Verfassungsschutzbericht 2007 Rede von Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2007 am 15. Mai 2008 in Berlin Der Ihnen vorliegende Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2007 informiert über den Umfang verfassungsfeindlicher Entwicklungen sowie über Organisationen und Gruppierungen, die Aktivitäten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland entfalten. Auch dieses Jahr bildet der islamistische Terrorismus einen Schwerpunkt des Berichts als die nach wie vor größte Bedrohung für Stabilität und Sicherheit in Deutschland wie Europa. Dass es bis zum heutigen Tag in Deutschland nicht zu Attentaten durch islamistische Terroristen gekommen ist, weil die Vorbereitung von Anschlägen rechtzeitig aufgedeckt wurde, ist der professionellen und umsichtigen Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden, auch des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und - gerade im vergangenen Jahr - der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Partnerdiensten zu danken. Im vergangenen Jahr haben die Sicherheitsbehörden durch die Festnahme der "Sauerland-Gruppe" vermutlich schwere Anschläge rechtzeitig vereitelt. Die sichergestellten Chemikalien hätten für den Bau von Bomben gereicht, deren Wirkung noch verheerender gewesen wäre als die Anschläge von Madrid und London. Wir können uns aber auf diesem Erfolg angesichts der nicht nachlassenden Herausforderung durch islamistischen Extremismus und Terrorismus nicht ausruhen. Die Zahl der in Deutschland aktiven islamistischen Organisationen ist im Jahr 2007 auf 30 angestiegen. Und auch die Zahl ihrer 3 Mitglieder und Anhänger ist - einem mehrjährigen Trend folgend - auf nun über 33.000 angestiegen. Diese Entwicklung müssen wir aufmerksam verfolgen - auch wenn diese Zahlen nicht mit dem weitaus kleineren Bereich des gewaltbereiten Terrorismus gleichzusetzen sind. Der unverändert hohen Bedrohung durch den gewaltbereiten islamistischen Terrorismus müssen wir mit allen Mitteln des Rechtsstaats entgegentreten. Dabei kommt es vor allem auf eine wirksame Prävention an, damit wir die Täter fassen, bevor sie ihre Gewaltverbrechen ausüben können. Prävention setzt Information voraus. Wenn wir Anschläge verhindern wollen, müssen wir die Handlungsfähigkeit der Sicherheitsbehörden gewährleisten. Dabei kommt es letztlich auf drei Dinge an: auf ausreichendes Personal, auf ausreichende technische Mittel und auf ausreichende Kompetenzen. Es muss gewährleistet sein, dass die Sicherheitsbehörden die notwendigen Informationen gewinnen und sie gegebenenfalls zusammenführen und austauschen können. Wir müssen die technischen Mittel und die Eingriffsbefugnisse der Sicherheitsbehörden dem Stand der Technik und der täterseitigen Nutzung moderner Kommunikationsund Speichertechnologien anpassen. Die BKA-Gesetz-Novelle, die die Bundesregierung auf den Weg gebracht hat, trägt dem Rechnung. Das betrifft insbesondere die Vorschriften zur Online-Durchsuchung, die - den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechend - eine rechtlich saubere und sachgerechte Arbeitsgrundlage für das BKA enthalten und auch Maßstab, etwa für das Bundesamt für Verfassungsschutz, sein können. Wir müssen den Sicherheitsbehörden praxisgerechte Befugnisse geben, damit sie terroristische Tatvorbereitungen frühzeitig aufdecken können. Dazu gehört die Möglichkeit, Wohnungen im Ernstfall auch heimlich zu betreten. Die Innenministerkonferenz hat sich im vergangen Monat dieser Themen und der Vorschläge der Praxis angenommen. 4 REDE BUNDESINNENMINISTER SCHÄUBLE Ein besonderer Tätigkeitsschwerpunkt des Bundesamtes für Verfassungsschutz ist die Beobachtung des Rechtsextremismus in allen seinen Ausprägungen - von Fremdenfeindlichkeit über Rassismus, Antisemitismus, Revanchismus bis zum Neonazismus. Der Rechtsextremismus erfordert die besondere Aufmerksamkeit von Staat und Gesellschaft. Wir haben sehr gute Gründe, diese Form des Extremismus in Deutschland als besonders abscheulich zu empfinden, und wir werden rechtsextremistische geistige Brandstifter mit aller Entschiedenheit und mit allen Mitteln des Rechtsstaats bekämpfen. Diese Verantwortung müssen wir wahrnehmen - die politisch Verantwortlichen und unsere freiheitliche Gesellschaft insgesamt. Auch der Rechtsextremismus operiert inzwischen grenzüberschreitend. Wenn es zunächst auch bizarr klingen mag, kann es mit Blick auf die Globalisierung unserer Gesellschaft kaum überraschen, dass Nationalismus heute auch international agiert: Das reicht von der anlassabhängigen Zusammenarbeit deutscher und polnischer Neonazis und Skinheads bis zu einer Fraktion der Rechtsextremisten im Europäischen Parlament. Ebenso wenig dürfte es überraschen, dass das Internet intensiv von Rechtsextremisten genutzt wird. Im Berichtszeitraum setzten die Rechtsextremisten ihre Bemühungen fort, sich in der Mitte unserer Gesellschaft einzunisten - sei es über das Angebot von Nachhilfeunterricht und Sozialberatung oder durch die Organisation von Freizeitaktivitäten. Auch hier ist Prävention gefragt. Wir müssen teilweise noch besser vermitteln, dass Rechtsextremismus eben nicht lediglich eine politische Meinung unter anderen ist und dass Rechtsextremisten an den Grundpfeilern unserer freiheitlichen demokratischen Gesellschaft rütteln. Es ist eine wichtige und wachsende Aufgabe demokratischer Parteien und Institutionen, aber auch der Mitte der Gesellschaft, die Menschen, besonders die Kinder und Jugendlichen, die die Erfahrung totalitärer Regime selbst nicht machen mussten, für die Demokratie zu gewinnen und ihnen zu vermitteln, wie wertvoll die Offenheit unserer Gesellschaft und die darin enthaltenen Freiheitsräume sind. 5 Und wir müssen ihnen attraktive Angebote machen - nicht nur für eine sinnvolle Freizeitgestaltung und für soziale und berufliche Perspektiven. Dazu gehört auch, dass wir die bürgerschaftlichen Strukturen vor Ort stärken und eine Politik machen, die zum Vorbild taugt und zum gesellschaftlichen Engagement ermuntert. In der öffentlichen Debatte wurde gerade in letzter Zeit intensiv diskutiert, ob es ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD geben wird oder geben sollte. Ich muss nicht ausführlich begründen, dass ein etwaiges neues Verfahren in Karlsruhe erfolgreich enden muss, um nicht zu einem Bumerang zu werden. Die prozessualen Risiken sind gerade bei einem Parteiverbot hoch. Nach den vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Prozessvoraussetzungen sind die Gebote der Staatsfreiheit der poli - tischen Parteien und der Verlässlichkeit und Transparenz des Parteiverbotsverfahrens zu beachten. Unmittelbar vor und während eines Verbotsverfahrens dürfen keine Quellen auf der Leitungsebene geführt werden. Darin ist sich mein Haus mit dem Bundesministerium der Justiz einig. Diese Vorgaben müssen diejenigen kennen, die jetzt ein Parteiverbot fordern. Unabhängig von der Frage, wie man zu einem neuen Verbotsverfahren stehen mag, steht eines fest: Alle Demokraten, die in unserem Land politische Verantwortung tragen und ganz sicher alle deutschen Innenminister und -senatoren sind sich einig, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist. Die NPD stand und steht daher unter Beobachtung. Vor einer Woche habe ich den Verein "Collegium Humanum" (CH) und den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) verboten. Kennzeichnend für beide Vereine waren die Leugnung des Holocaust, die Ablehnung unserer verfassungsmäßigen Ordnung, das Bekenntnis zum Nationalsozialismus und die Propagierung von Fremdenhass und Antisemitismus. Sie hatten vorwiegend ältere Mitglieder und gehörten nicht der gewalttätigen NeonaziSzene an. 6 REDE BUNDESINNENMINISTER SCHÄUBLE Seit dem Verbot von "Blood & Honour" im Jahr 2000 sind das die ersten Verbote, die der Bund im rechtsextremistischen Spektrum ausgesprochen hat. Wo die Voraussetzungen dafür vorliegen, werden wir solche Verbote konsequent aussprechen. Solche Verbote setzen ein wichtiges gesellschaftspolitisches Signal. Wir sollten aber nicht denken, mit solchen Verboten sei das Problem gelöst, denn wir müssen davon ausgehen, dass die rechtsextreme Gesinnung der Mitglieder auch nach einem solchen Verbot fortbesteht und sich in offeneren, weniger kontrollierbaren Strukturen vernetzt. Letztlich geht es deswegen darum, die Menschen im Umgang mit rechtsextremen Inhalten zu sensibilisieren, was am Ende nur durch eine geistig-politische Auseinandersetzung und gesellschaftliche Aufklärung zu erreichen ist. Das Erscheinungsbild des organisierten Linksextremismus hat sich im vergangenen Jahr nur unwesentlich verändert. Die Zahl linksextremistischer Gewalttaten lag mit 833 unter der Zahl der Gewalttaten mit rechtsextremistischem Hintergrund, die 980 betrug. Ein erheblicher Teil der Gewalttaten (389 bzw. 294) richtete sich dabei gegen Anhänger oder vermeintliche Anhänger der jeweils anderen Szene. Letztlich gebieten sie sich aber nicht einander Einhalt, sondern nehmen ganz bewusst in Kauf, sich gegenseitig hochzuschaukeln. Die Ereignisse in Hamburg sind ein Beispiel dafür. Im Mittelpunkt linksextremistischer Aktivitäten stand 2007 vor allem die Mobilisierung gegen den G8-Gipfel, bei denen es zu gewalttätigen Ausschreitungen, etwa am 2. Juni 2007 in Rostock, kam. Im Schutz der überwiegend friedlichen Demonstranten verübten Autonome und andere Straftäter massive Gewalttaten, insbesondere gegen Polizeibeamtinnen und -beamte. Die im Sommer 2005 initiierte so genannte "militante Kampagne" gegen den G8-Gipfel wurde im Jahr 2007 mit insgesamt 15 Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge und Gebäude mit zum Teil erheblichen Sachschäden fortgesetzt. 7 Die Ereignisse zeigen, dass der Linksextremismus nach wie vor in der Lage ist, größere Mengen auch gewaltbereiter Anhänger zu mobilisieren. Der Schutz von Demokratie und Verfassung ist eine Aufgabe unseres Rechtsstaats. Wo Freiheitsrechte missbraucht werden, um die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit das Fundament dieser Freiheitsrechte zu untergraben, muss der Staat entschlossen einschreiten. Das gilt für alle Formen des politischen Extremismus. In unserem rechtsstaatlichen System von checks und balances müssen wir aber auch eine Kontrolle der Verfassungsschutzbehörden gewährleisten. Der Verfassungsschutzbericht trägt hierzu bei. Er informiert über Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz zu Gefahren hat, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Auf diese Weise kann sich die Öffentlichkeit selbst ein Bild über die Bedrohung durch verfassungsfeindliche Bestrebungen wie auch über die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden machen. Daneben gibt es die Kontrolle durch die Bundesregierung und den Deutschen Bundestag in Form des hierfür eingerichteten Parlamentarischen Kontrollgremiums. In den letzten Tagen und Wochen wurde die Frage gestellt, ob die vorhandenen Kontrollmechanismen ausreichend sind. Wir sollten die Verbesserungsvorschläge, die gemacht worden sind, genau prüfen. Wir brauchen eine ebenso effektive wie einwandfreie Arbeit auf der Grundlage von Recht und Gesetz, die die optimale Funktionsfähigkeit unserer Sicherheitsbehörden gewährleistet. Sicherheit braucht auch Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigene Stärke. Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland ist es uns insgesamt gut gelungen, Angriffe und Gefahren für ihre freiheitliche demokratische Grundordnung abzuwehren. Dazu haben die hohe Qualifikation und das besondere Engagement der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Sicherheitsbehörden entscheidend beigetragen. 8 REDE BUNDESINNENMINISTER SCHÄUBLE Verfassungsfeindliche Bestrebungen werden auch in Zukunft auf wache Augen und auf eine Gesellschaft treffen, die ihre Werte zu verteidigen fähig und willens ist. Dr. Wolfgang Schäuble Bundesminister des Innern 9 10 Inhaltsverzeichnis Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 17 1. Bundesamt für Verfassungsschutz 17 2. Militärischer Abschirmdienst 17 II. Weitere Strukturdaten 17 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz 20 II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse 21 III. Kontrolle des Verfassungsschutzes 24 IV. Verfassungsschutzbericht 25 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung 26 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK 30 II. Politisch motivierte Straftaten 30 III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 31 1. Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 31 1.1 Überblick 31 1.2 Zielrichtungen der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund 33 1.2.1 Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund 34 1.2.2 Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund 34 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten 35 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 35 2. Politisch links motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 38 2.1 Überblick 38 2.2 Zielrichtungen der politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund 39 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 40 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 40 11 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 42 3.1 Überblick 42 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder 44 Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick 46 1. Ideologie 46 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus 47 3. Organisationen und Personenpotenzial 51 4. Periodische Publikationen 53 5. Rechtsextremistische Internetpräsenzen 53 6. Rechtsextremistische Kundgebungen 54 II. Gewaltbereite Rechtsextremisten 56 1. Rechtsextremistisches Personenpotenzial 56 2. Rechtsterrorismus 56 3. Rechtsextremistische Skinhead-Szene 56 III. Neonazismus 59 IV. Parteien 65 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 65 1.1 Zielsetzung und Methode 65 1.2 Organisation und Entwicklung 87 1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 92 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) 94 2.1 Zielsetzung und Methode 95 2.2 Organisation und Entwicklung 99 V. Rechtsextremistische Musik 100 1. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 101 2. Rechtsextremistische Bands und Liedermacher 103 3. Rechtsextremistische Musikvertriebe 105 VI. Intellektualisierungsbestrebungen im Rechtsextremismus 106 VII. Antisemitische Agitation 111 VIII. Internationale Verbindungen 119 1. Veranstaltungen mit internationaler Beteiligung 119 2. Verstärkte Kooperation von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten 120 3. Internationaler Revisionismus 121 IX. Organisationsunabhängige Verlage und Vertriebsdienste 124 12 Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick 130 1. Entwicklungen im Linksextremismus 130 2. Organisationen und Personenpotenzial 133 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen 135 II. Gewalttätiger Linksextremismus 136 1. Autonome 137 1.1 Potenzial und Selbstverständnis 137 1.2 Aktionsformen 140 1.3 Autonome Strukturen mit terroristischen Ansätzen 145 2. Traditionelle Anarchisten 148 III. Parteien und sonstige Gruppierungen 149 1. "Die Linkspartei.PDS"/"DIE LINKE." 149 1.1 Allgemeine Entwicklung 150 1.2 Offen extremistische Strukturen in der Partei 152 1.3 Jugendverbände 156 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 158 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 158 2.2 Organisationen im Umfeld der DKP 160 2.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 160 2.2.2 "Marx-Engels-Stiftung e.V." (MES) 160 3. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) 161 4. Trotzkisten 162 5. "Rote Hilfe e.V." (RH) 164 IV. Aktionsfelder 167 1. "Antifaschismus" 167 2. "Anti-Globalisierungsbewegung" 170 3. "Antirepression" 176 Islamistische/islamistisch-terroristische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick 182 1. Entwicklungen im Islamismus 182 2. Organisationen und Personenpotenzial 185 II. Internationaler islamistischer Terrorismus 187 1. Aktuelle Entwicklungen 187 2. "Al-Qaida" ("Die Basis") 193 3. Regionale "Mujahidin"-Gruppierungen 196 13 3.1 "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) bzw. "Salafiya-Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) 197 3.2 "Ansar al-Islam" - AAI ("Anhänger des Islam")/ "Ansar as-Sunna" - AAS ("Anhänger der Prophetenüberlieferung")/ "Jama'at Ansar as-Sunna" ("Ansar as-Sunna-Gruppe") 198 3.3 "Islamische Jihad Union" (IJU) 201 4. Nutzung des Internets 202 III. Islamismus 206 1. Arabischer Ursprung 206 1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") 206 1.2 "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (HuT) ("Islamische Befreiungspartei") 208 1.3 HAMAS ("Harakat al-Muqawama al-Islamiya") ("Islamische Widerstandsbewegung") 212 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB) ("Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin") 214 2. Türkischer Ursprung 217 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 217 2.2. "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") 232 3. Sonstige 233 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten 233 3.2 "Tablighi Jama'at" (TJ) ("Gemeinschaft der Verkündung und Mission") 234 3.3 "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/ "Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB) 237 IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maßnahmen des BMI 241 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) I. Überblick 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) 246 2. Organisationen und Personenpotenzial 246 II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 249 1. Kurden 249 1.1 Überblick 249 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/"Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) 250 1.2.1 Allgemeine Lage 251 1.2.2 Organisatorische Situation 252 1.2.3 Propaganda des KONGRA GEL 254 1.2.4 Aktivitäten der KOMALEN CIWAN 258 14 1.2.5 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten 259 1.2.6 Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre von PKK/KADEK/KONGRA GEL 259 2. Türken 261 2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) 262 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) 266 2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) 271 3. Iraner 273 3.1 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) 274 3.2 "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) 277 4. Tamilen 279 5. Sikhs 281 III. Übersicht über weitere erwähnenswerte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse 282 IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maßnahmen des BMI 283 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick 286 II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 287 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgabenstellung der Dienste im russischen Staatswesen 287 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte 290 3. Methodische Vorgehensweisen 291 3.1 Die Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste 291 3.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung 293 III. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 295 IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas 296 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 296 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien 297 3. Nachrichtendienste der Sozialistischen Libysch-Arabischen Volks-Dschamahirija 298 4. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Algerien 293 V. Fernöstliche Nachrichtendienste 300 1. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 300 2. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea 303 VI. Proliferation 304 VII. Gefährdung durch Wirtschaftsspionage 307 VIII. Festnahmen und Verurteilungen 309 15 Geheimschutz, Sabotageschutz Geheimschutz, Sabotageschutz 312 "Scientology-Organisation" (SO) 1. Grundlagen und Zielsetzung 316 2. Werbung in der Öffentlichkeit 324 3. Klage der SO gegen die Beobachtung 326 Gesetzestext und Register Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) 330 Register 349 16 STRUKTURDATEN Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 1. Bundesamt für Verfassungsschutz Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2007 betrug 144.555.652 EUR (2006: 137.172.002 EUR). Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte 2.503 (2006: 2.447) Bedienstete. 2. Militärischer Abschirmdienst Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2007 betrug 69.188.992 EUR (2006: 71.901.373 EUR). Der Militärische Abschirmdienst hatte 1.242 (2006: 1.290) Bedienstete. II. Weitere Strukturdaten Anfang 2008 waren von Bund und Ländern gemeinsam im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 1.172.797 (Anfang 2007: 1.047.933) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 618.284 Eintragungen (52,7%) aufgrund von Sicherheitsüberprüfungen (Anfang 2007: 57,1%). 17 18 Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität 19 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland gewährt den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl von Freiheitsrechten. Diese Rechte stehen als Grundrechte auch Personen zu, die unsere freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnen. Eine klare Grenze ist allerdings dort zu ziehen, wo deutlich erkennbar wird, dass sie dazu missbraucht werden, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu untergraben und damit das Fundament dieser Freiheitsrechte zu beseitigen. Die leidvollen Erfahrungen mit dem Ende der Weimarer Republik haben dazu geführt, dass im Grundgesetz das Prinzip der wehrhaften Demokratie1 verankert ist. Wehrhafte Dieses Prinzip ist durch drei Wesensmerkmale gekennzeichnet: Demokratie # die Wertegebundenheit, d.h. der Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, # die Abwehrbereitschaft, d.h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen, und # die Verlagerung des Verfassungsschutzes in den Bereich der Vorfeldaufklärung, d.h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. 1 Thiel, Markus, Die "wehrhafte Demokratie" als verfassungsrechtliche Grundentscheidung, in: ders. (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie (2003), S. 1 ff. 20 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Das Prinzip der wehrhaften Demokratie findet in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes seinen deutlichen Ausdruck: # Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt, dass wesentliche Grundsätze der Verfassung - insbesondere der Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG - unabänderlich und damit einer Änderung auch durch den Verfassungsgesetzgeber entzogen sind. # Nach Art. 21 Abs. 2 GG können Parteien vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. # Art. 9 Abs. 2 GG bestimmt, dass Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind. # Nach Art. 18 GG kann das Bundesverfassungsgericht die Verwirkung bestimmter Grundrechte aussprechen, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden. # Art. 73 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG sind Grundlage für die Einrichtung und Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse Wesentliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des BunAufgaben des und der Länder ist nach dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) die Sammlung und Auswertung von Informationen über # Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 21 # sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Bundesverfassungsschutzgesetzes für eine fremde Macht, # Bestrebungen im Geltungsbereich des Bundesverfassungsschutzgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, # Bestrebungen im Geltungsbereich des Bundesverfassungsschutzgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. InformationsDie Verfassungsschutzbehörden gewinnen die zur Erfüllung gewinnung ihrer Aufgaben notwendigen Informationen in erster Linie aus offen zugänglichen Quellen. Sofern dies nicht möglich oder nicht effektiv ist, dürfen sie sich im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auch so genannter nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsbeschaffung bedienen. Hierzu gehören insbesondere der Einsatz von Vertrauensleuten, die Observation, Bildund Tonaufzeichnungen sowie die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10). Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wurden die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) erweitert.2 U.a. wurden dem BfV unter engen Voraussetzungen Auskunftsrechte gegenüber Finanzunternehmen, Luftfahrtunternehmen, Postdienstleistungsunternehmen sowie Telekommunikationsund Teledienstleistern eingeräumt. Keine polizeilichen Den Verfassungsschutzbehörden stehen bei der Erfüllung ihrer Befugnisse Aufgaben keinerlei polizeiliche Befugnisse zu, d.h. sie dürfen ins- 2 Die Regelungen waren zunächst bis zum 11. Januar 2007 befristet, wurden aber durch das am 5. Januar 2007 in Kraft getretene "Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz" um weitere fünf Jahre verlängert und entsprechen inhaltlich leicht modifiziert den Ergebnissen einer zuvor durchgeführten Evaluierung. 22 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE besondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen. Darüber hinaus haben die Verfassungsschutzbehörden die AufSicherheitsgabe, bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen mitzuwirüberprüfungen ken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Informationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Befugnisse für das BfV in diesem Zusammenhang sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) im Einzelnen geregelt. Die Verfassungsschutzbehörden tragen in ihrem ZuständigZusammenarbeit keitsbereich dazu bei, die innere Sicherheit der Bundesrepublik mit anderen SicherDeutschland zu gewährleisten. Sie arbeiten mit anderen Sicherheitsbehörden heitsbehörden, insbesondere den anderen Nachrichtendiensten des Bundes - dem für den Bereich der Bundeswehr zuständigen Militärischen Abschirmdienst (MAD) und dem mit Auslandsaufklärung befassten Bundesnachrichtendienst (BND) - sowie Polizeiund Strafverfolgungsbehörden auf gesetzlicher Grundlage vertrauensvoll und eng zusammen. Mit der Einrichtung einer gemeinsamen Antiterrordatei von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden des Bundes und der Länder sowie der Möglichkeit zur Führung gemeinsamer Projektdateien wird die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden gezielt unterstützt und der Informationsaustausch mithilfe einer verfahrensrechtlichen Vereinfachung des bereits nach geltenden Bestimmungen zulässigen Datenaustauschs weiter verbessert. Die Antiterrordatei hat zum 31. März 2007 ihren Betrieb aufgenommen. Angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Bedrohungsphänomene steht das BfV darüber hinaus in regem Kontakt zu den Partnerdiensten im Ausland. 23 III. Kontrolle des Verfassungsschutzes Bundesregierung Die Tätigkeit des BfV unterliegt der Aufsicht durch die Bundesregierung und der Kontrolle durch den Deutschen Bundestag. Parlamentarisches Das vom Deutschen Bundestag hierfür eingerichtete ParlamenKontrollgremium tarische Kontrollgremium ist von der Bundesregierung in regelmäßigen Abständen umfassend über die allgemeine Tätigkeit des BfV, des MAD und des BND und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten (SS 2 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes - PKGrG). Die Bundesregierung hat dem Parlamentarischen Kontrollgremium auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien zu geben und die Anhörung von Mitarbeitern zu gestatten. Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom Parlamen- G 10-Kommission tarischen Kontrollgremium bestellte unabhängige G 10-Kommission grundsätzlich vor deren Vollzug auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Gleiches gilt für die mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus neu eingeräumten Auskunftsrechte, soweit sie gegenüber Postdienstleistungsunternehmen bzw. Telekommunikationsund Teledienstleistern geltend gemacht werden (vgl. Nr. II). Kontrolle durch Das BVerfSchG enthält zahlreiche datenschutzrechtliche Beden Bundesbeaufstimmungen, die eine weitreichende Kontrolle durch den Buntragten für Datendesbeauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit erschutz und Informöglichen. mationsfreiheit Auskunftsrecht Das BfV ist gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu erteilen, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt wird (SS 15 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Auskunft unterbleibt nur dann, wenn einer der in Absatz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich bezeichneten Verweigerungsgründe vorliegt. Kontrolle durch Maßnahmen des BfV, die nach Darstellung der Betroffenen diese Gerichte in ihren Rechten beeinträchtigen, unterliegen gerichtlicher Nachprüfung. 24 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE IV. Verfassungsschutzbericht Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung Zweck des und Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche VerfassungsschutzBestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland. Er beruht auf berichtes den Erkenntnissen, die das BfV im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Er kann keinen erschöpfenden Überblick geben, sondern unterrichtet über die wesentlichen Erkenntnisse und analysiert und bewertet maßgebliche Entwicklungen und Zusammenhänge. Bei den im Bericht aufgeführten Personenzusammenschlüssen Personenzusam(Parteien, Organisationen und Gruppierungen) liegen die gemenschlüsse setzlichen Voraussetzungen für ein Tätigwerden des BfV vor. Die Erkenntnislage zu den dargestellten Personenzusammenschlüssen kann allerdings im Hinblick auf Umfang und Dichte der erlangten Informationen unterschiedlich sein. Die Bewertung eines Personenzusammenschlusses als extremistisch bedeutet nicht in jedem Fall, dass alle seine Mitglieder extremistische Bestrebungen verfolgen. Bei den "Verdachtsfällen" handelt es sich um Fälle, in denen verfassungsfeindliche Bestrebungen noch nicht feststehen, aber hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte einen entsprechenden Verdacht begründen. Alle Zahlenangaben zum Mitgliederpotenzial der im Bericht genannten Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf die Bundesrepublik Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern dieser Personenzusammenschlüsse individuelle Erkenntnisse vorliegen. Dies folgt schon daraus, dass die Verfassungsschutzbehörden hauptsächlich einen Strukturbeobachtungsauftrag haben; umfassende personenbezogene Erkenntnisse zur gesamten Mitgliederschaft der beobachteten Personenzusammenschlüsse sind dafür nicht erforderlich. In den Zitaten sind eventuelle orthografische und grammatikalische Fehler der Originaltexte nicht korrigiert. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsschutzbericht keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusammenschlüsse darstellt. 25 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Aufgabe "Verfassungsschutz durch Aufklärung" wird auf Bundesebene gemeinsam vom Bundesministerium des Innern (BMI) und dem BfV, auf Länderebene von den Innenministerien und -senaten bzw. den Landesbehörden für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Hauptaugenmerk gilt dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes bietet Informationen über seine Erkenntnisse an, die es jedermann ermöglichen sollen, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Extremismus und Terrorismus, insbesondere der islamistische Terrorismus, sowie Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat eine stete Herausforderung. Die umfassende Bekämpfung aller Formen des politischen Extremismus ist daher ein Schwerpunkt der Innenpolitik. Die Bundesregierung misst der präventiven und repressiven Auseinandersetzung mit diesen Erscheinungen eine zentrale Bedeutung zu. Eine besondere Rolle bei der Festigung des Verfassungskonsenses und der Stärkung der Zivilgesellschaft spielt das von der Bundesregierung initiierte und am 23. Mai 2000 der Öffentlichkeit vorgestellte "Bündnis für Demokratie und Toleranz - gegen Extremismus und Gewalt". Das "Bündnis" bündelt und mobilisiert die gesellschaftlichen Kräfte gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, lokale Initiativen und Projekte durch Information, Beratung und Dokumentation zu fördern, zu unterstützen, zu vernetzen und bekannt zu machen (siehe im Internet unter www.buendnis-toleranz.de). 26 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE Das Aktionsprogramm "Jugend für Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus", das unter dem Dach des Bündnisses stand, ist Ende 2006 ausgelaufen. Das neue Programm "Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus - VIELFALT TUT GUT" hat Anfang 2007 die Arbeit aufgenommen (vgl. www.jugendstiftungvielfalt.org). Ein weiteres Instrument im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Gewalt ist das "Forum gegen Rassismus". Im März 1998 hat sich dieses Gremium konstituiert und umfasst mittlerweile rund 80 Organisationen und staatliche Stellen, darunter 60 bundesweit bzw. überregional tätige Nichtregierungsorganisationen. Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne nachhaltige geistig-politische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden. Eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes stellt daher auch die fundierte Aufklärung und Informationsvermittlung über Art und Umfang extremistischer Bestrebungen dar. Das BfV informierte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit seinem Internetangebot, zahlreichen Ausstellungsund Messeterminen, Publikationen sowie der Beantwortung vielfältiger Bürgeranfragen über seine Arbeitsfelder und die jeweils aktuellen Erkenntnisse. Das Interesse an den Wanderausstellungen des BfV war auch im Jahr 2007 weiterhin groß. Insgesamt besuchten im Jahresverlauf mehr als 100.000 Personen die bundesweit 24 Ausstellungsund Messepräsentationen des BfV. Die Rechtsextremismusausstellung "DIE BRAUNE FALLE - Eine rechtsextremistische 'Karriere'" wurde in acht Bundesländern an zehn Terminen gezeigt. Das BfV präsentierte die Ausstellung "Es betrifft Dich! Demokratie schützen - Gegen Extremismus in Deutschland" in sieben Bundesländern. Die Ausstellung "Die missbrauchte Religion - Islamisten in Deutschland" wurde sechs Mal in fünf Bundesländern gezeigt. 27 Das BfV beteiligte sich außerdem an der Bildungsmesse "didacta" in Köln. Die Ausstellungen und Messen wurden vor Ort von Verfassungsschutzmitarbeitern betreut. Neben zahlreichen Einzelbesuchern nutzten hauptsächlich Schulklassen dieses Informationsangebot. Die Gesamtauflage der im Jahr 2007 verteilten Broschüren des BfV lag bei rund 62.000 Exemplaren. Informationsportal Das Internetangebot des BfV ist ein zunehmend wichtiges Instrument zur Information der Öffentlichkeit und wurde täglich von ca. 2.500 Nutzern aufgerufen. Die Website www.verfassungsschutz.de dient als Informationsportal zu allen Tätigkeitsbereichen des Verfassungsschutzes und enthält ausführliche Informationen über dessen Aufgaben und Arbeitsfelder. Ein Schwerpunkt sind dabei die mehr als 20 Publikationen, die zum Herunterladen angeboten werden. Der Aufklärung über die verschiedenen Extremismusbereiche und den islamistischen Terrorismus dienen u. a. auch die Texte und Kurzinformationen in den Rubriken "Thema" und "Zahlen und Fakten". Daneben werden regelmäßig Neuigkeiten und Termine aus dem BfV in den Rubriken "Aktuell" und "Presse-Info" veröffentlicht. 28 VERFASSUNGSSCHUTZ UND DEMOKRATIE In allen Fragen des Verfassungsschutzes steht das Ansprechpartner Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstraße 100 50765 Köln Telefon: 0221 - 792-0 Telefax: 0221 - 792-2915 E-Mail: poststelle@bfv.bund.de als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Im Internet ist das Bundesamt für Verfassungsschutz unter www.verfassungsschutz.de erreichbar. 29 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK Definitionssystem Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde "Politisch nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminismotivierte ter und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) zum 1. JaKriminalität" (PMK) nuar 2001 eingeführt. Zentrales Erfassungskriterium dieses Meldesystems ist die politische Motivation einer Tat. Als politisch motiviert gilt eine Tat insbesondere dann, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbildes bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet. Die erfassten Sachverhalte werden im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Hierbei werden insbesondere Feststellungen zur Qualität des Delikts, zur objektiven thematischen Zuordnung der Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zur möglichen internationalen Dimension der Tat und zu einer ggf. zu verzeichnenden extremistischen Ausprägung der Tat getroffen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Bereich der Gewaltdelikte erweitert und bundeseinheitlich festgelegt. Die differenzierte Darstellung ermöglicht eine konkret bedarfsorientierte Auswertung der Daten und bildet damit die Grundlage für den zielgerichteten Einsatz geeigneter repressiver und präventiver Bekämpfungsmaßnahmen. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). II. Politisch motivierte Straftaten Das BKA registrierte für das Jahr 2007 insgesamt 28.538 (2006: 29.050) politisch motivierte Straftaten. In dieser Zahl sind 15.306 (53,6%) Propagandadelikte enthalten (2006: 16.593 Delikte = 57%). 2.541 Delikte (8,9%) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2006: 2.522 = 8,7%). 30 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Nach Phänomenbereichen unterschieden, wurden 17.607 (2006: Politisch motivierte 18.142) Straftaten dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität Straftaten - rechts", 5.866 (2006: 5.363) dem Bereich "Politisch motivierte nach PhänomenKriminalität - links" und 902 (2006: 691) dem Bereich der "Polibereichen tisch motivierten Ausländerkriminalität" zugeordnet. Bei 4.163 (2006: 4.854) Straftaten konnte keine eindeutige Zuordnung zu einem Phänomenbereich getroffen werden. Insgesamt wurden 20.809 Straftaten (72,9%) mit extremistischem Extremistische Hintergrund ausgewiesen (2006: 20.611 = 71%), davon 17.176 Straftaten (2006: 17.597) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts", 2.765 (2006: 2.369) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" und 747 (2006: 477) aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität". 121 (2006: 168) Straftaten deuten aufgrund der Tatumstände auf einen extremistischen Hintergrund hin, diese wurden ohne Zuordnung zu einem Phänomenbereich gemeldet. III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen 1. Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 1.1 Überblick Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem HinRückgang der tergrund bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Polirechtsextremistisch motivierte Kriminalität - rechts". Dem Phänomenbereich tischen "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" wurden 17.607 (2006: Kriminalität 18.142) Straftaten, hiervon 11.954 (2006: 12.629) Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB und 1.054 (2006: 1.115) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Phänomenbereich wurden 17.176 (2006: 17.597) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 980 (2006: 1.047) Gewalttaten erfasst. Damit ging die Zahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 2,4%, die der Gewalttaten um 6,4% zurück. Der Anteil der Gewalttaten an der Gesamtzahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund beträgt 5,7% (2006: 6,0%). Bei 83,9% (2006: 86,5%) aller politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund handelte 31 es sich entweder um Propagandadelikte (11.935 Taten, 2006: 12.627) oder um Fälle von Volksverhetzung (2.472 Taten, 2006: 2.592). Insgesamt wurden 294 Delikte (2006: 302) im Themenfeld "Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten" und 78 Delikte (2006: 91) im Themenfeld "Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner" ausgewiesen. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts"* Gewalttaten 2006 2007 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 919 845 Brandstiftungen 18 24 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 1 Landfriedensbruch 33 37 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 6 7 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 13 11 Erpressung 7 4 Widerstandsdelikte 50 50 Sexualdelikte 0 0 gesamt 1.047 980 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 391 821 Nötigung/Bedrohung 150 146 Propagandadelikte 12.627 11.935 Störung der Totenruhe 14 18 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung 3.368 3.276 gesamt 16.550 16.196 Straftaten insgesamt 17.597 17.176 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 32 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 1.2 Zielrichtungen der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund Mit 414 (2006: 484) Delikten wiesen rund 42,2% der politisch rechts motivierten Gewalttaten einen extremistischen und einen fremdenfeindlichen Hintergrund auf. 294 (30%) Gewaltdelikte (2006: 302 = 28,8%) richteten sich gegen (mutmaßliche) Linksextremisten. Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts"* Zielrichtungen gesamt fremdenfeindliche Gewalttaten antisemitische Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner 1.200 1.047 1.000 980 800 600 484 414 400 302 294 200 91 78 43 59 0 01.01.-31.12.2006 01.01.-31.12.2007 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. 33 1.2.1 Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund* 2006 2007 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 455 377 Brandstiftungen 9 17 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 7 7 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 3 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 2 5 Erpressung 3 1 Widerstandsdelikte 7 3 Sexualdelikte 0 0 Fremdenfeindliche Gewalttaten insgesamt 484 414 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.2.2 Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund Im Jahr 2007 wurden insgesamt 1.541 politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund registriert. Damit ging die Zahl gegenüber dem Vorjahr (1.636) um etwa 5,8% zurück. Die Zahl der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund stieg von 43 (2006) auf 59. Insgesamt wiesen 6% aller politisch rechts motivierten Gewaltdelikte sowohl einen extremistischen als auch einen antisemitischen Hintergrund auf.3 3 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). 34 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten* 2006 2007 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 266 263 Brandstiftungen 6 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 18 20 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 1 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 9 3 Erpressung 2 1 Widerstandsdelikte 0 2 Sexualdelikte 0 0 gesamt 302 294 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund ereigneten sich mit 122 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen, das allerdings bezogen auf je 100.000 Einwohner im hinteren Feld der Statistik liegt. Danach folgen Niedersachsen (110) und Berlin (47; beide Länder bezogen auf die Einwohnerzahl im Mittelfeld), Brandenburg (93) und Sachsen-Anhalt (87; beide Länder bezogen auf die Einwohnerzahl an der Spitze) sowie Sachsen (90; bezogen auf die Einwohnerzahl an fünfter Stelle) und Bayern (82; bezogen auf die Einwohnerzahl an vorletzter Stelle). 35 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts"* in den Ländern 01.01.-31.12.2007 01.01.-31.12.2006 Nordrhein-Westfalen 122 145 Niedersachsen 110 138 Brandenburg 93 90 Sachsen 90 77 Sachsen-Anhalt 87 111 Bayern 82 47 Baden-Württemberg 78 99 Thüringen 61 55 Schleswig-Holstein 59 65 Berlin 47 102 Rheinland-Pfalz 39 24 Mecklenburg-Vorpommern 33 27 Hessen 29 28 Hamburg 22 29 Bremen 16 2 Saarland 12 8 0 40 80 120 160 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). 36 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts"* je 100.000 Einwohner in den Ländern 01.01.-31.12.2007 01.01.-31.12.2006 Brandenburg 3,65 3,52 Sachsen-Anhalt 3,56 4,49 Thüringen 2,64 2,36 Bremen 2,41 0,30 Sachsen 2,12 1,80 Schleswig-Holstein 2,08 2,29 Mecklenburg-Vorpommern 1,95 1,58 Berlin 1,38 3,00 Niedersachsen 1,38 1,73 Hamburg 1,25 1,66 Saarland 1,15 0,76 Rheinland-Pfalz 0,96 0,59 Baden-Württemberg 0,73 0,92 Nordrhein-Westfalen 0,68 0,80 Bayern 0,66 0,38 Hessen 0,48 0,46 0 1 2 3 4 5 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen der Länder (Stichtag: 31.12.2006). 37 2. Politisch links motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund 2.1 Überblick Starker Anstieg der Politisch links motivierte Straftaten mit extremistischem Hinlinksextremistitergrund bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Polischen Kriminalität tisch motivierte Kriminalität - links". Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" wurden 5.866 (2006: 5.363) Straftaten, hiervon 1.247 (2006: 1.209) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 2.765 (2006: 2.369) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 833 (2006: 862) Gewalttaten, erfasst. Damit stieg die Zahl der politisch links motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 16,7 %, die der Gewalttaten ging um 3,4 % zurück. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links"* Gewalttaten 2006 2007 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 1 Körperverletzungen 444 384 Brandstiftungen 42 51 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 2 Landfriedensbruch 195 215 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 41 40 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 22 14 Erpressung 1 2 Widerstandsdelikte 115 124 Sexualdelikte 0 0 gesamt 862 833 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 754 1.142 Nötigung/Bedrohung 44 52 Andere Straftaten 709 738 gesamt 1.507 1.932 Straftaten insgesamt 2.369 2.765 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Köperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 38 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) 2.2 Zielrichtungen der politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund Von den politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund wurden 389 Fälle (2006: 423) im Themenfeld "Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten", 14 Delikte (2006: 4) im Themenfeld "Antiglobalisierung" und 14 Delikte (2006: 0) im Themenfeld "Kampagne gegen Kernenergie" ausgewiesen. Darüber hinaus weist das BKA im Themenfeld "Weltwirtschaftsgipfel" (G8-Gipfel im Juni 2007 in Heiligendamm) 124 Gewalttaten aus. Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links"* Zielrichtungen gesamt Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Kampagne gegen Kernenergie Antiglobalisierung 1.000 862 833 800 600 423 400 389 200 0 4 14 14 0 01.01.-31.12.2006 01.01.-31.12.2007 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. 39 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten* 2006 2007 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 1 Körperverletzungen 277 226 Brandstiftungen 8 10 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Landfriedensbruch 81 94 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 10 13 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 16 9 Erpressung 1 0 Widerstandsdelikte 28 36 Sexualdelikte 0 0 gesamt 423 389 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund ereigneten sich mit 120 registrierten Delikten in Mecklenburg-Vorpommern, das bezogen auf je 100.000 Einwohner auch an der Spitze liegt. Ursächlich hierfür waren die Protestaktionen und Ausschreitungen gegen den G8-Gipfel Anfang Juni 2007 in Heiligendamm. Danach folgen - in absoluten Zahlen - Niedersachsen (97; bezogen auf die Einwohnerzahl an neunter Stelle) und NordrheinWestfalen (94; bezogen auf die Einwohnerzahl an 13. Stelle). 40 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links"* in den Ländern 01.01.-31.12.2007 01.01.-31.12.2006 Mecklenburg-Vorpommern 120 38 Niedersachsen 97 81 Nordrhein-Westfalen 94 72 Hessen 89 110 Sachsen 84 93 Bayern 76 71 Hamburg 49 11 Baden-Württemberg 46 87 Berlin 45 130 Schleswig-Holstein 36 41 Brandenburg 36 32 Sachsen-Anhalt 20 56 Thüringen 18 3 Bremen 14 30 Rheinland-Pfalz 6 6 Saarland 3 1 0 40 80 120 160 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). 41 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links"* je 100.000 Einwohner in den Ländern 01.01.-31.12.2007 01.01.-31.12.2006 Mecklenburg-Vorpommern 7,08 2,23 Hamburg 2,79 0,63 Bremen 2,11 4,52 Sachsen 1,98 2,18 Hessen 1,46 1,81 Brandenburg 1,41 1,25 Berlin 1,32 3,83 Schleswig-Holstein 1,27 1,45 Niedersachsen 1,22 1,01 Sachsen-Anhalt 0,82 2,27 Thüringen 0,78 0,13 Bayern 0,61 0,57 Nordrhein-Westfalen 0,52 0,40 Baden-Württemberg 0,43 0,81 Saarland 0,29 0,10 Rheinland-Pfalz 0,15 0,15 0 2 4 6 8 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen der Länder (Stichtag: 31.12.2006). 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 3.1 Überblick Der Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" umfasst auch die Teilmenge der politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" wurden 902 42 POLITISCH MOTIVIERTE KRIMINALITÄT (PMK) (2006: 691) Straftaten, hiervon 129 (2006: 121) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 747 (2006: 477) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 108 (2006: 95) Gewalttaten erfasst. Damit stieg die Zahl der Straftaten im Bereich "Politisch motivierter Ausländerkriminalität" mit extremistischem Hintergrund um 56,6%; die Zahl der Gewalttaten in diesem Bereich stieg um 13,7%. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität"* Gewalttaten 2006 2007 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 2 Körperverletzungen 45 54 Brandstiftungen 16 17 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 2 Landfriedensbruch 8 23 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 6 1 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 1 3 Erpressung 11 5 Widerstandsdelikte 7 1 Sexualdelikte 0 0 gesamt 95 108 Sonstige Straftaten Sachbeschädigungen 38 107 Nötigung/Bedrohung 34 25 Andere Straftaten 310 507 gesamt 382 639 Straftaten insgesamt 477 747 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Köperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. 43 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die meisten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" ereigneten sich mit 49 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen. Danach folgen Berlin (25), Baden-Württemberg (14) und Bayern (6). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität"* in den Ländern 01.01.-31.12.2007 01.01.-31.12.2006 Nordrhein-Westfalen 49 23 Berlin 25 25 Baden-Württemberg 14 7 Bayern 6 11 Hamburg 4 2 Niedersachsen 2 8 Hessen 2 3 Rheinland-Pfalz 1 2 Thüringen 0 2 Bremen 1 6 Schleswig-Holstein 12 Sachsen 0 4 Sachsen-Anhalt 0 3 Brandenburg 0 0 Mecklenburg-Vorpommern 0 0 Saarland 0 0 0 10 20 30 40 50 * Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). 44 Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle 45 Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick 1. Ideologie Nationalismus Das rechtsextremistische Weltbild wird von nationalistischen und Rassismus und rassistischen Anschauungen geprägt. Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse entscheide über den Wert eines Menschen. Da nach rechtsextremistischem Verständnis diesem Kriterium auch die Menschenund Bürgerrechte untergeordnet werden, stehen Rechtsextremisten in einem fundamentalen Widerspruch zum Grundgesetz (GG). Autoritärer Staat Rechtsextremisten treten in aller Regel für ein autoritäres poliund "Volksgemeintisches System ein, in dem der Staat und das - nach ihrer Vorschafts"-Ideologie stellung ethnisch homogene - Volk als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der "Volksgemeinschaft" sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. In einem rechtsextremistisch geprägten Staat würden somit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition, wegfallen. Kein ideologisch Rechtsextremismus stellt in Deutschland kein einheitliches Geeinheitliches füge dar, sondern tritt mit unterschiedlichen Ausprägungen naGefüge des tionalistischer, rassistischer und antisemitischer IdeologieeleRechtsextremismus mente und unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Zielsetin Deutschland zungen auf. Das Weltbild gewaltbereiter Rechtsextremisten, dazu zählen auch rechtsextremistische Skinheads, ist diffus. Ihr Lebensgefühl wird von fremdenfeindlichen, oft rassistischen sowie gewaltbejahenden Ressentiments geprägt. Sie treten mit spontanen Gewalttaten und aggressiver, volksverhetzender Musik in Erscheinung. So wollen sie ihren Willen ausdrücken, Deutschland von allen vermeintlich Fremden zu "befreien". Die Überzeugungen von Neonazis orientieren sich in der Regel an nationalsozialistischen Vorstellungen eines totalitären "Führerstaats" auf rassistischer Grundlage. Sie konzentrieren sich 46 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE stärker auf zielgerichtetes politisches Handeln, das oftmals sehr aktionistisch angelegt ist. Aus ihrer Sicht ist das deutsche Volk höherwertig und deshalb vor "rassisch minderwertigen" Ausländern oder Juden zu schützen. Bei den rechtsextremistischen Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen gilt die Nation als oberstes Prinzip; damit einher geht eine Abwertung der Menschenund Bürgerrechte. Dies hat insbesondere eine Ablehnung der Gleichheitsrechte für diejenigen zur Folge, die nicht dem - von ihnen ausschließlich ethnisch definierten - "Deutschen Volk" angehören. Sie streben nach einem autoritären Staat, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft gesetzt wäre. 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus Trotz des im Jahr 2007 zu verzeichnenden Rückgangs verblieb Hohes Niveau die Zahl rechtsextremistischer Strafund Gewalttaten (vgl. Polirechtsextremistitisch motivierte Kriminalität (PMK), Kap. III, Nr. 1) auf hohem Nischer Gewalttaten veau. Im Bereich des rechtsextremistischen Personenpotenzials war Rückgang des insgesamt ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen (vgl. Nr. 3). rechtsextremistiDiese Entwicklung betraf vor allem die Parteien des rechtsextreschen Personenmistischen Spektrums. Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremispotenzials ten ist gegenüber dem Vorjahr leicht zurückgegangen. Das neonazistische Personenpotenzial ist geringfügig gestiegen. Rechtsterroristische Strukturen waren 2007 in Deutschland nicht Keine rechtsfeststellbar. Allerdings wurden bei polizeilichen Durchsuterroristischen chungsmaßnahmen auch in diesem Jahr Waffen sichergestellt. Strukturen Rechtsextremistische Musik (vgl. Kap. V) ist unverändert ein weWandel in der sentlicher Anziehungspunkt für viele Jugendliche, die auf diese rechtsextremistiWeise erstmals mit der Szene in Berührung kommen. Dabei sind schen Musik es seit geraumer Zeit nicht nur skinheadtypische Musikstile, sondern auch die musikalischen Elemente anderer Jugendsubkulturen wie Hardcore - in der rechtsextremistischen Variante als "Hatecore" bezeichnet - und verschiedene Arten der MetalMusik, wie z. B. der "National Socialist Black Metal" (NSBM). Die Anleihen bei anderen Jugendsubkulturen entsprechen dem gewandelten Musikgeschmack der überwiegend jungen 47 Szeneangehörigen und sind zudem geeignet, auch bisher unpolitische junge Menschen und Anhänger anderer Musikrichtungen und Subkulturen auf Musik mit rechtsextremistischen Inhalten aufmerksam zu machen. Lediglich Musikstile wie HipHop und Rap, die aufgrund ihres Ursprungs von Rechtsextremisten als nicht "weiße Musik" abgelehnt werden, finden bislang - außer in einigen Propagandavideos der "Autonomen Nationalisten" - keinen Anklang. Die NPD und neonazistische Kameradschaften setzten 2007 weiterhin auf die Werbewirkung der Musik als jugendspezifisches Medium und nutzten sie für die Rekrutierung und Mobilisierung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Neben CD-Verteilaktionen an Jugendliche sind die Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher bei Parteiveranstaltungen inzwischen fester Bestandteil der NPD-Jugendarbeit. Die Anzahl der Konzerte ist im Jahr 2007 deutlich gesunken; die Zahl der rechtsextremistischen Bands und der Vertriebe ist leicht zurückgegangen. Wandel im ErscheiBestätigt hat sich der schon im Jahr 2006 erkennbare Trend in nungsbild der subder subkulturell geprägten gewaltbereiten Szene, das bislang kulturellen Szene von Skinheads dominierte, martialische Auftreten mit Glatze, setzt sich fort Springerstiefeln und Bomberjacke durch ein modisches Outfit mit entsprechender Kleidung, Piercings und Turnschuhen zu ersetzen. Dabei spielen auch Kleidungsstücke bestimmter Modemarken eine Rolle, denen oftmals eine angebliche Nähe zum rechtsextremistischen Spektrum nachgesagt wird. Neue AktionsDie auf Aktionismus ausgerichtete Strategie der Neonazis lässt formen der die Szene für junge Leute attraktiv erscheinen. Durch die GrünNeonazi-Szene dung von "Aktionsbüros" oder "Aktionsbündnissen" versuchen die Neonazis einerseits, einer Zersplitterung der Szene entgegenzuwirken und andererseits staatlichen Verbotsmaßnahmen, die gewisse Strukturen der zu verbietenden Organisation voraussetzen, zu entgehen. Schwerpunkte neonazistischer Agitation waren auch 2007 soziale Themen, der Nahost-Konflikt, revisionistische Inhalte sowie die Globalisierung. Dabei nutzen Teile der Szene auch neue Aktionsformen. So vermauerten Rechtsextremisten im März 2007 den Eingang des Gebäudes der Arbeitsagentur in Zittau (Sachsen) und hinterließen auf dem Mauerwerk die Parole "Ein neues System bietet neue Alternativen/Na48 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE tionale Sozialisten". Noch weiter gehen die "Autonomen Nationalisten", die Parolen, Symbole und Erscheinungsformen des (militanten) Linksextremismus übernehmen und mit einem aktivistischen, ideologisch diffusen Politikansatz erlebnisorientierte junge Leute ansprechen, die für eine klassische politische Arbeit nicht zu gewinnen wären. Die NPD ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei. NPD mitgliederTrotz einiger Friktionen im Zusammenhang mit den "Autonostärkste rechtsmen Nationalisten" ist die Partei im Rahmen der von ihr propaextremistische gierten "deutschen Volksfront" und mit Blick auf die Erfolge bei Partei den Landtagswahlen auch für die Neonazi-Szene attraktiv. Neonazis üben weiterhin führende Funktionen in den Gremien der Partei aus; so wurde am 25. Februar 2007 der Neonazi und Rechtsanwalt Jürgen Rieger zum Vorsitzenden des Landesverbandes Hamburg gewählt. Die NPD fordert weiterhin eine Verankerung ihres Gedankenguts in breiten Teilen der Bevölkerung. In zahlreichen Verlautbarungen der Partei zeigt sich ihre grundsätzliche Feindschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie belegen zudem eine Affinität zu Ideen des Nationalsozialismus. Die Vorstellung von der "Volksgemeinschaft", in der das "Volk" als kollektive - nach ethnischen und rassischen Kriterien definierte - Ganzheit verstanden wird, ist der Gegenentwurf zum Grundgesetz und gilt der NPD als Allheilmittel für alle Probleme, die Globalisierung und die Migration mit sich bringen. Dabei werden diejenigen Teile der Bevölkerung, die nach Ansicht der Partei nicht der "Volksgemeinschaft" angehören, oft als Asoziale und Schmarotzer diffamiert. Mit einem erneuten Rückgang des Personenpotenzials ist die Weiterer DVU nicht mehr die mitglieder-, aber wie im Vorjahr die finanzBedeutungsverlust stärkste rechtsextremistische Partei. Die von ihrem Vorsitzenden der DVU Dr. Gerhard Frey dominierte Partei geriet trotz des "Deutschlandpakts" mit der NPD und deren Wahlerfolgen mehr und mehr in den Hintergrund. Wesentliche Themen der verfassungsfeindlichen Agitation der Partei sind geprägt von Antisemitismus, Revisionismus und Ausländerhetze. Dies zeigt besonders die einseitig negative und verzerrende Berichterstattung in der parteinahen "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ; vgl. Kap. IV, Nr. 2.1). 49 Inwieweit der von DVU und NPD geschlossene "Deutschlandpakt" weiter Zukunft hat, wird sich nach den Landtagswahlen im Jahr 2008 zeigen. Angekündigte Auch 2007 haben Rechtsextremisten durch Kaufinteressen an Immobilienkäufe einzelnen Immobilien für Schlagzeilen gesorgt. Dabei konnte durch Rechtsnicht ausgeschlossen werden, dass dieses Kaufinteresse aus unextremisten terschiedlichen Gründen nur vorgetäuscht war. Im Mittelpunkt standen dabei vermeintliche Kaufabsichten des neonazistischen Rechtsanwaltes, Mitglied des NPD-Bundesvorstandes und Landesvorsitzender der NPD in Hamburg, Jürgen Rieger, im bayerischen Wunsiedel, im nordrhein-westfälischen Menden und im niedersächsischen Melle. Letztlich hat Rieger in keinem der genannten Fälle Eigentum an einer der Immobilien erworben. Dem rechtsextremistischen "Störtebeker-Netz" zufolge gilt es in der Immobilienbranche inzwischen "längst als Geheimtipp, schwer verkäuflichen Objekten die Aura des Verkaufes an 'Nazis' anzudichten", um auf diese Weise die betroffenen Gemeinden zum "Kauf von vollkommen überteuerten (...) Immobilien zu nötigen". 4 IntellektualisieDem Rechtsextremismus in Deutschland ist es auch 2007 nicht rungsbemühungen gelungen, sich von seinem intellektuell dürftigen Niveau zu verstärkt, aber lösen. Zwar bemühten sich einige Intellektuelle mit einschlägiweithin erfolglos gen Kongressen, Schriften und Büchern die rechtsextremistische Agitation ideologisch zu untermauern, doch blieb es hierbei insgesamt nur bei Ansätzen. Mit dem erklärten "Kampf um die Köpfe" setzte die NPD ihre Theoriearbeit fort. Sie versuchte vermehrt, rechtsextremistische Intellektuelle an sich zu binden, ablesbar u.a. an der wachsenden Zahl von programmatisch-ideologischen Artikeln im Parteiorgan "Deutsche Stimme". Intellektuelle Vorreiter der NPD wie der - wegen seiner oftmals provokativen Thesen tonangebende - Parlamentarier Jürgen Gansel oder der Publizist und Theoretiker Karl Richter intensivierten diese Bemühungen. Die von der Partei hierzu gegründeten Organisationen (vgl. Kap. VI) und Publikationen wie die Zeitschrift "HIER & JETZT. Gesellschaft - Politik - Bewegung" fanden außerhalb der rechtsextremistischen Szene keine Resonanz. 4 "Störtebeker-Netz" (24. September 2007). 50 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Antisemitismus bleibt das zentrale ideologische Bindeglied zwiAntisemitismus schen den diversen Strömungen des Rechtsextremismus. Dies betrifft vor allem einen Antisemitismus der Andeutungen, der neben der offenen antisemitischen Hetze zugenommen hat. Mittels einer - oft indirekten - Propaganda wird versucht, die Gesamtheit "der Juden" zu diffamieren und ihnen pauschal negative Attribute zuzuschreiben. Dabei setzen Rechtsextremisten auf ein antisemitisches Einstellungspotenzial in der Bevölkerung und versuchen auf diesem Wege, ihren Einfluss zu erweitern (vgl. Kap. VII). 3. Organisationen und Personenpotenzial Ende 2007 gab es in Deutschland 180 (2006: 182) rechtsextremisErneuter tische Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Die Rückgang des Zahl ihrer Mitglieder sowie der nichtorganisierten Rechtsextrerechtsextremistimisten liegt mit 31.000 unter der des Vorjahres (38.600). Dies erschen Personengibt sich vor allem aus dem Wegfall der Partei "Die Republikapotenzials ner" (REP). Die Zahl der subkulturell geprägten5 und sonstigen gewaltbeZahl gewaltbereireiten Rechtsextremisten ging auf 10.000 (2006: 10.400) zurück. ter RechtsextremisZu den Gewaltbereiten werden auch diejenigen Rechtsextreten leicht zurückmisten gezählt, die - ohne bislang Gewalttaten verübt zu gegangen haben - Gewaltanwendung befürworten. Dazu gehören auch rechtsextremistische Skinheads, die sich durch ihre subkulturelle Prägung von anderen gewaltbereiten Rechtsextremisten, beispielsweise aus dem Neonazilager, unterscheiden. Die Zahl der Neonazis ist mit 4.400 (2006: 4.200) um knapp fünf Zahl der Neonazis Prozent gestiegen. Der Organisationsgrad der Neonazi-Szene ist leicht gestiegen mit 107 (2006: 108) Gruppierungen, die ein Mindestmaß an organisatorischen Strukturen erkennen ließen, fast gleich geblieben. Dazu zählte auch ein beträchtlicher Teil der Kameradschaften. 5 Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeiten sind nicht nur bei Skinheads, sondern auch - in geringem Umfang - bei Neonazis und - noch seltener - bei Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien festzustellen. Daher kann die Gewaltbereitschaft nicht das einzige Abgrenzungskriterium zwischen Skinheadund Neonazi-Szene sein. Hinzu kommt vielmehr die subkulturelle Komponente, mit der sich die Skinheads von allgemeinen gesellschaftlichen Standards abgrenzen. Dazu gehören beispielsweise martialisches Auftreten, aggressive Musik und exzessiver Alkoholkonsum. 51 Mitgliedergewinne Die Mitgliederentwicklung in den rechtsextremistischen Parbei der NPD, teien ist durch einen weiteren Anstieg bei der NPD auf 7.200 weitere Verluste (2006: 7.000) und einen Rückgang bei der DVU auf 7.000 (2006: bei der DVU 8.500) gekennzeichnet. Die Zahl der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen ist mit 69 gleich geblieben. Diesem Spektrum gehören rund 4.000 (2006: 3.800) Mitglieder/Aktivisten an. Rechtsextremismuspotenzial1 2005 2006 2007 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten 2 2 10.400 2 10.400 2 10.000 Neonazis 3 105 4.100 108 4.200 107 4.400 in Parteien 3 21.500 3 21.500 2 14.200 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 6.000 7.000 7.200 "Deutsche Volksunion" (DVU) 9.000 8.500 7.000 "Die Republikaner" (REP) 6.500 6.0004 -/-5 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 73 4.000 69 3.800 69 4.0005 Summe 183 40.000 182 39.9004 180 32.600 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften6 39.000 38.6004 31.000 1 Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Die meisten subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten (hauptsächlich Skinheads) sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind als gewaltbereit nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 3 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. In der Zahl der Gruppen sind nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen und diejenigen der rund 160 Kameradschaften enthalten, die ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen. 4 Hinsichtlich der REP insgesamt lagen 2006 keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, die eine gesonderte Darstellung im Verfassungsschutzbericht unter der Rubrik "Parteien" veranlasst erscheinen ließen. Innerhalb der Partei gab es jedoch nach wie vor Kräfte, die rechtsextremistische Ziele verfolgten oder unterstützten. 5 Aufgrund der im Jahr 2007 zu verzeichnenden Entwicklung der Partei wird die Partei "Die Republikaner" im Verfassungsschutzbericht, auch im Personenpotenzial nicht mehr als rechtsextremistisch geführt. 6 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen (für das Jahr 2007: 1.600). 52 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 4. Periodische Publikationen Die Zahl der periodischen rechtsextremistischen Publikationen ist mit 96 (2006: 86, 2005: 90) wieder angestiegen. 57 Publikationen erschienen mindestens quartalsweise. 5. Rechtsextremistische Internetpräsenzen Für Rechtsextremisten ist das Internet eine bedeutende Plattform, um ihre Ideologie zu verbreiten sowie Anhänger und neue Sympathisanten zu mobilisieren und zu werben. Die Zahl der von Deutschen betriebenen rechtsextremistischen Internetpräsenzen blieb mit etwa 1.000 gegenüber den Vorjahren konstant. Die absolute Anzahl dieser Homepages signalisiert zwar im Vergleich zu den Vorjahren eine scheinbare Konstanz, ist aber für die Beurteilung der Entwicklung rechtsextremistischer Seiten nur bedingt aussagekräftig. Die Fluktuation der Homepages, insbesondere im Bereich des Neonazismus und der subkulturell geprägten Skinheadszene, ist immens. So konnten im vergangenen Jahr über 250 neue rechtsextremistische Internetpräsenzen beobachtet werden; demgegenüber verschwand eine annähernd gleich große Anzahl aus dem Netz. Zu Demonstrationen, Kampagnen und Veranstaltungen werden anlassbezogene Sonderseiten ins Netz eingestellt. Auch Diskussionsforen sind für Rechtsextremisten nach wie vor ein beliebtes Kommunikationsmittel. Zum Teil sind in diesen Foren mehrere hundert Teilnehmer zusammengeschlossen. Die meisten Foren verfügen über zugangsgeschützte Bereiche, die nur nach Anmeldung einsehbar sind. Rechtsextremistisches Gedankengut kann im Internet weitgeEinsatz hend risikolos und bei Bedarf anonym verbreitet werden. Dies multimedialer gilt vor allem für rechtsextremistische Propaganda mit zum Teil Elemente strafbaren Inhalten, die vornehmlich von ausländischen Szeneprovidern angeboten wird. Darin liegt ein beachtliches Risiko, weil die Wirkung multimedialer Elemente (Tonund Videosequenzen) insbesondere auf Jugendliche gegenüber herkömmlichen Medien der rechtsextremistischen Szene deutlich höher einzustufen ist. Rechtsextremisten nutzen seit Jahren das Internet, um andere Personen relativ unkompliziert mit rechtsextremistischem Gedankengut in Berührung zu bringen. Dabei spielt jugendliche Faszination für vermeintlich Verbotenes eine nicht unerhebliche Rolle. 53 Nutzung von Nachdem Videoplattformen im Internet in letzter Zeit - insbeVideoplattformen sondere für Jugendliche - außerordentliche Beliebtheit erlangt haben, nutzt auch die deutsche rechtsextremistische Szene zunehmend die Möglichkeit, dort eigene Videoclips einzustellen. Dabei handelt es sich um Werbevideos einzelner Kameradschaften, um Filmaufnahmen von rechtsextremistischen Demonstrationen oder um Clips mit rechtsextremistischen Bands. Nachdem Videos mit rechtsextremistischen Inhalten jedoch von den Betreibern gesperrt wurden, haben Rechtsextremisten damit begonnen, eigene Videoplattformen zur Verbreitung ihrer Filme einzurichten. Daneben wird eine Vielzahl an Videos mit rassistischen und/oder gewaltverherrlichenden Inhalten oder mit Darstellungen von verfassungswidrigen Kennzeichen - oftmals anonym von Nutzern aus dem Ausland - ins Internet eingestellt. 6. Rechtsextremistische Kundgebungen Demonstrationen Die Zahl der neonazistischen Demonstrationen ist 2007 auf 66 von Neonazis (2006: 126, 2005: 145) deutlich zurückgegangen. Grund für den Rückgang der Veranstaltungen ist die seit 2005 verstärkte Anwendung des SS 130 Abs. 4 StGB. Auch konnten die 2006 noch feststellbaren Teilnehmerzahlen im Jahr 2007 nicht mehr beobachtet werden. Thematische Schwerpunkte der neonazistischen Kundgebungen waren staatliche Repression und soziale Themen. Demonstrationen Die NPD setzte den "Kampf um die Straße" auch 2007 fort. Die Ander NPD zahl der von der Partei und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) - zumeist zusammen mit Neonazis und Skinheads - organisierten Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen blieb mit rund 70 (2006: rund 70)6 konstant. Zum 1. Mai 2007 organisierte die NPD sechs dezentrale Demonstrationen mit insgesamt rund 2.700 Teilnehmern. Die größte Veranstaltung mit rund 6 In diesen Zahlen sind kleinere Veranstaltungen, wie z.B. Mahnwachen und Infostände, nicht enthalten. 54 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 1.300 Teilnehmern fand in Erfurt (Thüringen) unter dem Motto "Zukunft statt Globalisierung" statt. Nach dem vom Oberverwaltungsgericht Greifswald ausgesprochenen Verbot einer zentralen Kundgebung, die die NPD für den 2. Juni 2007 in Schwerin im Rahmen ihrer "Gib8"-Kampagne gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) geplant hatte, versammelten sich nach - vermutlich deutlich überhöhten - Parteiangaben insgesamt rund 2.500 Personen zu zahlreichen Spontankundgebungen im gesamten Bundesgebiet.7 In Berlin gelang es einer Gruppe von NPD-Anhängern, geschlossen durch das Brandenburger Tor zu marschieren. Zu den teilnehmerstärksten Veranstaltungen im Jahr 2007 zählSonstige ten insbesondere: Veranstaltungen Die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) veranstaltete am 4. August 2007 in Dresden ein Sommerfest "Sachsentag 2007". Daran nahmen bis zu 1.000 Personen teil. Rund 1.600 Personen beteiligten sich am 8. September 2007 in Jena (Thüringen) an dem - vom NPD-Kreisverband Jena in Zusammenarbeit mit "Freien Kräften" veranstalteten - "Fest der Völker". Im Sinne ihrer "Volksfront"-Strategie besuchten führende NPD-Funktionäre erneut Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Organisationen. So sprachen Udo Voigt und Dr. Olaf Rose, parlamentarischer Berater der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, bei einem "Trauermarsch" zum Gedenken an die Zerstörung der Stadt Dresden am 13. Februar 1945. Am Jahrestag hatten sich in der dortigen Innenstadt rund Demonstration 13.02.2007 1.750 (2006: 4.200) Teilnehmer versammelt. Anmelder war, wie bereits in den Vorjahren, die rechtsextremistische "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland e.V." (JLO).8 7 Homepage der NPD (4. Juni 2007). 8 Die "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" hat sich 2006 umbenannt in "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland e.V.". 55 II. Gewaltbereite Rechtsextremisten 1. Rechtsextremistisches Personenpotenzial Gewaltbereite Das Potenzial gewaltbereiter Rechtsextremisten liegt bei etwa Szene auf hohem 10.000 (2006: 10.400) Personen. Niveau stabilisiert 2. Rechtsterrorismus Keine Rechtsterroristische Strukturen waren auch 2007 in Deutschland rechtsterroristinicht feststellbar, ebenso wenig wie eine Theoriediskussion, die schen Strukturen zu einer systematischen Gewaltanwendung aufgefordert hätte. Affinität der Szene Gleichwohl birgt die Affinität der Szene zu Waffen und Sprengzu Waffen und stoff ein latentes Gefährdungspotenzial. Beispielsweise verletzte Sprengstoff sich am 11. Juni 2007 im sächsischen Leutersdorf ein Rechtsextremist bei einer Explosion schwer, als er mit Chemikalien experimentierte, die er offensichtlich für den Bau einer Rohrbombe verwenden wollte. 