmend ihre Anziehungskraft auf Jugendliche. Die in den 1990er Jahren die gewaltbereite Szene maßgeblich prägende Skinhead-Subkultur hat offensichtlich an Attraktivität eingebüßt. Die mit ihr konkurrierenden rechtsextremistischen Subkulturen, wie die NS-Hatecoreoder die NS-Black-MetalSzene (vgl. Kap. IV, Nr. 2), sowie die aktionsorientierten neonazistischen "Autonomen Nationalisten" (vgl. Nr. 3.2) üben eine höhere Anziehungskraft auf Jugendliche, die für rechtsextremistische Einstellungsmuster empfänglich sind, aus. Auch diesen Teilbereichen der Szene ist weiterhin eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft immanent. Die häufig durch die szenetypische Musik vermittelten Feindbilder und Ideologiefragmente bilden die Grundlage für die meist aus der Situation heraus - z.T. unter Alkoholeinfluss - begangenen Straftaten. Personenpotenzial Bereits seit Jahren verlieren die subkulturell geprägten Rechtsextremisten Anhänger, auch 2011 war die Zahl weiter rückläufig und liegt nunmehr bei 7.600 (2010: 8.300) Personen. Der Szene gehören regionale Cliquen sowie auch rechtsextremistische Musikgruppen und deren Umfeld an. Hierbei handelt es sich um Personen, die einschlägige Publikationen herausgeben, Homepages betreiben, Konzerte organisieren oder entsprechende Musik vertreiben. Angehörige der rechtsextremistischen Subkulturen verfügen nicht über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, sondern werden von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst und geprägt. Aktivitäten mit Erlebnischarakter stehen für sie im Vordergrund, etwa der Besuch entsprechender Musikveranstaltungen oder die Teilnahme an Demonstrationen, nicht jedoch Ideologiediskussionen und dauerhafte politische Agitation. 66 RECHTSEXTREMISMUS Seit dem Verbot der "Blood & Honour"Organisation (vgl. Ver fassungsschutz und Demokratie, Kap. VI) im Jahr 2000 spielen szeneinterne Organisationen für subkulturell geprägte Rechtsex tremisten wie auch für die rechtsextremistische Szene im Übrigen nur noch eine geringe Rolle. Dies gilt auch für die einzige verblie bene bundesweit aktive SkinheadOrganisation, die deutsche Sek tion der "Hammerskins". Kontakte zwischen Szeneangehörigen werden sowohl überregional als auch international insbesondere bei Konzerten oder sonstigen rechtsextremistischen Veranstal tungen, über Internetforen sowie soziale Netzwerke geknüpft. Szeneangehörige, die als Bandmitglieder oder im Musikvertrieb aktiv sind, nutzen darüber hinaus häufig ein auf persönlichen Kontakten beruhendes informelles Netzwerk. Aufgrund des Wandels der subkulturell geprägten rechtsextremis Szene-Outfit tischen Szene und der rückläufigen Bedeutung der SkinheadSub kultur ist die Zugehörigkeit zur Szene nur noch selten am äußeren Erscheinungsbild zu erkennen. Das "klassische SkinheadOutfit" gilt als veraltet und spielt - zumindest bei einem Teil der Szenean gehörigen - lediglich bei szeneinternen Veranstaltungen noch eine Rolle. Bei Demonstrationen ist das Tragen der entsprechenden Bekleidung ohnehin meist durch Auflagen der Versammlungsbe hörden untersagt. Ein Großteil der Szeneangehörigen verzichtet zudem auf dieses Outfit, weil es ein eindeutiges Erkennungsmerk mal für den politischen Gegner bietet und oftmals auch gesell schaftliche Stigmatisierung nach sich zieht. Inzwischen werden Kleidungsstücke oder Marken bevorzugt, die sich an allgemeinen Trends der Jugendmode orientieren und die Zugehörigkeit zur Szene nicht durch entsprechende Schriftzüge oder Symbole offen signalisieren. Obwohl die meisten subkulturell geprägten gewaltbereiten Verhältnis zur neoRechtsextremisten nur ein geringes Interesse an langfristiger, ziel nazistischen Szene gerichteter politischer Betätigung haben, nehmen sie aufgrund und zur NPD des Eventcharakters und der Möglichkeit, mit anderen Szenean gehörigen in Kontakt zu treten, häufig an Veranstaltungen der neonazistischen Szene, der NPD sowie sonstiger rechtsextremis tischer Organisationen teil. Sie lassen sich für Demonstrationen mobilisieren und sind zudem ein Rekrutierungsfeld für die NPD und neonazistische Kameradschaften. 67 RECHTSEXTREMISMUS Weiterhin erhöhtes In der Nacht vom 9. auf den 10. April 2011 griff eine Gruppe Gewaltpotenzial der von subkulturell geprägten Rechtsextremisten, die auf einem subkulturellen Szene Gartengrundstück in Winterbach (BadenWürttemberg) zu einer Geburtstagsfeier zusammengekommen waren, nach zunächst ver balen Auseinandersetzungen eine Gruppe von neun jungen Män nern mit Migrationshintergrund an, die auf dem Nachbargrund stück ein Grillfest veranstalteten. Die Flüchtenden wurden von den Rechtsextremisten gejagt und teilweise schwer verletzt. Einige hatten sich aus Angst vor den Angreifern in einer Holzhütte verbarrikadiert, die von den Rechtsextremisten schließlich ange zündet wurde. Insgesamt 14 Tatverdächtige wurden u.a. wegen versuchten Totschlags und schwerer Brandstiftung angeklagt.4 3.2 Neonazistische Strukturen Ideologie Grundlage und feste Bezugsgröße des neonazistischen Spektrums ist der historische Nationalsozialismus mit den prägenden Ideolo gieelementen des Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Neonazis streben einen ethnisch homogenen, diktatorischen Staat an. Rechte des Einzelnen, Meinungsvielfalt und Pluralismus haben in der von ihnen angestrebten "Volksge meinschaft", die Menschen "fremder" Kulturen ausschließt und in der sich das Individuum dem vorgegebenen Gesamtwillen unterzuordnen hat, keinen Bestand. Historische Tatsachen wer den in revisionistischer Weise bis hin zur Holocaustleugnung umgedeutet. Ethnische Vielfalt und pluralistische Gesellschaft bedrohen aus Sicht der Neonazis die Existenz des eigenen Volkes. Der demokratische Rechtsstaat in seiner Gesamtheit wird als "Besatzerregime" abgelehnt. Trotz gemeinsamer ideologischer Grundelemente ist die neona zistische Szene nicht homogen, die Ideologieelemente innerhalb der Personenzusammenschlüsse sind unterschiedlich ausgeprägt. Insbesondere bei jüngeren Neonazis prägen antiamerikanische, 4 Zwei der Angeklagten wurden am 26. März 2012 vom Landgericht Stuttgart (BadenWürttemberg) wegen gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen zu Freiheitsstrafen von jeweils zwei Jahren und fünf Monaten verur teilt. Der ursprünglich gegen sie erhobene Tatvorwurf der versuchten Tötung und schweren Brandstiftung ließ sich bei diesen beiden Angeklagten nicht beweisen. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Auch stehen die Urteile gegen die übrigen zwölf Tatverdächtigen noch aus. 68 RECHTSEXTREMISMUS antikapitalistische und antiimperialistische Einstellungen das jeweilige Weltbild. Das Spektrum reicht von Gruppen mit einem subkulturellen Einschlag über eine zunehmende Zahl von Gruppierungen, die für ideologische Varianten des Nationalsozialismus und die Über nahme neuer Verhaltensweisen aufgeschlossen sind, bis hin zu Aktivisten und Gruppen, die weiterhin eine Wiederherstellung des historischen Nationalsozialismus anstreben. Das neonazistische Personenpotenzial ist 2011 erneut ange Erneute Zunahme des stiegen. Insgesamt gehören nunmehr rund 6.000 Personen Personenpotenzials (2010: 5.600) der Szene an. Gerade die erhöhte Aktionsorientiert und dessen Ursache heit der neonazistischen Szene wirkt insbesondere auf junge Szeneangehörige anziehend. Auch erlebnisorientierte Rechtsex tremisten, die zuvor überwiegend über die subkulturelle Szene, insbesondere die Musik, Zugang zur rechtsextremistischen Szene gefunden haben, werden nunmehr von aktionsorientierten, infor mellen neonazistischen Gruppierungen angesprochen. Sowohl bei den Führungsaktivisten als auch den Anhängern neonazistischer Gruppierungen handelt es sich überwiegend um männliche Jugendliche und Erwachsene. Frauen spielen - wahr scheinlich auch aufgrund des vom Nationalsozialismus gepräg ten reaktionären Frauenbildes - eine untergeordnete Rolle. Nur rund vier Prozent der Führungsaktivisten sind weiblich. Ledig lich die mit Verfügung des Bundesministers des Innern vom 30. August 2011 verbotene "Hilfsorganisation für nationale poli tische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) bildete hier eine Ausnahme: Sowohl bei der Vorsitzenden als auch bei ihrer ersten Stellvertreterin handelte es sich um Frauen. Der Trend zu einem Abbau der Strukturen in der neonazistischen Geringe OrganisaSzene setzt sich weiter fort. Es existieren überwiegend regionale tionsstruktur Gruppierungen, von denen mehr als die Hälfte äußerst struktur arme Zusammenschlüsse sind. Auf Organisationsstrukturen wird verzichtet, um Vereinsverbote zu erschweren und um möglichst wenige Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Gruppierungen zu bieten. Zudem erfordern die geringe Größe der Gruppen, die räumliche Nähe und der per sönliche Kontakt der Aktivisten nur einen gering ausgeprägten Organisationsgrad. 69 RECHTSEXTREMISMUS Vernetzung Ein Teil der neonazistischen Gruppierungen ist in überregionale Aktionsbündnisse eingebunden, die in der Regel von Führungs aktivisten regionaler Gruppen gebildet werden. Sie üben eine koordinierende Funktion aus. Der Einsatz moderner Informa tions und Kommunikationsmedien in Bezug auf gruppeninterne wie gruppenübergreifende Aktivitäten, Aktionsformen und Mobi lisierungen gewinnt zunehmend an Bedeutung. Allerdings kön nen die virtuellen Vernetzungsmöglichkeiten das Gemeinschafts gefühl und die Gruppenzugehörigkeit, welche die neonazistische Ideologie prägen, nur ergänzen, jedoch nicht ersetzen. Aktivitäten und Für Angehörige der neonazistischen Szene spielt die politische thematische Betätigung sowohl innerhalb der Gruppe als auch in der Außen Schwerpunkte darstellung eine wichtige Rolle. Die Mehrzahl der Gruppen führt regelmäßige Treffen durch, bei denen z.B. politische Schulungen erfolgen oder gemeinsame politische Aktivitäten vorbereitet wer den. Bei internen Treffen haben Schulungen und Themen mit einem positiven Bezug zum historischen Nationalsozialismus weiterhin eine große Bedeutung, während entsprechende Inhalte nach außen wesentlich verhaltener formuliert werden. Neonazistische Gruppierungen treten überwiegend durch ihre Internetpräsenzen, die sowohl zur Selbstdarstellung als auch als Kommunikationsplattform dienen, mit Demonstrationen sowie mit Propagandaaktionen in Erscheinung. Kundgebungen finden etwa an Jahrestagen der Bombardierungen deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg statt oder greifen aktuelle politische Themen auf wie die Finanz und Eurokrise und ihre Auswirkungen, die Integration von Migranten, Auslandseinsätze der Bundeswehr oder die Bestrafung von Sexualstraftätern. Neonazis gerieren sich bei derartigen Veranstaltungen als Sachwalter der Interessen der Bevölkerung. Sie verbreiten zudem antisemitische Verschwö rungstheorien und rechtsextremistische Feindbilder. "Autonome Innerhalb des neonazistischen Spektrums üben die "Autonomen Nationalisten" Nationalisten" wegen ihrer Aktionsorientiertheit und erhöhten Gewaltbereitschaft eine besondere Anziehungskraft auf junge Rechtsextremisten aus. Im Vergleich zu den übrigen Teilen dieses Spektrums bilden hier gerade öffentlichkeitswirksame Aktionen - wie die Teilnahme an Demonstrationen - ein Hauptbetäti gungsfeld in der politischen Agitation. 70 RECHTSEXTREMISMUS Die "Autonomen Nationalisten" nahmen auch im Jahr 2011 eine Bedeutung und herausragende Stellung innerhalb der neonazistischen Szene ein. weitere Entwicklung Die Bedeutung der Strömung für das neonazistische Spektrum basiert auf der von ihr ausgehenden Innovation. Derzeit werden etwa 15% des neonazistischen Personenpotenzials - 2010 waren es noch etwa 20% - aufgrund des Schwerpunkts ihrer Aktivitäten den "Autonomen Nationalisten" zugerechnet. Allerdings ver schwimmen die Grenzen zwischen "Autonomen Nationalisten" und der übrigen neonazistischen Szene zunehmend: Beide Spek tren propagieren mittlerweile antikapitalistische, globalisierungs feindliche und rassistische Ideologieelemente auf eine nahezu gleiche Art und Weise. Durch die Übernahme von Aktionsformen ist eine klare Differenzierung nur noch schwer möglich. Bevorzugte Propagandamethoden der "Autonomen Nationalisten" Neue Aktionsformen wie Spontandemonstrationen, Sprüh und Schnipselaktionen (massenweise Verbreitung kleiner Papierschnipsel mit Informationen und Parolen), sowie die Selbst darstellung in Videos wurden inzwischen von wei ten Teilen der neonazistischen Szene übernommen. Unabhängig davon fanden - nach dem Vorbild des zum 1. Mai 2011 in Bautzen (Sachsen) durchgeführ ten Fackelmarsches - im Jahr 2011 etwa 15 unange meldete, meist intensiv und konspirativ vorbereitete, nächtliche Aufzüge mit bis zu 300 weiß maskierten Teilnehmern statt, die ebenso wie eine Vielzahl weiterer ähnlicher Aktionen im Nachgang im Internet als Aktionsform "Die Unsterblichen" doku mentiert werden (vgl. Kap. I, Nr. 4). Seit einigen Jahren versuchen Rechtsextremisten ihre gesellschaft liche Akzeptanz durch die Mitwirkung in regionalen ÖkoProjekten zu erhöhen. Sie versuchen durch aktive Mitarbeit in Vereinen, Erziehungseinrichtungen und anderen Gruppen gezielt ihre ras sistische Ideologie zu verbreiten. Insbesondere sind Bemühungen im Sinne einer "rechtsextremistischen Siedlungsbewegung" zu verzeichnen. Familien siedeln sich in ländlichen Räumen an, um eine vorgeblich naturorientierte und ökologische Lebensweise zu führen. Ihr vordergründig ökologisches Engagement ist dabei in eine rechtsextremistische, biologistische und menschenverach tende Ideologie eingebettet. Bestandteil dieser völkisch geprägten Lebensführung ist neben der möglichst autarken Selbstversorgung die Praktizierung germanischer und neuheidnischer Rituale. 71 RECHTSEXTREMISMUS Gewaltbereitschaft Die neonazistische Szene ist durch eine grundsätzliche Bereitschaft zur Gewaltausübung gekennzeichnet, um damit ihre politischen Ziele durchzusetzen. Sie basiert auf der ideologischen Orientierung am historischen Nationalsozialismus, der Affinität zu Waffen und dem Militarismus. Vor allem bei internen Treffen oder in der vermeintlichen Anonymität des Internets kommt es zu gewaltbefürwortenden Äußerungen. Darüber hinaus begingen Angehörige der neonazistischen Szene politisch motivierte Gewalttaten, die zumeist entweder fremdenfeindlich motiviert waren oder sich gegen politische Gegner richteten. Rechts-LinksDie Zahl der registrierten rechtsextremistisch motivierten AuseinanderGewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksexsetzungen tremisten im Jahr 2011 war rückläufig. Es besteht aber dennoch weiterhin ein hohes Aggressionspotenzial, wenn Rechtsund Linksextremisten aufeinandertreffen. In Teilen der neonazistischen Szene ist die Hemmschwelle für körperliche Gewalt oder den Einsatz gemeingefährlicher Mittel gesunken. Überwiegend erfolgen Auseinandersetzungen zwischen der rechtsund linksextremistischen Szene in Form gegenseitiger verbaler Attacken, "Outing-Aktionen", Sachbeschädigungen und Körperverletzungen. Vereinzelt werden auch Brandstiftungen an Fahrzeugen von Szeneangehörigen sowie an Szeneobjekten festgestellt. Im Verlauf rechtsextremistischer Demonstrationen sind nur vereinzelt Gewalttaten durch Rechtsextremisten zu verzeichnen. Die konsequente Trennung von Demonstranten und Gegendemonstranten im Rahmen der polizeilichen Einsätze sowie die meist deutlich höhere Zahl der Gegendemonstranten halten Rechtsextremisten von gewalttätigen Aktionen ab. Straftaten werden vielmehr bei der Anund Abreise zu Veranstaltungen bzw. im Zusammenhang mit Spontandemonstrationen verübt. Gewalttätige Am 19. Februar 2011 begingen im Umfeld rechtsextremistischer Auseinandersetzung Veranstaltungen anlässlich des Jahrestages der Bombardierung mit dem politischen der Stadt Dresden (Sachsen) im Zweiten Weltkrieg etwa 150 PersoGegner nen aus der neonazistischen Szene einen Überfall auf das dortige alternative Wohnprojekt "Praxis". Sie griffen das Objekt mit Steinen und Fahnenstangen an. Die gegen die Neonazis eingeleiteten Ermittlungen wegen besonders schweren Landfriedensbruchs dauern noch an. 72 RECHTSEXTREMISMUS Die Bereitschaft zu Übergriffen von Rechtsextremisten gegen Übergriffe auf Angehörige und Einrichtungen von Parteien ist weiterhin hoch. Einrichtungen Insbesondere Parteibüros oder Wohnhäuser von Mitgliedern der und Mitglieder Partei "DIE LINKE." sind Ziel von Sachbeschädigungen oder Farb von Parteien schmierereien mit rechtsextremistischen Parolen. In einzelnen Fällen wurden Personen bedroht oder beleidigt. Der weitaus größte Teil der NeonaziSzene kooperiert mit der Verhältnis der NPD oder unterstützt diese regelmäßig. Aufgrund ideologischer Neonazis zur NPD Gemeinsamkeiten mit der NPD und meist auch persönlicher Kontakte findet eine Zusammenarbeit, z.B. im Rahmen von Wahl kämpfen, statt. Angehörige des neonazistischen Spektrums fühlen sich aufgrund von aus der Neonaziszene stammenden Führungs funktionären zur Unterstützung der NPD verpflichtet und spe kulieren zum Teil auch darauf, dass sie bei Wahlerfolgen der NPD persönlichen Nutzen daraus ziehen können. Ein Teil des neonazistischen Spektrums steht der NPD aber wei terhin distanziert gegenüber, wirft ihr eine "weichgespülte" Ideo logie vor bzw. traut der Partei und ihren Funktionären aufgrund aktueller und vergangener Skandale nicht zu, dauerhafte politi sche Erfolge erzielen zu können. Zudem lehnen diese Neonazis die NPD als einen Bestandteil des verhassten demokratischen Systems konsequent ab. Hintergrund hierfür ist ein im Neona zispektrum gängiges Argument, wonach die Überwindung der derzeitigen politischen Ordnung nur durch außerparlamentari sche Aktivitäten möglich sei. Der Bundesminister des Innern hat mit Verfügung vom Verbot der neonazis30. August 2011 die neonazistische "Hilfsorganisation für nati tischen "Hilfsorganionale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) sation für nationale verboten.5 In diesem Zusammenhang fanden 2011 Durchsuchun politische Gefangene gen bei insgesamt sieben Personen in vier Bundesländern statt. und deren AngehöDabei wurde neben Vereinsvermögen auch weiteres umfangrei rige e.V." (HNG) ches Beweismaterial sichergestellt. Dem Verbot der HNG war ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gemäß SS 4 Vereinsgesetz vorangegangen, in dessen Verlauf im September und Oktober 2010 Durchsuchungen in zehn Bundesländern erfolgt waren. 5 Die Verbotsverfügung ist noch nicht rechtskräftig, da gegen das Verbot noch eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig ist. 73 RECHTSEXTREMISMUS Aktivitäten des Die 1979 gegründete HNG war mit rund 600 Mitgliedern die Vereins größte bundesweit aktive neonazistische Organisation in Deutschland. Sie verstand sich als Betreuungsnetzwerk für inhaf tierte rechtsextremistische Straf und Gewalttäter und sah ihre Aufgabe vor allem in der Vermittlung von Kontakten zwischen Szeneangehörigen und Inhaftierten. Diese sollten während ihrer Haftzeit in ihrer Ideologie bestärkt werden, um sie nach Verbü ßung der Strafe wieder in die Szene integrieren zu können. Die mit einer Auflage von rund 700 Exemplaren monatlich erschei nende Vereinspublikation "Nachrichten der HNG" enthielt neben Berichten über szenerelevante Veranstaltungen und Vorkomm nisse im In und Ausland eine Liste mit Kontakt suchenden Inhaf tierten sowie deren Leserbriefe. Die HNG rief zum Kampf gegen die als "antideutsches Schweine system" bezeichnete freiheitliche demokratische Grundordnung und zur Vergeltung für die Inhaftierung "politisch Verfolgter der Demokratie" auf. Außerdem bekannte sie sich zu einem nationalistischen, rassistischen Weltbild und verherrlichte den nationalen Kampf sowie das nationalsozialistische Ideal der "Volksgemeinschaft". Sie verfolgte ihre Aktivitäten aus verfestig ten Strukturen heraus und in der Absicht, mittels nachhaltiger und planvoller Tätigkeit die verfassungsmäßige Ordnung fort laufend und dauerhaft zu untergraben. Mit ihren Aktivitäten hintertrieb die HNG nicht nur die Resozialisierung der Inhaf tierten, sondern förderte durch Propagieren des gewaltsamen "Widerstands" gegen das als Unrecht empfundene "System" auch die Bereitschaft zu neuen rechtsextremistischen Straftaten. Somit war im Ergebnis festzustellen, dass sich der Verein mit seinen Zielen, seinen Aktivitäten und deren Folgen in aktivkämpferi scher, aggressiver Weise gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet hat. 74 RECHTSEXTREMISMUS III. Parteien 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Berlin Bundesvorsitzender: Holger Apfel Mitglieder: 6.300 (2010: 6.600) Publikation: "Deutsche Stimme", monatlich, Auflage: 25.000 (eigene Angabe) Unterorganisationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN), "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV), "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 1.1 Ideologische Merkmale Die NPD ist nach ihrem Selbstverständnis eine entschieden welt "Volksgemeinschaft" anschaulich geprägte Partei, die ungeachtet interner Debatten als ideologisches über strategische Fragen konsequent an ihren ideologischen Kernelement Grundpositionen festhält. Sie verfolgt die Idee einer "Volksge meinschaft", die eine strikt ethnisch definierte Homogenität vor aussetzt. Dieses völkische Konzept prägt die Herangehensweise der NPD an unterschiedliche - politische, ökonomische oder soziale - Themenfelder und fügt sich zu einem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild zusammen. Die Partei macht das eigene antipluralistische Gesellschafts und Menschenverständnis zum Maßstab für die Beurteilung politi scher Ordnungen, ohne in der Regel die Demokratie als solche ausdrücklich abzulehnen. Vielmehr wird der parlamentarischen Demokratie in Deutschland die Legitimität abgesprochen, weil sie, so etwa das NPDBundesvorstandsmitglied Matthias Faust, nicht auf einer "Volksgemeinschaft" beruhe und damit die Grundlage 75 RECHTSEXTREMISMUS für eine wirkliche "Volksherrschaft" fehle.6 Die beiden ebenfalls dem NPDBundesvorstand angehörenden Eckart Bräuniger und Karl Richter stellten in einem Beitrag mit dem programmatischen Titel "Ja zu Deutschland - ja zum Reich!" heraus, die Kanzlerschaft Otto von Bismarcks habe das damalige Deutschland nicht nur zu einem "gefestigten Machtstaat" gewandelt, sondern wegen der eingeleiteten Sozialreformen die Voraussetzungen für einen fundierten "Gemeinschaftsstaat" gelegt. Es sei aber der "'Volks gemeinschaft' der dreißiger und vierziger Jahre vorbehalten" geblieben, das sozialpolitische Erbe Bismarcks zu vollenden. Die nationalsozialistische Epoche scheint also für die NPD in der Umsetzung des Gedankens der "Volksgemeinschaft" weiterhin Vorbildcharakter zu haben.7 Die für die NPD alles überragende Bedeutung einer unbedingt zu erhaltenden "Volkssubstanz" wird im aktuellen Parteiprogramm durch die Aussage "Integration ist Völkermord" dramatisch zugespitzt.8 Ausgehend von diesen völkischen Prämissen erhebt die NPD beispielsweise für den Bil dungsbereich die rigorose Forderung, deutsche und ausländische Schüler möglichst konsequent zu trennen. Diese Forderung der NPD fand sich nahezu durchgehend in ihren Landtagswahl programmen 2011. Bei den insgesamt sieben Landtagswahlen verzichtete lediglich die NPD RheinlandPfalz darauf, einen ent sprechenden Programmpunkt zu formulieren.9 Nur die ethni sche Homogenität gewährleistet aus Sicht der NPD sowohl für das Volk insgesamt als auch für den Einzelnen Schutz gegen die Macht des "Großkapitals", weshalb die fortschreitende Zerstö rung der "völkischen Substanz" das "größtmögliche Verbrechen" darstelle und "das deutsche Volk" unmittelbar in seinen Rechten verletze. "Multikulti" sei folglich der eigentliche Nährboden für "Irre" wie den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik. Das Berliner NPDVorstandsmitglied Jan Sturm äußerte dazu: "Anders B. ist zwar ein durchgeknallter Mörder, aber eines hatte er begriffen: Der größte Feind, den wir haben, sind nicht die Moslems - sie nutzen nur, die ihnen gebotenen, Möglichkeiten. Der 6 Homepage "DSAktuell" (23. Oktober 2011). 7 "Deutsche Stimme" Nr. 2/2011, Februar 2011, S. 22. 8 NPDParteiprogramm 2010, S. 13. 9 NPDParteiprogramm 2010, S. 17; Landeswahlprogramme Hamburg, S. 10; Sachsen Anhalt, S. 20; BadenWürttemberg, S. 17; Bremen, S. 13; MecklenburgVorpommern, S. 5; Berlin, S. 26. 76 RECHTSEXTREMISMUS größte Feind, den die einst freien Völker Europas haben, sind ihre eigenen Regierungen. (...) Die multikulturelle Gesellschaft hingegen ist nichts weiter als die freundliche Umschreibung für Völkermord auf Raten, welcher die große Masse der Menschen ihrer Wehrhaftigkeit beraubt." (Homepage der NPD Berlin-Neukölln, 26. Juli 2011) Die NPD strebt die Überwindung der gegenwärtigen politischen Streben nach Ordnung in Deutschland an. Sie zielt darauf ab, Repräsentanten Systemüberwindung des Staates bzw. deren Handeln aufgrund der vermeintlichen Kluft zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit zu dele gitimieren. Zwar versucht sich die Partei als Verfechterin des wahren "Volkswillens" darzustellen, die nicht im Gegensatz zur Demokratie, sondern zum derzeitigen "liberalkapitalistischen Sys tem" stehe. Damit versucht die NPD aber nur zu überdecken, dass sie in der Gesamtheit ihrer Positionen eine eindeutig fundamen taloppositionelle Haltung gegenüber den demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien des Grundgesetzes einnimmt. Die Ablehnung der verfassungsmäßigen Ordnung wird exem plarisch an einer Stellungnahme des stellvertretenden Bundes vorsitzenden Richter zu den arabischen Aufstandsbewegungen im Frühjahr 2011 deutlich. Auch die Bürger in Deutschland müssten, wenn sie sich ein Beispiel am Freiheitswillen der Ägypter nähmen, den Sturz der hiesigen "Mubaraks" anstreben. Doch die "hiesigen Gutmenschen" seien sich der grundsätzlichen Illegitimität der politischen Ordnung in Deutschland nicht bewusst. Wörtlich äußerte Richter: "Sie [= die Deutschen] vergessen, daß auch unser politisches und gesellschaftliches System zum Gutteil auf Lüge, Willkür und Rechtsbruch beruht. (...) Unser Gemeinwesen ist bis heute ein Konstrukt der Alliierten, ein Staats-Surrogat ohne Souveränität und Legitimität." ("Deutsche Stimme" Nr. 3/2011, März 2011, S. 1) Auch der neonazistische Rechtsanwalt Wolfram Nahrath machte als Gastredner auf der Jahresauftaktveranstaltung der NPD MecklenburgVorpommern am 22. Januar 2011 deutlich, wie zwingend aus der Logik eines Nationalisten die Überwindung des 77 RECHTSEXTREMISMUS bestehenden Systems folgt. Nur durch Beachtung der Natur und Lebensgesetze, also durch Wahrung der völkischen Homogenität, könnten Kulturvölker ihren Untergang vermeiden. Insofern sei es die höchste Aufgabe des Staates, die biologische Substanz des deutschen Volkes zu fördern und zu schützen. Dieser Aufgabe werde Deutschland nicht gerecht, weshalb "zwangsläufig Ände rungen" vorgenommen werden müssten. Der NPDFraktionsvor sitzende Udo Pastörs forderte Pressemeldungen zufolge auf der selben Veranstaltung "die Rückführung der Macht in die Hände einer politisch nationalistischen deutschen Führung". Die Mitwir kung in Parlamenten diene dazu, sich in diesem Kampf "politisch, dialektisch, intellektuell" weiterzuentwickeln.10 Der bayerische NPDFunktionär Roland Wuttke warnte die Partei in einem Grundsatzartikel vor einem Anpassungskurs, der mög licherweise wegen der Wahlniederlagen eingeschlagen werden könne. Nicht ohne Grund verschärfe derzeit das bestehende "Regime die Propaganda gegen jene 12 Jahre des 20. Jahrhunderts in Deutschland". Das Regime kenne seinen Gegenentwurf genau.11 Der im November 2011 abgelöste NPDBundesvorsitzende Udo Voigt versucht, die prinzipielle Unvereinbarkeit der NPDPosi tionen mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit der Behauptung zu überspielen, die Partei wolle "das liberalka pitalistische System der BRD überwinden und die Fehler dieser repräsentativen Demokratie beseitigen". Den "Kampf für eine nationale Wiedergeburt Deutschlands" müsse die Partei "an allen Fronten, auf allen Ebenen und mit allen uns Deutschen würdigen Mitteln" führen.12 Wie stark der Hass auf das bestehende System von Protagonisten der NPD oder ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) bisweilen zum Ausdruck kommt, wird an einer Äußerung des brandenburgischen JNFunktionärs Pierre Dornbach deutlich, der Begriffe zur Beschreibung der national 10 Homepage der NPD MecklenburgVorpommern (25. Januar 2011); Nachrichtenpor tal Endstation Rechts (25. Januar 2011). 11 Nachrichtenportal "MUPINFO" (30. Mai 2011). 12 "Deutsche Stimme" Nr. 4/2011, April 2011, S. 16; "Deutsche Stimme" Nr. 9/2011, September 2011, S. 3. 78 RECHTSEXTREMISMUS sozialistischen Gewaltverbrechen auf die vermeintliche Lage "auf rechtgehende(r) junge(r) Deutsche(r)" anwendete: "Bereits jetzt weiß man, dass in der BRD über 15 Millionen 'Menschen mit Migrationshintergrund' leben. Durch Drogenkonsum und Kulturverfall verliert hingegen der Deutsche allmählich immer mehr an Gesicht. (...) Das Ganze ähnelt einem geistigen Holocaust, der dabei ist, unser Volk in den schleichenden aber sicheren Tod zu lenken. (...) Es gilt jetzt, den Kampf gegen die 'Volkstodrepublik Deutschland' zu führen und sich aus diesem Konzentrationslager endlich zu befreien." (Homepage des JN-Bundesvorstands, 18. Juli 2011) Ausgehend von der Annahme, nur in einer biologisch definierten Rassismus/ "Volksgemeinschaft" als Kollektiv kultur und schaffensfähig zu Fremdenfeindlichkeit sein und als Einzelner gegenseitige Solidarität und einen über geordneten Lebenssinn erfahren zu können, bekämpft die NPD alle Tendenzen gegen diese "Naturgesetze". Sie wendet sich dabei gegen die politisch Verantwortlichen für "volksfeindliche" und "volksverräterische" Prozesse, aber auch unmittelbar gegen Ein wanderer und Fremde selbst. Eher intellektuell orientierte Pro tagonisten der Partei versuchen bisweilen, die rigide Forderung nach "Rückführung" aller ethnischen "Ausländer" - unabhängig davon, ob sie in Deutschland geboren sind oder die deutsche Staatsbürgerschaft haben - in ihre Herkunftsländer bzw. die ihrer Eltern pseudohumanistisch zu beschönigen. Heuchlerisch heißt es in solchen Fällen, Migranten sollten um ihrer eigenen Identität und Verwurzelung willen an einer Rückkehr interessiert sein. Die NPD lehnt das Zusammenleben mit Migranten aber nicht nur aus Sorge um den eigenen "Volkscharakter" ab, sondern weil sie Ein wanderern pauschal negative Eigenschaften zuschreibt, Deutsche bzw. Europäer also im Rang "rassischer Überlegenheit" sieht. Der Landesvorsitzende13 der NPD in Berlin Uwe Meenen behaup tete in einem Beitrag des Parteiorgans "Deutsche Stimme", es gebe einen Zusammenhang zwischen "Angst und Rasse". Der nordische Mensch sei wegen einer insgesamt unwirtlichen 13 Meenen verzichtete beim Landesparteitag der NPD am 4. Februar 2012 auf eine erneute Kandidatur zum Landesvorsitzenden. Seine Nachfolge trat Sebastian Schmidtke an. Meenen fungiert seitdem als stellvertretender Vorsitzender. 79 RECHTSEXTREMISMUS Lebensumgebung stets zu vorausschauendem Planen gezwungen. Dies habe die Angst vor nicht vorhersehbaren Ereignissen ein geschlossen. Mut bestehe wiederum darin, diese Angst zu über winden. Vielleicht sei der nordische Mensch deshalb nicht nur vorausschauender, sondern auch mutiger als die "sorglosen Far bigen".14 In einer Vielzahl von Verlautbarungen von NPDFunk tionären kommt die generelle Geringschätzung für Fremde zum Ausdruck. In Bezug auf die Reform der Bundeswehr und die Rekrutierung von Soldaten nichtdeutscher Herkunft äußerte der stellvertretende NPDBundesvorsitzende Richter: "Die Herbeitransformierung der Truppe in eine internationalisierte Interventionsstreitmacht nach Washingtoner Gusto geht mit ihrer größtmöglichen Entdeutschung einher. Der bloße Gedanke daran, welche Figuren, als Bundeswehrsoldaten kostümiert, demnächst in Afghanistan und sonstwo auf Patrouille herumschlurfen werden, läßt Brechreiz aufsteigen." ("Euro-Kurier" Nr. 3/2011, März 2011, S. 8) Der sächsische NPDLandtagsabgeordnete Jürgen Gansel agitierte gegen Überlegungen in demokratischen Parteien, über die Frau enquote hinaus Quoten für Einwanderer einzuführen. Angesichts des allgemeinen "Quotierungswahns" könnten sich Wähler bei NPDKandidaten auch zukünftig sicher sein, keine "Quoten Türken und islamistische PolitSchläfer" untergeschoben zu bekom men.15 Die NPD verunglimpft "Andersartige" wie z.B. Migranten oder Muslime mit dem Vorwurf einer üblichen Neigung zu Gewalt und Kriminalität. Fremdenfeindliche Parolen auf Plakaten und Flugblättern präg ten auch die Wahlkämpfe der NPD im "Superwahljahr" 2011, zumal die Partei in der Ausländerpolitik weiterhin ihre "Kern kompetenz" sieht. Die diesbezüglichen Slogans lauteten zum Beispiel "Kriminelle Ausländer raus", "Millionen Fremde kosten Milliarden! Spart bei denen - nicht bei uns!", "Polen offen? Arbeit futsch! Auto weg! - Arbeitsplätze sichern - Grenzen dicht!" oder "Guten Heimflug". Teilweise überlagern sich auch Fremden und 14 "Deutsche Stimme" Nr. 1/2011, Januar 2011, S. 20. 15 Homepage der NPDFraktion Sachsen (3. Mai 2011). 80 RECHTSEXTREMISMUS Islamfeindlichkeit in Aussagen der NPD. In einer Stellungnahme der NPD Bayern zum 50. Jahrestag des Anwerbeabkommens mit der Türkei hieß es etwa, die "abzockenden Moslems und andere Sozialschnorrer aus allen Teilen der Welt" wollten nicht in ihre Heimat zurück, sondern Deutschland ausnehmen und zusätzlich islamisieren.16 Gansel forderte kategorisch eine "rechtsstaatlich abgesicherte Rückführung aller kulturfremden Ausländer", wozu Muslime aller Schattierungen gehörten.17 Der Antisemitismus ist in der NPD tief verwurzelt. In vielen Fällen Antisemitismus äußert er sich beiläufig in Anspielungen, abwertenden Bemerkun gen oder verunglimpfenden Zuschreibungen. Überdies greift die Partei vielfach auf antisemitische, zumeist verschwörungstheo retisch abgeleitete Erklärungsmuster zurück, um aus ihrer Sicht Geschichtsabläufe, internationale politische Zusammenhänge oder ökonomische Krisen zu beschreiben. Ein häufig angewandtes Klischee ist dabei der Vorwurf, Juden strebten globale Dominanz an und versuchten dieses Ziel vor allem durch die Zersetzung der sich ihnen entgegenstellenden Staaten und Völker zu erreichen. Der frühere Geschäftsführer der "Deutschen Stimme" Henrik Ostendorf brachte seine antisemitische Haltung in einem Inter view zur "nationalen PublizistikSzene" zum Ausdruck. Im Hin blick auf die notwendige variable Strategie zwischen "Frontal angriff gegen das System" und "Veränderung durch Mitarbeit" führte er aus, das "nationale Lager" müsse "beweglich und kre ativ sein und notfalls auch mit dem Teufel zusammenarbeiten, solange er nicht aus Jerusalem" komme.18 Judentum und Israel sind aus Sicht Ostendorfs demnach das Feindbild schlechthin, ein absoluter Gegner, gegenüber dem die NPD keinerlei Konzes sionsbereitschaft zeigen dürfe. Die Vorsitzende der NPDFrau enorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Edda Schmidt19 kommentierte den 62. Sudetendeutschen Tag in Augsburg (Bayern) am 11./12. Juni 2011 mit abfälligen Bemerkungen über jüdische Veranstaltungsteilnehmer. Die Vertreter der tschechi schen "Bürgervereinigung Jägerndorfer Synagoge" hätten die Reden in schlechtem Deutsch vorgelesen und ihr, Schmidts, Bild vom "auserwählten Volk" bestätigt. Die jüdischen Referenten 16 Homepage der NPD Bayern (15. Mai 2011). 17 Homepage der NPDFraktion Sachsen (1. September 2011). 18 "Deutsche Stimme" Nr. 1/2011, Januar 2011, S. 3. 19 Schmidt ist Ende Februar 2012 als Vorsitzende des RNF zurückgetreten. 81 RECHTSEXTREMISMUS hätten sich wie üblich als die einzigen und finanziell nicht ent schädigten Überlebenden ihrer Familien dargestellt.20 Schmidt nimmt hier Bezug auf das antisemitische Stereotyp des geldgieri gen Juden. Der 50. Todestag des am 1. Juli 1961 verstorbenen antisemitischen französischen Schriftstellers und Kollaborateurs LouisFerdinand Celine war Anlass für den sächsischen NPDLandtagsabgeordne ten Gansel, dessen dichterisches und politisches Wirken zu würdi gen und die Judenverfolgung im nationalsozialistisch okkupierten Frankreich zu bagatellisieren. Celine habe sich darüber erstaunt gezeigt, dass die deutschen Besatzungssoldaten die Juden nicht einfach erschossen, aufgehängt oder ausgerottet hätten. Diese Ansichten eines Franzosen widersprächen den üblichen Behaup tungen der Umerziehungshistoriker, die die deutsche Besatzungs politik in Frankreich so darstellten, wie sie Celine zu seinem eigenen Befremden nicht vorgefunden habe. Den Todestag des französischen Schriftstellers nahm Gansel zum Anlass, um die NSGewaltverbrechen zu beschönigen und das Leid des jüdischen Volkes unter dem Nationalsozialismus zu relativieren.21 NPDRepräsentanten deuten antisemitische Verschwörungstheo rien nicht nur an, sondern integrieren sie auch in ihre Argumen tation, um politische Prozesse im eigenen Sinne zu deuten. Gansel kommentierte den AntisemitismusStreit in der Partei "DIE LINKE." mit den Worten, in dieser Partei wuchere mal wieder der "Spaltpilz der jüdischisraelischen Frage". Deren Führung müsse sich von "Weichspülern" wie ihrem Schatzmeister - "selbst kein Jude, aber auch ein Fremder im Land der Deutschen" - vorwerfen lassen, in ihrer Kritik an der israelischen Regierung nicht genü gend Sensibilität zu zeigen. Mit dem Begriff "Spaltpilz" knüpfte Gansel bewusst an das traditionelle antisemitische Stereotyp einer vom Judentum vermeintlich ausgehenden Zersetzungswirkung an. Zudem behauptete er zum wiederholten Male, dass Juden prinzipiell Fremdkörper seien, die nicht in die deutsche "Volksge meinschaft" integriert werden könnten.22 20 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2011, August 2011, S. 21. 21 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2011, August 2011, S. 24. 22 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2011, August 2011, S. 6. 82 RECHTSEXTREMISMUS Die Aufstandsbewegungen im arabischen Raum gaben der NPD vielfachen Anlass für verschwörungstheoretische Deutungen. Inhaltliche Widersprüche zwischen einzelnen Verlautbarungen spielten keine Rolle, sofern die USA bzw. das die USA angeblich steuernde Israel als die eigentlichen imperialistischen Drahtzie her gebrandmarkt werden konnten. Der kommunale NPDMan datsträger und Publizist Rigolf Hennig sah in der arabischen Revolte einen Aufruhr gegen den "schmarotzenden Globalismus und den internationalen Zionismus", auch wenn die "CIA als ver längerter Arm des Mossad stets unter dem Generalverdacht der Beteiligung" gestanden habe. Mit der Intervention in Libyen habe der internationale Zionismus aber die Büchse der Pandora geöff net, was dessen Untergang nach sich ziehen könnte.23 Der Redak teur der "Deutschen Stimme" Kersten Radzimanowski behauptete hingegen, die arabischen und nordafrikanischen Völker würden gegeneinander aufgehetzt, damit die USA und Israel ihr Macht prinzip des "Teile und herrsche" weiter durchsetzen könnten.24 Radzimanowski sieht auch hinter der Finanzkrise ein jüdisches Komplott, um den eigenen globalen Machtanspruch subversiv durchzusetzen. Die konspirativen Machenschaften der "Pluto kraten" schlössen vor allem die Besetzung wichtiger Schlüssel funktionen mit ein. Wörtlich äußerte Radzimanowski: "Hier [= Manhattan] ist der Sitz der 'Geldherrschaft', während seine Mannen in den Regierungen und internationalen Finanzorganisationen nach den Spielregeln der Plutokraten Völker wie Familien zerstören und die Masse der Menschen mit Medien und 'tittytainment' zu willenlosen Marionetten umzuformen versuchen. (...) Doch es kann nicht wirklich überraschen, daß schon Ende April der Sohn jüdischer Einwanderer Nicolas Sarkozy bei seinem Besuch in Rom euphorisch 'Goldman Draghi' als neuen 'Mr. Euro' präsentierte. Die Wahl war längst getroffen, die Regierungschefs der Euro-Staaten lediglich Staffage für die wirklichen Entscheider der Welt." ("Deutsche Stimme" Nr. 6/2011, Juni 2011, S. 7) Die wohlwollende Haltung der NPD gegenüber dem historischen Wohlwollende HalNationalsozialismus kommt in öffentlichen Verlautbarungen tung gegenüber dem Nationalsozialismus 23 "Deutsche Stimme" Nr. 5/2011, Mai 2011, S. 10 f. 24 "Deutsche Stimme" Nr. 6/2011, Juni 2011, S. 9. 83 RECHTSEXTREMISMUS nicht unmittelbar zum Ausdruck. Die Partei ist aus taktischen Erwägungen - zumal unter der Leitung ihres neuen Bundes vorsitzenden Holger Apfel - vielmehr bemüht, sich ein gegen wartsbezogenes Image zu geben und vergangenheitsorientierte Themen stärker zu meiden. Grundsätzlich hält die NPD allerdings an ihrem Bestreben fest, unter den Voraussetzungen einer ande ren Machtkonstellation eine grundlegende Revision des herr schenden Geschichtsbilds zum NSRegime zu erreichen. Die posi tive Bezugnahme auf das Dritte Reich gründet auf ideologischen Übereinstimmungen im Welt und Menschenbild und den daraus abgeleiteten vermeintlichen "Lebensgesetzen". Die weltanschau liche Nähe wird in Andeutungen, verbalen Provokationen, Ver gleichen und Verweisen auf vermeintlich positive Beispiele oder Aspekte der nationalsozialistischen Herrschaft erkennbar. Als Vorbild und Identifikationsfigur führt die NPD häufig den HitlerStellvertreter Rudolf Heß an. Dieser habe sich, so die bezeichnende Auslegung des rechtsextremistischen Historikers und NPDFunktionärs Dr. Olaf Rose, für einen umfassenden euro päischen Frieden eingesetzt und dafür 46 Jahre in Haft verbringen müssen. Heß und dessen Schicksal hätten einen enorm hohen Stellenwert für die "nationalen und patriotischen Kräfte" in Deutschland.25 Die Wahlkampfzeitung des NPDLandesverbandes zur Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 enthielt ein Kreuzworträtsel, in dem nach einem "deutschen Politiker ('Friedensflieger') des 20. Jahrhunderts", also nach Heß, gefragt wurde. Das gesuchte Lösungswort "Adolf" sollte ebenfalls provokativ auf den Nationalsozialismus bzw. Hitler anspielen und der Partei öffentliche Aufmerksamkeit verschaffen.26 Auch die Verwendung eines Wahlkampfplakats mit dem Spitzenkandi daten Udo Voigt und der Aufschrift "Gas geben!" kalkulierte die Assoziation mit nationalsozialistischen Gewaltverbrechen ein, um gezielt Empörung hervorzurufen, womöglich auch eine positive Resonanz der eigenen Klientel. Ein häufiges NPDMuster in der Bezugnahme auf den Natio nalsozialismus ist der Verweis auf vermeintlich positive Aspekte des Dritten Reiches. Damit wird nicht nur bezweckt, einzelne angeblich nachahmenswerte Seiten des Regimes herauszustellen, 25 "Deutsche Stimme" Nr. 5/2011, Mai 2011, S. 23. 26 Berliner NPDWahlkampfzeitung "Darum: NPD!", S. 4. 84 RECHTSEXTREMISMUS sondern auch versucht, dessen Charakter insgesamt umzudeu ten. Beispielhaft für dieses Vorgehen war eine Artikelserie der rechtsextremistischen Publizistin Ursula HaverbeckWetzel im Parteiorgan "Deutsche Stimme" zu den Anfängen der Ökologiebe wegung. Es ging der Autorin nicht nur darum, den aus ihrer Sicht verantwortungsbewussten Umweltansatz im Nationalsozialismus zu betonen. Das NSRegime sei vielmehr als Ganzes viel stär ker auf das Gesamtwohl ausgerichtet gewesen als gegenwärtige Demokratien: "Die Autorin kann nur wiederholen, was sich bei einer ersten Buchbesprechung des 2002 (...) vorgelegten Buches im Vergleich zu unserer heutigen Situation ergab: 'Wir könnten sagen: Der Diktatur eines am Volkswohl orientierten Führerstaates steht die Diktatur einer am Konzerngewinn orientierten Demokratie gegenüber.'" ("Deutsche Stimme" Nr. 9/2011, September 2011, S. 22) Der bayerische NPDFunktionär Axel Michaelis machte für die gescheiterte Bewerbung Münchens um die olympischen Win terspiele 2018 den aus seiner Sicht untauglichen Versuch verant wortlich, die eigene Vergangenheit "verdrängt, verleugnet oder verfälscht" darzustellen. Mit keinem Wort seien etwa die erfolg reichen Winterspiele von GarmischPartenkirchen im Jahre 1936 - also zur Zeit der HitlerDiktatur - erwähnt worden.27 Anlässlich des 1. Mai 2011 betonte das Berliner NPDVorstandsmitglied Josef Graf, die Einführung dieses Feiertags im Jahre 1933 verdeutliche die hohe Anerkennung des "Arbeiterstandes" im Dritten Reich. In einer für die Partei üblichen revisionistischen Umdeutung behauptete Graf, der Erfolg des deutschen Sozial und Wirt schaftskonzepts sei Ursache der beiden gegen das Deutsche Reich geführten Weltkriege gewesen: "Zweimal entfachten im vergangenen Jahrhundert die Plutokratien des Westens einen Weltbrand ungeheuren Ausmaßes, und zweimal musste der deutsche Soldat der Weltkriege gegen deren religiös verbrämte Gottlosigkeit und Geldgier antreten, um den Sozialstaat kontinentaleuropäischer Prägung gegen die Auffassung des 27 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2011, August 2011, S. 5. 85 RECHTSEXTREMISMUS angloamerikanischen Puritanertums zu verteidigen, das den Reichen als 'auserwählt', den Armen und Unterdrückten hingegen als 'verdammt' hinnimmt." ("Deutsche Stimme" Nr. 5/2011, Mai 2011, S. 24) 1.2 Strategische Ansätze "Vier-SäulenMit der sogenannten VierSäulenStrategie - "Kampf um die Strategie" Köpfe", "Kampf um die Straße", "Kampf um die Parlamente" und "Kampf um den organisierten Willen" - versucht die NPD, den demokratischen Verfassungsstaat umfassend zu bekämp fen. Über Theorie und Programmarbeit sollen das Ideenreper toire erweitert sowie Politik und Gesellschaftsdebatten, die für ideologisch anschlussfähige Themen geeignet sind, genutzt wer den. Kennzeichnend ist weiterhin die öffentliche Straßenpräsenz durch Aufmärsche, Kundgebungen und Informationsstände, um mediale Aufmerksamkeit zu erzielen und das Mobilisierungs potenzial der Partei zu erhalten. Großes strategisches Gewicht haben darüber hinaus die Sitze der NPD in Kommunal und Landesparlamenten, ohne dass damit allerdings ein Bekenntnis zur repräsentativen Demokratie einhergeht. Die bundesweit rund 330 Kommunal und vor allem die 13 Landtagsmandate in Sach sen und MecklenburgVorpommern dienen der Partei vielmehr dazu, vorhandene Strukturen regional zu vertiefen und in der Fläche auszubauen. Die parlamentarische Präsenz ist zudem für die NPD ein Agitationsinstrument mit beträchtlicher öffentlicher Resonanz. Sie ermöglicht die Professionalisierung von Parteifunk tionären, um effizienter eine Überwindung des "Systems" mit dessen eigenen Mitteln anzustreben, und erschließt zusätzliche finanzielle Ressourcen. Die NPD sieht sich insgesamt als par lamentarischer Arm eines übergeordneten "nationalen Wider stands". Sie erhebt den Anspruch, dessen unterschiedliche Kräfte im "Kampf um den organisierten Willen" zu bündeln. In der - allerdings dilettantisch umgesetzten und nicht ertragreichen - Fusion mit der DVU zum 1. Januar 2011 kam dieser Führungsan spruch der NPD innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums zum Ausdruck. Die szeneinterne Bedeutung der NPD ist vor allem von ihrer Kooperationsfähigkeit mit den parteiunabhängigen "Freien Nationalisten" abhängig. Die Mobilisierungsfähigkeit der Partei wird erheblich von dieser nicht spannungsfreien und 86 RECHTSEXTREMISMUS unter dem neuen Parteivorsitzenden Apfel schwieriger werden den "Volksfront" bestimmt. Die NPD misst den Zielen, eine möglichst große Wählerschaft zu Strategiedebatte erreichen, Parlamentsmandate zu erringen und diesbezügliche infolge schlechter Erfolge zu verstetigen, zentrale Bedeutung bei. Diese Schwer Wahlresultate punktsetzung kollidiert nicht selten mit anderen Prioritäten im Rahmen der "VierSäulenStrategie". Vor allem der Dualismus zwischen weltanschaulicher Dogmatik und "politikfähigem" Pragmatismus ist regelmäßig Gegenstand parteiinterner Kon flikte. Nach den für die NPD enttäuschenden Wahlresultaten im ersten Halbjahr 2011, insbesondere nach dem verpassten, im Vorfeld bereits als sicher geglaubten Einzug in den Landtag von SachsenAnhalt am 20. März 2011 (vgl. Nr. 1.3), setzte eine erneute Debatte über die strategische Ausrichtung der Partei ein. Die Auseinandersetzungen blieben nicht wie in den beiden Vorjahren auf polarisierende Schlagworte wie "gegenwartsbezogener und zukunftsgewandter Nationalismus" einerseits und "authentische Systemalternative" andererseits beschränkt, sondern enthielten auch konkretere Vorschläge zu einzelnen Aspekten der Außendar stellung wie etwa im Hinblick auf die Demonstrationspraxis oder die Kampagnenfähigkeit der Partei. Mit Blick auf den angestrebten Parteivorsitz versuchte Apfel, die Strategiedebatte für die Schärfung des eigenen Profils zu nutzen. Am 28. März 2011 forderte er, interne Faktoren für das Scheitern in SachsenAnhalt stärker zu berücksichtigen. Um nachhaltige Erfolge zu erzielen, müsse die NPD ihre Strukturen ausbauen, die Internetkompetenz verbessern, die Straßenpräsenz stärken und die publizistische Infrastruktur erweitern. Vor allem müsse Schluss sein, ewig die Schlachten von gestern zu kämpfen, statt sich den Problemen der Gegenwart und Zukunft zu stellen. Das "nationale Lager" verschwende zu viele Ressourcen auf die Gedenk und Trauerkultur. Um einer "seriösen Radikalität" wil len müsse man zudem bereit sein, sich von Kräften zu trennen, die nationale Politik mit "rechter Spaßgesellschaft" verwechsel ten.28 Der stellvertretende Bundesvorsitzende Richter griff diesen Gedanken auf und forderte in seinem Anfang Juni 2011 veröf fentlichten Thesenpapier "Raus aus dem Vergangenheitsghetto - Gegenwart gestalten!", die NPD müsse - ohne Infragestellung 28 Homepage der NPD Sachsen (28. März 2011). 87 RECHTSEXTREMISMUS weltanschaulicher Positionen - eine konsequent gegenwartspoli tische Außendarstellung durchsetzen, um nicht auf dem Niveau eines "Nostalgieverein(s) mit dem Charme einer großen Selbst erfahrungsgruppe" zu verharren. Notfalls müsse sich die Partei von unverbesserlichen "Symbol und Gedenkfanatikern" trennen, denen die nötige Einsicht in die Erfordernisse des parteipoliti sches Kampfes fehle (vgl. Kap V, Nr. 3).29 Aus den zahlreichen Verlautbarungen zur Strategie der NPD kris tallisierten sich drei Grundvarianten heraus: Eine erste Gruppe plädierte für eine offensive Rückbesinnung auf ideologische Prin zipien und eine klare FreundFeindBestimmung. Der zweite, innerhalb der NPD mehrheitlich vertretene Strategieansatz sah vor, das Erscheinungsbild der Partei konsequent zu modernisieren und zu professionalisieren, ohne jedoch ideologische Positio nen aufzuweichen oder gar aufzugeben. Vereinzelte, einer drit ten Kategorie zuzuordnende Stellungnahmen enthielten über die allgemeine Forderung nach einer äußerlichen Parteierneuerung hinaus auch das vage Zugeständnis, inhaltlichideologische Anpas sungen in Ansätzen in Kauf nehmen zu müssen. Ungeachtet der intensiv geführten Debatte verfügt die NPD nach wie vor nicht über ein strategisch schlüssiges Gesamtkonzept. Der Spagat zwi schen modernisierter Oberfläche und ideologischer Dogmatik birgt ein zu hohes Spannungspotenzial. Die von der Parteiführung geforderte Hinwendung zu gegenwartsbezogenen, ideologisch anschlussfähigen Themen wird häufig durch einen Rückfall in tra dierte rechtsextremistische Argumentationsmuster konterkariert. Bekräftigung der Auch das Verhältnis der NPD zu den sogenannten Freien Kräften "Volksfront" ist nicht widerspruchsfrei. Angesichts eines regional z.T. sehr hohen Verflechtungsgrads mit der neonazistischen Szene und der Abhängigkeit von dessen Mobilisierungskraft kommt ein klarer Bruch mit diesem Spektrum für die NPD nicht in Betracht. Innerhalb der Partei werden allerdings die Vor und Nachteile der Zusammenarbeit mit "Freien Nationalisten" kontrovers diskutiert und demzufolge der für die NPD zu erzielende "Kooperations gewinn" unterschiedlich bewertet. Wie groß die ideologischen Schnittmengen und die übereinstimmenden politischen Zielvor stellungen sind, wurde auf dem Pressefest des NPDParteiorgans 29 Karl Richter, "'Raus aus dem Vergangenheitsghetto - Gegenwart gestalten!' - Vier Thesen zu einer künftigen Positionierung der NPD", Internetplattform "Altermedia Deutschland", 7. Juni 2011. 88 RECHTSEXTREMISMUS "Deutsche Stimme" am 1./2. Juli 2011 in Jänkendorf (Sachsen) deutlich. Bei der Vergabe des "Widerstandspreises der Deutschen Stimme" an drei Initiativen des "parteiungebundenen nationalen Lagers" - nämlich an die Organisatoren der "Tage der deutschen Zukunft" und des "Gedenkmarschs Dresden" sowie an das neona zistische Netzwerk "Freies Netz Süd" (FNS) - betonte der Lauda tor Richter nachdrücklich die Gemeinsamkeiten im politischen Kampf. Zwar handele es sich nicht um ein reibungsloses, gänzlich spannungsfreies Verhältnis zwischen NPD und parteifreien Kräf ten, doch vereine beide Seiten der feste Wille, für das Volk einzu stehen. Wörtlich fügte er hinzu: "Und wir haben uns in diesem Jahr entschlossen, den Widerstandspreis der Deutschen Stimme an gleich drei Initiativen zu vergeben, (...) wohl wissend, dass es zwei Wege sind, den Widerstand für dieses Volk zu kämpfen, auf der einen Seite in den Reihen der Partei, auf der anderen Seite aber in parteiungebundenen Strukturen, wohl wissend, dass das zwei Herangehensweisen sind, zwei Seiten der gleichen Münze, zwei Schneiden der gleichen Klinge, aber unter dem Strich zählt, dass der Hieb, der mit dieser Klinge geführt wird, auch sitzt." (Redebeitrag von Karl Richter auf dem Pressefest der "Deutschen Stimme", 1./2. Juli 2011) Die Versuche der NPD, politische Proteststimmungen aufzugrei Kampagnenthemen fen und in kampagnefähige Mobilisierungsthemen für eigene der NPD ideologische Zwecke umzuwandeln, hatten im Jahr 2011 kaum Erfolg. Die Landtagswahlkämpfe der NPD waren von fremden feindlichen Parolen geprägt, mithin vom Rückgriff auf die ver meintliche ausländerpolitische "Kernkompetenz" der Partei. Seit Mitte 2011 versucht die NPD, die Euro und Schuldenkrise zu ins trumentalisieren. Eine antieuropäische Schwerpunktkampagne unter dem Motto "Raus aus dem Euro - Nein zur EUDiktatur" - forciert durch Propagandamaterialien, bundesweite Aktions tage sowie eine intensive Agitation in Print und elektronischen Medien - sollte der NPD als "der" AntiEUPartei ein unverwech selbares "Alleinstellungsmerkmal" gegenüber politischen Konkur renten schaffen. Die NPD ist allerdings weit davon entfernt, in der Diskussion über die Europäische Währungsunion als seriöskriti sche oder gar sachliche Stimme öffentlichkeitswirksam durchzu dringen. Die polemischen und verunglimpfenden Ausführungen 89 RECHTSEXTREMISMUS zur "Brüsseler Diktatur", zum "EuroWahnsinn" und zur "Aus plünderung des deutschen Volkes" sind erkennbar ideologisch geprägt und greifen nicht selten auf verschwörungstheoretische Erklärungsansätze für die europäische Schuldenkrise zurück. Die NPD stuft die Europawahl im Juni 2014 als strategisch wichtigen Wahltermin ein, weil für die Partei durch den Wegfall der Fünf ProzentHürde30 eine realistische Chance besteht, Abgeordnete in das Europäische Parlament entsenden zu können. Insofern wird die Partei die antieuropäische Agitation nicht nur fortsetzen, son dern mit Blick auf diesen Wahlgang noch intensivieren. 1.3 Organisation und Entwicklung MitgliederDie NPD hatte 2011 einen Rückgang der Mitgliederzahl auf entwicklung 6.300 Personen zu verzeichnen (2010: 6.600). Diese Verluste sind umso bemerkenswerter, als sich die Partei, zumindest gemessen an eigenen Verlautbarungen, von der 2010 initiierten Fusion mit der DVU einen spürbaren Mitgliederzuwachs versprochen hatte. Tatsächlich aber verlor die NPD 2011 innerhalb des rechtsextre mistischen Spektrums an Bindungskraft, weil sie einerseits im Hinblick auf die Kooperation mit den "Freien Nationalisten" über kein strategisch schlüssiges Konzept verfügt, andererseits aber über das eigene ideologische Lager hinaus keine neuen Mitglieder anziehen kann. Der Partei gelingt es nicht, potenziellen Interes senten eine überzeugende Erfolgsperspektive mit der Aussicht einer realen politischen Einflussnahme zu vermitteln. Das "Superwahljahr" 2011 stellte hohe organisatorische und logis tische Anforderungen an die NPD und wurde als richtungs weisend für die Entwicklung der Partei angesehen. Die ins gesamt niedrige Wählerresonanz war deshalb Gegenstand intensiver parteiinterner Debatten, nicht zuletzt im Vorfeld des am 12./13. November 2011 stattfindenden Bundesparteitags. Die beiden dort angetretenen Kontrahenten - Amtsinhaber Voigt und sein Herausforderer Apfel - zogen aus den erzielten Wahlergeb nissen voneinander abweichende Schlüsse für den weiteren Kurs der Partei. 30 Vgl. hierzu BVerfG, 2 BvC 4/10 vom 9. November 2011, AbsatzNr. (1-160). 90 RECHTSEXTREMISMUS Die NPD nahm 2011 - mit unterschiedlichen Erwartungshaltun Teilnahme an gen - an allen sieben Landtags und sechs Kommunalwahlen teil. Wahlen Die Landtagswahl in SachsenAnhalt am 20. März 2011 galt als wegweisende Schwerpunktwahl wegen des bereits fest einkalku lierten Einzugs in ein drittes Landesparlament nach Sachsen und MecklenburgVorpommern. Die Partei versprach sich hiervon einen merklichen Schub für die weiteren Wahlgänge und ein über das Jahr hinausreichendes Aufbruchsignal. Das Scheitern an der FünfProzentHürde stellte deshalb die gesamte NPDWahlstra tegie für 2011 infrage. Eine durchgehend negative Wahlbilanz wurde lediglich durch den - wenn auch unter Stimmenverlus ten - realisierten Wiedereinzug in den Landtag von Mecklenburg Vorpommern am 4. September 2011 verhindert. Die Partei konnte ihre Unzufriedenheit über die erzielten Resultate nicht verheh len. Gegenseitige Schuldzuweisungen sowie vermehrte Forderun gen nach personellen und strategischen Konsequenzen trugen schließlich maßgeblich dazu bei, dass Voigt als Bundesvorsitzen der nach einer Amtszeit von über 15 Jahren durch Apfel abgelöst wurde. Im ersten Halbjahr 2011 fanden Landtagswahlen in den westlichen Erfolglosigkeit der Bundesländern Hamburg (20. Februar), BadenWürttemberg und NPD in westlichen RheinlandPfalz (jeweils 27. März) sowie Bremen (22. Mai) statt, Bundesländern wobei die NPD durchweg unter den eigenen - ohnehin nicht hochgesteckten - Erwartungen blieb. Bei der vorgezogenen Bürger schaftswahl in Hamburg erreichte die NPD einen Stimmenanteil von 0,9% (absolut: 30.64831) und verpasste ihr Minimalziel von einem Prozent, um auf Landesebene Mittel aus der staatlichen Par teienfinanzierung beanspruchen zu können. Diese Mindesthürde unterschritt die NPD auch in BadenWürttemberg, wo sie ein Wahlresultat von 0,97% (absolut: 48.227) der Stimmen (2006: 0,7%; absolut: 29.219) erzielte. Die NPD war zwar in 68 von 70 Wahlkrei sen angetreten (2006: 53 Wahlkreise) und konnte die Zahl ihrer absoluten Stimmen um rund 19.000 erhöhen, verfehlte wegen der insgesamt deutlich gestiegenen Wahlbeteiligung aber dennoch die für die Parteienfinanzierung maßgebliche EinProzentHürde. 31 Diese Stimmenanzahl entspricht nicht der Anzahl der Wähler, da nach dem Ham burger Wahlgesetz jeder Wähler bis zu zehn Stimmen, fünf für Kandidaten auf den Landeslisten oder für Landeslisten in ihrer Gesamtheit (Landesstimmen) sowie fünf für Kandidaten im Wahlkreis (Wahlkreisstimmen), abgeben kann. Landes und Wahlkreisstimmen können auf mehrere Personen - auch unterschiedlicher Par teien - verteilt werden. 91 RECHTSEXTREMISMUS Diese Anforderung wiederum erfüllte die rheinlandpfälzische NPD knapp mit einem Zweitstimmenergebnis von 1,1% (abso lut: 20.586), womit sie ihr Landtagswahlergebnis von 2006 (1,2%; absolut 21.056) nahezu wiederholte. Deutlich höhere Erwartungen knüpfte die NPD an die Wahl zur Bremischen Bürgerschaft, wo sie am 22. Mai 2011 erstmals seit 1999 wieder mit eigenen Wahlvor schlägen antrat, mit einem Ergebnis von 1,6% jedoch ein weiteres Mal klar an den eigenen Vorgaben scheiterte. Vor allem verfehlte die Partei ihr vorrangiges Ziel, unter Nutzung einer Besonderheit des Bremischen Wahlrechts mit einem Stimmenanteil von mindes tens fünf Prozent in einem der beiden Wahlbereiche BremenStadt (1,4%) oder Bremerhaven (2,3%) in die Bremische Bürgerschaft einzuziehen. Damit misslang der Versuch der NPD, erstmals seit 1968 wieder eine symbolträchtige Präsenz in einem westdeutschen Landesparlament zu erlangen. NPD-SchwerUnter allen Wahlen im ersten Halbjahr 2011 ragte die von der NPD punktwahl in als ungemein wichtig eingestufte Landtagswahl in SachsenAnhalt Sachsen-Anhalt hervor. Die Partei war überzeugt, nach Sachsen und Mecklenburg am 20. März 2011 Vorpommern eine realistische Chance auf die Bildung einer drit ten Landtagsfraktion zu haben. Um dieses Ziel zu verwirklichen, führte die NPD über Monate einen akribisch vorbereiteten, ver gleichsweise professionellen und materialintensiven Wahlkampf. Der als Wahlkampfleiter fungierende Multifunktionär Apfel bezif ferte das dafür eingesetzte Budget auf rund 260.000 Euro.32 Offen siv und siegessicher wurde das Wahlziel "7 Prozent plus x" propa giert. Umso schockierter war die Gesamtpartei am Wahlabend, als beim Zweitstimmenanteil von 4,6% für die NPD (absolut: 45.826) das Scheitern an der FünfProzentHürde feststand. Verschiedene Kommentatoren aus der NPD versuchten zunächst, die Wahl niederlage auf äußere Umstände wie die Tsunami und Nuklear katastrophe in Fukushima am 11. März 2011 zurückzuführen. In der Debatte um die Wahlniederlage in SachsenAnhalt rückten jedoch rasch parteiinterne Erklärungsfaktoren in den Vordergrund wie mangelhafte Professionalität, unzureichende Strukturen in der Fläche, Defizite in der zielgruppenorientierten Themenset zung oder ineffizienter Ressourceneinsatz. Die Landtagswahl in SachsenAnhalt war somit Ausgangspunkt für eine sich über das gesamte Jahr 2011 hinziehende Strategiedebatte. 32 Junge Freiheit Nr. 11/2011, 11. März 2011, S. 4. 92 RECHTSEXTREMISMUS Nach dem verfehlten Parlamentseinzug in SachsenAnhalt kam der Landtagswahl in Landtagswahl in MecklenburgVorpommern am 4. September 2011 Mecklenburgnoch größere Bedeutung zu. Die NPD führte hier ebenfalls einen Vorpommern am professionellen und ressourcenintensiven Wahlkampf, eigenen 4. September 2011 Angaben zufolge warb die Partei mit rund 80.000 Plakaten und einer Million Wahlkampfzeitungen. Es sollte unbedingt der Wie dereinzug in den Landtag gesichert werden, um aus Sicht der NPD in der Wahlbilanz 2011 kein völliges Desaster zu erlei den. Die Gesamtkosten der Wahlkampagne sollen etwa 200.000 Euro betragen haben. Tatsächlich gelang mit einem landesweiten Zweitstimmenresultat von 6,0% (absolut: 40.642) der Wiederein zug in den Schweriner Landtag, obschon die Partei gegenüber der Landtagswahl 2006 (7,3%; absolut: 59.845) etwa ein Drittel ihrer damaligen Stimmen verlor. Die fünf gewonnenen Landtagsman date (2006: sechs) gingen an die bisherigen Abgeordneten Pastörs, Tino Müller, Michael Andrejewski und Stefan Köster sowie an den stellvertretenden Landesvorsitzenden David Petereit. Als NPD"Hochburgen" erwiesen sich die vier an der polnischen Grenze gelegenen Wahlkreise sowie der an Niedersachsen gren zende Wahlkreis Ludwigslust I. Die Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 Berliner Abgeordwar für die NPD von Brisanz, weil dort der damalige Bundesvor netenhausund sitzende Voigt als Spitzenkandidat antrat. Dessen Herausforderer Bezirkswahlen am Apfel hatte seine Bewerbung um den Parteivorsitz zwar noch 18. September 2011 nicht offiziell bekannt gegeben, in der Partei bestanden aber zum damaligen Zeitpunkt keine Zweifel an der geplanten Gegenkandi datur. Ein gutes Wahlergebnis in der deutschen Hauptstadt hätte Voigts Chancen erhöht, auf dem im Herbst anstehenden Bundes parteitag ein weiteres Mal in seinem Amt als NPDChef bestätigt zu werden. Die Berliner NPD setzte unter dem Kampagnenmotto "Kampf um Berlin" auf einen betont provokativen, aggressiven und fremdenfeindlichen Wahlkampf, um eine größtmögliche Publizität zu erreichen. Damit grenzte sich der Landesverband von den vorausgegangenen Wahlkampfstrategien in Sachsen Anhalt und MecklenburgVorpommern ab, bei denen sich die NPD um ein "bürgernahes" Erscheinungsbild bemüht hatte. Die NPD verfehlte mit einem landesweiten Zweitstimmenergebnis von 2,1% (absolut: 31.241) deutlich den angestrebten Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus. Gegenüber 2006 (2,6%; absolut: 35.229) büßte sie etwa ein Zehntel ihrer damaligen Stimmen ein. Voigt erlitt damit einen Rückschlag in seinem Streben nach einer 93 RECHTSEXTREMISMUS Wiederwahl als Parteivorsitzender, während Apfel den Berliner Landesverband für dessen "Nostalgie und reinen Provokations wahlkampf" kritisierte, der selbst "gutwillige(n) Menschen" nicht den Eindruck vermittelt habe, die Partei habe etwas mit ihren aktuellen Alltagsproblemen zu tun.33 Mäßige Die Kommunalwahlergebnisse fielen aus Sicht der NPD 2011 NPD-Ergebnisse bei ebenfalls weitgehend mäßig bis enttäuschend aus. Bei den Wahlen Kommunalwahlen zu den Hamburger Bezirksversammlungen konnte sie am 20. Feb 2011 ruar 2011 keine Mandate gewinnen. Zu den hessischen Kommu nalwahlen am 27. März 2011 trat die NPD lediglich punktuell an. Die Zahl ihrer kommunalen Sitze sank von 18 auf elf. Bei den Wah len zur Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven sowie den insgesamt 22 Ortsbeiräten in der Stadt Bremen am 22. Mai 2011 erzielte die NPD nur drei Mandate. Am 4. September 2011 fanden in MecklenburgVorpommern die infolge einer Gebietsreform notwendig gewordenen Kreistagswahlen statt. Mit einem landes weiten Durchschnitt von 5,4% errang die NPD in den sechs Land kreisen insgesamt 23 Kreistagsmandate. Bei den niedersächsischen Kommunalwahlen eine Woche später konnte sich die Partei im Vergleich zu 2006 von 18 auf 21 Kommunalmandate steigern. Bei den Wahlen zu den Berliner Bezirksverordnetenversammlungen wiederum eine Woche später erzielte die NPD ein Ergebnis von 2,1% (2006: 1,8%). Die Partei ist in drei der zwölf Kommunalpar lamente mit jeweils zwei Bezirksverordneten vertreten, konnte jedoch in keinem Bezirk Fraktionsstatus erreichen. NPD-BundesVor dem Hintergrund eines für die Partei enttäuschend verlaufe parteitag am nen "Superwahljahres" und einer kontroversen Strategiedebatte 12./13. November fand am 12./13. November 2011 in Neuruppin (Brandenburg) der 2011 33. ordentliche Bundesparteitag der NPD statt. Der Amtsinhaber Voigt unterlag deutlich mit 85 Delegiertenstimmen (40,3%) seinem Konkurrenten Apfel, der mit 126 Delegiertenstimmen (59,7%) zum neuen NPDBundesvorsitzenden gewählt wurde. Apfel konnte seine Wunschkandidaten für den neuen Parteivorstand nahezu vollständig durchsetzen: Der NPDFraktionsvorsitzende in MecklenburgVorpommern Udo Pastörs wurde zu einem seiner Stellvertreter gewählt, die beiden sächsischen NPDLandtagsab geordneten Andreas Storr zum Bundesschatzmeister und Arne Schimmer zum wirtschaftspolitischen Sprecher. Mit Klaus Beier, 33 Rechtsextremistisches Nachrichtenportal "Deutschlandecho" (19. September 2011). 94 RECHTSEXTREMISMUS Matthias Faust und Frank Schwerdt sind im Parteivorstand aber auch weiterhin Funktionäre präsent, die im vorausgegangenen Konkurrenzkampf um den NPDVorsitz eindeutig Position für Voigt bezogen hatten. Die erhoffte Aufbruchstimmung nach der Neuwahl der Parteifüh Reaktionen der NPD rung blieb indessen aus. Vielmehr sah sich die NPD gezwungen, auf die Verbrechen zu den kaltblütigen Morden des "Nationalsozialistischen Unter des "Nationalsozialisgrunds" (NSU; vgl. Kap. II, Nr. 2.1) Stellung zu beziehen, die am tischen Untergrunds" 11. November 2011 - nahezu zeitgleich mit dem NPDBundespar (NSU) teitag - der Öffentlichkeit bekannt geworden waren. Vehement wies der neue Parteivorsitzende Apfel am 15. November 2011 jede Verbindung des NSU zur NPD zurück: "Nach allem, was bis heute bekannt ist, zeugen die abscheulichen Morde des Zwickauer Killer-Trios - und vor allem die gräßliche Zurschaustellung der Opfer dieser Schandtaten in Videos - nicht nur von einer extrem hohen kriminellen Energie, sondern auch von einer Abartigkeit, die einen fassungslos macht. Wer angesichts dieser Bestialität auch nur ansatzweise auf die Idee kommt, dies könne im Sinne meiner Partei und meiner Fraktion sein, ist entweder unzurechnungsfähig oder agiert aus durchsichtigem Interesse." (Homepage "DS-Aktuell", 16. November 2011) Dieser Kommentar deutete bereits das Grundmuster an, das in den folgenden Wochen von einer Reihe weiterer NPDFunkti onäre in vielfacher Weise variiert werden sollte: Die verschwö rungstheoretische Behauptung, bei den NSUVerbrechen handele es sich um gezielte Machenschaften staatlicher Stellen, um vor dem Hintergrund der sich existenziell zuspitzenden Systemkrise den - infolge des NPDFührungswechsels zu erwartenden - Auf bruch einer authentischen Oppositionspartei zu verhindern und so einen Anlass zu konstruieren, diese unliebsame politische Konkur renz durch ein neuerliches Verbotsverfahren auszuschalten. Diese Argumentationstechnik wendete das Parteipräsidium exempla risch in seiner Stellungnahme vom 6. Dezember 2011 an. Dort hieß es, "etablierte Politiker, Medien und Träger antinationaler Einzel interessen" erzeugten eine "beispiellose Pogromstimmung" gegen das "volkstreue Lager", vor allem gegen die NPD. Dafür müsse eine 95 RECHTSEXTREMISMUS wohl "maßgeblich von Geheimdiensten gesteuerte Mordserie" herhalten.34 1.4 Unterorganisationen Die NPD verfügt über drei relevante Unterorganisationen: die Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), die Frau enorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) und die "Kommu nalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV). 1.4.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Gründung: 1969 Sitz: Halberstadt (SachsenAnhalt) Bundesvorsitzender: Michael Schäfer Mitglieder: 350 (2010: 430) Publikation: Zentralorgan "Der Aktivist"; unregelmäßig Mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) verfügt die NPD über eine vergleichsweise gut ausgebaute Jugendorganisation, die laut Satzung "integraler Bestandteil" der Gesamtpartei ist. Ungeachtet ihrer organisatorischen Einbindung sind die JN bemüht, ihre Autonomie und Eigenständigkeit herauszustellen. Vor diesem Hintergrund betonen Funktionäre der Jugendorganisation regel mäßig die unterschiedlichen strategischen Ausrichtungen von JN und NPD. Während die Mutterpartei als parlamentarischer Arm der "nationalen Opposition" fungieren soll, sehen die JN den eigenen Tätigkeitsschwerpunkt im "vorpolitischen Raum" und in der Bindegliedfunktion zu den "Freien Kräften". Ende 2011 sprach sich der stellvertretende Bundesvorsitzende Andy Knape dafür aus, "eine strikte Trennlinie zwischen den Aufgabenfeldern" 34 Homepage "DSAktuell" (7. Dezember 2011). 96 RECHTSEXTREMISMUS zu ziehen.35 Im Vorfeld der Neuwahl des NPD-Parteivorstandes befürwortete die JN-Spitze eine Modernisierung und einen personellen Neuanfang der Partei und unterstützte die Kandidatur Apfels. Sie verband damit auch die Hoffnung auf mehr Freiraum und Unterstützung durch die Mutterpartei. Auch im Jahr 2011 artikulierten die JN in diversen Verlautbarungen ihre Ablehnung des bestehenden Systems. Als ideale Staatsform propagierten sie weiterhin einen auf ethnisch homogener "Volksgemeinschaft" basierenden "Nationalen Sozialismus". Außerdem bauten die JN ihre "Volkstod"-Kampagne weiter aus und instrumentalisierten den demographischen Wandel für ihre rechtsextremistische Agitation. Sie entwarfen dabei ein düsteres Szenario vom Aussterben des deutschen Volkes und bezeichneten die demographische Entwicklung als Ergebnis einer vorsätzlich volksfeindlichen Politik: "Der Zustand ähnelt einem Genozid, den man hierzulande allzuoft anderen zuschieben möchte. Überspitzt formuliert könnte man bei nahe den Verdacht hegen, bei der BRD handle es sich um eine krimi nelle Vereinigung." (Homepage des JNBundesverbands, 21. September 2011) Den JN zufolge führt der Staat das "deutsche Volk" in einen "geistigen Holocaust"36 und somit in den sicheren Tod. Sie forderten deshalb eine "nationalistische und sozialistische Revolution": "Es gilt jetzt, den Kampf gegen die 'Volkstodrepublik Deutschland' zu führen und sich aus diesem Konzentrationslager endlich zu befreien. Kämpft mit uns für eine deutsche Zukunft!" (Homepage des JNBundesverbands, 18. Juli 2011) Anlassbezogen thematisierte die Jugendorganisation auch Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs, stellte in diesem Zusammenhang 35 Homepage des JN-Bundesverbands (19. Oktober 2011). 36 Homepage des JN-Bundesverbands (18. Juli 2011). 97 RECHTSEXTREMISMUS das staatliche Gewaltmonopol infrage und fordert zur Selbstjustiz auf: "Der Staat hat sich als unfähig erwiesen, sein höchstes Gut zu schützen. (...) Ab sofort sprechen wir das Urteil - Todesstrafe für Kinderschänder!" (Homepage des JN-Bundesverbands, 17. Oktober 2011) Als ihre wichtigste Aufgabe sehen es die JN an, die "nationalen Freiheitskämpfer von morgen"37 auszubilden: "Ein Kader der JN zu werden bedeutet, Elite der deutschen Volksgemeinschaft zu sein!" (Facebook-Profil des JN-Bundesverbands, 10. August 2011) Die JN bekräftigen immer wieder die Ernsthaftigkeit ihrer poli tischen Arbeit. Aufgrund ihres elitären Selbstverständnisses stel len sie zumindest verbal hohe Ansprüche an ihre Aktivisten. Als "ganzheitlich ausgerichtete Nationale Sozialisten"38 sollen sie nicht nur Disziplin und Aufopferung im politischen Kampf beweisen, sondern auch ihren privaten Lebenswandel den politi schen Leitlinien unterwerfen. Selbst die Familienplanung wollen Funktionäre der Jugendorganisation als "biologischen Kampf"39 und somit als politisches Instrument verstanden wissen. Im Jahr 2011 mussten die JN einen deutlichen Mitgliederrückgang hinnehmen. Es gelang ihnen nicht, Demonstrationen von über regionaler Bedeutung zu initiieren oder auf andere Weise öffent lichkeitswirksam Akzente zu setzen. Ähnlich wie die NPD büßte auch die Jugendorganisation an Bedeutung ein. 37 FacebookProfil des JNBundesverbands (10. August 2011). 38 Ebenda. 39 Ebenda. 98 RECHTSEXTREMISMUS 1.4.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Gründung: 2006 Sitz: Egeln (SachsenAnhalt) Bundesvorsitzende: Edda Schmidt Mitglieder: über 100 (2010: rund 150) Der "Ring Nationaler Frauen" (RNF) wurde im September 2006 als Sprachrohr und Ansprechpartner für alle "nationalen" Frauen, unabhängig von einer Parteimitgliedschaft in der NPD, gegründet. Der RNF erstellt Themenflugblätter zur Frauen und Familien politik, in denen z.B. die Rolle der Frau als Mutter und Hausfrau propagiert und die Kindererziehung durch gleichgeschlechtliche Partner abgelehnt werden. Der RNF ist seit dem NPDBundesparteitag 2008 eine Unter organisation der NPD. Die seit Oktober 2009 amtierende Vor sitzende Edda Schmidt40 gehört kraft Amtes dem NPDBun desvorstand an. Als ihre Stellvertreterinnen fungieren Ricarda Riefling aus Niedersachsen, die beim NPDBundesparteitag am 12./13. November 2011 auch in den NPDParteivorstand gewählt wurde, sowie Judith Rothe aus SachsenAnhalt. Zum Selbstverständnis des RNF äußerte die sächsische NPDLandtagsabgeordnete Gitta Schüßler: "Die Frauenorganisation der Nationaldemokraten unterscheidet sich von den Frauenorganisationen der etablierten Parteien dadurch, daß wir Probleme ansprechen können, an die sich die anderen schon lange nicht mehr trauen. Wir sind in der Lage, offen vor Überfremdung und den damit einhergehenden Nachteilen gerade für Frauen zu warnen, wir können uns offen gegen jegliche Quotierungen und das unsägliche gender mainstreaming aussprechen." (Homepage des RNF, 20. Dezember 2011) 40 Schmidt trat Ende Februar 2012 von ihrem Amt zurück. Judith Rothe übernahm kommissarisch die Organisationsleitung. 99 RECHTSEXTREMISMUS Vertreterinnen des RNF beteiligten sich im Sommer 2011 an der Erstellung eines Leitfadens für die NPDKampagne "Deutsche Kinder braucht das Land!". 1.4.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) Gründung: 2003 Sitz: Dresden (Sachsen) Bundesvorsitzender: Hartmut Krien Die 2003 gegründete "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) versteht sich als bundesweite Interessenvertre tung für kommunale Mandatsträger der Partei. Hartmut Krien, NPDStadtrat in Dresden, fungiert seit 2007 als KPVBundesvor sitzender. Aufgabenfeld Die KPV will die kommunalpolitischen Aktivitäten der NPD pro der KPV fessionalisieren. Zu diesem Zweck richtet sie Schulungen für Man datsträger aus und fördert deren Vernetzung und Erfahrungsaus tausch. Die Organisation prangert angebliche Benachteiligungen von NPDMandatsträgern öffentlichkeitswirksam an und gibt den Abgeordneten Ratschläge hinsichtlich ihres Verhaltens in einem "feindlich gesonnenen Gremium"41. Ihr langfristiges Ziel sieht die KPV darin, Vorkehrungen für einen von ihr prognostizierten wirt schaftlichen Zusammenbruch Deutschlands zu treffen und ein "Heer von geschulten Kameraden" heranzubilden, um zum gege benen Zeitpunkt "die gesamte mittlere Leitungsebene von einem Tag zum anderen zu übernehmen".42 Bedeutung der Bundesweit verfügt die NPD über rund 330 Kommunalmandate. Kommunalpolitik Mehr als drei Viertel davon entfallen auf die östlichen Bundes für die NPD länder. In Anbetracht ihrer antiparlamentarischen Ausrichtung besitzt die Kommunalpolitik lediglich instrumentelle Bedeutung für die Partei. Über den Gewinn kommunaler Mandate beabsich tigt sie, neue Agitationsplattformen zu erschließen, ihre lokale 41 NPDBroschüre "Der NPDLandesverband Sachsen stellt sich vor", S. 15. 42 "Deutsche Stimme" Nr. 1/2010, Januar 2010, S. 3. 100 RECHTSEXTREMISMUS Verankerung voranzutreiben und somit letztlich den Grundstein für Erfolge auf Landes und Bundesebene zu legen. 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) - Die Neue Rechte Gründung: 1987 43 Sitz: München (Bayern) Bundesvorsitzender: z.Zt. ohne Mitglieder: 1.000 (2010: 3.000) Nachdem in der DVU bereits im Jahr 2010 kaum noch politische Arbeit stattfand, setzte sich dieser Trend auch 2011 fort. Die Partei verfiel nach der von dem damaligen Vorsitzenden Matthias Faust verkündeten Verschmelzung mit der NPD in Agonie, einzelne Landesverbände stellten ihre Aktivitäten ein, ohne sich offiziell aufzulösen. Lediglich die Landesverbände Niedersachsen und SchleswigHolstein, deren Vorsitzende zu den schärfsten Kritikern der Fusion zählen, hielten noch eine Art Parteileben aufrecht. Sie führten Ende Juli 2011 jeweils in Gosdorf (SchleswigHolstein) Landesparteitage durch, an denen sich aber jeweils nur eine sehr geringe Anzahl von DVUMitgliedern beteiligte. Ein als Liquidator der DVU eingesetztes ehemaliges Bundesvorstandsmitglied hatte zuvor vergeblich versucht, die beiden Parteitage zu verhindern. Während die NPD von einer erfolgreich durchgeführten Fusion von NPD und DVU spricht, gehen die DVUinternen Gegner weiter gerichtlich gegen die Verschmelzung vor und kämpfen um den Fortbestand ihrer Partei. Mit Beschluss vom 25. Januar 2011 hatte das Landgericht (LG) München I (Bayern) zunächst dem Antrag der Landesverbände Berlin, Niedersachsen, NordrheinWestfalen und SchleswigHolstein auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zur Verhinderung der Unterzeichnung des Verschmelzungsvertrags zwischen DVU und NPD durch Faust stattgegeben. Das Gericht begründete seine Entscheidung mit 43 "DVU e.V.", 1971 als Verein gegründet; 1987 als Partei konstituiert; 1987-1991 "DVU - Liste D". 101 RECHTSEXTREMISMUS Hinweis auf die durch die Antragsteller glaubhaft vorgetragenen erheblichen Mängeln bei der Urabstimmung über die Verschmel zung, die mit den Anforderungen an demokratische Abstimmun gen unvereinbar seien. Dabei ging es davon aus, dass die Partei vorsitzenden den Verschmelzungsvertrag noch nicht in notariell beglaubigter Form unterzeichnet hatten. Nach dem Widerspruch der Fusionsbefürworter vom 11. Februar 2011 gegen diesen Beschluss und der Vorlage des bereits am 29. Dezember 2010 unterzeichneten notariell beglaubigten Vertrags erklärten die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung am 10. Mai 2011 die Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren für erledigt. Im Nachgang leiteten drei der vormals vier Verfügungskläger am 24. Mai 2011 beim LG München I (Bayern) das Hauptsacheverfah ren ein und erhoben Feststellungsklage bzgl. der Unwirksamkeit der DVUParteitagsbeschlüsse vom 12. Dezember 2010 wegen fehlender bzw. fehlerhafter Urabstimmung sowie Unwirksamkeit des notariell abgeschlossenen Verschmelzungsvertrags. Mit einem Urteil rechnen die klagenden Landesverbände erst im Jahr 2012. Die bereits im vergangenen Jahr einsetzende Erosion der Partei, die sich in mehreren Rück und Parteiaustritten von hohen Funktionären sowohl auf Bundes als auch auf Landesebene nie dergeschlagen hatte, setzte sich weiter fort. Nachdem Faust den Bundesvorsitz niedergelegt hat und aus der DVU ausgetreten ist, gehören dem ursprünglich 15 Personen umfassenden Vorstand nominell lediglich noch fünf Beisitzer an. IV. Rechtsextremistische Verbreitungsstrukturen 1. Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet 1.1 Allgemein Die Bedeutung der neuen Kommunikationsmedien ist in der rechtsextremistischen Szene unvermindert hoch. Nahezu alle wesentlichen Organisationen, Vertriebe, Publikationen und Musikbands, aber auch Einzelpersonen versuchen über das Inter net eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Die Anzahl der eigen ständigen rechtsextremistischen Internetpräsenzen ist 2011 mit 102 RECHTSEXTREMISMUS ca. 1.000 auf dem Stand des Vorjahres. Allerdings ist in diesem Bereich weiterhin eine starke Fluktuation feststellbar. Nach wie vor werden anlassbezogene Sonderseiten zu Demonstrationen, Kampagnen und sonstigen Veranstaltungen ins Netz gestellt. Sie enthalten neben Teilnahmeaufrufen u.a. Anfahrtsskizzen und bieten Mitfahrgelegenheiten an. Dies ist zumeist mit der Aufforderung verbunden, die ebenfalls angebotenen Flugblätter herunterzuladen, zu vervielfältigen und zu verteilen. Auch per SMS oder Twitter wird auf Veranstaltungen oder Kundgebungen hingewiesen. Zu einem beliebten Kommunikationsmittel haben sich Internet-Diskussionsforen - oftmals mit z.T. mehreren Hundert Teilnehmern - entwickelt. Sie erlauben einen gezielten Informationszugriff in strukturierter Form. Zudem werden Veranstaltungen oder Aktionen der rechtsextremistischen Szene angekündigt und im Nachgang ausführlich diskutiert. Neben der herkömmlichen Agitation über Homepages weiteten Nutzung der Rechtsextremisten ihre Aktivitäten in allen Bereichen des Web 2.0 Web 2.0-Dienste aus. Dabei setzte sich der Trend fort, Internetauftritte vermehrt im beliebten Weblog-Format mit interaktiver Kommentarfunktion zu gestalten. Diese für den Betreiber problemlos zu bedienenden und häufig professionell gestalteten Weblogs bieten die Möglichkeit, aktuelle, die Szene interessierende Nachrichten - oftmals mit regionalem Bezug - schnell und einfach hochzuladen. Gleichzeitig soll der Leser dazu animiert werden, die politische Arbeit aktiv mitzugestalten. Auch auf sogenannten Social Websites (z.B. Facebook) sind Rechtsextremisten zunehmend präsent. Über diese virtuellen Freundeskreise knüpfen sie Kontakte auch über die Szene hinaus und konfrontieren so Unbeteiligte mit ihrer Propaganda. Unter den rechtsextremistischen Internetpräsenzen nimmt die Internetplattform "Altermedia Deutschland" - vormals "Störtebeker-Netz" - eine herausragende Stellung ein. Sie fungiert als vernetzendes Medium im rechtsextremistischen Spektrum und soll eine "Gegenöffentlichkeit zu den 'etablierten' Medien schaffen". 103 RECHTSEXTREMISMUS In der Form eines Internetblogs werden tagesaktuell politische und gesellschaftliche Ereignisse dargestellt und kommentiert. "Altermedia Deutschland" dient weiten Teilen des rechtsextremis tischen Spektrums als Plattform zur Verbreitung von Informatio nen und Aufrufen. Neben antisemitischen Inhalten werden auch diffamierende Beiträge über Personen veröffentlicht, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Zwei Betreiber der Plattform wurden am 26. Oktober 2011 durch das Landgericht Rostock u.a. wegen Volks verhetzung und der Aufforderung zu Straftaten rechtskräftig zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und sechs Monaten bzw. zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Musikund Webplattformen erfreuen sich - vor allem unter Jugendlichen - in Videoportale aller Welt großer Beliebtheit. Auch deutsche Rechtsextremisten laden eigene Filme hoch, so z.B. Videoclips mit z.T. strafbarem Liedgut oder Darstellungen verfassungswidriger Kennzeichen. Zwar sehen die Nutzungsbedingungen der einzelnen Plattfor men im Allgemeinen vor, dass solche Inhalte als unerwünscht zu löschen sind. Dies wird jedoch von Seiten der verantwortlichen Betreiber nicht immer konsequent eingehalten. Strafbare Inhalte Nur ein kleiner Teil der originär rechtsextremistischen Home pages ist strafrechtlich relevant. Nach vorsichtigen Schätzungen liegt ihr Anteil unter fünf Prozent. Die von deutschen Rechts extremisten auf ihren Internetpräsenzen dargestellten Inhalte sind in der Regel so formuliert, dass die rechtsextremistische Ziel setzung zwar klar erkennbar ist, für eine strafrechtliche Verfol gung jedoch keine Angriffsfläche bietet. Strafbare Internetinhalte werden vornehmlich über ausländische Server verbreitet, was der Verfolgung durch deutsche Sicherheitsbehörden Grenzen setzt. Bewertung Die vielfältige WebPräsenz von Rechtsextremisten zeigt, dass diese in der Lage sind, die Möglichkeiten des Internets schnell für ihre Zwecke zu nutzen. Dabei ist auch eine Professionalisierung in der virtuellen Darstellung der eigenen Aktivitäten feststellbar. Angesichts der Bandbreite der zur Verfügung stehenden Internet dienste - deren Bedeutung für die rechtsextremistische Szene mit fortschreitender Entwicklung noch weiter zunehmen wird - geht hiervon eine nicht unerhebliche Gefahr aus. Auch wird durch das Angebot multimedialer Elemente (Ton und Videosequen zen) sowie die Möglichkeit, sich selbst aktiv einzubringen und 104 RECHTSEXTREMISMUS mit Szeneangehörigen direkt in Kontakt zu treten, die Wirkung rechtsextremistischer Propaganda deutlich erhöht. Aufgrund die ser Entwicklung hat das BfV die Internetaufklärung hinsichtlich rechtsextremistischer Aktivitäten weiter intensiviert. 1.2 Rechtsextremistische Internetradios Im Jahr 2011 lag die Zahl der rechtsextremistischen Internetra Zahl der Internetdios bei 33 (2010: 38). Auch in diesem Segment herrscht eine hohe radios rückläufig Fluktuation, etliche Radios waren nur vorübergehend in Betrieb. Internetradios, die über mehrere Jahre hinweg betrieben werden, bilden die Ausnahme. Angeboten wird fast ausschließlich rechtsextremistische Musik, mitunter werden auch Titel mit indizierten bzw. strafbaren Tex ten gesendet. Die Sendezeiten variieren von wenigen Stunden wöchentlich bis zu einem 24StundenProgramm, das teilweise durch die Nutzung entsprechender Software gewährleistet wird. Die Musiktitel werden oft anmoderiert, teilweise können die Nut zer das Programm über Hörerwünsche mitgestalten. Im Berichtszeitraum wurden mehrere Strafprozesse und Exekutivmaßnahmen Ermittlungsverfahren gegen Betreiber rechtsextremistischer gegen Betreiber von Internetradios durchgeführt, welche die Einstellung des Sendebe Internetradios triebs zur Folge hatten: # Am 11. April 2011 verurteilte das Landgericht Koblenz (RheinlandPfalz) 18 Betreiber des rechtsextremistischen "WiderstandRadio" u.a. wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung zum Teil zu mehrjähri gen Freiheitsstrafen. In neun Fällen wurden die Strafen zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Täter das Radio über einen längeren Zeitraum betrieben und dabei sowohl durch ihre Moderationsbeiträge als auch durch die regelmäßig abgespielten Titel deutscher und inter nationaler rechtsextremistischer Musikgruppen menschen verachtende, rassistische und nationalsozialistische Inhalte verbreitet haben. Nachdem acht der Verurteilten Rechtsmit tel eingelegt hatten, gab der Bundesgerichtshof der Revision statt, hob alle 18 Urteile auf und verwies sie zur Entscheidung an eine andere Strafkammer des entscheidenden Gerichts zurück. Darüber hinaus verurteilte das Landgericht Koblenz 105 RECHTSEXTREMISMUS (RheinlandPfalz) am 5. Januar 2012 elf weitere Betreiber des "WiderstandRadio" u.a. wegen Bildung oder Unterstützung einer kriminellen Vereinigung und wegen Volksverhetzung zu Bewährungsstrafen bis zu einem Jahr und drei Monaten. Eine weitere Person wurde aufgrund früherer Straftaten und einer Bewährungsverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung verurteilt. Die Urteile sind zum Teil ebenfalls noch nicht rechtskräftig. Zwei Verurteilte haben Rechtsmittel eingelegt. # Am 31. Mai und 30. Juni 2011 durchsuchte die Polizei im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Berlin in mehreren Bundesländern die Wohnungen von sieben mutmaßlichen Betreibern des "Radio Irminsul". Die vier Frauen und drei Männer stehen im Verdacht, sich seit Februar 2011 als InternetradioBetreiber und Moderatoren betätigt zu haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, sowohl durch die Moderatorenbeiträge als auch durch die ausgestrahlten rechtsextremistischen Musiktitel u.a. volksver hetzende Inhalte verbreitet zu haben. # Am 2. August 2011 durchsuchte die Polizei im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Cottbus (Brandenburg) in Brandenburg, NordrheinWestfalen und Sachsen die Wohnungen von vier Frauen und vier Männern, die im Verdacht stehen, als Betreiber des "Radio Kaffeebraun" sowohl durch ihre Moderatorenbeiträge als auch durch die gesendeten rechtsextremistischen Musiktitel volksverhetzende Inhalte verbreitet zu haben. 2. Rechtsextremistische Musik Bedeutung der Rechtsextremistische Musik hat für die gesamte Szene eine rechtsextremistiherausragende Bedeutung. Musikgruppen und Liedermacher schen Musik transportieren in ihren Texten offen oder unterschwellig rechts extremistische Feindbilder sowie nationalistische, fremdenfeind liche, antisemitische und antidemokratische Ideologiefragmente. Dadurch vermitteln und verfestigen sie rechtsextremistische Ein stellungsmuster. Die Musik dient durch ihre identitätsstiftende Funktion als "Lockmittel", um insbesondere Jugendliche an die rechtsextremis tische Szene sowie deren Ideologie heranzuführen und an sie zu 106 RECHTSEXTREMISMUS binden. Rechtsextremistische Musik hat damit nicht nur für die Entwicklung und den Zusammenhalt der nur lose organisierten subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene eine beson dere Bedeutung. Auch Neonazis und die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) nutzen diese Wirkung für propa gandistische Zwecke. So produzierten sowohl die neonazistische Szene als auch die NPD 2011 wieder rechtsextremistische Musik CDs und verteilten diese kostenlos vorwiegend an Jugendliche. Darüber hinaus gehörten auch Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher bei zahlreichen von der NPD organisierten Veranstaltungen zum festen Programm. Rechtsextremistische Konzerte dienen als Treffpunkte für Szene angehörige. Sie ermöglichen das ungestörte Ausleben ihrer rechtsextremistischen Gesinnung und dienen auch der überregio nalen Kontaktpflege, fördern mithin das Zusammengehörigkeits gefühl und die Vernetzung der Szene. Der bereits seit einigen Jahren zu verzeichnende Wandel inner Wandel der rechtshalb der rechtsextremistischen Musikszene setzte sich 2011 fort. extremistischen Mit der Öffnung für andere Musikstile entwickelt sich ein breite Musikszene setzt res Spektrum, mit dem auch Jugendliche angesprochen werden, sich fort die traditionelle SkinheadMusik oder "Rechtsrock" nicht bevor zugen. In den letzten Jahren hat sich die Musikrichtung des "National Socialist Hardcore" bzw. "National Socialist Hatecore" (NSHC) in der rechtsextremistischen Musikszene etabliert. Hierfür inte ressieren sich insbesondere jüngere Szeneangehörige, die das moderne Erscheinungsbild der Protagonisten und das Aufgreifen aktueller Themen - wie etwa Globalisierung und Umweltschutz - oftmals zeitgemäßer finden als Musik und Outfit der klassischen rechtsextremistischen SkinheadBewegung. Der Schwerpunkt dieser Musikrichtung liegt auch weiterhin im Osten Deutschlands. Die Anpassungsfähigkeit und Wandelbarkeit der rechtsextremisti schen Musik zeigt sich auch im Aufgreifen der Musikrichtung HipHop. Dieser für die rechtsextremistische Musikszene bislang untypische und dort aufgrund seiner afroamerikanischen Her kunft umstrittene Stil wurde 2011 auch von einigen deutschen rechtsextremistischen Musikern adaptiert. Innerhalb der Szene stieß dies auf unterschiedliche Reaktionen. Bislang wird diese 107 RECHTSEXTREMISMUS Stilrichtung überwiegend abgelehnt, in einigen Fällen aber auch zur Rekrutierung unpolitischer Jugendlicher befürwortet. Diese Musikrichtung konnte sich bisher zwar nicht in der rechtsex tremistischen Musikszene etablieren, zeigt aber, dass man dort flexibel auf den musikalischen Zeitgeschmack von Jugendlichen reagiert. Nach anfänglicher Ablehnung konnte sich der "National Socialist Black Metal" (NSBM) in der rechtsextremistischen Musikszene behaupten. Zur Akzeptanz dieses Musikstils und seiner Anhänger dürfte beigetragen haben, dass die NSBMSzene von ihrem auf Untergrundmusik basierenden elitären Selbstverständnis abge rückt ist. Werbung für Konzerte, die Selbstdarstellung in eigenen Fanzines sowie Internetvernetzungen mit ausländischen neona zistisch orientierten Gruppierungen bestätigen diese Wandlung. 2.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Anzahl rechtsDie Anzahl der rechtsextremistischen Konzerte bewegte sich 2011 extremistischer mit 131 Veranstaltungen (2010: 128) auf gleichbleibend hohem Konzerte gleichNiveau. Oftmals kam es im Verlauf rechtsextremistischer Kon bleibend hoch zerte zu Propagandastraftaten. Die durchschnittliche Besucherzahl lag mit 150 Personen höher als im Vorjahr (2010: 130). Die meisten Konzerte wurden von etwa 50 bis 150 Personen besucht. An 16 Veranstaltungen nahmen mehr als 300 Personen teil. Der Trend zu Konzertveranstaltungen mit geringer Teilnehmerzahl hat sich deutlich verstärkt. Konzerte mit höheren Teilnehmerzahlen, die in Einzelfällen stattfanden, dürften auf eine überregionale Mobilisierung oder den Auftritt besonders populärer Bands aus dem In und Ausland zurückzu führen sein. Das mit ca. 1.500 Besuchern größte rechtsextremistische Konzert fand am 1. Juli 2011 in Jänkendorf (Sachsen) statt und wurde im Rahmen des Pressefests der NPDeigenen "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH" durchgeführt. Dort traten Bands und Liedermacher aus Deutschland, Ungarn und Schweden auf. Aus schlaggebend für die hohe Besucherzahl dürfte vor allem der Auftritt der in der Szene populären Musikgruppe "Die Lunikoff Verschwörung" (Berlin) gewesen sein. 108 RECHTSEXTREMISMUS Etwa 1.300 Personen nahmen an einem Konzert in Rothenburg Geheege (Sachsen) teil, das am 12. November 2011 unter dem Motto "Freiheit für Erich Priebke44" von den NPDKreisverbänden Meißen und Leipzig veranstaltet wurde. Bei der Veranstaltung trat wiederum die Band "Die Lunikoff Verschwörung" auf, zudem spielten die Gruppen "Bunker 16" (Niedersachsen) und "Words of Anger" (SchleswigHolstein). Überdurchschnittlich viele Veranstaltungen wurden auch 2011 Regionale im Osten Deutschlands - insbesondere in Sachsen - durchge Schwerpunkte führt. Schwerpunkte bildeten Regionen, in denen Szeneangehö rige auf angemietete oder eigene Veranstaltungsobjekte zurück greifen konnten, wie etwa die Gaststätte "Zur deutschen Eiche" in Rothenburg (Sachsen). Dort, wo eine solche Möglichkeit nicht besteht, zeichnet sich ein Rückgang der Konzertzahlen ab. So etwa in BadenWürttemberg, nachdem der Mietvertrag für die ehema lige Gaststätte "Zum Rössle" in RheinmünsterSöllingen im Jahr 2011 nicht verlängert wurde und somit eine Nutzung des Objekts durch Rechtsextremisten nicht mehr möglich ist. Durch intensive Aufklärungsarbeit und polizeiliche Kontrollen Staatliche gelang es in 13 (2010: 19) Fällen, rechtsextremistische Musikver Maßnahmen anstaltungen trotz der konspirativen Vorgehensweise der Orga nisatoren bereits im Vorfeld zu verhindern. So traten Inhaber von Veranstaltungsräumen nach Sensibilisierungsgesprächen durch die Ordnungsbehörden von ihren Verträgen mit den Konzertor ganisatoren zurück. Der Rückgang bei verhinderten Konzerten lässt sich mit dem Bemühen der Veranstalter erklären, Vorschrif ten der Polizei und Ordnungsbehörden einzuhalten. Anders als bei Demonstrationen gehen Veranstalter rechtsextremistischer Konzerte nur selten gerichtlich gegen solch behördliches Ein schreiten vor. Erleichtert wird die Durchführung rechtsextremistischer Musik veranstaltungen hingegen im Falle der Nutzung szeneeigener Räumlichkeiten, da dem Eingreifen der Behörden hier engere Grenzen gesetzt sind. Deshalb bewegte sich die Zahl der Konzerte, die während ihres Verlaufs aufgelöst wurden, wie schon im Vor jahr, auf niedrigem Niveau (weniger als 10%). 44 Der ehemalige SSHauptsturmführer Erich Priebke wurde 1998 in Italien wegen Kriegsverbrechen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt. 109 RECHTSEXTREMISMUS Auftritte rechtsRechtsextremistische Bands und Liedermacher treten regelmäßig extremistischer bei Konzerten und Veranstaltungen auf. Im vergangenen Jahr fan Musiker bei sonstigen den 57 (2010: 71) Auftritte, etwa im musikalischen Rahmenpro Veranstaltungen gramm rechtsextremistischer Parteiveranstaltungen, statt. Nach einem starken Anstieg im Jahr 2010 ging die Anzahl 2011 damit wieder erkennbar zurück, bewegt sich aber immer noch deutlich über dem Niveau des Jahres 2009 (42). Auch die NPD bediente sich im Rahmen ihrer Veranstaltungen rechtsextremistischer Bands und Liedermacher, so z.B. bei dem oben genannten Konzert im Rahmen des Pressefestes der NPD eigenen Verlagsgesellschaft "Deutsche Stimme" am 1. Juli 2011 in Jänkendorf (Sachsen). Die Musiker dienen dabei insbesondere als Publikumsmagneten für jüngere Szeneangehörige, subkulturelle Rechtsextremisten oder Neonazis. Die NPD kann auf diese Weise gleichzeitig die Teilnehmerzahl der Veranstaltungen steigern und die Offenheit gegenüber dem nichtparteigebundenen Spektrum demonstrieren. Im Gegenzug erhalten die Bands eine Plattform zur Propagierung ihrer Weltanschauung sowie die Möglichkeit, ihren Bekanntheitsgrad zu erhöhen und daraus finanzielle Vor teile zu ziehen. 2.2 Rechtsextremistische Bands und Liedermacher Anzahl rechtsDie Anzahl der aktiven rechtsextremistischen Musikgruppen extremistischer (Konzertauftritte, Tonträgerveröffentlichungen usw.) stieg 2011 Musikgruppen auf 178 an (2010: 165). Die Mehrzahl der rechtsextremistischen Musikgruppen stammt aus Sachsen und Brandenburg. Anders als im Westen Deutschlands, wo die meisten Musikgruppen in der Regel über mehrere Jahre existieren, ist die Musikszene im Osten kurzlebiger und durch schnelle Neugründungen bzw. Auflösungen von Bands geprägt. Die Szene ist unverändert bemüht, möglichst keine strafrecht lich relevanten Tonträger zu produzieren. 2011 erschienen den noch vereinzelt CDs mit strafbaren Inhalten. So veröffentlichte die Musikgruppe "Feuer & Flamme" einen gleichnamigen Ton träger, dessen Liedtexte zum Rassenhass anstacheln und den 110 RECHTSEXTREMISMUS Nationalsozialismus verherrlichen.45 In dem Lied "Waffen SS" heißt es: "Doch heute werden sie Mörder genannt, sie werden verleugnet in ihrem eigenen Land. Man sagt sie kämpften für ein falsches Ideal, doch sie waren im Recht und das ist wahr. Ruhm und Ehre der Waffen SS, Eure Ehre hieß Treue. Ruhm und Ehre der Waffen SS, das gilt für uns auch noch heute." (Musikgruppe "Feuer & Flamme", CD "Feuer & Flamme", Lied "Waffen SS") Zahlreiche Liedtexte enthalten mehr oder weniger offene Antisemitismus in antisemitische Äußerungen. So hetzt die Band "Jungvolk" in dem Liedtexten Lied "Palästina" gegen Menschen jüdischen Glaubens und verun glimpft diese als "Bestien vom Mörderstaat": "Parasitär, nur das Unheil gebracht, nur Schlechtes, Böses, Abart seit ew'ger Zeit. (...) Erst wenn all das Schlechte schwindet, können wir unseren Frieden finden (...) Erst wenn unsere edle Welt ganz befreit von seinem Geld." (Musikgruppe "Jungvolk", CD "Der letzte Gang", Lied "Palästina"46) Rechtsextremistische Liedermacher treten nach wie vor im musi Auftritte rechtskalischen Begleitprogramm von Veranstaltungen der regionalen extremistischer rechtsextremistischen Szene oder der NPD auf. Gegenüber 2010 Liedermacher (40) sank die Anzahl auf 30 Veranstaltungen. Im Jahr 2011 sind bei einschlägigen Veranstaltungen oder durch Veröffentlichungen von Tonträgern 22 rechtsextremistische Lie dermacher (2010: 29) in Erscheinung getreten. Wenngleich die Mehrzahl der rechtsextremistischen Liederma cher - ähnlich wie die sonstigen rechtsextremistischen Musik gruppen - versuchten, bei Tonträgerveröffentlichungen strafbare 45 Die CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 96 vom 30. Juni 2011. 46 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 180 vom 30. November 2011. 111 RECHTSEXTREMISMUS Liedtexte zu vermeiden, wurden auch 2011 wieder einige CDs als jugendgefährdend eingestuft und indiziert. So wurden die CD "Mein Glaube heißt Deutschland"47 des Liedermachers "Fylgien", der auch als "Germanias Geist" auftritt, u.a. wegen Kriegsverherr lichung und der Tonträger "Rachezeit"48 des rechtsextremistischen Liedermachers "Teja" wegen des "verrohenden" und "zu Gewalttä tigkeiten und zum Rassenhass reizenden" Inhaltes indiziert. Auf der CD "Rachezeit" heißt es in eindeutig antisemitischer Diktion: "Sind Judas Künste nur Spott? Sind Judas Künste nur Spott? Gebt kein Pardon. Könnt ihr das Schwert nicht heben, so würgt sie ohne Scheu." (Liedermacher "Teja", CD "Rachezeit", "Lied der schwarzen Jäger") An anderer Stelle heißt es: "Keine Zweifel werden dich noch stören. Bei dem Aufstand bist du dabei. Wir zerschlagen die Judentyrannei." (Liedermacher "Teja", CD "Rachezeit", Lied "unbekannter Titel") 2.3 Rechtsextremistische Musikvertriebe Zahl der Vertriebe Im Jahr 2011 existierten bundesweit 91 (2010: 87) rechtsextremis nahezu konstant tische Vertriebe. Über die Hälfte (49) nutzt eigene Musik oder Textillabel (2010: 42) für die Produktion einschlägiger Tonträger und Bekleidungsartikel. Für die Produktion und Verbreitung von rechtsextremistischer Musik, Bekleidung und Propagandamaterialien existieren natio nale und internationale Strukturen. Diese bestehen aus Musik/ Textilvertrieben und labeln, Szeneläden, mobilen Händlern und Einzelpersonen, die in einschlägigen Internetforen, Internet Musiktauschbörsen und auf DownloadSeiten rechtsextremistische 47 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 149 vom 30. September 2011. 48 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 149 vom 30. September 2011. 112 RECHTSEXTREMISMUS Musik anbieten und verbreiten. Die zunehmende Nutzung des Internets als Verkaufsplattform erleichtert die Gründung von InternetVertrieben. Dabei herrscht eine hohe Fluktuation mit häufigen Neugründungen, Geschäftsaufgaben und übernahmen; langjährige Unternehmen bilden die Ausnahme. Neben Vertrieben bieten zunehmend auch Einzelpersonen, die oft unter wechselnden Pseudonymen per EMail und über ein schlägige Internetforen (z.B. im Händlerbereich des rechtsextre mistischen "ThiaziForums") agieren, Tonträger zum Verkauf an. Hier werden im Schutz der Anonymität z.T. auch indizierte bzw. strafrechtlich relevante Tonträger offeriert. Anders als ausländische Produzenten und Anbieter achten die in Deutschland ansässigen etablierten Produzenten und Vertriebe jedoch überwiegend darauf, ausschließlich strafrechtlich nicht relevante Produkte anzubieten. Da Liedtexte und Cover von neuen Tonträgern vor Veröffentli Weniger Exekutivchung häufig von szenenahen Anwälten auf straf und jugend maßnahmen schutzrechtliche Unbedenklichkeit hin geprüft werden, fanden im Jahr 2011 deutlich weniger Exekutivmaßnahmen und Sicher stellungen von strafbaren Tonträgern statt als im Vorjahr. Fortgesetzt hat sich auch der Trend der letzten Jahre, durch ein immer umfangreicheres Sortiment einen größeren Kundenkreis zu gewinnen. Dabei werden insbesondere Textilien ohne bzw. ohne direkt erkennbare rechtsextremistische Bezüge angeboten. Hiermit sollen auch Käufer außerhalb der rechtsextremistischen Szene angesprochen werden. Es wird gezielt auf Modebewusstsein und Abgrenzungswunsch diverser Jugendszenen gesetzt. Tonträger mit rechtsextremistischer Black MetalMusik werden nicht nur durch spezielle NSBMVertriebe in Umlauf gebracht, sondern auch von Anbietern aus dem Skinhead oder Hate coreMusikbereich. Bei den Verantwortlichen der NSBMVer triebe handelt es sich zunehmend um Mitglieder aktiver NSBM Bands, die über eigene InternetVertriebe nicht nur ihre CDs, sondern auch Textilien, Logopatches und einschlägige Fanzines aus dem Black MetalBereich anbieten. In diesem Zusammenhang wurde der Betreiber des NSBMVertriebs "M.O.D. - Merchant of Death" aus Berlin in einem seit Februar 2011 rechtskräftigen Urteil wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger 113 RECHTSEXTREMISMUS Organisationen zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. 3. Organisationsunabhängige Verlage, Vertriebsdienste und Publikationen Neben den partei oder organisationsgebundenen Verlagen exis tieren zahlreiche rechtsextremistische Verlage und Vertriebs dienste (2011: 28, 2010: 27). Die teilweise selbst produzierten Bücher und periodischen Publikationen, Tonträger, DVDs und Videokassetten enthalten die gesamte Palette rechtsextremis tischer Argumentationsmuster. So heißt es beispielsweise, der Bundesrepublik Deutschland fehle es aufgrund der "Umerzie hung" der Deutschen durch die Alliierten an Nationalstolz, politi scher Selbstständigkeit und Selbstbehauptungswillen. Hierdurch sei Deutschland wehrlos gegen die Zuwanderung geworden. Einige Autoren diffamieren die Bundesrepublik Deutschland und ihre Politiker als Handlanger der USA. Ein Großteil der Veröf fentlichungen enthält beschönigende Darstellungen des Dritten Reiches. Immer wieder werden auch verschwörungstheoretische Texte über jüdische Machenschaften zur Erlangung der Weltherr schaft publiziert. Die organisationsunabhängigen Verlage und Vertriebsdienste ver fügen über keine einheitliche Struktur und sind in Bedeutung und Größe unterschiedlich. Neben vielen kleineren Unternehmen mit eingeschränktem oder spezialisiertem Angebot existiert eine geringe Anzahl größerer Betriebe, die ein vielfältiges Buch und Zeitschriftenprogramm offerieren. Einige Unternehmen bieten überdies Schmuck und Alltagsgegenstände mit völkischen oder germanischmythologischen Motiven oder einschlägigen Paro len an. Zwischen den Verlagen und Vertriebsdiensten bestehen sowohl Konkurrenz als auch Kooperationsverhältnisse. Die organisationsunabhängigen Verlage und Vertriebsdienste neh men eine wichtige Funktion zur Fundierung politischer Positio nen der rechtsextremistischen Szene wahr. So urteilt der frühere Herausgeber des inzwischen eingestellten rechtsextremistischen 114 RECHTSEXTREMISMUS Strategie und Theorieorgans "Nation & Europa. Deutsche Monatshefte" Harald Neubauer: "Ohne diese patriotische Publizistik stünde die deutsche Rechte noch viel schlechter da. Parteien sind gekommen und gegangen, haben zeitweilig Hoffnungen ausgelöst und dann auch wieder zerstört. Hätte es da nicht einige parteiunabhängige Verlage gegeben, einige rechte Wochenund Monatsblätter, wäre personell vieles auseinandergelaufen, wären wohl auch unsere politischen Positionen streckenweise nicht mehr wahrnehmbar gewesen." ("Der Schlesier. Breslauer Nachrichten. Unabhängige gesamtdeutsche Wochenzeitung" Nr. 10-11, 11./18. März 2011, S. 7) Zu den bekanntesten Verlagen zählen der "GrabertVerlag" in Tübingen (BadenWürttemberg) und der "ArndtVerlag" in Kiel (SchleswigHolstein). Der von Wigbert Grabert geleitete Verlagskomplex, zu dem "Grabert-Verlag" neben dem "GrabertVerlag" das Schwesterunternehmen "HohenrainVerlag" gehört, bietet ein umfassendes Bücheran gebot an. Zahlreiche Eigenveröffentlichungen des Verlages ver harmlosen die Zeit des Nationalsozialismus, leugnen die Schuld der NSFührung am Beginn des Zweiten Weltkriegs oder ver breiten Verschwörungstheorien. Im Mai 2011 fanden Exekutiv maßnahmen im Zusammenhang mit der Verbreitung eines im "GrabertVerlag" erschienenen Buches statt. In deren Folge wur den Ermittlungsverfahren gegen zahlreiche Mehrfachbezieher der Publikation eingeleitet, die noch nicht abgeschlossen sind. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) hatte hinsichtlich des betreffenden Buches "Der Zweite Weltkrieg. Ursa chen, Hintergründe, Kriegsschuld, Folgen" festgestellt, der Autor Helmut Schröcke verfolge einzig das Ziel, das nationalsozialisti sche Deutschland von jeglicher Kriegsschuld reinzuwaschen und Adolf Hitler als einen in den Krieg Getriebenen darzustellen. Der Autor stellt den Zweiten Weltkrieg als Ergebnis einer globalen Verschwörung gegen das Deutsche Reich dar.49 49 Das Buch wurde durch die BPjM indiziert; vgl. Bundesanzeiger Nr. 200 vom 31. Dezember 2010. 