Bundesministerium des Innern Verfassungsschutzbericht 2010 Impressum Herausgeber: Bundesministerium des Innern Alt Moabit 101 D 10559 Berlin Redaktion: Bundesamt für Verfassungsschutz Druck: Silber Druck oHG, Niestetal Der Verfassungsschutzbericht 2010 ist auch über das Internet abrufbar, unter: www.bmi.bund.de oder www.verfassungsschutz.de ISSN: 0177-0357 2. Auflage 2013(Änderungen im Kap. "Rechtsextremismus" gemäß Urteil desBVerwG vom 26. Juni 2013, Az.: 6C4.12) Statement von Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB, aus Anlass der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2010 am 1. Juli 2011, in Berlin Der Verfassungsschutzbericht des Jahres 2010 informiert über verfassungsfeindliche Entwicklungen in Deutschland sowie über Organisationen und Gruppierungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Im Jahr 2010 war die Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus erneut zentrales Schwerpunktthema des Verfassungsschutzes. Der Tod Usama Bin Ladins bedeutet keinesfalls das Ende der islamistisch-terroristischen Bedrohung. Der islamistische Terrorismus ist heute heterogener als früher. Er konzentriert sich nicht mehr auf den einen "al Qaida" - Anführer. Vielmehr zeigt sich die Szene vielfältig. Es geht den islamistischen Gruppierungen mittlerweile auch darum, durch gesellschaftliche und politische Einflussnahme Freiräume für die Scharia im Bundesgebiet zu schaffen. Weltweit wächst derzeit am schnellsten die islamistische Bewegung des Salafismus. Salafisten streben eine völlige Umgestaltung des Staates und der Gesellschaft an. Der Verfassungsschutz beobachtet bundesweite salafistische Strukturen. Gestützt auf das Internet, missbrauchen Salafisten vor allem die Begeisterungsfähigkeit von Jugendlichen. Ihre netzwerkartigen Strukturen bilden die Basis für gefährliche Radikalisierungsprozesse. Der Anschlag am 02. März 2011 am Frankfurter Flughafen, bei dem zwei US-Soldaten getötet und zwei weitere Menschen schwer verletzt wurden, war die Tat eines durch solche Netzwerke radikalisierten Einzeltäters. 3 REDE BUNDESINNENMINISTER FRIEDRICH Anlass zur Sorge und zu größter Wachsamkeit bieten auch die Entwicklungen in den Bereichen des nationalen Extremismus. So ist die Zahl gewaltbereiter Linksextremisten, besonders der Autonomen, erneut angestiegen. Politisch motivierte Straftaten, bei denen tatsächlich Gewalt ausgeübt wird, werden mittlerweile mehrheitlich von Linksextremisten begangen. Dieser Gewalt sind in zunehmendem Maße Polizisten ausgesetzt. Das können wir nicht hinnehmen: Jeder Angriff auf einen Polizisten ist ein Angriff auf die Bürger unseres Landes. Es ist Aufgabe aller Demokraten, die Polizei bei ihrer Arbeit zu unterstützen und die gegen sie verübte Gewalt gesellschaftlich zu ächten. Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung des nationalistischen Extremismus. Das Personenpotenzial im Bereich Rechtsextremismus liegt 2010 leicht unter dem Niveau des Jahres 2009. Hauptgrund ist die stark rückläufige Mitgliederzahl der DVU, die ca. ein Drittel unter der des Vorjahres liegt. Rückläufig war 2010 auch die Zahl der NPD-Mitglieder; die angekündigte Fusion mit der DVU hat bislang nicht zu einer Stärkung der NPD geführt. Während die NPD in den Landtagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern mit 14 Abgeordneten sowie mit bundesweit rund 330 Kommunalmandaten präsent ist, blieb ihr der Einzug in das Landesparlament Sachsen-Anhalt versagt. Das ist zwar ein gutes Zeichen für die Stabilität unserer Demokratie. Anlass für eine Entwarnung ist es jedoch nicht. Besorgniserregend ist der deutliche Anstieg der Zahl der Neonazis und damit auch der diesem Spektrum zuzuordnenden "Autonomen Nationalisten". Diese Gruppe spricht junge Leute, ähnlich der linksautonomen Szene, auch wegen ihres Erscheinungsbildes und ihrer Aktionsorientierung an. Ob linksoder rechtsextremistisch, für Gewalt gleich welcher Art und Herkunft ist in unserer Gesellschaft kein Raum. Die Verteidigung unserer demokratischen Grundordnung erfordert jedoch mehr als die bloße Verurteilung von Gewalt. Extremisten sind Gegner unserer Freiheit und Demokratie; sie stehen außerhalb unserer Werteordnung. Alle demokratischen Kräfte sind aufgerufen, ihnen dies deutlich zu machen. 4 REDE BUNDESINNENMINISTER FRIEDRICH Ein leichter Anstieg der Mitgliederzahlen ist in den nichtislamistischen extremistischen Ausländerorganisationen festzustellen. Wie im Jahr 2009 waren es vor allem Anhänger der PKK, die 2010 auf Großveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen Freiheitsrechte für Minderheiten in der Türkei und die Freilassung ihres Führers Öcalan gefordert haben. Ein Beispiel solcher extremistischer Gruppen ist die Tamilen-Organisation LTTE ("Liberation Tigers of Tamil Eelam"). Eine weitere zentrale Herausforderung für das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder bleibt die Spionageabwehr. Die Ziele der Spionage verändern sich: Zwar stehen immer noch Politik und Militär im Fokus fremder Nachrichtendienste, aber die Aufklärung dieser Dienste richtet sich verstärkt gegen Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung. Staaten, die solche Spionage betreiben, wollen sich wirtschaftliche, politische und strategische Vorteile verschaffen und versuchen daher, Erkenntnisse im Hochtechnologieland Deutschland zu erlangen. Eine besondere Bedrohung sind internetbasierte Angriffe auf Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen. Zur Abwehr dieser Bedrohung hat die Bundesregierung am 1. April 2011 das Nationale Cyber-Abwehrzentrum unter direkter Beteiligung des Bundesamtes für Verfassungsschutz eingerichtet. Der vorliegende Bericht zeigt, wie wichtig die Arbeit des Verfassungsschutzes für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger und für die Sicherheit unseres Landes ist. Er dokumentiert die Arbeit einer Institution, die als unverzichtbares Frühwarnsystem gute und wertvolle Arbeit im Dienste unserer wehrhaften Demokratie leistet. Dr. Hans-Peter Friedrich, MdB Bundesminister des Innern 5 Inhaltsverzeichnis Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 14 1. Bundesamt für Verfassungsschutz 14 2. Militärischer Abschirmdienst 14 II. Weitere Strukturdaten 14 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz 16 II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse 17 III. Kontrolle des Verfassungsschutzes 20 IV. Verfassungsschutzbericht 21 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung 23 VI. Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI im Zeitraum von Januar 1990 bis Dezember 2010 (in chronologischer Reihenfolge) 27 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK 33 II. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 34 III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 35 1. Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 35 1.1 Überblick 35 1.2 Zielrichtungen der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund 37 1.2.1 Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund 38 1.2.2 Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund 38 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten 39 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 39 6 INHALTSVERZEICHNIS 2. Politisch links motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 42 2.1 Überblick 42 2.2 Zielrichtungen der politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund 43 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 45 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 45 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 48 3.1 Überblick 48 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 50 Rechtsextremismus I. Überblick 52 1. Ideologie 52 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus 52 3. Organisationen und Personenpotenzial 54 4. Periodische Publikationen 56 5. Rechtsextremistische Kundgebungen 56 II. Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene 57 1. Formen der Gewaltbereitschaft 57 2. Personenpotenzial 58 3. Rechtsextremistische Strukturen mit überwiegender Gewaltbereitschaft 59 3.1 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 59 3.2 Neonazistische Strukturen 61 III. Parteien 67 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 67 1.1 Ideologische Merkmale 67 1.2 Strategische Ansätze 78 1.3 Organisation und Entwicklung 83 1.4 Unterorganisationen der NPD 90 1.4.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 91 1.4.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 94 1.4.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) 95 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) - Die Neue Rechte 96 IV. Rechtsextremistische Verbreitungsstrukturen 98 1. Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet 98 1.1 Allgemein 98 7 INHALTSVERZEICHNIS 1.2 Rechtsextremistische Internetradios 100 2. Rechtsextremistische Musik 101 2.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 102 2.2 Rechtsextremistische Bands und Liedermacher 104 2.3 Rechtsextremistische Musikvertriebe 107 V. Rechtsextremistische Agitationsfelder 109 1. Geschichtsrevisionismus 109 2. Antisemitismus 115 VI. Vereinsrechtliche Maßnahmen 122 VII. Internationale Verbindungen 123 Linksextremismus I. Überblick 126 1. Entwicklungen im Linksextremismus 126 2. Organisationen und Personenpotenzial 129 3. Verlage, Vertriebe und Publikationen 131 II. Gewaltbereiter Linksextremismus 134 1. Autonome 135 1.1 Potenzial und Selbstverständnis 135 1.2 Formen konfrontativer Gewalt 137 1.3 Klandestine Anschläge 146 2. Feste organisatorische Strukturen 148 2.1 "Interventionistische Linke" (IL) 149 2.2 "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) 151 3. Traditionelle Anarchisten 153 III. Parteien und sonstige Gruppierungen 154 1. "DIE LINKE." 154 1.1 "Kommunistische Plattform der Partei 'DIE LINKE.'" (KPF) 159 1.2 "Sozialistische Linke" (SL) 160 1.3 "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SoD) 162 1.4 "Marxistisches Forum" (MF) 163 1.5 "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" 164 1.6 "Antikapitalistische Linke" (AKL) 165 1.7 Jugendverbände 167 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 169 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 169 2.2 Organisationen im Umfeld der DKP 173 2.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 173 2.2.2 "Marx-Engels-Stiftung e.V." (MES) 175 8 INHALTSVERZEICHNIS 3. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 176 4. Trotzkisten 178 5. "Rote Hilfe e.V." (RH) 181 IV. Aktionsfelder 183 1. "Antirepression" 183 2. "Antimilitarismus" 188 3. "Antifaschismus" 193 4. Sonstige erwähnenswerte Aktionsfelder 198 Islamismus / islamistischer Terrorismus I. Überblick 202 1. Entwicklungen im Islamismus / islamistischen Terrorismus 202 2. Organisationen und Personenpotenzial 206 II. Internationaler islamistischer Terrorismus 207 1. Aktuelle Entwicklungen 207 2. "al-Qaida" ("Die Basis") 214 2.1 Kern-"al-Qaida" 214 2.2 "al-Qaida im Irak"/"Islamischer Staat Irak" 218 2.3 "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) 221 2.4 "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) 222 3. Regionale "jihadistische" Gruppierungen 225 3.1 "Ansar al-Islam-Gruppe" (AAI) ("Gruppe der Anhänger des Islam") 225 3.2 "Islamische Jihad-Union" (IJU) 226 3.3 "al-Shabab" 228 4. Salafistische Bestrebungen 229 5. Nutzung des Internets 232 6. Übersicht ausgewählter Veröffentlichungen im Internet mit Deutschlandbezug im Jahr 2010 236 7. Übersicht ausgewählter islamistisch-terroristischer Anschläge 240 III. Islamismus 242 1. Arabischer Ursprung 242 1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") 242 1.2 "Hizb ut-Tahrir" (HuT) ("Partei der Befreiung") 245 1.3 "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") 248 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB) ("Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin") 251 1.5 "Jama'at al-Adl wal-Ihsan" (JAI) ("Gemeinschaft für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit") 257 9 INHALTSVERZEICHNIS 2. Türkischer Ursprung 258 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 258 2.2 "Türkische Hizbullah" (TH) 271 3. Sonstige 273 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten 273 3.2 "Tablighi Jama'at" (TJ) ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") 274 3.3 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) 277 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) I. Überblick 282 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) 282 2. Organisationen und Personenpotenzial 284 II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 286 1. Gruppierung aus dem kurdischen Spektrum 286 1.1 Überblick 286 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 287 1.2.1 Allgemeine Lage 287 1.2.2 Organisatorische Situation 291 1.2.3 "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" ("Partiya Jiyanen Azadiya Kurdistan" - PJAK) 292 1.2.4 Propaganda der PKK 294 1.2.4.1 Medienwesen 294 1.2.4.2 Demonstrationen und Großveranstaltungen 296 1.2.5 Aktivitäten der Komalen Ciwan 301 1.2.6 Rekrutierung junger Anhänger der PKK in Deutschland für die Guerilla 303 1.2.7 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten 304 1.2.8 Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK 305 2. Gruppierungen aus dem türkischen Spektrum 306 2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 307 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) 313 2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 317 3. "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) 323 4. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) 325 5. Gruppierungen aus dem indischen Spektrum 332 III. Weitere erwähnenswerte Organisationen 334 10 INHALTSVERZEICHNIS Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick 336 II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation und anderer Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 338 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgabenstellung der Dienste im russischen Staatswesen 338 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte 340 3. Methodische Vorgehensweisen 342 3.1 Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste 342 3.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung 345 4. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der anderen Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 346 III. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 348 1. Entwicklung in der Volksrepublik China 348 2. Strukturen und Aufgaben 349 3. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte 351 4. Methodische Vorgehensweisen 352 4.1 Informationsgewinnung in Deutschland 352 4.2 Bekämpfung der "Fünf Gifte" in Deutschland 353 4.3 Aktivitäten in China 355 IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten anderer Staaten 356 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 356 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien 357 3. Nachrichtendienste der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija 359 4. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea 360 V. Proliferation 363 VI. Elektronische Angriffe 366 VII. Wirtschaftsschutz 369 VIII. Ermittlungsverfahren 372 Geheimschutz, Sabotageschutz I. Geheimschutz 374 II. Sabotageschutz 375 III. Verfahren 376 11 STRUKTURDATEN "Scientology-Organisation" (SO) 1. Grundlagen und Zielsetzung 380 2. Werbung in der Öffentlichkeit 387 Gesetzestext und Register Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) 392 Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) 412 Register 430 Registeranhang 457 12 STRUKTURDATEN Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 1. Bundesamt für Verfassungsschutz Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2010 betrug 174.306.125 Euro (2009: 158.101.808 Euro). Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte 2.641 (2009: 2.579) Bedienstete. 2. Militärischer Abschirmdienst Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2010 betrug 70.418.548,97 Euro (2009: 72.912.482,75 Euro). Der Militärische Abschirmdienst hatte 1.180 (2009: 1.213) Bedienstete. II. Weitere Strukturdaten Anfang 2011 waren von Bund und Ländern im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 1.482.504 (Anfang 2010: 1.388.992) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 1.079.054 Eintragungen (72,8%, Anfang 2010: 70,0%) aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen oder Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach den Bestimmungen des Luftsicherheitsgesetzes oder des Atomgesetzes. 13 14 Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität 15 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland gewährt den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl von Freiheitsrechten. Diese Rechte stehen als Grundrechte auch Personen zu, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen. Eine klare Grenze ist allerdings dort zu ziehen, wo deutlich erkennbar wird, dass sie dazu missbraucht werden, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben und damit das Fundament dieser Freiheitsrechte zu beseitigen. Die leidvollen Erfahrungen mit dem Ende der Weimarer Republik haben dazu geführt, dass im Grundgesetz das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert ist. Wehrhafte Dieses Prinzip ist durch drei Wesensmerkmale gekennzeichnet: Demokratie # Wertegebundenheit, d.h. der Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, # Abwehrbereitschaft, d.h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen, und # Verlagerung des Verfassungsschutzes in den Bereich der Vorfeldaufklärung, d.h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Der Verfassungsschutz ist somit ein Frühwarnsystem der Demokratie. Das Prinzip der wehrhaften Demokratie findet in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes seinen deutlichen Ausdruck: # Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt, dass wesentliche Grundsätze der Verfassung - insbesondere der Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG und die in Art. 20 GG enthaltenen Prinzipien der staatlichen Ordnung (Demokratie, Föderalismus, Rechtsund Sozialstaatlichkeit) - unabänderlich und damit einer Änderung auch durch den Verfassungsgesetzgeber entzogen sind. # Nach Art. 21 Abs. 2 GG können Parteien vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundord16 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE nung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. # Art. 9 Abs. 2 GG bestimmt, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind (vgl. Kap. VI). # Nach Art. 18 GG kann das Bundesverfassungsgericht die Verwirkung bestimmter Grundrechte aussprechen, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden. # Art. 73 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG sind Grundlage für die Einrichtung und Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse Wesentliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des BunAufgaben des und der Länder ist nach dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) die Sammlung und Auswertung von Informationen über # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des BVerfSchG für eine fremde Macht, # Bestrebungen im Geltungsbereich des BVerfSchG, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # Bestrebungen im Geltungsbereich des BVerfSchG, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker, gerichtet sind. 17 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE InformationsEinen erheblichen Teil ihrer Informationen gewinnen die Vergewinnung fassungsschutzbehörden aus allgemein zugänglichen Quellen. Sofern dies nicht möglich oder nicht effektiv ist, dürfen sie sich im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch sogenannter nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsbeschaffung bedienen. Hierzu gehören insbesondere der Einsatz von Vertrauensleuten, die Observation, Bildund Tonaufzeichnungen sowie die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10). Mit dem am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) wurden die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erweitert.1 U.a. werden dem BfV unter engen Voraussetzungen Auskunftsrechte gegenüber Finanzunternehmen, Luftfahrtunternehmen, Postdienstleistungsunternehmen sowie Telekommunikationsund Teledienstleistern eingeräumt. Keine polizeilichen Den Verfassungsschutzbehörden stehen bei der Erfüllung ihrer Befugnisse Aufgaben keinerlei polizeiliche Befugnisse zu, d.h. sie dürfen insbesondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen. SicherheitsDarüber hinaus haben die Verfassungsschutzbehörden die Aufüberprüfungen gabe, bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen mitzuwirken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Informationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen bzw. ihn sich verschaffen können oder die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Befugnisse des BfV bei dieser Mitwirkung sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) im Einzelnen geregelt. 1 Die Regelungen waren zunächst bis zum 10. Januar 2007 befristet, wurden aber durch das am 5. Januar 2007 in Kraft getretene "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" um weitere fünf Jahre verlängert und entsprechen inhaltlich leicht modifiziert den Ergebnissen einer zuvor durchgeführten Evaluierung. 18 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Die Verfassungsschutzbehörden tragen in ihrem ZuständigZusammenarbeit keitsbereich dazu bei, die innere Sicherheit der Bundesrepublik mit deutschen Deutschland zu gewährleisten. Sie arbeiten mit anderen SicherSicherheitsheitsbehörden, insbesondere den anderen Nachrichtendiensten behörden des Bundes - dem für den Bereich der Bundeswehr zuständigen Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem mit Auslandsaufklärung befassten Bundesnachrichtendienst (BND) - sowie Polizeiund Strafverfolgungsbehörden auf gesetzlicher Grundlage vertrauensvoll und eng zusammen. Mit der Einrichtung einer gemeinsamen Antiterrordatei von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden des Bundes und der Länder im Frühjahr 2007 sowie der Möglichkeit zur Führung gemeinsamer Projektdateien wird die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gezielt unterstützt und der Informationsaustausch mithilfe einer verfahrensrechtlichen Vereinfachung des bereits nach geltenden Bestimmungen zulässigen Datenaustauschs weiter verbessert. Angesichts der zunehmenden Internationalisierung der BedroInternationale hungsphänomene steht das BfV darüber hinaus in intensivem Zusammenarbeit Kontakt zu Partnerdiensten im Ausland. Das BfV arbeitet vor allem mit den Staaten der Europäischen Union (EU) sowie den USA und Kanada zusammen. Aufgrund des Aufklärungsbedürfnisses im Bereich des Internationalen Terrorismus (Herkunftsländer, Reisebewegungen von Terroristen) erstreckt sich die Kooperation des BfV auch auf Staaten außerhalb der EU. Die Art der Kontakte mit ausländischen Nachrichtendiensten ist quantitativ und qualitativ sehr unterschiedlich. Bei der ganzheitlichen und strategischen Bekämpfung des internationalen Terrorismus gewinnt auch die multilaterale Zusammenarbeit in internationalen Gremien zunehmend an Bedeutung. Schwerpunkt dieser Form der Zusammenarbeit ist die Erstellung übergreifender Lagebilder und Analysen, um gemeinsam die Ursachen der Bedrohung zu erkennen, mögliche Entwicklungen aufzuzeigen und Gegenmaßnahmen zu erarbeiten. 19 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Das BfV ist u.a. in der Counter Terrorist Group (CTG) vertreten, einem Kooperationsforum europäischer Inlandsdienste außerhalb der EU-Strukturen. Die CTG unterhält Kontakte zum europäischen Lagezentrum Joint Situation Center (SitCen) und unterstützt die Arbeit der EU bei der Terrorismusbekämpfung. III. Kontrolle des Verfassungsschutzes Bundesregierung Hinsichtlich der Tätigkeit des BfV unterliegt die Bundesregierung der Kontrolle durch den Deutschen Bundestag, während die Fachaufsicht über das BfV durch das Bundesministerium des Innern ausgeübt wird. Parlamentarisches Zur Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle ist beim Kontrollgremium Deutschen Bundestag ein Kontrollgremium eingerichtet. Es ist von der Bundesregierung in regelmäßigen Abständen umfassend über die allgemeine Tätigkeit des BfV, des MAD und des BND, über Vorgänge von besonderer Bedeutung - und auf Verlangen auch über sonstige Vorgänge zu unterrichten (SS 4 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes - PKGrG). Das Parlamentarische Kontrollgremium kann im Rahmen seines Rechts auf Kontrolle von Bundesregierung und BfV verlangen, Akten und andere Schriftstücke, gegebenenfalls auch im Original, herauszugeben und in Dateien gespeicherte Daten zu übermitteln. Ebenso kann es BfV-Angehörige befragen oder von ihnen schriftliche Auskünfte einholen. Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestellte unabhän- G 10-Kommission gige G 10-Kommission grundsätzlich vor deren Vollzug auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Gleiches gilt für die mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz eingeräumten Auskunftsrechte, soweit sie gegenüber Postdienstleistungsunternehmen bzw. Telekommunikationsund Teledienstleistern geltend gemacht werden (vgl. Kap. II). 20 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Sowohl das BVerfSchG als auch den Aufgabenbereich des BfV Bundesbeauftragberührende spezialgesetzliche Regelungen, z.B. das Antiterrorter für den Datendateiengesetz oder das Ausländerzentralregistergesetz, enthalschutz und die Inten zahlreiche datenschutzrechtliche Bestimmungen. Der BfDI formationsfreiheit unterzieht das BfV auf dieser Grundlage einer kontinuierlichen (BfDI) datenschutzrechtlichen Überprüfung. Das BfV ist gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag Auskunftsrecht unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt wird (SS 15 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Auskunft unterbleibt nur dann, wenn einer der in SS 15 Abs. 2 BVerfSchG ausdrücklich bezeichneten Verweigerungsgründe vorliegt. Maßnahmen des BfV, die nach Darstellung der Betroffenen diese Gerichte in ihren Rechten beeinträchtigen, unterliegen gerichtlicher Nachprüfung. IV. Verfassungsschutzbericht Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung Zweck des und Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzreleVerfassungsschutzvante Bestrebungen. Er beruht auf den Erkenntnissen, die das berichtes BfV im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Der Verfassungsschutzbericht stellt keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusammenschlüsse dar, sondern unterrichtet über die wesentlichen, während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungsschutzrelevanten Entwicklungen und deren Bewertung. Dies entspricht der Erfüllung des im Bundesverfassungsschutzgesetz festgeschriebenen Aufklärungsauftrags. Eine Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsschutzrelevante Bestrebungen ist in aller Regel geboten, wenn im Hinblick auf den betreffenden Personenzusammenschluss auf Tatsachen gestützte Anhaltspunkte vorliegen, die in ihrer Gesamtschau zu 21 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE der Bewertung führen, dass dieser Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und damit zur Feststellung führt, dass es sich hierbei um eine extremistische Organisation handelt. Damit ist nicht die Feststellung verbunden, dass alle Mitglieder bzw. Anhänger extremistische Ziele verfolgen oder unterstützen. In den Zitaten sind eventuelle orthografische und grammatikalische Fehler der Originaltexte nicht korrigiert. PersonenzusamAlle Zahlenangaben zum Mitgliederpotenzial der im Bericht menschlüsse genannten Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland und sind z.T. geschätzt und gerundet. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern dieser Personenzusammenschlüsse individuelle Erkenntnisse vorliegen. Dies folgt schon daraus, dass die Verfassungsschutzbehörden hauptsächlich einen Strukturbeobachtungsauftrag haben; umfassende personenbezogene Erkenntnisse zu allen Mitgliedern der beobachteten Personenzusammenschlüsse sind dafür nicht erforderlich. Berichterstattung Ausnahmsweise kann eine Berichterstattung im Verfassungsüber "Verdachtsschutzbericht auch dann in Betracht kommen, wenn die im Hinfälle" blick auf einen Personenzusammenschluss vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte eine Bewertung als extremistisch noch nicht rechtfertigen. Unter Berücksichtigung der mit einer Nennung im Verfassungsschutzbericht einhergehenden Sanktionswirkung müssen in diesen Fällen hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für den Verdacht extremistischer Bestrebungen vorliegen, die aufgrund eines im konkreten Einzelfall hinzutretenden besonderen Aufklärungsinteresses der Öffentlichkeit eine Berichterstattung erfordern. Soweit sich die Berichterstattung ausnahmsweise auf solche Verdachtsfälle bezieht, sind diese - auch für den flüchtigen Leser erkennbar - im Text ausdrücklich als Verdachtsfall kenntlich gemacht. 22 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE V. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Aufgabe "Verfassungsschutz durch Aufklärung" wird auf Bundesebene gemeinsam vom Bundesministerium des Innern (BMI) und dem BfV, auf Länderebene von den Innenministerien und -senaten bzw. den Landesbehörden für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Hauptaugenmerk gilt dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes bietet Informationen über seine Erkenntnisse an, die es jedermann ermöglichen sollen, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Extremismus und Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind für den demokratischen Rechtsstaat eine stete Herausforderung. Die umfassende Bekämpfung aller Formen des politischen Extremismus ist daher ein wesentlicher Schwerpunkt der Innenpolitik und dient zugleich der Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Die Bundesregierung misst der präventiven und repressiven Auseinandersetzung mit diesen Erscheinungen eine zentrale Bedeutung zu. Sie wird z.B. die entsprechenden Programme gegen Rechtsextremismus fortführen. Die Bundesprogramme zur Bekämpfung des Extremismus werden von der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) komplementär unterstützt. Darüber hinaus stellt die BpB z.B. im Rahmen ihres Internetangebots thematische Online-Dossiers zu den Bereichen Rechtsund Linksextremismus, Antisemitismus sowie Islamismus zur Verfügung. Eine wichtige Rolle bei der Festigung des Verfassungskonsenses und der Stärkung der Zivilgesellschaft spielt das vom Bundesministerium des Innern und dem Bundesministerium der Justiz am 23. Mai 2000 gegründete "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt". Das "Bündnis" bündelt und mobilisiert die gesellschaftlichen Kräfte gegen jegliche Form des Extremismus, der Fremdenfeindlichkeit und der Gewalt. Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, zivilgesellschaftliches Engagement für Demokratie und Toleranz zu 23 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE vernetzen und bekannt zu machen (siehe im Internet unter www.buendnis-toleranz.de). Ein weiteres Gremium zur Auseinandersetzung mit Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt ist das "Forum gegen Rassismus", das sich im März 1998 konstituiert hat. Es umfasst rund 80 Organisationen und staatliche Stellen, darunter 55 bundesweit bzw. überregional tätige Nichtregierungsorganisationen. Das Forum bietet seinen Mitgliedern eine Plattform für den Dialog über Fragen, die für die Bekämpfung von Rassismus wichtig sind. Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne nachhaltige geistig-politische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden. Eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes stellt daher auch die fundierte Aufklärung und Informationsvermittlung über Art und Umfang extremistischer Bestrebungen dar. Das BfV informierte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit seinen drei Wanderausstellungen bei zahlreichen Ausstellungsund Messeterminen, mit seinem Internetangebot, Publikationen sowie der Beantwortung vielfältiger Bürgeranfragen über aktuelle Entwicklungen in den einzelnen Arbeitsfeldern. Das Interesse an den Wanderausstellungen des BfV war auch im Jahr 2010 ungebrochen groß. Insgesamt besuchten annähernd 110.000 Personen die bundesweit 23-mal präsentierten BfV-Ausstellungen. Auch auf der Bildungsmesse "didacta" in Köln war das BfV mit einem Stand vertreten. Die Rechtsextremismusausstellung "DIE BRAUNE FALLE - Eine rechtsextremistische 'Karriere'" wurde in sechs Bundesländern an neun Terminen gezeigt. Das BfV präsentierte die Ausstellung "Es betrifft Dich! Demokratie schützen - Gegen Extremismus in Deutschland" acht Mal in fünf verschiedenen Bundesländern. Die Ausstellung "Die missbrauchte Religion - Islamisten in Deutschland" wurde sechs Mal in fünf Bundesländern gezeigt. Die Ausstellungen und Messestände wurden vor Ort von Verfassungsschutzmitarbeitern betreut. Neben zahlreichen Einzelbe24 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE suchern nutzten hauptsächlich Schulklassen dieses Informationsangebot. Im Bereich Wirtschaftsschutz führt das BfV Maßnahmen zur Prävention durch Förderung des individuellen Sicherheitsbewusstseins durch Information im ("Security Awareness") und publiziert Informationsmaterial. So Bereich erfolgten insbesondere Sensibilisierungsvorträge und InformaWirtschaftsschutz tionsgespräche, z.B. bei deutschen Forschungsinstituten sowie im März 2010 auf der CeBIT in Hannover und im Oktober 2010 auf der internationalen Sicherheitsmesse "security essen". Begleitet wurden diese Aktivitäten durch die Veröffentlichung von themenbezogenen Faltblättern, weiteren umfangreichen Informationsangeboten auf der Website des BfV und die Herausgabe eines Newsletters (vgl. Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten, Kap. VII). Auch im Bereich Proliferation hielten Mitarbeiter des BfV VorPrävention im träge im Rahmen von Sensibilisierungsmaßnahmen. Sowohl Bereich Industrie als auch Bildungsund Forschungseinrichtungen wurProliferation den über die Proliferationsthematik und die Risiken für die Betroffenen in Deutschland - z.B. Reputationsverlust, wirtschaftliche Einbußen - informiert und sensibilisiert. Zur Unterstützung dieser Maßnahmen haben die Verfassungsschutzbehörden die Broschüre "Proliferation - Wir haben Verantwortung!" neu herausgegeben. Sie ist ebenfalls auf der Website des BfV abrufbar (vgl. Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten, Kap. V). Das Internetangebot des BfV ist ein wichtiges Instrument zur Informationsportal Information der Öffentlichkeit und wird täglich von mehr als 2.400 Nutzern aufgerufen. Auf der Homepage finden sich Ausführungen zu allen Tätigkeitsbereichen des Verfassungsschutzes. Sie werden durch aktuelle Hinweise, u. a. auf die Wanderausstellungen und die Publikationen aller Verfassungsschutzbehörden aus Bund und Ländern ergänzt. 25 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Ansprechpartner In allen Fragen des Verfassungsschutzes steht das Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstraße 100 50765 Köln Telefon: 0221-792-0 oder 03018-792-0 Telefax: 0221-792-2915 oder 03018-10-792-2915 E-Mail: poststelle@bfv.bund.de als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Für Hinweise auf Planungen und Tatvorbereitungen im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus hat das BfV ein vertrauliches Hinweistelefon eingerichtet. Es steht unter Telefon: 0221-792-3366 oder E-Mail: HiT@bfv.bund.de jederzeit zur Verfügung. Seit dem 19. Juli 2010 bietet das BfV für Menschen, die sich aus einem Umfeld lösen möchten, in dem ein fanatischer, die Anwendung von Gewalt befürwortender Islam gepredigt und gelebt wird, ein Aussteigerprogramm an. Das Aussteigerprogramm HATIF (Akronym für "Heraus aus Terrorismus und islamistischem Fanatismus" und Arabisch für "Telefon") sorgt für individuelle Beratung und konkrete Unterstützung von Ausstiegswilligen. Eine Kontaktaufnahme ist jederzeit möglich unter Telefon: 0221-792-6999 oder E-Mail: HATIF@bfv.bund.de Für Ausstiegswillige aus dem Rechtsextremismus existiert ein spezielles Aussteigerprogramm des BfV. Experten des Verfassungsschutzes beraten und betreuen Ausstiegswillige jederzeit unter Telefon: 0221-792-62 oder E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de Im Internet ist das Bundesamt für Verfassungsschutz unter www.verfassungsschutz.de erreichbar. 26 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE VI. Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI im Zeitraum von Januar 1990 bis Dezember 2010 (in chronologischer Reihenfolge) Maßnahmen gegen extremistische Bestrebungen in den Phänomenbereichen Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänoVerbotsmenverfügung bereich "Nationalistische 26.11.1992 - Vereinszweck UnanfechtRechtsFront" (NF) gegen die verfasbar extremissungsmäßige Ordmus nung gerichtet "Deutsche Alterna08.12.1992 - Vereinszweck UnanfechtRechtstive" (DA) gegen die verfasbar extremissungsmäßige Ordmus nung gerichtet "Nationale Offen21.12.1992 - Vereinszweck UnanfechtRechtssive" (NO) gegen die verfasbar extremissungsmäßige Ordmus nung gerichtet "Arbeiterpartei Kur22.11.1993 - StrafgesetzwidUnanfechtAusländistans" (PKK), "Narigkeit, Gefährbar derextretionale Befreiungsdung der inneren mismus front Kurdistans" Sicherheit und (ERNK) und Teilorgaöffentlichen Ordnisationen, "Förderanung sowie tion der patriotiaußenpolitischer schen Arbeiterund Belange DeutschKulturvereinigunlands gen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (FEYKA-Kurdistan), "Kurdistan-Komitee e.V." 27 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Wiking-Jugend 10.11.1994 - Vereinszweck UnanfechtRechtsextree.V." (WJ) gegen die verfasbar mismus sungsmäßige Ordnung gerichtet "Kurdistan Infor20.02.1995 - ErsatzorganisaUnanfechtAusländermationsbüro" tion des rechtsbar extremis(KIB) alias "Kurkräftig verbotenen mus distan Informa"Kurdistan Komitionsbüro in tee e.V." Deutschland" "Freiheitliche 22.02.1995 - Vereinszweck UnanfechtRechtsextreDeutsche Arbeigegen die verfasbar mismus terpartei" (FAP) sungsmäßige Ordnung gerichtet "Revolutionäre 06.08.1998 - StrafgesetzwidUnanfechtAusländerVolksbefreiungsrigkeit und Gebar extremispartei-Front" fährdung der inmus (DHKP-C) neren Sicherheit - Ersatzorganisation der am 09.02.1983 rechtskräftig verbotenen "Revolutionären Linke" (Devrimci Sol) "Türkische Volks06.08.1998 - StrafgesetzwidUnanfechtAusländerbefreiungsparrigkeit und Gebar extremistei/-Front" fährdung der inmus (THKP/-C) neren Sicherheit 28 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Blood & Ho12.09.2000 - Vereinszweck UnanfechtRechtsextrenour" (B&H) gerichtet gegen: bar mismus mit "White - die verfassungsYouth" mäßige Ordnung - den Gedanken der Völkerverständigung "Kalifats08.12.2001/ - Vereinszweck UnanfechtIslamismus/ staat" und 14.12.2001/ gerichtet gegen: bar islamisti35 Teil13.05.2002/ - die verfassungsscher Terroorganisatio16.09.2002 mäßige Ordnung rismus nen - den Gedanken der Völkerverständigung - Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele "Al-Aqsa e.V." 31.07.2002 - Verstoß gegen den UnanfechtIslamismus/ Gedanken der Völbar islamistikerverständigung scher Terro(finanzielle Unterrismus stützung der HAMAS und ihrer sogenannten Sozialvereine) 29 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Hizb ut-Tah10.01.2003 - Verstoß gegen den Unanfechtbar Islamismus/ rir" (HuT) Gedanken der Völislamistikerverständigung scher Terro- - Befürwortung von rismus Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange "Yeni Akit 22.02.2005 - Leugnung und Unanfechtbar Islamismus/ GmbH" Verharmlosung islamistiVerlegerin der des Holocaust in scher TerroEuropa-Ausvolksverhetzender rismus gabe der türWeise kischsprachi- - Verbreitung antigen Tageszeisemitischer / antitung "Anadowestlicher Propaluda Vakit" ganda "Bremer HilfsSelbstauflöBMI hatte am Islamismus/ werk e.V." sung mit 03.12.2004 ein islamistiWirkung vereinsrechtlischer Terrovom ches Ermittrismus 18.01.2005; lungsverfahren Löschung mit dem Ziel im Vereinseines Verbots register am gegen das 29.06.2005 "Bremer Hilfswerk e.V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 30 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "YATIM-Kinder30.08.2005 - NachfolgeorganiUnanfechtIslamismus/ hilfe e.V." sation des rechtsbar islamistikräftig verbotenen scher Terro"al-Aqsa e.V." rismus "Collegium Hu18.04.2008 - Vereinszweck UnanfechtRechtsextremanum" (CH) mit gegen die verfasbar mismus "Bauernhilfe e.V." sungsmäßige Ordnung gerichtet - Zuwiderlaufen gegen Strafgesetze "Verein zur Reha18.04.2008 - Vereinszweck UnanfechtRechtsextrebilitierung der gegen die verfasbar mismus wegen Bestreisungsmäßige Ordtens des Holonung gerichtet caust Verfolgten" - Zuwiderlaufen (VRBHV) gegen Strafgesetze "Mesopotamia 13.06.2008 - StrafgesetzwidAussetzung AusländerBroadcast A/S", rigkeit des Verfahextremis"Roj TV A/S", - Verstoß gegen den rens durch mus "VIKO Fernseh Gedanken der Völdas Produktion kerverständigung BVerwG, GmbH" Vorlage an den EuGH "Al-Manar TV" 29.10.2008 - Verstoß gegen den UnanfechtIslamismus/ Gedanken der Völbar islamistikerverständigung scher Terrorismus 31 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Organisation Datum der Verbotsgründe Status PhänomenVerbotsbereich verfügung "Heimattreue 09.03.2009 - Vereinszweck UnanfechtRechtsextreDeutsche Jugend gegen die verfasbar mismus - Bund zum sungsmäßige OrdSchutz für Umnung gerichtet welt, Mitwelt und - Zuwiderlaufen Heimat e.V." gegen Strafge(HDJ) setze - Ideologische Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen mit nationalsozialistischem Gedankengut "Internationale 23.06.2010 - Verstoß gegen Anhängig Islamismus/ Humanitäre den Gedanken der beim islamistiHilfsorganisation VölkerverständiBVerwG scher Terroe.V." (IHH) gung rismus 32 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) zum 1. Januar 2001 eingeführt. Danach werden als politisch motivierte Kriminalität bezeichnet und erfasst: 1. Alle Straftaten, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, selbst wenn im Einzelfall eine politische Motivation nicht festgestellt werden kann. Als solche klassischen Staatsschutzdelikte gelten die folgenden Straftatbestände: SSSS 80-83, 84-86a, 8791, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a des Strafgesetzbuches (StGB). 2. Im Übrigen aber auch Straftaten, die ebenso in der Allgemeinkriminalität begangen werden können (wie z.B. Tötungsund Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsdelikte, Sachbeschädigungen), jedoch nur, wenn in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind, weil sie: # den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, der Erreichung oder Verhinderung politischer Ziele dienen oder sich gegen die Realisierung politischer Entscheidungen richten, # sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bzw. eines ihrer Wesensmerkmale, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes zum Ziel haben, # durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer 33 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten (sogenannte Hasskriminalität); dazu zählen auch Taten, die nicht unmittelbar gegen eine Person, sondern im oben genannten Zusammenhang gegen eine Institution oder Sache verübt werden. Die erfassten Sachverhalte werden im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Hierbei werden insbesondere Feststellungen zur Qualität des Delikts, zur objektiven thematischen Zuordnung der Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zur möglichen internationalen Dimension der Tat und zu einer gegebenenfalls zu verzeichnenden extremistischen Ausprägung der Tat getroffen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Bereich der Gewaltdelikte erweitert und bundeseinheitlich festgelegt. Die differenzierte Darstellung ermöglicht eine konkret bedarfsorientierte Auswertung der Daten und bildet damit die Grundlage für den zielgerichteten Einsatz geeigneter repressiver und präventiver Bekämpfungsmaßnahmen. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). II. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Das BKA registrierte für das Jahr 2010 insgesamt 27.180 (2009: 33.917) politisch motivierte Straftaten. In dieser Zahl sind 12.796 (47,1%) Propagandadelikte enthalten (2009: 14.851 Delikte = 43,8%). 2.636 Delikte (9,7%) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2009: 3.044 = 9%). Politisch motivierte Nach Phänomenbereichen unterschieden wurden 16.375 Straftaten (2009: 19.468) Straftaten dem Bereich "Politisch motivierte Krinach Phänomenminalität - rechts", 6.898 (2009: 9.375) dem Bereich "Politisch bereichen motivierte Kriminalität - links" und 917 (2009: 966) dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" zugeordnet. Bei 2.990 (2009: 4.108) Straftaten konnte keine Zuordnung zu einem der o.g. Phänomenbereiche getroffen werden. 34 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Insgesamt wurden 20.811 Straftaten (76,6%) mit extremistischem Extremistische Hintergrund ausgewiesen (2009: 24.9522 = 73,6%), davon 15.905 Straftaten (2009: 18.750) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts", 3.747 (2009: 4.734) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" und 790 (2009: 707) aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität". 369 (2009: 761) Straftaten deuten aufgrund der Tatumstände auf einen extremistischen Hintergrund hin, diese wurden ohne Zuordnung zu einem Phänomenbereich gemeldet. III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 1. Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 1.1 Überblick Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem HinRückgang der tergrund bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Polirechtsextremistitisch motivierte Kriminalität - rechts". Dem Phänomenbereich schen Kriminalität "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" wurden 16.375 (2009: 19.468) Straftaten, hiervon 11.401 (2009: 13.295) Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB und 806 (2009: 959) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Phänomenbereich wurden 15.905 (2009: 18.750) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 762 (2009: 891) Gewalttaten erfasst. Damit ging die Zahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 15,2%, die der Gewalttaten um 14,5% zurück. Der Anteil der Gewalttaten an der Gesamtzahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund beträgt 4,8% (2009: 4,8%). Bei 80,6% (2009: 81,5%) aller politisch rechts 2 Die Gesamtzahl der extremistischen Straftaten sowie die Zahlen der extremistischen Delikte in den Bereichen "Politisch motivierte Kriminalität - links" und "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" weichen von der Pressemitteilung des Bundesministeriums des Innern "Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 2009" vom 23.03.2010 insoweit ab, wie ein Land nachträglich Korrekturbedarf bei extremistischen Taten in diesen Bereichen angemeldet hat. 35 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund handelte es sich entweder um Propagandadelikte (11.384 Taten, 2009: 13.280) oder um Fälle von Volksverhetzung (1.433 Taten, 2009: 1.997). Insgesamt wurden 275 Delikte (2009: 300) im Themenfeld "Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten" und 42 Delikte (2009: 55) im Themenfeld "Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner" ausgewiesen. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * Gewalttaten 2009 2010 Tötungsdelikte 1 0 Versuchte Tötungsdelikte 5 6 Körperverletzungen 738 638 Brandstiftungen 18 29 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 2 Landfriedensbruch 44 25 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 4 4 Freiheitsberaubung 3 0 Raub 16 7 Erpressung 5 3 Widerstandsdelikte 57 48 Sexualdelikte 0 0 gesamt 891 762 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 1.453 1.335 Nötigung/Bedrohung 146 127 Propagandadelikte 13.280 11.384 Störung der Totenruhe 24 18 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung 2.956 2.279 gesamt 17.859 15.143 Straftaten insgesamt 18.750 15.905 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z. B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 36 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 1.2 Zielrichtungen der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund Mit 285 (2009: 351) Delikten wiesen rund 37,4% der politisch rechts motivierten Gewalttaten einen extremistischen und einen fremdenfeindlichen Hintergrund auf. 275 (36,1%) Gewaltdelikte (2009: 300 = 33,7%) richteten sich gegen (mutmaßliche) Linksextremisten. Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * Zielrichtungen gesamt fremdenfeindliche Gewalttaten antisemitische Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner 1.000 891 800 762 600 400 351 300 285 275 200 55 31 42 29 0 01.01.-31.12.2009 01.01.-31.12.2010 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. 37 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 1.2.1 Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund* 2009 2010 Tötungsdelikte 1 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 2 Körperverletzungen 321 263 Brandstiftungen 7 12 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 4 5 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 0 1 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 10 1 Erpressung 3 0 Widerstandsdelikte 3 1 Sexualdelikte 0 0 Fremdenfeindliche Gewalttaten insgesamt 351 285 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.2.2 Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund Im Jahr 2010 wurden insgesamt 1.166 politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund registriert. Damit ging die Zahl gegenüber dem Vorjahr (1.502) nicht nur um etwa 22,4% zurück, sondern es wurden auch die niedrigsten Werte seit Einführung des derzeit geltenden Definitionsund Erfassungssystems registriert. Die Zahl der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund fiel von 31 (2009) auf 29. Insgesamt wiesen 3,8% aller politisch rechts motivierten Gewalt38 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) delikte sowohl einen extremistischen als auch einen antisemitischen Hintergrund auf.3 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten* 2009 2010 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 3 Körperverletzungen 251 232 Brandstiftungen 5 14 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 29 12 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 0 2 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 4 4 Erpressung 2 2 Widerstandsdelikte 6 5 gesamt 300 275 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund ereigneten sich mit 149 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen, das allerdings bezogen auf je 100.000 Einwohner im mittleren Feld der Statistik liegt. Danach folgen Sachsen (98; bezogen auf die Einwohnerzahl an dritter Stelle) und Niedersachsen (80; bezo- 3 Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 39 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) gen auf die Einwohnerzahl an achter Stelle), Sachsen-Anhalt (67; bezogen auf die Einwohnerzahl an erster Stelle), Brandenburg (66; bezogen auf die Einwohnerzahl an zweiter Stelle) sowie Bayern (58; bezogen auf die Einwohnerzahl an vorvorletzter Stelle) und Thüringen (44; bezogen auf die Einwohnerzahl an vierter Stelle). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * in den Ländern 01.01.-31.12.2010 01.01.-31.12.2009 Nordrhein-Westfalen 149 163 Sachsen 98 84 Niedersachsen 80 113 Sachsen-Anhalt 67 60 Brandenburg 66 69 Bayern 58 53 Thüringen 44 41 Baden-Württemberg 39 47 Schleswig-Holstein 37 60 Mecklenburg29 Vorpommern 36 Berlin 22 56 Hamburg 21 30 Rheinland-Pfalz 20 38 Hessen 20 22 Saarland 7 13 Bremen 5 6 0 30 60 90 120 150 180 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 40 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" * je 100.000 Einwohner in den Ländern 01.01.-31.12.2010 01.01.-31.12.2009 Sachsen-Anhalt 2,52 2,84 Brandenburg 2,74 2,63 Sachsen 2,00 2,35 Thüringen 1,81 1,96 Mecklenburg2,16 Vorpommern 1,76 2,12 Schleswig-Holstein 1,31 1,69 Hamburg 1,18 1,42 Niedersachsen 1,01 0,91 Nordrhein-Westfalen 0,83 0,91 Bremen 0,76 1,26 Saarland 0,68 Berlin 1,63 0,64 Rheinland-Pfalz 0,94 0,50 Bayern 0,42 0,46 Baden-Württemberg 0,44 0,36 Hessen 0,36 0,33 0 1,00 2,00 3,00 4,00 5,00 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen (Stichtag: 31.12.2010) der Länder. 41 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 2. Politisch links motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 2.1 Überblick Rückgang der linksPolitisch links motivierte Straftaten mit extremistischem Hinextremistischen tergrund bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "PoliKriminalität tisch motivierte Kriminalität - links". Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" wurden 6.898 (2009: 9.375) Straftaten, hiervon 1.377 (2009: 1.822) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 3.747 (2009: 4.734) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 944 (2009: 1.115) Gewalttaten, erfasst. Damit ging die Zahl der politisch links motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 20,8%, die der Gewalttaten um 15,3% zurück. 42 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links"* Gewalttaten 2009 2010 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 7 4 Körperverletzungen 502 541 Brandstiftungen 113 81 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 4 5 Landfriedensbruch 271 148 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 18 34 Freiheitsberaubung 2 0 Raub 23 15 Erpressung 2 4 Widerstandsdelikte 173 112 Sexualdelikte 0 0 gesamt 1.115 944 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 2.091 1.640 Nötigung/Bedrohung 56 62 Andere Straftaten 1.472 1.101 gesamt 3.619 2.803 Straftaten insgesamt 4.734 3.747 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Köperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 2.2 Zielrichtungen der politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund Von den politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund wurden 443 Fälle (2009: 468) im Themenfeld "Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten", ein Delikt (2009: 11) im Themenfeld "Antiglobalisierung" und 31 Delikte (2009: 43) im Themenfeld "Kampagne gegen Kernenergie" ausgewiesen. 43 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links"* Zielrichtungen gesamt Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Kampagne gegen Kernenergie Antiglobalisierung 1.200 1.115 1.000 944 800 600 468 443 400 200 43 31 11 1 0 01.01.-31.12.2009 01.01.-31.12.2010 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. 44 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten* 2009 2010 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 304 308 Brandstiftungen 19 18 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 1 Landfriedensbruch 59 63 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 4 7 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 22 14 Erpressung 2 4 Widerstandsdelikte 55 27 gesamt 468 443 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund ereigneten sich mit 172 registrierten Delikten in Bayern, das bezogen auf je 100.000 Einwohner an neunter Stelle liegt. Danach folgen - in absoluten Zahlen - Nordrhein-Westfalen (152; bezogen auf die Einwohnerzahl an elfter Stelle) und Sachsen (128; bezogen auf die Einwohnerzahl an zweiter Stelle). 45 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * in den Ländern 01.01.-31.12.2010 01.01.-31.12.2009 Bayern 172 127 Nordrhein-Westfalen 152 187 Sachsen 128 89 Niedersachsen 109 161 Berlin 81 215 Baden-Württemberg 74 93 Schleswig-Holstein 64 67 Sachsen-Anhalt 37 24 Brandenburg 30 26 Hamburg 27 37 Mecklenburg24 Vorpommern 20 Bremen 24 12 Hessen 14 24 Rheinland-Pfalz 4 19 Thüringen 2 10 Saarland 2 4 0 20 40 60 80 100 120 140 160 180 200 220 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 46 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" * je 100.000 Einwohner in den Ländern 01.01.-31.12.2010 01.01.-31.12.2009 Bremen 3,63 1,81 Sachsen 3,07 2,12 Berlin 2,35 6,27 Schleswig-Holstein 2,26 2,36 Sachsen-Anhalt 1,57 1,01 Hamburg 1,52 2,09 Mecklenburg1,45 Vorpommern 1,20 Niedersachsen 1,37 2,03 Bayern 1,37 1,01 Brandenburg 1,19 1,03 Nordrhein-Westfalen 0,85 1,04 Baden-Württemberg 0,69 0,87 Hessen 0,23 0,40 Saarland 0,20 0,39 Rheinland-Pfalz 0,10 0,47 Thüringen 0,09 0,44 0 2,00 4,00 6,00 8,00 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen (Stichtag: 31.12.2010) der Länder. 47 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 3.1 Überblick Der Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" umfasst auch die Teilmenge der politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" wurden 917 (2009: 966) Straftaten, hiervon 153 (2009: 144) Gewalttaten zugeordnet. In diesem Bereich wurden 790 (2009: 707) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 130 (2009: 102) Gewalttaten erfasst. Damit stieg die Zahl der Straftaten im Bereich "Politisch motivierter Ausländerkriminalität" mit extremistischem Hintergrund um 11,7% und die Zahl der Gewalttaten in diesem Bereich um 27,5% an. 48 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität"* Gewalttaten 2009 2010 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 2 Körperverletzungen 56 77 Brandstiftungen 7 7 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 2 Landfriedensbruch 16 31 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 2 1 Freiheitsberaubung 1 1 Raub 8 1 Erpressung 6 3 Widerstandsdelikte 4 5 Sexualdelikte 0 0 gesamt 102 130 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 162 119 Nötigung/Bedrohung 41 10 Andere Straftaten 402 531 gesamt 605 660 Straftaten insgesamt 707 790 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind z.B. während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Köperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 49 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die meisten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" ereigneten sich mit 51 registrierten Delikten in Baden-Württemberg. Danach folgen Niedersachsen (26) und Nordrhein-Westfalen (25). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" * in den Ländern 01.01.-31.12.2010 01.01.-31.12.2009 51 Baden-Württemberg 29 26 Niedersachsen 3 Nordrhein-Westfalen 25 22 Berlin 14 29 Bayern 5 1 Bremen 3 4 Hessen 1 6 Sachsen 1 3 Thüringen 1 2 Schleswig-Holstein 1 2 Hamburg 1 1 Sachsen-Anhalt 1 0 Rheinland-Pfalz 0 0 Brandenburg 0 0 Saarland 0 0 Mecklenburg- 0 Vorpommern 0 0 10 20 30 40 50 * Die Zahlen basieren auf Angaben des BKA. 50 Rechtsextremismus 51 Rechtsextremismus I Überblick 1. Ideologie Kein ideologisch Der Rechtsextremismus stellt in Deutschland kein ideologisch einheitliches einheitliches Gefüge dar, sondern tritt in verschiedenen AusGefüge des Rechtsprägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer extremismus in Ideologieelemente und unterschiedlichen, sich daraus herleiDeutschland tenden Zielsetzungen auf. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Dieses rechtsextremistische Werteverständnis steht in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz. Autoritärer Staat Neben diesen Ideologiefragmenten verbindet Rechtsextremisund "Volksgemeinten in aller Regel zudem ihr Staatsverständnis, das für ein autoschafts"-Ideologie ritäres politisches System eintritt, in dem der Staat und das - nach ihrer Vorstellung ethnisch homogene - Volk als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der "Volksgemeinschaft" sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, fehlen. Struktur des Zum rechtsextremistischen Spektrum zählen hauptsächlich subSpektrums kulturell geprägte Rechtsextremisten, Neonazis einschließlich der "Autonomen Nationalisten" sowie die rechtsextremistischen Parteien "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und "Deutsche Volksunion" (DVU). 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus RechtsextremistiDie Zahl rechtsextremistischer Strafund Gewalttaten (vgl. Polische Gewalttaten tisch motivierte Kriminalität (PMK), Kap. III, Nr. 1) ging 2010 zurück, insbesondere im Bereich der Propagandadelikte. 52 RECHTSEXTREMISMUS Das rechtsextremistische Personenpotenzial war 2010 erneut Rückgang des leicht rückläufig. Betroffen von dem Rückgang war mit Ausrechtsextremistinahme der Neonazis das gesamte rechtsextremistische Spekschen Personentrum. potenzials Zudem setzte sich die strukturelle Verschiebung - weg von der Strukturelle Veräneinst stilbildenden Skinhead-Subkultur der 1990er Jahre, hin zu derungen in der anderen rechtsextremistischen Subkulturen und der neonazissubkulturell tischen Szene - fort (vgl. Kap. II, Nr. 3.1). geprägten Szene halten an Im neonazistischen Spektrum stellen die "Autonomen NationaNeonazi-Szene - listen" die am schnellsten wachsende Strömung dar. Im Übrigen Anwachsen der besteht die neonazistische Szene überwiegend aus regionalen "Autonomen Personenzusammenschlüssen mit losen OrganisationsstruktuNationalisten" ren und geringen Mitgliederzahlen (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). Die NPD bleibt die mitgliederstärkste rechtsextremistische ParNPD stärkste tei. In Vorbereitung auf das Wahljahr 2011 versuchte die Parteirechtsextremisführung, einen Motivationsund Mobilisierungsschub auszulötische Partei sen. Am Rande des Bundesparteitages der NPD in Bamberg (Bayern) NPD forciert Fusion wurde in einer Pressekonferenz öffentlichkeitswirksam die mit der DVU geplante Fusion von NPD und DVU durch die beiden Parteivorsitzenden Udo Voigt (NPD) und Matthias Faust (DVU) angekündigt. Der NPD-Parteivorsitzende Voigt setzte sich im Folgenden massiv für die rasche Realisierung des Vorhabens ein, das auf Seiten der NPD ohne größere Reibungen verlief (vgl. Kap. III, Nr. 1). Demgegenüber war der Fusionsprozess auf Seiten der DVU von DVU steht vor der parteiinternen Kontroversen geprägt. Zwar votierten auf einem Auflösung Parteitag im Dezember 2010 die wenigen anwesenden Mitglieder für die Fusion mit der NPD und beschlossen die Auflösung der DVU. Dies hat die innerparteilichen Querelen jedoch nicht beendet. Anfang 2011 begann ein Rechtsstreit darüber, ob der Parteitagsbeschluss und die Fusion rechtmäßig zustande gekommen sind und die DVU damit wirksam aufgelöst worden ist (vgl. Kap. III, Nr. 2). 53 RECHTSEXTREMISMUS RechtsextremistiRechtsextremistische Musik, entsprechende Internetseiten und sche Verbreitungspersönliche Kontakte zu gleichaltrigen Rechtsextremisten bilstrukturen den die Basis für den Einstieg vieler Jugendlicher in die rechtsextremistische Szene und Ideologie (vgl. Kap. IV). 3. Organisationen und Personenpotenzial Weiterer Rückgang Ende 2010 gab es in Deutschland 219 (2009: 195) rechtsextremisdes rechtsextremistische Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Die tischen PersonenZahl ihrer Mitglieder sowie der nichtorganisierten Rechtsextrepotenzials misten in Deutschland liegt nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften mit insgesamt 25.000 Personen erneut unter der des Vorjahres (2009: 26.600). Gewaltbereite Parallel zu den strukturellen Veränderungen in der rechtsextreRechtsextremisten mistischen Szene ist eine Verlagerung des Gewaltpotenzials insbesondere bei Konfrontationen mit dem politischen Gegner zu verzeichnen. Um dieser Veränderung Rechnung zu tragen, wird im Jahr 2010 erstmals die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten gesondert ausgewiesen. Dieses Personenpotenzial setzt sich zusammen aus Angehörigen der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene, rechtsextremistischen Gewalttätern und solchen Rechtsextremisten, die sich deutlich für die Anwendung von Gewalt aussprechen oder im Übrigen eine hohe Gewaltbereitschaft aufweisen. Insgesamt werden diesem Potenzial 9.500 Personen zugerechnet (vgl. Kap. II, Nr. 1.2). Zahl der Neonazis Die Zahl der Neonazis ist 2010 auf 5.600 (2009: 5.000) deutlich deutlich gestiegen angestiegen. Viel zur "Attraktivität" der Szene tragen die "Autonomen Nationalisten" bei; deren Anteil am Neonazispektrum ist gegenüber 2009 von 800 auf 1.000 Personen angewachsen. Subkulturell Demgegenüber ging die Zahl der subkulturell geprägten Rechtsgeprägte Rechtsextremisten auf 8.300 (2009: 9.000) zurück. extremisten 54 RECHTSEXTREMISMUS Die Mitgliederzahl der DVU sank deutlich auf nur noch 3.000 Hohe (2009: 4.500). Mitgliederverluste bei der DVU Die Zahl der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen ist mit 63 (2009: 60) leicht gestiegen. Diesem Spektrum gehörten wie im Vorjahr rund 2.500 Mitglieder/Aktivisten an. Rechtsextremismuspotenzial 1 2008 2009 2010 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 2 9.500 1 9.000 1 8.300 Neonazis 2 87 4.800 132 5.000 153 5.600 in Parteien 2 13.000 2 11.300 2 9.600 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 7.000 6.800 6.600 "Deutsche Volksunion" (DVU) 6.000 4.500 3.000 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 65 3.800 60 2.500 63 2.500 Summe 156 31.100 195 27.800 219 26.000 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 3 30.000 26.600 25.000 davon gewaltbereite Rechtsextremisten 4 9.500 1 Die Zahlen sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. In der Zahl der Gruppen sind nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen enthalten, die ein gewisses Maß an Organisationsstruktur aufweisen. 3 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen (für das Jahr 2009: 1.200; für das Jahr 2010: 1.000). 4 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten 2010 erstmals gesondert ausgewiesen (vgl. Kap. II, Nr. 1, 2). 55 RECHTSEXTREMISMUS 4. Periodische Publikationen Die Zahl der periodischen rechtsextremistischen Publikationen ist mit 81 (2009: 82, 2008: 78) annähernd gleich geblieben. 31 Publikationen erschienen mindestens quartalsweise. 5. Rechtsextremistische Kundgebungen Demonstrationen Im Jahr 2010 fanden 148 neonazistische Demonstrationen statt. von Neonazis Die Zahl der Veranstaltungen hat sich damit gegenüber dem Vorjahr (2009: 143) leicht erhöht. Themenschwerpunkte waren wie im Vorjahr die Jahrestage der Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, allgemeinpolitische sowie aktuelle Anlässe. Demonstrationen Die Zahl der von der NPD und ihrer Jugendorganisation "Junge der NPD Nationaldemokraten" (JN) organisierten Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen blieb weitestgehend auf dem Vorjahresniveau. Es wurden 92 Demonstrationen und öffentliche Veranstaltungen durchgeführt (2009: 95). Die anhaltend hohe Anzahl der rechtsextremistischen Veranstaltungen belegt die Mobilisierungsund Aktionsbereitschaft der Szene. Teilnehmerstärkste Wie bereits im Vorjahr war eine Tendenz zu kleineren regionalen Veranstaltungen Kundgebungen und spontanen Demonstrationen ohne vorherige Anmeldung zu erkennen. Dennoch bemühte sich insbesondere die neonazistische Szene auch im Jahr 2010, größere Aufmärsche mit über 1.000 Teilnehmern als Zeichen der eigenen Mobilisierungskraft - gerade gegenüber dem politischen Gegner - zu organisieren. Diese Demonstrationen haben für die Szene eine große Signalwirkung. Umso schwerer wiegt der Umstand, dass die bisher größte derartige Veranstaltung, der von der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) jährlich organisierte "Trauermarsch" in Dresden zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg, im Jahr 2010 durch Sitzblockaden, Straßensperrungen und Barrikadenbau verhindert werden konnte. Nach den für sie frustrierenden Misserfolgen plant die Szene, eine bessere Strategie, Vorbereitung und Koordinierung der eigenen Aktivitäten zu entwickeln. In 56 RECHTSEXTREMISMUS Teilen der neonazistischen Szene wird darüber hinaus gefordert, die eigenen Aufmärsche auch mit Gewalt durchzusetzen (vgl. Kap. II, Nr. 1). Von den teilnehmerstärksten Veranstaltungen im Jahr 2010 sind insbesondere zu erwähnen: # An dem durch die JLO organisierten "Trauermarsch" am 13. Februar 2010 in Dresden nahmen ca. 6.400 Teilnehmer (2009: 6.500, 2008: 3.800) aus dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum teil. Die verhinderte Veranstaltung stand unter dem Motto "In Würde unserer Toten gedenken". # Das Pressefest der NPD-eigenen "Deutschen Stimme - Verlagsgesellschaft mbH" fand am 7. August 2010 in Jänkendorf (Sachsen) mit ca. 2.000 Teilnehmern statt. II. Gewaltbereitschaft in der rechtsextremistischen Szene 1. Formen der Gewaltbereitschaft Auch 2010 waren in Deutschland keine rechtsterroristischen Keine rechtsStrukturen feststellbar. terroristische Strukturen Rechtsextremistische Gewalt wird überwiegend spontan Überwiegend begangen. Häufig sind es Situationen, in denen oder anlässlich situative Gewalt derer Rechtsextremisten - einzeln oder in kleinen Gruppen - auf Personen treffen, die dem typischen rechtsextremistischen Feindbild entsprechen. Im Verlauf rechtsextremistischer Demonstrationen bleiben Gewalttaten von Rechtsextremisten meist die Ausnahme. Das Aggressionspotenzial in Form von Straftaten entlädt sich eher bei der Anund Abreise bzw. im Zusammenhang mit Spontandemonstrationen. Die Mehrzahl der Aktivitäten geschieht unabhängig von Demonstrationen auf lokaler Ebene. Überwiegend verlaufen die Auseinandersetzungen zwischen der rechtsund linksextremistischen Szene in Form gegenseitiger verbaler Attacken, Outingaktionen, Sachbeschä57 RECHTSEXTREMISMUS digungen sowie Körperverletzungen. Vereinzelt kommt es zu Brandstiftungen an Fahrzeugen von Angehörigen der linksextremistischen bzw. vermeintlich linksextremistischen Szene sowie an Szeneobjekten. Entwicklung des Insgesamt lässt sich ein Anstieg des Gewaltpotenzials sowie der Gewaltpotenzials Bereitschaft, Gewalt auch zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele einzusetzen, beobachten. Hervorgerufen wird diese Entwicklung durch eine zunehmende Frustration der Szeneangehörigen aufgrund von Blockaden rechtsextremistischer Demonstrationen und der von der Szene häufig als erschwert betrachteten Verfahren der Versammlungsbehörden. Besonders ausgeprägt ist diese Entwicklung unter Anhängern der "Autonomen Nationalisten". Ein herausragendes Beispiel stellt der Fall von Aktivisten aus dem Umfeld der neonazistischen "Kameradschaft Aachener Land" (KAL) dar, die im Vorfeld der rechtsextremistischen 1. MaiDemonstration in Berlin unkonventionelle Sprengund Brandvorrichtungen (USBV) mitgeführt hatten, um diese gegen politische Gegner bzw. Polizeikräfte einzusetzen (vgl. Kap. II, Nr. 3.2). Affinität der Szene Die Affinität von Rechtsextremisten zu Waffen und Sprengstoff zu Waffen und bildet weiterhin ein latentes Gefährdungspotenzial, insofern Sprengstoff sind Taten von Einzelaktivisten nicht auszuschließen. 2. Personenpotenzial Das Personenpotenzial gewaltbereiter Rechtsextremisten umfasst rund 9.500 Personen. Die Mehrzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten rekrutiert sich aus dem Bereich des subkulturell geprägten rechtsextremistischen Skinhead-, NS-Hatecorebzw. NS-Black-Metal-Spektrums. Darüber hinaus werden dem gewaltbereiten Rechtsextremismus Angehörige der neonazistischen Szene (vgl. Kap. II, Nr. 3.2) sowie rechtsextremistischer Parteien (vgl. Kap. III) und sonstiger Organisationen zugerechnet, soweit sie sich deutlich für die Anwendung von Gewalt aussprechen oder im Übrigen eine hohe Gewaltbereitschaft (z.B. bei Demonstrationen) auf58 RECHTSEXTREMISMUS weisen bzw. bereits Gewalttaten verübt haben. Im neonazistischen Spektrum ist dies insbesondere bei den "Autonomen Nationalisten" (vgl. Kap. II, Nr. 3.2) der Fall. 3. Rechtsextremistische Strukturen mit überwiegender Gewaltbereitschaft 3.1 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Die gewaltbereite subkulturell geprägte rechtsextremistische Abnehmende Szene unterliegt seit Jahren einem deutlichen Wandel. InsbeBedeutung der sondere die Skinhead-Subkultur, die in den 1990er Jahren die subkulturell gewaltbereite Szene prägte, ist für jugendliche Rechtsextregeprägten misten zunehmend uninteressant. Vielmehr weisen andere Rechtsextremisten rechtsextremistische subkulturelle Strukturen (NS-Hatecoreoder NS-Black-Metal-Szene, vgl. Kap. IV, Nr. 2) sowie die aktionsorientierten neonazistischen "Autonomen Nationalisten" (vgl. Kap. II, Nr. 3.2) inzwischen eine höhere Anziehungskraft auf. Aus diesem Grund ist die Zahl der subkulturell geprägten Rechtsextremisten seit einigen Jahren rückläufig und liegt nunmehr bei 8.300 Personen (2009: 9.000). Die Szene setzt sich überwiegend aus regionalen Gruppen sowie Aktivisten der rechtsextremistischen Musikszene (vgl. Kap. IV, Nr. 2) zusammen. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten verfügen über kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, sondern sind von unterschiedlichen rechtsextremistischen Einstellungen beeinflusst. Aktivitäten mit Erlebnischarakter wie etwa der Besuch einschlägiger Musikveranstaltungen sowie die Teilnahme an Demonstrationen stehen für sie im Mittelpunkt. Ideologiediskussionen, langfristige politische Betätigung und die Einbindung in Strukturen lehnen sie überwiegend ab. Szeneinterne Organisationen spielen in der deutschen subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene seit dem Verbot der "Blood & Honour"-Organisation (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI) im Jahr 2000 nur eine geringe Rolle. Dies gilt auch für die einzige verbliebene bundesweit aktive Skinhead-Organisation, die deutsche Sektion der "Hammerskins". 59 RECHTSEXTREMISMUS Kontakte von Szeneangehörigen werden sowohl überregional als auch international insbesondere bei Konzerten oder sonstigen rechtsextremistischen Veranstaltungen und über Internetforen sowie soziale Netzwerke geknüpft. Szeneaktivisten, die als Bandmitglieder oder Vertreiber aktiv sind, nutzen darüber hinaus häufig ein auf persönlichen Kontakten beruhendes informelles Netzwerk. Der Skinhead-, der NS-Hatecoreund der NS-Black-Metal-Szene ist eine ausgeprägte Gewaltbereitschaft immanent. Die häufig durch die szenetypische Musik vermittelten Feindbilder und Ideologiefragmente bilden die Grundlage für die meist aus der Situation heraus - z.T. unter Alkoholeinfluss - begangenen Gewalttaten. Szene-Outfit Durch den Wandel der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene und die weiter rückläufige Bedeutung der Skinhead-Subkultur ist die Zugehörigkeit zur Szene auch äußerlich nur noch selten zu erkennen. Bei der Teilnahme an Demonstrationen wird das Tragen entsprechender Bekleidung ohnehin meist im Vorfeld durch Auflagen der Versammlungsbehörden unterbunden. Der "klassische" Skinhead-Stil gilt als veraltet. Nur bei szeneinternen Veranstaltungen wie Konzerten findet dieses Outfit bei einem Teil der Szeneangehörigen noch Verwendung. Ein Großteil der Szeneangehörigen verzichtet aber auch auf ein entsprechendes Erscheinungsbild, weil es ein eindeutiges Erkennungsmerkmal für den politischen Gegner bietet und oftmals gesellschaftliche Stigmatisierung nach sich zieht. Die Szeneangehörigen bevorzugen stattdessen Kleidungsstücke oder Marken, die sich an allgemeinen Trends der Jugendmode orientieren und durch entsprechende Schriftzüge oder Symbole die Zugehörigkeit zur Szene weniger offensichtlich signalisieren. Ausblick Die abnehmende Attraktivität der inzwischen überalterten Skinhead-Subkultur führt dazu, dass für rechtsextremistisches Gedankengut empfängliche Jugendliche sich zunehmend anderen Bereichen dieses Spektrums zuwenden. Diese Entwicklung dürfte auch in Zukunft anhalten. 60 RECHTSEXTREMISMUS 3.2 Neonazistische Strukturen Grundlage und feste Bezugsgröße des neonazistischen SpekIdeologie trums ist der historische Nationalsozialismus. Neonazis streben als Gegenentwurf zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung einen ethnisch homogenen, diktatorischen Staat an. Den demokratischen Rechtsstaat bezeichnen sie als Ergebnis einer von den Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erfolgten "Umerziehung", Menschen anderer Ethnien bewerten Neonazis als Bedrohung für den Fortbestand des eigenen Volkes. Sie streben daher eine "Volksgemeinschaft" unter Ausschluss von Menschen fremder Kulturen an, in der sich das Individuum dem vorgegebenen Gesamtwillen unterzuordnen hat. Die Rechte des Einzelnen, Meinungsfreiheit und Pluralismus sollen in der von Neonazis angestrebten Gesellschaftsordnung keinen Bestand haben. Auch wenn diese Grundelemente neonazistischer Ideologie die gesamte Szene prägen, ist diese dennoch nicht homogen. Dort werden in unterschiedlicher Ausprägung und Gewichtung nationalistische, rassistische, antisemitische sowie vorgeblich antiimperialistische und antikapitalistische Ideologieelemente in das jeweilige Weltbild integriert. Das Spektrum reicht von Gruppierungen mit einem subkulturellen Einschlag, über eine wachsende Zahl von Gruppierungen, die für die Übernahme anderer Ideologiefragmente, neuer Ziele und Verhaltensweisen aufgeschlossen sind, bis hin zu Aktivisten und Gruppen, die weiterhin eine Wiederherstellung des historischen Nationalsozialismus anstreben. Das neonazistische Personenpotenzial ist 2010 erneut angestiePersonenpotenzial gen. Insgesamt gehören nunmehr 5.600 Personen (2009: 5.000) und Organisationsder Szene an. Eine wesentliche Ursache für diesen deutlichen struktur Anstieg ist die anhaltende Attraktivität der neonazistischen "Autonomen Nationalisten", die insbesondere jüngere Rechtsextremisten zulasten des subkulturell geprägten Personenpotenzials für sich gewinnen (vgl. Kap. II, Nr. 2). Bei der weit überwiegenden Anzahl der Führungsaktivisten als auch der Mehrzahl der Anhänger neonazistischer Gruppierungen handelt es sich um männliche Jugendliche und Erwachsene. Aktivistinnen spielen - auch aufgrund des möglicherweise 61 RECHTSEXTREMISMUS abschreckenden reaktionären nationalsozialistischen Weltbildes - eine untergeordnete Rolle. Frauen sind mit etwa sechs Prozent in der Führungsriege vertreten. Der Trend zu einem weiteren Abbau der Strukturen in der neonazistischen Szene setzt sich fort. Der Anteil der Gruppierungen, die als Kameradschaften noch über eine gewisse Organisationsstruktur verfügen, geht gegenüber einfacheren Strukturformen weiter zurück. Die Gruppierungen haben in der Regel bis zu 15 Mitglieder. Der Verzicht auf Organisationsstrukturen beruht zum einen darauf, dass neonazistische Gruppierungen mit Blick auf ergangene Vereinsverbote und strafrechtliche Ermittlungsverfahren versuchen, möglichst wenige Ansatzpunkte für weitere Maßnahmen der Sicherheitsbehörden zu bieten. Zum anderen erfordern die geringe Größe der Gruppen, die räumliche Nähe und der persönliche Kontakt ihrer Mitglieder nur eine geringe Organisationsdichte. Die fehlenden Strukturen lassen sich gruppenübergreifend durch den Einsatz moderner Informationsund Kommunikationsmedien ausgleichen. Aktivitäten und Für Angehörige der neonazistischen Szene spielt die politische thematische Betätigung sowohl innerhalb ihrer Gruppierung als auch in der Schwerpunkte Außendarstellung eine wichtige Rolle. Dementsprechend werden regelmäßige Treffen organisiert, bei denen politische Schulungen abgehalten und gemeinsame politische Aktivitäten (z.B. Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen, Wahlkampfunterstützung der NPD) vorbereitet werden. Nach außen treten die Gruppierungen überwiegend durch Demonstrationen und Propagandaaktionen in Erscheinung. Viele von ihnen verfügen zudem über eine qualitativ sehr unterschiedliche Internetpräsenz, die sowohl zur Selbstdarstellung als auch als Kommunikationsplattform dient. Zahlreiche Gruppierungen sind daneben in überregionale Aktionsbündnisse eingebunden, von denen eine koordinierende Funktion ausgeht. Während bei internen Veranstaltungen Themen mit direktem Bezug zum historischen Nationalsozialismus einen breiten Raum einnehmen, fällt diese Bezugnahme in der Außendarstellung deutlich verhaltener aus. 62 RECHTSEXTREMISMUS Bei Demonstrationen greifen Neonazis, neben der Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, auch aktuelle Themen wie die Finanzkrise und ihre Auswirkungen, die Integrationsdebatte oder die Diskussion zur Sicherheitsverwahrung pädophiler Sexualstraftäter auf, um sich als Sachwalter für die Interessen der Bevölkerung darzustellen. Überdies werden bei Propagandaaktionen allgemeinpolitische Themen zur Verbreitung antisemitischer Verschwörungstheorien bzw. rassistischer und homophober Einstellungen genutzt. Die ideologische Orientierung am historischen NationalsoziaGewaltbereitschaft lismus sowie die Affinität zu Waffen und Aktivitäten, die Disziplin und Kampfbereitschaft (Geländeübungen, Kampfsport) fördern, bilden die Grundlage für eine latente Gewaltbereitschaft innerhalb der Neonaziszene. Die prinzipielle Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt gegen politische Gegner und andere Personen tritt sowohl in internen bzw. anonymen Diskussionen, beispielsweise im Internet, als auch in der Beteiligung an Gewalttaten zutage. Die Anwendung systematischer Gewalt wird aber nach wie vor weitgehend abgelehnt. Dennoch ist in Teilen der neonazistischen Szene festzustellen, Zunehmendes dass sich das Aggressionspotenzial insbesondere beim AufeinAggressionsandertreffen mit Linksextremisten - auch im Kontext von Blopotenzial ckaden rechtsextremistischer Demonstrationen - deutlich erhöht hat. Bei Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner und vereinzelt auch bei der Konfrontation mit der Polizei führt dies bei einem Teil der Aktivisten zu einem Sinken der Hemmschwelle beim Einsatz körperlicher Gewalt oder gemeingefährlicher Mittel. Die Bereitschaft gegen den politischen Gegner vorzugehen, zeigt Übergriffe auf sich auch in einer Zunahme von Übergriffen auf Einrichtungen Einrichtungen und und Mitglieder von Parteien, insbesondere bei der Partei Mitglieder von "DIE LINKE.". Dabei handelt es sich überwiegend um SachbeParteien schädigungen und Bedrohungen. Am 5. März 2010 wurde in Wetzlar (Hessen) auf das Wohnhaus Brandanschlag eines Bürgers, der sich gegen Rechtsextremismus engagiert, ein 63 RECHTSEXTREMISMUS Brandanschlag verübt. Die vier Tatverdächtigen, darunter zwei Protagonisten der örtlichen Neonaziszene, wurden wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung angeklagt.4 Sicherstellung von Im Zusammenhang mit der 1. Mai-Demonstration in Berlin führunkonventionellen ten Rechtsextremisten unkonventionelle Sprengund BrandSprengund Brandvorrichtungen (USBV) mit sich, derer sie sich aber, angesichts vorrichtungen einer bevorstehenden Polizeikontrolle, entledigten. Die aus Pyrotechnik und anderen Bestandteilen hergestellten USBV wurden an einem Kontrollpunkt sichergestellt; nach dem Ergebnis der kriminaltechnischen Untersuchung hätten sie teilweise eine erhebliche Brandbzw. Sprengwirkung entfalten können. Im Rahmen des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens konnten drei Neonazis aus Nordrhein-Westfalen im Alter von 18 bis 24 Jahren als Tatverdächtige ermittelt werden. Bei den anschließenden Hausdurchsuchungen wurden im September 2010 weitere Materialien sichergestellt, die zur Herstellung von USBV geeignet waren.5 "Autonome Innerhalb der neonazistischen Szene haben die "Autonomen Nationalisten" Nationalisten" aufgrund ihres wachsenden Personenpotenzials und ihrer Attraktivität für junge Rechtsextremisten eine herausragende Bedeutung. Kleidungsstil und Aktionsformen werden dabei von den linksextremistischen Autonomen übernommen. Charakteristisch ist ein im Vergleich zur übrigen Neonazi-Szene erhöhtes Gewaltpotenzial, das insbesondere bei Demonstrationen und Konfrontationen mit dem politischen Gegner zu beobachten ist. Zwar beziehen sich die "Autonomen Nationalisten" in ihrer Ideologie auf den historischen Nationalsozialismus, jedoch sind die ideologischen Vorgaben weniger eindeutig als bei anderen rechtsextremistischen Gruppierungen. Den Angehörigen der Szene wird dabei ein relativ weiter - für rechtsextremistische 4 Die Angeklagten wurden am 2. Februar 2011 vom Landgericht Limburg zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und neun Monaten bis zu fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. 5 Am 21. Februar 2011 verurteilte das Landgericht Aachen zwei Neonazis wegen der Vorbereitung eines Explosionsverbrechens zu jeweils zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung. Das Verfahren gegen den dritten Angeklagten wurde abgetrennt. 64 RECHTSEXTREMISMUS Kreise und die von ihnen angestrebte identitäre Gesellschaft untypischer - individueller Freiraum eingeräumt. Dies gilt für musikalische und modische Vorlieben sowie für die ideologische Ausrichtung, für die nach Belieben auf Ideologiefragmente der NS-Weltanschauung zurückgegriffen wird. Anders als die übrigen Neonazis betonen sie dabei "antikapitalistische" Elemente des Nationalsozialismus, was auch in den von ihnen auf Homepages oder bei Demonstrationen favorisierten Themen zum Ausdruck kommt. Ihre Agitation richtet sich schwerpunktmäßig gegen vermeintlich imperialistische Bestrebungen der USA. Sowohl das häufig besetzte Themenfeld Globalisierung als auch der durch die "Autonomen Nationalisten" jährlich in Dortmund organisierte "Antikriegstag" belegen diesen thematischen Schwerpunkt. Die "Autonomen Nationalisten" versuchen, für rechtsextremistisches Gedankengut anfällige Jugendliche in undogmatischer Weise anzusprechen und nutzen dazu, noch stärker als andere neonazistische Personenzusammenschlüsse, das Internet. Dort werden die Inhalte in einer jugendgemäßen Form (u.a. auch im Graffitiund Manga-Stil) gestaltet und Wert auf entsprechenden Sprachgebrauch (einschließlich englischsprachiger Slogans) gelegt. Ihr "modernes", insbesondere für Jugendliche anziehendes Erscheinungsbild, und eine Aufgeschlossenheit für Formen anderer Jugendkulturen sowie Aktionsorientierung, Aktionsformen und die von ihnen favorisierten Themen führen dazu, dass "Autonome Nationalisten" zumeist jünger sind als sonstige Neonazis. Seit einigen Jahren bilden sie das am stärksten wachsende Potenzial innerhalb der Neonazi-Szene. Inzwischen lassen sich etwa 20 Prozent der Neonazi-Szene den "Autonomen Nationalisten" zurechnen. Das Verhältnis zwischen Neonazi-Szene und NPD bleibt ambivaVerhältnis zur NPD lent. Der weitaus größte Teil der Neonazi-Szene steht der Partei positiv gegenüber und sieht sie als geeignetes Mittel zur Durchsetzung der eigenen politischen Forderungen. Insbesondere auf lokaler Ebene besteht eine enge Zusammenarbeit, die aus ideologischen Gemeinsamkeiten, übereinstimmenden politischen Zielen und persönlichen Kontakten resultiert. Neonazis unterstützen die NPD auch bei der Betreuung von Infoständen, der Verteilung von Propagandamaterial sowie bei Wahlkampfaktivitäten. Motivation findet die Szene dabei sowohl durch die 65 RECHTSEXTREMISMUS Anerkennung in der Partei als auch durch finanzielle und sonstige Anreize, wie die kostenlose Nutzung von Räumlichkeiten der Partei. Neonazistische Aktivisten stellen inzwischen einen großen Anteil der NPD-Funktionäre auf Bundesebene oder werden als Fraktionsmitarbeiter eingesetzt. Ein Teil der Neonazi-Szene steht der NPD aber weiterhin distanziert gegenüber. Kritikpunkte sind dabei die - aus Sicht einiger Neonazis - weichgespülte Ideologie und das unprofessionelle Auftreten der Partei. Aufgrund der innerparteilichen Querelen und Skandale wird der NPD nicht zugetraut, dauerhaft politische Erfolge zu erzielen. Außerdem wird eine Fusion mit der DVU kritisch bewertet, da zu den DVU-Mitgliedern deutlich größere ideologische Unterschiede bestehen und neonazistische Aktivisten schwindende Einflussmöglichkeiten befürchten. Besonders radikale Neonazis sehen die NPD mit ihrem parlamentarischen Wirken als Bestandteil des verhassten demokratischen Systems und akzeptieren ausschließlich außerparlamentarische Aktivitäten zur Überwindung der derzeitigen Ordnung. Ausblick Die Attraktivität der Neonazi-Szene ist mit dem Entstehen der "Autonomen Nationalisten" deutlich angestiegen und führte dort zu einem Aufwuchs, welcher sich auch künftig fortsetzen dürfte. Dieser geht insbesondere zu Lasten des Personenpotenzials des subkulturellen Spektrums. Der Anteil der "Autonomen Nationalisten" an dem Gesamtpotenzial und ihre die Gewaltbereitschaft steigernde Wirkung innerhalb des neonazistischen Spektrums könnten zusammen mit den Frustrationserlebnissen und dem erhöhten Aggressionspotenzial dazu führen, dass in Zukunft mehr Gewalttaten gegen den politischen Gegner und die Polizei begangen werden. 66 RECHTSEXTREMISMUS III. Parteien 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) NPD Gründung: 1964 Sitz: Berlin Die Nationalen Bundesvorsitzender: Udo Voigt Mitglieder: 6.600 (2009: 6.800) Publikation: "Deutsche Stimme", monatlich, Auflage: 25.000 (eigene Angabe) Unterorganisationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN), "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV), "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 1.1 Ideologische Merkmale Die NPD ist eine ideologisch festgefügte Partei mit einer "Volksgemeingeschlossenen rechtsextremistischen Weltanschauung. Die schaft" als ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" stellt für sie das Kernideologisches element dar. Der darauf beruhende völkische Ansatz ist MittelKernelement punkt der politischen, ökonomischen und sozialen Konzepte der Partei und Richtschnur für die Beschäftigung mit unterschiedlichen Themen. Die konsequente Anwendung eines auf der Idee der "Volksgemeinschaft" basierenden Staatsund Menschenbildes spiegelt sich folgerichtig auch im neuen, auf dem außerordentlichen Bundesparteitag am 4./5. Juni 2010 in Bamberg (Bayern) verabschiedeten Parteiprogramm wider.6 Der sächsische NPD-Fraktionsund Landesvorsitzende Holger Apfel betonte, der Dreiklang nationaldemokratischen Wollens "nationale Identität, nationale Souveränität und nationale Solidarität" ziehe sich wie ein roter 6 "Arbeit. Familie. Vaterland. Das Parteiprogramm der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (im Folgenden: NPD-Parteiprogramm 2010), 1. Auflage, September 2010. 67 RECHTSEXTREMISMUS Faden durch das neue Programm.7 Diese Zielvorgaben verlangen aus Sicht der NPD eine strikt "volksgemeinschaftliche" Ausrichtung. Die heterogene westliche Gesellschaft bilde dazu einen Gegensatz. In ihrem antipluralistischen Politikverständnis postuliert die NPD, nur ein ethnisch einheitliches Gemeinwesen könne wahre "Volksherrschaft" gewährleisten. Für die Partei ist nicht die unveräußerliche Würde des Individuums maßgeblich, sondern - unter Verweis auf ein vermeintlich "lebensrichtiges" Menschenbild - die Einbindung des Einzelnen in eine "Volksgemeinschaft". Nur dies ermögliche es dem Menschen als sozialem Wesen, seine Würde zu verwirklichen.8 Basierend auf diesen Grundannahmen grenzt die NPD das Fremde, Andere bzw. seiner Herkunft nach "Nicht-Deutsche" konsequent aus. So möchte die Partei etwa familienpolitische Fördermaßnahmen auf deutsche Familien beschränken. Im Kontext der angestrebten Wirtschaftsordnung sollen nur Deutsche das Recht und die Pflicht zur Arbeit haben. Ausländer sollen der NPD zufolge für ihre Sozialkosten selbst aufkommen. Bildungspolitisch lehnt die NPD die gemeinsame Unterrichtung deutscher und ausländischer Schüler kategorisch ab, weil letztere angeblich das Unterrichtsniveau absenkten.9 In aller Schärfe tritt das völkische Konzept der NPD in der Überschrift des Programmabschnitts "Deutschland den Deutschen" hervor. Um das "Existenzrecht des deutschen Volkes" zu sichern, fordert die Partei die Einführung eines ausschließlich auf dem Abstammungsprinzip fußenden Staatsbürgerschaftsrechts. Zwar ist nicht explizit davon die Rede, die Einbürgerungen von Ausländern rückwirkend abzuerkennen, doch liegt dieser Schritt in der Logik der folgenden biologistischen Argumentation: "Ein grundlegender politischer Wandel muß die sowohl kostspielige als auch menschenfeindliche Integrationspolitik beenden und auf die Erhaltung der deutschen Volkssubstanz abzielen. Integration ist gleichbedeutend mit Völkermord." (NPD-Parteiprogramm 2010, S. 13) 7 Homepage der NPD (8. Juni 2010). 8 NPD-Parteiprogramm 2010, S. 5 ff. 9 NPD-Parteiprogramm 2010, S. 7-17. 68 RECHTSEXTREMISMUS Die NPD tritt offensiv für eine fundamentale Systemalternative Streben nach zur bestehenden politischen Ordnung in Deutschland ein. Im SystemParteiprogramm kommt dies nur mittelbar zum Ausdruck, überwindung indem die NPD das unter "Einflußnahme fremder Mächte" entstandene Grundgesetz als untauglich einstuft, "nationale Souveränität nach innen" zu schaffen. Deshalb sei eine neue, vom Volk zu verabschiedende Verfassung unabdingbar.10 In zahlreichen Erklärungen, Reden oder Stellungnahmen fordern Vertreter der Partei indessen unverhohlen und bisweilen in einem bemerkenswert aggressiven Ton die Überwindung des Systems. Diese kompromisslos ablehnende Haltung äußert sich durch eine Agitation gegen den demokratischen Rechtsstaat insgesamt, aber auch durch die Diffamierung seiner Repräsentanten und Institutionen sowie durch die Infragestellung einzelner Verfassungsprinzipien. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt betonte in einem Grundsatzbericht zu den Ergebnissen der Strategietagung vom 16./17. Januar 2010 in Berlin das fundamentaloppositionelle Selbstverständnis der Partei, auch wenn strategische Aspekte ein flexibles Variieren im Auftreten erforderten. Die NPD sehe sich weiterhin als "Systemalternative zum kapitalistischen System der BRD", müsse aber in gewisser Weise eine "seriöse Radikalität" entwickeln.11 Im Rechenschaftsbericht auf dem Bamberger Bundesparteitag vom 4./5. Juni 2010 zeigte Voigt deutliche Genugtuung über die aus seiner Sicht eingetretene Krise des Systems, das mit Finanzmanipulationen sein Ende nur hinauszögere. Die auf Demonstrationen oft skandierte Parole "BRD heißt das System - morgen soll es untergehen" scheine sich bald zu bewahrheiten. Die NPD werde der gegenwärtigen politischen Ordnung keine Träne nachweinen.12 Auf derselben Veranstaltung zeigte auch der sich "bürgernah" gebende NPD-Landesvorsitzende in Sachsen-Anhalt Matthias Heyder eine unmissverständlich ablehnende Haltung gegenüber der parlamentarischen Demokratie. 10 NPD-Parteiprogramm 2010, S. 5. 11 "Deutsche Stimme" Nr. 4/2010 vom April 2010, S. 17. 12 Homepage der NPD (5. Juni 2010). 69 RECHTSEXTREMISMUS Mit Blick auf die Landtagswahl am 20. März 2011 sagte Heyder: "Wir haben ja nicht vor, in den Landtag einzuziehen, um Teil des Systems zu werden, um auch nur einen Millimeter von unseren Positionen abzurücken. Es ist Standpunkt des gesamten Landesverbandes, des Landesvorstandes und auch der 20 Landeslistenkandidaten: ,Das draußen ist ein kaltes, zubetoniertes, volksfeindliches, asoziales System, das gehört nicht verändert, das gehört abgeschafft.'" (Grußwort von Matthias Heyder auf dem NPD-Bundesparteitag in Bamberg am 4./5. Juni 2010) Um die Verachtung gegenüber der westlichen Demokratie und ihren Repräsentanten möglichst drastisch zu formulieren, greift die NPD oft auf ein beleidigendes Vokabular zurück. Häufig fällt in diesem Zusammenhang der Begriff einer für das System charakteristischen "Negativauslese". So äußerte der sächsische NPDLandtagsabgeordnete Jürgen Gansel im Kontext der Bundespräsidentenwahl am 30. Juni 2010: "In der Merkel-Republik ist der kompromißlerische, entscheidungsfeige, überzeugungslose und pragmatische Machtverwalter und Krisenmoderator zum bestimmenden Politiker-Typus geworden. Diese Negativauslese der Persönlichkeitsund Charakterlosen, die der Rechtsintellektuelle Edgar Julius Jung 1927 als 'Herrschaft der Minderwertigen' charakterisierte, gehört zum Parlamentarismus wie die Ausbeutung zum Kapitalismus. (...) Alles verkocht zu einer Einheitssoße, die wie übelriechende Gülle über dem ganzen Land liegt." (Homepage der NPD, 1. Juli 2010) Auch Kommentare des sächsischen NPD-Fraktionsund Landesvorsitzenden Apfel unterstreichen regelmäßig die ausgeprägte Geringschätzung der Partei für den Parlamentarismus und dessen Repräsentanten. Sie belegen zudem das ausschließlich instrumentelle Interesse der NPD an parlamentarischen Mandaten und ihre Verweigerungshaltung gegenüber jedweder Form konstruktiver Mitarbeit. Apfel bezeichnete den sächsischen Landtag im Zusammenhang mit dem Antrittsbesuch des neuen 70 RECHTSEXTREMISMUS Bundespräsidenten abwertend als "parlamentarische Schwatzbude". In einer Gastrede auf dem Landesparteitag der NPD BadenWürttemberg am 31. August 2010 in Waiblingen steigerte der NPD-Abgeordnete im sächsischen Landtag Andreas Storr die Systemkritik der NPD zu einer unmittelbaren Infragestellung der Demokratie. Diese habe die "Volksverräterparteien" hervorgebracht. Das Übel sei, dass es eigentlich keine Verantwortung mehr in der Demokratie gebe.13 Die fremdenfeindlichen Aussagen der NPD lassen sich nicht auf Rassismus / Frembloße Ressentiments oder das Aufgreifen rechtspopulistischer denfeindlichkeit Themen zurückführen. Sie gründen vielmehr auf rassistischen Grundüberzeugungen. Nur in der Einbindung in eine klar definierte Abstammungsgemeinschaft, so die rigide Doktrin der NPD, erfahre der Mensch Lebenssinn. Das Abweichen von diesen biologischen Konstanten durch eine ethnische Vermischung führe beim Einzelnen zu Haltlosigkeit, Entwurzelung und bei der "Volksgemeinschaft" zum Verlust ihrer Schaffenskraft und Kulturfähigkeit. Diese "rassischen Gesetzmäßigkeiten" sind aus Sicht der NPD ausnahmslos anzuwenden bzw. wieder vollständig zur Geltung zu bringen. Bereits programmatisch macht die NPD unmissverständlich klar, dass sie die Integration von Menschen ethnisch und kulturell fremder Herkunft in die deutsche Gesellschaft nicht nur für ein aussichtloses Unterfangen, sondern für ein Verbrechen am deutschen Volk hält. Die Partei propagiert deshalb das Ziel, die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu "entmischen", um nichtdeutschstämmige Einwohner möglichst effektiv in ihre Herkunftsländer bzw. die ihrer Eltern oder Großeltern "zurückführen" zu können. In Reden und Stellungnahmen von NPD-Funktionären kommt dies vielfach in aggressiv-plakativer Form zum 13 Homepage der NPD Baden-Württemberg (15. September 2010). 71 RECHTSEXTREMISMUS Ausdruck. Janus Nowak, stellvertretender NPD-Landesvorsitzender in Baden-Württemberg, äußerte sich beispielhaft zu diesem Thema: "Wir fördern keine Integrationsmaßnahme. Die einzige Integrationsmaßnahme, die wir fördern, ist der Kauf einer Fahrkarte und hoffentlich wird Stuttgart 21 bald fertig, damit der Orientexpress, der durch Stuttgart fährt, auch zügig wieder abfahren kann. (...) Was bringt es uns aber, wenn dann diese 90 Prozent sogenannter Migrantenkinder alle in einem rudimentären Deutsch auf dem Schulhof sprechen. Sie bleiben trotzdem Fremdkörper. Sie bleiben trotzdem Ausländer, egal ob sie jetzt einen deutschen Pass haben oder nicht, egal ob sie jetzt ein Kopftuch tragen, ob sie Deutsch sprechen, ob sie Döner essen oder nicht. Das ist völlig wurscht, sie bleiben trotzdem Fremdkörper. (...) Die sogenannte Ausländerintegration, das ist der größte Schwachsinn, den es geben kann." (Rede auf dem Landesparteitag am 31. August 2010, Homepage der NPD Baden-Württemberg, 15. September 2010) Auch Apfel schloss in einer Rede zum 1. Mai 2010 in Zwickau (Sachsen) kategorisch aus, Ausländer könnten durch eigenes Einkommen oder angepasstes Verhalten den legitimen Anspruch auf ein dauerhaftes Bleiberecht erlangen. Jeder Ausländer, der in Deutschland einen Arbeitsplatz besetze, besitze einen Arbeitsplatz, der einem "deutschen Landsmann" gehöre, und jeder ohne Arbeit sei ein "Sozialschmarotzer" zuviel.14 Apfel sieht Ausländer nur in der Rollenalternative zwischen "Okkupant" und gesellschaftlichem "Schnorrer", weshalb das "deutsche Volk" in jedem Fall geschädigt werde. So wenig die NPD an einer seriösen Integrationsdebatte interessiert ist, so wenig ist sie gewillt, sich mit dem Islam als Religion, seinen Strömungen oder gegebenenfalls daraus resultierenden Anpassungsschwierigkeiten in einer modernen Gesellschaft zu befassen. In einem Grundsatzbeitrag des NPD-Parteiorgans "Deutsche Stimme" vom Februar 2010, der unter dem Pseudonym "Axel Herold" erschien und erhebliche Parallelen mit der 14 Rede von Holger Apfel am 1. Mai in Zwickau, Videobeitrag auf der Homepage der "Nachrichten aus Niederschlesien-Oberlausitz" (NNO) (15. Mai 2010). 72 RECHTSEXTREMISMUS Diktion Gansels aufweist, heißt es pauschal, die feinsinnige Unterscheidung zwischen Islam und Islamismus könne man sich sparen. Für die größtenteils "fremdrassige(n) Moslems", die im Wesentlichen einem "bildungslose(n) Subproletariat" zuzuordnen seien, stelle Religion das "mentale Rüstzeug zur kulturellen Eroberung und Inbesitznahme fremden Landes" dar. Die dadurch hervorgerufenen Ängste in der Öffentlichkeit seien zu nutzen, um das NPD-Konzept der "Ausländerrückführung zu popularisieren". Die Partei solle deshalb, salopp formuliert, Muslime propagandistisch schlagen, um noch ganz andere Ausländergruppen politisch zu treffen.15 Die NPD klassifiziert ethnische Gruppen nicht nur nach vermeintlich angeborenen und unveränderbaren Kriterien, sie unterscheidet auch zwischen höherund minderwertigen "Rassen". Unverblümt brachte dies Storr zum Ausdruck: "Leistungsträger finden sich aber vermehrt in den zentraleuropäischen Völkern, nicht bei den afrikanischen Hottentotten. Begabungen und Intelligenz sind nun einmal ungleich verteilt - und das deutsche Volk ist eines der begabtesten Völker in der Welt. Für unsere Begabungen haben wir uns auch nicht zu schämen! Im Gegenteil! Deshalb darf es keine Zuwanderung von Dummen und Primitiven in unser Land geben, die uns viele Milliarden kosten, aber nicht nützen, sondern nur schaden." (Homepage der NPD-Fraktion Sachsen, 4. November 2010) Die NPD greift in ihrer Agitation bemerkenswert konstant auf Antisemitismus eine antisemitische, sich zumeist aber unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz bewegende Rhetorik zurück. Die Partei zielt damit nach außen auf eine größtmögliche Öffentlichkeitsund Provokationswirkung und nach innen auf eine Profilierung gegenüber dem harten Kern der eigenen Anhängerschaft. Antisemitische Elemente in der Diktion von NPD-Funktionären sind nicht auf einen instrumentellen Zweck beschränkt, sondern spiegeln deren persönliche, ideologisch geprägte Feindschaft gegenüber dem Judentum wider. Zudem rekurriert die NPD in auffallend vielen Themenfeldern auf antisemitische Stereotype. 15 "Deutsche Stimme" Nr. 2/2010 vom Februar 2010, S. 11. 