3. Rechtsextremistische Skinhead-Szene RechtsextremistiRechtsextremistische Skinheads verfügen über kein geschlossesche Einstellungen nes Weltbild. Vielmehr handelt es sich bei der rechtsextremistischen Skinhead-Szene um eine Subkultur, deren Mitglieder meistens eine diffus rechtsextremistische Einstellung vertreten. Nicht politische Betätigung, sondern subkulturelle Aktivitäten wie beispielsweise der Besuch von rechtsextremistischen Musikveranstaltungen stehen im Vordergrund. Attraktivität Für Jugendliche kann der Einstieg in diese Szene auf unterfür Jugendliche schiedliche Art und Weise geschehen. Entscheidend ist oftmals das Bedürfnis, das eigene Selbstwertgefühl durch die Mitgliedschaft in einer Gruppe zu steigern oder die schlichte Lust an der Provokation gegenüber Lehrern, Erziehungsberechtigten oder der Gesellschaft. Erster Berührungspunkt mit rechtsextremistischer Ideologie ist für Jugendliche - neben dem Internet - zumeist die rechtsextremistische Musik, deren Reiz durch das vermeintlich Verbotene gesteigert wird. Gerade bei eher labilen Jugendlichen besteht die Gefahr, dass fremdenfeindliche und nationalistische Positionen Akzeptanz finden. Rechtsextremisten bauen ihre Werbestrategie daher auch bewusst auf solche Mu56 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE sikträger auf, in deren Texten Probleme und Ängste der Jugendlichen thematisiert werden. Als Beispiel ist der Text aus dem Intro zum strafrechtlich relevanten CD-Sampler "60 Minuten Musik gegen 60 Jahre Umerziehung" anzuführen, der u.a. in Bayern, Sachsen und Thüringen verteilt wurde: "Unsere heutigen Schulen sind schon längst ein Sammelbecken für junge Schwerkriminelle geworden - meist ausländische Banden haben hier das Sagen. (...) Haben nicht schon viele von euch von solchen Dingen gehört oder sie selbst miterleben müssen? (...) Wie viele von euch haben einen festen Arbeitsplatz in Aussicht - geschweige denn eine gesicherte Zukunft? (...) In unseren Reihen sind Freundschaft, Zusammenhalt, Kameradschaft und Gemeinschaft nicht bloß leere Worte. Wir leben, fühlen und handeln danach. Mit dieser CD versuchen wir Euch ein bisschen von unserem Wollen zu vermitteln. Euch ein wenig zu zeigen, was wir fühlen. Wenn ihr Euch für unsere Arbeit interessiert, dann findet ihr auf dieser CD und auf der angegebenen Internetseite Kontaktmöglichkeiten." Nach den ersten Kontakten vertieft sich oftmals die zunächst nur Verfestigung der lose Einbindung in die Szene. Man besucht gemeinsam rechtsEinstellungen extremistische Musikveranstaltungen, die wegen ihrer konspirativen Durchführung einen besonderen Reiz bieten. Mit zunehmender Integration in subkulturelle rechtsextremistische Strukturen geht auch eine weitergehende Übernahme des rechtsextremistischen Weltbildes einher. Verbunden mit einer Szenemitgliedschaft kommt es zu Straftaten, insbesondere zu Propagandadelikten, etwa das Verwenden verfassungswidriger Kennzeichen - z.B. Sigrunen oder Hakenkreuzen - oder zu Volksverhetzungsdelikten. Die Gewaltakzeptanz der rechtsextremistischen Skinhead-Szene Gewaltakzeptanz resultiert unter anderem aus dem innerhalb der Szene gepflegten Männlichkeitskult und der behaupteten Überlegenheit der "weißen Rasse" bzw. speziell "des Deutschen". Stärke und Kampfgeist werden als vermeintlich männliche Eigenschaften idealisiert; vor allem unter Alkoholeinfluss baut sich eine Aggressivität auf, die sich in spontan verübten Gewalttaten entlädt. Opfer 57 sind dabei zumeist Migranten, Homosexuelle oder politische Gegner, die auch durch die Liedtexte rechtsextremistischer Musikgruppen verhöhnt werden. Schwerpunkt in Der Schwerpunkt der rechtsextremistischen Skinhead-Szene Ostdeutschland liegt weiterhin in Ostdeutschland. Bei einem Anteil von rund einem Fünftel der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland lebt dort etwa die Hälfte der gewaltbereiten Rechtsextremisten. Insbesondere im Großraum Berlin sowie in einigen Regionen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns gibt es größere Gruppen. Gleiches gilt mit Einschränkungen auch für die Ballungsgebiete in Westdeutschland, z.B. das Ruhrgebiet. Fortschreiten der Innerhalb des deutschen Rechtsextremismus ist eine anhaltende Abkehr von der Abkehr von der klassischen Skinhead-Subkultur festzustellen. Skinhead-Subkultur Das spiegelt sich sowohl in den Musikstilen rechtsextremistischer Bands als auch im veränderten Erscheinungsbild von Szeneangehörigen wider. Der entscheidende Grund für diese Entwicklung liegt darin, dass die Skinhead-Subkultur zwischenzeitlich durch Einflüsse und Konkurrenz anderer Jugendsubkulturen zurückgedrängt worden ist. So weichen die langjährigen Erkennungszeichen für Skinheads - Bomberjacke und Springerstiefel - zusehends bestimmten Turnschuhen und Kleidungsstücken im Trend liegender Modemarken. Dabei kann es sich sowohl um Hersteller handeln, die im Regelfall eine unpolitische Kundschaft ansprechen, aber oft auch um Szenemarken, deren Kleidungsstücke mit Zahlen oder Buchstabenkombination die rechtsextremistische Einstellung des Trägers signalisieren. "Blood & Honour"Seit den Exekutivmaßnahmen im März 2006, bei denen die PoliNachfolgezei über 120 Objekte von 80 Rechtsextremisten in Baden-Würtbestrebungen temberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Hessen, RheinlandPfalz, Sachsen und Thüringen durchsuchte, konnten die Ermittlungen gegen die Beschuldigten wegen Fortführung einer verbotenen Vereinigung bzw. Unterstützung von Nachfolgestrukturen weitestgehend abgeschlossen werden. Eine Abgabe der Verfahren an die zuständigen Staatsanwaltschaften ist in Teilen erfolgt. Verbindungen Neonazis und die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" zu Neonazis (NPD) nutzen das Potenzial der subkulturell geprägten gewaltund zur NPD bereiten Rechtsextremisten, um für eigene Demonstrationen zu 58 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE mobilisieren. Dabei ziehen Auftritte von Szenebands subkulturell geprägte Rechtsextremisten an. III. Neonazismus Das neonazistische Spektrum definiert sich über eine inhaltliche Bezugnahme auf Bezugnahme auf die NS-Ideologie, wobei dies in unterschiedlidie NS-Ideologie cher Art und Weise geschieht. Während das Gros der NeonaziSzene nach wie vor das "Dritte Reich" als Ideal einer staatlichen Ordnung ansieht, gilt die Politik Adolf Hitlers anderen Teilen der Neonazi-Szene als Abkehr von der "reinen Lehre" des vermeintlich wahren Nationalsozialismus. In der Neonazi-Szene in Deutschland werden je nach Kameradschaft und regionaler Führungsfigur unterschiedliche Interpretationen der NS-Ideologie zum Leitbild der eigenen politischen Arbeit erhoben. Gemeinsam ist allen Neonazis jedoch, dass sie die staatliche Ordnung der Bundesrepublik - von Neonazis "System" genannt - durch einen autoritären "Führerstaat" mit einer ethnisch homogenen Bevölkerungsstruktur ersetzen wollen. Abweichende Meinungen wären in einer nach diesen Maßstäben errichteten Gesellschaft untersagt, da sie das behauptete einheitliche politische Wollen des Volkes gefährdeten. Damit einher ginge die massive Entrechtung von Individuen oder von den Teilen der Bevölkerung, die sich einem solchen System widersetzen oder - auch aus ethnischen Gründen - von ihm nicht als gleichberechtigte Bürger akzeptiert würden. Das Personenpotenzial der Neonazi-Szene stieg im Jahr 2007 auf Personenpotenzial 4.400 (2006: 4.200). Die Szene organisiert sich größtenteils in so genannten Kameradschaften, d.h. in kleinen Gruppen, die zur Vermeidung staatlicher Verbotsmaßnahmen den Anschein fester Vereinsstrukturen vermeiden, durch lose Kontakte, auch über das Internet, aber die Organisation und Vernetzung der Szene gewährleisten. Aktivitäten der Kameradschaften umfassen beispielsweise ideologische Schulungen und gelegentlich auch Wehrsportaktivitäten. Außenwirkung entfalten diese Gruppen durch das Verteilen von Flugblättern sowie vereinzelt auch durch Infostände oder Demonstrationen. Neonazi-Aktivisten vermeiden es im Regelfall durch GewaltakGewaltakzeptanz tionen in Erscheinung zu treten, da sie sowohl staatliche 59 Repressionen als auch den Verlust von vermeintlich vorhandenem Zuspruch in der Bevölkerung befürchten. Anonyme Verlautbarungen über die Möglichkeit einer "nationalen Revolution", Waffenfunde oder Wehrsportaktivitäten belegen jedoch immer wieder, dass das Neonazi-Spektrum eine klare Affinität zur Gewalt hat, jedoch deren allzu deutliche Zurschaustellung aus taktischen Gründen nach Möglichkeit vermeidet. Verbot der Am 26. April 2007 verbot der Innenminister des Freistaates SachKameradschaft sen die neonazistische Kameradschaft "Sturm 34". Die nach einer "Sturm 34" SA-Einheit benannte Gruppierung sah in der Anwendung von in Sachsen Gewalt ein legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer Ziele. Ihre Mitglieder hatten in der Region Mittweida (Sachsen) zahlreiche fremdenfeindliche und gegen den politischen Gegner gerichtete gewalttätige Übergriffe verübt. Damit verbunden war das Ziel, die Region Mittweida in eine "National befreite Zone" umzuwandeln, d.h. von Rechtsextremisten dominierte Räume zu schaffen, aus denen der Gruppierung missliebige Personenkreise (z.B. Menschen mit Migrationshintergrund, Homosexuelle oder "Linke") herausgedrängt werden. Bei den im Zuge der Verbotsvollstreckung vorgenommenen Exekutivmaßnahmen gegen die Gruppe wurden u.a. auch Schreckschusswaffen und Würgehölzer beschlagnahmt. Neue Teile des Neonazi-Spektrums bemühen sich, mit neuen AktionsAktionsformen formen Aufmerksamkeit zu erlangen. So vermauerten Rechtsextremisten in der Nacht zum 13. März 2007 den Haupteingang des Gebäudes der Arbeitsagentur in Zittau (Sachsen) und hinterließen auf dem Mauerwerk die Parole "Ein neues System bietet neue Alternativen/Nationale Sozialisten". Aktionen wie diese zielen darauf ab, innerhalb der Bevölkerung vorhandene Missstimmungen - beispielsweise über die Arbeitssituation - in eine generelle Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates umzuwandeln. Dabei versuchen die Neonazis zunehmend, die eigene Weltanschauung mit einer antikapitalistischen Attitüde zu versehen, um sich damit neue klassisch "linke" Zielgruppen zu erschließen. Anlässlich der von der Szene ausgerufenen "Heß-Wochen", dem Zeitraum um den 20. Jahrestag des Selbstmordes von Rudolf Heß (17. August 1987), organisierten sächsische Neonazis eine bundesweite Rundfahrt mit einem Lkw, auf dessen Seitenwänden 60 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE neben dem Konterfei, dem Namen, dem Geburtsund Sterbejahr des Hitler-Stellvertreters die Aufschrift "Mord verjährt nicht" angebracht war. Der Text spielt auf die Behauptung der Szene an, Heß sei unmittelbar vor seiner bevorstehenden Entlassung aus dem alliierten Militärgefängnis in Berlin-Spandau vom britischen Geheimdienst umgebracht worden. Dieser hätte verhindern wollen, dass Heß nach seiner Freilassung Informationen über die behaupteten Friedensabsichten Hitler-Deutschlands veröffentliche. Heß selbst habe sich "so gut wie nichts zu Schulden kommen"9 lassen. Hintergrund der geschichtsverzerrenden Darstellung ist die Absicht, das "Dritte Reich" und die Politik der NS-Regierung positiv darzustellen, um damit letztlich die NSIdeologie als denkbare Systemalternative erscheinen zu lassen. Mit noch drastischeren Mitteln versuchen die so genannten Au"Autonome tonomen Nationalisten seit dem Jahr 2004 auf sich aufmerksam Nationalisten" zu machen. Sie übernehmen Parolen, Symbole und Erscheinungsformen des (militanten) Linksextremismus. Dabei zielen die Angehörigen dieser neonazistischen Strömung, die sich bei der Artikulation ihres Politikverständnisses unter anderem auf die Tradition der so genannten Nationalrevolutionäre10 beruft, insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene ab: "(...) geht es bei Demonstrationen darum die Herzen der Bevölkerung zu gewinnen. Aber was muß sich der Jugendliche am Rande der Demonstrationsstrecke denken, wenn an ihm ausschließlich Cord-Hosenund Braunhemd-Träger vorbeilaufen? Spricht es die Jugend nicht vielmehr an, wenn bspw. der Metal-Head oder der locker gekleidete Skater im Demonstrationszug seinesgleichen entdeckt?" (Stellungnahme des "Autorenkollektivs linker Niederrhein" zum "Abgrenzungsbeschluss" des NPD-Parteipräsidiums; "Störtebeker-Netz", 17. August 2007) 9 Homepage der Organisatoren (8. November 2007). 10 Politische Strömung aus den 1920er und 1930er Jahren, die sowohl nationalistische als auch antibürgerliche und antikapitalistische Inhalte aufwies. 61 Schwerpunkte der Aktionen "Autonomer Nationalisten" lagen im Großraum Berlin, im Ruhrgebiet sowie in Südwestdeutschland. Den "Autonomen Nationalisten" können ca. zehn Prozent des Personenpotenzials der Neonazi-Szene zugerechnet werden. Im Gegensatz zu den Demonstrationen anderer Neonazis (vgl. Kap. I, Nr. 6) besitzen die Kundgebungen der "Autonomen Nationalisten" zumeist einen ausgesprochenen "HappeningCharakter", zudem lässt sich dort eine signifikant höhere Gewaltbereitschaft gegenüber dem politischen Gegner und Polizeikräften feststellen. Gerade auf junge Menschen kann dieser aktivistische Politikansatz anziehend wirken, zumal dem Einzelnen lediglich ein unbestimmtes Bekenntnis zum Weltbild der "Autonomen Nationalisten" abverlangt wird. Bezeichnend für die Nachrangigkeit theoretisch-ideologischer Positionen ist die Tatsache, dass die "Autonomen Nationalisten" erst Mitte 2007 ein eigenständiges Positionspapier veröffentlichten. Darin heißt es: "Das Konzept des politischen Soldaten ist der exekutiven Macht des Systems heute nicht mehr gewachsen. An seine Stelle tritt der politische Partisan, der sich unerkannt und anonym in der Gesellschaft, die er ablehnt bewegt, um sie gezielt im Sinne der nationalen Revolution zu unterwandern. Die festen Strukturen werden durch ein dichtes Netzwerk an Aktivisten überflüssig gemacht, in dem die Personen unter einer auf natürlicher Autorität beruhenden, ranglosen Führung arbeitsteilig und ihren verschiedenen Fähigkeiten entsprechend zusammenarbeiten."11 ("Unser Selbstverständnis" und "Autonomer Nationalismus"; Homepage der "AN Nord-West", 29. Juni 2007) Damit lässt das erlebnisorientierte Auftreten den Rechtsextremismus insbesondere für solche Jugendliche attraktiver erscheinen, die für eine klassische politische Betätigung nicht zu 11 Der Rückgriff auf das "Konzept des politischen Soldaten" bezieht sich auf den historischen Nationalsozialismus. 62 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE begeistern wären, sich jedoch mit dem ideologischen Minimalprogramm und dem aktivistischen Politikansatz der "Autonomen Nationalisten" identifizieren können. Nachdem die "Autonomen Nationalisten" in den Vorjahren innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums - selbst innerhalb der Neonazi-Szene - isoliert waren, zeigte sich 2007 eine Veränderung: Im Zusammenhang mit einem "Abgrenzungsbeschluss" des Parteipräsidiums der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) gegenüber den "Autonomen Nationalisten" erklärte sich der größte Teil der deutschen Neonazi-Szene im August 2007 mit den "Autonomen Nationalisten" solidarisch. Dies kann als Indiz für die gestiegene Reputation der Strömung innerhalb der Szene gewertet werden. Daneben gibt es weitere Neonazi-Gruppierungen, die sich von anderen Subkulturen konsequent abgrenzen. Sie versuchen, sich möglichst seriös zu präsentieren. Ein Beispiel dafür ist die neonazistische "Heimattreue Deutsche "Heimattreue Jugend e.V." (HDJ). Der im Jahr 1990 als Abspaltung aus dem Deutsche Jugend "Bund Heimattreuer Jugend e.V." (BHJ) gegründete Verein vere.V." (HDJ) fügt über eine bundesweite hierarchische Gliederung und ist mit seiner Bundesführung in Berlin ansässig. Mit mehreren hundert Mitgliedern ist die HDJ ein fester Bestandteil des rechtsextremistischen Spektrums und verfügt über umfangreiche szeneübergreifende Kontakte. So bestehen bundesweit sowohl Verbindungen zur NPD als auch zu der neonazistischen Kameradschafts-Szene. Darüber hinaus sind viele HDJMitglieder auch in anderen rechtsextremistischen Organisationen vertreten. Ein wesentliches Betätigungsfeld des Vereins ist die Organisation von Lagern und Fahrten, an denen manchmal auch ganze Familien teilnehmen. Am jährlichen "Pfingstlager" der HDJ nahmen vom 25. bis 28. Mai 2007 im niedersächsischen Eschede etwa 350 Personen teil. Zielsetzung der HDJ ist es, über zunächst unpolitisch erscheinende Aktivitäten Jugendliche und Kinder an rechtsextremistisches Gedankengut heranzuführen. Unter Vorspiegelung einer 63 jugendpflegerischen Tätigkeit betreibt sie eine gezielte Ideologisierung ihrer Mitglieder. So enthält das vierteljährlich erscheinende Vereinsorgan "Funkenflug" Texte, in denen der Nationalsozialismus verherrlicht wird sowie antisemitische Einstellungsmuster deutlich werden. Verhältnis der Insbesondere nach den Wahlerfolgen der NPD sehen weite Teile Neonazi-Szene des Neonazi-Spektrums die Partei als Option, die eigenen politizur NPD schen Zielsetzungen zu verwirklichen. Dies geschieht aus Identifikation mit der NPD, aber auch aus der Vorstellung, die Partei als Vehikel zu benutzen, um nach einem "Machtwechsel" noch radikalere politische Vorstellungen umsetzen zu können. Der relativ deutliche Anteil von Angehörigen der Neonazi-Szene in den Führungsgremien der NPD und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) belegt die engen Verflechtungen. Innerhalb der Neonazi-Szene gibt es jedoch auch Stimmen, die die Kooperation mit der NPD ablehnen. Während für Teile der Szene die politischen Forderungen der Partei zu "lasch" sind, ist sie für andere Protagonisten lediglich ein Instrument des verhassten "Systems", um das "nationale Lager" durch die Einbindung in die Parlamente zu schwächen. Auftreten der NPD und ihr Verhalten gegenüber der Neonazi-Szene werden oft kritisch wahrgenommen. Solange die NPD jedoch Erfolge vorweisen kann, wird die Zahl der Befürworter einer Zusammenarbeit mit der Partei innerhalb des Neonazi-Spektrums überwiegen. 64 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE IV. Parteien 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Sitz: Berlin Bundesvorsitzender: Udo Voigt Mitglieder: 7.200 (2006: 7.000) Publikation: "Deutsche Stimme", monatlich, Auflage: 35.000 (eigene Angabe) Unterorganisationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN), "Ring Nationaler Frauen" (RNF), "Nationaldemokratischer Hochschulbund e.V." (NHB) 1.1 Zielsetzung und Methode Die NPD als - inzwischen - mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei fordert eine neue Gesellschaftsordnung sowohl in Deutschland als auch in Europa ("a New Social Order in both Germany and Europe"12). Sie strebt die "Macht über Staat und Wirtschaft" an, um eine "Volksgemeinschaft" und ein neues "Deutsche(s) Reich" zu errichten.13 Ziel der NPD ist die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie und des demokratischen Rechtsstaats. Sie bedient sich hierzu auch aggressiver Agitation und Propaganda. Dabei setzt die NPD die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in Deutschland mit der krisenhaften Entwicklung gegen Ende der Weimarer Republik gleich. So behauptet Jürgen Gansel, Mitglied im NPD-Bundesvorstand und Parteiideologe, im Parteiorgan "Deutsche Stimme"14, demoskopische Befunde belegten die "innere Abwendung großer Bevölkerungsteile vom liberalistischen System, an dem die Völker ethnisch, geistig und sozial zugrunde zu gehen" drohten. 12 Udo Voigt in einem Interview mit der rechtsextremistischen britischen Publikation "Final Conflict", veröffentlicht auf deren Homepage (18. Januar 2007). 13 "Deutsche Akademie-Brief" Nr. 26, S. 3. 14 "Deutsche Stimme" Nr. 4/2007, S. 19. 65 Verlautbarungen der Partei belegen zudem eine ausgeprägte Affinität der NPD zur Ideologie des Nationalsozialismus. Die Agitation der Partei ist darüber hinaus rassistisch, antisemitisch, revisionistisch und verunglimpft die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung des Grundgesetzes. Völkischer Die freiheitliche demokratische Grundordnung will die NPD Kollektivismus/ durch eine "Volksgemeinschaft" ersetzen, so die Partei in ihrem "Volksgemeinvon der "Deutschen Stimme Verlagsgesellschaft mbH" herausschaft" gegebenen "Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2007". Eine Änderung dieser politischen Grundaussagen ist auch von dem geplanten, neuen Parteiprogramm nicht zu erwarten. Der Vorsitzende der Programmkommission, der stellvertretende Parteivorsitzende Sascha Roßmüller, betonte jedenfalls in der "Deutschen Stimme", die "Programmfortschreibung" führe zu "keinen inhaltlichen Verwerfungen in Grundfragen des völkisch-identitären Selbstverständnisses".15 Diese Einschätzung bestätigt auch der Antragsentwurf des Parteivorstands für den ursprünglich für Ende Oktober 2007 geplanten Parteitag (vgl. Nr. 1.2). Der Programmentwurf wird wesentlich durch völkisches Denken geprägt. So heißt es dort u.a., die "nationale Volksgemeinschaft" sei "die einzige natürlich-nachhaltige und damit legitime Grundlage des Staates". Für "eine politische Neuordnung" sei es erforderlich, "Rechte und Grundpflichten des deutschen Volkes" in den Grundrechtskatalog des Grundgesetzes aufzunehmen und die "Volksgesetzgebung" durch die Möglichkeit bundesweiter Volksentscheide zu stärken. Die NPD will - dem Programmentwurf zufolge - die "Würde des Menschen im Rahmen seiner ganzheitlichen, d.h. nicht allein individuellen Identität" verwirklichen. "Volkstum und Kultur" seien wesentlich für die Entfaltung der Menschenwürde. Und so habe der Staat, dessen Aufgabe der Schutz der Menschenwürde sei, "Verantwortung für das Volk" zu tragen. 15 "Deutsche Stimme" Nr. 10/2007, S. 3. 66 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Im Rahmen der von ihr vertretenen völkisch-kollektivistischen Vorstellungen negiert die NPD weitgehend die verfassungsrechtlich garantierten Individualrechte und räumt dem Kollektiv, der "Volksgemeinschaft" Priorität ein. Dem Individuum kommt nur insoweit Bedeutung zu, als es Teil eines Volkes ist und sich zu seinem Volk bekennt. In der "Deutschen Stimme" definierte das NPD-Bundesvorstandsmitglied Jürgen Rieger die von der Partei erstrebte "Volksgemeinschaft" wie folgt: "Solidarismus erkennt, daß wahrhafte Demokratie nur bei einer gleichartigen Bevölkerung möglich ist. Je verschiedenartiger eine Bevölkerung ist, desto mehr strebt sie auseinander, was nötigenfalls diktatorische Maßnahmen zur Befriedung erfordert. (...) Solidarismus verlangt härtere Strafen für Verbrecher und die Beseitigung von Schmarotzerunwesen. Die Volksgemeinschaft wird durch Asoziale gesprengt. Schmarotzer und Kriminelle gehören nicht zur Volksgemeinschaft." ("Deutsche Stimme" Nr. 5/2007, S. 20) Der NPD-Landesverband Baden-Württemberg führte am 21. Ja"Reichsidee" nuar 2007 in Stuttgart seine "traditionelle Reichsgründungsfeier" durch und bekräftigte das "Bekenntnis zum Reich", das für "volkstreue Deutsche" zugleich "ein Bekenntnis zu seiner selbstgewählten Staatsund Regierungsform" sei.16 Die NPD unterstellt den Deutschen einen völkisch definierten AntiparlamentarisWillen, der sich wesensgemäß nicht in parlamentarischen Memus und "Systemchanismen artikulieren könne. überwindung" Während einer von der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag beantragten Aktuellen Debatte "Volksherrschaft durchsetzen! - Ja zur Direktwahl des Bundespräsidenten"17 am 4. Juli 2007 16 Homepage der NPD Baden-Württemberg (29. Januar 2007). 17 Homepage der sächsischen NPD-Landtagsfraktion (5. Juli 2007). 67 bezeichnete Gansel den deutschen "Parlamentarismus" als "Karikatur einer Volksherrschaft". Die NPD werfe der politischen Ordnung der Bundesrepublik einen "eklatanten Mangel an wirklicher Volksherrschaft" vor, "da volksfremde Parlamentarier in abgehobenen Parlamenten systematisch am Volkswohl und Volkswillen" vorbeiregierten. Einer Internetveröffentlichung zufolge18 forderte der Fraktionsvorsitzende der NPD im Schweriner Landtag, Udo Pastörs, während einer Demonstration von NPD und neonazistischen "Freien Kräften" am 16. Juni 2007 in Rathenow (Brandenburg) "Kampf diesem völkerverderbenden, zentralen kapitalistischen System". Der NPD-Landesgeschäftsführer Sachsen-Anhalt, Matthias Heyder, erklärte dazu: "Weiterhin hat der Nationale Widerstand alles Recht dieses kalte, zubetonierte, korrupte, menschenverachtende System als ,Bestie' zu bezeichnen. (...) Wir bleiben dabei: Dieses System muss weg. Die Parteien haben sich den Staat zur Beute gemacht und ein unsägliches, ausschließlich materiell orientiertes, volksfeindliches System eingeführt (...) dass restlos abgeschafft gehört." (Homepage der NPD Sachsen-Anhalt, 23. August 2007) Ausgeprägte Die von der NPD propagierte "Volksgemeinschaft" steht in der Affinität zur antidemokratischen Tradition des Nationalsozialismus. Dieser Ideologie des Naverstand darunter insbesondere eine Blutund Schicksalsgetionalsozialismus meinschaft, in der die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der "Volksgenossen" untergeordnet und "Volksfremde" ausgegrenzt wurden. In offensichtlicher Anlehnung an die nationalsozialistische Diktion heißt es in einem Beitrag in der "Deutschen Stimme": 18 Internetpräsenz Endstation Rechts (21. Juni 2007). 68 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Eine Volksund Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen in einem freien und starken Sozialstaat muß die Richtschnur unseres Handelns sein." "Deutsche Stimme" Nr. 8/2007, S. 2) In ähnlicher Weise klingt in einer Einladung des NPD-Landesverbandes Baden-Württemberg zu einer "Sommersonnwendfeier" am 23. Juni 2007 der Sprachgebrauch des Nationalsozialismus an. Darin heißt es, "Kampf und Arbeit" seien die Garanten für "Volk und Raum" sowie "Blut will zu Blut: Erbe und Erde sind eine Einheit!".19 Auf den Vorwurf des Präsidenten des Landtages MecklenburgVorpommern, die Verwendung des Begriffs "Volksgenosse" sei Ausdruck rassistischen und antisemitischen Gedankenguts, entgegnete man ihm aus den Reihen der NPD-Fraktion, Verschiedenheiten zwischen Ausländern und Deutschen lägen "in der Natur" und seien "somit Gesetz". Begriffe wie "Volksgenosse" oder "Volksgemeinschaft" hätten in dem "Umerziehungs-Vokabular der Einheitsparteien" keinen Platz. Die NPD bekräftigte: "Wir bleiben nach wie vor dabei, an alle Volksgenossen: Kämpfen Sie mit uns für eine neue Volksgemeinschaft!" (Homepage der NPD Mecklenburg-Vorpommern, 11. Juli 2007) Auch in der aktuellen Auflage der vom Parteivorstand herausgegebenen Argumentationshilfe für Kandidaten und Funktionsträger20 heißt es, nur weil es etwas schon im Dritten Reich gegeben habe, müsse dies nicht automatisch schlecht sein. Die NPD sei keine Partei, die etwas nur deshalb ablehne, weil es dieses auch schon von 1933 bis 1945 gegeben habe. So sei "auch die Idee einer solidarischen Volksgemeinschaft grundrichtig". Diese sei 19 Homepage der NPD Baden-Württemberg (13. Juni 2007). 20 Broschüre des NPD-Parteivorstands: "Eine Handreichung für die öffentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten & Funktionsträger", 2. Auflage, Juni 2006, S. 32 f. 69 zudem keine Erfindung der Nationalsozialisten, sondern "vornationalsozialistischen Ursprungs und von zeitloser Gültigkeit". Der NPD gilt der "Reichsarbeitsdienst" als Beispiel einer "willentlich agierenden Volksgemeinschaft": "Aus dem Mittel zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit war ein Instrument der Menschenerziehung geworden - hin zu einer willentlich agierenden Volksgemeinschaft - und zwar über den Krieg und die nationalsozialistische Herrschaft hinweg. (...) Heute erscheint die Idee eines Arbeitsdienstes so aktuell wie nie zuvor. Das Volk ist zur Gesellschaft geworden und bröckelt auseinander. Ein gemeinschaftlicher Wille zur Selbsterhaltung ist kaum noch erkennbar. (...) Es gilt, sich an die Traditionen des 'Vaterländischen Hilfsdienstes' zu erinnern, sie zu beleben und in eine neue Form zu bringen." ("Die Geschichte des Reichsarbeitsdienstes", in: "Taschenkalender des Nationalen Widerstandes 2007"; ohne Seitenangabe) Aggressive AgiWeiterhin sind die Aktivitäten und Aussagen der NPD bzw. ihrer tation gegen den maßgeblichen Funktionäre sowie ihre Angriffe auf die freiheitpolitischen Gegner liche demokratische Grundordnung und ihre Repräsentanten aggressiv. Wenngleich sich die Parteiführung in ihren offiziellen Stellungnahmen regelmäßig gegen Gewaltanwendung ausspricht, belegen Äußerungen maßgeblicher Protagonisten der NPD einmal mehr das - zumindest in Teilen der Partei - ambivalente Verhältnis zur Gewalt. Sie wird vielfach nicht aus grundsätzlichen, sondern aus taktischen und opportunistischen Erwägungen abgelehnt. So ist die nach außen propagierte Gewaltlosigkeit vor allem den gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Kräfteverhältnissen geschuldet. Explizit wird lediglich die individuelle, nicht jedoch eine "aus der Bewegung heraus" entstehende Gewalt verurteilt.21 So erklärte das Parteipräsidium am 10. September 2007 zur Abgrenzung von den - bei Demonstrationen der NPD als "Schwarzer Block" auftretenden - "Autonomen Nationalisten" (vgl. Kap. III), manch einem (aus 21 Voigt in der Berliner Zeitung vom 29. Oktober 2004. 70 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE dem "Schwarzen Block") gehe es offensichtlich "nur um Gewalt um der Gewalt willen".22 In einer am 16. August 2007 im Internet veröffentlichten ErkläSzeneinterne rung des NPD-Parteipräsidiums mit dem Titel "Unsere Fahnen Kontroverse um sind schwarz - unsere Blöcke nicht"23 distanziert sich die ParteiHaltung gegenüber spitze von dem "bisher nur von linksradikalen/antifaschistischen dem "Schwarzen Demonstrationen bekannten Phänomen des 'Schwarzen Blocks'" Block" der "Autonomen Nationalisten" und spricht sich "in aller Deutlichkeit gegen derartige anarchistische Erscheinungsformen aus". Nach anhaltender Kritik aus dem Neonazilager, das der NPD-Führung einen "bürgerlich-reaktionären" Kurs vorwarf und einigen - durchaus widersprüchlichen - Äußerungen aus dem Kreis der NPD-Führung blieb es letztlich bei der Einschätzung des NPD-Vorsitzenden, wonach die Vertreter des "Schwarzen Blocks" "für die breite Masse unseres Volkes keine Sympathieträger" seien und auch nicht "glaubhaft mit ihrem Aussehen und Verhalten eine neue Ordnung vertreten, die deutsche Werte" einfordere. Dass die von der NPD propagierte Gewaltlosigkeit lediglich auf opportunistischen und taktischen Erwägungen beruht, wurde auch in einer Erklärung des hessischen NPD-Landesvorsitzenden Marcel Wöll zu Auseinandersetzungen während einer Demonstration der Partei am 7. Juli 2007 in Frankfurt am Main deutlich: "Der Sinn eines einheitlich gekleideten Blocks sollte es sein, bei eventuell begangenen Ordnungswidrigkeiten oder auch Straftaten die Feststellung der Personalien zu erschweren, hier sind wir uns einig. Das macht Sinn. Der Sinn von militantem Vorgehen sollte es sein, seine Rechte durchzusetzen wenn man sie beschnitten bekommt, darin sollten wir uns auch einig sein. (...) Als allerdings die Antifa an einem Streckenabschnitt mit Steinen warf, tat sich besagter Block dann durch gänzliche Dummheit hervor. (...) Nein, zurückgeworfen wurde nicht, dass hätte ich noch gut verstehen können (...)" ("Störtebeker-Netz", 11. Juli 2007) 22 Homepage der NPD (11. September 2007). 23 Homepage der NPD (17. August 2007). 71 Pastörs forderte in seiner Rede während einer NPD-Demonstration zum Thema "Denkmäler sind für alle da" am 18. August 2007 in Gräfenberg (Bayern): "Wir müssen so radikal denken und so radikal handeln, wie die Wirklichkeit ist. (...) Wir müssen uns selber justieren auf den Feind. Und der Feind, der steht uns sehr oft raffiniert getarnt gegenüber. (...) Es ist Zeit Tacheles zu reden. (...) Im Jahre 2017 darf es diesen Parteienstaat in der Form, wie es sich jetzt noch frech präsentiert, nicht mehr geben. Oder es wird keine Zukunft für das deutsche Antlitz in Form des deutschen Volkes als biologischer Begriff nicht mehr geben, liebe Freunde. Kämpfen wir!" (Niederschrift der im "Störtebeker-Netz" eingestellten Rede, 23. August 2007) Einer Internetveröffentlichung zufolge hetzte Pastörs in seiner Rede während der von NPD und neonazistischen "Freien Kräften" organisierten Demonstration am 16. Juni 2007 in Rathenow (Brandenburg) gegen die "Papiertiger in den gottverdammten demokratischen Parteien". Darüber hinaus drohte er: "Und wenn wir zur Macht gelangen, dann besteht darin auch die Verpflichtung jene einer gerechten Strafe zuzuführen, die für diese Ausplünderungspolitik unseres deutschen Volkes Verantwortung tragen und heute noch uns frech ins Gesicht grinsen. Also, liebe herrschende Klasse, seht euch vor, denn wer Wind säht, wird Sturm ernten. Lasst uns Sturm sein." (Internetpräsenz Endstation Rechts, 21. Juni 2007) 72 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Der NPD-Landesverband Rheinland-Pfalz fordert in einer im Internet eingestellten Erklärung "NPD-Zentren ausbauen - Scheindemokraten entlarven": "Unbeirrt wird die NPD in Rheinland-Pfalz den Ausbau nationaler Zentren und die planvolle Schulung der Mitglieder fortsetzen. Denn nationale Zentren sind das sichtbar gewordene Fundament revolutionärer Kerne im nationalen Befreiungskampf!" (Homepage der NPD Rheinland-Pfalz, 21. Februar 2007) Um ihre Isolation zu überwinden bzw. außerhalb des rechtsext"Wortergreifungsremistischen Spektrums in der Mehrheitsgesellschaft überhaupt strategie" wahrgenommen zu werden, setzt die NPD - auch außerhalb ihrer Wahlkämpfe - auf die Durchsetzung ihrer "Wortergreifungsstrategie" bei Veranstaltungen des politischen Gegners: "Mit unserer Wortergreifungsstrategie zwingen wir sie immer öfter in die Diskussion und können deren Versagerpolitik dem Volk vorführen." (Homepage der NPD, 3. Januar 2007) Nach NPD-Angaben besuchten am 1. Mai 2007 in Berlin Aktivisten der Partei mit einem Werbe-Lkw "Parteiund Volksfeste" (u.a. zwei SPD-Feste sowie jeweils ein CDUund ein "PDS"-Fest). Sie verteilten Flugblätter und sprachen Veranstaltungsbesucher an. Die Reaktionen der "etablierten Parteibonzen" hätten von "panischer Unsicherheit" bis zu "aggressiver Feindseligkeit" gereicht. Der Berliner NPD-Landesvorsitzende Eckart Bräuniger wertete die Aktion als Erfolg, da die Taktik voll aufgegangen sei, "ohne Ankündigung und Vorwarnung die traute Einigkeit der Politversager zu stören". Die NPD habe bewiesen, dass sie die "offensive politische Auseinandersetzung" suche. Auch künftig werde so manche Veranstaltung der "Etablierten" vor der NPD "nicht sicher" sein.24 24 Homepage der NPD (3. Mai 2007). 73 NPD-Aktivisten agitierten am 24. Juni 2007 in Eisenach (Thüringen) gegen die Feierlichkeiten zum 50-jährigen Bestehen der Europäischen Union. Der NPD zufolge verwickelten sie die Betreuer eines Infomobils des Bundespresseamtes in eine "offene und rege Diskussion", bei der es gelungen sei, die Infoveranstaltung zeitweise zur "nationalen Propagandaveranstaltung" umzufunktionieren.25 "Sozial statt Die NPD stellt die soziale Frage weiterhin ins Zentrum ihrer Agiglobal"/"Sozial tation. So behauptete der Parteitheoretiker Gansel, die NPD geht nur national" könne nur über die soziale Frage fester Bestandteil der politischen Landschaft in Deutschland werden. 26 Die Partei hatte 2007 zum "Jahr des volkstreuen GlobalisierungsWiderstandes" ausgerufen.27 Mit ihrer Globalisierungskritik verfolgt die Parteiführung das Ziel, einerseits die Parteibasis für die soziale Frage zu sensibilisieren, andererseits die NPD als Alternative zur "linken" Konkurrenz darzustellen. In ihrer Argumentationshilfe bezeichnet die NPD die Globalisierung als "das planetarische Ausgreifen der kapitalistischen Wirtschaftsweise unter Führung des Großen Geldes": "Dieses hat, obwohl seinem Wesen nach jüdisch-nomadisch und ortlos, seinen politisch-militärisch beschirmten Standort vor allem an der Ostküste der USA. (...) Es handelt sich gleichermaßen um ein politisches Entmündigungswie wirtschaftliches Ausbeutungsprogramm für die Völker." (Broschüre des NPD-Parteivorstands: "Eine Handreichung für die öffentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten & Funktionsträger", 2. Auflage, Juni 2006, S. 19) Die NPD verbindet so ihre Globalisierungskritik mit antisemitischen Anspielungen, die auf eine angebliche jüdische Vorherrschaft ("Hochfinanz", "Ostküste") hinweisen sollen. 25 Homepage der NPD Thüringen (25. Juni 2007). 26 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2007, S. 23. 27 "Deutsche Stimme" Nr. 1/2007, S. 1. 74 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Bei ihrem Kampf gegen die Globalisierung erhofft sich die NPD insbesondere Unterstützung aus dem "ländlichen Raum". Hierzu erklärte Gansel, schon früher hätten Nationalisten bei Wahlen auf dem Land stets ihre besten Ergebnisse erzielt, weil Menschen, die in "intakte Sozial-, Kulturund Traditionsverhältnisse hineingeboren" würden, immer eine "Ader für das Natürliche und Gewachsene, also das Nationale" hätten. Er kam zu dem Ergebnis: "Dörfer und Kleinstädte können im 21. Jahrhundert deshalb zum Kristallisationspunkt eines fast erdund bluthaften Widerstandes gegen die Globalisierung werden und eine neue, gewaltfreie Landvolkbewegung entstehen lassen. Nationalisten haben hierbei organisatorische Schützenhilfe zu leisten und intellektuelles Rüstzeug zu liefern." (Homepage der NPD, 10. Mai 2007) Die "übergroße Mehrheit des Volkes", so Gansel, wolle soziale Sicherheit und Gerechtigkeit ebenso wenig wie nationale Identität und Solidarität auf dem "Globalisierungsaltar" opfern. Ausdruck der Sehnsucht dieser Mehrheit nach einem "Sozialruck" sei "längst nicht nur 'Die Linke'", sondern viel authentischer noch die NPD, "weil sie Nationalstaat und Sozialstaat als untrennbare Einheit" sehe.28 In einem "'DIE LINKE' - letztes Auffangbecken des Systems" überschriebenen Beitrag im Parteiorgan thematisiert Gansel das Konkurrenzverhältnis zwischen der NPD und der Partei "DIE LINKE.". Dabei müsse konsequent die nationale mit der sozialen Frage verbunden werden, um sich im Wettstreit mit der internationalistisch ausgerichteten "Linken" als einzige "Schutzmacht der kleinen Leute" darzustellen.29 28 Homepage der NPD (14. August 2007). 29 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2007, S. 23. 75 "GraswurzelDas Redaktionsmitglied der "Deutschen Stimme", Lutz Dessau, Widerstand" rief dazu auf, an den Protestaktionen und Unterschriftensammlungen gegen eine Gebietsreform in Schleswig-Holstein teilzunehmen. Da der Einfluss des Volkes auf die Entscheidung "schicksalhafter, alle Deutschen betreffenden Probleme (...) bewusst kleingehalten" werde, sei der "Graswurzel-Widerstand" derzeit wohl das "probateste Mittel": "Die Bächen ähnelnden lokalen Widerstandsbewegungen könnten dereinst zu einem Strom anschwellen, der das System nicht nur ins Wanken, sondern zum Einsturz bringt." ("Deutsche Stimme" Nr. 1/2007, S. 5) Jugendarbeit Die NPD misst der - maßgeblich von ihrer Jugendorganisation genießt hohen "Junge Nationaldemokraten" (JN) getragenen - Jugendarbeit zuStellenwert nehmend einen hohen Stellenwert bei. Schülerzeitungen In mehreren Bundesländern wurden vor Schulen und auf Schulwegen Schülerzeitungen verteilt: # in Rheinland-Pfalz und im Saarland "Schinderhannes" und "Rechts vor Links" (Mai), # in Sachsen "perplex" (September), # in Brandenburg "Brennessel" (Oktober) sowie # in Brandenburg und Berlin "Stachel" (Oktober). Die Schülerzeitungen, mit denen die NPD die Werbung unter Jugendlichen mit dem Bemühen um lokale Verankerung und Resonanz in den Medien zu verknüpfen versucht, verquicken jugendspezifische Themen mit dem rechtsextremistischen Gedankengut der Partei. Die kurzlebigen Aktionen waren bisher weitgehend lokal begrenzt. Der NPD-Landesverband Rheinland-Pfalz erklärte in einem Internetbericht die Verteilaktionen der Schülerzeitung "Schinderhannes" zu einem wichtigen "Schritt für die Verankerung des Nationalismus in der denkenden Jugend". Bei geschickter Nutzung durch die nationale Fundamentalopposition könne die 76 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "politische Gängelung der jungen Generation" zu einem "Fallstrick für das derzeitige Herrschaftssystem" werden. Zwar sei die "nationale Publizistik im Jugendbereich" aktuell lediglich ein "schmerzhafter Nadelstich gegen das verlogene und volksfeindliche Umerziehungsregime des BRD-Bildungsapparates", aber morgen schon werde die "nationale Jugendarbeit einer der entscheidenden Faktoren sein", um "politische Umwälzungen in Deutschland im Sinne des nationalen Widerstandes" überhaupt erst zu ermöglichen.30 Die NPD trat auch 2007 unverändert rassistisch und fremdenRassismus und feindlich auf. Fremdenfeindlichkeit Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Holger Apfel, forderte am 9. Mai 2007 in der Landtagsdebatte über das "Sächsische Gesetz zur Ausführung des Zuwanderungsgesetzes" eine "AusländerRückführungspflicht". In einer rassistisch geprägten Rede sagte Apfel: "Wer nur noch, völlig unterschiedslos, 'Menschen' - aber keine Deutschen mehr kennt, den kann es auch nicht empören, wenn er in westdeutschen Großstädten verarmte deutsche Rentner in Mülleimern nach Pfandflaschen angeln sieht, während hinter ihnen staatsalimentierte orientalische Großfamilien oder arrogante Wohlstands-Neger daherstolzieren! Für wen das alles nur unterschiedslos 'Menschen' sind, der vermag das schreiende Unrecht dieser Alltagsszene aus der 'Bunten Republik Deutschland' nicht mehr zu erkennen." (Homepage der NPD, 10. Mai 2007) Des Weiteren bezeichnete Apfel die Ausländer-Integration als "doppelte Volkszerstörung", da sowohl die hier lebenden Ausländer als auch die Deutschen ihre "nationale Identität" verlören. Im Wege der "Zwangsgermanisierung" wollten die 30 Homepage der NPD Rheinland-Pfalz (29. Mai 2007). 77 "Integrationslobbyisten" aus den in Deutschland lebenden Ausländern eine "entwurzelte Masse ethno-kultureller Kastraten formen, die als identitätslose Konsumenten in der Hand des internationalen Finanzkapitals noch leichter lenkbar" seien. Die Äußerungen Apfels offenbaren eine fundamentale Ablehnung des universalen Gleichheitsgrundsatzes, wie ihn das Grundgesetz enthält. Sie entsprechen zudem der gewohnten Praxis der NPD, durch drastische Formulierungen Medienaufmerksamkeit zu erlangen. Zu dieser Strategie gehören auch anschließende Interpretationsversuche und Äußerungen, lediglich das gesagt zu haben, was die etablierten Politiker dem Volk verschweigen würden. Im Parteiorgan würdigte der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz, Safet Babic, die von dem NPD-Bundesvorstandsmitglied Jürgen Rieger als Leiter der "heidnischgermanischen Artgemeinschaft" herausgegebene Schrift "Sittengesetz unserer Art" als "überzeugendes Plädoyer für eine neue religiöse Ethik, die unserer nordisch-fälischen Art entspricht". Rieger vertrete das "lebensrichtige Menschenbild". So gebiete das "Sittengesetz unserer Art", u.a. durch die richtige Partnerwahl, den Erhalt des nordischen Menschenschlags und den biologischen Kampf gegen das Aussterben. Jede Rasse habe die Veranlagung, ihren Genkomplex weiter zu verbreiten und sich von anderen Arten abzugrenzen. Das "Sittengesetz" eigne sich zur Selbstfindung und Richtungsgebung insbesondere für junge Menschen. Es rege zur "kritischen Auseinandersetzung mit aufoktroyierten fremdländischen Moralvorstellungen an" und führe "uns zurück zu unserem Gesetz in uns".31 Der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD in Baden-Württemberg, Andreas Thierry, forderte zum Jahresbeginn auf der Homepage des Landesverbandes, eine "Festung Europa zu errichten, die wirtschaftlich, militärisch und politisch uneinnehmbar" sei, um den "Fortbestand der europäischen Völker zu sichern". Zu den gemeinsamen Interessen bzw. Forderungen aller europäischen Völker zählte Thierry den Erhalt der "geneti31 "Deutsche Stimme" Nr. 1/2007, S. 17. 78 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE schen d.h. völkischen und kulturellen Identität". Das neue "GroßEuropa" umfasse alle europäischen Völker und biete damit "allen Weißen ein geschlossenes, zusammenhängendes und abgesichertes Siedlungsgebiet".32 Der "Deutschen Stimme" zufolge rief der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt am 15. September 2007 in Hannover in seiner Rede bei der NPD-Wahlkampfauftaktveranstaltung zur niedersächsischen Landtagswahl 2008 unter dem Beifall der Anwesenden: "Das Volk sind wir, nicht Ali und Mustafa! Wir machen den Etablierten den Vorwurf, daß Menschen hier sind, die hier nichts zu suchen haben." ("Deutsche Stimme" Nr. 11/2007, S. 14) Der NPD-Landesverband Baden-Württemberg behauptete auf seiner Homepage: "In Wahrheit ist (...) die ganze 'Entwicklungshilfe' ein Riesenschwindel! In Afrika kann sich nämlich gar nichts 'entwickeln', was europäischen Verhältnissen gleichkommen würde. In Wahrheit wurde alles, was man auf dem schwarzen Kontinent an Zivilisation vorfindet, von Weißen geschaffen. Und dort wo der weiße Mann nicht oder nicht mehr ist, funktioniert auch nichts - so einfach liegen die Dinge. (...) Die (Steuer-)Gelder für die Entwicklungshilfe landen als Schmiergeld in den Taschen der Negerhäuptlinge (...)" (Homepage der NPD Baden-Württemberg, 3. Juli 2007) Die NPD verbreitet weiterhin antisemitische Propaganda.33 Antisemitismus Neben offen vorgetragener Judenfeindschaft versucht sie, durch indirekte Hetze und subtile Anspielungen die Gesamtheit "der Juden" zu diffamieren und ihnen pauschal negative Attribute 32 Homepage der NPD Baden-Württemberg (16. Januar 2007). 33 Siehe zu antisemitischer Propaganda auch die Ausführungen in Kap. VII. 79 zuzuschreiben. So hetzte Pastörs in seiner Rede während der NPD-Demonstration zum Thema "Denkmäler sind für alle da" am 18. August 2007 in Gräfenberg (Bayern): "Wir wollen Europa der Vaterländer und nicht der jüdischen Krämer. (...) Der usraelische Geist, den man am 8. Mai 1945 beginnend, in die Hirne nicht nur des deutschen Volkes abgesondert hat, sondern dieser usraelische Geist des Merkantilens, des Handelns und des nicht arbeiten wollens, des Geschäfte machens in seiner Höchstform heute kultiviert und den sogenannten Hedge-Fonds. Dieser Geist hat die Völker Europas intellektuell, geistig, kulturell degenerieren lassen." (Niederschrift der im "Störtebeker-Netz" eingestellten Rede, 23. August 2007) Ein häufig vertretener Autor der "Deutschen Stimme" bezeichnete im Zusammenhang mit "jüdischen Bemühungen zur Zersetzung anderer nationalkultureller Identitäten" die "Kunstsprache 'Esperanto' als Waffe der Internationalisten": "Im nationalsozialistischen Deutschland wurde die Verbreitung der Welteinheitssprache unterbunden, weil sie als Ausdruck jüdischen Weltherrschaftsstrebens angesehen wurde." ("Deutsche Stimme" Nr. 9/2007, S. 17) Indem die NPD den Zentralrat der Juden in Deutschland polemisch angreift, versucht sie, "die Juden" insgesamt zu diffamieren. Darüber hinaus bedient sie sich mit ihrer stereotypen Behauptung einer Steuerung deutscher Politik durch israelische und US-amerikanische Kreise eines weiteren, häufig anzutreffenden antisemitischen Musters. So erklärte die NPD in Niedersachsen im Zusammenhang mit einer vom Zentralrat begrüßten Gesetzesinitiative der Länder Brandenburg und Sachsen-Anhalt zur schärferen Bekämpfung rechtsextremer Gewalttäter: 80 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Was der Zentralrat der Juden in Deutschland hier fordert ist reiner Rassismus. Daß sich die Landesregierung solchen zionistischen Rassismus zu eigen macht zeigt schließlich, daß die etablierten Parteien längst nicht mehr deutsche Interessen vertreten." (Homepage der NPD Niedersachsen, 17. August 2007) Rieger behauptete im Parteiorgan: "Die Außenpolitik der USA wird in Tel Aviv gemacht. Angesichts der von jüdischen Kreisen weltweit gegen Deutschland und das deutsche Volk betriebenen Hetze sind die USA als Bündnispartner mithin mehr als zweifelhaft." ("Deutsche Stimme" Nr. 3/2007, S. 23) Andreas Molau, NPD-Bundesvorstandsmitglied und Spitzenkandidat der Partei zur Landtagswahl in Niedersachsen am 27. Januar 2008, drohte in seiner Rede auf der Wahlkampfauftaktveranstaltung der NPD am 15. September 2007 in Hannover der Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, die ein Verbot der NPD gefordert hatte: "Ihre Religionsgemeinschaft, Frau Knobloch, ist hierzulande ohnehin überprivilegiert. Ich versichere Ihnen: Wenn die NPD in Deutschland die Richtlinien der Politik bestimmt, dann können Sie diese Sonderbehandlung vergessen. Dann gibt es kein Geld mehr." ("Deutsche Stimme" Nr. 11/2007, S. 14) Die NPD versucht auch, durch Gleichsetzung des Vorgehens der israelischen Regierung gegen die Palästinenser mit den Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschland deutsche Verbrechen zu relativieren und das "Dritte Reich" zu entlasten. So behauptete der NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen im Internet, Israel würde "seit Jahrzehnten die Menschenrechte mit 81 Füßen" treten und verübe einen "regelrechten Holocaust an der palästinensischen Bevölkerung".34 Molau griff im Parteiorgan den Direktor der israelischen Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem - den er als "Hüter des israelischen Legitimationsmythos" bezeichnete - an, weil dieser erklärt hatte, das israelische Vorgehen habe keinerlei Ähnlichkeiten mit dem der Nationalsozialisten: "Natürlich. Die israelischen Freiluft-KZs, in das die Palästinenser eingesperrt sind, sind wahre Erholungsheime. Und natürlich hat die Ausgrenzung der Palästinenser auch nichts mit Rassismus zu tun. Wir alle wissen genau, daß die Israelis sich als Volk unter Völkern verstehen - auserwählt, um Ausgleich zu schaffen." ("Deutsche Stimme" Nr. 4/2007, S. 2) Revisionismus Die NPD versucht, das Geschichtsbild über die Zeit des Nationalsozialismus zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Betrachtung zu korrigieren. Ziel dieser Umdeutung ist die Leugnung der Schuld des Hitler-Regimes am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und der von Teilen der Wehrmacht verübten Verbrechen sowie die Relativierung des Massenmordes an den Juden. So erklärte Voigt in einem von der ARD in Report Mainz am 10. Dezember 2007 gesendeten Interview gegenüber iranischen Journalisten: 34 Homepage der NPD Nordrhein-Westfalen (18. Mai 2007). 82 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Die sechs Millionen kann nicht stimmen. Es können maximal 340.000 in Auschwitz umgekommen sein. Da sagen zwar die Juden immer, auch wenn nur ein Jude umgekommen ist, weil er Jude ist, ist das ein Verbrechen. Aber es ist natürlich ein Unterschied, ob wir für sechs Millionen zahlen oder für 340.000. Das sage ich dann entsprechend wieder dagegen. Und dann ist auch irgendwann die Einmaligkeit dieses großen Verbrechens - angeblich eines großen Verbrechens - dann fällt auch die Einmaligkeit weg." (zitiert nach Homepage des SWR, 17. Dezember 2007) Der Leiter der Rechtsabteilung der NPD, Frank Schwerdt, behauptete, die Aussagen Voigts seien "unter Vortäuschung falscher Tatsachen erschlichen und dann auftragsgemäß zusammengeschnitten" worden, "um Straftatbestände vorzutäuschen".35 Pastörs ließ erkennen, dass er den Holocaust leugnen würde, wäre dies nicht strafbar. In einem Interview antwortete er auf die Frage nach Konzentrationslagern im "Dritten Reich" nach einigem Zögern: "Ich sage Ihnen, ich werde mich nicht dazu äußern, weil es in Deutschland strafrechtlich äußerst kompliziert wird, wenn man dieses Thema anschneidet. (...) ich bin nicht der Mensch, der eine Frage, die so komplex ist, mit Ja oder Nein beantwortet. (...) Kein Techniker konnte mir bis heute erklären, wie das mit den Gaskammern technisch funktioniert hat." (VANITY FAIR Nr. 07/07, S. 170 ff.) 35 Homepage der NPD (13. Dezember 2007). 83 In einem Interview mit der "Deutschen Stimme" erklärte Rieger im Zusammenhang mit der Verurteilung seines Mandanten, des Revisionisten Ernst Zündel: "Durch die Schulerziehung wird den Kindern in einer sensiblen Prägungsphase eingehämmert, daß die Deutschen ein Verbrechervolk sind; um sich reinzuwaschen, wird dann in vorauseilendem Gehorsam jeder, der irgendwie Kritik der Juden hervorruft, mit infernalischem Haß verfolgt (...) Bis 1990 war 'offenkundige Tatsache' für deutsche Gerichte, daß von den 6 Millionen vergaster Juden 4 Millionen in Auschwitz umgebracht worden seien. Anschließend haben polnische Historiker erklärt, es seien um die eine Million gewesen, darunter etwa 900.000 Juden. Die Zahlen sind später - von Nichtrevisionisten - noch weiter nach unten revidiert worden (...)" ("Deutsche Stimme" Nr. 4/2007, S. 8) Einer Internetmeldung36 zufolge forderte der hessische NPDVorsitzende und Kreistagsabgeordnete Wöll im März 2007 während einer Sitzung des Wetterauer Kreistags in Friedberg (Hessen), die Zuschüsse für Schülerfahrten nach Auschwitz zu streichen. Die Gedenkstätte des früheren deutschen NS-Vernichtungslagers nannte er dabei eine "Stätte des so genannten nationalsozialistischen Terrors". Die Exkursionen seien "Gehirnwäsche für Vorschüler". Wöll wurde wegen seiner Äußerungen am 7. August 2007 vom Amtsgericht Friedberg zu einer Freiheitsstrafe von vier Monaten ohne Bewährung verurteilt.37 Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Voigt erklärte in einer Rede bei dem von der rechtsextremistischen "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland e.V." (JLO) organisierten Trauermarsch durch Dresden am 13. Februar 2007 (vgl. Kap. I, Nr. 6) anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt im Jahr 1945: 36 Internetpräsenz ad hoc news (7. August 2007). 37 ddp Onlinemeldung vom 7. August 2007. 84 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Und wir werden auch weiterhin alliierte Kriegsverbrechen in der Öffentlichkeit anklagen und erwähnen (...) der Bomben-Holocaust in Dresden war ein großes alliiertes Kriegsverbrechen. (...) Wir erkennen, dass wir Deutsche heute mit der Vergangenheit erpresst werden und weiterhin finanziell gemolken werden sollen. Wir lehnen jeden Versuch ab, unserem Volk eine Kollektivschuld aufzudrücken. (...) Wir sagen, 62 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges, Schluss mit dem Schuldkult und Schluss mit allen Wiedergutmachungszahlungen in die ganze Welt." (Niederschrift der Redeaufnahme) Ein NPD-Kreistagsabgeordneter aus Ehringshausen (Hessen) behauptete in einem "Offenen Brief" an den hessischen Ministerpräsidenten im Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg, das Judentum habe Deutschland zuerst den Krieg erklärt. Diese "Fakten" müssten in den Unterricht hessischer Schulen einfließen, um die Schüler vom "Schuldkult" zu befreien.38 Molau kommentierte die Eröffnung des neuen Ausstellungsgebäudes der Gedenkstätte Bergen-Belsen auf dem Gelände des ehemaligen Kriegsgefangenenund Konzentrationslagers: "Wieder einmal wurden enorme Summen verschleudert, um eine schädliche Gedenkkultur in Niedersachsen zu verstärken. 13 Millionen Euro wären besser in Schulen und Kindergärten investiert worden, statt den Deutschen erneut ein perfektes Bußmal zu präsentieren, durch das fortan Schüler zwangsverschleppt werden. Deutschland ist wohl weltweit das einzige Land, in dem Denkmäler der Schuld eingerichtet werden." (Homepage der NPD Niedersachsen, 30. Oktober 2007) 38 Frankfurter Rundschau online (20. Juni 2007). 85 Agitation gegen In polemischer, diffamierender und verunglimpfender Weise die parlamentaagitierte die NPD erneut gegen die demokratische und rechtsrische Demokratie staatliche Ordnung des Grundgesetzes. Dabei konzentrierten und den demokrasich die Akteure vor allem darauf, die Verfassungsordnung als iltischen Rechtsstaat legitim darzustellen und durch die immer wiederkehrende Unterstellung anhaltender Fremdherrschaft zu untergraben. So erklärte Voigt in seiner Rede bei dem Trauermarsch der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland e.V." (JLO) am 13. Februar 2007 in Dresden: "Wir, die Vertreter einer jungen, einer neuen deutschen Volksbewegung werden diesen Herrschaften die Umerziehung sogar gründlich versalzen. (...) Die nicht souveräne Bundesrepublik hat bei ihrer Staatsgründung und selbst (war) in den Zusatzverträgen des 2+4-Abkommens darauf verzichtet, Verbrechen der Alliierten anzuklagen oder unter Strafe zu stellen. Kämpfen und streiten wir daher für die Freiheit und für die Souveränität des deutschen Volkes. Schütteln wir die in der Bundesrepublik allgegenwärtige Fremdbestimmung endlich ab (...) Wir, die nationale Opposition, akzeptieren die auferlegte Verpflichtung dieser von den Alliierten geschaffenen Vasallen-Republik nicht. (...)" (Niederschrift der Redeaufnahme) Gansel verunglimpfte in einem Internetbeitrag39 unter dem Titel "Heute tolerant und morgen fremd im eigenen Land" Staat und Grundgesetz. Abfällig sprach er von der "Bunten Republik Deutschland (BRD)" und von denjenigen, die jetzt "ihr heißgeliebtes Grundgesetz" in Gefahr sähen. Die "Umvolker des etablierten Parteienkartells" hätten die "Verausländerung unserer deutschen Heimat" betrieben und trügen die Verantwortung dafür, dass sich in Deutschland "ganz offiziell 15,3 Mio. Menschen mit 'Migrationshintergrund' tummeln, die unsere Sprache primitivisieren, unsere Kultur überfremden, die innere Sicherheit gefährden, den Arbeitsmarkt verstopfen und den Sozialstaat ausnehmen". Angesichts der "Heuchelei der Überfremdungspolitiker" könne man daher "gar nicht so viel fressen, wie man kotzen 39 Homepage der NPD (22. März 2007). 86 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE möchte". Gansel bezeichnete die Bundeskanzlerin als "Polit-Flittchen der USA", das unbeirrt die Aufnahme der islamischen Türkei in die Europäische Union betreibe. In seiner Rede während der von NPD und "Freien Kräften" am 16. Juni 2007 in Rathenow (Brandenburg) durchgeführten Demonstration erklärte Pastörs: "Von einer nationalen Opposition geht keine Gefahr für die Polizei aus, aber von uns, und das ist auch gewollt, geht eine Gefahr für den Parteienstaat dieses Konstrukts amerikanischer Siegermacht aus." (Internetpräsenz Endstation Rechts, 21. Juni 2007) 1.2 Organisation und Entwicklung Nach den erheblichen Mitgliederzuwächsen in den letzten JahMitgliederren (2006: 7.000; 2005: 6.000; 2004: 5.300) stieg die Mitgliederentwicklung zahl der NPD gegenüber dem Vorjahresniveau leicht auf 7.200 an. Stärkste Landesverbände sind Sachsen mit 850 und Bayern mit rund 950 Mitgliedern. Nach 2006 (Steigerung von 240 auf 380 Mitglieder) verzeichnete der Landesverband Thüringen nach eigenen Angaben erneut eine signifikante Zunahme auf rund 550 Mitglieder. Die Finanzlage der NPD stellte sich auch im Jahr 2007 äußerst deUnverändert solat dar. Ein Grund ist insbesondere darin zu sehen, dass die prekäre Finanzlage Bundestagsverwaltung mit Bescheid vom 12. Februar 2007 die Bewilligungsbescheide über die Gewährung staatlicher Mittel für die Jahre 1998, 1999 und teilweise für das Jahr 2000 aufgrund von Unrichtigkeiten in den Rechenschaftsberichten 1997, 1998 und 1999 zurückgenommen hat. Gleichzeitig forderte sie mit dem Bescheid die insoweit rechtswidrig gewährten Mittel in Höhe von rund 870.000 Euro zurück. Dagegen hat die NPD Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin erhoben; eine Entscheidung in diesem Verfahren steht noch aus. Auf Antrag der NPD stimmte die Bundestagsverwaltung einem Stundungsund Tilgungsplan zu, wonach die Rückforderungssumme mit laufenden Zahlungsansprüchen der NPD aus der 87 staatlichen Teilfinanzierung verrechnet wird. Den hierdurch bedingten erheblichen finanziellen Schwierigkeiten versuchte die Partei mit Sparmaßnahmen, u.a. im personellen Bereich, sowie mit Spendenaufrufen zu begegnen. Einer Internetmeldung40 zufolge blieb ein bereits Anfang Dezember 2006 an die Mitglieder gerichteter Spendenaufruf Voigts mit rund 75.000 Euro jedoch hinter den Erwartungen zurück. Von dieser Summe hätten allein die NPD-Landtagsfraktionen in Sachsen und MecklenburgVorpommern 25.000 Euro und der NPD-Landesverband Sachsen 10.000 Euro gespendet. Vor dem Hintergrund der bevorstehenden zahlreichen Landtagswahlkämpfe in den Jahren 2008 und 2009 dürfte sich die finanzielle Situation der Partei noch weiter verschärfen. Nach Angaben von Rieger belasteten die finanziellen Forderungen des Bundestages und die aktuelle Debatte über ein Parteiverbot die NPD erheblich. Die Darlehensgeber seien "enorm nervös" geworden.41 Trotz der kritischen Finanzlage dürfte es der Partei aufgrund der zu erwartenden Einnahmen aus der staatlichen Teilfinanzierung, aus Spenden und Mitgliedsbeiträgen (noch) möglich sein, ihre politische Arbeit fortzusetzen. Demonstrationen Ihren "Kampf um die Straße" setzte die NPD auch 2007 fort. Die als Erfolg der Anzahl der von ihr und ihrer Jugendorganisation "Junge NatioBündnispolitik naldemokraten" (JN) - zumeist zusammen mit Neonazis und Skinheads - durchgeführten Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen blieb bei rund 70 (2006: rund 70)42 (vgl. auch Kap. I, Nr. 6). Bundesparteitag Der von der NPD für den 27./28. Oktober 2007 in Oldenburg (Nieabgesagt dersachsen) geplante Bundesparteitag zur Verabschiedung eines neuen Grundsatzprogramms konnte mangels eines Tagungssaals nicht durchgeführt werden. Das Landgericht Oldenburg erklärte in einer Pressemitteilung vom 25. Oktober 2007, als juristische Person des Privatrechts stehe es der Betreiberge40 "Störtebeker-Netz" (12. Februar 2007). 41 dpa-Onlinemeldung vom 29. August 2007 "NPD bekommt abgetretene Grundschuld vom Bundestag zurück". 42 In diesen Zahlen sind kleinere Veranstaltungen, wie z.B. Mahnwachen und Infostände, nicht enthalten. 88 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE sellschaft der von der NPD vorgesehenen Weser-Ems-Halle entsprechend den Grundsätzen der Privatautonomie frei, ob sie einen Vertrag abschließen wolle oder nicht. Einer Meldung der Süddeutschen Zeitung vom 26. Oktober 2007 zufolge soll der Bundesparteitag im Frühjahr 2008 stattfinden. Vor dem Hintergrund der im Jahr 2006 gemeinsam errungenen Verhältnis zur Wahlerfolge haben NPD und Neonazis ihre Zusammenarbeit in Neonazi-Szene der "deutschen Volksfront von Rechts" fortgesetzt. Zu den am 2. Juni 2007 im Rahmen ihrer "Gib8"-Kampagne gegen den G8Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) zusammen mit "Freien Kräften" durchgeführten Demonstrationen erklärte die NPD, der Tag habe gezeigt, dass die "Volksfront" festgefügt sei und Erfolge möglich mache. Aktionsbereitschaft und Kampagnenfähigkeit des "nationalen Widerstandes" hätten eine "neue Qualität" erreicht. Der demütigende Druck staatlicher Repressionen gegen NPD und "Freie Kräfte" habe seit langem wieder einmal dazu geführt, dass flächendeckend der "Kampf um die Straße" erfolgreich gewesen sei.43 Trotz andauernder Kritik innerhalb der NPD an der mangelnden "Deutschlandpakt" Außendarstellung der "Deutschen Volksunion" (DVU) wurde die mit der DVU Zusammenarbeit fortgesetzt. Die DVU-Führung bekräftigte auch 2007 mehrmals, sie wolle an dem im Januar 2005 mit der NPD abgeschlossenen "Deutschlandpakt" festhalten. Nach dieser Vereinbarung wollen beide Parteien bis 2009 bei Landtags-, Bundestagsund Europawahlen nicht gegeneinander antreten und ihre Listen teilweise für Kandidaten der jeweils anderen Partei öffnen. Voigt erklärte im Parteiorgan, immer mehr Menschen suchten künftig eine nationale und soziale Alternative: "NPD und DVU werden vereint im Deutschlandpakt genau diese Alternative sein". ("Deutsche Stimme" Nr. 1/07, S. 2) 43 Homepage der NPD (4. Juni 2007). 89 Allerdings spielt die DVU aufgrund ihrer Inaktivität im Rahmen der von der NPD dominierten "Volksfront von Rechts" eine zunehmend untergeordnete Rolle. "Ring Nationaler Der am 16. September 2006 gegründete "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Frauen" (RNF) hat bislang nur geringe öffentliche Aktivitäten entwickelt. Mit einer eigenen Homepage, Flugblättern und der Teilnahme an Infoständen der NPD versuchte die Organisation auf sich aufmerksam zu machen. Der RNF verfügte zur Jahresmitte bereits über etwa 100 in Regionalgruppen organisierte Mitglieder.44 Mit Katrin Köhler (Sachsen), Judith Rothe (Sachsen-Anhalt) und Stella Palau (Berlin) sind Angehörige der RNF bereits in drei der 16 NPD-Landesvorstände vertreten. Palau ist zudem seit November 2006 Beisitzerin im NPD-Bundesvorstand. Rothe errang für die NPD bei den Kreistagswahlen am 22. April 2007 in Sachsen-Anhalt ein Mandat im Kreistag Mansfeld-Südharz. Der RNF sieht sich in seiner Arbeit durch Umfrageergebnisse bestätigt, wonach 14 Prozent der Frauen sich vorstellen könnten, eine nationale Partei zu wählen: "Dieser Umfragewert bestärkt nicht nur die NPD, sie zeigt auch deutlich, wie wichtig Frauen für die nationale Opposition sind!" (Homepage der NPD, 29. August 2007) Tätigkeit der LandDie NPD ist in den Landesparlamenten von Sachsen (acht Abgetagsfraktionen ordnete) und Mecklenburg-Vorpommern (sechs Abgeordnete) in Sachsen und vertreten. Als Ausdruck der von ihnen so bezeichneten "Achse MecklenburgDresden-Schwerin" brachten beide Fraktionen thematisch gleiVorpommern che Anträge in die Landtage ein, z.B. für die Abschaffung des SS 130 Strafgesetzbuch ("Volksverhetzung"). Im Rahmen ihrer Parlamentsarbeit versuchten sie durch drastische Formulierungen, die häufig Ordnungsrufe oder Sitzungsausschlüsse zur 44 Süddeutsche Zeitung vom 30. Juni 2007, S. 3 ff. 90 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Folge hatten, insbesondere Medienaufmerksamkeit zu erzielen. So forderte der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende und Fraktionsvorsitzende im sächsischen Landtag, Apfel, am 9. Mai 2007 in einer Landtagsdebatte eine "Ausländer-Rückführungspflicht" und sprach von "dahinstolzierenden staatsalimentierte(n) orientalische(n) Großfamilien" und "arrogante(n) Wohlstands-Neger(n)" (vgl. Nr. 1.1). Im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern startete die NPD eine parlamentarische Initiative gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm. In diesem Zusammenhang erstattete sie Strafanzeige gegen den Präsidenten der USA, George W. Bush, "wegen des dringenden Verdachts der Begehung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit". In einem Dringlichkeitsantrag forderte sie darüber hinaus, "Vorbereitungen für den Fall einer eventuell notwendigen Festnahme des Präsidenten" zu treffen.45 Der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern stellte im Frühjahr 2007 zwei neue Publikationen der NPD-Fraktion vor46: "Der Ordnungsruf", ein "Mitteilungsblatt der NPD-Fraktion im Schweriner Schloss", und den Informationsdienst "Kurz & Knapp". Aufgrund der Vereinbarungen im "Deutschlandpakt" verzichTeilnahme tete die NPD zugunsten der DVU auf eine Teilnahme an den Büran Wahlen gerschaftswahlen in Bremen am 13. Mai 2007. 2007 nahm die NPD lediglich an der Kommunalwahl in SachsenAnhalt teil. Am 22. April 2007 wurden dort in neun von elf Kreisen die Kreistage und Landräte gewählt. NPD-Vertreter kandidierten in sieben Landkreisen (Anhalt-Bitterfeld, Burgenland, Harz, Jerichower Land, Südharz, Saalekreis und Salzland) für die Kreistage, in den Kreisen Burgenland, Harz und Salzland auch für das Amt des Landrats. Die NPD errang bei den Kreistagswahlen insgesamt 40.505 Stimmen (= 2,5%). Ihr fielen 13 Sitze zu (Kommunalwahlen 2004: 3 Sitze). Erfolgreichster Kandidat der NPD bei den Landratswahlen war ihr Landesvorsitzender Andreas Karl (Burgenland: 3.326 Stimmen = 5,1%). 45 Homepage der NPD Mecklenburg-Vorpommern (29. März 2007). 46 Homepage der NPD Mecklenburg-Vorpommern (3. bzw. 4. April 2007). 91 1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Gründung: 1969 Sitz: Bernburg (Sachsen-Anhalt) Bundesvorsitzender: Michael Schäfer Mitglieder: rund 400 (2006: 350) Publikation: Zentralorgan "Der Aktivist"; regionale Publikation "HIER & JETZT. Gesellschaft-Politik-Bewegung" (Sachsen) Als einzige rechtsextremistische Partei verfügt die NPD über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation. Die JN sind laut NPD-Satzung "integraler Bestandteil" der Partei. Der JN-Bundesvorsitzende ist kraft Amtes zugleich Mitglied des NPD-Parteivorstandes. In ihrem Zentralorgan "Der Aktivist"47 bezeichnen sich die JN unter der Überschrift "Der Bundesführer hat das Wort" als "Vertreter des nationalrevolutionären Flügels innerhalb der NPD". Die JN kritisieren diejenigen in der NPD, die den "Kampf um die Parlamente" inzwischen zum "wichtigsten Kampfziel" gemacht hätten. Dagegen sei "Widerstand und Kritik angebracht, da in diesen Entwicklungen die Gefahr der schrittweisen Anpassung und Verbürgerlichung" bestehe. Am 6. Oktober 2007 fand in der Nähe von Quedlinburg (SachsenAnhalt) der 37. JN-Bundeskongress mit rund 120 Teilnehmern statt. Michael Schäfer (stellvertretender Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt) wurde zum Nachfolger des bisherigen JN-Bundesvorsitzenden Stefan Rochow gewählt. Rochow kritisierte in seinem Rechenschaftsbericht - laut einer im Internet veröffentlichten Erklärung48 - die Mutterpartei. Dort 47 "Der Aktivist", Ausgabe 1/2007, S. 3. 48 Homepage der JN Sachsen-Anhalt (9. Oktober 2007). 92 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE gebe es Leute, die an einem Erstarken der JN keinerlei Interesse hätten. Er betonte, die Aktivisten der JN dürften keine "Jubelperser" und "Flugblattverteiler" für die NPD sein, sie müssten vielmehr "ihr Profil nun deutlich schärfen". Rochow bezeichnete den neuen JN-Bundesvorsitzenden Schäfer als seinen "ureigensten Wunschkandidaten". Dieser habe in seinem Konzept "Hin zu altem Geist und neuer Stärke" verschiedene Maßnahmen zur Verbesserung der Gesamtorganisation dargestellt. Mit der Wahl des neuen Bundesvorstandes, insbesondere des neuen Bundesvorsitzenden, sollen die JN - unter deutlicherer Abgrenzung von der NPD - wieder ein eigenständigeres Profil erhalten. Es ist zu erwarten, dass der Verband verstärkt die Nähe zu den "Freien Kräften" suchen wird. Mit dem im Bundesvorstand neu geschaffenen Amt "Nationaler Bildungskreis (NBK)/Schulung" und dessen bundesweit geplanter Ausrichtung will die neue JN-Führung die Intellektualisierung der Organisation voranbringen. Ob es den JN gelingt, diese ehrgeizigen Vorhaben in die Tat umzusetzen, erscheint zweifelhaft. Zuletzt scheiterten sie weitgehend bei dem Versuch, neue Organisationsstrukturen zu handlungsfähigen Gliederungen auszubauen. Von ihrem Ziel, "neue Akzente zu setzen und ein eigenes Profil" zu gewinnen und wieder als "eigenständige, revolutionär ausgerichtete Jugendorganisation wahrgenommen" zu werden, sind die JN noch weit entfernt.49 Zumindest Teile der Neonazi-Szene stufen die aktuelle Bedeutung der JN als eher gering ein. So heißt es in einem Internetbeitrag50, die JN würden gegenüber den "freien Kameradschaften als ziemlich überflüssig" erscheinen und könnten "lediglich punktuell auf ein paar intakte Strukturen" verweisen. Auch 2007 führten die JN nur wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. Der sächsische Landesverband organisierte am 4. August 2007 in Dresden-Pappritz ein als "Sachsentag: Für Arbeit, Familie, Vaterland" beworbenes Sommerfest, an dem rund 1.000 Personen teilnahmen. Als Unterstützer fungierten zwei rechtsextremistische Vertriebe aus Sachsen; es spielten Bands 49 "HIER & JETZT. Gesellschaft-Politik-Bewegung", Ausgabe 5/Winter 2006, S. 15. 50 "Störtebeker-Netz" (8. Oktober 2007). 93 und Liedermacher aus Sachsen, Brandenburg, Schweden und den USA. Der Landesverband Baden-Württemberg veranstaltete in Zusammenarbeit mit "Freien Kräften" am 21. Juli 2007 in Tübingen eine Demonstration unter dem Motto "Keine Freiräume für linksextreme Gewalttäter - Nationale Zentren erkämpfen" mit rund 230 Teilnehmern. 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) Gründung: 198751 Sitz: München Bundesvorsitzender: Dr. Gerhard Frey Mitglieder: 7.000 (2006: 8.500) Publikation: "National-Zeitung/ Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ), wöchentlich, Auflage: ca. 35.000 Bei der DVU setzte sich der Mitgliederrückgang auch 2007 fort. Die Partei wird seit ihrer Gründung vom Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard Frey zentralistisch und autokratisch geführt sowie weitestgehend finanziert. So kreditiert Frey im Wesentlichen das (mehrere Millionen Euro betragende) Defizit der DVU, das 1989 durch Aufwendungen für den Europawahlkampf entstanden war. Die Partei hatte seinerzeit den Einzug in das Europaparlament deutlich verfehlt. Die dadurch entstandene Verschuldung, die sich u.a. durch die Wahlkampfkosten anlässlich der Teilnahme an den Landtagswahlen in Bremen im Mai 2007 weiter erhöht hat, konnte bislang nicht ausgeglichen werden. Frey ist Inhaber der "DSZ - Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH" (DSZ-Verlag) und Herausgeber der wöchentlich erschei51 DVU e.V. 1971 als Verein gegründet; 1987 als Partei konstituiert; 1987-1991 "DVUListe D". 94 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE nenden "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ), einer der auflagenstärksten periodischen Publikationen im deutschen Rechtsextremismus. 2.1 Zielsetzung und Methode Im Mittelpunkt der verfassungsfeindlichen Ausrichtung der Partei steht ein übersteigerter, deutsche Interessen verabsolutierender Nationalismus. Zwar bekennt sich die DVU in ihrem Parteiprogramm "vollinhaltlich und ohne jeden Vorbehalt" zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, in ihrer Agitation vertritt sie jedoch - zumeist unterschwellig, teilweise aber auch kaum verhohlen - fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen. Aufgrund der uneingeschränkt beherrschenden Stellung Freys NZ als Presseorgan kann jedoch die NZ als das Presseorgan der Partei angesehen der DVU werden, das deren programmatische Linie widerspiegelt. Auch sind hochrangige DVU-Funktionäre als Autoren oder Redakteure für die NZ tätig. Seit Mitte 2007 erscheinen in der NZ regelmäßig Artikel von Andreas Molau, Spitzenkandidat der NPD bei den Landtagswahlen in Niedersachsen im Januar 2008, womit die NZ eine gedankliche Annäherung an die NPD zeigt. Der redaktionelle Teil der Zeitung behandelt vorzugsweise politische Themen und Ereignisse, die sich durch verzerrte - häufig verschwörungstheoretisch geprägte - Darstellung in den rechtsextremistisch geprägten Themenfeldern der Partei agitatorisch nutzen lassen. Ein Schwerpunkt ist dabei das Thema "Ausländer in Deutschland". Weitere Themen bilden tendenziöse bzw. verharmlosende Beiträge zur nationalsozialistischen Vergangenheit und Artikel, die Ressentiments gegen Juden schüren. In der Zeitung finden sich auch häufig Attacken gegen Repräsentanten und Institutionen des demokratischen Rechtsstaats. Die Vielzahl derartiger Beiträge macht deutlich, dass es den Autoren nicht um die sachliche Auseinandersetzung in einem demokratischen Meinungsstreit geht, sondern um Pauschalisierungen und Herabwürdigungen. Die fremdenfeindliche Einstellung der Partei zeigt sich in der einFremdenseitig-negativen, stereotypen und verzerrenden Berichterstatfeindlichkeit tung der NZ über Ausländer, Ausländerkriminalität und Asylmissbrauch. Die ständige Wiederholung aggressiver, 95 polemisierender Schlagzeilen soll bei der Leserschaft bestehende Ressentiments ansprechen bzw. verstärken und die in Deutschland lebenden Ausländer generell als Kriminelle brandmarken ("Der tägliche Terror auf Berlins Straßen - Neue Polizeiliche Kriminal Statistik: Prozentsatz krimineller Ausländer überproportional hoch"52, "Beispiel irrsinniger 'Migrationspolitik' - Jugendlicher Intensivtäter verbreitete Angst und Schrecken"53, "Tatort Fußball - Ausländergewalt in deutschen Stadien"54). In anderen Beiträgen der NZ wird versucht, Ängste vor Massenzuwanderung und einer "Überfremdung" Deutschlands zu schüren. So heißt es z.B. in einem Artikel unter der (suggestiven) Überschrift "Deutschland bald türkisch?": "Weitere Millionen Türken - Experten-Schätzungen schwanken zwischen 15 und 20 Millionen - würden nach Deutschland kommen und das ohnehin mehr und mehr empfindliche Sozialnetz überbelasten. Die Folgen liegen auf der Hand: Mehr Arbeitslose, mehr Ghettos, mehr Überfremdung, mehr Kriminalität, mehr Glaubenskämpfe, mehr sozialer Unfrieden." (NZ Nr. 34/2007, S. 3) Im Zusammenhang mit der Titelschlagzeile "Die Invasion der Moscheen - Deutschlands heimliche Islamisierung" heißt es in einem Beitrag von Frey: "Wird aber die Trennung von Abendland und Morgenland etwa durch (...) Masseneinwanderung aufgehoben, dann kommt es zu kaum lösbaren Konflikten, wie sie nicht unähnlich auch beim Untergang des Byzantinischen Reiches sich ausprägten." (NZ Nr. 35/2007, S. 3) 52 NZ Nr. 15/2007, S. 10. 53 NZ Nr. 28/2007, S. 2. 54 NZ Nr. 29/2007, S. 1. 96 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Ziel dieser diskriminierenden, intoleranten Agitation der DVU ist die Einschränkung des Gleichheitsgrundsatzes für den ausländischen Teil der Bevölkerung und die Aushöhlung des unantastbaren Prinzips der Menschenwürde. Als Sprachrohr der DVU betreibt die NZ auch regelmäßig unterAntisemitismus schwellig, teilweise aber auch deutlich erkennbar, antisemitische Propaganda. In entsprechenden Beiträgen wird fortlaufend versucht, antijüdische und antiisraelische Vorurteile zu schüren. Im Vordergrund dieser Agitation stehen Versuche, die BundesAntisemitische regierung und insbesondere die Bundeskanzlerin in diffamieDiffamierung der render Weise als von Juden beherrscht und gesteuert darzustelBundesregierung len: "Dem Leser begegnen eine Vielzahl von Persönlichkeiten in Politik und Medien, die sich hinter den Kulissen für Israel engagieren: Gestalten wie Merkel, die eine Form der 'Solidarität mit Israel' predigen, die man nur als bedingungslos bezeichnen kann. (...) Der Exzess geht gelegentlich so weit, dass der Einsatz für Israel mit einem fast schon pathologisch anmutenden deutschen Selbsthass, einem weltweit und weltgeschichtlich einzigartigen Nationalmasochismus verbunden wird." (NZ Nr. 11/2007, S. 14) "Jetzt hat sie's! Verleihung des Großen Verratskreuzes 2007 (...) Der aus Vererbung vermeintlich polnischen, aus Zuneigung amerikanischen, aus Leidenschaft israelischen, aus Gleichgültigkeit deutschen Bundeskanzlerin der BRD wird diese Auszeichnung verliehen in Würdigung ihrer Politik gegen die Interessen ihres eigenen Landes." (NZ Nr. 25/2007, S. 2) Die Zeitung unterstellt der Bundeskanzlerin bzw. der Bundesregierung eine völlige Ergebenheit gegenüber US-amerikanischen Interessen und sieht eine angeblich wachsende Terrorgefahr als selbstverschuldet an, da "sich die Bundesregierung geradezu 97 hündisch an den US-Rockzipfel klammert und dadurch fremde Völker, die uns nichts getan haben, bis aufs Blut provoziert".55 InstrumentalisieAber auch die ständige, ausführliche Berichterstattung über rung von Wiederneue Gespräche zu "der offenbar ewigen Geschichte der deutgutmachungsschen Wiedergutmachung"56 nutzt die NZ, um das antisemitiforderungen sche Bild des "geldgierigen Juden" neu zu beleben: "Hingegen haben findige jüdische Anwälte in den USA und Europa bereits neue, 'noch offene Kapitel' zur Entschädigung von NS-Unrecht aufgespürt und entsprechende Geldquellen erschlossen." (NZ Nr. 26/2007, S. 4) Hinter dieser Agitation steht der Vorwurf, eine "Holocaust-Industrie" erwirtschafte "unter Einsatz der 'Auschwitzkeule' einen horrenden Profit".57 Revisionistische Die NZ leugnet zwar nicht ausdrücklich den Völkermord an den Relativierung europäischen Juden, sie bemüht sich jedoch weiterhin, diesen des Holocaust zu relativieren. Zu diesem Zweck wird u.a. das historische Wissen über den Holocaust häufig mit dem Hinweis auf die angebliche Fälschung zeitgeschichtlicher Dokumente in Frage gestellt. Darüber hinaus arbeitet die NZ mit dem Mittel der Aufrechnung (z.B. "Die vergessenen sechs Millionen deutschen Opfer"58, "Vorsätzliche Massenmorde an Zivilisten"59) oder bezeichnet behauptete Kriegsverbrechen der Alliierten als Holocaust, um durch die wiederholte Verwendung dieses Begriffs den Völkermord an den Juden als ein Ereignis unter vielen anderen gleichartig erscheinen zu lassen. So heißt es z.B. in der Einführung zu einer dreiteiligen Serie "Die Hölle der Vertreibung - Erinnerungen an ein ungesühntes Menschheitsverbrechen": 55 NZ Nr. 20/2007, S. 6. 56 NZ Nr. 7/2007, S. 5. 57 NZ Nr. 34/2007, S. 2. 58 NZ Nr. 16/2007, S. 4. 59 NZ Nr. 10/2007, S. 5. 98 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "In dieser Serie dokumentiert die National-Zeitung den ungesühnten und lange Zeit tabuisierten Vertreibungs-Holocaust an Millionen Deutschen." (NZ Nr.11/2007, S. 11) 2.2 Organisation und Entwicklung Die DVU ist in 16 Landesverbände untergliedert, denen jedoch Organisationsaufgrund der unangefochtenen innerparteilichen Machtposistruktur tion des Bundesvorsitzenden Frey kaum Raum für selbstständige politische Arbeit bleibt. Frey legt nach wie vor die ideologischen Positionen und Zielsetzungen der Partei fest, überwacht die wichtigeren personellen Vorgänge auch auf der Ebene der Landesverbände und entscheidet über die Teilnahme an Wahlen zu Landesparlamenten. Die Mitglieder des nur wenige Personen umfassenden Bundesvorstands spielen fast nur eine Statistenrolle. Innerparteiliche Demokratie fehlt mithin weitgehend. Absprachegemäß will die DVU bei den kommenden Landtags"Deutschlandpakt" wahlen in Hamburg, Thüringen und Brandenburg antreten. Bei mit der NPD allen anderen Landtagswahlen bis Ende 2009 wird sie sich nur dann um Mandate bewerben, wenn die NPD auf eine Kandidatur verzichtet. Der Fortbestand des Bündnisses zwischen diesen sehr unterschiedlich strukturierten Parteien dürfte jedoch stark erfolgsabhängig sein und sich endgültig am Ausgang des Wahlergebnisses der Landtagswahlen in Hamburg 2008 orientieren. Die DVU ist nur noch im Landesparlament von Brandenburg verTeilnahme treten (sechs Abgeordnete in Fraktionsstärke). Darüber hinaus an Wahlen sitzen Mitglieder der DVU in einigen Kommunalparlamenten, so etwa in den Kreistagen Potsdam-Mittelmark oder Elbe-Elster. Der materialund finanzintensive Wahlkampfstil der DVU (massenweise Plakatierungen, flächendeckende Postwurfsendungen etc.) bei gleichzeitig hohem Schuldenstand der Partei zwingt Frey dazu, Kandidaturen von einer "Kosten-Nutzen-Rechnung" abhängig zu machen. So ist er nur bei günstigen Erfolgsprognosen bereit, höhere Summen in einen Wahlkampf zu investieren, da ihm nur dann ein zumindest teilweise direkter (durch staatliche Teilfinanzierung der Parteien) und indirekter (durch höhere Verkaufszahlen seiner Verlagsprodukte aufgrund größerer Publizität) finanzieller Rückfluss garantiert ist. 99 Im Einklang mit dem "Deutschlandpakt" beteiligte sich die DVU am 13. Mai 2007 an den Bürgerschaftswahlen in Bremen und den gleichzeitig stattfindenden Stadtratswahlen in Bremerhaven. Spitzenkandidat war der stellvertretende Bundesvorsitzende und stellvertretende Bremer Landesvorsitzende Siegfried Tittmann. Trotz des für die Partei enttäuschenden Wahlergebnisses von lediglich 2,74 Prozent stellte sie - aufgrund einer Besonderheit des bremischen Wahlgesetzes - mit Tittmann zunächst weiterhin einen Abgeordneten in der Bremer Bürgerschaft. Austritt Tittmann verließ allerdings am 17. Juli 2007 aus persönlichen aus der Partei Gründen die DVU; seine Mandate als Bremerhavener Stadtverordneter und als Abgeordneter in der Bremischen Bürgerschaft will er allerdings bis 2011 behalten. Die DVU appellierte an Tittmann, sein "Amt" spätestens in zwei Jahren abzugeben. DVUDer im Januar 2007 in München abgehaltene Bundesparteitag Veranstaltungen der DVU war mit etwa 500 Teilnehmern die größte DVU-Veranstaltung. Wegen notwendiger Vorstandswahlen in etlichen DVU-Landesverbänden fanden Landesparteitage - teils gemeinsam - in Calbe (Sachsen-Anhalt), Mindelau (Bayern), Rhade (Niedersachsen), Bremerhaven, Rastow (Mecklenburg-Vorpommern) und Dortmund statt. Die Teilnehmerzahlen lagen zwischen 150 und 400. V. Rechtsextremistische Musik Bedeutung der Rechtsextremistische Musik vermittelt in ihren Texten offen oder rechtsextremistiunterschwellig rechtsextremistische Feindbilder und nationaschen Musik listische, fremdenfeindliche, antisemitische und antidemokratische Ideologiefragmente. Sie hat damit nicht nur für die Entwicklung und den Bestand der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene eine herausragende Bedeutung. Neonazistische Kameradschaften und rechtsextremistische Parteien nutzen die Werbewirkung von Musik darüber hinaus, um auch szenefremde Jugendliche zu erreichen. Zudem bilden Auftritte rechtsextremistischer Musikgruppen und Liedermacher inzwischen einen festen Bestandteil zahlreicher von der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) organisierter Veranstaltungen. 100 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Sowohl neonazistische Kameradschaften als auch die NPD proVerteilung rechtsduzierten 2007 erneut rechtsextremistische CDs, die kostenlos extremistischer verteilt wurden. CDs an Jugendliche Im Juni 2007 wurde im Umfeld von Schulen die CD "60 Minuten Musik gegen 60 Jahre Umerziehung" verbreitet. Auf der CD befinden sich 21 Lieder rechtsextremistischer Bands aus dem Inund Ausland sowie ein gesprochener Einleitungstext, der bereits auf der "Projekt Schulhof"-CD "Anpassung ist Feigheit - Lieder aus dem Untergrund" veröffentlicht wurde. Wegen des Liedes "Du denkst" besteht aufgrund der Leugnung des unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangenen Völkermordes gegen die CD ein bundesweiter Beschlagnahmebeschluss. In dem Lied heißt es u.a.: "Du glaubst die Deutsche Wehrmacht war eine Verbrecherbande. Du glaubst an Deutschlands große Schuld und die ewige Schande. Du glaubst an Reemtsma-Fotos und an all die Leichenberge. Du glaubst alles, was sie dir in deinen Schädel blasen und ich glaub' an den Weihnachtsmann und an den Osterhasen. (...) Du glaubst unsere Vergangenheit ist ja so furchtbar schlimm und ich glaub' an die schönen Märchen der Gebrüder Grimm." Die Initiatoren der CD gehören sowohl der NPD als auch der rechtsextremistischen Kameradschaftsund Musikszene an. Bei Durchsuchungen am 22. Juni 2007 in Bayern und Sachsen wurden mehrere hundert Exemplare des Samplers sichergestellt. 1. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Die Zahl der rechtsextremistischen (Skinhead-)Konzerte ist seit Weiterhin hohe 1999 - abgesehen von einem kurzfristigen Rückgang nach dem Anzahl rechtsVerbot der "Blood & Honour"-Organisation in Deutschland - extremistischer kontinuierlich angestiegen und hatte im Jahr 2005 mit 193 VerKonzerte anstaltungen ihren Höchststand erreicht. Nachdem bereits 2006 ein leichter Rückgang auf 163 Konzerte zu verzeichnen war, setzte sich dieser Trend auch im Berichtszeitraum fort. 2007 101 fanden mit 138 Konzerten deutlich weniger Veranstaltungen als im Vorjahr statt. Die durchschnittliche Besucherzahl stieg mit rund 150 Personen leicht an, bewegt sich aber im langjährigen Mittel. Die Mehrzahl der Konzerte hatte zwischen 100 und 300 Besucher. An 15 Veranstaltungen nahmen mehr als 300 Personen teil. Regionale Überdurchschnittlich viele Veranstaltungen fanden in OstSchwerpunkte deutschland statt, vor allem in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Regionale Schwerpunkte bildeten sich insbesondere dort, wo Szeneangehörige über eigene Veranstaltungsobjekte verfügen. Staatliche In 21 Fällen gelang es durch intensive Aufklärung und KontrolMaßnahmen len, rechtsextremistische Musikveranstaltungen bereits im Vorfeld zu verhindern. Häufig traten auch die Inhaber der Veranstaltungsräume nach Sensibilisierungsgesprächen von ihren Verträgen mit den Konzertorganisatoren zurück. Rund 15 Prozent der Konzerte (20) wurden während ihres Verlaufs aufgelöst. Dabei kam es nur in wenigen Fällen zu spontanen Widerstandshandlungen. Auftritte rechtsDie Auftritte rechtsextremistischer Bands und Liedermacher bei extremistischer sonstigen rechtsextremistischen Veranstaltungen haben mit 64 Musiker bei (2006: 75) abgenommen. Dabei handelt es sich z.B. um Parteisonstigen veranstaltungen oder Veranstaltungen, in deren Verlauf es nach Veranstaltungen politischen Beiträgen zu Liveauftritten von rechtsextremistischen Musikern kam. Rolle der NPD Seit längerem bietet die NPD rechtsextremistischen Musikern ein Forum für ihre Darbietungen. Dieses Engagement dient dazu, Veranstaltungen durch Musikeinlagen insbesondere für jüngere Szeneangehörige aus neonazistischen Kameradschaften und der gewaltbereiten Szene attraktiv zu machen. Mit der Organisation eigener Musikveranstaltungen signalisiert die NPD zudem ihre Offenheit gegenüber diesem Teil des rechtsextremistischen Personenpotenzials. Auf einem vom sächsischen Landesverband der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) organisierten Sommerfest "Sachsentag 2007" am 4. August 2007 in Dresden (vgl. Kap. IV, Nr. 1.3) traten Bands und Liedermacher aus Sachsen, Brandenburg, Schweden 102 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE und den USA auf. Bei einer weiteren - ebenfalls von Musikdarbietungen, nicht von Redebeiträgen geprägten - NPD-Veranstaltung am 30. Juni 2007 im Saarland schufen die Organisatoren auch ein Forum für zunächst nicht angekündigte rechtsextremistische Musikgruppen, nachdem deren ursprünglich geplantes Konzert durch ein Verbot verhindert worden war. Einen großen Teil der Auftritte bei sonstigen, überwiegend von Auftritte rechtsder NPD organisierten Veranstaltungen bestritten rechtsextreextremistischer mistische Liedermacher. Deren Bedeutung hat damit im musiLiedermacher kalischen Begleitprogramm bei Veranstaltungen rechtsextremistischer Parteien erneut zugenommen. Demgegenüber war die Anzahl der rechtsextremistischen Liederabende mit 23 gegenüber 2006 (29) rückläufig. 2. Rechtsextremistische Bands und Liedermacher Die Zahl der rechtsextremistischen Musikgruppen, die bei KonRechtsextrezerten auftraten oder einschlägige Tonträger veröffentlichten, mistische Bands ist im Vergleich zu den Vorjahren mit 146 aktiven Bands (2006: 152) leicht zurückgegangen. Insbesondere lösten sich zahlreiche - zum Teil erst vor kurzem gegründete - Bands u.a. wegen ihres unzureichenden musikalischen Könnens und der daraus resultierenden geringen Resonanz in der Szene wieder auf. Trotz dieser hohen Fluktuation sind rund 30 Bands bereits seit Mitte der 1990er Jahre aktiv. Auch 2007 waren mehrere neue Tonträgerproduktionen deutscher rechtsextremistischer Bands mit strafbaren Inhalten festzustellen. Wie in den Vorjahren wurde die Mehrheit dieser CDs mit volksverhetzenden, antisemitischen und fremdenfeindlichen Inhalten durch ausländische Vertriebe produziert und angeboten. So veröffentlichte beispielsweise die Band "Sturm103 kommando" den Tonträger "Der Wahnsinn geht weiter". Dort heißt es in dem Lied "Tod durch den Strang": "Semitenpack, Kanackenbanden werden vertrieben aus deutschen Landen. Sauber und rein soll das Vaterland sein, nicht besudelt wie das dreckigste Schwein. (...) das Urteil ist gesprochen, Tod durch den Strang. (...) Hängt sie auf, steinigt sie."60 Aufgrund von Tonträgerveröffentlichungen oder Konzertauftritten erfolgten bei Mitgliedern mehrerer rechtsextremistischer Bands Durchsuchungsmaßnahmen in Bayern, Brandenburg, Berlin und Thüringen. Die Ermittlungsverfahren waren bis zum Jahresende noch nicht abgeschlossen. Rechts2007 waren 26 rechtsextremistische Liedermacher aktiv extremistische (2006: 26). Auch in diesem Bereich kam es zur Veröffentlichung Liedermacher strafbarer Tonträger. So enthält die CD "Sturmabende" des Liedermachers "Arische Jugend" stark volksverhetzende, den Holocaust leugnende und den Nationalsozialismus sowie den Zweiten Weltkrieg verherrlichende Texte. In dem Lied "Judenfreie Heimat" wird zur Tötung von Juden aufgerufen: "Macht sie nieder, die Herzlbrut. Hängt ihn an den Galgen, den ewigen Jud (...) bald werden an den Straßen die Bäume voll mit hängenden Juden stehen." 61 "National Socialist Seit Ende der 1990er Jahre findet in der rechtsextremistischen Black Metal" Musik-Szene mit dem "National Socialist Black Metal" (NSBM) ein (NSBM) weiterer Musikstil Verbreitung. Vertreter des NSBM knüpfen an die - auch für die unpolitische Black Metal-Szene typischen - neuheidnischen und antichristlichen Elemente an, um vor diesem Hintergrund ihr nationalsozialistisches Weltbild zu propa60 Die CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 163 vom 31. August 2007. 61 Die CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (Liste B); vgl. Bundesanzeiger Nr. 118 vom 29. Juni 2007. 104 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE gieren. Eindeutig rechtsextremistische Äußerungen der SzeneProtagonisten finden sich in Internetbeiträgen und Homepages. Auf internationaler Ebene haben sich NSBM-Bands, -Vertriebe und -Fanzines u.a. in "The Pagan Front" zusammengeschlossen. Diese verfügt über eine englischsprachige Homepage, auf der eine nationalistische, rassistische, antisemitische und antichristliche Ideologie propagiert wird. Mitglied dieser Plattform ist u.a. die deutsche Band "Absurd", die in Deutschland Vorreiter des NSBM war und Kultstatus besitzt. 3. Rechtsextremistische Musikvertriebe Die Zahl der bundesweit aktiven rechtsextremistischen VerRückgang sandhändler, bei denen Tonträger und andere Propagandamader Vertriebe terialien erhältlich sind, ist auf 83 (2006: 91) zurückgegangen. Damit hat sich der Aufwärtstrend der letzten Jahre nicht weiter fortgesetzt. Ein Großteil der Vertriebe verfügt über eigene Musikoder Textillabel (2007: 39, 2006: 36), unter denen die einschlägigen Tonträger und Bekleidungsartikel produziert werden. Zudem bieten Szeneangehörige bei Konzerten Tonträger und Merchandise-Artikel von rechtsextremistischen Bands an. Daneben existieren als beliebte regionale Treffpunkte zahlreiche Szeneläden, die entsprechende Devotionalien anbieten. Die Produzenten und Anbieter rechtsextremistischer Musik und entsprechender Szeneutensilien setzen jährlich mehrere Millionen Euro um. Auch wenn der Umsatz und der tatsächlich erzielte Gewinn von Vertrieb zu Vertrieb stark variieren, sind die Betreiber teilweise in der Lage, ihren Lebensunterhalt hiervon zu bestreiten und in einigen Fällen sogar andere Szeneangehörige zu beschäftigen. Ein Teil der Einnahmen wird in geschäftliche Aktivitäten investiert und fließt damit in die Musik-Szene zurück. Je stärker die Einbindung der einzelnen Vertreiber in die Szene ist, desto eher unterstützen diese darüber hinaus auch nahestehende Organisationen oder Aktionen mit finanziellen oder logistischen Mitteln. Auch 2007 konnten die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen Vertreiber und Produzenten von rechtsextremistischer Musik Tonträger und Propagandamaterialien sicherstellen. 105 Am 11. September 2007 durchsuchten Polizeibeamte in Stuttgart und Waiblingen (Baden-Württemberg) die Wohnund Geschäftsräume des Inhabers der rechtsextremistischen InternetAuktionsplattform "Unser Auktionshaus". Die Sicherheitsbehörden hatten in den Monaten zuvor zahlreiche Auktionen mit indizierten und strafrechtlich relevanten CDs festgestellt. Insgesamt wurden in den durchsuchten Objekten mehr als zehntausend Tonträger mit rechtsextremistischen Inhalten sichergestellt. Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) durchsuchten am 30. Oktober 2007 im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main wegen des Verdachts der Volksverhetzung das Anwesen des NPD-Bundesvorstandsmitglieds Thorsten Heise im thüringischen Fretterode. Heise soll Auftraggeber mehrerer eindeutig strafrechtsrelevanter CD-Produktionen sein, die im Ausland hergestellt und für den deutschen Markt bestimmt waren. Neben etwa 2.000 Tonträgern konnten auch Waffen und Munition sichergestellt werden. Heise war zuletzt am 3. Juli 2007 durch das Landgericht Mühlhausen (Thüringen) im Zusammenhang mit der Einfuhr von 5.000 strafbaren Tonträgern aus Thailand im Jahr 2003 zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Das Urteil ist rechtskräftig. VI. Intellektualisierungsbestrebungen im Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland wies - im Unterschied zu anderen europäischen Ländern - seit jeher ein niedriges intellektuelles Niveau auf. Vor diesem Hintergrund bemüht sich eine Reihe von Rechtsextremisten mit formal höherem Bildungsniveau seit den 1980er Jahren verstärkt um eine Intellektualisierung der rechtsextremistischen Szene. Diese verstärkte Theoriearbeit äußert sich in der Durchführung von Kongressen und der Herausgabe von einschlägigen Zeitschriften und Büchern. Auch wenn die theoretische Untermauerung rechtsextremistischer Ideologie durch so genannte Intellektuelle für Identität und Praxis vieler politischer Akteure von 106 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE zentraler Bedeutung ist, blieben rechtsextremistische Intellektualisierungsbemühungen jedoch bislang ohne nennenswerte Erfolge. Hierauf verweisen selbst Rechtsextremisten immer wieder. So kam die beabsichtigte und erhoffte "Kulturrevolution von rechts", die über öffentliche politische Diskurse letztendlich auch gesellschaftspolitische Entwicklungen verändern will, nie über erste Ansätze hinaus. Verantwortlich hierfür ist nach wie vor der Mangel an intellektuellen Impulsgebern und das Fehlen tragfähiger Strukturen zur erfolgreichen Vermittlung ideologischer Konzepte. Lediglich im Parteienbereich - insbesondere für die NPD - lasIntellektualisiesen sich erste Erfolge einer intensivierten Theoriearbeit verrungsbemühungen zeichnen. So gelang es der Partei seit dem Ende der 1990er Jahre in der NPD verstärkt, rechtsextremistische Intellektuelle an sich zu binden, was sich u.a. auf die inhaltliche Entwicklung des Parteiorgans "Deutsche Stimme" auswirkt. In diesem Sinne befasst sich eine Vielzahl von Artikeln der Publikation mit ideologischen, programmatischen und strategischen Fragen. Zudem versuchten einige der führenden intellektuellen Protagonisten der NPD, wie Jürgen Gansel und Karl Richter, die Intellektualisierung der Partei voranzutreiben und auf diese Weise die politische Einstellung der demokratischen Mehrheitsgesellschaft zu beeinflussen. Allerdings haben die zur Unterstützung des von der NPD propagierten "Kampfes um die Köpfe" gegründeten Einrichtungen "Dresdner Schule" und "Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V." - die beide als ambitionierte Projekte der NPD in Sachsen konzipiert wurden - bis heute kaum messbaren Einfluss. Die Anstrengungen um eine weitere Intellektualisierung der Partei zeigen sich auch an der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift "HIER & JETZT. Gesellschaft-Politik-Bewegung", die vom sächsischen Landesverband der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) herausgegeben wird. Nach eigenem Bekunden will man eine "rechtsradikale Schrift" sein, die auch in Bezug auf die NPD Eigenständigkeit wahre.62 Namhafte Autoren aus der rechtsintellektuellen Szene wenden sich mit ihren Beiträgen an ein formal höher gebildetes Publikum. Bereits nach dem Erscheinen 62 "HIER & JETZT. Gesellschaft - Politik - Bewegung", Ausgabe 7 / Sommer 2007, S. 34. 107 der Erstausgabe konstatierten die Initiatoren, "dass in relativ kurzer Zeit sich eine Leserschaft gebildet hat, die weit über die Grenzen der sächsischen Jugend als Zielgruppe hinausreicht". 63 "Thule-Seminar Im Bereich des intellektuellen Rechtsextremismus bestehen nur e.V." veröffentlicht wenige parteiunabhängige Organisationen. Zu diesen gehört Zeitschrift das 1980 gegründete "Thule-Seminar e.V." in Kassel (Hessen). Es "Elemente der zählt zu den ersten Denkzirkeln der so genannten Neuen RechMetapolitik zur ten in Deutschland und soll dem Aufbau bundesweiter rechtseuropäischen extremistischer Strukturen dienen. Erstmalig seit 1998 wurde im Neuordnung" August 2007 wieder die Zeitschrift "Elemente der Metapolitik zur europäischen Neugeburt. Die Buchzeitschrift des "Thule-Seminars e.V." herausgegeben. Das internationale Autorenteam orientiert sich an der "eurosibirischen Vision" von einem europäischen Großreich unter Einschluss Russlands mit ethnopluralistischen Ordnungsvorstellungen. Ein Großteil der Beiträge beinhaltet deutlich esoterische Elemente, die ein rassistisches Menschenbild vermitteln und sich in erster Linie gegen die Einwanderungsgesellschaft richten. Deutlich wird dies u.a. an einer Aussage von Dr. Pierre Krebs, dem führenden Protagonisten des "Thule-Seminars e.V.": "Die Manipulation der Gene, auch Rassenmischung genannt, wirkt ebenso schnell und ebenso tödlich. Wenn in Europa nicht bald etwas geschieht, werden schon vor dem Jahr 2050 mehrere Länder aufgehört haben, mehrheitlich europäisch zu sein." ("Elemente der Metapolitik zur europäischen Neugeburt. Die Buchzeitschrift des Thule-Seminars e.V.", S. 7) Nach wie vor ist das "Thule-Seminar e.V." in der rechtsextremistischen Szene weitgehend isoliert und entfaltet deshalb nur eine geringe Breitenwirkung. "Deutsche Auch die maßgeblich von Jürgen Schwab, dem ehemaligen ChefAkademie" theoretiker der NPD, inspirierte "Deutsche Akademie" blieb mit ihren Aktivitäten weitgehend unauffällig. Die Organisation, die 63 "HIER & JETZT. Gesellschaft - Politik - Bewegung", Ausgabe 4 / Herbst 2006, S. 3. 108 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE sich selbst als parteiunabhängige Initiative definiert, hat sich zum Ziel gesetzt, eine "geistige Gegenelite zum pseudodemokratischen Vasallensystem auf deutschem Boden"64 herauszubilden. Diesem Zweck dienten zwei Veranstaltungen im März und August 2007 zu sozialen und wirtschaftstheoretischen Fragen. Zudem veröffentlichte Schwab im "Hohenrain-Verlag" ein Buch mit dem Titel "'Die Westliche Werte-Gemeinschaft'. Abrechnung - Alternativen", mit dem er einen Beitrag zu einem "geistigen Paradigmenwechsel" leisten will.65 Der Autor positioniert sich hier klar gegen den demokratischen Verfassungsstaat und formuliert aus nationalrevolutionärer Sicht Bündnisoptionen in Richtung der extremistischen Linken. Der Holocaustleugner Horst Mahler wurde am 14. August 2007 Horst Mahler nach Verbüßung einer neunmonatigen Freiheitsstrafe wegen provoziert weitere Volksverhetzung aus der Justizvollzugsanstalt Bernau entlassen. Strafverfahren Mahler, gegen den zahlreiche weitere einschlägige Ermittlungsverfahren anhängig sind, setzte seine antisemitische, den Nationalsozialismus verherrlichende Agitation umgehend fort und provozierte damit bewusst weitere Strafverfahren. So begrüßte er bei einem - im November 2007 veröffentlichten - Interview des Magazins VANITY FAIR den Journalisten Michel Friedman mit den Worten "Heil Hitler, Herr Friedman!" und erklärte: "Hitler war der Erlöser des deutschen Volkes. Er ist als Erlöser von Satan dämonisiert worden. (...) die systematische Vernichtung der Juden in Auschwitz, das ist eine Lüge." (VANITY FAIR Nr. 45/07, S. 82 ff.) In dem Interview distanziert sich der frühere Linksterrorist zwar von den Morden der "Roten Armee Fraktion" (RAF), da sie das Gegenteil dessen bewirkt hätten, was beabsichtigt gewesen sei. Das Töten von Menschen ist laut Mahler aber vertretbar, "wenn das Ziel, die Befreiung des deutschen Volkes" damit erreicht werden könne. Irgendwann könne es auch nötig sein, eine "Reichsarmeefraktion" zu bilden. 64 Selbstdefinition, Internetpräsenz der "Deutschen Akademie" (27. April 2007). 65 ",Die Westliche Werte-Gemeinschaft'. Abrechnung - Alternativen", S. 12. 109 Am 23. November 2007 verurteilte das Amtsgericht Cottbus Mahler wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SS 86a StGB) zu sechs Monaten Haft ohne Bewährung, weil er sich bei seinem Haftantritt im November 2006 von seinen Anhängern vor der JVA Cottbus mit den Worten "Heil Hitler!" und dem Zeigen des Hitlergrußes verabschiedet hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Mahler Mahlers egozentrische, extrem pseudowissenschaftliche und weiterhin isoliert teilweise auch vom rechtsextremistischen Konsens abweichenden Aussagen haben ihn innerhalb der Szene weitgehend isoliert. Mit seiner Agitation beeinflusst er allerdings eine kleine Gruppe fanatisierter Anhänger. Zu Mahlers engsten Unterstützern gehört seine Lebensgefährtin und Gesinnungsgenossin Sylvia Stolz. Gegen Stolz verhandelte das Landgericht Mannheim (Baden-Württemberg) ab dem 15. November 2007 wegen Volksverhetzung, Nötigung, versuchter Strafvereitelung und Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Der Rechtsanwältin wurde vorgeworfen, im Verlauf des Prozesses gegen den Holocaust-Leugner Ernst Zündel wiederholt öffentlich den Massenmord an den Juden bestritten, zum Hass gegen die jüdische Bevölkerung aufgerufen und einen auch im Internet veröffentlichten Anwaltsschriftsatz mit "Heil Hitler" gezeichnet zu haben. Aufgrund ihres Verhaltens hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe Stolz im April 2006 von der Mitwirkung im Prozess gegen Zündel ausgeschlossen. Die Staatsanwaltschaft strebt die Verhängung eines Berufsverbots an. Ein Urteil ist bis Jahresende 2007 nicht ergangen.66 "Collegium Das von Mahlers Agitation beeinflusste "Internationales StudiHumanum" enwerk - Collegium Humanum e.V." (CH)67 bietet mit seinen Räumlichkeiten in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) der rechtsextremistischen, insbesondere revisionistischen Szene seit Jahren ein Schulungszentrum. Daneben gibt das CH die bundesweit vertriebene Publikation "Lebensschutz-Informationen LSI - Stimme 66 Sylvia Stolz wurde am 14. Januar 2008 vom Landgericht Mannheim zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. Stolz hat beim Bundesgerichtshof gegen das Urteil Revision eingelegt. 67 Das Bundesministerium des Innern hat den Verein "Internationales Studienwerk - Collegium Humanum e.V." (CH) einschließlich seiner Teilorganisation "Bauernhilfe e.V." am 7. Mai 2008 verboten. 110 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE des Gewissens" heraus. Die Schrift berichtet insbesondere über Strafprozesse gegen Revisionisten, ruft zu Solidaritätsaktionen auf und leugnet ebenfalls den Holocaust. Das Landgericht Dortmund verurteilte am 11. Juni 2007 die Vorsitzende des CH, Ursula Haverbeck-Wetzel, aufgrund eines 2005 veröffentlichten Artikels68 wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe. Das Urteil ist rechtskräftig. VII. Antisemitische Agitation Antisemitische Agitation ist in allen Bereichen des RechtsextreAntisemitismus mismus virulent. Sie fungiert als Bindeglied zwischen den diverals Bindeglied im sen Strömungen, seien sie aktionsbezogen, parlamentarisch Rechtsextremismus oder publizistisch orientiert. Antisemitische Propaganda zielt auf die Diffamierung und DisBegriffsdefinition kriminierung einer behaupteten Gesamtheit "der Juden" ab, denen pauschal negative Eigenschaften unterstellt werden, um ihre Abwertung, Benachteiligung, Verfolgung oder Vernichtung ideologisch zu begründen. Religiös, sozial oder rassistisch motivierter Antisemitismus verliert im rechtsextremistischen Diskurs an Aktualität, hingegen gewinnen der politische sowie die jüngeren Formen des antizionistischen und sekundären Antisemitismus an Bedeutung.69 Der Anteil von Personen mit latent antisemitischen Einstellungen liegt in Deutschland nach unterschiedlichen sozialwissen68 "Der Mensch Adolf Hitler", in: "Lebensschutz-Informationen LSI - Stimme des Gewissens", Ausgabe Nr. 6, November/Dezember 2005. 69 Zur Definition und Beschreibung der verschiedenen Formen des Antisemitismus vgl. Pfahl-Traughber, Armin: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Opladen 2002. Daneben: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): Argumentationsmuster im rechtsextremistischen Antisemitismus. Aktuelle Entwicklungen, Köln 2005, sowie Berger, Henrik: Antisemitismus im Rechtsextremismus - zwischen subtiler Anspielung und offenem Hass; in: Bundesministerium des Innern (Hrsg.): Neuer Antisemitismus? Judenfeindschaft im politischen Extremismus und im öffentlichen Diskurs, Köln 2006, S. 54-74. 111 schaftlichen Studien dauerhaft bei bis zu 20 Prozent.70 Ein Kausalzusammenhang zwischen der Entwicklung antisemitischer Agitation, antisemitischer Einstellungspotenziale und der Zahl antisemitischer Straftaten ist nicht belegbar. Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen sind nur ein Gradmesser für das Vorhandensein von Antisemitismus. So wurden auch 2007 wieder zahlreiche politisch rechts motivierte Straftaten mit antisemitischem und extremistischem Hintergrund verübt (vgl. Politisch motivierte Kriminalität (PMK), Kap. III, Nr. 1.2). Vor dem Hintergrund des nach der Ausrufung der Zweiten Intifada im Jahr 2000 eskalierten Nahost-Konflikts, der seinen bisherigen Höhepunkt im Libanonkrieg 2006 gefunden hat, erstarkte der antizionistische Antisemitismus. Rechtsextremisten nutzen die im politischen und gesellschaftlichen Diskurs - auch in harscher Form geäußerte - Kritik an einzelnen politischen Entscheidungen des Staates Israel, um mit einer verallgemeinernden Diffamierung die Existenzberechtigung Israels in Frage zu stellen. "Die Juden" werden für die politischen Handlungen des Staates Israel verantwortlich gemacht.71 Gleichsetzungen der israelischen Politik mit den Verbrechen an Juden im Nationalsozialismus sind ebenso ein gängiges Muster des antizionistischen Antisemitismus. Es erfolgt eine rhetorische 70 Vgl. die zusammenfassende Darstellung zu den Ergebnissen der Einstellungsforschung: Bergmann, Werner: Wie viele Deutsche sind rechtsextrem, fremdenfeindlich und antisemitisch? Ergebnisse der empirischen Forschung von 1990 bis 2000, in: Benz, Wolfgang (Hrsg.): Auf dem Weg zum Bürgerkrieg? Rechtsextremismus und Gewalt gegen Fremde in Deutschland, Frankfurt/Main 2001, S. 41-62. Vgl. auch: Decker, Oliver; Brähler, Elmar: Rechtsextremistische Einstellungen in Deutschland; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 42/2005 vom 17. Oktober 2005, S. 8-17. 71 So heißt es etwa auf der rechtsextremistischen Internet-Präsenz "National Journal" an die Adresse von Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel: "Gebieten Sie den Juden Einhalt, versündigen Sie sich nicht länger am holocausierten palästinensischen Volk und der Menschheit. Erlauben Sie endlich die Wahrheit und tun Sie Buße. Warum küssen Sie immer nur die Haßjuden wie Olmert, Saban, Katz usw. ...". Zur Abgrenzung zwischen Israelkritik und antisemitischem Antizionismus vgl. Aribert Heyder/Julia Iser/Peter Schmidt: Israelkritik oder Antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus, in: W. Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 3, Frankfurt/Main 2005, S. 144-165, hier S. 146 f. 112 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Umkehr der Täterund Opfer-Rollen, die die Verbrechen im Dritten Reich zu relativieren sucht. Ähnlich "funktioniert" der sekundäre Antisemitismus. "Die Juden" werden für die gegen sie gerichtete Ablehnung verantwortlich gemacht, da sie die Schuld am Holocaust und die hiermit verbundene moralische Belastung in erpresserischer Weise instrumentalisiert hätten, um Deutschland finanziell und politisch zu entmachten. Mit Blick auf zu erwartende Exekutivund IndizierungsmaßOffener nahmen artikulieren nur wenige Rechtsextremisten ihre antiseAntisemitismus mitische Einstellung offen. In neonazistischen Kreisen jedoch sowie insbesondere bei Musikbands der rechtsextremistischen Skinhead-Szene manifestiert sich in aggressiven Texten eine kaum verhohlene Judenfeindschaft. So bringt die Band "Hitlers Harfen" ihre antisemitische Grundhaltung im gleichnamigen Lied auf der CD "Sturm über Deutschland"72 eindeutig zum Ausdruck. Sie bezeichnen sich darin als "eine Gesangskapelle voller Hass und Wut gegen die Judenbrut" und "wollen den Jud vergasen". In "60 Jahre Lug und Trug" auf derselben CD wird der Holocaust negiert und als Lüge bezeichnet. Das Gift Zyklon B, das in den Vernichtungslagern zur Tötung von Juden eingesetzt wurde, wird als Entlausungsmittel verharmlost. Den Opfern der Verfolgung wird "Hetzen und Betrügen" unterstellt. Weiter heißt es, "eine ethnische Reinigung wäre von Nöten (...) bevor sie uns langsam töten, macht Euch zum Angriff bereit". Damit folgt der Text zugleich einem gängigen Mechanismus des sekundären Antisemitismus, der versucht, die Opfer als Täter darzustellen. Antisemiten versuchen, die Juden selbst verantwortlich für den Antisemitismus Antisemitismus zu machen und sie aus der Gesellschaft auszudurch schließen. Ein Beispiel hierfür lieferte der brandenburgische Andeutungen NPD-Landesvorsitzende Klaus Beier in einer Presseerklärung der 72 Die CD wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (Liste B), vgl. Bundesanzeiger Nr 241 vom 28. Dezember 2007. 113 Partei gegen die Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland: "Durch ihren erneut zum Ausdruck gebrachten Haß auf die NPD fördert Frau Knobloch antisemitische Gefühle im deutschen Volk." (Homepage der NPD, 10. Juli 2007) Mit dem Tenor, sie möge sich nicht in die inneren Angelegenheiten Deutschlands einmischen und sei "sicherlich gut beraten, wenn sie sich um die Aggressionspolitik Israels kümmern würde", versuchte er sie als Fremdkörper in der deutschen Gesellschaft darzustellen. Andreas Molau nutzte in seiner Funktion als Leiter des Amtes Bildung in der NPD Appelle der Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Holocaust im Schulunterricht als Aufhänger, um Forderungen nach einer veränderten Geschichtswahrnehmung zu stellen, und behauptete indirekt eine moralische, politische wie finanzielle Unterdrückung Deutschlands durch "das Judentum": "(...), daß der Nationalsozialismus eine Reaktion auf die Knebelungsverträge von Versailles und die Aushungerung der Weimarer Republik ist. Aber wer Geschichte nur für seine politischen Zwecke instrumentalisiert, ist an historischer Wahrheit sicher nur wenig interessiert." (Homepage der NPD, 30. April 2007) Das Beispiel zeigt, wie Rechtsextremisten nahezu ausschließlich auf solche Andeutungen zurückgreifen, die nicht unmittelbar strafrechtlich relevant sind. Dennoch wird fast immer die Stoßrichtung des Gesagten klar. Derartige Anspielungen sind dadurch gleichermaßen geeignet, sowohl von rechtsextremistischen Lesern verstanden zu werden als auch bei sonstigen Lesern latent vorhandene antisemitische Einstellungen zu wecken. 114 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Eine gängige Variante des andeutenden Antisemitismus ist der absichtsvoll beiläufige Hinweis auf die tatsächliche oder vermeintliche jüdische Herkunft missliebiger Persönlichkeiten aus Gegenwart und Geschichte, obwohl deren Herkunft in keinerlei Bezug zu deren jeweiliger Tätigkeit steht. So erwähnte z.B. die "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) in einer ganzen Reihe von Artikeln die jüdischen Wurzeln des französischen Staatspräsidenten und wies gleichzeitig auf die vermeintlich negativen Folgen seiner Wahl für das deutsche Volk hin. Auch andere rechtsextremistische Medien behandelten das Thema ähnlich. 73 Antisemitischen Verschwörungstheorien zufolge geschieht Antisemitische auch die angebliche Instrumentalisierung Deutschlands im RahVerschwörungsmen einer planvollen Konspiration mit dem Ziel der Vergrößetheorien rung des jüdischen Einflusses bis hin zur Erlangung der Weltherrschaft. Um diesem Ziel näher zu kommen, zettelten "die Juden" u.a. Kriege zur Destabilisierung bestehender Machtverhältnisse an. Als "Kronzeugendokument" werden immer wieder die "Protokolle der Weisen von Zion" angeführt, ungeachtet der Tatsache, dass diese Schrift bereits 1921 als Fälschung enttarnt wurde. 74 In diesem Zusammenhang wird häufig eine angeblich übergroße Präsenz von Personen jüdischen Glaubens oder jüdischer Abstammung in Schlüsselfunktionen von Wirtschaft und Gesellschaft angedeutet. Bei der Vorstellung des neuen Weltbankchefs, des US-Amerikaners Robert Zoellick, verwies die NZ darauf, dass dieser - wie schon sein Vorvorgänger Wolfensohn - Mitglied der Trilateralen Kommission, "jener Organisation, deren Ziel ein weltumspannendes Herrschaftssystem unter Auflösung aller nationalstaatlicher Ordnung ist", und darüber 73 Z. B. NZ Nr. 20/2007, S. 7; NZ Nr. 21/2007, S. 2; NZ Nr. 22/2007, S. 1 f.; NZ Nr. 25/2007, S. 2; "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 6/2007, S. 38. 74 Bei den "Protokollen der Weisen von Zion" handelt es sich um eine antisemitische Fälschung der zaristischen Geheimpolizei Ochrana, die 1903 zunächst in Russland veröffentlicht wurde. Bis heute werden sie von Rechtsextremisten - aber auch von Islamisten - als Beweis für die Existenz einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung zitiert. Vgl. Benz, Wolfgang: Die Protokolle der Weisen von Zion. Die Legende von der jüdischen Weltverschwörung, München 2007. 115 hinaus - wie sein Vorgänger Wolfowitz - Mitglied des US-amerikanischen Council of Foreign Affairs ist. Weiter heißt es: "Beide sind außerdem Teilnehmer der geheimnisvollen Bilderberger-Konferenzen, die meist in auffälliger Nähe zu den G-8-Gipfeln stattfinden und auf welchen sich die Mächtigsten der Welt unter strengster Geheimhaltung über die wichtigen Fragen der Weltpolitik und -wirtschaft austauschen." (NZ Nr. 24/2007, S. 11) Die genannten Organisationen gelten Rechtsextremisten als Hort jüdischer Weltverschwörer und werden synonym für "das Judentum" genutzt. Weitere Codewörter sind z.B. "internationale Hochfinanz", "US-Ostküste" sowie "ZOG"75. Antisemitismus Im Zusammenhang mit dem G8-Gipfel im Juni 2007 in Heiligenin der Globalisiedamm (Mecklenburg-Vorpommern; vgl. Linksextremistische Berungskritik strebungen und Verdachtsfälle, Kap. IV, Nr. 2) propagierte die rechtsextremistische Szene eine Globalisierungskritik, die zumindest in Teilen antisemitische Hintergründe aufwies. Der regelmäßig im NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" publizierende Autor und stellvertretende NPD-Landesvorsitzende in Rheinland-Pfalz, Safet Babic, griff in einem Aufsatz über die "Heuschrecken als Segen?" den antisemitischen Topos des "ewigen, rastlosen Juden" auf und deutete zudem einen von den Nationalsozialisten aufgestellten Gegensatz von "schaffendem" und "raffendem" Kapital an, indem er den Hedgefonds "mit asozialer Raffgier" das Ideal "schaffender" Völker gegenüberstellt: 75 ZOG steht für "Zionist Occupied Government" und soll in diffamierender Weise eine fremdbeherrschte Regierung suggerieren, um damit die Souveränität der Bundesregierung und anderer Regierungen in Frage zu stellen. 116 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Die antikapitalistische Sehnsucht des deutschen Volkes kann von entwurzelten Managern im Sold global operierender Konzerne nicht nachempfunden werden. Während internationale Finanzkreise schaffende Völker mit Phrasen zu Verzicht und Anstrengung antreiben, erkennen die Parasiten im Nadelstreifen in ihrer Kalkulation nicht, daß ohne ökologische Nachhaltigkeit und soziale Sicherheit die Grundlagen einer gesunden Volkswirtschaft und damit wichtige Grundpfeiler staatlich organisierter Gemeinwesen entzogen werden." ("Deutsche Stimme" Nr. 6/2007, S. 10) Der Rechtsextremist Horst Mahler übernahm unverhohlen diese nationalsozialistische Argumentation. Am Rande eines Prozesses beschrieb Mahler in einem Interview76 die Globalisierung als Zeichen der Versklavung der Völker durch das Judentum: "Diese Versklavung wird als solche gar nicht wahrgenommen. Es ist die Zinssklaverei, gegen die der Nationalsozialismus aufgestanden ist, und sie ist heute ein dringenderes Problem denn je. Die ganze Menschheit gerät in diesen Sog der jüdischen Zinsknechtschaft, und die ganze Menschheit muss sich davon befreien (...)" Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der "Holocaust-Konferenz" Anknüpfungsin Teheran Ende 2006, die erstmalig geschichtsrevisionistische punkte mit Rechtsextremisten und antizionistische Angehörige nahöstliIslamismus und cher Staaten zueinander führte, gibt es Befürchtungen, es könne arabischem - auf der Basis eines gemeinsamen Antisemitismus - zu einer KoNationalismus operation zwischen Rechtsextremisten und Islamisten kommen. Antisemitismus spielt in beiden Phänomenen eine besondere Rolle. Islamisten wie Rechtsextremisten bestreiten den historischen Holocaust, da dieser ihnen zum einen als Gründungsmythos des Staates Israel gilt, zum anderen dessen Behauptung als 76 Das Interview vom 3. September 2007 im Landgericht Gera war als Video u.a. auf dem rechtsextremistischen Infoportal "Altermedia" aufrufbar (24. Oktober 2007). 117 Instrument zur ständigen Unterdrückung des deutschen Volkes angesehen wird. Jenseits des gemeinsamen Feindbildes Israel tun sich aus Sicht deutscher Rechtsextremisten jedoch erhebliche Differenzen auf. Zunächst werden der Kampf der Islamisten gegen die USA als gerechte Sache geachtet und die antisemitischen und revisionistischen Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten begrüßt. Auch ein zeitweiliges "Zweckbündnis" erscheint unter bestimmten Aspekten nützlich. Doch wird gleichzeitig immer wieder vor den Gefahren einer "Umvolkung"77, eines "ethnischen Verdrängungskampfes"78 durch muslimische Einwanderer gewarnt. Vereinzelt sind Versuche festzustellen, diese widersprüchlichen Positionen aufzulösen. So führte der Rechtsextremist Jürgen Rieger in einem Aufsatz über "Die Wahl der richtigen Partner" an, dass "Iraner (Iran bedeutet ursprünglich 'Land der Arier') (...) ebenso Indogermanen wie die Slawen" seien.79 Als der NPDFunktionär Babic unter der Überschrift "Islam und Nationalismus. Befreiungsnationalistischer Partner oder universalistische Bedrohung?"80 feststellte, Islam und Nationalismus seien nicht miteinander vereinbar, widersprach Rieger mit einem strategischen Argument, das er rassentheoretisch erweiterte: "Im gemeinsamen Widerstand gegen den weltumspannenden US-Imperialismus sind strategische Bündnisse mit islamischen Nationen sinnvoll. Der Freiheitskampf unterdrückter Völker gegen ihren Besatzer kann natürlich die Sympathie identitätsbewußter Europäer erhalten. Zumal es sich bei den Palästinensern ('Philistern'), Kurden ('Medern') und Iranern ('Persern') um die stark vermischten Nachfahren indogermanischer Völker handelt, die sich im Kampf gegen den gemeinsamen Feind befinden." ("Deutsche Stimme" Nr. 8/2007, S. 22) 77 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 10/2007, S. 45. 78 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 10/2007, S. 47. 79 "Deutsche Stimme", Nr. 3/2007, S. 23. 80 "Deutsche Stimme", Nr. 8/2007, S. 22. 118 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Die im Rechtsextremismus verankerten Elemente Rassismus und Nationalismus und der jeweilige Absolutheitsanspruch beider Formen des Extremismus stehen jedoch letztlich einer substanziellen, über punktuelle Annäherungen hinausgehenden Zusammenarbeit entgegen. VIII. Internationale Verbindungen Obwohl Rechtsextremisten stringent nationalistisch ausgerichtet sind, haben Teile der deutschen Szene im Laufe der Jahre gute Kontakte zu Gesinnungsgenossen in anderen Ländern aufgebaut. Es kommt nicht nur am Rande von rechtsextremistischen Konzerten zu Begegnungen, sondern deutsche Aktivisten treffen auch im Rahmen von Demonstrationen, Gedenkmärschen und Parteiveranstaltungen mit Vertretern ausländischer Organisationen zusammen. Auf europäischer Ebene wird von Rechtsextremisten zunehmend die Gefahr einer "Islamisierung Europas" beschworen. Diese These dient als die - ideologisch einigende - Plattform für Allianzen bzw. Kooperationen und führt dazu, dass rechtsextremistische Organisationen unterschiedlicher Bedeutung und Provenienz bei öffentlichen Auftritten gemeinsam in Erscheinung treten. 1. Veranstaltungen mit internationaler Beteiligung Nachfolgend sind beispielhaft einige Ereignisse mit internationaler Bedeutung aufgeführt: # Die neonazistisch ausgerichtete "Nederlandse Volks Unie" (NVU) demonstrierte am 27. Januar 2007 im niederländischen Apeldoorn unter dem Motto "Grenzen dicht für osteuropäische Billiglöhner! Weg mit der EU! Weg mit dem Neoliberalismus!". Sowohl an dieser als auch an anderen von der NVU im Laufe des Jahres organisierten Veranstaltungen nahmen jeweils zwischen 30 und 80 Rechtsextremisten aus Deutschland teil. Im Gegenzug erhielt der Vorsitzende der NVU, Constantijn Kusters, Gelegenheit, anlässlich einer Demonstration von Rechtsextremisten am 1. Mai 2007 in Dortmund eine Rede zu halten. # Am 10. Februar 2007 fand in Budapest (Ungarn) die alljährliche Gedenkveranstaltung für die gefallenen Soldaten der 119 Waffen-SS ("Tag der Ehre") statt. Die Kundgebung auf dem Budapester Heldenplatz wurde von etwa 800 Rechtsextremisten besucht, darunter auch rund 25 deutsche Teilnehmer. Als Redner traten u.a. der Bundesvorsitzende der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), Udo Voigt, sowie Eckart Bräuniger, Landesvorsitzender der Berliner NPD, und Matthias Fischer, Bezirksvorsitzender der NPD-Mittelfranken, auf. Außer den deutschen Rechtsextremisten waren auch Vertreter rechtsextremistischer Organisationen aus Belgien, Großbritannien, Tschechien, Slowenien, Bulgarien und den Niederlanden angereist. # Die flämische Sektion des internationalen Skinheadnetzwerkes "Blood & Honour" versammelte sich am 10. März 2007 unter dem Motto "SS Memorial Day 2007" zu einer Gedenkveranstaltung für die Gefallenen der "SS" auf dem deutschen Soldatenfriedhof in Lommel (Provinz Limburg/Belgien). Unter den etwa 300 Teilnehmern befanden sich Rechtsextremisten aus Belgien, Großbritannien, Ungarn und Polen sowie ca. 50 deutsche Gesinnungsgenossen. # Rund 1.600 Personen beteiligten sich am 8. September 2007 am "Fest der Völker" in Jena (Thüringen). Die Veranstaltung war von dem stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden Ralf Wohlleben angemeldet worden. Neben dem NPD-Parteivorsitzenden Udo Voigt sprachen u.a. der Auslandsreferent der "National-patriotischen Front Russlands - Pamjat", Alexander Kamkin, Zsolt Illes von "Blood & Honour" Ungarn, Stephen Swinfen von "Blood & Honour" England sowie der österreichische Neonazi Gottfried Küssel. Musikbeiträge lieferten Bands aus Tschechien, Großbritannien und Deutschland. 2. Verstärkte Kooperation von Rechtsextremisten und Rechtspopulisten Die nicht nur in rechtsextremistischen, sondern auch in rechtspopulistischen Kreisen zirkulierenden Thesen von einer Islamisierung und Überfremdung Europas haben in jüngster Zeit zu einem grenzübergreifenden Schulterschluss unterschiedlicher Organisationen geführt. Speziell einige Mitglieder der im Januar 2007 gegründeten, aber bereits am 14. November 2007 offiziell wieder aufgelösten Fraktion "Identität, Tradition, Souveränität" (ITS) im Europäischen Parlament, die aus einem Zusammen120 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE schluss von 23 Abgeordneten aus sieben Ländern der Europäischen Union bestand, suchten die Kooperation mit deutschen rechtsextremistischen Parteien sowie der eher unbedeutenden "Bürgerbewegung pro Köln e.V." ("pro Köln"). So traten Vertreter des belgischen "Vlaams Belang" (VB) und der "Freiheitlichen Partei Österreichs" (FPÖ) im Juni 2007 anlässlich einer von "pro Köln" organisierten Demonstration gegen den geplanten Bau einer Moschee in Köln als Redner auf. Die Delegationen der Bewegung "pro Köln" besuchten im Gegenzug die Jugendorganisation des VB, "Vlaams Belang Jongeren", in Antwerpen und eine Wahlkampfveranstaltung der FPÖ im österreichischen Graz. Bemerkenswert war insbesondere ein Zusammentreffen der Vorsitzenden u.a. von NPD, "Deutsche Volksunion" (DVU) und "pro Köln" am 25. September 2007 in Straßburg, die sich auf Initiative der ITS-Fraktion in einer "Gruppenerklärung" schriftlich zu deren Grundsätzen bekannten. Pressemeldungen, die Parteien hätten überdies beschlossen, zur Europawahl 2009 in Deutschland mit einer gemeinsamen Liste anzutreten, haben sich jedoch nicht bestätigt. Vielmehr ging es bei der Veranstaltung in Straßburg primär darum, eine Aktionsplattform zur gegenseitigen Unterstützung bei Wahlkämpfen im europäischen Rahmen zu schaffen. Andere europäische Initiativen zur Verteidigung von "Kultur, Tradition und christlichen Wurzeln" sind dadurch zunächst in den Hintergrund getreten. So gingen von der "Europäischen Nationalen Front" (ENF), in der die NPD weiterhin vertreten ist, verhältnismäßig wenig Aktivitäten aus. Die Absicht der NPD, sich in diesem außerparlamentarischen Bündnis stärker zu profilieren, blieb bislang ohne Ergebnis. Zudem hemmten interne Spannungen der ENF-Partner aus Spanien, Rumänien, Griechenland, Italien und Deutschland das gemeinsame Unterfangen. 3. Internationaler Revisionismus Ein bei verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen und Aktivisten auftretendes Ideologieelement ist der rechtsextremistische Revisionismus. Hierbei handelt es sich um eine Sammelbezeichnung für das ideologisch motivierte Bestreben, Zweifel an dem historisch gesicherten Geschichtsbild zu wecken, um die Zeit des Nationalsozialismus zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Betrachtung zu korrigieren. 121 Rechtsextremisten geht es somit nicht darum, einen als sicher erachteten Kenntnisstand zu überarbeiten, wenn neue Forschungsergebnisse bekannt werden (Revision), sondern darum, die nationalsozialistische Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und den Holocaust zu leugnen. Sie glauben, damit einen derart "entlasteten" Nationalsozialismus als Alternativmodell für die - aus ihrer Sicht volksfremde - Parlamentarische Demokratie in die politische Debatte einbringen zu können. Methoden Um dies zu erreichen, # zitieren sie historische Quellen selektiv oder verfälschend, # erfinden oder verfälschen sie Dokumente, # berufen sie sich auf angeblich wissenschaftliche Gutachten, die jedoch von Gesinnungsgenossen auf pseudowissenschaftliche Weise erstellt wurden, # betonen sie das im Zweiten Weltkrieg der deutschen Bevölkerung durch Bombenangriffe und Vertreibung zugefügte Leid, während sie gleichzeitig die Taten von Deutschen unterschlagen oder verharmlosen, # heben sie vermeintlich positive Aspekte des nationalsozialistischen Herrschaftssystems - beispielsweise im sozialpolitischen Bereich - hervor. Zwei Varianten des Der Revisionismus im weiteren Sinne umfasst nahezu alle von Revisionismus den Geschichtsfälschern genutzten Argumentationen, mit denen z.B. die Schuld des NS-Regimes am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs oder der verbrecherische Charakter der NS-Diktatur bestritten wird. Der Revisionismus im engeren Sinn leugnet den Holocaust; ein Verhalten, das in mehreren europäischen Staaten unter Strafe steht. In Deutschland erfüllt das Bestreiten des an den europäischen Juden begangenen Völkermords den Tatbestand der Volksverhetzung, SS 130 StGB. Agitation in Aus Furcht vor möglichen Strafverfolgungsmaßnahmen ist die Deutschland offene Holocaustleugnung in Deutschland die Ausnahme. 122 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Stärkere Verbreitung findet der Revisionismus im weiteren Sinne. Als Plattform dafür dienen rechtsextremistische Periodika wie "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG), "Deutsche Geschichte. Europa und die Welt" und die "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ). Mit dem "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV)81 besteht seit 2003 eine rechtsextremistische Organisation, die Holocaustleugner in juristischen Auseinandersetzungen unterstützt. Darüber hinaus veröffentlichte der VRBHV im Jahr 2007 eine DVD über die im Dezember 2006 in Teheran veranstaltete revisionistische "Holocaust-Konferenz" (vgl. auch Kap. VII). Mit Ernst Zündel und Germar Rudolf wurden 2007 zwei führende Freiheitsstrafen für revisionistische Agitatoren zu Freiheitsstrafen verurteilt. Zündel zentrale wurde am 15. Februar 2007 wegen Volksverhetzung, BeleidiProtagonisten gung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Seine Revision wurde durch den Bundesgerichtshof (BGH) als unbegründet verworfen. Am 15. März 2007 wurde Rudolf wegen der gleichen Delikte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Da sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung auf Rechtsmittel verzichteten, ist das Urteil unmittelbar rechtskräftig geworden. Für das gesamte revisionistische Spektrum erwies sich bereits die Agitation aus dem im Jahr 2005 erfolgte Auslieferung Rudolfs an die BundesrepuAusland blik Deutschland als herber Verlust. Bis zu seiner Festnahme hatte er von den USA aus seinen in Großbritannien ansässigen Verlag "Castle Hill Publishers" (CHP) geleitet, in dem auch die "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung" (VffG) erscheinen. Die durch die Inhaftierung von Rudolf entstandene Lücke haben seine Gesinnungsgenossen bislang nicht füllen können. So wird die Zeitschrift zwar weiter fortgeführt, doch zum einen verzögert sich regelmäßig das Erscheinen und zum anderen setzen die gegenwärtigen Redakteure der VffG ihre Abkehr vom bisherigen Kurs der Publikation fort. Während Rudolf 81 Das Bundesministerium des Innern hat den "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) am 7. Mai 2008 verboten. 123 konsequent auf den Anschein von Wissenschaftlichkeit geachtet hatte und auf diese Weise seine rechtsextremistische Gesinnung zu verleugnen suchte, machen seine Nachfolger keinen Hehl aus ihrer primär ideologisch motivierten Geschichtsbetrachtung. So leugneten in der April-Ausgabe gleich mehrere Autoren ungehemmt den Holocaust.82 Abnehmende Auch 2007 hat sich die Situation für den rechtsextremistischen Bedeutung Revisionismus weiter verschlechtert, nicht zuletzt wegen des unvermindert anhaltenden staatlichen Verfolgungsdrucks und der daraus resultierenden Verurteilungen führender Protagonisten. Die Szene war mangels personeller Ressourcen bisher nicht in der Lage, diese Ausfälle zu kompensieren. Auch das Interesse, das die Agitation im Nachgang zur Teheraner "Holocaust-Konferenz" in der Szene wecken konnte, blieb nur von kurzer Dauer. Eine Resonanz oder gar Zustimmung der breiten Öffentlichkeit wurde nicht erreicht. IX. Organisationsunabhängige Verlage und Vertriebsdienste 2007 waren deutschlandweit rund 36 (2006: rund 33) rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste bekannt, die nicht formal an eine Partei oder Organisation gebunden sind. Die in ihrer Bedeutung und Größe höchst verschiedenen Unternehmen vertreiben mehrheitlich Bücher und periodische Schriften, die rechtsextremistische Vorstellungen und eine entsprechende Sicht auf die deutsche Geschichte vermitteln sollen. Zu diesem Zweck werden neben dem klassischen Verlagsprogramm häufig auch CDs, DVDs und Videokassetten angeboten, die sich mit ideologisch einschlägigen Themen befassen. Häufig handelt es sich um revisionistische Äußerungen, die die offizielle Betrachtung der Geschichte des "Dritten Reichs" in Frage stellen, diese als auf gefälschte historische Fakten basie82 "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung" (VffG), Nr. 3/2007. 124 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE rend und als eine Folge der Umerziehung durch die Alliierten darstellen. Im Zusammenhang mit der Diffamierung der Bundesrepublik Deutschland als willfährigen Erfüllungsgehilfen der USA stehen auch immer wieder Veröffentlichungen zu einer angeblichen - globalen - jüdischen Verschwörung mit dem Ziel der Weltherrschaft und der Niederhaltung Deutschlands. Darüber hinaus wird das Integrationsmodell der Bundesrepublik von einigen Autoren als gescheitert bezeichnet. Es gehe den Volksvertretern nicht wirklich um das Wohl der Deutschen, sondern vielmehr um das der Ausländer und um das Ansehen des "bundesrepublikanischen Vasallenstaates" bei den alliierten und anderen ausländischen Mächten. Fester Bestandteil im Angebot vieler Unternehmen sind weiterhin Kalender, Poster und Schmuck mit völkischen oder germanisch-mythologischen Motiven. Einer großen Anzahl von Kleinunternehmen und reinen Vertriebsdiensten steht die kleine Gruppe der etablierten und bekannteren Verlage gegenüber. Hierzu zählen der "Nation Europa Verlag" in Coburg (Bayern), der "Grabert-Verlag" in Tübingen (Baden-Württemberg), der "Arndt-Verlag" in Kiel (SchleswigHolstein) sowie die "Verlagsgesellschaft Berg" in Inning am Ammersee (Bayern). Die Schriften dieser Verlage werden auch in vielen rechtsextremistischen Publikationen beworben. Besondere Bedeutung in der rechtsextremistischen Publizistik "Nation Europa besitzt der "Nation Europa Verlag" vor allem wegen der im Verlag" 57. Jahrgang erscheinenden Abonnementzeitschrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte". Mit einer Auflage von etwa 18.000 Exemplaren findet sie große Resonanz im rechtsextremistischen Lager und ist eine der wichtigsten Publikationen für die Szene. Die Ausgaben enthalten neben Grundsatzbeiträgen zum tagespolitischen Geschehen auch Beiträge, die sich mit strategischen und theoretischen Fragen auseinandersetzen. Das Redaktionskollegium um Harald Neubauer hatte bereits 2005 seine parteipolitische Neutralität zugunsten einer Sprachrohrfunktion für die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und der von dieser proklamierten "Volksfront von Rechts" 125 aufgegeben. 2007 fiel insbesondere die Wiedergabe von NPDPositionen zur Außenund Sicherheitspolitik auf. Hierbei handelte es sich etwa um dezidiert antiamerikanische Beiträge, beispielsweise von den Redaktionsmitgliedern Karl Richter83 (Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen) und Detlev Rose.84 Neben diesen zählen Peter Dehoust und Werner Baumann zur Redaktion.85 "Grabert-Verlag" Der von Wigbert Grabert geleitete Verlagskomplex, zu dem neben dem "Grabert-Verlag" auch das Schwesterunternehmen "Hohenrain-Verlag" gehört, gab auch 2007 einige Neuveröffentlichungen heraus. So erschien z.B. das Buch "Die 'Westliche Werte-Gemeinschaft'. Abrechnung - Alternativen" des ehemaligen Cheftheoretikers der NPD und jetzigen Leiters der rechtsextremistischen "Deutschen Akademie", Jürgen Schwab. Der Autor positioniert sich deutlich gegen den Parlamentarismus und sieht keinen Gegensatz zwischen Demokratie und Diktatur, solange sich ein entsprechendes System auf den Volkswillen stützen könne: "Gerade die jüngere deutsche Geschichte gibt noch ein Zeugnis davon ab, daß das Volk auch seinen kollektiven Willen durch demokratische Wahlentscheidung oder durch Plebiszit in einer Person vertreten kann, wie dies in der Zeit von 1933 bis 1945 der Fall war." (Schwab, Jürgen: "Die 'Westliche Werte-Gemeinschaft'. Abrechnung Alternativen", "Hohenrain-Verlag", Tübingen 2007, S. 251) Zu den periodisch erscheinenden Publikationen des rechtsextremistischen Verlagshauses gehört das im Abstand von zwei Monaten - nun im 18. Jahrgang - erscheinende mehrseitige Informationsblatt "Euro-Kurier. Aktuelle Buchund Verlagsnachrichten" mit hauptsächlich tagesaktuellen Themenbereichen. 83 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 6/2007, S. 5. 84 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 9/2007, S. 37. 85 In eigener Sache, in: "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 11-12/2005, S. 79. 126 RECHTSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Die Verantwortung für die Herausgabe der vom "Grabert-Verlag" veröffentlichten revisionistischen Vierteljahresschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) legte Grabert im Frühsommer 2007 in die Hände des ehemaligen Vorsitzenden der rechtsextremistischen Kulturvereinigung "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." (GfP) und langjährigen Lektors des Verlages, Dr. Rolf Kosiek. Begründet wurde diese Entscheidung im Vorwort der DGG86 mit einem neuen Strafverfahren, das Grabert im Zusammenhang mit der Beschlagnahme der Publikation87 drohe und damit eine bisherige Strafaussetzung zur Bewährung gefährde. Gegenstand der bereits zuvor durch das Amtsgericht Tübingen am 6. Februar 2007 verhängten Strafe88 war die Veröffentlichung eines Artikels im März 2006 unter dem Titel "Bericht aus Finnland. Multikultur - eine unmögliche Vision"89. Der Text hatte in einem aggressiven Ton die europäische Einwanderungspolitik thematisiert und eine Geisteshaltung offenbart, die die klassischen Elemente einer rassistischen Ideologie vertrat. Der Rückzug Graberts zeigt, dass die Agitation rechtsextremistischer Verleger durch das Zusammenwirken der zuständigen Behörden nachhaltig gestört werden kann. Den Schwerpunkt im Verlagsprogramm des von Dietmar Munier "Arndt-Verlag" geleiteten "Arndt-Verlages" bilden Bücher zu kulturellen, historischen, zeitgeschichtlichen und politischen Themen. Als wichtige Veröffentlichungen im Jahr 2007 sind die Schrift "Schlachtenführer gegen das Reich. Churchills Krieg 1941-42" des bekanntesten und einflussreichsten englischen Revisionisten David Irving und die Fortführung der in Atlasgroßformat farbig gedruckten Bildbandreihe "Zeitgeschichte in Farbe/Zeitgeschichte in Bildern" zu nennen. Deren einzelne Bände setzen sich unkritisch mit den vermeintlich imposanten Seiten des Nationalsozialismus und dessen angeblichen Leistungen auseinander. 86 DGG, Nr. 2 vom Juni 2007, S. 1. 87 Das im Mai 2007 durch die Staatsanwaltschaft Tübingen eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung richtet sich gegen die Veröffentlichung der Beiträge aus der DGG, Nr. 1 vom Februar 2007, "Die strafrechtliche Seite des Holocaust-Problems", S. 20-27 und "Zu den Todesmärschen 1945", S. 29-30. 88 Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 89 DGG, Nr. 1 vom März 2006, S. 10 ff. 127 Darüber hinaus zählen insbesondere Kalender, Videos und Devotionalien der ehemals deutschen Ostgebiete in Schlesien und Ostpreußen zu den traditionellen Produkten des Versandgeschäftes. "VerlagsgesellDie von Dr. Gert Sudholt geleitete "Verlagsgesellschaft Berg" ist schaft Berg" ein Zusammenschluss der früher eigenständigen Verlage "Druffel", "Türmer" und "Vowinckel", deren Namen bei der Veröffentlichung von Büchern gelegentlich noch in Erscheinung treten. Zum Unternehmen gehört die "Sudholt Versandbuchhandlung", über die der Vertrieb der Verlagsprodukte - aber auch der Erzeugnisse anderer Verlage - abgewickelt wird. Neben der zweimonatlich im 18. Jahrgang erscheinenden Zeitschrift "Deutsche Geschichte. Europa und die Welt" erscheinen Bücher mit revisionistischen, aber auch militärhistorischen Inhalten. Als feste Größe im rechtsextremistischen Veranstaltungskalender fand 2007 bereits zum siebten Mal das "Erlebnis-Wochenende Geschichte" des "Druffel-Verlages" in Potsdam (Brandenburg) statt, bei dem bekannte revisionistische Autoren als Referenten auftraten. Das Treffen stand unter dem Motto "Preußen und Deutschland". "Gesellschaft für Die "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." (GfP) unter Leitung von freie Publizistik Andreas Molau, dem NPD-Spitzenkandidaten für die niedere.V." (GfP) sächsischen Landtagswahlen Anfang 2008, ist mit etwa 500 Mitgliedern die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Verleger, Buchhändler, Redakteure und Schriftsteller an. Auf dem in Bad Kissingen (Bayern) vom 11. bis 13. Mai 2007 abgehaltenen GfP-Treffen unter dem Motto "Geschichte und Justiz im Würgegriff der Politik" referierten auch der rechtsextremistische Verleger und Stellvertreter Molaus, Gert Sudholt, und der rechtsextremistische Rechtsanwalt Ingmar Knop. Neben der Druckfassung des "GfP-Reportes 2007" veröffentlicht die GfP (vierteljährlich) die Broschüre "Das Freie Forum". 128 Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle 129 Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick 1. Entwicklungen im Linksextremismus Proteste gegen Im Mittelpunkt linksextremistischer Aktivitäten und DiskussioG8-Gipfel im nen im Jahr 2007 stand die Mobilisierung zu den Protesten gegen Mittelpunkt linksden G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern). extremistischer Dabei wurde die Globalisierungskritik für Linksextremisten Aktivitäten immer mehr zu einer allgemeinen ideologischen Klammer; nahezu sämtliche linksextremistischen Themenund Aktionsfelder ließen sich darunter subsumieren. Über diese Gemeinsamkeit versuchten Linksextremisten das Thema für ihre weitergehenden Ziele in Richtung Systemüberwindung zu nutzen. Linksextremisten Linksextremisten wollen je nach ideologischer Ausrichtung anstreben eine soziastelle der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung eine solistische bzw. komzialistische bzw. kommunistische Gesellschaft oder eine "herrmunistische oder schaftsfreie", anarchistische Gesellschaft etablieren und orien"herrschaftsfreie" tieren ihr politisches Handeln an revolutionär-marxistischen Gesellschaft an oder anarchistischen Ideologien. Revolutionär-marxistische Organisationen setzen auf traditionelle Konzepte eines langfristig betriebenen Klassenkampfes. Autonomes Selbstverständnis ist geprägt von der Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens in "herrschaftsfreien Räumen". Entsprechend wird jede Form staatlicher und gesellschaftlicher Normen abgelehnt. Linksextremisten agitieren überwiegend offen mit Flugblättern, Plakaten, Internetaufrufen und in Szenepublikationen. Darüber hinaus versuchen sie, auch verdeckt Einfluss zu nehmen auf nichtextremistische Zusammenhänge. Traditionelle Aktionsfelder von Linksextremisten wie "Anti-Kernkraft", "Antimilitarismus", "Antirassismus" oder auch "Sozialabbau" wurden durch die Proteste gegen das G8-Treffen in Heiligendamm überlagert - von Linksextremisten als Gipfeltreffen der Eliten und Symbol der "Macht des globalen Kapitalismus" sowie dessen "politischer und militärischer Gewalt" bezeichnet. 130 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Im Laufe der Mobilisierung formierten sich mehrere, teils kooperierende Mobilisierungsströmungen, die sich in "Aktionskonferenzen" auf die einzelnen Protestaktionen verständigten. Besonders nachhaltig wirkte auch in der Öffentlichkeit die "Internationale Großdemonstration" am 2. Juni 2007 in Rostock. Unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" beteiligten sich etwa 30.000 Personen an der Demonstration, in deren Verlauf es zu schwersten Gewalttaten aus einem so genannten Schwarzen Block heraus kam. Begleitet wurden die Mobilisierungsbemühungen seit Mitte 2005 durch eine "militante Kampagne", die auch 2007 mit einer Reihe von Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge und Gebäude fortgesetzt wurde. Daneben stand der "Antifaschismus" als traditionelles Aktions"Antifaschismus" feld im Fokus der "politischen" Arbeit von Linksextremisten. als traditionelles Dabei bekämpfen diese nur vordergründig rechtsextremistische Aktionsfeld von Strukturen. Ziel ist es letztendlich, die freiheitliche demokratiLinksextremisten sche Grundordnung zu überwinden und die dem "kapitalistischen System" angeblich innewohnenden Wurzeln des Faschismus zu beseitigen. Die Aktivitäten gewaltbereiter Linksextremisten richteten sich ebenso gegen "Nazi-Aufmärsche" wie gegen Einzelpersonen und Einrichtungen der rechtsextremistischen Szene. Vor allem bei von Rechtsextremisten organisierten Demonstrationen suchte man die direkte Konfrontation mit dem "politischen" Gegner auf der Straße. Zunehmende Bedeutung hat in den letzten Jahren das Aktions"Antirepression" feld "Antirepression" bekommen. Linksextremisten werten die gewinnt an nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 erfolgte VerBedeutung schärfung der Sicherheitsgesetze, den Einsatz neuer technischer Fahndungsmittel, aber auch die Sicherheitsmaßnahmen anlässlich der Fußballweltmeisterschaft 2006 oder des G8-Gipfels als neue Qualität "staatlicher Repression". Träger der "Antirepressionskampagne" sind in erster Linie Gruppen aus dem überwiegend autonomen und antiimperialistischen Spektrum, darüber hinaus so genannte Solidaritätsgruppen, die sich anlassbezogen - etwa für die Dauer von Strafprozessen - für Belange Betroffener einsetzen. Höhepunkt der "Antirepressionskampagne" war eine bundesweite Demonstration am 15. Dezember 2007 in Hamburg; in deren Verlauf, insbesondere aber nach Abschluss der Veranstaltung, kam es zu teils erheblichen Gewalttätigkeiten. 131 Für gewaltbereite Linksextremisten, vor allem aus der autonomen Szene, sind auch Gesetzesverletzungen - bis hin zur Gewalt gegen den politischen Gegner - und vielfältige militante Aktionsformen Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Die hohe Gewaltbereitschaft schlägt sich wiederum in einer hohen Zahl von Gewalttaten nieder (vgl. Politisch motivierte Kriminalität [PMK], Kap. III, Nr. 2). Neben der direkten Konfrontation mit dem politischen Gegner ist die so genannte Massenmilitanz - Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran - eine typische Form autonomer Gewalt. Einzelne autonome Zusammenhänge führen einen nachhaltigen Kampf für ihre politischen Ziele mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen und überschreiten damit die Grenze zu terroristischem Gewalthandeln. "DIE LINKE." Aus der "Linkspartei.PDS" wurde Mitte Juni 2007 durch Fusion mit der nichtextremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) die Partei "DIE LINKE.". Wie bisher bei der "Linkspartei.PDS" wirken offen extremistische Kräfte auch in der Partei "DIE LINKE." fort. DKP bekennt sich Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), seit 2006 mit zu Marx, Engels neuem Parteiprogramm, bekennt sich weiterhin zur Theorie von und Lenin Marx, Engels und Lenin als Anleitung zum Handeln. Durch revolutionäre Überwindung der gesellschaftlichen Verhältnisse soll in Etappen eine sozialistische Gesellschaftsordnung verwirklicht werden. Seit Mitte des Jahres bereitet sich die DKP verstärkt auf ihr 40-jähriges Bestehen im Jahr 2008 vor. MLPD Im Mittelpunkt der Aktivitäten der maoistisch-stalinistisch ausgerichteten "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) standen Anfang August 2007 Veranstaltungen zu ihrem 25-jährigen Bestehen. In seiner Festrede unterstrich der MLPDVorsitzende den revolutionären Anspruch seiner Partei. Trotzkistische In Deutschland sind derzeit 20 internationale trotzkistische Dachverbände in Dachverbände mit 28 Sektionen oder Resonanzgruppen aktiv. Deutschland Einzelne aktionsorientierte trotzkistische Strömungen brachten sich vernehmlich in gesellschaftliche Protestkampagnen ein und engagierten sich auf typischen Handlungsfeldern von Linksextremisten. 132 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 2. Organisationen und Personenpotenzial Struktur und Erscheinungsbild des organisierten LinksextreLeichter Anstieg mismus haben sich im Jahr 2007 gegenüber dem Vorjahr nur gedes linksringfügig verändert. Das Gesamtpotenzial weist insgesamt einen extremistischen leichten Anstieg auf. Personenpotenzials Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften waren Ende 2007 etwa 30.800 Personen (2006: 30.700) Organisationen und sonstigen Personenzusammenschlüssen zuzurechnen, bei denen zumindest Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen feststellbar sind. # Das Spektrum der gewaltbereiten Linksextremisten in überwiegend anarchistisch orientierten Gruppierungen verzeichnete erneut einen leichten Anstieg und umfasste Ende 2007 rund 6.300 Personen (2006: rund 6.000), darunter bis zu 5.800 (2006: bis zu 5.500) Autonome. # Bei marxistisch-leninistischen, trotzkistischen und sonstigen revolutionär-marxistischen Zusammenschlüssen ist mit insgesamt 24.800 Personen (2006: 25.000) erneut ein leichter Rückgang der Mitgliederzahl festzustellen. Darin enthalten sind auch die Anhänger der "Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE." (KPF), deren Zahl nach eigenen Angaben Ende 2007 etwa 850 betrug. Die vorgenannten Zusammenschlüsse werden zum Teil von Organisationen unterstützt, die von Extremisten gegründet oder unterwandert wurden und in der Folge deren erheblichem Einfluss unterliegen (linksextremistisch beeinflusste Organisationen). Da nicht alle Mitglieder derartiger Organisationen extremistische Ziele verfolgen, wurde von einer Aufnahme dieses Personenkreises in das Personenpotenzial abgesehen. 133 Linksextremismuspotenzial1 2005 2006 2007 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Gewaltbereite Linksextremisten2 67 5.5003 69 6.0003 70 6.3003 MarxistenLeninisten und andere revolutionäre Marxisten4 - Kernund NebenOrganisationen 43 25.400 40 25.000 41 24.800 - beeinflusste Organisationen 19 17 17 Summe 129 30.900 126 31.000 128 31.100 Nach Abzug von Mehrfachca. ca. ca. mitgliedschaften5 30.600 30.700 30.800 1 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. 3 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 4 Einschließlich "Kommunistischer Plattform der Partei DIE LINKE." (KPF) sowie der Mitglieder weiterer offen extremistischer Zusammenschlüsse innerhalb der Partei "DIE LINKE.". 5 In den Zahlen nicht enthalten sind Mitglieder linksextremistisch beeinflusster Organisationen. Hinsichtlich der Partei "DIE LINKE." mit ca. 70.900 ("Linkspartei.PDS" 2006: ca. 60.300) Mitgliedern wird wegen ihres ambivalenten Erscheinungsbildes auf eine gesonderte Ausweisung verzichtet. 134 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen Ungefähr 30 Verlage und Vertriebsdienste verbreiteten Zeitungen, Zeitschriften und sonstige Publikationen mit zumindest teilweise linksextremistischen Inhalten. Die Gesamtzahl der von diesen Verlagen und Vertriebsdiensten herausgegebenen Publikationen blieb mit etwa 220 konstant. Zahlreiche - z.T. konspirativ hergestellte und verbreitete - Publikationen aus der autonomen Szene veröffentlichen regelmäßig Taterklärungen, Positionspapiere, Aufrufe zu Demonstrationen, "Bastelanleitungen" (Anleitungen zur Herstellung u.a. von Brandund Sprengsätzen) und andere für die linksextremistische Diskussion und Praxis relevante Beiträge. Die meisten dieser Publikationen - z.B. "Swing" (Frankfurt am Main), "Zeck" (Hamburg) oder "incipito" (Leipzig) - haben vorrangig regionale Bedeutung. Von bundesweiter Relevanz ist vor allem die 14-tägig in Berlin erscheinende Schrift "INTERIM". Ein bedeutendes Printmedium im linksextremistischen Bereich "junge Welt" (jW) ist die bundesweit vertriebene Tageszeitung "junge Welt" (jW) bietet zumindest mit einer Auflage von ca. 12.000 Exemplaren. Die bereits in der tatsächliche ehemaligen DDR von der SED-Jugendorganisation "Freie DeutAnhaltspunkte für sche Jugend" (FDJ) herausgegebene Zeitung erscheint heute im linksextremistische eigenständigen Verlag "8. Mai GmbH" mit Sitz in Berlin, dessen Bestrebungen Haupteigentümerin die "Linke Presse Verlagsförderungsund Beteiligungsgenossenschaft junge Welt e.G." ist. Einzelne Redaktionsmitglieder und ein großer Teil der Stammund Gastautoren sind dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen. Die Zeitung pflegt eine traditionskommunistische Ausrichtung, bezeichnet sich selbst als "konsequent linke, sozialistische Tageszeitung" und propagiert die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. So schreibt der Chefredakteur: "Antifaschistisch, antikapitalistisch und gegen den imperialistischen Krieg: Solange der Kapitalismus dauert, bleibt die junge Welt nötig. Je rascher er überwunden werden muß, desto nötiger wird sie. Daß es sie im Sozialismus geben muß, wurde schon erprobt." (Sonderausgabe "sechzig Jahre jW", Beilage zu "junge Welt" (jW) Nr. 11 vom 13./14. Januar 2007, S. 1) 135 In Beiträgen der jW - so ist wiederholt festzustellen - wird Gewalt im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus als legitimes Mittel unterstellt. Bewegungen wie der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL; vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 1.2), die baskische separatistische Terrororganisation ETA90, die kolumbianische Guerillaorganisation FARC-EP91 sowie bewaffnete irakische Gruppen werden zu "Befreiungsorganisationen" umgedeutet. Kritik an oder Distanzierung von deren Gewalttaten erfolgt nicht. II. Gewalttätiger Linksextremismus Gewaltbereite Linksextremisten, insbesondere aus der autonomen Szene, verübten auch 2007 eine Vielzahl an Gewalttaten und sonstigen Gesetzesverletzungen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen, und beeinträchtigten damit nicht unerheblich die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Traditionelle Aktionsfelder von Linksextremisten wie "Anti-Kernkraft", "Antimilitarismus", "Antirassismus" oder auch "Kampf gegen Sozialabbau" wurden durch die Mobilisierung gegen das G8-Treffen Anfang Juni 2007 in Heiligendamm (MecklenburgVorpommern) überlagert. Linksextremisten bezeichneten den G8-Gipfel als Symbol der "Macht des globalen Kapitalismus" sowie dessen "politischer und militärischer Gewalt". Begleitet wurden die Mobilisierungsbemühungen durch weitere Anschläge im Rahmen der bereits Mitte des Jahres 2005 initiierten "militanten Kampagne". Einzelne autonome Zusammenhänge überschreiten mit ihren Anschlagsaktivitäten die Grenze zu terroristischem Gewalthan90 ETA = "Euskadi Ta Askatasuna" ("Baskenland und Freiheit"). 91 FARC-EP = "Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia - Ejercito del Pueblo" ("Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens - Armee des Volkes"). 136 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE deln. Hierzu gehört die vornehmlich im Raum Berlin/Brandenburg aktive "militante gruppe (mg)". Gefestigte terroristische Strukturen, wie sie früher die "Rote Armee Fraktion" (RAF) und die "Revolutionären Zellen" (RZ) verkörperten, mit der Bereitschaft zu schwersten Anschlägen bis hin zu Morden, bestehen in Deutschland aber weiterhin nicht. Struktur: Zusammenschlüsse Gewaltbereiter existieren in fast allen größeren Städten, insbesondere in den Ballungszentren Berlin, Hamburg, Rhein-Main-Gebiet, Region Dresden/Leipzig, aber auch in kleineren Universitätsstädten wie Göttingen und Freiburg Anhänger: ca. 6.300 (2006: ca. 6.000) Publikationen: mehr als 50 Szenepublikationen; von bundesweiter Bedeutung sind vor allem die in Berlin erscheinende "INTERIM"sowie das Untergrundblatt "radikal" 1. Autonome 1.1 Potenzial und Selbstverständnis Den weitaus größten Teil des gewaltbereiten linksextremistiAutonome: schen Potenzials von etwa 6.300 Personen bilden Autonome; diegrößtes Potenzial ses Spektrum umfasste Ende 2007 bundesweit bis zu 5.800 gewaltbereiter (2006: bis zu 5.500) Personen. Linksextremisten Autonome lehnen jede Form von staatlichen und gesellschaftlichen Normen ab. Der Kampf gegen Autoritäten sowie Lohnarbeit bzw. die Weigerung, am "kapitalistischen Verwertungsprozess" teilzunehmen, sind Kennzeichen autonomen Lebens. Autonomes Selbstverständnis ist bestimmt von der Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens innerhalb "herrschaftsfreier Räume" ("Autonomie"). Entsprechend massiv reagiert die Szene auf drohenden Verlust solcher "Freiräume". So hieß es im Zusammenhang mit der bevorstehenden Zwangsversteigerung des Berliner Szene-Objektes "Köpi" in einer Taterklärung zu 137 Sachbeschädigungen an Maklerbüros in Berlin Ende April 2007, die Aktionen seien der Auftakt zur heißen Phase im Kampf gegen Umstrukturierung, Sanierung und Vertreibung: "uns reicht's schon lange - wir greifen an, und zwar auf vielen ebenen!!! bei anhaltender repression und räumungsandrohungen werden wir immer weiter an der eskalationsschraube drehen!!! (...) zusammen sind wir stark!!!" ("INTERIM" Nr. 656 vom 24. Mai 2007, S. 29) Die Bewegung der Autonomen ist jedoch nicht homogen. Die mehr oder weniger gefestigten und eigenständigen Gruppierungen verfügen über kein einheitliches ideologisches Konzept. Führungsstrukturen oder Hierarchien sind der Bewegung fremd. Ihr Selbstverständnis ist geprägt von diversen Anti-Einstellungen ("antifaschistisch", "antikapitalistisch", "antipatriarchalisch"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Antiimperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Ziel: Überwindung Dabei zielen Autonome - wie alle Linksextremisten - im Kern des Systems auf die Überwindung des "herrschenden Systems". Anschaulich formulierte dies die vornehmlich im Raum Berlin/Brandenburg aktive "militante gruppe (mg)" (vgl. Nr. 1.3) in einem Ende Mai 2007 verfassten Positionspapier: 138 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Man kann uns nicht ernsthaft vorwerfen, eine auf Gewaltverhältnissen beruhende Sozialordnung umwerfen zu wollen. Dem Klassenkampf von oben kann nur der Klassenkampf von unten als Antwort folgen. Und dies kann nur bedeuten, den repressiven und ideologischen Apparaten des Klassenstaates in jeder Hinsicht die Akzeptanz aufzukündigen und sie in letzter Konsequenz politisch-militärisch in die Schranken zu weisen. Billiger wird erfahrungsgemäß die Perspektive des Kommunismus nicht am Horizont aufscheinen." ("INTERIM" Nr. 657 vom 21. Juni 2007, S. 4-9 [8]) Die Anwendung von Gewalt - auch gegen Personen - halten AuEinig in der tonome zur Durchsetzung ihrer Ziele für legitim. Sie rechtfertiBereitschaft zur gen Gewalt als angeblich erforderliches Mittel gegen die "strukGewaltanwendung turelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". In dem Papier der "militanten gruppe (mg)" heißt es dazu weiter: "Für eine revolutionäre Linke (...) kommt die Anerkennung des staatlichen Gewaltmonopols einer Bankrotterklärung gleich. (...) Wir können nicht jenen die Definition Gewalt/Nicht-Gewalt überlassen, die darüber befinden, dem tagtäglichen kapitalistischen Horror die rechtliche Weihe zu geben und zu verewigen. Die Unterdrückten und Ausgebeuteten der Welt hatten und haben nie die Wahl zwischen gewaltvoll und gewaltlos." ("INTERIM" Nr. 657 vom 21. Juni 2007, S. 4-9 [7]) Eine Sonderrolle im Spektrum auch des gewaltbereiten Links"Antideutsche" extremismus nehmen Positionen ein, deren Ausgangspunkt die Positionen kompromisslose Ablehnung der Existenz einer deutschen Nation und daraus resultierend der Kampf um die Abschaffung des deutschen Staates ist. Anders als traditionelle Linksextremisten sind "Antideutsche" bedingungslos solidarisch mit dem Staat Israel und wenden sich - zumindest teilweise - auch gegen jede Form der Feindschaft gegenüber den USA als Schutzmacht Israels. Daraus folgt ein unüberbrückbarer Widerspruch zur 139 traditionellen Ausrichtung insbesondere antiimperialistischer Gruppen. "Antideutsche" Positionen entstanden nach der Wiedervereinigung, als Teile des linksextremistischen Lagers ein Erstarken des deutschen Nationalismus befürchteten und die Gefahr eines großdeutschen "Vierten Reiches" sahen. Dem deutschen Volk wird eine Neigung zu "Faschismus" und Massenmord unterstellt, die zwangsläufig zur Vernichtung anderer Ethnien führe. Der deutsche "Volkskörper" müsse daher aufgelöst werden und in einer multikulturellen Gesellschaft aufgehen. "Antideutsche" sind überwiegend - mit unterschiedlichen regionalen Schwerpunkten - in autonomen Antifa-Gruppierungen, in Einzelfällen auch in revolutionär-marxistischen Zusammenhängen aktiv. Vereinzelt konnten sich Anhänger dieser Ideologie in den letzten Jahren stärker positionieren und trugen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremistischen Gefüge bei. Inzwischen ist das spalterische Potenzial dieser Bewegung jedoch stark zurückgegangen. 1.2 Aktionsformen Autonome bedienen sich - neben den üblichen "offenen" Formen politischer Betätigung wie Agitation mit Flugblättern, Plakaten, Internetaufrufen und Szenepublikationen - einer breiten Palette militanter Aktionsformen. Dazu gehören Brandund Sprengstoffanschläge sowie gewalttätige Demonstrationen, bei denen Steine und andere Wurfgeschosse eingesetzt werden. Gewalt richtet sich Autonome Gewalt kann sich gegen Sachen wie auch Personen gegen Sachen und richten, darunter Polizisten, sonstige vermeintliche "Handlangegen Personen ger" und "Profiteure" des "Systems" sowie - mit teilweise hoher Gewaltbereitschaft - gegen Rechtsextremisten und deren Strukturen wie Schulungseinrichtungen und "Naziläden". Eine Gruppe "AK Vermittlung", die ihre politische Haltung mit "Unversöhnlichkeit, Unvereinbarkeit mit herrschenden Verhältnissen" umschreibt, erklärte zu den Aktionsformen: 140 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Unsere Aktionsformen sind vielfältig. Sie umfassen zivilen Ungehorsam, Demonstrationen, Blockaden, Sabotage sowie symbolische und Direkte Aktion. Mal sind es Clowns, die die Polizei verwirren, damit eine Absperrung umgangen werden kann. Mal ist es ein schwarzer Block, der, durch Seitentransparente geschützt, eine Polizeisperre durchbricht und damit eine Demoroute wählt, die verboten wurde. Mal ist es das Plündern eines H&M-Ladens, mit dem Umverteilung praktisch demonstriert wird. Mal sind es Superhelden, die Delikatessen kollektivieren. Mal sind es brennende Gegenstände in Städten, in denen die G8 tagen. Mal praktischer Antimilitarismus, der Kriegsmaterial zerstört. Mal sind es Blockaden, die Abschiebungen verhindern, Baustellen von Luxushotels, Kraftwerken oder Atomanlagen behindern, Castoren stoppen oder besetzte Häuser vor Räumung schützen. Mal sind es symbolische Angriffe, wie Farbeier-, Tortenund Joghurtwürfe oder zugeklebte Schlösser, mal abgebrannte Autos. Mal sind es Genfelder, die unschädlich gemacht werden. Mal sind es Luxusautos, deren Reifen aus praktischem Umweltschutz geplättet werden." (Internetplattform "Indymedia", 17. Oktober 2007) Wichtiges Kriterium bei der Wahl von Angriffsziel und Aktionsform ist die "Vermittelbarkeit". Linksextremistische Gewalttäter legen Wert darauf, dass - in ihren Augen - "Unbeteiligte" nicht zu Schaden kommen. So hieß es in einem Papier der "redical M" aus Göttingen: "Das Mittel der Militanz [ist] nur dann eine mögliche Strategie, wenn politische Motivation und politische Ziele auch vermittelt werden, am besten sich in der Aktion selbst vermitteln." (Internetseite der "redical M", 27. Juli 2007) Entsprechend erfahren "ungenaue" Aktionen, wie z.B. die eigentlich unbeabsichtigte Beschädigung oder Zerstörung in der Nähe geparkter Autos beim "Abfackeln von Nobelkarossen", regelmäßig Kritik selbst aus den Reihen anderer Militanter. 