Bundesministerium des Innern Verfassung Verfassungsschutz bericht 2005 www.bmi.bund.de www.verfassungsschutz.de VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 ISSN: 0177-0357 2 Impressum Herausgeber: Bundesministerium des Innern Berlin: Alt-Moabit 101 D, 10559 Berlin Mai 2006 Hinweis: Der Verfassungsschutzbericht 2005 ist auch über das Internet abrufbar: http://www.bmi.bund.de http://www.verfassungsschutz.de Satz / Layout: Völz&Partner, Bonn Druck: Druckhaus Locher, Köln Bildnachweis: dpa: S.57, 58, 59, 68, 77, 88, 120, 147, 190, 196, 197, 203, 206, 258 3 Rede von Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble anlässlich der Vorstellung des Verfassungsschutzbe richts 2005 am 22. Mai 2006 in Berlin Der Ihnen jetzt vorliegende Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2005 informiert über den Umfang verfassungsfeindlicher Entwick lungen sowie über Organisationen und Gruppierungen, die Aktivitä ten gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bun desrepublik Deutschland entfalten. Den Aufgaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz entspre chend, sind die Berichtsinhalte vielfältig und weit reichend. Zu eini gen Themen aus den drei Bereichen islamistischer Extremismus und Terrorismus, Rechtsextremismus und Spionage möchte ich im Fol genden einige Anmerkungen machen. Die Stabilität und die Sicherheit Europas und damit auch unseres Lan des werden durch den islamistischen Terrorismus seit Jahren be droht. Diese Bedrohung hält unvermindert an. Deutschland ist Teil ei nes weltweiten Gefahrenraums, und unser Land liegt im Zielspektrum islamistischer Terroristen. Bis zum heutigen Tag ist es in Deutschland nicht zu Attentaten durch islamistische Terroristen gekommen, wohl aber gegen Deutsche im Ausland. Dass Planungen und Vorbereitungshandlungen rechtzeitig aufgedeckt werden konnten, ist der professionellen und umsichtigen Arbeit der deutschen Sicherheitsbehörden, auch des Bundesamtes für Verfassungsschutz, und der vertrauensvollen Zusammenarbeit mit Partnerdiensten zu danken. Für Entwarnung und Sorglosigkeit besteht kein Anlass. Die Zahl der in Deutschland aktiven islamistischen Organisationen ist im Jahr 2005 gegenüber dem Vorjahr um vier auf 28 gestiegen. Auch die Zahl der Mitglieder und Anhänger dieser Organisationen hat sich von rund 31.800 auf 32.100 leicht erhöht. Diese Zahlen darf man nicht mit dem weitaus kleineren Bereich des gewaltbereiten Terrorismus gleichsetzen. Wir müssen aber auch ex tremistischen Bestrebungen, die unsere Werteordnung mit anderen als terroristischen Mitteln bekämpfen, entschieden entgegentreten. 4 Es dürfen keine Räume entstehen, in denen eine fundamentalistisch interpretierte Scharia die Werteordnung unseres Grundgesetzes ver drängt. Daher ergreifen die Innenbehörden des Bundes und der Länder, so bald konkrete Erkenntnisse zu strafrechtlichen oder verfassungswidri gen Aktivitäten vorliegen, Exekutivmaßnahmen gegen entspre chende Einrichtungen und Organisationen. Die im vergangenen Jahr vom Bundesministerium des Innern ausge sprochenen Verbote gegen die "Yeni Akit GmbH" sowie die "YatimKinderhilfe e.V." sind inzwischen rechtskräftig. Eine Zeitschrift der "Yeni Akit GmbH" hatte den Holocaust in volksverhetzender Weise verharmlost und geleugnet. Die "Yatim-Kinderhilfe e.V." war eine Nachfolgeorganisation des bereits 2002 verbotenen Spendensammel vereins "Al-Aqsa e.V.". Ich unterstütze auch das vom bayerischen Innenminister Ende ver gangenen Jahres ausgesprochene Verbot des "Multi-Kultur-Hauses Ulm e.V.". Denn diese Einrichtung hat sich als islamistischer Tummel platz erwiesen. Nicht nur dem islamistischen Extremismus, auch den unmittelbaren Gefahren, die von terroristischen Aktivitäten in Deutschland ausge hen, sind wir erfolgreich entgegengetreten. So konnten im vergangenen Jahr in Mainz, Bonn und Marburg zwei staatenlose Palästinenser und ein vermutlich syrischer Staatsan gehöriger festgenommen werden. Einer der drei Festgenommenen - gegen die inzwischen ein Prozess wegen Mitgliedschaft bzw. Unter stützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung eröffnet wurde - war nach der Ausbildung in einem terroristischen Trainings lager in Afghanistan nach Deutschland zurückgekehrt und hat hier ei nen der Mitangeklagten dazu gebracht, sich zu einem Selbstmordat tentat bereit zu erklären. Die drei Angeklagten planten darüber hinaus, durch serienmäßigen Versicherungsbetrug Geldmittel für AlQaida zu beschaffen. Die aufgedeckten Anschlagsplanungen zeigen, dass wir leistungs fähige Sicherheitsbehörden besitzen. Unsere Erfolge bei der Bekämp fung des islamistischen Terrorismus beruhen nicht zuletzt auf der en 5 gen Zusammenarbeit der Behörden im Gemeinsamen Terrorismusab wehrzentrum in Berlin. Da die Terrorismusbekämpfung auf absehbare Zeit eine prioritäre Daueraufgabe unserer Sicherheitspolitik bleiben wird, ist es mein Ziel, das erreichte Sicherheitsniveau durch punktuelle Ergänzungen noch weiter zu erhöhen. Mit dem Entwurf eines Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes werden wir die Konsequenzen aus der Evaluierung des Terrorismus bekämpfungsgesetzes ziehen und dabei die bewährten Befugnisse entfristen und ergänzen. Zur Gewinnung und zum Austausch von Erkenntnissen gehört auch die Nutzung moderner Informationstechnologie - einschließlich ge meinsamer Dateien von Polizeien und Nachrichtendiensten. Deshalb wird die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Errichtung einer standardisierten, zentralen Antiterrordatei sowie von anlassbezoge nen Projektdateien vorlegen. Darüber hinaus werden wir unter der Voraussetzung der Föderalis musreform für klar definierte Fälle die Befugnis des Bundeskriminal amts zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus schaffen. Die derzeit vorhandene Aufspaltung der Zuständigkeiten - das Bundeskriminalamt darf nur handeln, wenn die Schwelle des strafprozessualen Anfangsverdachts überschritten ist, zu der davor liegenden Gefahrenabwehr sind nur die Länder befugt - verlängert die Reaktionszeiten und erhöht die Gefahr von Informationsverlu sten. Dauerhaft wird uns die Bekämpfung des Islamismus nur gelingen, wenn wir Radikalisierung und Rekrutierung bereits im Vorfeld ver hindern. Daher haben unsere Sicherheitsbehörden im Herbst 2005 ei nen an gemeinsamen Zielsetzungen orientierten Dialog mit muslimi schen Verbänden aufgenommen. Das vereinbarte Konzept hat zum Ziel, das wechselseitige Verständnis zu verbessern und gemeinsam gegen den extremistischen Missbrauch der Religion vorzugehen. Gesellschaftliche Ausgrenzung, mangelnde Deutschkenntnisse und berufliche Perspektivlosigkeit tragen zur Radikalisierung junger, bei uns lebender Muslime bei. Eine erfolgreiche Integrationspolitik ist 6 daher unverzichtbares Instrument einer wirksamen Anti-Terror-Stra tegie. Zuwanderung und Integration sind zwei Seiten derselben Medaille. Erst die transparente Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung kann das Klima schaffen für die Integration der bei uns lebenden Migrantinnen und Migranten. Und erst ihre gelungene Integration kann die Grundlage für weitere Zuwanderung sein. Und so verlangen wir von den zu uns kommenden Menschen, dass sie zu ihrer Integration selbst aktiv beitragen und die Grundwerte unse rer Gesellschaft anerkennen. So leistet die Integration zugleich einen präventiven Beitrag zur Inneren Sicherheit unseres Landes. Die Zuwanderungspolitik muss auch den Schutz und die Sicherheit unseres Landes und der hier lebenden Menschen gewährleisten. Das am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz hat den für die Durchführung des Ausländerrechts im Wesentlichen zuständigen Ländern ein erweitertes Instrumentarium zur Abwehr terroristischer und extremistischer Gefahren an die Hand gegeben. Im Rahmen der derzeitigen Evaluierung des Zuwanderungsgesetzes prüfen wir auch, ob alle Sicherheitsfragen zufrieden stellend gelöst sind oder ob noch gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht. Im Vordergrund der aktuellen Debatte steht der Rechtsextremismus. Er erfordert die besondere Aufmerksamkeit von Staat und Gesell schaft. Deshalb stellt der Rechtsextremismus für das Bundesamt für Verfassungsschutz einen besonderen Tätigkeitsschwerpunkt dar. Zwar ist es erfreulich, dass rechtsextremistische Parteien weder im vergangenen Jahr noch bei den drei Landtagswahlen im März dieses Jahres nennenswerte Erfolge erzielen konnten. Die NPD hatte Ende des vergangenen Jahres 6.000 Mitglieder und so mit 700 mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Mit ihrer erneu ten Annäherung an die Neonazi-Szene und dem mit der DVU ge schlossenen "Deutschlandpakt" hat die NPD zwar versucht, ihre Bedeutung in der rechtsextremistischen Szene zu erhöhen. Mit durch weg weniger als 2 % der Stimmen bei der letzten Bundestagswahl und 7 den Landtagswahlen dieses Jahres gelang ihr aber nicht der von ihr erhoffte Durchbruch. Es ist aber besorgniserregend, dass die rechtsextremistische Ideologie bei einem beachtlichen Teil der männlichen Jungwähler von 18 bis 24 Jahren ankommt. Bei der Bundestagswahl wählten bundesweit über 5 % und in den neuen Bundesländern sogar fast 10 % der männlichen Jungwähler die NPD. Das muss für uns ein Ansporn sein, gerade bei jungen Menschen noch intensiver für unsere Demokratie zu werben. DVU und Republikaner haben ihre Wahlziele durchgängig verfehlt. Zu dem sind die Mitgliederzahlen sowohl der DVU (um 2.000 auf nun mehr 9.000) als auch der Republikaner (um 1.000 auf 6.500) erneut deutlich gesunken. Erhebliches Gefahrenpotenzial geht von Personen der rechtsextremi stischen Szene aus, die in beachtlichem Umfang Waffen, Munition und Sprengstoff besitzen. Zudem finden sich innerhalb der SkinheadSzene Gruppen mit hoher Gewaltbereitschaft. Diese Skinheads bege hen ihre zumeist fremdenfeindlichen Gewalttaten nicht mit einer strategischen terroristischen Zielsetzung, sondern in aller Regel has serfüllt und unter Alkoholeinfluss. Die Anfälligkeit von Jugendlichen und jungen Erwachsenen für rechtsextremistisches Gedankengut zeigt sich in dem Anstieg des neonazistischen Potenzials um 300 auf nunmehr 4.100 Personen. Noch klarer zeigt sie sich in der Beliebtheit der Skinhead-Konzerte, deren Zahl im vergangenen Jahr sogar um 40 % anstiegen ist. Durch die rassistischen, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Texte der Skinhead-Musik werden Feindbilder aufgebaut, ideologische Ein stellungen geprägt und die Gewaltbereitschaft gefördert. Der Bundesgerichtshof hat im März 2005 die Revision des zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilten Anführers der SkinheadBand "Landser" zurückgewiesen. Im Dezember des vergangenen Jah res wurde gegen vier Mitglieder der Skinhead-Gruppe "Race War" An klage wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung erhoben. Die Verfahren zeigen, dass gegen Extremismus und Rassis mus mit Entschiedenheit vorgegangen wird. 8 Sehr besorgniserregend ist aber, dass die Zahl der politisch rechts mo tivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um ganze 27 % auf 15.361 gestiegen ist. Auch im Teilbereich der rechtsextremisti schen Gewalttaten ist die Zahl um rund 23 % angewachsen. Eine Ursache für die Zunahme an Gewalttaten könnte die gestiegene Zahl von Demonstrationen der rechten Szene sein, bei denen es häufig zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit linksextremistischen Ge gendemonstranten kommt. Gewaltbereite Linksextremisten suchen die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner und der Polizei. Das wird auch in der für 2005 zu verzeichnenden Entwicklung im Be reich der politisch links motivierten Kriminalität deutlich. So ist die Zahl der Straftaten in diesem Bereich gegenüber dem Vorjahr um 39 % gestiegen. Der Teilbereich der links motivierten Gewalttaten wuchs sogar um 57 % und übertrifft - dies ist eine Umkehrung des Ver hältnisses in den Vorjahren - auch in absoluten Zahlen die politisch rechts motivierten Gewalttaten. Erfreulicherweise werden die durch die Beobachtung des Verfas sungsschutzes und den Verfolgungsdruck der Strafverfolgungsbehörden erzielten Erfolge gegen die rechtsextremistische Szene durch die Urteile der Justiz untermauert. So hat der Bundesgerichtshof im März dieses Jahres das gegen fünf Angehörige der Kameradschaft "Frei korps Havelland" ausgesprochene Urteil bestätigt. Das Brandenburgi sche Oberlandesgericht hatte die Täter, die eine Serie von Brandan schlägen verübt hatten, wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung zu teils mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt. Die 2005 in Kraft getretenen Änderungen des Strafund Versamm lungsrechts haben die Möglichkeiten der Behörden, rechtsextremisti sche Versammlungen zu verbieten, wesentlich verbessert. So konnte im vergangenen Jahr erstmalig der jährliche Aufmarsch der Rechtsextremisten zum "Gedenken an Rudolf Hess" verhindert wer den. Darüber hinaus wurden Demonstrationen unterbunden, die Neonazis zum 60. Jahrestag des Kriegsendes und anlässlich der Ein weihung des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas geplant hatten. Ich begrüße sehr, dass die Mehrzahl der Länder von der Möglichkeit 9 Gebrauch macht, weitere Stätten des Gedenkens an die Opfer des Na tionalsozialismus festzulegen und damit an diesen Orten Versamm lungen zu unterbinden. In der Präambel der Koalitionsvereinbarung von CDU / CSU und SPD heißt es: "Toleranz und Weltoffenheit sind Markenzeichen einer frei heitlichen Gesellschaft. Deshalb dürfen Extremismus, Rassismus und Antisemitismus keine Chance haben". Damit ist ein Leitmotiv für die Politik der Bundesregierung vorgegeben: Zugunsten von Freiheit, De mokratie und Toleranz bekämpfen wir auf das Entschiedenste Frem denfeindlichkeit und jede Form von Extremismus. Es wäre unzureichend, bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus nur auf repressive Maßnahmen zu setzen. Die Öffentlichkeit, insbe sondere junge Menschen, muss im Umgang mit rechtsextremisti schen Inhalten ausreichend sensibilisiert sein. Deshalb haben die gei stig-politische Auseinandersetzung und die gesellschaftliche Aufklärung Vorrang. Einen Königsweg bei der präventiven Bekämpfung extremistischen Gedankenguts gibt es leider nicht. Doch steht fest, dass nicht nur der Staat, sondern auch alle Bürgerinnen und Bürger aufgefordert sind, beherzt und engagiert vorzugehen, wenn es darum geht, verfas sungsfeindlichen Äußerungen und Handlungen Einhalt zu gebieten. Ohne das Engagement der Zivilgesellschaft können wir keinen nach haltigen Erfolg erzielen. Zu Beginn dieses Jahres haben meine Länderkollegen und ich eine breit angelegte Aufklärungskampagne über den Rechtsextremismus beschlossen. Vor allem Schülerinnen und Schüler wollen wir über die Entstehung und die verschiedenen Formen des Rechtsextremismus und der Fremdenfeindlichkeit informieren. Zu diesem Zweck wurde ein Medienpaket entwickelt, das bundesweit im Unterricht eingesetzt werden wird. Bis Ende dieses Jahres hat der Bund das dann auslaufende Programm "Jugend für Toleranz und Demokratie" über sechs Jahre mit insge samt 192 Millionen Euro gefördert. Ab 2007 wird sich die Bundesre gierung im Folgeprogramm "Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demo kratie - gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" mit Präventivmaßnahmen gegen den Rechtsextre 10 mismus und alle anderen Formen des extremistischen Denkens und Handelns einsetzen. Und wenn Sie mir eine Anmerkung erlauben - es sind da einige wilde Gerüchte durch die Medienlandschaft gegeistert: Die bisher inner halb des Programms "Jugend für Toleranz und Demokratie" in der Verantwortung des Familienministeriums durchgeführten Projekte wenden sich keineswegs allein rechtsextremistischen Problemen zu. Vielmehr dienen auch sie in erheblichem Umfang ebenso der Förde rung der Werte, die in unserem Grundgesetz niedergelegt sind, und insgesamt der Gewaltprävention. Somit hat auch das auslaufende Pro gramm zum Ziel, alle Formen des Extremismus zu bekämpfen. Von ei ner Kürzung der präventiven Mittel gegen Rechtsextremismus kann also keine Rede sein. Alle für die Sicherheit Verantwortlichen in Bund und Ländern neh men die jüngsten Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationshin tergrund außerordentlich ernst - nicht nur im Vorfeld der FußballWeltmeisterschaft. Auch wenn in jedem Einzelfall genaue Prüfung dem vorschnellen Urteil vorzuziehen ist, bleibt jede Gewalttat eine zu viel. Wir werden mit aller Entschiedenheit gegen Gewaltkriminalität, Ausländerfeindlichkeit und Extremismus vorgehen. Und wir werden das Gewaltmonopol des freiheitlichen Rechtsstaats überall in Deutschland durchsetzen. No-go-areas, wo sich Menschen mit Migra tionshintergrund nicht hintrauen können, darf es nicht geben. Ich bin mit meinen zuständigen Länderkollegen im Gespräch, wie wir die Polizeipräsenz verstärken können, und ich appelliere an alle Bür ger, niemals wegzusehen, wenn andere Opfer von Gewalt und Extre mismus zu werden drohen. Zugleich werbe ich dafür, bei der Art der Medienberichterstattung die Gefahr von Nachahmetaten nicht aus dem Auge zu verlieren, so wie ich dafür werbe, bei Demonstrationen gegen Neonazis und Auslän derfeinde darauf zu achten, dass jede Form von Extremismus und Ge walttätigkeit von vornherein ausgeschlossen bleibt. Die Disziplin der friedlichen Revolution in der ehemaligen DDR könnte noch immer Vorbild bleiben. Wir müssen uns über die Zuständigkeit der Innenminister im engeren Sinne hinaus fragen, warum in Teilen unseres Landes die Rechtsextre 11 men eine gewisse Attraktivität für junge Menschen besitzen. Das muss auch mit dem Mangel an alternativen Angeboten zu tun haben. Wir sollten neben allen Aufklärungsbemühungen, die wir mit großer Intensität fortsetzen, auch daran denken, dass traditionelle Struktu ren im Angebot an junge Menschen schwächer geworden sind und dass wir überzeugende, attraktive Alternativen schaffen müssen, da mit die jungen Menschen nicht Opfer extremistischer Rattenfänger werden. Ausländerfeindlichkeit und gewalttätiger Extremismus bereiten auch in anderen europäischen Ländern Probleme. Das kann uns in Deutschland nicht entlasten. Weil wir aus der Geschichte gelernt ha ben, tragen wir besondere Verantwortung. Der stellen wir uns - die politischen Verantwortlichen und unsere freiheitliche Gesellschaft als Ganzes. Deutschland ist weiterhin Ziel der Spionage von fremden Nachrich tendiensten. Dennoch tritt die Spionageabwehr als Aufgabe des Ver fassungsschutzes in der öffentlichen Wahrnehmung häufig hinter die Beobachtung des Extremismus und Terrorismus zurück. Die modernen Kommunikationsmittel erweitern das Spektrum der nachrichtendienstlichen Angriffsmethoden erheblich. So sind in jüngster Zeit in mehreren westlichen Staaten elektronische Aus spähungsversuche insbesondere aus China festzustellen. Ein wesentliches Aufklärungsziel fremder Nachrichtendienste ist der Wirtschaftsund Industriebereich. Auf diesem Weg erlangte Infor mationen können im Wettbewerb von ausländischen Unternehmen zuungunsten deutscher Firmen ausgenutzt werden. Die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf dem Gebiet der Spionageabwehr ist somit auch ein Instrument zur Sicherung un serer Volkswirtschaft. Die vor uns liegende Fußball-Weltmeisterschaft, das für den Früh sommer 2007 geplante Treffen der G 8-Staaten in Mecklenburg-Vor pommern und auch die deutsche Ratspräsidentschaft in der Europäi schen Union im ersten Halbjahr 2007 erfordern die volle Wachsamkeit unserer Sicherheitsbehörden. 12 Wesentliche Rahmenbedingung für eine fröhliche und erfolgreiche Weltmeisterschaft ist die Gewährleistung der Sicherheit. Wir haben mit den Ländern und dem Veranstalter ein nationales Sicherheitskon zept erarbeitet, das unseren Sicherheitsbelangen Rechnung trägt, ohne Sport und Spaß in den Hintergrund zu drängen. Auch die Verfassungsschutzbehörden haben sich auf die mit dem Tur nier verbundenen Herausforderungen rechtzeitig eingestellt. Seit Mo naten tauschen sie entsprechende Erkenntnisse mit den Polizeien des Bundes und der Länder aus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat zudem die Kontakte zu ausländischen Partnerdiensten und dem Bun desnachrichtendienst intensiviert. Wir werden alles daran setzen, dass die Fußball-Weltmeisterschaft nicht von extremistischen Organisationen zur Verbreitung ihrer ver abscheuungswürdigen Gedanken missbraucht werden kann. Wenn man Meldungen liest, dass Neonazis Solidaritätsaktionen mit dem iranischen Team planen, bloß wegen der unsäglichen Aussagen des iranischen Staatspräsidenten zum Lebensrecht des Staates Israel und zum Holocaust, dann wird die ganze Erbärmlichkeit dieser Leute doch sichtbar. Bereits heute finden im Vorfeld des G 8-Gipfels von Heiligendamm zahlreiche Veranstaltungen im Bereich der linksextremistischen Szene und der Globalisierungsgegner statt. Deutsche Aktivisten ver netzen sich zunehmend mit solchen aus dem Ausland. Es gibt Forde rungen nach einer "breiten, auch militanten Kampagne" gegen den Gipfel. Wir stellen uns auf die Planung entsprechender Aktionen ein und werden Beeinträchtigungen des ordnungsgemäßen Ablaufs des G 8 Gipfels mit aller Entschiedenheit unterbinden. Gemeinsam mit den Behörden in Mecklenburg-Vorpommern wird bereits jetzt alles veran lasst, um die Veranstaltungsorte und Anreisewege verlässlich abzusi chern. Sicherheit ist auch eine Frage des Selbstbewusstseins und des Vertrau ens in die eigene Stärke. Seit ihrer Gründung hat sich die Bundesrepu blik Deutschland einer Vielzahl von Gefahren für und von Angriffen auf ihre freiheitliche demokratische Grundordnung ausgesetzt gese 13 hen. Bisher ist es uns immer gelungen, diese abzuwehren. Dazu ha ben die hohe Qualifikation und das besondere Engagement der Mit arbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Sicherheitsbehörden entschei dend beigetragen. Ich bin mir daher sicher: Wir werden auch die Fußball-Weltmeister schaft und das Treffen der G 8-Staaten erfolgreich über die Bühne bringen. Verfassungsfeindliche Bestrebungen werden auch in Zu kunft auf wache Augen und auf eine Gesellschaft treffen, die ihre Werte zu verteidigen ebenso fähig wie willens ist. Wir werden keine Form von Extremismus, Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus tolerieren. Und wir werden die Friedlichkeit und Offenheit unseres freiheitlich-demokratischen Miteinanders zu kunftsfest halten. Wolfgang Schäuble Bundesminister des Innern 14 15 I NHALTSVERZEICHNIS Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz . . . . . . . . . . 21 1. Bundesamt für Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2. Militärischer Abschirmdienst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 II. Weitere Strukturdaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 III. Kontrolle des Verfassungsschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 IV. Verfassungsschutzbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) I. Definitionssystem PMK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 II. Politisch motivierte Straftaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 III. Politisch motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund in den einzelnen Phänomenbereichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund . . 33 1.1 Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 1.2 Zielrichtungen der politisch rechts motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 1.2.1 Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.2.2 Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Politisch links motivierte Straftaten mit extremistischem Hintergrund . . . . 41 2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.2 Zielrichtungen der politisch links motivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 16 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 1. Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 3. Organisationen und Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 4. Periodische Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 II. Gewaltbereite Rechtsextremisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 1. Rechtsextremistisches Gewaltpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 2. Rechtsterrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 3. Rechtsextremistische Skinhead-Szene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 3.1 Überregionale Skinhead-Organisationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.2 "Blood & Honour" nach dem Verbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3.3 Rechtsextremistische Skinhead-Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 3.4 Rechtsextremistische Skinhead-Musikvertriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 3.5 Skinhead-Fanzines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 III. Neonazismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 IV. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1.1 Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 1.2 Organisation und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 2. "Deutsche Volksunion" (DVU). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2.1 Zielsetzung und Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2.2 Organisation und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. "Die Republikaner" (REP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.1 Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 3.2 Organisation und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 V. Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . 108 VI. Antisemitische Agitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 VII. Internationale Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 1. Veranstaltungen mit internationaler Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Außerparlamentarische Bündnisbestrebungen mit europäischen Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Internationaler Revisionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 VIII. Organisationsunabhängige Verlage und Vertriebsdienste . . . . . . . . . . . . . . . . 126 17 IX. Rechtsextremistische Internetpräsenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Entwicklungen im Linksextremismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Organisationen und Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 II. Gewalttätiger Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 1. Autonome. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1.1 Potenzial und Selbstverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 1.2 Aktionsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 1.3 Autonome Strukturen mit terroristischen Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 2. Traditionelle Anarchisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Parteien und sonstige Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1. "Die Linkspartei.PDS" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 1.1 Allgemeine Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1.2 Offen extremistische Strukturen in der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 1.3 Teilnahme an Wahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1.4 Zusammenarbeit mit deutschen Linksextremisten außerhalb der Partei . 164 1.5 Internationale Verbindungen der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 2.2 Organisationen im Umfeld der DKP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2.2.1 Jugendorganisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 2.2.2 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Anti faschistinnen und Antifaschisten e. V." (VVN-BdA) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2.2.3 "Marx-Engels-Stiftung e. V." (MES). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2.2.4 "Bundesausschuss Friedensratschlag" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 3. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4. Trotzkistische Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 4.1 "Sozialistische Alternative" (SAV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.2 Gruppe "Linksruck" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 5. "Rote Hilfe e. V." (RH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 IV. Aktionsfelder. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. "Antifaschismus". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 2. Kampagne gegen "Sozialabbau" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 3. Kampagne von Linksextremisten gegen Kernenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4. "Anti-Globalisierungsbewegung". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 18 Islamistische/islamistisch-terroristische Bestrebungen und Verdachtsfälle I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 1. Entwicklungen im Islamismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 2. Organisationen und Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 II. Internationaler islamistischer Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 1. Aktuelle Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 2. "Al-Qaida" (Die Basis). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 3. Regionale "Mujahedin"-Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3.1 "Bewaffnete Islamische Gruppe" ("Groupe Islamique Arme" - GIA)/ "Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3.2 "Ansar Al-Islam" - AAI ("Anhänger des Islam")/ "Ansar al-Sunna" - AAS ("Gefolge des Islam") . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 4. "Non-aligned-Mujahedin" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 5. Verlautbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Islamismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1. Arabischer Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1.1 "Hizb Allah" (Partei Gottes) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 1.2 "Hizb ut-Tahrir al-Islami" - HuT ("Islamische Befreiungspartei") . . . . . . . . . . 209 1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" ("Harakat Al-Muquawama Al Islamiya" - HAMAS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Türkischer Ursprung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti"). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 3. Sonstige. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.2 "Tablighi Jama'at" - TJ ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission"). 226 3.3 "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/ "Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maßnahmen des BMI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebun gen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamis mus) I. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) . . . . . . . . . . . 234 19 2. Organisationen und Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppierungen . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1. Türken (ohne Kurden). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1.1 Linksextremisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 1.1.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 1.1.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML). . . . . . 241 1.1.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) . . . . . . . . . . . . . . 244 2. Kurden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246 2.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/ "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) . . . . . . . . 246 2.2.1 Allgemeine Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 2.2.2 Organisatorische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 2.2.3 Propaganda des KONGRA GEL . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 2.2.4 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 2.2.5 Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 3. Iraner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3.1 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 3.2 "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 4. Tamilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 5. Sikhs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 III. Übersicht über weitere erwähnenswerte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maßnahmen des BMI. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation . . . . . 267 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgabenstellung der Dienste im russischen Staatswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 3. Methodische Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3.1 Die Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . 270 3.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273 III. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der übrigen Mitgliedsländer der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 20 1. Iranische Nachrichtendienste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Syrische Nachrichtendienste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 3. Libysche Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 V. Fernöstliche Nachrichtendienste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 1. Chinesische Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 2. Nordkoreanische Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 VI. Proliferation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 VII. Gefährdung durch Wirtschaftsspionage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285 VIII. Festnahmen und Verurteilungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 Geheimschutz, Sabotageschutz Geheimschutz, Sabotageschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 "Scientology-Organisation" (SO) 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 2. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 3. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Werbung in der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 301 Begriffserläuterungen Begriffserläuterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 Gesetzestexte und Erläuterungen I. Gesetzestexte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 1. Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 2. Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz - MADG). . . . 342 3. Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-G) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 4. Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz - PKGrG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 5. Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 II. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 III. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 S T R U K T U R D AT E N 21 I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundes verfassungsschutzgesetz 1. Bundesamt für Verfassungsschutz Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2005 betrug 137.972.423 Euro (2004: 141.047.434 Euro). Das Bundesamt für Verfas sungsschutz hatte 2.448 (2004: 2.429) Bedienstete. 2. Militärischer Abschirmdienst Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2005 betrug 73.899.577 Euro (2004: 73.446.953 Euro). Der Militärische Abschirm dienst hatte 1.308 (2004: 1.277) Bedienstete. II. Weitere Strukturdaten Anfang 2006 waren von Bund und Ländern gemeinsam im Nach richtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 1.034.514 (Anfang 2005: 1.003.959) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 593.333 Eintragungen (57,4 %) aufgrund von Sicherheitsüberprüfun gen (Anfang 2005: 56,5 %). BERICHT 2005 22 VERFASSUNGS 23 SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 24 V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E I. Verfassungsschutz im Grundgesetz Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland gewährt den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl von Freiheitsrechten. Dazu gehören das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG), Versammlungs(Art. 8 GG) und Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG). Diese Rechte stehen selbst Gegnern der freiheitlichen demokrati schen Grundordnung unseres Staates zu. Eine klare Grenze bei der Inanspruchnahme dieser Rechte ist allerdings dort zu ziehen, wo deutlich erkennbar wird, dass sie dazu missbraucht werden, die frei heitliche demokratische Grundordnung zu untergraben und damit das Fundament dieser Freiheitsrechte zu beseitigen. Die leidvollen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Ende der Weimarer Republik, deren Verfassung keine wirksamen Abwehrme chanismen vorsah, haben dazu geführt, dass im Grundgesetz das Prinzip der wehrhaften und abwehrbereiten Demokratie verankert worden ist. "Wehrhafte Dieses Prinzip ist durch drei Wesensmerkmale gekennzeichnet: Demokratie" 1 - die Wertegebundenheit, d. h., unser Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, - die Abwehrbereitschaft, d. h., der Staat ist gewillt, diese wich tigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu ver teidigen, und - die Vorverlagerung des Verfassungsschutzes, d. h., der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Bestimmungen verstoßen. Das Prinzip der wehrhaften und abwehrbereiten Demokratie findet in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes deutlichen Aus druck: - Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt, dass wesentliche Grundsätze der Verfassung - darunter der Schutz der Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG - unabänderlich und damit einer Änderung auch durch den Verfassungsgesetzgeber entzogen sind. - Nach Art. 21 Abs. 2 GG können Parteien vom Bundesverfas sungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie 1 Jesse, Eckhard: Der Verfassungsschutzauftrag der abwehrbereiten Demokratie: Theorie und Praxis, und Lange, Hans-Gert: Verfassungsschutz in der Demokratie - ein Instrument zur Si cherung des inneren Friedens, beide in: Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie und Rechtsextremismus (Reihe: Texte zur Inneren Sicherheit), Bonn 1992, S. 7 ff. und S. 19 ff. V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E 25 darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundord nung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. - Art. 9 Abs. 2 GG bestimmt, dass Vereinigungen, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, verboten sind. - Nach Art. 18 GG kann das Bundesverfassungsgericht die Ver wirkung bestimmter Grundrechte aussprechen, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden. - Art. 73 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87 Abs. 1 S. 2 GG sind Grund lage für die Einrichtung und Tätigkeit der Verfassungsschutz behörden des Bundes und der Länder. II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse Hauptsächliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bun Aufgaben des und der Länder ist nach dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungs schutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesver fassungsschutzgesetz - BVerfSchG) die Sammlung und Auswertung von Informationen über - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Be einträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel ha ben, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Bundesverfassungsschutzgesetzes für eine fremde Macht, - Bestrebungen im Geltungsbereich des Bundesverfassungs schutzgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen im Geltungsbereich des Bundesverfassungs schutzgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständi gung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. BERICHT 2005 26 V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E Informations Die Verfassungsschutzbehörden gewinnen die zur Erfüllung ihrer gewinnung Aufgaben für sie wichtigen Informationen in erster Linie aus offen zugänglichen Quellen. Sofern das nicht möglich oder nicht effektiv ist, dürfen sie sich im Rahmen gesetzlich genau festgelegter Befug nisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit so genannter nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsbe schaffung bedienen. Hierzu gehören etwa der Einsatz von Informan ten, die Observation, Bildund Tonaufzeichnungen sowie die Über wachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheim nisses (Artikel 10-Gesetz - G 10). Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämp fung des internationalen Terrorismus wurden die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ausgeweitet. 2 U. a. wurden dem BfV unter engen Voraussetzungen Auskunftsrechte eingeräumt gegenüber Finanzunternehmen, Luftfahrtunternehmen, Postdienst leistungsunternehmen sowie Telekommunikationsdiensten und Te ledienstunternehmen. Sicherheitsüber Darüber hinaus haben die Verfassungsschutzbehörden die Aufgabe, prüfungen bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen mitzuwirken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Informationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder die an si cherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswich tigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Befug nisse für das BfV in diesem Zusammenhang sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) im Einzelnen ge regelt. Keine polizeilichen Den Verfassungsschutzbehörden stehen bei der Erfüllung ihrer Auf Befugnisse gaben keinerlei polizeiliche Befugnisse zu, d. h. sie dürfen u. a. nie manden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen. Bindung an Recht Die Verfassungsschutzbehörden sind bei ihrer Tätigkeit an die allge und Gesetz meinen Rechtsvorschriften gebunden. Daraus folgt vor allem, dass bei der Aufgabenerfüllung keine strafbaren Handlungen begangen werden dürfen. Die Verfassungsschutzbehörden tragen in ihrem Zuständigkeitsbe reich dazu bei, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutsch land zu gewährleisten. Sie arbeiten mit anderen Sicherheitsbehörden, insbesondere den anderen Nachrichtendiensten des Bundes - 2 Befristet bis zum 11. Januar 2007. V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E 27 dem für den Bereich der Bundeswehr zuständigen Militärischen Ab schirmdienst (MAD) und dem mit Auslandsaufklärung befassten Bundesnachrichtendienst (BND) - sowie Polizeiund Strafverfol gungsbehörden auf gesetzlicher Grundlage vertrauensvoll und eng zusammen. Das BfV steht darüber hinaus angesichts der zunehmenden Internationalisierung der Bedrohungsphänomene in regem Kontakt zu den Partnerdiensten im Ausland. III. Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Tätigkeit des BfV unterliegt der Kontrolle durch die Bundesregie Bundesregierung rung und den Deutschen Bundestag. Das vom Deutschen Bundestag hierfür eingerichtete Parlamentarische Kontrollgremium ist von der Parlamentarisches Bundesregierung in regelmäßigen Abständen umfassend über die Kontrollgremium allgemeine Tätigkeit des BfV, des MAD und des BND und über Vor gänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten (SS 2 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätig keit des Bundes). Die Bundesregierung hat dem Parlamentarischen Kontrollgremium auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien zu geben und die Anhörung von Mitarbeitern zu gestatten. Beschrän kungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom Parlamentarischen Kontrollgre mium bestellte unabhängige G 10-Kommission grundsätzlich vor de G 10-Kommission ren Vollzug auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Glei ches gilt für die mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus neu eingeräumten Auskunftsrechte (vgl. Nr. II). Das BfV ist gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag unentgelt Auskunftsrecht lich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu ertei len, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein be sonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt wird (SS 15 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Auskunft unterbleibt nur dann, wenn einer der im Absatz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich bezeichneten Verweige rungsgründe vorliegt. Maßnahmen des BfV, bezüglich derer der Betroffene geltend macht, Kontrolle durch in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein, unterliegen gerichtlicher Gerichte Nachprüfung. Das BVerfSchG enthält zahlreiche datenschutzrechtliche Bestim Kontrolle durch mungen, die eine weitreichende Kontrolle durch den Bundesbeauf den Bundesbeauf tragten für den tragten für den Datenschutz ermöglichen. Datenschutz BERICHT 2005 28 V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E IV. Verfassungsschutzbericht Jährliche Berichte Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung und Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebun gen in der Bundesrepublik Deutschland. Er beruht auf den Erkennt nissen, die das BfV im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusam men mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewonnen hat. Er kann keinen erschöpfenden Überblick geben, sondern unterrich tet über die wesentlichen Erkenntnisse, analysiert und bewertet maßgebliche Entwicklungen und Zusammenhänge. Bei den im Bericht aufgeführten Personenzusammenschlüssen (Par teien, Organisationen und Gruppierungen) liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Tätigwerden des BfV vor. Bei den "Ver dachtsfällen" handelt es sich um Personenzusammenschlüsse, die noch nicht eindeutig extremistisch sind, bei denen aber tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen (SS 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG). Die Erkenntnislage zu den dargestellten Gruppierungen kann allerdings im Hinblick auf Umfang und Dichte der angefallenen Informationen jeweils ganz unterschiedlich sein, was wiederum Einfluss auf die Art und Weise der Beobachtung durch das BfV haben kann. Die Bewertung einer Gruppierung als extremi stisch bedeutet nicht in jedem Fall, dass alle ihre Mitglieder extremi stische Bestrebungen verfolgen. Alle Zahlenangaben zum Mitgliederpotenzial der im Bericht ge nannten Organisationen und Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehörden nicht zu allen Personen individuelle Erkenntnisse vorliegen. Dies folgt schon daraus, dass die Verfassungsschutzbehörden hauptsäch lich einen Strukturbeobachtungsauftrag haben; umfassende perso nenbezogene Erkenntnisse zur gesamten Mitgliedschaft der beob achteten Organisationen sind dafür nicht erforderlich. In den Zitaten wurden eventuelle orthographische und grammatika lische Fehler der Originaltexte nicht korrigiert. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsschutzbe richt keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrele vanten Personenzusammenschlüsse darstellt. V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E 29 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung Wahrgenommen wird die Aufgabe "Verfassungsschutz durch Auf klärung" auf Bundesebene gemeinsam vom Bundesministerium des Innern (BMI) und dem BfV, auf Länderebene von den Innenministe rien bzw. den Landesbehörden für Verfassungsschutz. Das Hauptau genmerk gilt dem Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern über die Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes bietet Informationen über seine Erkennt nisse an, die es jedermann ermöglichen sollen, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfas sungsfeindliche Kräfte drohen. Fundamentalismus und Extremismus sowie Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat eine stete Herausforderung. Die umfassende Bekämpfung aller For men des politischen Extremismus ist daher kontinuierlich ein Schwerpunkt der Innenpolitik. Die Bundesregierung misst der präventiven und repressiven Ausein andersetzung mit diesen Erscheinungen eine herausragende Bedeu tung zu. Eine besondere Rolle bei der Festigung des Verfassungskon senses und der Stärkung der Zivilgesellschaft spielt das von der Bundesregierung initiierte und am 23. Mai 2000 der Öf fentlichkeit vorgestellte "Bündnis für Demokratie und Tole ranz - gegen Extremismus und Gewalt". Das "Bündnis" bün delt und mobilisiert die gesellschaftlichen Kräfte gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt. Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, lokale Initiativen und Projekte durch Information, Beratung und Dokumentation zu fördern, zu un terstützen, zu vernetzen und bekannt zu machen (siehe im Internet unter www.buendnis-toleranz.de). Wichtige öffentliche Förderprogramme wie z. B. XENOS, CIVITAS und ENTIMON im Rahmen des Aktionsprogramms "Jugend für Tole ranz und Demokratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind lichkeit und Antisemitismus" (siehe auch unter www.bmfsfj.de) ste hen unter dem Dach des "Bündnisses". Ein weiteres Instrument im Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit, Ras sismus und Gewalt ist das "Forum gegen Rassismus". Im März 1998 hat sich dieses Gremium konstituiert und umfasst mittlerweile rund 80 Organisationen und staatliche Stellen, darunter 50 bundesweit BERICHT 2005 30 V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E bzw. überregional tätige Nichtregierungsorganisationen. Es fungiert auch als "Nationaler runder Tisch" im Sinn der Grundsätze der "Eu ropäischen Stelle zur Beobachtung von Rassismus und Fremdfeind lichkeit" in Wien. Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne nachhaltige geistig-politische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden. We sentlich dabei ist eine fundierte Aufklärung und Informationsver mittlung über Art und Umfang extremistischer Bestrebungen. Das BMI gibt in seiner Reihe "Texte zur Inneren Sicherheit" Themen bände heraus, die - auch unabhängig von den einzelnen Positionen des Herausgebers - Plattform einer grundsätzlichen Diskussion sind. Außerhalb dieser Reihe hat das BMI im Jahr 2005 eine Publikation mit dem Titel "Feindbilder und Radikalisierungsprozesse - Elemente und Instrumente im politischen Extremismus" (Stand: Juni 2005) her ausgegeben. Die dort publizierten Beiträge basieren auf Vorträgen u. a. von Wissenschaftlern, die bei den jährlichen Symposien des BfV im Oktober 2003 (Feindbilder im Extremismus) bzw. 2004 (Radikali sierungsprozesse) gehalten worden sind. Die Beiträge haben den Themenschwerpunkt Islamismus (siehe im Internet unter www.bmi.bund.de). Das BfV informierte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit seiner Interneteinstellung, zahlreichen Ausstellungsund Messeterminen, Publikationen sowie der Beantwortung vielfältiger Bürgeranfragen über seine Arbeitsfelder und die jeweils aktuellen Erkenntnisse. Das Internet ist ein wichtiges Instrument der Öffentlichkeitsarbeit. Die Website des BfV enthält ausführliche Informationen über die Aufgaben und Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes. Schwerpunkt dabei sind ca. 15 Publikationen, die zum Herunterladen angeboten werden. Daneben werden regelmäßig Neuigkeiten aus dem Tätig keitsbereich des Verfassungsschutzes bzw. aktuelle Hinweise zu den Wanderausstellungen des BfV in den Rubriken "Aktuelles" und "Aus stellungen" eingestellt. Das Interesse an den beiden Wanderausstellungen des BfV war auch im Jahr 2005 anhaltend groß. Insgesamt sahen etwa 80.000 Besucher an bundesweit 22 verschiedenen Orten die Ausstellungen "Es betrifft Dich! Demokratie schützen - Gegen Extremismus in Deutschland" und "DIE BRAUNE FALLE - Eine rechtsextremistische 'Karriere'". Ne ben zahlreichen Einzelbesuchern nutzten hauptsächlich Schulklas sen die Möglichkeit, sich über Extremismus und seine Erscheinungs V E R FA S S U N G S S C H U T Z UND D E M O K R AT I E 31 formen zu informieren. Während der jeweiligen Laufzeit werden die Ausstellungen vor Ort von Verfassungsschutzmitarbeitern betreut, die den Besuchern Führungen anbieten und für Fragen zur Verfü gung stehen. Das BfV beteiligte sich außerdem an verschiedenen Messen, bei spielsweise der Bildungsmesse "didacta" in Stuttgart. Die Gesamtauflage der im Jahr 2005 verteilten Broschüren des BfV lag bei rund 63.000 Exemplaren. Zudem ist dieses Angebot auf der Internet-Seite des BfV eingestellt und wird von den Interessenten auch hier in starkem Maße abgerufen. In allen Fragen des Verfassungsschutzes steht das Ansprechpartner Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstraße 100 50765 Köln Telefon: 01888 - 792-0 Telefax: 01888 - 10-792-2915 E-Mail: poststelle@bfv.bund.de als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Im Internet ist das Bundesamt für Verfassungsschutz unter: www.verfassungsschutz.de erreichbar. BERICHT 2005 32 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) I. Definitionssystem PMK Definitionssystem Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde "Politisch moti nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister vierte Kriminalität" und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) zum 1. Januar 2001 (PMK) eingeführt. Zentrales Erfassungskriterium dieses Meldesystems ist die politische Motivation einer Tat. Als politisch motiviert gilt eine Tat insbesondere dann, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszgehörig keit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuel len Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbil des bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet. Die erfassten Sachver halte werden im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung un ter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Hierbei werden insbe sondere Feststellungen zur Qualität des Delikts, zur objektiven the matischen Zuordnung der Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zur möglichen internationalen Dimension der Tat und zu einer ggf. zu verzeichnenden extremistischen Ausprägung der Tat getroffen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Bereich der Gewaltdelikte erweitert und bundeseinheitlich festgelegt. Die differenzierte Darstellung ermöglicht eine konkret bedarfsorien tierte Auswertung der Daten und bildet damit die Grundlage für den zielgerichteten Einsatz geeigneter repressiver und präventiver Bekämpfungsmaßnahmen. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). II. Politisch motivierte Straftaten Das BKA registrierte für das Jahr 2005 insgesamt 26.401 (2004: 21.178) politisch motivierte Straftaten. In dieser Zahl sind 14.373 (54 %) Propa gandadelikte enthalten (2004: 11.860 Delikte = 56 %). 2.448 Delikte (9,3 %) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2004: 1.800 = 8,5 %). Politisch motivierte Nach Phänomenbereichen unterschieden, wurden 15.914 (2004: Straftaten nach 12.553) Straftaten dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität Phänomenberei rechts", 4.898 (2004: 3.521) dem Bereich "Politisch motivierte Krimi chen nalität - links" und 771 (2004: 603) dem Bereich der "Politisch moti vierten Ausländerkriminalität" zugeordnet. Bei 4.818 (2004: 4.501) Straftaten konnte keine eindeutige Zuordnung zu einem Phänomen bereich getroffen werden. POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 33 Insgesamt wurden 18.501 Straftaten (70 %) mit extremistischem Hin Extremistische tergrund ausgewiesen (2004: 14.183 = 67 %), davon 15.361 (2004: Straftaten 12.051) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts", 2.305 (2004: 1.440) aus dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" und 644 (2004: 461) aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität". 191 (2004: 231) Straftaten deuten auf Grund der Tatumstände auf einen extremisti schen Hintergrund hin, diese wurden ohne Zuordnung zu einem Phänomenbereich gemeldet. III. Politisch motivierte Straftaten mit extre mistischem Hintergrund in den einzel nen Phänomenbereichen 1. Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremisti schem Hintergrund 1.1 Überblick Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem Hinter Anstieg der grund bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Politisch moti rechtsextremisti vierte Kriminalität - rechts". Dem Phänomenbereich "Politisch moti schen Kriminalität vierte Kriminalität - rechts" wurden 15.914 (2004: 12.553) Straftaten, hiervon 10.905 (2004: 8.455) Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB und 1.034 (2004: 832) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Phäno menbereich wurden 15.361 (2004: 12.051) Straftaten mit extremisti schem Hintergrund, darunter 958 (2004: 776) Gewalttaten erfasst. Damit stieg die Zahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 27,5 %, die der Gewalttaten um 23,5 %. Der Anteil der Gewalttaten an der Gesamtzahl der politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund be trägt 6,3 % (2004: 6,4 %). Bei 85,7 % (2004: 86 %) aller politisch rechts motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund handelte es sich entweder um Propagandadelikte (10.881 Taten, 2004: 8.337) oder um Fälle von Volksverhetzung (2.277 Taten, 2004: 2.065). Insgesamt wurden 316 Delikte (2004: 199) im Themenfeld "Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten" und 116 De likte (2004: 67) im Themenfeld "Gewalttaten gegen sonstige politi sche Gegner" ausgewiesen. BERICHT 2005 34 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" 1) Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 6 2 Körperverletzungen 640 816 Brandstiftungen 37 14 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 3 Landfriedensbruch 25 39 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 6 9 Freiheitsberaubung 2 0 Raub 9 23 Erpressung 5 6 Widerstandsdelikte 44 46 Sexualdelikte 0 0 gesamt 776 958 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 243 445 Nötigung/Bedrohung 97 90 Propagandadelikte 8.337 10.881 Störung der Totenruhe 20 30 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung 2.578 2.957 gesamt 11.275 14.403 Straftaten insgesamt 12.051 15.361 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Ist zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich eine Körperverletzung begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten ver übt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 35 Wie bereits in den letzten drei Jahren, gab es auch 2005 kein vollen detes rechts motiviertes Tötungsdelikt mit extremistischem Hinter grund. 3 Einem der beiden erfassten versuchten Tötungsdelikte liegt folgender Sachverhalt zugrunde: In Weissach im Tal (Baden-Württemberg) warf ein 17-Jähriger am 15. Oktober zwischen 0.00 Uhr und 02.00 Uhr eine bereits zu Hause mit einem Benzin-Öl-Gemisch befüllte Glasflasche gegen ein von Auslän dern bewohntes Haus. Der Molotow-Cocktail prallte zwischen dem 1. OG und dem Dachgeschoss gegen die Außenmauer, zersplitterte und brannte ab. Das Gebäude selbst fing kein Feuer. Zum Tatzeitpunkt schliefen in den beiden Wohnungen insgesamt acht Personen, da von vier Kinder. Die im Erdgeschoss befindliche Pizzeria war zur Tat zeit geschlossen. Der Jugendliche hatte bereits etwa eine Woche zu vor im Bildungszentrum Weissach eine tätliche Auseinandersetzung mit einem der Geschädigten. Er war darüber hinaus auch an einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim in Weissach am 8. Novem ber beteiligt. Er befand sich Ende 2005 noch in Untersuchungshaft. 4 1.2 Zielrichtungen der politisch rechts motivierten Ge walttaten mit extremistischem Hintergrund Mit 355 (2004: 368) Delikten wiesen rund 37,1 % der politisch rechts motivierten Gewalttaten einen extremistischen und einen fremden feindlichen Hintergrund auf. 316 (33 %) Gewaltdelikte (2004: 199 = 25,6 %) richteten sich gegen (mutmaßliche) Linksextremisten. 3 Bei dem zunächst als politisch rechts motiviert eingestuften Tötungsdelikt mit extremisti schem Hintergrund am 28. März 2005 in Dortmund verneinte das Landgericht Dortmund in seinem Urteil vom 17. November 2005 eine politische Motivation der Tat. Der 17-jährige Tä ter hatte nach einer verbalen Auseinandersetzung mit einem 31-jährigen, der Punker-Szene zugehörigen Mann seinen Kontrahenten erstochen. Anlass des Streits war das Aussehen des späteren Opfers und seiner Begleiter. Das Gericht verurteilte den Täter wegen Totschlags zu einer Jugendstrafe von sieben Jahren. 4 Gegen den sich weiterhin in Untersuchungshaft befindenden 17-Jährigen hat die Staatsan BERICHT 2005 waltschaft Stuttgart Anklage erhoben. Der Prozess soll voraussichtlich im Juni 2006 begin nen. 36 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" 1) [Zielrichtungen] 2004 2005 Gesamt 958 Gesamt 776 368 355 316 199 116 67 49 37 Gesamt Fremdenfeindliche Gewalttaten Antisemitische Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 37 1.2.1 Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremi stischem und fremdenfeindlichem Hintergrund Politisch rechts motivierte Gewalttaten mit extremistischem und fremdenfeindlichem Hintergrund 1) Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 5 1 Körperverletzungen 310 322 Brandstiftungen 29 9 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 1 Landfriedensbruch 7 5 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 2 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 4 9 Erpressung 2 1 Widerstandsdelikte 8 5 Sexualdelikte 0 0 gesamt 368 355 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zu gleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Strafbestand gezählt. 1.2.2 Politisch rechts motivierte Straftaten mit extremisti schem und antisemitischem Hintergrund Im Jahr 2005 wurden insgesamt 1.658 politisch rechts motivierte Straftaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund registriert. Damit stieg die Zahl gegenüber dem Vorjahr (1.316) um etwa 25,9 %. Im Jahr 2005 stieg die Zahl der politisch motivierten Ge walttaten mit extremistischem und antisemitischem Hintergrund von 37 (2004) auf 49 an. Insgesamt wiesen 5,1 % aller politisch rechts motivierten Gewaltdelikte sowohl einen extremistischen als auch ei nen antisemitischen Hintergrund auf. 5 BERICHT 5 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). 2005 38 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 1.2.3 Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextre misten oder vermeintliche Linksextremisten Gewalttaten von Rechtsextremisten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten 1) Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 1 Körperverletzungen 171 288 Brandstiftungen 4 2 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 1 Landfriedensbruch 11 11 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 4 3 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 4 8 Erpressung 1 1 Widerstandsdelikte 1 1 gesamt 199 316 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Straftaten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zu gleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Strafbestand gezählt. 1.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten politisch rechts motivierten Ge walttaten mit extremistischem Hintergrund ereigneten sich mit 121 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen, das allerdings bezo gen auf je 100.000 Einwohner im hinteren Feld der Statistik liegt. Da nach folgen Niedersachsen (119; bezogen auf die Einwohnerzahl im Mittelfeld), Sachsen-Anhalt (107; bezogen auf die Einwohnerzahl an der Spitze) sowie Brandenburg (97; bezogen auf die Einwohnerzahl an zweiter Stelle), Sachsen (89) und Bayern (77). POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 39 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" 1) [in den Ländern] Nordrhein121 Westfalen 116 119 Niedersachsen 101 107 Sachsen-Anhalt 71 97 Brandenburg 105 89 Sachsen 63 77 Bayern 42 Baden71 Württemberg 67 Schleswig55 Holstein 41 53 Thüringen 34 48 Berlin 56 Mecklenburg28 Vorpommern 21 25 Hessen 25 Rheinland24 Pfalz 17 20 Hamburg 9 15 Saarland 7 9 Bremen 1 1.1.31.12.2005 1.1.31.12.2004 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). BERICHT 2005 40 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" 1) [je 100.000 Einwohnern in den Ländern ] Sachsen4,29 Anhalt 2,81 3,78 Brandenburg 4,08 2,25 Thüringen 1,43 2,07 Sachsen 1,46 Schleswig1,94 Holstein 1,45 Mecklenburg1,63 Vorpommern 1,21 1,49 Niedersachsen 1,26 1,42 Saarland 0,66 1,42 Berlin 1,65 1,36 Bremen 0,15 1,15 Hamburg 0,52 Nordrhein0,67 Westfalen 0,64 Baden0,66 Württemberg 0,63 0,62 Bayern 0,34 Rheinland0,59 Pfalz 0,42 0,41 Hessen 0,41 1.1.31.12.2005 1.1.31.12.2004 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen der Länder. POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 41 2. Politisch links motivierte Straftaten mit extremisti schem Hintergrund 2.1 Überblick Politisch links motivierte Straftaten mit extremistischem HinterAnstieg der grund bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Politisch motilinksextremisti vierte Kriminalität - links". Dem Phänomenbereich "Politisch motischen Kriminalität vierte Kriminalität - links" wurden 4.898 (2004: 3.521) Straftaten, hiervon 1.240 (2004: 789) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Be reich wurden 2.305 (2004: 1.440) Straftaten mit extremistischem Hin tergrund, darunter 896 (2004: 521) Gewalttaten, erfasst. Damit stieg die Zahl der politisch links motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund um 60,1 %, die der Gewalttaten um 72 %. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 226 391 Brandstiftungen 31 29 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 144 298 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 19 53 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 12 13 Erpressung 1 1 Widerstandsdelikte 88 110 Sexualdelikte 0 0 gesamt 521 896 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 490 713 Nötigung/Bedrohung 19 42 Andere Straftaten 410 654 gesamt 919 1.409 Straftaten insgesamt 1.440 2.305 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Ist zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich eine Körperverletzung begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten ver übt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. BERICHT 2005 42 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 2.2 Zielrichtungen der politisch links motivierten Gewalt taten mit extremistischem Hintergrund Von den politisch links motivierten Gewalttaten mit extremisti schem Hintergrund wurden 449 (50,1 %) Fälle (2004: 273) im Themen feld "Gewalttaten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten", 68 (7,6 %) Delikte (2004: 11) im Themenfeld "Kampagne gegen Kernenergie" und 16 (1,8 %) Delikte (2004: 10) im Themenfeld "Antiglobalisierung" ausgewiesen. Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) Zielrichtungen 2004 2005 896 521 449 273 68 11 10 16 Gesamt Links gegen Rechts Kampagne gegen Kernenergie (beinhaltet Aktionen gegen CASTOR-Transporte) Antiglobalisierung 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 43 2.2.1 Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextre misten oder vermeintliche Rechtsextremisten Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 1) Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 149 249 Brandstiftungen 16 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 70 159 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 12 7 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 10 11 Erpressung 1 1 Widerstandsdelikte 15 17 gesamt 273 449 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Sind zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich Körperverletzungen begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten ver übt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Strafbestand gezählt. 2.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten politisch links motivierten Ge walttaten mit extremistischem Hintergrund ereigneten sich mit 184 registrierten Delikten in Niedersachsen, das allerdings bezogen auf je 100.000 Einwohner an fünfter Stelle der Statistik liegt. Danach fol gen Berlin (124; bezogen auf die Einwohnerzahl an der Spitze), Sach sen (108; auch bezogen auf die Einwohnerzahl an dritter Stelle) sowie Bayern (107; bezogen auf die Einwohnerzahl im Mittelfeld). BERICHT 2005 44 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) in den Ländern 184 Niedersachsen 81 124 Berlin 155 108 Sachsen 55 107 Bayern 27 Schleswig87 Holstein 12 Rheinland74 Pfalz 8 61 Sachsen-Anhalt 13 Baden44 Württemberg 31 Nordrhein32 Westfalen 48 20 Hessen 18 19 Hamburg 16 17 Brandenburg 22 Mecklenburg14 Vorpommern 22 3 Saarland 4 2 Bremen 0 0 Thüringen 9 1.1.31.12.2005 1.1.31.12.2004 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 45 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) je 100.000 Einwohnern in den Ländern 3,66 Berlin 4,57 Schleswig3,08 Holstein 0,43 2,51 Sachsen 1,27 Sachsen2,45 Anhalt 0,52 2,30 Niedersachsen 1,01 Rheinland1,82 Pfalz 0,20 1,10 Hamburg 0,92 0,86 Bayern 0,22 Mecklenburg0,81 Vorpommern 1,27 0,66 Brandenburg 0,85 Baden0,41 Württemberg 0,29 0,33 Hessen 0,30 0,30 Bremen 0 0,28 Saarland 0,38 Nordrhein0,18 Westfalen 0,27 0 Thüringen 0,38 1.1.31.12.2005 1.1.31.12.2004 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Statisti schen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen der Länder. BERICHT 2005 46 POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 3. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich der "Politisch motivierten Ausländerkriminalität" 3.1 Überblick Der Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" umfasst auch die Teilmenge der politisch motivierten Straftaten mit extremistischem Hintergrund. Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" wurden 771 (2004: 603) Straftaten, hiervon 71 (2004: 86) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 644 (2004: 461) Straftaten mit extremistischem Hintergrund, darunter 47 (2004: 61) Gewalttaten erfasst. Damit stieg die Zahl der Straftaten im Bereich "Politisch motivierter Ausländerkriminalität" mit extremistischem Hintergrund um 39,7 %; die Zahl der Gewalttaten in diesem Bereich fiel um 23 %. Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" 1) Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 4 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 24 24 Brandstiftungen 0 3 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 4 2 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 0 4 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 2 1 Erpressung 17 11 Widerstandsdelikte 9 2 Sexualdelikte 0 0 gesamt 61 47 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 31 23 Nötigung/Bedrohung 28 20 Andere Straftaten 341 554 gesamt 400 597 Straftaten insgesamt 461 644 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Ist zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zugleich eine Körperverletzung begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten ver übt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. POLITISCH MOTIVIERTE K R I M I N A L I T ÄT ( P M K ) 47 3.2 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die meisten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" ereigneten sich mit 14 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen. Danach folgen Berlin (7), Baden-Württemberg (6) und Hamburg (5). Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" 1) in den Ländern Nordrhein14 Westfalen 8 7 Berlin 8 Baden- 6 Württemberg 20 5 Hamburg 4 3 Niedersachsen 6 3 Bayern 3 3 Hessen 0 3 Sachsen-Anhalt 0 2 Bremen 6 1 Sachsen 3 Mecklenburg- 0 Vorpommern 1 Rheinland- 0 Pfalz 1 Schleswig- 0 Holstein 1 0 Brandenburg 0 0 Saarland 0 0 Thüringen 0 1.1.31.12.2005 1.1.31.12.2004 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). BERICHT 2005 48 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 50 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE I. Überblick 1. Ideologie Nationalismus Das rechtsextremistische Weltbild wird von nationalistischen und und Rassismus rassistischen Anschauungen geprägt. Dabei herrscht die Auffassung vor, die ethnische Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse ent scheide über den Wert eines Menschen. Da nach rechtsextremisti schem Verständnis diesem Kriterium auch die Menschenund Bür gerrechte untergeordnet werden, stehen Rechtsextremisten in einem tiefgreifenden Widerspruch zum Grundgesetz, das diesen Rechten besonderen Rang und Schutzwürdigkeit einräumt. So leh nen Rechtsextremisten das für jedes Individuum geltende univer sale Gleichheitsprinzip ab, wie es Art. 3 des Grundgesetzes konkreti siert. Autoritärer Staat Rechtsextremisten treten in aller Regel für ein autoritäres politi und Volksgemein sches System ein, in dem der Staat und ein - nach ihrer Vorstellung schafts-Ideologie ethnisch homogenes - Volk in einer angeblich natürlichen Ordnung zu einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der "Volks gemeinschaft" sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem ver meintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. Dementspre chend würden in einem rechtsextremistisch geprägten Staat wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundord nung, wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuü ben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition, wegfallen. Kein ideologisch Rechtsextremismus tritt in Deutschland mit unterschiedlichen Aus einheitliches prägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideo Gefüge des logieelemente und unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Ziel Rechtsextremismus in Deutschland setzungen auf. Bei den rechtsextremistischen Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen gilt die Nation als oberstes Prinzip; damit einher geht eine Abwertung der Menschenund Bür gerrechte. Dies hat insbesondere eine Ablehnung der Gleichheits rechte für diejenigen zur Folge, die nicht dem - von ihnen ausschließ lich ethnisch definierten - "Deutschen Volk" angehören. Sie streben nach einem autoritären Staat, in dem die freiheitliche demokrati sche Grundordnung außer Kraft gesetzt wäre. Neonazis konzentrie ren sich stärker auf zielgerichtete politische Aktivitäten, die oftmals sehr aktionistisch angelegt sind. Ihre Überzeugungen richten sich an nationalsozialistischen Vorstellungen eines totalitären "Führer staats" auf rassistischer Grundlage aus. Aus ihrer Sicht ist das deut sche Volk höherwertig und deshalb vor "rassisch minderwertigen" Ausländern oder Juden zu schützen. Das Weltbild gewaltbereiter RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 51 Rechtsextremisten, dazu zählen insbesondere rechtsextremistische Skinheads, ist diffus. Ihr Lebensgefühl wird von fremdenfeindlichen, oft rassistischen sowie gewaltbejahenden Ressentiments geprägt. Sie treten mit spontanen Gewalttaten und aggressiver, volksverhetzender Musik in Erscheinung. So wollen sie ihren Willen ausdrücken, Deutschland von allen Fremden zu "befreien". 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus Auf besonders eklatante Weise manifestiert sich die rechtsextremi stische Ideologie in rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten. Auch 2005 stieg ihre Zahl an (vgl. Politisch motivierte Kriminalität Anstieg (PMK), Kap. III, Nr. 1). rechtsextremisti scher Gewalttaten Das rechtsextremistische Personenpotenzial ging hingegen zurück Rückgang des (vgl. Nr. 3). Insbesondere die Parteien des rechtsextremistischen rechtsextremisti Spektrums - mit Ausnahme der NPD - verloren viele Mitglieder. Die schen Personen potenzials Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten ist 2005 wieder leicht ange stiegen. Fast 50 Prozent der rechtsextremistischen Skinheads und sonstiger gewaltbereiter Rechtsextremisten leben im Osten Deutsch lands. Weiter angewachsen ist auch das neonazistische Personenpo tenzial. Am 7. März verurteilte das Oberlandesgericht Brandenburg zwölf Urteile wegen Angehörige eines "Freikorps Havelland" u. a. wegen Mitgliedschaft Bildung einer in einer terroristischen Vereinigung zu teils mehrjährigen Jugend terroristischen Vereinigung strafen. Die Mitglieder der Organisation hatten in wechselnder Tat beteiligung im Zeitraum von August 2003 bis Mai 2004 Brandan schläge auf insgesamt sieben türkische bzw. asiatische Imbissstuben und Restaurants verübt (vgl. Kap. II, Nr. 2). Das Bayerische Oberste Landesgericht in München sprach im April und Mai Urteile gegen Angehörige der "Kameradschaft Süd". Ihr An führer Martin WIESE wurde wegen Rädelsführerund Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt sieben Jahren verurteilt. Drei weitere Angeklagte erhielten Freiheitsstrafen von 27 Monaten bis zu fünf Jah ren und neun Monaten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und anderer Delikte (vgl. Kap. II, Nr. 2). Anhaltspunkte für terroristische Absichten weiterer Rechtsextremi sten lagen 2005 nicht vor, allerdings beschlagnahmten die Sicher heitsbehörden wiederholt Waffen und Sprengstoff. Eine intensiv ge führte Diskussion über terroristische Gewalttaten war in der Szene jedoch nicht feststellbar. Die überwiegende Zahl der Rechtsextremi sten lehnt aus taktischen Gründen derzeit terroristische Gewalttaten zur Durchsetzung politischer Ziele ab (vgl. Kap. II, Nr. 2). BERICHT 2005 52 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Prägende rechtsex Die rechtsextremistische Skinhead-Musik ist unverändert ein we tremistische sentlicher Anziehungspunkt für viele Jugendliche. Über sie erhalten Skinhead-Musik sie Kontakt zur rechtsextremistischen Szene. Skinhead-Musik hat da mit eine bedeutende Funktion bei der Entstehung und Verfestigung von Gruppen rechtsextremistischer gewaltbereiter Jugendlicher. Die seit Ende 2003 geplante Aktion zur kostenlosen Verteilung einer CD unter der Bezeichnung "Projekt Schulhof" richtete sich speziell an Ju gendliche, die nicht der rechtsextremistischen Szene angehören. Nachdem die Sicherheitsbehörden 2004 die Verteilung des Tonträ gers verhindern konnten, ist es der neonazistischen Szene nun gelun gen, seit Anfang August Exemplare der "Schulhof"-CD in einigen Bundesländern zu verteilen. Die subkulturell geprägte SkinheadSzene ist weiterhin insbesondere mit ihren Musikveranstaltungen aktiv. Die Anzahl der Konzerte hat im Jahr 2005 weiter zugenommen. Auch die Zahl der Skinhead-Bands ist ähnlich wie die Zahl der Ver triebe angestiegen. Die Skinhead-Szene steht einer organisatorischen Einbindung durch rechtsextremistische Parteien eher ablehnend gegenüber. Gleich wohl nahmen zahlreiche Skinheads an Großveranstaltungen der NPD teil (vgl. Kap. II, Nr. 3). Gewandeltes Das überwiegend in rund 160 Kameradschaften organisierte neona Verhältnis der zistische Personenpotenzial hat auch 2005 zugenommen. Die auf Ak Neonazi-Szene tionismus ausgerichtete Strategie der Neonazis, wozu die Organisa zur NPD tion von möglichst vielen Demonstrationen zählt, lässt die Szene für junge Leute attraktiv erscheinen. Durch die Gründung von "Aktions büros" oder "Aktionsbündnissen" versuchen die Neonazis, einer Zer splitterung der Szene entgegenzuwirken. Themenschwerpunkte neonazistischer Agitation im Jahr 2005 waren die Proteste gegen die Sozialreformen der Bundesregierung. Die NPD hat durch die von ihr propagierte "deutsche Volksfront" aus Sicht der Neonazi-Szene an Attraktivität gewonnen. Führende Neonazis haben sich von der Par tei organisatorisch einbinden lassen (vgl. Kap. III). Erheblicher Die NPD hat 2005 ihr Konzept einer "Volksfront von Rechts" weiter Bedeutungszu verfolgt: Sie suchte sowohl mittels des mit der DVU geschlossenen wachs für die NPD "Deutschlandpaktes" als auch durch die enge Bindung an das neona zistische Lager ihre Wahlchancen zu verbessern. Ihre grundsätzliche Feindschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung doku mentierte sich auch 2005 in zahlreichen Äußerungen. So propa gierte sie eine rassistisch und nationalistisch geprägte Volksgemein schaft und bestritt die Legitimität der bundesdeutschen Verfassung. Sie versuchte zudem, die nationalsozialistischen Verbrechen zu ver harmlosen, indem sie die Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg als "Bombenholocaust" bezeichnete. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 53 Die Wahlergebnisse im Jahr 2005 brachten indessen nicht den er hofften parlamentarischen Durchbruch (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Trotz einer leicht gesunkenen Mitgliederzahl blieb die DVU auch DVU zunehmend 2005 die mitgliederund finanzstärkste Organisation im Feld der im Schatten der rechtsextremistischen Parteien. Dennoch geriet die von ihrem Vor NPD sitzenden Dr. Gerhard FREY dominierte Partei zunehmend in den Schatten der NPD. Gründe hierfür sind die durch die beherrschende Stellung ihres Vorsitzenden weitgehend gelähmte innerparteiliche Debatte und das relativ hohe Lebensalter ihrer Mitglieder, die weit gehend auf die Rezeption der in der "National Zeitung/Deutsche Wo chen-Zeitung" (NZ) vorgegebenen - althergebrachten - rechtsextre mistischen Themen eingestellt sind. Angesichts der in der Partei bestehenden Vorbehalte gegen die mit der NPD verbundenen Neonazis steht der von DVU und NPD ge schlossene "Deutschlandpakt" unter Erfolgsdruck. Sollten sich die er hofften Wahlerfolge nicht mittelfristig einstellen, dürfte sich FREY aus der Vereinbarung mit den Nationaldemokraten lösen (vgl. Kap. IV, Nr. 2). Bei den REP lagen auch 2005 tatsächliche Anhaltspunkte für rechts REP weiterhin von extremistische Bestrebungen vor. Angesichts der empfindlichen Nie innerparteilichen derlagen bei den Landtagswahlen und bei der Bundestagswahl Querelen gekennzeichnet flammte der Streit um den vom Bundesvorsitzenden Dr. SCHLIERER vertretenen Abgrenzungskurs wieder verschärft auf. Dies betraf ins besondere die Weigerung der REP-Führung, sich auf die von der NPD betriebene "Volksfront"-Strategie einzulassen und ein Wahlbündnis mit den Nationaldemokraten und der DVU einzugehen. Da die Partei auch inhaltlich keine neuen Akzente setzen konnte und in der Öf fentlichkeit kaum in Erscheinung trat, schrumpfte ihr Mitglieder stamm weiter auf jetzt 6.500 Personen (vgl. Kap. IV, Nr. 3). Die Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus waren Intellektualisie auch 2005 von nachlassender Intensität und weitgehend wirkungs rungsbemühungen los. So blieb selbst die von der NPD in Anlehnung an die politisch erfolglos links orientierte "Frankfurter Schule" ins Leben gerufene "Dresdner Schule" ohne erkennbare Aktivitäten. Auch andere rechtsextremisti sche Organisationen/Einrichtungen gaben keine Impulse (vgl. Kap. V). Antisemitismus bleibt in allen Segmenten des Rechtsextremismus Antisemitismus von großer Bedeutung. Das gilt vor allem für einen Antisemitismus der Andeutungen, der neben der offenen Hetze zugenommen hat. Diese indirekte Art der Agitation setzt auf ein antisemitisches Einstel lungspotenzial in der Bevölkerung und versucht hier Einfluss zu ge winnen (vgl. Kap. VI). BERICHT 2005 54 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3. Organisationen und Personenpotenzial Erneuter Rückgang Ende des Jahres gab es in Deutschland 183 (2004: 168) rechtsextremi des rechtsextre stische Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Die Zahl mistischen Perso ihrer Mitglieder sowie der nichtorganisierten Rechtsextremisten nenpotenzials liegt mit 39.000 rund 4,4 Prozent unter der des Vorjahres (40.700). Zahl gewaltbereiter Die Zahl der subkulturell geprägten 6 und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten Rechtsextremisten beträgt 10.400, ein Anstieg von vier Prozent. Zu leicht gestiegen den Gewaltbereiten werden auch diejenigen Rechtsextremisten ge zählt, die - ohne bislang Gewalttaten verübt zu haben - Gewaltan wendung befürworten. Dazu gehören als weitaus größte Gruppe rechtsextremistische Skinheads, die sich durch ihre subkulturelle Prägung von anderen gewaltbereiten Rechtsextremisten, beispiels weise aus dem Neonazilager, unterscheiden. Zahl der Neonazis Die Zahl der Neonazis ist mit 4.100 (2004: 3.800) um rund acht Pro nochmals gestiegen zent gestiegen. Steigend ist auch der Organisationsgrad in der Neo nazi-Szene: 105 (2004: 87) Gruppierungen ließen ein Mindestmaß an organisatorischen Strukturen erkennen. Dazu zählte auch ein be trächtlicher Teil der rund 160 Kameradschaften. Weitere Mitglieder In den rechtsextremistischen Parteien sind noch rund 21.500 (2004: verluste rechtsex 23.800) Personen organisiert. Diese Zahl umfasst auch die Mitglieder tremistischer der REP, ohne dass damit jedes einzelne Mitglied als rechtsextremi Parteien stisch zu bewerten ist. Der Rückgang um rund zehn Prozent ergibt sich aus weiteren Mitgliederverlusten der REP (ca. 1.000) und der DVU (ca. 2.000). Die Zahl der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen - wie z. B. die "Gesellschaft für freie Publizistik e. V." (GFP) oder "Die Artge meinschaft Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG) - ist auf 73 (2004: 76) zurückgegan gen. Diesem Spektrum gehören rund 4.000 (2004: 4.300) Mitglie der/Aktivisten an. 6 Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeiten sind nicht nur bei Skinheads, sondern auch - in geringem Umfang - bei Neonazis und - noch seltener - bei Mitgliedern rechtsextremisti scher Parteien festzustellen. Daher kann die Gewaltbereitschaft nicht das einzige Abgren zungskriterium zwischen Skinheadund Neonazi-Szene sein. Hinzu kommt vielmehr die subkulturelle Komponente, mit der sich die Skinheads von allgemeinen gesellschaftlichen Standards abgrenzen. Dazu gehören beispielsweise martialisches Auftreten, aggressive Mu sik und exzessiver Alkoholkonsum. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 55 Rechtsextremismuspotenzial 1) 2003 2004 2005 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechts extremisten 2) 2 10.000 2 10.000 2 10.400 Neonazis 3) 95 3.000 87 3.800 105 4.100 Parteien 3 24.500 3 23.800 3 21.500 davon "Die Republikaner"4)6) (REP) 8.000 7.500 6.500 "Deutsche Volksunion" (DVU) 11.500 11.000 9.000 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 5.000 5.300 6.000 Sonstige rechts extremistische Organisationen 69 4.600 76 4.300 73 4.000 Summe 169 42.100 168 41.900 183 40.000 Nach Abzug von Mehrfachmitglied schaften 5) 41.500 40.700 39.000 1) Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2) Die meisten subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten (hauptsächlich Skinheads) sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind als gewaltbereit nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 3) Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. In der Zahl der Gruppen umfasst nur diejenigen neo nazistischen Gruppierungen und diejenigen der rund 160 Kameradschaften, die ein gewisses Maß an Organisierung aufwei sen. 4) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Mitglieder der REP rechtsextremistische Ziele verfolgen oder unterstüt zen. 5) Das Gesamt-Personenpotenzial wurde um Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremi stischen Organisationen bereinigt (für das Jahr 2005: 1000) 6) Für den Berichtszeitraum 2007 wird im Verfassungsschutzbericht 2007 nicht mehr über die Partei "Die Republikaner" berich tet. 4. Periodische Publikationen Die Zahl der periodischen rechtsextremistischen Publikationen ist auf 90 (2004: 103) zurückgegangen. Diese hatten eine Gesamtauflage von rund 4,2 Millionen (2004: 4,4 Millionen). 51 Publikationen er schienen mindestens quartalsweise. BERICHT 2005 56 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE II. Gewaltbereite Rechtsextremisten 1. Rechtsextremistisches Gewaltpotenzial Gewaltbereite Das Potenzial gewaltbereiter Rechtsextremisten ist auf etwa 10.400 Szene auf hohem Personen (2004: etwa 10.000) leicht angestiegen. Den größten Teil Niveau stabilisiert hiervon stellen rechtsextremistische Skinheads. 2. Rechtsterrorismus Mitglieder Erstmals seit dem Jahr 1988 ergingen wieder Urteile gegen Mitglie von zwei rechtster der rechtsextremistischer Gruppierungen wegen des Vorwurfs der roristischen Grup Bildung einer terroristischen Vereinigung (vgl. Kap. I, Nr. 2). pen verurteilt "Freikorps Am 7. März verurteilte das Brandenburgische Oberlandesgericht Havelland" (OLG) elf Jugendliche bzw. Heranwachsende u. a. wegen Gründung und Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach SS 129a StGB zu teils mehrjährigen Jugendstrafen. Gegen den 20-jährigen Hauptangeklagten verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten. Gegen die übrigen Angeklagten sprach das Gericht Bewährungsstrafen von bis zu zwei Jahren aus. Die Beteiligten hatten sich nach den Feststellungen des Gerichts un ter der Bezeichnung "Freikorps" bzw. "Freikorps Havelland" organi siert, um mit systematisch geplanten Brandanschlägen ausländische Imbissbetreiber in der Region einzuschüchtern und sie zur Aufgabe ihres Geschäfts zu nötigen. In wechselnder Tatbeteiligung hatten sie von August 2003 bis Mai 2004 im Landkreis Havelland (Branden burg) Brandanschläge gegen insgesamt sieben türkische bzw. asiati sche Imbissstuben und Geschäfte verübt. Dabei war ein Sachschaden von insgesamt über 600.000 Euro entstanden. Auffallend war, dass die noch sehr jungen Beteiligten nicht in anderen rechtsextremisti schen Organisationen aktiv waren oder sich politisch betätigten. Ge gen die Verurteilungen legten die Angeklagten Revision ein. 7 Gruppe um Das Bayerische Oberste Landesgericht verurteilte insgesamt acht An Martin WIESE gehörige des ehemaligen inneren Führungszirkels der Münchener "Kameradschaft Süd" - darunter deren Anführer Martin WIESE - als Mitglieder bzw. Rädelsführer einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB. 7 Gegen einen weiteren Angeklagten verhängte das Gericht wegen Brandstiftung in zwei Fäl len, versuchter schwerer Brandstiftung und Sachbeschädigung eine Jugendstrafe von zwei Jahren, die es zur Bewährung aussetzte. Das Urteil gegen diesen Angeklagten ist rechtskräf tig. Die Revision des Hauptangeklagten sowie von vier weiteren Mitangeklagten wurde vom Bundesgerichtshof (BGH) mit Beschluss vom 9. März 2006 als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Damit ist das Urteil des Brandenburgischen Oberlandesgerichts gegen fünf von insgesamt elf Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereini gung gem. SS 129a StGB rechtskräftig. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 57 WIESE erhielt am 4. Mai als Rädelsführer sowie u. a. wegen Verstoßes gegen das Waffenund das Sprengstoffgesetz eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren. Gegen drei weitere Neonazis verhängte das Gericht unter Einbeziehung frühe rer Delikte Gesamtstrafen zwischen fünf Jahren und neun Monaten sowie zwei Jahren und drei Monaten. Das Gericht hatte bereits am 5. April vier Angehörige der Gruppierung wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung Martin WIESE zu Bewährungsstrafen zwischen 16 und 22 Monaten verur teilt. Alle Urteile sind rechtskräftig. Die Gruppe war aus dem inneren Führungszirkel der Münchener "Kameradschaft Süd" entstanden und hatte sich eine gewaltsame Re volution zum Ziel gesetzt. Alle Beteiligten billigten und unterstütz ten den geplanten Sprengstoffanschlag auf die Grundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrums am 9. November 2003 in Mün chen. Angehörige der Gruppierung hatten zu diesem Zweck illegal Waffen und Sprengstoff beschafft. Es war den Sicherheitsbehörden jedoch gelungen, die Planungen der Gruppe frühzeitig aufzudecken. Rechtsextremisten zeigen sich vielfach fasziniert von Waffen und Waffen und Sprengstoffen. So konnte die Polizei im April bei drei Angehörigen Sprengstoffe der rechtsextremistischen Szene im Raum Rosenheim mehrere - zum Teil scharfe - Waffen und Waffenteile sicherstellen. Darunter befanden sich u. a. vier Karabiner, mehrere Pistolen, ein Revolver, eine Panzerminenattrappe, ein selbstgebauter Schalldämpfer, meh rere befüllte Magazine sowie Munition unterschiedlichen Kalibers. Im Zuge des Verbots der neonazistischen Organisation "Alternative Nationale Strausberger Dart, Piercing und Tattoo Offensive" (ANSDAPO, vgl. Kap. III) stellte die Polizei im Juli eine Panzergranate, ein MG 42 ohne Lauf, abgesägte MP-Läufe, Gasdruckpistolen sowie Munition sicher. Hinweise, dass mit dem Waffenbesitz konkrete An schlagsplanungen verbunden waren, liegen in diesen Fällen nicht vor. Der überwiegende Teil der rechtsextremistischen Szene lehnt aus taktischen Gründen Gewaltanwendung zur Systemüberwindung ab. Eine terroristische Vereinigung gilt als allzu leicht zu enttarnen, ein Terroranschlag als wenig erfolgversprechend. Darüber hinaus be fürchtet man, terroristische Aktivitäten könnten verstärkte staatliche Kontrollund Fahndungsmaßnahmen auslösen und so den eigenen Handlungsspielraum weiter beschränken. Die Intensität der szeneinternen Gewaltdiskussion wird regelmäßig Anlassbezogene Ge von äußeren Ereignissen beeinflusst. Während in früheren Jahren waltdiskussion etwa die Ausschreitungen militanter Anhänger der "Arbeiterpartei BERICHT 2005 58 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Kurdistans" (PKK; vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamis mus), Kap. II, Nr. 2.2) die Gewaltdebatte beförderten, entzündete sich die Diskussion im Herbst an den Krawallen junger Migranten in Frankreich. Häufig geben Aktionen der linksextremistischen Szene den Impuls zur Gewalt. So forderte ein Nutzer eines rechtsextremistischen Inter net-Forums in persönlichen Mails dazu auf, sich offensiv auf gewalt same Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern, der Polizei und allen, die dem deutschen Volk Schaden zufügten, vorzubereiten. Eine "ausgewogene" Militanz umfasse körperliche Angriffe ebenso wie Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an Wohnungen, Pri vateigentum und Einrichtungen. 