73 RECHTSEXTREMISMUS Diese finden sich in Stellungnahmen zur Geschichte, zur Politik Israels und den USA sowie zu Wirtschaftsund Finanzfragen. Über die Verwendung in solch "klassischen" Bereichen hinaus werden die antisemitischen Positionen der Partei auch in Beiträgen zur Einwanderungsdebatte, zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan oder zu allgemeinen gesellschaftspolitischen Aspekten sichtbar. Antisemitismus ist ein in der gesamten Partei auftretendes Phänomen. Apfel gilt zwar als zentraler Vertreter des sogenannten politikfähigen Flügels, doch scheut er genauso wenig wie "revolutionäre" Parteiprotagonisten davor zurück, offen antisemitische Argumentationsmuster zu verwenden. Nach dem Angriff der israelischen Marine auf eine Hilfsflotte für den Gaza-Streifen beantragte die sächsische NPD-Fraktion eine aktuelle Debatte unter dem Titel "Keine Zusammenarbeit mit 'Schurkenstaaten' - Sächsisch-israelische Partnerschaft beenden". In dieser provozierte Apfel am 17. Juni 2010 durch gezielte verbale Entgleisungen einen offenbar kalkulierten Eklat, ohne auch nur im Ansatz auf den konkreten Sachverhalt einzugehen. Israel habe nicht nur eine besondere Neigung zum Geld, sondern eine "besondere Affinität zum Staatsterror". Gewalt sei eine "historische Konstante des Zionistenstaates". Sobald Kritik an Israel laut werde, duckten sich "die Vertreter der Bundesrepublik vor der IsraelLobby und der blühenden Holocaust-Industrie". Israel leugne die "blutigen Ursprünge seiner Existenz", was nicht verwundere, gebärdeten sich doch "die Juden seit 3.000 Jahren als Opfer der Weltgeschichte, während die eigene Rolle als Tätervolk" verschwiegen werde. Der "jüdische Terrorstaat" sei eine "tickende Zeitbombe" für den Weltfrieden.16 Apfel musste wegen seiner antisemitischen Tiraden nach drei Ordnungsrufen die laufende Sitzung verlassen und wurde von den folgenden zehn Landtagssitzungen ausgeschlossen. Die Rede Apfels belegt exemplarisch das völlige Desinteresse der Partei an einer sachlichen Analyse des Palästinakonflikts. Dieser dient lediglich als Agitationsmittel, um Israel pauschal anzugreifen und dessen Politik unter Verwendung antisemitischer Klischees mit dem Judentum insge16 Homepage der NPD-Fraktion Sachsen (23. Juni 2010). 74 RECHTSEXTREMISMUS samt gleichzusetzen. Bisweilen greift Apfel auch ohne jeden unmittelbaren Anknüpfungspunkt auf gängige antisemitische Metaphern zurück. Im Zusammenhang mit einer NPD-Plakataktion zum SarrazinBuch "Deutschland schafft sich ab" (vgl. auch Kap. III, Nr. 1.2) kommentierte er am 1. Juli 2010: "Unser Land wird längst inzwischen von fremden Interessen gelenkt, gelenkt vom internationalen Finanzkapital, das in unseren deutschen Landsleuten ganz offenkundig nur noch eine identitätslose Masse billiger Arbeitskräfte und kaufrauschsüchtiger Konsumidioten sieht und formal regiert wird dieses Land von willfährigen Bütteln der neuen Weltordnung, der Europäischen Union und vom Zentralrat der Juden." (Homepage der NPD-Landtagsfraktion Sachsen, 1. September 2010) Apfels Anmerkung enthält eine Reihe antisemitischer, in der rechtsextremistischen Szene hinlänglich bekannter Anspielungen. Diese reichen von der Chiffre "internationales Finanzkapital" für eine jüdisch dominierte Weltwirtschaft über die verschwörungstheoretische Unterstellung einer anonymen Fremdsteuerung bis hin zum Vorwurf, die deutsche Identität werde gezielt zersetzt. Die tiefe Verankerung des Antisemitismus in der NPD wird auch am Bemühen der Partei ersichtlich, das Thema Islam zum Agitationsund Kampagnenschwerpunkt zu machen, ohne die damit z.T. kollidierenden antisemitischen Positionen zu relativieren. Das Feindbild "Jude" bleibt unangetastet: "Konkret heißt das: der Jude ist nicht plötzlich mein Freund, weil ich innenpolitisch gegen Moslems bin, und der Moslem ist nicht mein Freund, weil ich außenpolitisch gegen USrael bin. (...) Es kann kein Bündnis mit einem Feind Deutschlands gegen den anderen Feind Deutschlands geben!" ("Deutsche Stimme" Nr. 2/2010 vom Februar 2010, S. 11) 75 RECHTSEXTREMISMUS In hohem Maße antisemitisch grundiert ist auch der in der NPD verbreitete Antiamerikanismus. Die USA gelten als Negativbeispiel für einen volksfeindlichen, degenerierten und von einer kleinen Clique gelenkten Staat. Gansel führte dazu aus: "Zusammen mit dem militärisch-geheimdienstlichen und dem unterhaltungsindustriellen Komplex ist die Hochfinanz die treibende Kraft der amerikanischen Welttyrannei. Seit jenen Tagen, als sich der Einwandererhaufen aus religiösen Fanatikern, Glücksrittern, Kriminellen und Entwurzelten zu Auserwählten des 'neuen Jerusalems' erklärte, prägt ein beispielloser Eroberungsund Plündertrieb das Handeln und Denken Amerikas." (Homepage der NPD, 12. Mai 2010) Wohlwollende Aus taktischen und juristischen Erwägungen vermeidet die NPD, Haltung gegenüber ihre wohlwollende Haltung gegenüber dem historischen Natiodem Nationalnalsozialismus durch eine unmittelbar positive Bezugnahme auf sozialismus das Hitler-Regime zu artikulieren. Diese ergibt sich jedoch aus dem vielfach geäußerten Anspruch der Partei, langfristig eine grundlegende revisionistische Umdeutung der Geschichte herbeizuführen, sobald die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen dies zuließen. Auch der Verweis auf vermeintlich positive Einzelaspekte im Nationalsozialismus, die Relativierung der NS-Gewaltverbrechen und die unentwegte Kritik an einem "Schuldund Sühnekult" sollen auf eine Neubewertung des Dritten Reichs hinwirken. Das gegenwärtige politische System, so der vielfach zu hörende Vorwurf der Partei, gestatte keine "objektive" Darstellung der historischen Geschehnisse. Der bayerische NPD-Landesverband fasste dies so zusammen: "Eine Historisierung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist in der BRD nicht möglich, denn dieser Staat fußt auf der behaupteten Kriegsschuld der Deutschen und einer Zivilreligion, die anzuzweifeln in diesem Land unter Strafe steht. Eine objektive Geschichtsschreibung ist somit eine Aufgabe der Post-BRD." (Homepage der NPD Bayern, 2. März 2010) 76 RECHTSEXTREMISMUS Die NPD instrumentalisiert die Erinnerung an deutsche Opfer des Zweiten Weltkriegs, um die Gesamtgeschichte des Dritten Reichs umzudeuten, dessen Schuld zu relativieren oder infrage zu stellen und die bestehende politische Ordnung durch den Vorwurf der Lüge zu delegitimieren. Diesen Mechanismus verdeutlicht exemplarisch ein Antrag der NPD-Fraktion in MecklenburgVorpommern zum Gedenken an die Opfer des 1945 torpedierten deutschen Passagierschiffs "Wilhelm Gustloff". Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs ging in seiner Landtagsrede am 28. Januar 2010 auf den eigenen Antrag kaum ein. Stattdessen stellte er die NS-Verbrechen auf eine Ebene mit den Brutalitäten, die bei den "bedauerlicherweise immer wieder ausbrechenden kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Völkern, Nationen und weltanschaulichen Gruppierungen" zu konstatieren seien. Durch die Weigerung, die beklagenswerten deutschen Opfer zu würdigen, entlarve sich das System selbst. Dessen "einseitiger Schuldkult" finde deshalb bei der deutschen Jugend schon längst kein Gehör mehr. Wörtlich äußerte Pastörs: "Die Deutschen sind seit Ende des 2. Weltkriegs einem ununterbrochenen Trommelfeuer von Vorwürfen und Propagandalügen ausgesetzt, deren Bewirtschaftung in verlogener Art und Weise in erster Linie von Vertretern der sogenannten demokratischen Parteien bewirtschaftet wird, meine Herrschaften. Auch was Sie gestern hier im Schloss wieder veranstaltet haben [= Gedenken zum Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz] war nichts anderes als dem deutschen Volk ebenso raffiniert wie brutal Ihre Auschwitzprojektionen überzustülpen. (...) Meine Damen und Herren, die geistige Befreiung auf diesem Gebiet wird vielleicht erst nach dem Niedergang der Geschichtsepoche der BRD für uns Deutsche möglich sein, aber sie wird kommen." (Homepage der NPD-Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern, 3. März 2010) Es geht der NPD nicht nur um eine punktuell revisionistische Umdeutung des NS-Regimes, sondern um dessen Einordnung in einen historischen Gesamtzusammenhang, der diametral unterschiedlich zur seriösen Geschichtswissenschaft interpretiert wird. Aus Sicht der Partei provozierten die "Plutokratien des Westens" im vergangenen Jahrhundert zweimal einen 77 RECHTSEXTREMISMUS "Weltbrand ungeheuren Ausmaßes", während der "deutsche Soldat" in beiden Weltkriegen den "Sozialstaat kontinentaleuropäischer Prägung" gegen Gottlosigkeit und Geldgier verteidigt habe.17 1.2 Strategische Ansätze "Vier-SäulenDie NPD verfolgt die sogenannte Vier-Säulen-Strategie, die den Strategie" "Kampf um die Köpfe", den "Kampf um die Straße", den "Kampf um die Parlamente" und den "Kampf um den organisierten Willen" umfasst. Dieser in seinen Zielen nicht widerspruchsfreie strategische Ansatz steht für den Versuch, den demokratischen Verfassungsstaat auf möglichst allen Ebenen zu bekämpfen. Theorieund Programmarbeit sowie Interventionen in politischen Debatten, deren Themen ideologisch anschlussfähig sein könnten, sollen die eigenen Ideen in der Gesellschaft verbreiten und verankern. Der aktiven Straßenpräsenz durch Aufmärsche, Demonstrationen und Informationsstände liegt die Intention zugrunde, durch Gegenöffentlichkeit eine mediale "Schweigespirale" zu durchbrechen und die Mobilisierungsfähigkeit der Partei zu optimieren. Ferner misst die NPD ihren parlamentarischen Vertretungen eine hohe strategische Bedeutung bei, jedoch keineswegs in der Absicht, sich als fester Bestandteil der repräsentativen Demokratie zu etablieren. Vielmehr dienen die rund 330 Kommunalmandate sowie die insgesamt 14 NPD-Landtagssitze in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern dazu, die eigenen "Kader" zu professionalisieren und die "Systemmechanismen" zu verinnerlichen, um diese im Kampf gegen die politische Ordnung umso effektiver anwenden zu können. Vor allem die beiden Landtagsfraktionen haben für die Partei als agitatorische Basis mit hoher Öffentlichkeitswirksamkeit großes Gewicht und ermöglichen zudem, beträchtliche finanzielle Ressourcen zu erschließen. In ihrem Selbstverständnis, Teil eines breiten "nationalen Widerstands" zu sein, ist die NPD schließlich bemüht, durch den "Kampf um den organisierten Willen" die Kräfte dieser Bewegung zu bündeln. Der Führungsanspruch der NPD in diesem Sammlungsprozess kommt sowohl in der weiterhin wichtigen Kooperation mit den "Freien Nationalisten" als auch in der beabsichtigten Fusion mit der DVU zum Ausdruck. 17 Homepage der NPD Berlin (23. April 2010). 78 RECHTSEXTREMISMUS Der NPD bereitet es bisweilen Schwierigkeiten, die unterschiedParteiinterne lichen Zielund Schwerpunktsetzungen ihrer "Vier-SäulenStrategiedebatte Strategie" auszubalancieren. Schlagworte wie "Politikfähigkeit" und "authentische Systemalternative" spiegeln die gegensätzlichen Pole in den daraus entstehenden parteiinternen Debatten wider. Auch die insgesamt enttäuschenden Resultate und Mobilisierungswerte im "Superwahljahr" 2009 waren Anlass für die Partei, ihr strategisches Konzept zu überdenken. Den Grundstein für eine zukünftig erfolgreichere Arbeit sollte dabei die Strategiekonferenz der Partei am 16./17. Januar 2010 in der Berliner Parteizentrale legen, an der Mitglieder der unterschiedlichen Parteiebenen, Landtagsabgeordnete und "parteilose Experten" teilnahmen. In seinem Resümee stellte Voigt heraus, das konsequent systemalternative Selbstverständnis der Partei stehe weiterhin außer Frage. Allerdings sollten weltanschauliche und vergangenheitsorientierte Aspekte in der Außendarstellung stärker in den Hintergrund treten. Im Parteivorstand und bei sonstigen Führungskräften der NPD bleibe eine klare und einheitliche Weltanschauung indessen weiterhin unabdingbar. Auf der Mitgliederund unteren Funktionärsebene sei zumindest die Kenntnis der ideologischen Grundlagen vorauszusetzen, während solche Fragen auf der Wählerebene möglichst keine Rolle spielen sollten. Unter Berücksichtigung dieser graduell unterschiedlichen ideologischen Anforderungen gelte es, in der Öffentlichkeit durch die Formulierung einfacher und klarer Ziele Zustimmung zu finden. Erfolgshemmende Faktoren, die einer Stigmatisierung Vorschub leisteten, seien zu vermeiden. Positiven Widerhall finde es hingegen, wenn die Partei sich zunehmend zu einer "Freiheitspartei" entwickeln und entsprechend darstellen könne. Um die "Schweigespirale" zu durchbrechen und die Mehrheitsgesellschaft zu erreichen, solle die Partei mehr und mehr "Türöffner-Themen" besetzen.18 Die NPD ist sich bewusst, dass sie die Systemüberwindung nicht Kampagnenaus eigener Kraft herbeiführen kann. Die Partei hält es stratethemen der NPD gisch aber für verfehlt, passiv zu verharren und von einem zwangsläufig eintretenden Zusammenbruch der politischen Ordnung auszugehen. Notwendig sei es vielmehr, negative Stimmungen im Erosionsprozess des Systems aufzugreifen und zu 18 "Deutsche Stimme" Nr. 4/2010 vom April 2010, S. 17 und Nr. 5/2010 vom Mai 2010, S. 17. 79 RECHTSEXTREMISMUS forcieren. Da die Partei nicht über ausreichende propagandistische und agitatorische Möglichkeiten verfügt, um selbst die gesellschaftspolitische Agenda zu prägen, ist sie bemüht, ideologisch anschlussfähige Debatten zu nutzen, um daraus kampagnenfähige, potenziell in breitere Gesellschaftsschichten hineinreichende Themen zu entwickeln. Vor dem Hintergrund der Finanzund Wirtschaftskrise und der daraus resultierenden Währungsunsicherheit versuchte die NPD, mit dem Slogan "Der EURO stürzt uns ins Verderben. Her mit der D-Mark" Resonanz zu finden. Die Partei polemisierte mit der Kampagne "Raus aus Afghanistan. Kein Blut für die USA!" gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Regionale Themen wie das Hochwasser in Sachsen Anfang August 2010 griff die NPD auf, um sich mittels einer "Flutopfer-Kampagne" als "Kümmerer"-Partei zu profilieren. Obschon solche Propagandaaktionen nicht primär ideologische Positionen transportieren, sind diese im Gesamtkontext unschwer erkennbar. Apfel stellte die NPD-Hilfen für die Hochwassergeschädigten als "vorbildlichen Akt nationaler Solidarität" gegenüber Landsleuten dar, um gleichzeitig ein entschiedenes Vorgehen "gegen die plündernden Zigeuner-Banden im Grenzgebiet" einzufordern. Während für internationale Banken, die Europäische Union, Bundeswehreinsätze oder Asylbewerber umgehend Geld bereit gestellt werde, gingen "hilfsbedürftige Deutsche" leer aus.19 Islamfeindliche Ins Zentrum ihrer Kampagnen rückte die NPD im Laufe des JahAgitation res 2010 zunehmend die Agitation gegen den Islam bzw. gegen die vermeintliche Islamisierung Deutschlands. Einen ersten Schub erhielt dieses Thema durch das in der Schweiz per Referendum am 29. November 2009 beschlossene Neubauverbot für Minarette. Etliche NPD-Funktionäre werteten dieses Votum als möglichen Ansatzpunkt, um auch in Deutschland einen Durchbruch gegen das "Politund Medienestablishment" zu realisieren und im Zuge dessen die noch wesentlich weiterreichenden Maßnahmen der NPD im Sinne einer konsequenten "Ausländerrückführung" zu propagieren. Umgehend stellte die Partei ihren 19 Homepage der NPD Sachsen und der sächsischen NPD-Fraktion (12. August 2010). 80 RECHTSEXTREMISMUS Gliederungen Werbematerialien mit der Aufschrift "Danke Schweiz. Minarettverbot auch hier!" zur Verfügung.20 In noch viel stärkerem Ausmaß versuchte die NPD, das am 30. August 2010 veröffentlichte Buch "Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen" des früheren Berliner Finanzsenators Thilo Sarrazin für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Zahlreiche Parteifunktionäre bemühten sich zunächst, vom immensen Medienecho um die Publikation zu profitieren, indem sie die dem Autor zugeschriebenen Positionen ausdrücklich und provozierend begrüßten. Besondere Aufmerksamkeit erlangte in diesem Zusammenhang ein kalkulierter Eklat der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen, deren Mitglieder beim Antrittsbesuch des neuen Bundespräsidenten im sächsischen Landtag am 1. September 2010 ein Plakat mit dem Konterfei des Autors und der Aufschrift "Alle wissen: Sarrazin hat Recht!" hochhielten. Zu keinem Zeitpunkt allerdings war die NPD an einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit den Thesen Sarrazins interessiert. Im Mittelpunkt stand vielmehr die Verwertbarkeit dieser Veröffentlichung, um im Rahmen einer "enttabuisierten Debatte" die eigenen Standpunkte "salonfähig" zu machen.21 Die strategische Bedeutung der Diskussionen um Integration und Islam stellte exemplarisch der NPD-Landtagsabgeordnete Andreas Storr heraus, indem er formulierte, Sarrazin und dessen ohnehin seit langem bekannte Thesen böten zwar kein schlüssiges Gesamtkonzept, doch trügen sie ebenso wie die allgemein wachsenden Überfremdungsängste zu einem Mentalitätswechsel bei. Die NPD müsse diesen Wandel sensibel begleiten und angesichts der medialen Meinungskontrolle eine "flexible Partisanentaktik" anwenden, statt in einer "offenen Feldschlacht eine starre Auseinandersetzung mit den derzeitigen Machthabern" zu führen. Ein solcher Kampf sei in der gegenwärtigen Konstellation nicht zu gewinnen.22 Die NPD verletzt regelmäßig den eigenen Vorsatz, "Türöffner"Provokativer Themen behutsam aufzugreifen und sich im Hinblick auf die Sprachgebrauch angestrebte Öffentlichkeitswirkung ideologisch zunächst zurückzuhalten. Ungeachtet taktisch-strategischer Erwägungen 20 Homepage der NPD (15. Dezember 2009). 21 Homepage der NPD-Fraktion Sachsen (24. August 2010). 22 "Deutsche Stimme" Nr. 10/2010 vom Oktober 2010, S. 3 f. 81 RECHTSEXTREMISMUS rekurriert die Partei stattdessen in Kommentaren zu Fragen der Einwanderung, des Islam oder der Finanzwirtschaft rasch und eindeutig auf die eigenen weltanschaulichen Positionen. Auch der oft provokative Sprachgebrauch konterkariert den proklamierten Ansatz, ideologiekompatible Themen mit einer visionären und positiven Zielsetzung zu behandeln. Die polemische Äußerung des Redaktionsmitglieds der "Deutschen Stimme" Kersten Radzimanowski, derzufolge der Finanzminister und die gesamte Regierung in den "Hungerturm" eingesperrt und in Beugehaft genommen werden sollten, dürfte kaum als rationaler Alternativvorschlag zum gegenwärtigen Wirtschaftskurs wahrgenommen werden.23 Auch die vielfach betont kämpferischen Parolen auf NPD-Demonstrationen stehen im Gegensatz zum Anspruch der Partei, für eine schweigende und prinzipiell erreichbare Mehrheit zu sprechen. So führten Demonstranten am 1. Mai 2010 in Rostock Transparente mit der Aufschrift "Unsere Matrix ist die BRD - wacht endlich auf und reiht euch ein. Aufstand wagen, Widerstand vernetzen, System zerfetzen" mit oder skandierten Parolen wie "Gegen Demokraten helfen nur Granaten".24 Die Partei hat ein taktisches Verhältnis zur Gewalt und hält es unter den gegebenen Bedingungen für nicht opportun, ihre politischen Ziele gewaltsam anzustreben. Im Falle einer grundlegend anderen Machtkonstellation lehnt sie ein solches Vorgehen aber nicht prinzipiell ab. In einem Beitrag für die rechtsextremistische Publikation "hier & jetzt. radikal rechte zeitung" deutete der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Karl Richter den griechischen Odysseus-Mythos als Allegorie für die politische Gegenwart. Die Geschichte des Odysseus, der nach langer Abwesenheit in seine Heimat zurückkehrt und blutige Vergeltung an seinen Feinden übt, um die gerechte Ordnung wiederherzustellen, könnte sich - so die eindimensional verzerrende Interpretation Richters - auch in "Bottrop, Lyon oder Duisburg" ereignen. Auch dort hätten sich "Landfremde" der "Macht im Hause bemächtigt", verzehrten und verprassten die Güter des Landes und hielten sich willige Handlanger und Konkubinen. Auch in Deutschland seien nur wenige der "gerechten Ordnung" 23 Homepage der NPD (10. Februar 2010). 24 Homepage des Nachrichtenportals Endstation-rechts (1. Mai 2010) und des Nachrichtenblogs besserscheitern (3. Mai 2010). 82 RECHTSEXTREMISMUS treu geblieben, während "gestylte Medienfuzzis, TV-Schlampen, Integrationsbeauftragte, Staatsanwälte und Heerscharen anderer Gekaufter" das System stützten. Die "große Abrechnung, die finale Wiederherstellung der Ordnung" sei bis heute "ein Thema des abendländischen Mythos" geblieben. Die "Reaktion" sei dabei oft mit Waffengewalt und nie sonderlich zimperlich mit den Aufständischen umgegangen.25 Ohne Umweg über die griechische Mythologie äußerte sich der Hamburger NPD-Landesverband zur Frage der Gewalt: "Wir müssen uns vereinen und dem internen Zwist endgültig eine Absage erteilen. An dem Tag, an welchem die Situation in der Bundesrepublik Deutschland eskalieren wird, ist es zwingend notwendig, daß junge wehrfähige Deutsche sich ebenfalls gegen dieses marode und dekadente System wenden und somit eine revolutionäre Veränderung im Sinne des deutschen Volkes herbeigeführt wird." (Homepage der NPD Hamburg, 9. September 2010) 1.3 Organisation und Entwicklung Die Mitgliederzahl der NPD ging 2010 leicht auf 6.600 Personen Mitgliederzurück (2009: 6.800), wobei bundesweit eine uneinheitliche Ententwicklung wicklung festzustellen war. Während der überwiegende Teil der Landesverbände stagnierte oder nur sehr geringfügige Einbußen hinnehmen musste, verloren die hessische, die saarländische und die thüringische NPD eine beträchtliche Anzahl ihrer Mitglieder. Die Verluste in Hessen dürften einen Grund auch in der dortigen Landesführung haben. Im Saarland und in Thüringen konnte die Partei nach erheblichen Mobilisierungsanstrengungen für die jeweilige Landtagswahl im Jahr 2009 das erreichte Motivationsniveau nicht halten, weshalb - insbesondere im Zuge der hinter den Erwartungen zurückgebliebenen Wahlresultate - etliche Mitglieder die Partei verließen. Aufgrund ihrer strukturellen, agitatorischen und politischen Möglichkeiten konnte die NPD jedoch insgesamt ihr zentrales Gewicht im rechtsextremistischen Lager behaupten. 25 "hier & jetzt. radikal rechte zeitung" Ausgabe 15, Juli 2010, S. 4 - 7. 83 RECHTSEXTREMISMUS Bemühen um Für die NPD-Führung war 2010 ein Übergangszeitraum zwischen nachhaltiges den wahlintensiven Jahren 2009 und 2011, der genutzt werden Aufbruchsignal sollte, um die Geschlossenheit der eigenen Anhängerschaft zu stärken und einen neuen Motivationsund Mobilisierungsschub auszulösen. Rückblickend auf die insgesamt unbefriedigenden Wahlergebnisse im Jahr 2009 kritisierte der Parteivorsitzende Voigt den für einen solchen Wahlmarathon unzureichenden "Dynamisierungsprozess". Im Jahr 2010 müssten, neben der Konsolidierung der Parteifinanzen, so Voigt, vor allem die "Baustellen" im strategischen und programmatischen Bereich angegangen werden.26 Den ersten Impuls für eine nachhaltige Aufbruchsstimmung sollte dabei die Strategiekonferenz der NPD am 16./17. Januar 2010 in Berlin setzen. Das Spannungsverhältnis zwischen den Politikansätzen eines "gegenwartsbezogenen und volksnahen Nationalismus" einerseits und einer kompromisslosen Positionierung als echte Systemalternative andererseits wurde durch den Formelkompromiss überspielt, die NPD sei von ihrem Selbstverständnis her eine authentische, aber auf Gegenwartsprobleme bezogene Oppositionspartei. Dies erleichterte es, den vorausgegangenen Streit um die strategische Ausrichtung zumindest vorläufig zu befrieden, zumal auf beiden Seiten die grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber der politischen Ordnung in Deutschland nie in Zweifel gezogen worden war und insofern keine ideologischen Divergenzen bestanden. Auch die persönlichen Rivalitäten, die die parteiinternen Auseinandersetzungen vielfach überlagert hatten, sollten nach der Strategietagung stärker in den Hintergrund treten. Die Konferenz bewirkte zudem eine Beschleunigung der sich seit Jahren hinziehenden Programmdiskussion in der NPD. NPD-ProgrammparSo verabschiedete die NPD auf einem außerordentlichen Bunteitag am 4./5. Juni desparteitag am 4./5. Juni 2010 in Bamberg (Bayern) unter der 2010 in Bamberg Bezeichnung "Arbeit. Familie. Vaterland." ein neues Parteiprogramm. Die NPD löste damit ihr bisheriges Programm aus dem Jahr 1996 ab. Die bereits seit Jahren aus Sicht der Partei überfällige programmatische Erneuerung war zuvor an der vergebli26 "Deutsche Stimme" Nr. 2/2010 vom Februar 2010, S. 3 f. 84 RECHTSEXTREMISMUS chen Suche nach geeigneten Tagungsräumlichkeiten (2007), den innerparteilichen Zerwürfnissen infolge der Finanzaffäre um ROGR AMM Arbeit. . PARTEIP DAS den ehemaligen NPD-Bundesschatzmeister Erwin Kemna (2008) und der ressourcenintensiven Konzentration auf das "SuperFamilie nd. wahljahr" 2009 gescheitert. Vaterla Das neue Programm ist sprachlich geglättet und modernisiert, weist in Fragen der Einwanderung oder der Zeitgeschichte im Vergleich zur bisherigen Programmatik jedoch radikalere Tendenzen auf. Der strikt völkische Ansatz der NPD ist Leitlinie in sämtlichen Themenund Arbeitsfeldern. Ein offen neonazistischer Gegenentwurf mit dem Titel "Deutschlands Zukunft. Unser Weg zu einer Neuen Ordnung" des NPD-Kreisverbandes Eichsfeld (Thüringen) blieb auf dem Parteitag chancenlos. Das Medieninteresse am NPD-Bundesparteitag konzentrierte Medial inszenierte sich weniger auf das neue Parteiprogramm als auf die im RahFusionsankündimen einer Pressekonferenz öffentlichkeitswirksam angeküngung von NPD digte Fusion von NPD und DVU. Diese Nachricht war umso überund DVU raschender, als die NPD noch am 27. Juni 2009 den viereinhalb Jahre zuvor mit der DVU geschlossenen "Deutschlandpakt" - eine Vereinbarung, bei Landtags-, Bundestagsund Europawahlen bis Ende 2009 nicht gegeneinander zu kandidieren - einseitig und zum Nachteil des "Bündnispartners" aufgelöst hatte. Ungeachtet des aufgekündigten "Deutschlandspakts" näherten sich die Parteivorsitzenden von NPD und DVU, Udo Voigt und Matthias Faust, seit Februar 2010 wieder einander an. Sie nutzten die gemeinsame Teilnahme an der Demonstration anlässlich des 65. Jahrestages der Bombardierung Dresdens am 13. Februar 2010 für ein persönliches Zusammentreffen und vereinbarten, die Gespräche fortzusetzen. Unmittelbar vor Beginn des NPDBundesparteitags sprachen beide Protagonisten auf einer Pressekonferenz am 4. Juni 2010 von bereits seit Monaten laufenden Verhandlungen über eine anzustrebende Fusion. Ziel sei kein neuerliches Wahlbündnis, so Voigt, sondern die tatsächliche Verschmelzung. Mit einer Mitgliederbefragung in beiden Parteien solle zunächst das diesbezügliche Stimmungsbild ermittelt werden. Im weiteren Verlauf müssten die beiden Parteivorstände einen entsprechenden Beschluss fassen und die jeweils einzuberufenden Bundesparteitage einen gemeinsamen Verschmelzungsvertrag verabschieden. Schließlich hätten beide 85 RECHTSEXTREMISMUS Parteien in einer Urabstimmung über die angestrebte Fusion zu befinden. Vom 5. bis 21. Juli 2010 führten NPD und DVU schließlich die geplanten Mitgliederbefragungen durch. In diesem Rahmen sprachen sich die Parteimitglieder - den Angaben ihrer Vorsitzenden zufolge - mit über 90% für eine Fusion aus, wobei sich allerdings weniger als ein Drittel der NPDund weniger als ein Viertel der DVU-Mitglieder an der Umfrage beteiligten. Jeweils eine Zweidrittelmehrheit begrüßte das Vorhaben, auch andere Parteien in die Vereinigung einzubeziehen. In Bezug auf den künftigen Parteinamen war allerdings eine klare Divergenz festzustellen. Während die NPD-Befragten mit über 60% am Namen ihrer Partei festhalten wollten, plädierten die teilnehmenden DVU-Mitglieder mit knapp 70% für einen neuen Parteinamen.27 Forcierung der Seit der öffentlich geäußerten Fusionsabsicht setzte sich Voigt Verschmelzung massiv für die möglichst rasche Realisierung des Projekts ein. Er durch die NPD forcierte die organisatorischen Abläufe und verwies regelmäßig mit beschwörend pathetischen Worten auf die einzigartige Bedeutung des Vorhabens und dessen enorme Reichweite für die "nationale Rechte". Es handele sich um einen historisch einmaligen Zusammenschluss, der einer "politischen Proklamation größten Ausmaßes" gleichkomme.28 Es gelte, die Verschmelzung der beiden "größten und ältesten nationalen Parteien" bis zum 31. Dezember 2010 abzuschließen, um im darauffolgenden "Superwahljahr" in neue Landtage einziehen zu können.29 Ferner sollten Stichworte wie "Synergieeffekt", "Vereinigung der Stammwählerschaften" oder "Mitgliederzahlen im fünfstelligen Bereich" die positiven Auswirkungen der Fusion unterstreichen.30 Der NPD-Bundesvorstand stimmte am 21./22. August 2010 mit einer Gegenstimme einem vorläufigen Verschmelzungsvertrag zu. 27 Videobeiträge auf der Homepage der NPD (5. und 24. Juli 2010). 28 Homepage der "Deutschen Stimme" (2. Juli 2010). 29 Videobeitrag auf der Homepage der NPD (24. Juli 2010). 30 "Deutsche Stimme" Nr. 7/2010 vom Juli 2010, S. 19. 86 RECHTSEXTREMISMUS Am 6. November 2010 sprachen sich die Delegierten auf dem außerordentlichen NPD-Bundesparteitag in Hohenmölsen (Sachsen-Anhalt) mit 93,7% für eine Fusion mit der DVU aus. Der dem Parteitagsbeschluss zugrunde liegende Verschmelzungsvertrag enthält u.a. detaillierte Bestimmungen zur Vermögensübertragung der DVU auf die aufnehmende Partei NPD. Der Vertragstext hebt ausdrücklich den Verzicht des früheren DVU-Vorsitzenden Dr. Gerhard Frey auf Rückzahlung bestehender Verbindlichkeiten in Höhe von 991.259,01 Euro hervor. Damit entfiel ein zentrales Fusionshindernis, denn die NPD hatte eine Verschmelzung im Falle neu hinzukommender Schulden ausgeschlossen. Der Erwerb der NPD-Mitgliedschaft erfolgt für bisherige Mitglieder der DVU im Rahmen der Verschmelzung nicht automatisch, sondern muss durch Beitritt aktiv erklärt werden. Als zukünftiger Parteiname ist "Nationaldemokratische Partei Deutschlands - Die Volksunion" festgelegt. Die auf dem Parteitag vorgesehenen Nachwahlen ermöglichten es, die Fusion durch Übertragung wichtiger NPD-Ämter an DVU-Funktionäre personell bereits vorwegzunehmen. Der DVU-Vorsitzende Faust wurde mit 80,4% der Stimmen zum stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden gewählt. Darüber hinaus wählten die Delegierten den stellvertretenden DVU-Bundesvorsitzenden Ingmar Knop und das DVU-Präsidiumsmitglied Heiner Höving als Beisitzer in den NPD-Vorstand.31 An der am 10. Dezember 2010 abgeschlossenen Urabstimmung nahmen nach Angaben der Partei 2.375 NPD-Mitglieder teil, von denen sich 95,2% für die Verschmelzung mit der DVU ausgesprochen hätten.32 Während Voigt das Fusionsprojekt mit der geschlossenen Verlangsamter Unterstützung seiner Partei vorantrieb und die NPD die dazu Fusionsprozess erforderlichen Schritte konsequent umsetzte, spaltete das durch eingeunabgestimmte Vorgehen Fausts die DVU in zwei Fraktionen. schränkte HandGegenseitige Parteiordnungsverfahren zwischen Befürwortern lungsfähigkeit der und Widersachern der Fusion schränkten die HandlungsfähigDVU keit der Partei zeitweise erheblich ein und schufen eine juristisch diffuse Gesamtsituation. Verschmelzungsgegner riefen unmittelbar nach Fausts Alleingang auf dem NPD-Programmparteitag 31 Homepage der NPD (7. November 2010). 32 Homepage der NPD (12. Dezember 2010). 87 RECHTSEXTREMISMUS das DVU-Schiedsgericht an, das diesem am 8. Juni 2010 den Parteivorsitz und die Mitgliedschaft aberkannte. Dieser Beschluss hatte jedoch keinen Bestand, denn er stützte sich auf eine nicht parteiengesetzkonforme Satzungsbestimmung, weshalb das Landgericht München Faust am 27. Oktober 2010 wieder in dessen Parteirechte einsetzte. Umgekehrt hatten die Verfechter einer Vereinigung mit der NPD zwischenzeitlich erfolglos versucht, den Widerstand ihrer Kontrahenten mit Parteiausschlussverfahren zu unterbinden. Vor dem Hintergrund dieser rechtlich unklaren Lage blieb umstritten, inwieweit das Vorgehen einzelner DVU-Funktionsträger oder Gremien ausreichend legitimiert war. Der rasch voranschreitende Organisationszerfall sowie Lethargie und Indifferenz beim überwiegenden Teil der nominellen Parteimitglieder machten es zudem kaum möglich, das tatsächliche Kräfteverhältnis zwischen Anhängern und Gegnern der Fusion zu bestimmen. Unter den gegebenen Bedingungen schaffte es Faust nicht, die formalen Hürden des Fusionsprozesses im vorgesehenen Zeitplan zu überwinden. Erst am 17. September 2010 stimmte der DVU-Bundesvorstand in einer dezimierten Besetzung dem Verschmelzungsvertrag in der Fassung zu, die das entsprechende NPD-Führungsgremium bereits einen Monat zuvor genehmigt hatte. Die chaotische Planung des ursprünglich für den 28. November 2010 vorgesehenen DVU-Bundesparteitags brachte das organisatorische Unvermögen der Parteiführung besonders deutlich zum Ausdruck. Obwohl die DVU-Satzung eine Einladungsfrist von nur einer Woche vorsieht, gelang es Faust nicht, den Parteimitgliedern die Einladungsschreiben termingerecht zustellen zu lassen. Um formale Anfechtungsgründe gegen einen Fusionsbeschluss des Parteitags auszuschließen, wurde dieser kurzfristig auf den 12. Dezember 2010 verschoben. Eine entsprechende Bekanntmachung auf der DVU-Homepage erfolgte erst zwei Tage vor dem ursprünglich geplanten Termin. Satzungsgemäß handelt es sich bei einem DVU-Bundesparteitag nicht um eine Delegierten-, sondern um eine Mitgliederversammlung. Insofern kam es für beide Lager darauf an, möglichst viele nominelle DVU-Mitglieder, von denen gewöhnlich nur ein kleiner Anteil am Bundesparteitag teilnimmt, für eine Fahrt zum Veranstaltungsort in Kirchheim (Thüringen) zu mobilisieren, um 88 RECHTSEXTREMISMUS im jeweiligen Sinne für oder gegen eine Fusion zu votieren. Letztlich nahmen jedoch nur ca. 100 DVU-Mitglieder am außerordentlichen Bundesparteitag teil. Etwa 20 Verschmelzungsgegner sahen sich durch den Veranstaltungsverlauf massiv in ihren satzungsmäßigen Rechten verletzt und verließen vorzeitig den Tagungsort. Von den verbliebenen stimmberechtigten Mitgliedern votierten 70 für die Annahme des Verschmelzungsvertrags. Auch die Durchführung der erforderlichen Urabstimmung bereitete Faust große Mühe. Ungeachtet des laut Parteitag bis zum 28. Dezember 2010 abzuschließenden Abstimmungsverfahrens sollen viele DVU-Mitglieder die Wahlunterlagen erst am 23. Dezember 2010 oder später erhalten haben, sodass eine termingerechte Stimmabgabe kaum möglich war. Im Hinblick auf das Abstimmungsergebnis sprach Faust deshalb lediglich von einer Billigung durch "rund 87,5% der Mitglieder", ohne die absolute Zahl der abgegebenen Stimmen zu erwähnen.33 Die Fusionsgegner in der DVU - allen voran der niedersächsische Anhaltender Landesvorsitzende Hans-Gerd Wiechmann - stellten noch am Rechtsstreit 28. Dezember 2010 beim Landgericht München I den Antrag auf um die Fusion Erlass einer einstweiligen Verfügung, um Faust die Unterzeichnung des Verschmelzungsvertrags zu untersagen. Als hauptsächliche Gründe führten die Antragsteller vor allem die nicht ordnungsgemäße Beschlussfassung und eine fehlerhafte Urabstimmung an.34 Ungeachtet dessen unterzeichneten Faust und Voigt am 29. Dezember 2010 den Verschmelzungsvertrag. Die juristischen Auseinandersetzungen um die Rechtswirksamkeit dieses Vertrags und die Liquidation der DVU dauern an. Den Landtagsfraktionen der NPD in Sachsen und MecklenburgNPD-LandtagsfrakVorpommern mit acht bzw. sechs Abgeordneten kommt eine tionen in Sachsen enorme Bedeutung für die Partei zu. Dabei steht nicht die parlaund Mecklenburgmentarische Arbeit im Vordergrund, sondern die Möglichkeit, Vorpommern die Parlamente als Agitationsund Propagandaplattform medienwirksam zu instrumentalisieren. Überdies verfügen die Landtagsfraktionen über beträchtliche finanzielle Mittel, die für die Einstellung von Fraktionsmitarbeitern oder persönlichen Referenten und damit für den Aufbau eines professionellen Beraterstabs genutzt werden. Die parlamentarische Präsenz hat 33 Homepage der NPD (30. Dezember 2010). 34 Homepage der DVU Niedersachsen (29. Dezember 2010). 89 RECHTSEXTREMISMUS also nicht nur einen "Schulungseffekt" für die gewählten NPDAbgeordneten, die die Entscheidungsabläufe des politischen Gegners kennenlernen, um dieses Wissen umso effektiver gegen das System einsetzen zu können. Vielmehr ziehen NPD-Landtags-fraktionen in ihrem Umfeld formal höher gebildete oder qualifizierte Parteiaktivisten an, was die parteiinterne Machtstellung des jeweiligen Landesverbands ebenfalls stärkt. Aber auch die Gesamtpartei profitiert erheblich vom Bekanntheitsgrad und der Medienpräsenz der NPD-Abgeordneten. Vor allem dieser Personenkreis ist Ausgangspunkt für die agitatorische, programmatische und strategische Weiterentwicklung der NPD. Von daher hat die Partei ein hohes Interesse am weiteren Ausbau ihrer parlamentarischen Präsenz. Finanzlage der NPD Beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ist weiterhin ein Berufungsverfahren wegen Unrichtigkeiten im Rechenschaftsbericht der NPD für das Jahr 2007 anhängig. Am 26. März 2009 hatte die Bundestagsverwaltung in dieser Angelegenheit gegen die Partei einen Sanktionsbescheid in Höhe von rund 2,5 Millionen Euro erlassen. Die Strafzahlung war vom Verwaltungsgericht Berlin nach Klage durch die NPD am 15. Mai 2009 auf 1,27 Millionen Euro herabgesetzt worden. Gegen dieses Urteil wiederum legten sowohl NPD als auch die Bundestagsverwaltung Berufung ein. Insgesamt ist die NPD seit der Veruntreuungsaffäre um ihren ehemaligen Bundesschatzmeister Kemna im Jahr 2008 bemüht, das Finanzwesen der Partei zu ordnen und zu professionalisieren. Die bisherigen Konsolidierungsfortschritte hätten jedoch keinen Bestand, sollten die Sanktionszahlungen in Millionenhöhe gegen die NPD in einem rechtskräftigen Urteil bestätigt werden. Hohe Strafzahlungen dürften die Handlungsfähigkeit der Partei erheblich belasten, jedoch nicht gänzlich einschränken. 1.4 Unterorganisationen der NPD Die NPD hat derzeit drei relevante Unterorganisationen: die Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), die Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) und die "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV). 90 RECHTSEXTREMISMUS 1.4.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Gründung: 1969 Sitz: Halberstadt (Sachsen-Anhalt; Umzug JN von Bernburg / Sachsen-Anhalt) Bundesvorsitzender: Michael Schäfer Mitglieder: 430 (2009: 430) Publikation: Zentralorgan "Der Aktivist"; unregelmäßige Erscheinungsweise Mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) verfügt die NPD über eine vergleichsweise gut ausgebaute Jugendorganisation, die laut Satzung "integraler Bestandteil" der Gesamtpartei ist. Der Bundesvorsitzende der JN ist kraft Amtes zugleich Mitglied des NPD-Parteivorstandes. Ungeachtet ihrer organisatorischen Einbindung in die NPD sind die JN bemüht, ihre Eigenständigkeit herauszustellen. Der im Juni 2010 wiedergewählte JN-Bundesvorsitzende Michael Schäfer betont daher regelmäßig die Notwendigkeit, sich vom "Bild der 'Junior-NPD'"35 zu lösen und das eigene Profil zu schärfen. Gegenüber der Mutterpartei strebten die JN auch 2010 ein kritisch-solidarisches Verhältnis und die Funktion als "Korrektiv" an.36 35 "Der Aktivist", Ausgabe 1/2009, Nr. 4, 18. Jahrgang, S. 10. 36 Homepage von "Gesamtrechts" (1. Oktober 2009). 91 RECHTSEXTREMISMUS In diversen Verlautbarungen unterstrich die Jugendorganisation den unüberbrückbaren Gegensatz zwischen dem bestehenden System und der politischen Vision der JN. In der Konsequenz bekannte sie sich unverhohlen zum Ziel der Systemüberwindung: "Eine Zukunft für uns kann es mit den Herrschenden nicht mehr geben. Genau so, wie die Menschen vor über zwanzig Jahren eine Wende herbeiführten, wollen wir eine Wende herbeiführen um uns diesem System zu entledigen!" (Homepage des JN-Bundesverbands, 21. September 2010) Als ideale Staatsform propagieren die JN den sogenannten nationalen Sozialismus. In einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" sollen "deutsche Kultur, deutsche Familien und deutsches Leben"37 als Grundlage des gesamten Daseins dienen. Im Rahmen ihrer Agitation für eine neue Ordnung griffen die JN 2010 zudem die Reichsidee auf: "Das Reich ist Kultur, es ist Mythos, es ist Glaube und es ist geistiger Auftrag. (...) Bauen wir das Reich der Freiheit und der Gerechtigkeit von Neuem aus den Trümmern der alten Welt - und jagen wir gemeinsam das Reich der Lüge und der Falschheit dort hin zurück, wo es hingehört: in die Hölle!" (Homepage der JN Baden-Württemberg, 5. März 2010) Auch die Schwerpunktthemen erlaubten 2010 Rückschlüsse auf die ideologischen Positionen der Jugendorganisation. So initiierten die JN im Nachgang zum Schweizer Volksentscheid über ein Minarettneubauverbot vom November 2009 die islamfeindliche Kampagne "Wir oder Scharia", in der sie behaupteten, dass "der Islam durch Masseneinwanderung, muslimischen Geburtenboom und sich ausbreitende(r) Unkultur" die europäischen Völker und Werte vertreibe und somit letztlich zum "Volkstod" 37 Homepage der JN Sachsen-Anhalt (10. Mai 2010). 92 RECHTSEXTREMISMUS führe.38 Auf diese Weise suchten sie, den von den Medien aufgegriffenen islamkritischen Diskurs rechtsextremistisch aufzubereiten und für Agitationszwecke zu instrumentalisieren. Unter dem Kampagnentitel "Bundeswehr raus aus Afghanistan" agitierte die Jugendorganisation im vergangenen Jahr außerdem gegen USA und NATO, denen sie Kriegstreiberei sowie Imperialismus und Kapitalismus vorwarf. Die JN griffen in diesem Zusammenhang auch die Verschwörungstheorie auf, nach der die Terroranschläge des 11. September 2001 durch die USA inszeniert worden seien, um sie als Vorwand für einen Angriff auf das strategisch bedeutsame Afghanistan zu nutzen.39 Bemerkenswert ist hierbei, dass sich die Jugendorganisation mit diesen beiden Kampagnen in einen inhaltlichen Spagat zwischen den eigenen innenund außenpolitischen Positionen begeben hat. Während sie sich innenpolitisch vehement gegen "Islamisierung" und "Überfremdung" wandte, solidarisierte sie sich im Rahmen ihres "Befreiungsnationalismus"40 in außenpolitischen Belangen mit islamistischen Forderungen. Basierend auf einem elitären Selbstverständnis stellt die Jugendorganisation zumindest verbal hohe Ansprüche an ihre Aktivisten. Immer wieder betonen JN-Funktionäre die Notwendigkeit von Disziplin und Aufopferung im politischen Kampf und fordern "die unerschütterliche Bereitschaft, den sozialistischen Freiheitskampf" gegen die "Ausbeuter unseres Volkes aufzunehmen".41 2010 fanden wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen mit überregionaler Bedeutung statt. Am 5. Juni 2010 richtete die Jugendorganisation in Niesky (Sachsen) unter dem Motto "Jugend braucht Perspektiven" den "3. JN-Sachsentag" aus, an dem rund 400 Personen teilnahmen. Außerdem veranstaltete sie am 16. Oktober 2010 in Leipzig eine Demonstration unter dem Motto "Recht auf Zukunft - jetzt erst recht", an der sich ca. 380 Rechtsextremisten beteiligten. 38 Homepage des JN-Bundesverbands (1. Dezember 2009). 39 Homepage der JN-Kampagne (15. Oktober 2010). 40 Homepage des JN-Bundesverbands (16. Juni 2010). 41 Homepage der JN Niedersachsen (10. Mai 2010). 93 RECHTSEXTREMISMUS 1.4.2 "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Gründung: 2006 Sitz: Egeln (Sachsen-Anhalt) Bundesvorsitzende: Edda Schmidt Mitglieder: über 150 (2009: 50) Der 2006 gegründete "Ring Nationaler Frauen" (RNF) sieht sich als Sprachrohr und Ansprechpartner für - unabhängig von einer Parteimitgliedschaft in der NPD - "national" gesinnte Frauen. Die Organisation versuchte, Frauen stärker in die politischen Aktivitäten der NPD einzubeziehen und dieses Anliegen durch eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit zu forcieren. Der Bekanntheitsgrad des RNF sollte zudem durch die organisationseigene Homepage und Werbematerialien mit frauenbzw. familienspezifischen Themen erhöht werden. Darüber hinaus nahmen RNF-Vertreterinnen an Demonstrationen der "Mutterpartei" teil oder organisierten Infostände auf Parteiveranstaltungen wie dem Pressefest der "Deutschen Stimme-Verlagsgesellschaft mbH" am 7. August 2010 in Jänkendorf (Sachsen) oder auf dem außerordentlichen Bundesparteitag am 6. November 2010 in Hohenmölsen (Sachsen-Anhalt). Der RNF ist seit dem NPD-Bundesparteitag 2008 eine Unterorganisation der Partei. Die seit Oktober 2009 amtierende RNFBundesvorsitzende Edda Schmidt aus Baden-Württemberg gehört kraft Amtes dem NPD-Bundesvorstand an. Sie wurde auf dem Bundeskongress in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) am 23. Oktober 2010 in ihrem Amt bestätigt. Als ihre Stellvertreterinnen fungieren Ricarda Riefling aus Niedersachsen und Judith Rothe aus Sachsen-Anhalt. Der RNF vergab 2010 erstmals die Auszeichnung "Frau des Jahres". Geehrt wurde die langjährige Vorsitzende der neonazistischen "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG), Ursula Müller. 94 RECHTSEXTREMISMUS Infolge einer offensiveren Mitgliederwerbung unter dem VorDeutliche Mitgliesitz von Schmidt konnte der RNF seine Personalstärke binnen dersteigerung eines Jahres nahezu verdreifachen. Schmidt vertritt ein konsequent völkisch geprägtes Weltbild, das auch 2010 im RNF-Propagandamaterial zum Ausdruck kam: "Frauen spüren heutzutage, daß Deutschland in großer Gefahr ist, daß unsere Kultur durch die multikulturellen Wahnfantasien der etablierten Parteien unterzugehen droht (...) Da wir uns heute als Deutsche in einer großen Gefahr befinden, werden Frauen mehr gebraucht denn je, um das Überleben zu gewährleisten." (Homepage der RNF, Basisflugblatt "Frauen für Deutschland", 10. Dezember 2010) 1.4.3 "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) Gründung: 2003 Sitz: Dresden (Sachsen) Bundesvorsitzender: Hartmut Krien Die 2003 gegründete "Kommunalpolitische Vereinigung der NPD" (KPV) versteht sich als bundesweite Interessenvertretung kommunaler Mandatsträger der Partei. Hartmut Krien, der maßgeblich am Aufbau der Organisation beteiligt war und selbst NPD-Stadtrat in Dresden ist, wurde 2010 auf einem Kongress in seinem Amt als KPV-Bundesvorsitzender bestätigt. Die KPV will die kommunalpolitischen Aktivitäten der NPD proAufgabenfeld der fessionalisieren. Zu diesem Zweck widmet sie sich vorrangig der KPV Schulung und Beratung ihrer kommunalen Mandatsträger und fördert deren Vernetzung sowie den Erfahrungsaustausch. Zudem sieht sich die KPV als "Sammelstelle für alle gegnerischen Aktivitäten" in der Pflicht, Benachteiligungen der NPD-Mandatsträger zu dokumentieren und anzuprangern. Langfristiges 95 RECHTSEXTREMISMUS Ziel sei es, Vorkehrungen für einen bevorstehenden Systemzusammenbruch zu treffen und ein "Heer von geschulten Kameraden" heranzubilden, um zum gegebenen Zeitpunkt "die gesamte mittlere Leitungsebene von einem Tag zum anderen zu übernehmen".42 Bedeutung der Die Partei verfügt bundesweit über rund 330 KommunalmanKommunalpolitik date, von denen mehr als drei Viertel auf die neuen Bundesländer entfallen. Insofern besitzt die Kommunalpolitik für die NPD lediglich taktisch-strategische Bedeutung. Über den Gewinn kommunaler Mandate versucht die Partei, sich neue Agitationsplattformen zu erschließen, ihre lokale Verankerung voranzutreiben und somit letztlich den Grundstein für Erfolge auf Landesund Bundesebene zu legen. 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) - Die Neue Rechte Gründung: 1987 43 Sitz: München Bundesvorsitzender: Matthias Faust Mitglieder: 3.000 (2009: 4.500) Die DVU hat sich 2010 weitgehend mit sich selbst beschäftigt. Der großen Aufbruchstimmung und den vollmundigen Aussagen des im Januar 2009 neu gewählten Bundesvorsitzenden Matthias Faust folgten keine Taten. Politische Arbeit fand kaum noch statt. Faust konnte die in ihn gesetzten Erwartungen, die Partei zu verjüngen und zu modernisieren und dadurch wieder nach vorne zu bringen, nicht erfüllen. Ihm wurden Inaktivität, Nichterreichbarkeit, Arroganz sowie ein gestörtes Verhältnis zum Geld vorgeworfen. 42 "Deutsche Stimme" Nr. 1/2010 vom Januar 2010, S. 3. 43 "DVU e.V.", 1971 als Verein gegründet; 1987 als Partei konstituiert; 1987 - 1991 "DVU - Liste D". 96 RECHTSEXTREMISMUS Der Zerfall der DVU setzte sich mit der aus Sicht der Partei misslungenen Europawahl im Juni 2009 und der darauf folgenden Aufkündigung des "Deutschlandpakts" durch die NPD fort. Noch im September 2009 verkündete Faust, man werde sich durch die zu immer mehr "Macht und Alleinherrschaft" strebende NPDFührung weder einschüchtern noch erpressen lassen und unter seiner Führung gebe es "ganz sicher keine Zusammenarbeit" mit der NPD.44 Seit Anfang 2010 zeichnete sich aber eine erste Annäherung ab. So nahmen Faust und Voigt am 13. Februar 2010 gemeinsam an einer Demonstration in Dresden teil. Diesen Kontakten folgte die im Vorfeld des NPD-Programmparteitags am 4./5. Juni 2010 in Bamberg (Bayern) medial inszenierte Ankündigung einer geplanten Fusion von NPD und DVU (vgl. Kap. III, Nr. 1.3). Der Alleingang von Faust, der für Verhandlungen mit der NPD mit dem Ziel einer Verschmelzung der beiden Parteien kein Mandat besaß, spaltete die DVU in zwei Lager. Sein unautorisiertes Vorgehen auf dem NPD-Parteitag führte zur Anrufung des DVU-Schiedsgerichts, das Faust am 8. Juni 2010 in einem Eilverfahren zunächst den Parteivorsitz und die Mitgliedschaft aberkannte. Das Landgericht (LG) München I stellte aufgrund eines von Faust daraufhin eingereichten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zwar fest, dass die dem Ausschluss zugrundeliegende Satzungsbestimmung gegen das Parteiengesetz verstoße und somit nichtig sei, Fausts Antrag in seine Rechte als Parteimitglied und Bundesvorsitzender wieder eingesetzt zu werden, wurde jedoch wegen fehlender Eilbedürftigkeit zurückgewiesen. Nachdem auch seine gegen diesen Beschluss beim Oberlandesgericht München eingereichte sofortige Beschwerde erfolglos geblieben war, entschied das LG München jedoch im Hauptsacheverfahren am 27. Oktober 2010, dass Faust nach wie vor Parteimitglied und auch Bundesvorsitzender der DVU ist. Auch die Befürworter einer Fusion belegen ihre härtesten Kontrahenten inzwischen mit Parteiordnungsmaßnahmen. Gegen die Vorsitzenden der Landesverbände Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind ebenfalls 44 Homepage der DVU (29. September 2009). 97 RECHTSEXTREMISMUS Parteiausschlussverfahren anhängig, deren endgültiger Ausgang noch ungewiss ist. An einer - trotz der zum damaligen Zeitpunkt umstrittenen Zuständigkeiten und Kompetenzen - im Juli 2010 vorgenommenen Befragung zur geplanten Fusion beteiligten sich nach Angaben von Faust rund 1.100 DVU-Mitglieder; von diesen stimmten knapp 91% für eine Verschmelzung der Partei mit der NPD, wobei rund 70% gleichzeitig für einen neuen Namen der fusionierten Parteien votierten. Nachdem sich mit der Verabschiedung des Entwurfs eines Verschmelzungsantrags auf einer Bundesvorstandssitzung im September 2010 (zumindest zunächst) die Fusionsbefürworter durchgesetzt haben, erhielt dieses Lager durch die Wiedereinsetzung Fausts als Bundesvorsitzendem deutlich Auftrieb. Die DVU ist durch die internen Streitigkeiten inzwischen in ihrer Handlungsfähigkeit nach außen stark eingeschränkt; die innerparteilichen Querelen führten zu mehreren Rückund Parteiaustritten von hohen Funktionären sowohl auf Bundesals auch Landesebene. So sind von den im Verzeichnis des Bundeswahlleiters aufgeführten ehemals 15 Mitgliedern des Bundesvorstands nur noch acht im Amt. IV. Rechtsextremistische Verbreitungsstrukturen 1. Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet 1.1 Allgemein Für deutsche Rechtsextremisten ist die Nutzung des Internets mittlerweile ein fester Bestandteil bei der Verbreitung ihrer Ideologie, der Vorbereitung von Aktionen, Kampagnen und anderen Veranstaltungen sowie der Kommunikation mit Anhängern und Sympathisanten. Ende 2010 waren ca. 1.000 von Deutschen betriebene rechtsextremistische Homepages online. Dabei ist eine anhaltend hohe Fluktuation zu beobachten, so konnten im Verlauf des Jahres 2010 etwa 250 neue Websites festgestellt werden; im gleichen Zeitraum wurde eine annähernd gleich große Anzahl wieder abgeschaltet. 98 RECHTSEXTREMISMUS Nahezu alle wesentlichen Organisationen, Vertriebe, Publikationen und Musikbands, aber auch Einzelpersonen der rechtsextremistischen Szene versuchen sich über das Internet einer breiten Öffentlichkeit darzustellen. Viele Websites des organisierten Rechtsextremismus vermitteln einen Einblick in Strukturen und ideologisch-politische Zielsetzungen der einzelnen Gruppen. Mitglieder werden über Organisationsinterna informiert, neue Anhänger sollen animiert und angeworben werden. Auch im Jahr 2010 betrieben Rechtsextremisten ihre InternetakNutzung der Web tivitäten nicht nur über eigene Foren und Homepages, sondern 2.0-Dienste dehnten diese auf alle Bereiche, gerade auch die nichtextremistischen, des Web 2.0 aus. Hervorzuheben sind die nach wie vor beliebten Internet-Diskussionsforen - oftmals mit mehreren Hundert Teilnehmern oder Internetauftritte im Weblog-Format mit interaktiver Kommentarfunktion, über die aktuelle, die Szene interessierende Nachrichten, oftmals mit regionalem Bezug, schnell und einfach hochgeladen werden können. Auf Online-Communities sind Rechtsextremisten ebenso vermehrt präsent. In diesen virtuellen Freundesnetzwerken kann der Nutzer, unter seinem persönlichen Profil, Musik, Videos, Texte oder Fotos hochladen und zur Begutachtung und Kommentierung freigeben. Selbst sogenannte Mikrobezahldienste (Social Payment), über die Besucher eines Internetauftritts anonym Geldbeträge als Dank für einzelne Beiträge auf der jeweiligen Seite transferieren können, werden von rechtsextremistischen Seitenbetreibern genutzt. Die Nutzung von Musikund Videoportalen ist für RechtsextreMusikund Videomisten inzwischen zur Selbstverständlichkeit geworden. Bei den portale entsprechenden Clips handelt es sich teils um Werbevideos einzelner Kameradschaften, selbst erstellte Dokumentationen rechtsextremistischer Demonstrationen oder auch um Musikclips rechtsextremistischer Bands. Daneben sind auf derartigen Plattformen Videos mit rassistischen und/oder gewaltverherrlichenden Inhalten oder mit Darstellungen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen abrufbar. 99 RECHTSEXTREMISMUS Strafbare Inhalte Während einerseits der Anteil der rechtsextremistischen Homepages mit strafrechtlich relevanten Inhalten rückläufig ist, ist andererseits eine Zunahme derartiger Angebote auf den Musikund Videoplattformen festzustellen, sowohl in szeneinternen als auch in nichtextremistischen sozialen Netzwerken. Die Urheber agieren zumeist konspirativ und unter Ausnutzung der im Internet vorhandenen Möglichkeiten der Identitätsverschleierung. Ausblick Die Bedeutung der verschiedenen Internetdienste wird mit fortschreitender technischer Entwicklung insgesamt weiter zunehmen. Insbesondere Jugendliche, die über traditionelle Medien nicht oder nur bedingt erreichbar wären, können über das Internet unkompliziert mit rechtsextremistischem Gedankengut in Berührung kommen. Diese Gefahr muss deshalb als beachtlich eingestuft werden. 1.2 Rechtsextremistische Internetradios Zahl der InternetDie Zahl der rechtsextremistischen Internetradios lag 2010 bei radios gestiegen 38 (2009: 29). Zudem herrscht eine hohe Fluktuation, etliche Radios waren nur vorübergehend in Betrieb. Internetradios, die über mehrere Jahre hinweg betrieben werden, bilden die Ausnahme. Das Radioprogramm besteht fast ausschließlich aus rechtsextremistischer Musik. Die Sendezeiten variieren von wenigen Stunden wöchentlich bis zu einem 24-Stunden-Programm. Die Musiktitel werden durch Moderatoren angesagt, wobei die Nutzer teilweise über Hörerwünsche das Programm mitgestalten können. Interviews mit Rechtsextremisten, insbesondere Mitgliedern rechtsextremistischer Musikgruppen, sowie sonstige Wortbeiträge werden eher selten gesendet. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Koblenz gegen die Betreiber des rechtsextremistischen "Widerstand-Radio" u.a. wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung durchsuchten Polizeibeamte am 3. November 2010 die Wohnungen von 23 Beschuldigten und vollstreckten 21 Haftbefehle. Dabei wurde umfangreiches Beweismaterial wie Computer, Speichermedien 100 RECHTSEXTREMISMUS und Mobiltelefone sichergestellt. Die Maßnahmen richteten sich gegen 23 Beschuldigte im Alter von 20 bis 37 Jahren, die als Administratoren bzw. Moderatoren das "Widerstand-Radio" im 24-Stunden-Rhythmus betrieben. Dort sollen sowohl durch die Moderatorenbeiträge als auch durch das regelmäßige Abspielen von Musiktiteln deutscher und internationaler rechtsextremistischer Musikgruppen mit menschenverachtenden, rassistischen und nationalsozialistischen Inhalten Straftatbestände der SSSS 86, 86a, 130, 131 StGB u.a. verwirklicht worden sein. 2. Rechtsextremistische Musik Der rechtsextremistischen Musik kommt nach wie vor eine herBedeutung der ausragende Bedeutung für die gewaltbereite rechtsextremistirechtsextremistische Szene zu. Sie dient mit ihrer identitätsstiftenden Funktion schen Musik als "Lockmittel" für Jugendliche und junge Erwachsene, um diese an die rechtsextremistische Szene sowie deren Ideologie heranzuführen und an sie zu binden. Darüber hinaus fördert sie die Entwicklung und den Zusammenhalt der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene, die lose, netzwerkartige Strukturen aufweist. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen sind Treffpunkt für Szeneangehörige. Sie ermöglichen sowohl das ungestörte Ausleben der rechtsextremistischen Gesinnung als auch die überregionale Kontaktpflege. Da rechtsextremistische Konzerte oft nur szeneintern durch SMS oder Mund-zu-Mund-Propaganda beworben werden und damit einen konspirativen Charakter aufweisen, üben sie auf Jugendliche einen besonderen Reiz aus. Rechtsextremistische Musikgruppen und Liedermacher transportieren in ihren Texten, je nach Band, Anlass und Zielgruppe, offen oder unterschwellig rechtsextremistische Feindbilder und Ideologiefragmente. Dadurch vermitteln und verfestigen sie das in der Szene gängige, häufig diffuse rechtsextremistische Weltbild, das aus Versatzstücken nationalistischer, fremdenfeindlicher, antisemitischer und antidemokratischer Einstellungsmuster besteht. 101 RECHTSEXTREMISMUS Der hohe Stellenwert der Musik wird von neonazistischen Kameradschaften und rechtsextremistischen Parteien verstärkt genutzt, um bei Sympathisanten, aber auch szenefremden Jugendlichen Interesse für die eigenen ideologischen und politischen Vorstellungen zu wecken und diese so für sich zu gewinnen. Eine besondere Bedeutung kommt hier der NPD zu (vgl. Kap. III, Nr. 1). Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher gehören bei zahlreichen von der NPD organisierten Veranstaltungen zum festen Programm. Wandel der rechtsDie rechtsextremistische Musikszene hat sich in den letzten Jahextremistischen ren stark gewandelt. Durch die Öffnung für andere Musikstile Musikszene bietet sie ein breiteres Spektrum, über das Jugendliche angesprochen werden können. Allerdings dominiert die typische Skinhead-Musik weiterhin die Szene. Die meisten Bands ordnen sich selbst dem Musikstil des Hard Rock bzw. "Rechtsrock" zu. Zu einem zweiten Schwerpunkt innerhalb der rechtsextremistischen Musikszene hat sich inzwischen der "National Socialist Hardcore" bzw. "National Socialist Hatecore" (NSHC) entwickelt. Diesem Genre gehören rund 15% der rechtsextremistischen Musikgruppen an. Das moderne Erscheinungsbild der Protagonisten und die verstärkte Thematisierung aktueller Probleme - wie etwa Globalisierung oder Umweltschutz - knüpfen an die gegenwärtigen Interessen und Trends der Jugendlichen an. Ein weiterer Musikstil mit zunehmender Bedeutung ist der "National Socialist Black Metal" (NSBM). Neben einem stetigen Anwachsen der Anzahl von NSBM-Bands und einschlägigen Konzerten ist in den letzten Jahren eine zunehmende Überschneidung zwischen dem ursprünglich stark abgeschotteten NSBMBereich und den übrigen Spektren der rechtsextremistischen Musik festzustellen. 2.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Anzahl rechtsDie Anzahl der rechtsextremistischen Konzerte bewegt sich mit extremistischer 128 Veranstaltungen (2009: 125) auf etwa gleichbleibend hohem Konzerte gleichNiveau. Oftmals kam es im Verlauf rechtsextremistischer Konbleibend hoch zerte zu Propagandastraftaten. 102 RECHTSEXTREMISMUS Die durchschnittliche Besucherzahl blieb mit 130 Personen (2009: 120) ebenfalls gleichbleibend hoch und bewegt sich dabei im langjährigen Mittelwert. Überwiegend waren die Konzerte von etwa 80 bis 200 Personen besucht. Bei sechs Veranstaltungen lag die Teilnehmerzahl über 300 Personen. Damit hält der Trend zu Konzertveranstaltungen mit geringer Teilnehmerzahl an. Traten allerdings mehrere besonders populäre rechtsextremistische Musikgruppen auf, waren in Einzelfällen einige Hundert Teilnehmer zugegen. Das Konzert mit der größten Besucherzahl fand am 21. August 2010 in Eschede (Niedersachsen) auf dem Grundstück eines bekannten Rechtsextremisten statt. Dort traten die deutschen rechtsextremistischen Bands "Sturmtrupp", "Sturmwehr", "12 Golden Years", "Oidoxie", "Strongside", "Alte Schule" und die schwedische Formation "Endless Pride" vor über 600 Besuchern auf. Für die Musikveranstaltung war im Vorfeld überregional geworben worden. Überdurchschnittlich viele Veranstaltungen gab es auch 2010 in Regionale den östlichen Bundesländern, insbesondere in Sachsen. SchwerSchwerpunkte punkte haben sich darüber hinaus in Regionen entwickelt, in denen Szeneangehörige auf angemietete oder eigene Veranstaltungsobjekte zurückgreifen können. So wurden etwa die ehemaligen Gaststätten "Zum Rössle" in RheinmünsterSöllingen (Baden-Württemberg) und "Zur deutschen Eiche" in Rothenburg (Sachsen) von Rechtsextremisten erworben und dienen nun ausschließlich als Szenelokalitäten. In 19 Fällen gelang es trotz der konspirativen Vorgehensweise Staatliche der Organisatoren, rechtsextremistische Musikveranstaltungen Maßnahmen durch intensive Aufklärungsarbeit und polizeiliche Kontrollen bereits im Vorfeld zu verhindern. Häufig traten die Inhaber der Veranstaltungsräume nach Sensibilisierungsgesprächen durch die Ordnungsbehörden von ihren Verträgen mit den Konzertorganisatoren zurück. Infolge der vergleichsweise hohen Zahl, der bereits im Vorfeld aufgelösten Veranstaltungen, ging der Anteil der während ihres Verlaufs aufgelösten Veranstaltungen (vier Konzerte) im Jahr 2010 zurück. 103 RECHTSEXTREMISMUS Auftritte rechtsexRechtsextremistische Bands und Liedermacher sind Hauptbetremistischer Musistandteile von Konzerten und sonstigen rechtsextremistischen ker bei sonstigen Veranstaltungen, beispielsweise im musikalischen RahmenproVeranstaltungen gramm angemeldeter rechtsextremistischer Parteiveranstaltungen. 2010 fanden 71 (2009: 42) derartige Auftritte statt. Der zu verzeichnende Aufwuchs steht im Zusammenhang mit der Zunahme der Gesamtzahl der Veranstaltungen. Rolle der NPD Bei NPD-Veranstaltungen werden rechtsextremistische Bands und Liedermacher regelmäßig für das Rahmenprogramm angekündigt, ihre Auftritte bilden im Verlauf aber häufig den eigentlichen Schwerpunkt der Veranstaltung. Die Musiker dienen als Integrationsfiguren, die jüngere Szeneangehörige, Neonazis und Skinheads an die NPD binden sollen. Mit eigenen Musikveranstaltungen demonstriert die NPD ihre Offenheit gegenüber dem nichtparteigebundenen rechtsextremistischen Personenspektrum. Bei dem Pressefest der NPD-eigenen "Deutschen Stimme Verlagsgesellschaft mbH" traten am 7. August 2010 in Jänkendorf (Sachsen) die rechtsextremistischen Bands "Brutal Attack" (Großbritannien), "Sturmwehr", "Sleipnir", "Ü-Band" sowie der rechtsextremistische Liedermacher Frank Rennicke vor rund 2.000 Besuchern auf. 2.2 Rechtsextremistische Bands und Liedermacher Anzahl rechtsIm Jahr 2010 waren in Deutschland insgesamt 165 rechtsextreextremistischer mistische Musikgruppen aktiv (2009: 151). Damit nahm die Bands gestiegen Anzahl der Bands, die bei Konzerten auftraten oder einschlägige Tonträger veröffentlichten, erneut zu und erreichte den bisher höchsten Stand. Dies ist u.a. darauf zurückzuführen, dass die Bereitschaft rechtsextremistischer Musiker zur Zusammenarbeit in nur kurzfristig aktiven Projekten weiter angestiegen ist. Die Mehrzahl der Musikgruppen kommt aus den östlichen Bundesländern, insbesondere Brandenburg und Sachsen. Nur jede vierte rechtsextremistische Band besteht seit mehr als sechs Jahren. Von diesen ist die überwiegende Anzahl jedoch im Westen 104 RECHTSEXTREMISMUS Deutschlands ansässig, während in Ostdeutschland nur ein kleiner Teil der aktiven Bands auf eine längere Bandgeschichte zurückblicken kann. Zwar gehören den dortigen Musikgruppen langjährig aktive Rechtsextremisten an, doch scheint unter den ostdeutschen Szenemusikern die Bereitschaft größer zu sein, sich zu neuen Musikgruppen zusammenzuschließen. Auch im Jahr 2010 erschienen mehrere deutsche Tonträger mit strafbaren Inhalten. So veröffentlichte die Musikgruppe "Braunau" einen Tonträger mit dem Titel "Unsere Lösung heißt Gewalt"45, dessen Liedtexte volksverhetzende Inhalte haben. Die Band lehnt ein friedliches Zusammenleben von Ausländern und Deutschen aus rassistischen Gründen ab und fordert zu Gewalt auf. In dem Lied "Sie töten unsere Rasse!" heißt es dazu: "Man sieht sie überall im Land, ein Mischlingskind an jeder Hand. Sie präsentieren die häßlichen Kröten, mit denen sie unsere Rasse töten. (...) man müßte ihnen in die Fresse rotzen. Sie rücksichtslos zusammenschlagen und sie samt ihrer Brut aus Deutschland jagen." (Musikgruppe "Braunau", CD "Unsere Lösung heißt Gewalt", Lied "Sie töten unsere Rasse!") Die Mehrzahl der rechtsextremistischen Musikgruppen verzichNationalsoziatet aber bei ihren Tonträgerveröffentlichungen auf strafbare listische IdeologieLiedtexte. Dadurch sollen nicht nur strafrechtliche Ermittlungsfragmente in verfahren vermieden werden. Vielmehr gehen die Bands davon den Liedtexten aus, dass sie auf diese Weise ein größeres Publikum ansprechen. Diesem Ziel dient auch der Versuch, nationalsozialistisches Gedankengut nicht im historischen Kontext, sondern in Verbindung mit aktuellen Themen anzubieten. Die Musikgruppe "Volksgemeinschaft statt Individualismus" formuliert ihre Globalisierungsund Kapitalismuskritik in dem Lied 45 Die CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 200 vom 31. Dezember 2010. 105 RECHTSEXTREMISMUS "Von Ost nach West..." in typisch nationalsozialistischer Diktion antisemitisch und rassistisch: "Ihr Plan eiskalt und teuflisch, seit Jahrhunderten manifestiert (...) die auserwählte Hochfinanz zwingt Europa in die Knie. (...) Das Ergebnis ihres Plans ein großer Völkerbrei. (...) Jagt den Weltfeind aus jedem Land! Gegen Ausbeutung und Zinssklaverei (...)." (Musikgruppe "Volksgemeinschaft statt Individualismus", CD "Akzeptanz und Menschlichkeit", Lied "Von Ost nach West...") RechtsextremistiIm Jahr 2010 traten 29 rechtsextremistische Liedermacher sche Liedermacher (2009: 33) bei einschlägigen Veranstaltungen auf oder veröffentlichten Tonträger mit rechtsextremistischen Inhalten. Auch in diesem Bereich kam es zur Veröffentlichung strafbarer Tonträger. So enthält die CD "Deutsche Gedanken"46 der Liedermacher "Arische Jugend & Teja" neben Texten, die die Kriegsschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg relativieren, solche, die den Nationalsozialismus verherrlichen: "Wehe voran auf dem Pfade, Hakenkreuzbanner hoch in blauer Luft, wenn uns die Ehre ruft (...) Wenn eines Tages wieder stolze Herzen glüh'n, weht das Hakenkreuzbanner wieder in Berlin." (Liedermacher "Arische Jugend & Teja", CD "Deutsche Gedanken", Lied "Wenn uns die Ehre ruft") Auftritte rechtsAuftritte rechtsextremistischer Liedermacher sind ein Hauptbeextremistischer standteil (des musikalischen Begleitprogramms) von VeranstalLiedermacher tungen. Die Anzahl der rechtsextremistischen Liederabende blieb mit 40 Veranstaltungen weiterhin (2009: 38) auf einem hohen Stand. 46 Die CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 79 vom 28. Mai 2010. 106 RECHTSEXTREMISMUS 2.3 Rechtsextremistische Musikvertriebe Die Zahl der bundesweit aktiven rechtsextremistischen VerZahl der Vertriebe triebe lag im Jahr 2010 bei 87 (2009: 68) und ist damit erstmals gestiegen seit 2005 angestiegen. Die Produktion und Verbreitung von rechtsextremistischer Musik, Bekleidung und Propagandamaterialien erfolgt durch nationale und internationale Musik-/Textilvertriebe und -label, Szeneläden, mobile Händler und in zunehmendem Maße in einschlägigen Internetforen, Musiktauschbörsen und auf Download-Homepages. Die zunehmende Nutzung des Internets als Verkaufsplattform Internet weiterhin erleichtert die Gründung einschlägiger Online-Vertriebe, die in wichtigste Verder Regel von nur einer Person betrieben werden. Zusätzlich zu triebsmöglichkeit diesen Vertrieben existieren Einzelanbieter, die auch unter wechselnden Pseudonymen per E-Mail und über einschlägige Internetforen Tonträger verkaufen. Zudem bieten mobile Händler bei Konzerten Tonträger und Merchandise-Artikel von rechtsextremistischen Bands an. Daneben gibt es, vor allem in Ostdeutschland, zahlreiche Ladengeschäfte, die auch als Treffpunkte der örtlichen Szene fungieren. Einige von ihnen sind an bundesweit aktive Vertriebe angeschlossen. Im Gegensatz zu ausländischen Produzenten und Anbietern achten insbesondere die in Deutschland ansässigen und etablierten Vertriebe/Produzenten darauf, nur strafrechtlich nicht relevante Produkte anzubieten. Häufig werden die Texte und Cover neuer Tonträger vor Erscheinen von Anwälten geprüft. Etwa die Hälfte der Vertriebe verfügt über eigene Musikoder Textillabel (2009: 35), unter denen einschlägige Tonträger und Bekleidungsartikel produziert werden. Dabei hat sich der Trend der letzten Jahre fortgesetzt, ein immer umfangreicheres Sortiment zu offerieren, um sich am Markt zu behaupten. Dabei wird auch Bekleidung ohne direkt erkennbaren rechtsextremistischen Bezug angeboten (insbesondere sogenannte StreetwearTextilien sowie Sportund Militariabekleidung), mit der man auch Interessenten außerhalb der rechtsextremistischen Szene ansprechen will. Hier wird gezielt auf das Modebewusstsein sowie den Abgrenzungswunsch diverser subkultureller Jugendszenen gesetzt (Black Metal, Dark Wave, Gothic, Hooligans). 107 RECHTSEXTREMISMUS Im Bereich der Vertriebe hat sich der "National Socialist Black Metal" (NSBM) als Musikstil weiter etabliert. Sowohl Anbieter aus dem Skinheadoder Hatecore-Musikbereich als auch spezielle NSBM-Vertriebe halten entsprechende Tonträger vor. Die Zahl der NSBM-Vertriebe ist 2010 leicht gestiegen (2010: 10, 2009: 9), wobei der Schwerpunkt weiter in den östlichen Bundesländern liegt. Augenscheinlich besteht das ursprüngliche Selbstverständnis des NSBM als massenuntaugliche Untergrundmusik nicht weiter fort und finanzielle Interessen rücken in den Vordergrund. Gleichzeitig weigern sich jedoch "etablierte" unpolitische Vertriebe von Black Metal-Musik, die rechtsextremistischen NSBM-Bands und deren Musik zu vermarkten, und versuchen ihrerseits, sich von ihnen abzugrenzen. Verantwortliche bzw. Inhaber der NSBM-Vertriebe sind zunehmend Mitglieder entsprechender Bands, die über eigene Internet-Vertriebe nicht nur ihre CDs, sondern auch Textilien, Logo-Patches und einschlägige Fanzines vertreiben. Exekutiv2010 gab es erneut Exekutivmaßnahmen wegen des Verdachts maßnahmen der Herstellung und Verbreitung strafbarer rechtsextremistischer Tonträger. Dabei wurden mehrere Tausend Tonträger beschlagnahmt: # Am 13. Januar 2010 durchsuchten Polizeibeamte wegen des Verdachts der Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen und Volksverhetzung die Wohnund Geschäfträume von drei Beschuldigten in Berlin und Chemnitz (Sachsen). Den Beschuldigten wird vorgeworfen, die CD "Virus" der rechtsextremistischen Band "X.x.X." produziert und vertrieben zu haben.47 Der Tonträger enthält Liedtexte, die antidemokratisches Gedankengut und den Kampf gegen die politische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland propagieren. Insgesamt wurden bei den Exekutivmaßnahmen ca. 140 CDs sowie Speichermedien und Geschäftsunterlagen sichergestellt. Parallel zu den Durchsuchungsbeschlüssen hatte das Amtsgericht Berlin-Tiergarten die allgemeine Beschlagnahme sämtlicher Exemplare der CD einschließlich Booklets sowie der zur Herstellung benötigten Vorrichtungen angeordnet. 47 Die CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 164 vom 30. Oktober 2009. 108 RECHTSEXTREMISMUS # Am 13. Juli 2010 durchsuchten Beamte des Landeskriminalamtes Berlin im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Verbreitens von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten sowie der Volksverhetzung gegen die Verantwortlichen des Online-Versandhandels "Wearwolf Records" zwei Objekte im Stadtteil MarzahnHellersdorf. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, über das Internet strafbare Waren wie Buttons mit Hakenkreuzen, Sigrunen und SS-Totenköpfen sowie Bücher und Videos mit volksverhetzenden Inhalten und entsprechend bedruckte Kleidungsstücke angeboten zu haben. Darüber hinaus sollen sie Tonträger mit strafbaren Inhalten, unter anderem Titel der Szenebands "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" ("Adolf Hitler lebt!"), "Schlachthaus", "Blitzkrieg" und "Gegenschlag", über die Homepage "Wearwolf Records" vertrieben haben. Insgesamt beschlagnahmte die Polizei ca. 6.500 Tonträger sowie Computer, Bestellunterlagen, mehrere Mustervorlagen und Rohlinge. V. Rechtsextremistische Agitationsfelder 1. Geschichtsrevisionismus Unter Geschichtsrevisionismus versteht man die ideologisch motivierte Umdeutung historischer Tatsachen durch Rechtsextremisten. Nach wie vor sind der durch die Nationalsozialisten ausgelöste Zweite Weltkrieg und die Massenvernichtungen in den Konzentrationslagern im öffentlichen Bewusstsein präsent und delegitimieren rechtsextremistische Ideologien. Vor diesem Hintergrund propagieren Rechtsextremisten eine verfälschende Geschichtsbetrachtung, mit der sie die Verantwortung des Hitler-Regimes für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs anzweifeln und den systematischen Massenmord an Juden abstreiten oder relativieren. In diesem Sinne versuchen sogenannte Revisionisten den Eindruck zu erwecken, sie korrigierten unvoreingenommen anhand wissenschaftlicher 109 RECHTSEXTREMISMUS Forschungen bislang falsch bewertete historische Aussagen zum Nationalsozialismus. Tatsächlich handeln sie aus dem politischen Motiv, das Geschichtsbild über das Dritte Reich und den Nationalsozialismus zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Betrachtung umzuschreiben. Rechtsextremistische Revisionisten versuchen die geschichtliche Wahrnehmung zu manipulieren, indem sie: # gefälschte oder bewusst einseitig interpretierte Dokumente verwenden, # Quellen unterschlagen, die nationalsozialistische Untaten belegen, # vermeintlich positiv bewertete Handlungen des Dritten Reiches überbetonen, # Maßnahmen des Nationalsozialismus beschönigen oder verschweigen, # den Holocaust und andere Verbrechen der Nazis insbesondere durch eine Gleichsetzung mit Untaten der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs relativieren oder leugnen. Revisionismus im engeren Sinne leugnet den an den europäischen Juden begangenen Völkermord, eine Agitation, die in mehreren europäischen Staaten strafrechtlich sanktioniert ist und in Deutschland den Tatbestand der Volksverhetzung erfüllt. Im weiteren Sinne bezeichnet Revisionismus nahezu alle von den Geschichtsfälschern genutzten Thesen, mit denen die Schuld des NS-Regimes am Zweiten Weltkrieg oder der verbrecherische Charakter der NS-Diktatur bestritten wird. Bei einer in der Neonaziszene festzustellenden bewusst provokant angelegten Leugnung des Holocaust wird teils sogar die strafrechtliche Verfolgung als Mittel zur Erlangung öffentlicher Aufmerksamkeit mit einkalkuliert. Einige Rechtsextremisten versuchen mit der Veröffentlichung von Büchern und sonstigen Publikationen, ihre Darstellung der Geschichte auch einem breiteren Publikum nahe zu bringen. Revisionismus in Revisionistische Agitation äußert sich in Demonstrationen und Deutschland Aufmärschen. Diese thematisieren oftmals Ereignisse des Zweiten Weltkriegs, insbesondere Bombenangriffe auf deutsche Städte. 110 RECHTSEXTREMISMUS Derartige Demonstrationen stellen eine Form des Revisionismus im weiteren Sinne dar, an der sich das gesamte rechtsextremistische Spektrum, von den sogenannten Freien Kräften bis zur NPD, beteiligt. Um deutsche Kriegsverbrechen zu relativieren und die Schuld des NS-Regimes am Krieg zu leugnen, wird die Betrachtung des betreffenden Ereignisses dabei bewusst vom historischen Kontext gelöst. Die berechtigte Erinnerung auch an die deutschen Opfer des Krieges wird auf diese Weise ideologisch missbraucht. In diesem Zusammenhang kommt der jährlichen Kundgebung der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt Dresden im Zweiten Weltkrieg besondere Bedeutung zu. Bei dieser Veranstaltung agitieren die Redner regelmäßig gegen den "deutschen Schuldkult" und leugnen die Verantwortung für den Krieg. In einem Bericht der JLO für 2010 heißt es: "Aussagen über Kriegsgründe und die vorgebliche deutsche Kriegsschuld berührten wieder die Tabus der inszenierten, volksfernen 'Zivilgesellschaft'." (Homepage der JLO, 18. November 2010) Einen weiteren Schwerpunkt des aktionsorientierten Revisionismus bilden regelmäßig stattfindende Veranstaltungen, die bewusst an die kultische Verehrung ausgewählter Personen des Dritten Reiches anknüpfen wollen. Die NPD bringt revisionistische Thesen, die zudem eine verschwörungstheoretische Komponente enthalten, in parlamentarischen Debatten ein. Demnach ist das herrschende Geschichtsbild nicht Ausfluss wissenschaftlicher Forschung, sondern von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs aufoktroyiert worden. 111 RECHTSEXTREMISMUS In einer Erklärung der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag heißt es beispielsweise: "Die Regierenden und das Fernsehen gerieren sich dabei als moralische Tugendwächter, für die die deutsche Geschichte bis 1945 angeblich nur aus Verbrechen besteht. Mit einem von den Regierenden verordneten einseitigen Geschichtsbild will man den Schuldkomplex der Deutschen nur weiter aufrechterhalten und sie damit zur willfährigen und duldsamen Knetmasse fremder Interessen machen." (Flugblatt der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag "Ja zum Gedenken. Die Würde der Bombenopfer schützen!") Die offene Leugnung des Holocaust ist in Deutschland kaum mehr festzustellen, nicht zuletzt wegen der strafrechtlichen Konsequenzen. Nur noch einzelne Rechtsextremisten gerieren sich in der Rolle des vom Staat verfolgten "Freiheitskämpfers" und der damit verbundenen szeneinternen Aufmerksamkeit. Andere Revisionisten versuchen durch konspirative Herstellung und Verbreitung ihrer Pamphlete einer Strafverfolgung zu entgehen. Gleichwohl wurden auch 2010 Urteile wegen Leugnung des Holocaust gesprochen. Das Amtsgericht Weinheim (BadenWürttemberg) verurteilte den früheren Bundesvorsitzenden der NPD Günter Deckert im Juli 2010 wegen Beihilfe zur Volksverhetzung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer viermonatigen Bewährungsstrafe. Deckert hatte das 2007 in Deutschland verbreitete, den Holocaust leugnende Buch "Auschwitz - die erste Vergasung - Gerüchte und Wirklichkeit" übersetzt.48 Statt den Holocaust offen zu leugnen, kritisieren viele rechtsextremistische Revisionisten verstärkt die Gedenkkultur in Bezug auf das NS-Unrecht. Es handelt sich dabei um den Versuch, die Erinnerung an den Holocaust als "jüdische Erfindung" herabzuwürdigen und den Nationalsozialismus moralisch zu entlasten. So polemisierte der stellvertretende NPD-Parteivorsitzende Karl Richter gegen eine "Privilegisierung bestimmter Opfergruppen" 48 Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 112 RECHTSEXTREMISMUS anlässlich des Gedenktages zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz: "Gegen solche Alleinvertretungsansprüche einer bestimmten Opfergruppe, die der bundesdeutschen Normalbevölkerung immer unverfrorener aufs Auge gedrückt werden, gilt es Zeichen zu setzen (...)" ("Altermedia", 28. Januar 2010 ) Neben den parteioder organisationsgebundenen Verlagen Verlage und existieren zahlreiche rechtsextremistische Verlage und VerVertriebsdienste triebsdienste (2010: 27, 2009: 31), die in der Hauptsache den in der rechtsextremistischen Szene stark ausgeprägten Bedarf nach revisionistischen Veröffentlichungen bedienen. Einige dort veröffentlichte Bücher weisen Anhaltspunkte für rechtsextremistische Tendenzen auf. Neben Büchern und Zeitschriften werden hier auch elektronische Medien und sonstige Produkte vertrieben, wie Kalender, Poster und Schmuck. Die Verlage sind in ihrer Bedeutung unterschiedlich, wenigen größeren stehen vor allem Kleinunternehmen und Vertriebsdienste gegenüber. Zurzeit stagniert der Vertrieb von Produkten in der rechtsextremistischen Verlagslandschaft, nicht zuletzt auch aufgrund der in den letzten Jahren erfolgten Indizierung diverser rechtsextremistischer Publikationen. Auch größere Verlage haben 2010 kaum nennenswerte Neuveröffentlichungen herausgebracht. Sie zehren noch heute von Werken, die bereits vor Jahrzehnten erschienen sind und seitdem immer wieder neu aufgelegt werden. 2010 wurde fast im gesamten rechtsextremistischen Verlagswesen das Erscheinen des vom "Grabert-Verlag" herausgegebenen 113 RECHTSEXTREMISMUS vierten Bandes "Der Große Wendig. Richtigstellungen zur Zeitgeschichte" umfänglich beworben. In dem als "geschichtsrevisionistisches Standardwerk" bezeichneten Buch heißt es: "Tatsache ist jedoch, daß die Angehörigen der Wehrmacht einschließlich der Waffen-SS anerkanntermaßen die diszipliniertesten Truppen der Welt waren, das Völkerrecht achteten und um ein gutes Verhältnis zur Bevölkerung in den besetzten Gebieten bemüht waren." (Hans Meiser in: "Der große Wendig. Richtigstellungen zur Zeitgeschichte" Band 4, "Grabert-Verlag", S. 56) "Grabert-Verlag" Der von Wigbert Grabert geleitete "Grabert-Verlag" veröffentlicht neben Büchern auch die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) mit Beiträgen zu zeitgeschichtlichen und tagespolitischen Themen. Chefredakteur der DGG ist seit der Ausgabe Nr. 2 vom Juni 2010 der NPD-Führungsfunktionär Karl Richter. Die revisionistische Linie der DGG zeigt beispielhaft ein Beitrag, in dem behauptet wird, das geltende Geschichtsbild sei staatlich verordnet: "Von den Siegern und ihrer propagierten Meinung leben viele und gut. Sie könnten nicht wagen, die Fakten neu zu werten, solange das Interesse der Gewinner, das heißt ihrer Rechtfertigung, noch besteht: Und die Sieger und ihre Trittbrettfahrer herrschen vortrefflich mit ihrer Meinungsmacht. Dogmen sind das, woran alle glauben sollen. Tabus sind ihre Mauern." ("Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) Nr. 1 vom März 2010, S. 33) "Arndt-Verlag" Auch der von Dietmar Munier geleitete "Arndt-Verlag" verbreitet im Rahmen seines umfangreichen Versandangebots Bücher zu kulturellen, historischen, zeitgeschichtlichen und politischen Themen. 2010 erschien das Buch "Das Erbe Hitlers", das in Form eines Lexikons in einer Vielzahl von Stichworten angebliche 114 RECHTSEXTREMISMUS Errungenschaften des Dritten Reiches auflistet. Dabei unterstellt das Werk indirekt einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Fortschritt und nationalsozialistischer Politik. Das Buch steht beispielhaft für eine unkritische, teilweise beschönigende bzw. verzerrende Darstellung des Dritten Reiches. Der Selbstbestätigung der rechtsextremistischen Szene dienen neben der rechtsextremistischen Publizistik eine Reihe von Kulturvereinigungen. Die bereits 1960 gegründete "Gesellschaft für freie Publizistik" "Gesellschaft für (GfP) ist mit mehr als 500 Mitgliedern die größte rechtsextremisfreie Publizistik tische Kulturvereinigung. Ihr Ziel ist die Koordination von Aktie.V." (GfP) vitäten rechtsextremistischer Verleger und Publizisten. Im Vordergrund steht dabei der Kampf für "Meinungsfreiheit" - nicht zuletzt im Hinblick auf revisionistische Verlagsprodukte. Seit Jahrzehnten veranstaltet die GfP Kongresse, die Personen des rechtsextremistischen Spektrums zusammenführen und dem Meinungsaustausch sowie der Stärkung des organisationsübergreifenden Zusammenhalts der rechtsextremistischen Szene dienen sollen. Die 50. Jahrestagung der GfP fand am 28./29. Mai 2010 unter dem Motto "50 Jahre Kampf um die Meinungsfreiheit" in Kirchheim (Thüringen) statt. Neben zahlreichen anderen Rechtsextremisten hielt der sächsische NPD-Landesvorsitzende Apfel einen "stürmisch bejubelten Vortrag".49 Die GfP zeichnete den langjährigen DVU-Vorsitzenden Dr. Gerhard Frey für seine Aktivitäten im rechtsextremistischen Verlagswesen mit ihrer alljährlich verliehenen "Ulrich von Hutten-Medaille" aus. Die musikalische Gestaltung der Tagung hatte der Liedermacher Frank Rennicke übernommen. Auf der in die Tagung eingebundenen Mitgliederversammlung wurde am 28. Mai 2010 mit dem gebürtigen Österreicher Martin Pfeiffer ein neuer Vorsitzender gewählt. 2. Antisemitismus Antisemitismus ist ein alle Strömungen des Rechtsextremismus Begriffsdefinition verbindendes Ideologieelement und ein festes Themenfeld in 49 Homepage der GfP (22. Oktober 2010). 115 RECHTSEXTREMISMUS der rechtsextremistischen Propaganda. Judenfeindliche Argumentationsund Verhaltensmuster greifen dabei jeden noch so entfernten Anknüpfungspunkt des tagespolitischen Geschehens auf, um ihre antisemitischen Verschwörungstheorien neu zu untermauern. Antisemitische Agitation richtet sich gegen eine behauptete Gesamtheit "der Juden" denen pauschal negative Eigenschaften unterstellt werden, um damit deren Abwertung, Benachteiligung, Verfolgung oder gar Vernichtung ideologisch zu rechtfertigen. Da judenfeindliche Agitation in Deutschland auf Ablehnung stößt, steht sie nicht im Mittelpunkt rechtsextremistischer Argumentation, sondern fließt häufig in Nebensätze und Randbemerkungen ein. Szeneintern wird eine antisemitische Agitation zumindest in Andeutungen erwartet. Schwerpunkte Die weltweite Finanzund Wirtschaftskrise wird weiterhin dazu instrumentalisiert, das Weltgeschehen mittels antisemitischer Verschwörungstheorien zu erklären. "Die Juden" werden zu den eigentlichen Verursachern und Nutznießern der Wirtschaftskrise erklärt. Diese sei Teil des angeblichen jüdischen Plans zur Erringung der Weltherrschaft. Insoweit stünden jüdische Kräfte auch hinter politischen Umbrüchen wie Kriegen oder Revolutionen. Neben diesem politischen Antisemitismus sind Schwerpunkte antisemitischer Agitation der antizionistische und sekundäre Antisemitismus. Der sozial und rassistisch "begründete" Antisemitismus steht demgegenüber im Hintergrund, während der religiös "begründete" Antisemitismus im Rechtsextremismus fast gänzlich ohne Bedeutung ist. Antizionistischer Der antizionistische Antisemitismus zeigt sich vor allem in der Antisemitismus kategorischen Ablehnung des Staates Israel. Er nutzt die in der Gesellschaft vorhandenen kritischen Wertungen der Politik Israels als Vehikel, um in pauschal diffamierender Weise das Existenzrecht Israels infrage zu stellen.50 Unter dem Deckmantel einer Kritik an Israel verschleiern Rechtsextremisten ihre grundsätzliche Ablehnung des Judentums. Sie setzen "die Juden" mit 50 Zur Abgrenzung zwischen Israelkritik und antisemitische Antizionismus vgl. Aribert Heyder/Julia Iser/Peter Schmidt: Israelkritik oder Antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus, in: Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 3, Frankfurt am Main 2005, S. 144165. 116 RECHTSEXTREMISMUS dem Staat Israel gleich und machen eine imaginäre Gesamtheit des Judentums für die Handlungen Israels verantwortlich. Indem sie die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit den nationalsozialistischen Verbrechen an Juden gleichsetzen, versuchen sie zudem diese zu relativieren. Kennzeichnend ist, dass "den Juden" vorgeworfen wird, sie insSekundärer trumentalisierten den Holocaust, um Deutschland finanziell und Antisemitismus politisch zu erpressen. Rechtsextremisten knüpfen damit an eine in Teilen der Bevölkerung vorhandene Abneigung gegen weitere Erörterungen des Genozids an. Der Vorwurf, Juden benutzten die Erinnerung an den Holocaust für ihre Zwecke, wird häufig mit Ausführungen verbunden, die darauf abzielen, den Holocaust zu relativieren oder gänzlich abzustreiten. Das deutsch-englische, rechtsextremistische "National-Journal" führt hierzu aus: "Holocaust, das Geisteskind der Zionisten zur Erpressung des Westens. Eine der größten Betrugsgeschichten des zu Ende gegangenen Jahrhunderts wurde in das neue Jahrtausend herübergerettet - die Geschichte vom Holocaust, erfunden von den Zionisten zur Erpressung des Westens." (Homepage des "National-Journal", 16. Juni 2010) Wird "den Juden" ein privilegierter sozialer oder wirtschaftliSozialer bzw. cher Status zugeschrieben, so handelt es sich um sozialen Antiwirtschaftlicher semitismus. Dieser gipfelt in der Behauptung, "die Juden" häufAntisemitismus ten auf Kosten der Nichtjuden Macht und Reichtum an. Dabei werden sie als Wucherer, Betrüger, als ausbeuterische Kapitalisten oder Spekulanten gebrandmarkt. Der rassistische Antisemitismus geht auf die im 19. Jahrhundert Rassistischer von Rassentheoretikern vorgenommene Klassifizierung von VölAntisemitismus kern nach körperlichen und mentalen Eigenschaften zurück. Er stützt sich auf einen angeblich genetisch begründeten Minderwert der Juden gegenüber der durchweg positiv beschriebenen arischen, weißen oder nordischen Rasse. Dieser von Geburt an bestehende Makel könne durch nichts beseitigt werden. Es liege unabänderlich im Wesen der Juden, die "Weißen" durch Vermischung der Rassen beseitigen zu wollen. 117 RECHTSEXTREMISMUS Offener Vor dem Hintergrund eines gesellschaftlichen Grundkonsenses Antisemitismus gegen Antisemitismus und der Wachsamkeit der Strafverfolgungsbehörden werden offen antisemitische Positionen nur von wenigen deutschen Rechtsextremisten vertreten. Insbesondere im neonazistischen Spektrum und von rechtsextremistischen Musikgruppen werden aber unverhohlen strafrechtlich relevante antisemitische und rassistische Texte verbreitet. So propagiert die Musikgruppe "Moichelmord" auf der CD "Sonderzug nach Dachau"51 unverblümt den Völkermord: "Schlafe du Drecksau schlaf ein, atme das Zyklon B ein, atme doch schneller du Schwein, damit Deutschland wird wieder rein, stell dich am Ofen an für unsere Aschenbahn, schlafe du Drecksau schlaf ein." (Musikgruppe "Moichelmord", CD "Sonderzug nach Dachau", Lied "Schlaflied") In Chatrooms, Diskussionsforen, Weblogs und sozialen Netzwerken nutzen Rechtsextremisten die Anonymität des Internets für offene antisemitische Ausfälle. Auch in Online-Gästebüchern und offenen Infoseiten werden von Rechtsextremisten volksverhetzende Parolen verbreitet. In einer E-Mail an den Zentralrat der Juden in Deutschland hieß es: "Hitler hatte VOLLKOMMEN recht: Juden sind das Hauptproblem der Weltgeschichte und müssen weg (...) Die Juden haben es selbst durch ihren grenzenlosen Egoismus erreicht, dass die ganze Welt die Juden wieder hasst wie die Pest und mehr denn je. Juden sind einfach Menschengegner und gehören nicht in die menschliche Gemeinschaft. Juden sind einfach DIE Pest der Weltgeschichte." Antisemitismus Mehrheitlich vermeiden Rechtsextremisten jedoch einen offedurch nen Antisemitismus und greifen auf Andeutungen zurück, die Andeutungen strafrechtlich meist nicht relevant sind, aber in der Szene verstanden werden. Diese sind zudem geeignet, latent vorhandene 51 Diese CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert; vgl. Bundesanzeiger Nr. 66 vom 30. April 2010. 118 RECHTSEXTREMISMUS antisemitische Einstellungen zu bedienen und tragen zur Tradierung antisemitischer Stereotype bei. So stehen im rechtsextremistischen Sprachgebrauch Codewörter wie "Wall Street", "US-Ostküste", "Hochfinanz" oder "Hintergrundmächte" synonym für "die Juden". In einer vom NPD-Bundesvorstand herausgegebenen Pressemeldung zum Afghanistaneinsatz der Bundeswehr wird der verschwörungstheoretisch behauptete maßgebliche Einfluss der Juden auf die US-amerikanische Politik mit Elementen des sekundären Antisemitismus verbunden: "Der US-amerikanische Einsatz in Afghanistan und dem Irak ist eine Kopie alliierter Kriegsverbrechen gegen Deutschland im zweiten Weltkrieg. Auch damals war nicht Hitler der Feind, sondern an der US-Ostküste konnte man nicht ertragen, daß sich ein selbstbewusstes Volk dem Diktat der Hochfinanz zur Wehr setzte." (Homepage der NPD, 3. April 2010) Breiten Raum innerhalb der antisemitischen Agitation von VerschwörungsRechtsextremisten nehmen Verschwörungstheorien ein. Demtheorien nach gebe es eine planvolle Konspiration, mit dem Ziel, den jüdischen Einfluss in der Welt zu erhöhen und letztlich eine jüdische Weltherrschaft zu errichten. "Die Juden" seien verantwortlich für Kriege, Revolutionen und Wirtschaftskrisen, für Katastrophen und Seuchen, um so die bestehenden Machtverhältnisse zu destabilisieren. Als Beweis berufen sich Verschwörungstheoretiker immer wieder auf die "Protokolle der Weisen von Zion"52 oder argumentieren in deren Kontext. Die Tatsache, dass es sich dabei nachweislich um Fälschungen handelt, wird von ihnen als Lüge interessierter Kreise abgetan. 52 Bei den "Protokollen der Weisen von Zion" handelt es sich um eine antisemitische Fälschung, die bis heute von Rechtsextremisten - aber auch von Islamisten oder arabischen Nationalisten - als Beweis für die Existenz einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung zitiert wird. Vgl. Wolfgang Benz: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München 2007. 119 RECHTSEXTREMISMUS So vertritt der rechtsextremistische Publizist Claus Nordbruch in seinem jüngsten Buch die Ansicht, die Weltgeschichte befinde sich derzeit in der Endphase einer Entwicklung, deren Ziel die Errichtung einer Weltdiktatur sei: "Das Endziel der Zionisten ist die Eine-Welt-Regierung unter der Kontrolle der Zionisten und der zionistisch gesinnten jüdischen Großbankiers." (Claus Nordbruch: "Die Weltrepublik. Deutschland und die Neue Weltordnung", Gelnhausen-Roth 2010, S. 399) An anderer Stelle des Buches heißt es: "Die herrschende Politelite innerhalb der westlichen Wertegemeinschaft, allen voran der Große Bruder USA und seine Hilfswilligen in Europa, sind Komplizen in einem Komplott, der die totale Umgestaltung des Zusammenlebens der Menschen zum Ziel hat. Am Ende steht eine Art Knechtschaft, unter der die7 Völker dieser Erde unter Einbuße sämtlicher nationaler Souveränität der globalen Finanzelite dienen. Die Lügen (...) werden benutzt, um Schritt für Schritt den globalen Polizeistaat, die Weltdiktatur mit einer Weltregierung und einer Weltreligion einzuführen." (a.a.O., S. 25) Juden als angebliAktuell wird weiter die weltweite Finanzund Wirtschaftskrise che Drahtzieher als Anknüpfungspunkt zur Verbreitung antisemitisch konnoder Weltwirttierter Verschwörungstheorien genutzt. Bezugnehmend auf die schaftskrise gefälschten "Protokolle der Weisen von Zion" wird selbst die geplante Beteiligung der Bundesrepublik am internationalen 120 RECHTSEXTREMISMUS Rettungspaket für Griechenland als Teil des jüdischen Plans zur Erringung der Weltherrschaft gedeutet: "Unter dem Vorwand der sogenannten Griechenland-Hilfe versucht die politische Freudendame der Lobby, Angela Merkel, den prophezeiten 'Weltherrscher' offenbar zu inthronisieren. Der Internationale Währungsfonds (IWF), eine Unterorganisation der jüdischen Federal Reserve Bank, soll angeblich Griechenland retten (...) Das bedeutet, dass dieses jüdische Finanzinstrument die wirkliche Macht über die EU ausüben wird, zum Herrschaftsinstrument über Europa von Frau Merkel gemacht werden soll. (...) Tatsache ist: Die in Diensten der Lobby stehenden Politiker machen diese Politik nur, um dieser Weltelite auf alle Ewigkeit hinaus die Leistungen der Menschheit als Tribut zu Füßen legen zu dürfen. (...) Am Ende soll eben durch diesen finanziellen Bluttransfer der 'Weltherrscher' zum Leben erweckt und auf den Thron gehoben werden. Ein 'Weltherrscher', dem die ganze Welt übereignet werden soll und weitestgehend bereits übereignet wurde. (...)" (Homepage des "National Journal", 10. April 2010) Häufig werden verschiedene antisemitische Argumentationsmuster nebeneinander genutzt. So im rechtsextremistischen Nachrichtenportal "Altermedia", das einen Bericht über eine US-amerikanische Kreditkartenfirma nach einer Mixtur unterschiedlicher Formen des Antisemitismus schließlich mit der 121 RECHTSEXTREMISMUS Behauptung beendet, Israel selbst fördere gezielt den Antisemitismus: "Israel entwickelt sich seit Jahren vom Holocaust Opfer zum gefährlichen Monster. Abgesehen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit, dubiosen Militäreinsätzen, Intrigen und Komplotten, setzt man auch alle Mittel dazu ein, Banken, Firmen oder sogar komplette Staaten ins Elend zu stürzen. Antisemitismus wird mit allen Mitteln gefördert, aber nicht nur um den jüdischen Opferstatus im Gespräch zu halten, sondern in erster Linie um den Zusammenhalt der Juden in der Welt zu fördern. Dies macht sie so stark, aber auch überall unbeliebt. Ihre bekannte Arroganz und Überheblichkeit könnte aber bald kräftig bröckeln." ("Altermedia", 5. März 2010) VI. Vereinsrechtliche Maßnahmen Vereinsrechtliches Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und Ermittlungsverfahderen Angehörige e.V." (HNG) ist mit rund 600 Mitgliedern die ren gegen die HNG größte bundesweit aktive neonazistische Organisation. Der 1979 gegründete Verein hat sich die Unterstützung inhaftierter Rechtsextremisten, darunter auch zahlreiche Gewalttäter, zur Aufgabe gemacht. Getreu dem Organisationsmotto "Drinnen wie draußen eine Front" verfolgt man das Ziel, auch während der Haftzeit die Einbindung "nationaler Gefangener" in die Szene aufrechtzuerhalten, sie in ihrer ideologischen Ausrichtung zu bestärken und so die Begehung weiterer rechtsextremistischer Strafund Gewalttaten zu befördern. Der Bundesminister des Innern hat 2010 gegen die HNG ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet, in dessen Verlauf umfangreiche Durchsuchungen bei insgesamt 30 Funktionären, Mitgliedern und Anhängern des Vereins in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Thüringen durchgeführt wurden. Im Rahmen der Durchsuchungen stellte die Polizei umfangreiche Beweismittel sicher. 122 RECHTSEXTREMISMUS Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat am 1. September Verbot der HDJ 2010 das durch den Bundesminister des Innern mit Verfügung rechtskräftig vom 18. April 2009 ausgesprochene Verbot des neonazistischen Vereins "Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V." (HDJ) bestätigt (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, dort Kap. VI). Zur Begründung führt das BVerwG aus, das BMI habe "die in der Vereinssatzung enthaltenen Bekenntnisse zu gemeinnütziger Jugendarbeit und zum Grundgesetz (...) zu Recht als bloße Fassade bewertet", da der Verein tatsächlich eine Wesensverwandtschaft mit dem historischen Nationalsozialismus - insbesondere der "Hitlerjugend" - aufweise. Die Aktivitäten der HDJ seien gegen die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet gewesen, die HDJ habe die freiheitliche demokratische Grundordnung diffamiert und "dieser gegenüber insgesamt eine kämpferisch-aggressive Haltung" eingenommen. Die HDJ hatte sich hinter der Fassade der karitativen Jugendarbeit der Heranbildung einer neonazistischen Elite verschrieben, indem sie mittels ideologischer Einflussnahme auf Kinder und Jugendliche ihre völkischen, rassistischen, nationalistischen und nationalsozialistischen Ansichten im Rahmen vorgeblich unpolitischer Freizeitangebote verbreitete. Durch das Verbot ist es gelungen, die Strukturen des Vereins weitgehend zu zerschlagen und dessen Jugendarbeit zum Erliegen zu bringen. VII. Internationale Verbindungen Zwischen deutschen und ausländischen Rechtsextremisten besteht seit Jahrzehnten eine enge Kooperation. Diese Zusammenarbeit äußert sich vornehmlich in der wechselseitigen Teilnahme an öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen und internen Veranstaltungen zu Politik und Strategie. Das rechtsextremistische Spektrum verbreitet seit geraumer Zeit die These einer "Islamisierung Europas". Der Islam wird darin zum Feindbild stigmatisiert, indem Islam und islamistische Terrorgefahr gleichgesetzt sowie soziale Probleme und gesell123 RECHTSEXTREMISMUS schaftliche Missstände in Europa einseitig auf das Verhalten vermeintlich nicht integrierbarer Muslime reduziert werden. Aus anfänglich eher national ausgerichteten Kampagnen zu diesem Thema haben sich in den vergangenen Jahren auf europäischer Ebene Kooperationsbestrebungen von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten entwickelt. Das 2008 gegründete Bündnis "Städte gegen Islamisierung" vereint eine Reihe von Partnern, die diesem Spektrum zuzuordnen sind (so z.B. der flämische "Vlaams Belang" (VB), die "Freiheitliche Partei Österreichs" (FPÖ), die französische Partei "Mouvement National Republicain" (MNR) und die spanische "Plataforma per Catalunya"). 124 Linksextremismus 125 Linksextremismus I. Überblick 1. Entwicklungen im Linksextremismus Zielsetzung Linksextremisten richten ihr politisches Handeln an revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Vorstellungen aus. Sie wollen anstelle der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung ein sozialistisches bzw. kommunistisches System oder eine "herrschaftsfreie" anarchistische Gesellschaft etablieren. In gesellschaftspolitischen Diskursen und sozialpolitischen Auseinandersetzungen sind sie bestrebt, das demokratische Protestpotenzial für ihre systemüberwindenden Ziele zu instrumentalisieren. Die Aktionsformen von Linksextremisten reichen von offener Agitation bis hin zu verdeckt begangenen, auch schweren Gewalttaten. Zunehmende Im gewaltbereiten Segment des Linksextremismus ist seit einiGewaltbereitschaft ger Zeit eine Verschärfung der Diktion feststellbar, die einhergeht mit einer qualitativen Veränderung der Gewalt. Die Anschläge von linksextremistischen Tätern weisen z.T. eine signifikant erhöhte Aggressivität und Risikobereitschaft auf. Körperliche Angriffe auf "politische Gegner", d.h. auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Polizeibeamte, werden durchgängig befürwortet. Nahezu alle in 2010 verübten 944 politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund (2009: 1.115) gehen auf das Konto von militanten Linksextremisten, vor allem aus der autonomen Szene, in der die Anwendung von Gewalt, auch gegen Personen, zur Durchsetzung politischer Ziele legitimiert und als unverzichtbares Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines Systems von "Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung" gerechtfertigt wird. "Antirepression" Für Linksextremisten ist der Kampf gegen "staatliche Repression", insbesondere seit dem G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern), ein wesentlicher Bestandteil ihrer politischen Aktivität. Nach den Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften bei den Protesten gegen den NATO-Gipfel im April 2009 in Straßburg (Frankreich) ist das 126 LINKSEXTREMISMUS Aggressionsund Konfrontationsniveau deutlich angestiegen. Die Solidaritätsarbeit für inhaftierte "Genossinnen und Genossen" bleibt ein fester Bestandteil dieses Aktionsfeldes. Mobilisierung und Aktionsniveau der "Antimilitarismus-Arbeit" "Antimilitarismus" waren im Vergleich zu den Vorjahren, die von den Aktionen gegen den NATO-Gipfel im April 2009 geprägt waren, erkennbar geringer. Im Mittelpunkt antimilitaristischer Kritik von Linksextremisten stehen weiterhin die Auslandseinsätze der Bundeswehr, insbesondere in Afghanistan, sowie die NATO und ihre Einsätze in Krisengebieten. Die "Antifaschismus-Arbeit" gehört seit jeher zu den Kernaktivi"Antifaschismus" täten von Linksextremisten. Dabei richten sie sich nur vordergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Ziel ist es vielmehr, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden, um die dem "kapitalistischen System" angeblich zugrunde liegenden Wurzeln des "Faschismus" zu beseitigen. Entsprechend richtet sich das Gewalthandeln von Linksextremisten im Zusammenhang mit Demonstrationen nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern auch gegen die eingesetzten Polizeikräfte. Die Partei "DIE LINKE." sammelt unter dem Begriff "Pluralismus" "DIE LINKE." u.a. solche "linken" Kräfte, welche das Ziel einer grundlegenden Veränderung der bisherigen Staatsund Gesellschaftsordnung verfolgen. Ungeachtet des nach außen hin ambivalenten Erscheinungsbildes liegen zahlreiche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen in der Partei vor, insbesondere die uneinheitliche Haltung gegenüber linksextremistischer Gewalt und die umfassende Akzeptanz offen extremistischer Zusammenschlüsse in ihren Reihen. Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig bestätigte in einem Klageverfahren des Abgeordneten der Partei Bodo Ramelow gegen die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 21. Juli 2010 in letzter Instanz die Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit der Beobachtung der Partei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) bekennt sich unDKP verändert zur Theorie von Marx, Engels und Lenin. Ihr Ziel bleibt die Errichtung des Sozialismus/Kommunismus. 127 LINKSEXTREMISMUS Die aus dem Vorjahr bekannten Konflikte um eine Neuausrichtung setzten sich unvermindert fort. Während die Mehrheit im Parteivorstand eine Mitarbeit der Partei in allen "fortschrittlichen" Bewegungen fordert, plädiert die Minderheit für eine Neubesinnung auf die, wie es heißt, unverfälschte Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus. Die objektiven Verhältnisse seien längst reif für den Sozialismus, der aber nur durch härtesten Klassenkampf um die politische Macht zu erreichen sei. MLPD Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) sieht sich "als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse" in Deutschland. Grundlegendes Ziel der maoistisch-stalinistischen Organisation ist der revolutionäre Sturz der "Diktatur des Monopolkapitals" und die Errichtung der "Diktatur des Proletariats". Trotzkisten In Deutschland waren wie im Vorjahr 20 internationale trotzkistische Dachverbände mit 28 Sektionen oder Resonanzgruppen vertreten. Die Zahl der Aktivisten blieb mit rund 1.600 ebenfalls konstant. Auch im Jahr 2010 versuchten trotzkistische Zusammenschlüsse die Strategie des Entrismus anzuwenden, d.h. die gezielte Unterwanderung anderer, meist konkurrierender Parteien und Vereinigungen mit dem Ziel, dort Einfluss zu gewinnen, die eigene Ideologie zu verbreiten und schließlich die jeweilige Organisation für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Von besonderer Bedeutung sind das Netzwerk "marx21" und die "Sozialistische Alternative" (SAV). "Rote Hilfe e.V." Die "Rote Hilfe e.V." (RH) versteht sich als eine "parteiunabhängige strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", deren Zweck darauf gerichtet ist, Straftäter, die in der Bundesrepublik Deutschland "aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden", zu unterstützen. Dementsprechend gewährt die RH nicht nur ideologischen und rechtlichen Beistand, sondern leistet darüber hinaus Beihilfen zu Prozesskosten und Geldstrafen. 128 LINKSEXTREMISMUS 2. Organisationen und Personenpotenzial Struktur und Erscheinungsbild des organisierten LinksextreAnstieg des linksmismus haben sich im Jahr 2010 nicht wesentlich verändert, extremistischen wenngleich das Gesamtpotenzial, wie bereits im Vorjahr, leicht Personenpotenzials angestiegen ist. Die Verfassungsschutzbehörden rechnen dem linksextremistischen Spektrum nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften Ende 2010 etwa 32.200 Personen (2009: 31.600) zu. # Bei den gewaltbereiten Linksextremisten ist ein leichter Anstieg des Personenpotenzials festzustellen. Ende 2010 gehörten diesem Spektrum rund 6.800 Personen (2009: rund 6.600) an, darunter bis zu 6.200 (2009: bis zu 6.100) Autonome. # Auch das Personenpotenzial der marxistisch-leninistischen, trotzkistischen und sonstigen revolutionär-marxistischen Zusammenschlüsse weist mit insgesamt 25.800 Personen (2009: 25.300) einen leichten Anstieg der Mitgliederzahl auf. Darin enthalten sind auch Mitglieder der offen extremistischen Zusammenschlüsse in der Partei "DIE LINKE." wie die "Kommunistische Plattform" (KPF) oder die "Sozialistische Linke" (SL). 129 LINKSEXTREMISMUS Linksextremismuspotenzial1 2008 2009 2010 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Gewaltbereite Linksextremisten2 67 6.3003 65 6.6003 60 6.8003 MarxistenLeninisten und andere revolutionäre Marxisten4 - Kernund NebenOrganisationen 40 25.200 41 25.300 41 25.800 - beeinflusste Organisationen5 16 15 14 Summe 123 31.500 121 31.900 115 32.600 Nach Abzug von Mehrfachca. ca. ca. mitgliedschaften6 31.200 31.600 32.200 1 Die Zahlenangaben sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Personenzusammenschlüsse, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Die Zugehörigkeit zu einer der Gruppen ist nicht Voraussetzung für die Erfassung beim gewaltbereiten Personenpotenzial. 3 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Tausend Personen. 4 Einschließlich der offen extremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei "DIE LINKE.". 5 Linksextremistische Zusammenschlüsse werden z.T. von Organisationen unterstützt, die von Extremisten gegründet oder unterwandert wurden und in der Folge deren erheblichem Einfluss unterliegen (linksextremistisch beeinflusste Organisationen). Da nicht alle Mitglieder derartiger Organisationen auch extremistische Ziele verfolgen, wurde von einer Aufnahme dieses Personenkreises in das Personenpotenzial abgesehen. 6 In den Zahlen nicht enthalten sind Mitglieder linksextremistisch beeinflusster Organisationen. 130 LINKSEXTREMISMUS Hinsichtlich der Partei "DIE LINKE." mit nahezu 73.700 Mitgliedern (31. Dezember 2009: rund 78.000 Mitglieder) wird wegen ihres ambivalenten Erscheinungsbildes auf eine gesonderte Ausweisung verzichtet.53 3. Verlage, Vertriebe und Publikationen Mehr als 20 Verlage und Vertriebsdienste gaben im Jahr 2010 Zeitungen, Zeitschriften und sonstige Publikationen mit zumindest teilweise linksextremistischen Inhalten heraus. Von den organisationsunabhängigen Publikationen verfügen die meisten nur über eine geringe Auflagenhöhe sowie einen begrenzten Verbreitungsgrad. Von den wenigen bundesweit vertriebenen Publikationen ist die Tageszeitung traditionskommunistische Tageszeitung jW mit über 17.000 "junge Welt" (jW) Exemplaren54 das bedeutendste Printmedium in der linksextremistischen Szene. Die früher von der SED-Jugendorganisation "Freie Deutsche Jugend" (FDJ) herausgegebene Zeitung erscheint heute im eigenständigen Verlag "8. Mai GmbH" mit Sitz in Berlin. Haupteigentümerin ist die "Linke Presse Verlags-Förderungsund Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G.", der im Januar 2010 das 1.000 Mitglied beitrat55. Einzelne Redaktionsmitglieder und ein nicht unerheblicher Teil der Stammund Gastautoren sind dem linksextremistischen Spektrum zuzurechnen. Die jW versteht sich als marxistische Tageszeitung, die der Klassenkampfidee und der Symbolik von Hammer und Sichel, wie sie es formuliert, nicht abgeschworen hat56. Sie propagiert die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft, wobei die politi53 Die Mitgliederzahlen entsprechen dem Stand 31. Dezember 2010; Homepage der Partei "DIE LINKE." (8. März 2011). Die Abweichungen der Mitgliederzahlen im Vergleich zum Verfassungsschutzbericht 2009 beruhen auf einer nachträglichen Aktualisierung durch die Partei. 54 jW Nr. 40 vom 16./17. Februar 2008, S. 16. 55 jW Nr. 19 vom 23./24. Januar 2010, S. 16. 56 jW Nr. 117 vom 22./23./24. Mai 2010, S. 16. 131 LINKSEXTREMISMUS sche und moralische Rechtfertigung der DDR und die Diffamierung der Bundesrepublik eine bedeutende Rolle spielen. Zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 veröffentlichte das Blatt unter der Überschrift "Wider das Zerrbild" eine "Wortmeldung zum 20. Jahr der größer gewordenen Bundesrepublik", in der es - unterzeichnet von zahlreichen ehemaligen SED-Funktionären und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens der DDR, darunter der ehemalige DDR-Ministerpräsident Hans Modrow - heißt: "So lange sie [gemeint ist die DDR] existierte, ging von ganz Deutschland kein Krieg aus. Diese Friedensperiode wirkte (...) bis zum Jahr 1999. Niemand kann uns, die an diesen Umwälzungen bewußt mitgewirkt haben, den Stolz darauf nehmen. Ostalgie, als Modewort genutzt, soll heute Erinnerung und Besinnung auf die Werte der DDR denunzieren. (...) Seit die DDR als soziales Korrektiv ausfiel, steigt die soziale Kälte in der Bundesrepublik. (...) Die DDR taugt nicht als Aschenputtel deutscher Geschichte. Ihre Werte sind lebendiger als ihr Zerrbild vorgibt. Umbesinnung auf ihre tatsächliche geschichtliche Bewertung wäre ein Weg zur gelebten Einheit. Und der Zukunft zugewandt." (jW Nr. 230 vom 2./3. Oktober 2010, S. 4) Sozialistische Staaten, insbesondere Kuba, werden in der Zeitschrift verherrlichend dargestellt. Die Revolution wird als "Kampf der fortschrittlichen Kräfte Kubas gegen die Batista-Diktatur" bezeichnet.57 "Die k. R. beeinflusst stark die politische Entwicklung Lateinamerikas und die 'Dritte Welt' insgesamt. Sie war und ist ein Hauptziel imperialistischer Terrorattacken". (jW Nr. 169 vom 24./25. Juli 2010, S. 16) Terroristische Organisationen, insbesondere palästinensische Gruppen, werden als Widerstandsbewegungen oder "Besatzungsgegner" verharmlost. Ihren Vertretern wird die Möglich57 jW Nr. 169 vom 24./25. Juli 2010, S. 16. 132 LINKSEXTREMISMUS keit geboten, Gewaltaktionen zu rechtfertigen. So äußerte Mahmud al-Zahar, Mitbegründer und Führungsmitglied der HAMAS: "Es ist dem israelischen Staatsterrorismus weder gelungen, den palästinensischen Widerstand noch die Hamas in die Knie zu zwingen. (...). Ein Regime zu besiegen, das kontinuierlich und straflos ein Volk unterdrückt, ist nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht des palästinensischen Widerstandes." (jW Nr. 168 vom 23. Juli 2010, S. 8) Ebenso bietet die jW auch gewaltbereiten inländischen Linksextremisten eine politische Plattform. So wird beispielsweise in einer Beilage Gewalt als Gegenwehr legitimiert, indem es unter der Überschrift "Solidarität statt Krieg führen" heißt: "Gewalt ist aber nicht gleich Gewalt: Unsere Gesellschaft ist von Strukturen der Gewalt durchzogen: Stichworte sind Krieg, Rassismus und Sexismus. (...) Demgegenüber gelten Aktionen, die diese Politik angreifen, als Gewalt, die bekämpft werden muss. Für diese legitimen Aktionen müssen wir eintreten und mit ihnen sollten wir solidarisch sein, wenn wir noch etwas ändern wollen." (jW Nr. 95 vom 24./25. April 2010, Beilage "Zeitung gegen den Krieg", S. 1) Das gewaltbereite Spektrum bedient sich zum Informationsaustausch weiterhin "bewährter" Methoden wie Szenepublikationen, Infoläden und Treffen. Zahlreiche z.T. konspirativ hergestellte und verbreitete Szenepublikationen veröffentlichen regelmäßig Taterklärungen und Positionspapiere zu militanter Theorie und Praxis. Die meisten dieser Szenepublikationen, z.B. "Swing" (Frankfurt am Main), "Zeck" (Hamburg), "barricada" (Nürnberg), haben vorrangig regionale Bedeutung. Von bundesweiter Relevanz sind vor allem die in Berlin erscheinende "INTERIM" sowie das 2010 mit zwei Ausgaben erschienene Untergrundblatt "radikal". 133 LINKSEXTREMISMUS Nutzung des Daneben nutzen Linksextremisten die Mittel der modernen Internets Informationsgesellschaft wie das Internet und Mobiltelefone mit der Möglichkeit geschützter Kommunikation. Diese begünstigen das in weiten Teilen konspirative Verhalten von Linksextremisten, erhöhen deren Manövrierfähigkeit und erschweren die Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden. Verbreitet sind insbesondere Aufrufe zur Teilnahme an Demonstrationen oder sonstigen Protestaktionen etwa gegen Aufmärsche von Rechtsextremisten oder anlässlich wiederkehrender Ereignisse wie zum "Revolutionären 1. Mai" und zum "Tag der Deutschen Einheit" am 3. Oktober. Oftmals werden dazu eigens entsprechende Homepages erstellt. Parallel zu solchen Aufrufen werden in letzter Zeit vermehrt auch gewaltaffine Mobilisierungsvideos ins Internet gestellt. Entsprechende musikalische Untermalung und die schnelle Abfolge von Szenen wie Gewaltausbrüche bei Demonstrationen, brennende Fahrzeuge oder beschädigte Gebäude dienen dem Aufbau von Drohkulissen und der Emotionalisierung der Szeneaktivisten. Viele dieser Videos unterstreichen den hohen Grad an Aggressivität und Gewaltbereitschaft militanter Linksextremisten gegenüber dem politischen Gegner, sprich "Nazis" und "staatlicher Repressionsapparat". II. Gewaltbereiter Linksextremismus Struktur: Zusammenschlüsse existieren in nahezu allen größeren Städten, insbesondere in den Ballungszentren Berlin, Hamburg, RheinMain-Gebiet, Region Dresden/Leipzig, Nürnberg, aber auch in kleineren Universitätsstädten wie Göttingen und Freiburg Anhänger: 6.800 (2009: 6.600) Gewaltbereite Linksextremisten vor allem aus der autonomen Szene verübten 2010 eine Vielzahl politisch motivierter Gewalttaten und sonstiger Delikte, um ihren systemfeindlichen Vor134 LINKSEXTREMISMUS stellungen Nachdruck zu verleihen. Sie beeinträchtigten damit die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Einzelne autonome Zusammenhänge, die vornehmlich ohne oder unter wechselnden Aktionsnamen auftraten, begingen zahlreiche Anschläge. Neben diesen klandestinen Aktionen verübten Linksextremisten im Zusammenhang mit Demonstrationen und Großveranstaltungen auch zahlreiche Gewalttaten. Linksextremistisch motivierte Gewalt findet sich in allen Aktionsfeldern, wobei der Widerstand gegen den vermeintlich repressiven Staat (vgl. Kap. IV, Nr. 1), die Militarisierung der Gesellschaft (vgl. Kap. IV, Nr. 2) sowie der "Antifaschismus" (vgl. Kap. IV, Nr. 3) seit Jahren wichtige Rollen spielen. 1. Autonome 1.1 Potenzial und Selbstverständnis Den weitaus größten Teil des gewaltbereiten linksextremistiAutonome: Größtes schen Potenzials von etwa 6.800 Personen bilden Autonome; diePotenzial gewaltses Spektrum umfasste Ende 2010 bundesweit bis zu 6.200 Perbereiter Linksextresonen (2009: 6.100). misten Autonomes Selbstverständnis ist geprägt von der Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens innerhalb "herrschaftsfreier Räume" ("Autonomie"). Die Szene sieht vom Staat nicht kontrollierte "Freiräume" als unabdingbar für die Verwirklichung der eigenen Lebensentwürfe an und versteht diese als Rückzugszone und Ausgangspunkt eigener "antistaatlicher" Aktivitäten. "Angriffe" des Staates auf diese Areale (u.a. selbstverwaltete Wohnprojekte, besetzte Häuser, Szenelokale, alternative Läden und Buchhandlungen) gelten als gewaltsame Durchsetzung kapitalistischer Interessen. Entsprechend massiv reagiert die Szene auf den tatsächlich oder vermeintlich drohenden Verlust solcher "Freiräume". Die Bewegung der Autonomen ist nicht homogen. Die mehr oder weniger gefestigten, eigenständigen Zusammenschlüsse verfügen über kein einheitliches ideologisches Konzept. Führungsstrukturen oder Hierarchien sind der Bewegung fremd. Nur ver135 LINKSEXTREMISMUS einzelt bemühen sich Autonome um klare politische Positionen. Ihr Selbstverständnis ist geprägt von diversen Anti-Einstellungen ("antifaschistisch", "antikapitalistisch", "antipatriarchalisch"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Anti-Imperialismus") bilden den "Legitimationsrahmen" ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Ziel: Überwindung Autonome zielen - wie alle Linksextremisten - im Kern auf die des Systems Überwindung des "herrschenden Systems". So heißt es in einem Aufruf "Get out of Control" zur Teilnahme an einer Demonstration "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn!" am 11. September 2010 in Berlin: "Unser Widerstand ist kein Terrorismus, sondern richtet sich gegen die Institutionen und VertreterInnen der herrschenden Klasse. Wir bekämpfen ein System, das immer wieder Krisen produziert und innerhalb der kapitalistischen Logik außer mit Krieg und Zerstörung auch keine Auswege aus den Krisen finden kann. Der Kapitalismus ist deshalb eine historisch längst überholte Produktionsund Herrschaftsweise und gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Wir werden trotz erschwerter Bedingungen weiterkämpfen für die Überwindung des Kapitalismus und für eine solidarische Welt." (Homepage "outofcontrol.blogsport", 18. August 2010) In der Taterklärung zu einem Brandanschlag auf eine Bundesbehörde in Berlin am 18. November 2010 formulierten die "Revolutionären Aktionszellen (RAZ)": "Diese klandestin-militante Aktion fügt sich generell in unsere sozialrevolutionäre und antiimperialistische Linie im Kampf für den Kommunismus nahtlos ein. Denn die Befreiungsperspektive des Kommunismus lässt sich nur über die Zerstörung der ideologischen und repressiven Staatsapparate aufmachen." (Homepage "radikalrl.wordpress", 22. November 2010) Einigkeit in der Die Anwendung von Gewalt - auch gegen Personen - halten Bereitschaft zur Autonome zur Durchsetzung ihrer Ziele für legitim. Sie rechtGewaltanwendung fertigen die eigene Gewalt als angeblich notwendiges Mittel, um 136 LINKSEXTREMISMUS sich gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung" zu wehren. Hierzu heißt es in einem Beitrag "Ziele und Beweggründe militanter Politik" in der im April 2010 erschienenen Broschüre "prisma - prima radikales info sammelsurium militanter aktionen": "Linksradikale militante Praxis heißt für uns zum Beispiel direkte Aktionen gegen staatliche Institutionen, rechte Strukturen, Verantwortliche für gesellschaftlichen Rassismus, Sexismus oder kapitalistische Ausbeutung. Sie sollten immer für unser Selbstverständnis und unser Ziel einer Gesellschaft ohne Hierarchien, Gewalt und Ausbeutung stehen. Wir intervenieren mit den Mitteln, die wir für richtig halten, unabhängig davon, wo der Staat seine Grenzen zieht. (...) Aus Repressionsgründen ziehen wir es vor, unerkannt nachts (oder auch mal tagsüber) militant zu agieren (...). (...) Direkte Aktionen drücken eine radikale, unversöhnliche Kritik aus, die sich kaum vereinnahmen oder funktionalisieren lässt. Im Gegenteil: Sie stehen dafür, dass wir die Regeln der Herrschenden nicht akzeptieren. Der vermeintliche Herrschaftskonsens wird aufgekündigt. (...) Generell geht es uns um den Aufbau oder die Weiterentwicklung einer Gegenmacht, die die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse verändern und die Herzen und Köpfe erreichen will und nicht um ein militärisches Gewinnen gegen einen hoch gerüsteten Apparat. Veränderung von Gesellschaft bedeutet immer auch ein Überschreiten geltender Regeln." ("prisma" von April 2010, S. 4) 1.2 Formen konfrontativer Gewalt Seit den Protesten gegen den NATO-Gipfel im April 2009 in Baden-Baden und Straßburg ist ein anhaltend hohes Aggressionsund Konfrontationsniveau in der gewaltbereiten linksextremistischen Szene feststellbar. Autonome nutzen eine breite Palette militanter Aktionsformen. Gewalt gegen Ihre Aktionen richten sich gegen Sachen wie auch - mit teilweise Sachen hoher Gewaltbereitschaft - gegen Personen, darunter Vertreter und Personen 137 LINKSEXTREMISMUS des Staates, insbesondere Polizisten, und vermeintliche "Handlanger" und "Profiteure" des Systems sowie gegen Rechtsextremisten und deren Strukturen wie Schulungseinrichtungen und "Naziläden". Gewalt ist für Autonome nicht nur ein "Mittel subjektiver Befreiung", sondern auch ein Instrument, antagonistische Positionen oder einfach die "Wut auf die Verhältnisse" zum Ausdruck zu bringen, wie es in einem Aufruf zu Protesten gegen die Feierlichkeiten zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010 in Bremen heißt: "Unser Anliegen besteht darin, die Einheitsfeier zu einem Desaster zu machen! Sowohl der politische Hintergrund der Feierlichkeiten, wie auch die mediale Aufmerksamkeit, die dieses Ereignis auf sich ziehen wird, sind für uns Anlass genug, unsere Wut auf die Straße zu tragen und unsere Unversöhnlichkeit mit den herrschenden Verhältnissen zum Ausdruck zu bringen. Das Kampagnenmotto 'Hauptsache es knallt!' drückt für uns prägnant und treffend das aus, was wir in Hinblick auf die Einheitsfeier konzeptionell für richtig und nötig halten. (...) Was wir uns für den 3. Oktober 2010 wünschen, ist ein entschlossenes, eigenverantwortliches, v.a. aber leidenschaftliches Intervenieren, das dem herrschenden Normalzustand (zumindest temporär) den unkontrollierten Ausnahmezustand entgegensetzt." ("INTERIM" Nr. 715 vom 3. September 2010, S. 5-8) Auch im Beitrag "Ziele und Beweggründe militanter Politik" in der Broschüre "prisma" wird auf individuelle Wut als auslösenden Faktor für Militanz verwiesen: "Wir finden, es gibt viele gute Gründe für militante Praxis: (...) Wir setzen Ohnmachtsgefühle und individuelle Wut sinnvoll in gemeinsame Aktionen um. Diese Erfahrung, trotz Repression und Überwachung handlungsfähig zu sein, kann dann zur Nachahmung anregen." (Broschüre "prisma" von April 2010, S. 4) 138 LINKSEXTREMISMUS Wichtiges Kriterium bei der Wahl von Angriffsziel und Aktionsform ist die "Vermittelbarkeit". Linksextremistischen Gewalttätern liegt daran, dass in ihren Augen keine "Unbeteiligten" zu Schaden kommen. So heißt es im Vorwort einer seit Mitte April 2010 im Internet abrufbaren Broschüre "Bauwas! - Ein Rückblick auf das Jahr 2009 aus militanter Sicht": "Natürlich ist es für uns wichtig, unserer Unversöhnlichkeit mit den bestehenden Verhältnissen durch permanenten Angriff Ausdruck zu verleihen. Trotzdem sollten wir dabei aber auf keinen Fall aus den Augen verlieren, dass der Inhalt einer Aktion und ihre Vermittelbarkeit ebenfalls im Fokus stehen müssen. (...) Sympathie, Solidarität, und im besten Fall Nachahmung finden dann statt, wenn die Ziele klar und deutlich bleiben und die Vermittelbarkeit mit gedacht wird. Brennt das Auto eines Carloftbesitzers oder geht ein Hummer in Flammen auf, vermittelt sich die Aktion im Moment von selbst. Brennt jedoch der Kleinwagen, ist das Ziel verfehlt und unvermittelbar. (...) Uns geht es um die militante Praxis, die Aneignung und Nachahmung, die Möglichkeit, dass mehr Menschen sich Mittel der direkten Aktion aneignen können, ihre Aktionen vermittelbar bleiben und eine gesellschaftliche Basis haben. (...) Wir fordern hier nicht eine Reduzierung militanter Aktionen, sondern die Rücksichtnahme darauf, wie sie sich vermitteln, in eine gesellschaftskritische Strategie einbetten und durchführen lassen, mit einem Minimum an Risiko und der Vermeidung ungewollter Nebeneffekte." ("Bauwas! - Ein Rückblick auf das Jahr 2009 aus militanter Sicht", April 2010, S. 1 f.) Eine typische Form autonomer Gewalt, für einige gar der wichStraßenkrawalle tigste Ausdruck "militanter Politik", ist die sogenannte Massenmilitanz, d.h. Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen bzw. in deren Anschluss entwickeln. Gewalt soll als "normales" Mittel in der politischen Auseinandersetzung erscheinen, ein gewalttätiger Verlauf - so die Botschaft - ist bei jeder Demonstration einzukalkulieren. So kommt es bei Demonstrationen mitunter zur Bildung von "Schwarzen Blöcken", vermummten Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung". Mit der Inszenierung von Straßenkrawallen verbinden Autonome stets auch die Hoff139 LINKSEXTREMISMUS nung auf Wahrnehmung der eigenen politischen Vorstellungen in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien. "Revolutionärer Straßenkrawalle begleiten oftmals die Demonstrationen zum 1. Mai" "Revolutionären 1. Mai". Die Schwerpunkte der linksextremistischen Aktivitäten zum 1. Mai 2010 lagen in Berlin und Hamburg. Bundesweit beteiligten sich Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung an zahlreichen Demonstrationen und Aktionen anlässlich der Proteste zum 1. Mai 2010. Hierbei kam es zu einer Verlagerung der Schwerpunkte. Während es in Berlin im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger Ausschreitungen gab, waren es in Hamburg erkennbar mehr. Insgesamt erreichten die z.T. schweren Ausschreitungen aber nicht das Gewaltniveau des Jahres 2009. In Berlin bildete erwartungsgemäß die sogenannte 18-UhrDemonstration unter dem Motto "Die Krise beenden - Kapitalismus abschaffen" den Schwerpunkt der Proteste. Mit rund 10.000 Teilnehmern (2009: 5.000) lag die Beteiligung deutlich über den Erwartungen der Veranstalter. Im Verlauf der Demonstration wurden Polizeikräfte mit Flaschen, Steinen und nicht entzündeten Brandsätzen angegriffen. Im Anschluss an die Demonstration wurden auf der Fahrbahn Gegenstände in Brand gesetzt. In Hamburg versammelten sich am Abend des 30. April 2010 rund 200 vermummte Personen im Schanzenviertel. Sie setzten Mülltonnen in Brand, errichteten Barrikaden und griffen Polizeibeamte mit Flaschen und Steinen an. An der abendlichen "revolutionären 1. Mai-Demonstration" nahmen etwa 1.500 Personen teil. Während die Demonstration weitgehend friedlich verlief, kam es im Anschluss daran erneut zu Ausschreitungen im Schanzenviertel. Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge wurden mit Steinen und Flaschen attackiert, mehrere Geschäfte, Bankfilialen und Apotheken beschädigt und teilweise geplündert. Die Randalierer warfen Autos um, rissen Verkehrsschilder heraus und entzündeten Barrikaden. In Nürnberg (Bayern) nahmen bis zu 500 Personen in einem "schwarzen Block" an einer Demonstration von insgesamt rund 1.700 Personen teil. Es wurden Flaschen, Steine und Feuerwerkskörper gegen Polizeibeamte und Einsatzfahrzeuge geworfen 140 LINKSEXTREMISMUS und brennende Barrikaden errichtet. Die Organisatoren der Demonstration werteten diese als Erfolg und betonten, die Teilnehmer hätten ein "klares Zeichen gesetzt, dass der Kapitalismus abgeschafft werden muss".58 Weitere Demonstrationen mit z.T. mehreren Hundert Teilnehmern fanden in Dortmund und Wuppertal (NordrheinWestfalen), Frankfurt am Main (Hessen), Karlsruhe und Stuttgart (Baden-Württemberg) sowie in Oldenburg (Niedersachsen) statt. Zu gewalttätigen Ausschreitungen kam es auch im Rahmen des "Schanzenviertelalljährlich Anfang September in Hamburg stattfindenden fest" "Schanzenviertelfestes", das ursprünglich als Trödelmarkt angelegt war. Während das Fest am 4. September 2010 friedlich verlief, kam es im Anschluss daran, wie bereits im Jahr 2009, zu massiven Krawallen. Am späten Abend griff eine Gruppe von etwa 350 Gewaltbereiten Polizeikräfte mit Molotow-Cocktails, Flaschen und Steinen an. Im Zuge der weiteren Auseinandersetzungen wurden Polizeikräfte von einer Brücke aus mit Schottersteinen angegriffen, Barrikaden errichtet, Müllcontainer entzündet, eine Sparkassen-Filiale durch Molotow-Cocktails beschädigt, die Schaufensterscheiben mehrerer Geschäfte sowie die Scheiben zweier Polizeifahrzeuge zerstört. Überdies gingen drei Kraftfahrzeuge und ein Motorrad in Flammen auf. In den beiden Tagen zuvor war es in verschiedenen Stadtteilen Hamburgs bereits zu mehreren mutmaßlich linksextremistisch motivierten Sachbeschädigungen gekommen, indem unbekannte Täter mittels Brandbeschleuniger insgesamt 26 Kraftfahrzeuge in Brand gesetzt hatten. Bedeutende szenerelevante Ereignisse waren die Proteste gegen Proteste gegen Frühjahrsund Herbsttreffen der "Konferenz der Innenminister die IMK und -senatoren des Bundes und der Länder" (IMK), die 2010 beide in Hamburg stattfanden. Im Vorfeld der Frühjahrskonferenz (27./28. Mai 2010) setzten Unbekannte in der Nacht zum 24. Mai im Hamburger Stadtteil 58 Homepage "indymedia" (2. Mai 2010). 141 LINKSEXTREMISMUS St. Pauli einen Kleinbus eines weltweit operierenden Unternehmens in Brand, das u.a. Asylbewerberunterkünfte mit Lebensmitteln beliefert bzw. mit einem "Catering-Service" für die Verpflegung von in speziellen Wohnheimen untergebrachten Asylsuchenden sorgt. Etwa eine Stunde nach diesem Anschlag warfen fünf vermummte Personen im Hamburger Stadtteil Rissen Pflastersteine, mit blauer Farbe gefüllte Gläser sowie ein mit Buttersäure gefülltes Glas gegen eine nicht besetzte Polizeiwache. Das Herbsttreffen der IMK (18./19. November 2010) stand über mehrere Monate im Fokus linksextremistischer Personenzusammenhänge. So mobilisierte man seit Mitte 2010 in der linksextremistischen Szene unter dem Motto "Hamburg unsicher machen - IMK versenken" zu Protesten. Bereits im Vorfeld der Tagung kam es zu militanten Aktionen - von Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen - im Begründungszusammenhang mit der IMK (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Nachfolgend einige Beispiele: # In der Nacht zum 17. August 2010 beschädigten Unbekannte in Berlin-Kreuzberg mehrere Scheiben an einem Firmengebäude und beim Quartiersmanagement.59 In der Taterklärung eines unbekannten Personenzusammenschlusses "autonome 36", eingestellt auf der auch von Linksextremisten genutzten Internetplattform "indymedia" und auf einer Homepage, auf der zeitnah Meldungen über militante Aktionen sowie Taterklärungen, Tatortbilder sowie Presseund Polizeimeldungen veröffentlicht werden, wurden die Anschläge als "Mobilisierungsaktion" für die nächste IMK bezeichnet. # Das Quartiersmanagement in Berlin-Neukölln war in der Nacht zum 13. September 2010 Ziel einer Sachbeschädigung. Unbekannte Täter schlugen die Fensterscheiben des Gebäudes ein. In einer im Internet ohne Gruppenbezeichnung veröffentlichten Erklärung wurde der Anschlag ebenfalls in den 59 Beim Quartiersmanagement handelt es sich um eine städtische Einrichtung, die im Auftrag der Stadt Berlin die nachhaltige Entwicklung bestimmter Ortsteile zu attraktiven Wohnund Gewerbestandorten anstrebt. 142 LINKSEXTREMISMUS Begründungszusammenhang der IMK im Herbst in Hamburg gestellt. Unbekannte Täter verübten am 21. und 22. Oktober 2010 in Hamburg mehrere Anschläge gegen Repräsentanten der inneren Sicherheit in deren privatem Wohnumfeld. Betroffen waren hierbei die Generalbundesanwältin, der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und der Hamburger Innensenator (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Zu den Anschlagszielen führen die Verfasser der Taterklärung, ein unbekannter Personenzusammenschluss "autonome gruppen", u.a. aus: "folgende personen ,innere sicherheit' haben heute nacht von uns besuch erhalten: monika harms, bundesanwältin - böller in den vorgarten konrad freiberg, chef gdp - auto kaputt heiko vahldiek, innensenator - farbe an der hauswand." Das Herbsttreffen selbst wurde erstmals mit einer Aktionswoche (13. bis 19. November 2010) begleitet. Unter dem Tenor "Hamburg fluten - Innenministerkonferenz versenken!" gab es diverse Protestaktionen, die sich den relevanten linksextremistischen Aktionsfeldern Antirepression, Antirassismus sowie Antimilitarismus zuordnen lassen. Den Auftakt der Aktionswoche bildeten am 13. November 2010 zwei Demonstrationen, die maßgeblich durch das "NO-IMKBündnis", dem überwiegend Gruppierungen aus dem linksextremistischen Spektrum angehörten, initiiert worden waren. Rund 300 gewaltbereite Linksextremisten beteiligten sich am frühen Nachmittag des 13. November 2010 an einer "antirassistischen" Auftaktdemonstration mit rund 1.000 Teilnehmern. Der Aufzug unter dem Motto "Freedom of movement is everybodys right" verlief weitgehend friedlich. 143 LINKSEXTREMISMUS Die am Abend desselben Tages durchgeführte "Antirepressionsdemonstration" unter dem Motto "Gegen rassistische Flüchtlingspolitik, staatliche Repression und innere Sicherheitsdiskurse - IMK versenken" zählte annähernd 600 Autonome unter den rund 2.000 Teilnehmern. Aus dem Demonstrationsgeschehen heraus wurden mehrere Scheiben an Gebäuden, u.a. des Axel Springer Verlags und einer Warenhauskette, zerstört. Steigende verbale Auch die verbale Radikalität steigt, Gewalt wird etwa in SelbstRadikalität bezichtigungsschreiben den politischen Feindgruppen - hier den Vertretern staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen - direkter angedroht. Aus Anlass des "Aktionstages gegen Krieg, Militarismus und das Sommerbiwak", der sich gegen eine Veranstaltung der 1. Panzerdivision am 7. August 2010 im Stadtpark von Hannover (Niedersachsen) richtete, kam es in Hannover und Hamburg zu mehreren militanten Aktionen mutmaßlich gewaltbereiter Linksextremisten (vgl. Kap. IV, Nr. 2). Angriffe auf Festzustellen ist, dass bei Linksextremisten die Hemmschwelle Polizisten zur Anwendung von Gewalt sinkt. Über die Androhung von Gewalt gegen Vertreter politischer und gesellschaftlicher Institutionen hinaus nehmen die Angriffe auf Polizisten durch gewaltbereite Linksextremisten zu. Zu massiven Gewaltausschreitungen durch gewaltbereite Linksextremisten, oft verbunden mit körperlichen Angriffen auf Polizeibeamte, kommt es häufig bei Protestaktionen gegen Aufmärsche von Rechtsextremisten. Bei derartigen Anlässen waren bisweilen mehrere Tausend Polizeibeamte im Einsatz, um einerseits das Demonstrationsrecht zu gewährleisten und andererseits ein Aufeinandertreffen beider politischer Lager und demonstrationstypische Straftaten, wie Verstoß gegen das Versammlungsrecht und Landfriedensbruch, nach Möglichkeit zu verhindern. Angriffe auf Neben körperlichen Übergriffen auf Rechtsextremisten, insbeRechtsextremisten sondere bei deren Aufmärschen und Demonstrationen oder im unmittelbaren Anschluss daran, wurden im Berichtsjahr 2010 auch Einrichtungen von Rechtsextremisten direkt angegriffen. 144 LINKSEXTREMISMUS Beispielhaft sei erwähnt: # In den Morgenstunden des 26. April 2010 warfen Unbekannte im Berliner Bezirk Treptow-Köpenick mit rosa Farbe gefüllte Beutel und Glühbirnen gegen das Gebäude der Bundesgeschäftsstelle der NPD und eine von Rechtsextremisten frequentierte Gaststätte. In einer im Internet veröffentlichten Taterklärung wurde betont, die Aktion richte sich gegen zwei Nazitreffpunkte, wobei das Gebäude der Bundesgeschäftsstelle der NPD die "wichtigste Struktur im Berliner Raum für die Menschenfeinde" sei. In der Gaststätte fänden seit Jahren Treffen von "Neonazigruppierungen" statt. Die Verfasser drohen im Internet mit weiteren Anschlägen gegen rechtsextremistische Einrichtungen: "Egal wo sich Nazis treffen und Übergriffe planen - Wir werden sie aufspüren, zur Rechenschaft ziehen und ihre Infrastruktur angreifen. Immer wieder und jederzeit! (...) Nazikneipen und -zentren dichtmachen! (...) 1. Mai bleibt nazifrei!" Für die absehbare Zukunft ist von einer weiterhin hohen Ausblick Gewaltbereitschaft der autonomen linksextremistischen Szene auszugehen. Dabei sind zwei Aspekte besonders bedeutsam: Zum einen die Entwicklung (und mögliche weitere Steigerung) des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials, das sich in der jüngeren Vergangenheit durch eine sichtbare verstärkte Mobilisierungsfähigkeit bemerkbar machte; zum anderen die Eskalation der Militanz, die sich zuletzt in einer deutlich gewachsenen Gewaltbereitschaft der Akteure gezeigt hat, wobei Körperverletzungen bewusst in Kauf genommen wurden. Dabei deutet eine zunehmende Radikalität in Verlautbarungen und Selbstbezichtigungsschreiben darauf hin, dass die gewaltbereite linksextremistische Szene speziell das Thema "staatliche Repression" auch in Zukunft als Begründung für militante Aktionen nutzen wird. 145 LINKSEXTREMISMUS 1.3 Klandestine Anschläge Einzelne Zusammenschlüsse innerhalb der autonomen Szene verübten zahlreiche schwere, heimlich vorbereitete und durchgeführte Gewalttaten. Im Gegensatz zur Massenmilitanz sind derartige Anschläge wesentlich planvoller angelegt. Sie werden häufig in Selbstbezichtigungsschreiben, die an Tageszeitungen oder Presseagenturen versandt oder im Internet eingestellt werden, erläutert und gerechtfertigt. Angehörige klandestiner Kleingruppen führen nach außen hin ein unauffälliges Leben. Sie hinterlassen bei ihren Aktionen kaum auswertbare Spuren und verwenden in der Regel zum Schutz vor Strafverfolgung in Taterklärungen wechselnde oder keine Aktionsnamen ("no-name"-Militanz). Einzelne Zusammenhänge operieren dagegen unter gleichbleibendem "Markennamen", um Kontinuität zu dokumentieren sowie erkennbar und "ansprechbar" zu sein. Für alle ist Gewalt ein unverzichtbarer, unmittelbarer Ausdruck ihrer Gegnerschaft zum System und Bestandteil des eigenen Lebensgefühls. Anschläge der Mit zwei Anfang Februar 2010 bekannt gewordenen Selbstbe"Revolutionären zichtigungen übernahm eine Gruppe unter der Bezeichnung Aktionszellen" "Revolutionäre Aktionszellen" (RAZ) die Verantwortung für (RAZ) Brandanschläge in Berlin (30. Dezember 2009 auf ein Gebäude der Agentur für Arbeit im Bezirk Mitte und am 4. Februar 2010 auf das "Haus für Wirtschaft" in Charlottenburg-Wilmersdorf). Die Selbstbezichtigung für den Anschlag am 4. Februar 2010 ging bereits am darauffolgenden Tag beim Verlag einer Tageszeitung ein. Darin heißt es, sowohl am 30. Dezember 2009 als auch am 4. Februar 2010 hätten die Täter einen "kombinierten Brand-/ Sprengsatz" benutzt. Auch bei anderen mutmaßlich linksextremistisch motivierten Brandanschlägen in Berlin wurden baugleiche Brand-/Sprengsätze eingesetzt: # am 5. November 2009 auf das Gebäude des Landgerichts in Berlin-Moabit (Selbstbezichtigung einer "aktionsgruppe jugendliche autonome und compagnons"), 146 LINKSEXTREMISMUS # am 27. Dezember 2009 auf die Geschäftsstelle der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) in Berlin-Moabit (Selbstbezichtigung einer "aktionszelle jürgen erken") 60 und # am 2. Februar 2010 auf das Deutsche Institut für Internationale Sicherheit und Politik in Berlin-Wilmersdorf (Selbstbezichtigung ohne Gruppenbezeichnung). In der Nacht zum 18. November 2010 verübten die RAZ einen dritten Anschlag. Zu dem Brandanschlag auf eine Bundesbehörde in Berlin-Charlottenburg, der nur geringen Sachschaden an der Fassade des Gebäudes verursachte, bekannten sich die "Revolutionären Aktionszellen - Zelle Gudrun Ensslin". Sie begründeten ihre Tat mit Durchsuchungsund Beschlagnahmeaktionen gegen Buchläden in Berlin: "Wir wollen (...) hervorheben, dass wir uns als RAZ mit den von der aktuellen Repressionswelle betroffenen klandestinen Zeitungsprojekten und linken Buchläden aktiv solidarisieren. Als Beitrag haben wir uns für eine zündelnd-feurige Auseinandersetzung mit dem Gewaltmonopol des Klassenstaats BRD entschieden. Klasse gegen Klasse - Krieg dem Krieg! Für eine militante Plattform - für einen revolutionären Aufbauprozess - für den Kommunismus." (Homepage von "radikalrl", 22. November 2010) In mehreren konspirativ hergestellten Szenezeitschriften wurden 2010 Bauanleitungen für Brandsätze unterschiedlicher Art veröffentlicht. Vor diesem Hintergrund veranlasste die Berliner Justiz eine Reihe von Durchsuchungsund Beschlagnahmeaktionen: # Am 23. und 24. April 2010 beschlagnahmte die Polizei die Publikation "INTERIM" vom 16. April 2010 (ohne Ausgabenummer). Diese enthält, eingebettet in Texte zum "revolutionären 1. Mai" und mit einem brennenden Polizeifahrzeug als "Anwendungsbeispiel" illustriert, eine "Bastelanleitung" zum 60 Der namentliche Hinweis dürfte sich auf einen Drogensüchtigen beziehen, der im November 1999 in Landau an der Weinstraße (Rheinland-Pfalz) in der Haftzelle verstorben war, in die er wenige Stunden zuvor eingeliefert worden war. 147 LINKSEXTREMISMUS Bau und "sicheren" Gebrauch von "Molotow-Cocktails" (Brandflaschen). # Am 28./29. April 2010 wurden fünf Szenebuchläden in den Berliner Bezirken Friedrichshain-Kreuzberg und Pankow durchsucht und mehrere Exemplare der Publikation "prisma" sowie mehrere PCs beschlagnahmt. Die Publikation enthielt auf über 80 Seiten Bauanleitungen, darunter eine Gebrauchsanweisung für einen als "Nobelkarossentod" bezeichneten Brandsatz. # Am 13. Juli 2010 wurden in vier Szenebuchläden in den Berliner Bezirken Kreuzberg und Prenzlauer Berg die "INTERIM"Ausgaben Nr. 713 vom 25. Juni 2010 und 714 vom 9. Juli 2010 beschlagnahmt. Die "INTERIM" Nr. 713 enthält die Selbstbezichtigung einer "autonomen gruppe heute keine auszahlung mehr möglich" zum Brandanschlag auf einen Geldautomaten in der Nacht zum 12. Juni 2010 in Berlin-Mitte, in der zum "Abfackeln von Geldautomaten" mit Brandsätzen aufgefordert wird. Die "INTERIM" Nr. 714 enthält die Anleitung von "Autonomen Tüfftler_innen" zur Anfertigung eines Brandsatzes unter Verwendung eines elektronischen Bauteils, das in der militanten linksextremistischen Szene zur Zündung von Spreng-/Brandsätzen verwendet wird. Die Verfasser betonen, ihre Anleitung sei eine "Ergänzung" zur Publikation "prisma", die "viele gute Ideen und Anregungen für eine vielfältige Praxis" veröffentlicht habe. # Am 26. Oktober 2010 wurde wiederum in vier Szenebuchläden in Berlin die Szenezeitschrift "INTERIM" Nr. 718 vom 15. Oktober 2010 beschlagnahmt. Diese enthält unter den Überschriften "SPURENARMER MOLLI" und "ZEITVERZÖGERTER BRANDSATZ" zwei Anleitungen für Molotow-Cocktails. 2. Feste organisatorische Strukturen Die "Interventionistische Linke" (IL) und "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) haben eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltbereiten und nichtgewaltbereiten Teil des linksextremistischen Lagers inne. Sie treten zwar nicht offen gewalttätig oder gewaltbefürwortend auf, lehnen aber ein Bekenntnis zur Gewaltfreiheit vehement ab. Darüber hinaus sind sie bestrebt, mit einer strategischen Bündnisorientierung strö148 LINKSEXTREMISMUS mungsübergreifend zu agieren, nicht zuletzt, weil sie aufgrund "eigener Radikalität und Minorität" auf den "Austausch und die Kooperation mit moderaten Linken und den sozialen Bewegungen angewiesen" seien.61 Aktionen, die radikaler Ausdruck der "Unversöhnlichkeit gegenüber dem System" sein könnten, müssten andere zum "Grenzübertritt, zum Kämpfen einladen",62 mithin vermittelbar sein, heißt es in Abgrenzung zu einer häufig als rituell und inhaltsleer empfundenen bloßen "Inszenierung von Militanz"63. 2.1 "Interventionistische Linke" (IL) Gründung: Ende 2005 Struktur: bundesweites informelles Netzwerk überwiegend aus dem autonomen und antiimperialistischen Spektrum Publikationen: aktionsabhängig (z.B. G8Xtra, "Mobilisierungszeitung gegen 60 Jahre NATO, Krieg und Krise" Mobilisierungszeitung "Castor schottern") Die IL trat erstmals nach den Protesten gegen die EU-Ratstagung und den Weltwirtschaftsgipfel 1999 in Köln in Erscheinung. Seit ihrer formellen Gründung im Jahr 2005 konnte sie sich im linksextremistischen Spektrum zunehmend etablieren und brachte sich in nahezu allen linksextremistischen Aktionsfeldern ein. Die IL ist ein informelles Netzwerk, dem überwiegend Personen und Gruppierungen aus dem autonomen und antiimperialistischen Bereich angehören. 61 Einladung zur Zweiten Offenen Arbeitskonferenz der IL am 25. bis 27. April 2008 in Marburg (Hessen). 62 Siehe Fn. 31. 63 Homepage von AVANTI, Grundsatzpapier S. 76, (1. Dezember 2010). 149 LINKSEXTREMISMUS Stagnation der Die IL setzte ihren Versuch fort, Teile des organisationsund Organisierungshierarchiekritischen linksextremistischen Spektrums zu organibemühungen sieren, um sie aus der politischen Bedeutungslosigkeit herauszuführen. Allerdings hat das Projekt die Erwartungen vieler Aktivisten nicht erfüllt. Die Diskussionen innerhalb der IL sind in erster Linie geprägt von autonomer Organisationsund Theoriefeindlichkeit. Einzelne am Projekt IL beteiligte autonome Gruppen lehnen festgefügte Organisationen und Entscheidungsstrukturen ab, ihnen ist eine abgeschlossene theoretische Fundierung suspekt. Dies widerspricht ihrem Anspruch und lässt sie zudem um ihre Eigenständigkeit fürchten. Dieses Spannungsverhältnis ist der Grund für die Stagnation der Organisierungsbemühungen. Ihre zeitweiligen Mobilisierungserfolge konnte die IL nicht für sich nutzen. Es bleibt offen, welche programmatische Linie die IL verfolgen und welchen Grad der organisatorischen Verfestigung das Netzwerk in Zukunft haben soll. Strategiedebatte Für maßgebliche Angehörige der IL bestand die bisherige Funktion des informellen Netzwerks lediglich darin, die Aktivitäten der in der IL organisierten Gruppen zu koordinieren. Bei der Suche nach neuen Wegen und einer eigenen Identität habe man zwar Mobilisierungserfolge verbuchen können, gleichwohl besitze die IL aber keine kontinuierliche Ausstrahlung und Mobilisierungskraft, die über die eigene Klientel hinausgingen. So bleibe die IL zwar eine Notwendigkeit, die aber nicht über ein mobilisierungsfähiges Bündnis hinausreiche. Die Situation sei gekennzeichnet von fehlendem Vertrauen in die eigene Fähigkeit, gesellschaftliche Verhältnisse grundlegend transformieren zu können. Notwendig seien immer wieder öffentliche und öffentlichkeitswirksame Aktionen. Vor einem reinen Aktionismus solle man sich jedoch hüten, da die "schmale Basis der AktivistInnen" erschöpft sei. Zudem müsse die IL auf spontane Aufbrüche vorbereitet sein. Keine Strömung der Linken könne dies allein; ein neuer Aufbruch sei notwendig. Anlassbezogene Mobilisierungen und zentrale Agitationsthemen waren 2010 die Proteste gegen die Aufmärsche von Rechtsextremisten am 13./14. Februar 2010 in Dresden (vgl. Kap. IV, Nr. 3) sowie die Einflussnahme auf die Vorbereitung von Kundgebun150 LINKSEXTREMISMUS gen gegen den Castor-Transport von La Hague nach Gorleben im November 2010. Die IL zählte zu den Unterstützern der Kampagne "Castor schottern", deren Konzept das Unterhöhlen von Gleisabschnitten anlässlich des Castor-Transportes zum Ziel hatte (vgl. Kap. IV, Nr. 4). Beide Beispiele stehen sinnbildlich für das generelle Bestreben der IL um eine "strategische Bündnispolitik" mit linksextremistischen sowie nichtextremistischen Partnern. Nach Ansicht führender IL-Angehöriger dürfe sich die Bündnispolitik nicht auf den nationalen Rahmen beschränken, die Einbettung in den internationalen Zusammenhang sei unerlässlich. 2.2 "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (AVANTI) Gründung: 1989 Struktur: Ortsgruppen in Norderstedt, Flensburg, Kiel und Lübeck (alle Schleswig-Holstein), Hamburg, Hannover, Bremen und Berlin. AVANTI ist Teil des informellen Netzwerkes IL. AVANTI verfügt über regionale Strukturen vorwiegend in Norddeutschland. AVANTI strebt als Teil des Netzwerkes "Interventionistische Linke" (IL) eine bundesweite Präsenz an. AVANTI versteht sich als organisierter Teil der "radikalen Linken" Zielsetzung mit dem Ziel, das "herrschende System" revolutionär zu überwinden. Wenngleich die theoretische Basis von AVANTI kommunistischen Ideologien ähnelt, entsprechen die Aktionsformen denen autonomer Gruppen. Während die meisten Personenzusammenschlüsse im gewaltbereiten linksextremistischen Spektrum eine eher organisationskritische bis feindliche Position beziehen, betrachtet AVANTI eine revolutionäre Organisierung als notwendige Voraussetzung einer handlungsfähigen Struktur. Diese Position wird in 151 LINKSEXTREMISMUS dem Papier "Intervention braucht Organisation" von Juni 2008 deutlich: "Organisierung ist für uns kein Selbstzweck. (...) Wir sind vielmehr überzeugt, dass dauerhafte politische Handlungsund Interventionsfähigkeit für die radikale Linke ohne Bildung von revolutionären Organisationen nicht zu erreichen sein wird." (Homepage von AVANTI, 2. Dezember 2010) Revolutionäre AVANTI bezieht in einem Grundsatzpapier, das im Jahr 2004 Gewalt als letztes zuletzt überarbeitet wurde und bis heute Gültigkeit besitzt, StelMittel erlaubt lung zur Frage "revolutionärer Gewalt": "Kann revolutionäre Gewalt gerechtfertigt sein? Sicher ist, dass wir die Gewalt zunächst zutiefst ablehnen. (...) Dennoch haben RevolutionärInnen immer wieder zum Mittel der Gewalt gegriffen. In vielen historischen Situationen halten wir diese Entscheidung für richtig und unvermeidlich. (...) Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann (...) Ob eine künftige Revolution friedlich - oder überwiegend friedlich - verläuft, darüber lässt sich heute nur spekulieren." (Homepage von AVANTI, 1. Dezember 2010) AVANTI bringt sich in nahezu allen linksextremistischen Aktionsfeldern ein, wobei die Schwerpunkte der politischen Arbeit in den Feldern "Antifaschismus", "Soziale Kämpfe", "Antirassismus", "Antimilitarismus" und "Internationalismus" liegen. So mobilisierte und beteiligte sich AVANTI im Jahr 2010 insbesondere an der bundesweiten "Antifaschistischen Demonstration" gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremisten am 13. Februar 2010 in Dresden (vgl. Kap. IV, Nr. 3) und an den Protesten gegen den Castor-Transport Anfang November 2010 nach Gorleben (vgl. Kap. IV, Nr. 4). 152 LINKSEXTREMISMUS 3. Traditionelle Anarchisten Im Spektrum der traditionellen Anarchisten entfaltete lediglich FAU-IAA die anarchosyndikalistisch organisierte "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU), die der "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA) angeschlossen ist, wahrnehmbare Aktivitäten. Ihr Ziel ist es, die vermeintlich kapitalistische Staatsund Gesellschaftsordnung zu überwinden. Die von der FAU-IAA zweimonatlich herausgegebene, mit einer Auflagenhöhe von 3.000 Exemplaren erscheinende Zeitung "Direkte Aktion" führt zu den Zielen aus: "Wir die Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft zum Ziel. Die Selbstbestimmung in allen Lebensbereichen ist die grundlegende Idee des Anarcho-Syndikalismus. (...) Zur Durchsetzung unserer Ziele und Forderungen dienen uns sämtliche Mittel der Direkten Aktion, wie z.B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc. Im Gegensatz dazu lehnen wir die parlamentarische Tätigkeit in jeglicher Form ab." ("Direkte Aktion" Nr. 202 vom November/Dezember 2010, S. 16) Die FAU-IAA ist die mitgliederstärkste anarchistische Gruppierung in Deutschland und bezeichnet sich selbst als "Anarchistische Gewerkschaft". Bundesweit verfügt sie über 340 Mitglieder (2009: 300). Ihre Basis bilden örtliche (Branchenoder allgemeine) Syndikate als eigenständige Gewerkschaften. Im Regionalbereich finden regelmäßige Treffen der Ortsgruppen statt. Einmal jährlich hält die FAU-IAA einen bundesweiten Kongress aller Ortsund Branchengruppen ab. Eine sogenannte Geschäftskommission koordiniert die FAU-IAAAktivitäten. Das bedeutendste Aktionsfeld der FAU-IAA ist der "antikapitalistische Kampf" in Betrieben und Gewerkschaften, der mit "direkten Aktionen" wie Streiks, Boykotten und Besetzungen geführt wird. Im Jahr 2010 engagierte sich die FAU-IAA insbesondere in Kampagnen gegen Leiharbeit, für Streikrecht und Gewerkschaftsfreiheit. Daneben solidarisierte sie sich mit den Protestierenden in Griechenland, unterstützte Bildungsstreikdemonstrationen und die Kampagne "Castor schottern". 153 LINKSEXTREMISMUS III. Parteien und sonstige Gruppierungen 1. "DIE LINKE." Gründung: Dezember 1989; Umbenennung SED64 in SED-PDS; Februar 1990 Umbenennung SED-PDS in PDS65; Juli 2005 Umbenennung PDS in "Die Linkspartei.PDS"; 16. Juni 2007 Fusion mit WASG66 zur Partei "DIE LINKE." Sitz: Berlin Parteivorsitzende: Klaus Ernst, Gesine Lötzsch Mitglieder67: 73.658 (Ende 2009: 78.046); davon in den westlichen Ländern 36.295 einschließlich Berlin (Ende 2009: 28.689) Publikationen: "DISPUT", (Auswahl) monatlich; "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE.", monatlich; "Marxistisches Forum", unregelmäßig Die Partei "DIE LINKE." sammelt unter dem Begriff "Pluralismus" u.a. solche "linken" Kräfte, welche das Ziel einer grundlegenden Veränderung der bisherigen Staatsund Gesellschaftsordnung verfolgen. Die Partei bietet nach wie vor ein ambivalentes Erscheinungsbild. Einerseits setzt sie darauf, in der Öffentlich64 SED = "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands". 65 PDS = "Partei des Demokratischen Sozialismus". 66 WASG = "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative". 67 Die Mitgliederzahlen entsprechen dem Stand 31. Dezember 2010; Homepage der Partei "DIE LINKE." (8. März 2011). Die Abweichungen der Mitgliederzahlen im Vergleich zum Verfassungsschutzbericht 2009 beruhen auf einer nachträglichen Aktualisierung durch die Partei. 154 LINKSEXTREMISMUS keit als reformorientierte, neue linke Kraft wahrgenommen zu werden. Andererseits liegen nach wie vor zahlreiche Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen in der Partei vor, insbesondere die umfassende Akzeptanz von offen extremistischen Zusammenschlüssen in ihren Reihen. Diese Bewertung hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) in Leipzig in einem Klageverfahren des Abgeordneten der Partei Bodo Ramelow gegen die Bundesrepublik Deutschland mit Urteil vom 21. Juli 2010 in letzter Instanz bestätigt und daraus resultierend die Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit der Beobachtung der Partei durch das BfV festgestellt. Am 20. März 2010 stellten die damaligen Parteivorsitzenden 1. Entwurf für Lothar Bisky und Oskar Lafontaine einen "1. Entwurf für ein neues ein neues Parteiprogramm der Partei DIE LINKE." vor. Der Entwurf schließt Parteiprogramm an frühere Programme von "Linkspartei.PDS" und PDS an. So werden beispielsweise grundlegende Veränderungen der Staatsund Gesellschaftsordnung gefordert: "Wir streben eine sozialistische Gesellschaft an, in der jeder Mensch in Freiheit sein Leben selbst bestimmen kann und dabei solidarisch mit anderen zusammenwirkt. Die Überwindung der Dominanz kapitalistischen Eigentums in der Wirtschaft (...) sind dafür die wichtigsten Grundlagen. (...) Demokratischer Sozialismus (...) zielt auf grundlegende Veränderungen der herrschenden Eigentums-,Verfügungsund Machtverhältnisse." ("1. Entwurf für ein Programm der Partei DIE LINKE." vom 20. März 2010, S. 11) Zudem enthält der Entwurf - wie bereits frühere Programme - eine sinngleiche Anlehnung an das "Manifest der Kommunistischen Partei" (1848), in dem es heißt: An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines 155 LINKSEXTREMISMUS jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Aktuell heißt es: "Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird." ("1. Entwurf für ein Programm der Partei ,DIE LINKE.'" vom 20. März 2010, S. 3) Der Bundessprecherrat der "Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE." (KPF) stimmte auf der 1. Tagung der 15. Bundeskonferenz am 27. März 2010 in Berlin dem Programmentwurf der Partei in der Mehrzahl der Punkte zu. Ein endgültiges Programm soll auf einem Parteitag im Herbst 2011 verabschiedet werden. Parteitag am Auf dem 2. Parteitag der Partei "DIE LINKE." am 15./16. Mai 2010 15./16. Mai 2010 in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) wurden Gesine Lötzsch in Rostock (92,8%) und Klaus Ernst (74,9%) zu gleichberechtigten Parteivorsitzenden sowie Sahra Wagenknecht (seit 2009 MdB, 75,3%) zu einer der stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.68 Im Vorfeld des Parteitags hatte Wagenknecht aufgrund ihrer Kandidatur für ein Parteiamt ihre Mitgliedschaft in der marxistischleninistisch ausgerichteten "Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE." (KPF; vgl. Kap. III Nr. 1.1) ruhend gestellt und ihre Tätigkeit im Bundeskoordinierungsrat der KPF niedergelegt.69 Bereits vor der Wahl des langjährigen Mitglieds des Bundeskoordinierungsrates der KPF Sahra Wagenknecht zur stellvertretenden Parteivorsitzenden (vgl. Kap. III, Nr. 1) hatten Wagenknecht 70 und der Bundessprecherrat der KPF71 bezüglich 68 "DISPUT" vom Juni 2010, S. 44. 69 "KPF-Mitteilungen", Heft Nr. 3/2010 vom März 2010, S. 31f. 70 "DER WESTEN" vom 28. Januar 2010. 71 Bericht des Sprecherrates an die 2. Tagung der 15. Bundeskonferenz, Homepage der Partei "DIE LINKE." (24. November 2010). 156 LINKSEXTREMISMUS des Ruhens ihrer KPF-Mitgliedschaft und der Niederlegung ihres Amtes in der KPF übereinstimmend erklärt, dies ändere nichts an ihrer politischen Haltung, sie bleibe in ihren inhaltlichen Positionen eine Kommunistin. Die KPF bewertete die Wahl Wagenknechts als großen Gewinn für die marxistisch orientierten Kräfte in der Partei "DIE LINKE." und für die KPF.72 Dem 44-köpfigen Parteivorstand gehören 15 Mitglieder eines offen extremistischen Zusammenschlusses (vgl. Kap. III, Nr. 1.2) oder einer solchen Strömung an. Über die Zugehörigkeit zu einem offen extremistischen Zusammenschluss hinaus werden zwei Mitglieder des Parteivorstands zusätzlich dem trotzkistischen Netzwerkes "marx21" (vgl. Kap. III, Nr. 4) zugerechnet. Vertreter der Partei "DIE LINKE." arbeiten bei Demonstrationen Unterstützung - schwerpunktmäßig gegen rechtsextremistische Aktivitäten - linksextremistimit linksextremistischen Aktionsbündnissen zusammen. scher OrganiKommt es im Verlauf der Veranstaltungen zu gewalttätigen Aussationen und schreitungen, fehlt eine deutliche Distanzierung durch die ParBewegungen tei. Vielmehr erklärte Wagenknecht auf die Frage, wie sie zu freieren Formen "linker" Zusammenschlüsse, wie z.B. der autonomen Bewegung, stehe: "Eine vielfältige Protestkultur gegen Neoliberalismus und Kapitalismus finde ich sehr unterstützenswert. Dazu gehören für mich natürlich auch linke autonome Gruppen. Natürlich fände ich es noch besser, wenn sie in die Partei ,DIE LINKE.' eintreten würden, weil ich schon glaube, dass man eine in gewisser Weise gefestigte Organisationsform braucht, um diesem Kapitalismus Zugeständnisse abzukämpfen." (Homepage von "abgeordnetenwatch" sahra_wagenknecht, 15. März 2009) Vor dem Castor-Transport vom 5. bis 9. November 2010 von der französischen Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) La Hague in 72 Siehe Fn. 71. 157 LINKSEXTREMISMUS das niedersächsische Zwischenlager Gorleben riefen zahlreiche Mitglieder und Funktionäre der Partei "DIE LINKE.", darunter Bundestagsund Landtagsabgeordnete, als Erstunterzeichner zu der Aktion "Castor schottern!" auf.73 Ziel der Aktion war es, durch das Entfernen von Steinen aus dem Gleisbett das Befahren der Schienen zu verhindern. KurdistanDie Partei "DIE LINKE." griff auch im Jahr 2010 Anliegen der in solidaritätsarbeit Deutschland mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegten "Arbeiterpartei Kurdistans" auf (PKK; vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamismus, Kap. II, Nr. 1.2), um diese politisch zu unterstützen. Vertreter der Partei nahmen an Kampagnen und Veranstaltungen von PKK-nahen Organisationen teil. So berichtete die für PKK-Anhänger wichtige, in Deutschland herausgegebene Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) über die Teilnahme eines Vertreters der Partei an einer Veranstaltung anlässlich des 32. Gründungsjubiläums der PKK in Mannheim (BadenWürttemberg).74 Drei Angehörige der Partei, darunter ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments sowie eine im Mai 2010 gewählte Abgeordnete des Landtags Nordrhein-Westfalen, hielten Reden auf der zentralen Newroz-Feier in Düsseldorf, bei der der Guerillakampf der PKK und der inhaftierte Abdullah Öcalan verherrlicht wurden.75 Am 16. März 2010 berichtete die YÖP über den Wahlkampfstart der "kurdischen Kandidaten" der Partei "DIE LINKE." für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010. Ein inzwischen ins Landesparlament gewählter Kandidat habe die Kurden zur Wahl aufgerufen, damit die kurdischstämmigen Kandidaten für das kurdische Volk Aufgaben und Verantwortung übernehmen könnten. Die Veranstaltung hatte die PKKnahe "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) organisiert.76 73 Homepage von "CASTOR SCHOTTERN" (15. Oktober 2010). 74 YÖP vom 7. Dezember 2010, S.12. 75 YÖP vom 22. März 2010, S. 12. 76 YÖP vom 16. März 2010, S. 7. 158 LINKSEXTREMISMUS 1.1 "Kommunistische Plattform der Partei ,DIE LINKE.'" (KPF) Die in marxistisch-leninistischer Tradition stehende KPF ist mit ihren über 1.200 Mitgliedern77 (2009: 1.100) der mitgliederstärkste offen extremistische Zusammenschluss in der Partei "DIE LINKE.". Sie gibt die monatlich erscheinende Publikation "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform" mit einer Auflage von rund 2.000 Exemplaren78 (2009: 1.800) heraus. Die KPF setzt sich weiterhin für die Überwindung des Kapitalismus und die Errichtung des Sozialismus ein. In diesem Sinne verteidigt sie auch den realen Sozialismus der ehemaligen DDR: "Wir stehen in der Verantwortung, uns gegen diese Kette von Geschichtsklitterung zu wehren und vor allem den mit uns sympathisierenden jungen Genossinnen und Genossen zu verdeutlichen, dass wir den gewesenen Sozialismus nicht aus nostalgischen Gründen, sondern um der Zukunft willen verteidigen." (KPF-Mitteilungen, Heft Nr. 9/2010 vom September 2010, S. 6) Die KPF tritt dafür ein, dass innerhalb der Partei "DIE LINKE." die Forderung nach einem Systemwechsel verstärkt wird. So erklärte der Sprecherrat auf der 1. Tagung der 15. Bundeskonferenz: "All unsere Bemühungen zielen darauf, (...) mit anderen Zusammenschlüssen, die partiell ähnliches wollen wie wir, jene Tendenzen in der Partei zu stärken, (...) die (...) einen Systemwechsel wollen. Dafür zu kämpfen, ist das für uns gegenwärtig Mögliche im Rahmen dessen, das Unmögliche zu versuchen." (KPF-Mitteilungen, Heft Nr. 4/2010 vom April 2010, S. 12) 77 Bericht des Sprecherrates an die 2. Tagung der 15. Bundeskonferenz, Homepage der Partei "DIE LINKE." (24. November 2010). 78 "KPF-Mitteilungen" Heft Nr. 10/2010 vom Oktober 2010, S. 2. 159 LINKSEXTREMISMUS Die Bundeskonferenz beschloss, im Rahmen der Programmdebatte die Zusammenarbeit der marxistisch orientierten Kräfte innerhalb der Partei fortzusetzen. Auf einem Treffen am 12. November 2010 vereinbarten Vertreter der offen extremistischen Zusammenschlüsse KPF, "Sozialistische Linke" (SL), AG Cuba Si, "Marxistisches Forum" (MF) und "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SoD), der Strömung "Antikapitalistische Linke" (AKL) sowie der Jugendverbände "Linksjugend ['solid]" und "Die Linke.SDS", ihre programmatischen Aktivitäten abzustimmen.79 Darüber hinaus nahm die "Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frieden und Internationale Politik" der Partei "DIE LINKE." an dem Treffen teil. 1.2 "Sozialistische Linke" (SL) Die SL hat, wie im Vorjahr, rund 700 Mitglieder in 13 Bundesländern80 und ist mit elf Sitzen im 44-köpfigen Bundesvorstand der Partei "DIE LINKE." vertreten. Innerhalb der SL arbeitet nach wie vor das trotzkistische Netzwerk "marx21" mit. Laut Gründungserklärung steht die SL für eine "Linke", die einen neuen Anlauf unternimmt, die Vorherrschaft des Kapitals zu überwinden. Diese sozialistische Umgestaltung könne sich jedoch nicht an der Sowjetunion und der DDR orientieren. Die DDR sei ein "legitimer Versuch" gewesen, eine Alternative zum Kapitalismus aufzubauen. Die neue Partei im Kapitalismus des 21. Jahrhunderts müsse "realistisch und radikal - an die Wurzel gehend" - die Verhältnisse in Frage stellen und auf Alternativen hinarbeiten. Die neue Partei habe die Aufgabe, die Kräfteverhältnisse in dieser Gesellschaft zu verändern; dies bedeute vor allem, in klassenpolitischen Kategorien zu denken sowie den Kampf um inhaltliche und kulturelle Hegemonie aufzunehmen. Die Notwendigkeit und die Möglichkeiten einer Alternative zum Kapitalismus sowie der Begriff des "Demokratischen Sozialismus" seien neu zu diskutieren. Die neue Partei müsse pluralistisch sein. Parlamentarismus und außerparlamentarischer Widerstand seien wichtig. 79 Beschluss der 2. Tagung der 15. Bundeskonferenz der KPF, Homepage der Partei "DIE LINKE." (24. November 2010). 80 Homepage der jW (22. Dezember 2009). 160 LINKSEXTREMISMUS In der Gründungserklärung der SL heißt es hierzu: "Wir halten die Bildung einer sozialistischen, linken Strömung für notwendig, die realistisch, radikal und klassenorientiert zugleich ist, also von den Interessen der lohnabhängigen Mehrheit der Bevölkerung ausgeht. Keine andere bisher hervorgetretene Strömung in der neuen Linken wird diesem Anspruch gerecht." Die SL setzt sich für eine solidarische Streitkultur in der LINKEN ein und will sich "unüberhörbar" in die Debatten der LINKEN einbringen.81 "Wir melden uns als eine breite Strömung zu Wort, die an linkssozialdemokratische und reformkommunistische Traditionen anknüpft. Wichtige Grundlagen unserer Strömung bilden marxistische Gesellschaftsanalyse und Strategiediskussion sowie linkskeynesianische Positionen alternativer Wirtschaftspolitik." (SL, Programm der Sommerakademie 2010, S.15) Auf der jährlichen Mitgliederversammlung am 18. Dezember 2010 verabschiedeten die Mitglieder einen Leitantrag "DIE LINKE stärken, damit sie wirkt!". In diesem stellt die SL "Aufgaben" an die Partei und sieht deren zukünftigen Kurs auf Basis der Kernthemen der SL. So soll die Partei "DIE LINKE." in Anlehnung an die Erfolge von Sozialprotesten in anderen Ländern "an der Orientierung auf den politischen Generalstreik als ein Machtinstrument der Lohnabhängigen festhalten". Zudem müsse die Partei ihre Kampagnenfähigkeit stärken und zum "Motor außerparlamentarischer Kämpfe werden". 81 Beschluss der Mitgliederversammlung der SL am 20. Dezember 2009, S. 3. 161 LINKSEXTREMISMUS 1.3 "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SoD) Der GD/SoD stellt mit mindestens 250 Mitgliedern (2009: 120) in 14 Landesverbänden82 einen wesentlichen Teil der marxistischen Strömung in der Partei "DIE LINKE.". Er steht für antikapitalistische und sozialistische Positionen innerhalb und außerhalb der Partei. Der GD/SoD arbeitet weiterhin sehr eng mit anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen zusammen, insbesondere mit der KPF, der SL, dem MF und dem Jugendverband "Linksjugend ['solid]". In Übereinstimmung mit anderen offen extremistischen Zusammenschlüssen begrüßt der GD/SoD den antikapitalistischen Charakter des Programmentwurfes und hält ein Ersetzen durch ein anderes Konzept, das die Partei auf Bundesebene zum potenziellen Koalitionspartner anderer Parteien werden lasse, für nicht zielgerichtet. Damit würde eine neue Partei geschaffen, die sich an den Erfordernissen der kapitalistischen Gesellschaft orientiere.83 Ziel des GD/SoD ist daher die Weiterentwicklung des Programmentwurfs im antikapitalistischen Sinne: "Im Interesse einer starken Linken werden wir den Entwurf in seiner antikapitalistischen Substanz in den Diskussionen vertreten und ständig bemüht sein, ihn inhaltlich nach links zu erweitern." (Erklärung des SprecherInnenund Koordinierungsrates des GD/SoD zum Programmentwurf vom 4. Juli 2010) 82 Bericht des Sprecherinnenund Koordinierungsrates an die Mitgliederversammlung des GD/SoD am 23. Januar 2010 in Kassel. 83 Erklärung des Sprecherund Koordinierungsrates des GD/SoD zum Programmentwurf vom 4. Juli 2010. 162 LINKSEXTREMISMUS In letzter Konsequenz bleibt für den GD/SoD nur der Sozialismus, der mittels bloßer Reformen nicht zu erreichen sei. Revolutionäre Veränderungen werden als unausweichlich angesehen: "Die marxistische Kapitalismuskritik hat ihre Gültigkeit unter Beweis gestellt. (...) Das schließt auch die Konsequenz von der Unvermeidlichkeit des Sozialismus ein! Vorstellungen über einen Weg zum Sozialismus; mittels bloßer Reformen im Kapitalismus zu gelangen, haben sich als nicht realisierbar erwiesen." (Erklärung des SprecherInnenund Koordinierungsrates des GD/SoD zum Programmentwurf vom 4. Juli 2010) 1.4 "Marxistisches Forum" (MF) Das orthodox-kommunistische MF konnte die Zahl seiner Mitglieder auf über 280 Personen84 (2009: 56) erheblich steigern. Eine Anerkennung durch den Bundesausschuss als bundesweiter Zusammenschluss in der Partei "DIE LINKE." steht jedoch weiterhin aus. Das MF erhielt somit auch im Jahr 2010 keine finanziellen Zuwendungen der Partei. Die Mitglieder des MF verbindet die Überzeugung, dass die Interpretation und Weiterentwicklung Marx'schen Denkens und Marx'scher Analyse wichtige Bestandteile "linker" Theoriebildung sind: "Ziel des Marxistischen Forums ist natürlich die kapitalistische Gesellschaft zu überwinden. Ziel ist es auch, die Partei DIE LINKE als antikapitalistische Partei weiterzuentwickeln." (Homepage des MF, 8. November 2010) Das MF pflegte weiterhin die Zusammenarbeit mit der KPF. So gab es mehrere gemeinsame Veranstaltungen zum "1. Entwurf für ein Programm der Partei "DIE LINKE.", bei denen über Kritik 84 Homepage des MF (8. November 2010). 163 LINKSEXTREMISMUS und Änderungen am Programmentwurf diskutiert wurde. Dabei bemühte sich das MF, marxistische Elemente in die Programmdebatte einzubringen.85 1.5 "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si" Die 1991 gegründete "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si in der Partei DIE LINKE." ist mit 500 Mitgliedern (2009: über 400)86 weiterhin ein wesentlicher Träger der Solidaritätsarbeit für Kuba. Den Arbeitsrichtlinien zufolge ist "die politische und materielle Solidarität mit dem sozialistischen Kuba" Grundanliegen und wesentlicher Inhalt ihrer Tätigkeit. Ein Arbeitsschwerpunkt bildet, wie in den Vorjahren, die Spendenkampagne "Kuba muss überleben".87 Eine kritische Auseinandersetzung mit Menschenrechtsverstößen der kubanischen Regierung fehlt. So wird Kuba als "vorbildlich in der Verwirklichung von Menschenrechten"88 dargestellt und derartige Verstöße als legitime Mittel im Kampf gegen die Konterrevolution angesehen. Eine im Internet veröffentlichte "Erklärung der AG Cuba Si" befasst sich mit dem Tod des Dissidenten Orlando Zapata Tamayo, der nach einem Hungerstreik am 23. Februar 2010 in Haft verstorben war.89 Trotz intensiver medizinischer Betreuung sei er "an den unausweichlichen Folgen seines Entschlusses, mit dem Mittel des Hungerstreiks für 85 Siehe Fn. 84. 86 "Cuba si revista", Nr. 1/2010, S. 1. 87 Homepage der AG Cuba Si (21. Oktober 2010). 88 Homepage der AG Cuba Si (8. November 2010). 89 Orlando Zapata Tamayo war Mitglied der Oppositionsgruppe "Republikanische Alternative" und Gründer der "Carlos Manuel de Cespedes Freiheitsbewegung" in Las Tunas. Im März 2003 wurde er während des kubanischen "Schwarzen Frühlings" verhaftet und wegen Delikten wie Störung der öffentlichen Ordnung und Respektlosigkeit zu 18 Jahren Haft verurteilt. "Schwarzer Frühling" rekurriert auf eine Verhaftungswelle, im Zuge derer auf Kuba zahlreiche Regimekritiker festgenommen worden waren. (ZEIT ONLINE, 21. Oktober 2010). 164 LINKSEXTREMISMUS sich den Status eines politischen Gefangenen zu reklamieren" gestorben. Weiter heißt es: "Der Kampf Kubas gegen die konterrevolutionären Organisationen ist ein legitimer Kampf für die Menschlichkeit. Umso bedauerlicher ist es, wenn in diesem Konflikt Menschen wie Orlando Zapata Tamayo soweit instrumentalisiert werden, dass sie ihr Leben für eine Sache geben, die sich nur vorgeblich auf die Demokratie und die universellen Menschrechte beruft, - sie aber tagtäglich unzählige Male mit Füßen tritt." (Homepage der AG Cuba Si, 21. Oktober 2010) 1.6 "Antikapitalistische Linke" (AKL) Die AKL wurde im März 2006 durch 30 Erstunterzeichner eines Entstehung und Aufrufs "Für eine antikapitalistische Linke"90 gegründet. Zu personelle ihnen zählten Abgeordnete und Funktionäre der damaligen Zusammensetzung "Linkspartei.PDS" auf Bundesund Landesebene. Seither haben über 1.500 Personen den Aufruf unterzeichnet, darunter auch Mitglieder des parteinahen Jugendverbands "Linksjugend ['solid]", anderer Zusammenschlüsse in der Partei "DIE LINKE.", der DKP sowie verschiedener trotzkistischer Gruppierungen. Die AKL bezeichnet sich selbst als linkes Bündnis in der Partei "DIE LINKE.", das auf eine offene Verständigung von antikapitalistischen Kräften inund außerhalb der Partei "DIE LINKE." gerichtet sei. Die AKL strebt keine Etablierung als anerkannter Zusammenschluss innerhalb der Partei an. Die Unterzeichnung des Aufrufs "Für eine antikapitalistische Linke" stellt somit keinen Beitritt in eine parteiinterne Struktur dar, sondern die Unterstützung für die genannten Forderungen. Ziel der AKL ist es, Kräfte zu bündeln und Mehrheiten für antiZielsetzung kapitalistische Positionen zu gewinnen.91 In diesem Sinne drängt sie auf eine antikapitalistische und sozialistische Ausrichtung der Partei "DIE LINKE.". 90 Homepage der AKL (2. Dezember 2010). 91 Siehe Fn. 90. 165 LINKSEXTREMISMUS Diese Positionen wurden in einer Abschlusserklärung auf einer bundesweiten Konferenz der AKL am 10. März 2007 in Erfurt verabschiedet. Unter dem Motto "DIE LINKE. bewegen - Gesellschaft verändern!" 92 beschreibt die AKL u.a. folgende Forderungen: # "Für einen konsequenten Antifaschismus" - Antifaschistischer Widerstand dürfe sich nicht nur gegen die Nazis auf der Straße richten, sondern müsse auch gegen die strukturellen Bedingungen von Unfreiheit, Ungleichheit und Ausbeutung verbunden werden. Schließlich seien es die bestehenden Eigentumsund Machtverhältnisse, die faschistoiden Entwicklungen und Gefahren den Boden bereiten würden. # "Sozialistische Errungenschaften würdigen". Antikapitalistische Politik dürfe sich nicht an der "totalitarismustheoretischen Diskreditierung gegenwärtiger oder vergangener Sozialismusversuche" beteiligen. Aus der Geschichte der DDR müsse man lernen und "fortschrittliche Entwicklungen" zugleich würdigen. Nach Veröffentlichung des "1. Entwurfes für ein Programm der Partei DIE LINKE." kritisierte die AKL den nach ihrer Auffassung fehlenden Bruch mit kapitalistischen Eigentumsformen. In der Abschlusserklärung anlässlich der Konferenz der AKL am 27. März 2010 in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) heißt es: "Wir wollen eine andere Eigentumsordnung (...). Wir setzen uns in allen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Kämpfen dafür ein, dass sie darin münden, die herrschenden Eigentumsund Machtverhältnisse in Frage zu stellen." Zudem erklärt die AKL: "Ebenso halten wir es für unangemessen, dass immer wieder von Freiheit und Sozialismus die Rede ist. Die Formulierung verschleiert, dass Freiheit nur durch Sozialismus zu erreichen ist." 92 Homepage der AKL (10. Mai 2007). 166 LINKSEXTREMISMUS 1.7 Jugendverbände Dem parteinahen Jugendverband "Linksjugend ['solid]" gehörJugendverband ten nach Angaben der Partei "DIE LINKE." im Juni 2010 rund "Linksjugend 10.000 Mitglieder (2009: 9.800) an, davon etwa 4.100 aktive.93 ['solid]" Zu den Zielen und zum Selbstverständnis des Jugendverbandes heißt es in dem im Jahr 2008 beschlossenen Programm: "Die Überwindung kapitalistischer Produktionsund Herrschaftsverhältnisse ist dafür notwendig. (...) Als SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen kämpfen wir für eine libertäre, klassenlose Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat (...). Die berühmten zwei Gräben Reform oder Revolution bilden für uns keinen Widerspruch. Wir streiten für einen grundsätzlichen Systemwechsel." (Internetseite "'solid", 5. Januar 2011) Der Jugendverband sieht laut Programm nur im außerparlamentarischen Widerstand die Möglichkeit, politische Verhältnisse nachhaltig zu verändern: "Wir wollen die Bühne des Parlamentarismus für den Kampf um eine gerechtere Welt nutzen, aber uns nicht der Illusion hingeben, dass dort der zentrale Raum für reale Veränderungen sei. Gesellschaftliche Veränderungen finden schwerpunktmäßig außerhalb der Parlamente statt. (...) Nur die außerparlamentarische Bewegung kann reale Veränderungen herbeiführen. Daher müssen ParlamentarierInnen immer mit sozialer Bewegung verbunden bzw. in ihr verankert sein, um auf der parlamentarischen Bühne auf Veränderungen hinzuwirken." (Internetseite "'solid", 5. Januar 2011) 93 "DISPUT" vom Juni 2010, S. 65. 167 LINKSEXTREMISMUS In diesem Sinn beteiligte sich der Jugendverband im Jahr 2010 an Kampagnen, Bündnissen und Demonstrationen, in denen sich Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung, darunter auch autonome Gruppierungen engagierten. Hochschulverband Der parteinahe Hochschulverband DIE LINKE.SDS ist an über "DIE LINKE.Sozialis50 Hochschulen aktiv und "versucht dort für linke Politik zu tisch-demokratimobilisieren".94 Laut Satzung ist der Hochschulverband eine scher StudierenArbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus und somit formell denverband" Bestandteil des Jugendverbandes "Linksjugend ['solid]" der Par(DIE LINKE.SDS) tei "DIE LINKE.". Auch "DIE LINKE.SDS" beteiligte sich 2010 an Bündnissen und Aktionen, an denen neben verschiedenen linksextremistischen Personenzusammenschlüssen auch autonome Gruppierungen beteiligt waren. DIE LINKE.SDS nimmt hierfür auch bewusst den Verstoß gegen Rechtsnormen in Kauf: "Wir lassen uns von einer Bannmeile nicht davon abhalten, unseren legitimen Widerstand gegen das Sparpaket zum Ausdruck zu bringen. Wir werden am Tag X in die Bannmeile strömen. Dass wir dadurch eventuell eine Ordnungswidrigkeit begehen, nehmen wir in Kauf, denn die Politik der Bundesregierung können wir nicht einfach hinnehmen." (Homepage von "WIR ZAHLEN NICHT FÜR EURE KRISE!, 20. Oktober 2010) 94 Homepage der Partei "DIE LINKE." (22. November 2010). 168 LINKSEXTREMISMUS 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzende: Bettina Jürgensen Mitglieder: 4.000 (2009: 4.000) Publikationen: "Unsere Zeit" (UZ) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: 6.000 (2009: 6.000); "Marxistische Blätter" (theoretisches Organ), sechs Ausgaben im Jahr Die DKP bekennt sich unverändert zur Theorie von Marx, Engels Festhalten der DKP und Lenin. Ihr Ziel bleibt weiterhin die Errichtung des Sozialisam Sozialismus mus/Kommunismus. Dabei unterstellt die Partei, der von ihr bekämpfte Kapitalismus sei ohne Zukunft und unfähig, seine Widersprüche zu lösen. So heißt es im Programm der Partei: "Sie (die Widersprüche) können nur durch den Klassenkampf für eine neue Gesellschaftsordnung, den Sozialismus, überwunden werden.(...) Die DKP als revolutionäre Partei der Arbeiterklasse ist hervorgegangen aus dem Kampf der deutschen Arbeiterbewegung gegen kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung.(...) Sie steht in der Tradition der revolutionären deutschen Sozialdemokratie und der Kommunistischen Partei Deutschlands. (...) Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tief greifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse erreicht werden." (Homepage www.kommunisten.de, November 2010) 169 LINKSEXTREMISMUS Streit um die Die bereits im Vorjahr erkennbaren internen Konflikte spitzten ideologische sich 2010 weiter zu. So veröffentlichte das Sekretariat der DKP Ausrichtung ohne vorherige Beratung im Parteivorstand (PV) "Politische Thesen", die eine Neuausrichtung der Parteilinie zum Ziel haben. Darin heißt es, die kommunistische Bewegung habe "nicht zeitig genug andere Wege zur Weiterentwicklung des Sozialismus eingeschlagen". Das habe "nicht nur geschichtliche Bedeutung", sondern sei Bestandteil "der Suche nach einer überzeugenden Sozialismuskonzeption für Gegenwart und Zukunft".95 Die "Thesen" relativieren die Bedeutung der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt, indem sie die Forderung enthalten, die DKP müsse in allen fortschrittlichen Bewegungen mitarbeiten. Der Sozialismus werde "nicht nur das Werk der Arbeiterklasse" sein, sondern das "gemeinsame Projekt" von gleichberechtigten unterschiedlichen sozialen und weltanschaulichen Kräften. 96 Gegen diese "Thesen", die von der Mehrheit im Parteivorstand um die stellvertretenden Vorsitzenden Nina Hager und Leo Mayer getragen wurden, formierte sich eine starke innerparteiliche Opposition. So stellte eine Gruppe von 84 Parteimitgliedern um Patrik Köbele, Funktionär und ehemaliger Vorsitzender des DKP Bezirks Ruhr-Westfalen, unter dem Titel "Den Gegenangriff organisieren - die Klasse gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus mobilisieren" (sogenanntes 84er Papier) ein Positionspapier zur Diskussion, in dem eine Neubesinnung auf die unverfälschte Lehre des wissenschaftlichen Sozialismus gefordert wird. Weiter heißt es, man dürfe keine Illusionen gegenüber dem Kapitalismus zulassen. Die objektiven Verhältnisse seien zwar "längst reif für den Sozialismus", dieser werde aber "nur durch härtesten Klassenkampf um die politische Macht" zu erreichen sein.97 19. Parteitag Am 9./10. Oktober 2010 wählte der 19. Parteitag der DKP in der DKP Frankfurt am Main die bisherige DKP-Bezirksvorsitzende von Schleswig-Holstein Bettina Jürgensen zur neuen Parteivorsit95 "Politische Thesen", S. 38. 96 "Politische Thesen", S. 31. 97 Homepage der "Kommunistischen Initiative" (2. Dezember 2010). 170 LINKSEXTREMISMUS zenden. Sie erhielt 111 Stimmen (rund 68 Prozent) und löste den seit 1990 amtierenden Vorsitzenden Heinz Stehr ab, der Monate zuvor bereits erklärt hatte, nicht mehr für den Vorsitz zu kandidieren. Der unter dem Motto "Widerstand entwickeln. Kapitalismus überwinden!" stehende Parteitag war nach den vorangegangenen Debatten erwartungsgemäß von heftigen Auseinandersetzungen um die politisch-ideologische und strategische Ausrichtung der Partei geprägt. Dies zeigte sich bei der Neuwahl der Parteiführung ebenso wie in der inhaltlichen Diskussion und den knappen Abstimmungsergebnissen. Entgegen dem Vorschlag des scheidenden Parteivorstands wählten die Delegierten, die zuvor den Beschluss gefasst hatten, die Zahl der stellvertretenden Vorsitzenden von bislang zwei auf drei zu erhöhen, mit Köbele einen Sprecher der innerparteilichen Opposition zum stellvertretenden Vorsitzenden. Die bisherigen stellvertretenden Vorsitzenden Nina Hager und Leo Mayer wurden in ihren Ämtern bestätigt. Die Delegierten des Parteitags folgten auch diversen anderen Vorschlägen des Parteivorstands zur Wahl des neuen Leitungsgremiums nicht. So wurde z.B. der bisherige Bundesgeschäftsführer Klaus Weißmann nicht wieder in den Parteivorstand gewählt. Mit Köbele als stellvertretendem Vorsitzenden und weiteren neun Unterzeichnern und Unterzeichnerinnen des sogenannten 84er Papiers, die in den Parteivorstand gewählt wurden, stellen Vertreter der innerparteilichen Opposition nunmehr etwa ein Drittel der Vorstandsmitglieder. Der Parteitag beschloss mit sehr knapper Mehrheit ein "Aktionsorientiertes Forderungsprogramm 'Politikwechsel erkämpfen'". Darin werden die Mitglieder aufgefordert, sich im "langen Arbeitsund Kampfprozess" zu engagieren, der erforderlich sei, um antimonopolistische antikapitalistische Forderungen mehrheitsfähig zu machen. In der Vergangenheit habe es immer wieder "innerparteiliche Auseinandersetzungen bis hin zu innerparteilichen Kämpfen" gegeben, jetzt benötige man hingegen größere Solidarität in der Partei. Innere Konfrontation schwäche die Organisation.98 98 Homepage der DKP (2. Dezember 2010). 171 LINKSEXTREMISMUS In einer ebenfalls mit knapper Mehrheit verabschiedeten "Politischen Resolution" heißt es, der Kapitalismus befinde sich in seiner "tiefsten Finanzund Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg". Die Bewältigung einer solchen Krise sei in der Regel verbunden mit "schwerwiegenden sozialökonomischen Folgen vor allem für die Arbeiterklasse". Vertreter des Kapitals würden mit allen Mitteln versuchen, reaktionäre Regulierungsmechanismen durchzusetzen: "Herrschaftsinstrumentarien werden (...) weiter perfektioniert. Antikommunismus und Geschichtsfälschungen werden (...) als Mittel genutzt, jegliche linke Opposition (...) von vornherein zu diskreditieren und zu kriminalisieren." ("Politische Resolution" - Beschluss des 19. Parteitages der DKP, 10. Oktober 2010) Der Widerstand dagegen müsse verstärkt werden. Zudem fehle auch eine breite außerparlamentarische Bewegung. Die DKP müsse sich den großen Herausforderungen stellen und versuchen, "geduldig und überzeugend" diese Schwächen zu überwinden. Dazu seien Bündnisse und Allianzen unterschiedlicher sozialer und gesellschaftlicher Kräfte nötig. Immer wieder habe die Partei die Frage zu beantworten, wie sie "eine aktivere und organisierende Rolle im Kampf gegen eine sozial-reaktionäre Lösung der Krise" spielen könne.99 Kommunisten müssten nicht nur sichtbar an Aktionen teilnehmen, sondern bereits an den Planungen inhaltlich und organisatorisch mitwirken. Die innerparteiliche Opposition lehnt eine solche Öffnung der DKP hingegen ab und fordert stattdessen eine Neubesinnung auf eine tradierte, unverfälschte Lehre des Marxismus-Leninismus, was mit der Forderung nach einer Avantgarderolle der Partei einhergeht. In diesem Sinne lehnte ihr Vertreter in der Parteiführung Köbele nach dem Parteitag in einem Interview mit 99 "Politische Resolution" - Beschluss des 19. Parteitags der DKP vom 10.Oktober 2010. 172 LINKSEXTREMISMUS der Tageszeitung "junge Welt"100 die "Politischen Thesen" des bisherigen Sekretariats entschieden ab, da sie zu einer Aufweichung der revolutionären Grundsätze der DKP führten. Die finanzielle Lage der Partei ist seit Jahren angespannt. Auch Schwierige 2010 rief die Partei ihre Mitglieder mehrfach dazu auf, den finanzielle Lage "Kampffonds" der DKP durch Spenden, Förderbeiträge, rückzahlbare Einlagen oder zinslose Darlehen zu stärken.101 2.2 Organisationen im Umfeld der DKP 2.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Der marxistisch-leninistisch orientierte Jugendverband SDAJ stagniert in seiner Mitgliederzahl bei etwa 300 Personen und bleibt, wenngleich er formal unabhängig ist, weiterhin eng mit der DKP verbunden. Im Jahr 2010 bildete das "antimilitaristische" Engagement mit Kampagne gegen einer Kampagne gegen die Bundeswehr unter dem Titel "Bundie Bundeswehr deswehrfreie Zone" einen Schwerpunkt der Arbeit des Jugendverbandes. Bereits zu Jahresbeginn 2010 gab der SDAJ-Vorsitzende Björn Schmidt das Ziel der Kampagne vor, indem er erklärte, man wolle perspektivisch die Akzeptanz der Bundeswehr untergraben. Eine Verpflichtung als Soldat bei der Bundeswehr verpflichte "zur Teilnahme an imperialistischen Kriegen, deren Ziel die Unterwerfung der Völker in Afghanistan und anderen Ländern ist". Gerade in der heutigen Zeit profitiere die Bundeswehr am meisten von der beruflichen Perspektivlosigkeit vieler Jugendlicher und sei ein echter Krisengewinner. Daher verknüpfe die SDAJ ihre Forderung "Bundeswehr raus aus Schulen und Arbeitsagenturen" mit der Forderung nach einem Ausbildungsplatzgesetz.102 100 jW Nr. 237 vom 11. Oktober 2010, S. 3. 101 Beilage zur UZ Nr. 30 vom 30. Juli 2010. 102 UZ Nr. 3 vom 22. Januar 2010, S. 2 (Interview). 173 LINKSEXTREMISMUS Die SDAJ organisierte diverse Störaktionen bei öffentlichen Bundeswehrauftritten, wie z.B. anlässlich der Euregio Wirtschaftsschau in Aachen oder der Berufsbildungsmesse in München. Überdies behinderte sie Informationsveranstaltungen der Bundeswehr an Gymnasien. Spannungen Der in der DKP feststellbare ideologische Richtungsstreit spieim Verhältnis gelt sich auch im Verhältnis der Partei zum Jugendverband SDAJ - DKP wider. Im Kern geht es um die Frage, ob sich die SDAJ die Position der DKP-Mehrheit zu eigen macht, die kommunistische Partei sei Teil "einer vielgestaltigen Bewegung gemeinsam mit vielen anderen gesellschaftlichen und politischen Kräften, die für ein friedliches, demokratisches, soziales, feministisches und ökologisches Europa kämpfen" (vgl. Kap. III, Nr. 2.1). Bislang steht die SDAJ solchen Positionen der DKP-Führung kritisch gegenüber. Der damalige DKP-Vorsitzende Stehr griff auf einer Tagung des Bundesvorstandes der SDAJ am 19. Juni 2010 diese ideologischen Differenzen mit dem Jugendverband auf. Er betonte, es gebe zwischen SDAJ und DKP ein "gewachsenes Vertrauensverhältnis" und ein "praktisches Verhältnis", das sich in gemeinsamen Aktionen ausdrücke. Aber es gebe auch "Widersprüche", an deren Auflösung man arbeiten müsse. Stehr führte weiter aus: "Die SDAJ hat in verschiedenen Dokumenten Positionen zu Fragen formuliert, die zumindest andere Akzente setzen als das DKP-Programm. Dies gilt für die Frage der Imperialismusanalyse und die Schlussfolgerungen für den antiimperialistischen Kampf heute (...). Zumindest aus einigen Äußerungen (...) durch SDAJ-Vertreter wissen wir, dass es zum Charakter der Partei und ihrer Verantwortung heute Vorstellungen gibt, die eine ausschließlich avantgardistische Funktion der kommunistischen Partei beschreiben. Wir sollten diese Konfliktfelder offen unter uns benennen und darüber diskutieren. Es wäre aus meiner Sicht gut, wenn die SDAJ sich zum Programm der DKP positionieren würde." (UZ Nr. 28/29 vom 16. Juli 2010, S. 16) 174 LINKSEXTREMISMUS 2.2.2 "Marx-Engels-Stiftung e. V." (MES) Die MES verfolgt gemäß ihrer Satzung das Ziel, "das wissenschaftliche Werk von Marx und Engels und seine geschichtliche Wirksamkeit zu erforschen". Dabei sollen anhand aktueller Fragen aus Wissenschaft, Politik und Gesellschaft die marxistischen Thesen erprobt und dialektisch weiterentwickelt werden. Unter dieser Maxime veranstaltete die MES zusammen mit der "Assoziation Marxistischer StudentInnen / Assoziation Marxistischer Studierender" (AMS) und der Tageszeitung "junge Welt" am 11. und 12. Juni 2010 in der Universität Jena (Thüringen) eine Tagung zum Thema "Marx 2010! - Tendenzen aktueller Marxismus-Beschäftigung". Vor dem Hintergrund der seinerzeit in mehreren Städten stattfindenden Lesekreise zum Hauptwerk von Karl Marx, "Das Kapital", sollte die Veranstaltung die Teilnehmer befähigen, sich in die laufenden Diskussionen einzubringen und einen Beitrag zur Anwendung marxistischen Denkens in der aktuellen Praxis der sozialen Kämpfe zu leisten.103 In einem Referat eines Vorstandsmitglieds der MES zum Thema "Arbeiterklasse/arbeitende Klasse in Deutschland - Überlegungen zur Marxschen Klassentheorie nach 160 Jahren Manifest" wird die Ausrichtung des Vereins deutlich. So heißt es dort: "Es geht um einen Kampf für solche Forderungen, die die verschiedenen Fraktionen der arbeitenden Klasse und der Arbeitslosen zusammenführen und an die Eigentumsund Machtfrage heranführen, um eine erneute Vereinigung der arbeitenden Klasse mit dem Marxismus. (...) Dies erfordert nicht (...) nur (...) die sozialen und politischen Folgen der kapitalistischen Produktionsweise zu bekämpfen, sondern eine neue Gesellschaft zu schaffen." (Homepage der MES, 23. November 2010) 103 Homepage der MES (23. April 2010). 175 LINKSEXTREMISMUS Der Verein, dessen Vorstandsmitglieder überwiegend der DKP angehören, finanziert sich aus Beiträgen seiner ca. 40 Mitglieder, die mehrheitlich der DKP oder anderen traditionell-linksextremistisch orientierten Zusammenschlüssen angehören, und aus Spendengeldern einer ca. 500 Personen starken Fördergesellschaft. 3. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz des Zentralkomitees: Gelsenkirchen (Nordrhein-Westfalen) Vorsitzender: Stefan Engel Mitglieder: 2.000 (2009: 2.000) Publikationen: "Rote Fahne" (RF) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: 8.000; "Lernen und Kämpfen" (LuK) (Mitgliedermagazin), mehrmals jährlich; "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "REBELL"), zweimonatlich; "Galileo" (Zeitung der Hochschulgruppen der MLPD), mehrmals jährlich Die MLPD hält seit ihrer Gründung im August 1982 unverändert an ihrer streng maoistisch-stalinistisch orientierten ideologischen Ausrichtung fest. Sie wird seit ihrer Gründung durch den Vorsitzenden Stefan Engel geführt. 176 LINKSEXTREMISMUS Die Partei sieht sich "als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse" in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monopolkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats.104 Die Lehren von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao Tsetung bilden ihrer Auffassung nach die entscheidende Grundlage für einen neuen Aufschwung des Kampfes für den Sozialismus. Die Führung der MLPD beschloss für das Jahr 2010 als "taktische "Kampagne zur Hauptaufgabe" eine "Kritik und Selbstkritikkampagne zur Jugendarbeit" marxistisch-leninistischen Jugendarbeit". Die Partei führte 15 kritisch-selbstkritische Konferenzen mit über 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern durch. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage der dialektischen Handhabung der drei "grundlegenden Wechselbeziehungen zwischen der Partei und dem Jugendverband "REBELL": Die ideologisch-politische Führung durch die Partei, die praktische Zusammenarbeit von Partei und Jugendverband und die Förderung der organisatorischen Selbständigkeit des "REBELL".105 Die beiden Jugendverbände "ROTFÜCHSE" und "REBELL" führJugendverbände ten vom 24. Juli bis zum 14. August 2010 ein dreiwöchiges Sommercamp in Truckenthal (Thüringen) durch, an dem mehrere Hundert Jugendliche teilnahmen. An einem "Waldfest" im Rahmen dieses Sommercamps beteiligten sich nach Angaben der RF rund 800 Personen.106 Am 6. Oktober 2010 wurde in Berlin auf maßgebliche Initiative Internationale der MLPD die "International Coordination of Revolutionary ParKoordination ties and Organizations" (ICOR) gegründet, ein "länderübergrei"revolutionärer fender Zusammenschluss revolutionärer Parteien". Der ParteiOrganisationen" zeitung zufolge wurde Stefan Engel als "Hauptkoordinator" in gegründet das Leitungsgremium "International Coordinating Committee" (ICC) gewählt.107 104 Statut der MLPD. 105 RF Nr. 20/2010 vom 21. Mai 2010, S. 10. 106 RF Nr. 31/2010 vom 6. August 2010, S. 21. 107 RF Nr. 41/2010 vom 15. Oktober 2010, S. 3. 177 LINKSEXTREMISMUS In einer Pressemitteilung vom 12. Oktober 2010 heißt es zum Gründungskongress: "Es ist deshalb von historischer Bedeutung, dass es am 6. Oktober 2010 gelang, nach drei Jahren intensiver Vorbereitung, an der sich an die 70 revolutionäre Organisationen und Parteien beteiligten, erstmals seit Jahrzehnten eine weltweite Organisation der revolutionären Kräfte -die ICORzu gründen." (RF Nr. 42/2010 vom 22. Oktober 2010, S. 6) An dem Gründungskongress sollen u.a. Vertreter kommunistischer Parteien aus Indien, der Schweiz, der Ukraine, aus Panama und dem Iran teilgenommen haben. In seiner Rede auf dem Gründungskongress führte Engel aus: "Der Kampf gegen das imperialistische Weltsystem macht den länderübergreifenden Zusammenschluss revolutionärer Parteien und Organisationen zu einer dringenden Notwendigkeit (...) Wie anders sollen sich die Menschen gegen die international koordinierten Aktivitäten der Monopole und Imperialisten zur Wehr setzen, wenn sie nicht selbst ihren Klassenkampf international koordinieren?" (RF Nr. 42/2010 vom 22. Oktober 2010, S. 7) 4. Trotzkisten Im Jahr 2010 waren in Deutschland wie im Vorjahr 20 internationale trotzkistische Dachverbände mit 28 Sektionen vertreten; die Zahl der Aktivisten blieb mit rund 1.600 unverändert. Strategie Trotzkisten versuchten auch im Jahr 2010 die Strategie des des Entrismus Entrismus anzuwenden. Dies bedeutet die gezielte Unterwanderung anderer, meist konkurrierender Parteien und Vereinigungen mit dem Ziel, dort Einfluss zu gewinnen und die eigene Ideologie zu verbreiten. 178 LINKSEXTREMISMUS Die aktivste Organisation ist das trotzkistische Netzwerk "marx21" "marx21" als deutsche Sektion des internationalen trotzkistischen Dachverbandes "International Socialist Tendency" (IST) mit Sitz in London. Bei den Mitgliedern des Netzwerkes "marx21" handelt es sich zum großen Teil um ehemalige Aktivisten der 2007 aufgelösten Vorgängerorganisation "Linksruck" (LR). Das Netzwerk "marx21" agiert insbesondere innerhalb des bundesweiten Zusammenschlusses "Sozialistische Linke" (SL, vgl. Kap. III, Nr. 1.2) und damit auch innerhalb der Partei "DIE LINKE.". Ehemalige LR-Mitglieder sind in herausgehobenen Funktionen in der Partei "DIE LINKE." tätig. Hervorzuheben sind die "marx21"-Mitglieder Janine Wissler, die dem Parteivorstand und Nicole Gohlke, die der Bundestagsfraktion angehört sowie Christine Buchholz als Mitglied von Parteivorstand und Bundestagsfraktion. Als publizistische Plattform dient dem Netzwerk das gleichnamige Magazin "marx21". Die Zahl der abonnierten Exemplare lag eigenen Angaben der Zeitschrift zufolge im Oktober 2010 bei etwa 750.108 Die in dem Magazin veröffentlichten Beiträge belegen die trotzkistische Ausrichtung des Netzwerkes. Darin wird u.a. die Systemüberwindung gefordert: "Daher ist der Aufbau einer Gegenmacht notwendig, aus deren Kampf um Verbesserungen im Kapitalismus eine qualitativ andere Macht entstehen kann - zur Überwindung des Kapitalismus. Ihre Grundlage wäre nicht die Herrschaft einer kleinen Elite über die Mehrheit, sondern die demokratische Selbstorganisation von Arbeiterinnen und Arbeitern und anderer unterdrückter Teile der Bevölkerung." (Homepage von "marx21", 17. März 2010) 108 "marx21" Nr.17, September/Oktober 2010, S. 61. 179 LINKSEXTREMISMUS "Sozialistische Die SAV hat nach eigenen Angaben rund 400 Mitglieder. Sie ist Alternative" (SAV) die deutsche Sektion des internationalen trotzkistischen Dachverbandes "Committee for a Worker's International" (CWI) mit Sitz in London und versteht sich gemäß ihrem Statut als "revolutionäre, sozialistische Organisation in der Tradition von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und Liebknecht". Am 1. September 2010 wurde den beiden SAV-Bundessprechern Lucy Redler und Sascha Stanicic der Eintritt in die Partei "DIE LINKE." gewährt, nachdem erste Aufnahmeanträge im Jahr 2009 durch die Bundesschiedskommission der Partei "DIE LINKE." abgelehnt worden waren.109 In einem Zeitungsinterview begründete der Sprecher des Berliner Landesverbandes der Partei "DIE LINKE." die Aufnahme der Trotzkisten damit, dass die SAV bei künftigen Wahlen nicht mehr gegen "DIE LINKE." antreten wolle und insofern keine Widerspruchsgründe gegen eine Aufnahme mehr vorlägen.110 Mit Blick auf den Programmentwurf der Partei "DIE LINKE." betont Stanicic den außerparlamentarischen Kampf: "DIE LINKE setzt auf die außerparlamentarische Mobilisierung für den Kampf um Verbesserungen (...). Dieser Kampf muss verbunden werden mit dem Kampf zur Abschaffung des Kapitalismus. Für Überführung aller Banken und Konzerne und Unternehmen, die Entlassungen vornehmen, in öffentliches Eigentum unter demokratischer Kontrolle und Verwaltung der arbeitenden Bevölkerung. (...) Linke in der LINKEN sollten für Veränderungen des Programmentwurfes in diese Richtung eintreten (...)." ("Solidarität" Nr. 90, Mai 2010, S.11) Sonstige Kleinere trotzkistische Zusammenschlüsse wie der "Revolutiotrotzkistische när Sozialistische Bund" (RSB/IV. Internationale), die "Gruppe Zusammenschlüsse Arbeitermacht" (GAM) oder die "internationale sozialistische Linke" (isL) sind weiterhin von nur marginaler Bedeutung. Wahr109 Beschluss der Bundesschiedskommission, Homepage der Partei "DIE LINKE." (20. Oktober 2009). 110 SPIEGEL ONLINE vom 2. September 2010. 180 LINKSEXTREMISMUS nehmbar sind sie häufig nur als Unterstützer diverser Aktionsbündnisse bei öffentlichen Sozialprotesten wie den Demonstrationen unter dem Motto "Wir zahlen nicht für eure Krise". Ausweislich der Darstellungen auf der Homepage des bundesweiten informellen Netzwerkes "Interventionistische Linke" (IL, vgl. Kap. II, Nr. 2) gehört die isL dem Netzwerk an. 5. "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung: 1975 Sitz: Göttingen (Niedersachsen) (Bundesgeschäftsstelle) Mitglieder: 5.400 (2009: 5.300) in 45 Ortsgruppen Publikation: "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Die RH versteht sich laut Satzung als eine "parteiunabhängige strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", deren Zweck darauf gerichtet ist, Solidarität für alle zu organisieren, die in der Bundesrepublik Deutschland "aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt werden". Die RH legt ihren Arbeitsschwerpunkt auf die Unterstützung von Straftätern aus dem "linken" Spektrum, die, so die RH, von "staatlicher Repression" betroffen seien. Den "Kampf gegen staatliche Repression" unterstützt die RH u.a. durch Gewährung von Beihilfen zu Prozesskosten und Geldstrafen. Publikationsorgan der RH ist die vierteljährlich erscheinende Zeitung "Die Rote Hilfe". Zum "Tag der politischen Gefangenen" am 18. März 2010 erschien, wie in den Vorjahren, eine Sonderausgabe der Publikation "DIE ROTE HILFE" als Beilage zur linksextremistischen Tageszeitung jW, (vgl. Kap. I, Nr. 3). Zur Begrün181 LINKSEXTREMISMUS dung für die Unterstützung der "politischen Gefangenen" heißt es dort: "In Zeiten sich verschärfender sozialer Konflikte setzt der kapitalistische Staat Repression verstärkt als Mittel zur Herrschaftsund Eigentumssicherung ein. In diesem Sinne müssen auch die Gefängnisse, in denen zum Großteil Menschen aus den unteren Schichten inhaftiert sind, als elementarer Bestandteil der Klassenjustiz begriffen werden. Umso wichtiger sind in diesen Zeiten starke, strömungsübergreifende und internationale Bündnisse und Netzwerke, die sich solidarisch aufeinander beziehen, Erfahrungen austauschen und auf staatliche Angriffe geschlossen reagieren können. Ein wichtiges Repressionsinstrument des Staates ist der Knast." (Sonderausgabe, "DIE ROTE HILFE", "18.03.2010 Tag der politischen Gefangenen", S. 1 f.) Im Zusammenhang mit dem aktuellen Verfahren gegen das ehemalige Mitglied der "Rote Armee Fraktion" (RAF) Verena Becker wegen des Mordes an Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seinen beiden Begleitern am 7. April 1977 rief die RH mit einem Flyer zu Spenden zur Unterstützung der von Beugehaft bedrohten früheren Terroristin auf. In dem Flyer heißt es: "Sobald Beugehaft angeordnet wird, muss der zurückgelassene Alltag der Inhaftierten organisiert werden. Es muss weiterhin die Wohnung der Betroffenen bezahlt werden, da über eine Haftentlassung ebenso willkürlich entschieden wird wie über eine Anordnung der Beugehaft. (...) Daneben müssen alle anderen Verpflichtungen der Betroffenen (...) übernommen werden." Mit der abschließenden Aussage, "die Bedrohung der Beugehaft ist für unsere Genossinnen akut", dokumentiert die RH erneut ihre Affinität zum gewaltbereiten Linksextremismus der RAFZeit. Ferner warb die RH im Vorfeld des Castortransports (5. bis 9. November 2010) von der Wiederaufarbeitungsanlage in 182 LINKSEXTREMISMUS La Hague (Frankreich) in das Zwischenlager Gorleben (Niedersachsen, vgl. Kap. IV, Nr. 4) um Spendengelder. In dem Aufruf heißt es: "Solidarität ist eine Waffe! Strafverfahren kosten Geld. Spendet auf das bundesweite Castor-Soli-Konto. Spendenkonto Rote Hilfe - Stichwort: Castor." IV. Aktionsfelder Linksextremisten engagieren sich seit Jahren vor allem in den Wertung Aktionsfeldern Antirepression, Antimilitarismus und Antifaund Ausblick schismus. Zudem versuchten linksextremistische Personenzusammenhänge sich weiterhin verstärkt in gesellschaftliche Protestbewegungen einzubringen, deren Unterstützer sie als Potenzial für ihre systemüberwindenden Ziele instrumentalisieren wollen. Diese Entwicklung dürfte auch weiterhin anhalten. 1. "Antirepression" Die Auseinandersetzung mit "staatlicher Repression" gehört zu Große Bedeutung den Kernbereichen linksextremistischer Agitation und Aktion. für LinksSeit dem G 8-Gipfel im Jahr 2007 in Heiligendamm extremisten (Mecklenburg-Vorpommern) hat das Aktionsfeld "Antirepression" für Linksextremisten - insbesondere im gewaltbereiten Spektrum - eine anhaltend große Bedeutung. Seit den Protesten gegen den NATO-Gipfel 2009 ist weiterhin ein hohes Aggressionsund Konfrontationsniveau festzustellen. Wenngleich die Solidaritätsarbeit für inhaftierte "Genossen und Solidarität mit Genossinnen" immer noch einen festen Bestandteil innerhalb inhaftierten linksder "Antirepressionsarbeit" darstellt, ist ein Bedeutungsverlust extremistischen dieses Aktionsfeldes auszumachen. Gewalttätern Ursächlich hierfür dürfte sein, dass nach der vorzeitigen Haftentlassung des ehemaligen RAF-Terroristen Christian Klar im Dezember 2008 und der Urteilsverkündung im Prozess gegen 183 LINKSEXTREMISMUS die "militante gruppe" (mg) im Oktober 2009111 derzeit nur wenige zentrale Akteure aus dem linksextremistischen bzw. terroristischen Spektrum inhaftiert sind. Im Zusammenhang mit neuerlichen Prozessen gegen ehemalige Mitglieder der "Rote Armee Fraktion" (RAF) wird betont: "Bei allen Unterschieden und Widersprüchen gegenüber Organisationsform und politischer Ausrichtung, müssen wir uns fragen, wie eine gemeinsame Antwort auf staatliche Repression zu finden ist. Seit kurzem laufen erneut Prozesse gegen ehemalige Mitglieder der RAF. Vordergründig geht es darum, individuelle Schuldzuweisungen zu bekommen." Die im Themenfeld "Antirepression" engagierten Personenzusammenschlüsse befassten sich in 2010 zudem vermehrt mit Strafverfahren im Bereich des Ausländerextremismus. Besondere Beachtung erfuhren daher die Verfahren nach SS 129b StGB gegen drei türkische Staatsbürger vor dem OLG Stuttgart wegen Mitgliedschaft in der terroristischen türkischen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C; vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus), Kap. I, Nr. 2.1). 