141 Straßenkrawalle Eine typische Form autonomer Gewalt, für einige gar der wichtigste Ausdruck "militanter Politik", ist die so genannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Dabei kommt es auch zur Bildung so genannter Schwarzer Blöcke vermummter Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung". Zu welchen Extremen diese Form der Straßenmilitanz führen kann, haben die Ausschreitungen während der Großdemonstration in Rostock am 2. Juni 2007 im Rahmen der Proteste gegen den G8Gipfel in Heiligendamm gezeigt. Gut 2.000 Gewalttäter lieferten sich aus dem "Schwarzen Block" einer bis dahin weitgehend friedlichen Demonstration heraus über Stunden heftige Straßenschlachten mit der Polizei. Mit der Inszenierung von Straßenkrawallen verbinden Autonome stets auch die Hoffnung, in der Öffentlichkeit auf ihre politischen Ziele aufmerksam machen zu können. So kam es auch im Verlauf einer Demonstration unter dem Motto "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn" am 22. September 2007 in Berlin, an der auch rund 1.000 Personen aus der militanten autonomen Szene teilnahmen, zur Bildung eines "Schwarzen Blocks", in dem sich Personen wiederholt vermummten. Auf der von Linksextremisten genutzten Internetplattform "Indymedia" wurde die Demonstration später als eindrucksvoll bewertet. Der "Schwarze Block" habe den "überzeugendsten Widerstand gegen die sich als immer faschistoider entlarvende BRD-Herrschaftselite" gezeigt. Ohne diesen wäre die Demonstration "als eine der üblichen Latschdemos abzuhaken gewesen".92 Krawalle sind auch regelmäßiger Bestandteil von Demonstrationen zum "Revolutionären 1. Mai", insbesondere in Berlin. Die dortigen 1. Mai-Demonstrationen verlaufen zwar seit einigen Jahren zunehmend ruhiger, allerdings sind nach Abschluss der Demonstrationen immer wieder teils erhebliche Gewaltaktionen zu verzeichnen. 92 Internetplattform "Indymedia" (24. September 2007). 142 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Zu massiven Ausschreitungen, oft verbunden mit körperlichen Gewalt gegen Übergriffen, kommt es häufig auch bei Protestaktionen gegen "rechts" Aufmärsche von Rechtsextremisten. Das von Autonomen in der Regel ausgehende hohe Konfliktpotenzial führt nicht selten dazu, dass genehmigte Demonstrationen nicht wie geplant stattfinden können. Bei derartigen Anlässen sind bisweilen mehrere tausend Polizeibeamte im Einsatz, um einerseits das Demonstrationsrecht zu gewährleisten und andererseits ein Aufeinandertreffen beider Lager sowie sonstige demonstrationstypische Straftaten weitgehend zu verhindern. So nahmen Proteste gegen einen Aufmarsch der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) in Frankfurt am Main am 7. Juli 2007 von Beginn an einen gewalttätigen Verlauf. Bereits unmittelbar vor der Demonstration besetzten Protestierer Bahngleise und verübten sechs Brandanschläge auf Sicherungsund Signalanlagen der Deutschen Bahn. Dadurch kam der S- Bahnverkehr teilweise zum Erliegen, es entstand ein Sachschaden von ca. 250.000 bis 300.000 Euro. Im Verlauf der Demonstration versuchten kleinere Gruppen aus einem etwa 1.000 Personen starken Block heraus zum Sammelort der NPD vorzudringen; es kam zu Steinund Flaschenwürfen. Starke Polizeikräfte konnten jedoch ein Aufeinandertreffen unterbinden. Bei den Auseinandersetzungen wurden insgesamt acht Polizeibeamte verletzt; die Polizei nahm 110 Personen vorläufig fest, führte 103 Ingewahrsamnahmen durch und sprach über 200 Platzverweise aus. In einer am 27. Juli 2007 auf der Internetplattform "Indymedia" veröffentlichten Nachbetrachtung hieß es, trotz der wahrscheinlich größten polizeilichen Machtdemonstration seit dem G8-Gipfel sei durch die "Vermittlung militanterer Actions wieder einmal Marketing für autonome Aktionsformen" gemacht worden. Im Gegensatz zur "Massenmilitanz" sind klandestine militante Klandestine Aktionen - d.h. heimlich vorbereitete und durchgeführte AnAktionen schläge von Kleingruppen - wesentlich planvoller angelegt. Solche insbesondere gegen Sachen gerichtete Anschläge werden häufig in Selbstbezichtigungsschreiben, die an Tageszeitungen oder Presseagenturen versandt oder im Internet verbreitet werden, politisch erläutert und gerechtfertigt (vgl. Nr. 1.3): # In der Nacht zum 26. Januar 2007 zerstörten unbekannte Täter mit einem Brandsatz vor dem Wohnhaus des Sprechers 143 von ThyssenKrupp Marine Systems (TKMS) in Hamburg dessen abgestelltes Firmenfahrzeug. Etwa zeitgleich wurde das Wohnhaus eines weiteren TKMS-Managers mit Farbe beschmiert und die Windschutzscheibe seines Firmenwagens zerstört. Der Sachschaden betrug mehrere Zehntausend Euro. In der dazu veröffentlichten Taterklärung agitierte eine Gruppe "Revolutionäre Anti-Militaristische AktivistInnen" gegen die Münchener Sicherheitskonferenz (9. bis 11. Februar 2007), die von der Rüstungsindustrie als Forum genutzt werde, um mögliche Hürden für ihre Exportinteressen aus dem Weg zu räumen und die Waffenentwicklung auf die strategischen Anforderungen der Militärs auszurichten. Der ThyssenKrupp-Konzern sei als Waffenschmiede ein wichtiger Baustein im Krieg, den die Bundeswehr in einer stetig wachsenden Zahl von Ländern führe. Weiter heißt es: "Wir finden es (...) richtig, den Angriff gegen einen Konzern zu führen, der Stütze des deutschen Kaiserreichs und des Nationalsozialismus war und der jetzt eine Stütze des aktuellen parlamentarischen deutschen Imperialismus ist. Gegen einen Konzern, der an zwei von Deutschland initiierten Weltkriegen verdient hat, an der tausendfachen Zwangsarbeit von KZ-Häftlingen und dem millionenfachen Tod von Menschen überall auf der Welt." ("INTERIM" Nr. 649 vom 1. Februar 2007, S. 16 ff.) # In der Nacht zum 15. April 2007 zerstörten bis zu 30 unbekannt gebliebene Täter über 100 Scheiben der Fensterfront des Firmengebäudes einer Hamburger Reederei und warfen zudem mit Farbe gefüllte Gläser gegen die Fassade. Auf der Straße vor dem Gebäude hatten sie zuvor drei Autoreifen angezündet und so genannte Krähenfüße auf die Fahrbahn geworfen. Es entstand ein Sachschaden von etwa 150.000 Euro. In einer Taterklärung begründeten "autonome antikapitalistische Gruppen" die Aktion mit den Arbeitsbedingungen der Seeleute und Hafenarbeiter der Reederei. Der 25 Millionen Euro teure Herrschaftsbau sei einer der Orte in Hamburg, von wo aus internationale Ausbeutung organisiert werde. 144 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Zum Informationsaustausch bedient sich die autonome Szene Medien auch weiterhin "bewährter" Methoden wie Szenepublikationen, Infoläden und Treffen. Daneben nutzen Autonome die Mittel der modernen Informationsgesellschaft wie das Internet und Mobiltelefone mit der Möglichkeit geschützter Kommunikation. Dies begünstigt das in weiten Teilen konspirative Verhalten von Linksextremisten, erhöht deren Aktionsfähigkeit und erschwert den Sicherheitsbehörden die Aufklärung. 1.3 Autonome Strukturen mit terroristischen Ansätzen Innerhalb der autonomen Szene haben sich einzelne Strukturen Grenze zur verfestigt, die bei ihren Anschlägen die Grenze zu terroristiterroristischen schem Gewalthandeln überschreiten. Aktion fließend Angehörige solcher klandestinen Kleingruppen führen nach "no-name"außen hin ein unauffälliges Leben. Sie hinterlassen bei ihren AkMilitanz tionen kaum auswertbare Spuren und verwenden in der Regel zum Schutz vor Strafverfolgung in Taterklärungen wechselnde oder keine Aktionsnamen ("no-name"-Militanz). Einige Gruppierungen operieren allerdings unter gleichbleibendem "Markennamen", um Kontinuität zum Ausdruck zu bringen sowie erkennbar und "ansprechbar" zu sein. Für alle jedoch ist Militanz ein unverzichtbarer, unmittelbarer Ausdruck ihrer Gegnerschaft zum "System" und Bestandteil des eigenen Lebensgefühls. "redical M" aus Göttingen beschrieb es so: "Militanz ist (...) Ausdruck radikaler Kritik, der unversöhnliche Akt der Negation, dieser kann hier und heute nur ein destruktiver sein. (...) Mittels der ausdrücklichen Destruktivität wird die grundsätzliche Ablehnung des gesamten falschen Ganzen zur Schau gestellt." (Internetseite der "redical M", 27. Juli 2007) Terroristisch operierende Kleingruppen verübten auch 2007 wieder Straftaten mit zum Teil beträchtlichen Sachschäden. So kam es allein im Rahmen der "militanten Kampagne" im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm zu sechs Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge und Gebäude, z.B. auf einen Firmenwagen eines Rüstungsmanagers in Hamburg (vgl. Nr. 1.2) oder 145 Firmenfahrzeuge und Gebäude eines Unternehmens in Berlin, das u.a. Lebensmittel für Asylbewerberunterkünfte liefert (vgl. Kap. IV, Nr. 2). "militante Die "militante gruppe (mg)", seit Jahren aktivster unter gleichgruppe (mg)" bleibendem "Markennamen" agierender Zusammenhang, trat weiterhin aktiv auch 2007 mit Brandanschlägen und Positionspapieren in Erscheinung. Seit 2001 verübte die Gruppe 25 Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude vornehmlich im Raum Berlin/Brandenburg, davon drei im Jahr 2007: # In der Nacht zum 15. Januar 2007 verübte die Gruppe in Oranienburg (Brandenburg) einen Brandanschlag auf zwei Dienstfahrzeuge der Bundespolizei. Die auf einem ausgewiesenen Parkplatz vor dem Bahnhof abgestellten Fahrzeuge wurden zerstört. In der Taterklärung schrieb die "militante gruppe (mg)": "Durch das gezielte Unbrauchbarmachen von Infrastruktur der Bundespolizei kann militante Politik real in die Verfolgungsund Abschiebemaschinerie der Bundespolizei eingreifen - auch wenn es nur punktuell ist." ("INTERIM" Nr. 649 vom 1. Februar 2007, S. 14) # Ziel eines Brandanschlags in der Nacht zum 16. März 2007 in Berlin-Mitte war ein Bürogebäude, in dem sich u.a. die Deutschland-Vertretungen der Italienischen Handelskammer sowie des Verbandes Türkischer Industrieller und Unternehmer (TÜSIAD) befinden. Der teilweise verglaste Eingangsbereich des Gebäudes wurde durch den Brandsatz erheblich beschädigt, die Fassade darüber hinaus durch Farbeier und aufgesprühte Parolen verschmutzt. Die Aktion sei - so hieß es in der entsprechenden Taterklärung - Ausdruck der Solidarität mit gefangenen Genossen in Italien und der Türkei. 146 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE # In der Nacht zum 18. Mai 2007 setzten Angehörige der "militanten gruppe (mg)" auf dem Parkplatz einer Polizeidienststelle in Berlin-Spandau zwei Gruppenfahrzeuge der Polizei in Brand. Beide Fahrzeuge wurden erheblich beschädigt. In einem Selbstbezichtigungsschreiben wurde die Tat mit den Exekutivmaßnahmen von Bundeskriminalamt und Generalbundesanwalt vom 9. Mai 2007 gerechtfertigt (s.u.). Die von der "militanten gruppe (mg)" seit Jahren propagierte "Militanzdebatte" Vernetzung militanter Gruppenstrukturen und Diskussion über stagniert die Legitimität "weitergehender", über Sachbeschädigungen hinausreichender Aktionsformen - die so genannte Militanzdebatte - scheint im Verlauf des Jahres 2007 zum Stillstand gekommen zu sein. So wurden nur noch vereinzelte Beiträge von der "militanten gruppe (mg)" selbst bekannt, andere Strukturen brachten sich kaum noch in die Debatte ein. Im März 2007 noch hatte die "militante gruppe (mg)" in einer mit "mg-express no.5 - Infos zu klandestiner Politik" überschriebenen vierseitigen Flugschrift kämpferisch verlautbart: "Wir wollen dazu motivieren, einen wesentlichen Teil der politischen Aktivitäten darauf zu fokussieren, für einen authentischen Informationsfluss in Sachen Guerillapolitik und bewaffneter Kampf der revolutionären Linken weltweit zu sorgen. (...) Denn die Notwendigkeit, dass Kapitalismus und Imperialismus fallen müssen, steht außer Frage. (...) Lassen wir allen reformistischen Illusionismus hinter uns und wenden wir uns einem revolutionären Realismus und den organisatorischen Fragen eines revolutionären Aufbauprozesses zu, der, wenn er kein Papiertiger sein will, eine bewaffnete Flanke braucht! Jede Kompromisslerei in der Frage der Anwendung revolutionärer Gewalt ist eine 'Halbheit', jede Konzession verschlechtert unsere Ausgangsbedingungen, nimmt uns Handlungsoptionen im Kampf gegen das 'Imperiale Bündnis Europa'." ("INTERIM" Nr. 653 vom 12. April 2007, S. 21 f.) Ende Mai 2007 wurde das bislang letzte Positionspapier der "militanten gruppe (mg)" bekannt. 147 ExekutivAm 9. Mai 2007 wurden in mehreren Bundesländern Durchsumaßnahmen chungsbeschlüsse im Rahmen zweier Ermittlungsverfahren der Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts einer Straftat nach SS 129a StGB gegen mutmaßliche Aktivisten der "militanten gruppe (mg)" und der "militanten Kampagne zum G8-Gipfel" vollzogen. In der Nacht zum 31. Juli 2007 nahm die Polizei unmittelbar nach einem versuchten Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr in Brandenburg/Havel drei Personen vorläufig fest. Die unter den Lkws deponierten Brandsätze konnten rechtzeitig vor ihrer Zündung entfernt werden. Bei nachfolgenden Durchsuchungen mehrerer Objekte in Berlin und Leipzig wurde eine weitere Person in Berlin festgenommen und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Am 1. August 2007 ergingen Haftbefehle gegen die vier Personen, u.a. wegen des dringenden Verdachts der Mitgliedschaft in der "militanten gruppe (mg)". Der gegen den zuletzt Festgenommenen erlassene Haftbefehl wurde zunächst unter Auflagen außer Vollzug gesetzt und schließlich am 24. Oktober 2007 aufgehoben. Die Haftbefehle gegen die drei übrigen Beschuldigten wurden zwischenzeitlich unter Auflagen außer Vollzug gesetzt. Die Ermittlungen werden von der Bundesanwaltschaft weitergeführt. 2. Traditionelle Anarchisten Klassische anarchistische Konzepte verfolgt in Deutschland insbesondere die anarchosyndikalistische "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU), deutsche Sektion der "Internationalen Arbeiter Assoziation" (IAA). FAU-IAA Die ca. 300 Mitglieder der FAU-IAA sehen ihre zentrale Aufgabe im "antikapitalistischen Kampf" in Betrieben und Gewerkschaften. Dabei setzen sie auf Formen der "direkten Aktion", wie z.B. Besetzungen, Boykotts und Streiks. So demonstrierte die FAUIAA gegen eine Leiharbeitsmesse der ARGE Münster und verfasste Aufrufe zu einer Solidaritätskampagne für die streikende Belegschaft einer Fahrradfabrik in Nordhausen (Thüringen). Seit 30 Jahren verbreitet die FAU-IAA bundesweit die Zeitung "direkte aktion", die alle zwei Monate in einer Auflage von 3.000 Exemplaren erscheint; Sonderausgaben erreichen bis zu 50.000 Exemplare.93 93 Internetpräsenz der FAU-Lokalföderation München (November 2007). 148 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Die traditionellen Anarchisten unterstützten die linksextremistischen Aktivitäten und Aktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm, indem sie sich effektiv an logistischer Arbeit beteiligten und wirkungsvolle Taktiken, z.B. zur Umgehung von Polizeisperren, in den G8-Widerstand einbrachten. III. Parteien und sonstige Gruppierungen 1. "Die Linkspartei.PDS"/"DIE LINKE." Gründung: Dezember 1989 Umbenennung SED94 in SED-PDS; Februar 1990 Umbenennung SED-PDS in PDS95; Juli 2005 Umbenennung PDS in "Die Linkspartei.PDS"; 16. Juni 2007 Fusion mit WASG96 zur Partei "Die Linke." Sitz: Berlin Parteivorsitzende: Lothar Bisky, Oskar Lafontaine Mitglieder: 70.94397 (Ende 2006: 60.338); davon in den westlichen Ländern 18.70098 (2006: 5.956) Publikationen "DISPUT", (Auswahl) monatlich; "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE.", monatlich; "Marxistisches Forum", unregelmäßig 94 SED = "Sozialistische Einheitspartei Deutschlands". 95 PDS = "Partei des Demokratischen Sozialismus". 96 WASG = "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative". 97 Die Mitgliederzahl entspricht dem Stand 31. Juli 2007; Internetseite der Partei "DIE LINKE." (24. September 2007). 98 Laut Erklärung des Bundesgeschäftsführers der Partei; vgl. "Neues Deutschland" (ND) Nr. 224 vom 25. September 2007, S. 4, "junge Welt" (jW) Nr. 223 vom 25. September 2007, S. 5. 149 1.1 Allgemeine Entwicklung Chronologie Mit Blick auf die seinerzeit bevorstehende Vereinigung der der Fusion von "Linkspartei.PDS" mit der nichtextremistischen WASG beschlos"Linkspartei.PDS" sen parallel stattfindende Parteitage am 24./25. März 2007 in und WASG Dortmund den Verschmelzungsvertrag sowie die "Programmatischen Eckpunkte", Bundessatzung und Bundesfinanzordnung der künftigen Partei "DIE LINKE.". Die Mitglieder beider Parteien sprachen sich in einer Urabstimmung vom 30. März 2007 bis 18. Mai 2007 mit großer Mehrheit für den Verschmelzungsvertrag und die Fusion aus. Auf dem Fusionsparteitag am 16. Juni 2007 in Berlin nahm die "Linkspartei.PDS" gemäß dem Verschmelzungsvertrag die WASG samt Vermögen und Mitgliedern auf und änderte (erneut) ihren Namen in "DIE LINKE.". Zu gleichberechtigten Vorsitzenden wurden der bisherige Vorsitzende der "Linkspartei.PDS", Lothar Bisky, sowie Oskar Lafontaine gewählt. In den aus 44 Personen bestehenden, paritätisch besetzten Parteivorstand gelangten 19 von 20 Vorstandsmitgliedern der "Linkspartei.PDS", darunter das Mitglied des Bundeskoordinierungsrates der "Kommunistischen Plattform" (KPF), Sahra Wagenknecht. Dem Vorstand gehören auch drei Angehörige trotzkistischer Gruppierungen an, darunter zwei der inzwischen aufgelösten und in der Partei aufgegangenen Organisation "Linksruck" (LR; vgl. Nr. 4). MitgliederZur Mitgliederentwicklung erklärte der Bundesgeschäftsführer, entwicklung die "Linkspartei.PDS" habe Ende 2006 über 60.338 Mitglieder und "DIE LINKE." am 31. Juli 2007 bundesweit bereits über 70.943 Mitglieder verfügt99, davon 18.700 in den westlichen Ländern.100 Seit der Fusion habe die Partei 3.632 Neumitglieder hinzugewonnen. Zum Zeitpunkt der Fusion hatte die Partei - nach Angaben ihres Vorsitzenden Bisky - noch ungefähr 55.000 Mitglieder, die zuvor schon der SED der ehemaligen DDR angehört hatten.101 99 Interview des Stern vom 10. Oktober 2007; Internetseite der Partei "DIE LINKE." (26. Oktober 2007). 100 Laut Erklärung des Bundesgeschäftsführers der Partei; vgl. "Neues Deutschland" (ND) Nr. 224 vom 25. September 2007, S. 4, jW Nr. 223 vom 25. September 2007, S. 5. 101 "DISPUT" von Mai 2007, S. 27. 150 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Auf dem letzten Parteitag der "Linkspartei.PDS" am 15. Juni 2007 Ambivalentes in Berlin betonte der Parteivorsitzende Lothar Bisky, der demoErscheinungsbild kratische Sozialismus als Idee und als Ziel gehöre zum Gründer Partei dungsverständnis sowohl der PDS in den Jahren 1989/1990 als auch der neuen Partei "DIE LINKE.": "Wir diskutieren auch und immer noch die Veränderung der Eigentumsund Herrschaftsverhältnisse (...) Wir stellen die Systemfrage! (...) Die, die aus der PDS kommen, aus der ExSED und auch die neue Partei DIE LINKE - wir stellen die Systemfrage." ("DISPUT" vom Juni 2007, S. 55) Damit bekennt sich die Partei in ihrer Programmatik weiterhin zu einer extremistischen Ausrichtung. In der parlamentarischen Praxis sowie bei Regierungsbeteiligungen waren jedoch Ansätze für eine Umsetzung des programmatischen Ziels der Überwindung der herrschenden Staatsund Gesellschaftsordnung nicht zu erkennen; vielmehr scheint die Partei darauf zu setzen, als reformorientierte, neue linke Kraft wahrgenommen zu werden. Insgesamt bietet die Partei damit ein ambivalentes Erscheinungsbild. Die weitere Entwicklung und Ausrichtung der Partei wird sorgfältig zu beobachten und zu analysieren sein. Entsprechend der Bundessatzung blieben alle existierenden bundesweiten Zusammenschlüsse der "Linkspartei.PDS" erhalten, zunächst bis zum 31. Dezember 2007. Danach ist zur weiteren Anerkennung ein Rückhalt in der Partei durch Unterschriften nachzuweisen. Bei Gelingen des Nachweises dürfen die Gruppierungen nach einem festgelegten Schlüssel Delegierte zu den Parteitagen entsenden und werden gemäß der Finanzplanung der Partei finanziell gefördert.102 Auf diese Weise werden in der Partei "DIE LINKE." weiterhin Zusammenschlüsse auch dann akzeptiert und unterstützt, wenn 102 "DISPUT" von Mai 2007, S.40 f. 151 sich die Ziele dieser Strukturen als offen extremistisch darstellen. Offen extremistische Gruppierungen sind in wichtigen Gremien der Partei vertreten. Zu den offen extremistischen Zusammenschlüssen zählen insbesondere die "Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE." (KPF), das "Marxistische Forum" (MF), der "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SD), die "Sozialistische Linke" (SL) sowie die "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si". 1.2 Offen extremistische Strukturen in der Partei "Kommunistische Die KPF, der mit ca. 850 Mitgliedern zahlenmäßig stärkste extrePlattform mistische Zusammenschluss innerhalb der Partei "DIE LINKE.", der Partei hält an den marxistisch-leninistischen Traditionen fest; sie DIE LINKE." (KPF) kämpft weiter für die Überwindung des Kapitalismus und das Ziel Sozialismus. Zur Charakterisierung heißt es: "Die Kommunistische Plattform ist ein offen tätiger Zusammenschluß von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE., die auf der Grundlage von Programmatik und Satzung der Partei aktiv an der Basis und in Parteistrukturen wirken. Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts ist wesentliches Anliegen der Kommunistischen Plattform." (Internetseite der Partei "DIE LINKE.", 17. Juni 2007) Der Bundeskoordinierungsrat der KPF bekräftigte: "Aber wir werden unsere kommunistische Identität nicht aufgeben, ebenso wenig wie unsere Struktur. (...) Seit Oktober 2006 haben wir darum gekämpft, die Bedingungen zu erfüllen, die zur Weiterexistenz der KPF in der neuen Partei DIE LINKE erforderlich sind. Jene, die in unserem Zusammenschluß aktiv sind beziehungsweise sich mit uns solidarisch zeigen, erwarten von uns, daß wir bleiben, was wir waren und sind: in der LINKEN organisierte Kommunistinnen und Kommunisten." ("Mitteilungen der KPF", Heft 9/2007 von September 2007, S. 1 ff.) 152 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Eine wesentliche Aufgabe der KPF sieht der Bundeskoordinierungsrat darin, am Programm der neuen Partei mitzuwirken, um sozialistische Positionen zu erhalten: "Wir treten für einen Systemwechsel ein. Der Kapitalismus entblößt sein asoziales, weil ausbeuterisches, aggressives und kulturfeindliches Wesen täglich mehr. Letztlich muß er überwunden werden." ("Mitteilungen der KPF", Heft 8/2007 von August 2007, S. 2, 4) Auf der Basis gemeinsamer Traditionen erfolgte vor allem auf lokaler und regionaler Ebene eine kritisch-solidarische Zusammenarbeit der KPF mit orthodoxen Linksextremisten wie der DKP. Überdies bekennt sich die KPF zum Internationalismus. So betonte im Juli 2007 der Bundeskoordinierungsrat der KPF seine Solidarität mit Kuba: "Unsere Solidarität mit dem sozialistischen Kuba ist unverbrüchlich; ebenso unsere Sympathie für die Länder - besonders Venezuela -, die ihren eigenen Weg zum Sozialismus gehen." ("Mitteilungen der KPF", Heft 8/2007 von August 2007, S. 3, 5) Das MF ist ein Zusammenschluss orthodox-kommunistisch ori"Marxistisches entierter Mitglieder und Sympathisanten (bundesweit etwa 60 Forum" (MF) Personen). Ein Mitglied des MF schrieb im Januar 2007 zur aktuellen Rolle einer marxistischen Partei: "Aber ein wirklich antikapitalistischer Neuanfang ist ohne eine marxistische Partei zeitgemäßen Leninschen Zuschnitts nicht möglich. Es gilt heute mehr denn je, daß die marxistische Linke eine revolutionäre Partei benötigt, die den Kampf um Gesellschaftsveränderung - letztlich um sozialistische Neuorganisierung der Gesellschaft - begreift und führt." ("Marxistisches Forum", Heft 53 von Januar 2007, S. 5) 153 Das MF gehörte zu den Organisatoren der bundesweiten Konferenz "MarXXIsmus für das 21. Jahrhundert" vom 20. bis 22. April 2007 in Berlin mit - nach Veranstalterangaben - mehr als 700 Teilnehmern. Weitere Organisatoren waren die "Marx-Engels-Stiftung" (MES), die "Sozialistische Zeitung" (SoZ), die Tageszeitung "junge Welt" (jW) sowie die DKP-Schriften "Marxistische Blätter" und "Unsere Zeit" (UZ). Die Teilnehmer vereinbarten eine kontinuierliche Zusammenarbeit. "Geraer Dialog/ Der GD/SD mit ca. 120 Mitgliedern ist weiterhin ein SammelbeSozialistischer cken der extremistischen Kräfte in der Partei "DIE LINKE.". So arDialog" (GD/SD) beiten Vertreter anderer extremistischer Strukturen wie KPF und MF in seinen Leitungsgremien (Bundessprecherrat und Bundeskoordinierungsrat) mit. Der GD/SD strebt eine sozialistische, antikapitalistische Erneuerung der Partei an. Die Mitgliederversammlung am 29. April 2007 in Kassel beschloss in einem "Plädoyer für einen bundesweiten Zusammenschluss 'Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog' in der Partei DIE LINKE." den Fortbestand als bundesweite Strömung: "Als bundesweiter sozialistischer Zusammenschluss wollen wir im Parteibildungsprozess und in der neuen Partei alle Möglichkeiten nutzen, dazu beizutragen, dass DIE LINKE eine sozialistische Partei wird, (...) die für eine menschliche Gesellschaft kämpft, in der mit der Überwindung aller sozialen Gegensätze die Voraussetzungen für eine menschliche Gemeinschaft geschaffen sind, 'in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist'." (Internetseite des GD/SD, 9. November 2007) Nach dem eigenen Grundverständnis von politischer Arbeit sei der außerparlamentarische Kampf um gesellschaftliche Veränderungen als entscheidend anzuerkennen.103 "Sozialistische Die SL konstituierte sich auf ihrer Mitgliederversammlung am Linke" (SL) 8. Dezember 2007 in Kassel als bundesweiter innerparteilicher 103 Internetseite des "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SD) (9. November 2007). 154 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Zusammenschluss innerhalb der Partei "DIE LINKE.". Ursprünglich hatte die SL sich am 19. August 2006 in Wuppertal als Strömung innerhalb der WASG gegründet. Zum Jahresende 2007 zählte die SL ca. 550 Mitglieder. Die SL unterliegt Einflussbemühungen der trotzkistischen Organisation "Linksruck"( LR), deren Auflösung am 1./2. September 2007 beschlossen wurde. Am selben Tag wurde das neue marxistische Netzwerk "marx21" innerhalb der Partei "DIE LINKE." gegründet, welches sich darauf verständigte, in der SL mitzuarbeiten104 (vgl. Nr. 4). Ein ehemaliges "Linksruck"-Mitglied wurde am 8. Dezember 2007 in den zehn Personen umfassenden Bundessprecherrat der SL gewählt.105 In der auf der Mitgliederversammlung der SL am 8. Dezember 2007 beschlossenen Erklärung "In die Offensive kommen - für eine starke LINKE!" heißt es zum Selbstverständnis: "Die SL steht für eine Linke, die die Tradition der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung in sich aufhebt und einen neuen Anlauf unternimmt, die Vorherrschaft des Kapitals zu überwinden. Die LINKE muss die Systemfrage stellen!" (Internetseite der SL, 10. Dezember 2007) Die am 5. Februar 2007 aktualisierte Kurzfassung des SL-Gründungspapiers enthält den dem "Kommunistischen Manifest" entlehnten Satz: "Wir setzen dem neoliberalen Menschenbild eines konkurrenzbetonten Menschen die Vorstellung einer sozialen und solidarischen Gesellschaft entgegen, in der die freie Entwicklung eines jeden die Voraussetzung der freien Entwicklung aller ist." (Internetseite der SL, 26. März 2007) 104 Internetseite von "Linksruck" (LR) (25. Februar 2008); Internetseite von "marx21" (14. November 2007). 105 Internetseite der "Sozialistischen Linken" (SL) (10. Dezember 2007). 155 Die SL beschreibt ihr Profil auf der eigenen Homepage wie folgt: "(...) linkssozialdemokratische und reformkommunistische Wurzel, Synthese zwischen marxistischen und linkskeynesianischen Vorstellungen, Klassenorientierung und die Mischung aus Realität und Radikalität." (Internetseite der SL, 15. August 2007) "ArbeitsgemeinDie 1991 gegründete "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si beim Parteischaft Cuba Si" vorstand der Linkspartei.PDS" - nach eigenen Angaben mit 39 regionalen Gruppen und insgesamt ca. 420 Mitgliedern - ist wesentlicher Träger der Solidaritätsarbeit für Kuba. Sie setzte die eigenen Materialund Spendensammlungen für humanitäre Zwecke fort und beteiligte sich zusammen mit der KPF an dem Projekt "Computer nach Kuba". 1.3 Jugendverbände Bereits im Vorfeld des Fusionsparteitages formierten sich zwei neue Jugendstrukturen im Umfeld der Partei, und zwar durch Zusammenschlüsse bestehender Jugendstrukturen aus dem Bereich von "Linkspartei.PDS" und WASG. Beide Strukturen wurden auf dem Fusionsparteitag von der Partei als parteinahe Verbände anerkannt. Hochschulverband Auf der vom 4. bis 6. Mai 2007 in Frankfurt am Main stattfinden"DIE LINKE. den Gründungskonferenz konstituierte sich der neue linke Sozialistisch-demoHochschulverband "DIE LINKE.Sozialistisch-demokratischer Stukratischer Studiedierendenverband" (DIE LINKE.SDS). In den aus zwölf Personen rendenverband" bestehenden Vorstand wurden u.a. ein ehemaliger Bundesspre(DIE LINKE.SDS) cher des "Linkspartei.PDS"-nahen Jugendverbandes "['solid]" sowie zwei Funktionäre der trotzkistischen Gruppierung "Linksruck" gewählt. Der Studierendenverband ist laut Satzung eine Arbeitsgemeinschaft mit Sonderstatus und somit formell Bestandteil des Jugendverbandes der Partei "DIE LINKE.". Jugendverband Am 20. Mai 2007 fand in Berlin der Gründungskongress der "Linksjugend "Linksjugend ['solid]" als bundesweiter parteinaher Jugendver['solid]" band der Partei "DIE LINKE." statt. Der neue Verband tritt die Rechtsnachfolge des bisherigen parteinahen Jugendverbandes 156 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE der "Linkspartei.PDS" "['solid] - die sozialistische Jugend" an. Nach Aussage eines Bundessprechers106 verfügt der Jugendverband über rund 3.500 aktive, mit den passiven über 6.000 bis 7.000 Mitglieder. Der Jugendverband definiert sich laut Satzung als "sozialistischer, antifaschistischer, basisdemokratischer und feministischer Bewegungsverband", der "in die gesellschaftlichen Verhältnisse eingreift".107 Im Programm des der "Linksjugend ['solid]" als Arbeitsgemeinschaft angehörenden Hochschulverbandes heißt es zudem: "Als Hochschulverband streiten wir für Sozialismus (...) Diese Ziele sind nur durch eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft zu realisieren. Der Kapitalismus ist für uns nicht das Ende der Geschichte. Wir stehen ein für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und stellen ihr unsere handlungsbestimmende Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft entgegen. (...) Wir kämpfen dabei für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung." (Internetseite von "DIE LINKE.SDS", 9. November 2007) 106 jW Nr. 118 vom 23. Mai 2007, S. 8. 107 Internetseite der "Linksjugend ['solid]" (9. November 2007). 157 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründung: 1968 Sitz: Essen Vorsitzender: Heinz Stehr Mitglieder: 4.200 (2006: 4.200) Publikationen: "Unsere Zeit" (UZ) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: ca. 7.000 (2006: ca. 7.000); "Marxistische Blätter" (theoretisches Organ), unregelmäßig Die DKP bekennt sich auch in ihrem neuen Parteiprogramm von 2006 zum Marxismus-Leninismus als Richtschnur ihres Handelns. Nach wie vor gilt deshalb: "Ziel der DKP ist der Sozialismus/Kommunismus." (Parteiprogramm der DKP von 2006, S. 2) Beteiligung an den Im ersten Halbjahr 2007 stand für die DKP die Beteiligung an den Protesten gegen Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburgden G8-Gipfel Vorpommern) im Mittelpunkt ihrer politischen Aktivitäten. Der Parteivorsitzende Heinz Stehr resümierte nach dem Gipfel, zwar hätten andere Kräfte die Proteste getragen, die Partei sei jedoch unterstützend tätig gewesen. Die DKP habe sich auch an anderen Aktionen wie Streikmaßnahmen und Kampagnen der Gewerkschaften beteiligt. Im zweiten Halbjahr 2007 nahm die Vorbereitung des 18. Parteitags im Februar 2008 in Mörfelden-Walldorf (Hessen) eine zentrale Rolle ein. Im Vorlauf wurden die Mitglieder bereits an158 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE gehalten, über einen eigenen zusätzlichen Beitrag nachzudenken, um das Profil der DKP in außerparlamentarische Bewegungen besser einzubringen. Es solle öffentlichkeitswirksam deutlich gemacht werden, "dass es in diesem Land einer Partei des wissenschaftlichen Sozialismus bedarf". Stehr forderte dazu auf, "das Programm der DKP in die Praxis vor Ort konkret umzusetzen". Dabei müsse Folgendes berücksichtigt werden: "Die aktuellen politischen Herausforderungen sollten durch uns auch mit gesellschaftspolitisch-strategischen Vorstellungen verbunden werden. Für uns ist und bleibt die zentrale Herausforderung, den tagespolitischen Kampf immer auch eingebettet in den Kampf für eine sozialistische und kommunistische Zukunft zu denken und danach zu handeln." (Referat von Heinz Stehr zur 11. Tagung des Parteivorstandes der DKP; Internetseite der DKP, 6. August 2007) Unter dem Motto "Fest der Solidarität 2007" fand im Juni 2007 das 15. Pressefest des DKP-Zentralorgans "Unsere Zeit" (UZ) im Revierpark Wischlingen in Dortmund statt. An der Veranstaltung nahmen nach Angaben der Partei108 über 50.000 Besucher sowie Vertreter von 25 kommunistischen und Arbeiterparteien teil. Das Pressefest sei - so ein Sprecher der DKP - in erster Linie ein wichtiger Ort für den Meinungsaustausch der Linken, der auch "Denkund Handlungsanstöße für politische Auseinandersetzungen in unserer Zeit" gebe. Die Partei wertete das Fest als Erfolg, die dadurch gesteigerte Motivation der Parteigenossen solle genutzt werden, um einen "Beitrag zur Verstärkung der außerparlamentarischen Bewegung zu leisten". Bedingt durch die Gründung der Partei "DIE LINKE." versuchte sich die DKP im außerparlamentarischen Bereich neu zu 108 Internetseite der DKP (18. Dezember 2007). 159 positionieren. In diesem Zusammenhang kam Stehr in seinem Referat zu folgender Einschätzung: "Mein Eindruck ist, dass die Spielräume für uns wesentlich größer sind als noch zu anderen Zeiten. Das Problem ist eher, dass wir organisatorisch und manchmal auch politisch zu wenig Möglichkeiten haben, diese Räume auszunutzen." Zur Stärkung des außerparlamentarischen Bereiches appellierte Stehr an die allgemeine Bereitschaft, auch "andere Kampfformen als bisher anzuwenden": "Das Kapital muss an seiner empfindlichsten Stelle angegriffen werden. Dort, wo Profit entsteht, müssen die Hebel umgeworfen werden." 2.2 Organisationen im Umfeld der DKP 2.2.1 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Die SDAJ mit rund 300 Mitgliedern pflegte weiterhin eine enge Beziehung zur DKP. Ihre marxistisch-leninistische Ausrichtung unterstrich die SDAJ im Jahr 2007 mit Herausgabe und Vertrieb einer "Schulhof-CD", die Lieder der kommunistischen und der Arbeiterbewegung der 1930erund kommunistischer Partisanen der 1940er-Jahre sowie der Jugendorganisation der ehemaligen DDR, "Freie Deutsche Jugend" (FDJ), und die Hymne der ehemaligen DDR enthält. In den Liedtexten wird die Oktoberrevolution 1917 in Russland als ein positives historisches Ereignis herausgestellt. Die Aktion war als Gegenkampagne zu der Verteilung von CDs mit rechtsextremistischen Liedgut gedacht (vgl. Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle, Kap. V). 2.2.2 "Marx-Engels-Stiftung e.V." (MES) Linksextremistisch Die in Wuppertal ansässige MES bot Wissenschaftskadern der beeinflusst DKP und anderen traditionell orientierten Linksextremisten erneut eine Plattform im ideologischen Kampf. So veranstaltete sie eine Konferenz zum Thema "Die Linke und die Nation", in der "das ungelöste Verhältnis der deutschen Linken zur eigenen Na160 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE tion als wichtige Ursache für die Schwäche der Linkskräfte im eigenen Lande" diskutiert wurde. In einem Interview unterstrich ein Stiftungsvertreter die Bedeutung der "Arbeiterklasse". Sie sei die Klasse, die im Zentrum des kapitalistischen Wirtschaftssystems stehe und so auch über machtpolitische Mittel verfüge, die Interessen aller abhängig Arbeitenden nachdrücklich gegen das Kapital zur Geltung zu bringen, gegebenenfalls auch dadurch, dass sie "den ganzen Laden" lahmlege.109 3. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründung: 1982 Sitz des Zentralkomitees: Gelsenkirchen Vorsitzender: Stefan Engel Mitglieder: ca. 2.300 (2006: ca. 2.300) Publikationen: "Rote Fahne" (RF) (Zentralorgan), wöchentlich, Auflage: 8.000; "Lernen und Kämpfen" (LuK) (Mitgliedermagazin), mehrmals jährlich; "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "REBELL"), zweimonatlich; "Galileo" (Zeitung der Hochschulgruppen der MLPD), halbjährlich 109 "Sozialistische Zeitung" (SoZ) von April 2007, S. 12. 161 MLPD feiert Im Mittelpunkt der Aktivitäten der maoistisch-stalinistischen 25-jähriges MLPD standen Veranstaltungen zu ihrem 25-jährigen Bestehen. Bestehen An den Feierlichkeiten Anfang August 2007 nahmen nach Angaben der Partei110 auch Delegationen aus 46 Ländern teil. Im Rahmen eines "Internationalen Seminars" in Essen hätten sich die Teilnehmer mit der "Neuorganisation der internationalen Produktion und der Vorbereitung der internationalen Revolution" befasst. Als Höhepunkt wertete die MLPD den Festakt am 4. August 2007 in Duisburg mit einer Revue "25 Jahre MLPD" und der Festrede des Parteivorsitzenden, in der dieser den revolutionären Anspruch seiner Partei unterstrich: "Natürlich ist die MLPD (...) eine Partei des Sozialismus und Kommunismus. (...) Wir streben eine gesellschaftliche Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse an. Das ist übrigens der wesentliche Gehalt der proletarischen Revolution. (...) Wir sind überzeugt davon, dass der Sozialismus der einzig richtige und gangbare Weg für die Menschheit ist." MLPD isoliert im Im Bereich des Linksextremismus agiert die MLPD weiterhin isolinksextremistiliert. Zwar beteiligte sie sich an Demonstrationen dieses Spekschen Spektrum trums, bewertete diese allerdings stets als nicht radikal genug. Am "13. Internationalen Pfingstjugendtreffen" der MLPD in Gelsenkirchen nahmen nach Angaben der Partei 18.000 Besucher teil. Bis zum VIII. Parteitag im Jahr 2008 soll die bereits 2006 begonnene organisatorische Neuausrichtung der MLPD - u.a. Schaffung von sieben Landesverbänden und 50 Kreisverbänden -, die bislang nur schleppend vorangekommen ist, abgeschlossen sein. 4. Trotzkisten 2007 waren in Deutschland unverändert 20 internationale trotzkistische Dachverbände mit 28 Sektionen oder Resonanzgruppen vertreten. Die Zahl der Aktivisten in Gruppierungen, deren Größe von Kleinstgruppen bis hin zu handlungsfähigen Struk110 Internetseite der MLPD (18. Dezember 2007). 162 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE turen mit einigen Hundert Mitgliedern reicht, stagnierte bei 1.800. Einige mit einem jungen Anhängerpotenzial, straffer Organisation und internationaler Koordination ausgestattete Gruppierungen brachten sich - der für Trotzkisten typischen Strategie des Entrismus (d.h. mittels verdeckter Einflussnahme) folgend - in die Bildung der Partei "DIE LINKE." ein. Aktivste trotzkistische Organisation war auch 2007 die Gruppe "Linksruck". Als deutsche Sektion gehört sie dem internationalen trotzkistischen Dachverband "International Socialist Tendency" (IST) mit Sitz in London an. Am 1./2. September 2007 löste sich LR während einer Vollver"Linksruck" (LR) sammlung in Frankfurt am Main als Organisation formell auf, umbenannt in um anschließend das marxistische Netzwerk "marx21" innerhalb "marx21" der Partei "DIE LINKE." zu gründen. Erklärtes Ziel von "marx21" (rund 400 Mitglieder) ist die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung durch eine Revolution. Um dieses Ziel zu erreichen, will sich "marx21" der Strukturen der Partei "DIE LINKE." bedienen. Das Netzwerk positioniert sich in der gewerkschaftlich orientierten Strömung "Sozialistische Linke" und agiert nun im trotzkistischen Sinne in der Partei "DIE LINKE.". Als publizistische Plattform dient das Magazin "marx21". Die dort veröffentlichten "politischen Leitsätze" zeigen die trotzkistische Herkunft des marxistischen Netzwerks: "Massenbewegungen in Rätestrukturen [können] eine demokratische Selbstverwaltung entwickeln, welche in einer Revolution den bestehenden Staatsapparat entmachtet, das Großkapital enteignet und die Grundlage für eine neue Gesellschaftsordnung legt." ("marx21" Nr. 1, Juni 2007, S. 43) Ehemalige LR-Mitglieder besetzen herausgehobene Funktionen in der Partei "DIE LINKE.", um diese zu beeinflussen. Sie hatten zuvor bereits aktiv in der nichtextremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) mitgearbeitet. So gehören dem Bundesvorstand der Partei mit Christine 163 Buchholz und Janine Wissler zwei aktive Trotzkistinnen an. In weiteren Gliederungen der Partei sowie in parteinahen Organisationen nehmen ehemalige LR-Mitglieder (Leitungs-)Funktionen wahr. Trotzkisten von "marx21" sind für die Linksfraktion im Deutschen Bundestag als wissenschaftliche Mitarbeiter tätig. "Sozialistische Die SAV (rund 400 Mitglieder) ist die deutsche Sektion des interAlternative" (SAV) nationalen trotzkistischen Dachverbandes "Committee for a Workers' International" (CWI) mit Sitz in London und versteht sich ihrem Statut zufolge als "revolutionäre, sozialistische Organisation in der Tradition von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Luxemburg und Liebknecht". Die SAV hatte versucht, Einfluss auf die damalige WASG auszuüben. Nachdem sie sich 2006 mit Lucy Redler - als Mitglied im geschäftsführenden Landesvorstand - in den Berliner WASGLandesverband einbringen konnte, führte die Entscheidung, SAV-Mitglieder dürften nur noch in Westdeutschland in der Partei "DIE LINKE." aktiv sein, zu einem erheblichen Bedeutungsverlust. Die ostdeutschen SAV-Mitglieder wurden angewiesen, die WASG zugunsten der "Berliner Alternative für Solidarität und Gegenwehr" (BASG) zu verlassen, einer von der SAV initiierten und dominierten Abspaltung vom Berliner WASG-Landesverband. 5. "Rote Hilfe e.V." (RH) Gründung: 1975 Sitz: Göttingen (Bundesgeschäftsstelle) Mitglieder: 4.300 (2006: 4.300) in 35 Ortsgruppen Publikation: "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Ihrem Selbstverständnis als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" entsprechend, unterstützt die - von Linksextremisten unterschied164 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE licher Ausrichtung getragene - RH von Strafverfolgung oder Schwerpunkt "staatlicher Repression" Betroffene aus dem gesamten "linken" "Antirepressionsund linksextremistischen Spektrum politisch und finanziell. Als arbeit" finanziellen Beitrag übernimmt die RH in der Regel 50 Prozent der entstandenen Anwaltsund Prozesskosten und wendet dafür etwa die Hälfte ihrer Einnahmen auf, die sie überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spendengeldern erlangt. Im Jahr 2007 engagierte sich die Organisation ferner schwerpunktmäßig in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung der Protestaktionen gegen den G8-Gipfel im Juni 2007 in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern; vgl. Kap. IV, Nr. 2). Gemeinsam mit der Gruppe "Gipfelsoli" aus Berlin veranstaltete die RH eine "Antirepressions-Infotour", die im Vorfeld des G8Gipfels durch zahlreiche Städte in Deutschland führte und möglichst viele der anreisenden Aktivisten mit Informationsmaterial versorgen sollte. Die Standardbroschüre der RH "Was tun wenn's brennt?!" - ein "Ratgeber" für Demonstranten zum Verhalten bei Demonstrationen und nach Festnahmen durch die Polizei - war zu diesem Anlass in elf Sprachen übersetzt worden. Außerdem informierte die RH über angeblich zu erwartende Polizeimaßnahmen bei den Protesten gegen den G8-Gipfel. In einem Mitgliederrundbrief111 zog die RH später das Fazit, sie sei während der Gipfelproteste "nicht überall so sichtbar vertreten gewesen" wie erhofft. Auch die Beteiligung der Ortsgruppen sei insgesamt nur schwach und die Zusammenarbeit mit Ermittlungsausschüssen und Rechtsanwälten sei nicht wirklich möglich gewesen. Unter dem Titel "Der G8 in Heiligendamm: Von Armeeeinsatz bis Zensur: Ein ABC der Repression" erschien im November 2007 eine 76-seitige Broschüre der RH mit Beiträgen von Rechtsanwälten, "Bürgerrechtsund Antirepressionsaktivisten" sowie Betroffenen. Die Broschüre sollte einen umfassenden Überblick über die - aus Sicht der RH - "massiven Repressionsmaßnahmen 111 "Mitgliederrundbrief 3/2007", in: "DIE ROTE HILFE", Ausgabe 3.2007. 165 und gezielten Grundrechtseinschränkungen" anlässlich der Gipfelproteste geben. Weiteres Schwerpunktthema für die RH war die Diskussion um die vorzeitige Freilassung bzw. Begnadigung noch inhaftierter ehemaliger Mitglieder der "Roten Armee Fraktion" (RAF). So würdigte die Publikation "DIE ROTE HILFE" Christian Klar als einzigen Gefangenen, der dem Druck des Staates standgehalten habe. Die Stadtguerillabewegung und der staatliche Kampf gegen sie hätten in den 1970er-Jahren das Scheitern des deutschen Rechtsstaats deutlich gemacht: "Heute zeigen dieselben Gefangenen durch ihr unbeugsames Verhalten auch das Scheitern des Repressionsapparates. Dann aber hat der Staat im Kampf gegen die RAF nicht gesiegt, sondern vollends versagt." ("DIE ROTE HILFE", Ausgabe 2.2007, S. 19) Zur Erinnerung an die Ereignisse des "Deutschen Herbstes" im Jahr 1977 hieß es in einer Stellungnahme des Bundesvorstands der RH: "Auch heute noch bleibt die 'notwendige Korrektur der herrschenden Meinung' (Pieter Bakker Schut) eine Aufgabe für die Rote Hilfe, auch damit eine offene Diskussion über Geschichte und Perspektiven der linken Bewegung möglich wird." ("DIE ROTE HILFE", Ausgabe 3.2007, S. 16) Die interne Situation der RH hat sich offenbar stabilisiert. Die u.a. durch die Novelle des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes Mitte 2004 eingetretene Finanzkrise konnte durch vorübergehende Absenkung des zu zahlenden Regelsatzes von 50 auf 40 Prozent sowie eine Spendenkampagne aufgefangen werden. Die Mitgliederzahl stagniert jedoch; Eigenangaben zufolge112 bezahlten 112 "Mitgliederrundbrief 1/2007", in: "DIE ROTE HILFE", Ausgabe 1.2007. 166 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE lediglich 3.890 der ausgewiesenen 4.297 Mitglieder tatsächlich auch Beiträge. Zudem beklagte der Bundesvorstand eine fehlende Aktionsbereitschaft der Mitglieder. IV. Aktionsfelder 1. "Antifaschismus" Der "Antifaschismus", das traditionelle Aktionsfeld von Linksextremisten, blieb weiterhin im Fokus ihrer "politischen" Arbeit. Dabei richtet sich der "Antifaschismus" nur vordergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Strukturen. Eigentliche Stoßrichtung ist die freiheitliche demokratische Grundordnung als "kapitalistisches System", um die angeblich diesem Gesellschaftssystem immanenten Wurzeln des Faschismus zu beseitigen. So schrieben Szeneangehörige in einem Aufruf gegen die "Antikapitalismus-Kampagne" der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), den Kapitalismus zu begreifen sei kein Selbstzweck, sondern die Voraussetzung seiner Abschaffung.113 Für gewaltbereite Linksextremisten, die sich gegen eine ausschließliche Fokussierung auf den "Antifaschismus" wenden, steht die Bekämpfung des "kapitalistischen Systems" nach wie vor im Vordergrund. Dazu hieß es in einem Aufruf gegen einen Aufmarsch von Rechtsextremisten am 21. Juli 2007 in Krefeld unter dem Motto "Kein Bock auf Euch": "Natürlich ist es nicht falsch Nazis zu bekämpfen - auf welche Art und Weise auch immer - doch kann und darf sich ein wirklicher Antifaschismus nicht im bloßen 'Gegen-NazisSein' erschöpfen. Antifaschismus muss auch bedeuten, jene Verhältnisse umzuwerfen, die Auschwitz erst möglich machten. Verhältnisse also, in denen Denkformen produziert werden, die in gesellschaftlichen und ökonomischen Krisen schnell in einen mörderischen Wahn umschlagen können." (Internetplattform "Indymedia", 6. Juli 2007) 113 Internetseite der "Antifaschistischen Linken Groß-Gerau" (algg) (November 2007). 167 Die Aktivitäten der autonomen Antifagruppen richteten sich vornehmlich gegen "Faschisten", d.h. gegen Einzelpersonen und Einrichtungen der rechtsextremistischen Szene. Dabei zielten ihre Aktionen vorrangig auf eine direkte Konfrontation mit den "Nazis" auf der Straße; so wurde versucht, insbesondere durch Massenmilitanz oder Kleingruppentaktik Aufmärsche des "politischen" Gegners zu verhindern, zumindest jedoch in ihrem Verlauf erheblich zu stören. So hieß es in einem Aufruf unter dem Motto "Deconstruct! Gegen jeden Geschichtsrevisionismus. Deutsche TäterInnen sind keine Opfer. Nazigroßaufmarsch verhindern": "So ist unser Ziel 2007 klar: die Nazis sollen keinen Meter gehen. (...) Nicht aber das Stadtimage oder das Retten des Gedenkens sollte ausschlaggebend sein, sondern allein die Tatsache, dass tausende Neonazis am 13. Februar ihre menschenverachtende Ideologie auf die Straße tragen wollen. Dies muss die Motivation sein, diesen Aufmarsch mit allen Mitteln zu verhindern - und für uns ist sie das in jedem Fall." (Internetseite der autonomen Szene Dresden, 19. Dezember 2006) Teile der autonomen Szene konstatierten eine Krise der AntifaBewegung. Antifaschistische Mobilisierungen bewegten immer weniger Menschen; dies führe langfristig zu einem Verlust an politischer Interventionsfähigkeit. In einer Veröffentlichung der von linksextremistischen Gruppierungen getragenen Kampagne "NS-Verherrlichung stoppen!" hieß es dazu: "Wir kritisieren hier die politische und kulturelle Ausrichtung, wie sie sich über Plakate, Slogans und Symbole transportiert. Hinter dieser Ausrichtung, die Antifa immer weniger inhaltlich bestimmt und immer mehr auf symbolische Militanz a la 'Nazis wegrocken' verkürzt, steht offenbar die Hoffnung, zunächst eine große Masse an jungen Menschen anzusprechen, um diese dann weiter zu politisieren. (...) Antifaschistische Aktionen müssen einem klaren politischen Konzept folgen, müssen eine Perspektive darstellen und dürfen nicht zum Selbstzweck verkommen." ("Antifaschistisches Info Blatt" Nr. 76 von März 2007, S. 30 f.) 168 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Nachfolgend ein typisches Beispiel militanter Aktionen gegen Aktionen Rechtsextremisten: Am 1. Mai 2007 beteiligten sich in Dortmund ca. 1.800 Personen, darunter ein 200 Personen starker "Schwarzer Block", an einer linksextremistischen Veranstaltung unter dem Motto "Heraus zum 1. Mai - Den Nazis entgegentreten". Nach vorzeitiger Auflösung der zunächst störungsfrei verlaufenen Versammlung durch den Veranstalter begaben sich größere Personengruppen in den Gleisbereich der S-Bahn, errichteten Barrikaden und zündeten diese an. Etwa 500 Personen bewarfen die Polizeikräfte mit Steinen. Die Strecke musste gesperrt werden, wodurch die Anreise von ca. 1.500 Angehörigen der rechtsextremistischen Szene behindert wurde. In einem ersten "Überblick" resümierte die Szene: "Alles in allem ein entschlossener und erfolgreicher Tag für Antifas. Erstmals seit langem hat es in NRW mal wieder geknallt. Der Nazi-Aufmarsch wurde massiv behindert, die meisten Nazis dürften frustriert die Heimreise angetreten haben." (Internetplattform "Indymedia", 8. Mai 2007) Auch 2007 waren intensive Bemühungen von "Antifaschisten" Aufklärung rechtszu verzeichnen, Aktivitäten von Rechtsextremisten aufzudecken extremistischer bzw. Einzelpersonen durch öffentlichkeitswirksame Aktionen Strukturen wie "Hausbesuche" zu outen und zu bekämpfen. Sie sammelten Informationen über Funktionäre, Trefflokale, Schulungseinrichtungen und "Naziläden", um diese in Szenepublikationen zu veröffentlichen und militante Aktionen vorzubereiten. Ein Hamburger "Bündnis Autonomer Antifas Nord" (BAAN) schrieb dazu: "Es gilt ihre Infrastruktur, ihre Geldquellen und Aktivitäten aufzudecken und dort anzugreifen, wo es ihnen am meisten wehtut! Die Nazisubkultur muss thematisiert und geächtet werden, es darf keine Toleranz für Nazis in Schulen, Jugendzentren und Nachbarschaften geben! Auch liegt es an uns, praktische Solidarität mit den Opfern der Nazigewalt zu üben und Gegenwehr zu organisieren!" ("zeck" Nr. 137 von März/April 2007, S. 21) 169 So besuchten "Antifaschisten" am 19. Mai 2007 im Rahmen einer "antifaschistischen Kaffeefahrt" mehrere "Naziläden" in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg. Rückblickend hieß es: "Insgesamt ist diese Aktion als erfolgreich zu bewerten. Den Nazis wurde offensiv deutlich gemacht, dass sie weder auf dem Land noch in der Stadt unangreifbar sind. (...) KEIN RAUM FÜR NAZIS UND IHR MENSCHENVERACHTENDES WELTBILD!" (Internetplattform "Indymedia", 16. November 2007) Direkte Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene Konfrontation scheuten auch nicht vor direkten körperlichen Angriffen gegen Rechtsextremisten bzw. vermeintliche Rechtsextremisten zurück: Am 4. Februar 2007 störten in Waldheim (Sachsen) ca. 15 bis 20 vermummte mutmaßliche Angehörige der linksextremistischen Szene die Jahreshauptversammlung des NPD-Kreisverbandes Döbeln. Acht Personen drangen in den Versammlungsraum ein, beschädigten das Mobiliar und versprühten Reizgas. Zudem wurden die Teilnehmer der NPD-Versammlung mit Gegenständen beworfen und mehrere auf dem Parkplatz des Veranstaltungslokals abgestellte Pkw beschädigt. 2. "Anti-Globalisierungsbewegung" G8 als KristallisaAls ein herausragendes "Symbol neoliberal-imperialer Globalitionspunkt sierung"114 stand das Treffen der Staatsund Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen (G8) vom 6. bis 8. Juni 2007 im Ostseebad Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) im Mittelpunkt der Kampagnenarbeit deutscher linksextremistischer Globalisierungskritiker. Ihnen gelten die jährlichen G8Treffen als zentrale Foren der "Herrschenden" zur Koordinierung der "Ausplünderung der Welt".115 Kein anderes Treffen, befand 114 "analyse & kritik - zeitung für linke debatte und praxis" (ak) Nr. 514 vom 16. Februar 2007, S. 5. 115 Ebenda. 170 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE etwa die autonome "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB), symbolisiere den "Anspruch auf globale Herrschaft" auf eine solche Weise wie ein G8-Gipfel; kein anderes "Treffen der globalen Elite" rufe einen so breiten "Sturm des Protests und des Widerstands" rund um den Globus hervor.116 Nachdem Linksextremisten bereits Ende 2006 unter Parolen wie Bündnisse "G8 angreifen - Zusammen kämpfen gegen Kapitalismus, rassistische Ausgrenzung, patriarchale Gesellschaftsordnungen und Krieg!" angekündigt hatten, "die Show der Herrschenden in Tage des Widerstands und der globalen Solidarität von unten zu verwandeln"117, entwickelte sich die schon 2004/2005 - zunächst noch unstrukturiert - begonnene Mobilisierung gegen das G8-Treffen zum beherrschenden Thema im gesamten linksextremistischen Spektrum. Als wesentliche Träger der Mobilisierung traten auf Bundesebene mehrere - in Teilbereichen kooperierende - Bündnisse auf: Eine maßgebliche Rolle kam dabei einem von der "Interventionistischen Linken" (IL) - ihr gehören militante Autonome, revolutionäre Marxisten sowie auch nichtextremistische Einzelpersonen an - angestrebten, formal aber nie konstituierten "Gesamtbündnis" zu. Dieses konnte sich zwar hinsichtlich der konkreten Protestplanungen und -vorbereitungen exponieren, verfehlte jedoch am Ende das angestrebte Ziel einer Bündelung breiter linksextremistischer und nichtextremistischer Protestpotenziale. Insbesondere nichtextremistische Globalisierungsgegner aus den Gewerkschaften und Kirchen sowie aus dem Spektrum der "Nichtregierungsorganisationen" (NGO) hatten sich nicht in dem von der IL gewünschten Umfang integrieren lassen. Von eher nachrangiger Bedeutung waren das diffuse, an autonome Strukturen angelehnte Netzwerk "Dissent! (plus X)", das dezidiert antiimperialistisch ausgerichtete "Anti-G8 Bündnis für eine revolutionäre Perspektive", das antideutsche "... ums Ganze!"-Bündnis (auch: "Bündnis gegen Kapital und Nation") 116 Internetseite von "gipfelsoli" (30. April 2007). 117 Internetseite von "gipfelsoli" (6. November 2006). 171 sowie ein "Antifaschistisches & Antiimperialistisches Aktionsbündnis gegen die G8" (auch: "G8 versenken"-Bündnis), das mehrere maoistische (deutsche) Splittergruppen und ausländische, der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) sowie der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP) nahe stehende Linksextremisten organisiert hatten (vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 2.2 und 2.3). "Militante Eine Sonderrolle innerhalb der Proteste gegen das G8-Treffen in Kampagne" Heiligendamm nahm eine bereits Mitte 2005 begonnene "militante Kampagne" ein, die sich später auch gegen die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2007 richtete. Innerhalb dieses Bezugsrahmens verübten bzw. versuchten klandestin operierende Täter bzw. Tätergruppen zwischen Januar 2007 und Ende Juni 2007 insgesamt 15 Brandanschläge; in Berlin (3), Brandenburg (1), Hamburg (5), Hessen (1), Mecklenburg-Vorpommern (3), Niedersachsen (1) und Nordrhein-Westfalen (1). Angriffsziele waren zumeist Kraftfahrzeuge, aber auch Gebäude, etwa am 11. Mai 2007 ein Schnellrestaurant in Lübbecke (Nordrhein-Westfalen). Durch die Anschläge entstanden zum Teil hohe Sachschäden, Personen wurden nicht verletzt. Im Rahmen der "militanten Kampagne" wurden zwischen 2005 und 2007 insgesamt 29 Brandanschläge verübt bzw. versucht. Aktionswoche Die Durchführung einer Aktionswoche (1. bis 8. Juni 2007) gegen das G8-Treffen orientierte sich eng an einer "Gesamtchoreographie der Proteste", die zuvor unter maßgeblicher Beteiligung der für ein "Gesamtbündnis" eintretenden Kräfte entwickelt worden war. Zentrale Elemente waren eine "Internationale Großdemonstration" in Rostock und umfangreiche Blockaden im Raum Heiligendamm. "Internationale Am 2. Juni 2007 beteiligten sich etwa 30.000 weit überwiegend Großdemonsnichtextremistische Personen (Veranstalter: 60.000-80.000) tration" unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich!" an einer "Internationalen Großdemonstration" in Rostock. Nach gewaltfreien Auftaktkundgebungen bewegten sich zunächst zwei Demonstrationszüge durch die Rostocker Innenstadt zur gemeinsamen Abschlusskundgebung am Stadthafen. Einem der beiden 172 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Demonstrationszüge hatten sich "mehrere voneinander isolierte linksradikale Blöcke" angeschlossen:118 Der Block des antideutschen "... ums Ganze!"-Bündnisses (angeblich 3.000 Aktivisten), ein "internationalistisch-revolutionärer" Block (angeblich über 2.000 Aktivisten) sowie der von der IL organisierte "Make Capitalism History"-Block mit etwa 3.000 Aktivisten (angeblich 8.000). Eine etwa 2.000 Personen umfassende, fast ausschließlich ver"Schwarzer Block" mummte und schwarz gekleidete Teilmenge des "Make Capitalism History"-Blockes bildete einen geschlossenen "Schwarzen Block". Aus diesem heraus wurden bereits im Zugverlauf Steine gegen ein Sparkassengebäude sowie ein am Zugweg gelegenes Hotel geworfen. Am Stadthafen eskalierte schließlich die Lage, nachdem vermummte Gewalttäter ein mit zwei Polizeibeamten besetztes Dienstfahrzeug massiv angegriffen hatten. Die Aggressionen richteten sich in der Folge gegen parkende Fahrzeuge von Anwohnern, Polizeibeamte wurden mit Pflastersteinen, Flaschen und Brandsätzen ("Molotowcocktails") beworfen. Auch nach dem Beginn der Abschlusskundgebung kam es immer wieder zu Ausschreitungen. Massiver Kräfteeinsatz der Polizei bewirkte erst am späteren Abend eine Lageberuhigung. Im Verlauf der Ausschreitungen wurden zahlreiche Polizeibeamte verletzt, einige schwer. 118 Internetplattform "Indymedia" (4. Juni 2007). 173 Während die Organisatoren der Großdemonstration das von der Polizei praktizierte Deeskalationskonzept ausdrücklich lobten und sich gleichzeitig von den "Randalierern" distanzierten, räumte die ALB - eine Mitgliedsgruppe der IL - ein: "Die militanten Angriffe auf die Polizei (...) waren zielgerichtete Aktionen. (...) Bereits in den Wochen vor der Rostokker Großdemo haben die Sicherheitsbehörden mit ihren Maßnahmen die linksradikale Szene geradezu herausgefordert. (...) Autonome sind keine Pazifisten: Sie halten nicht die andere Wange hin, wenn sie geschlagen werden! So ist nur verständlich, dass in einer Situation, in der ein Block mit 8.000 bis 10.000 Menschen aus dem linksradikalen Spektrum auf der Straße steht und in der die sonst üblichen Machtverhältnisse auf der Straße partiell außer Kraft gesetzt sind, Antworten auf die üblichen Provokationen offensiver ausfallen." (Presseerklärung der ALB vom 5. Juni 2007) Jenseits derartiger Eingeständnisse entwickelte sich im linksextremistischen Spektrum nachfolgend eine sehr kontrovers ausgetragene und noch nicht vollständig abgeschlossene Diskussion über die Ereignisse am 2. Juni 2007 in Rostock. Blockaden Am 6./7. Juni 2007 beteiligten sich bis zu 9.000 Menschen (Organisatoren: 13.000), überwiegend Nichtextremisten, an "Massenblockaden" auf den Zufahrtswegen nach Heiligendamm. Den Teilnehmern dieser Blockaden, zu denen das von einigen IL-Mitgliedsgruppen dominierte Bündnis "Block G8" aufgerufen hatte, gelang es, zwei Hauptzufahrtswege nach Heiligendamm zumindest vorübergehend zu sperren. Einige hundert Aktivisten drangen bis an den Schutzzaun des Konferenzgeländes vor, bevor sie von der Polizei zurückgedrängt wurden. Insgesamt verliefen die Blockaden weitgehend friedlich. Jedoch wurden Polizeibeamte massiv angegriffen und mit Steinen beworfen, als sie am 7. Juni 2007 eine Kontrollstelle im Ortsteil Hinter Bollhagen wegen des Zulaufs von in der Spitze etwa 3.500 Demonstranten vorübergehend schließen mussten. Die letzten Sitzblockaden wurden erst am Vormittag des 8. Juni 2007 aufgegeben. 174 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Ein Sprecher des Bündnisses "Block G8" resümierte: "Die Vision von massenhaften Blockaden des Gipfels, von der Delegitimierung der G8 (...) ist Wirklichkeit geworden. (...) Heiligendamm war zeitweise landseitig komplett eingeschlossen, der Transport von Delegierten und JournalistInnen nach Heiligendamm musste per Hubschrauber oder auf Booten erfolgen. (...) Block G8 hat seine Ziele erreicht: Widerstand gegen hochgerüstete Polizeitruppen ist möglich. Der Gipfel wurde real und andauernd blockiert." (Internetseite von "gipfelsoli", 25. Juni 2007) Vor dem Hintergrund weit überhöht wahrgenommener TeilBewertungen nehmerzahlen zu der "Internationalen Großdemonstration" in der Szene Rostock und unter dem Eindruck "erfolgreicher" Blockaden zeigten sich Linksextremisten zunächst euphorisch. Die IL erklärte beispielsweise, sie habe "mit allen anderen Spektren der Bewegung" den "Kadern der herrschenden Klasse kräftig in die Propagandasuppe gespuckt". Der "Anti-G8-Protest" sei die seit Jahren "größte Mobilisierung der radikalen Linken in Deutschland" gewesen.119 Später wurden jedoch auch kritische Stimmen laut. Ein dem Netzwerk "Dissent! (plus X)" zuzurechnender Verfasser konstatierte, "zum unbeschwerten Frohlocken" bestehe kein Anlass. Im Vorfeld der Proteste und auch während der Aktionswoche seien "all jene Schwächen, Befangenheiten und Defizite" sichtbar geworden, welche "die (bewegungspolitische) Linke hier zu Lande" auszeichneten. Bis zum Schluss, so klagte er weiter, hätten "verdammt wenige Leute bzw. Gruppen verbindlich Verantwortung für die praktische Organisierung der Proteste übernommen".120 Der Abschlussbericht des Innenministers von Mecklenburg-VorBehördliche pommern zum "Polizeieinsatz beim G8-Gipfel" weist mehr als Maßnahmen 1.100 freiheitsentziehende Maßnahmen aus. Von den Freiheitsentziehungen waren 852 deutsche und 260 ausländische Staatsangehörige betroffen. 119 Internetplattform "Indymedia" (17. August 2007). 120 Internetplattform "gipfelsoli" (5. September 2007). 175 3. "Antirepression" Zunehmende Das Aktionsfeld "Antirepression" gewann für Linksextremisten Bedeutung für weiter an Bedeutung. Insbesondere vor dem Hintergrund des Linksextremisten G8-Treffens im Juni 2007 in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) intensivierten sie Agitation und Aktionen gegen einen angeblichen "Ausbau des Überwachungsstaates", der unter Nutzung immer neuer technischer Möglichkeiten, durch eine Ausweitung polizeilicher Befugnisse, durch die Aufhebung der Trennung von Geheimdiensten und Polizei, aber auch durch Diskussionen über einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren vorangetrieben werde.121 Feindbild Staat Dabei nehmen Linksextremisten den Staat und seine Einrichtungen als Feind wahr; so trug z.B. eine im Vorfeld des G8-Treffens u. a. von der "Roten Hilfe Greifswald" herausgegebene Broschüre den unmissverständlichen Titel "Know your enemy! - Infos zur 'Sicherheitsarchitektur' und Strategien dagegen". Linksextremisten sehen den "Ausbau des modernen Sicherheitsstaates" als staatliche Reaktion auf eine dem "kapitalistischen System" angeblich immanente Zuspitzung sozialer Konflikte. Dieser Logik folgend behauptete ein - von Autonomen dominiertes - "Demobündnis Hamburg" in einem Aufruf zur bundesweiten Demonstration "Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat - Unsere Solidarität gegen ihre Repression" am 15. Dezember 2007 in Hamburg: "Dementsprechend dient die Hochrüstung des staatlichen Sicherheitsapparates neben einer generellen Aufstandsprävention vor allem der Aufrechterhaltung und Absicherung der ökonomischen Machtverhältnisse. Die staatliche Repression ist somit ein sichernder Pfeiler des Kapitalismus." ("zeck" Nr. 141 von November/Dezember 2007, S. 5 f.) Der Umgang mit "staatlicher Repression" - so die "Antirepressionskampagne Hamburg" am 27. November 2007 auf ihrer In121 Internetplattform "gipfelsoli" (29. Oktober 2007). 176 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE ternetseite - müsse kollektiv und solidarisch erfolgen. "Angriffe auf die radikale Linke" werde man nur gemeinsam "beantworten und zurückschlagen" können. Im Zusammenhang mit der linksextremistischen "AntirepressiTräger der onskampagne" tritt vor allem die "Rote Hilfe e.V." (RH; vgl. "AntirepressionsKap. III, Nr. 5) maßgeblich in Erscheinung, indem sie Veranstalkampagne" tungen organisiert und themenbezogene Schriften herausgibt. Für die Dauer von Strafverfahren bilden sich darüber hinaus oftmals aktive Solidaritätsgruppen, die sich für die Belange der Betroffenen einsetzen. Nicht selten entstammen die darin involvierten Akteure dem autonomen und antiimperialistischen Spektrum. Anlässlich von Demonstrationen, bei denen Konflikte mit der Polizei erwartet werden, fungieren so genannte Ermittlungsausschüsse als zentrale Sammelund Koordinationsstellen für Informationen über "repressive" Maßnahmen. Am 9. Mai 2007 kam es in mehreren Städten zu spontanen ProHerausragende testen gegen Exekutivmaßnahmen der Polizei, die sich gegen Ereignisse mutmaßliche Angehörige der "militanten gruppe (mg)" sowie gegen die mutmaßlichen Initiatoren der "militanten Kampagne" gegen das G8-Treffen in Heiligendamm gerichtet hatten (vgl. Kap. II, Nr. 1.3). Die beiden größten Demonstrationen fanden in Berlin (3.000 Teilnehmer) und in Hamburg (1.900) statt. Die Veranstaltung in Hamburg endete unfriedlich; Polizeibeamte wurden dort massiv mit Flaschen und Feuerwerkskörpern angegriffen. Als Beleg für die Mobilisierungsfähigkeit der linksextremistischen Szene ist auch die Beteiligung von bis zu 1.000 zum Teil vermummten, überwiegend der militanten autonomen Szene entstammenden Personen an der von etwa 8.000 Personen besuchten Demonstration unter dem Motto "Freiheit statt Angst - Stoppt den Überwachungswahn" am 22. September 2007 in Berlin zu werten. Am 15. Dezember 2007 beteiligten sich zahlreiche Autonome u.a. in einem deutlich wahrnehmbaren "Schwarzen Block" in Hamburg an einer rund 3.200 Personen umfassenden Demonstration 177 "Weg mit dem SS 129a - Einstellung aller Verfahren - Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat". Im Vorfeld waren hohe Erwartungen geweckt worden: "Die Hamburger Demo wird vermutlich die größte linksradikale Demonstration nach Heiligendamm werden und damit von Bedeutung für die weiteren politischen Mobilisierungen und die Solidaritätsarbeit sein." (Internetplattform "Indymedia", 5. Dezember 2007) Bereits während der Demonstration kam es zu ersten Störungen; so wurden Bauzäune niedergerissen und Polizeibeamte mit Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Nach vorzeitiger Beendigung des Aufzugs wanderten mehrere - 30 bis 100 Personen umfassende - Störergruppen in die Innenstadt ab, begingen Sachbeschädigungen, bewarfen Polizeibeamte mit Gegenständen und setzten zwei Pkw in Brand. Zu weiteren Ausschreitungen kam es am späteren Abend vor dem Szeneobjekt "Rote Flora" und im "Schanzenviertel". Randalierer zogen Bauzäune auf die Straße, entzündeten Gegenstände auf der Fahrbahn, bewarfen Polizeibeamte mit Steinen und beschädigten Scheiben eines Geldinstituts. Insgesamt erfolgten 30 vorläufige Festnahmen, 109 Ingewahrsamnahmen sowie 392 Platzverweise. Mobilisierung und Verlauf der Demonstration in Hamburg verdeutlichten erneut den aktuell hohen Stellenwert des Aktionsfeldes "Antirepression" insbesondere für das autonome Spektrum. Die Demonstration war der Höhepunkt der durch die Ereignisse um das G8-Treffen in Heiligendamm (SS 129a-Verfahren, Polizeieinsatz während des G8-Gipfels) in den Vordergrund gerückten linksextremistischen "Antirepressionskampagne" im Jahr 2007. Bereits im Vorfeld der Demonstration war es in Hamburg zu mehreren offenbar linksextremistisch motivierten Straftaten gekommen: 178 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE # 10. Dezember 2007: Sachbeschädigung am Wohnhaus des Leiters des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg, # 12. Dezember 2007: Brandstiftung an drei Bundeswehr-Fahrzeugen auf dem Gelände der Hochschule der Bundeswehr, # 12. Dezember 2007: Brandanschlag auf das Bürogebäude eines mit Ausstattung und Wartung von Telekommunikationsanlagen in Haftanstalten befassten Unternehmens. Traditionelles Betätigungsfeld innerhalb linksextremistischer Solidarität mit "Antirepressionsarbeit" ist die Sympathiewerbung für inhafinhaftierten linkstierte "GenossInnen" im Inund Ausland. Dabei kommt der Moextremistischen natspublikation "Gefangenen Info" (bis Ende 2004 "AngehöriGewalttätern gen Info") als Forum für unterschiedliche linksextremistische Solidaritätsund Unterstützergruppen eine besondere Rolle zu. Sie war erstmals im Februar 1989 anlässlich des "10. kollektiven Hungerstreiks" der Inhaftierten aus der "Roten Armee Fraktion" (RAF) erschienen. So wurde seit Beginn des Jahres mit Blick auf die öffentliche Debatte um eine bedingte Freilassung bzw. Begnadigung Inhaftierter aus der ehemaligen RAF vor allem die Forderung nach Freilassung von Christian Klar forciert. Nach den Exekutivmaßnahmen gegen mutmaßliche Mitglieder der "militanten gruppe (mg)" sowie Aktivisten der "militanten Kampagne" wurde zudem gefordert, den "Terrorparagrafen" SS 129a StGB abzuschaffen, der allein der systematischen Ausforschung und Unterdrückung von Fundamentalopposition diene. In diesem Kontext sind auch "Gedenkveranstaltungen" zu sehen, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem 30. Jahrestag der vielfach als "Deutscher Herbst" bezeichneten Ereignisse von 1977 (Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, Selbstmorde der Führungskader der RAF in StuttgartStammheim) stattfanden. So trafen sich am 20. Oktober 2007 in Berlin und in Stuttgart bis zu 200 Personen, mehrheitlich Szeneangehörige, unter dem Motto "18.10. Kein Vergeben - Kein Vergessen". Neben dem Gedenken an die - so wörtlich - "Gefallenen aus der RAF" ging es den Veranstaltern vor allem darum, ein Bewusstsein für die "revolutionäre Geschichte" zu entwickeln 179 sowie der "staatlich verordneten Selbstmordversion" entgegenzutreten. Militante Im Hinblick auf die Perspektiven militanter Politik messen auch Perspektive klandestin operierende Zusammenhänge dem Aktionsfeld "Antirepression" ersichtlich zunehmende Bedeutung zu. So formulierten Aktivisten, die nach eigenen Angaben an der "militanten Kampagne" gegen das G8-Treffen in Heiligendamm beteiligt waren, in einer Nachbetrachtung: "Wir denken, dass es noch genügend Ansatzpunkte gibt, militante Antirepressionspolitik auch thematisch offensiv zu wenden. In diesem Zusammenhang sind für uns Bullen und Justiz, aber auch die Bundeswehr, Rüstungsindustrie und alle Agenturen imperialistischer Herrschaft gute Ziele." ("INTERIM" Nr. 662 vom 26. Oktober 2007, S. 17-21 [21]) In ungewohnter Deutlichkeit stellt auch ein unter dem Pseudonym "Arne" im Szeneblatt "INTERIM" vom 9. November 2007 veröffentlichter Beitrag die perspektivische Bedeutung des Kampfes gegen "staatliche Repression" heraus: "Militante Aktionen sind legitim und notwendig. Sie allein sind jedoch noch nicht revolutionär und systemsprengend. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. (...) Aus einer Kontinuität militanter Aktionen - und deswegen werden sie auch mit Repression verfolgt - kann sich ein bewaffneter Kampf gegen Staat und Kapital entfalten. Rote Armee Fraktion, Bewegung 2. Juni und Revolutionäre Zellen sind in einer anderen Zeit entstanden. Aber die Verhältnisse, gegen die sie angetreten waren, sind harmlos verglichen mit den heutigen und dem, was sich die Herrschenden gegenwärtig trauen durchzuziehen. (...) Angesagt wären Protest, Widerstand und Angriff." ("INTERIM" Nr. 663 vom 9. November 2007, S. 15 f.) 180 Islamistische/islamistischterroristische Bestrebungen und Verdachtsfälle 181 Islamistische/islamistisch-terroristische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick 1. Entwicklungen im Islamismus Die Ereignisse des Jahres 2007 bestätigen, dass Deutschland von islamistischen Terroristen nicht mehr nur als Rückzugsraum betrachtet wird, sondern sich zu deren Operationsgebiet entwickelt hat. Dies verdeutlichen insbesondere die Festnahmen vom 4. September 2007, mit denen geplante Sprengstoffanschläge auf USamerikanische Einrichtungen in Deutschland mit möglicherweise hohen Opferzahlen vereitelt werden konnten (vgl. Kap. II, Nr. 1 und 3.3). Deutschland ist als Teil des weltweiten Gefahrenraumes anzusehen und liegt im Zielspektrum islamistisch-terroristischer Gruppierungen. Für die "Mujahidin" ("Kämpfer im Jihad") zählt Deutschland zur Allianz der "Kreuzzügler", zu den Helfern der USA und Israels. Begründet wird dies u.a. mit der Beteiligung Deutschlands an der Ausbildung irakischer Polizeiund Sicherheitskräfte sowie dem wachsenden Engagement zur Sicherung des inneren Friedens in Afghanistan. Der Einsatz von Tornado-Jets der Bundeswehr für Aufklärungsflüge und die Verlängerung des Mandats in Afghanistan im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) rücken Deutschland verstärkt in den Fokus islamistischer Terroristen. So wurde in Videobotschaften der der "alQaida" nahestehenden "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF; vgl. Kap. II, Nr. 4) vom März und November 2007 ausdrücklich der Abzug deutscher und österreichischer Soldaten aus Afghanistan gefordert. Weitere Auswirkungen auf die Bedrohungslage in Deutschland ergeben sich aus der Situation in der Region Afghanistan/Pakistan. Zum einen reisten einzelne Personen aus dem islamistischterroristischen Spektrum in Deutschland in das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, um eine terroristische Ausbildung zu 182 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE durchlaufen oder sich an Kampfhandlungen in Afghanistan zu beteiligen. Zum anderen gab es Hinweise, denen zufolge die Kern-"al-Qaida", d.h. die Führungsriege der "al-Qaida" im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet, wiedererstarkt und bestrebt ist, Anschläge auch in Europa zu begehen. Trotz des weltweit hohen Fahndungsdrucks und der erfolgreichen internationalen Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden, die zu zahlreichen Festnahmen und der Vereitelung von Anschlägen führte, wurde das islamistisch-terroristische Spektrum nicht nachhaltig geschwächt. Nach wie vor sind islamistische Terroristen in der Lage, Anschläge mit hohem Personenschaden zu verüben. Die Zielauswahl dürfte sich dabei an den jeweiligen logistischen, finanziellen und technischen Möglichkeiten einzelner Netzwerke orientieren. Hier stehen vor allem "weiche Ziele" im Vordergrund, die aufgrund ihrer Vielzahl (z.B. Bahnhöfe, Zugverkehr, Großveranstaltungen) und der großen Menschenmengen nur eingeschränkt zu schützen sind. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Auseinandersetzungen in Afghanistan, dem Irak und dem Nahen Osten unterliegen in Deutschland vor allem US-amerikanische, britische und israelische Interessen und Einrichtungen einer besonderen Gefährdung. Im Blickpunkt möglicher Täter können jedoch auch Interessen anderer westlicher Alliierter der USA oder Russlands (im Zusammenhang mit dem Tschetschenienkonflikt) sowie pro-westlich ausgerichteter muslimischer Staaten in Deutschland stehen. Wie die Entführungen deutscher Staatsbürger im Ausland im Jahr 2007 zeigen, sind zudem deutsche Interessen und Einrichtungen im Ausland gefährdet. Auch von islamistischen Organisationen, die in Deutschland nicht terroristisch agieren, geht eine Gefahr für die innere Sicherheit aus. Diese Organisationen streben in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) an. Einige erklären sogar offen ihr Ziel einer Weltherrschaft des Islam. Viele dieser Organisationen agieren in ihren Herkunftsländern auch mit terroristischen Mitteln. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. 183 Diesem Spektrum lassen sich beispielsweise die libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") sowie die palästinensische HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") zurechnen, die beide das Existenzrecht Israels verneinen und gewaltsame Angriffe gegen israelische Einrichtungen und Zivilisten verüben. In Deutschland halten sich ihre Anhänger mit öffentlichen Aktivitäten jedoch weiterhin zurück. Eine weitere regional agierende islamistische Organisation ist die "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/"Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB), die im Nordkaukasus mit terroristischen Mitteln für die Errichtung eines von der Russischen Föderation unabhängigen islamischen Staates auf der Grundlage der Scharia kämpft. Inzwischen hat die Organisation ihre Kampfhandlungen auf den gesamten Nordkaukasus ausgedehnt. Die Anhänger in Deutschland vertreten ihre Interessen bisher gewaltfrei. Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland, die sich meist als Interessenvertreter großer Teile der über drei Millionen im Bundesgebiet lebenden Muslime verstehen, verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Herrschaftsverhältnisse in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. Aus ihrer Sicht ist mit der Scharia ein zu jeder Zeit gültiges, alle Lebensbereiche umfassendes Gesetzessystem vorgegeben, dessen genaue Umsetzung zur Ausübung des "wahren" Islam unabdingbar sei. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Daher dürfe Staatsgewalt niemals dem menschlichen Willen entspringen, wie es in einer Demokratie der Fall ist. Das von diesen Organisationen angestrebte Gesellschaftssystem steht somit in unauflösbarem Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die u.a. auf Grundsätzen wie der Volkssouveränität, der Gewaltenteilung und dem Mehrheitsprinzip beruht. Im Rahmen ihres legalistischen Vorgehens setzen diese Organisationen vor allem auf eine langfristige Strategie der politischen 184 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Einflussnahme und der gezielten Öffentlichkeitsarbeit. Sie bieten eine umfangreiche islamistisch orientierte Bildung und Betreuung, insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Damit tragen sie zur Entstehung und Ausbreitung islamistischer Milieus bei, die Integrationsbemühungen zuwiderlaufen. Solche Milieus bergen zudem die Gefahr, den Grundstein für Radikalisierungsprozesse zu legen. Mitgliederstärkste dieser Gruppierungen in Deutschland ist die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG). Sie präsentiert sich der Öffentlichkeit als integrationswillige, auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation. Teile der IGMG halten jedoch nach wie vor an den Zielen und der Ideologie der in der Türkei agierenden "Milli Görüs"-Bewegung fest, die eine alles umfassende islamische Gesellschaftsordnung mit letztlich globalem Anspruch anstrebt. In ähnlicher Weise agieren die Anhänger der ägyptischen "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland, die sich hier jedoch selten offen zur MB bekennen. Mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern ist die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD). Diese unterhält nach eigenen Angaben acht ihr angeschlossene "Islamische Zentren" (IZ), die als Anlaufstellen für ihre Anhänger dienen. Die transnationale Massenbewegung "Tablighi Jama'at" (TJ) zielt mittels intensiver Missionierungsbemühungen auf eine weltweite Islamisierung der Gesellschaft ab. In Deutschland versuchen TJ-Anhänger vor allem junge Muslime aus sozial benachteiligten Bevölkerungsschichten sowie junge Konvertiten für die Bewegung zu gewinnen. Die intensive Missionierungsarbeit sowie das vermittelte strenge Islamverständnis können den Nährboden für eine Radikalisierung bilden. 