3. Rechtsextremistische Skinhead-Szene Kein gefestigtes Rechtsextremistische Skinheads sind ein wesentlicher Teil des rechts rechtsextremisti extremistischen Spektrums in Deutschland. Ihr Lebensstil ist subkul sches Weltbild turell geprägt und mehr auf das Ausleben individueller Bedürfnisse als auf systematische politische Arbeit gerichtet. Auch besitzen die meisten Skinheads kein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Lose Struktur Die Szene dieser gewaltbereiten Rechtsextremisten besteht zumeist aus cliquenähnlichen Gruppen, die jeweils nur einen losen Organisa tionsgrad aufweisen. Entsprechend sind es nicht hierarchische Struk turen, die den Zusammenhalt bestimmen, sondern die oftmals langjährigen persönlichen Beziehungen der Gruppenmitglieder un tereinander. Im Mittelpunkt steht die gemeinsame Freizeitge staltung, die sich überwiegend in der Teilnahme an rechtsextre mistischen Szenefeiern oder Skinhead-Konzerten erschöpft. Wenn Angehörige der Skinhead-Szene regelmäßig bei politisch orientierten Veranstaltungen - insbesondere Demonstrationen - festzustellen sind, so liegt es vor allem daran, dass rechtsextre mistische Kundgebungen durch ihre aktionistischen Elemente einen ausgeprägten Erlebnischarakter versprechen. Gleichwohl resultiert die Gefährlichkeit der Szene daraus, dass Ju gendliche über die Zugehörigkeit zu diesem Milieu mit rechtsextre mistischem Gedankengut in Berührung kommen und in falscher Verheißung von Gemeinschaft und angeblicher rassischer Überle genheit die Lösung für die eigenen individuellen Probleme suchen. Besonderes Medium ist dabei die szenetypische Skinhead-Musik, die bei der Vermittlung nationalistischer, fremdenfeindlicher und anti semitischer Ideologieelemente eine wichtige Rolle spielt. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 59 Teile der Skinhead-Szene haben das früher typische Erscheinungs Wandel des bild inzwischen abgelegt. Statt Glatze, Stiefel und Bomberjacke do Erscheinungsbildes minieren - insbesondere in Ostdeutschland - nun modische Klei dung, Piercings und Turnschuhe. Diese Entwicklung ist auf den Einfluss anderer subkultureller Strömungen - z. B. der weitgehend unpolitischen Hardcore-Szene - zurückzuführen. Der eigentliche Skinhead-Hintergrund lässt sich oft nur an noch symbolträchtigen Kleidungsstücken bestimmter Marken oder Firmen erkennen. Der Schwerpunkt der rechtsextremistischen Skinhead-Szene liegt Schwerpunkt in weiterhin in Ostdeutschland. Bei einem Anteil von rund einem Fünf Ostdeutschland tel der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland lebt dort etwa die Hälfte der gewaltbereiten Rechtsextremisten. Insbe sondere im Großraum Berlin sowie in einigen Regionen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns gibt es bedeutendere Gruppen. Gleiches gilt mit Einschränkung auch für die Ballungsgebiete in Westdeutschland, z. B. das Ruhrgebiet. Das Verhältnis zwischen Skinheads und Neonazis bleibt weiterhin Verhältnis ambivalent, wenn auch in vielen Regionen Angehörige beider Spek zu Neonazis tren in lokalen Kameradschaften zusammenwirken. Unge achtet des - aus Sicht der Neonazis - ungenügenden politi schen Bewusstseins stellen Skinheads aufgrund ihrer Personenstärke dennoch ein wichtiges Mobilisierungspoten zial. Schon aus diesem Grund beziehen Neonazis bei der Pla nung ihrer Kundgebungen die Interessen des subkulturellen Spektrums ein, um durch dessen Präsenz größtmögliche öf Demonstration am 13. Februar in fentliche Beachtung zu finden. So kommt es inzwischen häu Dresden figer vor, dass bei neonazistischen Demonstrationen Bands aus der Skinhead-Szene spielen. Gegenüber rechtsextremistischen Parteien verhält sich die SkinheadVerhältnis zu Szene weiterhin zurückhaltend. Während es zur DVU und zu den REP rechtsextremisti auch aufgrund deren Abgrenzungsbemühungen zum gewaltberei schen Parteien ten Spektrum keine nennenswerten Kontakte gibt, ist der Stellen wert der NPD hinsichtlich Akzeptanz und Einbindung in Parteistruk turen größer. Hierzu hat die seit Jahren praktizierte Hin wendung der NPD zum neonazistischen und gewaltbereiten Spek trum maßgeblich beigetragen. Besonders deutlich wird die punktu elle Verbindung von NPD und subkultureller Szene bei Parteiveran staltungen mit musikalischer Umrahmung und bei Großde monstrationen der NPD. So nahmen im Anschluss an einen NPD-Lan desparteitag in Pößneck (Thüringen) am 2. April mindestens 1.000 Skinheads an einem Konzert teil. BERICHT 2005 60 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Insgesamt stellt - trotz eines punktuellen Zusammenwirkens bei öf fentlichen Veranstaltungen - die Einbindung von Skinheads in orga nisatorische Strukturen der Partei und damit eine parteipolitische Mitwirkung die Ausnahme dar. Die Mehrzahl der Szeneangehörigen ist weiterhin nicht bereit, sich dauerhaft an politischen Aktivitäten zu beteiligen. 3.1 Überregionale Skinhead-Organisationen Bundesweit waren im Spektrum der rechtsextremistischen Skinheads lediglich die Skinhead-Gruppierungen "Hammerskins" so wie "Furchtlos & Treu" aktiv. "Hammerskins" Den in regionalen Untergliederungen - so genannte Chapter - struk turierten "Hammerskins" gehören wie im Vorjahr etwa 100 Per sonen an. Diese seit Anfang der 90er Jahre aktive, nationalsozia listisch und rassistisch orientierte Gruppierung trat öffentlich kaum in Erscheinung. Nur in einigen wenigen Fällen organisier ten Mitglieder der "Hammerskins" Konzerte, so etwa am 17. Sep tember in Dettelbach (Bayern) mit rund 350 Teilnehmern. Regel mäßig finden allerdings Treffen von Funktionären der "Hammerskins" auf Bundesund internationaler Ebene statt. "Furchtlos & Treu" Die im Jahr 1999 entstandene Gruppierung "Furchtlos & Treu", die nach eigenen Angaben in Deutschland und Kroatien über jeweils mehrere Sektionen verfügt, trat im Jahr 2005 ebenfalls kaum mehr in Erscheinung. 3.2 "Blood & Honour" nach dem Verbot Keine bundesweiEhemalige führende "Blood & Honour"-Aktivisten, insbesondere in ten Strukturen Südwestdeutschland, versuchen weiterhin Aktivitäten der im Jahr 2000 vom Bundesminister des Innern verbotenen Grup pierung zumindest teilweise aufrecht zu erhalten. Dabei ist es ihnen wie in den Vorjahren nicht gelungen, Orga nisationsstrukturen auf Bundesebene fortzuführen oder wieder zu errichten. Auf regionaler Ebene unterhalten ehemalige "Blood & Honour"-Aktivisten dagegen nach wie vor enge Kontakte. Am 17. Juni beschlagnahmte die Polizei in Weiterstadt (Hessen) bei einem ehemaligen Mitglied der Sektion Baden mehrere Bekleidungsstücke, die das Logo der verbotenen Organisation trugen. Ge gen den Betreffenden wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen ein Vereini gungsverbot eingeleitet. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 61 3.3 Rechtsextremistische Skinhead-Musik Für die subkulturell geprägte, gewaltbereite rechtsextremistische Große Bedeutung Szene - und auch darüber hinaus - spielt die Skinhead-Musik eine der Skinhead-Musik für die rechtsextre wichtige Rolle. Die fremdenfeindlichen antidemokratischen Texte mistische Szene prägen und verstärken das diffus rechtsextremistische Weltbild der Szeneangehörigen. Die Musik ist darüber hinaus ein wichtiger Iden tifikationsund Mobilisierungsfaktor und wird von Rechtsextremi sten auch außerhalb der Szene genutzt, um Jugendliche für entspre chende Veranstaltungen und Gruppierungen zu interessieren. In den vergangenen zwei Jahren gab es mehrere Versuche von Neo Verteilung rechts nazis bzw. der NPD, über das Verteilen kostenloser CDs Schülerinnen extremistischer CDs an Jugendliche und Schüler für rechtsextremistische Positionen zu gewinnen. Die aus der neonazistischen Szene stammenden Initiatoren des "Pro "Projekt Schulhof" jekt Schulhof" produzierten im Jahr 2004 mit Unterstützung ein schlägig bekannter Vertriebe, Bands, Kameradschaften und Einzel personen rund 50.000 CDs. Diese enthielten neben Musikbeiträgen rechtsextremistischer Bands und Lie dermacher u. a. auch Hinweise zur Kontaktaufnahme zu rechtsextremistischen Gruppierungen. Die CD ver mittelt - nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft und des Amtsgerichts Halle sowie des Landgerichts Stendal - eine demokratiefeindliche, rassistische, völkische und nationalsozialistische Ideologie und unterliegt seit Au gust 2004 einem allgemeinen Beschlagnahmebe schluss. Eine Durchsuchung bei dem Auftraggeber der CD-Pressung verlief erfolglos, die CDs konnten nicht si chergestellt, ihre Verteilung jedoch durch den Be schlagnahmebeschluss zunächst verhindert werden.8 Erst im August - also mit fast einjähriger Verzögerung - gelangten die ersten Exemplare des Samplers in mehreren Bundesländern zur Verteilung. Entgegen der ursprünglichen Planung wurden die CDs allerdings kaum in der Öffentlichkeit an Jugendliche weitergegeben. Die Aktivisten deponierten sie vielmehr zu unterrichtsfreien Zeiten in Schulen, warfen sie in Briefkästen von Privatpersonen und Institu tionen des öffentlichen Lebens oder befestigten sie an parkenden Pkw. Bundesweit wurden bislang rund 4.000 CDs sichergestellt. Die NPD, die die Idee des "Projekt Schulhof" bereits während des Verteilaktionen Landtagswahlkampfs in Sachsen im Jahr 2004 mit dem Sampler der NPD "Schnauze voll? - Wahltag ist Zahltag!" übernommen hatte, verwen dete dieses Propagandamittel auch im Vorfeld der Landtagswahlen BERICHT 2005 8 Das Amtsgericht Stendal sprach den Tatverdächtigen am 8. Februar 2006 frei. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 62 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE sowie der Bundestagwahl (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Neben einer Neuauf lage der für die Landtagwahl in Sachsen produzierten CD verteilte sie den so genannten "Schulhof"-Sampler mit dem Titel "Hier kommt der Schrecken aller Linken, Spießer und Pauker!". Die von der NPD verbreiteten Sampler enthielten keine strafbaren Inhalte. Starke Zunahme Nachdem die Zahl der rechtsextremistischen Skinhead-Konzerte in der rechtsextremi folge des Verbots der neonazistischen "Blood & Honour"-Organisa stischen Skinheadtion in Deutschland im Jahr 2000 zunächst kurzfristig zurückgegan Konzerte gen war, steigt sie seit 2002 wieder kontinuierlich an. Eine besonders starke Zunahme war dabei im Jahr 2005 zu verzeichnen. Die Zahl der Skinhead-Konzerte stieg um rund 40 Prozent; es fanden mit 193 Ver anstaltungen 9 56 mehr als im Vorjahr statt. Die durchschnittliche Be sucherzahl lag dabei mit 160 Personen im langjährigen Mittel. Die Mehrzahl der Konzerte hatte zwischen 100 und 300 Teilnehmer. Elf Veranstaltungen fanden vor mehr als 300 Besuchern statt. Über durchschnittlich viele Veranstaltungen gab es in Ostdeutschland. Regionale Regionale Schwerpunkte bildeten sich insbesondere dort, wo Szene Schwerpunkte angehörige oder die NPD über eigene Veranstaltungsobjekte verfü gen, z. B. in Baden-Württemberg oder Sachsen. Das größte Konzert fand am 2. April in Pößneck (Thüringen) vor mehr als 1.000 Besuchern im Anschluss an den Landesparteitag der NPD statt. Es handelte sich um das "Abschiedskonzert" des wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung verurteilten Bandleaders der neona zistischen Berliner Musikgruppe "Landser". Zu diesem Konzert, das der "Landser"-Sänger kurz vor dem Antritt seiner mehrjährigen Frei heitsstrafe zusammen mit weiteren namhaften rechtsextremisti schen Bands gab, kamen wegen des Kultstatus der Band in der rechtsextremistischen Szene Teilnehmer aus dem gesamten Bundes gebiet sowie dem Ausland. Eine Verbotsverfügung konnte nicht wirksam umgesetzt werden, da es den Anreisenden gelungen war, die Kontrollstellen zu umgehen. In 22 Fällen gelang es dagegen, durch intensive Aufklärung sowie durch Kontrollen, Veranstaltungen bereits im Vorfeld zu verhindern. Häufig traten auch die Inhaber der Veranstaltungsräumlichkeiten nach Sensibilisierungsgesprächen von ihren Verträgen mit den Kon zertorganisatoren zurück. Im Jahr 2005 wurden rund 13 Prozent der Konzerte während ihres Verlaufs aufgelöst. Dabei kam es nur in wenigen Fällen zu spontanen Widerstandshandlungen. 9 Abweichungen zu Berichten der Landesbehörden für Verfassungsschutz und der Landeskri minalämter sind aufgrund unterschiedlicher Stichtage sowie im Einzelfall abweichender Erfassungskriterien möglich. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 63 Soweit die Ordnungsbehörden bei den wenigen angemeldeten Ver anstaltungen die Durchführung von bestimmten Auflagen abhängig gemacht hatten, achteten die Organisatoren meist auf deren Einhal tung. Die Zunahme der rechtsextremistischen Skinhead-Konzerte hat Ursachen für den mehrere Ursachen. Anstieg Die Organisatoren haben sich inzwischen auf die Maßnahmen der Sicherheitsund Ordnungsbehörden eingestellt und versuchen, keine Ansatzpunkte für Verbote und Auflagen zu bieten. Darüber hinaus agieren sie weiterhin konspirativ und binden nur einen klei nen Personenkreis in die Vorbereitung ein. Zum Teil mieten sie - un ter einem Vorwand - verschiedene Räumlichkeiten für dieselbe Ver anstaltung an. Vor allem dort, wo den Organisatoren szeneeigene Räume zur Verfügung stehen, ist ein Anstieg der Konzertzahlen zu verzeichnen. Beispiele hierfür gibt es u. a. in Thüringen, Sachsen, Bayern und Baden-Württemberg. Eine wichtige Rolle spielte auch die NPD, die die Musik nicht nur im Rahmen ihrer Wahlkämpfe als Propagandamittel verwendete, sondern auch mehrmals Räume zur Verfügung stellte oder Auftritte rechtsextremistischer Bands und Liedermacher organisierte. Dabei setzte sie darauf, dass die Eingriffs schwelle für die Polizei bei einer Parteiveranstaltung höher liegt, auch wenn die Musikdarbietung tatsächlich deren Schwerpunkt bil det. Die Zahl der rechtsextremistischen Skinhead-Musikgruppen, die bei Rechtsextremisti Konzerten auftraten oder einschlägige Tonträger veröffentlichten, sche Bands hat sich 2005 erneut erhöht. Sie liegt nunmehr bei 142 Bands (2004: 106). Rund 56 Prozent dieser Bands sind seit mehreren Jahren aktiv. Mit der Zurückweisung der Revision des "Landser"-Bandleaders Urteile gegen durch den Bundesgerichtshof am 10. März ist das Verfahren gegen Mitglieder der die Mitglieder der Band "Landser" u. a. wegen Bildung einer krimi Band "Landser" rechtskräftig nellen Vereinigung rechtskräftig abgeschlossen. Eine Woche nach seinem Abschiedskonzert im April trat der Bandleader seine Frei heitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten an. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat im Dezember gegen vier Mit glieder der baden-württembergischen Skinhead-Musikgruppe "Race War" Anklage u. a. wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB) erhoben. Es handelt sich - nach der Verurteilung der "Landser"-Mitglieder - um das zweite Verfahren gegen eine Band wegen dieses Tatvorwurfs. Die Bandmitglieder verfolgen mit einem hohen Maß an Konspiration das Ziel, durch strafrechtlich relevantes BERICHT 2005 64 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Wirken, insbesondere volksverhetzende, zu Straftaten aufrufende oder diese billigende Handlungen, nationalsozialistisches Gedan kengut in Deutschland und Europa zu verbreiten. Weniger Die Verurteilung der Mitglieder von "Landser" verstärkte einerseits strafrechtlich den Kultund Märtyrerstatus der Band. Andererseits scheint sie auf relevante Tonträger die deutschen rechtsextremistischen Musikgruppen eine ab schreckende Wirkung zu haben, da die Zahl strafrechtlich relevanter CDs von deutschen rechtsextremistischen Bands leicht zurückging. Diese allerdings enthalten zum Teil Neuauflagen oder Zusammen stellungen bereits bekannter Lieder und werden von ausländischen Vertrieben produziert. Ein Beispiel hierfür ist die CD "Vorwärts für Deutschland" der Band "Bataillon 500". Darin heißt es u. a.: "Ich glaube an das Reich und an den deutschen Sieg. Ich glaube an mein Volk und an den weißen Rassenkrieg. Ich glaube an den Führer, er war Deutschlands größter Sohn. Ich glaube an die Wie dergeburt der weißen Nation." Der von einem US-amerikanischen Vertrieb angebotene Sampler "Blood & Honour Vol. 5" enthält ebenfalls veröffentlichte Beiträge der deutschen rechtsextremistischen Musikgruppen "Rassenhass" und "Race War". Deutsche rechtsextremistische Bands spielen ihre Lieder vermehrt auch englischsprachig ein, um einerseits die Identifizierung und Kontrolle zu erschweren und andererseits dem internationalen In teressentenkreis zu genügen. Zunahme der Die Auftritte rechtsextremistischer Bands und Liedermacher auf son Auftritte bei stigen rechtsextremistischen Veranstaltungen haben mit 47 (2004: sonstigen rechtsex 38) erneut zugenommen. Überwiegend standen sie im Zusammen tremistischen hang mit Wahlkampfveranstaltungen. Darüber hinaus waren zwei Veranstaltungen Auftritte bei Demonstrationen zu verzeichnen. Rechtsextremistische Bands und Liedermacher aus dem Inund Ausland nahmen an OpenAir-Veranstaltungen, wie dem von der NPD organisierten "Fest der Völker" am 11. Juni in Jena (Thüringen) teil. Rechtsextremisti Im Jahr 2005 traten 26 rechtsextremistische Liedermacher (2004: 15) sche Liedermacher bei 52 (2004: 42) rechtsextremistischen Veranstaltungen auf. Zu den beliebtesten Interpreten gehörten neben Frank RENNICKE Michael und Annett MÜLLER. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 65 3.4 Rechtsextremistische Skinhead-Musikvertriebe Für Produktion und Verbreitung rechtsextremistischer Musik und Zunahme der Propagandamaterialien gibt es ein eigenes Vertriebsnetz. Rechtsex Vertriebe tremistischen Skinhead-Musikgruppen stehen für die Produktion ih rer CDs rund 25 Label zur Verfügung. Szeneangehörige können ent sprechende Tonträger, die im allgemeinen Handel nicht erhältlich sind, derzeit bei 75 bundesweit aktiven Versandhändlern beziehen (2004: rund 60). Daneben existieren zahlreiche Läden, die zugleich beliebte Treffpunkte der regionalen Szene sind. Bei Konzerten bieten mobile Händler ihr Sortiment an. Die Zunahme der bundesweit tätigen Musikvertriebe beruht vor al lem auf der starken Nutzung des Internets. Wegen des relativ gerin gen Aufwands und des begrenzten Mitteleinsatzes nutzen mittler weile fast alle in Deutschland aktiven Vertriebsfirmen dieses Medium, um mit ihrem regelmäßig aktualisierten Sortiment schnell einen breiten Kundenkreis zu erreichen. Für den Vertrieb der Musik spielt das Internet seit einigen Jahren die wichtigste Rolle. Auch In teressenten ohne Szenekontakte finden dadurch Zugang zu rechts extremistischer Musik. Die Nutzung des Internets hat die Vertriebe und die zu ihnen gehö renden Foren aber auch besonders anfällig für Hackingangriffe wer den lassen. Aufgrund bekannt gewordener Sicherheitslücken konn ten linksextremistische Gruppierungen die Homepages mehrerer Skinhead-Musikvertriebe hacken und veröffentlichten mehrere tau send Kundendaten im Netz. Die Mehrzahl der Anbieter aus Deutschland erzielt ihren wesentli chen Umsatz mit legalen CDs und Szenebekleidung. Nach deut schem Recht strafbare Tonträger werden aufgrund abweichender gesetzlicher Bestimmungen meist im Ausland von dort ansässigen Vertriebsfirmen produziert und im (Internet-)Handel angeboten. Insbesondere US-amerikanische Firmen haben sich auf den deut schen Markt ausgerichtet und besitzen für Produktion und Vertrieb volksverhetzender, antisemitischer und den Nationalsozialismus ver herrlichender CDs deutscher Musikgruppen eine große Bedeutung. Auch 2005 konnten die Strafverfolgungsbehörden im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen Vertreiber von Skinhead-Musik zahlreiche rechtsextremistische Tonträger und Propagandamaterialien sicher stellen, u. a. in Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Nieder sachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Thüringen. BERICHT 2005 66 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3.5 Skinhead-Fanzines Keine weitere Die Zahl der rechtsextremistischen Fanzines hat im Jahr 2005 nicht Zunahme rechtsex weiter zugenommen. Es erschienen 17 derartige Szenepublikationen tremistischer in Heftoder Onlineform. Sie enthalten überwiegend Interviews mit Fanzines rechtsextremistischen Bands, Liedermachern, Vertriebsinhabern und Fanzine-Herausgebern, Erlebnisund Konzertberichte, Rezen sionen einschlägiger Tonträger, DVDs und Fanzines sowie Werbung für rechtsextremistische Vertriebe. Nach wie vor besteht bei den Szenepublikationen eine hohe Fluktua tion, die zum Teil darauf zurückzuführen sein dürfte, dass es den Her ausgebern zum einen schwer fällt, von Szeneangehörigen zeitnah Beiträge zu erhalten, und zum anderen, sich selbst zur Erstellung der Publikationen zu motivieren. Einige langjährig verbreitete Fanzines wurden 2005 nicht mehr veröffentlicht. Es gab aber auch Neuer scheinungen, so z. B. gegen Ende des Jahres das von einem rhein landpfälzischen Vertrieb herausgegebene Magazin "Nordwind", das sich in seiner professionellen Aufmachung an dem seit fast zehn Jah ren erscheinenden Magazin "Rock Nord" orientiert. Parallel zur Heftform erscheinen Fanzines auch im Internet, da auf diese Weise eine größere Aktualität bei niedrigeren Kosten für Erstel ler und Leser erreicht werden kann. Online-Fanzines und fanzi neähnliche Homepages lassen sich dabei ebenso wie die konkurrie renden Homepages von Vertrieben, Newsletter und Foren als aktuelle Informationsund Kommunikationsmedien für Konzerthin weise und -besprechungen, CD-Rezensionen und ähnliches nutzen. Die Online-Fanzines konnten sich allerdings - u. a. wegen ihres unre gelmäßigen Erscheinens und ihrer offenbar nicht den Erwartungen entsprechenden Aktualität - noch nicht durchsetzen. III. Neonazismus Ideologie Das neonazistische Weltbild basiert auf nationalistischen, rassisti schen und antisemitischen Elementen. Häufig beziehen sich Neona zis auf das "antikapitalistische" 25-Punkte-Programm der NSDAP von 1920 als weltanschauliche Basis. Ihre Vorstellungen von Staat und Ge sellschaft sind am "Führerprinzip" orientiert. Das heißt: In dem von den Neonazis angestrebten Gemeinwesen soll der angebliche Wille des Volkes durch einen - demokratisch nicht legitimierten und nicht abwählbaren - Führer aufgegriffen und verwirklicht werden. Aus diesem Verständnis heraus lehnen Neonazis demokratische Prinzi pien und Rechte wie Minderheitenschutz und Meinungsfreiheit ab, da diese der Verschmelzung des Volkes zu einer "Volksgemein RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 67 schaft" und damit der Unterordnung des Einzelnen unter den Ge samtwillen entgegenstehen. Neonazis wenden sich strikt gegen Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe, da nach ihrer Ansicht eine "Rassenmi schung" mit minderwertigen "Nichtweißen" das Aussterben der "weißen Rasse" zur Folge habe. So werden Bevölkerungsgruppen, die den rassistischen Kriterien der Neonazis nicht genügen, als minder wertig bezeichnet und zur Gefahr für die Existenz des eigenen Volkes erklärt. Eine solch aufstachelnde Agitation macht Menschen fremder Herkunft oftmals zu Opfern rechtsextremistisch motivierter Gewalt taten. Die aggressive neonazistische Ideologie führt zu einer anhaltenden Gewaltbezug Thematisierung von Gewalt. In zahlreichen Debatten - insbesondere in Internetforen - kommt die grundsätzlich vorhandene Gewaltaffi nität der Szeneangehörigen zum Ausdruck. Auch wurden wiederholt Waffen gefunden. Paramilitärische Wehrsportübungen gehören für einen Teil der Szene zur politischen Arbeit. Um nicht sofort auf Ablehnung zu stoßen, geben sich viele Neonazis Auftreten in der bei ihren Auftritten eher zurückhaltend. Sie versuchen durch ein Öffentlichkeit bürgerliches Erscheinungsbild Sympathie bei der Bevölkerung zu ge winnen und sich als politische "Saubermänner" zu präsentieren. Zu dem vermeidet die Szene Äußerungen, bei denen rassistische oder neonazistische Inhalte auf den ersten Blick deutlich werden. An die Stelle eines dumpf vorgetragenen Fremdenhasses tritt etwa ein aus grenzendes Nationalstaatskonzept, wie es der Neonazi Axel REITZ auf einer Kundgebung am 26. Juni in Bochum formulierte: "Ich als Nationalsozialist kann nachfühlen, dass die Juden eine ei gene Nation wollen, dass die Juden ihre Interessen in den Vordergrund stellen, dann muss man dies auch dem deutschen Volk zubilligen ..." Wenngleich dieser Ansatz den Willen zur Völkerverständigung sug gerieren soll, offenbart sich sein rassistischer Gehalt, da in einem "rassisch homogenen" Staat den fremdstämmigen Menschen zumin dest geringere Rechte eingeräumt werden sollen. Bei den neonazistischen Demonstrationen im Jahr 2005 spielten Be züge zum 60. Jahrestag des Kriegsendes eine große Rolle. Daneben griffen Neonazis auch solche Themen auf, die in der demokratischen BERICHT 2005 68 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Mehrheitsgesellschaft von großem politischen Interesse waren. So etwa die Zusammenlegung von Sozialund Arbeitslosenhilfe ("Nicht rechts steht der Feind, sondern oben - Gegen Ignoranz und Sozialabbau" - Motto einer Demonstration am 15. April in Altenburg/Thüringen) oder Kin desmissbrauch ("Unsere Kinder - unsere Zu kunft! Gegen Kinderschänder und für mehr Rechte und Schutz unserer Kinder!" - Motto ei ner Demonstration am 8. Oktober in Demonstration am 15. Januar in Magdeburg Eisenach/Thüringen). Mit dieser Strategie versuchen die Neonazis, ihre politische Isolation zu überwinden und sich als Sachwalter von Interessen breiter Bevöl kerungsschichten auszuweisen. Wenngleich die neonazistischen Po sitionen der Akteure in diesen Fällen zunächst nicht sichtbar wur den, so dienten diese Auftritte doch dem Zweck, allgemeinpolitische Themen im eigenen Sinne zu instrumentalisieren. Aufbau Vereinzelt versuchen so genannte Schwarze Blöcke auf Demonstra "Schwarzer Blöcke" tionen, ein militantes Verhalten gegenüber dem Staat und politi schen Gegnern aufzubauen (vgl. Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle, Kap. IV, Nr. 1). In Anlehnung an eine linksextre mistische Terminologie bezeichnen sie sich auch als "Autonome Na tionalisten". In einem Aufruf anlässlich einer Demonstration zum 1. Mai in Leipzig heißt es, man habe sich zu oft von den "Bullen" alles gefallen lassen. Die Reaktion darauf seien "autonome und radikale Strukturen", die nunmehr "offensiv für einen revolutionären Natio nalismus/Sozialismus" kämpften. Hierzu brauche man weder "revo lutionäre Theoretiker" noch Parteien. Ein Großteil der Szene lehnt dieses Konzept jedoch ab. Nach Auffassung des Rechtsextremisten Christian WORCH treffen hier zwei Fronten aufeinander: Diejenigen, die für Vereinheitlichung und Disziplin eintreten gegen diejenigen - gemeint sind die "Autonomen Nationalisten"-, die "selbstverant wortliches und selbstbestimmtes Handeln in den Vordergrund" stell ten. Es handele sich um einen Paradigmenwechsel, der möglicher weise auch ein Generationswechsel sei. Personenpotenzial Das neonazistische Personenpotenzial ist 2005 auf rund 4.100 (2004: rund 3.800) Aktivisten angewachsen. Der Anstieg geht darauf zurück, dass es den Neonazis 2005 erneut gelungen ist, Jugendliche für neonazistische Ideologie zu interessieren und in Kameradschaf ten einzubinden. Strukturen Die Neonazi-Szene organisiert sich überwiegend in Kameradschaf und Vernetzung ten, die im Durchschnitt einen festen Mitgliederstamm von bis zu 25 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 69 Personen aufweisen. An der Spitze der einzelnen Kameradschaften steht ein so genannter Kameradschaftsführer, der die Ziele seiner Gruppe bestimmt und Kontakt zu den Leitern anderer Kamerad schaften hält. Die Treffen der - im Durchschnitt etwa Anfang 20 jährigen - Kameradschaftsmitglieder haben in der Regel "Stamm tischcharakter", teilweise werden die Treffen aber auch durch politische Schulungen oder Vorträge ergänzt. Kameradschaften tre ten in der Öffentlichkeit meist bei Demonstrationen oder bei der Ver teilung von Propagandamaterial in Erscheinung. Seit Ende der 90er Jahre gründen Neonazis "Aktionsbüros" oder "Ak tionsbündnisse", um fehlende Strukturen und die weitgehende Zer splitterung der Szene auszugleichen. Dadurch soll eine überregio nale Aktionsfähigkeit erreicht und insbesondere die Information der "Kameraden" über Großereignisse sichergestellt werden. So erfolgt über die "Aktionsbüros" und deren Internetauftritte beispielsweise die Mobilisierung für Demonstrationen oder die Berichterstattung über für die Szene wichtige Themen und Planungen. Die rund 600 Mitglieder zählende "Hilfsorganisation für nationale poli "Hilfsorganisation tische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) ist die einzige neo für nationale politische Gefan nazistische Vereinigung mit bundesweiter Relevanz. Die 1979 gegrün gene und deren dete Gruppe widmet sich inhaftierten Rechtsextremisten, um deren Angehörige e. V." Abkehr von der Szene zu verhindern. Durch Anzeigen in ihrer Publika (HNG) tion "Nachrichten der HNG" vermittelt sie Briefkontakte zu inhaftierten Gesinnungsgenossen und gibt diesen eine redaktionelle Plattform für eigene Erklärungen. Die Bedeutung der HNG liegt vor allem in ihrer Funktion als Sammelbecken für Personen aus dem gesamten rechtsex tremistischen Spektrum. So nahmen an der Jahreshauptversammlung am 16. April in Gremsdorf (Bayern) etwa 140 Personen teil. Nach Anga ben der HNG wurde u. a. eine Grußbotschaft der NPD vorgetragen. Die Zahl der von Neonazis durchgeführten Demonstrationen stieg Entwicklung der auf 145 an (2004: 87). Diese Entwicklung erklärt sich zum Teil durch Demonstrationen das Verbot des zentralen "Rudolf-Heß-Gedenkmarsches" in Wunsie del, an dessen Stelle die Szene eine große Zahl von Ersatzkundgebun gen organisierte. Ebenso nutzten Neonazis den Wahlkampf für die Bundestagswahl und den 60. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs zur Selbst darstellung. Wenn auch die Anzahl der Demonstrationen im Ver gleich zu 2004 anstieg, so konnte das parteiunabhängige Neonazila ger nur bei zwei Demonstrationen mehr als 1.000 Teilnehmer mobilisieren. Dies war zum einen bei der Kundgebung am 15. Januar in Magdeburg, welche sich thematisch mit dem 60. Jahrestag der Luftangriffe auf die Stadt beschäftigte, und zum anderen bei dem am BERICHT 2005 70 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 12. November durchgeführten "Heldengedenken" im brandenburgi schen Halbe der Fall. Verbot des Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 16. August den An "Rudolf-Heß-Ge trag des Rechtsextremisten Jürgen RIEGER auf Erlass einer einstweili denkmarsches" gen Anordnung gegen das Verbot des "Rudolf-Heß-Gedenkmar in Wunsiedel sches" durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof abgewiesen. Grundlage der Entscheidung der bayerischen Behörden war die Neu fassung des SS 130 StGB. 10 Die teilweise von der NPD als Ersatzveran staltungen angemeldeten Demonstrationen wiesen vordergründig zumeist keinen direkten Bezug zu dem 1987 verstorbenen ehemali gen Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß auf, sondern befassten sich über wiegend mit dem SS 130 StGB oder mit der angeblich eingeschränkten Meinungsfreiheit in Deutschland. Verhältnis zur NPD Das Verhältnis zwischen dem Neonazispektrum und der NPD ist am bivalent. Einerseits unterstützten "Freie Kräfte" die NPD im Vorfeld der Bundesund Landtagswahlen, indem sie Werbematerial verteil ten, sich als Personenschutz für Infostände zur Verfügung stellten und der Partei als Mobilisierungspotenzial für deren Großveranstal tungen dienten. Darüber hinaus wurden Neonazis bundesweit in die Kandidatenlisten der NPD aufgenommen, teilweise sogar als Direkt kandidaten für den Deutschen Bundestag. Andererseits bestehen bei Neonazis zahlreiche Vorbehalte gegenü ber der NPD. So hielten einige Neonazis der Partei vor, sie habe die Unterstützung der Neonazis nicht ausreichend gewürdigt. Darüber hinaus weckte das Bündnis mit der DVU im Rahmen der "Volksfront von Rechts" - teils harsche - Kritik, da der DVU-Parteivorsitzende Dr. FREY u. a. aufgrund seines Geschäftsgebarens kaum Ansehen in der Neonazi-Szene genießt. Auch der Ablauf der NPD/JN-Demonstration am 8. Mai anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes sorgte innerhalb des Neonazispek trums für starken Unmut. Der NPD wurde vorgeworfen, aus Angst um ihr öffentliches Ansehen auf die Durchsetzung des eigentlich ge planten Marsches verzichtet und sich dem Druck der Polizei und der Gegendemonstranten gebeugt zu haben. Viele Neonazis empfanden dies als Verrat an den - teils von weit her - angereisten Teilnehmern (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Das Für und Wider einer Kooperation mit der NPD führte zu einer an haltenden Debatte innerhalb der Neonazi-Szene. So veröffentlichte das "Nationale Infotelefon Rheinland" (NIT) am 13. September auf seiner Homepage eine Erklärung zur Unterstützung der NPD: 10 Geändert durch Gesetz vom 24. März 2005 (BGBl I, S. 969), in Kraft getreten am 1. April 2005. Danach ist es strafbar, öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in ei ner die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch zu stören, dass die nationalsozialisti sche Gewaltund Willkürherrschaft gebilligt, verherrlicht oder gerechtfertigt wird. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 71 "Durch das Bekenntnis zu einer die Grundsätze dieses Systems an greifenden Weltanschauung, die Propagierung eines vom Kapitalis mus abgewandten auf der Volksgemeinschaft fußenden Gesellschafts modells, positionieren wir uns absichtlich außerhalb der herrschen den Gesellschaft. ... Viele nationale Aktivisten, die sich auf Grund ih rer systemfeindlichen Haltung nicht in Parteien organisiert haben, sehen daher in der Unterstützung der NPD zur Bundestagswahl eine Möglichkeit die Akzeptanz nationaler Standpunkte in der Bevölke rung zu testen und die eigene Basisarbeit zu intensivieren." Dieser Aussage stand die Veröffentlichung eines Wahlboykotts im rechtsextremistischen "Störtebeker-Netz" vom 6. August gegenüber: "Der Parlamentarismus ist nicht nur die demokratische Kulisse für die Herrschaft des raffenden Kapitals, sondern auch der Todesengel unseres deutschen Volkes. ... Für uns gilt: NPD und DVU sind genauso BRD-Parteien wie CDU und SPD. Der Auftrag des Systems an die NPD ist, möglichst viele Unzufriedene und Systemgegner an das unsinnige Parlamentarische System zu binden und damit kalt zu stellen. Ohne uns." Das ungeklärte Verhältnis zur NPD ist ein Indiz für die fehlende Ge schlossenheit der Szene und weckt Zweifel, ob die Neonazis - abgese hen von der Adaption einzelner Versatzstücke aus der NS-Ideologie - überhaupt eine eigenständige politische Theorie entwickelt haben. Bislang benötigt die Neonazi-Szene - wie das gesamte rechtsextremi stische Lager überhaupt - konsensfähige Themen wie das Heß-Ge denken oder die Debatte über den angeblichen Sozialabbau, um den Anschein politischer Handlungsfähigkeit zu wahren. Am 9. März verbot der Berliner Innensenator mit der "Kamerad Verbot von schaft Tor" und der "Berliner Alternative Südost" (BASO) zwei neona neonazistischen Gruppierungen in zistische Gruppierungen. Die Verbotsbehörde begründete die Verfü Berlin und gungen mit einer vorhandenen Wesensverwandtschaft der Brandenburg Gruppierungen mit dem Nationalsozialismus sowie mit deren ag gressiv-kämpferischer Haltung gegenüber der freiheitlichen demo kratischen Grundordnung. In Brandenburg erließ der dortige Innenminister am 12. April eine Verbotsverfügung gegen die "Kameradschaft Hauptvolk" und deren Teilorganisation "Sturm 27". Letztere hatte sich nach einer ehemali gen SA-Gliederung in Brandenburg benannt. Zweck und Tätigkeit BERICHT 2005 72 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE der Kameradschaft richteten sich gegen die verfassungsmäßige Ord nung und gegen die Völkerverständigung. Zudem liefen die Bestre bungen des Vereins Strafgesetzen zuwider. Am 14. Juli folgte dann - aus den gleichen Gründen - das Verbot der Gruppierung "Alterna tive Nationale Strausberger Dart, Piercing und Tattoo Offensive" (AN SDAPO). "Anti-Antifa" In Anlehnung an die Vorgehensweise von Linksextremisten sam meln und veröffentlichen Neonazis Daten über politische Gegner (vgl. Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle, Kap. IV, Nr. 1). Diese Aktivitäten sollen vornehmlich die Betrof fenen verunsichern; in aller Regel dienen sie nicht zur Vorbe reitung rechtsextremistischer Gewalttaten. Ein direkter Zu sammenhang zwischen derartigen "Anti-Antifa"-Aktivitäten und militanten Aktionsformen konnte lediglich in einem Fall beobachtet werden. So waren im Juni und Juli im Bereich von Berlin und Potsdam eskalierende Auseinandersetzungen zwi schen Linksund Rechtsextremisten zu verzeichnen. Nachdem im Juni Linksextremisten einen Angehörigen der "rechten" Szene brutal überfallen hatten, kam es am 3. Juli zu einem ge waltsamen Übergriff von Rechtsextremisten auf zwei "linke" Szeneangehörige in Potsdam. In beiden Fällen ermittelte die Polizei zunächst wegen des Verdachts des versuchten Mordes.11 11 Am 20. März 2006 verurteilte das Landgericht Potsdam fünf der rechtsextremistischen Tä ter nach Jugendstrafrecht. Die 18-jährige Hauptangeklagte erhielt eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten wegen gefährlicher Körperverletzung. Drei 19 bis 21 Jahre alte Angeklagte erhielten zweijährige Freiheitsstrafen auf Bewährung, ein weiterer wurde we gen unterlassener Hilfeleistung verwarnt. Am 29. März 2006 verurteilte das Gericht die sechs übrigen, erwachsenen Tatbeteiligten wegen gemeinschaftlich begangener schwerer Körperverletzung zu Haftstrafen zwischen drei Jahren und neun Monaten und fünf Jahren sowie zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung. Die Staatsanwaltschaft Potsdam hatte ursprünglich in beiden Prozessen Anklage wegen versuchten Mordes erhoben, jedoch konnte nach Auffassung des Gerichts in keinem Fall eine Tötungsabsicht nachgewiesen werden. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 73 IV. Parteien 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) gegründet: 1964 Sitz: Berlin Bundesvorsitzender: Udo VOIGT Mitglieder: 6.000 (2004: 5.300) Publikation: "Deutsche Stimme", monatlich, Auflage: 21.000 Unterorganisationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN), "Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V." (NHB) 1.1 Zielsetzung Die Partei verfolgt weiterhin das Ziel einer "Volksfront der Nationalen mit NPD, DVU und parteiungebundenen Kräf ten", die sich zum Ausgangspunkt einer umfassenden "Deutschen Volksbewegung" entwickeln soll. 12 Unverhoh len zielt die aggressive Agitation der NPD auf die Beseiti gung der parlamentarischen Demokratie und des demokra tischen Rechtsstaats, wobei der Einsatz von Gewalt aus taktischen Gründen derzeit offiziell noch abgelehnt wird. Verlautbarungen der NPD belegen eine Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus; ihre Agitation ist rassistisch, antisemitisch, revisionistisch und auf eine Verunglimpfung der demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes angelegt. Die Partei hält unverändert an ihrer offenen, aggressiv-kämpferi "Volksgemein schen Feindschaft gegenüber der freiheitlichen demokratischen schaft" als neue Grundordnung fest. An deren Stelle sieht die NPD - so der Parteivor Ordnung sitzende Udo VOIGT im Parteiorgan "Deutsche Stimme" 13 in der "Volksgemeinschaft" die "beste Lebensform für ein gedeihliches Zu sammenleben vieler Menschen". In einer vom NPD-Parteivorstand zur Bundestagswahl als Broschüre "Reichsidee" herausgegebenen Argumentationshilfe für Kandidaten und Funkti 12 Vgl. Pressemitteilung der NPD vom 24. Mai 2005. BERICHT 13 "Deutsche Stimme" Nr. 3/2005, S. 9. 2005 74 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE onsträger 14 nennt die NPD als Ziel der Partei die "Herstellung der vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches", das zwar völker rechtlich fortbestehe, seit dem "23. Mai 1945, dem Tag der Verhaf tung der Regierung Dönitz", jedoch nicht mehr souverän und hand lungsfähig sei. Agitation gegen Die Partei behauptet darin auch ein "Legitimationsdefizit" des die Legitimität des Grundgesetzes und fügt hinzu: Grundgesetzes und gegen Menschen rechte "Das Grundgesetz hat seine Fehler: Es (ist) ein Diktat der Westalliier ten, es ist vom deutschen Volk nie in einer Volksabstimmung ange nommen worden und die Grundrechtsbestimmungen triefen vor Menschenrechtstümelei und stellen Deutsche im eigenen Land de facto mit Ausländern gleich." (Broschüre des NPD-Parteivorstands: "Eine Handreichung für die öf fentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten und Funk tionsträger", S. 24) Karl RICHTER, Redakteur des rechtsextremistischen Theorieorgans "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" ("Nation & Europa"; vgl. Kap. VIII) und Leiter des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen, bestritt am 9. Mai auf der Internet seite der sächsischen NPD die universelle Gültigkeit der Menschen rechte, indem er für die "Dresdner Schule" 15 erklärte: "Menschenrechts-Lüge. Objektive 'Menschenrechte' gibt es nicht; vielmehr sind die sogenannten 'Menschenrechte' ein ideologisches Konstrukt, das im Gefolge der Französischen Revolution und ver stärkt im Zuge der Weltanschauungskonflikte des 20. Jahrhunderts formuliert wurde und das am Beginn des 21. Jahrhunderts als univer sales Rechtfertigungs-Vehikel einer globalen Interventionsund Ein mischungspolitik zur Aushebelung nationaler Souveränitätsrechte dient. ... die 'Dresdner Schule' (lehnt) die Fiktion der sogenannten 'Menschenrechte' vehement ab; sich bietende Möglichkeiten eines 'Roll back' wird sie fallweise und aus grundsätzlichen Erwägungen unterstützen." 14 Broschüre des NPD-Parteivorstands zur Bundestagswahl: "Eine Handreichung für die öf fentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten und Funktionsträger", Septem ber 2005, S. 27 15 Bei der "Dresdner Schule" handelt es sich laut Jürgen GANSEL, Mitglied des NPD-Parteivor stands und sächsischer Landtagsabgeordneter, um ein "Personengeflecht um die NPDLandtagsfraktion in Sachsen, die mit volkstreuer Theoriearbeit eine neue Gesellschaftsord nung geistig vorbereiten" möchte; vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 10/2005, S. 1. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 75 Mit der von ihr erstrebten neuen Ordnung verbindet die NPD völVölkischer kisch-kollektivistische Vorstellungen, die sich insbesondere im BeKollektivismus/ griff der "Volksgemeinschaft" manifestieren. Jürgen GANSEL, MitVolksgemeinschaft glied des NPD-Parteivorstands und sächsischer Landtagsabge ordneter, nannte als Ziel der "Dresdner Schule", die "Überwindung des liberalistischen Systems", um an Stelle des "liberalen Parteienre gimes" eine Volksherrschaft zu setzen, die diesen Namen auch ver diene. Dann entstehe eine "wirkliche Volksherrschaft mit der demo kratietheoretisch zwingend gebotenen Identität von Regierten und Regierenden". Das Volk rücke als "gewachsene Lebensund Solidar gemeinschaft" wieder in den "Mittelpunkt der identitären Selbstver ortung". Die "Dresdner Schule" arbeite auf eine "neue Gemein schaftsordnung" hin, in der das "Freiheitsbedürfnis des Einzelnen mit dem Ordnungsbedürfnis des Ganzen in Einklang gebracht" werde. 16 Die Unvereinbarkeit des von der NPD vertretenen Gemeinschaftsmo dells mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zeigt sich hier in der Forderung nach einer "Identität von Regierten und Regierenden" wie sie für totalitäre Systeme kennzeichnend ist. So steht auch die von der NPD propagierte "Volksgemeinschaft" in Positive Haltung zu der antidemokratischen Tradition des Nationalsozialismus. Dieser Ideen des National verstand darunter insbesondere eine Blutund Schicksalsgemein sozialismus schaft, in der die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Ge meinschaft der Volksgenossen untergeordnet wurden. Die NPD weiß um diesen Zusammenhang und reagiert auf den mög lichen Vorwurf, man rede ebenso wie die "Nazis" von der Volksge meinschaft, mit oben genannter Argumentationshilfe. 17 Darin heißt es, nur weil es "etwas schon im Dritten Reich gegeben" habe, müsse es "nicht automatisch schlecht" sein. Die NPD sei keine Partei, "die et was nur deshalb ablehnt, weil es dieses auch schon von 1933 bis 1945 gegeben" habe. So sei auch die Idee einer "solidarischen Volksge meinschaft grundrichtig". Der NPD-Bundesgeschäftsführer Frank SCHWERDT erklärte in ei nem Beitrag des ARD-Magazins Kontraste am 10. Februar: "Wir bevorzugen eher das sozialistische Modell, das soziale Modell in diesem Land, allerdings einen Sozialismus, der sich hier auf dieses Land bezieht, auf die Nation. Deswegen sagen wir 'Nationaler Sozia lismus'". 16 "Erklärung des NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel zu Wesen und Wollen der 'Dresdner Schule'" vom 3. Mai 2005, Homepage NPD Sachsen. BERICHT 17 Siehe Fn. 14, S. 26. 