111 Das Urteil - mehrjährige Freiheitsstrafen - gegen die Angeklagten ist noch nicht rechtskräftig, die Verteidigung legte Revision ein. 184 LINKSEXTREMISMUS Zur Bedeutung dieser Prozesse für die "radikale Linke" äußerte sich die "Rote Hilfe e.V." (RH; vgl. Kap. III, Nr. 5) wie folgt: "Wir müssen davon ausgehen, dass das, was jetzt an migrantischen Organisationen, Strukturen und Personen vorexerziert wird, danach zur Repressionskeule auch gegen andere linke Bewegungen wird. Mit den SS 129b-Prozessen (...) schaffen sich die deutschen Behörden einen Präzedenzfall nach dem anderen, um sich - gerade in Zeiten der Schwäche der radikalen Linken - gegen ein Aufkeimen neuer Kämpfe präventiv nach innen aufzurüsten." (Sonderausgabe der Publikation "DIE ROTE HILFE" zum 18. März 2010, Beilage in der "jungen Welt" (jW) vom 11. März 2010, S. 1) Auch im Spektrum klandestin operierender militanter ZusamKlandestine menhänge ist das Aktionsfeld "Antirepression" nach wie vor von Anschläge herausragender Bedeutung. Ziel der Militanz sind insbesondere Einrichtungen und Fahrzeuge von Polizei und Ordnungsämtern sowie sonstiger "Handlanger" und "Profiteure" des "Repressionsapparates" (wie etwa private Sicherheitsfirmen). Am 2./3. Februar 2010 fand in Berlin der "13. Europäische Polizeikongress" statt. Wie in den Jahren zuvor richteten sich die Proteste von Linksextremisten gegen eine "Ausweitung und Vertiefung der Zusammenarbeit europäischer Repressionsorgane". Im Aufruf zu einer Demonstration unter dem Motto "Full Spectrum Resistance!" am 2. Februar 2010 heißt es: "Emanzipatorische Bewegungen können es sich nicht erlauben, die Veränderung der Zusammenarbeit europäischer Verfolgungsbehörden zu verschlafen. Stattdessen müssen Möglichkeiten gesucht werden, die grenzüberschreitende Repression auch über Grenzen hinweg zu beantworten. (...) Um die Pfeiler europäischer Sicherheitsarchitekturen auch im eigenen Land einstürzen zu können, müssen ihre Akteure und Ausprägungen identifiziert werden." (Homepage von "euro-police.noblogs" (28. Januar 2010)) 185 LINKSEXTREMISMUS Während die Demonstration friedlich verlief, war es bereits im Vorfeld des Polizeikongresses zu Aktionen militanter Linksextremisten in Berlin gekommen. So verübten unbekannte Täter in der Nacht zum 29. Januar 2010 zwei Brandanschläge auf Firmenfahrzeuge eines Technologiekonzerns und beschädigten in der Nacht zum 1. Februar 2010 das Gebäude einer Firma für Sicherheitstechnik durch Steinwürfe und Farbschmierereien. Beide Firmen waren auf dem diesjährigen europäischen Polizeikongress als Aussteller vertreten. In den Taterklärungen stellten die Verfasser die Anschläge in einen entsprechenden Begründungszusammenhang. Proteste gegen die Neben dem Polizeikongress standen insbesondere die KonfeIMK in Hamburg renzen der Innenminister und -senatoren von Bund und Ländern in Hamburg im Fokus klandestiner Anschläge des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums. Im Vorfeld der Herbstkonferenz am 18./19. November 2010 kam es zu folgenden erwähnenswerten Anschlägen : # Am 11. Oktober 2010 verübten Unbekannte in Berlin einen Brandanschlag auf das Fahrzeug einer Firma für sicherheitstechnische Anlagen, das nahezu vollständig zerstört wurde. Aufgrund der Hitzeentwicklung wurden zwei weitere, in unmittelbarer Nähe abgestellte Fahrzeuge ebenfalls beschädigt. Zu der Tat bekannte sich im Internet eine Gruppe "no name militante". In einer Erklärung stellte sie einen Begründungszusammenhang zur IMK in Hamburg her und verwies auf die Notwendigkeit von "Angriffe(n) auf die weichen Ziele der Repressionsmaschine". Die betroffene Firma stehe exemplarisch für diesen "Repressionsapparat". # In den frühen Morgenstunden des 21. Oktober 2010 detonierte auf dem privaten Anwesen der Generalbundesanwältin ein pyrotechnischer Gegenstand. Ein zweiter Zündkörper explodierte nicht und konnte vor Ort sichergestellt werden. Darüber hinaus wurde am selben Tag das Kraftfahrzeug des Bundesvorsitzenden der Gewerkschaft der Polizei (GdP) beschädigt. Die Täter durchstachen die Reifen des Fahrzeugs, zerstörten Seitenund Heckscheiben und gossen blaue Farbe in den Fahrzeuginnenraum. In der Nacht zum 22. Oktober 2010 warfen Unbekannte zudem mit Farbe gefüllte Christbaumkugeln gegen die Fassade und die Eingangstür des Wohnhauses des damaligen Hamburger Innensenators. In 186 LINKSEXTREMISMUS einem Selbstbezichtigungsschreiben, das mit "autonome gruppen" gezeichnet war, wurde die Aktion mit der bevorstehenden IMK sowie der "staatlichen Repression" begründet: "Wenn sich im November die Akteure der sogenannten inneren Sicherheit treffen, wollen wir nicht nur zusehen, sondern schon jetzt unseren Teil für eine gelungene Veranstaltung beitragen." Im gewaltbereiten Segment des Linksextremismus ist seit einiZunehmende ger Zeit eine Verschärfung der Diktion feststellbar, die einherGewaltbereitschaft geht mit einer qualitativen Veränderung der Gewalt. Die Anschläge von linksextremistischen Tätern weisen z.T. eine signifikant erhöhte Aggressivität und Risikobereitschaft auf. Körperliche Angriffe auf "politische Gegner", d.h. auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten und Polizeibeamte, werden durchgängig befürwortet. Charakteristisch für die Absenkung der Gewaltschwelle sind folgende Beispiele: # Eine "bürgerinneninitiative gegen polizeigewalt" räumte im Berliner autonomen Szeneblatt "INTERIM" ein, man sei der Polizei zwar "militärisch unterlegen", es gebe aber andere Mittel: "wir kommen nachts und steinigen ihre Streifen." Die sozialen Brennpunkte Berlins müssten "zu Fallen für die Bullen werden".112 # Vor dem Hintergrund der Proteste zum "revolutionären 1. Mai 2010" hatten Unbekannte, ebenfalls in der "INTERIM", eine Anleitung zum Bau von Molotowcocktails veröffentlicht. Bereits im Vorjahr 2009 war bei Ausschreitungen zum damaligen "revolutionären 1. Mai" in Berlin eine Passantin durch einen Molotowcocktail verletzt worden, der Polizisten treffen 112 "INTERIM" Nr. 703 vom 15. Januar 2010, S.9. 187 LINKSEXTREMISMUS sollte. Vor diesem Hintergrund wird nunmehr zu einem gezielten Einsatz von Molotowcocktails gegen Polizeibeamte aufgerufen: "Wollen wir mit dieser kurzen Anleitung noch mal zeigen, wie ihr die Teile so sicher baut, dass ihr beim Werfen dadurch nicht Unbeteiligte oder euch selbst schadet und wir in diesem Jahr so schöne Bilder wie in Griechenland bekommen." ("INTERIM" Nr. 708 vom 16. April 2010, S.6) 2. "Antimilitarismus" Weiter im Das Aktionsfeld "Antimilitarismus" stand auch 2010 im Fokus der Fokus von politischen Arbeit von Linksextremisten. Allerdings war das Linksextremisten Aktionsniveau im Vergleich zu den beiden Vorjahren, die durch die Mobilisierung gegen den von Deutschland und Frankreich gemeinsam ausgerichteten NATO-Gipfel anlässlich des 60-jährigen Bestehens der Verteidigungsgemeinschaft Anfang April 2009 geprägt waren, erkennbar geringer. Ebenso gingen die Teilnehmerzahlen der entsprechenden Aktionen insgesamt zurück. Nach wie vor stehen die Auslandseinsätze der Bundeswehr, insbesondere in Afghanistan, im Mittelpunkt antimilitaristischer Kritik. Damit einher geht die Ablehnung der NATO und ihre Einsätze in Krisengebieten. An einer Großdemonstration unter dem Motto "Aktiv werden gegen NATO-Kriegspolitik!" am 6. Februar 2010 in München gegen die "46. Münchner Konferenz für Sicherheitspolitik" beteiligten sich rund 2.200 Personen, darunter zahlreiche Linksextremisten und ein sogenannter Schwarzer Block mit bis zu 450 Teilnehmern. Die im Vergleich zum Vorjahr geringeren Teilnehmerzahlen wurden in einer Nachbereitung von Autonomen als "Schwäche der Mobilisierung" gewertet. Feststellbar sei ein zunehmendes Desinteresse "der linken Szene" und anderer potenzieller Demobesucher an antimilitaristischen Themen.113 113 Homepage von "Autonome SiKo Nachbereitung" (22. Februar 2010). 188 LINKSEXTREMISMUS Die Ende des Jahres 2008 initiierte militante Kampagne "DHL - Fortsetzung olivgrün unter postgelbem Tarnanstrich" gegen den Logistikder miltanten dienstleister DHL und die Deutsche Post wurde im Jahr 2010 fortDHL-Kampagne gesetzt, wenn auch mit deutlich verminderter Intensität. Ziel der Kampagne ist es, die sogenannte zivilmilitärische Zusammenarbeit privater Unternehmen mit der Bundeswehr anzuprangern. Mitte April 2010 wurde im Internet114 eine 34-seitige Broschüre über die militante Kampagne gegen DHL - in linksextremistischer Diktion "Deutsche Heeres Logistik" - und Deutsche Post AG eingestellt, in der die unbekannten Verfasser fordern, die Ende Oktober 2008 initiierte Kampagne fortzusetzen. So heißt es, nach über einem Jahr ungewöhnlich offensiver Aktivitäten gegen den "Kriegslogistiker" habe dieser seine Bewerbung für das umfangreichste Privatisierungsvorhaben der Bundeswehr zurückgezogen. Da das Kampagnenziel aber nach wie vor "vollständiger Rückzug aus der Kriegslogistik" laute, dürfe dieser "Rückzieher" nur als erstes Etappenziel gefeiert werden. Es gebe nach wie vor "gute Gründe, die Deutsche Post DHL weiter zu behelligen". Die "Imagebeschmutzungskampagne" müsse offensiv fortgeführt werden. Für den Auftakt zur zweiten Runde biete die Jahreshauptversammlung der Deutschen Post DHL am 28. April 2010 in Frankfurt am Main eine gute Gelegenheit.115 Weiterhin ziehen die Verfasser ein positives Fazit der bisherigen Kampagne, mit der es gelungen sei, die "zivilmilitärische Zusammenarbeit exemplarisch (be-)greifbar und angreifbar zu machen". Diese habe nicht nur eine ökonomische Dimension, sondern ziele auch auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Der "klare, militante Standpunkt" der Kampagne wird von den Autoren als "absolut notwendig" bezeichnet. In diesem Sinne enthält die Broschüre neben einer "Widerstandschronik" eine Darstellung der zivilmilitärischen Zusammenarbeit und erwähnt in diesem Kontext exemplarisch einzelne Firmen. 114 Homepage von "indymedia" (14. April 2010). 115 Ursprünglich sollte die Ende 2008 initiierte Kampagne nur bis zur Jahreshauptversammlung im April 2010 geführt werden. 189 LINKSEXTREMISMUS Neben drei Brandanschlägen auf Fahrzeuge der DHL und der Deutschen Post in 2010 begingen mutmaßliche Linksextremisten z.T. erhebliche Sachbeschädigungen an Einrichtungen von DHL und Deutsche Post. # Unbekannte Täter verübten am 18. April 2010, im Vorfeld der Jahreshauptversammlung der Deutschen Post/DHL, einen Brandanschlag auf den Fuhrpark der Deutschen Post in Drensteinfurt (Nordrhein-Westfalen). Dabei wurden acht Fahrzeuge vollständig zerstört, vier weitere beschädigt. Es entstand ein Sachschaden von über 150.000 Euro. In einer im Internet veröffentlichten Taterklärung, unterzeichnet mit "Friedfertige PhilatelistInnen und antimilitaristische AktivistInnen", erklären die Verfasser: "Uns eint auch die Überzeugung, dass es nicht nur legitim, sondern notwendig ist, den Rahmen des legalen Protestes gelegentlich zu verlassen, um diese Welt ohne Krieg und Ausbeutung Wirklichkeit werden zu lassen." # Unbekannte Täter zerstachen in der Nacht zum 22. April 2010 in Brandenburg an der Havel (Brandenburg) insgesamt 56 Reifen an 24 Fahrzeugen der DHL. In der Taterklärung wurde eine "Unternehmensstrategie 'Zivile Post 2011'" gefordert, ein kompletter "Ausstieg aus dem Kriegsgeschäft". # In der Zeit vom 24. bis 26. August 2010 verübten Unbekannte umfangreiche Farbschmierereien an Packstationen in Aachen, Köln, Wuppertal (alle Nordrhein-Westfalen), Berlin und Tübingen (Baden-Württemberg). # In Berlin-Neukölln wurde in der Nacht zum 15. September 2010 ein DHL-Transporter in Brand gesetzt. In der im Internet veröffentlichten Taterklärung heißt es: "Damit tragen wir einen Bruchteil der Kriege, die die Bundeswehr führt, zurück in die Stadt. DHL ist Teil der deutschen Kriegsführung in Afghanistan." 190 LINKSEXTREMISMUS Auch die Bundeswehr stand im Jahr 2010 im Fokus militanter Militante Linksextremisten. Aktionen gegen die Bundeswehr Hervorzuheben sind folgende Aktionen: # Am 10. Mai 2010 setzten unbekannte Täter das Fahrzeug eines bekannten Eiskunstläufers in Berlin in Brand und begründeten dies in der Taterklärung mit dessen "Propagandaaktivitäten für die Bundeswehr" als "Teil der Bundeswehr Sport Fördergruppe". # Elf vermummte Personen attackierten am 19. Mai 2010 einen Infostand der Bundeswehr im Rahmen einer Ausbildungsplatzbörse in Löhne (Nordrhein-Westfalen) massiv mit Farbe. Dabei wurde ein Angehöriger der Bundeswehr mit Reizgas angegriffen. Es entstand ein Sachschaden von ca. 20.000 Euro. In einer Taterklärung heißt es, der Anschlag sei eine Antwort auf das "Massaker" der Bundeswehr am 4. September 2009 in Kunduz (Afghanistan) und auf die Rekrutierungsoffensive der Bundeswehr an Schulen. # Am 29. und 30. August 2010 beschädigten Unbekannte in einer mutmaßlich koordinierten Aktion die Wohnhäuser dreier Mitglieder des Deutschen Bundestages in Hamburg, Kiel und Berlin durch Farbwürfe. In der Erklärung einer "AG 'Arschkarte für die Taschenkarte'" werden Parlamentarier als Rüstungslobbyisten und Waffenbeschaffer für die Bundeswehr diffamiert. Zudem wird die Tat in einen Begründungszusammenhang mit der militärischen Operation der Bundeswehr am 4. September 2009 in Kunduz gestellt. # In der Nacht zum 6. September 2010 setzten unbekannte Täter in Hamburg vier Fahrzeuge in Brand, darunter ein Fahrzeug der Bundeswehr. Drei weitere Fahrzeuge wurden dabei beschädigt. In der Taterklärung der Gruppe "Rebels of Engagement" nehmen die Verfasser wiederum auf den als "Massaker in Kunduz" bezeichneten Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan Bezug und betonen, für deutsche Interessen würden "Menschen unterdrückt, vergewaltigt und ermordet". Das Schreiben endet mit der Aufforderung: "Kriegstreiber-innen, Kriegsbefürworter-innen und Kriegsdurchführer-innen das Handwerk legen! Für eine herrschaftsfreie Welt ohne Unterdrückung, Ausbeutung und Krieg!" 191 LINKSEXTREMISMUS Darüber hinaus verurteilen Linksextremisten eine Militarisierung der Gesellschaft durch Gelöbnisfeiern sowie Militärmusikveranstaltungen und wenden sich aktiv gegen die Nachwuchswerbung der Bundeswehr in Arbeitsagenturen oder Schulen. In einem im Internet eingestellten Aufruf heißt es beispielsweise: "Keine Ruhe der Bundeswehr bei ihren Werbeveranstaltungen an Schulen, Unis, Arbeitsagenturen, bei ihren Feiern, Gelöbnissen, Gottesdiensten und auch nicht zu Hause, es gibt kein ruhiges Hinterland!" Die alljährlich Anfang August stattfindende Veranstaltung der 1. Panzerdivision in Hannover, das sogenannte Sommerbiwak, wurde von demonstrativen und militanten Aktionen begleitet: # Bereits im Vorfeld verübten militante Antimilitaristen, mutmaßlich aus dem linksextremistischen Spektrum, am 22. Juni 2010 einen Brandanschlag auf den "Rosenpavillon" im Stadtpark von Hannover, der während des Sommerbiwaks genutzt werden sollte. Am 14. Juli 2010 kam es zu Sachbeschädigungen an vier Filialen der Commerzbank in Hannover, Celle und Hamburg. Am 7. August 2010 wurde in Hannover ein Brandanschlag auf ein Fahrzeug der Bundespolizei und eine Sachbeschädigung an einer Polizeistation verübt. Am 14. Juli 2010 ging bei einer Tageszeitung per E-Mail eine kurze Taterklärung ohne Gruppenbezeichnung zu den Anschlägen in Hannover ein, in der eine Verknüpfung zwischen Kapitalismus, Finanzkrise und Militäreinsätzen im Ausland hergestellt wird. Zudem heißt es, die Commerzbank arbeite "fleißig mit an der Absicherung dieser Wirtschaftsweise durch das Militär". # In Hamburg wurde am 5. August 2010 ein Mehrfamilienhaus, in dem u.a. der Leiter des Bezirksamtes Hamburg-Eimsbüttel wohnt, mit Steinen und Farbe angegriffen. In einer Taterklärung beziehen sich die unbekannten Verfasser auf den Rang des Bezirksamtsleiters als Oberstleutnant der Reserve und stellen ihre Tat in einen direkten Zusammenhang mit dem Flyer "Feinderkennung. Eine Gebrauchsanweisung für den Alltag" aus dem Jahr 2009, in dem offen zu körperlichen Angriffen gegen Bundeswehrangehörige aufgerufen wird. 192 LINKSEXTREMISMUS 3. "Antifaschismus" Die "Antifaschismus-Arbeit" gehört seit jeher zu den KernaktiviKernaktivität von täten von Linksextremisten. Die Aktivitäten richten sich nur vorLinksextremisten dergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen. Ziel ist vielmehr der Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung als "kapitalistisches System", um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des "Faschismus" zu beseitigen. Dazu erklären mutmaßliche Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene im Internet: "Antifaschismus, will er denn erfolgreich sein, darf deswegen kein reiner Abwehrkampf sein und muss sich auch gegen die gesellschaftlichen Ursachen richten: Er muss ums Ganze gehen. Weiterhin gilt es deshalb sowohl zu versuchen den Normalbetrieb der kapitalistischen Zustände zum endgültigen Stolpern zu bringen als auch seine übelsten Auswüchse, die Nazis zu bekämpfen. Staat, Nation, Kapital, Scheiße." In einem "Aufruf-Entwurf" von Linksextremisten, zu einer Demonstration am 1. Mai 2010 in Hamburg wird diese Einstellung bekräftigt: "Nationalismus und Rassismus entstammen der kapitalistischen Gesellschaft, genießen staatlichen Schutz. Solange es den Kapitalismus gibt, bleibt dieses System der willige Nährboden für das braune Pack. So wichtig unser Widerstand gegen die Nazis ist, so wenig sehen wir ein, nur noch auf sie zu reagieren, und ihren kapitalistischen Nährboden, seine staatliche Schutzmacht ungeschoren zu lassen." (Internetplattform "indymedia", 30. März 2010) Die Aktivitäten traditioneller autonomer Antifagruppen hingegen richteten sich in erster Linie gegen tatsächliche oder vermeintliche "Faschisten" sowie deren Einrichtungen und Strukturen. Im Mittelpunkt steht dabei die direkte Konfrontation mit 193 LINKSEXTREMISMUS dem politischen Gegner auf der Straße. "Antifaschisten" wollen durch Massenmilitanz oder Kleingruppentaktik rechtsextremistische Aufmärsche verhindern, zumindest aber deren Verlauf erheblich stören. Ein direktes Aufeinandertreffen von Linksund Rechtsextremisten konnte oftmals nur aufgrund hoher Polizeipräsenz und entsprechender polizeilicher Maßnahmen verhindert werden. Kam es dennoch zu Gewaltaktionen, dann richteten diese sich auch gegen die Polizei. Typische militante Aktionen von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten: # Am 13. Februar 2010 beteiligten sich in Dresden (Sachsen) bis zu 3.000 gewaltbereite Linksextremisten an einer Demonstration von insgesamt rund 9.500 Personen gegen einen Aufmarsch der rechtsextremistischen "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) aus Anlass des 65. Jahrestags der Bombardierung der Stadt. Den Gegendemonstranten gelang es, durch Sitzblockaden, Straßensperrungen und Barrikaden sowohl die genehmigte Demonstrationsstrecke als auch eine Alternativstrecke zu blockieren. Im Dresdner Stadtgebiet kam es den ganzen Tag über zu Auseinandersetzungen zwischen den extremistischen Lagern sowie der Polizei, am "linken" Szenetreffpunkt "Alternatives Zentrum Conni" standen sich beispielsweise rund 200 Rechtsund Linksextremisten gegenüber. Bereits in den Morgenstunden hatten unbekannte Täter den Dachstuhl eines leerstehenden Wohnhauses sowie einen Verteilerkasten der Deutschen Bahn AG angezündet. Gewaltbereite Linksextremisten blockierten mehrere Straßenzüge, besetzten Bahngleise und errichteten z.T. brennende Barrikaden. Zudem überrannten rund 300 Linksextremisten eine Polizeikette. Insgesamt wurden 31 Polizeibeamte verletzt. 194 LINKSEXTREMISMUS In einer Stellungnahme zum Verlauf der Proteste hebt die der gewaltbereiten linksextremistischen Szene zuzuordnende "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB) die richtungsweisende Wirkung der Blockaden hervor und führt aus: "Die Erfahrung, dass ganz unterschiedliche Menschen nach Dresden fuhren und massenhaft zivilen Ungehorsam praktizierten, hat die Ausgangslage für autonome Antifa-Gruppen in der gesamten Bundesrepublik erheblich verbessert." ("Antifaschistisches Info Blatt", Nr. 87/Sommer 2010, S. 31) # In Dortmund beteiligten sich am 4. September 2010 mehrere Hundert Personen aus dem gewaltbereiten linksextremistischen Spektrum an Ausschreitungen gegen eine von Rechtsextremisten organisierte Demonstration zum "Nationalen Antikriegstag". Dabei griffen Linksextremisten ein mit belgischen Rechtsextremisten besetztes Fahrzeug an; mehrere Insassen wurden verletzt. Die Besatzung eines Rettungswagens, die den Verletzten helfen wollte, wurde ebenfalls angegriffen. Zudem kam es aus einer Demonstration von 500 bis 800 Personen, die sich aus einer Blockadeaktion entwikkelte, zu vereinzelten Flaschenwürfen auf die Polizei. Insgesamt wurden 131 Personen des linksextremistischen Spektrums in Gewahrsam genommen. In einem "ersten Fazit" zeigte sich die Szene zufrieden mit ihren Aktionen: "Das Ziel der Nazis, einen Aufmarsch durch die Dortmunder Nordstadt zu veranstalten, haben wir mit unseren Blockaden erfolgreich durchkreuzt. Auch die Tatsache, dass anreisende Nazis nicht mehr zu ihrer Kundgebung durchkamen, ist unserem Widerstand zu verdanken." (Internetplattform "indymedia", 7. September 2010) # Am 20. November 2010 beteiligten sich in Berlin rund 2.500 - z.T. vermummte - Personen an einer "Silvio-Meier-Gedenkdemonstration" unter dem Motto "Kampf den Nazis! Kampf dem Staat! Gemeinsam für eine Gesellschaft ohne Rassismus 195 LINKSEXTREMISMUS und Unterdrückung". Es kam zu mehreren Sachbeschädigungen an abgestellten Fahrzeugen und zum Abbrennen von Pyrotechnik. An verschiedenen Stellen der Demonstrationsstrecke befanden sich Personen auf den Hausdächern und bekundeten u.a. durch das Zünden von Feuerwerkskörpern ihre Solidarität. Aus einer etwa 300 Personen umfassenden Gruppe kam es vereinzelt zu Flaschenund Steinwürfen auf Polizeikräfte. Insgesamt wurden sieben Polizeibeamte verletzt. In einem vorab im Internet veröffentlichen Aufruf betonten die Verfasser: "Jeder konsequente Widerstand gegen Nazis stößt früher oder später auf den deutschen Staat. Bei jedem Naziaufmarsch sehen sich Antifaschist_innen der Polizei gegenüber. (...) Unser Kampf kann langfristig nur erfolgreich sein, wenn wir ihn gemeinsam führen (...) Es gilt, den antifaschistischen Kampf mit dem Kampf gegen den Staat zu verbinden, ihn auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen und offensiv zu führen." Einen weiteren Schwerpunkt linksextremistischer "Antifaschismusarbeit" bildet nach wie vor das Aufdecken rechtsextremistischer Strukturen und Aktivitäten sowie das "Outen" tatsächlicher oder vermeintlicher Angehöriger der rechtsextremistischen Szene. Im Rahmen sogenannter Recherchearbeit werden Informationen über Funktionäre, Schulungseinrichtungen, Trefflokale oder andere logistische Einrichtungen gesammelt, um sie in Szenepublikationen oder im Internet zu veröffentlichen. Zudem wird verstärkt versucht, auch durch "HackingAngriffe" auf Internetpräsenzen von Rechtsextremisten an entsprechende Informationen zu gelangen. Die Recherchearbeit dient somit auch zur Vorbereitung militanter Aktionen gegen "Faschisten". 196 LINKSEXTREMISMUS So schreiben Szeneangehörige auf einer eigens zur Veröffentlichung von Rechercheergebnissen eingerichteten Homepage: "Wir sind der Meinung das Outing-Aktionen einen sinnvollen Bestandteil Antifaschistischer Arbeit darstellen. Sie führen für geoutete Personen eventuell zu Problemen am Arbeitsplatz, in der Schule oder in der Nachbarschaft und geben anderen Menschen die Möglichkeit vor Ort aktiv zu werden." (Homepage "recherche-mittelhessen", 20. Mai 2010) Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene scheuten auch nicht vor direkten körperlichen Angriffen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten zurück. Dazu einige Beispiele: # Am 29. Januar 2010 attackierten zwölf Vermummte in Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) mit Schlägen und Tritten drei Personen, die Kleidung einer für Rechtsextremisten typischen Marke trugen. Wenige Stunden später griffen an gleicher Stelle etwa 20 Unbekannte eine Gruppe von zehn Personen an, die nach Polizeiangaben dem rechtsextremistischen Spektrum zuzuordnen waren. Dabei wurden drei Personen erheblich verletzt, einer von ihnen musste stationär behandelt werden. # Nach einer Veranstaltung der NPD am 17. Juli 2010 in Hamburg wurden drei Personen des rechtsextremistischen Spektrums am U-Bahnhof Farmsen von einer zehn Personen starken Gruppe mutmaßlicher Angehöriger der gewaltbereiten linksextremistischen Szene angegriffen, geschlagen und mit Flaschen beworfen. Am U-Bahnhof Berne überfielen rund 40 Gewaltbereite, ausgerüstet u.a. mit Metallstangen und Steinen, drei Personen, die Fahrzeuge von Teilnehmern der NPD-Veranstaltung bewachten. Dabei wurden eine Person schwer verletzt, zwei Fahrzeuge beschädigt sowie die Scheiben einer angrenzenden Tankstelle zerstört. # In Frankfurt am Main wurden am 27. September 2010 fünf Personen nach Verlassen einer Veranstaltung des Frankfurter Kreisverbandes der NPD von einer bis zu 15 Personen zählenden Gruppe mutmaßlich gewaltbereiter Linksextremisten angegriffen. Die vermummten Angreifer setzten Reizgas und 197 LINKSEXTREMISMUS einen pyrotechnischen Gegenstand ein. Zudem wurden die Opfer mit Schlägen und Tritten verletzt. Eine Person musste im Krankenhaus behandelt werden. 4. Sonstige erwähnenswerte Aktionsfelder Linksextremisten Linksextremisten versuchen seit jeher durch die Teilnahme an greifen in sozialpolitischen Auseinandersetzungen, im kommunistischen sozialpolitische Sprachgebrauch "Ökonomischer Kampf", Zuspruch für ihre Auseinanderletztlich systemüberwindenden Ziele zu erhalten. Dementspresetzungen ein chend beteiligten sich Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung im Jahr 2010 an der Protestreihe "Wir zahlen nicht für Eure Krise", die von einem gleichnamigen Bündnis getragen wurde, dem überwiegend demokratische Organisationen angehören. Den Schwerpunkt bildeten Demonstrationen am 12. Juni 2010 in Berlin und Stuttgart: # Im Rahmen der Demonstration "Die Krise heißt Kapitalismus - Banken und Konzerne sollen zahlen" in Berlin beteiligten sich rund 450 Personen an dem von Autonomen organisierten "antikapitalistischen" Block. Insgesamt zählte die Polizei etwa 10.000 Teilnehmer. Während des Aufzugs kam es aus dem Block zu Steinwürfen auf Polizeieinsatzkräfte. Zudem wurde Pyrotechnik abgebrannt; bei der Explosion einer Sprengvorrichtung in unmittelbarer Nähe von Polizeibeamten wurden 15 Beamte verletzt, zwei mussten stationär im Krankenhaus behandelt werden. # Bei der Demonstration unter dem Motto "Nicht auf unserem Rücken - Wir zahlen nicht für eure Krise!" in Stuttgart bildeten rund 150 Personen einen "revolutionären" Block unter insgesamt rund 7.000 Demonstrationsteilnehmern. Aus diesem Block heraus wurden Knallkörper und sogenannte Bengalos gezündet sowie Farbbeutel geworfen. Während der Abschlusskundgebung schleuderten Angehörige des "revolutionären" Blocks Eier, Flaschen und Latten auf die Rednertribüne; rund 100 Personen versuchten, die Tribüne zu stürmen. Zwei Personen wurden festgenommen. 198 LINKSEXTREMISMUS Linksextremisten sind in der "Anti-AKW-Bewegung" deutlich in Beteiligung an der Minderheit. Gleichwohl waren gewaltbereite LinksextremisProtestaktionen ten auch an den Protesten gegen den 12. Castor-Transport vom gegen den 5. bis zum 9. November 2010 von der Wiederaufarbeitungsan12. Castor-Transport lage (WAA) in La Hague (Frankreich) in das niedersächsische nach Gorleben Transport-Behälter-Zwischenlager (TBL) Gorleben beteiligt. Während sich an Protestaktionen gegen den 11. Castor-Transport im Jahr 2008 nur rund 150 gewaltbereite Linksextremisten unter den insgesamt 10.000 Protestteilnehmern befunden hatten, stieg die Gesamtzahl in diesem Jahr auf rund 300 Gewaltbereite bei rund 25.000 Protestteilnehmern (überwiegend aus dem demokratischen Spektrum) an. Eine Gruppe von etwa 100 Autonomen kesselte während der Großdemonstration am 6. November 2010 im niedersächsischen Dannenberg hinter der Rednerbühne kurzzeitig etwa 30 Polizeibeamte ein; diesen gelang es jedoch, sich selbst zu befreien. Im Anschluss an die Auftaktkundgebung versuchten bis zu 300 vermummte Personen, eine Landstraße in der Nähe der Ortschaft Splietau (Niedersachsen) zu unterhöhlen. Die vor Ort eingesetzten Polizeikräfte wurden mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen sowie mit angespitzten Holzstangen angegriffen. Am 7. November 2010 attackierten unbekannte Täter im Waldgebiet bei Leitstade (Niedersachsen) zwei gepanzerte Kfz der Polizei. Nachdem die Fahrzeuge gestoppt worden waren, kletterte eine Gruppe auf die Fahrzeuge und schüttete eine in Flaschen abgefüllte Flüssigkeit aus. Anschließend beschossen die Täter die Fahrzeuge mit Signalmunition sowie Feuerwerkskörpern. Mit Steinwürfen hinderten sie die im Fahrzeug befindlichen Beamten am Verlassen des Fahrzeugs. Ein Kfz geriet in Brand. Den Schwerpunkt der linksextremistisch beeinflussten Aktivitäten bildete die Kampagne "Castor? Schottern!", die zum Ziel hatte, die Transportstrecke durch Entfernen der Steine aus dem Gleisbett unbefahrbar zu machen. Den Organisatoren der Kampagne gelang es, bis zu 7.000 - überwiegend nichtextremistische - Protestteilnehmer für diese Aktionsform zu mobilisieren. 199 LINKSEXTREMISMUS Daneben beteiligten sich u.a. auch die linksextremistischen Gruppierungen "Interventionistische Linke" (IL, vgl. Kap. II, Nr. 2.1) und "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" (vgl. Kap. II, Nr. 2.2) an dieser Kampagne. Die regionale, linksextremistisch beeinflusste Gruppierung "WiderSetzen" führte auf den Gleisen bei Hitzacker eine Sitzblockade durch. Polizeiangaben zufolge blockierten rund 3.000 Personen etwa 1.300 Meter Schienenstrecke. Teilweise hatten sich die Teilnehmer untereinander angekettet und Barrikaden aus Baumstämmen errichtet. Wie auch bei den vorangegangenen Transporten kam es sowohl im Vorfeld als auch während des 12. Castor-Transportes zu vereinzelten Anschlägen auf Einrichtungen und Fahrzeuge der Deutschen Bahn AG, Energieunternehmen und der Polizei. In entsprechenden Taterklärungen verwiesen die mutmaßlich linksextremistischen Täter darauf, dass die Deutsche Bahn AG und die Polizei für die Castor-Transporte verantwortlich seien. Tatsächlich stellt die "Anti-AKW-Bewegung" kein originäres linksextremistisches Aktionsfeld dar und ist insofern für Linksextremisten von nachrangiger Bedeutung. 200 Islamismus / islamistischer Terrorismus 201 Islamismus / islamistischer Terrorismus I. Überblick 1. Entwicklungen im Islamismus / islamistischen Terrorismus Deutschland liegt weiterhin im Fokus islamistisch-terroristischer Gruppierungen. Die hohe Dichte von Anschlagshinweisen und deren Qualität zeigen, dass die Gefährdung deutscher Interessen im Inund Ausland auf hohem Niveau fortbesteht. Zwar waren im Jahr 2010 in den Veröffentlichungen "jihadistischer" Gruppierungen im Internet konkrete Drohungen gegen Deutschland oder deutsche Interessen im Ausland kaum noch zu finden und die Propaganda von Kern-"al-Qaida" enthielt nur vereinzelt unmittelbare Deutschlandbezüge. Stattdessen wurden jedoch vermehrt Botschaften verbreitet, in denen auch in deutscher Sprache für die Teilnahme am gewaltsamen "Jihad" in Afghanistan / Pakistan geworben wurde. Seit Mitte des Jahres 2010 verzeichneten die Sicherheitsbehörden des Bundes wiederholt Hinweise, wonach "al-Qaida" plane, Anschläge in den USA, in Europa und auch in Deutschland zu begehen. Zum Jahreswechsel 2010 / 2011 gingen die Sicherheitsbehörden für das Gebiet der Bundesrepublik weiterhin von einer intensiven Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus aus. Die Beteiligung Deutschlands am Kampf gegen den islamistischen Terrorismus - insbesondere das Engagement der Bundeswehr in Afghanistan - wird als Rechtfertigung für die Aktivitäten islamistisch-terroristischer Gruppierungen angeführt. Die Bedeutung Afghanistans als Schauplatz des islamistischen Terrorismus blieb auch im Jahr 2010 hoch. Bei Kämpfen und terroristischen Angriffen, insbesondere durch die "Taleban", wurde eine Vielzahl von Menschen getötet, darunter auch Angehörige der Bundeswehr. In der Berichtszeit konnten wieder Reisebewegungen von Personen aus dem islamistischen Spektrum in Deutschland in Richtung Afghanistan bzw. Pakistan festgestellt werden. Einige dieser 202 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Personen stehen im Verdacht, im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet eine terroristische Ausbildung durchlaufen zu wollen oder bereits absolviert zu haben. Insbesondere von diesem Personenkreis können, bei einer erneuten Einreise nach Deutschland, sicherheitsgefährdende Aktivitäten drohen. Das islamistisch-terroristische Spektrum in Deutschland reicht von Gruppierungen, die über enge Beziehungen zu islamistischen Organisationen im Ausland verfügen, bis hin zu unabhängigen Kleinstgruppen oder selbstmotivierten Einzeltätern. Eine organisatorische Anbindung an "al-Qaida" ist in den wenigsten Fällen gegeben. Besondere Bedeutung kommt Netzwerken oder losen Personenzusammenschlüssen zu, die sich aus radikalisierten Personen der zweiten und dritten Einwanderergeneration und aus radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Obwohl die Personen, die zu diesem Spektrum gehören, zumeist in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen sind, stehen sie aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist die Ausrichtung im Sinne der pan-islamischen "al-Qaida"-Ideologie (vgl. Kap. II, Nr. 2.1). Islamistische Organisationen, die zwar in Deutschland nicht terroristisch agieren, Gewalt aber als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele befürworten, stellen ebenfalls eine Gefahr für die innere Sicherheit dar. Diese Organisationen streben an, die in ihren Herkunftsländern bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen durch ein an der islamischen Rechtsordnung (Scharia) ausgerichtetes Staatswesen zu ersetzen. Dies gilt beispielsweise für die "Hizb ut-Tahrir" (HuT - "Partei der Befreiung"), die in Deutschland einem Betätigungsverbot unterliegt, da sie sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und Gewalt als legitimes Mittel zur Erreichung ihrer Ziele betrachtet (vgl. Kap. III, Nr. 1.2). Auch die libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") sowie die palästinensische "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) 203 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS sind diesem Spektrum zuzurechnen. Beide Organisationen wenden sich gewaltsam gegen den Staat Israel, dessen Existenzrecht sie negieren. Ihre Anhänger in Deutschland halten sich derzeit weitgehend mit öffentlichen Aktivitäten zurück (vgl. Kap. III, Nrn. 1.1 und 1.3). Ziel der Anhänger der "Nordkaukasischen Separatistenbewegung" (NKSB) ist ein von der Russischen Föderation unabhängiger islamischer Staat auf der Grundlage der Scharia, den der gewaltbereite Flügel der NKSB - das "Kaukasische Emirat" - nicht nur in Tschetschenien, sondern auf dem Gebiet des gesamten Nordkaukasus errichten will. Der Konflikt hat sich auf benachbarte Regionen, wie z.B. Inguschetien und Dagestan, ausgedehnt und wird zunehmend auch über die Grenzen des Nordkaukasus in die Zentren der Russischen Förderation getragen. Der in Europa lebende Teil der Diaspora, der sich dem nordkaukasischen Widerstand verpflichtet fühlt, betrachtet Europa primär als Rückzugsraum und unterstützt bzw. fördert die Organisation im Nordkaukasus (vgl. Kap. III, Nr. 3.3). Andere islamistische Gruppierungen verfolgen eine breiter angelegte, legalistische Strategie. Auch sie wollen die Herrschaftsverhältnisse in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens ändern. Zugleich zielen sie jedoch mit legalen Mitteln darauf ab, durch politische und gesellschaftliche Einflussnahme ihren Anhängern im Bundesgebiet Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Auf diese Weise können sie zur Entstehung von Parallelgesellschaften beitragen und Radikalisierungsprozesse initiieren. Beispielhaft seien hier die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) sowie die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) genannt. Die IGMG ist die mitgliederstärkste islamistische Organisation in Deutschland. Sie ist bestrebt, sich als integrationswillige und auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation zu präsentieren. Ihre auf Stärkung der eigenen religiösen und kulturellen Identität und Bewahrung vor einer Assimilation an die deutsche Gesellschaft ausgerichteten Bestrebungen scheinen 204 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS jedoch geeignet, die Entstehung und Ausbreitung islamistischer Milieus in Deutschland zu fördern (vgl. Kap. III, Nr. 2). Die IGD ist die mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland (vgl. Kap. III, Nr. 1.4). Die transnationale Massenbewegung "Tablighi Jama'at" (TJ) strebt eine weltweite Islamisierung an. Ihre intensiven Missionierungsbemühungen sowie das vermittelte rigide Islamverständnis können eine desintegrative und radikalisierende Wirkung entfalten (vgl. Kap. III, Nr. 3.2). Dem Salafismus wird sowohl in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene eine wachsende Bedeutung als ideologische Grundlage beigemessen. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran, dem Propheten Muhammad und an den vermeintlichen Vorstellungen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit auszurichten. Die Mehrzahl der salafistischen Einrichtungen erzielen ihre Breitenwirkung in Deutschland insbesondere über das Internet und eigens entwickelte Propagandaaktivitäten, die vor allem auf junge Muslime Anziehungskraft ausüben und radikalisierungsfördernd wirken. Kooperationen zwischen salafistischen Einrichtungen und salafistischen Predigern sind hierbei keine Ausnahme (vgl. Kap. II, Nr. 4). Aus verschiedenen salafistisch inspirierten Szenen sind in Deutschland Personenkreise hervorgegangen, die sich dem "globalen Jihad" angeschlossen haben und zu diesem Zweck in Richtung Afghanistan / Pakistan ausgereist sind. In diesem Zusammenhang sind u.a. die Mitglieder der sogenannten Sauerland-Gruppe (vgl. Kap. II, Nr. 1 und Kap. II, Nr. 3.2) sowie Eric Breininger (vgl. Kap. II, Nr. 3.2) zu nennen. Am 4. März 2010 wurde vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf das Urteil gegen die vier Angeklagten der sogenannten Sauerland-Gruppe verkündet. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass drei der Angeklagten seit Mitte 2006 bis zu ihrer 205 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Festnahme im September 2007 als Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamische Jihad-Union" (IJU) (vgl. Kap. II, Nr. 3.2) in Deutschland Sprengstoffanschläge geplant hatten. Die vierte Person war nach Ansicht des Gerichts Unterstützer der IJU und in die Anschlagspläne der anderen Angeklagten involviert. Die vier Angeklagten hatten sich 2006 in pakistanischen Ausbildungslagern für Terroristen aufgehalten. Der Konvertit Breininger trat seit Anfang 2008 in einer Vielzahl "jihadistischer" Propagandaverlautbarungen im Internet in Erscheinung, zuletzt im April 2010 in einem Video der "Deutschen Taliban Mujahideen". Der Einfluss der salafistischen Ideologie auf ihn ist deutlich in dem angeblich autobiographischen Text "Mein Weg nach Jannah" festzustellen (vgl. Kap. II, Nr. 4). 2. Organisationen und Personenpotenzial Ende 2010 gab es - wie im Vorjahr - 29 bundesweit aktive islamistische Organisationen. Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland ist mit 37.470 Mitgliedern/Anhängern (2009: 36.270) leicht angestiegen. Mit 31.370 Personen (2009: 30.340) bildeten wiederum die Anhänger türkischer Gruppierungen das größte Potenzial. Mitgliederstärkste Gruppierung blieb die IGMG mit 30.000 (2009: 29.000) Mitgliedern. Den Gruppierungen aus dem arabischen Raum haben sich 3.730 Personen (2009: 3.790) angeschlossen. Die größten Organisationen aus diesem Bereich, die MB und die "Hizb Allah", verfügen unverändert über 1.300 bzw. 900 Anhänger. Zu den in Deutschland in internationale "jihadistische" Netzwerke eingebundenen Personen liegen keine gesicherten Zahlen vor. 206 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Islamismuspotenzial1 2008 2009 2010 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Arabischer Ursprung2 14 4.050 14 3.790 14 3.730 Türkischer Ursprung2 5 28.580 5 30.340 5 31.370 Sonstige 10 2.090 10 2.140 10 2.370 Summe 29 34.720 29 36.270 29 37.470 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. II. Internationaler islamistischer Terrorismus 1. Aktuelle Entwicklungen Der islamistische Terrorismus stellt für die internationale Staatengemeinschaft und die innere Sicherheit Deutschlands - trotz zahlreicher Fahndungserfolge - weiterhin eine der größten Gefahren dar. Die offensive deutschlandbezogene Propagandaaktivität von Entwicklungen in "al-Qaida" und ihr nahestehender islamistisch-terroristischer Deutschland Organisationen und Netzwerke, die aus Anlass der Wahl zum Deutschen Bundestag am 27. September 2009 in einer bis dahin einmalig hohen Dichte Audiobzw. Videobotschaften mit Deutschlandbezügen im Internet verbreiteten,ist im Jahr 2010 zurückgegangen. Der gegen Deutschland gerichteten Medienoffensive folgte eine Reihe von Anschlagshinweisen, die verdeutlichen, dass Deutschland weiterhin im Fokus islamistischterroristischer Gruppierungen steht. 207 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Sicherheitsbehörden des Bundes verzeichneten seit Mitte des Jahres 2010 wiederholt Hinweise, wonach "al-Qaida" Anschläge in den USA, in Europa und auch in Deutschland plane. Der Bundesinnenminister äußerte sich am 17. November 2010 öffentlich zur aktuellen Gefährdungslage, nachdem zu den bisherigen Erkenntnissen weitere gefährdungsrelevante Sachverhalte hinzugekommen waren. Hierzu zählten die Ende Oktober 2010 versuchten Anschläge auf den internationalen Frachtflugverkehr, zu denen sich "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) bekannte (vgl. Kap. II, Nr. 2.4), der Hinweis eines ausländischen Partnerdienstes, wonach Ende November 2010 ein Anschlagsvorhaben umgesetzt werden sollte sowie Ermittlungsergebnisse, die die nachhaltigen Bemühungen islamistischer Gruppen zu Anschlagsplanungen in Deutschland bestätigten. Diesen Hinweisen gingen die Sicherheitsbehörden - in enger Zusammenarbeit mit befreundeten ausländischen Nachrichtendiensten - mit höchster Intensität nach. Auch zum Jahreswechsel 2010/2011 gingen die Sicherheitsbehörden für das Gebiet der Bundesrepublik von einer fortbestehenden intensiven Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus aus. Festnahmen und Am 4. März 2010 verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) Verurteilungen Düsseldorf die vier Mitglieder der sogenannten SauerlandGruppe zu Freiheitsstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass drei der Angeklagten seit Mitte 2006 bis zu ihrer Festnahme im September 2007 als Mitglieder der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamische Jihad-Union" (IJU) (vgl. Kap. II, Nr. 3.2) in Deutschland Sprengstoffanschläge geplant hatten. Die vierte Person war nach Ansicht des Gerichts als Unterstützer der IJU in die Anschlagspläne der anderen Angeklagten involviert. Die vier Angeklagten hatten sich 2006 in pakistanischen Ausbildungslagern für Terroristen aufgehalten. Am 15. Oktober 2010 verurteilte das OLG Frankfurt am Main einen deutschen Staatsangehörigen türkischer Herkunft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (IJU) und Unterstützung dieser terroristischen Vereinigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten. 208 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Das Gericht hat u.a. festgestellt, dass der Angeklagte zum islamistischen Freundeskreis eines verurteilten Mitglieds der sogenannten Sauerland-Gruppe gehörte. Er war am 18. November 2008 aufgrund eines Ersuchens der Bundesanwaltschaft in der Türkei festgenommen und am 13. Juli 2010 von der Türkei zum Zwecke der Strafverfolgung nach Deutschland überstellt worden. Die Bundesanwaltschaft erhob am 10. August 2010 vor dem Kammergericht in Berlin Anklage gegen drei deutsche Staatsangehörige, darunter eine Frau, u.a. wegen der Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigungen IJU und "Deutsche Taliban Mujahideen". Zwei der Angeklagten sind darüber hinaus verdächtig, für die ausländischen terroristischen Vereinigungen IJU und "al-Qaida" um Mitglieder oder Unterstützer geworben zu haben. Der Prozess begann am 5. November 2010. Vor dem Landgericht Stuttgart müssen sich seit dem 25. Oktober 2010 drei deutsche Staatsangehörige wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung, des Anwerbens für einen fremden Wehrdienst und der Volksverhetzung verantworten. Sie befinden sich seit dem 3. Februar 2010 in Untersuchungshaft. Gegen vier weitere Personen konnte der bestehende Haftbefehl nicht vollzogen werden, da sie sich im Ausland aufhalten. Die Beschuldigten sollen Personen, die später in terroristischen Ausbildungslagern für die Teilnahme am "Jihad" geschult werden sollten, an einschlägige Sprachinstitute in Ägypten vermittelt haben. Das islamistisch-terroristische Spektrum in Deutschland reicht Komplexität des von Gruppierungen, die enge Beziehungen zu islamistischen islamistischOrganisationen im Ausland haben, bis hin zu unabhängigen terroristischen Kleinstgruppen oder selbstmotivierten Einzeltätern. Eine orgaSpektrums in nisatorische Anbindung an "al-Qaida" ist in den wenigsten Fällen Deutschland gegeben. Besondere Bedeutung kommt Strukturen oder Strukturansätzen "Homegrown"zu, die sich aus radikalisierten Personen der zweiten und dritten Netzwerke Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Obwohl die Personen, die zu diesem Täterspektrum gehören, zumeist in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen sind, stehen sie aufgrund religiöser, 209 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber. Ihr gemeinsames Kennzeichen ist die Ausrichtung im Sinne der panislamischen "al-Qaida"-Ideologie. "Homegrown"-Strukturen stellen die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen, zumal der Anteil von Netzwerken, deren Mitglieder überwiegend "Homegrown"-Kriterien erfüllen, auch in Deutschland in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist. Innerhalb dieser Netzwerke hat der Anteil von Konvertiten und türkischstämmigen Personen in den vergangenen Jahren zugenommen. RadikalisierungsEinen allgemeingültigen Radikalisierungsund Rekrutierungsprozesse verlauf gibt es nicht. Art und Gewichtung radikalisierungsfördernder Faktoren (z.B. soziale Situation, kulturelle Herkunft und Persönlichkeitsstruktur) unterscheiden sich z.T. erheblich. Zwar gehen Radikalisierungsprozesse einer möglichen Rekrutierung voraus, sie führen aber nicht notwendigerweise zu terroristischen Aktivitäten. Terroristische Auch im Jahr 2010 konnten Reisebewegungen von Personen aus Ausbildungslager dem islamistischen Spektrum in Deutschland in Richtung Afghanistan / Pakistan festgestellt werden. Die Reisen erfolgten häufig über die Türkei und den Iran, aber auch über nordafrikanische Staaten oder den Balkan. Weitere Ausbildungslager werden im Maghreb, am Horn von Afrika sowie im Jemen vermutet. Am 25. August 2010 hat die Bundesanwaltschaft einen deutschen Staatsangehörigen in Frankfurt am Main festnehmen lassen. Der Beschuldigte ist dringend der Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamische Bewegung Usbekistans" (IBU) verdächtig. Er soll im März 2009 in ein Terrorcamp der Organisation in Pakistan gereist sein und dort eine Ausbildung im Umgang mit Waffen und Sprengstoff durchlaufen haben. Anschließend soll er sich an Kampfhandlungen der IBU beteiligt haben. Der Beschuldigte wurde im Juni 2010 von pakistanischen Sicherheitskräften aufgegriffen und am 25. August 2010 nach Deutschland überführt, wo er bei seiner Einreise am Flughafen in Franfurt am Main festgenommen wurde. Personen, die ein terroristisches Ausbildungslager absolviert bzw. aktiv an paramilitärischen Kampfhandlungen teilgenommen haben, stellen bei einer Wiedereinreise nach Deutschland 210 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ein besonderes Sicherheitsrisiko dar. Von diesem Personenkreis können bei einer erneuten Einreise nach Deutschland sicherheitsgefährdende Aktivitäten drohen bzw. bei Verbleib in der Region Gefährdungen deutscher oder ausländischer Interessen, z.B. in Afghanistan bzw. Pakistan, ausgehen. Rückkehrer aus den "Jihad"-Gebieten genießen in der islamistischen Szene hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltbereiter Islamisten Vorschub leisten. Insbesondere auf junge Menschen üben diese Rückkehrer eine besondere Anziehungskraft aus. Den Sicherheitsbehörden des Bundes liegen derzeit Informationen zu insgesamt rund 220 Personen mit Deutschland-Bezug (deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund bzw. Konvertiten sowie in Deutschland aufhältig gewesene Personen anderer Staatsangehörigkeit) und islamistisch-terroristischem Hintergrund vor, die seit Beginn der 1990er Jahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben sollen bzw. eine solche beabsichtigten. Zu 70 dieser 220 Personen existieren konkrete Hinweise, die für eine absolvierte paramilitärische Ausbildung sprechen. Am 13. Januar 2010 wurden in Spanien fünf nordafrikanische Entwicklungen Islamisten aufgrund ihrer Unterstützung von "al-Qaida" zu Haftin Europa strafen zwischen fünf und neun Jahren verurteilt. Ihnen wurde u.a. die Unterstützung der Attentäter zur Last gelegt, die die Terroranschläge vom 11. März 2004 in Madrid verübt haben. Ein mutmaßlicher Anführer einer Gruppierung, die zum Terrornetzwerk von "al-Qaida" gehören soll, wurde Anfang Mai 2010 in Paris festgenommen. Die aus ca. 25 Personen bestehende Gruppe soll eine Reihe großangelegter Anschläge in Nordafrika geplant haben. 24 Mitglieder der Gruppe wurden bereits im April 2010 in Marokko festgenommen. In Belgien wurden Anfang Mai 2010 acht Angeklagte mit Verbindungen zu "al-Qaida" zu Haftstrafen zwischen drei und acht Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Gruppe Personen rekrutiert hatte, die anschließend im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet im Umgang mit Waffen und Sprengstoffen ausgebildet wurden. 211 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In mehreren Fällen waren die Anfang 2006 auch in deutschen Medien veröffentlichten Karikaturen über den Propheten Muhammad entscheidendes Motiv für Anschläge. Die erstmals im September 2005 in der dänischen Zeitung Jyllands-Posten veröffentlichten Karikaturen hatten massive - in der islamischen Welt z.T. gewalttätige - Proteste ausgelöst. Am 1. Januar 2010 entging der Karikaturist Kurt Westergaard in seinem Haus in Dänemark nur knapp einem Anschlag durch einen Somalier, der über enge Verbindungen zur somalischen islamistisch-terroristischen Gruppierung "al-Shabab" (vgl. Kap. II, Nr. 3.3) verfügen soll. Am 8. Juli 2010 wurden ein kurdischstämmiger irakischer Staatsangehöriger in Duisburg sowie ein norwegischer und ein usbekischer Staatsangehöriger in Oslo festgenommen. Der irakische Staatsangehörige räumte ein, mit den beiden anderen Festgenommenen Attentate geplant zu haben. Hinweise deuten darauf hin, dass das Verlagshaus der dänischen Zeitung JyllandsPosten Ziel eines geplanten Anschlags gewesen sein könnte. Am 10. September 2010 wurde in Kopenhagen ein mutmaßlicher Attentäter festgenommen. Er steht unter Verdacht, einen Anschlag auf die Redaktion von Jyllands-Posten in Viby (Dänemark) geplant zu haben. Es handelt sich um einen Tschetschenen, der seit einigen Jahren in Belgien lebt. Am 11. Dezember 2010 kam ein schwedischer Staatsangehöriger irakischer Herkunft bei einem Selbstmordanschlag in der Innenstadt von Stockholm ums Leben. Er soll vor seiner Tat in einer E-Mail Bezug auf den "Jihad" und den Einsatz schwedischer Soldaten in Afghanistan genommen haben. Am 29. Dezember 2010 wurden in Kopenhagen zwei schwedische, ein irakischer und ein tunesischer Staatsangehöriger sowie in Stockholm ein schwedischer Staatsangehöriger festgenommen. Ihnen wird die Vorbereitung eines terroristischen Anschlags auf Jyllands-Posten vorgeworfen. Entwicklungen In Australien wurden am 15. Februar 2010 fünf Islamisten wegen weltweit der Planung von Bombenanschlägen zu Haftstrafen zwischen 23 und 28 Jahren verurteilt. Die geplanten Attentate waren als 212 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Vergeltung" für den australischen Einsatz in Afghanistan gedacht. Ein US-amerikanischer Staatsangehöriger pakistanischer Herkunft gab am 18. März 2010 vor einem Gericht in Chicago zu, an den Planungen der Anschläge in der indischen Finanzmetropole Mumbai beteiligt gewesen zu sein. Im Falle einer Verurteilung droht ihm eine lebenslange Freiheitsstrafe. Bei Anschlägen in der indischen Finanzmetropole Mumbai in der Zeit vom 26. bis 29. November 2008 waren 172 Personen ums Leben gekommen, darunter drei Deutsche. Die Anschläge werden mit der pakistanischen islamistisch-terroristischen Organisation "Lashkar-e-Taiba" (LeT - "Armee der Reinen") in Verbindung gebracht. Ein US-amerikanischer Staatsangehöriger pakistanischer Herkunft wurde am 5. Oktober 2010 in New York zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er am 1. Mai 2010 einen mit Sprengstoff beladenen Geländewagen am Times Square in New York zur Explosion bringen wollte. Nur das technische Versagen des Sprengsatzes hatte das Attentat verhindert. Die Bedeutung Afghanistans als Schauplatz des islamistischen Lage in Afghanistan Terrorismus blieb auch im Jahr 2010 weiterhin hoch. Bei Kämpfen und terroristischen Angriffen wurde eine Vielzahl von Menschen getötet, darunter auch Angehörige der Bundeswehr. Bereits seit 2005 / 2006 verstärkten insbesondere die "Taleban" den Druck auf die multinationalen Truppen, die im Rahmen der Mission der "International Security Assistance Force" (ISAF) unter Führung der NATO den Wiederaufbau in Afghanistan unterstützt. Der Deutsche Bundestag verlängerte auf Antrag der Bundesregierung das ISAF-Mandat am 26. Februar 2010 bis zum 28. Februar 2011. Am 15. April 2010 wurden bei einem Anschlag im Distrikt Baghlan, rund 80 Kilometer südlich von Kunduz, vier deutsche Soldaten getötet und fünf weitere - z.T. schwer - verletzt. Insgesamt kamen im Laufe des Jahres 2010 acht deutsche Soldaten in Afghanistan ums Leben. 213 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Gewalt in Afghanistan richtete sich auch gegen ausländische Zivilisten. So wurde ein deutscher Sicherheitsberater am 2. Juli 2010 Opfer eines Selbstmordanschlags auf ein Gästehaus in Kunduz. Am 5. August 2010 wurden bei einem Attentat neun Menschen getötet, darunter eine deutsche Staatsangehörige, die als Mitglied eines Ärzteteams in der Provinz Badachschan arbeitete. 2. "al-Qaida" ("Die Basis") 2.1 Kern-"al-Qaida" Gründung: Mitte der 1980er Jahre Leitung: Usama Bin Ladin Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die von Usama Bin Ladin gegründete "al-Qaida" verfolgt weiterhin eine Doppelstrategie: Durch eine Vielzahl propagandistischer Aktivitäten im Internet tritt sie einerseits als "virtuelle" Organisation auf, die Impulse für die Aktivisten setzt; andererseits ist sie verstärkt darum bemüht, ihre operative Handlungsfähigkeit sicherzustellen. Mit Terroranschlägen und Aufrufen zum gewaltsamen "Jihad" strebt "al-Qaida" ihre Hauptziele an: Das Zurückdrängen westlichen Einflusses auf muslimische Länder sowie den Sturz der nach Ansicht von "al-Qaida" "vom Glauben abgefallenen" Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika. Sie verfügt weltweit über ein schwer einschätzbares Potenzial von Anhängern, die sich der "al-Qaida"Ideologie verschrieben haben. Bestandteil dieser Ideologie ist ein pan-islamischer Ansatz, der weltweit eine Verteidigung der muslimischen Gemeinschaft gegen "Ungläubige" vorgibt, verbunden mit einer militanten Ablehnung der westlichen Gemeinschaft und deren Werten. 214 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Eine zentral ausgerichtete Führung durch die insbesondere von Bin Ladin und seinem Stellvertreter Aiman al-Zawahiri verkörperte Kern-"al-Qaida" dürfte durch deren anhaltende Fluchtbewegungen - mutmaßlich in der afghanisch-pakistanischen Grenzregion - weiterhin erheblich erschwert sein. Darüber hinaus hatte die Organisation im Jahr 2010 den Verlust hochrangiger Mitglieder zu verzeichnen. Obwohl die Drohnenangriffe im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet zunahmen, hat sich die Region als Planungsund Ausbildungsstützpunkt für "al-Qaida" und assoziierte Gruppierungen etabliert. Auch im Jahr 2010 gab es mehrere Erklärungen von "al-Qaida"Neue Führern. In einer am 1. Juni 2010 in "jihadistischen" InternetfoVerlautbarungen ren veröffentlichten "Erklärung über das Märtyrertum des glorreichen Helden Shaikh Mustafa Abu al-Yazid" sprach die Führung von "al-Qaida" der "islamischen Gemeinschaft" Glückwünsche anlässlich des "Märtyrertods" von Abu al-Yazid aus. Die "Mujahidin" würden ihren Weg weiter beschreiten, dabei werde sie nichts erschüttern oder stoppen. Der in der Hierarchie der Kern-"al-Qaida" an dritter Stelle geführte Abu al-Yazid soll bei einem Drohnenangriff ums Leben gekommen sein. Al-Zawahiri verurteilte in einer am 16. August 2010 festgestellten Videobotschaft "An das muslimische türkische Volk" die "Blockade des Gaza-Streifens" als "Verbrechen der kreuzzüglerisch-zionistischen Allianz" und als "Teil der Kampagne gegen die islamische Gemeinschaft". Die türkische Bevölkerung müsse ihre Regierung dazu zwingen, jegliche Zusammenarbeit mit Israel zu beenden. Al-Zawahiri pries in der Botschaft neben anderen türkischstämmigen "Märtyrern" Cüneyt Ciftci. Der in Deutschland geborene türkische Staatsangehörige Ciftci hatte bei einem Selbstmordanschlag auf einen US-amerikanischen Militärstützpunkt im Osten Afghanistans im März 2008 zwei US-amerikanische Soldaten und mehrere afghanische Zivilisten getötet. Anlässlich des neunten Jahrestages der Anschläge vom 11. September 2001 wurde am 15. September 2010 in "jihadistischen" Internetforen eine Audiobotschaft von al-Zawahiri veröffentlicht, in der er die "Errungenschaften" der "Mujahidin" - insbesondere in Afghanistan - in den vergangenen neun Jahren hervorhob. 215 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Auch Bin Ladin meldete sich im Jahr 2010 zu Wort. So wurden am 1. und 2. Oktober 2010 Audiobotschaften in "jihadistischen" Internetforen veröffentlicht, in denen Bin Ladin vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe in Pakistan die "Klimaerwärmung" thematisierte. Er kritisierte, dass man die Hilfe für das pakistanische Volk "den Ungerechten in Washington" überlassen würde. Festnahmen und Auch im Jahr 2010 gab es diverse Strafverfahren gegen MitglieVerurteilungen der von "al-Qaida": # Am 19. Juli 2010 verurteilte das OLG Koblenz einen türkischen Staatsangehörigen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ("al-Qaida") sowie Unterstützung dieser Vereinigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren. Der Mitangeklagte, ein deutscher Staatsangehöriger türkischer Herkunft, wurde wegen Unterstützung von "al-Qaida" in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die beiden aus dem Raum Stuttgart stammenden Angeklagten im Auftrag eines deutschen Staatsangehörigen pakistanischer Herkunft die Ziele von "al-Qaida" aktiv unterstützt hatten. # Der betreffende deutsche Staatsangehörige pakistanischer Herkunft war am 13. Juli 2009 vom OLG Koblenz wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt worden. Das Gericht hatte festgestellt, dass der Angeklagte seit Juni 2004 in die Organisation und Befehlsstruktur von "al-Qaida" eingebunden war. Er hatte Rekruten für eine Ausbildung in Lagern von "al-Qaida" im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet angeworben sowie finanzielle und logistische Hilfe für die Organisation geleistet. Das Urteil ist seit dem 19. November 2010 rechtskräftig. # Am 22. September 2010 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem OLG München Anklage gegen sieben deutsche Staatsangehörige und einen türkischen Staatsangehörigen u.a. wegen Unterstützung der ausländischen terroristischen Vereinigungen "al-Qaida", "al-Qaida im Irak" und "Ansar al-Islam-Gruppe" (AAI). Der Anklageschrift zufolge sollen die in Deutschland lebenden Angeschuldigten Mitglieder der vornehmlich im Internet agierenden deutschen Sektion der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF) sein und über das 216 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Internet Propagandamaterial von "al-Qaida", "al-Qaida im Irak" und AAI verbreitet haben. Neun dieser Veröffentlichungen seien darauf angelegt gewesen, für "al-Qaida" - in einem Fall für "al-Qaida im Irak" - neue Mitglieder oder Unterstützer zu gewinnen. Der Gründer der GIMF, ein österreichischer Staatsangehöriger ägyptischer Herkunft, war bereits im März 2008 vom Landesgericht Wien u.a. wegen Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt worden. # Das OLG Düsseldorf hatte im Dezember 2007 zwei Angeklagte wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ("al-Qaida") und einen dritten Angeklagten wegen Unterstützung dieser Vereinigung, jeweils begangen in Tateinheit mit versuchtem Betrug, zu Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und sieben Jahren verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten durch einen groß angelegten Betrug versucht hatten, ca. 4,3 Millionen Euro aus Lebensversicherungen für "al-Qaida" zu beschaffen. Dafür sollte verschiedenen Versicherungsunternehmen der tödliche Verkehrsunfall eines der Angeklagten vorgetäuscht werden. Der BGH hatte am 14. August 2009 die Strafe, die gegen einen der Angeklagten verhängt worden war, aufgehoben und den Fall an das OLG Düsseldorf zurückverwiesen. Dieses verringerte am 4. Februar 2010 das frühere Strafmaß um sechs Monate auf fünfeinhalb Jahre Freiheitsstrafe. 217 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2.2 "al-Qaida im Irak" / "Islamischer Staat Irak" Gründung: Ende 2003 Leitung: Abu Bakr al-Baghdadi al-Husaini al-Qurashi Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die Sicherheitslage im Irak hat sich in den vergangenen Jahren - auch bedingt durch eine massive Aufstockung der US-amerikanischen Truppen im Land - stabilisiert. Es ist jedoch fraglich, ob sich diese Entwicklung nach dem Abzug eines Großteils dieser Truppen Ende August 2010 fortsetzen wird. Die noch im Irak verbleibenden US-amerikanischen Truppen sollen hauptsächlich in der Ausbildung der irakischen Sicherheitskräfte eingesetzt werden. Seit Oktober 2006 tritt "al-Qaida im Irak" nach außen hin unter der Bezeichnung "Islamischer Staat Irak" - ein (fiktives) islamistisches Emirat - auf. Einige islamistisch-terroristische Gruppierungen, insbesondere "al-Qaida im Irak" / "Islamischer Staat Irak", veränderten ihre Strategie im Jahr 2010. Sie führten zahlenmäßig weniger, jedoch größere und öffentlichkeitswirksamere Anschläge durch. So wurden am 4. April 2010 mehrere Botschaften angegriffen, darunter auch die Deutsche Botschaft. Zu den Anschlägen bekannte sich "al-Qaida im Irak" in einem Kommunique, in dem der Anschlag auf die Deutsche Botschaft mit dem Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan gerechtfertigt wurde. Am 5. Mai 2010 wurden in einer konzertierten Aktion, die "al-Qaida im Irak" zugerechnet wurde, bei mehreren Anschlägen im gesamten Irak über 100 Menschen getötet. Weitere landesweite Anschlagsserien wurden im August und im November 2010 durchgeführt. 218 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Darüber hinaus wurde am 31. Oktober 2010 eine syrisch-katholische Kirche in Bagdad während eines Gottesdienstes von Bewaffneten gestürmt und die Besucher des Gottesdienstes als Geiseln genommen. Bei der Geiselnahme und während der Erstürmung der Kirche durch irakische und US-amerikanische Sicherheitskräfte kamen mehr als 50 Personen ums Leben. In mehreren Kommuniques bekannte sich der "Islamische Staat Irak" zu der Tat und begründete diese als Versuch der Freipressung von angeblich in einem ägyptischen Kloster festgehaltenen zum Islam konvertierten Frauen. Ein Sprecher des "Islamischen Staates Irak" drohte in diesem Zusammenhang mit Anschlägen gegen Christen in der gesamten Region: "Wenn eure Kirchen zu Gefängnissen für Musliminnen werden, so werden eure Kirchen zu euren eigenen Grabstätten." (Audiobotschaft des "Islamischen Staates Irak" vom 1. November 2010) Ungeachtet dieser öffentlichkeitswirksamen Taten richtete sich die überwiegende Anzahl der terroristischen Anschläge im Irak gegen irakische Sicherheitskräfte bzw. Regierungsvertreter, sunnitische Stammesmilizen und Schiiten. Neben den terroristischen Anschlägen stellen auch die anhaltenden ethnisch-konfessionellen Spannungen sowie die ausgeprägte Gewaltbereitschaft militanter und krimineller Gruppen eine Bedrohung für die irakische Bevölkerung und im Irak aufhältige Ausländer dar. Am 18. April 2010 wurden bei einer Operation irakischer Sicherheitskräfte mit US-amerikanischer Unterstützung Ayyub al-Masri und Abu Umar al-Baghdadi getötet. Al-Masri war der Führer von "al-Qaida im Irak" und "Premierund Kriegsminister" des "Islamischen Staates Irak", "al"-Baghdadi sogenannter Emir des "Islamischen Staates Irak". Mitte Mai 2010 benannte der "Islamische Staat Irak" in einer über "jihadistische" Internetforen verbreiteten Erklärung Abu Bakr al-Baghdadi al-Husaini al-Qurashi als Nachfolger al-Baghdadis. 219 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Am 14. Mai 2010 kündigte der neue "Kriegsminister" des "Islamischen Staates Irak", al-Nasir li-Din Allah Abu Sulaiman, die Fortsetzung des Kampfes an: "Wir werden nicht über unsere Religion verhandeln. Wir werden nicht vom Weg des Jihad abweichen. Wir werden uns nicht mit mittelmäßigen Lösungen einverstanden erklären. Zwischen uns und den Ungläubigen ist nur das Schwert des Islam, mit dem wir kämpfen, bis Allah zwischen uns und ihnen urteilt." ("Jihadistische" Internetforen, 14. Mai 2010) Die Organisation zeigte erneut, dass sie trotz eines hohen Verfolgungsdrucks in der Lage ist, vakante Führungspositionen relativ schnell wieder zu besetzen. Jedoch konnte "al-Qaida im Irak" auch im Jahr 2010 ihren selbst propagierten Führungsanspruch innerhalb des sunnitischterroristischen "Widerstands" im Irak nicht durchsetzen und bleibt somit weitgehend isoliert. Die ehemals mit ihr kooperierenden terroristischen Gruppierungen wandten sich vor allem gegen den Anspruch von "al-Qaida im Irak", die einzig legitime Vertreterin der sunnitischen Interessen zu sein. Es muss damit gerechnet werden, dass die Organisation auch zukünftig schwerwiegende Anschläge im Irak begehen wird. Strukturen von "al-Qaida im Irak" in Deutschland sind bislang nicht bekannt. 220 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2.3 "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) Gründung: Ende der 1990er Jahre in Algerien Leitung: Abdalmalik Darduqal alias Abu Mus'ab Abdalwadud Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) hatte sich Ende der 1990er Jahre von der algerischen "Bewaffneten Islamischen Gruppe" ("Groupe Islamique Arme" - GIA) abgespalten. Die GSPC war im Jahr 2003 u.a. für die Entführung von 32 Touristen, darunter 16 Deutsche, im Süden Algeriens verantwortlich. Nachdem sich die GSPC bereits seit Längerem um ideologische Annäherung an "al-Qaida" bemüht hatte, wurde der Beitritt der GSPC zu "al-Qaida" am 11. September 2006 offiziell bekanntgegeben. Seit Januar 2007 nennt sich die Gruppierung "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM). Die AQM ist die derzeit größte und aktivste islamistisch-terroristische Organisation im Maghreb. Seit dem Anschluss an "al-Qaida" bedient sie sich neuer Anschlagsstrategien, u.a. Anschläge durch Selbstmordattentäter und Erweiterung des Zielspektrums auf ausländische Staatsbürger und Einrichtungen. Obwohl Algerien effektiv gegen die Organisation vorgeht und die Zahl der Anschläge und Entführungen im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist, hat die AQM den Anspruch einer überregionalen Gruppierung gefestigt. So sind Aktivitäten der AQM in weiten Teilen Nordafrikas festzustellen. Dort rekrutiert die Organisation auch überwiegend ihre Mitglieder (insbesondere in Mali und Mauretanien, aber auch in Tunesien und Libyen). Am 24. Juli 2010 tötete die AQM einen französischen Staatsangehörigen, den sie am 24. April 2010 in Niger entführt hatte. Am 221 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 30. Juni 2010 ermordete die AQM im Grenzgebiet zu Mali 13 algerische Polizisten. Des Weiteren wurden am 16. September 2010 in der nordnigrischen Stadt Arlit fünf Franzosen, ein Togoer und ein Madagasse von Unbekannten entführt und der AQM übergeben. Ausblick Im gesamten nördlichen Afrika muss mit weiteren Anschlägen gegen westliche Ausländer bzw. Einrichtungen gerechnet werden. Darüber hinaus besteht für westliche Ausländer in den an die Sahara angrenzenden Staaten die Gefahr fort, Opfer von Entführungen zu werden. Strukturen der AQM in Deutschland sind bislang nicht bekannt. 2.4 "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) Gründung: Januar 2009 Leitung: Nasir Abdalkarim Abdallah al-Wuhaishi alias Abu Basir Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen "Al-Qaida im Jemen" (AQJ), die noch im Jahr 2003 als weitgehend zerschlagen galt, erstarkte 2006 unter der Führung von al-Wuhaishi wieder und machte durch eine Reihe von Anschlägen auf sich aufmerksam - insbesondere durch den Anschlag gegen die US-amerikanische Botschaft in Sanaa (Jemen) am 17. September 2008, bei dem mindestens 16 Personen getötet wurden. Im Januar 2009 schlossen sich AQJ und "al-Qaida"-Kräfte aus Saudi-Arabien zur "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) zusammen. Die bis dahin ausschließlich im Jemen aktive AQJ erweiterte hierdurch ihren terroristischen Aktionsradius auf Saudi-Arabien. 222 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Ziel der AQAH ist die Beseitigung ausländischer Einflüsse von der Arabischen Halbinsel sowie der Kampf gegen die von ihr als unislamisch angesehenen Regierungen, z.B. in Saudi-Arabien. In einem Interview rechtfertigte al-Wuhaishi hierbei auch die Tötung von Touristen und westlichen Ausländern. Mehrere Anschläge im Jemen und in Saudi-Arabien im Jahr 2009 zeigten die operative Handlungsfähigkeit der AQAH, u.a. der versuchte Anschlag auf den für Terrorismusbekämpfung zuständigen saudi-arabischen Vize-Innenminister, die versuchte Sprengung eines Flugzeugs der Delta-Airlines mit 278 Menschen an Bord auf dem Flug von Amsterdam nach Detroit am 25. Dezember 2009, zu der sich die AQAH am 28. Dezember 2009 im Internet bekannt hatte, sowie die Entführung einer fünfköpfigen deutschen Familie im Juni 2009 im Jemen. Die Familie war zusammen mit zwei deutschen Frauen und einer Südkoreanerin - die drei Frauen wurden ermordet - sowie einem Briten in der nordjemenitischen Provinz Saada entführt worden. Am 18. Mai 2010 wurden zwei der Töchter durch saudi-arabische Sicherheitskräfte befreit. Die Eltern und das dritte Kind der Familie werden weiterhin vermisst. Als Reaktion auf diese Aktivitäten wurden im Jahr 2010 im Jemen und in Saudi-Arabien Exekutivmaßnahmen gegen die AQAH und ihre Mitglieder durchgeführt. Ende Juni/Anfang Juli 2010 erschien die erste Ausgabe des englischsprachigen Online-Magazins "Inspire" der AQAH. Das Magazin soll die Internet-Propaganda unterstützen, mit der Muslime aufgerufen werden, mit einfachen Mitteln Anschläge zu begehen. Am 29. Oktober 2010 wurde auf den Flughäfen von East Midlands (Großbritannien) und Dubai (Vereinigte Arabische Emirate) jeweils ein Paket mit einem Sprengsatz sichergestellt. Die Pakete waren zuvor im Jemen aufgegeben worden und sollten per Luftfracht an Ziele in Chicago versandt werden. Die Untersuchung einer der beiden Paketbomben ergab, dass das Frachtflugzeug, das bei einer Zwischenlandung auf dem Flughafen East Midlands nahe Nottingham gestoppt worden 223 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS war, über der US-amerikanischen Atlantikküste explodieren sollte. Die AQAH bekannte sich am 5. November 2010 im Internet in einer auf den 2. November 2010 datierten Erklärung zu den vereitelten Anschlägen, die auch in einer Sonderausgabe des Magazins "Inspire" thematisiert wurden. Dort heißt es, die Paketbomben seien Teil einer langfristigen "Strategie der 1.000 Schnitte". Ziel sei nicht die größtmögliche Zahl an Opfern, sondern die wirtschaftliche Schwächung des Westens. Mit nur 4.200 US-Dollar, die die Herstellung und Versendung der Paketbomben gekostet hätten, sei es möglich gewesen, Milliardenkosten und Millionen Arbeitsstunden für den Westen zu verursachen. Strukturen bzw. Unterstützer der AQAH in Deutschland sind bislang nicht bekannt. Ausblick Auf der Arabischen Halbinsel, insbesondere im Jemen und in Saudi-Arabien, stehen neben staatlichen Institutionen und Einrichtungen der Ölindustrie auch Interessen westlicher Staaten im Zielspektrum der AQAH. Es muss daher mit weiteren Anschlägen, aber auch mit gezielten Entführungen und Tötungen westlicher Ausländer, gerechnet werden. Darüber hinaus zeigen die vereitelten Paketbombenanschläge, dass die AQAH ihren Aktionsradius über die Arabische Halbinsel hinaus ausgedehnt hat. 224 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3. Regionale "jihadistische" Gruppierungen 3.1 "Ansar al-Islam-Gruppe" (AAI) ("Gruppe der Anhänger des Islam") Gründung: Dezember 2001 im Nordirak als Nachfolgerin der "Jund al-Islam" ("Armee des Islam") Leitung: unbekannt Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die AAI entstand im Jahr 2001 aus einem Zusammenschluss verschiedener "jihadistisch" orientierter kurdischer Splittergruppen im Nordirak. Nach mehreren Umbenennungen, zuletzt im Sommer 2006 in "Ansar al-Sunna-Gruppe", tritt sie seit Ende November 2007 wieder als AAI auf. Anfang Mai 2010 wurde ihr langjähriger Anführer, Abu Abdallah al-Shafi'i, von irakischen Sicherheitskräften festgenommen. Seit Herbst 2003 sieht sich die AAI als Teil des sunnitisch-terroristischen "Widerstands" im Irak. Ihr ursprüngliches Ziel, die Errichtung eines islamischen Staates im kurdischen Teil des Irak, geriet in den Hintergrund. Die AAI passte sich weitgehend den Zielen des sunnitisch-terroristischen "Widerstands" an, dessen Bestrebungen sich primär auf den Kampf gegen die Koalitionsstreitkräfte und die gewaltsame Beseitigung des irakischen Staates konzentrierten. Diese Ziele wurden im September 2010 in zwei in "jihadistischen" Internetforen veröffentlichten Erklärungen erneut bekräftigt. Erstmals erklärte die AAI jedoch auch deutlich ihre Ablehnung gegenüber einem Zusammenschluss mit anderen Organisationen und betonte ihre Unabhängigkeit. Die nahezu ausschließlich kurdischstämmigen Anhänger der Anhänger der AAI AAI in Deutschland orientierten sich bislang weitgehend an den in Deutschland Vorgaben der terroristischen Kerngruppe im Irak. Sie unter225 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS stützen die Ziele der AAI vor allem durch die Beschaffung von Geldmitteln (hauptsächlich durch Spendensammlungen) und deren Transfer in den Irak. Im Jahre 2010 wurden jedoch keine Informationen erlangt, die auf aktuelle konkrete Verbindungen zwischen der AAI-Kerngruppe im Irak und ihren Anhängern in Deutschland schließen lassen. Auch wurden im Jahr 2010 keine Unterstützungshandlungen zugunsten der AAI im Irak beobachtet. Anhänger der AAI in Deutschland befürworten "jihadistische" Aktivitäten im Irak - auch die Aktionen anderer Gruppierungen. Die sonst üblichen Unterstützungshandlungen (hauptsächlich die Beschaffung von Geldmitteln durch Spendensammlungen) wurden allerdings im Jahr 2010 nicht beobachtet. Unabhängig vom Organisationsbezug besteht in Deutschland ein Personenpotenzial irakischer Kurden, das islamistisch-terroristische Aktivitäten im Irak als legitim ansieht. 3.2 "Islamische Jihad-Union" (IJU) Gründung: 2002 Leitung: Abdullah Fatih Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bei der IJU handelt es sich um eine im Jahr 2002 bekannt gewordene Abspaltung der IBU. Die IBU wurde 1998 in Kabul (Afghanistan) nach dem Friedensabkommen zwischen der tadschikischen Regierung und der islamischen Opposition Tadschikistans gegründet; Vorgängerorganisationen bestanden bereits seit 1990. Die IBU strebt die politische und militärische Destabilisierung der gesamten Region an. Zu diesem Zweck führt die Gruppierung dort gewalttätige Aktionen durch, wie z.B. Entführungen und bewaffnete Angriffe auf staatliche Einrichtungen. 226 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Nachdem sich die IJU zunächst auf die Errichtung eines islamischen Staates in Usbekistan konzentriert hatte, hat sie mittlerweile ihren Wirkungskreis im Sinne des globalen "Jihad" auch auf Europa ausgeweitet. Die Gründungsmitglieder der IJU hatten bereits in den 1990er Jahren die usbekische Regierung bekämpft, waren jedoch durch deren Gegenmaßnahmen ins afghanisch-pakistanische Grenzgebiet verdrängt worden, wo sie sich mit den "Taleban" verbündeten und sich an deren Kampf in Afghanistan beteiligten. Durch gemeinsame Aufenthalte in terroristischen Ausbildungslagern knüpfte die IJU auch Kontakte zu islamistisch-terroristischen Gruppierungen in Pakistan und zur Kern-"al-Qaida". Mit den Selbstmordanschlägen gegen die israelische und die US-amerikanische Botschaft am 30. Juli 2004 in der usbekischen Hauptstadt Taschkent ging die IJU erstmals gegen westliche Einrichtungen vor. Auch Deutschland steht im Fokus der Gruppierung. Drei der vom OLG Düsseldorf verurteilten Angeklagten der sogenannten Sauerland-Gruppe waren bis zu ihrer Festnahme im September 2007 Mitglieder der IJU, die vierte Person ist Unterstützer der Gruppierung (vgl. Kap. II, Nr. 1). Der deutsche Konvertit Eric Breininger, der Verbindungen zur sogenannten Sauerland-Gruppe unterhielt, bestätigte in einem früheren, im Internet veröffentlichten Interview seinen Anschluss an die IJU. Gegen Ende 2009 löste er sich wieder von dieser Gruppierung und schloss sich in Pakistan den "Deutschen Taliban Mujahideen" an. Breininger warb in diversen Internetveröffentlichungen der "Deutschen Taliban Mujahideen" für die Unterstützung des gewaltsamen "Jihads". Er wurde am 28. April 2010 bei einem Feuergefecht mit pakistanischen Sicherheitskräften getötet. Bei den "Deutschen Taliban Mujahideen" handelt es sich um eine kleine Gruppierung, die vor allem aus deutschen Konvertiten, Deutsch-Türken und Türken besteht. Nach eigenem Bekunden sind die "Deutschen Taliban Mujahideen" den "Taleban" zuzurechnen; eine entsprechende Bestätigung der "Taleban" erfolgte 227 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS jedoch nie. Die "Deutschen Taliban Mujahideen" traten erstmalig im September 2009 in einem von der "Medienstelle Elif Medya" produzierten Video in Erscheinung. Seit Mai 2010 konnten keine neuen Veröffentlichungen der Gruppierung festgestellt werden. 3.3 "al-Shabab" Gründung: 2006 in Somalia Leitung: Sheik Mokhtar Abel Rahman alias Abu Zubair Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die "al-Shabab" hat sich im Jahr 2006 von der "Union islamischer Gerichtshöfe" (UIG) abgespalten und sich im Wesentlichen aus jungen, radikalen Kämpfern der UIG formiert. Sie sucht die ideologische Nähe zu "al-Qaida" und proklamierte in der Vergangenheit mehrfach ihre Zugehörigkeit zu dieser Organisation. Die "al-Shabab" ist die derzeit größte und einflussreichste islamistisch-terroristische Organisation in Somalia. Sie kontrolliert weite Gebiete in Südund Zentralsomalia sowie einen Großteil der Hauptstadt Mogadischu. In ihrem Einflussbereich übt die "al-Shabab" ein rigoroses Gewaltregime aus, das sich gegen alle vorgeblich unislamischen Verhaltensweisen (sogenannte haddDelikte) richtet und diese unter Anwendung der im Koran festgelegten Körperstrafen ahndet. Zur Durchsetzung ihrer Ziele führt die Organisation Entführungen - auch westlicher Ausländer - durch, begeht Bombenanschläge und ist in zunehmendem Maße auch für Selbstmordattentate verantwortlich. Ziel der "al-Shabab" ist der Sturz der von ihr als "unislamisch und westlich" angesehenen provisorischen somalischen Übergangsregierung, um ein "großsomalisches Kalifat" unter Einschluss 228 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS der äthiopischen Region Ogaden zu errichten und sämtliche westlichen Einflüsse aus dem Land zurückzudrängen. Ihrem Anspruch, zu "al-Qaida" zu gehören, entsprechend ist die "al-Shabab" bestrebt, ihren Aktionsradius zu erweitern. Bislang hatten sich die Aktivitäten der "al-Shabab" vor allem auf das somalische Staatsgebiet beschränkt. Ihre internationale Handlungsfähigkeit verdeutlichte die "al-Shabab" mit Selbstmordattentaten am 11. Juli 2010 in Kampala (Uganda). Bei nahezu zeitgleichen Explosionen in einem Sportclub und einem Restaurant kamen während der Übertragung des Finales der Fußball-Weltmeisterschaft 74 Personen ums Leben. Am 12. Juli 2010 übernahm der Sprecher der "al-Shabab" Ali Dheere die Verantwortung für die Anschläge. Der Somalier, der am 1. Januar 2010 den Karikaturisten Kurt Westergaard in seinem Haus in Dänemark angegriffen hatte (vgl. Kap. II, Nr. 1), soll über enge Verbindungen zu "al-Shabab" verfügen. Gefestigte Organisationsstrukturen der "al-Shabab" in DeutschAusblick land sind nicht bekannt. Die Sicherheitsbehörden gehen von einzelnen Unterstützern bzw. Sympathisanten aus. 4. Salafistische Bestrebungen Dem Salafismus wird sowohl in Deutschland wie auch auf internationaler Ebene eine wachsende Bedeutung als ideologische Grundlage beigemessen. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran, dem Propheten Muhammad und an den vermeintlichen Vorstellungen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit auszurichten. Ziel von Salafisten ist die vollständige Umgestaltung von Staat, Ziel Gesellschaft und individuellem Lebensvollzug jedes einzelnen Menschen nach diesen - als "gottgewollt" postulierten - Normen. 229 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Der salafistische Prediger Pierre Vogel fand dafür folgende Worte: "Ein Muslim ist jemand der (...) nach einer vollständigen Neugestaltung seines Lebens gemäß den offenbarten Anweisungen Gottes strebt, und für die Gründung einer Gesellschaftsordnung arbeitet, in der die Rechtleitung Gottes verwirklicht wird." (Undatierte Broschüre "Was ist Islam?") Jegliches Abweichen von salafistischen Grundsätzen, die als ursprünglicher und reiner Islam gedacht werden, lehnen Salafisten als nicht statthafte Verfälschung des Islam ab. Zentraler salafistischer Glaubensinhalt ist die Ein(s)heit und Einzigartigkeit Gottes. Für Salafisten ist Gott der einzig legitime Souverän und Gesetzgeber. Die Scharia, die von Gott in seiner Offenbarung gesetzte Ordnung, sehen sie als Gesetz Gottes und damit als unverletzlich und unaufhebbar und jeglicher weltlichen Gesetzgebung übergeordnet an. Politische und Salafistische Bestrebungen unterteilen sich in eine politische "jihadistische" und eine "jihadistische" Strömung. Vertreter des politischen Strömungen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit - die sogenannte da'wa (Missionierung) - um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten und somit politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Die Anhänger des "jihadistischen" Salafismus hingegen glauben ihre Ziele durch Gewaltanwendung realisieren zu können. Die Mehrzahl der salafistischen Einrichtungen in Deutschland ist dem Phänomenbereich des politischen Salafismus zuzuordnen, u.a. der Verein "Einladung zum Paradies e.V." (EZP) und das Netzwerk aus Predigern und Aktivisten um die Internetplattform "Die Wahre Religion" (DWR). Breitenwirkung wird insbesondere über das Internet und eigens entwickelte Propagandaaktivitäten erzielt, die vor allem auf junge Muslime Anziehungskraft ausüben und radikalisierungsfördernd wirken. "Einladung zum Der EZP kooperiert seit seiner Gründung im Jahr 2006 mit salaParadies e.V." (EZP) fistischen Predigern und hält gemeinsame Islamseminare ab. 230 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Das um den EZP-Verein installierte Netzwerk führt Pilgerund Sprachreisen durch und organisiert Infostände, an denen eigens hergestellte Literatur sowie Propagandamaterial vertrieben werden. Weiterer wesentlicher Bestandteil des Netzwerkes ist die gemeinschaftliche Internetpräsenz. An den Verein angeschlossen ist eine Islamschule, die in deutscher Sprache eine umfangreiche Ausbildung in Islamstudien nach den Lehrplänen der Universität Medina (Saudi-Arabien) anbietet. Das Studium wird überwiegend als Fernstudium über das Internet betrieben. Am 14. Dezember 2010 haben umfangreiche Durchsuchungen bei dem EZP-Verein stattgefunden. EZP-Strukturen mit entsprechenden Internetseiten existieren inzwischen u.a. auch in Bosnien und Herzegowina, Mazedonien und der Türkei. Die Internetplattform DWR wurde im Sommer 2005 ins Leben "Die Wahre gerufen. Auch DWR kooperiert bundesweit mit salafistischen Religion" (DWR) Predigern und organisiert Islamseminare. Salafistische Ideo - logieinhalte werden über Videos und salafistische Schriften vermittelt. Nach bislang vorliegenden Erkenntnissen behauptet der größere Wertung Teil der Träger salafistischer Bestrebungen in Deutschland, die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung seiner Ziele in Deutschland abzulehnen. Fast ausnahmslos alle Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen "Jihad" befürworten oder sich ihm angeschlossen haben, standen zuvor mit Trägern salafistischer Bestrebungen in Kontakt. Der Salafismus liefert somit die ideologische Grundlage, und die Vertreter salafistischer Bestrebungen setzen den organisatorischen und personell-strukturellen Rahmen, aus dem die Befürwortung und Ausübung von Gewalt zur Durchsetzung eigener Ziele hervorgehen kann. So sind aus verschiedenen salafistisch inspirierten Szenen - z.B. dem 2005 verbotenen "Multikulturhaus Ulm" (MKH) sowie dem im September 2007 aufgelösten "Islamischen Informationszen231 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS trum Ulm" (IIZ) - in Deutschland Personenkreise hervorgegangen, die sich dem globalen "Jihad" angeschlossen haben. Die Protagonisten der seit März 2009 vermehrt aufgetretenen Reisebewegungen in Richtung Afghanistan und Pakistan entstammen ebenfalls von der salafistischen Ideologie geprägten Milieus. 5. Nutzung des Internets Das Internet ist das wichtigste Kommunikationsund Propagandamedium für Islamisten und islamistische Terroristen. Die Möglichkeiten dieses Mediums zur Bildung "virtueller" Netzwerke werden von "Jihadisten" und ihren Sympathisanten rege genutzt, indem sie über Diskussionsforen, Chatrooms und soziale Netzwerke (z.B. Facebook, StudiVZ) Kontakt zu Gleichgesinnten aufnehmen und sich über offen zugängliche oder passwortgeschützte Kommunikationsplattformen miteinander austauschen. Auf einschlägigen Internetseiten werden Sachverhalte und Ereignisse über den jeweils eigenen regionalen Raum hinaus thematisiert. Sowohl die im Internet verbreitete Propaganda als auch die sich dort konstituierenden "virtuellen" Netzwerke tragen dazu bei, dass sich Aktivisten und Sympathisanten des globalen "Jihad" immer mehr als Teil einer einzigen Bewegung begreifen, selbst wenn sich ihre Ziele und Handlungsmotive zuweilen stark unterscheiden. Zur Verbreitung "jihadistischer" Propaganda im Internet werden vielfältige Formate genutzt. So werden regelmäßig Videos, Audiodateien, Online-Zeitschriften und -Bücher, Bekennungen zu und Distanzierungen von Anschlägen, Interviews mit Anführern oder Mitgliedern "jihadistischer" Gruppierungen sowie Ehrungen von sogenannten Märtyrern veröffentlicht. Im Jahr 2010 ist die Propagandaarbeit von Kern-"al-Qaida" gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Die Veröffentlichung aufwendiger Propagandavideos blieb weitgehend aus. Aufsehen erregten drei Ausgaben des englischsprachigen Online-Magazins "Inspire", dessen Herausgeber die AQAH (vgl. Kap. II, Nr. 2.4) ist. Das Magazin richtet sich vornehmlich an Sympathisanten des globalen "Jihad" in westlichen Staaten, die dazu aufgerufen 232 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS wurden, eigenständig und ohne Anbindung an "jihadistische" Gruppierungen Anschläge in westlichen Staaten zu verüben. Bei der Verbreitung fremdsprachiger, vorwiegend arabischVerbreitung sprachiger "jihadistischer" Propaganda spielt das seit 2006 exis"jihadistischer" tierende "al-Fajr Medienzentrum" eine herausragende Rolle. Es Propaganda fungiert als zentrale Veröffentlichungsstelle für die wichtigsten "jihadistischen" Gruppierungen, wie z.B. Kern-"al-Qaida" (vgl. Kap. II, Nr. 2.1), AQM (vgl. Kap. II, Nr. 2.3), AQAH (vgl. Kap. II, Nr. 2.4) und AAI (vgl. Kap. II, Nr. 3.1). "Al-Fajr" verfügt über keine eigene Internetseite. Vielmehr bedient sich das "Medienzentrum" mehrerer von ihm autorisierter "jihadistischer" Internetseiten, insbesondere "jihadistischer" Diskussionsforen. "Korrespondenten" sind exklusiv beauftragt, das von "al-Fajr" zur Verfügung gestellte Material in diese Foren einzustellen. Hierdurch soll die Authentizität des veröffentlichten Materials gewährleistet werden. Die Organisationen übermitteln das Material konspirativ an "al-Fajr", höchstwahrscheinlich ebenfalls über das Internet. Sowohl die hinter "al-Fajr" stehenden Personen als auch die beteiligten "Korrespondenten" bleiben anonym. Da dieses Verbreitungssystem verlässlich funktioniert, verzichtet ein Großteil "jihadistischer" Gruppierungen darauf, eigene Internetseiten zu betreiben. Auf deutschsprachigen "jihadistischen" Internetseiten wird überwiegend Bezug auf Veröffentlichungen genommen, die bereits auf fremdsprachigen "jihadistischen" Internetseiten erschienen sind. Häufig werden diese Veröffentlichungen in deutscher Übersetzung eingestellt. Insbesondere im Bereich des deutschsprachigen "jihadistischen" Internets gibt es vermehrt Bestrebungen, das Internet als Rekrutierungsbasis für neue Mitglieder zu nutzen. Sympathisanten des globalen "Jihad" im Internet sind nicht auf die Rolle bloßer Konsumenten von Propagandamaterial beschränkt, sie werden auch selbst aktiv. Über interaktive Bereiche wie Diskussionsforen, Chatrooms und Gästebücher können Mitglieder eigene Beiträge bereitstellen, Informationen verbreiten und Kommentare abgeben. Nach der Veröffentlichung von Propagandavideos wird in den Foren Zustimmung bekundet und über Art und Inhalt der Botschaft sowie über Urheber 233 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS und Adressaten diskutiert. Daneben stellen sich einige Sympathisanten als Übersetzer in andere Sprachen zur Verfügung. Nutzung nichtDarüber hinaus nutzen "Jihadisten" vermehrt nicht-islamistiislamistischer sche Internetdienste für ihre Zwecke. Auf Videoplattformen oder Internetdienste in Online-Kontaktnetzwerken werden Veröffentlichungen "jihadistischer" Gruppierungen und ihrer Anführer sowie eine immer größere Menge von Sympathisanten produzierter Propaganda eingestellt. Die Qualität dieser Produkte hat sich deutlich gesteigert. Videos werden vergleichsweise aufwendig produziert, gegebenenfalls mit einem Vorschaufilm oder mit Untertiteln versehen und z.T. in hoher Bildqualität zum Herunterladen angeboten. Besonders die sozialen Netzwerke erfreuen sich wachsender Beliebtheit im "jihadistischen" Spektrum. Sie werden einerseits zum Austausch von Propaganda, andererseits zum Knüpfen und Pflegen von Kontakten oder zur Bildung von Interessengemeinschaften genutzt. Vereinzelt sind "jihadistische" Gruppen mit einer eigenen Präsenz vertreten und haben oftmals eine große Anhängerschaft, wobei nicht immer ersichtlich ist, ob die Präsenz von den Gruppen selbst oder von Sympathisanten betrieben wird. Der Vorteil sozialer Netzwerke bzw. offen zugänglicher Bereiche des Internets liegt in der Erschließung eines breiten, nicht unbedingt dem islamistischen Spektrum zuzurechnenden Publikums. Dies erweitert die Möglichkeiten "jihadistischer" Gruppierungen, diese Personen zu indoktrinieren. DeutschlandDeutschland stand auch 2010 im Fokus der über das Internet bezüge in verbreiteten Propaganda, wobei sich Dichte und Qualität im Ver"jihadistischer" gleich zum Vorjahr verändert haben. Konkrete Drohungen Propaganda gegen Deutschland oder deutsche Interessen im Ausland sind in den Veröffentlichungen "jihadistischer" Gruppierungen kaum noch zu finden. Stattdessen wurden vermehrt Botschaften von Gruppierungen wie der IBU (vgl. Kap. II, Nr. 1 und 3.2) und den "Deutschen Taliban Mujahideen" (vgl. Kap. II, Nr. 1) verbreitet, in denen sich "Kämpfer" in deutscher Sprache an das Publikum wandten. Sie priesen den "Jihad" und das "Märtyrertum" und warben dafür, sich dem gewaltsamen "Jihad" in Afghanistan / Pakistan anzuschließen. U.a. traten die aus Deutschland stam234 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS menden Brüder Mounir und Yassin Chouka in mehreren Videos der IBU auf, in denen sie in deutscher Sprache das "Kämpferdasein" verherrlichen und als religiöse Pflicht darstellen. Aus der Propaganda von Kern-"al-Qaida" sind unmittelbare Deutschlandbezüge fast verschwunden. Bekkay Harrach, der im Jahr 2009 eine zentrale Rolle in der gegen Deutschland gerichteten Medienoffensive spielte, ist 2010 nicht mehr in Erscheinung getreten. Die IBU veröffentlichte im Januar 2011 eine in deutscher Sprache verfasste Textbotschaft im Internet, in der der Tod des "al-Qaida"-Propagandisten Harrach erstmals offiziell verkündet wurde. Von der erst im Vorjahr gegründeten "Medienstelle Elif Medya" sind seit Mai 2010 keine neuen Verlautbarungen erschienen. Bei der letzten Publikation mit dem Logo von "Elif Medya" handelt es sich um eine schriftliche Verlautbarung mit dem Titel "Mein Weg nach Jannah", die die angebliche Autobiografie des Konvertiten Breininger (vgl. Kap. II, Nr. 3.2) sowie ein kurzes Nachwort enthält, in dem speziell auf die Umstände seines Todes eingegangen wird. Die Autobiografie verherrlicht das "Märtyrertum" und enthält einen eindringlichen Aufruf zur Teilnahme am "Jihad". Neben dem Tod Breiningers wurden in der Propaganda auch weitere Fälle von angeblich in Afghanistan/Pakistan getöteten "Kämpfern" verarbeitet, die aus Deutschland stammen oder zumindest zeitweise in Deutschland gelebt haben. Ende April 2010 kam der Leiter von "Elif Medya", der auch die "Deutschen Taliban Mujahideen" anführte, bei einer militärischen Auseinandersetzung mit der pakistanischen Armee ums Leben. Nach seinem Tod ist die bisher durch ihn vorangetriebene und insbesondere auf Deutschland gerichtete Propagandaarbeit der "Elif Medya" ausgeblieben. Die "Taleban" bekannten sich auch im Jahr 2010 zu Angriffen auf die Bundeswehr in Afghanistan. In Verlautbarungen wurden "die Bundesregierung" und "das deutsche Volk" wiederholt dazu aufgefordert, die Bundeswehrtruppen aus Afghanistan abzuziehen. Die Erklärungen beinhalten neben der Kritik an den 235 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS politischen Verantwortungsträgern in Deutschland auch allgemeine Drohungen: "Es ist vernünftig, etwas frühzeitig zu tun, was später ohnehin notwendig wird, dann mit schweren Verlusten." (Schriftliche Erklärung mit dem Titel "Deutschland sollte die historischen Beziehungen mit den Afghanen nicht für die Interessen Amerikas opfern" vom 21. April 2010) 6. Übersicht ausgewählter Veröffentlichungen im Internet mit Deutschlandbezug im Jahr 2010 Datum OrganisaRedner / Titel Thema der Verlautbarung / tion / MeSprache Inhalt dienstelle 18. Januar "Taleban" Online"Die deutDer Autor thematisiert den Einsatz Magazin; schen Trupder deutschen Bundeswehr in pen in Afghanistan. Er spricht das deutsche Sprache: AfghanisVolk direkt an und fordert es auf, Arabisch tan stellen sich dem Willen seiner politischen eine Gefahr Verantwortungsträger zu widersetfür Europa zen. Er kritisiert die Entscheidung und die der Bundeskanzlerin zum deutWelt dar" schen Engagement in Afghanistan und wirft der FDP vor, der Kanzlerin in der Afghanistan-Strategie, entgegen der eigenen Prinzipien der Partei, gefolgt zu sein. Er sagt Deutschland eine ungewisse Zukunft voraus. Das deutsche Volk und alle europäischen Völker sollen dazu bewegt werden, Maßnahmen gegen den "tyrannischen" Krieg in Afghanistan zu ergreifen und die europäischen Truppen aus Afghanistan zurückzuziehen. 236 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner / Titel Thema der Verlautbarung / tion / MeSprache Inhalt dienstelle 26. Februar "Deutsche unbe"Die verDer Sprecher bezeichnet den Taliban kannte gessene "Jihad" als "Gipfel des Islam". Es Mujamännliche Pflicht" sei für alle Muslime verpflichtend hideen" Person; sich am "Jihad" zu beteiligen. Sprache: Deutsch 3. April "Taleban" BekennerBekennerUnter Nennung überhöhter schreiben; schreiben Opferzahlen bekennen sich die "Taleban" zu dem Anschlag auf Sprache: deutsche Truppen in der Provinz Arabisch Kunduz am 2. April 2010. 13. April "Deutsche Eric Brei"Im Das Video zeigt acht Kämpfer in Taliban ninger Namen Kampfanzügen, die überwiegend Mujau.a.; Allahs - Deutsch sprechen und Schießhideen" Sprache: Subhana übungen absolvieren, unter ihnen Deutsch/ wa teala" befindet sich auch Breininger. Englisch/ Gegen Ende des Videos wird Arabisch Breininger erneut gezeigt und zu seinen Taten der letzten Tage befragt. Er antwortet mit einem ' Lächeln, ein paar "Kuffar" [Ungläubige] getötet zu haben. 21. April "Taleban" schriftli"DeutschDie "Taleban" erinnern an die tradiche Verland sollte tionell guten deutsch-afghanilautbadie historischen Beziehungen und rufen die rung; schen Bedeutsche Regierung auf, ihre Trupziehungen pen aus Afghanistan abzuziehen. Sprache: mit den "Es ist vernünftig, etwas frühzeitig Arabisch/ Afghanen zu tun, was später ohnehin notEnglisch nicht für wendig wird, dann mit schweren die InterVerlusten." Außerdem werden die essen Luftangriffe vom 4. September Amerikas 2009 thematisiert, die den USopfern" Amerikanern angelastet werden. 237 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner / Titel Thema der Verlautbarung / tion / MeSprache Inhalt dienstelle 5. Mai "Medienschriftli"Mein Dem Beitrag nach handelt es sich stelle Elif che VerWeg nach um "die letzte Nachricht" des Medya" lautbaJannah" "Märtyrers" Breininger, rung; bestehend aus seiner angeblichen Autobiografie sowie einem Sprache: kurzen Nachwort, in dem insbeDeutsch sondere auf die Umstände seines Todes eingegangen wird. 11. August "Islamische "Boden Der aus Deutschland stammende Bewegung Mounir der Ehre Sprecher verherrlicht in seiner Usbekistans" Chouka; Teil 1 - Die Rede den "Jihad" und versucht, (IBU) Willkomseine Ausführungen mit religiöSprache: menssen Inhalten zu untermauern. Er Deutsch/ rede. ruft deutschsprachige Muslime Arabisch 'Und auf, ihr derzeitiges Leben hinter gedenkt sich zu lassen und sich in die Allahs Kampfgebiete zu begeben, wo Gnaden entsprechend der "jihadistian Euch'" schen" Ideologie gegen die "Besatzer" muslimischen Landes gekämpft wird. 26. August "Islamische Mounir "LABBAIK" Die beiden aus Deutschland Bewegung und Yassin stammenden Personen treten Usbekistans" Chouka; sowohl als Akteure als auch als (IBU) Sprecher auf. Sie agieren z.T. Sprache: vor der Kamera, teilweise Deutsch/ begleiten sie "Kämpfer" in Arabisch einer Art "Live-Dokumentation" zu den Operationen mit der Kamera und erläutern die jeweilige Situation. Mit einem Lächeln im Gesicht fordert Yassin Chouka dazu auf, sich dem "Jihad" anzuschließen. 238 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum OrganisaRedner / Titel Thema der Verlautbarung / tion / MeSprache Inhalt dienstelle 7. Oktober "Islamische Yassin "Mutter Das Video ist an ein deutsches Bewegung Chouka; bleibe Publikum gerichtet und ein emoUsbekistans" standtionales Plädoyer für den "Jihad". (IBU) Sprache: haft" In seiner Ansprache bringt der Deutsch Sprecher eine tiefe Ehrung und Dankbarkeit seiner Mutter gegenüber zum Ausdruck. Mit der Ehrung seiner Mutter im Speziellen und der Eltern im Allgemeinen entspricht er einem sehr bedeutenden islamischen Gebot und zeigt sich damit als demütiger und frommer Muslim. Seine Frömmigkeit beschreibt er, sei der Antrieb, den "Jihad" zu unterstützen. 15. Oktober ohne drei ohne Ein Sprecher wendet sich an die deutsch"deutschen Geschwister in sprachige Deutschland" und fordert diese männliche auf, nach Afghanistan zu komPersonen; men und gegen die "Kuffar" zu kämpfen. Eine weitere verSprache: mummte männliche Person bitDeutsch tet um Unterstützung für den "Jihad", damit die "Kuffar" aus "unseren" Ländern rausgehen und die Scharia wieder in den islamischen Ländern eingeführt wird. Schließlich werden Gräber von unbekannten Personen ausgehoben und die Gesichter von vier toten "Mujahidin", u.a. Breininger und zwei weitere aus Deutschland stammende Personen, gezeigt. 239 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 7. Übersicht ausgewählter islamistisch-terroristischer Anschläge Datum Ereignis Opfer 26. Februar 1993 Bombenanschlag auf das World Trade 6 Tote, Center, New York; der Anschlag wird über 1.000 Verletzte mit "al-Qaida" in Verbindung gebracht 7. August 1998 Anschläge auf die US-Botschaften in 223 Tote, Daressalam (Tansania) und Nairobi über 4.000 Verletzte (Kenia); Anschläge werden regionalen "al-Qaida"-Strukturen zugeschrieben 12. Oktober 2000 Sprengstoffanschlag auf den US-Zerstö17 Tote, rer "Cole" im Hafen von Aden (Jemen); 39 Verletzte der Anschlag wird mit "al-Qaida" in Verbindung gebracht 11. September 2001 Selbstmordanschläge auf das World ca. 3.000 Tote, Trade Center und das US-Verteidigungsdarunter 10 Deutsche, ministerium durch mutmaßliche ca. 6.000 Verletzte "al-Qaida"-Mitglieder 11. April 2002 Anschlag auf eine Synagoge auf der 21 Tote, Ferieninsel Djerba (Tunesien); darunter 14 Deutsche, "al-Qaida" bekannte sich im Juni 2002 24 Verletzte zu dem Anschlag 12. Oktober 2002 Anschläge auf eine Diskothek und ein über 200 Tote, Cafe im Badeort Kuta auf Bali darunter 6 Deutsche, (Indonesien); mehr als 330 Verder Anschlag wird mit "al-Qaida" in Verletzte bindung gebracht 28. November 2002 Selbstmordanschlag auf ein überwie16 Tote, gend von israelischen Touristen besuchca. 80 Verletzte tes Hotel in Mombasa (Kenia); der Anschlag wird mit "al-Qaida" in Verbindung gebracht 240 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Datum Ereignis Opfer 16. Mai 2003 Bombenanschläge in Casablanca 41 Tote, (Marokko) ca. 100 Verletzte 5. August 2003 Bombenanschlag auf das Marriott13 Tote, Hotel in Jakarta (Indonesien); ca. 150 Verletzte der Drahtzieher stand in Verbindung zu "al-Qaida" 11. März 2004 Sprengstoffanschläge auf vier Pendler191 Tote, züge in Madrid ca. 1.600 Verletzte, darunter 1 Deutscher 7. Juli 2005 Selbstmordanschläge auf drei 56 Tote, U-Bahn-Züge und einen Bus in London 528 Verletzte, darunter 5 Deutsche 2. Juni 2008 Selbstmordanschlag auf die Dänische 8 Tote, Botschaft in Islamabad (Pakistan) 15 Verletzte 26.