115 RECHTSEXTREMISMUS Das Verlagshaus veröffentlicht zwei periodische Publikationen. Der monatlich im nunmehr 22. Jahrgang erscheinende "EuroKurier. Aktuelle Buch und Verlagsnachrichten" informiert seine Leserschaft mit Kurzkommentaren über tagesaktuelle The men und offeriert die Verlagsprodukte. Chefredakteur der Viertel jahresschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) ist der stellvertretende NPDVorsitzende Karl Richter. Die Pub likation erschien 2011 bereits im 59. Jahrgang und führte ihren revisionistischen Kurs unverändert fort. Exemplarisch hierfür ist ein Beitrag des rechtsextremistischen Publizisten Jürgen Schwab: "Hinzu kommt, daß historische Ursachen zu einem falschen, das heißt gemeinschaftsfeindlichen Bewußtsein unter den Deutschen geführt haben. In diesem Zusammenhang ist auch der Schuldkult zu sehen, mit dem wir Deutschen seit 1945 traktiert werden. Mit dem Komplex >Hitler, Holocaust und Auschwitz< können die oben genannten Einwanderungslobbygruppen alle möglichen Vorschläge zu einer Reform der Ausländerund Bevölkerungspolitik in Deutschland als >rassistisch< und >Völkermord< diffamieren." ("Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) Heft 3, September 2011, S. 20) Schwab greift in diesem Beitrag auch antisemitische Verschwörungstheorien auf und verneint gleichzeitig die univer selle Geltung der Menschenrechte: "Auf der Ebene des internationalen Überbaus finden wir noch wichtige Staaten und nationale Gruppen, die an Multikulti bei ihren potentiellen Feinden und Konkurrenten interessiert sind. So können die US-amerikanischen und zionistischen Lobbys ethnisch fragmentierte Gesellschaften besser beherrschen (...). Mit dem Schuldkult hängen falsche Ideologien zusammen, die Multikulti Vorschub leisten: Vor allem die sogenannten >Menschenrechte<, die auf universale Menschengleichheit setzen, wonach jedem Menschen an jedem globalen Ort die gleichen Rechte zustünden." (a.a.O.) 116 RECHTSEXTREMISMUS Die von Dietmar Munier geleitete "Lesen & Schenken GmbH" "Arndt-Verlag" offeriert ein breites Verlags und Versandangebot. In dem zur Verlagsgruppe gehörenden "ArndtVerlag" erschienen 2011 in der Reihe "Kunstgeschichte in Farbe" drei Bildbände, in denen das nationalsozialistische Kunstverständnis völlig unkritisch darge stellt wird, um so die angeblich schöne und imposante Seite des Nationalsozialismus zu vermitteln. Im Rahmen ihrer unternehmerischen Expansionsbestrebungen übernahm die "Lesen & Schenken GmbH" Anfang des Jahres 2011 die rechtsextremistische Wochenschrift "Der Schlesier. Breslauer Nachrichten. Unabhängige, gesamtdeutsche Wochenzeitung", die seit Mitte März 2011 in einer modernisierten, bunten Aufma chung unter dem Titel "Der Schlesier. Gesamtdeutsche Wochen zeitung" erscheint. An der politischen Ausrichtung des Blattes hat sich durch die Übernahme nichts geändert, es verbreitet weiterhin revisionistische Aussagen mit antisemitischem Anklang: "Erst diese beiden Kriegserklärungen an Deutschland entfachten den Zweiten Weltkrieg - und nicht der angebliche 'Überfall auf Polen', der von deutscher Seite notwendig war, um den polnischen Überfällen an der deutschen Reichsgrenze, die lange vor dem 1. September 1939 stattfanden, endlich ein Ende zu setzen. England und Frankreich hatten aber damit gar nichts zu tun - oder vielleicht doch, weil alles lange im voraus von der 'Ostküste' (USA) eingefädelt worden war?" ("Der Schlesier. Breslauer Nachrichten. Unabhängige, gesamtdeutsche Wochenzeitung" Nr. 10-11, 11./18. März 2011, S. 11) Seit April 2011 ist "Der Schlesier. Gesamtdeutsche Wochenzei tung" auch im öffentlichen Zeitschriftenhandel erhältlich. Der Zusammenarbeit rechtsextremistischer Verleger und Pub "Gesellschaft für lizisten dient die bereits 1960 gegründete und mit mehr als freie Publizistik e.V." 500 Mitgliedern größte rechtsextremistische Kulturvereinigung (GfP) "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." (GfP). Im Vordergrund ihrer Tätigkeit steht der Kampf für die "Meinungsfreiheit" - nicht zuletzt im Hinblick auf revisionistische Verlagsprodukte. Seit Jahrzehnten veranstaltet die GfP Kongresse, die Personen des rechtsextremistischen Spektrums zusammenführen und dem 117 RECHTSEXTREMISMUS Meinungsaustausch sowie der Stärkung des organisationsüber greifenden Zusammenhalts dienen sollen. Der jährliche Kon gressReport der GfP erscheint seit 2010 im "GrabertVerlag". Die 51. Jahrestagung der GfP stand unter dem Motto "Deutschland lässt sich nicht abschaffen! - Vom Tabubruch zur Systemkrise" und fand vom 20. bis 22. Mai 2011 in Kirchheim (Thüringen) mit rund 120 Teilnehmern statt. Die bei dieser Tagung alljährlich verliehene "Ulrich von HuttenMedaille" erhielt Dr. Otto Scrinzi, der regelmäßig in einschlägigen rechtsextremis tischen Publikationen veröffentlicht. Die Laudatio hielt der öster reichische Rechtsextremist Walter Marinovic. Periodische Die Zahl der periodischen rechtsextremistischen Publikationen ist Publikationen mit 85 (2010: 81, 2009: 82) leicht gestiegen. V. Ausgewählte rechtsextremistische Agitationsfelder 1. Antisemitismus Begriffsdefinition Antisemitismus ist ein alle Strömungen des Rechtsextremismus verbindendes Ideologieelement und ein festes Themenfeld in der rechtsextremistischen Propaganda. Judenfeindliche Argumenta tions und Verhaltensmuster greifen dabei jeden noch so entfern ten Anknüpfungspunkt des tagespolitischen Geschehens auf, um antisemitische Verschwörungstheorien neu zu untermauern. Antisemitische Agitation richtet sich gegen eine behauptete Gesamtheit "der Juden", denen pauschal negative Eigenschaften unterstellt werden, um damit deren Abwertung, Benachteiligung, Verfolgung oder gar Vernichtung ideologisch zu rechtfertigen. Da judenfeindliche Agitation in Deutschland auf Ablehnung stößt, steht sie nicht im Mittelpunkt rechtsextremistischer Argumenta tion, sondern fließt häufig in Nebensätze und Randbemerkungen ein. Szeneintern wird eine antisemitische Agitation zumindest in Andeutungen erwartet. Schwerpunkte Rechtsextremisten nutzen weiterhin insbesondere die weltweite Finanz und Wirtschaftskrise als Anknüpfungspunkt für ihre 118 RECHTSEXTREMISMUS antisemitischen Verschwörungstheorien. Sie beschuldigen "die Juden" als vermeintliche Verursacher und Nutznießer der Wirt schaftskrise, die Teil des "jüdischen" Plans zur Erringung der Weltherrschaft sei. Neben diesem politischen Antisemitismus sind der antizionistische und der sekundäre Antisemitismus weitere Agitationsschwerpunkte. Der sozial und der rassistisch "begrün dete" Antisemitismus stehen demgegenüber im Hintergrund. Der religiös "begründete" Antisemitismus ist nahezu ohne Bedeutung. Der antizionistische Antisemitismus zeigt sich vor allem in der Antizionistischer kategorischen Ablehnung des Staates Israel. Unter dem Deckman Antisemitismus tel der Kritik an Israel stellen Rechtsextremisten das Existenzrecht Israels infrage und verschleiern ihre grundsätzliche Ablehnung des Judentums.50 Indem sie die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit den nationalsozialistischen Verbrechen an Juden gleichsetzen, versuchen sie zudem, die Gräueltaten wäh rend des NSRegimes zu relativieren. Der sekundäre Antisemitismus beruht auf der Behauptung, "die Sekundärer Juden" instrumentalisierten den Holocaust, um Deutschland Antisemitismus finanziell und politisch zu erpressen. Damit knüpfen Rechtsextre misten an eine in Teilen der Bevölkerung vorhandene Abneigung gegen weitere Erörterungen des Genozids an. Der Vorwurf, Juden instrumentalisierten den Holocaust für ihre Zwecke, geht häufig mit einer Relativierung oder Leugnung des Holocaust einher. In manchen Fällen dient er als Begründung für neue Drohungen: "(...) natürlich wurde Juden während des Dritten Reiches auch Unrecht getan, das steht außer Frage, auch wenn man über die Gründe, die dazu führten sehr wohl diskutieren kann. Daß man diese dafür entschädigte ist daher durchaus in der Ordnung. Was aber durchaus ganz und gar nicht in Ordnung ist, ist, daß ihre Nachfahren die damalige Verfolgung heute als eine Art Monstranz nutzen, die sie vorschieben, um sich in der ganzen westlichen Welt als Moralapostel aufzuspielen, sowie um andere Völker politisch und wirtschaftlich zu erpressen. (...) Alles in allem Stoff genug, um das Überleben des Antijudaismus auch noch auf viele Jahrzehnte zu 50 Zur Abgrenzung zwischen Israelkritik und antisemitischem Antizionismus vgl. Aribert Heyder/Julia Iser/Peter Schmidt: Israelkritik oder Antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 3, Frankfurt am Main 2005, S. 144-165. 119 RECHTSEXTREMISMUS sichern (...). Wir sprechen dabei bewußt von Jahrzehnten, da die Art und Weise des gegenwärtigen jüdischen Auftretens über kurz oder lang dazu führen wird, daß gewisse Details der Zeitgeschichte sich wiederholen werden und wir davon ausgehen, daß die Völker bis dahin aus der Geschichte gelernt haben werden, ohne Fehler und falsche Rücksichtnahmen von einst noch mal zu wiederholen." (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 3. Februar 2011; Hervorhebungen im Original) Sozialer bzw. Der soziale Antisemitismus schreibt "den Juden" einen privilewirtschaftlicher gierten sozialen oder wirtschaftlichen Status zu. Dieser gipfelt in Antisemitismus der Behauptung von Rechtsextremisten, "die Juden" häuften auf Kosten der Nichtjuden Macht und Reichtum an. Sie verleumden Juden als Wucherer, Betrüger, ausbeuterische Kapitalisten und Spekulanten, die für wirtschaftliche Not und Massenarbeitslosigkeit verantwortlich seien und den Staat beherrschten: "Die BRD ist, Länder und Gemeinden eingerechnet, mit insgesamt über 1900 Milliarden Euro bei Juden verschuldet! (...) die Blutsauger eurer Not! (...) Die Industrie der BRD wird von jüdischen Fonds kontrolliert, (...). Dies sind die Verursacher der Massenarbeitslosigkeit! (...) Im BRD-Bundestag bestimmen alleine Juden die Gesetzgebung! (...) In 20 Jahren wird es keinen einzigen nicht-jüdischen Gerichtspräsidenten, Oberstaatsanwalt oder Polizeirat mehr in der BRD geben. Dann sei die Gnade mit uns! 4000 jüdische Familien regieren EU-Europa von der Londoner "City" aus. Das ist Hochfinanz! (...) u n e i n g e s c h r ä n k t e r Diktator EU-Europas ist Lord Rothschild!" (Flugblatt "Germanen, Andersrassige, Blutsmischlinge! Euer gemeinsamer Feind ist der Jude!", bekannt geworden im Juni 2011 im Stadtgebiet Rottenburg (Baden-Württemberg); Hervorhebungen im Original) Rassistischer Der rassistische Antisemitismus geht auf die im 19. Jahrhundert von Antisemitismus Rassetheoretikern vorgenommene Klassifizierung von Völkern nach körperlichen und mentalen Eigenschaften zurück. Rassistische Antisemiten behaupten, Juden seien gegenüber der arischen, weißen oder nordischen Rasse genetisch minderwertig. Während sie Juden eine Fülle von negativen Eigenschaften zuschreiben, gilt die weiße Rasse als durchweg positiv. Es liege unabänderlich im Wesen der Juden, 120 RECHTSEXTREMISMUS die "Weißen" durch Vermischung der Rassen beseitigen zu wollen. So heißt es in einem Artikel mit der Überschrift "Das Weltsystem der jüdischen Lobby steht auf der Kippe!" auf der Homepage des deutsch-englischen rechtsextremistischen "National Journal": "Die Lobby hat, getrieben vom Hass auf die Arier, Millionenmassen von Moslems nach Europa gelockt, um das Weiße Europa, voran die Deutschen, abzuschaffen." (Homepage des "National Journal", 28. Oktober 2011) Vor dem Hintergrund eines in der Öffentlichkeit vorherrschenden Offener Grundkonsenses gegen Antisemitismus und angesichts der WachAntisemitismus samkeit der Strafverfolgungsbehörden wird offener Antisemitismus von deutschen Rechtsextremisten nur teilweise propagiert. Insbesondere im neonazistischen Spektrum und hier vor allem von rechtsextremistischen Musikbands werden unverhohlen antisemitische Texte verbreitet. Auf dem Tonträger "Demo" fordert der Interpret "Ingo Hettmann" in dem Lied mit dem Titel "Wir lassen uns nicht von Juden regieren" die Vernichtung der Juden:51 "Vom Osten kamen sie einst her, Verstunken, Verlaust (...) Einmal Jud' sein - immer Jud' (...) Der Jude ist uns wohl bekannt, Ein Völkermörder, Rassenschänder, Als Kinderschreck für alle Länder (...) Er schächtet Tiere, schächtet Menschen (...) Es wird die Welt erst dann genesen, wenn wir sie vom Jud' erlösen." (Interpret "Ingo Hettmann", "CD Demo", Lied "Wir lassen uns nicht von Juden regieren") In Chatrooms, Diskussionsforen, Weblogs und in sozialen Netzwerken nutzen Rechtsextremisten die Anonymität des Internets zu offen antisemitischen Ausfällen. Auch in elektronischen Gästebüchern und offenen Infoseiten werden derartige volksverhetzende Parolen platziert. 51 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 16 vom 28. Januar 2011. 121 RECHTSEXTREMISMUS Antisemitismus durch Mehrheitlich vermeiden Rechtsextremisten allerdings einen offe Andeutungen nen Antisemitismus und greifen stattdessen auf Andeutungen zurück, bei denen die Intention erkennbar, aber strafrechtlich meist nicht relevant ist. Derartige Anspielungen werden von Rechtsextremisten verstanden und sind geeignet, latent vor handene antisemitische Einstellungen zu bedienen. Sie tragen darüber hinaus zur Tradierung antisemitischer Stereotype bei. Im rechtsextremistischen Diskurs dienen Codewörter wie "Wall Street", "USOstküste", "Hochfinanz" oder "Hintergrundmächte" als Synonyme für "die Juden". Der NPDLandesverband RheinlandPfalz formulierte in seinem Wahlprogramm zur Landtagswahl (27. März 2011) z.B.: "In Wirklichkeit existiert neben den USA kein anderer Staat auf dieser Welt, der nach dem II. Weltkrieg in so viele Kriege und kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt war. Dabei treten bestimmte Kreise der US-Ostküste immer wieder als Initiatoren solcher Kriege auf." (Landtagswahlprogramm der NPD Rheinland-Pfalz 2011, S. 16) Die "internationale Hochfinanz" wird häufig in Bezug zum jüdi schen Bankhaus Rothschild gesetzt. So heißt es in der NPDPartei zeitung "Deutsche Stimme", Zweck eines "klandestinen Besuchs" des Präsidenten der Europäischen Zentralbank (EZB) im Novem ber 2010 in Berlin - er wird "als einer der verlängerten Arme Rothschilds" bezeichnet - sei die "Übergabe eines Ukas [Dekret] an Bundeskanzlerin Merkel" gewesen. Der Ukas sei "auf Weisung der allerhöchsten Ebene" ergangen und verbiete es der deutschen Regierung, Überschüsse zugunsten des "bundesdeutschen Wohl ergehens zu verwerten".52 Eine weitere gängige Variante des angedeuteten Antisemitismus ist das demonstrative Hervorheben der tatsächlichen oder ver meintlichen jüdischen Herkunft einer als mächtig oder nega tiv dargestellten Person. Auf diese Weise werden antisemitische 52 "Deutsche Stimme" Nr. 2/2011, Februar 2011, S. 7. 122 RECHTSEXTREMISMUS Ressentiments geschürt. In einem Artikel in der NPDParteizei tung "Deutsche Stimme" heißt es z.B.: "Levy, Frankreichs Nebenaußenminister, ist ein Glaubensbruder von Präsident Nicolas Sarkozy, mit dem ihn vieles verbindet. Beide sind im selben Vorort groß geworden, in Neuilly. Beide sind Söhne jüdischer Einwanderer, die es im Frankreich der Nachkriegszeit zu beträchtlichem Wohlstand gebracht haben. Beide kämpfen um Macht, Einfluß und sind engstens mit der internationalen Plutokratie verbandelt." ("Deutsche Stimme" Nr. 5/2011, Mai 2011, S. 11) Antisemitische Verschwörungstheorien haben eine lange Tradi Verschwörungstion. Danach seien "die Juden" eine einflussreiche soziale Macht, theorien die mit politischen Absichten gemeinsam als Kollektiv die Herr schaft im jeweiligen Land oder gar die Weltherrschaft anstreben, die Regierung der USA steuern, die Wirtschaft, Finanzwelt und Medien beherrschen und durch ihre Verschwörung politische Umbrüche wie Kriege, Revolutionen oder Wirtschaftskrisen her beiführten. In einem mit "Der hundertjährige Krieg" überschriebenen Artikel erklärt der NPDMandatsträger Rigolf Hennig, seit 1914 herrsche "ein Krieg mit stets gleichen Opfern, nämlich den Völkern vor nehmlich der weißen Welt und stets dem gleichen Verursacher, nämlich dem sich im Globalismus überhebenden Zionismus in Gestalt einer Gruppe handverlesener, überreicher Männer im Hintergrund", deren Ziel die Weltherrschaft sei: "Die reichsten Banker der Welt von 'City' und 'Wallstreet' haben sich handstreichartig am 23. Dezember 1913 das Münzrecht in den Vereinigten Staaten gesichert, beherrschen seither die Wirtschaft, die Medien und die Politik dieses mächtigen Landes und über dessen Wehrkraft den größeren Teil der heutigen Welt. (...) Das gesellschaftliche Werkzeug zur Umsetzung der Macht ist der 'Council on Foreign Relations', eine halbgeheime us-amerikanische Vereinigung (...) der die eigentliche Macht - zuletzt unter dem Fürther Juden Henry Kissinger - im Lande ausübt (mit Ablegern im Ausland). Der Präsident der Vereinigten Staaten ist nur der Laufbursche. Zahlreiche 123 RECHTSEXTREMISMUS mehr oder weniger geheime Bünde (...) sorgen (...) für die Umsetzung der zionistischen Pläne. (...) Andererseits schufen die Hintergrundmächte mit der Europäischen Union ein Gebilde, welches (...) in Wirklichkeit aber als europäischer Teil des vorgesehenen Weltsystems die europäischen Völker einschmelzen -, die gewachsenen Kulturen vernichten - und insgesamt Graf Coudenhove-Kalergis Plan einer 'eurasisch-negroiden Mischrasse in Europa unter der Führung einer jüdischen Adelsschicht' umsetzen soll." ("Volk in Bewegung & Der Reichsbote" Nr. 1/2011, S. 20-22) An anderer Stelle des Artikels werden historische Ereignisse der Weltgeschichte in einen antisemitisch verschwörungstheoreti schen Zusammenhang gebracht: "Das 'System', also der globalistische Zionismus, hat den gegebenen Zustand natürlich vorsätzlich herbeigeführt. (...) Jene aber, die inzwischen zwei Weltkriege angezettelt und gewonnen haben, die für die französische Revolution von 1789 ebenso verantwortlich zeichnen wie für die russische von 1917, die Napoleon und Hitler gestürzt haben, die die Finanzkrise von 1929 ebenso ausgelöst haben wie die gegenwärtige - noch weit schlimmere - hoffen, sich im Wege des dritten Durchgangs endgültig die Weltherrschaft zu sichern." (a.a.O.) Besonders drastisch werden antisemitische Verschwörungsphan tasien in Texten einiger rechtsextremistischer Musikbands formu liert. Auf der CD "Blutzeugen" 53 der gleichnamigen Band heißt es: "Doch sah man in der Finsternis nicht die dunklen Mächte lauern. Sie trieben die Völker in den Krieg durch Lüge, Täuschung und Intrigen." (Musikgruppe "Blutzeugen", CD "Blutzeugen", Lied "Ein Volk, ein Weg") "In seinen bluttriefenden Händen führt er die Zügel straff gespannt. Die Fratze hinter seiner Maske, in aller Welt schon wohlbekannt. Die 53 Die CD wurde durch die BPjM indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 113 vom 29. Juli 2011. 124 RECHTSEXTREMISMUS Rolle des ewigen Opfers, hat er schon immer gut gespielt und während sie ihn noch bedauern, hetzt er die Völker in den Krieg." (Musikgruppe "Blutzeugen", CD "Blutzeugen", Lied "W.M.F.") Reisen bundesdeutscher Politiker nach Israel werden regelmäßig als Unterwerfungshandlungen oder Befehlsempfänge kommen tiert: "Schweriner Parlamentarier auf dem Weg zu Kotau und Befehlsempfang ins Gelobte Land." (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 21. März 2011) oder "Neuer Bundesinnenminister zu Befehlsempfang im Gelobten Land." (Internetplattform "Altermedia Deutschland", 2. April 2011) Rechtsextremisten nutzten die weltweite Finanz und Wirt "Die Juden" schaftskrise von Beginn an als Anknüpfungspunkt zur Verbrei als angebliche tung antisemitisch konnotierter Verschwörungstheorien. Sie Drahtzieher der behaupten, bei der seit 2008 schwelenden Krise handele es sich Weltwirtschaftskrise "um den alten und neuen Plan der WeltFinanzZentren, die Weltherrschaft mittels Versklavung der Massen zu erringen. Ins besondere sollen die fleißigen und leistungsstarken, immer parie renden Deutschen, bis zum letzten Blutstropfen ausgesaugt wer den. Und zwar bis in alle Ewigkeit".54 Die Finanzkrise habe keine wirtschaftlichen, sondern politische Gründe, sie sei "ein ausgeklügelter Betrugsplan der amerikani schen Notenbank FED (Federal Reserve Bank)". Hierbei handele es sich um ein Privatinstitut unter maßgeblicher Beteiligung des Hauses Rothschild, dessen Leitung in den Händen von Benjamin Shalom Bernanke liege, der neben einem amerikanischen auch 54 "National Journal" Nr. 148/149, 2011, S. 4. 125 RECHTSEXTREMISMUS einen israelischen Pass besitze. Die sogenannte Finanzkrise werde seit Jahrzehnten von der FED vorbereitet.55 2. Islamfeindlichkeit In den letzten Jahren gewinnt das Agitationsfeld Islamfeind lichkeit - als moderne Form der Fremdenfeindlichkeit - im Rechtsextremismus zunehmend an Bedeutung. Die Protagonisten versuchen Überfremdungsängste oder Vorurteile der Bevölkerung gegenüber Muslimen und dem Islam zu erzeugen oder vorhan dene Ressentiments zu schüren, um die öffentliche Meinung in ihrem Sinne zu beeinflussen. Abgrenzung zur Im Gegensatz zu legitimer und durch die Meinungsfreiheit Islamkritik gedeckter Islamkritik missachten Rechtsextremisten in ihrer islamfeindlichen Agitation die Menschenwürde und sprechen den Betroffenen das Recht als gleichwertige Persönlichkeit in der Gemeinschaft ab. Menschen werden aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ethnischen Zugehörigkeit oder ihrer Nationalität pauschal abgewertet und als nicht integrierbar dargestellt. Auf grund der Ablehnung des Islam bzw. der Muslime als "undeutsch" fordern Rechtsextremisten z.B. Muslimen bestimmte Grund rechte - etwa den Gleichheitsgrundsatz gem. Art. 3 GG oder die Religionsfreiheit gem. Art. 4 GG - einzuschränken oder gar gänz lich abzusprechen. Gleichsetzung Rechtsextremisten differenzieren aus ideologischtaktischen von Islam und Gründen zumeist nicht zwischen der Religion Islam, Islamismus Terrorismus und islamistischem Terrorismus. In Deutschland lebende Mus lime werden als Bedrohung der inneren Sicherheit Deutschlands dargestellt. Kalkül dieser Gleichsetzung ist die Suggestion, mit einer wachsenden Anzahl von Muslimen steige die Terrorgefahr. Rechtsextremisten versuchen auf diese Weise den Anschein zu erwecken, es gehe ihnen um das legitime Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung, tatsächlich verschleiern sie jedoch ihre frem denfeindliche Grundüberzeugung hinsichtlich einer homogenen deutschen Bevölkerungsstruktur. 55 Ebenda. 126 RECHTSEXTREMISMUS Befürchtungen in Bezug auf Integrationsprobleme sind oftmals Islamfeindlichkeit als nur der Anlass für Forderungen nach einer ethnischkulturell moderne Form der homogenen, rein deutschen Gesellschaft. So formulierte der kom Fremdenfeindlichmunale NPDMandatsträger und Publizist Rigolf Hennig: keit/des Rassismus "Landnahme durch Ausländer ist Völkermord an Deutschen. (...) Die Ursache [u.a. für die Krawalle in London im August 2011] ist besagte Landnahme durch Ausländer fremder Rasse und Religion in Europa, die sich weder eingliedern können noch wollen. (...) Die Lösung aller einschlägigen Probleme ist die Rückführung aller Raumfremden in ihre Heimat, auch wenn sie in 2. oder 3. Generation vor Ort sein sollten." (Rigolf Hennig: "Landnahme und Gewalt"; in "Stimme des Reiches" 6/2011, Seite 13 f.) Ähnlich argumentiert auch der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD in Brandenburg Ronny Zasowk. In seinem Aufruf "Islam als Haßreligion zurückdrängen!" greift er den demografischen Wandel in Deutschland auf und verbindet ihn polemisch mit Überfrem dungsängsten der Bevölkerung. Er unterstellt Muslimen, dass sie - im Rahmen eines Kollektivs handelnd - bestrebt seien, durch hohe Geburtenraten die Bevölkerungsmehrheit in Deutschland zu erringen. Erst dann würden sie ihre wahren Absichten offenbaren, die Verdrängung der bislang vorherrschenden Kultur. Zasowk stellt den Islam nicht als Religion, sondern als eine durch Hass motivierte Ideologie sowie als Ursache für Gewalt und Terrorismus dar: "Der Islamismus mag als terroristische Spielart der Wenigen schon eine relevante Rolle spielen, doch der Islam als Haß-Ideologie droht zu einer Waffe der Vielen zu werden. (...) Nicht diese besonders aggressiven Ideologeme [Salafismus, Islamismus und Fundamentalismus] sind unser Problem, der Islam an sich droht angesichts der überproportional hohen Geburtenrate unter türkischen und arabischen Migrantinnen zu einer Gefahr für Deutschland und Europa zu werden. (...) Nur die NPD setzt sich gegen die kapitalgesteuerte Einwanderung raumund kulturfremder Ausländer aus Nordafrika und Vorderasien ein und will somit die Herrschaft des Islam über Deutschland verhindern." (Homepage der NPD, 22. Juni 2011) 127 RECHTSEXTREMISMUS Offiziell unterscheidet die NPD in ihrem Parteiprogramm unter der Rubrik "Deutschland den Deutschen - Integration ist Völker mord" zwar zwischen der Religion Islam und der Islamisierung: "Eine besondere Gefahr für Identität und Kultur der Deutschen geht nicht vom Islam als Religion aus, sondern von der Islamisierung." (NPD-Parteiprogramm 2010, S. 12 f.) Die vorgeblich differenzierte Haltung wird jedoch gerade in lokalen islamfeindlich ausgerichteten Kampagnen der Partei kon terkariert. So heißt es in einem Flugblatt des NPDKreisverbands Bochum und Wattenscheid (NordrheinWestfalen) anlässlich von Exekutivmaßnahmen gegen islamistische Terrorverdächtige: "Die islamische Gefahr bannen - Deutschland den Deutschen!". Die Protagonisten fordern in Anbetracht einer künftigen Bekämp fung terroristischer Strukturen die Einschränkung der Religi onsausübung für Muslime bis hin zur "Ausländerrückführung statt gescheiterter Integration!". Zudem wird die Ausübung des islamischen Glaubens als "Kultur, Art und Identitätszerstörung" diffamiert.56 56 Homepage des NPDKreisverbands Bochum und Wattenscheid (13. Dezember 2011). 128 RECHTSEXTREMISMUS Auf die durch Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 in Reaktionen auf die Norwegen verübten Anschläge reagierte die deutsche rechtsextre Anschläge in mistische Szene überwiegend ablehnend. Norwegen 129 RECHTSEXTREMISMUS Dennoch stieß zumindest die islamfeindliche Motivation des Breivik in einigen Bereichen der rechtsextremistischen Szene auf Verständnis: "Nach unserer Einschätzung handelt es sich bei Anders Behring Breivik um einen gegenüber der übermächtigen Zwangs-Multikultisierung und -Islamisierung sich ohnmächtig fühlenden Verzweiflungstäter, der für sich keinen Ausweg mehr gesehen hat, auf die ungeheuerliche Verdrängung der Muslimeund Multikulti-Problematik in seinem Land aufmerksam zu machen, als durch ein solch spektakuläres Attentat." (Homepage "Die Reichsbewegung - Neue Gemeinschaft von Philosophen", 31. Juli 2011) Bewertung Islamfeindliche Äußerungen aus dem rechtsextremistischen Spek trum sind überwiegend fremdenfeindlich, in Teilen rassistisch motiviert. Durch offensives Aufgreifen bestehender Zukunfts ängste und Vorbehalte gegenüber Zuwanderern und durch Dar stellung des Islam bzw. der Muslime als potenzielle Straftäter und Terroristen versuchen Rechtsextremisten, auf einer emotionalen Ebene das Feindbild "der Islam gegen den Westen" aufzubauen. Dadurch sollen insbesondere Menschen angesprochen werden, die sich durch eine allzu offene, herkömmliche rechtsextremistische Agitation abgeschreckt fühlen. Auch im Hinblick auf die große zu erzielende öffentliche und mediale Aufmerksamkeit stellen islamfeindliche Kampagnen für Rechtsextremisten ein an Bedeu tung zunehmendes Agitationsfeld dar. Gerade im Schutze einer vermeintlichen Anonymität moderner Kommunikationsmedien finden sich auf Internetseiten, Blogs oder in Diskussionsforen unterschiedlicher Ausrichtung islamfeindliche Äußerungen, wel che die Grenzen der freien Meinungsäußerung überschreiten und auf eine Verletzung der Menschenwürde von Muslimen abzielen. 3. Geschichtsrevisionismus Bedeutung und Der zeitgeschichtliche Revisionismus gehört nach wie vor zu den Methoden wichtigsten Agitationsfeldern im Rechtsextremismus. Hierunter versteht man die ideologisch motivierte Umdeutung historischer Tatsachen durch Rechtsextremisten. Diese Rechtsextremisten 130 RECHTSEXTREMISMUS propagieren eine verfälschende Geschichtsbetrachtung, in der sie die Verantwortung des HitlerRegimes für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs anzweifeln und den systematischen Massen mord an Juden abstreiten oder relativieren. Bemühungen, die Zeit des Nationalsozialismus in einem güns tigeren Licht erscheinen zu lassen, sind daher - in unterschied lichen Ausprägungen - ein verbindendes Element der gesamten rechtsextremistischen Szene. Die auf diesem Feld agitierenden Rechtsextremisten leugnen meist ihre eigentliche Motivation und behaupten, sich als objektive Forscher um die Aufklärung histo rischer Sachverhalte zu bemühen. Sie geben vor, den bisherigen Wissensstand aufgrund neuer Erkenntnisse und Forschungs ergebnisse überprüfen und korrigieren zu wollen. In Wahrheit handelt es sich jedoch um politisch motivierte Bemühungen, das Geschichtsbild über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Betrachtung umzuschreiben. Rechtsextremistische Revisionisten versuchen die geschichtliche Wahrnehmung zu manipulieren, indem sie # gefälschte oder bewusst einseitig interpretierte Dokumente verwenden, # Quellen unterschlagen, die nationalsozialistische Untaten belegen, # vermeintlich positiv bewertete Handlungen des Dritten Reiches überbetonen, # Maßnahmen des Nationalsozialismus verschweigen oder beschönigen, # den Holocaust und andere Verbrechen der Nationalsozialisten, insbesondere durch eine Gleichsetzung mit Untaten der Sie germächte des Zweiten Weltkriegs, relativieren oder leugnen. Revisionismus im weiteren Sinne umfasst nahezu alle von den Erscheinungsformen Geschichtsfälschern genutzten Thesen, mit denen etwa die Schuld des NSRegimes am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs oder der verbrecherische Charakter der NSDiktatur bestritten werden. Der Revisionismus im engeren Sinne leugnet den an den europä ischen Juden begangenen Völkermord, eine Agitation, die in eini gen europäischen Staaten unter Strafe steht und in Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. 131 RECHTSEXTREMISMUS Agitation gegen die Grundsätzlich behauptet die revisionistische Szene, das aktuelle "Umerziehung" Geschichtsbild sei von den Alliierten bewusst falsch konstruiert und den Deutschen durch "Umerziehung" vermittelt worden. Dies gelte es rückgängig zu machen, um die "geschichtliche Wahrheit" ans Licht zu bringen: "Die im Zuge des Hooton-Planes vollzogene Umerziehung des deutschen Volkes und insbesondere unserer Jugend vom Kindergartenalter an zwecks Auslöschung jeglichen Nationalstolzes und kulturellen Selbstbewusstseins ist diametral umzukehren und durch die geschichtliche Wahrheit zu ersetzen (...) Wir brauchen eine UMERZIEHUNG DER UMERZOGENEN! Obige Maßnahme gilt sinngemäß für Richter und Staatsanwälte, die sich in fremdem Auftrag für die Verfolgung und Aburteilung deutscher Patrioten stark machen!" (Heinrich Piebrock: "Wider den Ungeist der Nachkriegszeit"; in "Stimme des Reiches" 2/2011, Seite 6 f.) Hoffnung auf Dass Rechtsextremisten mit der Verbreitung revisionistischer Destabilisierung Thesen auch die Hoffnung auf eine Destabilisierung des politi des "Systems" schen Systems der Bundesrepublik Deutschland verbinden, wird selten so offen deutlich wie in den Ausführungen des NPD Politikers Olaf Rose, denen zufolge "dieses Staatswesen inzwi schen in so starkem Maße auf historischen Lügen und Verdre hungen basiert, daß das Durchdringen der Wahrheit nicht nur zu einem intellektuellen tektonischen Beben führen würde".59 Gedenkmärsche Revisionistische Agitation äußert sich auch in Demonstrationen und Aufmärschen, in denen oftmals Ereignisse des Zweiten Weltkriegs thematisiert werden, insbesondere Bombenangriffe auf deutsche Städte. Beispielhaft hierfür steht die Bombardierung der Stadt Dresden (Sachsen), die sich am 13. Februar 2011 zum 66. Mal jährte (vgl. Kap. I, Nr. 4). Bei ihren Aktionen geht es den rechtsextremistischen Protagonisten nicht um das Gedenken an die deutschen Luftkriegstoten, sondern um eine öffentliche Zur schaustellung ihrer Ideologie. 59 "Der Schlesier. Gesamtdeutsche Wochenzeitung" Nr. 13/2011, 1. April 2011, S. 4. 132 RECHTSEXTREMISMUS Revisionistische Auffassungen werden in zahlreichen Büchern Publikationen und sonstigen Schriften verbreitet. Zum großen Teil handelt es sich dabei um "Standardwerke" rechtsextremistischer Autoren, die immer wieder neu beworben werden. Breiten Raum nimmt hierbei die Leugnung der deutschen Schuld Leugnung der am Zweiten Weltkrieg ein: Kriegsschuld "England wollte den Krieg und die Vernichtung Deutschlands und hat sich gegen alle Bestrebungen vor allem des Reiches gewandt, das gewaltige Völkerringen zu vermeiden. Materiell, finanziell und moralisch unterstützt von den Vereinigten Staaten von Amerika, die am Krieg in Europa nur verdienen wollten und zur Weltmacht aufsteigen konnten, hat die Kriegspartei in London nicht eher geruht, als bis die Lunte an das vorhandene Pulverfaß unter den europäischen Völkern gelegt worden war und der Fall Polen zum echten Weltkrieg ausgeufert war." ("Euro-Kurier" Nr. 6/2011, Juni 2011, S. 10) Eine Vielzahl von Veröffentlichungen würdigt Funktionsträger Verklärung von des Dritten Reiches. Hervorzuheben ist hierbei die Verklärung Funktionsträgern des der Rolle des HitlerStellvertreters Rudolf Heß, der als "Friedens Dritten Reiches flieger" bezeichnet wird: "Der Friedensflug von Rudolf Heß war ein verzweifelter Versuch von deutscher Seite, die Ausweitung des Krieges zu verhindern." ("Deutsche Stimme" Nr. 9/2011, September 2011, S. 24) Die offene Holocaustleugnung lässt sich aufgrund strafrechtlicher Leugnung des Sanktionen in der Bundesrepublik Deutschland seltener fest Holocaust stellen. Diese findet hauptsächlich auf einschlägigen Homepages statt. Hier werden - meist anonym - indizierte oder strafbare Schriften zum kostenlosen Download angeboten. Daneben wer den auch entsprechende Schriften aus dem Ausland eingeführt. Statt den Holocaust zu leugnen, kritisieren viele rechtsextremis tische Revisionisten die Gedenkkultur in Bezug auf das NS Unrecht und unterstellen den Opfern und deren Nachkommen 133 RECHTSEXTREMISMUS ausschließlich finanzielle Interessen, die durch die demokrati schen Institutionen in Deutschland willfährig erfüllt würden: "Hören bundesdeutsche Volksvertreter dieses Sesam-Öffne-Dich, fallen sie um, knicken sie ein und nicken die geforderten Beträge ab." ("Euro-Kurier" Nr. 11-12/2011, November-Dezember 2011, S. 10 f.) Agitation gegen strafInzwischen agitieren deutsche Rechtsextremisten auch gegen rechtliche Verfolgung die Strafrechtsnorm des SS 130 StGB (Volksverhetzung), welche die Leugnung des Holocaust unter Strafe stellt, und gegen die "Politjustiz", von der sie sich in ihrem "Meinungskampf" behindert fühlen: "Die hier wütende Politjustiz hingegen, das Krebsgeschwür unserer Zeit, hat nie etwas gebaut, nichts, gar nichts, sie hat immer nur zerstört: Menschen, Bücher, Ideale, Wahrheiten, Freiheitsrechte und zuletzt, hoffentlich, sich selbst. Das ist der Grund, weshalb Sie gehaßt werden, verflucht und verachtet, nicht nur von unzähligen Opfern, die Sie ruinier(t)en aus nichtigsten Anlässen, sondern auch von allen Menschen guten Willens, die mit Entsetzen die Höllenfahrt dieser Republik in einen neuen Totalitarismus erleben." (Jürgen Siepmann: "Volksverhetzung auf dem Vormarsch oder: Die Ermordung des menschlichen Geistes. Eine Retrospektive in drei Teilen"; in: "Gesellschaft für Freie Publizistik e.V.: Deutschland lässt sich nicht abschaffen! Vom Tabubruch zur Systemkrise", Tübingen 2011, S. 165) Dementsprechend riefen für den 26. März 2011 Rechtsextre misten unter dem Motto "Freiheit für Horst Mahler. SS 130 StGB abschaffen"60 zu einer Kundgebung vor der JVA Brandenburg auf.61 An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 250 Personen, darunter mehrere bekannte Holocaustleugner. "Europäische Aktion" Dem Kampf gegen Strafrechtsnormen, welche die Verbreitung (EA) rechtsextremistischer Hasspropaganda sanktionieren, hat sich 60 Das Motto der Kundgebung wurde auf Wunsch Mahlers geändert und lautete nur noch "Freiheit für Horst Mahler". 61 Internetplattform "Altermedia Deutschland" (28. Februar 2011). 134 RECHTSEXTREMISMUS auch die seit 2010 aktive "Europäische Aktion" (EA) verschrie ben. Vorgebliches Ziel ist die Bildung einer gesamteuropäischen "Freiheitsbewegung". Tatsächlich haben sich in der EA euro päische Holocaustgegner gesammelt, um die Abschaffung des SS 130 StGB sowie ähnlicher Strafvorschriften in anderen Ländern zu fordern. Die Agitation der EA ist in Wahrheit antisemitisch und rassistisch ausgerichtet und wird zugespitzt in der Forderung zur "Repatriierung der Fremdkontinentalen": "Weiße Ehegatten begleiten ihre Partner, Mischlinge siedeln sich in der Heimat ihres farbigen Elternteiles an. (...) Nach Ablauf der Frist werden Säumige und Renitente polizeilich oder militärisch abgeschoben." (Bernhard Schaub: "Die Europäische Aktion. Aufbau und Ziele der Europäischen Freiheitsbewegung", Dornach o.J., S. 20) Die EA, die ein sogenanntes Zentralsekretariat in der Schweiz eingerichtet hat, versucht - bislang mit mäßigem Erfolg - Stütz punkte in der Bundesrepublik Deutschland und im benachbar ten Ausland aufzubauen. Vorsitzender der EA ist der Schweizer Holocaustleugner Bernhard Schaub, Gründungsvorsitzender des 2008 verbotenen "Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestrei tens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV). Als Landesleiter für Deutschland tritt der NPDMandatsträger und Publizist Rigolf Hennig auf. Am 10. September 2011 versuchte die EA erstmals ein "EuropaFest" mit internationaler Beteiligung durchzufüh ren.62 Nachdem der Vermieter des Lokals in Einsiedeln (Kanton Schwyz) den Vertrag kurzfristig gekündigt hatte, versuchten rund 80 Rechtsextremisten, die Feier mit Gewalt durchzusetzen. Die Polizei löste die Versammlung auf. Rund 90 Anhänger der EA führten daraufhin eine Ersatzveranstaltung im Freien durch. Es gibt im Rechtsextremismus auch Stimmen, die tagespolitische Versuchte Themen und nicht mehr wie bisher revisionistische Thesen in "Modernisierung" den Vordergrund stellen wollen. Aktuelles Beispiel hierfür ist das vom stellvertretendem NPDParteivorsitzenden Karl Richter 62 Homepage der "Europäischen Aktion" (12. September 2011). 135 RECHTSEXTREMISMUS verfasste Thesenpapier. Darin wird die Forderung erhoben, das "Erscheinungsbild" der NPD "konsequent zu entnostalgisieren": "So sehr wir geschichtspolitisch mit unseren Positionen richtig liegen, so sehr liegen wir mit ihrer ständigen Thematisierung neben dem Breitenbewußtsein der bundesdeutschen Gegenwartsgesellschaft." (Karl Richter: "'Raus aus dem Vergangenheitsghetto - Gegenwart gestalten!' - Vier Thesen zu einer künftigen Positionierung der NPD/Neufassung"; Internetplattform "Altermedia Deutschland", 7. Juni 2011) Richter bezeichnet dies als "eine zeitgemäße Verkaufsstrategie für ein politisches Produkt, das mehr Erfolg und ein optimales 'Marketing' verdient habe" und macht damit deutlich, dass keine ernsthafte Abwendung von revisionistischer Zeitgeschichtsver fälschung geplant ist, sondern lediglich eine taktisch motivierte Zurückhaltung. Bewertung Der zeitgeschichtliche Revisionismus wird auf absehbare Zeit eines der wichtigsten verbindenen Elemente im Rechtsextre mismus bleiben. Eine Debatte innerhalb des rechtsextremisti schen Spektrums über eine Zurückhaltung bei revisionistischer Agitation, wie es Richter in seinem Thesenpapier vorschlägt (vgl. Kap. III Nrn. 1.1 und 1.2), erscheint angesichts der Vergangen heitsfixierung weiter Teile der rechtsextremistischen Szene wenig erfolgversprechend. VI. Internationale Verbindungen Zwischen deutschen und ausländischen Rechtsextremisten besteht seit Jahrzehnten eine enge Kooperation. Diese Zusam menarbeit äußert sich vornehmlich in der wechselseitigen Teil nahme an Demonstrationen und nichtöffentlichen Veranstaltun gen zu Politik und Strategie. 136 RECHTSEXTREMISMUS Das rechtsextremistische Spektrum verbreitet seit einigen Jah ren die These einer "Islamisierung Europas". Der Islam wird darin als Feindbild stigmatisiert, indem Islam und islamistische Terrorgefahr gleichgesetzt sowie soziale Probleme und gesell schaftliche Missstände in Europa einseitig auf das Verhalten vermeintlich nicht integrierbarer Muslime reduziert werden. Aus anfänglich eher national ausgerichteten Kampagnen zu diesem Thema haben sich in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene Kooperationsbestrebungen von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten ergeben. Das 2008 gegründete Bündnis "Städte gegen Islamisierung" vereint eine Reihe von Partnern, die diesem Spektrum zuzuordnen sind (so z.B. der flämische Vlaams Belang (VB), die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), die französische Partei Mouvement National Republicain (MNR) und die spanische Plataforma per Catalunya (PxC)). 137 138 Linksextremismus 139 Linksextremismus I. Überblick 1. Entwicklungen im Linksextremismus Zielsetzung Linksextremisten richten ihr politisches Handeln an revolutionär marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Sie wollen die bestehende Staats und Gesellschaftsordnung abschaffen und durch ein sozialistisches bzw. kommunistisches System oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft ersetzen. In gesellschaftspolitischen Diskursen und sozialpolitischen Ausein andersetzungen versuchen sie, demokratische Protestpotenziale für ihre systemüberwindenden Ziele zu instrumentalisieren. Die von Linksextremisten angewandten Aktionsformen reichen von offener Agitation bis hin zu klandestin vorbereiteten sowie situa tiven Gewalttaten. Zunahme der Gewalt Im gewaltbereiten Segment des Linksextremismus ist ein deutlich gewachsenes Gewaltpotenzial der Akteure festzustellen, wobei Körperverletzungen bewusst in Kauf genommen werden. Die Angriffe richten sich vor allem gegen Polizisten und gegen tat sächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Nahezu alle in 2011 verübten 1.157 Gewalttaten mit linksextre mistisch motiviertem Hintergrund (2010: 944) sind der autono men Szene zuzurechnen. Autonome halten die Anwendung von Gewalt (auch gegen Personen) zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele für legitim und rechtfertigen sie als ein unverzichtbares Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines Systems von "Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". "Antirepression" Seit Jahren ist das Aktionsfeld "Antirepression" gerade für gewalt bereite Linksextremisten von hoher Bedeutung. Während bislang Gewalt gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten szeneintern vermittelbar war, ist nunmehr darüber hinaus fest zustellen, dass die Bereitschaft zu gewalttätigen Angriffen auch auf Vertreter des "Repressionsapparates" wächst, insbesondere gegen Polizeikräfte. Damit verbunden sind erhöhte Aggressivität, gestiegene Risikobereitschaft und koordinierte Planung. Neben der Ausübung von zumeist klandestiner Gewalt, aber auch situa tiver Gewalt im Rahmen von Großveranstaltungen hat in diesem 140 LINKSEXTREMISMUS Aktionsfeld die Solidaritätsarbeit für inhaftierte "GenossInnen" im In und Ausland nach wie vor einen besonderen Stellenwert. Im Begründungszusammenhang "Antimilitarismus" führten "Antimilitarismus" gewaltbereite Linksextremisten eine Vielzahl militanter Aktionen gegen die Bundeswehr und gegen Rüstungsbetriebe und Unter nehmen durch, die mit der Bundeswehr privatwirtschaftlich zusammenarbeiten. Im Mittelpunkt "antimilitaristischer" Agita tion standen Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie die Ableh nung der NATO und ihrer Einsätze in Krisengebieten. Seit Ende Juni 2011 mobilisieren Linksextremisten für eine euro paweite Kampagne unter dem Motto "Krieg beginnt hier. War starts here. Kampagne gegen die kriegerische Normalität" mit der die Ende 2008 initiierte militante Kampagne gegen den Logistik dienstleister DHL und die Deutsche Post AG fortgeführt werden soll. In deren Verlauf war es zu einer Vielzahl von Sachbeschä digungen an Einrichtungen der Deutschen Post/DHL sowie zu insgesamt 23 Brandanschlägen auf Fahrzeuge des Unternehmens gekommen. Das Aktionsfeld "Antifaschismus" hat für Linksextremisten, so "Antifaschismus" auch für gewaltbereite Autonome, seit jeher einen hohen Stellen wert. Entsprechende Aktivitäten richten sich nur vordergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Ziel ist vielmehr die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, um die dem "kapitalistischen System" angeblich zugrunde liegenden Wurzeln des "Faschismus" zu beseitigen. Direkte Angriffe gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsex tremisten sowie Anschläge gegen rechtsextremistische Strukturen werden befürwortet und gelten als vermittelbar. Die Partei "DIE LINKE." bietet nach wie vor ein ambivalen "DIE LINKE." tes Erscheinungsbild: Sie setzt einerseits darauf, in der Öffent lichkeit als reformorientierte, neue linke Kraft wahrgenommen zu werden, andererseits liegen zahlreiche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen in der Partei vor, insbesondere die umfassende Akzeptanz von offen extremistischen Zusam menschlüssen in ihren Reihen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat in einem Klageverfahren des Abgeordneten der Partei, Bodo Ramelow, gegen die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 21. Juli 2010 in letzter Instanz die Rechtmäßigkeit 141 LINKSEXTREMISMUS und Erforderlichkeit der Beobachtung der Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigt. Auf ihrem 2. Parteitag vom 21. bis 23. Oktober 2011 in Erfurt (Thüringen) verabschiedete die Partei mit einer deutlichen Mehr heit das erste Grundsatzprogramm. Neben der Programmdiskus sion war das Jahr 2011 gekennzeichnet durch mehrere heftige innerparteiliche Debatten. Diese ließen kommunistische Zielset zungen und die Befürwortung des Systems der DDR erkennen. DKP Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) bekennt sich nach wie vor zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin als Richtschnur ihres politischen Handelns. Ihrem Parteiprogramm folgend strebt sie den Umsturz der politischen und wirtschaftli chen Verhältnisse an, um eine sozialistische Gesellschaftsordnung und letztlich den Kommunismus zu errichten. Der seit 2009 offen ausgetragene Richtungsstreit über die Frage, wie dieses Ziel zu erreichen ist, setzte sich fort. MLPD Die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD), die seit ihrer Gründung im Jahr 1982 von Stefan Engel geführt wird, praktiziert das Organisations und Führungsprinzip des Demo kratischen Zentralismus, nach dem nachgeordnete Bereiche der Partei sich bedingungslos dem Zentralkomitee unterordnen müs sen. Grundlegendes Ziel der maoistischstalinistischen Organisa tion ist der revolutionäre Sturz der "Diktatur des Monopolkapi tals" und die Errichtung der "Diktatur des Proletariats". "Trotzkisten" In Deutschland waren wie im Vorjahr 20 internationale trotzkis tische Dachverbände mit 28 Sektionen oder Resonanzgruppen vertreten, die Zahl der Aktivisten blieb mit rund 1.600 ebenfalls konstant. Trotzkisten verfolgen weiterhin die Strategie des Entris mus, d.h. die gezielte Unterwanderung anderer, meist konkurrie render Parteien oder Vereinigungen mit dem Ziel, dort Einfluss zu gewinnen, die eigene Ideologie zu verbreiten und schließlich die Organisation für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Von besonderer Bedeutung sind das Netzwerk "marx21" und die "Sozialistische Alternative" (SAV). "Rote Hilfe e.V." Die von Linksextremisten unterschiedlicher ideologisch politischer Ausrichtung getragene "Rote Hilfe e.V." (RH) defi niert sich ausweislich ihrer Satzung als "parteiunabhängige, 142 LINKSEXTREMISMUS strömungsübergreifende linke Schutz und Solidaritätsorgani sation". Im Fokus ihrer Tätigkeit steht nahezu ausschließlich die "Antirepressionsarbeit". Der Arbeitsschwerpunkt der RH liegt auf der finanziellen und politischen Unterstützung von Personen, die "staatlicher Repression" ausgesetzt sind - darunter auch linksex tremistischer Straf und Gewalttäter. Ihnen gewährt die RH nicht nur rechtlichen und ideologischen Beistand, sondern leistet auf Antrag hin auch Zuschüsse zu Anwalts und Prozesskosten sowie zu Geldstrafen. 2. Organisationen und Personenpotenzial Struktur und Erscheinungsbild des organisierten Linksextremis Leichter Rückgang mus haben sich im Jahr 2011 nicht wesentlich verändert, wenn des linksextremisgleich das Gesamtpotenzial gegenüber dem Vorjahr leicht gesun tischen Gesamtken ist. potenzials Die Verfassungsschutzbehörden rechnen dem linksextremis tischen Spektrum nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften Ende 2011 31.800 Personen (2010: 32.200) zu. Der dabei zu verzeichnende Rückgang resultiert per Saldo aus der Abnahme des Personenpotenzials der marxistischleninistischen und sonstigen revolutionärmarxistischen Zusammenschlüsse mit insgesamt 25.000 Personen (2010: 25.800). Demgegenüber ist bei den gewaltbereiten Linksextremisten Anstieg im Segment erneut ein leichter Anstieg des Personenpotenzials festzustellen. gewaltbereiter Ende 2011 gehörten diesem Segment des Linksextremismus Linksextremismus 7.100 Personen (2010: 6.800) an, darunter bis zu 6.400 (2010: bis zu 6.200) Autonome. 143 LINKSEXTREMISMUS Linksextremismuspotenzial1 2009 2010 2011 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Gewaltbereite 65 6.600 60 6.800 69 7.100 Linksextremisten2 davon: Autonome 60 6.100 55 6.200 65 6.400 Anarchisten 5 500 5 600 4 700 Marxisten-Leninisten 41 25.300 41 25.800 41 25.000 und andere revolutionäre Marxisten3 - in Parteien 9 9 9 - in sonstigen linksextremistischen Zusammenschlüssen 32 32 32 Summe 121 31.900 115 32.600 110 32.100 Nach Abzug von Mehrfachca. 31.600 ca. 32.200 ca. 31.800 mitgliedschaften4 1 Die Zahlen sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Erfasst sind nur Personenzusammenhänge, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe ist keine Voraussetzung für die Erfassung im gewaltbereiten Spektrum. 3 Einschließlich der offen extremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei "DIE LINKE.". 4 Die Mehrfachmitgliedschaft im Bereich der Parteien und sonstigen Zusammenschlüssen wurden vom Gesamt potenzial abgezogen. 144 LINKSEXTREMISMUS II. Gewaltbereiter Linksextremismus Struktur: Zusammenschlüsse existieren in nahezu allen größeren Städten, insbesondere in den Ballungs zentren Berlin, Hamburg und dem RheinMain Gebiet, den Regionen Dresden/Leipzig (Sachsen) und Nürnberg (Bayern), aber auch in kleineren Universitätsstädten wie Göttingen (Niedersachsen) und Freiburg (BadenWürttemberg) Anhänger: 7.100 (2010: 6.800) Gewalttätige Linksextremisten vor allem aus der autonomen Szene verübten 2011 deutlich mehr politisch motivierte Gewalt taten und sonstige Delikte, um ihren systemfeindlichen Vorstel lungen Nachdruck zu verleihen. Einzelne autonome Zusammenhänge, die vornehmlich ohne oder unter wechselnden Aktionsnamen auftraten, begingen zahlrei che Anschläge. Neben diesen klandestinen Aktionen verübten Linksextremisten aber auch im Zusammenhang mit Demonstra tionen und Großveranstaltungen zahlreiche Gewalttaten. Linksextremistisch motivierte Gewalt findet sich in allen Aktions feldern, wobei der Widerstand gegen den "repressiven Staat" und die "Militarisierung der Gesellschaft" sowie der "Antifaschismus" seit Jahren wichtige Rollen spielen (vgl. Kap. V, Nrn. 1-3). 1. Autonome 1.1 Selbstverständnis Den weitaus größten Teil der rund 7.100 gewaltbereiten Links Größter Anteil unter extremisten bilden die Autonomen; dieses Spektrum umfasste gewaltbereiten Ende 2011 bundesweit 6.400 Personen (2010: 6.200). Linksextremisten Autonomes Selbstverständnis ist geprägt von der Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens innerhalb "herrschafts freier Räume" ("Autonomie"). Die Szene sieht vom Staat nicht kontrollierte "Freiräume" als unabdingbar für die Verwirklichung 145 LINKSEXTREMISMUS der eigenen Lebensentwürfe an und versteht diese als Rückzugs gebiet und Ausgangspunkt eigener "antistaatlicher" Aktivitäten. Die behördliche Präsenz oder Exekutivmaßnahmen in diesen Arealen (u.a. besetzte Häuser) gelten als "gewaltsame Durchset zung kapitalistischer Interessen". Entsprechend massiv reagiert die Szene auf den tatsächlich oder vermeintlich drohenden Ver lust solcher "Freiräume". Die autonome Szene ist nicht homogen. Die mehr oder weniger gefestigten, eigenständigen Zusammenschlüsse verfügen nicht über ein einheitliches ideologisches Konzept. Führungsstruk turen oder Hierarchien sind den Autonomen fremd. Ihr Selbst verständnis ist geprägt von einer Vielzahl von AntiEinstellun gen ("antifaschistisch", "antikapitalistisch", "antipatriarchalisch"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "AntiImperialismus") bilden den "Legitimationsrahmen" ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Überwindung des Autonome zielen - wie alle Linksextremisten - im Kern auf die Systems Überwindung des "herrschenden Systems". So heißt es in einem Aufruf "Hinter den Faschisten steht das Kapital" eines "Revo lutionären AntifaBündnisses" zur Teilnahme an einer Antifa Demonstration am 9. Dezember 2011 in Hamburg: "Als Nachfolgestaat des dritten Reiches wurde die BRD als imperialistisches Bollwerk gegen die Arbeiterbewegung und die Völker der Welt aufgebaut. (...) Den Faschismus zu zerschlagen, erfordert die BRD zu zerschlagen. Der Kampf gegen den Faschismus, ist kein Kampf mit dem bürgerlichen Staat, sondern ein Kampf gegen ihn. Wir brauchen keinen neuen Aufstand der Anständigen, sondern den Aufstand der Arbeiterklasse. Gehen wir auf die Straße, nicht um zu schweigen, sondern um zu schreien, und unseren Hass auf die Faschisten und ihre Herren auszudrücken. Kampf dem Faschismus heißt Kampf dem imperialistischen System." (Homepage "Sozialistische Linke" Hamburg, 6. Dezember 2011) 146 LINKSEXTREMISMUS In einer Selbstdarstellung der Berliner Gruppe "Zusammen Kämpfen" (ZK) von Januar 2011 wird die Systemüberwindung ebenfalls zum vorrangigen Ziel erklärt: "Zusammen Kämpfen [Berlin] versteht sich als Teil der international um Befreiung kämpfenden revolutionären Linken. Diese klare Zuordnung erfolgt aus dem Bewusstsein, zur ausgebeuteten, fremdbestimmten und unterdrückten Mehrheit der Menschen zu gehören, die gezwungen ist, zum Leben Lohnarbeit zu verrichten, um einer absoluten Minderheit Profite zu erwirtschaften und ein luxuriöses Leben zu ermöglichen. (...) Auch dieses Wissen treibt uns an, die revolutionäre Umwälzung der bestehenden Verhältnisse für unabdingbar zu erachten. (...) Und das ist auch unser Ansporn, für eine grundlegende, radikale Veränderung einzutreten und zu kämpfen! (...) Wir sehen als einziges Mittel zur Abschaffung des Kapitalismus einen konsequent geführten Klassenkampf, der sich aller Mittel der Agitation, Streiks, revolutionärer Kultur und direkter Massenaktion bedient. (...) Die Perspektive unseres Kampfes ist letztendlich eine internationale, solidarische, klassenlose, staatenlose und herrschaftsfreie Gesellschaft." (Homepage von "Zusammen Kämpfen [Berlin]", 6. April 2011) Ebenso sprechen sich Autonome aus München (Bayern) in einem Beitrag "Für eine militante Perspektive" für die Gewaltanwendung zur Systemüberwindung aus: "Militante Praxis drückt eine politische Haltung aus: Unversöhnlichkeit, Unvereinbarkeit mit den herrschenden Verhältnissen. Wir wollen kein anderes, besseres Leben nach den gegenwärtigen Spielregeln. Wir wollen ein ganz anderes Leben! Es liegt an uns, das staatliche Gewaltmonopol jeden Tag in Frage zu stellen, um darüber die Perspektive einer befreiten Gesellschaft, die sich an den Bedürfnissen aller Menschen orientiert, zu verwirklichen." ("INTERIM" Nr. 727, 13. Mai 2011, S. 18-20) Die Anwendung von Gewalt - auch gegen Personen - halten Bereitschaft zur Autonome zur Durchsetzung ihrer Ziele für erforderlich. Sie Gewaltanwendung rechtfertigen die eigene Gewalt als notwendiges Mittel, um sich 147 LINKSEXTREMISMUS gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Aus beutung und Unterdrückung" zu wehren. Hierzu heißt es in einem Beitrag "Ziele und Beweggründe mili tanter Politik" in der im April 2010 erschienenen Broschüre "prisma prima radikales info sammelsurium militanter aktio nen": "Linksradikale militante Praxis heißt für uns zum Beispiel direkte Aktionen gegen staatliche Institutionen, rechte Strukturen, Verantwortliche für gesellschaftlichen Rassismus, Sexismus oder kapitalistische Ausbeutung. (...) Wir intervenieren mit den Mitteln, die wir für richtig halten, unabhängig davon, wo der Staat seine Grenzen zieht. (...) Aus Repressionsgründen ziehen wir es vor, unerkannt (...) militant zu agieren. (...) Direkte Aktionen drücken eine radikale, unversöhnliche Kritik aus, die sich kaum vereinnahmen oder funktionalisieren lässt. Im Gegenteil: Sie stehen dafür, dass wir die Regeln der Herrschenden nicht akzeptieren. Der vermeintliche Herrschaftskonsens wird aufgekündigt. (...) Veränderung von Gesellschaft bedeutet immer auch ein Überschreiten geltender Regeln." ("prisma", April 2010, S. 4) In einem Beitrag "Thesen zur Autonomie" von Januar 2011, den "Einige Menschen aus autonomen Gruppen" gezeichnet hatten, heißt es: "Autonomie strebt weder Zwangsnoch Gewaltausübung an. (...) Doch sie weiß, dass sich ihr Kampf nicht auf Appelle und Dialoge beschränken kann, dass die Vertreter_innen des Faustrechts und der Gewalt oft keine andere Sprache verstehen als eben jene der Gewalt und es notwendig sein kann, sich ihrer zu bedienen. (...) Die Autonomie verweigert sich dem einseitigen und undifferenzierten Gewaltbegriff der Herrschaft, der tatsächliche Gewaltverhältnisse verschleiert. Sie sucht die Ursprünge und Strukturen der Gewalt, wo diese im Verborgenen oder in institutionalisierter Form existieren, macht sie sichtbar, benennt sie und greift sie an - dabei zieht sie Sachbeschädigungen und Sabotage vor. Autonomie betreibt keinen 148 LINKSEXTREMISMUS Fetisch der Gewalt; sie erwägt jedes mal von neuem, ob Gewalt geeignet ist, eine bestehende Unterdrückung zu thematisieren, skandalisieren oder zu beenden." ("INTERIM" Nr. 724, 18. Februar 2011, S. 6-10) Autonome nutzen eine breite Palette militanter Aktionsformen. Gewalt gegen Ihre durch Gewalt gekennzeichneten Aktionen richten sich gegen Sachen und Sachen wie auch gegen Personen, darunter Vertreter des Staates, Personen insbesondere Polizisten, und vermeintliche "Handlanger" und "Profiteure" des Systems sowie gegen Rechtsextremisten und deren Strukturen, z.B. Schulungseinrichtungen und "Naziläden". Gewalt ist für Autonome nicht nur ein "Mittel subjektiver Befrei ung", sondern auch ein Instrument, antagonistische Positionen oder einfach die "Wut auf die Verhältnisse" zum Ausdruck zu bringen, wie es in einem Aufruf "Klassenkampf, Solidarität, soziale Revolution - Die Zukunft gehört uns!" der Nürnberger Gruppie rung "Organisierte Autonomie" (OA) zu Protesten anlässlich des "Revolutionären 1. Mai" heißt: "Ein weiteres Jahr ist vorbei seit dem letzten 1. Mai, dem letzten Kampftag der ArbeiterInnenklasse und doch hat sich nix geändert. Außer der Wut vielleicht, denn die ist gewachsen. Die Wut darüber, wie dreist sich Staat und Kapital an den Lohnabhängigen bedienen, sie bescheißen und ruhig halten! Die Frage ist wie lange noch? (...) Am revolutionären 1. Mai nutzen wir diesen historischen Tag, den Kampftag der ausgebeuteten und unterdrückten Klasse, um unsere Wut und Unzufriedenheit auf die Straße zu tragen und vor allem um zu zeigen, dass wir bereit sind, für eine andere Welt zu kämpfen. (...) Die Krise ist angeblich vorbei - geblieben ist die Wut. Die Wut über die Konsequenzen der Krise für jeden einzelnen von uns und vor allem die Wut darüber, dass wir die Kosten der Krise tragen sollen. (...) Kämpfen wir gemeinsam für eine freie, solidarische und klassenlose Gesellschaft weltweit, in der nach den Bedürfnissen aller produziert wird, statt nach dem Interesse der herrschenden Klasse. Kämpfen wir für eine Perspektive, jenseits von Kapitalismus, Patriarchat, Ausbeutung und Unterdrückung! Der Kapitalismus ist nicht das Ende der Geschichte und dass er es nicht werden kann, dafür 149 LINKSEXTREMISMUS sorgen wir! Tragen wir am 1. Mai den Widerstand gemeinsam auf die Straße - und von dort zurück in die Betriebe, Schulen und Jobcenter! Kapitalismus abschaffen! Für die soziale Revolution!" (Homepage "Organisierte Autonomie" (OA) Nürnberg, 6. April 2011) Auch eine Taterklärung zu einer Serie von Straftaten in Hamburg im Oktober 2011 (u.a. Sachbeschädigungen am Wohnhaus und Pkw der Senatorin für Stadtentwicklung), die mehreren Hambur ger Zeitungsredaktionen zuging, benennt Wut als auslösenden Faktor für Militanz: "Wir haben uns auf den Weg gemacht. An vielen Punkten zeigt sich Widerstand gegen die kapitalistische Stadt, gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn; für die Aneignung der Plätze, Strassen und Häuser, um sich ein besseres Leben zu organisieren oder zumindest nicht unwidersprochen wegjagen, zu lassen. Wir haben die Wochen vor der Demonstration genutzt, um an einigen Adressen von Verantwortlichen für Gentrifizierung und Mietenterror unsere Wut auszudrücken (...) Uns gehört die Stadt und wir werden diesem Senat (...) nicht für 5 Cent Freundlichkeit, bzw. wirkliches Interesse an der Lösung der Wohnungsnot abnehmen. - Mietenwahnsinn stoppen - Wohnraum vergesellschaften - Rote Flora und Zomia bleiben." Mit der Inszenierung von Gewalthandlungen verbinden Auto nome stets auch die Hoffnung auf Wahrnehmung der eigenen politischen Vorstellungen in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien. Insofern sind linksextremistische Gewalttäter bemüht, keine "unbeteiligten" Personen zu schädigen. 150 LINKSEXTREMISMUS In diesem Sinne heißt es in einem Positionspapier der "Revolu tionären Aktionszellen" (RAZ) von Juni 2011 unter dem Titel "Für eine organisierte klandestine Militanz": "Es ist aus unserer Sicht weiterhin innerhalb der revolutionären Linken darauf hinzuwirken, dass die Zielauswahl bei klandestin-militanten Aktivitäten so bestimmt ist, dass tatsächlich auch nur das ins Visier genommene Objekt den gewollten Schaden erfährt. Jeder - vor allem fahrlässig verschuldete - Fehltritt 'feuert' nicht nur übers Ziel hinaus, sondern liefert eine weitere offene Flanke für mediale Hetze." (Internetportal "linksunten.indymedia", 17. Juni 2011) 1.2 Konfrontative Gewalt Seit Jahren ist ein anhaltend hohes Aggressions und Konfron tationsniveau in der gewaltbereiten linksextremistischen Szene festzustellen. Eine typische Form autonomer Gewalt, für einige sogar der wich Straßenkrawalle tigste Ausdruck "militanter Politik", ist die sogenannte Massen militanz, d.h. Straßenkrawalle, die sich situativ im Rahmen von Demonstrationen bzw. in deren Anschluss entwickeln können. Gewalt soll als "normales" Mittel in der politischen Auseinander setzung erscheinen; ein gewalttätiger Verlauf - so die Botschaft - ist bei jeder Demonstration einzukalkulieren und wird billigend in Kauf genommen. Entsprechend bilden sich bei Demonstratio nen mitunter "Schwarze Blöcke", zu denen sich vermummte Akti visten in einheitlicher "Kampfausrüstung" zusammenschließen. Die Demonstrationen zum "Revolutionären 1. Mai" wurden oft "Revolutionärer mals von gewalttätigen Ausschreitungen begleitet. Die Schwer 1. Mai" punkte der linksextremistischen Aktivitäten zum 1. Mai 2011 lagen erneut in Hamburg und Berlin. In beiden Städten richteten sich die Kundgebungen vor allem gegen die städtebauliche Umstrukturierung und den drohen den Verlust "autonomer Freiräume". Insgesamt erreichten die teilweise schweren Ausschreitungen das hohe Gewaltniveau des Jahres 2010. 151 LINKSEXTREMISMUS In Hamburg nahmen an einer überregionalen Demonstration unter dem Motto "Stadt selber machen - für das Recht auf Stadt! Rote Flora und Bauwagenplatz Zomia verteidigen" am 30. April 2011 rund 4.000 Personen teil. Im Verlauf der Kund gebung wurden Polizeibeamte angegriffen, mehrere Gebäude beschädigt und ein Fahrzeug der Bundeswehr in Brand gesetzt. Im Anschluss zogen bis zu 200 Vermummte durch die Stra ßen, griffen erneut Polizeikräfte an, demolierten mehrere Autos, beschädigten Fensterscheiben an Gebäuden und setzten zahlrei che Autos und Müllcontainer in Brand. An der "VorabendDemo gegen Gentrifizierung" am 30. April 2011 in Berlin nahmen rund 1.500 Personen teil. Die anschließende "7. Antikapitalistische Walpurgisnacht" zählte rund 1.200 Teilneh mer (2010: 2.000). Den Schwerpunkt der Proteste in Berlin bildete die "18UhrDemonstration" am 1. Mai 2011 unter dem Motto "Heraus zum revolutionären 1. Mai - Für die soziale Revolution weltweit" mit rund 9.300 Teilnehmern (2010: 10.000). Entlang der Strecke wurden mehrere Bank und Einzelhandelsfilialen sowie Einsatzfahrzeuge der Polizei beschädigt. Der Anmelder beendete schließlich den Aufzug vorzeitig. Eine größere Anzahl von Teil nehmern versuchte trotzdem, die Demonstration fortzusetzen und wurde durch die Polizei aufgehalten. Hierbei kam es zu mas siven Angriffen auf die Einsatzkräfte. Weitere nennenswerte Demonstrationen von Linksextremis ten gab es u.a. in Dortmund, Düsseldorf, Wuppertal (alle Nord rheinWestfalen), München, Nürnberg (Bayern) und Stuttgart (BadenWürttemberg). Darüber hinaus beteiligten sich Linksex tremisten an den Gegenprotesten zu mehreren Aufmärschen von Rechtsextremisten, so in Bremen, Greifswald (Mecklenburg Vorpommern), Halle an der Saale (SachsenAnhalt) und Heilbronn (BadenWürttemberg). "Schanzenviertelfest" Zu gewalttätigen Ausschreitungen kam es auch im Rahmen des alljährlich in Hamburg stattfindenden "Schanzenviertelfestes". Während der eigentliche Trödelmarkt am 20. August 2011 fried lich verlief, kam es im Anschluss daran zu Krawallen, an denen sich bis zu 500 Personen beteiligten. So wurden in den Abendstunden auf der Fahrbahn vor dem Szeneobjekt "Rote Flora" Müllcontainer, Absperrgitter, Bierbänke 152 LINKSEXTREMISMUS und Holzpaletten in Brand gesetzt. Aus einer größeren Gruppe heraus warfen rund 20 vermummte Personen Steine und Fla schen gegen eine Bankfiliale und versuchten anschließend die Eingangstür aufzubrechen. Darüber hinaus wurden Polizeibeamte massiv angegriffen. Bis in die frühen Morgenstunden des 21. August 2011 kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen, Brandlegungen und Sachbeschädigungen. Dabei wurden vier Polizeifahrzeuge beschä digt sowie das Gebäude der Außenstelle eines Polizeikommissari ats durch Steinwürfe beschädigt. Ein weiteres Beispiel für konfrontative Gewalt von Linksextre Räumung misten sind die Auseinandersetzungen um das besetzte Haus in "Liebigstr. 14" der Liebigstraße 14 im Berliner Bezirk FriedrichshainKreuzberg. in Berlin Die in den frühen Morgenstunden des 2. Februar 2011 begonnene Räumung wurde über den ganzen Tag hinweg von einer Reihe linksextremistisch motivierter, teilweise gewaltsamer Protest aktionen begleitet. Das Gebäude war umfangreich verbarrikadiert und gesichert worden (u.a. durch Falltüren, eine unbrauchbar gemachte Treppe sowie durch das Ausbringen von Wasser in Verbindung mit nicht isolierten Stromkabeln). Der Polizei gelang es erst nach mehreren Stunden, das Haus zu räumen und neun Besetzer festzunehmen. Mit Blick auf die Räumung des Hauses in der Liebigstraße kam es auch in anderen Städten im In und Ausland zu "Solidaritäts aktionen". Noch am Abend des Räumungstages beteiligten sich rund 1.500 Personen an einem nicht angemeldeten Aufzug durch den Bezirk FriedrichshainKreuzberg. Im Anschluss an die Veran staltung verübten Personen, die in Kleingruppentaktik und mit hoher Gewaltbereitschaft vorgingen, eine Vielzahl von Straftaten. Es kam zu Sachbeschädigungen, gewalttätigen Angriffen auf Ein satzkräfte und ein Dienstgebäude der Polizei sowie zur Errichtung und zum Anzünden von Hindernissen auf der Straße. Auch in anderen Bezirken wurden zahlreiche Straftaten begangen. Bereits in den Tagen vor der Räumung war es in Berlin zu einer Vielzahl von Protest und Solidaritätsaktionen gekommen. 153 LINKSEXTREMISMUS So beteiligten sich am 29. Januar 2011 rund 2.000 Personen an einem Aufzug durch den Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Im Verlauf der Demonstration wurden Einsatzkräfte massiv attackiert und pyrotechnisches Material gezündet. Auch noch nach Ende des Aufzuges wurden die Einsatzkräfte aus einer Menschenmenge von bis zu 1.000 Personen angegriffen. 1.3 Klandestin vorbereitete Anschläge Einzelne Zusammenschlüsse innerhalb der autonomen Szene verübten zahlreiche schwere, heimlich vorbereitete und durchgeführte Gewalttaten. Im Gegensatz zur situativen Massenmilitanz sind derartige Anschläge wesentlich planvoller angelegt. Sie werden häufig in Selbstbezichtigungsschreiben, die an Tageszeitungen oder Presseagenturen versandt oder im Internet eingestellt werden, erläutert und gerechtfertigt. Die Täter hinterlassen bei ihren Aktionen kaum auswertbare Spuren und verwenden in der Regel zum Schutz vor Strafverfolgung in Taterklärungen wechselnde oder keine Aktionsnamen ("no-name"-Militanz). Einzelne Zusammenhänge operieren dagegen unter gleichbleibendem "Markennamen", um Kontinuität zu dokumentieren sowie erkennbar und "ansprechbar" zu sein. Anschläge der In den frühen Morgenstunden des 27. April 2011 verübten in "Revolutionären Berlin-Mitte unbekannte Täter in einer koordinierten Aktion Aktionszellen" (RAZ) Anschläge mit zündzeitverzögerten Brandsätzen auf das Gebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Berlin-Mitte und das Amtsgericht Wedding. Die im Abstand von etwa 30 Minuten ausgebrochenen Brände verursachten Sachschäden an Eingangstüren und Fassaden. Am Gebäude der Senatsverwaltung hinterließen die Täter den aufgesprühten Schriftzug "RAZ". Damit setzt sich die von der RAZ im Dezember 2009 begonnene Anschlagsserie fort. In einem "Kommunique", das auf dem von Linksextremisten genutzten Internetportal "linksunten.indymedia" eingestellt wurde, übernehmen die "Revolutionären Aktionszellen - Zelle 154 LINKSEXTREMISMUS Mara Cagol/Zelle Juliane Plambeck"63 die Verantwortung für die Anschläge. Sie beziehen sich auf die Mobilisierung zum bevorstehenden 1. Mai, an dem weltweit die "proletarischen Massen" gegen "kapi talistische Ausbeutung, rassistische und sexistische Unterdrückung sowie imperialistischen Krieg" protestierten. Dieser Kampf dürfe nicht nur auf diesen einen Tag beschränkt sein; vielmehr führe der "Weg vom Protest über den Widerstand zum Aufstand" nur über einen "beharrlichen organisatorischen Strukturaufbau der revolu tionären Linken". Zur Auswahl der Angriffsziele heißt es: "In den Standorten von GerichtsvollzieherInnen und Mahngerichten sowie kommunalen Einrichtungen der Stadtumstrukturierung sitzen die Ausführenden und AmtsträgerInnen des reaktionären Klassenkampfes von oben. Diese behördlichen Stellen sind aufgrund ihrer Funktion im Geflecht der sozialtechnokratischen Offensive gegen Angehörige unserer Klasse legitime Angriffsziele klandestin-militanter Politik der revolutionären Linken. Ein institutioneller Klassenkampf von oben gehört untrennbar zu einem kapitalistischen Klassenstaat, der sich durch seine ideologischen und repressiven Staatsapparate eine dauerhafte Existenz sichern will." (Internetportal "linksunten.indymedia", 28. April 2011) Das "Kommunique" schließt mit den für die RAZ üblichen Paro len "Klasse gegen Klasse - Krieg dem Krieg! Für eine militante Plattform, für einen revolutionären Aufbauprozess, für den Kom munismus". Mit der koordinierten Anschlagsaktion unterstreichen die RAZ ihren Anspruch als "klandestinmilitante Flanke" des "Klassen kampfes". Sie propagieren einen "revolutionären Aufbauprozess" zur gewaltsamen Überwindung des kapitalistischen Klassenstaates. 63 Bei Mara Cagol handelt es sich um eine Aktivistin der italienischen terroristischen Vereinigung "Brigate Rosse" ("Rote Brigaden"), die am 9. Juni 1975 bei einem Schusswechsel mit der Polizei getötet wurde. Juliane Plambeck war zunächst Mit glied der terroristischen "Bewegung 2. Juni", nach deren Auflösung gehörte sie der RAF an. Sie kam am 25. Juli 1980 zusammen mit dem RAFMitglied Wolfgang Beer bei einem Autounfall ums Leben. 155 LINKSEXTREMISMUS Sabotageakte Neben den Anschlägen etwa der RAZ wurden von anderen Auto gegen nomen auch Sabotageakte gegen Infrastruktureinrichtungen Infrastrukturverübt. Die Anschläge wurden ausdrücklich mit der Aufforderung einrichtungen zu weiteren Sabotageakten gegen den Repressionsapparat ver bunden. In der Nacht zum 23. Mai 2011 setzten unbekannte Täter auf einer Baustelle der SBahn Berlin am Bahnhof Ostkreuz eine provisorische Kabelbrücke mit Signal, Telekommunikations und Stromleitungen in Brand. Daraufhin kam es zu Stromausfällen in mehreren Bahnhöfen und Stellwerken sowie zu tagelangen erheblichen Behinderungen im Verkehr der Berliner SBahn und der Deutschen Bahn AG. Auch die Telekommunikation war beein trächtigt (vgl. Kap. V, Nr. 2). Am 23. August 2011 veröffentlichte eine Gruppe mit der Bezeich nung "Das Grollen des Eyjafjallajökull" auf dem Internetpor tal "linksunten.indymedia" eine ausführliche Erklärung zu dem Brandanschlag, nachdem eine erste Erklärung, die am Tag des Anschlags im Internet eingestellt worden war, in der linksextre mistischen Szene wegen des Ausmaßes der Schädigung unbetei ligter Dritter zu überwiegend negativen Reaktionen geführt hatte. In dem Beitrag mit der Überschrift "Kabelbrand.Kurz.Schluss: Ein Nachtrag" heißt es, eine Aktion dieser Art werde nicht wegen ihrer schriftlichen Erklärung "bewusstseinswirksam, sondern wegen des tatsächlichen Beweises, den sie geliefert hat. Die Erinnerung an die erfolgreiche Praxis, an die Sabotageperspektive wird im Vordergrund stehen". Schließlich sei damit bewiesen worden, dass "wir einen zentralen Knotenpunkt von Informationsfluss und Bahninfrastruktur (...) ausschalten können, wenn wir als Militante das für richtig halten". Mit der Aktion habe man auch versucht, "vielen eine Handlungs möglichkeit aufzuzeigen": "Wir regen militante Initiativen an, die zeigen, wie sich mit einfachen Mitteln und ohne Spezialwissen das Gefüge einer Stadt aus dem Tritt bringen lässt (...) Eine widerständige, nicht-militarisierte, befreiende Praxis muss erlernt werden, damit die Erfahrung der Ohnmacht durchbrochen werden kann. Unsere Aktion begreifen wir als Teil eines solchen Lernprozesses und als strategischen Vorschlag. 156 LINKSEXTREMISMUS Die Netzwerkstrukturen, die uns einbinden und das Funktionieren des zerstörerischen Alltags garantieren, sind kaputtbar." (Internetportal "linksunten.indymedia", 24. August 2011) In den frühen Morgenstunden des 10. Oktober 2011 verübten unbekannte Täter einen weiteren Anschlag auf die Verkehrs und Kommunikationsinfrastruktur. An der Bahnstrecke Berlin Hamburg sowie in der Nähe des Berliner Hauptbahnhofs wurde der Bahnverkehr durch Brandstiftung an Kabelschächten mit zeitverzögerten Brandsätzen angegriffen, was zu erheblichen Beeinträchtigungen führte. Am 11. und 12. Oktober 2011 wur den weitere Brandsätze in verschiedenen Berliner Stadtbezir ken aufgefunden, die jedoch entschärft werden konnten (vgl. Kap. V, Nr. 2). Bereits am Morgen des 10. Oktober 2011 wurde auf dem Internet portal "linksunten.indymedia" eine Taterklärung veröffentlicht. Das Schreiben, unterzeichnet mit "Das HeklaEmpfangskommi tee - Initiative für mehr gesellschaftliche Eruptionen", stellt die Tat in einen Begründungszusammenhang mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan und betont, man habe mit der Aktion eine "Entschleunigung der Hauptstadt als Global Player des Rüs tungsexports" beabsichtigt. Die Verfasser bezeichnen die Verantwortlichen in "Regierungen, den Aufsichtsräten und Chefetagen" als "Terroristen". Sie selbst hät ten lediglich die Funktionsfähigkeit einer kriegswichtigen europä ischen Hauptstadt unterbrochen. Es werde deutlich, "dass es keine einzufordernden Alternativen unter den herrschenden Bedingun gen geben kann". Forderungen machten keinen Sinn mehr, viel mehr sei es an der Zeit für "selbstermächtigtes Handeln": "Wie die Interventionen im Einzelnen aussehen, ist Sache derer, die Handeln - damit zu beginnen ist alternativlos." (Internetportal "linksunten.indymedia", 10. Oktober 2011) Inspiriert worden seien sie durch den Brandanschlag am Bahn hof Ostkreuz in Berlin am 23. Mai 2011. Dieser Anschlag sei eine "gelungene Aktion gegen die Funktionalität der Metropole" 157 LINKSEXTREMISMUS gewesen. Abschließend nennen die Verfasser mehrere deutsche und europäische Großstädte und fordern zu weiteren Sabotage handlungen auf: "Die Funktionsfähigkeit der Metropolen und die Kriegshauptstadt Berlin bis zum Stillstand sabotieren - bis kein Kriegsgeschäft mehr getätigt wird, kein Befehl mehr erteilt wird, kein Geld mehr mit dem Tod oder der Bedrohung von Menschen verdient werden kann!" (Internetportal "linksunten.indymedia", 10. Oktober 2011) 1.4 Entwicklung des Gewaltpotenzials Für die absehbare Zukunft ist von einem weiterhin hohen Gewaltpotenzial mit zunehmendem Aggressionsverhalten der autonomen linksextremistischen Szene auszugehen. In quan titativer Hinsicht dürfte sich die Zunahme des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials weiter fortsetzen. In qualitativer Hinsicht ist ein deutlich gewachsenes Gewalt potenzial der Akteure festzustellen, wobei Körperverletzungen bewusst in Kauf genommen werden. Die Angriffe richten sich vor allem gegen Polizisten und gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Angriffe auf Zahlreiche Ausschreitungen im Zusammenhang mit Demons Polizisten trationen belegen die sinkende Hemmschwelle von Linksextre misten. Zu massiven Gewalthandlungen, oft verbunden mit kör perlichen Angriffen auf Polizeibeamte, kommt es insbesondere im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Demonstrationen und dem damit verbundenen Protest auch linksextremistischer Akteure (vgl. Kap. V, Nr. 3). Angriffe auf Neben physischen Übergriffen auf Rechtsextremisten, insbeson Rechtsextremisten dere bei deren Aufmärschen oder im unmittelbaren Anschluss daran, werden Einrichtungen von Rechtsextremisten direkt attackiert und Einzelpersonen im Rahmen antifaschistischer "Outings" gezielt bedroht (vgl. Kap. V, Nr. 3). Androhung Darüber hinaus belegt die hohe verbale Radikalität in Verlaut von Gewalt barungen und Selbstbezichtigungsschreiben das Ausmaß des 158 LINKSEXTREMISMUS linksextremistischen Aggressionspotenzials. Vertretern politischer und gesellschaftlicher Institutionen wird mitunter Gewalt direkt angedroht. So ging am 17. März 2011 u.a. beim Bundesministerium des Innern ein an den Minister adressierter Brief ein, der eine scharfe Patrone enthielt. In einem im Internet veröffentlichten Selbstbezichti gungsschreiben, unterzeichnet mit "Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) - Zelle Georg von Rauch" wird die Aktion mit der "andau ernden staatlichen Repression" gegenüber der "revolutionären Linken" begründet sowie mit "Todesschüssen" von Polizeibeamten, Razzien gegen Buchläden, Häuserräumungen und neuen Strafver fahren gegen ehemalige Mitglieder der RAF. Die Versendung von Patronen sei "ein Beitrag zur organisierten Gegenwehr", sie richte sich gegen "herausragende Persönlichkeiten". Weiter heißt es: "Die nächste Zustellung erfolgt per Express (...)." Die Aktion wurde im zeitlichen Zusammenhang mit dem "Tag der politischen Gefange nen" am 18. März 2011 durchgeführt (vgl. Kap. V, Nr. 1). Die Gewaltfrage spielt für Autonome eine wesentliche Rolle. "Kongress für Ihr widmete sich insbesondere der "Kongress für autonome autonome Politik" Politik 2011", der vom 17. bis 19. Juni 2011 im "Autonomen Zen trum Köln" (AZ Köln) stattfand und an dem mindestens 250 Per sonen teilnahmen. Ein Themenblock war überschrieben mit dem Slogan "Wir stehen dazu - Militanz". Die im Reader zum Kongress enthaltenen Beiträge belegen den Versuch der Szene, sich über Perspektiven autonomer Politik insbesondere hinsichtlich der Gewaltfrage zu verständigen. Im Vorfeld der Veranstaltung veröffentlichte "die tageszeitung" (taz) am 17. Juni 2011 unter der Überschrift "Militanz muss vermittelbar sein" ein Interview mit drei Mitorganisatoren des autonomen Kongresses, in dem diese erklärten, Militanz sei ein wesentlicher Aspekt autonomer Politik und Bestandteil autono mer Lebensweise: "Ohne Militanz auf der Straße kann nicht genug Druck aufgebaut werden. Militanz ist für uns allerdings nicht nur eine Auseinandersetzungsform, sondern eine unversöhnliche Haltung auch im Alltag." (Homepage der taz, 15. Dezember 2011) 159 LINKSEXTREMISMUS Bewertung Die hohe, bisweilen ungebremste Aggression - vor allem gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten - wird sich in absehbarer Zukunft nicht wesentlich ändern. Die in jüngster Zeit festgestellte Gewaltintensität auch gegen die Vertreter des Staates, insbesondere Polizeibeamte, dürfte anhalten. Die autonome Szene hat zudem das Repertoire ihrer Aktionsfor men erweitert, indem sie Sabotageakte mit einer deutlich größe ren Reichweite gegen die Verkehrs und Kommunikationswege erprobt. Digitale Infrastrukturen bieten dabei vielfältige Ziele für Sabotagehandlungen: Dabei können herkömmliche Anschläge mit einem Minimum an Risiko und einem Maximum an Schaden die Waren und Informationskreisläufe unterbrechen, wodurch die Funktionsfähigkeit moderner Gesellschaften erheblich beein trächtigt wird. 2. Feste organisatorische Strukturen Die "Interventionistische Linke" (IL) und "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) haben eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltbereiten und nichtgewaltbereiten Teil des linksextremistischen Lagers inne. Sie treten zwar nicht offen gewalttätig oder gewaltbefürwortend auf, lehnen aber ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit vehement ab. Darüber hinaus sind sie bestrebt, mit einer strategischen Bündnisorientierung strö mungsübergreifend zu agieren, nicht zuletzt, weil sie aufgrund "eigener Radikalität und Minorität" auf den "Austausch und die Kooperation mit moderaten Linken und den sozialen Bewe gungen angewiesen" seien.64 Aktionen, die radikaler Ausdruck der "Unversöhnlichkeit gegenüber dem System" sein könnten, müssten andere zum "Grenzübertritt, zum Kämpfen einladen"65, mithin vermittelbar sein, heißt es in Abgrenzung zu einer häufig als rituell und inhaltsleer empfundenen bloßen "Inszenierung von Militanz"66. 64 Einladung zur Zweiten Offenen Arbeitskonferenz der IL am 25. bis 27. April 2008 in Marburg (Hessen). 65 Siehe Fn. 64. 66 Homepage von AVANTI, Grundsatzpapier S. 76, (1. Dezember 2010). 160 LINKSEXTREMISMUS 2.1 "Interventionistische Linke" (IL) Gründung: Ende 2005 Struktur: bundesweites informelles Netzwerk überwiegend aus dem autonomen und antiimperialistischen Spektrum Publikationen aktionsabhängig (z.B. "Dazwischengehen - Zeitung für eine interventionistische Linke", "G8Xtra", "Mobilisierungszeitung gegen 60 Jahre NATO, Krieg und Krise", Mobilisierungszeitung "Castor schottern", "Publikation zum 1. Mai") Das informelle Netzwerk IL trat erstmals nach den Protesten gegen die EURatstagung und den Weltwirtschaftsgipfel 1999 in Köln (NordrheinWestfalen) in Erscheinung. Seit der formellen Gründung im Jahr 2005 etablierte sich die IL im linksextremis tischen Spektrum und brachte sich nahezu in allen linksextre mistischen Aktionsfeldern ein. Dem Netzwerk gehören vor allem Personen und Gruppierungen des autonomen und antiimperi alistischen Spektrums an. In einem Informationsblatt wird zum Selbstverständnis des Netzwerks ausgeführt: "Ausgangspunkt für das Projekt Interventionistische Linke war das gemeinsame Bedürfnis, sich nicht mit einer bloß kommentierenden und kritisierenden Rolle zu begnügen, sondern praktisch in die realen politischen und sozialen Auseinandersetzungen einzugreifen - eben zu intervenieren." ("G8Xtra" Nr. 01, Februar 2006, S. 2) Die IL setzte 2011 ihre Bemühungen fort, die organisations und Stagnation der hierarchiekritischen Teile des linksextremistischen Spektrums Organisierungszusammenzuführen, um diese aus der politischen Bedeutungs bemühungen losigkeit herauszuholen. Diese Erwartungen erfüllten sich nach Einschätzungen der Aktivisten bislang jedoch nicht; zeitwei lige Mobilisierungserfolge konnte die IL nicht für sich nutzen. 161 LINKSEXTREMISMUS In einer Aktionserklärung mit Blick auf die Proteste gegen den 12. CastorTransport von der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) in La Hague (Frankreich) in das Transportbehälterzwischenlager (TBL) in Gorleben (Niedersachsen) im November 2010 stellt sie rückblickend fest: "Castor Schottern war für uns (...) ein erholsamer Ausbruch aus dem Alltag linken Scheiterns. Zentrales Ziel der IL-Praxis im Allgemeinen und der IL-Beteiligung an der Kampagne Castor Schottern im Besonderen war und ist es, die Handlungsfähigkeit (...) der radikalen Linken zu erweitern. In der alltäglichen Praxis der verschiedenen linken Strömungen wird dieser nicht nur von uns erhobene formulierte Anspruch leider selten eingelöst." ("INTERIM" Nr. 727, 13. Mai 2011, S. 13) Die Diskussionen innerhalb der IL sind in erster Linie geprägt von autonomer Organisations und Theoriefeindlichkeit. Einige der am Projekt IL beteiligten autonomen Gruppen lehnen nach wie vor feste Organisationsstrukturen und eine geschlossene theo retische Fundierung ab. Sie fürchten um ihre organisatorische Eigenständigkeit und wehren sich gegen festgefügte Entschei dungsstrukturen. Diesem Spannungsverhältnis ist die anhaltende Stagnation der Organisationsbemühungen der IL geschuldet. Strategiedebatte Maßgebliche Aktivisten der IL sehen die bisherige Funktion des Netzwerks im Wesentlichen darin, die Aktivitäten der in der IL organisierten Gruppen zu koordinieren. Bei der Suche nach neuen Wegen und einer eigenen Identität habe man zwar Mobi lisierungserfolge verbuchen können, gleichwohl besitze das Netz werk keine kontinuierliche Ausstrahlung und Mobilisierungs kraft, die über die eigene Anhängerschaft hinausgingen. Die gegenwärtige Situation sei gekennzeichnet von fehlendem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, gesellschaftliche Verhält nisse grundlegend umgestalten zu können. Notwendig seien immer wieder öffentlichkeitswirksame Aktionen, wenngleich man sich vor einem reinen Aktionismus jedoch hüten solle, da die "schmale Basis der AktivistInnen" erschöpft sei. 162 LINKSEXTREMISMUS Im Jahr 2011 engagierte sich die IL vor allem in den linksextre Aktivitäten mistischen Aktionsfeldern "Antifaschismus", "Antimilitarismus" und der "AntiAKWBewegung". Dabei war sie bestrebt, mit ande ren linksextremistischen und auch mit nichtextremistischen Per sonenzusammenschlüssen "strategische Bündnisse" einzugehen. Dies zeigte sich insbesondere an den anlassbezogenen Mobi lisierungen und zentralen Agitationsthemen im Jahr 2011. Von zentraler Bedeutung waren für die IL die Einflussnahme auf die Vorbereitung von Protestaktionen gegen den 13. Cas torTransport nach Gorleben (Niedersachsen) im November 2011 (vgl. Kap. V, Nr. 4) und die Teilnahme an den Protesten gegen die Afghanistankonferenz der internationalen Staatengemeinschaft Anfang Dezember 2011 in Bonn (NordrheinWestfalen; vgl. Kap V, Nr. 2). Wie 2010 unterstützte die IL auch im Berichtszeitraum die Kam pagne "Castor? Schottern!": "Besonders herausheben wollen wir in diesem Kontext die Pressearbeit von Castor Schottern, der es gelungen ist, illegalen Aktionen und Massenmilitanz eine breite Akzeptanz zu schaffen. (...) Wir selbst können im Vergleich zu Heiligendamm auf eigene Fortschritte verweisen und halten gegen bestimmte Gerüchte ausdrücklich fest, dass es von unserer Seite im Castor-Zusammenhang keine Distanzierung von militanten Aktionen gegeben hat (...)." ("INTERIM" Nr. 727, 13. Mai 2011, S. 15) Eine Vielzahl der in der IL vernetzten Gruppen unterstützt oder beteiligt sich zudem am Bündnis "no pasaran", das die Protest und Blockadeaktionen gegen die Aufmärsche von Rechtsextre misten im Februar 2011 in Dresden (Sachsen) organisierte und durchführte (vgl. Kap. V, Nr. 3). Neben den Bemühungen der IL, Bündnisse mit nationalen extre mistischen und nichtextremistischen Organisationen einzugehen, strebt sie auch eine internationale Bündnispolitik an. Dies geht bislang jedoch nicht über Solidaritätsbekundungen - beispiels weise mit den Protesten in der arabischen Welt - hinaus. 163 LINKSEXTREMISMUS 2.2 "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) Gründung: 1989 Struktur: Ortsgruppen in Norderstedt, Flensburg, Kiel und Lübeck (alle SchleswigHolstein), Hamburg, Hannover (Niedersachsen), Bremen und Berlin. AVANTI ist Teil des informellen Netzwerkes IL AVANTI verfügt über regionale Strukturen in Norddeutschland und strebt als bedeutender Akteur des informellen Netzwerkes "Interventionistische Linke" (IL; vgl. Nr. 2.1) nach wie vor eine bundesweite Präsenz an. Eine solche ist allerdings seit Jahren nicht erkennbar. Zielsetzung Die Gruppierung versteht sich als organisierter Teil der "radi kalen Linken" und verfolgt die revolutionäre Überwindung des "herrschenden Systems". Die theoretische Basis ist von revolutio närmarxistischen Ideologieelementen geprägt, die Aktionsformen von AVANTI entsprechen hingegen denen autonomer Gruppen. Während die meisten Personenzusammenschlüsse im gewalt bereiten linksextremistischen Spektrum eine organisationskri tische bis feindliche Position beziehen, betrachtet AVANTI eine revolutionäre Organisierung als notwendige Voraussetzung einer handlungsfähigen Struktur. Diese Position wird in dem Papier "Intervention braucht Organisation" von Juni 2008 deutlich: "Basis unserer Organisationsstruktur sind Verbindlichkeit, die Autonomie von lokalen Gruppen und überregionalen Arbeitsbereichen, die aktive Akzeptanz der Notwendigkeit zentraler Strukturen und gemeinsamer Handlungsfähigkeit (...)." (Homepage von AVANTI, 18. Oktober 2011) Aktivitäten und AVANTI engagiert sich in nahezu allen linksextremistischen Akti thematische onsfeldern, wobei die Schwerpunkte der politischen Arbeit in den Schwerpunkte Bereichen "Antifaschismus", "Antirassismus", "Antimilitarismus", "Internationalismus" und "Soziale Kämpfe" liegen. 164 LINKSEXTREMISMUS Zur Frage der Anwendung "revolutionärer Gewalt" nimmt Revolutionäre AVANTI im Grundsatzpapier, das zuletzt im Jahr 2004 überarbei Gewalt als letztes tet wurde und bis heute Gültigkeit besitzt, dezidiert Stellung: Mittel erlaubt "Kann revolutionäre Gewalt gerechtfertigt sein? Sicher ist, dass wir die Gewalt zunächst zutiefst ablehnen. (...) Dennoch haben RevolutionärInnen immer wieder zum Mittel der Gewalt gegriffen. In vielen historischen Situationen halten wir diese Entscheidung für richtig und unvermeidlich. (...) Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann (...). Ob eine künftige Revolution friedlich - oder überwiegend friedlich - verläuft, darüber lässt sich heute nur spekulieren." (Homepage von AVANTI, 18. Oktober 2011) Im Jahr 2011 trat AVANTI überwiegend durch die Veröffentli chung politischer Erklärungen in Erscheinung. So werden in der Broschüre "Extrem Wichtig: Linke Politik. Bei träge zur Kritik der Extremismusdoktrin und der Inlandsgeheim dienste" linksextremistisch motivierte Straftaten verharmlost. In einem Beitrag mit der Zwischenüberschrift "Neuer Popanz' Linksextremismus" heißt es: "(...) können auf der anderen Seite höchstens ein paar leicht verletzte PolizistInnen oder abgebrannte Luxuslimousinen geltend gemacht werden. (...) Eine Serie von Brandanschlägen gegen Kraftfahrzeuge, mehrheitlich aus der Oberklasse, führte in Berlin 2009/10 schnell zu einer hysterisch geführten Debatte um eine Zunahme des Linksextremismus." (Homepage von AVANTI, 18. Oktober 2011) 3. Traditionelle Anarchisten Im Spektrum der traditionellen Anarchisten entfaltete ledig lich die anarchosyndikalistisch organisierte "Freie Arbeiterin nen und ArbeiterUnion" (FAU) bundesweite Aktivitäten. 165 LINKSEXTREMISMUS Mit ihren 350 Mitgliedern (2010: 340) ist sie die mitgliederstärkste anarchistische Gruppierung in Deutschland. Ihre Basis bilden ört liche Zusammenschlüsse, die sich als "Syndikate" bezeichnen. Die FAU ist Mitglied in der "Internationalen ArbeiterInnenAssozia tion" (IAA). Ziel der sich selbst als "Anarchistische Gewerkschaft" bezeichnenden FAUIAA ist die Überwindung der vermeintlich kapitalistischen Staats und Gesellschaftsordnung. So führt die Hamburger Ortsgruppe der FAUIAA in ihrem Positionspapier "Kollektivbetriebe" zu der Grundkonzeption und den Zielen aus: "Die FAU ist eine anarchosyndikalistische Gewerkschaft. Sie organisiert sich nach basisdemokratischen Prinzipien und strebt die Überwindung des Kapitalismus wie jeder Form von Herrschaft an. Dies versucht sie zu erreichen durch basisgewerkschaftliche Arbeit in den Betrieben und Unterstützung spontaner Widerstandsaktionen der Arbeitenden (Streiks, Besetzungen, Solidaritätsaktionen etc.)." (Homepage der FAU Hamburg/Libertäres Zentrum, 24. Oktober 2011) Der "antikapitalistische Kampf" in Betrieben und Gewerkschaften ist nach wie vor das bedeutendste Aktionsfeld der FAUIAA. Dar über hinaus beteiligte sich die aber auch an den Protestaktionen gegen das Treffen der "Ständigen Konferenz der Innenminister und senatoren des Bundes und der Länder" (IMK) am 21./22. Juni 2011 in Frankfurt am Main (Hessen) sowie an Demonstrationen zum 1. Mai im gesamten Bundesgebiet. Die von der FAUIAA herausgegebene Zeitung "DIREKTE AKTION - anarchosyndikalistische Zeitung der Freien Arbeite rinnen und ArbeiterUnion" erscheint in einer Auflagenhöhe von 3.000 Exemplaren (zweimonatlich). In einer Selbstdarstellung betont die Publikation ihre revolutionäre Ausrichtung: "Die Direkte Aktion (DA) ist (...) eine Gewerkschaftszeitung. Nicht irgendeine Gewerkschaftszeitung, sondern eine revolutionäre, die sich auf die Grundlage des Klassenkampfes stützt." (Homepage "Direkte Aktion", 24. Oktober 2011) 166 LINKSEXTREMISMUS Die FAUIAA versucht, über ihr vorgebliches Engagement für Arbeitnehmerinteressen hinaus die Basis für eine revolutionäre Veränderung der Verhältnisse zu schaffen. Verändert werden sol len neben den Arbeitsbedingungen von Lohnempfängern auch das demokratischparlamentarische System selbst. Die Prinzipiener klärung der FAUIAA von 1989/90, die letztmalig per Referendum im Jahr 2003 geändert wurde, diskreditiert die parlamentarische Demokratie als überkommene, nicht reformierbare Staatsform. III. Parteien und sonstige Gruppierungen 1. "DIE LINKE." Gründung: Dezember 1989 Umbenennung SED67 in SEDPDS; Februar 1990 Umbenennung SEDPDS in PDS68; Juli 2005 Umbenennung PDS in "Die Linkspartei.PDS"; 16. Juni 2007 Fusion mit WASG69 zur Partei "DIE LINKE." Sitz: Berlin Parteivorsitzende:70 Klaus Ernst und Gesine Lötzsch Mitglieder:71 69.458 (73.658); davon in den westlichen Ländern 33.391 einschließlich Berlin (Ende 2010: 36.295) Publikationen: Auswahl: "DISPUT", monatlich; "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei ,DIE LINKE.'", monatlich; "Marxistisches Forum", unregelmäßig 67 SED = "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands". 68 PDS = "Partei des Demokratischen Sozialismus". 69 WASG = "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative". 70 Stand: 31. Dezember 2011. 71 Die Mitgliederzahlen entsprechen dem Stand: 31. Dezember 2011, Homepage der Partei "DIE LINKE." (26. März 2012). 167 LINKSEXTREMISMUS Die Partei "DIE LINKE." hält an der Praxis fest, unter dem Begriff "Pluralismus" unterschiedliche "linke" Kräfte zu sammeln, die das Ziel einer grundlegenden Veränderung der bestehenden Staats und Gesellschaftsordnung verfolgen. Dementsprechend bietet die Partei nach wie vor ein ambivalentes Erscheinungsbild. Einerseits setzt sie darauf, in der Öffentlichkeit als reformorientierte, neue linke Kraft wahrgenommen zu werden. Andererseits liegen nach wie vor zahlreiche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestre bungen in der Partei vor, insbesondere die umfassende Akzeptanz von offen extremistischen Zusammenschlüssen in ihren Reihen. Diese Bewertung hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig (Sachsen) in einem Klageverfahren des Abge ordneten der Partei Bodo Ramelow gegen die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 21. Juli 2010 in letzter Instanz bestä tigt und daraus resultierend die Rechtmäßigkeit und Erforder lichkeit der Beobachtung der Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz festgestellt. Diese Feststellung hat nach wie vor Gültigkeit. Dem 44köpfigen Parteivorstand72 gehören 16 Mitglieder eines offen extremistischen Zusammenschlusses (vgl. Kap. II. Nr. 1.2) oder einer solchen Strömung an, zwei hiervon zusätzlich auch dem trotzkistischen Netzwerk "marx21" (vgl. Nr. 5). Erstes GrundsatzDer 2. Parteitag vom 21. bis 23. Oktober 2011 in Erfurt (Thüringen) programm verabschiedete - mehr als vier Jahre nach dem Zusammenschluss mit der nichtextremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtig keit - Die Wahlalternative" (WASG) - bei vier Gegenstimmen und 12 Enthaltungen das erste Grundsatzprogramm. An der Entstehung des Programms waren offen extremistische Kräfte in der Partei sowohl zahlenmäßig als auch inhaltlich maßgeblich beteiligt. Unter den 16 Mitgliedern der Programm kommission73 befanden sich mindestens sechs und unter den vier Mitgliedern der Redaktionskommission74 zwei Vertreter offen 72 Stand: 31. Dezember 2011. 73 Zur Erarbeitung eines Programms setzte der Parteivorstand am 13. Oktober 2007 eine Programmkommission ein, die sich am 15. November 2007 konstituierte. Mit der Vorlage des 1. Entwurfs des Programms am 20. März 2010 beendete sie ihre Arbeit. 74 An die Stelle der Programmkommission trat ab März 2010 eine Redaktionskom mission, die den weiteren Programmprozess voranbringen sollte. Die Kommission legte dem Parteivorstand im Mai 2011 einen überarbeiteten Entwurf vor. 168 LINKSEXTREMISMUS extremistischer Zusammenschlüsse und Strömungen der Partei, deren inhaltliche Einflussnahme in weiten Teilen des Programms deutlich zu erkennen ist. "DIE LINKE." fordert in ihrem Programm grundlegende Verän derungen der Staats und Gesellschaftsordnung und offenbart dabei ein ambivalentes Verhältnis zum Parlamentarismus. Die Partei bezieht sich ausdrücklich positiv auf "linke" bzw. linksextremistische Traditionen, insbesondere auf die kommu nistische Arbeiterbewegung, die sozialistischen Theoretiker Karl Marx und Friedrich Engels, die am 17. August 1956 durch das Bundesverfassungsgericht verbotene "Kommunistische Par tei Deutschlands" (KPD) sowie deren Gründer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Das Programm enthält nunmehr eine aus drückliche Bezugnahme auf das "Manifest der Kommunistischen Partei" (1848). Die Parteivorsitzende Gesine Lötzsch forderte in der linksextre Kommunismusmistischen Tageszeitung "junge Welt" (jW; vgl. Kap. IV, Nr. 3) dazu Debatte auf, nach "Wegen zum Kommunismus"75 zu suchen: "Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung. Auf jeden Fall wird es nicht den einen Weg geben, sondern sehr viele unterschiedliche Wege, die zum Ziel führen. (...) Egal, welcher Pfad zum Kommunismus führt, alle sind sich einig, daß es ein sehr langer und steiniger sein wird." (jW Nr. 1, 3. Januar 2011, S. 10 f.) Der Beitrag löste Anfang 2011 in der Partei heftige und kontro verse programmatische Diskussionen insbesondere zum Begriff 75 Lötzsch hatte den Beitrag im Vorfeld der von der jW veranstalteten "XIV. Rosa LuxemburgKonferenz" am 8. Januar 2011 in Berlin veröffentlicht, bei der sie als Teilnehmerin der Podiumsdiskussion "Wo bitte geht's zum Kommunismus? Linker Reformismus oder revolutionäre Strategie - Wege aus dem Kapitalismus" vorgese hen war. Nach heftiger Kritik an ihren Äußerungen hatte Lötzsch auf die angekün digte Teilnahme an der Podiumsdiskussion verzichtet und hielt stattdessen eine Rede auf der Konferenz. Weitere Diskussionsteilnehmer waren u.a. die Vorsitzende der DKP, das ehemalige Mitglied der "Bewegung 2. Juni" und RAF Inge Viett sowie eine Vertreterin der "Antifaschistischen Linken Berlin". 169 LINKSEXTREMISMUS Kommunismus aus. Diverse Funktionäre und Gliederungen der Partei - vornehmlich aus dem traditionellen Bereich, u.a. "Antikapitalistische Linke" (AKL), "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GoD/SD), Jugendverbände "Linksjugend ['solid]" und "DIE LINKE. SozialistischDemokratischer Studierendenverband" (DIE LINKE.SDS) sowie die Landesverbände NordrheinWestfalen und Niedersachsen - bekräftigten das Ziel des Kommunismus. Ein Bundestagsabgeordneter der Partei "DIE LINKE." erklärte, Lötzsch "spreche den meisten von uns LINKEN aus dem Herzen": "Noch mehr als je zuvor bin ich der Überzeugung, dass der wahre Kommunismus - eine klassenlose Gesellschaft, in der jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten und nach seinen Bedürfnissen leben kann - das noch weite Ziel der menschlichen Gesellschaft ist. Und der Sozialismus, auch nach meiner Auffassung unbedingt ein demokratischer Sozialismus, ist 'nur' die Vorstufe zum Kommunismus. Wer also von uns LINKEN meint, nur für den demokratischen Sozialismus zu kämpfen, ebnet dennoch den Weg zum Kommunismus." (Pressemitteilung "Gesine Lötzsch spricht uns LINKEN aus dem Herzen.", 10. Januar 2011) Rechtfertigung Anlässlich des 50. Jahrestages des Baus der Berliner Mauer des Mauerbaus (13. August) kam es innerhalb der Partei "DIE LINKE." zur Dis kussion um dessen Bewertung. Teile der Partei relativierten das Unrecht des Mauerbaus, indem sie dem Westen wegen jahrzehn telanger Tolerierung der Mauer eine Mitschuld zuwiesen. In die sem Zusammenhang wurde auch das Argument der angeblichen Friedenssicherung durch die Mauer angeführt. Innerhalb der Par tei bleibt die prinzipielle Legitimität des sozialistischen Versuchs DDR nahezu unbestritten. Die Parteivorsitzenden Lötzsch und Ernst erklärten, die Teilung Deutschlands sei das Ergebnis des Zweiten Weltkrieges; der Mau erbau sei Produkt des Kalten Krieges und von den Westmächten gefördert worden.76 Ein Mitglied der "Historischen Kommission beim Parteivorstand der Partei ,DIE LINKE.'" rechtfertigte im Juli 2011 den Bau der 76 Homepage der Partei "DIE LINKE." (12. August 2011). 170 LINKSEXTREMISMUS Mauer. Diese habe 29 Jahre den Bestand der DDR gesichert, die Westgrenze des Ostblocks garantiert und dazu beigetragen, die Systemauseinandersetzung friedlich auszutragen. Ansons ten hätte "die Krise unkontrollierbare, auch kriegerische Folgen haben" können.77 Der Landesverband MecklenburgVorpommern bekannte sich ausdrücklich zur DDR als "legitimen" Versuch, eine sozialisti sche Gesellschaft aufzubauen.78 Auf dem Landesparteitag am 13. August 2011 in Rostock (MecklenburgVorpommern) erhoben sich während einer Gedenkminute für die Maueropfer drei Dele gierte demonstrativ nicht von ihren Sitzen, darunter eine Land tagsabgeordnete, die hierzu erklärte: "Ich gedenke heute eines ganz besonderen Menschen. Ich gedenke heute Karl Liebknechts. Der hat heute 140. Geburtstag. Er war ein Opfer des deutschen Kapitals und seiner sollte man an diesem Tag gedenken." (Homepage des NDR, 16. August 2011) Vertreter der Partei "DIE LINKE." arbeiten bei Demonstrationen Unterstützung - schwerpunktmäßig gegen rechtsextremistische Aktivitäten - linksextremistischer mit linksextremistischen Aktionsbündnissen zusammen. Kommt Organisationen und es im Verlauf der Veranstaltungen zu gewalttätigen Ausschreitun Bewegungen gen, fehlt eine deutliche Distanzierung durch die Partei. So solidarisierte sich eine thüringische Landtagsabgeordnete der Partei "DIE LINKE." nach gewaltsamen Ausschreitungen bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten am 19. Februar 2011 in Dresden (Sachsen) mit den auch gewalttätigen Aktionsformen des "Schwarzen Blocks": "Ich glaube, das da eine ganz wichtige Aufgabe (...) liegt, (...) dass sozusagen weiterhin aufgerufen wird dazu, nach Dresden zu fahren und vor allem sich da auch nicht spalten zu lassen und klar 77 Homepage der Partei "DIE LINKE." (15. August 2011). 78 "Positionspapier des Landesvorstandes der Partei "DIE LINKE." Mecklenburg Vorpommern zum 50. Jahrestag der Errichtung der 'Berliner Mauer' am 13. August 1961" (7. Mai 2011). 171 LINKSEXTREMISMUS zu machen, dass auch die Menschen, die man so als den ominösen 'Schwarzen Block' bezeichnet - und den es ja meiner Meinung nach in dieser Form, wie bestimmte Presse darüber berichtet, gar nicht gibt - das die dazugehören und dass sie 'ne ganz wichtige Aufgabe haben. Weil, um es mal auf den Punkt zu bringen, Polizeiketten zu durchfließen ist nichts, was die bürgerliche Mitte macht. Und die Leute brauchen wir, die braucht das 'Bündnis Dresden nazifrei'." (Öffentliches Hearing der Fraktion "DIE LINKE." im Sächsischen Landtag am 4. Oktober 2011, (Videoportal "livestream linksfraktionsachsen", 18. Oktober 2011) Kurdistan"DIE LINKE." griff auch 2011 Anliegen der in Deutschland mit Solidaritätsarbeit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegten "Arbeiter partei Kurdistans" auf (PKK; vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 1.2), um diese politisch zu unterstützen. Vertreter der Partei beteiligten sich an Kampagnen und Veran staltungen von PKKnahen Organisationen. So nahmen Angehö rige der Partei an Feiern zum kurdischen Neujahrsfest Newroz Mitte März 2011 in Kurdistan teil79, darunter eine NRWLandtag sabgeordnete80. Der Vorstand des Landesverbandes Sachsen befür wortete die Durchführung einer gemeinsamen Veranstaltung mit der PKKnahen "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEKKOM) zum NewrozFest am 9. April 2011 in Dresden (Sachsen) und sagte sowohl organisatorische als auch finanzielle Unterstützung zu.81 Die PKKTageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) berichtete mehrmals über "kurdische Kandidaten" der Partei "DIE LINKE.", die im Vorfeld der Wahlen massiv von der YEKKOM unterstützt wurden. So errang ein Parteimitglied kurdischer Abstammung, das seit fünf Jahren als Korrespondentin für die YÖP tätig ist,82 bei der Hamburger Bürgerschaftswahl am 20. Februar 2011 ein 79 YÖP, 14. April 2011, S. 12. 80 "Links wirkt - Ein Jahr Fraktion ,DIE LINKE.' im Landtag von NordrheinWestfalen", Broschüre der Fraktion "DIE LINKE." im Landtag NRW vom Juni 2011, S. 3. 81 Beschluss "Gemeinsame Veranstaltung zum NewrozFest" des Parteivorstandes des Landesverbandes Dresden vom 4. März 2011, Homepage der Partei "DIE LINKE." Sachsen (März 2011). 82 YÖP, 13. Januar 2011, S. 1 und 7. 172 LINKSEXTREMISMUS Mandat. Auch bei den Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft am 22. Mai 2011 sowie zum Abgeordnetenhaus von Berlin am 18. September 2011 wurden PKK-nahe kurdische Kandidaten der Partei "DIE LINKE." unterstützt - hier aber ohne politischen Erfolg. Bei der Kommunalwahl in Niedersachsen am 11. September 2011 kandidierte ein kurdisches Mitglied des Landesvorstandes, das sich nach eigenen Angaben aktiv im Rahmen der Kampagne "Tatort Kurdistan"83 (vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 1.2.3) beteiligt. "DIE LINKE." hält weiterhin an der Solidarität mit dem sozialisSolidarität mit dem tischen Kuba fest. Zum 85. Geburtstag des kubanischen Revosozialistischen Kuba lutionsführers Fidel Castro am 13. August 2011 gratulierten die beiden Parteivorsitzenden im Namen der Partei mit einem Glückwunschschreiben. Darin hoben sie die "Errungenschaften des sozialistischen Kuba" hervor und bekundeten ihre Sympathie für Castro und sein "kampferfülltes Leben und erfolgreiches Wirken an der Spitze der kubanischen Revolution", auf das er "voller Stolz" zurückblicken könne. Kuba sei und bleibe "Beispiel und Orientierungspunkt für viele Völker der Welt".84 1.1 "Kommunistische Plattform der Partei ,DIE LINKE.'" (KPF) Die KPF, mit 1.250 Mitgliedern85 (2010: 1.200) der mitgliederMitgliederstärkster stärkste offen extremistische Zusammenschluss innerhalb der offen extremistischer Partei, hält an marxistisch-leninistischen Traditionen fest. Die Zusammenschluss monatliche Publikation "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform" erscheint mit einer Auflage von 1.700 Exemplaren. Der Druck und die Versandkosten des Heftes werden seit mehr als 20 Jahren von der Partei "DIE LINKE." in nicht unerheblicher Höhe mitfinanziert.86 Die KPF setzt sich für die Überwindung des Kapitalismus mit dem Ziel einer sozialistischen Gesellschaft ein. 83 "DISPUT", August 2011, S. 22. 84 Homepage der kubanischen Botschaft (25. August 2011). 85 Bericht des Bundessprecherrates an die 4. Tagung der 15. Bundeskonferenz, Homepage der Partei "DIE LINKE." (21. November 2011). 86 "KPF-Mitteilungen", Heft 7/2011, Juli 2011, S. 1. 173 LINKSEXTREMISMUS KommunismusIn der KommunismusDebatte solidarisierte sich der Sprecherrat Debatte am 2. April 2011 in Berlin mit der Parteivorsitzenden Lötzsch87 und definierte die Begriffe demokratischer Sozialismus und Kom munismus: "Von Sozialisten und Kommunisten wurde der an sich besetzte Begriff demokratischer Sozialismus als Schlussfolgerung aus der Niederlage des Sozialismus in Europa übernommen, um zu demonstrieren, daß Sozialismus der Volksherrschaft bedarf und daher sozialistische Demokratie nicht zu einem Abziehbild ihrer selbst verkommen darf. Ein Begriff also, der zwei diametral entgegen gesetzte Interpretationen zulässt: eine gegen die in Europa real existiert habende und anderenorts noch existierende sozialistische Gesellschaft, die andere für eine bessere sozialistische Gesellschaft, in der in Respekt vor dem ersten historischen Versuch Grundeffekte desselben vermieden werden sollten. Unter Kommunismus verstehen wir die klassenlose und daher ausbeutungsfreie Gesellschaft. Freiheit von Ausbeutung allerdings ist für das Kapital das Grundverbrechen schlechthin, beraubt es doch seiner Existenzweise die Grundlagen." ("KPF-Mitteilungen", Heft 5/2011, Mai 2011, S. 8) Im Rahmen der Programmdebatte setzte sich die KPF von Anfang an vehement für den Erhalt der antikapitalistischen Grundlinie des Programms ein. Nach Verabschiedung des Programms resümierte ein Mitglied des Bundessprecherrates erfreut, dass sich an der von der KPF von Anbeginn befürworteten Grundlinie substanziell nichts geändert habe.88 Der Sprecherrat erklärte auf der 4. Tagung der 15. Bundes konferenz, das beschlossene Parteiprogramm richte sich letztlich "auf einen Systemwechsel - die Überwindung der Diktatur des Profits".89 87 "KPFMitteilungen", Heft 5/2011, Mai 2011, S. 10. 88 "KPFMitteilungen", Heft 11/2011, November 2011, S. 1. 89 Bericht des Bundessprecherrates an die 4. Tagung der 15 Bundeskonferenz, Home page der Partei "DIE LINKE." (21. November 2011). 174 LINKSEXTREMISMUS 1.2 "Sozialistische Linke" (SL) Die SL konnte ihre Mitgliederzahl auf fast 800 Personen90 (2010: 700) steigern. Sie ist mit elf Sitzen im 44köpfigen Bun desvorstand der Partei "DIE LINKE." vertreten. Innerhalb der SL arbeitet nach wie vor das trotzkistische Netzwerk "marx21" (vgl. Nr. 5) mit. Die SL versteht sich als die Strömung in der Partei "DIE LINKE.", die zugleich radikal, klassen, bündnis und bewegungsorientiert ist. Als Mitglied der Programm bzw. Redaktionskommission wirkte auch der Bundessprecher der SL maßgeblich an der Entstehung des Programms der Partei "DIE LINKE." mit. 1.3 "Marxistisches Forum" (MF) Das orthodoxkommunistische MF beziffert die Zahl seiner Mit glieder auf über 300 Personen91 (2010: 280). Für eine Anerkennung als bundesweiter Zusammenschluss in der Partei "DIE LINKE." fehlen dem MF allerdings die in SS 7 der Bundessatzung genannten Voraussetzungen.92 Somit erhielt das MF auch im Jahr 2011 keine finanziellen Zuwendungen der Partei. Ziel des MF ist, den Stellenwert der marxistischen Gesellschafts analyse innerhalb der Diskussion in der Partei "DIE LINKE." zu erhöhen.93 Im MF sind Marxisten aus allen Landesverbänden der Partei zusammengeschlossen. 