2005 76 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Auf die Nachfrage "Ist das Nationalsozialismus?" bestätigte SCHWERDT: "Man kann das so bezeichnen." Heroisierung von Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus NS-Protagonisten; wird auch an der Heroisierung führender Repräsentanten des NS-Sy Verharmlosung des stems deutlich. So zeigte der Parteivorsitzende VOIGT in einem Inter NS-Systems view mit der Tageszeitung "Die Welt" vom 12. Februar seine Bewun derung für Adolf Hitler, dem er lediglich vorwarf, für die "größte Niederlage Deutschlands" verantwortlich zu sein: "Nur ein großer Staatsmann kann große Verbrechen begehen. ... Hit ler hat natürlich Phantastisches geschafft, er hat die Arbeitslosigkeit innerhalb von wenigen Jahren beseitigt. ... Der historische National sozialismus kann für uns kein Vorbild sein. Hitler haben wir die größte Niederlage Deutschlands zu verdanken. Ich habe aber kein Verständnis, daß im Sinne der Political Correctness von jedem Politi ker in Deutschland erwartet wird, sich nur in eine bestimmte Rich tung zu äußern." In demselben Interview stellte VOIGT Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß in die Reihe "positive(r) Beispiele aus der Geschichte". Der sächsische NPD-Landtagsabgeordnete Klaus-Jürgen MENZEL äußerte am 22. September in einem Beitrag des ARD-Magazins Kon traste: "Ich halte den Führer nach wie vor für einen großen Staatsmann, viel leicht einen der größten, den wir je gehabt haben. Dazu stehe ich." Aktiv-kämpferi Aussagen der Partei bzw. maßgeblicher Funktionäre lassen in ihren sche, aggressive Angriffen auf die freiheitliche demokratische Grundordnung und Agitation gegen ihre Repräsentanten weiterhin eine - bis zur Militanz reichende - ak den politischen tiv-kämpferische, aggressive Diktion erkennen. Wenngleich sich die Gegner Parteiführung in ihren offiziellen Stellungnahmen regelmäßig ge gen Gewaltanwendung ausspricht, verlassen maßgebliche Protago nisten der NPD oftmals die offizielle Linie und belegen in ihren Äuße rungen erneut das nach wie vor ambivalente Gewaltverständnis der Partei. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 77 In der Februar-Ausgabe von "Nation & Europa - Deutsche Monats hefte" schreibt Karl RICHTER unter dem Titel "Parteienfilz statt Ge meinsinn", die entartete Form des Parlamentarismus von Bundestag und Länderparlamenten besitze einen unbestreitbaren Vorteil: "Verbrauchte, überlebte Regime können ungleich schneller und im Normalfall auch 'unblutiger' entsorgt werden als unter totalitären Vorzeichen." RICHTER schließt somit den Einsatz von Gewalt nicht aus, da der erhoffte Sturz eines parlamentarischen Sy stems "im Normalfall" lediglich "unblutiger" verlaufe, als es bei der Ablösung totalitärer Staatsformen zu er warten sei. Während einer von Neonazis und Skinheads beherrsch ten Demonstration am 15. Januar in Magdeburg er NPD-Demonstration am 15. Januar in klärte Thomas WULFF, führender Neonazi und Mitglied Magdeburg des NPD-Parteivorstands: "Die nationale Opposition in Deutschland ist aufgestanden und sie ist angetreten, ein niedergehendes System der Lüge und Heuchelei, der sozialen Ausbeutung, ... den letzten Stoß zu geben! ... Sie ahnen es be reits, dass wir jetzt kommen und ich rufe euch auf, Kameraden, lasst uns gemeinsam Seite an Seite für die Zukunft unseres Volkes kämpfen ..." Ähnlich aggressiv agitierte auf derselben Veranstaltung ein weiterer führender Neonazi, das NPD-Mitglied Ralph TEGETHOFF: "Ihr seid aufgerufen, als politische Soldaten und volkstreue Einsatzkräfte tagtäglich an euch zu arbeiten, Vorbild zu sein, diszipliniert (zu) sein, euch sportlich (zu) stählen. ... Wie im preußischen Freiheitskrieg von 1813. Volk steh auf und Sturm brich los! Es lebe Deutschland, es lebe das freie Deutsche Reich!" Auch im Jahr 2005 wurden führende Aktivisten der Partei u. a. wegen Volksverhetzung verurteilt. In seinem Vorwort zu der zur Bundestagswahl herausgegebenen Ar"Wortergreifungs gumentationshilfe 18 ruft VOIGT erneut dazu auf, "im Sinne der Worstrategie" tergreifungsstrategie" die Veranstaltungen des politischen Gegners BERICHT 18 Siehe Fn. 14, S. 4. 2005 78 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE zu besuchen, um "etablierte Politiker und Kandidaten zur Rede zu stellen".19 NPD-Anhänger kamen in Einzelfällen dieser Aufforderung nach. Am 29. Juli störten in Berlin etwa 30 Anhänger der NPD und freier Kame radschaften eine Veranstaltung der "Linkspartei.PDS" mit deren Spit zenkandidaten Gregor GYSI. Nach einer vom "Aktionsbüro RheinNeckar" am 18. August im Internet verbreiteten Meldung beeinträchtigten am 17. August in Ludwigshafen (Rheinland-Pfalz) rund 50 Aktivisten der NPD und freier Kameradschaften lautstark eine Wahlveranstaltung mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder. Eine weitere Wahlveranstaltung mit dem Bundeskanzler am 20. August in Hannover wurde nach einer Internet-Notiz der NPD vom 22. August von etwa 15 NPD-Angehörigen gestört. Agitation gegen Die NPD sucht sich weiterhin - auch in militanter Diktion - als Teil ei Sozialreformen ner sozialen Protestbewegung darzustellen bzw. eine solche Bewe gung zu initiieren. In diesem Sinne forderte die Partei am 16. April auf ihrer Homepage unter der Überschrift "Werdet aktiv in der deut schen Freiheitsbewegung", den "Volkszorn ... auf die Straße" zu tra gen. Die "BRD-Bonzen" hätten sich vom "Ausbeuterkapital" kaufen lassen und das deutsche Volk vergessen. Die Folgen der "Diktatur des Kapitals" würden täglich deutlicher; Massenarbeitslosigkeit, Über fremdung, Kinderarmut, Werteverfall und Elend des Volkes nähmen täglich zu. Darüber hinaus forderte sie: "Den (noch) Mächtigen muß gezeigt werden, wer die wahre Macht in unserem Land ist - das deutsche Volk. Jeder hat etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt: die eigene Zukunft oder die der Kinder, den Erhalt un serer Lebensart und unseres Volkes oder die Idee einer gerechteren Welt für alle. Doch dafür muß auch eingestanden und aufgestanden werden. Das System ist am Ende und nur der letzte bißchen Wohl stand hält die Massen still, doch für wie lange? ... Wir müssen uns er heben und uns aktiv am Widerstand gegen dieses Verrätersystem be teiligen. ... Aktivismus heißt auch Opfer bringen und das eigene Wohl einer großen Idee unterzuordnen." In ähnlicher Weise rief der NPD-Landesverband Baden-Württem berg am 21. April auf seiner Homepage zum "Kampftag gegen Globa lisierung und Sozialabbau, für Volksgemeinschaft und Sozialstaat" am 1. Mai auf. Die "Berliner Blockparteien" hätten "im Bunde mit Ge werkschaften und Arbeitgeberverbänden" das "arbeitende Volk" preisgegeben: 19 VOIGT hatte die Bedeutung der "Wortergreifungsstrategie" im "nationalen Befreiungs kampf" bereits 2003 und 2004 hervorgehoben. Hiermit könne man den politischen Gegner zwingen, sich mit Forderungen und Zielsetzungen der NPD zu beschäftigen. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 79 "Verraten an das Kapital, an die internationale Hochfinanz, die den Wahnsinn der Globalisierung über die Welt gebracht hat." Globalisierung bedeute Zerstörung der Staaten, sozialer Netze und Volkswirtschaften durch einen "totalen Kapitalismus, in dessen Solde heute alle Parlamentarier, Manager und Gewerkschaftsfunk tionäre" ständen. Der Aufruf gipfelt in dem Appell: "Wir haben ein naturgegebenes Recht auf Arbeit und Leben in unserer Väter Land! Und es wird Zeit, daß wir uns unser Land zurückholen! Wir sind bereit für unsere Rechte zu kämpfen und rufen den Deut schen zu: Eure Interessen sind unser politisches Ziel! Die Probleme des arbeitenden Volkes und der Wirtschaft sind nur im Rahmen einer ei nigen deutschen Volksgemeinschaft in Frieden und Freiheit lösbar! Deshalb: Reiht Euch ein!" Auf der Basis des im Parteiprogramm erklärten "lebensrichtigen Rassismus und Menschenbilds" trat die NPD auch 2005 unverändert aggressiv-rassi Fremdenfeindlich keit stisch und fremdenfeindlich auf. Die zur Bundestagswahl herausgegebene Argumentations hilfe der NPD 20 befasst sich im Kontext mit einer beabsichtig ten "Heimführung" von Ausländern auch mit "Kindern ge mischtethnischer Beziehungen (Mischlingen)". Das Vorhaben betreffe nicht den Nachwuchs aus "gemischtethni sche (n) Beziehungen zwischen Angehörigen der ethnisch und kulturell verwandten europäischen Völker". "Heimzu führen" seien vielmehr die "Nicht-Europäer"; bei diesen komme es selten zur "Vermischung mit Deutschen", da die Masse der Nicht-Europäer in ihrem "Heiratsund Fortpflan zungsverhalten auf Angehörige des eigenen Volkes oder Kul turkreises beschränkt" bleibe. Zum Schicksal von Kindern aus "gemischtethnisch" klassifizierten Beziehungen heißt es in diffamierender Weise: "Die Mischlinge, die deutsch-nichteuropäischen Beziehungen ent stammen, werden das sich nationalisierende Deutschland über kurz oder lang freiwillig verlassen, weil sie eine multikulturelle Umgebung bevorzugen. Sie werden sich Ausländer (!) suchen, in denen es keine einheitliche Volkssubstanz gibt, in denen Bastarde zum Alltagsbild BERICHT 20 Siehe Fn. 14, S. 8. 2005 80 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE gehören und die damit verbundene ethnokulturelle Verwahrlosung und Bindungslosigkeit allgegenwärtig ist. ... Die Schuld für ihre Wan derschaft zwischen den multikulturellen Welten und das grausige Schicksal der Heimatlosigkeit haben die Mischlinge dann bei ihren ver antwortungslosen und selbstsüchtigen Eltern zu suchen und nicht bei den Deutschen, die eine solidarische Volksgemeinschaft sein wollen." (Broschüre des NPD-Parteivorstands zur Bundestagswahl: "Eine Handreichung für die öffentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten und Funktionsträger", S. 8 f.) In seiner Erklärung zu Wesen und Wollen der "Dresdner Schule" of fenbart auch das Parteivorstandsmitglied GANSEL die rassistisch be gründete Fremdenfeindlichkeit der NPD: "Die 'Dresdner Schule' sagt den Multikulturalisten und Umvolkern den politischen Kampf an. ... Die Ideologen des Multikulturalismus fördern mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln die massive Landnahme durch kulturund rassefremde Menschen, ... Politik, die zu multiethnischen Zuständen führt, ist verbrecherisch, weil sie den Weg in den Ethnosuizid ebnet und den Deutschen ihr Heimatrecht im angestammten Lebensraum abspricht. Die Umvolkungspolitik reißt aber auch die Ausländer aus ihren volklichen Lebensgemeinschaften heraus und entfremdet sie ihrer eigenen Heimat, Herkunft und Iden tität. Am Ende dieser planvollen Multikulturalisierung steht eine Masse von ethno-kulturellen Kastraten, die zu einer erbärmlichen Existenz als Wanderer zwischen den Welten verdammt sind. Dagegen erhebt die 'Dresdner Schule' mit aller Entschiedenheit das Wort: Deutschland hat das Land der Deutschen zu bleiben und dort, wo dies nicht mehr der Fall ist, wieder zu werden." ("Erklärung des Landtagsabgeordneten Jürgen Gansel zu Wesen und Wollen der 'Dresdner Schule'" vom 3. Mai 2005, Homepage NPD Sach sen) Somit steht das Menschenbild der NPD dem universalen Gleichheits prinzip, wie es in Artikel 3 des Grundgesetzes konkretisiert ist, dia metral entgegen. Der stellvertretende Parteivorsitzende und Vorsitzende der NPDFraktion im sächsischen Landtag Holger APFEL stellte im Parteiorgan "Deutsche Stimme" 21 unter der Überschrift "Volksgemeinschaft statt 'kontrollierte' Zuwanderung! Leitlinien für eine nationaldemokrati sche Politik" fest, dass es für "volkserhaltende Kräfte" nur darum ge hen könne, nach "Ablösung des absterbenden Systems die weitestge 21 "Deutsche Stimme" Nr. 8/2005, S. 4 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 81 hende Ausländerrückführung" in Gang zu setzen und die "Kräfte des eigenen Volkes neu zu wecken". Im Mittelpunkt dürfe deshalb nicht die Frage stehen, wie die "Überfremdung" zu steuern sei, sondern wie "zur Volksgemeinschaft zurückgefunden werden" könne. Eine weitere Zuwanderung bedinge - so APFEL - eine "vollständige ethni sche und politische Balkanisierung Deutschlands und des ganzen eu ropäischen Kontinents". Europa verkomme zu einem "bloßen mul tiethnischen Wohngebiet", das ohne kulturelle Identität, dafür aber mit "ungeahnten Konfliktpotentialen" leben müsse. APFEL fordert: "Die Europäer müssen ihren angestammten Lebensraum vollständig zurückerobern. Dazu gehört, daß die überlebenswilligen Deutschen, aber auch die Europäer, die liberalkapitalistischen Überfremdungsre gime zum Teufel jagen müssen. Im übrigen braucht unser Volk keine Zuwanderung unwillkommener raumund kulturfremder Ausländer, sondern deren sozialverträgliche Rückführung, wie dies im Auslän derrückführungsprogramm der Nationaldemokraten detailliert dar gestellt wird. ... Nur in der Volksgemeinschaft mit genügend eigenen Kindern wird unser Volk eine Zukunft haben." ("Deutsche Stimme" Nr. 8/2005, S. 4) Die NPD nutzte auch die Terroranschläge am 7. Juli in London für ihre ausländerfeindliche und gegen die westliche Wertegemeinschaft gerichtete Agitation. So erklärte der NPD-Landesverband Saar am 14. Juli auf seiner Internetseite unter der Überschrift "Der totale Überwa chungsstaat?", die Anschläge in London hätten einen "nachhaltigen Hintergrund", der anscheinend gerne verschwiegen werde: "Wenn die sogenannte westliche Zivilisation meint sie müßte für ihre größenwahnsinnige und machtwie geldgierige Politik in fremde Länder einmarschieren und dort Kriege führen, dürfen wir uns nicht wundern, daß sich die Menschen wehren. Dann einfach von kaltblüti gen Terroristen zu sprechen und zu verschweigen wie viele zig Tau sende Menschen durch die Waffen der 'westlichen Welt' auf scheuß lichste Art und Weise ihr Leben verloren haben ist an heuchlerischer Propaganda nicht zu überbieten." Im Zusammenhang mit den Migranten-Krawallen in Frankreich sieht sich die Partei - so die NPD am 7. November auf ihrer Home page - in "ihrer strikt ablehnenden Haltung gegen die Massenein wanderung und die Etablierung einer multikulturellen Gesellschaft bestätigt". In einer weiteren Stellungnahme erklärte die NPD auf BERICHT 2005 82 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE ihrer Homepage: "Sollten die Mächtigen auch in der BRD solche Krawalle inszenieren, muß über die Einrichtung von Zwangslagern und über die Schaffung von Bürgerwehren zur Bildung von national befreiten Zonen zur Ver meidung von ausländerdominierten Angsträumen in deutschen Städ ten geredet werden." 22 Antisemitismus Die NPD verbreitet weiterhin antisemitische Propaganda und weist Kritik daran entschieden zurück. In ihrer Argumentationshilfe für Kandidaten und Funktionsträger 23 antwortet die Partei auf den Vor wurf des Antisemitismus: "Selbstverständlich nehmen wir uns das Recht heraus, die Großmäu ligkeit und die ewigen Finanzforderungen des Zentralrats der Juden in Deutschland zu kritisieren. ... Wir lassen uns von der Holocaust-In dustrie, ein Wort des Juden Norman Finkelstein, 60 Jahre nach Kriegs ende pseudomoralisch nicht erpressen, politisch nicht bevormunden und finanziell nicht auspressen. ... Der von jüdischer Seite seit 60 Jah ren betriebene Schuldkult und die ewige jüdische Opfertümelei muß sich kein Deutscher gefallen lassen. Ebenso muß die psychologische Kriegsführung jüdischer Machtgruppen gegen das deutsche Volk un verzüglich beendet werden. Schließlich ist der Holocaust-Industrie, die mit moralisierenden Vorwänden die Deutschen immer nur wieder finanziell erpressen will, endgültig das Handwerk zu legen." (Broschüre des NPD-Parteivorstands zur Bundestagswahl: "Eine Handreichung für die öffentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten und Funktionsträger", S. 9 f.) Diese Propaganda gehört in die Kategorie des "sekundären Antise mitismus". Die Juden werden für die gegen sie gerichtete Ablehnung verantwortlich gemacht, da sie bis in die Gegenwart die deutsche Schuld am Holocaust in erpresserischer Weise instrumentalisiert hätten. Die Kritik am angeblichen Verhalten jüdischer Vertreter soll die tatsächliche - rassistische - Gesinnung der Rechtsextremisten verbergen. Auf gleicher Ebene agitiert Karl RICHTER, der in der März-Ausgabe von "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" unter der Überschrift "Die 'Holocaust'-Keule" einen subtilen Angriff der Juden auf das deutsche Volk unterstellt. Dieses werde durch seine "Sonderrolle als 22 Homepage der NPD (8. November 2005). 23 Siehe Fn. 14, S. 9 f. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 83 Dauer-Bösewicht" auf Dauer geknechtet; somit fungiere der Holo caust - so RICHTER - als "jüdische Ersatzreligion": "Das Fatale daran ist, daß die neue zivilreligiöse Variante des steten Exorzismus bedarf: nie wieder! und des immerfort vergegenwärtigten Feind-Bildes: des Deutschen. ... Nirgendwo steht freilich geschrieben, daß sich Deutsche mit ihrer Sonderrolle als Dauer-Bösewichte in der neuen Holocaust-Religion abfinden müßten. Sie dürfen es nachgerade nicht. ... zur Täterrolle verdammt zu sein, ist tödlich. ... Der Schuld kult erheischt den Rang einer neudeutschen Staatsdoktrin. Er ist Gift für jedwede aktive Zukunftsgestaltung." ("Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 3/2005, S. 14, 17 f.) Das Redaktionsmitglied der "Deutschen Stimme", Thoralf TRENK MANN, beschreibt in der Mai-Ausgabe der Zeitung unter der Über schrift "Erbhof jüdischer Kapitallenker" eine angebliche "Welt machtstellung jüdischer Kapitalstrategen", die eine "völkerfeind liche Oligarchie" bildeten: "Wie ein Krake hat der Dollar-Imperialismus die Welt im Würgegriff, und er unternimmt nicht einmal mehr die geringsten Anstrengun gen, dies irgendwie zu verschleiern. Denn die Weltmachtstellung jü discher Kapitalstrategen - gleich welche Staatsangehörigkeit sie zu fällig haben - scheint ihrem weltgeschichtlichen Höhepunkt entge genzutreiben ... Deshalb existieren die Erbhöfe der Ostküste in Institu tionen der Weltwirtschaft weder zufällig noch sind sie ungefährlich. Hier laufen die Fäden einer völkerfeindlichen Oligarchie zusammen." ("Deutsche Stimme" Nr. 5/2005, S. 2) Damit bedient TRENKMANN den von Antisemiten regelmäßig ver wendeten Mythos von einem Weltjudentum auf dem Weg zur Welt herrschaft. Die NPD versucht, das Geschichtsbild über die Zeit des Nationalsozia Revisionismus lismus zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Be trachtung zu korrigieren. Denn sie sieht ihre Vision eines autoritär geführten und ethnisch homogenen Staates durch das wissenschaft lich gesicherte Geschichtsbild des Dritten Reiches auf Dauer belastet. So relativiert die NPD den Massenmord an den Juden, indem sie le diglich von einer "Bekämpfung des europäischen Judentums" sowie von "gigantisch aufgebauschten tatsächlichen oder angeblichen Greueltaten der Nationalsozialisten" spricht, denen sie angebliche, BERICHT 2005 84 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE ungeheure alliierte Kriegsverbrechen mit Millionen von Opfern ge genüberstellt. Sie leugnet die Schuld des Hitler-Regimes am Aus bruch des Zweiten Weltkriegs, agitiert gegen angebliche antideut sche "Geschichtslügen" und behauptet eine "Schuldknechtschaft des deutschen Volkes". In einem Aufruf zu einer Demonstration am 8. Mai in Berlin unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" erklärte die NPD am 5. Mai auf ihrer Homepage: "Seit dem 8. Mai 1945 wird gegen das deutsche Volk psychologisch Krieg geführt. Dies ist erforderlich angesichts ungeheurer alliierter Kriegsverbrechen. Deutsche Städte wurden durch anglo-amerikani sche Luftkriegsverbrecher vorsätzlich zerstört und Hunderttausende Zivilisten ermordet. Über eine Million deutsche Kriegsgefangene wur den von den Westalliierten umgebracht. Die Rote Armee verübte furchtbare Greuel. Die Vertreibungsverbrechen forderten 6 Millionen Opfer. ... Die Besatzer ... mutierten zu 'Befreiern', ihre Verbrechen zu 'Befreiungstaten'. Diese Absurdität mußte hinter gigantisch aufge bauschten tatsächlichen oder angeblichen Greueltaten der National sozialisten versteckt werden. ... Es wird uns eingeredet, daß wir am Krieg und der Bekämpfung des europäischen Judentums Schuld seien und daß die Verbrechen der Alliierten die verdiente Strafe dafür sei." Der NPD-Abgeordnete GANSEL erklärte am 21. Januar vor dem Säch sischen Landtag: "Der Bomben-Holocaust von Dresden steht ursächlich weder im Zu sammenhang mit dem 1. September 1939 noch mit dem 30. Januar 1933. Die Pläne zur Vernichtung des Deutschen Reiches existierten nämlich schon lange, bevor in Versailles der erste Nationalsozialist geboren wurde. ... Ich ... möchte an dieser Stelle nur mitteilen, daß unsere Fraktion die nächsten Jahre nutzen wird, um auch hier im Sächsischen Landtag mächtige Schneisen in das Dickicht antideut scher Geschichtslügen zu schlagen. Mit dem heutigen Tag haben wir auch in diesem Parlament den politischen Kampf gegen die Schuld knechtschaft des deutschen Volkes und für die historische Wahrhaf tigkeit aufgenommen." In einer Beilage zur Mai-Ausgabe der "Deutschen Stimme" mit dem Motto "8. Mai 1945 - Wir feiern nicht" agitierte GANSEL unter der Überschrift "Befreiung oder Niederwerfung? Plädoyer für das Ende RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 85 eines Begriffsbetruges": "Den 8. Mai 1945 als 'Tag der Befreiung' zu bezeichnen, kann mit Fug und Recht als der größte Begriffsbetrug in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts aufgefaßt werden. ... Das Deutsche Reich, das in der kurzen Zeitspanne von 1933 bis 1939 die Fesseln von Versailles ab gestreift hatte und zu einem nationalen und sozialen, autoritativen und wehrhaften Staatswesen mit großer Anziehungskraft geworden war, war nun ein Leichenhaus. ... Deutschland war zum Befehlsemp fänger, zum Laboratorium, zur Ausbeutungszone und zum Toten haus der kapitalistischen-kommunistischen Weltkoalition geworden." ("Deutsche Stimme" Nr.5/2005, Beilage S. 1) Darüber hinaus bietet die NPD bekannten rechtsextremistischen Re visionisten ein Forum für deren Agitation. So veröffentlichte die "Deutsche Stimme" in ihrer Februar-Ausgabe ein Gespräch mit dem inzwischen inhaftierten britischen Holocaust-Leugner David IRVING 24, in dem es hieß: "Nach den heutigen Maßstäben ist Churchill zweifellos ein Kriegsver brecher. ... Auf der einen Seite haben wir den Hitler, den wir durch die englischen Zeitungen, durch Hollywood kennen, auf der anderen Seite haben wir den Mann, den diese Leute (Anm.: In der Umgebung Hitlers.) erlebt haben - einen vollkommen anderen Hitler." ("Deutsche Stimme" Nr.2/2005, S. 3, 21) In polemischer, diffamierender und verunglimpfender Weise agi Agitation gegen die tierte die NPD gegen die demokratische und rechtsstaatliche Ord parlamentarische nung des Grundgesetzes. Dabei konzentrieren sich die Akteure vor Demokratie und den demokrati allem darauf, die Verfassungsordnung durch die Behauptung von schen Rechtsstaat deren mangelnder Legitimation und die immer wiederkehrende Un terstellung anhaltender Fremdherrschaft zu untergraben. In einem Aufruf zu einer Demonstration am 8. Mai in Berlin unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" schrieb die NPD am 5. Mai auf ihrer Homepage, an diesem Tage führ ten "Besatzungskollaborateure und eine Reihe organisierter Berufs juden eine monströse absurde 'Schuldkult'-Show" auf. Mit dem "Spektakel" werde der "Gehirnwäscheprozeß der so genannten 'ree ducation' (Umerziehung)" weiter gesteigert. Der "Schuldkult" bilde das "Fundament der BRD". Beseitige man ihn, verliere die "BRD" ihre "Legitimation". 24 In einem von IRVING angestrengten Gerichtsverfahren kam ein Gericht in London im Jahr 2000 in seinem Urteil zu dem Schluss, der Schriftsteller sei ein Rassist, Antisemit, HolocaustBERICHT Leugner und Fälscher historischer Fakten. In dem Prozess hatten zahlreiche renommierte Historiker IRVINGs manipulativen Umgang mit Quellen bezeugt. 2005 86 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Die von der NPD erstrebte "Volksgemeinschaft" verlange - so der Par teivorsitzende VOIGT in der März-Ausgabe der "Deutschen Stimme" - den souveränen Nationalstaat. Deswegen prangere die Partei des sen derzeitige "Abwicklung durch Brüssel" genauso an, wie die "Sou veränitätsbeschränkungen, die der BRD schon bei der Staatsgrün dung mit in die Wiege gelegt wurden". Weiter behauptete VOIGT: "Die realpolitische Form des politischen Systems der BRD ist zudem von einer kaum zu übertreffenden Vasallenmentalität geprägt, vor al lem gegenüber der EU und den USA und auch wiederholt gegenüber bestimmten jüdischen Interessenvertretern. ... Nachdem das BRDStrafrecht bereits zu einem Gesinnungsstrafrecht mutierte, soll es nun bald ein Gesinnungsversammlungsrecht in Deutschland geben. Damit hat die politische Klasse der BRD, die sich den Staat zur Beute machte, endgültig den Boden der freiheitlichen-demokratischen Grund ordnung (FDGO) verlassen und verfolgt rechtswidrig und willkürlich Patrioten, um sie aus der Mitte der Gesellschaft hinauszudrängen." ("Deutsche Stimme" Nr. 3/2005, S. 9) Mit der angeblichen "Souveränitäts-Lüge" setzt sich auch die "Dresd ner Schule" auseinander: "Sowohl ihren historischen Entstehungswurzeln wie auch der gelten den Vertragslage nach ist die Bundesrepublik Deutschland kein sou veräner Staat - auch nicht seit der deutsch-deutschen Vereinigung des Jahres 1990. Dieser Befund erklärt sich aus der Handlungsunfähigkeit Deutschlands im Gefolge der Kapitulation der Wehrmacht im Mai 1945, die weder mit dem Inkrafttreten des Grundgesetzes noch durch spätere bilaterale und internationale Verträge, denen die Bundesrepu blik beitrat, wieder beseitigt worden ist. ... Die 'Dresdner Schule' wird bestrebt sein, die Frage deutscher Souveränität und Staatlichkeit ... - im einen oder anderen Sinne - einer Klärung zuzuführen." (Karl RICHTER in: "Die 'Dresdner Schule' - Anspruch - Inhalte - Struk turen", Homepage der NPD-Sachsen, 9. Mai 2005) In diesem Sinne finden sich auch in der zur Bundestagswahl heraus gegebenen Argumentationshilfe 25 Hinweise, wie im "Bürgerge spräch" der "BRD-Gesinnungsstaat" zu "delegitimieren" sei: 25 Siehe Fn. 14, S. 28. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 87 "Nach der neuerlichen Verschärfung des Volksverhetzungsparagra phen macht sich zudem schon strafbar, wer die 'nationalsozialisti sche Gewaltund Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfer tigt'. ... Im Bürgergespräch kann bei Nachfrage auf dieses Maulkorbgesetz und die eklatante Einschränkung der Meinungsfrei heit in geschichtspolitischen Fragen hingewiesen werden, um den BRD-Gesinnungsstaat zu delegitimieren. So kann man einerseits ar gumentgestützt den bundesrepublikanischen Zensurstaat anklagen und sich andererseits die leidige Geschichtsdebatte zum Dritten Reich sparen, um sogleich zu den Gegenwartsfragen zu kommen, die den Deutschen wesentlich stärker auf den Nägeln brennen." (Broschüre des NPD-Parteivorstands zur Bundestagswahl: "Eine Handreichung für die öffentliche Auseinandersetzung. Argumente für Kandidaten und Funktionsträger", S. 28) 1.2 Organisation und Entwicklung Die NPD setzte ihre im Jahr 2004 unter dem Begriff "deutsche Volks Steigende front" propagierte Zusammenarbeit mit der DVU und "freien Kräf Mitgliederzahlen ten" fort. Trotz einer insgesamt eher "gemischten" Bilanz des Kon zeptes - deutliche Dämpfer gab es bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, hingegen einen Ach tungserfolg bei der Bundestagswahl 2005 - ist es der NPD gelungen, einen Mitgliederzuwachs auf rund 6.000 (2004: 5.300; 2003: 5.000) zu erreichen. Stärkster Landesverband ist Sachsen. Mit dem vor Weihnachten erklärten Austritt von drei sächsischen NPD-Abgeord neten aus Fraktion und Partei und damit verbundenen weiteren Mit gliederverlusten ist die Partei zum Jahresende jedoch politisch und personell geschwächt. Nachdem die NPD bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein und Finanzielle Situa der Bundestagswahl den für die Wahlkampfkostenerstattung erfor tion derlichen Stimmenanteil erringen konnte, wird sie erhebliche Mittel aus der staatlichen Teilfinanzierung erhalten. Dennoch dürfte sich die seit Jahren angespannte Finanzlage der Partei nicht entschei dend verbessern. Grund hierfür ist insbesondere der aufwändig ge führte Bundestagswahlkampf, für den die Partei nach den Worten ihres Vorsitzenden VOIGT 26 einen Etat in Höhe von 1,2 Millionen Euro eingesetzt hatte. Ihren "Kampf um die Straße" setzte die NPD auch 2005 fort. Die Zahl Demonstrationen der von ihr und ihrer Jugendorganisation "Junge Nationaldemokra als Erfolg ihrer ten"(JN) - zumeist zusammen mit Neonazis und Skinheads - durch Bündnispolitik BERICHT 26 Pressekonferenz in Berlin am 4. August 2005 2005 88 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE geführten Demonstrationen und öffentlichen Veranstaltungen stieg - u. a. bedingt durch zahlreiche Wahlkampftermine - gegenüber 2004 deutlich von rund 40 auf etwa 60 27 an. Erkennbar war eine Zu nahme der von NPD und JN ausgerichteten Konzerte der rechtsextre mistischen Musikszene. Darüber hinaus gab es zahlreiche, von NPD-Mitgliedern angemel dete Veranstaltungen, bei denen zwar Parteimitglieder/-funktionäre als Redner auftraten, deren Schwerpunkt jedoch auf den Musik beiträgen lag: - In Pößneck (Thüringen) organisierte die NPD am 2. April im An schluss an einen Landesparteitag ein Skinhead-Konzert mit ca. 1.000 Teilnehmern, auf dem u. a. Michael REGENER, ehemali ger Sänger der Band "Landser", auftrat. 28 - Die JN arrangierten im sächsischen Mücka mehrere Konzerte, an denen bis zu 800 Personen teilnahmen. Unter dem Motto "Fest der Völker" fand am 11. Juni in Jena (Thüringen) ein Kon zert mit Skinhead-Bands aus ganz Europa statt, das von etwa 500 Personen besucht wurde. Auch diese Veranstaltung war von einem NPD-Funktionär angemeldet worden. - Am 9. Juli richtete die NPD in Gera mit "Rock im Park" (dekla riert als Wahlkampfauftakt zur Bundestagswahl) eine Musik veranstaltung aus, die von rund 750 Personen, unter ihnen der Parteivorsitzende VOIGT, besucht wurde. Zum 1. Mai hielt die NPD mehrere dezentrale Veranstaltun gen mit bis zu 180 Personen ab und verzichtete auf eine zentrale Kundgebung. Unter dem Motto "60 Jahre Befrei ungslüge - Schluss mit dem Schuldkult" fand zum 60. Jah restag des Kriegsendes am 8. Mai in Berlin eine von den JN angemeldete Demonstration mit etwa 3.300 Teilnehmern Demonstration am 8. Mai in Berlin statt. Verhältnis zur Während es in der NPD gegenwärtig keinen nennenswerten Wider Neonazi-Szene stand gegen eine Zusammenarbeit mit Neonazis gibt, bleibt das Ver hältnis der Neonazi-Szene zur NPD indessen ambivalent. Zwar kommen führende Neonazis wie Thomas WULFF und Torsten HEISE - beide zugleich Mitglieder des NPD-Parteivorstands - unter der Überschrift "Ein Jahr im Zeichen der Volksfront" zu einer positiven Bi 27 Die Zahl erhöht sich noch durch zahlreiche Infostände. 28 REGENER ist nach eigenen Angaben Anfang Oktober 2004 in die NPD eingetreten. Seit April 2005 verbüßt er eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten wegen Rädelsführer schaft in einer kriminellen Vereinigung. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 89 lanz der aktuellen Kooperation 29 , doch bestehen in der Szene nach wie vor erhebliche Vorbehalte gegenüber der Partei (vgl. Kap. III). Damit lässt sich die "Volksfront" von NPD und Neonazi-Szene - wie in der Vergangenheit - als reines Zweckbündnis beschreiben, dessen Stabilität angesichts erheblicher Differenzen zwischen den Bünd nispartnern vom Erfolg und den messbaren Vorteilen für beide Sei ten abhängen wird. Angesichts dessen ist es für die NPD-Führung nach wie vor sehr schwierig, die Neonazi-Szene dauerhaft in ihre "Volksfront"-Strategie einzubinden. Der Partei ist es jedoch auch 2005 gelungen, bedeutende Teile dieser Klientel für eine Mitarbeit in einer "deutschen Volksfront" zu gewinnen. Die Spannungen aus der Kooperation zwischen der NPD und Neona zis wirken sich auch auf das Verhältnis zwischen der NPD und der DVU aus. Deren Bundesvorsitzender Dr. FREY lehnt die Kooperation mit neonazistischen Kräften entschieden ab. Dennoch erklärt der NPD-Vorsitzende VOIGT im Parteiorgan "Deut sche Stimme", das Bündnis mit der DVU und die Zusammenarbeit mit freien Kräften habe sich als tragfähig, zuverlässig und zukunftso rientiert erwiesen. 30 In einer Pressemitteilung vom 24. Mai spricht die NPD mit Blick auf die Bundestagswahl vom Wahlantritt einer "vereinten Nationalen Rechten unter der Schirmherrschaft der NPD" und einer sich zu einer "Deutschen Volksbewegung" entwickelnden "Volksfront der Nationalen mit NPD, DVU und parteiungebundenen Dr. Gerhard FREY und Kräften".31 Udo VOIGT Nach den bereits 2004 zwischen beiden Parteien getroffenen Wahl "Deutschland-Pakt" absprachen - z. B. für die Landtagswahlen in Brandenburg und Sach mit der DVU sen - haben VOIGT und FREY in einer als "Deutschland-Pakt" be zeichneten Vereinbarung am 15. Januar ihre weitere Zusammenarbeit für die kommenden Wahlen auf Europa-, Bundes und Landesebene fest geschrieben. Danach solle die NPD zur näch sten Bundestagswahl antreten und dafür der DVU die Kandidatur zur Europawahl 2009 überlassen. Diese werde dann "sechs bis sieben Kandidaten, die der NPD angehören oder ihr nahe stehen" auf ihre Liste nehmen (vgl. auch Nr. 2.2). Im Vorfeld der Bundestagswahl am 18. September versuchten NPD Erfolgloses und DVU mehrmals, die REP in ihre "Volksfront"-Strategie einzubin Bündnisangebot den. Die REP-Bundesführung lehnte jedoch eine Beteiligung an ei an die REP nem von der NPD dominierten Wahlbündnis strikt ab. Ein zuletzt von den Bundesvorsitzenden der NPD und der DVU an den Bundes 29 Rechtsextremistische Homepage "Eine Bewegung werden" (3. Mai 2005). 30 "Deutsche Stimme" Nr. 10/2005, S. 2. BERICHT 31 Pressemitteilung auf der Homepage der NPD vom 24. Mai 2005 2005 90 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE vorsitzenden der REP gerichtetes Schreiben vom 30. Mai blieb unbe antwortet 32. "Volksfront"-Kon Sowohl innerparteilich als auch außerhalb der Partei blieb das von zept nicht der NPD propagierte Konzept einer "Volksfront von Rechts" nicht un unumstritten umstritten. Der Bundesvorsitzende der "Jungen Nationaldemokra ten" (JN), Stefan ROCHOW, äußerte sich am 28. November in einer In ternetveröffentlichung sehr kritisch. So bezeichnet er die "Volksfront" von NPD und DVU als "rechtsreaktionäres, nationalund sozialdemagogisches Bündnis", das bereits im Ansatz geschei tert sei. Relativierend erklärte er jedoch, die politische Lage sei so exi stenzbedrohend, dass man im Moment nur eine "NPD/DVU als par teipolitische Opposition" unterstützen könne. 33 Die NPD-Partei führung distanzierte sich umgehend von ROCHOWs Äußerungen und bewertete sie als "Zeichen mangelnder politischer Reife". Der stellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Peter MARX bekannte sich ausdrücklich zur Zusammenarbeit mit der DVU. 34 Kritische Stimmen gab es auch aus dem neonazistischen Lager. Im Forum der neonazistischen Homepage "Freier Widerstand" riefen Neonazis am 10. August dazu auf, die Bundestagswahlen zu boykot tieren; es sei der Auftrag des Systems an die NPD, möglichst viele Un zufriedene und Systemgegner an das unsinnige parlamentarische System zu binden. Drei sächsische Am 7., 20. und 23. Dezember sind mit dem stellvertretenden sächsi NPD-Abgeordnete schen NPD-Landesvorsitzenden Mirko SCHMIDT, dem Landesvor verlassen Fraktion standsmitglied Klaus BAIER und dem stellvertretenden sächsischen und Partei Landesvorsitzenden Jürgen SCHÖN drei Mitglieder der NPD aus Frak tion und Partei ausgetreten. SCHMIDT, BAIER und SCHÖN erhoben anlässlich ihres Austritts schwere Vorwürfe sowohl gegen die Bundesführung der Partei als auch gegen die Fraktionsführung im Sächsischen Landtag. So er klärte SCHMIDT, das offene Bekenntnis der NPD zum Nationalsozia lismus sei für ihn nicht mehr akzeptabel. Die Partei mache sich im Landtag nur noch für ein "viertes Reich" stark, anstatt sich, wie vor dem Einzug in den Landtag angekündigt, um soziale Themen zu kümmern. Verantwortlich hierfür seien die Parteispitze um Udo VOIGT sowie der Fraktionsvorsitzende Holger APFEL und Fraktions geschäftsführer Peter MARX. APFEL degradiere die NPD-Abgeordne ten zu Marionetten, die sich bei allen Entscheidungen stets dem Wil len einer kleinen autoritären Führungsgruppe unterordnen müssten. Sie könnten ihr Mandat nicht frei ausüben. 35 32 Homepage des NPD-Bundesverbandes (Stand: 24. Juni 2005). 33 Beitrag im "Störtebeker"-Netz vom 19. August 2005. 34 Beitrag im "Störtebeker"-Netz vom 19. August 2005. 35 "Sächsische Zeitung" vom 19. Dezember 2005. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 91 Zur Bundestagswahl am 18. September trat die NPD in allen Ländern Teilnahme an mit offenen Landeslisten - auf denen sich auch DVU-Kandidaten, Wahlen führende Neonazis und Mitglieder anderer rechtsextremistischer Parteien befanden - sowie mit Direktkandidaten in 295 der 299 Wahlkreise an. Sie erhielt 748.568 Zweitstimmen (= 1,6 %). Im Ver gleich zur Bundestagswahl 2002 konnte sie damit ihren Anteil um 533.336 Stimmen oder 1,2 Prozentpunkte er höhen. In den westdeutschen Bundesländern (und West-Berlin) erzielte sie 1,1 % der Stimmen, in den ost deutschen Bundesländern (und Ost-Berlin) 3,6 %. Ihr be stes Landesergebnis erreichte die NPD mit einem Anteil von 4,8 % in Sachsen, gefolgt von Thüringen mit 3,7 % und Mecklenburg-Vorpommern mit 3,5 %. Ihr schlech testes Ergebnis erzielte sie in Nordrhein-Westfalen mit 0,8 %. Wie aus der repräsentativen Wahlstatistik des Bundeswahlleiters hervorgeht, hat die NPD bei der letzten Bundestagswahl in der Gruppe der männlichen Jungwähler (18 - 24 Jahre) bundesweit über 5 % (5,2) und in den Neuen Ländern fast 10 % (9,5) erzielt; dort wählten knapp 5 % (4,7) der männlichen Wähler aller Altersgruppen die NPD. 36 Bei der Landtagswahl am 20. Februar in Schleswig-Holstein erzielte die NPD 27.676 Zweitstimmen (= 1,9 %). Damit konnte die Partei zwar ihr Ergebnis im Vergleich zur Landtagswahl im Jahr 2000 um 12.555 Stimmen (= 0,9 Prozentpunkte) verbessern, dennoch blieb sie weit von ihrem erklärten Ziel - dem Einzug in das Landesparlament - ent fernt. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie mit 3,1 % im Wahlkreis Neumün ster. In weiteren 20 der insgesamt 40 Wahlkreise erreichte sie zwi schen 2,0 % und 2,9 % der Stimmen. Bei der Landtagswahl am 22. Mai in Nordrhein-Westfalen erreichte die NPD 73.969 Stimmen (= 0,9 %); sie konnte daher keine Mittel aus der staatlichen Teilfinanzierung beanspruchen. Überraschender weise erzielte sie mehr Stimmen als die REP (= 0,8 %). Ein überdurch schnittliches Ergebnis gelang ihr nur in den Wahlkreisen Bochum III - Herne II und Duisburg III mit jeweils 2,2 % der Stimmen. Bei der Landtagswahl im Jahr 2000 hatte die NPD nur 2.357 Stimmen (0,0 %) erzielt. 36 Quelle: Statistisches Bundesamt (Hg.), Wahl zum 16. Deutschen Bundestag am 18. SeptemBERICHT 2005 ber 2005, Heft 4: Wahlbeteiligung und Stimmabgabe der Männer und Frauen nach Alters gruppen, 2006, S. 80 f. 92 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) gegründet: 1969 Sitz: Dresden (Sachsen) Bundesvorsitzender: Stefan ROCHOW Mitglieder: 350 (2004: 350) (Eigenangaben: 500) Publikation: nur regional Als einzige rechtsextremistische Partei verfügt die NPD über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation. Die JN sind laut Sat zung der NPD "integraler Bestandteil" der Partei. Der JN-Bundes vorsitzende ist kraft Amtes zugleich Mitglied des NPD-Parteivor standes. Am 25./26. Juni beschloss der JN-Bundesvorstand in Magdeburg ein Positionspapier 37, in dem die JN ihr Selbstverständnis als "Jugend organisation mit revolutionärer Ausrichtung" bekräftigen. "Revolu tionär" sei für sie der "Angriff auf die bestehenden Verhältnisse". Die "Ablehnung des Systems und die Entwicklung einer Systemalterna tive" sei die "Hauptaufgabe einer wirklich fundamentaloppositionel len nationalistischen Bewegung". Weiter heißt es in dem Papier, die "Chance für eine revolutionäre Umgestaltung" sei "günstiger denn je". Dabei sei die "Unzufriedenheit unter der Jugend" der "Hebel für unser politisches Wirken". Der JN-Bundesvorsitzende Stefan ROCHOW äußerte sich kritisch zum "Volksfront"-Konzept der NPD (vgl. Nr. 1.1 und 1.2). Gleichwohl wurde er auf dem JN-Bundeskongress am 26. November in Chemnitz (Sach sen) mit 83 Prozent der Delegiertenstimmen in seinem Amt bestätigt. Nach seiner Wiederwahl betonte er - offenbar vor dem Hintergrund seiner früheren Kritik am taktischen Verhalten der Mutterpartei -, die JN seien einerseits "integraler Bestandteil der NPD", andererseits müssten sie jungen Menschen einen geschützten Raum bieten, in welchem eigene Politik betrieben werden könne, damit die JN "nicht nur als sprachloses Anhängsel der NPD wahrgenommen" würden. 38 Die JN waren verstärkt darum bemüht, ihre desolaten Organisations strukturen zu verbessern. Im Mai, Juni und August wurden Neugrün dungen der Landesverbände Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern 37 Veröffentlicht auf der Homepage der JN. 38 Homepage der JN (28. November 2005). RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 93 und Sachsen-Anhalt bekannt. Regional kam es zudem - vor allem in den ostdeutschen Bundesländern - zur Gründung mehrerer neuer Stützpunkte. Es erscheint fraglich, ob es den JN gelingen wird, die neuen Organisationsstrukturen auch zu handlungsfähigen Unter gliederungen auszubauen. Die organisatorischen Anstrengungen dürften - entgegen den Eigenangaben der Organisation - nicht zu Mitgliederzuwächsen geführt haben. Öffentlich traten die JN insbesondere mit der von ihnen angemelde ten Demonstration am 8. Mai in Berlin zum 60. Jahrestag des Kriegs endes in Erscheinung, an der rund 3.300 Personen teilnahmen. Er kennbar war ein Anstieg der von JN und NPD veranstalteten Konzerte der rechtsextremistischen Musikszene. Die JN veranstalte ten im sächsischen Mücka mehrere Konzerte, an denen bis zu 800 Personen teilnahmen. Darüber hinaus führten die JN vom 13. bis 16. Mai in Sachsen ein "Nationales Pfingstlager" durch. 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) gegründet: 1987 * Sitz: München Bundesvorsitzender: Dr. Gerhard FREY Mitglieder: 9.000 (2004: 11.000) Publikation: "National-Zeitung/ Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ), Auflage: 40.000 **, wöchentlich * DVU e. V. 1971 als Verein gegründet, 1987 als Partei konstituiert, 1987 - 1991 "DVU - Liste D" ** geschätzt Die DVU ist die mitgliederstärkste rechtsextremistische Par tei. Seit ihrer Gründung wird sie vom Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard FREY zentralistisch und autokratisch geführt sowie weitestgehend finanziert. 39 FREY ist Inhaber der "DSZ Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH" (DSZ-Verlag) und Herausgeber der wöchentlich erscheinenden "National-Zei tung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ), der auflagenstärksten peri odischen Publikation im deutschen Rechtsextremismus. 39 So kreditiert FREY im Wesentlichen das Defizit der DVU, das 1989 entstanden war. Die Partei hatte damals als "DVU - Liste D" mit Unterstützung der NPD an der Europawahl teilgenom men und diese Wahl mit einem riesigen Defizit abgeschlossen. Erklärtes Ziel war der Einzug in das Europaparlament. FREY hatte dazu nach eigenen Angaben ca. 9,2 Millionen Euro für zahlreiche spektakuläre Aktionen in den Wahlkampf investiert. Wegen des Ergebnisses von 1,6 % der Stimmen erhielt die DVU jedoch lediglich rund 1,89 Millionen Euro an WahlkampfBERICHT 2005 kostenerstattung. Die seinerzeit entstandene Verschuldung der DVU konnte bislang nicht ausgeglichen werden. 94 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 2.1 Zielsetzung und Methode Kernpunkt der verfassungsfeindlichen Ausrichtung der Partei ist ein übersteigerter, deutsche Interessen verabsolutierender Nationalis mus. Daraus speisen sich fremdenfeindliche, antisemitische und an tiamerikanische Agitationsmuster sowie ein umfassender Revisionis mus. Ausländer und Juden werden pauschal diskreditiert und dienen der Partei als antideutsche Feindbilder. Eine originäre Parteizeitung existiert nicht; wegen der uneinge schränkt beherrschenden Stellung FREYs kann jedoch die NZ als das Presseorgan der Partei angesehen werden, das deren programmati sche Linie widerspiegelt. Für den redaktionellen Teil der "national freiheitlichen" Zeitung werden - ebenso wie für die Eigendarstellung von DVU und DSZ-Verlag im Internet - vorzugsweise politische The men und Ereignisse ausgewählt, die sich durch verzerrte - häufig verschwörungstheoretisch geprägte - Darstellung in den rechtsex tremistischen Themenfeldern der Partei agitatorisch nutzen lassen. Viele NZ-Artikel enden mit dem Hinweis auf einschlägige Bücher aus FREYs Verlagen, die als weiterführende, das angeschnittene Thema vertiefende Literatur empfohlen werden. Bei diesen Publikationen handelt es sich häufig nur um Zusammenstellungen früherer NZ-Be richte. 40 In zahlreichen NZ-Beiträgen wird aber auch auf neu aufge legte oder in Vorbereitung befindliche Bücher hingewiesen. 41 Ein wesentliches Interesse FREYs besteht neben der politischen Agitation in der Umsatzund Gewinnmaximierung durch intensive Werbung für seine Verlagsgeschäfte. In der Agitation der NZ nimmt das Thema "Ausländer in Deutsch land" einen breiten Raum ein. Weitere Themen bilden tendenziöse und verharmlosende Beiträge zur nationalsozialistischen Vergan genheit und Artikel, in denen Ressentiments gegen Juden geschürt werden. Ferner gehören Attacken gegen Repräsentanten und Insti tutionen des demokratischen Rechtsstaats zum Repertoire der Zei tung. Den Autoren geht es dabei nicht um die sachliche Darstellung in ei nem demokratischen Meinungsstreit, sondern um Pauschalisierun gen und Herabwürdigungen. Dies machen die Vielzahl und ständige Wiederholung solcher Beiträge deutlich. Fremdenfeindlich Die fremdenfeindliche Einstellung der Partei zeigt sich in der einsei keit tig-negativen, stereotypen und verzerrenden Berichterstattung der 40 So beispielsweise die Bücher: "Helden der Wehrmacht - Unsterbliche deutsche Soldaten", "Schweinejournalismus? - Wenn Medien hetzen, türken und linken", "Lexikon der antideut schen Fälschungen - 200 Lügen und populäre Irrtümer von A - Z". 