-29. November 2008 Anschläge auf die indische Finanzme172 Tote, tropole Mumbai; darunter 3 Deutdie Anschläge werden mit der pakistasche, 295 Verletzte, nischen islamistischen Organisation darunter 3 Deutsche "Lashkar-e-Taiba" (LeT - "Armee der Reinen") in Verbindung gebracht 27. November 2009 Anschlag auf einen Schnellzug wäh28 Tote, rend der Fahrt von Moskau nach ca. 90 Verletzte St. Petersburg; die Gruppierung "Riyad al-Salihin" bekannte sich zum Anschlag 9. März 2010 Selbstmordanschläge auf die Moskauer 40 Tote, Metro; zu den Anschlägen bekannte 84 Verletzte sich Dokku Umarov ("Nordkaukasische Separatistenbewegung" - NKSB) in einer im Internet veröffentlichten Videobotschaft 241 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS III. Islamismus 1. Arabischer Ursprung 1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 im Libanon Leitung: Funktionärsgruppe Generalsekretär Hasan Nasrallah Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 900 (2009: 900) Publikationen: u.a. "al-Ahd - al-Intiqad" ("Die Verpflichtung - die Kritik"), überregional, wöchentlich; "al-Manar" ("Der Leuchtturm"), TV-Sender (Beirut) Betätigungsverbot in Deutschland gegen Verbotsverfügung vom "al-Manar": 29. Oktober 2008 Die im Jahr 1982 als Widerstandsgruppe gegen den Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon formierte schiitische "Hizb Allah" entwickelte sich in den darauf folgenden Jahren zu einer militanten Sammelbewegung islamistischer Schiiten mit Schwerpunkten im Südlibanon, in den Vororten von Beirut und im Bekaa-Tal (an der Grenze zu Syrien). Iran und Syrien unterstützen die "Hizb Allah" bis heute in ideologischer, finanzieller und logistischer Hinsicht vor dem Hintergrund der gemeinsamen Gegnerschaft zu Israel und um die "Hizb Allah" innerhalb des politischen Spektrums im Libanon zu stärken. Ziele Das erklärte Ziel der "Hizb Allah" ist der auch unter Anwendung terroristischer Mittel geführte und als "legitimer Widerstand" bezeichnete Kampf gegen Israel als "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens". 242 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Das ursprüngliche Ziel, einen Gottesstaat im Libanon nach iranischem Vorbild zu gründen, ist zugunsten einer pragmatischen Politik im Libanon in den Hintergrund getreten. So stellte der Generalsekretär Nasrallah am 30. November 2009 ein Strategiepapier vor, das die formelle Wandlung der "Hizb Allah" von einer Widerstandsgruppe hin zu einer politisch eigenständig agierenden Partei in der libanesischen Politik belegen sollte. Die "Hizb Allah" ist seit 1992 im libanesischen Parlament vertreAktivitäten ten. Um ihren politischen Einfluss zu stärken, geht sie Oppositionsbündnisse mit anderen Parteien ein. Insbesondere ihrem sozialen Engagement verdankt die "Hizb Allah" vor allem unter der schiitischen Bevölkerung einen breiten gesellschaftlichen Rückhalt. Vom 13. bis 14. Oktober 2010 besuchte der amtierende Präsident der Islamischen Republik Iran Mahmud Ahmadinedschad den Libanon. Neben einem Treffen mit Vertretern der libanesischen Regierung traf er auch mit Nasrallah zusammen. Ahmadinedschad besuchte diverse "Hizb Allah"-Hochburgen im Libanon und hielt eine Rede vor "Hizb Allah"-Anhängern in SüdBeirut, um die Verbundenheit Irans mit der "Hizb Allah" zu demonstrieren. Die "Hizb Allah" ist in Deutschland nicht einheitlich strukturiert. Aktivitäten in Daher treffen sich die Anhänger in einzelnen örtlichen, der Deutschland Organisation nahestehenden Moscheevereinen. Mit öffentlichen Aktionen halten sich die Anhänger weiterhin zurück, um nicht in den Fokus der Sicherheitsbehörden zu geraten. Anhänger der "Hizb Allah" beteiligten sich auch 2010 an der alljährlichen Demonstration zum "al-Quds-Tag" ("Jerusalem"-Tag), der 1979 von Ayatollah Khomeini ausgerufen wurde und die Muslime an ihre Pflicht erinnern soll, Jerusalem zu "befreien". Insgesamt nahmen rund 500 Personen teil. Die "Hizb Allah"-nahen Moscheevereine in Deutschland finanFinanzierung zieren sich überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen. Darüber hinaus unterstützen "Hizb Allah"Anhänger aus Deutschland die Organisation im Libanon. 243 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Der in Göttingen ansässige Spendensammelverein "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP) ist bundesweit tätig und unterstützt mit den in Deutschland gesammelten Geldern karitative Programme der "Hizb Allah" für Familien und Kinder, deren Angehörige bei Kampfhandlungen gegen Israel getötet wurden. Im Jahr 2010 erkannte das Finanzamt Göttingen dem WKP die Gemeinnützigkeit ab. Die hiergegen gerichtete Klage des Vereins wurde am 8. April 2010 vom Finanzgericht Hannover abgewiesen. Das Urteil ist seit dem 23. Juni 2010 rechtskräftig. Wertung Die "Hizb Allah"-Anhänger in Europa unterstützen die Organisation im Libanon, indem die jeweiligen Gemeinden Gelder sammeln bzw. logistische Unterstützung leisten. Die in Deutschland gesammelten Spenden fördern damit zumindest mittelbar den bewaffneten Kampf gegen Israel. Die Gewissheit, dass den Hinterbliebenen der im Kampf Getöteten finanziell geholfen wird, steigert die Bereitschaft, sich aktiv am Kampf zu beteiligen, und unterstreicht in den Augen der Anhänger ihre Rolle als "Märtyrer". 244 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1.2 "Hizb ut-Tahrir" (HuT) ("Partei der Befreiung") Gründung: 1953 in Jerusalem Leitung: Ata Abu al-Rashta alias Abu Yasin (seit April 2003) Mitglieder in Deutschland: 300 (2009: 300) Publikationen: "al-Khilafa" ("Das Kalifat", englisch/arabisch); "Hilafet" ("Das Kalifat", türkisch) und "Köklü Degisim" ("Grundlegender Wandel", türkisch); "al-Waie" ("Das Bewusstsein", arabisch); "Expliciet" (niederländisch) Betätigungsverbot Verbotsverfügung vom in Deutschland: 10. Januar 2003 Die HuT wurde 1953 in Jerusalem von Taqiaddin al-Nabhani (1909-1977) gegründet, dessen Schrift "Die Lebensordnung des Islam" ("Nizam al-Islam") der Organisation bis heute als ideologische Grundlage dient. Aus Sicht der Organisation, die sich selbst als politische Partei begreift, regelt der Islam abschließend alle Fragen der Gesellschaft, Politik und Wirtschaft, aber auch solche des alltäglichen Lebens. Ziel der pan-islamisch geprägten HuT ist die Vereinigung der Ziele islamischen Gemeinde (Umma) zu einem einzigen Staat unter Auflösung der bisherigen nationalstaatlichen Grenzen. Gesetzliche Grundlage dieses unter der Führung eines Kalifen stehenden Staates (Kalifat) soll die islamische Rechtsordnung (Scharia) sein. 245 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In einer Erklärung auf der Internetseite der HuT heißt es zum Absolutheitsanspruch des Kalifats: "Das islamische Kalifat ist der Schutz für die Länder der Muslime, seine Errichtung ist eine Pflicht und die Inaktivität dabei eine Sünde. (...) Das Kalifat wird das Leben, die Ehre sowie die Sicherheit und den Besitz aller Muslime beschützen und gewährleisten, so dass die Umma ihrer Aufgabe nachkommt, Allahs System weltweit zu etablieren und die gesamte Welt von der Unterdrückung durch die Imperialisten zu befreien." (Internetseite der HuT, 8. November 2010) Das Kalifat soll in Verwaltungsbezirke (wilayat) unterteilt werden, die der derzeitigen Organisationsstruktur der HuT entsprechen, darunter z.B. das wilaya Europa sowie die eigenständigen wilayat Großbritannien, Türkei, Pakistan und Indonesien. Der "deutschsprachige Raum" (Deutschland, Österreich, Schweiz) wird seit Ende 2009 als eigenständiges wilaya geführt. Mediensprecher der Organisation für den "deutschsprachigen Raum" ist der in Österreich wohnhafte Aktivist Shaker Assem. Indem sie dem Staat Israel das Existenzrecht abspricht und die "Befreiung" dieses Territoriums als eines ihrer primären Ziele ansieht, widerspricht die HuT dem Gedanken der Völkerverständigung. Aufgrund ihrer ausgeprägten antisemitischen und antizionistischen Grundhaltung gilt für die Organisation auch der Einsatz von Gewalt als legitimes Mittel: "Ihr Muslime, ihr muslimischen Armeen! Hizb ut-Tahrir appelliert an euren Eifer, an eure Willenskraft um den aufrichtigen Regenten, den rechtgeleiteten Kalifen aufzustellen, der euch zu der Vernichtung des Zionistengebildes führt." (Internetseite der HuT, 22. August 2010) Die HuT fordert eine "Befreiung" der islamischen Gesellschaft von westlichen Einflüssen und wendet sich deshalb nicht nur 246 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS gegen die USA und deren Verbündete, sondern auch gegen die meisten Regierungen in der islamischen Welt, denen sie Kollaboration mit dem Westen gegen die eigene Bevölkerung und den Verrat an den Lehren und Vorschriften des Islam vorwirft. Diese "Staaten des Unglaubens" ("kufr-Staaten") gelte es zu bekämpfen. Die Einigung der Umma und die Wiedererrichtung des Kalifats Drei-Phasen-Modell soll sich in drei Phasen vollziehen. Die erste Phase beinhaltet die Rekrutierung neuer Mitglieder, die hauptsächlich durch Propagandaarbeit erfolgt. In der zweiten Phase, in der sich die HuT nach eigenen Angaben zurzeit befindet, wird die Erziehung der Umma im Sinne der Lehren der HuT vorangetrieben. Insbesondere durch regelmäßige Schulungen, die meist wöchentlich stattfinden, sollen neue Mitglieder an die Lehren des Gründers al-Nabhani herangeführt werden. In der dritten Phase wird eine gesellschaftliche Umwälzung angestrebt, die zur Machtübernahme und zur Errichtung des Kalifats führen soll. Vertreter der HuT, die zuvor auf gesellschaftlichen Schlüsselpositionen platziert werden, sollen den Umwälzungsprozess lenken und später im Kalifat wichtige Positionen einnehmen. Hierzu bemüht sich die Organisation intensiv um Rekrutierung angehender Akademiker. Mit Verfügung vom 10. Januar 2003 untersagte der BundesmiBetätigungsverbot nister des Innern der HuT die Betätigung im Bundesgebiet, u.a. in Deutschland weil sich ihre Ziele gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten und sie Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele befürwortet (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI). Obwohl die HuT nach dem Betätigungsverbot in Deutschland Aktivitäten im nicht mehr öffentlich auftritt, strahlen ihre Aktivitäten über das Ausland Internet nach Deutschland aus. In Europa wird - ausgehend vom wilaya Großbritannien - der Großteil der medialen Agitation der HuT über das Internet verbreitet. Ähnlich wie vor dem Betätigungsverbot in Deutschland, finden in Großbritannien daneben regelmäßig Vortragsveranstaltungen, Flugblattaktionen und Demonstrationen statt. 247 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Den größten Mitgliederbestand hat die HuT in Indonesien und Zentralasien sowie in einigen arabischen Ländern. Dort gelingt es der Organisation trotz z.T. drastischer staatlicher Exekutivmaßnahmen, eine große Zahl von Anhängern u.a. für Konferenzen zu mobilisieren. Angekündigt und beworben werden diese - z.T. von mehreren Zehntausend Anhängern besuchten - Zusammenkünfte durch aufwendig erstellte Videos, die auf den Websites der wilayat bzw. auf nicht-islamistischen Internetseiten / Videoplattformen eingestellt werden. Hauptthema der Konferenzen ist die Errichtung eines weltweiten Kalifats als alleinige Lösung aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme. "Allein das islamische Wirtschaftssystem im Staate des Kalifats ist in der Lage ein gerechtes, krisenfreies Wirtschaftsleben zu gewährleisten." (Auszug aus der "Einladung zu der von HuT veranstalteten Weltwirtschaftskonferenz" im Sudan am 3. Januar 2009) Im Jahr 2010 haben Konferenzen mit meist internationalem Teilnehmerkreis beispielsweise in Australien, den USA und Dänemark stattgefunden. Auf diesen Zusammenkünften wurden auch die Ursachen und Folgen der seit Ende 2008 anhaltenden Weltwirtschaftskrise wiederholt thematisiert. 1.3 "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - (HAMAS) ("Islamische Widerstandsbewegung") Gründung: Anfang 1988 im Gazastreifen/ heutiges palästinensisches Autonomiegebiet Leitung: Khalid Mash'al (Sitz: Damaskus/Syrien), Isma'il Haniya (Sitz: Gazastreifen) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 300 (2009: 300) 248 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die HAMAS wurde Anfang 1988 als Reaktion auf den Ausbruch der ersten Intifada im Dezember 1987 von palästinensischen Anhängern der "Muslimbruderschaft" (MB; vgl. Kap. III, Nr. 1.4) unter Führung von Ahmad Yasin gegründet. Erklärtes Ziel der Organisation ist die Errichtung eines islamischen Staates auf dem gesamten Gebiet "Palästinas", einschließlich des israelischen Staatsgebietes. Eine Zweistaatenlösung lehnt die HAMAS ab, vielmehr fordert sie die Beseitigung des Staates Israel. Zur Verwirklichung dieses Zieles befürwortet die HAMAS Gewalt und wendet diese strategisch zur Torpedierung von Friedensgesprächen zwischen Israel und der Palästinensischen Autonomiebehörde oder als Vergeltung für Maßnahmen israelischer Sicherheitskräfte gegen die HAMAS an. Die HAMAS ist ein einheitliches Gebilde, dessen verschiedene Zweige in einer wechselseitigen Beziehung zueinander stehen.116 Dabei können im Wesentlichen drei Bereiche unterschieden werden: Der politische Bereich ist zugleich verantwortlich für die Gesamtleitung der Organisation. Die "Izzaddin al-QassamBrigaden" sind maßgeblich verantwortlich für terroristische Aktivitäten, insbesondere in Form von Selbstmordanschlägen gegen israelische Ziele. Der soziale Bereich mit seinen zahlreichen humanitären Einrichtungen ist ursächlich für die Popularität der HAMAS in der palästinensischen Bevölkerung. Ihre sozialen Aktivitäten nutzt die HAMAS zur Rekrutierung neuer Mitglieder. Im Rahmen der Kinderund Jugendarbeit wird antiisraelische Propaganda betrieben und der "Märtyrertod" im Kampf gegen Israel glorifiziert. Die HAMAS finanziert die hohen Kosten ihrer humanitären EinSpendensammlunrichtungen mit der weltweiten Sammlung von Spendengeldern. gen der HAMAS In Deutschland wurden die Organisationen - "al-Aqsa e.V.", "YATIM-Kinderhilfe e.V." und "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V." (IHH; vgl. Kap. III, Nr. 2.) - wegen finanzieller Unterstützung der HAMAS verboten. In einigen anderen europäischen Ländern existieren ebenfalls Organisationen, bei denen Verdachtsmomente für entsprechende Aktivitäten vorliegen. 116 BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 2004, BVerwG 6A 10.02 (DVBl. 2005, S. 290 ff). 249 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Aktivitäten in Die Aktivitäten der HAMAS-Anhänger in Deutschland konzenDeutschland trieren sich auf die Sammlung von Spendengeldern, die Gewinnung neuer Mitglieder sowie anlassbezogen auf die Teilnahme an Kundgebungen zum Nahost-Konflikt. Die HAMAS führt in Deutschland keine eigenen öffentlichkeitswirksamen Aktionen durch. Stattdessen nutzt sie das nach eigenen Angaben 1996 gegründete "Palestinian Return Centre" (PRC) mit Sitz in London als Forum für politische Propaganda. Das PRC fordert ein "Rückkehrrecht" für palästinensische Flüchtlinge und propagiert dies auf Veranstaltungen und in Publikationen. Seit 2003 organisiert es zu dieser Problematik jährlich eine internationale Großveranstaltung mit mehreren Tausend Teilnehmern, die jeweils im Frühjahr in einer anderen europäischen Großstadt stattfindet. Die Übertragung der Rede eines hohen HAMAS-Funktionärs bildet seit 2006 einen Höhepunkt. Bei der Veranstaltung am 8. Mai 2010 in Berlin bekräftigte der live zugeschaltete HAMAS-Funktionär und Sprecher des "Palästinensischen Legislativrates" Aziz Dweik in seiner Rede den Anspruch der Muslime auf Jerusalem (al-Quds): "Die Würde der Muslime ist erst wiederhergestellt, wenn al-Quds wieder in den Schoß der Umma zurückkehren konnte." (Al Jazeera Television, 8. Mai 2010) Wertung Der HAMAS dienen westliche Staaten wie Deutschland als Rückund Ausblick zugsgebiete, aus denen die Organisation sowohl logistisch als auch durch Spendengelder unterstützt wird. Sie versucht beharrlich, ihren Einfluss auf die palästinensischstämmige Bevölkerung in Deutschland auszubauen, um Solidarität mit den Zielen der HAMAS im Gaza-Streifen aufzubauen und eine Basis für finanzielle und logistische Unterstützung zu schaffen. Die Anhänger in Deutschland sind auf die Entwicklung im Nahen Osten fokussiert; jede Veränderung im Nahost-Konflikt wird mit hoher emotionaler Anteilnahme verfolgt. Terroristische Aktivitäten außerhalb Israels und Palästinas entsprechen jedoch nicht der derzeitigen Strategie der HAMAS-Führung. 250 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB) ("Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin") Gründung: 1928 in Ägypten Leitung: Muhammad Badi (Sitz: Ägypten) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 1.300 (2009: 1.300) Publikationen: "Risalat al-Ikhwan" ("Rundschreiben der Bruderschaft") Die 1928 von dem Lehrer Hasan al-Banna (1906-1949) in Ägypten gegründete MB gilt als die älteste und einflussreichste sunnitische islamistische Bewegung. Nach eigenen Angaben ist sie weltweit in mehr als 70 überwiegend muslimischen Ländern in unterschiedlicher Ausprägung vertreten und agiert dabei häufig unter anderen Namen. Neben dem Gründer al-Banna ist es vor allem Sayyid Qutb (1906-1966), dessen Lehren die MB bis heute beeinflussen. Zahlreiche islamistische Organisationen, wie die ägyptischen Gruppierungen "al-Gama'a al-Islamiya" (GI) und "al-Jihad al-Islami" (JI) sowie die palästinensische HAMAS (vgl. Kap. III, Nr. 1.3), basieren auf der Ideologie der MB. Ziel der MB war es, zunächst die Souveränität Ägyptens auf der Ziele Grundlage der islamischen Prinzipien durchzusetzen, hin zu einem "wahrhaft islamischen" Staat. Am Ende dieser Entwicklung sollte ein föderales großislamisches Weltreich unter Führung eines Kalifen (Kalifat) stehen. Alleinige Grundlage des gesellschaftlichen, politischen und privaten Lebens sollte die Scharia als von Gott geschaffene islamische Rechtsund Werteordnung bilden. Da die Staatsgewalt von Gott ausgehe, seien laizistische oder säkulare Staatsformen abzulehnen. Heute plädieren der sogenannte Reformflügel der MB sowie international engagierte MB-Ideologen für die Gründung eines "bürgerlichen Staates", in dem alle Bürger die gleichen verfassungsmäßigen Rechte und Pflichten haben. 251 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS In diesem Staatssystem soll der Islam als kulturelles, gesellschaftliches und politisches System eine "Autoritätsquelle" darstellen, die allgemeine und für einen funktionierenden Staat mit muslimischer Mehrheit maßgebende Regeln beinhalte. Der im Januar 2010 gewählte MB-Vorsitzende Badi, Anhänger des "konservativen" Flügels der MB, hat sich in dieser Frage den "Reformern" in der MB angeschlossen. Er befürworte einen "bürgerlichen Staat" auf der Basis islamischer Werte, in dem das Staatsoberhaupt zwingend männlich und muslimischen Glaubens sein solle.117 Er erklärte, die Muslime würden siegreich sein, wenn sie die "Verfassung Allahs" einführten.118 Gleichwohl werde die MB bei der Umsetzung ihres Ziels weiterhin auf Gewalt verzichten. Dies gelte jedoch nicht gegenüber "Besatzern". Im April 2010 rief Badi die "arabischen Herrscher" dazu auf, "jede Form des Widerstands zur Befreiung jedes Zolls besetzter Gebiete in Palästina, Irak und Afghanistan" zu unterstützen.119 Insbesondere die Palästinenserfrage ist laut Badi für die MB von entscheidender Bedeutung. Das MB-Führungsmitglied Essam el-Erian äußerte sich zu Israel in einem Interview: "Es ist ein Besitz ergreifendes und alles an sich reißendes Gebilde; und es besitzt keinerlei Rechtmäßigkeit. (...) Meiner Ansicht nach ist die Lösung einfach. Würde die internationale Gemeinschaft das Recht der Palästinenser auf Rückkehr akzeptieren, würde das bedeuten, dass der Staat palästinensisch würde, da die Zahl der Palästinenser die der Juden deutlich überträfe. Wenn die Juden darin leben wollten, bitte; und falls sie es nicht wollten, könnten sie dahin zurückkehren, woher sie gekommen sind." (Internetseite der arabischen Zeitung "Al-Sharq al-Awsat", 5. Juni 2010) 117 Englischsprachige Internetseite der MB (7. August 2010). 118 Englischsprachige Internetseite der MB (5. Oktober 2010). 119 Englischsprachige Internetseite der MB (2. April 2010). 252 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Trotz des immer noch gültigen Verbots in Ägypten beteiligt sich Politische Aktivitädie MB mit "unabhängigen" Kandidaten oder in Wahlbündnisten in Ägypten sen seit den 1980er Jahren an Parlamentsund Kommunalwahlen. Nachdem die MB bei den Unterhauswahlen 2005 rund 20 Prozent der Parlamentssitze gewann und zur stärksten Oppositionsgruppe in Ägypten aufstieg, kündigte sie in einer Pressekonferenz am 9. Oktober 2010 an, für die Unterhauswahlen am 28. November 2010 Kandidaten für ca. 30 Prozent der Sitze aufzustellen. Auf die Ankündigung reagierte die ägyptische Regierung mit verstärkten Repressionsmaßnahmen, u.a. Festnahmen und Hausdurchsuchungen bei MB-Anhängern. Letztlich stellte die MB Kandidaten für 20 Prozent der Parlamentssitze auf. Im ersten Wahlgang wurde kein einziger Sitz errungen. Die MB machte für ihr schlechtes Abschneiden massive Wahlfälschungen seitens der ägyptischen Regierung verantwortlich. Auch unabhängige Wahlbeobachter sprachen von Unregelmäßigkeiten und Auffälligkeiten. Die Nachwahlen am 5. Dezember 2010 boykottierte die MB. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gelang es der MB, in Ausdehnung zahlreichen westund osteuropäischen Ländern ein Netz von nach Europa Moscheen, Instituten, Verbänden und Schulen zu schaffen, die bis heute ihre Interpretation des Islam verbreiten. Sa'id Ramadan (Schwiegersohn und damaliger persönlicher Sekretär al-Bannas) gründete 1961 das "Islamische Zentrum" in Genf. Ramadan und seine Mitstreiter errichteten in Europa - mutmaßlich mit finanzieller Unterstützung aus Saudi-Arabien - weitere "Islamische Zentren" nach Genfer Muster, u.a. das "Islamische Zentrum München" (IZM). Ebenso wurden internationale Einrichtungen geschaffen. In dem 1989 gegründeten europäischen Dachverband "Federation of Islamic Organizations in Europe" (FIOE - "Föderation Islamischer Organisationen in Europa") mit Sitz in Brüssel sind zahlreiche MB-nahe Verbände vertreten. Die europäischen Einrichtungen haben zumeist keine offen erkennbaren organisatorischen Verbindungen zur MB; offiziell werden diese auch dementiert. Eine weitere Institution auf europäischer Ebene mit zentraler Bedeutung ist der auf Initiative der FIOE gegründete "European Council for Fatwa and Research" (ECFR - "Europäischer Rat für Fatwa und wissenschaftliche Studien"). Mit dem ECFR wurde 253 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS erstmals ein Gremium für islamisches Recht in Europa geschaffen. Vorsitzender des ECFR ist der in Katar ansässige ägyptische Islamgelehrte Yusuf al-Qaradawi, der in der Vergangenheit Mitglied der MB war und sie heute ideologisch maßgeblich beeinflusst. Ein weiteres prominentes Mitglied des ECFR, der Ägypter Salah Soltan, äußerte sich wie folgt: "Friedlicher Widerstand gegen Todfeinde wie die Zionisten und Kreuzzügler ist wahrhaftiger Verrat und bedeutet Spaltung der Araber. Wahrhaftiger Widerstand aber bedeutet Kraft des Glaubens und der Überzeugung, Stärke der Einheit und des Verbundenseins, sowie Kraft der unterstützenden Hand und der Waffe." (Arabischsprachige Internetseite der MB, 6. April 2010) "Islamische Die MB-Anhänger nutzen in Deutschland eine Vielzahl Gemeinschaft in "Islamischer Zentren" für ihre Aktivitäten. Die mit mehreren Deutschland e.V." Hundert Anhängern mitgliederstärkste Organisation ist die IGD (IGD) mit Sitz in Köln, die 2008 ihr 50-jähriges Bestehen feierte. Hervorgegangen ist sie aus der 1958 gegründeten "Moscheebauinitiative in München e.V.", die das "Islamische Zentrum München" (IZM) errichtete. Neben dem IZM, in dem sich gleichzeitig bis November 2010 ihr Hauptsitz befand, unterhält die IGD nach eigenen Angaben "Islamische Zentren" in Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln, Marburg, Braunschweig und Münster.120 In einigen dieser Zentren treten gelegentlich Gastimame aus dem arabischen Raum auf, die sich in arabischen Medien offen antisemitisch und hinsichtlich des Nahost-Konflikts gewaltbefürwortend geäußert haben. Der ägyptische Prediger Safwat Higazi, der im Juni 2010 auf der Jahreskonferenz der "Islamischen Gemeinschaft Münster e.V." auftrat, glorifizierte in arabischen Fernsehsendern palästinensische Selbstmordanschläge, verunglimpfte Juden als "Söhne von Affen und Schweinen" und nannte sich selbst einen Antisemiten.121 120 "Islamische Gemeinde Nürnberg e.V.", "Islamisches Zentrum Stuttgart e.V.", "Islamisches Zentrum Franfurt e.V.", "Islamisches Bildungswerk in Deutschland e.V." (IBW; Sitz: Köln), "Orientbrücke Marburg e.V.", "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V.", "Islamische Gemeinschaft Münster e.V.". 121 Homepage von YouTube (5. Juli 2010). 254 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die IGD war maßgeblich an der Gründung des "Rates der Imame und Gelehrten in Deutschland e.V." (RIGD) beteiligt, der seinen Sitz in Frankfurt am Main hat. Der RIGD erhebt für sich den Anspruch, verbindlichen Rat und Antworten in Fragen der Islamauslegung geben zu können und verfügt nach eigenen Angaben über gute Kontakte zum ECFR. Laut ihrer Internetseite koordiniert die IGD ihre Aktivitäten mit zahlreichen weiteren Moscheegemeinden in Deutschland.122 In einem Interview spricht der ehemalige IGD-Präsident Ibrahim el-Zayat von mehr als 130 mit der IGD verbundenen "Islamischen Zentren".123 Als Gründungsmitglied der FIOE setzt die IGD in Deutschland - und Europa - auf eine Strategie der kontinuierlichen Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Bereich, um ihren Anhängern Freiräume für eine an Koran und Sunna orientierte Lebensweise zu ermöglichen. Zudem versucht sie in ihren Zentren u.a. durch Koranunterricht, gezielt auf Kinder und Jugendliche einzuwirken. Im Zusammenhang mit ihrer organisatorischen Einbindung in die FIOE orientiert sich die IGD auch an deren Statuten. Diese sehen eine maximale Amtszeit des Präsidenten von zwei Amtsperioden vor.124 Nach zwei Amtsperioden wurde el-Zayat im Januar 2010 von Samir Falah abgelöst.125 Die IGD verfolgt eine an der MB-Ideologie ausgerichtete StrateWertung und gie, die darauf abzielt, im gesellschaftlichen Umfeld Ausblick IGD Deutschlands mittelbis langfristig eine auch intellektuell-ideologisch führende und im Sinne islamistischer Zielvorstellungen relevante Einflussgröße zu werden. Dies beinhaltet eine entsprechende Schulung und Unterweisung der Mitglieder, um weitere für die Organisation geeignete Mitarbeiter zu rekrutieren und auszubilden. Die Organisation strebt zielgerichtet und beharrlich die Schaffung von gesellschaftlichen "Freiräumen" 122 Homepage der IGD (29. Oktober 2010). 123 Homepage der IGD (29. Oktober 2010); Interview Ibrahim el-Zayat mit IGDonline vom 26. April 2010. 124 Siehe Fn. 123. 125 Homepage der IGD (29. Oktober 2010); Presseerklärung der IGD vom 11. Januar 2010. 255 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS an, in denen säkulare gesellschaftliche Konventionen und westlich geprägte pluralistische Normen nicht gelten, sondern die von der Organisation praktizierten islamistischen Wertvorstellungen Anwendung finden sollen. Diese von den IGD-Zentren durchgeführten Aktivitäten sind letztlich geeignet, gesellschaftlich desintegrativ auf hier lebende Muslime zu wirken. Die IGD engagiert sich programmatisch in überregionalen muslimischen Verbänden. Es ist zu erwarten, dass sie auch auf diesem Wege versuchen wird, die Diskussion gesellschaftlicher Themen, wie die in Deutschland angestrebte eigenständige Imam-Ausbildung, in ihrem Sinne ideologisch zu beeinflussen und ihre religiös-politischen Vorstellungen durchzusetzen. "Muslimische Die Jugendorganisation MJD unterhält enge Verbindungen zur Jugend in IGD. Nach eigenen Angaben ist die MJD mit Sitz in Berlin eine Deutschland e.V." bundesweit agierende Vereinigung von muslimischen Jugend(MJD) lichen im Alter von 13 bis 30 Jahren. Organisiert ist die MJD in sogenannten Lokalkreisen, die sich vornehmlich in den alten Bundesländern befinden und sich jeweils in "Schwestern-" und "Brüderkreise" gliedern. Die Organisation gibt an, sich aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen zu finanzieren. Den Mitgliedern der MJD werden umfangreiche und zielgruppenorientierte Schulungsund Freizeitaktivitäten angeboten. Auch die MJD unterhält enge Beziehungen zu MB-Organisationen auf europäischer Ebene. Sie wurde 1994 von einem heutigen Mitglied des ECFR gegründet. Auf ihrer Internetseite erklärte sie im Februar 2003, sich in allen Rechtsfragen an den Maßgaben des ECFR zu orientieren. Zudem wurde auf Initiative der FIOE die "Federation of European Muslim Youth and Student Organizations" (FEMYSO) gegründet. An der Gründung dieser Dachorganisation für muslimische Jugendliche in Europa war die MJD als Mitglied beteiligt. 256 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 1.5 "Jama'at al-Adl wal-Ihsan" (JAI) ("Gemeinschaft für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit") Gründung: September 1981 in Marokko Leitung: Abdesalam Yasine Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die JAI wurde im September 1981 von Abdelsalam Yasine, der sich nach eigenen Angaben auf die Lehren Qutbs und al-Bannas stützt, in Marokko gegründet (vgl. Kap. III, Nr. 1.4). Sie ist die größte Oppositionsbewegung in Marokko und dort seit 1990 verboten. Die JAI lehnt die marokkanische Monarchie als unislamisches Ziele System ab und strebt die Errichtung eines islamischen Staates auf Basis der Scharia an, und zwar in Form eines Kalifats zunächst in Marokko und letztlich weltweit. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten legt die JAI auf das marokkanische Staatsgebiet. Dort versucht sie, mittels Missionierungsund Sozialarbeit Einfluss auf das gesellschaftliche Leben zu gewinnen. In Deutschland existieren zahlreiche Vereine, die der JAI zugeAktivitäten in rechnet werden. Deren Aktivitäten erstrecken sich vorwiegend Deutschland auf Hannover, Berlin, das Rhein-Main-Gebiet und das Ruhrgebiet. Die Vereine legen ihren Schwerpunkt auf die Nachwuchsgewinnung von Jugendlichen und Heranwachsenden, bevorzugt Studierende der Naturwissenschaften mit marokkanischem Hintergrund und Konvertiten aus dem universitären Umfeld. Ziel ist es, muslimischen Jugendlichen den Islam wieder näher zu bringen und gleichzeitig die islamistische Ideologie der JAI zu vermitteln, u.a. durch spezielle Freizeitprogramme. Zudem organisiert sie kulturelle Veranstaltungen, die der Missionierung, der Spendensammlung und der Mitgliedergewinnung dienen. 257 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Wertung Die JAI fordert in aktuellen Stellungnahmen im Internet mit Blick und Ausblick auf die vorherrschende Umbruchsituation in den MaghrebStaaten für Marokko die Einbeziehung aller Parteien und Kräfte, um eine demokratische Verfassung zu erreichen und jegliche Diktatur auszuschließen. Gleichzeitig verlangt sie von den Vertretern der Monarchie, ihre Machtposition aufzugeben. Ob der Aufruf der JAI zum nationalen Dialog, an dem sich alle Parteien und Kräfte beteiligen können, als Beginn einer Abkehr von absoluten islamistischen Positionen gedeutet werden kann, ist derzeit nicht abzusehen. 2. Türkischer Ursprung 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Gründung: 1985 in Köln (als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." - AMGT) Leitung: Osman Döring (genannt Yavuz Celik Karahan) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 30.000 (2009: 29.000) Publikationen: u.a. "IGMG Perspektif", unregelmäßig; "Milli Gazete" (formal unabhängiges "Sprachrohr" der "Milli Görüs"Bewegung) Die IGMG ist mit einer geschätzten Mitgliederzahl von 30.000 die größte islamistische Organisation in Deutschland. Aufgrund ihrer zahlreichen Einrichtungen und vielfältigen Angebote erreicht sie jedoch einen weitaus größeren Personenkreis, wobei nicht alle Mitglieder/Anhänger der IGMG islamistische Ziele verfolgen oder unterstützen. Nach eigenen Angaben zählen zur IGMG europaweit etwa 87.000 Mitglieder; die Zahl der Besucher ihrer Einrichtungen wird mit ca. 300.000 angegeben. Sie verfüge 258 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS derzeit über 514 Moscheeund Kulturvereine, davon 323 in Deutschland.126 Die IGMG wird von Döring geleitet, nach außen zumeist jedoch von ihrem Generalsekretär Oguz Ücüncü repräsentiert. Mit der Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes der IGMG ist seit 1995 die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) betraut. Als Geschäftsführer fungiert el-Zayat, der bis Januar 2010 zugleich Vorsitzender der IGD war (vgl. Kap. III, Nr. 1.4). Die ideologischen Wurzeln der IGMG sind auf Ideen des türkiIdeologische schen Politikers Necmettin Erbakan127 zurückzuführen, der Ende Wurzeln der 1960er Jahre die "Milli Görüs"-Bewegung gründete. Die von Erbakan geprägten Schlüsselbegriffe lauten "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"). Nach seinem Geschichtsverständnis stehen sich in einzelnen Epochen gegensätzliche Zivilisationen unversöhnlich gegenüber, die entweder auf grundsätzlich "gerechten" oder auf "nichtigen" Voraussetzungen beruhen. "Gerecht" sind für Erbakan die Ordnungen, die auf "göttlicher Offenbarung" gegründet, "nichtig" jene, die von Menschen entworfen wurden. Gegenwärtig dominiere mit der westlichen Zivilisation eine "nichtige", also nach Erbakan eine auf Gewalt, Unrecht und Ausbeutung der Schwachen basierende Ordnung. Dieses "nichtige" System müsse durch eine "gerechte Ordnung" ersetzt werden, die sich ausschließlich an islamischen Grundsätzen ausrichte, anstatt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln". Als zentrale Ziele propagierte Erbakan in Anlehnung an das Osmanische Reich die Schaffung einer "neuen großen Türkei", die Überwindung des Laizismus sowie - letztlich mit globalem Anspruch - die Errichtung einer islamischen Gesellschaftsordnung. Konsequenz dieser Sichtweise ist die Ablehnung westlicher Demokratien. Die Anhänger der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei sind politisch in der "Saadet Partisi" (SP - "Partei der Glückseligkeit") organisiert. Erbakan und weitere Vertreter der "Milli Görüs"Bewegung prangerten regelmäßig Kapitalismus, Imperialismus, 126 Homepage der IGMG (7. Oktober 2010). 127 Erbakan verstarb am 27. Februar 2011 im Alter von 84 Jahren nach längerem Krankenhausaufenthalt. 259 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Zionismus und Rassismus an, die als Grundübel für die "derzeit herrschende ungerechte Weltordnung" gesehen werden. Der Weg der "Milli Görüs"-Bewegung wird als der einzige Weg zur Rettung der gesamten Welt propagiert: "Es ist eine Verpflichtung der Menschlichkeit, der ganzen Nation und der Menschheit zu verdeutlichen, dass die Milli Görüs, die die einzige Rettung für die Türkei ist, auch der Weg zur Errettung der Menschheit ist." ("Milli Gazete" vom 12. Januar 2010, S. 1 und 9) Auf einer Veranstaltung der IGMG am 15. April 2010 in Berlin bezeichnete Erbakan Kapitalismus und Kommunismus als "Zwillingsgeschwister" und "Systeme der Unterdrückung".128 Bei einer Veranstaltung des "Zentrums für Wirtschaftsund Sozialforschung" ("Ekonomik ve Sosyal Arastirma Merkezi" - ESAM) in Istanbul erklärte Erbakan, diese Welt dürfe nicht den Imperialisten überlassen werden, denn sie hätten "eine falsche Auffassung von Gerechtigkeit". Weiter sagte er: "Unsere Aufgabe ist es, die wahre Auffassung von Gerechtigkeit zu lehren. Wir werden nicht die Sklaven des Imperialismus sein. (...) Der Kommunismus ist untergegangen, und die anderen [Anm.: Systeme] sind auch gezwungen unterzugehen. Es gibt nur noch einen Weg, und dieser ist der Weg der 'Gerechten Ordnung'. Das Glück der Menschheit ist keine so einfache Angelegenheit, die man dem Zionismus überlassen kann. Warum konnte der Westen seit 52 Jahren [Anm.: den Menschen] kein Glück bringen? Er kann es nicht, denn seine Auffassung von Gerechtigkeit ist falsch und sein Glaube fehlerhaft. Die Welt lebt seit 350 Jahren unter der Tyrannei des Imperialismus. Für das Wohlergehen der Menschheit ist es notwendig, eine neue Welt zu errichten, die auf der Gerechten Ordnung aufbaut." ("Milli Gazete" vom 16. Juni 2010, S. 1, 10 f) 128 "Milli Gazete" vom 17./18. April 2010, S. 1 und 10. 260 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Milli Görüs" tritt für eine weltweite Zusammenarbeit der islamischen Staaten ein und bezieht sich dabei im Besonderen auf das von Erbakan 1997 als türkischer Ministerpräsident initiierte D8-Staatenbündnis ("Developing Eight"). Das Bündnis umfasst die größten Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung (Türkei, Indonesien, Iran, Ägypten, Bangladesch, Malaysia, Pakistan und Nigeria) und folgt dem Vorbild des G8-Staatenbündnisses. Der ESAM-Vorsitzende Recai Kutan, der in den Jahren 2001-2003 und 2006-2008 Vorsitzender der SP war, bezeichnete am 13. Jahrestag der Gründung der D8 diese als eine "globale Institution, die eine 'Neue Welt' zum Ziel hat". Die D8 sei keine regionale Kooperationsgemeinschaft, sondern verfolge vielmehr das Ziel, die ganze Welt neu zu ordnen. Erbakan rief die Vertreter der D8-Staaten auf, eine eigene UN zu gründen: "Ich sage es den islamischen Staaten seit Jahren: Gründet doch eure eigene UN. Seid ihr denn gezwungen, euch zu ihrem Spielball zu machen? Es muss eine neue UN gegründet werden. Die aktuelle UN ist nicht zu retten und kann nichts Gutes bringen." ("Milli Gazete" vom 16. Juni 2010, S. 1, 10 f) Auch anlässlich des von ESAM im Mai 2010 in Istanbul organisierten "19. Kongresses der Union der muslimischen Gesellschaften" rief Erbakan zur Gründung einer "eigenen UN" auf und betonte, es reiche nicht aus, eine islamische Einheit zu bilden. Es sei auch "eine große Aufgabe, diese Einheit vor dem Zionismus zu schützen". Er bezeichnete in seiner Rede die Menschen als "Gefangene der Unterdrückung des Imperialismus". Imperialismus ertränke die Welt in Blut und Tränen.129 In einer Presseerklärung anlässlich des Jahrestages der Schlacht an den Dardanellen130 (18. März 1915) betonte der damalige SP-Vorsitzende Numan Kurtulmus, das türkische Volk habe an den Dardanellen den imperialistischen Staaten eine Lektion erteilt. Der Sieg an den Dardanellen zeige, dass die Kraft der Waffen gegen die Kraft des Glaubens machtlos sei. Er rief dazu auf, 129 "Milli Gazete" vom 28. Mai 2010, S. 1 und 10. 130 Erfolgreiche Verteidigung der Dardanellen (Meerenge im Westen der Türkei) im Ersten Weltkrieg u.a. durch das osmanische Heer. 261 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS anstatt mit künstlichen Differenzen, sinnlosen Streitereien, unnötigen Spannungen und Polarisierungen Zeit zu vergeuden, Willensstärke zu zeigen, um "erneut eine Große Türkei" zu gründen.131 Erbakan neuer Am 17. Oktober 2010 wurde Erbakan auf einem außerordentliVorsitzender der chen Parteitag der SP in Ankara zum neuen Parteivorsitzenden "Saadet Partisi" gewählt. Laut "Milli Gazete" besuchten auch "viele Anhänger der (SP) Milli Görüs aus Europa, allen voran aus Deutschland", aber auch aus Frankreich, den Niederlanden, Belgien und Österreich den Parteitag.132 Dem Parteitag war ein Streit zwischen dem bisherigen Vorsitzenden Kurtulmus und Erbakan über die personelle Besetzung der Parteigremien vorangegangen. Erbakan konnte sich nach langen parteiinternen Auseinandersetzungen, mit denen letztlich die Gerichte befasst wurden, mit seinen Vorschlägen durchsetzen. Nun sind sowohl seine Kinder als auch langjährige Weggefährten in den Parteigremien vertreten. Kurtulmus trat daraufhin aus der SP aus und gründete eine neue Partei.133 Die Wahl Erbakans zum Parteivorsitzenden und die Zusammensetzung der Parteigremien markierten eine Verfestigung der ideologischen und politischen Ziele der "Milli Görüs"-Bewegung. So spiegelt das neue Parteiprogramm der SP Erbakans Weltsicht deutlich wider: Die westlichen Staaten unter der Führung der USA seien von den "rassistischen Imperialisten" gelenkt, die ihren Traum von einem "Groß-Israel" und der Weltherrschaft verwirklichen wollten.134 IGMG und "Milli Die "Milli Görüs"-Bewegung umfasst unterschiedliche KompoGörüs"-Bewegung nenten, die von einer gemeinsamen ideologisch-religiösen Ausrichtung und der Bindung an Erbakan zusammengehalten werden. Der "Milli Görüs" in der Türkei zuzuordnen sind die SP, die Tageszeitung "Milli Gazete", der Fernsehsender "TV 5", die Jugendorganisation "Anadolu Genclik Dernegi" (AGD - "Verein der Anatolischen Jugend") sowie das ESAM. In Deutschland bzw. 131 "Milli Gazete" vom 18. März 2010, S. 1 und 10. 132 "Milli Gazete" vom 18. Oktober 2010, S. 1, 10 f. 133 Türkische Tageszeitung "Hürriyet" vom 2. Oktober 2010. 134 Parteiprogramm der SP (1. November 2010). 262 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Europa wird die "Milli Görüs"-Bewegung von der IGMG repräsentiert, die damit von zentraler Bedeutung für die außerhalb der Türkei lebenden Anhänger Erbakans ist. Erbakan wird nach wie vor von zahlreichen IGMG-Mitgliedern als Begründer und geistiger Führer der "Milli Görüs"-Bewegung verehrt. Eine Reihe von Beispielen belegt den weiterhin engen ideologischen und persönlichen Austausch zwischen SP und IGMG. So traten auch im Jahr 2010 regelmäßig hochrangige Vertreter der SP bei Veranstaltungen der IGMG als Redner auf. Im Gegenzug besuchten IGMG-Funktionäre Großveranstaltungen der SP in der Türkei. Führende SP-Funktionäre, darunter der ehemalige türkische Justizminister Sevket Kazan, hielten sich z.T. mehrfach in Deutschland auf und sprachen auf Veranstaltungen der IGMG über die Ziele der "Milli Görüs"-Bewegung.135 Der Generalsekretär des ESAM, Arif Ersoy referierte auf einer Veranstaltung des IGMG-Regionalverbandes Hessen in Obererlenbach zur "Vision und Mission der 'Milli Görüs'".136 Die Vorsitzende des Frauenverbandes der SP Aysenur Tekdal hielt anlässlich der Feierlichkeiten zum 25. Jahrestag der "Muslimischen Frauenunion Bremen", einer örtlichen IGMG-Organisation, eine Ansprache, in der sie auf die sozialen und ökonomischen Probleme türkischstämmiger Landsleute der zweiten und dritten Generation in Europa einging. Im Einklang mit der "Milli Görüs"-Ideologie schlug sie vor, anstelle der gegenwärtigen "Kriegsordnung", die durch das materialistische Weltbild der G20-Staaten geprägt sei, eine auf Recht und Gerechtigkeit basierende Ordnung des Friedens zu etablieren. Die D8-Staaten, die sich nach diesen Werten richteten, sollten gestärkt werden.137 Höhepunkt dieser Besuche war der mehrtägige Deutschlandbesuch Erbakans im Frühjahr 2010, bei dem die enge Verbindung zwischen IGMG und "Milli Görüs"-Bewegung besonders deutlich zum Ausdruck kam. Erbakan, der zuletzt im Jahr 1994 nach 135 "Milli Gazete" vom 11. Januar 2010, S. 2, vom 18. März 2010, S.18, vom 19. April 2010, S. 1, 2 und 20 sowie vom 9. Juni 2010, S. 20. 136 "Milli Gazete" vom 13. Januar 2010, S. 2. 137 "Milli Gazete" vom 4. Mai 2010, S. 8. 263 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Deutschland gekommen war, nahm in Begleitung mehrerer hochrangiger SP-Funktionäre am 15. April 2010 in Berlin und am 18. April 2010 in Duisburg an IGMG-Großveranstaltungen zum 40-jährigen Bestehen der "Milli Görüs"-Bewegung teil. Seine Ansprachen wurden von seinen Anhängern in der IGMG stürmisch bejubelt. Nach Erbakans Ausführungen gibt es nur zwei Kategorien von Menschen; die Welt habe sich seit den 1990er Jahren in die "Milli Görüs" und in die "imperialistischen Kollaborateure" geteilt. Die "Milli Görüs"-Bewegung stehe "für die Rückkehr zum Ursprung", sie sei "der Glaube des Volkes, seine Geschichte und seine Identität, ja es selbst". Sie sei der Beginn für eine gerechte Welt. Sie setze sich nicht nur für die Glückseligkeit der Menschen in der Türkei, sondern auf der gesamten Welt ein.138 In seiner Ansprache in Duisburg beschrieb er erneut die Mission der "Milli Görüs"-Bewegung: "Diese Bewegung ist nicht irgendeine Bewegung. Sie ist eine Bewegung zur Rettung der Menschen aus dieser erstickenden Welt, in der sie unter enorm belastenden Grausamkeiten leiden. Sie ist eine Bewegung zur Gründung einer gerechten Welt." ("Milli Gazete" vom 19. April 2010, S. 1, 2 und 20) Funktionäre der IGMG reisten auch im Jahr 2010 regelmäßig in die Türkei, um dort Einrichtungen der "Milli Görüs"-Bewegung aufzusuchen. So besuchte die Jugendabteilung des IGMG-Frauenverbandes Hessen während einer Türkeireise im April 2010 die Zentrale des AGD, die Redaktion des Fernsehsenders "TV 5" und die "Milli Gazete"-Redaktion in Istanbul sowie die Generalzentrale der SP in Ankara.139 Eine Reise von Jugendlichen aus dem IGMG-Gebietsverband Köln, die von einem Funktionär des AGD mitorganisiert und begleitet wurde, schloss einen persönlichen Besuch bei Erbakan ein.140 Bei einer Veranstaltung des AGD in Gaziantep (Türkei) nahm der stellvertretende Vorsitzende der IGMG-Abteilung für religiöse Unterweisung teil.141 Im Mai 2010 138 "Milli Gazete" vom 17./18. April 2010, S. 1 und 10. 139 "Milli Gazete" vom 30. April 2010, S. 20. 140 "Milli Gazete" vom 5. Mai 2010, S. 5. 141 "Milli Gazete" vom 27. April 2010, S. 5. 264 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS organisierte das ESAM in Istanbul den "19. Kongress der Union der muslimischen Gesellschaften". Unter den Gästen aus 41 Ländern befand sich neben Erbakan und anderen hochrangigen Vertretern der SP auch der IGMG-Vorsitzende Karahan.142 Als Sprachrohr der "Milli Görüs"-Bewegung bildet die formal "Milli Gazete" unabhängige türkische Tageszeitung "Milli Gazete" ein wichtiges Bindeglied zwischen den einzelnen Komponenten der Bewegung und trägt zur Verfestigung der ideologischen Positionen bei. Repräsentanten der "Milli Görüs"-Bewegung aus unterschiedlichen Bereichen stellen regelmäßig die Bedeutung der Publikation heraus. In Deutschland ist die Europa-Ausgabe der "Milli Gazete" erhältlich, in deren Berichterstattung neben der "Milli Görüs"-Bewegung insbesondere auch die IGMG und deren Veranstaltungen breiten Raum einnehmen. Damit ist die "Milli Gazete" neben der Publikation "IGMG Perspektif" (vormals "IGMG-Perspektive") und der zentralen IGMG-Homepage eine wichtige Informationsquelle für die Anhänger der Organisation. Anlässlich des 38. Jahrestages der Gründung der "Milli Gazete" bedankte sich Erbakan für die außerordentliche Arbeit der "heldenhaften" Zeitung, der er eine herausragende Rolle bei der Erfüllung der Mission der "Milli Görüs"-Bewegung beimaß: "Innerhalb der zerstörerischen Bemühungen des Imperialismus nimmt die Verunreinigung der Gedanken einen wichtigen Platz ein. Sie bemühen sich Tag und Nacht, die Muslime ihrem Glauben zu entfremden. Gegen diese [Anm.: Bemühungen] ist es eine der wohlgefälligsten Taten für die Menschheit, die Tatsachen klar zu benennen und Täuschungen zu verhindern. Die 'Milli Gazete' übernimmt diese Aufgabe." ("Milli Gazete" vom 12. Januar 2010, S. 1 und 9) Entsprechend bezeichnete Erbakan die anderen Presseorgane als "Kollaborateure" des Imperialismus. Im Kampf gegen die vom Imperialismus gelenkte Presse übernehme die "Milli Gazete" die Vorreiterrolle. Wert und Bedeutung der 142 "Milli Gazete" vom 28. Mai 2010, S. 1 und 10. 265 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Zeitung dürften nicht allein an ihrer Auflage gemessen werden, sondern an ihrem Glauben und ihrem Bewusstsein. Ebenfalls am 38. Jahrestag der Gründung der Zeitung nahm ihr langjähriger Kolumnist Ekrem Kiziltas an einer Versammlung der Frauenkommission des IGMG-Regionalverbandes Berlin zum Thema Medien teil. In seiner Kolumne berichtete er sowohl über seine Kontakte zur IGMG als auch über die Herstellung der Europa-Ausgabe der "Milli Gazete": "Die Milli Gazete wird bis zum heutigen Tag in der Türkei vorbereitet, und so wie sie in der Türkei in Dateiform an die Druckereien verschickt wird, wird sie auch an unsere europäische Zentrale in Frankfurt versendet. Die dortigen Kollegen ergänzen die Ausgabe mit eigenen Seiten und Beiträgen." ("Milli Gazete" vom 13. Januar 2010, S. 4) Auf den für die Europa-Ausgabe der "Milli Gazete" ergänzten Seiten finden sich zu einem großen Teil Berichte zur IGMG, die in ihrer Vielfältigkeit das Vereinsleben der IGMG widerspiegeln, wie z.B. Berichte über IGMG-Veranstaltungen, Glückwunschinserate zu persönlichen Anlässen von Mitgliedern, Kleinanzeigen und Spendenaufrufe. Weiterhin werden Presseerklärungen der IGMG, die Feiertagsgrußbotschaften des Vorsitzenden sowie die von der Abteilung für religiöse Rechtleitung herausgegebenen Texte der Freitagspredigt in der Europa-Ausgabe der "Milli Gazete" veröffentlicht. Innerhalb der IGMG wird regelmäßig für den Bezug der Zeitung geworben. Bei Veranstaltungen der IGMG ist die "Milli Gazete" gelegentlich mit eigenen Informationsständen vertreten.143 Neben der Berichterstattung zu aktuellen Themen und Veranstaltungshinweisen wird auch zu religiösen Themen Stellung genommen. Hierbei wird - insbesondere in den Kolumnen von Mehmet Sevket Eygi - häufig ein restriktives Islamverständnis vermittelt. So forderte Eygi in seinen Kolumnen mehrfach die 143 "Milli Gazete" vom 10. Februar 2010, S. 19. 266 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Einführung einer ausschließlich an Koran und Sunna orientierten Regierungsordnung. Gleichermaßen rief er die Gläubigen dazu auf, Gesetze, die nicht der Scharia entsprechen, nicht zu befolgen. In einer seiner Kolumnen listete Eygi 32 Punkte auf, die ein Muslim befolgen sollte, "wenn seine Seele nicht dem Höllenfeuer ausgeliefert sein wolle". So dürfe keine Ideologie, kein System, keine Ordnung, die nicht dem Koran entspreche oder ihm widerspreche, als gerecht und richtig akzeptiert werden. Die Gesamtheit der aus dem Koran, der Sunna und dem Konsens der Gemeinschaft der Gläubigen hergeleiteten religiösen Vorschriften müsse als Scharia anerkannt und befolgt werden.144 Im Hinblick auf den Umgang mit Nicht-Muslimen forderte Eygi, keine freundschaftlichen und verwandtschaftlichen Beziehungen mit denjenigen einzugehen, die den Koran nicht als das Buch Gottes und als Kanon anerkennen.145 Reformbestrebungen im Islam erteilte Eygi wiederholt eine deutliche Absage. Die Sunniten dürften nicht zulassen, dass im Islam Reformen, Erneuerungen oder Veränderungen vorgenommen würden. Denn diese seien nichts anderes als Perversitäten.146 In einer weiteren Kolumne warnte er vor Reformern, Befürwortern des gemäßigten Islam und laizistischen Theologen: "Mein lieber muslimischer Bruder, tapp' ja nicht in die Fallen der Reformer. Glaub' nicht denjenigen, die in der Religion Veränderungen und Neuerungen fordern. Reformen kann es in entstellten Religionen geben, aber nicht in der offenbarten und bewahrten Religion des Islam." ("Milli Gazete" vom 3./4. Juli 2010, S. 4) 144 "Milli Gazete" vom 28. Mai 2010, S. 4. 145 "Milli Gazete" vom 7. September 2010, S. 4. 146 "Milli Gazete" vom 28. Juli 2010, S. 4. 267 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Auch den Feminismus charakterisierte er in einer Kolumne als "eine perverse Ideologie", die nicht islamkonform sei. Personen, die mit feministischer Geisteshaltung und Logik den Koran, die Sunna und die Scharia kritisierten oder darin Mängel oder Ungerechtigkeiten entdeckten, seien Ungläubige.147 Jugendund Die Jugendund Bildungsarbeit hat für die IGMG weiterhin einen Bildungsarbeit hohen Stellenwert und zielt auf die Vermittlung eigener Leitbilder sowie den Aufbau künftiger Führungskräfte. Zentrales Anliegen der IGMG-Bildungsarbeit ist es, die religiöse und kulturelle Identität türkischer bzw. türkischstämmiger Jugendlicher zu wahren. Diese wird als Voraussetzung für die vorgeblich begrüßte Integration in die deutsche Gesellschaft angesehen. Es liegen jedoch Anhaltspunkte vor, dass auch die Bildungsarbeit der IGMG durch die Ideologie der "Milli Görüs"-Bewegung geprägt ist, was in deutlichem Widerspruch zur offiziell bekundeten Integrationsbereitschaft steht. Eines der Bildungsprojekte der IGMG, das "Yildiz-Projekt" ("Stern-Projekt") richtet sich an Jugendliche ab 17 Jahren und soll die Teilnehmer darauf vorbereiten, Leitungsfunktionen innerhalb der Organisation zu übernehmen. Wie aus dem für das Projekt erstellten "Handbuch für die Yildiz-Jugend" hervorgeht, wird dabei auch das ideologische Grundgerüst der "Milli Görüs"Bewegung vermittelt. So stehen u.a. die "Gerechte Ordnung" ("Adil Düzen") sowie die "Mission und Vision der Milli Görüs" auf dem Lehrplan. Reformorientierte Die IGMG ist zwar streng hierarchisch strukturiert, stellt aber keiKräfte nen durchgehend homogenen Verband dar. Bereits seit einigen Jahren gibt es innerhalb der IGMG neben eher traditionalistisch ausgerichteten Erbakan-Anhängern auch reformorientierte Kräfte, die eine Umgestaltung der IGMG in eine von der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei weniger abhängige Organisation anstreben. Eine Distanzierung bzw. Loslösung der IGMG erscheint jedoch zumindest in naher Zukunft unwahrscheinlich. Der Auftritt Erbakans in Deutschland hat verdeutlicht, dass es innerhalb der 147 "Milli Gazete" vom 19. Januar 2010, S. 4. 268 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS IGMG noch genügend Anhänger gibt, die gegen eine Abkehr von der türkischen "Milli Görüs"-Bewegung sind. Auch schien Erbakan selbst nicht gewillt zu sein, auf seine Einflussnahme in der gesamten "Milli Görüs"-Bewegung einschließlich der IGMG freiwillig verzichten zu wollen. Einige führende IGMG-Funktionäre setzen sich kritisch mit dem eigenen Selbstverständnis und der Definition der eigenen Identität auseinander. In diesem Zusammenhang führte die IGMG im Mai 2010 in Wuppertal ein Symposium zum Thema "Kontextwandel und Bedeutungsverschiebungen - Die Ambivalenz neuer und alter Identitäten" durch. Muslime im modernen Zeitalter müssten sich neben dem Thema, was es heiße, in der heutigen Zeit Muslim zu sein, u.a. mit den Fragen "Gibt es einen Widerspruch zwischen der Identität als Europäer und der muslimischen Identität? Kann beides zugleich sein oder nicht?" auseinandersetzen. Der Mehrheit der IGMG-Anhänger bleiben solche Diskussionen und Bemühungen jedoch eher unzugänglich. Die Wahl Erbakans zum neuen SP-Parteivorsitzenden signaliWertung sierte eine erneute Verfestigung der ideologischen und politiund Ausblick schen Ziele der "Milli Görüs"-Bewegung. Es ist davon auszugehen, dass die einzelnen Komponenten der "Milli Görüs"-Bewegung noch enger miteinander verbunden werden sollen. Nicht zuletzt die Anwesenheit von IGMG-Mitgliedern beim entscheidenden Parteikongress und der Besuch Erbakans in Deutschland zeigten, dass die IGMG unverändert Bestandteil der "Milli Görüs"-Bewegung ist. Dies stellt die verbalen Bekenntnisse der IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat und eine damit verbundene Abkehr von den politischen Vorgaben Erbakans unverändert infrage. In der gegenwärtigen Konstellation besteht deshalb eine Diskrepanz zwischen dem nach außen erklärten Anspruch der IGMG, der Lebenswirklichkeit ihrer Mitglieder in einem mehrheitlich nicht-muslimischen, pluralistischen und säkularen Gemeinwesen gerecht zu werden, und ihren tatsächlichen Aktivitäten. Diese sind in ihrer Gesamtheit eher geeignet, desintegrative Wirkungen zu entfalten und aufgrund der generellen Prägung durch die "Milli Görüs"-Ideologie eine ablehnende Haltung gegenüber westlichen Werten zu verstärken und Demokratiedistanz zu fördern. 269 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Verbot der "InterDer Bundesminister des Innern hat mit Verfügung vom nationalen Huma23. Juni 2010 den Verein IHH wegen des Verstoßes gegen den nitären HilfsorganiGedanken der Völkerverständigung gemäß SS 3 Abs. 1 Vereinsgesation e.V." (IHH) setz verboten (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI). Bei der IHH handelte es sich um einen bundesweit tätigen Verein zur Sammlung von Spenden mit Sitz in Frankfurt am Main. Die Spenden sollten nach eigenen Angaben vornehmlich für humanitäre Zwecke in Krisenregionen verwendet werden. Tatsächlich überwies die IHH u.a. über 6,6 Millionen Euro an Sozialvereine, die der islamistischen HAMAS (vgl. Kap. III, Nr. 1.3) zugerechnet werden können. Die IHH hat jahrelang in beträchtlichem Umfang den in den Palästinensergebieten ansässigen HAMAS-Sozialvereinen Spendengelder überwiesen und damit mittelbar die terroristischen Aktivitäten der HAMAS unterstützt. Das Verbot der IHH wurde am 12. Juli 2010 vollzogen und der Verein aufgelöst. Das Verbot ist bislang nicht rechtskräftig, da der Verein Rechtsmittel eingelegt hat. Der Rechtsstreit ist gegenwärtig vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig. Die IGMG übte über das ausschließlich aus Funktionären der IGMG bestehende Kuratorium der IHH einen erheblichen Einfluss auf den Verein aus. Mitglieder des Kuratoriums waren u.a. der Generalsekretär der IGMG, der stellvertretende Vorsitzende der IGMG und der Leiter der Rechtsabteilung der IGMG. Laut Satzung wurde der Vorstand der IHH vom Kuratorium ernannt und konnte von diesem jederzeit abberufen werden. Zudem musste der Verein das Kuratorium über Rechtsgeschäfte ab einem Wert von 10.000 Euro vorab schriftlich unterrichten. 270 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 2.2 "Türkische Hizbullah" (TH) Gründung: Anfang der 1980er Jahre in der Türkei Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 300 Publikationen: "Yeni Müjde" ("Neue Frohe Botschaft"); "Inzar" ("Warnung"); "Dogru Haber" ("Wahre Nachricht"); "Kelhaamet" ("Prächtiges Diyarbakir"); "Kendi Dilinden Hizbullah" ("Die Hizbullah in eigener Sprache") Die TH entstand Anfang der 1980er Jahre aus dem Zusammenschluss kleiner Gruppierungen im Raum Diyarbakir (Türkei).148 Hauptziel der Organisation ist die Beseitigung des laizistischen Staatssystems in der Türkei und die Errichtung eines langfristig weltumfassenden Staates auf Grundlage der Scharia. Zur Umsetzung ihrer Vorstellungen rechtfertigt die TH die Anwendung von Gewalt. Hierzu heißt es in dem vermutlich im Jahr 2004 erschienenen ideologischen Hauptwerk der Organisation, 148 Obwohl die Anhänger der TH mehrheitlich Kurden sind, wird der Begriff "Türkische Hizbullah" in Abgrenzung zur libanesischen "Hizb Allah" verwendet. 271 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS "Die Hizbullah in eigener Sprache" ("Kendi Dilinden Hizbullah"), von I. Bagasi (Pseudonym des TH-Führungsfunktionärs Isa Altsoy): "Tausendfacher Dank an Gott, der uns die Hizbullah-Gemeinde und die Mitgliedschaft zu dieser Gemeinde geschenkt hat, die sich auf das Kampffeld begeben hat, um die Herrschaft des Islam überall zu verbreiten. (...) Mit dem Wunsch eine vereinte islamische Umma zu gründen, in der (...) die göttliche Gerechtigkeit herrscht und die Hadd-Strafen gelten, haben wir das Kämpfen für diesen Glauben und dieses Ziel als unser islamisches Bekenntnis und als eine Notwendigkeit des prophetischen Islam betrachtet. Für solch eine heilige Mission zu kämpfen, Schmerz und Folter zu erdulden und sogar als Märtyrer zu sterben, haben wir als eine Ehre empfunden. Auch in der Zukunft werden wir dieser heiligen Mission und diesen Werten verbunden bleiben und es als Ehre und Würde empfinden, dafür zu kämpfen." ("Kendi Dilinden Hizbullah", S. 11 und 68) Der Organisation, die sich zwischen Ende der 1980er und Mitte der 1990er Jahre blutige Auseinandersetzungen mit der extremistischen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) lieferte, wurden in der Vergangenheit eine Vielzahl von Morden und weiteren Gewalttaten - u.a. gegen liberale türkische Journalisten und Staatsvertreter sowie "Verräter" aus den eigenen Reihen - zugerechnet. In den Jahren 1999/2000 wurde die Organisation in der Türkei durch Exekutivmaßnahmen empfindlich geschwächt. Im Rahmen dieser Maßnahmen wurden der damalige Anführer der TH Hüseyin Velioglu getötet und zahlreiche Führungsfunktionäre verhaftet. Aufgrund des hohen Verfolgungsdrucks folgte eine Absetzbewegung von TH-Aktivisten nach Westeuropa, u.a. auch nach Deutschland. Die TH nutzt seither auch Deutschland als Rückzugsraum zur personellen und logistischen Reorganisation. So sammelt die Organisation in Deutschland Spenden, vertreibt Publikationen und lädt - oftmals aus religiösem Anlass - zu Veranstaltungen ein. 272 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS 3. Sonstige 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten In Deutschland existieren eine Reihe islamischer Zentren und Organisationen regimetreuer Iraner, die der iranischen Staatsführung und damit auch der iranischen Verfassung samt ihrer theokratischen Staatsdoktrin unterstehen. Die "Institutionen" sind beauftragt, die in der iranischen Verfassung verankerte weltweite Verbreitung des islamischen Systems iranischer Prägung im Sinne eines "Revolutionsexports" zu betreiben. Das größte und einflussreichste Zentrum ist das 1962 gegründete "Islamisches IZH mit der zugehörigen "Imam Ali Moschee". Reza Ramezani, Zentrum seit 2009 Leiter des IZH, gilt als Vertreter des iranischen "RevoHamburg e.V." (IZH) lutionsführers" - derzeit Ayatollah Seyyed Ali Khamenei - in Mitteleuropa. In dessen Auftrag verbreitet das IZH die schiitische Glaubenslehre und propagiert gleichzeitig die iranische Staatsdoktrin, nach der die Staatsgewalt nicht vom Volk ausgeht, sondern allein religiös legitimiert werden könne. Im Sinne der globalen Expansion versucht das IZH, nicht nur in Deutschland lebende schiitische Muslime an sich zu binden, sondern europaweit. Um dieses Ziel zu erreichen, organisiert das IZH regelmäßig Gebetsund Vortragsveranstaltungen, religiöse Feierlichkeiten sowie Sprachunterricht. Darüber hinaus vertreibt das IZH eine Vielzahl von Broschüren und Zeitschriften in verschiedenen Sprachen, darunter die deutschsprachigen Zeitschriften "al-Fadschr" ("Die Morgendämmerung") und "SALAM! Zeitschrift für junge Muslime" (Kinderzeitschrift). In der Zeit vom 21. bis 23. Mai 2010 fand nach mehreren Jahren wieder die "Islamische Tagung deutschsprachiger Muslime" im IZH statt. Die Veranstaltung mit dem Titel "Frieden mit dem Islam" richtete sich an Schiiten aller Nationalitäten und umfasste verschiedene kulturelle und religiöse Programmpunkte. Nach außen hin agiert das IZH als ausschließlich religiöse EinWertung richtung, die angeblich keine politischen Aktivitäten in ihrem und Ausblick direkten Wirkungsfeld gestattet. Tatsächlich besteht die grund273 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS legend extremistische Ausrichtung des IZH weiter fort. So ist eines der wichtigsten Ziele des IZH noch immer die Verbreitung der Ideologie eines islamischen Gottesstaates nach iranischem Vorbild. Diese Zielsetzung ist nach wie vor Bestandteil der iranischen Verfassung und besitzt damit aktuelle Aussagekraft. 3.2 "Tablighi Jama'at" (TJ) ("Gemeinschaft der Verkündung und Mission") Gründung: um 1926 in Indien Leitung: Welt-Schura-Rat Vorsitzender: Maulana Ibrahim Saad Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 700 (2009: 700) Transnationale Die islamistisch ausgerichtete TJ wurde um 1926 als eine pietisMassenbewegung tische Wiedererweckungsbewegung von Maulawi Mohammad Ilyas (1885-1944) gegründet. Die TJ expandierte zunächst über den indischen Subkontinent nach Südasien, später auf die arabische Halbinsel und über Afrika und Europa (ca. in den 1960er Jahren) bis nach Nordamerika. Heute ist die TJ eine transnationale Massenbewegung mit weltweit mehreren Millionen Anhängern. Die TJ ist hierarchisch gegliedert und wird von Stützpunkten in Raiwind (Pakistan), Neu-Delhi (Indien) und Dhaka (Bangladesch) geführt. Neben nationalen Zentren u.a. in Frankreich, den Niederlanden und Portugal befindet sich das maßgebliche Zentrum der TJ für Europa in Dewsbury (Großbritannien). Ideologischer Der TJ-Gründer Ilyas war Anhänger des indischen "Dar al-Ulum Ursprung Deoband" (arabisch für: "Haus des Wissens in Deoband"), das 1867 in der gleichnamigen indischen Kleinstadt Deoband gegründet wurde. Die Lehre der Deoband-Schule weist neben starken salafistischen Einflüssen auch solche der islamischen Mystik (Sufismus) auf. Aus dem Gebot im Koran "das Rechte zu befehlen und das Verwerfliche zu verbieten", für das Ilyas die 274 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Begriffe "tabligh" und "dawa" (arabisch für: "Einladung zur Mission") verwendete, leitete er die Notwendigkeit der Verbreitung der islamischen Botschaft als Pflicht aller Muslime ab. Dadurch sollte dem Ziel eines starken allislamischen Gemeinschaftsbewusstseins Rechnung getragen werden. Die TJ wendet sich in erster Linie an Muslime und ist bestrebt, durch fortgesetzte globale Missionierungsbemühungen neue Anhänger zu finden und sie zu einer kompromisslos an islamischen Geboten orientierten Lebensführung anzuhalten. Charakteristisch für die Bewegung ist die Pflicht jedes AnhänSchwerpunkt gers zur regelmäßigen Teilnahme an Missionierungsreisen. Jeder Missionierung Anhänger ist gehalten, monatlich eine dreitägige Missionierungsreise - vorrangig im Umfeld der Heimatmoschee oder in Nachbarstädten -, einmal im Jahr eine 40-tägige Missionierungsreise im Inoder Ausland sowie einmal im Leben eine viermonatige Missionierungsreise durch die "Herkunftsländer" der Bewegung - Pakistan, Indien und Bangladesch - zu unternehmen. Die Reisen, die von jedem Anhänger selbst finanziert werden, dienen der Verbreitung des Glaubens und der Vervollkommnung der eigenen Religiosität. Im Rahmen ihrer Missionierungsarbeit zielt die TJ im Wesentlichen auf die strikte Einhaltung der islamischen Gesetze und ihrer Etablierung und Anwendung im gesellschaftlichen und politischen Leben. Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten steht der Versuch, Muslime zu einem streng an Koran und Sunna ausgerichteten Leben anzuleiten. Erfolgreiche Missionierungsbemühungen haben oft eine sichtKatalysator bare Veränderung des Sozialverhaltens der Geworbenen zur "jihadistischer" Folge. Die Ablehnung westlicher Wertvorstellungen kann in Rekrutierungsnichtmuslimischen Ländern gesellschaftspolitisch desintegrabemühungen tiv wirken sowie zur Entstehung von Parallelgesellschaften beitragen. Hierdurch können individuelle Radikalisierungsprozesse gefördert und gleichzeitig die Voraussetzung für ein mögliches Abgleiten in das terroristische Umfeld geschaffen werden. Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass die TJ "jihadistischen" Organisationen als Rekrutierungspool dient, indem diese z.B. versuchen, das durch die TJ geprägte konservative Islamverständnis einer Zielperson durch eine "jihadistische" Komponente zu 275 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ergänzen. In Einzelfällen ist zudem belegt, dass Mitglieder terroristischer Gruppierungen und Netzwerke die Infrastruktur der TJ zu Reisezwecken nutzten. Aktivitäten in Die Aktivitäten der TJ in Deutschland werden über ein hierarDeutschland chisch aufgebautes Netzwerk von Aktivisten sowie über informelle Kontakte der Anhänger untereinander koordiniert. Eine übergeordnete weisungsbefugte Instanz ist in Deutschland nicht feststellbar. Einige Personen heben sich jedoch aufgrund ihrer Erfahrungen hinsichtlich Missionierungsreisen, ihres überdurchschnittlichen Koranwissens sowie ihres fortlaufenden Engagements für die Bewegung von der übrigen Anhängerschaft ab. Sie fördern damit in besonderem Maße den Zusammenhalt und die Missionierungsaktivitäten. TJ-Einrichtungen existieren in Berlin, Bochum, Friedrichsdorf (Hessen), Hamburg, Hannover, Köln, München und Pappenheim (Bayern). Diese Vereine bzw. Moscheen weisen in ihren Satzungen allerdings nicht explizit auf die TJ hin. Regelmäßige Treffen der Bewegung finden auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene statt. Sie dienen der gemeinsamen Religionsausübung, der Abstimmung und Kontrolle der Missionierungsarbeit sowie dem Erfahrungsaustausch. Regionale Treffen werden zumeist im Bereich der Heimatmoschee durchgeführt, wobei die Teilnehmerzahlen geringer sind als bei dem jährlich stattfindenden Deutschlandtreffen. An dem dreitägigen Deutschlandtreffen im Mai 2010 in Berlin nahmen etwa 500 Personen teil, darunter auch hochrangige TJ-Vertreter aus mehreren europäischen Ländern. Treffen mit vornehmlich internationalem Teilnehmerkreis gab es u.a. im Februar 2010 in Amsterdam (Niederlande) und im Juni 2010 in Basel (Schweiz). Am Ende der Treffen wurden Gruppen gebildet, die unmittelbar zu Missionierungsreisen aufbrachen. Wertung Die wortgetreue Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften beinhaltet im Verständnis der TJ den Vorrang der dort enthaltenen Vorschriften gegenüber staatlichen Gesetzen. Damit widerspricht die Ideologie der TJ wesentlichen demokratischen Grundsätzen, insbesondere dem der Trennung von Religion und Staat. Das angestrebte Gesellschaftsmodell benachtei276 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS ligt sowohl Nichtmuslime als auch Frauen. Die TJ lehnt nach eigenem Bekunden Gewalt grundsätzlich ab. Die Entfremdung ihrer Anhänger von europäischen Wertvorstellungen und Gesellschaftsformen kann jedoch Radikalisierungsprozesse fördern und Voraussetzungen für ein Abgleiten einzelner Mitglieder in das "jihadistische" Umfeld schaffen. 3.3 "Nordkaukasische Separatistenbewegung" (NKSB) Gründung: Anfang der 1990er Jahre im Kaukasus Mitglieder/Anhänger in Deutschland: insgesamt 500 (2009: 500) Die Organisation ist gespalten in: "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) Leitung: Ahmed Zakaev Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 300 (2009: k.A.) und "Kaukasisches Emirat" Leitung: Dokku Umarov Mitglieder/Anhänger in Deutschland: 200 (2009: k.A.) Die Anfang der 1990er Jahre im Zuge der Auflösung der Sowjetunion entstandene Organisation gab sich selbst die Bezeichnung "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI). Daraus entstand der zunächst verwandte Arbeitsbegriff "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/"Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB) der Sicherheitsbehörden. Dieser wird nun ersetzt durch NKSB. 277 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Die Proklamation des "Kaukasischen Emirats" durch Umarov im Jahr 2007 hatte die Spaltung der NKSB in das islamistischterroristisch ausgerichtete "Kaukasische Emirat" und den vorgeblich "pro-demokratischen" bzw. "nationalistischen" CRI-Flügel zur Folge. Ziel der Anhänger der NKSB ist ein von der Russischen Föderation unabhängiger islamischer Staat auf der Grundlage der Scharia, den das "Kaukasische Emirat" auf dem Gebiet des gesamten Nordkaukasus und der CRI-Flügel in Tschetschenien errichten will. Zakaev und die Anhänger der CRI wollen mit politischen Mitteln die Unabhängigkeit Tschetscheniens erreichen. Für die "Mujahidin" um Umarov dagegen ist ein Vorgehen auf politischer Ebene inakzeptabel. Fortführung der Trotz der Aufhebung des "Anti-Terror-Status" für die russische Anschläge Teilrepublik Tschetschenien im April 2009 ist keine Beruhigung der Lage zu verzeichnen. Das "Kaukasische Emirat" setzte trotz hoher personeller Verluste bei Gefechten mit russischen Sicherheitskräften seine zahlreichen Anschläge auf militärische und zivile Einrichtungen im gesamten Nordkaukasus, insbesondere in den russischen Teilrepubliken Tschetschenien, Inguschetien und Dagestan, fort. Der Konflikt wird zunehmend über die Grenzen des Nordkaukasus hinaus in die Zentren der Russischen Föderation getragen. Am 29. März 2010 verübten Selbstmordattentäterinnen Anschläge auf die Moskauer Metro. Sie zündeten innerhalb einer Stunde Sprengsätze an zwei Metro-Stationen in voll besetzten Zügen. Bei den Anschlägen wurden insgesamt 40 Menschen getötet und 84 z.T. schwer verletzt. Zu den Anschlägen bekannte sich Umarov am 31. März 2010 in einer im Internet veröffentlichten Videobotschaft. Rücktrittserklärung Am 1. August 2010 gab Umarov durch eine über das Internet vervon Umarov breitete Videobotschaft unerwartet seinen Rücktritt bekannt und benannte zugleich Aslanbek Vadalov, "Emir" des östlichen Tschetschenien innerhalb des "Kaukasischen Emirats", als seinen 278 ISLAMISMUS / ISLAMISTISCHER TERRORISMUS Nachfolger. Nach Widerruf seines Rücktritts sagten sich neben Vadalov weitere lokale "Emire" des "Kaukasischen Emirats" unter der Führung des Hussein Gakaev - bis dato Stellvertreter des Vadalov - von Umarov los. Der bereits seit der Ausrufung des "Kaukasischen Emirats" in Opposition zu Umarov stehende Zakaev versuchte sich durch eine am 12. Oktober 2010 veröffentlichte Erklärung mit den abtrünnigen "Emiren" um Gakaev zu solidarisieren. Er gab bekannt, dass er die sogenannte Exilregierung der CRI auflöse, seine Ämter niederlege und Gakaev die Treue schwöre. Für Zakaev dürfte mit dieser Erklärung der Propagandaeffekt im Vordergrund gestanden haben, da die vorwiegend im europäischen Ausland aktive CRI im Nordkaukasus zunehmend an Einfluss verliert. Unabhängig von den tatsächlichen Machtverhältnissen innerWertung halb des "Kaukasischen Emirats" im Nordkaukasus dürften personelle Veränderungen und auch ein möglicher Führungswechsel nur wenig Wirkung auf die in Deutschland lebenden Anhänger haben, deren Zahl auf etwa 500 Personen geschätzt wird. Sie vertreten ihre Interessen bisher gewaltfrei. Die Mehrheit, schätzungsweise etwa 300 Personen, sind dem CRI-Flügel um Zakaev zuzuordnen. Bis zu 200 Personen sympathisieren mit dem "Kaukasischen Emirat" und leisten von Deutschland aus Unterstützung. Ihre Aktivitäten reichen von Propagandaarbeit bis zur finanziellen und materiellen Förderung. Die in Europa lebende Diaspora, die sich dem nordkaukasischen Widerstand verpflichtet fühlt, betrachtet Europa primär als Rückzugsraum. Vorrangiges Ziel ist die Unterstützung bzw. Förderung der Organisation im Nordkaukasus. Feste organisatorische Strukturen der NKSB sind in Deutschland bislang nicht feststellbar. Es sind Verbindungen einzelner Anhänger in herausgehobener Position mit Führungspersönlichkeiten der Organisation im Ausland erkennbar. 279 280 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) 281 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen (ohne Islamismus) I. Überblick 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) Die Aktivitäten der in Deutschland agierenden - nichtislamistischen - extremistischen Ausländerorganisationen werden nach wie vor maßgeblich von aktuellen Entwicklungen und Ereignissen in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Die meisten dieser Gruppierungen betrachten Deutschland als sicheren Rückzugsraum, von dem aus sie ihre Mutterorganisationen im Heimatland propagandistisch und materiell unterstützen. "Arbeiterpartei Die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Kurdistans" (PKK) "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) setzte ihren nach eigenem Bekunden auf eine friedliche Lösung des Kurdenkonfliktes ausgerichteten Kurs fort. Die Anhänger der PKK in Deutschland veranstalteten - u.a. durch die "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) - wie in den Jahren zuvor eine Reihe von Großveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen, mit denen unter dem Vorwand, für die kulturellen und politischen Freiheitsrechte der kurdischen Minderheit in der Türkei und für die Freilassung bzw. die Verbesserung der Haftbedingungen ihres Führers Abdullah Öcalan einzutreten, tatsächlich die Ziele der in Deutschland verbotenen PKK unterstützt wurden. Trotz der auch 2010 von der PKK mehrfach erklärten "einseitigen Waffenruhe" kam es zwischen dem militärischen Arm der PKK, den sogenannten Volksverteidigungskräften (HPG), und dem türkischen Militär im türkisch-irakischen Grenzgebiet erneut zu bewaffneten Kämpfen. Diese Art der Doppelstrategie - ein weitgehend friedliches Auftreten in Europa und bewaffnete Auseinandersetzungen in der Heimatregion - wird von der PKK seit Jahren praktiziert. 282 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Anhänger der Jugendorganisation der PKK, der "Komalen Ciwan", verübten Anfang Februar 2010 aus Anlass des 11. Jahrestages der Festnahme Öcalans in Kenia (15. Februar 1999) mehrere Brandanschläge auf türkische Einrichtungen in Deutschland. Zudem kam es im Laufe des Jahres zu Auseinandersetzungen zwischen kurdischen und nationalistischen türkischen Jugendlichen. Obwohl sich die Anhängerschaft der PKK in Deutschland überwiegend aus dem türkisch-kurdischen Bereich rekrutiert, konnten zuletzt Bemühungen der PKK beobachtet werden, auch Kurden aus dem Iran für die Organisation zu werben. Zu diesem Zweck war bereits im Jahr 2004 die "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" ("Partiya Jiyanen Azadiya Kurdistan" - PJAK) gegründet worden. Linksextremistische, überwiegend türkische AusländergrupLinksextremistische pierungen, deren ideologische Wurzeln zumeist auf einer Positionen marxistisch-leninistischen, maoistischen Weltanschauung basieren, verfolgen nach wie vor die "revolutionäre" Zerschlagung der bestehenden Gesellschaftsordnung und die Errichtung sozialistischer bzw. kommunistischer Systeme in ihren Heimatländern. Die Agitation türkischer linksextremistischer Organisationen Türkische richtete sich weiterhin primär gegen die Türkei, aber auch gegen linksextremistische die EU und die deutsche Ausländerund Sozialpolitik. Organisationen Einige der Gruppierungen bekannten sich erneut zu terroristischen Aktionen in ihrem Heimatland. Wie in den Vorjahren bemühte sich die "Anatolische Föderation", eine Umfeldorganisation der in Deutschland verbotenen "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), durch bundesweite Kundgebungen auf die Situation mehrerer in Deutschland inhaftierter Führungsfunktionäre aufmerksam zu machen. Nationalistische bzw. nationalistisch geprägte - vor allem türkiNationalistische sche - Ausländerorganisationen messen der "Nation" sowohl Positionen politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell den höchsten 283 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Stellenwert zu. Ihrer Ideologie liegt ein übersteigertes Nationalbewusstsein zugrunde. Sie bemessen den Wert eines Menschen nach seiner Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse und missachten die Rechte und Interessen anderer Völker. Hieraus ergibt sich ein elementarer Widerspruch zu den fundamentalen Menschenrechten und dem Gedanken der Völkerverständigung. Eine große Anzahl junger Anhänger dieser Ideologie nutzt hierbei die Anonymität des Internets, um ihre nationalistischen Anschauungen zu verbreiten. Iranische OpposiDie Aktivitäten der extremistischen iranischen Oppositionstionsgruppen gruppen richteten sich wie in den Vorjahren primär gegen die politischen Verhältnisse in der Islamischen Republik Iran mit dem Ziel, dort einen Umsturz herbeizuführen und eine sozialistische Republik zu errichten. In Deutschland thematisierten diese Gruppierungen insbesondere die Menschenrechtsverletzungen im Iran. Asiatische Separatistische asiatische Organisationen wie die "Liberation Separatisten Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) und Gruppierungen aus der Religionsgemeinschaft der Sikhs führten in Deutschland weiterhin propagandistische Aktivitäten durch und bemühten sich, Geldmittel zur Unterstützung ihrer Organisationen im jeweiligen Heimatland zu beschaffen. Nach der militärischen Zerschlagung der LTTE und dem Tod ihres Führers Velupillai Prabhakaran im Mai 2009 in Sri Lanka befindet sich die Organisation in einem Prozess der Neuordnung. In Deutschland kam es im Laufe des Jahres zu exekutiven Maßnahmen gegen mehrere mutmaßliche LTTE-Mitglieder und Personen aus dem extremistischen Sikh-Spektrum. 2. Organisationen und Personenpotenzial Das Mitgliederund Anhängerpotenzial der insgesamt 44 (2009: 44) nichtislamistischen sicherheitsgefährdenden bzw. extremistischen Ausländerorganisationen hat sich mit 24.910 Personen gegenüber dem Vorjahr (2009: 24.710) leicht 284 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) erhöht: Während das Potenzial der linksextremistischen oder linksextremistisch-geprägten Ausländergruppierungen auf 17.070 (2009: 16.870) Personen angestiegen ist, blieb die Mitgliederund Anhängerzahl der nationalistischen Ausländergruppierungen mit 7.840 Personen unverändert. Mitgliederpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen1 (ohne Islamismus) Staatsangehörigkeit Linksextremisten Extreme Gesamt bzw. Nationalisten Volkszugehörigkeit Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Kurden 2 2010 19 11.500 19 11.500 2009 19 11.500 19 11.500 2008 19 11.500 19 11.500 Türken2 2010 12 3.150 1 7.000 13 10.150 2009 12 3.150 1 7.000 13 10.150 2008 12 3.150 1 7.000 13 10.150 Araber2 2010 4 150 4 150 2009 4 150 4 150 2008 4 150 4 150 Iraner 2010 2 1.150 2 1.150 2009 2 1.150 2 1.150 2008 2 1.150 2 1.150 Sonstige 2010 2 1.120 4 840 6 1.960 2009 2 920 4 840 6 1.760 2008 2 920 5 880 7 1.800 Summe 2010 39 17.070 5 7.840 44 24.910 2009 39 16.870 5 7.840 44 24.710 2008 39 16.870 6 7.880 45 24.750 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind z.T. geschätzt und gerundet. 2 Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. 285 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 1. Gruppierungen aus dem kurdischen Spektrum 1.1 Überblick Die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) beansprucht nach wie vor die Führungsrolle für die hier lebenden etwa 800.000 ethnischen Kurden. Sie verfügt - trotz des Betätigungsverbots - über eine konstante Kernanhängerschaft von 11.500 Personen, die überwiegend in örtlichen Vereinen organisiert sind. Die PKK verstärkte in Deutschland nochmals ihre Öffentlichkeitsarbeit - durch die "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) -, um so ihre politischen Positionen zu verbreiten. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten lag auf der Ausrichtung von Großveranstaltungen wie dem "Internationalen Kurdischen Kulturfestival", das trotz organisatorischer Schwierigkeiten in der gewohnten Größe mit bis zu 40.000 Teilnehmern in Köln stattfand und neben der Propaganda auch der Werbung neuer Anhänger für die PKK dienen sollte. Daneben gelang es der Organisation in Deutschland erneut, Gelder für ihre Finanzierung zu beschaffen. Im Grenzgebiet der Türkei zum Nordirak kam es - trotz einer mehrfach von der PKK proklamierten einseitigen Waffenruhe - fortlaufend zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den Guerillaeinheiten der PKK, den "Volksverteidigungskräften" (HPG), und dem türkischen Militär. 286 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung: 1978 als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in der Türkei weitere Bezeichnungen: - "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) - "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) - "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) - "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) Führung: Abdullah Öcalan Mitglieder/Anhänger: 11.500 (2009: 11.500) Publikationen: u.a. "Serxwebun" ("Unabhängigkeit"), monatlich; "Sterka Ciwan" ("Stern der Jugend"), monatlich Betätigungsverbot: Verbotsverfügung vom 22. November 1993 1.2.1 Allgemeine Lage Die PKK ist bereits seit 1993 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt und wird seit 2002 von der Europäischen Union als terroristische Organisation gelistet.149 149 Der Europäische Rat erklärte im September 2001 die Bekämpfung des Terrorismus zu einem der vorrangigen Ziele der EU. Seither können Personen, Vereinigungen und Körperschaften in einer EU-Liste erfasst ("gelistet") werden, wenn eine zuständige Behörde eines EU-Mitgliedstaats über Beweise oder schlüssige Indizien für deren Involvierung in terroristische Handlungen verfügt. Entscheidungen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen können ebenfalls berücksichtigt werden. Konsequenz der halbjährlich erfolgenden Listung ist insbesondere das Einfrieren von Geldern und Vermögenswerten terrorismusverdächtigter Personen und Organisationen. 287 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Der Bundesgerichtshof (BGH) hat unter Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung festgestellt, dass es sich bei der PKK insgesamt um eine terroristische Vereinigung im Ausland handelt (SSSS 129a, 129b StGB). Deren inländische Teilstrukturen seien auf die Umsetzung der im Ausland entwickelten Vorgaben verpflichtet. Limitierte eigene Spielräume habe die inländische Unterorganisation allenfalls bei der Umsetzung der Direktiven. Ebenso erkennt der BGH auch in der PKK-Europaführung eine unselbstständige, den Vorgaben der Gesamtorganisation unterworfene Teilvereinigung. Die PKK verfolgt wie in den Jahren zuvor eine Doppelstrategie. In der westeuropäischen Öffentlichkeit tritt sie überwiegend gewaltfrei in Erscheinung und bemüht sich um politische Anerkennung für ihre Anliegen. In der Türkei und der nordirakischen Grenzregion setzt die PKK mit den Einheiten ihrer HPG - trotz der wiederholt abgegebenen einseitigen Waffenstillstandserklärungen - weiterhin auf die Anwendung von Waffengewalt. An dieser ambivalenten Haltung hat sich auch unter den seit dem Jahr 2002 wechselnden Organisationsbezeichnungen - zunächst KADEK, dann KONGRA GEL - nichts geändert. Die PKK tritt seit 2005 - auf Vorgaben Öcalans basierend - auch unter der Bezeichnung "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" (KKK) auf, die 2007 in "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (kurdisch "Koma Civaken Kurdistan" - KCK) umbenannt wurde. Trotz der mehrfachen Umbenennungen, die stets als "Neugründungen" proklamiert wurden und dem Versprechen demokratischer Strukturen, gab es organisatorisch und personell keine wesentlichen Veränderungen. Öcalan, der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Gründer der PKK, ist nach wie vor deren uneingeschränkter Führer und wird von der Anhängerschaft als Symbolfigur des kurdischen Freiheitskampfes verehrt. Der formal als KCK-Exekutivratsvorsitzende fungierende Murat Karayilan steht in der PKK-Hierarchie als Vertreter Öcalans an zweiter Stelle. Vorsitzender des Entscheidungsorgans der PKK, des KONGRA GEL, ist seit 2008 unverändert Remzi Kartal. Aufgabe des 288 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) KONGRA GEL im PKK-Organisationsgeflecht soll die interne Meinungsfindung und Beschlussfassung sein, wobei nach außen hin eine parlamentsähnliche Struktur suggeriert wird. Führende Kader der PKK betonen immer wieder, dass die Organisation ihre separatistischen Ziele aufgegeben habe. Tatsächlich strebt die PKK nach wie vor einen länderübergreifenden föderalen Verbund aller Kurden im Nahen Osten an, um deren Identität zu fördern. Eine derartige Föderation würde die Souveränität der betroffenen Staaten erheblich einschränken und dürfte daher keine Chance auf Realisierung haben. Die PKK kündigt zwar anlässlich ihrer jährlichen Parteikongresse regelmäßig die Schaffung interner demokratischer Strukturen an, hält aber de facto unverändert an hierarchischen Strukturen und Kaderprinzipien fest. Organisationsinterne Vorgaben und Anweisungen werden auch weiterhin im Rahmen einer Befehlskette von oben nach unten an die jeweils nachgeordneten Kaderebenen weitergeleitet. Aufgrund des anhaltenden öffentlichen Drucks auf die PKK, an einer friedlichen Lösung des Kurdenkonfliktes mitzuwirken, erklärte die Organisationsführung 2010 mehrfach eine z.T. als "Phase der Aktionslosigkeit" bezeichnete "einseitige Waffenruhe", die im Laufe des Jahres mehrmals verlängert bzw. nach zwischenzeitlicher Aufkündigung erneuert wurde. Gleichzeitig nahm sie für sich ein Recht auf "legitime Selbstverteidigung" in Anspruch. Dieses Vorgehen gehört zur langjährigen Strategie der PKK, um sich vom Image einer Terrororganisation zu befreien und so als Ansprechpartner in der Kurdenfrage anerkannt zu werden. Trotz des proklamierten Waffenstillstandes kam es auch 2010 zu Auseinandersetzungen zwischen der Guerilla und Einheiten des türkischen Militärs. Zudem betrieb die PKK mit Nachdruck die qualitative und quantitative Aufstockung der HPG im Nordirak. Um die Initiative zur Lösung der Kurdenfrage zu ergreifen und den von der PKK erhobenen Alleinvertretungsanspruch aller Kurden zu bekräftigen, wurden zudem wieder Lösungsvorschläge des PKK-Führers Öcalan angekündigt und umfänglich propagandistisch beworben. Allerdings kam es - wie bereits in 289 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) der Vergangenheit - weder zur Veröffentlichung noch zur Umsetzung dieser Pläne. Vielmehr folgte - ähnlich wie bei der Verkündung der Waffenruhen - auf die Ankündigung des angeblich friedlichen Lösungsvorschlags und dessen Nichtbeachtung durch die Türkei ein erneutes Aufflammen militanter Aktionen der PKK. Die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), die nach eigenen Angaben aus der HPG hervorgegangen sind, zugleich jedoch behaupten, keinerlei Verbindung zur PKK zu unterhalten, verübten nach zweijähriger Inaktivität in der Türkei nun wieder Anschläge. Sie bekannten sich zu zwei Bombenanschlägen Mitte 2010 in Istanbul auf ein Polizeifahrzeug (8. Juni 2010) und einen Militärbus (22. Juli 2010). Dabei wurden vier Soldaten getötet und mehrere Personen verletzt. Am 31. Oktober 2010 versuchte ein Selbstmordattentäter auf dem Taksim-Platz in Istanbul in das Innere eines Polizeibusses zu gelangen, um dort eine an seinem Körper angebrachte Sprengladung zur Explosion zu bringen. Der Sprengsatz detonierte jedoch, bevor der Attentäter sein Ziel erreichen konnte. Dieser kam bei dem Anschlag ums Leben, 32 Menschen wurden verletzt. In dem Bekennerschreiben der TAK zum Attentat heißt es u.a.: "Spekulationen, dass diese Aktion etwas mit dem Waffenstillstand der PKK zu tun habe, enthalten keinen Sinn. So wie wir mit der Entscheidung der PKK nichts zu tun haben, haben wir als TAK keine Entscheidung zu einem Waffenstillstand getroffen. (...) In diesem Sinn warnen wir alle Arten von Kräften des türkischen Faschismus, der seine Angriffe auf unser Volk fortführt, noch einmal. So lange sie nicht von dieser Haltung abrücken, werden sie früher oder später nicht davon loskommen, im Visier der Selbstmordkommandos der TAK zu stehen." (Veröffentlichung am 4. November 2010 auf der Internetseite der TAK) Die TAK sind seit 2006 von der EU als Terrororganisation gelistet.150 150 Siehe Fn. 149. 290 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.2 Organisatorische Situation Die PKK unterliegt in Deutschland seit 1993 unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen (KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK) einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Neben der PKK wurde 1993 auch der politische Arm der Organisation, die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK), die derzeit unter der Bezeichnung "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (ERNK/CDK) die Aktivitäten der PKK in Europa maßgeblich bestimmt, mit einem Betätigungsverbot belegt. Die Führungsfunktionäre der ERNK/CDK, an der Spitze der Leiter und ein mehrköpfiges Leitungsgremium, halten sich vorwiegend in europäischen Nachbarländern auf. Die Einsetzung der verantwortlichen Kader in Deutschland, deren Tätigkeit in aller Regel zeitlich begrenzt ist, erfolgt überwiegend durch die ERNK/CDK-Leitung. Interne Anweisungen und Vorgaben werden durch konspirativ agierende Funktionäre nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeleitet. Die siebte Generalversammlung der ERNK/CDK, an der ungefähr Siebter Jahres180 Personen teilnahmen, fand vom 6. bis 10. Juni 2010 in den kongress der CDK Niederlanden statt. Als eines der wesentlichen Ziele wurde beschlossen, sich weiterhin verstärkt für die Freiheit Öcalans einzusetzen. Mit der 4. "Edi Bese!" ("Jetzt reicht es!")-Kampagne soll Existenz und Freiheit des kurdischen Volkes propagiert werden. Im Rahmen der Generalversammlung wurden keine organisaKeine strukturellen torischen Veränderungen der PKK in Deutschland beschlossen. Änderungen im Die ERNK/CDK-Sektion Deutschland bleibt weiter in drei sogeBundesgebiet nannte SAHAs (Nord, Mitte und Süd), auch SERITs genannt, mit jeweils einem Führungsfunktionär an der Spitze, aufgeteilt. Diesen SAHAs sind insgesamt 28 Gebiete untergeordnet. In Deutschland sind die Anhänger der PKK überwiegend in örtYEK-KOM lichen Vereinen organisiert. Dachverband dieser Vereine ist die "Föderation Kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM); ihr sind - wie im Vorjahr - nach eigenen Angaben 44 Vereine angeschlossen. Die YEK-KOM steht in engem Kontakt mit der ERNK/CDK. 291 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) MassenZahlreiche Anhänger der PKK sind darüber hinaus in sogenannorganisationen ten Massenorganisationen organisiert, die jeweils bestimmte Berufsund Interessensgruppen repräsentieren. Hervorzuheben sind die Jugendorganisation "Komalen Ciwan" (sinngemäß "Gemeinschaft der Jugendlichen"), die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (AKKH) und die Studentenorganisation "Verband der Studierenden" (YXK), die besonders aktiv sind. Ebenfalls zu nennen sind die "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK), "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), "Union der Juristen Kurdistans" (YHK), "Union der Schriftsteller Kurdistans" (YNK), "Union kurdischer Familien"(YEK-MAL) sowie die Religionsgemeinschaften "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), "Föderation der demokratischen Aleviten" (FEDA), "Union der Aleviten aus Kurdistan" (KAB), "Föderation der Yeziden Kurdistans" (FKE) und "Union der Yeziden aus Kurdistan" (YEK). 1.2.3 "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" ("Partiya Jiyanen Azadiya Kurdistan" - PJAK) Nach einer Erklärung des seinerzeitigen Europa-Verantwortlichen der PKK aus dem Jahr 2004 ist die im selben Jahr gegründete "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" (PJAK) "Mitglied im KONGRA GEL". Hauptziel der PJAK sei es, "die Aufgabe der Führung im politischen Kampf im Iran und in Ostkurdistan zu erfüllen, (...) das theokratische System zu überwinden und die kurdische Frage durch demokratische Transformationen zu lösen, die Überreste des feudalistischen Systems zu beseitigen und das freie und demokratische Leben zu entwickeln." ("Kurdistan Report" Nr. 02/2004) Die PJAK unterhält für den Kampf gegen das iranische Regime eigene kämpfende Einheiten, die "Freiheitskräfte Kurdistans" ("Hezi Rojhelati Kurdistan" - HRK), die logistisch eng mit den "Volksverteidigungskräften" (HPG) verknüpft sind. 292 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In einer Erklärung vom 20. März 2007 führte der seit der Parteigründung amtierende Vorsitzende der PJAK, der deutsche Staatsangehörige Rahman Haj-Ahmadi aus, die PJAK sei die einzige Gruppe im Iran, die gegen das dortige Regime kämpfe. Er betonte zwar, die Demokratisierung des Iran sei oberste Aufgabe des Volkes, daher sollten alle kurdischen Parteien, Gruppen und iranische Oppositionelle in einen Dialog gebracht werden. Allerdings erklärte er in diesem Zusammenhang auch, die Bewohner Ost-Kurdistans seien enthusiastische Unterstützer Abdullah Öcalans, des Führers des "Koma Komalen Kurdistan". Dessen Prinzip der "Demokratischen Konföderation" werde in Iranisch-Kurdistan durch die PJAK vertreten. Parallel zur politischen Arbeit der PJAK leisteten die sogenannten Selbstverteidigungskräfte (HRK) auf militärischem Gebiet Unterstützung für die Durchsetzung der Parteiziele.151 Nach der Hinrichtung zweier PJAK-Kämpfer im Januar 2010 verübten die HRK einen tödlichen Anschlag auf den zuständigen Staatsanwalt. Hierzu erklärten die HRK in der der PKK zuzurechnenden Zeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP): "Wegen seiner Verbrechen ist er nun von den Kräften der HRK auf Grundlage der legalen Verteidigung und der Wahrung der Ehre des kurdischen Volkes bestraft worden." (YÖP vom 21. Januar 2010) Die zahlreichen Hinrichtungen von PJAK-Kämpfern durch das iranische Regime wurden von der Führung der PJAK am 11. Mai 2010 als "Kriegserklärung" bezeichnet: "Diese Angriffe werden nicht unbeantwortet bleiben. Wir sind jederzeit bereit, unser Volk, unsere Gefallenen und unsere Partei zu schützen und unseren Kampf auszuweiten." (YÖP vom 11. Mai 2010) 151 www.flash-bulletin.de, "PJAK and the Kurdish struggle in Iranian Kurdistan". 293 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In Deutschland hat die PJAK - mit Ausnahme eines engen Führungskreises um den Parteivorsitzenden Haj-Ahmadi - bisher kaum Strukturen gebildet bzw. Aktivitäten entfaltet. Eigene "Vereine" - vergleichbar mit den PKK-Einrichtungen - existieren nicht; gleichwohl werden z.B. Trauerfeierlichkeiten für getötete PJAK-Kämpfer in den Räumlichkeiten der PKK-Vereine abgehalten. Vereinzelt konnten von der PJAK initiierte und von der PKK unterstützte Demonstrationen beobachtet werden. Im Februar 2009 wurde die PJAK von den US-Behörden in die Liste terroristischer Organisationen aufgenommen; in der entsprechenden Liste der Europäischen Union ist die PJAK bisher nicht erfasst. 1.2.4 Propaganda der PKK 1.2.4.1 Medienwesen Die PKK verfügt über ein vielfältiges Medienwesen zur Verbreitung ihrer Propaganda und Ideologie. Mit diesem Medienapparat informiert bzw. mobilisiert sie nicht nur ihre Anhänger, sondern versucht, auch andere in Deutschland lebende Kurden im Sinne der Organisation zu beeinflussen. Funktionären der PKK wird in den verschiedenen Medien regelmäßig eine öffentliche Plattform zur Verbreitung ihrer Propaganda geboten. Für die Anhänger der PKK von besonderer Bedeutung sind die in Deutschland herausgegebene Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) mit einer Auflage von knapp 10.000 Exemplaren und der mit dänischer Lizenz ausgestattete, in Belgien produzierende Satellitensender "Roj TV", der sowohl in Europa als auch in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei und im Nahen Osten zu empfangen ist. Auch die in den Niederlanden angesiedelte kurdische Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) verfolgt eine erkennbar den Interessen der PKK verpflichtete Informationspolitik. Das Internet spielt als Kommunikationsmedium für die Anhängerschaft der PKK eine zunehmende Rolle, insbesondere durch das Portal "Gerilla TV", das mit seinen Beiträgen den bewaffneten Kampf verherrlicht. 294 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Der Bundesminister des Innern (BMI) hat mit Verfügung vom "Roj TV"/"VIKO 19. Juni 2008 ein Betätigungsverbot gegen den Fernsehsender Fernseh Produktion "Roj TV" sowie das Unternehmen "VIKO Fernseh Produktion GmbH" GmbH" als dessen Teilorganisation erlassen und dem in Kopenhagen (Dänemark) ansässigen Unternehmen "Mesopotamia Broadcast A/S" die Tätigkeit in Deutschland in Bezug auf den Fernsehsender "Roj TV" verboten. Laut Verbotsverfügung verstößt der Betrieb des Fernsehsenders "Roj TV" gegen deutsche Strafgesetze und richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. VI). In den Entscheidungen über die von "Roj TV" und "Mesopotamia Broadcast A/S" eingereichte Anfechtungsklage stellte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) im Februar 2010 fest, dass sich Tätigkeit und Zweck von "Roj TV" gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne des Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz richten. Eine abschließende Entscheidung konnte allerdings noch nicht ergehen. Da "Roj TV" mit einer dänischen Fernsehlizenz sendet, hat das BVerwG die Frage zur Anwendbarkeit der EG-Fernsehrichtlinie dem Europäischen Gerichtshof zur Entscheidung vorgelegt. Das BVerwG hat mit Urteil vom 24. Februar 2010 die Klage der "VIKO Fernseh Produktion GmbH" auf Feststellung, keine Teilorganisation von "Roj TV" zu sein, abgewiesen. Am 4. März 2010 kam es zudem zu Exekutivmaßnahmen belgischer Behörden u.a. gegen Einrichtungen und Funktionäre der PKK sowie "Roj TV". Die Oberstaatsanwaltschaft Kopenhagen kündigte am 31. August 2010 an, Anklage gegen "Roj TV" in Dänemark wegen Unterstützung terroristischer Aktivitäten durch Ausstrahlung von PKK-Propagandabeiträgen, zu erheben. Zuvor hatte ein ehemaliger "Roj TV"-Direktor in einem Artikel in einer dänischen Zeitung Verbindungen des Senders zur PKK aufgezeigt. Als Reaktion auf die staatlichen Maßnahmen gegen "Roj TV" initiierte die PKK-Anhängerschaft in ganz Europa Solidaritätsveranstaltungen wie Demonstrationen, Mahnwachen oder Unterschriftsaktionen; die Tageszeitung YÖP rief zu Spenden für den Sender auf. Bei den überwiegend gewaltfreien Aktionen wurden die Maßnahmen gegen den Sender als politisch motiviert und als Einschränkung der Pressefreiheit gewertet. 295 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) "Mezopotamien Insbesondere für die Verbreitung von PKK-Publikationen ist die Verlag und "Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH" mit Sitz in Neuss Vertrieb GmbH" (Nordrhein-Westfalen) zuständig. Die Verlagsgesellschaft, die hauptsächlich die Schriften Öcalans - auch in deutscher Sprache - vertreibt, war auch 2010 wieder auf zahlreichen Veranstaltungen des PKK-Umfelds mit Verkaufsund Informationsständen vertreten. Unter ihrer Adresse firmiert auch die ebenfalls PKK-nahe "MIR Multimedia GmbH". 