90 Homepage der SL (23. August 2011). 91 Homepage des MF (12. November 2011). 92 Vgl. SS 7 Abs. 2 der Bundesatzung: "Bundesweit ist ein Zusammenschluss, wenn er in mindestens acht Landesverbänden entweder mindestens ein Zweihundertstel der Mitglieder repräsentiert oder entsprechend der Landessatzung als landesweiter Zusammenschluss anerkannt wurde. Abweichend davon kann der Bundesaus schuss auch Zusammenschlüsse als bundesweit anerkennen, wenn die Vorausset zungen nicht vollständig erfüllt sind." 93 Homepage der Partei "DIE LINKE." (13. Oktober 2011). 175 LINKSEXTREMISMUS 1.4 "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" Die 1991 gegründete, bundesweit tätige "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si beim Parteivorstand der Partei ,DIE LINKE.'" feierte am 23. Juli 2011 ihr 20jähriges Bestehen. Mit ihren rund 400 Mitglie dern94 (2010: 500) ist sie wesentlicher Träger der Solidaritätsarbeit für Kuba. Den Arbeitsrichtlinien zufolge sind die politische und materielle Solidarität mit dem sozialistischen Kuba Grundanlie gen und wesentlicher Inhalt der Tätigkeit der AG. Eine kritische Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverstö ßen der kubanischen Regierung findet in der Regel nicht statt. Die AG bekennt sich vielmehr zu uneingeschränkter Solidarität. So heißt es im Aufruf zu einer Solidaritätsdemonstration am 21. Februar 2011 in Berlin unter dem Motto "Demo gegen Kubas Contras - Hände weg von Cuba! Wir stehen zu Cuba": "Am kommenden Montag planen anticubanische Kräfte in Berlin wieder einmal eine Kundgebung gegen Cuba - vor der Botschaft der Republik Cuba! Wie inzwischen üblich ist zu erwarten, dass sie dabei nicht nur das Image von Cuba zu verzerren und entstellen versuchen, sondern sowohl die Bedrohungen und Aggressionen der USA gegen Cuba als auch die Errungenschaften Cubas verschweigen werden. Sie dienen damit den Konservativen, Reaktionären und notorischen Antikommunisten im globalen Norden, die gesellschaftliche Alternativen überall und mit allen Mittel zu unterbinden versuchen. (...) Gegen diese Aggression treten wir ein, dagegen handeln wir, dagegen setzen wir die Solidarität mit dem zutiefst humanen und solidarischen Volk und dem System Cubas!! (...) Gerade in Zeiten der Aktualisierung des Sozialismus wollen wir Cuba unsere Solidarität beweisen!" (Homepage der "AG Cuba Si", 14. Oktober 2011) 94 "DISPUT", Juni 2011", S. 34 ff. 176 LINKSEXTREMISMUS 1.5 "Antikapitalistische Linke" (AKL) Die AKL wurde im März 2006 durch 30 Erstunterzeichner eines Entstehung Aufrufs "Für eine antikapitalistische Linke"95 gegründet. Zu ihnen und personelle zählten Abgeordnete und Funktionäre der damaligen "LinksparZusammensetzung tei.PDS" auf Bundesund Landesebene. Seither haben über 1.700 Personen (2010: 1.500) den Aufruf unterzeichnet, darunter auch Mitglieder des parteinahen Jugendverbands "Linksjugend ['solid]", anderer Zusammenschlüsse in der Partei "DIE LINKE.", der DKP sowie verschiedener trotzkistischer Gruppierungen. Die AKL bezeichnet sich selbst als linkes Bündnis in der Partei "DIE LINKE.", das auf eine offene Verständigung von antikapitalistischen Kräften inund außerhalb der Partei gerichtet sei. Bisher strebte die AKL keine Etablierung als anerkannter Zusammenschluss innerhalb der Partei an. Unter den acht Mitgliedern des bundesweiten Führungsgremiums "Koordinierungskreis" befinden sich ein Mitglied des Bundesvorstandes sowie zwei Bundestagsabgeordnete der Partei "DIE LINKE.". Die politische Verantwortung liegt beim Länderrat der AKL, in dem neben den Ansprechpartnern der Länder auch sympathisierende Parteivorstandsmitglieder vertreten sind.96 Nach Verabschiedung des Parteiprogramms bekundete die AKL ihre Freude über das "konsequent antikapitalistische und antimilitaristische Programm". Unterstützt werde insbesondere die im Programm enthaltene "klare Kritik am kapitalistischen System und die Perspektive des demokratischen Sozialismus".97 Im Rahmen der "Kommunismus-Debatte" in der Partei Kommunismus"DIE LINKE." erklärten 15 Mitglieder des Länderrates: Debatte "Wenn Gesine Lötzsch 'Wege zum Kommunismus' sucht, stehen wir an ihrer Seite. (...) Und wir sind nicht bereit, aufgrund von im Namen des Kommunismus begangenen Irrwegen, Fehlern und auch Verbrechen auf den Begriff des Kommunismus zu verzichten. (...) Wir stehen 95 Homepage der AKL (17. Oktober 2011). 96 Homepage der AKL (17. Oktober 2011). 97 Homepage der AKL (27. Oktober 2011). 177 LINKSEXTREMISMUS für eine plurale Partei DIE LINKE, in der demokratische, ökologische, feministische und christliche Sozialistinnen und Sozialisten ebenso ihren Platz haben wie Marxistinnen, Marxisten, Kommunistinnen und Kommunisten." (Erklärung einiger Mitglieder des Länderrates der AKL, 13. Januar 2011, Homepage der AKL) Die angestrebte Überwindung der bestehenden Gesellschaftsord nung hin zum "demokratischen Sozialismus" werde von Teilen der AKL nicht als Endziel gesehen. Diese strebten vielmehr eine klassenlose, ausbeutungsfreie Gesellschaft, den Kommunismus, an: "Einige von uns sehen in einem demokratischen Sozialismus noch nicht das Ende der Geschichte. Sie werden dabei von der marxistischen Gesellschaftsphilosophie oder von humanistischen Idealen geleitet. Einige von uns bezeichnen eine solche erstrebte klassenlose und ausbeutungsfreie Gesellschaftsordnung in der Tradition der Autoren des Kommunistischen Manifests, Karl Marx und Friedrich Engels, als Kommunismus." (Erklärung einiger Mitglieder des Länderrates der AKL, 13. Januar 2011, Homepage der AKL) Die AKL beteiligt sich auch an der KurdistanSolidaritätsar beit der Partei. So bekräftigte der Länderrat am 29. Mai 2011 in Kassel (Hessen), dass die "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEKKOM) eine "legitime Selbstorganisation kurdischstämmiger Migranten" und "für die Partei ,DIE LINKE.' ein wichtiger Partner bei der Umsetzung ihrer Ziele" sei. Die AKL lehne deren "fortgesetzte Kriminalisierung" durch Listung in Verfassungsschutzberichten, durch polizeiliche Observationen, Durchsuchungen und Vereinsverbote ab.98 98 Homepage der AKL (7. Juni 2011). 178 LINKSEXTREMISMUS 1.6 Jugendverbände Dem parteinahen Jugendverband "Linksjugend ['solid]" gehören Jugendverband unverändert 10.000 Mitglieder an, davon etwa 4.700 aktive.99 Der "Linksjugend ['solid]" Verband versteht sich als sozialistischer, antifaschistischer und feministischer Jugendverband, der in die gesellschaftlichen Ver hältnisse eingreifen und eine Plattform für antikapitalistische und selbstbestimmte Politik sein will.100 Laut Programm kämpfen die Mitglieder - als Sozialisten, Kommunisten und Anarchisten - für eine libertäre, klassenlose Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat. Weiter heißt es u.a.: "Die berühmten zwei Gräben Reform oder Revolution bilden für uns keinen Widerspruch. Wir streiten für einen grundsätzlichen Systemwechsel." (Homepage der "Linksjugend ['solid]", 8. November 2011) Im Rahmen der Programmdebatte gehörten Mitglieder der Bun dessprecherräte von "Linksjugend ['solid]" und dem Hochschul verband "DIE LINKE.Sozialistischdemokratischer Studierenden verband" (DIE LINKE.SDS) zu den Unterzeichnern eines "Plädoyers für Mindestbestimmungen zur Programmdebatte der LINKEN" mit dem Titel "Drunter machen wir's nicht!". Darin heißt es in Bezug auf "außerparlamentarische Bewegungen": "DIE LINKE braucht jedoch mehr als eine parlamentarische Orientierung: Unsere wichtigsten Koalitionspartner sind und bleiben die außerparlamentarischen Bewegungen und die Gewerkschaften. (...) Beim Kampf um konkrete Reformen zur Verbesserung des alltäglichen Lebens benötigt die Partei DIE LINKE zudem einen klaren Kompass: Das Ziel eines demokratischen Sozialismus, der über parlamentarische Grenzen hinausweist." (Homepage von "drunter-nicht", 4. November 2011) 99 Homepage der Partei "DIE LINKE." (15. Dezember 2011). 100 Homepage von "Linksjugend ['solid]" (8.November 2011). 179 LINKSEXTREMISMUS KommunismusEin Mitglied des Bundessprecherrats der "Linksjugend ['solid]" Debatte erklärte anlässlich der KommunismusDebatte, dass es innerhalb des Verbands "verschiedene kommunistische Vorstellungen gebe. Das Spektrum reicht von Ansätzen, den Kapitalismus zu verbes sern, bis hin zur Anarchie. Von daher ist es schon treffend, dass Frau Lötzsch von einem Weg in den Kommunismus sprach". Für ihn sei klar, dass "wir langfristig den Kommunismus als Gesell schaftsform wollen".101 Der Jugendverband engagiert sich auch weiterhin in Bündnissen gemeinsam mit Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung, darunter auch autonomen Gruppierungen. So betei ligte er sich an Aktionen des "zivilen Ungehorsams" bis hin zum sogenannten Schottern anlässlich der CastorTransporte. Hierzu erklärte der Bundessprecherrat: "Von dort aus werden wir koordiniert an den Aktionen teilnehmen, versuchen den Castor zu verzögern, blockieren und schottern, um nicht nur symbolisch, sondern spürbar zu protestieren." (Homepage der "Linksjugend ['solid]", 24. Oktober 2011) Ein Mitglied des Bundessprecherrates führte in seiner Rede auf einer AntiAtomVeranstaltung für das Aktionsbündnis "Castor schottern" am 26. März 2011 in Hamburg aus: "Und wenn wir jede Straße die zu einem Atomkraftwerk führt von Hand auseinandernehmen müssen, um die Anlieferung neuer Brennstäbe zu verhindern, wir werden in den nächsten Wochen und Monaten jedes verdammte Gesetz brechen, dass gebrochen werden muss, um den Atomausstieg durchzusetzen." (YouTube, 4. November 2011) HochschulverDer parteinahe Hochschulverband DIE LINKE.SDS ist bundes band "DIE LINKE. weit an 50 Hochschulen aktiv.102 Laut Satzung ist der Verband Sozialistischeine Arbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus und somit formell Demokratischer Studierendenverband" 101 Homepage von "jetzt" (OnlineMagazin der Süddeutschen Zeitung, 12. Januar 2011). (DIE LINKE.SDS) 102 Homepage von "linkesds" (19. Oktober 2011). 180 LINKSEXTREMISMUS Bestandteil des Jugendverbandes "Linksjugend ['solid]" der Par tei "DIE LINKE.". Der Hochschulverband formuliert seine Ziele in einem programmatischen Grundlagenpapier mit dem Titel "Selbstverständnis des Studierendenverbandes Die Linke.SDS": "Der Kapitalismus ist für uns nicht das Ende der Geschichte. Wir stehen ein für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und stellen ihr unsere handlungsbestimmende Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft entgegen." (Homepage von "DIE LINKE.SDS", 19. Oktober 2011) Im Zusammenhang mit der KommunismusDebatte bekannte Kommunismussich zunächst der bisherige Bundesgeschäftsführer des Verbandes Debatte zum langfristigen Ziel einer kommunistischen Gesellschaft.103 Auch der kurz darauf neu gewählte Bundesgeschäftsführer erklärte: "Unser Ziel ist eine herrschaftsfreie und klassenlose Gesellschaft, die unter dem Begriff Kommunismus zusammengefasst werden kann." ("Neues Deutschland", 17. Januar 2011, S. 6) 103 Homepage der Partei "DIE LINKE." (10. Januar 2011). 181 LINKSEXTREMISMUS 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen (NordrheinWestfalen) Bundesvorsitzende: Bettina Jürgensen Mitglieder: 4.000 (2010: 4.000) Publikation: "unsere zeit" (uz) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: 6.000 (2010: 6.000); "Marxistische Blätter" (theoretisches Organ), sechs Ausgaben im Jahr Die DKP bekennt sich zur Theorie von Marx, Engels und Lenin als Richtschnur ihres politischen Handelns. Ihr Ziel bleibt weiterhin der Umsturz der politischen Verhältnisse und die Errichtung des Sozialismus/Kommunismus. In diesem Sinne bekräftigte die DKPVorsitzende Bettina Jürgensen auf der 5. Tagung des Par teivorstandes am 10. und 11. September 2011 in Dortmund (NordrheinWestfalen): "Unsere Aufgabe ist es, mehr Menschen davon zu überzeugen, dass es eine Alternative zum Kapitalismus gibt, dass er nicht das Ende der Geschichte ist, dass der Sozialismus erkämpft werden muss und nicht im Selbstlauf kommt, dass bessere Lebens-, Arbeitsund Kampfbedingungen auf diesem Weg helfen, bevor es dann - später - zum Umsturz der gesellschaftlichen Verhältnisse kommt." ("DKP-Informationen" Nr. 3/2011, 25. September 2011, S. 10) Ideologischer Der seit 2009 anhaltende Richtungsstreit über die Frage, wie die Richtungsstreit ses Ziel zu erreichen sei, setzte sich auch 2011 fort. So hielt die dauert an Mehrheit im Parteivorstand an den "Politischen Thesen" fest, die 182 LINKSEXTREMISMUS im Vorfeld für den 19. Parteitag, der im Oktober 2010 in Frankfurt am Main (Hessen) stattgefunden hat, entwickelt worden waren. Die "Thesen" relativieren die Bedeutung der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt und die Avantgarderolle der Partei, indem sie die Forderung enthalten, die DKP müsse in allen fortschritt lichen Bewegungen mitarbeiten. Demgegenüber votierte die innerparteiliche Opposition weiterhin für die unbedingte Rück kehr zur unverfälschten Lehre des MarxismusLeninismus und bezeichnete die "Politischen Thesen" als revisionistisch und zer störerisch für die Mobilisierungsfähigkeit der Partei. Auch die "Theoretische Konferenz" der Partei am 30. Oktober 2011 in Hannover (Niedersachsen) brachte keine Annährung der unter schiedlichen Positionen. Die Konferenz hat offenbart, dass der Richtungsstreit nicht nur die Auslegung einzelner zentraler Begriffe des Parteiprogramms betrifft, sondern das kommunistische Selbstverständnis der Partei insgesamt berührt. Konsensfähig scheinen für beide Flügel ledig lich einzelne Nahziele sowie das angestrebte Fernziel, den Kapita lismus zu überwinden und den Sozialismus aufzubauen. Die weltweiten Finanz und Wirtschaftsprobleme bewertet die Aktivitäten DKP als die bisher größte Krise des globalen Kapitalismus, gestand aber gleichzeitig ein, dass die Arbeiterbewegung so schwach wie nie und ein Klassenbewusstsein kaum entwickelt sei. Aufgabe der Partei sei es, "für einen stärkeren Einfluss des Marxismus und die Entwicklung von Klassenpositionen in Bewegungen und Gesellschaft zu wirken".104 Dementsprechend mobilisierte die DKP in vielfältiger Weise zu Aktionen und Demonstrationen der Friedens, Antifaschismus, Frauenbewegung sowie der Globa lisierungs und Atomkraftgegner und beteiligte sich an deren Organisation. Vom 24. bis 26. Juni 2011 fand das - alle zwei Jahre ausgerichtete - uz-Pressefest Pressefest der uz in Dortmund (NordrheinWestfalen) statt. An der mit großem Aufwand und unter Beteiligung vieler Landesor ganisationen als "Fest der Solidarität und Volksfest der DKP & uz" konzipierten Veranstaltung nahmen erneut Kommunisten aus mehreren europäischen und außereuropäischen Ländern teil. 104 "Politische Thesen", S. 32. 183 LINKSEXTREMISMUS Obwohl die Besucherzahl, die Höhe der Einnahmen und die Anzahl der verkauften Exemplare der uz hinter den Erwartungen der DKP zurückgeblieben waren, bewertete die Parteiführung das Fest als Erfolg. Im Rahmen des Pressefestes durfte das Bündnis "Dortmund stellt sich quer" das "erste öffentliche Blockadetraining" für Antifa schisten vorstellen, bei dem gezeigt wurde, wie man Polizeiketten "friedlich überwindet und Wege blockiert".105 Beteiligung an Am 20. Februar 2011 zog der Hamburger DKPBezirksvorsitzende Wahlen Olaf Harms auf der Liste der Partei "DIE LINKE." erneut in die Bezirksversammlung HamburgMitte ein. Bei den Kommunal wahlen in Hessen am 27. März 2011 und in Niedersachsen am 11. September 2011 erzielte die DKP - z.T. auf gemeinsamen Listen mit der Partei "DIE LINKE." - einige Stadt oder Ortsrats mandate. Bei nahezu allen Wahlen, an denen sich die Partei im Jahr 2011 beteiligte, musste sie jedoch Stimmenverluste gegenüber den zurückliegenden Wahlen hinnehmen. Lediglich bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus am 18. September 2011 errang die DKP 0,2% der Stimmen, was einer absoluten Zahl von 3.618 Wählerstimmen entsprach. Das Ergebnis wurde von der Bezirksorganisation als besonderer Erfolg gewertet, da es eine Verdoppelung der Stimmen gegenüber der Bundestags und der Europawahl 2009 darstellte. Der Spitzenkandidat der Partei Rainer Perschewski sah den Kurs seiner Partei bestätigt, die sich beson ders auf aktives außerparlamentarisches Eingreifen konzentriert habe. Die DKP ist nach wie vor mehrheitlich im elfköpfigen Vorstand der linksextremistisch beeinflussten "MarxEngelsStiftung e.V." (MES) vertreten, die "das wissenschaftliche Werk von Marx und Engels und seine geschichtliche Wirksamkeit erforschen und aktuell (...) interpretieren" will. Zu diesem Zweck werden "wissen schaftliche Seminare, Symposien, Kolloquien und andere wissen schaftliche Veranstaltungen" arrangiert. 105 Homepage von "Dortmund stellt sich quer!" (28. Juni 2011). 184 LINKSEXTREMISMUS 2.2 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Der marxistischleninistisch orientierte Jugendverband SDAJ mit seinen bundesweit rund 500 Mitgliedern (2010: 300) bleibt, wenn gleich er formal unabhängig ist, weiterhin eng mit der DKP ver bunden. Die SDAJ hält an ihrer Kernforderung nach einer sozialistischen Gesellschaftsordnung fest. So heißt es in dem zweimonatlich erscheinenden Magazin des Jugendverbandes "POSITION": "Wir haben erkannt, dass wir für unsere Interessen selbst kämpfen müssen. All unsere Forderungen richten sich gegen die Herrschenden in dieser Gesellschaft - gegen die Kapitalisten. Dauerhaft verwirklichen können wir unsere Forderungen nur in einer Gesellschaft ohne Kapitalisten - im Sozialismus. Dahin kommen wir aber nur, wenn wir schon heute mit unseren Forderungen Ernst machen." ("POSITION - Magazin der SDAJ", Nr. 04-11, S. 3) Dieses Ziel könne nicht durch Reformen erreicht werden. Dazu führt die SDAJ aus: "Wer sich daher für den Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sichereren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß quantitative Veränderungen in der alten." (SDAJ Bildungszeitung "Staat und Revolution", April 2011, Kapitel IV. Reform und Revolution, S. 7) Den von der Mehrheit im Parteivorstand der DKP getragenen Spannungen im "Politischen Thesen" (vgl. Nr. 2.1) steht der überwiegende Teil Verhältnis zur DKP der SDAJ unverändert kritisch gegenüber und fordert - wie die 185 LINKSEXTREMISMUS innerparteiliche Opposition der DKP - eine strikte Rückkehr zur unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus. So heißt es: "Vor der Revolution (...) ist die Hauptaufgabe der Kommunistischen Partei die Entwicklung von Klassenbewusstsein. Sie ist die Organisation, die den politischen Kampf als Klassenkampf begreift und führt. (...) Die kommunistische Partei muss die Avantgarde (Vorhut) der Arbeiterklasse sein. (...). Zumindest der Anspruch, Avantgarde zu sein, sollte die Partei aber stets auszeichnen. Sie kann nur die kämpferische Avantgarde der Arbeiterklasse sein, wenn sie auch deren theoretische Avantgarde ist." (Homepage der SDAJ, 25. Oktober 2011) 20. Bundeskongress Am 1./2. Oktober 2011 führte die SDAJ in Hannover (Niederder SDAJ sachsen) ihren 20. Bundeskongress durch. Daran beteiligten sich nach Angaben des Verbandes neben rund 140 Mitgliedern der SDAJ auch Angehörige der DKP, darunter die Parteivorsitzende Jürgensen, sowie Vertreter kommunistischer Jugendverbände aus Griechenland, Portugal, Belgien und Österreich. Die Delegierten bestätigten den bisherigen SDAJ-Bundesvorsitzenden Björn Schmidt in seiner Funktion. Die SDAJ, so wurde auf dem Bundeskongress deutlich, konzentriert ihre Ressourcen auf die Aktionsfelder "Antimilitarismus" und "Antifaschismus" sowie - mit Einschränkungen - auf "Bildungspolitik". Pfingstcamps In der Zeit vom 10. bis 13. Juni 2011 führte die SDAJ ihre im Zweijahresrhythmus stattfindenden regionalen Pfingstcamps durch. Ausgerichtet wurden vier Camps mit unterschiedlichen Leitsätzen. So hieß es im Pfingstcamp Nord in Kiel (Schleswig-Holstein) "Strike back! - gemeinsam kämpfen, gemeinsam feiern!", im Pfingstcamp Süd in Schwangau (Bayern) "SOMMER, SONNE, SOZIALISMUS!", im Pfingstcamp West in Ahaus (NordrheinWestfalen) - gegenüber dem Brennelement-Zwischenlager (BZL) - "Strike Back! Wir kämpfen für unsere Rechte - Solidarität ist unsere Waffe!" und im Pfingstcamp Ost in Bernau (Brandenburg) "working class, kick your ass". Programmpunkte waren u.a. politische Vorträge und Diskussionsrunden sowie ein 186 LINKSEXTREMISMUS BlockadeTraining. Neben Mitgliedern der SDAJ und DKP waren auch Angehörige des gewaltbereiten linksextremistischen Spek trums anwesend. Im Zentralorgan der DKP uz hieß es hierzu: "Neben Mitgliedern der SDAJ und der DKP kamen Freunde und Genossen der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) und der Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB). (...). In Workshops tauschten sich die Teilnehmer u.a. darüber aus, wie die antikapitalistische linke Jugendbewegung mit der immer stärkeren polizeilichen Gewalt gegen Demonstranten und organisierte Linken umgehen kann." (uz Nr. 24, 17. Juni 2011, S.3) 3. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz des: Gelsenkirchen (NordrheinWestfalen) Zentralkomitees: Bundesvorsitzender: Stefan Engel Mitglieder: 2.000 (2010: 2.000) Publikation: "Rote Fahne" (RF) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: 8.000; "Lernen und Kämpfen" (LuK) (Mitgliedermagazin), mehrmals jährlich; "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "REBELL"), zweimonatlich; "Galileo" (Zeitung der Hochschulgruppen der MLPD), mehrmals jährlich 187 LINKSEXTREMISMUS Klassiker des Die 1982 gegründete und streng maoistischstalinistisch ausge Sozialismus richtete MLPD wird seit ihrem Bestehen vom Vorsitzenden Stefan Engel geführt. Ihr grundlegendes Ziel ist "der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Dikta tur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangs stadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft".106 Die Partei hält nach wie vor an ihrem Anspruch als politische Vorhut organisation der Arbeiterklasse fest. Entsprechend heißt es in der Präambel des Parteistatuts: "Um ihr grundlegendes Ziel zu erreichen, muss die Partei das Vertrauen der Volksmassen erringen, die entscheidende Mehrheit der Arbeiterklasse für den revolutionären Kampf gewinnen und sich mutig an die Spitze der Kämpfe der Arbeiterklasse stellen: (...). Die Lehren von Marx, Engels, Stalin und Mao Tsetung und ihre lebendige Anwendung auf die konkreten Verhältnisse (...) bilden die entscheidende Grundlage für einen neuen Aufschwung des Kampfs für den Sozialismus." (Homepage der MLPD, 24. Oktober 2011) Im März 2011 erschien im parteieigenen Verlag "Neuer Weg" das Buch "MORGENRÖTE DER INTERNATIONALEN SOZIALISTI SCHEN REVOLUTION". Der vom "Redaktionskollektiv REVOLU TIONÄRER WEG" unter Leitung von Engel herausgegebene Band liefert eine strategischtaktische Analyse der "internationalisier ten revolutionären Produktivkräfte". Alle Mitglieder der Partei wurden angehalten, sich in Seminaren und Bildungsabenden mit dem Inhalt des Buches auseinander zusetzen. Die Schrift zeige die Linie der MLPD auf, mit der diese künftig ihren Beitrag zur Vorbereitung und Durchführung der internationalen Revolution leisten werde.107 Ziel müsse dabei die Stärkung der Arbeiterbewegung sein: "(...) es gibt die mühsam erkämpfte und wachsende Einheit der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung, ein hohes Gut, 106 Statut der MLPD. 107 RF Nr. 13, 1. April 2011, S. 20 f. 188 LINKSEXTREMISMUS das gepflegt und gestärkt werden muss, (...). Jeder Marxist-Leninist muss seine ganze Kraft einsetzen, um die Vereinheitlichung von Theorie und Praxis der beteiligten revolutionären Parteien und Organisationen schrittweise voranzubringen." ("Morgenröte der internationalen sozialistischen Revolution", S. 595) Angesichts der Tatsache, dass es derzeit kein internationales "Zentrum der Weltrevolution" gebe, komme der MLPD besondere Bedeutung zu. So gehöre Engel als Hauptkoordinator der Leitung der am 6. Oktober 2010 gegründeten "International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations" (ICOR) an, zu der nach Eigenangaben 45 Organisationen aus 32 Ländern zählen.108 Zu den in der ICOR organisierten Gruppen gehört auch die türki sche "MarxistischLeninistische Kommunistische Partei" (MLKP, vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 2.3), die sich wiederholt zu terroristischen Anschlägen in der Türkei bekannt hat und mit deren Aktivisten in Deutschland die MLPD schon seit Jahren eng zusammarbeitet. Die MLPD nahm 2011 lediglich an der Landtagswahl in Sachsen Beteiligung an Anhalt am 20. März 2011 teil. In sechs Wahlkreisen stellte sie Wahlen Direktkandidaten. Die Partei erhielt einen Stimmenanteil von 0,1% (2.321 Zweitstimmen). Trotz des erheblichen Stimmenrück gangs im Vergleich zur Landtagswahl 2006 (0,4% = 4.060 Zweit stimmen) zog die Partei eine "positive Bilanz der Offensive für den echten Sozialismus" zur "Förderung der Selbstorganisation der Massen" und betonte, sie habe trotz Wahlbehinderung und Medienboykott "eine beachtliche Massenwirkung entfaltet".109 Die MLPD unterstützt weltweit diverse "Befreiungsbewegungen". Unterstützung von In diesem Zusammenhang diffamierte sie die Politik Israels als "Befreiungs"staatsterroristisch" und bekundet gleichzeitig ihre "uneinge kämpfen" schränkte Solidarität" mit Palästina.110 108 REBELL Nr. 4-2011, 25. August 2011, S. 29. 109 RF Nr. 12, 25. März 2011, S. 18 f. 110 Homepage der MLPD (6. November 2011). 189 LINKSEXTREMISMUS Darüber hinaus erklärte Engel im Namen der MLPD seine Soli darität mit der in Deutschland mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegten "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK, vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Kap. II, Nr. 1.2). Die deutsche Bun desregierung bezichtigte er der Diskriminierung des kurdischen Befreiungskampfes sowie der Beteiligung an einem "internatio nalen Komplott" zur Ergreifung des PKKVorsitzenden Öcalan im Jahre 1999. Engel forderte: "Weg mit dem Verbot der PKK! Freiheit für Abdullah Öcalan!"111 Jugendverbände Die beiden Jugendverbände "ROTFÜCHSE" und "REBELL" führ ten mit organisatorischer Unterstützung der MLPD am Pfingst wochenende 2011 in Gelsenkirchen (NordrheinWestfalen) ihr 15. Internationales Pfingstjugendtreffen durch. Die über 200 Ange bote sind nach einem Bericht im Zentralorgan der Partei RF von mehreren Tausend Personen besucht worden. Insgesamt seien 30 Nationalitäten vertreten gewesen. Dem Diskussionsforum zum "proletarischen Internationalismus im 21. Jahrhundert" mit dem Hauptredner Engel hätten bis zu 900 Zuhörer beigewohnt.112 4. "GegenStandpunkt" (GSP) Gründung: 1992 Sitz: München Mitglieder: 7.000 Publikation: "GegenStandpunkt - Politische Vierteljahreszeitschrift" (GSP), vierteljährlich Der revolutionärmarxistische GSP setzt die Aktivitäten der "Marxistischen Gruppe" (MG) fort, die im Mai 1991 ihre (angebli che) Selbstauflösung erklärt hatte. Unter der zentralen ideologi schen Anleitung des GSP existieren in Deutschland derzeit rund 111 Homepage der MLPD (8. November 2011). 112 RF Nr. 24, 17. Juni 2011, S. 14. 190 LINKSEXTREMISMUS 40 lokale Gruppen. Sie sind formal unabhängig, führen unter schiedliche Bezeichnungen, sind aber in die informell erschei nende organisatorische Gesamtstruktur um die in München ansässige "GegenStandpunkt Verlagsgesellschaft mbH"113 einge bunden. Wie die MG ist auch der GSPZusammenschluss in seiner heutigen Form eine kommunistische Organisation und strebt die revolutionäre Überwindung der bestehenden verfassungsmäßi gen Ordnung an. Wie zuvor bei der MG besteht auch die gegenwärtige Praxis des Theorie als Praxis, GSP - im Gegensatz zu anderen linksextremistischen Gruppie destruktive Kritik rungen - dem Schwerpunkt nach nicht darin, sich durch Akti als Methode onen in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. Vielmehr versucht man zielgerichtet, den Kreis der Anhängerschaft durch intellektuelle Einflussnahme und Überzeugungsarbeit zu ver größern. Hierzu dient die systematische Schulung der eigenen, überwiegend akademisch geprägten Mitglieder zu Multiplikato ren. Deren Aufgabe soll zunächst sein, durch "destruktive Kritik" an der Funktionsweise des "Kapitalismus" breite Einsicht in die Notwendigkeit seiner Überwindung zu erzeugen. Gleichzeitig soll damit der Kommunismus - in der vom GSP angestrebten, nicht jedoch an früheren realsozialistischen Systemen orientier ten Form - als vorteilhafte Alternative zum "Kapitalismus" ver mittelt werden. Nach Vorstellung des GSP kommt es schließlich zur Revolution, wenn die in eher ferner Zukunft zum "richtigen Bewusstsein" gelangten "Lohnabhängigen" dem "kapitalistischen System" die systemtragende Lohnarbeit mehrheitlich verweigern und es auf diese Weise zu Fall bringen. Außer in der selbst herausgegebenen Publikation verbreitet der Signifikante Nutzung GSP seine streng dogmatisch verstandene Ideologie auch mit des Internets einer enormen Vielzahl von Text und Tondokumenten im Inter net. Darüber hinaus werden Beiträge auch von einigen regionalen Radiostationen gesendet. Die lokalen Gruppen führen zudem öffentliche Diskussionsveranstaltungen und sogenannte Jours Fixes durch, bei denen exponierte Referenten des GSP vielfach tagespolitische Ereignisse zum Anlass nehmen, ihre ideologischen Vorstellungen zu transportieren. Derartige Veranstaltungen spre chen insbesondere angehende und bereits ausgebildete Akademi ker an. 113 Homepage "GegenStandpunkt" (3. November 2011). 191 LINKSEXTREMISMUS 5. Trotzkisten In Deutschland sind unverändert 20 internationale trotzkistische Dachverbände mit 28 Sektionen oder Resonanzgruppen vertreten, deren Gesamtmitgliederpotenzial mit rund 1.600 Personen unver ändert blieb. Strategie des Trotzkisten verfolgen weiterhin die Strategie des Entrismus. Dies Entrismus bedeutet die gezielte Unterwanderung anderer, meist konkurrie render Parteien oder Vereinigungen mit dem Ziel, dort Einfluss zu nehmen und die eigene Ideologie zu verbreiten. Entrismus gegen über der Partei "DIE LINKE." entfalten insbesondere die trotzkis tischen Gruppierungen "marx21" und "Sozialistische Alternative" (SAV). "marx21" Das Netzwerk "marx21" ist die deutsche Sektion des internati onalen trotzkistischen Dachverbandes "International Socialist Tendency" (IST) mit Sitz in London (Großbritannien). Wie in den Vorjahren war "marx21" auch 2011 die aktivste Organi sation in diesem Spektrum. Die Gruppierung agiert insbeson dere im bundesweiten Zusammenschluss "Sozialistische Linke" (SL; vgl. Nr. 1.2) und versucht hierdurch, Einfluss auf die Partei "DIE LINKE." zu nehmen. Herausgehobene Funktionen in der Partei "DIE LINKE." bekleiden ehemalige "Linksruck" und heutige "marx21"Angehörige. So gehören Janine Wissler dem Parteivorstand, Christine Buchholz dem Parteivorstand und der Bundestagsfraktion sowie Nicole Gohlke der Bundestagsfraktion an. Für die Außendarstellung des Netzwerkes ist der jährlich statt findende Kongress "marx is muss" von besonderer Bedeutung. Er fand vom 2. bis 5. Juni 2011 in Berlin statt und zählte nach Angaben des Veranstalters mehrere Hundert Besucher. In einer Vielzahl von Diskussionsforen hätten sich die Teilnehmer mit dem Thema "Marxismus" befasst. Neben diesem regelmäßigen Kongress gewinnt die Präsenz im Internet für das Netzwerk zunehmend an Bedeutung. So stellt sich "marx21" nicht nur auf seiner Homepage dar, sondern ist auch in sozialen Netzwerken wie Facebook vertreten. 192 LINKSEXTREMISMUS Die publizistische Plattform des Netzwerkes bildet das gleich namige Magazin "marx21". Die Zahl der abonnierten Exemplare (Oktober 2011) liegt nach Angaben des Blattes bei 868 (2010: 750).114 Die linksextremistische Ausrichtung des marxistischen Netzwerkes wird in den dort veröffentlichten Beiträgen deutlich. So heißt es: "Die Kernfrage lautet dabei, ob überhaupt im Kapitalismus und zu welchem Preis Regierungskoalitionen angestrebt werden sollen. Das Netzwerk marx21 vertritt hier die Position Rosa Luxemburgs, dass Sozialisten 'nur auf den Trümmern des bürgerlichen Staates' die Regierungsmacht ergreifen dürfen. (...) DIE LINKE kann in dieser Situation nur Opposition sein und hat keine andere Waffe gegen das Kapital als die Mobilisierung der Arbeiterklasse für ihre Interessen." ("marx21" Nr. 18/11, November 2010, S. 58) Im Jahr 2011 organisierten "marx21Studierende" an Hoch schulen Lesekreise, genannt "marx21campus", mit dem Ziel, "marxistische Tradition" zu diskutieren. Zum "Selbstverständnis marx21Studierender" heißt es: "Innerhalb der politischen Bandbreite von Die Linke.SDS vertreten Studierende von marx21 die Tradition eines revolutionären Sozialismus von Unten. (...) Als revolutionäre MarxistInnen gehen wir davon aus, dass nur die ArbeiterInnenklasse die potenzielle gesellschaftliche Macht hat, in einem Prozess der Selbstbefreiung eine neue Gesellschaft zu etablieren." (Homepage "marx21", 17. Oktober 2011) Die SAV mit ihren rund 400 Mitgliedern ist die deutsche Sektion "Sozialistische des internationalen trotzkistischen Dachverbandes "Committee Alternative" (SAV) for a Worker's International" (CWI) mit Sitz in London und ver steht sich gemäß Statut als "revolutionäre, sozialistische Organisa tion in der Tradition von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und Liebknecht". Der Außendarstellung der SAV dienen die jähr lichen "Sozialismustage" in Berlin. Lucy Redler, eine der beiden 114 "marx21" Nr. 22, September/Oktober 2011, S. 71. 193 LINKSEXTREMISMUS Bundessprecher der Organisation und seit September 2010 auch Mitglied in der Partei "DIE LINKE."115, führte anlässlich der Sozia lismustage 2011 vom 22. bis 24. April 2011 in Berlin aus: "Bewegungen allein werden dieses System nicht zu Fall bringen. (...) Wir haben keine andere Chance als darum zu kämpfen, die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen machen. (...) Es geht um nicht weniger als darum, ein mafiöses System in Deutschland, (...) und weltweit herauszufordern. (...) Empört euch! Aber vor allem kämpft und organisiert euch! Für eine sozialistische Welt." (Homepage der SAV, 30. April 2011) Neben den "Sozialismustagen" nutzt die SAV zwei Internetprä senzen, auf denen u.a. ihre Monatsschriften "Solidarität" und "sozialismus.info" sowie die im Zweimonatsrhythmus erschei nende Beilage "megafonSozialistische Jugendzeitung" abgerufen werden können. Über die Ziele der SAV ist dort zu lesen: "Die SAV arbeitet in der LINKEN mit, aber wir machen uns gleichzeitig für einen Kurswechsel stark - hin zu einer kämpferischen, sozialistischen Partei, die sich prinzipiell nicht an Regierungen mit Sozialräubern beteiligt und bereit ist, den Konflikt mit den Herrschenden einzugehen. (...) Wir brauchen eine Regierung die konsequent Arbeiter-und Umweltinteressen vertritt und bereit ist, sich dafür mit den Kapitalisten und großen Konzernen anzulegen und den Kapitalismus abzuschaffen." ("Solidarität" Nr. 101, April 2011, S.7) Die SAV beteiligte sich 2011 an bundesweiten Protestaktionen und Kampagnen insbesondere in den linksextremistischen Akti onsfeldern "Antifaschismus", "Sozialabbau", "AntiAKW" und "Antimilitarismus". 115 Am 1. September 2010 wurde den beiden SAVBundessprechern Lucy Redler und Sascha Stanicic der Eintritt in die Partei "DIE LINKE." gewährt, nachdem erste Aufnahmeanträge im Jahr 2009 durch die Bundesschiedskommission der Partei abgelehnt worden waren. 194 LINKSEXTREMISMUS Die kleineren trotzkistischen Zusammenschlüsse wie der "Revo Sonstige lutionär Sozialistische Bund" (RSB/IV. Internationale), die trotzkistische "Gruppe Arbeitermacht" (GAM) sowie die "internationale sozia Zusammenschlüsse listische Linke" (isL) sind, wie im Vorjahr, von geringer Bedeutung. Bei Aktionsbündnissen fungieren diese Kleinstgruppen oft als Unterstützer. Thies Gleiss (Mitglied/Unterstützer der isL) und zugleich Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des Landes verbandes NordrheinWestfalen der Partei "DIE LINKE." und einer der stellvertretenden Sprecher, betonte: "Die NRW-LINKE (...) fordert darüber hinaus, dass die LINKE sich am Aufbau einer neuen sozialistischen Internationale beteiligt." ("Sozialistische Zeitung" Nr. 10, Oktober 2011, S. 4) 6. "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung: 1975 Sitz: Göttingen (Niedersachsen) (Bundesgeschäftsstelle) Mitglieder: 5.600 (2010: 5.400) in 47 Ortsgruppen Publikation: "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Die von Linksextremisten unterschiedlicher ideologischpoliti scher Ausrichtung getragene RH definiert sich in ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutz und Solidaritätsorganisation". Ihr Arbeitsschwerpunkt liegt auf der Unterstützung von Straf und Gewalttätern aus dem "linken" Spektrum, die von "staatlicher Repression" betroffen sind. So gewährt die RH Beihilfen zu Anwalts und Prozesskosten sowie zu 195 LINKSEXTREMISMUS Geldstrafen und Geldbußen. Unter der Überschrift "Die Rote Hilfe ist keine karitative Einrichtung" erläutert sie ihre Ziele: "Die Unterstützung für die Einzelnen soll zugleich ein Beitrag zur Stärkung der Bewegung sein. Jede und Jeder, die sich am Kampf beteiligen, soll das in dem Bewußtsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen." (Homepage "ROTE HILFE E.V.", 8. Dezember 2011) Die Unterstützung schließt auch ehemalige Angehörige terroristischer Vereinigungen ein. So forderte die "Rote Hilfe" die sofortige Freilassung zweier ehemaliger Angehöriger der terroristischen "Revolutionären Zellen" (RZ)116: "Aber was wir wissen ist, dass sie sich für die Befreiung der Menschen, für eine fortschrittliche Gesellschaft eingesetzt haben. Sie haben sich als Teil der radikalen Linken für die Veränderung all unserer Lebensverhältnisse eingesetzt. Das weiß auch der Staat, der mit unbedingten Verfolgungswillen versucht diesen Teil der Geschichte zu ende zu bringen. (...) Wir haben großen Respekt vor der politischen Kontinuität, die in ihrem Handeln zu erkennen ist. Wir wissen, dass ihr Handeln juristisch wie politisch richtig ist. (...) Deshalb möchten wir sie in diesem Handeln nicht alleine lassen, wir möchten sie unterstützen und bestärken. (...) Wir solidarisieren uns aufgrund ihrem konsequenten Eintreten für eine linke Sache, wir solidarisieren uns aufgrund ihrer miserablen Behandlung und Verfolgung durch die deutschen Behörden. (...) Wir fordern die sofortige Freilassung der Inhaftierten, wir fordern die sofortige Einstellung der Verfahren." (Homepage "ROTE HILFE E.V.", Ortsgruppe Frankfurt am Main, 6. Oktober 2011) 116 Im September 2011 wurden Sonja Suder und Christian Gauger (ehemalige Angehörige der RZ), die sich seit Ende der 1970er Jahre in Frankreich aufhielten und dort 2001 festgenommen worden waren, nach Deutschland ausgeliefert. Gegen beide Personen bestand seit 1978 ein Haftbefehl des BGH, seit 2006 ein neu erlassener EU-Haftbefehl und seit 2007 ein weiteres Auslieferungsersuchen an die französischen Behörden. Suder und Gauger wird die Beteiligung an Sprengstoffanschlägen und Brandstiftungen in den Jahren 1977/78 im süddeutschen Raum vorgeworfen. 196 LINKSEXTREMISMUS Auch Führungsmitglieder der türkischen - in Deutschland seit August 1998 verbotenen - "Revolutionären Volksbefreiungspar teiFront" (DHKPC; vgl. Sicherheitsgefährdende und extremis tische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 2.1) wurden in ihren Prozessen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung von der RH unterstützt. In diesem Zusammenhang ergangene Verurteilungen kritisiert die RH scharf und wiederholt dabei ihre Forderung nach Abschaffung der entsprechenden Paragrafen des Strafgesetzbuchs: "Allen Teilparagraphen 129 ist gemein, dass sie unter anderem umfassende Überwachungsmaßnahmen legitimieren, massiv bürgerliche Grundrechte aushebeln und juristisch Pauschalurteile gegen Einzelne möglich machen. Sie werden als Teil der politischen Justiz in Deutschland vor allem gegen linke Strukturen und Personen angewendet. (...) Weg mit den Paragraphen 129, 129a und 129b!" (Homepage "ROTE HILFE E.V.", 21. September 2011) Darüber hinaus beteiligte sich die RH an Demonstrationen, orga nisierte Informations und Diskussionsveranstaltungen zu den Themen "Rechtshilfe" und "staatliche Repression" und publizierte entsprechende Schriften. Im Vorfeld der Walpurgisnacht und der Aktivitäten zum "Revolutionären 1. Mai" 2011 in Berlin boten die Ortsgruppe Berlin der RH und der "Ermittlungsausschuss" (EA) Berlin unter dem Motto "Was tun wenns brennt?"117 mehrere "Antirepressionsveranstaltungen" zur Demonstrationsvorberei tung an. Neben der aktiven Hilfe bei Strafverfahen gibt die RH links extremistischen Straftätern auch praktische Hinweise zum Schutz vor Strafverfolgung. Eine Hausdurchsuchung bei Linksextremisten 117 Das Veranstaltungsmotto ist identisch mit dem Titel einer Standardbroschüre bzw. eines "Ratgebers" der RH zum Verhalten bei Demonstrationen und nach Festnahmen durch die Polizei. 197 LINKSEXTREMISMUS in Stuttgart (BadenWürttemberg) im Nachgang "antifaschisti scher" Proteste nahm die RHOrtsgruppe Stuttgart zum Anlass, Handlungsempfehlungen auszusprechen: "Nicht vergessen: Haltet Eure Wohnungen sauber! Wendet Euch an die Rote Hilfe, wenn Ihr selbst von der Repression betroffen seid! Macht keine Aussagen bei den Bullen und kommuniziert nicht am Telefon oder unsicheren Orten über sensible Angelegenheiten. Die Bullen haben wie bereits erwähnt nach Kleidern und Datenträgern gesucht - deshalb: Lieber mal den Kleiderschrank ausmisten und PC-Systeme so sicher wie möglich betreiben." (Homepage "ROTE HILFE E.V.", Ortsgruppe Stuttgart, 8. Dezember 2011) IV. Linksextremistische Verbreitungsstrukturen 1. Linksextremismus und Musik Ein bisher nur wenig beachtetes Betätigungsfeld im links extremistischen Spektrum ist die Musik, die gezielt zur Förderung linksextremistischer Aktivitäten eingesetzt wird. Aktive Anhänger des linksextremistischen Spektrums sollen durch einschlägige Liedtexte in ihren Ansichten gestärkt und neue Interessenten gewonnen werden. Linksextremistische Liedtexte wurden im Jahr 2011 in unter schiedlichen Musikrichtungen verbreitet. Mit dieser Musik wird ein weites Spektrum von aktiven Linksextremisten bis hin zu Per sonen ohne bislang gefestigte linksextremistische Überzeugungen erreicht. Mitunter finden sich in den Texten auch Aufrufe zu Gewalttaten gegenüber Polizisten, Rechtsextremisten, aber auch zu Straftaten im Verlauf von Demonstrationen. Die in der linksextremistischen Szene bekannten deutschspra chigen Rapper Johnny Mauser & Captain Gips traten im letzten 198 LINKSEXTREMISMUS Jahr unter anderem in verschiedenen linksextremistischen Szene objekten auf. Bekannt geworden waren sie durch das Lied "Flora bleibt"118, in dem es u.a. heißt: "Von der Flora kriegt Ihr nichts, höchstens Tritte ins Gesicht. (...) Wenn sich 800 Leute mit Motorradhelmen und Knüppelfähnchen vor die Flora stellen heißt es Eighties Flashback, Ausnahmezustand wo Bullen für ein Jahr keine Pause vom Dienst haben, Scheiß Gefühl in den Autos und Dienstwagen. (...) Die Kids sind zu müde, um in die Schule zu gehen, denn ab jetzt ist jede Nacht Bambule hoch zehn. Ihr wollt uns loswerden, ihr wollt uns abdrängen, räumt die Flora, wenn ihr wollt, dass die Stadt brennt".119 Die Verbreitung linksextremistischer Liedtexte erfolgt auf Kon zerten und über verschiedene Musikvertriebe. Darüber hinaus bieten Plattformen im Internet besonders einfache Möglichkeiten zur Verbreitung selbst hergesteller gewaltaffiner Mobilisierungs videos. Dies wird insbesondere im Vorfeld von Demonstrationen genutzt, z.B. bei den jährlichen "Revolutionären 1. MaiDemons trationen". 2. Linksextremistische Aktivitäten im Internet Das Internet dient linksextremistischen Gruppen sowohl als Kommunikationsplattform als auch als Medium für offene Agita tion und Propaganda in nahezu allen relevanten Aktionsfeldern. Darüber hinaus wird es auch für Anwendungen im verdeckten, passwortgeschützten Bereich von der "Cyberguerilla" und der antifaschistischen "Hackerszene" genutzt. Internetportale dienen der Information und Vernetzung inner Internetportale halb des linksextremistischen Spektrums und werden "szene typisch" auch als "Rote Zonen" bezeichnet. Durch die Portale soll eine "Gegenöffentlichkeit" hergestellt werden. Darüber hinaus 118 Die "Rote Flora" ist ein überwiegend von Linksextremisten genutztes Szeneobjekt im Hamburger Schanzenviertel (vgl. Kap. II, Nr. 1.2 "Schanzenviertelfest"). 119 Die entsprechende CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 200, 31. Dezember 2010. 199 LINKSEXTREMISMUS sind sie Instrumente zur Koordinierung, Mobilisierung und Orga nisierung der linksextremistischen Szene. "Indymedia Das verstärkt von Linksextremisten genutzte Internetportal Deutschland" "indymedia Deutschland" trat erstmals im Vorfeld des im März 2001 durchgeführten CastorTransports in Erscheinung und erreichte durch Liveberichte zum G8Treffen in Genua (Italien) im selben Jahr seine bisher aktivste Phase. "Indymedia Deutschland" ist Teil des globalen "Indymedia" Netzwerkes, das nach eigenen Angaben weltweit über mehr als 100 lokale "independent media center" (imc) verfügt. Anlässlich der Proteste gegen die WTO in Seattle (USA) entstand dort im Jahr 1999 durch Vernetzung unterschiedlicher Medienaktivisten das erste Unabhängige Medienzentrum, das laut einer Darstellung "denen eine Stimme gab, die sonst im Rauch des Tränengases unsichtund unhörbar geblieben wären. (...) So konnte der (...) gewobene Schleier der Massenmedien-Berichterstattung durchbrochen werden." (Internetportal "Indymedia Deutschland", 15. November 2011) "Indymedia" versteht sich als ein "emanzipatorisches, unabhän giges Mediennetzwerk ohne kommerzielle Interessen (...) mit dem zentralen Ansatz, Gegenöffentlichkeit zu schaffen, indem die Menschen an der gesellschaftlichen Basis DIREKT zu Wort kommen" und bezeichnet sich als Teil "der Bewegung, von der es berichtet".120 Den Mittelpunkt des Internetsportals "Indymedia Deutschland" bildet der "Open Posting"Bereich. Dieser ermöglicht es Gruppen und Einzelpersonen ohne besondere Zugangsberechtigung Auf rufe, Berichte und sonstige Beiträge einzustellen und mit entspre chendem Bild oder Videomaterial zu ergänzen. Darüber hinaus will das Portal mit seiner Website Gruppierungen unterschiedli cher ideologischer Zusammenhänge stärker zusammenzuführen, ihnen als Sprachrohr dienen und deren politische Kampagnen unterstützen. 120 Internetportal "Indymedia Deutschland" (15. November 2011). 200 LINKSEXTREMISMUS Das Internetportal "linksunten.indymedia" ist seit 2009 als ers "linksunten. tes regionales imc in Deutschland online. Die Betreiber selbst indymedia" bezeichnen sich als "MedienaktivistInnen aus dem Südwes ten Deutschlands".121 Laut eigener Darstellung wurden "Pro teste gegen Großereignisse" wie den NATOGipfel in Straßburg (Frankreich, April 2009) und die UN KlimaKonferenz in Kopen hagen (Dänemark, COP15, Dezember 2009) multimedial begleitet. Darüber hinaus seien Antifas mit LiveTickern in ihren Aktionen unterstützt und militanten Gruppen eine Plattform für ihre BekennerInnenschreiben zur Verfügung gestellt worden. In dem Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", der seit Ende Nachrichtenblog 2007 abrufbar ist, werden relativ zeitnah Meldungen über gewalt "directactionde. tätige Aktionen und - soweit vorhanden - Taterklärungen, Tatort ucrony" bilder, Presse oder Polizeimeldungen veröffentlicht. Die Betrei ber des Blogs wollen ihrem Selbstverständnis nach "jenseits des Vermittlungstheaters der Massenmedien über jede direkte Aktion berichten, von der in der BRD zu hören oder zu lesen ist."122 Zudem soll die Datenbank des Blogs Ressource sein für alle kon frontativen direkten Aktionen gegen den Staat, das Kapital und gegen alle seine Vertreter und Vertreterinnen.123 Im Bereich "Textbeiträge/Broschüren" wurden Meldungen sowohl mit Bezug zu Deutschland als auch für den internationa len Raum eingestellt. Hierzu heißt es: "Unter der Rubrik "Texte/Broschüren" könnt ihr Beiträge finden welche sich theoretisch mit Konzepten, Strategien und Organisierung für eine aufständische/revolutionäre Perspektive beschäftigen. Weiter werden wir aktuelle Debattenbeiträge mit dem Schwerpunkt Militanz, welche sich auf internationale und lokale Kämpfe beziehen, hochladen. Ziel ist es, dadurch Diskussionen voranzutreiben und interessierten Leuten zugänglich zu machen, sowie die Akte der Revolte, welche immer auch an die Idee einer herrschaftsfreien Gesellschaft geknüpft sind, in diesem Kontext darzustellen." (Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", 15. November 2011) 121 Internetportal "linksunten.indymedia" (15. November 2011). 122 Nachrichtenblog "directactionde.ucrony" (15. November 2011). 123 Nachrichtenblog "directactionde.ucrony" (15. November 2011). 201 LINKSEXTREMISMUS "Cyberguerilla" Hackingangriffe von Linksextremisten bilden eine spezielle Art des "antifaschistischen Kampfes" und haben in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. Sie richteten sich gegen Internetpräsen zen des "politischen Gegners". Diese Hacks sind oftmals mit einem sogenannten Defacement verbunden, d.h. Internetpräsenzen wer den verfälscht oder umgedeutet. So wurden z.B. Demonstrationsaufrufe umfunktioniert, angegrif fene Internetpräsenzen des "politischen Gegners" ins Lächerliche gezogen oder auch Audio/Videobeiträge verändert. In den letzten Jahren konnten mehr als 150 Hacks und Deface ments rechtsextremistischer Seiten festgestellt werden. In einigen Fällen übernahm eine sogenannte Datenantifa die Verantwortung. 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen Mehr als 20 Verlage und Vertriebsdienste gaben im Jahr 2011 Zei tungen, Zeitschriften und sonstige Publikationen mit zumindest teilweise linksextremistischen Inhalten heraus. Von den organisationsunabhängigen Publikationen verfügen die meisten nur über eine geringe Auflagenhöhe sowie einen begrenzten Verbreitungsgrad. Tageszeitung Die in einer täglichen Auflagenhöhe von über 17.000 Exem "junge Welt" (jW) plaren124 bundesweit vertriebene Tageszeitung jW, die sich einer traditionskommunistischen Ausrichtung verpflichtet fühlt, ist das bedeutendste Printmedium in der linksextremistischen Szene. Die früher von der SEDJugendorganisation "Freie Deutsche Jugend" (FDJ) herausgegebene Zeitung erscheint heute im eigen ständigen Verlag "8. Mai GmbH" mit Sitz in Berlin. Haupteigentü merin ist die "Linke Presse Verlags Förderungs und Beteiligungs genossenschaft junge Welt e.G.", der im Oktober 2011 insgesamt 1.165 Genossen angehörten.125 Einzelne Redaktionsmitglieder und ein nicht unerheblicher Teil der Stamm und Gastautoren sind dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. 124 jW Nr. 40, 16./17. Februar 2008, S. 16. 125 jW Nr. 236, 11. Oktober 2011, S. 1. 202 LINKSEXTREMISMUS Die jW versteht sich als marxistische Tageszeitung. Schwerpunkte der Berichterstattung sind die soziale Frage, "Antifaschismus" und "Antimilitarismus". Die jW propagiert eine sozialistische Gesellschaft, wobei die politi sche und moralische Rechtfertigung der DDR eine wichtige Rolle spielt. So dankte sie aus Anlass des 50. Jahrestages des Berliner Mauerbaus dem SEDRegime: "Wir sagen an dieser Stelle einfach mal: Danke für 28 Jahre Friedenssicherung in Europa für 28 Jahre ohne Beteiligung deutscher Soldaten an Kriegseinsätzen (...) für 28 Jahre Geschichtswissenschaft statt Guidoknoppgeschichtchen (...) für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe." (jW Nr. 187, 13./14. August 2011) Im Rahmen der Kämpfe für die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft schließt die jW Gewalt nicht aus. Wiederholt veröffentlicht die Zeitung Beiträge, in denen Gewalt gerechtfertigt wird. So erschien in einer Ausgabe zur Vorbe reitung der von der jW am 8. Januar 2011 in Berlin veran stalteten XVI. Internationalen RosaLuxemburgKonferenz vom 4. Januar 2011 unter der Überschrift "Notwendiger Aufbaupro zess" ein Aufsatz des ehemaligen Mitglieds der terroristischen Vereinigungen "Bewegung 2. Juni" und "Rote Armee Fraktion" (RAF), Inge Viett, in dem es heißt: "Wenn Deutschland Krieg führt und als Antikriegsaktion Bundeswehrausrüstung abgefackelt wird, dann ist das eine legitime Aktion wie auch Sabotage im Betrieb an Rüstungsgütern, illegale Streikaktionen, Betriebsund Hausbesetzungen, militante antifaschistische Aktionen, Gegenwehr bei Polizeiattacken etc." (jW Nr. 4, 4. Januar 2011, S. 11) 203 LINKSEXTREMISMUS Viett, die an der Konferenz teilnahm, sprach sich in dem Beitrag zudem für die Bildung einer in bestimmten Bereichen klandestin ausgerichteten revolutionären kommunistischen Organisation aus. V. Aktionsfelder Linksextremisten engagieren sich seit Jahren vor allem in den Aktionsfeldern "Antirepression", "Antimilitarismus" und "Antifaschismus". Zudem versuchten linksextremistische Personenzusammenhänge sich in gesellschaftliche Protestbewe gungen einzubringen, deren Unterstützer sie als Potenzial für ihre systemüberwindenden Ziele instrumentalisieren wollen. 1. "Antirepression" Anhaltend hohe Das Aktionsfeld "Antirepression" gewinnt für gewaltbereite Bedeutung für Linksextremisten seit Jahren an Bedeutung. In zahlreichen Posi Linksextremisten tionspapieren und auf Demonstrationen wurde die Thematik auf gegriffen. Zahlreiche Anschläge wurden in diesem Begründungs zusammenhang verübt. Militante Aktionen wie Brandstiftungen, Sachbeschädigungen unterschiedlicher Art und Intensität rich teten sich zumeist gegen Einrichtungen von Sicherheits, Justiz und Ordnungsbehörden sowie gegen private Sicherheitsfirmen. Solidarität mit inhafDie Solidarität mit inhaftierten "GenossInnen" im In und Aus tierten linksextremisland hat innerhalb der "Antirepressionsarbeit" einen besonde tischen Gewalttätern ren Stellenwert. Linksextremisten erachten Solidaritätsarbeit als einen unverzichtbaren Aspekt ihrer Politik und Praxis: "Im Kampf um Befreiung stellt die Solidarität unsere stärkste Waffe gegen die Repression der herrschenden Klasse dar. Sie hilft uns, den Angriffen standzuhalten und den von Repression betroffenen Strukturen politische, materielle und moralische Unterstützung entgegenzubringen. Die Solidarisierung mit den revolutionären Gefangenen weltweit und die Unterstützung der sozialen Gefangenen, welche 204 LINKSEXTREMISMUS einen Teil der unterdrückten Klasse darstellen, gehören zu den Aufgaben jeder revolutionären Organisation." (Homepage "Zusammen Kämpfen [Berlin]", 1. Dezember 2011) Die in diesem Themenfeld arbeitenden Gruppierungen wie die "Rote Hilfe e.V." (RH; vgl. Kap. III, Nr. 5), das "Anarchist Black Cross Berlin" und das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefange nen" befassen sich intensiv mit Verfahren gegen Linksextremisten im In und Ausland. Insbesondere das Spektrum der gewaltberei ten Linksextremisten solidarisierte sich mit in Griechenland inhaf tierten Angehörigen der dortigen linksextremistischen Gruppen "Conspiracy of Cells of Fire"126 und "Revolutionärer Kampf"127. So verübten unbekannte Täter am 13. Juni 2011 in Berlin einen Brandanschlag auf eine Niederlassung eines französischen Auto mobilherstellers. Zur Tat bekannte sich eine "Autonome Gruppe 'Christos Tsoutsouvis'" (ehemaliges Mitglied der Organisation "Antistaatlicher Kampf", das 1985 bei einer Auseinandersetzung mit der Polizei tödlich verletzt wurde) und begründete den Anschlag damit, dass die griechische Polizei mit Fahrzeugen des angegriffenen Konzerns ausgerüstet worden sei: "Wir fordern Freiheit für die Gefangenen aus den bewaffneten Gruppen, für die Gefangenen der anarchistischen Bewegung und für die sozialen Gefangenen in den griechischen Knästen. Ihren Kampf gegen die Mörder der MAT und Geheimpolizei, gegen den Terror der Faschisten und diverser Sondereinheiten wie DELTA, wollen wir unterstützen. (...) Was in Athen Bullen zu ihren Einsätzen transportiert, kann in Berlin schon mal brennen." (Internetportal "linksunten.indymedia", 14. Juni 2011) 126 Die griechische Gruppe "Conspiracy of Cells of Fire" hat seit Anfang 2008 in Grie chenland zahlreiche sachschadenorientierte Sprengstoffanschläge verübt und bekannte sich zuletzt im November 2010 zum Versand mehrerer Postsendungen mit einer geringen Menge Schwarzpulver und einer Zündvorrichtung an diploma tische Vertretungen, zwischenstaatliche Einrichtungen und Regierungen, darunter auch an die Bundeskanzlerin. 127 Der "Revolutionäre Kampf" trat in Griechenland erstmals im Jahr 2003 in Erschei nung. Der Organisation werden mehrere Brand bzw. Sprengstoffanschläge auf griechische Regierungseinrichtungen und die USamerikanische Botschaft in Athen in den Jahren 2003 bis 2009 zugerechnet. 205 LINKSEXTREMISMUS In einer Taterklärung zum Brandanschlag auf mehrere Fahrzeuge der Deutschen Telekom AG am 3. Oktober 2011 in Berlin wird solidarisch auf Inhaftierte in Griechenland Bezug genommen: "Das Datum für diese Aktion haben wir im Hinblick auf den Prozess gegen die Organisation 'Revolutionärer Kampf', der am 5. Oktober in Athen beginnt, gewählt. (...) Die Option des bewaffneten Kampfes innerhalb autonomer und linksradikaler Widerstandsformen sollte zwar immer aufrechterhalten werden, darf jedoch nicht isoliert von anderen Bewegungen und Aktionsformen geführt werden. Hier gibt es keine Bewegung die die Möglichkeit des bewaffneten Kampfes unterstützen, tragen will und kann. Aus diesem Grund existieren in Deutschland momentan keine bewaffneten Gruppen. Dennoch müssen die Widerstandsebenen innerhalb Europas aufeinander Bezug nehmen." (Internetportal "linksunten.indymedia", 3. Oktober 2011) Da die griechischen Inhaftierten als "politische Gefangene" betrachtet werden, sind auch in Zukunft entsprechende Soli daritätsaktionen deutscher Linksextremisten - insbesondere in zeitlichem Zusammenhang mit Exekutivmaßnahmen und Verur teilungen - zu erwarten. Neben dem alljährlich in der linksextremistischen Szene begange nen 18. März als "Tag der politischen Gefangenen", wurden in die sem Jahr in Deutschland erstmals auch Aktionen (Informations veranstaltungen, kleinere Kundgebungen, Sprühaktion) anlässlich des "Tags des revolutionären Gefangenen" am 19. Juni in Berlin, Stuttgart, Heilbronn (beide BadenWürttemberg) und Magdeburg (SachsenAnhalt) bekannt. Das "Netzwerk Freiheit für alle politi schen Gefangenen" rief dazu auf, sich mit vielfältigen Aktionen und Demonstrationen mit den in der Schweiz, Spanien und Ita lien angeklagten "Militanten der RHI" (Rote Hilfe International) solidarisch zu zeigen: "Mit allen Mitteln soll eine erstarkende Bewegung geschwächt, zerschlagen oder präventiv verhindert werden - und das im internationalen Rahmen (...) Daraus wird auch die Notwendigkeit deutlich, international Solidarität aufzubauen, sich mit den Genossen und 206 LINKSEXTREMISMUS Genossinnen zu solidarisieren, sie zu unterstützen und das verknüpfende Band des gemeinsamen Kampfes aufzunehmen, um gegen ihre Repression unsere Solidarität als Waffe einzusetzen, da die Angriffe sich gegen den Widerstand an sich richten und somit auch gegen uns.(...) Der Kampf gegen den Kapitalismus ist legitim und Klassensolidarität ist unsere Waffe gegen ihre Repression!" (Homepage von "political-prisoners", 22. Mai 2011) Innerhalb des Aktionsfeldes "Antirepression" ist nach wie vor Gewaltdie Tendenz feststellbar, mit einem hohen Maß an Aggressivität befürwortende und Risikobereitschaft gegen "Handlanger" und "Profiteure" des Verbalradikalität "Repressionsapparates" - insbesondere Polizeibeamte - vorzuge hen. Dies zeigt sich auch in der verbalradikalen Diktion von Tater klärungen. So befürwortete eine "Gruppe Hass auf Bullen [GHaB]" in einem Selbstbezichtigungsschreiben den Angriff auf einen Einsatzwagen der Polizei am 29. Mai 2011 in Berlin: "Am 29.5.2011 haben vermummte AktivistInnen einen Schweinetransporter auf dem Bethaniendamm angegriffen, weil die es gewagt haben, mit ihrer provokanten Präsenz vor antirassistischen Projekten die Opfer polizeilicher Morde zu verhöhnen. Wir können das Leben, was die Schweine ausgelöscht haben nicht zurückbringen, doch wir müssen unsere Wut und unseren Hass, gebündelt gegen all die entladen, die dieses System des Mordens unterstützen.(...) Und wir werden wieder zuschlagen, solange bis dieses gesamte System in Trümmern liegt, auf denen wir einen neue Gesellschaft schaffen können, frei und selbstbestimmt!" (Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", 31. Mai 2011) Diese Einstellung teilen unbekannte Verfasser, die in der links extremistischen Szenezeitschrift "INTERIM" dazu aufriefen "mehr NoGoAreas für Bullen" zu schaffen: "Bullen verstehen nur Gewalt als Argument. In diesem Wissen haben wir früh am 19. März in der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte einen Streifenwagen mit Steinen angegriffen. Nach einigen Treffern flüchteten die Bullen. Sie werden immer flüchten, wenn wir ihnen zahlenmäßig überlegen kommen. Darum ging es uns: wir wollen sie 207 LINKSEXTREMISMUS nicht mehr sehen. Wo wir sind, ist kein Platz für Bullen. Ihr täglicher Terror kotzt uns an." ("INTERIM" Nr. 727, 13. Mai 2011, S. 27) Bei Protestmobilisierungen durch linksextremistische Zusam menhänge bereiten sich gewaltbereite Teile der Szene schon im Vorfeld auf gezielte Auseinandersetzungen mit Polizeieinsatz kräften vor. Dies zeigen zahlreiche über das Internet verbreitete gewaltaffine Mobilisierungsvideos. So wurden in einem Video zum "Revolutionären 1. Mai" 2011 Bilder von Polizisten im Ein satz gegen Demonstranten gezeigt mit Einblendungen wie "Des halb wissen wir eins: Ganz Berlin hasst die Polizei!" oder "Es wird ein sehr heißer 1. Mai!!!!" und der Einblendung des Bildes eines in Flammen stehenden Polizisten. Anlässlich des 13. CastorTransports von der Wiederaufarbei tungsanlage (WAA) in La Hague (Frankreich) in das Transport behälterzwischenlager in Gorleben (Niedersachsen; vgl. Nr. 4) Ende November 2011 wurde dazu aufgerufen, sich nicht aus schließlich mit Aktionen an der Transportstrecke zu begnügen, sondern das Gesamtkonzept durch dezentrale Blockade und Sabotageaktionen gegen die Polizei und ihre Infrastruktur zu ergänzen. Unbekannte Verfasser forderten in einem Aufruf: "Es ist uns wichtig im November im Wendland genau die Kräfte ins Visier zu nehmen, die alltäglich zum Bestehen dieser Herrschaftsverhältnisse beitragen. Die Fahrzeugkonvois der Polizei gehören blockiert, ihr Kriegsgerät sabotiert, ihre Suppe versalzen und ihre Toiletten, die sollen sie ewig suchen. Die Ruhe in den Kasernen soll nicht lange wären - Pause muss ein Fremdwort für die Handlanger_innen der Atomindustrie werden. Es gibt unendlich viele Möglichkeiten den Ordnungshüter_innen ins Handwerk zu pfuschen. Ebenso wie ein Castortransport ins Wendland ohne die Staatsmacht nicht durchzuführen wäre, ist auch der kapitalistische Alltag ohne dieselben Bullen unvorstellbar." (Homepage von "castor2011", 2. November 2011) Klandestine Gewalt Klandestin operierende militante Zusammenschlüsse greifen gezielt Einrichtungen und Infrastrukturen der Polizei an und 208 LINKSEXTREMISMUS nehmen dabei auch die Gefährdung von Leib und Leben billigend in Kauf. Zwei Beispiele: # In den frühen Morgenstunden des 1. Januar 2011 haben unbekannte Täter in BerlinMitte den Eingangsbereich einer Polizeidienststelle mit Brandsätzen, Pflastersteinen und Farb flaschen angegriffen. Zeitgleich mit dem Anschlag wurden in räumlicher Nähe zur Polizeidienststelle Straßenbarrikaden aus Müllcontainern und Materialien einer Baustelle errichtet und in Brand gesetzt. Darüber hinaus legten die Täter sogenannte Krähenfüße aus, durch die zwei Einsatzfahrzeuge der Polizei beschädigt wurden. In einer Erklärung von "Autonomen Grup pen" zur Tat heißt es: "Nur durch den Terror der 'Sicherheitsbehörden' kann sich das kapitalistische System an der Macht halten. Die Bürgerinnen und Bürger werden durch Angst davon abgehalten, nach Alternativen zu suchen. Doch überall in Europa kommt es zu Ausbrüchen der Wut gegen die Polizeiorgane; in London, Rom und Athen sind kürzlich Konflikte eskaliert. Diese Zuspitzung wollen wir vorantreiben in dem wir deutlich machen: kein staatlicher Mord wird vergessen! (...) Polizeigewalt wird immer unseren Widerstand entfachen." (Nachrichtenblog "directactionde.ucrony", 2. Januar 2011) # Am frühen Morgen des 11. April 2011 warfen unbekannte Täter in Berlin FriedrichshainKreuzberg mehrere Brand flaschen in den Eingangsbereich einer Polizeidienststelle, schleuderten Pflastersteine und mehrere mit einer schwarzen Flüssigkeit gefüllte Flaschen gegen die Hausfassade sowie die Fenster des Gebäudes. Während sich zwei Brandflaschen entzündeten, wurde der Inhalt von zwei weiteren zerborste nen Flaschen durch sogenannte bengalische Fackeln in Brand gesetzt. Eine Reinigungskraft, die sich im Eingangsbereich der Wache aufhielt, wurde vom Feuer eingeschlossen, blieb aber trotz intensiver Flammenbildung unverletzt. Auch diese Täter legten eine Vielzahl Krähenfüße in umliegenden Straßenzügen 209 LINKSEXTREMISMUS aus. "Autonome Gruppen" übernahmen die Verantwortung für die Tat und erklärten: "nun steht der erste mai vor der tür und was uns erwartet dürfte bekannt sein: polizeiliche besatzungszone in kreuzberg als experimentierfeld für konzepte der aufstandsbekämpfung, sozialarbeiter, die uns was vom recht auf friedlichen protest erzählen und ein myfest, was uns eher an ballermann erinnert. (...) und tatsächlich haben wir verdammt viele gute gründe mal so richtig auf den putz zu hauen, denn an der beschissenheit der herrschenden verhältnisse hat sich überhaupt nichts geändert (...) der kapitalistische wahnsinn eben, der nichts weiteres verdient hat als unseren entschlossenen gegenangriff. wann und wo wir zuschlagen, bestimmen wir! (...) reißen wir die fesseln von uns, um die autorität zu konfrontieren und anzugreifen." ("INTERIM" Nr. 727, 13. Mai 2011, S. 21) 2. "Antimilitarismus" Herausgehobene Das Aktionsfeld "Antimilitarismus" besaß auch 2011 eine heraus Bedeutung für gehobene Bedeutung für Linksextremisten. Das Aktionsniveau Linksextremisten blieb gegenüber dem Vorjahr auf einem hohen Niveau kons tant. Neben demonstrativen Aktionen unter Beteiligung linksex tremistischer Personenzusammenschlüsse gab es auch eine Viel zahl militanter Aktionen gewaltbereiter Linksextremisten. Diese richteten sich nicht nur gegen die Bundeswehr, sondern auch gegen Rüstungsbetriebe und Unternehmen, die mit der Bundes wehr privatwirtschaftlich zusammenarbeiten. Insbesondere der koordinierte Brandanschlag gegen die Deutsche Bahn AG am 10. Oktober 2011 im Raum BerlinBrandenburg beeinträchtigte das öffentliche Leben in der Region erheblich. Im Fokus linksextremistischer Agitation standen neben den Auslandseinsätzen der Bundeswehr, insbesondere in Afghanistan, auch die NATO und ihre Einsätze in Krisengebieten wie Libyen. Wie in den Vorjahren kam es auch im Jahr 2011 zu Protestaktionen gegen die "47. Münchner Sicherheitskonferenz" ("Munich Security Conference"; MSC) Anfang Februar 2011 in München (Bayern). 210 LINKSEXTREMISMUS Rund 400 Angehörige des autonomen Spektrums beteiligten sich in einem "Internationalistischen Block" am 5. Februar 2011 in Mün chen an einer Demonstration von insgesamt rund 3.200 Personen. Während der Vorbereitungsphase zu den Protesten hatte sich das autonome Spektrum vom Aufruf des seit Jahren in diesem Zusam menhang aktiven Vorbereitungsbündnisses distanziert, da sich das Bündnis auf einen "gewaltfreien Widerstand" festgelegt hatte. Seit Ende Juni 2011 rufen Linksextremisten, darunter die Initia Neue Kampagne tive "Libertad!", ein bundesweiter Zusammenschluss von Angehö "Krieg beginnt hier" rigen der autonomen/antiimperialistischen Szene, sowie Gruppen aus der "Interventionistischen Linken" (IL; vgl. Kap. II, Nr. 2.1), zur Beteiligung an einer Kampagne unter dem Titel "Krieg beginnt hier. War starts here. Kampagne gegen die kriegerische Normali tät" auf, die sich als Teil europaweiter antimilitaristischer Aktivi täten versteht. Mit der neuen Kampagne wird die 2008 initiierte militante Kampagne "DHL - olivgrün unter postgelbem Tarnan strich" gegen den Logistikdienstleister DHL und die Deutsche Post AG fortgeführt und erweitert. Die neue Kampagne richtet sich nicht nur gegen direkt erkenn bare Rüstungsindustrien, Bundeswehreinrichtungen und geräte, Truppenübungs und Umschlagplätze. Vielmehr sollen auch "zivile Orte" und Institutionen - Schulen, Arbeitsagenturen, Universitäten und Berufsmessen - als Orte markiert werden, in die "militärische Formierung und Rekrutierung tagtäglich eindringt". Mit der Kam pagne wolle man deutlich machen, dass der Krieg in Deutschland beginne und hier aufzuhalten sei. So heißt es: "Kriegstreiberei und Militarisierung markieren, blockieren, sabotieren!"128 Hervorzuheben sind folgende militante "antimilitaristische" Akti onen: # Am 11. Juni 2011 wurden durch einen Brandanschlag unbe kannter Täter in Spremberg (Brandenburg) sieben Fahrzeuge der Deutschen Post AG/DHL vollständig zerstört. Durch das Feuer wurden zwei weitere Fahrzeuge sowie umstehende Gebäudeteile beschädigt. # Am 5. September 2011 setzten unbekannte Täter vor dem Gebäude eines Triebwerkherstellers in HamburgWilhelmsburg zwei Autoreifen in Brand. Hierdurch wurde die Eingangstür 128 Homepage von "Libertad!" (4. Juli 2011). 211 LINKSEXTREMISMUS erheblich beschädigt. In der Taterklärung einer "Autonomen Gruppe Selbstbestimmte Abrüstung" fordern die Verfasser im Rahmen der Kampagne "War starts here", diejenigen "Kriegs treiber*innen, unterstützer*innen und profiteure" ins Visier von Aktionen zu nehmen, die bereits im Kriegsgeschäft "mit tendrin stecken". Die angegriffene Firma, die militärische Luftfahrttriebwerke herstelle, habe man als "Kriegsunterstützer und Rüstungszulieferer" kenntlich gemacht und angegriffen. # Am 6. November 2011 setzten unbekannte Täter in zwei Lager/Produktionshallen eines Rüstungskonzerns in Trittau (SchleswigHolstein) jeweils einen Raum in Brand. Eine wei tere Halle wies Brandspuren auf. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 500.000 Euro. Am 8. November 2011 stell ten "autonome Gruppen" im Internet eine Erklärung zum Anschlag ein, in der sie ausführten, die Firma sei als einer der größten europäischen Rüstungskonzerne ein "hervorragendes Beispiel dafür, wie Ausbeutung und Mord für hübsche Bilan zen sorgen". Ohne sich ausdrücklich zu den Brandanschlägen zu bekennen, stellen die Verfasser fest: "Der Krieg beginnt eben hier und kann auch hier sabotiert werden. Dazu sind wir bereit, (...). Für den Bruch mit der mörderischen Normalität durch Sabotage und Angriff. Für den Aufstand." Von herausgehobener Bedeutung im Rahmen "antimilitaristischer" Aktivitäten waren die im Zeitraum vom 10. bis 13. Oktober 2011 im Raum BerlinBrandenburg festgestellten 18 Brandsätze, die von mutmaßlich linksextremistischen Tätern unter der Aktionsbe zeichnung "Das HeklaEmpfangskommitee - Initiative für mehr gesellschaftliche Eruptionen" an insgesamt neun Tatorten in Kabelschächten der Deutschen Bahn AG abgelegt worden waren (vgl. dazu im Einzelnen Kap. II, Nr. 1.4). Auch die Bundeswehr selbst war Ziel linksextremistischer Aktivi täten. Linksextremisten sprachen von einer zunehmenden Mili tarisierung der Gesellschaft, die mit der vermehrten Präsenz der Bundeswehr in der Öffentlichkeit einhergehe. In diesem Zusam menhang führten Linksextremisten immer wieder Störaktionen gegen Militärmusikveranstaltungen sowie gegen Veranstaltungen 212 LINKSEXTREMISMUS zur Nachwuchswerbung der Bundeswehr in Arbeitsagenturen und in Schulen durch und fordern: "Gegen Krieg und Besatzung zu kämpfen, heißt auch die Propaganda der Bundeswehr zu stören. Die Bundeswehr versucht sich an Schulen als attraktiver Arbeitgeber darzustellen. (...) Der zunehmenden Militarisierung der Gesellschaft und den weltweiten Kriegseinsätze von Bundeswehr und NATO, muss unser entschlossener Widerstand entgegengesetzt werden." (Internetportal "Indymedia Deutschland", 11. Januar 2011) 3. "Antifaschismus" Das traditionelle Aktionsfeld "Antifaschismus" stand 2011 weiter Traditionelles hin im Fokus von Linksextremisten, das Aktionsniveau entsprach Aktionsfeld in etwa demjenigen des Vorjahres. Die Aktivitäten richten sich nur vordergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Ziel ist vielmehr der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung als "kapitalistisches System", um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des "Faschismus" zu beseitigen. Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ver stehen ihre "AntifaschismusArbeit" daher als legitime Selbstver teidigung: "Für jene, die von den menschenverachtenden Ideologien aller reaktionären bis rechtsradikalen Spinner unmittelbar betroffen und bedroht sind, ist Antifaschismus schlicht und ergreifend Selbstschutz. Doch darüber hinaus bedeutet antifaschistische Praxis, Handlungsspielräume, und damit entscheidende Voraussetzungen für eine emanzipatorische, soziale Revolution aufrecht zu erhalten. Reaktionäre bis rechtsradikale Bewegungen, also auch Neonazis, müssen als (...) Antworten auf gesellschaftliche Krisen begriffen und bekämpft werden. Um diesen Bewegungen und ihren Ideologien die Grundlage zu entziehen, ist also nicht weniger erforderlich, als die derzeitigen Verhältnisse, das auf Tausch, Konkurrenz und Mehrwert basierende Gesellschaftssystem Kapitalismus zu überwinden. Wir lassen es uns 213 LINKSEXTREMISMUS auch in Zukunft nicht nehmen, eine Gesellschaft, die den alltäglichen kapitalistischen Wahnsinn ständig reproduziert, fundamental abzulehnen." (Homepage des Bündnisses " ...ums Ganze!" 129, 14. Juli 2011) Direkte Eher aktionsorientierte Linksextremisten legten ihren Schwer Konfrontation punkt auf die direkte Konfrontation mit dem politischen Geg ner, gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, deren Einrichtungen und Strukturen. Ziel war es, Aufmärsche von Rechtsextremisten zu verhindern, zumindest jedoch deren Ver lauf erheblich zu behindern. In einem Gespräch mit einer Szenepublikation betonten Auto nome: "Unsere Antifaarbeit ist erfolgsorientiert und lässt sich am Schaden messen, den wir den Neonazis zufügen. Dabei wählen wir das jeweils angemessenste Mittel, haben aber natürlich auch die Nebeneffekte und die Repression im Auge." ("Antifaschistisches Info Blatt" Nr. 89/Winter 2010/2011, S. 27) Wenngleich ein direktes Aufeinandertreffen mit Teilnehmern rechtsextremistischer Aufzüge aufgrund entsprechender Polizei konzepte oftmals verhindert werden konnte, kam es doch wieder holt zu gewalttätigen Aktionen. Dabei wurde auch mit z.T. massi ver Gewalt gegen die eingesetzten Polizeikräfte vorgegangen. Einige Beispiele: # Am 19. Februar 2011 beteiligten sich in Dresden (Sachsen) etwa 3.500 gewaltbereite Linksextremisten an einer Demon stration von ingesamt rund 12.500 Personen gegen einen Auf marsch der rechtsextremistischen "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) aus Anlass des 66. Jahrestags der Bom bardierung der Stadt. Dabei kam es zu heftigen gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der links und 129 Dem Bündnis gehören eine Vielzahl linksextremistischer Gruppen an, darunter die "Basisgruppe Antifaschismus" (Bremen), die "Gruppe Gegenstrom" (Göttingen), "Redical [M]" (Göttingen), die "Kommunistische Gruppe" (Bochum), "Antifa AK Köln", "autonome antifa [f]" (Frankfurt). 214 LINKSEXTREMISMUS der rechtsextremistischen Szene. Demonstranten aus dem linksextremistischen Spektrum versuchten wiederholt, Poli zeisperren zu durchbrechen, errichteten im Stadtgebiet zahl reiche Barrikaden, setzten diese in Brand und beschädigten mehrere Einsatzfahrzeuge. Polizeibeamte wurden mit Steinen, Flaschen und Schlagwerkzeugen angegriffen. Darüber hin aus attackierten gewaltbereite Linksextremisten zweimal ein Polizeirevier mit Steinen. Im Verlauf des gesamten Demons trationsgeschehens wurden 89 Polizeibeamte verletzt, davon sieben schwer. Die Polizei sprach von einem extrem hohen Gewaltpotenzial. # Im Anschluss an die überwiegend friedlich verlaufenen Pro teste gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremisten am 4. Juni 2011 in Braunschweig (Niedersachsen) versuchten rund 700 Angehörige des gewaltbereiten linksextremistischen Spek trums eine Folgeversammlung der Rechtsextremisten in Peine (Niedersachsen) zu stören. Sie errichteten Barrikaden, zünde ten diese an und griffen Einsatzkräfte der Polizei mit Steinen an. Neun Polizeibeamte wurden leicht verletzt. # Am 3. September 2011 beteiligten sich gewaltbereite Links extremisten in Dortmund (NordrheinWestfalen) an Protest aktionen von insgesamt etwa 5.000 Personen gegen einen rechtsextremistischen Aufmarsch zum "Nationalen Antikriegs tag". Im Rahmen der Protestaktionen kam es zu schweren Ausschreitungen, in deren Verlauf Teilnehmer der Gegen demonstration mehrmals versuchten, Straßensperren der Polizei zu durchbrechen. Zudem griffen sie die Einsatzkräfte mit Steinen, Flaschen, Pfefferspray und Feuerlöschern an. 42 Polizeibeamte wurden verletzt. Linksextremistische "Antifaschisten" bemühten sich intensiv, "Outing-Aktionen" Aktivitäten von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextre misten aufzudecken bzw. Einzelpersonen durch öffentlichkeits wirksame Aktionen zu "outen" und zu bekämpfen. Im Rahmen sogenannter Recherchearbeit sammeln sie Informa tionen über Funktionäre, Schulungseinrichtungen, Trefflokale sowie andere Einrichtungen und veröffentlichen sie in Szene publikationen und im Internet. Derartige "Recherchearbeit" dient sowohl der Vorbereitung militanter Aktionen gegen rechtsextre mistische Strukturen, um diese nachhaltig zu stören oder auch 215 LINKSEXTREMISMUS zur Abschreckung, indem "Neonazis" Konsequenzen für ihre Akti vitäten angedroht werden. Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene scheuen auch vor direkten körperlichen Angriffen auf tatsächli che oder vermeintliche Rechtsextremisten nicht zurück. Hierzu einige Beispiele: # Am 18. Juni 2011 griffen mutmaßliche Angehörige der gewalt bereiten linksextremistischen Szene in Büchen (Schleswig Holstein) im Vorfeld einer NPDKundgebung Personen des rechtsextremistischen Spektrums an. Dabei wurde eine Person mit Tritten, Stößen und Schlägen sowie mit Reizgas ange griffen und leicht verletzt. Zwei Teilnehmer der NPDKund gebung wurden aus einer Gruppe von rund 20 Personen her aus attackiert, zu Boden gerissen und getreten, wobei einer der Angegriffenen Verletzungen erlitt. # Am 25. Juni 2011 griffen Angehörige des autonomen Spekt rums in Berlin zwei führende Funktionäre der Berliner NPD an. Ein NPDVorstandsmitglied wurde in BerlinNeukölln beim Verteilen von Wahlbroschüren von vermummten Per sonen niedergeschlagen. Sie prügelten und traten auf den am Boden liegenden Funktionär ein. Der Landesvorsitzende der NPD wurde vor dem SBahnhof Bornholmer Straße von fünf vermummten Personen angegrif fen. Als er am Boden lag, traten sie auf ihn ein und sprühten ihm Reizgas in die Augen. # Am 16. September 2011 lockten rund 15 Autonome in Frankfurt am Main (Hessen) zwei Angehörige der rechtsextre mistischen Szene sowie Polizeibeamte in einen Hinterhalt und griffen diese anschließend u.a. mit CSGas und Pfefferspray an. Dabei wurden zwei Personen leicht verletzt. Bereits im Vorfeld der Aktion war es wiederholt zu gegenseitigen Provokationen des örtlichen links und rechtsextremistischen Lagers gekom men. 216 LINKSEXTREMISMUS 4. Sonstige erwähnenswerte Aktionsfelder Wie schon bei den vorangegangenen CastorTransporten betei Beteiligung an ligten sich Linksextremisten, auch aus dem gewaltbereiten Spek Protestaktionen trum, an den Protestaktionen gegen den 13. CastorTransport vom gegen den 23. bis zum 28. November 2011 von der Wiederaufarbeitungs Castor-Transport anlage (WAA) in La Hague (Frankreich) in das niedersächsische nach Gorleben Transportbehälterlager (TBL) Gorleben. Während sich an den Protesten gegen den 12. Castortransport im Jahr 2010 rund 300 gewaltbereite Linksextremisten unter den annähernd 25.000 Protestteilnehmern befunden hatten, stieg ihre Zahl in diesem Jahr auf nahezu 450 bei insgesamt etwa 11.000 Protestteilnehmern deutlich an. Überdies waren die Proteste durch eine erhöhte Aggressivität gekennzeichnet. Polizeikräfte wurden - anders als in den Vorjahren - vermehrt spontan und unabhängig von konkreten Aktionen an der Trans portstrecke von Gruppen gewaltbereiter Linksextremisten ange griffen. Zudem war eine Vielzahl von Sachbeschädigungen an polizeilichen Einsatzmitteln und Dienstfahrzeugen zu verzeich nen. Aktivisten der erstmals in Zusammenhang mit dem 12. Castor Transport 2010 ins Leben gerufenen linksextremistisch beein flussten Kampagne "Castor? Schottern!" beteiligten sich auch 2011 an Protestaktionen mit dem Ziel, die Transportstrecke durch das Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett unbefahrbar zu machen. Unabhängig hiervon initiierte die anarchistisch ausgerichtete AntiAKWInitiative "xtausendmal quer" eine Sitzblockade auf der Zufahrtsstraße zum TBL Gorleben, an der bis zu 1.000 Perso nen teilnahmen. Sowohl im Vorfeld als auch während des CastorTransportes kam es zu Anschlägen auf Einrichtungen und Fahrzeuge der Deutschen Bahn AG. Betroffen waren etwa Kabelschächte und Signalanlagen an der Transportstrecke. Zudem stellte die Polizei mehrere "Unkonventionelle Spreng und Brandvorrichtungen" (USBV) an den Gleisanlagen fest und spürte Depots zur Lagerung mutmaßlicher Brandsätze auf. 217 218 Islamismus/ islamistischer Terrorismus 219 Islamismus/islamistischer Terrorismus I. Überblick 1. Entwicklungen im Islamismus/islamistischen Terrorismus Deutschland liegt weiterhin im Fokus islamistischterroristischer Bestrebungen. Die islamistische Szene besteht aus verschiedenen Strukturen, die immer stärker miteinander vernetzt sind. Hieraus resultieren Gefahren für die innere Sicherheit, die sich jederzeit in Form von Anschlägen unterschiedlicher Dimension und Inten sität realisieren können. Das Spektrum islamistischer Terror strukturen in Deutschland reicht von Netzwerken gewaltbereiter Islamisten, die in enger Beziehung zu "jihadistischen"130 Organi sationen im Ausland stehen, über weitgehend autark operierende Kleinstgruppen bis hin zu Einzeltätern, die sich - zum Teil in rasanter Geschwindigkeit über das Internet - selbst radikalisieren und Anschläge selbstständig planen. Der erste vollendete islamistisch motivierte terroristische An schlag auf deutschem Boden wurde durch einen solchen Einzel täter begangen. Ein 21jähriger kosovarischserbischer Staats angehöriger tötete am 2. März 2011 am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) zwei USamerikanische Soldaten und verletzte weitere schwer. Weder die strafrechtlichen Ermittlungen noch das am 31. August 2011 eröffnete Gerichtsverfahren vor dem Ober landesgericht (OLG) Frankfurt am Main (Hessen) haben Anhalts punkte für weitere Tatbeteiligte oder eine Einbindung des Ange klagten in eine terroristische Zelle ergeben (vgl. Kap. II, Nrn. 1, 4). Die von "alQaida" ausgehende Bedrohung für die internatio nale Staatengemeinschaft und Deutschland bleibt auch nach der Tötung ihres Gründers und Anführers Usama Bin Ladin am 130 Jihad bedeutet "Bemühung". Im Islam wird zwischen zwei Arten des Jihad unter schieden, dem sogenannten Großen Jihad, der die individuelle Bemühung um den Glauben bezeichnet, und dem sogenannten Kleinen Jihad, der im islamischen Recht eine der zulässigen Formen des Krieges zur Erweiterung des islamischen Herrschaftsbereichs oder zu dessen Verteidigung bezeichnet. Unter "Jihadisten" werden Personen verstanden, die dem sogenannten Kleinen Jihad absolute Priorität einräumen und diesen nicht nur als kollektive, sondern als individuelle Pflicht eines jeden Muslims begreifen und propagieren. "Jihad", "jihadistisch" etc. wird im Folgen den in Anführungsstrichen geschrieben um zu verdeutlichen, dass "Jihadisten" das Verständnis von Jihad für ihre ideologischen Ziele instrumentalisieren. 220 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2. Mai 2011 und einiger seiner wichtigsten Gefolgsleute sowie nach der Festnahme hochrangiger "alQaida"Mitglieder virulent (vgl. Kap. II, Nr. 2.1). Sowohl Kern"alQaida" als auch "alQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) haben in den letzten zwölf Monaten mehrfach im Internet Muslime dazu aufgerufen, auch ohne Anbindung an "jihadistische" Gruppierungen in westlichen Staaten auto nom geplante Anschläge zu begehen. In dem von AQAH heraus gegebenen OnlineMagazins "INSPIRE" werden hierzu Anleitun gen zum Bombenbau veröffentlicht, die auch bei "Jihadisten" in Deutschland auf Interesse gestoßen sind. Welche Auswirkungen die sozialen und politischen Umbrüche in einer Vielzahl der Staaten Nordafrikas und der Arabischen Halb insel auf die Entwicklung des Islamismus in dieser Region und weltweit haben werden, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Jedenfalls ist den islamistischen Bewegungen durch den Sturz autokratischer Systeme ein bedeutender Mobilisierungsfak tor abhanden gekommen. Allerdings haben sich ihre Handlungs spielräume auch durch die neugewonnenen Freiheiten erweitert. Von der weiteren Entwicklung in dieser wichtigen Region ist auch Deutschland betroffen (vgl. Kap. II, Nrn. 2.1, 2.4 und 5). Afghanistan und Pakistan blieben als Aktionsraum für islamis tische Terroristen auch im Jahr 2011 weiterhin von großer Bedeu tung. Bei Kämpfen und terroristischen Angriffen wurde eine Vielzahl von Menschen getötet. In Afghanistan starben erneut Angehörige der Bundeswehr oder wurden im Einsatz schwer ver letzt (vgl. Kap. II, Nrn. 1, 3.2, 3.4 und 5). Im Berichtzeitraum wurde wiederum eine hohe Anzahl von Rei sebewegungen von Personen aus dem islamistischen Spektrum in Deutschland in Richtung Afghanistan/Pakistan - vereinzelt auch in Richtung Somalia - festgestellt. Einige dieser Personen stehen im Verdacht, eine terroristische Ausbildung durchlaufen zu haben oder anzustreben. Personen, die ein terroristisches Ausbildungs lager absolviert bzw. aktiv an paramilitärischen Kampfhandlun gen teilgenommen haben, stellen bei einer Wiedereinreise nach Deutschland ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. 221 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Zudem genießen Rückkehrer aus den "Jihad"Gebieten in der islamistischen Szene hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltbereiter Islamisten Vorschub leisten. Insbesondere auf junge Menschen üben diese Rückkehrer eine besondere Anziehungskraft aus. Radikalisierte Personen der zweiten und dritten Einwandererge neration sowie radikalisierte Konvertiten ("Homegrown"Struk turen) stellen die Sicherheitsbehörden vor besondere Heraus forderungen, zumal der Anteil an Netzwerken, deren Mitglieder überwiegend "Homegrown"Kriterien (vgl. Kap. II, Nr. 1) erfüllen, auch in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist. Innerhalb dieser Netzwerke hat der Anteil von Konvertiten und türkischstämmigen Personen in den vergangenen Jahren zugenommen. Vermehrt sind auch Frauen in diesen Netzwerken aktiv. Zwischen den einzelnen Strukturen der islamistischen Szene in Deutschland bestehen Unterschiede in Bezug auf die ethnische Zusammensetzung, den Grad der Zugehörigkeit zu den einzelnen islamistischen Organisationen, die Art und Intensität der Aktivi täten, die ideologische Ausrichtung sowie die jeweils favorisierte Strategie. Die überwiegende Mehrheit des islamistischen Personenpotenzi als in Deutschland entfällt auf sogenannte legalistische Vereini gungen, die durch gezielte politische Einflussnahme gewaltfrei die Möglichkeiten der bestehenden Rechtsordnung nutzen, um hier Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Die größte legalistische Organisation ist die "Islamische Gemein schaft Milli Görüs e.V." (IGMG), die nach dem Tod des "Milli Görüs"Gründers und geistigen Führers Necmettin Erbakan am 27. Februar 2011 vor neuen Herausforderungen steht. In der Türkei übernahm der langjährige ErbakanWeggefährte Mustafa Kamalak den Vorsitz der "Saadet Partisi (SP - "Partei der Glückseligkeit"), konnte aber bei den Parlamentswahlen am 12. Juni 2011 mit rund 1% der Wählerstimmen den langjährigen Abwärtstrend der Partei nicht stoppen. Auch die IGMG wählte am 14. Mai 2011 mit Kemal Ergün einen neuen Vorsitzenden, der Yavuz Celik Karahan ablöste (vgl. Kap. III, Nr. 2.1). 222 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Als weitere legalistische Organisation mit mehreren Hundert Anhängern verfolgt die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) deutschland und europaweit eine an der Ideologie der "Muslimbruderschaft" (MB) ausgerichtete Strategie der Einfluss nahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich. Zudem versucht sie in ihren Zentren, u.a. durch Koranunterricht, gezielt auf Kinder und Jugendliche einzuwirken. Ferner waren die IGD und ihre Anhänger im Berichtszeitraum auch verstärkt öffent lichkeitswirksam aktiv. Dies steht auch im Zusammenhang mit dem "Arabischen Frühling" und dem Machtzuwachs der MB im arabischen Raum, was wiederum zu einer erhöhten Motivation ihrer Anhänger auch in Europa geführt haben dürfte (vgl. Kap. III, Nr. 1.4). Von diesen "legalistischen" Strukturen zu unterscheiden sind islamistische Organisationen, die in ihren Herkunftsländern auch mit Gewalt agieren, um die dortigen Verhältnisse durch eine isla mistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen. Beispielsweise leisten Anhänger der libanesischen "Hizb Allah" ("Partei Gottes") oder der palästinensischen HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") in Deutschland durch das Sammeln von Spendengeldern ihren Beitrag, um die Aktivitäten der Mutterorganisationen zu unter stützen. Auch den Anhängern der "Nordkaukasischen Separa tistenbewegung" (NKSB) dient Deutschland als Rückzugsraum für die finanzielle und logistische Unterstützung der Organisation im Nordkaukasus (vgl. Kap. III, Nrn. 1.1, 1.3 und 3.3). Im Blickfeld der Sicherheitsbehörden stehen darüber hinaus salafistische Bestrebungen. Salafisten gehen davon aus, dass zu Lebzeiten des Propheten Muhammad und seiner unmittelbaren Gefolgsleute der Islam in seiner einzig wahren Form gelebt wurde. Deshalb ist für Salafisten die Orientierung an der frühislami schen Zeit und die wortgetreue Durchsetzung der Prinzipien und Bestimmungen des Korans und der Prophetentradition unerläss lich. Vorstellungen und Ideologien, die nicht im Einklang mit der salafistischen Lehre stehen, werden verurteilt. So lehnen Salafisten z.B. die Volkssouveränität und säkulares Recht als nicht scharia konform und damit "unislamisch" ab. Salafistische Bestrebungen unterteilen sich in eine politische und eine "jihadistische" Strömung. Vertreter des politischen Salafismus nutzen eine intensive Propagandatätigkeit, die sogenannte Da'wa 223 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS (Ruf zum Islam/Missionierung), um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten und dadurch politischen und gesellschaftlichen Ein fluss zu gewinnen. Die Anhänger des "jihadistischen" Salafismus sprechen sich hingegen für die Anwendung von Gewalt aus. Eine Vielzahl der salafistischen Einrichtungen in Deutschland ist dem Phänomenbereich des politischen Salafismus zuzuordnen. Breitenwirkung wird insbesondere über das Internet und eigens entwickelte Propagandaaktivitäten erzielt, die vor allem auf junge Muslime Anziehungskraft ausüben und radikalisierungsfördernd wirken (vgl. Kap. II, Nr. 4). 2. Organisationen und Personenpotenzial Ende 2011 gab es 30 bundesweit aktive islamistische Organisatio nen. Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland ist mit 38.080 Mitgliedern/Anhängern (2010: 37.470) leicht angestiegen. Mit 32.270 Personen (2010: 31.370) bildeten wiederum die Anhän ger türkischer Gruppierungen das größte Potenzial. Mitglieder stärkste Gruppierung blieb die IGMG mit 31.000 (2010: 30.000) Mitgliedern. Den Gruppierungen aus dem arabischen Raum sind 3.590 Perso nen (2010: 3.730) zuzurechnen. Die größten Organisationen aus diesem Bereich, die MB und die "Hizb Allah", verfügen über 1.300 bzw. 950 Anhänger. Zu den in Deutschland in internationale "jihadistische" Netzwerke eingebundenen Personen liegen keine gesicherten Zahlen vor. 224 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Islamismuspotenzial1 2009 2010 2011 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Arabischer Ursprung2 14 3.790 14 3.730 15 3.590 Türkischer Ursprung2 5 30.340 5 31.370 5 32.270 Sonstige 10 2.140 10 2.370 10 2.220 Summe 29 36.270 29 37.470 30 38.080 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. II. Internationaler islamistischer Terrorismus 1. Aktuelle Entwicklungen Der internationale islamistische Terrorismus hat sich zu einer massiven Bedrohung für die internationale Staatengemeinschaft entwickelt und stellt für die innere Sicherheit Deutschlands - trotz zahlreicher Fahndungserfolge - weiterhin eine der größten Gefahren dar. Dies gilt auch vor dem Hintergrund der bedeutenden Schwä chung von "alQaida" durch die Tötungen ihres Gründers und Anführers Usama Bin Ladin, sowie der mutmaßlichen "Nummer Zwei" Atiyah Abd alRahman und weiterer Gefolgsleute und auch durch die Festnahmen hochrangiger "alQaida"Mitglieder. Unmittelbar nach seiner offiziellen Benennung als neuer Füh rer von "alQaida" rief Aiman alZawahiri zur Fortsetzung des "Kampfes gegen den Westen" auf und drohte mit Rache für die Tötung Bin Ladins. Welche Auswirkungen die Umbrüche in einer Vielzahl von Staaten Nordafrikas und der Arabischen Halbinsel auf die Ent wicklung des islamistischen Terrorismus in dieser Region und 225 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS weltweit haben werden, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Reaktionen in der islamistischterroristischen Szene in Deutschland auf die politischen Veränderungen in arabischen Staaten wurden bislang kaum festgestellt. Viele Mitglieder der islamistischterroristischen Szene in Deutschland nutzen jedoch die neue Freizügigkeit, um - zum Teil erstmals - in ihre Heimat länder zu reisen. Entwicklungen Bei dem ersten vollendeten islamistisch motivierten terroristi in Deutschland schen Anschlag auf deutschem Boden tötete am 2. März 2011 ein kosovarischserbischer Staatsangehöriger am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) zwei USamerikanische Soldaten. Am 4. Juli 2011 hat die Bundesanwaltschaft vor dem Oberlan desgericht (OLG) Frankfurt am Main (Hessen) Anklage gegen ihn u.a. wegen Mordes in zwei Fällen sowie versuchten Mordes in drei Fällen erhoben. Am 31. August 2011 begann vor dem OLG die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten, der sich seit dem 3. März 2011 in Untersuchungshaft befindet und die gegen ihn erhobenen Tatvorwürfe eingeräumt hat. In der Anklageschrift wird ihm zur Last gelegt, heimtückisch und aus niedrigen Beweg gründen zwei USamerikanische Soldaten getötet zu haben. Da rüber hinaus soll er versucht haben, drei weitere Angehörige der USamerikanischen Streitkräfte zu ermorden. Zwei Soldaten ver letzte er dabei lebensgefährlich, einer der beiden verlor auf einem Auge das Sehvermögen. Laut Anklage seien seine Taten Ausdruck einer durch "jihadistische" Propaganda hervorgerufenen radi kalislamistischen Einstellung. Der Angeklagte sei am 1. März 2011 im Internet auf ein "jihadistisches" Propagandavideo über angeb liche Vergewaltigungen muslimischer Frauen durch ausländische Soldaten gestoßen. Dies habe bei ihm den Entschluss ausgelöst, am Frankfurter Flughafen möglichst viele USamerikanische Sol daten mit dem Einsatzziel Afghanistan zu töten. Die Ermittlungen haben keine Anhaltspunkte für weitere Tatbeteiligte oder eine Einbindung des Angeklagten in eine terroristische Vereinigung ergeben.131 Festnahmen und Am 29. April 2011 wurden in Düsseldorf und Bochum (beide Verurteilungen NordrheinWestfalen) drei mutmaßliche "alQaida"Mitglieder 131 Das OLG verurteilte den Angeklagten am 10. Februar 2012 wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in drei Fällen zu einer lebenslänglichen Freiheits strafe. 226 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS festgenommen. Die Beschuldigten (ein marokkanischer Staats angehöriger sowie eine Person mit deutscher und marokkani scher Staatsangehörigkeit und eine mit deutscher und iranischer Staatsangehörigkeit) sind dringend verdächtig, als Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung "alQaida" einen Ter roranschlag in Deutschland geplant zu haben. Einer der Beschul digten soll Anfang des Jahres 2010 von Deutschland aus in ein Lager von "alQaida" im afghanischpakistanischen Grenzgebiet gereist sein und sich der Organisation angeschlossen haben. Nach einer Ausbildung im Umgang mit Waffen und Sprengstoff soll er im Frühjahr 2010 von einem hochrangigen "alQaida"Mitglied den Auftrag erhalten haben, in Deutschland einen Sprengstoff anschlag zu verüben. Am 8. Dezember 2011 wurde ein weiteres mutmaßliches "alQaida"Mitglied in Bochum (NordrheinWestfalen) festge nommen. Der Beschuldigte, ein deutscher Staatsangehöriger, ist dringend verdächtig, sich als Mitglied der sogenannten Düsseldorfer Zelle um den am 29. April 2011 festgenommenen marokkanischen Staatsangehörigen an Anschlagsplänen von "alQaida" beteiligt zu haben. Er ist ebenfalls dringend verdächtig, die Anschlagspläne trotz der Festnahme der übrigen Mitglieder der Zelle am 29. April 2011 weiterverfolgt zu haben und zur Finanzierung des Anschlagsvorhabens zahlreiche Betrugstaten über eine Auktionsplattform im Internet verübt zu haben. Am 9. Mai 2011 verurteilte das OLG Frankfurt am Main (Hessen) einen deutschen Staatsangehörigen syrischer Abstam mung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terro ristischen Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten. Das Gericht stellte u.a. fest, dass der Angeklagte im März 2009 nach Pakistan gereist war, um am "Jihad" teilzunehmen, und sich dort im Mai 2009 "alQaida" ange schlossen hat. Nach einer Kampfausbildung in einem Lager von "alQaida" nahm der Angeklagte an paramilitärischen Kampf handlungen gegen die pakistanische Armee teil. Beim Versuch, nach Deutschland zurückzureisen, wurde er am 21. Juni 2010 von pakistanischen Sicherheitsbehörden festgenommen und am 25. August 2010 nach Deutschland überstellt. Die Bundesanwaltschaft erhob am 2. November 2011 vor dem OLG Koblenz (RheinlandPfalz) Anklage wegen Mitgliedschaft 227 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS in den ausländischen terroristischen Vereinigungen "Islami sche Bewegung Usbekistans" (IBU) (vgl. Nr. 3.2) und "alQaida". Der Angeschuldigte, der die deutsche und afghanische Staats angehörigkeit besitzt, soll sich laut Anklage Anfang 2009 ent schlossen haben, am gewaltsamen "Jihad" teilzunehmen, und gemeinsam mit weiteren Personen von Deutschland in das afghanischpakistanische Grenzgebiet gereist sein, wo er sich im Mai 2009 zunächst der IBU und nach einer Kampfausbildung im Sommer 2009 "alQaida" angeschlossen habe. Im Juni 2010 soll der Angeschuldigte von einem hochrangigen "alQaida"Mitglied dafür vorgesehen worden sein, in Deutschland an einem Netz werk der Organisation mitzuwirken. Anfang Juli 2010 wurde er in Kabul (Afghanistan) aufgegriffen und gelangte in USamerikani schen Gewahrsam. Am 21. April 2011 wurde er nach Deutschland überstellt und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Am 6. Dezember 2011 verurteilte das OLG München (Bayern) einen deutschen Staatsangehörigen wegen Unterstützung und Werbung für eine islamistische terroristische Vereinigung im Ausland zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Mona ten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte im Mai 2007 versuchte, in ein Lager von "alQaida" zu gelangen, um sich dort ausbilden zu lassen und anschließend dem bewaff neten Kampf von "alQaida" anzuschließen. Zudem habe er als Mitglied der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF) in den Jahren 2006 bis 2008 im Internet Videos eingestellt, in denen für "alQaida" geworben wurde. IslamistischDas islamistischterroristische Spektrum in Deutschland reicht terroristisches von Gruppierungen, die enge Beziehungen zu islamistischen Spektrum Organisationen im Ausland haben, bis hin zu unabhängigen in Deutschland Kleinstgruppen oder selbstmotivierten Einzeltätern. Eine organi satorische Anbindung an "alQaida" ist in den wenigsten Fällen gegeben. Insbesondere kleine islamistische Personengruppen agieren zwar oft im Sinne von "jihadistischen" Netzwerken bzw. lassen sich durch Aufrufe dieser Netzwerke - z.B. von "alQaida" bzw. "alQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) - inspirieren, sind aber hinsichtlich der Art und Weise ihres Handelns nicht "auftragsgebunden" und verfolgen somit einen selbstgestalteten, "individuellen Jihad". 228 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Sicherheitsbehörden werden durch sich z.B. im Internet (vgl. Nr. 5) selbstradikalisierende und motivierende Einzeltäter, sogenannte einsame Wölfe, vor besondere Herausforderungen gestellt. Diese Einzeltäter agieren völlig unabhängig von Netzwerk strukturen. Dadurch sind Anschlagspläne oder Vorbereitungs handlungen dieser Personen, auch wegen deren äußerst zurückge zogener Lebensweise, im Vorfeld nur schwer zu erkennen. Besondere Bedeutung kommt Strukturen zu, die sich aus radika "Homegrown"lisierten Personen der zweiten und dritten Einwanderergenera Netzwerke tion sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Obwohl die Personen, die zu diesem Täterspektrum gehören, zumeist in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen sind, stehen sie dem hiesigen Wertesystem feindlich gegenüber. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist die Ausrichtung an der pan islamischen "alQaida"Ideologie. "Homegrown"Strukturen stel len die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen, zumal der Anteil von Netzwerken, deren Mitglieder überwiegend "Homegrown"Kriterien erfüllen, auch in Deutschland in den ver gangenen Jahren stetig gewachsen ist. Innerhalb dieser Netzwerke hat der Anteil von Konvertiten und türkischstämmigen Personen in den vergangenen Jahren zugenommen. Einen allgemeingültigen Radikalisierungs und Rekrutierungsver Radikalisierungslauf gibt es nicht. Art und Gewichtung radikalisierungsfördernder prozesse Faktoren (z.B. soziale Situation, kulturelle Herkunft und Persön lichkeitsstruktur) unterscheiden sich z.T. erheblich. Zwar gehen Radikalisierungsprozesse einer möglichen Rekrutierung voraus, sie führen aber nicht zwangsläufig zu terroristischen Aktivitäten. 2011 konnte erneut eine hohe Anzahl von Reisebewegungen Terroristische von Personen aus dem islamistischen Spektrum in Deutschland Ausbildungslager in Richtung Afghanistan/Pakistan, vereinzelt auch in Richtung Somalia festgestellt werden. Einige dieser Personen stehen im Verdacht, im afghanisch pakistanischen Grenzgebiet eine terroristische Ausbildung durch laufen zu haben. Ausbildungslager werden auch im Maghreb132, am Horn von Afrika sowie im Jemen vermutet. 132 Maghreb umfasst im engeren Sinne die nordafrikanischen Staaten Tunesien, Algerien und Marokko; im weiteren Sinne auch Libyen und Mauretanien. 229 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Bundesanwaltschaft erhob am 15. November 2011 vor dem Kammergericht in Berlin Anklage gegen einen deutschen und einen österreichischen Staatsangehörigen. Der deutsche Staatsangehörige ist verdächtig, sich von September 2009 bis mindestens Ende April 2010 als Gründungs mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Deutsche Taliban Mujahideen" (vgl. Nr. 3.3) beteiligt zu haben. Anschließend soll er bis Ende Mai 2011 Mitglied von "alQaida" gewesen sein. Der Angeschuldigte wurde am 31. Mai 2011 in Wien (Österreich) festgenommen. Dem österreichischen Staatsangehörigen wird vorgeworfen, sich von Juli 2010 bis Mai 2011 als Mitglied an "alQaida" beteiligt zu haben. Er wurde am 16. Mai 2011 in Berlin festgenommen. Die Angeschuldigten, die sich der Anklageschrift zufolge im afghanischpakistanischen Grenzgebiet kennengelernt haben, erhielten von einem Führungsmitglied von "alQaida" den Auf trag, in Europa Geld für die Organisation zu sammeln, neue Mit glieder und Unterstützer zu rekrutieren und sich für nicht näher bestimmte Operationen von "alQaida" bereitzuhalten. Zu diesem Zweck wurden sie im Umgang mit Sprengstoff und Waffen ausge bildet. Personen, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert bzw. aktiv an paramilitärischen Kampfhandlungen teilgenommen haben, stellen bei einer Wiedereinreise nach Deutschland ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Von diesem Personenkreis kön nen sicherheitsgefährdende Aktivitäten drohen bzw. bei Verbleib in der Region Gefährdungen deutscher oder ausländischer Inter essen, z.B. in Afghanistan bzw. Pakistan, ausgehen. Rückkehrer aus den "Jihad"Gebieten genießen in der islamisti schen Szene hohes Ansehen und können einer weiteren Radika lisierung bislang nicht gewaltbereiter Islamisten Vorschub leisten. Insbesondere auf junge Menschen üben diese Personen eine besondere Anziehungskraft aus. Den Sicherheitsbehörden des Bundes liegen derzeit Informati onen zu insgesamt rund 255 Personen mit DeutschlandBezug (deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund bzw. Kon vertiten sowie Personen mit anderer Staatsangehörigkeit, die sich in Deutschland aufhalten bzw. aufgehalten haben) und islamis tischterroristischem Hintergrund vor, die seit Beginn der 1990er 230 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Jahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben sollen bzw. eine solche beabsichtigten. Zu rund 70 dieser 255 Personen exis tieren konkrete Hinweise, die für eine absolvierte paramilitärische Ausbildung sprechen. Der islamistische Terrorismus ist nach wie vor ein männlich Frauen in dominierter Phänomenbereich. Allerdings ist eine zunehmende islamistischEinbindung von Frauen in islamistischterroristische Strukturen terroristischen festzustellen, insbesondere in Unterstützernetzwerken im Inter Strukturen in net. Das Internet dient ihnen als Radikalisierungs, Wissens und Deutschland Propagandamedium sowie als Kommunikationsplattform. Ver einzelt äußern auch junge Frauen den Wunsch, die "Mujahidin" aktiv in Afghanistan bzw. Pakistan zu unterstützen; sie stellen bislang noch eine Minderheit dar. Die Aktivitäten der Frauen beschränken sich in der Regel auf das Sammeln von Spenden und auf Propaganda für den gewaltsamen "Jihad". Die aktive Unter stützung des "Jihad" wird sich durch Frauen in InternetNetz werken voraussichtlich verstärken und weiterentwickeln. Im Januar 2011 wurde in Abbottabad (Pakistan), dem ehemaligen Entwicklungen in Aufenthaltsort Bin Ladins, der mutmaßliche Drahtzieher der Europa und weltweit Anschläge vom 12. Oktober 2002 auf eine Diskothek und ein Cafe im Badeort Kuta auf Bali (Indonesien) festgenommen. Bei diesen Anschlägen waren 202 Menschen - darunter sechs Deutsche - getötet und mehr als 330 verletzt worden. Der Beschuldigte, ein indonesischer Staatsangehöriger, soll als "Bombenbauer" für die islamistischterroristische Gruppierung "Jemaah Islamiyah" (JI) gearbeitet haben. Die JI setzt sich für die Errichtung eines islamis tischen Staates in Indonesien und anderen Teilen Südostasiens ein. Der Beschuldigte wurde im August 2011 von Pakistan nach Indonesien überstellt und befindet sich seitdem in Haft. Am 28. April 2011 kamen bei einem Sprengstoffanschlag auf ein Touristencafe in Marrakesch (Marokko) 17 Menschen - darunter elf westliche Touristen - ums Leben, mehr als ein Dutzend wei tere Personen erlitten Verletzungen. Am 28. Oktober 2011 wurde der Hauptangeklagte, ein marokkanischer Staatsangehöriger, der Verbindungen zu "alQaida" haben soll, zum Tode verurteilt. Acht weitere Angeklagte wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt. Alle neun Angeklagten hatten sich vor der Urteilsverkündung für nicht schuldig erklärt. Unmittelbar nach seiner Festnahme hatte 231 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der Hauptangeklagte noch ein Geständnis abgelegt, es später jedoch widerrufen. Ende Mai 2011 verurteilte ein Gericht in Kopenhagen (Dänemark) einen Tschetschenen wegen eines versuchten Terroranschlags zu einer Freiheitsstrafe von zwölf Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte im September 2010 versucht hatte, eine Briefbombe an die dänische Zeitung JyllandsPosten zu schicken. Die erstmals im September 2005 in der Zeitung veröffentlichten Karikaturen über den Propheten Muhammad hatten massive - in der islamischen Welt z.T. gewalttätige - Pro teste ausgelöst. JyllandsPosten war seither mehrfach das Ziel von Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen. Am 15. Juli 2011 wurden zwei deutsche Konvertiten im Hafen von Dover (Großbritannien) festgenommen. Sie sollen Materialien zur Vorbereitung von Terroranschlägen bei sich geführt und Verbin dungen zu "alQaida" haben. Die Beschuldigten befinden sich in britischer Untersuchungshaft. Bei einem Sprengstoffanschlag auf das Hauptgebäude der Ver einten Nationen in der nigerianischen Hauptstadt Abuja am 26. August 2011 wurden 23 Menschen getötet und 76 verletzt. Zu der Tat bekannte sich die nigerianische islamistische Gruppierung "Boko Haram" ("Westliche Bildung ist Sünde"), die Verbindun gen zu "alQaida im islamischen Maghreb" (AQM, vgl. Nr. 2.3) sowie zu "alShabab" (vgl. Nr. 3.5) haben soll. Auch zu den koor dinierten Bombenanschlägen auf christliche Kirchen in Nigeria am 25. Dezember 2011 bekannte sich "Boko Haram". Bei diesen Anschlägen kamen mindestens 40 Menschen ums Leben. Lage in Afghanistan Afghanistan blieb als Schauplatz des islamistischen Terrorismus auch im Jahr 2011 von großer Bedeutung. Bei Kämpfen und terroristischen Angriffen wurden zahlreiche Menschen getötet, darunter auch Angehörige der Bundeswehr. Bereits seit 2005/2006 verüben insbesondere die "Taleban" Anschläge auf die multinationalen Truppen, die im Rahmen der "International Security Assistance Force" (ISAF) unter Führung der NATO den Wiederaufbau in Afghanistan unterstützen. 