41 So beispielsweise die Bücher: "Mit der EU in den Abgrund? - Deutschlands Selbstvernich tung", "Befreiung? - Die Wahrheit über den 8. Mai 1945", "Schurkenstaat USA - Von der Indi anerausrottung bis zu den Untaten im Irak". RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 95 NZ über Ausländer, Ausländerkriminalität und Asylmiss brauch. Durch die ständige Wiederholung aggressiver Schlagzeilen wie "Bald alle Deutschen arbeitslos? Die Inva sion ausländischer Schwarzarbeiter" 42 , "Wie Ausländer die Sozialkassen plündern - Warum für Deutsche kein Geld mehr da ist" 43 und "Verhärmter Hungerleider oder Arbeitsplatzkiller, gut im Fut ter? Wie er aussieht, der durchschnittliche 'Illegale' in Deutschland" 44 sollen die in Deutschland lebenden Ausländer generell als Krimi nelle gebrandmarkt werden. Durch Anreicherung mit Statistiken und eigenen Schaubildern versucht die Zeitung, diese Beiträge pla kativ zu verstärken. NZ-Artikel mit reißerischen Schlagzeilen wie "Erste Schule ohne Deutsche! Werden wir Minderheit im eigenen Land?"45 , "Wie die EU Deutschland ruiniert - Rumänien und Bulgarien geben uns den Rest" 46 und "Was bleibt von Deutschland wenn die Türken kommen?" 47 sollen Ängste vor Massenzuwanderung und einer "Überfremdung" Deutschlands hervorrufen. Hinter der fremdenfeindlichen Agitation der Partei stehen Intole ranz und Diskriminierung. Die unantastbaren Prinzipien der Men schenwürde und des Gleichheitsgrundsatzes sollen so für den aus ländischen Teil der Bevölkerung eingeschränkt und ausgehöhlt werden. Die Partei vertritt meist unterschwellig, teilweise aber auch deutlich Antisemitismus erkennbar, einen für Rechtsextremisten typischen Antisemitismus. Die NZ veröffentlicht in dichter Folge Schlagzeilen und Artikel mit antisemitisch gefärbten Botschaften. Darin wird unterstellt, das deutsche Volk werde besonders durch die Juden daran gehindert, ei nen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit zu ziehen und somit ein gleichberechtigtes Mitglied in der Völkergemeinschaft zu wer den; es bestehe eine angeblich übergroße Präsenz von Personen jüdi schen Glaubens oder jüdischer Abstammung in Politik, Wirtschaft und Medien. Jüdische Organisationen werden diskreditiert und das politische Geschehen in Israel und Palästina polemisch kommen tiert. Mit Formulierungen wie "Für Hitler noch mal 100 Milliarden zahlen? - Neue Wiedergutmachungs-Rechnung aus Israel" 48 oder "Giganti 42 NZ Nr. 15/2005, S. 1. 43 NZ Nr. 14/2005, S. 1. 44 NZ Nr. 26/2005, S. 13. 45 NZ Nr. 25/2005, S. 1. 46 NZ Nr. 17/2005, S. 1. 47 NZ Nr. 42/2005, S. 3. BERICHT 48 NZ Nr. 20/2005, S. 1. 2005 96 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE sche Wiedergutmachungs-Ansprüche ... ein Ende jüdischer Forde rungen an Deutschland, und seien sie noch so umstritten, offenbar noch lange nicht in Sicht ..." 49 werden in der NZ deutsche Wiedergut machungsleistungen vehement kritisiert. Schon die Vielzahl der einschlägigen Artikel mit Schlagzeilen wie "Wird Deutschland ein zweites Israel? - Hintergründe der jüdischen Masseneinwanderung" 50 soll dem Leser einen angeblich bedrohli chen Einfluss "antideutscher Juden" und eine vor allem gegen Deutschland gerichtete Verschwörung suggerieren. Am Ende der Ar tikel wird häufig die mit antisemitischen Anklängen durchsetzte Pu blikation "Das Netz - Israels Lobby in Deutschland" der "FZ - Freiheit licher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH" (FZ-Verlag) 51 als weiterführende Literatur angepriesen. Revisionistische Re Die Partei bemühte sich auch weiterhin, den Völkermord an den eu lativierung ropäischen Juden zu relativieren und eine angebliche Opferrolle des Holocaust Deutschlands in der Politik des 20. Jahrhunderts zu betonen. Zu die sem Zweck wurde das historische Wissen über den Holocaust häufig mit dem Hinweis auf die angebliche Fälschung zeitgeschichtlicher Dokumente in Frage gestellt. So wird in einem Beitrag zum "Holo caust-Gedenktag" am 27. Januar unter dem Titel "Vertuschte Tatsa chen über die Befreiung von Auschwitz-Geschichtsklitterungen zum 60. Jahrestag" hervorgehoben, dass Stalin in Auschwitz "ein Deporta tionszentrum zur Massenverschleppung in die Lager des Archipel Gulag errichten" ließ und anschließend Deutsche im Lager unter dem "KZ-Terror der kommunistischen Warschauer Machthaber" zu leiden hatten. 52 Hier gerät der Holocaust zur Nebensache; im Vor dergrund steht die Aufrechnung von Opferzahlen. Unter der Überschrift "'Nichts als Tiere!' - Dachau: Befreier-Exzesse an Deutschen vor 60 Jahren" 53 wird beispielsweise zur Befreiung des KZ Dachau ausgeführt: "Zweifellos ist es gedenkwürdig, dass sich vor sechs Jahrzehnten die Tore zur Freiheit für die Überlebenden des furchtbaren KZ nahe Mün chen öffneten. ... Leider aber, und das erfährt man in den gängigen Darstellungen nicht, war das Dachauer Befreiungsgeschehen beglei tet von amerikanischen Kriegsverbrechen. Durch die Exzesse kamen Hunderte Deutsche, die sich ergeben hatten, zu Tode." (NZ Nr. 17/2005, S. 6) 49 NZ Nr. 02/2005, S. 5. 50 NZ Nr. 02/2005, S. 1. 51 Der Verlag wird von FREYs Ehefrau geleitet. 52 NZ Nr. 05/2005, S. 3. 53 NZ Nr. 17/2005, S. 6. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 97 Häufig findet sich auch eine weitere Form der relativierenden Gleichsetzung: Behauptete Kriegsverbrechen der Alliierten werden als Holocaust bezeichnet, um durch das wiederholte Verwenden des Begriffs den Völkermord an den europäischen Juden als lediglich ein Ereignis unter vielen anderen erscheinen zu lassen. So ist etwa im Hinblick auf die Urbevölkerung Nordamerikas von den "beinahe gänzlich holocaustierten Indianern" 54 die Rede. Die Atombomben abwürfe 1945 in Japan werden in der NZ wiederholt als "atomarer Holocaust" 55 oder "nuklearer Holocaust" 56 bezeichnet. Eine Zuspit zung erfährt diese Methode, wenn auch die Leiden der deutschen Be völkerung während und nach Ende des Zweiten Weltkriegs als Holo caust qualifiziert werden. So trägt eine Buch-Neuerscheinung im FZ-Verlag den Titel "Der andere Holocaust - Die Vertreibung der Deutschen 1944-1949". Die gegen Kriegsende an den Einwoh nern der deutschen Ostgebiete verübten Verbrechen erklärt man zum "Vertreibungs-Holocaust" 57 oder gar zum "sexuel len Holocaust". 58 Der verheerende Bombenangriff auf Dres den im Februar 1945 gilt der NZ als "Holocaust-Schlag". 59 Zur Nachkriegsordnung heißt es schließlich: "Die US-'Weltordnung' nach dem Zweiten Weltkrieg ist geprägt vom Holocaust an den Besiegten im gigantischen Ausmaß ..." (NZ Nr. 16/2005, S. 3) Ergänzend dazu agitiert die NZ erneut in einer Vielzahl von Artikeln Agitation gegen gegen die Planung und Errichtung von Holocaust-Mahnmalen, die Holocaust-Gedenk stätten sie als "nationalmasochistische Gedenkstätten" 60 verunglimpft. In einem Beitrag mit der Überschrift "Ahnungslosigkeit von Experten ... Überblick bei der Zahl der NS-Opfer-Gedenkstätten verloren" 61 wird beispielsweise verschwörungstheoretisch polemisiert: "Worum geht es wirklich? Dass es bei der Gedenkstätten-Inflation wirklich noch um eine moralisch gebotene, historisch gerechtfertigte und politisch vernünftige Trauerund Gedenkarbeit im Sinne un schuldiger Opfer der Gewaltherrschaft geht, erscheint zweifelhaft. ... Offenbar hat man im Sinn, dass die Deutschen auf ewig den Rücken krumm machen sollen. Das Kalkül dürfte sein, dass sich Kotauund 54 NZ Nr. 22/2005, S. 9. 55 NZ Nr. 17/2005, S. 5, und Nr. 21/2005, S. 7. 56 NZ Nr. 24/2005, S. 12. 57 NZ Nr. 16/2005, S. 3. 58 NZ Nr. 02/2005, S. 10. 59 NZ Nr. 07/2005, S. 6. 60 NZ Nr. 15/2005, S. 13. BERICHT 61 NZ Nr. 11/2005, S. 11. 2005 98 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Kriechspur-Untertanen leichter regieren und kujonieren und auch mit asozialem Sozialabbau problemloser traktieren lassen als An gehörige einer aufrechten, selbstbewussten Nation." (NZ Nr. 11/2005, S. 11) Revisionistisch Auch die revisionistisch-positive Einstellung der DVU zu Repräsen positive Darstel tanten und Institutionen des NS-Regimes ist ein Anhaltspunkt für die lung von führenden rechtsextremistische Ausrichtung der Partei. Unter dem Titel Nationalsozialisten "Wurde Himmler ermordet?" veröffentlicht die NZ etwa ein Inter view mit dem bekannten Holocaust-Leugner David IRVING über die "Ungereimtheiten der offiziellen Version vom Tod des SS-Führers". 62 In mehreren Artikeln wird auch Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß ge würdigt. Unter den Überschriften "Warum nur so viel Angst vor dem toten Rudolf Heß?" 63 und "Wie Rudolf Heß den Frieden retten wollte" 64 wird dessen Wirken tendenziös positiv dargestellt und das Verbot des von Neonazis geplanten Heß-Gedenkmarsches in Wunsie del kritisiert. So heißt es in diesem Zusammenhang: "Der Reichsminister und Stellvertreter Hitlers in der NSParteiführung hatte als weltweit einziger hochrangiger Politiker ver sucht, unter Einsatz seines Lebens einen Frieden im Zweiten Welt krieg zu erreichen." (NZ Nr. 32/2005, S. 1) 2.2 Organisation und Entwicklung Organisations Die DVU ist in 16 Landesverbände untergliedert, denen jedoch auf struktur grund der unangefochtenen innerparteilichen Machtposition des Bundesvorsitzenden Dr. Gerhard FREY kaum Raum für selbststän dige politische Arbeit und eigene Initiativen bleibt. FREY legt nach wie vor die ideologischen Positionen und Zielsetzungen der Partei fest, überwacht die wichtigeren personellen Vorgänge auch auf der Ebene der Landesverbände und entscheidet über die Teilnahme an Wahlen zu Landesparlamenten. Die Mitglieder des nur einige we nige Personen umfassenden Bundesvorstands spielen fast nur eine Statistenrolle. Innerparteiliche Demokratie fehlt mithin weitgehend. FREYs Führungsstil ermöglicht es ihm, die Partei gegen Einflüsse von Seiten der REP und aus dem neonazistischen Bereich abzuschirmen und für ihn nützliche Kontakte und Vereinbarungen wie derzeit zur 62 NZ Nr. 29/2005, S. 6. 63 NZ Nr. 32/2005, S. 11. 64 NZ Nr. 33/2005, S. 12. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 99 NPD selbst zu steuern. Allerdings bewirkten diese Umstände in der Vergangenheit eine mehr oder weniger starke Isolation der DVU im rechtsextremistischen Lager, die auch durch den "Deutschland-Pakt" mit der NPD nicht überwunden werden konnte. Ein Ausgleich für den altersbedingten Mitgliederschwund durch junge Rechtsextremi sten aus anderen Bereichen der Szene war kaum festzustellen. Mit über 600 Teilnehmern bestbesuchte Veranstaltung war im Ja DVUnuar der Bundesparteitag in München, bei dem der "DeutschlandVeranstaltungen Pakt" von DVU und NPD durch Dr. FREY und den NPD-Bundesvorsit zenden VOIGT vorgestellt und unterzeichnet wurde. In sechs weiteren Orten fanden - teilweise gemeinsame - Parteitage von ins gesamt elf DVU-Landesverbänden statt. Beim nordrhein-westfäli schen Landesparteitag im Mai in Dortmund trat VOIGT als Hauptred ner auf und beschwor das Bündnis beider Parteien. Die Parteitage hatten geschätzte Teilnehmerzahlen von jeweils 250 bis 300 Perso nen. Gesteigerte Akzeptanz fand das Sommerfest der DVU-Fraktion am 18. Juni in Seefeld (Brandenburg). Mit rund 600 Besuchern nimmt dieses inzwischen regelmäßig stattfindende Treffen unter den parteieige nen Veranstaltungen eine Spitzenstellung ein. Die DVU konnte sich mit der Entsendung von Abgeordneten in die Teilnahme an Landesparlamente von Brandenburg und Bremen sowie in einige Wahlen Kommunalparlamente neben der NPD als derzeit ernstzunehmende Partei im rechtsextremistischen Spektrum etablieren. Der materialund finanzintensive Wahlkampfstil der DVU (massenweise Plakatie rungen, flächendeckende Postwurfsendungen etc.) bei gleichzeitig hohem Schuldenstand der Partei zwingt FREY dazu, Kandidaturen von einer "Kosten-Nutzen-Rechnung" abhängig zu machen. So ist er nur bei günstigen Erfolgsprognosen bereit, höhere Summen in einen Wahlkampf zu investieren, da ihm nur dann ein zumindest teilwei ser direkter (durch staatliche Teilfinanzierung der Parteien) und indi rekter (durch höhere Verkaufszahlen seiner Verlagsprodukte auf grund größerer Publizität) finanzieller Rückfluss garantiert ist. Durch den Abschluss des "Deutschland-Paktes" sollen nunmehr par allele Wahlantritte von DVU und NPD verhindert werden. Abspra chegemäß nahm die NPD an der Landtagswahl in Nordrhein-Westfa len und an der Bundestagswahl teil. Wie zwischen beiden Parteien vereinbart, öffnete die NPD ihre Wahllisten jeweils für Kandidaten aus der DVU und deren Umfeld. Zur Bundestagswahl traten fünfzehn Kandidaten, die der DVU angehörten bzw. ihr nahe standen, auf NPD-Landeslisten an, darunter FREY als Spitzenkandidat in Nord rhein-Westfalen. Ansonsten leisteten bei diesen Wahlen nur wenige DVU-Mitglieder aktive Wahlkampfunterstützung für die NPD. BERICHT 2005 100 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE DVU-Abgeordnete Die sechsköpfige DVU-Fraktion im Brandenburger Landtag bemühte im Landtag von sich weiterhin um ein seriöses Erscheinungsbild. Nach kurzzeitigen Brandenburg Meinungsverschiedenheiten zwischen einzelnen DVU-Abgeordne ten in Hinblick auf den "Deutschland-Pakt" zeigte die DVU-Fraktion zumindest nach außen hin wieder ein geschlossenes Bild. Sie gab re gelmäßig eine Fraktionszeitschrift heraus, die sie auch auf der eige nen Internet-Homepage einstellt. Die Abgeordneten präsentieren sich dort mit Fotos, Lebenslauf, Aufgabenschwerpunkten und teil weise mit Ausschnitten von Parlamentsreden in Form von Video clips. Bündnisse und Die politische Biografie FREYs und damit auch die Entwicklung der Kooperationen DVU ist stark von wechselnden Bündnissen und Kooperationen (auch im Ausland) geprägt. Bis in das Vorfeld der Landtagswahlen in Sach sen und Brandenburg am 19. September 2004 stand die DVU der NPD eher distanziert gegenüber. Auf einen Vorstoß der NPD hin erfolgte dann jedoch eine Einigung über die jeweilige Wahlteilnahme in Sachsen bzw. Brandenburg. Offensichtlich durch den beiderseitigen Wahlerfolg motiviert, trafen der DVU-Vorsitzende und der NPD-Vor sitzende im Herbst 2004 weitere Absprachen, die schließlich zu dem am 15. Januar auf dem DVU-Bundesparteitag unterzeichneten "Deutschland-Pakt" führten (vgl. auch Nr. 1.2). "Deutschland-Pakt" Danach werden beide Parteien bis 2009 bei Landtags-, Bundestags mit der NPD und Europawahlen nicht mehr gegeneinander antreten und ihre Li sten teilweise für Kandidaten der jeweils anderen Partei öffnen. Ab sprachegemäß wird die DVU bei der nächsten Europawahl sowie bei den kommenden Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg, Thüringen und Brandenburg antre ten. Bei allen anderen Landtagswahlen bis Ende 2009 wird sich die DVU nur dann um Mandate bewerben, wenn die NPD auf eine Kandidatur verzichtet. Der Be stand des Bündnisses zwischen diesen sehr unterschied lich strukturierten Parteien dürfte jedoch stark erfolgs abhängig sein. Im Gegensatz zur NPD gelang es der DVU nicht, durch das Bündnis ihre Attraktivität in der rechtsextremisti schen Szene oder ihre Mitgliederzahlen zu erhöhen. Stattdessen konnte an einigen Orten sogar festgestellt werden, dass DVU-Akti vitäten an Zuspruch verloren haben. Es erscheint möglich, dass die DVU in Zukunft insbesondere die Mitglieder, die an selbständiger po litischer Arbeit interessiert sind, zunehmend an die NPD verlieren könnte. Eine solche Entwicklung würde das Bündnis zusätzlich ge fährden. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 101 3. "Die Republikaner" (REP) gegründet: 1983 Sitz: Berlin Bundesvorsitzender: Dr. Rolf SCHLIERER Mitglieder: 6.500 (2004: 7.500) Publikation: "Zeit für Protest!", Auflage: 10 000, zweibis dreimal monatlich Unterorganisationen: "Republikanische Jugend" (RJ), "Republikanischer Bund der öffent lich Bediensteten" (RepBB), "Republikanischer Bund der Frauen" (RBF), "Republikanischer Hochschulver band" (RHV) 3.1 Zielsetzung Auch 2005 waren bei den REP weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte Tatsächliche für rechtsextremistische Bestrebungen zu verzeichnen. Wenn auch Anhaltspunkte für nicht jedes Parteimitglied verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und rechtsextremisti sche Bestrebungen die Anhaltspunkte insgesamt zurückgegangen sind, so lassen sich derartige Bestrebungen doch in allen Parteigliederungen ausma chen. Sie finden sich vor allem dort, wo unterhalb der Ebene des Bun desvorstands und abseits dessen unmittelbarer Einflusssphäre eine rege innerparteiliche Debatte andauert. Die in diesen Kreisen formulierte Kritik an den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen in der Bundesrepublik Deutschland zeigt in ihrer Gesamtschau - bei unterschiedlicher Ausprägung und Dichte - Fremdenfeindlichkeit und Revisionismus. Über diesen Umstand vermag auch der Parteivorsitzende Dr. Rolf SCHLIERER nicht hinwegzutäuschen, der sich in vielen Erklärungen bemüht, den REP eine demokratische Fassade zu geben. BERICHT 2005 102 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Verstoß gegen die Die fremdenfeindliche Agitation der REP geschieht im Wesentlichen im Grundgesetz mit dem Argument, dem deutschen Volk drohe der Untergang durch konkretisierten eine Überfremdung. Auf diese Weise werden ausländische Mitbür Menschenrechte ger diffamiert und ihnen die Verantwortung für alle gesellschaftli chen Probleme zugeschrieben. Entsprechend heißt es im Landesprogramm der REP Berlin 65 zum Thema Ausländerpolitik/Asylpolitik: "Die seit Jahren anhaltende Masseneinwanderung führt nicht nur zu untragbaren wirtschaftlichen Lasten und innerem Unfrieden, son dern zur Veränderung und letztlich Auflösung unseres Volkes. Das ist Hochverrat." An anderer Stelle des Programms erklärt der REP-Landesverband in Bezug auf Berlin: "Die Hauptstadt muß deutsch bleiben! ... Regierungsviertel und histo rische Mitte sind heute von einem Ring verwahrlosender, orientalisch anmutender Einwanderergettos umschlossen. Diese Gettos zerstören durch ihr metastasenhaftes Wuchern den europäischen Charakter dieser Metropole, schwächen unsere Wirtschaftskraft und entfrem den uns eingesessenen Bürgern unsere Heimatstadt. Wir wollen si cherstellen, daß diese Stadt weiter uns gehört und unsere Kinder nicht vollends in die Minderheit gedrängt werden." Einwanderer werden somit ausschließlich als bedrohende Elemente für deutsche Städte und deren Einwohner wahrgenommen. In der Juni/Juli-Ausgabe des Bundesorgans "Zeit für Protest!" heißt es unter der Überschrift "Das Volk wird ausgewechselt", die "Ersetzung des deutschen Staatsvolkes durch eine 'multikulturelle' Mischbevöl kerung" habe unter Rot-Grün rasante Fortschritte gemacht. Es wird die Frage aufgeworfen: "Wie können wir sicherstellen, daß wir nicht Fremde im eigenen Land werden - und vor allem: wie können wir verhindern, daß uns der Sozi alstaat auseinanderbricht?" Die REP offenbaren auf diese Weise ihre Strategie, fremdenfeindliche Ressentiments zu wecken und diffuse Ängste sowie Hass und Neid in 65 Abrufbar im Internet seit Ende August 2005. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 103 der deutschen Bevölkerung zu schüren. Der Begriff "Mischbevöl kerung" weckt zudem Assoziationen an die Sprache des Dritten Reiches. Im Entwurf eines Faxes für das Bundeskanzleramt vom Februar bezeichnet der REP-Kreisverband Hochtaunus das "Antidiskrimi nierungsgesetz" als "Diskriminierungsgesetz gegen Deutsche". Kernpunkte der Kritik sind die aufgrund des Gesetzes angeblich zu erwartende Überschwemmung durch Ausländer und die - aus Sicht der REP - sachwidrige Gleichbehandlung von Ausländern und Deutschen. Diese Auffassung widerspricht dem Gleichstel lungsgebot in Artikel 3 des Grundgesetzes eindeutig: "Nachdem wir bereits gegen unseren Willen mit Millionen von Aus ländern überschwemmt worden sind, will man uns nun zudem noch durch zwei willkürliche Gesetze kriminalisieren, wenn wir uns gegen diese multikulturelle Einebnung als Volksbürger wehren und dagegen protestieren wollen, daß uns unsere angestammte Heimat genom men werden soll und jeder hier eindringende Ausländer ... uns ange stammten Deutschen nicht nur völlig gleichgestellt, sondern recht lich sogar noch bevorzugt werden soll." Im Rahmen ihrer ausländerfeindlichen Agitation scheuen sich die REP auch nicht, den Islam pauschal zu verunglimpfen. In einer Pres semitteilung des Landesverbands Baden-Württemberg vom 16. März erklärte der Landesvorsitzende Ulrich DEUSCHLE: "Wer einer demokratiefeindlichen und menschenverachtenden Reli gion den Segen staatlicher Unterweisung gibt, gefährdet den inneren Frieden ... Wer den Islam hoffähig macht, spielt mit dem Feuer." Ähnlich argumentiert auch das Parteiorgan "Zeit für Protest!". In dem hier pauschal von islamischem, nicht etwa einschränkend von islamistischem Terror gesprochen wird, werden die Muslime in ihrer Gesamtheit unter Terrorverdacht gestellt: "Ein Muslim, der seinen Glauben ernst nimmt, kann sich in Europa nicht 'integrieren'. Deshalb kann nur das Programm der Republika ner dem islamischen Terror vorbeugen." ("Zeit für Protest!" Nr. 8-9/2005, S. 1) BERICHT 2005 104 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Mit solchen Äußerungen betreiben die REP eine systematische und undifferenzierte Hetze, die - auch bei Berücksichtigung des Grund satzes der freien Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 GG) - den sich aus Art. 1 Abs. 1 GG ergebenden Achtungsanspruch von Ausländern und Andersdenkenden verletzt. Revisionismus Kernstück der revisionistischen Agitation der REP ist die - bisweilen die Grenze zur Geschichtsklitterung überschreitende - Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus. Zur Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen stellen die REP die Singularität der NS-Vernichtungspolitik in Frage. Damit ver bunden wird eine gleichsetzende Darstellung (Aufrechnung) der während des Zweiten Weltkriegs von den Alliierten an Deutschen verübten angeblichen oder tatsächlichen Kriegsverbrechen. Aktuelles Beispiel für diese Strategie ist die Forderung des Bundes vorsitzenden SCHLIERER nach "'geistiger Befreiung' der Deutschen aus der Situation eines besiegten Landes". In seiner Rede auf der all jährlichen Aschermittwochsveranstaltung der REP am 9. Februar im bayerischen Geisenhausen bezeichnete SCHLIERER ferner das "Dogma von der Einzigartigkeit deutscher Verbrechen" als "histori sche Lüge", die "... benutzt werde, um die Deutschen dauerhaft emotional und mora lisch unter Druck zu setzen ... Verbrechen der Sieger könnten nicht mit vorangegangenen Verbrechen gerechtfertigt werden ... Die Deut schen dürften nicht länger zulassen, daß ihre ganze Geschichte in ein Verbrecheralbum umgewandelt werde." (Pressemitteilung der REP-Bundesgeschäftsstelle Nr. 8/05 vom 9. Fe bruar 2005) In einem Beitrag des Parteiorgans mit dem Titel "Volk am Nasen ring" heißt es: "Die NS-Verbrechen waren furchtbar, aber nicht einzigartig." ("Zeit für Protest!" Nr. 1-2/2005, S. 1) RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 105 3.2 Organisation und Entwicklung Die Partei hatte 2005 einen erneuten Mitgliederrückgang auf rund Erneuter 6.500 (2004: 7.500; 2003: 8.000; 2002: 9.000) hinzunehmen. Wie in Mitgliederrück gang den vergangenen Jahren trat sie außerhalb von Wahlkämpfen öf fentlich kaum in Erscheinung. An der alljährlichen Aschermitt wochsveranstaltung am 9. Februar im bayerischen Geisenhausen nahmen dennoch rund 250 Personen teil (2004: rund 200). Die REP mussten auch empfindliche Wahlniederlagen hinnehmen. Abwärtstrend setzt Insbesondere angesichts der zum Teil deutlich besseren Wahlergeb sich weiter fort nisse der NPD flammten die innerparteilichen Differenzen um den vom Bundesvorsitzenden SCHLIERER vertretenen Abgrenzungskurs wieder verstärkt auf. Der Versuch des Bundesvorstands, eine eher gemäßigte Position innerhalb der Gesamtpartei durchzusetzen, ließ vor allem die an einer Zusammenarbeit im rechtsextremistischen La ger interessierte Parteibasis resignieren und führte zu weiteren Par teiaustritten. Im Vorfeld der Bundestagswahl versuchten NPD und DVU mehrmals, Festhalten der die REP in ihre "Volksfront"-Strategie einzubinden. Die REP-Bundes REP-Bundes führung lehnte jedoch eine Beteiligung an einem von der NPD domi führung am Ab grenzungskurs nierten Wahlbündnis strikt ab (vgl. auch Nr. 1.2). Ungeachtet des von der Parteiführung vertretenen Abgrenzungskur Zusammenarbeit ses haben weite Teile der Partei indessen die strategische Option ei mit anderen ner Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Organisa Rechtsextremisten tionen bis in die Gegenwart nicht aufgegeben und "unterlaufen" damit die offizielle Linie des Bundesvorstandes. In der Folge dieses Konflikts haben die REP seit Jahren immer wieder - auch exponierte - Funktionäre verloren, die sich nicht in die Ab grenzungsstrategie des Vorstands einbinden lassen wollten. So hat sich der REP-Landesverband Hamburg laut einer im "Störte beker-Netz" veröffentlichten Erklärung vom 8. Januar aufgelöst. Der Landesvorstand und ein großer Teil der Mitglieder seien geschlossen zur NPD übergetreten. Unter dem Titel "Hamburger Signal - Aufruf unabhängiger Republi kaner zur Landtagswahl in Schleswig-Holstein" erschien am 7. Januar auf der NPD-Homepage eine Erklärung, in der die seit 2004 beste hende Bündnispolitik von DVU und NPD als überaus erfolgreich her vorgehoben wurde. Zu den 100 Erstunterzeichnern zählten der bis herige Hamburger REP-Landesvorsitzende Thomas NISSEN, das (damalige) Mitglied des baden-württembergischen Landesvorstands BERICHT 2005 106 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Bernd BECK, der (damalige) stellvertretende sächsische REP-Landes vorsitzende Dirk ABRAHAM sowie ehemalige Funktionäre des REPLandesverbandes Sachsen. Die beiden Parteien, so heißt es in der Er klärung, hätten die Fähigkeit bewiesen, parteiegoistische Ziele zurückzustellen, wenn dem Vaterland Gefahr drohe. Als kritische Mitglieder und Anhänger der REP habe man bis zum Bundespartei tag im November 2004 darauf gehofft, sich dem neuen Bündnis von DVU und NPD offiziell anschließen zu können. Da es nicht sinnvoll sei, sich bei künftigen Wahlen gegenseitig zu blockieren, rufe man dazu auf, am 20. Februar in Schleswig-Holstein die NPD zu wählen. Die Unterzeichner wandten sich nach eigenem Verständnis nicht ge gen die REP, sondern betrachteten ihren Aufruf als Reaktion auf die Haltung der Parteiführung, die die historische Stunde zum gemein samen Kampf aller Patrioten für das Vaterland verschlafen habe. Nachdem u. a. gegen den (damaligen) niedersächsischen Landesvor sitzenden Hans-Gerd WIECHMANN Ordnungsmaßnahmen wegen seines Eintretens für eine Zusammenarbeit mit rechtsextremisti schen Organisationen eingeleitet worden waren, erklärten einem Beitrag im "Patriotischen Forum" zufolge etwa 70 REP-Mitglieder, unter ihnen WIECHMANN selbst, am 13. März ihren Parteiaustritt. Der damalige stellvertretende sächsische Landesvorsitzende ABRA HAM (auch Erstunterzeichner des "Hamburger Signals" und persön licher Referent des sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Uwe LEICHSENRING) verließ die REP am 30. April wegen des Festhaltens der Parteiführung am Abgrenzungskurs und trat anschließend der NPD bei. In seinem Begründungsschreiben heißt es u. a.: "Meines Erachtens geht es den REP's nur noch um die Finanzierung der Parteiführung durch Wahlkampfkostenerstattung und nicht mehr um die Interessen unserer Heimat und unseres Volkes. Die Ange bote von NPD und DVU zu Wahlabsprachen und Wahlbündnissen wurden abgelehnt. Befürworter dieser Angebote werden diffamiert, verleumdet und ausgeschlossen." ("Deutsche Stimme" Nr. 6/2005, S. 7) Weitere Beispiele belegen die unverändert fehlende Distanz vieler REP-Mitglieder/-Funktionäre zu anderen Rechtsextremisten: - Die Januar-Ausgabe der rechtsextremistischen Monatszeit schrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" berichtet über den Neujahrsempfang der NPD-Landtagsfraktion in Dres RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 107 den, bei dem auch "ehemalige und amtierende REP-Manda tare" gesichtet worden seien. 66 - Einem Beitrag im "Patriotischen Forum" vom 21. März zufolge haben auch REP-Mitglieder an dem "Freiheitlichen Kongress" des NPD zugehörigen "Deutsche Stimme"-Verlags am 19./20. März in Bayreuth teilgenommen. - Laut einer Pressemeldung des REP-Landesverbandes Rhein land-Pfalz vom 10. Januar war ein Vertreter des rechtsextremi stischen "Vlaams Belang" Ehrengast auf dem Neujahrsemp fang der Mainzer REP-Stadtratsfraktion. - Einer Internetmeldung der NPD vom 17. Februar zufolge war der stellvertretende Bundesvorsitzende der REP, Björn CLEMENS, Teilnehmer des von der "Jungen Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO) organisierten Trauermarsches am 13. Fe bruar in Dresden. - Einer Internetmeldung der NPD Baden-Württemberg vom 2. März zufolge trafen sich auf Einladung von Jürgen SCHÜTZIN GER, geschäftsführender Vorsitzender der "Deutschen Liga für Volk und Heimat" (DLVH) und (damaliger) stellvertretender Landesvorsitzender der NPD Baden-Württemberg, Vertreter von DVU, NPD, REP und parteiunabhängiger Verbände am 26. Februar in Stuttgart. Sie verabschiedeten die so genannte "Stuttgarter Erklärung", in der sich die Unterzeichner dazu be kennen, "künftig politisch an einem gemeinsamen Strang zuziehen". 67 - Laut einer Pressemeldung vom 28. Juni erklärte der damalige Beisitzer im REP-Landesvorstand Sachsen, Thomas JÄCKEL, er beabsichtige den NPD-Direktkandidaten im Weißeritzkreis, Uwe LEICHSENRING, bei der Bundestagswahl zu unterstüt zen.68 Diese Beispiele dokumentieren den Widerspruch zwischen dem von der Leitung vorgegebenen offiziellen Abgrenzungskurs und der von den Untergliederungen weiterhin geübten Praxis der Kooperation mit anderen Rechtsextremisten. Sie machen zudem das schwierige Unterfangen der Parteiführung deutlich, die eigene Linie in der Ge samtpartei durchzusetzen. Zur Bundestagswahl am 18. September traten die REP wegen fehlenTeilnahme der organisatorischer Strukturen bzw. aufgrund finanzieller Eng an Wahlen pässe lediglich in neun Bundesländern mit Landeslisten an. Sie er zielten 0,6 % der Zweitstimmen (2002: 0,6 %) und erreichten damit zumindest ihr Hauptziel, mit einem Stimmenanteil von mehr als 0,5 % in den Genuss der staatlichen Teilfinanzierung zu kommen. Je 66 "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte" Nr. 1/05, S. 31. 67 "Stuttgarter Erklärung", veröffentlicht am 1. März 2005 auf der Homepage des NPD-Landes verbandes Baden-Württemberg. BERICHT 68 Vgl. "Sächsische Zeitung" Ausgabe Pirna vom 28. Juni 2005. 2005 108 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE doch lagen sie bundesweit und in den Ländern, in denen sie in Kon kurrenz zur NPD angetreten waren, jeweils unter deren Ergebnissen. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am 22. Mai erhielten die REP nur 0,8 % der Zweitstimmen (2000: 1,1 %) und blieben damit knapp hinter dem Stimmanteil der NPD zurück. Wegen Scheiterns an der erforderlichen Ein-Prozent-Marke haben sie auch keinen An spruch auf Mittel aus der staatlichen Teilfinanzierung. V. Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus Ungeachtet der Tatsache, dass Protagonisten der rechtsextremisti schen Szene in den vergangenen Jahren immer wieder eine ideologi sche Unterfütterung der eigenen politischen Aktivitäten angemahnt hatten, setzte sich der Rückgang solcher Intellektualisierungs bemühungen auch 2005 fort. Von einer Annäherung an das zu Be ginn der 80er Jahre erklärte Ziel einer "kulturellen Hegemonie" kann deshalb keine Rede sein. Nur in Einzelfällen gelang es, Debatten an zustoßen, die auch über die rechtsextremistische Szene hinaus auf Resonanz in der Gesellschaft trafen. Vollmundigen Ankündigungen einer intellektuellen Aufbauarbeit folgten allerdings bisher in kei nem Fall nennenswerte Resultate. Politisch Signifikant hierfür ist die auch nach fast zwei Jahren noch ausste ideologische hende Eröffnung eines "Nationaldemokratischen Bildungszen Arbeit der NPD trums" auf dem Gelände der NPD-Bundesgeschäftsstelle in Berlin. Of ohne Schwung fenbar in Ermangelung geeigneten Personals gelingt es der Landtagsfraktion der sächsischen NPD bislang nicht, die von ihr mit großem Aufwand angekündigte "Dresdner Schule" 69 in Anlehnung an die "Frankfurter Schule" 70 mit Leben zu fül len. Gleiches gilt für das im April in Sachsen gegründete "Bil dungswerk für Heimat und nationale Identität e. V." i. G., des sen avisierte "politische Bildungsarbeit" und Vermittlung der "Denkansätze der 'Dresdner Schule' im öffentlichen Diskurs" noch keinen praktischen Niederschlag gefunden hat. Vorsitzender des Bildungswerkes ist Peter DEHOUST, Mitherausgeber der rechtsextremistischen Zeitschrift "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Stellvertreter ist Karl RICHTER, der als einer der führenden Intellektuellen im deutschen Rechtsextremismus gilt. RICHTER erweist sich damit einmal mehr als "Multifunktionär" der rechtsextremistischen Szene, was ebenfalls als Beleg für deren dünne 69 Siehe Fn. 15. 70 Bei der "Frankfurter Schule" handelt es sich um eine Theoriebewegung, in der ein Kreis von Sozialwissenschaftlern des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt die "Kritische Theorie" entwickelte. Deren Ansatz war die normative Verpflichtung der Wissenschaft auf politische Handlungsorientierung. Sie steht im Zusammenhang mit der marxistischen Theorie. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 109 intellektuelle Personaldecke gelten darf. Neben der Tätigkeit als Au tor in diversen Publikationen hat RICHTER die Funktion eines "Lei ters des Parlamentarischen Beratungsdienstes der NPD im Sächsi schen Landtag", er ist Redakteur von "Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Mitglied des Redaktionsbeirats der in der "Verlagsge sellschaft Berg" (VGB) herausgegebenen Zeitschrift "Deutsche Ge schichte. Europa und die Welt" sowie Redakteur der im "GrabertVerlag" erscheinenden Zeitschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) und des ebenfalls dort verlegten "Euro-Kuriers". Lediglich in einem Fall gelang es der NPD, vorübergehend ein ge NPD entfacht samtgesellschaftlich diskutiertes Thema mit eigenen Inhalten zu be Debatte um setzen. Der Landtagsabgeordnete der sächsischen NPD Jürgen "Bomben-Holo caust" GANSEL bezeichnete in einer Rede während der 8. Sitzung des Sächsi schen Landtages am 21. Januar die Bombardierung Dresdens durch alliierte Streitkräfte im Februar 1945 als "Bomben-Holocaust" und er reichte damit bundesweit Aufmerksamkeit. Durch die unzulässige Gleichsetzung der Bombardierung Dresdens mit der Judenvernich tung im Dritten Reich hat die NPD den Holocaust an den europäi schen Juden öffentlich relativiert, ohne dabei die Grenzen zur Straf barkeit zu überschreiten. Frühere Protagonisten einer Intellektualisierung der Szene wie der National rechtsextremistische Publizist und ehemalige NPD-Cheftheoretiker revolutionäre Jürgen SCHWAB haben sich inzwischen nahezu vollständig vom ak Strömung tuellen Kurs der NPD abgewandt. In einem öffentlichen Schriftwech sel mit dem Bundesvorsitzenden der JN, Stefan ROCHOW, konkreti siert der zwischenzeitlich aus der NPD ausgetretene SCHWAB seine Ablehnung der Partei: "Da jedoch die NPD aus Selbsterhaltungsgründen den BRD-Par teienstaat erhalten möchte, ist die Systemalternative nicht ganz glaubwürdig." 71 Im Gegensatz dazu vertritt SCHWAB einen nationalrevolutionären Kurs, nach dem "ein gemeinwohlorientierter Staat nicht auf einer ka pitalistischen Wirtschaftsordnung beruhen" könne. Der NPD und ihrem Vorsitzenden VOIGT wirft er vor, es sei "seit Jahren versäumt worden, von der Kapitalismuskritik zur wirkli chen staatsund wirtschaftspolitischen Alternativen zum Kapitalis mus überzugehen." 72 71 Offener Brief von SCHWAB vom 1. August 2005, veröffentlicht im rechtsextremistischen "Störtebeker-Netz". BERICHT 2005 72 Offener Brief von SCHWAB vom 20. August 2005, veröffentlicht im rechtsextremistischen "Störtebeker-Netz". 110 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Stattdessen trete immer deutlicher "das intellektuelle Defizit der NPD-Führung zutage".73 "Deutsches Kolleg" Das bis Ende 2004 überwiegend gemeinsam von Dr. Reinhold OBER LERCHER, Horst MAHLER und Uwe MEENEN geleitete "Deutsche Kol leg - Schwert und Schild des Deutschen Geistes" (DK) sieht seine zen trale Aufgabe in der Schulung einer "nationalen Intelligenz". Auf Grund von persönlichen Differenzen zwischen MAHLER und OBER LERCHER - beide in den 70er Jahren Theoretiker der extremistischen Neuen Linken - kam eine gemeinsame Seminarleitung der beiden Akteure allerdings nicht mehr zustande. Die Führung des DK liegt seitdem bei OBERLERCHER, der dabei von MEENEN unterstützt wird. OBERLERCHER schulte auch 2005 für das DK in Mosbach (Thürin gen), während MAHLER seine Veranstaltungen - zum Teil unter der Bezeichnung "Reichsbürgerbewegung" - meist in den Räumen des rechtsextremistischen "Collegium Humanum" 74 in Vlotho (Nord rhein-Westfalen) ausrichtete. Insgesamt gingen die Schulungsveran staltungen und die Teilnehmerzahlen gegenüber den Vorjahren je doch zurück. Die übrigen Aktivitäten des DK konzentrierten sich vor allem auf Veröffentlichungen im Internet. Dort werden als "weitere Lektüre" die "Heimatseiten" von MAHLER und OBERLERCHER emp fohlen. Fast regelmäßig enthalten die Texte Äußerungen, die den freiheitlichen Rechtsstaat und seine Repräsentanten diffamieren, vorrangig aber antisemitischen Inhalts sind. So heißt es z. B. in der im Internet am 13. Februar verbreiteten Erklärung "Dresden am 13. Fe bruar 2005" u. a.: "Befriedigt stellt der in Deutschland kultivierte Jude Adorno am 1. Mai 1945 fest: Alles ist eingetreten, was man sich jahrelang gewünscht hat, das Land vermüllt, Millionen von Hansjürgens und Utes tot. ... Dank der Zerstörung Kerneuropas konnten die jüdischnomadischen Triumphe von 1945 und 1948 sich in ihre heutige Welthirtschaft stei gern." Unverhohlene NS-Verherrlichung betreibt das DK in einer Internet veröffentlichung vom 3. Januar mit dem Titel "Dutschke und Hitler": "Hitler und Dutschke waren die beiden charismatischen Führer, die das Deutsche Volk im 20. Jahrhundert hervorgebracht hatte ... ." 73 Ebenda. 74 Die Leiterin des "Collegium Humanum e. V." (CH), Ursula HAVERBECK-WETZEL, sowie der Schriftleiter der CH-Publikation "Lebensschutz-Informationen - LSI - Stimme des Gewis sens", Ernst Otto COHRS, wurden am 18. Juni 2004 vom Amtsgericht Bad Oeynhausen wegen Volksverhetzung zu Geldstrafen in Höhe von 5.400 bzw. 3.600 Euro verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 111 Nach wie vor bleibt der Einfluss des DK in der rechtsextremistischen Szene begrenzt. Die maßgeblich von SCHWAB inspirierte "Deutsche Akademie" ver "Deutsche steht sich weiterhin als parteiund organisationsunabhängiges Fo Akademie" durch rum der "nationalen Opposition" in Deutschland, das sich der läuft Phase der Neuorientierung "Heranbildung einer geistigen Gegenelite zum pseudodemokrati schen Vasallensystem auf deutschem Boden" 75 verschrieben hat. Aufgrund der "äußerst kritischen" 76 Haltung SCHWABs gegenüber dem Kurs der NPD zeigten sich 2005 auch bei der "Deutschen Akade mie" Hinweise für einen Prozess der ideologischen Neuorientierung. Als Zeichen hierfür darf eine maßgeblich von SCHWAB organisierte Arbeitstagung im Oktober zum Thema "nationalrevolutionär heute" gelten, auf der ausgelotet werden sollte, "in welchem Umfang es derzeit innerhalb der NPD noch nationalre volutionäre Kräfte gibt und in wie fern man den Einfluß dieser Leute innerhalb der Partei stärken könnte".77 VI. Antisemitische Agitation Die antisemitische Agitation ist weiterhin im gesamten Spektrum des Rechtsextremismus verbreitet. Die Szene nutzte einmal mehr ta gespolitische Ereignisse und Gedenktage, um ihren judenfeindli chen Ansichten in der Öffentlichkeit eine breite Resonanz zu ver schaffen. Antisemitismus ist der kleinste gemeinsame Nenner der heterogenen rechtsextremistischen Szene, er äußert sich in Publika tionen, im Parlament und bei verschiedensten Aktivitäten von Rechtsextremisten. Auch 2005 wurden wieder zahlreiche antisemitische Straftaten sowie Friedhofs-, Synagogenund Gedenkstättenschändungen registriert (vgl. Politisch motivierte Kriminalität (PMK), Kap. III, Nr. 1.2.2 und 1.2.4). Religiös motivierter Antisemitismus, der "die Juden" als Kinder des Antizionistischer Satans und Feinde der Christen anprangert, findet in der rechtsextre und sekundärer mistischen Szene kaum Anhänger. Hingegen ist die Judenfeindschaft Antisemitismus aus rassistischen, sozialen oder politischen Motiven weiter verbrei tet. Besonders stark ausgeprägt sind derzeit der antizionistische und der so genannte sekundäre Antisemitismus. 75 Wortlaut der Erklärung "Wer wir sind und was wir wollen" auf der Internetpräsenz der "Deutschen Akademie" (Stand: 20. Oktober 2005). 76 Nationalrevolutionär heute!, Veranstaltungsankündigung SCHWABs auf den Internetsei ten des rechtsextremistischen "Störtebeker-Netzes" vom 27. September 2005. BERICHT 77 Ebenda. 2005 112 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Der antizionistische Antisemitismus konnte vor dem Hintergrund des nach der Ausrufung der Zweiten Intifada im Jahr 2000 eskalier ten Nahostkonflikts an Bedeutung gewinnen. Rechtsextremisten nutzen die im politischen und gesellschaftlichen Diskurs auch in har scher Form geäußerte, durchaus noch legitime Kritik an einzelnen politischen Entscheidungen der israelischen Regierung als Vehikel, um mit einer pauschalen Diffamierung die Existenzberechtigung Is raels in Frage zu stellen. Häufig wird versucht, eine imaginäre Ge samtheit des Judentums für die politischen Handlungen des Staates Israel verantwortlich zu machen. 78 Ebenso sind Gleichsetzungen der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern mit den national sozialistischen Verbrechen an den Juden ein gängiges Mittel, um durch eine rhetorische Umkehr der Opfer-Täter-Rollen eine Relativie rung der Verbrechen im Dritten Reich zu erzielen. An diesen Gedanken knüpft auch der "sekundäre Antisemitismus" an. Dessen Anhänger werfen den Juden vor, sie nutzten die Verant wortung Deutschlands für die nationalsozialistischen Verbrechen und die ständige Erinnerung daran aus, um das Land finanziell und politisch zu erpressen und letztendlich ein Wiedererstarken des Staa tes zu verhindern. Dieser Vorwurf geht häufig mit der Relativierung der Opferzahlen oder gar Leugnung des gesamten Holocaust einher. Allen Formen des Antisemitismus gemein ist die Unterstellung pau schal negativer Eigenschaften, die die Ausgrenzung, Benachteili gung, Verfolgung und gar Ausrottung "der Juden" als "gerechtfer tigt" erscheinen lassen soll. 79 Offener Aufgrund eines in der Öffentlichkeit vorherrschenden Konsenses ge Antisemitismus gen Antisemitismus einerseits und der Aufmerksamkeit der Strafver folgungsbehörden andererseits beschränken sich zahlreiche Rechts extremisten in ihrer antisemitischen Agitation auf Andeutungen. Offen artikulierter Antisemitismus ist insbesondere noch in der Skinhead-Szene virulent, deren Musikgruppen äußerst aggressive Texte verbreiten. Häufig handelt es sich um im Ausland produzierte und nach Deutschland importierte Tonträger. Antizionistisch motiviert ist die Gleichsetzung des Staates Israel mit dem Judentum in dem Lied "Panzer rollen in Israel vor" auf der CD "The Hateshow" der Skinhead-Band "Murder Squad". 80 Die Band pro pagiert die Zerschlagung des israelischen Staates: 78 Zur Abgrenzung von antizionistischem Antisemitismus und Israelkritik vgl. Aribert Hey der/Julia Iser/Peter Schmidt: Israelkritik oder Antisemitismus? Meinungsbildung zwischen Öffentlichkeit, Medien und Tabus, in: W. Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände, Folge 3, Frankfurt/M. 2005, S. 144-165, hier S. 146 f. 79 Zur Definition und Beschreibung der verschiedenen Formen des Antisemitismus vgl. PfahlTraughber, Armin: Antisemitismus in der deutschen Geschichte, Opladen 2002. Daneben: Bundesamt für Verfassungsschutz (Hrsg.): Argumentationsmuster im rechtsextremisti schen Antisemitismus. Aktuelle Entwicklungen, Köln 200. 80 "Murder Squad": The Hateshow, von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert (Liste B), vgl. Bundesanzeiger Nr. 89 vom 30. April 2005. Es besteht keine Identität der hier zitierten Band mit der gleichnamigen schwedischen Death Metal Band. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 113 "Die Deutschen kommen, ihr Juden habt Acht, denn eure Vernichtung wird zum Ziel uns gemacht. Wir fürchten vor Tod und vor Teufel uns nicht, an uns die jüdische Hochburg zerbricht. Es rasseln die Ketten, es dröhnt der Motor, Panzer rollen in Israel vor. ... Heiß über Israel, die Sonne sie glüht, unsere Panzermotoren, die singen ihr Lied. Deutsche Panzer im Sonnenbrand stehen zur Schlacht gegen Zions Land." Doch auch in Deutschland soll gegen Juden mit Waffengewalt vorge gangen werden. So heißt es auf derselben CD in dem Lied "Kameraden steht auf": "Mit Panzern und Granaten und schwerem MG, mit Mörsern, Rake ten und TNT, die Terrorwelle, sie schwappt über's Land, wir stecken den Zentralrat der Juden in Brand." Mit Blick auf zu erwartende Exekutivund Indizierungsmaßnahmen äußern sich nur wenige hiesige Bands so unverhohlen in ihren Lie dern. Eindeutige Texte finden sich deshalb vor allem bei ausländi schen Bands, deren CDs in der deutschen Szene deshalb Popularität genießen. So erschien im Jahr 2005 der Tonträger "Nor Cal Hate Core" 81 der US-amerikanischen Band "Frontline". Dort heißt es in dem Lied "Final Solution" mit direktem Bezug auf den Holocaust: "I think that it is finally time for the jews to pay for all their crimes. Prepare for war, A White Revolution. The time is near for jewish exe cution. Cleansing begins, we get our retribution. Lets wipe 'em out, Final Solution ... They've gone too far and now they will show their re gret, 'cause Six Million ain't nothing yet." ("Ich glaube, dass es end gültig an der Zeit ist, dass die Juden für alle ihre Verbrechen bezahlen. Bereite dich auf einen Krieg, auf eine Weiße Revolution vor. Der Zeit punkt für eine jüdische Hinrichtung ist nahe, die Säuberung beginnt, wir bekommen unsere Vergeltung. Lasst sie uns auslöschen, Endlö sung. ... Sie sind zu weit gegangen und nun werden sie ihr Bedauern zeigen, denn sechs Millionen sind noch gar nichts.") Wie diese "Endlösung" geschehen soll, erläutert die Band in dem Lied "Frontline": 81 "Frontline": Nor Cal Hate Core, von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien inBERICHT 2005 diziert (Liste A), vgl. Bundesanzeiger Nr. 186 vom 30. September 2005. "Nor Cal" steht für "Northern California". 