1.2.4.2 Demonstrationen und Großveranstaltungen Mit einer Vielzahl von öffentlichkeitswirksamen, meist zentral gesteuerten Aktionen versucht die PKK regelmäßig, ihre Anliegen in Europa auch propagandistisch zur Geltung zu bringen. Die Haftbedingungen ihres Führers Öcalan, der militärische Konflikt im Grenzgebiet der Türkei zum Nordirak sowie staatliche Maßnahmen gegen PKK-nahe Einrichtungen sind dabei die wichtigsten Themen der Organisation. Zentrale Elemente der PKK-Propaganda sind Demonstrationen und Großveranstaltungen, aber auch Podiumsdiskussionen, Unterschriftenkampagnen, Hungerstreiks, Mahnwachen und Pressekonferenzen. Die rege Teilnahme an diesen Veranstaltungen belegt die Fähigkeit der PKK zu einer umfassenden Mobilisierung ihrer Anhänger in Deutschland. Mitte Februar 2010 fanden anlässlich des 11. Jahrestages der Festnahme Öcalans zahlreiche öffentliche Veranstaltungen statt. Schwerpunkt war eine zentrale Großdemonstration unter dem Motto "Wir verurteilen das internationale Komplott! - Freiheit für Öcalan" am 13. Februar 2010 in Straßburg (Frankreich), an der ca. 6.500 Personen aus mehreren Ländern teilnahmen, darunter ein Großteil aus Deutschland. Als Reaktion auf die Exekutivmaßnahmen belgischer Behörden gegen Einrichtungen und Funktionäre der PKK sowie PKK-nahe Organisationen am 4. März 2010 kam es europaweit über mehrere Wochen hinweg zu zahlreichen Protestkundgebungen. So versammelten sich etwa am 6. März 2010 in Brüssel etwa 5.000 Personen aus verschiedenen europäischen Ländern, hierunter auch zahlreiche Kurden aus Deutschland. Dort kam es ebenso wie in einigen deutschen Städten vereinzelt zu gewalt296 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) samen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizeibeamten. Anhänger der PKK haben Mitte März 2010 deutschlandweit mit zahlreichen Umzügen, zumeist in Form von Fackelmärschen, das traditionelle kurdische Neujahrsfest "Newroz" ("neuer Tag") begangen. An der weitgehend störungsfrei verlaufenen Großdemonstration mit Abschlusskundgebung unter dem Motto: "Newroz bedeutet: Widerstand, Aufstand und Freiheit" am 20. März 2010 in Düsseldorf nahmen ca. 20.000 Personen teil, 5.000 mehr als im Vorjahr. Das alljährliche Newroz-Fest, das von Kurden als Beginn eines neuen Jahres und des Frühlings gefeiert wird, gilt Anhängern der PKK auch als Fest des Widerstandes gegen Tyrannei und als Symbol für den kurdischen "Freiheitskampf". Am 26. Juni 2010 fand das vom PKK-nahen "Kurdischen Frauenbüro für Frieden e.V." (CENI) organisierte "6. Zilan-Frauenfestival" in Lemgo (Nordrhein-Westfalen) statt, das unter dem Motto "Den Befreiungskampf steigern - die Vergewaltigungskultur überwinden!" stand. An der Veranstaltung beteiligten sich mehrere Hundert Frauen. Neben einem kulturellen Rahmenprogramm wurden auch politische Inhalte thematisiert. Namensgeberin für das Festival ist Zeynep Kinaci alias "Zilan", die von PKK-Anhängern als "Märtyrerin" verehrt wird. "Zilan" hatte am 30. Juni 1996 in Tunceli (Türkei) während einer militärischen Fahnenparade auf einem zentralen Platz eine Bombe zur Detonation gebracht. Nach türkischen Angaben wurden bei dem Selbstmordanschlag mindestens sechs Soldaten getötet. Die PKK-Jugendorganisation "Komalen Ciwan" richtete am 10. Juli 2010 im Kölner Südstadion das "13. Mazlum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" aus. Der Name "Mazlum Dogan" erinnert an einen Funktionär der PKK, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben nahm und seitdem innerhalb der Organisation als "Märtyrer" verehrt wird. An der friedlich verlaufenen Veranstaltung unter dem Motto "Entweder ein freier Führer und ein freies Kurdistan oder ein imposanter Widerstand!", das auf den PKK-Gründer Öcalan anspielt, nahmen ca. 5.000 Personen kurdischer Volkszugehörigkeit - zumeist Jugendliche - aus Deutschland und dem benachbarten Ausland 297 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) teil. Während der Veranstaltung, die zwar überwiegend den Charakter eines Sportfestes mit kulturellem Rahmenprogramm hatte, wurden zudem auch politische Inhalte thematisiert. In einer dort verlesenen schriftlichen Botschaft an die Teilnehmer wurde gefordert, die kurdische Jugend stärker in den kurdischen "Befreiungskampf" einzubeziehen, sie müsse "an vorderster Reihe an diesem Kampf teilnehmen". Karayilan, hochrangiger PKK-Führungsfunktionär, erklärte in einer eingespielten Ansprache, die kurdischen Jugendlichen seien in dieser Zeit verpflichtet, ihrer Rolle gerecht zu werden und ihre Zukunft selbst zu bestimmen. Er forderte sie dazu auf, "überall Aufstände anzuführen". Proteste wegen Nachdem vor allem in PKK-Medien über die angebliche Schänangeblicher dung der Leichen getöteter PKK-Guerillas durch Angehörige der "Leichentürkischen Armee berichtet worden war, wurden im Juli und schändungen" August 2010 deutschlandweit zahlreiche Demonstrationen und Mahnwachen durchgeführt, die bis auf kleinere Störungen weitgehend friedlich verliefen. "18. Internationales Am 18. September 2010 fand das "18. Internationale Kurdische Kurdisches KulturKulturfestival" mit etwa 40.000 Teilnehmern aus ganz Europa festival" in Köln im "RheinEnergieStadion" in Köln statt. Die ERNK/CDK hatte die Ausrichtung dieser Veranstaltung entsprechend der Praxis der Vorjahre angeordnet und mit der logistischen Umsetzung die YEK-KOM beauftragt. Die Erträge der Veranstaltung werden zur Finanzierung der Gesamtorganisation eingesetzt. Das Festival stand unter dem Motto "Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan". Der Fernsehsender "Roj TV" berichtete live von der störungsfrei verlaufenen Veranstaltung. Nach der Eröffnung des Festivals durch den YEK-KOM-Vorsitzenden Ahmet Celik folgte ein Redebeitrag des Vorsitzenden des "Kurdistan Nationalkongresses" (KNK) Tahir Kemalizade, der dazu aufrief, "den Freiheitskampf der PKK" zu unterstützen. Der der PKK nahestehende KNK versteht sich als Interessenvertretung aller Kurden mit dem Ziel, die europäische Politik und Öffentlichkeit für die Belange der Kurden zu sensibilisieren. Er setzt sich aus zahlreichen politischen Parteien, Organisationen und Einzelvertretern zusammen. Der hochrangige PKK-Führungsfunktionär Karayilan forderte in einer Videobotschaft eine Fortsetzung der "ideellen und materiellen Unterstützung". 298 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Weitere politische Ansprachen zur Kurdenproblematik wurden begleitet von einem kulturellen Rahmenprogramm mit Musikund Tanzdarbietungen. Während der Veranstaltung wurden mehrere Hundert Fahnen mit verbotenen Symbolen gezeigt. Wie in den Vorjahren ging dem Festival ein mehrtägiger "Marsch der Jugendlichen" von Anhängern der PKK-Jugendorganisation "Komalen Ciwan" voraus, der am 13. September 2010 in Dortmund gestartet war und in Köln endete. Dabei kam es in Duisburg zu einer handgreiflichen Auseinandersetzung mit türkischen Passanten, in deren Folge drei Demonstrationsteilnehmer festgenommen wurden. Anhänger der PKK führten anlässlich des zwölften Jahrestages der Ausweisung Öcalans aus seinem Exil in Syrien (9. Oktober 1998), wie in den Jahren zuvor, diverse Kundgebungen in Deutschland und anderen europäischen Staaten durch. Die überwiegende Anzahl der Veranstaltungen verlief friedlich. Während einer Demonstration in Berlin kam es allerdings zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Im Rahmen der Zusammenarbeit mit deutschen linksextreZusammenarbeit mistischen Gruppierungen wurde im Jahr 2010 die bundesweite mit deutschen Kampagne "Tatort Kurdistan" durchgeführt. Nach Verlautbalinksextrerungen im Internet bestand das Ziel dieser Kampagne zum einen mistischen darin, die Öffentlichkeit auf die angebliche Rolle der deutschen Gruppierungen Regierung und der Rüstungsindustrie beim gewaltsamen Konflikt zwischen dem türkischen Militär und der PKK-Guerilla hinzuweisen, und zum anderen, die deutsche Bauindustrie für ihre Beteiligung an umstrittenen Staudammprojekten in der Türkei zu kritisieren. Des Weiteren wurde die "Abschiebepraxis von Kurden aus Deutschland in die Türkei" angeprangert. An der Kampagne beteiligt waren neben der YEK-KOM und dem "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK) auch deutsche linksextremistische Gruppierungen wie z.B. die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD; vgl. Linksextremismus Kap. III, Nr. 3) und die "Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin" (ARAB). "Tatort Kurdistan" startete am 8. Mai 2010 mit einem Informationsstand und einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor in 299 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Berlin. In den Folgemonaten wurden zahlreiche kleinere Aktionen wie Informationsstände in Fußgängerzonen durchgeführt, so u.a. in Marburg (Hessen). Die Kampagne endete am 1. September 2010 mit einem dezentralen bundesweiten Aktionstag, an dem Demonstrationen, Kundgebungen oder Informationsstände durchgeführt wurden. Im Rahmen einer Kundgebung in Düsseldorf forderte eine NRW-Landtagsabgeordnete der Partei "DIE LINKE." in ihrer Rede den Stopp der Waffenlieferungen in die Türkei sowie eine aktive Rolle Deutschlands bei der Lösung der Kurdenfrage. Unterstützung Die Partei "DIE LINKE." griff auch im Jahr 2010 generell Anliegen durch die Partei der PKK auf, um diese politisch zu unterstützen. Vertreter der "DIE LINKE." Partei nahmen an Kampagnen und Veranstaltungen von PKK-nahen Organisationen teil. So berichtete die Tageszeitung YÖP über die Teilnahme eines Vertreters der Partei an einer Veranstaltung anlässlich des 32. Gründungsjubiläums der PKK in Mannheim.152 Drei Angehörige der Partei, darunter ein Abgeordneter des Europäischen Parlaments sowie eine im Mai 2010 gewählte Abgeordnete des Landtags Nordrhein-Westfalen, hielten Reden auf der zentralen Newroz-Feier in Düsseldorf, bei der der Guerillakampf der PKK und der inhaftierte Abdullah Öcalan thematisiert wurden.153 Am 16. März 2010 berichtete die YÖP über den Wahlkampfstart der "kurdischen Kandidaten" der Partei "DIE LINKE." für die Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai 2010. Ein inzwischen ins Landesparlament gewählter Kandidat habe die Kurden zur Wahl aufgerufen, damit die kurdischstämmigen Kandidaten für das kurdische Volk Aufgaben und Verantwortung übernehmen könnten. Die Veranstaltung hatte die PKK-nahe "Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) organisiert.154 152 YÖP vom 7. Dezember 2010, S.12. 153 YÖP vom 22. März 2010, S. 12. 154 YÖP vom 16. März 2010, S. 7. 300 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.5 Aktivitäten der "Komalen Ciwan" Im Februar 2010 kam es - im Gegensatz zu den Vorjahren - aus Anlass des "Jahrestages des internationalen Komplotts"155 lediglich zu einer kleineren Welle sogenannter Hit-and-RunAktionen durch Angehörige der "Komalen Ciwan". Nachdem jugendliche PKK-Anhänger aus Stuttgart am 3. Februar 2010 auf der Homepage der "Komalen Ciwan" zu Aktionen zum Jahrestag aufgerufen und dazu auch im Internet ein entsprechendes Video eingestellt hatten, kam es in verschiedenen Städten Deutschlands zu Gewaltaktionen. Zitat aus dem Video: "An die Presse und die Öffentlichkeit: Wir verurteilen als Jugend Kurdistans diesen neu begonnenen Monat Februar mit Wut und Hass. Wir wollen als Apoistische156 Jugend Stuttgart bekannt geben, dass wir auf jede noch so geringe Unterdrückung und jeden Angriff besonders auf den geehrten Öcalan, auf unser Volk und unsere Guerilla auf die radikalste Weise antworten werden. Und wir rufen als Apoistische Jugend Stuttgart alle unsere in Europa lebenden kurdischen Jugendlichen zur Mobilmachung für Aktionen." Eine weitere Erklärung mit Aufrufen zu Aktionen stellten die "Komalen Ciwan" am 7. Februar 2010 auf ihrer Internetseite ein. Bereits am 4. Februar 2010 warfen in Berlin junge Kurden Brandsätze auf einen vor einem türkischen Gemüseladen abgestellten Lkw; am 8. Februar 2010 wurde ein Brandanschlag gegen einen türkischen Kulturverein in Rüsselsheim (Hessen) verübt. Zu beiden Anschlägen veröffentlichten die "Komalen Ciwan" Tatbekenntnisse im Internet. Die Organisation bekannte sich auch zu 155 Auf massiven Druck der Türkei hin hatte die syrische Regierung seinerzeit Öcalan ihre Unterstützung entzogen und ihn veranlasst, sein Exil in Damaskus am 9. Oktober 1998 aufzugeben. Nach Auffassung des KONGRA GEL markiert dieser Tag den Beginn eines "internationalen Komplotts", das schließlich zur Festnahme Öcalans am 15.02.1999 in Kenia und dessen Verurteilung in der Türkei führte. 156 Mit "Apo" ist eine organisationsinterne Bezeichnung für Abdullah Öcalan gemeint. 301 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Brandanschlägen in Dortmund, Düsseldorf und Duisburg. In Dortmund wurden zwei Personen festgenommen, die für Anschläge geeignete Materialien mit sich führten. Als Reaktion auf die Exekutivmaßnahmen gegen "Roj TV" am 4. März 2010 in Belgien kam es am 6. März 2010 in Münster (Nordrhein-Westfalen) zu einem Brandanschlag auf das türkische Generalkonsulat. Dabei wurde die Fassade des Gebäudes durch Rußanhaftungen leicht beschädigt und von den Tätern mit dem Schriftzug "Roj TV" besprüht. Beginnend mit der von den jugendlichen Stuttgarter PKK-Anhängern im Internet veröffentlichten Erklärung und deren Videobotschaft ist die Gewalt zwischen kurdischen und nationalistischen türkischen Jugendlichen in Stuttgart im Laufe des Jahres immer weiter eskaliert. Neben verbalen Konfrontationen in Internetforen kam es wiederholt auch zu tätlichen Auseinandersetzungen. So verletzten kurdische Jugendliche bei einem Angriff mit Baseballschlägern und Eisenstangen auf ein türkisches Lokal in Nürtingen (Raum Stuttgart) am 8. Mai 2010 mehrere Personen z.T. schwer. Zwischenzeitlich konnten 19 mutmaßliche Täter festgenommen werden. Am 31. Oktober 2010 kam es zu einer Messerattacke, bei der zwei kurdische Jugendliche, die ebenfalls dem Spektrum der "Komalen Ciwan" zuzurechnen sind, schwer verletzt wurden. Tätliche Auseinandersetzungen zwischen kurdischen Jugendlichen und mutmaßlich nationalistischen Türken waren auch in der Vergangenheit nicht ungewöhnlich, insbesondere im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen. Meist blieb es jedoch bei "Prügeleien" ohne schwerere Verletzungen. Die Vorfälle in Stuttgart und Umgebung verdeutlichen jedoch die zunehmende Militanz und Gewaltbereitschaft der "Komalen Ciwan". 302 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.6 Rekrutierung junger Anhänger der PKK in Deutschland für die Guerilla In allen PKK-Medien (Zeitschriften, Internet, TV) wird offen für die Guerilla der PKK geworben. Die Werbung für die Guerilla reicht von der Verherrlichung des Guerillalebens in den Kandilbergen und des Märtyrertums ihrer getöteten Kämpfer bis hin zu direkten Aufrufen an Jugendliche, sich auch in Europa der Guerilla anzuschließen. In diesem Zusammenhang wurden in der "Komalen Ciwan"nahen Zeitschrift "Sterka Ciwan" folgende Beiträge veröffentlicht: "Wenn sie [Anm.: die Jugend] eine kraftvolle Antwort auf die niederträchtigen Attacken des Feindes geben und die Tugend zeigen will, sich dieser historischen Verantwortung zu stellen, muss sie sich der opferbereiten Armee des Führers Apo anschließen und in die Freiheitsberge kommen." (Zeitschrift "Sterka Ciwan" Nr. 81) "In diesen Tagen, in denen mehr als zuvor Bedarf an Einheit besteht, muss es die größte Aufgabe der Jugend sein, die Guerilla zu vergrößern. (...) Nur mit dem Beitritt zur Guerilla kann das Erbe der "Freiheitsmärtyrer" gewahrt werden." (Zeitschrift "Sterka Ciwan" Nr. 82) Auch aus Deutschland wurden im Berichtszeitraum wieder Fälle bekannt, in denen sich junge PKK-Anhänger der Guerilla angeschlossen haben. So war in einem im Juni 2010 ausgestrahlten Bericht in "Roj TV" unter den gezeigten Kämpfern ein junger Mann zu sehen, der in Deutschland für die Guerilla rekrutiert wurde. Über die genaue Anzahl der in Deutschland rekrutierten Guerillakämpfer liegen jedoch keine Informationen vor. 303 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 1.2.7 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten Die wichtigste finanzielle Einnahmequelle der PKK ist nach wie vor die jährlich stattfindende Spendenkampagne unter den in Europa und insbesondere Deutschland lebenden PKK-Anhängern. Daneben erzielte die Organisation Einkünfte aus Mitgliedsbeiträgen, dem Vertrieb von Publikationen und aus Veranstaltungen wie dem jährlichen Kurdistan-Festival. Die Geldmittel werden in erster Linie für die hauptamtlichen Kader und die Finanzierung der umfangreichen Organisationsstrukturen, insbesondere des Propagandaapparates und der Guerilla, benötigt. Auch in diesem Jahr konnte die PKK die Einnahmen aus Spendengeldern weiter steigern. Der Ertrag lag allein in Deutschland bei mehreren Millionen Euro. Regelmäßige Hinweise auf den bewaffneten Kampf der PKK im türkisch-irakischen Grenzgebiet vergrößern dabei die Bereitschaft der Spender, die Organisation mit höheren Geldbeträgen zu unterstützen. Die Anweisungen der Europaleitung der PKK, in welcher Höhe in den einzelnen Gebieten und Teilgebieten Spenden zu sammeln sind, müssen vor Ort durch die Spendensammler umgesetzt werden. Diese versuchen, die gewünschten Ergebnisse durch Überzeugungsarbeit beim Spender zu erbringen und nach Möglichkeit das Ergebnis des Vorjahres zu übertreffen. Erst nach solchen Vorgesprächen wird die Spende eingesammelt; die Übergabe einer Spendenquittung erfolgt dann nochmals separat. Dieses dreistufige Vorgehen soll die Beweisführung in polizeilichen Ermittlungsverfahren erschweren und die eingesammelten Gelder schützen. Sofern sich die Spendensammler konsequent an diese Sicherheitsdirektiven halten, können bei Durchsuchungsmaßnahmen entweder nur Spendenquittungen oder nur Bargeld sichergestellt werden. In den Weitertransport und die Kontrolle der Finanzen sind Funktionäre des sogenannten Wirtschaftsund Finanzbüros (Ekonomi ve Maliye Bürosu - EMB) der PKK eingebunden. 304 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Seit 2008 ist die PKK in den USA gemäß des "Foreign Narcotics Kingpin Designation Act" (Gesetz zur Kennzeichnung ausländischer Drogenhändler) als in den Drogenschmuggel involvierte Organisation gelistet. Damit ist es Staatsbürgern der USA verboten, mit der PKK oder sie unterstützenden Funktionären in wirtschaftliche Beziehungen zu treten. 1.2.8 Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Im Jahr 2010 hatten sich erneut mehrere Führungsfunktionäre der Partei in Strafverfahren vor Gericht zu verantworten: # Die Bundesanwaltschaft hat am 18. Februar 2010 gegen einen Führungskader Anklage vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung erhoben. # Am 18. Mai 2010 verurteilte das Landgericht (LG) Stuttgart einen PKK-Funktionär wegen seiner Tätigkeit als Gebietsleiter in Stuttgart und Ulm zu einem Jahr Freiheitsstrafe ohne Bewährung. # Das LG Dortmund verurteilte am 6. Juli 2010 einen Parteikader wegen Brandstiftung und Anstiftung zur Brandstiftung zu drei Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Die Aktivitäten der PKK in Deutschland werden sich weiterhin Ausblick auf gleichbleibend hohem Niveau bewegen. Entscheidende Veränderungen im Kurdenkonflikt in der Türkei, die stets unmittelbar auf das Verhalten der PKK in Deutschland ausstrahlen, sind - nach einigen vorsichtigen Annäherungen der Konfliktparteien - aktuell nicht zu erwarten. Das Hauptaugenmerk der Organisation wird sich in Deutschland auch in Zukunft auf die Sammlung von Geldern zur Aufrechterhaltung der Organisationsstrukturen richten. Die PKK wird zudem versuchen, ihre Veranstaltungen und Festivals in der gewohnten Form mit hohen Besucherzahlen durchzuführen. Zudem dürfte sie bestrebt sein, ihre Anliegen verstärkt über politische Lobbyarbeit zu platzieren. 305 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2. Gruppierungen aus dem türkischen Spektrum Die Mehrzahl der beobachteten türkischen Gruppierungen ist linksextremistisch ausgerichtet. Ihre Ideologie wurzelt im Marxismus-Leninismus, einige folgen einer maoistischen Ausprägung. Sie beabsichtigen einen revolutionären Umsturz in der Türkei und die Einführung einer kommunistischen Staatsund Gesellschaftsordnung. Einige dieser Gruppierungen propagieren als Teil ihres Konzepts den bewaffneten Kampf und übernehmen auch immer wieder die Verantwortung für terroristische Anschläge in ihrem Heimatland. In Deutschland agieren sie gewaltfrei. Die Agitation dieser Organisationen umfasst neben Themen aus der Türkei auch Inhalte der politischen Diskussion in der Bundesrepublik Deutschland; hierbei gerieren sie sich insbesondere als Vertreter von Migrantenund Arbeiterinteressen. Kernpunkte der Propaganda sind häufig Vorwürfe fehlender Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und die Verurteilung angeblich imperialistischer Staaten. 306 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 1994 in Damaskus (Syrien), nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten, 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") Leitung: Generalsekretär Dursun Karatas, gestorben am 11. August 2008; Nachfolge nicht bekannt Mitglieder/Anhänger: 650 (2009: 650) Publikationen: "Devrimci Sol", unregelmäßig; "Yürüyüs" ("Marsch"), wöchentlich Organisationsverbot: Verbotsverfügung vom 6. August 1998 Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete DHKP-C strebt unverändert den revolutionären Umsturz der Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft an. Sie propagiert unverändert den bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung. In Deutschland unterliegt sie seit 1998 einem Organisationsverbot; von der EU ist sie seit dem 2. Mai 2002 als terroristische Organisation gelistet. 157 157 Siehe FN 149. 307 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die unveränderte ideologische Ausrichtung bekräftigt eine im Internet158 verbreitete türkischsprachige Erklärung der DHKP159 zum Jahrestag ihrer Parteigründung: "Das heutige Ziel unserer Partei besteht darin, eine revolutionäre Volksherrschaft, die die Herrschaft aller Volkskräfte gegen Imperialismus und Oligarchie darstellt, zu gründen. Seit 40 Jahren richtet sich unser Klassenkampf auf dieses Ziel. Bis zur Unabhängigkeit unseres Landes, (...) und der Errichtung des Sozialismus liegt ein schwerer Weg vor uns. (...) Wir vertreten weiterhin den MarxismusLeninismus. Wir bekennen uns zu den Errungenschaften des Sozialismus. Wir verkünden weiterhin, dass der bewaffnete Kampf der einzige Weg zur Rettung der Völker ist. (...) Wir haben den Kampf gegen den Imperialismus intensiviert." (DHKP Bulletin Nr. 43 vom 30. März 2010) Mehrere Ausgaben des Parteiorgans "Yürüyüs" verdeutlichen das Bekenntnis der DHKP-C zum revolutionären Kampf: "Wir sind die Front. Wir sind diejenigen, die den Anspruch haben, die Völker der Türkei zum Sieg zu führen. Unser Name wird mit der Revolution der Türkei verbunden werden. Unser Name wird in der Türkei mit dem Aufbau des Sozialismus gleichgesetzt werden. Wir sind die Bewegung der Revolution und des Sozialismus." (Yürüyüs Nr. 213 vom 28. März 2010, S. 4f) "Unser strategisches Ziel ist die antiimperialistische und antioligarchische Volksrevolution. Dies ist die Fortsetzung der von Mahir160 und seinen Genossen festgelegten strategischen Linie. Diese Linie sieht einen permanenten Übergang in den Sozialismus vor." (Yürüyüs Nr. 212 vom 21. März 2010, S. 4f) 158 Homepage HALKIN SESI, abgerufen am 9. April 2010. 159 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei", politischer Arm der DHKP-C. 160 Mahir Cayan, der Gründer der "Volksbefreiungspartei - Front der Türkei" (THKP-C), wurde am 30. März 1972 bei einem Schusswechsel mit türkischen Sicherheitskräften getötet. Aus einer Abspaltung der THKP-C ging 1978 die DHKP-C Vorgängerorganisation "Devrimci Sol" hervor. 308 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die DHKP-C griff im Berichtszeitraum das Vorgehen Israels gegen einen Hilfskonvoi nach Gaza im Mai 2010 propagan - distisch auf und solidarisierte sich mit dem palästinensischen Volk. Die hierzu im Internet veröffentlichte Erklärung belegt auch die grundlegend "antiimperialistische" Haltung der DHKP-C: "Der Verantwortliche für das zionistische Massaker ist der Imperialismus. (...) Jede von Israel abgefeuerte Kugel, jede von Israel geworfene Bombe ist eine Kugel, ist eine Bombe des Imperialismus, ja eigentlich des amerikanischen Imperialismus. (...) Der Zionismus und seine Protektoren werden für jeden Tropfen Blut, den sie vergossen haben, Rechenschaft ablegen!" (Erklärung Nr. 15 vom 1. Juni 2010, Front des Volkes - Halk Cephesi, 9. Juni 2010) Im Berichtszeitraum wurden keine terroristischen Aktivitäten Aktivitäten der DHKP-C in der Türkei festgestellt. Ihre Anhänger betätigten in der Türkei sich politisch-propagandistisch in verschiedenen Kampagnen, die sich hauptsächlich mit den Inhaftierten der Organisation und der Gefängnispolitik der türkischen Regierung befassten. Auf wiederholte Festnahmen von Anhängern und die Durchsuchung von Vereinsräumen durch türkische Sicherheitsbehörden reagierte die DHKP-C mit zumeist friedlich verlaufenen Protestkampagnen. Wie in den vergangenen Jahren beklagte die DHKP-C Behinderungen bei der Verbreitung ihres Sprachrohrs "Yürüyüs" durch Publikationsverbote. Die "Anatolische Föderation", eine Umfeldorganisation der Aktivitäten in DHKP-C, setzte ihre Bemühungen fort, unter der Bezeichnung Deutschland "Freiheitskomitee" (Özgürlük Komitesi) auf die Situation der in Deutschland inhaftierten DHKP-C-Funktionäre aufmerksam zu machen. Weitere Aktionen im Zusammenhang mit den laufenden Strafverfahren gegen Funktionäre und Aktivisten der DHKP-C in Deutschland werden maßgeblich von deutschen linksextremistischen Gruppierungen organisiert. Innerhalb der DHKP-C-Anhängerschaft wird den Prozessen und den Inhaftierten nur ein geringes Interesse entgegengebracht. 309 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die Wochenzeitschrift "Yürüyüs" berichtet regelmäßig über Strafverfahren in Deutschland und über Solidaritätsaktionen für die Inhaftierten. Dabei kritisiert sie in teilweise verunglimpfender Art die deutsche Justiz: "Der deutsche Imperialismus steht in ständiger Zusammenarbeit mit dem türkischen Faschismus und pflegt die Feindschaft gegenüber den Revolutionären. Die revolutionären, demokratischen Organisationen werden angegriffen, die Vereinslokale durchsucht und die Vorstandsmitglieder werden festgenommen. (...) Die Verurteilung der Revolutionäre durch den Imperialismus ist unter keinen Umständen legal. Kein Gericht des Imperialismus kann die Revolutionäre verurteilen. (...) Der deutsche Imperialismus muss aufhören, die Revolutionäre anzugreifen." (Yürüyüs Nr. 209 vom 28. Februar 2010) "Nurhan, Cengiz und Ahmet werden ungerechterweise gefangen gehalten. Das ist das in Europa herrschende Unrecht. Wir müssen unsere Umgebung dazu bringen, gegen dieses Unrecht zu kämpfen. Wir müssen dem deutschen Staat zeigen, dass wir nicht still und tatenlos hinnehmen werden, wenn er unsere Menschen einfach festnimmt und sie vor Gericht stellt!" (Yürüyüs Nr. 210 vom 7. März 2010) Die traditionelle Veranstaltung anlässlich des 16. Jahrestages ihrer Parteigründung161 führte die DHKP-C am 10. April 2010 in Wuppertal (Nordrhein-Westfalen) durch. Die Veranstaltung fand erstmals seit 2001 wieder in Deutschland statt. Als weiteres Großereignis organisierte die "Anatolische Föderation" am 17. Oktober 2010 in Dortmund eine Musikveranstaltung, an der ca. 900 Personen teilnahmen. Wie im vergangenen Jahr wurde das sogenannte Sommercamp der Organisation wieder in Österreich durchgeführt. 161 30. März 1994 in Syrien. 310 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Im Jahr 2010 gab es zahlreiche Strafverfahren gegen Funktionäre Strafrechtliche der DHKP-C: Maßnahmen in # Ein am 15. Januar 2009 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Deutschland Düsseldorf begonnener Strafprozess gegen einen mutmaßlichen Führungsfunktionär und Mitbegründer der DHKP-C, dem Mord, Mordversuch, Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und mehrere Sprengstoffanschläge vorgeworfen werden, dauert an. # Am 24. Februar 2010 wurden zwei mutmaßliche Führungsfunktionäre der DHKP-C in Deutschland festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, als hochrangige Führungsfunktionäre der DHKP-C in Europa Mitglieder der innerhalb der DHKP-C bestehenden terroristischen Vereinigung in der Türkei zu sein. Darüber hinaus wird einem der Beschuldigten versuchte schwere räuberische Erpressung vorgeworfen; der andere Beschuldigte soll sich zudem wegen des Einschleusens von Ausländern strafbar gemacht haben. Gegen einen der Festgenommenen wurde am 10. August 2010 Anklage vor dem OLG Düsseldorf erhoben. # Am 19. Mai 2010 konnte der EU-Haftbefehl gegen einen weiteren mutmaßlichen Führungsfunktionär der DHKP-C in Frankreich vollstreckt werden. Ihm wird Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Der Beschuldigte wurde am 12. Juli 2010 nach Deutschland überstellt und befindet sich seither in Untersuchungshaft. # Das OLG Stuttgart verurteilte am 15. Juli 2010 zwei türkische Staatsangehörige zu Freiheitsstrafen von vier Jahren und zehn Monaten beziehungsweise fünf Jahren und vier Monaten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gem. SSSS 129a, 129b StGB. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten als hochrangige Führungsfunktionäre in Europa die Ziele der DHKP-C aktiv unterstützten. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Aufgrund eines Beschlusses des Bundesgerichtshofs (BGH) wurden die Betroffenen, die im November 2006 festgenommen worden waren, am 20. August 2010 aus der Haft entlassen. Der BGH hatte der Haftbeschwerde der Verteidigung stattgegeben. # Das bereits im August 2009 ergangene Urteil des OLG Stuttgart gegen drei weitere Mitglieder der DHKP-C in Deutschland ist nach einer Entscheidung des BGH seit dem 311 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 22. Oktober 2010 rechtskräftig. Die Betroffenen waren wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt worden. # Am 9. Dezember 2010 verurteilte das OLG Düsseldorf einen ehemaligen Funktionär der Organisation zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Der deutsche Staatsangehörige türkischer Herkunft war bereits am 15. Dezember 2009 aufgrund eines Haftbefehls vom 27. August 2003 festgenommen worden, nachdem er sich selbst gestellt hatte. Das Gericht sah die ihm zur Last gelegten Tatvorwürfe, neben der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung die Beteiligung an zwei Brandanschlägen auf türkische Banken in Duisburg und Köln im Jahre 1995 sowie die Verwicklung in die Ende der 1990er Jahre gewaltsam ausgetragenen Flügelkämpfe innerhalb der DHKP-C, als erwiesen an. Das Urteil ist rechtskräftig. # Am 16. Dezember 2010 verurteilte das OLG Düsseldorf drei Funktionäre der DHKP-C wegen Rädelsführerschaft bzw. Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu Freiheitsstrafen von sieben Jahren und neun Monaten, sechs Jahren sowie drei Jahren und neun Monaten. Nach Überzeugung des Gerichts hatten sie als hochrangige Führungsfunktionäre Gelder im sechsstelligen Euro-Bereich beschafft, um den bewaffneten Kampf der DHKP-C in der Türkei zu unterstützen. Zudem hatten die Angeklagten Kader geschult und neue Mitglieder rekrutiert. Der Vorwurf eines Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz wurde nach einem Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs fallengelassen. Die Beschuldigten waren am 5. November 2008 festgenommen worden und befanden sich seither in Untersuchungshaft. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Ausblick Die Exekutivmaßnahmen führen bei der Anhängerschaft der DHKP-C in Deutschland zu einer deutlichen Abnahme der Bereitschaft, sich aktiv für die Organisation zu engagieren. Trotz der Inhaftierung zahlreicher Führungsfunktionäre ist es den verbliebenen Kadern bislang jedoch gelungen, die Aktivitäten der Organisation auf niedrigem Niveau fortzuführen. Ob die DHKP-C dauerhaft in der Lage sein wird, den Verlust ihrer Führungsriege zu kompensieren, scheint indes fraglich. 312 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Gründung: 1972 (in der Türkei) Mitglieder/Anhänger: insgesamt 1.300 (2009: 1.300) Die Organisation ist gespalten in: "Partizan" Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: 800 (2009: 800) Publikationen: "Demokratik Halk Iktidari Icin Isci-Köylu" ("Arbeiter und Bauern für eine demokratische Volksherrschaft")162, 14-täglich und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) (bis September 2002 "Ostanatolisches Gebietskomitee" - DABK) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: 500 (2009: 500) Publikationen: "Halk Icin Devrimci Demokrasi" ("Revolutionäre Demokratie für das Volk"), 14-täglich 162 Umbenennung seit August 2009, vorher "Özgür Gelecek Yolunda Isci - Köylü" ("Arbeiter und Bauern auf dem Weg der freien Zukunft"). 313 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die 1972 in der Türkei als kommunistische Kaderorganisation gegründete TKP/ML hat sich den gewaltsamen Umsturz des türkischen Staates zum Ziel gesetzt, um eine kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten. Entsprechend führt die TKP/ML seit ihrer Gründung einen auch mit Waffengewalt geführten Kampf gegen den türkischen Staat, der bereits zahlreiche Todesopfer forderte. 1994 führte eine Spaltung der Mutterpartei TKP/ML zur Bildung zweier selbstständiger miteinander konkurrierender Fraktionen, "Partizan" und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP). Beide Fraktionen nehmen für sich in Anspruch, die Nachfolge der Mutterpartei TKP/ML angetreten zu haben, deren Ideologie und Zielsetzung von ihnen unverändert übernommen wurde. In einem Flugblatt des Politbüros des Zentralkomitees der "Partizan"-Fraktion zum 38. Gründungstag der TKP/ML bekennt sich die Organisation unter der Überschrift "Die Stimme der Proletarier, die Adresse des Kampfes und des Widerstandes wird 38 Jahre alt!" weiterhin zu ihren ideologischen Grundfesten: "Wir wissen, dass ein berechtigter und legitimer Kampf durch keine Kraft unterdrückt werden kann. Wir wissen und verkünden, dass der Marxismus-Leninismus-Maoismus die einzige Ideologie ist, die dem historischen Kampf der Arbeiterklasse und der Unterdrückten zum Sieg verhelfen wird. Unsere Partei ist diejenige, die diese revolutionäre Ideologie vertritt und sie auf dem Boden unseres Landes einsetzt. Im 38. Jahr des Kampfes rufen wir die gesamte Arbeiterklasse und die Unterdrückten der verschiedenen Glaubensrichtungen und Völker zum Kampf unter der roten Fahne unserer Partei, der TKP/ML, auf. Unsere Partei ist der Garant für die Rettung, den Sieg und das Fortschreiten des Kommunismus! (...) Es lebe der Marxismus-Leninismus-Maoismus!" (Flugblatt des Politbüros des Zentralkomitees der "Partizan"-Fraktion, April 2010) Beide Fraktionen verfolgen das Ziel eines "Volkskrieges" in der Türkei, an dessen Ende die "Volksrevolution" zur Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung stehen soll. Das kommunistische System soll mittels eines militärisch geführten, 314 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) revolutionären Kampfes errichtet werden. Beide Fraktionen unterhalten zur gewaltsamen Umsetzung ihrer Ziele jeweils einen bewaffneten Arm. Der propagierte "bewaffnete Kampf" wird von der militärisch organisierten "Volksbefreiungsarmee" (HKO), die der MKP zugehörig ist, und der von "Partizan" geführten "Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) getragen. Auch im Berichtszeitraum bekannten sich sowohl "Partizan" als auch die MKP wieder zu terroristischen Aktionen ihrer Guerillaeinheiten im Heimatland. In einer Flugschrift zum 37. Todestag des Parteigründers und Identifikationsfigur der Anhänger der TKP/ML Ibrahim Kaypakkaya wird zum "Volkskrieg" ausgeführt: "An unser Volk, das aus verschiedenen Nationen besteht, wir erklären hiermit anlässlich des 37. Jahrestages der Ermordung unseres kommunistischen Führers Ibrahim Kaypakkaya (...), dass wir (...) nicht von unserem Kampf abweichen werden, bis wir eine Welt ohne Grenzen, ohne Klassen und ohne Ausbeutung geschaffen haben. (...) Wir versprechen unserem Volk und unseren Märtyrern (...), dass wir die Revolution und die Demokratische Volksherrschaft in die Realität umsetzen werden. Wir werden unser Versprechen gegenüber unseren Mitgliedern, Sympathisanten und Anhängern (...) durch den Volkskrieg einlösen. Hoch lebe unsere Partei, die TKP/ML, und die unter ihrer Führung stehende TIKKO (...) Verdammt seien Imperialismus, Faschismus und alle Reaktionäre! Hoch lebe der Volkskrieg!" (Flugschrift des Politbüros des Zentralkomitees der "Partizan"-Fraktion) In Deutschland beschränken sich beide TKP/ML-Fraktionen auf propagandistische Aktivitäten und das Sammeln von Geldmitteln, um die Finanzierung sicherzustellen und die jeweilige Mutterorganisation in der Türkei zu unterstützen. Hierzu führen beide Organisationen jeweils jährliche Spendenkampagnen durch. Weitere Einnahmequellen bilden Mitgliedsbeiträge, Erträge aus Veranstaltungen und Erlöse aus dem Verkauf von Publikationen. Die jährlich zu Ehren des 1973 verstorbenen TKP/ML-Gründers Kaypakkaya durchgeführten 315 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Großveranstaltungen stoßen bei ihren Anhängern in Deutschland auf beachtliche Resonanz. Die Veranstaltungen dienen beiden Fraktionen zur Mobilisierung ihrer Anhängerschaft und zur Festigung der eigenen Strukturen. An der Gedenkfeier der MKP am 15. Mai 2010 in Köln nahmen nach organisationseigenen Angaben 1.500 Personen teil. Die Gedenkfeierlichkeiten der "Partizan"-Fraktion am 22. Mai 2010 in Esslingen (Baden-Württemberg) besuchten nach organisationseigenen Angaben ebenfalls rund 1.500 Personen. Auch im Jahr 2010 wurden die zumeist konspirativ operierenden Fraktionen bei Veranstaltungen und sonstigen Aktionen von ihren offen agierenden Umfeldorganisationen in Deutschland und dem europäischen Ausland propagandistisch unterstützt. Dabei handelt es sich bei der TKP/ML-"Partizan" um die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." - ATIF - (Verdachtsfall) und deren Dachorganisation auf Europaebene, die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" - ATIK - (Verdachtsfall), bei der MKP um die "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e.V." - ADHF - (Verdachtsfall) und die "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" - ADHK - (Verdachtsfall). Im Berichtszeitraum waren nur vereinzelt eigenständige Aktionen beziehungsweise Demonstrationen von "Partizan", der MKP oder ihren Umfeldorganisationen festzustellen. Beide Fraktionen agieren in der deutschen Öffentlichkeit zurückhaltend und gewaltfrei. Die ATIK führte anlässlich des 30. Jahrestages des Militärputsches in der Türkei (12. September 1980) am 12. September 2010 in Köln eine überregionale Saalveranstaltung durch. Nach organisationseigenen Angaben nahmen etwa 700 Personen an der Veranstaltung teil, die auch von der der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) nahestehenden "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) unterstützt wurde. Neben einem umfangreichen Kulturprogramm wurden verschiedene Arbeitskreise durchgeführt, z.B. zu den Themen "Der 12. September und die Kurden" oder "Der 12. September, die Arbeiterklasse und die Gewerkschaften". 316 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Auch zukünftig werden beide TKP/ML-Fraktionen primär darauf Ausblick bedacht sein, ihre jeweiligen Mutterorganisationen in der Türkei durch propagandistische Aktivitäten und das Sammeln von Geldmitteln zu unterstützen. Sie werden außerdem weiterhin bestrebt sein, ihre Anhängerschaft mit Großveranstaltungen an die Organisation zu binden. 2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Gründung: 1994 in der Türkei durch einen Zusammenschluss der "TKP/ML-Hareketi" ("Bewegung") und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: 600 (2009: 600) Publikationen: "Atilim" ("Vorstoß"), wöchentlich; "Internationales Bulletin der MLKP", monatlich; "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei"), zweimonatlich Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete MLKP strebt mittels einer Revolution der Arbeiterklasse einen gewaltsamen Umsturz und die Übernahme der Macht in der Türkei an. 317 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In einem Flugblatt zur Spendenkampagne für das Jahr 2010 äußert sich die MLKP zu den von ihr verfolgten Zielen: "Die MLKP führt einen Krieg, um das kolonialistisch-faschistische Regime in der Türkei und in Nordkurdistan zu stürzen sowie den Kapitalismus und die [Anm.: Verhältnisse] des Privateigentums zu beenden. Sie vereint in diesem Krieg die Arbeiterklasse und die Werktätigen für die Revolution und den Sozialismus und leitet die Organisierung und die Bildung einer politischen Armee. (...) Beteiligt euch an diesem Kampf der MLKP, stärkt sie und bezieht Stellung." (Flugblatt zur Spendenkampagne der MLKP, Januar 2010) Zur Erreichung ihrer Ziele propagiert die MLKP die Anwendung von Gewalt: "Auch die Arbeiterklasse und die Werktätigen sollten über eine Kriegsorganisation, Waffen, finanzielle Mittel, Ideologie und Disziplin verfügen, wie der Kapitalismus und die Bourgeoisie Kapital, Ideologie, Technologie, Waffen und professionelle Kader besitzen. Die MLKP muss sich auf die finanziellen Möglichkeiten der Massen stützen, um die historischen und politischen Pflichten der gemeinsamen Revolution in der Türkei und in Nordkurdistan zu erfüllen, die Mauern und Gruben der Bourgeoisie und des Faschismus zu überwinden. Mit der Parole von der Vorkämpfer-Partei zur Führer-Partei holt die MLKP die revolutionäre Wucht und die Wut der Arbeiterklasse und der Werktätigen hervor und lässt sie kämpfen." (ebenda) Die MLKP bekannte sich auch 2010 zu terroristischen Aktionen in der Türkei. Einen Anschlag vom 5. Juni 2010 auf eine Filiale der US-amerikanischen Einzelhandelskette "Starbucks Coffee" in 318 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Istanbul (Türkei) stellte die Organisation als "Antwort" auf das Vorgehen Israels gegen einen Hilfskonvoi nach Gaza im Mai 2010 dar, da die Firma "dem israelischen Kapital" gehöre: "Die Angriffe des mörderischen zionistischen israelischen Staates werden weiterhin das Ziel unserer revolutionären Wut sein. Nieder mit dem US-Imperialismus und dem israelischen Zionismus! Der Mörder Israel wird Rechenschaft ablegen." (Interneterklärung der MLKP vom 8. Juni 2010) Die MLKP bekannte sich auch zu einem am 18. Mai 2010 verübten Sprengstoffanschlag auf die Vertretung der "Partei der Großen Einheit" (Büyük Birlik Partisi, BBP), einer rechtsnationalistischen türkischen Partei, in Istanbul. In einem Bekennerschreiben erklärte die Organisation: "Die BBP ist aufgrund von Serzan Kurt, der in Mugla bei einem durch die faschistische Regierung begangenen faschistischen Angriff ermordet wurde, und [Anm.: aufgrund] der Repressionen und der Angriffe gegen kurdische Jugendliche, die dem Verhaftungsterror in Balikesir und Izmir ausgesetzt waren, zu unserem Ziel geworden. Wir werden denen wehtun, die uns wehtun! Wir werden dafür bezahlen lassen! Die Faschisten sollen wissen: ihre Angriffe werden in jedem Fall von unserer Partei MLKP beantwortet werden." (Interneterklärung der MLKP vom 8. Juni 2010) Im März 2010 wurde laut organisationseigener Internetberichterstattung die "2. Europakonferenz (EK) der MLKP" durchgeführt. Wie beim "4. Parteitag", der 2009 durchgeführt worden war, wurden weder das genaue Datum noch der Veranstaltungsort bekannt gegeben. Das "Zentralkomitee" (ZK) der MLKP 319 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) veröffentlichte als Ergebnis der 2. EK das Programm mit den gefassten Beschlüssen. Darin fordert das ZK eine "Europäisierung der Parteiarbeit" und definiert sein Verständnis von "Kampffront" und militanten Aktionen: "In dieser Hinsicht darf man, wie der 4. Kongress unserer Partei dies richtig und angemessen definiert hat, den politischen Kampf unserer Partei auf europäischem Boden nicht mehr mit dem Verständnis eines Kampfes hinter der Front behandeln, sondern muss ihn im Gegenteil als Kampffront betrachten und bewerten. (...) Insgesamt haben erfolglose Aktionsformen des Protestes der Phase ihren Stempel aufgedrückt. Genau zu diesem Zeitpunkt hat die Bedeutung der Feststellung und des Aufrufs des 4. Kongresses, dass die EuropaArbeit selbst die Front und keine rückwärtige Front mehr ist, sich einmal mehr offenbart. (...) [Anm.: Unsere 2. Parteikonferenz in Europa] hat, weit entfernt vom [Anm.: bloßen] Zuschauen und Registrieren, die Aufgabe gestellt, gemäß den Besonderheiten Europas wirkungsvoller und aktiv politisch zu intervenieren. Sie hat darauf hingewiesen, dass es das ist, was man unter einer 'Europäisierung' der Parteiarbeit zu verstehen hat. (...) Militante Aktionen wie Fabrikbesetzungen und Geiselnahme von Bossen, die in verschiedenen Teilen der [Anm.: Arbeiter]klasse von Zeit zu Zeit auftreten, kommen ohne Solidarität der [Anm.: Arbeiter]klasse zum Erliegen." (Broschüre Programm des 2. Europakongress) Für eine Ausweitung militanter Aktionen der MLKP auf Deutschland im Rahmen der "Europäisierung der Parteiarbeit" liegen derzeit keine Anhaltspunkte vor. In Deutschland agieren zwei der MLKP politisch-ideologisch nahestehende Umfeldorganisationen, die "Konföderation der unterdrückten Immigranten in Europa" - AvEG-KON - (Verdachtsfall) und die "Föderation der Arbeitsimmigrant/innen aus der Türkei in Deutschland e.V." - AGIF - (Verdachtsfall). Ihre Verlautbarungen greifen gesellschaftspolitische Themen mit Deutschlandbezug auf. 320 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In einem Flugblatt der AvEG-KON heißt es: "Wir befinden uns in einer Zeit, in der die Auswirkungen der stärksten wirtschaftlichen Krise des imperialistisch-kapitalistischen Systems und die Folgen für Arbeiter und Werktätige am heftigsten zu spüren sind. (...) Es wurden in Deutschland und in anderen Ländern Tausende Arbeiter entlassen. Diese Situation erfordert die Entwicklung einer gemeinsamen Kampfstrategie in Europa. (...) Wir werden Zeuge, wie die imperialistischen EU-Länder die Arbeiterklasse attackieren, um die Krise bewältigen zu können. (...) In der letzten Zeit erlebten wir unzählige rassistische und faschistische Angriffe." (AvEG-KON-Flugblatt vom 12. März 2010) Ein Schwerpunkt der AvEG-KON in Deutschland ist die Jugendarbeit. So organisierte sie im August 2010 unter dem Motto "Alternatives Leben gegen das imperialistische System" ein Sommercamp in Limburg (Hessen), an dem 90 Jugendliche aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz teilnahmen. 321 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Die AGIF griff mit Protesten gegen die Gesetzgebung Deutschlands - beispielsweise in Form von Protestaktionen gegen die Deutschen Antiterrorgesetze am 19. Juni 2010 auf dem Marktplatz in Stuttgart - sowie mit "antimilitaristischen" Protesten gegen NATO und Bundeswehr ebenfalls zentrale Themen der MLKP auf. Im Tätigkeitsbericht der AGIF vom Mai 2010 heißt es: "Der imperialistische deutsche Staat griff in der letzten Zeit die Werktätigen an und rechtfertigte diese [Anm.: Vorgehensweise] mit der [Anm.: Wirtschafts-]Krise, die sich aus dem kapitalistischen System heraus entwickelte. (...) Er beharrte auf der Fortführung der Besetzung Afghanistans. Als ob das nicht genug sei, wurde die Übersendung von zusätzlichen Soldaten per Beschluss entschieden und die Anpreisung des Krieges auf die Tagesordnung gesetzt. (...) Die Außenpolitik der deutschen Bourgeoisie versucht, ihre wirtschaftlichen Interessen mit Waffengewalt und militärischer Aggression durchzusetzen. Aus der Perspektive Deutschlands steht die Besetzung Afghanistans im Vordergrund. (...) Die ,innere Militarisierung' wird auch durch die Erweiterung der Befugnisse der ,Geheimpolizei' und der ,politischen Polizei' verstärkt. (...) Um Quellen für günstige Rohstoffe und für neue Märkte zu erschließen, wird in der Außenpolitik [Anm.: Deutschlands] der Vorstoß für neue Besetzungen unternommen oder an Besetzungen teilgenommen. (...) Der militärische Eid wird seit einem Jahr nicht mehr in der Kaserne geleistet, sondern auf öffentlichen Plätzen, in Anwesenheit von Familienmitgliedern auf der Straße durchgeführt. Man möchte, dass man sich an diesen Zustand gewöhnt." (Tätigkeitsbericht vom 17. AGIF-Kongress am 8./9. Mai 2010 in Frankfurt am Main) Jugendliche Mitglieder der AGIF beteiligten sich im Zusammenhang mit Protesten gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr am 30. Juli 2010 in Stuttgart im Vorfeld an der Besetzung der dortigen St. Eberhard-Kirche. Ausblick Gegenwärtig ist noch nicht klar, in welcher Form die MLKP die "Europäisierung der Parteiarbeit" vorantreiben wird und dabei möglicherweise auch den Radius militanter Aktionen auf Deutschland und andere europäische Staaten ausweiten könnte. 322 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 3. "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) Gründung: 1991 als Abspaltung der "Kommunistischen Partei Irans" Mitglieder/Anhänger: 250 (2009: 250) Die Organisation ist gespalten in: "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) (Verdachtsfall) Leitung: Hamid Taghvai Publikation: "API-Brief", monatlich "Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist" (API-Hekmatist) (Verdachtsfall) Leitung: Kurosh Modaresi Publikation: "Komonist", monatlich und "Worker-communism Unity Party" (WUP) (Verdachtsfall) Leitung: Ali Javadi Publikation: "A better world", wöchentlich Die "Arbeiterkommunistische Partei Iran" - API - und ihre im Jahre 2004 und 2007 entstandenen Abspaltungen "Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist" - API-Hekmatist - und "Worker-communism Unity Party" - WUP - orientieren sich ideologisch an den marxistisch-leninistisch geprägten Lehren des im Jahre 2002 verstorbenen API-Gründers Mansour Hekmat. Alle drei Organisationen streben eine sozialistische Revolution im Iran an, um schließlich die Macht auf die Arbeiterklasse zu übertragen. Die API-Hekmatist verdeutlichte dies bereits 2004 323 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) in einem Kommunique "über die Strategie der Arbeiterkommunistischen Partei des Iran - Hekmatist", das auf der ersten Parteikonferenz verabschiedet wurde: "Das sofortige und unmittelbare Ziel der Partei ist die politische Machtübernahme, die Gründung einer sozialistischen Republik sowie die Organisation der sozialen Arbeiterklasse im Iran. Erste Voraussetzung dafür ist der Sturz der islamischen Regierung." Auch die API bekennt sich offen zu dieser Zielsetzung. In dem auf ihrem 7. Kongress am 5. und 6. Dezember 2009 verabschiedeten "Manifest der Iranischen Revolution" interpretiert sie die im Juni 2009 begonnenen Proteste im Iran gegen den Ausgang der dortigen Präsidentschaftswahlen als sozialistisch geprägte "Iranische Revolution": "Die Revolution, die im Juni 2009 begann, ist der Ausbruch der unterdrückten Wut der Menschen gegen das kriminelle, islamische Regime des Iran. (...) Dieser Slogan der Teheraner Studenten drückt die Grundsätze der iranischen Revolution aus: Sozialismus oder Barbarei!" Die WUP ruft ebenfalls regelmäßig zum Umsturz im Iran und zur Errichtung einer sozialistischen Republik auf: "Nieder mit der Islamischen Republik! Freiheit, Gleichheit, ArbeiterStaat! Lang lebe die sozialistische Republik!" (Homepage der WUP vom 27. August 2010, abgerufen am 17. November 2010) Die API-Hekmatist und die WUP konnten - wie bereits in den Vorjahren - im Jahr 2010 kaum mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Deutschland auf sich aufmerksam machen. Hingegen ist es der API gelungen, sich die anhaltende Berichterstat324 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) tung über die politischen Missstände und die Menschenrechtssituation im Iran zunutze zu machen und durch zahlreiche themenbezogene Demonstrationen und Informationsstände öffentlich Präsenz zu zeigen. Um ihr Anliegen in die Öffentlichkeit zu bringen bediente sich die API wie bereits in der Vergangenheit regelmäßig ihrer diversen Umfeldorganisationen. Zu nennen sind hier insbesondere das "Internationale Komitee gegen Steinigung" (Verdachtsfall), die "Internationale Kampagne zur Verteidigung der Frauenrechte im Iran" (Verdachtsfall) und der "Zentralrat der Ex-Muslime e.V." - ZdE - (Verdachtsfall). Zwar konnten die API und ihre Umfeldorganisationen selten mehr als zweistellige Teilnehmerzahlen für ihre Veranstaltungen mobilisieren, jedoch dürften sie ihre Position innerhalb des iranisch-oppositionellen Spektrums aufgrund ihres verstärkten Engagements durchaus verbessert haben. 4. "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Gründung: 1972 (in Sri Lanka) Leitung: Führungskader der deutschen Sektion Mitglieder/Anhänger: 1.000 (2009: 800) Das erklärte Ziel der LTTE ist die Errichtung eines vom Staat Ziel und Situation Sri Lanka unabhängigen Tamilen-Staates "Tamil Eelam", der den im Heimatland überwiegend von Tamilen bevölkerten Norden und Osten der Insel umfassen soll. Bis ins Jahr 2009, dem Zeitpunkt ihrer militärischen Niederlage, haben die LTTE versucht, ihre Ziele auch mit Waffengewalt und Terroranschlägen zu verfolgen. Die im Mai 2009 begonnene Schlussoffensive der sri-lankischen Armee, in deren Folge auch viele LTTE-Führungskader, einschließlich ihres Führers Velupillai Prabhakaran, getötet wurden, endete mit der militärischen Zerschlagung der LTTE. Diese hat erhebliche Auswirkungen auf die weltweite tamilische Diaspora, der nun alleine die Aufgabe einer Restrukturierung zufällt. Auch eineinhalb Jahre nach Kriegsende herrscht in den ehemaligen Kerngebieten der LTTE im Norden und Osten der Insel weiterhin der Ausnahmezustand. 325 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Im Jahre 2010 wurden auf vielen LTTE-nahen Internetseiten der sri-lankischen Armee vorgeworfene Kriegsverbrechen und eine - aus Sicht der tamilischen Minderheit - fortgesetzte systematische Benachteiligung bis hin zum Vorwurf des Völkermordes thematisiert. Die sri-lankische Regierung hat ihrerseits nach eigenen Angaben bis Mitte 2010 nahezu 90 Prozent der über 250.000 Binnenvertriebenen aus den Flüchtlingslagern in ihre angestammten Siedlungsgebiete entlassen. So wurden nach offiziellen Verlautbarungen im Oktober 2010 4.000 ehemalige LTTE-Kämpfer in die Gesellschaft eingegliedert. Weitere 7.000 Kämpfer sollen interniert sein und warten auf ihre Entlassung, bzw. in Einzelfällen auf ihre Gerichtsverfahren. Der Prozess der Wiedereingliederung tamilischer Flüchtlinge und der wirtschaftlichen Erholung Nordost-Sri Lankas wird durch die nahezu völlig zerstörte Infrastruktur und die Gefahrenlage in den verminten Gebieten in den ehemaligen Kriegsregionen erheblich gestört. Die humanitäre Lage der tamilischen Minderheit auf Sri Lanka wird zukünftig großen Einfluss auf die Entwicklung der LTTE haben. Menschenrechtsverletzungen durch staatliche Stellen oder die wirtschaftliche und politische Benachteiligung der Tamilen dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit den Ruf nach der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes lauter werden und somit die LTTE erneut erstarken lassen. LTTE Ein erster Ansatz zur Bündelung aller verbliebenen Kräfte nach und tamilische der militärischen Niederlage war die Forderung des im Diaspora Januar 2009 zum "Verantwortlichen für internationale Beziehungen" ernannten Selvarasa Kumaran Pathmanathan alias "K.P." nach einem sofortigen Waffenstillstand und einer friedlichen und demokratischen Neuausrichtung der LTTE. Pathmanathan, der nach dem Tod des LTTE-Führers Prabhakaran kurzzeitig als dessen Nachfolger auftrat, wurde jedoch am 5. August 2009 in Malaysia festgenommen und nach Sri Lanka überstellt. Er arbeitet mittlerweile im Vorstand einer Hilfsorganisation namens "North East Rehabilitation and Development Organisation" (NERDO), die nach eigenen Angaben die Wiedereingliederung ehemaliger LTTE-Kämpfer und deren Familien in die sri-lankische Gesellschaft fördert, und dürfte für die Restrukturierung der LTTE keine Rolle mehr spielen. 326 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Das von Pathmanathan propagierte Konzept einer "Transnational "Transnationalen Regierung" (Transnational Government of Government of Tamil Eelam - TGTE) wurde von dem ehemaligen Rechtsberater Tamil Eelam" der LTTE, dem New Yorker Rechtsanwalt Visuvanathan (TGTE) und Rudrakumaran, vorangetrieben. Das TGTE soll sich auf ein Flügelbildung demokratisch legitimiertes Parlament stützen und durch ein Kabinett, an dessen Spitze ein Ministerpräsident steht, politisch repräsentiert werden. Das TGTE versteht sich als Vertretung aller Tamilen weltweit und strebt gleichberechtigte Gespräche mit der Regierung in Sri Lanka an. Das Ziel eines unabhängigen Tamilenstaates "Tamil Eelam" in Sri Lanka soll damit gewaltfrei auf politischem Wege erreicht werden. Ab dem 2. Mai 2010 wurden nach intensiver Werbung im Internet in allen Staaten mit signifikanter tamilischer Diaspora Wahlen für das TGTE abgehalten und weltweit insgesamt 115 Delegierte gewählt. In Deutschland sollten in vier Wahlbezirken insgesamt zehn Delegierte gewählt werden. Im Wahlbezirk 3 (Nordrhein-Westfalen) traten in acht Wahllokalen offenbar Probleme bei der Auszählung der Stimmen auf. Die ebenfalls im Internet angekündigten Nachwahlen wurden bis heute nicht durchgeführt; stattdessen wurden die im vorläufigen Ergebnis Führenden offenbar zu Delegierten ernannt. Vom 29. September bis 1. Oktober 2010 fand die konstituierende Sitzung des TGTE in New York statt. Mehrere europäische Delegierte waren per Videokonferenz aus Paris und London zugeschaltet. Nach einer im Internet veröffentlichten Pressemitteilung des TGTE vom 2. Oktober 2010 wählte die Versammlung Rudrakumaran zu ihrem ersten Ministerpräsidenten. Die "Transnationale Regierung" soll zukünftig neben dem Ministerpräsidenten aus drei Stellvertretern und insgesamt sieben Ministern bestehen. Die von der "Transnationalen Regierung" für die erste Legislaturperiode formulierten Ziele - gleichberechtigte Verhandlungen mit der Regierung Sri Lankas, die Freilassung der inhaftierten LTTE-Kämpfer und die Einheit der tamilischen Diaspora unter dem Dach des TGTE - erscheinen weitgehend unrealistisch. Da die sri-lankische Regierung das TGTE als Neuformierung der LTTE unter anderem Namen betrachtet, sind auch 327 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Verhandlungen zwischen dem TGTE und der Regierung Sri Lankas äußerst unwahrscheinlich. Der nach außen propagierte demokratische und gewaltfreie Ansatz des TGTE ist innerhalb der tamilischen Diaspora höchst umstritten und wird von einem "Hardliner"-Flügel innerhalb der LTTE abgelehnt, sodass auch die Vereinigung der tamilischen Diaspora unter dem Dach des TGTE kaum möglich erscheint. LTTE-Führungskader innerhalb des "Hardliner"-Flügels wollen den bisherigen Kurs der LTTE weiterführen und sehen nur in der Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes eine Chance, ein unabhängiges "Tamil Eelam" zu erreichen. Einflussreiche Vertreter dieser Richtung halten sich in Europa auf. Die LTTE sind weiterhin auf der EU-Liste terroristischer Organisationen verzeichnet.163 ExekutivIn Deutschland kam es 2010 zu mehreren exekutiven Maßnahmaßnahmen in men gegen mutmaßliche LTTE-Mitglieder. So wurden am Deutschland 3. März 2010 insgesamt sechs mutmaßliche Führungskader der LTTE in Deutschland festgenommen, mehrere Objekte durchsucht und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (GBA) hat am 19. August 2010 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Anklage gegen drei der Festgenommenen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung nach SSSS 129a, 129b StGB und Verbrechen nach dem Außenwirtschaftsgesetz erhoben. Die Angeschuldigten sollen die deutsche "Auslandsfiliale" der LTTE, deren Zentrale unter der Bezeichnung "Tamil Coordinating Committee" (TCC) in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen) ihren Sitz hat, geleitet haben. Ihre Hauptaufgabe soll das Sammeln von Spenden bei der tamilischen Bevölkerung sowie der Transfer von Geldern und Sachmitteln für den bewaffneten Kampf nach Sri Lanka gewesen sein. Dabei sollen sie von Juli 2007 bis April 2009 insgesamt etwa drei Millionen Euro eingenommen und an die Führung der LTTE in Sri Lanka weitergeleitet oder nach deren Weisung u.a. für die Beschaffung von Waffen und Ausrüstungsgegenständen verwendet haben. Ein weiteres Führungsmitglied des TCC wurde am 3. November 2010 in Düsseldorf festgenommen. 163 Siehe Fn. 149. 328 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Am 6. Oktober 2010 verurteilte das Landgericht Offenburg einen 41-jährigen sri-lankischen Staatsangehörigen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe wegen versuchter besonders schwerer Erpressung in Tateinheit mit Körperverletzung in einem Fall und versuchter räuberischer Erpressung in zwölf Fällen. Der Betroffene hatte gestanden, zwischen November 2008 und März 2010 bei seinen tamilischen Landsleuten in Deutschland Spenden für die LTTE eingetrieben zu haben. Dabei hatte er erheblichen Druck auf seine Opfer ausgeübt, indem er Repressalien gegen deren in Sri Lanka lebende Angehörige androhte. In einem Fall verletzte er einen zahlungsunwilligen Landsmann mit einem Messer. Am 24. Januar 2010 fand eine bundesweite Abstimmung über die Vaddukoddaiweitere Gültigkeit der aus dem Jahre 1976 stammenden Referendum "Vaddukoddai-Resolution"164 statt, die als zentrale Forderung die Gründung eines souveränen und unabhängigen Tamilenstaates "Tamil Eelam" im Norden und Osten Sri Lankas enthält und somit dem ehemaligen Kriegsziel der LTTE entspricht. Zur Stimmabgabe für das mit Handzetteln und im Internet beworbene Referendum waren alle über 16-jährigen Tamilen aufgerufen. Von den über 23.000 der etwa 60.000 in Deutschland lebenden Tamilen, die an der Wahl teilnahmen, stimmten nach Angaben eines LTTE-nahen Internetportals 99,2% für die weitere Gültigkeit der Resolution. Für die Abstimmung waren in den Räumlichkeiten tamilischer Schulen (Tamil Alayam), in Kulturvereinen und Gemeindesälen bundesweit insgesamt 110 Wahllokale eingerichtet worden. Die Abstimmung zur "VaddukoddaiResolution" wurde gleichzeitig in der Schweiz und den Niederlanden durchgeführt, nachdem bereits zuvor in Norwegen (Mai 2009), Frankreich (12./13. Dezember 2009) und Kanada (19. Dezember 2009) Abstimmungen mit einer Zustimmungsrate von bis zu 99% durchgeführt worden waren. Die Auswahl der Internetseiten, auf denen die Wahlaufrufe und die Ergebnisse des Referendums präsentiert wurden, liefert deutliche Anhaltspunkte für eine Steuerung der Abstimmung durch die 164 Die "Vaddukoddai-Resolution" wurde im Jahre 1976 von tamilischen Oppositionsgruppen als Leitlinie für die sich verschärfende Auseinandersetzung mit der singhalesischen Mehrheit in Sri Lanka formuliert. 329 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) LTTE. Die Wahl diente nach dem Ende des Krieges der Mobilisierung der tamilischen Landsleute und sollte der Organisation die Verankerung ihrer Ziele in der weltweiten Diaspora bestätigen. Veranstaltungen Auch im Jahre 2010 führten LTTE-Anhänger bundesweit zahlreiche Kundgebungen und Demonstrationen durch. In Düsseldorf fand am 22. Mai 2010 eine friedlich verlaufene Demonstration zum Thema "Gedenktag für die Opfer in Sri Lanka in den letzten Jahren" mit anschließender Kundgebung vor dem Landtag statt. An der durch Flugblätter und auf LTTE-nahen Internetseiten beworbenen Veranstaltung nahmen bis zu 1.400 meist tamilischstämmige Personen teil. Mit der Veranstaltung sollte der im vergangenen Jahr bei militärischen Auseinandersetzungen zwischen den Guerillakräften der LTTE und der sri-lankischen Armee ums Leben gekommenen Tamilen gedacht und die allgemeine Menschenrechtssituation in Sri Lanka thematisiert werden. Darüber hinaus fanden bundesweit kleinere Veranstaltungen zu den traditionellen Gedenktagen der Bewegung statt. So gedachten am 6. November 2010 mehrere Hundert Personen auf einer Veranstaltung in Wuppertal einem im Jahre 2007 bei einem Luftangriff der sri-lankischen Armee getöteten LTTEKader. Am 28. November 2010 fand in Dortmund die alljährliche Großveranstaltung der LTTE, der sogenannte Heldengedenktag, mit ca. 4.000 Teilnehmern statt. Die LTTE erinnert an diesem Tag traditionell an die im Kampf für einen unabhängigen Tamilen-Staat ums Leben gekommenen Kämpfer. Bei den Veranstaltungen wurde immer wieder die Forderung nach einem eigenständigen Tamilenstaat "Tamil Eelam" erhoben und Kritik an Menschenrechtsverletzungen geäußert, die der Regierung Sri Lankas vorgeworfen werden. Auf Plakaten wurden LTTE-Symbole und Bilder des getöteten LTTE-Führers Prabhakaran gezeigt. Die Veranstaltungen mit teils hoher Teilnehmerzahl machen deutlich, dass die Organisation - auch nach den polizeilichen Exekutivmaßnahmen gegen die deutsche Führungsriege der 330 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) LTTE Anfang März 2010 - weiterhin aktionsfähig ist und unverändert über ein erhebliches Mobilisierungspotenzial verfügt. Die Bildung zweier Hauptströmungen innerhalb der LTTE hat Ausblick bislang nicht zu einer offenen Spaltung geführt. Es bleibt eineinhalb Jahre nach dem Ende des Bürgerkrieges jedoch weiterhin offen, ob sich die LTTE auf eine von der gesamten tamilischen Diaspora akzeptierte neue Struktur verständigen kann. Gemein ist beiden Strömungen, dass ihre jeweils angestrebten kurzfristigen Ziele nicht realisierbar scheinen. Weder dürfte es dem TGTE gelingen, sich als Sprecher für die tamilische Sache gegenüber der sri-lankischen Regierung zu etablieren, noch verfügen die Verfechter des militärischen Weges derzeit über die Mittel und Strukturen, um den bewaffneten Kampf mit Aussicht auf Erfolg wieder aufnehmen zu können. Andererseits sind beide Strömungen von nachweisbaren Erfolgen im Heimatland abhängig, die der tamilischen Diaspora signalisierten, dass die LTTE ihre Handlungsfähigkeit wiedererlangt hätte. Als langfristige Perspektive ist ein erneutes Zusammengehen beider Flügel oder zumindest eine enge Kooperation durchaus wahrscheinlich. So könnte sich neben einer offen agierenden, nach außen demokratisch auftretenden Exilvertretung ein verdeckt arbeitender, militärisch-terroristisch ausgerichteter Flügel innerhalb der LTTE bilden. 331 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) 5. Gruppierungen aus dem indischen Spektrum "Babbar Khalsa International" (BKI) Gründung: 1978 (in Indien) Leitung: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: 200 (2009: 200) "International Sikh Youth Federation" (ISYF) Gründung: 1984 (in Großbritannien) Leitung: gespalten in zwei Fraktionen mit jeweils eigenem Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: 550 (2009: 550) "Kamagata Maru Dal International" (KMDI) (Verdachtsfall) Gründung: 1997 (in den USA) Leitung: unbekannt Mitglieder/Anhänger: Einzelpersonen (2009: Einzelpersonen) Ziel "Khalistan" Separatistisch-extremistische Organisationen aus der Religionsgemeinschaft der Sikhs kämpfen seit Jahrzehnten für die Errichtung eines eigenen unabhängigen Staates "Khalistan" auf dem Gebiet des nordindischen Bundesstaates Punjab. Hierbei entfalten sie auch terroristische Aktivitäten. Ziel von Anschlägen sind nicht nur indische Politiker und Sicherheitskräfte, auch die Tötung von Zivilisten wird bei Anschlägen auf öffentlichen Plätzen und Einrichtungen billigend in Kauf genommen. Zur Destabilisierung der Sicherheitslage im Punjab richten sich Anschläge auch gegen Führer bestimmter religiöser Strömungen innerhalb des Sikhismus. 332 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) In Deutschland sind primär die von der EU seit 2002 als terrorisAktivitäten in tische Organisationen gelisteten BKI und ISYF165 mit zusammen Deutschland ca. 750 Anhängern aktiv. Die KMDI (Verdachtsfall) verfügt hingegen über wesentlich weniger Mitglieder und tritt seit geraumer Zeit nur noch selten in Erscheinung. Die in Deutschland aktiven Sikh-Gruppierungen unterstützen die jeweilige Mutterorganisation im Heimatland vor allem propagandistisch, indem sie im Rahmen von Protestveranstaltungen die Regierungspolitik Indiens öffentlich anprangern und nachdrücklich mehr Rechte für die Sikhs in Indien sowie vor allem einen eigenen Staat "Khalistan" fordern. Ein weiterer Schwerpunkt der Aktivitäten liegt in der finanziellen Unterstützung der jeweiligen Mutterorganisation in Indien. Regelmäßig wird bei Versammlungen zu Geldspenden aufgerufen, die z.T. in die Heimatregion fließen und der jeweiligen Organisation in Indien auch zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes zur Verfügung stehen dürften. Die Spendengelder dienen aber auch der Unterstützung von Angehörigen der im bewaffneten Kampf getöteten "Märtyrer" der Organisationen sowie der Finanzierung von Rechtshilfe für in Indien inhaftierte Glaubensbrüder. 2010 erfolgten in Deutschland und Österreich zeitgleich exekuExekutivtive Maßnahmen gegen mehrere Personen aus dem extremistimaßnahmen schen Sikh-Spektrum. So wurden am 28. Juli 2010 und am 7. Dezember 2010 in Deutschland sechs mutmaßliche extremistische Sikh-Aktivisten festgenommen, die im Verdacht stehen, einen Mordanschlag auf einen Führer einer religiösen Sekte aus Indien während einer Veranstaltung in Niederösterreich geplant zu haben. Bei den Durchsuchungen der Wohnungen und Kraftfahrzeuge der Sikh-Aktivisten, die der in Indien separatistischterroristisch agierenden Sikh-Organisation "Khalistan Zindabad Force" (KZF) zugerechnet werden, wurden u.a. eine Schusswaffe mit Munition, eine Schreckschusspistole sowie ein Teleskopschlagstock sichergestellt. Die KZF ist seit dem 21. Dezember 2005 auf der EU-Liste terroristischer Organisationen verzeichnet.166 165 Siehe Fn. 149. 166 Siehe Fn. 149. 333 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN (OHNE ISLAMISMUS) Der GBA leitete am 31. August 2010 gegen diesen Personenkreis ein Ermittlungsverfahren u.a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gem. SSSS 129a, 129b StGB ein. Ausblick Auch wenn in der Vergangenheit in Deutschland keine terroristischen Aktivitäten von Sikh-Organisationen ausgegangen sind, belegen aktuelle Exekutivmaßnahmen, dass es innerhalb des extremistischen Sikh-Spektrums in Deutschland Personen gibt, die zur Durchsetzung ihrer Ziele auch vor Gewalt und terroristischen Aktionen nicht zurückschrecken. Ob und inwieweit dieser Personenkreis durch die Exekutivmaßnahmen verunsichert und geschwächt wurde, bleibt abzuwarten. III. Weitere erwähnenswerte Organisationen Organisation Mitglieder/Anhänger - einschließlich Sitz - (z.T. geschätzt) 2010 (2009) Türken (ohne Kurden) "Föderation der türkisch7.000 (7.000) demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." -w (ADÜTDF) - (Verdachtsfall) 334 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 335 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick Aufklärungsziel Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund ihrer geopolitiDeutschland schen Lage, ihrer Rolle in EU und NATO sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für fremde Nachrichtendienste sehr attraktiv. Ihre offene und pluralistische Gesellschaft erleichtert den Nachrichtendiensten die Informationsbeschaffung. Hauptträger der Spionageaktivitäten gegen Deutschland sind derzeit die Russische Föderation und die Volksrepublik China. Darüber hinaus sind Länder des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas zu nennen. Präsenz Die Nachrichtendienste dieser Staaten sind in unterschiedlicher ausländischer Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Nachrichtendienste Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort sogenannte Legalresidenturen. Der Begriff bezeichnet den Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer offiziellen (z.B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z.B. Presseagentur, Fluggesellschaft) Vertretung im Gastland. Die dort angeblich als Diplomaten oder Journalisten tätigen Nachrichtendienstmitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentralen der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Werden solchen "Diplomaten" statuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zur Ausweisung aus Deutschland führen. Daneben führen Nachrichtendienste auch Operationen ohne Beteiligung hier ständig eingesetzter Mitarbeiter durch. Aufklärungsziele Nachrichtendienste handeln nicht allein nach gesetzlichen Aufgabenzuweisungen, sondern werden zudem politisch gesteuert. Die Schwerpunkte ihrer jeweiligen Beschaffungsaktivitäten orientieren sich an den aktuellen politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Staaten. Die Aufklärungsziele ausländischer Nachrichtendienste reichen von der Informationsbeschaffung aus Politik, Wirtschaft, Militär sowie Wissenschaft und Technik bis hin zur Ausspähung und Unterwan336 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN derung in Deutschland ansässiger Organisationen und Personen, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Darüber hinaus bemühen sich einige Länder darum, in den Proliferation Besitz von Technologien für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen sowie die hierzu notwendigen Güter und das erforderliche Know-how zu erwerben. Die Proliferation betreibenden Staaten wie Iran und Nordkorea versuchen, Kontrollmaßnahmen durch Lieferungen über Drittländer und die Beschaffung von "dual use"-Gütern167 zu umgehen. Zu einer besonderen Gefahr haben sich internetgebundene Elektronische Angriffe auf Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen Angriffe und Regierungsstellen entwickelt. Angesichts der ausgewählten Ziele und der angewandten Methoden erscheint eine nachrichtendienstliche Steuerung oder zumindest Beteiligung in vielen Fällen als sehr wahrscheinlich. Für einige Nachrichtendienste sind besonders Aufklärungsziele Wirtschaftsschutz in den Bereichen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik von Interesse. Daher kommt der Sensibilisierung, Information und Aufklärung von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen über die Gefahren durch Wirtschaftsspionage eine hohe Bedeutung zu. 167 Hierbei handelt es sich um Produkte, die sowohl für zivile als auch für militärische oder proliferationsrelevante Zwecke verwendbar sind. 337 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation und anderer Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgabenstellung der Dienste im russischen Staatswesen Die russischen Nachrichtendienste sind ein Grundpfeiler der staatlichen Sicherheitsarchitektur. Sie dienen der Staatsführung als Machtinstrument zur Vorbereitung und Durchsetzung der Regierungspolitik auf nationaler Ebene und sind verlässliche Hilfsorgane zu einer Informationsbeschaffung im Ausland, die der Förderung der politischen und wirtschaftlichen Interessen Russlands dienen soll. Organisationsstruktur und Aufgabenstellung der russischen Nachrichtendienste blieben im Jahr 2010 unverändert. Folgende Nachrichtendienste der Russischen Föderation entfalten Aktivitäten gegen deutsche Sicherheitsinteressen: SWR Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR (Slushba Wneschnej Raswedki) betreibt Auslandsaufklärung in den Bereichen Politik, Wirtschaft sowie Wissenschaft und Technologie. Darüber hinaus forscht er Ziele und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus und führt elektronische Fernmeldeaufklärung durch. Zusätzlich wirkt er bei der Bekämpfung des internationalen Terrorismus und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen außerhalb der Russischen Föderation mit. Er verfügt über mehr als 13.000 Mitarbeiter. GRU Die GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) ist der militärische Auslandsnachrichtendienst. Sie untersteht dem Verteidigungsministerium und hat ca. 12.000 Mitarbeiter. Ihre Aufklärungsaktivitäten zielen auf die Bereiche Sicherheitspolitik und Militär. Dazu zählen Bundeswehr, NATO und andere westliche Verteidigungsstrukturen, aber auch militärisch nutzbare Technologie. FSB Der Inlandsnachrichtendienst FSB (Federalnaja Slushba Besopasnosti) verfügt über ein besonders breit gefächertes Aufgabenspektrum. Er ist für die zivile und militärische Spionage - 338 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN abwehr, die Beobachtung des politischen Extremismus sowie die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität (OK) zuständig. Neben seiner Beteiligung an den fortdauernden Auseinandersetzungen im Nordkaukasus soll er die russische Industrie vor Wirtschaftsspionage und OK sowie ausländische Investoren vor Wirtschaftskriminalität schützen und proliferationsrelevante Aktivitäten in Russland verhindern. Die Sicherung der Staatsgrenzen und Grenzkontrollen, die Gewährleistung der Fernmeldesicherheit im Bereich der Telekommunikation sowie die Sicherheit in der Informationstechnik gehören ebenfalls zu seinen Aufgaben. Außerdem betreibt der FSB in Russland eine intensive Internetüberwachung. Er verfügt über einen ständigen Zugriff auf den Datenverkehr, der über russische Anbieter von Internetzugängen abgewickelt wird. Zusätzlich hat er dauerhaften Zugang zu Datenbanken russischer Telefongesellschaften, in denen Personendaten und Informationen über Telefonkunden und deren Telefongespräche erfasst sind. So können auch ausländische Staatsangehörige in das Blickfeld des FSB geraten und gezielt überwacht werden, wenn sie in Russland das Internet nutzen oder telefonieren. Seit Oktober 2010 ist der FSB gesetzlich befugt, Einzelpersonen oder offizielle Vertreter von Medien und gesellschaftlichen Organisationen auch bei nicht strafbaren Handlungen präventiv zu verwarnen, wenn aus seiner Sicht dadurch Straftaten gegen die innere Sicherheit verhindert werden können. Kommen die Betroffenen den Vorgaben des FSB nicht nach, drohen Geldoder Haftstrafen. Es ist zu befürchten, dass diese gesetzliche Bestimmung auch die Meinungsund Pressefreiheit beeinträchtigen wird. So könnte der FSB unter Verweis auf das neue Gesetz auch gegen missliebige Veröffentlichungen sowie sonstige Aktivitäten oppositioneller Kreise oder Nichtregierungsorganisationen vorgehen. Im Rahmen seiner Abwehrtätigkeit ist der FSB auch um Auslandsaufklärung bemüht. Daher müssen Ausländer in Russland mit Versuchen des FSB rechnen, sie für eine Agententätigkeit zu werben. 339 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die Personalstärke des FSB liegt bei mehr als 350.000 Mitarbeitern, von denen über 200.000 Grenzschutzaufgaben wahrnehmen. 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte Die russischen Nachrichtendienste betrachten die Bundesrepublik Deutschland unvermindert als wichtiges Aufklärungsziel. Ihre Spionageaktivitäten erfolgen nach Vorgaben der russischen Staatsführung und erstrecken sich mit unterschiedlicher Intensität auf alle Zielbereiche. Politik Den Schwerpunkt der Aufklärung bildet nach wie vor die politische Informationsbeschaffung. Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten umfassen alle Politikfelder, in denen Entscheidungen vorbereitet oder getroffen werden, die aus russischer Sicht eigene politische Interessen beeinflussen können. Dazu gehören traditionell die Entwicklung von EU und NATO sowie die deutsche Bündnispolitik. Von Bedeutung waren z.B. die Einbindung der EU in eine gesamteuropäische Sicherheitsarchitektur sowie der Sachstand bei der Etablierung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD). Dabei richtete sich das Augenmerk u.a. auf Aufgaben, Befugnisse und Abgrenzung der Zuständigkeit des EAD zu den nationalen Außenministerien. Auch die deutschen Standpunkte zur Einbeziehung Russlands in den europäischen Entwicklungsprozess, zum bilateralen Verhältnis Russlands zu einzelnen EU-Staaten sowie der Türkei und die deutsche Betrachtungsweise der politischen Entwicklung in potenziellen Transformationsstaaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion erregten die Aufmerksamkeit der russischen Nachrichtendienste, ebenso die mögliche Rolle der EU bei einer Modernisierung der Russischen Föderation. Im Fokus standen darüber hinaus Strategien und Maßnahmen der Bundesrepublik und anderer europäischer Staaten zur Bewältigung der Wirtschaftsund Finanzmarktkrise. Auf innenpolitischem Gebiet bemühten sie sich um Informationen zu den Strukturen der Parteien, deren Entwicklungsprozes340 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN sen, Programmen sowie Koalitionsmöglichkeiten auf Bundesund Landesebene. Wirtschaftliche und politische Aufklärung überschneiden sich Wirtschaft nicht selten. Das gilt z.B. für die Informationsbeschaffung über die Bewältigung der Wirtschaftsund Finanzmarktkrise sowie über energieund klimapolitische Maßnahmen mit ihren Auswirkungen auf das gesamte Wirtschaftssystem. Von Interesse war etwa die Bestandsaufnahme der EU zur finanziellen Situation in Griechenland und anderen Staaten der Euro-Zone mit besonders defizitärer Haushaltslage. Außerdem standen finanzpolitische Prognosen zur Euround Wechselkursentwicklung sowie das Instrumentarium zur Stabilisierung des Euro mithilfe von Stützungsmaßnahmen der Bundesregierung, der EU und des Internationalen Währungsfonds im Blickfeld. Darüber hinaus waren Beschaffungsaktivitäten hinsichtlich der deutschen Einschätzung der Situation in Russland aus wirtschaftlicher und fiskalischer Sicht zu verzeichnen. Weitere Aufklärungsbemühungen richteten sich auf die Politik der EU zur Diversifizierung der Energieversorgung, die Schaffung neuer Energietransportwege sowie politischer Fördermaßnahmen zum Ausbau erneuerbarer Energien. Im militärischen Bereich standen das Verfahren zur Abwicklung Militär von Rüstungsgeschäften, der wehrtechnische Bedarf der Bundeswehr, die neuen Einsatzregeln bei Friedensmissionen und Kampfeinsätzen, die Sicherung militärischer Objekte sowie der Schutz vor den Auswirkungen sogenannter elektronischer Kriegsführung im Mittelpunkt der Ausforschungsbestrebungen. Darüber hinaus versuchten die Nachrichtendienste, Erkenntnisse über neue militärische Strategien, Ausbildungskonzepte und Trainingsmethoden zu erlangen. Auf wissenschaftlich-technologischem Gebiet lag der SchwerWissenschaft punkt der Beschaffungsaktivitäten bei Informationen über und Technik moderne Fahrzeug-Antriebssysteme sowie Satelliten-, Sensor-, Informationsund Kommunikationstechnik. Nachrichtendienstlich beschaffte Informationen aus allen ZielBewertung bereichen haben in Russland traditionell einen hohen Stellenwert. Dabei ist die Beschaffung politischer Informationen für die 341 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Meinungsbildung und Entscheidungen der russischen Staatsführung von herausragender Bedeutung. Sie bildet das Kernstück der russischen Aufklärungsaktivitäten und wird auch künftig ihren hohen Stellenwert behalten. 3. Methodische Vorgehensweisen Zur Informationsbeschaffung in Deutschland setzen die russischen Nachrichtendienste vor allem hauptamtliche Nachrichtendienstangehörige unter der Tarnung als Diplomaten oder Journalisten ein. Ferner gibt es Aufklärungsaktivitäten und Beschaffungsoperationen, die ausschließlich aus den Dienstzentralen in Moskau erfolgen oder unmittelbar von dort gesteuert werden. Dazu gehört z.B. eine intensive Fernmeldeaufklärung. Darüber hinaus kommt es auch in Russland oder auf dem Territorium anderer Staaten zu nachrichtendienstlichen Aktivitäten mit Zielrichtung Deutschland. Einen Großteil ihres Informationsbedarfs decken die russischen Nachrichtendienste durch die Auswertung offener Quellen wie des Internets und anderer Medien, den Besuch von Industriemessen, die Teilnahme an öffentlichen Vortragsveranstaltungen, Tagungen und Diskussionsrunden sowie durch Gespräche mit Kontaktpersonen. Sie wenden aber auch konspirative Methoden an, um besonders sensible Informationen zu beschaffen. 3.1 Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Föderation bilden die wichtigste Abdeckung für die Aufklärungstätigkeiten russischer Nachrichtendienste in Deutschland. In diesen staatlichen Einrichtungen sowie bei einigen russischen Medienvertretungen ist eine große Anzahl von Stellen für den Einsatz von Nachrichtendienstmitarbeitern unter diplomatischer oder journalistischer Tarnung reserviert, vornehmlich für Angehörige von SWR und GRU. Dieses Personal ist dort in allen Arbeitsbereichen eingesetzt und bildet in seiner Gesamtheit innerhalb der Stützpunkte Legalresidenturen, die vor Ort geheimdienstliche Tätigkeiten aller Art entfalten. 342 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die russischen Dienste unterhalten an den AuslandsvertretunHohe Präsenz von gen in Deutschland eine starke - im europäischen Vergleich ND-Personal überproportionale - Personalpräsenz. Dies verdeutlicht die Wertigkeit Deutschlands als Zielland. SWR und GRU haben ihre Hauptstützpunkte in der Bundesrepublik an der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Die meisten Nachrichtendienstangehörigen verfügen über Diplomatenstatus und profitieren durch diese Tarnung von der Immunität, die sie in der Regel vor Strafverfolgung im Gastland schützt. Für die offene Informationsbeschaffung knüpfen sie zur ErfülOffene Beschaffung lung ihrer offiziellen Aufgaben eine Vielzahl von Kontakten zu Gesprächspartnern in allen Zielbereichen. Aus diesem Personenkreis wählen sie solche aus, die als Informationsquellen für eine längerfristige Nutzung geeignet erscheinen und halten den Kontakt aufrecht. Wichtige Kriterien sind dabei die aktuellen Zugangsmöglichkeiten der Kontaktperson und ihre berufliche Perspektive; außerdem muss der Nachrichtendienstoffizier die Chance sehen, einen persönlichen Zugang zu der Zielperson aufzubauen. So entsteht allmählich ein Netz von Gesprächspartnern, die ohne engere nachrichtendienstliche Anbindung regelmäßig oder bei Bedarf abgeschöpft werden. Dabei gelangen die Nachrichtendienstangehörigen durch geschickte Gesprächsführung auch an schutzbedürftige Informationen oder erhalten Hinweise auf andere interessante Zielpersonen und Zugangsmöglichkeiten. Bei einigen Kontaktpersonen, die z.B. durch ihre Zugänge zu sen"Halboffene" siblen Informationen aus nachrichtendienstlicher Sicht besonBeschaffung ders wertvoll erscheinen, versuchen sie, den offenen Abschöpfkontakt in eine "halboffene" Verbindung mit bestimmten konspirativen Elementen umzuwandeln. Der Nachrichtendienstoffizier legt die Modalitäten und den Zeitpunkt für Folgetreffen sowie einen Ausweichtermin im Voraus fest. Damit versucht er, zusätzliche Kontakte zur Terminvereinbarung zu vermeiden, die in das Blickfeld der Verfassungsschutzbehörden geraten könnten. Aus demselben Grund bittet er seinen Gesprächspartner, ihn nicht in der Vertretung anzuru343 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN fen und begründet dies u.a. mit seiner häufigen Abwesenheit oder Sprachproblemen in der Telefonzentrale. Bei den Treffen, die überwiegend in Restaurants stattfinden, bemüht sich der Nachrichtendienstangehörige, eine freundschaftliche Atmosphäre zu schaffen, verbunden mit materiellen und immateriellen Zuwendungen. Er vermittelt der Kontaktperson das Gefühl, besonders bedeutend zu sein. Im Laufe der Zeit erweitert er die allgemeine Gesprächsabschöpfung um konkrete Aufträge, die anfangs als Bitte um eine Gefälligkeit formuliert werden. Die russischen Dienste bezeichnen solche langfristig angelegten Kontakte als "vertrauliche Verbindungen". Sie dienen allein der Beschaffung von Informationen gegen Sachgeschenke, Geld oder andere Vorteile. Mit Ablauf der Dienstzeit des Nachrichtendienstangehörigen in Deutschland übergibt er den Gesprächspartner häufig an einen Nachfolger. Agentenführung Manche dieser Verbindungen werden im Laufe der Zeit nach klassischem Muster zu echten Agentenoperationen weiterentwickelt. Das geschieht etwa, wenn der Kontaktpartner Zugang zu besonders schutzwürdigen Informationen hat und bereit ist, diese preiszugeben. Da verdeckte Geheimdienstarbeit und das Verleiten zum Verrat geschützter Informationen gegen den diplomatischen Status verstoßen, erweitert der Nachrichtendienstoffizier zum Schutz vor Enttarnung seine Sicherheitsvorkehrungen für konspirative Treffen und sorgt für eine sichere Kommunikation. Auch hält er die Zielperson unter Hinweis auf die Vertraulichkeit zu besonderer Vorsicht an. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennt auch die sorgloseste Kontaktperson den nachrichtendienstlichen Charakter der Verbindung. Neben ihren eigenen Beschaffungsaktivitäten leisten Legalresidenturangehörige vor Ort Hilfsdienste für ihre Zentrale und für nachrichtendienstliche Operationen, die direkt aus Russland geführt werden. 344 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 3.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung Zu den Beschaffungsaktivitäten mit Zielrichtung Deutschland gehören auch Operationen, die unmittelbar aus den Zentralen der russischen Nachrichtendienste geführt werden. Hier agiert in Russland vor allem der FSB. Die Aufklärungsdienste SWR und GRU verfügen jedoch ebenfalls über Organisationseinheiten, die dort unter ausländischen Staatsangehörigen Agenten werben. Bei der Suche nach Zielpersonen haben die Dienste im eigenen Land große Entfaltungsmöglichkeiten. Dazu gehören z.B. die Grenzkontrollen einund ausreisender Personen, die Überwachung von Auslandsvertretungen, die starke Präsenz im wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Bereich und die nachrichtendienstliche Internetund Telefonüberwachung. Ins Blickfeld der Nachrichtendienste geraten vor allem solche Gefährdung Personen, die sich privat oder beruflich für längere Zeit in in Russland Russland aufhalten oder regelmäßig dorthin reisen. Insbesondere Angehörige deutscher diplomatischer Vertretungen, Behördenvertreter auf Dienstreisen, aber auch Firmenrepräsentanten sowie Personen, die in Russland einer freiberuflichen Tätigkeit nachgehen oder studieren, müssen mit nachrichtendienstlichen Ansprachen rechnen. Bei diesem Personenkreis haben die Nachrichtendienste viele Möglichkeiten, ihren "Heimvorteil" zu nutzen, da sie auf eigenem Territorium gezielt nach Ansatzmöglichkeiten suchen und sich gefahrlos mit Ausländern treffen können. Insbesondere der FSB nutzt Fehlverhalten oder persönliche Schwächen aus, um Personen gegebenenfalls durch Ausübung von Druck zu einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit zu bewegen. In anderen Fällen versuchen die Nachrichtendienstoffiziere, die Zielperson für sich einzunehmen und auf freundschaftlicher Basis zu werben. Nach erfolgreicher Werbung werden die Operationen im Regelfall aus den Dienstzentralen gesteuert. Dies gilt in Einzelfällen auch für Agenten, deren Führung von der Legalresidentur an die Zentrale abgegeben wurde. Die Kommunikation erfolgt in solchen Verbindungen etwa durch Agentenfunk, Geheimschreibverfahren und über 345 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN "Tote Briefkästen".168 Auch das Internet wird zunehmend als Kommunikationsmittel zum Informationsaustausch mit geheimen Mitarbeitern genutzt. Außerdem unternehmen Nachrichtendienstoffiziere aus der Dienstzentrale im Rahmen ihrer operativen Aktivitäten vereinzelt Erkundungsund Treffreisen in andere Länder. Der SWR hält darüber hinaus an seinem "Illegalenprogramm" fest und schleust mit Falschidentität ausgestattete Nachrichtendienstoffiziere für langfristige Geheimdiensteinsätze aller Art oder als "Reise-Illegale" in Zielländer ein. Beispielhaft hierfür ist die spektakuläre Enttarnung eines Illegalennetzwerks in den USA. Dabei kam es im Juni 2010 u.a. zur Festnahme von neun SWR-Angehörigen russischer Nationalität. Sieben von diesen hatten vorgegeben, Bürger der USA oder anderer Staaten zu sein, die beiden anderen hatten ihre echte Identität genutzt, waren aber ebenfalls für die Illegalen-Verwaltung des SWR im Einsatz. Alle wurden im Wege eines Agentenaustauschs nach Russland abgeschoben. Das anhaltende Interesse der russischen Nachrichtendienste am deutschen Meldeverfahren könnte darauf hindeuten, dass "Illegale" auch unerkannt nach Deutschland eingeschleust werden sollen oder sich bereits hier aufhalten. 4. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der anderen Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) Nachrichtendienste Auch die anderen Mitglieder der GUS169 verfügen über eigene in der GUS z.T. mit Nachrichtenund Sicherheitsdienste, die ursprünglich aus Auslandsaufklärung den regionalen Geheimdienststrukturen der ehemaligen Sowjetunion hervorgegangen sind. Dies sind vor allem zivile Dienste mit Aufgabenschwerpunkten in den Bereichen innere Sicherheit und Spionageabwehr. In einigen Fällen gehört auch 168 Getarnte Ablagestellen (z.B. Erdverstecke) zum Informationsund Materialaustausch oder für Aufträge und finanzielle Zuwendungen an geheime Mitarbeiter. 169 Zur GUS gehören Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisistan, Moldawien, Russland, Tadschikistan, Usbekistan und Weißrussland. Turkmenistan ist lediglich noch beigeordnetes Mitglied ohne feste Zugehörigkeit und die Ukraine betrachtet sich als Teilnehmerstaat ohne formelle Mitgliedschaft. 346 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN die Auslandsaufklärung zu ihrem Tätigkeitsspektrum. In anderen Staaten gibt es eigenständige zivile Auslandsnachrichtendienste. Einige Mitglieder der GUS unterhalten zum Schutz ihrer staatlichen Autonomie zusätzlich eine eigene Militäraufklärung. Die Auslandsnachrichtendienste der anderen Mitglieder der GUS beschränken ihre Aktivitäten zumeist auf angrenzende Länder und treten daher kaum durch Aktivitäten mit Zielrichtung Deutschland in Erscheinung. Die GUS, nach dem Zerfall der Sowjetunion als politisch und wirtschaftlich geschlossene Einheit gegründet, hat in den vergangenen Jahren an Bedeutung verloren und zeigt deutliche Auflösungserscheinungen. Viele Mitglieder haben sich inzwischen auf politischer und wirtschaftlicher Ebene emanzipiert, verfolgen eigene Ziele und haben zusätzlich Bündnisse mit anderen Staaten geschlossen. Der Sieger der ukrainischen Präsidentenwahl Wiktor Janukowitsch erklärte jedoch im Februar 2010, er wolle bei seiner Außenpolitik den Beziehungen zu Russland wieder Vorrang einräumen.170 Trotz der politischen Veränderungen pflegen die meisten MitZusammenarbeit glieder der GUS auf nachrichtendienstlicher Ebene nach wie vor mit den traditionelle Kontakte. Es findet weiterhin eine förmlich vereinrussischen Nachbarte Zusammenarbeit statt, die von russischer Dominanz richtendiensten geprägt ist. Dabei werden Informationen ausgetauscht, und Russland leistet Unterstützung bei der technischen Ausstattung und der Schulung des Personals. Die Inlandsnachrichtendienste Russlands und der Ukraine unterzeichneten im Mai 2010 einen Kooperationsvertrag, der die Rückkehr von ausgewiesenen Mitarbeitern des FSB in die Ukraine und deren Aufenthalt dort legalisiert. Im Rahmen ihrer Kooperation sollen auch Erkenntnisse über EinGefährdung bei und Ausreisen ausländischer Staatsangehöriger und Personen, Aufenthalten in für die sich die Nachrichtendienste der GUS besonders interesMitgliedsländern sieren, untereinander weitergegeben werden. Daher dürfte für der GUS bestimmte Personen - etwa Behördenangehörige - nicht nur bei 170 Spiegel online am 10. Februar 2010: "Ukraine - Janukowitsch betont Freundschaft zu Russland". 347 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Reisen nach Russland, sondern auch in andere Länder der GUS ein erhöhtes Risiko bestehen, in das Blickfeld der dortigen Nachrichtendienste zu gelangen. Legalresidenturen Nur wenige Nachrichtendienste der übrigen Mitglieder der GUS unterhalten in ihren Auslandsvertretungen in Deutschland Legalresidenturen und setzen dort Nachrichtendienstangehörige unter diplomatischer Tarnung ein. Die stärkste nachrichtendienstliche Präsenz unterhält die Republik Weißrussland. Bewertung Allein aus der Aufgabenstellung und Residenturpräsenz einiger Nachrichtendienste der übrigen Mitglieder der GUS sowie deren Einbindung in den nachrichtendienstlichen Informationsaustausch innerhalb der Gemeinschaft ergibt sich eine latente Bedrohung deutscher Sicherheitsinteressen. Auch politische Veränderungen in der GUS beeinflussen Ausrichtung und Vorgehensweise der Nachrichtendienste. So hat die politische Annäherung der Ukraine an die Russische Föderation und andere Mitglieder der GUS vermutlich auch Auswirkungen auf die Tätigkeit der ukrainischen Nachrichtendienste. III. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 1. Entwicklung in der Volksrepublik China Diktatur und Das politische Leben in der Volksrepublik China wird durch die wirtschaftliche Kommunistische Partei Chinas (KPCh) bestimmt. Sie hält an Stabilität ihrem Machtmonopol fest und lässt weder unabhängige Kontrollinstanzen noch eine organisierte Opposition zu. Ungeachtet der internationalen Finanzmarktund Wirtschaftskrise nahm Chinas Bedeutung als "global player" weiter zu. Seine Volkswirtschaft ging gestärkt aus dieser Krise hervor und wächst kontinuierlich, ist jedoch stark exportabhängig und bleibt regional sehr unterschiedlich entwickelt. Imagepflege, Während der EXPO 2010 war der Ausrichter China bestrebt, sich Machtder Weltöffentlichkeit als offener und moderner Staat zu prädemonstration und sentieren. Andererseits demonstriert das Land zunehmend seine militärische Stärke Stärke und verteidigt territoriale Ansprüche rigoros. 348 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Im September 2010 zeigte sich dies in der harschen Reaktion Pekings auf die Kollision eines chinesischen Fischerboots mit einem Boot der japanischen Küstenwache im Ostchinesischen Meer. Die Volksrepublik betrachtet aber auch das Südchinesische Meer als ihr "Kerninteressen"-Gebiet. Zur Stärkung ihres Einflusses treibt sie die wenig transparente Modernisierung und Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee (VBA) rasant voran, insbesondere bei Marine und Luftwaffe. 2010 ist es der chinesischen Regierung gelungen, ZusammenSoziale Unruhen, stöße in Tibet und in der von muslimischen Uiguren bewohnten MinderheitenRegion Xinjiang zu unterbinden. Das Spannungspotenzial bleibt politik und Zensur jedoch hoch; die Anzahl sozialer Proteste nimmt zu. Dieser Herausforderung begegnet die politische Führung u.a. durch strikte Medienkontrolle und hartes Vorgehen gegen Regimekritiker. Aktuelle Beispiele sind der Konflikt mit dem Betreiber der Internetsuchmaschine Google und die chinesische Reaktion auf die Verleihung des Friedensnobelpreises an den Bürgerrechtler Liu Xiaobo. 2. Strukturen und Aufgaben Die chinesischen Machthaber betrachten weiterhin politische Opposition und unkontrollierte religiöse Betätigung als Bedrohung und gehen mit massiver staatlicher Repression gegen diese vor. Sie sichern mit Nachdruck die Kontrolle über Tibet und Xinjiang. Weiterer Schwerpunkt ist die Verhinderung der Unabhängigkeit Taiwans. Dazu unterhält die Partei mit umfassenden Befugnissen ausgestattete Nachrichtendienste, die keinen rechtsstaatlichen Beschränkungen unterliegen. Zudem nutzt sie die Nachrichtendienste zur Unterstützung der eigenen Wirtschaft. Vor allem das Ministerium für Staatssicherheit (Ministry of State Security - MSS) und der militärische Nachrichtendienst (Military Intelligence Department - MID) entfalten Aufklärungsaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. Das zivile MSS hat einen umfassenden Aufklärungsauftrag. Es MSS verfügt über große personelle Ressourcen und entsendet seine Mitarbeiter weltweit. Im Inland besitzt es Polizeibefugnisse. 349 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Darüber hinaus nimmt es eine zentrale Rolle bei der Auslandsspionage ein. In Deutschland beschafft der Dienst Informationen aus den Bereichen Wirtschaft und Politik. Außerdem klärt er oppositionelle Bestrebungen auf und bemüht sich, deren Aktivitäten zu verhindern. MID Als Teil der Volksbefreiungsarmee ist das MID ein offensiver und weltweit operierender Aufklärungsdienst. Es ist mit der Beschaffung von Informationen beauftragt, die für die innere und äußere Sicherheit sowie die militärischen Fähigkeiten Chinas von Bedeutung sind. So sind u.a. Ausrüstung, Struktur und Potenzial ausländischer Streitkräfte Aufklärungsziele des MID. Es ist ferner in den Bereichen politische Aufklärung, Wissenschaft und Technik aktiv. Parallel zu den anderen Nachrichtendiensten wirkt es bei der Erfüllung des "Generalauftrags" der Parteiführung zur Bekämpfung oppositioneller Bestrebungen mit. MPS Mit nachrichtendienstlichen Methoden arbeitet auch das nationale Ministerium für Öffentliche Sicherheit (Ministry of Public Security - MPS), das eigentlich das zentrale Polizeiministerium der Volksrepublik ist. Ihm obliegt die generelle Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, daher verfügt es über eine Schlüsselposition bei der Unterdrückung innerer Unruhen. In diesem Zusammenhang versucht das MPS, Informationen über Bevölkerungsgruppen zu gewinnen, die von der KPCh als Ursache von Sicherheitsgefährdungen angesehen werden. Eine weitere zentrale Aufgabe des MPS ist die Überwachung und Kontrolle der Medien und des Internetverkehrs. Büro 610 Das Büro 610, benannt nach seinem Gründungsdatum 10.6.1999, untersteht der Kommission für Politik und Recht des Zentralkomitees der KPCh. Es ist für die Beobachtung und Bekämpfung der regimekritischen Meditationsbewegung Falun Gong zuständig. Dabei arbeiten ihm Verwaltungs-, Justizund Polizeibehörden sowie die anderen Nachrichtendienste zu. Seine Aktivitäten erstrecken sich auf das Inund Ausland. Auch in Deutschland ist das Büro 610 nachrichtendienstlich tätig, u.a. in Zusammenarbeit mit dem MSS. 350 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 3. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte Die größte Gefahr für die Erhaltung der eigenen Macht sieht die Bekämpfung der chinesische Regierung in den als staatsfeindlich erachteten und "Fünf Gifte" unter der diffamierenden Bezeichnung "Fünf Gifte" zusammengefassten Personengruppen. Sie bekämpft diese nicht nur in der Heimat, sondern späht auch in Deutschland lebende Anhänger aus. Betroffen sind vor allem die Angehörigen der Meditationsbewegung Falun Gong sowie die nach Autonomie strebenden Volksgruppen der Uiguren und Tibeter. Als Staatsfeinde erachtet die KPCh darüber hinaus Mitglieder der Demokratiebewegung sowie die Befürworter der Eigenstaatlichkeit Taiwans. Im Aufklärungsinteresse der Nachrichtendienste stehen insbePolitik und Militär sondere Informationen über die Haltung der Bundesrepublik Deutschland gegenüber China oder die deutsche Politik in internationalen Organisationen wie der EU. Vor dem Hintergrund der Modernisierung der eigenen Streitkräfte sind auch die Rolle der Bundeswehr in der NATO sowie deren Ausrüstung und Entwicklung wichtige Aufklärungsziele. Zur ökonomischen Fortentwicklung stehen insbesondere senWirtschaftssible Informationen aus der deutschen Wirtschaft im Aufkläspionage rungsinteresse. Die chinesischen Nachrichtendienste unterstützen die chinesische Volkswirtschaft durch die Beschaffung von Informationen zu aktuellen Forschungsergebnissen oder herausragenden neuen Technologien. Ob es sich bei Ausspähungsversuchen von chinesischer Seite um staatlich betriebene Wirtschaftsspionage, um Konkurrenzausspähung durch ein (privates) Unternehmen oder die Initiative Einzelner handelt, ist aufgrund der Verflechtung von Staat und Unternehmen oft nur schwer zu unterscheiden. 351 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 4. Methodische Vorgehensweisen 4.1 Informationsgewinnung in Deutschland Bei der Informationsbeschaffung in Deutschland agieren die chinesischen Nachrichtendienste grundsätzlich vorsichtig und bemühen sich, Aufsehen zu vermeiden. Legalresidenturen Zu ihrer Aufgabenerfüllung nutzen die chinesischen Nachrichtendienste die diplomatischen und konsularischen Vertretungen ihres Landes. Hierzu zählen neben der Botschaft in Berlin auch die Generalkonsulate in Hamburg, Frankfurt am Main und München. In den Vertretungen unterhalten die Dienste sogenannte Legalresidenturen, in denen als Diplomaten abgetarnte Nachrichtendienstangehörige tätig sind. Weitere Möglichkeiten bietet den Diensten die Zusammenarbeit mit den hier akkreditierten chinesischen Journalisten. In Einzelfällen werden auch Nachrichtendienstangehörige als Journalisten abgetarnt eingesetzt. Nutzung offener Die Mitarbeiter der Nachrichtendienste werten zur ErkenntnisQuellen gewinnung zunächst frei zugängliche Informationsquellen wie Presseveröffentlichungen, Fachliteratur und das Internet aus. Zudem besuchen sie öffentliche Veranstaltungen oder Industriemessen. "Abschöpfung" von Zur Vertiefung ihrer Erkenntnisse nutzen sie die durch ihre offiKontaktpersonen zielle Tätigkeit aufgebauten Kontakte. Mit methodisch geschickter Gesprächsführung versuchen sie, an sensible Informationen zu gelangen. Ziel derartiger Aufklärungsbemühungen sind u.a. Vertreter deutscher Behörden und Unternehmen oder Wissenschaftler. Aufbau von Nach Sondierung der Zugangsmöglichkeiten einer KontaktperBeziehungen son bemühen sich die Nachrichtendienstmitarbeiter um den Aufbau persönlicher Beziehungen durch wiederholte Treffen, Einladungen zu Restaurantbesuchen, Geschenke oder Einladungen nach China. Langfristiges Ziel ist die "Kultivierung" der Wissensträger, damit diese ihren "Freunden" Gefallen erweisen oder Informationen weitergeben. 