2. Organisationen und Personenpotenzial Ende 2007 gab es 30 (2006: 28) bundesweit aktive islamistische Organisationen. Das islamistische Personenpotenzial in Deutschland stieg mit 33.170 Mitgliedern/Anhängern (2006: 32.150) ebenfalls leicht an. 185 Mit ca. 27.920 Personen (2006: ca. 27.250) bildeten wiederum die Anhänger türkischer Gruppierungen das größte Potenzial. Mitgliederstärkste Organisation blieb die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) mit ca. 27.000 (2006: ca. 26.500) Personen. Den Gruppierungen aus dem arabischen Raum schlossen sich ca. 3.390 Personen (2006: ca. 3.350) an. Mitgliederstärkste Organisation blieb die "Muslimbruderschaft" (MB) mit weiterhin etwa 1.300 Anhängern. Die zweitgrößte Gruppierung, die libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") verfügte unverändert über ca. 900 Anhänger. Zu den in Deutschland in internationale "Mujahidin"-Netzwerke eingebundenen Personen liegen keine gesicherten Zahlen vor. Islamismuspotenzial1 2005 2006 2007 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Arabischer Ursprung2 15 3.350 15 3.350 15 3.390 Türkischer Ursprung2 5 27.250 5 27.250 5 27.920 Iranischer Ursprung 3 150 3 150 3 150 Sonstige 5 1.350 5 1.400 7 1.710 Summe 28 32.100 28 32.150 30 33.170 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. 186 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE II. Internationaler islamistischer Terrorismus 1. Aktuelle Entwicklungen Der islamistische Terrorismus stellt für die internationale Staatengemeinschaft und die innere Sicherheit Deutschlands weiterhin eine der größten Gefahren dar. Deutschland ist Teil eines weltweiten Gefahrenraums und liegt Entwicklungen im unmittelbaren Zielspektrum islamistisch-terroristischer in Deutschland Gruppierungen. Am 4. September 2007 wurden in Medebach-Oberschledorn (Nordrhein-Westfalen) zwei deutsche und ein türkischer Staatsangehöriger wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ("Islamische Jihad Union" - IJU) sowie der Vorbereitung von Sprengstoffanschlägen in Deutschland festgenommen. Die Tatverdächtigen hatten dort ein Ferienhaus angemietet, in dem vermutlich die letzten Anschlagsvorbereitungen durchgeführt werden sollten. Am 5. September 2007 wurde gegen sie Haftbefehl erlassen. Einer der Verdächtigen hatte seit Januar 2007 insgesamt rund 730 kg Wasserstoffperoxidlösung in einer 35%-igen Konzentration erworben, die zur Herstellung von Sprengstoff verwendet werden kann. Der Polizei war es gelungen, die Fässer mit der 35%-igen Wasserstoffperoxidlösung gegen Fässer mit einer 3%-igen Lösung auszutauschen. Die Ermittlungen dauern an. Vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf begann am 18. Dezember 2007 der Prozess gegen den mutmaßlichen Haupttäter der geplanten Anschläge auf zwei Regionalzüge der Deutschen Bahn am 31. Juli 2006. Ein weiterer Tatverdächtiger wurde am 18. Dezember 2007 in Beirut (Libanon) zu zwölf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im europäischen Ausland (u.a. in Dänemark, Großbritannien, Entwicklungen Österreich und Spanien) wurden ebenfalls islamistisch-terrorisin Europa tische Strukturen aufgedeckt. Hervorzuheben sind hierbei die fehlgeschlagenen Anschläge in London und Glasgow am 29. und 30. Juni 2007. 187 Am 29. Juni 2007 konnten in London in der Nähe eines Nachtclubs zwei Sprengund Brandvorrichtungen in abgestellten Kraftfahrzeugen entschärft werden. Am 30. Juni 2007 fuhr ein mit zwei Attentätern besetzter Geländewagen in den Eingangsbereich der Abflughalle des Flughafens Glasgow und ging dabei in Flammen auf. Im Zuge der Ermittlungen wurden insgesamt sieben Personen festgenommen. Einer der beiden Attentäter erlag später seinen bei dem Anschlag erlittenen Verletzungen. Der britischen Polizei zufolge steht der Anschlag in Verbindung mit den tags zuvor in London entschärften Bomben. Verurteilungen Am 31. Oktober 2007 wurden die Urteile im Verfahren gegen die wegen der Beschuldigten der Terroranschläge vom 11. März 2004 in Madrid Terroranschläge verkündet. Bei den Anschlägen auf Pendlerzüge waren 191 Menvom 11. März 2004 schen getötet und über 1.800 verletzt worden. in Madrid Drei der Angeklagten wurden zu Haftstrafen von jeweils über 30.000 Jahren, 18 weitere Angeklagte zu Haftstrafen zwischen drei und 23 Jahren verurteilt. Sieben der insgesamt 28 Angeklagten wurden freigesprochen. Terroranschläge Die "Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC) islamistischer - seit Januar 2007 "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM; Terroristen vgl. Nr. 3.1) - erweiterte mit ihrem Anschluss an die "al-Qaida" weltweit auch ihr Zielspektrum und die Vorgehensweise. Am 11. April 2007 detonierten vor dem Regierungssitz und vor einem Polizeigebäude in Algier fast zeitgleich drei Sprengsätze. Dabei kamen 23 Menschen ums Leben, 162 wurden verletzt. Die AQM übernahm in einer im Internet veröffentlichten Erklärung die Verantwortung für die Anschläge. Bei einem Attentat auf den algerischen Staatspräsidenten Butafliqa am 6. September 2007 starben 22 Menschen; der Präsident blieb unverletzt. Am 9. September 2007 wurden bei einem Selbstmordanschlag auf eine Kaserne 31 Soldaten getötet. Bei Anschlägen auf ein Gebäude der Vereinten Nationen (UN) und den Obersten Gerichtshof in Algier am 11. Dezember 2007 wurden mindestens 31 Menschen getötet und weit über 100 verletzt. In einer im Internet verbreiteten Erklärung übernahm die AQM die Verantwor188 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE tung für die Anschläge und bezeichnete die UN als "Zentrale des Lagers der internationalen Ungläubigen". Bei einem Überfall auf französische Touristen wurden am 24. Dezember 2007 in Alag (Mauretanien) vier Menschen getötet; am 27. Dezember 2007 starben drei mauretanische Soldaten bei einem Attentat in al-Ghallawiya (Mauretanien). Auch 2007 blieb der Irak Kristallisationspunkt des internationaLage im Irak len "Jihad". Die dortige Situation hat für Islamisten und "Jihadisten" weltweit eine erhebliche radikalisierende und mobilisierende Wirkung. Nach deren Ansicht werde im Irak der Islam durch vermeintliche Eroberungsansprüche der "westlichen Kreuzzügler unter Führung der USA" unmittelbar bedroht und müsse verteidigt werden. Daher erfahren die dort aktiven sunnitisch-terroristischen Gruppierungen nach wie vor große Unterstützung durch Freiwillige, Geld und Logistik, insbesondere aus den arabischen Anrainerstaaten. Beispielhaften Einblick in das Ausmaß des Zustroms Freiwilliger für den "Jihad" im Irak geben im September 2007 sichergestellte elektronische Datenträger. Die Sicherstellung erfolgte im Rahmen der Zerschlagung eines bedeutenden logistischen Schleusernetzwerkes in der Nähe von Sinjar an der irakisch-syrischen Grenze, das von einem hochrangigen Feldkommandeur der "al-Qaida im Irak" geleitet wurde. Die Datenträger enthalten Angaben und Lebensläufe zu mehreren Hundert Personen aus über 20 Staaten (darunter Einzelne auch aus Deutschland), die als Freiwillige im Zeitraum August 2006 bis August 2007 in den Irak eingereist waren. Viele der Lebensläufe enden mit der Bitte, als "Märtyrer" ("Shahid") im Rahmen einer Selbstmordoperation den Tod finden zu dürfen. Aufgrund der anhaltenden internationalen Unterstützung für den "Jihad" im Irak blieb die Zahl der dort verübten Terroranschläge auf einem hohen Niveau. Die Anschläge galten hauptsächlich den Koalitionsstreitkräften (Truppen der USA und ihrer Verbündeten, u.a. Großbritanniens) sowie Institutionen des irakischen Staates. Auch die konfessionell begründeten 189 Auseinandersetzungen, bestimmt durch Anschläge sunnitischterroristischer Gruppierungen sowie durch gewaltsame Gegenreaktionen schiitischer Milizen, hielten an. Zunehmende Die nur vordergründig bestehende Einheit des aus unterschiedSpannungen lichsten Elementen zusammengesetzten sunnitisch-terroristiinnerhalb des schen "Widerstands" im Irak zeigte im Verlauf des Jahres deutlisunnitischche Risse. Die Spannungen zwischen den Gruppierungen nahterroristischen men beträchtlich zu und führten zu einer weitgehenden Zer"Widerstands" splitterung in verschiedene miteinander konkurrierende Lager. Eine Entspannung der Sicherheitslage im Irak bedeutet dies jedoch nicht, da die Gruppierungen an ihren mit Gewalt verfolgten Zielen - Vertreibung der Koalitionstruppen aus dem Irak und Beseitigung des bestehenden irakischen Staates - unvermindert festhalten. Bündnispolitik der Für die zunehmenden Spannungen innerhalb des sunnitisch"al-Qaida im Irak" terroristischen "Widerstands" im Irak ist insbesondere die Organisation "al-Qaida im Irak" ("Tanzim Qai'dat al-Jihad fi Bilad ar-Rafidain" - TQJ) des am 7. Juni 2006 bei einem gezielten Luftangriff der US-amerikanischen Streitkräfte getöteten Jordaniers Ahmad Fadil Nazal al-Khalaila alias Abu Mus'ab az-Zarqawi verantwortlich. Az-Zarqawi hatte im Januar 2006 den "Mujahidin-Rat im Irak" ("Majlis Shura al-Mujahidin fil-Iraq") gegründet, in dem sich Logo "TQJ" unter der Führung der "al-Qaida im Irak" alle Gruppen des sunnitischen "Widerstands" vereinen sollten. Neben der "al-Qaida im Irak" schlossen sich dem "Mujahidin-Rat im Irak" sieben weitere Gruppierungen an. Im Oktober 2006 gründete der Nachfolger az-Zarqawis, der Ägypter Ayyub al-Masri alias Abu Hamza alMuhajir, eine weitere Dachorganisation, die sich "Hilf al-Mutayyabin" nannte. In dieser Organisation schlossen sich die bisherigen Gruppierungen des "Mujahidin-Rates" mit weiteren, bislang unabhängigen "jihadistischen" Splittergruppen sowie einzelnen sunnitischen Stammesverbänden zusammen. Kurz darauf rief die "Hilf al-Mutayyabin" den "Islamischen Staat im Irak" aus und ging organisatorisch in diesem auf. Als Emir dieses (virtuellen) islamistischen Emirats fungiert eine öffentlich bislang lediglich durch Audiobotschaften in Erscheinung getretene PerLogo "Islamischer Staat im son namens Abu Umar al-Baghdadi. Die entscheidenden VorgaIrak" ben gehen jedoch anscheinend weiterhin von dem zum "Kriegs190 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE minister" ernannten al-Masri und der von ihm geführten "al-Qaida im Irak" aus. Sämtliche Verlautbarungen der "al-Qaida im Irak" erfolgen unter der Bezeichnung "Islamischer Staat im Irak". Mit der Ausrufung des "Islamischen Staates im Irak" verband die von der "al-Qaida im Irak" initiierte "Hilf al-Mutayyabin" einen Hegemonieanspruch gegenüber den übrigen Strukturen des sunnitisch-irakischen "Widerstands". Diese waren aufgefordert, sich unter dessen "Hoheitsmacht" zu stellen. Hierdurch brachte die "al-Qaida im Irak" vor allem die nationalistischen und national-islamistischen Gruppierungen des sunnitischen "Widerstands" gegen sich auf. Spätestens seit dem Frühjahr 2007 distanzierten sich diese zunehmend vom "Islamischen Staat im Irak" und gingen teilweise zu gewaltsamer Opposition über. Die Spannungen innerhalb des sunnitisch-terroristischen "Widerstands" im Irak drohen die seit längerem nur notdürftig zusammengehaltene "Einheit des Jihads" endgültig zu sprengen. Vor diesem Hintergrund nahmen im Verlauf des Jahres Appelle aus der internationalen "Jihadistenszene", sich nicht spalten zu lassen, zu. Im Irak erprobte "Terrortechniken" wurden auch an anderen "Jihad" - Schauplätzen übernommen und verändern dort die Gefährdungslage in erheblichem Umfang. Ein Beispiel hierfür ist die Zunahme von Selbstmordanschlägen in Afghanistan im Jahr 2007, die für den dort geführten "Jihad" bislang nicht charakteristisch gewesen sind - dies allerdings in einem Umfang, der unterhalb der entsprechenden Anschlagszahlen im Irak liegt. Afghanistan wird vermehrt zum Schauplatz islamistisch motiLage in Afghanistan vierter Terroranschläge und so neben dem Irak zum zweiten Kristallisationspunkt des internationalen "Jihad". Bei zahlreichen Anschlägen auf die in Afghanistan stationierte International Security Assistance Force (ISAF) wurden auch deutsche Soldaten und Zivilisten verletzt bzw. getötet. Im Mai 2007 wurden deutsche Soldaten Opfer eines Selbstmordanschlags, als sich ein Attentäter in unmittelbarer Nähe einer deutschen 191 Patrouille in Kunduz in die Luft sprengte. Dabei wurden drei Soldaten getötet und fünf weitere zum Teil schwer verletzt. Anti-Terrorkampf Die Sicherheitslage in Saudi-Arabien ist unverändert von droin Saudi-Arabien henden Anschlägen gegen dortige staatliche und westliche Ziele geprägt. Die saudischen Sicherheitsbehörden üben weiterhin einen hohen Fahndungsdruck auf die Zellen der "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" aus. Im April 2007 wurden 172 mutmaßliche Extremisten festgenommen. Ihnen wird vorgeworfen, Anschläge auf Raffinerien geplant zu haben. Einige der Festgenommenen sollen ein Pilotentraining absolviert haben, um Selbstmordanschläge auf Ölanlagen durchführen zu können. Lage im Libanon Zwischen Mai und September 2007 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen der islamistisch-terroristischen Organisation "Fatah al-Islam" (FaI) und der libanesischen Armee im palästinensischen Flüchtlingslager "Nahr al-Barid". Dabei wurden zahlreiche Kämpfer sowie Führungspersonen der FaI getötet bzw. inhaftiert. Unter den Inhaftierten finden sich auch Personen aus Deutschland. Die Organisationsstruktur der FaI wurde weitgehend zerschlagen. Komplexität des Das islamistisch-terroristische Spektrum in Deutschland reicht islamistischvon Gruppierungen, die enge Beziehungen zu islamistischen Orterroristischen ganisationen im Ausland haben, bis hin zu unabhängigen Spektrums Kleinstgruppen oder selbstmotivierten Einzeltätern. in Deutschland "Homegrown"Von besonderer Bedeutung sind Strukturen oder StrukturanNetzwerke sätze, die sich aus radikalisierten Personen der zweiten und dritten Einwanderergeneration sowie radikalisierten Konvertiten zusammensetzen. Diese "Homegrown"-Strukturen stellen - das zeigen die Anschläge am 7. Juli 2005 in London und möglicherweise auch die Festnahmen in Deutschland am 4. September 2007 - die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen. Obwohl die Personen, die zu diesem Täterspektrum gehören, zumeist in europäischen Ländern geboren und/oder aufgewachsen sind, stehen sie aufgrund religiöser, gesellschaftlicher, kultureller oder psychologischer Faktoren dem hiesigen Wertesystem ablehnend gegenüber. Die Radikalisierung in Europa ist 192 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE ein wesentlicher Indikator von "Homegrown"-Terroristen. Gemeinsames Kennzeichen dieses Personenkreises ist, dass er von der pan-islamischen "al-Qaida"-Ideologie beeinflusst wird, eine Verbindung zu internationalen Terroristengruppen jedoch häufig allenfalls indirekt besteht. Auch in Deutschland versuchen gewaltbereite Islamisten, neue Rekrutierung Anhänger zu rekrutieren, d.h. für islamistisch motivierte Gegewaltbereiter walttaten zu gewinnen. Radikalisierungsprozesse gehen zwar Islamisten einer möglichen Rekrutierung voraus, führen aber nicht notwendigerweise bis hin zu terroristischen Aktivitäten. Einen allgemeingültigen Radikalisierungsund Rekrutierungsverlauf gibt es nicht. Art und Gewichtung radikalisierungsfördernder Faktoren (z.B. soziale Situation, kulturelle Herkunft und Persönlichkeitsstruktur) unterscheiden sich zum Teil erheblich. Als eines der Motive für eine fortschreitende Radikalisierung kann jedoch die propagierte islamistische Interpretation der Ursachen für internationale Krisenherde mit (vermeintlichem) Islam-Bezug angesehen werden. Diese Konflikte werden als Orte des "Kampfes der Muslime gegen Juden und Kreuzritter" wahrgenommen und der Eindruck vermittelt, hinter all dem stehe eine "christlich-jüdische Weltverschwörung". In Anbetracht der aktuellen Entwicklungen - etwa im Irak oder in Afghanistan - ist eine Abschwächung dieses motivationsstiftenden Faktors nicht zu erwarten. 2. "Al-Qaida" ("Die Basis") Gründung: Mitte der 1980er Jahre Leitung: Usama Bin Ladin Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die von Usama Bin Ladin gegründete "al-Qaida" ist aufgrund ihrer propagandistischen Aktivitäten heute eher als "virtuelle" 193 Organisation wahrnehmbar, die Impulse für die jeweils Agierenden setzt, und weniger als hierarchisch aufgebaute Gruppierung. Eine zentral ausgerichtete Führung durch die von Bin Ladin und seinen Stellvertreter Aiman az-Zawahiri verkörperte Kern-"al-Qaida" ist aufgrund der anhaltenden Fluchtbewegungen von Bin Ladin und az-Zawahiri im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet erheblich erschwert. Beide wirken jedoch durch ihre zahlreichen Audiound Videoverlautbarungen als Ideenund Inspirationsgeber mit ideologischem Führungsanspruch (vgl. Nr. 4). Die "al-Qaida" verfügt daher über ein schwer einschätzbares Potenzial von Anhängern, die sich der Ideologie des gewaltsamen globalen "Jihads" verschrieben haben. Neue VerlautAnfang September 2007 wurde erstmals seit Juli 2006 wieder barungen von eine mit älteren Bildern unterlegte Audiobotschaft Bin Ladins Usama Bin Ladin veröffentlicht. In seiner knapp halbstündigen Rede wandte sich Bin Ladin insbesondere an das amerikanische Volk, dem er den Übertritt zum Islam empfahl. Mit Argumenten, die an die Globalisierungskritik erinnern, rief er zur "Überwindung des Kapitalismus" auf. Bin Ladin betonte, es sei die Pflicht der Muslime, ihren Kampf zu verstärken, sollte "der Westen" seine Aggression gegenüber der islamischen Welt nicht einstellen. In einer am 20. September 2007 veröffentlichten Audiobotschaft ging Bin Ladin auf die Lage in Pakistan ein und rief zum Sturz von Präsident Musharraf auf, da dieser die USA unterstütze und sich damit gegen den Islam stelle. Am 23. Oktober 2007 meldete sich Bin Ladin in einer Audiobotschaft noch einmal zu Wort. Darin rief er die kämpfenden "Mujahidin"-Gruppen im Irak dazu auf, ihre Streitigkeiten einzustellen und sich zu vereinigen. Mit einer weiteren Audiobotschaft, versehen mit einem Standbild von Bin Ladin und u.a. deutschen Untertiteln, versuchte er Ende November 2007 die öffentliche Meinung in Europa bezüglich der militärischen Einsätze in Afghanistan zu beeinflussen. Diese seien weder gerechtfertigt noch erfolgversprechend und müssten daher beendet werden. Deutschland wurde - im Ge194 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE gensatz zu anderen europäischen Staaten und Politikern - nicht ausdrücklich in der Botschaft genannt. Am 29. Dezember 2007 wurde eine weitere Audiobotschaft von Bin Ladin veröffentlicht, in der er die "Mujahidin"-Gruppen im Irak erneut dazu aufrief, sich zu einigen und sich unter dem Dach des "Islamischen Staates im Irak" zusammenzuschließen (vgl. Nr. 1). Zudem appellierte er an die "Mujahidin", bei Anschlägen Todesopfer unter Muslimen zu vermeiden. Gleichwohl dürfe der "Jihad" dadurch nicht eingeschränkt werden. Die Bekämpfung des internationalen islamistischen Terrorismus und die damit einhergehenden zahlreichen Fahndungserfolge seit dem 11. September 2001 haben die "al-Qaida" stetig unter Druck gesetzt. Zugleich entfiel mit dem Sturz der "Taleban" auch ihr zentraler Planungsund Ausbildungsstützpunkt in Afghanistan. Die sich seit 2006 verschlechternde Sicherheitslage in Afghanistan und den Nordwestprovinzen Pakistans sowie das lokal zu beobachtende Wiedererstarken der "Taleban" eröffnen jedoch neue Spielräume für die operative Handlungsfähigkeit der "al-Qaida". Ein Anzeichen hierfür ist die Zunahme von Ausbildungseinrichtungen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und die damit in Zusammenhang stehende Rekrutierung von "Jihadisten" aus aller Welt, auch aus Europa und Deutschland. Ende Mai 2007 wurde der Ägypter Mustafa Ahmad Abu al-Yazid in einem Interview der "al-Qaida" nahestehenden Medienproduktionsgesellschaft "as-Sahab" als Verantwortlicher der "al-Qaida in Afghanistan" vorgestellt. Al-Yazid rief die Muslime auf, die "Taleban" zu unterstützen, und wies zugleich auf die Bedeutung arabischer Kämpfer für den "Jihad" in Afghanistan hin. Auch wenn al-Yazid im Wesentlichen nur propagandistisch tätig zu sein scheint, unterstreicht seine Funktion das Interesse "al-Qaidas", die "Taleban" in ihrem Kampf gegen die internationale Staatengemeinschaft zu unterstützen und den "Jihad" in Afghanistan zu verstärken. Trotz zahlreicher Fahndungserfolge in der Vergangenheit, Festnahmen und in deren Rahmen viele strategisch wichtige Personen der Verurteilungen "al-Qaida" und ihrer Verbündeten verhaftet oder bei NATOEinsätzen getötet wurden (darunter im Mai 2007 der "Taleban"-Führer und "al-Qaida"-Sympathisant Mullah Dadullah in 195 Afghanistan), kann nicht von einer Zerschlagung des globalen Netzwerkes ausgegangen werden. Am 5. Dezember 2007 verurteilte das OLG Düsseldorf drei Angeklagte in einem Prozess mit "al-Qaida"-Bezug zu Freiheitsstrafen zwischen dreieinhalb und sieben Jahren. Die Angeklagten wurden der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland bzw. deren Unterstützung sowie des versuchten bandenmäßigen Betruges in 28 Fällen für schuldig befunden. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten durch einen groß angelegten Betrug versucht hatten, ca. 4,3 Millionen Euro aus Lebensversicherungen für "al-Qaida" zu beschaffen. Dafür sollte verschiedenen Versicherungsunternehmen der tödliche Verkehrsunfall eines der Angeklagten vorgetäuscht werden. Der Hauptangeklagte habe darüber hinaus im Auftrag von "alQaida" Selbstmordattentäter für Anschläge in Europa rekrutiert. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Am 24. Januar 2008 verurteilte das OLG Schleswig einen DeutschMarokkaner zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte in sechs Fällen eine ausländische terroristische Vereinigung unterstützt und in einem Fall eine solche gegründet hatte. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 3. Regionale "Mujahidin"-Gruppierungen "Mujahidin", die in regionalen islamistischen Organisationen und Gruppierungen im Ausland vertreten sind, verstehen sich in der Regel primär als Angehörige dieser Organisationen, haben aber häufig Ausbildungen in Afghanistan oder Pakistan absolviert und sind damit gleichzeitig in das Netzwerk der "Mujahidin" eingebunden. Sie stellen Schnittstellen zwischen diesem Netzwerk und den jeweiligen Organisationen dar und können aufgrund ihrer Kontakte zum Beispiel anderen Mitgliedern einen Aufenthalt in Ausbildungslagern vermitteln. 196 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3.1 "Al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) bzw. "Salafiya-Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) Gründung: Ende der 1990er Jahre in Algerien Leitung: Abdalmalik Darduqal alias Abu Mus'ab Abdalwadud Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die GSPC hat sich Ende der 1990er Jahre von der algerischen "Bewaffneten Islamischen Gruppe" ("Groupe Islamique Arme" - GIA) abgespalten. Sie war im Jahr 2003 u.a. für die Entführung von 32 Touristen, darunter 16 Deutsche, im Süden Algeriens verantwortlich. Nachdem sich die GSPC bereits seit längerem um (ideologische) Annäherung an die "al-Qaida" bemüht hatte, wurde am 11. September 2006 der Beitritt der GSPC zur "al-Qaida" offiziell bekannt gegeben. Az-Zawahiri verkündete den Beitritt als "frohe Botschaft" für die "islamische Gemeinschaft", insbesondere für die "Mujahidin". Die GSPC bestätigte den Beitritt auf ihrer Internetseite. Nach ihrer Ansicht sei "al-Qaida" die einzige Organisation, um die "Mujahidin" zu vereinen und die islamische "Umma" (Gemeinschaft der gläubigen Muslime) zu repräsentieren. Seit Januar 2007 nennt sich die Gruppe "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM). Seit der Umbenennung hat sich der Modus Operandi bei der Durchführung von Anschlägen dem der "al-Qaida" angenähert. So setzte die AQM bei Anschlägen am 11. April 2007 in Algier und Casablanca erstmals Selbstmordattentäter ein. Die Anschläge richten sich nunmehr verstärkt gegen westliche Ausländer, die sich in Algerien aufhalten. Ihren Aktionsradius hat die AQM auf die Nachbarstaaten Algeriens ausgedehnt und dabei insbesondere in Mauretanien vermehrt Anschläge verübt (vgl. Nr. 1). 197 "Charta für Frieden Im Jahr 2006 trat in Algerien die Durchführungsverordnung zur und nationale "Charta für Frieden und nationale Aussöhnung" in Kraft, die eine Aussöhnung" Amnestie für insgesamt 2.600 wegen Unterstützung oder Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung inhaftierte Personen enthielt. Im Untergrund in Algerien lebende Islamisten, die zumeist der GSPC zugerechnet werden, sollten zudem mit einem Straferlass rechnen können, sofern sie sich innerhalb einer Frist von sechs Monaten den Behörden stellen würden. Das Angebot wurde nach offiziellen Angaben von etwa 300 Personen wahrgenommen. Die Bestimmungen scheinen auch nach Ablauf der Frist weiterhin angewandt zu werden. Ziel der Amnestie ist es, die jahrelangen gewaltsamen, inneralgerischen Auseinandersetzungen zwischen Staat und islamistischen Gruppierungen zu beenden und das Land zu befrieden. 3.2 "Ansar al-Islam" - AAI ("Anhänger des Islam")/ "Ansar as-Sunna" - AAS ("Anhänger der Prophetenüberlieferung")/"Jama'at Ansar as-Sunna" ("Ansar as-Sunna-Gruppe") Gründung: AAI im Dezember 2001 im Nordirak als Nachfolgerin der "Jund al-Islam" ("Armee des Islam") umbenannt: im September 2003 in AAS, im Sommer 2006 in "Ansar as-Sunna-Gruppe", Ende November 2007 wieder in AAI Leitung: Abu Abdallah ash-Shafi'i alias Abu Abdallah al-Hasan Bin Mahmud Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die im Irak als Teil des sunnitisch-terroristischen "Widerstands" agierende "Ansar al-Islam" ist aus einem Zusammenschluss verschiedener salafistisch-"jihadistisch" orientierter kurdischer Splittergruppen entstanden. Sie verfolgt das Ziel der Errichtung eines eigenen islamischen Nationalstaates im kurdischen Teil des 198 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Irak. Hierzu bedient sie sich terroristischer Mittel, darunter auch Selbstmordanschläge. Nach Beginn der gegen das Regime von Saddam Husain gerichteten militärischen Intervention der USA und ihrer Verbündeten am 20. März 2003 wurden die logistischen Basen der AAI im Nordirak weitgehend zerstört und viele ihrer Kämpfer getötet. Im September 2003 reihte sich die reorganisierte Gruppierung unter der neuen Bezeichnung "Ansar as-Sunna" (AAS) in den sunnitisch-terroristischen "Widerstand" ein. Fernziel der heutigen "Ansar al-Islam" (im Folgenden: AAI/AAS) ist unverändert die Errichtung eines islamischen Nationalstaats im Nordirak. Nahziele sind neben der Bekämpfung säkularer kurdischer Gruppierungen vor allem die Verdrängung der Koalitionsstreitkräfte aus dem Irak sowie die gewaltsame Beseitigung des bestehenden irakischen Staates. In der jüngeren Vergangenheit rückte die Auseinandersetzung mit schiitischen Milizen stärker in den Vordergrund. Die AAI/AAS vertritt wie die "al-Qaida im Irak" eine salafistischVerhältnis zur "jihadistische" Grundströmung. Innerhalb des "jihadistischen "al-Qaida im Irak" Widerstands" im Irak erhebt die AAI/AAS einen Führungsanspruch, mit dessen Durchsetzung sie vor allem an der "al-Qaida im Irak" scheiterte. Zusätzliche Distanz zur "al-Qaida im Irak" schafft die von der AAI/AAS angestrebte Bewahrung der eigenen kurdischen Identität sowie die Abgrenzung von der primären Zielsetzung der "al-Qaida im Irak", einen konfessionellen Bürgerkrieg im Irak zu entfachen. Die AAI/AAS wird mit dem Hegemonieanspruch der "al-Qaida im Irak" bzw. dem durch diese ausgerufenen "Islamischen Staat im Irak" konfrontiert (vgl. Nr. 1). Sie konnte bislang jedoch eine unabhängige Position bewahren, so dass sie einem Großteil ihrer Anhänger in Deutschland weiterhin Orientierung und ein ideologisches Leitbild bietet. Die - nahezu ausschließlich kurdischstämmigen - Anhänger der Anhänger der AAI/AAS in Deutschland bilden keinen eigenständigen organiAAI/AAS satorischen Zusammenschluss mit autonomer politischer Zielin Deutschland setzung. Sie orientieren sich primär an den Vorgaben der terroristischen Kerngruppe im Irak. 199 Der regionale Schwerpunkt der AAI/AAS-Anhänger in Deutschland liegt vor allem im süddeutschen Raum sowie in NordrheinWestfalen. Daneben gibt es - nahezu über das gesamte Bundesgebiet verteilt - eine Vielzahl von Einzelpersonen. Neben offener oder verborgener Agitation unterstützen die AAI/AAS-Anhänger in Deutschland die Kerngruppe im Irak vor allem durch die Beschaffung von Geldmitteln und deren Transfer in den Irak. Die aus Deutschland übermittelten Gelder dienen nicht nur der finanziellen Hilfeleistung. Ihnen kommt auch eine symbolische Bedeutung zu, in der sich die anhaltende Anbindung an die Kerngruppe und die Identifikation mit ihren Zielen verdeutlicht. Strafverfahren Die gewaltsamen Aktivitäten der AAI/AAS blieben bislang auf gegen Anhänger den Irak beschränkt. Dennoch ist eine Bedrohung der inneren der AAI/AAS Sicherheit durch in Deutschland lebende oder aus dem Irak zuin Deutschland rückgekehrte AAI/AAS-Anhänger gegeben. Dies zeigen mutmaßliche Anschlagsplanungen im Zusammenhang mit dem Staatsbesuch des damaligen irakischen Ministerpräsidenten Allawi am 2./3. Dezember 2004 in Berlin. Gegen drei mutmaßliche AAI/AAS-Anhänger aus Berlin, Stuttgart und Augsburg wurde im November 2005 Anklage erhoben, u.a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Das Hauptverfahren vor dem OLG Stuttgart wurde im Juni 2006 eröffnet und dauert noch an. Bereits im Dezember 2003 war den deutschen Sicherheitsbehörden mit der Festnahme eines der bis dahin führenden Logistiker und Schleuser der Organisation in Deutschland ein empfindlicher Schlag gegen das hiesige Anhängerund Unterstützernetz der AAI/AAS gelungen. In dem nachfolgenden Strafverfahren fand der nach dem 11. September 2001 neu geschaffene SS 129 b Strafgesetzbuch (Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland) erstmalig Anwendung. Am 25. Juni bzw. am 9. Juli 2007 verurteilte das OLG München zwei weitere Führungspersonen der süddeutschen AAI/AAS-Anhängerszene u.a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu drei Jahren und drei Monaten bzw. fünf Jahren und sechs Monaten Freiheitsstrafe. Das Gericht wies ihnen nach, die AAI/AAS im Irak u.a. durch Geldspenden unterstützt zu haben; die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. 200 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Das OLG Stuttgart verurteilte am 26. September 2007 einen AAI/AAS-Anhänger zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, ebenfalls wegen finanzieller Unterstützung der Organisation. 3.3 "Islamische Jihad Union" (IJU) Gründung: 2002 Leitung: Nazhmiddin Zhalolov Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Bei der IJU handelt es sich um eine 2002 erstmals in Erscheinung getretene Abspaltung der "Islamischen Bewegung Usbekistans" (IBU). Wie diese beabsichtigt die IJU in erster Linie die Errichtung eines islamischen Staates in Usbekistan. Ihre Gründungsmitglieder hatten bereits in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre die usbekische Regierung bekämpft, waren aber durch deren Gegenmaßnahmen aus dem Land gedrängt worden. Eine neue Basis fand die Organisation in Afghanistan, wo sie sich mit den "Taleban" verbündete und an deren Kampf gegen die westlichen Staaten beteiligte. Dies ermöglichte es der IJU, Ausbildungslager zu unterhalten sowie neue Kämpfer in Afghanistan und den angrenzenden Provinzen Pakistans anzuwerben. Am 30. Juli 2004 ging die IJU mit Selbstmordanschlägen gegen die israelische und die US-amerikanische Botschaft in der usbekischen Hauptstadt Taschkent erstmals gegen westliche Einrichtungen vor. Die IJU bezeichnete in einem Schreiben, das am 11. September 2007 auf einer ihr nahestehenden Internetseite veröffentlicht wurde, die am 4. September 2007 in Deutschland unter dem Verdacht, terroristische Anschläge geplant zu haben, festgenommenen Personen (vgl. Nr. 1) als "unsere Brüder" und gab an, sie beabsichtige weitere Angriffe auf Einrichtungen der USA und ihrer Verbündeten. 201 4. Nutzung des Internets Das Internet ist das wichtigste Kommunikationsund Propagandamedium für Islamisten und islamistische Terroristen. Über das Internet kann eine weltweite Öffentlichkeit mit vergleichsweise geringem Aufwand erreicht werden. Es ermöglicht die Bildung virtueller Netzwerke von "Jihadisten" und deren Sympathisanten, die über Diskussionsforen, Chats etc. Kontakte zu Gleichgesinnten aufnehmen und sich offen oder in geschlossenen Zirkeln miteinander austauschen. Abgeschottete Chaträume, verschlüsselte E-Mails und Internettelefonie können zum Austausch sensibler Informationen und damit auch zur Planung von Anschlägen genutzt werden. Das Internet ermöglicht nicht nur die Radikalisierung durch virtuelle Indoktrination in Form vielfältiger Propaganda, sondern bietet auch Gelegenheit, beispielsweise über Chat-Foren erste Kontakte zum Zwecke der Rekrutierung zu knüpfen. Auch die ideologische und militärische Schulung kann anonym über das Internet erfolgen. Die rasante technische Entwicklung in diesem Bereich, insbesondere hinsichtlich der Möglichkeiten der Verschlüsselung, stellt die Sicherheitsbehörden vor besondere Herausforderungen. Verbreitung von Die Zahl islamistischer und islamististisch-terroristischer InterPropaganda netseiten geht in die Tausende; eine Quantifizierung wird zunehmend schwieriger. Islamisten nutzen darüber hinaus interaktive, auch nicht-islamistische Internetdienste wie Diskussionsforen, Videoplattformen oder Kontaktnetzwerke zur Verbreitung ihrer Propaganda. Dort finden sich sowohl Veröffentlichungen islamistischer Gruppierungen und ihrer Anführer als auch eine immer größer werdende Menge an Propaganda, die von Sympathisanten produziert wird. Zur Steigerung islamistischer Propaganda im Internet trägt auch das Phänomen der Weblogs bei, die auch von Islamisten rege genutzt werden. Dabei handelt es sich um Internetpräsenzen, die kostenfrei, anonym und ohne besonderes technisches Wissen eingerichtet werden können. Die massenhafte Verbreitung von Videomaterial wird durch das Angebot von kostenlosem und anonym nutzbaren Speicherplatz kommerzieller Anbieter begünstigt. Videodateien werden dort 202 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE zum Teil auf zahlreichen unterschiedlichen Speicherplätzen zum Download bereitgehalten. Wichtigste Sprache für islamistische Propaganda im Internet ist nach wie vor Arabisch. Allerdings gibt es auch Internetauftritte in anderen Sprachen, wie z.B. Türkisch, Pashtu, Urdu oder Russisch. Immer größere Bedeutung gewinnen Englisch, Französisch und Deutsch, um gezielt Muslime in der westlichen Welt anzusprechen. Auch im Jahr 2007 gab es wieder eine Vielzahl von "jihadistischen" Filmproduktionen sowie von Audiound Videobotschaften der Anführer "jihadistischer" Gruppierungen (vgl. Kap. II, Nr. 2). Bedeutsam sind die Veröffentlichungen der Medienproduktionsgruppe "as-Sahab", die für die Herstellung von Videobotschaften der Kern-"al-Qaida" zuständig ist. Bildund Tonqualität haben sich erheblich verbessert. Die Beiträge von "asSahab" orientieren sich in der Art und Weise, wie Inhalte präsentiert werden, stark am Vorbild des Fernsehens, insbesondere der internationalen Satellitensender. Auch wenn "Jihadisten" die etablierten Medien für ihre Art der Berichterstattung kritisieren, ist der Anspruch zu erkennen, ihnen auf Augenhöhe und mit gleichen Mitteln zu begegnen. Ein Beispiel hierfür ist der im August 2007 veröffentlichte Film über einen Selbstmordanschlag in Karatschi (Pakistan) im März 2006. Darin soll "der Westen" als ein Feind erscheinen, der die Muslime demütige und dem nur mit Gewalt begegnet werden könne. Der Film zeigt Passagen aus Ansprachen von "al-Qaida"Angehörigen, die vorgebliche politische und religiöse Rechtfertigungen für den Anschlag liefern. Diese Sequenzen stehen im Wechsel mit Bildern des mutmaßlichen Selbstmordattentäters, der aus seinem Leben berichtet und bei der Vorbereitung des Anschlags gezeigt wird. Reportageartige Berichte aus anderen Teilen der islamischen Welt sorgen dafür, dass die Tat über ihre regionale Bedeutung hinaus in den Zusammenhang des globalen "Jihad" gestellt wird. Ein wichtiges Element in dem Film ist die Glorifizierung des Märtyrertums. Der Selbstmordattentäter wird zu einem Helden stilisiert, mit dem sich junge Männer identifizieren sollen. 203 Die virtuelle Seit geraumer Zeit entwickelt sich das Bild eines am gemeinsaGemeinschaft des men Ziel des globalen "Jihad" orientierten, aber dennoch globalen "Jihad" heterogenen Netzwerks einzelner Terrorgruppen, die ihre Aktivitäten in den Dienst von "al-Qaida" stellen oder sich ideologisch an "al-Qaida" orientieren. Diese Struktur wird durch das Internet unterstützt: Über das Internet kann "jihadistische" Propaganda, der eine zentrale Rolle für die ideologische Homogenisierung der Bewegung zukommt, schnell und effizient verbreitet werden. Ideologische und strategische "Fehlentwicklungen" sollen durch Verlautbarungen von Führungspersonen, die innerhalb der Bewegung über eine entsprechende Reputation verfügen, korrigiert werden. Die über das Internet verbreitete Propaganda sorgt dafür, dass sich Aktivisten und Sympathisanten des globalen "Jihad" als Teil einer einzigen, in sich geschlossenen Bewegung begreifen können, auch wenn Lebenswelten und Handlungsmotive der Beteiligten höchst verschieden sein mögen. Die einschlägigen Diskussionsforen im Internet fungieren als zentrale Marktplätze, wo sich Teilnehmer aus verschiedenen Teilen der Welt treffen und sich gegenseitig ihres gemeinsamen Zieles - des globalen "Jihad" - versichern. Wenngleich Gruppierungen und Einzelpersonen in verschiedenen Teilen der Welt das Propagandamaterial produzieren, erfolgt die Verbreitung doch zentral über einige wenige Internetseiten, vor allem über "jihadistische" Diskussionsforen, die das Material regelmäßig als Erste veröffentlichen. Dies vereinfacht nicht nur das Auffinden der Propaganda, es gewährleistet auch deren Authentizität: Als echt können nur diejenigen Publikationen betrachtet werden, die in bestimmten Foren durch Personen eingestellt werden, die in der islamistischen Szene bekannt sind. Das Propagandamaterial wird anschließend auf eine Vielzahl von Internetseiten kopiert, übersetzt, kommentiert und in neuer Form aufbereitet. Die Tatsache, welche Gruppierungen in diesen Foren veröffentlichen dürfen, entscheidet auch darüber, wer als Teil der globalen "Jihad"-Bewegung wahrgenommen wird. Ein Beispiel dafür ist das Zerwürfnis zwischen der "al-Qaida"-nahen Gruppierung "Islamischer Staat im Irak" und der ebenfalls im Irak aktiven sunnitischen "Widerstandsgruppierung" "Islamische Armee im Irak". Als Folge dieser Differenzen stoppten die einschlägigen Internetforen im Frühjahr 2007 die Veröffentlichung von Verlaut204 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE barungen der "Islamischen Armee im Irak" und mit ihr verbündeter Gruppen. Ein besonderes Phänomen innerhalb der "jihadistischen" Szene "Globale Islamische sind Gruppierungen, die ausschließlich im Internet aktiv sind. Medienfront" Die wichtigste und aktivste Gruppe dieser Art ist die "Globale Is(GIMF) lamische Medienfront" (GIMF). Es handelt sich um einen virtuellen Zusammenschluss von Internetaktivisten, deren Ziel es ist, im Internet für den globalen "Jihad" zu werben. Die GIMF publiziert u.a. Texte und selbstproduzierte Filme, schwerpunktmäßig in Arabisch, teilweise auch in europäische Sprachen übersetzt. Seit Mai 2006 existiert ein deutschsprachiger Ableger der GIMF. Ein wesentlicher Teil seiner Aktivitäten ist die Übersetzung arabischsprachiger "jihadistischer" Propaganda aus den einschlägigen Internetforen. Die deutschsprachige GIMF veröffentlicht ihr Propagandamaterial über von ihr eingerichtete Weblogs sowie ein Diskussionsforum. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte sie im März und November 2007 mit der Veröffentlichung von Drohvideos, in denen Deutschland und Österreich zum Abzug ihrer Soldaten aus Afghanistan aufgefordert wurden. Im Zusammenhang damit kam es im September 2007 zu Festnahmen in Österreich und Kanada. Die deutschsprachige GIMF ist jedoch nach wie vor aktiv. 205 III. Islamismus 1. Arabischer Ursprung 1.1 "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 im Libanon Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 900 (2006: ca. 900) Medien: u.a. "Al-Ahd" ("Die Verpflichtung"), wöchentlich (nur im Libanon); "Al-Manar" ("Der Leuchtturm"), TV-Sender (Beirut) Die schiitische "Hizb Allah" wurde im Sommer 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon auf Betreiben des Iran gegründet. Vor dem Hintergrund der gemeinsamen Gegnerschaft zu Israel beabsichtigten Iran und Syrien durch ihre Unterstützung, die "Hizb Allah" innerhalb des politischen Spektrums im Libanon fest zu etablieren. Ein finanzieller und politischer Einfluss der beiden Staaten auf die Organisation besteht bis heute. Die "Hizb Allah" negiert das Existenzrecht Israels. Im NahostKonflikt unterstützt sie den Kampf der Palästinenser in den von Israel kontrollierten Gebieten, die so genannte Intifada (Aufstand der Palästinenser). Hauptziel ist der Kampf - auch mit terroristischen Mitteln - gegen Israel als "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens", den die "Hizb Allah" als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Mit dieser gewaltsamen Strategie richtet sie sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die "Hizb Allah" unterhält den bewaffneten Arm "al-Muqawama al-Islamiya" ("Islamischer Widerstand"), der zusammen mit dem Sicherheitsdienst der Organisation "External Security Organisation" (ESO) für kriegerische Auseinandersetzungen mit Israel sowie für Anschläge, insbesondere gegen israelische und jüdische Ziele, verantwortlich gemacht wird. Die Auflösung dieser Miliz ist nach wie vor eine nicht umgesetzte Forderung der UN-Resolution 1559 vom 2. September 2004. 206 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Der Generalsekretär der "Hizb Allah", Hasan Nasrallah, hatte in einem Interview im Jahr 2003 unterstrichen, die Organisation sei eine Widerstandsbewegung im Libanon gegen Israel, ihr Operationsgebiet beschränke sich daher auf den Libanon. Zugleich betonte er jedoch, die "Hizb Allah" sei in der Lage, sich überall auf der Welt und mit allen Mitteln gegen Aktionen, die ihre Existenz bedrohten, zur Wehr zu setzen. Innenpolitisch hat sich die "Hizb Allah" im Libanon als eine schiitische politische Partei konstituiert. Sie ist seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten und findet unter der schiitischen Bevölkerung im Libanon u.a. wegen ihrer sozialen Aktivitäten gesellschaftlichen Rückhalt. Im Juli 2006 führte ein Angriff der "Hizb Allah"-Miliz auf eine israelische Militärpatrouille im libanesisch-israelischen Grenzgebiet zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Israel und dem Libanon. Die Kampfhandlungen wurden im August 2006 beendet. Die libanesische und die israelische Regierung verständigten sich auf die Stationierung einer multinationalen Friedenstruppe (United Nations Interim Force in Lebanon - UNIFIL). Mit der Aufgabe, den Waffenschmuggel über das Mittelmeer zugunsten der "Hizb Allah" zu verhindern, beteiligt sich auch die Deutsche Marine an der UN-Mission. Der Deutsche Bundestag beschloss am 12. September 2007, das Mandat um ein weiteres Jahr zu verlängern. Aus Anlass der Eskalation des libanesisch-israelischen Konflikts Aktivitäten kam es im Sommer 2006 in Deutschland zu zahlreichen weitgevon "Hizb Allah"hend störungsfrei verlaufenen Demonstrationen und KundgeAnhängern bungen von Anhängern der "Hizb Allah". Auch 2007 rechneten in Deutschland die Anhänger mit erneuten bewaffneten Konflikten oder militärischen Aktionen im Libanon. Befürchtet wurden das Ausbrechen eines Bürgerkrieges angesichts der politischen Instabilität des Landes sowie darüber hinaus kriegerische Auseinandersetzungen im Rahmen eines sich wegen des iranischen Nuklearprogramms verschärfenden Iran-USA-Konflikts. An der alljährlich in Berlin von Anhängern der "Hizb Allah" und regierungstreuen Iranern organisierten Demonstration zum "alQuds-Tag", mit der an das Ziel der "Befreiung" Jerusalems (arabisch: "al-Quds") erinnert werden soll, nahmen am 6. Oktober 2007 etwa 300 Personen teil. Die Demonstration verlief friedlich. 207 An einer aktiven Mitarbeit in den vornehmlich von Schiiten besuchten örtlichen Moscheevereinen zeigten Anhänger der "Hizb Allah" überwiegend wenig Interesse. Die Zahl derer, die regelmäßig die Moscheen besuchten, war nach wie vor gering. Nur anlässlich schiitischer Feiertage war eine verstärkte Teilnahme festzustellen. Zum Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Libanon im Jahr 2000, der regelmäßig am 23. Mai als "Tag der Befreiung" gefeiert wird, fanden vereinzelt "Siegesfeiern" in kleinerem Rahmen statt. An einigen dieser Veranstaltungen nahmen auch traditionell "Hizb Allah"-Abgeordnete des libanesischen Parlaments teil. 1.2 "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (HuT) ("Islamische Befreiungspartei") Gründung: 1953 in Jordanien Leitung: Ata Abu ar-Raschta alias Abu Yasin (seit April 2003) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 300 (2006: ca. 300) Publikationen: "Al-Khilafa" (englisch/arabisch), "Hilafet" und "Köklü Degisim" (türkisch), "Al-Waie" (arabisch), "Expliciet" (niederländisch) Betätigungsverbot in Deutschland: seit dem 15. Januar 2003 Die HuT wurde 1953 in Jordanien von dem vormaligen Mitglied der islamistischen "Muslimbruderschaft" (MB; vgl. Nr. 1.4) Taqiaddin an-Nabahani (1909-1977) gegründet, dessen Buch "Die Lebensordnung des Islam" ("Nizam al-Islam") der Organisation als ideologische Grundlage dient. Sie versteht sich als eine panislamisch ausgerichtete politische Partei. Nach dem Verständnis der HuT regelt der Islam als geistiges System abschließend alle 208 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Lebensbereiche der Menschen, insbesondere politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Fragen. Unter Ablehnung nationalstaatlicher Grenzen strebt die HuT die Ziele Vereinigung der islamischen Gemeinschaft ("Umma") in einem weltweiten islamischen Staat unter der Führung eines Kalifen an. In diesem "Kalifat" sollen die islamische Rechtsordnung (Scharia) und der Wille Allahs Grundlage und Maßstab jeglichen Handelns sein: "Hizb hat sich rasch zu der größten politischen Partei der Welt entwickelt, die sich in über 40 Ländern unter einem einzigen Emir für die Errichtung des Kalifats einsetzt." (Pressemitteilung der HuT vom 4. September 2007 auf einer ihrer Internetseiten) "Nur das Kalifat wird euch aus der wirtschaftlichen Misere unter dem Kapitalismus retten." (Flugblatt der HuT vom 19. Juni 2007 auf einer ihrer Internetseiten) "Nach den gescheiterten Experimenten des Sozialismus, des IWF-Kapitalismus und des Feudalismus, gibt es nur das Kalifat, das (...) wirtschaftlichen Wohlstand herbeiführen kann (...)." (Flugblatt der HuT vom 7. Juni 2007 auf einer ihrer Internetseiten) An die Stelle der heutigen Nationalstaaten sollen weltweit so genannte Verwaltungsbezirke ("wilayat") treten. Bereits heute hat die HuT ihre interne Organisation an diesen Verwaltungsbezirken ausgerichtet, u.a. in Europa, der Türkei, Ägypten, den USA und Kuwait. Die HuT spricht dem Staat Israel die Existenzberechtigung ab. Die Beseitigung Israels sowie die "Befreiung Palästinas" auch unter Einsatz von Gewalt werden als wesentliche Aufgaben des angestrebten "Kalifats" betrachtet. Diese Vorstellung ist das Ergebnis einer ausgeprägten antijüdischen bzw. antizionistischen Grundhaltung. Nach der Ideologie der HuT ist die Gründung des 209 Staates Israel und die "Besetzung Palästinas" allein das Ergebnis eines fundamentalen Versagens der Gemeinschaft aller Muslime. Die HuT plädiert zudem offen für eine "Befreiung" der "islamischen Gesellschaft" von westlichen Einflüssen. Es gelte, die "KufrStaaten" ("Staaten des Unglaubens") zu bekämpfen. Gemeint sind damit nicht nur die USA, Großbritannien und deren westliche Verbündete, sondern auch solche islamische Staaten, deren Regierungen ihr Handeln nicht ausschließlich an den Vorschriften der Scharia und an einem Islam nach Interpretation der HuT ausrichten: "Hizb ut-Tahrir lädt euch dazu ein, mit in den Kampf einzutreten, die koloniale Politik der westlichen Regierungen in der muslimischen Welt aufzudecken und (...) das Kalifat als einen neuen Staat und als Zivilisation einzusetzen, das die muslimische Welt von Chaos, Instabilität und Ungerechtigkeit befreien wird." (Flugblatt der HuT vom 6. Juli 2007 auf einer ihrer Internetseiten) "Vielmehr sind es Bushs und Blairs brutale Besetzung des Irak und Afghanistans und ihre Morde, die heute für das Chaos in der Welt verantwortlich sind." (Flugblatt der HuT vom 20. Oktober 2006 auf einer ihrer Internetseiten) Eine Verlautbarung der HuT anlässlich der Wiederwahl des pakistanischen Präsidenten Pervez Musharraf enthielt den Aufruf an die Soldaten in Pakistan, sich gegen Musharraf zu erheben und einen Gottesstaat zu errichten: 210 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Hizb-ut-Tahrir will euren Eifer erwecken, eure Entschlossenheit mobilisieren und ruft euch dazu auf, euch Allah zu zweit oder einzeln zuzuwenden. (...) Beseitigt die Herrschaft des Unrechts und der Unrechten. Errichtet den Staat des Islam, den Staat der Muslime! Errichtet das rechtgeleitete Kalifat." (Deutschsprachige Internetseite der HuT, 18. Oktober 2007) Die HuT beabsichtigt ihre Ziele in drei Phasen durchzusetzen: In Drei-Phasen-Modell der ersten Phase sollen auf konspirativem Weg geeignete Mitglieder rekrutiert werden. In der zweiten Phase, in der sich die HuT nach eigenen Angaben derzeit befindet, soll mittels umfangreicher Propaganda eine "Erziehung der Umma" gemäß dem Islamverständnis der HuT erfolgen. Die dritte Phase beinhaltet einen Aufstand zur Machtübernahme "auf islamischem Boden", der anschließend zum Sturz der gesamten "ungläubigen Gesellschaft" führen soll. Aktivitäten entfaltet die Organisation nach eigenen Angaben Aktivitäten hauptsächlich im arabischen Raum (Jordanien, Irak, Ägypten, Syrien, Kuwait), in Zentralasien (Tadschikistan, Usbekistan, Kirgisistan) und in Europa. Mit Wirkung vom 15. Januar 2003 hat der Bundesminister des InBetätigungsverbot nern der HuT die Betätigung im Bundesgebiet verboten, u.a. weil in Deutschland sich die Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und sie Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange befürwortet. Mit Urteil vom 25. Januar 2006 wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage der HuT gegen das Betätigungsverbot ab. In Deutschland war die Organisation insbesondere in Universitätsstädten aufgetreten. Bei Informationsveranstaltungen, in Flugblättern und sonstigem Propagandamaterial vertrat sie regelmäßig antijüdische, antiisraelische und antiwestliche Positionen. Zur Zielgruppe gehörten vor allem Akademiker und Studenten. Seit dem Betätigungsverbot fanden keine offiziellen Veranstaltungen mehr statt. Auch andere öffentliche Aktivitäten wurden 211 seitdem nicht mehr festgestellt. Infolge des Betätigungsverbotes sind einige Mitglieder aus Deutschland in ihre Heimatländer zurückgekehrt oder in das benachbarte Ausland verzogen. Im Ausland, insbesondere in Großbritannien und Indonesien, entfaltet die HuT nach wie vor zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktivitäten, z.B. Demonstrationen und multinationale Konferenzen. Sie versucht damit, zunehmend im Sinne der von ihr vertretenen Ideologie, auf Vertreter unterschiedlichster Gruppierungen und Personen des politischen Lebens Einfluss zu nehmen. Die HuT nutzt verstärkt das Internet, um Propagandamaterial zu verbreiten und eine möglichst hohe mediale Präsenz zu entfalten. 1.3 HAMAS ("Harakat al-Muqawama al-Islamiya") ("Islamische Widerstandsbewegung") Gründung: Anfang 1988 im Gazastreifen/ heutiges palästinensisches Autonomiegebiet Leitung: Khalid Mash'al (Sitz: Damaskus/Syrien), Isma'il Haniya (Sitz: Gazastreifen) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 300 (2006: ca. 300) Nach Beginn der ersten "Intifada" ("Aufstand der Palästinenser") im Dezember 1987 schlossen sich Anfang 1988 palästinensische Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB; vgl. Nr. 1.4) um Scheich Ahmad Yasin zur HAMAS zusammen. Hauptziel der HAMAS ist laut ihrer Charta die Errichtung eines islamischen Staates auf dem gesamten Gebiet "Palästinas", auch durch bewaffneten Kampf. Mit "Palästina" meint die HAMAS das Gebiet zwischen Mittelmeer und Jordan, also auch das Gebiet des Staates Israel. 212 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Die Aktivitäten der HAMAS im Jahr 2007 wurden von schweren AuseinanderAuseinandersetzungen mit der "Fatah"-Bewegung dominiert. setzungen mit Nachdem die HAMAS im Jahr 2006 die Regierungsverantworder "Fatah" tung durch Isma'il Haniya übernommen hatte, kam es wiederholt zu - zum Teil bewaffneten - Auseinandersetzungen mit der bisher regierenden säkularen "Fatah". Als sich die HAMAS im Januar 2007 bereit erklärte, auch Minister der "Fatah" in die Regierung aufzunehmen, schien es zunächst kurzfristig zu einer Entspannung zu kommen. Im März 2007 wurde daraufhin eine "Einheitsregierung" unter Beteiligung von HAMAS und "Fatah" gebildet. Diese zerbrach jedoch, als die Auseinandersetzungen eskalierten. Die HAMAS übernahm im Juni 2007 gewaltsam die alleinige Kontrolle über den Gazastreifen und vertrieb die mehrheitlich der "Fatah" zuzurechnenden Sicherheitskräfte der Palästinensischen Behörde aus dem Gazastreifen. Daraufhin setzte der Präsident der Palästinensischen Behörde, Mahmud Abbas, eine Notstandsregierung ohne Beteilung der HAMAS ein. Im Westjordanland, das weiterhin unter der Kontrolle der Palästinensischen Behörde steht, gingen Sicherheitskräfte verstärkt gegen dort ansässige HAMAS-Einrichtungen vor. Auch 2007 unterblieben Selbstmordanschläge des "militäri"Izzadin al-Qassamschen" Armes der HAMAS, der "Izzadin al-Qassam-Brigaden", Brigaden" gegen israelische Ziele. Sie beschossen allerdings weiterhin israelische Städte mit Raketen; israelische Sicherheitskräfte wurden wiederholt angegriffen. Selbstmordanschläge - auch gegen israelische Zivilisten - gehören nach wie vor zu den Handlungsoptionen der HAMAS. Diese werden häufig mit dem Argument zu rechtfertigen versucht, die israelische Gesellschaft sei "militarisiert". Die meisten israelischen Staatsbürger dienten im israelischen Militär und seien insofern keine Zivilisten. 213 Die derzeitige "Zurückhaltung" ist nach Auffassung eines Sprechers der "Izzadin al-Qassam-Brigaden" zeitlich befristet: "Die Huda (Waffenruhe) hat nur einen vorübergehenden Charakter, da Palästina noch immer besetzt ist und der Feind weiterhin Siedlungen errichtet. Die Situation kann jederzeit eskalieren." (Internetseite der "Izzadin al-Qassam-Brigaden", 17. Oktober 2007) Aktivitäten der Die ca. 300 Anhänger der HAMAS in Deutschland sind nicht in HAMAS in eine feste Organisationsstruktur eingebunden. ÖffentlichkeitsDeutschland wirksame Aktivitäten der HAMAS in Deutschland waren 2007, auch vor dem Hintergrund der Eskalation der Auseinandersetzungen zwischen HAMAS und "Fatah" in Palästina, nur vereinzelt festzustellen. 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB) ("Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin") Gründung: 1928 in Ägypten Leitung: Muhammad Mahdi Uthman Akif (Sitz: Ägypten) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 1.300 (2006: ca. 1.300) Publikationen: "Risalat al-Ikhwan" ("Rundschreiben der Bruderschaft"), "Al-Islam" ("Der Islam"; nur noch als Onlineversion) Keimzelle Die MB wurde 1928 in Ägypten von Hasan al-Banna (1909-1949) gewaltbereiter gegründet und gilt als die einflussreichste islamistische BeweOrganisationen gung in der gesamten islamischen Welt. Nationale Ausprägungen der MB existieren in nahezu allen muslimischen Ländern. Die Lehren ihrer bedeutendsten Vordenker wie al-Banna, 214 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Sayyid Qutb (1906-1966) und Sayyid Abu al-A'la al-Maududi (1903-1979) besitzen für ihre Anhänger heute noch Gültigkeit. Die MB ist die Mutterorganisation zahlreicher islamistischer Organisationen, wie u.a. der algerischen "Front Islamique du Salut" (FIS), der tunesischen "an-Nahda", der gewaltbereiten ägyptischen Organisationen "al-Gama'a al-Islamiya" (GI) und "al-Jihad al-Islami" (JI) sowie der palästinensischen HAMAS (vgl. Nr. 1.3). Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts forderten religiöse ReforUrsprünge mer im seinerzeit britisch besetzten Ägypten eine "Erneuerung von Religion und Gesellschaft". Der Islam hatte in der damaligen muslimischen Welt durch die westliche Kolonialisierung an Bedeutung verloren. Nach Auffassung der Reformer sollten die Muslime ein Leben gemäß den Prinzipien von Koran und Sunna nach dem Beispiel der "frommen Altvorderen" ("as-salaf assalih") führen. Hier findet sich der Ursprung der MB. Sie verstand sich vorrangig als religiöse Gemeinschaft und konzentrierte sich auf Bildung und Erziehung der Gläubigen. Im Jahr 1939 legte sie ein 50-Punkte-Programm vor, in dem sie die Emanzipation von den Kolonialmächten durch die Herstellung einer andersartigen, eigenen "islamischen Ordnung" vertrat. Ziel war es, die Souveränität Ägyptens auf der Grundlage islamischer Prinzipien durchzusetzen, hin zu einem "wahrhaft islamischen" Staat. Eckpfeiler dieser Forderung war und ist die vollständige Einführung der Scharia, als von Gott gegebener, auf Koran und Sunna beruhender islamischer Rechtsund Werteordnung, als universelles politisches und gesellschaftliches Ordnungssystem. Säkulare und laizistische Staatsformen lehnt die MB als "unislamisch" ab. Fernziel ist die Errichtung eines "föderalen großislamischen Reiches" unter Führung eines Kalifen. Aufgrund eines Verbots aus dem Jahr 1954 ist den MB-MitglieStärkste dern in Ägypten bis heute jegliche politische Betätigung offiziell Oppositionsgruppe untersagt. Eine weitere Einschränkung für die MB stellt das 1977 in Ägypten von Präsident Sadat verfügte Parteiengesetz dar, das die Existenz von Parteien auf der Basis von Rassenoder Religionszugehörigkeit verbietet. Unter Berufung auf dieses Gesetz können der MB als "illegaler Gruppierung" jegliche organisierten Zusammenkünfte untersagt, jederzeit Redeund Versammlungsverbote verhängt oder Personen ohne Anklageerhebung vorläufig festgenommen werden. Dennoch beteiligt sich die MB seit den 1980er Jahren durch "unabhängige" Kandidaten oder 215 Wahlbündnisse mit wachsendem Erfolg an den Parlamentswahlen. Mit ihrem Slogan "Der Islam ist die Lösung" errang sie im Jahr 2005 20,4 Prozent der Sitze im Unterhaus und wurde damit stärkste Oppositionsgruppe in Ägypten. Das karitative Engagement der MB, vor allem bei der Einrichtung und dem Betrieb von Schulen, Krankenhäusern und Ambulanzen, stößt in weiten Teilen der Bevölkerung auf große Resonanz und garantiert ihr politischen und gesellschaftlichen Rückhalt. Die ägyptische Regierung sieht daher in der MB den größten Herausforderer und reagiert hierauf auch mit repressiven Maßnahmen. Verhaftungen von MB-Funktionären und -Anhängern sind an der Tagesordnung. Weiteren Einschränkungen ihrer politischen Aktivitäten, die mit einem Verfassungsreferendum im März 2007 eingeführt worden waren, begegnete die MB Mitte Oktober 2007 mit der Vorlage des ersten Entwurfs eines politischen "Parteiprogramms", in dem sie auf konservative islamistische Positionen zurückgreift.122 So wird z.B. Frauen und Christen das Recht auf Ausübung öffentlicher Ämter abgesprochen; ferner solle dem Parlament künftig ein "Geistlichenrat" bei Entscheidungen zur Seite stehen. Im Vorfeld hatte die MB zum Boykott des Referendums aufgerufen. MB in Deutschland Die MB-Anhänger in Deutschland nutzen eine Vielzahl "Islamischer Zentren" für ihre Aktivitäten. Die in Deutschland mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern ist die 1960 gegründete "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) unter dem Vorsitz von Ibrahim El-Zayat. Die IGD ist Mitglied der "Föderation Islamischer Organisationen in Europa" (FIOE), eines in Großbritannien ansässigen Dachverbandes der MB nahestehender islamistischer Organisationen und Verbände in Europa. Neben ihrem Hauptsitz im "Islamischen Zentrum München" unterhält die IGD eigenen Angaben zufolge "Islamische Zentren" in Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt am Main, Köln, Marburg, Braunschweig und Münster.123 Die IGD setzt auf eine Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Be122 Tagesspiegel vom 29. Oktober 2007, S. 7; die tageszeitung (taz) vom 30. Oktober 2007, S. 11. 123 Programm der IGD-Jahreskonferenz 2005 vom 3. Dezember 2005. 216 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE reich, um ihren Anhängern Freiräume für eine an Koran und Sunna orientierte Lebensweise zu ermöglichen. Die Repressionen gegen die MB in Ägypten werden von ihren Mitgliedern und Anhängern in Deutschland nicht offen diskutiert, zumal sie sich nur selten zur MB bekennen. Neben der 29. Jahreskonferenz der IGD am 17. November 2007 in Leverkusen und am 18. November 2007 in Berlin fanden nur vereinzelt öffentliche Aktivitäten von IGD-Anhängern statt. Die ARD strahlte am 23. Februar 2007 einen Filmbeitrag über die MB aus, in dem der IGD-Vorsitzende El-Zayat von Muhammad Mahdi Uthman Akif, dem obersten Führer der ägyptischen MB, als "Chef ('rais') der Muslimbrüder in Deutschland" bezeichnet wurde. Diese Äußerung wurde von der Presse aufgenommen und verbreitet. El-Zayat erreichte die Veröffentlichung einer Gegendarstellung in der Tageszeitung Die Welt, laut der sich Akif nicht wie zitiert geäußert habe.124 2. Türkischer Ursprung 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Gründung: 1985 in Köln (als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." - AMGT) Leitung: Osman Döring Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 27.000 (2006: ca. 26.500) Publikationen: u.a. "IGMG Perspektive", unregelmäßig; "Milli Gazete" (formal unabhängiges "Sprachrohr" der "Milli Görüs"Bewegung) 124 Die Welt Online vom 10. April 2007. 217 Die IGMG ist mit einer geschätzten Mitgliederzahl von etwa 27.000125 die größte islamistische Organisation in Deutschland. Aufgrund ihrer zahlreichen Einrichtungen und vielfältigen Angebote erreicht sie jedoch einen weitaus größeren Personenkreis. Nach eigenen Angaben hat die IGMG europaweit etwa 87.000 Mitglieder und eine Gemeindegröße von ca. 300.000 Personen. Sie verfüge derzeit über 514 Moscheeund Kulturvereine, davon 323 in Deutschland.126 Die IGMG wird von Döring (innerhalb der Organisation Yavuz Celik Karahan genannt) geleitet, zumeist jedoch von ihrem Generalsekretär Oguz Ücüncü repräsentiert. Mit der Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes der IGMG ist seit 1995 die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) betraut. Als Geschäftsführer fungiert Ibrahim El-Zayat, der zugleich Vorsitzender der IGD ist (vgl. Nr. 1.4). Die ideologischen Die ideologischen Wurzeln der IGMG sind auf die Ideen des türWurzeln der IGMG kischen Politikers Necmettin Erbakan zurückzuführen, der Ende der 1960er Jahre die "Milli Görüs"-Bewegung begründete. Zentrale Bedeutung in Erbakans politischem Denken haben die von ihm geprägten Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung"). Nach seinem Geschichtsverständnis stehen sich in einzelnen Epochen gegensätzliche Zivilisationen unversöhnlich gegenüber, die entweder auf grundsätzlich "gerechten" oder auf "nichtigen" Voraussetzungen beruhten. Die verschiedenen historischen Zyklen seien jeweils von der Vorherrschaft einer bestimmten Ordnung geprägt. Gegenwärtig dominiere mit der westlichen Zivilisation eine "nichtige", also nach Erbakan eine auf Gewalt, Unrecht und Ausbeutung der Schwachen basierende Ordnung. Es gelte, ein solches System durch eine "gerechte Ordnung" zu ersetzen, wofür die Ausrichtung an islamischen Grundsätzen statt an von Menschen geschaffenen und damit "willkürlichen Regeln" erforderlich sei. Als zentrale Ziele propagiert Erbakan deshalb die Schaffung einer "neuen großen Türkei" in Anlehnung an das Osmanische Reich, die Überwindung des Laizismus sowie - letztlich mit globalem Anspruch - die Errichtung einer "islamischen Gesellschaftsordnung". 125 Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Mitglieder/Anhänger der IGMG islamistische Ziele verfolgen oder unterstützen. 126 Internetseite der IGMG (19. Oktober 2007). 218 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Als Begründer und geistiger Führer der "Milli Görüs"-Bewegung ist Erbakan für die IGMG nach wie vor von großer Bedeutung. Die Organisation hat sich bislang nicht von seinen Vorgaben abgewandt. Wahlkampfauftritte im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen am 22. Juli 2007 verdeutlichen, dass Erbakan, der aufgrund eines lebenslangen Politikverbots in der Türkei keine offizielle Parteifunktion übernehmen kann, unverändert an seinen ideologischen Standpunkten festhält. Dies gilt auch für eine Reihe führender Funktionäre der "Saadet Partisi" (SP; "Partei der Glückseligkeit"), in der die Anhänger der "Milli Görüs"-Bewegung in der Türkei politisch organisiert sind. In zahlreichen Wahlkampfreden prangerte Erbakan Imperialismus, Rassismus und Zionismus als zerstörerische, gegen das türkische Volk gerichtete Kräfte an. Dabei attackierte er die Regierung des amtierenden Ministerpräsidenten Tayyip Recep Erdogan wegen ihrer vermeintlichen Kollaboration mit den "Feinden der Türkei". Auf einer Konferenz des "Zentrums für Wirtschaftsund Sozialforschung" ("Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi" - ESAM), einer der "Milli Görüs"-Bewegung zuzuordnenden Einrichtung, warf Erbakan der türkischen Regierung vor, mit dem Internationalen Währungsfonds und den "rassistischen Imperialisten" zu kollaborieren. Wenn die SP die Regierungsmacht erlange, werde "Milli Görüs" wieder eine "Groß-Türkei" etablieren und das türkische Volk erneut zum Herrn über die Welt machen.127 Die ganze Welt, so Erbakan in einem Fernsehinterview, leide unter dem Imperialismus und Zionismus: "Die rassistischen Imperialisten sehen den Islam als Feind, da der Islam vorschreibt, niemandem außer Allah zu dienen." ("Milli Gazete" vom 6. Juli 2007, S. 1 und 12) Bei der Vorstellung der SP-Kandidaten beschwor Erbakan die Zuhörer mit Parolen wie "Zur Befreiung Istanbuls, der islamischen 127 "Milli Gazete" vom 19. Juli 2007, S. 9. 219 Welt und der Menschheit starten wir den Nationalen Befreiungskampf" und "Gesegnet sei euer heiliger Krieg".128 Ein wirksames Mittel gegen die "Versklavung der gesamten Menschheit durch den Imperialismus" sieht Erbakan unverändert im Zusammenschluss der "D8-Länder", einer bereits aus den 1970er Jahren stammenden Idee.129 "Developing Eight" (D8) ist ein nach dem Vorbild der G8 (die acht wichtigsten Industrienationen) von Erbakan bereits seit 1977 vergeblich angestrebtes Bündnis der größten Staaten mit überwiegend muslimischem Bevölkerungsanteil (Türkei, Indonesien, Iran, Ägypten, Bangladesch, Malaysia, Pakistan und Nigeria). Weitere führende Repräsentanten der "Milli Görüs"-Bewegung griffen im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen ebenfalls auf eine betont antiwestliche Rhetorik zurück. Der SP-Generalvorsitzende Recai Kutan erklärte in einem Interview, die SP setze sich seit sieben Jahren "für die Gründung einer demokratischen Ordnung in ihrer wahren Bedeutung" ein. Alle anderen Parteien seien ausnahmslos "Imitate des Westens".130 Der stellvertretende SP-Vorsitzende Ömer Vehbi Hatipoglu forderte auf einer Parteiversammlung die Gründung einer "islamischen Union", "um das Spiel der rassistischen Imperialisten zu zerstören." Dafür benötige die SP jedoch die alleinige Macht.131 Arif Ersoy, Mitglied des SP-Verwaltungsrats und Generalsekretär des ESAM, knüpfte ebenfalls an antiwestliche Verschwörungstheorien an, um in einer Kolumne der "Milli Gazete" die Bedeutung der Wahlen herauszustellen: 128 "Milli Gazete" vom 15. Juni 2007, S. 1 und vom 20. Juli 2007, S. 1. 129 "Milli Gazete" vom 25. September 2007, S. 9. 130 "Milli Gazete" vom 20. Juli 2007, S. 12. 131 "Milli Gazete" vom 30. Januar 2007, S. 10. 220 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Der rassistische Imperialismus, der seit Beginn des 19. Jahrhunderts unsere Geographie zu kolonialisieren beabsichtigt, hat eine Reihe von Plänen und Projekten entworfen, mit der Absicht, unsere Nation von ihrer eigenen Weltanschauung und Wertvorstellung zu entfremden. (...) Unsere Nation setzt sich seit dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts intensiv mit den Veränderungen in unserem Land, in unserer Geographie und in der Welt auseinander und sie analysiert dank ihrem Scharfsinn und Weitblick die Pläne und Machenschaften des inszenierten globalen rassistischen Imperialismus. (...) Unsere Nation wird bei den für den 22. Juli 2007 vorgesehenen Wahlen eine historische Entscheidung treffen. Die Pläne des Imperialismus werden besiegt und die geplanten Machenschaften werden zerstört." ("Milli Gazete" vom 20. Juli 2007, S. 5) Die SP erreichte bei den türkischen Parlamentswahlen am 22. Juli 2007 lediglich 2,34 Prozent der abgegebenen Stimmen und verfehlte aufgrund der geltenden 10%-Sperrklausel ihr Ziel, Abgeordnete in das türkische Parlament zu entsenden. Zur Erklärung der Wahlniederlage wurden dieselben Feindbilder beschworen, die zuvor vergeblich im Wahlkampf propagiert worden waren. Ein "Milli Gazete"-Kolumnist erklärte: "Der Imperialismus hat die Wahlen gewonnen. Die amerikanischen Medien haben gewonnen. Die Spekulanten haben gewonnen. (...) Bei diesen Wahlen haben die Freimaurer, die Rotarier und die Lions gewonnen. (...) Bei diesen Wahlen hat der Imperialismus gesiegt. (...) Bei dieser Wahl hat unser Mordnachbar USA gewonnen, der Afghanistan und den Irak besetzt hat." ("Milli Gazete" vom 3. August 2007, S. 2) Auf einer SP-Veranstaltung in Istanbul zum Ende des Ramadan äußerte Erbakan in Bezug auf die vorausgegangenen Wahlen, die Menschheit werde heute mit dem "Demokratie-Spiel" hereingelegt. Die Demokratie sei kein Regime mehr, in dem sich 221 das Volk selbst regiere, sondern sie werde zu einem Regime, das das Volk für seine Zwecke instrumentalisiere.132 Ein Kolumnist der "Milli Gazete" wertete die Unterstützung der Regierungspartei "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP; "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung") durch religiöse Kräfte als "totalen Selbstmordversuch" und betonte: "Die Milli Görüs ist eine wichtige Bewegung nicht nur für dieses Land, sondern für die ganze Welt. Sie ist unter allen politischen Bewegungen weltweit die einzige Bewegung, die das Ziel verfolgt, eine Neue Welt zu schaffen." ("Milli Gazete" vom 25. Juli 2007, S. 12) IGMG und Die "Milli Görüs"-Bewegung umfasst unterschiedliche Kompo"Milli Görüs"nenten, deren Zusammenhalt auf dem Selbstverständnis einer Bewegung gemeinsamen ideologisch-religiösen Ausrichtung und der Bindung an Erbakan beruht. Der "Milli Görüs" in der Türkei zuzuordnende Bestandteile sind die SP, die Tageszeitung "Milli Gazete", der Fernsehsender "TV 5", die Jugendorganisation "Anadolu Genclik Dernegi" (AGD; "Verein der Anatolischen Jugend") sowie ESAM. Die IGMG ist Repräsentant der "Milli Görüs"-Bewegung in Deutschland bzw. Europa und damit von zentraler Bedeutung für die außerhalb der Türkei lebenden Anhänger Erbakans. Die Einbindung der IGMG in die Gesamtbewegung beschrieb ein Kolumnist der "Milli Gazete": 132 "Milli Gazete" vom 15. Oktober 2007, S. 1 und 8. 222 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Nachdem die Menschen aus Anatolien in den Westen gekommen waren und unglaubliche Schwierigkeiten wie die Verständigung in Zeichensprache durchgemacht hatten, wurden sie sich der Bedeutung des Glaubens bewusst und begannen, sich in dieser Hinsicht in Vereinen zu organisieren. Als Milli Görüs und unter anderen Namen gründeten sie zivilgesellschaftliche Organisationen und begannen mit ernsthafter Arbeit. Diese Arbeit trägt Früchte, und in den EU-Ländern, insbesondere in Deutschland, werden ernsthafte und bedeutende soziale und kulturelle Aktivitäten entfaltet. Wenn der Ausdruck angebracht ist: als 'segensreiche Auswanderer' führen sie einen gleichsam heldenhaften Kampf." ("Milli Gazete" vom 14. Februar 2007, S. 15) Eine Reihe von Beispielen belegt den weiterhin engen ideologischen und persönlichen Austausch zwischen SP und IGMG. Wie in den Jahren zuvor traten auch 2007 regelmäßig hochrangige Vertreter der SP bei Veranstaltungen der IGMG als Redner auf.133 Das Spektrum reichte von religiösen Anlässen wie einer Moscheeeröffnung134 über Mitgliederversammlungen bis hin zu Bildungsseminaren und verdeutlicht das Bemühen, ein Zusammenwirken der Bewegung auf allen Ebenen anzustreben. Aus der Türkei angereiste Referenten nutzten IGMG-Veranstaltungen nicht nur als Gelegenheit, um Ziele der Bewegung zu transportieren, sondern auch um die Bedeutung der damals bevorstehenden Parlamentswahlen in der Türkei hervorzuheben und zur Stimmabgabe für die SP aufzurufen.135 Bei verschiedenen Veranstaltungen und Seminaren der IGMG kamen in den Redebeiträgen der teilnehmenden SP-Vertreter weltanschauliche Gemeinsamkeiten und Kontinuität der "Milli Görüs"-Bewegung zum Ausdruck. Der Generalsekretär des ESAM, Ersoy, hielt auf einem Bildungsseminar regionaler IGMGFunktionäre am 24./25. Februar 2007 in Heidelberg einen Vortrag zum Thema "Die Mission und Vision der Milli Görüs", in dem 133 "Milli Gazete" vom 4. Mai 2007, S. 20, vom 2. Mai 2007, S. 12 und vom 19. April 2007, S. 8. 134 "Milli Gazete" vom 27. April 2007, S. 8. 135 "Milli Gazete" vom 27. Juni 2007, S. 6. 223 er erklärte, "Milli Görüs" werde in der heutigen "Zivilisationskrise" die Grundlagen für eine neue Zivilisation schaffen. Der stellvertretende SP-Vorsitzende Numan Kurtulmus trug auf der Veranstaltung zum Aspekt "Globale Entwicklungen und die islamische Welt" vor.136 Beide Referate wurden inhaltsgleich auch anlässlich eines zweitägigen internationalen Bildungsseminars für IGMG-Führungsfunktionäre in Vianen (Niederlande) gehalten.137 Vielfach reisten IGMG-Delegationen der verschiedensten Organisationseinheiten in die Türkei. Dabei gehörten Besuche bei der SP, der "Milli Gazete" und bei "TV 5" sowie Zusammentreffen mit SP-Funktionären zu den regelmäßigen Programmpunkten solcher Reisen. Als Höhepunkt galt stets ein persönliches Gespräch bzw. ein Besuch bei Erbakan.138 Auf einer Provinzratssitzung der SP in Istanbul, an der auch IGMG-Funktionäre teilnahmen, sagte das IGMG-Vorstandsmitglied Hasan Damar der SP breite Unterstützung im Wahlkampf durch die IGMG zu. "Tausend Fahrzeuge" und "tausend Prediger" sollten dafür aktiviert werden, denn es handle sich bei dieser Mission um eine "heilige Reise".139 Insgesamt blieben die Wahlkampfhilfen der IGMG im Jahr 2007 jedoch hinter den von der Organisation bei früheren Wahlen in der Türkei erbrachten Unterstützungsleistungen zurück. "Milli Gazete" Als Sprachrohr der "Milli Görüs"-Bewegung hat die formal unabhängige türkische Tageszeitung "Milli Gazete" eine besondere Bedeutung für die Anhänger Erbakans. Sie ist ein bedeutendes Bindeglied zwischen den einzelnen Teilen der Bewegung und trägt zur Verfestigung der ideologischen Positionen bei. Repräsentanten der "Milli Görüs"-Bewegung aus unterschiedlichen Bereichen stellen regelmäßig die Bedeutung der Publikation heraus. So bezeichnete der Chefredakteur der "Milli Gazete", Necdet Kutsal, die Unterstützung der Zeitung als "Voraussetzung für die Rettung der Türkei". Mit Blick auf die Parlaments136 "Milli Gazete" vom 28. Februar 2007, S. 20. 137 "Milli Gazete" vom 10./11. März 2007, S. 3. 138 "Milli Gazete" vom 9./10. Juni 2007, S. 6, vom 27. Juni 2007, S. 6, vom 10. Mai 2007, S. 19, vom 27. März 2007, S. 10 und vom 27./28. Januar 2007, S. 2. 139 "Milli Gazete" vom 16. April 2007, S. 11. 224 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE wahlen sei sie die einzige Institution, die der Nation die "aufopferungsvolle Arbeit" der SP bei der "Aufdeckung der von der AKP gebrochenen Wahlversprechen" nahe bringe.140 Auch die SP selbst forderte regelmäßig zur Unterstützung der Zeitung auf.141 In Deutschland ist die Europa-Ausgabe der "Milli Gazete" erYIL/JAHRGANG: 13 * SAYI/NR.: 147 * MART / MÄRZ 2007 PERSPEKTIVE hältlich, in deren Berichterstattung neben der "Milli Görüs"-BeMonatliche Zeitschrift der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüfl "slam Toplumu Milli Görüfl aylik yay"n organ" wegung insbesondere auch die IGMG und deren Veranstaltungen breiten Raum einnehmen. Damit ist die "Milli Gazete" neben der monatlich erscheinenden Publikation "IGMG Perspektive" und der zentralen IGMG-Homepage eine wichtige Informationsquelle für die Anhänger der IGMG. Innerhalb der IGMG wird regelmäßig für den Bezug der "Milli Gazete" geworben. So unterstützt die Organisation KamGelenek'teki gelecek.... pagnen, um die Zahl der Abonnenten zu steigern. Dabei erklären IGMG-Funktionäre, es sei notwendig, dass die "Milli Gazete" jeden Haushalt erreiche.142 Über den erfolgreichen Abschluss einer solchen Werbekampagne wurde in einer Ausgabe unter namentlicher Nennung der neuen Abonnenten einschließlich ihrer Zugehörigkeit zu einzelnen IGMG-Gemeinden berichtet.143 Die IGMG ermöglichte es der "Milli Gazete" zudem, auf ihren Veranstaltungen für die Zeitung zu werben und neue Abonnenten zu gewinnen.144 Vertreter von "Milli Gazete" und Kolumnisten der Zeitung traten auch als Referenten bei IGMG-internen Veranstaltungen auf.145 140 "Milli Gazete" vom 14. Februar 2007, S. 1 und vom 27. März 2007, S. 7. 141 "Milli Gazete" vom 24. April 2007, S. 11. 142 "Milli Gazete" vom 6. Februar 2007, S. 9 und vom 7. Februar 2007, S. 16. 143 "Milli Gazete" vom 21. Februar 2007, S. 2. 144 "Milli Gazete" vom 4. Juni 2007, S. 10. 145 "Milli Gazete" vom 29. März 2007, S. 20, vom 19. März 2007, S. 8, vom 22. März 2007, S. 12 und vom 26./27. Mai 2007, S. 19. 225 Inhaltlich vermittelt die "Milli Gazete" häufig ein intolerantes Islamverständnis. So wurde der Begriff "gemäßigter Islam" als "Modeausdruck" und "leere Hülle" verworfen: "Jeder muss wissen, dass der gemäßigte Islam nicht die Nähe zum Islam, sondern eine Position gegen den Islam zum Ausdruck bringt. (...) Man [gleich: Befürworter des gemäßigten Islam] möchte, dass die Menschen die Ritualgebete halten, fasten und ausgiebig ihre persönlichen Gebete verrichten, aber niemals sollen sie wollen, dass ihr Glaube die Weltordnung beherrscht. (...) Der Begriff 'gemäßigter Islam' an sich ist der Name einer gegen den Islam gerichteten Haltung." ("Milli Gazete" vom 14. September 2007, S. 2) In einem Beitrag mit dem Titel "Eroberung heute" machte der Kolumnist Mahmut Topas, der bereits mehrfach als Referent bei IGMG-Veranstaltungen aufgetreten war, folgende Ausführungen: "'Eroberung' heißt, die Tore, die sich für den Islam verschließen, bis in Ewigkeit zu öffnen. (...) 'Eroberung' heißt, sämtliche nicht mit dem Islam zu vereinbarende Formen von Gebräuchen und Sitten niederzureißen und die Menschen aus der Umzingelung dieser Gebräuche zu befreien. (...) 'Eroberung' bedeutet, den Besitz des Volkes aus den Kassen derjenigen, die sich im Unrecht befinden, zu entnehmen und denjenigen zu übergeben, die im Recht sind. (...) 