232 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Am 2. Juni 2011 wurden bei einem Sprengstoffanschlag auf einen Schützenpanzer der Bundeswehr in der Provinz Baghlan ein deutscher Soldat getötet und fünf weitere Soldaten z.T. schwer verwundet. Der Schützenpanzer mit sieben Insassen wurde durch die versteckte Sprengladung in Brand gesetzt und zerstört. Insge samt kamen im Laufe des Jahres 2011 sieben deutsche Soldaten in Afghanistan ums Leben. Am 7. August 2011 wurden bei einem Hubschrauberabsturz in der östlichen Provinz Wardak 38 Menschen, darunter 30 USamerika nische Soldaten, getötet. Die "Taleban" erklärten, den Hubschrau ber abgeschossen zu haben. Die Gewalt in Afghanistan richtete sich auch gegen Zivilisten. So wurde der ehemalige afghanische Präsident Burhanuddin Rabbani am 20. September 2011 bei einem Selbstmordanschlag in Kabul (Afghanistan) getötet. Rabbani war Vorsitzender des Hohen Friedensrates und galt als "Galionsfigur" der Friedensgesprä che, die eine Reintegration militanter Kräfte, insbesondere der "Taleban", zum Ziel haben. Vor dem Hintergrund des hohen Verfolgungsdrucks im afgha nischpakistanischen Grenzgebiet werden für ausreisewillige "Jihadisten" zunehmend andere Regionen - insbesondere Somalia - attraktiv. 2. "Al-Qaida" ("Die Basis") 2.1 Kern-"al-Qaida" Gründung: Mitte der 1980er Jahre Leitung: Aiman alZawahiri Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die von Bin Ladin gegründete "alQaida" verfolgt weiterhin ihre langfristige Strategie: Durch propagandistische Aktivitäten im Internet tritt sie einerseits als "virtuelle" Organisation auf, die 233 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Impulse für die Aktivisten setzt; andererseits ist sie bestrebt, ihre operative Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Mit Terroranschlägen, die regelmäßig auch muslimische Opfer fordern, und Aufrufen zum gewaltsamen "Jihad" will "al-Qaida" ihre Hauptziele durchsetzten: Das Zurückdrängen westlichen Einflusses auf muslimische Länder sowie den Sturz der nach Ansicht von "al-Qaida" "vom Glauben abgefallenen" Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika. Die Organisation verfügt weltweit über ein zahlenmäßig schwer zu schätzendes Potenzial von Anhängern, die sich der "al-Qaida"-Ideologie verschrieben haben. Kennzeichen dieser Ideologie ist ein pan-islamischer Ansatz, der weltweit eine "Verteidigung der muslimischen Gemeinschaft gegen Ungläubige" vorgibt, und eine militante Ablehnung der westlichen Gemeinschaft und ihrer Werte fordert. Am 2. Mai 2011 wurde Bin Ladin, Gründer und Anführer von "al-Qaida", beim Zugriff durch US-amerikanische Spezialeinheiten in Abbottabad (Pakistan) getötet. Am 16. Juni 2011 benannte "al-Qaida" offiziell den bisherigen Stellvertreter Bin Ladins, al-Zawahiri, als seinen Nachfolger. Die Organisation hatte im Jahr 2011 den Verlust weiterer hochrangiger Mitglieder zu verzeichnen: Am 22. August 2011 wurde die mutmaßliche "Nummer zwei" von "al-Qaida" Abd al-Rahman bei einem Drohnenangriff im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet getötet. Ende August 2011 wurde das Führungsmitglied Younis al-Mauritani in Pakistan festgenommen. Diese großen personellen Verluste sowie die fortgesetzten Drohnenangriffe im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, das sich seit Jahren als Planungsund Ausbildungsstützpunkt für "al-Qaida" und assoziierte Gruppierungen etabliert hat, erschweren eine zentral ausgerichtete Führung durch Kern-"al-Qaida". Die islamistische bzw. islamistisch-terroristische Szene in Deutschland reagierte zurückhaltend auf die Tötung Bin Ladins. Zunächst wurde die Tötung angezweifelt und als Falschbehauptung im Rahmen einer US-amerikanischen Verschwörung dargestellt. Auch nach der offiziellen Bestätigung durch "al-Qaida" blieben Teile der Szene skeptisch. Vereinzelte Racheankündigungen dürften der nach Bin Ladins Tod emotional aufgeladenen Situation geschuldet sein. 234 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2011 gab es wiederum mehrere Erklärungen von "alQaida"Füh Verlautbarungen rern. Von besonderer Bedeutung ist die am 19. Mai 2011 in im Internet arabischsprachigen "jihadistischen" Internetforen posthum ver öffentlichte Audiobotschaft Bin Ladins. In der Botschaft mit dem Titel "Das Wort des Märtyrers Shaikh Usama Bin Ladin an die islamische Umma" beglückwünschte er die islamische Gemein schaft zu den "siegreichen Aufständen". Er habe die historischen Umbrüche in der arabischen Welt mitverfolgt und teile die Freude über die "siegreichen Revolutionen", insbesondere in Tunesien und Ägypten. Es sei eine historische Gelegenheit, sich von der "Sklaverei der Willkürherrscher" und der "Dominanz des Wes tens" zu befreien. In einer am 3. Juni 2011 in arabischsprachigen "jihadistischen" Internetforen veröffentlichten Videobotschaft mit dem Titel "Du hast nur die Last für deine eigenen Handlungen zu tragen" - dem mutmaßlichen "Jahresvideo" von "alQaida" - rief die Organi sation dazu auf, denjenigen Ländern, die sich an "Aggressionen gegen Muslime" beteiligten, offen den Krieg zu erklären. Wenn gleich Deutschland nicht ausdrücklich erwähnt wird, richtet sich die Drohung aufgrund der Beteiligung der Bundeswehr an der ISAFMission in Afghanistan auch direkt gegen Deutschland. Themenschwerpunkt der Botschaft ist der "individuelle Jihad" im Westen. Jeder, der eine individuelle Operation in den USA, Großbritannien, Frankreich oder in einem anderen Land, das die Muslime bekämpft, durchführe, helfe den "Mujahidin". Von Einzelpersonen sorgfältig geplante und ausgeführte Operationen seien ebenso wichtig wie der Kampf auf den "Jihadschauplätzen": "Die Muslime im Westen müssen bedenken, dass der Ort an dem sie sich befinden, ihnen zu einer wichtigen und entscheidenden Rolle im Jihad gegen Zionisten und Kreuzzügler verhilft. Sie können den Feinden des Islams, die ihre Religion, Heiligtümer und Geschwister bekriegen, großen Schaden zufügen." Am 13. September 2011 wurde in "jihadistischen" Internetforen eine Videobotschaft von alZawahiri mit dem Titel "Der baldige Sieg - Zehn Jahre nach den Anschlägen am gesegneten Dienstag" veröffentlicht, in welcher der Nachfolger Bin Ladins die poli tischen Veränderungen in der arabischen Welt, den geplanten 235 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan sowie den Tod Bin Ladins thematisierte. Die USA hätten angenommen, dass die arabische Region unter der "Herrschaft der Marionet tenregierungen" stabil wäre. AlZawahiri betonte, die USA hätten diese Herrscher verloren bzw. würden sie bald verlieren. Die Araber wünschten sich eine islamische Regierung, die militärisch, politisch und wirtschaftlich unabhängig sei. AlZawahiri rief das tunesische Volk dazu auf, einen Staat zu gründen, in dem allein die Scharia herrsche. In einer am 12. Oktober 2011 in "jihadistischen" Internetforen veröffentlichten Videobotschaft mit dem Titel "Die Niederlagen der Amerikaner setzen sich fort" erklärte alZawahiri, dass die USA nach den Niederlagen im Irak, in Afghanistan, Tunesien und Ägypten mit Libyen einen weiteren "Sklaven" verloren hätten, der sie unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung im "Kampf gegen den Islam" unterstützt habe. AlZawahiri forderte die Libyer dazu auf, sich die erlangte Freiheit nicht von den USA und der NATO nehmen zu lassen. Dass alZawahiri auch in dieser Botschaft die sozialen und poli tischen Umbrüche in einer Vielzahl der Staaten Nordafrikas und der Arabischen Halbinsel thematisierte, deutet darauf hin, dass "alQaida" hier Potenzial für ihre Propagandazwecke sieht. Bewertung Die Anziehungskraft von "alQaida" - auch auf ihre Anhänger in Deutschland - ist nahezu ungebrochen. "AlQaida" wird als "Marke" wahrgenommen, unter deren Banner für die gemein same Ideologie gekämpft wird. Der Verlust bedeutender Führungspersönlichkeiten im Jahr 2011 hat die Organisation zwar geschwächt, an ihren Zielen aber nichts geändert. Um ihre Aktionsfähigkeit unter Beweis zu stellen, wird die Organisation weiterhin versuchen, Anschläge gegen westliche Interessen zu verüben. Strukturen von "alQaida" in Deutschland sind bislang nicht bekannt. 236 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2.2 "Al-Qaida im Irak"/"Islamischer Staat Irak" Gründung: Ende 2003 Leitung: Abu Bakr alBaghdadi alHusaini alQurashi Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Trotz der insgesamt verbesserten Sicherheitslage kam es im Irak weiterhin zu einer Vielzahl von Terroranschlägen. Insbesondere im Zentral und Südirak halten die Spannungen zwischen ethni schen und konfessionellen Gruppierungen an. Ob die irakischen Sicherheitskräfte nach dem Abzug der noch im Land verbliebenen USamerikanischen Truppen in der Lage sein werden, die Sicher heitslage stabil zu halten, ist fraglich. Die aktivste terroristische Gruppierung im Zentral und Südirak bleibt die von dem Jordanier Ahmad Fadil Nazal alKhalaila alias Abu Mus'ab alZarqawi gegründete sunnitischterroristische "alQaida im Irak". AlZarqawi war bei einem gezielten Luftan griff der USamerikanischen Streitkräfte am 7. Juni 2006 getötet worden. Seit Oktober 2006 tritt "alQaida im Irak" nach außen hin unter der Bezeichnung "Islamischer Staat Irak" auf. Im Mai 2011 reagierte der "Islamische Staat Irak" mit einer schriftlichen Erklärung öffentlich auf den Tod Bin Ladins. Die Organisation drohte mit Vergeltung und bekräftigte die formelle Unterordnung unter Kern"alQaida". Im August 2011 kündigte der "Islamische Staat Irak" in einer über "jihadistische" Internetforen verbreiteten Videobotschaft mit dem Titel "Fünf Jahre Islamischer Staat" an, den Weg verschiedener verstorbener Anführer wie Bin Ladin fortzusetzen und weiterhin schlagkräftig gegen die USamerikanischen Truppen und die Regierung vorzugehen. Während der "Islamische Staat Irak" im Jahr 2010 zahlenmäßig weniger, jedoch größere und öffentlichkeitswirksamere Anschläge durchführte, kehrte die Gruppierung im Jahr 2011 zu ihrer 237 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS früheren Strategie breit gestreuter krimineller und terroristischer Aktivitäten zurück. Das Spektrum reicht von Überfällen und Entführungen über Anschläge auf Einzelpersonen, z.B. Polizisten oder Armeeangehörige, bis hin zu schweren Bombenanschlägen gegen öffentliche Gebäude und Plätze im ganzen Land. Am 15. August 2011 wurden in einer konzertierten Aktion rund 70 Personen getötet und mehr als 300 verletzt. Die Anschläge, an denen Selbstmordattentäter und bewaffnete Einzelpersonen beteiligt waren, wurden in 18 Städten im Zentral und Nord irak durchgeführt und richteten sich gegen öffentliche Gebäude, belebte Plätze und Polizeistationen sowie gegen eine Geburts klinik. Obwohl kein Bekennerschreiben veröffentlicht wurde, ist zumindest von einer Mittäterschaft des "Islamischen Staates Irak" auszugehen. Darauf weist auch eine schriftliche Erklärung des "Islamischen Staates Irak" in arabischsprachigen "jihadistischen" Internetforen hin. In der vom "Kriegsministerium" unterzeichneten Erklärung, die auf den 14. August 2011 datiert ist und am 20. August 2011 veröffentlicht wurde, wird eine Welle der Gewalt als Rache für den Tod Bin Ladins und anderer Führer angekündigt, die zur Mitte des Fastenmonats Ramadan, also am 15. August 2011, begin nen und nach "100 Anschlägen" enden sollte. Bewertung Es ist davon auszugehen, dass die Organisation auch künftig schwerwiegende Anschläge im Irak begehen wird. Strukturen vom "Islamischen Staat Irak" in Deutschland sind bis lang nicht bekannt. 2.3 "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) Gründung: Ende der 1990er Jahre in Algerien Leitung: Abdalmalik Darduqal alias Abu Mus'ab Abdalwadud Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen 238 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) hatte sich Ende der 1990er Jahre von der algerischen "Bewaffneten Islami schen Gruppe" ("Groupe Islamique Arme" - GIA) abgespalten. Die GSPC war im Jahr 2003 für die Entführung von 32 Touristen, dar unter 16 Deutsche, im Süden Algeriens verantwortlich. Nachdem sich die GSPC bereits seit Längerem um ideologische Annäherung an "alQaida" bemüht hatte, wurde der Beitritt der GSPC zu "alQaida" am 11. September 2006 offiziell bekannt gege ben. Seit Januar 2007 nennt sich die Gruppierung "alQaida im islamischen Maghreb" (AQM). Die AQM ist die derzeit größte und aktivste islamistischterroris tische Organisation im Maghreb. Mit dem Anschluss an "alQaida" einher gingen eine Ausweitung der Anschlagsstrategien, u.a. Anschläge durch Selbstmordattentäter, und eine Erweiterung des Zielspektrums auf ausländische Staatsbürger und Einrichtungen. Die AQM verfolgt ihren Anspruch einer überregionalen Grup pierung durch Aktivitäten in weiten Teilen Nordafrikas. Dort rekrutiert die Organisation auch überwiegend ihre Mitglieder (vor allem in Mali und Mauretanien, aber auch in Tunesien, Libyen und Niger). Im Jahr 2011 führte die AQM insbesondere Anschläge gegen staatliche algerische Einrichtungen sowie in Mauretanien durch. So töteten zwei Selbstmordattentäter am 26. August 2011 in der Nähe einer Militärakademie in Nordalgerien 18 Menschen. Auch im Jahr 2011 entführte die AQM wieder westliche Staats angehörige. So wurden am 24. November 2011 zwei französische Staatsangehörige in Hombori (Mali) von Mitgliedern der AQM aus ihrem Hotel verschleppt. Am 25. November 2011 wurden in einem Restaurant in Timbuktu (Mali) drei weitere Personen (ein nieder ländischer, ein schwedischer und ein südafrikanischer Staatsan gehöriger) entführt. Dabei wurde ein deutscher Staatsangehöriger von den Entführern erschossen, als er sich zur Wehr setzte. Die AQM bekannte sich in einer am 12. Dezember 2011 in "jihadistischen" Internetforen festgestellten und auf den 7. Dezember 2011 datierten Erklärung mit dem Titel "Bekenner schreiben zur Entführung von zwei französischen Geiseln und drei Europäern in Mali" zu den Entführungen. 239 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Bewertung Im gesamten nördlichen Afrika muss mit weiteren Anschlägen gegen westliche Ausländer bzw. Einrichtungen gerechnet werden. Darüber hinaus besteht für westliche Ausländer in den an die Sahara angrenzenden Staaten die Gefahr fort, Opfer von Entfüh rungen zu werden. Strukturen der AQM in Deutschland sind bislang nicht bekannt. 2.4 "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) Gründung: Januar 2009 Leitung: Nasir Abdalkarim Abdallah alWuhaishi alias Abu Basir Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen "AlQaida im Jemen" (AQJ), die noch im Jahr 2003 als weitge hend zerschlagen galt, erstarkte 2006 unter der Führung von alWuhaishi wieder und machte durch eine Reihe von Anschlägen auf sich aufmerksam - insbesondere durch den Anschlag gegen die USamerikanische Botschaft in Sanaa (Jemen) am 17. Septem ber 2008, bei dem mindestens 16 Personen getötet wurden. Im Januar 2009 schlossen sich AQJ und "alQaida"Kräfte aus SaudiArabien zur "alQaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) zusammen. Die bis dahin ausschließlich im Jemen aktive AQJ erweiterte hierdurch ihren terroristischen Aktionsradius auf SaudiArabien. Ziel der AQAH ist die Beseitigung ausländischer Einflüsse auf der Arabischen Halbinsel sowie der Kampf gegen die von ihr als unislamisch angesehenen Regierungen, z.B. in SaudiArabien. In einem Interview rechtfertigte alWuhaishi auch die Tötung von Touristen und westlichen Ausländern. Mehrere Anschläge im Jemen und in SaudiArabien im Jahr 2009 zeigten die operative Handlungsfähigkeit der AQAH, u.a. der ver suchte Anschlag auf den für Terrorismusbekämpfung zuständigen 240 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS saudiarabischen VizeInnenminister, die versuchte Sprengung eines Flugzeugs der DeltaAirlines mit 278 Menschen an Bord auf dem Flug von Amsterdam (Niederlande) nach Detroit (USA) am 25. Dezember 2009, zu der sich die AQAH am 28. Dezember 2009 im Internet bekannt hat, sowie die Entführung einer fünfköpfigen deutschen Familie im Juni 2009. Die Familie war zusammen mit zwei deutschen Frauen und einer Südkoreanerin - die drei Frauen wurden ermordet - sowie einem Briten in der nordjemenitischen Provinz Saada entführt worden. Am 18. Mai 2010 wurden zwei der Töchter durch saudiarabische Sicherheitskräfte befreit. Die Eltern und das dritte Kind der Familie werden weiterhin vermisst. Als Reaktion auf diese Aktivitäten wurden im Jahr 2010 im Jemen und in SaudiArabien Exekutivmaßnahmen gegen die AQAH und ihre Mitglieder durchgeführt. Im Juni 2010 erschien die erste Ausgabe des englischsprachigen OnlineMagazins "INSPIRE" der AQAH. Wesentlicher Bestandteil des Magazins ist die Rubrik "Open Source Jihad". Dort werden Muslime aufgerufen, mit einfachen Mitteln Anschläge in ihren westlichen Aufenthaltsländern zu begehen. So enthält die erste Ausgabe des Magazins eine Anleitung zum Bombenbau. In der fünften Ausgabe vom März 2011 wird u.a. der Schuss waffenanschlag auf USamerikanische Soldaten am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) am 2. März 2011 thematisiert. Ein 21jähriger "mutiger kosovarischer 'Mujahid'" habe am Flughafen Frankfurt in Deutschland zwei amerikanische Soldaten getötet und zwei weitere verletzt. Laut "INSPIRE" soll er hierzu von der Internetpropaganda der "Mujahidin" inspiriert worden sein: "It was said that he was inspired by the internet works of the mujahidin." ("INSPIRE" Nr. 5, S. 6) Bislang sind sieben Ausgaben von "INSPIRE" erschienen. Die Zukunft des OnlineMagazins ist ungewiss, da Anwar alAulaqi und Samir Khan, die maßgeblich an der Erstellung von "INSPIRE" beteiligt gewesen sein sollen, am 30. September 2011 im Jemen getötet wurden. Der in den USA geborene alAulaqi, jemenitischer 241 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und USamerikanischer Staatsangehöriger, war von 1996 bis 2000 als Imam an einer Moschee in San Diego (USA) tätig und soll dort in Kontakt zu zwei späteren Attentätern des 11. September 2001 gestanden haben. AlAulaqi war insbesondere aufgrund seiner englischen Sprachkenntnisse ein wichtiger Propagandist der AQAH. Neben "INSPIRE" veröffentlichte er eine Vielzahl von Videobotschaften im Internet, in denen er u.a. zum "Jihad" gegen die USA aufrief. Bewertung Auf der Arabischen Halbinsel, insbesondere im Jemen und in SaudiArabien, stehen neben staatlichen Institutionen und Ein richtungen der Ölindustrie auch Interessen westlicher Staaten im Zielspektrum der AQAH. Es muss daher mit weiteren Anschlägen, aber auch mit gezielten Entführungen und Tötungen westli cher Ausländer gerechnet werden. Darüber hinaus zeigen die vereitelten Paketbombenanschläge im Oktober 2010, dass die AQAH ihren Aktionsradius über die Arabische Halbinsel hinaus ausgedehnt hat, auch wenn im Jahr 2011 keine Anschläge bzw. Anschlagsversuche außerhalb des Jemen bekannt geworden sind. Strukturen bzw. Unterstützer der AQAH in Deutschland sind bislang nicht bekannt. 3. Regionale "jihadistische" Gruppierungen 3.1 "Ansar al-Islam" (AAI - "Gruppe der Anhänger des Islam") Gründung: Dezember 2001 im Nordirak als Nachfolgerin der "Jund alIslam" ("Armee des Islam") Leitung: Shaikh Abu Hashim Muhammad Bin Abd alRahman aal Ibrahim Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die AAI entstand im Jahr 2001 aus einem Zusammenschluss verschiedener "jihadistisch" orientierter kurdischer Splittergrup pen im Nordirak. Nach mehreren Umbenennungen, zuletzt im 242 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Sommer 2006 in "Ansar alSunnaGruppe", tritt sie seit Ende November 2007 wieder als AAI auf. Anfang Mai 2010 wurde ihr langjähriger Anführer, Abu Abdallah alShafi'i, von irakischen Sicherheitskräften festgenommen. Seit Herbst 2003 sieht sich die AAI als Teil des sunnitisch Ziele terroristischen "Widerstands" im Irak. Ihr ursprüngliches Ziel, die Errichtung eines islamischen Staates im kurdischen Teil des Irak, geriet in den Hintergrund. Die AAI passte sich weitgehend den Zielen des sunnitischterroristischen "Widerstands" an, dessen Bestrebungen sich primär auf den Kampf gegen die Koalitions streitkräfte und die gewaltsame Beseitigung des irakischen Staates konzentrierten. Diese Ziele wurden im März 2011 in zwei in "jihadistischen" Inter netforen veröffentlichten Erklärungen erneut bekräftigt. Die AAI nahm in den Erklärungen mit dem Titel "Haltung der AAI gegen über den in letzter Zeit im Irak stattfindenden Protestmärschen" bzw. "Eine Botschaft von der Führung der AAI an das ägyptische Volk und die Völker der islamischen Welt" Bezug auf die politi schen Veränderungen in arabischen Staaten. Eine Veränderung des irakischen Systems könne nicht durch Protestmärsche, son dern nur durch Waffen und Blutvergießen erreicht werden. Die Sunniten im Irak werden dazu aufgerufen, sich den "Mujahidin" anzuschließen, um dem irakischen Regime durch Krieg ein Ende zu setzen. In einer am 5. Januar 2012 in "jihadistischen" Internetforen veröffentlichten und auf den 15. Dezember 2011 datierten Text botschaft verkündete die Führung der AAI die Ernennung ihres Emirs Shaikh Abu Hashim Muhammad Bin Abd alRahman aal Ibrahim. In einer weiteren Textbotschaft gleichen Datums rief der neue Emir die Mitglieder der AAI dazu auf, den Kampf gegen "ihre Feinde" fortzuführen und Verhandlungen abzulehnen. Die nahezu ausschließlich kurdischstämmigen Anhänger der AAI Anhänger der AAI in Deutschland orientierten sich bislang weitgehend an den Vor in Deutschland gaben der terroristischen Kerngruppe im Irak. Sie unterstützen die Ziele der AAI vor allem durch die Beschaffung von Geldmitteln (hauptsächlich durch Spendensammlungen) und deren Transfer in den Irak. Im Jahr 2011 wurden jedoch keine Informationen 243 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS erlangt, die auf aktuelle konkrete Verbindungen zwischen der AAIKerngruppe im Irak und ihren Anhängern in Deutschland schließen lassen. Auch wurden im Jahr 2011 keine Unterstützungs handlungen zugunsten der AAI im Irak beobachtet. Anhänger der AAI in Deutschland befürworten generell "jihadis tische" Aktivitäten im Irak - auch die Aktionen anderer Gruppie rungen. Unabhängig vom Organisationsbezug besteht in Deutschland ein Personenpotenzial irakischer Kurden, das islamistischterroris tische Aktivitäten im Irak als legitim ansieht. 3.2 "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) Gründung: 1998 Leitung: vermutlich Usmon Odil Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Ziele Die IBU wurde 1998 in Kabul (Afghanistan) mit dem Ziel gegrün det, das säkulare Regime in Usbekistan zu stürzen und einen islamischen Staat zu errichten. Zudem strebt die Organisation die Schaffung eines islamischen Kalifats in Zentralasien an. Ihre Ziele versucht sie durch eine politische und militärische Destabilisie rung der gesamten Region zu erreichen, z.B. durch Entführungen und bewaffnete Angriffe auf staatliche Einrichtungen. Sie führt ihre Aktionen zum Teil gemeinsam mit den "Taleban", "alQaida" und weiteren "jihadistischen" Gruppierungen durch. Zur Vorbereitung ihrer Kämpfer auf den gewaltsamen "Jihad" unterhält die IBU paramilitärische Ausbildungslager. Zunächst agierte die Organisation von Afghanistan und Tadschikistan aus. Nach dem Zusammenbruch des "Taleban" Regimes in Afghanistan wurde sie ins afghanischpakistanische Grenzgebiet verdrängt. Die IBU ist nach wie vor im Süden und 244 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Osten Afghanistans aktiv, zuletzt konnten aber auch vermehrt Aktivitäten im Norden Afghanistans festgestellt werden. Die IBU bemühte sich auch im Jahr 2011 um verstärkte "inter nationale" Präsenz. Mit teilweise mehrsprachigen Video und Textbotschaften versuchte sie, ihre Anhängerschaft zu vergrößern, weitere Kämpfer zu rekrutieren und neue finanzielle Ressour cen zu erschließen. Hauptthemen der IBUBerichterstattung, in der getötete Kämpfer als "Märtyrer" verehrt werden, blieben Kampfeinsätze in Afghanistan und Pakistan gegen staatliche und internationale Sicherheitskräfte und die Verurteilung der Lebens weise in westlichen Staaten sowie der Missstände in muslimi schen Ländern. Die IBU hat sich zu einer der medial aktivsten ter roristischen Gruppierungen entwickelt. Neben der Medienstelle "Jundullah", die Beiträge und Videos produziert, verfügt die IBU auch über eine eigene Homepage. Einen großen Stellenwert haben seit Anfang 2009 deutschspra chige Produktionen. Verantwortlich hierfür sind vor allem die aus Bonn (NordrheinWestfalen) stammenden Brüder Monir und Yassin Chouka. In ihren Verlautbarungen wenden sie sich bewusst an ein deutschsprachiges Publikum und propagieren regelmäßig die Teilnahme am gewaltsamen "Jihad". Hauptthema ist dabei die Beteiligung der Bundeswehr an der ISAFMission in Afghanistan: Der "Kampf gegen Deutschland" wird meist mit der steigenden Anzahl von Bundeswehrsoldaten und deren bewaffneten Aus einandersetzungen mit den "Taleban" gerechtfertigt. So erklärte Yassin Chouka in einer am 2. Juni 2011 auf der Homepage der IBU eingestellten Videobotschaft: "Die Zahl der Toten in Afghanistan ist eine Zahl, die uns den Schlaf raubt und an diesem gewaltigen Verbrechen haben die Deutschen eine der Führungspositionen eingenommen. Deswegen soll sich niemand wundern, wenn der Afghane Miqdaad sagt: ,Ich will unbedingt Deutsche töten.'" Die Videos verherrlichen das Leben der Kämpfer und preisen den "Märtyrertod" als höchste Form religiöser Erfüllung (vgl. Nr. 5). 245 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Bundesanwaltschaft erhob am 10. November 2011 vor dem OLG Düsseldorf (NordrheinWestfalen) Anklage gegen zwei deutsche Staatsangehörige. Einer der Angeschuldigten ist hinrei chend verdächtig, seit September 2009 Mitglied der ausländischen terroristischen Vereinigung IBU gewesen zu sein. Der Ankla geschrift zufolge hat er in einem Lager der Organisation eine Waffenausbildung durchlaufen und anschließend an Kampfein sätzen der IBU teilgenommen. Im September 2010 kehrte er nach Deutschland zurück und sammelte für die IBU Geldspenden. Dem anderen Angeschuldigten wird vorgeworfen, die IBU in zwei Fäl len unterstützt zu haben. Laut Anklageschrift ließ er der IBU im November 2010 über einen Mittelsmann im Großraum Frankfurt am Main (Hessen) insgesamt 39.000 Euro zukommen. 3.3 "Islamische Jihad-Union" (IJU) Gründung: 2002 Leitung: Abdullah Fatih Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bei der IJU handelt es sich um eine im Jahr 2002 bekannt gewor dene Abspaltung der IBU. Nachdem sich die IJU zunächst auf die Errichtung eines islami schen Staates in Usbekistan konzentriert hatte, hat sie mittler weile ihren Wirkungskreis im Sinne des globalen "Jihad" auch auf Europa ausgeweitet. Mit den Selbstmordanschlägen gegen die israelische und die USamerikanische Botschaft in der usbeki schen Hauptstadt Taschkent am 30. Juli 2004 war die IJU erstmals gegen westliche Einrichtungen vorgegangen. Drei der vier Mitglieder der sogenannten SauerlandGruppe, die Sprengstoffanschläge in Deutschland geplant hatten und am 4. März 2010 vom OLG Düsseldorf (NordrheinWestfalen) zu lang jährigen Freiheitsstrafen verurteilt wurden, waren von Mitte 2006 bis zu ihrer Festnahme im September 2007 Mitglieder der IJU. Die 246 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS vierte Person war als Unterstützer der IJU in die Anschlagspläne involviert. Am 9. März 2011 verurteilte das Berliner Kammergericht die Ehefrau eines der Mitglieder der sogenannten SauerlandGruppe wegen Unterstützung und Werbens um Mitglieder für auslän dische terroristische Vereinigungen zu einer Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagte in der Zeit vom 7. Oktober 2009 bis zum 8. Februar 2010 durch eine Vielzahl von ins Internet eingestellten Textbeiträgen und Videos sowie durch Geldtransfers die terroristi schen Organisationen "alQaida", IJU sowie die "Deutschen Taliban Mujahideen" unterstützt hatte. Bei den "Deutschen Taliban Mujahideen" handelte es sich um eine kleine Gruppierung, die vor allem aus deutschen Konverti ten, DeutschTürken und Türken bestanden hatte. Nach eigenem Bekunden rechneten sich die "Deutschen Taliban Mujahideen" zu den "Taleban"; eine entsprechende Bestätigung der "Taleban" erfolgte jedoch nie. Die "Deutschen Taliban Mujahideen" traten erstmalig im September 2009 in einem von der Medienstelle "Elif Medya" produzierten Video öffentlich auf. Seit April 2010 konnten keine neuen Veröffentlichungen der Gruppierung festgestellt werden. Am 28. April 2010 wurden der Gründer und Anführer der "Deutschen Taliban Mujahideen" sowie ein weiteres Gründungs mitglied, ein deutscher Konvertit, bei einem Feuergefecht mit pakistanischen Sicherheitskräften getötet. Daraufhin zerstreute sich die ohnehin mitgliederschwache Splittergruppe. Am 8. April 2011 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem OLG Stuttgart (BadenWürttemberg) Anklage gegen einen deutschen Staatsangehörigen wegen Unterstützung der ausländischen ter roristischen Vereinigung IJU. Der Anklageschrift zufolge kam der Angeschuldigte Anfang des Jahres 2007 über das Internet in Kon takt mit der IJU. Dabei lernte er den Medienverantwortlichen der Organisation kennen, mit dem er sich in InternetChats, aber auch während eines Aufenthalts in Istanbul (Türkei) Ende 2007 über Beiträge und "Jihad"Videos auf der Homepage der IJU aus tauschte. Spätestens seit dem Frühjahr 2007 teilte er die Ideologie und Ziele der IJU. Von Februar bis August 2008 unterstützte der Angeschuldigte den gewaltsamen "Jihad" der IJU durch drei Bar geldüberweisungen. 247 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3.4 "Hezb-e Islami-ye Afghanistan" (HIA - "Islamische Partei Afghanistans") Gründung: Mitte der 1970er Jahre im pakistanischen Exil Gründung und Leitung: Gulbuddin Hekmatyar Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 200 Herkunft Die HIA hat ihren Ursprung in einer Ende der 1960er Jahre an afghanischen Universitäten aktiven, islamischen Studenten organisation. Einer der Anführer war Hekmatyar, der die Orga nisation Mitte der 1970er Jahre im pakistanischen Exil gründete. Ziele Die sunnitische HIA kämpft auch mit Waffengewalt dafür, in Afghanistan eine Ordnung zu etablieren, in der alle Bereiche des Lebens ausschließlich nach ihrer eigenen, dogmatischen Ausle gung der Scharia geregelt sind. In den 1980er Jahren spielte die HIA eine zentrale Rolle im Kampf gegen die sowjetischen Truppen in Afghanistan. Mit dem Ziel, sich selbst als führende Kraft in Afghanistan zu eta blieren, kämpfte sie später gegen andere in Afghanistan ansässige islamistische Gruppierungen. Aktuelle Ziele sind die Absetzung der afghanischen Regierung unter Ministerpräsident Karzai sowie die Vertreibung der Koali tionstruppen aus Afghanistan, auch mit Waffengewalt. Regelmä ßig bekennt sich die HIA in Internetauftritten zu - auch gegen deutsche Soldaten gerichteten - Anschlägen in Afghanistan. Organisation Die Organisation verfolgt einen zweigleisigen Ansatz: Der gewalt und Aktivitäten orientierte extremistische Zweig unter Hekmatyar agiert aus dem afghanischpakistanischen Grenzgebiet mit Waffengewalt gegen nationale und internationale Sicherheitskräfte in Afghanistan. Der politische Zweig untersteht dem Schwiegersohn von Hekmatyar, Qutbuddin Hilal. Dieser grenzt sich zumindest nach außen von dem militanten Bereich ab und versucht, durch 248 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Zusammenarbeit mit der afghanischen Regierung an Einfluss zu gewinnen. Mit Abdul Hadi Arghandiwal ist ein Vertreter des poli tischen Bereiches der HIA als Wirtschaftsminister im afghanischen Parlament vertreten. Nach vorliegenden Erkenntnissen übt Hekmatyar auf den politi schen Zweig entscheidenden Einfluss aus. In Deutschland existieren keine festen Strukturen der HIA. Die Aktivitäten in Anhänger treffen sich in Moscheen, ohne dass diese oder deren Deutschland Führung zwingend der HIA nahestehen. Einzelne Anhänger ver suchen, auf politische Entscheidungsträger Einfluss zu nehmen und für die Aktivitäten der HIA in Afghanistan zu werben. Die Schwerpunkte der Aktivitäten sind, entsprechend der Verteilung der afghanischstämmigen Bevölkerung in Deutschland, Hamburg und München (Bayern). In verschiedenen Internetforen treten in Deutschland lebende Personen als HIAAnhänger auf und rufen zum Teil auch mit islamistischer Rhetorik zur Unterstützung der HIA in Afghanistan auf. Beispielsweise werden die Afghanen als Not leidende "Mujahidin" bezeichnet, denen Allah zu Hilfe kommen werde, um die NATOTruppen zu besiegen. Die hier lebenden HIAAnhänger betrachten Deutschland primär Bewertung als Rückzugsraum. Sie fühlen sich ihrem Heimatland und der dort aktiven HIA verbunden und versuchen, durch Unterstützungsleis tungen deren Ziele voranzutreiben. Dies äußert sich auch durch Kontakte zu Führungspersonen der HIA im Ausland. 249 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3.5 "Al-Shabab" Gründung: 2006 in Somalia Leitung: Sheik Mokhtar Abel Rahman alias Abu Zubair Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die "alShabab" hat sich im Jahr 2006 von der "Union islamischer Gerichtshöfe" (UIG) abgespalten und sich im Wesentlichen aus jungen, radikalen Kämpfern der UIG formiert. Sie sucht die ideo logische Nähe zu "alQaida" und proklamierte in der Vergangen heit mehrfach ihre Zugehörigkeit zu dieser Organisation. Die "alShabab" ist die derzeit größte und einflussreichste isla mistischterroristische Organisation in Somalia. Sie kontrolliert weite Gebiete in Süd und Zentralsomalia. Im August 2011 wur den die Milizen der "alShabab" von internationalen Truppen der "Mission der Afrikanischen Union in Somalia" (AMISOM) aus der somalischen Hauptstadt Mogadischu vertrieben. In ihrem Ein flussbereich übt die "alShabab" ein rigoroses Gewaltregime aus, das sich gegen alle vorgeblich unislamischen Verhaltensweisen (sogenannte haddDelikte) richtet und diese unter Anwendung der im Koran festgelegten Körperstrafen ahndet. Ziel Ziel der "alShabab" ist der Sturz der von ihr als "unislamisch und westlich" angesehenen provisorischen somalischen Übergangs regierung, um ein "großsomalisches Kalifat" unter Einschluss der äthiopischen Region Ogaden zu errichten und sämtliche west lichen Einflüsse aus dem Land zurückzudrängen. Zu diesem Zweck führt die Organisation Entführungen - auch westlicher Ausländer - durch, begeht Bombenanschläge und ist in zunehmendem Maße auch für Selbstmordattentate verant wortlich. Ab September 2011 kam es in Kenia zu zielgerichteten Entführungen westlicher Ausländer, die nach Somalia verschleppt wurden. 250 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ihrem Anspruch, zu "alQaida" zu gehören, entsprechend ist die "alShabab" bestrebt, ihren Aktionsradius zu erweitern. Bislang hatten sich die Aktivitäten der "alShabab" vor allem auf das somalische Staatsgebiet beschränkt. Aufgrund der hohen Anzahl von somalischen Flüchtlingen in Kenia ist damit zu rechnen, dass die "alShabab" versucht, auf diesen Personenkreis Einfluss zu nehmen. Ihre internationale Handlungsfähigkeit verdeutlichte die "alShabab" mit Selbstmordattentaten am 11. Juli 2010 in Kampala (Uganda). Bei nahezu zeitgleichen Explosionen in einem Sport club und einem Restaurant kamen während der Übertragung des Finales der Fußballweltmeisterschaft 74 Personen ums Leben. Am 12. Juli 2010 übernahm der Sprecher der "alShabab", Ali Dheere, die Verantwortung für die Anschläge. Der Somalier, der am 1. Januar 2010 den Karikaturisten Kurt Westergaard in seinem Haus in Dänemark angegriffen hatte, soll über enge Verbindungen zu "alShabab" verfügen. Organisationsstrukturen der "alShabab" in Deutschland sind Bewertung nicht bekannt. Die Sicherheitsbehörden gehen von einzelnen Unterstützern bzw. Sympathisanten aus. 4. Salafistische Bestrebungen Der Salafismus gilt sowohl in Deutschland wie auch auf inter nationaler Ebene als die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. In Deutschland werden diesem Spektrum aktuell ca. 3.800 Personen zugerechnet.133 Diese Zahl umfasst sowohl das politische als auch das "jihadistische" Spektrum. Eine exakte Bezifferung ist nicht möglich, da zahlreiche salafistische Personenzusammenschlüsse keine festen Strukturen aufweisen. Gleichzeitig finden sich Salafisten in Organisationen und Einrich tungen anderer islamistischer Beobachtungsobjekte. Unter dem Oberbegriff Salafismus versteht man eine beson ders radikale und rückwärtsgewandte Strömung innerhalb des Islamismus, die sich an den vermeintlichen Ideen und der 133 Die Zahlenangabe beruht teilweise auf Schätzungen und ist gerundet. 251 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Lebensweise der ersten Muslime und der islamischen Früh zeit orientiert. So geben Salafisten vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Korans und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime - der sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arab. alsalaf alsalih) - auszurichten. Ziel Ziel von Salafisten ist die vollständige Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und individuellem Lebensvollzug nach diesen - als "gottgewollt" postulierten - Normen. Für Salafisten ist Gott der einzig legitime Souverän und Gesetzge ber. Die Scharia, die von Gott in seiner Offenbarung gesetzte Ord nung, sehen sie als Gesetz Gottes und damit als unverletzlich und unaufhebbar an. Die Scharia ist nach Auffassung des salafistischen Spektrums jeglicher weltlichen Gesetzgebung übergeordnet; die Geltung staatlicher Gesetze wird konsequent abgelehnt. So findet sich in einer salafistischen Publikation des Predigers Pierre Vogel folgende Formulierung: "Die Souveränität in einem islamischen Staat gehört Gott. Der Regierende ist nur ein Ausführender, der von den Menschen gewählt wurde und der entsprechend den Gesetzen Gottes regiert." (undatierte Broschüre "Was ist Islam?") Dabei besitze die Scharia als Gesetz Gottes prinzipiell für die gesamte Menschheit Gültigkeit. In letzter Konsequenz versu chen Salafisten, einen islamischen "Gottesstaat" zu errichten, in dem die in Deutschland garantierte freiheitliche demokratische Grundordnung keine Geltung haben soll. Salafistische Salafistische Ideologie wird zunehmend professionell und adres Propaganda satenorientiert verbreitet. Ihre Vertreter wissen sich öffentlich keitswirksam in Szene zu setzen und üben eine beträchtliche Anziehungskraft auf Konvertiten und Muslime der zweiten und dritten Einwanderergeneration aus. Der Salafismus entfaltet seine Breitenwirkung vor allem durch das Internet. Die salafistische Ideologie wird durch eine Vielzahl 252 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS von deutschsprachigen Homepages sowie zahlreiche Videos, z.B. auf YouTube, vermittelt. Salafistische Propaganda wird auch über Vorträge salafistischer Prediger (sogenannte Islamseminare) ver breitet, über bundesweit organisierte IslamInfostände, die Vertei lung von Broschüren und Flugblättern sowie Publikationen und Übersetzungen salafistischer Grundlagenwerke. Salafistische Netzwerke organisieren zudem Pilger und Sprach reisen. Salafistische Bestrebungen unterteilen sich in eine politische und Politischer und eine "jihadistische" Strömung. "Jihadistische" wie auch politische "jihadistischer" Salafisten rezipieren die Ideen derselben Autoritäten und Vor Salafismus denker. Sowohl die ideologischen Grundlagen wie auch die ange strebten politischen und gesellschaftlichen Ziele sind bei beiden Gruppen gleich. Sie unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Mittel. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit - die sogenannte Da'wa (Ruf zum Islam/ Missionierung) -, um politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Anhänger des "jihadistischen" Salafismus hingegen wollen ihre Ziele durch Gewaltanwendung realisieren. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind - wie Auswer tungen von Radikalisierungsverläufen gezeigt haben - fließend. Die Mehrzahl der salafistischen Einrichtungen in Deutschland ist dem Phänomenbereich des politischen Salafismus zuzu ordnen, u.a. der inzwischen aufgelöste Verein "Einladung zum Paradies e.V." (EZP). Eine einflussreiche Propagandaplattform salafistischer Ideologie "Einladung zum war bis zu seiner Auflösung der Verein EZP. Paradies e.V." (EZP) Der Verein hat seit seiner Gründung im Jahr 2006 durch eine zunehmende Kooperation mit salafistischen Predigern, durch die Veranstaltung von Islamseminaren, den Druck und Verkauf salafistischer Literatur und eine bedeutende Internetpräsenz ein breites Netzwerk rund um den Verein installiert, das vor allem auf junge Muslime Anziehungskraft ausübte und radikalisie rungsfördernd wirkte. Es bestand der konkrete Verdacht, dass sich 253 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS die Aktivitäten von EZP gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten, die zugunsten der Errichtung eines islamischen Gottes staates in Deutschland beseitigt werden sollte. Im Rahmen eines vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens des Bundesministeriums des Innern fanden im Dezember 2010 umfangreiche Durchsuchungen in Räumlichkeiten des Ver eins in Braunschweig (Niedersachsen) und Mönchengladbach (NordrheinWestfalen) statt. Der Vereinsvorsitzende Muhamed Seytudin Ciftci trat am 31. März 2011 zurück. Am 4. August 2011 wurde der Verein im Vereinsregister als aufgelöst eingetragen. Die Durchsuchungsmaßnahmen haben den Verein nachhaltig verun sichert und seine Selbstauflösung befördert. "Die Wahre Religion" Die Internetplattform DWR existiert nach eigenen Angaben seit (DWR) 2005, um "die Da'waTätigkeiten in Deutschland in moderner Form und unter Zuhilfenahme neuer Medien auszuweiten".134 Ihr Ziel ist "die Verbreitung der reinen Botschaft" des Islam. Dazu sei es notwendig, "die Verhaltensregeln aus dem Koran und der Sunnah zu kennen und zu praktizieren. Diesem Ziel dient die Ver teilung und Verbreitung der im Downloadbereich zur Verfügung gestellten Vorträge".135 Neben der Verbreitung des salafistischen Gedankengutes über das Internet führt DWR auch Islamschulun gen/seminare durch. Bewertung In Teilbereichen des politischen Salafismus erfolgt eine aus drückliche Positionierung gegen Terrorismus. Dort werden offene Aufrufe zur Gewalt vermieden. Dennoch ist festzustellen, dass fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen "Jihad" befürworten, zuvor mit salafistischen Struk turen in Kontakt standen. Aus verschiedenen salafistisch inspirierten Szenen, z.B. dem 2005 verbotenen "Multikulturhaus" (MKH) sowie dem im September 2007 aufgelösten "Islamischen Informationszentrum" (IIZ) im Großraum Ulm (BadenWürttemberg)/NeuUlm (Bayern), sind in Deutschland Personenkreise hervorgegangen, die sich dem globalen "Jihad" angeschlossen haben, wie z.B. die Mitglieder 134 Internetplattform DWR. 135 Internetplattform DWR. 254 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der sogenannten SauerlandGruppe. Die Protagonisten der seit März 2009 vermehrt stattfindenden Reisebewegungen in Rich tung Afghanistan und Pakistan entstammen ebenfalls Milieus mit salafistischer Prägung. Das von Salafisten verbreitete Gedankengut bildet den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung und eine anschließende Rekrutierung für den "Jihad". Salafistische Bestrebungen gewinnen ihre Attraktivität insbeson dere bei jungen Menschen durch ein adressatengerecht aufbe reitetes ideologisches Sinn und Regelsystem, die Integration in eine Gruppe von "Rechtgläubigen" sowie einen auch öffentlich zelebrierten Lebensvollzug in Abgrenzung von der Gesellschaft. Salafistische Gruppierungen in Deutschland zeichnen sich zum Teil durch schwer erkennbare und dynamische Netzwerkbil dungen und Hierarchien aus. Salafistische Personenzusammen schlüsse sind zum Teil nicht formell organisiert (keine juristischen Personen), sondern durch SchülerLehrerBeziehungen gekenn zeichnet. Ein sich seit 2010 verstetigender Trend geht dahin, dass sich sala fistische Netzwerke und ihre maßgeblichen Akteure zunehmend auch in Netzwerken, wie z.B. Facebook, präsentieren. Bei dem ers ten vollendeten islamistisch motivierten terroristischen Anschlag in Deutschland tötete am 2. März 2011 ein 21jähriger kosova rischserbischer Staatsangehöriger am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) zwei USamerikanische Soldaten (vgl. Nr. 1). Bezüge des Täters ins salafistische Spektrum bestanden insbesondere über Facebook. Die Dynamik salafistischer Bestrebungen in Deutschland hält auf erheblichem Niveau an. 5. Nutzung des Internets Das Internet ist das wichtigste Kommunikations und Propa gandamedium für Islamisten und islamistische Terroristen. Die Möglichkeiten dieses Mediums werden auch von "Jihadisten" und ihren Sympathisanten genutzt, indem sie über Diskussionsforen, 255 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Chatrooms und Netzwerke Kontakt zu Gleichgesinnten aufneh men und sich über offen zugängliche oder passwortgeschützte Kommunikationsplattformen miteinander austauschen. Sowohl die im Internet verbreitete Propaganda als auch die sich dort konstituierenden "virtuellen" Netzwerke tragen dazu bei, dass sich Aktivisten und Sympathisanten des globalen "Jihad" als Teil einer einzigen Bewegung begreifen, selbst wenn sich ihre Ziele und Handlungsmotive zuweilen stark unterscheiden. "Jihadistische" Propaganda wird im Internet in vielfältigen For maten veröffentlicht und verbreitet. So werden regelmäßig Videos, Audiodateien, OnlineZeitschriften und Bücher, Beken nungen zu Anschlägen, Interviews mit Anführern oder Mitglie dern "jihadistischer" Gruppierungen sowie Ehrungen von soge nannten Märtyrern veröffentlicht. Verbreitung Bei der Verbreitung fremdsprachiger, vorwiegend arabischspra "jihadistischer" chiger "jihadistischer" Propaganda spielt das seit 2006 existierende Propaganda Medienzentrum "alFajr" eine herausragende Rolle. Es fungiert im Internet als zentrale Veröffentlichungsstelle für die wichtigsten "jihadisti schen" Gruppierungen, wie z.B. Kern"alQaida" (vgl. Nr. 2.1), AQM (vgl. Nr. 2.3), AQAH (vgl. Nr. 2.4) und AAI (vgl. Nr. 3.1). "AlFajr" verfügt über keine eigene Homepage. Vielmehr bedient sich das Medienzentrum mehrerer von ihm autorisierter "jihadistischer" Homepages, insbesondere "jihadistischer" Diskus sionsforen. "Korrespondenten" sind exklusiv beauftragt, das von "alFajr" zur Verfügung gestellte Material in diese Foren einzustel len. Hierdurch soll die Authentizität des veröffentlichten Mate rials gewährleistet werden. Die Organisationen übermitteln das Material konspirativ an "alFajr", höchstwahrscheinlich ebenfalls über das Internet. Sowohl die hinter "alFajr" stehenden Personen als auch die beteiligten "Korrespondenten" bleiben anonym. Da dieses Verbreitungssystem verlässlich funktioniert, verzichtet ein Großteil "jihadistischer" Gruppierungen darauf, eigene Home pages zu betreiben. Sympathisanten des globalen "Jihad" im Internet beschränken sich nicht darauf, Propagandamaterial zu konsumieren, sie wer den auch selbst aktiv. Über interaktive Bereiche wie Diskussions foren, Chatrooms und Gästebücher können Mitglieder eigene 256 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Beiträge bereitstellen, Informationen verbreiten und Kommen tare abgeben. Darüber hinaus stellen sich einige Sympathisanten als Übersetzer zur Verfügung. "Jihadisten" nutzen zunehmend Netzwerke bzw. offen zugäng Netzwerke/ liche Bereiche des Internets für ihre Zwecke. offen zugängliche Bereiche des Auf Videoplattformen oder in OnlineKontaktnetzwerken wer Internets den Veröffentlichungen "jihadistischer" Gruppierungen und ihrer Anführer sowie eine große Menge von Propaganda eingestellt, die durch Sympathisanten produziert ist. Videos werden auf wendig erstellt, gegebenenfalls mit einem Vorschaufilm oder mit Untertiteln versehen und z.T. in guter Bildqualität zum Herunter laden angeboten. Soziale Netzwerke werden einerseits zum Aus tausch von Propaganda, andererseits zum Knüpfen und Pflegen von Kontakten oder zur Bildung von Interessengemeinschaften genutzt. Vereinzelt sind "jihadistische" Gruppen mit einer eigenen Internetpräsenz vertreten. Sie haben oftmals eine große Anhän gerschaft, wobei nicht immer ersichtlich ist, ob die Präsenz von den Gruppen selbst oder von Sympathisanten betrieben wird. Die gezielte Nutzung sozialer Netzwerke und offen zugänglicher Bereiche des Internets durch "jihadistische" Gruppierungen birgt die Gefahr, dass auch Personen, die nicht dem extremistischen Spektrum zuzurechnen sind, mit "jihadistischer" Ideologie in Kontakt kommen und dadurch beeinflusst werden. Trotz des hohen Verfolgungsdrucks, dem Kern"alQaida" aus Zentrale Themen gesetzt ist, gelang es der Organisation auch im Jahr 2011, ihre im Jahr 2011 Propagandaaktivitäten mit einer Reihe von teils aufwendigen Veröffentlichungen fortzusetzen. Nach anfänglicher Skepsis und widersprüchlichen Stellungnah men zu dem Tod des "alQaida"Führers Bin Ladin am 2. Mai 2011 meldeten sich nach der offiziellen Bestätigung durch Kern "alQaida" die meisten "alQaida"Regionalgruppen mit der Ankündigung, dessen Tod zu rächen und den "Jihad" fortzuführen (vgl. Nrn. 2.1 und 2.2). Das dominierende Thema in den Veröffentlichungen von "alQaida" sowie "alQaida"Regionalgruppen waren im Jahr 2011 die Protestbewegungen in der arabischen Welt. Während AQM 257 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS sich erstmals am 14. Januar 2011 zu den Protestbewegungen äußerte, meldete sich Kern-"al-Qaida" erst am 18. Februar 2011 mit einer Botschaft von al-Zawahiri zu Wort. In den Stellungnahmen wurde mehrheitlich versucht, die Protestbewegungen für den globalen "Jihad" zu vereinnahmen, wobei immer wieder darauf hingewiesen wurde, dass der Kampf erst mit der Etablierung eines islamistischen Staatssystems enden könne. Im Jahr 2011 konnte ein deutlicher Rückgang "jihadistischer" Propaganda türkischsprachiger Organisationen verzeichnet werden. Regelmäßig propagandistisch aktiv war die IBU. Diese originär usbekische Organisation hielt auch im Jahr 2011 an ihrer Strategie fest, in verschiedenen Sprachen, insbesondere Usbekisch, Deutsch und Russisch zu veröffentlichen (vgl. Nr. 3.2). "Individueller Jihad" An Bedeutung gewonnen hat der "individuelle Jihad", der vor allem in dem englischsprachigen, seit Mitte 2010 von der AQAH herausgegebenen Online-Magazin "INSPIRE" propagiert wird. "INSPIRE" blieb seiner zu Beginn formulierten Zielsetzung treu, mithilfe von Interviews und Beiträgen bekannter "jihadistischer" Akteure sowie konkret beschriebener Anleitungen Muslime in westlichen Ländern zur Durchführung von Anschlägen in ihren Heimatländern zu "inspirieren". Seit dem Tod von zwei führenden Protagonisten des AQAH-Magazins "INSPIRE" am 30. September 2011 sind keine Ausgaben mehr veröffentlicht worden (vgl. Nr. 2.4). Die Wirkungsweise des Konzepts vom "individuellen Jihad" im Hinblick auf (Selbst-)Radikalisierungsprozesse einzelner Personen wurde durch den Anschlag eines kosovarisch-serbischen Staatsangehörigen auf US-Soldaten am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) am 2. März 2011 deutlich (vgl. Nr. 1). Der keiner einschlägigen Organisation zugehörige Täter gab an, sich aufgrund eines im Internet veröffentlichten "jihadistischen" Propagandavideos zu dieser Tat entschlossen zu haben. Auch wenn die Rezeption derartiger Propaganda aus dem Internet nicht als alleiniger und ausschlaggebender Indikator für die Entstehung extremistischer Ansichten und die Bereitschaft zum Begehen von Gewalttaten anzusehen ist, hat sie einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Radikalisierung einzelner Personen. 258 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Der Frankfurter Anschlag wurde in der Ende März 2011 veröf fentlichten Ausgabe von "INSPIRE" vorgestellt. Neben einem Bild des Täters wurde ein Kommentar veröffentlicht, in dem dieser als mutiger "Mujahid" gepriesen wird. In das Konzept des "individuellen Jihad" fügt sich der "elektroni "Elektronischer sche Jihad"/"CyberJihad" nahtlos ein. Im Juni 2011 rief "alQaida" Jihad"/"Cyber-Jihad" in einer Videobotschaft dazu auf, die Wirtschaft in den "Besatzer staaten" mit den Möglichkeiten des Internets zu schwächen. Die "Mujahidin", die Erfahrung im Umgang mit dem Internet haben, sollten versuchen, an die Geheimdaten der großen Unternehmen und die Verwaltungsunterlagen der Regierungen zu gelangen. Sie sollten zusätzlich die Medien angreifen, die aus Sicht von "alQaida" gegen den Islam und den "Jihad" sind. Innerhalb der islamistischen Onlinecommunity ist eine verstärkte (theoretische) Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten von Angriffen über das Internet zu beobachten. Auch im Jahr 2011 wies ein nicht geringer Teil der im Internet Deutschlandbezüge verbreiteten "jihadistischen" Propaganda Deutschlandbezüge auf. in der "jihadistischen" Propaganda Neben der Thematisierung des Anschlags am Flughafen Frankfurt am Main (Hessen) am 2. März 2011 im AQAHMagazin "INSPIRE" wurde der Anschlag auch in einer Videoveröffentlichung Kern "alQaidas" Anfang Juni 2011 aufgegriffen. Während die ver meintliche Pflicht des Einzelnen zum "Jihad" erörtert wird, wird u.a. ein kurzer Ausschnitt vom Tatort am Frankfurter Flughafen eingeblendet. Darüber hinaus gratuliert der "alQaida"Führer alZawahiri seiner Zuhörerschaft in einer Videobotschaft anläss lich des 10. Jahrestages der Anschläge vom 11. September 2001 dazu, dass Großbritannien, Frankreich und Deutschland den Abzug ihrer Truppen aus Afghanistan bekannt gegeben haben. Auch die IBU bezog sich in ihren Publikationen regelmäßig auf Deutschland. Die Mitwirkung der aus Deutschland stammenden Brüder Yassin und Monir Chouka als Sprecher in Videos oder als mutmaßliche Verfasser von Textbotschaften der IBU belegt die nach wie vor bestehenden personellen Deutschlandbezüge der Organisation. Monir Chouka ruft in einer im April 2011 veröf fentlichten Textbotschaft mit dem Titel "Der Fall Schokocafe" u.a. zur Tötung Deutscher auf. Anlass war die Verurteilung der 259 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ehefrau eines der Mitglieder der sogenannten SauerlandGruppe (vgl. Nrn. 3.2 und 6). In mehreren Veröffentlichungen bekannten sich die "Taleban" auch im Jahr 2011 zu Angriffen auf die Bundeswehr. Neben der Diffamierung der Bundeswehr durch die Verwendung von NaziAttributen propagierten sie Selbstmordattentate als eine effektive Waffe gegen den "Feind" (vgl. Nrn. 1 und 6). Deutschsprachige Die Zahl der von deutschsprachigen "Jihadisten" betriebenen Propaganda einschlägigen Homepages, Internetforen und blogs ist weiter hin überschaubar. Einerseits wird bereits in fremdsprachigen "jihadistischen" Internetforen veröffentlichtes Propagandama terial eingestellt. Andererseits werden auf Deutschland bezogene Themen diskutiert und zunehmend eigene Produktionen, z.B. Audio und Videobotschaften, veröffentlicht. "Islamic Hacker Besondere Aufmerksamkeit in der öffentlichen Wahrnehmung Union" erzeugten die Internetpräsenzen der "Islamic Hacker Union". Mit besonders aggressiver Rhetorik wurde der gewaltsame "Jihad" verherrlicht, gewaltdarstellendes Bild und Videomaterial veröf fentlicht und so für islamistische Terrorgruppen geworben. Entgegen dem öffentlich erzeugten Eindruck war einzig ver antwortliche Person der "Islamic Hacker Union" ein 20jähriger norddeutscher Konvertit. Gegen ihn wurde durch den General bundesanwalt ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Im Juni 2011 erfolgte die Festnahme und Inhaftierung des Beschuldigten. Im Dezember 2011 wurde Anklage erhoben.136 Unterstützung für Seit Mitte 2011 sind verstärkte Aktivitäten im Internet zur Soli Gefangene daritätswerbung für in Deutschland inhaftierte Personen aus dem "jihadistischen" Milieu zu beobachten. Hauptziel ist, den Inhaftierten in der Sympathisantenszene Aufmerksamkeit zu ver schaffen. Vor allem werden angebliche Fälle von Misshandlung und Erniedrigung in der Haft propagandistisch instrumentalisiert. Eine Homepage dient diesen Propagandaaktivitäten und wird seit Juni 2011 aktiv gepflegt. Die Homepage eröffnet auch die Möglich keit, mit den Inhaftierten in Kontakt zu treten. Die Protagonisten 136 Im Februar 2012 wurde vor dem OLG Schleswig (SchleswigHolstein) der Straf prozess eröffnet. 260 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS wollen sich nach eigenen Angaben insbesondere der Unterstüt zung von inhaftierten muslimischen Frauen widmen. Unabhängig von der schwankenden Intensität der Propaganda Bewertung aktivitäten bekannter internationaler "jihadistischer" Organisa tionen und der darin hergestellten Deutschlandbezüge lässt sich feststellen, dass die deutsche Szene sehr dynamisch ist. Neue The menfelder, wie beispielsweise die Unterstützung für Gefangene, werden innerhalb kurzer Zeit erschlossen und von den Sympathi santen aufgegriffen. 6. Übersicht ausgewählter Veröffentlichungen im Internet mit Deutschlandbezug im Jahr 2011 Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 16. Januar AQAH 4. Ausgabe ohne In einem als Interview gestalteten Beitrag Online werden Angriffe auf jemenitische Soldaten Magazin legitimiert, da diese die USA unterstützten "INSPIRE"/ und damit Verrat an den Muslimen begin Englisch gen. In der Aufzählung einiger westlicher Länder, vor deren Botschaften jemeni tische Soldaten ihren Dienst verrichten, wird auch Deutschland genannt. 31. Januar "Taleban" 56. Ausgabe ohne In einem Interview richtet sich der Befragte Online (angeblich "Jihad"Anführer in Afghanistan) Magazin auch an die deutsche Regierung. Er spricht "alSomood"/ über die guten Beziehungen zwischen Arabisch Deutschland und Afghanistan. Deutschland solle daran arbeiten, die guten Beziehun gen nicht zu verlieren. "Ich denke, mit der Unterstützung Amerikas bei dem unrecht mäßigen Einmarsch hat Deutschland einen großen Fehler begangen und sollte seine Truppen so schnell wie möglich abziehen, ansonsten hat es die volle Wucht der Ver geltungsschläge zu tragen." 261 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 1. Februar AQAH unbekannte "Der gewalt Im Zusammenhang mit dem Vorwurf der männliche same Tod der AQAH, im Jemen würden Unschuldige Person/ Verräter 2" gefangen gehalten, werden im Video Arabisch Filmsequenzen einer Person namens Rami Hans Harman gezeigt. Das Bildma terial wurde mutmaßlich von arabischen TVSendern übernommen. Harman ist nach eigenen Angaben der Sohn eines Deutschen und einer Jemenitin. Er wird von den jemenitischen Behörden mit dem missglückten Anschlag auf den britischen Botschafter im Jemen am 26. April 2010 in Verbindung gebracht. 17. März IBU unbekannte "In Afghanis Das Video enthält zahlreiche Gefechts männliche tan 5" szenen aus der afghanischen Provinz Person/ Kunduz. Durch die Übernahme meh Usbekisch, rerer Filmsequenzen des AsienPro Dari, Paschtu, gramms der Deutschen Welle ergeben Filmse sich DeutschlandBezüge, es wird z.B. die quenzen in Ansprache eines Offiziers in einem Stütz Deutsch und punkt der Bundeswehr in Afghanistan Englisch anlässlich des Todes von drei deutschen Soldaten in Kunduz am 19. Mai 2007 gezeigt. Zudem sind Bundeswehrsoldaten bei der Bedienung eines Panzers zu sehen. Dieses Bildmaterial wird mit den Auf nahmen der Anschlagsoperationen mili tanter Kämpfer zusammengeschnitten, sodass der Eindruck vermittelt wird, Ziel der Anschläge seien Stützpunkte der Bundeswehr. Auf Grundlage dieses Film materials kann nicht abschließend bewer tet werden, ob es sich bei den beschos senen Zielen tatsächlich um Stützpunkte der Bundeswehr handelt. 262 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 30. März AQAH 5. Ausgabe ohne Unter der Rubrik "News Flash" wird das Online Attentat des 21jährigen kosovarisch Magazin serbischen Staatsangehörigen auf US "INSPIRE"/ amerikanische Soldaten am Frankfurter Englisch Flughafen am 2. März 2011 erwähnt. Der Attentäter wird als mutiger "Mujahid" gepriesen. 15. April IBU Textbotschaft "Der Fall Der aus Deutschland stammende Chouka von Monir Schokocafe" richtet seine Erklärung anlässlich der Ver Chouka/ urteilung der Ehefrau eines der Mitglie Deutsch der der sogenannten SauerlandGruppe an die "geehrten Geschwister in Deutschland". Er preist die Verurteilte als "Mujahida" und tugendhafte Muslima und diffamiert Deutschland als unrechte Regierung mit von Menschen gemachten fehlbaren Gesetzen. Vor diesem Hinter grund fordert er die Rezipienten auf, in ein "JihadGebiet" auszuwandern. Vor der Ausreise solle man sich "Jihad"relevantes Wissen und körperliche Fitness aneignen, "Beuteüberfälle" begehen, die deutsche Wirtschaft durch Sachbeschädigungen schwächen und sogar Deutsche "nach dem Pyramidensystem" töten (d.h. vom Staatsoberhaupt über die Politiker, Bun desbeamten und Bundeswehrsoldaten abstufend herunter bis zum normalen Bürger, wobei dies nicht für Bundesbürger gelte, die sich öffentlich von den Ver brechen der deutschen Regierung distan zierten). 263 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 2. Juni IBU Yassin "Der afghani Im Video wird der sogenannte Märtyrer Chouka/ sche Blitz" tod einer afghanischstämmigen Person, Deutsch die vorher in Deutschland (Essen) auf hältig gewesen sein soll, thematisiert. Chouka fordert die "liebe[n] Geschwister in Deutschland und Essen" auf, sich zu freuen und stolz auf den Bruder aus Deutschland zu sein. Die Person grüßt in eingeblendeten Bildsequenzen alle "Geschwister weltweit" und "spezi ell die in Deutschland". Sie habe kurz nach ihrer Ankunft in Afghanistan den Auftrag bekommen, in Kunduz gegen die Deutschen und die NATO zu kämp fen. Chouka berichtet, dass die Person gesagt hätte: "Schickt mich bitte schnell nach Kunduz, denn ich will unbedingt Deutsche töten!". In Deutschland habe dieser die "Verbrechen der Deutschen tatenlos ertragen und ansehen" müssen. Laut Chouka sind Deutsche auch Ziele von tödlichen Angriffen, weil "die Zahl der Toten in Afghanistan eine Zahl ist, die uns den Schlaf raubt und an diesem gewalti gen Verbrechen haben die Deutschen eine der Führungspositionen eingenommen". 3. Juni "alQaida" AlZawahiri "Du hast nur Hauptthema der Videobotschaft ist der u.a./Arabisch, die Last für "individuelle Jihad" durch Einzeltäter im Englisch deine eigenen Westen. Es wird zur Begehung entspre Handlungen chender Anschläge sowie zu Hacking zu tragen" angriffen aufgerufen. Ein kurzer Ausschnitt vom Tatort des Anschlags am Frankfurter Flughafen wird eingeblendet, wo ein kosovarischserbischer Staatsangehöriger am 2. März 2011 zwei USamerikanische Soldaten tötete und zwei weitere verletzte. 264 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 14. Juni "Taleban" 61. Ausgabe "Die Unter Im Beitrag werden die Proteste vor Online drückung der einem Bundeswehrposten in Taloqan in Magazin Proteste in der afghanischen Provinz Takhar am "alSomood"/ Taloqan durch 18. Mai 2011 thematisiert, bei denen Arabisch die Schüsse mehrere Afghanen getötet wurden. der Besatzer Die "Taleban" erheben schwere Vorwürfe enthüllt das gegen die Bundeswehr und bezichtigen wahre Gesicht sie der willkürlichen Tötung unschuldiger der Demo Zivilisten. kratie" 14. Juli "Taleban" 62. Ausgabe "Die USA In dem Beitrag heißt es, die USA ver Online ertrinken suchten mit "verachtenswerten Geschäf Magazin in der ten" u.a. Deutschland dazu zu bringen, "alSomood"/ JihadSintflut den Einsatz seiner Truppen in Afghanistan Arabisch des afghani weiter zu verlängern. Deutsche Truppen schen Volkes" seien am "Blutbad" unter Demonstranten in der Provinz Takhar im Mai 2011 betei ligt gewesen (vgl. Veröffentlichung vom 14. Juni 2011). Weitere Blutbäder durch die Truppen seien angeblich geplant. 265 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 14. Juli "Taleban" 62. Ausgabe "Die deutsche Der Beitrag thematisiert den Besuch Online Armee des deutschen Verteidigungsminis Magazin tötet die ters in Afghanistan, der aufgrund der "alSomood"/ Demonstran "abscheulichen Nazitaten" deutscher Arabisch ten und die Truppen stattgefunden habe. Die "Armee Reaktion mit NaziDeutschlands" sei nachts in Häu Märtyrerope ser eingedrungen und habe die Bewohner rationen ist getötet. Außerdem habe sie auf Demons die Lösung" tranten geschossen und dabei auch Kin der getötet. Die deutschen Truppen seien dabei von der afghanischen Armee unter stützt worden, die von den Deutschen darin ausgebildet worden sei, Zivilisten zu töten und das Volk zu unterdrücken. (Der Beitrag nimmt Bezug auf die Ereignisse in Taloqan in der Provinz Takhar; vgl. Veröf fentlichung vom 14. Juni 2011.) 13. September "alQaida" AlZawahiri/ "Der baldige In einer Videoverlautbarung anlässlich Arabisch Sieg - Zehn des 10. Jahrestages der Anschläge Jahre nach vom 11. September 2011 gratuliert der den Anschlä "alQaida"Anführer den Muslimen dazu, gen am dass Großbritannien, Frankreich und gesegneten Deutschland bekannt gegeben hätten, Dienstag" ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen. 266 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 19. Oktober IBU unbekannte "Ali the In dem Video wird der Angriff auf den männliche Sniper" USStützpunkt in Bagram (Afghanistan) Person/ am 19. Mai 2010 beschrieben, bei dem Englisch auch der "alQaida"Propagandist Bekkay Harrach, deutscher und marokkanischer Staatsangehöriger, getötet worden sein soll. Die IBU reklamiert dabei eine Mitver antwortung für einen Anschlag, zu dem sich die "Taleban" zeitnah bekannt haben, ohne eine Tatbeteiligung anderer Organi sationen zu erwähnen. 25. Oktober IBU Textbot "Einigkeit und Bei der Verfasserin dürfte es sich schaft von Recht und um die deutsche Ehefrau eines im "Schwester Freiheit" September 2009 vermutlich bei Kämpfen Umm mit der pakistanischen Armee getöteten Safiyya"/ IBUMitglieds handeln. Deutsch Zu Beginn sagt Umm Safiyya, dass sie ent gegen anderslautender Gerüchte "leider" noch keine "Märtyrerin" geworden sei. Doch hoffe sie, dass Gott ihr diese Ehre erweisen werde. Ihr wichtigstes Anliegen sei es, die Frauen von einer aktiven Unter stützung des "Jihad" zu überzeugen. Mit dem vorliegenden Text wird gezielt an das religiöse Gewissen der Frauen appelliert und ihr Beitrag zum "Jihad" eingefordert. 267 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 7. November IBU Monir "Auf zum Stärker als in früheren Veröffentlichungen Chouka/ Erfolg" verweist Chouka in einer Audiobotschaft Deutsch auf die individuelle Pflicht zum "Jihad", die er zum dritten islamischen Glaubenspfeiler neben dem Gebet und dem Fasten erhebt. Er richtet seine Botschaft im Namen der IBU an die Muslime in Deutschland und verkündet, dass sich die muslimische Gemeinschaft (Umma) im Aufschwung befinde. Er verheißt gewissermaßen den spirituellen Sieg der Muslime und damit des Islam über den Feind. Als Feind benennt er die USA sowie die arabischen Regenten - insofern bemerkenswert, als in älteren Verlautbarungen Pakistan und Deutschland als "Feinde des Islam" rheto risch im Visier der ChoukaBrüder standen. Möglicherweise handelt es sich bei dieser Fokusverschiebung um den Versuch der IBU, propagandistischen Nutzen aus den aktuellen Entwicklungen in der arabischen Welt zu ziehen und diese historischen Ver änderungen nicht zu "verpassen". 30. November "Taleban" Textbot "Ein zweites Die Organisation führt in der Textbot schaft/ Bonn, eine schaft auf, dass all die Aggression und die Urdu, weitere Verletzungen durch die Besetzer Afgha Englisch Falle?" nistans das Ergebnis der ersten Bonner Konferenz im Dezember 2001 gewesen seien. Ebenso sei durch diese Konferenz die Besetzung eingeleitet worden und jeder Afghane und "islamische Geist" sehe sich mit Inhaftierung, Folter oder Tod konfrontiert. Daher erwarte man von der zweiten Bonner Konferenz keine guten Absichten, sondern stufe diese als eine weitere Falle der USA ein. 268 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner/ Titel Thema der Verlautbarung/ tion/MeSprache Inhalt dienstelle 5. Dezember "Taleban" Textbot "Bonn, der In ihrer zweiten Stellungnahme zur schaft/ Beginn einer Bonner AfghanistanKonferenz behaup Pashtu, Urdu, weiteren ten die "Taleban" wie bereits in der voran Englisch Tragödie" gegangenen Verlautbarung, dass die Kon ferenz unter dem vermeintlichen Banner, das derzeitige Desaster und die Probleme Afghanistans lösen zu wollen, nur eine weitere Dekade von Okkupation, Genozid und Elend legitimiere. Nach Aussagen der Organisation setzen die Afghanen keine Hoffnung in die zweite Konferenz, son dern gehen davon aus, dass die Präsenz ausländischer Truppen in Afghanistan ver längert wird. Die "Taleban" würden die jetzige Konferenz nur unterstützen, wenn sie das eigentliche Problem Afghanistans - seine Besetzung - löste, also alle aus ländischen Truppen abgezogen würden und die Errichtung jeglicher ausländischer militärischer Basen im Land verhindert werde. 269 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 7. Übersicht ausgewählter islamistisch-terroristischer Anschläge Datum Ereignis Opfer 26. Februar 1993 Bombenanschlag auf das World Trade Cen 6 Tote, ter, New York (USA); der Anschlag wird mit über 1.000 Verletzte "alQaida" in Verbindung gebracht 7. August 1998 Anschläge auf die USamerikanische 223 Tote, Botschaften in Daressalam (Tansania) und über 4.000 Verletzte Nairobi (Kenia); die Anschläge werden regio nalen "alQaida"Strukturen zugeschrieben 12. Oktober 2000 Sprengstoffanschlag auf den USamerika 17 Tote, nische Zerstörer "Cole" im Hafen von Aden 39 Verletzte (Jemen); der Anschlag wird mit "alQaida" in Verbindung gebracht 11. September 2001 Selbstmordanschläge auf das World ca. 3.000 Tote, Trade Center und das USamerikani darunter sche Verteidigungsministerium durch 10 Deutsche, "alQaida"Mitglieder ca. 6.000 Verletzte 11. April 2002 Anschlag auf eine Synagoge auf der 21 Tote, Ferieninsel Djerba (Tunesien); darunter "alQaida" bekannte sich im Juni 2002 zu 14 Deutsche, dem Anschlag 24 Verletzte 12. Oktober 2002 Anschläge auf eine Diskothek und ein Cafe über 200 Tote, im Badeort Kuta auf Bali (Indonesien); darunter der Anschlag wird mit "alQaida" in 6 Deutsche, Verbindung gebracht mehr als 330 Verletzte 28. November 2002 Selbstmordanschlag auf ein überwiegend 16 Tote, von israelischen Touristen besuchtes Hotel ca. 80 Verletzte in Mombasa (Kenia); der Anschlag wird mit "alQaida" in Verbindung gebracht 270 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum Ereignis Opfer 16. Mai 2003 Bombenanschläge in 41 Tote, Casablanca (Marokko) ca. 100 Verletzte 5. August 2003 Bombenanschlag auf das MarriottHotel in 13 Tote, Jakarta (Indonesien); ca. 150 Verletzte der Drahtzieher stand in Verbindung zu "alQaida" 11. März 2004 Sprengstoffanschläge auf vier Pendlerzüge 191 Tote, in Madrid (Spanien) ca. 1.600 Verletzte, darunter 1 Deutscher 7. Juli 2005 Selbstmordanschläge auf drei UBahnZüge 56 Tote, und einen Bus in London (Großbritannien) 528 Verletzte, darunter 5 Deutsche 2. Juni 2008 Selbstmordanschlag auf die Dänische 8 Tote, Botschaft in Islamabad (Pakistan) 15 Verletzte 26.-29. November 2008 Anschläge auf die indische Finanzmetropole 172 Tote, Mumbai; die Anschläge werden mit der darunter 3 Deutsche, pakistanischen islamistischen Organisation 295 Verletzte, "LashkareTaiba" (LeT - "Armee der darunter 3 Deutsche Reinen") in Verbindung gebracht 27. November 2009 Anschlag auf einen Schnellzug während 28 Tote, der Fahrt von Moskau nach St. Petersburg ca. 90 Verletzte (Russland); die Gruppierung "Riyad alSalihin" bekannte sich zum Anschlag 9. März 2010 Selbstmordanschläge auf die Moskauer 40 Tote, Metro (Russland); 84 Verletzte zu den Anschlägen bekannte sich Dokku Umarov ("Nordkaukasische Separatisten bewegung" - NKSB) in einer im Internet veröffentlichten Videobotschaft 271 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum Ereignis Opfer 24. Januar 2011 Selbstmordanschlag auf den Moskauer 37 Tote, Flughafen Domodedowo (Russland); darunter ein zu dem Anschlag bekannte sich Dokku Deutscher, Umarov ("Nordkaukasische Separatisten über 100 Verletzte, bewegung" NKSB) in einer im Internet darunter eine veröffentlichten Videobotschaft Deutsche 2. März 2011 Schusswaffenanschlag auf USamerika 2 Tote, nische Soldaten am Flughafen Frankfurt 2 Verletzte am Main (Hessen) 13. Juli 2011 Sprengstoffanschläge in Mumbai (Indien) 24 Tote, über 130 Verletzte 272 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS III. Islamismus 1. Arabischer Ursprung 1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 im Libanon Leitung: Funktionärsgruppe Generalsekretär Hasan Nasrallah Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 950 (2010: 900) Publikationen: u.a. "alAhd - alIntiqad" ("Die Verpflichtung - die Kritik"), überregional, wöchentlich; TVSender "alManar" ("Der Leuchtturm", Beirut) Betätigungsverbot in Deutschland gegen Verbotsverfügung vom "alManar": 29. Oktober 2008 Die "Hizb Allah" wurde 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen auf Initiative des Iran im Libanon gegründet. Sie ent wickelte sich aus verschiedenen Splittergruppen rasch zu einer militanten Sammelbewegung libanesischer Schiiten mit Schwer punkten im Südlibanon, in den Vororten von Beirut und im BekaaTal (an der Grenze zu Syrien). Die "Hizb Allah" konnte sich - mit Unterstützung des Irans und Syriens - im Libanon organisa torisch etablieren und ihren Einfluss ausbauen. Bis heute besteht ein finanzieller und politischer Einfluss beider Staaten auf die Organisation. Die "Hizb Allah" bestreitet das Existenzrecht Israels. Ihr erklärtes Ziele Ziel ist der auch mit terroristischen Mitteln geführte und als "legi timer Widerstand" bezeichnete Kampf gegen Israel als "unrecht mäßigen Besatzer palästinensischen Bodens". 273 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Eingebunden in die politischen und gesellschaftlichen Strukturen im Libanon strebt die "Hizb Allah" heute vor allem danach, ihren Einfluss zu vergrößern. Sie verfügt in der schiitischen Bevölke rung nach wie vor insbesondere wegen ihres karitativen Engage ments über großen gesellschaftlichen Rückhalt. Aktivitäten Innenpolitisch konzentriert sich die "Hizb Allah" seit 1992 ver stärkt auf ihre Arbeit im libanesischen Parlament. Im Januar 2011 erzwang das von der "Hizb Allah" geführte prosyrische Lager ("8. MärzLager") innerhalb der Regierungskoalition durch den Rücktritt seiner Minister die Abdankung von Ministerpräsident Saad Hariri. Das prosyrische Lager hatte zuvor von Hariri gefor dert, die Zusammenarbeit mit dem UNSondertribunal zur Auf klärung der Tötung seines Vaters, des früheren libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, aufzukündigen. In der am 17. August 2011 veröffentlichten Anklageschrift des UNSonder tribunals wird vier Mitgliedern der "Hizb Allah" vorgeworfen, am 14. Februar 2005 ein Bombenattentat gegen Rafik Hariri organisiert zu haben. Generalsekretär Nasrallah weist vehement jede Beteiligung der "Hizb Allah" an dem Anschlag zurück. Die der Anklage zugrunde liegenden Auswertungen von Tele kommunikationsdaten seien nach Ansicht Nasrallahs durch Israel manipuliert. Die breit angelegte antiisraelische sowie antijüdische Propaganda wird u.a. über den organisationseigenen TVSender "alManar" und über eigene Homepages verbreitet. Aktivitäten in Außerhalb des Libanons ist die "Hizb Allah" nicht einheitlich Deutschland strukturiert. In Deutschland pflegen die Anhänger den organi satorischen und ideologischen Zusammenhalt u.a. in örtlichen Moscheevereinen. Die junge Anhängerschaft vernetzt sich ver stärkt über das Internet (soziale Netzwerke, Foren). Organisierte Teilnahmen von "Hizb Allah"Anhängern an Kund gebungen und Demonstrationen finden nur vereinzelt statt. Die einmal im Jahr in Berlin organisierten Demonstrationen zum "alQudsTag" ("Jerusalem"Tag, 1979 von Ayatollah Khomeini ausgerufen um die Muslime an die Pflicht zu erinnern, Jerusa lem zu "befreien") sowie zum "Tag der Befreiung" (sogenannte Siegesfeier, Jahrestag des Rückzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon am 25. Mai 2000) sind Veranstaltungen mit 274 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS überregionalem Charakter. An beiden Veranstaltungen nahmen im Jahr 2011 jeweils ca. 600 Personen ("alQudsTag" 2010: ca. 500 Personen) teil. Die "Hizb Allah"nahen Moscheevereine in Deutschland finan Finanzierung zieren sich in erster Linie durch Spendengelder, die vorwiegend im Rahmen religiöser Feierlichkeiten gesammelt werden, sowie durch Mitgliedsbeiträge. Darüber hinaus unterstützen "Hizb Allah"Anhänger aus Deutschland die Organisation im Libanon finanziell. Der in Göttingen ansässige und bundesweit tätige Spenden Organisierte sammelVerein "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP) ver Spendensammlungen mittelt u.a. Patenschaften für Waisenkinder im Libanon, deren Angehörige im Kampf gegen Israel - glorifiziert von der "Hizb Allah" - als "Märtyrer" gestorben sind. Die in Deutschland vom WKP gesammelten Gelder werden an die "alShahid Association" ("MärtyrerStiftung") mit Sitz im Libanon transferiert, die Teil des Sozialnetzwerkes der "Hizb Allah" ist. Die von Deutschland aus feststellbaren finanziellen sowie logisti Bewertung schen Hilfen für die "Hizb Allah" im Libanon fördern den bewaff neten Kampf gegen Israel. Dessen Akteure erfahren aus dem Bewusstsein, dass die Hinterbliebenen der "Märtyrer" eine gesi cherte finanzielle und soziale Versorgung erhalten, eine unterstüt zende Motivation, ihr Leben im Kampf gegen Israel zu opfern. Die "Hizb Allah"Anhänger in Deutschland halten sich weiterhin mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen zurück, um nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden zu geraten. Eine Veränderung der Aktivitäten der "Hizb Allah" in Deutschland kann trotz der aktuellen Lage im Nahen und Mittleren Osten (insbesondere in Syrien und dem Iran) bislang nicht festgestellt werden. 275 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1.2 "Hizb ut-Tahrir" (HuT - "Partei der Befreiung") Gründung: 1953 in Jerusalem Leitung: Ata Abu alRashta alias Abu Yasin (seit April 2003) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 300 (2010: 300) Publikationen: "alKhilafa" ("Das Kalifat", englisch/arabisch) "Hilafet" ("Das Kalifat", türkisch) und "Köklü Degisim" ("Grundlegender Wandel", türkisch); "alWaie" ("Das Bewusstsein", arabisch); "Expliciet" (niederländisch) Betätigungsverbot in Verbotsverfügung vom Deutschland: 10. Januar 2003 Die HuT wurde 1953 von Taqiaddin alNabhani (1909-1977) in Jerusalem gegründet. Sein Hauptwerk "Die Lebensordnung des Islam" ("Nizam alIslam") bildet bis heute die ideologische Grund lage der Organisation. Demnach regelt der Islam abschließend alle gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Belange, aber auch das Alltagsleben. Ziele Ziel der panislamisch ausgerichteten HuT ist die Vereinigung der Gemeinschaft aller Muslime (Umma) in einem einzigen, weltum fassenden Staatsgebilde. Gesetzliche Grundlage dieses unter der Führung eines Kalifen stehenden Staates (Kalifat) soll die isla mische Rechtsordnung (Scharia) sein. 276 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In einer Erklärung auf der Homepage der HuT heißt es zum Abso lutheitsanspruch des Kalifats: "Mit dem Kalifat wird die Erde von Neuem erstrahlen. Die USA und der Westen werden sich in ihre ureigenen Gefilde zurückziehen müssen - wenn ihnen solche dann noch geblieben sind." (Homepage der HuT, 24. Mai 2011) Nach Ansicht der HuT ist es die Pflicht aller Muslime, sich aktiv für die Wiedererrichtung des Kalifats einzusetzen: "Ihr Muslime, Hizb ut-Tahrir richtet sich mit folgendem Aufruf an euch: Ist es für euch nicht an der Zeit zu erkennen, dass das Kalifat eine Pflicht vor eurem Herrn bedeutet? Dass es der Befehl eures Gesandten, der Weg zu eurer ruhmvollen Ehre und der Pfad zu eurem Aufstieg ist? Ist es nicht an der Zeit, dass ihr mit Hizb ut-Tahrir tätig werdet, um das Kalifat zu errichten und die Verheißung eures Herrn zu erfüllen." (Homepage der HuT, 24. Mai 2011) Zu diesem Zweck bemüht sich die Organisation intensiv um die Rekrutierung angehender Akademiker, die perspektivisch in gesellschaftlichen Schlüsselpositionen platziert werden sollen, um zu einem späteren Zeitpunkt die Machtübernahme sowie die Errichtung des Kalifats zu lenken. Die häufig jungen Sympathi santen der HuT werden in zumeist wöchentlich stattfindenden Schulungen an die Lehren des Gründers alNabhani herangeführt. Die Organisation ist gekennzeichnet durch eine ausgeprägte anti semitische und antizionistische Grundhaltung. Indem sie dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht und die "Befreiung" dieses Territoriums als eines ihrer primären Ziele ansieht, verstößt die 277 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS HuT gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Der Einsatz von Gewalt ist dabei für die Organisation legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele: "Ihr Muslime, ihr Armeen, die das Zionistengebilde umgeben! (...) Wie könnt ihr zu euren Herrschern schweigen, die euch zur Bekämpfung eures Feindes nicht mobilisieren?" (Homepage der HuT, 30. Mai 2011) Betätigungsverbot Mit Verfügung vom 10. Januar 2003 untersagte der Bundesminis in Deutschland ter des Innern der HuT die Betätigung im Bundesgebiet, u.a. weil sich ihre Ziele gegen den Gedanken der Völkerverständigung rich ten und sie Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele befürwortet (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI). Aktivitäten Obwohl die HuT nach dem Betätigungsverbot in Deutschland in Deutschland nicht mehr öffentlich auftritt, strahlen ihre Aktivitäten über das und Europa Internet nach Deutschland aus. In Europa wird - ausgehend von Großbritannien - der Großteil der medialen Agitation der HuT über das Internet verbreitet. Darüber hinaus finden in Groß britannien regelmäßig Vortragsveranstaltungen, Flugblattaktionen und Demonstrationen statt. Deutsche HuTAktivisten weichen verstärkt in Nachbarländer aus, in denen die Organisation nicht verboten ist. Ende Juni 2011 hat in Amsterdam (Niederlande) eine internationale HuTKonferenz mit ca. 600 Teilnehmern stattgefunden, an der auch eine große Anzahl von Sympathisanten aus Deutschland teilgenommen hat. In Wien (Österreich) und London (Großbritannien) organi sierte die HuT Demonstrationen vor den Botschaften arabischer Länder. Der HuT gelang es hierbei nicht, eine nennenswerte Anzahl von Demonstranten abseits der HuTSzene zu mobili sieren. Die Redner nutzten die durch den "Arabischen Frühling" 278 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS hervorgerufenen Umbrüche in Nordafrika, um für das wichtigste Ziel der HuT, die Wiedererrichtung des Kalifats, zu werben: "Die Aufstände in der arabischen Welt hätten gezeigt, dass es unabdingbar geworden sei, die säkularen, despotischen und korrupten Regime in diesen Ländern zu beseitigen und an ihrer Stelle das Rechtgeleitete Kalifat zu gründen, das die islamischen Länder vereinen und für Gerechtigkeit und Wohlstand sorgen wird." (Presseverlautbarung der HuT zur Demonstration vor der syrischen Botschaft am 9. September 2011; Homepage der HuT, 15. September 2011) Die HuT kann in Deutschland wegen des Betätigungsverbots Bewertung keine öffentlichen Aktivitäten entfalten, setzt jedoch ihre Agita tion und die Rekrutierung neuer Mitglieder im Untergrund fort. Insbesondere jüngere Menschen werden von der HuT für ihre extremistische und integrationsfeindliche Ideologie angeworben. Immer wieder gibt es Fälle, in denen HuTAnhänger den Weg in "jihadistische" Kreise gefunden haben. Die stagnierende Mitglie derzahl der HuT in Deutschland ergibt sich aus den relativ gleich bleibenden Zu und Abgängen. Dieser Trend ist auch in Zukunft zu erwarten. 1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" ("Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - HAMAS) Gründung: Anfang 1988 im Gazastreifen/ heutiges palästinensisches Autonomiegebiet Leitung: Khalid Mash'al (Sitz: Damaskus/Syrien), Isma'il Haniya (Sitz: Gazastreifen) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 300 (2010: 300) 279 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Nach Beginn der ersten "Intifada" ("Aufstand der Palästinenser") im Dezember 1987 schlossen sich Anfang 1988 die palästinen sischen Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB; vgl. Nr. 1.4) unter Führung von Ahmad Yasin zur HAMAS zusammen. In ihrer Charta bekennt sich die HAMAS zu dem Ziel, einen islamischen Staat auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" zu errichten. Unter "Palästina" versteht die HAMAS das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, somit auch das Gebiet des Staates Israel. Sie fordert die Beseitigung des Staates Israel und lehnt eine Zwei staatenlösung ab. Zur Verwirklichung dieses Zieles befürwortet die HAMAS Gewalt und wendet diese strategisch an, um Frie densgespräche zwischen Israel und der Palästinensischen Auto nomiebehörde zu vereiteln oder um Vergeltung für Maßnahmen israelischer Sicherheitskräfte gegen die HAMAS zu üben. Die HAMAS ist ein einheitliches Gebilde, dessen verschiedene Zweige in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen.137 Dabei werden im Wesentlichen drei Bereiche unterschieden: Der politische Bereich ist zugleich für die Gesamtleitung der Organi sation verantwortlich. Die "Izzaddin alQassamBrigaden" sind maßgeblich verantwortlich für terroristische Aktivitäten, insbe sondere für zahlreiche Selbstmordanschläge gegen israelische Ziele. Der soziale Bereich mit all seinen karitativen Einrichtungen und Bildungsinstitutionen ist eine der Ursachen für den Rückhalt der HAMAS in der palästinensischen Bevölkerung. Aktivitäten in Deutschland wird von der HAMAS als Rückzugsraum betrachtet, Deutschland in dem die Organisation sich darauf konzentriert, Spendengelder zu sammeln, neue Mitglieder zu gewinnen und ihre Propaganda zu verbreiten. Die HAMAS tritt in Europa nicht offen auf. Als Forum nutzt sie stattdessen u.a. das "Palestinian Return Centre" (PRC) mit Sitz in London (Großbritannien). Das PRC fordert ein "Rückkehrrecht für palästinensische Flüchtlinge nach Israel". Diese Forderung wird durch Veranstaltungen und Publikationen unterstützt. Seit 2003 organisiert das PRC jedes Jahr im Frühjahr eine internatio nale Großveranstaltung ("Palestinians in Europe Conferences"/ 137 Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 3. Dezember 2004, BVerwG 6A 10.02 (DVBl. 2005, 290 ff). 280 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Konferenz der Palästinenser in Europa") mit mehreren Tausend Teilnehmern in unterschiedlichen europäischen Städten. In Deutschland fand die Konferenz bislang dreimal statt (2004, 2010 und 2011). An der "9. Konferenz der Palästinenser in Europa" am 7. Mai 2011 in Wuppertal (NordrheinWestfalen) nahmen ca. 3.000 Personen teil. Generalsekretär der Veranstaltungsreihe der "Konferenz der Palästinenser in Europa" ist der in Österreich lebende Adel Doghman, der öffentlich auch als "Adel Abdallah" auftritt. Er leitete die "Palästinensische Vereinigung in Österreich", die 2003 von den USA wegen Zugehörigkeit zum weltweiten HAMAS Finanzierungsnetzwerk in die Liste der Organisationen aufge nommen wurde, die den Terrorismus unterstützen. Doghman bekräftigte in seiner Eröffnungsrede in Wuppertal (NordrheinWestfalen) erneut die Ziele des PRC: "In der Angelegenheit unseres Volkes geht es im Wesentlichen um die siegreiche Rückkehr, Vertreibung der Besatzung, Selbstbestimmung und vollständige Souveränität über Territorium, Gebiete und Ressourcen. Wir bekräftigen es vor allen: Das palästinensische Volk wird keine andere Lösung akzeptieren, keine Lösung auf Kosten seiner Interessen, seiner Rechte, keine Lösung, die seine unverzichtbaren Grundforderungen verletzt oder seine Optionen zunichte macht. Was dieses Volk grundsätzlich besitzt, ist sein fest gegründeter Anspruch, sein ungebrochener Wille. Sein Wille, der, so Gott will, unbeugsam bleibt." ("al-Quds TV", 7. Mai 2011) 281 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ein Gastredner schreibt über die enge Bindung von HAMAS und Konferenzen: "Die 'Konferenz der Palästinenser Europas' ist der Hamas zuzurechnen, obwohl diejenigen, die an ihrer Entstehung beteiligt waren und etliche Jahre an ihrem Werdegang mitgewirkt haben, Vertreter aller palästinensischen politischen Tendenzen sind. Das zahlenmäßig größte Gewicht kommt jedoch den Unterstützern der Hamas zu. Sämtliche Führungsgremien der 'Konferenz der Palästinenser Europas' sind der Hamas oder ihr nahestehenden Personen zuzurechnen. Dies betrifft auch ihr Präsidium, ihr Generalsekretariat und die Mehrzahl ihrer Ausschüsse." (Palästinensische Zeitung, August 2010) Das PRC und ihm verbundene Organisationen in Deutschland und Europa waren auch an der sogenannten Freedom Flotilla 2 (Schiffskonvoi) beteiligt, die im Juli 2011 vergeblich versuchte, die "israelische Blockade" des Gazastreifens zu durchbrechen. Bewertung Die HAMAS nutzt westliche Staaten wie Deutschland als Rück zugsgebiet und Aktionsraum für propagandistische Vorhaben, aus denen auch logistische und finanzielle Unterstützung durch Spendengelder generiert werden. Ihre hoch motivierten und gut organisierten Anhänger versuchen weiterhin, den Einfluss der HAMAS auf die palästinensischstämmige Bevölkerung in Deutschland auszubauen, um für eine Solidarisierung mit den Zielen der HAMAS im Gazastreifen zu werben. Gleichzeitig ist die HAMAS bemüht, in westlichen Staaten nicht in das Blickfeld der Sicherheitsbehörden zu geraten. 282 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB - "Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin") gegründet: 1928 in Ägypten Leitung: Muhammad Badi (Sitz: Ägypten) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 1.300 (2010: 1.300) Publikationen: "Risalat alIkhwan" ("Rundschreiben der Bruderschaft") Die MB wurde 1928 in Ägypten von dem Lehrer Hasan alBanna (1906-1949) gegründet. Sie gilt als älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Nach eigenen Angaben ist sie in mehr als 70 überwiegend muslimischen Ländern in unter schiedlicher Ausprägung vertreten und agiert dabei häufig unter anderen Namen. Neben dem Gründer alBanna beeinflussen vor allem die Lehren von Sayyid Qutb (1906-1966) die MB bis heute. Zahlreiche islamistische Organisationen, z.B. die ägypti schen Gruppierungen "alGama'a alIslamiya" (GI) und "alJihad alIslami" (JI) sowie die palästinensische HAMAS (vgl. Nr. 1.3), basieren auf der Ideologie der MB. Ziel der MB war ursprünglich, die Kontrolle Großbritanniens über Ziele das Königreich Ägypten zurückzudrängen. Dabei propagierte die MB die Rückkehr zu den Werten des Islam und strebte die Schaf fung eines "wahrhaft islamischen Staates" an. Am Ende dieser Entwicklung sollte ein föderales großislamisches Weltreich unter Führung eines Kalifen (Kalifat) stehen. Die Scharia als von Gott geschaffene islamische Rechts und Werteordnung soll die allei nige Grundlage für Staatswesen und Gesellschaft bilden. Säkulare Staatsformen seien von Menschen geschaffen und abzulehnen, weil sie der "göttlichen Ordnung" zwangsläufig widersprechen. Heute plädiert die MB für die Errichtung eines "bürgerlichen Staates mit islamischen Werten". Die im Jahr 2011 im Zuge des politischen Umbruchs in Ägypten von der MB gegrün dete "Freedom and Justice Party" (FJP - "Partei für Freiheit und 283 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Gerechtigkeit") fordert, dass die Scharia Hauptquelle der Gesetz gebung sein müsse und auf alle Lebensbereiche anzuwenden sei. Seit den 1970er Jahren formuliert die MB ausdrücklich den Verzicht von Gewalt zur Umsetzung ihrer Ziele. Eine Ausnahme bildet jedoch der "Widerstand" gegen "Besatzer", worunter die MB vor allem Israel versteht. Vor diesem Hintergrund rufen führende Mitglieder der MB regelmäßig dazu auf, "Palästina" zu "befreien" und die HAMAS, den palästinensischen Flügel der MB, zu unter stützen. Die MB, die Israel nicht anerkennt, fordert aktuell Nachverhand lungen für den im Jahr 1979 geschlossenen Friedensvertrag zwi schen Ägypten und Israel. Politischer Umbruch An den Protesten gegen das ägyptische Regime Anfang 2011 in Ägypten beteiligte sich die MB erst spät und zurückhaltend. Auch bei den erneuten Protesten der ägyptischen Bevölkerung Ende 2011 gegen die Übergangsregierung des Militärs beteiligte sich die MB nicht, um ihre Position bei den Parlamentswahlen nicht zu gefährden. Das ägyptische Parlament besteht aus zwei Kammern: Der Volks versammlung als eigentlichem Gesetzgebungsorgan und der Schura mit hauptsächlich beratender Funktion. Bei den in mehreren Etappen von November 2011 bis Januar 2012 durchgeführten Wahlen zur Volksversammlung ging das von der MBPartei FJP dominierte Wahlbündnis als Wahlsieger mit 47,2% der Stimmen hervor und konnte damit die Prognosen deutlich übertreffen. Auf dem zweiten Platz folgte mit 24,3% der von der salafistischen alNourPartei angeführte Wahlblock. Ferner konnte die FJP 58,3% der Sitze der Schura gewinnen, die Anfang 2012 neu gewählt wurde. Die Hauptaufgabe des neuen Parlaments wird die Ausarbeitung einer neuen Verfassung sein.. Ausdehnung nach Der MB gelang es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in Europa zahlreichen europäischen Ländern ein Netz von Moscheen, Insti tuten, Verbänden und Schulen zu schaffen, über das bis heute ihre Interpretation des Islam verbreitet wird. Neben den nationalen "Islamischen Zentren" wurden insbesondere internationale Ein richtungen geschaffen. In dem 1989 gegründeten europäischen 284 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Dachverband "Federation of Islamic Organisations in Europe" (FIOE - "Föderation Islamischer Organisationen in Europa") mit Sitz in Brüssel (Belgien) sind zahlreiche MBnahe Verbände ver treten. Die europäischen Einrichtungen haben zumeist keine offen erkennbaren organisatorischen Verbindungen zur MB; offi ziell werden diese auch dementiert. Eine weitere Institution auf europäischer Ebene mit zentraler Bedeutung ist der auf Initiative der FIOE gegründete "European Council for Fatwa and Research" (ECFR - "Europäischer Rat für Fatwa und wissenschaftliche Studien"). Mit dem ECFR wurde erst mals ein Gremium für islamisches Recht in Europa geschaffen. Vorsitzender des ECFR ist der in Katar ansässige ägyptische Islam gelehrte Yusuf alQaradawi, der die MB ideologisch maßgeblich beeinflusst. Ein weiteres besonders aktives Mitglied des ECFR ist der Ägypter Salah Soltan. Nach der Tötung mehrerer ägyptischer Grenzpoli zisten durch israelische Soldaten im August 2011 erklärte Soltan, jeder "Zionist", der Ägypten betrete, solle getötet werden.138 Ferner forderte er im Hinblick auf den israelischen Botschafter in Kairo (Ägypten): "Ich rufe dazu auf, den Botschafter zu töten, anstatt ihn lediglich auszuweisen. Unsere Söhne wurden getötet in unserem Land, auf unserer Erde, und unsere Söhne werden in Gaza durch eine feindliche Besatzungsmacht getötet." (Al Jazeera TV, 26. August 2011) In Deutschland nutzen die MBAnhänger eine Vielzahl "Isla "Islamische Gemeinmischer Zentren" für ihre Aktivitäten. Die mit mehreren Hundert schaft in Deutschland Mitgliedern wichtigste und zentrale Organisation von Anhängern e.V." (IGD) der MB in Deutschland ist die IGD. Hervorgegangen ist sie aus einer 1958 gegründeten Moscheebauinitiative, die das "Islamische Zentrum München e.V." (IZM) errichtete. Neben ihrem Hauptsitz in Köln (NordrheinWestfalen) unterhält die IGD "Islamische Zentren" in München (Bayern), Nürnberg 138 YouTube (12. Oktober 2011). 285 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS (Bayern), Stuttgart (BadenWürttemberg), Frankfurt am Main (Hessen), Marburg (Hessen), Braunschweig (Niedersachsen) und Münster (NordrheinWestfalen).139 Darüber hinaus koordiniert sie eigenen Angaben zufolge ihre Aktivitäten mit mehr als 50 weiteren Moscheegemeinden.140 Als Gründungsmitglied der FIOE verfolgt die IGD deutschland und europaweit eine an der MBIdeologie ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich. Zudem versucht sie in ihren Zentren, u.a. durch Koranunterricht, gezielt auf Kinder und Jugendliche einzuwirken. Erstmals seit 2008 fand wieder eine Jahreskonferenz der IGD statt. Die Veranstaltung wurde unter dem Motto "Verbindung schaffen - Ausgrenzung stoppen" am 2. April 2011 in Köln (NordrheinWestfalen) und am 3. April 2011 in Stuttgart (Baden Württemberg) abgehalten und von insgesamt etwa 2.000 Perso nen besucht. Als Gastredner nahm u.a. der ägyptische Prediger Ragheb elSergany teil. ECFRMitglied Soltan war ebenfalls als Gastredner eingeladen, sagte seine Teilnahme jedoch kurzfristig ab. ElSergany, der sich auf der IGDJahresversammlung gemäßigt äußerte, vertritt ebenso wie Soltan im arabischen Raum offen islamistische Positionen und befürwortet dabei den Einsatz von Gewalt im israelischpalästinensischen Konflikt. Auf einer von der MB organisierten Veranstaltung in Ägypten im Mai 2011 hat elSergany nachdrücklich auf die Bedeutung fortgesetzter Hilfe zur "Befreiung Palästinas von den jüdischen Eindringlingen" hin gewiesen. Außerdem sprach er davon, dass die Juden sogar kampf los aus "Palästina" fliehen würden, wenn sich Ägypten, Syrien und die Türkei - wie von ihm erhofft - in naher Zukunft vereinigten.141 Vom 16. bis 18. September 2011 veranstaltete die IGD gemein sam mit zwei weiteren islamischen Vereinen in Bad Orb (Hessen) 139 "Islamisches Zentrum München e.V." (IZM), "Islamische Gemeinde Nürnberg e.V.", "Islamisches Zentrum Stuttgart e.V.", "Islamisches Zentrum Frankfurt e.V.", "Orientbrücke Marburg e.V.", "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V.", "Islamische Gemeinschaft Münster e.V.". 140 Homepage der IGD (11. Oktober 2011). 141 Homepage, auf der elSergany als "supervisor" benannt ist (19. Mai 2011). 286 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS eine Veranstaltung zum Thema "Das Treffen der Muslime in Deutschland", an der ca. 500 Personen teilnahmen. Unter dem Motto "Zurück zu den Wurzeln" wurden zahlreiche Vorträge zum Thema "Islamleben in Deutschland" angeboten, die den Auftakt zu einer entsprechenden Veranstaltungsreihe bilden sollen.142 Der RIGD wurde auf Initiative der IGD gegründet. Er hat seinen "Rat der Imame Sitz in Frankfurt am Main (Hessen). Dem Verein sollen mehr als und Gelehrten in 100 Imame als ordentliche Mitglieder angehören. Die Vereinigung Deutschland e.V." erhebt den Anspruch, verbindlichen Rat und Antworten in Fragen (RIGD) der Islamauslegung geben zu können und verfügt nach eigenen Angaben über gute Kontakte zum ECFR. Die IGD verfolgt eine an der MB-Ideologie ausgerichtete Strategie, Bewertung die darauf abzielt, im gesellschaftlichen Umfeld Deutschlands mittelbis langfristig eine auch intellektuell-ideologisch führende und im Sinne islamistischer Zielvorstellungen relevante Einflussgröße zu werden. Dies beinhaltet eine entsprechende Schulung und Unterweisung der Mitglieder, um weitere geeignete Mitarbeiter für die Organisation zu rekrutieren und auszubilden. Die Organisation strebt zielgerichtet und beharrlich die Schaffung von gesellschaftlichen Freiräumen an, in denen säkulare gesellschaftliche Konventionen und westlich geprägte pluralistische Normen nicht gelten. Stattdessen sollen die von der Organisation postulierten islamistischen Wertvorstellungen Anwendung finden. Die von den IGD-Zentren durchgeführten Aktivitäten sind letztlich geeignet, gesellschaftlich desintegrativ auf hier lebende Muslime zu wirken. Die IGD engagiert sich programmatisch in überregionalen muslimischen Verbänden. Es ist zu erwarten, dass sie auch auf diesem Wege versuchen wird, die Diskussion gesellschaftlicher Themen wie die in Deutschland angestrebte eigenständige Imam-Ausbildung in ihrem Sinne ideologisch zu beeinflussen und ihre religiös-politischen Vorstellungen durchzusetzen. Nachdem die IGD in den Vorjahren kaum öffentlich aufgetreten ist, hat sie das Jahr 2011 genutzt, um ihren Führungsanspruch innerhalb der nichttürkischen muslimischen Gemeinschaft in Deutschland durch Veranstaltungen wie die Jahreskonferenz im April 2011 und das Treffen für Muslime im September 2011 zu unterstreichen. 142 Homepage zur Veranstaltungsreihe (15. September 2011). 287 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Dies steht vermutlich auch im Zusammenhang mit dem "Arabischen Frühling" und dem Machtzuwachs der MB im arabischen Raum, was wiederum zu einer erhöhten Motivation ihrer Anhänger auch in Europa geführt haben dürfte. "Muslimische Jugend Zwischen der MJD und der IGD bestehen enge Verbindungen. in Deutschland e.V." Gleichwohl ist die MJD bemüht, sich als unabhängige Jugendorga (MJD) nisation darzustellen. Zielgruppe der MJD sind Muslime im Alter von 13 bis 30 Jahren. Die MJD verfügt nach eigenen Angaben über 900 Mitglieder und ist bundesweit in sogenannten Lokalkreisen organisiert, die sich hauptsächlich auf die westlichen Bundesländer verteilen. Ihren Hauptsitz hat sie in Berlin. Die MJD führt religiöse Erziehung und Bildung über zielgruppenorientierte Schulungs und Freizeitakti vitäten durch. Sie gibt an, sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträ gen zu finanzieren. Größte Veranstaltung der MJD war im Jahr 2011 das 17. Jahres meeting in Bad Orb (Hessen), das vom 10. bis zum 13. Juni unter dem Motto "Me, My Nafs and I" ("Nafs" sinngemäß für "Seele") stattfand und nach Angaben des Vereins von etwa 1.000 musli mischen Jugendlichen besucht wurde. Das Programm umfasste Podiumsdiskussionen, Arbeitsgemeinschaften und Gesprächs kreise und wurde von Musikdarbietungen, sportlichen und künst lerischen Aktivitäten umrahmt. Die MJD unterhält, wie auch die IGD, Beziehungen zu Einrich tungen auf europäischer Ebene, in denen eine Vielzahl von MB nahen Verbänden vertreten sind. Die MJD ist Gründungsmitglied des europaweit tätigen "Forum of European Muslim Youth and Student Organisations" (FEMYSO), einer Dachorganisation für muslimische Jugendliche in Europa. Das FEMYSO ist eine Nebenorganisation der FIOE. Im Februar 2003 beschloss der Vorstand der MJD, künftig in allen Fragen des islamischen Rechts den ECFR zu befragen und sich anschließend nach dessen Rechtsauffassung zu richten. Zudem ist eines ihrer Gründungs und heutigen Ehrenmitglieder seit meh reren Jahren Mitglied im ECFR. 288 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1.5 "Jama'at al-Adl wal-Ihsan" (JAI - "Gemeinschaft für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit") Gründung: September 1981 in Marokko Leitung: Abdessalam Yasine Mitglieder/Anhänger: in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die JAI wurde 1981 von Yasine gegründet, der sich eigenen Angaben zufolge auf die Lehren Qutbs und al-Bannas stützt (vgl. Nr. 1.4). Die große und bedeutende Oppositionsbewegung ist seit 1990 in Marokko verboten. Die JAI strebt unverändert einen grundlegenden politischen SysZiele temwechsel in Marokko an und fordert die Errichtung eines islamischen Staates in der Form eines Kalifats auf der Basis der Scharia, lehnt jedoch die Anwendung von Gewalt ab. Hierbei formuliert sie einen über Marokko hinausreichenden panislamischen Anspruch. Die Organisation ist überwiegend auf marokkanischem Staatsgebiet aktiv. Dort versucht sie hauptsächlich durch Missionierungsund Sozialarbeit ihre Anhängerschaft und ihren Einfluss auf das gesellschaftliche Leben zu erweitern. Der JAI können in Deutschland vor allem Vereine im Ruhrgebiet, Aktivitäten in Rhein-Main-Gebiet und in Hannover (Niedersachsen) zugerechDeutschland net werden. Öffentliche Verlautbarungen der JAI sind in Deutschland nicht festzustellen. Um eine größere Anhängerschaft in der marokkanischen Diaspora zu gewinnen, widmen sich die Vereine insbesondere der Nachwuchsgewinnung unter Jugendlichen und Heranwachsenden. Zielgruppen sind vor allem marokkanischstämmige und konvertierte Studierende. Durch spezielle Freizeitangebote und kulturelle Veranstaltungen sollen sie mit den ideologischen Positionen der JAI vertraut gemacht werden. 289 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Bewertung Die Organisation sympathisierte im Jahr 2011 mit der marokkanischen Demokratiebewegung "20. Februar", die Protestaktionen in verschiedenen Städten Marokkos organisierte und damit die Verfassungsänderung durch König Muhammed VI. im Sommer desselben Jahres angestoßen hatte. Angesichts der Entwicklungen in der gesamten arabischen Welt wie auch in Marokko ist derzeit nicht abzusehen, wie sich die JAI - insbesondere zur marokkanischen Regierung - positionieren wird. 2. Türkischer Ursprung 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Gründung: 1985 in Köln (als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." - AMGT) Leitung: Kemal Ergün Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 31.000 (2010: 30.000) Publikationen: u.a. "IGMG Perspektif", unregelmäßig; "Milli Gazete" (formal unabhängiges "Sprachrohr" der "Milli Görüs"-Bewegung), täglich Die IGMG ist mit einer geschätzten Mitgliederzahl von 31.000 die größte islamistische Organisation in Deutschland. Aufgrund ihrer zahlreichen Einrichtungen und vielfältigen Angebote erreicht sie jedoch einen weitaus größeren Personenkreis, wobei nicht alle Mitglieder/Anhänger der IGMG islamistische Ziele verfolgen oder unterstützen. Nach eigenen Angaben zählen zur IGMG weltweit 108.000 Mitglieder,143 die Zahl der Besucher ihrer Einrichtun143 Interview mit dem ehemaligen IGMG-Vorsitzenden Yavuz Celik Karahan (15. März 2011). 290 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS gen wird mit 300.000144 angegeben. Sie verfüge derzeit über 520 Moschee und Kulturvereine145, davon 323 in Deutschland146. Die IGMG wird seit Mai 2011 von Kemal Ergün geleitet, nach außen zumeist jedoch von ihrem Generalsekretär Oguz Ücüncü reprä sentiert. Mit der Verwaltung des umfangreichen Immobilienbe sitzes der IGMG ist seit 1995 die "Europäische Moscheebau und Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) betraut. Als Geschäfts führer fungiert Ibrahim elZayat, der bis Januar 2010 zugleich Vorsitzender der IGD war (vgl. Nr. 1.4). Die ideologischen Wurzeln der IGMG sind auf Ideen des Ideologische türkischen Politikers Necmettin Erbakan zurückzuführen, der Wurzeln Ende der 1960er Jahre die "Milli Görüs"Bewegung gründete. Die von Erbakan geprägten Schlüsselbegriffe seines politischen Den kens lauten "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"). Nach seinem Geschichtsverständnis stehen sich in einzelnen Epochen gegensätzliche Zivilisationen unver söhnlich gegenüber, die entweder auf grundsätzlich "gerechten" oder auf "nichtigen" Voraussetzungen beruhen. "Gerecht" sind für Erbakan die Ordnungen, die auf "göttlicher Offenbarung" gegründet, "nichtig" jene, die von Menschen entworfen wur den. Gegenwärtig dominiere mit der westlichen Zivilisation eine "nichtige", also nach Erbakan eine auf Gewalt, Unrecht und Aus beutung der Schwachen basierende Ordnung. Dieses "nichtige" System müsse durch eine "gerechte Ordnung" ersetzt werden, die sich ausschließlich an islamischen Grundsätzen ausrichte, anstatt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln". Als zentrale Ziele propagierte Erbakan in Anlehnung an das Osmanische Reich die Schaffung einer "neuen großen Türkei", die Überwindung des Laizismus sowie - letztlich mit globalem Anspruch - die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsord nung. Konsequenz dieser Sichtweise ist die Ablehnung westlicher Demokratien. 144 Homepage der IGMG (10. August 2011). 145 Interview mit dem ehemaligen IGMGVorsitzenden Yavuz Celik Karahan (15. März 2011). 146 Homepage der IGMG (10. August 2011). 291 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS So hieß es in einem Kommentar in der "Milli Gazete" vom 4. Juli 2011 zur Bedeutung von "Milli Görüs": "Milli Görüs ist die Sichtweise, die in dem von der Erschaffung des Menschen bis zum Tage der Auferstehung andauernden Kampf zwischen dem Rechten und dem Nichtigen das Rechte vertritt. (...) Milli Görüs ist die Gerechte Ordnung. Sie ist der Samen zur Rettung der Nation. (...) Milli Görüs ist eine lebenswürdige Türkei, eine neue große Türkei, eine Neue Welt." ("Milli Gazete", 4. Juli 2011, S. 14) Die Anhänger der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei sind politisch in der "Saadet Partisi" (SP - "Partei der Glückseligkeit") organisiert. Tod Erbakans Am 27. Februar 2011 verstarb der SP-Vorsitzende und Gründer der "Milli Görüs"-Bewegung Erbakan im Alter von 84 Jahren. Auf Wunsch des Verstorbenen, der von 1996 bis 1997 türkischer Ministerpräsident war, erfolgte kein Staatsbegräbnis. An den Trauerfeierlichkeiten in Istanbul (Türkei) nahmen Tausende Menschen teil, darunter neben Vertretern der türkischen Regierung auch zahlreiche Vertreter islamistischer Organisationen wie z.B. der HAMAS (vgl. Nr. 1.3) und der MB147 (vgl. Nr. 1.4). Auch wenn mit Erbakan die geistige Führungsfigur der "Milli Görüs"-Bewegung gestorben ist, zeichnete sich ab, dass die Bewegung seinen Prinzipien treu bleibt. Führende Funktionäre bekundeten mehrfach, dass man an der bisherigen Zielsetzung festhalten werde. Unmittelbar nach dem Tod Erbakans appellierte die "Milli Gazete" mit Zitaten aus Erbakans Reden an die Anhänger der "Milli Görüs"-Bewegung, sich trotz aller Ungerechtigkeiten und Angriffe nicht vom Weg des Kampfes abbringen zu lassen.148 Neuer Vorsitzender Am 5. März 2011 wurde Mustafa Kamalak, langjähriger Weggeder SP fährte Erbakans, zum neuen Vorsitzenden der SP gewählt. Der 147 "Milli Gazete", 3. März 2011, S. 11. 148 "Milli Gazete", 1. März 2011, S. 7. 292 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS bereits angelaufene Wahlkampf für die türkischen Parlaments wahlen am 12. Juni 2011 machte eine zügige Nachbesetzung des Postens erforderlich. Bislang sieht sich Kamalak als treuer Sachwalter des ideologi schen Erbes seines Vorgängers. So erklärte er bereits im Nachgang zu den Trauerfeierlichkeiten: "Die Milli Görüs-Bewegung wird in Richtung der von unserem Führer festgelegten Ziele - der Gründung einer neuen großen Türkei und einer Neuen Welt - mit gleicher Entschlossenheit weitermarschieren." (Homepage der SP, 7. März 2011) Während des 4. Parteikongresses der SP am 17. Juli 2011 verpflich tete sich Kamalak erneut, Erbakans Vermächtnis - dem Aufbau einer neuen großen Türkei, der Schaffung einer "Gerechten Ord nung" und der islamischen Einheit - treu zu bleiben.149 Vertreter der "Milli Görüs"Bewegung prangerten regelmäßig Kapitalismus, Imperialismus, Zionismus und Rassismus an, die als Grundübel für die "derzeit herrschende ungerechte Weltordnung" gesehen werden. Der Weg der "Milli Görüs"Bewegung wird als der einzige Weg zur Rettung der gesamten Welt propagiert. So hob der stellvertretende SPVorsitzende Latif Öztek auf einer Wahlkampfveranstaltung im März 2011 hervor, dass die "von dem rassistischen Imperialismus unterdrückte Menschheit" mehr denn je der "Milli Görüs" bedürfe. Die Rettung der Menschheit hänge davon ab, dass die SP an die Macht komme, die sich statt Ausbeutung eine "Gerechte Ordnung" zu Eigen gemacht habe.150 149 "Milli Gazete", 22. Juli 2011, S. 13. 