114 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "For the red white and blue we shed our blood, cleaning up the streets, taking out the muds, this is our war." ("Für das Rot, Weiß und Blau vergießen wir unser Blut, säubern die Straßen, holen die Juden raus. Dies ist unser Krieg.") Im Zusammenhang mit zahlreichen Hausdurchsuchungen, die seit Anfang Juni bei mutmaßlichen Verteilern der von Wieland KÖRNER verfassten antisemitischen Schrift "Die neue Sicht von Auschwitz" durchgeführt wurden, schrieb der ehemalige NPD-Funktionär Horst MAHLER am 30. Juni auf der Homepage des "Adelaide-Instituts": "Die Willkür der OMF-BRD 82 wird maßlos - als Volksverhetzung gilt nun alles, was den Juden mißfallen könnte ... Die Vasallen-Justiz probt den Aufstand gegen Recht und Gesetz und gegen folgerichtiges Denken. Es soll der Boden bereitet werden für die Hinnahme des über gesetzlichen Befehls 'Verboten und strafbar ist jede Gedankenäuße rung, die der Fremdherrschaft mißfällt." Angedeuteter Fühlen sich Bands durch Produktion und Vertrieb ihrer CDs im Aus Antisemitismus land - fälschlicherweise - vor der deutschen Strafverfolgung sicher und propagieren ihren Judenhass offen, so beschränken sich Rechts extremisten in Deutschland bei CD-Produktionen und Publikationen auf Andeutungen, die nicht unmittelbar strafrelevant sind. Bei antisemitischer Agitation wird häufig auf Zitate jüdischer Persön lichkeiten zurückgegriffen. Das Zitat soll entweder als Beleg für rechtsextreme Verschwörungstheorien dienen oder eine antijüdi sche Aussage legitimieren. Gleichzeitig erfolgt durch die Zitierweise eine scheinbare Distanzierung vom Inhalt der Aussage. So fragte die "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ): "Für Hitler noch mal 100 Milliarden zahlen? Neue Wiedergutma chungsrechnung aus Israel". Hier wird ein Bild Isra els und der Holocaustüberlebenden als geldgierige Juden suggeriert, die Deutschland finanziell ausbeu ten. Diesen Eindruck verstärken soll der Hinweis auf Norman Finkelsteins Buch "Die Holocaust-Industrie". "Finkelstein ... zählt zu den prominentesten jüdi schen Kritikern der Methoden führender zionisti scher Kreise hinsichtlich 'Vergangenheitsbewälti 82 OMF ist ein ursprünglich von Carlo Schmid kreierter Begriff und steht für "Organisations form einer Modalität der Fremdherrschaft". Er soll bei MAHLER als Umschreibung für die angeblich von einer jüdischen Weltmacht beherrschte Bundesrepublik Deutschland die nen. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 115 gung' und 'Wiedergutmachung'". Das Buch erhebe den Vorwurf, "das jüdische Leid zur Hitlerzeit werde zum Zwecke eines 'Wucher betriebs' ausgebeutet". 83 Die NPD-Fraktion in Sachsen zeigt ihre antisemitische Einstellung bei ihren Landeshaushaltsvorschlägen durch gezielte Kürzungen im Be reich jüdischer Einrichtungen und der Zusammenarbeit mit Israel, während andere Religionsgruppen unbehelligt bleiben: "Beim Staatsministerium für Kultus sollen folgende Kürzungen vor genommen werden: Je 81 800 Euro Zuschuß für den Landesrabbiner, 810 000 bzw. 500 000 Euro Zuschuß für den Bau des Gemeindezen trums der Synagoge in Leipzig, ein Zuschuß in Höhe von 242 000 Euro für den Bau der Synagoge in Chemnitz .... Im Einzelplan 01 (Sächsi scher Landtag) beantragte die nationaldemokratische Fraktion meh rere Kürzungen. ... Die Mittel für die internationale Zusammenarbeit, hier insbesondere die Zusammenarbeit mit Israel wurde im NPD-An trag komplett gestrichen (12 500 Euro)." 84 Einen Schwerpunkt der antisemitischen Agitation bildete 2005 die MahnmalDebatte um das in Berlin errichtete Mahnmal für die ermordeten JuDebatte den Europas. Ausgangspunkt ist eine primär Holocaust-relativie rende Motivation. Durch die exponierte Lage und entsprechende Medienpräsenz des Mahnmals wird - gemäß rechtsextremistischem Duktus - ein "Schuldkult" gepflegt, der dem Vorhaben von Rechtsex tremisten, die deutsche Geschichte "reinzuwaschen", zuwiderläuft. Zu direkten Angriffen auf das Mahnmal kam es seit der Eröffnung des Mahnmals am 10. Mai in zwei Fällen: Anlässlich des Staatsbesuchs des israelischen Präsidenten Moshe Katsav am 1. Juni wurde eine Hakenkreuzschmiererei bekannt; am 18. November wurden Davidsterne auf sechs Stelen festgestellt. Vor allem der publizistische Rechtsextremismus machte das Mahnmal zur ideologischen Zielscheibe. Während sich einige rechtsextremistische Publikationen darauf beschränkten, einsei tig negative Kritik aus anderen Medien zu zitieren, weisen andere immer wieder auf die hohen Kosten des Mahnmals hin und for dern - mit der Motivation, den Holocaust zu relativieren - Mahn male für deutsche Opfer des Krieges: 83 NZ Nr. 20/2005, S. 1. BERICHT 84 Pressemeldung der Fraktion vom 13. April 2005. 2005 116 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Ungeachtet des wirtschaftlichen Niedergangs in der Bundesrepublik, des finanziellen Bankrotts von Bund, Ländern und Gemeinden sowie der Massenarbeitslosigkeit und wachsenden Armut weiter Teile der Be völkerung halten die herrschenden Politiker offenbar die Unsummen zur Erhaltung der inzwischen bald 6.000 Holocaust-Mahnmale und den Bau immer neuer antideutscher Gedenkstätten für das, was Deutsch land heute am notwendigsten brauche. Vergeblich sucht man hingegen zentrale Mahnund Dokumentationsstätten, die deutschen Opfern bei spielsweise der Vertreibung, des alliierten Luftterrors oder der ungezähl ten in den Lagern der Sieger ums Leben Gekommenen gewidmet wären." (NZ Nr. 29/2005, S. 5) Weiter ging das rechtsextremistische Informationsportal "Störtebe ker-Netz". Die Kontroverse um den Backenzahn eines jüdischen Ho locaustopfers, den die Mahnmal-Mitinitiatorin Lea Rosh in einer der Stelen aufbewahren wollte, kommentierte die "Schriftleitung" am 11. Mai: "Vielleicht handelt es sich bei diesem Zahn gerade um den, den Hitler damals dem Judentum insgesamt gezogen hat." Man könne "nicht versprechen, daß er eine Garantie dafür ist, daß diese Prozedur irgendwann einmal von neuem durchgeführt wird". Betrachte man das "Verhalten der Denkmalsnutznießer in Deutsch land seit den letzten Jahrzehnten, so ist diese Möglichkeit keines wegs auszuschließen". Bezug nehmend auf frühere Äußerungen des NPD-Parteivorsitzenden VOIGT, das Denkmal gebe ein Fundament für die neue Reichskanzlei ab, schlugen die Autoren letztlich vor, "angesichts der Bauweise und der Absicherung mit Natodraht" das Gelände des Holocaustmahnmales zukünftig "als eine Art Freiluftge hege für eine bestimmte Spezies" zu verwenden. Antisemitische Auch hundert Jahre nach Erscheinen der "Protokolle der Weisen von Verschwörungs Zion" 85 üben diese 1921 als Fälschung enttarnten "Aufzeichnungen" theorien eine ungebrochene Faszination auf antisemitisch agierende Ver schwörungstheoretiker aus. 85 Bei den Protokollen der Weisen von Zion handelt es sich um eine antisemitische Fälschung der zaristischen Geheimpolizei Ochrana, die 1903 zunächst in Russland veröffentlicht wurde. Bis heute werden sie von Rechtsextremisten - aber auch Islamistenals Beweis für die Existenz einer jüdisch-freimaurerischen Weltverschwörung zitiert. (vgl. Ernst Pieper: Die jüdische Weltverschwörung, in: Julius H. Schoeps, Joachim Schlör (Hrsg.) Antisemitis mus. Vorurteile und Mythen, München, Zürich, 1995). Zur Entstehungsgeschichte der Protokolle vgl. Hadassa Ben-Itto: "Die Protokolle der Weisen von Zion" - Anatomie einer Fälschung, Berlin 1998 sowie Norman Cohn: "Die Protokolle der Weisen von Zion". Der Mythos der jüdischen Weltverschwörung, Zürich 1998. Zum Einfluss der "Protokolle" auf die nationalsozialistische Politik vgl. Wolfram Meyer zu Utrup: "Kampf gegen die 'jüdische Weltverschwörung' ". Propaganda und Antisemitismus der Nationalso zialisten 1919-1945, Berlin 2003. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 117 In diesen Kreisen kursiert die Annahme, dass "die Juden" durch ihre finanzielle Macht weltweit Medien, Regierungen und Ban ken steuern. Die angebliche Konspiration eines machthungri gen Weltjudentums zur Erlangung der Weltherrschaft und der Errichtung einer "Neuen Weltordnung", die die Ver schwörungstheoretiker insbesondere durch die "Protokolle" un termauert sehen, wird durch scheinbare Beweise zu belegen versucht. Die Tatsache, dass es sich um Fälschungen handelt, wird von den Verschwörungstheoretikern als Lüge interessier ter Kreise abgetan. Um ihre verschwörungstheoretischen Anfeindungen zu ver schleiern, nutzen Rechtsextremisten häufig die Begriffe "Ostkü ste" (der USA), "internationale Hochfinanz" sowie "ZOG" (Zionist Occupied Government) synonym für die angeblich die USA beherr schenden jüdischen Bankiers bzw. die vermeintlich unter jüdischem Einfluss stehenden Regierungen. Diese Codewörter genügen in rechtsextremistischen Kreisen, um ohne Überschreiten der Strafbar keitsgrenze das Bild der jüdischen Weltverschwörung aufrecht zu halten. So hieß es am 18. Februar auf der NPD-Homepage unter dem Titel "US-Ostküste und Israel arbeiten an der weltweiten Überwachung zum 'Schutz' der Juden", dass ein am 16. Oktober 2004 unterzeichne tes Sondergesetz zur "weltweiten Überwachung von judenkritischen Tendenzen" von den "finanzkräftigen und Medien dominierenden projüdischen Kräften in den USA mit Freude zur Kenntnis genom men" worden sein dürfte: "Auch Israel hat vor kurzem solch ein weltweit gültiges Gesetz verab schiedet und setzt so seine bisherige Politik fort. ... Der weltweite 'jü dische Naturschutzpark' ist in vollem Aufbau." Noch verdeckter, jedoch für Rechtsextremisten ebenso eindeutig, ti telte die NZ "Die Israel-Lobby im Deutschen Fernsehen", um im Text den Verkauf des Leo-Kirch-Unternehmens durch den "US-jüdischen Medienmogul Haim Saban" an den Axel-Springer-Verlag zu themati sieren. Neben der Medienkonzentration und der vermeintlichen Kontrolle durch jüdische Medienmagnaten wird die angeblich ein seitige proisraelische Ausrichtung des Konzerns angeprangert: BERICHT 2005 118 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Haim Saban ('Mein Anliegen ist Israel') kann sich übrigens fest dar auf verlassen, dass sich an der Ausrichtung von ProSieben/Sat.1 nichts ändern wird. Dafür bürgt ein Springer-Verlag, der seine Redakteure vertraglich zur 'steten Wahrung israelischer Interessen' verpflichtet. Zudem soll Saban Vorsitzender des TV-Beirats des fusionierten Kon zerns werden, von dem er auch einige Anteile erwerben will." (NZ Nr. 33/2005, S. 1) In einen ähnlichen lautenden Artikel in derselben Ausgabe wird so gleich eine Anzeige eingebettet, in der die NZ als "Gegengewicht zur Meinungsindustrie" gepriesen wird. 86 Antisemitismus Verschwörungstheorien bilden den Anknüpfungspunkt für antise in der Esoterik mitische Agitation in der zu konspirativem Denken neigenden, an sonsten jedoch unpolitischen Esoterikszene. 87 Die "Protokolle der Weisen von Zion" bilden auch hier immer wieder das Fundament für antisemitische Äußerungen. Vorreiterrolle hatte das Buch "Geheimgesellschaften und ihre Macht im zwanzigsten Jahrhundert" von Jan van HELSING (Pseudonym), das seit seinem Erscheinen Anfang der 90er Jahre in hoher Auflage in der Esoterikszene verbreitet wurde. Viele Autoren suchen in seinem Fahrwasser Erfolge zu erzielen und liefern inhaltlich fast identische Bücher. Julius H. BARKAS greift in dem Buch "Wahrheit ans Licht" 88 die Ideen van HELSINGs - aber auch die anderer rechtsextremistischer Autoren - auf. So wird darin u. a. in revisionistischer Weise verbreitet, der Zwei te Weltkrieg sei im Interesse jüdischer Großbanken entfacht worden: "Dann war Adolf Hitler also der Urenkel des M.A. Rothschild. Jetzt macht alles Sinn. ... Die irre Kriegtreiberei, unterstützt von einem nai ven und trägen Volk, das dem mordenden Treiben keinen Einhalt gebot und sogar noch munter mitmarschierte. Die Finanzierung eines großen Krieges, des II. Weltkrieges, mit nur Verlierern auf Seiten der Betroffe nen. Und wieder, wie im englisch-französischen Krieg und im amerika nischen Bürgerkrieg, finanzierte die Familie Rothschild beide Parteien." 86 NZ Nr. 33/2005, S. 14, "Israel als Anliegen". 87 Als Esoterik wurde ursprünglich die nur einem ausgewählten Kreis zugängliche, nicht li terarisch fixierte Philosophie bezeichnet, darunter auch jene Platons. In der Neuzeit werden Geheimlehren als Esoterik bezeichnet, die in ihrem Inhalt und ihrer Verbreitung nur einem bestimmten Personenkreis zugänglich sein sollten. Dabei werden meist unterschiedliche Elemente aus Astrologie, Okkultismus und Religion verbunden. Vgl. Brockhaus-Enzyklopä die, 19. Auflage, Mannheim 1988, Band 6, S. 584. 88 Julius H. BARKAS: Wahrheit ans Licht. Geld-Macht-Politik-Gesundheit-Natur. Argo-Verlag, Marktoberdorf, 2004, S. 189 f. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 119 Ebenso unterstellt BARKAS eine gezielte Unterdrückung des deut schen Volkes durch das Erinnern an den Holocaust: "Das ganze Thema Antisemitismus und die ständigen Aufwärmaktio nen dienen einem Zweck, denn zufällig geschieht hier gar nichts. Ein Mensch mit einem schlechten Gewissen, aufgepfropften Schuldge fühlen, ständig in Angst vor Krankheit oder Terror, der ist gelähmt und steht an der Seite, anstatt aktiv für das Gute einstehen zu kön nen. Dem deutschen Volk wurde wahrlich ein Bastard (Hitler) im dop pelten Sinne untergejubelt." Die antisemitische Agitation im gegenwärtigen Rechtsextremismus ist weder in Inhalt noch in Intensität eine neue Entwicklung. Wie bei früheren Gelegenheiten werden tagespolitische Ereignisse zum An lass genommen, Aversionen gegen Juden zu artikulieren. Eine derar tige Agitation zielt in erster Linie auf Personenkreise mit latent anti semitischen Einstellungen. Deren Anteil liegt unterschiedlichen sozialwissenschaftlichen Studien zufolge innerhalb der Bevölkerung dauerhaft bei bis zu 20 Prozent. 89 Ob und in welcher Weise antisemi tische Agitation auf diese Personenkreise wirkt, wurde bisher noch nicht untersucht. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Entwick lung antisemitischer Agitation, antisemitischer Einstellungspoten tiale und antisemitischer Straftaten ist jedenfalls nicht belegbar. VII. Internationale Verbindungen Deutsche Rechtsextremisten unterhalten seit Jahrzehnten vielfältige Kontakte zu ausländischen Gesinnungsgenossen. Zur Festigung die ser Beziehungen, zum Informationsaustausch und zur Absprache ge meinsamer Aktionen nehmen sie - mehr oder minder regelmäßig - an internationalen Zusammenkünften im Inund Ausland teil. Ge meinsame Basis und Ausgangspunkt für grenzübergreifende Allian zen sind langjährig vertretene politische Grundpositionen wie die Ablehnung des europäischen Einigungsprozesses sowie der Kampf gegen "staatliche Repressionsakte" und eine vorgebliche "kulturelle Überfremdung". Während die Zahl kleinerer rechtsextremistischer Veranstaltungen mit internationaler Beteiligung europaweit insge samt zugenommen hat, ziehen szenebekannte Traditionsveranstal tungen wie das "Ulrichsbergtreffen" im Raum Klagenfurt (Öster89 Vgl. die zusammenfassende Darstellung zu den Ergebnissen der Einstellungsforschung: Werner Bergmann, Wie viele Deutsche sind rechtsextrem, fremdenfeindlich und antisemi tisch? Ergebnisse der empirischen Forschung von 1990 bis 2000, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Auf dem Weg zum Bürgerkrieg? Rechtsextremismus und Gewalt gegen Fremde in Deutsch land, Frankfurt/M. 2001, S. 41-62. BERICHT 2005 Vgl. auch Oliver Decker, Elmar Brähler: Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland; in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 42/2005 vom 17. Oktober 2005, S. 8-17 120 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE reich) oder die "Ijzerbedevaart" (Belgien) kaum noch ausländische Rechtsextremisten an. 1. Veranstaltungen mit internationaler Beteiligung Nachfolgend sind beispielhaft einige Veranstaltungen mit interna tionaler Beteiligung aufgeführt: - Zum Gedenken an gefallene Soldaten der "Waffen-SS" versam melten sich am 12. Februar auf dem Heldenplatz in Budapest annähernd 600 Personen. An diesem "Tag der Ehre" beteiligten sich auch einige deutsche Rechtsextremisten. Der Berliner Rechtsextremist Eckart BRÄUNIGER trat - wie schon in den Jah ren 1999 und 2004 - als Redner auf. - Am 18. Februar fand in Madrid eine von spanischen Rechtsex tremisten organisierte Demonstration gegen den Beitritt der Türkei zur Europäischen Union (EU) und die EU-Verfassung statt. Neben dem NPD-Vorsitzenden VOIGT sprachen auch Ver treter rechtsextremistischer Parteien aus Italien, Griechenland und Rumänien. - An einer von den JN angemeldeten Veranstaltung am 8. Mai in Berlin nahmen ca. 3.300 Personen teil. Vertreter rechtsextremi stischer Organisationen aus Rumänien, Griechenland, Öster reich, Spanien, Belgien, Schweden und Norwegen sprachen kurze Grußworte. Auch aus Finnland und Südafrika waren Ab ordnungen zugegen. - An einer Demonstration der niederländischen rechtsextremi stischenen Partei "Nederlandse Volks Unie" (NVU) am 14. Mai in Arnheim (Niederlande) beteiligten sich ca. 60 Personen aus den Niederlanden, Belgien und Deutschland. Unter dem Ver anstaltungsmotto "Kein Beitritt der Türkei zur EU - Nein zur eu ropäischen Verfassung" sprach neben dem Vorsitzenden der NVU, Constantijn KUSTERS, auch der NPD-Vorsitzende VOIGT. - Bei einer Demonstration unter dem Motto "Für den Wiederauf bau des Denkmals des 1. SS-Panzerkorps jetzt!" am 28. Mai in Marienfels (Rheinland-Pfalz) trat der NVU-Vorsitzende KU STERS als Redner auf. Unter den ca. 150 Teilneh mern befanden sich auch etwa 10 Gesinnungsge nossen aus den Niederlanden. - Am 11. Juni fand in Jena (Thüringen) un ter dem Motto "Fest der Völker - Für ein Europa der Vaterländer" eine von der NPD ausgerichtete Veranstaltung statt. Zu den insgesamt 14 Rednern gehörten Vertreter rechtsextremistischer Organi sationen aus Rumänien,den Niederlanden und "Fest der Völker" am 11. Juni in Jena Ungarn. Unter den sieben dort aufgetretenen RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 121 Bands befanden sich die rechtsextremistischen Gruppen "Indi ziert" (Schweiz), "Brigade 11" (Niederlande), "Nothung" (Schwe den) und "Before the War" (Slowakei). - Nach dem Verbot des zentralen "Rudolf Heß-Gedenkmarsches" in Wunsiedel (Bayern) fanden am 20. August in Deutschland le diglich mehrere kleinere Demonstrationen statt. Aus dem eu ropäischen Ausland wurden zwei "Heß-Veranstaltungen" be kannt. In Kolding (Dänemark) demonstrierten ca. 100 Neonazis aus Dänemark, Deutschland und Schweden, in Stockholm ver sammelten sich ca. 50 schwedische Rechtsextremisten vor der deutschen Botschaft. - Am Rande der am 17./18. September in der Nähe von Klagenfurt Österreich) veranstalteten traditionellen "Ulrichsberg-Gedenk feier" zu Ehren der Gefallenen beider Weltkriege kamen rund 60 (2004: rund 50) Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland darunter 35 (2004: ca. 30) deutsche Teilnehmer - zusammen. - Vom 14. bis 19. Oktober fand in Rosenheim die "29. Gästewo che" des rechtsextremistischen "Freundeskreises Ulrich von Hutten e. V." und der rechtsextremistischen "Deutschen Kul turgemeinschaft Österreich" statt. An der Veranstaltung nah men etwa 110 Personen aus Österreich und Deutschland teil. Zu den Vortragenden gehörten u. a. Elisabeth GROLITSCH und Herbert SCHWEIGER aus Österreich sowie der Schweizer Gerd ZIKELI. - Am 22. Oktober demonstrierten in Den Haag ca. 130 deutsche und niederländische Rechtsextremisten gegen "die weitere Einschränkung der freien Meinungsäußerung in den Nieder landen". Der Demonstrationszug zog vor das niederländische Außenministerium, vor dem der deutsche Rechtsextremist Christian WORCH eine Rede hielt. - An den Gedenkveranstaltungen zu Ehren von General Franco und dem Falangistenführer Primo de Rivera am 19./20. Novem ber in Madrid nahmen aus Deutschland auch eine etwa 20 köpfige NPD-Delegation sowie einige "Freie Nationalisten" teil. Dem NPD-Vorsitzenden VOIGT wurde erstmals die Gelegenheit gegeben, im Rahmen einer öffentlichen Kundgebung eine kurze Rede vor den ca. 1.000 spanischen Teilnehmern zu hal ten. - Am 10. Dezember versammelten sich etwa 1.200 (2004: ca. 1.600) Rechtsextremisten im Stockholmer Vorort Salem zu ei nem Trauermarsch für einen vor fünf Jahren bei einer Ausein andersetzung mit einer Gruppe ausländischer Jugendlicher ums Leben gekommenen Skinhead. Unter den zumeist aus Schweden und den angrenzenden Nachbarländern stammen den Teilnehmern befand sich auch eine größere Anzahl von BERICHT 2005 122 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Personen aus Deutschland. Der aus Mecklenburg-Vorpom mern stammende Neonazi Lutz GIESEN hielt eine kurze Rede, die hauptsächlich das Thema "Rassenkampf" zum Gegenstand hatte. 2. Außerparlamentarische Bündnisbestrebungen mit eu ropäischen Organisationen Nur wenigen europäischen Parteien des rechten Lagers ist es bei den Wahlen im Jahr 2004 gelungen, Abgeordnete in das Europäische Parlament zu entsenden. Die meisten Parteien sind weiterhin darauf angewiesen, ihren oft nur geringen politischen Einfluss auf nationa ler Ebene geltend zu machen. Dabei versuchen einige in der Öffent lichkeit den Anschein außenpolitischer Bedeutung zu erwecken, in dem sie sich um Kontakte zu rechtsextremistischen Gliederungen in den Nachbarländern bemühen. In diesem Rahmen kommt es gelegentlich zu länderübergreifenden Interessensgemeinschaften, die jedoch regelmäßig an der stringent nationalistischen Ausrichtung der Kooperationspartner scheitern. Mitunter steht einer dauerhaften Allianz auch die unterschiedliche Struktur der Akteure und deren voneinander abweichende ideologi sche Ausrichtung im Wege. So löste sich ein 1993 unter dem Namen "Front Europeen de Liberation" (FEL) gegründeter Dachverband be reits Ende der 90er Jahre wieder auf. Den Mitgliedern - von teils neo nazistisch-, teils national-revolutionär ausgerichteten Vereinigun gen aus neun Ländern - war es weder gelungen, ein stimmiges Kon zept zu verabschieden noch einflussreiche Partner zu gewinnen. "European National Seit September 2004 präsentiert sich eine neue Kooperationsinitia Front" (ENF) tive mit der Bezeichnung "European National Front" (ENF) im Inter net. Dieser Vereinigung gehören nach eigener Darstellung 16 Par teien aus Westund Osteuropa - darunter auch die NPD - an. Erklärtes Ziel der ENF ist es, die europäischen nationalen Kräfte zu vereini gen und für "elementare Grundsätze" 90 einzu treten. Zu diesen Grundsätzen gehören unter anderem: - Die Schaffung eines Europas der Vaterländer, - die Verteidigung von Kultur, Tradition und christlichen Wurzeln, - der Kampf gegen Globalisierung und Separatismus, - die Verhinderung von illegaler Immigration und des EU-Bei tritts der Türkei - und die Verteidigung der bestehenden Weltordnung gegen imperialistische Bestrebungen. 90 Homepage der ENF (26. September 2005). RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 123 Hauptziel der ENF ist es, ihre Mitglieder zu Aktionen im Sinne der Grundsätze zu ermutigen und ihnen gleichzeitig ein Forum zur Ei gendarstellung zu geben. Ein vorrangiges Thema für die ENF dürfte darüber hinaus die Verhinderung der "Islamisierung Europas" sein. Alle "nationalen Organisationen" werden aufgefordert, sich dieser Initiative anzuschließen. Neben Gliederungen aus Italien, Spanien, Griechenland und den Niederlanden wird auch die NPD ausdrück lich als Ansprechpartner hervorgehoben. Auf der Homepage der ENF - die inzwischen in zehn Sprachen abruf bar ist - wird über unterschiedliche Aktivitäten der Mitgliedsorgani sationen berichtet. Viele der dort im Zeitraum von Januar bis Sep tember erwähnten Veranstaltungen lassen jedoch oft weder den behaupteten Bezug zur ENF erkennen noch sind sie das Ergebnis ei nes internationalen Zusammenwirkens ideologisch gleichgesinnter Kräfte. Es handelt sich vielmehr um eine Aneinanderreihung lokaler Aktivitäten mit begrenzter Außenwirkung. Nur in wenigen Fällen wird über Veranstaltungen berichtet, an denen tatsächlich Vertreter anderer Mitgliedsorganisationen teilgenommen haben. 3. Internationaler Revisionismus Für Rechtsextremisten hat die Auseinandersetzung mit der deut schen Geschichte, insbesondere mit der Epoche des Nationalsozialis mus, eine zentrale Bedeutung. Ihnen ist bewusst, dass sie die stetige Präsenz der Verbrechen des Dritten Reichs im öffentlichen Bewusst sein daran hindert, ihre - mehr oder minder dem Nationalsozialis mus verwandten - ideologischen Konzepte in den Diskurs der demo kratischen Mehrheitskultur einzubringen. So ist den rechtsextre mistischen Akteuren vor allem daran gelegen, die anerkannte wis senschaftliche Forschung zum Dritten Reich und das darauf beru hende Geschichtsbild zu diskreditieren und auf diese Weise das NSRegime in einem zumindest günstigeren Licht erscheinen zu lassen. Die auf diesem Feld agitierenden Rechtsextremisten leugnen meist ihre eigentliche Motivation und geben vor, sich als objektive For scher um die Aufklärung historischer Sachverhalte zu bemühen. Sie berufen sich dabei auf die gängige Vorgehensweise von Historikern, bereits vorhandene Wissensbestände nach der Erschließung neuer Informationsquellen zu überarbeiten (zu revidieren), um dadurch ein noch genaueres Bild der Vergangenheit zu erhalten. Während eine Revision auf der Grundlage unvoreingenommener Forschung mit dem Ziel der Präzisierung vorhandener Erkenntnisse geschieht, bezeichnen sich Rechtsextremisten selber als "Revisionisten", um un ter dem Deckmantel formaler Wissenschaftlichkeit historische Er kenntnisse in ihrem Sinne umzudeuten. BERICHT 2005 124 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Methoden Um dies zu erreichen, - fälschen sie Dokumente, - unterschlagen sie Quellen, die die nationalsozialistischen Un taten belegen, - berichten sie einseitig über scheinbar positive Aspekte des Drit ten Reichs, wie inszenierte Sportfeste oder den Autobahnbau, - setzen sie den Holocaust an den europäischen Juden mit Hand lungen der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs gleich; in diesem Zusammenhang erwähnen sie zum Beispiel den Ab wurf der Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki oder das von den Deutschen während der alliierten Bombenangriffe er duldete Leid. Zwei Bereiche des In diesem Zusammenhang ist zwischen einem Revisionismus im en Revisionismus geren und im weiteren Sinn zu unterscheiden. Der Revisionismus im engeren Verständnis meint die konkrete Leugnung des Holocaust, während die weitere Variante alle Argumentationen betrifft, mit de nen Revisionisten zum Beispiel die Schuld Deutschlands am Aus bruch des Zweiten Weltkriegs oder den verbrecherischen Charakter der NS-Diktatur bestreiten. Da aber nur die Leugnung des Holocaust eine Straftat nach SS 130 StGB darstellt, sind - wegen der zu erwarten den strafrechtlichen Ahndung - die meisten Äußerungen so abge fasst, dass sie dem Revisionismus nur im weiteren Sinne zugeordnet werden können. Geschichtsfäl Eine Beschönigung der nationalsozialistischen Vergangenheit findet schung in Deutsch vor allem in rechtsextremistischen Periodika wie "Deutschland in Ge land schichte und Gegenwart" (DGG; vgl. Kap. VIII), "Deutsche Geschichte. Europa und die Welt" (vgl. Kap. V) und in der DVU-nahen "NationalZeitung/Deutsche Wo chen-Zeitung" (NZ; vgl. Kap. IV, Nr. 2) breiten Raum. Aufmerksamkeit erregte auch der NPD-Landtagsabgeordnete GANSEL, als er im Sächsischen Landtag die Bombardierung Dresdens im Februar 1945 als "Bomben-Holocaust" bezeichnete (vgl. Kap. V) und durch diese Gleichsetzung der alliierten Luftkriegsführung mit dem Völkermord an den europäischen Juden den Holocaust relati vierte. Mit dem "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holo caust Verfolgten" (VRBHV) existiert seit 2003 eine rechtsextremisti sche Organisation, die den Völkermord zwar nicht selber negiert, sich aber eine Unterstützung der damit befassten Aktivisten in juristi RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 125 schen Auseinandersetzungen zum Ziel gesetzt hat. Der VRBHV war bislang jedoch nicht in der Lage, die Sache der Holocaust-Leugner merklich zu fördern, gleichwohl unterstützte er indirekt deren Be hauptungen. Den Holocaust leugnende Schriften werden vielfach entweder aus Agitation aus dem dem Ausland nach Deutschland versandt oder über das Internet ver Ausland breitet. Auf diese Weise soll die Strafverfolgung durch deutsche Behörden erschwert werden. Zentrale Funktionen hatten dabei die im Ausland lebenden deutschen Staatsbürger Ernst ZÜNDEL und Germar RUDOLF. Die Aktivitäten der international zusammenarbei tenden Holocaust-Leugner erlitten jedoch im Frühjahr einen schwe ren Rückschlag, als ZÜNDEL von den kanadischen Behörden an die deutschen Strafverfolgungsbehörden überstellt wurde. 91 Er hatte mehrere Jahrzehnte in Kanada gelebt und von dort aus seine revisio nistische Propaganda betrieben. Der studierte Chemiker RUDOLF bestreitet seit Anfang der 90er Jahre die Shoa unter Vortäuschung einer naturwissenschaftlichen Heran gehensweise. Nachdem er dafür 1995 wegen Volksverhetzung verur teilt worden war, entzog er sich dem Haftantritt durch Flucht ins Aus land und lebte zuletzt in den USA. Von dort leitete er seinen in Großbritannien ansässigen Verlag "Castle Hill Publishers" (CHP), in dem auch die Zeitschrift "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsfor schung" (VffG) erscheint. Im selben Verlag erschien 2005 ein mit "Vorlesungen über den Holocaust" betitelter Sammelband, in dem RUDOLF erneut den Genozid leugnet. 92 Im November lieferten die USA ihn jedoch nach Deutschland aus und versetzten der Szene der Holocaustleugner dadurch einen weiteren schweren Schlag. 93 Weitere Exekutivmaßnahmen richteten sich zum Jahresende gegen Exekutiv den Briten David IRVING, der in Österreich festgenommen wurde maßnahmen und den Belgier Siegfried VERBEKE, den niederländische Behörden nach Deutschland überstellten. 94 In den letzten Jahren hat sich die Situation für rechtsextremistische Abnehmende Revisionisten generell verschlechtert. Grund hierfür sind sowohl der Bedeutung gewachsene Verfolgungsdruck auf die Akteure als auch eine unzu 91 Seit dem 8. November 2005 wird gegen ZÜNDEL vor dem Landgericht Mannheim verhan delt. Mit Beschluss des OLG Karlsruhe vom 31. März 2006 wurde die Verteidigerin Sylvia STOLZ vom Verfahren ausgeschlossen. 92 Germar RUDOLF, Vorlesungen über den Holocaust. Strittige Fragen im Kreuzverhör, Ha stings 2005. 93 RUDOLF verbüßt derzeit in der Justizvollzugsanstalt Stuttgart-Stammheim eine 1995 ver hängte Haftstrafe von 14 Monaten wegen Volksverhetzung. 94 IRVING wurde vom Wiener Landgericht am 20. Februar 2006 wegen Verstoßes gegen das NS-Verbotsgesetz zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Gegen das Urteil legten sowohl die Staatsanwaltschaft als auch IRVING Berufung ein. BERICHT 2005 Das Hauptverfahren gegen VERBEKE wurde noch nicht eröffnet. VERBEKE sitzt noch in Un tersuchungshaft. 126 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE reichende Unterstützung durch rechtsextremistische Gesinnungsge nossen sowie schwindende personelle Ressourcen, aus denen sich ein publizistischer Nachwuchs rekrutierten könnte. VIII. Organisationsunabhängige Verlage und Vertriebsdienste 2005 waren 34 von Parteien und Organisationen unabhängige rechtsextremistische Verlage und Vertriebsdienste tätig. Diese - in ihrer Bedeutung und Größe höchst unterschiedlichen - Unterneh men vertreiben hauptsächlich Bücher und periodische Publikatio nen, in denen sie eigene politische Überzeugungen, Wertvorstellun gen und eine rechtsextremistische Sicht auf die deutsche Geschichte vermitteln. Ergänzend werden häufig auch CDs, DVDs und Videokas setten angeboten, die sich mit einschlägigen Themenbereichen be fassen. Die teilweise selbst produzierten Publikationen legen einen Schwer punkt auf die Darstellung der Bundesrepublik Deutschland als da niederliegendes Gesellschaftssystem, dem es zur Gesundung an Na tionalstolz und politischer Selbständigkeit fehle. Häufig ist diese Argumentation mit der Behauptung verbunden, die offizielle Be trachtung der Geschichte des Dritten Reichs fuße auf gefälschten hi storischen Fakten und sei Ausfluss der Umerziehung durch die Alli ierten. Entsprechend diffamieren einige Autoren die Bundesrepu blik Deutschland als Handlanger oder Vasall der USA. In diesem Zusammenhang wird gelegentlich weiterhin die Mär von einer vermeintlichen jüdischen Weltverschwörung zur Beherr schung des Globus und zur Niederhaltung Deutschlands verbreitet. Sechzig Jahre nach Kriegsende beschäftigen sich zudem mehrere Pu blikationen mit der Niederlage Deutschlands und der Befreiung vom nationalsozialistischen Regime. Dabei legen Rechtsextremisten be sonderen Wert auf die einseitige Betonung der von Deutschen erlit tenen Kriegsverbrechen, durch die eine Relativierung der national sozialistischen Gräueltaten angestrebt wird. Zum festen Bestandteil des Vertriebsprogramms vieler Unternehmen gehören Kalender, Po ster und Schmuck mit völkischen oder germanisch-mythologischen Motiven. "Nation Europa Besondere Bedeutung in der rechtsextremistischen Publizistik hat Verlag" der "Nation Europa Verlag" durch die Herausgabe der im 55. Jahr gang erscheinenden Zeitschrift "Nation & Europa - Deutsche Monats hefte". Mit einer Auflage von rund 18.000 Exem plaren stellt sie eines der wichtigsten meinungsbildenden Medien für die rechtsextre RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 127 mistische Szene dar. Dies ist umso wichtiger, als das Redaktionskolle gium um Harald NEUBAUER im Jahr 2005 seine parteipolitische Neu tralität aufgegeben hat und sich mehr und mehr als Sprachrohr der NPD sowie der von dieser propagierten "Volksfront von Rechts" zu etablieren scheint. So heißt es in der März-Ausgabe der Zeitschrift mit Bezug auf eine den holocaustrelativierende Rede des NPD-Abge ordneten GANSEL im Sächsischen Landtag (vgl. Kap. V): "Dank der NPD-Wortergreifung im Sächsischen Landtag ist das Spek trum der Meinungen und Standpunkte im öffentlichen Raum um in teressante Facetten reicher geworden. Wenn es ein historisches Ver dienst gibt, das sich die Abgeordneten Holger Apfel und Jürgen Gansel mit ihren Redebeiträgen zum 'Bomben-Holocaust' von Dresden schon jetzt erworben haben, dann ist es ein demokratiepolitisches: sie ha ben, wenigstens ein Stück weit, echtem Pluralismus die Bahn geebnet und allen Deutschen ein gutes Quentchen Geistesfreiheit zurücker obert ..." ("Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 3/2005, S. 19 f.) Entsprechend war in mehreren Beiträgen der Zeitschrift die Rede von einer Missachtung deutscher Kriegsopfer zugunsten jüdischer Verfolgungsschicksale. Andere Beiträge widmen sich regelmäßig der Verunglimpfung der demokratischen Staatsform der Bundesrepublik Deutschland und ih rer Repräsentanten. In einem Artikel über "Parteienfilz statt Gemein sinn" forderte der Publizist und wissenschaftliche Mitarbeiter der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag, Karl RICHTER, die Abschaf fung der Demokratie mit deren eigenen Mitteln. Seine zynische Ein stellung hinsichtlich der Ausübung fundamentaler demokratischer Mitwirkungsrechte wird insbesondere an folgenden Aussagen deut lich: "Einen unbestreitbaren Vorteil hat das demokratisch-parlamentari sche System: Verbrauchte, überlebte Regime können ungleich schnel ler und im Normalfall auch 'unblutiger' entsorgt werden als unter to talitären Vorzeichen." ("Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 2/2005, S. 9) RICHTER ist auch weiterhin als Redakteur für "Nation & Europa" tätig. Er wurde öffentlich als intellektueller Kopf der von der NPD propagierten "Dresdner Schule" 95 apostrophiert, die jedoch bisher außerhalb der Partei keine sichtbaren Aktivitäten entfaltete. BERICHT 95 Siehe Fn. 15. 2005 128 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Nach der Bundestagswahl im September kommentierte der Heraus geber NEUBAUER das Wahlergebnis der NPD mit ermunternden Worten: "Es bedarf nun einer weiteren Kräftekonzentration ... Mit insgesamt vielleicht 1000 Aktivisten läßt sich die Republik beim besten Willen nicht aufrollen ... Die Ergebnisse in den neuen Bundesländern ma chen Mut." ("Nation & Europa - Deutsche Monatshefte", Heft 10/2005, S. 4) Zudem ließ sich NEUBAUER auf dem außerordentlichen Parteitag der NPD am 25. Juni in Grüna bei Chemnitz (Sachsen) als parteiloser Kandidat für die NPD-Landesliste zur Bundestagswahl nominieren. Er trat außerdem im Verlauf des Jahres auf mehreren Veranstaltun gen der Partei als Redner auf. Eine weitere Verbindung zwischen "Nation & Europa" und der NPD bestand durch den regelmäßigen Kolumnisten und ehemaligen REPVorsitzenden Franz Schönhuber. Dieser fungierte bis zu seinem Tod Ende November zeitweise als "medienpolitischer Berater" der Partei in Sachsen und war im Wahlkreis Dresden 1 NPD-Direktkandidat bei der Bundestagswahl 2005. "Grabert-Verlag" Bei den vom "Grabert-Verlag" und seinem Schwesterunternehmen "Hohenrain-Verlag" veröffentlichten Büchern konzentrierte sich 2005 die Themenauswahl auf das tagespolitische Geschehen (2004 hatte der Fokus auf antiamerikani scher Literatur gelegen). So veröf fentlichte der österreichische Rechtsextremist Gerhoch REISEGGER sein Buch "Die Türken kom men!". Ein traditionelles Standbein des "Grabert-Verlages" blieb die geschichtsrevisionistische Literatur. So erschienen einige Publikatio nen mit einer das Dritte Reich verharmlosenden Tendenz, darunter das Buch "Das Tribunal. Der größte Justiz-Skandal der Weltge schichte" von Hans MEISER. Mit Blick auf die Nürnberger Kriegsver brecherprozesse versucht der Autor die Untaten des NS-Regimes zu relativieren, indem er die an Deutschen verübten Verbrechen einsei tig betont. So heißt es: "Alles, was man dem Dritten Reich zu Recht vorwirft, haben die Alli ierten mit noch größerer Perfektion und in einem von der Mensch heitsgeschichte zuvor nie gekannten Ausmaß praktiziert." 96 96 MEISER, Hans: Das Tribunal. Der größte Justiz-Skandal der Weltgeschichte, Tübingen 2005, S. 195. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 129 Insgesamt setzte sich im "Grabert-Verlag" der bereits in den vergan genen Jahren zu beobachtende Trend zur Herausgabe von Büchern mit "weicheren" Inhalten fort. So blieben die eindeutig rechtsextre mistischen Aussagen in den Werken sämtlich unterhalb der Strafbar keitsschwelle, waren allerdings gleichwohl geeignet, die innerhalb der rechtsextremistischen Szene geläufigen Codierungen und Ste reotypen zu bedienen. Um so bemerkenswerter ist daher ein Redaktionsbeitrag in der zwei monatlich erscheinenden Verlagspublikation "Euro-Kurier", in dem Adolf Hitler im Stil einer märchenhaften Erzählung als Heros geschil dert wird, dem "das unglückliche, verarmte Volk (folgte), der die Ketten der Sklaverei zerriß und dafür sorgte, daß jeder sich und seine Familie mit seiner Hände Arbeit wieder ernähren und friedlich leben konnte". 97 Der Glorifizierung Hitlers folgt eine Verharmlosung des NS-Regimes sowie die Leugnung der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs. Inwieweit der Beitrag ein punktuelles Ereignis bleibt oder eine (Kehrt-)Wende in der redaktionellen Ausrichtung belegt, bleibt bislang unklar. Neben der Herausgabe und dem Vertrieb von Büchern zählt auch die quartalsweise erscheinende Zeitschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart" (DGG) zum Standardprogramm des "Grabert-Verla ges". Die geringe verlegerische Tätigkeit des von Dietmar MUNIER geleite "Arndt-Verlag" ten "Arndt-Verlages" setzte sich auch 2005 fort. Neben spärlichen Neuveröffentlichungen mühte sich das Unternehmen, mit der Her ausgabe von Videodokumentationen weiterhin an den gesamtge sellschaftlichen Diskurs, etwa um die als antisemitisch kritisierte Rede des ehemaligen Bundestagsabgeordneten Martin Hohmann und um den vormaligen Bundeswehr-General Reinhard Günzel, an zuknüpfen. 98 Neben der traditionellen Konzentration des Versand geschäftes auf Bücher, Kalender und Videos bietet MUNIER auch wei terhin Devotionalien der ehemals deutschen Ostgebiete in Schlesien und Ostpreußen an. Zudem wird auch die großformatige BildbandReihe "Zeitgeschichte in Bildern/Zeitgeschichte in Farbe" fortge führt, deren einzelne Bände sich jeweils unkritisch mit den vermeint 97 "Das dreifache Märchenland - Unglaubliches aus sagenhaften Zeiten/Hans im Glück", in: "Euro-Kurier. Aktuelle Buchund Verlagsnachrichten", Ausgabe 4/2005, Tübingen 2005. 98 Die Video-Dokumentationen sind als "Reden zur Politik und Zeitgeschichte" angekündigt und tragen die Titel "M.d.B. Martin Hohmann. Der Fall Hohmann. Denkverbote in der BRD" BERICHT 2005 sowie "Brigadegeneral a. D. Reinhard Günzel. Armee ohne Rückgrat. Betrachtungen eines Elite-Generals". 130 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE lich imposanten Seiten des Nationalsozialismus und dessen angebli chen Leistungen befassen. "Gesellschaft Die mit etwa 500 Mitgliedern weiterhin größte rechtsextremistische für Freie Kulturvereinigung "Gesellschaft für Freie Publizistik e. V." (GFP) hat Publizistik e. V." 2005 ihre jahrzehntelang öffentlich verkündete Unabhängigkeit von einer Partei oder politischen Strömung aufgegeben. Mit dem Wech sel des Vorstandsvorsitzes von Rolf KOSIEK zu Andreas MOLAU, stell vertretender Chefredakteur des NPD-Parteiorgans "Deutsche Stimme" und Mitarbeiter der NPD-Fraktion im sächsischen Landtag, rückt die GFP ebenso in die Nähe der von der NPD propagierten "Volksfront von Rechts" wie durch die Auswahl der Referenten ihres Jahreskongresses. Auf der vom 8. bis 10. April in Bayreuth durchge führten Veranstaltung unter dem Motto "60 Jahre Kriegsende - Be freiung von der 'Befreiung'" referierte neben dem Pressesprecher der DVU, Bernd DRÖSE, auch der Fraktionsvorsitzende der sächsi schen NPD, Holger APFEL, "Zur undemokratischen Behandlung einer Fraktion im sächsischen Landtag". Der GFP gehören vor allem Verleger, Buchhändler, Redakteure und Schriftsteller an. Neben der Druckfassung des "Kongress-Protokolls 2005" veröffentlicht die GFP (vierteljährlich) die Broschüre "Das Freie Forum". Nach dem Vorstandswechsel wurde zudem die Internetprä senz der Organisation vollständig überarbeitet. "Verlagsgesell Zu der von Gert SUDHOLT geführten "Verlagsgesellschaft Berg" schaft Berg" gehören die ehemals eigenständigen Verlage "Druffel", "Türmer" und "Vowinckel". Anknüpfend an den bereits 2004 erfolgreichen Ti tel "Churchills Friedensfalle - Das Geheimnis des Heß-Fluges" des Bri ten Martin ALLEN wurde auch dessen neues Buch "Das HimmlerKomplott. Wie der Reichsführer SS den 2. Weltkrieg beenden wollte und warum er von den Briten beseitigt wurde" übersetzt und verlegt. Darüber hinaus scheint es SUDHOLT gelungen zu sein, das schon zum fünften Mal ausgerichtete "Erlebnis-Wochenende Geschichte" des "Druffel-Verlages" mit wiederum hohen Besucherzahlen als feste Größe im rechtsextremistischen Veranstaltungskalender zu etablie ren. Unter dem Motto "Von der Invasion zur Kapitulation. Die Selbst entmachtung Europas 1945" sprachen vom 2. bis 4. September in Lei pzig überwiegend revisionistisch orientierte Referenten zur Endphase des Nationalsozialismus. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 131 IX. Rechtsextremistische Internetpräsenzen Im Gegensatz zu anderen Extremismusbereichen finden sich neben Hohe Fluktuation organisationszugehörigen Internetpräsenzen im deutschen Rechts bei rechts extremismus auch zahlreiche Seiten, die unabhängig betrieben wer extremistischen Internetseiten den. Die Gesamtzahl der Homepages stieg 2005 auf etwa 1.000 Seiten (2004: 950, 2003: 950). Zwar signalisiert diese Zahl im Vergleich zu den Vorjahren eine gewisse Konstanz, sie ist aber hinsichtlich der Entwicklung rechtsextremistischer Seiten nur bedingt aussagefähig: So wurden zwar insgesamt 290 neue rechtsextremistische Internet präsenzen festgestellt; dem gegenüber stellte aber eine annähernd gleich große Anzahl ihr Erscheinen ein. Ursächlich für die oftmals nur kurze Lebensdauer vieler Homepages dürften neben der Verunsicherung der Betreiber durch Exekutiv maßnahmen vor allem die Sperrung rechtsextremistischer Seiten durch kommerzielle Provider sein. Darüber hinaus erzielen die oft sehr unprofessionell gestalteten Homepages innerhalb der Szene zu meist nicht die vom Betreiber erwartete Resonanz, so dass die Ver antwortlichen sie schon nach kurzer Zeit wieder aus dem Netz ent fernen. Rechtsextremisten erstellen zunehmend anlassbezogene "Kampa Anlassbezogene gnen-" und "Mobilisierungsseiten". Diese Veranstaltungshomepages Sonderseiten enthalten etwa Kontakt-Telefonnummern, über die Einzelheiten zu geplanten Aktionen zu erfahren sind, übermitteln diesbezügliche Anfahrtsskizzen oder weisen auf Mitfahrgelegenheiten hin. Meist sind die Informationen mit dem Appell verbunden, die gleichfalls angebotenen Flugblätter herunterzuladen, zu vervielfältigen und zu verteilen. Auch per SMS wird in der Szene für Veranstaltungen, insbesondere für Skinhead-Konzerte geworben; das Verteilen der SMS erfolgt bun desweit über das Internet und ohne Hinweis auf den Absender. Nachdem die Anzahl von Homepages mit "Anti-Antifa"-Bezug in den "Anti-Antifa" letzten Jahren rückläufig war, scheinen Aktivisten der "Anti-Antifa" Aktivitäten das Internet für ihre Agitation wieder neu entdeckt zu haben. Ein Bei spiel derartiger Veröffentlichungen bildete Anfang April die kurzzei tige Internetpräsenz der "Anti-Antifa-Nürnberg" auf einer Unterseite der neonazistischen Homepage "Die Kommenden". Zudem war im Mai kurzfristig die Seite "Anti-Antifa Gegen Lügen & Hetze" abrufbar, die sich um die Koordination regional täti ger "Anti-Antifa"-Strukturen bemühte. BERICHT 2005 132 RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Auf dieser Homepage fanden sich Listen mit Namen und Adressen politischer Gegner und linksextremistischer Organisationen aus Ber lin, Dortmund, Düsseldorf, Hamburg und Nürnberg (vgl. Kap. III). Strafbare Homepa Nach wie vor werden Internetseiten mit strafbaren Inhalten (u. a. NSges anonym Symbolik und Musikstücke mit zum Teil volksverhetzenden Texten) über das Ausland anonym über das Ausland - vornehmlich über die USA - ins Netz ge stellt. Dabei nutzen Rechtsextremisten den Umstand, dass die dort geltende Rechtslage die Verbreitung derartiger Inhalte weitestge hend zulässt. Dennoch ist der Anteil solcher Homepages insgesamt leicht rückläufig. Große Beliebtheit Innerhalb der rechtsextremistischen Szene sind Internet-Diskussi von Diskussions onsforen - oftmals mit zum Teil mehreren hundert Teilnehmern - foren weiterhin beliebt. Sowohl die steigende Anzahl der registrierten Mit glieder als auch das Volumen der Diskussionsbeiträge sind Beleg dafür, dass sich dieser Internet-Bereich für Rechtsextremisten zu ei nem wichtigen Kommunikationselement entwickelt hat. Zum Schutz vor unerwünschter Einsichtnahme zeichnet sich dabei der Trend ab, Foren ganz bzw. in bestimmten Teilbereichen mit einem Zugangsschutz zu versehen. Rechtsextremisten beteiligen sich darüber hinaus zunehmend an nichtextremistischen Diskussionsplattformen und versuchen, diese mit provozierenden Texten zu stören und letztendlich zu dominie ren. So rief im März ein anonymer Teilnehmer eines hauptsächlich von Rechtsextremisten genutzten Diskussionsforums dazu auf, aus dem "Ghetto herauszutreten und andere Politikforen zu infiltrieren". Als Zielobjekt benannte er ein Forum, in welchem er selbst bereits seit geraumer Zeit aktiv sei und "die linke Mischpoke aufgewirbelt" habe. Es gelte, den "dreisten Agitatoren für Multikulti" entgegen zu treten. Seit geraumer Zeit versenden Rechtsextremisten so genannte SpamMails 99 mit rechtsextremistischen Inhalten an unterschiedliche Empfängerkreise. So lösten Unbekannte am 15. Mai - wie bereits im Juni 2004 - unter gezieltem Einsatz eines Computerschädlings ein Massenmailing mit rechtsextremistischen Inhalten aus: Spam-Mail-Attacke Sie versandten die Spam-Mails u. a. mit ausländerfeindlichen Texten sowohl in deutscher als auch in englischer Sprache. Daneben enthiel ten die Mails auch Verlinkungen zu Online-Auftritten rechtsextremi stischer Betreiber, wie etwa zur NPD. 99 Unverlangt zugesandte E-Mails, die mit breiter Streuung zumeist in der Produktwerbung genutzt werden. RECHTSE X TREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 133 Rechtsextremisten setzten mittlerweile ihr seit Jahren angekündig Erstes "Hacking" tes Vorhaben um, Internetpräsenzen des politischen Gegners anzu von Internetseiten greifen. Es gelang ihnen, den linksextremistischen "antifa des politischen Gegners versand.de" zu hacken und die so gewonnenen persönlichen Daten der Versandkunden am 5. Oktober im Internet zu veröffentlichen. Die Aktion war die Antwort auf einen noch weitergehenden HackerAngriff von Linksextremisten am 1. Oktober, bei dem diese auch in terne Diskussionsbeiträge und persönliche Mails von Rechtsextremi sten offengelegt hatten. BERICHT 2005 134 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 136 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE I. Überblick 1. Entwicklungen im Linksextremismus Gefüge und Erscheinungsbild des organisierten Linksextremismus haben sich im Jahr 2005 gegenüber dem Vorjahr nur unwesentlich verändert. Das Potenzial seiner Anhänger weist zwar insgesamt ei nen leichten Rückgang auf, doch zielen Engagement und Wider stand der Linksextremisten weiterhin in Richtung einer Systemüber windung. Linksextremisten betätigen sich überwiegend offen durch Agitation in Flugblättern, Plakaten, Internetaufrufen und in Szenepublikatio nen. Daneben verfügen Teile der Szene über eine breite Palette mili tanter Aktionsformen. Nahezu alle linksextremistisch motivierten Straftaten (vgl. Politisch motivierte Kriminalität (PMK), Kap. III, Nr. 2) gehen auf das Konto von Gruppierungen der autonomen Szene. Eine typische Form autonomer Gewalt ist die so genannte Massenmili tanz; hierbei handelt es sich um Straßenkrawalle, die im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran provoziert werden. Erheblich planvoller und zielgerichteter als Straßenmilitanz sind je doch klandestine militante Aktionen, die zum Teil zu erheblichen Sachschäden führen. Dazu zählen Sachbeschädigungen unter schiedlichster Art und Intensität, Brandanschläge, gefährliche Ein griffe in den Straßenund Schienenverkehr sowie zahlreiche Strafta ten bei Demonstrationen. Im Mittelpunkt des Selbstverständnisses Autonomer steht die Vor stellung eines unabhängigen, selbstbestimmten Lebens innerhalb "herrschaftsfreier Räume". In der autonomen Szene war auch 2005 anlassbezogen, insbesondere im "antifaschistischen Kampf", eine hohe Bereitschaft zur Gewaltanwendung festzustellen. Einzelne au tonome Strukturen überschritten mit ihren Anschlägen wieder die Grenze zu terroristischem Gewalthandeln. Im Berichtszeitraum wa ren wiederum Vernetzungsbestrebungen feststellbar. Eine Sonderstellung im Gefüge des gewaltbereiten Linksextremis mus beanspruchen seit längerem Zusammenhänge, deren politi scher Drehund Angelpunkt die kompromisslose Ablehnung der Existenzberechtigung einer deutschen Nation und daraus resultie rend der Kampf um die Abschaffung des deutschen Staates darstellt. Den Verfechtern dieser Denkweise, den so genannten Antideut schen, gelang es in den letzten Jahren, sich in unterschiedlicher ideologischer Abstufung deutlicher als bisher zu positionieren und gleichzeitig zu einer erheblichen Polarisierung im linksextremisti schen Lager beizutragen. Die "antideutschen" Positionen provozier LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 137 ten damit im linksextremistischen Kontext eine weltanschauliche Konfrontation von ungewöhnlicher Schärfe. Programmatische Aussagen sowie politische Praxis der "Linkspar tei.PDS" bieten weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für linksextre mistische Bestrebungen im Sinne des Bundesverfassungsschutzge setzes. Die Aktivitäten der Partei, ihr Auftreten und Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit wurden im Jahr 2005 maßgeblich bestimmt durch die Vorbereitungen für die Beteiligung an der Bundestags wahl am 18. September. So hat sich die PDS im Juli in "Die Linkspar tei.PDS" umbenannt. Dies war allerdings keineswegs der Auftakt zu einer politischen Neuorientierung, sondern sie kam damit einer For derung für die Kooperation mit der nichtextremistischen Partei "Ar beit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) zur Bun destagswahl nach. Auf der Grundlage von Programm und Statut wirken nach wie vor offen extremistische Kräfte innerhalb der Partei. Weiterhin arbeitet sie mit inund ausländischen Linksextremisten zusammen. Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) bekräftigte ihre seit Jahrzehnten gültige ideologisch/politische Ausrichtung. Sie be schreibt sich dabei nach wie vor als revolutionär-marxistische Partei der Arbeiterklasse, die eine grundlegende Überwindung der kapita listischen Machtund Eigentumsverhältnisse intendiert. Agitations schwerpunkte der mittlerweile stark überalterten Partei bildeten die "antiimperialistische" Arbeit, der Widerstand gegen Sozialabbau so wie die Ablehnung der EU-Verfassung. In der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) prä gen sich aus dem Hochstalinismus entlehnte Denkund Handlungs muster zunehmend deutlicher aus. Die Parteispitze nimmt dabei eine vollständige Kontrolle über das Denken der Mitglieder und der leitenden Funktionäre für sich in Anspruch. In Deutschland sind derzeit 17 internationale trotzkistische Dachver bände mit 21 Sektionen oder Resonanzgruppen aktiv. Dabei unter scheiden sich zwei grundsätzliche Typen: Isoliert bleiben ideologisch erstarrte Gruppen, die sich weitgehend auf die Bekämpfung konkur rierender trotzkistischer Zusammenschlüsse beschränken. Aktionso rientierte trotzkistische Strömungen hingegen suchen die Beteili gung an gesellschaftlichen Protestkampagnen und engagieren sich auf typischen Handlungsfeldern von Linksextremisten. Im Bereich der Kampagnen und Aktionsfelder rückte die Bekämp fung des "Faschismus" - besonders nach den Landtagswahlerfolgen rechtsextremistischer Parteien im Jahr 2004 - weiter in den Fokus geBERICHT 2005 138 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE waltbereiter Linksextremisten. Der "Antifaschismus", als quasi tradi tionelles Betätigungsfeld linksextremistischer Strukturen, zielt indes nur vordergründig auf die Bekämpfung rechtsextremistischer Be strebungen ab: Eigentliche Stoßrichtung ist letztendlich die freiheit lich verfasste demokratische Gesellschaftsordnung, die überwunden werden soll. Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtung ver suchten daneben zum Jahresbeginn, das in Teilen der Bevölkerung bestehende Unbehagen gegenüber den als sozial belastend empfun denen Arbeitsmarktund Sozialreformen der Bundesregierung agi tatorisch aufzugreifen und aktionistisch an die Protestwelle der so genannten Montagsdemonstrationen im Spätsommer 2004 anzu knüpfen. Das linksextremistische Spektrum unterstützte auch im Jahr 2005 den Protest gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Trotz des an den Tag gelegten Aktionismus blieb ihr Einfluss auf die von über wiegend nichtextremistischen Initiativen getragene Anti-Atom-Be wegung jedoch weiterhin gering. Im Hinblick auf das für Frühsommer 2007 in Heiligendamm (Meck lenburg-Vorpommern) geplante G8-Treffen positionierten sich links extremistische Kräfte verstärkt im Umfeld der "Anti-Globalisierungs bewegung". Militante Linksextremisten äußerten bereits die Hoff nung, auch dort wieder durch Blockaden, Proteste und Sabotageakte gemeinschaftlich aktiv werden zu können. Erste Brandanschläge ordneten klandestin vorgehende Linksextremisten in ihren Tater klärungen dem sich gegen das G8-Treffen formierenden Widerstand zu. 2. Organisationen und Personenpotenzial Leichter Rückgang Struktur und Erscheinungsbild des organisierten Linksextremismus des linksextremisti haben sich im Jahr 2005 gegenüber dem Vorjahr nur geringfügig schen Personen verändert; das Gesamtpotenzial weist insgesamt einen leichten potenzials Rückgang auf. Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften waren Ende 2005 etwa 30.600 Personen (2004: 30.800) Organisationen und sonstigen Perso nenzusammenschlüssen zuzurechnen, bei denen zumindest An haltspunkte für linksextremistische Bestrebungen feststellbar sind. Darin enthalten sind auch die Anhänger der "Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS" (KPF), deren Zahl auf etwa 1.000 zu schätzen ist. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 139 Das Spektrum der gewaltbereiten Linksextremisten in überwiegend anarchistisch orientierten Gruppierungen umfasste Ende 2005 rund 5.500 Personen (2004: rund 5.500), darunter wie im Vorjahr bis zu 5.000, die sich selbst als Autonome bezeichnen. Bei marxistisch-leninistischen, trotzkistischen und sonstigen revolu tionär-marxistischen Zusammenschlüssen ist mit insgesamt 25.400 Personen (2004: 25.700) erneut ein geringfügiger Rückgang der Mit gliederzahl festzustellen. In Teilbereichen werden sie von Organisa tionen unterstützt, die linksextremistisch beeinflusst sind. Diesen gehörten zum Jahresende 2005 etwa 10.500 Mitglieder (2004: etwa 18.000) an. Linksextremismuspotenzial 1) 2003 2004 2005 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Gewaltbereite Links extremisten 2) 55 5.4003) 61 5.5003) 67 5.5003) Marxisten-Leninisten andere revolutionäre Marxisten 4) - Kernund Neben organisationen 49 26.300 49 25.700 43 25.400 - beeinflusste Organisationen 33 19.000 30 18.000 19 10.500 Summe 137 31.700 19.000 140 31.200 18.000 129 30.900 10.500 Nach Abzug von Mehrfachmitglied ca. ca. ca. ca. ca. ca. schaften 31.300 14.500 30.800 13.500 30.600 8.500 "Die Linksparca. ca. ca. tei.PDS" 5) 65.800 61.400 61.500 1) Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2) In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. 3) Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 4) Einschließlich "Kommunistischer Plattform der Linkspartei.PDS" (KPF). Hinzu kommen die Mitglieder weiterer linksextremi stischer Gruppen in der PDS. 5) Bis zur Umbenennung am 17. Juli 2005: "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS). Die Partei ist wegen ihres ambiva lenten Erscheinungsbildes gesondert ausgewiesen. BERICHT 2005 140 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen Etwa 30 Verlage und Vertriebsdienste verbreiteten im Jahr 2005 Zei tungen, Zeitschriften und sonstige Publikationen mit teilweise links extremistischen Inhalten. Die Gesamtzahl der von diesen Verlagen und Vertriebsdiensten herausgegebenen Publikationen (nahezu 220) sowie die Gesamtauflage von etwa 7 Millionen Exemplaren blieb gegenüber dem Vorjahr nahezu unverändert. "junge Welt" (jW) Beispielhaft wegen seiner Außenwirkung sei der Verlag "8. Mai zumindest tatsäch GmbH" mit Sitz in Berlin genannt. Seine Haupteigentümerin ist die liche Anhalts "Linke Presse Verlagsförderungsund Beteiligungsgenossenschaft punkte für linksex junge Welt e. G.". Die vom Verlag bundesweit herausgegebene Ta tremistische Bestrebungen geszeitung "junge Welt" (jW), bei der zumindest tatsächliche An haltspunkte für linksextremistische Bestrebungen vorliegen, ist mit ca. 12.000 Exemplaren ein bedeutendes Druckerzeugnis im linksex tremistischen Bereich. Einzelne Redaktionsmitglieder und ein großer Teil der Stammund Gastautoren sind dem linksextremisti schen Spektrum zuzuordnen. Die Zeitung pflegt eine traditionskom munistische Ausrichtung und propagiert die Errichtung einer sozia listischen Gesellschaft. Berichterstattung und Kommentare zu tagespolitischen Ereignissen sowie Grundsatzbeiträge zu theoreti schen Fragen und die Auswahl der Themen erfolgen nach streng ideologischer, antikapitalistischer Ausrichtung. So schreibt der Chef redakteur: "Verbunden damit - und hier ist die Parallele zu 1989 angebracht - ist die Verbreitung der Illusion, daß die ökonomischen und sozialen Pro bleme des Kapitalismus im Kapitalismus zu lösen seien." ("junge Welt" vom 18. Juli 2005, S. 8) Wiederholt ist festzustellen, dass in Beiträgen der jW Gewalt als Mit tel im Kampf gegen Kapitalismus und Imperialismus anerkannt wird. Bewegungen wie der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL; vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 2.2), die spanische separatistische Terrororganisation ETA 100 und die kolumbianischen terroristischen Guerillaorganisationen FARC-EP (vgl. Kap. III, Nr. 1.5) werden zu "Befreiungsorganisationen" umge deutet. Kritik oder Distanzierung von deren Gewalttaten erfolgt nicht. Deutlich wird dies auch bei der Berichterstattung über Terror aktionen im Irak. So rechtfertigt ein Funktionär des "Irakischen Na tionalen Gründungskongress" (INFC) in einem von einem Stammau tor geführten Interview Gewaltaktionen in seinem Heimatland, indem er propagiert: 100 "Euskadi Ta Askatasuna" ("Baskenland und Freiheit"). LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 141 "Letztlich muß die irakische Bevölkerung ein Zeichen setzen, daß die Besatzer unerwünscht sind. ... Das Nein zur Besatzung kann unter schiedlich zur Geltung gebracht werden. Jede Ablehnung seitens der Bevölkerung ist legitim, auch mit Waffengewalt." (Beilage zu "junge Welt" vom 19./20. März 2005, S. 2) II. Gewalttätiger Linksextremismus Gewaltbereite Linksextremisten - vor allem aus der autonomen Szene - setzten auch 2005 auf Gewalttaten und sonstige Gesetzesver letzungen, um ihre politischen Ziele mit Nachdruck zu verfolgen; sie beeinträchtigten damit die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland. Die konzeptionelle und strategische Schwäche der letz ten Jahre konnten sie jedoch nicht überwinden. Allerdings zeigten sie sich vor allem vor dem Hintergrund des im Jahr 2007 in Heiligen damm (Mecklenburg-Vorpommern) stattfindenden G8-Gipfels in tensiv um mehr Organisierung und Bündelung der Kräfte bemüht. Im "antifaschistischen Kampf" suchten militante Autonome weiter hin die direkte Konfrontation auf der Straße; hier war eine durchweg hohe Gewaltbereitschaft und anlassbezogen eine vorübergehende Vernetzung festzustellen. Einzelne autonome Zusammenhänge überschreiten mit ihren An schlagsaktivitäten die Grenze zu terroristischem Gewalthandeln. Ge festigte terroristische Strukturen - wie sie früher die "Rote Armee Fraktion" (RAF) und die "Revolutionären Zellen" (RZ) mit der Bereit schaft zu schwersten Anschlägen bis hin zu Morden verkörperten - bestehen in Deutschland aber gegenwärtig nicht. Struktur: Gruppen existieren in fast allen größeren Städten, insbesondere in den Ballungs zentren Berlin, Hamburg, Rhein-Main-Gebiet, Re gion Dresden/ Leipzig, aber auch in kleineren Universitäts städten wie Göttingen und Freiburg Anhänger: ca. 5.500 (2004: ca. 5.500) Publikationen: mehr als 50 Szenepublikationen; von bundesweiter Bedeu tung sind vor allem die in Berlin erscheinende "INTERIM"so wie 2005 eine neue Ausgabe des Untergrundblattes "radi kal" BERICHT 2005 142 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 1. Autonome 1.1 Potenzial und Selbstverständnis Autonome: Den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen größtes Potenzial Potenzials stellen jene, die sich selbst als Autonome begreifen; die gewaltbereiter sem Spektrum waren Ende 2005 bundesweit bis zu 5.000 Personen Linksextremisten zuzurechnen. Kern ihres Selbstverständnisses ist die "Autonomie" - die Vorstellung eines freien, selbstbestimmten Lebens innerhalb "herrschaftsfreier Räume". So lehnen Autonome jede Form von staatlichen und gesell schaftlichen Normen ab. Der Kampf gegen Autoritäten sowie Lohn arbeit bzw. die Weigerung, am "kapitalistischen Verwertungspro zess" teilzunehmen, sind kennzeichnend. In einem Aufruf für den "Erhalt linker Projekte" am 26. März in Berlin hieß es dazu: "linke freiräume sind deshalb basis und grundlegende struktur für unsere politischen kämpfe um emanzipation und für eine bessere welt für alle. ... wir werden um das recht auf freiräume nicht betteln, sondern sie uns nehmen - aktiv und offensiv! wir werden uns freiräume als notwendige widerstandsstrukturen immer wieder und an allen orten erkämpfen und das erkämpfte mit allen uns zur verfü gung stehenden mitteln erhalten. wenn sie uns die luft zum atmen nehmen, soll ihre luft brennen!" ("INTERIM" Nr. 613 vom 24. März 2005, S. 4 f.) Die Bewegung der Autonomen ist nicht homogen; organisiert in eher kleineren, mehr oder weniger gefestigten und eigenständigen sowie über das ganze Bundesgebiet verstreuten Gruppierungen ver fügt sie über kein einheitliches ideologisches Konzept; Führungs strukturen oder Hierarchien sind ihr fremd. Nur vereinzelt bemühen sich Autonome um klare Positionen. Ihr Selbstverständnis ist grundsätzlich geprägt von antikapitalistischen, antifaschistischen und antisexistischen Einstellungen. Diffuse anarchistische und kom munistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Ziel: Überwindung Dabei zielen Autonome - wie alle Linksextremisten - im Kern immer des Systems auf die Überwindung des "herrschenden Systems". So bekräftigte die "organisierte autonomie" (oa), Nürnberg, in einem Interview unter dem Motto "Der 1. Mai wird heiß!": LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 143 "Wir wollen mit der Demo vermitteln, dass es nur durch einen star ken, gemeinsamen und klassenkämpferischen Widerstand Verände rungen geben wird und dass es letztlich nur mit der Überwindung des Kapitalismus ein Ende von Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Unter drückung geben wird." ("INTERIM" Nr. 614 vom 21. April 2005, S. 22) Die Anwendung von Gewalt - auch gegen Personen - halten AutoEinig in der nome zur Durchsetzung ihrer Ziele für legitim. Sie rechtfertigen GeBereitschaft zur walt als angeblich erforderliches Mittel gegen die "strukturelle GeGewaltanwendung walt" eines "Systems von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Das staatliche Gewaltmonopol lehnen sie ab. Zum Stellenwert von Militanz innerhalb des breiten Spektrums links extremistischer Widerstandsformen erklärten "autonome gruppen" in einer Taterklärung zu einem Brandanschlag auf Fahrzeuge eines Energieversorgers und der Deutschen Bahn AG Anfang Februar in Berlin: "Wir werden uns weiterhin mit den Mitteln einmischen, die wir für richtig halten. ... Das kann nicht nur, aber auch durch militante Ak tionen geschehen. Wir würden uns freuen, wenn sich wieder mehr Gruppen an militanten Aktionen beteiligen oder eigenständig aktiv werden." ("INTERIM" Nr. 611 vom 10. Februar 2005, S. 4) Insgesamt wird die gewaltbereite Szene zunehmend vielschichtiger. Vernetzungs So streben verschiedene Gruppen trotz der grundsätzlichen Organi bestrebungen sierungsund Hierarchiefeindlichkeit dieses Spektrums wieder eine stärkere Strukturierung und Vernetzung sowohl regional als auch überregional an. Ziel ist eine Bündelung der Kräfte sowie eine Koordination der Aktio nen, zum Beispiel gegen Aufmärsche bzw. Einrichtungen von Rechtsextremisten sowie bei der Aufklärung rechtsextremistischer Strukturen. Diese Vernetzungsbestrebungen gehen einher mit dem Bemühen um ideologische Fundierung durch verstärkte Theoriear beit und reichen über das eher spontaneistische Selbstverständnis "traditioneller" Autonomer deutlich hinaus. Entsprechende Vorstel lungen beschrieb eine autonome Antifagruppe aus Hannover in ei nem Grundsatzpapier: "Organisation: Wir sind der Überzeugung, dass [es] für die Überwin dung von Staat und Kapital der verbindlichen Organisierung bedarf. Wir sind nur gemeinsam stark, denn eine gut strukturierte OrganisaBERICHT 2005 144 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE tion [ist] viel eher in der Lage, den politischen Kampf zu führen. ... Wir wollen verbindliche und funktionierende Organisationsstrukturen aufbauen, die auf den individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen ba sieren. Wir wollen Leuten, die politisch aktiv sein wollen, die notwen digen Strukturen bieten. ... Wir bieten verschiedene 'Einstiegsmög lichkeiten', Antifaschismus ist bei uns eine unter mehreren! ... Wir wollen den Klassenkampf heute, morgen, bis zum Ziel! Praxis: Wir wollen mit anderen linken Gruppen, als Teil einer breiten antikapitalistischen, antirassistischen und antisexistischen Bewe gung, diese Welt verändern. ... Wir vertreten unversöhnliche, radikale Inhalte und die gilt es praxisorientiert nach außen zu tragen. ... Wir wählen die Aktionsformen, die nötig sind, um einen Politisierungs und Bildungsprozess in der Gesellschaft zu erzeugen. Unser Ziel ist eine klassenlose Gesellschaft. ... Für die soziale Revolution! Für den Kommunismus!" ("A new Star in Hannover!", Grundsatzerklärung der Gruppe "Poli tik.Organisation. Praxis. [P.O.P.]"; veröffentlicht im Internet, Oktober 2005) "antideutsche" Eine Sonderrolle im Spektrum auch des gewaltbereiten Linksextre Positionen mismus nehmen Positionen ein, deren Ausgangspunkt die kompro misslose Ablehnung der Existenzberechtigung einer deutschen Na tion und daraus resultierend der Kampf um die Abschaffung des deutschen Staates ist. Die Anhänger dieser Ideologie - die so genannten Antideutschen - konnten sich in den letzten Jahren stärker positionieren und trugen zu einer deutlichen Polarisierung im linksextremisti schen Gefüge bei. Der grundlegende Richtungsstreit trat im Zusammenhang mit dem israelisch-palästi nensischen Konflikt und der Intervention der USA und ihrer Verbündeten im Irak wieder in den Vordergrund. Der "Antifaschistische Frauenblock Leipzig" (AFBL) verdeutlichte die gegensätzlichen Standpunkte in einem Beitrag "Gegen Deutsch land" in der Szenezeitschrift "Phase 2": "In der Auseinandersetzung zwischen antideutschen und anderen linken Gruppen ist die Positionierung gegenüber dem Staat, in dem man lebt, und die Bezugnahme auf dessen Geschichte und Vergesell schaftung der Unterschied ums Ganze. ... 'Antideutsch' nimmt eine genuine Ablehnung der deutschen Vergesellschaftung zur Grundlage politischen Agierens." ("Phase 2 - Zeitschrift gegen die Realität" Nr. 16 von Juni 2005, S. 33-36 [33]) LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 145 Die "Antideutschen" unterstellen eine den Deutschen innewoh nende Anlage zur Nationenbildung, die automatisch zur Vernich tung anderer Ethnien führe. Sie vertreten die Überzeugung, die Bun desrepublik habe die nationalsozialistische Vergangenheit weder aufgearbeitet noch bewältigt, sondern nur verdrängt, und phanta sieren eine als Demokratie getarnte Neuauflage des Dritten Reiches herbei. Oberstes Gebot zur Vermeidung eines neuerlichen Holocaust sei da her die Auflösung des deutschen Volkes in eine multikulturelle Ge sellschaft. "Antideutsche" fordern unbedingte Solidarität mit dem Staat Israel und befürworten alle Maßnahmen, die dessen Bestand als Refugium für die Überlebenden des nationalsozialistischen Holo caust sichern und Gefahren von ihm abwenden. Dazu gehört auch der Krieg der USA und ihrer Verbündeten gegen den Irak, der in den Augen traditioneller Linksextremisten eine imperialistische Aggres sion darstellt. So finden sich bei Demonstrationen des "antideut schen" Spektrums häufig israelische, amerikanische und britische Nationalfahnen; typisch sind Parolen und Transparente wie "USA - Antifa", "Stalingrad '43 - Wir danken der Roten Armee!" und "Bom ber Harris - do it again!". Die "antideutschen" Positionen provozierten im linksextremisti schen Spektrum eine ideologische Konfrontation von ungewöhnli cher Schärfe. Die Auseinandersetzungen vor allem in einschlägigen Internet-Portalen sind häufig hasserfüllt. In der Praxis führte dieser Konflikt bereits zur Auflösung auch langjährig bestehender Grup penzusammenhänge bis hin zu tätlichen Übergriffen bei Veranstal tungen und Demonstrationen. 1.2 Aktionsformen Autonome verfügen - neben "offenen" Formen politischer Betäti gung wie Agitation in Flugblättern, Plakaten, Internetaufrufen und Szenepublikationen - über eine breite Palette militanter Aktionsfor men. Je nach Situation verüben sie Straftaten wie Sachbeschä digungen unterschiedlichster Art und Intensität, Brandan schläge, gefährliche Eingriffe in den Straßenund Schienenverkehr sowie Straftaten bei Demonstrationen. Die Aktionen richten sich sowohl gegen Sachen als auch Per sonen, darunter Polizisten und sonstige vermeintliche Hand langer und Profiteure des "Systems", sowie gegen Rechtsex tremisten und deren Strukturen wie Schulungseinrichtung en und "Naziläden". In diesem Bereich ist weiterhin mit einer BERICHT 2005 146 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE - je nach Anlass unterschiedlich - hohen Gewaltbereitschaft zu rech nen. Die Redaktion der in Leipzig erscheinenden autonomen Sze nepublikation "incipito" rechtfertigte unverhohlen - wenn auch dif ferenziert - Gewaltanwendung bis hin zur Körperverletzung: "Was wir vermissen ist ein Verständnis, das Gewalt als instrumentel les Mittel begreift. Es geht darum, 'Denkzettel' zu verpassen und da mit klar zu machen, dass, eben weil er ein Nazi ist, er sich nicht sicher fühlen kann. Das impliziert auch gewisser weise einen klaren Kopf zu behalten und zu wissen, wann Schluss sein muss." ("incipito" Nr. 16 von März 2005, S. 60) Wichtiges Kriterium bei der Wahl von Angriffsziel und Aktionsform ist deren "Vermittelbarkeit". Linksextremistischen Straftätern kommt es darauf an, dass keine - in ihren Augen - "Unbeteiligten" zu Schaden kommen. So betonte z. B. die vornehmlich im Raum Berlin aktive "militante gruppe (mg)" (vgl. Nr. 1.3): "Generell bleibt festzuhalten, daß der Zeitpunkt, der Ort und die all gemeinen Umstände von militanten Aktionen immer genau zu be stimmen sind, damit keinem gegenteiligen Effekt Vorschub geleistet wird." ("INTERIM" Nr. 614 vom 7. April 2005, S. 20) Durch militantes "Eingreifen" in Auseinandersetzungen um aktuelle gesellschaftliche Reizthemen versuchen gewaltbereite Linksextremi sten, Militanz zu popularisieren; sie erwarten eine breite Akzeptanz bis in Teile der bürgerlichen Gesellschaft hinein. Dieses Anliegen fin det jedoch keine Resonanz. Straßenkrawalle Eine typische Form autonomer Gewalt, für einige gar der wichtigste Ausdruck "militanter Politik", ist die so genannte Massenmilitanz; das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Militanz soll als "normales" Mit tel in der politischen Auseinandersetzung erscheinen, ein gewalttäti ger Verlauf - so die Botschaft - ist bei jeder Demonstration einzukal kulieren. Diese Krawalle sind vor allem typisch bei Störaktionen gegen Aufmärsche von Rechtsextremisten und regelmäßiger Be standteil von Demonstrationen zum "Revolutionären 1. Mai", insbesondere in Berlin. Zwar war der 1. Mai in Berlin der ru higste seit Beginn der jährlichen Krawalle im Jahr 1987, den noch kam es nach Abschluss der angemeldeten Demonstra- LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 147 tionen wiederum zu teils erheblichen Gewaltaktionen. Polizeikräfte wurden mit Steinen, Flaschen und Feuerwerkskörpern beworfen. Ein Aufruf im Vorfeld des 1. Mai beschreibt die Krawalle aus Sicht der Szene: "In Berlin-Kreuzberg gibt es seit dem legendären 1. Mai 1987 eine be sonders starke Tradition, den Maifeiertag kämpferisch zu begehen. Damals verjagte ein wilder Haufen Autonomer, Migranten und ande rer Kiezbewohner in einer stundenlangen Strassenschlacht die Polizei ... und vergesellschaftete den Warenbestand diverser Supermärkte. Seitdem steht der 1. Mai in Berlin-Kreuzberg für konfrontative Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Medien und Politik dagegen präsentieren diese Auseinandersetzun gen gern als das Werk von durchgeknallten Chaoten und Hooligans. ... Dabei wird natürlich konsequent ausgeblendet, dass die Gewalt am 1. Mai vor allem von der Polizei ausgeht. ... Wer sich nicht freiwillig von der Polizei verprügeln lassen will, der versucht halt, sich die Bul len mit Flaschen und anderen Utensilien vom Leib zu halten." (Broschüre "Das Ende der Bescheidenheit! Mai-Steine 2005: Aktions tage für sozialen Widerstand" von April 2005, S. 20 ff.) Am 29. Oktober beteiligten sich in Göttingen ca. 700 Angehörige der Gegen "rechts" gewaltbereiten linksextremistischen Szene an Protestaktionen von insgesamt bis zu 5.000 Personen gegen einen Aufmarsch des NPDLandesverbands Niedersachsen. Die zum Teil vermummten und - offensicht lich abgestimmt - in Kleingruppen agierenden militanten Gegendemonstranten aus mehreren Bundesländern errichteten aus Holzpaletten und Müllcontainern ca. 50 Bar rikaden und setzen davon etwa 18 in Brand. An drei Gebäuden mit Einrichtungen von Burschenschaften kam es zu Sachbeschädi gungen; u. a. versuchten Gegendemon stranten, in ein Gebäude einzudringen. Die Demonstrationsroute des NPD-Aufmarsches Ausschreitungen am 29. Oktober in Göttingen wurde wegen der massiven Störungen von Angehörigen der autonomen Szene auf An ordnung der Polizei geändert und verkürzt. Nach Beendigung des NPD-Aufzugs attackierten Autonome im Innenstadtbereich Einsatz kräfte mit Steinen, Flaschen und Stöcken; 14 Beamte sowie 54 weitere Personen wurden verletzt. BERICHT 2005 148 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Klandestine Erheblich planvoller und zielgerichteter als Straßenmilitanz sind Aktionen klandestine militante Aktionen. Bei solchen Anschlägen, denen ge wöhnlich ein rechtfertigendes Selbstbezichtigungsschreiben folgt, ist die Grenze zur terroristischen Aktion oftmals fließend (vgl. Nr. 1.3). Häufig erfolgen solche Anschläge, zum Teil auch zeitlich und räum lich koordiniert, im Kontext aktueller Kampagnen. Anschläge in So kam es in der Nacht zum 4. März im Vorfeld einer Demonstration Hamburg gegen die Umstrukturierung des Hamburger Schanzenviertels und den Umbau des Wasserturms zu einem Luxushotel zu einer Reihe von Anschlägen auf verschiedene Objekte im Hamburger Stadtge biet: - Auf dem Gelände des Marriott-Hotels wurde ein neben dem Hotel gelegener Schuppen eines Golfclubs in Brand gesetzt. Der Schuppen brannte vollständig aus, es entstand Sachscha den in Höhe von 48.000 Euro. - In Groß Flottbek wurde das Wohnhaus des Aufsichtsratsvorsit zenden des mit der Hotel-Realisierung befassten Immobilien unternehmens angegriffen. Unbekannte schlugen das Sicht fenster der Eingangstür ein und schütteten weiße Lackfarbe in den Flur; auch Hausfassade und Terrassenüberdachung wur den großflächig verschmutzt. In einer Taterklärung hieß es, man habe vor allem den sensiblen Tou rismus-Sektor treffen wollen, der durch die politisch Verantwortli chen gerne als "Motor der wachsenden Stadt Hamburg" bezeichnet werde. Der Tourismus lebe schließlich vom Renommee einer Stadt - und nichts lasse sich so gut angreifen und beschädigen wie der "gute Ruf". 101 Anschläge in In Berlin kam es aus Anlass der am 6. Juni vollzogenen Zwangsräu Berlin mung des linken Wohnund Politprojekts "Yorckstraße 59" im Bezirk Kreuzberg zu mehreren Anschlägen mit zum Teil hohen Sachschä den: - So wurden am 21. Mai und am 2. Juni jeweils mehrere FirmenLkw eines Sanitärbzw. eines Umzugsunternehmens in Brand gesetzt und zum Teil total zerstört. - In der Nacht zum 27. Juni beschädigten unbekannte Täter in mehreren Berliner Stadtbezirken gleich 15 Fahrzeuge von sechs Umzugsunternehmen. Dabei zerstachen sie u. a. Reifen und Bremsschläuche und sabotierten die Fahrzeugelektrik. In den jeweiligen Taterklärungen wurde sowohl den für die Räu 101 Vgl. "INTERIM" Nr. 613 vom 24. März 2005, S. 7. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 149 mung Verantwortlichen als auch sonstigen Beteiligten gedroht, z. B.: "all denjenigen, die die räumung der yorck 59 durchziehen oder sie ir gendwie unterstützen (bullen, umzugsfirmen, hausverwaltung, ei gentümer ...) sagen wir unmissverständlich: lasst es bleiben. wir ver stehen in der hinsicht keinen spass und werden euch im auge behalten." ("INTERIM" Nr. 618 vom 16. Juni 2005, S. 8) "Die Welt ist ungerecht und der Kapitalismus ist Scheisse - das ist klar, aber alle können sich entscheiden, auf welcher Seite sie stehen wollen. Und Umzugsfirmen, die Zwangsräumungen durchführen ..., stehen auf der anderen Seite! Wir verstehen unsere Aktion ... als eine Warnung, sich aus dem Zwangsräumungsgeschäft zurückzuziehen." ("INTERIM" Nr. 620 vom 14. Juli 2005, S. 24 f.) Zum Informationsaustausch bedient sich die autonome Szene wei Medien terhin "bewährter" Methoden wie Szenepublikationen 102 , Infoläden und Treffen. Daneben nutzen Autonome die Mittel der modernen In formationsgesellschaft wie das Internet und Mobiltelefone mit der Möglichkeit geschützter Kommunikation. Diese begünstigen das konspirative Verhalten, erhöhen deren Manövrierfähigkeit und er schweren den Sicherheitsbehörden die Aufklärung. Jedoch wird in Teilen der autonomen Szene der Einsatz moderner Technik kritisch betrachtet. In einem "Gespräch" von Szeneangehöri gen mit der Zeitschrift "INTERIM" (Nr. 628 vom 22. Dezember) wird der Zwiespalt der Szene deutlich, einerseits moderne Technik für sich nutzen zu wollen und andererseits der Gefahr ausgesetzt zu sein, dass die Technik gegen sie verwendet werde: "So wie mit dem Handy, die Leute kaufen sich freiwillig ihren Peilsender und gleichzeitig ist es praktisch bei der Organisierung." Die Gesprächspartner betonen, moderne Kommunikationsmittel und auch Rechner seien als Teil der Lebensorganisierung nicht mehr wegzudenken. Auf bundesweite Mailverteiler, Postings oder SMS-Verteiler wolle man nicht verzich ten, um etwa bei spontanen Mobilisierungen einen Zeitvorteil ge genüber den "Bullen" zu gewinnen, immer bleibe jedoch eine Rest unsicherheit. Es sei wichtig, Wissen über Risiken der Technik mög lichst breit zu streuen, damit der leichtsinnige Umgang mit ihr auf höre. Bei "subversiven Sachen" solle mit Blick auf etwaige repressive 102 Zahlreiche - zum Teil konspirativ hergestellte und verbreitete - Szenepublikationen veröf fentlichen regelmäßig Taterklärungen, Positionspapiere, Aufrufe zu Demonstrationen, An leitungen zur Herstellung u. a. von Brandund Sprengsätzen und andere für die linksextre mistische Diskussion und Praxis relevante Beiträge. Die meisten dieser Publikationen - z. B. "Swing" (Frankfurt/Main), "Zeck" (Hamburg) oder "incipito" (Leipzig) - haben vorrangig re gionale Bedeutung. Von bundesweiter Relevanz ist vor allem die 14-tägig in Berlin erschei nende Schrift "INTERIM" sowie die auch 2005 mit einer Ausgabe erschienene Untergrund BERICHT zeitschrift "radikal". 2005 150 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Maßnahmen eher auf die Nutzung verzichtet und nach dem Motto agiert werden: "Lieber eine Schreibmaschine als ein Rechner oder lieber direkt und ohne Telefon als mit einem schicken Code". Bei "Low-Level-Sachen" sei dies weniger problematisch. Die praktische Umsetzung bleibe letztlich immer eine Abwägungssache und sinn voll das Prinzip, es den Verfolgungsbehörden so schwer wie möglich zu machen. 1.3 Autonome Strukturen mit terroristischen Ansätzen Grenzen zur Innerhalb der autonomen Szene haben sich einzelne Strukturen ver terroristischen festigt, die bei ihren Anschlägen die Grenze zu terroristischem Ge Aktion fließend walthandeln überschreiten. "no-name" Angehörige solcher klandestinen Kleingruppen führen nach außen -Militanz hin ein unauffälliges Leben. Sie hinterlassen bei ihren Aktionen kaum auswertbare Spuren und verwenden in der Regel zum Schutz vor Strafverfolgung in Taterklärungen wechselnde oder keine Ak tionsnamen ("no-name"-Militanz). Einige Gruppierungen operieren allerdings unter gleichbleibendem "Markennamen", um Kontinuität zum Ausdruck zu bringen sowie erkennbar und "ansprechbar" zu sein. Terroristisch operierende Kleingruppen verübten auch 2005 erhebli che Straftaten mit zum Teil beträchtlichen Sachschäden: - In der Nacht zum 1. Februar setzten unbekannte Täter auf ei nem Parkplatz der Berliner Städtischen Elektrizitätswerke (BE WAG) einen VW-Transporter in Brand. Das Fahrzeug brannte aus. Etwa zeitgleich kam es an zwei weiteren Tatorten in Berlin zu Brandanschlägen gegen Fahrzeuge der Deutschen Bahn AG; auch hier entstand Totalschaden. Durch Übergreifen der Flam men wurden insgesamt drei weitere Fahrzeuge zum Teil schwer beschädigt. In einer Selbstbezichtigung setzten die Tä ter - sie nannten sich "autonome gruppen/peng-zong-kollektiv" - ihre Aktion in Bezug zu einer Tagung des Deutschen Atomfo rums im Berliner Maritim-Hotel am 1./2. Februar, an der auch Vertreter der beiden geschädigten Unternehmen teilnahmen: "Beide Konzerne profitieren von der Atomenergie. Wir sind radikale Linke, die sich (auch) im heterogenen Anti-Atom-Widerstand einmi schen. Wir sind netter als unser Ruf und wir bleiben in Bewegung." ("INTERIM" Nr. 611 vom 10. Februar 2005, S. 4) LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 151 - In der Nacht zum 28. Juli verübten Unbekannte einen Brandan schlag auf den Dienstwagen des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie AG Hamburg vor dessen Privathaus in Hollenstedt (Niedersachsen). Dabei entstand Sachschaden in Höhe von etwa 70.000 Euro. In einer Taterklärung - ohne Grup penbezeichnung - hieß es, der Vorstandsvorsitzende vereinige in seiner Person mehrere Funktionen, die geeignet seien, "un terschiedliche Facetten imperialistischer Herrschaft aufzuzei gen und anzugreifen". Das eigentliche Ziel des Anschlags geht jedoch darüber hinaus: "Mit unserer Aktion ... verbinden wir den Vorschlag für eine breite, auch militante Kampagne zum G8 Gipfel 2007 in Heiligendamm bei Rostock, die jetzt direkt nach Gleneagles an die Proteste anknüpft." ("INTERIM" Nr. 622 vom 15. September 2005, S. 15-20 [17]) - In der Nacht zum 17. Oktober verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf ein im Umbau befindliches Dienstgebäude des Auswärtigen Amtes in Berlin. Sie entzündeten die hölzerne Fassade des Gebäudes mittels eines zeitverzögerten Brandsat zes. Das Feuer breitete sich bis zum Dachgeschoss aus; es ent stand Millionenschaden. Unter der Überschrift "No G8 2007 - die Verhältnisse zum Tan zen bringen!" bezichtigten sich später "autonome gruppen/mi litant people (mp)" des Anschlags: "Wir wollen mit der Aktion die neue deutsche Außenpolitik, sprich Großmachtspolitik im ökonomischen und militärischen Sinne, offen siv angreifen. Eine der nächsten Stationen deutscher Außenpolitik wird die Inszenierung und Ausrichtung des G8-Gipfels in Heiligen damm bei Rostock sein. ... Wir ordnen unsere Aktion kritisch-solida risch in den Rahmen der bunten Proteste gegen kapitalistische Globa lisierung." ("INTERIM" Nr. 625 vom 27. Oktober 2005, S. 6-8 [6]) Unter gleichbleibendem "Markennamen" tritt sowohl in Selbstbe "militante gruppe zichtigungsschreiben als auch in Positionspapieren seit 2001 die "mi (mg)" setzt An litante gruppe (mg)" auf. Unter diesem Label verübte sie bis Ende schlagsaktivitäten fort 2005 14 Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude vornehmlich in der Hauptstadtregion Berlin/Brandenburg, drei davon im Berichts zeitraum: - In den frühen Morgenstunden des 10. Januar war der Rohbau einer neuen Filiale eines Lebensmittel-Discounters im Berliner BERICHT 2005 152 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Stadtteil Tempelhof-Schöneberg Ziel eines Brandanschlags der mg. Wesentliche Teile des Gebäudes, vor allem die hölzerne Dachkonstruktion, wurden erheblich beschädigt. In einer mehreren Tageszeitungen zugegangenen "Anschlags erklärung" 103 prangerte die Gruppe ausführlich die in den Filia len des Discounters angeblich herrschenden ausbeuterischen Arbeitsbedingungen und die angeblich menschenunwürdige Behandlung der Mitarbeiter an. Diese Aktion zeigt anschaulich, wie schnell das Legen eines Brandsatzes - trotz des Anspruchs der Akteure, keine "Unbetei ligten" zu gefährden - Menschenleben in Gefahr bringen kann. So hielt sich zum Zeitpunkt des Brandausbruchs im Dachstuhl des Gebäudes - von den Tätern offenbar unbemerkt - ein mit In stallationsarbeiten beschäftigter Bauarbeiter auf. Dieser konnte sich nur deshalb unverletzt in Sicherheit bringen, weil er den Brandausbruch durch Zufall frühzeitig bemerkte. - Mit einem Brandanschlag auf drei Dienst-Kfz des Brandenbur ger Umweltund Verbraucherschutzministeriums in Potsdam am 29. April setzte die mg ihre erklärte Kampagne gegen den "sozial-technokratischen Klassenangriff von oben" - so bezeich net sie die Umsetzung der Sozialreformen der Bundesregie rung (Hartz IV) - fort. Es entstand ein Sachschaden von über 100.000 Euro. In der Selbstbezichtigung hieß es kämpferisch, die militante Linke müsse "dazu kommen, verantwortliche Machtstrukturen aus kapitalistischer Politik, Wirtschaft und Wissenschaft" ins Visier ihres Widerstandes zu nehmen. 104 - In der Nacht zum 9. November verübte die Gruppe einen Brand anschlag gegen das Bürogebäude des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin-Steglitz. 105 Vor zwei Fen stern im Erdgeschoss abgelegte zeitverzögerte Brandsätze ver ursachten Schäden an Fassade und Haussubstanz. Die mg begründete den Anschlag mit der Rolle des DIW als "Stichwortgeber" für die Politik. Die gegen die "deklassierten und marginalisierten Gesellschaftssektoren" gerichteten Re formvorschläge von Instituten wie dem DIW würden häufig unverändert in praktische Politik umgesetzt. Damit seien sie Anschlag am 9.Novem ber in Berlin "institutioneller Teil des organisierten Klassenangriffs von oben" und somit erstrangige Ziele militanter Interventionen. Militanzdebatte Gleichzeitig setzte die mg ihre Bemühungen um eine strukturelle Vernetzung militanter Gruppenstrukturen und eine Diskussion über die Legitimität "weitergehender", über Sachbeschädigungen hinaus reichender Aktionsformen - die so genannte Militanzdebatte - fort, 103 Vgl. "INTERIM" Nr. 612 vom 24. Februar 2005, S. 5. 104 Vgl. "INTERIM" Nr. 616 vom 19. Mai 2005, S. 16. 105 Die mg hatte das Gebäude bereits in der Silvesternacht 2003/2004 mit einem Brandsatz an gegriffen. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 153 blieb damit aber auch 2005 ohne nennenswerte Resonanz. So erschien zu Beginn des Jahres unter dem Titel "(Stadt-)Guerilla oder Miliz?" ein zehn Doppelseiten umfassender weiterer Text zur "Geschichtsaufarbeitung". Neben erneut umfangreichen Aus führungen über theoretische und praktische Aspekte der Historie verschiedener Guerillamodelle enthält das Papier eine klar formu lierte Zielvorgabe: "Ob wir wollen oder nicht, wir kommen an einer bis ans Mark gehen den (Neu-)Beschäftigung mit klandestiner Politik nicht vorbei. ... Es ist historisch überliefert, daß sich der Kampf für den Kommunismus weder per Fingerschnippen noch durch überzeugende Worte führen lassen wird." ("INTERIM" Nr. 608 vom 23. Dezember 2004, S. 18-22 [18/19], und Nr. 609 vom 13. Januar 2005, S. 22 ff.) Nach wie vor zeichnen sich rasche Fortschritte in der Debatte, die sich vor allem auch in der Praxis niederschlagen, zunächst nicht ab. Wie schon im Jahr 2004 stellte sich das Anfang Juli mit einer neuen Untergrundblatt Ausgabe ("Episode 158, Sommer 2005") erschienene Untergrundblatt "radikal" erscheint "radikal" erneut in den Dienst der Militanzdebatte. Im redaktionel mit neuer Ausgabe len Vorwort kokettieren die "Macher" der konspirativ hergestellt und vertriebenen Szenezeitschrift: "Vor über einem Jahr haben wir uns zurückgemeldet. ... Allein unsere pure Existenz ist ein Aufbegehren gegen die immer engermaschiger werdende Kontrolle der Kommunikation. Wir werden jedoch auch weiterhin durch die Maschen schlüpfen und ein Forum für Debatten und Aufrufe sein, die andernorts kaum geführt oder plaziert werden können." ("radikal" Nr. 158, Sommer 2005, S. 3) Neben weiteren Beiträgen - darunter die modifizierte Bauanleitung Interview für einen "Nobelkarossentod" genannten Brandsatz - enthält das 60 mit der mg Seiten umfassende Heft unter dem Titel "Wir haben uns mit einer Menge Puste auf den Weg gemacht" ein "schriftliches Interview" mit der mg. Nach eigenem Bekunden will die "radikal"-Redaktion damit "der Diskussionsfreudigkeit um die Perspektiven militanter Organi sierung einen kleinen Schub" geben. BERICHT 2005 154 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 2. Traditionelle Anarchisten Klassische anarchistische Konzepte werden in Deutschland vor allem von Gruppierungen der "Graswurzelbewegung" und der anarcho syndikalistischen "Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union" (FAU) als deutscher Sektion der "Internationalen Arbeiter Assoziation" (IAA) vertreten. "Graswurzel Die etwa 200 in Aktionsgruppen, Trainingskollektiven und sonstigen bewegung" Zirkeln zusammengeschlossenen Anhänger der "Graswurzelbewe gung" setzen sich für die aus dem angelsächsischen Kulturkreis stammende Graswurzelidee ein, durch "Macht von unten" alle For men von "Gewalt und Herrschaft" abzuschaffen. Sie streben an, "Hierarchie und Kapitalismus durch eine selbstorganisierte, soziali stische Wirtschaftsordnung und den Staat durch eine föderalisti sche, basisdemokratische Gesellschaft zu ersetzen." 