'Eroberung' heißt, ausschließlich Diener Allahs zu sein und Generationen heranzuziehen, die nicht Dienern dienen." ("Milli Gazete" vom 29. Mai 2007, S. 5) In einer Kolumne mit der Überschrift "Ein Muslim muss reagieren, beeinflussen und braucht Befugnisse" wurde folgendes Fazit gezogen: 226 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Jeder Muslim ist verpflichtet, sein Umfeld islamkonform zu gestalten. Die Lösung ist, sich an den Koran und die Sunna zu klammern. Dadurch wird die Vollkommenheit und die Heilung der Menschheit erreicht. Und dies ist nur möglich, wenn man ein islamisches Bewusstsein entwickelt hat." ("Milli Gazete" vom 8. Februar 2007, S. 14) Die Autorin Efser Selamet stellt folgende Charaktereigenschaften eines "Milli Görüs"-Anhängers heraus: "[Der Milli Görüs-Anhänger] (...) weiß, dass der einzige Weg, der ihn zur Wahrheit [auch: Gott] führt, in der Milli Görüs liegt; setzt sich für seine Zeitung, seinen Fernsehsender, seine Stiftung, seine Partei ein. (...) unternimmt Anstrengungen, dass jedermann ein Milli Görüs-Mann wird (...) trifft die notwendigen Maßnahmen dafür, dass der Islam zur Herrschaft gelangt, und ergibt sich in Allahs Willen." ("Milli Gazete" vom 9. Juni 2007, S. 17) Der in Hessen tätige IGMG-Prediger und ehemalige Gebietsvorsitzende Ibrahim Gümüsoglu äußerte sich zu dem Thema "Was einen Milli Görüs-Muslimen von anderen unterscheidet": "Die islamische Religion ist nicht einfach auszuleben. Nicht jeder Mann ist der Zugehörigkeit zu Milli Görüs gewachsen. Es ist mühevoll, den Islam richtig zu leben. Die Wege zum Paradies sind nur mit viel Mühe zu beschreiten." ("Milli Gazete" vom 26. Juni 2007, S. 20) Die Jugendund Bildungsarbeit hat für die "Milli Görüs"-BeweJugendund gung weiterhin einen hohen Stellenwert, um so die eigenen LeitBildungsarbeit bilder zu vermitteln und künftige Führungskräfte heranzubilder IGMG den. In den generellen Erziehungsratschlägen eines "Milli Gazete"Kolumnisten an die Eltern muslimischer Kinder spiegelt sich das 227 polarisierende, im Verschwörungsdenken verhaftete Weltbild der Bewegung wider: "Die Imperialisten wollen nicht, dass eure Kinder zu guten Muslimen erzogen werden. Sie stiften ganz offen und hinterhältig eine Reihe von Intrigen an, damit sie ohne Glauben aufwachsen. Sie wollen nicht, dass eure Kinder beten, sie wollen nicht, dass eure Kinder fasten. Ihnen [den Imperialisten] gefällt es nicht, dass eure Kinder sittsam, ehrenhaft, gottesfürchtig, anständig und wohlerzogen sind. (...) Lasst uns alles, was der Koran, die Sunna, der Islam, die Scharia, die islamische Rechtswissenschaft, der Sufismus und die Orden in diesem Punkt vorschreiben, in die Tat umsetzen." ("Milli Gazete" vom 5. Juli 2007, S. 14) Zentrales Anliegen der IGMG-Bildungsarbeit ist es, die religiöse und kulturelle Identität türkischer bzw. türkischstämmiger Jugendlicher zu wahren. Diese wird als Voraussetzung für die nach außen grundsätzlich begrüßte Integration in die deutsche Gesellschaft angesehen; eine Assimilation wird jedoch strikt abgelehnt. Es liegen verschiedene Anhaltspunkte dafür vor, dass die Bildungsarbeit der IGMG nach wie vor am Islamverständnis und den Zielsetzungen der "Milli Görüs"-Bewegung ausgerichtet ist, was in deutlichem Widerspruch zur bekundeten Integrationsbereitschaft steht. So verbreitete die Jugendabteilung der IGMG-Düsseldorf folgende Definition von "Milli Görüs": "Eine Mission, ein Kampf, eine Leidenschaft ist Milli Görüs! (...) Die Mission derjenigen, die an der Seite Allahs [hak; auch: des Rechts] in Reihen aufmarschieren, ist Milli Görüs! Der Kampf derjenigen, die Opportunismus zurückweisen und in Bezug auf ihren Glauben keinerlei Kompromisse eingehen, ist Milli Görüs!" (Internetseite der Jugendabteilung der IGMG-Düsseldorf, 16. Oktober 2007) 228 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Von "TV 5" zitierte Äußerungen des Jugendvorsitzenden der der IGMG zugehörigen Fatih-Moschee in München, Yakup Akbay, zu den Zielsetzungen der IGMG stehen im Kontrast zu jedwedem ernsthaften Integrationsansatz und verweisen auf ein sehr langfristig angelegtes Strategiekonzept der "Milli Görüs"-Bewegung. Der Moderator der Sendung zitierte Akbay wie folgt: "Die Jugendlichen in der Türkei und in Deutschland unterscheiden sich erheblich. Die Jugendlichen in der Türkei, die sich nicht in fremder Umgebung befinden, leben, ohne sich ihrer Werte bewusst zu sein. Die [türkischen] Jugendlichen in Deutschland dagegen sind sich ihrer Werte genau bewusst. Wenn Europa schrittweise zum Islam kommt, dann ist das der Erfolg der hier lebenden Jugendlichen bzw. der Muslime. Dass die Jugendlichen sich hier nicht verlieren, ist die große Aufgabe der Organisation. Wenn Europa, wie wir es erhoffen, islamisiert wird, so wird dies das Verdienst der hiesigen Muslime bzw. der türkischen Gemeinschaft sein. Dafür leisten wir Grundlagenarbeit. Zunächst müssen wir unsere eigene Identität bewahren, das ist sehr wichtig. Dies müssen wir dann noch weiter ausbauen und an die Nichtmuslime, also die hiesige Bevölkerung, weitergeben. (...) Wir müssen ernsthafte Projekte entwickeln, um noch mehr Jugendliche zu erreichen. Diese sollen möglichst wissenschaftlich untermauert und auf die nächsten einbis zweihundert Jahre angelegt sein." ("TV 5" vom 6. Juni 2007) In einem Kommentar zum Koranrezitationswettbewerb des IGMG-Regionalverbandes Ruhr A in Dortmund lobte ein "Milli Gazete"-Kolumnist die "segensreichen Auswanderer" und deren "gleichsam heldenhaften Kampf", wobei er vor allem auf die 229 IGMG-Jugend - in Abgrenzung zu Gleichaltrigen der westlichen Gesellschaft - als Hoffnungsträger für eine positive Zukunft setzte: "Was soll man zu der Opferbereitschaft, dem Eifer, der Tätigkeit von Tausenden, ja Zehntausenden gläubiger Geschwister sagen, die sich in der Institution der Milli Görüs in Vereinen versammelt haben und dem Begriff 'Milli' eine ganz besondere Bedeutung verliehen haben? Sie sind es, die die meisten Glückwünsche und den meisten Dank verdient haben. (...) Ja, um die schlimme Entwicklung im Westen zu stoppen, bemühen sich unsere im Westen lebenden Menschen unermüdlich und unablässig, den universellen Glauben des Islam wie einen Heiltrank, eine Medizin in die Herzen und Gemüter der eigenen wie auch der übrigen Menschen einzuflößen." ("Milli Gazete" vom 14. Februar 2007, S. 15) Auch die IGMG-Jugendorganisation Hessen stellte in einem in Gießen (Hessen) durchgeführten "Seminar zur Stählung" die Abgrenzung zur deutschen Gesellschaft in den Vordergrund. Der regionale Jugendvorsitzende Hakan Bayhan erläuterte das Thema der Veranstaltung wie folgt: "Stahl ist deshalb Stahl, weil sich darin keine Zusätze und keine Schlacken befinden; wir wünschen uns auch eine Jugend, die sich von außen nicht beeinflussen lässt, die zugunsten ihrer Ideale Opfer erbringen kann und die der Gesellschaft von Nutzen ist. Deswegen nennen wir dies 'Stählung'." ("Milli Gazete" vom 12. Dezember 2006, S. 19) Der IGMG-Vorsitzende für Bildung und Erziehung, Mehmet Gedik, hob in einer Erklärung zur Bedeutung der IGMG-Sommerschulen die Identitätswahrung sowie eigene Traditionen und Werte hervor: 230 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Die Identitätsprobleme unserer in Europa lebenden Kinder geben von Tag zu Tag Anlass zu noch tiefgreifenderen Diskussionen. Gleichzeitig sind weder die Lösungsvorschläge der wichtigsten Regierungen [Europas] noch die der Landesregierungen unter muslimischen Gesichtspunkten zufriedenstellend. Seit Jahren versuchen Nichtregierungsorganisationen das Identitätsproblem unserer Kinder in den Griff zu bekommen. Doch all diese Arbeiten haben nicht dazu geführt, dass das gewünschte Niveau erreicht wurde. Weil, um das gewünschte Niveau zu erreichen und Erfolg zu haben, ist es unabdingbar und ein wichtiger Faktor, nicht zu vergessen, dass diese Kinder Muslime sind." ("Milli Gazete" vom 31. Mai 2007, S. 20) Die IGMG ist kein durchgehend homogener Verband. Einige Wertung Führungsfunktionäre scheinen bemüht zu sein, eine größere Eiund Ausblick genständigkeit der Organisation gegenüber der türkischen "Milli Görüs" zu erreichen und sich allmählich vom strikt islamistischen Kurs Erbakans zu lösen. Moderatere und Integrationsbereitschaft signalisierende Aussagen von Vertretern dieser in Ansätzen erkennbaren Strömung sind möglicherweise nicht nur aus taktischen Erwägungen für eine skeptische Öffentlichkeit bestimmt, sondern auch inhaltlich motiviert. Die Verflechtungen zwischen den einzelnen Komponenten der Bewegung und das dogmatische Festhalten maßgeblicher "Milli Görüs"-Protagonisten an bisherigen ideologischen Positionen stellen die verbalen Bekenntnisse der IGMG zu Demokratie und Rechtsstaat und damit implizit die mögliche Abkehr vom politischen Konzept Erbakans jedoch in Frage. Vor allem ist zweifelhaft, ob Reformveränderungen vor dem Hintergrund der realen Einbindung in die "Milli Görüs"-Bewegung innerorganisatorisch durchzusetzen oder gar nachhaltig zu etablieren sind. In der gegenwärtigen Konstellation besteht deshalb eine erhebliche Diskrepanz zwischen dem nach außen erklärten Anspruch der IGMG, der Lebenswirklichkeit ihrer Mitglieder, insbesondere der Jugendlichen, in einem mehrheitlich nicht-muslimischen, pluralistischen und säkularen Gemeinwesen gerecht zu werden, und den tatsächlichen Aktivitäten. Diese scheinen in ihrer Gesamtheit eher desintegrative Wirkungen zu entfalten und auf231 grund der generellen Prägung durch die "Milli Görüs"-Ideologie eine ablehnende Haltung gegenüber westlichen Werten und Demokratiedistanz zu fördern. 2.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") Gründung: 1984 in Köln Leitung (bis zum Verbot): Metin Kaplan Anhänger in Deutschland: 750 (2006: ca. 750) Vereinsverbot: 12. Dezember 2001 Die von Cemaleddin Kaplan 1984 in Köln gegründete und in Deutschland mittlerweile verbotene Organisation "Kalifatsstaat" (ehemals "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V., Köln" - ICCB) verstand sich als Wiederbelebung des durch Kemal Atatürk 1924 in der Türkei abgeschafften Kalifats. Ziel der Organisation war es, die laizistische Staatsordnung in der Türkei zu beseitigen und durch ein islamisches Staatswesen, das allein auf der Scharia basiert, zu ersetzen. Langfristig strebte die Organisation die Weltherrschaft des Islam unter Führung eines einzigen Kalifen an. Demokratische und rechtsstaatliche Grundsätze, die ihrer Ansicht nach mit dem Islam nicht vereinbar waren, wurden unverhohlen abgelehnt. Verbot zeigt Seit den 2001 und 2002 vom Bundesminister des Innern gegen weiterhin Wirkung den "Kalifatsstaat" und insgesamt 36 Teilorganisationen erlassenen Vereinsverboten sowie zahlreichen polizeilichen Exekutivmaßnahmen hält sich die Mehrheit der ehemaligen Mitglieder mit offenen Nachfolgeaktivitäten zurück. Einzelne bemühen sich jedoch, organisatorische Zusammenhänge aufrechtzuerhalten und die Ideologie der Organisation - u.a. über das Internet - weiterhin zu verbreiten. Über einen Webserver aus den Niederlanden, wo die Organisation nicht verboten ist, werden Internetseiten in türkischer Sprache bereitgestellt und in unregelmäßigen Abständen aktualisiert. 232 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Am 12. Oktober 2004 wurde der Sohn des Organisationsgründers Spaltung der und ehemaligen Leiters des "Kalifatsstaates", Metin Kaplan, in Anhängerschaft die Türkei abgeschoben, was einen Streit der in Deutschland verbliebenen Anhänger um die Führung der Organisation nach sich zog. Daraufhin kam es im Jahr 2006 zu einer dauerhaften Spaltung der Anhänger Kaplans in zwei konkurrierende Fraktionen, die sich beide auf die ideologischen Vorstellungen des Gründers Cemaleddin Kaplan berufen. 3. Sonstige 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten Das vom iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini definierte und in der iranischen Verfassung verankerte Ziel der "Islamischen Revolution" und die Verbreitung ihrer ideologischen Grundlagen in der islamischen Welt und darüber hinaus blieben wesentliche Bestandteile iranischer Politik. Das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH) ist eines der wichtigs"Islamisches ten islamischen Zentren in Deutschland und nimmt hinsichtlich Zentrum des iranischen "Revolutionstransfers" nach wie vor eine besonHamburg" (IZH) dere Rolle wahr. Das IZH verbreitet die schiitische Glaubenslehre, verbunden mit der Propagierung der iranischen Staatsdoktrin, nach der die Staatsgewalt nicht vom Volke ausgehe, sondern allein religiös legitimiert werden könne. Das IZH unterhält enge Kontakte zum iranischen Außenministerium. Der Leiter des IZH (zurzeit Ayatollah Seyyed Abbas Ghaem-Maghami) wird vom iranischen "Revolutionsführer" ernannt und fungiert als dessen direkter Vertreter in Mitteleuropa. Auch europaweit ist das IZH eine wichtige Anlaufstelle für schiitische Muslime und eines der aktivsten Propagandazentren der Islamischen Republik Iran. Zu den Besuchern des IZH gehören neben Iranern regelmäßig auch Angehörige anderer Nationalitäten wie Iraker, Afghanen, Pakistaner, Türken, Nordafrikaner und deutsche Muslime. Eines der wichtigsten Ziele des IZH ist es, Iraner, aber auch Muslime anderer Nationalitäten, politisch-religiös zu beeinflussen und für die weltweite Expansion der iranischen "Revolutionsidee" zu instrumentalisieren. Das IZH veranstaltet Gebetsveranstaltungen (Freitagsgebete), Vortragsveranstaltungen zu islamischen Themen und Festivitäten anlässlich schiitischer Feiertage. Es vertreibt zudem eine 233 Vielzahl von Broschüren und Zeitungen in verschiedenen Sprachen. Als eigenes monatliches Organ gibt es die deutschsprachige Broschüre "Al-Fadschr" ("Die Morgendämmerung") heraus. Dort werden u.a. religiöse Themen, Berichte über regelmäßig stattfindende Veranstaltungen, Auszüge aus Freitagspredigten sowie "Nachrichten aus der islamischen Welt" veröffentlicht. "Muslim-Markt" Betreiber des im Jahre 1999 gegründeten deutschsprachigen In(MM) ternetportals "Muslim-Markt" (MM) ist der türkischstämmige islamistische Schiit Yavuz Özoguz, unterstützt durch seinen Bruder Gürhan Özoguz. Über den MM wird direkt oder indirekt antizionistische und antiisraelische Propaganda verbreitet. Daneben fiel Yavuz Özoguz in der Vergangenheit wiederholt durch islamistische Äußerungen auf. 2005 hatte er im MM einen in Gebetsform abgefassten Text veröffentlicht, der sich gegen einen deutschen Islamwissenschaftler richtete. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hatte seinerzeit wegen öffentlicher Aufforderung zu Straftaten gem. SS 111 Abs. 1 und 2 Strafgesetzbuch Anklage erhoben. Die Eröffnung eines Hauptverfahrens war jedoch vom OLG Oldenburg abgelehnt worden, da ein hinreichender Tatverdacht nicht gegeben sei. 3.2 "Tablighi Jama'at" (TJ) ("Gemeinschaft der Verkündung und Mission") Gründung: um 1926 in Indien Leitungsgremium: Welt-Schura-Rat Vorsitzender: Maulana Ibrahim Saad Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 700 (2006: ca. 600) Transnationale Bei der von Maulawi Muhammad Ilyas (1885-1944) um 1926 in InMassenbewegung dien gegründeten islamistischen TJ handelt es sich um eine transnationale Massenbewegung mit weltweit mehreren Millionen Anhängern. Nach der Abschaffung des Kalifats in der 234 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Türkei 1924 wollte Ilyas die Muslime an ihre Pflicht erinnern, die Geund Verbote des Islam zu befolgen. Die Notwendigkeit der Übermittlung der islamischen Botschaft leitete er ab aus dem koranischen Gebot "das Gute verbreiten und das Schlechte verhindern", für das er die Begriffe "tabligh" und "dawa" (arab., entspricht: "Einladung zur Mission") verwendete. Das spirituelle Zentrum der TJ befindet sich in Nizamuddin, einem Stadtteil Neu-Delhis (Indien). Weitere wichtige Orte sind Raiwind (Pakistan) und Dhaka (Bangladesch). Ein maßgebliches Zentrum der TJ in Europa ist Dewsbury (Großbritannien). Daneben verfügt die TJ in mehreren europäischen Staaten, z.B. in Frankreich, den Niederlanden und Portugal, über nationale TJ-Zentralen. Missionierungsreisen sind die Pflicht jedes TJ-Anhängers und Schwerpunkt prägend für die gesamte Bewegung. Die Anhänger der TJ sind Missionierung gehalten, regelmäßig, freiwillig und unbezahlt missionarisch tätig zu werden, um ihren Glauben zu verbreiten und selbst zu einer besonderen Frömmigkeit zu gelangen. Im Rahmen ihrer Missionierungsbemühungen zielt die TJ auf die weltweite Islamisierung der Gesellschaft. Durch das vorbildhafte Leben des islamischen Glaubens jedes Einzelnen sollen Muslime zu einem streng an Koran und Sunna ausgerichteten Leben angeleitet werden. Die von der TJ propagierte Auslegung des Korans und seiner Rechtsvorschriften impliziert insbesondere die Ablehnung einer auf der Trennung von Religion und Staat basierenden demokratischen Verfassung. Die TJ, die sich selbst als unpolitisch begreift, spricht bei ihren Missionierungsbemühungen keine klar umgrenzte Zielgruppe an. Zwar werden insbesondere junge, wirtschaftlich und sozial benachteiligte Muslime sowie junge Konvertiten von der TJ als sehr empfänglich für ihre Botschaften eingeschätzt. Gleichwohl steht die Kontaktaufnahme zu allen Muslimen und der Versuch, diese zu einem Leben im Sinne der TJ zu bekehren bzw. zurückzuführen, im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten. Zudem scheint die Organisation eine gewisse Akzeptanz bei einer Vielzahl von Muslimen zu genießen, auch wenn sie einzelne Methoden oder Inhalte der Lehre nicht akzeptieren. 235 Die TJ lehnt nach eigenem Bekunden Gewalt grundsätzlich ab. Aufgrund ihres Islamverständnisses und der weltweiten Missionierungstätigkeit besteht jedoch die Gefahr, dass sie islamistische Radikalisierungsprozesse befördert, z.B. durch die Entfremdung ihrer Anhänger von europäischen Wertvorstellungen und Gesellschaftsformen. In Einzelfällen ist belegt, dass Mitglieder terroristischer Gruppierungen und Netzwerke die Infrastruktur der TJ zu Reisezwecken nutzten. Es liegen darüber hinaus Anhaltspunkte vor, dass "jihadistische" Organisationen versuchen, TJ-Anhänger als Mitglieder zu rekrutieren, indem sie das durch die TJ geprägte Islamverständnis der Zielpersonen durch eine "jihadistische" Komponente ergänzen. TJ in Deutschland Die Koordination der Aktivitäten der TJ in Deutschland findet über ein hierarchisch aufgebautes personelles Netzwerk und über informelle Kontakte der Anhängerschaft untereinander statt. Eine übergeordnete weisungsbefugte Instanz gibt es nicht, ebensowenig eine TJ-Zentrale in Deutschland. TJ-Einrichtungen bzw. TJ-nahe Einrichtungen existieren in Hannover, Hamburg, Berlin, Köln, Friedrichsdorf (Hessen), Erfurt, Bochum, München und Pappenheim (Bayern). Diese Vereine bzw. Moscheen weisen in ihren Satzungen allerdings nicht explizit auf die TJ hin. Zur Abstimmung und Kontrolle der Missionierungsarbeit sowie zum Austausch von Erfahrungen dienen diverse TJ-Versammlungen auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene. In Berlin fand im April 2007 eine Großveranstaltung der TJ mit ca. 500 Teilnehmern aus dem Inund Ausland statt. Als Prediger traten u.a. Gelehrte der TJ aus Pakistan und Indien auf, die in ihren Reden die Pflicht eines jeden TJ-Anhängers zur Missionierung betonten und zu einer verstärkten Missionierungstätigkeit aufriefen. 236 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3.3 "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/ "Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB) Gründung: Anfang der 1990er Jahre im Kaukasus Leitung: Dokku Umarov Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 500 (2006: ca. 500) Die Bezeichnung "Tschetschenische Separatistenbewegung" Konflikt in (TSB) ist ein Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden. Die OrganiTschetschenien sation nennt sich selbst "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI). Sie entstand Anfang der 1990er Jahre im Zuge der Auflösung der Sowjetunion. Die Anhänger der CRI/TSB streben einen von der Russischen Föderation unabhängigen islamischen Staat auf Grundlage der Scharia an. Die Russische Förderation sei in Form eines "Heiligen Krieges" zu bekämpfen, um der tschetschenischen Bevölkerung ein freies, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen. Dabei verfolgt die CRI/TSB eine gewaltbefürwortende und gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtete Strategie. Die bewaffneten Auseinandersetzungen, die in zwei "Feldzügen" unter Einsatz des Militärs der Russischen Föderation und massiver Terrorakte der Separatisten (Geiselnahmen in einem Moskauer Theater 2002 und in einer Schule in Beslan 2004) kulminiert waren, haben sich in ihrer Intensität verringert, strahlen aber stärker in benachbarte Regionen des Nordkaukasus (insbesondere Inguschetien) aus. Nachdem die CRI/TSB im Jahr 2006 personelle Verluste in der Führungsspitze hinnehmen musste, kam es zu einer Neuorganisation ihrer "militärischen" Strukturen. Dadurch wurde auch die Position der "Mujahidin" in der Kaukasusregion gefestigt. Umarov, "Präsident" und Anführer der CRI/TSB, befürwortet Aufruf zum "Jihad" nach wie vor den Kampf gegen die Sicherheitskräfte der Russischen Föderation. Seine gewaltbejahende islamistische 237 Grundhaltung wird durch vielfältige im Internet veröffentlichte Erklärungen, Videobotschaften und Interviews belegt. In seiner "Botschaft an die Muslime des Kaukasus und Russlands" hat Umarov zum "Jihad" als unmittelbare religiöse Pflicht aufgerufen: "Jihad - das ist Anbetung, eine der Verpflichtungen und die Antwort auf den Ruf des Allerhöchsten. (...) Die aufrichtigen Muslime ziehen in den Jihad, suchen die Zufriedenheit Allahs und bekämpfen offen die Besatzer und Verräter. (...) Unsere Gefallenen sind im Paradies, und ihre Gefallenen sind in der Hölle, Insha Allah! (...) Meine Botschaft an die kämpfenden Muslime des Kaukasus (...) ist meine Verpflichtung vor Allah als rechtmäßiger Emir der Muslime, und sie ist ein direkter Befehl für jene, deren Seelen der Scharia des Allerhöchsten unterstellt sind und die Zuflucht vor seinem Zorn suchen." (CRI/TSB-nahe Internetseite, 4. Dezember 2007) Sofern ein Muslim sich nicht an den Kampfhandlungen beteiligen könne, sei er zumindest verpflichtet, den "Jihad" finanziell und organisatorisch zu unterstützen bzw. zur Bekehrung zum Islam aufzurufen und für den Erfolg der "Mujahidin" und den Sieg des Islam zu beten. In einem Interview bekräftigte Umarov seinen Glauben an den Sieg der CRI/TSB über die Russische Föderation und die Unabhängigkeit Tschetscheniens: "Wir zweifeln nicht am Erfolg und an der unvermeidlichen Niederlage des russischen Imperiums, die im Endergebnis unbedingt zur Vertreibung der Besatzer aus dem Kaukasus führen wird. (...) Wir besitzen unseren Staat. Er wurde am 6. September 1991 als Ergebnis der Volksrevolution wiedererrichtet." (CRI/TSB-nahe Internetseite, 4. Dezember 2007) 238 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Im Oktober 2007 rief Umarov das "Kaukasische Emirat" aus und ernannte sich damit selbst zum "Herrscher der kaukasischen Völker": "Ich verkünde offiziell die Gründung des Kaukasischen Emirats. Den gesamten kaukasischen Boden, auf dem die Mujahidin (...) den Jihad führen, erkläre ich zum Gouvernement des Kaukasischen Emirats. Ich, der Emir der Mujahidin des Kaukasus, bin die einzige rechtmäßige Gewalt auf allen Territorien, auf denen sich Mujahidin befinden. (...) Nach der Vertreibung der Ungläubigen müssen wir den gesamten historischen Boden der Muslime zurückerobern, und diese Grenzen gehen über die Grenzen des Kaukasus hinaus." (CRI/TSB-nahe Internetseite, 7. Dezember 2007) Neben der Russischen Föderation nannte Umarov auch andere Feinde: "Alle, die die Muslime angegriffen haben, (...) sind unsere gemeinsamen Feinde. Unser Feind ist nicht nur Russland, sondern auch Amerika, England und Israel, alle die gegen den Islam und die Muslime Krieg führen." (CRI/TSB-nahe Internetseite, 7. Dezember 2007) Derzeit ist offen, ob der hier zum Ausdruck kommende Kurs von der Anhängerschaft geteilt wird. 239 Umarov hält an seiner Absicht fest, dass die Zivilbevölkerung kein Ziel der Gewalt sein soll: "Ausgehend von den Bestimmungen der Scharia - 'Kämpft gegen sie genauso wie sie gegen euch kämpfen, aber begeht keine Verbrechen' - sind wir bereit, an den Prinzipien des sogenannten 'internationalen Rechts' festzuhalten, wenn Russland diese Regeln beachten wird." (CRI/TSB-nahe Internetseite, 4. Dezember 2007) Aktivitäten der Die Aktivitäten der Unterstützer der CRI/TSB in Deutschland reiCRI/TSB in chen von Propagandaarbeit über Geldsammlungen für humaDeutschland nitäre Projekte bis zur finanziellen und materiellen Förderung der CRI/TSB sowie der verdeckten Sammlung und Weiterleitung von Spendengeldern nach Tschetschenien. Die CRI/TSB tritt in Deutschland mit vermutlich taktisch motivierter Zurückhaltung auf. Bislang wurden keine Gewaltaktionen gegen russische Staatsangehörige oder Einrichtungen in Deutschland festgestellt. Gleichwohl muss in Betracht gezogen werden, dass eine Eskalation der Auseinandersetzungen in der Krisenregion die Haltung der CRI/TSB verändern könnte. Ein möglicher Konfliktimport würde direkte Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland befürchten lassen. 240 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maßnahmen des BMI Organisation Datum der Verbotsgründe Verfahrensstand Verbotsverfügung "Kalifatsstaat" 8. Dezember 2001, * Bestrebungen Rechtskräftige und Teilu.a. gegen die verfasVerbote organisationen sungsmäßige Ord(Urteil des nung und den GeBVerwG vom danken der Völ27. November kerverständigung 2002, u.a.). (Ablehnung demokratischer Regierungsformen, Ziel der Einführung einer islamischen Ordnung auf Grundlage der Scharia sowie Agitation gegen Israel, gegen Juden und die Republik Türkei); * Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von politischen Zielen "Hizb ut-Tahrir" Betätigungsverbot * Verstoß gegen Betätigungsverbot (HuT) am 10. Januar 2003 den Gedanken der ist rechtskräftig Völkerverständi(Urteil des BVerwG gung (Negation vom 25. Januar des Existenzrechts 2006). Israels); * Befürwortung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Belange 241 "Al-Aqsa e.V." 31. Juli 2002 u.a. Verbot ist rechts- * Verstoß gegen kräftig (Urteil des den Gedanken der BVerwG vom Völkerverständi3. Dezember 2004). gung; * Unterstützung einer Vereinigung außerhalb der Bundesrepublik Deutschland, die Anschläge gegen Personen veranlasst, jeweils durch finanzielle Unterstützung von HAMASSozialvereinen "YATIM-Kinder30. August 2005 NachfolgeMit Ablauf der hilfe e.V." organisation des Klagefrist am rechtskräftig 5. Oktober 2005 verbotenen wurde das Verbot "al-Aqsa e.V." bestandskräftig. "Bremer Selbstauflösung mit BMI hatte am Hilfswerk e.V." Wirkung vom 3. Dezember 2004 18. Januar 2005; ein vereinsrechtliLöschung im ches ErmittlungsVereinsregister verfahren mit dem am 29. Juni 2005 Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e.V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 242 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH-TERRORISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Yeni Akit GmbH" 22. Februar 2005 * Leugnung und Mit Ablauf der Frist Verlegerin der Verharmlosung zur Einlegung eines Europa-Ausgabe des Holocausts in Rechtsmittels Ander türkischvolksverhetzenfang 2006 wurde sprachigen der Weise; das Verbot beTageszeitung standskräftig. "Anadoluda Vakit" * Verbreitung antisemitischer/antiwestlicher Propaganda 243 244 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) 245 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) I. Überblick 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) Wie in den vergangenen Jahren wurde das Verhalten der in Deutschland agierenden - nicht islamistischen - extremistischen Ausländerorganisationen auch im Jahr 2007 wieder im Wesentlichen durch die Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Die meisten dieser Organisationen betrachten Deutschland als Rückzugsraum, von dem aus sie ihre Ziele im Heimatland durch Agitation verfolgen sowie ihre Mutterorganisationen auch materiell bzw. finanziell unterstützen können. PKK/KONGRA GEL Der in der Nachfolge der PKK gegründete "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) ist die mitgliederstärkste Organisation in Deutschland. Er strebt nach eigenem Bekunden u.a. an, eine größere politische und kulturelle Eigenständigkeit der Kurden in ihren Herkunftsländern, vor allem der Türkei, zu erreichen. Hiermit verbunden ist die Forderung nach verbesserten Haftbedingungen für den in der Türkei inhaftierten PKK-Gründer Abdullah Öcalan. Trotz eines am 1. Oktober 2006 ausgerufenen "einseitigen" Waffenstillstandes der "Volksverteidigungskräfte" (HPG) des KONGRA GEL kam es auch 2007 wieder zu militärischen Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften. Im Herbst eskalierte die Lage; die Kampfhandlungen führten zu größeren Verlusten auf beiden Seiten. Dies hatte auch Auswirkungen auf Europa und - aufgrund der stark vertretenen Anhängerschaft des KONGRA GEL - vor allem auf Deutschland. Es kam vermehrt zu Demonstrationen sowohl von Anhängern des KONGRA GEL als auch von national eingestellten Türken. Linksextremistische Linksextremistische Ausländerorganisationen zielen im WePositionen sentlichen darauf ab, die bestehende Gesellschaftsordnung in ihren Heimatländern im Wege einer Revolution zu zerschlagen und dort sozialistische bzw. kommunistische Systeme zu errich246 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE ten. Die ideologischen Wurzeln dieser - in der Mehrzahl türkischen - Gruppierungen finden sich zumeist im Bereich des Marxismus-Leninismus und des Maoismus. Türkische linksextremistische Organisationen richteten ihre AgiTürkische linkstation vor allem gegen die Türkei, zum Teil aber auch gegen die extremistische deutsche Ausländerund Sozialpolitik. Die in Deutschland verOrganisationen botene "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) beendete im Januar 2007 vorläufig ihre seit einigen Jahren anhaltende Kampagne gegen die Verlegung "politischer Gefangener" aus Großraumgefängnissen in Einzelzellen türkischer Haftanstalten, nachdem das türkische Justizministerium konkrete Schritte zur Änderung der Haftbedingungen angekündigt hatte. Einige türkische linksextremistische Organisationen bekannten sich auch wieder zu terroristischen Aktivitäten in der Türkei. Für nationalistische oder nationalistisch geprägte AusländerorNationalistische ganisationen - hier sind in erster Linie türkische Gruppierungen Positionen zu nennen - hat die Kategorie der "Nation" sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell die höchste Priorität. Interessen und Rechte anderer Völker werden missachtet. Für Nationalisten bemisst sich der Wert eines Menschen nach seiner Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse. Eine solche Ideologie ist unvereinbar mit den fundamentalen Menschenrechten und verstößt gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Anhänger extremistischer iranischer Oppositionsgruppen Iranische wenden sich weiterhin gegen die Herrschaftsverhältnisse in der OppositionsIslamischen Republik Iran. Die "Volksmodjahedin Iran-Organigruppen sation" (MEK) und ihr in Europa agierender politischer Arm "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) setzten sich mit intensiver Propaganda erneut dafür ein, dass die MEK von der europäischen und US-amerikanischen Liste terroristischer Organisationen gestrichen wird. Nachdem das Europäische Gericht in 1. Instanz im Dezember 2006 der Klage der Organisation gegen die Aufnahme in die EU-Liste zunächst stattgegeben hatte, bestätigte der EU-Rat die Listung. Asiatische separatistische Organisationen, wie z.B. die "LiberaAsiatische tion Tigers of Tamil Eelam" (LTTE), die in Sri Lanka einen eigenen Separatisten tamilischen Staat fordern, und Organisationen der Sikhs, die für einen unabhängigen Staat "Khalistan" auf dem Gebiet Indiens 247 eintreten, konzentrierten sich in Deutschland weiterhin auf propagandistische Aktivitäten sowie die Beschaffung von Geldmitteln zur Unterstützung ihrer Organisationen in den jeweiligen Heimatländern. 2. Organisationen und Personenpotenzial Bei den nicht islamistischen sicherheitsgefährdenden bzw. extremistischen Ausländerorganisationen blieb das Mitgliederund Anhängerpotenzial der 45 Organisationen mit 25.250 Personen gegenüber dem Vorjahr unverändert: Das Potenzial der linksextremistischen oder linksextremistisch-geprägten Ausländergruppierungen blieb mit 16.870 Personen ebenso gleich wie die Mitgliederund Anhängerzahl der nationalistischen Ausländergruppierungen mit 8.380 Personen. Mitgliederpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen1 (ohne Islamismus) Staatsangehörigkeit Linksextremisten Extreme Gesamt bzw. Nationalisten Volkszugehörigkeit Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Kurden2 2007 19 11.500 19 11.500 2006 19 11.500 19 11.500 2005 19 11.500 19 11.500 Türken2 2007 12 3.150 1 7.500 13 10.650 2006 12 3.150 1 7.500 13 10.650 2005 12 3.150 1 7.500 13 10.650 248 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE Araber2 2007 4 150 4 150 2006 4 150 4 150 2005 4 150 4 150 Iraner 2007 2 1.150 2 1.150 2006 2 1.150 2 1.150 2005 2 1.150 2 1.150 Sonstige 2007 2 920 5 880 7 1.800 2006 2 920 5 880 7 1.800 2005 2 940 5 930 7 1.870 Summe 2007 39 16.870 6 8.380 45 25.250 2006 39 16.870 6 8.380 45 25.250 2005 39 16.890 6 8.430 45 25.320 1 Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen 1. Kurden 1.1 Überblick Von den etwa 500.000 in Deutschland lebenden Kurden sind ungefähr 11.500 als Anhänger dem "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) zuzurechnen. Sie unterstützen den KONGRA GEL insbesondere in seiner Forderung nach mehr politischer und kultureller Eigenständigkeit der kurdischen Minderheit in der Türkei. Weitere zentrale Themen der Organisation sind die Gesundheit und die Haftbedingungen ihres auf der türkischen Insel 249 Imrali inhaftierten Anführers, Abdullah Öcalan. Insgesamt wird das Aktionsverhalten des KONGRA GEL in Deutschland entscheidend von der Lage in der Türkei und in den kurdischen Siedlungsgebieten beeinflusst. Im Grenzgebiet zum Nord-Irak waren zuletzt verschärfte militärische Auseinandersetzungen zwischen den Guerillaeinheiten des KONGRA GEL, den so genannten Volksverteidigungskräften (HPG), und der türkischen Armee zu verzeichnen. 1.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/"Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) Gründung: 1978 als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in der Türkei Leitung: Zübeyir Aydar (in Abhängigkeit vom inhaftierten Abdullah Öcalan, dem Präsidium und dem Exekutivrat) Mitglieder/Anhänger: ca. 11.500 (2006: ca. 11.500) Publikationen: u.a. "Serxwebun" ("Unabhängigkeit"), monatlich Betätigungsverbot: seit 26. November 1993 (KADEK und KONGRA GEL sind von dem Betätigungsverbot der PKK mit umfasst) 250 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE 1.2.1 Allgemeine Lage Die von der EU seit 2002 als Terrororganisation gelistete PKK verfolgt auch unter anderslautenden Bezeichnungen - seit April 2002 KADEK und seit November 2003 KONGRA GEL - weiterhin eine Doppelstrategie, indem sie sich in Europa um ein weitgehend gewaltfreies Erscheinungsbild bemüht, während sie in der Türkei - vor allem in der nord-irakischen Grenzregion - militantoffensiv agiert. Unumstrittener Anführer ist weiterhin der seit 1999 in der Türkei inhaftierte Gründer der Organisation, Abdullah Öcalan. Im März 2005 war - basierend auf den Vorstellungen Öcalans - 5. Volldie Idee einer so genannten Koma Komalen Kurdistan ("Geversammlung meinschaft der Kommunen in Kurdistan" - KKK) eingeführt worden. Den Verlautbarungen des KONGRA GEL zufolge soll dieses Modell die kurdische Identität fördern und - bei Anerkennung der bestehenden Staatsgrenzen - zu einem politischen Verbund der Kurden in der Region führen. Auf seiner fünften Vollversammlung vom 16. bis 22. Mai 2007 in den Kandil-Bergen (NordIrak) bekräftigte der KONGRA GEL erneut diese Ziele und Leitlinien. Die bisherige Bezeichnung KKK wurde in "Koma Civaken Kurdistan" ("Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" - KCK) umbenannt. Dem Statut der KCK zufolge ist der KONGRA GEL weiterhin das oberste beschlussfassende und legislative Organ innerhalb dieses Systems. Zu einer Eskalation zwischen dem türkischen Militär und den Guerillaeinheiten des KONGRA GEL kam es im Herbst 2007, nachdem die türkische Armee durch HPG-Angriffe zahlreiche Verluste erlitten hatte. In Reaktion hierauf erteilte das türkische Parlament am 17. Oktober 2007 seine - zunächst auf ein Jahr befristete - Zustimmung für grenzüberschreitende militärische Operationen. Nach dieser Entscheidung, die von der Führung des KONGRA GEL scharf kritisiert wurde, kam es europaweit sowohl zu prokurdischen als auch zu protürkischen Demonstrationen und Protestaktionen, bei denen auch einzelne gewalttätige Auseinandersetzungen zu verzeichnen waren. Ab Mitte Dezember 2007 führte die türkische Armee Luftangriffe gegen mutmaßliche Stellungen der HPG im Nord-Irak durch. In Reaktion hierauf kam es in Europa erneut zu einer Demonstrationswelle, die sich vor allem auf türkische Botschaften und Konsulate sowie auf diplomatische Vertretungen der USA konzentrierte, denen eine Unterstützung der Militärschläge vorgeworfen wurde. 251 "Freiheitsfalken Die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) - nach eigenen Angaben Kurdistans" (TAK) im Jahr 2004 aus den HPG hervorgegangen und seitdem für zahlreiche terroristische Aktionen verantwortlich - drohten im März 2007 in einer Erklärung erneut, den Tourismus in der Türkei zum Angriffsziel zu nehmen: "Wir warnen jetzt schon, es soll kein einziger Tourist in die Türkei kommen, keiner soll Reisevorbereitungen treffen, wir haben bereits einmal unsere Ziele genannt und zugeschlagen." ("Firat News Agency" [ANF] vom 3. März 2007) Sie bekannten sich zu einem Anschlag auf ein Urlauberhotel in der Region Antalya am 29. März 2007, bei dem ein Mensch ums Leben kam und elf weitere Personen verletzt wurden, darunter auch europäische Touristen. Seit Mitte 2007 sind die TAK von der EU als Terrororganisation gelistet. 1.2.2 Organisatorische Situation Die PKK unterliegt in Deutschland seit 1993 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot, von dem auch KADEK und KONGRA GEL mit umfasst werden. Das Verbot erstreckt sich auch auf den politischen Arm der Organisation, die "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK), die heute unter der Bezeichnung "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) auftritt. Die CDK bestimmt weiterhin maßgeblich die Aktivitäten des KONGRA GEL in Europa. Vierter JahresIm Zeitraum vom 27. Mai bis 1. Juni 2007 wurde in Italien der kongress der CDK vierte Kongress der CDK mit rund 200 Delegierten durchgeführt. Mittels organisationsinterner Veränderungen sowie durch personelle Rotation soll die politische Arbeit der CDK künftig effektiver gestaltet werden. An der Spitze der CDK steht nunmehr ein Führungsfunktionär, der von einem aus fünf Personen bestehenden Gremium unterstützt wird. 252 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE Darüber hinaus wurden Veränderungen der bisherigen - in weiStrukturelle ten Teilen konspirativen - Organisationsstruktur in der BundesÄnderungen im republik Deutschland beschlossen. Die bisherige Aufteilung in Bundesgebiet drei Regionen - die so genannten Serits Nord, Mitte und Süd - mit jeweils einem Führungsfunktionär an der Spitze wurde aufgegeben. Die den Serits nachgeordneten - insgesamt 28 - Gebiete wurden, unter überwiegender Beibehaltung ihrer Struktur, in sieben so genannten Eyalets neu geordnet. Den Verantwortlichen für die "Eyalets" vorangestellt ist ein Führungsfunktionär für die Organisationsstruktur in ganz Deutschland. Die personelle Besetzung von Spitzenfunktionen des KONGRA GEL in Deutschland erfolgt überwiegend durch die europäische Leitung. Organisationsinterne Anweisungen und Vorgaben werden nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam durch zumeist konspirativ agierende Funktionäre an nachgeordnete Ebenen weitergeleitet. Anhänger des KONGRA GEL sind in über 60 Vereinen organisiert, YEK-KOM die über das gesamte Bundesgebiet verstreut sind. Davon gehören viele der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) an. Darüber hinaus sammeln sich KONGRA GEL-AnMassenhänger und -Aktivisten in einer Vielzahl so genannter Massenorganisationen organisationen, die für bestimmte kurdische Interessengruppen eingerichtet wurden. Sie sind besonders aktiv und verfügen über eine ausgeprägte Funktionärsstruktur. Hervorzuheben sind die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" sowie die Jugendorganisation "KOMALEN CIWAN" (sinngemäß "Gemeinschaft der Jugendlichen"). Ebenfalls zu den "Massenorganisationen" zählen die "Union der StudentInnen aus Kurdistan" (YXK), die "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), die "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK), die "Union der Juristen Kurdistans" (YHK), die "Union der Schriftsteller Kurdistans" (YNK) und die "Union kurdischer Familien" (YEK-MAL). Als Interessenvertretung für unterschiedliche Religionsgemeinschaften gelten daneben die "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), die "Union der Yeziden aus Kurdistan" (YEK) und die "Union der Aleviten aus Kurdistan" (KAB). Diese Gruppierungen sind zumeist mit eigenen Homepages im Internet vertreten. 253 Nutzung Der KONGRA GEL verfügt über ein umfassendes Medienwesen der Medien und kann so u.a. politische Botschaften veröffentlichen sowie die Anhänger informieren oder aktivieren. Zu nennen sind insbesondere die in Deutschland herausgegebene und stark verbreitete Zeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) sowie der Fernsehsender "Roj TV", der sein Programm von Dänemark aus über Satellit ausstrahlt. In Beiträgen dieser Medien wurden in letzter Zeit auch verstärkt Aufrufe an die kurdische Jugend, sich der Guerillabewegung HPG in den nord-irakischen Bergen anzuschließen, wiedergegeben. Berichte sowie Musikclips über das Guerillaleben sind regelmäßiger Programminhalt von "Roj TV". Eine wichtige Funktion hat auch die "Firat News Agency" (ANF), eine in den Niederlanden angesiedelte Nachrichtenagentur, auf deren Internetseite organisationsbezogene Nachrichten stetig aktualisiert werden. Auch Artikel der YÖP basieren in vielen Fällen auf Informationen der ANF. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl weiterer KONGRA GEL-naher Internetseiten. Auf der Homepage der HPG werden zum Beispiel regelmäßig - auch in deutscher Sprache - Informationen zu den Kampfhandlungen mit türkischen Streitkräften eingestellt. Auch eine den KOMALEN CIWAN zuzuordnende Internetseite enthält zahlreiche aktuelle Erklärungen der Organisationsspitze, informiert über die Aktivitäten der Guerilla und ehrt gefallene "Märtyrer". Als weiteres Element des KONGRA GEL-Medienapparates ist das Verlagswesen zu nennen. Der in Neuss (Nordrhein-Westfalen) ansässige "Mesopotamien"-Verlag verbreitet zahlreiche organisationsnahe Schriften, darunter die von Öcalan verfassten Bücher, in mehreren Sprachen, u.a. auch auf deutsch. 1.2.3 Propaganda des KONGRA GEL Mit zentral gesteuerten Propagandaaktionen versucht der KONGRA GEL in Deutschland und dem benachbarten Ausland immer wieder, öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. Im Fokus steht dabei die Situation des in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Öcalan sowie der militärische Konflikt im Grenzgebiet der Türkei zum Nord-Irak. Darüber hinaus können auch polizeiliche Maßnahmen oder andere Ereignisse Auslöser demonstrativer Aktionen sein. Zentrale Elemente der KONGRA GEL-Propaganda sind Demonstrationen und zentrale Großveranstaltungen sowie Podiumsdiskussionen, Unterschriftskampagnen, Hungerstreiks und Mahnwachen. Dabei gelingt es dem KONGRA GEL nach wie 254 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE vor, regelmäßig Tausende von Anhängern zu mobilisieren und so das zahlenmäßig hohe Niveau der Vorjahre zu halten. Im Regelfall verlaufen die Veranstaltungen friedlich und störungsfrei. Aus Anlass des achten Jahrestages der Festnahme von Öcalan am 15. Februar 1999 fand am 10. Februar 2007 in Straßburg eine Großkundgebung mit etwa 12.000 Teilnehmern statt, darunter ein großer Anteil aus Deutschland. Nach Auffassung des KONGRA GEL ist der 15. Februar 1999 Bestandteil eines "internationalen Komplotts". An den Feierlichkeiten zum traditionellen kurdischen Neujahrsfest Newroz haben am 17. März 2007 ca. 16.000 KONGRA GEL-Anhänger in Berlin teilgenommen. Newroz (21. März) bedeutet "neuer Tag" und wird von den Kurden als Fest des Widerstandes gegen Tyrannei und als Symbol für den kurdischen Freiheitskampf verstanden. Entsprechend betonte der YEK-KOMVorsitzende Mehmet Demir in seiner Rede während der Kundgebung, dass Newroz auch für Widerstand und Rebellion stehe. Einer der Anwälte Öcalans verlas zudem eine Botschaft seines Mandanten, in der die Vorgehensweise des türkischen Staates gegenüber dem kurdischen Volk verurteilt und "Newroz-Grüße" übermittelt wurden. Deutschlandweit fanden auch in anderen Städten kleinere Veranstaltungen statt. Als Reaktion auf die Behauptung von Öcalans Anwälten, ihr Mandant werde in der Haft schleichend vergiftet, traten Anhänger des KONGRA GEL von Mitte April bis Mitte Mai 2007 in Straßburg in einen Hungerstreik, darunter auch mehrere Aktivisten aus Deutschland. Die Hungerstreikenden forderten eine medizinische Untersuchung Öcalans durch eine internationale unabhängige Ärztekommission. Zu einer Großdemonstration aus gleichem Anlass reisten am 12. Mai 2007 etwa 15.000 Teilnehmer aus ganz Europa nach Straßburg. Am 14. Juli 2007 fand - wie bereits im Vorjahr - in Köln das von der KONGRA GEL-Jugendorganisation KOMALEN CIWAN organisierte "10. Mazlum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" statt. Der Name "Mazlum Dogan" soll an einen PKK-Funktionär erinnern, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben nahm und 255 seitdem als Märtyrer verehrt wird. An dem jährlich stattfindenden Festival mit überwiegend sportlichem Charakter und kulturellem Rahmenprogramm nahmen etwa 4.000 zumeist junge Kurden aus Deutschland und dem benachbarten Ausland teil. Als Reaktion auf einen tödlichen Anschlag gegen yezidische Kurden am 14. August 2007 in der Region Shengal (Provinz Mosul/Nord-Irak) kam es in Europa und vor allem in Deutschland zu zahlreichen Protestdemonstrationen. Die größte Kundgebung fand unter Beteiligung von ca. 6.000 kurdischstämmigen Demonstranten am 18. August 2007 in Hannover statt. "15. Internationales Auch das von der YEK-KOM organisierte "15. Internationale KurKurdisches dische Kulturfestival" am 1. September 2007 in Gelsenkirchen Kulturfestival" war den Opfern von Shengal gewidmet. Das jährlich ausgerichtete "Kulturfestival" stellt neben den Newroz-Feierlichkeiten den Höhepunkt der regelmäßigen KONGRA GEL-nahen Großveranstaltungen dar. Diesmal nahmen an der Veranstaltung knapp 40.000 Kurden aus Deutschland und dem benachbarten Ausland teil. In seiner Eröffnungsrede verurteilte der YEK-KOMVorsitzende, Demir, "die gegen Kurden gerichteten Operationen in Kurdistan" und führte hierzu weiter aus: "Freund und Feind sollen wissen, und ich wende mich in erster Linie an den deutschen Staat: Mit der Unterdrückung der Kurden werdet ihr kein Resultat erzielen. Das kurdische Volk führt seinen Freiheitskampf seit dreißig Jahren und es wird ihn auch weiterhin führen. Es wird den Staaten Europas nicht gelingen, uns durch eine Politik der Unterdrückung von unserer Führung zu trennen." (YÖP vom 3. September 2007, S. 5) In einer per Video übermittelten Botschaft verurteilte Murat Karayilan, hochrangiger Funktionär des KONGRA GEL, ebenfalls 256 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE die militärischen Operationen in "Kurdistan" und rief die Parteianhänger zur Wachsamkeit auf. Karayilan richtete dabei an die in Europa lebenden Kurden folgenden Aufruf: "Verstärkt euren Kampf, wo immer ihr euch befindet. Mit einem neuen Anlauf können wir die Freiheit erlangen. Diejenigen, die dazu in der Lage sind, sollen sich der Guerilla anschließen, diejenigen, die das nicht können, sollen ihre patriotische Pflicht erfüllen." (YÖP vom 3. September 2007, S. 5) Nach dem Beschluss des türkischen Parlaments vom 17. Oktober 2007, grenzübergreifende Militärschläge gegen die Guerillaeinheiten des KONGRA GEL im Nord-Irak zu erlauben, ist es Mitte Oktober bis Ende November 2007 deutschlandund europaweit zu sowohl prokurdischen als auch protürkischen Kundgebungen mit teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen gekommen. Zahlreiche Demonstrationen von Anhängern des KONGRA GEL standen dabei unter dem Motto der Kampagne "Edi Bese!" ("Jetzt reicht es!"), die ursprünglich im Spätsommer initiiert worden war, um auf den angeblich schlechten Gesundheitszustand Öcalans hinzuweisen. Dass beide Themen geeignet sind, KONGRA GEL-Anhänger in hohem Maße zu emotionalisieren, zeigt sich darin, dass zu vielen der dezentral organisierten Veranstaltungen mehrere Tausend Teilnehmer mobilisiert werden konnten. Erstmals gab es in diesem Zusammenhang auch Gegendemonstrationen mit zum Teil massivem Auftreten national eingestellter Türken, die u.a. eine verstärkte Bekämpfung der PKK forderten. Am 15. Dezember 2007 fand im Rahmen der Kampagne "Edi Bese!" in Düsseldorf eine Großdemonstration mit insgesamt ca. 10.000 Teilnehmern aus Deutschland und dem benachbarten Ausland statt. Daran nahmen auch Personen aus dem türkischen und deutschen linksextremistischen Spektrum teil. Am Rande der Veranstaltung kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, die Demonstration selbst verlief jedoch friedlich. 257 1.2.4 Aktivitäten der KOMALEN CIWAN "Hit and Run"Im Berichtszeitraum hat es mehrere Wellen so genannter Hit Aktionen and Run-Aktionen146 gegeben, die der Jugendorganisation KOMALEN CIWAN zugerechnet werden. Nach der Festnahme einiger hochrangiger KONGRA GEL-Funktionäre in Frankreich am 5. Februar 2007 wurde über organisationsnahe Medien147 eine Erklärung verbreitet, in der die KOMALEN CIWAN alle in Europa lebenden Kurden zum "radikalen, demokratischen und legalen Widerstand" aufriefen. In der Folge kam es ab dem 7. Februar 2007 zu Brandanschlägen gegen türkische Einrichtungen in mehreren deutschen Städten. Eine vergleichbare Aktionswelle fand in der Zeit vom 2. bis 21. März 2007 statt, nachdem auf der Internetseite der KOMALEN CIWAN (1. März 2007) zu Aktionen wegen der angeblichen chronischen Vergiftung Öcalans aufgerufen worden war. Bei den Anschlägen, die sich erneut vorwiegend gegen türkische Einrichtungen richteten, entstand in den meisten Fällen Sachschaden. Im Falle einer Aktion gegen einen türkischen Verein in Göppingen (Baden-Württemberg) am 21. März 2007 konnten die vier Tatbeteiligten ermittelt und am 12. September 2007 wegen versuchten vierfachen Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt werden. Nachdem es Anfang Juni 2007 in Frankreich erneut zu Verhaftungen - diesmal von mutmaßlichen Mitgliedern der KOMALEN CIWAN - gekommen war, ereignete sich am 14. Juni 2007 in Sindelfingen (Baden-Württemberg) ein Brandanschlag, zu dem sich einen Tag später auf der Internetseite der KOMALEN CIWAN eine "Apoistische148 Jugendinitiative" bekannte. Diese Bezeichnung war auch schon bei anderen Aktionen junger KONGRA GELAnhänger verwendet worden. Anders als im Frühjahr blieb es bei einer einzelnen Aktion. 146 Unter Hit and Run-Aktionen versteht man spontane militante Aktionen, z.B. Werfen von Molotowcocktails, Autoreifen in Brand setzen. 147 Vgl. z.B. YÖP vom 7. Februar 2007, S. 2. 148 "Apo" (Onkel) steht für Abdullah Öcalan. 258 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE 1.2.5 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten Neben Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen sowie dem Verkauf Spendenkampagne von Publikationen finanziert sich der KONGRA GEL in Europa hauptsächlich mittels der jährlich durchgeführten Spendenkampagne. Auch in diesem Jahr erzielte die Organisation so mehrere Millionen Euro, die nach eigenem Bekunden für den "Freiheitskampf" des kurdischen Volkes verwendet werden. Trotz der zugespitzten Lage in der Türkei und der daraus abgeleiteten Erwartung auf eine erhöhte Spendenbereitschaft schaffte es die Organisation nicht, die Ergebnisse ihrer Sammelaktion im Vergleich zum Vorjahr wesentlich zu erhöhen. Einen Großteil seiner Einnahmen benötigt der KONGRA GEL für den Unterhalt seiner Einrichtungen und Kader in Europa sowie für die Finanzierung seines aufwändigen Propagandaapparats. Auch in diesem Jahr war die Spendenkampagne durch ein erhöhtes Sicherheitsniveau und damit einhergehende Vorsicht geprägt. Die KONGRA GEL-nahe "Union Kurdischer Arbeitgeber" "Union Kurdischer (KARSAZ) hat weiter an Bedeutung verloren. So fand ein - in den Arbeitgeber" vergangenen Jahren üblicherweise im Frühjahr durchgeführ(KARSAZ) ter - Kongress auch im zweiten Jahr in Folge nicht statt. Auch andere öffentlichkeitswirksame Aktivitäten waren nicht feststellbar. 1.2.6 Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre von PKK/KADEK/KONGRA GEL Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/Main verurteilte am 16. Januar 2007 einen früheren Führungsfunktionär der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Er wurde für schuldig befunden, von Mai 1993 bis April 1994 die ehemalige PKK-Region "Nordwest" mit den Gebieten Hamburg, Bremen und Kiel geleitet zu haben. Dabei fiel nach Überzeugung des Gerichts auch die Planung und Umsetzung von Anschlägen auf türkische Einrichtungen, die in diesem Zeitraum stattfanden, in seine Verantwortung. Der Verurteilte war zu Beginn des Jahres 2006 in Österreich festgenommen und später nach Deutschland ausgeliefert worden, wo seit 1998 ein Haftbefehl gegen ihn bestand. 259 Am 24. Mai 2007 begann vor dem OLG Frankfurt/Main der Prozess gegen einen weiteren mutmaßlich führenden KONGRA GELFunktionär. Ihm wird Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Er soll zwischen Juli 2005 und August 2006 als hauptamtliches Kadermitglied des KONGRA GEL verantwortlich für den Bereich Süddeutschland sowie Mitglied der Europaführung gewesen sein. Laut Anklage war er auch für Schleusungen von Kurden aus dem Nahen Osten in die Bundesrepublik zuständig. Aufgrund eines vom Generalbundesanwalt (GBA) ausgestellten europäischen Haftbefehls nahm die französische Polizei am 13. Juni 2007 in Südwestfrankreich einen ehemaligen mutmaßlichen Führungsfunktionär der PKK fest. Der GBA führt gegen den Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung. Er befindet sich zurzeit in Auslieferungshaft. Am 2. Juli 2007 verurteilte das OLG Düsseldorf einen KONGRA GELFunktionär wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er innerhalb der Organisationsstrukturen in Deutschland als hochrangiger Führungsfunktionär aktiv war. Er war Anfang August 2006 aufgrund eines Haftbefehls in Duisburg festgenommen worden. Am 10. Juli 2007 verurteilte das Landgericht (LG) Stuttgart einen KONGRA GEL-Funktionär wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe, ausgesetzt für drei Jahre auf Bewährung. Die Polizei hatte ihn zuvor im Rahmen einer groß angelegten Durchsuchungsmaßnahme in Süddeutschland am 10. Januar 2007 festgenommen. Am 30. Juli 2007 wurde vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts Berlin Anklage gegen einen ehemaligen Führungsfunktionär der PKK wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, versuchter Brandstiftung und versuchter schwerer Brandstiftung in drei weiteren Fällen erhoben. Ihm wird vorgeworfen, von Februar 1994 bis Februar 1995 als Leiter der PKK-Region "Südwest" mehrere Brandanschläge gegen Polizeidienststellen und andere öffentliche Gebäude im süddeutschen Raum angeordnet zu haben. Der Ange260 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE klagte war am 7. März 2007 aufgrund eines Haftbefehls aus dem Jahr 1999 festgenommen worden und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Am 13. September 2007 verurteilte das LG Ulm vier Personen wegen versuchten siebenfachen Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung zu Haftstrafen zwischen sieben Jahren und vier Jahren und drei Monaten. Drei der vier Angeklagten wurden nach Jugendstrafrecht verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Täter am 21. März 2007 - im Anschluss an einen Aufruf der KOMALEN CIWAN - Brandsätze in die Räumlichkeiten eines türkischen Vereins geworfen hatten, in denen sich zur Tatzeit sieben Personen aufhielten. Am 9. Oktober 2007 nahm die Polizei einen mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen KONGRA GEL-Führungsfunktionär in Hilden (Nordrhein-Westfalen) fest. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm u.a. Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vor. In seinem Aufgabenbereich soll er sämtliche strukturellen, finanziellen, personellen und propagandistischen Angelegenheiten der Organisation geregelt haben. Die Untersuchungshaft wurde später aufgehoben. 2. Türken Die Mehrzahl der beobachteten türkischen Organisationen ist linksextremistisch ausgerichtet. Sie folgt einer marxistisch-leninistischen, zuweilen auch maoistisch geprägten Ideologie. Ihr Ziel ist ein revolutionärer Umsturz in der Türkei und die Einführung einer kommunistischen Staatsund Gesellschaftsordnung. Ihre Agitation wird daher zum Teil von den politischen Ereignissen in der Türkei, aber auch von deutschen und internationalen Themen bestimmt. Ziel vehementer Kritik türkischer Linksextremisten war z.B. der G8-Gipfel in Heiligendamm (MecklenburgVorpommern), aber auch der anhaltende Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan. Revolutionäre türkische Gruppen bekannten sich zu terroristischen Aktionen im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen in der Türkei. 261 2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) Gründung: 1994 in Damaskus (Syrien), nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten, 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") Leitung: Generalsekretär Dursun Karatas Mitglieder/Anhänger: ca. 650 (2006: ca. 650) Publikationen: "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") unregelmäßig; "Yürüyüs" ("Marsch"), wöchentlich Organisationsverbot: seit 13. August 1998 Die DHKP-C strebt auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus unverändert die revolutionäre Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei an. Sie propagiert den bewaffneten Kampf, der letztlich zur Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft führen soll. Entsprechend heißt es in einer im Internet verbreiteten türkischsprachigen Erklärung zum Jahrestag der Parteigründung: "Unser Volk! (...) wir werden eine unabhängige, demokratische und sozialistische Türkei gründen! (...). Hierfür haben wir die Partei und die Front gegründet. Hierfür haben wir den bewaffneten Kampf aufgenommen! (...). Es gibt nur einen Weg, nur eine Art der Befreiung: die Revolution ist der einzige Weg, der Sozialismus die einzige Alternative!" (Erklärung Nr. 36 der DHKP149 vom 27. März 2007; Internetveröffentlichung, 28. März 2007) 149 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei", politischer Arm der DHKP-C. 262 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE Im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen in der Türkei im Juli 2007 erklärte die DHKP in einer Internetveröffentlichung: "(...) Der Traum von einer unabhängigen und demokratischen Türkei ist nicht unerschwinglich. (...) Er ist möglich (...) allerdings nicht durch WAHLEN, sondern durch die REVOLUTION. (...) DIE REVOLUTIONÄRE VOLKSMACHT (...) wird den Imperialismus und den faschistischen Staat (...) mit seiner Armee, Polizei und Bürokratie (...) stürzen (...) wird auf den Trümmern des alten Systems einen Staat vom neuen Typ errichten (...) er wird unter der Hegemonie des Proletariats stehen." (Erklärung Nr. 37 der DHKP vom 11.Juni 2007; Homepage der DHKC150, 18. Juni 2007) In der Türkei ist die DHKP-C auch terroristisch aktiv. Ziele ihrer Anschläge waren neben staatlichen türkischen Einrichtungen Büroräume türkischer Parteien, insbesondere im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen. Besondere Aufmerksamkeit fand der Tod von vier Guerillakämpfern der DHKC im April 2007, die einer so genannten Bewaffneten Propagandaeinheit (SPB) angehörten und bei Auseinandersetzungen mit türkischen Armeeeinheiten im Osten Anatoliens ums Leben gekommen waren. Die Existenz solcher terroristischen Einheiten außerhalb der Metropolen Istanbul und Ankara war zuletzt im März 2004 bekannt geworden. Als Reaktion auf diesen Vorfall veröffentlichte die DHKC eine Erklärung im Internet. Darin heißt es u.a.: "Nur der bewaffnete Kampf kann den Imperialismus vertreiben, den Faschismus besiegen und der kapitalistischen Ausbeutung ein Ende setzen." (Erklärung Nr. 367 der DHKC vom 11. April 2007; Internetveröffentlichung, 12. April 2007) 150 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei", militanter Arm der DHKP-C. 263 Vorläufiges Ende Eine Entspannung zeichnete sich in der seit mehreren Jahren der Haftkampagne laufenden Haftkampagne der DHKP-C ab. Als Reaktion auf ein Rundschreiben des türkischen Justizministeriums, in dem konkrete Schritte zur Änderung der Haftbedingungen in den so genannten F-Typ-Gefängnissen angekündigt wurden, gab die DHKP-C am 22. Januar 2007 bekannt, das so genannte Todesfasten vorläufig zu beenden. Der Hungerstreik inhaftierter DHKP-CAktivisten - im Oktober 2000 ursprünglich als Protest gegen die Verlegung von Gefangenen aus Großraumzellen in neuerbaute Haftanstalten mit Einzelzellen begonnen - war in den vergangenen Jahren das beherrschende Agitationsthema der Organisation gewesen. In Deutschland hatten sich in der Vergangenheit vor allem die Anhänger des "Solidaritätsvereins mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei" (TAYAD) dieser Thematik angenommen. Anlässlich der Beendigung des Hungerstreiks führten Anhänger des TAYAD am 24. Februar 2007 in Köln eine Kundgebung unter dem Motto "Sieg der Hungerfastenden in der Türkei" durch, an der sich rund 150 Personen beteiligten. Veranstaltungen zum Gedenken an den Beginn des Hungerstreiks verliefen dagegen ohne nennenswerte Beteiligung und Resonanz. Kritik am ZuDie im Umfeld der DHKP-C agierende "Anatolische Föderation" wanderungsgesetz - Anhaltspunkte weisen auf personelle Verflechtungen mit der DHKP-C hin - trat vor allem durch ihre häufig über das Internet verbreitete Propaganda zum neuen Zuwanderungsgesetz in Erscheinung. Unter dem Motto "Bleiberecht für Alle" und "Nein zum neuen Zuwanderungsgesetz" fanden u.a. Standkundgebungen und Plakataktionen statt, die außerhalb der Organisation kaum beachtet wurden. Wie schon in den letzten Jahren verlagerte die DHKP-C Großveranstaltungen ins benachbarte Ausland. So fand das traditionelle Treffen zum Parteigründungstag am 14. April 2007 in Paris statt. Ein politisches Schulungscamp wurde im Namen der "Anatolischen Föderation" im August 2007 in der Nähe von Marseille organisiert. 264 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE Am 20. März 2007 nahmen Polizeibeamte im Raum LudwigsStrafrechtliche burg (Baden-Württemberg) einen DHKP-C-Aktivisten aufgrund Maßnahmen eines Haftbefehls des Amtsgerichts München wegen Verdachts gegen Funktionäre des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz fest. Dem Beschuldigten der DHKP-C wird vorgeworfen, in gehobener und verantwortlicher Position für die verbotene DHKP-C tätig zu sein. Die Festnahme erfolgte in einer Druckerei, als der Aktivist Druckexemplare der Publikation "Yürüyüs" abholen wollte. Am 8. April 2007 wurden in einer Wohnung in Hagen zwei DHKP-C-Funktionäre festgenommen. Gegen einen der Festgenommenen bestand ein Haftbefehl wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Ihm wird zur Last gelegt, im Auftrag der Führung der DHKP-C Kommunikationsmittel, militärische Ausrüstungsgegenstände, Waffen und Munition beschafft und den Schmuggel dieser Gegenstände in die Türkei gemeinsam mit anderen Funktionären organisiert zu haben. Bei dem zweiten Festgenommenen soll es sich um einen ehemals hochrangigen DHKP-C-Führungsfunktionär handeln. Der Generalbundesanwalt erhob am 5. November 2007 Anklage gegen fünf mutmaßliche Funktionäre der DHKP-C vor dem Oberlandesgericht Stuttgart. Ihnen wird vorgeworfen, sich auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, die sich innerhalb der DHKP-C gebildet hat, betätigt zu haben. So sollen sie vom Bundesgebiet aus diese Vereinigung, die in der Türkei zahlreiche Brand-, Sprengstoffund Tötungsdelikte begangen hat, unterstützt haben. Zusätzlich sollen einige der Angeschuldigten in die Beschaffung von Waffen, Munition und Ausrüstungsgegenständen sowie in die Vorbereitung eines Waffentransportes in die Türkei im Jahre 2002 involviert gewesen sein und damit gegen Strafbestimmungen des Außenwirtschaftsgesetzes verstoßen haben. 265 2.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) Gründung: 1972 (in der Türkei) Mitglieder/Anhänger: insgesamt ca. 1.300 (2006: ca. 1.300) Die Organisation ist gespalten in: "Partizan" Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 800 (2006: ca. 800) Publikationen: "Özgür Gelecek Yolunda Isci Köylü" ("Arbeiter und Bauern auf dem Weg der freien Zukunft"), vierzehntäglich; "Komünist" ("Der Kommunist"), monatlich und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) (bis September 2002 "Ostanatolisches Gebietskomitee" - DABK -) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 500 (2006: ca. 500) Publikationen: "Halk Icin Devrimci Demokrasi" ("Revolutionäre Demokratie für das Volk"), vierzehntäglich; "Halk Savasi" ("Volkskrieg"), monatlich 266 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE Die 1972 in der Türkei gegründete TKP/ML ist seit 1994 in die beiden miteinander konkurrierenden Fraktionen "Partizan" und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) gespalten. Beide Fraktionen nehmen für sich in Anspruch, Nachfolger der ursprünglichen TKP/ML zu sein, deren Zielsetzung sie unverändert übernommen haben. Sie folgen hierbei einer stark am Maoismus ausgerichteten marxistisch-leninistischen Ideologie, die letztlich auf die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung in der Türkei abzielt. Dieses Ziel soll mittels eines in der Türkei auch bewaffnet geführten revolutionären Kampfes erreicht werden. Beide Fraktionen verfügen zur nachhaltigen Umsetzung ihrer Ziele in der Türkei über paramilitärische Gruppen; bei der "Partizan"-Fraktion ist dies die "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO), bei der MKP die "Volksbefreiungsarmee" (HKO). Beide Fraktionen sind hierarchisch gegliedert und werden jeweils von einem Zentralkomitee (ZK) - mit Sitz in der Türkei - geleitet. Beiden gemeinsam ist auch die Vorstellung, über einen bewaffneten "Volkskrieg" zur "Volksrevolution" gelangen zu können. In Deutschland beschränkten sich die getrennt voneinander agierenden Fraktionen auf propagandistische Verlautbarungen, einige demonstrative Aktionen und interne Saalveranstaltungen. Um Aktivitäten und Parteiapparat zu finanzieren und die MutKaypakkayaterpartei in der Türkei zu unterstützen, führen beide GruppieGedenkfeiern rungen jährlich Spendenkampagnen durch. Weitere Einnahmequellen sind Erträge aus Veranstaltungen sowie Erlöse aus dem Verkauf von Publikationen. In Deutschland sind als Großveranstaltungen die jährlichen Gedenkfeiern zu Ehren des Parteigründers Ibrahim Kaypakkaya hervorzuheben. Dabei konnte "Partizan" am 19. Mai 2007 in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) rund 3.000 Teilnehmer mobilisieren. An der entsprechenden Gedenkveranstaltung der MKP am 26. Mai 2007 in Leverkusen (Nordrhein-Westfalen) nahmen ca. 2.000 Personen teil. Von besonderer Bedeutung für die "Partizan-Fraktion" war die Durchführung der 8. Parteikonferenz, die im Januar 2007 an einem unbekannten Ort - wahrscheinlich in der Türkei - stattfand. 267 In einem Flugblatt verkündete das Politbüro des "Partizan"-ZK das Ergebnis der Parteikonferenz: "In unserem 35. Gründungsjahr ist unsere 8. Konferenz ein Manifest des Aufstands! Vertraut auf die Massen, rüstet euch zum Krieg, mit der Partei werden wir siegen!" (Flugblatt des Politbüros des ZK von "Partizan", April 2007) Die MKP rief in einem Beitrag ihrer Publikation "Halk Icin Devrimci Demokrasi" mit der Überschrift "Lasst uns die Volksbefreiungsarmee stärken" zur Unterstützung ihrer Guerilla auf: "Das Auslandsexekutivkomitee der MKP hat in seiner Erklärung, die es im Juni abgegeben hat, die werktätigen Völker dazu aufgerufen, sich an der Bewaffnungskampagne zu beteiligen, um die Volksbefreiungsarmee zu stärken." ("Halk Icin Devrimci Demokrasi", Ausgabe Nr. 113, 20.-30. Juni 2007, S. 1) In der gleichen Ausgabe fordert die MKP ihre Anhänger dazu auf, nicht nur Geld zu spenden, sondern auch selbst mit "Blut" zu bezahlen: "Als Teil der Verstärkung der Volksbefreiungsarmee sollten wir an der von uns verwirklichten Kampagne teilnehmen. Um unseren Kampf fortzuführen, sind nicht Spenden notwendig, sondern das Hinzufügen von Blut in unser Blut, Leben in unser Leben, Fleiß in unseren Fleiß". ("Halk Icin Devrimci Demokrasi", Ausgabe Nr. 113, 20.-30. Juni 2007, S. 2) Neben den konspirativen Parteistrukturen existieren in Europa auch offen auftretende Umfeldorganisationen. Für "Partizan" sind dies auf europäischer Ebene die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK) und in Deutschland die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (ATIF); 268 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE entsprechend für den MKP-Flügel auf europäischer Ebene die "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) und in Deutschland die "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e.V." (ADHF). Diese Gruppierungen sind zumeist propagandistisch tätig und greifen aktuelle politische Themen, insbesondere solche mit Bezug zur Türkei und zu Deutschland, auf. Im April 2007 führte die ATIK in Frankfurt/Main ihren 19. Jahreskongress durch. In einem vom ATIK-Vorstand erstellten Konzept heißt es zu den Zielen der Organisation: "Wenn auch die revolutionäre Lage nicht existent ist, so sollte man dies nicht als Ende des Klassenkampfes verstehen. Die Klassen und Klassenkämpfe werden so lange bestehen und fortgeführt, bis alle Klassen abgeschafft sind." (Broschüre "Unterlagen zum 19. Kongress der ATIK", März 2007, S. 25) Die ATIF als nationale Föderation für Deutschland nennt die Schwerpunkte ihrer Agitation: "Dies sind die Themen, die wir aufgreifen müssen: Rassismus, gegen das Verbot der Muttersprache an Schulen und Kindergärten und das Anti-Terror Gesetz. In Deutschland will man die Einwanderinnen und Einwanderer mit aller Gewalt assimilieren. Dies geschieht unter dem Deckmantel der Integration. Dagegen müssen wir in allen Bereichen energisch vorgehen." (Broschüre "Politischer Diskussionsentwurf der 30. ATIF-Jahreshauptversammlung", Februar 2007, S. 28) Eigenständige Aktionen/Demonstrationen von "Partizan", MKP oder den in ihrem Umfeld agierenden Gruppierungen waren kaum festzustellen. Sie schlossen sich jedoch Protestaktionen anderer Gruppierungen an, so z.B. anlässlich der Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern; 269 vgl. Kap. II, Nr. 2.3 und Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle, Kap. IV, Nr. 2). In diesem Zusammenhang forderte die ATIK: "Nein zum G8-Gipfel, nieder mit dem Imperialismus! Schluss mit ungerechten Kriegen, Ausbeutung und Plünderung! Es lebe die Brüderlichkeit der Völker! Es lebe die revolutionäre Solidarität und der Widerstand!" (Flugblatt der ATIK zum G8-Gipfel, Mai 2007) Weiter heißt es, die G8-Gipfel-Teilnehmer seien "imperialistischkapitalistische Ländervertreter", die Verträge nur abschlössen, um neue Ausbeutungsmechanismen hervorzubringen. Sie würden der Welt "Staatsterrorismus inklusive Besatzungskriege" aufzwingen und mit ihrer Privatisierungspolitik des öffentlichen Dienstleistungssektors die Menschen den "wilden Krallen des Monopolkapitals ausliefern". Am 5. Dezember 2007 durchsuchten Polizeibeamte in mehreren Bundesländern zahlreiche Objekte mit TKP/ML-Bezug sowie Wohnungen von Anhängern bzw. Funktionären der Organisation, die im Verdacht stehen, terroristische Aktivitäten der TIKKO in der Türkei unterstützt zu haben. Im Rahmen der Durchsuchungen wurden umfangreiche Materialien sichergestellt. 270 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE 2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) Gründung: 1994 in der Türkei durch einen Zusammenschluss der "TKP/ML-Hareketi" ("Bewegung") und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 600 (2006: ca. 600) Publikationen: "Atilim" ("Vorstoß"), wöchentlich; "Internationales Bulletin der MLKP", monatlich; "Partinin Sesi" ("Stimme der Partei"), zweimonatlich; Die MLKP verfolgt eine marxistisch-leninistische Ideologie stalinistischer Prägung. Das Ziel der Organisation ist eine gewaltsame Revolution zum Umsturz des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung in der Türkei. Zur Erreichung ihrer Ziele führt die MLKP in der Türkei auch militante Aktionen durch. So wurden im Vorfeld der türkischen Parlamentswahlen im Juli 2007 mehrere Anschläge auf Parteigebäude politischer Gegner verübt. Einen Anschlag auf das Gebäude einer türkischen Partei legitimierte die MLKP wie folgt: "Die MLKP fasst nach wie vor jeden Angriff auf Revolutionäre und Unterdrückte als einen Angriff auf sie selbst auf und hat diesem Angriff daher eine Antwort in Form von revolutionärer Gewalt gegeben. Wir, die Milizen der MLKP, haben das Wahlbüro (...). in Izmir-Esrefpasa bombardiert. Kein einziger Angriff wird unbeantwortet bleiben." ("Internationales Bulletin der MLKP" Nr. 60 vom August 2007) 271 Immer wieder äußert sich die MLKP im Rahmen ihres antiimperialistischen Kampfes. Agitationsschwerpunkte waren besonders der Irak-Konflikt, die Kurdenfrage sowie der israelisch-palästinensische Konflikt. In einem Flugblatt zum 1. Mai heißt es: "Auf dem Weg zum 1. Mai sehen wir, dass das, was uns die imperialistische kapitalistische Welt heute beschert hat, wieder nichts anderes als imperialistische Aggression, Besatzung und Krieg, kapitalistische Ausbeutung und Barbarei, ökonomische und gesellschaftliche Zerstörung, nationale und religiöse Konflikte, globale Erwärmung, chronische Arbeitslosigkeit und gesellschaftliches Elend ist." (Flugblatt der MLKP anlässlich des Tages der Arbeit am 1. Mai 2007) Im September 2006 waren im Zuge polizeilicher Maßnahmen in der Türkei mehrere MLKP-Aktivisten festgenommen worden. Dieses Thema griff die MLKP auch in der Bundesrepublik auf: "Eure Kraft reicht nicht aus, um uns zu besiegen. Und der Beweis dafür liegt offen auf der Hand. Unser Kampf und unsere Abrechnung mit der faschistischen Diktatur um die Macht gehen mit aller Macht weiter. Trotz der Angriffe und Verhaftungen durch die Bourgeoisie sind wir aus keinem Bereich, von keinem Posten zurückgewichen, im Gegenteil, der Kampf, den wir leisten, geht weit über eine reine Verteidigung hinaus und ist gleichzeitig ein Angriff." (Flugblatt der MLKP vom Januar 2007) Der MLKP thematisch nahestehende Organisationen in Deutschland sind die "Konföderation der unterdrückten Immigranten in Europa" (AvEG-KON) und die "Föderation der Arbeitsimmigrant/innen aus der Türkei in Deutschland e.V." (AGIF). Beide propagieren politisch-ideologische Aussagen in ähnlicher Weise wie die MLKP, befassen sich aber auch mit Deutschland-spezifischen Themen. Anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern; vgl. Kap. II, Nr. 2.2 und Linksextre272 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE mistische Bestrebungen und Verdachtsfälle, Kap. IV, Nr. 2) formulierte die AvEG-KON: "Man sollte wissen, dass der G8-Gipfel der Grund für Ausbeutung, Hunger und Elend auf der Welt ist. Sie kommen zusammen, um die Reichtümer der Welt aufzuteilen, sich einen großen Teil vom Profit des Marktes zu sichern und ihre Hegemonie zu stärken." (Homepage der AvEG-KON, 29. Oktober 2007) Die AGIF fordert in einem Flugblatt den "Rückzug aller imperialistischen Besatzer aus Afghanistan" und geht dabei auch auf Anschläge gegen die Bundeswehr ein: "Die Bundeswehr verteidigt in Afghanistan nicht die Bevölkerung. Im Gegenteil, die Bundeswehr kämpft in Afghanistan weder für Demokratie, noch für die Befreiung der Frau. Sie ist eine Besatzerarmee, die Krieg gegen die afghanische Bevölkerung führt und das Volk terrorisiert und unterdrückt. Dieser Krieg ist verbrecherisch und deswegen ist es verständlich, dass die Bundeswehr und ihre zivilen Helfer vom afghanischen Volk bekämpft werden. Der Widerstand der Zivilbevölkerung gegen die Besatzung ist nicht Terrorismus, da die Gewalt und Entrechtung von den Besatzern ausgeht (...)." (Flugblatt der AGIF vom 12. September 2007) 3. Iraner Oppositionelle iranische Organisationen in Deutschland nehmen die politischen Verhältnisse in der Islamischen Republik Iran immer wieder zum Anlass für Protestund Propagandaaktionen. Thematische Schwerpunkte waren u.a. die Atompolitik, die Menschenrechtslage im Iran sowie die Stellung der Frau nach islamischem Recht. Anhänger des "Nationalen Widerstandsrates Iran" (NWRI), des politischen Arms der "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK), traten dabei besonders hervor. Eines ihrer Hauptanliegen ist zudem die Streichung der MEK von der EU-Liste terroristischer Organisationen. Dieses Thema hat in der 273 Propagandaarbeit des NWRI nach wie vor einen hohen Stellenwert. Die Aktivitäten der übrigen Oppositionsgruppen wie der "Arbeiterkommunistischen Partei Iran" (API) bzw. der Abspaltergruppe "Arbeiterkommunistische Partei Iran-Hekmatist" (API-Hekmatist) wurden dagegen in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. 