150 "Milli Gazete", 23. März 2011, S. 6. 293 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Bei einem internen Seminar beklagte der damalige Generalvor sitzende des "Vereins der Anatolischen Jugend" ("Anadolu Genclik Dernegi" - AGD) Ilyas Tongüc, dass die Welt wegen der "rassisti schen Imperialisten" nicht mehr lebenswert sei: "Überall auf der Welt - allen voran im Irak, in Afghanistan, Bosnien und Palästina - hat die westliche Zivilisation der Menschheit nichts als Blut und Tränen gebracht. Aus diesem Grunde ist es unabdingbar, eine Neue Welt zu gründen, die auf Recht und Gerechtigkeit basiert." ("Milli Gazete", 21. Februar 2011, S. 11) Die Rettung könne nur dadurch gelingen, dass die "Milli Görüs" an die Macht komme. Es sei unmöglich, diese Probleme mithilfe aus dem Westen importierter Vorstellungen zu lösen.151 Der stellvertretende SPGeneralsekretär Necmettin Aydin bekräf tigte, dass die Menschheit, die durch den "rassistischen Impe rialismus" zugunsten einiger Weniger ausgebeutet werde, der "Milli Görüs" mehr denn je bedürfe, damit eine "Gerechte Ord nung" gegründet werden könne: "Die Menschheit, die durch Kriege, Besatzung, Flucht, Ausbeutung und Tyrannei gerade wieder in ein finsteres Mittelalter geschleift wird, wartet auf die Neue Welt, die die SP schaffen wird, sobald sie an der Macht ist." ("Milli Gazete", 7. Februar 2011, S. 1 und 10) Unterstützung beim Aufbau einer "Neuen Welt" erwartet die "Milli Görüs"Bewegung auch von dem D8Staatenbündnis ("Developing Eight"), das Erbakan 1997 als türkischer Ministerpräsident initiiert hatte. Das Bündnis umfasst die größten Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung (Türkei, Indonesien, Iran, Ägypten, Bangladesch, Malaysia, Pakistan und Nigeria) und folgt dem Vor bild des G8Staatenbündnisses. 151 "Milli Gazete", 21. Februar 2011, S. 11. 294 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Obwohl der Wahlkampf der SP vom Tod Erbakans überschattet Parlamentswahlen war, bemühte sich die Partei, ihre Wähler zu mobilisieren. Die in der Türkei SP erreichte bei den Wahlen am 12. Juni 2011 lediglich 1,24% der abgegebenen Stimmen - ihr bislang schlechtestes Ergebnis - und verfehlte die geltende 10%Sperrklausel deutlich. Der SP kommt damit in der politischen Landschaft der Türkei derzeit lediglich eine marginale Bedeutung zu. Im Nachgang versuchten SPFunktionäre das schlechte Wahler gebnis zu beschönigen. Der Parteivorsitzende Kamalak rief dazu auf, sich durch den Sieg der Regierungspartei Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP - Gerechtigkeits und Entwicklungspartei) nicht ein schüchtern zu lassen. Die "Milli Görüs" sei unerschütterlich.152 Anlässlich einer Präsidiumssitzung der SP bewertete er das Wahl ergebnis als eine vorübergehende Krise der Partei. Das Volk habe der SP bei den Wahlen nunmehr die Pflicht auferlegt, "wichtigste Opposition außerhalb des Parlaments" zu sein.153 Am 17. Juli 2011 wurde Kamalak auf dem 4. Parteikongress als SPVorsitzender bestätigt. Die "Milli Görüs"Bewegung umfasst unterschiedliche Kompo IGMG und nenten, die von einer gemeinsamen ideologischreligiösen Aus "Milli Görüs"richtung und der Bindung an Erbakan zusammengehalten wer Bewegung den. Der "Milli Görüs" sind in der Türkei die SP, die Tageszeitung "Milli Gazete", der Fernsehsender "TV 5", die Jugendorganisation AGD sowie das "Zentrum für Wirtschafts und Sozialforschung" ("Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi" - ESAM) zuzuordnen. In Deutschland bzw. Europa wird die "Milli Görüs"Bewegung von der IGMG repräsentiert, die damit von zentraler Bedeutung für die außerhalb der Türkei lebenden Anhänger Erbakans ist. Erbakan wird auch nach seinem Tod von zahlreichen IGMGMit gliedern als Begründer und geistiger Führer der "Milli Görüs" Bewegung verehrt. So nahmen auch viele IGMGFunktionäre und Mitglieder aus Deutschland an seiner Bestattung teil, dar unter der seinerzeit amtierende IGMGVorsitzende Karahan, der in Begleitung von Generalsekretär Ücüncü und weiteren IGMGFunktionären der SPProvinzzentrale in Istanbul (Türkei) 152 "Milli Gazete", 20. Juni 2011, S. 1 und 10. 153 "Milli Gazete", 14. Juni 2011, S. 1 und 11. 295 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS einen Kondolenzbesuch abstattete.154 Darüber hinaus wurde die große Verehrung Erbakans bei zahlreichen Gedenkveranstaltun gen deutlich, welche die IGMG zu seinen Ehren während des ganzen Jahres 2011 durchführte. In Ansprachen, Videobeiträ gen, Bittgebeten und Gedichten wurden sein Leben und Wirken gewürdigt.155 So organisierte der IGMGRegionalverband Berlin im Mai 2011 einen Gedichtwettbewerb. Die Gewinnerin huldigte Erbakan als "wahren Glaubenskämpfer" und dankte ihm dafür, "ihnen die Idee einer Islamischen Union eingeprägt zu haben".156 An einzelnen Gedenkfeierlichkeiten nahmen auch SPVertreter teil, so der Funktionär und ehemalige türkische Justizminis ter Sevket Kazan bei einer IGMGVeranstaltung in Forchheim (Bayern)157 sowie der stellvertretende Parteivorsitzende Yakup Budak und der Funktionär Osman Kabaktepe bei einer IGMGVeranstaltung in Esslingen (BadenWürttemberg).158 Der Kolumnist Sakir Tarim, der in der Vergangenheit Gast bei IGMGVeranstaltungen war, sprach sich in der "Milli Gazete" eindeutig für die Zusammenarbeit der IGMG und der "Milli Görüs"Bewegung in der Türkei aus. In seiner Kolumne lobte er die Dienste der IGMG, die sich in verschiedenen Bereichen für Frauen, Männer, Jugendliche und ältere Menschen einsetze und zur Identitätswahrung beitrage. In diesem Zusammenhang bedürfe es sowohl der Zusammenarbeit als auch der notwendigen Unterstützung durch die Führungskräfte in der Türkei, um noch bessere Ergebnisse erzielen zu können.159 An Veranstaltungen der IGMG nahmen wiederholt Besucher aus der Türkei teil. Anlässlich der Delegiertenversammlung der IGMG am 14. Mai 2011 in Duisburg (NordrheinWestfalen) war der SPFunktionär und "Milli Gazete"Kolumnist Yasin Hatipoglu 154 "Milli Gazete", 3. März 2011, S. 6. 155 "Milli Gazete", 22. März 2011, S. 19; 23./24. April 2011, S. 9; 2. Mai 2011, S. 19 sowie 14. Juni 2011, S. 2. 156 "Milli Gazete", 17. Mai 2011, S. 20. 157 "Milli Gazete", 6. April 2011, S. 20. 158 "Milli Gazete", 26./27. März 2011, S. 20. 159 "Milli Gazete", 26./27. Februar 2011, S. 13. 296 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS angereist.160 Kazan nahm im Juli 2011 an einer dreitägigen Famili entagVeranstaltung der IGMG Schwaben teil und hielt dort eine Ansprache.161 Die enge Verbindung zwischen IGMG und "Milli Görüs"Bewe gung zeigte sich besonders deutlich bei den türkischen Parla mentswahlen. Auf einer in der "Milli Gazete" veröffentlichten Kandidatenliste der SP standen auch IGMGFunktionäre.162 An dem 4. Parteikongress der SP am 17. Juli 2011 nahmen neben einer Vielzahl von Gästen befreundeter islamischer und islamis tischer Organisationen eine Reihe von IGMGRegionalvertretern aus verschiedenen europäischen Ländern sowie der Funktionär der IGMGZentrale Mustafa Mollaoglu teil.163 Als Sprachrohr der "Milli Görüs"Bewegung bildet die formal "Milli Gazete" unabhängige türkische Tageszeitung "Milli Gazete" ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Komponenten der Bewegung und trägt zur Verfestigung der ideologischen Positionen bei. Repräsentanten der "Milli Görüs"Bewegung aus unterschiedli chen Bereichen stellen regelmäßig die Bedeutung der Publika tion heraus. In Deutschland ist die EuropaAusgabe der "Milli Gazete" erhältlich (seit Mai 2011 lediglich im Abonnement). In ihrer Berichterstattung nehmen neben der "Milli Görüs"Bewe gung insbesondere auch die IGMG und deren Veranstaltungen breiten Raum ein. Damit ist die "Milli Gazete" neben der Publi kation "IGMG Perspektif" und der zentralen IGMGHomepage eine der wichtigsten Informationsquellen für die Anhänger der Organisation. Seit Februar 2011 ist Mustafa Kurdas, Mitglied des SPVerwal tungsrates, neuer Chefredakteur der "Milli Gazete".164 Im Mai 2011 veröffentlichte die "Milli Gazete" ein zweiteiliges Interview mit 160 "Milli Gazete", 16. Mai 2011, S. 2 und 19. 161 "Milli Gazete", 22. Juli 2011, S. 20. 162 "Milli Gazete", 12. April 2011, S. 5. 163 Homepage der SP (19. Juli 2011). 164 "Milli Gazete", 14. Februar 2011, S. 1. 297 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ihm, in dem Kurdas die Bedeutung der Zeitung und deren unauf lösbare Einbindung in die "Milli Görüs"Bewegung betonte: "Was nehmen Sie als Maßstab in Ihrer Publikationspolitik? Darf zum Beispiel jeder Kolumnist schreiben, was er schreiben möchte? Welche Kriterien haben Sie hierfür? Die Milli Gazete ist eine Zeitung, die über bestimmte Sensibilitäten verfügt. Denn die Weltanschauung, die die Milli Gazete verteidigt, ist die Milli Görüs. Und die Milli Gazete ist stolz darauf." ("Milli Gazete" vom 30. Mai 2011, S. 9) "Verfügt die Milli Gazete über rote Linien, die für Sie unabdingbar sind? Ja natürlich: 1. Die MillA(r) Gazete ist verpflichtet, die Ereignisse aus muslimischen Blickwinkeln heraus zu betrachten. 2. Die Milli Gazete ist verpflichtet, die Ereignisse aus Erbakan'schen Blickwinkeln zu betrachten und die Erbakan'sche Entschlossenheit aufrecht zu erhalten. (...) 4. Die Milli Gazete wird auch in Zukunft die Stimme der Milli Görüs sein. Sie wird eine Stimme, die noch selbstbewusster und noch kräftiger ist. (...) Gibt es etwas, das ich nicht fragen konnte, aber Sie von sich aus gerne zum Ausdruck bringen möchten? Unser Wunsch ist, dass die Gemeinde die Milli Gazete mit allen Kräften unterstützt. Nur auf diese Art und Weise kann die Milli Gazete den von unserem Hodscha Erbakan gewünschten Punkt erreichen. Wir sind eine Familie. MillA(r) Gazete ist einer der wichtigsten Bestandteile dieser Familie. (...) Die MillA(r) Gazete und die Gemeinde der MillA(r) Görüs sind wie Fleisch und Blut untrennbar." ("Milli Gazete", 31. Mai 2011, S. 9) Nach dem Tod Erbakans erinnerte Kurdas daran, dass es Erbakan zufolge nicht möglich sei, sich der eigenen Werte bewusst zu wer den und zu erstarken, ohne diese Zeitung zu lesen.165 Auf den für die EuropaAusgabe der "Milli Gazete" ergänzten Seiten finden sich zu einem großen Teil Berichte zur IGMG, die in 165 "Milli Gazete", 21. März 2011, S. 10. 298 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ihrer Vielfältigkeit das Vereinsleben der IGMG widerspiegeln, wie z.B. Beiträge über IGMG-Veranstaltungen, Glückwunschinserate zu persönlichen Anlässen von IGMG-Mitgliedern, Kleinanzeigen und Spendenaufrufe. Darüber hinaus werden Presseerklärungen der IGMG, die Feiertagsgrußbotschaften des IGMG-Vorsitzenden sowie die von der IGMG-Abteilung für religiöse Rechtleitung herausgegebenen Texte der Freitagspredigt in der Europa-Ausgabe der "Milli Gazete" veröffentlicht. Einzelne Kolumnisten der Zeitung sind regelmäßig in Veranstaltungen der IGMG, z.B. die Durchführung von Seminaren, eingebunden.166 IGMG-Mitglieder besuchten wiederholt Büros der "Milli Gazete".167 Insbesondere nach dem Amtsantritt des neuen Chefredakteurs wurde 2011 eine verstärkte Kampagne zur Abonnentenwerbung für die "Milli Gazete" durchgeführt. Innerhalb der IGMG wird regelmäßig für den Bezug der Zeitung geworben168 und bei Veranstaltungen der IGMG ist die "Milli Gazete" gelegentlich mit eigenen Informationsständen vertreten.169 Neben der Berichterstattung zu aktuellen Themen und Veranstaltungshinweisen wird auch zu religiösen Themen Stellung genommen. Insbesondere in den Kolumnen von Mehmet Sevket Eygi wird häufig ein restriktives Islamverständnis vermittelt und Reformen werden abgelehnt. Reformversuche werden oft mit "Bestrebungen der Imperialisten" in Verbindung gebracht, die Muslime zu unterdrücken oder auszubeuten. So kritisierte Eygi auch Initiativen in der Türkei, den Islam zu reformieren und einen neuen Islam zu schaffen, als "eine Art von Zwietracht und Intrige". Hinter diesen Bemühungen stünden "der globale Kapitalismus, der Imperialismus, die Ausbeutung und die Lobby der Kreuzritter".170 "Internationale, ausbeuterische Kreise in den USA sowie die globalen Imperialisten" versuchten, in der Türkei "einen humanistischen Islam" einzuführen.171 Mehrfach forderte Eygi in der Vergangenheit in seinen Kolumnen die Einführung einer ausschließlich an Koran und Sunna 166 "Milli Gazete", 24. Februar 2011, S. 2 sowie 15. Juni 2011, S. 20. 167 "Milli Gazete", 7. Mai 2011, S. 20 sowie 6./7. August 2011, S. 20. 168 "Milli Gazete", 6. April 2011, S. 18; 16./17. April 2011, S. 6 sowie 20. Juni 2011, S. 16. 169 "Milli Gazete", 1. Juni 2011, S. 9 sowie 28. Juni 2011, S. 3. 170 "Milli Gazete", 11. August 2011, S. 6. 171 "Milli Gazete", 18./19. Juni 2011, S. 9. 299 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS orientierten staatlichen Ordnung und einer an den Maßstäben der Scharia orientierten Rechtsprechung. In einer Kolumne mit der Überschrift "Die weltlichen Angelegenheiten können nicht nach dem, was Menschen sagen, gelöst werden" führte er aus, dass es im Islam Werte und Kriterien gebe, an die man sich halten müsse; als Beispiele listete er u.a. Koran, Sunna, Hadithe sowie die Scharia auf. Den Willen des Volkes für richtig zu halten, sei fatal und falsch, da das Volk nicht über die nötige Ausbildung ver füge.172 Alle Aktivitäten, die im Widerspruch mit Koran, Sunna, Scharia und dem Islam im Allgemeinen stehen, bezeichnete Eygi als "unselig" und führte als Beispiel auch "Freundschaft oder ver wandtschaftliche Beziehungen mit ungläubigen Islamfeinden" an.173 Insbesondere die Vorschriften der Scharia und deren Befolgung sind für Eygi unantastbarer Teil des Islam. Bestrebungen, einen Islam ohne islamisches Recht erschaffen zu wollen, sieht er als Gefahr für den Glauben an und erklärt, jene, die die Scharia nicht akzeptierten, könnten keine Muslime sein. Wer die Gültigkeit der Scharia leugne, leugne auch alle übrigen islamischen Pflichten wie das rituelle Gebet, das Fasten oder die Almosensteuer.174 Neuer IGMGAm 14. Mai 2011 wählten die Delegierten auf einer Versamm Vorstand lung in Duisburg (NordrheinWestfalen) einen neuen IGMGVor stand und verabschiedeten eine neue Satzung. Nachfolger des bis dahin amtierenden Vorsitzenden Karahan wurde der ehemalige IGMGVorsitzende für das Gebiet Köln, Ergün. Als stellvertreten der Vorsitzender fungiert seitdem der bisherige Vorsitzende für HadschAngelegenheiten Hakki Ciftci. Ücüncü bleibt General sekretär. Ergün sieht die Schwerpunkte der künftigen Arbeit der IGMG bei den "Dienstleistungen" und kündigte an, "die Tätigkeiten, welche die Bildung und die religiöse Rechtleitung betreffen, zu überprüfen, um diese effektiver zu gestalten". Weiterhin beab sichtigt er, den europäischen Staaten mit einer intensivierten 172 "Milli Gazete", 14. Juli 2011, S. 6. 173 "Milli Gazete", 26./27. Februar 2011, S. 4. 174 "Milli Gazete", 6./7. August 2011, S. 6. 300 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Kommunikation und Präsentation des Islam entgegenzutreten, da deren Sicht auf den Islam von Sicherheitsaspekten geprägt sei, sodass dieser überwiegend mit Terrorismus in Verbindung gebracht werde.175 In der Dankesrede nach seiner Wahl zum Vorsitzenden sagte Ergün: "Unsere Tätigkeiten in den Bereichen Familienberatung, Bildungszentren, Studentenwohnheime, Rat für religiöse Fragen, Zentren für Imam-Ausbildung, Akademie für Leiter und Öffentlichkeitsarbeit werden zunehmen. Damit die Muslime in Europa in der Zukunft ihre islamische Identität bewahren und den nachfolgenden Generationen vermitteln können, kommt der IGMG eine große Verantwortung zu." (Homepage der IGMG, 16. Mai 2011) Ziel der Jugend und Bildungsarbeit der IGMG ist weiterhin die Bewusstseinsbildung und Herausbildung einer islamischen Identität, aber auch die Heranführung von Nachwuchskräften an die Organisation. Dementsprechend orientiert sich die Bildungs arbeit nicht ausschließlich an rein religiösen, sondern auch an organisationsinternen Themenstellungen.176 Der neue Leiter der IGMGBildungsarbeit Ekrem Kömürcü erklärte im Zusammen hang mit den Kursen der "Sommerschulen 2011": "Es ist kaum vermeidbar, dass unsere Kinder, die in einer pluralistischen Gesellschaft leben, Identitätskonflikte erleiden. Die staatlichen Angebote sind nicht ausreichend, um dieses Problem zu beheben. (...) Unser Anliegen ist es, unsere Kinder so zu erziehen, dass sie ihre religiösen und kulturellen Identitätsmerkmale erlernen und bewahren und so ihren Platz in der Gesellschaft einnehmen können. Wir achten darauf, den Horizont unserer Kinder zu erweitern, indem wir mit angemessenen pädagogischen und didaktischen Mitteln arbeiten und Wissen vermitteln, welches auf den Quellen des Islams basiert. In diesem Sinne haben wir die Kursleiter und -leiterinnen 175 "Milli Gazete", 9. Juni 2011, S. 1 und 20. 176 "Milli Gazete", 24. Februar 2011, S. 19 sowie 3. Juni 2011, S. 20. 301 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS auf die von uns vorgegebenen Inhalte vorbereitet und sie dahingehend geschult." (Homepage der IGMG, 27. Juni 2011) Bei ihrer Bildungsarbeit stützt sich die IGMG neben Koran und Sunna auf zahlreiche selbst entwickelte Unterlagen, darunter drei von der Organisation herausgegebene Lehrbücher ("Grund wissen"). Dabei orientiert sie sich auch am Islamverständnis und den Zielsetzungen der "Milli Görüs"Bewegung, was zum Teil in deutlichem Widerspruch zur offiziell bekundeten Integrations bereitschaft steht. Darüber hinaus treten regelmäßig Vertreter der "Milli Görüs"Bewegung sowie Kolumnisten der "Milli Gazete" bei Seminaren als Referenten auf. Bewertung Mit dem Tod Erbakans hat die "Milli Görüs"Bewegung ihren Begründer und geistigen Führer verloren. Dies stellt eine Zäsur für die "Milli Görüs"Bewegung insgesamt dar, vornehmlich da es innerhalb der Bewegung niemanden gibt, der über vergleichbares Charisma und Integrationspotenzial verfügt. Hinzu kommt, dass die SP nach der Niederlage bei den türkischen Parlamentswahlen in der politischen Bedeutungslosigkeit zu versinken droht. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die IGMG unter ihrem neuen Vorsitzenden Ergün die veränderten Rahmenbedingungen nutzen wird, ihre Position innerhalb der "Milli Görüs"Bewegung neu zu bestimmen. Die IGMG ist zwar streng hierarchisch struktu riert, stellt aber keinen durchgehend homogenen Verband dar. Bereits seit einigen Jahren gibt es innerhalb der IGMG neben eher traditionalistisch ausgerichteten ErbakanAnhängern auch reformorientierte Kräfte, die eine Umgestaltung der IGMG in eine Organisation anstreben, die weniger als bisher von der "Milli Görüs"Bewegung in der Türkei abhängig ist. Diese Kräfte könnten die Gelegenheit nutzen, um ihren Handlungsspielraum zu erweitern und die Loslösung aus der "Milli Görüs"Bewegung weiter voranzutreiben. Dieser Loslösung steht jedoch eine tiefe Verbundenheit weiter Teile der IGMG mit Erbakan und der von ihm gegründeten "Milli Görüs"Bewegung entgegen. Eher allgemein gehaltenen verbalen Distanzierungsversuchen führender Funktionäre in der Vergan genheit folgten keine konkreten Taten. Auch aktuell zeichnet 302 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS sich bislang, wie die vielfachen Treuebekundungen anlässlich des Todes von Erbakan belegen, noch keine nachvollziehbare Distan zierung und Lösung der IGMG insgesamt von Erbakan und seiner Ideologie ab. Dies stellt die verbalen Bekenntnisse der IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat und eine damit verbundene Abkehr von den poli tischen Vorgaben Erbakans unverändert infrage. Die tatsächlichen Aktivitäten der IGMG sind in ihrer Gesamtheit eher geeignet, desintegrative Wirkungen zu entfalten und aufgrund der gene rellen Prägung durch die "Milli Görüs"Ideologie eine ablehnende Haltung gegenüber westlichen Werten zu verstärken und Demo kratiedistanz zu fördern. Der Bundesminister des Innern hat mit Verfügung vom Verbot der 23. Juni 2010 den Verein IHH wegen des Verstoßes gegen den "Internationalen Gedanken der Völkerverständigung gemäß SS 3 Abs. 1 Vereinsge Humanitären setz verboten (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI). Hilfsorganisation e.V." (IHH) Bei der IHH handelte es sich um einen bundesweit tätigen Ver ein zur Sammlung von Spenden mit Sitz in Frankfurt am Main (Hessen). Die Spenden sollten nach Angaben der Organisation vornehmlich für humanitäre Zwecke in Krisenregionen verwen det werden. Tatsächlich überwies die IHH u.a. über 6,6 Millionen Euro an Sozialvereine, die der islamistischen HAMAS (vgl. Nr. 1.3) zugerechnet werden können. Die IHH hat jahrelang in beträcht lichem Umfang den in den Palästinensergebieten ansässigen HAMASSozialvereinen Spendengelder überwiesen und damit mittelbar die terroristischen Aktivitäten der HAMAS unterstützt. Das Verbot der IHH wurde am 12. Juli 2010 vollzogen und der Ver ein aufgelöst. Am 18. April 2012 wurde die Klage der IHH gegen das Verbot vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vollum fänglich abgewiesen. Nach Überzeugung des Gerichts hat die IHH Spendengelder in beträchtlichem Umfang und über einen langen Zeitraum der "Islamic Society" und der "Salam Society for Relief & Development" überlassen. Diese im Gazastreifen tätigen Sozial vereine sind Bestandteile des Gesamtgefüges der HAMAS, die terroristische Handlungen begeht und dadurch Gewalt in das Ver hältnis des israelischen und palästinensischen Volkes hineinträgt. 303 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die IGMG übte über das ausschließlich aus Funktionären der IGMG bestehende Kuratorium der IHH einen erheblichen Ein fluss auf den Verein aus. Mitglieder des Kuratoriums waren u.a. der Generalsekretär der IGMG, der stellvertretende Vorsitzende der IGMG und der Leiter der Rechtsabteilung der IGMG. Laut Sat zung wurde der Vorstand der IHH vom Kuratorium ernannt und konnte von diesem jederzeit abberufen werden. Zudem musste der Verein das Kuratorium über Rechtsgeschäfte ab einem Wert von 10.000 Euro vorab schriftlich unterrichten. 2.2 "Türkische Hizbullah" (TH) Gründung: Anfang der 1980er Jahre in der Türkei Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 350 (2010: 300) Publikationen: "Yeni Müjde" ("Neue Frohe Botschaft"); "Inzar" ("Warnung"); "Dogru Haber" ("Wahre Nachricht"); "Kelhaamed" ("Prächtiges Diyarbakir"); "Kendi Dilinden Hizbullah" ("Die Hizbullah in eigenen Worten") Die TH entstand Anfang der 1980er Jahre aus dem Zusammen schluss kleiner Gruppierungen im Raum Diyarbakir (Türkei). Obwohl die Anhänger der TH mehrheitlich sunnitische Kurden sind, wird der Begriff "Türkische Hizbullah" in Abgrenzung zur schiitischen libanesischen "Hizb Allah" (vgl. Nr. 1.1) verwendet. Ziele Hauptziel der Organisation ist die Beseitigung des laizistischen Staatssystems in der Türkei und langfristig die Errichtung eines weltumfassenden Staates auf Grundlage der Scharia. Zur Umset zung ihrer Vorstellungen rechtfertigt die TH die Anwendung von Gewalt. Hierzu heißt es in dem vermutlich im Jahr 2004 304 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS erschienenen ideologischen Hauptwerk der Organisation "Die Hizbullah in eigenen Worten" ("Kendi Dilinden Hizbullah") von I. Bagasi (Pseudonym des THFührungsfunktionärs Isa Altsoy): "Tausendfacher Dank an Gott, der uns die Hizbullah-Gemeinde und die Zugehörigkeit zu dieser Gemeinde geschenkt hat, die sich auf das Kampffeld begeben hat, um die Herrschaft des Islam überall zu verbreiten. (...) Mit dem Wunsch eine vereinte islamische Umma zu gründen, in der (...) die göttliche Gerechtigkeit herrscht und die Hadd-Strafen gelten, haben wir das Kämpfen für diesen Glauben und dieses Ziel als unser islamisches Bekenntnis und als eine Notwendigkeit des Islam nach dem Verständnis des Propheten betrachtet. Für solch eine heilige Mission zu kämpfen, Schmerz und Folter zu erdulden und sogar als Märtyrer zu sterben, haben wir als eine Ehre empfunden. Auch in der Zukunft werden wir dieser heiligen Mission und diesen Werten verbunden bleiben und es als Ehre und Würde empfinden, dafür zu kämpfen." ("Kendi Dilinden Hizbullah", S. 11 und 68) Der Organisation, die sich zwischen Ende der 1980er und Mitte der 1990er Jahre blutige Auseinandersetzungen mit der extremis tischen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) lieferte, wurden in der Vergangenheit eine Vielzahl von Morden und weiteren Gewalt taten zugerechnet, u.a. gegen liberale türkische Journalisten und Staatsvertreter sowie "Verräter" aus den eigenen Reihen. In den Jahren 1999/2000 wurde die Organisation in der Türkei durch Exekutivmaßnahmen empfindlich geschwächt. Im Rahmen die ser Maßnahmen wurden der damalige Anführer der TH Hüseyin Velioglu getötet und zahlreiche Führungsfunktionäre verhaftet. Der hohe Verfolgungsdruck führte dazu, dass sich zahlreiche THAktivisten nach Westeuropa, u.a. auch nach Deutschland absetzten. Die TH nutzt seither auch Deutschland als Rückzugsraum zur personellen und logistischen Reorganisation. So sammelt die Organisation in Deutschland Spenden, vertreibt Publikationen und lädt - oftmals aus religiösem Anlass - zu Veranstaltungen ein. Im April 2011 nahmen etwa 1.500 bis 2.000 Personen an 305 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS einer europaweiten Großveranstaltung in Belgien anlässlich der "Geburt des Propheten" ("Kutlu Dogum") teil. 3. Sonstige 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten In Deutschland existieren eine Reihe islamischer Zentren und Organisationen regimetreuer Iraner, die der iranischen Staatsfüh rung und damit auch der iranischen Verfassung samt ihrer theo kratischen Staatsdoktrin unterstehen. Mit ihrer Hilfe versucht das iranische Regime, auch in Deutschland seinen ideologischen Ein fluss auf die hier lebenden Schiiten unterschiedlicher Nationalität zu festigen und auszubauen. "Islamisches Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegründete Zentrum Hamburg IZH, das Trägerverein der "Imam Ali Moschee" ist. Der Leiter des e.V." (IZH) IZH, Reza Ramezani, gilt als Vertreter des "Revolutionsführers" der Islamischen Republik Iran - derzeit Ayatollah Seyyed Ali Khamenei - in Mitteleuropa. In dessen Auftrag verbreitet das IZH die schiitische Glaubenslehre und propagiert gleichzeitig die iranische Staatsdoktrin, nach der die Staatsgewalt nicht vom Volk ausgeht, sondern allein religiös legitimiert werden kann. Ramezani setzte auch 2011 seine Bemühungen fort, das IZH und sich selbst als unpolitisch, kooperativ und für eine moderate Islaminterpretation eintretend darzustellen. Tatsächlich verbreitet das IZH aber nach wie vor die Ideologie eines islamischen Gottes staates nach iranischem Vorbild. Das IZH organisiert u.a. regelmäßige Gebets und Vortragsver anstaltungen, religiöse Feierlichkeiten, Sprachunterricht sowie weitere Lehrveranstaltungen. Ein vielfältiges Angebot an Büchern und sonstigen Schriften unterstützt diese Bemühungen. Das IZH war im Oktober 2011 auf der Frankfurter Buchmesse vertreten. Am 27. August 2011 nahmen Führungsfunktionäre des IZH an der jährlich in Berlin durchgeführten Demonstration anlässlich des "alQudsTages" (vgl. Nr. 1.1) teil. 306 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Das IZH ist als die wichtigste ideologische Basis des Iran in Bewertung Deutschland anzusehen. Die Aktivitäten des IZH sind nach wie vor durch den unverändert gültigen Auftrag der iranischen Ver fassung zur Errichtung einer islamischen Weltgemeinschaft iranischer Prägung bestimmt. Anhaltspunkte für eine künftige Änderung dieser Linie liegen nicht vor. 3.2 "Tablighi Jama'at" (TJ - "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") Gründung: um 1926 in Indien Leitung: WeltSchuraRat Vorsitzender: Maulana Ibrahim Saad Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 700 (2010: 700) Die TJ wurde um 1926 von Maulawi Mohammad Ilyas (1885-1944) Transnationale als eine islamische Wiedererweckungsbewegung gegründet. Die Massenbewegung Organisation expandierte zunächst über den indischen Subkon tinent nach Südasien, später auf die arabische Halbinsel, über Afrika und Europa (in den 1960er Jahren) bis nach Nordamerika. Heute ist die TJ eine transnationale Massenbewegung mit welt weit mehreren Millionen Anhängern. Die TJ ist hierarchisch gegliedert und wird in ihrer weltanschau lichen Konzeption durch Zentren in Raiwind (Pakistan), NeuDelhi (Indien) und Dhaka (Bangladesch) geleitet. Neben nationalen Zentren u.a. in Frankreich, den Niederlanden und Portugal befindet sich das mutmaßliche TJZentrum für Europa in Dewsbury (Großbritannien). Der ideologische Ursprung der TJ findet sich im indischen Ideologie "Dar alUlum Deoband" (arabisch für "Haus des Wissens in Deoband"), das 1867 in der indischen Kleinstadt Deoband gegrün det wurde. Aus dem Gebot des Korans, "das Rechte zu befehlen und das Verwerfliche zu verbieten", für das Ilyas die Begriffe "tabligh" und "Da'wa" (arabisch für "Einladung zum Islam") 307 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS verwendete, leitete dieser die Notwendigkeit der Verbreitung der islamischen Botschaft als Pflicht aller Muslime ab. Schwerpunkt Durch weltweite Missionierungsbemühungen versucht die TJ, Missionierung neue Anhänger zu gewinnen, um diese zu einer kompromisslos an islamischen Geboten orientierten Lebensführung zu verpflich ten. Die Missionierungsbestrebungen richten sich vorwiegend an Muslime, deren Lebensgestaltung sich bisher nicht an den von der TJ praktizierten Grundsätzen orientiert, in Einzelfällen jedoch auch an Konvertiten. Die Anhänger der Bewegung sind gehalten, regelmäßig und frei willig missionarisch tätig zu werden: Jeder TJAnhänger soll monatlich eine dreitägige Missionierungsreise durchführen, vor rangig im Umfeld der Heimatmoschee oder in Nachbarstädten. Eine 40 Tage dauernde Missionierungsreise im In oder Ausland soll einmal im Jahr und eine viermonatige Missionierungsreise durch die Ursprungsländer der Bewegung - Pakistan, Indien und Bangladesch - zumindest einmal im Leben durchgeführt werden. Diese von jedem Anhänger grundsätzlich selbst zu finanzierenden Reisen dienen nicht nur der Verbreitung des Glaubens, sondern gleichermaßen der persönlichen Weiterentwicklung durch Ver vollkommnung und Vertiefung der individuellen Religiosität. Katalysator für Erfolgreiche Missionierungsbemühungen der TJ haben häufig "jihadistische" eine sichtbare Veränderung des Sozialverhaltens der Geworbenen Rekrutierungszur Folge. Die Ablehnung westlicher Wertvorstellungen kann in bemühungen nichtmuslimischen Ländern gesellschaftspolitisch desintegrativ wirken sowie zur Entstehung von Parallelgesellschaften beitragen. Hierdurch können individuelle Radikalisierungsprozesse beför dert und damit die Voraussetzungen für ein weiteres Abgleiten in ein terroristisches Umfeld geschaffen werden. Es liegen Anhalts punkte dafür vor, dass die TJ "jihadistischen" Organisationen und Netzwerken als Rekrutierungspool dient, indem diese z.B. versu chen, das durch die TJ geprägte konservative Islamverständnis einer Person durch eine "jihadistische" Komponente zu ergänzen. In Einzelfällen sollen Mitglieder terroristischer Gruppierungen und Netzwerke die Infrastruktur der TJ für ihre eigenen Reisezwe cke genutzt haben. 308 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Aktivitäten der TJ in Deutschland werden über ein hierar Aktivitäten in chisch aufgebautes Netzwerk von Aktivisten sowie über infor Deutschland melle Kontakte der Anhänger untereinander koordiniert. Eine übergeordnete, weisungsbefugte Instanz ist in Deutschland nicht feststellbar. Einige Personen heben sich jedoch aufgrund ihrer Erfahrungen bedingt durch eine vieljährige Verweildauer in der Bewegung und hinsichtlich ihrer Missionierungsreisen, ihres dadurch gewonnenen überdurchschnittlichen (Koran)Wissens sowie ihres fortlaufenden Engagements für die Bewegung von der übrigen Anhängerschaft ab. Sie fördern in besonderem Maße den Zusammenhalt und die Missionierungsaktivitäten der TJ. In Deutschland existieren TJEinrichtungen in Berlin, Bochum, Köln (beide NordrheinWestfalen), Friedrichsdorf (Hessen), Hamburg, Hannover (Niedersachsen), München und Pappenheim (beide Bayern). Diese Vereine bzw. Moscheen weisen in ihren Sat zungen allerdings nicht ausdrücklich auf die TJ hin. Wie bereits in den vergangenen Jahren hielt die TJ Versamm lungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene ab. Sie dienen der gemeinsamen religiösen Praxis, der Abstimmung und Kontrolle der Missionierungsarbeit sowie dem Erfahrungsaus tausch. Das jährliche Deutschlandtreffen fand im März 2011 in Hannover (Niedersachsen) statt. Hieran nahmen etwa 250 Perso nen aus dem In und Ausland teil. Ein internationales Treffen hat z.B. im Juni 2011 in Istanbul (Türkei) stattgefunden. Im Verständnis der TJ bedingt die wortgetreue Interpretation Bewertung des Korans den Vorrang islamischer Rechtsvorschriften gegen über staatlichen Gesetzen. Damit widerspricht die Ideologie der TJ wesentlichen demokratischen Grundsätzen, insbeson dere dem der Trennung von Staat und Religion. Das angestrebte Gesellschaftsmodell benachteiligt sowohl Nichtmuslime als auch Frauen. Die TJ lehnt nach eigenem Bekunden Gewalt grund sätzlich ab. Die Entfremdung ihrer Anhänger von europäischen Wertvorstellungen und Gesellschaftsformen kann jedoch Radika lisierungsprozesse fördern und Voraussetzungen für ein Abgleiten einzelner Mitglieder in "jihadistische" Milieus schaffen. Die TJ hat auch im Berichtszeitraum ihre Missionierungsak tivitäten fortgesetzt; neben zahlreichen Missionierungsreisen innerhalb Deutschlands haben deutsche TJAnhänger wiederholt 309 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Reisen in europäische Nachbarstaaten sowie zu den Zentren der TJ in Indien und Pakistan unternommen. Trotzdem stagniert die Zahl der TJAnhänger in Deutschland seit Jahren. Dies könnte u.a. an den hohen zeitlichen und finanziel len Anforderungen liegen, die eine Zugehörigkeit zur TJ mit sich bringt. Gleichwohl sind auch in den kommenden Jahren intensive Missionierungsbemühungen der TJ in Deutschland zu erwarten. 3.3 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) Gründung: Anfang der 1990er Jahre im Kaukasus Mitglieder/Anhänger in Deutschland: insgesamt 500 (2010: 500) Die Organisation ist gespalten in "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) Leitung: Ahmed Zakaev Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 300 (2010: 300) und "Kaukasisches Emirat" Leitung: Dokku Umarov Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 200 (2010: 200) Nach dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1991 gründete sich in Tschetschenien Anfang der 1990er Jahre eine separatistische Bewegung, die sich die Bezeichnung "Tschetschenische Republik 310 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Itschkeria" (CRI) gegeben hat, im Folgenden NKSB genannt.177 Die NKSB strebt die Unabhängigkeit Tschetscheniens von der Russi schen Föderation in Form eines islamischen Staates auf Grund lage der Scharia an. Die Proklamation des "Kaukasischen Emirats" durch Umarov im Jahr 2007 hatte die Spaltung der Organisation in das islamis tischterroristisch ausgerichtete "Kaukasische Emirat" und die vorgeblich "prodemokratische" bzw. "nationalistische" CRI zur Folge. Die Spaltung setzte sich auch in der nordkaukasischen Diaspora in Deutschland fort. Das Ziel der Anhänger der NKSB, einen von der Russischen Föde ration unabhängigen islamischen Staat zu errichten, versucht das "Kaukasische Emirat" auf dem Gebiet des gesamten Nordkau kasus mit Hilfe des bewaffneten Kampfes, die CRI hingegen in Tschetschenien auf politischem Wege zu erreichen. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat mit Resolution Aktuelle Nr. 1267 vom 10. März 2011 beschlossen, Umarov als Anführer Entwicklungen einer terroristischen Gruppierung im Nordkaukasus in ihrem Ver zeichnis internationaler terroristischer Organisationen zu führen. Der seit August 2010 anhaltende Konflikt innerhalb des "Kaukasischen Emirats" über die strategische und militärische Ausrichtung wurde Ende Juli 2011 mit einer Videobotschaft der beiden wichtigsten tschetschenischen Kommandeure beigelegt. Diese bekundeten ihre Aussöhnung mit Umarov und erneuerten ihm gegenüber ihren Treueeid. Die Gründe für die Versöhnung dürften vorrangig strategischer Natur bzw. durch personelle Ver luste in der Führungsriege begründet sein. Eine Gruppe abtrün niger Kämpfer verweigert Umarov jedoch weiterhin die Gefolgs chaft. Damit sind auch künftig Auseinandersetzungen innerhalb des "Kaukasischen Emirats" zu erwarten. Zakaev, der im Oktober 2010 als "Ministerpräsident" der CRI zurückgetreten war und sich mit den abtrünnigen tschetscheni schen Kommandeuren solidarisiert hatte, bekleidet nach vorlie genden Informationen nach wie vor die Funktion des offiziellen 177 Bei der Bezeichnung NKSB handelt es sich um einen Arbeitsbegriff der Sicher heitsbehörden. 311 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Führers der CRI. Der tatsächliche Einfluss Zakaevs erscheint jedoch zu gering, um Umarovs dominierende Rolle im Nordkau kasus zu gefährden. Der Einfluss Zakaevs auf die europäische Dias pora schwindet ebenso. Funktionsträger und Führungsstrukturen der CRI sind vor allem im europäischen Ausland festzustellen. Fortführung Der KaukasusKonflikt wird zunehmend in die Zentren der Russi der Anschläge schen Föderation getragen; immer wieder verüben nordkaukasi sche Separatisten dort verheerende Anschläge. Bei einem Selbstmordattentat auf dem Moskauer Flughafen Domodedowo am 24. Januar 2011 wurden 36 Menschen, darunter ein Deutscher, getötet und über 200 Personen zum Teil schwer verletzt. Umarov bekannte sich in einer Videobotschaft zu dem Attentat. Als Rechtfertigung nannte er Vergeltung für die "russi sche Invasion, Völkermord und Verbrechen im Kaukasus". Anfang 2011 wurde eine Reihe von Anschlägen bzw. Anschlags versuchen in der Nähe von Sotschi (Russland), dem Austragungs ort der Olympischen Winterspiele 2014, verübt. Beispielsweise wurde in einem Skigebiet eine Seilbahn gesprengt, ein Angriff auf einen mit russischen Touristen besetzten Kleinbus verübt und an einer Gaspipeline eine Sprengvorrichtung platziert, die entschärft werden konnte. Obwohl keine Bekennerschreiben vorliegen, gehen die russischen Sicherheitsbehörden von der Urheberschaft militanter kaukasischer Gruppierungen aus, da kaukasische Sepa ratisten zuvor bereits öffentlich gedroht hatten, die Olympischen Winterspiele zu stören. Aktivitäten in Einzelne Anhänger des "Kaukasischen Emirats" in Deutschland Deutschland verfügen über direkte Kontakte zu Führungspersonen im Kaukasus oder sind mit islamistischen und zum Teil auch kriminell orga nisierten Strukturen in Europa vernetzt, insbesondere in Belgien, Österreich und Tschechien. In Deutschland bzw. Europa werden vorrangig Gelder zur Unterstützung der Bewegung im Nordkaukasus gesammelt. Am 23. November 2010 wurden in Aachen (NordrheinWestfalen), Antwerpen (Belgien) und Amsterdam (Niederlande) sowie am 1. Dezember 2010 in Wien (Österreich) Personen tschetscheni scher Herkunft festgenommen, die neben der Sammlung von 312 ISLAMISMUS/ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Spendengeldern auch der Rekrutierung von Kämpfern für den Nordkaukasus beschuldigt werden. Anschläge und Anschlagsversuche des "Kaukasischen Emirats" Bewertung bzw. kaukasischer Gruppierungen in der Russischen Föderation sollen dem KaukasusKonflikt eine weltweite Aufmerksamkeit sichern und zugleich die Unfähigkeit russischer Sicherheitsbehör den demonstrieren. Von Anhängern der NKSB in Deutschland geht nach bisherigen Erkenntnissen keine Bedrohung für Personen oder Einrichtungen aus. Deutschland dient primär als Rückzugsraum für die finan zielle und logistische Unterstützung der Organisation im Nord kaukasus. Es liegen zudem keine Anhaltspunkte vor, dass sich die seit Jahren konstanten Anhängerzahlen in Deutschland in naher Zukunft deutlich verändern werden. 313 314 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 315 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) I. Überblick 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) Die Aktivitäten der in Deutschland agierenden - nichtislamisti schen - extremistischen Ausländerorganisationen wurden auch 2011 im Wesentlichen durch aktuelle politische Entwicklungen und Ereignisse in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Die meisten dieser Gruppierungen betrachten Deutschland als siche ren Rückzugsraum, von dem aus sie ihre Mutterorganisationen im Heimatland propagandistisch und materiell unterstützen. "Arbeiterpartei Die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbei Kurdistans" (PKK) terpartei Kurdistans" (PKK) setzte ihren nach eigenem Bekunden auf eine friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes gerichteten Kurs fort. Unabhängig davon verfolgt die PKK weiterhin ihre lang jährige Doppelstrategie: bewaffnete Auseinandersetzungen im Kampfgebiet und ein weitgehend friedliches, wenn auch in der letzten Zeit in wachsendem Maße mit Militanz unterlegtes Vorge hen in Europa. Ziele der Organisation sind nach wie vor die kulturelle und poli tische Eigenständigkeit für die kurdische Minderheit in der Türkei sowie die Freilassung bzw. Verbesserung der Haftbedingungen des inhaftierten Führers Abdullah Öcalan. Die Anhänger der PKK in Deutschland veranstalteten - insbe sondere durch die "Föderation Kurdischer Vereine in Deutsch land e.V." (YEKKOM) - wie in den Jahren zuvor eine Reihe von Großveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, die häufig für propagandistische Zwecke sowie zur Anwerbung neuer Anhänger für die PKK genutzt werden. Im türkischirakischen Grenzgebiet kam es zwischen dem militä rischen Arm der PKK, den sogenannten Volksverteidigungskräften 316 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) (HPG), und dem türkischen Militär erneut zu bewaffneten Aus einandersetzungen, die auch europaweit Spannungen zwischen der PKK nahestehenden Kurden und nationalistischen Türken zur Folge hatten. In diesem Zusammenhang führten Anhänger der Jugendorgani sation der PKK, der "Komalen Ciwan", öffentlichkeits und medi enwirksame Besetzungsaktionen durch. Das Internet bietet mit seinen diversen Diensten der Anhänger schaft der PKK vielfältige Möglichkeiten. Das Medium wird von - insbesondere jugendlichen - PKKAnhängern u.a. zur Verbrei tung von Propaganda sowie als Kommunikations und Agita tionsmedium genutzt. Organisationsbezogene Homepages, wie beispielsweise der HPG oder "Gerilla TV", glorifizieren in ihren Beiträgen und Darstellungen vor allem die kämpfenden Gueril laeinheiten. Linksextremistische, überwiegend türkische Ausländergruppie Linksextremistische rungen, deren ideologische Wurzeln zumeist auf einer mar Positionen xistischleninistischen, maoistischen Weltanschauung basieren, verfolgen nach wie vor die "revolutionäre" Zerschlagung der bestehenden Gesellschaftsordnung und die Errichtung sozialis tischer bzw. kommunistischer Systeme in ihren Heimatländern. Einige der türkischen linksextremistischen Gruppierungen pro Türkische pagieren als Teil ihres Konzepts den bewaffneten Kampf und linksextremistische übernehmen auch immer wieder die Verantwortung für terroris Organisationen tische Anschläge in ihrem Heimatland. In Deutschland agieren diese Organisationen gewaltfrei. Ihre Agitation umfasst neben Themen aus der Türkei auch Inhalte der politischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland; hier bei gerieren sie sich insbesondere als Vertreter von Migranten und Arbeiterinteressen. Nationalistische oder nationalistisch geprägte Ausländerorgani Nationalistische sationen messen der Nation sowohl ethnischkulturell als auch Positionen politischterritorial den höchsten Stellenwert zu und missachten im Rahmen ihrer Propaganda die Rechte und Interessen ande rer Völker. Sie bemessen den Wert eines Menschen nach seiner Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse und agieren somit in 317 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) einem elementaren Widerspruch zu den fundamentalen Men schenrechten und dem Gedanken der Völkerverständigung. Eine große Anzahl junger Anhänger dieser Ideologie nutzt hierbei die Möglichkeiten der Anonymität des Internets, um ihre nationalis tischen Anschauungen zu verbreiten. Anhänger der türkischen nationalistischen "Ülkücü"Bewe gung (Verdachtsfall), die in der Öffentlichkeit auch als "Graue Wölfe" bezeichnet werden, traten insbesondere im Rahmen von Demonstrationen in Erscheinung, in deren Verlauf es vereinzelt zu massiven Ausschreitungen zwischen nationalistischen Türken und Kurden kam. Iranische Die Aktivitäten der marxistischleninistischen iranischen "Arbei Oppositionsgruppen terkommunistischen Partei Iran" - API - (Verdachtsfall) richteten sich weiterhin primär gegen die politischen Verhältnisse in der Islamischen Republik Iran mit dem Ziel, dort einen Umsturz durchzuführen und eine sozialistischen Republik zu errichten. In Deutschland thematisierte diese Gruppierung insbesondere die Menschenrechtssituation im Iran und die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe. Asiatische Separatistische asiatische Organisationen wie die "Liberation Separatisten Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) und Organisationen aus der Reli gionsgemeinschaft der Sikhs streben die Loslösung vom Staat Sri Lanka bzw. Indien und die Errichtung eigener Staaten an. Die Anhänger dieser Gruppierungen konzentrierten sich in Deutsch land auf propagandistische Aktivitäten und die Beschaffung von Geldmitteln zur Unterstützung ihrer Organisationen im jeweili gen Heimatland. Zweieinhalb Jahre nach der militärischen Zerschlagung der LTTE in Sri Lanka im Mai 2009 befindet sich die Organisation weiterhin in einem Prozess der Neuordnung. 318 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2. Organisationen und Personenpotenzial Das Mitglieder und Anhängerpotenzial der insgesamt 45 (2010: 44) nichtislamistischen sicherheitsgefährdenden bzw. extremistischen Ausländerorganisationen ist mit 26.410 Personen gegenüber dem Vorjahr (2010: 24.910) angestiegen: Während sich die Anhängerzahl der linksextremistischen Ausländergruppierun gen gegenüber 2010 von 17.070 auf 18.570 Personen erhöhte, blieb das Potenzial der nationalistischen Ausländergruppierungen mit 7.840 Personen unverändert. Mitgliederpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen1 (ohne Islamismus) Staatsangehörigkeit Linksextremisten Extreme Gesamt bzw. Nationalisten Volkszugehörigkeit Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Kurden 2 2011 19 13.000 19 13.000 2010 19 11.500 19 11.500 2009 19 11.500 19 11.500 Türken2 2011 12 3.150 1 7.000 13 10.150 2010 12 3.150 1 7.000 13 10.150 2009 12 3.150 1 7.000 13 10.150 Araber2 2011 4 150 4 150 2010 4 150 4 150 2009 4 150 4 150 Iraner 2011 2 1.150 2 1.150 2010 2 1.150 2 1.150 2009 2 1.150 2 1.150 Sonstige 2011 2 1.120 5 840 7 1.960 2010 2 1.120 4 840 6 1.960 2009 2 920 4 840 6 1.760 Summe 2011 39 18.570 6 7.840 45 26.410 2010 39 17.070 5 7.840 44 24.910 2009 39 16.870 5 7.840 44 24.710 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. 319 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 1. Gruppierungen aus dem kurdischen Spektrum 1.1 Überblick Von den rund 800.000 hier lebenden ethnischen Kurden gehören etwa 13.000 (2010: 11.500) zur Anhängerschaft der in Deutschland mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegten "Arbeiterpartei Kudistans" (PKK). Zu den zentralen For derungen der Organisation gehören die erweiterte kulturelle und politische Eigenständigkeit für die kurdische Minderheit in der Türkei sowie die Freilassung bzw. Verbesserung der Haftbedin gungen ihres auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftier ten Führers Abdullah Öcalan. Das Aktionsverhalten der PKK in Deutschland wird weiterhin entscheidend von der aktuellen Lage in der Türkei und in den kurdischen Siedlungsgebieten beein flusst. Neben der logistischen und finanziellen Unterstützung der Gesamtorganisation lag ein wesentlicher Schwerpunkt der PKKAktivitäten in Deutschland in der Vorbereitung und Durch führung von Großveranstaltungen, welche häufig sowohl für pro pagandistische Zwecke wie auch zur Anwerbung neuer Anhänger für die PKK genutzt werden. Darüber hinaus intensivierte die PKK ihre Bemühungen - insbe sondere durch die "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEKKOM) -, durch Öffentlichkeitsarbeit und Kontaktpflege zu politischen Entscheidungsträgern ihre Anliegen zu platzieren, und sich damit als eine trotz Verbots handlungsfähige Organisa tion darzustellen. Im türkischirakischen Grenzgebiet kam es zu verschärften mili tärischen Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und den Guerillaeinheiten der PKK, den sogenannten Volksver teidigungskräften (HPG), die europaweit auch zu Spannungen zwischen der PKK nahestehenden Kurden und nationalistischen Türken führten. 320 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Bei bestimmten Ereignissen, insbesondere im Zusammenhang mit den Haftbedingungen Öcalans oder den bewaffneten Auseinan dersetzungen im türkischirakischen Grenzgebiet, wurde deutlich, dass die Organsiation in Deutschland nach wie vor in der Lage ist, ihre Anhänger und Mitglieder kurzfristig zu mobilisieren. 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung: 1978 als "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) in der Türkei weitere Bezeichnungen: - "Freiheits und Demokratiekon gress Kurdistans" (Kongreya AzadA(r) A" Demokrasiya Kurdistane - KADEK) - "Volkskongress Kurdistans" (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA GEL) - "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (Koma Komalen Kurdistan - KKK) - "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan - KCK) Führung: Abdullah Öcalan Mitglieder/Anhänger: 13.000 (2010: 11.500) Publikationen/Medien: u.a. "Serxwebun" ("Unabhängigkeit"), monatlich; "Sterka Ciwan" ("Stern der Jugend"), monatlich; "Yeni Özgür Politika" ("Neue Freie Politik"), täglich; "Roj TV" (Fernsehsender) Betätigungsverbot: Verbotsverfügung vom 22. November 1993 321 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.1 Allgemeine Lage Die von der EU seit 2002 als Terrororganisation gelistete PKK178 ist die mitgliederstärkste extremistische Organisation im kurdischen Spektrum. Sie fordert die Anerkennung der kurdischen Identität sowie mehr Rechte und kulturelle Autonomie für die kurdische Minderheit in der Türkei. Als übergeordnetes Ziel strebt die PKK die Einheit aller Kurden an unter Wahrung der bestehenden Staatsgrenzen, wie die Organsiation seit einigen Jahren hinzufügt. Dabei setzt die PKK weiterhin auf eine Doppelstrategie. In den westeuropäischen Staaten bemüht sie sich um ein weit gehend gewaltfreies Erscheinungsbild und intensiviert ihre Anstrengungen, auf der politischen Ebene als einziger legitimer Vertreter und Ansprechpartner in der Kurdenfrage anerkannt zu werden. So versucht die Organisation immer wieder, Kontakte zu parlamentarischen Entscheidungsträgern aufzubauen, um so Unterstützung für ihre Anliegen zu finden und darüber hinaus ihren Alleinvertretungsanspruch innerhalb der kurdischen Volks gruppe zu manifestieren. In der Türkei und der nordirakischen Grenzregion hingegen agieren die PKK und ihre bewaffneten Guerillaverbände, insbesondere die HPG, jedoch weiterhin terro ristisch. Um nach außen hin den Eindruck einer politischen Neuaus richtung zu erwecken und sich von dem Makel einer Terror organisation zu befreien, hat die PKK in ihrer Geschichte mehrere Umbenennungen vorgenommen, im April 2002 in "Freiheits und Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) und im November 2003 in "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL). Die PKK tritt - nach den Vorgaben Öcalans - seit 2005 als "Gemeinschaft der Kommu nen in Kurdistan" (KKK) auf, die 2007 in "Vereinigte Gemeinschaf ten Kurdistans" (KCK) umbenannt worden ist. 178 Der Europäische Rat erklärte im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem der vorrangigen Ziele der EU. Seither können Personen, Vereinigun gen und Körperschaften in einer EUListe erfasst ("gelistet") werden, wenn eine zuständige Behörde eines EUMitgliedstaates über Beweise oder schlüssige Indi zien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Entscheidungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen können ebenfalls berücksichtigt werden. Konsequenz der halbjährlich erfolgenden Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtigter Personen und Organisationen. 322 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Trotz der mehrfach im Zusammenhang mit den wechselnden Bezeichnungen propagierten Einführung interner demokrati scher Strukturen hält die Organisation an einem strikt hierarchi schen Kaderaufbau und einer autoritären Führung fest. Ungeach tet mehrerer Versuche einer teilweisen Demokratisierung, wie u.a. der Einbeziehung der Basis bei Entscheidungen, wurden bislang weder entsprechende strukturelle noch personelle Veränderun gen durchgeführt. Organisationsinterne Vorgaben und Anweisun gen werden auch weiterhin strikt an die jeweils nachgeordneten Kaderbereiche weitergegeben. Unumstrittener Anführer ist weiterhin der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Gründer der Organisation Öcalan, der als Führungs und Integrationsfigur des kurdischen Freiheitskampfes verehrt wird. Nach wie vor verfügt er über beträchtlichen Einfluss auf die Strategie der Organisation, indem seine Erklärungen und Ein schätzungen durch seine Rechtsanwälte verbreitet werden. Bereits seit Jahren ist die Forderung seiner Freilassung eines der zentralen Agitationsthemen der PKK. Die herausgehobene Stellung Öcalans wurde einmal mehr deutlich, als es in der Türkei und in Europa zu wochenlangen Protestaktionen der PKKAnhängerschaft kam, nachdem er Ende Juli 2011 erklärt hatte, er stehe ab sofort nicht mehr als Vermittler zwischen der PKK und dem türkischen Staat zur Verfügung und die türkischen Behörden daraufhin seinen Anwälten den Besuch ihres Mandanten verweigert hatten, eine Maßnahme, die bis Ende 2011 nicht wieder aufgehoben wurde. Zudem zeigt sich, dass die von Öcalan bereits seit März 2005 - zunächst ohne Auswirkungen auf die tatsächliche Ausrichtung der PKK - propagierte vorsichtige ideologische Neuausrichtung der Organisation zumindest teilweise umgesetzt wird. Die Abkehr von der Forderung nach einem eigenen Kurdenstaat hin zu der Forderung nach konföderalen - in der Diktion der PKK auch "basisdemokratischen" - Strukturen in der Türkei, aber auch in Europa, wird zumindest in Deutschland durch die Schaffung sogenannter Volksräte vorangetrieben. Diese sollen nicht mehr ausschließlich vom Prinzip "Befehl und Gehorsam" bestimmt sein und so eine neue Legitimationsbasis schaffen. Allerdings haben diese Räte bei weitem keine so starke Stellung, dass sie den Kurs der PKK beeinflussen könnten. 323 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Ein im August 2010 einseitig ausgerufener Waffenstillstand, der ausdrücklich unter dem Vorbehalt eines Rechts auf "Selbstvertei digung" stand, wurde durch die Organisation am 28. Februar 2011 für beendet erklärt. Auf dem in der Zeit vom 5. bis 10. Mai 2011 in den Kandilbergen im Irak durchgeführten Generalkongress des KONGRA GEL, des obersten Entscheidungsgremiums der PKK, wurden der Vor sitzende Remzi Kartal und der Exekutivratsvorsitzende Murat Karayilan, der in der PKKHierarchie als Vertreter Öcalans an zweiter Position steht, in ihren Funktionen wiedergewählt. Auf gabe des KONGRA GEL ist die interne Meinungsbildung und Beschlussfassung, wobei nach außen hin eine parlamentsähnliche Struktur suggeriert wird. Auf der politischen Ebene konnte bei der im Juni 2011 in der Türkei durchgeführten Parlamentswahl die prokurdische "Partei für Frieden und Demokratie" (BDP) insgesamt 36 Abgeordnete in das Parlament entsenden.179 Sechs der gewählten Abgeordneten sind inhaftiert und Angeklagte in einem seit Oktober 2010 in Diyarbakir (Türkei) anhängigen Gerichtsverfahren180, da sie in der Vergangenheit durch Aktivitäten mit PKKBezug in der Türkei strafrechtlich in Erscheinung getreten sein sollen, insbesondere im Zusammenhang mit der politischen Betätigung in zwischen zeitlich verbotenen, der PKK nahestehenden Parteien Mitte Juli 2011 rief ein "Kongress für eine demokratische Gesell schaft" die "Demokratische Autonomie" aus, die auf einer von Öcalan im Jahr 2005 entwickelten Konzeption eines "Demokrati schen Konföderalismus Kurdistans" basiert. In einer Deklaration heißt es, die "Demokratische Autonomie" strebe eine Föderation selbstorganisierter Kommunen in Kurdistan sowie die Wahrung grundlegender Rechte wie die der eigenen Identität und Mut tersprache, nicht jedoch die Spaltung der Türkei an. Letztendlich zielt dieser Vorschlag im Kern jedoch auf einen fundamentalen Umbau des türkischen Staates, sodass seine Realisierungschancen gering sind. 179 Zur Umgehung der in der Türkei geltenden 10%Hürde hatten kleinere Parteien unter Federführung der BDP beschlossen, ihre Bewerber als "unabhängige Kandi daten" zur Wahl zu stellen. 180 Das Gerichtsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. 324 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Im Sommer 2011 führten die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), Anschläge in der die eigenen Angaben zufolge aus den HPG hervorgegangen und Türkei seit dem 21. Dezember 2006 von der EU als Terrororganisation gelistet sind,181 Anschläge in türkischen Städten und Touristengebieten durch. Am 26. und 28. August 2011 explodier ten an den Badestränden in Antalya und Kemer Sprengsätze und verletzten insgesamt zwölf Menschen. Am 20. September 2011 verübte die TAK in der Innenstadt von Ankara, in der Nähe des Amtssitzes des türkischen Staatspräsidenten, einen Sprengstoff anschlag, bei dem drei Personen getötet und 34 verletzt wurden. In einem Selbstbezichtigungsschreiben drohten die TAK mit wei teren Aktionen: "Speziell die türkischen Metropolen werden unsere Kriegsplätze sein. Der Anschlag von Ankara stellt einen Beginn dieser Aktionen dar. (...) Die vorangegangenen Explosionen von Eskisehir und Antalya stellten eine Warnung dar. (...) Von nun an soll niemand von uns Zurückhaltung fordern. Die AKP-Regierung hat den Krieg erklärt und wird die Folgen, die sich in der Türkei ergeben, hinnehmen müssen." (Homepage der TAK, 22. September 2011) In der türkischirakischen Grenzregion kam es seit April 2011 Intensivierte wiederholt zu intensiven Kampfhandlungen, die jeweils auch Kampfhandlungen im europaweit zu - sowohl prokurdischen als auch protürkischen - Nordirak wirken sich Demonstrationen und Protestaktionen führten, bei denen mehr auch auf Europa aus fach gewalttätige Auseinandersetzungen zu verzeichnen waren. Mitte Juli 2011 kam es zu einer verschärften militärischen Ausei nandersetzung zwischen dem iranischen Militär und bewaffneten Einheiten der "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" (PJAK), die als iranischer Ableger der PKK gilt. Iranische Armeeeinhei ten überschritten die irakische Grenze, um die dortigen Lager der PJAK anzugreifen. Zu einer weiteren Eskalation kam es am 17. August 2011, als Guerillaeinheiten der PKK einen Anschlag auf einen türkischen Militärkonvoi in Cukurca (Türkei) verübten, bei dem insgesamt neun Personen getötet und 15 verletzt wurden. Als Reaktion darauf griff die türkische Luftwaffe mehrere Stellungen 181 Siehe Fn. 178. 325 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) der PKK im Nordirak an. In der Nacht zum 19. Oktober 2011 führten Einheiten der HPG im Raum Cukurca (Türkei) gleichzeitig einen Angriff auf acht Stützpunkte türkischer Streitkräfte durch. Bei den Gefechten sollen mindestens 24 türkische Soldaten und Polizisten getötet und 18 verletzt worden sein. Als Reaktion auf dieses Ereignis bombardierte die türkische Luftwaffe in den fol genden Tagen mehrere Stützpunkte der PKK in den Kandilbergen. Darüber hinaus drangen auch türkische Bodentruppen - erstmals wieder seit Februar 2008 - über die Grenze in den Nordirak ein. Insbesondere dieser Konflikt führte zwischen den der PKK nahe stehenden Kurden und nationalistischen Türken in Deutschland zu teilweise gewaltsamen - mehrere Wochen anhaltenden - Aus einandersetzungen. 1.2.2 Organisatorische Situation Die PKK unterliegt in Deutschland seit 1993 unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen (KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK) einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Es gilt für auch den politischen Arm der Organisation, die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK), die derzeit unter der Bezeichnung "Koordina tion der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) die Aktivitäten der PKK in Europa maßgeblich bestimmt. Die Führungsfunktionäre der CDK - an der Spitze ein Leiter und ein mehrköpfiges Leitungsgremium - halten sich vorwiegend in europäischen Nachbarländern auf. Die verantwortlichen Kader in Deutschland, deren Tätigkeit in aller Regel zeitlich begrenzt ist, werden überwiegend durch die CDKLeitung eingesetzt. Sie agie ren konspirativ und leiten organisationsinterne Anweisungen und Vorgaben zur Umsetzung an nachgeordnete Ebenen weiter. Achter JahresDie achte Generalversammlung der CDK, an der ungefähr kongress der CDK 100 Personen teilnahmen, fand vom 10. bis 14. Juli 2011 in den Niederlanden statt. Keine strukturellen Die Generalversammlung nahm erneut keine Änderungen Änderungen im an der Organisationsstruktur der PKK in der Bundesrepublik Bundesgebiet Deutschland vor. Das CDKGebiet in Deutschland bleibt in drei sogenannte SAHAs (Nord, Mitte und Süd), auch SERITs genannt, 326 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) mit jeweils einem Führungsfunktionär an der Spitze aufgeteilt. Diesen SAHAs sind insgesamt 28 Gebiete untergeordnet. Die PKK unterhält zudem zahlreiche Massenorganisationen, in Massendenen Anhänger aus verschiedenen Bevölkerungs, Berufs oder organisationen Interessengruppen organisiert sind. Besonders hervorzuhe ben sind die Jugendorganisation "Komalen Ciwan" (sinngemäß "Gemeinschaft der Jugendlichen"), die "Kurdische Frauenbewe gung in Europa" (AKKH) sowie die Studentenorganisation "Ver band der Studierenden aus Kurdistan" (YXK). Ebenfalls zu nennen sind die Organisationen "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK), "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), "Union der Juristen Kurdistans" (YHK), "Union der Schriftsteller Kurdistans" (YNK), "Union kurdischer Familien" (YEKMAL) sowie die Religionsge meinschaften "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), "Födera tion der demokratischen Aleviten" (FEDA), "Union der Aleviten aus Kurdistan" (KAB), "Föderation der yezidischen Vereine e.V." (FKE) und "Union der Yeziden aus Kurdistan" (YEK). 1.2.3 "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." ("Yekitiya Komalen Kurd Li Elmanya" - YEK-KOM) Für die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis bedienen sich PKK und CDK überwie gend der örtlichen Vereine in Deutschland, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkte und Anlaufstellen dienen. Als Dachverband dieser Vereine fungiert die "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEKKOM), der - eigenen Angaben zufolge - 43 Vereine angeschlossen sind. Eine im Februar 2011 von der YEKKOM initiierte Identitätskam YEK-KOM initiiert pagne, in deren Verlauf die YEKKOM Anfang September 2011 im sogenannte Konferenzsaal des Berliner Senats eine Pressekonferenz abhielt, Identitätskampagne wurde am 15. September 2011 mit einer Kundgebung in Berlin und der Übergabe von 60.000 Unterschriften an den Petitions ausschuss des Bundestages beendet. Zu den Hauptzielen der Kampagne zählten die Anerkennung der Kurden als eigenständige Ethnie, die Aufhebung des gegen die PKK verhängten Betäti gungsverbots, die Zulassung kurdischer Vornamen, Förderung der kurdischen Sprache und die Anerkennung des kurdischen Neu jahrsfestes als Feiertag. 327 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "19. InternatioAm 3. September 2011 führte die YEKKOM im RheinEnergieSta nales Kurdisches dion in Köln (NordrheinWestfalen) unter dem Motto "Freiheit für Kulturfestival" Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan" das "19. Internationale in Köln Kurdische Kulturfestival" durch. Der PKKFernsehsender "Roj TV" berichtete live von der Veranstaltung, an der 40.000 Personen aus ganz Europa teilnahmen. Nach einer Schweigeminute für die als "Märtyrer" glorifizierten getöteten PKKKämpfer eröffnete der YEKKOMVorsitzende Yüksel Koc die Veranstaltung. Im Rahmen des Festivals wurde eine große Menge gleicher Handplakate mit dem Abbild der KCKFahne ausgegeben, die durch die Veranstal tungsteilnehmer ständig geschwenkt wurden. Der Veranstalter wurde wiederholt durch Polizeikräfte aufgefordert, dieses straf bare Propagandadelikt zu unterbinden. Der YEKKOMVorsit zende Yüksel Koc entzog sich dieser Aufforderung mit dem Hin weis, dass auf der Rückseite der verteilten Plakate der Schriftzug "verboten" aufgedruckt sei. Zusammenarbeit Auch 2011 wurden im Rahmen der am 8. Mai 2010 gestarteten mit deutschen Kampagne "Tatort Kurdistan" Informationsveranstaltungen und linksextremistischen demonstrative Protestaktionen durchgeführt, die u.a. deutsche Gruppierungen im Rüstungsexporte in die Türkei thematisierten, die angeblich gegen Rahmen der die kurdische Zivilbevölkerung eingesetzt würden. Die Kam Kampagne pagne wird von der YEKKOM und dem PKKStudentenver "Tatort Kurdistan" bund YXK sowie von deutschen linksextremistischen Gruppie rungen getragen, z.B. von der "MarxistischLeninistischen Partei Deutschlands" (MLPD; vgl. Linksextremismus, Kap. III, Nr. 3) und der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB). Am 1. September 2011 endete die Kampagne mit einem bundes weiten dezentralen Aktionstag. Anhänger und Sympathisanten dieser Kampagne beteiligten sich mit einem eigenen "Tatort Kurdistan"Block auch an der von der YEKKOM organisierten zentralen NewrozDemonstration am 19. März 2011 in Düsseldorf (NordrheinWestfalen). Im Verlauf des "19. Internationalen Kurdischen Kulturfestivals" am 3. September 2011 in Köln trat ein Redner im Namen der Kampagne "Tatort Kurdistan" auf und sandte Grüße in die Kandil berge (Sitz der PKKFührung und der HPG) und auf die Gefängnis insel Imrali (Aufenthaltsort Öcalans). Er erklärte, die Kampagne habe beim bundesweiten Aktionstag am 1. September 2011 auch die Verurteilung der "Kriminalisierung der kurdischen Befrei ungsbewegung" in Deutschland zum Ausdruck bringen wollen, 328 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) die sich im PKKVerbot, dem Verbot des PKKFernsehsenders "Roj TV" und dem "undemokratischen Antiterrorparagraphen SS129b StGB" zeige. Zudem wolle die Kampagne "Tatort Kurdistan" einen "Beitrag" leisten für die "militante Bewegung, die die anti kurdische Kriegsmaschinerie (in den "Metropolen" [Europa]) lahm legt", wie es die 1998 verstorbene PKKGuerillakämpferin Andrea Wolf aus Deutschland gewünscht habe. Eine ursprünglich von der YEKKOM am 26. November 2011 in Berlin zum Thema "Demokratie stärken, PKK Verbot auf heben, Freiheit für Abdullah Öcalan und Frieden in Kurdistan" angemeldete Großdemonstration wurde durch Berliner Ord nungsbehörden verboten. Das Oberverwaltungsgericht Berlin bestätigte das Verbot. Für diese Demonstration war in einschlä gigen Medien, u.a. auf der Internetseite der YEKKOM, aber auch im deutschen linksextremistischen Bereich geworben worden. Anhänger und Sympathisanten der PKK nutzten offensichtlich einen von deutschen Linksextremisten am 26. November 2011 in Berlin organisierten Aufzug als Ersatz für die verbotene Demons tration der YEKKOM. Diesen Aufzug führten in der ersten Reihe u.a. der YEKKOMVorsitzende Koc und dessen Stellvertreter an. Im Verlauf der Kundgebung, an der ca. 2.000 Personen teilnah men, darunter auch gewaltorientierte deutsche Linksextremisten und Anhänger der PKK, kam es zu gewalttätigen Angriffen der Demonstrationsteilnehmer auf Polizeibeamte, u.a. mit Pyrotech nik und Steinen. Dabei wurden 87 Polizeibeamte verletzt. Unterstützung der politischen Anliegen der PKK kam auch aus Unterstützung der Partei "DIE LINKE". So nahmen u.a. Landtagsabgeordnete aus der Partei der Partei an Veranstaltungen teil, so z.B. an der Kampagne "DIE LINKE." für die Anerkennung der kurdischen Identität in Deutschland oder als Gastredner an der von der YEKKOM organisierten NewrozDemonstration am 19. März 2011 in Düsseldorf. PKK nahe Organisationen und Medien unterstützten im Vorfeld der Landtagswahlen in Hamburg, Bremen und Berlin organisations nahe kurdischstämmige Kandidaten der Partei "DIE LINKE.". Hier bei ist es der PKK bei den Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 20. Februar 2011 gelungen, die Wahl einer von ihr favorisierten Kandidatin in die Hamburger Bürgerschaft durch einen Wahlauf ruf zu unterstützen. 329 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.4 "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" ("Partiya Jiyanen Azadiya Kurdistan" - PJAK) Nach einer Erklärung des seinerzeitigen PKKVorsitzenden in Europa aus dem Jahr 2004 ist die im selben Jahr gegründete PJAK "Mitglied im KONGRA GEL". In Deutschland hat die PJAK mit Ausnahme eines engen Füh rungskreises um den Parteivorsitzenden, den deutschen Staatsan gehörigen Rahman HajAhmadi, kaum Strukturen oder Aktivitä ten entfaltet, nicht zuletzt wegen der relativ geringen Anzahl hier lebender iranischer Kurden. Eigene "Vereine" - vergleichbar mit den PKKEinrichtungen - existieren auch weiterhin nicht. Für den Kampf gegen das iranische Regime unterhält die PJAK eigene bewaffnete Einheiten, die "Freiheitskräfte Kurdistans" (HRK), die auf logistischem Gebiet eng mit den HPG verknüpft sind. Im April 2011 bekannten sich die HRK zu einem Anschlag auf einen Polizeiposten in der Nähe von Meriwan (Iran), bei dem neun Soldaten getötet und der Polizeiposten zerstört wurden. In einer Veröffentlichung der prokurdischen Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) vom 3. April 2011 hieß es: "Dieser Anschlag wurde zum Gedenken an den Kameraden HEMIN und als Protest gegen die Unterdrückung und Folterung unseres in Ostkurdistan lebenden Volkes verübt." Von Mitte Juli bis Anfang September 2011 kam es zu zahlreichen massiven Auseinandersetzungen zwischen den HRK und dem ira nischen Militär im irakischiranischen Grenzgebiet, bei denen auf beiden Seiten insgesamt bis zu 250 Menschen ums Leben kamen. Am 4. September 2011 veröffentlichte die PJAK auf ihrer Home page eine Erklärung, in der sie sich aufgrund des eigenen Glau bens an einen demokratischen und friedlichen Weg zu einem Waffenstillstand bekennt, der am folgenden Tag in Kraft tre ten sollte, sofern der Iran den Beschluss akzeptiere. Andernfalls werde die Islamische Republik Iran für die künftigen Ereignisse 330 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) verantwortlich sein. Die PJAK führt weiter aus, sie habe sich zu diesem Schritt entschlossen, obgleich der iranische Staat im Jahr 2010 auf die "friedlichen Bemühungen" der PJAK mit Repressio nen, Todesurteilen, Folter, Unterdrückung und Militäraktionen reagiert und seine militärischen Aktionen seit dem 16. Juli 2011 ausgeweitet habe, um die kurdische Bewegung zu vernichten. Dagegen habe die PJAK "historischen Widerstand" geleistet: "Die Guerillakräfte unserer Bewegung haben gegenüber diesen Angriffen einen historischen Widerstand gezeigt und der iranische Staat hat begriffen, dass er seine Ziele nicht mit Gewalt und Angriffen erreichen wird." (Homepage der PJAK, 4. September 2011) Seit Mitte September 2011 wurde in den kurdischen Medien nicht mehr über Kämpfe der PJAK mit dem iranischen Militär berichtet. Zuvor war es im Sommer 2011 europaweit zu einem erhöhten Demonstrationsaufkommen wegen der intensiven bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den HRK und dem iranischen Militär gekommen. Unter Nutzung der PKKInfrastruktur (teil weise mit Unterstützung örtlicher PKKnaher Vereine) wurden auch in deutschen Großstädten zahlreiche Protestveranstaltun gen durchgeführt. So bekundete auch die YEKKOM ihre Solidarität mit der PJAK und veröffentlichte am 26. Juli 2011 die Erklärung "Stoppt die Angriffe des iranischen Regimes auf Südkurdistan", in der es heißt: "Seit dem 17. Juli 2011 greift die Armee der Islamischen Republik Iran Ziele in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak (Südkurdistan) an. Die Angriffe gelten der Partei für ein Freies Leben Kurdistans PJAK, die sich für Autonomierechte der KurdInnen im Iran und die Demokratisierung des Landes einsetzt. (...) Durch die erneuten Angriffe und die Besatzung von südkurdischem Gebiet möchte der Iran seine innenpolitische Opposition zum Schweigen bringen." (Homepage der YEK-KOM, 27. Juli 2011) 331 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die im Februar 2009 von den US-amerikanischen Behörden in die Liste terroristischer Organisationen aufgenommene PJAK ist in der entsprechenden EU-Liste bisher nicht erfasst. In seiner Funktion als Vorsitzender der PJAK und als Mitglied des von der PKK dominierten "Kurdischen Nationalkongress" (KNK) nahm Rahman Haj-Ahmadi auch im Jahr 2011 an zahlreichen Veranstaltungen teil, so u.a. # im Juli 2011 in Luzern (Schweiz) an einer Gedenkveranstaltung für gefallene Guerillakämpfer, # im September 2011 in Brüssel (Belgien) an einer Protestkundgebung gegen die angebliche Isolationshaft von Abdullah Öcalan, # im November 2011 in Lausanne (Schweiz) an einer Beisetzung eines verstorbenen kurdischen Politikers sowie in Delsberg (Schweiz) an einer anlässlich des Jahrestages der Gründung der PKK organisierten Veranstaltung. 1.2.5 Propaganda der PKK 1.2.5.1 Medienwesen Die PKK verfügt zur Verbreitung ihrer Propaganda und Ideologie über ein vielfältiges Medienwesen. Mit diesem Medienapparat informiert bzw. mobilisiert sie nicht nur ihre Anhänger, sondern versucht auch, die in Deutschland lebenden Kurden insgesamt im Sinne der Organisation zu beeinflussen. Funktionäre der PKK erhalten in den verschiedenen Medien regelmäßig eine öffentliche Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda. Für die Anhänger der PKK von besonderer Bedeutung sind die in Deutschland herausgegebene PKK-Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) mit einer Auflage von knapp 10.000 Exemplaren und der mit dänischer Lizenz ausgestattete, in Belgien produzierende PKK-Satellitensender "Roj TV", der sowohl in Europa als auch in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei und im Nahen Osten zu empfangen ist.182 182 Der Sender "Roj TV" hat am 19. Januar 2012 seinen Betrieb eingestellt. Als Ersatzsender werden "Nuce TV" und/oder "Sterk TV" etabliert. 332 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Auch die prokurdische Nachrichtenagentur ANF mit Sitz in den Niederlanden verfolgt eine PKKnahe Informationspolitik. Die über das Internet verbreiteten Agenturmeldungen werden zeit nah in den Berichterstattungen des PKKMedienapparats - vor allem durch "Roj TV" und YÖP - aufgegriffen und publiziert. Das Internet spielt als Kommunikationsmedium für die Anhän gerschaft der PKK eine zunehmende Rolle, insbesondere durch das seit August 2008 bestehende Portal "Gerilla TV", das mit seinen Beiträgen den bewaffneten Kampf verherrlicht. Darüber hinaus nutzen Anhänger und Sympathisanten der PKK das Internet auch - jedoch ohne eine Steuerung durch die Organisation - zur Ver breitung von Propaganda. Der Bundesminister des Innern hatte mit Verfügung vom "Roj TV"/"VIKO 19. Juni 2008 ein Betätigungsverbot gegen den PKKFernseh Fernseh Produktion sender "Roj TV" sowie das Unternehmen "VIKO Fernseh Pro GmbH" duktion GmbH" als dessen Teilorganisation erlassen und dem in Kopenhagen (Dänemark) ansässigen Unternehmen "Mesopotamia Broadcast A/S" die Tätigkeit in Deutschland in Bezug auf den PKKFernsehsender "Roj TV" verboten. Laut Verbotsverfügung verstößt der Betrieb des Fernsehsenders "Roj TV" gegen deutsche Strafgesetze und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerver ständigung (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI). In den Entscheidungen über die von beiden Firmen eingereichte Anfechtungsklage stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Februar 2010 fest, dass sich Tätigkeit und Zweck von "Roj TV" gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne des Arti kel 9 Abs. 2 Grundgesetz richten. Das BVerwG hat die Verfahren seinerzeit aber aufgrund der dänischen Sendelizenz für "Roj TV" ausgesetzt und dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) die Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt, ob bzw. unter welchen Voraus setzungen die Anwendung einer nationalen Vorschrift über ein Vereinsverbot in den durch die EGFernsehrichtlinie koordinier ten Bereich falle. Der Vorlagebeschluss des BVerwG an den EuGH in Luxemburg wurde am 22. September 2011 beschieden; die abschließende Ent scheidung des BVerwG steht noch aus. 333 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "Mezopotamien Für den Vertrieb von PKKPublikationen ist die "Mezopotamien Verlag und Verlag und Vertrieb GmbH" mit Sitz in Neuss (Nordrhein Vertrieb GmbH" Westfalen) zuständig. Die Verlagsgesellschaft, die im Wesentlichen die Schriften Öcalans - auch in deutscher Sprache - vertreibt, war auch 2011 wieder auf zahlreichen PKKnahen Veranstaltungen mit Verkaufs und Informationsständen beteiligt. Unter ihrer Adresse firmiert auch die PKKnahe "MIR Multimedia GmbH". 1.2.5.2 Demonstrationen und Großveranstaltungen Die PKK versucht mit einer Vielzahl zentral gesteuerter Propa gandaaktionen in Deutschland und dem benachbarten Ausland für ihre politischen Vorstellungen zu werben. Zu diesem Zweck werden regelmäßig Kundgebungen und zentrale Großveranstal tungen sowie Podiumsdiskussionen, Unterschriftskampagnen, Hungerstreiks und Mahnwachen organisiert. Im Mittelpunkt ste hen dabei in erster Linie die Haftbedingungen ihres Führers Öcalan, der militärische Konflikt im Grenzgebiet der Türkei zum Nordirak und staatliche Maßnahmen gegen PKKnahe Einrich tungen. Dabei gelingt es der Organisation regelmäßig, Tausende von Anhängern zu mobilisieren. Etwa 6.500 Anhänger der PKK, darunter ein Großteil aus Deutschland, erinnerten am 12. Februar 2011 mit einer Groß demonstration in Straßburg (Frankreich) an den 12. Jahrestag der Festnahme Öcalans.183 Ca. 10.000 Anhänger der PKK begingen am 19. März 2011 in Düsseldorf mit einer zentralen Großkundgebung das traditionelle kurdische Neujahrsfest "Newroz" ("neuer Tag"). Nachdem das staatliche Wahlkontrollorgan, der hohe Wahlrat der Türkei, am 19. April 2011 mehrere kurdische Politiker wegen Vor strafen von den Parlamentswahlen am 12. Juni 2011 ausgeschlos sen hatte, kam es in verschiedenen Städten der Türkei zu gewalt tätigen Demonstrationen. Die CDK forderte in einer Erklärung die 183 Auf massiven Druck der Türkei hin hatte die syrische Regierung seinerzeit Öcalan ihre Unterstützung entzogen und ihn veranlasst, sein Exil in Damaskus am 9. Oktober 1998 aufzugeben. Nach Auffassung des KONGRA GEL markiert dieser Tag den Beginn eines "internationalen Komplotts", das schließlich zur Festnahme von Öcalan am 15. Februar 1999 in Kenia und dessen Verurteilung in der Türkei führte. 334 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "kurdische Bevölkerung in Europa" zu Mobilisierung und Wider stand auf. Auch die YEKKOM rief in einer schriftlichen Erklärung zu Protesten vor allen türkischen Konsulaten auf. Als Reaktion auf diesen Aufruf fanden am Osterwochenende deutschlandweit Kundgebungen - zumeist vor türkischen Konsulaten - statt, u.a. in Berlin, Darmstadt (Hessen), Düsseldorf (NordrheinWestfalen), Frankfurt am Main (Hessen), Hamburg, Magdeburg (Sachsen Anhalt) und Münster (NordrheinWestfalen). Während die meis ten Veranstaltungen friedlich verliefen, kam es bei der Kund gebung vor dem Generalkonsulat in Düsseldorf mit ca. 300 Teilnehmern, darunter etwa 50 kurdischen Jugendlichen, zu Aus schreitungen, in deren Verlauf zwölf Versammlungsteilnehmer und vier Polizisten verletzt wurden. Die Kundgebung wurde dar aufhin vorzeitig durch die Polizei aufgelöst. 15 Personen wurden festgenommen und 280 Identitätsfeststellungen durchgeführt. Am 11. Juni 2011 beteiligten sich etwa 2.000 Frauen an dem vom "Kurdischen Frauenbüro für Frieden e.V." (CENI) ausgerichteten "7. ZilanFrauenfestival"184 in Dortmund (NordrheinWestfalen), das unter dem Motto stand: "Gemeinsam durchbrechen wir die Vergewaltigungskultur - Kampf dem Feminizid!". Die Podiums diskussionen wurden von einem Kulturprogramm umrahmt. Am 9. Juli 2011 fand im Kölner Südstadion das "14. Mazlum Dogan Jugend, Kultur und Sportfestival" mit 5.500 zumeist jugendlichen Teilnehmern kurdischer Volkszugehörigkeit aus Deutschland und dem benachbarten Ausland statt. Die Veranstal tung unter dem Motto "Der Schutz unserer Kultur ist der Schutz unserer Existenz" verlief friedlich. Das Festival hatte überwiegend den Charakter eines Sportfestes mit kulturellem Rahmenpro gramm, es wurden jedoch auch politische Inhalte thematisiert. Von Mitte September bis Mitte November 2011 fanden als Reak tion auf die von Seiten der PKK behauptete "Isolationshaft" Öcalans und die Kampfhandlungen im türkischirakischen Grenzgebiet zahlreiche Protestveranstaltungen in der Türkei und in Europa statt. 184 Die Veranstaltung ist benannt nach Zeynep Kinaci alias Zilan, die in PKKKreisen als "Märtyrerin" verehrt wird. Zilan hatte am 30. Juni 1996 in Tunceli (Türkei) wäh rend einer militärischen Fahnenparade eine Bombe zur Detonation gebracht. Bei diesem Selbstmordanschlag wurden nach türkischen Angaben mindestens sechs Soldaten getötet und mehr als 20 Personen verletzt. 335 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) So kam es am 9. und 10. September 2011 in Straßburg (Frankreich) zu Protestaktionen vor dem Sitz des Europäischen Komitees zur Verhinderung der Folter (CPT) und einer kurzzeitigen Besetzung durch ca. 100 kurdische Jugendliche. Ein Großteil der Jugendli chen wurde festgenommen. In diesem Zusammenhang fanden auch im Bundesgebiet zahlreiche friedliche Protestveranstal tungen mit im Schnitt ca. 100 Teilnehmern statt, so in Berlin, Hamburg und Hannover (Niedersachsen). Ferner wurde am 24. September 2011 vor dem Europäischen Parlament in Brüssel (Belgien) eine Protestkundgebung mit 3.000 Teilnehmern durchgeführt. Anlässlich des 13. Jahrestages der Ausweisung Öcalans aus sei nem Exil in Syrien organisierten PKKnahe Vereine Protestver anstaltungen, u.a. am 8. Oktober 2011 in Paris (Frankreich) eine Großkundgebung unter Beteiligung von Kurden aus Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und der Schweiz. 1.2.6 Aktivitäten der "Komalen Ciwan" Wie auch in den vergangenen Jahren spielte die PKKJugendor ganisation "Komalen Ciwan" bei der Mobilisierung zu Demonst rationen eine bedeutende Rolle, bei denen es auch zu vereinzel ten gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Jugendlichen und nationalistischen Türken kam. Die Jugendorganisation bringt ihre Aktionsbereitschaft immer wieder anlassbezogen mit deutlichen Worten zum Ausdruck. So reagierte die "Komalen Ciwan" anlässlich des Jahrestags der Aufnahme des bewaffneten Kampfes auf eine Äußerung des türkischen Ministerpräsidenten, wonach die Geduld des türki schen Volkes am Ende sei, mit der Replik, auch die Geduld des 336 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) kurdischen Volkes sei am Ende, und kündigte den "totalen Wider stand" an: "Es ist an der Zeit, 24 Stunden in Aktionsbereitschaft zu sein. Totale Angriffe kann man nur mit totalem Widerstand abwehren." ("Roj TV", 15. August 2011) Mit der Zuspitzung des militärischen Konflikts in der Türkei im Oktober 2011 und dem daraus resultierenden Anstieg des Demons trationsgeschehens in Deutschland und Europa konnte eine starke Emotionalisierung der Organisationsangehörigen festgestellt wer den. Im Verlauf einiger durch PKKAnhänger organisierter Kund gebungen sowie protürkischer Gegendemonstrationen kam es wiederholt zu erheblichen gewalttätigen Auseinandersetzungen, so u.a. am 2. und 23. Oktober 2011 in Berlin und am 25. Oktober 2011 in Dortmund (NordrheinWestfalen). Darüber hinaus kam es regelmäßig - häufig mittwochs185 - zu öffentlichkeits und medienwirksamen Aktionen, insbesondere zu Besetzungsaktionen in Deutschland und dem benachbarten europäischen Ausland. Im Vordergrund standen hierbei die Lage in der Türkei sowie die Haftbedingungen Öcalans. Die meist kurz zeitigen und nach Übergabe entsprechender Petitionen beende ten Besetzungsaktionen richteten sich u.a. gegen Parlamente und Medieneinrichtungen. Folgende Besetzungen können der PKKJugend zugerechnet wer den: # 13. September 2011: Besetzung des Europarates in Straßburg (Frankreich) # 21. September 2011: Versuchte Besetzung des UN Geländes in Bonn (NordrheinWestfalen) # 28. September 2011: Besetzung des Fernsehsenders RTL in Köln (NordrheinWestfalen) sowie versuchte Besetzung des nordrheinwestfälischen Landtages in Düsseldorf 185 Der Mittwoch wurde als Aktionstag ausgewählt, da die Rechtsanwälte des inhaf tierten PKKFührers Öcalan an diesem Wochentag in der Regel ihren Mandanten besuchen. Die Aktionen sollen auch Zeichen des Protests dagegen sein, dass diese Besuche seit Ende Juli 2011 nicht ermöglicht wurden. 337 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) # 6. Oktober 2011: Besetzung der Nachrichtenagentur Reuters im Messeturm Frankfurt am Main (Hessen) # 11. Oktober 2011: Besetzung des Rektorats der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen (NordrheinWestfalen) # 26. Oktober 2011: Besetzung der CDU Parteizentralen in Berlin, Köln (NordrheinWestfalen), Hamburg und Stuttgart (BadenWürttemberg) # 5. November 2011: Sitzstreik im Gebäude des Nachrichtenma gazins DER SPIEGEL in Hamburg # 8. November 2011: Besetzung der Zentrale der Rheinmetall AG in Düsseldorf (NordrheinWestfalen) # 14. Dezember 2011: Zeitgleiche Petitionsübergaben beim Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln (Nordrhein Westfalen), dem Hessischen Rundfunk (HR) in Kassel, dem niedersächsischen Landtag in Hannover, einem regionalen Radiosender in Bremen sowie beim Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL in Hamburg. Parallel gab es ähnliche Aktio nen in Parlamentsgebäuden in Arnheim (Niederlande), Basel (Schweiz) und Marseille (Frankreich) sowie bei Fernsehsendern in London (Großbritannien) und Paris (Frankreich). Darüber hinaus kam es zu vereinzelten Sachbeschädigungen.186 Die in der Anhängerschaft der PKK verbreitete Sorge um den Gesundheitszustand Öcalans und die Lage in der Türkei rufen immer wieder emotionale Reaktionen insbesondere jugendlicher PKKAnhänger hervor. Weitere Gewaltaktionen von Einzeltätern oder Kleingruppen sind daher auch in der Zukunft nicht auszu schließen. 186 Einem Bericht auf der Homepage der Komalen Ciwan zufolge hat eine Gruppe kurdischer Jugendlicher mit der Eigenbezeichnung "Evrim DemirRachebrigade" (die 18jährige Evrim Demir hatte sich am 14. Juli 2011 aus Protest gegen die Isolationshaft Öcalans in der Türkei selbst angezündet), in Darmstadt (Hessen) Wände mit ProPKK und ProÖcalan Slogans besprüht. Hierfür sollen gezielt Wohnhäuser nationalistischer Türken ausgesucht worden sein. Des Weiteren seien Moscheen der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) und der "Fethullah Gülen"Bewegung" beschmiert worden (Fethullah Gülen, ein islami scher Prediger aus der Türkei, ist Oberhaupt einer nach ihm benannten Bewegung. Kritiker werfen ihm vor, die laizistische Staatsordnung der Türkei durch einen islamischen Staat ersetzen zu wollen). Am 23. Oktober 2011 wurde am Gebäude der türkischen Zeitung "Zaman" in Köln (NordrheinWestfalen) eine Sachbeschädigung verübt. 338 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.7 Rekrutierung junger Anhänger der PKK in Deutschland für die Guerilla Die PKK bedient sich diverser Medien (Zeitschriften, Internet, TV), um offen und intensiv für die Guerilla der PKK zu werben. Auch europäische Jugendliche wurden direkt dazu aufgefordert, sich der Guerilla anzuschließen. So veröffentlichte die "Komalen Ciwan"Zeitschrift "Sterka Ciwan" einen Aufruf des HPGGeneralkommandanten Nurettin Sofi zur Unterstützung der Guerilla: "Die Jugend in Europa; sie ist eine apoistische187 Jugend, eine Jugend, die die Freiheit und ein ehrenhaftes Leben bevorzugt, die das ausgesuchte, bequeme Leben in Europa ablehnt und ohne auch nur einen Moment zu verlieren, zu ihrem Inneren findet und sich den Reihen der Guerilla in den Bergen Kurdistans anschließt. Jeder in Europa lebende kurdische Jugendliche ist ein natürliches PKK-Mitglied. Er ist ein apoistischer, opferbereiter Guerillakämpfer." ("Sterka Ciwan" Nr. 94, März 2011) Auch in einer weiteren Ausgabe der "Sterka Ciwan" wird der Beitritt zur Guerilla verlangt: "Die der Jugend zukommende Aufgabe ist doppelt. Die zahlenmäßige Steigerung der Guerillakräfte ist die Aufgabe der Jugend. Je mehr Jugendliche in die Berge strömen, desto eher könnte die Guerilla in die Lage versetzt werden, den Volkskrieg zu führen.(...) Als zweites muss die Jugend die Verteidigung des Volkes übernehmen, indem sie sich aufs Äußerste organisiert." ("Sterka Ciwan" Nr. 95, April 2011) Anlässlich des Todes eines Guerillakämpfers am 5. Oktober 2011 betonte die Führungsebene der "Komalen Ciwan" in einer im PKKFernsehsender "Roj TV" ausgestrahlten Botschaft, die Gue rilla sei immer der Linie der PKK treu geblieben. Sie forderte 187 Öcalan wird organisationsintern "Apo" genannt. 339 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) kurdische Jugendliche auf, sich den Guerillakämpfern anzuschlie ßen. Auch aus Deutschland wurden im Berichtszeitraum wieder Fälle bekannt, in denen junge PKKAnhänger dieser Aufforderung gefolgt sind. Zudem hat die Organisation in den europäischen Nachbarstaa ten ideologische Schulungscamps durchgeführt, zum Jahres wechsel 2010/2011 - nach mehrjähriger Pause - auch wieder in Deutschland. Die Polizei durchsuchte das Camp in Nideggen (NordrheinWestfalen) und nahm 44 Personen vorläufig fest, bei denen es sich z.T. um hochrangige Kader der "Komalen Ciwan" handelte. Anders als in den letzten Jahren nahmen auch Min derjährige an den Schulungen teil. Die jüngste Teilnehmerin war gerade 14 Jahre alt. Die eingeleiteten Strafverfahren dauern noch an. Über einschlägige Medien werden zudem immer wieder Fälle von getöteten Guerillakämpfern bekannt, die in Deutschland rekru tiert wurden. Zwei Beispiele: # Im Juni 2011 berichtete die HPG auf ihrer Homepage über einen in Deutschland rekrutierten 34jährigen Guerillakämp fer, der bei Kampfhandlungen getötet wurde. # Am 29. Oktober 2011 berichtete "Roj TV", dass eine 2001 in Deutschland rekrutierte 30jährige Kurdin bei Kämpfen eben falls getötet wurde. Vorliegenden Hinweisen zufolge beabsichtigt die Europaorgani sation auch im nächsten Jahr wieder, Jugendliche für den kurdi schen Kampf in Europa zu rekrutieren. Zu diesem Zweck will sie auch wieder ideologische Schulungscamps in Europa durchfüh ren. 1.2.8 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten Europa und insbesondere Deutschland stellen für die PKK unter finanziellen Gesichtspunkten eine rückwärtige Basis für ihren politischen und militärischen Kampf dar. Die jährlich stattfindende Spendenkampagne ("kampanya") ist nach wie vor die wichtigste finanzielle Einnahmequelle der PKK. 340 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Funktionäre, Aktivisten und Unterstützer konnten unter den in Europa lebenden PKKAnhängern wieder einen zweistelligen Mil lionenbetrag einsammeln. Die im Berichtsjahr erzielten Einnah men hielten sich in Deutschland ungefähr auf Vorjahresniveau. Weitere Einkünfte erzielt die PKK aus Mitgliedsbeiträgen, dem Vertrieb von Publikationen und aus Veranstaltungen wie dem jährlichen KurdistanFestival. Diese Gelder werden hauptsächlich für die umfangreichen Organisationsstrukturen, die hauptamt lichen Kader und insbesondere für den Propagandaapparat aus gegeben. Der PKKFernsehsender "Roj TV" ist zum größten Teil auf die finanziellen Zuflüsse der PKK angewiesen. Ein Teil der in Europa eingenommenen Gelder wird auch für die Strukturen der Organisation in der Türkei/dem Nordirak verwendet und kommt so auch der Guerilla zugute. Während die Führung der Organisation mit ihren Vorgaben zweistellige Zuwächse und ein frühes Ende der Kampagne anstrebte, gelang es den auf den unteren Ebenen agierenden Spendensammlern nicht, dies durchzusetzen. Spendenbereit schaft und höhe bleiben abhängig von der wirtschaftlichen Situation der Spender und von den politischen Entwicklungen in der Türkei. Gewalttätige Auseinandersetzungen in der Türkei und im Nordirak haben häufig positive Auswirkungen auf das Spen denverhalten. Kurdische Familien werden jährlich mit mehre ren Hundert Euro zur Spendenkampagne veranlagt, vermögende Geschäftsleute müssen häufig mehrere Tausend Euro zahlen. Das Einsammeln der Spenden wird wegen des in Deutschland bestehenden Betätigungsverbotes unter konspirativen Umstän den abgewickelt.188 Die Anweisungen der Europaleitung der PKK, in welcher Höhe in den einzelnen Gebieten und Teilgebieten Spenden zu sammeln sind, müssen vor Ort durch die Spendensammler umgesetzt werden. Diese versuchen, die gewünschten Ergebnisse durch Überzeugungsarbeit bei den Spendern zu erbringen und nach Möglichkeit das Ergebnis des Vorjahres zu übertreffen. Erst nach 188 Eine Spende oder ein anderer finanzieller Beitrag für die PKK stellt eine Unter stützung einer in Deutschland verbotenen Organisation dar und kann nach dem Vereinsgesetz mit Gefängnisstrafe bis zu einem Jahr oder mit einer Geldstrafe geahndet werden. Nach neuer Rechtsprechung könnte sich ein Spendensammler auch der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung gem. SSSS 129b i.V.m. 129a StGB strafbar machen. 341 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) solchen Vorgesprächen wird die Spende eingesammelt; die Über gabe einer Spendenquittung erfolgt dann in einem weiteren sepa raten Schritt. Dieses mehrstufige Vorgehen soll die Beweisführung in polizeilichen Ermittlungsverfahren erschweren und die ein gesammelten Gelder schützen. Sofern sich die Spendensammler konsequent an diese Sicherheitsdirektiven halten, können bei Durchsuchungsmaßnahmen entweder nur Spendenquittungen oder nur Bargeld sichergestellt werden. Im Finanzsystem der PKK stellt das sogenannte Wirtschafts und Finanzbüro (EMB) ein wichtiges Element dar. Funktionäre dieser Organisationseinheit kontrollieren Einnahmen und Ausgaben der Organisation und koordinieren auch Bargeldtransporte in Deutschland und Europa. Die PKK ist weiterhin in den USA gemäß dem "Foreign Narcotics Kingpin Designation Act" (Gesetz zur Kennzeichnung ausländi scher Drogenhändler) als eine in den Drogenschmuggel invol vierte Organisation gelistet. In Deutschland liegen jedoch keine Hinweise dafür vor, dass Organisationsstrukturen der PKK direkt in den Drogenhandel verwickelt sind. 1.2.9 Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Im Jahr 2011 hatten sich erneut mehrere Führungsfunktionäre der Organisation vor Gericht zu verantworten: # Am 21. Januar 2011 verurteilte das Landgericht (LG) Lüneburg (Niedersachsen) einen PKKFunktionär wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung. Dem Verurteilten war die Teilnahme an einem Treffen hochrangiger PKKKader in seiner Eigenschaft als verantwortlicher Leiter eines PKKGe biets zur Last gelegt worden. # Am 17. März 2011 verurteilte das LG Stuttgart (Baden Württemberg) neun PKKAktivisten wegen gefährlicher Kör perverletzung und schweren Landfriedensbruchs jeweils zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Die Verurteilten hatten am 8. Mai 2010 in einem türkischen Lokal in Nürtingen (BadenWürttemberg) mehrere Personen angegriffen und mit Baseballschlägern und Eisenstangen z.T. schwer verletzt. 342 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) # Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundes anwaltes wurden am 17. Juli 2011 zwei PKKFührungskader am Flughafen Düsseldorf (NordrheinWestfalen) festgenom men. Den beiden Aktivisten wird u.a. vorgeworfen, maßgeblich an der Anwerbung von Jugendlichen für die Guerillaeinheiten der PKK beteiligt gewesen zu sein. Darüber hinaus wurde in diesem Zusammenhang am 20. Juli 2011 ein in Deutschland aktiver PKKFührungskader in der Schweiz festgenommen. # Am 12. Oktober 2011 wurde ein PKKFunktionär in Hamburg aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofes wegen Verdachts der Strafbarkeit nach SSSS 129b i.V.m 129a StGB fest genommen. Die Aktivitäten der PKK in Deutschland werden sich weiterhin Bewertung auf einem hohen Niveau bewegen. Sowohl die verstärkten militä rischen Auseinandersetzungen als auch die Haftsituation Öcalans in der Türkei verdeutlichen, dass aktuelle Entwicklungen in der Heimatregion unmittelbare Reaktionen bei den im Bundesge biet lebenden PKKAnhängern hervorrufen. Die Organisation ist in der Lage, innerhalb kurzer Zeit zu mobilisieren und medi enwirksame Aktionen durchzuführen. Wesentliche Aufgabe in Deutschland wird auch künftig die Sammlung von Geldern zur Finanzierung und Aufrechterhaltung der Organisationsstruktu ren sein. Zudem wird die PKK bestrebt sein, ihre Veranstaltungen und jährlichen Festivals in der gewohnten Form mit hohen Teil nehmerzahlen durchzuführen. Die PKK wird weiterhin ihre poli tische Lobbyarbeit intensivieren, um als legitimer Vertreter und Ansprechpartner in der Kurdenfrage anerkannt zu werden. Ferner ist zu erwarten, dass insbesondere jugendliche Anhänger der PKK auch künftig die "Neuen Medien" verstärkt für propagandistische Zwecke nutzen und einsetzen werden. 343 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2. Gruppierungen aus dem türkischen Spektrum Die Mehrzahl der beobachteten türkischen Gruppierungen ist linksextremistisch ausgerichtet. Ihre Ideologie wurzelt im Marxis musLeninismus, einige folgen einer maoistischen Ausprägung. Sie streben einen revolutionären Umsturz in der Türkei und die Einführung einer kommunistischen Staats und Gesellschafts ordnung an. Einige von ihnen propagieren als Teil ihres Konzepts den bewaffneten Kampf und übernehmen auch immer wieder die Verantwortung für terroristische Anschläge in ihrem Heimatland. In Deutschland agieren sie gewaltfrei. Die Agitation dieser Organi sationen umfasst neben Themen aus der Türkei auch Inhalte der politischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland; hier bei gerieren sie sich insbesondere als Vertreter von Migranten und Arbeiterinteressen. Kernpunkte der Propaganda sind häufig Vorwürfe fehlender Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und die Verurteilung angeblich imperialistischer Staaten. Anhänger der türkischen nationalistischen "Ülkücü"Bewegung, auch als "Graue Wölfe" bekannt, traten insbesondere im Rahmen von protürkischen Demonstrationen in Erscheinung. Vereinzelt kam es zu massiven Ausschreitungen zwischen nationalistischen Türken und Kurden. Anlass der Demonstrationen waren die Kämpfe zwischen der türkischen Armee und den bewaffneten Einheiten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) im türkisch irakischen Grenzgebiet. 344 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 1994 in Damaskus (Syrien) nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten, 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") Leitung: bis 2008: Generalsekretär Dursun Karatas, verstorben am 11. August 2008; Nachfolger nicht bekannt Mitglieder/Anhänger: 650 (2010: 650) Publikationen: "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke"), unregelmäßig; "Yürüyüs" ("Marsch"), wöchentlich Organisationsverbot: Verbotsverfügung vom 6. August 1998 Auf der Grundlage des MarxismusLeninismus spricht sich die DHKPC in ihren Veröffentlichungen nach wie vor für eine revo lutionäre Zerschlagung der bestehenden Staats und Gesell schaftsordnung in der Türkei aus und strebt die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft an. Sie propagiert unverändert den bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung. Zu den Feind bildern der DHKPC zählen sowohl der von ihr als faschistisch und oligarchisch bezeichnete türkische Staat als auch Kapitalis mus und Imperialismus, insbesondere der "USImperialismus". In Deutschland unterliegt sie seit 1998 einem Organisationsverbot; von der EU ist sie seit dem 2. Mai 2002 als terroristische Organisa tion gelistet.189 189 Siehe Fn. 178. 345 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die Organisation bekräftigte ihr Bekenntnis zum revolutionären Umsturz in einer zum Jahrestag ihrer Parteigründung veröffent lichten Erklärung ihres politischen Arms, der "Revolutionären Volksbefreiungspartei" (DHKP): "Wir werden den Krieg auf dem Weg Kizilderes190 fortsetzen, indem wir den bewaffneten Krieg weiterentwickeln, das Volk organisieren und den Krieg zur Volkssache machen. (...) Es gibt keinen Weg außer Revolution und keine Lösung außer Sozialismus. (...) Der Imperialismus und seine Kollaborateure wollen diejenigen Kämpfe niederringen, die die revolutionäre Volksherrschaft zum Ziel haben. (...) Systeme der Ausbeutung und Tyrannei können nur durch die Gewalt des Volkes eingerissen werden." (Bulletin Nr. 44 der DHKP, 29. März 2011) Auch das traditionelle Gedenken an die "Märtyrer" der Organisa tion im März und April jeden Jahres nutzt die DHKPC, um ihre Mitglieder ideologisch einzuschwören: "Der Weg zur Revolution in der Türkei ist der Weg unserer Partei. Der Weg unserer Partei ist der Weg der Befreiung. Die Befreiung liegt im Kampf; der Sieg in der Front. (...) Die Devrimci Halk Kurtulus Partisi191 ist die Vorreiterin für Gerechtigkeit, Gleichberechtigung, Freiheit, Unabhängigkeit und des Sozialismus, und ihre kriegführende Organisation, die Devrimci Halk Kurtulus Cephesi192, sind deine Organisation." (Märtyrererklärung, 28. März 2011) In dem wöchentlich erscheinenden Organ "Yürüyüs" (Marsch) werden ideologische Positionen dargelegt. In einem Beitrag aus 190 Am 30. März 1972 wurde im Dorf Kizildere einer der Mitbegründer der "Türki schen Volksbefreiungspartei/Front" (THKPC), Mahir Cayan, bei einem Schuss wechsel mit türkische Sicherheitskräften getötet. Aus einer Abspaltung der THKPC ging 1978 die DHKPCVorgängerorganisation "Devrimci Sol" hervor. 191 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei" (DHKP). 192 "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC), militärischer Arm der DHKPC. 346 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) der Rubrik "Revolutionäre Schule" zeigt sich das Selbstbild der DHKPC als Avantgarde des Volkes: "Bei Agitation, Propaganda und Aktionen, kurzum bei all unseren Aktivitäten, müssen wir uns (...) immer davon leiten lassen, dass der Kampf auf die Machtübernahme abzielt. (...) Daher müssen wir bei all unseren Protesten das Ziel haben, das Volk zu politisieren und für die Revolution zu gewinnen..." ("Yürüyüs" Nr. 255, 13. Februar 2011, S. 46 ff.) Die DHKPC bekennt sich nach wie vor zum bewaffneten Kampf: "Denn in der Realität unseres Landes kann man den Angriffen der Oligarchie trotzen und ihre Politik vereiteln, wenn man verstärkte und umfassendere militärische Aktionen vornimmt sowie noch größere Massen auf die Straßen bringt. In einem vom Faschismus regierten, neokolonialen Land muss eine revolutionäre Bewegung die Meisterschaft zeigen, dass sie den bewaffneten Kampf mit dem Kampf der Massen sowie den Untergrundkampf mit den legalen und halb-legalen Kämpfen in Einklang bringen kann." ("Yürüyüs" Nr. 282, 21. August 2011, S. 24) Anlässlich der Parlamentswahlen in der Türkei propagierte die DHKPC unter der Devise "Keine Wahl, sondern Revolution!" ihre antiparlamentarische Ausrichtung. Die politischen Parteien in der Türkei wurden als Systemparteien, das Mehrparteiensystem als "Augenwischerei" und "Basis für Demokratiespiele der Oligarchie" diffamiert. "Keine Stimme für die volksfeindliche und ehrlose Regierung der AKP und auch nicht für die Opposition des Systems (...). Nicht Wahl, sondern Revolution! (...) Der Weg der Wahlurne führt zum System, der Weg der Revolution zur Rettung. Wir werden den Weg der Revolution beschreiten." ("Yürüyüs" Nr. 270, 29. Mai 2011, S. 1 ff.) 347 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Aktivitäten in der Die Anhänger der DHKPC in der Türkei betätigten sich vor allem Türkei politischpropagandistisch in Kampagnen, die wie in den Vorjah ren hauptsächlich die Situation der inhaftierten Gesinnungsge nossen und die Gefängnispolitik der türkischen Regierung the matisierten. Daneben richteten sich Kampagnen vor allem gegen die USA und die NATO und deren Präsenz in der Türkei. Verein zelt wurden militante Aktionen wie Sachbeschädigungen und Brandanschläge mit Molotowcocktails durchgeführt. Aktivitäten in In Deutschland entfaltete die DHKPC vor allem über ihre Umfel Deutschland dorganisation "Anatolische Föderation" ihre politischpropa gandistischen Aktivitäten. Mit Standkund gebungen und Protestaktionen ist sie trotz sehr geringer Beteiligung der Anhänger kon tinuierlich öffentlich präsent. Obwohl die Organisation diese Aktivitäten durch einen teilweise deutschsprachigen Internetauf tritt verstärkt, finden ihre Anliegen in Deutschland kaum öffent liche Aufmerksamkeit. Die "Anatolische Föderation" setzte ihre Protestaktionen und Unterschriftenkampagnen fort, um auf die Situation der in Deutschland inhaftierten Genossen aufmerksam zu machen. Neben kleineren demonstrativen Aktionen fand im März 2011 - wie bereits im November 2010 - unter der Bezeichnung "Langer Marsch" eine bundesweite Veranstaltungsreihe statt. Unter dem Motto "Hunderttausend Stimmen gegen Isolation" kritisierte die "Anatolische Föderation" dabei die Haftbedin gungen in Deutschland und stellte sie als Ausdruck staatlicher Repression und "Isolationsfolter" dar. Mit Informationsständen und durch Verteilung von Flugblättern auf zentralen Plätzen warben die Aktivisten für die Unterstützung ihrer Forderung nach Aufhebung der "Isolationsbedingungen". Auch in der Wochen zeitschrift "Yürüyüs" wurde regelmäßig über die Strafverfahren in Deutschland sowie die Solidaritätsaktionen für die Inhaftierten berichtet. Wie in der Vergangenheit reagierten Anhänger der DHKPC in Deutschland mit demonstrativen Aktionen auf Ereignisse in der Türkei. Um auf die Weigerung der türkischen Behörden auf merksam zu machen, die sterblichen Überreste eines Guerilla kämpfers an dessen Familie zu übergeben, führte die DHKPC neben dezentralen Kundgebungen vom 3. bis 14. August 2011 348 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) eine Hungerstreikaktion mit Flugblattverteilung und Unterschrif tensammlung auf der Domplatte in Köln (NordrheinWestfalen) durch. Die traditionelle Veranstaltung anlässlich des Jahrestages ihrer Parteigründung193 wurde in diesem Jahr am 16. April 2011 in Lüttich (Belgien) abgehalten. Das sogenannte Parteifest, das nur für Mitglieder der DHKPC zugänglich gewesen sein soll, wurde von rund 200 Personen besucht, unter ihnen auch Aktivisten aus Deutschland. 2011 kam es zu folgenden Strafverfahren gegen DHKPCFunk Strafrechtliche tionäre: Maßnahmen in # Am 19. Mai 2011 begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Deutschland Düsseldorf (NordrheinWestfalen) der Prozess gegen zwei tür kische Staatsangehörige. Den Beschuldigten wird Mitglied schaft bzw. Rädelsführerschaft in einer ausländischen terro ristischen Vereinigung und versuchte schwere räuberische Erpressung vorgeworfen. Die mutmaßlichen Führungsfunk tionäre der DHKPC in Deutschland befinden sich seit ihrer Festnahme im Februar 2010 in Untersuchungshaft. # Am 13. Juli 2011 wurde ein DHKPCAktivist wegen Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Ver einigung in Köln (NordrheinWestfalen) festgenommen.194 Dem türkischen Staatsangehörigen wird u.a. vorgeworfen, Geldmittel für den bewaffneten Kampf in der Türkei beschafft und Propagandamaterial vertrieben zu haben. # Am 27. September 2011 verurteilte das OLG Düsseldorf (NordrheinWestfalen) einen staatenlosen Funktionär tür kischer Abstammung als Drahtzieher eines Mordanschla ges auf zwei Polizisten in Istanbul (Türkei) zu lebenslanger Haft. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte als hochrangiger Kader der DHKPCVorgängerorganisation "Devrimci Sol" (Revolu tionäre Linke) 1993 von Deutschland aus den Auftrag für den Anschlag gegeben hat. # Eine am 8. Juli 2011 in Thessaloniki (Griechenland) festgenom mene türkische Staatsangehörige wurde am 21. Oktober 2011 nach Deutschland überstellt. Ihr wird Rädelsführerschaft in 193 30. März 1994 in Syrien. 194 Im März 2012 wurde Anklage erhoben. 349 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgewor fen. Sie soll spätestens seit Oktober 1999 als Deutschland und Europaverantwortliche dem Führungskader der DHKPC angehört haben. Bewertung Die Aktivitäten der DHKPC in Deutschland werden durch die zahlreichen Exekutivmaßnahmen nachhaltig gestört. Ihre Anhän gerschaft zögert, sich weiterhin aktiv für die Organisation zu engagieren. Trotzdem scheint es den verbliebenen Kadern bis lang zu gelingen, die Aktivitäten der Organisation auf niedrigem Niveau fortzuführen. Es ist jedoch fraglich, wie lange die DHKPC noch in der Lage sein wird, Mängel und Lücken in Führung und Organisation zu kompensieren. 350 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Gründung: 1972 (in der Türkei) Mitglieder/Anhänger: insgesamt 1.300 (2010: 1.300) Die Organisation ist in zwei Fraktionen gespalten "Partizan" Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: 800 (2010: 800) Publikation: "Özgür Gelecek" ("Freie Zukunft"), 14täglich und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) (bis September 2002 "Ostanatolisches Gebietskomitee" - DABK) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: 500 (2010: 500) Publikation: "Halk Icin Devrimci Demokrasi" ("Revolutionäre Demokratie für das Volk"), 14täglich Die 1972 in der Türkei als Kaderorganisation gegründete TKP/ML strebt einen gewaltsamen Umsturz in der Türkei an, um eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Die Organisation führt seit ihrer Gründung auch mit Waffengewalt einen Kampf gegen den türkischen Staat, der auch 2011 Todesop fer forderte. 