352 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Weitere Möglichkeiten für die Erkenntnisgewinnung ergeben Non-Professionals sich aufgrund der intensiven zwischenstaatlichen Wirtschaftsund Delegationen und Wissenschaftskooperation. So leben und arbeiten annähernd 80.000 Chinesen in Deutschland, darunter etliche Gastwissenschaftler, Praktikanten und Studenten. Diese Personengruppe stellt ein erhebliches Wissenspotenzial dar, dessen sich die Nachrichtendienste durchaus bewusst sind. Sie verschaffen sich einen Überblick über Arbeitsbereiche und Zugänge und bauen Kontakte auf. Um Einzelne zu einer Zusammenarbeit zu bewegen, appellieren sie an deren Nationalbewusstsein und weisen sie auf eine Pflicht zur Unterstützung des Heimatlands hin. Die Nutzung dieser sogenannten Non-Professionals hat für die Dienste den Vorteil, dass bei Bekanntwerden eines Ausspähversuchs nicht ersichtlich ist, ob dieser aus Eigeninitiative oder im staatlichen Auftrag erfolgte. Anfang Januar 2010 war es einem chinesischen Austauschstudenten während seines Praktikums in einer deutschen Firma gelungen, umfangreiche und z.T. vertrauliche Informationen seines Arbeitgebers auf eine externe Festplatte zu übertragen. Diese unbefugt kopierten Daten enthielten u.a. Informationen über eine deutsche diplomatische Vertretung im Ausland und wären gerade für einen Nachrichtendienst von hohem Interesse gewesen. Eine Weitergabe dieser Daten an Dritte konnte jedoch verhindert werden. Auch bei Besuchen chinesischer Delegationen in deutschen Unternehmen fielen in den letzten Jahren wiederholt Hinweise auf sicherheitsrelevante Vorfälle an, z.B. die illegale Dokumentation von Fertigungsprozessen oder den Diebstahl von Datenträgern. Ein konkreter nachrichtendienstlicher Hintergrund dieser Ausspähungsversuche konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. 4.2 Bekämpfung der "Fünf Gifte" in Deutschland Im Gegensatz zur Informationsbeschaffung in den Bereichen Politik, Militär und Wirtschaft verhalten sich die chinesischen Nachrichtendienste bei der Aufklärung und Bekämpfung der "Fünf Gifte" (vgl. Nr. 3) deutlich aggressiver. 353 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Methoden Ihre Methoden sind dabei vielfältig. Grundlage für ihre Maßnahmen bilden auch hier zunächst offene Informationen. So besuchen die Nachrichtendienstangehörigen frei zugängliche Vortragsveranstaltungen und öffentliche Kundgebungen. Daneben sammeln sie entsprechende Publikationen und werten diese aus. Auch chinesische Journalisten können als Zuträger dienen, da sie in ihrer Funktion unverfänglich in der Öffentlichkeit agieren können. Die Dienste diffamieren häufig den "Fünf Giften" zugerechnete Personengruppen pauschal als Gewalttäter oder Terroristen. Die angeblich von ihnen ausgehenden Gefahren sowie die Hinweise auf eine mögliche Gefährdung der deutsch-chinesischen Beziehungen sollen deutsche Behörden veranlassen, gegen diese Personengruppen vorzugehen und beispielsweise Veranstaltungsverbote auszusprechen. Daneben wurden die Aktivitäten von Oppositionellen mit technischen Mitteln eingeschränkt, indem von chinesischer Seite aus z.B. Inhalte entsprechender Websites streng kontrolliert und sogar blockiert wurden. In Deutschland lebende Oppositionelle erhielten nicht selten Anrufe mit der Aufforderung, ihre Aktivitäten einzustellen. Mit der Fortführung derartiger Maßnahmen chinesischer Nachrichtendienste ist auch künftig zu rechnen. ErmittlungsNachrichtendienstliche Aktivitäten gegen die "Fünf Gifte" in verfahren Deutschland führten zu mehreren Ermittlungsverfahren des GBA wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 StGB). Im November 2009 leitete er Ermittlungsverfahren gegen vier Beschuldigte als mutmaßliche Zuträger der chinesischen Nachrichtendienste ein. Sie werden verdächtigt, die uigurische Exilgemeinde nachrichtendienstlich ausgeforscht zu haben. Während eines der Verfahren im April 2010 mangels hinreichenden Tatverdachts gemäß SS 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, dauern die Ermittlungen in den drei anderen Verfahren noch an. 354 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Im Mai 2010 wurde nach Vorarbeiten der zuständigen Verfassungsschutzbehörden eine Exekutivmaßnahme in Niedersachsen durchgeführt. Der Beschuldigte, ein Deutscher chinesischer Abstammung, wird verdächtigt, die regimekritische Meditationsbewegung Falun Gong seit 2005 für einen chinesischen Nachrichtendienst ausspioniert zu haben. Im Januar 2011 erhob der GBA Anklage gegen ihn wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. 4.3 Aktivitäten in China Die chinesischen Sicherheitsbehörden sind mit umfassenden Überwachung Befugnissen zur Überwachung und Kontrolle der eigenen von Bevölkerung Bevölkerung sowie einreisender Personen ausgestattet. Mittels und Reisenden aufwendiger Systeme überwachen sie Kommunikationswege und kontrollieren insbesondere das Internet. Auch ausländische Besucher unterliegen einer intensiven Überwachung durch die Sicherheitsorgane. Diese kontrollieren Geschäftsreisende bereits beim Grenzübertritt, überwachen ihre elektronische Kommunikation und dokumentieren ihr Verhalten in Hotels oder in der Öffentlichkeit. Auch mitgeführte elektronische Datenträger waren immer wieder Gegenstand von - z.T. verdeckten - Untersuchungen. Breit angelegte "Elektronische Angriffe" mit Ursprung in China "Elektronische setzten sich auch im Jahr 2010 fort. Mit einer Schadsoftware verAngriffe" sehene E-Mails richten sich weltweit gegen die Computer von Unternehmen, staatlichen Einrichtungen sowie Privatpersonen (vgl. Kap.VI). Die Volksrepublik China als führende Wirtschaftsnation wird in Bewertung ihrem Streben nach internationalem Einfluss und regionaler Vormachtstellung nicht nachlassen. Gleichzeitig will die Regierung ihre Herrschaft dauerhaft sichern. Zur Verfolgung dieser Ziele wird sie sich weiterhin ihrer Nachrichtenund Sicherheitsdienste bedienen. 355 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten anderer Staaten Bei den Spionageaktivitäten der Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas dominieren neben der klassischen Informationsbeschaffung die Ausforschung Oppositioneller aus diesen Ländern sowie die Unterwanderung ihrer Organisationen. 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Die Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran sind eine wichtige Stütze für das Regime. Hauptträger der nachrichtendienstlichen Aktivitäten sind der zivile Inund Auslandsnachrichtendienst Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (Ministry of Information and Security - MOIS, in Farsi: Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Keshvar - VEVAK) und der Nachrichtendienst der iranischen Revolutionsgarden (Revolutionary Guards Intelligence Department - RGID). Zielbereiche Schwerpunktaufgabe des iranischen Nachrichtendienstapparaund Aufklärungstes ist die intensive Beobachtung und Bekämpfung oppositioschwerpunkte neller Gruppierungen im Inund Ausland. Die Nachrichtendienste beschaffen darüber hinaus im westlichen Ausland auch Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die gegen Deutschland gerichteten nachrichtendienstlichen Aktivitäten des Iran gehen insbesondere vom MOIS aus. Ein Aufklärungsschwerpunkt ist die Ausspähung der Exilopposition innerhalb der rund 50.000 Personen umfassenden iranischen Gemeinde in Deutschland. Hier stehen die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) und ihr politischer Arm, der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) im Mittelpunkt. Weiter zeigt der iranische Nachrichtendienst ein intensives operatives Interesse an deutschen Zielobjekten, insbesondere in den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik. Im Vordergrund stehen dabei die Aufklärung von deutschen Einrichtungen im Inund Ausland sowie die "Anbahnung" deutscher Staatsbürger. 356 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Zur Anbahnung nutzt das MOIS insbesondere Reisen seiner ZielMethodik personen in den Iran zum Familienbesuch oder aus beruflichen Gründen. Die Betroffenen können sich im Iran dem Zugriff des Nachrichtendienstes kaum entziehen, sodass ideale Voraussetzungen für eine nachrichtendienstliche Ansprache gegeben sind. Die Legalresidentur des MOIS an der Iranischen Botschaft in Berlin nimmt eine wichtige Funktion innerhalb der Aufklärungstätigkeit des iranischen Dienstes in Deutschland wahr. Sie ist sowohl mit der Beobachtung von in Deutschland lebenden Oppositionellen als auch mit der operativen Bearbeitung deutscher Zielpersonen und -objekte beauftragt. Die in Deutschland angesiedelten konsularischen Vertretungen des Iran sind zur Unterstützung der Residentur verpflichtet. Die iranische Exilopposition in Deutschland wird auch künftig Bewertung im Fokus des MOIS stehen. Aufgrund der großen politischen Bedeutung der deutschen Außenund Sicherheitspolitik für den Iran, dürfte der iranische Nachrichtendienst auch in diesem Bereich weiterhin Aufklärungsaktivitäten entwickeln. 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien Die syrischen Sicherheitsorgane haben eine überragende StelSyrische lung in der Arabischen Republik inne. Die zahlreichen NachSicherheitsorgane richtendienste sind vor allem mit der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit befasst und Garanten für die Stabilität des Regimes. Zu ihnen zählen der zivile Nachrichtendienst Idarat Al-Mukhabarat Al-Amma171, der militärische Nachrichtendienst Shu'bat Al-Mukhabarat-Al-Askarya172 und der politische Sicherheitsdienst Idarat Al-Amn Al-Siyasi173 sowie der Nachrichten171 Idarat Al-Mukhabarat Al-Amma = Verwaltung allgemeiner Nachrichtendienst. 172 Shu'bat Al-Mukhabarat-Al-Askarya = Unterabteilung Nachrichtendienst der Streitkräfte. 173 Idarat Al-Amn Al-Siyasi = Verwaltung politische Sicherheit. 357 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN dienst der Luftwaffe Jihaz Al-Mukhabarat-Li'l-Quwwat Al-Jawwiyya174. Einige dieser Dienste sind auch in Deutschland nachrichtendienstlich aktiv. Aufklärungsziele Die syrischen Dienste überwachen im Inund Ausland oppositionelle Gruppierungen und Einzelpersonen, in denen sie eine Gefahr für das Regime sehen. Hierzu zählen islamistische und kurdische Gruppierungen, aber auch Regimekritiker und Menschenrechtsaktivisten. Methoden Für ihre Aktivitäten unterhalten sie eine Legalresidentur an der Syrischen Botschaft in Berlin. Die dort abgetarnt tätigen hauptamtlichen Nachrichtendienstangehörigen führen ein Agentennetz in Deutschland und sind bemüht, dieses auszubauen. Bei der Werbung neuer Agenten und zur Einschüchterung von Regimegegnern schrecken sie nicht vor Repressalien gegen Betroffene oder deren im Heimatland lebende Angehörige zurück. In Deutschland lebende Zielpersonen müssen im Einzelfall bei einem Besuch in Syrien mit Festnahmen, Verhören und Misshandlungen rechnen, die nicht selten in einen Anwerbungsversuch münden. Von derartigen Maßnahmen sind nicht nur syrische Staatsangehörige betroffen; auch die deutsche Staatsangehörigkeit stellt bei Syrienreisen keinen zuverlässigen Schutz vor repressiven Maßnahmen dar. Bewertung Bedingt durch die große syrische Exilgemeinde in Deutschland dürften die syrischen Nachrichtendienste auch in Zukunft ihr Augenmerk auf die Bundesrepublik richten. Dies ergibt sich u.a. daraus, dass die nachrichtendienstlichen Aktivitäten Syriens auch in der Vergangenheit trotz der Abwehrmaßnahmen deutscher Sicherheitsbehörden nicht signifikant nachgelassen haben. 174 Jihaz Al-Mukhabarat-Li'l-Quwwat Al-Jawwiyya = Geheimdienstapparat der Luftstreitkräfte. 358 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN 3. Nachrichtendienste der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija Das libysche Regime übt mit seinem umfangreichen SicherheitsLibysche Sicherapparat eine strenge Kontrolle über die Bevölkerung aus. heitsstruktur Nachrichtendienstliche Aktivitäten gegen Deutschland gehen sowohl vom Auslandssicherheitsdienst Apparat der Sicherheit der Dschamahirija (Hay'ah Al-Amn Al Dschamahirija) als auch von den Revolutionskomitees aus. Zur Informationsgewinnung unterhalten sie ein europaweites Netzwerk von Informanten und Spitzeln, wobei Deutschland ein wichtiges Operationsgebiet ist. Bei ihren Spionageaktivitäten dominiert die Ausforschung poliAufklärungsziele tischer und religiöser Oppositionsgruppen sowie deren Unterund Methoden wanderung. Darin eingebunden sind sowohl die Residenten der Dienste am Libyschen Volksbüro (Botschaft) in Berlin als auch Reisekader. Diese versuchen, ausgewählte Personen für eine nachrichtendienstliche Zusammenarbeit zu gewinnen. Lehnt der Betroffene dies ab, üben sie auf verschiedene Weise Druck aus. Eine häufig angewandte Methode ist der Hinweis auf in der Heimat lebende Familienangehörige, die dem Regime und seinem Sicherheitsapparat gegenüber schutzlos sind. Im Jahr 2010 erlebte die Islamic Call Society (ICS) eine regelrechte "Renaissance". Sie ist als weltweit agierende religiöse Organisation ein wichtiger Baustein der libyschen Sicherheitsstrukturen. Das libysche Regime versucht, islamische Strömungen über die ICS zu kanalisieren und so kontrollierbar zu machen. Ihre Funktionäre arbeiten mit dem Auslandssicherheitsdienst und den Revolutionskomitees zusammen. Wie in anderen europäischen Staaten besuchen ICS-Funktionäre auch in Deutschland vermehrt islamische Organisationen und knüpfen dort Kontakte. Im September 2010 wurde in Berlin der Prozess gegen zwei libysche Staatsangehörige eröffnet, die im Mai 2010 wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit festgenommen worden waren. Der Staatsschutzsenat des Berliner Kammergerichts (KG) hat Anfang Januar 2011 die beiden Angeklagten 359 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu Freiheitsstrafen verurteilt. Nach den Feststellungen des Gerichts hatten sie für den Geheimdienst ihres Landes libysche Oppositionelle in Deutschland und Westeuropa ausgeforscht. Einer der beiden Angeklagten hatte als Führungsoffizier ein Netz informeller Mitarbeiter geleitet, sich dadurch Informationen aus Oppositionskreisen beschafft und diese an die Zentrale in Libyen weitergegeben. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der zweite Angeklagte hatte nach Überzeugung des Gerichts als Informant gearbeitet, libysche Oppositionelle ausgespäht und seine Erkenntnisse an den Führungsoffizier weitergeleitet. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt. Ein weiterer mutmaßlicher Agent des libyschen Geheimdienstes wurde, ebenfalls im September, in Halle an der Saale festgenommen. Er wird beschuldigt, von April bis Mai 2010 in Deutschland lebende Oppositionelle ausgespäht zu haben. Im Dezember 2010 hat die Bundesanwaltschaft ebenfalls vor dem KG Berlin Anklage wegen Spionagetätigkeit erhoben. Im Februar 2011 wurde der libysche Staatsangehörige zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten zur Bewährung verurteilt. Bewertung Die Exekutivfälle belegen, dass die Ausspähung der international vernetzten politischen Oppositionsgruppen einen hohen Stellenwert für die Nachrichtendienste des Gaddafi-Regimes besitzt. 4. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea Nordkorea unterhält zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und zur Stützung des Regimes eine Vielzahl von Nachrichtendiensten. Sie sind alle dem Vorsitzenden des Verteidigungskomitees Kim Jong Il direkt oder - in seiner Funktion als Parteichef - mittelbar unterstellt. Ihre Auslandsaktivitäten richten sich in erster Linie gegen Südkorea. Zu ihren Aufgaben gehört auch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung im westlichen Ausland mit dem Ziel, das Ansehen Nordkoreas zu stärken und das politische System in Südkorea zu diffamieren. 360 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Zur Beschaffung von Informationen aus Deutschland unterhalten folgende nordkoreanische Nachrichtendienste Legalresidenturen an der Botschaft in Berlin: Die Abteilung Vereinigungsfront ist der Koreanischen ArbeiterAbteilung partei unterstellt. Sie ist im Inland u.a. für Propaganda zustänVereinigungsfront dig. Im Ausland ist der Dienst bestrebt, südkoreanische Dissidentengruppen (z.B. bei der Organisation und Durchführung kultureller Veranstaltungen) zu unterstützen, deren Teilnehmer ideologisch zu beeinflussen und geeignete Personen anzuwerben. Der Vertreter des Dienstes ist in seiner Funktion als Parteisekretär Ansprechpartner für alle Nordkoreaner in Deutschland bei Reisen in ihr Heimatland und Kontaktaufnahmen zu dort lebenden Familienangehörigen. Das Ministerium für Staatssicherheit (MfSS) untersteht dem Ministerium für Nationalen Verteidigungskomitee. Es ist in Nordkorea für die Staatssicherheit Aufrechterhaltung der inneren Ordnung verantwortlich. In Deutschland sorgt das MfSS u.a. für die Aufrechterhaltung der personellen und materiellen Sicherheit an der Botschaft und ist zudem für alle Sicherheitsfragen nordkoreanischer Delegationen und hier lebender Studenten bzw. Gastwissenschaftler zuständig. Das Büro für allgemeine Aufklärung untersteht dem MinisteBüro für allgerium für Volksstreitkräfte. Zu seinen wesentlichen Aufgaben meine Aufklärung gehört die weltweite Technologie-Beschaffung für die nordkoreanische Armee. Der Vertreter des Büros an der Botschaft ist für die Bereiche militärische Wissenschaft und Handel zuständig, insbesondere für Entwicklung, Patente und Know-howTransfer. Deutsche Universitäten und Forschungseinrichtungen stehen Aufklärungsziele wegen ihres hohen technologischen Standards im Fokus nordkoreanischer Dienste. Dabei kommt dem Gesundheitssektor - nicht zuletzt aufgrund der gesundheitlichen Probleme Kim Jong Ils - eine besondere Bedeutung zu. Aufgabe der Nachrichtendienstangehörigen ist zudem die Aufklärung und Verhinderung von Versuchen nordkoreanischer 361 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Staatsangehöriger im Ausland, sich durch Flucht einer Rückkehr nach Nordkorea zu entziehen. Vorgehensweisen In Deutschland nutzen die nordkoreanischen Nachrichtendienste die Botschaft zur Informationsbeschaffung. Ihre dort als Diplomaten abgetarnten Nachrichtendienstoffiziere knüpfen bei Wahrnehmung ihrer offiziellen Aufgaben Kontakte zu interessanten Personen, insbesondere zu Vertretern von Wirtschaftsorganisationen, Firmen oder Hochschulen. Neben der Gesprächsabschöpfung von Kontaktpersonen nutzen sie allgemein zugängliche Informationsquellen, nicht zuletzt mithilfe von in Deutschland aufhältigen nordkoreanischen Gastwissenschaftlern und Studenten. Diese verfügen in der Regel über gute Sprachkenntnisse und stehen dem Staat loyal gegenüber. Die Botschaft führt regelmäßig ideologische Schulungen für diese Personengruppen sowie sonstige in Deutschland lebende nordkoreanische Staatsbürger durch. Bewertung Auch wenn zuletzt keine ausgeprägten operativen Tätigkeiten der nordkoreanischen Nachrichtendienstmitarbeiter feststellbar waren, so lässt die andauernde Unterstützung und ideologische Beeinflussung südkoreanischer Dissidentengruppen auf ein fortlaufendes nachrichtendienstliches Interesse an diesem Personenkreis schließen. Spannungen zwischen Nordkorea und der westlichen Staatengemeinschaft sowie die Regelung der Nachfolge des nordkoreanischen Machthabers könnten zukünftig auch in Deutschland Auswirkungen auf das unter diplomatischer "Abdeckung" tätige Botschaftspersonal haben und zu gesteuerten Propagandaaktionen führen. 362 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN V. Proliferation Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von atomaren, Definition biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen sowie entsprechenden Trägersystemen bzw. den zu ihrer Herstellung verwendeten Produkten einschließlich des dafür erforderlichen Know-how verstanden. Massenvernichtungswaffenprogramme können zu einer erheblichen Destabilisierung in den jeweiligen Regionen beitragen und stellen eine ernsthafte Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit dar. Bei proliferationsrelevanten Staaten wie Iran, Nordkorea, Syrien und Pakistan ist zu befürchten, dass sie solche Waffen in einem bewaffneten Konflikt einsetzen oder ihren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Insbesondere die Aktivitäten von Iran und Nordkorea geben Iran und Nordkorea nach wie vor großen Anlass zur Sorge. Der Iran verweigert im Zusammenhang mit seinem Atomprogramm weiterhin die Umsetzung der Auflagen des VN-Sicherheitsrats sowie eine hinreichende Kooperation mit der IAEO, sodass sich diese angesichts der massiven Verdachtsgründe für eine militärische Nutzung nicht in der Lage sieht, zu bestätigen, dass das iranische Nuklearprogramm ausschließlich zivilen Zwecken dient. Aus diesem Grund wurden 2010 die bereits bestehenden Sanktionen gegen das Land mehrfach verschärft. Nordkorea verfügt über ein weit fortgeschrittenes Atomwaffenprogramm. Das Land verfolgt unverändert ein umfangreiches Waffenträgerprogramm und tritt weltweit als Exporteur von Raketen auf. Gleichzeitig bietet Nordkorea anderen Staaten Unterstützung beim Aufbau eines eigenen Raketenentwicklungsprogramms an. Die proliferationsrelevanten Staaten sind z.T. bereits in der Lage, ihren Bedarf an Produkten und Know-how selbst zu decken. Sie unterhalten z.B. eigene Produktionsstätten zur Herstellung von benötigten Maschinen und Stoffen oder sie verfügen über 363 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN wissenschaftliche Einrichtungen, die ihre Forschungsergebnisse für die entsprechenden Waffenprogramme zur Verfügung stellen. Diese Einrichtungen sind jedoch in unterschiedlichen Bereichen der Forschung, Entwicklung und Herstellung dieser Waffen und Trägersysteme bis heute nicht autark. Daher sind sie gezwungen, notwendige Beschaffungen auf dem Weltmarkt - und damit auch in Deutschland - zu decken. Vertikale Ihren Beschaffungsbedarf vor allem an "dual use"-Gütern verProliferation suchen diese Staaten zu einem großen Teil in den Industrieoder Schwellenländern175 zu decken. Daneben interessieren sich einzelne proliferationsrelevante Länder für so genannte Schlüsseltechnologie, die - wie beim Iran bekannt - auf dem Weltmarkt gezielt für den Einsatz im heimischen Nuklearprogramm beschafft werden soll. Horizontale Einzelne proliferationsrelevante Länder treten auch selbst als Proliferation Lieferanten auf. Sie bieten u.a. Maschinen, Ausrüstungsgegenstände und Know-how an oder verkaufen vollständige und einsatzfähige Raketensysteme zur Ausbringung von Massenvernichtungsmitteln. Auf diese Weise sind sie teilweise in der Lage, sich gegenseitig bei der Herstellung und Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen zu unterstützen. BeschaffungsDie seit geraumer Zeit bestehenden restriktiven Exportkontrollmethoden bestimmungen zur Verhinderung proliferationsrelevanter Wareneinkäufe in Europa und damit auch in Deutschland haben ihr Einkaufsund Beschaffungsverhalten beeinflusst. Die direkte Beschaffung einer Ware oder eines Gutes bildet eher die Ausnahme, da das Risiko der Entdeckung und des Ausfuhrverbots zu groß geworden ist. Um dennoch in den Besitz notwendiger Produkte zu gelangen, wählen sie vielfach die Beschaffung über 175 Als Schwellenländer werden Staaten bezeichnet, die zu den fortgeschrittenen Entwicklungsländern gehören, da sie aufgrund hoher wirtschaftlicher Eigendynamik beachtliche Industrialisierungsfortschritte erzielen konnten und in ihrem Entwicklungsstand deutlich gegenüber den Industrienationen aufgeholt haben. 364 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Drittländer (sogenannte Umgehungsausfuhren), schalten Tarnfirmen ein oder machen gegenüber dem Hersteller oder Händler falsche Angaben über den Verwendungszweck mit dem Ziel, den tatsächlichen Einsatz in proliferationsrelevanten Bereichen zu verschleiern. Wissenschaftler aus diesen Staaten nutzen vielfach bestehende Wissenstransfer internationale Kontakte zu Universitäten, Instituten oder Forschungseinrichtungen, um sich einschlägiges Grundlagenwissen oder Spezialkenntnisse anzueignen. Gegenüber ihren Gesprächspartnern verschweigen sie jedoch den eventuellen Gebrauch des erlangten Wissens in einem Massenvernichtungswaffenprogramm. So missbrauchen sie unter Umständen auch den von staatlicher Seite unterstützten und geförderten internationalen wissenschaftlichen Informationsund Erfahrungsaustausch. Die Bundesrepublik Deutschland wird wegen ihrer technologiBewertung schen und wissenschaftlichen Kompetenz auch weiterhin ein wichtiges Zielgebiet für Beschaffungsbemühungen proliferationsrelevanter Staaten bleiben. Die Verfassungsschutzbehörden informieren und sensibilisieSensibilisierungen ren Industrie, Bildungsund Forschungseinrichtungen über die Proliferationsthematik und die Risiken (vgl. Verfassungsschutz und Demokratie, Kap. V). Zur Proliferationsabwehr arbeiten das BfV, das Bundesamt für Kooperation Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, das Zollkriminalamt, das Bundeskriminalamt und der Bundesnachrichtendienst eng zusammen. 365 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN VI. Elektronische Angriffe Definition Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden gezielt durchgeführte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten netzgebundenen Produktionsund Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z.B. das Internet, erfolgen als auch durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner, z.B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien. Auch Nachrichtendienste bedienen sich solcher Techniken. Feststellungen in Seit 2005 werden auf breiter Basis durchgeführte zielgerichtete Deutschland "Elektronische Angriffe" auf Bundesbehörden und deutsche Wirtschaftsunternehmen erkannt, die bis heute in großer Intensität anhalten. Sie erfolgen mit manipulierten E-Mails, deren Anhänge ein Schadprogramm enthalten. Wird der Anhang geöffnet, installiert sich das Schadprogramm unbemerkt auf dem Opfersystem. Nach erfolgreicher Installierung versucht die Schadsoftware, über das Internet eine Verbindung zu einem bestimmten Computer aufzubauen. Dabei fließen einerseits Informationen über das Opfersystem ab, andererseits werden von diesem Computer weitere Befehle zur Steuerung der Schadsoftware nachgeladen. Insgesamt geht diesen manipulierten E-Mails ein wirksames "Social Engineering" voraus. Sie sind also so gestaltet, dass sie zu den jeweiligen Arbeitsund Interessengebieten der von den Angriffen betroffenen Empfänger passen. Auf diese Weise sollen sie zum Öffnen des mit dem Schadprogramm verseuchten E-Mail-Anhangs verleitet werden. Verursacher Urheber können Einzelpersonen, politische oder kriminelle Vereinigungen, Staaten bzw. staatliche Einrichtungen sein. Es ist zu 366 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN unterstellen, dass viele Staaten Organisationseinheiten für diese Form der Informationsbeschaffung unterhalten oder zumindest theoretische Überlegungen dazu angestellt haben. Die in Deutschland beobachteten "Elektronischen Angriffe" richten sich gegen spezifische Ziele in Politik und Wirtschaft. Die zu gewinnenden Informationen sind insbesondere für staatliche Stellen von Interesse. Von einer nachrichtendienstlichen Steuerung ist auszugehen. Die Anzahl solcher Angriffe mit nachrichtendienstlichem Hintergrund steigt beständig. Im Jahr 2010 wurden allein 2.108 "Elektronische Angriffe" auf Bundesbehörden festgestellt (2009: 1.511). Den meisten auf Bundesbehörden und die deutsche Wirtschaft abzielenden Angriffen kann anhand ihrer Merkmale ein Ursprung in China zugeordnet werden. Dabei wird deutlich, dass die Verursacher verstärkt aktuelle Themen und Ereignisse in den Blick nehmen. Die Angriffe richten sich entweder direkt gegen die mit diesen Sachverhalten befassten Personen und Organisationen, oder diese werden als thematischer Aufhänger bei Angriffen auf andere Ziele benutzt. Bereits in der Vergangenheit war die breitflächige Ausrichtung der Angriffe offenkundig, von denen zahlreiche Ziele in verschiedenen Bundesbehörden betroffen waren. Dabei wurden häufig einflussreiche Personen (z.B. Minister, Staatssekretäre, Abteilungsleiter) sowie Stellen angegriffen, die sich intensiv mit China betreffenden Sachfragen beschäftigen. Inzwischen zeichnen sich immer deutlicher auch Interessenfelder in der internationalen Politik ab. So richten sich die Angriffe nicht allein gegen Deutschland, sondern erfolgen weltweit. Vor allem zeigen sich identische Merkmale zwischen den erkennbaren Angriffstrukturen und -zielen, die offensichtlich alle von den gleichen Verursachern ausgehen. Dabei wird insgesamt ein strategischer und nachhaltiger Aufklärungsansatz der Angreifer aus China erkennbar. Im Frühjahr 2010 wurde ein E-Mail-Angriff festgestellt, der sich Fallbeispiel überwiegend gegen nationale und internationale Stellen aus dem Bereich des Sports richtete und einen offenkundigen sport367 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN politischen Hintergrund besaß. Neben einer Bundesbehörde befanden sich unter den Empfängern auch Landesbehörden, Presseorgane, Sportfunktionäre, Antidopingagenturen sowie nationale und internationale Sportorganisationen. Es handelte sich hier um einen geplanten, zielgerichteten Angriff. Die angewandte Methodik, die technischen Angriffsstrukturen und die von der Schadsoftware genutzte Schwachstelle waren bereits in vorangegangenen Fällen Angriffen aus China zugeordnet worden. Bedrohungen gehen aber nicht nur von Schad-E-Mails aus, die über das Internet versandt werden. Ein weiteres realistisches und vor allem effektives Angriffsszenario ist der direkte, nicht netzgebundene Zugriff auf einen Rechner, etwa mittels manipulierter Hardwarekomponenten (z.B. Verbreitung von Schadprogrammen oder Computerviren über USB-Sticks). Beispiele dafür sind die seit mehreren Jahren aktiven und für hohe Infektionsraten verantwortlichen Computerviren Agent-BTZ und Conficker. Auch IT-Systeme in Deutschland waren von diesen Schädlingen betroffen, z.T. mit weitreichenden Auswirkungen. Stuxnet Ein spektakulärer Angriff mit einer derartigen Schadsoftware wurde im Sommer 2010 bekannt. Die Verursacher nutzten ein Schadprogramm, das gezielt Siemens SCADA-Systeme angreift (Stuxnet-Vorfall). Es handelt es sich hier um einen sehr komplexen, auf ein ganz bestimmtes Ziel programmierten Computerschädling, der sich per USB-Stick über die entsprechenden Schnittstellen von IT-Systemen verbreitet. Eine Infizierung von befallenen Systemen über das Internet konnte dagegen nicht beobachtet werden. Aufgrund des Kommunikationsverhaltens von Stuxnet ist davon auszugehen, dass der Iran oder vielmehr eine dort betriebene Steuerungsanlage Ziel des Angriffs war. Auch deutsche Rechner wurden mit Stuxnet infiziert, wobei aber insoweit ein gezielter Angriff ausgeschlossen werden kann. Bewertung Die überwiegende Zahl der in Deutschland festgestellten "Elektronischen Angriffe" mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Hintergrund ist auf Stellen in China zurückzuführen. Kritik aus dem Ausland sowie entsprechende Pressemeldungen führten 368 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN bisher nicht zu einem Rückgang dieser Angriffe. Vielmehr verfeinern die Angreifer ihre Techniken, um die Angriffe zu verschleiern und deren Aufklärung zu erschweren. In den nächsten Jahren ist mit einem steigenden Risiko durch "Elektronische Angriffe" zu rechnen. Als Reaktion gehen die Verfassungsschutzbehörden auf betrofMaßnahmen der fene Stellen zu, um sie über die Gefahren solcher Angriffe zu Verfassungsschutzunterrichten und zu sensibilisieren. Damit soll auch das Gespür behörden dafür vermittelt werden, insgesamt vorsichtiger mit den modernen Kommunikationsmedien umzugehen. Jedem Nutzer sollte die Gefahr bewusst sein, dass vertrauliche Informationen auf einem IT-System grundsätzlich immer dann besonders gefährdet sind, wenn es an ein öffentliches Netz, wie z.B. das Internet, angeschlossen ist. VII. Wirtschaftsschutz Deutschland als technologieund exportorientierte Nation verProblemstellung dankt den wirtschaftlichen Wohlstand in erster Linie seinem Ideenreichtum und Forschergeist sowie der Fähigkeit, Innovationen schnell in marktfähige Produkte umzusetzen. Diese entscheidenden Wettbewerbsvorteile sichern unserem Land einen Platz an der Spitze des Weltmarktes. Sie wecken allerdings Begehrlichkeiten bei Konkurrenzunternehmen und anderen Staaten. Im globalen Wettbewerb beauftragen fremde Regierungen ihre Nachrichtendienste auch, Wissen und Know-how zu beschaffen, ohne selbst die hohen Kosten für Forschung und Entwicklung tragen zu müssen. Die Behörden für Verfassungsschutz definieren WirtschaftsDefinition spionage als staatlich gelenkte oder gestützte, von Nachrichtendiensten fremder Staaten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen. Die Ausspähung eines Unternehmens durch eine Konkurrenzfirma wird als Konkurrenzausspähung oder Industriespionage bezeichnet. 369 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Gefährdungslage Ausgespäht werden Branchen der deutschen Spitzentechnologie. Von Interesse sind Produktinnovationen wie auch Businesspläne, Marktstrategien und -netze (vgl. Kap. II, Nr. 2 und Kap. III, Nr. 3). Eine der größten Bedrohungen stellen "Elektronische Angriffe" auf Computersysteme und mobile Kommunikation deutscher Wirtschaftsunternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden dar (vgl. Kap. VI). Die unaufhaltsam voranschreitende Globalisierung der Märkte bedingt, dass deutsche Firmen zunehmend auch sicherheitsrelevanten Situationen und Risiken ausgesetzt sind. Große Konzerne verfügen meist über eigene professionell ausgestattete Sicherheitsbereiche. Innovative kleine und mittelständische Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen haben dagegen oft kein umfassendes Sicherheitskonzept. So bieten sie eher Ansatzmöglichkeiten zur Ausspähung ihrer Marktstrategien und ihres Know-how. Gefährdungen entstehen vor allem, weil Sicherheitsmaßnahmen oft nicht ausreichend beachtet oder überprüft werden. Hier kommt der Mitarbeiterschulung und -sensibilisierung eine steigende Bedeutung zu. Sicherheit und Schutz des Know-how ist zunächst ein Eigeninteresse der Wirtschaft. Nach den Erfahrungen der Verfassungsschutzbehörden unterschätzen jedoch viele deutsche Unternehmen die Bedrohung durch Spionageaktivitäten und betrachten ihr Know-how als wenig gefährdet. Hinzu kommt, dass ganzheitliche Sicherheitskonzepte nicht immer den aktuellen Notwendigkeiten angepasst werden. Die Folgen eines ungewollten Informationsabflusses können den Fortbestand der betroffenen Firma gefährden. Prävention durch Als Unterstützung bietet das BfV deutschen Unternehmen und Information Forschungseinrichtungen zur Information, Sensibilisierung und Aufklärung über die Gefahren durch Wirtschaftsspionage u.a. folgenden Service an: # Informationsvorträge und Präsentationen auf Veranstaltungen mit Multiplikatorenfunktion in Unternehmen, Forschungseinrichtungen und Wirtschaftsverbänden zum Phänomenbereich Wirtschaftsspionage, 370 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN # Sensibilisierung von Management und Mitarbeitern für die Belange des Know-howund Informationsschutzes, # Aufklärung über potenzielle Gefahren und Schutzmaßnahmen bei Geschäftsreisen in Staaten mit besonderen Sicherheitsrisiken, Wirtschaftsspionage # Beratung und Unterstützung beim Verdacht auf WirtRisiko für Ihr Unternehmen schaftsspionage und vertrauliche Behandlung aller Informationen, Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder # Aktuelle elektronische Informationsangebote auf der Homepage des BfV in der Rubrik Wirtschaftsschutz/Wirtschaftsspionage sowie ein Newsletter mit bis zu sechs Ausgaben jährlich, # Broschüren und Faltblätter zu Schwerpunktthemen wie Sicherheit im Know-how-Transfer, Sicherheitslücke Mensch, soziale Netzwerke und elektronische Attacken. Daneben wurde die Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft für Sicherheit der Wirtschaft e.V. (ASW) als Dachorganisation im Unternehmensbereich weiter intensiviert. Diese enge Zusammenarbeit ist für das Wirtschaftsschutzkonzept des BfV "Prävention durch Information" eine der tragenden Säulen zum Schutz der Wirtschaft in Deutschland. Die Angebote des BfV werden von Wirtschaftsunternehmen, Bewertung Verbänden und Forschungseinrichtungen verstärkt nachgefragt. Mit Unterstützung des BfV führten Konzerne, kleine und mittelständische Unternehmen sowie verschiedene Forschungsinstitute sowohl individuelle als auch unternehmensweite Sensibilisierungskampagnen durch. Der Bedarf an "Awareness"-Kampagnen wird voraussichtlich weiter steigen. 371 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN VIII. Ermittlungsverfahren Im Jahr 2010 wurden durch den Generalbundesanwalt zwölf Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit beziehungsweise wegen Landesverrats eingeleitet. Gegen vier Personen wurde Haftbefehl erlassen. Verurteilungen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 StGB) ergingen nicht. 372 Geheimschutz, Sabotageschutz 373 Geheimschutz, Sabotageschutz I. Geheimschutz Aufgaben des Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat Geheimschutzes unverzichtbar. Er sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Verschlusssache Verschlusssachen (VS) sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die - unabhängig von ihrer Darstellungsform - geheim zu halten und entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit mit einem Geheimhaltungsgrad STRENG GEHEIM, GEHEIM, VSVERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeichnen sind. Personeller Durch den personellen Geheimschutz soll verhindert werden, Geheimschutz dass Personen mit Sicherheitsrisiken Zugang zu VS erhalten. Das hierzu genutzte Instrument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Zuständigkeit Die Verantwortung für die Sicherheitsmaßnahmen liegt bei den zuständigen Stellen. Im öffentlichen Bereich des Bundes ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. Nicht nur in öffentlichen Institutionen, sondern z.B. auch in Wirtschaftsunternehmen wird mit staatlichen VS umgegangen, deren Schutz gewährleistet werden muss. Hier nimmt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) die Verantwortung wahr. 374 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ II. Sabotageschutz Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde als eine Personeller Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit Sabotageschutz dem Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 eingeführt. Das im personellen Geheimschutz bewährte Instrument der Sicherheitsüberprüfung soll verhindern, dass Personen mit Sicherheitsrisiken an Schlüsselpositionen in sensiblen Bereichen beschäftigt werden. Überprüft werden Personen, die innerhalb von lebens176oder verteidigungswichtigen177 Einrichtungen an sicherheitsempfindlichen Stellen178 beschäftigt sind oder werden sollen. In der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung vom Rechtsverordnung, 30. Juli 2003 (BGBl. I S. 1553), zuletzt geändert am 12. September Leitfaden 2007 und in der Neufassung veröffentlicht (BGBl. I S. 2292 u. 2294), werden die lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen verbindlich genannt. 176 Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, deren Beeinträchtigung aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde. 177 Verteidigungswichtig sind außerhalb des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung solche Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung aufgrund fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit die Funktionsfähigkeit, insbesondere die Ausrüstung, Führung und Unterstützung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie der zivilen Verteidigung, oder aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann. 178 Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist der Anwendungsbereich des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes auf sicherheitsempfindliche Stellen innerhalb der lebensbzw. verteidigungswichtigen Einrichtungen beschränkt. Damit sind die kleinsten selbstständig handelnden Organisationseinheiten gemeint, die vor unberechtigtem Zugang geschützt sind. Nur diejenigen, die dort beschäftigt sind, werden sicherheitsüberprüft. Für den Sabotageschutz ist die Überprüfungsform vorgeschrieben, die den Betroffenen möglichst wenig belastet (sogenannte einfache Sicherheitsüberprüfung). 375 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ Das Bundesministerium des Innern hat gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem Bundesministerium der Verteidigung einen Leitfaden zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz im nichtöffentlichen Bereich verfasst. Er kann im Internet unter www.bmwi-sicherheitsforum.de abgerufen werden. III. Verfahren Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) geregelt. Die Mitwirkung des BfV beruht auf SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 BVerfSchG in Verbindung mit SS 3 Abs. 2 SÜG. Das SÜG sieht ein dreistufiges Verfahren bei den Sicherheitsüberprüfungen vor. Die Art der Sicherheitsüberprüfung richtet sich dabei nach der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die ausgeübt werden soll (SS 7 Abs. 1 i.V.m. SSSS 8, 9 und 10 SÜG). Das BfV führt im Auftrag der jeweiligen zuständigen Stelle hierauf abgestimmte Überprüfungsmaßnahmen durch, z.B. Abfragen beim Bundeszentralregister. Sicherheitsrisiken Gründe, die einem Einsatz in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit entgegenstehen, können sich insbesondere ergeben aus: # Zweifeln an der Zuverlässigkeit (z.B. aufgrund von Straftaten, Drogenoder Alkoholmissbrauchs); # Gefährdung durch Anbahnungsund Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (z.B. bei Beziehungen und Reisen in sogenannte Länder mit besonderen Sicherheitsrisiken, weil sich hierdurch eine erleichterte Möglichkeit für eine Ansprache durch einen Nachrichtendienst des jeweiligen Landes eröffnet; Überschuldung, da dies ein Ansatzpunkt sein kann, um den Betroffenen gegen Geldzahlung zu einer Verletzung seiner Pflichten zu veranlassen); # Zweifeln am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung (z.B. wegen politisch-extremistischer Betätigung, da in diesem Falle die Loyalität zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung fraglich ist). 376 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ Die Frage, ob sich aus einem derartigen Umstand tatsächlich ein Sicherheitsrisiko ergibt, ist in jedem Einzelfall unter Berücksichtigung der Art der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zu prüfen. Als Ergebnis seiner Überprüfung gibt das BfV eine Empfehlung ab, ob die überprüfte Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll. Die Entscheidung darüber trifft allein die für die Sicherheitsüberprüfung zuständige Stelle. Hervorzuheben ist, dass eine Sicherheitsüberprüfung sowohl im Zustimmung Geheimschutz als auch im Sabotageschutz nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen darf. 377 378 "Scientology-Organisation" (SO) 379 "Scientology-Organisation" (SO) Gründung: 1954 (in den USA), erste Niederlassung in Deutschland 1970 Sitz: Los Angeles ("Church of Scientology International" [CSI]) Mitglieder: in Deutschland: 4.000 bis 5.000 (2009: 4.500 bis 5.500) Publikationen: u.a. "FREIHEIT", "IMPACT", "Source", "Freewinds", "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", "ADVANCE!", "The Auditor" Teilorganisationen: In Deutschland zehn "Kirchen", (Auswahl) darunter zwei "Celebrity Centres" 1. Grundlagen und Zielsetzung Seit der Gründung der ersten "Scientology Kirche" in Los Angeles im Jahre 1954 bezeichnet sich die Organisation Scientology in der Öffentlichkeit als "völlig neue Religion". Sie behauptet von sich, "die erste wirkliche Anwendung wissenschaftlicher Grundsätze unter Einbeziehung von Vernunft und Logik zur Erreichung von Erkenntnis auf spirituellem Gebiet" zu sein.179 Der Organisationsgründer L. Ron Hubbard (1911 - 1986) hatte vier Jahre zuvor in den USA das für die SO grundlegende Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" veröffentlicht.180 Nach Selbstdarstellung der SO im Internet soll Hubbard mit der dort vorgestellten "wissenschaftlichen 179 Internetseite der SO (12. Oktober 2010). 180 Titel der US-amerikanischen Originalausgabe: "Dianetics: The Modern Science of Mental Health". 380 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Methode" der Dianetik "die Probleme des menschlichen Verstandes gelöst" haben. Die auf den Vorstellungen der "Dianetik" aufbauende Lehre der SO geht davon aus, dass die "Person" bzw. die "Identität" des Menschen nicht sein Körper oder Name, sondern der "Thetan"181 sei, das unsterbliche Wesen eines Menschen, der in seinem Idealzustand als "Operierender Thetan" "bewusst und willentlich Ursache über Leben, Denken, Materie, Energie, Raum und Zeit" und "von keinerlei Unglücksfällen oder Verschlechterung eingeschränkt" sei. Um diesen Zustand zu erreichen, müsse die Person zunächst durch körperliche und geistige Reinigungsprozesse den Status "Clear" erlangen. In diesem Zustand sei sie vom "reaktiven Verstand" befreit, der zuvor ihre Handlungen aufgrund traumatischer Erfahrungen (sogenannter Engramme) beeinflusst und zu "Aberrationen", d.h. Abweichungen von der Rationalität, geführt habe. Als zentrale "Technik" zur Erreichung des Zustands "Clear" wird das sogenannte Auditing angewandt, durch das angeblich die "Engramme" entdeckt und ihre Auswirkungen eliminiert werden können. Bei diesem Verfahren setzt der "Auditor" ("jemand, der zuhört; ein so bezeichneter Scientologe") bei der Befragung des "Preclear" ("jemand, der noch nicht Clear ist") als Hilfsmittel das sogenannte E-Meter ein, eine Art Lügendetektor. Die Messung des Körperwiderstands und dessen Schwankungen, die von der Nadel des "E-Meters" angezeigt werden, sollen dem "Auditor" Hinweise darauf geben, ob von ihm der richtige Bereich von Kummer und Schmerz angesprochen wurde. Über das "Auditing" hinaus führt die Organisation in Deutschland noch eine Reihe weiterer Kurse durch. Diese geben überwiegend Anweisungen für eine aus scientologischer Sicht erfolgreiche Lebensführung. Entsprechende Veranstaltungen und Publikationen werden nach Art eines gewinnorientierten Unternehmens gegen Entgelt angeboten. Die Gewinnerzielung 181 Die in Anführungszeichen gesetzten Begriffe entstammen der Terminologie der SO. Dazu hat Hubbard eine eigene Publikation herausgegeben: Hubbard, L. Ron: "Fachwortsammlung für Dianetics und Scientology", 4. Auflage, Kopenhagen 1985. 381 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) ist eine wesentliche Aufgabe der "Kirchen" oder "Missionen" in Deutschland. Unveränderliche Grundlage der Lehre von Scientology sind die für die OrganisaGültigkeit der tion nach wie vor verbindlichen Schriften Hubbards. Die inhaltSchriften Hubbards lich unverändert neu aufgelegten sogenannten Grundlagenbücher stellen für Scientologen "das Fundament, auf dem Dianetik und Scientology ruhen, das Tor zum gesamten Scientology Wissen" dar, sie sind "der Schlüssel für alles". Das Ziel von Scientology ist "eine Zivilisation ohne Wahnsinn, ohne Verbrecher und ohne Krieg, in der fähige Wesen erfolgreich sein und ehrliche Leute Rechte haben können".182 Die Schriften der SO, insbesondere die Hubbards, lassen jedoch erkennen, dass in einer Gesellschaft nach scientologischen Vorstellungen wesentliche Grundund Menschenrechte wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung nicht gewährleistet sind. Ein Beispiel für die die Menschenwürde verletzende Rhetorik Hubbards ist dabei dessen Charakterisierung der "aberrierenden Persönlichkeit": "Die gesamte Berechnung dieser aberrierenden Persönlichkeit besteht darin, dass sie wertlos ist; sie weiß selbst über sich, dass sie völlig wertlos ist. (...) In ihrer Kleidung gibt sie sich einen Anstrich von Hässlichkeit; sie ist ziemlich anfällig für Hässlichkeit. Sehr oft wäscht sich dieser Personentyp nicht, sein Atem ist oft übelriechend, die Füße fangen an zu stinken, das endokrine System ist auf irgendeine Weise gestört, die Person hat erhebliche Verdauungsstörungen. (...) In einen routinemäßigen Ablauf gesteckt und hineingezwungen, fahren sie fort, aber sie selbst produzieren nichts; sie sind völlige Schmarotzer." (Hubbard, PAB 13 - Bulletin für professionelle Auditoren, ca. Mitte November 1953; zugleich in: "Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt", 2001, S. 19) 182 Internetseite der SO (12. Oktober 2010). 382 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Darüber hinaus strebt die SO eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an. "Wahre Demokratie" ist nach Hubbards Lehre nur in einer Nation von "Clears" möglich. Folglich enthalten seine Schriften Passagen, in denen die Abschaffung von Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten des Aufbaus einer neuen Zivilisation (einer aus "Operierenden Thetanen" bestehenden Gesellschaft) gefordert wird. Zur Situation der Gesellschaft heißt es in einer Werbung für den Hubbard-Vortrag "Die Zukunft der Scientology und der westlichen Zivilisation": "Die wirkliche Gefahr liegt im eigentlichen Charakter dessen, was den Menschen insgesamt bedroht - individuelle Aberration. Deshalb kann nur eine Organisation mit einer Technologie, die dazu da ist, das Individuum zu konfrontieren und in Ordnung zu bringen, die Ladung von Jahrtausenden angesammelter Gewalt und Verwirrung aus seinem Verstand beseitigen, die Kriege, Kriminalität und Geisteskrankheiten verursachen. Und es existiert nur eine Technologie dieser Art." ("Goldenes Zeitalter des Wissens - Klassiker Vorträge", 2009, S. 57) Hubbard hat die von ihm angestrebte scientologische ZivilisaGrundrechte nur tion u.a. als Rechtsordnung beschrieben, in der die Existenz des für Scientologen Einzelnen vom willkürlichen Ermessen der SO abhängt. Grundrechte stehen demzufolge nur den Personen zu, die aus Sicht der Organisation zu den "Ehrlichen" gehören. Dabei kann "Ehrlichkeit" nach scientologischem Verständnis nur durch "Auditing" - der Bereitschaft, sich einer Behandlung durch die SO zu unterziehen - erlangt werden. "Unehrlichkeit" wiederum resultiere zwangsläufig aus der Weigerung, sich dem Prozess des Auditierens zu stellen.183 Wie weitgehend diskriminierende Maßnahmen in die Persönlichkeitsrechte von Nicht-Scientologen in einer 183 Hubbard, L. Ron, "Einführung in die Ethik der Scientology", Ausgabe 2007, S. 67 f. (Überschrift: "Ehrlichkeit und Fallgewinn"). 383 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) zukünftigen SO-Gesellschaft eingreifen sollen, macht folgende Aussage Hubbards deutlich: "Eines Tages wird es vielleicht ein viel vernunftgemäßeres Gesetz geben, das nur Nichtaberrierten erlaubt, zu heiraten und Kinder in die Welt zu setzen." (L. Ron Hubbard, "Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand", Ausgabe 2007, S. 373) Ablehnung des Die SO lehnt das demokratische Rechtssystem ab und will es demokratischen langfristig durch ihren eigenen Gesetzeskodex ersetzen. So hat Rechtssystems die SO-Teilorganisation "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) - ein Zusammenschluss unternehmerisch aktiver Scientologen - in Deutschland sechs "Charter Komitees" eingerichtet, die im scientologischen Rechtssystem als "Gerichte" fungieren. WISE-Mitglieder verpflichten sich, den organisationseigenen Kodex einzuhalten, d.h. insbesondere auch, bei Streitigkeiten mit anderen Mitgliedern keine Gerichte anzurufen, sondern sich - zumindest zunächst - auf das interne Verfahren zu beschränken. Nach scientologischem Verständnis stellt es nämlich bereits eine "unterdrückerische Handlung" dar: "(...) Zivilklage gegen irgendeine Scientology Organisation oder irgendeinen Scientologen einzureichen, einschließlich wegen der Nichtbezahlung von Rechnungen oder des Versäumnisses der Rückerstattung, ohne zuerst den International Justice Chief auf die Angelegenheit aufmerksam gemacht und eine Antwort erhalten zu haben." (HCO184-Richtlinienbrief vom 23.12.1965, "revidiert" am 08.01.1991, in: "Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt", 2001, S. 129) 184 Das Kürzel HCO steht für "Hubbard Communications Office". 384 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Die SO hebt die angebliche Überlegenheit ihres Ethikund Rechtssystems gegenüber einem demokratischen Rechtssystem hervor, indem sie rechtsstaatliche Verfahren als ineffektiv beschreibt: "Das Konzept und die Praxis eines Rechtswesens, so wie wir sie in der heutigen Gesellschaft vorfinden, werden jedoch immer unwirksamer. Das öffentliche Rechtssystem ist in seinen Komplexitäten festgefahren und traurigerweise zu einem Gefecht der besseren Argumente zwischen den Anwälten geworden." (Internetseite der SO, 7. Dezember 2010) Kritiker der SO und Gegner ihrer Ideologie diffamiert die OrgaDiffamierung nisation wahlweise als "aberriert", "unterdrückerisch", "krank" von Gegnern oder "kriminell". Der "PTS/SP185-Kurs - Wie man Unterdrückung und Kritikern konfrontiert und zerschlägt", der den Umgang mit solchen "antisozialen Persönlichkeiten" bzw. "unterdrückerischen Personen" lehrt, wird unverändert beworben und gilt als wichtige Schulungsunterlage der Organisation. Aus Sicht der SO könnte "sowohl sozial als auch wirtschaftlich Erholung eintreten, wenn die Gesellschaft diesen Persönlichkeitstyp als ein krankes Wesen erkennen und ihn isolieren würde, so wie sie jetzt Leute mit Pocken unter Quarantäne stellt".186 Die SO stigmatisiert insbesondere die Psychiater, "die eigentlichen Urheber des Nazi-Horrors".187 Deren Bekämpfung betreibt vor allem die zur SO gehörende "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM). Mit ihren Aktivitäten will die KVPM bei ihren Adressaten das Bewusstsein wecken, dass wahre Freiheit des Geistes allein durch die Erreichung des Zustands "Clear" und nicht durch Inanspruchnahme psychiatrischer Hilfeleistungen zu erlangen sei. 185 PTS/SP steht für "potential trouble source" bzw. "suppressive person" (= "potenzielle Schwierigkeitsquelle" bzw. "unterdrückerische Person"), vgl. hierzu Fn. 3. 186 Hubbard, L. Ron, "Einführung in die Ethik der Scientology", Ausgabe 2007, S. 182 (Überschrift: "Die Grundlagen von Unterdrückung"). 187 "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 44, 2009, S. 15. 385 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Langfristig ausDie SO ist bestrebt, sich nach außen als unpolitische und demogerichtete Expankratiekonforme Religionsgemeinschaft darzustellen. Ihr politisionsstrategie mit sches Fernziel einer scientologischen Gesellschaft versucht sie dem Ziel der daher nicht durch Teilnahme am Prozess der politischen WilSchaffung einer lensbildung zu erreichen, sondern durch eine ständige Vergröscientologischen ßerung ihrer Organisation, die Steigerung ihrer Einnahmen Gesellschaft sowie die erfolgreiche Bekämpfung ihrer Kritiker. Die SO stützt sich bei dieser langfristig ausgerichteten Expansionsstrategie auf ihre offizielle Mitgliedschaftsorganisation, die "International Association of Scientologists" (IAS). Diese finanziert mithilfe der Mitgliedsbeiträge und eingeworbener Spenden wesentliche Projekte: "Ein neues Jahrzehnt hat begonnen und man zählt auf die IAS, dass sie noch größere und weiter reichende Programme und Kampagnen unterstützt. Dazu werden mehr Spenden an die IAS benötigt." (Werbung "Machen Sie mit bei der planetarischen Rettungskampagne der IAS", 2010) Insbesondere engagiert sich die IAS auch beim Aufbau sogenannter Idealer Orgs, da diesen "eine entscheidende Bedeutung für planetarisches Clearing" zukomme.188 Die "Ideale-OrgStrategie" sei (heute) die wichtigste und allumfassendste Strategie der Scientology; "Ideale Orgs" seien "der einzige Weg, um (...) Menschen in der korrekten Größenordnung zu erreichen".189 "Mit Idealen Organisationen in kulturellen Zentren, die für unsere Religion von strategischer Bedeutung sind, ermöglicht die IAS das Spiel auf dem 'großen Spielfeld'." (Werbung "Der IAS Planetary Salvage Award", 2010) 188 Schreiben von R. Willette, Director of Field Dissemination, an die IAS-Mitglieder, Frühjahr 2010. 189 "Ideale-Org-Rundschreiben Europa", Ausgabe Nr. 10, 2009. 386 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Nachdem die Scientology-Niederlassung in Berlin bereits seit "Ideale Orgs" 2008 "Ideale Org" ist, versucht die SO, weitere Repräsentanzen in Deutschland dazu aufzubauen. So heißt es in einem Newsletter: "Es geht darum, dass alle deutschen Orgs nun den nächsten Schritt machen: sie werden Ideale Org und erreichen St. Hill Size190!" ("Clear Newsletter für Deutschland", Ausgabe 1, 2010, S. 2 f.) Regionale Schwerpunkte hinsichtlich des Mitgliederbestandes Regionale und der Tätigkeit der SO sind Bayern, Baden-Württemberg, der Schwerpunkte Großraum Hamburg sowie Berlin. Daneben gibt es in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen jeweils eine größere Zahl von Mitgliedern. 2. Werbung in der Öffentlichkeit Zur Rekrutierung neuer Mitglieder war die SO auch 2010 vor allem in den Fußgängerzonen größerer Städte präsent. Dort warb sie mit "Gelbe-Zelt"-Aktionen, kostenlosen "Stress-Tests" am "E-Meter", Publikationen, Bücherständen und der Verteilung von Broschüren und Flugblättern für ihre Ideologie. Eine nennenswerte Resonanz auf derartige Aktionen war in der Regel nicht festzustellen. Nach wie vor stehen vor allem auch Jugendliche im Mittelpunkt Zielgruppe des Interesses. So war die Gruppierung "Jugend für MenschenJugendliche rechte", die nach eigenen Angaben "von Mitgliedern der Scientology Kirche auch in Deutschland" gegründet wurde191 und ihrem US-amerikanischem Vorbild "Youth for Human Rights International" entspricht, auch im Jahr 2010 an verschiedenen Orten mit Informationsständen präsent und führte - in erster 190 SO-Organisationen, denen das Attribut "St.Hill Size" zuerkannt wird, müssen bestimmte Bedingungen erfüllen, insbesondere eine besondere Größe erreicht haben. 191 Homepage der "Jugend für Menschenrechte" (14. Oktober 2010). 387 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Linie in Hamburg und Umgebung - Kundgebungen durch. Darüber hinaus versandte eine Schwesterorganisation192 von "Youth for Human Rights International"193, die ebenfalls der SO zugerechnet werden kann, im Rahmen ihrer Kampagne zur "Verwirklichung der Menschenrechte als Tatsache" Anfang des Jahres 2010 eine Mappe mit dem Leitspruch "Menschenrechte zum Leben erweckt". Diese Mappe enthält eine CD und Broschüren mit Zitaten von Nelson Mandela, Martin Luther King und Mahatma Ghandi. Des Weiteren wurden - laut Angaben der SO - im Rahmen der verschiedenen von der IAS gesponserten "globalen Rettungskampagnen" an Schulen Unterrichtsmaterial sowie ein Lehrplan bzw. Leitfaden für Pädagogen verteilt, "um eine geistig-gesündere Welt zu schaffen". Von der Verteilung dieser Materialien erhofft sich die SO: "Klassenzimmer für Klassenzimmer, Gemeinde für Gemeinde verändern diese Programme Zustände." (Werbebroschüre der IAS "Garant für eine glorreiche Zukunft", 2010) In Berlin wurde verschiedenen Schulen per E-Mail eine Unterrichtsstunde zum Thema Scientology offeriert. Dafür bot die SO u.a. kostenlose Materialien, einen Besuch in der Berliner SONiederlassung oder auch die Teilnahme eines SO-Vertreters am Unterricht im Rahmen einer Frageund Antwortstunde an. Medien Auf technisch aufwendig gestalteten, umfangreichen Internetund Internet Seiten bietet die SO in mehreren Sprachen Informationen zu ihrer Geschichte, ihren Zielen und Teilorganisationen sowie von ihr geförderten Programmen an. Darüber hinaus wirbt sie dort auch für Schriften und Kurse. Zusendung Wie schon in den vergangenen Jahren hat die SO auch 2010 ihre von Material an Ideologie durch das unaufgeforderte Zusenden von Materialien Bibliotheken an Bibliotheken verbreitet. Nachdem die "Pionier-BibliothekenKampagne" abgeschlossen ist, will die SO nun damit beginnen, die DVD "Der Weg zum Glücklichsein" und die "26 einführen192 Es handelt sich hierbei um "United for Human Rights". 193 Homepage von "United for Human Rights" (13. Oktober 2010). 388 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) den Klassiker-Vorträge" weltweit an Bibliotheken zu verschicken. Darüber hinaus soll die Aktion auch auf öffentliche Institute und Schulen ausgedehnt werden.194 Entsprechende Versendungen sind vereinzelt bekannt geworden. Intern werden die SO-Mitglieder angehalten, durch den Verkauf möglichst vieler Bücher zu einer Expansion der Organisation beizutragen. Ein Newsletter, der für das "Bücher verursachen Booms-Spiel"195 wirbt, zitiert Hubbard mit den Worten: "Wir haben 1950 mit der Veröffentlichung von Dianetik: Der Leitfaden für den menschlichen Verstand einen Boom erreicht, und es ist bis heute unser Bestseller und unser effektivstes Verbreitungswerkzeug. Nehmen Sie die Hilfe Ihrer Publics und Ihrer FSMs196 in Anspruch, um diesen Vorkämpfer in die Gesellschaft zu bringen; dann wird dieser Planet in null Komma nichts uns gehören! Bücher verursachen Booms, aber sie müssen zuerst verkauft werden. Legen wir also los!" (Interner Newsletter "Bücher verursachen Booms", Nr. 6, 2010 New Era Publications International, S. 4) Mittels - teilweise persönlich gehaltener - Schreiben versuchte Werbung im die SO weiterhin, ihr Image vor allem bei politischen Entscheipolitischen dungsträgern zu verbessern. So richtete beispielsweise der PresBereich sesprecher der "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) ein Schreiben an verschiedene öffentliche Stellen (z.B. Bundesministerien sowie Kommunalund Landesverwaltungen, Polizeidienststellen in verschiedenen Bundesländern), in dem er auf die neuen Internetseiten der Organisation hinwies und auch ein Gesprächsangebot unterbreitete. Verschiedentlich wurden Politiker oder Behörden auch telefonisch wegen eines Gesprächstermins kontaktiert. 194 Anschreiben zu einer Werbung für die Aktion "Zeige dem Planeten DEN WEG ZUM GLÜCKLICHSEIN". 195 Mithilfe dieser Aktionen sollen die Mitglieder der SO mobilisiert werden, die Lehren Hubbards aktiv zu verbreiten. Die Gewinner werden in den Publikationen der SO bekannt gegeben. 196 FSM = "Field Staff Member" (Feldmitarbeiter). 389 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums der "Scientology Kirche Frankfurt e.V." erhielten einige Ministerien in Hessen und Rheinland-Pfalz eine SO-Broschüre, in der sich die Organisation als anerkannte Weltreligion darstellt. Die Zusendung war mit dem Hinweis auf eine später folgende Einladung zu den Jubiläumsfeierlichkeiten verbunden. Kampagnen Die "Mission, Kriminalität und Missbräuchen der Psychiatrie ein der KVPM Ende zu setzen"197, verfolgte die KVPM u.a. mit Flugblattverteilungen und Infoständen. Eine gewisse Außenwirkung entfaltete die KVPM im Jahr 2010 jedoch fast ausschließlich mit der Präsentation ihrer Ausstellung "Psychiatrie: Tod statt Hilfe", die sie anlässlich von Psychiatriekongressen in Berlin, München und Leipzig zeigte. Diese Ausstellung bezeichnet die SO als "Ziehharmonikaversion" des Museums der "Citizens Commission on Human Rights" (CCHR)198 in den USA. Dem Museum wohne ein "Empörungsfaktor" inne, "sodass auch mild gestimmte Sanitäter und Versicherungsangestellte zu potenziellen PsychiatrieBekämpfern werden".199 Der Schwerpunkt der KVPM-Aktivitäten lag 2010 eindeutig in München, wo die Organisation am 27. Februar auch einen - von der Öffentlichkeit allerdings nur wenig beachteten - Demonstrationszug durch die Innenstadt organisierte. 197 "IMPACT", Gedenkausgabe zum 25. Jahrestag, 2009, S. 50. 198 Internationale Bezeichnung für die KVPM. 199 "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 44, 2009, S. 16. 390 Gesetzestext und Register 391 Gesetzestext (2) Für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund und der Länder untereinanGesetz über die Zusammenarbeit des Bunder unterhält jedes Land eine Behörde des und der Länder in Angelegenheiten zur Bearbeitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das des Verfassungsschutzes. Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) SS3 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden vom 20. Dezember 1990 (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehör(BGBl. I S. 2954, 2970) den des Bundes und der Länder ist die zuletzt geändert durch Erstes G zur Änd. des Sammlung und Auswertung von InforArtikel 10-Gesetzes vom 31. Juli 2009 mationen, insbesondere von sachund (BGBl. I S. 2499, 2502) personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Erster Abschnitt 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitZusammenarbeit, Aufgaben der Verfasliche demokratische Grundordnung, sungsschutzbehörden den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet SS1 sind oder eine ungesetzliche BeeinZusammenarbeitspflicht trächtigung der Amtsführung der (1) Der Verfassungsschutz dient dem Verfassungsorgane des Bundes oder Schutz der freiheitlichen demokratieines Landes oder ihrer Mitglieder schen Grundordnung, des Bestandes zum Ziele haben, und der Sicherheit des Bundes und der 2. sicherheitsgefährdende oder Länder. geheimdienstliche Tätigkeiten im (2) Der Bund und die Länder sind verpflichGeltungsbereich dieses Gesetzes für tet, in Angelegenheiten des Verfaseine fremde Macht, sungsschutzes zusammenzuarbeiten. 3. Bestrebungen im Geltungsbereich (3) Die Zusammenarbeit besteht auch in dieses Gesetzes, die durch Anwengegenseitiger Unterstützung und Hilfedung von Gewalt oder darauf gerichleistung. tete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik SS2 Deutschland gefährden, Verfassungsschutzbehörden 4. Bestrebungen im Geltungsbereich (1) Für die Zusammenarbeit des Bundes dieses Gesetzes, die gegen den mit den Ländern unterhält der Bund ein Gedanken der Völkerverständigung Bundesamt für Verfassungsschutz als (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), Bundesoberbehörde. Es untersteht dem insbesondere gegen das friedliche Bundesministerium des Innern. Das Zusammenleben der Völker (Artikel Bundesamt für Verfassungsschutz darf 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet einer polizeilichen Dienststelle nicht sind. angegliedert werden. 392 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (2) Die Verfassungsschutzbehörden des ist, die Freiheit des Bundes oder eines Bundes und der Länder wirken mit Landes von fremder Herrschaft auf1. bei der Sicherheitsüberprüfung von zuheben, ihre staatliche Einheit zu Personen, denen im öffentlichen beseitigen oder ein zu ihm gehörenInteresse geheimhaltungsbedürftige des Gebiet abzutrennen; Tatsachen, Gegenstände oder b) Bestrebungen gegen die Sicherheit Erkenntnisse anvertraut werden, die des Bundes oder eines Landes solche Zugang dazu erhalten sollen oder ihn politisch bestimmten, zielund sich verschaffen können, zweckgerichteten Verhaltensweisen 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von in einem oder für einen PersonenzuPersonen, die an sicherheitsempfindsammenschluß, der darauf gerichtet lichen Stellen von lebensoder verteiist, den Bund, Länder oder deren Eindigungswichtigen Einrichtungen richtungen in ihrer Funktionsfähigbeschäftigt sind oder werden sollen, keit erheblich zu beeinträchtigen; 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahc) Bestrebungen gegen die freiheitliche men zum Schutz von im öffentlichen demokratische Grundordnung solInteresse geheimhaltungsbedürftiche politisch bestimmten, zielund gen Tatsachen, Gegenständen oder zweckgerichteten Verhaltensweisen Erkenntnissen gegen die Kenntnisin einem oder für einen Personenzunahme durch Unbefugte, sammenschluß, der darauf gerichtet 4. bei der Überprüfung von Personen in ist, einen der in Absatz 2 genannten sonstigen gesetzlich bestimmten FälVerfassungsgrundsätze zu beseitigen len. oder außer Geltung zu setzen. Die Befugnisse des Bundesamtes für Für einen Personenzusammenschluß Verfassungsschutz bei der Mitwirkung handelt, wer ihn in seinen Bestrebunnach Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 sind im Sichergen nachdrücklich unterstützt. Vorausheitsüberprüfungsgesetz vom 20. April setzung für die Sammlung und Auswer1994 (BGBl. I S. 867) geregelt. tung von Informationen im Sinne des (3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an SS 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher die allgemeinen Rechtsvorschriften Anhaltspunkte. Verhaltensweisen von gebunden (Artikel 20 des GrundgesetEinzelpersonen, die nicht in einem oder zes). für einen Personenzusammenschluß handeln, sind Bestrebungen im Sinne SS4 dieses Gesetzes, wenn sie auf AnwenBegriffsbestimmungen dung von Gewalt gerichtet sind oder (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind aufgrund ihrer Wirkungsweise geeiga) Bestrebungen gegen den Bestand des net sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes Bundes oder eines Landes solche erheblich zu beschädigen. politisch bestimmten, zielund (2) Zur freiheitlichen demokratischen zweckgerichteten Verhaltensweisen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes in einem oder für einen Personenzuzählen: sammenschluß, der darauf gerichtet a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt 393 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ in Wahlen und Abstimmungen und ist Voraussetzung, daß durch besondere Organe der Gesetz1. sie sich ganz oder teilweise gegen den gebung, der vollziehenden Gewalt Bund richten, und der Rechtsprechung auszuüben 2. sie sich über den Bereich eines Landes und die Volksvertretung in allgemeihinaus erstrecken, ner, unmittelbarer, freier, gleicher 3. sie auswärtige Belange der Bundesreund geheimer Wahl zu wählen, publik Deutschland berühren oder b) die Bindung der Gesetzgebung an die 4. eine Landesbehörde für Verfassungsverfassungsmäßige Ordnung und die schutz das Bundesamt für VerfasBindung der vollziehenden Gewalt sungsschutz um ein Tätigwerden und der Rechtsprechung an Gesetz ersucht. und Recht, Das Benehmen kann für eine Reihe c) das Recht auf Bildung und Ausübung gleichgelagerter Fälle hergestellt wereiner parlamentarischen Opposition, den. d) die Ablösbarkeit der Regierung und (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz ihre Verantwortlichkeit gegenüber unterrichtet die Landesbehörden für der Volksvertretung, Verfassungsschutz über alle Unterlae) die Unabhängigkeit der Gerichte, gen, deren Kenntnis für das Land zum f) der Ausschluß jeder Gewaltund WillZwecke des Verfassungsschutzes erforkürherrschaft und derlich ist. g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS6 Gegenseitige Unterrichtung der VerfasSS5 sungsschutzbehörden Abgrenzung der Zuständigkeiten der Die Verfassungsschutzbehörden sind verVerfassungsschutzbehörden pflichtet, beim Bundesamt für Verfassungs(1) Die Landesbehörden für Verfassungsschutz zur Erfüllung der Unterrichtungsschutz sammeln Informationen, Auspflichten nach SS 5 gemeinsame Dateien zu künfte, Nachrichten und Unterlagen führen, die sie im automatisierten Verfahzur Erfüllung ihrer Aufgaben, werten ren nutzen. Diese Dateien enthalten nur die sie aus und übermitteln sie dem BunDaten, die zum Auffinden von Akten und desamt für Verfassungsschutz und den der dazu notwendigen Identifizierung von Landesbehörden für Verfassungsschutz, Personen erforderlich sind. Die Speicherung soweit es für deren Aufgabenerfüllung personenbezogener Daten ist nur unter den erforderlich ist. Voraussetzungen der SSSS 10 und 11 zulässig. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Der Abruf im automatisierten Verfahren darf in einem Lande im Benehmen mit durch andere Stellen ist nicht zulässig. Die der Landesbehörde für VerfassungsVerantwortung einer speichernden Stelle schutz Informationen, Auskünfte, Nachim Sinne der allgemeinen Vorschriften des richten und Unterlagen im Sinne des SS 3 Datenschutzrechts trägt jede Verfassungssammeln. Bei Bestrebungen und Tätigschutzbehörde nur für die von ihr eingegekeiten im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 benen Daten; nur sie darf diese Daten ver394 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ ändern, sperren oder löschen. Die eingeerforderlichen Informationen einbende Stelle muß feststellbar sein. Das Bunschließlich personenbezogener Daten desamt für Verfassungsschutz trifft für die erheben, verarbeiten und nutzen, gemeinsamen Dateien die technischen und soweit nicht die anzuwendenden organisatorischen Maßnahmen nach SS 9 Bestimmungen des Bundesdatendes Bundesdatenschutzgesetzes. Die Fühschutzgesetzes oder besondere Regerung von Textdateien oder Dateien, die weilungen in diesem Gesetz entgegenstetere als die in Satz 2 genannten Daten enthen. Ein Ersuchen des Bundesamtes für halten, ist unter den Voraussetzungen dieVerfassungsschutz um Übermittlung ses Paragraphen nur zulässig für eng personenbezogener Daten darf nur dieumgrenzte Anwendungsgebiete zur Aufjenigen personenbezogenen Daten entklärung von sicherheitsgefährdenden oder halten, die für die Erteilung der Ausgeheimdienstlichen Tätigkeiten für eine kunft unerlässlich sind. Schutzwürdige fremde Macht oder von Bestrebungen, die Interessen des Betroffenen dürfen nur darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden in unvermeidbarem Umfang beeinoder Gewaltanwendung vorzubereiten. Die trächtigt werden. Zugriffsberechtigung ist auf Personen zu (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz beschränken, die unmittelbar mit Arbeiten darf Methoden, Gegenstände und in diesem Anwendungsgebiet betraut sind; Instrumente zur heimlichen Informatiin der Dateianordnung (SS 14) ist die Erforonsbeschaffung, wie den Einsatz von derlichkeit der Aufnahme von Textzusätzen Vertrauensleuten und Gewährspersoin der Datei zu begründen. nen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und TarnSS7 kennzeichen anwenden. Diese sind in Weisungsrechte des Bundes einer Dienstvorschrift zu benennen, die Die Bundesregierung kann, wenn ein auch die Zuständigkeit für die AnordAngriff auf die verfassungsmäßige Ordnung nung solcher Informationsbeschaffundes Bundes erfolgt, den obersten Landesbegen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf hörden die für die Zusammenarbeit der der Zustimmung des BundesministeriLänder mit dem Bund auf dem Gebiete des ums des Innern, der das ParlamentariVerfassungsschutzes erforderlichen Weische Kontrollgremium unterrichtet. sungen erteilen. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Zweiter Abschnitt Polizei auch nicht im Wege der Bundesamt für Verfassungsschutz Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS8 (4) Werden personenbezogene Daten beim Befugnisse des Bundesamtes für VerfasBetroffenen mit seiner Kenntnis erhosungsschutz ben, so ist der Erhebungszweck anzuge(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz ben. Der Betroffene ist auf die Freiwildarf die zur Erfüllung seiner Aufgaben ligkeit seiner Angaben hinzuweisen. 395 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ (5) Von mehreren geeigneten Maßnahmen 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Posthat das Bundesamt für Verfassungsdienstleistungen erbringen oder schutz diejenige zu wählen, die den daran mitwirken, zu den Umständen Betroffenen voraussichtlich am wenigdes Postverkehrs, sten beeinträchtigt. Eine Maßnahme 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Teledarf keinen Nachteil herbeiführen, der kommunikationsdienste erbringen erkennbar außer Verhältnis zu dem oder daran mitwirken, zu Verkehrsbeabsichtigten Erfolg steht. daten nach SS 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes und SS 8a sonstigen zum Aufbau und zur AufBesondere Auskunftsverlangen rechterhaltung der Telekommunika(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz tion notwendigen Verkehrsdaten darf im Einzelfall bei denjenigen, die und geschäftsmäßig Postdienstleistungen 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Teleoder Teledienste erbringen oder daran dienste erbringen oder daran mitwirmitwirken, Auskunft über Daten einhoken, zu len, die für die Begründung, inhaltliche a) Merkmalen zur Identifikation des Ausgestaltung, Änderung oder BeendiNutzers eines Teledienstes, gung eines Vertragsverhältnisses über b) Angaben über Beginn und Ende Postdienstleistungen oder Teledienste sowie über den Umfang der jewei(Bestandsdaten) gespeichert worden ligen Nutzung und sind, soweit dies zur Erfüllung seiner c) Angaben über die vom Nutzer in Aufgaben erforderlich ist. Anspruch genommenen Teledien(2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz ste, darf im Einzelfall Auskunft einholen bei soweit dies zur Aufklärung von 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen Bestrebungen oder Tätigkeiten erforund Anschriften des Kunden sowie derlich ist und tatsächliche Anhaltszur Inanspruchnahme und den punkte für schwerwiegende Gefahren Umständen von Transportleistungen, für die in SS 3 Abs. 1 genannten Schutzinsbesondere zum Zeitpunkt von güter vorliegen. Im Falle des SS 3 Abs. 1 Abfertigung und Abflug und zum Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die Buchungsweg, bezwecken oder auf Grund ihrer Wir2. Kreditinstituten, Finanzdienstkungsweise geeignet sind, leistungsinstituten und Finanzunter1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen nehmen zu Konten, Konteninhabern gegen Teile der Bevölkerung aufzuund sonstigen Berechtigten sowie stacheln oder deren Menschenwürde weiteren am Zahlungsverkehr Beteidurch Beschimpfen, böswilliges Verligten und zu Geldbewegungen und ächtlichmachen oder Verleumden Geldanlagen, insbesondere über Konanzugreifen und dadurch die Bereittostand und Zahlungseinund schaft zur Anwendung von Gewalt zu -ausgänge, fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 396 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubeZuständig für Anordnungen nach reiten, einschließlich dem BefürworAbsatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ist das vom Bunten, Hervorrufen oder Unterstützen deskanzler beauftragte Bundesministevon Gewaltanwendung, auch durch rium. Die Anordnung einer Auskunft Unterstützen von Vereinigungen, die über künftig anfallende Daten ist auf Anschläge gegen Personen oder höchstens drei Monate zu befristen. Die Sachen veranlassen, befürworten Verlängerung dieser Anordnung um oder androhen. jeweils nicht mehr als drei Monate ist (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich auf Antrag zulässig, soweit die Vorausnur gegen Personen richten, bei denen setzungen der Anordnung fortbeste1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür hen. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 vorliegen, dass sie die schwerwiegenNr. 1 und 2 hat das Bundesamt für Verden Gefahren nach Absatz 2 nachfassungsschutz dem Betroffenen mitzudrücklich fördern, oder teilen, sobald eine Gefährdung des 2. auf Grund bestimmter Tatsachen Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen anzunehmen ist werden kann. a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz (5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 1 Nr. 1, 2 und 5, dass sie die LeiNr. 3 bis 5 unterrichtet das nach Absatz 4 stung für eine Person nach NumSatz 4 zuständige Bundesministerium mer 1 in Anspruch nehmen, oder monatlich die G 10-Kommission (SS 1 b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz Abs. 2 des Artikel 10-Gesetzes) vor deren 1 Nr. 3 und 4, dass sie für eine PerVollzug. Bei Gefahr im Verzug kann es son nach Nummer 1 bestimmte den Vollzug der Entscheidung auch oder von ihr herrührende Mitteibereits vor der Unterrichtung der Komlungen entgegennehmen oder mission anordnen. Die G 10-Kommission weitergeben, oder im Falle des prüft von Amts wegen oder auf Grund Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4, dass eine von Beschwerden die Zulässigkeit und Person nach Nummer 1 ihren Notwendigkeit der Einholung von AusAnschluss benutzt. künften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Geset(4) Die Zuständigkeit für Anordnungen zes ist mit der Maßgabe entsprechend nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ist in einer anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis Dienstvorschrift zu regeln, die der der Kommission sich auf die gesamte Zustimmung des Bundesministeriums Erhebung, Verarbeitung und Nutzung des Innern bedarf. Anordnungen nach der nach Absatz 2 Nr. 3 bis 5 erlangten Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom personenbezogenen Daten erstreckt. Behördenleiter oder seinem Vertreter Entscheidungen über Auskünfte, die die schriftlich beantragt und begründet. Im G 10-Kommission für unzulässig oder Falle der Auskunft nach Nummer 2 nicht notwendig erklärt, hat das Bunkann der Antrag auch von einem desministerium unverzüglich aufzuheBediensteten des Bundesamtes für Verben. Die Daten unterliegen in diesem fassungsschutz gestellt werden, der die Falle einem absoluten VerwendungsBefähigung zum Richteramt hat. verbot und sind unverzüglich zu 397 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ löschen. Für die Verarbeitung der nach tarische Kontrollgremium des Bundes Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen unter entsprechender Anwendung des Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entAbsatzes 6 Satz 1, zweiter Halbsatz für sprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und dessen Berichte nach Absatz 6 Satz 2 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entspredurch den Landesgesetzgeber geregelt chende Anwendung. ist. Die Verpflichtungen zur gleichwer(6) Das nach Absatz 4 Satz 4 zuständige tigen parlamentarischen Kontrolle Bundesministerium unterrichtet im nach Absatz 6 gelten auch für die Abstand von höchstens sechs Monaten Befugnisse nach Absatz 2 Nr. 1 und 2. das Parlamentarische Kontrollgremium (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund über Anordnungen nach Absatz 2; Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des dabei ist insbesondere ein Überblick Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der und Kosten der im Berichtszeitraum Absätze 3 bis 5 und 8 eingeschränkt. durchgeführten Maßnahmen zu geben. Das Gremium erstattet dem Deutschen SS9 Bundestag jährlich einen Bericht über Besondere Formen der Datenerhebung die Durchführung sowie Art, Umfang (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Anordnungsgründe der Maßnahdarf Informationen, insbesondere permen; dabei sind die Grundsätze des SS 10 sonenbezogene Daten, mit den Mitteln Abs. 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu gemäß SS 8 Abs. 2 erheben, wenn Tatsabeachten. chen die Annahme rechtfertigen, daß (7) Anordnungen sind dem Verpflichteten 1. auf diese Weise Erkenntnisse über insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies Bestrebungen oder Tätigkeiten nach erforderlich ist, um ihm die Erfüllung SS 3 Abs. 1 oder die zur Erforschung solseiner Verpflichtung zu ermöglichen. cher Erkenntnisse erforderlichen Anordnungen und übermittelte Daten Quellen gewonnen werden können dürfen dem Betroffenen oder Dritten oder vom Verpflichteten nicht mitgeteilt 2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einwerden. richtungen, Gegenstände und Quel(8) Die Befugnisse nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 len des Bundesamtes für Verfasbis 5 stehen den Verfassungsschutzbesungsschutz gegen sicherheitsgehörden der Länder nur dann zu, wenn fährdende oder geheimdienstliche das Verfahren sowie die Beteiligung der Tätigkeiten erforderlich ist. G 10-Kommission, die Verarbeitung der Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, erhobenen Daten und die Mitteilung an wenn die Erforschung des Sachverhalts den Betroffenen gleichwertig wie in auf andere, den Betroffenen weniger Absatz 5 und ferner eine Absatz 6 beeinträchtigende Weise möglich ist; gleichwertige parlamentarische Koneine geringere Beeinträchtigung ist in trolle sowie eine Verpflichtung zur der Regel anzunehmen, wenn die InforBerichterstattung über die durchgemation aus allgemein zugänglichen führten Maßnahmen an das ParlamenQuellen oder durch eine Auskunft nach 398 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 18 Abs. 3 gewonnen werden kann. Die Sätze 1 und 2 dürfen überdies zum Anwendung eines Mittels gemäß SS 8 Schutz der bei einem Einsatz in WohAbs. 2 darf nicht erkennbar außer Vernungen tätigen Personen verwendet hältnis zur Bedeutung des aufzuklärenwerden, soweit dies zur Abwehr von den Sachverhaltes stehen. Die MaßGefahren für deren Leben, Gesundheit nahme ist unverzüglich zu beenden, oder Freiheit unerlässlich ist. Maßnahwenn ihr Zweck erreicht ist oder sich men nach Satz 8 werden durch den PräAnhaltspunkte dafür ergeben, daß er sidenten des Bundesamtes für Verfasnicht oder nicht auf diese Weise erreicht sungsschutz oder seinen Vertreter werden kann. angeordnet. Außer zu dem Zweck nach (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich Satz 8 darf das Bundesamt für Verfasgesprochene Wort darf mit technischen sungsschutz die hierbei erhobenen Mitteln nur heimlich mitgehört oder Daten nur zur Gefahrenabwehr im Rahaufgezeichnet werden, wenn es im Einmen seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. zelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen 2 bis 4 sowie für Übermittlungen nach gemeinen Gefahr oder einer gegenwärMaßgabe des SS 4 Abs. 4 Nr. 1 und 2 des tigen Lebensgefahr für einzelne PersoArtikel 10-Gesetzes verwenden. Die Vernen unerläßlich ist und geeignete poliwendung ist nur zulässig, wenn zuvor zeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsgut die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richnicht rechtzeitig erlangt werden kann. terlich festgestellt ist; bei Gefahr im VerSatz 1 gilt entsprechend für einen verzuge ist die richterliche Entscheidung deckten Einsatz technischer Mittel zur unverzüglich nachzuholen. SS 4 Abs. 6 Anfertigung von Bildaufnahmen und des Artikel 10-Gesetzes gilt entspreBildaufzeichnungen. Maßnahmen nach chend. Das Grundrecht der Unverletzden Sätzen 1 und 2 werden durch den lichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Präsidenten des Bundesamtes für VerGrundgesetzes) wird insoweit eingefassungsschutz oder seinen Vertreter schränkt. angeordnet, wenn eine richterliche Ent(3) Bei Erhebungen nach Absatz 2 und solscheidung nicht rechtzeitig herbeigechen nach Absatz 1, die in ihrer Art und führt werden kann. Die richterliche EntSchwere einer Beschränkung des Brief-, scheidung ist unverzüglich nachzuhoPostund Fernmeldegeheimnisses len. Zuständig ist das Amtsgericht, in gleichkommen, wozu insbesondere das dessen Bezirk das Bundesamt für VerfasAbhören und Aufzeichnen des nicht sungsschutz seinen Sitz hat. Für das Veröffentlich gesprochenen Wortes mit fahren gelten die Vorschriften des dem verdeckten Einsatz technischer Gesetzes über das Verfahren in FamiliMittel gehören, ist ensachen und in den Angelegenheiten 1. der Eingriff nach seiner Beendigung der freiwilligen Gerichtsbarkeit entdem Betroffenen mitzuteilen, sobald sprechend. Die erhobenen Informatioeine Gefährdung des Zweckes des Einnen dürfen nur nach Maßnahme des SS 4 griffs ausgeschlossen werden kann, Abs. 4 des Artikel 10-Gesetzes verwendet und werden. Technische Mittel im Sinne der 399 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ 2. das Parlamentarische KontrollgreBestrebungen oder Tätigkeiten nach mium zu unterrichten. SS 3 Abs. 1 vorliegen, (4) Das Bundesamt für Verfassungsschutz 2. dies für die Erforschung und Bewerdarf unter den Voraussetzungen des tung von Bestrebungen oder TätigSS 8a Abs. 2 technische Mittel zur Ermittkeiten nach SS 3 Abs. 1 erforderlich ist lung des Standortes eines aktiv geschaloder teten Mobilfunkendgerätes oder zur 3. das Bundesamt für VerfassungsErmittlung der Geräteoder Kartenschutz nach SS 3 Abs. 2 tätig wird. nummer einsetzen. Die Maßnahme ist (2) - nur zulässig, wenn ohne Einsatz techni(3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz scher Mittel nach Satz 1 die Ermittlung hat die Speicherungsdauer auf das für des Standortes oder die Ermittlung der seine Aufgabenerfüllung erforderliche Geräteoder Kartennummer aussichtsMaß zu beschränken. los oder wesentlich erschwert ist. Sie darf sich nur gegen die in SS 8a Abs. 3 SS 11 Nr. 1 und 2 Buchstabe b bezeichneten Speicherung, Veränderung und Nutzung Personen richten. Für die Verarbeitung personenbezogener Daten von Minderder Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes jährigen entsprechend anzuwenden. Personen(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz bezogene Daten eines Dritten dürfen darf unter den Voraussetzungen des anlässlich solcher Maßnahmen nur SS 10 Daten über Minderjährige vor Vollerhoben werden, wenn dies aus techniendung des 16. Lebensjahres in zu ihrer schen Gründen zur Erreichung des Person geführten Akten nur speichern, Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar ist. verändern und nutzen, wenn tatsächliSie unterliegen einem absoluten Verche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass wendungsverbot und sind nach Beendider Minderjährige eine der in SS 3 Abs. 1 gung der Maßnahme unverzüglich zu des Artikel 10-Gesetzes genannten Straflöschen. SS 8a Abs. 4 bis 6 gilt entspretaten plant, begeht oder begangen hat. chend. Das Grundrecht des Brief-, PostIn Dateien ist eine Speicherung von und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 Daten oder über das Verhalten Minderdes Grundgesetzes) wird insoweit einjähriger vor Vollendung des 16. Lebensgeschränkt. jahres nicht zulässig. Satz 2 gilt nicht für Minderjährige, die das 14. Lebensjahr SS 10 vollendet haben, wenn nach den UmSpeicherung, Veränderung und Nutzung ständen des Einzelfalls nicht ausgepersonenbezogener Daten schlossen werden kann, dass die Spei(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz cherung zur Abwehr einer erheblichen darf zur Erfüllung seiner Aufgaben perGefahr für Leib oder Leben einer Person sonenbezogene Daten in Dateien speierforderlich ist. chern, verändern und nutzen, wenn (2) In Dateien oder zu ihrer Person geführ1. tatsächliche Anhaltspunkte für ten Akten gespeicherte Daten über Min400 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ derjährige sind nach zwei Jahren auf die oder sein Vertreter trifft im Einzelfall Erforderlichkeit der Speicherung zu ausnahmsweise eine andere Entscheiüberprüfen und spätestens nach fünf dung. Jahren zu löschen, es sei denn, daß nach (4) Personenbezogene Daten, die ausEintritt der Volljährigkeit weitere schließlich zu Zwecken der DatenErkenntnisse nach SS 3 Abs. 1 angefallen schutzkontrolle, der Datensicherung sind. oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer DatenverarSS 12 beitungsanlage gespeichert werden, Berichtigung, Löschung und Sperrung dürfen nur für diese Zwecke verwendet personenbezogener Daten in Dateien werden. (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten persoSS 13 nenbezogenen Daten zu berichtigen, Berichtigung und Sperrung personenbewenn sie unrichtig sind. zogener Daten in Akten (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz (1) Stellt das Bundesamt für Verfassungshat die in Dateien gespeicherten persoschutz fest, daß in Akten gespeicherte nenbezogenen Daten zu löschen, wenn personenbezogene Daten unrichtig ihre Speicherung unzulässig war oder sind oder wird ihre Richtigkeit von dem ihre Kenntnis für die AufgabenerfülBetroffenen bestritten, so ist dies in der lung nicht mehr erforderlich ist. Die Akte zu vermerken oder auf sonstige Löschung unterbleibt, wenn Grund zu Weise festzuhalten. der Annahme besteht, daß durch sie (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz schutzwürdige Interessen des Betroffehat personenbezogene Daten zu spernen beeinträchtigt würden. In diesem ren, wenn es im Einzelfall feststellt, daß Falle sind die Daten zu sperren. Sie dürohne die Sperrung schutzwürdige fen nur noch mit Einwilligung des Interessen des Betroffenen beeinträchBetroffenen übermittelt werden. tigt würden und die Daten für seine (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr prüft bei der Einzelfallbearbeitung und erforderlich sind. Gesperrte Daten sind nach festgesetzten Fristen, spätestens mit einem entsprechenden Vermerk zu nach fünf Jahren, ob gespeicherte perversehen; sie dürfen nicht mehr genutzt sonenbezogene Daten zu berichtigen oder übermittelt werden. Eine Aufheoder zu löschen sind. Gespeicherte perbung der Sperrung ist möglich, wenn sonenbezogene Daten über Bestrebunihre Voraussetzungen nachträglich entgen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 sind spätestens fallen. zehn Jahre, über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 sind spätestens 15 Jahre SS 14 nach dem Zeitpunkt der letzten gespeiDateianordnungen cherten relevanten Information zu (1) Für jede automatisierte Datei beim Bunlöschen, es sei denn, der Behördenleiter desamt für Verfassungsschutz nach SS 6 401 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ oder SS 10 sind in einer Dateianordnung, weist und ein besonderes Interesse an die der Zustimmung des Bundesminiseiner Auskunft darlegt. teriums des Innern bedarf, festzulegen: (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, 1. Bezeichnung der Datei, soweit 2. Zweck der Datei, 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfül3. Voraussetzungen der Speicherung, lung durch die Auskunftserteilung zu Übermittlung und Nutzung (betrofbesorgen ist, fener Personenkreis, Arten der 2. durch die Auskunftserteilung Quellen Daten), gefährdet sein können oder die Aus4. Anlieferung oder Eingabe, forschung des Erkenntnisstandes oder 5. Zugangsberechtigung, der Arbeitsweise des Bundesamtes für 6. Überprüfungsfristen, SpeicherungsVerfassungsschutz zu befürchten ist, dauer, 3. die Auskunft die öffentliche Sicher7. Protokollierung. heit gefährden oder sonst dem Wohl Der Bundesbeauftragte für den Datendes Bundes oder eines Landes Nachschutz und die Informationsfreiheit ist teile bereiten würde oder vor Erlaß einer Dateianordnung anzu4. die Daten oder die Tatsache der Speihören. cherung nach einer Rechtsvorschrift (2) Die Speicherung personenbezogener oder ihrem Wesen nach, insbesonDaten ist auf das erforderliche Maß zu dere wegen der überwiegenden beschränken. In angemessenen Abstänberechtigten Interessen eines Dritten, den ist die Notwendigkeit der Weitergeheimgehalten werden müssen. führung oder Änderung der Dateien zu Die Entscheidung trifft der Behördenüberprüfen. leiter oder ein von ihm besonders (3) In der Dateianordnung über automatibeauftragter Mitarbeiter. sierte personenbezogene Textdateien (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt ist die Zugriffsberechtigung auf Persosich nicht auf die Herkunft der Daten nen zu beschränken, die unmittelbar und die Empfänger von Übermittlunmit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, gen. dem die Textdateien zugeordnet sind; (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung Auszüge aus Textdateien dürfen nicht bedarf keiner Begründung, soweit ohne die dazugehörenden erläuterndadurch der Zweck der Auskunftsverden Unterlagen übermittelt werden. weigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung SS 15 sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunft an den Betroffenen Auskunftserteilung abgelehnt, ist der (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Betroffene auf die Rechtsgrundlage für erteilt dem Betroffenen über zu seiner das Fehlen der Begründung und darauf Person gespeicherte Daten auf Antrag hinzuweisen, daß er sich an den Bununentgeltlich Auskunft, soweit er hierzu desbeauftragten für den Datenschutz auf einen konkreten Sachverhalt hinwenden kann. Dem Bundesbeauftrag402 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ ten für den Datenschutz ist auf sein VerDritter Abschnitt langen Auskunft zu erteilen, soweit Übermittlungsvorschriften nicht das Bundesministerium des Innern im Einzelfall feststellt, daß SS 17 dadurch die Sicherheit des Bundes oder Zulässigkeit von Ersuchen eines Landes gefährdet würde. Mittei(1) Wird nach den Bestimmungen dieses lungen des Bundesbeauftragten an den Abschnittes um Übermittlung von perBetroffenen dürfen keine Rückschlüsse sonenbezogenen Daten ersucht, dürfen auf den Erkenntnisstand des Bundesnur die Daten übermittelt werden, die amtes für Verfassungsschutz zulassen, bei der ersuchten Behörde bekannt sind sofern es nicht einer weitergehenden oder aus allgemein zugänglichen QuelAuskunft zustimmt. len entnommen werden können. (2) Absatz 1 gilt nicht für besondere ErsuSS 16 chen der Verfassungsschutzbehörden, Berichtspflicht des Bundesamtes für Verdes Militärischen Abschirmdienstes und fassungsschutz des Bundesnachrichtendienstes um sol(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz che Daten, die bei der Wahrnehmung unterrichtet das Bundesministerium grenzpolizeilicher Aufgaben bekannt des Innern über seine Tätigkeit. werden. Die Zulässigkeit dieser beson(2) Die Unterrichtung nach Absatz 1 dient deren Ersuchen und ihre Erledigung auch der Aufklärung der Öffentlichkeit regelt das Bundesministerium des durch das Bundesministerium des Innern im Benehmen mit dem BundesInnern über Bestrebungen und Tätigkanzleramt und dem Bundesministekeiten nach SS 3 Abs. 1, die mindestens rium der Verteidigung in einer Diensteinmal jährlich in einem zusammenfasanweisung. Es unterrichtet das Parlasenden Bericht erfolgt. Dabei dürfen mentarische Kontrollgremium über auch personenbezogene Daten ihren Erlaß und erforderliche Änderunbekanntgegeben werden, wenn die gen. Satz 2 und 3 gilt nicht für die Bekanntgabe für das Verständnis des besonderen Ersuchen zwischen BehörZusammenhanges oder der Darstellung den desselben Bundeslandes. von Organisationen oder unorganisier(3) Soweit dies für die Erfüllung der Aufgaten Gruppierungen erforderlich ist und ben des Bundesamtes für Verfassungsdie Interessen der Allgemeinheit das schutz, des Militärischen Abschirmschutzwürdige Interesse des Betroffedienstes und des Bundesnachrichtennen überwiegen. In dem Bericht sind dienstes erforderlich ist, können diese die Zuschüsse des Bundeshaushaltes an Behörden eine Person oder eine in das Bundesamt für Verfassungsschutz Artikel 99 Abs. 1 des Schengener Durchund den Militärischen Abschirmdienst führungsübereinkommens vom 19. Juni sowie die jeweilige Gesamtzahl ihrer 1990 (BGBl. 1993 II S. 1010, 1994 II S. 631, Bediensteten anzugeben. SDÜ) genannte Sache im polizeilichen Informationssystem zur Mitteilung über das Antreffen ausschreiben, wenn die 403 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Voraussetzungen des Artikels 99 Abs. 3 setz wahrnehmen, unterrichten von SDÜ sowie tatsächliche Anhaltspunkte sich aus das Bundesamt für Verfasfür einen grenzüberschreitenden Versungsschutz oder die Verfassungskehr vorliegen. Im Falle des Antreffens schutzbehörde des Landes über die kann die um Mitteilung ersuchte Stelle ihnen bekanntgewordenen Tatsachen, der ausschreibenden Behörde Informadie sicherheitsgefährdende oder tionen gemäß Artikel 99 Abs. 4 SDÜ geheimdienstliche Tätigkeiten für eine übermitteln. Ausschreibungen ordnet fremde Macht oder Bestrebungen im der Behördenleiter, sein Vertreter oder Geltungsbereich dieses Gesetzes erkenein dazu besonders beauftragter nen lassen, die durch Anwendung von Bediensteter, der die Befähigung zum Gewalt oder darauf gerichtete VorbeRichteramt hat, an. Die Ausschreibung reitungshandlungen gegen die in SS 3 ist auf höchstens sechs Monate zu befriAbs. 1 Nr. 1, 3 und 4 genannten Schutzsten und kann wiederholt angeordnet güter gerichtet sind. Über Satz 1 hinauswerden. Liegen die Voraussetzungen gehende Unterrichtungspflichten nach für die Ausschreibung nicht mehr vor, dem Gesetz über den Militärischen ist der Zweck der Maßnahme erreicht Abschirmdienst oder dem Gesetz über oder zeigt sich, dass er nicht erreicht den Bundesnachrichtendienst bleiben werden kann, ist die Ausschreibung unberührt. Auf die Übermittlung von unverzüglich zu löschen. SS 8a Abs. 6 gilt Informationen zwischen Behörden desmit der Maßgabe entsprechend, dass an selben Bundeslandes findet Satz 1 keine die Stelle des nach SS 8a Abs. 4 Satz 4 Anwendung. zuständigen Bundesministeriums für (1a) Das Bundesamt für Migration und Ausschreibungen durch den MilitäriFlüchtlinge übermittelt von sich aus schen Abschirmdienst das Bundesminidem Bundesamt für Verfassungsschutz, sterium der Verteidigung und für Ausdie Ausländerbehörden eines Landes schreibungen durch den Bundesnachübermitteln von sich aus der Verfasrichtendienst das Bundeskanzleramt sungsschutzbehörde des Landes ihnen tritt. bekannt gewordene Informationen einschließlich personenbezogener Daten SS 18 über Bestrebungen oder Tätigkeiten Übermittlung von Informationen an die nach SS 3 Abs. 1, wenn tatsächliche Verfassungsschutzbehörden Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die (1) Die Behörden des Bundes, der bundesÜbermittlung für die Erfüllung der Aufunmittelbaren juristischen Personen gaben der Verfassungsschutzbehörde des öffentlichen Rechts, die Staatsanerforderlich ist. Die Übermittlung dieser waltschaften und, vorbehaltlich der personenbezogenen Daten an auslänstaatsanwaltschaftlichen Sachleitungsdische öffentliche Stellen sowie an überbefugnis, die Polizeien, die Behörden und zwischenstaatliche Stellen nach des Zollfahndungsdienstes sowie SS 19 Abs. 3 unterbleibt auch dann, wenn andere Zolldienststellen, soweit diese überwiegende schutzwürdige Belange Aufgaben nach dem BundespolizeigeDritter entgegenstehen. Vor einer Über404 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ mittlung nach SS 19 Abs. 3 ist das Bundesunmittelbaren juristischen Persodesamt für Migration und Flüchtlinge nen des öffentlichen Rechts, zu beteiligen. Für diese Übermittlungen 2. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltdes Bundesamtes für Verfassungsschutz lich der staatsanwaltschaftlichen gilt SS 8a Abs. 6 entsprechend. Sachleitungsbefugnis, Polizeien des (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbeBundes und anderer Länder um die haltlich der staatsanwaltschaftlichen Übermittlung solcher Informationen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die ersuchen. Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienststellen, soweit (3a)Das Bundesamt für Verfassungsschutz diese Aufgaben nach dem Bundespoliund die Verfassungsschutzbehörden zeigesetz wahrnehmen, und der Bunder Länder dürfen zur Erfüllung ihrer desnachrichtendienst dürfen von sich Aufgaben die Finanzbehörden um Ausaus dem Bundesamt für Verfassungskunft ersuchen, ob eine Körperschaft, schutz oder der VerfassungsschutzbePersonenvereinigung oder Vermögenshörde des Landes auch alle anderen masse die Voraussetzungen des SS 5 ihnen bekanntgewordenen InformatioAbs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergenen einschließlich personenbezogener setzes erfüllt. Die Finanzbehörden Daten über Bestrebungen nach SS 3 haben der ersuchenden Behörde die Abs. 1 übermitteln, wenn tatsächliche Auskunft nach Satz 1 zu erteilen. Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die (4) Würde durch die Übermittlung nach Übermittlung für die Erfüllung der AufAbsatz 3 Satz 1 der Zweck der Maßgaben der Verfassungsschutzbehörde nahme gefährdet oder der Betroffene erforderlich ist. Absatz 1 Satz 3 findet unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf Anwendung. das Bundesamt für Verfassungsschutz (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Wahrnehmung der Aufgaben darf zur Erfüllung seiner Aufgaben die nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 sowie bei der Staatsanwaltschaften und, vorbehaltBeobachtung terroristischer Bestrebunlich der staatsanwaltschaftlichen Sachgen amtliche Register einsehen. leitungsbefugnis, die Polizeien sowie (5) Die Ersuchen nach Absatz 3 sind aktenandere Behörden um Übermittlung der kundig zu machen. Über die Einsichtzur Erfüllung seiner Aufgaben erfordernahme nach Absatz 4 hat das Bundeslichen Informationen einschließlich amt für Verfassungsschutz einen Nachpersonenbezogener Daten ersuchen, weis zu führen, aus dem der Zweck und wenn sie nicht aus allgemein zugänglidie Veranlassung, die ersuchte Behörde chen Quellen oder nur mit übermäßiund die Aktenfundstelle hervorgehen; gem Aufwand oder nur durch eine den die Nachweise sind gesondert aufzubeBetroffenen stärker belastende Maßwahren, gegen unberechtigten Zugriff nahme erhoben werden können. Unter zu sichern und am Ende des Kalenderden gleichen Voraussetzungen dürfen jahres, das dem Jahr ihrer Erstellung Verfassungsschutzbehörden der Länder folgt, zu vernichten. 