3.1 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) Gründung: 1965 (im Iran) Sitz: ehemals in Bagdad - in Deutschland nicht offiziell niedergelassen - Leitung: Massoud Radjavi Publikationen: u.a. "Modjahed" ("Glaubenskämpfer"), wöchentlich Außerhalb der Heimatregion vertreten durch: "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) Gründung: 1981 (in Paris) - in Deutschland vertreten seit 1994 - Sitz: Berlin Leitung: Deutschlandsprecherin Dr. Massoumeh Bolourchi Mitglieder/Anhänger: ca. 900 (2006: ca. 900) Die MEK gilt angesichts ihres bis Anfang 2002 praktizierten terroristischen Vorgehens weiterhin als die bekannteste iranische Oppositionsgruppe im Ausland. So waren die Kämpfer ihres im Irak ansässigen militärischen Arms "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) für zahlreiche Anschläge auf Einrichtungen und Repräsentanten des Iran verantwortlich. Im Zuge des Irak-Kriegs wurde die NLA im Mai 2003 entwaffnet. Die Fähigkeit der Orga274 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE nisation zur Durchführung terroristischer Aktivitäten ist praktisch nicht mehr gegeben. Das ehemals propagierte Ziel eines gewaltsamen Umsturzes im Iran steht vor diesem Hintergrund aktuell nicht zur Debatte. Die Situation der im Irak im "Lager Ashraf" verbliebenen MEKAngehörigen hat sich bis dato nicht verändert. Nachdem die irakische Regierung einen dauerhaften Aufenthalt der MEK-Angehörigen im Irak bereits im Jahr 2006 in Frage gestellt hatte, scheint das weitere Schicksal der ehemaligen NLA-Kämpfer weiterhin ungeklärt zu sein. Eine Auflösung des Lagers oder eine drastische Reduzierung der Zahl seiner Bewohner zeichnet sich nicht ab. Die Situation der MEK im Irak hat dazu beigetragen, dass die Organisation ihr Handlungsspektrum auf politische Agitation konzentriert. Hierbei kommt ihrem in Europa und Nordamerika agierenden politischen Arm "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) eine primäre Rolle zu. Die vom NWRI getragenen Aktivitäten sind nach wie vor auf geLobbyarbeit waltfreie Aktionen ausgerichtet. Die Organisation möchte als dedes NWRI mokratische iranische Oppositionsbewegung wahrgenommen werden und versucht daher die öffentliche Meinung sowie gesellschaftliche und politische Entscheidungsträger in diesem Sinne zu beeinflussen. Dabei setzt der NWRI insbesondere auf gezielte lobbyistische Aktivitäten. So versucht der NWRI immer wieder, auch im parlamentarischen Raum Fuß zu fassen und für eine politische Unterstützung der Organisation zu werben. Dies erfolgt vor allem mit dem Ziel, eine Streichung der MEK von der EU-Liste terroristischer Organisationen zu erreichen. Die vom NWRI im Jahre 1993 zur so genannten künftigen Präsidentin des Iran gewählte Maryam Radjavi - Ehefrau des MEK-Führers Massoud Radjavi - hatte bereits mehrfach Gelegenheit zu Auftritten vor Angehörigen des Europaparlaments in Straßburg sowie vor parlamentarischen Gremien in Belgien und Norwegen. Dies wertet die Organisation als Erfolg. Der NWRI erlitt in seinem Bemühen, die im Jahre 2002 erfolgte Listung der MEK Listung der MEK als terroristische Organisation anzufechten, als terroristische einen Rückschlag. In einem am 28. Juni 2007 gefassten Beschluss Organisation bestätigte der EU-Rat die Einstufung der MEK, einschließlich 275 ihres im Jahre 2003 entwaffneten militärischen Arms NLA, als terroristische Organisation. Der NWRI wurde von der Listung - wie bereits in sämtlichen vorherigen Entscheidungen des EU-Rates - weiterhin ausdrücklich ausgenommen. Um für seine Anliegen zu werben, tritt der NWRI auch mit Demonstrationen, Informationsund Propagandaveranstaltungen auf. Dabei bedient er sich zum Teil auch örtlicher Gruppierungen wie dem "Rat der Iraner in Köln" oder der "Iranischen Gemeinschaft in Hamburg e.V." (IGW). Im Rahmen seiner Agitation kritisierte der NWRI z.B. eine militärische Zielsetzung des iranischen Atomprogramms. Darüber hinaus thematisierte er Aktivitäten des iranischen Nachrichtendienstes (z.B. auf einer Pressekonferenz am 30. August 2007 in Berlin über die Existenz eines "Geheimdienstund Spionagenetzes des iranisches Regimes in Deutschland"). Anhänger des NWRI aus dem Bundesgebiet beteiligten sich auch an zentralen Kundgebungen der Organisation im benachbarten Ausland. So reisten NWRI-Angehörige aus Deutschland u.a. zu einer Großveranstaltung der Organisation am 30. Juni 2007 in Villepinte bei Paris, die anlässlich des 4. Jahrestages der Verhaftung Maryam Radjavis in Frankreich (17. Juni 2003) durchgeführt wurde. Für eine kostenlose Teilnahme an dieser zentralen Veranstaltung wurde ohne Hinweis auf die tatsächlichen Organisatoren u.a. durch die "Iranische Gesellschaft in Berlin" (IGB)151 auch an deutschen Universitäten geworben. SpendenZur Finanzierung seiner zum Teil sehr kostenintensiven Aktivisammlungen täten und Büros in Deutschland führt der NWRI regelmäßig des NWRI Spendensammlungen durch. Dabei traten das "Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen e.V." (MEI), Düsseldorf, der "Menschenrechtsverein für Migranten", Aachen, sowie das "Hilfswerk für Menschenrechte im Iran e.V." (HMI), Dortmund, auf. 151 Inzwischen umbenannt in "Exil-Iranische Gesellschaft in Berlin (EIGB) e.V. ". 276 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE 3.2 "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) Gründung: 1991 als Abspaltung der "Kommunistischen Partei Irans" Mitglieder/Anhänger: ca. 250 (2006: ca. 250) Die Organisation ist gespalten in: "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) Leitung: Hamid Taghvai Publikation: "API-Brief", monatlich und "Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist" (API-Hekmatist) Leitung: Kurosh Modaresi Publikation: "Komonist"("Kommunist"), monatlich Die "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) und die im August 2004 von ihr abgespaltene "Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist" (API-Hekmatist) wollen im Iran einen revolutionären Umsturz herbeiführen und die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung durch ein sozialistisches Rätesystem ersetzen. In einer Erklärung des Politbüros der API vom 28. März 2007 heißt es beispielsweise: "Die Arbeiterkommunistische Partei Irans kämpft mit aller Kraft für den Sturz der Islamischen Republik, für die Eroberung der politischen Macht und die Gründung der sozialistischen Republik." ("API-Brief" Nr. 40, Mai 2007, S. 2) Als ideologische Grundlage nehmen beide Organisationen die dem Marxismus-Leninismus entlehnte Lehre des im Jahre 2002 277 verstorbenen API-Gründers Mansour Hekmat in Anspruch. Unterschiede bestehen jedoch im strategischen Ansatz. Während die API eine von ihr angeführte Revolution der Arbeiterklasse als die einzige Möglichkeit ansieht, ein sozialistisches System im Iran zu errichten, kommt für API-Hekmatist auch eine pragmatische Vorgehensweise durch politische Bündnisse mit nichtsozialistischen Gruppierungen hin zu einer Massenbewegung in Betracht. Das Zentralorgan "Komonist" der API-Hekmatist führt hierzu aus: "Die Parteiführung muss die historische Aufgabe übernehmen, eine soziale und politische kommunistische Partei der Massen aufzubauen. Die Führung der Hekmatist-Partei muss zum ersten Mal in der neueren Geschichte den Arbeitern dieser Welt eine moderne kommunistische Partei der Massen voranstellen." ("Komonist" Nr. 12, Januar 2007, S. 5) Sowohl API als auch API-Hekmatist unterhalten eigenen Angaben zufolge einen militärischen Arm und versuchen ihre revolutionären Ziele mit Unterstützung ihrer im Iran befindlichen bewaffneten Einheiten zu erreichen, die sich im Guerillakampf mit der iranischen Armee befinden. In Deutschland arbeiten beide Organisationen darauf hin, als gesellschaftliche und politische Kraft anerkannt zu werden, wobei sie Akzeptanz insbesondere bei den hier ansässigen Exiliranern anstreben. In der Öffentlichkeit treten sie u.a. mit Informationsveranstaltungen und Demonstrationen auf. Eines ihrer bevorzugten Themen ist die Menschenrechtssituation im Iran. In thematischer Nähe zur API bewegen sich vor allem die "Internationale Kampagne zur Verteidigung der Frauenrechte im Iran", das "Internationale Komitee gegen Steinigung" und die "Internationale Föderation Iranischer Flüchtlingsund Immigrantenräte" (IFIR). Die API-Hekmatist steht im Hinblick auf öffentlichkeitswirksame Aktionen weiterhin klar im Schatten der API. Von den ihr nahe stehenden Organisationen ist besonders die "Children First - Internationale Kampagne für Kinderrechte" zu nennen. Wie auch in den Jahren zuvor gelang es API und API-Hekmatist selten, mehr als 50 Personen zur Teilnahme an ihren De278 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE monstrationen zu bewegen. Dies spiegelt auch den zumindest regional festzustellenden Bedeutungsverlust beider Organisationen innerhalb der iranischen Opposition wider. 4. Tamilen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) Gründung: 1972 (in Sri Lanka) Leitung: Führungskader der deutschen Sektion Mitglieder/Anhänger: ca. 800 (2006: ca. 800) Publikation: "Viduthalai Puligal" ("Befreiungstiger"), vierzehntäglich Auch im Jahr 2007 gelang es der LTTE und der Regierung Sri Lankas nicht, zur Einhaltung des 2002 vereinbarten Waffenstillstandes oder zumindest einer Reduzierung der militärischen Auseinandersetzungen zurückzukehren. Die von beiden Seiten verstärkten Kampfhandlungen forderten zahlreiche Todesopfer. Mit einer Offensive gelang es den Regierungstruppen, die militärischen Verbände der LTTE fast vollständig aus dem Osten des Landes zu verdrängen. Die LTTE reagierten u.a. mit Anschlägen gegen militärische Ziele. So flogen die LTTE mit Leichtflugzeugen erstmals am 26. März 2007 erfolgreich einen Angriff auf den militärischen Bereich des Internationalen Flughafens von Colombo. Dabei wurden mehrere Flugzeuge der srilankischen Armee zerstört oder beschädigt. Weitere Luftangriffe der LTTE erfolgten im August und Oktober 2007. Am 2. November 2007 wurden der Leiter des politischen Flügels der LTTE, S.P. Tamilchelvam, sowie fünf hochrangige Offiziere in Killinochchi bei einem Luftangriff der srilankischen Armee getötet. 279 Seit dem Jahr 2006 befinden sich die LTTE auf der EU-Liste terroristischer Organisationen. In Deutschland konzentrieren sich die Anhänger der LTTE auf propagandistische Aktivitäten und das Sammeln von Spendengeldern. Die Spendenbereitschaft schien jedoch zeitweilig nachzulassen, nachdem durch die offensive Vorgehensweise des srilankischen Militärs der Eindruck entstanden war, die kämpfenden Einheiten der LTTE hätten keine Erfolge mehr vorzuweisen. Auch wenn Spendenaufrufe immer wieder mit humanitären Zwecken begründet werden, dürfte ein Teil des gesammelten Geldes der militärischen Logistik zugute kommen. Die herausragende Bedeutung der Geldbeschaffung unterstrich der LTTE-Führer Velupillai Prabakharan in einer Videobotschaft zum traditionellen "Heldengedenktag" am 27. November 2007 vor mehreren Tausend Tamilen in Dortmund, indem er sich u.a. für die finanzielle Unterstützung des "Befreiungskampfes" der LTTE bedankte. In seiner Rede machte er die internationale Staatengemeinschaft für das Scheitern des Friedensprozesses in Sri Lanka verantwortlich und wies darauf hin, "Tausende von Kämpfern" stünden bereit, das Heimatland zu befreien. An der Organisation dieser jährlichen Großveranstaltung war das LTTE-nahe "Tamil Coordinating Committee" (TCC) mit Sitz in Oberhausen (Nordrhein-Westfalen) maßgeblich beteiligt. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen im Inund Ausland versuchen Anhänger der LTTE immer wieder, gegen die Aufnahme der LTTE in die EU-Liste terroristischer Organisationen zu pro - testieren. So nahmen zahlreiche in Deutschland lebende Tamilen im Juni 2007 an einer Großdemonstration in Genf teil, um eine Aufhebung der Listung zu fordern. Ein weiteres Thema von Protestaktionen waren angebliche Menschenrechtsverletzungen der Regierung Sri Lankas. Hierzu wurden im Spätsommer in mehreren deutschen Städten Informationsveranstaltungen und Kundgebungen durchgeführt. 280 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE 5. Sikhs "Babbar Khalsa International" (BKI) Gründung: 1978 (in Indien) Leitung: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: ca. 200 (2006: ca. 200) Publikation: "Aazad" ("Unabhängigkeit") "International Sikh Youth Federation" (ISYF) Gründung: 1984 (in Großbritannien) Leitung: gespalten in drei Fraktionen mit jeweils eigenem Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: ca. 550 (2006: ca. 550) "Kamagata Maru Dal International" (KMDI) Gründung: 1997 (in den USA) Leitung: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: ca. 40 (2006: ca. 40) Seit Jahrzehnten kämpfen extremistische Organisationen aus der Religionsgemeinschaft der Sikhs für einen eigenen und unabhängigen Staat "Khalistan" auf dem Gebiet des indischen Bundesstaats Punjab. Dabei kämpfen sie auch mit terroristischen Mitteln. Bei Anschlägen, die sich überwiegend gegen Ziele in Indien richten, kommt es immer wieder zu Todesopfern. In Deutschland sind vor allem die BKI und die ISYF mit zusammen ca. 750 Anhängern aktiv. Die KMDI mit ihren wenigen Mitgliedern tritt selten in Erscheinung. Gemeinsames Anliegen dieser Gruppierungen in Deutschland ist die propagandistische und finanzielle Unterstützung ihrer Mutterorganisationen in Indien. 281 In Versammlungen wird regelmäßig zu Geldspenden aufgerufen, die zum Teil auch in die Heimatregion fließen. Anlassbezogen treten die Sikh-Gruppen - einzeln oder gemeinsam - auch mit Demonstrationen an die Öffentlichkeit. So demonstrierten am 15. August 2007 ca. 100 Sikhs vor dem indischen Generalkonsulat in Frankfurt/Main gegen das von einem indischen Gericht am 31. Juli 2007 verhängte Todesurteil gegen den Führer der "Babbar Khalsa" in Indien, Jagtar Singh Hawara. Er wurde wegen der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten des Punjab, Beant Singh, verurteilt. Terroristische Aktivitäten gingen von diesen Organisationen in Deutschland bisher nicht aus. "Babbar Khalsa International" und "International Sikh Youth Federation" sind von der EU seit 2002 als terroristische Organisationen gelistet. III. Übersicht über weitere erwähnenswerte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation Mitglieder/Anhänger Publikationen (einschließlich Sitz) (zum Teil geschätzt) (einschließlich Erscheinungsweise) 2007 (2006) Türken (ohne Kurden) "Föderation der türkisch7.500 (7.500) demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) "Föderation der 600 (600) "Tatsachen", demokratischen Arbeiterzweimonatlich vereine e.V." (DIDF) 282 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND VERDACHTSFÄLLE IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maßnahmen des BMI Organisation Datum der Verbotsgründe Verfahrensstand Verbotsverfügung "Arbeiterpartei 26. November 1993 Strafgesetzwidrigrechtskräftig Kurdistans" (PKK) keit, Gefährdung und Teilder inneren Sicherorganisationen heit und öffentlichen Ordnung sowie außenpolitischer Belange Deutschlands "Kurdistan Infor20. Februar 1995 Ersatzorganisation rechtskräftig mationsbüro" des rechtskräftig (KIB) alias verbotenen "Kur"Kurdistan Infordistan Komitee mationsbüro in e.V." Deutschland" "Revolutionäre 9. Februar 1983 Strafgesetzwidrigrechtskräftig Linke" keit (Devrimci Sol) "Revolutionäre 13. August 1998 Ersatzorganisation rechtskräftig Volksbefreiungsder rechtskräftig partei-Front" verbotenen (DHKP-C) "Devrimci Sol", Strafgesetzwidrigkeit und Gefährdung der inneren Sicherheit "Türkische 13. August 1998 Strafgesetzwidrigrechtskräftig Volksbefreiungskeit und Gefährpartei/-Front" dung der inneren (THKP/-C) Sicherheit 283 284 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 285 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick Aufklärungsziel Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer geopolitischen Deutschland Lage in Europa, ihrer wichtigen Rolle in EU und NATO sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie mit Weltmarktführung für fremde Nachrichtendienste sehr attraktiv. Ihre offene und pluralistische Gesellschaft erleichtert den Nachrichtendiensten die Informationsbeschaffung. Hauptträger der Spionageaktivitäten in Deutschland sind derzeit die Russische Föderation und die Volksrepublik China. Darüber hinaus sind Länder des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas zu nennen. Präsenz Die Nachrichtendienste dieser Staaten sind in unterschiedlicher ausländischer Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Nachrichtendienste Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort so genannte Legalresidenturen. Der Begriff bezeichnet den Stützpunkt eines fremden Nachrichtendienstes, abgetarnt in einer offiziellen (z.B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z.B. Presseagentur, Fluggesellschaft) Vertretung seines Landes im Gastland. Die dort abgetarnt als Diplomaten oder Journalisten arbeitenden Nachrichtendienstmitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentralen der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Werden solchen "Diplomaten" statuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zur Ausweisung der betreffenden Person aus Deutschland führen. Aufklärungsziele Nachrichtendienste handeln politisch gesteuert und nach formal gesetzlichen Aufgabenzuweisungen. Die Schwerpunkte ihrer jeweiligen Beschaffungsaktivitäten orientieren sich an den aktuellen politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Staaten. Die Aufklärungsziele ausländischer Nachrichtendienste reichen von der Informationsbeschaffung aus Politik, Wirtschaft und Militär bis hin zur Ausspähung und Unter286 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN wanderung in Deutschland ansässiger Organisationen und Personen, die in Gegnerschaft zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Einen zunehmend breiteren Raum nehmen für einige NachWirtschaftsrichtendienste Aufklärungsziele im Bereich von Wirtschaft, Wisspionage senschaft und Forschung ein. Technologisch weniger entwickelte Staaten spähen eher technisches Know-how aus, um Kosten für die eigene Forschung und Entwicklung sowie mögliche Lizenzgebühren zu vermeiden. Hochentwickelte Staaten dagegen interessieren sich für Produktideen, komplexe Fertigungstechniken und Unternehmensund Marktstrategien. Eine zunehmende Bedeutung besitzen in diesem Zusammenhang internetgebundene Angriffe auf Computersysteme von Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen. Angesichts der ausgewählten Ziele und der angewandten Methoden erscheint eine nachrichtendienstliche Steuerung oder zumindest Beteiligung in vielen Fällen als sehr wahrscheinlich. Darüber hinaus bemühen sich einige Länder weiterhin darum, Proliferation in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen sowie die zu deren Herstellung notwendigen Güter und das erforderliche Know-how zu erwerben (Proliferation, vgl. Kap. VI). Die Proliferation betreibenden Staaten wie Iran und Nordkorea versuchen, Kontrollmaßnahmen durch Lieferungen über Drittländer und die Beschaffung von "dual use"-Gütern zu umgehen. II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgabenstellung der Dienste im russischen Staatswesen Die russischen Nachrichtenund Sicherheitsdienste sind ein stabiler Faktor der russischen Sicherheitsarchitektur und genießen bei der politischen Führung großes Ansehen. Ihre durch zahlreiche Aktivitäten gewonnenen Erkenntnisse dienen der politischen Führung zur Vorbereitung außenund innenpolitischer 287 Entscheidungen und tragen maßgeblich dazu bei, politische Vorgaben im Sicherheitsbereich zu erfüllen sowie die politischen und ökonomischen Interessen Russlands vor dem Hintergrund seiner erstarkenden Wirtschaftskraft weltweit voranzutreiben. Ihre Organisationsstruktur und ihre Aufgaben haben sich im Jahr 2007 im Wesentlichen nicht verändert. Folgende Nachrichtendienste der Russischen Föderation entwickeln Aktivitäten gegen deutsche Sicherheitsinteressen: SWR Der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR (Slushba Wneschnej Raswedkij) ist für die Auslandsaufklärung in den Bereichen Politik, Ökonomie sowie Wissenschaft und Technik zuständig. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Ausforschung von Zielen und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste. Außerdem betreibt der SWR elektronische Fernmeldeaufklärung mit entsprechendem Fachpersonal. Er verfügt über mehr als 13.000 Mitarbeiter. Im Oktober 2007 ernannte Präsident Wladimir Putin den ehemaligen Ministerpräsidenten Michail Fradkow zum Nachfolger des bisherigen Leiters Sergej Lebedew. Unter Fradkow, der zuvor Führungspositionen in der Wirtschaftsund Fiskalverwaltung bekleidet hat, könnte eine stärkere Ausrichtung des SWR auf den Bereich ökonomische Aufklärung erfolgen. Diese Einschätzung wird durch die Rede Präsident Putins bei der Amtseinführung Fradkows gestützt. Danach müsse der Dienst in der Lage sein, schnell und angemessen Veränderungen der globalen Wirtschaftslage zu erkennen und die Folgen für die heimische Wirtschaft abzuschätzen. Ferner solle er die Wirtschaftsinteressen der russischen Firmen im Ausland aktiver schützen.152 GRU Die GRU (Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije) ist der militärische Auslandsnachrichtendienst. Sie untersteht dem russischen Verteidigungsministerium und verfügt über etwa 12.000 Mitarbeiter. Ihre Aufklärungstätigkeit umfasst das gesamte sicherheitspolitische und militärische Spektrum. Dazu zählen 152 Vgl. Associated Press vom 19. Oktober 2007 (Agenturmeldung). 288 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Bundeswehr, NATO oder andere westliche Verteidigungsstrukturen sowie der Bereich militärisch nutzbarer Technologie. Der Inlandsnachrichtendienst FSB (Federalnaja Slushba BesoFSB pasnosti) ist für die zivile und militärische Spionageabwehr, die Beobachtung des politischen Extremismus sowie die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität (OK) zuständig. Durch die Übertragung zusätzlicher Aufgaben sowie durch vollständige oder teilweise Übernahme aufgelöster Spezialdienste entwickelte sich der FSB in den letzten Jahren zum größten russischen Nachrichtendienst mit mindestens 350.000 Mitarbeitern. Neben seiner Mitwirkung bei der "Terrorismusbekämpfung" im Nordkaukasus ist der FSB für den Schutz der russischen Industrie vor Wirtschaftsspionage und OK verantwortlich und soll ausländische Investoren vor Wirtschaftskriminalität schützen. Zur Bekämpfung von Terrorismus, OK und Proliferation ist er berechtigt, auch im Ausland zu operieren. Dazu bemüht er sich, mit Hilfe von ausländischen Staatsangehörigen, die bei Aufenthalten in Russland angeworben werden, Auslandsaufklärung zu betreiben. Bevorzugte Zielpersonen für solche Anwerbungen sind Angehörige deutscher staatlicher Auslandsvertretungen und andere Deutsche, die aus beruflichen Gründen in Russland leben. Ferner gehören der Grenzschutz sowie die Kontrolle einund ausreisender Personen zu den Aufgaben des FSB. Außerdem betreibt der FSB eine intensive Internetüberwachung in Russland. Alle russischen Anbieter von Internetzugängen müssen dem FSB einen ständigen Zugriff auf den in Russland abgewickelten Datenverkehr ermöglichen. Diese Verpflichtung gilt auch für die in Russland tätigen Telefongesellschaften, die dem FSB einen dauerhaften Zugang zu Informationen über Telefonkunden, deren Ferngespräche und die angefallenen Gebühren ermöglichen müssen. Dadurch ist es dem FSB möglich, telefonische Kontakte, deren Intensität sowie den zeitweiligen Aufenthalt der Gesprächsteilnehmer festzustellen und die so gewonnenen Daten für nachrichtendienstliche Zwecke zu nutzen. 289 Daher besteht für ausländische Staatsangehörige in Russland stets die Gefahr, bei der Nutzung des Internets oder bei Telefongesprächen vom FSB gezielt überwacht zu werden. 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte Trotz der gefestigten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen hält die russische Staatsführung daran fest, in Deutschland mit nachrichtendienstlichen Mitteln Aufklärung zu betreiben. Auch im Jahr 2007 wurden in allen nachrichtendienstlichen Zielbereichen derartige Aktivitäten festgestellt. Politik Der Bereich Politik steht dabei unverändert im Mittelpunkt der russischen Aufklärungsbemühungen. Vor dem Hintergrund der deutschen EU-Ratspräsidentschaft bestand starkes Interesse an Informationen über die Entwicklung der EU, insbesondere in Bezug auf die geplante Verfassung (jetzt "Vertrag von Lissabon"/EU-Reformvertrag) und deren Auswirkungen auf das politische Gesamtgefüge in Europa, einschließlich der Beziehungen zwischen der EU und der Russischen Föderation. Auch die Bewertung von Maßnahmen der russischen Politik gegen die so genannten Transformationsstaaten der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS), wie beispielsweise Georgien und die Ukraine, durch die politischen Kräfte in Deutschland spielten eine wichtige Rolle. Sicherheitsund verteidigungspolitisch bildeten die Pläne der USA für die Stationierung eines Teils ihres Raketenabwehrschildes National Missile Defense (NMD) in Polen und Tschechien einen Schwerpunkt der Aufklärungsbemühungen. Militär Im militärischen Bereich interessierten sich die russischen Nachrichtendienste für die Bundeswehr, die NATO sowie für militärisch nutzbare Technologien (z.B. Hubschraubertechnik). Ökonomie Im Komplex Ökonomie galt das Interesse politischen und wirtschaftlichen Planungen zur Verringerung der Abhängigkeit von russischen Rohstofflieferungen (Diversifizierungsstrategien) sowie finanzwirtschaftlichen Themen mit Bezug zur Russischen Föderation. Wissenschaft Auf wissenschaftlich-technologischem Gebiet versuchten die und Technik russischen Auslandsnachrichtendienste, Informationen zu Pro290 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN dukten aus den Bereichen Telekommunikation, Hochfrequenzund Satellitentechnik sowie Pipelinetechnologie zu beschaffen. 3. Methodische Vorgehensweisen Die russischen Nachrichtendienste gelangen auf verschiedene Weise an die sie interessierenden Informationen: Durch den Einsatz russischer Nachrichtendienstmitarbeiter in Deutschland, die u.a. getarnt als Diplomaten oder Journalisten tätig werden, durch Beschaffungsoperationen, die unmittelbar aus den Dienstzentralen in Moskau heraus gesteuert werden sowie durch Fernmeldeaufklärung. Einen großen Teil ihres Informationsbedarfs decken die russischen Nachrichtendienste durch die Auswertung offener Quellen wie des Internets und sonstiger Medien, durch die Teilnahme an Messen, öffentlichen Vortragsveranstaltungen und durch Gespräche mit Kontaktpersonen. Sie setzen aber auch geheime Mitarbeiter (Agenten) ein, um an besonders sensible Informationen zu gelangen. 3.1 Die Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste Die diplomatischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Föderation bilden die wichtigste Abdeckung für die Aufklärungstätigkeit russischer Nachrichtendienste in Deutschland. In diesen Einrichtungen sowie in einigen russischen Medienvertretungen ist eine große Anzahl von Stellen für den Einsatz von Nachrichtendienstmitarbeitern unter diplomatischer oder journalistischer Tarnung reserviert, vornehmlich für Angehörige der Aufklärungsdienste SWR und GRU. Das nachrichtendienstliche Personal ist über die gesamte Organisationsstruktur verteilt und bildet innerhalb dieser Institutionen die so genannte Legalresidentur. Damit verfügen die russischen Dienste in Deutschland über feste Stützpunkte, aus denen vor Ort Geheimdienstaktivitäten aller Art entfaltet werden. Auch im Jahre 2007 waren die russischen Nachrichtendienste an Hohe Präsenz von den Auslandsvertretungen der Russischen Föderation in ND-Personal Deutschland im europäischen Vergleich sehr stark vertreten. Dies unterstreicht den Stellenwert Deutschlands als Aufklärungsziel. 291 Ihre größten Stützpunkte unterhalten SWR und GRU in Deutschland an der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Vorteile Die als Diplomaten getarnten Nachrichtendienstangehörigen dieser Methode profitieren dabei von dem privilegierten völkerrechtlichen Status der Auslandsvertretungen. Ihre diplomatische Immunität schützt sie in der Regel vor Strafverfolgung im Gastland. Offene Beschaffung Für die offene Informationsbeschaffung pflegen die Nachrichtendienstoffiziere eine Vielzahl von Kontakten zu Gesprächspartnern in allen Aufklärungsbereichen, die sie häufig im Rahmen ihrer offiziellen Aufgaben knüpfen. Durch geschickte Gesprächsführung gelangen sie auch an schutzbedürftige Informationen oder erhalten Hinweise auf andere interessante Kontaktpersonen und Zugangsmöglichkeiten. Aus diesen Kontaktpersonen wählen die Nachrichtendienstangehörigen solche aus, die längerfristig als Informationsquellen geeignet erscheinen. Ein wichtiges Kriterium ist dabei - neben den aktuellen Zugangsmöglichkeiten der Kontaktperson - auch deren berufliche Perspektive. "Halboffene" Bei geeigneten Kontaktpersonen versuchen die NachrichtenBeschaffung dienste, den offenen Abschöpfkontakt in eine "halboffene" Verbindung mit bestimmten konspirativen Elementen umzuwandeln. Dies geschieht einseitig durch den Nachrichtendienstoffizier. So verabredet er bei einem Treffen bereits weitere Begegnungen; damit versucht er, zusätzliche Kontakte zur Terminvereinbarung zu vermeiden, die von den Verfassungsschutzbehörden erkannt werden könnten. Aus demselben Grund bittet er seinen Gesprächspartner, ihn nicht in der Vertretung anzurufen und begründet dies u.a. mit seiner häufigen Abwesenheit. Bei den Treffen, die überwiegend in Restaurants stattfinden, bemühen sich die Nachrichtendienstangehörigen um den Aufbau einer freundschaftlichen Atmosphäre, verbunden mit materiellen und immateriellen Zuwendungen wie kleinen Gefälligkeiten oder indem sie ihrem Gesprächspartner das Gefühl vermitteln, besonders bedeutend zu sein. 292 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Solche von den russischen Diensten als "vertrauliche Verbindungen" bezeichneten Kontakte dienen allein der Beschaffung von Informationen gegen Geld oder andere Vorteile und sind langfristig angelegt. Manche dieser Verbindungen werden im Laufe der Zeit zu echVerdeckte ten Agentenoperationen im klassischen nachrichtendienstliAgentenführung chen Sinne ausgebaut. Das geschieht etwa, wenn der Kontaktpartner Zugang zu besonders schützenswerten Informationen hat und bereit ist, diese preiszugeben. Da es gegen den diplomatischen Status verstößt, zum Verrat geschützter Informationen zu verleiten, muss der Nachrichtendienstoffizier seine Sicherheitsvorkehrungen für konspirative Treffen erweitern und für eine sichere Kommunikation sorgen. Spätestens zu diesem Zeitpunkt erkennt auch die sorgloseste Kontaktperson den nachrichtendienstlichen Hintergrund der Verbindung. 3.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung Die russischen Nachrichtendienste führen in Einzelfällen Agentenoperationen auch unmittelbar aus ihren Zentralen heraus. Die Kommunikation erfolgt durch Agentenfunk, Geheimschreibverfahren und Verschlüsselungstechniken sowie "Tote Briefkästen" (TBK),153 die Geld oder nachrichtendienstliche Hilfsmittel enthalten. Der Vorteil dieser aufwändigen Agentenführung ist das deutlich verminderte Entdeckungsrisiko durch die Verfassungsschutzbehörden. Einige Nachrichtendienstoffiziere treffen sich mit ihren Agenten auch im westlichen Ausland. Dazu reisen sie beispielsweise als Vertreter staatlicher russischer Organisationen oder Wirtschaftsbetriebe ein, die offiziell an Tagungen oder Messen teilnehmen. 153 Getarnte (Erd-)Verstecke zum Informationsund Materialaustausch oder für finanzielle Zuwendungen an geheime Mitarbeiter. 293 Operation eines Im Frühsommer 2007 wurde eine zentral gesteuerte Operation russischen Nachzivilund militärtechnischer Spionage mit einem reisenden richtendienstes Nachrichtendienstoffizier aufgedeckt, die in den Medien wegen ihrer internationalen Bezüge einige Aufmerksamkeit erregte. Im Zusammenhang mit diesem Verratsfall wurden drei Personen - ein deutscher und ein österreichischer Staatsbürger sowie der russische Nachrichtendienstoffizier - vorübergehend festgenommen. Vermutlich Mitte/Ende der 1990er Jahre wurde der österreichische Staatsbürger, ein Soldat des österreichischen Bundesheeres, von dem damaligen Attache an der Russischen Handelsvertretung in Wien, Wladimir W., für eine Agententätigkeit geworben. Von 1998 bis 2001 war der deutsche Staatsangehörige G. in diese Verbindung eingebunden. Er verkaufte in diesem Zeitraum über den Österreicher Gegenstände und Unterlagen aus dem Bereich Hubschrauberund Flugzeugtechnik an W. Von 2003 bis 2006 lieferte G. einschlägige Unterlagen und Komponenten direkt an den inzwischen nach Moskau zurückgekehrten W., der sich mit G. mehrmals, u.a. im westlichen Ausland, traf. Primäres Aufklärungsziel des russischen Nachrichtendienstes war Hubschraubertechnik im militärischen Bereich. W. gab sich zuletzt als Mitarbeiter der russischen Raumfahrtbehörde Roskosmos aus, der zu einer UN-Raumfahrt-Konferenz nach Wien eingereist sei. Die von der russischen Seite unter scharfen diplomatischen Protesten geltend gemachte Immunität Ws. wurde durch ein Rechtsgutachten der UN bestätigt, das ihm eine "funktionale Immunität" zuerkannte, so dass er kurze Zeit später wieder frei gelassen werden musste. Die Ermittlungen dauern an. Gefährdung Aktivitäten gegen in Russland lebende Zielpersonen wie beiin Russland spielsweise Mitarbeiter deutscher Auslandsvertretungen oder Geschäftsleute erfolgen ebenfalls unter zentraler Steuerung, insbesondere durch den FSB. Er überwacht die Auslandsvertretungen in Russland sehr genau, um möglichst detaillierte Erkenntnisse über die dort beschäftigten Personen einschließlich der russischen Ortskräfte154 zu erlangen. Ziel ist es, Ansatzpunkte für eine nachrichtendienstliche Ansprache zu finden. 154 Ortskräfte sind lokal angestellte Botschaftsmitarbeiter, die zumeist Staatsangehörige des Gastlandes sind. 294 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Dazu werden vor allem Verstöße von Zielpersonen gegen in Russland geltende Vorschriften, beispielsweise gegen arbeitsoder ausländerrechtliche Bestimmungen oder andere Verfehlungen, genutzt. Mögliche Konsequenzen werden bei einer Ansprache drastisch dargestellt, um die Zielperson unter Druck zu setzen und für eine nachrichtendienstliche Mitarbeit zu gewinnen. In anderen Fällen bemühen sich die Nachrichtendienstmitarbeiter psychologisch sehr geschickt darum, eine persönliche Beziehung zur Zielperson herzustellen mit dem Ziel, nachrichtendienstlich wertvolle Informationen aus "Freundschaft" zu erhalten. III. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der übrigen Mitglieder der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) Auch die übrigen Mitglieder der GUS155 verfügen über zivile und Nachrichtendienste meist auch militärische Nachrichtendienste, die weitgehend auf in allen Mitgliedsdie ehemaligen (sowjetischen) regionalen Geheimdienststrukländern der GUS turen von KGB und GRU zurückgehen. Zwischen den russischen Nachrichtendiensten und den NachZusammenarbeit richtendiensten der übrigen Mitglieder der GUS bestehen Zumit den russischen sammenarbeitsabkommen, die etwa die Schulung des nachNachrichtenrichtendienstlichen Personals, aber auch den Informationsausdiensten tausch regeln. Belarus, Armenien und Tadschikistan arbeiten im nachrichtendienstlichen Bereich besonders eng mit Russland zusammen. In Deutschland sind Nachrichtendienstangehörige zum Teil offen als Verbindungsoffiziere oder abgetarnt an den Auslandsvertretungen tätig. Die abgetarnt eingesetzten Nachrichtendienstangehörigen beschaffen Informationen sowohl offen als auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. 155 Zur GUS gehören Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, Russische Föderation, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Belarus. 295 Einige dieser Nachrichtendienste beobachten mit Hilfe ihrer Legalresidenturen Aktivitäten von Personen im Ausland, die in Opposition zu ihren Regierungen stehen. Gefährdung bei In manchen Ländern der GUS, beispielsweise in der Republik BeAufenthalten in larus, werden deutsche Staatsangehörige, die sich dort aufhalMitgliedsländern ten, immer wieder zum Ziel relativ aggressiver nachrichtender GUS dienstlicher Operationen. Dies gilt besonders für die Mitarbeiter der deutschen Auslandsvertretungen. IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas Bei den Spionageaktivitäten der Staaten des Nahen und Mittleren Ostens und Nordafrikas dominiert neben der klassischen Spionage die Ausforschung Oppositioneller aus diesen Ländern sowie die Unterwanderung ihrer Organisationen. Insbesondere der Iran ist in dieser Hinsicht aktiv. 1. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Politische Vor dem Hintergrund der anhaltenden wirtschaftlichen, soziaEntwicklungen len und ethnischen Probleme in seinem Land verfolgt der iraniim Iran sche Präsident Mahmud Ahmadinejad eine Politik der Betonung äußerer und innerer Gefahren. Externer Druck soll helfen, die iranische Bevölkerung zu einen und von inneren Konflikten abzulenken. Interne politische Widersacher werden als Agenten der USA diffamiert. Der Atomkonflikt beeinflusst nachhaltig die innenpolitische Situation. Die iranische Regierung besteht nach wie vor auf ihrem Recht, Atomenergie im Rahmen des Atomwaffensperrvertrages friedlich nutzen und den Brennstoffzyklus schließen zu dürfen. Die anhaltenden Auseinandersetzungen mit der internationalen Staatengemeinschaft um das Atomprogramm führten zu Sanktionen des UN-Sicherheitsrates und einer sich steigernden Diskussion um mögliche Militäraktionen der USA und/oder anderer Staaten. Die Sanktionen sowie die damit einhergehende 296 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN politische und wirtschaftliche Isolation wirken sich zunehmend negativ auf die Lebensverhältnisse großer Teile der Bevölkerung aus. Das Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (Ministry of InMinisterium für formation and Security - MOIS, in Farsi: Vezarat e Ettela'at Va Nachrichten und Amniat e Keshvar - VEVAK) als ziviler Nachrichtenund SicherSicherheit (MOIS) heitsdienst nimmt unter den iranischen Sicherheitsorganen eine zentrale Rolle ein. Neben der Sammlung politischer, militärischer und wissenschaftlich-technischer Informationen im Ausland gehört die Überwachung der iranischen Oppositionellen im Exil zu seinen Aufgabenschwerpunkten. Der iranische Nachrichtendienst unterhält unverändert an der Iranische Iranischen Botschaft in Berlin einen abgetarnten Stützpunkt zur Legalresidentur Erledigung von Sicherheitsaufgaben, insbesondere zur Ausspähung von Dissidenten. Am 10. Dezember 2007 wurde der "Mykonos"-Attentäter Kazem Haftentlassung Darabi nach 15 Jahren Haft entlassen, nachdem der Generalfür "Mykonos"bundesanwalt sich gegen eine weitere Vollstreckung der FreiAttentäter heitsstrafe entschieden hatte. Er wurde noch am gleichen Tag in den Iran abgeschoben. Darabi war Drahtzieher eines am 17. September 1992 im Berliner Restaurant "Mykonos" verübten Anschlags, bei dem vier iranisch-kurdische Exilpolitiker ums Leben kamen. Er lebte zuvor seit vielen Jahren in Deutschland und fungierte als Verbindungsmann des iranischen Geheimdienstes. Er war bereits im Oktober 1992 neben anderen Tatbeteiligten verhaftet worden. Darabi wurde durch den 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin am 10. April 1997 wegen tateinheitlich begangenen vierfachen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Die Tatausführung erfolgte nach Feststellung des Gerichts auf Weisung der iranischen Staatsführung. 2. Nachrichtendienste der Arabischen Republik Syrien Die zahlreichen für die Aufrechterhaltung der inneren und äuSyrische ßeren Sicherheit zuständigen syrischen Nachrichtenund Sicherheitsorgane 297 Sicherheitsdienste sind Garanten für den Erhalt des syrischen Regimes. Sie unterliegen keiner rechtsstaatlichen Kontrolle. Die an der Syrischen Botschaft in Berlin abgetarnt tätigen Nachrichtendienstangehörigen gehen geheimdienstlichen Aktivitäten nach. Schwerpunkt ist die Überwachung und Ausforschung von in Deutschland lebenden Oppositionellen unterschiedlicher Ausrichtung, die als potenzielle Bedrohung für das syrische Regime gesehen werden. Zielpersonen der syrischen Nachrichtendienste müssen bei einer Reise nach Syrien damit rechnen, vorgeladen und intensiven Verhören unterzogen zu werden. Die Dienste nutzen diese Drucksituationen, um die Betroffenen zur Mitarbeit zu verpflichten. Im Zusammenhang mit diesen Aktivitäten hat die Bundesanwaltschaft im August 2007 einen in Bonn lebenden DeutschSyrer vor dem Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf angeklagt. Er wird beschuldigt, auftragsgemäß für einen syrischen Nachrichtendienst hier lebende Oppositionelle und deren Organisationen ausspioniert zu haben. 3. Nachrichtendienste der Sozialistischen LibyschArabischen Volks-Dschamahirija Die libysche Führung hat mit der Abschiebung der zum Tode verurteilten bulgarischen Krankenschwestern im Juli 2007 in ihre Heimat156 ein wesentliches Hindernis auf dem Weg zur umfassenden Verbesserung und Ausweitung der politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zum Westen ausgeräumt. Dieser Öffnungspolitik steht die unverändert kompromisslose Bekämpfung und Unterdrückung aller oppositionellen Bestrebungen, auch solcher mit rein friedlichen Mitteln, im Inund Ausland gegenüber. In Deutschland stehen Islamisten libyscher und anderer Nationalität, die teilweise in grenzüberschreiten156 Die Krankenschwestern und ein Arzt befanden sich seit 1999 in Libyen in Haft. Ihnen wurde vorgeworfen, "im Auftrag der Feinde Libyens" 426 libysche Kinder vorsätzlich mit dem Aidsvirus infiziert zu haben. Vgl. Verfassungsschutzbericht 2006 des Bundesministeriums des Innern, Spionage und sonstige nachrichtendienstlichen Aktivitäten, Kap. IV, Nr. 3, S. 314. 298 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN den internationalen Netzwerken organisiert sind, im Blickfeld der libyschen Nachrichtenund Sicherheitsdienste. Die im Libyschen Volksbüro in Berlin (Botschaft) und - bis zu dessen Schließung - im Libyschen Generalkonsulat in Bonn abgetarnt tätigen Angehörigen des libyschen Sicherheitsapparates sind in die Infiltrationsund Ausspähungstätigkeit intensiv eingebunden; sie rekrutieren und führen Agenten sowie Informanten. 4. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Algerien Die Aktivitäten algerischer Sicherheitsbehörden sind seit Jahren durch die Auseinandersetzungen mit islamistischen und terroristischen Oppositionsgruppen geprägt. Der algerische Auslandsnachrichtendienst Direktion DokumenAlgerischer tation und Äußere Sicherheit (Direction de la Documentation et Auslandsde la Securite Exterieure - DDSE) hat u.a. die Aufgabe, die im Ausnachrichtendienst land lebenden Landsleute zu überwachen und ihre Beziehungen zu islamistischen und terroristischen Gruppen auszuspähen. Aber auch laizistische Gruppen und Personen, die im Widerspruch zur offiziellen Regierungspolitik agieren, stehen in seinem Blickfeld. Zahlreiche Hinweise zeigen, dass der algerische NachrichtenAufklärung in dienst seit Jahren ein Informantennetz in Deutschland mit dem Deutschland Ziel unterhält, Informationen für seinen Kampf gegen den Terrorismus zu beschaffen. Dabei wird der Begriff Terrorismus von offizieller algerischer Seite sehr weit ausgelegt; er schließt auch gewaltlose oppositionelle Aktivitäten ein. Ein deutscher Staatsangehöriger algerischer Abstammung wurde nach einem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts vom Staatsschutzsenat des Kammergerichts Berlin am 8. November 2007 wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt, die für zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Angeklagte unterhielt als Ortskraft der Algerischen Botschaft in Deutschland im Auftrag der Konsularabteilung Kontakte zu zahlreichen Ausländerbehörden. Dabei soll er für den algerischen Nachrichtendienst Informationen über in Deutschland lebende algerische Oppositionelle beschafft haben. 299 V. Fernöstliche Nachrichtendienste 1. Nachrichtendienste der Volksrepublik China Entwicklung in China versteht sich als sozialistischer Staat mit einem alleinigen der Volksrepublik Herrschaftsanspruch der "Kommunistischen Partei Chinas" China (KPCh). Personen, die ihre Opposition zu Partei und Regierung öffentlich äußern, setzen sich der Gefahr von Repressionen aus. Alle Aktivitäten, die sich aus Sicht der Staatsführung gegen die KPCh, die Einheit des Staates (z.B. durch die Autonomiebestrebungen in Tibet und der Provinz Xinjiang) oder das internationale Ansehen Chinas richten, werden rigoros verfolgt. Insbesondere im Vorfeld der im Sommer 2008 stattfindenden Olympischen Spiele in Peking verschärft das Regime die Kontrolle der Opposition im Inund Ausland. In China wird das Internet - obwohl sich die politische Führung der Bedeutung dieses Mediums für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes bewusst ist - weiterhin massiv überwacht und in seinen Funktionen eingeschränkt, da es als eine ernsthafte Gefahr für das Informationsmonopol der KPCh betrachtet wird. Ungeachtet der politischen Gängelung der Gesellschaft entwickelt sich die chinesische Volkswirtschaft weiterhin rasant und erreichte auch im Jahr 2007 ein Wirtschaftswachstum von rund zehn Prozent. Damit rangiert China hinter den USA und Deutschland bereits auf dem dritten Platz der weltgrößten Handelsnationen. Chinesische Zur Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und der Stabilität Nachrichtendienste des Regimes sowie zur Wahrnehmung ihrer politischen und ökonomischen Interessen unterhalten Partei und Regierung einen gewaltigen Sicherheitsapparat. Mit dem Ministerium für Staatssicherheit (Ministry for State Security - MSS) verfügt China über einen der weltweit größten Sicherheitsund Aufklärungsdienste. Ende August 2007 wurde der langjährige Minister für Staatssicherheit Xu Yongyue durch seinen bisherigen Vertreter Geng Huichang ersetzt. Nach Einschätzung von Beobachtern soll er ein ausgesprochener Wirtschaftsfachmann sein und das Augenmerk auf Wirtschaftsspionage richten. 300 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Das MSS betreibt Spionage in den klassischen AufklärungsbereiAusspähungsziele chen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Technik. Daneben überwacht und bekämpft es schwerpunktmäßig die als staatsfeindlich definierten Organisationen und Bestrebungen, die so genannten Fünf Gifte. Hierzu zählen nach chinesischer Lesart die Angehörigen der Demokratiebewegung, praktizierende Mitglieder der Meditationsbewegung Falun Gong, Mitglieder von separatistischen Organisationen der turkstämmigen Minderheit der Uiguren, Anhänger eines autonomen Tibets sowie Befürworter der Eigenständigkeit Taiwans. Das Aufklärungsinteresse des militärischen Nachrichtendienstes Militärischer Informationsdienst (Military Intelligence Department - MID) richtet sich insbesondere auf sicherheitspolitische Fragen und rüstungstechnologische Informationen zur Modernisierung der chinesischen Streitkräfte. China nutzt zur Informationsbeschaffung seine diplomatischen Auslandsund konsularischen Vertretungen in der Bundesrepublik vertretungen Deutschland. Neben den Diplomaten sind dort auch Angehörige der Nachrichtendienste abgetarnt tätig. Sie bekleiden nach außen hin offizielle Funktionen und vermeiden kompromittierende Aktivitäten. Zusätzlich nutzen die Nachrichtendienste auch die Auslandsbüros chinesischer Medien für ihre nachrichtendienstliche Arbeit. Die in Deutschland unter diplomatischer oder journalistischer Abdeckung eingesetzten Nachrichtendienstoffiziere betreiben hauptsächlich eine offene Informationsbeschaffung. Sie nutzen hierzu intensiv ihre Kontakte zu wissenschaftlichen und politischen Institutionen, zu Stiftungen und anderen privaten und staatlichen Stellen. Nachrichtendienstlich wertvolle Zugänge werden zielstrebig ausgebaut und als "Freundschaftsbeziehung" fortgesetzt. Hierbei verstehen es die Nachrichtendienstoffiziere den Gesprächspartnern deutlich zu machen, dass sie eine besondere Rolle in den deutsch-chinesischen Beziehungen spielen und dieses als eine Ehre empfinden können. Ziel ist es, beim deutschen Gesprächspartner das Gefühl einer Verpflichtung entstehen zu lassen, um so "Gefälligkeiten" erbitten zu können. Besonders zuverlässige und wertvolle Kontaktpersonen werden in der Regel vom Nachfolger eines nach China zurückkehrenden Nachrichtendienstoffiziers übernommen. 301 Deutsches Die Beziehungen zwischen China und Deutschland entwickeln Know-how sich seit Jahren in allen Bereichen gut. Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft ist China der größte Handelsund Investitionspartner in Asien. Auf der anderen Seite begünstigt dies seit Jahren einen intensiven und in aller Regel einseitigen Abfluss von Know-how aus allen Hochtechnologiebereichen in Richtung China. China ist bestrebt, bis zum Jahre 2020 den USA wirtschaftlich und militärisch auf Augenhöhe gegenübertreten zu können. Dies kann nach Meinung von Fachleuten nur durch die Beschaffung von Spitzentechnologie aus dem Westen in großem Umfang gelingen. China versucht daher auch am Hochtechnologiestandort Deutschland entsprechendes Know-how auf vielfältigen Wegen zu beschaffen, um so möglichst schnell die noch vorhandenen Technologielücken zu schließen. Hierbei spielen die chinesischen Nachrichtendienste eine wichtige Rolle. Basis für die China kann sich auch in Deutschland auf die so genannten NonInformationsProfessionals (chinesische Studenten, Wissenschaftler, Praktigewinnung kanten und sonstige Fachleute) stützen, die Zugang zu deutschem Know-how haben und über Fleiß, Bildungshunger, Karrieredenken und ein hohes Maß an Patriotismus verfügen. Daneben bildet die chinesische Diaspora in Deutschland eine gute Basis zur Informationsgewinnung, da sie sich durch eine starke innere Verbundenheit zur Heimat sowie beträchtlichen Geschäftssinn auszeichnet und in zahlreichen Organisationen und Vereinen zusammengeschlossen ist, die von den amtlichen Vertretungen Chinas in Deutschland gefördert und kontrolliert werden. Computerspionage Zu einer besonderen Gefahr haben sich die E-Mail-basierten elektronischen Angriffe auf hiesige Netzwerke über das Internet entwickelt. Im Unterschied zur Beschaffung von Informationen mit menschlichen Quellen erfolgen hier die Angriffe in der Regel unbemerkt und risikolos vom Boden des angreifenden Landes aus. Nach Einschätzung von Fachleuten haben die meisten der derzeit detektierten elektronischen Angriffe ihren Ursprung in China. Umfang und Beständigkeit der Bemühungen sowie die offenbar außergewöhnlich guten Kenntnisse und technischen 302 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Ressourcen der Ausspäher deuten auf eine Steuerung durch chinesische Nachrichtendienste hin. Die aktuell in Deutschland verstärkt geführte öffentliche Diskussion im Zusammenhang mit Produktpiraterie, dem Diebstahl geistigen Eigentums und dem illegalen Abfluss von Know-how nach China hat allerdings zu einer steigenden Sensibilisierung der deutschen Wirtschaft und Politik geführt. 2. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea Die verschiedenen Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Demokratischen Volksrepublik Korea dienen dem Machterhalt des herrschenden Regimes. Drei dieser Dienste - Parteiaufklärung, Militärischer NachrichLegalresidenturen tendienst und Ministerium für Staatssicherheit (MfSS) - unterhalten Legalresidenturen an der Nordkoreanischen Botschaft in Berlin. Sie sind dort mit den Abteilungen "Staatssicherheit" und "Einheitsfront" sowie mit dem "Aufklärungsbüro der Abteilung Streitkräfte" vertreten und nehmen Aufgaben der militärischen und politischen Informationsgewinnung sowie der Parteiaufklärung wahr. Hierzu gehören auch die Beschaffung von sensitiven Gütern und Maßnahmen zur personellen und materiellen Sicherheit. Weiterhin erfolgt eine ideologische Beeinflussung und Anleitung südkoreanischer Dissidentengruppen, die das kommunistische Regime Nordkoreas stützen. Zudem betreuen die Legalresidenturen nordkoreanische Gastwissenschaftler, Studenten und einreisende Delegationen in Deutschland. Das nordkoreanische Interesse am Einkauf von sensitiven Gütern Aktivitäten für das heimische Rüstungsund MassenvernichtungswaffenProgramm besteht fort. Die Residenturen sind als Teil nordkoreanischer Beschaffungseinrichtungen an geplanten Einkäufen derartiger Güter in Deutschland beteiligt. Die restriktiven Exportbestimmungen Deutschlands führten zu Umweglieferungen über Drittländer, wie z.B. China, wobei Repräsentanzen der nordkoreanischen Firmen dort als Endverwender angegeben werden. 303 2007 konnten mehrere Versuche zur Beschaffung von Messund Analysegeräten, die auch in sensitiven Bereichen (Produktion biologischer und chemischer Waffen) angewandt werden können, rechtzeitig erkannt und eine Auslieferung verhindert werden. Generell verlagerten sich die Schwerpunkte der Beschaffungsbemühungen auf nicht proliferationsrelevante Güter der medizinischen Versorgung sowie auf Luxusgüter für die herrschende Nomenklatura. Des Weiteren richteten sich diese Aktivitäten auf Frachtschiffe, Computer und Anlagen für den landwirtschaftlichen Bereich. Bilaterale Gespräche zwischen Nordkorea und den USA in Berlin und ein weiteres Sechs-Parteien-Gespräch (USA, Japan, China, Russland, Nordund Südkorea) in Peking führten in diesem Jahr zu einer Einigung über die Stilllegung nordkoreanischer Atomreaktoren und Wiederzulassung der Inspekteure der International Atomic Energy Agency (IAEA). Die größte Atomanlage in Yongbyon wurde inzwischen geschlossen und versiegelt. Bei Gipfeltreffen der beiden koreanischen Staatsführer Roh Moo Hyun (Südkorea) und Kim Jong Il (Nordkorea) im Oktober und November 2007 wurden bilaterale Vereinbarungen zur Zusammenarbeit auf verschiedenen Wirtschaftsgebieten getroffen. Inwieweit diese Entwicklungen Einfluss auf die proliferationsrelevanten Beschaffungsbemühungen Nordkoreas haben, bleibt abzuwarten. VI. Proliferation Definition Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen beziehungsweise der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-hows sowie entsprechender Trägersysteme verstanden. Bei proliferationsrelevanten Ländern ist zu befürchten, dass sie Massenvernichtungswaffen in einem bewaffneten Konflikt einsetzen oder ihren Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele androhen. Von besonderer Relevanz sind derzeit Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien. 304 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Ungeachtet der öffentlichen Diskussion über einen Anfang DeAllgemeine Lage zember 2007 veröffentlichen Bericht US-amerikanischer Nachrichtendienste, der die Bedrohung durch das iranische Atomprogramm thematisiert, bleibt das Ziel der internationalen Staatengemeinschaft bestehen, Iran und seiner Führung jede Möglichkeit zu verwehren, eine Atombombe bauen zu können. Solange die iranische Führung die Urananreicherungsaktivitäten weiter vorantreibt und sich jeglichen Forderungen nach einer sofortigen Einstellung des Anreicherungsprogramms sowie nach uneingeschränkter Kooperation und Transparenz verweigert, gilt es, die iranischen Aktivitäten in Deutschland, die zur Förderung oder Unterstützung dieses Proliferationsprogramms beitragen können, zu beobachten und - wenn möglich - zu verhindern. Obwohl einige proliferationsrelevante Staaten bereits teilweise Beschaffungsüber das notwendige Wissen und die Produktionsmöglichkeiaktivitäten ten zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen oder Trägersystemen verfügen oder diese auf dem internationalen Markt anbieten, kommt es weiterhin zu einschlägigen Beschaffungsaktivitäten nicht nur in Deutschland. Sie dienen hauptsächlich der Bedarfsdeckung an fehlenden Produkten (beispielsweise Maschinen, Ersatzteilen oder Grundstoffen), die zur Fortentwicklung eines bestehenden Programms oder für die Entwicklung neuer Massenvernichtungswaffen oder Raketensysteme benötigt werden. Da in Europa strenge Exportgesetze bestehen und umgesetzt werden, wenden die proliferationsrelevanten Staaten konspirative Beschaffungsmethoden an. Die Beschaffung entsprechender Güter wird unter direkter Beteiligung eines Nachrichtendienstes oder unter Anwendung nachrichtendienstlicher Methoden vorgenommen. Der direkte Einkauf des tatsächlichen Endverwenders beim Hersteller im Ausland bildet daher eher die Ausnahme. Überwiegend werden aus Furcht vor Enttarnung Zwischenhändler oder Tarnfirmen eingeschaltet und/oder Lieferwege über andere Länder (Umweglieferung) gewählt, um die tatsächliche Endverwendung einer Ware in einem proliferationsrelevanten Programm gegenüber den Geschäftspartnern zu verschleiern. 305 Die Feststellung, ob bestimmte Geschäftsaktivitäten tatsächlich als proliferationsrelevant einzustufen sind, gestaltet sich besonders dann schwierig, wenn es sich bei der angefragten Ware um ein "dual use"-Produkt handelt, das Produkt also sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke eingesetzt werden kann. Know-howDie proliferationsrelevanten Staaten sind zudem an der BeTransfer schaffung von Know-how aus den Bereichen Forschung und Entwicklung interessiert. Auch hier werden konspirative Methoden angewandt, indem zum Beispiel die Zugehörigkeit eines Studenten oder Wissenschaftlers zu einer wissenschaftlichen Einrichtung mit Proliferationshintergrund gegenüber der deutschen Universität oder Forschungseinrichtung verschleiert wird. Kooperation Zur Aufklärung proliferationsrelevanter Aktivitäten arbeiten die Verfassungsschutzbehörden mit dem Bundesnachrichtendienst, dem Bundeskriminalamt, dem Zollkriminalamt und dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle zusammen. Sensibilisierung Im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung kontaktieren die Verfassungsschutzbehörden Firmen und wissenschaftliche Einrichtungen und informieren diese über Programme und Beschaffungsaktivitäten der proliferationsrelevanten Länder in Deutschland. Derartige Gespräche sollen die Gesprächspartner sensibilisieren und in die Lage versetzen, bei Geschäftskontakten das Problem des proliferationsrelevanten Produktund Know-howTransfers zu erkennen und bei der Entscheidung über eine geschäftliche oder wissenschaftliche Zusammenarbeit angemessen zu berücksichtigen. Letztendlich dient diese Art der Aufklärung auch dazu, den deutschen Gesprächspartner vor einem möglichen Reputationsverlust zu bewahren. 306 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN VII. Gefährdung durch Wirtschaftsspionage Deutschlands Stellung in der Welt beruht auch auf seiner wirtschaftlichen Leistungskraft und dem hohen Niveau von Forschung und Technik. Die Leistungsfähigkeit der deutschen Wirtschaft wird über den globalen Wettbewerb hinaus durch Wirtschaftsspionage, Konkurrenzausspähung, unerwünschten Wissenstransfer (Patentund Urheberrechtsverletzungen), Wirtschaftsund Organisierte Kriminalität sowie Terrorismus bedroht. Die Verfassungsschutzbehörden bezeichnen mit dem Begriff Definition Wirtschaftsspionage die staatlich gelenkte oder gestützte, von Nachrichtendiensten fremder Staaten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben. Im Gegensatz dazu ist Konkurrenzausspähung, oft auch als Konkurrenzspionage bezeichnet, die Ausforschung, die ein (konkurrierendes) Unternehmen gegen ein anderes betreibt. Die zum klassischen Aufgabenbereich fremder Nachrichtendienste gehörende Wirtschaftsspionage gewinnt im Rahmen des globalen Ringens um Marktanteile und Dominanz immer mehr an Bedeutung. Wirtschaftsspionage schädigt nicht nur nationale wirtschaftliche Strukturen, sie vernichtet darüber hinaus auch Arbeitsplätze. Die Informationsbeschaffung vollzieht sich nicht nach einheitlichen Regeln. Fremde Staaten betreiben sie in Abhängigkeit von ihren spezifischen Bedürfnissen und Möglichkeiten. So interessieren sich hochindustrialisierte Staaten zumeist für Aufklärungsziele wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Strategien, während Länder mit technologischem Rückstand eher an Informationen über konkrete Produkte und Forschungsergebnisse interessiert sind. In Deutschland befinden sich Wirtschaft, Wissenschaft und Spitzentechnologien im Mittelpunkt der Ausspähungsund Beschaffungsbemühungen fremder Nachrichtendienste, aber auch von konkurrierenden ausländischen Unternehmen. Im Fokus der Ausspähungsaktivitäten stehen insbesondere: 307 Automobilbau, erneuerbare und saubere Energien, Chemie, Kommunikationstechnologie, Optoelektronik, Röntgentechnologie, Rüstungstechnologie, Werkzeugmaschinen, insbesondere mit CNC-Technologie (computerized numerical control/computergesteuerte Maschinen), Verbundwerkstoffe und Materialforschung. Die Begehrlichkeiten fremder Nachrichtendienste, aber auch von Konkurrenten, richten sich nicht nur auf Großkonzerne, sondern auch auf eine Vielzahl innovativer kleinund mittelständischer Unternehmen. Vorgehensweisen Die Informationsbeschaffung erfolgt sowohl durch den Einsatz klassischer Agenten als auch durch so genannte Non-Professionals, also Studenten, Gastwissenschaftler und Praktikanten aus anderen Staaten, die sich zu Studienoder Ausbildungszwecken zeitweilig in Deutschland aufhalten. Neben dem Einsatz menschlicher Quellen gewinnen die neuen Technologien zur Informationsbeschaffung erkennbar an Bedeutung. Die aktuell gefährlichste Bedrohung stellen internetgebundene Angriffe, so genannte electronic attacks, auf Netzwerke und Computersysteme deutscher Wirtschaftsunternehmen und auch Regierungsstellen dar. Die bisherigen Recherchen weisen auf einen staatlichen Ursprung dieser Attacken hin. Dafür sprechen die zu beobachtenden Ziele der elektronischen Angriffe, deren Intensität, Struktur und Breite, sowohl bei den Wirtschaftsunternehmen als auch in den spezifisch angegriffenen Behördenbereichen. Zudem setzen die Qualität der genutzten Technik und die gut koordinierten Angriffe ein erhebliches finanzielles Potenzial und entsprechende personelle Ressourcen voraus (vgl. Kap. V). Auch die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation haben den gesetzlichen Auftrag, die russische Wirtschaft aktiv zu unterstützen. Anlässlich der Amtseinführung des neuen Leiters des zivilen russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR, Michail Fradkow, wiederholte Präsident Wladimir Putin diesen Auftrag.157 157 Siehe Fn. 152. 308 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE AKTIVITÄTEN Die Verfassungsschutzbehörden sensibilisieren und beraten FirSensibilisierung men hinsichtlich der Gefahren im Bereich der Wirtschaftsspionage und tragen damit aktiv zum Wirtschaftsschutz bei. Diese Gespräche sollen die Unternehmen in die Lage versetzen, sich vor Angriffen fremder Nachrichtendienste zu schützen. VIII. Festnahmen und Verurteilungen Im Jahr 2007 wurden durch den Generalbundesanwalt 31 Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit beziehungsweise wegen Landesverrats eingeleitet. Gegen eine Person wurde Haftbefehl erlassen. Im gleichen Zeitraum wurde ein Angeklagter wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 StGB) verurteilt. 309 310 Geheimschutz, Sabotageschutz 311 Geheimschutz, Sabotageschutz Aufgaben des Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unGeheimschutzes verzichtbar. Er sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Sicherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Verschlusssache Unabhängig von ihrer Darstellungsform sind Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, die geheim zu halten sind, Verschlusssachen (VS) und mit einem Geheimhaltungsgrad STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeichnen. Materieller Der materielle Geheimschutz schafft die organisatorischen und Geheimschutz technischen Vorkehrungen zum Schutz von VS. Diese Aufgabe wird in erster Linie vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wahrgenommen. Die Mitwirkung des BfV auf diesem Gebiet folgt aus SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) und bezieht sich auf die Mitteilung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse, die für den materiellen Schutz von VS bedeutsam sein können. Personeller Zentrale Aufgabe ist der Schutz von VS. Das hierzu genutzte InsGeheimschutz trument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) geregelt. Die Mitwirkung des BfV beruht auf SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BVerfSchG in Verbindung mit SS 3 Abs. 2 SÜG. Zuständigkeit Die Zuweisung des personellen Geheimschutzes als "Mitwirkungsaufgabe" bedeutet, dass das BfV keine originäre Zuständigkeit besitzt, sondern die Verantwortung für die Sicherheitsmaßnahmen bei den zuständigen Stellen liegt. Im öffentlichen Bereich des Bundes ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. 312 GEHEIMSCHUTZ, SABOTAGESCHUTZ Nicht nur in öffentlichen Institutionen, sondern z.B. auch in Wirtschaftsunternehmen wird mit staatlichen VS umgegangen, deren Schutz gewährleistet werden muss. Hier nimmt das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie die Verantwortung wahr. Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde als eine RePersoneller aktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit dem Sabotageschutz Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 in das SÜG eingeführt. Das im personellen Geheimschutz bewährte Instrument der SiSicherheitscherheitsüberprüfung soll verhindern, dass Personen mit Siüberprüfung cherheitsrisiken an Schlüsselpositionen in sensiblen Bereichen beschäftigt werden. Überprüft werden Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Einrichtungen sind lebenswichtig, wenn deren BeeinträchtiLebenswichtige gung aufgrund der ihnen anhaftenden betrieblichen EigengeEinrichtungen fahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann. Die betriebliche Eigengefahr bezeichnet die Gefahr, die vom Arbeitsprozess oder von den genutzten Produktionsoder Arbeitsmitteln ausgeht (z.B. Brand-, Explosionsoder Verseuchungsgefahr). Lebenswichtig sind außerdem solche Einrichtungen, die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde. Dazu gehört z.B. die Versorgung der Bevölkerung mit Postund Telekommunikationsdienstleistungen. In den vorbeugenden personellen Sabotageschutz werden auch Verteidigungsverteidigungswichtige Einrichtungen außerhalb des Geschäftswichtige bereichs des Bundesministeriums der Verteidigung einbezogen. Einrichtungen Dies sind Einrichtungen, die der Herstellung oder dem Erhalt der Verteidigungsbereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung die Funktionsfähigkeit der Bundeswehr, verbündeter Streitkräfte sowie der Zivilen Verteidigung erheblich gefährden kann. Zu ihnen zählen auch Schlüsselbetriebe der Rüstungsund Ausrüstungsindustrie sowie zentrale Verkehrsund Fernmeldeeinrichtungen. 313 SicherheitsAus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist der Anwendungsbeempfindliche reich des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes auf siStellen cherheitsempfindliche Stellen innerhalb der lebensbzw. verteidigungswichtigen Einrichtungen beschränkt. Damit sind die kleinsten selbstständig handelnden Organisationseinheiten gemeint, die vor unberechtigtem Zugang geschützt sind. Nur diejenigen, die dort beschäftigt sind, werden sicherheitsüberprüft. Für den Sabotageschutz ist die Überprüfungsform vorgeschrieben, die den Betroffenen möglichst wenig belastet (so genannte einfache Sicherheitsüberprüfung). Rechtsverordnung, In der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung vom Leitfaden 30. Juli 2003 (BGBl. I S. 1553), zuletzt geändert am 12. September 2007 und in der Neufassung veröffentlicht (BGBl. I S. 2292 u. 2294), werden die lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen verbindlich genannt. Das Bundesministerium des Innern hat gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dem Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem Bundesministerium der Verteidigung einen Leitfaden zum vorbeugenden personellen Sabotageschutz im nichtöffentlichen Bereich verfasst. Er kann im Internet unter www.bmwi-sicherheitsforum.de abgerufen werden. Zustimmung Hervorzuheben ist, dass eine Sicherheitsüberprüfung nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen darf. 314 "Scientology-Organisation" (SO) 315 "Scientology-Organisation" (SO) Gründung: 1954 in den USA, erste Niederlassung in Deutschland 1970 Sitz: Los Angeles ("Church of Scientology International", [CSI]) Mitglieder: in Deutschland: ca. 5.000 bis 6.000 (2006: ca. 5.000 bis 6.000) Publikationen: u.a. "FREIHEIT", "IMPACT", "SOURCE", "Freewinds", "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", "ADVANCE!", "THE AUDITOR" Teilorganisationen: In Deutschland zehn "Kirchen", (Auswahl) darunter zwei "Celebrity Centres", und 14 "Missionen" 1. Grundlagen und Zielsetzung Seit der Gründung der ersten "Scientology Kirche" in Los Angeles im Jahre 1954 bezeichnet sich die Organisation Scientology in der Öffentlichkeit als "völlig neue Religion". Gleichzeitig behauptet sie, sie sei "die erste wirkliche Anwendung wissenschaftlicher Grundsätze unter Einbeziehung von Vernunft und Logik zur Erreichung von Erkenntnis auf spirituellem Gebiet".158 Der Organisationsgründer L. Ron Hubbard (1911 - 1986) hatte vier Jahre zuvor in den USA das für die SO grundlegende Buch "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" veröffentlicht.159 Nach Selbstdarstellung der SO im Internet soll Hub158 Internetseite der SO (21. November 2007). 159 Titel der amerikanischen Originalausgabe: "Dianetics: The Modern Science of Mental Health". 316 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) bard mit der dort vorgestellten "wissenschaftlichen Methode" der Dianetik "die Probleme des menschlichen Verstandes gelöst" haben. Die auf den Vorstellungen der "Dianetik" aufbauende Lehre der Scientology geht davon aus, dass die "Person" bzw. die "Identität" des Menschen nicht sein Körper oder Name, sondern der "Thetan"160 sei, das unsterbliche Wesen eines Menschen, der in seinem Idealzustand als "Operierender Thetan" "bewusst und willentlich Ursache über Leben, Denken, Materie, Energie, Raum und Zeit" und "von keinerlei Unglücksfällen oder Verschlechterung eingeschränkt" sei. Um diesen Zustand zu erreichen, müsse die Person zunächst durch körperliche und geistige Reinigungsprozesse den Status "Clear" erlangen. In diesem Zustand sei sie vom "reaktiven Verstand" befreit, der zuvor ihre Handlungen aufgrund traumatischer Erfahrungen (so genannter "Engramme") beeinflusst und zu "Aberrationen", d.h. Abweichungen von der Rationalität, geführt habe. Als zentrale Technik zur Erreichung des Zustands "Clear" wird das so genannte "Auditing" angewandt, durch das angeblich die "Engramme" entdeckt und ihre Auswirkungen eliminiert werden können. Bei diesem Verfahren setzt der "Auditor" ("jemand der zuhört; ein so bezeichneter Scientologe") bei der Befragung des "Preclear" ("jemand, der noch nicht Clear ist") als Hilfsmittel das so genannte "E-Meter" ein, eine Art Lügendetektor. Die Messung des Körperwiderstands und dessen Schwankungen, die von der Nadel des "E-Meters" angezeigt werden, sollen dem "Auditor" Hinweise darauf geben, ob von ihm der richtige Bereich von Kummer und Schmerz angesprochen wurde. Über das "Auditing" hinaus führt die Organisation in Deutschland noch eine Reihe weiterer Kurse durch. Diese geben überwiegend Anweisungen für eine aus scientologischer Sicht erfolgreiche Lebensführung. 160 Die in Anführungszeichen gesetzten Begriffe entstammen der Terminologie der SO. Dazu hat Hubbard eine eigene Publikation herausgegeben: Hubbard, L. Ron: Fachwortsammlung für Dianetics und Scientology, 4. Auflage, Kopenhagen 1985. 317 Die Veranstaltungen und entsprechende Publikationen werden nach Art eines gewinnorientierten Unternehmens gegen Entgelt angeboten. Die Gewinnerzielung ist eine wesentliche Aufgabe der "Kirchen" oder "Missionen" in Deutschland. Tatsächliche Aus einer Vielzahl von Informationsquellen ergibt sich, dass die Anhaltspunkte SO wesentliche Grundund Menschenrechte, wie die Menfür verfassungsschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit feindliche und das Recht auf Gleichbehandlung, außer Kraft setzen oder Bestrebungen einschränken will. Sie strebt darüber hinaus eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an. Unveränderliche Die SO wirkt nach wie vor mit verfassungsfeindlicher Intention Gültigkeit der auf die politische Willensbildung ihrer Mitglieder ein. Die SchrifSchriften Hubbards ten Hubbards werden regelmäßig und inhaltlich unverändert neu aufgelegt. Sie sind für die Organisation verbindlich. Versuche, Änderungen in der Lehre von Scientology herbeizuführen, werden als schwerwiegender "ethischer" Verstoß aufgefasst. So heißt es z.B. in einer Broschüre: "Die Scientology Religion entstand im 20. Jahrhundert und ist unter den großen Religionen der Welt insofern einzigartig, als alle ihre Schriften den ursprünglich geschriebenen und gesprochenen Worten L. Ron Hubbards entsprechen. Diese Worte wurden genau so bewahrt, wie sie verfasst und gesprochen wurden - und so wird es immer bleiben - dank der heutzutage verfügbaren Technologie. Damit wird Scientologen die Gewissheit gegeben, dass ihre Religion rein und frei von Abänderungen bleiben wird." ("Die Scientology Kirche - Eine Einführung zu den Andachten der Kirche" 1999, 2007, S. 9, L. Ron Hubbard Library) Dies gilt insbesondere für Hubbards grundlegendes Buch "Dianetik". Das Buch begründet - vor allem im Einführungsund 318 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Schlusskapitel - die politische Zielrichtung der Ideologie Hubbards sowie seiner Idee einer scientologischen Zweiklassengesellschaft: "Eine ideale Gesellschaft wäre eine Gesellschaft nichtaberrierter Menschen, Clears, die ihr Leben in einer nichtaberrierten Kultur führen: (...) Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte vor dem Gesetz verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele, (...)." (L. Ron Hubbard: Dianetik - Der Leitfaden für den menschlichen Verstand, Neuausgabe 2007, S. 482 f.) Hubbards Schriften enthalten Passagen, in denen die Demokratie verunglimpft und die Abschaffung von Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zugunsten des Aufbaus einer neuen Zivilisation (so genannte "OT-Zivilisation"161, d.h. eine aus "operierenden Thetanen" bestehende Gesellschaft) gefordert wird. Hubbard hat die von ihm angestrebte neue scientologische ZiviEingeschränkte lisation u.a. als Rechtsordnung beschrieben, in der die Existenz Geltung der des Einzelnen vom willkürlichen Ermessen der SO abhängt. Grundrechte und Grundrechte stehen demzufolge nur den Personen zu, die aus keine Gleichheit Sicht der Organisation erst nach einer Auslese im "Auditing"vor dem Gesetz Verfahren zu den "Ehrlichen" gehören. Damit sind diejenigen gemeint, die entweder bereits "Clear" sind oder sich auf dem Weg dorthin befinden. Die SO lehnt das demokratische Rechtssystem ab und will langScientologisches fristig ihren - vermeintlich - "überlegenen Gesetzeskodex" an "Ethik"und dessen Stelle setzen. Rechtssystem 161 "IMPACT", Ausgabe 111, 2005, S. 4. 319 "World Institute So hat die SO-Teilorganisation "World Institute of Scientology Enof Scientology terprises" (WISE) - ein Zusammenschluss unternehmerisch aktiEnterprises" (WISE) ver Scientologen - in Deutschland bereits sechs "Charter Commit eigenen mittees" installiert. Diese "Charter Committees" sind vorort be"Gerichten" rechtigt, "(...) hohe ethische Standards durchzusetzen. Anhand von Berichten seiner Mitglieder untersucht und korrigiert das Charter-Komitee routinemäßig jeglichen Missbrauch der Verwaltungstechnologie von LRH.162 Jedes Mitglied kann die Dienstleistungen des Charter-Komitees für Schlichtungen und Ethik-Handhabungen in Anspruch nehmen, um geschäftliche und organisatorische Streitigkeiten und Beschwerden zu bereinigen." ("Prosperity" Nr. 71, 2007, S. 2) Die "Charter Committees" fungieren im scientologischen Rechtssystem demnach als "Gerichte". WISE-Mitglieder verpflichten sich, den organisationseigenen Kodex einzuhalten, d.h. insbesondere auch, bei Streitigkeiten mit anderen Mitgliedern keine staatlichen Gerichte anzurufen, sondern sich auf das interne Verfahren zu beschränken. Dabei bedeutet die Formulierung "kann in Anspruch nehmen (...)" in der Sache ein "muss" in Anspruch nehmen, da anderes Verhalten nach dem scientologischen Selbstverständnis eine "unterdrückerische Handlung" darstellt. Langfristige Die Organisation versucht, sich nach außen als unpolitische und Veränderungen demokratiekonforme Religionsgemeinschaft darzustellen. Sie des politischen nimmt zwar nicht offen am Prozess der politischen WillensbilSystems durch dung teil. Aus den auch für die aktuellen Aktivitäten der SO maß"Expansion" der SO geblichen Schriften ihres Gründers Hubbard ergibt sich jedoch, dass die politischen Fernziele durch eine langfristig ausgerichtete Expansionsstrategie, durch Erhöhung der Einnahmen der Organisation sowie durch die erfolgreiche Bekämpfung ihrer Kritiker erreicht werden sollen. 162 Abkürzung für L. Ron Hubbard. 320 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) Unterstützt wird die SO dabei von der "International Association of Scientologists" (IAS), der offiziellen Mitgliedschaftsorganisation der SO. Mithilfe der Mitgliedsbeiträge und eingeworbener Spenden finanziert die IAS wesentliche Projekte der Organisation. Ein wichtiger Bestandteil der SO-Strategie, eine "neue ZivilisaDurch "Ideale tion" nach ihren Vorstellungen zu errichten, ist die Kampagne Orgs" eine "neue zur Schaffung "Idealer Orgs", d.h. besonders wichtiger/bedeuZivilisation" tender, personell starker "Orgs". Danach will die SO an "strategischaffen schen Hauptknotenpunkten der Erde die Grundpfeiler für eine neue Zivilisation errichten"163 und bestimmte größere Niederlassungen der SO zu "Idealen Orgs" ausbauen. "Ideale Zentrale Organisationen" seien "das absolute Minimum für planetarisches Klären".164 Einen Schritt in diese Richtung hat die SO in Deutschland mit der "Ideale Org" Eröffnung ihres neuen, repräsentativen Gebäudes am 13. Januar in Berlin 2007 in Berlin getan. Nach eigenen Angaben ist die "Org Berlin" - neben denen in London, Madrid und Mailand - eine der vier "Idealen Orgs" in Europa: "Jede Ideale Org befindet sich in strategischer Lage und jene, die von der IAS gesponsert werden, befinden sich in wichtigen kulturellen Zentren von enormer Bedeutung für den Planeten. Unter diesen ist Berlin aus vielen Gründen von höchster Bedeutung - der kalte Krieg, die Errichtung der Mauer, der Fall der Mauer. Es war viele Jahre lang ein Symbol der Freiheit." ("International Scientology News", Ausgabe 35, 2007, S. 25) 163 "Scientology News", Ausgabe 36, 2007, S. 6. 164 "Scientology News", Ausgabe 35, 2007, S. 18; "Org" bedeutet im SO-Jargon allgemein Organisation, s.a. Fn. 160. 321 Auch andere deutsche "Orgs" sollen nach diesem Konzept expandieren und dann verstärkt im scientologischen Sinne auf die Gesellschaft einwirken. Dabei sieht sich die SO in Deutschland auf einem guten Weg. In Bezug auf das in Berlin Erreichte heißt es: "Dies hat das ganze Feld angesteckt, einschließlich Düsseldorf und München, die alle im Ideale-Org-Fieber sind. Hamburg ist (...) keineswegs immun. Stuttgart hat es ebenfalls erwischt (...)." ("International Scientology News", Ausgabe 36, 2007, S. 11) Diffamierung Es ist ein durchgängiges Merkmal der SO, dass sie alle Kritiker von Gegnern und Gegner ihrer Ideologie als kriminell und krank diffamiert. und Kritikern Besonders aggressiv hetzt sie dabei gegen den "kriminellen Berufsstand" der Psychiater, gegen den die SO einen "antipsychiatrische(n) Feuersturm" initiieren will. Diese Aufgabe wird vor allem von der zur SO gehörenden "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM) wahrgenommen. Die Organisation sieht die Psychiatrie als "primäre Quelle von Unterdrückung auf diesem Planeten"165 und als eine "Industrie des Todes",166 der sie "kriminelle Machenschaften" vorwirft, denen ein Ende bereitet werden müsse.167 Dabei zieht die SO auch Vergleiche zu den Missbräuchen der Psychiatrie während des Nationalsozialismus: 165 "IMPACT", Ausgabe 115, 2006, S. 30 ff. 166 "IMPACT", Ausgabe 116, 2007, S. 40. 167 Mitgliederwerbung der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM): "Warum tragen nur wenige Psychiater Handschellen?", 2006. 322 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) "Das Buch 'Die Männer hinter Hitler' (...) zeigt die immer noch vorhandene Identifikation mit Nazi-Psychiatern und ihren Vordenkern auf, die bis heute die Arbeitsweise und Gesinnung der deutschen Psychiatrie und den psychiatrischen Alltag prägen. (...) Ihr Gedankengut hat überlebt und ist lediglich in neue, seriös klingende Begriffe gekleidet." (Jubiläumsbroschüre der "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM): "30 Jahre im Dienst der Menschenrechte" 2002, S. 25 und 29) Ein weiterer Beleg für die gegen die Menschenrechte und den Unbeschränkt Rechtsstaat gerichteten Bestrebungen der SO ist schließlich die herrschender Existenz eines weltweit - auch in Deutschland - tätigen organiGeheimdienst sationseigenen Geheimdienstes, dem "Office of Special Affairs" (OSA). Zu den Aufgaben des verantwortlichen "Direktors für Spezielle Angelegenheiten" gehören u.a. die Sammlung von Informationen über Gegner und Kritiker der SO sowie deren Bekämpfung. Der totalitäre Charakter der Organisation wird u.a. darin deutStreben nach lich, dass die SO eine weitestgehende Kontrolle über ihre Mitabsoluter Kontrolle glieder anstrebt. So werden diese z.B. grundsätzlich dazu verpflichtet, selbst für die Inanspruchnahme von medizinischer Hilfe die Zustimmung des zuständigen SO-Funktionärs einzuholen.168 Demselben Zweck dienen auch die von jedem Mitglied zu erstellenden "Wissensberichte", in denen ein Fehlverhalten anderer Gruppenmitglieder an das "Religious Technology Center" (RTC) in den USA gemeldet werden soll. 168 L. Ron Hubbard: "Der neue Studentenhut Kurs", 1996, S. 155 f. 323 2. Werbung in der Öffentlichkeit "BibliothekenDie SO ließ 2007 ihre bereits aus der Vergangenheit bekannte Kampagne" "Bibliotheken-Kampagne" wieder aufleben. Ziel dieser Kampagne ist es, "alle 390 000 Bibliotheken der Welt mit der neuen Ausgabe der Grundlagen-Bücher auszustatten".169 Bereits im Januar gab es Hinweise, dass in Deutschland verschiedene Bibliotheken Schreiben bzw. Mails von "New Era Publications International" erhalten hatten, in denen u.a. nach den Modalitäten für die Platzierung von (Scientology-)Buchspenden angefragt wurde. Verstärkte Im Rahmen einer "planetarischen Rettungskampagne"170, die Werbung im auf der Jahrestagung der IAS Ende 2006 ausgerufen und seit politischen Bereich 2007 sukzessive umgesetzt wird, wandte sich die in Glendale (USA) ansässige Organisation "The Way to Happiness Foundation" in Werbeschreiben u.a. an verschiedene deutsche Behörden und dabei insbesondere an Bürgermeister. In den Schreiben unterbreitete die Organisation ein Angebot für eine - jeweils auf den Adressaten namentlich abgestimmte - Ausgabe der Hubbard-Broschüre "Der Weg zum Glücklichsein". Dem Angebotsschreiben beigefügt waren meist entsprechend aufgearbeitete Musterexemplare. "Der Weg zum Glücklichsein" ist in den Augen von Scientology "wie eine magische Geheimformel. Scheinbar einfach, übt er eine enorme Wirkung aus."171 Durch die von der IAS gesponserten Postsendungen an 60.000 führende Persönlichkeiten in Regierungen, Behörden, Betrieben und im Handel in 29 Ländern solle die "Basisbewegung" die ganze Gesellschaft erfassen.172 InstrumentalisieIn verschiedener Art und Weise versuchte die SO, Kontakte zu rung eines Urteils Politikern oder staatlichen Stellen anzubahnen, um diese mit des Europäischen ihren Ansichten vertraut zu machen. Anknüpfungspunkt war Gerichtshofs für dabei häufig das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für MenMenschenrechte schenrechte (EGMR), der im April 2007 über eine Klage der SO gegen Russland entschieden hatte.173 Danach ist die Weigerung Russlands, die SO wieder als Religionsgemeinschaft zu registrie169 Spendenaufruf in "Scientology News", Ausgabe 36, 2007, S. 67. 