1994 führte eine Spaltung der Mutterpartei TKP/ML zur Bildung zweier selbstständiger miteinander konkurrierender Fraktionen, "Partizan" und "Maoistische Kommunistische Par tei" (MKP). Beide Fraktionen nehmen für sich in Anspruch, die Nachfolge der Mutterpartei TKP/ML angetreten zu haben, deren Ideologie und Zielsetzung von ihnen unverändert übernommen wurde. 351 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In einem Flugblatt mit der Überschrift "Für die bei der Verwirk lichung ihres Traums Gefallenen" ehrt das Politbüro des Zentral komitees der "Partizan"Fraktion die "Märtyrer" aller Nationen, die für ihre Ideale ihr Leben gelassen hätten: "Wir werden unsere Märtyrer, die unsere Flaggen wurden, niemals vergessen (...). Wir werden bis zu unserem letzten Atemzug dafür [Anm.: für den Sieg] kämpfen. Diejenigen, welche für den Kommunismus und die Revolution ins Licht gingen, werden unsterblich sein! Kein Blut wird am Boden versickern, keine Sehnsucht zurückbleiben! Nieder mit dem Imperialismus, dem Faschismus und jeder Art von Reaktionismus! Es lebe unsere Partei TKP/ML und die 'Arbeiter und Befreiungsarmee der Türkei' (TIKKO) und der 'Marxistisch-leninistische Jugendbund der Türkei' (TMLGB)!" (Flugblatt des Politbüros des Zentralkomitees der "Partizan"-Fraktion, Januar 2011) Beide Fraktionen verfügen über einen bewaffneten Arm in der Türkei: Für die "Partizan"Fraktion ist dies die "Türkische Arbei ter und Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO), für die MKP die "Volksbefreiungsarmee" (HKO). Im Mittelpunkt steht nach wie vor die Führung eines "Volkskrieges" in der Türkei. Gegner sind "Kapi talismus, Imperialismus und der Faschismus". In einer im Internet verbreiteten Erklärung der "Partizan"Frak tion heißt es: "Die unbändige Wut derjenigen, die zu den Sternen marschieren, wird den Imperialismus, der Völker ausbeutet und versklavt, den Faschismus und jegliche Niedertracht vernichten (...). Hoch lebe unsere Partei, die TKP/ML und die Volksarmee TIKKO (...). Hoch lebe der Volkskrieg!" (Interneterklärung des Politbüros des Zentralkomitees der "Partizan"-Fraktion, 12. Januar 2011) Auch die MKP setzt nach eigenen Aussagen den bewaffneten Kampf in der Türkei fort. In einem Flugblatt vom 23. August 2011 352 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) begrüßt das Politbüro mit "roter Begeisterung" einen bewaffneten Überfall auf türkische Soldaten am 20. August 2011: "Es ist bekannt geworden, dass bei der Aktion unserer Guerillaeinheiten fünf Soldaten getötet wurden. Der Feind versucht jedoch, seine Verluste zu verschweigen (...). Es leben der maoistische Volkskrieg und der Guerillakrieg." (Flugschrift des Politbüros der MKP, 23. August 2011) Beide TKP/MLFraktionen beschränken sich in Deutschland auf propagandistische Aktivitäten. Anlässlich des Todestages des 1973 verstorbenen TKP/MLGründers Ibrahim Kaypakkaya wer den alljährlich Großveranstaltungen durchgeführt, die bei ihren Anhängern in Deutschland auf deutliche Resonanz stoßen. An einer Gedenkfeier der MKP am 21. Mai 2011 in Köln (Nordrhein Westfalen) nahmen nach organisationseigenen Angaben 1.500 Per sonen teil. Die Gedenkfeierlichkeiten der "Partizan"Fraktion am 28. Mai 2011 in Ludwigshafen (RheinlandPfalz) sollen - ebenfalls gemäß organisationseigenen Angaben - etwa 2.000 Personen besucht haben. Während der Veranstaltung der "Partizan"Frak tion wurde eine Grußbotschaft des Politbüros verlesen, in der betont wird, dass man den Guerillakrieg fortsetzen und nicht auf den "Anspruch des Volkskrieges" verzichten werde. Die MKP und die "Partizan"Fraktion führten laut verschiedenen Internetmeldungen auf Homepages organisationsnaher Grup pierungen zufolge Gedenkveranstaltungen für getötete Kämpfer der "Volksbefreiungsarmee" (HKO) und der "Türkischen Arbeiter und Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) durch. An einer Veranstal tung in Duisburg (NordrheinWestfalen) am 27. Juni 2011 hätten 150 Personen teilgenommen. An einer Veranstaltung in Köln (NordrheinWestfalen) am 3. Juli 2011 sollen sich 100 Personen beteiligt haben. In Gedenkreden sei betont worden, dass man den "Volkskrieg" und den Kampf gegen die "türkische Ausbeutung" verstärken werde. Eine weitere Veranstaltung habe am 4. Juli 2011 in Frankfurt am Main (Hessen) stattgefunden. Die zumeist konspirativ operierenden Fraktionen werden in Deutschland und dem europäischen Ausland propagandistisch durch offen agierende Umfeldorganisationen unterstützt. Dabei 353 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) handelt es sich bei der TKP/ML"Partizan" um die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." - ATIF - (Verdachts fall) und deren Dachorganisation auf Europaebene, die "Konföde ration der Arbeiter aus der Türkei in Europa" - ATIK - (Verdachts fall), bei der MKP um die "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e.V." - ADHF - (Verdachtsfall) und die "Konfödera tion für demokratische Rechte in Europa" - ADHK - (Verdachts fall). Diese greifen auch zunehmend innenpolitische Themen auf, so forderte z.B. die ATIF in einem Flugblatt die Abschaffung von Leih und Zeitarbeit. Die ADHK stellte in einem Flugblatt anlässlich des 20. Kongresses der Organisation am 26./27. März 2011 in Wiesbaden (Hessen) fest: "Kapitalismus bedeutet Krise! Nein zu den Sparpaketen der EU!". Beide Flügel der TKP/ML thematisieren zunehmend die Ausein andersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in der Türkei. Bei einer friedlich verlaufenen Demonstration am 29. August 2011 in Hamburg skandierten einige Dutzend Teilnehmer Parolen wie "Türkische Armee raus aus Kurdistan" und zeigten Transparente mit der Auf schrift "Schluss mit dem türkischen Terror gegen Kurden". Bewertung Beide TKP/MLFraktionen werden sich auch künftig darauf beschränken, ihre jeweiligen Mutterorganisationen in der Türkei propagandistisch zu unterstützen. Es ist zu erwarten, dass sie mehr noch als bisher auf Krisenphänomene in den "kapitalisti schen" Staaten rekurrieren werden, um ihre eigene Ideologie zu popularisieren. 354 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Gründung: 1994 in der Türkei durch einen Zusammenschluss der "TKP/MLHareketi" ("Bewegung") und der "Türkischen Kommunisti schen Arbeiterbewegung" (TKIH) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: 600 (2010: 600) Publikationen: "Atilim" ("Vorstoß"), wöchentlich; "Internationales Bulletin der MLKP", monatlich; "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei"), vierteljährlich Die marxistischleninistisch geprägte MLKP zielt auf die Zerschla gung der staatlichen Ordnung der Türkei und die Errichtung eines kommunistischen Regimes. In einem Flugblatt des Europakomitees (EK) der MLKP im Februar 2011 wird die Revolution als einzige Möglichkeit zur Sys temüberwindung angesehen: "Sobald die Massen genug Klassenbewusstsein besitzen und den Charakter des Kapitalismus erkannt haben, werden wieder proletarische Revolutionen möglich sein. Dies ist keine Utopie, sondern eine reale Alternative, um die Lebensverhältnisse der unterdrückten Massen dauerhaft zu verbessern. Ob dies gelingen wird, hängt davon ab, ob sich die Kommunisten ausreichend organisieren und sich den Aufgaben der Gegenwart und der Zukunft stellen. Sobald dies geschieht, wird auch die letzte Stunde des Kapitalismus geschlagen sein." (Flugblatt des Europakomitees der MLKP, Februar 2011) Als Beispiel für eine Revolution führt die MLKP die Aufstände in Nordafrika an. In ihrer Erklärung Nr. 54 vom 22. Januar 2011 355 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) forderte das Internationale Büro (IB) der MLKP, das höchste Leitungsgremium der Organisation, die "kommunistischen, revo lutionären und fortschrittlichen Parteien" auf, dem Beispiel der Erhebung der Tunesier gegen "das kapitalistische System und die Reaktion" zu folgen. Die MLKP propagiert die Anwendung von Gewalt zur Erreichung ihrer Ziele. Das Zentralkomitee der Organisation rief in einer Erklärung anlässlich der Auseinandersetzungen zwischen der türkischen Armee und der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) im türkischirakischen Grenzgebiet zum "Totalen Widerstand gegen den Totalen Krieg" auf: "Beantworten wir die neuen Verhaftungen und Inhaftierungen mit starken Widerständen auf den Straßen! Machen wir die Türkei zu einer zweiten Kriegsfront, lassen wir denjenigen, die am schmutzigen Krieg festhalten, keinen ruhigen Atemzug im Westen! Setzen wir die Straßen für die nationale Freiheit des kurdischen Volkes und für unsere eigene Zukunft und Freiheit in Brand!" (Interneterklärung des Zentralkomitees der MLKP, 26. August 2011) Die MLKP bekannte sich zu mehreren terroristischen Aktionen in der Türkei, u.a. zu einem Bombenanschlag am 26. November 2011 in Istanbul (Türkei), bei dem ein Lieferfahrzeug der Zeitung Sabah zerstört wurde. Die Organisation führte in ihrer Erklärung aus, die Aktion sei als eine Warnung zu verstehen und richte sich gegen die Berichterstattung über kurdische Frauen in der Sabah. Weiter hieß es in der Erklärung, die MLKP werde sich "in Zukunft auf rassistischfaschistische Medien wie z.B. 'Turkuaz Medya' und ,Ciner Medya', die Sprachrohre des faschistischen, patriarchali schen Systems und der ,Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung (AKP)' konzentrieren".195 195 Homepage "Firatnews.com" (4. Dezember 2011). 356 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Mit der "Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der Türkei in Deutschland e.V." - AGIF - (Verdachtsfall) verfügt die MLKP über eine bundesweit vertretene Umfeldorganisation. In der 2005 in Stuttgart (BadenWürttemberg) gegründeten "Konfö deration der unterdrückten Immigranten in Europa" - AvEG KON - (Verdachtsfall) sind die nationalen Umfeldorganisationen der MLKP in Europa organisiert. Aus Deutschland gehören die 1991 gegründete AGIF, die "Kommunistische Jugendorganisation" - KGÖ - (Verdachtsfall) und der "Bund Sozialistischer Frauen" - SKB - (Verdachtsfall) der AvEGKON an. Die im September 2010 ebenfalls in Stuttgart (BadenWürttemberg) gegründete europä ische Dachorganisation der kommunistischen Jugend der MLKP "Young Struggle" - YS - (Verdachtsfall) will nach eigenen Angaben "noch aktiver und wirkungsvoller an der europäischen Jugendbe wegung teilnehmen". Die Jugendorganisationen versuchten mit der Veranstaltung von Jugendcamps neue Mitglieder zu gewin nen. Auch soll im Juni 2011 das erste Frauencamp des SKB durch geführt worden sein. Die Jugendorganisationen KGÖ und YS beteiligen sich an Demonstrationen und Aktionen anderer Organisationen. In einem Bericht auf der Homepage der AvEGKON wird anläss lich der Demonstration des Bündnisses "Dresden nazifrei" im Februar 2011 hervorgehoben, die Anhänger seien durch "ihre Militanz und Fahnen" aufgefallen. Nach eigenen Angaben sollen sie Barrikaden errichtet und in Brand gesetzt haben. Die übrigen Umfeldorganisationen machen durch eine aggressive Rhetorik auf sich aufmerksam. In Verlautbarungen greifen sie auch gesellschaftlichpolitische Themen mit Deutschlandbezug auf. So attackierte ein Repräsentant der AGIF die Antiterror gesetze: "Diese Gesetze werden immer weiter verschärft und treffen insbesondere Einwanderer. Wir müssen gegen diesen Zustand zusammen mit einheimischen demokratischen Organisationen und mit Einwandererorganisationen die Solidarität verstärken." ("Atilim", Nr. 20 (344), S. 2) 357 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Auch die AvEGKon kritisiert die Ausländerpolitik in Deutsch land und dem europäischen Ausland. Die Anschläge des Anders Behring Breivik am 22. Juli 2011 in Norwegen beschreibt sie als Konsequenz einer ausländerfeindlichen Politik des "kapitalisti schen Systems": "In den letzten Jahren haben sich die Aktivitäten der faschistischen Bewegungen durch die Unterstützung der Regierungen in Europa vermehrt. (...) Dadurch, dass die Migranten als Quelle der Probleme, die das kapitalistische System erzeugt, gesehen werden, werden sie zur Zielscheibe der rassistischen und faschistischen Angriffe. (...) Jedoch liegt es offen in der Hand, dass die faschistische Bewegung, die dadurch entwickelt und gestärkt wird, eines Tages genau wie in Norwegen auch ihre eigenen Staatsbürger erschießen wird." (Flugblatt der AvEG-KON, 28. August 2011) Bewertung Die MLKP und ihre Umfeldorganisationen propagieren häufig in deutschsprachigen Publikationen ihre politischen Vorstellungen und Zielsetzungen. Dies verdeutlicht, dass sich ihr Aktionsradius nicht mehr nur auf das Heimatland Türkei beschränkt, sondern auch Deutschland und das europäische Ausland umfasst. 2.4 "Ülkücü"-Bewegung Der Ideologie der sogenannten ÜlkücüBewegung - "Idealis tenBewegung" - (Verdachtsfall) liegt ein übersteigertes Natio nalbewusstsein zugrunde, das die türkische Nation sowohl poli tischterritorial als auch ethnischkulturell als höchsten Wert ansieht. Die Anhänger der "Ülkücü"Bewegung werden in der Öffentlichkeit auch als "Graue Wölfe" bezeichnet. Der "Graue Wolf" (Bozkurt) ist das Symbol der Bewegung, er findet sich häufig als heulender Wolf auf Flaggen. Anhänger der Bewegung formen als Erkennungszeichen ihre rechte Hand zum "Wolfsgruß". Ideologie Die allen "Ülkücüs" gemeinsame Ideologie ist geprägt von der Idee einer "Großtürkei" in den Grenzen des Osmanischen Reiches und von der Forderung nach der "Wiedervereinigung" aller Turkvölker vom Balkan bis Zentralasien in einem Staat. 358 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die Verherrlichung der erfolgreichen kriegerischen Vergangen heit des Osmanischen Reiches impliziert eine latente Neigung zur gewalttätigen Durchsetzung der ideologischen Ziele. Die Gewalt geneigtheit wird auch in der Rhetorik der "Ülkücü"Bewegung deutlich, der sogenannte ÜlkücüEid ist von gewaltbereiten bzw. kriegerischen Inhalten geprägt: "Ich schwöre bei Allah, dem Koran, dem Vaterland, bei meiner Flagge. Meine Märtyrer, meine Frontkämpfer sollen sicher sein, wir die idealistische türkische Jugend, werden unseren Kampf gegen Kommunismus, Kapitalismus, Faschismus und jegliche Art von Imperialismus fortführen. Unser Kampf geht bis zum letzten Mann, bis zum letzten Atemzug, bis zum letzten Tropfen Blut. Unser Kampf geht weiter, bis die nationalistische Türkei, bis das Reich Turan erreicht ist. Wir, die idealistische Jugend, werden niemals aufgeben, nicht wanken, wir werden siegen, siegen, siegen. Möge Allah die Türken schützen und sie erhöhen." (Auszug aus einer "Ülkücü"-Homepage, 24. November 2011) Die "Ülkücü"Anhänger propagieren zur Untermauerung der eigenen Bedeutung Feindbilder. Kurden, Armenier, Griechen und Juden, aber auch Angehörige gesellschaftlicher Minderheiten, wie z.B. Homosexuelle, werden - ideologisch begründet - als Feinde angesehen. Neben dem Türkentum kommt dem Islam eine beson dere Bedeutung zu. Die "Ülkücü"Anhänger fassen die sogenannte türkischislamische Synthese in einer prägnanten Aussage zusam men, in der ihr stark religiös gefärbtes Nationalverständnis zum Ausdruck kommt: "Islam ist unsere Seele, Türkentum ist unser Leib". Neben dem "Ülkücü"Eid bedienen sich die Anhänger der Symbolik "Ülkücü"Bewegung weiterer eindeutiger Symbolik. Die Finger der rechten Hand werden zu dem sogenannten Wolfsgruß geformt, welcher unverkennbar die Zugehörigkeit zeigt. Jugendliche Anhän ger tragen vermehrt eine "szenetypische Kleidung" mit schwarzen Kapuzenpullovern und "Bozkurt"Aufdruck. Ein weiteres Erken nungszeichen ist das Logo der türkischen "Partei der nationalis tischen Bewegung" (MHP). Es zeigt drei weiße Halbmonde auf rotem Grund in Anlehnung an die Kriegesflagge des Osmanischen Reiches, auf der ebenfalls drei Halbmonde zu sehen waren. 359 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Aktivitäten der Bisher waren türkischnationalistische Gruppierungen aus "Ülkücü"-Jugend nahmslos nach hierarchischen Prinzipien ausgerichtete Mitglie im Internet derparteien. Diese traditionellen Formierungen werden immer noch durch stark indoktrinierte - überwiegend durch die Mutter partei MHP eingesetzte - Personen geleitet, die sowohl die organi satorischen als auch die ideologischen Zielvorstellungen bestim men. Im türkischnationalistischen Milieu hat sich seit geraumer Zeit eine Abkehr von der klassischen Organisationsform vollzo gen, was auf gesellschaftliche Individualisierungsschübe, allge meine Organisationsmüdigkeit, Pluralisierung der Lebensstile, Wertewandel und Auflösung traditioneller Wertegemeinschaf ten, fundamentalen Wandel in der politischen Kommunikation sowie auf die als "verknöchert" erscheinenden Großorganisatio nen zurückzuführen ist. Daraus entwickelt sich zunehmend eine binnengesellschaftliche und milieuspezifische Pluralisierung, in deren Folge immer mehr jüngere türkischstämmige Jugendliche und junge Erwachsene ihre nationalistische Gesinnung ohne zurechenbare organisatorische Anbindung propagieren. Persönli che Beziehungsgeflechte verlieren in den traditionell eher "fami liär" geprägten "Ülkücü"Milieus kontinuierlich an Bedeutung. Zeitgleich steigen neuartige virtuelle Internetkontakte in sozialen Netzwerken an. Der Eintritt in die jeweilige Gruppe erfolgt oft anonym und damit auf keinem oder eher niederschwelligem Organisationsgrad. Der Anteil der "Facebook Generation" nimmt innerhalb der "Ülkücü"Bewegung immens zu. Im Gegensatz zum klassischen Organisationsmodell gibt es bei den oft im virtuellen Raum agierenden "Ülkücü"Gruppen (Facebook, Twitter etc.) nur selten eine festgeschriebene Programmatik, offizielle Mitglied schaften und andere vereinsähnliche Merkmale, was eine aus sagekräftige Analyse über deren Zielsetzung nachhaltig erschwert. Während in der Vergangenheit von den nichtorganisierten "Ülkücü"Anhängern keinerlei Aktivitäten mit Breitenwirkung zu erwarten waren, nutzt nunmehr insbesondere die junge Gene ration zunehmend das Mobilisierungs und Agitationspotenzial des Internets. Hierbei lässt sich eine zunehmend erhöhte Gewalt bereitschaft, überwiegend gegen die kurdische Volksgruppe, 360 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) erkennen, welche u.a. ihren Ausdruck in Hassvideos findet, die gegen diese Volksgruppe gerichtet sind: "Dieser Rap geht an die ganzen Kurden, Hurensöhne, diese ScheißPKK-Leute. Das ist ein Bozkurt-Rap, hast Du das denn nicht gescheckt? (...) Kurde verreck, Du Stück Dreck, dies ist ein Türkisch-Gangsta-Rap." (YouTube, 3. November 2011) Facettenreiche Diversifikationen unterschiedlicher jugendkultu reller Musik und Stilarten wie HipHop und Rap werden hin zum eigens kreierten "TürkischGangstaRap" entwickelt. Einschlägige Symbole und Erkennungszeichen der Ideologie werden als Bild folge in Musikstücken mit aggressiven Texten unterlegt. Feinde werden verbal erniedrigt und das Türkentum besonders hervor gehoben: "Ihr seid Hurensöhne, ihr verdammten Scheiß Kurden, ich zähle die Minuten, wie ihr langsam sterbt. Ihr seid Affen, euer Schicksal ist zu sterben. (...) Ihr seht aus wie die Kartoffeln, wie German Gay Boys. (...) Wir sind Türken, wir sind die Besten. Ihr seid schlimmer als die Juden, ... es ist uns scheißegal, ob hinter euch Armenien, Griechenland oder Amerika steht." (YouTube, 3. November 2011) Diffamierende, rassistische und Gewalt befürwortende Äußerun gen nehmen in Foren und Internetplattformen stetig zu. Von der Etablierung einer eigenen Jugendkultur im Internet ist mittler weile auszugehen. Die Aktivitäten der "Ülkücü"Bewegung in Deutschland wer Kundgebungen der den nicht zuletzt beeinflusst durch die politische Entwicklung "Ülkücü"-Bewegung" in der Türkei. Insbesondere die Kurdenfrage kann auch hier zulande zu einer Verschärfung des ethnischen Konfliktes zwi schen nationalistischen Türken und Kurden führen. Anlässlich diverser protürkischer Demonstrationen im Bundesgebiet im Herbst 2011, die ihren Protest gegen die wiederholten Über griffe von PKKGuerillaeinheiten auf türkische Militärstellungen 361 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) richteten, konnte eine deutliche Beteiligung von Anhängern der "Ülkücü"Bewegung" festgestellt werden. Vereinzelt kam es zu massiven Ausschreitungen zwischen überwiegend jugendlichen nationalistischen Türken und Kurden, so bei Demonstrationen im Oktober 2011 in Hagen, Duisburg (NordrheinWestfalen) und Berlin. ADÜTDF Innerhalb der "Ülkücü"Bewegung" ist die 1978 in Frank (Verdachtsfall) furt am Main (Hessen) gegründete "Föderation der Türkisch Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." ("Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu" - ADÜTDF) mit ihren rund 7.000 Anhängern die größte Gruppierung. Die unter dem Vorsitz von Sentürk Dogruyol stehende ADÜTDF gilt als Auslandsvertretung der türkischen "Partei der Nationalisti schen Bewegung" (MHP). MHP Die MHP wurde 1969 durch Alparslan Türkes gegründet und gilt als "Urorganisation" der "Ülkücü"Bewegung. Es handelt sich um eine Partei, die eine extrem nationalistische Politik propagiert. Seit dem Tod von Türkes am 4. April 1997 wird die im türkischen Parlament vertretene Partei von Devlet Bahceli geführt. Der verstorbene Parteigründer Türkes wird von den Anhängern der "Ülkücü"Bewegung" bis heute als der ewige Führer ("Basbug") verehrt. Struktur Die in ihrem Aufbau streng hierarchisch und nach dem "Führer prinzip" aufgebaute ADÜTDF ist bundesweit in 13 Bölge (Gebiete) unterteilt, denen insgesamt ca. 150 Vereine zugeordnet sind. Die Organisation ist Mitglied der 2007 in Frankfurt am Main (Hessen) gegründeten "Türkische Konföderation in Europa" - ATK - (Ver dachtsfall) unter Vorsitz von Cemal Cetin. Diesem europäischen Dachverband gehören Organisationen aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden an. Veranstaltungen Alle zwei Jahre führt die ADÜTDF ihre Jahreshauptversammlung der ADÜTDF durch. Diese fand zuletzt am 19. November 2011 mit rund 10.000 Teilnehmern in der Grugahalle in Essen (NordrheinWestfalen) statt. Neben einem Musik und Kulturprogramm wurde der Vor stand der ADÜTDF neu gewählt. Der Vorsitzende Dogruyol wurde 362 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) in seinem Amt bestätigt. Zu den Gästen zählten Vertreter der MHP, unter ihnen auch der Vorsitzende Bahceli. Dieser betonte in seiner Rede den Stolz auf das Türkentum: "Wenn es nötig ist, werden wir Märtyrer und werden wir die Grenzen der Türkei wieder dick mit unserem Blut zeichnen, denn wir sind das große türkische Volk! (...) Denn ihr seid die Akincis [Sturmreiter] und Alperens [nationalistische Helden] dieses Jahrhunderts. Ihr seid die Grauen Wölfe in Europa!" Im Jahr 2011 führte die ADÜTDF im gesamten Bundesgebiet zahlreiche Veranstaltungen mit kulturellen und politischen Pro grammen durch, nicht zuletzt, um für die MHP anlässlich der Parlamentswahl in der Türkei vom 12. Juni 2011 zu werben. Deutschland weist mit seiner großen Zahl von türkischstämmi gen Einwohnern, die weiterhin in der Türkei wahlberechtigt sind, ein großes Wählerpotenzial für die türkischen Parteien auf. Dies dürfte einer der Gründe für die starke Einflussnahme der MHP auf die in Deutschland vertretene ADÜTDF sein. Die Verbreitung der "Ülkücü"Ideologie in Deutschland fördert Bewertung eine Ethnisierung und wirkt integrationshemmend. Insbesondere die hohe Zahl von einschlägigen Internetauftritten und Videos, die mit einer verstärkten verbalen Aggression und Radikalität ein hergeht, gibt Anlass zur Sorge, dass die Inhalte vor allem jugend liche Anhänger ansprechen und auf diese mobilisierend und radikalisierend wirken. 363 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 3. "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) Gründung: 1991 als Abspaltung der "Kommunistischen Partei Irans" Mitglieder/Anhänger: 250 (2010: 250) Die Organisation ist gespalten in: "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) (Verdachtsfall) Leitung: Hamid Taqvaee Publikation: anlassbezogen auf der Homepage der API "Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist" (API-Hekmatist) (Verdachtsfall) Leitung: Kurosh Modaresi Publikation: anlassbezogen auf der Homepage der APIHekmatist "Worker-communism Unity Party" (WUP) (Verdachtsfall) Leitung: Ali Javadi Publikation: anlassbezogen auf Homepage der WUP Die "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) rangiert inner halb des Spektrums der drei kommunistischen iranischen Exil gruppierungen an erster Stelle. Die aus ihr in den Jahren 2004 und 2007 gebildeten Abspaltungsorganisationen "Arbeiter kommunistische Partei Iran - Hekmatist" (APIHekmatist) und "Workercommunism Unity Party" (WUP) haben derzeit nur noch geringe Bedeutung. Ihre Agitation gründet auf den marxis tischleninistischen Vorgaben des 2002 verstorbenen APIGrün ders Mansoor Hekmat. 364 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Alle drei Organisationen streben eine Revolution und ein kom munistisches Gesellschaftssystem im Iran an. Entsprechend wer den auf den jeweiligen Internetportalen Beiträge veröffentlicht, die sich dahingehend an Anhänger und Interessierte wenden: "Die Arbeiterkommunistische Partei fordert alle freiheitsliebenden Frauen und Männer im Iran und in der Welt auf, zum Jahrestag des Aufstandes im Monat Khordad, an dem Millionen Menschen teilnahmen, verstärkt an den Demonstrationen gegen die islamische Republik teilzunehmen. (...) Im Ausland muss man sich für weitere verstärkte druckvolle Demonstrationen in allen Großstädten Europas und Nordamerikas und für den Angriff auf Botschaften und Zentren der islamischen Republik vorbereiten." "Es lebe die Revolution der Menschen für eine humane Regierung! Nieder mit der islamischen Republik! Es lebe die sozialistische Republik!" (Homepage der API, 27. Mai 2010) Der Konferenzbeschluss der APIHekmatist aus dem Jahr 2004 ist nach wie vor aktuell und thematisiert gleichermaßen die strategi schen Ziele der Organisation: "Wir sind und kämpfen für eine sozialistische Revolution. Die WPI - Hekmatist kämpft darum, die Macht im Iran zu übernehmen." (Homepage der API-Hekmatist, August 2004) Auch die WUP ruft zum Sturz des iranischen Regimes auf: "Nieder mit der Islamischen Republik Iran! Freiheit, Gleichheit, Arbeiter-Staat! Lang lebe die Sozialistische Republik!" (Homepage der WUP, 23. März 2011) 365 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die Organisationen greifen auch hiesige aktuelle politische Ereig nisse auf und bieten ihre ideologischen Leitlinien als Lösungs ansätze an: "Alle Macht den 99%! Wir brauchen immer noch Marx, um die Welt zu ändern." (Homepage der API, 15. Oktober 2011) Der API gelang es im Gegensatz zu den beiden Abspaltungsor ganisationen auch im Jahre 2011 durch Demonstrationen, Foren und Infostände in zahlreichen deutschen Großstädten in Erschei nung zu treten. Anlässe wie beispielsweise der Weltfrauentag oder der 1. Mai boten der Partei die Möglichkeit, vielfältige Aktionen durchzuführen und sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Bei einzelnen Aktivitäten wurden auch innenpolitische Entwick lungen und Begebenheiten aus dem Iran thematisiert. Hierbei gelang es der API, durch gängige Themen wie die Dokumentation der Menschenrechtssituation im Iran oder die Forderung nach Abschaffung der Todesstrafe einen breiten Kreis von Interes sierten anzusprechen und sich als beachtenswerte Organisation darzustellen. Dabei bedient sie sich häufig diverser Umfeldor ganisationen, zu nennen sind der "Zentralrat der ExMuslime e.V." - ZdE - (Verdachtsfall), das "Internationale Komitee gegen Steinigung" (Verdachtsfall) und die "Internationale Kampagne zur Verteidigung der Frauenrechte im Iran" (Verdachtsfall). Bewertung Ungeachtet ihres Engagements ist es der API bislang nicht gelun gen, innerhalb der breiten Öffentlichkeit Beachtung zu erlangen. Im Kreise der eigenen Anhänger und Sympathisanten scheint ihre Akzeptanz gefestigt. Innerhalb des iranischoppositionellen Spektrums nimmt sie insgesamt eine eher marginale Position ein. 366 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 4. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Gründung: 1972 (in Sri Lanka) Leitung: Führungskader der deutschen Sektion Mitglieder/Anhänger: 1.000 (2010: 1.000) Das erklärte Ziel der LTTE ist die Errichtung eines von Sri Lanka Ziel und Situation unabhängigen TamilenStaates "Tamil Eelam", der den über im Heimatland wiegend von Tamilen bevölkerten Norden und Osten der Insel umfassen soll. Bis zu ihrer militärischen Zerschlagung im Mai 2009 und dem Tod ihres Führers Velupillai Prabhakaran verfolgte die Organisation ihre Ziele auch mit Waffengewalt und Terroranschlägen. Den LTTEStrukturen innerhalb der weltweiten tamilischen Diaspora fällt nunmehr die Aufgabe einer Restruktu rierung der Organisation zu. Die Regierung in Sri Lanka versucht, durch die Auflösung noch bestehender Flüchtlingslager und die Reintegration gefangener LTTEKämpfer die Lage zu normalisieren. Ende August 2011 kündigte sie an, den Ausnahmezustand und damit die Notstands gesetzgebung nicht weiter zu verlängern. Auch im Jahre 2011 wurden der srilankischen Armee auf LTTEnahen Homepages Kriegsverbrechen sowie eine systema tische Benachteiligung der tamilischen Bevölkerung bis hin zum Völkermord vorgeworfen. Ende März 2011 veröffentlichten die UN einen Bericht, in dem Sri Lanka ebenfalls schwere Kriegsver brechen angelastet werden. Eine umfassende Stellungnahme der srilankischen Regierung zu diesen Vorwürfen hat die Diskussion über die Einhaltung von Menschenrechtsstandards in Sri Lanka bislang nicht beenden können. Die Aufklärung der Kriegsverbrechen und die humanitäre Lage der tamilischen Minderheit auf Sri Lanka wird auch künftig Einfluss auf die Entwicklung der LTTE haben. Menschenrechts verletzungen durch staatliche Stellen oder die wirtschaftliche und politische Benachteiligung der Tamilen dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ruf nach der Wiederaufnahme des 367 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) bewaffneten Kampfes lauter werden und somit die LTTE erneut erstarken lassen. "Transnational Die 2010 gewählte "Transnationale Regierung" (Transnational Government of Government of Tamil Eelam - TGTE) mit ihrem Ministerpräsiden Tamil Eelam" (TGTE) ten Visuvanathan Rudrakumaran, New Yorker Rechtsanwalt und und Flügelbildung ehemaliger Rechtsberater der LTTE, versteht sich als Vertretung aller Tamilen weltweit und fordert gleichberechtigte Gespräche mit der Regierung in Sri Lanka. Der angestrebte unabhängige Tamilenstaat "Tamil Eelam" in Sri Lanka soll gewaltfrei auf politi schem Wege erreicht werden. Die Durchsetzung der für die erste Legislaturperiode formulier ten Ziele - gleichberechtigte Verhandlungen mit der Regierung Sri Lankas, Freilassung inhaftierter LTTEKämpfer, Einheit der tamilischen Diaspora unter dem Dach der TGTE - erscheinen weiterhin unrealistisch, da die srilankische Regierung das TGTE mit der LTTE gleichsetzt. Die "Transnationale Regierung" hatte darüber hinaus 2011 interne Konflikte zu bewältigen. Im März 2011 spaltete sich eine Opposi tionsgruppe ab und schied aus der TGTE aus. Die Nachbesetzung der vakanten Delegiertensitze ist noch nicht abgeschlossen. Der nach außen propagierte demokratische und gewaltfreie Ansatz der TGTE ist innerhalb der LTTEStrukturen der tamili schen Diaspora höchst umstritten und wird von einem "Hard liner"Flügel innerhalb der LTTE abgelehnt, da dessen Führungs kader den bisherigen Kurs der LTTE weiterführen wollen, weil sie nur in der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes eine Chance sehen, ein unabhängiges "Tamil Eelam" zu erreichen. Vor diesem Hintergrund erscheint die postulierte Vereinigung unter dem Dach der TGTE kaum möglich. Die LTTE"Hardliner" sind - auch in Deutschland - in den nationalen "Tamil Coordinating Committees" (TCC) organisiert. Einflussreiche Vertreter dieser Richtung halten sich in Europa auf. Die LTTE sind weiterhin auf der EUListe terroristischer Organi sationen verzeichnet.196 196 Siehe Fn. 178. 368 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Am 12. Oktober 2011 wurden vier Führungsfunktionäre des Exekutivmaßnahmen "deutschen" TCC wegen Verstößen gegen das Außenwirtschafts in Deutschland gesetz vom sechsten Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf (NordrheinWestfalen) zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und neun Monaten und vier Jahren und neun Monaten verurteilt. Der ursprünglich ebenfalls erhobene Tatvorwurf der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach SSSS 129b i.V.m. 129a StGB wurde aus prozessökonomischen Gründen und im Gegenzug zu umfangreichen Geständnissen in der Strafzumessung nicht berücksichtigt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die vier Angeklagten das deutsche TCC mit Sitz in Oberhausen (NordrheinWestfalen) geleitet haben. Ihre Hauptaufgabe war das Sammeln von Spenden bei der tamilischen Bevölkerung sowie der Transfer von Geldern und Sachmitteln für den bewaffneten Kampf nach Sri Lanka. Dabei sollen sie von Juli 2007 bis April 2009 insgesamt etwa drei Millionen Euro einge nommen und an die Führung der LTTE in Sri Lanka weitergeleitet oder nach deren Weisung u.a. für die Beschaffung von Waffen und Ausrüstungsgegenständen verwendet haben. 2011 wurde der "Volksrat der Eelam Tamilen - Deutschland e.V." LTTE und tamilische - VETD - (Verdachtsfall) gegründet. Der VETD sieht sich als Diaspora Vertretung der in Deutschland lebenden Tamilen und fordert einen eigenständigen Staat auf Sri Lanka. Ein Vorstandsmitglied ist als Anmelder von Demonstrationen und Kundgebungen mit LTTEHintergrund bekannt. Die Gruppierung trat in der Folge als Einlader zu verschiedenen Veranstaltungen auf, die früher traditionell von der deutschen LTTEZentrale TCC durchgeführt wurden. Insofern ist nicht auszuschließen, dass der VETD dem TCC zugehörig ist. Auch 2011 führten LTTEAnhänger bundesweit zahlreiche Kund Veranstaltungen gebungen und Demonstrationen durch. Am 21. Mai 2011 fand in Düsseldorf (NordrheinWestfalen) eine vom VETD organisierte, friedlich verlaufene Demonstration zum Thema "Gedenktag für die Opfer in Sri Lanka in den letzten Jahren" statt. An der durch Flugblätter und auf LTTEnahen Homepages beworbenen Veran staltung nahmen bis zu 2.000 meist tamilischstämmige Personen teil. Darüber hinaus fanden bundesweit kleinere Veranstaltungen und Kundgebungen zu den traditionellen Gedenktagen der LTTE 369 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) statt. So wurden am 23. Juli 2011 in mehreren deutschen Städten Kundgebungen im Gedenken an den "Black July", einem Pogrom an den Tamilen auf Sri Lanka im Jahre 1983, durchgeführt. Veran stalter war auch hier der VETD. Am 27. November 2011 fanden in Deutschland erstmals zwei getrennte Veranstaltungen zum "Heldengedenktag" statt. Auf beiden Feiern wurde der im Kampf für einen unabhängigen TamilenStaat ums Leben gekommenen Kämpfer gedacht. In Dortmund (NordrheinWestfalen) fand die vom TCC organisierte traditionelle Veranstaltung der "Hardliner" mit 3.500 Teilnehmern statt. In Mönchengladbach (NordrheinWestfalen) wurde eine offen als Konkurrenzveranstaltung zum "Heldengedenktag" des TCC bezeichnete Gedenkfeier mit 500 Teilnehmern durchgeführt. Beide Veranstaltungen verliefen friedlich. Die Ausrichtung einer konkurrierenden Veranstaltung hat den innerhalb der LTTE schwelenden Konflikt für die tamilische Dias pora in Deutschland offenkundig gemacht und stellt die bislang eindeutig dominierende Rolle des TCC erstmalig offen infrage. Andererseits ist die Teilnahme von 3.500 Personen für das TCC ein großer Erfolg. Die hohen Teilnehmerzahlen verdeut lichen, dass die Aktivitäten des TCC durch die Verurteilung ihrer Führungsfunktionäre zu mehrjährigen Freiheitsstrafen nicht beeinträchtigt wurden. Das TCC verfügt weiterhin über ein hohes Mobilisierungspotenzial innerhalb der tamilischen Diaspora. Bewertung Zweieinhalb Jahre nach dem Kriegsende ist eine einheitliche Neuausrichtung und Struktur der LTTE innerhalb der tamilischen Diaspora nicht erkennbar. Dabei ist derzeit weder das Ziel der "Hardliner", die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes, noch das der "Moderaten", über Verhandlungen zu einer Lösung des Konflikts zu kommen, realisierbar. Beide Strömungen versuchen derzeit, durch Demonstrationen und Öffentlichkeitsarbeit die Regierung Sri Lankas wegen Kriegs verbrechen anzuprangern und international zu isolieren. Neben den Kriegsverbrechen wird auch die weiterhin desolate humani täre Situation der Tamilen auf Sri Lanka thematisiert. 370 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Dabei sind die LTTE sowohl auf die finanzielle Unterstützung der tamilischen Diaspora angewiesen als auch auf deren Bereitschaft, weiterhin in großer Zahl an Veranstaltungen und Demonstrati onen der Organisation teilzunehmen. Ohne diesen Einsatz der tamilischen Diaspora könnten die LTTE ihre Ziele nicht weiter verfolgen. Als langfristige Perspektive ist ein erneutes Zusammengehen beider Flügel oder zumindest eine Kooperation durchaus wahr scheinlich. So könnte sich neben einer offen agierenden, nach außen demokratisch auftretenden Exilvertretung ein verdeckt arbeitender, terroristisch ausgerichteter Flügel innerhalb der LTTE bilden. 371 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 5. Gruppierungen aus dem indischen Spektrum "Babbar Khalsa International" (BKI) Gründung: 1978 (in Indien) Leitung: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: 200 (2010: 200) "Babbar Khalsa Germany" (BKG) Gründung: 2008 (in Deutschland) Leitung: Vereinsvorstand Mitglieder/Anhänger: 30 (2010: 30) "International Sikh Youth Federation" (ISYF) Gründung: 1984 (in Großbritannien) Leitung: gespalten in zwei Fraktionen mit jeweils eigenem Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: 550 (2010: 550) "Kamagata Maru Dal International" (KMDI) (Verdachtsfall) Gründung: 1997 (in den USA) Leitung: unbekannt Mitglieder/Anhänger: Einzelpersonen (2010: Einzelpersonen) Ziel "Khalistan" Das politische Ziel separatistischextremistischer SikhOrganisa tionen ist die Gründung eines eigenen, von Indien unabhängigen Staates "Khalistan" auf dem Gebiet des nordindischen Bundes staates Punjab. Für dieses Ziel kämpfen diese Gruppierungen, deren Führungsspitzen überwiegend ihren Sitz in Pakistan haben, bereits seit Jahrzehnten auch mit terroristischen Mitteln. Ziele 372 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) von Anschlägen sind vor allem indische Politiker und Sicherheits kräfte, billigend wird aber auch die Tötung von Zivilisten in Kauf genommen. Anschläge, die sich gegen einzelne Führer aus dem religiösen SikhSpektrum richten, sollen vor allem dazu dienen, die politische Sicherheitslage im Punjab zu destabilisieren. Die in Deutschland aktiven extremistischen SikhGruppierungen Aktivitäten in sind hierzulande nicht terroristisch aktiv, sondern unterstützen Deutschland ihre Mutterorganisationen im Heimatland vor allem propa gandistisch. Zu nennen sind insbesondere die BKI, die ISYF und die im Jahr 2008 als Abspaltung von der BKI gegründete BKG. Zusammen verfügen sie über etwa 780 Anhänger. Die KMDI tritt mit ihren nur wenigen Mitgliedern kaum noch öffentlichkeits wirksam in Erscheinung. BKI und ISYF sind von der EU seit 2002 als terroristische Organi sationen gelistet.197 Bei regelmäßig durchgeführten Protestveranstaltungen prangern diese Gruppierungen öffentlich die Regierungspolitik Indiens an und fordern mehr Rechte für die Sikhs in Indien sowie einen eigenen Staat "Khalistan". Bei Versammlungen wird regelmäßig zu Geldspenden aufgerufen, die u.a. zur finanziellen Unterstützung von Angehörigen der im bewaffneten Kampf getöteten "Märtyrer" und zur Finanzierung der Rechtshilfe für in Indien inhaftierte Glaubensbrüder verwendet werden. Ein Teil dieser nach Indien transferierten Gelder dürfte jedoch auch zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes verwendet werden. Die im Jahr 2010 erfolgten Exekutivmaßnahmen in Deutschland Prozess gegen und Österreich haben gezeigt, dass es innerhalb des extremisti fünf mutmaßliche schen SikhSpektrums in Deutschland Einzelpersonen gibt, die zu Sikh-Terroristen gewalttätigen Aktionen bereit sind. Am 19. Oktober 2011 begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main (Hessen) der Prozess gegen fünf mutmaßliche Mitglieder der von Pakistan aus operierenden separatistischterroristischen SikhGruppie rung "Khalistan Zindabad Force" (KZF). Die Angeklagten, denen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland, Verstöße gegen das Waffengesetz sowie Verabredung zum Mord vorgeworfen werden, hatten im Juli 2010 versucht, während 197 Siehe Fn. 178. 373 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) einer Veranstaltung in Niederösterreich einen Mordanschlag auf einen Führer einer religiösen Sekte aus Indien zu verüben. In der Anklageschrift hat die Bundesanwaltschaft dargelegt, dass es sich bei zwei der fünf Angeklagten um führende Funktionäre der KZF handele, die von Deutschland aus in kontinuierlichem Kontakt mit der Organisationsspitze in Pakistan gestanden und die Beschaffung von Waffen und den Geldtransfer nach Indien koordiniert hätten, um Attentate der KZF im Punjab zu planen und umzusetzen. Die KZF ist seit dem 21. Dezember 2005 auf der EUListe terroris tischer Organisationen verzeichnet.198 Bewertung Das Gerichtsverfahren wird sich aufgrund der notwendigen umfangreichen Beweisaufnahme bis weit in das Jahr 2012 hinzie hen. Ob und inwieweit es Einfluss auf die in Deutschland aktiven extremistischen SikhOrganisationen und insbesondere gewalt bereite Einzelpersonen haben wird und dort möglicherweise zu einer Verunsicherung bzw. Schwächung führt, bleibt abzuwarten. 198 Siehe Fn. 178. 374 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 375 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick Aufklärungsziel Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund ihrer geopoli Deutschland tischen Lage, ihrer Rolle in der Europäischen Union (EU) und in der NATO sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für fremde Nachrichtendienste sehr attraktiv. Ihre offene und pluralistische Gesellschaft erleichtert Nachrich tendiensten anderer Staaten die Informationsbeschaffung. Haupt träger der Spionageaktivitäten gegen Deutschland sind derzeit die Russische Föderation und die Volksrepublik China. Darüber hin aus sind Länder des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas zu nennen. Präsenz Die Nachrichtendienste dieser Staaten sind in unterschiedlicher ausländischer Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Nachrichtendienste Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort soge nannte Legalresidenturen. Der Begriff bezeichnet den Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer offiziellen (z.B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z.B. Presse agentur, Fluggesellschaft) Vertretung im Gastland. Die dort angeblich als Diplomaten oder Journalisten tätigen Nachrichtendienstmitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - Informationsbeschaffung oder leisten Unter stützung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentralen der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Werden solchen "Diplomaten" statuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zur Ausweisung aus Deutschland führen. Daneben führen Nachrichtendienste auch Operationen ohne Beteiligung ihrer Legalresidenturen durch. Aufklärungsziele Nachrichtendienste handeln nicht allein nach gesetzlichen Auf gabenzuweisungen, sondern werden zudem politisch gesteuert. Die Schwerpunkte ihrer jeweiligen Beschaffungsaktivitäten ori entieren sich an den aktuellen politischen Vorgaben oder wirt schaftlichen Prioritäten in ihren Staaten. Die Aufklärungsziele ausländischer Nachrichtendienste reichen von der Informations beschaffung aus Politik, Wirtschaft, Militär sowie Wissenschaft 376 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN und Technik bis hin zur Ausspähung und Unterwanderung in Deutschland ansässiger Organisationen und Personen, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Darüber hinaus bemühen sich einige Länder darum, in den Besitz Proliferation von Technologien für atomare, biologische oder chemische Mas senvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen sowie die hierzu notwendigen Güter und das erfor derliche Knowhow zu erwerben. Die Proliferation betreibenden Staaten wie Iran, Syrien und Nordkorea versuchen, Kontrollmaß nahmen durch Lieferungen über Drittländer und die Beschaffung von "dual use"Gütern199 zu umgehen. Eine besondere Gefahr stellen "Elektronische Angriffe" auf Com Elektronische putersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstel Angriffe len dar. Angesichts der ausgewählten Ziele und der angewandten Methoden erscheint eine nachrichtendienstliche Steuerung oder zumindest Beteiligung in vielen Fällen als sehr wahrscheinlich. Für einige Nachrichtendienste sind besonders Aufklärungsziele Wirtschaftsschutz in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik von Inte resse. Daher kommt der Sensibilisierung, Information und Auf klärung von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen über die Gefahren durch Wirtschaftsspionage eine hohe Bedeu tung zu. 199 Hierbei handelt es sich um Produkte, die sowohl für zivile als auch für militärische oder proliferationsrelevante Zwecke verwendbar sind. 377 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 1. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 1.1 Politische Rolle der russischen Nachrichtendienste Die Nachrichtendienste sind ein Grundpfeiler der russischen Sicherheitsarchitektur. Sie dienen der Staatsführung als unver zichtbare und verlässliche Institutionen zur Auslandsaufklärung, zum Schutz der inneren Sicherheit und staatlichen Souveränität, zur Vorbereitung und Durchsetzung der Regierungspolitik auf nationaler und internationaler Ebene sowie zur Stützung ihres politischen Machtanspruchs. Die russischen Nachrichtendienste sind durch ihre starke Präsenz in vielen staatlichen Einrichtungen und öffentlichen Lebensbereichen sowie die geheimdienstliche Informationsbeschaffung im Ausland maßgeblich in die politi sche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung Russlands eingebunden. Ihre Organisationsstrukturen und Aufgabenstellun gen blieben im Jahr 2011 nahezu unverändert. 1.2 Strukturen und Aufgaben Folgende Nachrichtendienste der Russischen Föderation entfalten Aktivitäten gegen deutsche Sicherheitsinteressen: SWR Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR (Slushba Wneschnej Raswedki) betreibt Auslandsaufklärung in den Bereichen Poli tik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technologie. Darüber hinaus forscht er Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichten dienste und Sicherheitsbehörden aus und führt elektronische Fernmeldeaufklärung durch. Zusätzlich wirkt er außerhalb der Russischen Föderation bei der Bekämpfung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und des internationalen Terrorismus mit. Er hat mehr als 13.000 Mitarbeiter. GRU Die GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) ist der mili tärische Auslandsnachrichtendienst. Sie untersteht dem Verteidi gungsministerium, verfügt über ca. 12.000 Mitarbeiter und hat seit Dezember 2011 einen neuen Leiter. Ihre Aufklärungsaktivitäten 378 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN zielen auf die Bereiche Sicherheitspolitik und Militär. Dazu zählen Bundeswehr, NATO und andere westliche Verteidigungsstruktu ren, aber auch militärisch nutzbare Technologien. Der Inlandsnachrichtendienst FSB (Federalnaja Slushba FSB Besopasnosti) verfügt über ein besonders breit gefächertes Auf gabenspektrum sowie über umfangreiche Befugnisse. Zu seinen Kernaufgaben gehören die zivile und militärische Spionageab wehr, die Beobachtung des politischen Extremismus sowie die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität (OK). Neben seiner Beteiligung an den fortdauernden Ausein andersetzungen im Nordkaukasus soll er die russische Industrie vor Wirtschaftsspionage und OK sowie ausländische Investoren vor Wirtschaftskriminalität schützen und proliferationsrelevante Aktivitäten in Russland verhindern. Die Sicherung der Staatsgrenzen und Grenzkontrollen, die Gewährleistung der Fernmeldesicherheit im Bereich der Tele kommunikation sowie die Sicherheit in der Informationstechnik gehören ebenfalls zu seinen Aufgaben. Außerdem betreibt der FSB in Russland eine intensive Inter netüberwachung. Er verfügt über einen ständigen Zugriff auf den Datenverkehr, der über russische Anbieter von Internetzugängen abgewickelt wird. Zusätzlich hat er dauerhaften Zugang zu Daten banken russischer Telefongesellschaften, in denen Personendaten und Informationen über Telefonkunden und deren Telefonge spräche erfasst sind. So können auch ausländische Staatsangehö rige in das Blickfeld des FSB geraten und gezielt überwacht wer den, wenn sie in Russland das Internet nutzen oder telefonieren. Der FSB darf nach russischem Recht auch Einzelpersonen, z.B. offizielle Vertreter von Medien oder gesellschaftlichen Organisa tionen, verwarnen, wenn diese aus seiner Sicht gegen die öffent liche Ordnung verstoßen. Betroffenen, die Vorgaben des FSB missachten, drohen Geld oder Haftstrafen. Der FSB kann unter Verweis auf das Gesetz gegen missliebige Veröffentlichungen sowie unerwünschte Aktivitäten oppositioneller Kreise oder nicht staatlicher Organisationen vorgehen. Im Rahmen seiner Abwehrtätigkeit bemüht sich der FSB auch um Auslandsaufklärung. Daher müssen Ausländer in Russland 379 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN mit Versuchen des FSB rechnen, sie für eine Agententätigkeit zu werben. Die Personalstärke des FSB liegt bei etwa 350.000 Mitarbeitern, von denen über 200.000 Grenzschutzaufgaben wahrnehmen. 1.3 Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte Die russischen Nachrichtendienste betrachten die Bundesrepublik Deutschland unvermindert als wichtiges Aufklärungsziel. Ihre Spionageaktivitäten erfolgen nach Vorgaben der russischen Staats führung und erstrecken sich mit unterschiedlicher Intensität auf alle Zielbereiche. Politik Bei der politischen Aufklärung stehen alle Politikfelder im Fokus, in denen Entscheidungen vorbereitet oder getroffen werden, die aus russischer Sicht eigene politische Interessen beeinflussen kön nen. Dazu gehören traditionell die Entwicklungen von EU und NATO sowie die Bündnispolitik unter deutscher Beteiligung. Im Aufklärungsinteresse standen auch die Etablierung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) bei der EU sowie die Haltung der Mitgliedstaaten in der Frage einer gemeinsamen Sicherheits, Verteidigungs und Migrationspolitik. Aus aktuellem Anlass kam es zu verstärkten Aufklärungsbemü hungen über die deutsche Sichtweise und den Standpunkt ande rer EUStaaten zu den politischen Umwälzungen im Maghreb und auf der arabischen Halbinsel. Die Beschaffungsaktivitäten mit Bezug zur NATO richteten sich vor allem auf das strategische Konzept zur Vorgehensweise in den Krisenregionen im afrikanischarabischen Raum sowie Afghanistan. Dabei stand auch die deutsche Haltung zum NATOEinsatz in Libyen im Fokus. Nachrichtendienstliche Aufmerksamkeit fanden weiterhin die politischen Strategien und Maßnahmen Deutschlands und ande rer Staaten der EuroZone zur Überwindung der Finanzmarkt krise. 380 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Fester Bestandteil der Aufklärung ist die Informationsbeschaffung über das deutschrussische Verhältnis. Dabei stehen die vorrangi gen Ziele und die politische Haltung der Bundesregierung gegen über der Russischen Föderation im Vordergrund. Auf innenpolitischem Gebiet bemühten sich die Dienste um Informationen zu parteipolitischen Strukturen und Entwick lungsprozessen, zum außenpolitischen Handlungsspielraum der Bundesregierung sowie zu den Aussichten für den Fortbestand der Regierungskoalition auf Bundesebene. Wirtschaftliche und politische Aufklärung überschneiden sich Wirtschaft häufig. Dies gilt z.B. für die Informationsbeschaffung über die Maßnahmen von Politik und Finanzwirtschaft zur Bewältigung der europäischen Schuldenkrise und die gemeinsamen Anstren gungen zur Stabilisierung des Euro. Weitere Überschneidungen bestehen bei den Aufklärungsbemühungen zu energie, umwelt schutz und klimapolitischen Entscheidungen mit ihren Auswir kungen auf das gesamte Wirtschaftssystem. Die Nachrichten dienste interessierten sich etwa für den neuen energiepolitischen Kurs der Bundesregierung und damit verbundene Änderungen für die Russische Föderation als zentraler Energielieferant, Pla nungen der EU für einen gemeinsamen EnergieBinnenmarkt und eine gemeinsame europäische Energieinfrastruktur, die Preisentwicklung für fossile Energieträger sowie die Perspektiven für den Einsatz alternativer Energien. Außerdem bestand Interesse an der wirtschaftlichen Infrastruk tur in Europa und der europäischen Verkehrspolitik unter dem Aspekt des Strukturwandels und der Finanzkrise. Im militärischen Bereich standen die künftige europäische Militär Sicherheits und Verteidigungsarchitektur aus Sicht der EU und der NATO sowie die Möglichkeiten und Perspektiven für die Aufnahme neuer Bündnismitglieder im Blickfeld. Mit Bezug zur NATO interessierten sich die Dienste für das Konzept der künftigen Bündnisstrategie zur Einschätzung und Bewältigung neuer Bedrohungslagen. Außerdem versuchten die Dienste, Infor mationen über den Aufbau einer Raketenabwehr der NATO in Europa sowie über die Ansichten im Bündnis zum Zustand der politischen Beziehungen zur Russischen Föderation zu erlan gen. Weitere Aufklärungsschwerpunkte waren die Reform der 381 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Bundeswehr, ihre künftige Einbindung in Auslandseinsätze sowie ihr wehrtechnischer Bedarf. Wissenschaft Auf wissenschaftlichtechnologischem Gebiet konnte u.a. Inte und Technik resse an Informationen über Luft und Raumfahrt, aktuelle und alternative Energietechnik sowie Antriebssysteme im maritimen Bereich festgestellt werden. Bewertung Nachrichtendienstlich beschaffte Informationen aus allen Zielbe reichen haben in Russland traditionell einen hohen Stellenwert. Sie dienen der russischen Staatsführung als Orientierungshilfe für wichtige Entscheidungen. Dabei bildet die politische Infor mationsbeschaffung das Kernstück der Aufklärungsaktivitäten und wird bei einer Fortsetzung der überwiegend von nationa len Interessen geleiteten russischen Außenpolitik auch künftig ihren hohen Stellenwert behalten. Vor diesem Hintergrund ist nicht zu erwarten, dass Russland seine Spionageaktivitäten gegen Deutschland in naher Zukunft erheblich reduziert oder einstellt. 1.4 Methodische Vorgehensweise Zur Informationsbeschaffung in Deutschland setzen die russi schen Nachrichtendienste vor allem hauptamtliche Nachrich tendienstangehörige unter der Tarnung als Diplomaten oder Journalisten ein. Ferner gibt es Aufklärungsaktivitäten und Beschaffungsoperationen, die ausschließlich aus den Dienstzen tralen in Moskau erfolgen oder unmittelbar von dort gesteuert werden. Dazu gehört neben personenbezogenen Aktivitäten z.B. eine intensive Fernmeldeaufklärung. Darüber hinaus kommt es auch in Russland oder auf dem Territorium anderer Staaten zu nachrichtendienstlichen Aktivitäten mit Zielrichtung Deutschland. Einen Großteil ihres Informationsbedarfs decken die russischen Nachrichtendienste durch die Auswertung offener Quellen wie des Internets und anderer Medien, den Besuch von Industrie messen, die Teilnahme an öffentlichen Vortragsveranstaltungen, Tagungen und Diskussionsrunden sowie durch Gespräche mit Kontaktpersonen. Sie wenden jedoch auch konspirative Metho den an, um besonders sensible Informationen zu beschaffen. 382 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 1.4.1 Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Föderation dienen den russischen Nachrichten diensten als wichtigste Abdeckung zum Einsatz ihrer Mitarbeiter in Deutschland. In diesen staatlichen Einrichtungen sowie bei einigen russischen Medienvertretungen wird für die Nachrichten dienste eine große Anzahl von Stellen reserviert. Für Angehörige von SWR und GRU stehen vor allem diplomatische oder journa listische Tarndienstposten zur Verfügung. In den Vertretungen ist das nachrichtendienstliche Personal in allen Arbeitsbereichen eingesetzt und bildet in seiner Gesamtheit innerhalb dieser Stütz punkte Legalresidenturen, die vor Ort geheimdienstliche Tätig keiten aller Art entfalten. Die russischen Dienste unterhalten an den Auslandsvertretungen Hohe Präsenz von in Deutschland eine starke - im europäischen Vergleich überpro ND-Personal portionale - Personalpräsenz. Dies verdeutlicht die Wertigkeit Deutschlands als Zielland. Die Botschaft der Russischen Födera tion in Berlin dient als nachrichtendienstlicher Hauptstützpunkt. Die meisten Nachrichtendienstangehörigen verfügen über Diplo matenstatus und profitieren von der damit verbundenen Immu nität, die sie in der Regel vor Strafverfolgung im Gastland schützt. Für die offene Informationsbeschaffung knüpfen sie im Rah Offene Beschaffung men ihrer offiziellen Aufgaben eine Vielzahl von Kontakten zu Gesprächspartnern in allen Zielbereichen. Aus diesem Personenkreis wählen sie solche aus, die als Informa tionsquellen für eine längerfristige Nutzung geeignet erscheinen und halten den Kontakt aufrecht. Wichtige Kriterien sind dabei die aktuellen Zugangsmöglichkeiten der Kontaktperson und ihre berufliche Perspektive; außerdem muss der Nachrichtendienstof fizier die Chance sehen, einen persönlichen Zugang zur Zielper son aufzubauen. So entsteht allmählich ein Netz von Gesprächs partnern, die ohne engere nachrichtendienstliche Anbindung regelmäßig oder bei Bedarf abgeschöpft werden. Dabei gelangen die Nachrichtendienstangehörigen durch geschickte Gesprächs führung auch an schutzbedürftige Informationen oder erhalten Hinweise auf andere interessante Zielpersonen und Zugangsmög lichkeiten. 383 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN "Halboffene" Bei einigen Kontaktpersonen, die z.B. aufgrund ihrer Zugänge Beschaffung zu sensiblen Informationen aus nachrichtendienstlicher Sicht besonders wertvoll erscheinen, versuchen sie, den offenen Abschöpfkontakt in eine "halboffene" Verbindung mit bestimm ten konspirativen Elementen umzuwandeln. Dazu legt der Nachrichtendienstoffizier die Modalitäten und den Zeitpunkt für Folgetreffen sowie einen Ausweichtermin im Voraus fest. Damit versucht er, zusätzliche Kontakte zur Termin vereinbarung zu vermeiden, die in das Blickfeld der Verfassungs schutzbehörden geraten könnten. Aus demselben Grund bittet er seinen Gesprächspartner, ihn nicht in der Vertretung anzurufen und begründet dies u.a. mit seiner häufigen Abwesenheit oder Sprachproblemen in der Telefonzentrale. Bei den Treffen, die überwiegend in Restaurants stattfinden, bemüht sich der Nach richtendienstangehörige, eine freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen, verbunden mit materiellen und immateriellen Zuwen dungen. Gleichzeitig vermittelt er der Kontaktperson das Gefühl, besonders bedeutend zu sein. Im Laufe der Zeit erweitert er die allgemeine Gesprächsabschöpfung um konkrete Aufträge, die anfangs als Bitte um eine Gefälligkeit formuliert werden. Die russischen Dienste bezeichnen solche langfristig angeleg ten Kontakte als "vertrauliche Verbindungen". Sie dienen allein der Beschaffung von Informationen gegen Sachgeschenke, Geld oder andere Vorteile. Mit Ablauf der Dienstzeit des Nachrichten dienstangehörigen in Deutschland übergibt er den Gesprächs partner häufig an einen Nachfolger. Agentenführung Manche dieser Verbindungen werden im Laufe der Zeit nach klassischem Muster zu echten Agentenoperationen weiterent wickelt. Das geschieht etwa, wenn der Kontaktpartner Zugang zu besonders schutzwürdigen Informationen hat und bereit ist, diese preiszugeben. Da verdeckte Geheimdienstarbeit und das Verleiten zum Ver rat geschützter Informationen gegen den diplomatischen Status verstoßen, erweitert der Nachrichtendienstoffizier zum Schutz vor Enttarnung seine Sicherheitsvorkehrungen für konspirative Treffen und sorgt für eine sichere Kommunikation. Auch hält er die Zielperson unter Hinweis auf die Vertraulichkeit zu besonde rer Vorsicht an. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennt auch die 384 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN sorgloseste Kontaktperson den nachrichtendienstlichen Charak ter der Verbindung. Neben ihren eigenen Beschaffungsaktivitäten leisten Legal residenturangehörige vor Ort Hilfsdienste für ihre Zentrale und unterstützen nachrichtendienstliche Operationen, die direkt aus Russland gesteuert werden. 1.4.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung Russische Nachrichtendienste führen auch Beschaffungsopera tionen durch, die unmittelbar aus den Dienstzentralen gesteuert werden. Zu diesem Zweck halten die Aufklärungsdienste sogar am Illegalenprogramm bewährten "Illegalenprogramm" ihrer Vorgänger aus der Zeit der Sowjetunion fest, obwohl der Einsatz eines Illegalen hohe Kosten und einen beträchtlichen operativen Aufwand erfordern. Dabei schleusen sie mit Falschidentität ausgestattete Nachrichten dienstoffiziere für langfristige Spionageeinsätze aller Art oder zur vorübergehenden Abwicklung bestimmter Geheimdienstaktivitä ten als "ReiseIllegale" in Zielländer ein. Illegale sind durch ihre professionelle Abdeckung von den Abwehrbehörden der Zielländer besonders schwer zu enttarnen. Daher können sie nach erfolgreicher Legalisierung ihre Falsch identität viele Jahre nutzen und sich bei einem Einsatz im Laufe der Zeit eine Fülle von Zugängen verschaffen. In den vergangenen fünf Jahren sind in Mitgliedsländern der EU und der NATO mindestens 15 Illegale enttarnt worden. Beispielhaft hierfür ist der Fall eines russischen Illegalenpaares, Verhaftung das auf dem Schleusungsweg über Südamerika nach Deutschland Illegaler gelangte. Die Eheleute A. lebten über 20 Jahre mit österreichi scher Falschidentität in Deutschland und wurden vom SWR über Agentenfunk im Kurzwellenbereich geführt. Beide konnten nach Vorermittlungen der Spionageabwehr im Oktober 2011 von deutschen Strafverfolgungsbehörden festgenommen werden. 385 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Das permanente Interesse der russischen Nachrichtendienste am deutschen Meldeverfahren lässt den Schluss zu, dass weitere Illegale unerkannt nach Deutschland eingeschleust werden sollen oder sich bereits hier aufhalten. Gefährdung In Russland sucht vor allem der FSB nach Zielpersonen. Die Auf in Russland klärungsdienste SWR und GRU verfügen ebenfalls über Organisa tionseinheiten, die dort unter ausländischen Staatsangehörigen Agenten werben. Dabei bieten sich den Diensten im eigenen Land viele Möglichkeiten. Dazu gehören z.B. die Grenzkontrollen ein und ausreisender Personen, die Überwachung von Auslands vertretungen, die starke Präsenz im wirtschaftlichen und wissen schaftlichen Bereich und die nachrichtendienstliche Internet und Telefonüberwachung. Ins Blickfeld der Nachrichtendienste geraten vor allem Perso nen, die sich privat oder beruflich für längere Zeit in Russland aufhalten oder regelmäßig dorthin reisen. Insbesondere Angehö rige deutscher diplomatischer Vertretungen, Behördenvertreter auf Dienstreisen, aber auch Firmenrepräsentanten sowie Perso nen, die in Russland einer freiberuflichen Tätigkeit nachgehen oder studieren, müssen mit nachrichtendienstlichen Ansprachen rechnen. Bei diesem Personenkreis haben die Nachrichtendienste viele Möglichkeiten, ihren "Heimvorteil" zu nutzen, da sie auf eigenem Territorium gezielt nach Ansatzmöglichkeiten suchen und sich gefahrlos mit Ausländern treffen können. Insbesondere der FSB nutzt Fehlverhalten oder persönliche Schwächen aus, um poten zielle Zielpersonen gegebenenfalls durch Ausübung von Druck zu einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit zu bewegen. In anderen Fällen versuchen die Nachrichtendienstoffiziere, die Zielperson für sich einzunehmen und auf freundschaftlicher Basis zu wer ben. Nach erfolgreicher Werbung werden die Operationen im Regel fall aus den Dienstzentralen gesteuert. Dies gilt in Einzelfällen auch für Agenten, deren Führung von der Legalresidentur an die Zentrale abgegeben wurde. 386 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die Kommunikation erfolgt in solchen Verbindungen etwa durch Agentenfunk, Geheimschreibverfahren und über "Tote Briefkästen" (TBK)200. Auch das Internet wird zunehmend als Kommunikationsmittel zum Informationsaustausch mit geheimen Mitarbeitern genutzt. Außerdem unternehmen Nachrichtendienstoffiziere aus der Dienstzentrale im Rahmen ihrer operativen Aktivitäten vereinzelt Erkundungsund Treffreisen in andere Länder. Die russischen Nachrichtendienste nutzen bei ihrer VorgehensBewertung weise unvermindert ein breites Spektrum traditioneller Methoden. Besonders bemerkenswert ist dabei z.B. der Illegalenkomplex, der anscheinend in seiner gesamten Ausprägung aufrecht erhalten wird. Darüber hinaus wird die Methodik ständig verfeinert, indem etwa neue Entwicklungen im Bereich der Nachrichtentechnik und Kommunikationselektronik für nachrichtendienstliche Zwecke nutzbar gemacht werden. Die steigende Vielfalt technischer Möglichkeiten bietet den russischen Nachrichtendiensten beste Voraussetzungen für eine sichere Agentenkommunikation und verdeckte Spionageaktivitäten aller Art. 2. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der anderen Mitglieder der GUS Auch die anderen Mitglieder der GUS201 verfügen über eigene Nachrichtendienste Nachrichtenund Sicherheitsdienste, die ursprünglich aus den in der GUS z.T. mit regionalen Geheimdienststrukturen der ehemaligen Sowjetunion Auslandsaufklärung hervorgegangen sind. Es handelt sich vor allem um zivile Dienste mit Aufgabenschwerpunkt in den Bereichen der inneren Sicherheit und der Spionageabwehr. In einigen Fällen gehört auch die Auslandsaufklärung zu ihrem Tätigkeitsspektrum. In anderen Staaten bestehen eigenständige zivile Auslandsnachrichtendienste. Einige Mitglieder der GUS unterhalten zum Schutz ihrer staatlichen Autonomie zusätzlich eine eigene Militäraufklärung. Die Auslandsnachrichtendienste der anderen Mitglieder der GUS 200 Getarnte Ablagestellen (z.B. Erdverstecke) zum Informationsund Materialaustausch oder für Aufträge und finanzielle Zuwendungen an geheime Mitarbeiter. 201 Zur GUS gehören Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Usbekistan und Weißrussland. Turkmenistan ist lediglich noch beigeordnetes Mitglied ohne feste Zugehörigkeit. Das Gründungsmitglied Ukraine betrachtet sich als Teilnehmerstaat ohne formelle Mitgliedschaft. 387 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN beschränken ihre Aktivitäten zumeist auf angrenzende Län der und treten daher kaum durch Aktivitäten mit Zielrichtung Deutschland in Erscheinung. Die GUS, nach dem Zerfall der Sowjetunion als politisch und wirtschaftlich geschlossene Einheit gegründet, hat in den vergan genen Jahren an Bedeutung verloren. Viele Mitglieder haben sich inzwischen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene emanzi piert, verfolgen eigene Ziele und haben zusätzlich Bündnisse mit anderen Staaten geschlossen. Der neue ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch räumt bei seiner Außenpolitik vor allem den Beziehungen zu Russland wieder Vorrang ein und verzichtet auf den von seinem Vorgänger angestrebten Beitritt zur NATO. Zusammenarbeit mit Trotz der politischen Veränderungen pflegen die meisten Mit den russischen glieder der GUS auf nachrichtendienstlicher Ebene nach wie vor Nachrichtendiensten traditionelle Kontakte. Es findet weiterhin eine förmlich verein barte Zusammenarbeit statt, die von russischer Dominanz geprägt ist. Neben dem Austausch von Informationen leistet Russland Unterstützung bei der technischen Ausstattung und Schulung des Personals. Gefährdung bei Im Rahmen ihrer Kooperation sollen auch Erkenntnisse über Aufenthalten in Ein und Ausreisen ausländischer Staatsangehöriger und Perso Mitgliedsländern nen, für die sich die Nachrichtendienste der GUS besonders inte der GUS ressieren, untereinander weitergegeben werden. Daher dürfte für bestimmte Personen - etwa Behördenangehörige - nicht nur bei Reisen nach Russland, sondern auch in andere Länder der GUS ein erhöhtes Risiko bestehen, in das Blickfeld der dortigen Nach richtendienste zu geraten. Legalresidenturen Nur wenige Nachrichtendienste der übrigen Mitglieder der GUS unterhalten in ihren Auslandsvertretungen in Deutschland Legal residenturen und setzen dort Nachrichtendienstangehörige unter diplomatischer Tarnung ein. Die stärkste nachrichtendienstliche Präsenz unterhält die Republik Weißrussland. Bewertung Aus der Aufgabenstellung und Residenturpräsenz einiger Nach richtendienste der übrigen Mitglieder der GUS sowie deren Ein bindung in den nachrichtendienstlichen Informationsaustausch 388 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN - insbesondere im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten der Russischen Föderation - ergibt sich eine latente Bedrohung deutscher Sicherheitsinteressen. Vor allem der Politikwechsel in der Ukraine hat erkennbar auch Auswirkungen auf die Tätigkeit der dortigen Nachrichtendienste. So ist zu erwarten, dass sie künftig zumindest auf eigenem Ter ritorium ihr besonderes Interesse auf Staatsangehörige aus Mit gliedsländern der EU und der NATO richten. III. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 1. Entwicklung in der Volksrepublik China Das Land wird durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) Politisches System autoritär regiert. Trotz der Liberalisierung des Wirtschaftssystems und wirtschaftliche verweigert die politische Führung den Bürgern elementare poli Stabilität tische Freiheiten. Die chinesische Wirtschaft ist auch während der globalen Finanz und Wirtschaftskrise stabil gewachsen. Der wirtschaftliche Aufstieg bietet der KPCh eine Herrschaftslegitima tion, die jedoch durch eine ungleiche Verteilung von Wohlstand und Entwicklungsmöglichkeiten sowie eine hohe Inflationsrate zunehmend unter Druck zu geraten droht. Die Steigerung der militärischen Leistungsfähigkeit der Volks Militärische befreiungsarmee (VBA) wurde zuletzt durch den Testflug eines Aufrüstung Kampfflugzeuges mit Tarnkappentechnik demonstriert. Zur Festi gung seines großen wirtschaftlichen und wachsenden politischen Einflusses strebt China die Modernisierung seiner Luft und See streitkräfte an, z.B. durch die beabsichtigte Indienststellung eines Flugzeugträgers. Dadurch könnten sich mittel oder langfristig die militärischen Kräfteverhältnisse, insbesondere im südpazifischen Raum, verschieben. Die chinesische Führung verfolgt eine repressive Politik gegen Willkürliche Oppositionelle sowie ethnische und religiöse Minderheiten. Es Verhaftungen und kommt regelmäßig zu willkürlichen Verhaftungen und Gerichts Minderheitenpolitik urteilen, auch gegenüber international bekannten Personen, z.B. 389 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN gegen den Künstler Ai Weiwei oder den Regimekritiker und Nobelpreisträger Liu Xiaobo. Auf lokaler Ebene führt staatliche Willkür häufig zu Protesten oder Demonstrationen. 2. Strukturen und Aufgaben der chinesischen Nachrichtendienste Die chinesische Regierung setzt zur Stabilisierung ihres Machtan spruchs gezielt einen umfangreichen Sicherheitsapparat ein. Die Nachrichtendienste dienen sowohl der Aufrechterhaltung der sozialen Stabilität als auch der Förderung von wirtschaftlichen Interessen. Sie unterliegen keinen rechtstaatlichen Beschrän kungen. Ein Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die nachdrückliche Bekämpfung von Kräften, von denen die Regierung eine Gefähr dung der staatlichen Ordnung befürchtet; so etwa die Befürwor ter von Unabhängigkeitsbestrebungen. In der Bundesrepublik Deutschland sind mehrere chinesische Nachrichtendienste aktiv. MSS Das zivile Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS), das über einen großen Mitarbeiterbestand ver fügt, hat einen umfangreichen Aufklärungsauftrag. Die Aufgaben umfassen im Inland die Abwehr von Gefahren für die staatliche Ordnung. In diesem Bereich verfügt das MSS auch über polizei liche Befugnisse. Einen weiteren Aufgabenschwerpunkt bildet die Auslandsspionage, bei der das MSS unter den anderen chinesischen Diensten eine zentrale Rolle einnimmt. In der Bundesrepublik bemüht es sich um die Informationsbeschaffung aus Wirtschaft und Politik, späht aber auch oppositionelle Gruppierungen aus. MID Der militärische Nachrichtendienst (Military Intelligence Depart ment - MID) ist in die Kommandostruktur der VBA integriert und weltweit offensiv tätig. Als militärischem Organ obliegt ihm die Beschaffung von Informationen, die die äußere Sicherheit der Volksrepublik betreffen. Hierzu gehören u.a. die Struktur, Stärke und konkrete Ausrüstung fremder Streitkräfte. Auch Informa tionen aus Politik, Wissenschaft und Technik sind von Interesse. Zusammen mit den anderen Nachrichtendiensten bekämpft er zur Wahrung der inneren Sicherheit zusätzlich oppositionelle Bestrebungen. 390 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Das Ministerium für Öffentliche Sicherheit (Ministry of Public MPS Security - MPS), das zentrale Polizeiministerium der Volksrepu blik, ist für die generelle Gewährleistung der öffentlichen Ord nung zuständig. Um seiner exponierten Position bei der Unter drückung innerer Unruhen nachzukommen, arbeitet es auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. So sammelt das MPS Informa tionen über diejenigen Bevölkerungsgruppen, die von der KPCh als Ursache für Sicherheitsgefährdungen angesehen werden, und zwar innerhalb und außerhalb Chinas. Zusätzlich überwacht das MPS die Medien und den Internetverkehr; davon sind auch Aus länder betroffen. Das Büro 610 - benannt nach seinem Gründungsdatum Büro 610 10. Juni 1999 - untersteht direkt der Kommission für Politik und Recht des Zentralkomitees der KPCh. Es ist zur Beobachtung und Verfolgung der regimekritischen Meditationsbewegung Falun Gong gegründet worden. Als Parteiorgan arbeiten ihm die Verwal tungs, Justiz und Polizeibehörden des Landes zu. Das Büro 610 ist sowohl in China als auch im Ausland aktiv - auch in Deutschland. 3. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte Als größte Gefahr für den eigenen Machterhalt sieht die chine Bekämpfung der sische Zentralregierung bestimmte Personengruppen an, die sie "Fünf Gifte" als staatsfeindlich betrachtet und als die "Fünf Gifte" diffamiert. Hierzu gehören neben den Angehörigen der Meditationsbewe gung Falun Gong und Mitgliedern der Demokratiebewegung auch Gruppierungen, die die territoriale Integrität infrage stellen, so die nach Unabhängigkeit strebenden Volksgruppen der Uiguren und Tibeter sowie die Befürworter der Eigenstaatlichkeit Taiwans. Anhänger und Vertreter der "Fünf Gifte" werden nicht nur in China verfolgt, sondern auch in Deutschland ausgespäht. Die Nachrichtendienste sollen u.a. den Informationsbedarf der Politik und Militär Regierung über die deutsche Haltung gegenüber China und die deutsche Politik in internationalen Organisationen wie der EU decken. Auch sicherheitspolitische Aspekte sowie konkrete rüs tungsspezifische Informationen sind vor dem Hintergrund der Umstrukturierung der VBA von Bedeutung; hier stehen insbe sondere die Ausrüstung der Bundeswehr und deren Rolle in der NATO im Aufklärungsinteresse. 391 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Wirtschaftsspionage Die Volksrepublik China verfolgt ein ehrgeiziges und langfristig angelegtes Programm zur Modernisierung der Volkswirtschaft; in dieses Bestreben sind die chinesischen Nachrichtendienste ein gebunden. Im Aufklärungsinteresse Chinas stehen sensible Infor mationen aus der deutschen Wirtschaft wie Produktinnovationen und aktuelle Forschungsergebnisse, insbesondere aus den Berei chen erneuerbare Energien, Nanotechnologie, Elektromobilität, Solartechnik, Umwelttechnik sowie Informationstechnologien. In Einzelfällen festgestellte illegale Ausspähungsaktivitäten führten zu Verurteilungen nach dem Gesetz gegen den unlau teren Wettbewerb (UWG). Aufgrund der engen Verflech tung zwischen Wirtschaft und Staat in China ist es schwer zu beurteilen, ob es sich bei derartigen Vorfällen um staatlich betriebene Wirtschaftsspionage oder Ausspähungsversuche eines konkurrierenden chinesischen Unternehmens handelt. 4. Methodische Vorgehensweisen 4.1 Informationsgewinnung in Deutschland Bei der Informationsbeschaffung in Deutschland gehen die chi nesischen Nachrichtendienste unterschiedlich vor: Gegenüber deutschen Zielpersonen agieren sie äußerst vorsichtig und gedul dig, bei ihren Landsleuten und chinesischstämmigen Personen treten sie forscher auf. Legalresidenturen Aus den Legalresidenturen in den diplomatischen und konsu larischen Vertretungen Chinas entfalten ihre dort eingesetzten Mitarbeiter nachrichtendienstliche Aktivitäten. Zusätzliche Mög lichkeiten bietet den Nachrichtendiensten die Zusammenarbeit mit hier akkreditierten chinesischen Journalisten. In Einzelfällen werden auch hauptamtliche Nachrichtendienstler als Journalisten abgetarnt eingesetzt. Nutzung Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste gewinnen ihre Erkennt offener Quellen nisse zunächst aus frei zugänglichen Informationsquellen wie Presseveröffentlichungen, Internet und Fachliteratur. Zudem besuchen sie öffentliche Veranstaltungen oder Industriemessen. 392 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Um ihre Erkenntnisse zu vertiefen, nutzen sie die durch ihre "Abschöpfung" von offizielle Tätigkeit aufgebauten Kontakte. Durch eine methodisch Kontaktpersonen geschickte Gesprächsführung versuchen sie, an sensible Informa tionen zu gelangen, ohne dass ihr Gesprächspartner dies bemerkt. Ziel derartiger Aufklärungsbemühungen sind u.a. Vertreter deut scher Behörden und Unternehmen oder Wissenschaftler, aber auch Bundeswehrsoldaten. Verfügen ihre Gesprächspartner über interessante Zugangsmög Aufbau von lichkeiten, versuchen die Nachrichtendienstmitarbeiter durch Beziehungen wiederholte Treffen, Geschenke, Einladungen zu Restaurantbesu chen oder Reisen nach China eine persönliche Verbindung aufzu bauen. Langfristig soll durch diese "Kultivierung" erreicht werden, dass der Wissensträger seinem vorgeblichen Freund vertrauliche Informationen weitergibt. Weitere Möglichkeiten für die Erkenntnisgewinnung ergeben sich Non-Professionals aufgrund der zahlreichen zwischenstaatlichen Wirtschafts und Wissenschaftskooperationen. So leben und arbeiten etwa 79.000 Chinesen in Deutschland, darunter etliche Gastwissenschaftler, Praktikanten und Studenten. Diese Personengruppe stellt ein großes Wissenspotenzial dar, dessen sich die Nachrichtendienste durchaus bewusst sind. Sie verschaffen sich einen Überblick über Arbeitsbereiche sowie Zugänge und bauen Kontakte auf. Die nachrichtendienstliche Nutzung dieser Kontakte, auch bezeichnet als NonProfessionals, hat für die Dienste den Vorteil, dass bei Bekanntwerden eines Ausspähungsversuches nicht ersichtlich ist, ob dieser aus Eigeninitiative oder im staatlichen Auftrag erfolgte. 4.2 Bekämpfung der "Fünf Gifte" in Deutschland Im Gegensatz zur Informationsbeschaffung in den Bereichen Politik, Militär und Wirtschaft verhalten sich die chinesischen Nachrichtendienste bei der Aufklärung und Bekämpfung der "Fünf Gifte" (vgl. Nr. 3) deutlich aggressiver. Ihre Methoden sind dabei vielfältig. Grundlage für ihre Maßnah Methoden men bilden auch hier zunächst offene Informationen. So besu chen die Nachrichtendienstangehörigen öffentliche Veranstal tungen und Kundgebungen. Daneben sammeln sie entsprechende Publikationen und werten diese aus. Chinesische Journalisten, die 393 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN als Informationszuträger dienen, können unverfänglich in der Öffentlichkeit agieren. Die Dienste diffamieren häufig den "Fünf Giften" zugerechnete Personengruppen pauschal als Gewalttäter oder Terroristen. Dadurch sollen, auch im Hinblick auf die deutschchinesischen Beziehungen, deutsche Behörden zu einem Einschreiten gegen diese Personengruppen veranlasst und mögliche Veranstaltungs verbote erwirkt werden. Daneben wurden Aktivitäten von Angehörigen der "Fünf Gifte" durch elektronische Maßnahmen eingeschränkt, indem z.B. Inhalte oppositioneller Websites streng kontrolliert oder Aufrufe entsprechender Seiten gänzlich blockiert wurden. Auch erhielten manche Aktivisten telefonische Aufforderungen, ihre Tätigkeit einzustellen. Dies betraf auch Einzelpersonen und Organisationen in der Bundesrepublik. Mit der Fortführung derartiger Maßnah men von chinesischer Seite ist auch künftig zu rechnen. Verurteilungen Die in den letzten Jahren aufgedeckten nachrichtendienstlichen Handlungen führten in diesem Jahr zu vier Verurteilungen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 StGB). Im Jahr 2011 verurteilte das Oberlandesgericht München (Bayern) drei chinesische Staatsbürger wegen ihrer Zusammenarbeit mit einem chinesischen Nachrichtendienst zu Bewährungsstrafen. Sie hatten die uigurische Gemeinde in München ausgespäht und Informationen an das MSS weitergegeben. Im Juni 2011 wurde ein Deutscher chinesischer Abstammung wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für das Büro 610 vom Oberlandesgericht Celle unter Strafvorbehalt verwarnt. Ihm wurde zudem die Auflage erteilt, 15.000 Euro an eine Menschen rechtsorganisation zu zahlen. Er hatte im Zeitraum von 2006 bis 2010 Informationen über die Meditationsbewegung Falun Gong gesammelt und nach China weitergeleitet. 394 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 4.3 Aktivitäten in China Die chinesischen Sicherheitsbehörden sind zur Überwachung und Überwachung Kontrolle der eigenen Bevölkerung sowie einreisender Personen von Bevölkerung mit umfassenden Befugnissen ausgestattet. Mittels aufwendiger und Reisenden Systeme überwachen sie Kommunikationswege und kontrollieren insbesondere das Internet. Auch ausländische Besucher unter liegen einer intensiven Überwachung durch die Sicherheitsor gane. Diese erfolgt durch eine Kontrolle der Geschäftsreisenden beim Grenzübertritt sowie die Überwachung ihrer elektronischen Kommunikation und ihres Verhaltens in Hotels oder in der Öffentlichkeit. Mitgeführte elektronische Datenträger wurden teils offen, teils verdeckt untersucht. Breit angelegte "Elektronische Angriffe" mit Ursprung in China Elektronische setzten sich auch im Jahr 2011 fort. Mit einer Schadsoftware ver Angriffe sehene EMails richten sich weltweit gegen die Computer von Unternehmen, staatlichen Einrichtungen sowie Privatpersonen (vgl. Kap. VI). Hauptaufklärungsziel der chinesischen Nachrichtendienste sind Bewertung die "Fünf Gifte", insbesondere die Volksgruppe der Uiguren. Da das MSS diese als besondere Bedrohung ansieht, wird das Interesse an Informationen aus diesem Bereich mittelfristig weiter beste hen bleiben. Allerdings dürften sich die Anforderungen an die Nachrichtendienste aufgrund des gewachsenen Selbstbewusst seins Chinas durch die gestiegene politische Bedeutung auf inter nationaler Ebene ändern. Um diesen gerecht zu werden, müssten die chinesischen Nachrichtendienste ihre Methoden anpassen und verstärkt auch Zielpersonen außerhalb ihrer Ethnie suchen. IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten anderer Staaten Bei den Spionageaktivitäten der Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas dominieren neben der klassischen Informationsbeschaffung die Ausforschung Oppo sitioneller aus diesen Ländern sowie die Unterwanderung ihrer Organisationen. 395 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Die Nachrichtendienste des Iran stellen seit Gründung der Islamischen Republik im Jahr 1979 ein zentrales Instrument der politischen Führung zur Sicherung ihres Machtanspruches dar. Seit der Wahl Mahmoud Ahmadinejads zum Präsidenten im Jahr 2005 hat der Einfluss des Sicherheitsapparates noch erheblich zugenommen. Aufgabe der Dienste ist nicht nur die Gewährleis tung des Status Quo im Inneren, sondern auch die Informations gewinnung im Ausland. Hauptträger der nachrichtendienstlichen Aktivitäten sind das Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (Ministry of Infor mation and Security - MOIS, in Farsi: Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Keshvar - VEVAK) und der Nachrichtendienst der iranischen Revolutionsgarden (Revolutionary Guards Intelligence Department - RGID). MOIS Das MOIS ist der zivile In und Auslandsnachrichtendienst der Islamischen Republik. Es wurde 1984 als Nachfolger diverser unter dem revolutionären Regime im Iran entstandener Nach richtendienstorganisationen gegründet. Der Leiter hat in seiner Funktion als Informationsminister einen Sitz im iranischen Kabi nett. Das MOIS ist wegen seiner Organisationsgröße und seiner Bedeutung für den Machterhalt eines der mächtigsten Ministe rien der iranischen Regierung. RGID Das RGID ist sowohl Auslandsaufklärungs als auch Inlandsab wehrdienst der iranischen Revolutionsgarden (Islamic Revolu tionary Guards Corps - IRGC, in Farsi: Sepah Pasdaran). Die IRGC wurden nach der Machtübernahme Khomeinis 1979 ins Leben gerufen und agieren neben den regulären Streitkräften als verlän gerter Arm des Regimes. Sie sind der besonderen Treue gegenüber dem Revolutionsführer verpflichtet und bilden damit einen abso lut loyalen Machtfaktor zur Sicherung und Festigung der Islami schen Revolution nach innen und außen. Zielbereiche und Schwerpunktaufgabe des iranischen Nachrichtendienstapparates Aufklärungsist die intensive Beobachtung und Bekämpfung oppositionel schwerpunkte ler Gruppierungen im In und Ausland. Die Nachrichtendienste beschaffen darüber hinaus im westlichen Ausland Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. 396 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die gegen Deutschland gerichteten nachrichtendienstlichen Akti vitäten des Iran gehen vorrangig vom MOIS aus. Ein Aufklärungs schwerpunkt ist die Ausspähung der Exilopposition innerhalb der rund 50.000 Personen umfassenden iranischen Gemeinde in Deutschland. Dabei stehen die "Volksmodjahedin IranOrganisa tion" (MEK) und ihr politischer Arm, der "Nationale Widerstands rat Iran" (NWRI), im besonderen Fokus. Des Weiteren zeigt das MOIS ein intensives operatives Interesse an deutschen Zielobjek ten, insbesondere in den Bereichen Außen und Sicherheitspoli tik. Im Vordergrund stehen dabei die Aufklärung von deutschen Einrichtungen im In und Ausland sowie die Ansprache deutscher Staatsbürger. Die Steuerung nachrichtendienstlicher Aktivitäten zur Infor Methodik mationsbeschaffung erfolgt in erster Linie durch die Zentrale in Teheran. Dabei nutzt das MOIS Reisen seiner Zielpersonen in den Iran, die aus familiären oder beruflichen Gründen erfolgen. Den Betroffenen ist es im Iran kaum möglich, sich dem Zugriff des Dienstes zu entziehen; damit liegen ideale Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Ansprache vor. Neben der zentralen Steuerung nimmt auch die Legalresidentur des MOIS an der Iranischen Botschaft in Berlin eine wichtige Funktion bei der nachrichtendienstlichen Aufklärung wahr. Die dort eingesetzten Nachrichtendienstmitarbeiter beobachten ins besondere die in Deutschland lebenden Oppositionellen. Da rüber hinaus gehören zu ihren Aufgaben die Durchführung und Unterstützung nachrichtendienstlicher Operationen, die von der MOISZentrale in Teheran ausgehen. Die Mehrzahl davon richtet sich gegen Aufklärungsziele in Deutschland, vereinzelt aber auch gegen Personen oder Einrichtungen im europäischen Ausland. Zur Informationsgewinnung bedient sich die Residentur sowohl offen zugänglicher Quellen als auch nachrichtendienstlicher Methoden wie der Anwerbung und Führung von Quellen und Informanten. Die in Deutschland angesiedelten konsularischen Vertretungen des Iran sind zur Unterstützung der Legalresidentur verpflichtet. Die Sicherung und Festigung des derzeitigen Regimes stellt den Bewertung absoluten Aufgabenschwerpunkt des iranischen Nachrichten dienstapparates dar. Daher wird die iranische Exilopposition in Deutschland auch in Zukunft im Fokus des MOIS stehen. 397 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Aufgrund der großen Bedeutung der deutschen Außen und Sicherheitspolitik für den Iran ist weiterhin mit Aufklärungsakti vitäten in diesem Bereich zu rechnen. 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien Die im Dezember 2010 begonnenen Unruhen in der arabischen Welt, allgemein als "Arabischer Frühling" bezeichnet, hatten Syrien zunächst kaum betroffen. Während in einigen Staaten der Region Volksmassen auf die Straße gingen, um ihren For derungen nach politischem Wandel Nachdruck zu verleihen, verhallten im Internet gestartete Aufrufe zu Protestaktionen in Syrien anfangs weitgehend ungehört. Der syrische Staatspräsident Baschar al Assad zeigte sich noch in einem Zeitungsinterview am 31. Januar 2011 überzeugt, dass sein Land aufgrund der Bürger nähe seiner Regierung immun gegen solche Unruhen sei.202 Ab Mitte März 2011 kam es zunächst in Daraa (Südsyrien) zu Pro testen. Wegen des brutalen Vorgehens der Sicherheitskräfte, das viele Tote forderte, entwickelte die Situation schnell eine Eigen dynamik und erfasste Ende März weitere Landesteile. Syrische Die zahlreichen syrischen Nachrichten und Sicherheitsdienste Sicherheitsorgane sowie Armee und Polizeikräfte spielen als Stützen des Regimes eine entscheidende Rolle bei der Unterdrückung der Proteste, insbeson dere der zivile Nachrichtendienst Idarat AlMukhabarat AlAmma der militärische Nachrichtendienst Shu'bat AlMukhabarat AlAskarya und der politische Sicherheitsdienst Idarat AlAmn AlSiyasi sowie der Nachrichtendienst der Luftwaffe Jihaz AlMukhabaratLi'lQuwwat AlJawwiyya. Einige dieser Dienste sind nachrichtendienstlich auch im Ausland aktiv, u.a. in Deutschland. Aufklärungsziele Ihre Aktivitäten dienen vor allem der Überwachung von opposi tionellen Gruppierungen und Einzelpersonen, in denen sie eine Gefahr für das gegenwärtige Regime sehen. Hierzu zählen islamis tische und kurdische Gruppierungen sowie Regimekritiker und Menschenrechtsaktivisten. 202 Wall Street Journal vom 31. Januar 2011, "Interview with syrian president Bashar al Assad". 398 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Für ihre Aktivitäten in Deutschland unterhalten die Dienste eine Methoden Legalresidentur an der Syrischen Botschaft in Berlin. Die dort täti gen Nachrichtendienstangehörigen führen ein Agentennetz im Bundesgebiet und bemühen sich, dieses auszubauen. Einen besonderen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten stellt seit Beginn der Proteste in Syrien die Ausspähung von Demonstratio nen hier lebender Syrer in zahlreichen deutschen Städten dar, die sich gegen das Regime oder die Vorgänge in Syrien richten. Die Dienste versuchen, einzelne Teilnehmer zu identifizieren, um so gewonnene Erkenntnisse gegen sie verwenden zu können. Bei der Werbung neuer Agenten und zur Einschüchterung von Regimegegnern schrecken syrische Nachrichtendienste nicht vor Repressalien gegen Betroffene oder deren Angehörige im Hei matland zurück. In Deutschland lebende Zielpersonen müssen im Einzelfall bei einem Besuch in Syrien mit Anbahnungsversuchen oder gar Festnahmen, Verhören und Misshandlungen rechnen. Von derartigen Maßnahmen sind nicht nur Syrer betroffen. Der Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit stellt bei Syrienreisen keinen zuverlässigen Schutz vor repressiven Maßnahmen der dor tigen Sicherheitsdienste dar. In Deutschland lebt eine der größten syrischen ExilGemein Bewertung den in Europa. Ein Nachlassen von Protesten gegen das syrische Regime ist mittelfristig nicht wahrscheinlich. Daher wird das nachrichtendienstliche Interesse der syrischen Dienste insbeson dere an hier lebenden Oppositionellen weiter andauern. 3. Nachrichtendienste der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija Nachdem die Umwälzungen in den arabischen Ländern Libyen zunächst unberührt ließen, kam es im Februar 2011 in Bengazi (Libyen) zu ersten größeren Protesten. Bereits am Ende dieses Monats gewann der Aufstand überraschend schnell an Dynamik. Nach dem brutalen Vorgehen von Militär und Sicherheitskräften und ersten Erfolgen der Aufständischen setzten Auflösungser scheinungen ein und hochrangige Funktionsträger des alten Regimes wechselten die Seiten. Die ersten waren Justizminister 399 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Mustafa Muhammad AbdalJalil und Innenminister AbdalFatah Younis. Beide übernahmen führende Aufgaben innerhalb der Rebellenbewegung, AbdalJalil wurde beispielsweise Leiter des "Nationalen Übergangsrates". Mit der Einrichtung einer Flugverbotszone Mitte März 2011 sowie durch gezielte Luftschläge der NATO wurde der Militärapparat Gaddafis schließlich derart geschwächt, dass die Rebellen das Regime stürzen konnten. SicherheitsGaddafis Sicherheitsstrukturen waren auf den unbedingten strukturen des Machterhalt des Regimes ausgerichtet. Die Revolutionskomitees Gaddafi-Regimes und die Nachrichtendienste waren die Instrumente seines Über wachungsstaates. Sie waren auch in Deutschland aktiv. Aktivitäten Die Verhältnisse am Libyschen Volksbüro in Berlin (diplomatische des Libyschen Vertretung des Regimes von Gaddafi in Deutschland) spiegelten Volksbüros die allgemeine politische Entwicklung, die Dynamik des Zerfalls des Regimes und die Probleme des Landes wider. Dort waren acht Mitarbeiter der Revolutionskomitees und der Nachrichtendienste tätig. Vor dem Hintergrund der Revolutionen in den Nachbarländern Tunesien und Ägypten intensivierten sie schon vor Beginn des Aufstandes in Libyen ihre Aufklärungsakti vitäten gegen libysche Oppositionsgruppen. Kurz nach Beginn der Unruhen kooperierten libysche Diplo maten und Ortskräfte heimlich mit oppositionellen Kräften in Deutschland. Mit zunehmender Eskalation der Auseinanderset zung in Libyen stieg auch unter dem Personal des Büros die Sym pathie für die Oppositionellen. Im weiteren Verlauf der Libyenkrise wies das Auswärtige Amt im April 2011 fünf Mitarbeiter der libyschen Sicherheitsdienste aus, u.a. wegen Aktivitäten gegen Oppositionelle. Dies führte zum Zusammenbruch der nachrichtendienstlichen Arbeit des Gaddafi Regimes in Deutschland. Im Juni 2011 übernahm der Nationale Übergangsrat offiziell das Volksbüro mit dem noch vorhandenen Personal als neue Libysche Botschaft. Zwei Sicherheitsdienstmitarbeiter, die sich nicht zur Zusammenarbeit mit dem Übergangsrat bereit erklärt hatten, 400 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN wurden im Juli 2011 vom Auswärtigen Amt zu "personae non gratae" erklärt. Im Januar und Februar 2011 verurteilte der Staatsschutzsenat Verurteilung des Berliner Kammergerichts einen Agentenführer der libyschen von Agenten des Nachrichtendienstzentrale in Tripolis und zwei seiner Agenten alten Regimes wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu Freiheitsstrafen. Sie waren im Mai und September 2010, basierend auf Operationen des BfV, verhaftet worden. Dies war ein erfolgreicher Schlag gegen ein europaweites libysches Agentennetz, welches unter zentraler Steuerung und mit Unterstützung der Legalresidenturen die Aktivitäten der liby schen Opposition in Europa ausspioniert hatte. 4. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea Nordkorea unterhält zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und zur Stützung des Regimes eine Vielzahl von Nachrichten diensten. Der größte Teil dieser Dienste ist auf Südkorea ausge richtet. Zu ihren Aufgaben gehört die Beeinflussung der öffentli chen Meinung mit dem Ziel, das Ansehen Nordkoreas zu stärken und das politische System in Südkorea zu diffamieren. Weitere Schwerpunkte sind die Informationsbeschaffung aus dem Aus land und die intensive Beobachtung und Bekämpfung oppositio neller Gruppierungen im In und Ausland. Zur Beschaffung von Informationen aus Deutschland unterhalten die nordkoreanischen Nachrichtendienste Legalresidenturen an der Botschaft in Berlin. Die Abteilung Vereinigungsfront ist der Koreanischen Arbeiter Abteilung partei unterstellt. Sie ist im Inland u.a. für Propaganda und Vereinigungsfront psychologische Kriegsführung gegen Südkorea zuständig. Im Ausland späht der Dienst oppositionelle Gruppierungen aus und versucht, deren Aktivitäten bereits im Ansatz zu verhindern. Südkoreanische Sympathisanten des Regimes werden ideologisch beeinflusst und im Sinne Nordkoreas unterstützt (z.B. bei der Organisation und Durchführung kultureller Veranstaltungen). 401 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Der Resident der Abteilung Vereinigungsfront an der Botschaft in Berlin ist Parteichef und somit Ansprechpartner für alle Nord koreaner in Deutschland bei Reisen in ihr Heimatland und bei Kontaktaufnahmen zu dort lebenden Familienangehörigen. Zur politischen Indoktrinierung ruft er wöchentlich alle in und um Berlin wohnenden Nordkoreaner in die Botschaft. Ministerium für Das Ministerium für Staatssicherheit (MfSS) untersteht dem Staatssicherheit Nationalen Verteidigungskomitee. Es ist in Nordkorea für die Auf rechterhaltung der inneren Ordnung verantwortlich. In Deutschland gewährleistet das MfSS u.a. die personelle und materielle Sicherheit an der Botschaft. Sein Resident ist zudem für alle Sicherheitsfragen nordkoreanischer Delegationen und hier lebender Studenten bzw. Gastwissenschaftler zuständig. Zusätzlich übt er Kontrollfunktionen im benachbarten Ausland aus und leitet auch dort bei sicherheitsbedenklichen Vorfällen (z.B. Fehlverhalten von Diplomaten, Untertauchen von Studenten) die Ermittlungen vor Ort. Büro für Das Büro für Allgemeine Aufklärung untersteht dem Ministerium Allgemeine für Volksstreitkräfte. Zu seinen wesentlichen Aufgaben gehört Aufklärung die weltweite Technologiebeschaffung für die nordkoreanische Armee. Der unter diplomatischer Tarnung eingesetzte Vertreter des Büros an der Botschaft ist für die Bereiche militärische Wissenschaft und Handel zuständig, insbesondere für Entwicklung, Patente und KnowhowTransfer. Aufklärungsziele Die nordkoreanischen Nachrichtendienste zeigen zunehmend Interesse an deutschen Stiftungen und Organisationen, insbe sondere in den Bereichen Außen und Sicherheitspolitik. Außer dem stehen Themen zur alternativen Energiewirtschaft und zur NATOBündnispolitik im Fokus. Auch deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen sind wegen ihres hohen technologischen Standards und technischen Knowhows ein wichtiges Aufklärungsziel. Dabei kam zuletzt dem Gesundheitssektor aufgrund der gesundheitlichen Probleme des inzwischen verstorbenen Staatsführers Kim Jong Il eine beson dere Bedeutung zu. 402 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Aufgabe der Nachrichtendienstangehörigen ist zudem die Beobachtung und Aufklärung von Versuchen nordkoreanischer Staatsangehöriger im Ausland, sich durch Flucht einer Rückkehr nach Nordkorea zu entziehen. Die nordkoreanischen Nachrichtendienste nutzen ihre Legalre Vorgehensweisen sidenturen zur Informationsbeschaffung und Quellenwerbung. Ihre dort als Diplomaten abgetarnt tätigen Nachrichtendienst offiziere knüpfen bei ihren offiziellen Aufgaben Kontakte zu interessanten Personen in allen Zielbereichen, insbesondere zu Vertretern von Wirtschaftsorganisationen, politischen Stiftungen, Firmen oder Hochschulen. Neben der Gesprächsabschöpfung von Kontaktpersonen nut zen sie allgemein zugängliche Informationsquellen mithilfe in Deutschland arbeitender nordkoreanischer Gastwissenschaftler und Studenten. Diese verfügen in der Regel über gute sprachliche Fähigkeiten und stehen dem Staat loyal gegenüber. Die Botschaft führt regelmäßig ideologische Schulungen für diese Personen gruppen sowie sonstige in Deutschland lebende nordkoreanische Staatsbürger durch. Die Botschaft zeigt von ihr als Bedrohung empfundene Vor kommnisse (z.B. Untertauchen nordkoreanischer Staatsangehö riger in Deutschland) konsequent bei den zuständigen deutschen Behörden an. Dies geschieht in der Absicht, solche Sachver halte detailliert aufzuklären und vermeintliche Gefahren für das Regime abzuwehren. Auch wenn in Deutschland zuletzt keine ausgeprägten operativen Bewertung Tätigkeiten der nordkoreanischen Nachrichtendienste feststell bar waren, lässt die andauernde Unterstützung und ideologische Beeinflussung südkoreanischer Oppositionsgruppen auf ein fort laufendes nachrichtendienstliches Interesse an diesem Perso nenkreis schließen. Die zukünftige personelle Ausstattung und operative Ausrichtung dieser Dienste in Deutschland ist abhängig von der politischen Entwicklung im Zuge des Machtübergangs an Kim Jong Un, den Sohn des bisherigen Machthabers. 403 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN V. Proliferation Definition Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte sowie entspre chenden Waffenträgersystemen (z.B. Raketen und Drohnen) ein schließlich des dafür erforderlichen Knowhow verstanden. Massenvernichtungswaffenprogramme können zu einer erhebli chen Destabilisierung in den jeweiligen Regionen beitragen und stellen eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der inter nationalen Sicherheit dar. Bei proliferationsrelevanten Ländern wie Iran, Nordkorea, Syrien und Pakistan ist zu befürchten, dass sie solche Waffen in einem bewaffneten Konflikt einsetzen oder ihren Einsatz zur Durchset zung politischer Ziele androhen. Dies kann in den Nachbarlän dern zu einer Neubewertung der eigenen Bedrohungslage führen und birgt daher die Gefahr eines militärischen Wettrüstens in den einzelnen Regionen. Vertikale Ihren Beschaffungsbedarf vor allem an "dual use"Gütern203 ver Proliferation suchen diese Staaten zu einem großen Teil in den Industrie oder Schwellenländern204 zu decken. Horizontale Einzelne Proliferation betreibende Staaten treten auch selbst Proliferation als Lieferanten auf. Sie bieten u.a. Maschinen, Ausrüstungsge genstände und Knowhow an oder verkaufen vollständige und einsatzfähige Raketensysteme zur Ausbringung von Massenver nichtungswaffen. So sind sie teilweise in der Lage, sich gegenseitig bei der Herstellung und Weiterentwicklung dieser Waffen zu unterstützen. Iran Iran verweigert weiterhin eine substantielle Kooperation mit der internationalen Staatengemeinschaft und hat zuletzt im August 2011 zwei Angehörige der Internationalen Atomenergie behörde (IAEO) des Landes verwiesen. Somit bleibt die Frage nach 203 Siehe Fn. 199. 204 Als Schwellenländer werden Staaten bezeichnet, die zu den fortgeschrittenen Ent wicklungsländern gehören, da sie aufgrund hoher wirtschaftlicher Eigendynamik beachtliche Industrialisierungsfortschritte erzielen konnten und in ihrem Ent wicklungsstand deutlich gegenüber den Industrienationen aufgeholt haben. 404 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN dem ausschließlich friedlichen Charakter des iranischen Atom programms weiterhin unbeantwortet, zumal immer deutlichere Hinweise auf ein mögliches Nuklearprogramm mit militärischen Zielen vorliegen. So äußerte die IAEO in ihrem Bericht vom 8. November 2011 ernsthafte Sorgen hinsichtlich einer möglichen militärischen Dimension des iranischen Nuklearprogramms und stellt erstmals detailliert Indizien dar (u.a. iranische Entwicklungsarbeiten an Sprengkapseln sowie verdeckte Beschaffungsversuche von Gütern für einen Nuklearsprengkörper).205 Entsprechende Beschaffungsversuche nehmen in Deutschland im nuklearen Bereich seit Jahren zu. Daneben betreibt der Iran ein ambitioniertes Trägertechnologieprogramm, das der Ausbringung von Kernwaffen dienen könnte. Nordkorea verfügt über ein weit fortgeschrittenes Atomwaffen Nordkorea programm und ist zu eigenständigen Entwicklungen beim Bau von Reaktoren in der Lage. Bestätigt wurde dies Ende 2010, als Nordkorea große Fortschritte bei der Urananreicherung meldete und dem USamerikanischen Nuklearwissenschaftler Siegfried Hecker Einblicke in die neu errichtete Urananreicherungsanlage in Yongbyon (Nordkorea) gewährte. Nach seinen hierbei gewon nenen Eindrücken ist diese Anlage sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke nutzbar.206 Unabhängig hiervon verfolgt Nordkorea unverändert ein umfang reiches Waffenträgerprogramm und tritt weltweit als Exporteur von Raketen auf. Gleichzeitig bietet das Land anderen Staaten Unterstützung beim Aufbau eines eigenen Raketenentwicklungs programms an. Im Mai 2011 haben die europäischen Staats und Regierungschefs Syrien wegen der gewaltsamen Repressionen gegen die Protestbewegung Sanktionen gegen Syrien beschlossen, die angesichts der sehr ernsten Lage erweitert wurden. Diese beinhalten ein Waffen embargo, ein Verbot der Ausfuhr von Ausrüstung, die zur internen 205 Bericht der IAEO, Homepage des Institute for Science and International Security (14. November 2011). 206 "Urananreicherung in Nordkorea", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung Online vom 21. November 2010. 405 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Repression verwendet werden kann, Beschränkungen für die Einreise in die EU sowie das Einfrieren der Gelder und wirtschaft lichen Ressourcen von Personen und Organisationen, die für das gewaltsame Vorgehen gegen die Zivilbevölkerung in Syrien ver antwortlich sind. Ob die Unruhen in Syrien und damit eine künftige veränderte politische Ausrichtung der Regierung eventuell Auswirkungen auf die militärischen Programme und damit auf proliferationsrele vante Beschaffungen haben werden, bleibt abzuwarten. BeschaffungsDie proliferationsrelevanten Länder sind z.T. bereits in der Lage, aktivitäten ihren Bedarf an Produkten und Knowhow im eigenen Land zu decken. Sie unterhalten z.B. eigene Produktionsstätten zur Her stellung von Maschinen und Stoffen oder verfügen über wissen schaftliche Einrichtungen, die ihre Forschungsergebnisse für die Entwicklung von Waffenprogrammen zur Verfügung stellen. Diese Einrichtungen sind jedoch in unterschiedlichen Bereichen der Forschung, Entwicklung und Herstellung dieser Waffen und Trägersysteme bis heute nicht autark. Daher sind sie gezwun gen, notwendige Beschaffungen auf dem Weltmarkt - u.a. in Deutschland - zu decken. BeschaffungsDie seit geraumer Zeit bestehenden restriktiven Exportkontrollbe methode stimmungen zur Verhinderung proliferationsrelevanter Warenein Produkte käufe in Europa haben das Einkaufs und Beschaffungsverhalten dieser Länder beeinflusst. Die direkte Beschaffung einer Ware oder eines Gutes bildet eher die Ausnahme, da das Risiko der Ent deckung und damit die Verhängung eines Ausfuhrverbots durch die Genehmigungsbehörden zu groß geworden ist. Um dennoch in den Besitz notwendiger Produkte zu gelangen, wählen sie vielfach die Beschaffung über Drittländer (sogenannte Umgehungsausfuh ren), schalten Tarnfirmen ein oder machen gegenüber dem Her steller oder Händler falsche Angaben über den Verwendungszweck mit dem Ziel, den tatsächlichen Einsatz eines Produktes in prolife rationskritischen Verwendungen zu verschleiern. BeschaffungsWissenschaftler aus diesen Ländern nutzen vielfach bestehende methode internationale Kontakte zu Universitäten, Instituten oder For Know-how schungseinrichtungen, um sich einschlägiges Grundlagen wissen oder Spezialkenntnisse anzueignen. Gegenüber ihren 406 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Gesprächspartnern verschweigen sie die geplante Verwendung des erlangten Wissens in einem Massenvernichtungswaffenpro gramm. So missbrauchen sie unter Umständen auch den von staatlicher Seite unterstützten und geförderten internationalen wissenschaftlichen Informations und Erfahrungsaustausch. Die Bundesrepublik Deutschland wird als eine der führenden Bewertung Industrienationen mit Spitzentechnologie und hohem wissen schaftlichem Standard auch in Zukunft ein wichtiges Ziel für pro liferationsrelevante Beschaffungen sein. Insbesondere die Aktivitäten von Iran und Nordkorea geben großen Anlass zur Sorge. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit sensibilisiert das BfV über Sensibilisierungen die Proliferationsthematik und ihre Risiken (vgl. Verfassungs schutz und Demokratie, Kap. V). Zur Proliferationsabwehr arbeiten das BfV, das Bundesamt für Kooperation Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das Zollkriminalamt, das Bundes kriminalamt und der Bundesnachrichtendienst eng zusammen. VI. Elektronische Angriffe Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden gezielte Maß Definition nahmen mit und gegen ITInfrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder ITInfrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten, netzgebunde nen Produktions und Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z.B. das Internet, erfolgen als auch durch einen direkten, nicht netzge bundenen Zugriff auf einen Rechner, z.B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien. 407 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Auch fremde Nachrichtendienste bedienen sich solcher Techni ken. Die Abwehr von Angriffen mit einem derartigen Hintergrund fällt in die Zuständigkeit der Spionageabwehr. Feststellungen Seit dem Jahr 2005 werden auf breiter Basis durchgeführte zielge in Deutschland richtete "Elektronische Angriffe" auf Bundesbehörden und Wirt schaftsunternehmen in Deutschland festgestellt. Diese weisen nach wie vor eine hohe Bedrohungsqualität auf. Diese nachhaltig angelegten Angriffe richten sich gegen aus gewählte Stellen in Politik und Wirtschaft. Dort zu erlangende Informationen sind insbesondere für staatliche Stellen von Inte resse. Deshalb wird diesen Angriffen eine nachrichtendienstliche Lenkung unterstellt. Das Erkennen dieser Angriffe ist für die potenziellen Opfer oft mals schwierig bis unmöglich, selbst bei vorhandenem Sicher heitsbewusstsein. Die EMails sind so gestaltet, dass sie zu den Interessen bzw. Aufgabengebieten der Opfer passen. Dazu gehört auch, dass die Absenderadressen gefälscht werden, um dem Empfänger eine nicht bestehende Vertrauenswürdigkeit vor zugaukeln. Hinzu kommt, dass die von den Angreifern eingesetzte Schadsoftware von den meisten, auch aktuell gehaltenen Viren schutzprogrammen überwiegend nicht erkannt wird. Verursacher Es kann unterstellt werden, dass viele Staaten "Elektronische Angriffe" als Mittel zur Informationsbeschaffung einsetzen. Die Methode hat den Vorteil, dass sie schwer zu entdecken ist. Darüber hinaus sind die weitgehend anonymisierten Täter kaum identifizierbar. Aufgrund bestimmter Merkmale und Indizien bei den erkannten Angriffen ist allerdings nicht selten eine regionale Zuordnung ihrer Herkunft möglich. Die überwiegende Zahl der in Deutschland festgestellten Angriffe mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund ist danach auf Stellen in China zurückzuführen. Weder politische Appelle, auch aus anderen betroffenen Staaten, noch die ent sprechende Berichterstattung in den Medien, die immer wieder China als Verursacher dieser Angriffe benennt, führten bislang zu einer Abnahme der Angriffe. 