1. Behörden des Bundes und der bun(6) Die Übermittlung personenbezogener 405 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Daten, die auf Grund einer Maßnahme land stationierten ausländischen Trupnach SS 100a der Strafprozeßordnung pen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II bekanntgeworden sind, ist nach den S. 1183, 1218) verpflichtet ist. Vorschriften der Absätze 1, 2 und 3 nur (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig, wenn tatsächliche Anhaltsdarf personenbezogene Daten an auspunkte dafür bestehen, daß jemand ländische öffentliche Stellen sowie an eine der in SS 3 Abs. 1 des Artikel überund zwischenstaatliche Stellen 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, übermitteln, wenn die Übermittlung zur begeht oder begangen hat. Auf die einer Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 Wahrung erheblicher Sicherheitsinterübermittelten Kenntnisse und Unterlaessen des Empfängers erforderlich ist. gen findet SS 4 Abs. 1 und 4 des Artikel Die Übermittlung unterbleibt, wenn aus10-Gesetzes entsprechende Anwenwärtige Belange der Bundesrepublik dung. Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entSS 19 gegenstehen. Die Übermittlung ist Übermittlung personenbezogener Daaktenkundig zu machen. Der Empfänger ten durch das Bundesamt für Verfasist darauf hinzuweisen, daß die übermitsungsschutz telten Daten nur zu dem Zweck verwen(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz det werden dürfen, zu dem sie ihm überdarf personenbezogene Daten an inlänmittelt wurden, und das Bundesamt für dische öffentliche Stellen übermitteln, Verfassungsschutz sich vorbehält, um wenn dies zur Erfüllung seiner AufgaAuskunft über die vorgenommene Verben erforderlich ist oder der Empfänger wendung der Daten zu bitten. die Daten zum Schutz der freiheitlichen (4) Personenbezogene Daten dürfen an andemokratischen Grundordnung oder dere Stellen nur übermittelt werden, sonst für Zwecke der öffentlichen wenn dies zum Schutz der freiheitlichen Sicherheit benötigt. Der Empfänger darf demokratischen Grundordnung, des die übermittelten Daten, soweit gesetzBestandes oder der Sicherheit des Bunlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu des oder eines Landes oder zur Gewährdem Zweck verwenden, zu dem sie ihm leistung der Sicherheit von lebensoder übermittelt wurden. verteidigungswichtigen Einrichtungen (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz nach SS 1 Abs. 4 des Sicherheitsüberprüdarf personenbezogene Daten an fungsgesetzes erforderlich ist. ÜberDienststellen der Stationierungsstreitmittlungen nach Satz 1 bedürfen der kräfte übermitteln, soweit die Bundesvorherigen Zustimmung durch das republik Deutschland dazu im Rahmen Bundesministerium des Innern. Das von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu Bundesamt für Verfassungsschutz führt dem Abkommen zwischen den Parteien einen Nachweis über den Zweck, die des Nordatlantikvertrages über die Veranlassung, die Aktenfundstelle und Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtdie Empfänger der Übermittlungen lich der in der Bundesrepublik Deutschnach Satz 1. Die Nachweise sind geson406 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ dert aufzubewahren, gegen unberechGerichtsverfassungsgesetzes genanntigten Zugriff zu sichern und am Ende ten Straftaten sowie sonstige Straftaten, des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, Erstellung folgt, zu vernichten. Der des Motivs des Täters oder dessen VerEmpfänger darf die übermittelten bindung zu einer Organisation tatsächDaten nur zu dem Zweck verwenden, zu liche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dem sie ihm übermittelt worden sind. daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Der Empfänger ist auf die VerwenBuchstabe b oder c des Grundgesetzes dungsbeschränkung und darauf hinzugenannten Schutzgüter gerichtet sind. weisen, dass das Bundesamt für VerfasDas Bundesamt für Verfassungsschutz sungsschutz sich vorbehält, um Ausübermittelt dem Bundesnachrichtenkunft über die Verwendung der Daten dienst von sich aus die ihm bekanntgezu bitten. Die Übermittlung der persowordenen Informationen einschließlich nenbezogenen Daten ist dem Betroffepersonenbezogener Daten, wenn tatnen durch das Bundesamt für Verfassächliche Anhaltspunkte dafür bestesungsschutz mitzuteilen, sobald eine hen, daß die Übermittlung für die ErfülGefährdung seiner Aufgabenerfüllung lung der gesetzlichen Aufgaben des durch die Mitteilung nicht mehr zu Empfängers erforderlich ist. besorgen ist. (2) Die Polizeien dürfen zur Verhinderung (5) Absatz 4 findet keine Anwendung, von Staatsschutzdelikten nach Absatz 1 wenn personenbezogene Daten zum Satz 2 das Bundesamt für VerfassungsZweck von Datenerhebungen nach SS 8 schutz um Übermittlung der erforderliAbs. 1 Satz 2 übermittelt werden. chen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. Der SS 20 Bundesnachrichtendienst darf zur Übermittlung von Informationen durch Erfüllung seiner Aufgaben das Bundesdas Bundesamt für Verfassungsschutz an amt für Verfassungsschutz um die ÜberStrafverfolgungsund Sicherheitsbehörmittlung der erforderlichen Informaden in Angelegenheiten des Staatsund tionen einschließlich personenbezogeVerfassungsschutzes ner Daten ersuchen. (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staatsanwaltschaften SS 21 und, vorbehaltlich der staatsanwaltÜbermittlung von Informationen durch schaftlichen Sachleitungsbefugnis, den die Verfassungsschutzbehörden der LänPolizeien von sich aus die ihm bekanntder an Strafverfolgungsund Sichergewordenen Informationen einschließheitsbehörden in Angelegenheiten des lich personenbezogener Daten, wenn Staatsund Verfassungsschutzes tatsächliche Anhaltspunkte dafür (1) Die Verfassungsschutzbehörden der bestehen, daß die Übermittlung zur VerLänder übermitteln den Staatsanwalthinderung oder Verfolgung von Staatsschaften und, vorbehaltlich der staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte anwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnach Satz 1 sind die in SSSS 74a und 120 des nis, den Polizeien Informationen ein407 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ schließlich personenbezogener Daten und Befugnisse der in Satz 1 genannten unter den Voraussetzungen des SS 20 Behörden den Austausch und die Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Satz 1. Auf gemeinsame Auswertung von Erkenntdie Übermittlung von Informationen nissen zu Bestrebungen, die durch zwischen Behörden desselben BundesAnwendung von Gewalt oder darauf landes findet Satz 1 keine Anwendung. gerichtete Vorbereitungshandlungen (2) Die Verfassungsschutzbehörden der gegen die in SS 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 genannLänder übermitteln dem Bundesnachten Schutzgüter gerichtet sind. Persorichtendienst und dem Militärischen nenbezogene Daten zu Bestrebungen Abschirmdienst Informationen einnach Satz 2 dürfen unter Einsatz der schließlich personenbezogener Daten gemeinsamen Datei durch die an der unter den Voraussetzungen des SS 20 projektbezogenen Zusammenarbeit Abs. 1 Satz 3 sowie Abs. 2 Satz 2. beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse verwendet werden, soweit SS 22 dies in diesem Zusammenhang zur Übermittlung von Informationen durch Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich die Staatsanwaltschaften und Polizeien ist. Bei der weiteren Verwendung der an den Militärischen Abschirmdienst personenbezogenen Daten finden für Für die Übermittlung von Informationen eindie beteiligten Behörden die jeweils für schließlich personenbezogener Daten durch sie geltenden Vorschriften über die Verdie Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich wendung von Daten Anwendung. der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungs(2) Für die Eingabe personenbezogener befugnis, die Polizeien, die Behörden des Daten in die gemeinsame Datei gelten Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldie jeweiligen Übermittlungsvorschrifdienststellen, soweit diese Aufgaben nach ten zugunsten der an der Zusammenardem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, an beit beteiligten Behörden entsprechend den Militärischen Abschirmdienst findet SS 18 mit der Maßgabe, dass die Eingabe nur entsprechende Anwendung. zulässig ist, wenn die Daten allen an der projektbezogenen Zusammenarbeit SS 22a teilnehmenden Behörden übermittelt Projektbezogene gemeinsame Dateien werden dürfen. Eine Eingabe ist ferner (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz nur zulässig, wenn die Behörde, die die kann für die Dauer einer befristeten proDaten eingegeben hat, die Daten auch jektbezogenen Zusammenarbeit mit in eigene Dateien speichern darf. Die den Landesbehörden für VerfassungsBehörde, die die Daten eingegeben hat, schutz, dem Militärischen Abschirmhat die Daten zu kennzeichnen. dienst, dem Bundesnachrichtendienst, (3) Für die Führung einer projektbezogeden Polizeibehörden des Bundes und nen gemeinsamen Datei gelten SS 6 der Länder und dem Zollkriminalamt Satz 5 bis 7 und SS 14 Abs. 2 entspreeine gemeinsame Datei errichten. Die chend. SS 15 ist mit der Maßgabe anzuprojektbezogene Zusammenarbeit wenden, dass das Bundesamt für Verbezweckt nach Maßgabe der Aufgaben fassungsschutz die Auskunft im Einver408 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ nehmen mit der Behörde erteilt, die die Eingabe und zum Abruf befugt sind, datenschutzrechtliche Verantwortung 6. die umgehende Unterrichtung der nach Satz 1 trägt und die beteiligte eingebenden Behörde über AnhaltsBehörde die Zulässigkeit der Auskunftspunkte für die Unrichtigkeit eingegeerteilung nach den für sie geltenden bener Daten durch die an der Bestimmungen prüft. gemeinsamen Datei beteiligten (4) Die gemeinsame Datei nach Absatz 1 ist Behörden sowie die Prüfung und auf höchstens zwei Jahre zu befristen. erforderlichenfalls die unverzügliche Die Frist kann zweimalig um jeweils bis Änderung, Berichtigung oder zu einem Jahr verlängert werden, wenn Löschung dieser Daten durch die das Ziel der projektbezogenen ZusamBehörde, die die Daten eingegeben menarbeit bei Projektende noch nicht hat, erreicht worden ist und die Datei wei7. die Möglichkeit der ergänzenden Einterhin für die Erreichung des Ziels gabe weiterer Daten zu den bereits erforderlich ist. über eine Person gespeicherten (5) Für die Berichtigung, Sperrung und Daten durch die an der gemeinsamen Löschung der Daten zu einer Person Datei beteiligten Behörden, durch die Behörde, die die Daten einge8. die Protokollierung des Zeitpunkts, geben hat, gelten die jeweiligen, für sie der Angaben zur Feststellung des aufanwendbaren Vorschriften über die gerufenen Datensatzes sowie der für Berichtigung, Sperrung und Löschung den Abruf verantwortlichen Behörde der Daten entsprechend. bei jedem Abruf aus der gemeinsa(6) Das Bundesamt für Verfassungsschutz men Datei durch das Bundesamt für hat für die gemeinsame Datei in einer Verfassungsschutz für Zwecke der Dateianordnung die Angaben nach SS 14 Datenschutzkontrolle einschließlich Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 sowie weiter festder Zweckbestimmung der Protokollzulegen: daten sowie deren Löschfrist und 1. die Rechtsgrundlage der Datei, 9. die Zuständigkeit des Bundesamtes 2. die Art der zu speichernden persofür Verfassungsschutz für Schadensnenbezogenen Daten, ersatzansprüche des Betroffenen 3. die Arten der personenbezogenen nach SS 8 des BundesdatenschutzgeDaten, die der Erschließung der Datei setzes. dienen, Die Dateianordnung bedarf der Zustim4. Voraussetzungen, unter denen in der mung des Bundesministeriums des Datei gespeicherte personenbezoInnern sowie der für die Fachaufsicht gene Daten an welche Empfänger über die beteiligten Behörden zuständiund in welchen Verfahren übermitgen obersten Bundesoder Landesbetelt werden, hörden. Der Bundesbeauftragte für den 5. im Einvernehmen mit den an der proDatenschutz und die Informationsfreijektbezogenen Zusammenarbeit teilheit ist vor Erlass einer Dateianordnung nehmenden Behörden deren jeweianzuhören. SS 14 Abs. 3 Halbsatz 1 gilt lige Organisationseinheiten, die zur entsprechend. 409 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ SS 23 staatliche Stellen übermittelt werden. Übermittlungsverbote Abweichend hiervon dürfen InformaDie Übermittlung nach den Vorschriften tionen einschließlich personenbezogedieses Abschnitts unterbleibt, wenn ner Daten über das Verhalten Minder1. für die übermittelnde Stelle erkennjähriger, die das 14. Lebensjahr vollendet bar ist, daß unter Berücksichtigung haben, übermittelt werden, wenn nach der Art der Informationen und ihrer den Umständen des Einzelfalls nicht Erhebung die schutzwürdigen Interausgeschlossen werden kann, dass die essen des Betroffenen das AllgemeinÜbermittlung zur Abwehr einer erhebinteresse an der Übermittlung überlichen Gefahr für Leib oder Leben einer wiegen, Person erforderlich ist oder tatsächliche 2. überwiegende Sicherheitsinteressen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die dies erfordern oder Übermittlung zur Verfolgung einer der 3. besondere gesetzliche Übermittin SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes lungsregelungen entgegenstehen; genannten Straftaten erforderlich ist. die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher GeheimhaltungspflichSS 25 ten oder von Berufsoder besonderen Pflichten des Empfängers Amtsgeheimnissen, die nicht auf Der Empfänger prüft, ob die nach den Vorgesetzlichen Vorschriften beruhen, schriften dieses Gesetzes übermittelten perbleibt unberührt. sonenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt SS 24 die Prüfung, daß sie nicht erforderlich sind, Minderjährigenschutz hat er die Unterlagen zu vernichten. Die (1) Informationen einschließlich persoVernichtung kann unterbleiben, wenn die nenbezogener Daten über das VerhalTrennung von anderen Informationen, die ten Minderjähriger dürfen nach den zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich Vorschriften dieses Gesetzes übermitsind, nicht oder nur mit unvertretbarem telt werden, solange die VoraussetzunAufwand möglich ist; in diesem Fall sind die gen der Speicherung nach SS 11 Abs. 1 Daten zu sperren. Satz 1 erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine SS 26 Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Nachberichtspflicht Abwehr einer erheblichen Gefahr oder Erweisen sich personenbezogene Daten zur Verfolgung einer Straftat von nach ihrer Übermittlung nach den Vorerheblicher Bedeutung erforderlich ist. schriften dieses Gesetzes als unvollständig (2) Informationen einschließlich persooder unrichtig, so sind sie unverzüglich nenbezogener Daten über das Verhalgegenüber dem Empfänger zu berichtigen, ten Minderjähriger vor Vollendung des es sei denn, daß dies für die Beurteilung 16. Lebensjahres dürfen nach den Voreines Sachverhalts ohne Bedeutung ist. schriften dieses Gesetzes nicht an ausländische sowie überoder zwischen410 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Vierter Abschnitt Schlußvorschriften SS 27 Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz finden SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. 411 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Gesetz über die Voraussetzungen und das obersten Bundesbehörde im EinverVerfahren von Sicherheitsüberprüfunnehmen mit dem Bundesministegen des Bundes rium des Innern als Nationale Sicher(Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) heitsbehörde zum Sicherheitsbereich erklärt worden ist, vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), 4. nach anderen Vorschriften einer zuletzt geändert durch Artikel 6 des GesetSicherheitsüberprüfung unterliegt, zes vom 26. Februar 2008 (BGBl. I S. 215) soweit auf dieses Gesetz verwiesen wird. Erster Abschnitt (3) Verpflichten sich Stellen der BundesAllgemeine Vorschriften republik Deutschland gegenüber Stellen anderer Staaten durch ÜbereinSS1 künfte, bei Personen, die Zugang zu VerZweck und Anwendungsbereich des schlußsachen ausländischer Staaten Gesetzes haben oder sich verschaffen können, (1) Dieses Gesetz regelt die Voraussetzunzuvor Sicherheitsüberprüfungen nach gen und das Verfahren zur Überprüdeutschem Recht durchzuführen, ist in fung einer Person, die von der zuständidiesen Übereinkünften festzulegen, gen Stelle mit einer sicherheitsemwelche Verschlußsachengrade des Verpfindlichen Tätigkeit betraut werden tragspartners Verschlußsachengraden soll (Sicherheitsüberprüfung) oder nach diesem Gesetz vergleichbar sind. bereits betraut worden ist (WiederhoDerartige Festlegungen müssen sich im lungsüberprüfung). Rahmen der Bewertungen dieses Geset(2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit zes halten und insbesondere den Maßübt aus, wer stäben des SS 4 entsprechen. 1. Zugang zu Verschlußsachen hat oder (4) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ihn sich verschaffen kann, die übt auch aus, wer an einer sicherheitsSTRENG GEHEIM, GEHEIM oder empfindlichen Stelle innerhalb einer VS-VERTRAULICH eingestuft sind, lebensoder verteidigungswichtigen 2. Zugang zu Verschlußsachen überEinrichtung oder wer innerhalb einer staatlicher Einrichtungen und Stellen besonders sicherheitsempfindlichen hat oder ihn sich verschaffen kann, Stelle des Geschäftsbereiches des Bunwenn die Bundesrepublik Deutschdesministeriums der Verteidigung land verpflichtet ist, nur sicherheits("Militärischer Sicherheitsbereich") überprüfte Personen hierzu zuzulasbeschäftigt ist oder werden soll (vorsen, beugender personeller Sabotage3. in einer Behörde oder einer sonstigen schutz). öffentlichen Stelle des Bundes oder in (5) Lebenswichtig sind solche Einrichtuneinem Teil von ihr tätig ist, die auf gen, Grund des Umfanges und der Bedeu1. deren Beeinträchtigung auf Grund tung dort anfallender Verschlußsader ihnen anhaftenden betrieblichen chen von der jeweils zuständigen Eigengefahr die Gesundheit oder das 412 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Leben großer Teile der Bevölkerung SS2 erheblich gefährden kann oder Betroffener Personenkreis 2. die für das Funktionieren des (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsGemeinwesens unverzichtbar sind empfindlichen Tätigkeit betraut werden und deren Beeinträchtigung erheblisoll (Betroffener), ist vorher einer che Unruhe in großen Teilen der Sicherheitsüberprüfung zu unterzieBevölkerung und somit Gefahren für hen. Die Sicherheitsüberprüfung bedarf die öffentliche Sicherheit oder Ordder Zustimmung des Betroffenen, nung entstehen lassen würde. soweit gesetzlich nichts anderes Verteidigungswichtig sind außerhalb bestimmt ist. Die Zustimmung ist des Geschäftsbereiches des Bundesschriftlich zu erteilen, aber nicht in elekministeriums der Verteidigung soltronischer Form. Eine sicherheitsempche Einrichtungen, die der Herstelfindliche Tätigkeit darf erst nach Volllung oder Erhaltung der Verteidiendung des 16. Lebensjahres übertragen gungsbereitschaft dienen und deren werden. Auf eine SicherheitsüberprüBeeinträchtigung auf Grund fung nach diesem Gesetz kann verzich1. fehlender kurzfristiger Ersetzbartet werden, wenn für den Betroffenen keit die Funktionsfähigkeit, insbebereits eine gleichoder höherwertige sondere die Ausrüstung, Führung Sicherheitsüberprüfung durchgeführt und Unterstützung der Bundesworden ist. wehr und verbündeter Streitkräfte (2) Der volljährige Ehegatte, der Lebenssowie der Zivilen Verteidigung, partner oder der volljährige Partner, mit oder dem der Betroffene in einer auf Dauer 2. der ihnen anhaftenden betriebliangelegten Gemeinschaft lebt (Lebenschen Eigengefahr die Gesundheit gefährte), soll in die Sicherheitsüberoder das Leben großer Teile der Beprüfung nach den SSSS 9 und 10 einbezovölkerung gen werden. Über Ausnahmen enterheblich gefährden kann. Sicherscheidet die zuständige Stelle. Im Falle heitsempfindliche Stelle ist die kleinder Einbeziehung ist die Zustimmung ste selbstständig handelnde Organides Ehegatten, Lebenspartners oder sationseinheit innerhalb einer lebensLebensgefährten erforderlich. Die oder verteidigungswichtigen EinZustimmung ist schriftlich zu erteilen, richtung, die vor unberechtigtem aber nicht in elektronischer Form. Geht Zugang geschützt ist und von der im der Betroffene die Ehe während oder Falle der Beeinträchtigung eine erst nach erfolgter Sicherheitsüberprüerhebliche Gefahr für die in den Sätfung ein oder begründet er die Lebenszen 1 und 2 genannten Schutzgüter partnerschaft oder die auf Dauer angeausgeht. legte Gemeinschaft in dem entsprechenden Zeitraum, so ist die zuständige Stelle zu unterrichten, um sie in die Lage zu versetzen, die Einbeziehung des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensge413 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ fährten in die Sicherheitsüberprüfung einer Rechtsverordnung gemäß SS 34 nachzuholen. Das gleiche gilt bei später Aufgaben nach SS 1 Abs. 4 wahrnimmt eintretender Volljährigkeit des Ehegatund eine Person mit einer derartigen ten oder Lebensgefährten. sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (3) Dieses Gesetz gilt nicht für betrauen will. 1. die Mitglieder der Verfassungsorgane In den Fällen der Nummern 1 und 4 des Bundes, kann bei nachgeordneten Behörden 2. Richter, soweit sie Aufgaben der und sonstigen öffentlichen Stellen des Rechtsprechung wahrnehmen, Bundes deren oberste Bundesbehörde 3. ausländische Staatsangehörige, die in Aufgaben der zuständigen Stelle überder Bundesrepublik Deutschland im nehmen. Die Aufgaben der zuständigen Interesse zwischenstaatlicher EinStelle nach diesem Gesetz sind von einer richtungen und Stellen eine sichervon der Personalverwaltung getrennten heitsempfindliche Tätigkeit nach SS 1 Organisationseinheit wahrzunehmen. Abs. 2 Nr. 2 ausüben sollen. (2) Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist das Bundesamt für SS3 Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 2 Nr. 1, Zuständigkeit 2 und 4 des Bundesverfassungsschutz(1) Zuständig für die Sicherheitsüberprügesetzes und im Geschäftsbereich des fung ist Bundesministeriums der Verteidigung 1. die Behörde oder sonstige öffentliche der Militärische Abschirmdienst nach Stelle des Bundes, die einer Person SS 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a und b des eine sicherheitsempfindliche TätigMAD-Gesetzes, soweit nicht in Rechtskeit zuweisen, übertragen oder sie vorschriften zwischenstaatlicher Eindazu ermächtigen will, richtungen oder in völkerrechtlichen 2. bei deutschen Staatsangehörigen aus Verträgen, denen die gesetzgebenden Anlaß ihrer Tätigkeit im sicherheitsKörperschaften gemäß Artikel 59 Abs. 2 empfindlichen Bereich bei der NATO des Grundgesetzes zugestimmt haben, oder anderen zwischenstaatlichen etwas anderes bestimmt ist. Einrichtungen und Stellen das Bun(3) Der Bundesnachrichtendienst, das Bundesministerium des Innern als Natiodesamt für Verfassungsschutz und der nale Sicherheitsbehörde, soweit Militärische Abschirmdienst führen nichts anderes bestimmt ist, Sicherheitsüberprüfungen bei Bewer3. bei politischen Parteien nach Artikel bern und Mitarbeitern des eigenen 21 des Grundgesetzes sowie deren StifDienstes allein durch. Sie wenden hiertungen die Parteien selbst, bei die Vorschriften dieses Gesetzes an. 4. im übrigen die Behörde oder sonstige Gleiches gilt, wenn der Bundesnachöffentliche Stelle des Bundes, die eine richtendienst oder der Militärische Verschlußsache an eine nicht-öffentAbschirmdienst eine sicherheitsempliche Stelle weitergeben will, findliche Tätigkeit nach Absatz 1 Nr. 1 5. die Behörde oder sonstige öffentliche und 4 zuweisen, übertragen oder dazu Stelle des Bundes, die auf Grund ermächtigen will. 414 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SS4 begründen oder Verschlußsachen 2. eine besondere Gefährdung durch (1) Verschlußsachen sind im öffentlichen Anbahnungsund WerbungsversuInteresse geheimhaltungsbedürftige che fremder Nachrichtendienste, insTatsachen, Gegenstände oder Erkenntbesondere die Besorgnis der Erpreßnisse, unabhängig von ihrer Darstelbarkeit, begründen oder lungsform. Sie werden entsprechend 3. Zweifel am Bekenntnis des Betroffeihrer Schutzbedürftigkeit von einer nen zur freiheitlichen demokratiamtlichen Stelle oder auf deren Veranschen Grundordnung im Sinne des lassung eingestuft. Grundgesetzes oder am jederzeitigen (2) Eine Verschlußsache ist Eintreten für deren Erhaltung 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisbegründen. nahme durch Unbefugte den Bestand Ein Sicherheitsrisiko kann auch auf oder lebenswichtige Interessen der Grund tatsächlicher Anhaltspunkte zur Bundesrepublik Deutschland oder Person des Ehegatten, Lebenspartners eines ihrer Länder gefährden kann, oder Lebensgefährten vorliegen. 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme (2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, durch Unbefugte die Sicherheit der wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für Bundesrepublik Deutschland oder ein Sicherheitsrisiko ergibt. eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden SS6 zufügen kann, Rechte des Betroffenen 3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kennt(1) Vor Ablehnung der Zulassung zu einer nisnahme durch Unbefugte für die sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ist Interessen der Bundesrepublik dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, Deutschland oder eines ihrer Länder sich persönlich zu den für die Entscheischädlich sein kann, dung erheblichen Tatsachen zu äußern. 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, Der Betroffene kann zur Anhörung mit wenn die Kenntnisnahme durch einem Rechtsanwalt erscheinen. Die Unbefugte für die Interessen der BunAnhörung erfolgt in einer Weise, die desrepublik Deutschland oder eines den Quellenschutz gewährleistet und ihrer Länder nachteilig sein kann. den schutzwürdigen Interessen von Personen, die im Rahmen einer SicherSS5 heitsüberprüfung befragt wurden, Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Rechnung trägt. Sie unterbleibt, wenn Erkenntnisse sie einen erheblichen Nachteil für die (1) Im Sinne dieses Gesetzes liegt ein Sicherheit des Bundes oder eines Landes Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche zur Folge hätte, insbesondere bei Anhaltspunkte Sicherheitsüberprüfungen der Bewer1. an der Zuverlässigkeit des Betroffeber bei den Nachrichtendiensten des nen bei der Wahrnehmung einer Bundes. sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (2) Liegen in der Person des Ehegatten, 415 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Lebenspartners oder Lebensgefährten SS8 Anhaltspunkte vor, die ein SicherheitsEinfache Sicherheitsüberprüfung risiko begründen, ist ihm Gelegenheit (1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist zu geben, sich vor der Ablehnung der für Personen durchzuführen, die Zulassung des Betroffenen zu einer 1. Zuganf zu VS-VERTRAULICH eingesicherheitsempfindlichen Tätigkeit perstuften Verschlußsachen erhalten solsönlich zu den für die Entscheidung len oder ihn sich verschaffen können, erheblichen Tatsachen zu äußern. 2. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1 Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen, (3) Die Absätze 1 und 2 sind auch im Falle 3. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1 der Ablehnung einer WeiterbeschäftiAbs. 4 wahrnehmen sollen. gung in einer sicherheitsempfindlichen (2) In den Fällen von Absatz 1 Nr. 2 kann die Tätigkeit anzuwenden. zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder Dauer der Tätigkeit dies zulassen. Zweiter Abschnitt SS9 Überprüfungsarten und DurchführungsErweiterte Sicherheitsüberprüfung maßnahmen Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzuführen, die SS7 1. Zugang zu GEHEIM eingestuften VerArten der Sicherheitsüberprüfung schlußsachen erhalten sollen oder ihn (1) Entsprechend der vorgesehenen sichersich verschaffen können, heitsempfindlichen Tätigkeit wird ent2. Zugang zu einer hohen Anzahl VSweder eine VERTRAULICH eingestuften Verschluß1. einfache Sicherheitsüberprüfung sachen erhalten sollen oder ihn sich oder verschaffen können, 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung soweit nicht die zuständige Stelle im Einzeloder fall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 für ausreimit Sicherheitsermittlungen chend hält. durchgeführt. (2) Ergeben sich bei der SicherheitsüberSS 10 prüfung sicherheitserhebliche ErkenntErweiterte Sicherheitsüberprüfung mit nisse, die nur durch Maßnahmen der Sicherheitsermittlungen nächsthöheren Art der SicherheitsüberEine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit prüfung geklärt werden können, kann Sicherheitsermittlungen ist für Personen die zuständige Stelle mit Zustimmung durchzuführen, des Betroffenen und der einbezogenen 1. die Zugang zu STRENG GEHEIM eingePerson die nächsthöhere Art der Sicherstuften Verschlußsachen erhalten sollen heitsüberprüfung anordnen. SS 12 Abs. 5 oder ihn sich verschaffen können, bleibt unberührt. 2. die Zugang zu einer hohen Anzahl 416 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ GEHElM eingestuften Verschlußsachen Lebensgefährte. Reicht diese Erhebung erhalten sollen oder ihn sich verschafnicht aus oder stehen ihr schutzwürdige fen können, Interessen des Betroffenen oder seines Ehe3. die bei einem Nachrichtendienst des gatten, Lebenspartners oder LebensgeBundes oder einer Behörde oder sonstifährten entgegen, können andere geeiggen öffentlichen Stelle des Bundes tätig nete Personen oder Stellen befragt werden. werden sollen, die nach Feststellung der Bundesregierung gemäß SS 34 Aufgaben SS 12 von vergleichbarer SicherheitsempMaßnahmen bei den einzelnen Überprüfindlichkeit wahrnimmt, fungsarten soweit nicht die zuständige Stelle im Einzel(1) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach fall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine SS 8 trifft die mitwirkende Behörde folSicherheitsüberprüfung nach SS 8 oder SS 9 gende Maßnahmen: für ausreichend hält. 1. Sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheitserklärung SS 11 unter Berücksichtigung der ErkenntDatenerhebung nisse der Verfassungsschutzbehörden (1) Die zuständige Stelle und die mitwirdes Bundes und der Länder, kende Behörde dürfen die zur Erfüllung 2. Einholung einer unbeschränkten ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz Auskunft aus dem Bundeszentralreerforderlichen Daten erheben. Der gister, Betroffene sowie die sonstigen zu befra3. Anfragen an das Bundeskriminalamt, genden Personen und nicht-öffentlidie in der Rechtsverordnung nach chen Stellen sind auf den Zweck der SS 58 Abs. 1 des Bundespolizeigesetzes Erhebung, die Auskunftspflichten nach bestimmte Bundespolizeibehörde diesem Gesetz und auf eine dienst-, und die Nachrichtendienste des Bunarbeitsrechtliche oder sonstige vertragdes. liche Mitwirkungspflicht, ansonsten auf (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuSS 9 trifft die mitwirkende Behörde weisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen zusätzlich zu Absatz 1 folgende Maßder in SS 3 Abs. 3 Satz 1 genannten Personahmen: nen kann die Angabe der erhebenden 1. Anfragen an die Polizeidienststellen Stelle gegenüber den sonstigen zu der innegehabten Wohnsitze des befragenden Personen oder nichtBetroffenen, in der Regel beschränkt öffentlichen Stellen unterbleiben, wenn auf die letzten fünf Jahre, dies zum Schutz des Betroffenen oder 2. Prüfung der Identität des Betroffedes Nachrichtendienstes erforderlich nen. ist. Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder (2) Die zuständige Stelle erhebt die personenLebensgefährte des Betroffenen in die bezogenen Daten beim Betroffenen oder Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 2 bei dem in die Sicherheitsüberprüfung einAbs. 2 einbezogen, trifft die mitwirbezogenen Ehegatten, Lebenspartner oder kende Behörde bezüglich der einzube417 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ ziehenden Person die in den Absätzen 1 tere geeignete Auskunftspersonen oder und 2 genannten Maßnahmen. andere geeignete Stellen, insbesondere (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach Staatsanwaltschaften oder Gerichte, SS 10 befragt die mitwirkende Behörde befragen oder Einzelmaßnahmen der zusätzlich von dem Betroffenen in seinächsthöheren Art der Sicherheitsüberner Sicherheitserklärung angegebene prüfung durchführen. Referenzpersonen und weitere geeignete Auskunftspersonen, um zu prüfen, ob die Angaben des Betroffenen zutrefDritter Abschnitt fen und ob tatsächliche Anhaltspunkte Verfahren vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko schließen lassen. SS 13 (4) Die zuständige Stelle fragt zur FeststelSicherheitserklärung lung einer hauptamtlichen oder inoffiziellen Tätigkeit des Betroffenen oder (1) In der Sicherheitserklärung sind vom der einbezogenen Person für den StaatsBetroffenen anzugeben: sicherheitsdienst der ehemaligen Deut1. Namen, auch frühere, Vornamen, schen Demokratischen Republik bei 2. Geburtsdatum, -ort, dem Bundesbeauftragten für die Unter3. Staatsangehörigkeit, auch frühere lagen des Staatssicherheitsdienstes der und doppelte Staatsangehörigkeiehemaligen Deutschen Demokratiten, schen Republik an, wenn der Betroffene 4. Familienstand, oder die einbezogene Person vor dem 5. Wohnsitze und Aufenthalte von 1. Januar 1970 geboren wurde und in längerer Dauer als zwei Monate, dem Gebiet der ehemaligen Deutschen und zwar im Inland in den verganDemokratischen Republik wohnhaft genen fünf Jahren, im Ausland ab war oder Anhaltspunkte für eine Tätigdem 18. Lebensjahr, keit für den Staatssicherheitsdienst der 6. ausgeübter Beruf, ehemaligen Deutschen Demokrati7. Arbeitgeber und dessen Anschrift, schen Republik vorliegen. Ergibt die 8. Anzahl der Kinder, Anfrage sicherheitserhebliche Erkennt9. im Haushalt lebende Personen über nisse, übermittelt sie die zuständige 18 Jahre (Namen, auch frühere, VorStelle zur Bewertung an die mitwirnamen, Geburtsdatum und kende Behörde. Geburtsort und Verhältnis zu dieser (5) Soweit es eine sicherheitserhebliche Person), Erkenntnis erfordert und die Befragung 10. Eltern, Stiefoder Pflegeeltern des Betroffenen oder seines Ehegatten, (Namen, auch frühere, Vornamen, Lebenspartners oder Lebensgefährten Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsnicht ausreicht oder ihr schutzwürdige angehörigkeit und Wohnsitz), Interessen entgegenstehen, kann die 11. Ausbildungsund Beschäftigungsmitwirkende Behörde neben den Maßzeiten, Wehroder Zivildienstzeiten nahmen nach den Absätzen 1 bis 3 weimit Angabe der Ausbildungsstätten, 418 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Beschäftigungsstellen sowie deren 20. Angaben zu früheren SicherheitsAnschriften, überprüfungen. 12. Nummer des Personalausweises Der Erklärung sind zwei aktuelle Lichtoder Reisepasses, bilder mit der Angabe des Jahres der 13. Angaben über in den vergangenen Aufnahme beizufügen. fünf Jahren durchgeführte Zwangs(2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach vollstreckungsmaßnahmen, und ob SS 8 entfallen die Angaben zu Absatz 1 zur Zeit die finanziellen VerpflichNr. 8, 11 und 12 und die Pflicht, Lichtbiltungen erfüllt werden können, der beizubringen; Absatz 1 Nr. 10 ent14. Kontakte zu ausländischen Nachfällt, soweit die dort genannten Persorichtendiensten oder zu Nachrichnen nicht in einem Haushalt mit dem tendiensten der ehemaligen DeutBetroffenen leben. Zur Person des Eheschen Demokratischen Republik, gatten, Lebenspartners oder Lebensgedie auf einen Anbahnungsund fährten sind mit deren Einverständnis Werbungsversuch hindeuten köndie in Absatz 1 Nr. 1 bis 4, 14 und 15 nen, genannten Daten anzugeben. Ergeben 15. Beziehungen zu verfassungsfeindlisich aus der Sicherheitserklärung oder chen Organisationen, auf Grund der Abfrage aus einer der in 16. anhängige Strafund DisziplinarSS 6 des Bundesverfassungsschutzgesetverfahren, zes genannten Verbunddateien sicher17. Angaben zu Wohnsitzen, Aufentheitserhebliche Erkenntnisse über den halten, Reisen, nahen Angehörigen Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensund sonstigen Beziehungen in und gefährte des Betroffenen, sind weitere zu Staaten, in denen nach FeststelÜberprüfungsmaßnahmen nur zuläslung des Bundesministeriums des sig, wenn der Ehegatte, Lebenspartner Innern als Nationale Sicherheitsbeoder Lebensgefährte mit seiner Zustimhörde besondere Sicherheitsrisiken mung in die erweiterte Sicherheitsfür die mit sicherheitsempfindlicher überprüfung einbezogen wird. Tätigkeit befaßten Personen zu (3) Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder besorgen sind, Lebensgefährte in die Sicherheitsüber18. zwei Auskunftspersonen zur Identiprüfung einbezogen, so sind zusätzlich tätsprüfung des Betroffenen nur bei die in Absatz 1 Nr. 5 bis 7, 12, 13, 16, 17 und der Sicherheitsüberprüfung nach 18 genannten Daten anzugeben. SSSS 9 und 10 (Namen, Vornamen, (4) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Anschrift und Verhältnis zur PerAbs. 3 genannten Personen sind zusätzson), lich die Wohnsitze seit der Geburt, die 19. drei Referenzpersonen (Namen, Geschwister und abgeschlossene StrafVornamen, Beruf, berufliche und und Disziplinarverfahren sowie alle private Anschrift und Rufnummern Kontakte zu ausländischen Nachrichsowie zeitlicher Beginn der tendiensten oder zu NachrichtendienBekanntschaft) nur bei einer Sichersten der ehemaligen Deutschen Demoheitsüberprüfung nach SS 10, kratischen Republik anzugeben. 419 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ (5) Der Betroffene kann Angaben verweiheitserheblich sind, so werden diese gern, die für ihn, einen nahen Angehömitgeteilt. rigen im Sinne von SS 52 Abs. 1 der Straf(2) Kommt die mitwirkende Behörde zu prozeßordnung, Lebenspartner oder dem Ergebnis, daß ein Sicherheitsrisiko Lebensgefährte die Gefahr strafrechtlivorliegt, unterrichtet sie schriftlich cher oder disziplinarischer Verfolgung, unter Darlegung der Gründe und ihrer der Entlassung oder Kündigung Bewertung die zuständige Stelle. Bei begründen könnten. Über das Verweinachgeordneten Stellen erfolgt die gerungsrecht ist der Betroffene zu beUnterrichtung über deren oberste Bunlehren. desbehörde. (6) Die Sicherheitserklärung ist vom (3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Betroffenen der zuständigen Stelle Sicherheitsrisiko vorliegt, das der zuzuleiten. Sie prüft die Angaben des sicherheitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen auf ihre Vollständigkeit Betroffenen entgegensteht. Im Zweifel und Richtigkeit. Zu diesem Zweck könhat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor nen die Personalakten eingesehen weranderen Belangen. SS 6 Abs. 1 und 2 ist zu den. Die zuständige Stelle leitet die beachten. Sicherheitserklärung an die mitwir(4) Lehnt die zuständige Stelle die Betraukende Behörde weiter und beauftragt ung mit der sicherheitsempfindlichen diese, eine Sicherheitsüberprüfung Tätigkeit ab, teilt sie dies dem Betroffedurchzuführen, es sei denn, die zustännen mit. dige Stelle hat bereits bei der Prüfung der Sicherheitserklärung festgestellt, SS 15 daß ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das Vorläufige Zuweisung einer sicherheitseiner sicherheitsempfindlichen Tätigempfindlichen Tätigkeit keit entgegensteht. Die mitwirkende Die zuständige Stelle kann in AusnahmefälBehörde kann mit Zustimmung der len abweichend von SS 2 Abs. 1 die sicherzuständigen Stelle und des Betroffenen heitsempfindliche Tätigkeit des Betroffenen in die Personalakte Einsicht nehmen, vor Abschluß der Sicherheitsüberprüfung wenn dies zur Klärung oder Beurteilung erlauben, wenn die mitwirkende Behörde sicherheitserheblicher Erkenntnisse 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüunerläßlich ist. fung die Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der SS 14 eigenen Erkenntnisse bewertet hat oder Abschluß der Sicherheitsüberprüfung 2. bei der erweiterten Sicherheitsüber(1) Kommt die mitwirkende Behörde zu prüfung und bei der erweiterten dem Ergebnis, daß kein SicherheitsriSicherheitsüberprüfung mit Sichersiko nach SS 5 Abs. 1 vorliegt, so teilt sie heitsermittlungen die Maßnahmen der dies der zuständigen Stelle mit. Fallen nächstniederen Art der SicherheitsErkenntnisse an, die kein Sicherheitsriüberprüfung abgeschlossen hat siko begründen, aber weiterhin sicherund sich daraus keine tatsächlichen 420 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Anhaltspunkte für ein Sicherheitsrisiko nahelegen. Das Verfahren bei der Wieergeben haben. derholungsüberprüfung entspricht dem der Erstüberprüfung; die mitwirSS 16 kende Behörde kann von einer erneuten Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach Identitätsprüfung absehen. Die WieAbschluß der Sicherheitsüberprüfung derholungsüberprüfung erfolgt nur mit (1) Die zuständige Stelle und die mitwirZustimmung des Betroffenen, soweit kende Behörde haben sich unverzüglich gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, gegenseitig zu unterrichten, wenn und mit der Zustimmung seines Ehesicherheitserhebliche Erkenntnisse gatten, Lebenspartners oder Lebensgeüber den Betroffenen oder den in die fährten, falls er einbezogen wird. Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährte bekanntwerden oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unrichtig Vierter Abschnitt erweisen. Akten über die Sicherheitsüberprüfung, Datenverarbeitung (2) Die mitwirkende Behörde prüft die sicherheitserheblichen Erkenntnisse SS 18 und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprünach SS 5 Abs. 1 vorliegt und unterrichtet fungsakte die zuständige Stelle über das Ergebnis (1) Die zuständige Stelle führt über den der Prüfung. Im übrigen ist SS 14 Abs. 3 Betroffenen eine Sicherheitsakte, in die und 4 entsprechend anzuwenden. alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Informationen aufzunehmen SS 17 sind. Ergänzung der Sicherheitserklärung und (2) Informationen über die persönlichen, Wiederholungsüberprüfung dienstlichen und arbeitsrechtlichen (1) Die Sicherheitserklärung ist dem Verhältnisse der Personen, die mit einer Betroffenen, der eine sicherheitsempsicherheitsempfindlichen Tätigkeit findliche Tätigkeit ausübt, in der Regel befaßt sind, sind zur Sicherheitsakte zu alle fünf Jahre erneut zuzuleiten und im nehmen, soweit sie für die sicherheitsFalle eingetretener Veränderungen mäßige Beurteilung erheblich sind. vom Betroffenen zu ergänzen. Dazu zählen insbesondere: (2) Bei sicherheitsempfindlichen Tätigkei1. Zuweisung, Übertragung einer ten nach SS 10 ist in der Regel im Abstand sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, von zehn Jahren eine Wiederholungsdie dazu erteilte Ermächtigung sowie überprüfung einzuleiten. Im übrigen deren Änderungen und Beendigung, kann die zuständige Stelle eine Wieder2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung holungsüberprüfung einleiten, wenn und Ausscheiden, sicherheitserhebliche Erkenntnisse dies 3. Änderungen des Familienstandes, 421 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ des Namens, eines Wohnsitzes und genannten Daten erfolgt nach den in der Staatsangehörigkeit, SS 22 Abs. 2 Nr. 1 festgelegten Fristen. 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfändungsund ÜberSS 19 weisungsbeschlüsse, Aufbewahrung und Vernichtung der Un5. Strafund Disziplinarsachen sowie terlagen dienstund arbeitsrechtliche Maß(1) Die Unterlagen über die Sicherheitsnahmen. überprüfung sind gesondert aufzube(3) Die Sicherheitsakte ist keine Personalwahren und gegen unbefugten Zugriff akte. Sie ist gesondert zu führen und zu schützen. darf weder der personalverwaltenden (2) Die Unterlagen über die SicherheitsStelle noch dem Betroffenen zugänglich überprüfung sind bei der zuständigen gemacht werden; SS 23 Abs. 6 bleibt Stelle innerhalb eines Jahres zu vernichunberührt. Im Falle des Wechsels der ten, wenn der Betroffene keine sicherDienststelle oder des Dienstherrn ist die heitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, Sicherheitsakte nach dorthin abzugees sei denn, der Betroffene willigt in die ben, wenn auch dort eine sicherheitsweitere Aufbewahrung ein. Im übrigen empfindliche Tätigkeit ausgeübt wersind die Unterlagen über die Sicherden soll. heitsüberprüfung bei der zuständigen (4) Die mitwirkende Behörde führt über Stelle fünf Jahre nach dem Ausscheiden den Betroffenen eine Sicherheitsüberaus der sicherheitsempfindlichen Tätigprüfungsakte, in die aufzunehmen sind: keit zu vernichten, es sei denn, der 1. Informationen, die die SicherheitsBetroffene willigt in die weitere Aufbeüberprüfung, die durchgeführten wahrung ein oder es ist beabsichtigt, Maßnahmen und das Ergebnis dem Betroffenen in absehbarer Zeit betreffen, erneut eine sicherheitsempfindliche 2. das Ausscheiden aus oder die NichtTätigkeit zuzuweisen, zu übertragen aufnahme der sicherheitsempfindlioder ihn dazu zu ermächtigen. chen Tätigkeit, (3) Die Unterlagen über die Sicherheits3. Änderungen des Familienstandes, überprüfung bei der mitwirkenden des Namens, eines Wohnsitzes und Behörde sind nach den in SS 22 Abs. 2 der Staatsangehörigkeit. Nr. 2 genannten Fristen zu vernichten. Die in Absatz 2 Nr. 4 und 5 genannten Gleiches gilt bezüglich der Unterlagen Daten sind zur Sicherheitsüberprüzu den in SS 3 Abs. 3 genannten Personen. fungsakte zu nehmen, wenn sie sicherheitserheblich sind. SS 20 (5) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die Speichern, Verändern und Nutzen persoin Absatz 4 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 nenbezogener Daten in Dateien genannten Daten unverzüglich der mit(1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung wirkenden Behörde zu übermitteln. Die ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die Übermittlung der in Absatz 4 Satz 1 Nr. 2 in SS 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten perso422 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ nenbezogenen Daten, ihre AktenfundDaten für Zwecke eines Strafverfahrens stelle und die der mitwirkenden nur verwenden, wenn die StrafverfolBehörde sowie die Beschäftigungsstelle, gung auf andere Weise erheblich weniVerfügungen zur Bearbeitung des Vorger erfolgversprechend oder wesentlich ganges und beteiligte Behörden in erschwert wäre. Die zuständige Stelle Dateien speichern, verändern und nutdarf die gespeicherten personenbezozen. genen Daten darüber hinaus für Zwecke (2) Die mitwirkende Behörde darf zur der disziplinarrechtlichen Verfolgung Erfüllung ihrer Aufgaben sowie dienstoder arbeitsrechtlicher 1. die in SS 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten Maßnahmen nutzen und übermitteln, personenbezogenen Daten des wenn dies zur Gewährleistung des Betroffenen und des in die SicherVerschlußsachenschutzes erforderlich heitsüberprüfung einbezogenen Eheist. Die mitwirkende Behörde darf die gatten, Lebenspartners oder Lebensgespeicherten personenbezogenen gefährten und die Aktenfundstelle, Daten darüber hinaus im Rahmen des 2. Verfügungen zur Bearbeitung des erforderlichen Umfangs nutzen und Vorgangs sowie übermitteln zur Aufklärung von sicher3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse heitsgefährdenden oder geheimdienstund Erkenntnisse, die ein Sicherheitslichen Tätigkeiten für eine fremde risiko begründen, Macht oder von Bestrebungen, die darin Dateien speichern, verändern und auf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden nutzen. Die Daten nach Nummer 1 düroder Gewaltanwendung vorzubereiten fen auch in die nach SS 6 des Bundesveroder zur Aufklärung sonstiger Bestrefassungsschutzgesetzes zulässigen bungen von erheblicher Bedeutung. Verbunddateien gespeichert werden. (2) Die Übermittlung der nach SS 20 in Dateien gespeicherten Daten ist nur SS 21 zulässig, soweit sie für die Erfüllung der Übermittlung und Zweckbindung in Absatz 1 genannten Zwecke erforder(1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprülich ist. Die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 1 gespeifung gespeicherten personenbezogecherten Daten dürfen zur Erfüllung nen Daten dürfen von der zuständigen aller Zwecke des Verfassungsschutzes Stelle oder mitwirkenden Behörde nur genutzt und übermittelt werden. für (3) Die mitwirkende Behörde darf perso1. die mit der Sicherheitsüberprüfung nenbezogene Daten nach den Absätzen verfolgten Zwecke, 1 und 2 nur an öffentliche Stellen über2. Zwecke der Verfolgung von Straftamitteln. ten von erheblicher Bedeutung, (4) Die Nutzung oder Übermittlung unter3. Zwecke parlamentarischer Untersubleibt, soweit gesetzliche Verwenchungsausschüsse dungsregelungen entgegenstehen. genutzt und übermittelt werden. Die (5) Der Empfänger darf die übermittelten Strafverfolgungsbehörden dürfen die Daten nur für den Zweck verarbeiten ihnen nach Satz 1 Nr. 2 übermittelten und nutzen, zu dessen Erfüllung sie ihm 423 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ übermittelt werden, und zum Zweck b) bei den übrigen Überprüfungsarder Strafverfolgung gemäß Absatz 1 ten nach Ablauf von zehn Jahren, Satz 1 Nr. 2. Eine nicht-öffentliche Stelle beim Bundesnachrichtendienst ist darauf hinzuweisen. nach Ablauf von 25 Jahren nach den in Nummer 1 genannten SS 22 Fristen, Berichtigen, Löschen und Sperren persoc) die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 3 gespeinenbezogener Daten cherten Daten, wenn feststeht, daß (1) Die zuständige Stelle und die mitwirder Betroffene keine sicherheitskende Behörde haben personenbezoempfindliche Tätigkeit aufnimmt gene Daten zu berichtigen, wenn sie oder aus ihr ausgeschieden ist. unrichtig sind. Wird festgestellt, daß Im übrigen sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig personenbezogene Daten zu löschen, wenn sind oder wird ihre Richtigkeit vom ihre Speicherung unzulässig ist. Betroffenen bestritten, so ist dies, soweit (3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund sich die personenbezogenen Daten in zu der Annahme besteht, daß durch sie Akten befinden, dort zu vermerken oder schutzwürdige Interessen des Betroffeauf sonstige Weise festzuhalten. nen beeinträchtigt würden. In diesem (2) In Dateien gespeicherte personenbezoFall sind die Daten zu sperren. Sie dürgene Daten sind zu löschen fen nur noch mit Einwilligung des 1. von der zuständigen Stelle Betroffenen verarbeitet und genutzt a) innerhalb eines Jahres, wenn der werden. Betroffene keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei SS 23 denn, der Betroffene willigt in die Auskunft über gespeicherte personenbeweitere Speicherung ein, zogene Daten b) nach Ablauf von fünf Jahren nach (1) Auf Antrag ist von der zuständigen dem Ausscheiden des Betroffenen Stelle oder mitwirkenden Behörde aus der sicherheitsempfindlichen unentgeltlich Auskunft zu erteilen, welTätigkeit, es sei denn, der Betrofche Daten über die anfragende Person fene willigt in die weitere Speicheim Rahmen der Sicherheitsüberprüfung rung ein oder es ist beabsichtigt, gespeichert wurden. dem Betroffenen in absehbarer (2) Bezieht sich die Auskunftserteilung auf Zeit eine sicherheitsempfindliche die Übermittlung personenbezogener Tätigkeit zuzuweisen, zu übertraDaten an die mitwirkenden Behörden, gen oder ihn dazu zu ermächtigen, ist sie nur mit deren Zustimmung zuläs2. von der mitwirkenden Behörde sig. a) bei einfachen Sicherheitsüberprü(3) Die Auskunftserteilung unterbleibt, fungen nach Ablauf von fünf Jahsoweit ren nach dem Ausscheiden des 1. die Auskunft die ordnungsgemäße Betroffenen aus der sicherheitsErfüllung der in der Zuständigkeit der empfindlichen Tätigkeit, speichernden Stelle liegenden Aufga424 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ ben gefährden würde, einer weitergehenden Auskunft 2. die Auskunft die öffentliche Sicherzustimmt. heit gefährden oder sonst dem Wohle (6) Die zuständige Stelle gewährt der des Bundes oder eines Landes Nachanfragenden Person Einsicht in die teile bereiten würde oder Sicherheitsakte, soweit eine Auskunft 3. die Daten oder die Tatsache ihrer für die Wahrnehmung ihrer rechtlichen Speicherung nach einer RechtsvorInteressen nicht ausreicht und sie hierschrift oder ihrem Wesen nach, insfür auf die Einsichtnahme angewiesen besondere wegen der überwiegenist. Die Regelungen der Absätze 2 bis 5 den berechtigten Interessen eines gelten entsprechend. Dritten, geheimgehalten werden (7) Die Auskunft ist unentgeltlich. müssen und deswegen das Interesse des Anfragenden an der Auskunftserteilung zurücktreten muß. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung Fünfter Abschnitt. bedarf einer Begründung nicht, soweit Sonderregelungen bei Sicherheitsüberdurch die Mitteilung der tatsächlichen prüfungen für nicht-öffentliche Stellen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung gestützt wird, der mit der SS 24 Auskunftsverweigerung verfolgte Anwendungsbereich Zweck gefährdet würde. In diesem Fall Bei Sicherheitsüberprüfungen von Betroffesind die Gründe der Auskunftsverweinen, die von der zuständigen Stelle zu einer gerung aktenkundig zu machen. Die sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach SS 1 anfragende Person ist auf die RechtsAbs. 2 Nr. 1 bis 3 bei einer nicht-öffentlichen grundlage für das Fehlen der BegrünStelle ermächtigt oder von einer nichtöfdung und darauf hinzuweisen, daß sie fentlichen Stelle mit einer sicherheitsempsich an den Bundesbeauftragten für den findlichen Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Nr. 4 oder Datenschutz wenden kann. Abs. 4 betraut werden sollen, gelten fol(5) Wird dem Anfragenden keine Auskunft gende Sonderregelungen. erteilt, so ist sie auf sein Verlangen dem Bundesbeauftragten für den DatenSS 25 schutz zu erteilen, soweit nicht die Zuständigkeit jeweils zuständige oberste Bundesbe(1) Zuständige Stelle für sicherheitsemphörde im Einzelfall feststellt, daß findliche Tätigkeiten nach SS 1 Abs. 2 Nr. 1 dadurch die Sicherheit des Bundes oder bis 3 ist das Bundesministerium für eines Landes gefährdet würde. Die MitWirtschaft und Technologie soweit teilung des Bundesbeauftragten für den nicht im Einvernehmen mit ihm eine Datenschutz darf keine Rückschlüsse andere oberste Bundesbehörde die Aufauf den Erkenntnisstand der speicherngabe als zuständige Stelle wahrnimmt. den Stelle zulassen, sofern diese nicht (2) Zuständige Stelle für sicherheitsemp425 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ findliche Tätigkeiten nach SS 1 Abs. 4 ist SS 27 dasjenige Bundesministerium, dessen Abschluß der Sicherheitsüberprüfung, Zuständigkeit für die nichtöffentliche Weitergabe sicherheitserheblicher Stelle in einer Rechtsverordnung nach Erkenntnisse SS 34 festgelegt ist. Das zuständige BunDie zuständige Stelle unterrichtet die nichtdesministerium kann seine Befugnis auf öffentliche Stelle nur darüber, daß der eine von ihm bestimmte sonstige Betroffene zur sicherheitsempfindlichen öffentliche Stelle des Bundes übertraTätigkeit ermächtigt oder nicht ermächtigt gen. wird. Erkenntnisse, die die Ablehnung der (3) Die Aufgaben der nicht-öffentlichen Ermächtigung zur sicherheitsempfindliStelle nach diesem Gesetz sind grundchen Tätigkeit betreffen, dürfen nicht mitsätzlich von einer von der Personalvergeteilt werden. Zur Gewährleistung des Verwaltung getrennten Organisationseinschlußsachenschutzes können sicherheitsheit wahrzunehmen. Die zuständige erhebliche Erkenntnisse an die nichtStelle kann Ausnahmen zulassen, wenn öffentliche Stelle übermittelt werden und die nicht-öffentliche Stelle sich verdürfen von ihr ausschließlich zu diesem pflichtet, Informationen, die ihr im RahZweck genutzt werden. Die nicht-öffentlimen der Sicherheitsüberprüfung che Stelle hat die zuständige Stelle unverbekanntwerden, nur für solche Zwecke züglich zu unterrichten, wenn sicherheitszu gebrauchen, die mit der Sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Betroffeüberprüfung verfolgt werden. nen oder den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartner SS 26 oder Lebensgefährte bekanntwerden. Sicherheitserklärung Abweichend von SS 13 Abs. 6 leitet der SS 28 Betroffene seine Sicherheitserklärung der Aktualisierung der Sicherheitserklärung nicht-öffentlichen Stelle zu, in der er (1) Die nicht-öffentliche Stelle leitet dem beschäftigt ist. Im Falle der Einbeziehung Betroffenen, der eine sicherheitsempdes Ehegatten, Lebenspartners oder findliche Tätigkeit ausübt, auf AnfordeLebensgefährten nach SS 2 Abs. 2 fügt er desrung der zuständigen Stelle die Sichersen Zustimmung bei. Die nicht-öffentliche heitserklärung in der Regel alle fünf Stelle prüft die Vollständigkeit und RichtigJahre erneut zu. keit der Angaben und darf, soweit dies (2) Der Betroffene hat die in der Sichererforderlich ist, die Personalunterlagen beiheitserklärung angegebenen Daten im ziehen. Sie gibt die Sicherheitserklärung an Falle eingetretener Veränderungen zu die zuständige Stelle weiter und teilt dieser ergänzen. Die zuständige Stelle beaufvorhandene sicherheitserhebliche Erkennttragt die mitwirkende Behörde, die nisse mit. Maßnahmen nach SS12 Abs. 1 Nr. 2 und 3 erneut durchzuführen und zu bewerten. 426 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SS 29 Sechster Abschnitt Übermittlung von Informationen über Reisebeschränkungen, Sicherheitsüberpersönliche und arbeitsrechtliche Verprüfungen auf Antrag ausländischer hältnisse Dienststellen und Schlußvorschriften Die nicht-öffentliche Stelle hat der zuständigen Stelle das Ausscheiden aus sicherSS 32 heitsempfindlicher Tätigkeit, Änderungen Reisebeschränkungen des Familienstandes, des Namens, eines (1) Personen, die eine sicherheitsempfindWohnsitzes und der Staatsangehörigkeit liche Tätigkeit ausüben, die eine Sicherunverzüglich mitzuteilen. heitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 erfordert, können verpflichtet werden, Dienstund Privatreisen in und durch SS 30 Staaten, für die besondere SicherheitsSicherheitsakte der nicht-öffentlichen regelungen gelten, der zuständigen Stelle Stelle oder der nicht-öffentlichen Stelle Für die Sicherheitsakte in der nicht-öffentlirechtzeitig vorher anzuzeigen. Die Verchen Stelle gelten die Vorschriften dieses pflichtung kann auch für die Zeit nach Gesetzes über die Sicherheitsakte entspredem Ausscheiden aus der sicherheitschend mit der Maßgabe, daß die Sicherempfindlichen Tätigkeit angeordnet heitsakte der nicht-öffentlichen Stelle bei werden. einem Wechsel des Arbeitgebers nicht (2) Die Reise kann von der zuständigen abgegeben wird. Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte zur Person oder eine besonders SS 31 sicherheitsempfindliche Tätigkeit vorDatenverarbeitung, -nutzung und -beliegen, die eine erhebliche Gefährdung richtigung in automatisierten Dateien durch fremde Nachrichtendienste Die nicht-öffentliche Stelle darf die nach erwarten lassen. diesem Gesetz zur Erfüllung ihrer Aufgaben (3) Ergeben sich bei einer Reise in und erforderlichen personenbezogenen Daten durch Staaten, für die besondere Sicherdes Betroffenen in automatisierten Dateien heitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, speichern, verändern und nutzen. Die für die auf einen Anbahnungsund Werdie zuständige Stelle geltenden Vorschrifbungsversuch fremder Nachrichtenten zur Berichtigung, Löschung und Sperdienste hindeuten können, so ist die rung finden Anwendung. zuständige Stelle nach Abschluß der Reise unverzüglich zu unterrichten. SS 33 Sicherheitsüberprüfung auf Antrag ausländischer Dienststellen (1) Ersucht eine ausländische Dienststelle die mitwirkenden Behörden um die Mitwirkung bei einer Sicherheitsüberprü427 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ fung, so richtet sie sich nach den SS 35 Bestimmungen dieses Gesetzes, soweit Allgemeine Verwaltungsvorschriften nicht in Rechtsvorschriften zwischen(1) Die allgemeinen Verwaltungsvorschrifstaatlicher Einrichtungen oder völkerten zur Ausführung dieses Gesetzes rechtlichen Verträgen, denen die erläßt das Bundesministerium des gesetzgebenden Körperschaften gemäß Innern, soweit in den Absätzen 2 bis 4 Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes nichts anderes bestimmt ist. zugestimmt haben, etwas anderes (2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschrifbestimmt ist. ten zur Ausführung dieses Gesetzes im (2) Die Mitwirkung unterbleibt, wenn ausBereich der Sicherheitsüberprüfung in wärtige Belange der Bundesrepublik der Wirtschaft erläßt das BundesminiDeutschland oder überwiegende sterium für Wirtschaft und Technologie schutzwürdige Interessen des Betroffeim Einvernehmen mit dem Bundesminen entgegenstehen. Dies gilt auch bei nisterium des Innern. der Übermittlung personenbezogener (3) Die allgemeinen VerwaltungsvorschrifDaten an die ausländische Dienststelle. ten zur Ausführung dieses Gesetzes im (3) Die ausländische Dienststelle ist darauf Geschäftsbereich des Bundesministerihinzuweisen, daß die im Rahmen der ums der Verteidigung erläßt das BunSicherheitsüberprüfung übermittelten desministerium der Verteidigung im personenbezogenen Daten nur für Einvernehmen mit dem BundesminiZwecke der Sicherheitsüberprüfung sterium des Innern. verwendet werden dürfen und die mit(4) Die allgemeinen Verwaltungsvorschrifwirkende Behörde sich vorbehält, um ten zur Ausführung dieses Gesetzes bei Auskunft über die vorgenommene Verden Nachrichtendiensten des Bundes wendung der Daten zu bitten. erläßt die jeweils zuständige oberste Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. SS 34 Ermächtigung zur Rechtsverordnung SS 36 Die Bundesregierung wird ermächtigt, Anwendung des Bundesdatenschutzgedurch Rechtsverordnung festzustellen, welsetzes, Bundesverfassungsschutzgesetche Behörden oder sonstigen öffentlichen zes, MAD-Gesetzes und BND-Gesetzes Stellen des Bundes oder nichtöffentlichen (1) Die Vorschriften des Ersten Abschnitts Stellen oder Teile von ihnen lebensoder mit Ausnahme von SS 3 Abs. 2 und 8 Satz verteidigungswichtige Einrichtungen mit 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie sicherheitsempfindlichen Stellen im Sinne SS 13 Abs. 1a und des Fünften Abschnitts des SS 1 Abs. 4 sind, welches Bundesministesowie die SSSS 18 und 39 des Bundesdarium für die nichtöffentliche Stelle zustäntenschutzgesetzes, des Ersten dig ist und welche Behörden oder sonstigen Abschnitts und die SSSS 14 und 23 Nr. 3 des öffentlichen Stellen des Bundes Aufgaben Bundesverfassungsschutzgesetzes auch im Sinne des SS 10 Satz 1 Nr. 3 wahrnehmen. in Verbindung mit SS 12 des MAD-Gesetzes und SS 10 des BND-Gesetzes sowie die 428 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SSSS 1 und 8 des MAD-Gesetzes und SS 6 des SS 39 BND-Gesetzes finden Anwendung. Inkrafttreten (2) Für die Datenschutzkontrolle der von Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Veröffentlichen und nicht-öffentlichen Stelkündung in Kraft. len nach diesem Gesetz gespeicherten personenbezogenen Daten gelten die SSSS 21 und 24 bis 26 des Bundesdatenschutzgesetzes. SS 37 Strafvorschriften (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geschützte personenbezogene Daten, die nicht offenkundig sind, 1. speichert, verändert oder übermittelt, 2. zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält oder 3. abruft oder sich oder einem anderen aus Dateien verschafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. die Übermittlung von durch dieses Gesetz geschützten personenbezogenen Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder 2. entgegen SS 21 Abs. 1 oder SS 27 Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt, indem er sie innerhalb der Stelle an einen anderen weitergibt. (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. SS 38 - 429 REGISTER Register al-Fajr (Medienzentrum) 233 A al-Gama'a al-Islamiya (GI) 251 A better world (Publikation) 323 al-Jihad al-Islami (JI) 251 Abel Rahman, Sheik Mokhtar (alias Abu Zubair) 228 al-Khilafa (Das Kalifat, Publikation) 245 Abteilung Vereinigungsfront 361 al-Manar (Der Leuchtturm, Fernsehsender) 31, 242 Abu Sulaiman, al-Nasir li-Din Allah 220 al-Masri, Ayyub 219 Adil Düzen (Gerechte Ordnung) 259 al-Nabhani, Taqiaddin 245, 247 ADVANCE! (Publikation) 380 al-Qaida (Die Basis) 202 ff., 214 ff., 240 f. al-Ahd - al-Intiqad (Die Verpflichtung - die Kritik, Publikation) 242 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 208, 222 ff. al-Aqsa e.V. 29, 31, 249 al-Qaida im Irak / Islamischer Staat Irak 216, 218 ff. al-Baghdadi, Abu Umar 219 al-Qaida im islamischen Maghreb al-Banna, Hasan 251 (AQM) 221 f. al-Fadschr (Publikation) 273 al-Qaida im Jemen (AQJ) 222 430 REGISTER al-Qaradawi, Yusuf 254 Anadoluda Vakit (Publikation) 30 al-Rashta, Ata Abu (alias Abu Yasin) 245 Anarchisten 153 al-Shabab 212, 228 f. Anatolische Föderation 283, 309 f. al-Shafi'i, Abu Abdallah 225 Ansar al-Islam-Gruppe (AAI, Gruppe der Anhänger des Islam) (ehem. "Ansar al-Sunna-Gruppe" - AAS) 216, 225 f. Alte Schule (Musikgruppe) 103 Ansar al-Sunna-Gruppe 225 Altermedia 113, 121 f. Antifaschismus 193 ff. Altsoy, Isa 272 Anti-AKW Kampagne 199 f. al-Waie (Das Bewusstsein, Publikation) 245 Antifaschistische Linke Berlin (ALB) 195 al-Wuhaishi, Nasir Abdalkarim Abdallah (alias Abu Basir) 222 f. Antikapitalistische Linke (AKL) 160, 165 al-Yazid, Mustafa Abu 215 Antimilitarismus 188 ff. al-Zahar, Mahmud 133 Antirepression 183 ff. al-Zawahiri, Aiman 215 Apfel, Holger 67 ff., 115 Anadolu Genclik Dernegi (AGD, Verein der Anatolischen Jugend) 262 API-Brief (Publikation) 323 431 REGISTER Arbeiterkommunistische Partei Iran Atilim (Vorstoß, Publikation) 317 (API) 323 ff. Ausbildungslager 206, 208 ff., 227 Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist (API-Hekmatist) 323 f. Autonome 52 ff., 58 f., 61, 64 ff., 126 f., 134 ff. Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) autonome gruppen 143, 150, 157, 187 alias KADEK, alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK 27, 158, 272, 282 ff., 316 Autonome Nationalisten 64 f. Arbeitsgemeinschaft AVANTI - Cuba Si in der Partei DIE LINKE. 160, 164 f. Projekt undogmatische Linke 148 ff., 200 Arische Jugend & Teja (Liedermacher) 106 B Armee der Reinen (Lashkar-e-Taiba - LeT) 213, 241 Babbar Khalsa International (BKI) 332 Armee des Islam Badi, Muhammad 251 f. (Jund al-Islam) 225 barricada (Publikation) 133 Arndt-Verlag 114 Bauernhilfe e.V. 31 Assem, Shaker 246 Bauwas (Publikation) 139 Assoziation Marxistischer StudentInnen/Assoziation Marxistischer Studierender (AMS) 175 Becker, Verena 182 432 REGISTER Bewaffnete Islamische Gruppe Büro 610 350 (Groupe Islamique Arme - GIA) 221 Bin Ladin, Usama 214 C Bisky, Lothar 155 Castor Transport 151 f., 157, 199 f. Blitzkrieg (Musikgruppe) 109 Cayan, Mahir 308 Blood & Honour (B&H) 29, 59 Celik, Ahmet 258, 298 Braunau (Musikgruppe) 105 Chouka, Mounir 235, 238 f. Breininger, Eric 205 f., 227, 235, 237 ff. Chouka, Yassin 235, 238 f. Bremer Hilfswerk e.V. 30 Church of Scientology International (CSI) 380 ff. Brutal Attack (Musikgruppe) 104 Citizens Commission on Human Rights (CCHR) 390 Buchholz, Christine 179 Collegium Humanum (CH) 31 Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frieden und Internationale Commitee for a Worker's Politik der Partei DIE LINKE. 160 International (CWI) 180 433 REGISTER Counter Terrorist Group (CTG) 20 Deutsche Stimme (Publikation) 67, 69, 72, 73, 75, 79, 81 ff. Cuba Si revista (Publikation) 164 f. Deutsche Taliban Mujahideen 209, 237 Deutsche Volksunion (DVU) - D Die Neue Rechte 52 ff., 96 ff.. Dar al-Ulum Deoband Deutschland in Geschichte und (Haus des Wissens in Deoband) 274 Gegenwart (DGG, Publikation) 114 Dardukal, Abdalmalik Deutschlandpakt 85, 97 (alias Abu Mus'ab Abdalwadud) 221 Deutschsprachiger Muslimkreis Deckert, Günter 112 Braunschweig e.V. (siehe auch "Islamische Zentren") 254 Demokratik Halk Iktidari Icin Isci - Köylu (Arbeiter und Bauern für eine Devrimci Sol demokratische Volksherrschaft, (Revolutionäre Linke, Organisation) 307 Publikation) (ehem. Özgür Gelecek Yolunda Isci Köylü) (Arbeiter und Bauern Devrimci Sol auf dem Weg der freien (Revolutionäre Linke, Publikation) 307 Zukunft Publikation) 313 ff. Dheere, Ali 229 Der Aktivist (Publikation) 91 DIE LINKE. 63, 127, 129 ff., 154 ff., 179 f., 300 Deutsche Alternative (DA) 27 DIE LINKE.Sozialistisch-demokratischer Deutsche Kommunistische Partei Studierendenverband (DKP) 127 f., 169 ff. (DIE LINKE.SDS) 160, 168 434 REGISTER DIE ROTE HILFE el-Erian, Essam 252 (Publikation) 181 ff. el-Zayat, Ibrahim 255, 259 Die Wahre Religion (DWR, Internetplattform) 230 f. Elektronische Attacken / Angriffe 335, 366 ff., 371 Direkte Aktion (DA, Publikation) 137, 153 Elif Medya (Medienstelle) 228, 235, 238 DISPUT (Publikation) 154 ff. Emirat 218 Döring, Osman (alias Yavuz Celik Karahan) 258 f. Emir 219, 278 f. Dogan, Mazlum 297 Engel, Stefan 176 ff. Dogru Haber (Publikation) 271 Erbakan, Necmettin 259, 265, 268 f. Dweik, Aziz 250 Ernst, Klaus 154, 156 Europäische Moscheebauund E Unterstützungsgemeinschaft e.V. (EMUG) 259 Einladung zum Paradies e.V. (EZP) 230 European Council for Fatwa and Research Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi (ECFR, Europäischer Rat (ESAM - Zentrum für Wirtschaftsund für Fatwa und Sozialforschung) 260 wissenschaftliche Studien) 253 435 REGISTER Expliciet (Publikation) 245 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. (Almanya Türkiyeli Isciler Eygi, Mehmet Sevket 266 f. Federasyonu - ATIF) 316 Föderation der Arbeiterimmigrant/ innen aus der Türkei in F Deutschland e.V. (Almanya Göcmen Isciler Federasyonu - AGIF) 320 ff. Falah, Samir 255 Föderation der demokratischen Falun Gong 350 f., 355 Aleviten (Federasyon Demokratik Alevi - FEDA) 292 Fatih, Abdullah 226 Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen Faust, Matthias 53, 85 ff., 96 ff. aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) 27 Federalnaja Slushba Besopasnosti (FSB, russischer Inlandsnachrichtendienst) 338 Föderation der türkischdemokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (Almanya Federation of European Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Muslim Youth and Student Federasyonu - ADÜTDF) 334 Organizations (FEMYSO) 256 Föderation der Yeziden Kurdistans Federation of Islamic Organizations in (Federasyona Komeleyen Ezdiyan - Europe (FIOE - Förderation Islamischer FKE) 292 Organisationen in Europa) 253, 255 f. Föderation für demokratische Rechte in Firat News Agency (Ajansa Nuceyan Deutschland e.V. (Almanya Demokratik a Firate - ANF) 294 Haklar Federasyonu - ADHF) 316 436 REGISTER Föderation Islamischer Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen Organisationen in Europa Azadiya Kurdistan - TAK) 290 (Federation of Islamic Organisations in Europe -FIOE) 253, 255 f. Freiheitskomitee (Özgürlük Komitesi) 309 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. (Yekitiya Komelen Freiheitskräfte Kurdistans Kurd li Almanya - YEK-KOM) (Hezi Rojhelati Kurdistan - HRK) 292 158, 282, 286, 291, 298 ff., 316 Freiheitsund Demokratiekongress Freewinds Kurdistans (Publikation) 380 (Kongreya Azadi Demokrasiya Kurdistan - KADEK) 287 Freie Arbeiterinnenund ArbeiterUnion (FAU) 153 Freiräume 204, 255 Freie Arbeiterinnenund ArbeiterFrey, Dr. Gerhard 87, 115 Union - Internationale Arbeiter Assoziation (FAU-IAA) 153 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 131 G Freie(n) Kräfte 111 G8Xtra (Publikation) 149 FREIHEIT (Publikation) 380 Galileo (Publikation) 176 Freiheitliche Deutsche Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin Arbeiterpartei (FAP) 28 (Muslimbruderschaft - MB) 205, 249, 251 ff. Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ) 124 Gansel, Jürgen 70, 73, 76 437 REGISTER Gegenschlag Glawnoje Raswedywatelnoje (Musikgruppe) 109 Uprawlenije (GRU, russischer militärischer Auslandsnachrichtendienst) 338 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (Koma Komalen Kurdistan - KKK) Globale Islamische Medienfront siehe Arbeiterpartei Kurdistans (GIMF) 216 f. (PKK) 288 Gohlke, Nicole 179 Gemeinschaft der Verkündigung und Mission (Tablighi Jama'at - TJ) 205, 274 ff. 12 Golden Years (Musikgruppe) 103 Gemeinschaft für Gerechtigkeit Grabert-Verlag 113 f. und Wohltätigkeit (Jama'at al-Adl wal-Ihsan - JAI) 257 f. Grabert, Wigbert 114 Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog Groupe Islamique Arme (GD/SoD) 160, 162 (GIA, Bewaffnete Islamische Gruppe) 221 Gerechte Ordnung (Adil Düzen) 259, 268 Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat (GSPC, Salafistische Gruppe Gerilla TV für Predigt und Kampf) 221 (Internetportal) 294 Gruppe Arbeitermacht Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (GAM) 180 (GfP) 115 Gruppe der Anhänger des Islam Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten (Ansar al-Islam-Gruppe - (Musikgruppe) 109 AAI) 225 f. 438 REGISTER H hier & jetzt. radikal rechte zeitung 82 f. Hager, Nina 170 f. Hilafet (Das Kalifat, Publikation) 245 Haj-Ahmadi, Rahman 293 f. Hilfsorganisation für nationale Halk Icin Devrimci Demokrasi politische Gefangene und (Revolutionäre Demokratie deren Angehörige e.V. (HNG) 94, 122 f. für das Volk, Publikation) 313 Hizb Allah Haniya, Isma'il 248 (Partei Gottes) 203, 206, 242 ff., 271 Harakat al-Muqawama Hizb ut-Tahrir al-Islamiya (Islamische (HuT, Widerstandsbewegung - HAMAS) Partei der Befreiung) 30, 203, 245 ff. 29, 133, 203, 248 ff., 270 Höving, Heiner 87 Harrach, Bekkay 235 Homegrown-Netzwerke 209 f. Haus des Wissens in Deoband (Dar al-Ulum Deoband) 274 I Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V. (HDJ) 32, 123 Idarat Al-Amn Al-Siyasi (Verwaltung politische Sicherheit) 357 Hekmat, Mansour 323 Idarat Al-Mukhabarat Al-Amma (Verwaltung allgemeiner Heyder, Matthias 69 f. Nachrichtendienst) 357 439 REGISTER IGMG Perspektif (Publikation) 265 Internationale Arbeiter Assoziation (IAA) 153 Ilyas, Maulawi Mohammad 274 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. IMPACT (Publikation) 380, 390 (IHH) 32, 249 Indymedia Internationale Kampagne zur (Internetplattform) 141,142,189,193,195 Verteidigung der Frauenrechte im Iran 325 Inspire (Online-Magazin) 223 f., 232 internationale sozialistische Linke (isL) 180 INTERIM (Publikation) 133,138,147 f.,187 f. Internationales Bulletin der MLKP (Publikation) 317 International Association of Scientologists (IAS) 386 Internationales Komitee gegen Steinigung 325 International Coordination of Revolutionary Parties and Internationales Kurdisches Organizations (ICOR) 177 Kulturfestival 286 INTERNATIONAL SCIENTOLOGY Interventionistische Linke NEWS (Publikation) 380, 385, 390 (IL) 148 ff., 181, 200 International Sikh Youth Federation Inzar (ISYF) 332 (Publikation) 271 International Socialist Tendency Islamische Bewegung Usbekistans (IST) 179 (IBU) 210, 238 f. 440 REGISTER Islamische Gemeinde Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (Umma) 245 ff., 250, 272 (IZH) 273 f. Islamische Gemeinde Kurdistans Islamisches Zentrum München (Ciwaka Islamiye Kurdistan/Kürdistan (IZM) 253 f. Islam Toplumu - CIK) 292 islamistische Milieus 205, 232 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 204, 254 ff. Izzaddin al-Qassam-Brigaden 249 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. islamistische terroristische (IGMG) 204, 206, 258 ff. Gruppierungen 202 ff. Islamische Jihad-Union Islamseminare 230 f. (IJU) 206, 208, 226 ff. islamische Rechtsordnung (Scharia) 203 f., 230, 239, 251, 257, 267 f., 271, 278 J Islamische Widerstandsbewegung Jama'at al-Adl wal-Ihsan (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - (JAI - Gemeinschaft für HAMAS) 29, 133, 203, 248 ff., 270 Gerechtigkeit und Wohltätigkeit) 257 f. Islamische Zentren 253 f. Javadi, Ali 323 Islamischer Staat Irak / al-Qaida im Irak 218 ff. Jihad 202 ff., 251 Islamisches Informationszentrum Jihadisten / Ulm (IIZ) 231 f. jihadistisch 232, 234 441 REGISTER jihadistische Gruppierungen, K regionale 225 ff. Kalifatsstaat jihadistische (Kalifat) 29 Internetforen 219 f. Kamagata Maru Dal International jihadistische Netzwerke 206 (KMDI) 332 jihadistische Propaganda 206, 232 f. Kameradschaft Aachener Land (KAL) 58 Jihaz Al-Mukhabarat-Li'l-Quwwat Al-Jawwiyya Kameradschaften 62, 99, 102 (Geheimdienstapparat der Luftstreitkräfte) 358 Karahan, Yavuz Celik (alias Osman Döring) 258 f. Jürgensen, Bettina 169 f. Karatas, Dursun 307 Jugend für Menschenrechte 387 Karayilan, Murat 288, 298 Jund al-Islam (Armee des Islam) 225 Kartal, Remzi 288 Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) 56 f., 111, 194 Kaukasisches Emirat (siehe auch NKSB) 277 Junge Nationaldemokraten (JN) 56, 67, 90 ff. Kaypakkaya, Ibrahim 315 junge Welt Kelhaamet (jW, Publikation) 131, 173, 175 (Publikation) 271 442 REGISTER Kemalizade, Tahir 298 Köklü Degisim (Grundlegender Wandel, Publikation) 245 Kemna, Erwin 85, 90 Koma Civaken Kurdistan Kendi Dilinden Hizbullah (KCK, Vereinigte Gemeinschaften (Publikation) 271 f. Kurdistans) 288 Kern-al-Qaida 202 ff., 214 ff. Koma Komalen Kurdistan (KKK - Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan) 288, 293 Khalistan Zindabad Force (KZF) 333 Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen, Khomeini, Ayatollah Ruholla 243 Jugendorganisation der PKK) 283, 292, 297, 299, 301 ff. Kim Jong Il 360 f. Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Kinaci, Zeynep (alias Zilan) 297 e.V. (KVPM) 385, 390 Kiziltas, Ekrem 266 Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) 67, 90, 95 f. Klandestine Anschläge, Strukturen 146 ff., 185 f. Kommunistische Partei Chinas (KPCh) 348 ff. Knop, Ingmar 87 Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. Klar, Christian 183 (KPF) 129, 156 ff. Köbele, Patrik 170 ff. Komonist (Publikation) 323 443 REGISTER Konföderation der Arbeiter Kurdische Frauenbewegung aus der Türkei in Europa in Europa (Avrupa Kürt Kadin (Avrupa Türkiyeli Isciler Hareketi - AKKH) 292 Konfederasyonu - ATIK) 316 Kurdisches Frauenbüro für Konföderation der unterdrückten Frieden e.V. (CENI) 297 Immigranten in Europa (Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu - AvEG-KON) 320 Kurdistan Informationsbüro (KIB) 28 Konföderation für demokratische Kurdistan Komitee e. V. 27 Rechte in Europa (Avrupa Demokratik Haklar Konfederasyonu - ADHK) 316 Kurdistan National Kongress (KNK) 298 KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistansolidarität 158 Kurdistans) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 287 f., 291 f., 301 Kurtulmus, Numan 261 f. Konvertit 203, 206, 209 ff., 227, 235, 257 Kutan, Recai 261 Koordination der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik a Kurdistan - L CDK) siehe Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 27, 291, 298 Lafontaine, Oskar 155 Krien, Hartmut 95 Lashkar-e-Taiba (LeT, Armee der Reinen) 213, 241 kufr-Staaten (Staaten des Unglaubens) 247 legalistische Strategie 204 444 REGISTER Legalresidenturen 336, 342, 348, 352, 361 marx21 (Publikation) 179 Lernen und Kämpfen Marx-Engels-Stiftung e.V. (MES) 175 f. (LuK, Publikation) 176 Marxistische Blätter Liberation Tigers of Tamil Eelam (Publikation) 169 (LTTE) 284, 325 ff. Marxistisches Forum (MF) 160, 162 ff. Linke Presse VerlagsFörderungsund Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G. 131 Marxistisches Forum (Publikation) 154, 162 f. Linksjugend ['solid] 160, 162, 165, 167 f. Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 317 ff. Linksruck (LR) 179 Marxistisch-Leninistische Partei Lötzsch, Gesine 154, 156 Deutschlands (MLPD) 128, 176 ff., 299 Mash'al, Khalid 248 M Massenmilitanz 139, 194 Märtyrer 215, 232, 238, 244, 272, 297, 315, 333 Mayer, Leo 170 f. Maoistische Kommunistische Mazlum Dogan Jugend-, KulturPartei (MKP) 313 ff. und Sportfestival 297 marx21 128, 157, 160, 179 Medienstelle Elif Medya 228, 235, 238 445 REGISTER Meiser, Hans 114 Ministry of Public Security (MPS, chinesisches Polizeiministerium) 350 Mesopotamia Broadcast A/S 31, 295 Ministry of State Security (MSS, chinesischer ziviler Mezopotamien Verlag und Nachrichtendienst) 349 f. Vertrieb GmbH 296 MIR Multimedia GmbH 296 militante gruppe (mg) 184 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Military Intelligence Department Partei DIE LINKE. (MID, chinesischer militärischer (Publikation) 154, 159 Nachrichtendienst) 349 f. Modaresi, Kurosh 323 MillA(r) Gazete (Publikation) 258, 260 ff. Moichelmord (Musikgruppe) 118 Milli Görüs (Nationale Sicht) 204, 258 ff. Mouvement National Republicain (MNR) 124 Milli Görüs-Bewegung 204, 258 ff. Müller, Ursula 94 Ministerium für Staatssicherheit (MfSS, nordkoreanischer ziviler Nachrichtendienst) 361 Multikulturhaus Ulm (MKH) 231 Ministry of Information and Security Mujahidin 215, 239, 278 (MOIS, iranischer ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst 356 f. Munier, Dietmar 114 446 REGISTER Muslimbruderschaft National Socialist Black Metal (MB, Gama'at al-Ikhwan (NSBM) 102, 108 al-Muslimin) 205 f., 249, 251 ff. National Socialist Hatecore Muslimische Jugend in (NSHC) 102 Deutschland e.V. (MJD) 256 Nationalsozialismus 61 ff., 76, 105 ff., 123 N Nizam al-Islam (Publikation) 245 Nasrallah, Hasan 242 f. NO-IMK Bündnis 143 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) no-name-Militanz 146 52 ff., 62 ff., 111 ff., 145, 197 Nordbruch, Claus 120 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan - ERNK) Nordkaukasische alias Koordination der kurdischSeparatistenbewegung demokratischen Gesellschaft in (NKSB) 204, 241, 277 ff. Europa (ENK/CDK) 27, 291, 298 Nationale Sicht (Milli Görüs) 259 O Nationale Offensive (NO) 27 Öcalan, Abdullah Nationalistische Front (NF) 27 282 f., 287 ff., 291, 293, 296 ff. National Journal 117, 121 Oidoxie (Musikgruppe) 103 447 REGISTER Ostanatolisches Gebietskomitee Partizan (Dogu Anadolu Bölge Komitesi - (Organisation) 313 ff. DABK) 313 Pastörs, Udo 77 Özgür Gelecek Yolunda Isci-Köylü (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der freien Zukunft, Publikation) 313 Pathmanathan, Selvarasa Kumaran (alias K.P.) 326 f. Pfeiffer, Martin 115 P Prabhakaran, Velupillai 284, 325 f., 330 Palästinensischer Legislativrat 250 prisma (Publikation) 137 f., 148 Palestinian Return Centre (PRC) 250 Proliferation 25, 337 f., 363 ff. Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) 154 Partei der Glückseligkeit Q (Saadet Partisi - SP) 259 ff., 269 Qutb, Sayyid 251, 257 Partei für ein freies Leben in Kurdistan ("Partiya Jiyanen Azadiya Kurdistan" - PJAK) 283, 292 ff. R Partei Gottes (Hizb Allah) 203, 206, 242 ff., 271 radikal (Publikation) 83 ff., 133 Partinin Sesi (Stimme der Partei, Publikation) 317 Radzimanowski, Kersten 82 448 REGISTER Ramelow, Bodo 127,155 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 28, 184, 307 ff. Ramezani, Reza 273 Revolutionary Guards Intelligence Rat der Imame und Gelehrten Department (RGID, in Deutschland e.V. (RIG) 255 Nachrichtendienst der iranischen Revolutionsgarden) 356 REBELL (Publikation) 176 f. Richter, Karl 112, 114 Redler, Lucy 180 Riefling, Ricarda 94 Rennicke, Frank 104, 115 Ring Nationaler Frauen Revolutionär Sozialistischer Bund (RNF) 67, 90, 94 f. (RSB) 180 Risalat al-Ikhwan Revolutionäre Aktionszellen (Rundschreiben der Bruderschaft, (RAZ) 136, 146 ff. Publikation) 251 Revolutionäre Demokratie für Riyad al-Salihin 241 das Volk (Halk Icin Devrimci Demokrasi, Publikation) 313 Roj TV (Fernsehsender) 31, 294 f., 298, 302 f. Revolutionäre Linke (Devrimci Sol - Organisation) 307 Rote Armee Fraktion (RAF) 182 ff. Revolutionäre Volksbefreiungspartei (Devrimci Halk Kurtulus Rote Fahne Partisi - DHKP) 308 (RF, Publikation) 176 ff. 449 REGISTER Rote Hilfe e.V. (RH) 128, 181 ff. SALAM! Zeitschrift für junge Muslime (Publikation) 273 Rotfüchse 177 Sauerland-Gruppe 205, 208 f., 227 Rothe, Judith 94 Schäfer, Michael 91 Rudrakumaran, Visuvanathan 327 Schanzenviertelfest 141 Scharia (islamische Rechtsordnung) 203 f., 230, S 239, 245, 251, 257, 267 f., 271, 278 Saad, Maulana Ibrahim 274 Schiiten/schiitisch 219, 242, 273 Saadet Partisi (SP, Partei der Schlachthaus Glückseligkeit) 259, 262 (Musikgruppe) 109 Salafisten / Schmidt, Björn 173 salafistisch 205, 229 f. Schmidt, Edda 94 salafistische Einrichtungen 205, 230 Schwarzer Block 188 Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf (Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat - Scientology Kirche Deutschland GSPC) 221 e.V. (SKD) 389 salafistische Prediger 205, 230 f. Scientology Kirche Frankfurt e.V. 390 450 REGISTER Scientology-Organisation Sozialproteste 161,181 (SO) 380 ff. Staaten des Unglaubens Serxwebun (kufr-Staaten) 247 (Unabhängigkeit, Publikation) 287 Stanicic, Sascha 180 Shu'bat Al-Mukhabarat-Al-Askarya (Unterabteilung Nachrichtendienst der Streitkräfte) 357 Stehr, Heinz 171,174 Skinheads Sterka Ciwan (rechtsextremistische) 104 (Stern der Jugend - Publikation) 287,303 Sleipnir (Musikgruppe) 104 Storr, Andreas 71,73,81 Slushba Wneschnej Raswedki (SWR, russischer ziviler Strongside (Musikgruppe) 103 Auslandsnachrichtendienst) 338, 342 ff. Sturmtrupp (Musikgruppe) 103 Soltan, Salah 254 Sturmwehr (Musikgruppe) 103 f. Source (Publikation) 380 Sunna 225, 255, 267 f., 275 Sozialistische Alternative (SAV) 128,180 Sunniten/sunnitisch 267 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 173 f. Stuxnet 368 Sozialistische Linke (SL) 129, 160 ff., 179 Swing (Publikation) 133 451 REGISTER T Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (Türkiye Isci-Köylü Kurtulus Tablighi Jama'at Ordusu - TIKKO) 315 (TJ, Gemeinschaft der Verkündung und Mission) 205, 274 ff. Türkische Hizbullah (TH) 271 f. Taghvai, Hamid 323 Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung Taleban 202, 213, 227, 235 ff. (Türkiye Komünist Isci Hareketi - TKIH) 317 Tamil Coordinating Committee (TCC) 328 Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten (TKP/ML) 313 ff. Tatort Kurdistan 299 Türkische Volksbefreiungspartei/ Tekdal, Aysenur 263 -Front (Türkiye Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - THKP/-C) 28 Terrorismus, internationaler islamistischer 19, 26, 29, 30, 202 ff. TV 5 (Fernsehsender) 262, 264 The Auditor (Publikation) 380 U Transnational Government of Tamil Eelam - TGTE 327 f., 331 Ü-Band (Musikgruppe) 104 Trotzkisten 128, 178 ff. Ücüncü, Oguz 259 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 277 ff. Uiguren 349, 351 452 REGISTER Umarov, Dokku 241, 277 ff. Unsere Zeit (UZ, Publikation) 169 Umma (islamische Gemeinde) 245 ff., 250, 272 Union der Aleviten aus Kurdistan V (Kürdistanli Aleviler Birligi - KAB) 292 Velioglu, Hüseyin 272 Union der Journalisten Kurdistans (Yekitiya Rojnamevenen Kurdistan - YRK) 292 VaddukoddaiResolution 329 Union der Juristen Kurdistans (Yekitiya Huquqnasen Kurdistan - Verband der Studierenden YHK) 292 aus Kurdistan (YXK) 292, 299 Union der kurdischen Lehrer (Yektiya Mamosten Kurd - YMK) 292 Verdachtsfälle 22 Union der Schriftsteller Kurdistans Verein der Anatolischen Jugend (Yekitiya Niviskaren Kurdistan - (Anadolu Genclik Dernegi - YNK) 292 AGD) 262, 264 Union der Yeziden aus Kurdistan Vereinigung der neuen (Yekitiya Ezidiyen Kurdistan - Weltsicht in Europa e.V. YEK) 292 (AMGT) 258 Union kurdischer Familien Vereinigte Gemeinschaften (Yekitiya Malbaten Kurd - YEK-MAL) 292 Kurdistans (Koma Civaken Kurdistan - KCK) siehe Arbeiterpartei Union islamischer Gerichtshöfe (UIG) 228 Kurdistans (PKK) 287 f., 291 453 REGISTER Verein zur Rehabilitierung der Volksbefreiungsarmee wegen Bestreitens des (Halk Kurtulus Ordusu - HKO) 315 Holocaust Verfolgten (VRBHV) 31 Volksbefreiungsarmee Verlag "8. Mai" GmbH 131 (VBA) 349 Verlagsgesellschaft "Linke Presse Volksgemeinschaft statt Verlags-, Förderungsund Individualismus Beteiligungsgenossenschaft (Musikgruppe) 105 f. junge Welt e.G." 131 Volkskongress Kurdistans Verwaltungsbezirke (wilayat) 246, 248 (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA GEL) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 287 ff., 301 Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Keshvar (VEVAK - persische Bezeichnung für das MOIS; Volksverteidigungskräfte iranischer ziviler Inund (Hezen Parastina Gele Kurd - Auslandsnachrichtendienst) 356 HPG) 282, 286, 288 ff. Vier-Säulen-Strategie 78 f. W VIKO Fernseh Produktion GmbH 31, 295 Wagenknecht, Sahra 156 f. virtuelle Netzwerke 232 Waisenkinderprojekt Libanon e.V. Vlaams Belang (VB) 124 (WKP) 244 Voigt, Udo 53, 67, 69, 79, 84 ff., 97 Wearwolf Records 109 Vogel, Pierre 230 White Youth 29 454 REGISTER Widerstand-Radio 100 f. Y Wiking-Jugend e.V. Yasin, Ahmad 249 (WJ) 28 Yasine, Abdesalam 257 wilayat (Verwaltungsbezirke) 246, 248 YATIM-Kinderhilfe e.V. 31, 249 Wirtschaftsschutz 25, 337, 369 ff. Yeni Akit GmbH 30 Wirtschaftsspionage 337, 339, 351, 369 ff. Yeni Müjde (Publikation) 271 Wirtschaftsund Finanzbüro Yeni Özgür Politika (Ekonomi ve Maliye Bürosu - (YÖP, Neue Freie Politik, EMB) 304 Tageszeitung) 158, 293 ff., 300 Wissler, Janine 179 Youth for Human Rights International 387, 388 Worker-communism Unity Party (WUP) 323 f. Yürüyüs (Marsch, Publikation) 307 ff. World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 384 Z X Zakaev, Ahmed 277 ff. X.x.X. (Musikgruppe) 108 Zeck (Publikation) 133 455 REGISTER Zentralrat der Ex-Muslime e.V." (ZdE) 325 Zentrum für Wirtschaftsund Sozialforschung (Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi - ESAM) 260 ff. Zilan (alias Zeynep Kinaci) 297 Zilan-Frauenfestival 297 12 Golden Years (Musikgruppe) 103 456 REGISTERANHANG Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2010 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl A al-Aqsa e.V. 29, 31, 249 al-Fajr (Medienzentrum) 233 al-Gama'a al-Islamiya (GI) 251 al-Jihad al-Islami (JI) 251 al-Manar (Der Leuchtturm, Fernsehsender) 31,242 al-Qaida (Die Basis) 202 ff., 214 ff., 240 f. al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) (ehem. al-Qaida im Jemen AQJ) 208, 222 ff. al-Qaida im Irak/Islamischer Staat Irak Anmerkung: Al-Qaida im Irak tritt nach außen hin unter der Bezeichnung Islamischer Staat Irak - ein (fiktives) islamistisches Emirat - auf. 216, 218 ff. al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) (ehem. Salafistische Gruppe für Predigt und den Kampf, roupe Salafiste pour le Predication et le Combat - GSPC) 221 f. al-Shabab 212, 228 f. Alte Schule (Musikgruppe) 103 457 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Anadoluda Vakit 30 Anatolische Föderation 283, 309 f. Ansar al-Islam-Gruppe (AAI, Gruppe der Anhänger des Islam) (ehem. Ansar al-Sunna-Gruppe - (AAS)) 216, 225 f. Antifaschistische Linke Berlin (ALB) 195 Antikapitalistische Linke (AKL) 160, 165 Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) 27, 158, 272, alias KADEK, alias KONGRA GEL, alias KKK, alias KCK 282 ff., 316 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si in der Partei DIE LINKE. 160, 164 f. Arische Jugend & Teja (Liedermacher) 106 Armee der Reinen (Lashkar-e-Taiba - LeT) 213, 241 Arndt-Verlag 114 Assoziation Marxistischer StudentInnen/Assoziation Marxistischer Studierender (AMS) 175 AVANTI - Projekt undogmatische Linke 148 ff., 200 B Babbar Khalsa International (BKI) 332 Bauernhilfe e.V. 31 Bewaffnete Islamische Gruppe (Groupe Islamique Arme - GIA) 221 Blitzkrieg (Musikgruppe) 109 458 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Blood & Honour (B&H) 29, 59 Braunau (Musikgruppe) 105 Bremer Hilfswerk e.V. 30 C Church of Scientology International (CSI) 380 ff. Citizens Commission on Human Rights (CCHR) 390 Collegium Humanum (CH) 31 D Deutsche Alternative (DA) 27 Deutsche Taliban Mujahideen 209, 237 Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V. (siehe auch Islamische Zentren) 254 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 307 DIE LINKE.Sozialistisch-demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS) 160, 168 Die Wahre Religion (DWR, Internetplattform) 230 f. 459 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl E Einladung zum Paradies e.V. (EZP) 230 Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi (ESAM - Zentrum für Wirtschaftsund Sozialforschung) 260 Elif Medya (Medienstelle) 228, 235, 238 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. (EMUG) 259 European Council for Fatwa and Research (ECFR - Europäischer Rat für Fatwa und wissenschaftliche Studien) 253 F Federation of European Muslim Youth and Student Organizations (FEMYSO) 256 Firat News Agency (Ajansa Nuceyan a Firate - ANF) 294 Föderation der demokratischen Aleviten (Federasyon Demokratik Alevi - FEDA) 292 Föderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e.V. (FEYKA-Kurdistan) 27 Föderation der Yeziden Kurdistans (Federasyona Komeleyen Ezdiyan - FKE) 292 Föderation Islamischer Organisationen in Europa (Federation of Islamic Organisations in Europe - FIOE) 253, 255 f. 460 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V. 158, 282, 286, 291 (Yekitiya Komelen Kurd li Almanya - YEK-KOM) 298 ff., 316 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union - Internationale Arbeiter Assoziation (FAU-IAA) 153 Freie Deutsche Jugend (FDJ) 131 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) 28 Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen Azadiya Kurdistan - TAK) 290 Freiheitskomitee (Özgürlük Komitesi) 309 Freiheitskräfte Kurdistans (Hezi Rojhelati Kurdistan - HRK) 292 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (Kongreya Azadi Demokrasiya Kurdistan - KADEK) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 287 G Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin (Muslimbruderschaft - MB) 205, 249, 251 ff. Gegenschlag (Musikgruppe) 109 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (Koma Komalen Kurdistan - KKK) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 288 Gemeinschaft der Verkündigung und Mission (Tablighi Jama'at - TJ) 205, 274 ff. 461 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Gemeinschaft für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit (Jama'at al-Adl wal-Ihsan - JAI) 257 f. Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SoD) 160, 162 Gerilla TV (Internetportal) 294 Gesellschaft für freie Publizistik e.V. (GfP) 115 Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten (Musikgruppe) 109 Globale Islamische Medienfront (GIMF) 216 f. Grabert-Verlag 113 f. Groupe Islamique Arme (GIA - Bewaffnete Islamische Gruppe) 221 Gruppe Arbeitermacht (GAM) 180 Gruppe der Anhänger des Islam (Ansar al-Islam-Gruppe - AAI) 225 f. H Harakat al-Muqawama al-Islamiya 29, 133, 203, (Islamische Widerstandsbewegung - HAMAS) 248 ff., 270 Heimattreue Deutsche Jugend - Bund zum Schutz für Umwelt, Mitwelt und Heimat e.V. (HDJ) 32, 123 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. (HNG) 94, 122 f. 462 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Hizb Allah 203, 206, (Partei Gottes) 242 ff., 271 Hizb ut-Tahrir (HuT - Partei der Befreiung) 30, 203, 245 ff. I Inspire (Online-Magazin) 223 f., 232 International Association of Scientologists (IAS) 386 International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations (ICOR) 177 Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. (IHH) 32, 249 International Sikh Youth Federation (ISYF) 332 Internationale Arbeiter Assoziation (IAA) 153 Internationale sozialistische Linke (isL) 180 Interventionistische Linke (IL) 148 ff., 181, 200 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) 210, 238 f. Islamische Gemeinde Kurdistans (Ciwaka Islamiye Kurdistan/Kürdistan Islam Toplumu - CIK) 292 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. (IGD) 204, 254 ff. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 204, 206, 258 ff. Islamisches Informationszentrum Ulm (IIZ) Anmerkung: im September 2007 aufgelöst 231 f. Islamische Jihad-Union (IJU) 206, 208, 226 ff. 463 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Islamischer Staat Irak (vgl. al-Qaida im Irak) 218 ff. Islamische Widerstandsbewegung 29, 133, 203 (Harakat al-Muqawama al-Islamiya - HAMAS) 248 ff., 270 "Islamische Zentren" (Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln, Marburg, Braunschweig und Münster) Anmerkung: Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) unterhält nach eigenen Angaben "Islamische Zentren" in o.a. Städten. 253 f., 273 f. Islamisches Bildungswerk in Deutschland e.V. (IBW; Sitz: Köln; siehe auch "Islamische Zentren") 254 Islamische Gemeinde Nürnberg e.V. (siehe auch "Islamische Zentren") 254 Islamische Gemeinschaft Münster e.V. (siehe auch "Islamische Zentren") 254 Islamisches Zentrum Frankfurt am Main e.V. (siehe auch "Islamische Zentren") 254 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 273 f. Islamisches Zentrum München e.V. (IZM; siehe auch "Islamische Zentren") 253 f. Islamisches Zentrum Stuttgart e.V. (siehe auch "Islamische Zentren") 254 Izzaddin al-Qassam-Brigaden 249 464 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl J Jama'at al-Adl wal-Ihsan (JAI - Gemeinschaft für Gerechtigkeit und Wohltätigkeit) 257 f. Jugend für Menschenrechte 387 Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) 56 f.,111, 194 Junge Nationaldemokraten (JN) 56, 67, 90 ff. K Kalifatsstaat 29 Kameradschaft Aachener Land (KAL) 58 Kaukasisches Emirat (siehe auch NKSB) 277 Khalistan Zindabad Force (KZF) 333 Koma Civaken Kurdistan (KCK - Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 288 Koma Komalen Kurdistan (KKK - Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 288, 293 Komalen Ciwan (Gemeinschaft der Jugendlichen, 283, 292, 297 Jugendorganisation der PKK) 299, 301 ff. Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) 385, 390 Kommunalpolitische Vereinigung (KPV) 67, 90, 95 f. 465 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. (KPF) 129, 156 ff. KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 287 ff., 291 f., 301 Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik a Kurdistan - CDK) siehe Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 27, 291, 298 Kurdische Frauenbewegung in Europa (Avrupa Kürt Kadin Hareketi - AKKH) 292 Kurdisches Frauenbüro für Frieden e.V. (CENI) 297 Kurdistan Informationsbüro (KIB) alias Kurdistan Informationsbüro in Deutschland 28 Kurdistan-Komitee e.V. 27 Kurdistan National Kongress (KNK) 298 L Lashkar-e-Taiba (LeT, Armee der Reinen) 213, 241 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 284, 325 ff. Linksjugend ['solid] 160, 162, 165, 167 f. M Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 313 ff. marx21 128, 157, 160, 179 Marx-Engels-Stiftung e.V. (MES) 175 f. 466 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Marxistisches Forum (MF) 160, 162 ff. Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 317 ff. Medienstelle Elif Medya 228, 235, 238 Mesopotamia Broadcast A/S 31, 295 Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH 296 MIR Multimedia GmbH 296 Moichelmord (Musikgruppe) 118 Multikulturhaus Ulm (MKH) 231 Muslimbruderschaft (MB - vgl. Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin) 205 f., 249, 251 ff. Muslimische Jugend in Deutschland e. V. (MJD) 256 N Nationale Befreiungsfront Kurdistans (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan - ERNK) alias Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) 27, 291, 298 Nationale Offensive (NO) 27 Nationalistische Front (NF) 27 467 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl NO-IMK Bündnis 143 Nordkaukasische Separatistenbewegung (NKSB) 204, 241, 277 ff. O Oidoxie (Musikgruppe) 103 Ostanatolisches Gebietskomitee (Dogu Anadolu Bölge Komitesi - DABK) 313 P Palestinian Return Centre (PRC) 250 Partei für ein freies Leben in Kurdistan ("Partiya Jiyanen Azadiya Kurdistan" - PJAK) 283, 292 ff. Partizan (Organisation) 313 ff. R Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland e.V. (RIG) 255 REBELL 176 f. Revolutionäre Aktionszellen (RAZ) 136, 146 ff. Revolutionäre Linke (Devrimci Sol - Organisation) 307 Revolutionäre Volksbefreiungspartei (Devrimci Halk Kurtulus Partisi - DHKP) 308 468 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi - DHKP-C) 28, 184, 307 ff. Revolutionär Sozialistischer Bund (RSB) 180 Ring Nationaler Frauen (RNF) 67, 90, 94 f. Riyad al-Salihin 241 Roj TV 31, 294 f., (Fernsehsender) 298, 302 f. Rote Hilfe e.V. (RH) 128, 181 ff. Rotfüchse 177 S Schlachthaus (Musikgruppe) 109 Scientology Kirche Deutschland e. V. (SKD) 389 Scientology Kirche Frankfurt e. V. 390 Scientology-Organisation (SO) 380 ff. Sleipnir (Musikgruppe) 104 Sozialistische Alternative (SAV) 128, 180 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 173 f. Sozialistische Linke (SL) 129, 160 ff., 179 469 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Strongside (Musikgruppe) 103 Sturmtrupp (Musikgruppe) 103 Sturmwehr (Musikgruppe) 103 f. T Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Verkündung und Mission) 205, 274 ff. Taleban 202, 213, 227, 235 ff. Tamil Coordinating Committee (TCC) 328 Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) (siehe auch NKSB) 277 ff. Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (Türkiye Isci-Köylü Kurtulus Ordusu - TIKKO) 315 Türkische Hizbullah (TH) 271 f. Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung (Türkiye Komünist Isci Hareketi - TKIH) 317 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 313 ff. Türkische Volksbefreiungspartei/-Front (Türkiye Halk Kurtulus PartisiCephesi - THKP/-C) 28 TV 5 (Fernsehsender) 262, 264 470 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl U Ü-Band (Musikgruppe) 104 Union der Aleviten aus Kurdistan (Kürdistanli Aleviler Birligi - KAB) 292 Union der Journalisten Kurdistans (Yekitiya Rojnamevenen Kurdistan - YRK) 292 Union der Juristen Kurdistans (Yekitiya Huquqnasen Kurdistan - YHK) 292 Union der kurdischen Lehrer (Yektiya Mamosten Kurd -YMK) 292 Union der Schriftsteller Kurdistans (Yekitiya Niviskaren Kurdistan - YNK) 292 Union der Yeziden aus Kurdistan (Yekitiya Ezidiyen Kurdistan - YEK) 292 Union kurdischer Familien (Yekitiya Malbaten Kurd - YEK-MAL) 292 Union islamischer Gerichtshöfe (UIG) 228 V Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 292, 299 Verein der Anatolischen Jugend (Anadolu Genclik Dernegi - AGD) 262, 264 471 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (Koma Civaken Kurdistan - KCK) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 287 f., 291 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 31 Verlag "8. Mai" GmbH 131 Verlagsgesellschaft "Linke Presse Verlags-, Förderungsund Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G." 131 VIKO Fernseh Produktion GmbH 31, 295 Volksbefreiungsarmee (Halk Kurtulus Ordusu - HKO) 315 Volksgemeinschaft statt Individualismus (Musikgruppe) 105 f. Volkskongress Kurdistans - (Kongra Gele Kurdistan - KONGRA GEL) siehe Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 287 ff., 301 Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gele Kurd - HPG) 282, 286, 288 ff. W Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) 244 Wearwolf Records 109 White Youth 29 Widerstand-Radio 100 f. Wiking-Jugend e.V. 28 472 REGISTERANHANG Gruppierungen Seitenzahl Wirtschaftsund Finanzbüro - (Ekonomi ve Maliye Bürosu - EMB) 304 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 384 X X.x.X. (Musikgruppe) 108 Y YATIM-Kinderhilfe e.V. 31, 249 Yeni Akit GmbH (Verlegerin der Europa-Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung "Anadoluda Vakit" 30 Z Zentrum für Wirtschaftsund Sozialforschung (Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi - ESAM) 260 ff. 473 Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Bundesministeriums des Innern kostenlos herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlbewerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Europa-, Bundestags-, Landtagsund Kommunalwahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Unabhängig davon, wann, auf welchem Weg und in welcher Anzahl diese Schrift dem Empfänger zugegangen ist, darf sie auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Bundesregierung zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Artikelnummer: BMI11004