170 Siehe Fn. 163. 171 "IMPACT", Ausgabe 116, 2007, S. 58. 172 "IMPACT", Ausgabe 116, 2007, S. 60. 173 Vgl. die Entscheidung des EGMR vom 5. April 2007, Az. 18147/02. 324 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) ren, rechtsfehlerhaft gewesen, nachdem ihr bereits früher dieser Status zuerkannt worden war. Aus dieser Entscheidung leitet die SO - zu Unrecht - eine generelle Anerkennung ihrer Lehre als Religion ab. Demgemäß hieß es in Mails an verschiedene deutsche Polizeidienststellen, dass das Urteil des europäischen Gerichtshofs natürlich auch Auswirkungen auf Deutschland habe. Die KVPM organisierte in Berlin und Dresden Ausstellungen Aktivitäten unter dem Motto "Psychiatrie: Tod statt Hilfe", um so auf - beder KVPM hauptete - Missstände in der Psychiatrie aufmerksam zu machen. In Würzburg demonstrierte die KVPM im Juni 2007 gegen einen internationalen Kongress von Psychiatern zum Thema ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) und verteilte u.a. ihre Broschüre "Pillen statt Pausenbrot - Die Psychiatrie zerstört Leben". Anlässlich des "Internationalen Tags der seelischen Gesundheit" am 10. Oktober 2007 sammelte die KVPM in mehreren Städten Unterschriften für eine Petition an die Bundesgesundheitsministerin. Neben der Agitation gegen den Berufsstand der Psychiater Aufklärungskamwaren allgemein die Menschenrechte und die Aufklärungspagne "Sag Nein kampagne "Sag Nein zu Drogen, sag Ja zum Leben" Schwerzu Drogen, sag Ja punkte propagandistischer Werbeaktionen. Hierzu verteilte die zum Leben" SO bundesweit ihre Broschüre "Was sind Menschenrechte? - Nur wer seine Rechte kennt, kann sie auch schützen" sowie Hefte aus der Reihe "Fakten über Drogen". Die Organisation behauptet, im Rahmen ihrer Operation "Drogenfreie Erde" allein in Berlin 100.000 Jugendliche erreicht zu haben.174 Mit technisch aufwändig gestalteten, umfangreichen InternetInternet-Angebote Seiten bietet die SO in mehreren Sprachen Informationen zu ihrer Geschichte, ihren Zielen und Teilorganisationen an. 174 "IMPACT", Ausgabe 116, 2007, S. 48. 325 Darüber hinaus wirbt sie für Schriften und Kurse. Mehrere hundert deutsche Mitglieder bekennen sich zudem auf eigenen Internetseiten zur SO und deren Zielen. Mitgliederbestand Neben dem Großraum Berlin, wo die SO ihre Aktivitäten 2007 und Tätigkeit verstärkte, sind regionale Schwerpunkte hinsichtlich des Mitweiterhin ungleichgliederbestands und der Tätigkeit der Großraum Hamburg sowie mäßig verteilt Baden-Württemberg und Bayern. Daneben gibt es in Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen jeweils eine größere Zahl von Mitgliedern. 3. Klage der SO gegen die Beobachtung Die "Scientology Kirche Deutschland e.V." (SKD) und die "Scientology Kirche Berlin e.V." (SKB) haben am 31. März 2003 Klage gegen die nachrichtendienstliche Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingereicht. Mit Urteil vom 11. November 2004 hat das Verwaltungsgericht (VG) Köln diese Klage in vollem Umfang abgewiesen.175 Die SO hat gegen diese Entscheidung im Januar 2005 Berufung beim Oberverwaltungsgericht in Münster eingelegt.176 SO als ReligionsDie SO stellt in ihrer Berufungsbegründung vor allem darauf ab, gemeinschaft dass sie als Religionsgemeinschaft aufgrund des aus Art. 4 Abs. 1 und 2 Grundgesetz i.V.m. Art. 137 Abs. 3 S. 1 und 137 Abs. 7 der Weimarer Reichsverfassung resultierenden Schutzes nicht beobachtet werden dürfe. Die Selbstcharakterisierung als Religionsgemeinschaft erscheint jedoch angesichts zahlreicher Äußerungen von Hubbard zur angeblich rein wissenschaftlichen Natur von Scientology zweifelhaft. Auffällig ist auch, dass die SO 175 VG Köln, Urteil vom 11. November 2004, Az.: 20 K 1882/03. 176 Mit Urteil vom 12. Februar 2008 hat das OVG Münster die Berufung der SKD und SKB gegen das erstinstanzliche Urteil zurückgewiesen. Das Urteil ist rechtskräftig. 326 "SCIENTOLOGY-ORGANISATION" (SO) sich insbesondere in jenen (vor allem westlichen) Staaten als Religion darzustellen versucht, in denen sie sich von einem solchen Status etwa finanzielle Vorteile verspricht. Das VG Köln führt in seinem Urteil aus, dass es für die Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden unerheblich sei, ob die SO als Religionsgemeinschaft qualifiziert werden müsse, denn auch eine religiös motivierte Verhaltensweise könne zugleich als politisch bewertet werden.177 177 Siehe Fn. 175. 327 328 Gesetzestext und Register 329 Gesetzestext (3) Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und HilfeGesetz über die Zusammenarbeit des Bunleistung. des und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das SS2 Bundesamt für Verfassungsschutz (BunVerfassungsschutzbehörden desverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) (1) Für die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern unterhält der Bund ein Ausfertigungsdatum: 20.12.1990 Bundesamt für Verfassungsschutz als Bundesoberbehörde. Es untersteht dem Vollzitat: Bundesministerium des Innern. Das "Bundesverfassungsschutzgesetz vom Bundesamt für Verfassungsschutz darf 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), einer polizeilichen Dienststelle nicht anzuletzt geändert durch SS 32 des Gesetzes gegliedert werden. vom 23. November 2007 (BGBl. I S. 2590)" (2) Für die Zusammenarbeit der Länder mit Stand: Zuletzt geändert durch SS 32 G v. dem Bund und der Länder untereinan23.11.2007 I 2590 der unterhält jedes Land eine Behörde zur Bearbeitung von Angelegenheiten Fußnote des Verfassungsschutzes. Textnachweis ab: 30.12.1990 Das G wurde als Art. 2 des G v. 20.12.1990 I SS3 2954 vom Bundestag mit Zustimmung des Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden Bundesrates beschlossen; das G wurde am (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehör29.12.1990 verkündet und ist gem. Art. 6 Abs. den des Bundes und der Länder ist die 1 G v. 20.12.1990 I 2954 am Tage nach der VerSammlung und Auswertung von Inforkündung in Kraft getreten. mationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Erster Abschnitt 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitZusammenarbeit, Aufgaben der Verfasliche demokratische Grundordnung, sungsschutzbehörden den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet SS1 sind oder eine ungesetzliche BeeinZusammenarbeitspflicht trächtigung der Amtsführung der (1) Der Verfassungsschutz dient dem Verfassungsorgane des Bundes oder Schutz der freiheitlichen demokratieines Landes oder ihrer Mitglieder schen Grundordnung, des Bestandes zum Ziele haben, und der Sicherheit des Bundes und der 2. sicherheitsgefährdende oder geLänder. heimdienstliche Tätigkeiten im Gel(2) Der Bund und die Länder sind verpflichtungsbereich dieses Gesetzes für eine tet, in Angelegenheiten des Verfasfremde Macht, sungsschutzes zusammenzuarbeiten. 3. Bestrebungen im Geltungsbereich 330 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ dieses Gesetzes, die durch Anwen(3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an dung von Gewalt oder darauf gerichdie allgemeinen Rechtsvorschriften getete Vorbereitungshandlungen ausbunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). wärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, SS4 4. Bestrebungen im Geltungsbereich Begriffsbestimmungen dieses Gesetzes, die gegen den Ge(1) Im Sinne dieses Gesetzes sind danken der Völkerverständigung (Ara) Bestrebungen gegen den Bestand des tikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insBundes oder eines Landes solche pobesondere gegen das friedliche Zulitisch bestimmten, zielund zwecksammenleben der Völker (Artikel 26 gerichteten Verhaltensweisen in Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet einem oder für einen Personenzusind. sammenschluß, der darauf gerichtet (2) Die Verfassungsschutzbehörden des ist, die Freiheit des Bundes oder eines Bundes und der Länder wirken mit Landes von fremder Herrschaft auf1. bei der Sicherheitsüberprüfung von zuheben, ihre staatliche Einheit zu Personen, denen im öffentlichen Inbeseitigen oder ein zu ihm gehörenteresse geheimhaltungsbedürftige des Gebiet abzutrennen; Tatsachen, Gegenstände oder Erb) Bestrebungen gegen die Sicherheit kenntnisse anvertraut werden, die Zudes Bundes oder eines Landes solche gang dazu erhalten sollen oder ihn politisch bestimmten, zielund sich verschaffen können, zweckgerichteten Verhaltensweisen 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von in einem oder für einen PersonenzuPersonen, die an sicherheitsempfindsammenschluß, der darauf gerichtet lichen Stellen von lebensoder verteiist, den Bund, Länder oder deren Eindigungswichtigen Einrichtungen berichtungen in ihrer Funktionsfähigschäftigt sind oder werden sollen, keit erheblich zu beeinträchtigen; 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahc) Bestrebungen gegen die freiheitliche men zum Schutz von im öffentlichen demokratische Grundordnung solInteresse geheimhaltungsbedürftiche politisch bestimmten, zielund gen Tatsachen, Gegenständen oder zweckgerichteten Verhaltensweisen Erkenntnissen gegen die Kenntnisin einem oder für einen Personenzunahme durch Unbefugte, sammenschluß, der darauf gerichtet 4. bei der Überprüfung von Personen in ist, einen der in Absatz 2 genannten sonstigen gesetzlich bestimmten FälVerfassungsgrundsätze zu beseitigen len. oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluß hanDie Befugnisse des Bundesamtes für Verfasdelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachsungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 drücklich unterstützt. Voraussetzung für Nr. 1, 2 und 4 sind im Sicherheitsüberprüdie Sammlung und Auswertung von Inforfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. mationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 ist das Vor867) geregelt. liegen tatsächlicher Anhaltspunkte. 331 Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die zur Erfüllung ihrer Aufgaben, werten nicht in einem oder für einen Personenzusie aus und übermitteln sie dem Bunsammenschluß handeln, sind Bestrebungen desamt für Verfassungsschutz und den im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf AnLandesbehörden für Verfassungsschutz, wendung von Gewalt gerichtet sind oder soweit es für deren Aufgabenerfüllung aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet erforderlich ist. sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheb(2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz lich zu beschädigen. darf in einem Lande im Benehmen mit (2) Zur freiheitlichen demokratischen der Landesbehörde für VerfassungsGrundordnung im Sinne dieses Gesetzes schutz Informationen, Auskünfte, Nachzählen: richten und Unterlagen im Sinne des SS 3 a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt sammeln. Bei Bestrebungen und Tätigin Wahlen und Abstimmungen und keiten im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 durch besondere Organe der Gesetzist Voraussetzung, dass gebung, der vollziehenden Gewalt 1. sie sich ganz oder teilweise gegen den und der Rechtsprechung auszuüben Bund richten, und die Volksvertretung in allgemei2. sich über den Bereich eines Landes ner, unmittelbarer, freier, gleicher hinaus erstrecken, und geheimer Wahl zu wählen, 3. sie auswärtige Belange der Bundesreb) die Bindung der Gesetzgebung an die publik Deutschland berühren oder verfassungsmäßige Ordnung und die 4. eine Landesbehörde für VerfassungsBindung der vollziehenden Gewalt schutz das Bundesamt für Verfasund der Rechtsprechung an Gesetz sungsschutz um ein Tätigwerden erund Recht, sucht. c) das Recht auf Bildung und Ausübung Das Benehmen kann für eine Reihe gleicheiner parlamentarischen Opposition, gelagerter Fälle hergestellt werden. d) die Ablösbarkeit der Regierung und (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz ihre Verantwortlichkeit gegenüber unterrichtet die Landesbehörden für der Volksvertretung, Verfassungsschutz über alle Unterlae) die Unabhängigkeit der Gerichte, gen, deren Kenntnis für das Land zum f) der Ausschluß jeder Gewaltund WillZwecke des Verfassungsschutzes erforkürherrschaft und derlich ist. g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS6 Gegenseitige Unterrichtung der VerfasSS5 sungsschutzbehörden Abgrenzung der Zuständigkeiten der Die Verfassungsschutzbehörden sind verVerfassungsschutzbehörden pflichtet, beim Bundesamt für Verfassungs(1) Die Landesbehörden für Verfassungsschutz zur Erfüllung der Unterrichtungsschutz sammeln Informationen, Auspflichten nach SS 5 gemeinsame Dateien zu künfte, Nachrichten und Unterlagen führen, die sie im automatisierten Verfah332 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ ren nutzen. Diese Dateien enthalten nur die hörden die für die Zusammenarbeit der Daten, die zum Auffinden von Akten und Länder mit dem Bund auf dem Gebiete des der dazu notwendigen Identifizierung von Verfassungsschutzes erforderlichen WeiPersonen erforderlich sind. Die Speicherung sungen erteilen. personenbezogener Daten ist nur unter den Voraussetzungen der SSSS 10 und 11 zulässig. Der Abruf im automatisierten Verfahren Zweiter Abschnitt durch andere Stellen ist nicht zulässig. Die Bundesamt für Verfassungsschutz Verantwortung einer speichernden Stelle im Sinne der allgemeinen Vorschriften des Datenschutzrechts trägt jede VerfassungsSS8 schutzbehörde nur für die von ihr eingegeBefugnisse des Bundesamtes für Verfasbenen Daten; nur sie darf diese Daten versungsschutz ändern, sperren oder löschen. (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Die eingebende Stelle muß feststellbar sein. darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben Das Bundesamt für Verfassungsschutz trifft erforderlichen Informationen einfür die gemeinsamen Dateien die technischließlich personenbezogener Daten schen und organisatorischen Maßnahmen erheben, verarbeiten und nutzen, sonach SS 9 des Bundesdatenschutzgesetzes. weit nicht die anzuwendenden BestimDie Führung von Textdateien oder Dateien, mungen des Bundesdatenschutzgesetdie weitere als die in Satz 2 genannten zes oder besondere Regelungen in dieDaten enthalten, ist unter den Voraussetsem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuzungen dieses Paragraphen nur zulässig für chen des Bundesamtes für Verfassungseng umgrenzte Anwendungsgebiete zur schutz um Übermittlung personenbeAufklärung von sicherheitsgefährdenden zogener Daten darf nur diejenigen peroder geheimdienstlichen Tätigkeiten für sonenbezogenen Daten enthalten, die eine fremde Macht oder von Bestrebungen, für die Erteilung der Auskunft unerlässdie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenlich sind. Schutzwürdige Interessen des den oder Gewaltanwendung vorzubereiten. Betroffenen dürfen nur in unvermeidDie Zugriffsberechtigung ist auf Personen barem Umfang beeinträchtigt werden. zu beschränken, die unmittelbar mit Arbei(2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz ten in diesem Anwendungsgebiet betraut darf Methoden, Gegenstände und Inssind; in der Dateianordnung (SS 14) ist die Ertrumente zur heimlichen Informationsforderlichkeit der Aufnahme von Textzusätbeschaffung, wie den Einsatz von Verzen in der Datei zu begründen. trauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und TarnkennzeiSS7 chen anwenden. Diese sind in einer Weisungsrechte des Bundes Dienstvorschrift zu benennen, die auch Die Bundesregierung kann, wenn ein Andie Zuständigkeit für die Anordnung griff auf die verfassungsmäßige Ordnung solcher Informationsbeschaffungen redes Bundes erfolgt, den obersten Landesbegelt. Die Dienstvorschrift bedarf der 333 Zustimmung des Bundesministeriums zur Inanspruchnahme und den Umdes Innern, der das Parlamentarische ständen von Transportleistungen, Kontrollgremium unterrichtet. insbesondere zum Zeitpunkt von Ab(3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsfertigung und Abflug und zum Bubefugnisse stehen dem Bundesamt für chungsweg, Verfassungsschutz nicht zu; es darf die 2. Kreditinstituten, FinanzdienstleisPolizei auch nicht im Wege der Amtstungsinstituten und Finanzunterhilfe um Maßnahmen ersuchen, zu nehmen zu Konten, Konteninhabern denen es selbst nicht befugt ist. und sonstigen Berechtigten sowie (4) Werden personenbezogene Daten beim weiteren am Zahlungsverkehr BeteiBetroffenen mit seiner Kenntnis erholigten und zu Geldbewegungen und ben, so ist der Erhebungszweck anzugeGeldanlagen, insbesondere über ben. Der Betroffene ist auf die FreiwilKontostand und Zahlungseinund - ligkeit seiner Angaben hinzuweisen. ausgänge, (5) Von mehreren geeigneten Maßnahmen 3. denjenigen, die geschäftsmäßig hat das Bundesamt für VerfassungsPostdienstleistungen erbringen oder schutz diejenige zu wählen, die den Bedaran mitwirken, zu den Umständen troffenen voraussichtlich am wenigsten des Postverkehrs, beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Tekeinen Nachteil herbeiführen, der erlekommunikationsdienste erbrinkennbar außer Verhältnis zu dem beabgen oder daran mitwirken, zu Versichtigten Erfolg steht. kehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes und sonstigen zum Aufbau und zur SS 8a Aufrechterhaltung der TelekommuBesondere Auskunftsverlangen nikation notwendigen Verkehrsda(1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz ten und darf im Einzelfall bei denjenigen, die ge5. denjenigen, die geschäftsmäßig Teschäftsmäßig Postdienstleistungen oder ledienste erbringen oder daran mitTeledienste erbringen oder daran mitwirken, zu wirken, Auskunft über Daten einholen, a) Merkmalen zur Identifikation des die für die Begründung, inhaltliche AusNutzers eines Teledienstes, gestaltung, Änderung oder Beendigung b) Angaben über Beginn und Ende eines Vertragsverhältnisses über Postsowie über den Umfang der jeweilidienstleistungen oder Teledienste (Begen Nutzung und standsdaten) gespeichert worden sind, c) Angaben über die vom Nutzer in Ansoweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaspruch genommenen Teledienste, ben erforderlich ist. soweit dies zur Aufklärung von Be(2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz strebungen oder Tätigkeiten erfordarf im Einzelfall Auskunft einholen bei derlich ist und tatsächliche Anhalts1. Luftfahrtunternehmen zu Namen punkte für schwerwiegende Gefahund Anschriften des Kunden sowie ren für die in SS 3 Abs. 1 genannten 334 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Schutzgüter vorliegen. Im Falle des (4) Die Zuständigkeit für Anordnungen SS 3 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrenach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ist in einer bungen, die bezwecken oder aufDienstvorschrift zu regeln, die der Zugrund ihrer Wirkungsweise geeigstimmung des Bundesministeriums des net sind, Innern bedarf. Anordnungen nach Ab1. Hass oder Willkürmaßnahmen satz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom Begegen Teile der Bevölkerung aufzuhördenleiter oder seinem Vertreter stacheln oder deren Menschenschriftlich beantragt und begründet. Im würde durch Beschimpfen, böswilliFalle der Auskunft nach Nummer 2 ges Verächtlichmachen oder Verkann der Antrag auch von einem Beleumden anzugreifen und dadurch diensteten des Bundesamtes für Verfasdie Bereitschaft zur Anwendung von sungsschutz gestellt werden, der die BeGewalt zu fördern und den öffentlifähigung zum Richteramt hat. Zustänchen Frieden zu stören oder dig für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 2. Gewalt anzuwenden oder vorzube- 1 Nr. 2 bis 5 ist das vom Bundeskanzler reiten, einschließlich dem Befürworbeauftragte Bundesministerium. Die ten, Hervorrufen oder Unterstützen Anordnung einer Auskunft über künftig von Gewaltanwendung, auch durch anfallende Daten ist auf höchstens drei Unterstützen von Vereinigungen, Monate zu befristen. Die Verlängerung die Anschläge gegen Personen oder dieser Anordnung um jeweils nicht Sachen veranlassen, befürworten mehr als drei Monate ist auf Antrag zuoder androhen. lässig, soweit die Voraussetzungen der (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich Anordnung fortbestehen. Anordnunnur gegen Personen richten, bei denen gen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür das Bundesamt für Verfassungsschutz vorliegen, dass sie die schwerwiedem Betroffenen mitzuteilen, sobald genden Gefahren nach Absatz 2 eine Gefährdung des Zweckes des Einnachdrücklich fördern, oder griffs ausgeschlossen werden kann. 2. auf Grund bestimmter Tatsachen an(5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 zunehmen ist Nr. 3 bis 5 unterrichtet das nach Absatz 4 a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Satz 4 zuständige Bundesministerium Nr. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für monatlich die G 10-Kommission (SS 1 eine Person nach Nummer 1 in AnAbs. 2 des Artikel 10-Gesetzes) vor deren spruch nehmen, oder Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann es b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 den Vollzug der Entscheidung auch beNr. 3 und 4, dass sie für eine Person reits vor der Unterrichtung der Komnach Nummer 1 bestimmte oder von mission anordnen. Die G 10-Kommission ihr herrührende Mitteilungen entprüft von Amts wegen oder auf Grund gegennehmen oder weitergeben, von Beschwerden die Zulässigkeit und oder im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. Notwendigkeit der Einholung von Aus4, dass eine Person nach Nummer 1 künften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetihren Anschluss benutzt. zes ist mit der Maßgabe entsprechend 335 anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis (8) Die Befugnisse nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 der Kommission sich auf die gesamte Erbis 5 stehen den Verfassungsschutzbehebung, Verarbeitung und Nutzung der hörden der Länder nur dann zu, wenn nach Absatz 2 Nr. 3 bis 5 erlangten perdas Verfahren sowie die Beteiligung der sonenbezogenen Daten erstreckt. Ent- G 10-Kommission, die Verarbeitung der scheidungen über Auskünfte, die die erhobenen Daten und die Mitteilung an G 10-Kommission für unzulässig oder den Betroffenen gleichwertig wie in Abnicht notwendig erklärt, hat das Bunsatz 5 und ferner eine Absatz 6 gleichdesministerium unverzüglich aufzuhewertige parlamentarische Kontrolle ben. Die Daten unterliegen in diesem sowie eine Verpflichtung zur BerichterFalle einem absoluten Verwendungsstattung über die durchgeführten Maßverbot und sind unverzüglich zu lönahmen an das Parlamentarische Konschen. Für die Verarbeitung der nach trollgremium des Bundes unter entAbsatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen sprechender Anwendung des Absatzes Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes ent- 6 Satz 1, zweiter Halbsatz für dessen Besprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und richte nach Absatz 6 Satz 2 durch den 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entspreLandesgesetzgeber geregelt ist. Die Verchende Anwendung. pflichtungen zur gleichwertigen parla(6) Das nach Absatz 4 Satz 4 zuständige mentarischen Kontrolle nach Absatz 6 Bundesministerium unterrichtet im Abgelten auch für die Befugnisse nach Abstand von höchstens sechs Monaten das satz 2 Nr. 1 und 2. Parlamentarische Kontrollgremium (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund über Anordnungen nach Absatz 2; Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des dabei ist insbesondere ein Überblick Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der Abund Kosten der im Berichtszeitraum sätze 3 bis 5 und 8 eingeschränkt. durchgeführten Maßnahmen zu geben. Das Gremium erstattet dem Deutschen SS9 Bundestag jährlich einen Bericht über Besondere Formen der Datenerhebung die Durchführung sowie Art, Umfang (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz und Anordnungsgründe der Maßnahdarf Informationen, insbesondere permen; dabei sind die Grundsätze des SS 5 sonenbezogene Daten, mit den Mitteln Abs. 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu gemäß SS 8 Abs. 2 erheben, wenn Tatsabeachten. chen die Annahme rechtfertigen, daß (7) Anordnungen sind dem Verpflichteten 1. auf diese Weise Erkenntnisse über insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies Bestrebungen oder Tätigkeiten nach erforderlich ist, um ihm die Erfüllung SS 3 Abs. 1 oder die zur Erforschung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. solcher Erkenntnisse erforderlichen Anordnungen und übermittelte Daten Quellen gewonnen werden können dürfen dem Betroffenen oder Dritten oder vom Verpflichteten nicht mitgeteilt 2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einwerden. richtungen, Gegenstände und Quel336 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ len des Bundesamtes für VerfasEntscheidung ist unverzüglich nachzusungsschutz gegen sicherheitsgeholen. Zuständig ist das Amtsgericht, in fährdende oder geheimdienstliche dessen Bezirk das Bundesamt für VerTätigkeiten erforderlich ist. fassungsschutz seinen Sitz hat. Für das Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, Verfahren gelten die Vorschriften des wenn die Erforschung des Sachverhalts Gesetzes über die Angelegenheiten der auf andere, den Betroffenen weniger befreiwilligen Gerichtsbarkeit entspreeinträchtigende Weise möglich ist; eine chend. Die erhobenen Informationen geringere Beeinträchtigung ist in der dürfen nur nach Maßnahme des SS 4 Regel anzunehmen, wenn die InformaAbs. 4 des Artikel 10-Gesetzes verwention aus allgemein zugänglichen Queldet werden. Technische Mittel im Sinne len oder durch eine Auskunft nach SS 18 der Sätze 1 und 2 dürfen überdies zum Abs. 3 gewonnen werden kann. Die AnSchutz der bei einem Einsatz in Wohwendung eines Mittels gemäß SS 8 Abs. 2 nungen tätigen Personen verwendet darf nicht erkennbar außer Verhältnis werden, soweit dies zur Abwehr von Gezur Bedeutung des aufzuklärenden fahren für deren Leben, Gesundheit Sachverhaltes stehen. Die Maßnahme ist oder Freiheit unerlässlich ist. Maßnahunverzüglich zu beenden, wenn ihr men nach Satz 8 werden durch den PräZweck erreicht ist oder sich Anhaltssidenten des Bundesamtes für Verfaspunkte dafür ergeben, daß er nicht oder sungsschutz oder seinen Vertreter annicht auf diese Weise erreicht werden geordnet. Außer zu dem Zweck nach kann. Satz 8 darf das Bundesamt für Verfas(2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich sungsschutz die hierbei erhobenen gesprochene Wort darf mit technischen Daten nur zur Gefahrenabwehr im RahMitteln nur heimlich mitgehört oder men seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. aufgezeichnet werden, wenn es im Ein- 2 bis 4 sowie für Übermittlungen nach zelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen Maßgabe des SS 4 Abs. 4 Nr. 1 und 2 des gemeinen Gefahr oder einer gegenwärArtikel 10-Gesetzes verwenden. Die Vertigen Lebensgefahr für einzelne Persowendung ist nur zulässig, wenn zuvor nen unerläßlich ist und geeignete polidie Rechtmäßigkeit der Maßnahme zeiliche Hilfe für das bedrohte Rechtsrichterlich festgestellt ist; bei Gefahr im gut nicht rechtzeitig erlangt werden Verzuge ist die richterliche Entscheikann. Satz 1 gilt entsprechend für einen dung unverzüglich nachzuholen. SS 4 verdeckten Einsatz technischer Mittel Abs. 6 des Artikel 10-Gesetzes gilt entzur Anfertigung von Bildaufnahmen sprechend. Das Grundrecht der Unverund Bildaufzeichnungen. Maßnahmen letzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des nach den Sätzen 1 und 2 werden durch Grundgesetzes) wird insoweit eingeden Präsidenten des Bundesamtes für schränkt. Verfassungsschutz oder seinen Vertre(3) Bei Erhebungen nach Absatz 2 und solter angeordnet, wenn eine richterliche chen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Entscheidung nicht rechtzeitig herbeiSchwere einer Beschränkung des Brief-, geführt werden kann. Die richterliche Postund Fernmeldegeheimnisses 337 gleichkommen, wozu insbesondere das SS 10 Abhören und Aufzeichnen des nicht öfSpeicherung, Veränderung und Nutzung fentlich gesprochenen Wortes mit dem personenbezogener Daten verdeckten Einsatz technischer Mittel (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz gehören, ist darf zur Erfüllung seiner Aufgaben per1. der Eingriff nach seiner Beendigung sonenbezogene Daten in Dateien speidem Betroffenen mitzuteilen, sobald chern, verändern und nutzen, wenn eine Gefährdung des Zweckes des 1. tatsächliche Anhaltspunkte für BeEingriffs ausgeschlossen werden strebungen oder Tätigkeiten nach kann, und SS 3 Abs. 1 vorliegen, 2. das Parlamentarische Kontrollgre2. dies für die Erforschung und Bewermium zu unterrichten. tung von Bestrebungen oder Tätig(4) Das Bundesamt für Verfassungsschutz keiten nach SS 3 Abs. 1 erforderlich ist darf unter den Voraussetzungen des oder SS 8a Abs. 2 technische Mittel zur Ermitt3. das Bundesamt für Verfassungslung des Standortes eines aktiv geschalschutz nach SS 3 Abs. 2 tätig wird. teten Mobilfunkendgerätes oder zur Er(2) mittlung der Geräteoder Kartennum(3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz mer einsetzen. Die Maßnahme ist nur hat die Speicherungsdauer auf das für zulässig, wenn ohne Einsatz technischer seine Aufgabenerfüllung erforderliche Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Maß zu beschränken. Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos SS 11 oder wesentlich erschwert ist. Sie darf Speicherung, Veränderung und Nutzung sich nur gegen die in SS 8a Abs. 3 Nr. 1 und personenbezogener Daten von Minder- 2 Buchstabe b bezeichneten Personen jährigen richten. Für die Verarbeitung der Daten (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entspredarf unter den Voraussetzungen des chend anzuwenden. Personenbezogene SS 10 Daten über Minderjährige vor VollDaten eines Dritten dürfen anlässlich endung des 16. Lebensjahres in zu ihrer solcher Maßnahmen nur erhoben werPerson geführten Akten nur speichern, den, wenn dies aus technischen Grünverändern und nutzen, wenn tatsächliden zur Erreichung des Zweckes nach che Anhaltspunkte dafür bestehen, daß Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen der Minderjährige eine der in SS 3 des Areinem absoluten Verwendungsverbot tikel 10-Gesetzes genannten Straftaten und sind nach Beendigung der Maßplant, begeht oder begangen hat. In Danahme unverzüglich zu löschen. SS 8a teien ist eine Speicherung von Daten Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. Das oder über das Verhalten Minderjähriger Grundrecht des Brief, Postund Fernvor Vollendung des 16. Lebensjahres meldegeheimnisses (Artikel 10 des nicht zulässig. Grundgesetzes) wird insoweit einge(2) In Dateien oder zu ihrer Person geführschränkt. ten Akten gespeicherte Daten über Min338 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ derjährige sind nach zwei Jahren auf die oder sein Vertreter trifft im Einzelfall Erforderlichkeit der Speicherung zu ausnahmsweise eine andere Entscheiüberprüfen und spätestens nach fünf dung. Jahren zu löschen, es sei denn, daß nach (4) Personenbezogene Daten, die ausEintritt der Volljährigkeit weitere Erschließlich zu Zwecken der Datenkenntnisse nach SS 3 Abs. 1 angefallen schutzkontrolle, der Datensicherung sind. oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, SS 12 dürfen nur für diese Zwecke verwendet Berichtigung, Löschung und Sperrung werden. personenbezogener Daten in Dateien (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz SS 13 hat die in Dateien gespeicherten persoBerichtigung und Sperrung personenbenenbezogenen Daten zu berichtigen, zogener Daten in Akten wenn sie unrichtig sind. (1) Stellt das Bundesamt für Verfassungs(2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz schutz fest, daß in Akten gespeicherte hat die in Dateien gespeicherten persopersonenbezogene Daten unrichtig nenbezogenen Daten zu löschen, wenn sind oder wird ihre Richtigkeit von dem ihre Speicherung unzulässig war oder Betroffenen bestritten, so ist dies in der ihre Kenntnis für die AufgabenerfülAkte zu vermerken oder auf sonstige lung nicht mehr erforderlich ist. Die LöWeise festzuhalten. schung unterbleibt, wenn Grund zu der (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Annahme besteht, daß durch sie schutzhat personenbezogene Daten zu sperwürdige Interessen des Betroffenen beren, wenn es im Einzelfall feststellt, daß einträchtigt würden. In diesem Falle ohne die Sperrung schutzwürdige Insind die Daten zu sperren. Sie dürfen teressen des Betroffenen beeinträchtigt nur noch mit Einwilligung des Betroffewürden und die Daten für seine künfnen übermittelt werden. tige Aufgabenerfüllung nicht mehr er(3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz forderlich sind. Gesperrte Daten sind prüft bei der Einzelfallbearbeitung und mit einem entsprechenden Vermerk zu nach festgesetzten Fristen, spätestens versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt nach fünf Jahren, ob gespeicherte peroder übermittelt werden. Eine Aufhesonenbezogene Daten zu berichtigen bung der Sperrung ist möglich, wenn oder zu löschen sind. Gespeicherte perihre Voraussetzungen nachträglich entsonenbezogene Daten über Bestrebunfallen. gen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach SS 3 SS 14 Abs. 1 Nr. 3 und 4 sind spätestens 15 Jahre Dateianordnungen nach dem Zeitpunkt der letzten gespei(1) Für jede automatisierte Datei beim Buncherten relevanten Information zu lödesamt für Verfassungsschutz nach SS 6 schen, es sei denn, der Behördenleiter oder SS 10 sind in einer Dateianordnung, 339 die der Zustimmung des Bundesmini(2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, sosteriums des Innern bedarf, festzulegen: weit 1. Bezeichnung der Datei, 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfül2. Zweck der Datei, lung durch die Auskunftserteilung zu 3. Voraussetzungen der Speicherung, besorgen ist, Übermittlung und Nutzung (betrof2. durch die Auskunftserteilung Quelfener Personenkreis, Arten der len gefährdet sein können oder die Daten), Ausforschung des Erkenntnisstandes 4. Anlieferung oder Eingabe, oder der Arbeitsweise des Bundesam5. Zugangsberechtigung, tes für Verfassungsschutz zu befürch6. Überprüfungsfristen, Speicherungsten ist, dauer, 3. die Auskunft die öffentliche Sicher7. Protokollierung. heit gefährden oder sonst dem Wohl Der Bundesbeauftragte für den Datendes Bundes oder eines Landes Nachschutz ist vor Erlaß einer Dateianordnung teile bereiten würde oder anzuhören. 4. die Daten oder die Tatsache der Spei(2) Die Speicherung personenbezogener cherung nach einer Rechtsvorschrift Daten ist auf das erforderliche Maß zu oder ihrem Wesen nach, insbesonbeschränken. In angemessenen Abständere wegen der überwiegenden beden ist die Notwendigkeit der Weiterrechtigten Interessen eines Dritten, führung oder Änderung der Dateien zu geheimgehalten werden müssen. Die überprüfen. Entscheidung trifft der Behördenlei(3) In der Dateianordnung über automatiter oder ein von ihm besonders besierte personenbezogene Textdateien auftragter Mitarbeiter. ist die Zugriffsberechtigung auf Perso(3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt nen zu beschränken, die unmittelbar sich nicht auf die Herkunft der Daten mit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, und die Empfänger von Übermittlundem die Textdateien zugeordnet sind; gen. Auszüge aus Textdateien dürfen nicht (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung ohne die dazugehörenden erläuternbedarf keiner Begründung, soweit daden Unterlagen übermittelt werden. durch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenSS 15 kundig zu machen. Wird die AuskunftsAuskunft an den Betroffenen erteilung abgelehnt, ist der Betroffene (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen erteilt dem Betroffenen über zu seiner der Begründung und darauf hinzuweiPerson gespeicherte Daten auf Antrag sen, daß er sich an den Bundesbeaufunentgeltlich Auskunft, soweit er hierzu tragten für den Datenschutz wenden auf einen konkreten Sachverhalt hinkann. Dem Bundesbeauftragten für den weist und ein besonderes Interesse an Datenschutz ist auf sein Verlangen Auseiner Auskunft darlegt. kunft zu erteilen, soweit nicht das Bun340 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ desministerium des Innern im Einzelfall Dritter Abschnitt feststellt, daß dadurch die Sicherheit des Übermittlungsvorschriften Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Bundesbeauftragten an den Betroffenen dürfen SS 17 keine Rückschlüsse auf den ErkenntnisZulässigkeit von Ersuchen stand des Bundesamtes für Verfas(1) Wird nach den Bestimmungen dieses sungsschutz zulassen, sofern es nicht Abschnittes um Übermittlung von pereiner weitergehenden Auskunft zusonenbezogenen Daten ersucht, dürfen stimmt. nur die Daten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bekannt sind oder aus allgemein zugänglichen QuelSS 16 len entnommen werden können. Berichtspflicht des Bundesamtes für Ver(2) Absatz 1 gilt nicht für besondere Ersufassungsschutz chen der Verfassungsschutzbehörden, (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz des Militärischen Abschirmdienstes und unterrichtet das Bundesministerium des Bundesnachrichtendienstes um soldes Innern über seine Tätigkeit. che Daten, die bei der Wahrnehmung (2) Die Unterrichtung nach Absatz 1 dient grenzpolizeilicher Aufgaben bekannt auch der Aufklärung der Öffentlichkeit werden. Die Zulässigkeit dieser besondurch das Bundesministerium des Inderen Ersuchen und ihre Erledigung renern über Bestrebungen und Tätigkeigelt das Bundesministerium des Innern ten nach SS 3 Abs. 1, die mindestens einim Benehmen mit dem Bundeskanzlermal jährlich in einem zusammenfassenamt und dem Bundesministerium der den Bericht erfolgt. Dabei dürfen auch Verteidigung in einer Dienstanweisung. personenbezogene Daten bekanntgeEs unterrichtet das Parlamentarische geben werden, wenn die Bekanntgabe Kontrollgremium über ihren Erlaß und für das Verständnis des Zusammenhanerforderliche Änderungen. Satz 2 und 3 ges oder der Darstellung von Organisagilt nicht für die besonderen Ersuchen tionen oder unorganisierten Gruppiezwischen Behörden desselben Bundesrungen erforderlich ist und die Intereslandes. sen der Allgemeinheit das schutzwür(3) Soweit dies für die Erfüllung der Aufgadige Interesse des Betroffenen überwieben des Bundesamtes für Verfassungsgen. In dem Bericht sind die Zuschüsse schutz, des Militärischen Abschirmdes Bundeshaushaltes an das Bundesdienstes und des Bundesnachrichtenamt für Verfassungsschutz und den Midienstes erforderlich ist, können diese litärischen Abschirmdienst sowie die jeBehörden eine Person oder eine in Artiweilige Gesamtzahl ihrer Bediensteten kel 99 Abs. 1 des Schengener Durchfühanzugeben. rungsübereinkommens vom 19. Juni 1990 (BGBl. 1993 II S. 1010, 1994 II S. 631, SDÜ) genannte Sache im polizeilichen Informationssystem zur Mitteilung über 341 das Antreffen ausschreiben, wenn die dere Zolldienststellen, soweit diese AufVoraussetzungen des Artikels 99 Abs. 3 gaben nach dem Bundespolizeigesetz SDÜ sowie tatsächliche Anhaltspunkte wahrnehmen, unterrichten von sich aus für einen grenzüberschreitenden Verdas Bundesamt für Verfassungsschutz kehr vorliegen. Im Falle des Antreffens oder die Verfassungsschutzbehörde des kann die um Mitteilung ersuchte Stelle Landes über die ihnen bekanntgeworder ausschreibenden Behörde Informadenen Tatsachen, die sicherheitsgefährtionen gemäß Artikel 99 Abs. 4 SDÜ dende oder geheimdienstliche Tätigübermitteln. Ausschreibungen ordnet keiten für eine fremde Macht oder Beder Behördenleiter, sein Vertreter oder strebungen im Geltungsbereich dieses ein dazu besonders beauftragter BeGesetzes erkennen lassen, die durch Andiensteter, der die Befähigung zum wendung von Gewalt oder darauf geRichteramt hat, an. Die Ausschreibung richtete Vorbereitungshandlungen ist auf höchstens sechs Monate zu begegen die in SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 gefristen und kann wiederholt angeordnannten Schutzgüter gerichtet sind. net werden. Liegen die VoraussetzunÜber Satz 1 hinausgehende Unterrichgen für die Ausschreibung nicht mehr tungspflichten nach dem Gesetz über vor, ist der Zweck der Maßnahme erden Militärischen Abschirmdienst oder reicht oder zeigt sich, dass er nicht erdem Gesetz über den Bundesnachrichreicht werden kann, ist die Ausschreitendienst bleiben unberührt. Auf die bung unverzüglich zu löschen. SS 8a Übermittlung von Informationen zwiAbs. 6 gilt mit der Maßgabe entspreschen Behörden desselben Bundeslanchend, dass an die Stelle des nach SS 8a des findet Satz 1 keine Anwendung. Abs. 4 Satz 4 zuständigen Bundesmini(1a) Das Bundesamt für Migration und steriums für Ausschreibungen durch Flüchtlinge übermittelt von sich aus den Militärischen Abschirmdienst das dem Bundesamt für Verfassungsschutz, Bundesministerium der Verteidigung die Ausländerbehörden eines Landes und für Ausschreibungen durch den übermitteln von sich aus der VerfasBundesnachrichtendienst das Bundessungsschutzbehörde des Landes ihnen kanzleramt tritt. bekannt gewordene Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten SS 18 nach SS 3 Abs. 1, wenn tatsächliche AnÜbermittlung von Informationen an die haltspunkte dafür vorliegen, dass die Verfassungsschutzbehörden Übermittlung für die Erfüllung der Auf(1) Die Behörden des Bundes, der bundesgaben der Verfassungsschutzbehörde unmittelbaren juristischen Personen erforderlich ist. Die Übermittlung dieser des öffentlichen Rechts, die Staatsanpersonenbezogenen Daten an auslänwaltschaften und, vorbehaltlich der dische öffentliche Stellen sowie an überstaatsanwaltschaftlichen Sachleitungsund zwischenstaatliche Stellen nach befugnis, die Polizeien, die Behörden SS 19 Abs. 3 unterbleibt auch dann, wenn des Zollfahndungsdienstes sowie anüberwiegende schutzwürdige Belange 342 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ Dritter entgegenstehen. Vor einer Über1. Behörden des Bundes und der bunmittlung nach SS 19 Abs. 3 ist das Bundesunmittelbaren juristischen Persodesamt für Migration und Flüchtlinge nen des öffentlichen Rechts, zu beteiligen. Für diese Übermittlungen 2. Staatsanwaltschaften und, vorbedes Bundesamtes für Verfassungsschutz haltlich der staatsanwaltschaftlichen gilt SS 8a Abs. 6 entsprechend. Sachleitungsbefugnis, Polizeien des (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbeBundes und anderer Länder um die haltlich der staatsanwaltschaftlichen Übermittlung solcher Informationen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die ersuchen. Behörden des Zollfahndungsdienstes (4) Würde durch die Übermittlung nach sowie andere Zolldienststellen, soweit Absatz 3 Satz 1 der Zweck der Maßdiese Aufgaben nach dem Bundespolinahme gefährdet oder der Betroffene zeigesetz wahrnehmen, und der Bununverhältnismäßig beeinträchtigt, darf desnachrichtendienst dürfen von sich das Bundesamt für Verfassungsschutz aus dem Bundesamt für Verfassungsbei der Wahrnehmung der Aufgaben schutz oder der Verfassungsschutzbenach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 sowie bei der hörde des Landes auch alle anderen Beobachtung terroristischer Bestrebunihnen bekanntgewordenen Informatiogen amtliche Register einsehen. nen einschließlich personenbezogener (5) Die Ersuchen nach Absatz 3 sind aktenDaten über Bestrebungen nach SS 3 kundig zu machen. Über die EinsichtAbs. 1 übermitteln, wenn tatsächliche nahme nach Absatz 4 hat das BundesAnhaltspunkte dafür bestehen, daß die amt für Verfassungsschutz einen NachÜbermittlung für die Erfüllung der Aufweis zu führen, aus dem der Zweck und gaben der Verfassungsschutzbehörde die Veranlassung, die ersuchte Behörde erforderlich ist. Absatz 1 Satz 3 findet Anund die Aktenfundstelle hervorgehen; wendung. die Nachweise sind gesondert aufzube(3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz wahren, gegen unberechtigten Zugriff darf zur Erfüllung seiner Aufgaben die zu sichern und am Ende des KalenderStaatsanwaltschaften und, vorbehaltjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung lich der staatsanwaltschaftlichen Sachfolgt, zu vernichten. leitungsbefugnis, die Polizeien sowie (6) Die Übermittlung personenbezogener andere Behörden um Übermittlung der Daten, die auf Grund einer Maßnahme zur Erfüllung seiner Aufgaben erfordernach SS 100a der Strafprozeßordnung belichen Informationen einschließlich kanntgeworden sind, ist nach den Vorpersonenbezogener Daten ersuchen, schriften der Absätze 1, 2 und 3 nur zuwenn sie nicht aus allgemein zugänglilässig, wenn tatsächliche Anhaltschen Quellen oder nur mit übermäßipunkte dafür bestehen, daß jemand gem Aufwand oder nur durch eine den eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes geBetroffenen stärker belastende Maßnannten Straftaten plant, begeht oder nahme erhoben werden können. Unter begangen hat. Auf die einer Verfasden gleichen Voraussetzungen dürfen sungsschutzbehörde nach Satz 1 überVerfassungsschutzbehörden der Länder mittelten Kenntnisse und Unterlagen 343 findet SS 4 Abs. 1 und 4 des Artikel 10-Geauswärtige Belange der Bundesrepublik setzes entsprechende Anwendung. Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des BetroffeSS 19 nen entgegenstehen. Die Übermittlung Übermittlung personenbezogener Daten ist aktenkundig zu machen. Der Empdurch das Bundesamt für Verfassungsfänger ist darauf hinzuweisen, daß die schutz übermittelten Daten nur zu dem Zweck (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz verwendet werden dürfen, zu dem sie darf personenbezogene Daten an inlänihm übermittelt wurden, und das Bundische öffentliche Stellen übermitteln, desamt für Verfassungsschutz sich vorwenn dies zur Erfüllung seiner Aufgabehält, um Auskunft über die vorgeben erforderlich ist oder der Empfänger nommene Verwendung der Daten zu die Daten zum Schutz der freiheitlichen bitten. demokratischen Grundordnung oder (4) Personenbezogene Daten dürfen an ansonst für Zwecke der öffentlichen Sidere Stellen nur übermittelt werden, cherheit benötigt. Der Empfänger darf wenn dies zum Schutz der freiheitlichen die übermittelten Daten, soweit gesetzdemokratischen Grundordnung, des lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu Bestandes oder der Sicherheit des Bundem Zweck verwenden, zu dem sie ihm des oder eines Landes oder zur Gewährübermittelt wurden. leistung der Sicherheit von lebensoder (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz verteidigungswichtigen Einrichtungen darf personenbezogene Daten an nach SS 1 Abs. 4 des SicherheitsüberprüDienststellen der Stationierungsstreitfungsgesetzes erforderlich ist. Überkräfte übermitteln, soweit die Bundesmittlungen nach Satz 1 bedürfen der republik Deutschland dazu im Rahmen vorherigen Zustimmung durch das von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu Bundesministerium des Innern. Das dem Abkommen zwischen den Parteien Bundesamt für Verfassungsschutz führt des Nordatlantikvertrages über die einen Nachweis über den Zweck, die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtVeranlassung, die Aktenfundstelle und lich der in der Bundesrepublik Deutschdie Empfänger der Übermittlungen land stationierten ausländischen Trupnach Satz 1. Die Nachweise sind gesonpen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. dert aufzubewahren, gegen unberech1183, 1218) verpflichtet ist. tigten Zugriff zu sichern und am Ende (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer darf personenbezogene Daten an ausErstellung folgt, zu vernichten. Der ländische öffentliche Stellen sowie an Empfänger darf die übermittelten überund zwischenstaatliche Stellen Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu übermitteln, wenn die Übermittlung dem sie ihm übermittelt worden sind. zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Der Empfänger ist auf die VerwenWahrung erheblicher Sicherheitsintedungsbeschränkung und darauf hinzuressen des Empfängers erforderlich ist. weisen, dass das Bundesamt für VerfasDie Übermittlung unterbleibt, wenn sungsschutz sich vorbehält, um Aus344 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ kunft über die Verwendung der Daten dienst von sich aus die ihm bekanntgezu bitten. Die Übermittlung der persowordenen Informationen einschließlich nenbezogenen Daten ist dem Betroffepersonenbezogener Daten, wenn tatnen durch das Bundesamt für Verfassächliche Anhaltspunkte dafür bestesungsschutz mitzuteilen, sobald eine hen, daß die Übermittlung für die ErfülGefährdung seiner Aufgabenerfüllung lung der gesetzlichen Aufgaben des durch die Mitteilung nicht mehr zu beEmpfängers erforderlich ist. sorgen ist. (2) Die Polizeien dürfen zur Verhinderung (5) Absatz 4 findet keine Anwendung, von Staatsschutzdelikten nach Absatz 1 wenn personenbezogene Daten zum Satz 2 das Bundesamt für VerfassungsZweck von Datenerhebungen nach SS 8 schutz um Übermittlung der erforderliAbs. 1 Satz 2 übermittelt werden. chen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. Der SS 20 Bundesnachrichtendienst darf zur ErÜbermittlung von Informationen durch füllung seiner Aufgaben das Bundesamt das Bundesamt für Verfassungsschutz an für Verfassungsschutz um die ÜberStrafverfolgungsund Sicherheitsbehörmittlung der erforderlichen Informaden in Angelegenheiten des Staatsund tionen einschließlich personenbezogeVerfassungsschutzes ner Daten ersuchen. (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staatsanwaltschaften SS 21 und, vorbehaltlich der staatsanwaltÜbermittlung von Informationen durch schaftlichen Sachleitungsbefugnis, den die Verfassungsschutzbehörden der LänPolizeien von sich aus die ihm bekanntder an Strafverfolgungsund Sicherheitsgewordenen Informationen einschließbehörden in Angelegenheiten des Staatslich personenbezogener Daten, wenn und Verfassungsschutzes tatsächliche Anhaltspunkte dafür be(1) Die Verfassungsschutzbehörden der stehen, daß die Übermittlung zur VerLänder übermitteln den Staatsanwalthinderung oder Verfolgung von Staatsschaften und, vorbehaltlich der staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte anwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnach Satz 1 sind die in SSSS 74a und 120 des nis, den Polizeien Informationen einGerichtsverfassungsgesetzes genannschließlich personenbezogener Daten ten Straftaten sowie sonstige Straftaten, unter den Voraussetzungen des SS 20 bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Satz 1. Auf des Motivs des Täters oder dessen Verdie Übermittlung von Informationen bindung zu einer Organisation tatsächzwischen Behörden desselben Bundesliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, landes findet Satz 1 keine Anwendung. daß sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 (2) Die Verfassungsschutzbehörden der Buchstabe b oder c des Grundgesetzes Länder übermitteln dem Bundesnachgenannten Schutzgüter gerichtet sind. richtendienst und dem Militärischen Das Bundesamt für Verfassungsschutz Abschirmdienst Informationen einübermittelt dem Bundesnachrichtenschließlich personenbezogener Daten 345 unter den Voraussetzungen des SS 20 fen unter Einsatz der gemeinsamen Abs. 1 Satz 3 sowie Abs. 2 Satz 2. Datei durch die an der projektbezogenen Zusammenarbeit beteiligten BeSS 22 hörden im Rahmen ihrer Befugnisse Übermittlung von Informationen durch verwendet werden, soweit dies in diedie Staatsanwaltschaften und Polizeien sem Zusammenhang zur Erfüllung an den Militärischen Abschirmdienst ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der Für die Übermittlung von Informationen weiteren Verwendung der personenbeeinschließlich personenbezogener Daten zogenen Daten finden für die beteiligdurch die Staatsanwaltschaften und, vorbeten Behörden die jeweils für sie geltenhaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachden Vorschriften über die Verwendung leitungsbefugnis, die Polizeien, die Behörvon Daten Anwendung. den des Zollfahndungsdienstes sowie an(2) Für die Eingabe personenbezogener dere Zolldienststellen, soweit diese AufgaDaten in die gemeinsame Datei gelten ben nach dem Bundespolizeigesetz wahrdie jeweiligen Übermittlungsvorschrifnehmen, an den Militärischen Abschirmten zugunsten der an der Zusammenardienst findet SS 18 entsprechende Anwenbeit beteiligten Behörden entsprechend dung. mit der Maßgabe, dass die Eingabe nur zulässig ist, wenn die Daten allen an der projektbezogenen Zusammenarbeit SS 22a teilnehmenden Behörden übermittelt Projektbezogene gemeinsame Dateien werden dürfen. Eine Eingabe ist ferner (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz nur zulässig, wenn die Behörde, die die kann für die Dauer einer befristeten proDaten eingegeben hat, die Daten auch jektbezogenen Zusammenarbeit mit in eigene Dateien speichern darf. Die den Landesbehörden für VerfassungsBehörde, die die Daten eingegeben hat, schutz, dem Militärischen Abschirmhat die Daten zu kennzeichnen. dienst, dem Bundesnachrichtendienst, (3) Für die Führung einer projektbezogeden Polizeibehörden des Bundes und nen gemeinsamen Datei gelten SS 6 Satz der Länder und dem Zollkriminalamt 5 bis 7 und SS 14 Abs. 2 entsprechend. SS 15 eine gemeinsame Datei errichten. Die ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass projektbezogene Zusammenarbeit bedas Bundesamt für Verfassungsschutz zweckt nach Maßgabe der Aufgaben die Auskunft im Einvernehmen mit der und Befugnisse der in Satz 1 genannten Behörde erteilt, die die datenschutzBehörden den Austausch und die gerechtliche Verantwortung nach Satz 1 meinsame Auswertung von Erkenntnisträgt und die beteiligte Behörde die Zusen zu Bestrebungen, die durch Anwenlässigkeit der Auskunftserteilung nach dung von Gewalt oder darauf gerichtete den für sie geltenden Bestimmungen Vorbereitungshandlungen gegen die in prüft. SS 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 genannten Schutz(4) Die gemeinsame Datei nach Absatz 1 ist güter gerichtet sind. Personenbezogene auf höchstens zwei Jahre zu befristen. Daten zu Bestrebungen nach Satz 2 dürDie Frist kann zweimalig um jeweils bis 346 BUNDESVERFASSUNGSSCHUTZGESETZ zu einem Jahr verlängert werden, wenn dieser Daten durch die Behörde, die das Ziel der projektbezogenen Zusamdie Daten eingegeben hat, menarbeit bei Projektende noch nicht 7. die Möglichkeit der ergänzenden Einerreicht worden ist und die Datei weigabe weiterer Daten zu den bereits terhin für die Erreichung des Ziels erüber eine Person gespeicherten forderlich ist. Daten durch die an der gemeinsamen (5) Für die Berichtigung, Sperrung und LöDatei beteiligten Behörden, schung der Daten zu einer Person durch 8. die Protokollierung des Zeitpunkts, die Behörde, die die Daten eingegeben der Angaben zur Feststellung des aufhat, gelten die jeweiligen, für sie angerufenen Datensatzes sowie der für wendbaren Vorschriften über die Beden Abruf verantwortlichen Behörde richtigung, Sperrung und Löschung der bei jedem Abruf aus der gemeinsaDaten entsprechend. men Datei durch das Bundesamt für (6) Das Bundesamt für Verfassungsschutz Verfassungsschutz für Zwecke der hat für die gemeinsame Datei in einer Datenschutzkontrolle einschließlich Dateianordnung die Angaben nach SS 14 der Zweckbestimmung der ProtoAbs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 sowie weiter festkolldaten sowie deren Löschfrist und zulegen: 9. die Zuständigkeit des Bundesamtes 1. die Rechtsgrundlage der Datei, für Verfassungsschutz für Schadens2. die Art der zu speichernden persoersatzansprüche des Betroffenen nenbezogenen Daten, nach SS 8 des Bundesdatenschutzge3. die Arten der personenbezogenen setzes. Die Dateianordnung bedarf Daten, die der Erschließung der Datei der Zustimmung des Bundesministedienen, riums des Innern sowie der für die 4. Voraussetzungen, unter denen in der Fachaufsicht über die beteiligten BeDatei gespeicherte personenbezohörden zuständigen obersten Bungene Daten an welche Empfänger desoder Landesbehörden. Der Bunund in welchen Verfahren übermitdesbeauftragte für den Datenschutz telt werden, und die Informationsfreiheit ist vor 5. im Einvernehmen mit den an der proErlass einer Dateianordnung anzujektbezogenen Zusammenarbeit teilhören. SS 14 Abs. 3 Halbsatz 1 gilt entnehmenden Behörden deren jeweisprechend. lige Organisationseinheiten, die zur Eingabe und zum Abruf befugt sind, SS 23 6. die umgehende Unterrichtung der Übermittlungsverbote eingebenden Behörde über AnhaltsDie Übermittlung nach den Vorschriften punkte für die Unrichtigkeit eingedieses Abschnitts unterbleibt, wenn gebener Daten durch die an der ge1. für die übermittelnde Stelle erkennmeinsamen Datei beteiligten Behörbar ist, daß unter Berücksichtigung den sowie die Prüfung und erforderder Art der Informationen und ihrer lichenfalls die unverzügliche ÄndeErhebung die schutzwürdigen Interung, Berichtigung oder Löschung ressen des Betroffenen das 347 Allgemeininteresse an der ÜbermittVernichtung kann unterbleiben, wenn die lung überwiegen, Trennung von anderen Informationen, die 2. überwiegende Sicherheitsinteressen zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich dies erfordern oder sind, nicht oder nur mit unvertretbarem 3. besondere gesetzliche ÜbermittAufwand möglich ist; in diesem Fall sind die lungsregelungen entgegenstehen; Daten zu sperren. die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten SS 26 oder von Berufsoder besonderen Nachberichtspflicht Amtsgeheimnissen, die nicht auf geErweisen sich personenbezogene Daten setzlichen Vorschriften beruhen, nach ihrer Übermittlung nach den Vorbleibt unberührt. schriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, so sind sie unverzüglich geSS 24 genüber dem Empfänger zu berichtigen, es Minderjährigenschutz sei denn, daß dies für die Beurteilung eines (1) Informationen einschließlich personenSachverhalts ohne Bedeutung ist. bezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange Vierter Abschnitt die Voraussetzungen der Speicherung nach Schlußvorschriften SS 11 erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine ÜbermittSS 27 lung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes einer erheblichen Gefahr oder zur VerfolBei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 gung einer Straftat von erheblicher Bedeudurch das Bundesamt für Verfassungstung erforderlich ist. schutz finden SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. (2) Informationen einschließlich personen- 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SSSS 10 und 13 bis bezogener Daten über das Verhalten Min20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine derjähriger vor Vollendung des 16. LebensAnwendung. jahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS 25 Pflichten des Empfängers Der Empfänger prüft, ob die nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, daß sie nicht erforderlich sind, hat er die Unterlagen zu vernichten. Die 348 REGISTER Register al-Gama'a al-Islamiya (GI) 215 A al-Islam (Der Islam, Onlinepublikation) 214 Aazad (Unabhängigkeit, Publikation) 281 al-Jihad al-Islami 215 Abdalwadud, Abu Mus'ab al-Khalaila, Ahmad Fadil Nazal (alias Abdalmalik Darduqal) 197 (alias Abu Mus'ab az-Zarqawi) 190 Absurd (Musikgruppe) 105 al-Khilafa (Publikation) 208 Adil Düzen (Gerechte Ordnung) 218 al-Manar (Der Leuchtturm, Fernsehsender) 206 Akbay, Yakup 229 al-Maududi, Sayyid Abu al-A'la 215 Akif, Muhammad Mahdi Uthman 214, 217 al-Muhajir, Abu Hamza (alias Ayyub al-Masri) 190 al-Ahd (Die Verpflichtung, Medium) 206 al Muqawama al-Islamiya (Islamischer Widerstand) 206 al-Aqsa e.V. 242 al-Qaida al-Banna, Hasan 214 (Die Basis) 182 ff., 188 ff., 193 ff., 197, 203 al Fadschr (Die Morgendämmerung, al-Qaida Broschüre) 234 auf der Arabischen Halbinsel 192 349 al-Qaida im Irak (Tanzim Anhänger des Islam Qai'dat al-Jihad (Ansar al-Islam) (AAI) 198 ff. fi Bilad ar-Rafidain) (TQJ) 199 Ansar al-Islam al-Qaida im islamischen Maghreb (Anhänger des Islam) (AAI) 198 ff. (AQM) bzw. Salafiya-Gruppe für Predigt und Kampf (Groupe Salafiste pour la Predication Ansar as-Sunna (Anhänger der et le Combat) (GSPC) 188, 197 ff. Prophetenüberlieferung) (AAS) 198 ff. al-Quds-Tag Ansar as-Sunna-Gruppe (Jerusalem-Tag) 207 (Jama'at Ansar as-Sunna) 198 ff. al-Waie (Zeitschrift) 208 Antifaschismus 131, 167 ff. al-Yazid, Mustafa Ahmad Abu 195 Anti-Globalisierungsbewegung 170 ff. Anadolu Genclik Dernegi (Verein Antirepression 131, 165, 176 ff. der Anatolischen Jugend) (AGD) 222 an-Nabahani, Taqiaddin 208 Anadoluda Vakit (Tageszeitung, türkisch) 243 an-Nahda 215 Anarchisten 148 Apfel, Holger 77 ff., 91 Anatolische Föderation 264 API-Brief (Publikation) 277 Anhänger der Prophetenüberlieferung ar-Raschta, Ata Abu (Ansar as-Sunna) (AAS) 198 ff. (alias Abu Yasin) 208 350 REGISTER Armee des Islam (Jund al-Islam) 198 Aufstand der Palästinenser (Intifada) 206 Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) 277 ff. Autonome 7, 137 ff. Arbeiterkommunistische Partei Autonome Nationalisten 48 f., 61 f. Iran-Hekmatist (API-HEKMATIST) 277 ff. Aydar, Zübeyir 250 Arbeiterpartei Kurdistans - PKK (Partiya Karkeren Kurdistan) 246, 250 ff., 283 az-Zarqawi, Abu Mus'ab (alias Ahmad Fadil Nazal al-Khalaila) 190 Arbeiter und Bauern auf dem Weg der freien Zukunft az-Zawahiri, Dr. Aiman 194, 197 (Özgur Gelecek Yolunda Isci Köylü, Publikation) 266 Arische Jugend (Liedermacher) 104 B Arndt-Verlag 125, 127 Babbar Khalsa International (BKI) 281 f. ash-Shafi'i, Abu Abdallah (alias Abu Abdallah al-Hasan Babic, Safet 78, 116, 118 Bin Mahmud) 198 Baumann,Werner 126 as-Sahab (Medienproduktionsgesellschaft) 203 Bayhan, Hakan 230 Atilim (Vorstoß, Publikation) 271 Beier, Klaus 113 351 Bewaffnete Islamische Gruppe C (Groupe Islamique Arme ) (GIA) 197 Castle Hill Publishers (CHP) 123 Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e.V. 107 Children First - Internationale Kampagne für Kinderrechte 278 Bin Ladin, Usama 193 ff. Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Bin Mahmud, Lebensschutz e.V. (CH) 6, 110 f. Abu Abdallah al-Hasan (alias Abu Abdallah ash-Shafi'i) 198 Bisky, Lothar 150 ff. D Blood & Honour (B&H) 7, 58, 101, 120 Dadullah, Mullah 195 Bolourchi, Dr. Massoumeh 274 Damar, Hasan 224 Bräuniger, Eckart 73, 120 Darduqal, Abdalmalik (alias Abu Mus'ab Abdalwadud) 197 Bremer Hilfswerk e.V. 242 Dehoust, Peter 126 Brennessel (Schülerzeitung) 76 Demir, Mehmet 255 Bürgerbewegung pro Köln e.V. Der Aktivist (pro Köln) 121 f. (Publikation) 92 352 REGISTER Dessau, Lutz 76 DSZ-Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) 94 Deutsche Akademie 108 Deutsche Geschichte. Europa E und die Welt 123, 128 Elemente der Metapolitik Deutsche Kommunistische Partei zur europäischen Neugeburt. (DKP) 132, 158 Die Buchzeitschrift des Thule Seminars e.V. 108 Deutsche Stimme (DS) 50 ff. El-Zayat, Ibrahim 217 Deutsche Volksunion (DVU) 94, 121 Engel, Stefan 161 Deutschland in Geschichte und Gegenwart (DGG) 123, 127 Erbakan, Prof. Dr. Necmettin 219 f. Devrimci Sol Ersoy, Prof. Dr. Arif 220 (Revolutionäre Linke) 262, 283 Euro-Kurier 126 Döring, Osman (alias Yavuz CelikKarahan) 218 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. Dogan, Mazlum 255 (EMUG) 218 Dresdner Schule 107 Europäische Nationale Front (ENF) 121 Druffel-Verlag 128 f. Expliciet (Zeitschrift, niederländisch) 208 353 External Security Organisation Föderation der demokratischen (ESO) 206 Arbeitervereine e.V. (Demokratik Isci Dernekleri Federasyonu) (DIDF) 282 Föderation der türkisch- F demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. - ADÜTDF (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Fatah al-Islam (FaI) 192 Dernekleri Federasyonu) 282 Fatah-Bewegung 213 Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e.V. - ADHF (Almanya Demokratik Haklar Federalnaja Slushba Besopasnosti Federasyonu) 269 (Russischer Inlandsnachrichtendienst) (FSB) 289 Föderation Islamischer Organisationen Firat News Agency in Europa (FIOE) 216 (ANF - Ajansa Nuceyan a Firate) 252 f. Föderation kurdischer Vereine in Fischer, Matthias 120 Deutschland e.V. - YEK-KOM (Yekitiya Komelen Kurd li Almanya) 253 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. - Freie Arbeiterinnenund Arbeiter ATIF (Almanya Türkiyeli Isciler Union-Internationale Arbeiter Federasyonu) 268 Assoziation (FAU-IAA) 148 Föderation der Freie Kräfte 89 Arbeiterimmigrant/innen aus der Türkei in Deutschland e.V. - AGIF (Almanya Göcmen Freiheitsfalken Kurdistans - TAK Isciler Federasyonu) 272 (Teyrebazen Azadiya Kurdistan) 252 354 REGISTER Freiheitsund Demokratiekongress Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistans - KADEK Kurdistan - KKK (Koma Komalen (Kongreya Azadi u Kurdistan) 251 Demokrasiya Kurdistan) 252, 259 Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog) Freiheitliche Partei Österreichs (GD/SD) 152 f. (FPÖ) 121 Gerechte Ordnung (Adil Düzen) 218 Frey, Dr. Gerhard 49, 94 ff. Gesellschaft für freie Publizistik e.V. Front Islamique du Salut (FIS) 215 (GfP) 127 Glaubenskämpfer (Modjahed, Publikation) 274 G Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije (Russischer Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin militärischer Auslandsnachrichten(Muslimbruderschaft) (MB) 214 dienst) (GRU) 288 Gansel, Jürgen 50 ff. Globale Islamische Medienfront (GIMF) 205 Gedik, Mehmet 230 Grabert-Verlag 126 f. Gemeinschaft der gläubigen Muslime (Umma) 197 Grabert, Wigbert 126 f. Gemeinschaft der Verkündung Groupe Islamique Arme und Mission (Bewaffnete Islamische Gruppe) (Tablighi Jama'at) (TJ) 234 (GIA) 197 355 Groupe Salafiste pour la Predication et le Heise, Thorsten 106 f. Combat (Salafiya-Gruppe für Predigt und Kampf) (GSPC) bzw. al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 188 Hekmat, Mansour 278 Gümüsoglu, Ibrahim 227 Heyder, Matthias 68 HIER & JETZT. Gesellschaft-PolitikBewegung 50 ff. H Hilafet Halk Icin Devrimci Demokrasi (Zeitschrift, türkisch) 208 (Revolutionäre Demokratie für das Volk, Publikation) 266 f. Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) 232 Halk Savasi (Volkskrieg, Publikation) 266 Hilf al-Mutayyabin 190 Haniya, Isma'il 212 Hilfswerk für Menschenrechte im Iran e.V. (HMI) 276 Harakat al-Muqawama al-Islamiya (Islamische Widerstandsbewegung) Hizb Allah (HAMAS) 184, 212 (Partei Gottes) 184, 206 Hatipoglu, Ömer Vehbi 220 Hizb ut-Tahrir al-Islami (Islamische Befreiungspartei) (HuT) 208 ff. Haverbeck-Wetzel, Ursula 111 Hohenrain-Verlag 109 f. Heimattreue Deutsche Jugend e.V. (HDJ) 63 Homegrown-Netzwerke 192 356 REGISTER I International Sikh Youth Federation (ISYF) 281 Identität, Tradition, Souveränität (ITS) 120 Intifada (Aufstand der Palästinenser) 112 IGMG Perspektive (Publikation) 217 Iranische Gemeinschaft in Hamburg e.V. (IGW) 276 Illes, Zsolt 120 Iranische Gesellschaft in Berlin Ilyas, Maulawi Muhammad 234 (IGB) 276 INTERIM (Zeitschrift) 135 Iranischer ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst (Vezarat e Ettela'at Va Amniat e International Association of Keshvar) (VEVAK) 297 Scientologists (IAS) 321 Irving, David 127 Internationale Föderation Iranischer Flüchtlingsund Immigrantenräte (IFIR) 278 Islam, Der (al-Islam, Onlinepublikation) 214 Internationale Kampagne zur Verteidigung der Frauenrechte Islamische Armee im Irak 204 im Iran 278 Islamische Befreiungspartei Internationales Bulletin (Hizb utTahrir al-Islami) der MLKP (Publikation) 271 (HuT) 208 ff. Internationales Komitee Islamische Bewegung Usbekistans gegen Steinigung 278 (IBU) 201 357 Islamische Gemeinde Kurdistans - Islamisches Zentrum München 216 CIK (Ciwaka Ädegslamiye Kurdistan/Kürdistan Islam Toplumu) 253 Islamistische Milieus 185 Islamische Gemeinschaft Izzadin al-Qassam-Brigaden 213 in Deutschland e.V. (IGD) 185 ff. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 217 ff. J Islamische Jihad Union Jama'at Ansar as-Sunna (IJU) 187 ff. (Ansar as-Sunna-Gruppe) 198 Islamische Rechtsordnung Jerusalem-Tag (al-Quds-Tag) 207 (Scharia) 209 Jihad 182 ff. Islamische Widerstandsbewegung (Harakat al-Muqawama al-Islamiya) (HAMAS) 184 ff. Jihadisten 189 Islamische Zentren 185 f. Jund al-Islam (Armee des Islam) 198 Islamischer Staat im Irak 191 f. Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) 55 Islamischer Widerstand (al Muqawama al-Islamiya) 206 Junge Nationaldemokraten (JN) 64 ff. Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 233 junge Welt (jW) 135 f. 358 REGISTER K Kern-al-Qaida 194 ff. Kämpfer im Jihad (Mujahidin) 182 Khomeini, Ayatollah 233 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 232 Knop, Ingmar 128 Kamagata Maru Dal International Köhler, Katrin 90 (KMDI) 281 Köklü Degisim Kameradschaften 48, 52 ff., 93 (Publikation, türkisch) 208 Kamkin, Alexander 120 Koma Civaken Kurdistan - KCK (Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans) 251 Kaplan, Cemaleddin 232 ff. Koma Komalen Kurdistan - KKK Kaplan, Metin 232 f. (Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan) 251 Karahan, Yavuz Celik (alias Osman Döring) 217 f. KOMALEN CIWAN (Gemeinschaft der Jugendlichen, Jugendorganisation des KONGRA GEL) 258 ff. Karatas, Dursun 262 Kommission für Verstöße Karayilan, Murat 256 der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. (KVPM) 322 ff. Kaukasisches Emirat 239 Kommunistische Plattform der Linkspartei.PDS (KPF) / der Partei Kaypakkaya, Ibrahim 267 DIE LINKE. 266 359 Komonist Krebs, Dr. Pierre 108 (Publikation) 152 f. Küssel, Gottfried 120 Komünist (Publikation) 266 Kusters, Constantijn 119 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa - ATIK (Avrupa Türkiyeli Isciler Kurtulmus, Konfederasyonu) 268 Prof. Dr. Numan 224 Konföderation der unterdrückten Kutan, Recai 220 Immigranten in Europa (AvEG-KON) 272 Kutsal, Necdet 224 Konföderation für demokratische Rechte in Europa - ADHK (Avrupa Demokratik Haklar Konfederasyonu) 269 L KONGRA GEL (Volkskongress Kurdistans) 136 ff. Leuchtturm, Der (al-Manar, Fernsehsender) 206 Konvertiten 185 ff. Liberation Tigers Koordination der of Tamil Eelam (LTTE) 247 f. kurdischdemokratischen Gesellschaft in Europa - CDK (Civata DemokratA(r)k a Kurdistan) 252 Linkspartei.PDS / Die LINKE. 149 ff. Kosiek, Dr. Rolf 127 Linksruck (LR) / marx21 163 ff. 360 REGISTER M Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen e.V. (MEI) 276 Märtyrer (Shahid) 189 ff. "Mesopotamien"-Verlag 254 Mahler, Horst 109 ff. militante gruppe (mg) 137 ff. Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 266 ff. MillA(r) Gazete (Tageszeitung) 217 ff. Marsch (Yürüyüs, Publikation) 262 Milli Görüs (Nationale Sicht) 218 Marx-Engels-Stiftung (MES) 160 ff. Modaresi, Kurosh 277 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Modjahed (Glaubenskämpfer, (MLPD) 132 ff. Publikation) 274 Marxistisches Forum (MF) 152 ff. Molau, Andreas 81 ff. Marxistisch-Leninistische Morgendämmerung, Die Kommunistische Partei (al-Fadschr, Broschüre) 234 (MLKP) 272 ff. Mujahidin Mash'al, Khalid 212 (Kämpfer im Jihad) 182 Menschenrechtsverein für Mujahidin-Gruppierungen, Migranten 276 regionale 196 361 Mujahidin-Netzwerke 186 Nationale Befreiungsarmee (NLA) 274 Mujahidin-Rat im Irak Nationale Befreiungsfront (Majlis Shura al-Mujahidin filKurdistans - ERNK Iraq) 190 ff. (Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan) 252 Majlis Shura al-Mujahidin fil-Iraq (Mujahidin-Rat im Irak) 190 ff. Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 247 ff. Munier, Dietmar 127 Nationale Sicht (Milli Görüs) 218 Muslimbruderschaft (Gama'at al-Ikhwan al-Muslimin) (MB) 185, 214 ff. Nation & Europa - Deutsche Monatshefte 125 Muslim-Markt (MM) 234 Nation Europa Verlag GmbH 125 "National Socialist Black Metal" N (NSBM) 47 ff. Nahr al-Barid 192 Nationalsozialismus 49 ff. Nasrallah, Hasan 207 National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung (NZ) 49 ff. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 48 ff., 65 ff. Nederlandse Volks-Unie (NVU) 119 Nationaldemokratischer Hochschulbund e.V. (NHB) 65 Neubauer, Harald 125 362 REGISTER Nizam al-Islam Partei der Glückseligkeit (Die Lebensordnung (Saadet Partisi) 219 des Islam, Publikation) 208 Partei Gottes (Hizb Allah) 184, 206 ff. O Partinin Sesi (Stimme der Partei, Publikation) 271 Öcalan, Abdullah 246 Partizan (Organisation) 266 f. Özoguz, Dr. Gürhan 234 Pastörs, Udo 68 f. Özoguz, Dr. Yavuz 234 perplex Office of Special Affairs (OSA) 323 (Schülerzeitung) 76 f. Ostanatolisches Gebietskomitee - DABK (Dogu Anadolu Bölge Komitesi) 266 Q Özgür Gelecek Yolunda Isci Köylü Qutb, Sayyid 214 (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der freien Zukunft, Publikation) 266 R P radikal (Zeitschrift) 137 Palau, Stella 90 Radjavi, Maryam 275 363 Radjavi, Massoud 275 Rieger, Jürgen 49 ff. Rat der Iraner in Köln 276 Ring Nationaler Frauen (RNF) 65 ff. Rechts vor Links (Schülerzeitung) 76 Risalat al-Ikhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) 214 Religious Technology Center (RTC) 323 Rochow, Stefan 92 Revolutionäre Demokratie für das Volk (Halk Icin Devrimci Demokrasi), Publikation 266 f. Roj TV (Fernsehsender) 254 Revolutionäre Linke Rose, Detlev 126 (Devrimci Sol) 262, 283 Rose, Dr. Olaf 55 Revolutionäre Volksbefreiungsfront - DHKC (Devrimci Halk Kurtulus Cephesi) 263 Roßmüller, Sascha 66 Revolutionäre VolksbefreiungsRote Hilfe e.V. partei - DHKP (Devrimci Halk (RH) 164 ff. Kurtulus Partisi) 263 Rothe, Judith 90 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front - DHKP-C (Devrimci Halk Kurtulus Rudolf, Germar 123 Partisi-Cephesi) 262 Rundschreiben der Bruderschaft Richter, Karl 50 ff. (Risalat al-Ikhwan) 214 364 REGISTER Russischer InlandsScharia nachrichtendienst (Islamische Rechtsordnung) 183 ff. (Federalnaja Slushba Besopasnosti) (FSB) 289 Schiiten, schiitisch 208, 233 Russischer militärischer Auslandsnachrichtendienst Schinderhannes (Glawnoje Raswediwatelnoje (Schülerzeitung) 76 Uprawelenije) (GRU) 288 Schwab, Jürgen 108 f., 126 Russischer ziviler Auslandsnachrichtendienst (Slushba Wnechnej Raswedkij) Schwerdt, Frank 83 (SWR) 288 Scientology Kirche Berlin e.V. (SKB) 326 S Scientology Kirche Deutschland e.V. (SKD) 326 Saad, Maulana Ibrahim 234 Scientology-Organisation (SO) 316 ff. Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit) 219 Selamet, Efser 227 Salafiya-Gruppe für Predigt und Serxwebun (Unabhängigkeit, Kampf (Groupe Salafiste pour la Publikation) 250 Predication et le Combat) (GSPC) bzw. al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 197 f. Shahid (Märtyrer) 189 Schäfer, Michael 92 f. Singh, Beant 282 365 Singh, Jagtar Hawara 282 Stolz, Sylvia 110 Skinheads Störtebeker-Netz (Internetforum) 50ff. (rechtsextremistische) 5, 46 ff., 53, 56 ff. Sturm 34 60 Slushba Wneschnej Raswedkij (Russischer ziviler Auslandsnachrichtendienst) (SWR) 288 Sturmkommando (Musikgruppe) 103 Solidaritätsverein mit den Sudholt, Dr. Gert 128 politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei - TAYAD (Tutuklu Aileleri ile Sunna 215 f., 227 f., 235 Yardimlasma Dernegi) 264 Sunniten, sunnitisch 189 ff., 198, 204 ['solid] - die sozialistische Jugend 156 f. Swinfen, Stephen 120 Sozialistische Alternative (SAV) 164 Sozialistische Deutsche T Arbeiterjugend (SDAJ) 160 Tablighi Jama'at (Gemeinschaft Stachel (Schülerzeitung) 76 der Verkündung und Mission) (TJ) 234 Stehr, Heinz 158 f. Tag der Befreiung 207 Stimme der Partei (Partinin Sesi, Publikation) 271 Taghvai, Hamid 277 366 REGISTER Taleban 195 Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung - TKIH (Türkiye Komünist Isci Hareketi) 271 Tamilchelvam, S. P. 279 Türkische Kommunistische Partei/MarTamil Coordinating Committee xisten-Leninisten (TKP/ML) 266 (TCC) 280 Türkische VolksbefreiungsTanzim Qai'dat al-Jihad fi Bilad partei/-Front - THKP/-C ar-Rafidain (al-Qaida im Irak) (TQJ) 190 (Türkiye Halk Kurtulus Partisi-Cephesi) 283 Terrorismus, internationaler islamistischer 187 ff. Tschetschenische Republik Itschkeria (CRI) 237 ff. The Pagan Front 105 Tschetschenische Separatistenbewegung (TSB) 237 ff. Thierry, Andreas 78 TV 5 (Fernsehsender von Thule-Bibliothek 108 Milli Görüs) 222, 224, 229 Thule-Seminar e.V. 108 Tittmann, Siegfried 100 U Topas, Mahmut 226 Umarov, Dokku 237 ff. Türkische Arbeiterund BauernbefreiUmma ungsarmee - TIKKO (Türkiye Isci-Köylü (Gemeinschaft der gläubigen Kurtulus Ordusu) 276, 270 Muslime) 197, 209, 211 367 Unabhängigkeit Union der Yeziden aus Kurdistan - (Aazad, Publikation) 281 YEK (Yekitiya Ezidiyen Kurdistan) 253 Unabhängigkeit (Serxwebun, Publikation) 250 Union kurdischer Familien - YEK-MAL (Yekitiya Malbaten Kurd) 253 Union der Aleviten aus Kurdistan - KAB (Kürdistanli Aleviler Birligi) 253 Unsere Zeit (UZ, Publikation) 154, 158 Union der Journalisten Kurdistans - YRK (Yekitiya Rojnamevenen Kurdistan) 253 V Union der Juristen Kurdistans - YHK (Yekitiya Huquqnasen Kurdistan) 253 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V., Köln (ICCB) 232 f. Union Kurdischer Arbeitgeber - KARSAZ (Yekitiya Karsazen Kurda Neteviya) 259 Verbote (vereinsrechtliche Maßnahmen im Bereich des Islamismus) 241 f. Union der kurdischen Lehrer (Yektiya Mamosteyen Kurd) (YMK) 253 Verein der Anatolischen Jugend (Anadolu Genclik Dernegi) (AGD) 222 Union der Schriftsteller Kurdistans - YNK (Yekitiya Niviskaren Vereinigung der neuen Weltsicht in Kurdistan) 253 Europa e.V. (AMGT) 217 Union der StudentInnen aus KurdiVereinigte Gemeinschaften stan - YXK (Yekitiya Xwendevanen Kurdistans - KCK Kurdistan) 253 (Koma Civaken Kurdistan) 251 368 REGISTER Verein zur Rehabilitierung der wegen Volksmodjahedin Iran-Organisation - Bestreitens des Holocaust Verfolgten MEK (Modjahedin-E-Khalq) 274 (VRBHV) 6, 123 Volksverteidigungskräfte - HPG Verlagsgesellschaft Berg mbH (Hezen Parastina Gele Kurd) 250 ff. (VGB) 128 Vlaams Belang (VB) 121 Verpflichtung, Die (al-Ahd, Medium) 206 Vorstoß (Atilim, Publikation) 271 Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Keshvar (Iranischer ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst) (VEVAK) 297 W Viduthalai Puligal (Publikation) 279 Wagenknecht, Sahra 150 Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung Wöll, Marcel 71, 84 (VffG) 123 Wohlleben, Ralf 120 Voigt, Udo 55, 65, 79 ff., 120 World Institute of Scientology Volksbefreiungsarmee - HKO Enterprises (WISE) 320 (Halk Kurtulus Ordusu) 267 Volkskongress Kurdistans - KONGRA GEL (Kongra Gele Kurdistan) 250 Y Volkskrieg Yasin. Abu (alias Ata Abu (Halk Savasi, Publikation) 266 ar-Raschta) 208 369 Yasin, Scheich Ahmad 212 YATIM-Kinderhilfe e.V. 242 Yeni Akit GmbH 243 Yeni Özgür Politika - YÖP (Neue Freie Politik, Tageszeitung) 254 Yürüyüs (Marsch, Publikation) 262 Z Zentrum für Wirtschaftsund Sozialforschung (Ekonomik ve Soysal Arastirma Merkezi) (ESAM) 219 Zündel, Ernst 84, 110, 123 370 NOTIZEN 371 372