408 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Einen möglichen Beleg dafür lieferte unerwartet ein Bericht des chinesischen Fernsehsenders CCTV7 vom 16. Juli 2011. In seiner Sendereihe Militärtechnologie ("Military Science and Technology")207 strahlte der Sender einen 20minütigen Beitrag zum Thema Cyberwar aus. In einer kurzen Sequenz wurde von Angehörigen der VBA eine speziell angefertigte Software gezeigt und vorgeführt, welche offenbar einen "Elektronischen Angriff" gegen die Falun GongBewegung durchführte. Das chinesische Staatsfernsehen stellte die Sendung bzw. das Video für kurze Zeit auch im Internet zum Abruf bereit. Nachdem jedoch verschiedene Medien auf diese Sendung als Beleg für die lange vermuteten Cyberattacken seitens der VBA hingewiesen hatten, wurde sie aus dem chinesisch kontrollierten Internet gelöscht. Auch wenn man nicht mit Sicherheit bewerten kann, ob die gezeigte Sequenz nur einen simulierten Angriff darstellte oder lediglich der Anschaulichkeit halber entworfen worden war, so bestätigt diese - möglicherweise unbeabsichtigte - Veröffent lichung zwei Annahmen: Das chinesische Militär führt "Elek tronische Angriffe" durch und die in China verbotene und ver folgte Falun GongBewegung gehört zu den Zielen staatlich gelenkter Cyberangriffe. Die Nachhaltigkeit, mit der die mutmaßlichen Angreifer aus China weltweit Informationen zu beschaffen versuchen, trägt deutliche Anzeichen für eine strategische Aufklärung. Auch zeigt die große Zahl von Meldungen über z.T. spektakuläre "Elek tronische Angriffe" in der ersten Hälfte des Jahres 2011 (z.B. im Frühjahr 2011 auf das französische Finanzministerium und die EUKommission), wie effizient und überaus erfolgreich diese inzwischen durchgeführt werden. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass die Angriffe weiter anhalten werden. Die Verfassungschutzbehörden gehen allerdings davon aus, dass auch andere Staaten (z.B. Russland) "Elektronische Angriffe" gegen Bundesbehörden, die Politik oder die Wirtschaft durchführen, um in den Besitz relevanter Informationen zu gelangen. 207 Die Sendereihe wird jeden Samstag in der Zeit von 14.40 - 15.00 Uhr GMT ausge strahlt. Sie berichtet über aktuelle Forschungen und Entwicklungen im militäri schen Bereich. 409 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Angriffe gegen Zusätzlich werden seit dem Jahr 2009 gezielte und in großem Stellen der G20 Umfang durchgeführte "Elektronische Angriffe" auf Stellen der G 20, d.h. der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie und Schwel lenländer, erkannt. Diese Gruppe dient als Forum für Koope rationen und Konsultationen in Fragen des internationalen Finanzsystems und beschäftigt sich mit finanz, wirtschafts und energiepolitischen Sachfragen. Auch durch diese Angriffe sind deutsche Regierungsbehörden betroffen. Die hierbei eingesetzten EMails sind gleichermaßen professionell und überzeugend gestaltet. Ansprache, Inhalt und der vermeintli che Absender täuschen dem anvisierten Opfer eine authentische EMail vor. Die Schadsoftware befindet sich typischerweise im Anhang und wird nur in Ausnahmefällen von den gängigen Virenschutzprogrammen erkannt. Aufgrund der Merkmale und bestehender Parallelen zu den Angriffen auf das deutsche Regie rungsnetz wird der Ursprung auch dieser Angriffe Stellen in China zugeordnet. Bemerkenswert an den Angriffen gegen G 20Stellen ist, dass häufig hochrangige Personen gezielt über einen langen Zeitraum immer wieder attackiert werden. Im Vorfeld von G 20Gipfel treffen nehmen die Angriffe deutlich zu. Adressaten sind dann insbesondere Mitarbeiter von Arbeitsgruppen, welche die Gipfeltreffen vorbereiten. Kurz vor den Gipfeln ebben die Angriffe wieder ab, um regelmäßig in der Vorbereitungszeit des nächsten Meetings erneut aufzuflammen. Inhaltlich beschäftigen sich diese EMails mit Sachfragen in Zusammenhang mit der internationalen Finanzkrise. Auch der im März 2011 bekannt gewordene "Elektronische Angriff" auf den Internationalen Währungsfonds (IWF) in New York ist in diesem Zusammenhang zu sehen. Ganz offensichtlich versuchen die Angreifer, zu allen mit der Finanzkrise in Zusammenhang stehenden Themen Informationen zu erlangen, etwa solche zur EuroSchuldenkrise. Maßnahmen der Wenn die Verfassungsschutzbehörden "Elektronische Angriffe" Verfassungsschutzmit mutmaßlichem nachrichtendienstlichem Hintergrund behörden erkennen, gehen sie auf die betroffenen Stellen zu, um über die Gefahren dieser Attacken zu unterrichten und zu sensibilisieren. Damit soll auch das Gespür dafür vermittelt werden, insgesamt 410 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN vorsichtiger mit den modernen Kommunikationsmedien umzu gehen. Jedem Nutzer sollte bewusst sein, dass vertrauliche Informationen auf einem Computer grundsätzlich immer dann gefährdet sind, wenn dieser direkt an ein öffentliches Netz, wie z.B. das Internet, angeschlossen ist. Am 23. Februar 2011 hat das Bundeskabinett die CyberSicher Nationales Cyberheitsstrategie für die Bundesrepublik Deutschland beschlossen. Abwehrzentrum Ihr Ziel ist ein besserer Schutz der ITInformationsinfrastruk turen sowie der Informations und Kommunikationstechnik in Deutschland. Ein Baustein dieser Strategie ist die Errichtung des Nationalen CyberAbwehrzentrums. Es soll die operative Zusammenarbeit staatlicher Stellen optimieren sowie Schutz und Abwehrmaß nahmen gegen ITVorfälle besser koordinieren. Ein schneller und enger Informationsaustausch über Schwachstellen in ITPro dukten, Verwundbarkeiten, Angriffsformen und Täterbildern soll das Nationale CyberAbwehrzentrum befähigen, ITVorfälle zu analysieren und abgestimmte Handlungsempfehlungen zu geben. Den Kern des Abwehrzentrums bilden drei Behörden. Die Federführung besitzt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Direkt beteiligt sind das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe und das BfV. Das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei, der Bundesnachrichten dienst, das Amt für den Militärischen Abschirmdienst, das Zollkriminalamt sowie die Bundeswehr wirken als assoziierte Partner mit. Perspektivisch soll auch die Wirtschaft einbezogen werden. Zum 1. April 2011 hat das Nationale CyberAbwehrzentrum sei nen Betrieb in Bonn (NordrheinWestfalen) aufgenommen. Am 16. Juni 2011 fand die offizielle Eröffnung durch den Bundes minister des Innern statt. Bereits die ersten Erfahrungen haben gezeigt, dass der Informa tionsaustausch zwischen den beteiligten Behörden durch die Errichtung dieses Zentrums weiter optimiert werden konnte. 411 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN VII. Wirtschaftsschutz Problemstellung Deutsche Wirtschaftsunternehmen investieren jährlich über 55 Milliarden Euro in Forschung und Entwicklung. Sie schaffen damit die Grundlagen für Innovationskraft und Produktivität. Ihr Knowhow ist ein entscheidender Wettbewerbsvorteil und findet weltweit hohe Anerkennung - weckt allerdings auch Begehrlich keiten bei Konkurrenzunternehmen und anderen Staaten. Im globalen Wettbewerb beauftragen fremde Regierungen ihre Nachrichtendienste, Technologie, Forschungsergebnisse und Knowhow zu beschaffen, ohne selbst die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung tragen zu müssen. Besonders der deutsche Mittelstand unterschätzt oft die Gefahren, die von Wirt schaftsspionage und Konkurrenzausspähung ausgehen. Definition Die Behörden für Verfassungsschutz definieren Wirtschafts spionage als staatlich gelenkte oder gestützte, von Nachrich tendiensten fremder Staaten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen sowie Forschungs und Entwicklungs einrichtungen. Die Ausspähung eines Unternehmens durch eine Konkurrenz firma wird als Konkurrenzausspähung oder Industriespionage bezeichnet. Gefährdungslage In den Medien veröffentlichte Befragungen und Studien doku mentieren immer wieder ein hohes Bedrohungsgefühl der Wirt schaft durch Spionage. Ausgespäht werden Wirtschaftszweige, in denen deutsche Spitzentechnologien marktführend sind. Von Interesse sind Produktinnovationen, Businesspläne, aber auch Unternehmens und Marktstrategien sowie Vertriebsnetze. Ein herausragendes Risiko stellen "Elektronische Angriffe" auf Com putersysteme, mobile Kommunikation, aber auch auf Produk tions und Steuerungsanlagen deutscher Wirtschaftsunterneh men, Forschungseinrichtungen und Behörden dar (vgl. Kap. VI). Durch die Globalisierung der Märkte sehen sich deutsche Firmen einer Vielzahl sicherheitsrelevanter Situationen und Risiken aus gesetzt. Innovative Bereiche müssen sich strategisch mit den The men Informations und KnowhowSchutz auseinandersetzen; 412 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Branchen der Kritischen Infrastrukturen208 mit der Möglichkeit von Sabotageaktionen. Überdies können Firmen durch ihr wirt schaftliches Handeln ungewollt in das Blickfeld politischextre mistischer Gruppierungen und deren Aktionskampagnen geraten. Unternehmenssicherheit und KnowhowSchutz liegen grund sätzlich in der Eigenverantwortung der Wirtschaft. Diese zu gewährleisten ist ein Aufgabenfeld, welches einer ganzheitlichen Betrachtung bedarf. Ein umfassendes Sicherheitskonzept verlangt die Einbeziehung aller relevanten Komponenten wie Informati onssicherheit, Mitarbeitersensibilisierung und Maßnahmen zur Objektsicherung. Da Sicherheit kein statischer Zustand ist, müs sen bestehende Konzepte fortlaufend hinterfragt und regelmäßig aktualisiert werden. Gerade kleine und mittelständische Unternehmen verfügen im Vergleich zu Konzernen häufig weder über die notwendigen personellen noch finanziellen Ressourcen in diesem Bereich. Sie unterschätzen nach den Erfahrungen der Verfassungsschutz behörden oft die möglichen Risiken für ihr Unternehmen oder nehmen potenzielle Schäden - auch durch Spionageaktivitäten - in Kauf. Diese Fehleinschätzung kann existenzielle Folgen für die Firmen haben. Das BfV unterstützt deutsche Unternehmen, Forschungseinrich Prävention durch tungen sowie Verbände durch Aufklärung und Beratung über die Information Gefahren durch Wirtschaftsspionage und bietet u.a. folgenden Service an: # Informationsvorträge auf Veranstaltungen mit Multiplikato renfunktion, # Bilaterale themen und risikobezogene Informationsgespräche (auch vertraulicher Art) mit Unternehmen und Forschungsein richtungen, # Sensibilisierung von Management und Mitarbeitern für die Belange des Knowhow und Informationsschutzes, # Aufklärung über potenzielle Gefahren und Schutzmaßnahmen bei Geschäftsreisen in Staaten mit besonderen Sicherheits risiken, 208 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen von beson derer Bedeutung für das Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten könnten. 413 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN # Aktuelle Informationen auf der Homepage des BfV unter der Rubrik Wirtschaftsspionage/Wirtschaftsschutz, # Newsletter mit bis zu sechs Ausgaben jährlich, # Themenbezogene Faltblätter, # Broschüren, # Tagungsbände, # Verteilung themen und risikobezogener Informationen über die Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft e.V. (ASW) als Dachorganisation im Unternehmensbereich, # Kompetente Beratung und Unterstützung bei dem Verdacht auf Wirtschaftsspionage auf der Grundlage der vertraulichen Behandlung aller Informationen. Bewertung Wirtschaftsunternehmen sowie Wissenschafts und Forschungs einrichtungen fragen die Angebote des "Wirtschaftsschutzes" im BfV immer stärker nach. Das Leistungsspektrum wurde weiter ausgebaut und qualifiziert. Dies hat auf Seiten der Wirtschaft das Vertrauen in die Kompetenz des BfV gestärkt und die Bereitschaft zum Dialog weiter vertieft. VIII. Festnahmen und Verurteilungen Im Jahr 2011 leitete der Generalbundesanwalt 14 Ermittlungsver fahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit beziehungsweise wegen Landesverrats ein. Gegen zwei Personen ergingen Haftbefehle. Im gleichen Zeitraum wurden neun Ange klagte wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 StGB) verurteilt. 414 Geheimschutz, Sabotageschutz 415 Geheimschutz, Sabotageschutz I. Geheimschutz Aufgaben des Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unver Geheimschutzes zichtbar. Er sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Verschlusssache Verschlusssachen (VS) sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkennt nisse, die - unabhängig von ihrer Darstellungsform - geheim zu halten und entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit mit einem Geheimhaltungsgrad STRENG GEHEIM, GEHEIM, VSVERTRAU LICH oder VSNUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeich nen sind. Personeller Durch den personellen Geheimschutz soll verhindert werden, Geheimschutz dass Personen mit Sicherheitsrisiken Zugang zu VS erhalten. Das hierzu genutzte Instrument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Zuständigkeit Die Verantwortung für die Sicherheitsmaßnahmen liegt bei den zuständigen Stellen. Im öffentlichen Bereich des Bundes ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. Nicht nur in öffentlichen Institutionen, sondern z.B. auch in Wirt schaftsunternehmen wird mit staatlichen VS umgegangen, deren Schutz gewährleistet werden muss. Hier nimmt das Bundes ministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) die Verant wortung wahr. 416 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ II. Sabotageschutz Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde als eine Reak Personeller tion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit dem Sabotageschutz Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 eingeführt. Das SÜG regelte bis dahin nur die Sicherheitsüberprüfungen von Personen, die aus Gründen des Geheimschutzes erforderlich sind. Durch das Terrorismusbekämpfungsgesetz wurde das seit langem im personellen Geheimschutz eingesetzte Verfahren zunächst ohne Weiteres auf den vorbeugenden personellen Sabotageschutz übertragen. Überprüft werden Personen, die innerhalb von lebens oder ver teidigungswichtigen209 Einrichtungen an sicherheitsempfindli chen Stellen210 beschäftigt sind oder werden sollen. Im Rahmen der Evaluierung der durch das Terrorismusbekämp fungsgesetz geänderten Bestimmungen des Sicherheitsüberprü fungsgesetzes wurden die Bestimmungen zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz, orientiert an den spezialgesetzlichen Sabotageschutzregelungen des Luftsicherheits und des Atomge setzes, modifiziert. 209 Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, deren Beeinträchtigung aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde. Verteidigungswichtig sind außerhalb des Geschäftsbereiches des Bundes ministeriums der Verteidigung solche Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung auf grund fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit die Funktionsfähigkeit, insbesondere die Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie der Zivilen Verteidigung, oder aufgrund der ihnen anhaften den betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann. 210 Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist der Anwendungsbereich des vorbeugen den personellen Sabotageschutzes auf sicherheitsempfindliche Stellen innerhalb der lebens bzw. verteidigungswichtigen Einrichtungen beschränkt. Damit sind die kleinsten selbstständig handelnden Organisationseinheiten gemeint, die vor unberechtigtem Zugang geschützt sind. Nur diejenigen, die dort beschäftigt sind, werden sicherheitsüberprüft. Für den Sabotageschutz ist die Überprüfungsform vorgeschrieben, die den Betroffenen möglichst wenig belastet (sogenannte einfa che Sicherheitsüberprüfung). 417 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ Rechtsverordnung, In der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung vom Leitfaden 30. Juli 2003 (BGBl. I S. 1553) - neu gefasst durch Verordnung vom 12. September 2007 (BGBl. I S. 2292 bis 2294) und zuletzt geändert durch Art. 8 des Gesetzes zur Änderung des Bundesverfassungs schutzgesetzes vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576) - werden die lebens und verteidigungswichtigen Einrichtungen verbind lich genannt. Das Bundesministerium des Innern hat gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dem Bun desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem Bundesministerium der Verteidigung einen Leitfaden zum vor beugenden personellen Sabotageschutz im nichtöffentlichen Bereich und zur Satellitendatensicherheit verfasst. Er kann im Internet unter www.bmwisicherheitsforum.de abgerufen werden. III. Verfahren Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüber prüfungsgesetz (SÜG) geregelt. Die Mitwirkung des BfV beruht auf SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 BVerfSchG in Verbindung mit SS 3 Abs. 2 SÜG. Die Art der Sicherheitsüberprüfung richtet sich nach der vorge sehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die ausgeübt wer den soll (SS 7 Abs. 1 i.V.m. SSSS 8, 9 und 10 SÜG). Das BfV führt im Auftrag der jeweiligen zuständigen Stelle hierauf abgestimmte Überprüfungsmaßnahmen durch, z.B. Abfragen beim Bundes zentralregister. Sicherheitsrisiken Gründe, die einem Einsatz in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit entgegenstehen, können sich insbesondere ergeben aus # Zweifeln an der Zuverlässigkeit (z.B. aufgrund von Straftaten, Drogen oder Alkoholmissbrauchs); # Gefährdung durch Anbahnungs und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (z.B. bei Beziehungen und Reisen in sogenannte Länder mit besonderen Sicherheitsrisiken, weil sich hierdurch eine erleichterte Möglichkeit für eine Anspra che durch einen Nachrichtendienst des jeweiligen Landes 418 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ eröffnet; Überschuldung, da dies ein Ansatzpunkt sein kann, um den Betroffenen gegen Geldzahlung zu einer Verletzung seiner Pflichten zu veranlassen); # Zweifeln am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (z.B. wegen politischextremistischer Betäti gung, da in diesem Falle die Loyalität zur freiheitlichen demo kratischen Grundordnung fraglich ist). Die Frage, ob sich aus einem derartigen Umstand tatsächlich ein Sicherheitsrisiko ergibt, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichti gung der Art der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu prüfen. Nach der Modifizierung der Bestimmungen des SÜG zum vorbeu genden personellen Sabotageschutz (unterschiedliche Ziele von Geheim und Sabotageschutz) hat diese Prüfung sich noch stärker als bisher an der vorgesehenen Art der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu orientieren. Als Ergebnis seiner Überprüfung gibt das BfV eine Empfehlung ab, ob die überprüfte Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll. Die Entscheidung darüber trifft allein die für die Sicherheitsüberprüfung zuständige Stelle. Hervorzuheben ist, dass eine Sicherheitsüberprüfung sowohl im Zustimmung Geheimschutz als auch im Sabotageschutz nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen darf. 419 420 "Scientology-Organisation" (SO) 421 "Scientology-Organisation" (SO) Gründung: 1954 (in den USA), erste Niederlassung in Deutschland 1970 Sitz: Los Angeles (USA) ("Church of Scientology International", [CSI]) Mitglieder: in Deutschland 4.000 bis 5.000 (2010: 4.000 bis 5.000) Publikationen: u.a. "FREIHEIT", "IMPACT", "Source", "Freewinds", "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", "ADVANCE!", "The Auditor" Teilorganisationen: In Deutschland zehn "Kirchen", (Auswahl) darunter zwei "Celebrity Centres" 1. Grundlagen und Zielsetzung Seit der Gründung der ersten "Scientology Kirche" in Los Angeles im Jahre 1954 bezeichnet sich die Organisation Scientology in der Öffentlichkeit als "völlig neue Religion". Sie behauptet von sich, "die erste wirkliche Anwendung wissenschaftlicher Grundsätze unter Einbeziehung von Vernunft und Logik zur Erreichung von Erkenntnis auf spirituellem Gebiet" zu sein.211 Der Organisati onsgründer L. Ron Hubbard (1911 - 1986) hatte vier Jahre zuvor in den USA das für die SO grundlegende Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" veröffentlicht.212 Nach Selbstdarstellung der SO im Internet soll Hubbard mit der dort vorgestellten "wissenschaftlichen Methode" der Dianetik "die Probleme des menschlichen Verstandes gelöst" haben. 211 Homepage der SO (12. Oktober 2011). 212 Titel der USamerikanischen Originalausgabe: "Dianetics: The Modern Science of Mental Health". 422 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Die auf den Vorstellungen der "Dianetik" aufbauende Lehre der SO geht davon aus, dass die "Person" bzw. die "Identität" des Men schen nicht sein Körper oder Name sei, sondern der "Thetan"213, das unsterbliche Wesen eines Menschen, der in seinem Idealzu stand als "Operierender Thetan" "bewusst und willentlich Ursache über Leben, Denken, Materie, Energie, Raum und Zeit" und "von keinerlei Unglücksfällen oder Verschlechterung eingeschränkt" sei. Um diesen Zustand zu erreichen, müsse die Person zunächst durch körperliche und geistige Reinigungsprozesse den Status "Clear" erlangen. In diesem Zustand sei sie vom "reaktiven Ver stand" befreit, der zuvor ihre Handlungen aufgrund traumatischer Erfahrungen (sogenannter Engramme) beeinflusst und zu "Aber rationen", d.h. Abweichungen von der Rationalität, geführt habe. Als zentrale "Technik" zur Erreichung des Zustands "Clear" wird das sogenannte Auditing angewandt, durch das angeblich die "Engramme" entdeckt und ihre Auswirkungen eliminiert werden können. Bei diesem Verfahren setzt der "Auditor" ("jemand, der zuhört; ein so bezeichneter Scientologe") bei der Befragung des "Preclear" ("jemand, der noch nicht Clear ist") als Hilfsmittel das "EMeter", eine Art Lügendetektor, ein. Die Messung des Körper widerstands und dessen Schwankungen, die von der Nadel des "EMeters" angezeigt werden, sollen dem "Auditor" Hinweise darauf geben, ob von ihm der richtige Bereich von Kummer und Schmerz angesprochen wurde. Über das "Auditing" hinaus führt die Organisation in Deutschland noch eine Reihe weiterer Kurse durch. Diese geben überwiegend Anweisungen für eine aus scientologischer Sicht erfolgreiche Lebensführung. Entsprechende Veranstaltungen und Publikati onen werden nach Art eines gewinnorientierten Unternehmens gegen Entgelt angeboten. Die Gewinnerzielung ist eine wesent liche Aufgabe der "Kirchen" oder "Missionen" in Deutschland. Die Schriften Hubbards bilden die Grundlage für die Ideologie Unveränderliche und Zielsetzung der Organisation. In regelmäßigen Abständen Gültigkeit der neu aufgelegte - inhaltlich unveränderte - "Grundlagenbücher" Schriften Hubbards sind für alle Scientologen verbindlich und "das Fundament, auf 213 Die in Anführungszeichen gesetzten Begriffe entstammen der Terminologie der SO. Dazu hat Hubbard eine eigene Publikation herausgegeben: Hubbard, L. Ron: "Fachwortsammlung für Dianetics und Scientology", 4. Auflage, Kopenhagen (Dänemark) 1985. 423 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) dem die Gesamtheit der Dianetik und Scientology ruht"214 sowie der "Garant dafür, dass wir die Funktionsfähigkeit der Scientology erhalten können und werden".215 Laut ihrer Satzung ist das Ziel der "Scientology Kirche Deutsch land e.V." (SKD) die Schaffung einer "Kultur ohne Krieg, ohne Wahnsinn und ohne Kriminalität".216 Dabei beschreibt sie die von ihr angestrebte Gesellschaft als "eine Zivilisation ohne Wahnsinn, ohne Verbrecher und ohne Krieg, in der der Fähige erfolgreich sein kann und ehrliche Wesen Rechte haben können und in der der Mensch die Freiheit hat, zu größeren Höhen aufzusteigen".217 Aus einer Vielzahl von Informationsquellen, insbesondere den Schriften Hubbards, ergibt sich jedoch, dass die SO in einer nach ihren Vorstellungen geprägten Gesellschaft wesentliche Grund und Menschenrechte wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehand lung abschaffen bzw. einschränken will. So propagiert Hubbard z.B. in seinem "Buch eins" genannten Werk "Dianetik - Ein Leitfa den für den menschlichen Verstand" die Einführung einer scien tologischen Zweiklassengesellschaft: "Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nichtaberrierter Menschen, Clears, die ihr Leben in einer nichtaberrierten Kultur führen: (...) Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte vor dem Gesetz verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele." (Hubbard, Dianetik - Ein Leitfaden für den menschlichen Verstand, Ausgabe 2007, S. 482 f.) Zudem strebt die SO eine Gesellschaft ohne allgemeine und glei che Wahlen an. "Wahre Demokratie" ist nach Hubbards Lehre nur in einer Nation von "Clears" möglich. Folglich enthalten seine Schriften Passagen, in denen die Abschaffung von Prinzipien 214 "The Flag Land Base News", 2011, S. 12. 215 "Neue Zivilisation", Magazin der "Scientology Kirche Hamburg e.V.", Ausgabe 196, 2011, S. 2. 216 Vgl. SS 2 Abs. 1 SKDSatzung. 217 Homepage der SO (12. Oktober 2011). 424 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten des Aufbaus einer neuen Zivilisation (einer aus "Operierenden Thetanen" bestehenden Gesellschaft) gefordert wird. Hubbard hat die von ihm angestrebte scientologische Zivilisation Grundrechte nur für u.a. als Rechtsordnung beschrieben, in der die Existenz des Einzel Scientologen nen vom willkürlichen Ermessen der SO abhängt. Grundrechte stehen demzufolge nur den Personen zu, die aus Sicht der Orga nisation nach einer Auslese im AuditingVerfahren zu den "Ehr lichen" gehören. Dabei hängt von der "Ehrlichkeit" nach SOVer ständnis nicht nur die Zuerkennung von Freiheitsrechten ab, sie wird sogar in einen Kontext mit dem Lebensrecht selbst gestellt: "Jemandes Recht auf Überleben ist direkt mit seiner Ehrlichkeit verknüpft. (...) Freiheit ist für ehrliche Menschen da. Persönliche Freiheit existiert nur für diejenigen, die die Fähigkeit besitzen, frei zu sein." (L. Ron Hubbard: "Einführung in die Ethik der Scientology", Ausgabe 2007, S. 51) Die SO lehnt das demokratische Rechtssystem ab und will es Ablehnung des langfristig durch ihren eigenen - vermeintlich überlegenen - demokratischen Gesetzeskodex ersetzen. Insbesondere im Bereich der SOTeilor Rechtssystems ganisation "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) - ein Zusammenschluss unternehmerisch aktiver Scientolo gen - ist bei Streitigkeiten von Mitgliedern untereinander die Anrufung eines der sechs in Deutschland etablierten "Charter Komitees" vorgeschrieben, die im scientologischen Rechtssystem als "Gerichte" fungieren. WISEMitglieder verpflichten sich, den organisationseigenen Kodex einzuhalten, d.h. insbesondere auch, bei Streitigkeiten mit anderen Mitgliedern keine Gerichte anzu rufen, sondern sich auf das interne Verfahren zu beschränken. Die Nichteinhaltung dieses Verfahrens stellt in den Augen der SO eine "unterdrückerische Handlung" dar, die die Erklärung zur "unter drückerischen Person" nach sich ziehen kann. Die SO erklärt, ihr Ethik und Rechtssystem sei "mehr als eine rein persönliche Angelegenheit", es sei "ein wesentlicher Bestandteil des umfassenderen Erlösungszieles".218 Die "CharterKomitees" 218 Homepage der SO (12. Dezember 2011). 425 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) sieht die SO dabei als der rechtsstaatlichen Jurisdiktion in der Regel überlegen an: "Durch die Anwendung von L. Ron Hubbards Ethiktechnologie zur Lösung von Auseinandersetzungen bereinigen Charter-Komitees solche Konflikte oft viel schneller und fairer, als dies im zivilen Rechtssystem der Fall wäre. Und im Gegensatz zu einem zivilen Rechtsverfahren sind nach einer Charter-Komitee-Schlichtung üblicherweise beide Seiten mit dem Ausgang ihres Falles zufrieden." (Homepage der Charter-Komitees von WISE-Mitgliedern, 12. Oktober 2011) Diffamierung von Zur Schulung der Mitglieder im Hinblick auf den Umgang mit Gegnern und Kritikern nutzt die SO nach wie vor den "PTS/SPKurs219 - Wie Kritikern man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt". Sinn und Zweck dieser SOSchulungsunterlagen ist das Verunglimpfen und Herabsetzen von Organisationsgegnern, wobei die dafür ver wandten Begriffe "aberriert", "kriminell", "krank", "pervers" oder "unterdrückerisch" austauschbar sind. Im Fokus der Aufmerksamkeit stehen für die SO insbeson dere die Psychiater, denen sie in Deutschland eine wesentli che Rolle beim Holocaust zuschreibt220 und die Hubbard als "die einzige Ursache des Niedergangs in diesem Universum" bezeichnet hat.221 Die Bekämpfung dieser Berufsgruppe wird vor allem von der zur SO gehörenden "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM) bzw. deren internationalen Dachverband "Citizens Commission on Human Rights" (CCHR) wahrgenommen. Mit ihren Aktionen gegen die "verbrecherische Psychiatrie"222 und die "psychiat rischpharmazeutische Profitmaschine"223 will die KVPM in der Öffentlichkeit das Bewusstsein dafür wecken, dass wahre geistige Freiheit allein durch die Erreichung des Zustands "Clear" und 219 PTS/SP steht für "potential trouble source" bzw. "suppressive person" ("potenzielle Schwierigkeitsquelle" bzw. "unterdrückerische Person"). 220 "IMPACT", Ausgabe 124, 2010, S. 21. 221 Broschüre der IAS "Wir arbeiten für die Ewigkeit - Aus den Werken von L. Ron Hubbard", 2010. 222 "IMPACT", Ausgabe 125, 2010, S. 18. 223 "IMPACT", Ausgabe 125, 2010, S. 26. 426 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) nicht durch Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfeleistungen zu erlangen sei. Die SO ist bestrebt, sich nach außen als unpolitische und demo Langfristig kratiekonforme Religionsgemeinschaft darzustellen. Ihr politi ausgerichtete sches Fernziel einer scientologischen Gesellschaft versucht sie Expansionsstrategie daher nicht durch Teilnahme am Prozess der politischen Willens mit dem Ziel der bildung zu erreichen, sondern durch eine ständige Vergrößerung Schaffung einer ihrer Organisation, die Steigerung ihrer Einnahmen sowie die scientologischen erfolgreiche Bekämpfung ihrer Kritiker. Gesellschaft Ein wichtiger Träger der langfristigen Expansionsstrategie von SO ist ihre offizielle Mitgliederorganisation, die "International Association of Scientologists" (IAS). Diese sieht sich als "die Kraft, die die Zukunft der Scientology sicherstellt".224 Schließlich sei es die IAS, die es ermögliche, "LRH225 Tech an vorderster Front so zu präsentieren, dass Abermillionen Menschen sie gleichzeitig erfah ren" könnten.226 Nach ihrem Selbstverständnis versteht sich die IAS als treibende Kraft beim "Clearing": "Alles - unsere Kampagnen, unsere Kits227, unsere Idealen Orgs und unsere Mitgliedschaft dienen einem einzigen Ziel: Die Ziele der Scientology zu erreichen, die LRH ursprünglich dieser Welt bekannt gab - dieselben Ziele, die uns dorthin führten, wo wir heute sind: die einflussreichste und wirksamste Mitgliedschaftsorganisation, die es gibt." ("IMPACT", Ausgabe 129, 2011, S. 181) Die IAS finanziert mithilfe der Mitgliedsbeiträge und eingesam melter Spenden wesentliche, scheinbar positive Projekte von Scientology wie z.B. die "Operation 'Drogenfreie Erde'"228 ("Sag Nein zu Drogen - Sag ja zum Leben") oder die "Operation 'Ein 224 "IMPACT", Ausgabe 124, 2010, S. 91. 225 Abkürzung für Lafayette Ron Hubbard. 226 "IMPACT", Ausgabe 124, 2010, S. 56. 227 Informations bzw. Unterrichtspakete. 228 "IMPACT", Ausgabe 124, 2010, S. 24 ff. 427 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) friedvoller Planet'"229 (mit der Broschüre "Der Weg zum Glücklich sein"). Dazu heißt es in einer Broschüre der IAS: "Während wir unsere humanitären Programme weithin verbreiten, sind sie lediglich ein erster Schritt in Richtung unseres letztendlichen Ziels eines geklärten Planeten." ("Wir sind die IAS", 2010, S. 40) Von besonderer Bedeutung für die IAS ist auch die Unterstützung des Aufbaus sogenannter Idealer Orgs in "kulturellen Zentren strategischer Wichtigkeit für unsere Religion"230: "Ideale Organisationen sind die 'lebende Brücke', die von den Eingangstoren bis zum Zustand Clear reichen, und jede bietet ihrem gesamten geografischen Bereich LRH Technologie. Daher sind Ideale Orgs Inseln der Vernunft, von denen aus wir eine neue Zivilisation erbauen." ("INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 51, 2011, S. 50) Sie dienen "als Verbindungslinie für (...) Kampagnen und Pro gramme".231 Weltweit wurden nach Angaben der SO bereits 23 solcher "Idealen Orgs" eröffnet.232 "Ideale Orgs" Eine dieser 23 bereits existierenden "Idealen Orgs" ist die SO in Deutschland Niederlassung in Berlin, der dieser Status bereits im Jahr 2008 zuerkannt wurde.233 Die Org Berlin sei an einer einstigen "Stätte der Unterdrückung" das "neue Symbol ewiger Freiheit".234 Darüber hinaus ist nach Angaben der SO "eine Bewegung für ein vollstän dig Ideales Deutschland (...) im Gang".235 229 "The Auditor", Ausgabe 361, 2011, S. 6. 230 "IMPACT", Ausgabe 124, 2010, S. 16 ff. 231 "IMPACT", Ausgabe 125, 2011, S. 12. 232 "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 51, 2011, S. 78. 233 Inzwischen wurde am 21. Januar 2012 in Hamburg eine weitere "Ideale Org" eröffnet. 234 "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 51, 2011, S. 70. 235 "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 51, 2011, S. 46. 428 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Regionale Schwerpunkte hinsichtlich des Mitgliederbestandes Regionale und der Tätigkeit der SO sind Bayern, BadenWürttemberg, der Schwerpunkte Großraum Hamburg, NordrheinWestfalen sowie Berlin. Daneben gibt es in Hessen und Niedersachsen jeweils eine größere Zahl von Mitgliedern. 2. Werbung in der Öffentlichkeit Die SO verstärkte 2011 regional ihre Aktivitäten zur Gewinnung neuer Mitglieder. Insbesondere in Berlin, aber auch in anderen grö ßeren Städten war sie vor allem in den Fußgängerzonen präsent und warb mit "GelbeZelt"Aktionen, kostenlosen "StressTests" am "EMeter", Broschüren, Flugblättern und Bücherständen für ihre Ideologie. Diese Aktionen blieben jedoch in der Regel - wie schon in den vergangenen Jahren - ohne größeren Zuspruch in der Bevölkerung. Jugendliche sind nach wie vor eine Zielgruppe von Scientology. Zielgruppe Zwar waren die Aktivitäten der Gruppierung "Jugend für Men Jugendliche schenrechte", die nach eigenen Angaben "von Mitgliedern der Scientology Kirche auch in Deutschland gegründet wurde"236, rückläufig. Allerdings wandte sich - vor allem in Hamburg - die ebenfalls der SO zuzurechnende Gruppierung "Sag Nein zu Dro gen - Sag Ja zum Leben" mit diversen Infoständen insbesondere an Jugendliche, um diese mit scheinbar positiven Zielsetzungen für sich zu gewinnen. Darüber hinaus startete die SO die "Der Weg zum Glücklichsein SchulbibliothekenKampagne", der sie höchste Priorität einräumt.237 Im Rahmen dieser Aktion soll eine DVD, die die 21 Regeln der gleichnamigen Broschüre in Form von Spots fil misch aufbereitet, an Schulbibliotheken weltweit geschickt werden. Auch sollen sogenannte Kits238 an diejenigen gesandt werden, "die für die Erziehung unserer Jugend verantwortlich sind einschließ lich Lehrplanverantwortlicher und Schulberater".239 Das "Kit" ent hält "das Handbuch für den Unterricht, eine DVD mit dem Film und den Social Spots, die zu Beginn jeder vorbereiteten Lektion abgespielt werden" sowie "individuelle Hefte für jeden Schüler".240 236 Homepage der "Jugend für Menschenrechte" (14. Oktober 2010/13. Oktober 2011). 237 "The Auditor", Ausgabe 359, 2011, S. 6. 238 Siehe Fn 234. 239 "IMPACT", Ausgabe 125, 2011, S. 49. 240 Broschüre der IAS "Wir sind die IAS", 2010, S. 32. 429 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Medien und Internet Auf technisch aufwendig gestalteten, umfangreichen Homepages bietet die SO in mehreren Sprachen Informationen zu ihrer Geschichte, ihren Zielen und Teilorganisationen sowie von ihr geförderten Programmen an. Darüber hinaus wirbt sie dort auch für ihre Schriften und Kurse. Auf dem einer sogenannten Mega Site angeschlossenen Videokanal sind inzwischen nach Angaben der SO nahezu 9.000 Videos eingestellt,241 u.a. sind dort die im Rahmen der Menschenrechtskampagne von der IAS gesponserten "Social spots" der "Youth for Human Rights" abrufbar. Werbung im Während sich die SO rühmt, in verschiedenen Ländern "Part politischen nerschaften mit Polizisten, Sheriffs, Lehrern, Bürgermeistern, Bereich Handelskammern und Stadträten", sogar "mit Regierungen"242 zu unterhalten, wurden Versuche der Einflussnahme der SO auf Poli tik, Verwaltung und Justiz in Deutschland 2011 nur sehr vereinzelt bekannt. Kampagnen der Auch 2011 erzielte die KVPM Außenwirkung hauptsächlich durch KVPM die von ihr präsentierte Ausstellung "Psychiatrie: Tod statt Hilfe", die im Mai in Berlin und im Juli 2011 in Frankfurt am Main (Hessen) gezeigt wurde. Höhepunkt der in Berlin anlässlich des dort tagenden 3. Internationalen ADHSKongresses243 durchge führten Aktion waren dabei ein direkt vor dem Kongresszen trum durchgeführtes Public Viewing am 26. Mai 2011, bei dem verschiedene von der CCHR produzierte DVDs gezeigt wurden. Bei der am 28. Mai 2011 in Berlin durchgeführten Demonstration wurden symbolisch für die angeblichen Opfer der Psychiatrie mehrere Särge mitgeführt. Darüber hinaus wurden in mehreren Bundesländern an Schulen und Elternvertreter bzw. Elternbeiratsvorsitzende die von der CCHR produzierte Dokumentation "Psychiatrie - Die Todesfalle - Wie Psychopharmaka Ihr Kind töten können" in englischer Spra che mit deutschen Untertiteln verschickt. Genutzt wurden dabei die allgemein bekannten Schuladressen. Absender waren Privat personen ohne sofort erkennbaren Bezug zur SO bzw. KVPM. 241 "IMPACT", Ausgabe 125, 2011, S. 74. 242 "IMPACT", Ausgabe 125, 2011, S. 13. 243 Medizinerkongress zur "Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung" (ADHS). 430 Gesetzestext und Register 431 Gesetzestext untereinander unterhält jedes Land eine Behörde zur Bearbeitung von Angele Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes genheiten des Verfassungsschutzes. und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt SS3 für Verfassungsschutz (BundesverfassungsAufgaben der Verfassungsschutzbehörden schutzgesetz - BVerfSchG) (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehör den des Bundes und der Länder ist die vom 20. Dezember 1990 Sammlung und Auswertung von Infor (BGBl. I S. 2954, 2970), mationen, insbesondere von sach und zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes personenbezogenen Auskünften, Nach vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576) richten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheit Erster Abschnitt liche demokratische Grundordnung, Zusammenarbeit, Aufgaben der Verfasden Bestand oder die Sicherheit des sungsschutzbehörden Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beein SS1 trächtigung der Amtsführung der Ver Zusammenarbeitspflicht fassungsorgane des Bundes oder eines (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz Landes oder ihrer Mitglieder zum der freiheitlichen demokratischen Ziele haben, Grundordnung, des Bestandes und der 2. sicherheitsgefährdende oder geheim Sicherheit des Bundes und der Länder. dienstliche Tätigkeiten im Geltungsbe (2) Der Bund und die Länder sind verpflich reich dieses Gesetzes für eine fremde tet, in Angelegenheiten des Verfassungs Macht, schutzes zusammenzuarbeiten. 3. Bestrebungen im Geltungsbereich die (3) Die Zusammenarbeit besteht auch in ses Gesetzes, die durch Anwendung gegenseitiger Unterstützung und Hilfe von Gewalt oder darauf gerichtete leistung. Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutsch SS2 land gefährden, Verfassungsschutzbehörden 4. Bestrebungen im Geltungsbereich die (1) Für die Zusammenarbeit des Bundes ses Gesetzes, die gegen den Gedanken mit den Ländern unterhält der Bund der Völkerverständigung (Artikel 9 ein Bundesamt für Verfassungsschutz Abs. 2 des Grundgesetzes), insbeson als Bundesoberbehörde. Es untersteht dere gegen das friedliche Zusammen dem Bundesministerium des Innern. Das leben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Bundesamt für Verfassungsschutz darf Grundgesetzes) gerichtet sind. einer polizeilichen Dienststelle nicht (2) Die Verfassungsschutzbehörden des angegliedert werden. Bundes und der Länder wirken mit (2) Für die Zusammenarbeit der Län 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von der mit dem Bund und der Länder Personen, denen im öffentlichen 432 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Interesse geheimhaltungsbedürftige b) Bestrebungen gegen die Sicherheit des Tatsachen, Gegenstände oder Erkennt Bundes oder eines Landes solche poli nisse anvertraut werden, die Zugang tisch bestimmten, ziel und zweckge dazu erhalten sollen oder ihn sich ver richteten Verhaltensweisen in einem schaffen können, oder für einen Personenzusammen 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von schluss, der darauf gerichtet ist, den Personen, die an sicherheitsempfind Bund, Länder oder deren Einrichtun lichen Stellen von lebens oder ver gen in ihrer Funktionsfähigkeit erheb teidigungswichtigen Einrichtungen lich zu beeinträchtigen; beschäftigt sind oder werden sollen, c) Bestrebungen gegen die freiheitliche 3. bei technischen Sicherheitsmaßnah demokratische Grundordnung sol men zum Schutz von im öffentlichen che politisch bestimmten, ziel und Interesse geheimhaltungsbedürfti zweckgerichteten Verhaltensweisen in gen Tatsachen, Gegenständen oder einem oder für einen Personenzusam Erkenntnissen gegen die Kenntnis menschluss, der darauf gerichtet ist, nahme durch Unbefugte, einen der in Absatz 2 genannten Ver 4. bei der Überprüfung von Personen in fassungsgrundsätze zu beseitigen oder sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen. außer Geltung zu setzen. Die Befugnisse des Bundesamtes für Ver Für einen Personenzusammenschluss fassungsschutz bei der Mitwirkung nach handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheits nachdrücklich unterstützt. Vorausset überprüfungsgesetz vom 20. April 1994 zung für die Sammlung und Auswer (BGBl. I S. 867) geregelt. tung von Informationen im Sinne des (3) Die Verfassungsschutzbehörden sind SS 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher an die allgemeinen Rechtsvorschriften Anhaltspunkte. Verhaltensweisen von gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss SS4 handeln, sind Bestrebungen im Sinne Begriffsbestimmungen dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind dung von Gewalt gerichtet sind oder a) Bestrebungen gegen den Bestand des aufgrund ihrer Wirkungsweise geeig Bundes oder eines Landes solche poli net sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes tisch bestimmten, ziel und zweckge erheblich zu beschädigen. richteten Verhaltensweisen in einem (2) Zur freiheitlichen demokratischen oder für einen Personenzusammen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes schluss, der darauf gerichtet ist, die zählen: Freiheit des Bundes oder eines Landes a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt von fremder Herrschaft aufzuheben, in Wahlen und Abstimmungen und ihre staatliche Einheit zu beseitigen durch besondere Organe der Gesetz oder ein zu ihm gehörendes Gebiet gebung, der vollziehenden Gewalt und abzutrennen; der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, 433 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ unmittelbarer, freier, gleicher und 3. sie auswärtige Belange der Bundes geheimer Wahl zu wählen, republik Deutschland berühren oder b) die Bindung der Gesetzgebung an die 4. eine Landesbehörde für Verfassungs verfassungsmäßige Ordnung und die schutz das Bundesamt für Verfas Bindung der vollziehenden Gewalt sungsschutz um ein Tätigwerden und der Rechtsprechung an Gesetz ersucht. und Recht, Das Benehmen kann für eine Reihe c) das Recht auf Bildung und Ausübung gleichgelagerter Fälle hergestellt werden. einer parlamentarischen Opposition, (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz d) die Ablösbarkeit der Regierung und unterrichtet die Landesbehörden für ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Verfassungsschutz über alle Unterlagen, Volksvertretung, deren Kenntnis für das Land zum Zwecke e) die Unabhängigkeit der Gerichte, des Verfassungsschutzes erforderlich ist. f) der Ausschluss jeder Gewalt und Willkürherrschaft und SS6 g) die im Grundgesetz konkretisierten Gegenseitige Unterrichtung der VerfasMenschenrechte. sungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörden sind ver SS5 pflichtet, beim Bundesamt für Verfassungs Abgrenzung der Zuständigkeiten der Verschutz zur Erfüllung der Unterrichtungs fassungsschutzbehörden pflichten nach SS 5 gemeinsame Dateien zu (1) Die Landesbehörden für Verfassungs führen, die sie im automatisierten Verfah schutz sammeln Informationen, Aus ren nutzen. Diese Dateien enthalten nur die künfte, Nachrichten und Unterlagen zur Daten, die zum Auffinden von Akten und Erfüllung ihrer Aufgaben, werten sie aus der dazu notwendigen Identifizierung von und übermitteln sie dem Bundesamt für Personen erforderlich sind. Die Speicherung Verfassungsschutz und den Landesbe personenbezogener Daten ist nur unter den hörden für Verfassungsschutz, soweit es Voraussetzungen der SSSS 10 und 11 zuläs für deren Aufgabenerfüllung erforder sig. Der Abruf im automatisierten Verfahren lich ist. durch andere Stellen ist nicht zulässig. Die (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Verantwortung einer speichernden Stelle darf in einem Lande im Benehmen mit im Sinne der allgemeinen Vorschriften des der Landesbehörde für Verfassungs Datenschutzrechts trägt jede Verfassungs schutz Informationen, Auskünfte, Nach schutzbehörde nur für die von ihr einge richten und Unterlagen im Sinne des SS 3 gebenen Daten; nur sie darf diese Daten sammeln. Bei Bestrebungen und Tätig verändern, sperren oder löschen. Die einge keiten im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 bende Stelle muß feststellbar sein. Das Bun ist Voraussetzung, dass desamt für Verfassungsschutz trifft für die 1. sie sich ganz oder teilweise gegen den gemeinsamen Dateien die technischen und Bund richten, organisatorischen Maßnahmen nach SS 9 des 2. sie sich über den Bereich eines Landes Bundesdatenschutzgesetzes. Die Führung hinaus erstrecken, von Textdateien oder Dateien, die weitere 434 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ als die in Satz 2 genannten Daten enthal Bundesamtes für Verfassungsschutz um ten, ist unter den Voraussetzungen dieses Übermittlung personenbezogener Daten Paragraphen nur zulässig für eng umgrenzte darf nur diejenigen personenbezogenen Anwendungsgebiete zur Aufklärung von Daten enthalten, die für die Erteilung der sicherheitsgefährdenden oder geheimdienst Auskunft unerlässlich sind. Schutzwür lichen Tätigkeiten für eine fremde Macht dige Interessen des Betroffenen dürfen oder von Bestrebungen, die darauf gerichtet nur in unvermeidbarem Umfang beein sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltan trächtigt werden. wendung vorzubereiten. Die Zugriffsberech (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz tigung ist auf Personen zu beschränken, die darf Methoden, Gegenstände und In unmittelbar mit Arbeiten in diesem Anwen strumente zur heimlichen Informa dungsgebiet betraut sind; in der Dateian tionsbeschaffung, wie den Einsatz von ordnung (SS 14) ist die Erforderlichkeit der Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Aufnahme von Textzusätzen in der Datei zu Observationen, Bild und Tonaufzeich begründen. nungen, Tarnpapiere und Tarnkenn zeichen anwenden. Diese sind in einer SS7 Dienstvorschrift zu benennen, die auch Weisungsrechte des Bundes die Zuständigkeit für die Anordnung sol Die Bundesregierung kann, wenn ein Angriff cher Informationsbeschaffungen regelt. auf die verfassungsmäßige Ordnung des Die Dienstvorschrift bedarf der Zustim Bundes erfolgt, den obersten Landesbehör mung des Bundesministeriums des den die für die Zusammenarbeit der Länder Innern, der das Parlamentarische Kon mit dem Bund auf dem Gebiete des Ver trollgremium unterrichtet. fassungsschutzes erforderlichen Weisungen (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungs erteilen. befugnisse stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amts Zweiter Abschnitt hilfe um Maßnahmen ersuchen, zu Bundesamt für Verfassungsschutz denen es selbst nicht befugt ist. (4) Werden personenbezogene Daten beim SS8 Betroffenen mit seiner Kenntnis erho Befugnisse des Bundesamtes für Verfasben, so ist der Erhebungszweck anzuge sungsschutz ben. Der Betroffene ist auf die Freiwillig (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz keit seiner Angaben hinzuweisen. darf die zur Erfüllung seiner Aufga (5) Von mehreren geeigneten Maßnahmen ben erforderlichen Informationen ein hat das Bundesamt für Verfassungs schließlich personenbezogener Daten schutz diejenige zu wählen, die den erheben, verarbeiten und nutzen, soweit Betroffenen voraussichtlich am wenigs nicht die anzuwendenden Bestimmun ten beeinträchtigt. Eine Maßnahme gen des Bundesdatenschutzgesetzes darf keinen Nachteil herbeiführen, der oder besondere Regelungen in diesem erkennbar außer Verhältnis zu dem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuchen des beabsichtigten Erfolg steht. 435 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 8a sonstigen zum Aufbau und zur Auf Besondere Auskunftsverlangen rechterhaltung der Telekommunika (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz tion notwendigen Verkehrsdaten und darf im Einzelfall bei denjenigen, die 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Tele geschäftsmäßig Teledienste erbringen dienste erbringen oder daran mitwir oder daran mitwirken, Auskunft über ken, zu Daten einholen, die für die Begründung, a) Merkmalen zur Identifikation des inhaltliche Ausgestaltung, Änderung Nutzers eines Teledienstes, oder Beendigung eines Vertragsverhält b) Angaben über Beginn und Ende nisses über Teledienste (Bestandsdaten) sowie über den Umfang der jeweili gespeichert worden sind, soweit dies zur gen Nutzung und Sammlung und Auswertung von Infor c) Angaben über die vom Nutzer in mationen erforderlich ist und tatsäch Anspruch genommenen Tele liche Anhaltspunkte für schwerwiegende dienste, Gefahren für die in SS 3 Absatz 1 genann soweit dies zur Sammlung und Auswer ten Schutzgüter vorliegen. tung von Informationen erforderlich ist (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Tatsachen die Annahme rechtferti darf im Einzelfall Auskunft einholen bei gen, dass schwerwiegende Gefahren für 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betrei die in SS 3 Abs. 1 genannten Schutzgüter bern von Computerreservierungs vorliegen. Im Falle des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 gilt systemen und Globalen Distribu dies nur für Bestrebungen, die bezwe tionssystemen für Flüge zu Namen cken oder auf Grund ihrer Wirkungs und Anschriften des Kunden sowie weise geeignet sind, zur Inanspruchnahme und den 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen Umständen von Transportleistun gegen Teile der Bevölkerung aufzu gen, insbesondere zum Zeitpunkt stacheln oder deren Menschenwürde von Abfertigung und Abflug und zum durch Beschimpfen, böswilliges Ver Buchungsweg, ächtlichmachen oder Verleumden 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleis anzugreifen und dadurch die Bereit tungsinstituten und Finanzunterneh schaft zur Anwendung von Gewalt zu men zu Konten, Konteninhabern und fördern und den öffentlichen Frieden sonstigen Berechtigten sowie weiteren zu stören oder am Zahlungsverkehr Beteiligten und 2. Gewalt anzuwenden oder vorzube zu Geldbewegungen und Geldanlagen, reiten, einschließlich dem Befürwor insbesondere über Kontostand und ten, Hervorrufen oder Unterstützen Zahlungsein und ausgänge, von Gewaltanwendung, auch durch 3. (weggefallen) Unterstützen von Vereinigungen, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Tele die Anschläge gegen Personen oder kommunikationsdienste erbringen Sachen veranlassen, befürworten oder oder daran mitwirken, zu Verkehrsda androhen. ten nach SS 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des (2a) Soweit dies zur Sammlung und Auswer Telekommunikationsgesetzes und tung von Informationen erforderlich ist 436 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ und Tatsachen die Annahme rechtferti seinem Vertreter beantragt; der Antrag gen, dass schwerwiegende Gefahren für ist schriftlich zu stellen und zu begrün die in SS 3 Absatz 1 genannten Schutz den. Zuständig für die Anordnungen ist güter vorliegen, darf das Bundesamt für das Bundesministerium des Innern. Die Verfassungsschutz im Einzelfall das Bun Anordnung einer Auskunft über künftig deszentralamt für Steuern ersuchen, bei anfallende Daten ist auf höchstens drei den Kreditinstituten die in SS 93b Absatz 1 Monate zu befristen. Die Verlängerung der Abgabenordnung bezeichneten Daten dieser Anordnung um jeweils nicht mehr abzurufen. SS 93 Absatz 9 der Abgaben als drei Monate ist auf Antrag zulässig, ordnung findet keine Anwendung. soweit die Voraussetzungen der Anord (3) Anordnungen nach den Absätzen 2 und nung fortbestehen. Auf die Anordnung 2a dürfen sich nur gegen Personen rich der Verlängerung finden die Sätze 1 und ten, bei denen 2 Anwendung. 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor (2) Über Anordnungen nach SS 8a Absatz 2 liegen, dass sie die schwerwiegenden und 2a unterrichtet das Bundesmi Gefahren nach den Absätzen 2 oder 2a nisterium des Innern monatlich die nachdrücklich fördern, oder G 10Kommission (SS 1 Absatz 2 des Arti 2. auf Grund bestimmter Tatsachen kel 10Gesetzes) vor deren Vollzug. Bei anzunehmen ist Gefahr im Verzug kann es den Vollzug der a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Entscheidung auch bereits vor der Unter Nr. 1, 2 und 5 sowie nach Absatz 2a, richtung der G 10Kommission anordnen. dass sie die Leistung für eine Person Die G 10Kommission prüft von Amts nach Nummer 1 in Anspruch neh wegen oder auf Grund von Beschwerden men, oder die Zulässigkeit und Notwendigkeit der b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Einholung von Auskünften. SS 15 Absatz 5 Nummer 4, dass sie für eine Person des Artikel 10Gesetzes ist mit der Maß nach Nummer 1 bestimmte oder gabe entsprechend anzuwenden, dass die von ihr herrührende Mitteilungen Kontrollbefugnis der Kommission sich entgegennehmen oder weitergeben, auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung oder dass eine Person nach Num und Nutzung der nach SS 8a Absatz 2 und mer 1 ihren Anschluss benutzt. 2a erlangten personenbezogenen Daten (4) bis (9) (weggefallen) erstreckt. Entscheidungen über Aus künfte, welche die G 10Kommission für Fußnote unzulässig oder nicht notwendig erklärt, (+++ zur Anwendung vgl. SS 4a MADG (F.2007 hat das Bundesministerium des Innern 0102) +++) unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absolu SS 8b ten Verwendungsverbot und sind unver Verfahrensregelungen zu besonderen Auszüglich zu löschen. Für die Verarbeitung kunftsverlangen der nach SS 8a Absatz 2 und 2a erhobenen (1) Anordnungen nach SS 8a Absatz 2 und Daten ist SS 4 des Artikel 10Gesetzes ent 2a werden vom Behördenleiter oder sprechend anzuwenden. 437 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (3) Das Bundesministerium des Innern Auskunft unverzüglich, vollständig, rich unterrichtet im Abstand von höchstens tig und in dem Format zu erteilen, das sechs Monaten das Parlamentarische durch die auf Grund von Absatz 8 Satz 1 Kontrollgremium über Anordnungen bis 3 erlassene Rechtsverordnung oder in nach SS 8a Absatz 2 und 2a; dabei ist den in Absatz 8 Satz 4 und 5 bezeichne insbesondere ein Überblick über Anlass, ten Rechtsvorschriften vorgeschrieben Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der ist. im Berichtszeitraum durchgeführten (7) Für Anordnungen nach SS 8a findet SS 12 Maßnahmen zu geben. Das Gremium Absatz 1 des Artikel 10Gesetzes ent erstattet dem Deutschen Bundestag sprechende Anwendung, mit der Maß jährlich einen Bericht über die Durch gabe, dass SS 12 Absatz 1 Satz 5 des Arti führung sowie Art, Umfang und Anord kel 10Gesetzes nur für Maßnahmen nungsgründe der Maßnahmen; dabei nach SS 8a Absatz 1 und 2 Satz 1 Num sind die Grundsätze des SS 10 Absatz 1 des mer 4 und 5 Anwendung findet. Wurden Kontrollgremiumgesetzes zu beachten. personenbezogene Daten an eine andere (4) Anordnungen sind dem Verpflichteten Stelle übermittelt, erfolgt die Mitteilung insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies im Benehmen mit dieser. erforderlich ist, um ihm die Erfüllung (8) Das Bundesministerium des Innern wird seiner Verpflichtung zu ermöglichen. ermächtigt, durch Rechtsverordnung im Anordnungen und übermittelte Daten Einvernehmen mit dem Bundeskanz dürfen dem Betroffenen oder Dritten leramt, dem Bundesministerium für vom Verpflichteten nicht mitgeteilt wer Wirtschaft und Technologie, dem Bun den. desministerium der Justiz und dem Bun (5) Dem Verpflichteten ist es verboten, allein desministerium der Verteidigung ohne auf Grund einer Anordnung nach SS 8a Zustimmung des Bundesrates zu bestim Absatz 1 oder 2 einseitige Handlungen men, dass Auskünfte nach SS 8a Absatz vorzunehmen, die für den Betroffe 1 und 2 mit Ausnahme der Auskünfte nen nachteilig sind und die über die nach SS 8a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4, Erteilung der Auskunft hinausgehen, auch soweit andere Vorschriften hier insbesondere bestehende Verträge oder auf verweisen, ganz oder teilweise auf Geschäftsverbindungen zu beenden, maschinell verwertbaren Datenträgern ihren Umfang zu beschränken oder ein oder durch Datenfernübertragung über Entgelt zu erheben oder zu erhöhen. Die mittelt werden müssen. Dabei können Anordnung ist mit dem ausdrücklichen insbesondere geregelt werden Hinweis auf dieses Verbot und darauf zu 1. die Voraussetzungen für die Anwen verbinden, dass das Auskunftsersuchen dung des Verfahrens, nicht die Aussage beinhaltet, dass sich 2. das Nähere über Form, Inhalt, Verar die betroffene Person rechtswidrig ver beitung und Sicherung der zu über halten hat oder ein darauf gerichteter mittelnden Daten, Verdacht bestehen müsse. 3. die Art und Weise der Übermittlung (6) Die in SS 8a Absatz 1 und 2 Satz 1 der Daten, genannten Stellen sind verpflichtet, die 438 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 4. die Zuständigkeit für die Entgegen Verpflichtete Anspruch auf Entschädi nahme der zu übermittelnden Daten, gung entsprechend SS 23 des Justizvergü 5. der Umfang und die Form der für die tungs und entschädigungsgesetzes. ses Verfahren erforderlichen beson (10) Die Befugnisse nach SS 8a Absatz 2 Satz 1 deren Erklärungspflichten des Aus Nummer 4 und 5 stehen den Verfas kunftspflichtigen und sungsschutzbehörden der Länder nur 6. Tatbestände und Bemessung einer auf dann zu, wenn das Verfahren sowie Grund der Auskunftserteilung an Ver die Beteiligung der G 10Kommission, pflichtete zu leistenden Aufwandsent die Verarbeitung der erhobenen Daten schädigung. und die Mitteilung an den Betroffenen Zur Regelung der Datenübermittlung gleichwertig wie in Absatz 2 und fer kann in der Rechtsverordnung auf Ver ner eine Absatz 3 gleichwertige parla öffentlichungen sachverständiger Stel mentarische Kontrolle sowie eine Ver len verwiesen werden; hierbei sind das pflichtung zur Berichterstattung über Datum der Veröffentlichung, die Bezugs die durchgeführten Maßnahmen an das quelle und eine Stelle zu bezeichnen, bei Parlamentarische Kontrollgremium des der die Veröffentlichung archivmäßig Bundes unter entsprechender Anwen gesichert niedergelegt ist. Die Vorgaben dung des Absatzes 3 Satz 1 zweiter Halb für die Erteilung von Auskünften nach satz für dessen Berichte nach Absatz 3 SS 8a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4, ins Satz 2 durch den Landesgesetzgeber besondere ob und in welchem Umfang geregelt ist. Die Verpflichtungen zur die Verpflichteten hierfür Vorkehrungen gleichwertigen parlamentarischen Kon für die technische und organisatorische trolle nach Absatz 3 gelten auch für die Umsetzung der Auskunftsverpflichtung Befugnisse nach SS 8a Absatz 2 Satz 1 zu treffen haben, bestimmen sich nach Nummer 1 und 2. Landesrecht kann für SS 110 des Telekommunikationsgesetzes Auskünfte an die jeweilige Verfassungs und der dazu erlassenen Rechtsverord schutzbehörde des Landes Regelungen nung. Die technischen Einzelheiten, vorsehen, die dem Absatz 5 entsprechen, die zur Auskunftserteilung sowie zur und die auf Grund von Absatz 8 Satz 1 Gestaltung des Übergabepunktes zu den bis 3 erlassene Rechtsverordnung sowie berechtigten Stellen erforderlich sind, die Vorgaben nach Absatz 8 Satz 4 und insbesondere das technische Format für 5 für solche Auskünfte für anwendbar die Übermittlung derartiger Auskunfts erklären. verlangen an die Verpflichteten und die Rückübermittlung der zugehörigen SS 8c Auskünfte an die berechtigten Stellen, Einschränkungen eines Grundrechts richten sich nach den Festlegungen in Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses der Technischen Richtlinie nach SS 110 (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Absatz 3 des Telekommunikationsgeset Maßgabe des SS 8a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 zes. und 5 und Absatz 3 sowie des SS 8b Absatz 1, 2, (9) Für die Erteilung von Auskünften nach 4 bis 8 und 10 eingeschränkt. SS 8a Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 hat der 439 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS9 gemeinen Gefahr oder einer gegenwärti Besondere Formen der Datenerhebung gen Lebensgefahr für einzelne Personen (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz unerlässlich ist und geeignete polizei darf Informationen, insbesondere per liche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut sonenbezogene Daten, mit den Mitteln nicht rechtzeitig erlangt werden kann. gemäß SS 8 Abs. 2 erheben, wenn Tatsa Satz 1 gilt entsprechend für einen ver chen die Annahme rechtfertigen, dass deckten Einsatz technischer Mittel zur 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Anfertigung von Bildaufnahmen und Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Bildaufzeichnungen. Maßnahmen nach SS 3 Abs. 1 oder die zur Erforschung den Sätzen 1 und 2 werden durch den solcher Erkenntnisse erforderlichen Präsidenten des Bundesamtes für Ver Quellen gewonnen werden können fassungsschutz oder seinen Vertreter oder angeordnet, wenn eine richterliche Ent 2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Ein scheidung nicht rechtzeitig herbeige richtungen, Gegenstände und Quellen führt werden kann. Die richterliche Ent des Bundesamtes für Verfassungs scheidung ist unverzüglich nachzuholen. schutz gegen sicherheitsgefährdende Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen oder geheimdienstliche Tätigkeiten Bezirk das Bundesamt für Verfassungs erforderlich ist. schutz seinen Sitz hat. Für das Verfah Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, ren gelten die Vorschriften des Gesetzes wenn die Erforschung des Sachverhalts über das Verfahren in Familiensachen auf andere, den Betroffenen weniger und in den Angelegenheiten der freiwil beeinträchtigende Weise möglich ist; ligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die eine geringere Beeinträchtigung ist in erhobenen Informationen dürfen nur der Regel anzunehmen, wenn die Infor nach Maßnahme des SS 4 Abs. 4 des Arti mation aus allgemein zugänglichen kel 10Gesetzes verwendet werden. SS 4 Quellen oder durch eine Auskunft nach Abs. 6 des Artikel 10Gesetzes gilt ent SS 18 Abs. 3 gewonnen werden kann. sprechend. Das Grundrecht der Unver Die Anwendung eines Mittels gemäß letzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des SS 8 Abs. 2 darf nicht erkennbar außer Grundgesetzes) wird insoweit einge Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklä schränkt. renden Sachverhaltes stehen. Die Maß (3) Bei Erhebungen nach Absatz 2 und nahme ist unverzüglich zu beenden, solchen nach Absatz 1, die in ihrer Art wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich und Schwere einer Beschränkung des Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er Brief, Post und Fernmeldegeheimnis nicht oder nicht auf diese Weise erreicht ses gleichkommen, wozu insbesondere werden kann. das Abhören und Aufzeichnen des nicht (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich öffentlich gesprochenen Wortes mit dem gesprochene Wort darf mit technischen verdeckten Einsatz technischer Mittel Mitteln nur heimlich mitgehört oder gehören, ist aufgezeichnet werden, wenn es im Ein 1. der Eingriff nach seiner Beendigung zelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen dem Betroffenen mitzuteilen, sobald 440 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ eine Gefährdung des Zweckes des Ein 2. dies für die Erforschung und Bewer griffs ausgeschlossen werden kann, tung von Bestrebungen oder Tätigkei und ten nach SS 3 Abs. 1 erforderlich ist 2. das Parlamentarische Kontrollgremium oder zu unterrichten. 3. das Bundesamt für Verfassungsschutz (4) Das Bundesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 2 tätig wird. darf unter den Voraussetzungen des SS 8a (2) Abs. 2 technische Mittel zur Ermittlung (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz des Standortes eines aktiv geschalteten hat die Speicherungsdauer auf das für Mobilfunkendgerätes oder zur Ermitt seine Aufgabenerfüllung erforderliche lung der Geräte oder Kartennummer ein Maß zu beschränken. setzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel SS 11 nach Satz 1 die Ermittlung des Stand Speicherung, Veränderung und Nutzung ortes oder die Ermittlung der Geräte personenbezogener Daten von Minderjähoder Kartennummer aussichtslos oder rigen wesentlich erschwert ist. Sie darf sich nur (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz gegen die in SS 8a Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buch darf unter den Voraussetzungen des SS 10 stabe b bezeichneten Personen richten. Daten über Minderjährige vor Vollen Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des dung des 16. Lebensjahres in zu ihrer Artikel 10Gesetzes entsprechend anzu Person geführten Akten nur speichern, wenden. Personenbezogene Daten eines verändern und nutzen, wenn tatsächli Dritten dürfen anlässlich solcher Maß che Anhaltspunkte dafür bestehen, dass nahmen nur erhoben werden, wenn dies der Minderjährige eine der in SS 3 Abs. 1 aus technischen Gründen zur Erreichung des Artikel 10Gesetzes genannten Straf des Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar taten plant, begeht oder begangen hat. In ist. Sie unterliegen einem absoluten Ver Dateien ist eine Speicherung von Daten wendungsverbot und sind nach Been oder über das Verhalten Minderjähri digung der Maßnahme unverzüglich zu ger vor Vollendung des 16. Lebensjahres löschen. SS 8b Absatz 1 bis 3 und 7 Satz 1 nicht zulässig. Satz 2 gilt nicht für Min gilt entsprechend. derjährige, die das 14. Lebensjahr voll endet haben, wenn nach den Umstän SS 10 den des Einzelfalls nicht ausgeschlossen Speicherung, Veränderung und Nutzung werden kann, dass die Speicherung zur personenbezogener Daten Abwehr einer erheblichen Gefahr für (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Leib oder Leben einer Person erforder darf zur Erfüllung seiner Aufgaben per lich ist. sonenbezogene Daten in Dateien spei (2) In Dateien oder zu ihrer Person geführ chern, verändern und nutzen, wenn ten Akten gespeicherte Daten über Min 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestre derjährige sind nach zwei Jahren auf bungen oder Tätigkeiten nach SS 3 die Erforderlichkeit der Speicherung Abs. 1 vorliegen, zu überprüfen und spätestens nach 441 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass Sicherstellung eines ordnungsgemäßen nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Betriebes einer Datenverarbeitungsan Erkenntnisse nach SS 3 Abs. 1 angefallen lage gespeichert werden, dürfen nur für sind. diese Zwecke verwendet werden. SS 12 SS 13 Berichtigung, Löschung und Sperrung perBerichtigung und Sperrung personenbezosonenbezogener Daten in Dateien gener Daten in Akten (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz (1) Stellt das Bundesamt für Verfassungs hat die in Dateien gespeicherten per schutz fest, dass in Akten gespeicherte sonenbezogenen Daten zu berichtigen, personenbezogene Daten unrichtig wenn sie unrichtig sind. sind oder wird ihre Richtigkeit von dem (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Betroffenen bestritten, so ist dies in der hat die in Dateien gespeicherten per Akte zu vermerken oder auf sonstige sonenbezogenen Daten zu löschen, Weise festzuhalten. wenn ihre Speicherung unzulässig war (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz oder ihre Kenntnis für die Aufgabener hat personenbezogene Daten zu sperren, füllung nicht mehr erforderlich ist. Die wenn es im Einzelfall feststellt, dass ohne Löschung unterbleibt, wenn Grund zu die Sperrung schutzwürdige Interessen der Annahme besteht, dass durch sie des Betroffenen beeinträchtigt würden schutzwürdige Interessen des Betroffe und die Daten für seine künftige Auf nen beeinträchtigt würden. In diesem gabenerfüllung nicht mehr erforderlich Falle sind die Daten zu sperren. Sie sind. Gesperrte Daten sind mit einem dürfen nur noch mit Einwilligung des entsprechenden Vermerk zu versehen; Betroffenen übermittelt werden. sie dürfen nicht mehr genutzt oder über (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz mittelt werden. Eine Aufhebung der prüft bei der Einzelfallbearbeitung und Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraus nach festgesetzten Fristen, spätestens setzungen nachträglich entfallen. nach fünf Jahren, ob gespeicherte perso nenbezogene Daten zu berichtigen oder SS 14 zu löschen sind. Gespeicherte personen Dateianordnungen bezogene Daten über Bestrebungen nach (1) Für jede automatisierte Datei beim Bun SS 3 Absatz 1 Nummer 1, 3 und 4 sind spä desamt für Verfassungsschutz nach SS 6 testens zehn Jahre nach dem Zeitpunkt oder SS 10 sind in einer Dateianordnung, der letzten gespeicherten relevanten die der Zustimmung des Bundesministe Information zu löschen, es sei denn, der riums des Innern bedarf, festzulegen: Behördenleiter oder sein Vertreter trifft 1. Bezeichnung der Datei, im Einzelfall ausnahmsweise eine andere 2. Zweck der Datei, Entscheidung. 3. Voraussetzungen der Speicherung, (4) Personenbezogene Daten, die aus Übermittlung und Nutzung (betroffe schließlich zu Zwecken der Datenschutz ner Personenkreis, Arten der Daten), kontrolle, der Datensicherung oder zur 4. Anlieferung oder Eingabe, 442 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 5. Zugangsberechtigung, der Arbeitsweise des Bundesamtes für 6. Überprüfungsfristen, Speicherungs Verfassungsschutz zu befürchten ist, dauer, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit 7. Protokollierung. gefährden oder sonst dem Wohl des Der Bundesbeauftragte für den Daten Bundes oder eines Landes Nachteile schutz und die Informationsfreiheit ist bereiten würde oder vor Erlass einer Dateianordnung anzu 4. die Daten oder die Tatsache der Spei hören. cherung nach einer Rechtsvorschrift (2) Die Speicherung personenbezogener oder ihrem Wesen nach, insbesondere Daten ist auf das erforderliche Maß zu wegen der überwiegenden berechtig beschränken. In angemessenen Abstän ten Interessen eines Dritten, geheim den ist die Notwendigkeit der Weiter gehalten werden müssen. führung oder Änderung der Dateien zu Die Entscheidung trifft der Behördenlei überprüfen. ter oder ein von ihm besonders beauf (3) In der Dateianordnung über automa tragter Mitarbeiter. tisierte personenbezogene Textdateien (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt ist die Zugriffsberechtigung auf Perso sich nicht auf die Herkunft der Daten nen zu beschränken, die unmittelbar und die Empfänger von Übermittlungen. mit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, (4) Die Ablehnung der Auskunftsertei dem die Textdateien zugeordnet sind; lung bedarf keiner Begründung, soweit Auszüge aus Textdateien dürfen nicht dadurch der Zweck der Auskunftsver ohne die dazugehörenden erläuternden weigerung gefährdet würde. Die Gründe Unterlagen übermittelt werden. der Auskunftsverweigerung sind akten kundig zu machen. Wird die Auskunfts SS 15 erteilung abgelehnt, ist der Betroffene Auskunft an den Betroffenen auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz der Begründung und darauf hinzuwei erteilt dem Betroffenen über zu seiner sen, dass er sich an den Bundesbeauf Person gespeicherte Daten auf Antrag tragten für den Datenschutz wenden unentgeltlich Auskunft, soweit er hierzu kann. Dem Bundesbeauftragten für den auf einen konkreten Sachverhalt hin Datenschutz ist auf sein Verlangen Aus weist und ein besonderes Interesse an kunft zu erteilen, soweit nicht das Bun einer Auskunft darlegt. desministerium des Innern im Einzelfall (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, feststellt, dass dadurch die Sicherheit soweit des Bundes oder eines Landes gefährdet 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfül würde. Mitteilungen des Bundesbeauf lung durch die Auskunftserteilung zu tragten an den Betroffenen dürfen keine besorgen ist, Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand 2. durch die Auskunftserteilung Quellen des Bundesamtes für Verfassungsschutz gefährdet sein können oder die Aus zulassen, sofern es nicht einer weiterge forschung des Erkenntnisstandes oder henden Auskunft zustimmt. 443 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 16 des Militärischen Abschirmdienstes und Berichtspflicht des Bundesamtes für Verfasdes Bundesnachrichtendienstes um sol sungsschutz che Daten, die bei der Wahrnehmung (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz grenzpolizeilicher Aufgaben bekannt unterrichtet das Bundesministerium des werden. Die Zulässigkeit dieser besonde Innern über seine Tätigkeit. ren Ersuchen und ihre Erledigung regelt (2) Die Unterrichtung nach Absatz 1 dient das Bundesministerium des Innern im auch der Aufklärung der Öffentlichkeit Benehmen mit dem Bundeskanzler durch das Bundesministerium des Innern amt und dem Bundesministerium der über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Verteidigung in einer Dienstanweisung. SS 3 Abs. 1, die mindestens einmal jährlich Es unterrichtet das Parlamentarische in einem zusammenfassenden Bericht Kontrollgremium über ihren Erlass und erfolgt. Dabei dürfen auch personenbe erforderliche Änderungen. Satz 2 und 3 zogene Daten bekanntgegeben werden, gilt nicht für die besonderen Ersuchen wenn die Bekanntgabe für das Verständ zwischen Behörden desselben Bundes nis des Zusammenhanges oder der Dar landes. stellung von Organisationen oder unor (3) Soweit dies für die Erfüllung der Aufga ganisierten Gruppierungen erforderlich ben des Bundesamtes für Verfassungs ist und die Interessen der Allgemeinheit schutz, des Militärischen Abschirmdiens das schutzwürdige Interesse des Betroffe tes und des Bundesnachrichtendienstes nen überwiegen. In dem Bericht sind die erforderlich ist, können diese Behörden Zuschüsse des Bundeshaushaltes an das eine Person oder eine in Artikel 99 Abs. 1 Bundesamt für Verfassungsschutz und des Schengener Durchführungsüberein den Militärischen Abschirmdienst sowie kommens vom 19. Juni 1990 (BGBl. 1993 II die jeweilige Gesamtzahl ihrer Bedienste S. 1010, 1994 II S. 631, SDÜ) genannte ten anzugeben. Sache im polizeilichen Informationssys tem zur Mitteilung über das Antreffen ausschreiben, wenn die Voraussetzungen Dritter Abschnitt des Artikels 99 Abs. 3 SDÜ sowie tat Übermittlungsvorschriften sächliche Anhaltspunkte für einen grenz überschreitenden Verkehr vorliegen. Im SS 17 Falle des Antreffens kann die um Mittei Zulässigkeit von Ersuchen lung ersuchte Stelle der ausschreibenden (1) Wird nach den Bestimmungen dieses Behörde Informationen gemäß Arti Abschnittes um Übermittlung von per kel 99 Abs. 4 SDÜ übermitteln. Ausschrei sonenbezogenen Daten ersucht, dürfen bungen ordnet der Behördenleiter, sein nur die Daten übermittelt werden, die Vertreter oder ein dazu besonders beauf bei der ersuchten Behörde bekannt sind tragter Bediensteter, der die Befähigung oder aus allgemein zugänglichen Quel zum Richteramt hat, an. Die Ausschrei len entnommen werden können. bung ist auf höchstens sechs Monate zu (2) Absatz 1 gilt nicht für besondere Ersu befristen und kann wiederholt angeord chen der Verfassungsschutzbehörden, net werden. Liegen die Voraussetzungen 444 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ für die Ausschreibung nicht mehr vor, ist den Bundesnachrichtendienst bleiben der Zweck der Maßnahme erreicht oder unberührt. Auf die Übermittlung von zeigt sich, dass er nicht erreicht werden Informationen zwischen Behörden des kann, ist die Ausschreibung unverzüglich selben Bundeslandes findet Satz 1 keine zu löschen. SS 8a Abs. 6 gilt mit der Maß Anwendung. gabe entsprechend, dass an die Stelle des (1a) Das Bundesamt für Migration und nach SS 8a Abs. 4 Satz 4 zuständigen Bun Flüchtlinge übermittelt von sich aus dem desministeriums für Ausschreibungen Bundesamt für Verfassungsschutz, die durch den Militärischen Abschirmdienst Ausländerbehörden eines Landes über das Bundesministerium der Verteidigung mitteln von sich aus der Verfassungs und für Ausschreibungen durch den schutzbehörde des Landes ihnen bekannt Bundesnachrichtendienst das Bundes gewordene Informationen einschließlich kanzleramt tritt. personenbezogener Daten über Bestre bungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1, SS 18 wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür Übermittlung von Informationen an die vorliegen, dass die Übermittlung für Verfassungsschutzbehörden die Erfüllung der Aufgaben der Verfas (1) Die Behörden des Bundes, der bundesun sungsschutzbehörde erforderlich ist. Die mittelbaren juristischen Personen des Übermittlung dieser personenbezogenen öffentlichen Rechts, die Staatsanwalt Daten an ausländische öffentliche Stellen schaften und, vorbehaltlich der staats sowie an über und zwischenstaatliche anwaltschaftlichen Sachleitungsbe Stellen nach SS 19 Abs. 3 unterbleibt auch fugnis, die Polizeien, die Behörden des dann, wenn überwiegende schutzwür Zollfahndungsdienstes sowie andere dige Belange Dritter entgegenstehen. Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben Vor einer Übermittlung nach SS 19 Abs. 3 nach dem Bundespolizeigesetz wahr ist das Bundesamt für Migration und nehmen, unterrichten von sich aus das Flüchtlinge zu beteiligen. Für diese Über Bundesamt für Verfassungsschutz oder mittlungen des Bundesamtes für Verfas die Verfassungsschutzbehörde des Lan sungsschutz gilt SS 8a Abs. 6 entsprechend. des über die ihnen bekanntgewordenen Die Zuständigkeit und das Verfahren für Tatsachen, die sicherheitsgefährdende die Entscheidung des Bundesamtes für oder geheimdienstliche Tätigkeiten für Migration und Flüchtlinge zu Übermitt eine fremde Macht oder Bestrebun lungen nach Satz 1 sind in einer Dienst gen im Geltungsbereich dieses Geset vorschrift zu regeln, die der Zustimmung zes erkennen lassen, die durch Anwen des Bundesministeriums des Innern dung von Gewalt oder darauf gerichtete bedarf. Vorbereitungshandlungen gegen die in (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehalt SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 genannten lich der staatsanwaltschaftlichen Sachlei Schutzgüter gerichtet sind. Über Satz 1 tungsbefugnis, die Polizeien, die Behör hinausgehende Unterrichtungspflichten den des Zollfahndungsdienstes sowie nach dem Gesetz über den Militärischen andere Zolldienststellen, soweit diese Abschirmdienst oder dem Gesetz über Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz 445 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ wahrnehmen, und der Bundesnach ersuchen, ob eine Körperschaft, Perso richtendienst dürfen von sich aus dem nenvereinigung oder Vermögensmasse Bundesamt für Verfassungsschutz oder die Voraussetzungen des SS 5 Abs. 1 Nr. 9 der Verfassungsschutzbehörde des Lan des Körperschaftsteuergesetzes erfüllt. des auch alle anderen ihnen bekanntge Die Finanzbehörden haben der ersu wordenen Informationen einschließlich chenden Behörde die Auskunft nach personenbezogener Daten über Bestre Satz 1 zu erteilen. bungen nach SS 3 Abs. 1 übermitteln, (4) Würde durch die Übermittlung nach wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür Absatz 3 Satz 1 der Zweck der Maß bestehen, dass die Übermittlung für die nahme gefährdet oder der Betroffene Erfüllung der Aufgaben der Verfassungs unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf schutzbehörde erforderlich ist. Absatz 1 das Bundesamt für Verfassungsschutz Satz 3 findet Anwendung. bei der Wahrnehmung der Aufgaben (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 sowie bei der darf zur Erfüllung seiner Aufgaben die Beobachtung terroristischer Bestrebun Staatsanwaltschaften und, vorbehalt gen amtliche Register einsehen. lich der staatsanwaltschaftlichen Sach (5) Die Ersuchen nach Absatz 3 sind akten leitungsbefugnis, die Polizeien sowie kundig zu machen. Über die Einsicht andere Behörden um Übermittlung der nahme nach Absatz 4 hat das Bundesamt zur Erfüllung seiner Aufgaben erforder für Verfassungsschutz einen Nachweis zu lichen Informationen einschließlich per führen, aus dem der Zweck und die Ver sonenbezogener Daten ersuchen, wenn anlassung, die ersuchte Behörde und die sie nicht aus allgemein zugänglichen Aktenfundstelle hervorgehen; die Nach Quellen oder nur mit übermäßigem Auf weise sind gesondert aufzubewahren, wand oder nur durch eine den Betroffe gegen unberechtigten Zugriff zu sichern nen stärker belastende Maßnahme erho und am Ende des Kalenderjahres, das ben werden können. Unter den gleichen dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu ver Voraussetzungen dürfen Verfassungs nichten. schutzbehörden der Länder (6) Die Übermittlung personenbezogener 1. Behörden des Bundes und der bun Daten, die auf Grund einer Maßnahme desunmittelbaren juristischen Perso nach SS 100a der Strafprozessordnung nen des öffentlichen Rechts, bekanntgeworden sind, ist nach den Vor 2. Staatsanwaltschaften und, vorbe schriften der Absätze 1, 2 und 3 nur haltlich der staatsanwaltschaftlichen zulässig, wenn tatsächliche Anhalts Sachleitungsbefugnis, Polizeien des punkte dafür bestehen, dass jemand eine Bundes und anderer Länder um die der in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10Gesetzes Übermittlung solcher Informationen genannten Straftaten plant, begeht oder ersuchen. begangen hat. Auf die einer Verfassungs (3a) Das Bundesamt für Verfassungsschutz schutzbehörde nach Satz 1 übermittelten und die Verfassungsschutzbehörden der Kenntnisse und Unterlagen findet SS 4 Länder dürfen zur Erfüllung ihrer Auf Abs. 1 und 4 des Artikel 10Gesetzes ent gaben die Finanzbehörden um Auskunft sprechende Anwendung. 446 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 19 Betroffenen entgegenstehen. Die Über Übermittlung personenbezogener Daten mittlung ist aktenkundig zu machen. durch das Bundesamt für VerfassungsDer Empfänger ist darauf hinzuweisen, schutz dass die übermittelten Daten nur zu (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz dem Zweck verwendet werden dürfen, darf personenbezogene Daten an inlän zu dem sie ihm übermittelt wurden, und dische öffentliche Stellen übermitteln, das Bundesamt für Verfassungsschutz wenn dies zur Erfüllung seiner Aufga sich vorbehält, um Auskunft über die ben erforderlich ist oder der Empfän vorgenommene Verwendung der Daten ger die Daten zum Schutz der freiheit zu bitten. lichen demokratischen Grundordnung (4) Personenbezogene Daten dürfen an oder sonst für Zwecke der öffentlichen andere Stellen nur übermittelt werden, Sicherheit benötigt. Der Empfänger darf wenn dies zum Schutz der freiheitlichen die übermittelten Daten, soweit gesetz demokratischen Grundordnung, des lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu Bestandes oder der Sicherheit des Bun dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm des oder eines Landes oder zur Gewähr übermittelt wurden. leistung der Sicherheit von lebens oder (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz verteidigungswichtigen Einrichtungen darf personenbezogene Daten an Dienst nach SS 1 Abs. 4 des Sicherheitsüberprü stellen der Stationierungsstreitkräfte fungsgesetzes erforderlich ist. Über übermitteln, soweit die Bundesrepublik mittlungen nach Satz 1 bedürfen der Deutschland dazu im Rahmen von Arti vorherigen Zustimmung durch das Bun kel 3 des Zusatzabkommens zu dem desministerium des Innern. Das Bundes Abkommen zwischen den Parteien des amt für Verfassungsschutz führt einen Nordatlantikvertrages über die Rechts Nachweis über den Zweck, die Veranlas stellung ihrer Truppen hinsichtlich der sung, die Aktenfundstelle und die Emp in der Bundesrepublik Deutschland sta fänger der Übermittlungen nach Satz 1. tionierten ausländischen Truppen vom Die Nachweise sind gesondert aufzube 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, wahren, gegen unberechtigten Zugriff zu 1218) verpflichtet ist. sichern und am Ende des Kalenderjah (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz res, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, darf personenbezogene Daten an aus zu vernichten. Der Empfänger darf die ländische öffentliche Stellen sowie an übermittelten Daten nur zu dem Zweck über und zwischenstaatliche Stellen verwenden, zu dem sie ihm übermit übermitteln, wenn die Übermittlung telt worden sind. Der Empfänger ist auf zur Erfüllung seiner Aufgaben oder die Verwendungsbeschränkung und zur Wahrung erheblicher Sicherheit darauf hinzuweisen, dass das Bundes sinteressen des Empfängers erforder amt für Verfassungsschutz sich vorbe lich ist. Die Übermittlung unterbleibt, hält, um Auskunft über die Verwendung wenn auswärtige Belange der Bundes der Daten zu bitten. Die Übermittlung republik Deutschland oder überwie der personenbezogenen Daten ist dem gende schutzwürdige Interessen des Betroffenen durch das Bundesamt für 447 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Verfassungsschutz mitzuteilen, sobald Das Bundesamt für Verfassungsschutz eine Gefährdung seiner Aufgabenerfül übermittelt dem Bundesnachrichten lung durch die Mitteilung nicht mehr zu dienst von sich aus die ihm bekanntge besorgen ist. wordenen Informationen einschließlich (5) Absatz 4 findet keine Anwendung, wenn personenbezogener Daten, wenn tat personenbezogene Daten zum Zweck sächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, von Datenerhebungen nach SS 8 Absatz 1 dass die Übermittlung für die Erfüllung Satz 2 an Stellen übermittelt werden, von der gesetzlichen Aufgaben des Empfän denen die Daten erhoben werden, oder gers erforderlich ist. die daran mitwirken. Hiervon abwei (2) Die Polizeien dürfen zur Verhinderung chend findet Absatz 4 Satz 5 und 6 in von Staatsschutzdelikten nach Absatz 1 Fällen Anwendung, in denen die Daten Satz 2 das Bundesamt für Verfassungs erhebung nicht mit den in SS 8 Absatz 2 schutz um Übermittlung der erforder bezeichneten Mitteln erfolgt. lichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. Der SS 20 Bundesnachrichtendienst darf zur Erfül Übermittlung von Informationen durch lung seiner Aufgaben das Bundesamt für das Bundesamt für Verfassungsschutz an Verfassungsschutz um die Übermittlung Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden der erforderlichen Informationen ein in Angelegenheiten des Staatsund Verfasschließlich personenbezogener Daten sungsschutzes ersuchen. (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staatsanwaltschaften SS 21 und, vorbehaltlich der staatsanwalt Übermittlung von Informationen durch die schaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Verfassungsschutzbehörden der Länder an Polizeien von sich aus die ihm bekannt Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden gewordenen Informationen einschließ in Angelegenheiten des Staatsund Verfaslich personenbezogener Daten, wenn sungsschutzes tatsächliche Anhaltspunkte dafür beste (1) Die Verfassungsschutzbehörden der Län hen, dass die Übermittlung zur Verhin der übermitteln den Staatsanwaltschaf derung oder Verfolgung von Staats ten und, vorbehaltlich der staatsanwalt schutzdelikten erforderlich ist. Delikte schaftlichen Sachleitungsbefugnis, den nach Satz 1 sind die in SSSS 74a und 120 Polizeien Informationen einschließlich des Gerichtsverfassungsgesetzes genann personenbezogener Daten unter den ten Straftaten sowie sonstige Straftaten, Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1 Satz 1 bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, und 2 sowie Abs. 2 Satz 1. Auf die Über des Motivs des Täters oder dessen Ver mittlung von Informationen zwischen bindung zu einer Organisation tatsäch Behörden desselben Bundeslandes findet liche Anhaltspunkte dafür vorliegen, Satz 1 keine Anwendung. dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 (2) Die Verfassungsschutzbehörden der Buchstabe b oder c des Grundgesetzes Länder übermitteln dem Bundesnach genannten Schutzgüter gerichtet sind. richtendienst und dem Militärischen 448 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Abschirmdienst Informationen ein der gemeinsamen Datei durch die an schließlich personenbezogener Daten der projektbezogenen Zusammenarbeit unter den Voraussetzungen des SS 20 beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Abs. 1 Satz 3 sowie Abs. 2 Satz 2. Befugnisse verwendet werden, soweit dies in diesem Zusammenhang zur SS 22 Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Übermittlung von Informationen durch die Bei der weiteren Verwendung der per Staatsanwaltschaften und Polizeien an den sonenbezogenen Daten finden für die Militärischen Abschirmdienst beteiligten Behörden die jeweils für sie Für die Übermittlung von Informationen geltenden Vorschriften über die Verwen einschließlich personenbezogener Daten dung von Daten Anwendung. durch die Staatsanwaltschaften und, vorbe (2) Für die Eingabe personenbezogener haltlich der staatsanwaltschaftlichen Sach Daten in die gemeinsame Datei gelten leitungsbefugnis, die Polizeien, die Behör die jeweiligen Übermittlungsvorschrif den des Zollfahndungsdienstes sowie andere ten zugunsten der an der Zusammenar Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben beit beteiligten Behörden entsprechend nach dem Bundespolizeigesetz wahrneh mit der Maßgabe, dass die Eingabe nur men, an den Militärischen Abschirmdienst zulässig ist, wenn die Daten allen an der findet SS 18 entsprechende Anwendung. projektbezogenen Zusammenarbeit teil nehmenden Behörden übermittelt wer SS 22a den dürfen. Eine Eingabe ist ferner nur Projektbezogene gemeinsame Dateien zulässig, wenn die Behörde, die die Daten (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz eingegeben hat, die Daten auch in eigene kann für die Dauer einer befristeten pro Dateien speichern darf. Die Behörde, die jektbezogenen Zusammenarbeit mit den die Daten eingegeben hat, hat die Daten Landesbehörden für Verfassungsschutz, zu kennzeichnen. dem Militärischen Abschirmdienst, dem (3) Für die Führung einer projektbezogenen Bundesnachrichtendienst, den Polizeibe gemeinsamen Datei gelten SS 6 Satz 5 bis hörden des Bundes und der Länder und 7 und SS 14 Abs. 2 entsprechend. SS 15 dem Zollkriminalamt eine gemeinsame ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass Datei errichten. Die projektbezogene das Bundesamt für Verfassungsschutz Zusammenarbeit bezweckt nach Maß die Auskunft im Einvernehmen mit der gabe der Aufgaben und Befugnisse der Behörde erteilt, die die datenschutz in Satz 1 genannten Behörden den Aus rechtliche Verantwortung nach Satz 1 tausch und die gemeinsame Auswertung trägt und die beteiligte Behörde die von Erkenntnissen zu Bestrebungen, die Zulässigkeit der Auskunftserteilung nach durch Anwendung von Gewalt oder dar den für sie geltenden Bestimmungen auf gerichtete Vorbereitungshandlun prüft. gen gegen die in SS 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 (4) Die gemeinsame Datei nach Absatz 1 ist genannten Schutzgüter gerichtet sind. auf höchstens zwei Jahre zu befristen. Die Personenbezogene Daten zu Bestrebun Frist kann zweimalig um jeweils bis zu gen nach Satz 2 dürfen unter Einsatz einem Jahr verlängert werden, wenn das 449 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Ziel der projektbezogenen Zusammenar 7. die Möglichkeit der ergänzenden Ein beit bei Projektende noch nicht erreicht gabe weiterer Daten zu den bereits worden ist und die Datei weiterhin für über eine Person gespeicherten Daten die Erreichung des Ziels erforderlich ist. durch die an der gemeinsamen Datei (5) Für die Berichtigung, Sperrung und beteiligten Behörden, Löschung der Daten zu einer Person 8. die Protokollierung des Zeitpunkts, durch die Behörde, die die Daten ein der Angaben zur Feststellung des auf gegeben hat, gelten die jeweiligen, für gerufenen Datensatzes sowie der für sie anwendbaren Vorschriften über die den Abruf verantwortlichen Behörde Berichtigung, Sperrung und Löschung bei jedem Abruf aus der gemeinsamen der Daten entsprechend. Datei durch das Bundesamt für Ver (6) Das Bundesamt für Verfassungsschutz fassungsschutz für Zwecke der Daten hat für die gemeinsame Datei in einer schutzkontrolle einschließlich der Dateianordnung die Angaben nach SS 14 Zweckbestimmung der Protokolldaten Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 sowie weiter fest sowie deren Löschfrist und zulegen: 9. die Zuständigkeit des Bundesamtes 1. die Rechtsgrundlage der Datei, für Verfassungsschutz für Schadens 2. die Art der zu speichernden personen ersatzansprüche des Betroffenen nach bezogenen Daten, SS 8 des Bundesdatenschutzgesetzes. 3. die Arten der personenbezogenen Die Dateianordnung bedarf der Zustim Daten, die der Erschließung der Datei mung des Bundesministeriums des dienen, Innern sowie der für die Fachaufsicht 4. Voraussetzungen, unter denen in der über die beteiligten Behörden zustän Datei gespeicherte personenbezogene digen obersten Bundes oder Landesbe Daten an welche Empfänger und in hörden. Der Bundesbeauftragte für den welchen Verfahren übermittelt wer Datenschutz und die Informationsfrei den, heit ist vor Erlass einer Dateianordnung 5. im Einvernehmen mit den an der pro anzuhören. SS 14 Abs. 3 Halbsatz 1 gilt jektbezogenen Zusammenarbeit teil entsprechend. nehmenden Behörden deren jeweilige Organisationseinheiten, die zur Ein SS 23 gabe und zum Abruf befugt sind, Übermittlungsverbote 6. die umgehende Unterrichtung der Die Übermittlung nach den Vorschriften die eingebenden Behörde über Anhalts ses Abschnitts unterbleibt, wenn punkte für die Unrichtigkeit eingege 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar bener Daten durch die an der gemein ist, dass unter Berücksichtigung der samen Datei beteiligten Behörden Art der Informationen und ihrer Erhe sowie die Prüfung und erforderli bung die schutzwürdigen Interessen des chenfalls die unverzügliche Änderung, Betroffenen das Allgemeininteresse an Berichtigung oder Löschung dieser der Übermittlung überwiegen, Daten durch die Behörde, die die 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies Daten eingegeben hat, erfordern oder 450 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 3. besondere gesetzliche Übermittlungsre in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10Gesetzes gelungen entgegenstehen; die Verpflich genannten Straftaten erforderlich ist. tung zur Wahrung gesetzlicher Geheim haltungspflichten oder von Berufs oder SS 25 besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht Pflichten des Empfängers auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, Der Empfänger prüft, ob die nach den Vor bleibt unberührt. schriften dieses Gesetzes übermittelten per sonenbezogenen Daten für die Erfüllung SS 24 seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt Minderjährigenschutz die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, (1) Informationen einschließlich perso hat er die Unterlagen zu vernichten. Die nenbezogener Daten über das Verhal Vernichtung kann unterbleiben, wenn die ten Minderjähriger dürfen nach den Trennung von anderen Informationen, die Vorschriften dieses Gesetzes übermit zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, telt werden, solange die Voraussetzun nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand gen der Speicherung nach SS 11 Abs. 1 möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu Satz 1 erfüllt sind. Liegen diese Voraus sperren. setzungen nicht mehr vor, bleibt eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur SS 26 Abwehr einer erheblichen Gefahr oder Nachberichtspflicht zur Verfolgung einer Straftat von erheb Erweisen sich personenbezogene Daten nach licher Bedeutung erforderlich ist. ihrer Übermittlung nach den Vorschrif (2) Informationen einschließlich perso ten dieses Gesetzes als unvollständig oder nenbezogener Daten über das Verhal unrichtig, so sind sie unverzüglich gegenüber ten Minderjähriger vor Vollendung des dem Empfänger zu berichtigen, es sei denn, 16. Lebensjahres dürfen nach den Vor dass dies für die Beurteilung eines Sachver schriften dieses Gesetzes nicht an aus halts ohne Bedeutung ist. ländische sowie über oder zwischen staatliche Stellen übermittelt werden. Abweichend hiervon dürfen Informati Vierter Abschnitt onen einschließlich personenbezogener Schlussvorschriften Daten über das Verhalten Minderjäh riger, die das 14. Lebensjahr vollendet SS 27 haben, übermittelt werden, wenn nach Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes den Umständen des Einzelfalls nicht Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 ausgeschlossen werden kann, dass die durch das Bundesamt für Verfassungsschutz Übermittlung zur Abwehr einer erheb finden SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und lichen Gefahr für Leib oder Leben einer 3, SSSS 4b und 4c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Person erforderlich ist oder tatsächliche Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die dung. Übermittlung zur Verfolgung einer der 451 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Gesetz über die Voraussetzungen und das obersten Bundesbehörde im Einver Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des nehmen mit dem Bundesministerium Bundes des Innern als Nationale Sicherheits (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) behörde zum Sicherheitsbereich erklärt worden ist, vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), 4. nach anderen Vorschriften einer zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes Sicherheitsüberprüfung unterliegt, vom 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576) soweit auf dieses Gesetz verwiesen wird. Erster Abschnitt (3) Verpflichten sich Stellen der Bundes Allgemeine Vorschriften republik Deutschland gegenüber Stellen anderer Staaten durch Übereinkünfte, SS1 bei Personen, die Zugang zu Verschluss Zweck und Anwendungsbereich des Gesetsachen ausländischer Staaten haben zes oder sich verschaffen können, zuvor (1) Dieses Gesetz regelt die Vorausset Sicherheitsüberprüfungen nach deut zungen und das Verfahren zur Über schem Recht durchzuführen, ist in die prüfung einer Person, die von der sen Übereinkünften festzulegen, welche zuständigen Stelle mit einer sicher Verschlusssachengrade des Vertragspart heitsempfindlichen Tätigkeit betraut ners Verschlusssachengraden nach die werden soll (Sicherheitsüberprüfung) sem Gesetz vergleichbar sind. Derartige oder bereits betraut worden ist (Wieder Festlegungen müssen sich im Rahmen holungsüberprüfung). der Bewertungen dieses Gesetzes halten (2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit und insbesondere den Maßstäben des SS 4 übt aus, wer entsprechen. 1. Zugang zu Verschlusssachen hat (4) Eine sicherheitsempfindliche Tätig oder ihn sich verschaffen kann, die keit übt auch aus, wer an einer sicher STRENG GEHEIM, GEHEIM oder heitsempfindlichen Stelle innerhalb VSVERTRAULICH eingestuft sind, einer lebens oder verteidigungswich 2. Zugang zu Verschlusssachen über tigen Einrichtung oder wer innerhalb staatlicher Einrichtungen und Stellen einer besonders sicherheitsempfindli hat oder ihn sich verschaffen kann, chen Stelle des Geschäftsbereiches des wenn die Bundesrepublik Deutsch Bundesministeriums der Verteidigung land verpflichtet ist, nur sicherheits ("Militärischer Sicherheitsbereich") überprüfte Personen hierzu zuzulas beschäftigt ist oder werden soll (vorbeu sen, gender personeller Sabotageschutz). Ziel 3. in einer Behörde oder einer sonstigen des vorbeugenden personellen Sabota öffentlichen Stelle des Bundes oder geschutzes ist es, potenzielle Saboteure in einem Teil von ihr tätig ist, die auf (Innentäter) von sicherheitsempfind Grund des Umfanges und der Bedeu lichen Stellen fernzuhalten, um den tung dort anfallender Verschluss Schutz der in Absatz 5 Satz 1 und 2 sachen von der jeweils zuständigen genannten Schutzgüter sicherzustellen. 452 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ (5) Lebenswichtig sind solche Einrichtun SS2 gen, Betroffener Personenkreis 1. deren Beeinträchtigung auf Grund (1) Eine Person, die mit einer sicherheits der ihnen anhaftenden betrieblichen empfindlichen Tätigkeit betraut wer Eigengefahr die Gesundheit oder das den soll (Betroffener), ist vorher einer Leben großer Teile der Bevölkerung Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen. erheblich gefährden kann oder Die Sicherheitsüberprüfung bedarf der 2. die für das Funktionieren des Gemein Zustimmung des Betroffenen, soweit wesens unverzichtbar sind und deren gesetzlich nichts anderes bestimmt Beeinträchtigung erhebliche Unruhe ist. Die Zustimmung ist schriftlich zu in großen Teilen der Bevölkerung und erteilen, aber nicht in elektronischer somit Gefahren für die öffentliche Form. Eine sicherheitsempfindliche Sicherheit oder Ordnung entstehen Tätigkeit darf erst nach Vollendung des lassen würde. 16. Lebensjahres übertragen werden. Verteidigungswichtig sind außerhalb des Auf eine Sicherheitsüberprüfung nach Geschäftsbereiches des Bundesministeri diesem Gesetz kann verzichtet werden, ums der Verteidigung solche Einrichtun wenn für den Betroffenen bereits eine gen, die der Herstellung oder Erhaltung gleich oder höherwertige Sicherheits der Verteidigungsbereitschaft dienen überprüfung durchgeführt worden ist. und deren Beeinträchtigung auf Grund (2) Der volljährige Ehegatte, der Lebenspart 1. fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit ner oder der volljährige Partner, mit die Funktionsfähigkeit, insbesondere dem der Betroffene in einer auf Dauer die Ausrüstung, Führung und Unter angelegten Gemeinschaft lebt (Lebens stützung der Bundeswehr und ver gefährte), soll in die Sicherheitsüberprü bündeter Streitkräfte sowie der Zivilen fung nach den SS 9 Absatz 1 Nummer 1 Verteidigung, oder und 2 und SS 10 einbezogen werden. Über 2. der ihnen anhaftenden betrieblichen Ausnahmen entscheidet die zuständige Eigengefahr die Gesundheit oder das Stelle. Im Falle der Einbeziehung ist die Leben großer Teile der Bevölkerung Zustimmung des Ehegatten, Lebenspart erheblich gefährden kann. Sicherheits ners oder Lebensgefährten erforderlich. empfindliche Stelle ist die kleinste Die Zustimmung ist schriftlich zu ertei selbstständig handelnde Organisati len, aber nicht in elektronischer Form. onseinheit innerhalb einer lebens oder Geht der Betroffene die Ehe während verteidigungswichtigen Einrichtung, die oder erst nach erfolgter Sicherheits vor unberechtigtem Zugang geschützt ist überprüfung ein oder begründet er die und von der im Falle der Beeinträchti Lebenspartnerschaft oder die auf Dauer gung eine erhebliche Gefahr für die in angelegte Gemeinschaft in dem entspre den Sätzen 1 und 2 genannten Schutzgü chenden Zeitraum, so ist die zuständige ter ausgeht. Stelle zu unterrichten, um sie in die Lage zu versetzen, die Einbeziehung des Ehe gatten, Lebenspartners oder Lebensge fährten in die Sicherheitsüberprüfung 453 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ nachzuholen. Das gleiche gilt bei später Aufgaben nach SS 1 Abs. 4 wahrnimmt eintretender Volljährigkeit des Ehegatten und eine Person mit einer derartigen oder Lebensgefährten. sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (3) Dieses Gesetz gilt nicht für betrauen will. 1. die Mitglieder der Verfassungsorgane In den Fällen der Nummern 1 und 4 des Bundes, kann bei nachgeordneten Behörden 2. Richter, soweit sie Aufgaben der und sonstigen öffentlichen Stellen des Rechtsprechung wahrnehmen, Bundes deren oberste Bundesbehörde 3. ausländische Staatsangehörige, die in Aufgaben der zuständigen Stelle über der Bundesrepublik Deutschland im nehmen. Die Aufgaben der zuständigen Interesse zwischenstaatlicher Einrich Stelle nach diesem Gesetz sind von einer tungen und Stellen eine sicherheits von der Personalverwaltung getrennten empfindliche Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Organisationseinheit wahrzunehmen. Nr. 2 ausüben sollen. (2) Mitwirkende Behörde bei der Sicher heitsüberprüfung ist das Bundesamt für SS3 Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 2 Nr. 1, Zuständigkeit 2 und 4 des Bundesverfassungsschutz (1) Zuständig für die Sicherheitsüberprü gesetzes und im Geschäftsbereich des fung ist Bundesministeriums der Verteidigung 1. die Behörde oder sonstige öffentliche der Militärische Abschirmdienst nach Stelle des Bundes, die einer Person SS 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a und b des eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit MADGesetzes, soweit nicht in Rechts zuweisen, übertragen oder sie dazu vorschriften zwischenstaatlicher Ein ermächtigen will, richtungen oder in völkerrechtlichen 2. bei deutschen Staatsangehörigen aus Verträgen, denen die gesetzgebenden Anlass ihrer Tätigkeit im sicherheits Körperschaften gemäß Artikel 59 Abs. 2 empfindlichen Bereich bei der NATO des Grundgesetzes zugestimmt haben, oder anderen zwischenstaatlichen etwas anderes bestimmt ist. Einrichtungen und Stellen das Bun (3) Der Bundesnachrichtendienst, das Bun desministerium des Innern als Natio desamt für Verfassungsschutz und der nale Sicherheitsbehörde, soweit nichts Militärische Abschirmdienst führen anderes bestimmt ist, Sicherheitsüberprüfungen bei Bewer 3. bei politischen Parteien nach Arti bern und Mitarbeitern des eigenen kel 21 des Grundgesetzes sowie deren Dienstes allein durch. Sie wenden hier Stiftungen die Parteien selbst, bei die Vorschriften dieses Gesetzes an. 4. im Übrigen die Behörde oder sonstige Gleiches gilt, wenn der Bundesnach öffentliche Stelle des Bundes, die eine richtendienst oder der Militärische Verschlusssache an eine nichtöffent Abschirmdienst eine sicherheitsemp liche Stelle weitergeben will, findliche Tätigkeit nach Absatz 1 Nr. 1 5. die Behörde oder sonstige öffentli und 4 zuweisen, übertragen oder dazu che Stelle des Bundes, die auf Grund ermächtigen will. einer Rechtsverordnung gemäß SS 34 454 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SS4 einer sicherheitsempfindlichen Tätig Verschlusssachen keit begründen oder (1) Verschlusssachen sind im öffentlichen 2. eine besondere Gefährdung durch Interesse geheimhaltungsbedürftige Tat Anbahnungs und Werbungsversuche sachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, fremder Nachrichtendienste, insbe unabhängig von ihrer Darstellungsform. sondere die Besorgnis der Erpressbar Sie werden entsprechend ihrer Schutz keit, begründen oder bedürftigkeit von einer amtlichen Stelle 3. Zweifel am Bekenntnis des Betroffe oder auf deren Veranlassung eingestuft. nen zur freiheitlichen demokratischen (2) Eine Verschlusssache ist Grundordnung im Sinne des Grund 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kennt gesetzes oder am jederzeitigen Eintre nisnahme durch Unbefugte den ten für deren Erhaltung begründen. Bestand oder lebenswichtige Interes Ein Sicherheitsrisiko kann auch auf sen der Bundesrepublik Deutschland Grund tatsächlicher Anhaltspunkte zur oder eines ihrer Länder gefährden Person des Ehegatten, Lebenspartners kann, oder Lebensgefährten vorliegen. 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme (2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, durch Unbefugte die Sicherheit der wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für Bundesrepublik Deutschland oder ein Sicherheitsrisiko ergibt. eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden SS6 zufügen kann, Rechte des Betroffenen 3. VSVERTRAULICH, wenn die Kennt (1) Vor Ablehnung der Zulassung zu einer nisnahme durch Unbefugte für sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ist die Interessen der Bundesrepublik dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, Deutschland oder eines ihrer Länder sich persönlich zu den für die Entschei schädlich sein kann, dung erheblichen Tatsachen zu äußern. 4. VSNUR FÜR DEN DIENSTGE Der Betroffene kann zur Anhörung mit BRAUCH, wenn die Kenntnisnahme einem Rechtsanwalt erscheinen. Die durch Unbefugte für die Interessen Anhörung erfolgt in einer Weise, die den der Bundesrepublik Deutschland oder Quellenschutz gewährleistet und den eines ihrer Länder nachteilig sein schutzwürdigen Interessen von Perso kann. nen, die im Rahmen einer Sicherheits überprüfung befragt wurden, Rechnung SS5 trägt. Sie unterbleibt, wenn sie einen Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche erheblichen Nachteil für die Sicherheit Erkenntnisse des Bundes oder eines Landes zur Folge (1) Im Sinne dieses Gesetzes liegt ein hätte, insbesondere bei Sicherheitsüber Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche prüfungen der Bewerber bei den Nach Anhaltspunkte richtendiensten des Bundes. 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit des (2) Liegen in der Person des Ehegatten, Betroffenen bei der Wahrnehmung Lebenspartners oder Lebensgefährten 455 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Anhaltspunkte vor, die ein Sicherheits SS8 risiko begründen, ist ihm Gelegenheit zu Einfache Sicherheitsüberprüfung geben, sich vor der Ablehnung der Zulas (1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist sung des Betroffenen zu einer sicher für Personen durchzuführen, die heitsempfindlichen Tätigkeit persönlich 1. Zugang zu VSVERTRAULICH einge zu den für die Entscheidung erheblichen stuften Verschlusssachen erhalten sol Tatsachen zu äußern. Absatz 1 Satz 2 bis len oder ihn sich verschaffen können, 4 gilt entsprechend. 2. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1 (3) Die Absätze 1 und 2 sind auch im Falle Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen. der Ablehnung einer Weiterbeschäfti (2) In den Fällen von Absatz 1 Nr. 2 kann die gung in einer sicherheitsempfindlichen zuständige Stelle von der Sicherheits Tätigkeit anzuwenden. überprüfung absehen, wenn Art oder Dauer der Tätigkeit dies zulassen. Zweiter Abschnitt Fußnote Überprüfungsarten und Durchführungs(+++ SS 8 Abs. 1 Nr. 3 in der bis zum 10.1.2012 maßnahmen geltenden Fassung: Zur weiteren Anwen dung vgl. SS 38a +++) SS7 Arten der Sicherheitsüberprüfung SS9 (1) Entsprechend der vorgesehenen sicher Erweiterte Sicherheitsüberprüfung heitsempfindlichen Tätigkeit wird ent (1) Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung weder eine ist für Personen durchzuführen, die 1. einfache Sicherheitsüberprüfung oder 1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Ver 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung schlusssachen erhalten sollen oder ihn oder sich verschaffen können, 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit 2. Zugang zu einer hohen Anzahl Sicherheitsermittlungen VSVERTRAULICH eingestuften Ver durchgeführt. schlusssachen erhalten sollen oder ihn (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüber sich verschaffen können, prüfung sicherheitserhebliche Erkennt 3. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1 nisse, die nur durch Maßnahmen der Absatz 4 wahrnehmen sollen, nächsthöheren Art der Sicherheitsüber soweit nicht die zuständige Stelle im prüfung geklärt werden können, kann Einzelfall nach Art und Dauer der Tätig die zuständige Stelle mit Zustimmung keit eine Sicherheitsüberprüfung nach des Betroffenen und der einbezogenen SS 8 für ausreichend hält. Person die nächsthöhere Art der Sicher (2) In den Fällen von Absatz 1 Nummer 3 heitsüberprüfung anordnen. SS 12 Abs. 5 kann die Sicherheitsüberprüfung unter bleibt unberührt. bleiben, wenn 1. eine Person mit einer unaufschieb baren sicherheitsempfindlichen Tätig keit betraut werden soll, für die keine 456 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ überprüften Personen zur Verfügung SS 11 stehen, oder Datenerhebung 2. eine Person nur kurzzeitig, in der (1) Die zuständige Stelle und die mitwir Regel höchstens einen Tag, eine kende Behörde dürfen die zur Erfüllung sicherheitsempfindliche Tätigkeit aus ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz üben soll erforderlichen Daten erheben. Der und die nicht überprüfte Person durch Betroffene sowie die sonstigen zu befra eine überprüfte Person ständig begleitet genden Personen und nichtöffentlichen wird. Stellen sind auf den Zweck der Erhe bung, die Auskunftspflichten nach die Fußnote sem Gesetz und auf eine dienst, arbeits (+++ SS 9 in der bis zum 10.1.2012 gelten rechtliche oder sonstige vertragliche den Fassung: Zur weiteren Anwendung vgl. Mitwirkungspflicht, ansonsten auf die SS 38a +++) Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuwei sen. Bei Sicherheitsüberprüfungen der SS 10 in SS 3 Abs. 3 Satz 1 genannten Personen Erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit kann die Angabe der erhebenden Stelle Sicherheitsermittlungen gegenüber den sonstigen zu befragenden Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Personen oder nichtöffentlichen Stellen Sicherheitsermittlungen ist für Personen unterbleiben, wenn dies zum Schutz des durchzuführen, Betroffenen oder des Nachrichtendiens 1. die Zugang zu STRENG GEHEIM einge tes erforderlich ist. stuften Verschlusssachen erhalten sollen (2) Die zuständige Stelle erhebt die perso oder ihn sich verschaffen können, nenbezogenen Daten beim Betroffe 2. die Zugang zu einer hohen Anzahl nen oder bei dem in die Sicherheits GEHElM eingestuften Verschlusssachen überprüfung einbezogenen Ehegatten, erhalten sollen oder ihn sich verschaffen Lebenspartner oder Lebensgefährte. können, Reicht diese Erhebung nicht aus oder 3. die bei einem Nachrichtendienst des stehen ihr schutzwürdige Interessen Bundes oder einer Behörde oder sonsti des Betroffenen oder seines Ehegatten, gen öffentlichen Stelle des Bundes tätig Lebenspartners oder Lebensgefährten werden sollen, die nach Feststellung der entgegen, können andere geeignete Per Bundesregierung gemäß SS 34 Aufgaben sonen oder Stellen befragt werden. von vergleichbarer Sicherheitsempfind lichkeit wahrnimmt, SS 12 soweit nicht die zuständige Stelle im Einzel Maßnahmen bei den einzelnen Überprüfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine fungsarten Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 oder SS 9 für (1) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 ausreichend hält. trifft die mitwirkende Behörde folgende Maßnahmen: 1. Sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheitserklärung 457 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ unter Berücksichtigung der Erkennt bei dem Bundesbeauftragten für die nisse der Verfassungsschutzbehörden Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes des Bundes und der Länder, der ehemaligen Deutschen Demokrati 2. Einholung einer unbeschränkten Aus schen Republik an, wenn der Betroffene kunft aus dem Bundeszentralregister, oder die einbezogene Person vor dem 3. Anfragen an das Bundeskriminalamt, 1. Januar 1970 geboren wurde und in die in der Rechtsverordnung nach dem Gebiet der ehemaligen Deutschen SS 58 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes Demokratischen Republik wohnhaft bestimmte Bundespolizeibehörde und war oder Anhaltspunkte für eine Tätig die Nachrichtendienste des Bundes. keit für den Staatssicherheitsdienst der (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 9 ehemaligen Deutschen Demokratischen trifft die mitwirkende Behörde zusätz Republik vorliegen. Ergibt die Anfrage lich zu Absatz 1 folgende Maßnahmen: sicherheitserhebliche Erkenntnisse, 1. Anfragen an die Polizeidienststel übermittelt sie die zuständige Stelle zur len der innegehabten Wohnsitze des Bewertung an die mitwirkende Behörde. Betroffenen, in der Regel beschränkt Die Regelung gilt nicht für die Sicher auf die letzten fünf Jahre, heitsüberprüfung nach SS 9 Absatz 1 2. Prüfung der Identität des Betroffe Nummer 3, es sei denn, die Überprü nen. fung betrifft Angehörige des Geschäfts Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder bereichs des Bundesministeriums der Lebensgefährte des Betroffenen in die Verteidigung. Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 2 (5) Soweit es eine sicherheitserhebliche Abs. 2 einbezogen, trifft die mitwirkende Erkenntnis erfordert und die Befragung Behörde bezüglich der einzubeziehen des Betroffenen oder seines Ehegatten, den Person die in den Absätzen 1 und 2 Lebenspartners oder Lebensgefährten genannten Maßnahmen. nicht ausreicht oder ihr schutzwürdige (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach Interessen entgegenstehen, kann die SS 10 befragt die mitwirkende Behörde mitwirkende Behörde neben den Maß zusätzlich von dem Betroffenen in sei nahmen nach den Absätzen 1 bis 3 wei ner Sicherheitserklärung angegebene tere geeignete Auskunftspersonen oder Referenzpersonen und weitere geeignete andere geeignete Stellen, insbesondere Auskunftspersonen, um zu prüfen, ob Staatsanwaltschaften oder Gerichte, die Angaben des Betroffenen zutref befragen oder Einzelmaßnahmen der fen und ob tatsächliche Anhaltspunkte nächsthöheren Art der Sicherheitsüber vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko prüfung durchführen. schließen lassen. (4) Die zuständige Stelle fragt zur Fest stellung einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Tätigkeit des Betroffenen oder der einbezogenen Person für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik 458 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Dritter Abschnitt diensten der ehemaligen Deutschen Verfahren Demokratischen Republik, die auf einen Anbahnungs und Werbungs SS 13 versuch hindeuten können, Sicherheitserklärung 15. Beziehungen zu verfassungsfeindli (1) In der Sicherheitserklärung sind vom chen Organisationen, Betroffenen anzugeben: 16. anhängige Straf und Disziplinarver 1. Namen, auch frühere, Vornamen, fahren, 2. Geburtsdatum, ort, 17. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthal 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere ten, Reisen, nahen Angehörigen und und doppelte Staatsangehörigkeiten, sonstigen Beziehungen in und zu 4. Familienstand, Staaten, in denen nach Feststellung 5. Wohnsitze und Aufenthalte von län des Bundesministeriums des Innern gerer Dauer als zwei Monate, und als Nationale Sicherheitsbehörde zwar im Inland in den vergangenen besondere Sicherheitsrisiken für die fünf Jahren, im Ausland ab dem mit sicherheitsempfindlicher Tätig 18. Lebensjahr, keit befassten Personen zu besorgen 6. ausgeübter Beruf, sind, 7. Arbeitgeber und dessen Anschrift, 18. zwei Auskunftspersonen zur Iden 8. Anzahl der Kinder, titätsprüfung des Betroffenen nur 9. im Haushalt lebende Personen über bei der Sicherheitsüberprüfung nach 18 Jahre (Namen, auch frühere, Vor SSSS 9 und 10 (Namen, Vornamen, namen, Geburtsdatum und Geburts Anschrift und Verhältnis zur Person), ort und Verhältnis zu dieser Person), 19. drei Referenzpersonen (Namen, Vor 10. Eltern, Stief oder Pflegeeltern namen, Beruf, berufliche und private (Namen, auch frühere, Vornamen, Anschrift und Rufnummern sowie Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsan zeitlicher Beginn der Bekanntschaft) gehörigkeit und Wohnsitz), nur bei einer Sicherheitsüberprü 11. Ausbildungs und Beschäftigungs fung nach SS 10, zeiten, Wehr oder Zivildienstzeiten 20. Angaben zu früheren Sicherheits mit Angabe der Ausbildungsstätten, überprüfungen. Beschäftigungsstellen sowie deren Der Erklärung sind zwei aktuelle Licht Anschriften, bilder mit der Angabe des Jahres der 12. Nummer des Personalausweises Aufnahme beizufügen. oder Reisepasses, (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 13. Angaben über in den vergangenen entfallen die Angaben zu Absatz 1 Nr. 8, fünf Jahren durchgeführte Zwangs 11 und 12 und die Pflicht, Lichtbilder vollstreckungsmaßnahmen, und ob beizubringen; Absatz 1 Nr. 10 entfällt, zur Zeit die finanziellen Verpflich soweit die dort genannten Personen tungen erfüllt werden können, nicht in einem Haushalt mit dem Betrof 14. Kontakte zu ausländischen Nachrich fenen leben. Zur Person des Ehegatten, tendiensten oder zu Nachrichten Lebenspartners oder Lebensgefährten 459 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ sind mit deren Einverständnis die in Strafprozessordnung, Lebenspartner Absatz 1 Nr. 1 bis 4, 14 und 15 genannten oder Lebensgefährte die Gefahr straf Daten anzugeben. Ergeben sich aus der rechtlicher oder disziplinarischer Verfol Sicherheitserklärung oder auf Grund der gung, der Entlassung oder Kündigung Abfrage aus einer der in SS 6 des Bun begründen könnten. Über das Verweige desverfassungsschutzgesetzes genann rungsrecht ist der Betroffene zu beleh ten Verbunddateien sicherheitserhebli ren. che Erkenntnisse über den Ehegatten, (6) Die Sicherheitserklärung ist vom Betrof Lebenspartner oder Lebensgefährte des fenen der zuständigen Stelle zuzuleiten. Betroffenen, sind weitere Überprüfungs Sie prüft die Angaben des Betroffenen maßnahmen nur zulässig, wenn der auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit. Ehegatte, Lebenspartner oder Lebens Zu diesem Zweck können die Personal gefährte mit seiner Zustimmung in die akten eingesehen werden. Die zustän erweiterte Sicherheitsüberprüfung ein dige Stelle leitet die Sicherheitserklärung bezogen wird. an die mitwirkende Behörde weiter und (2a) Für Angehörige des Geschäftsbereichs beauftragt diese, eine Sicherheitsüber des Bundesministeriums der Verteidi prüfung durchzuführen, es sei denn, gung entfallen bei Sicherheitsüberprü die zuständige Stelle hat bereits bei fungen nach SS 9 Absatz 1 Nummer 3 die der Prüfung der Sicherheitserklärung Angaben zu Absatz 1 Satz 1 Nummer festgestellt, dass ein Sicherheitsrisiko 4, 8, 9, 10, 11, 18 und Satz 2, bei Sicher vorliegt, das einer sicherheitsempfind heitsüberprüfungen nach SS 9 Absatz 1 lichen Tätigkeit entgegensteht. Die mit Nummer 3 im Übrigen entfallen zusätz wirkende Behörde kann mit Zustim lich auch die Angaben zu Absatz 1 Satz 1 mung der zuständigen Stelle und des Nummer 13, 14 und 17. Betroffenen in die Personalakte Ein (3) Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder sicht nehmen, wenn dies zur Klärung Lebensgefährte in die Sicherheitsüber oder Beurteilung sicherheitserheblicher prüfung einbezogen, so sind zusätzlich Erkenntnisse unerlässlich ist. die in Absatz 1 Nr. 5 bis 7, 12, 13, 16, 17 und 18 genannten Daten anzugeben. Fußnote (4) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 (+++ SS 13 in der bis zum 10.1.2012 gelten Abs. 3 genannten Personen sind zusätz den Fassung: Zur weiteren Anwendung vgl. lich die Wohnsitze seit der Geburt, die SS 38a +++) Geschwister und abgeschlossene Straf und Disziplinarverfahren sowie alle SS 14 Kontakte zu ausländischen Nachrichten Abschluss der Sicherheitsüberprüfung diensten oder zu Nachrichtendiensten (1) Kommt die mitwirkende Behörde zu der ehemaligen Deutschen Demokrati dem Ergebnis, dass kein Sicherheits schen Republik anzugeben. risiko nach SS 5 Abs. 1 vorliegt, so teilt (5) Der Betroffene kann Angaben verwei sie dies der zuständigen Stelle mit. Fal gern, die für ihn, einen nahen Ange len Erkenntnisse an, die kein Sicher hörigen im Sinne von SS 52 Abs. 1 der heitsrisiko begründen, aber weiterhin 460 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ sicherheitserheblich sind, so werden nächstniederen Art der Sicherheitsüber diese mitgeteilt. prüfung abgeschlossen hat (2) Kommt die mitwirkende Behörde zu und sich daraus keine tatsächlichen Anhalts dem Ergebnis, dass ein Sicherheitsrisiko punkte für ein Sicherheitsrisiko ergeben vorliegt, unterrichtet sie schriftlich unter haben. Darlegung der Gründe und ihrer Bewer tung die zuständige Stelle. Bei nachge SS 16 ordneten Stellen erfolgt die Unterrich Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach tung über deren oberste Bundesbehörde. Abschluss der Sicherheitsüberprüfung (3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein (1) Die zuständige Stelle und die mitwir Sicherheitsrisiko vorliegt, das der sicher kende Behörde haben sich unverzüg heitsempfindlichen Tätigkeit des Betrof lich gegenseitig zu unterrichten, wenn fenen entgegensteht. Die Bewertung der sicherheitserhebliche Erkenntnisse über übermittelten Erkenntnisse erfolgt auf den Betroffenen oder den in die Sicher Grund einer am Zweck der Sicherheits heitsüberprüfung einbezogenen Ehegat überprüfung orientierten Gesamtwürdi ten, Lebenspartner oder Lebensgefährte gung des Einzelfalles, insbesondere im bekanntwerden oder sich mitgeteilte Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit. Erkenntnisse als unrichtig erweisen. Im Zweifel hat das Sicherheitsinteresse (2) Die mitwirkende Behörde prüft die Vorrang vor anderen Belangen. SS 6 Abs. 1 sicherheitserheblichen Erkenntnisse und und 2 ist zu beachten. stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach (4) Lehnt die zuständige Stelle die Betrau SS 5 Abs. 1 vorliegt und unterrichtet die ung mit der sicherheitsempfindlichen zuständige Stelle über das Ergebnis der Tätigkeit ab, teilt sie dies dem Betroffe Prüfung. Im Übrigen ist SS 14 Abs. 3 und 4 nen mit. entsprechend anzuwenden. SS 15 SS 17 Vorläufige Zuweisung einer sicherheitsErgänzung der Sicherheitserklärung und empfindlichen Tätigkeit Wiederholungsüberprüfung Die zuständige Stelle kann in Ausnahme (1) Die Sicherheitserklärung ist dem Betrof fällen abweichend von SS 2 Abs. 1 die sicher fenen, der eine sicherheitsempfindliche heitsempfindliche Tätigkeit des Betroffenen Tätigkeit ausübt, in der Regel alle fünf vor Abschluss der Sicherheitsüberprüfung Jahre erneut zuzuleiten und im Falle ein erlauben, wenn die mitwirkende Behörde getretener Veränderungen vom Betroffe 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprü nen zu ergänzen. fung die Angaben in der Sicherheitser (2) Bei sicherheitsempfindlichen Tätig klärung unter Berücksichtigung der keiten nach SS 10 ist in der Regel im eigenen Erkenntnisse bewertet hat oder Abstand von zehn Jahren eine Wieder 2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprü holungsüberprüfung einzuleiten. Im fung und bei der erweiterten Sicher Übrigen kann die zuständige Stelle eine heitsüberprüfung mit Sicherheits Wiederholungsüberprüfung einleiten, ermittlungen die Maßnahmen der wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse 461 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ dies nahelegen. Das Verfahren bei der 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, Wiederholungsüberprüfung entspricht insbesondere Pfändungs und Über dem der Erstüberprüfung; die mitwir weisungsbeschlüsse, kende Behörde kann von einer erneu 5. Straf und Disziplinarsachen sowie ten Identitätsprüfung absehen. Die Wie dienst und arbeitsrechtliche Maßnah derholungsüberprüfung erfolgt nur mit men. Zustimmung des Betroffenen, soweit (3) Die Sicherheitsakte ist keine Personal gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, akte. Sie ist gesondert zu führen und und mit der Zustimmung seines Ehegat darf weder der personalverwaltenden ten, Lebenspartners oder Lebensgefähr Stelle noch dem Betroffenen zugänglich ten, falls er einbezogen wird. gemacht werden; SS 23 Abs. 6 bleibt unbe rührt. Im Falle des Wechsels der Dienst stelle oder des Dienstherrn ist die Sicher Vierter Abschnitt heitsakte nach dorthin abzugeben, wenn Akten über die Sicherheitsüberprüfung, auch dort eine sicherheitsempfindliche Datenverarbeitung Tätigkeit ausgeübt werden soll. (4) Die mitwirkende Behörde führt über den SS 18 Betroffenen eine Sicherheitsüberprü Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprüfungsakte, in die aufzunehmen sind: fungsakte 1. Informationen, die die Sicherheits (1) Die zuständige Stelle führt über den überprüfung, die durchgeführten Betroffenen eine Sicherheitsakte, in die Maßnahmen und das Ergebnis betref alle die Sicherheitsüberprüfung betref fen, fenden Informationen aufzunehmen 2. das Ausscheiden aus oder die Nicht sind. aufnahme der sicherheitsempfindli (2) Informationen über die persönlichen, chen Tätigkeit, dienstlichen und arbeitsrechtlichen 3. Änderungen des Familienstandes, des Verhältnisse der Personen, die mit einer Namens, eines Wohnsitzes und der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Staatsangehörigkeit. befasst sind, sind zur Sicherheitsakte zu Die in Absatz 2 Nr. 4 und 5 genannten nehmen, soweit sie für die sicherheits Daten sind zur Sicherheitsüberprüfungs mäßige Beurteilung erheblich sind. Dazu akte zu nehmen, wenn sie sicherheitser zählen insbesondere: heblich sind. 1. Zuweisung, Übertragung einer sicher (5) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, heitsempfindlichen Tätigkeit, die dazu die in Absatz 4 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 erteilte Ermächtigung sowie deren genannten Daten unverzüglich der mit Änderungen und Beendigung, wirkenden Behörde zu übermitteln. Die 2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung Übermittlung der in Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 und Ausscheiden, genannten Daten erfolgt nach den in 3. Änderungen des Familienstandes, des SS 22 Abs. 2 Nr. 1 festgelegten Fristen. Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit, 462 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SS 19 und beteiligte Behörden in Dateien spei Aufbewahrung und Vernichtung der Unterchern, verändern und nutzen. lagen (2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfül (1) Die Unterlagen über die Sicherheitsüber lung ihrer Aufgaben prüfung sind gesondert aufzubewahren 1. die in SS 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten und gegen unbefugten Zugriff zu schüt personenbezogenen Daten des Betrof zen. fenen und des in die Sicherheitsüber (2) Die Unterlagen über die Sicherheits prüfung einbezogenen Ehegatten, überprüfung sind bei der zuständigen Lebenspartners oder Lebensgefährten Stelle innerhalb eines Jahres zu vernich und die Aktenfundstelle, ten, wenn der Betroffene keine sicher 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vor heitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, gangs sowie es sei denn, der Betroffene willigt in die 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse weitere Aufbewahrung ein. Im Übrigen und Erkenntnisse, die ein Sicherheits sind die Unterlagen über die Sicherheits risiko begründen, überprüfung bei der zuständigen Stelle in Dateien speichern, verändern und fünf Jahre nach dem Ausscheiden aus nutzen. Die Daten nach Nummer 1 dür der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit fen auch in die nach SS 6 des Bundesver zu vernichten, es sei denn, der Betroffene fassungsschutzgesetzes zulässigen Ver willigt in die weitere Aufbewahrung ein bunddateien gespeichert werden. oder es ist beabsichtigt, dem Betroffenen in absehbarer Zeit erneut eine sicher SS 21 heitsempfindliche Tätigkeit zuzuweisen, Übermittlung und Zweckbindung zu übertragen oder ihn dazu zu ermäch (1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprü tigen. fung gespeicherten personenbezogenen (3) Die Unterlagen über die Sicherheits Daten dürfen von der zuständigen Stelle überprüfung bei der mitwirkenden oder mitwirkenden Behörde nur für Behörde sind nach den in SS 22 Abs. 2 1. die mit der Sicherheitsüberprüfung Nr. 2 genannten Fristen zu vernichten. verfolgten Zwecke, Gleiches gilt bezüglich der Unterlagen zu 2. Zwecke der Verfolgung von Straftaten den in SS 3 Abs. 3 genannten Personen. von erheblicher Bedeutung, 3. Zwecke parlamentarischer Untersu SS 20 chungsausschüsse Speichern, Verändern und Nutzen persogenutzt und übermittelt werden. Die nenbezogener Daten in Dateien Strafverfolgungsbehörden dürfen die (1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung ihnen nach Satz 1 Nr. 2 übermittelten ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die Daten für Zwecke eines Strafverfahrens in SS 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten per nur verwenden, wenn die Strafverfol sonenbezogenen Daten, ihre Aktenfund gung auf andere Weise erheblich weni stelle und die der mitwirkenden Behörde ger erfolgversprechend oder wesentlich sowie die Beschäftigungsstelle, Verfü erschwert wäre. Die zuständige Stelle darf gungen zur Bearbeitung des Vorganges die gespeicherten personenbezogenen 463 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Daten darüber hinaus für Zwecke der SS 22 disziplinarrechtlichen Verfolgung sowie Berichtigen, Löschen und Sperren persodienst oder arbeitsrechtlicher Maßnah nenbezogener Daten men nutzen und übermitteln, wenn dies (1) Die zuständige Stelle und die mitwir zur Gewährleistung des Verschlusssa kende Behörde haben personenbezo chenschutzes erforderlich ist. Die mit gene Daten zu berichtigen, wenn sie wirkende Behörde darf die gespeicher unrichtig sind. Wird festgestellt, dass ten personenbezogenen Daten darüber personenbezogene Daten unrichtig sind hinaus im Rahmen des erforderlichen oder wird ihre Richtigkeit vom Betrof Umfangs nutzen und übermitteln zur fenen bestritten, so ist dies, soweit sich Aufklärung von sicherheitsgefährdenden die personenbezogenen Daten in Akten oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für befinden, dort zu vermerken oder auf eine fremde Macht oder von Bestrebun sonstige Weise festzuhalten. gen, die darauf gerichtet sind, Gewalt (2) In Dateien gespeicherte personenbezo anzuwenden oder Gewaltanwendung gene Daten sind zu löschen vorzubereiten oder zur Aufklärung 1. von der zuständigen Stelle sonstiger Bestrebungen von erheblicher a) innerhalb eines Jahres, wenn der Bedeutung. Betroffene keine sicherheitsemp (2) Die Übermittlung der nach SS 20 in findliche Tätigkeit aufnimmt, es sei Dateien gespeicherten Daten ist nur denn, der Betroffene willigt in die zulässig, soweit sie für die Erfüllung der weitere Speicherung ein, in Absatz 1 genannten Zwecke erforder b) nach Ablauf von fünf Jahren nach lich ist. Die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 1 gespei dem Ausscheiden des Betroffenen cherten Daten dürfen zur Erfüllung aller aus der sicherheitsempfindlichen Zwecke des Verfassungsschutzes genutzt Tätigkeit, es sei denn, der Betroffene und übermittelt werden. willigt in die weitere Speicherung (3) Die mitwirkende Behörde darf perso ein oder es ist beabsichtigt, dem nenbezogene Daten nach den Absätzen Betroffenen in absehbarer Zeit eine 1 und 2 nur an öffentliche Stellen über sicherheitsempfindliche Tätigkeit mitteln. zuzuweisen, zu übertragen oder ihn (4) Die Nutzung oder Übermittlung unter dazu zu ermächtigen, bleibt, soweit gesetzliche Verwendungs 2. von der mitwirkenden Behörde regelungen entgegenstehen. a) bei einfachen Sicherheitsüberprü (5) Der Empfänger darf die übermittelten fungen nach Ablauf von fünf Jahren Daten nur für den Zweck verarbeiten nach dem Ausscheiden des Betrof und nutzen, zu dessen Erfüllung sie ihm fenen aus der sicherheitsempfindli übermittelt werden, und zum Zweck der chen Tätigkeit, Strafverfolgung gemäß Absatz 1 Satz 1 b) bei den übrigen Überprüfungsarten Nr. 2. Eine nichtöffentliche Stelle ist nach Ablauf von zehn Jahren, beim darauf hinzuweisen. Bundesnachrichtendienst nach Ablauf von 25 Jahren nach den in Nummer 1 genannten Fristen, 464 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ c) die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 3 gespei wegen der überwiegenden berechtig cherten Daten, wenn feststeht, dass ten Interessen eines Dritten, geheim der Betroffene keine sicherheits gehalten werden müssen empfindliche Tätigkeit aufnimmt und deswegen das Interesse des Anfra oder aus ihr ausgeschieden ist. genden an der Auskunftserteilung Im Übrigen sind in Dateien gespeicherte zurücktreten muss. personenbezogene Daten zu löschen, (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung wenn ihre Speicherung unzulässig ist. bedarf einer Begründung nicht, soweit (3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund durch die Mitteilung der tatsächlichen zu der Annahme besteht, dass durch sie und rechtlichen Gründe, auf die die schutzwürdige Interessen des Betroffe Entscheidung gestützt wird, der mit der nen beeinträchtigt würden. In diesem Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen gefährdet würde. In diesem Fall sind nur noch mit Einwilligung des Betroffe die Gründe der Auskunftsverweigerung nen verarbeitet und genutzt werden. aktenkundig zu machen. Die anfragende Person ist auf die Rechtsgrundlage für SS 23 das Fehlen der Begründung und darauf Auskunft über gespeicherte personenbezohinzuweisen, dass sie sich an den Bun gene Daten desbeauftragten für den Datenschutz (1) Auf Antrag ist von der zuständigen Stelle wenden kann. oder mitwirkenden Behörde unentgelt (5) Wird dem Anfragenden keine Aus lich Auskunft zu erteilen, welche Daten kunft erteilt, so ist sie auf sein Verlan über die anfragende Person im Rahmen gen dem Bundesbeauftragten für den der Sicherheitsüberprüfung gespeichert Datenschutz zu erteilen, soweit nicht wurden. die jeweils zuständige oberste Bundes (2) Bezieht sich die Auskunftserteilung auf behörde im Einzelfall feststellt, dass die Übermittlung personenbezogener dadurch die Sicherheit des Bundes oder Daten an die mitwirkenden Behörden, ist eines Landes gefährdet würde. Die Mit sie nur mit deren Zustimmung zulässig. teilung des Bundesbeauftragten für den (3) Die Auskunftserteilung unterbleibt, Datenschutz darf keine Rückschlüsse auf soweit den Erkenntnisstand der speichernden 1. die Auskunft die ordnungsgemäße Stelle zulassen, sofern diese nicht einer Erfüllung der in der Zuständigkeit der weitergehenden Auskunft zustimmt. speichernden Stelle liegenden Aufga (6) Die zuständige Stelle gewährt der anfra ben gefährden würde, genden Person Einsicht in die Sicher 2. die Auskunft die öffentliche Sicherheit heitsakte, soweit eine Auskunft für die gefährden oder sonst dem Wohle des Wahrnehmung ihrer rechtlichen Inte Bundes oder eines Landes Nachteile ressen nicht ausreicht und sie hierfür auf bereiten würde oder die Einsichtnahme angewiesen ist. Die 3. die Daten oder die Tatsache ihrer Spei Regelungen der Absätze 2 bis 5 gelten cherung nach einer Rechtsvorschrift entsprechend. oder ihrem Wesen nach, insbesondere (7) Die Auskunft ist unentgeltlich. 465 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Fünfter Abschnitt Rahmen der Sicherheitsüberprüfung Sonderregelungen bei Sicherheitsüberprübekanntwerden, nur für solche Zwecke fungen für nicht-öffentliche Stellen zu gebrauchen, die mit der Sicherheits überprüfung verfolgt werden. SS 24 Anwendungsbereich SS 26 Bei Sicherheitsüberprüfungen von Betroffe Sicherheitserklärung nen, die von der zuständigen Stelle zu einer Abweichend von SS 13 Abs. 6 leitet der Betrof sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach SS 1 fene seine Sicherheitserklärung der nicht Abs. 2 Nr. 1 bis 3 bei einer nichtöffentli öffentlichen Stelle zu, in der er beschäftigt chen Stelle ermächtigt oder von einer nicht ist. Im Falle der Einbeziehung des Ehegatten, öffentlichen Stelle mit einer sicherheitsemp Lebenspartners oder Lebensgefährten nach findlichen Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Nr. 4 oder SS 2 Abs. 2 fügt er dessen Zustimmung bei. Die Abs. 4 betraut werden sollen, gelten folgende nichtöffentliche Stelle prüft die Vollständig Sonderregelungen. keit und Richtigkeit der Angaben und darf, soweit dies erforderlich ist, die Personalun SS 25 terlagen beiziehen. Sie gibt die Sicherheitser Zuständigkeit klärung an die zuständige Stelle weiter und (1) Zuständige Stelle für sicherheitsemp teilt dieser vorhandene sicherheitserhebliche findliche Tätigkeiten nach SS 1 Abs. 2 Erkenntnisse mit. Nr. 1 bis 3 ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie soweit nicht SS 27 im Einvernehmen mit ihm eine andere Abschluss der Sicherheitsüberprüfung, Weioberste Bundesbehörde die Aufgabe als tergabe sicherheitserheblicher Erkenntnisse zuständige Stelle wahrnimmt. Die zuständige Stelle unterrichtet die (2) Zuständige Stelle für sicherheitsemp nichtöffentliche Stelle nur darüber, dass findliche Tätigkeiten nach SS 1 Abs. 4 ist der Betroffene zur sicherheitsempfindlichen dasjenige Bundesministerium, dessen Tätigkeit ermächtigt oder nicht ermächtigt Zuständigkeit für die nichtöffentliche wird. Erkenntnisse, die die Ablehnung der Stelle in einer Rechtsverordnung nach Ermächtigung zur sicherheitsempfindlichen SS 34 festgelegt ist. Das zuständige Bun Tätigkeit betreffen, dürfen nicht mitgeteilt desministerium kann seine Befugnis auf werden. Zur Gewährleistung des Verschluss eine von ihm bestimmte sonstige öffent sachenschutzes können sicherheitserhebliche liche Stelle des Bundes übertragen. Erkenntnisse an die nichtöffentliche Stelle (3) Die Aufgaben der nichtöffentlichen übermittelt werden und dürfen von ihr aus Stelle nach diesem Gesetz sind grund schließlich zu diesem Zweck genutzt werden. sätzlich von einer von der Personal Die nichtöffentliche Stelle hat die zuständige verwaltung getrennten Organisations Stelle unverzüglich zu unterrichten, wenn einheit wahrzunehmen. Die zuständige sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn Betroffenen oder den in die Sicherheitsüber die nichtöffentliche Stelle sich ver prüfung einbezogenen Ehegatten, Lebenspart pflichtet, Informationen, die ihr im ner oder Lebensgefährte bekanntwerden. 466 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SS 28 erforderlichen personenbezogenen Daten Aktualisierung der Sicherheitserklärung des Betroffenen in automatisierten Dateien (1) Die nichtöffentliche Stelle leitet dem speichern, verändern und nutzen. Die für Betroffenen, der eine sicherheitsemp die zuständige Stelle geltenden Vorschriften findliche Tätigkeit ausübt, auf Anforde zur Berichtigung, Löschung und Sperrung rung der zuständigen Stelle die Sicher finden Anwendung. heitserklärung in der Regel alle fünf Jahre erneut zu. (2) Der Betroffene hat die in der Sicherheits Sechster Abschnitt erklärung angegebenen Daten im Falle Reisebeschränkungen, Sicherheitsüberprüeingetretener Veränderungen zu ergän fungen auf Antrag ausländischer Dienstzen. Die zuständige Stelle beauftragt stellen und Schlussvorschriften die mitwirkende Behörde, die Maßnah men nach SS12 Abs. 1 Nr. 2 und 3 erneut SS 32 durchzuführen und zu bewerten. Reisebeschränkungen (1) Personen, die eine sicherheitsempfind SS 29 liche Tätigkeit ausüben, die eine Sicher Übermittlung von Informationen über perheitsüberprüfung nach den SS 9 Absatz sönliche und arbeitsrechtliche Verhältnisse 1 Nummer 1 und 2 und SS 10 erfordert, Die nichtöffentliche Stelle hat der zuständi können verpflichtet werden, Dienst und gen Stelle das Ausscheiden aus sicherheits Privatreisen in und durch Staaten, für empfindlicher Tätigkeit, Änderungen des die besondere Sicherheitsregelungen Familienstandes, des Namens, eines Wohn gelten, der zuständigen Stelle oder der sitzes und der Staatsangehörigkeit unverzüg nichtöffentlichen Stelle rechtzeitig vor lich mitzuteilen. her anzuzeigen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit nach dem Ausscheiden SS 30 aus der sicherheitsempfindlichen Tätig Sicherheitsakte der nicht-öffentlichen keit angeordnet werden. Stelle (2) Die Reise kann von der zuständigen Für die Sicherheitsakte in der nichtöffent Stelle untersagt werden, wenn Anhalts lichen Stelle gelten die Vorschriften dieses punkte zur Person oder eine beson Gesetzes über die Sicherheitsakte entspre ders sicherheitsempfindliche Tätigkeit chend mit der Maßgabe, dass die Sicherheits vorliegen, die eine erhebliche Gefähr akte der nichtöffentlichen Stelle bei einem dung durch fremde Nachrichtendienste Wechsel des Arbeitgebers nicht abgegeben erwarten lassen. wird. (3) Ergeben sich bei einer Reise in und durch Staaten, für die besondere Sicher SS 31 heitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, Datenverarbeitung, -nutzung und -berichdie auf einen Anbahnungs und Wer tigung in automatisierten Dateien bungsversuch fremder Nachrichten Die nichtöffentliche Stelle darf die nach dienste hindeuten können, so ist die diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben 467 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ zuständige Stelle nach Abschluss der sicherheitsempfindlichen Stellen im Sinne Reise unverzüglich zu unterrichten. des SS 1 Abs. 4 sind, welches Bundesministe rium für die nichtöffentliche Stelle zustän SS 33 dig ist und welche Behörden oder sonstigen Sicherheitsüberprüfung auf Antrag auslänöffentlichen Stellen des Bundes Aufgaben im discher Dienststellen Sinne des SS 10 Satz 1 Nr. 3 wahrnehmen. (1) Ersucht eine ausländische Dienststelle die mitwirkenden Behörden um die Mit SS 35 wirkung bei einer Sicherheitsüberprü Allgemeine Verwaltungsvorschriften fung, so richtet sie sich nach den Bestim (1) Die allgemeinen Verwaltungsvor mungen dieses Gesetzes, soweit nicht in schriften zur Ausführung dieses Geset Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher zes erlässt das Bundesministerium des Einrichtungen oder völkerrechtlichen Innern, soweit in den Absätzen 2 bis 4 Verträgen, denen die gesetzgebenden nichts anderes bestimmt ist. Körperschaften gemäß Artikel 59 Abs. 2 (2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschrif des Grundgesetzes zugestimmt haben, ten zur Ausführung dieses Gesetzes im etwas anderes bestimmt ist. Bereich der Sicherheitsüberprüfung in (2) Die Mitwirkung unterbleibt, wenn aus der Wirtschaft erlässt das Bundesminis wärtige Belange der Bundesrepublik terium für Wirtschaft und Technologie Deutschland oder überwiegende schutz im Einvernehmen mit dem Bundes würdige Interessen des Betroffenen ent ministerium des Innern. gegenstehen. Dies gilt auch bei der Über (3) Die allgemeinen Verwaltungsvorschrif mittlung personenbezogener Daten an ten zur Ausführung dieses Gesetzes im die ausländische Dienststelle. Geschäftsbereich des Bundesministeri (3) Die ausländische Dienststelle ist darauf ums der Verteidigung erlässt das Bun hinzuweisen, dass die im Rahmen der desministerium der Verteidigung im Sicherheitsüberprüfung übermittelten Einvernehmen mit dem Bundesministe personenbezogenen Daten nur für Zwe rium des Innern. cke der Sicherheitsüberprüfung verwen (4) Die allgemeinen Verwaltungsvorschrif det werden dürfen und die mitwirkende ten zur Ausführung dieses Gesetzes bei Behörde sich vorbehält, um Auskunft den Nachrichtendiensten des Bundes über die vorgenommene Verwendung erlässt die jeweils zuständige oberste der Daten zu bitten. Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. SS 34 Ermächtigung zur Rechtsverordnung SS 36 Die Bundesregierung wird ermächtigt, Anwendung des Bundesdatenschutzgedurch Rechtsverordnung festzustellen, wel setzes, Bundesverfassungsschutzgesetzes, che Behörden oder sonstigen öffentlichen MAD-Gesetzes und BND-Gesetzes Stellen des Bundes oder nichtöffentlichen (1) Die Vorschriften des Ersten Abschnitts Stellen oder Teile von ihnen lebens oder mit Ausnahme von SS 3 Abs. 2 und 8 verteidigungswichtige Einrichtungen mit Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 468 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 4c sowie SS 13 Abs. 1a und des Fünften schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe Abschnitts sowie die SSSS 18 und 39 des bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. Bundesdatenschutzgesetzes, des Ersten (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. Abschnitts und die SSSS 14 und 23 Nr. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes auch SS 38 in Verbindung mit SS 12 des MADGeset zes und SS 10 des BNDGesetzes sowie die SS 38a SSSS 1 und 8 des MADGesetzes und SS 6 des Übergangsregelung für SicherheitsüberBNDGesetzes finden Anwendung. prüfungen im vorbeugenden personellen (2) Für die Datenschutzkontrolle der von Sabotageschutz öffentlichen und nichtöffentlichen Stel (1) In Verfahren zur Sicherheitsüberprüfung len nach diesem Gesetz gespeicherten im vorbeugenden personellen Sabotage personenbezogenen Daten gelten die schutz, für die vor dem 10. Januar 2012 SSSS 21 und 24 bis 26 des Bundesdaten ein Antrag gestellt oder eine Wieder schutzgesetzes. holungsüberprüfung eingeleitet wurde, sind SS 8 Absatz 1 Nummer 3 sowie die SS 37 SSSS 9 und 13 in ihrer bis dahin geltenden Strafvorschriften Fassung weiter anzuwenden. (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz (2) Im Rahmen der Aktualisierung der geschützte personenbezogene Daten, die Sicherheitserklärung im vorbeugenden nicht offenkundig sind, personellen Sabotageschutz nach SS 17 1. speichert, verändert oder übermittelt, Absatz 1 oder SS 28 ist eine neue Sicher 2. zum Abruf mittels automatisierten heitserklärung auszufüllen, wenn die zu Verfahrens bereithält oder aktualisierende Sicherheitserklärung der 3. abruft oder sich oder einem anderen Rechtslage vor dem 10. Januar 2012 ent aus Dateien verschafft, sprach. wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. SS 39 (2) Ebenso wird bestraft, wer Inkrafttreten 1. die Übermittlung von durch dieses Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkün Gesetz geschützten personenbezoge dung in Kraft. nen Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder 2. entgegen SS 21 Abs. 1 oder SS 27 Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt, indem er sie innerhalb der Stelle an einen anderen weitergibt. (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu 469 REGISTER Register AlManar TV (Der Leuchtturm, Fernsehsender) ..................................................... 32 A alMauritani, Younis ........................................ 234 aal Ibrahim, Shaikh Abu Hashim alNabhani, Taqiaddin ................................ 276 f. Muhammad Bin Abd alRahman .......... 242 f. alNourPartei .................................................... 284 Abd alRahman, Atiyah ........................ 225, 234 alQaida (Die Basis) .................... 220 ff., 233 ff., Abel Rahman, Sheik Mokhtar 244, 247, 250 ff., 264 ff., 270 f. (alias Abu Zubair) .............................................. 250 alQaida auf der Arabischen Abteilung Vereinigungsfront .................. 401 f. Halbinsel (AQAH) .................... 221, 228, 240 ff. Adil Düzen (Gerechte Ordnung) ...... 291, 294 AlQaida im Irak/Islamischer Staat Irak .......................................................................... 237 ADVANCE! (Publikation) .............................. 422 alQaida im islamischen Agentenführung ........................................... 384 f. Maghreb (AQM) ................... 232, 238 ff., 256 ff. Agentenfunk ............................................. 385, 387 alQaida im Jemen ........................................... 240 alAhd - alIntiqad (Die Verpflich alQaradawi, Yusuf ........................................... 285 tung - die Kritik, Publikation) .................... 273 alQudsTag (JerusalemTag) ......... 274 f., 306 AlAqsa e.V. ......................................................... 30 f. alQuds TV ........................................................... 281 alAulaqi, Anwar ............................................ 241 f. alRashta, Ata Abu (alias Abu Yasin) ......... 276 alBaghdadi alHusaini alQurashi, Abu Bakr ............................................................... 237 alShabab ................................................. 232, 250 f. alBanna, Hasan ...................................... 283, 289 alShafi'i, Abu Abdallah .................................. 243 AlFajr (Medienzentrum) .............................. 256 alShahid Association (MärtyrerStiftung) .......................................... 275 alGama'a alIslamiya (GI) ............................ 283 alSomood ............................................... 261, 265 f. Al Jazeera TV ....................................................... 285 Altermedia Deutschland alJihad alIslami (JI) ....................................... 283 (Internetportal) ... 88, 103 f., 120, 125, 134, 136 alKhalaila, Ahmad Fadil Nazal Altsoy, Isa .............................................................. 305 (alias alZarqawi, Abu Mus'ab) .................... 237 alWaie alKhilafa (Das Kalifat, Publikation) ........ 276 (Das Bewusstsein, Publikation) .................. 276 470 REGISTER alWuhaishi, Nasir Abdalkarim Abdallah Antirassismus ..................................................... 164 (alias Abu Basir) .................................................. 240 Antirepression ................................. 140, 204, 207 alZarqawi, Abu Mus'ab (alias alKhalaila, Ahmad Fazil Nazal) .......................................... 237 Antisemitismus ......... 23, 68, 81 f., 111, 118 ff. alZawahiri, Aiman ... 225, 233 ff., 258 f., 264 f. Antistaatlicher Kampf .................................... 205 Anadolu Genclik Dernegi (AGD - Apfel, Holger .......... 56, 59, 62, 75, 84, 87, 90 ff. Verein der Anatolischen Jugend) ........... 294 f. Arabischer Frühling ........................................ 398 Anarchisten ...................................... 144, 165, 179 Arbeiterkommunistische Partei Anarchist Black Cross Berlin ....................... 205 Iran (API) ............................................... 318, 364 ff. Anatolische Föderation ................................. 348 Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist (APIHekmatist) ..................... 364 f. Andrejewski, Michael ....................................... 93 Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Ansar alIslam (AAI - Gruppe der Karkeren Kurdistan - PKK) alias KADEK, Anhänger des Islam) ........................ 242 ff., 256 alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK .................. 28, 172 f., 190, 305, 316 f., 320 ff., 361 Ansar alSunnaGruppe ................................ 243 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si beim Antifaschismus ....... 141, 145, 163 f., 183, 186, Parteivorstand der Partei DIE LINKE. .... 176 194, 203 f., 213 f. Arghandiwal, Abdul Hadi ............................. 249 Antifa AK Köln ................................................... 214 Armee der Reinen AntiAKWBewegung .................................... 163 (LashkareTaiba - LeT) .................................. 271 Antifaschistische Linke Berlin (ALB) ....... 187 Armee des Islam (Jund alIslam) ............... 242 Antifaschistische Revolutionäre Aktion ArndtVerlag ............................................. 115, 117 Berlin (ARAB) ........................................... 187, 328 Atilim (Vorstoß, Publikation) ............ 355, 358 Antifaschistisches Info Blatt (Publikation) ....................................................... 214 Ausbildungslager ....................... 221, 229 f., 244 AntiIslamisierungskongress ...................... 137 Autonome .......... 70, 140 f., 143 ff., 149 f., 159, 205, 210, 214, 216 Antikapitalistische Linke (AKL) .... 170, 177 f. autonome antifa [f] ................................ 146, 214 Antimilitarismus ............. 141, 163 f., 186, 195, 203 f., 210 Autonome Gruppe Christos Tsoutsouvis ....................................... 205 AntiMinarettkongress .................................. 137 471 REGISTER Autonome Gruppe Selbstbestimmte Böhnhardt, Uwe ............................................. 60 ff. Abrüstung ............................................................ 212 Boko Haram autonome Gruppen ......................................... 212 (Westliche Bildung ist Sünde) ........... 232, 488 Autonome Nationalisten ................................ 70 Bräuniger, Eckart ................................................ 76 Autonomes Zentrum Köln (AZ) ................. 159 Breivik, Anders Behring ........... 76, 129 f., 358 AVANTI - Projekt Bremer Hilfswerk e.V. ....................................... 31 undogmatische Linke ...................... 160, 164 ff. Brigate Rosse (Rote Brigaden) ..................... 155 Aydin, Necmettin .............................................. 294 Buchholz, Christine ......................................... 192 B Budak, Yakup ...................................................... 296 Babbar Khalsa Germany (BKG) .............. 372 f. Bund Sozialistischer Frauen (SKB) ........... 357 Babbar Khalsa International (BKI) ....... 372 f. Bunker 16 (Musikgruppe) ............................. 109 Badi, Muhammad ............................................. 283 Büro für Allgemeine Aufklärung .............. 402 Bahceli, Devlet ............................................... 362 f. Büro 610 ...................................................... 391, 394 Basisgruppe Antifaschismus ....................... 214 C Bauernhilfe e.V. .................................................... 31 Cagol, Mara .......................................................... 155 Beam, Louis ........................................................... 64 castor2011 (Homepage) ................................. 208 Beer, Wolfgang ................................................... 155 CastorTransport ... 162 f., 180, 200, 207 f., 217 Beier, Klaus ............................................................ 94 Castor schottern (Aktionsbündnis) .......... 161 Bewaffnete Islamische Gruppe (Groupe Islamique Arme - GIA) ............ 239, 475, 489 f. Castor? Schottern! (Kampagne) ....... 163, 217 Bewegung 2. Juni ........................... 155, 169, 203 Castor schottern (Publikation) ......... 161, 180 Bin Ladin, Usama ... 220, 225, 231, 233 ff., 257 Castro, Fidel ......................................................... 173 Black July .............................................................. 370 Blood & Honour (B&H) ...................... 29, 64, 67 Blutzeugen (Musikgruppe) ....................... 124 f. 472 REGISTER Captain Gips (siehe Johnny Mauser) ........ 198 Darduqal, Abdalmalik (alias Abu Mus'ab Abdalwadud) ............................. 238 Cayan, Mahir ....................................................... 346 Das Grollen des Eyjafjallajökull Celebrity Centres .............................................. 422 (Gruppenbezeichnung) .................................. 156 Celine, LouisFerdinand .................................. 82 Das HeklaEmpfangskommitee - Initiative für mehr gesellschaftliche CeskaMordserie ................................................. 60 Eruptionen ................................................. 157, 212 Cetin, Cemal ........................................................ 362 Dazwischengehen - Zeitung für eine inter CharterKomitees ............................................. 425 ventionistische Linke (Publikation) ......... 161 Chouka, Monir ...................... 245, 259, 263, 268 Demir, Evrim ...................................................... 338 Chouka, Yassin ...................... 245, 259, 264, 268 Demokratischer Konföderalismus Kurdistans ............................................................ 324 Church of Scientology International (CSI) ............................................ 422 Der Aktivist (Publikation) ............................... 96 Ciftci, Hakki ......................................................... 300 Der Schlesier. Breslauer Nachrichten. Unabhängige gesamtdeutsche Wochen Ciftci, Muhamed Seyfudin ........................... 254 zeitung (Publikation) ................... 115, 117, 132 Citizens Commission on Human Deutsche Alternative (DA) .............................. 28 Rights (CCHR) ........................................... 426, 430 Deutsche Kommunistische Collegium Humanum (CH) ............................ 31 Partei (DKP) ....................... 142, 169, 177, 182 ff. Committee for a Worker's Deutsche Stimme (Publikation) ........ 75 ff., 89, International (CWI) ......................................... 193 100, 108, 122, 133 Conspiracy of Cells of Fire ........................... 205 Deutsche Stimme - DSAktuell (Homepage) ......................... 76, 95 f. Cyberguerilla ............................................ 199, 202 Deutsche Stimme CyberSicherheitsstrategie ........................... 411 Verlagsgesellschaft mbH ..................... 108, 110 Cyberwar .............................................................. 409 Deutsche Taliban Mujahideen .......... 230, 247 D Deutsche Volksunion (DVU) - Die Neue Rechte .................. 55 ff., 86, 90, 101 f. Dar alUlum Deoband (Haus der Wissens in Deoband) ...................................... 307 Deutschland in Geschichte und Gegenwart (DGG, Publikation) ................... 116 473 REGISTER Deutschsprachiger Muslimkreis Dogruyol, Sentürk ........................................ 362 f. Braunschweig e.V. (siehe auch Islamische Zentren) ......................................... 286 Dornbach, Pierre ................................................. 78 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke, drunternicht (Internetplattform) ............ 179 Organisation) ................................. 29, 345 f., 349 Düsseldorfer Zelle ............................................ 227 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke, Publikation) ......................................................... 345 E DHKPC - Revolutionäre Volksbe Einladung zum Paradies e.V. (EZP) ....... 253 f. freiungsparteiFront ................. 29, 197, 345 ff. elSergany, Ragheb ........................................... 286 Dianetik ........................................................... 422 ff. elZayat, Ibrahim .............................................. 291 DIE LINKE. .................................. 170, 179 ff., 193 Elektronische Angriffe ... 377, 395, 407 ff., 412 DIE LINKE.Sozialistisch Demokratischer Studierendenverband Elektronischer Jihad ........................................ 259 (DIE LINKE.SDS) ................................ 170, 179 ff. Elif Medya (Medienstelle) ............................. 247 Die Lunikoff Verschwörung (Musikgruppe) ................................................ 108 f. Engel, Stefan ........................................ 142, 187 ff. Die Reichsbewegung - Neue Gemeinschaft Entrismus ................................................... 142, 192 von Philosophen ............................................... 130 Erbakan, Necmettin ............. 222, 291 ff., 302 f. DIE ROTE HILFE (Publikation) .................. 195 Ergün, Kemal .......................... 222, 290 f., 300 ff. Die Unsterblichen .................................... 58 f., 71 Ermittlungsausschuss (EA) Berlin ............ 197 Die Wahre Religion Ernst, Klaus ................................................ 167, 170 (DWR, Internetplattform) ............................. 254 EuroKurier. Aktuelle Buch und Verlags Direkte Aktion (DA, Publikation) .............. 166 nachrichten (Publikation) ............................ 116 directactionde.ucrony Europäische Aktion (EA) .......................... 134 f., (Nachrichtenblog) .......................... 201, 207, 209 Europäische Moscheebau und Unter DISPUT (Publikation) .................. 167, 173, 176 stützungsgemeinschaft e.V. (EMUG) ........ 291 DKPInformationen (Publikation) ........... 182 European Council for Fatwa and Research Doghman, Adel (alias Adel Abdallah) ...... 281 (ECFR - Europäischer Rat für Fatwa und wissenschaftliche Studien) ..................... 285 ff. Dogru Haber (Publikation) ........................... 304 474 REGISTER Evrim DemirRachebrigade ........................ 338 Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE) .................................. 285 f., 288 Expliciet (Publikation) .................................... 276 Föderation Kurdischer Vereine in Extrem Wichtig: Linke Politik. Deutschland e.V. (YEKKOM) ........... 172, 178, (Publikation) ....................................................... 165 316, 320, 327 ff., 331, 335 Eygi, Mehmet Sevket ................................... 299 f. Forum of European Muslim Youth and Student Organisations (FEMYSO) ............. 288 F Freedom and Justice Party (FJP - Partei Fatih, Abdullah ................................................... 246 für Freiheit und Gerechtigkeit) .............. 283 f. Faust, Matthias ................................. 75, 95, 101 f. Freewinds (Publikation) ................................ 422 Fethullah GülenBewegung ........................ 338 Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union (FAU) ................................................... 165 ff. Feuer & Flamme (Musikgruppe) ............ 110 f. Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Firat News Agency (ANF) .................... 330, 333 Union - Internationale Arbeiter Assoziation (FAUIAA) ............................... 166 f. Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (ATIF) ............................ 354 Freie Deutsche Jugend (FDJ) ........................ 202 Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus Freie Kräfte ..................................................... 88, 96 der Türkei in Deutschland e.V. (AGIF) ..... 357 Freie Nationalisten ............................... 86, 88, 90 Föderation der demokratischen Aleviten (FEDA) ................................................. 327 Freies Netz Süd (FNS) ........................................ 89 Föderation der patriotischen Arbeiter FREIHEIT (Publikation) ................................. 422 und Kulturvereinigungen aus Kurdistan Freiheitliche Deutsche in der Bundesrepublik Deutschland e.V. Arbeiterpartei (FAP) ........................................... 29 (FEYKAKurdistan) ............................................. 28 Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) .... 137 Föderation der TürkischDemokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) .............. 325 (ADÜTDF) ......................................................... 362 f. Freiheitskräfte Kurdistans (HRK) .......... 330 f. Föderation der yezidischen Vereine e.V. (FKE) ........................................................................ 327 Freiheits und Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) .................................... 321 f. Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e.V. (ADHF) ......................... 354 Freiräume ...................................... 145 f., 151, 222 475 REGISTER FSB (russischer Germanias Geist (Liedermacher) ............... 112 Inlandsnachrichtendienst) ............. 379 f., 386 Geschichtsrevisionismus ........................ 130 ff. Fünf Gifte .............................................. 391, 393 ff. Gesellschaft für freie Publizistik e.V. Fylgien (Liedermacher) .................................. 112 (GfP) ..................................................................... 117 f. Gleiss, Thies ......................................................... 195 G Globale Islamische Medienfront G8Xtra (Publikation) ....................................... 161 (GIMF) .................................................................... 228 Galileo (Publikation) ....................................... 187 Gohlke, Nicole .................................................... 192 Gansel, Jürgen ................................................. 80 ff. GrabertVerlag ......................................... 115, 118 GegenStandpunkt ........................................ 190 f. Grabert, Wigbert ............................................... 115 GegenStandpunkt (Publikation) ............... 190 Graf, Josef ...................................................... 85, 124 GegenStandpunkt Graue Wölfe ...................................... 318, 344, 358 Verlagsgesellschaft mbH ............................... 191 Groupe Islamique Arme (GIA - Bewaffnete Geheimschutzverfahren ............................... 419 Islamische Gruppe) ................... 239, 475, 489 f. Gemeinschaft der Kommunen in Groupe Salafiste pour la Predication et le Kurdistan (KKK) siehe Arbeiterpartei Combat (GSPC - Salafistische Gruppe für Kurdistans (PKK) ................................. 321 f., 326 Predigt und Kampf) ......................................... 239 Gemeinschaft der Verkündigung und GRU (russischer militärischer Auslands Mission (TJ) .................................................... 307 ff. nachrichtendienst) ........................ 378, 383, 386 Gemeinschaft für Gerechtigkeit Gruppe Arbeitermacht (GAM) .................... 195 und Wohltätigkeit (Jama'at alAdI walIhsan - JAI) ............................................. 289 f. Gruppe der Anhänger des Islam (Ansar alIslamGruppe - AAI) .... 242 ff., 256 Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SoD) ............................................................... 170 Gruppe Gegenstrom ........................................ 214 Gerechte Ordnung (Adil Düzen) .... 291 f., 294 Gruppe Hass auf Bullen (GHaB) ................. 207 Gerechtigkeits und Entwicklungspartei (AKP) .......................................... 295, 325, 347, 356 H Gerilla TV (Internetportal) ................. 317, 333 HajAhmadi, Rahman ........................... 330, 332 476 REGISTER Halk Icin Devrimci Demokrasi HipHop ...................................................... 107, 361 (Revolutionäre Demokratie für das Volk, Publikation) ............................................. 351 Historische Kommission beim Partei vorstand der Partei DIE LINKE. ................. 170 HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) ............................................. 30, 223, 280 ff., 292, 303 Hizb Allah (Partei Gottes) ... 223 f., 273 ff., 304 Hammerskins ....................................................... 67 Hizb utTahrir (HuT - Partei der Befreiung) ........... 30, 276 ff. Haniya, Isma'il ................................................... 279 HohenrainVerlag ............................................ 115 Hariri, Rafik ......................................................... 274 HomegrownNetzwerke ..................... 222, 229 Hariri, Saad .......................................................... 274 HomegrownStrukturen ..................... 222, 229 Harms, Olaf .......................................................... 184 Hubbard, L. Ron ........................................... 422 ff. Harrach, Bekkay ................................................ 267 Hatipoglu, Yasin ................................................ 296 I Haus des Wissens in Deoband Idarat AlAmn AlSiyasi (Syrischer (Dar alUlum Deoband) ................................. 307 politischer Sicherheitsdienst) ..................... 398 HaverbeckWetzel, Ursula .............................. 85 Idarat AlMukhabarat AlAmma (Syrischer ziviler Nachrichtendienst) ...... 398 Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Identitätskampagne ........................................ 327 Heimat e.V. (HDJ) ................................................ 32 IGMG Perspektif (Publikation) ......... 290, 297 Hekmatyar, Gulbuddin .............................. 248 f. Illegale ................................................................ 385 f. Hennig, Rigolf .......................... 83, 123, 127, 135 Illegalenprogramm .......................................... 385 Hettmann, Ingo (Liedermacher) ................ 121 Ilyas, Maulawi Mohammad ..................... 307 f. Hezbe Islamiye Afghanistan (HIA - Islamische Partei Afghanistans) Imam Ali Moschee ........................................... 306 .................................................................................. 248 f. IMPACT (Publikation) ..................... 422, 426 ff. Hilafet (Das Kalifat, Publikation) ............... 276 independent media center (imc) ............... 200 Hilal, Qutbuddin ............................................... 248 Individueller Jihad ........................................... 258 Hilfsorganisation für nationale indymedia (Internetportal) .......... 151, 154 ff., politische Gefangene und deren 200 f., 205 f. Angehörige e.V. (HNG) ..................... 33, 69, 73 f. 477 REGISTER Indymedia Deutschland ...................... 200, 213 Internetplattformen ................................. 63, 361 INSPIRE (OnlineMagazin) ............ 221, 241 f., Internetportale ........................................ 199, 365 258 f., 261, 263 Internetradios (rechtsextremistische) .... 105 INTERIM (Publikation) .......... 147, 149, 162 f., 207 f., 210 Interventionistische Linke (IL) .... 160 ff., 211 International Association of Initiative Libertad! ........................................... 211 Scientologists (IAS) .................................... 426 ff. Intifada .................................................................. 280 International Coordination of Inzar (Publikation) ........................................... 304 Revolutionary Parties and Organizations (ICOR) ...................................... 189 Islamfeindlichkeit .......................... 58, 81, 126 f. INTERNATIONAL SCIENTOLOGY Islamic Society ................................................... 303 NEWS (Publikation) .............................. 422, 428 Islamic Hacker Union ..................................... 260 International Sikh Youth Federation (ISYF) .......................................... 372 f. Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) ............... 228, 244 ff., 258 f., 262 ff., 267 f. International Socialist Tendency (IST) .... 192 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) ... 327 Internationale Arbeiter Assoziation (IAA) .............................................. 166 islamische Gemeinde (Umma) ..................................... 235, 268, 276, 305 Internationale Humanitäre Hilfs organisation e.V. (IHH) ........................ 32, 303 f. Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) ....................................... 223, 285 ff., 291 Internationale Kampagne zur Vertei digung der Frauenrechte im Iran ............. 366 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) .................... 222, 224, 290 f., 295 ff., 338 internationale sozialistische Linke (isL) 195 Islamische JihadUnion (IJU) .................. 246 f. Internationales Bulletin der MLKP (Publikation) ....................................................... 355 Islamische Partei Afghanistans (HIA) ... 248 f. Internationale Komitee gegen islamische Rechtsordnung (Scharia) ...... 236, Steinigung ............................................................ 366 248, 252, 276 f., 283 f., 289, 300, 304, 311 Internationales Kurdisches Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Kulturfestival ...................................................... 328 ............................................. 30, 223, 279 ff., 292, 303 Internationalismus ................................ 164, 190 Islamischer Staat Irak/ AlQaida im Irak ............................................... 237 Internationalistischer Block ........................ 211 478 REGISTER Islamistischer Terrorismus 30 ff., 219 f., 225 Jürgensen, Bettina .................................. 182, 186 Islamische Zentren ...................................... 285 f. Jugend für Menschenrechte ........................ 429 Islamisches Informationszentrum (IIZ) 254 Jund alIslam (Armee des Islam) ............... 242 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. Jundullah (Medienstelle) ............................... 245 (IZH) .................................................................... 306 f. Junge Nationaldemokraten (JN) .......... 58, 75, Islamisches Zentrum München (IZM) 285 f. 78 f., 96 ff. Islamseminare .................................................... 253 junge Welt (jW, Tageszeitung) ........ 169, 202 f. Izzaddin alQassamBrigaden .................... 280 Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) ...................................... 214 J Jungvolk (Musikgruppe) ................................ 111 Jama'at alAdI walIhsan (JAI - Gemeinschaft für Gerechtigkeit K und Wohltätigkeit) ....................................... 289 f. Kabaktepe, Osman ........................................... 296 Javadi, Ali .............................................................. 364 Kalifat ................. 244, 250, 276 f., 279, 283, 289 Jemaah Islamiyah (JI) ...................................... 231 Kalifatsstaat ........................................................... 30 Jihad .................. 220, 222, 227 f., 230 ff., 241 ff., 254 ff., 263 ff., 283 Kamagata Maru Dal International (KMDI) ............................................................... 372 f. Jihadisten/jihadistisch ............. 220 ff., 233 ff., 251 ff., 279, 308 f. Kamalak, Mustafa ...................... 222, 292 f., 295 JihadGebiete ................................... 222, 230, 263 Kameradschaft Aachener Land (KAL) ....... 63 jihadistische Gruppierungen, regionale 242 Kameradschaften ........................................ 61, 67 jihadistische Internetforen ... 235 ff., 243, 260 Karahan, Yavuz Celik ...... 222, 290 f., 295, 300 jihadistische Netzwerke ....................... 224, 228 Karatas, Dursun ................................................. 345 jihadistische Propaganda ....... 226, 256, 258 f. Karayilan, Murat ............................................... 324 Jihaz AlMukhabaratLi'lQuwwat Kartal, Remzi ....................................................... 324 AlJawwiyya (Syrischer Nachrichten Kaukasisches Emirat ................................. 310 ff. dienst der Luftwaffe) ....................................... 398 Kaypakkaya, Ibrahim ...................................... 353 Johnny Mauser & Captain Gips .................. 198 479 REGISTER Kazan, Sevket .................................................. 296 f. Kommunistische Jugendorganisation (KGÖ) ...................................................................... 357 Kelhaamed (Publikation) .............................. 304 Kommunistische Partei Chinas Kendi Dilinden Hizbullah (KPCh) .......................................................... 389, 391 (Publikation) ................................................... 304 f. Kommunistische Partei Irans ..................... 364 KernalQaida .............. 221, 233 f., 237, 256 ff. Kommunistische Partei Khan, Samir ......................................................... 241 Deutschlands (KPD) ......................................... 169 Khalistan Zindabad Force (KZF) ............ 373 f. Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. (KPF) .......................................... 173 f. Khomeini, Ayatollah ............................. 274, 396 Konferenz der Palästinenser in Europa Kinaci, Zeynep (alias Zilan) .......................... 335 (Palestinians in Europe Conference) ... 281 f. Klandestine Gewalt .......................................... 208 Konföderation der Arbeiter aus Klandestin vorbereitete Anschläge .......... 154 der Türkei in Europa (ATIK) ......................... 354 Knape, Andy .......................................................... 96 Konföderation der unterdrückten Immigranten in Europa (AvEGKON) .... 357 Koc, Yüksel ....................................................... 328 f. Konföderation für demokratische Köklü Degisim (Grundlegender Wandel, Rechte in Europa (ADHK) ............................. 354 Publikation) ......................................................... 276 Konfrontative Gewalt ................................. 151 f. Kömürcü, Ekrem ............................................... 301 KONGRA GEL (Volkskongress Köster, Stefan ........................................................ 93 Kurdistans) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ..... 321 f., 324, 326, 330, 334 Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen, Jugendorganisation Kongress für eine demokratische der PKK) .............................. 317, 327, 336, 338 ff. Gesellschaft ......................................................... 324 Kommission für Verstöße der Kongress für autonome Politik .................. 159 Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) ......................................................... 426, 430 Kontaktpersonen ................. 382, 384, 393, 403 Kommunalpolitische Vereinigung Konvertiten ..... 222, 229 f., 232, 247, 252, 308 der NPD (KPV) .................................. 75, 96, 100 f. Koordination der kurdischdemo KommunismusDebatte ................. 169 f., 174, kratischen Gesellschaft in Europa (CDK) 177 f., 180 f. siehe Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) ............................. 326 f., 334 Kommunistische Gruppe ............................. 214 480 REGISTER Krieg beginnt hier. Liebigstr. 14, Berlin .......................................... 153 War starts here. ..................................... 141, 211 f. Linke Presse Verlags Förderungs Krien, Hartmut .................................................. 100 und Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G. ....................................... 169, 202 f. Kurdas, Mustafa ............................................. 297 f. Linksjugend ['solid] ................. 170, 177, 179 ff. Kurdische Frauenbewegung in Europa (AKKH) ................................................................... 327 Linksextremismus und Musik ................ 198 f. Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V. Linksruck (LR) .................................................... 192 (CENI) ..................................................................... 335 linksunten.indymedia Kurdistan Informationsbüro (KIB) ............. 29 (Internetportal) ............ 151, 154 ff., 201, 205 f. KurdistanKomitee e.V. .................................... 28 Lötzsch, Gesine ........ 167, 169 f., 174, 177, 180 Kurdischer Nationalkongress (KNK) ....... 332 M KurdistanSolidaritätsarbeit ......... 172 f., 178 Märtyrer ...... 245, 275, 305, 328, 346, 352, 359, 363, 373 L MärtyrerStiftung Langer Marsch ................................................... 348 (alShahid Association) .................................. 275 LashkareTaiba Mahler, Horst ...................................................... 134 (LeT - Armee der Reinen) .............................. 271 Manifest der Kommunistischen Partei ... 169 Leaderless resistance ...................................... 64 f. Maoistische Kommunistische Legalresidenturen .............. 376, 383, 388, 392, Partei (MKP) .................................................. 351 ff. 401, 403 Marinovic, Walter ............................................. 118 Lernen und Kämpfen (LuK, Publikation) ............................................. 187 marx21 (trotzkistisches Netzwerk) ............................. 142, 168, 175, 192 f. Lesen & Schenken GmbH ............................. 117 marx21 (Publikation) ...................................... 193 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ...................................................... 318, 367 ff. marx21campus ................................................ 193 Libertad!, Initiative .......................................... 211 MarxEngelsStiftung e.V. (MES) ............... 184 Libertäres Zentrum .......................................... 166 MarxistischLeninistischer Jugendbund der Türkei (TMLGB) ......................................... 352 Libysches Volksbüro ........................................ 400 481 REGISTER MarxistischLeninistische Kommu Ministerium für Staatssicherheit nistische Partei (MLKP) ................... 189, 355 ff. (MfSS, nordkoreanischer ziviler Nachrichtendienst) .......................................... 402 Marxistische Blätter (Publikation) ............ 182 Ministry of Information and Security Marxistisches Forum (MF) ............................ 175 (MOIS, iranischer ziviler In und Auslandsnachrichtendienst) ................... 396 f. Marxistisches Forum (Publikation) .......... 167 Ministry of Public Security (MPS, Marxistische Gruppe (MG) ....................... 190 f. chinesisches Polizeiministerium) ............. 391 MarxistischLeninistische Partei Ministry of State Security (MSS, chinesischer Deutschlands (MLPD) ............ 142, 187 ff., 328 ziviler Nachrichtendienst) ............... 390, 394 f. Mash'al, Khalid ................................................... 279 MIR Multimedia GmbH ................................ 334 Massenmilitanz .............................. 151, 154, 163 Mission der Afrikanischen Union in Mazlum Dogan Jugend, Kultur und Somalia (AMISOM) .......................................... 250 Sportfestival ........................................................ 335 Mitteilungen der Kommunistischen Meenen, Uwe ........................................................ 79 Plattform der Partei DIE LINKE. (Publikation) ............................................. 167, 173 megafon - Sozialistische Jugendzeitung (Publikation) .......................................................... 194 Mobilisierungszeitung gegen 60 Jahre NATO, Krieg und Krise ................................... 161 Merchant of Death (M.O.D.) ......................... 113 Mollaoglu, Mustafa .......................................... 297 Mesopotamia Broadcast A/S ................ 32, 333 Mouvement National Republicain Mezopotamien Verlag und (MNR) ..................................................................... 137 Vertrieb GmbH .................................................. 334 Müller, Tino ........................................................... 93 Michaelis, Axel ..................................................... 85 Mujahidin ............. 231, 235, 241, 243, 249, 259 Military Intelligence Department (MID, chinesischer militärischer Multikulturhaus (MKH) ................................. 254 Nachrichtendienst) .......................................... 390 Mundlos, Uwe ............................................ 60 f., 63 MillA(r) Gazete (Publikation) .............. 290, 292 ff. Munier, Dietmar ................................................ 117 Milli Görüs (Nationale Sicht) ........ 222, 290 ff. MUPINFO (Nachrichtenportal) ................... 78 Milli GörüsBewegung ................................... 293 Muslimbruderschaft (MB) ............................. 223, 224, 280, 283 ff., 292 482 REGISTER Muslimische Jugend in Neonazis .... 54 ff., 58, 68 ff., 107 ff., 213 f., 216 Deutschland e.V. (MJD) ................................... 288 Neonazistische Strukturen ....................... 68 ff. N Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen ..................................................... 205 f. Nahrath, Wolfram .............................................. 77 Neubauer, Harald .............................................. 115 Nasrallah, Hasan ........................................... 273 f. Neuer Weg (Verlag) .......................................... 188 Nation & Europa. Deutsche Monatshefte (Publikation) ........................... 115 Neues Deutschland (Tageszeitung) .......... 181 Nationaldemokratische Partei Nizam alIslam (Publikation) ...................... 276 Deutschlands (NPD) ............... 54 ff., 62, 67, 73, 75 ff., 107 ff., 116, 122 f., 127 f., 132, 135 f., 216 nonameMilitanz ............................................ 154 Nationale Befreiungsfront Kurdistans NonProfessionals ............................................ 393 (ERNK) alias Koordination der no pasaran (Bündnis) ...................................... 163 kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) .......................................... 28, 326 Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) ........................................ 223, 271 f., 310 ff. Nationale Offensive (NO) ................................ 28 Nationale Sicht (Milli Görüs) ........ 222, 290 ff. O Nationaler Antikriegstag ........................ 59, 215 Odil, Usmon ........................................................ 244 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 397 Öcalan, Abdulllah ...... 190, 316, 320 ff., 328 f., 332, 334 ff. Nationalistische Front (NF) ............................ 28 Öztek, Latif ........................................................... 293 National Journal ...................................... 121, 125 Open Posting ...................................................... 200 National Socialist Black Metal (NSBM) .................................................. 60, 108, 113 Organisierte Autonomie (OA), Nürnberg .......................................................... 149 f. National Socialist Hardcore bzw. National Socialist Hatecore (NSHC) ..................... 60, 107 Orientbrücke Marburg e. V. (siehe auch Islamische Zentren) ......................................... 286 Nationalsozialismus ....... 68 ff., 72, 82 ff., 111, 115, 117, 131 Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) ................................................................... 351 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ........................... 55, 60 ff., 95 Ostendorf, Henrik .............................................. 81 483 REGISTER OutingAktionen ................................ 65, 72, 215 Piebrock, Heinrich ........................................... 132 Özgür Gelecek Pierce, William ..................................................... 64 (Freie Zukunft, Publikation) ........................ 351 PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) .... 28, 172 f., 190, 305, 316 f., 320 ff., 361 P Plambeck, Juliane ............................................. 155 Palästinensische Vereinigung in Österreich ....................................................... 281 Plataforma per Catalunya ............................ 137 Palestinians in Europe Conferences politicalprisoners (Homepage) ................. 207 (Konferenz der Palästinenser in Europa) ............................................................. 281 POSITION - Magazin der SDAJ (Publikation) ....................................................... 185 Palestinian Return Centre (PRC) ......... 280 ff. Prabhakaran, Velupillai .................................. 367 Partei der Befreiung (Hizb utTahrir - HuT) ....................... 30, 276 ff. Priebke, Erich ...................................................... 109 Partei der Glückseligkeit prisma prima radikales info (Saadet Partisi - SP) ........ 222, 292 ff., 302, 426 sammelsurium militanter aktionen (Publikation) ....................................................... 148 Partei der nationalistischen Bewegung (MHP) ............................. 359 f., 362 f. Proliferation ....................... 19, 25, 377 f., 404 ff. Partei für ein freies Leben in Publikation zum 1. Mai .................................. 161 Kurdistan (PJAK) ................................ 325, 330 ff. Q Partei für Freiheit und Gerechtigkeit (Freedom and Justice Party - FJP) ......... 283 f. Qutb, Sayyid .............................................. 283, 289 Partei für Frieden und Demokratie (BDP) ....................................................................... 324 R Partinin Sesi (Stimme der Partei, Radikalisierungsprozesse ....... 229, 258, 308 f. Publikation) ......................................................... 355 Radio Irminsul ................................................... 106 Partizan (Organisation) ............................ 351 ff. Radio Kaffeebraun ........................................... 106 Pastörs, Udo .......................................... 59, 78, 93 f. Radzimanowski, Kersten ................................. 83 Petereit, David ...................................................... 93 Ramelow, Bodo ........................................ 141, 168 Pfingstcamp ........................................................ 186 Ramezani, Reza .................................................. 306 484 REGISTER Rat der Imame und Gelehrten in Revolutionärer Kampf ............................... 205 f. Deutschland e.V. (RIGD) ................................. 287 Revolutionär Sozialistischer Bund Rauch von, Georg ............................................. 159 (RSB) ........................................................................ 195 REBELL (Jugendverband) ............................. 190 Revolutionary Guards Intelligence Department (RGID, Nachrichtendienst REBELL (Publikation) ........................... 187, 189 der iranischen Revolutionsgarde) ............. 396 Rechtsextremistische Internetradios .. 105 f. Richter, Karl ............ 76 f., 80, 87 ff., 116, 135 f. Rechtsextremistische Musik ............ 56, 106 f. Riefling, Ricarda .................................................. 99 Rechtsextremistische Verbreitungs Ring Nationaler Frauen strukturen ............................................... 56, 102 ff. (RNF) ................................................. 75, 81, 96, 99 f. Rechtsterrorismus ......................................... 60 ff. Risalat alIkhwan (Rundschreiben der Bruderschaft, Publikation) ........................... 283 Redical [M] ........................................................... 214 Riyad alSalihin ................................................. 271 Redler, Lucy ..................................................... 193 f. Roj TV (Fernsehsender) ............. 32, 321, 328 f., Revolutionäre Aktionszellen 332 f., 337, 339 ff. (RAZ) .............................................. 151, 154 ff., 159 RosaLuxemburgKonferenz ............ 169, 203 Revolutionäre Demokratie für das Volk (Publikation) ....................................................... 351 Rose, Olaf ....................................................... 84, 132 Revolutionäre Gewalt ..................................... 165 Rote Armee Fraktion (RAF) .......................................... 155, 159, 169, 203 Revolutionäre Linke (Devrimci Sol - Organisation) ...................... 29, 345 f., 349 Rote Fahne (RF, Publikation) ................. 187 ff. Revolutionäre Linke (Devrimci Sol - Rote Flora .......................................... 150, 152, 199 Publikation) ......................................................... 345 Rote Hilfe e.V. (RH) ................ 142 f., 195 f., 205 Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC) ................................................................... 346 Rote Hilfe International (RHI) .................... 206 Revolutionäre Volksbefreiungspartei Rote Zonen .......................................................... 199 (DHKP) ................................................................... 346 Rotfüchse (Jugendverband) ......................... 190 Revolutionäre Volksbefreiungspartei Front (DHKPC) ........................... 29, 197, 345 ff. Rothe, Judith ......................................................... 99 Revolutionäre Zellen (RZ) ............................. 196 Rudrakumaran, Visuvanathan ................... 368 485 REGISTER S Schwab, Jürgen ................................................... 116 Saad, Maulana Ibrahim .................................. 307 Schwarzer Block ................................... 150, 171 f. Saadet Partisi (SP - Partei der Schwerdt, Frank ................................................... 95 Glückseligkeit) .................. 222, 292 ff., 302, 426 Scientology Kirche Deutschland e.V. Salafisten/salafistisch .......... 223 f., 251 ff., 284 (SKD) ....................................................................... 424 salafistische Einrichtungen ................ 224, 253 ScientologyOrganisation (SO) ............ 421 ff. Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf Serxwebun (Unabhängigkeit, (Groupe Salafiste pour la Predication Publikation) ......................................................... 321 et le Combat - GSPC) ...................................... 239 Siepmann, Jürgen ............................................. 134 salafistische Prediger ................................... 252 f. Skinheads Salam Society for Relief & (rechtsextremistische) ........ 60, 66 f., 107, 113 Development ...................................................... 303 Sofi, Nurettin ...................................................... 339 SauerlandGruppe ... 128, 246 f., 255, 260, 263 Solidarität (Publikation) ................................ 194 Schadsoftware ................................. 395, 408, 410 Soltan, Salah .................................................... 285 f. Schäfer, Michael .................................................. 96 Source (Publikation) ........................................ 422 Schanzenviertelfest ........................... 152 f., 199 Soziale Netzwerke ........................... 67, 257, 274 Scharia (islamische Rechtsordnung) ...... 236, sozialismus.info (Publikation) .................... 194 248, 252, 276 f., 283 f., 289, 300, 304, 311 Sozialistische Alternative (SAV) ... 142, 192 ff. Schaub, Bernhard ............................................. 135 Sozialistische Deutsche Schiiten/schiitisch .................... 273 f., 304, 306 Arbeiterjugend (SDAJ) .............................. 185 ff. Schimmer, Arne ................................................... 94 Sozialistische Linke (SL) .............. 146, 175, 192 Schmidt, Björn ................................................... 186 Sozialistische Zeitung (Publikation) ........ 195 Schmidt, Edda ............................................ 81 f., 99 Staat und Revolution (Publikation) ......... 185 Schmidtke, Sebastian ........................................ 79 Städte gegen Islamisierung (Bündnis) .... 137 Scrinzi, Otto ......................................................... 118 Stanicic, Sascha .................................................. 194 Schüßler, Gitta ..................................................... 99 486 REGISTER Sterka Ciwan (Stern der Jugend - Terrorismus (rechtsextremistischer) ..... 60 ff. Publikation) ............................................... 321, 339 Terroristische Ausbildungslager ... 221, 229 ff. Stimme des Reiches (Publikation) ... 127, 132 The Auditor (Publikation) ................ 422, 428 f. Storr, Andreas ....................................................... 94 Theoretische Konferenz ................................ 183 StörtebekerNetz ............................................... 103 ThiaziForum ..................................................... 62 f. Sturm, Jan ............................................................... 76 Thüringer Heimatschutz (THS) ................... 61 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten ........................................ 54 ff. TKP/MLHareketi ............................................. 355 Sunniten/sunnitisch 237, 243, 248, 283, 304 Tongüc, Ilyas ....................................................... 294 SWR (russischer ziviler Tote Briefkästen ................................................ 387 Nachrichtendienst) ................... 378, 383, 385 f. Transnational Government of Tamil Eelam (TGTE) ................................... 368 T Trotzkisten .............................................. 142, 192 f. Tablighi Jama'at (TJ - Gemeinschaft der Verkündung und Mission) ............ 307 ff., 310 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) ............................................ 310 ff. Tag der politischen Gefangenen ...... 159, 206 Tsoutsouvis, Christos ...................................... 205 Tage der deutschen Zukunft ......................... 89 Türkes, Alparslan .............................................. 362 Taleban ........... 232 f., 244 f., 247, 260 f., 265 ff. Türkische Arbeiter und Bauernbe Tamil Coordinating Committee freiungsarmee (TIKKO) .............................. 352 f. (TCC) ................................................................. 368 ff. Türkische Hizbullah (TH) ....................... 304 ff. Taqvaee, Hamid ................................................. 364 Türkische Kommunistische Arbeiter Tarim, Sakir ......................................................... 296 bewegung (TKIH) .............................................. 355 Tarndienstposten .............................................. 383 Türkische Kommunistische Partei/ MarxistenLeninisten (TKP/ML) ......... 351 ff. Tatort Kurdistan (Kampagne) ........ 173, 328 f. Türkische Konföderation in Europa Teja (Liedermacher) ......................................... 112 (ATK) ....................................................................... 362 Terrorismus, Türkische Volksbefreiungspartei/Front internationaler islamistischer .............. 225 ff. (THKP/C) ..................................................... 29, 346 487 REGISTER Turner Diaries ...................................................... 64 V TV 5 (Fernsehsender) ....................................... 295 Velioglu, Hüseyin .............................................. 305 Verband der Studierenden aus U Kurdistan (YXK) ............................................. 327 f. Ücüncü, Oguz .................................. 291, 295, 300 Verein der Anatolischen Jugend (Anadolu Genclik Dernegi - AGD) ............................ 294 f. ÜlkücüBewegung (IdealistenBewegung) .......... 318, 344, 358 ff. Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten Ulrich von HuttenMedaille ........................ 118 (VRBHV) ......................................................... 32, 135 Umarov, Dokku .............................. 271 f., 310 ff. Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans Umma (KCK) siehe Arbeiterpartei (islamische Gemeinde) ...... 235, 268, 276, 305 Kurdistans (PKK) ............................................... 322 umsGanze! - Bündnis ..................................... 214 Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V. (AMGT) .......................................... 290 Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) ....................................................................... 327 Verlag 8. Mai GmbH ........................................ 202 Union der Journalisten Kurdistans VEVAK (Iranischer ziviler In und (YRK) ....................................................................... 327 Auslandsnachrichtendienst) ....................... 396 Union der Juristen Kurdistans (YHK) ...... 327 VierSäulenStrategie .................................... 86 f. Union der kurdischen Lehrer (YMK) ....... 327 Viett, Inge ................................................ 169, 203 f. Union der Schriftsteller Kurdistans VIKO Fernseh Produktion GmbH ..... 32, 333 (YNK) ...................................................................... 327 virtuelle Netzwerke .................... 70, 103 f., 256 Union der Yeziden aus Kurdistan (YEK) 327 Vlaams Belang (VB) .......................................... 137 Union islamischer Gerichtshöfe (UIG) ... 250 Vogel, Pierre ........................................................ 252 Union kurdischer Familien (YEKMAL) 327 Voigt, Udo ..................................... 56, 78, 84, 90 ff. unsere zeit (uz, Publikation) ......... 182 ff., 187 Volk in Bewegung & Der Reichsbote ....... 124 uzPressefest ................................................... 183 f. Volksbefreiungsarmee (HKO) ....... 352 f., 389 VolkstodKampagne ......................................... 97 488 REGISTER Volkskongress Kurdistans X (KONGRA GEL) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ................ 28, 172 f., 190, 305, xtausendmal quer 316 f., 320 ff., 361 (AntiAKWInitiative) ..................................... 217 Volksmodjahedin IranOrganisation (MEK) ...................................................................... 397 Y Volksrat der Eelam Tamilen - Yasin, Ahmad ...................................................... 280 Deutschland e.V. (VETD) ............................ 369 f. Yasine, Abdessalam .......................................... 289 Volksverteidigungskräfte (HPG) .......... 316 ff. YATIMKinderhilfe e.V. .................................... 31 W Yeni Akit GmbH .................................................. 30 Waisenkinderprojekt Libanon e.V. Yeni Müjde (Publikation) .............................. 304 (WKP) ..................................................................... 275 Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue Freie White Youth .......................................................... 29 Politik, Tageszeitung) ............... 172, 321, 332 f. WiderstandRadio ........................................ 105 f. Young Struggle (YS) ......................................... 357 Widerstandspreis der Youth for Human Rights ............................... 430 Deutschen Stimme ............................................ 89 Yürüyüs (Marsch, Publikation) ............. 345 ff. WikingJugend e.V. (WJ) .................................. 29 Z Wirtschafts und Finanzbüro (EMB) ....... 342 Zakaev, Ahmed .............................................. 310 f. Wirtschaftsschutz ....................... 25, 377, 412 ff. Zasowk, Ronny ................................................... 127 Wirtschaftsspionage ..... 377, 379, 392, 412 ff. Zentralrat der ExMuslime e.V. (ZdE) ...... 366 Wissler, Janine .................................................... 192 Zentrum für Wirtschafts und Wolf, Andrea ....................................................... 329 Sozialforschung (ESAM) ................................ 295 Words of Anger (Musikgruppe) .................. 109 Zilan (alias Zeynep Kinaci) ........................... 335 Workercommunism Unity Party ZilanFrauenfestival ........................................ 335 (WUP) ................................................................. 364 f. Zschäpe, Beate ................................................... 60 f. World Institute of Scientology Enterprises (WISE) ....................................... 425 f. Zusammen Kämpfen (ZK), Berlin ... 147, 205 Wuttke, Roland .................................................... 78 489 REGISTERANHANG Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2011 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl A AlAqsa e.V. 30 f. AlFajr (Medienzentrum) 256 alGama'a alIslamiya (GI) 283 alJihad alIslami (JI) 283 AlManar TV (Der Leuchtturm, Fernsehsender) 32 alQaida (Die Basis) 220 ff., 233 ff., 244, 247, 250 ff., 264 ff., 270 f. alQaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 221, 228, 240 ff. AlQaida im Irak/Islamischer Staat Irak 237 alQaida im islamischen Maghreb (AQM) (ehem. Salafistische 232, 238 ff., 256 ff. Gruppe für Predigt und den Kampf, Groupe Salafiste pour le Predication et le Combat - GSPC) alQaida im Jemen AQJ 240 alShabab 232, 250 f. alShahid Association (MärtyrerStiftung) 275 alSomood 261, 265 f. Anatolische Föderation 348 Ansar alIslam (AAI - Gruppe der Anhänger des Islam) 242 ff., 256 Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (ARAB) 187, 328 Antikapitalistische Linke (AKL) 170, 177 f. Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) 28, 172 f., 190, 305, 316 f., alias KADEK, alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK 320 ff., 361 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si beim Parteivorstand der Partei 176 DIE LINKE. Armee der Reinen (LashkareTaiba - LeT) 271 ArndtVerlag 115, 117 autonome antifa [f] 146, 214 AVANTI - Projekt undogmatische Linke 160, 164 ff. 490 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl B Babbar Khalsa Germany (BKG) 372 f. Babbar Khalsa International (BKI) 372 f. Basisgruppe Antifaschismus 214 Bauernhilfe e.V. 31 Bewaffnete Islamische Gruppe 239 (Groupe Islamique Arme - GIA) Blood & Honour (B&H) 29, 64, 67 Blutzeugen (Musikgruppe) 124 f. Boko Haram (Westliche Bildung ist Sünde) 232 Bremer Hilfswerk e.V. 31 Bunker 16 (Musikgruppe) 109 C Church of Scientology International (CSI) 422 Citizens Commission on Human Rights (CCHR) 426, 430 Collegium Humanum (CH) 31 D Deutsche Alternative (DA) 28 Deutsche Taliban Mujahideen 230, 247 Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V. 286 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 29, 345 f., 349 DIE LINKE.SozialistischDemokratischer Studierendenverband 170, 179 ff. (DIE LINKE.SDS) Die Lunikoff Verschwörung (Musikgruppe) 108 f. Die Wahre Religion (DWR, Internetplattform) 254 E Einladung zum Paradies e.V. (EZP) 253 Elif Medya (Medienstelle) 247 Europäische Aktion (EA) 134 f. Europäische Moscheebau und Unterstützungsgemeinschaft 291 e.V. (EMUG) European Council for Fatwa and Research (ECFR - 285 Europäischer Rat für Fatwa und wissenschaftliche Studien) F Feuer & Flamme (Musikgruppe) 110 f. 491 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Firat News Agency (ANF) 330, 333 Föderation der demokratischen Aleviten (FEDA) 327 Föderation der patriotischen Arbeiter und 28 Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKAKurdistan) Föderation der yezidischen Vereine e.V. (FKE) 327 Föderation Islamischer Organisationen in Europa (FIOE) 285 f., 288 Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V. 172, 178, 316, 320, 327 ff., (YEKKOM) 331, 335 Forum of European Muslim Youth and Student 288 Organisations (FEMYSO) Freedom and Justice Party (FJP - Partei für Freiheit und 283 f. Gerechtigkeit) Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion (FAU) 165 ff. Freie Arbeiterinnen und ArbeiterUnion - Internationale 166 f. Arbeiter Assoziation (FAUIAA) Freie Deutsche Jugend (FDJ) 202 Freies Netz Süd (FNS) 89 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 29 Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 325 Freiheitskräfte Kurdistans (HRK) 330 f. Freiheits und Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) 321 f. Fylgien (Liedermacher) 112 G GegenStandpunkt 190 f. Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) 321 f., 326 siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Gemeinschaft der Verkündigung und Mission (TJ) 307 ff. Gemeinschaft für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit (Jama'at 289 f. alAdI walIhsan - JAI) Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SoD) 170 Gerechtigkeits und Entwicklungspartei (AKP) 295, 325, 347, 356 Gerilla TV (Internetportal) 317, 333 Germanias Geist (Liedermacher) 112 Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (GfP) 117 f. Globale Islamische Medienfront (GIMF) 228 GrabertVerlag 115, 118 Groupe Islamique Arme 239, 475, 489 f. (GIA - Bewaffnete Islamische Gruppe) 492 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Gruppe der Anhänger des Islam 242 ff., 256 (Ansar alIslamGruppe - AAI) H HAMAS (Islamische Widerstandsbewegung) 30, 223, 280 ff., 292, 303 Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für Umwelt, 32 Mitwelt und Heimat e.V. (HDJ) Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren 33, 69, 73 f. Angehörige e.V. (HNG) Hizb Allah (Partei Gottes) 223 f., 273 ff., 304 Hizb utTahrir (HuT - Partei der Befreiung) 30, 276 ff. HohenrainVerlag 115 I Imam Ali Moschee 306 INSPIRE (OnlineMagazin) 221, 241 f., 258 f., 261, 263 International Association of Scientologists (IAS) 426 ff. International Sikh Youth Federation (ISYF) 372 f. Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) 32, 303 f. internationale sozialistische Linke (isL) 195 Interventionistische Linke (IL) 160 ff., 211 Initiative Libertad! 211 Islamic Hacker Union 260 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) 228, 244 ff., 258 f., 262 ff., 267 f. Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 327 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 223, 285 ff., 291 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 222, 224, 290 f., 295 ff., 338 Islamische JihadUnion (IJU) 246 f. Islamische Partei Afghanistans (HIA) 248 f. Islamische Widerstandsbewegung 30, 223, 280 ff., 292, 303 (Harakat alMuqawama alIslamiya - HAMAS) Islamischer Staat Irak/AlQaida im Irak 237 Islamisches Informationszentrum (IIZ) 254 "Islamische Zentren" (Köln, München, Nürnberg, Stuttgart, 285 f. Frankfurt am Main, Marburg, Braunschweig und Münster) Islamische Gemeinde Nürnberg e.V. 285 f. (siehe auch Islamische Zentren) 493 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Islamische Gemeinde Münster e.V. 286 (siehe auch Islamische Zentren) Islamisches Zentrum Frankfurt e.V. 286 (siehe auch Islamische Zentren) Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 306 f. Islamisches Zentrum München e.V. (IZM) 285 f. (siehe auch Islamische Zentren) Islamisches Zentrum Stuttgart e.V. 286 (siehe auch Islamische Zentren) Izzaddin alQassamBrigaden 280 J Jama'at alAdI walIhsan (JAI - Gemeinschaft für 289 f. Gerechtigkeit und Wohltätigkeit) Jemaah Islamiyah (JI) 231 Jugend für Menschenrechte 429 Junge Nationaldemokraten (JN) 58, 75, 78 f., 96 ff. Jungvolk (Musikgruppe) 111 K Kalifatsstaat 30 Kameradschaft Aachener Land (KAL) 63 Kaukasisches Emirat (siehe auch NKSB) 310 ff. Khalistan Zindabad Force (KZF) 373 f. Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen, 317, 327, 336, 338 ff. Jugendorganisation der PKK) Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen 426, 430 Menschenrechte e.V. (KVPM) Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) 75, 96, 100 Kommunistische Gruppe 214 Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. (KPF) 173 f. KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans) siehe 321 f., 324, 326, 330, 334 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Koordination der kurdischdemokratischen Gesellschaft in 326 Europa (CDK) siehe Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) Kurdische Frauenbewegung in Europa (AKKH) 327 Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V. (CENI) 335 Kurdistan Informationsbüro (KIB) 29 Kurdischer Nationalkongress (KNK) 332 494 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl L LashkareTaiba (LeT - Armee der Reinen) 271 Lesen & Schenken GmbH 117 Linke Presse Verlags Förderungs und 169, 202 Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G. Linksjugend ['solid] 170, 177, 179 ff. M MärtyrerStiftung (alShahid Association) 275 marx21 192 f. MarxEngelsStiftung e.V. (MES) 184 Marxistisches Forum (MF) 175 Merchant of Death (M.O.D.) 113 Mesopotamia Broadcast A/S 32, 333 Multikulturhaus (MKH) 254 Muslimbruderschaft (MB) 223, 224, 280, 283 ff., 292 Muslimische Jugend in Deutschland e.V. (MJD) 288 N Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) alias 28, 326 Koordination der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) Nationale Offensive (NO) 28 Nationalistische Front (NF) 28 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 55, 60 ff., 95 Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen 205 f. Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 223, 271 f., 310 f., 313 O Organisierte Autonomie (OA), Nürnberg 149 f. Orientbrücke Marburg e. V. (siehe auch Islamische Zentren) 286 Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) 351 P Palästinensische Vereinigung in Österreich 281 Palestinian Return Centre (PRC) 280 ff. Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) 325, 330 ff. Partei für Freiheit und Gerechtigkeit 283 f. (Freedom and Justice Party - FJP) 495 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Partizan (Organisation) 351 ff. R Radio Irminsul 106 Radio Kaffeebraun 106 Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e.V. (RIGD) 287 REBELL 187, 190 Redical [M] 214 Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) 151, 154 ff., 159 Revolutionäre Linke (Devrimci Sol - Organisation) 345 Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC) 346 Revolutionäre Volksbefreiungspartei (DHKP) 346 Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront (DHKPC) 29, 197, 345 ff. Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) 195 Ring Nationaler Frauen (RNF) 75, 81, 96, 99 f. Riyad alSalihin 271 Roj TV (Fernsehsender) 32, 321, 328 f., 332 f., 337, 339 ff. Rote Hilfe e.V. (RH) 142 f., 195, 197 f., 205 Rotfüchse (Jugendverband) 190 S ScientologyOrganisation (SO) 421 ff. Sozialistische Alternative (SAV) 142, 192 ff. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 185 ff. Sozialistische Linke (SL) 146, 175, 192 T Tablighi Jama'at 307 ff., 310 (TJ - Gemeinschaft der Verkündung und Mission) Taleban 232 f., 244 f., 247, 260 f., 265 ff. Tamil Coordinating Committee (TCC) 368 ff. Teja (Liedermacher) 112 Thüringer Heimatschutz (THS) 61 TKP/MLHareketi 355 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 310 ff. Türkische Arbeiter und Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) 352 f. Türkische Hizbullah (TH) 304 ff. Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung (TKIH) 355 496 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten 351 ff. (TKP/ML) Türkische Volksbefreiungspartei/Front (THKP/C) 29, 346 TV 5 (Fernsehsender) 295 U Union der Aleviten aus Kurdistan (KAB) 327 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) 327 Union der Juristen Kurdistans (YHK) 327 Union der kurdischen Lehrer (YMK) 327 Union der Schriftsteller Kurdistans (YNK) 327 Union der Yeziden aus Kurdistan (YEK) 327 Union islamischer Gerichtshöfe (UIG) 250 Union kurdischer Familien (YEKMAL) 327 V Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 327 f. Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust 32, 135 Verfolgten (VRBHV) Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) siehe 322 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Verlag 8. Mai GmbH 202 VIKO Fernseh Produktion GmbH 32, 333 Volksbefreiungsarmee (HKO) 352 f., 389 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) 28, 172 f., 190, 305, 316 f., siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 320 ff., 361 Volksverteidigungskräfte (HPG) 316 ff. W Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) 275 White Youth 29 WiderstandRadio 105 f. WikingJugend e.V. (WJ) 29 Wirtschafts und Finanzbüro (EMB) 342 Words of Anger (Musikgruppe) 109 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 425 f. 497 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Y YATIMKinderhilfe e.V. 31 Yeni Akit GmbH 30 Z Zentrum für Wirtschafts und Sozialforschung (ESAM) 295 Zusammen Kämpfen (ZK), Berlin 147, 205 498 NOTIZEN 499 NOTIZEN 500 NOTIZEN 501 NOTIZEN 502 Impressum Herausgeber: Bundesministerium des Innern Alt Moabit 101 D 10559 Berlin Redaktion: Bundesamt für Verfassungsschutz Druck: Werbedruck GmbH Horst Schreckhase, Spangenberg Der Verfassungsschutzbericht 2011 ist auch über das Internet abrubar, unter: www.bmi.bund.de oder www.verfassungsschutz.de ISSN: 0177-0357 Diese Broschüre ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern und Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwandt werden. Artikelnummer: BMI12012 2. Auflage 2013(Änderungen im Kap. "Rechtsextremismus" gemäß Urteil desBVerwG vom 26. Juni 2013, Az.: 6C4.12)