106 Zu ihren Aktionsformen gehört das Konzept des "zivilen Ungehor sams" mit bewussten Regelverletzungen. Auch "gewaltfreien Wider stand", der zwar Sachbeschädigungen, nicht aber Übergriffe auf Per sonen einschließt, halten sie für legitim. Auch im Jahr 2005 unterstützten Anhänger der "Graswurzelbewe gung" wieder den Protest gegen Atomtransporte, u. a. durch Beset zungsaktionen. Ihre Publikation "Graswurzelrevolution" nutzten sie zu "antimilitaristischer" und "antirassistischer" Agitation. "Freie Arbeiterin Die FAU-IAA (unverändert etwa 300 Anhänger) strebt eine "herr nen und Arbeiter schaftsfreie, auf Selbstorganisation aufgebaute und auf Selbstver Union" (FAU) - "In waltung gegründete Gesellschaft" an. 107 Im Mittelpunkt ihrer Arbeit ternationale Arbei ter Assoziation" steht der "antikapitalistische Kampf" in Betrieben und Gewerkschaf (IAA) ten gegen die Unterdrückung und Ausbeutung der arbeitenden Klasse durch vielfältige Herrschaftsmechanismen. Dabei setzten An hänger der FAU-IAA auf Formen der "Direkten Aktion" wie z. B. Beset zungen, Boykotts und Streiks. Zu den Aktionsfeldern der Anarcho-Syndikalisten gehörten wieder der "Antimilitarismus" und die Kampagne gegen "Sozialabbau". An fang des Jahres beteiligten sich Angehörige der FAU-IAA an Pro testaktionen vor und in Agenturen für Arbeit gegen die so genann ten Hartz IV-Gesetze. In einer Nachbetrachtung hierzu wurde im Internet aufgerufen: "Organisiert Euch in Räten, Syndikaten und Kol lektiven!" 106 Definition der "Graswurzelrevolution" in der gleichnamigen Publikation, u. a. Ausgabe Nr. 300 vom Juni 2005. 107 Rubrik "Was will die FAU?" in jeder Ausgabe der anarcho-syndikalistischen Publikation "Di rekte Aktion". LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 155 Traditionell nutzten Anarcho-Syndikalisten den 1. Mai für ihre Agita tion gegen die Staatsund Gesellschaftsordnung: So betonte die FAU IAA Ortsgruppe Frankfurt/Main in einem - später auch im Internet verbreiteten - Redebeitrag anlässlich der Demonstration zum 1. Mai: "Klassenkampf von oben? Aller höchste Zeit, die Privilegien der Besit zenden und ihr Monopol auf eine unbeschwerte Zukunft anzugreifen! Der aufkeimende Widerstand der letzten Jahre war richtig und wich tig. Es gilt nun, diesen Widerstand zu verschärfen, seine Basis auszu weiten. ... Das Kapital ist gut organisiert, antworten wir, indem wir uns ebenfalls organisieren und revolutionäre Gewerkschaften auf bauen! ... Kämpfen wir für eine selbstorganisierte, klassenlose Gesell schaft ohne Staat." III. Parteien und sonstige Gruppierungen 1. "Die Linkspartei.PDS" gegründet: 1989/90 (Umbenennung SED in PDS); 2005 Umbenennung PDS in "Die Linkspartei.PDS" Sitz: Berlin Parteivorsitzender: Lothar BISKY Mitglieder: 61.500 (2004: 61.400), davon in den westlichen Ländern 6.057 (2004: 4.320) Publikationen: "DISPUT", (Auswahl) monatlich; "Die Linke.PDS-Pressedienst", wöchentlich; "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Linkspartei.PDS", monatlich; "Marxistisches Forum", unregelmäßig; "PDS International", unregelmäßig BERICHT 2005 156 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Tatsächliche Programmatische Aussagen und politische Praxis der Anhaltspunkte für "Linkspartei.PDS" bieten weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische linksextremistische Bestrebungen im Sinne des Bundesverfassungs Bestrebungen schutzgesetzes. Die Aktivitäten der Partei, ihr Auftreten und Er scheinungsbild in der Öffentlichkeit wurden maßgeblich bestimmt durch die Vorbereitun gen für die Beteiligung an der vorgezogenen Bundestagswahl am 18. September, und zwar in Kooperation mit der nichtextremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG). Im Juli benannte sich die PDS in "Die Linkspartei.PDS" um. Dies bedeutet jedoch keine poli tische Neuausrichtung; das im Oktober 2003 verabschiedete Partei programm behält weiterhin seine Gültigkeit. Es nennt als Ziel eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaft hinausweisende so zialistische Ordnung. Auf der Basis von Programm und Statut wirken nach wie vor offen extremistische Kräfte innerhalb der Partei. Auch arbeitet die "Linkspartei.PDS" weiter mit inund ausländischen Linksextremisten zusammen. 1.1 Allgemeine Entwicklung Umbenennung Auf dem außerordentlichen Parteitag am 17. Juli in Berlin hat sich die PDS mit deutlicher Mehrheit in "Die Linkspartei." umbenannt, wobei die Partei auf Bundesebene und überwiegend in den Landesverbän den den Zusatz "PDS" hinter dem Punkt führt. Die Kurzbezeichnung lautet "Die Linke." ebenfalls mit dem Zusatz "PDS". Mit der Umbenen nung erfüllte die PDS eine Forderung der WASG für die Kooperation bei der Bundestagswahl am 18. September. Im Juni hatten die Vor stände beider Parteien beschlossen, innerhalb der nächsten zwei Jahre ein neues Projekt der Linken in Deutschland auf den Weg zu bringen. Die geplante Vereinigung mit der WASG soll nach einem "Kooperationsabkommen", beschlossen vom Parteitag am 10./11. De zember in Dresden, bis spätestens 30. Juni 2007 erfolgen. Führende Funktionäre begegneten der Befürchtung von Parteimit gliedern, dass mit der Namensänderung der "gesellschaftskritische Charakter der PDS" aufgegeben werde und ihr künftiges "Denken an den Grenzen des Kapitalismus" enden könnte, mit den Zusicherun gen: "Die PDS war es, ..., die die Idee einer freien sozialistischen Gesell schaft allen Unkenrufen zum Trotz, dass der Sozialismus ein für alle mal tot sei, zum Programm gemacht hat. Und dieses Programm - und LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 157 zwar das komplette - gehört in ein solches Linksbündnis und muss Ba sis einer künftigen Linkspartei sein." ("PDS-Pressedienst", Heft Nr. 28 vom 15. Juli 2005, S. 7) "Wir sind demokratische Sozialistinnen und Sozialisten. Und das bleiben wir. Wir haben uns in den letzten 15 Jahren ein klares politi sches Profil erarbeitet. ... Unsere über den Kapitalismus hinauswei sende Programmatik werden wir nicht preisgeben." ("DIE LINKE.PDS-Pressedienst", Heft 30/05, ohne Erscheinungsda tum, S. 9) Die stellvertretende Parteivorsitzende Katja KIPPING betonte im Juni die Wichtigkeit des Ziels Sozialismus: "Für mich - und die PDS - ist der sozialistische Charakter der Partei nicht verhandelbar. Da wir aber um diese Sorge wissen, ist beschlos sen, dass wir mit der Umbenennung im Statut auf jeden Fall als ober stes Ziel den Sozialismus verankern wollen." ("Neues Deutschland" vom 25./26. Juni 2005, S. 6) Das programmatische Ziel der "Linkspartei.PDS" ist nach wie vor eine Systemüber über die Grenzen der bestehenden Gesellschaft hinausweisende so windung zialistische Ordnung. Die Definition des sozialistischen Zieles im Pro gramm von 2003 ist dem "Manifest der Kommunistischen Partei" von Karl Marx/Friedrich Engels entlehnt. Ein Mitglied der parteina hen "Rosa-Luxemburg-Stiftung" erklärte: "Demokratischer Sozialismus ist im Verständnis der Linkspartei.PDS ein transformatorisches Projekt, das an gegenwärtigen Bedingungen ansetzt und langfristig über die Grenzen des Kapitalismus hinaus weist. Ziel ist eine Gesellschaft, 'in der die freie Entwicklung des Ein zelnen zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist'. (Fußnote: So das Parteiprogramm der Linkspartei.PDS in Anlehnung an das Manifest von Marx und Engels.)" ("Die Linkspartei - Ursprünge, Ziele, Erwartungen", aus der Reihe: Texte/Rosa-Luxemburg-Stiftung, Bd. 23, hrsg. von Michael BRIE, 2005, S. 40) Auch das "Kooperationsabkommen" mit der WASG benennt als Ziel eine "Gesellschaft, in der die freie Entwicklung einer und eines jeden die Bedingung der freien Entwicklung aller ist". Die ZielbeschreiBERICHT 2005 158 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE bung entsprechend dem Manifest wird in den Programmtexten der "Linkspartei.PDS" stets verkürzt wiedergegeben; klassisch geschulte Parteimitglieder kennen den Zusammenhang, d. h. eine Revolution als Voraussetzung der angestrebten Gesellschaft: "Die Voraussetzung für eine solche Gesellschaft wird allerdings nicht genannt, die ... im Manifest vor dem obigen Satz steht - nämlich, wenn sich das Proletariat durch eine Revolution zur herrschenden Klasse gemacht hat und die alten Produktionsverhältnisse aufgeho ben hat." ("Opp! - Die Zeitung des PDS-Landesverbandes Sachsen", Ausgabe Nr. 1-2 vom Januar/Februar 2005, S. 5) Einstellung zum Die "Linkspartei.PDS" zeigt weiterhin und ungeachtet ihrer Mitarbeit Parlamentarismus in Regierungen und Parlamenten ein ambivalentes Verhältnis zum Parlamentarismus. Dies zeigt sich in ihrer als "strategisches Dreieck" bezeichneten politischen Strategie, die sich zusammensetzt aus par lamentarischem Widerstand, außerparlamentarischem Widerstand und der visionären Entwicklung einer zukünftigen Gesellschaft. 108 Die besondere Relevanz des außerparlamentarischen Kampfes un terstrich die stellvertretende Parteivorsitzende Katja KIPPING im Juli, indem sie erklärte, die Partei vertrete eine "Politik, die auf das Zu sammenspiel von außerparlamentarischen und parlamentarischen Kräften, auf eine Verbindung von Parteiarbeit und Druck der Straße" setze. 109 Strategie und Die "Linkspartei.PDS" strebt an, das geistige und politische Klima in Taktik Deutschland zu ändern, eine "Gegenhegemonie" zu schaffen und dadurch den Neoliberalismus im gesellschaftlichen Protest und in parlamentarischer Arbeit grundlegend in Frage zu stellen. Diese Strategie und Politik einer zukünftigen Linkspartei müsse - nach Vor stellungen eines an der Formulierung des Parteiprogramms maß geblich beteiligten Funktionärs - eine kapitalismuskritische und de mokratisch-sozialistische Grundlage haben, die sich deutlich von der Sozialdemokratie abgrenze: "Der Kampf um die linkere Sozialdemokratie wird der gesellschaftli chen Verantwortung und der Perspektivfähigkeit einer neuen Links partei nicht ausreichend gerecht. ... In einer Zeit der fast katastropha len politischen und geistigen Defensive der kapitalismuskritischen Linken und der faktischen Tabuisierung von Machtund Eigentums 108 "PDS-Pressedienst", Heft Nr. 20/2005 vom 20. Mai 2005, S. 12. 109 "DIE LINKE.PDS-Pressedienst", Heft 29/05, ohne Erscheinungsdatum, S. 1. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 159 fragen müssen endlich auch diese wieder offensiv gestellt werden ...." ("Neues Deutschland" vom 20./21. August 2005, S. 22) Nach Angaben führender Parteifunktionäre lag der Anteil der Mit Hoher Anteil glieder, die zuvor schon Mitglied in der "Sozialistischen Einheitspar ehemaliger SED-Mitglieder tei Deutschlands" (SED) der ehemaligen DDR gewesen seien, noch immer bei 70 bis 80 Prozent. 110 Der seit Jahren zu verzeichnende ne gative Trend bei der Mitgliederentwicklung hielt an. Die Partei ver fügte Ende 2004 nach eigenen Angaben über 61.567 Mitglieder (Ende 2003: 65.753). In den letzten zehn Jahren hat sich die Mitglie derzahl mehr als halbiert. Ursache für die negative Entwicklung ist vor allem das sehr hohe Durchschnittsalter. Die Partei wirbt verstärkt um neue Mitglieder. 1.2 Offen extremistische Strukturen in der Partei Die "Linkspartei.PDS" hält u. a. im Programm und Statut daran fest, dass auch offen extremistische Zusammenschlüsse innerhalb der Partei politisch wirken können; dies wird als "Pluralismus" darge stellt, den es zu bewahren gelte. Dieses Prinzip des Pluralismus wurde vom Parteivorsitzenden BISKY bekräftigt: "Ich war und ich bleibe ein Verfechter dieses Prinzips ... es gilt für alle in dieser Partei oder für keinen." ("PDS-Pressedienst", Heft Nr. 22 vom 3. Juni 2005, S. 4) Offen extremistische Gruppierungen sind weiterhin in wichtigen Gremien der Partei vertreten. Sie entsenden nach einem festgelegten Schlüssel zusätzlich Delegierte zu den Parteitagen und werden gemäß der Finanzplanung der "Linkspartei.PDS" finanziell unter stützt. 111 Im Rahmen der Partei wirken insbesondere die "Kommunistische Plattform der Linkspartei.PDS" (KPF), das "Marxistische Forum der PDS" (MF), der "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SD), die Or ganisationen des "Forum Kommunistischer Arbeitsgemeinschaften" (ehemals "Bund Westdeutscher Kommunisten" - BWK) und - zumin dest noch in zwei Bundesländern - die "Arbeitsgemeinschaft Junger 110 Lothar BISKY, So viele Träume - Mein Leben, März 2005, S. 262 (BISKY geht in seinem Buch von insgesamt etwa 63.000 Mitgliedern der PDS aus. Rund 18.000 Mitglieder seien nie in der SED gewesen. Somit wären mehr als 70 Prozent ehemals SED-Mitglieder.); Gregor GYSI, Stern vom 30. Juni 2005, S. 40 ("Über 20 Prozent unserer Mitglieder waren nicht in der SED."). BERICHT 111 "DISPUT", Heft 4/2005 vom April 2005, S. 26 f. 2005 160 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE GenossInnen in und bei der PDS" (AGJG). Die dogmatischen Zusam menschlüsse bekräftigten mehrfach, intensiver zusammenarbeiten zu wollen. 112 "Kommunistische Die KPF, die an den marxistisch-leninistischen Traditionen festhält, Plattform der Links kämpft weiter für die Überwindung des Kapitalismus und das Ziel So partei.PDS" (KPF) zialismus. So bekräftigte der Bundessprecherrat: "Wir gehören zu denjenigen, die auf eine am sozialistischen Ziel ori entierte antikapitalistische Oppositionsrolle der PDS fixiert sind. Das ist auch richtig so ... Gerade aus all diesen Gründen ist der Kapitalis mus nicht die letzte Antwort der Geschichte. Antikapitalistische Sy stemkritik ist unabdingbare Voraussetzung dafür, den Kapitalismus letztlich zu überwinden." ("Mitteilungen der KPF", Heft 2/2005 vom Februar 2005, S. 10, 14) Die KPF ist weiterhin davon überzeugt, dass der Versuch, auf deut schem Boden den Sozialismus aufzubauen, historisch legitim war. "... Wir bekräftigen auch heute unsere Position, daß der unvollkom menste Sozialismus schon mehr taugte als der sich als Sieger der Ge schichte ausgebende Kapitalismus." ("Mitteilungen der KPF", Heft 11/2005 vom November 2005, S. 5, 11, 14) Ein Mitglied des Bundeskoordinierungsrates der KPF bekräftigte, dass der Übergang zum Sozialismus mit grundsätzlichen qualitati ven - d. h. letztlich revolutionären - Veränderungen verbunden sei: "Die Entstehung der sozialistischen Ordnung ist mit dem Übergang vom privatkapitalistischen Eigentum an den Produktionsmitteln zum gesellschaftlichen Eigentum verbunden. Und dieser Übergang kann nicht im Selbstlauf erfolgen. Ebensowenig läßt er sich bewußt vollziehen, wenn die Grundlagen des Kapitalismus erhalten werden. ... Das Ziel der sozialistischen Partei ist die Beseitigung der Ausbeu tung des Menschen ... durch die Überwindung der kapitalistischen Ge sellschaftsordnung." ("Mitteilungen der KPF", Heft 1/2005 vom Januar 2005, S. 19 f.) 112 Beschluss der 4.Tagung der 12. Bundeskonferenz der KPF, "DIE LINKE.PDS-Pressedienst", Heft 41/05 vom 14. Oktober 2005, S. 12; Bulletin des GD/SD, Ausgabe 2/Juli 2005, S. 5. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 161 Die KPF ist weiterhin in wichtigen Gremien der Partei vertreten. So ist Sahra WAGENKNECHT, Mitglied des Bundeskoordinierungsrates der KPF, nach wie vor sowohl Mitglied des Bundesvorstands als auch Eu ropaabgeordnete der "Linkspartei.PDS". Sie betonte im Juni: "Die PDS versteht sich als antikapitalistische Partei, die eine soziali stische Perspektive anstrebt. ... Deshalb bin ich der Überzeugung: ... Erhalt der Identität der PDS: Festhalten an der sozialistischen Ziel stellung, der antikapitalistischen Grundausrichtung ..." ("Mitteilungen der KPF", Heft 7/2005 vom Juli 2005, S. 1) Das "Marxistische Forum der PDS" (MF) ist ein Zusammenschluss or "Marxistisches thodox-kommunistisch orientierter Mitglieder und Sympathisanten Forum der PDS" der "Linkspartei.PDS". Neben dem in Berlin ansässigen bundeswei (MF) ten MF - es umfasst einen Kreis von etwa 60 Personen - besteht mit dem "Marxistischen Forum Sachsen" eine landesweite, selbständige Arbeitsgemeinschaft in und beim Landesverband Sachsen. Eine grundsätzlich ablehnende Haltung zum Grundgesetz zeigte ein Mit glied des MF und zugleich Vorsitzender des "Marxistischen Forum Sachsen" im Juli: "Verfassungen sind nach marxistischem Verständnis Resultate von Klassenkämpfen oder gar von Revolutionen. ... In aller Regel - so auch ... das Bonner Grundgesetz - sind sie Waffenstillstandslinien bzw. Grenzmarken der kämpfenden Klassen ... der Kampf ... um grundle gende soziale und sozialökonomische Veränderungen kann 'auf dem Boden des Grundgesetzes' geführt werden. Dabei ist natürlich die marxistische Linke angehalten, auch diesen Boden selbst verändern zu wollen." ("Geschichtskorrespondenz", Juli 2005, veröffentlicht im Internet) Ein anderes Mitglied des "Marxistischen Forum Sachsen" sprach sich für einen neuen sozialistischen Versuch und eine marxistische Ursa chenanalyse der Niederlage des Sozialismus in Europa aus: "Das Hauptanliegen einer marxistischen Ursachenforschung ist natürlich, sich für einen weiteren sozialistischen Anlauf zu wappnen. Für einen zunächst theoretischen sozialistischen Neuanfang und für programmatische und politische Reflektionen einer marxistisch-leni nistischen Partei ist sie unentbehrlich." ("Marxistisches Forum", Heft 49 vom Januar 2005, S. 7) BERICHT 2005 162 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Geraer Dialog/ Der "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SD) - entstanden in Sozialistischer Reaktion auf den von heftigen grundsätzlichen Auseinandersetzun Dialog" gen gekennzeichneten Parteitag in Gera (Oktober 2002) - ist wie bis her ein Sammelbecken der extremistischen Kräfte in der "Linkspar tei.PDS". So arbeiten Vertreter anderer extremistischer Strukturen wie KPF und MF in seinen Leitungsgremien (Bundessprecherrat und Bundeskoordinierungsrat) mit. Der GD/SD strebt eine sozialistische, antikapitalistische Erneuerung der Partei an. Zu den Zielen und der Zusammenarbeit mit anderen extremistischen Zusammenschlüssen in der "Linkspartei.PDS" erklärten zwei Mitglieder des Bundesspre cherrates: "Gemeinsam mit der KPF und dem Marxistischen Forum sowie den vielen kritischen Genossinnen und Genossen der Parteibasis kämpfen wir weiter um den Erhalt des Namens PDS und damit für sozialisti sche Zielstellungen zur Veränderung der Gesellschaft, für den Erhalt unserer antifaschistischen Traditionen und einer aktiven antiimpe rialistischen Antikriegspolitik." ("Bulletin" des GD/SD , Ausgabe 2/Juli 2005, S. 5) Der GD/SD ist in wichtigen Gremien der Partei vertreten. So ist Doro thee MENZNER, Mitglied des Bundessprecherrates des GD/SD, weiter hin Mitglied im Bundesvorstand der "Linkspartei.PDS". Bei der Bun destagswahl am 18. September errang sie über die Landesliste der "Linkspartei.PDS" Niedersachsen (Platz 2) ein Bundestagsmandat. Auf der Mitgliederversammlung am 10. Januar scheiterte ein Antrag auf Auflösung des GD/SD. Die Antragsteller - fünf führende Mitglie der des Bundessprecherund Bundeskoordinierungsrates - erklärten daraufhin ihren Austritt aus dem Zusammenschluss, nicht aber aus der Partei. Nach ihrer Auffassung fehlt dem GD/SD zahlenmäßig zu nehmend die Kraft, als eigenständige Strömung mit einer sozialisti schen Handlungsperspektive innerhalb der Partei zu wirken; nur noch zehn Prozent der Delegierten seien auf Parteitagen bereit, dem politischen und programmatischen Kurs der Parteiführung entge genzutreten. Jugendverband Der parteinahe Jugendverband 113 "['solid] - die sozialistische Jugend" "['solid]" - der Name steht für sozialistisch, links und demokratisch - verfügt nach Angaben der "Linkspartei.PDS" 114 über 1.500 Mitglieder in allen Bundesländern. Die tatsächliche Mitgliederzahl dürfte jedoch nur bei ca. 800 liegen. Die "Linkspartei.PDS" unterstützt "['solid]" laut ih 113 Laut Satzung SS 1 Abs. 2 ist "['solid]" ein PDS-naher Jugendverband. "Er ist rechtlich unab hängig von einer Partei i.S. des Grundgesetzes." 114 "PDS-Pressedienst", Heft Nr. 11/2005 vom 18. März 2005, S. 4. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 163 rer Jahresfinanzplanung mit 70.000 Euro. 115 Der Bundessprecherrat bekräftigte seinen Willen zur Systemveränderung: "Unter den vielen Inhalten, die uns mit der PDS verbinden, ist die so zialistische Programmatik ein entscheidender Punkt in der solidari schen, wo nötig aber auch kritischen Zusammenarbeit. Deswegen darf die Perspektive einer Überwindung kapitalistischer Verhältnisse als die Hauptursache gesellschaftlicher Missstände nicht auf dem Al tar einer Zusammenarbeit geopfert werden." ("PDS-Pressedienst", Heft Nr. 26/2005 vom 1. Juli 2005, S. 7) Im Mai veröffentlichte "['solid]" im Internet Beiträge zu Grundfragen der Kapitalismus analyse und -kritik mit dem Titel "Die Revo lution wird nicht im Fernsehen übertra gen!". Anhand von Texten aus Werken verschiedener kommunistischer Theoreti ker, u. a. Karl Marx, Friedrich Engels und Rosa Luxemburg, analy sierte der Verband die Notwendigkeit einer Kapitalismuskritik sowie die Funktionsweise des Kapitalismus. Nach Ansicht der Verfasser las sen sich aus der Erkenntnis, wie die kapitalistische Wirtschaft funk tioniert, wichtige Konsequenzen ziehen, wie der Kapitalismus über wunden werden kann und wie man sinnvolle revolutionäre Strategien entwickelt. "['solid]" pflegte Kontakte auch zu anderen inund ausländischen linksextremistischen Jugendverbänden. Eine Delegation von 25 "['solid]"-Mitgliedern reiste im August zu den "16. Weltfestspielen der Jugend und Studierenden" nach Caracas (Venezuela) 116 , wo sie mit Angehörigen des kommunistischen Jugendverbandes "Jeunes Communistes" aus Frankreich zusammentrafen. Unter den deut schen Teilnehmern befanden sich u. a. Vertreter der "Assoziation Marxistischer StudentInnen" (AMS), der "Deutschen Kommunisti schen Partei" (DKP) und der "Sozialistischen Deutschen Arbeiterju gend" (SDAJ). "['solid]" beteiligte sich auch an einer von der parteinahen "Rosa-Lu xemburg-Stiftung" organisierten Konferenz unter dem Motto "Es kommt die Zeit ... für eine linke Jugendbewegung!?" am 15. Oktober in Berlin, wo über Möglichkeiten der Zusammenarbeit linker Ju gendverbände diskutiert wurde. Unter den ca. 230 Teilnehmern be 115 "DISPUT", Heft 4/2005 vom April 2005, S. 26. BERICHT 116 "DISPUT" vom September 2005, S. 50. 2005 164 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE fanden sich u. a. Vertreter der SDAJ, der "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB), der trotzkistischen Gruppen "Linksruck" und "Soziali stische Alternative" (SAV) sowie der türkischen DIDF 117 -Jugend. Ver einbart wurden insbesondere gemeinsame Aktionen gegen den G8 Gipfel in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) im Jahr 2007. Parteieigene In Berlin/Brandenburg und Sachsen existieren weiterhin parteiei Jugendverbände gene Jugendverbände, die sich im Unterschied zum parteinahen Ju gendverband "['solid]" als Teil "in" der Partei sehen. Sie identifizieren sich ausdrücklich mit deren Zielen und Programmatik und wollen "Kaderschmiede" für die überalterte Partei sein. 1.3 Teilnahme an Wahlen Landtagswahlen Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein erzielte die PDS 0,8 % der Zweitstimmen (11.392 Stimmen; 2000: 1,4 %, 20.066 Stimmen). In Nordrhein-Westfalen erhielt sie bei der Landtagswahl 0,9 % (72.989 Stimmen; 2000: 1,1 %, 79.934 Stimmen). Erneut verfehlte die PDS deutlich den von ihr angestrebten Einzug in ein westdeutsches Landesparlament. Bundestagswahl Die "Linkspartei.PDS" beteiligte sich in allen 16 Bundesländern an der Bundestagswahl. Auf ihren offenen Landeslisten kandidierten 302 Personen, darunter auch Mitglieder der nichtextremistischen WASG sowie Vertreter extremistischer Parteien und Organisationen, u. a. aus der DKP und den trotzkistischen Organisationen "Sozialistische Alternative" (SAV) und "Linksruck". Die "Linkspartei.PDS" erreichte 8,7 % der Zweitstimmen (4.118.194 Stimmen) und konnte ihr Ergebnis im Vergleich zur Bundestagswahl 2002 (4,0 %, 1.916.702 Stimmen) mehr als verdoppeln. Ihr Zweitstimmenanteil erhöhte sich in den ostdeutschen Bundesländern (und Ost-Berlin) auf 25,4 % (2002: 16,9 %), in den westdeutschen Bundesländern (und West-Berlin) auf 4,9 % (2002: 1,1 %). In Berlin errang sie drei Direktmandate. Die Partei, die zuletzt nur mit den zwei direkt gewählten Abgeordneten Petra PAU und Gesine LÖTZSCH im Parlament vertreten war, zog mit 54 Manda ten in Fraktionsstärke in den Bundestag ein. 1.4 Zusammenarbeit mit deutschen Linksextremisten außerhalb der Partei Verhältnis zur DKP Aufgrund gemeinsamer Traditionen pflegt die "Linkspartei.PDS" zur DKP weiterhin ein kritisch-solidarisches Verhältnis. Die Beziehungen sind vielfältig: Sie reichen von der Teilnahme an Parteitagen über 117 "Föderation der demokratischen Arbeitervereine e. V." (DIDF); vgl. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus), Kap. III. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 165 Gespräche bis hin zu Kandidaturen auf gemeinsamen offenen Wahl listen. So kandidierte ein Dutzend DKP-Mitglieder auf den offenen Landeslisten der "Linkspartei.PDS" zur Bundestagswahl am 18. Sep tember. Die DKP verzichtete im Gegenzug auf eine eigene Kandida tur 118 und rief zur Wahl der "Linkspartei.PDS" auf. 119 Im Übrigen erfolgte die Zusammenarbeit vor allem auf lokaler und regionaler Ebene und oftmals über kommunistische Kräfte in der "Linkspartei.PDS" - insbesondere der KPF. So referierten ein Mitglied des Bundessprecherrats der KPF auf dem 17. Parteitag der DKP am 12./13. Februar in Dortmund 120 und ein Mitglied des DKP-Parteivor stands auf der 3. Tagung der 12. Bundeskonferenz der KPF am 12. März in Weimar 121 . Die 4. Tagung der 12. Bundeskonferenz der KPF am 9. Oktober in Berlin beschloss, die Zusammenarbeit mit der DKP zu intensivieren. 122 Einzelne Vertreter und Gliederungen oder Strukturen der "Linkspar Verhältnis zu tei.PDS" arbeiten in Aktionsbündnissen nach wie vor mit gewaltbe Autonomen und reiten Linksextremisten zusammen. Sie äußerten Verständnis für die Gewalt "vielfältigen Aktionen" autonomer Gruppen in deren antifaschisti schem Kampf. So beteiligte sich eine große Anzahl von Mitgliedern der "Linkspartei.PDS" an den Aktionen gegen den NPD-Aufmarsch am 29. Oktober in Göttingen, in deren Verlauf es zu gewalttätigen Ausschreitungen kam (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Die örtliche Ratsfraktion so wie der Kreisverband der "Linkspartei.PDS" würdigten im Internet den "großartigen Erfolg des breiten antifaschistischen Bündnisses". Gliederungen der "Linkspartei.PDS", darunter der Landesverband Hamburg, sowie einzelne Funktionäre der Partei und des Jugendver bandes "['solid]" unterzeichneten zusammen mit zahlreichen auto nomen und antifaschistischen Gruppen einen Solidaritätsaufruf vom 28. September zugunsten von Mitgliedern des "Autonomen Zusam menschlusses Magdeburg", die vor dem Oberlandesgericht (OLG) Naumburg/Saale wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Verei nigung und Brandstiftung angeklagt waren. 123 In Verharmlosung ih rer Taten wird darin die Kriminalisierung antifaschistischer Jugendli cher beklagt, deren angebliche "terroristische Taten", die sich einzig auf leichte Sachbeschädigung beschränkten, mit hohen Haftstrafen belegt würden. 118 "junge Welt" vom 7. Juni 2005, S. 1. 119 Beilage zum DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) vom 26. August 2005, S. 3. 120 UZ vom 18. Februar 2005, S. 1. 121 "Mitteilungen der KPF", Heft 4/2005 vom April 2005, S. 24 f. 122 "DIE LINKE.PDS-Pressedienst", Heft 41/05 vom 14. Oktober 2005, S. 12. BERICHT 123 Siehe Fn. 155. 2005 166 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 1.5 Internationale Verbindungen der Partei Europäische Die "Linkspartei.PDS" bekennt sich zum Internationalismus. Nach Zusammenarbeit wie vor unterhält sie vielfältige Kontakte zu ausländischen kommu nistischen Parteien u. a. durch Entsendung von Delegationen zu Par teitagen, Teilnahme an Konferenzen sowie bilateralen Gesprächen und Besuche von Pressefesten der Parteizeitungen. Die "Linkspartei.PDS" ist Mitglied der im Mai 2004 in Rom gegründeten "Europäischen Linkspartei" (EL). Dieser Zu sammenschluss von 17 Parteien aus 15 Ländern vereinigt ein politisch und organisatorisch vielfältiges Spektrum von Parteien, die seit langem eine enge biund multilate rale Zusammenarbeit pflegen: "traditionsbewusste Kommunisten, Linkssozialisten, Rot-Grüne, Linke aus West-, Mittelund Osteuropa, Regierungsparteien und solche in Opposition". 124 Zu den Vollmit gliedern zählen die kommunistischen Parteien Belgiens, Frank reichs, Österreichs, San Marinos, Spaniens sowie die "Partei der Kom munistischen Wiedergründung" aus Italien. Unter den neun Parteien mit "Beobachterstatus" sind u. a. die "Kommunistische Par tei Böhmens und Mährens" aus Tschechien, die "Partei der italieni schen Kommunisten", die "Kommunistische Partei der Slowakei", die kommunistische "Fortschrittspartei des Werktätigen Volkes" (AKEL) aus Zypern und - seit dem 10. Januar - die "Deutsche Kommunisti sche Partei" (DKP). Am 29./30. Oktober fand in Athen der Erste Kongress der EL statt. Mit ei ner Entschließung "Ja, wir können EUROPA verändern!" wollten sich die Mitgliederparteien auf eine gemeinsame Europapolitik verständi gen. In dem im Internet veröffentlichten Beschluss heißt es dazu u. a.: "Auf der weltpolitischen Bühne sind Europa und die heute bestehende Europäische Union für uns der minimale Rahmen für Politik als Aus druck des Klassenkampfes. ... Das wirklich Neue am Beginn dieses Jahrhunderts ist die Entstehung neuer Bewegungen und ihre Fähigkeit, sich zum gemeinsamen Vorge hen zusammenzuschließen. ... Die Aufgabe der europäischen Linken muss es sein, das Wesen dieser neuen Bewegungen zu verstehen und sich darauf vorzubereiten, die Ressourcen zu nutzen, die sie hervor bringen. ... Zugleich - ... - treten die dramatischen Folgen der kapitali stischen Globalisierung für alle Völker deutlich zu Tage. Diese beiden Entwicklungen haben das Thema der Transformation der kapitalisti schen Gesellschaft wieder auf die Tagesordnung gesetzt. ... Die Alter native 'Sozialismus oder Barbarei' ist wieder brandaktuell." 124 "DISPUT" vom Oktober 2005, S. 24. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 167 Die EL verfügt über 17 Abgeordnete im EU-Parlament; diese arbeiten in der "Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/ Nordische Grüne Linke"(KVEL/NGL) mit. Diese setzt sich zurzeit aus 41 Abgeordneten aus 14 Ländern zusammen, darunter Vertreter der kommunistischen Parteien aus Italien, Portugal, Griechenland und Tschechien. Innerhalb der KVEL/NGL ist die "Linkspartei.PDS" mit sie ben Abgeordneten die stärkste Mitgliedspartei. Weiter gehört die "Linkspartei.PDS" dem "Forum der Neuen Europäi schen Linken" (NELF) an. Das NELF ist ein Zusammenschluss von 18 kommunistischen, linkssozialistischen und grün-linken Parteien und Organisationen aus 16 europäischen Ländern. Darunter befindet sich die "Linkspartei.PDS" als einzige deutsche Mitgliedsorganisation, die kommunistischen Parteien Frankreichs, Portugals und Österreichs sowie zwei Kommunistische Parteien Italiens. Besonderen Raum nimmt die Solidarität der "Linkspartei.PDS" mit Solidaritätsarbeit Kuba ein. So beschloss der Parteivorstand, eine offizielle und reprä für das sozialisti sentative Delegation vom 20. bis 27. November nach Kuba zu entsen sche Kuba den. Dazu heißt es: "Mit der Kuba-Reise wird die politische Aufgabenstellung konkreti siert, eine politische Signalwirkung in Bezug auf die solidarische Ver bundenheit der PDS mit der kubanischen Revolution auszudrücken ... In Auswertung des Delegationsbesuches werden Schlussfolgerun gen/Vorschläge für die weitere solidarische Zusammenarbeit mit der Kommunistischen Partei Kubas ... erarbeitet." (Beschluss des Parteivorstands vom 23. Mai 2005, in "PDS-Presse dienst", Heft Nr. 23 vom 10. Juni 2005, S. 8) Die 1991 gegründete "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si beim Parteivor stand der PDS" - nach eigenen Angaben mit 39 regionalen Gruppen - ist wesentlicher Träger dieser Solidaritätsarbeit. Sie setzte die eige nen Materialund Spendensammlungen für humanitäre Zwecke fort und beteiligte sich zusammen mit der KPF an dem Projekt "Compu ter nach Kuba". 125 Seit Jahren greift die "Linkspartei.PDS" - sowohl durch einzelne Ver Solidaritätsarbeit treter als auch durch Strukturen der Partei - Anliegen der in Deutsch für Kurdistan land mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegten "Ar beiterpartei Kurdistans" (PKK) bzw. deren Nachfolgeorganisationen "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) und "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL; vgl. SicherheitsgefährBERICHT 125 Vgl. auch "DIE LINKE.PDS-Pressedienst", Heft 41/05 vom 14. Oktober 2005, S. 12. 2005 168 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE dende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Ver dachtsfälle (ohne Islamismus), Kap. II, Nr. 2.2) auf, um sie politisch zu unterstützen. So reiste Ende März/Anfang April eine Delegation aus Hamburg, der mehrere PDS-Mitglieder angehörten, als Beobachter gruppe für den PDS-Vorstand zu den Feierlichkeiten anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz in die Türkei. 126 Für Kurden ist Newroz untrennbar verbunden mit der langen Geschichte des kurdi schen Kampfes für Freiheit und Frieden und gegen politische soziale und kulturelle Unterdrückung. Kolumbianische Die "Linkspartei.PDS" bot der kolumbianischen terroristischen Gue FARC-EP rillabewegung "Fuerzas Armadas Revolutionarias des ColumbiaEjercito del Pueblo" (FARC-EP)/"Revolutionäre Streitkräfte Kolumbi ens - Armee des Volkes" 127 eine Plattform zur politischen Agitation. Die Mitgliederzeitschrift "DISPUT" 128 veröffentlichte ein Interview mit dem Vorsitzenden des Sekretariats und Chef der Internationalen Kommission der FARC-EP zur aktuellen Situation in Kolumbien und den "Zielen der FARC gegen die nationale Oligarchie". Dieser er klärte, die revolutionären Streitkräfte Kolumbiens machten seit mehr als 40 Jahren Gebrauch vom "Recht auf Rebellion" und kämpf ten für ein neues Kolumbien. 2. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 2.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) gegründet: 1919 als KPD, seit 1968 DKP Sitz: Essen Vorsitzender: Heinz STEHR Mitglieder: weniger als 4.500 (2004: rund 4.500) Publikationen: "Unsere Zeit" (UZ), Auflage 6.300 (2004: 7.500), wöchentlich 126 "Landesinfo Hamburg, Rundbrief für Mitglieder und SympathisantInnen des PDS-Landes verbandes Hamburg", Heft Nr. 2 vom 20. April 2005, S. 12 f. 127 Die 1966 in Kolumbien gegründete FARC-EP ist mit etwa 20.000 Kämpfern die derzeit größte und aktivste Guerillaorganisation in Lateinamerika. Sie ist in ihrer politischen Ziel setzung marxistisch-leninistisch ausgerichtet und strebt eine revolutionäre Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Kolumbien an. Zur Durchsetzung ihrer Ziele führt sie mit militärischen Einheiten einen Kampf gegen nationale Streitund Sicherheitskräfte. In der Vergangenheit verübte sie Bombenanschläge und Attentate mit einer Vielzahl von Op fern in Kolumbien. In erpresserischer Absicht entführte sie inund ausländische Zivilisten - darunter auch deutsche Staatsangehörige - sowie Angehörige des Staatsund Regierungs apparates Kolumbiens. Die FARC-EP wurde in die EU-Liste der terroristischen Organisatio nen aufgenommen. 128 "DISPUT", Heft 4/2005 vom April 2005, S. 35. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 169 Die DKP bekräftigte ihre seit Jahrzehnten gültige ideologisch/politi Unverändert sche Orientierung. In einer "Diskussionsgrundlage" für ein künftiges revolutionäre Parteiprogramm beschreibt sie sich weiterhin als "revolutionäre, Ausrichtung marxistische Partei der Arbeiterklasse", die den "grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen anstrebt". Sie gründe ihre Politik "auf die Theorie von Marx, Engels und Lenin und die Arbeiten anderer Marxistinnen und Marxisten" und verbinde das "Bemühen um Bildung und politische Aufklärung, und die Propagierung ihrer Ziele, auf das engste mit der aktiven Un terstützung und Förderung praktischer Aktionen". "Unverrückbares Ziel" der DKP sei der Sozialismus. Um diesen zu erreichen, will sie die bestehende Gesellschaftsordnung durch "Erringung der politischen Macht der Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen Werktätigen" überwinden. Eine künftige sozialistische Ordnung stünde nach Auf fassung der DKP nicht mehr zur Disposition. Es müssten "alle Versu che der entmachteten Ausbeuter, die mit der Verfassung und den Ge setzen des sozialistischen Staates unvereinbare kapitalistische Ausbeuterordnung wiederherzustellen, auf der Grundlage dieser so zialistischen Gesetzlichkeit unterbunden werden." 129 Die finanziellen Grundlagen der Partei blieben unverändert Schwierige schwach. In ihrem Rechenschaftsbericht gem. SS 23 Parteiengesetz finanzielle Lage (PartG) wies die DKP für das Jahr 2004 Einnahmen in Höhe von 1,3 Mio. Euro aus, darunter 480.000 Euro Spenden einschließlich einzel ner Erbschaften. Somit profitierte die DKP, wie bereits in den vergan genen Jahren, von Nachlässen langjähriger Genossen und konnte da durch erneut die Zahlungsunfähigkeit der Partei abwenden. Besonders kostenträchtig blieb das wöchentlich erscheinende Zen tralorgan "Unsere Zeit" (UZ). Deren Defizit belief sich allein im Jahr 2005 auf 45.000 Euro. 130 Agitationsschwerpunkte der überalterten Partei bildeten die "anti imperialistische" Arbeit, der Widerstand gegen Sozialabbau sowie die Ablehnung der EU-Verfassung. Zur Bundestagswahl am 18. September beschloss der Parteivorstand Verzicht auf eigene auf seiner 3. Tagung (9./10. Juli), die DKP werde "zur Wahl eines lin Kandidatur bei der ken Wahlbündnisses (WASG und PDS) aufrufen" und keine eigenen Bundestagswahl Landeslisten aufstellen. Stattdessen sollten "in Gesprächen mit PDS und WASG zügig Vorschläge für ... Kandidaten der DKP auf Landesund Ortsebene" eingebracht wer den. 131 Schließlich konnte ein Dutzend DKPMitglieder auf Landeslisten der "Linkspar 129 UZ vom 1. April 2005 (Beilage). 130 UZ vom 11. November 2005, S. 16. BERICHT 131 "DKP-Information" Nr. 2/2005 vom 15. Juli 2005, S. 10. 2005 170 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE tei.PDS" kandidieren. Keines von ihnen gelangte in den Deutschen Bundestag.Die Entscheidung der Parteiführung für einen Verzicht auf eigene Landeslisten und auch auf Einzelkandidaten in Wahlkrei sen zugunsten der "Linkspartei.PDS" 132 traf vor allem bei den stärker traditionalistisch gestimmten Parteigliederungen in den östlichen Bundesländern auf Kritik und bisweilen auf den Vorwurf, die DKP gebe damit ihre Identität als kommunistische Partei auf. Ähnlich gelagerte ideologische Differenzen, die 2004 zu erheblichen Spannungen in der Partei geführt hatten, bestanden fort, eskalierten aber nicht. Sie wurden weiterhin an unterschiedlichen Positionen in der Programmdebatte deutlich. Unter dem Motto "Solidarisch kämpfen! Sozial'is muss!" veranstal tete das DKP-Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) vom 24. bis 26. Juni im Revierpark Wischlingen in Dortmund sein 14. UZ-Pressefest. 133 An den drei Veranstaltungstagen wurden zusammen rund 20.000 Besu cher festgestellt. Ein breitgefächertes kulturelles Programm sorgte für Zulauf. Auch die angebotenen Diskussionsveranstaltungen mit Podiumsteilnehmern aus traditionellen "Bündnispartnern" der DKP fanden Beachtung. Aus dem Ausland waren Vertreter von 22 "Bru derparteien" angereist. Internationale Die internationalen Verbindungen der DKP blieben gemessen am Verbindungen Gewicht der Partei beachtlich. So gehört sie einerseits mit Beobach terstatus der "Europäischen Linkspartei" (EL; vgl. Nr. 1.5) an. Anderer seits hält sie engen Kontakt zu stärker traditionskommunistisch aus gerichteten Parteien, die mit dem angeblich "revisionistischen" Kurs der EL nicht einverstanden sind. 2.2 Organisationen im Umfeld der DKP Das Umfeld der DKP bilden einzelne Organisationen, die entweder die politische Ausrichtung der Partei im Wesentlichen teilen oder maßgeblich von DKP-Mitgliedern geleitet werden. 2.2.1 Jugendorganisationen SDAJ und AMS Traditionell eng verbunden mit der DKP sind die Jugendorganisation "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) und die "Assoziation Marxistischer StudentInnen" (AMS). Beide Organisationen sind zwar juristisch selbständig, aber ihre politische Ausrichtung unterscheidet sich nicht von der der DKP. Die SDAJ (bundesweit etwas mehr als 300 Mitglieder) ist nicht mehr 132 "DKP-Information" Nr. 3/2005 vom 30. September 2005, S. 5. 133 Berichte in UZ vom 1. Juli 2005 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 171 in jedem Bundesland vertreten. Auf ihrem Bundeskongress in Han nover am 9. und 10. Oktober 2004 hatte sie einen Bundesvorstand ge wählt, der nunmehr die kollektive Geschäftsführung wahrnimmt. Das Amt des Bundesvorsitzenden wurde abgeschafft. Eine SDAJ-Delegation nahm im August mit mehreren Dutzend Teil nehmern an den "16. Weltfestspielen der Jugend und Studierenden" in Caracas (Venezuela) teil. 134 Diese traditionskommunistisch und antiimperialistisch geprägten "Weltfestspiele" sollen für sozialisti sche Ideen und Regime werben. Die SDAJ gehört weiter als Mitglied dem Träger dieser Veranstaltungen, der 1945 gegründeten, ehemals sowjetischen "Frontorganisation" "Weltbund der Demokratischen Jugend" (WBDJ) an. Die AMS (nahe 60 Mitglieder) ist nach eigener Aussage die einzige bundesweite marxistische Studentenorganisation in Deutschland. Ein Mitglied ihres Sprecherinnen-/Sprecherrates gehört dem Partei vorstand der DKP an. In ihren "Thesen zur marxistischen Hochschul politik" propagiert die AMS, Bildung müsse dazu beitragen, "die Funktionsweise des kapitalistischen Systems zu erkennen und Wege zu seiner Überwindung aufzuzeigen." Dazu gehöre "das Bündnis mit den arbeitenden Menschen und ihren Klassenorganisationen in al len entscheidenden Fragen" ebenso wie aktive Agitation und Propa ganda auf der Straße. 135 2.2.2 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V." (VVN-BdA) In der linksextremistisch beeinflussten VVN-BdA besetzen weiterhin Linksextremistisch Mitglieder und ehemalige Mitglieder der DKP sowie traditionali beeinflusst stisch eingestellte Mitglieder der "Linkspartei.PDS" die wichtigsten Leitungspositionen. Der Verband blieb daher dominant dem ortho dox-kommunistischen "Antifaschismus" verpflichtet, wonach Rechtsextremismus im inneren Zusammenhang mit marktwirt schaftlichen Ordnungssystemen steht und daher staatliche Institu tionen in westlichen Demokratien rechtsextremistische Umtriebe eher unterstützten als bekämpften. In dieser Sichtweise ist eine so zialistisch/kommunistische Diktatur die einzig konsequente Alterna tive zu "faschistischen" Gefahren. Die VVN-BdA verzichtet jedoch mit Rücksicht auf ihre Bündnisbemühungen gegenüber linken Kräften des demokratischen Spektrums seit 1989 darauf, linksextremistische Gewaltund Unrechtssysteme ausdrücklich als vorbildlich darzustel len; allerdings werden kommunistische Verbrechen konsequent re lativiert, ignoriert oder sogar geleugnet. So wurde auf dem Bundeskongress der VVN-BdA (29./30. Mai in 134 UZ vom 19. August, 26. August und 2. September 2005. BERICHT 135 "kommunique", Zeitung der AMS, Nr. 5/05 (Frühjahr 2005). 2005 172 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Frankfurt/Main) nahezu einstimmig der Theologe Prof. s.c. Heinrich FINK zu einem der beiden gleichberechtigten Vorsitzenden gewählt. Ohne Auswirkung auf die Wahl blieb, dass wenige Wochen zuvor Do kumente des "Ministeriums für Staatssicherheit" (MfS) in der Presse behandelt worden waren, nach denen FINK, bis 1989 als "IM Heiner" beim MfS geführt, u. a. den Inhalt vertraulicher seelsorgerischer Ge spräche mit seinen Studenten an die Staatssicherheit der DDR weiter gemeldet hatte. Stattdessen verbreitete der zweite Vorsitzende Wer ner PFENNIG in einer Presseerklärung des Verbandes: "Dass Heinrich Fink als christlicher Sozialist, der sich dazu bekannte, in der DDR am Versuch des Aufbaus eines antifaschistischen Staats wesens mitgearbeitet zu haben, als Mitglied der PDS und als Mitglied der VVN-BdA eine missliebige Politik vertritt, ist für ihn nicht ehren rührig, sondern für jene, die sich mit ihm nicht offen, sondern über den Umweg der unsäglichen Stasi-Vorwürfe auseinandersetzen. ... Die VVN-BdA sieht jedenfalls keinen Grund, an der Integrität ihres Vorsitzenden zu zweifeln." (VVN-BdA-Organ "Antifa" Juni 2005, S. 20) Der Kampf gegen angeblichen "Geschichtsrevisionismus", also die Verteidigung kommunistischer Widerstandslegenden gegen die vom Grundgesetz geforderte Ablehnung rechter und linker Diktatu ren bildete weiterhin einen Schwerpunkt des "ideologischen Kamp fes" der VVN-BdA. Differenzierte Darstellungen der Ereignisse vom Mai 1945, wie sie aus Anlass des 60. Jahrestages des Kriegsendes durch demokratische Kräfte vermittelt wurden, lehnte ein hochran giges VVN-BdA-Mitglied ausdrücklich deshalb ab, weil sie angeblich "überwiegend die Urheberschaft des Faschismus verschleiern". 136 Die VVN-BdA hält an der kommunistischen Vorstellung fest, dass ausschließlich der Kapitalismus für "Faschismus und Krieg" verant wortlich sei. Ihr Bundeskongress formulierte programmatisch in ei ner Erklärung, man wolle "dem massiven Drängen widerstehen, mittels des Totalitarismuskon zepts und 'Diktaturenvergleichs' eine rechtsgerichtete Erinnerungs und Gedenkkultur dauerhaft durchzusetzen, die die Nazibarbarei anonymisiert und entlastet, die Verbrechen und Opfer des deutschen Kaiserreiches bis 1918 sowie die der Jahre der Weimarer Republik ver drängt und unter der Parole von 'zwei deutschen Diktaturen und ihren Opfern' auf weite Sicht antifaschistische Geschichtsbilder ein ebnen sowie antikommunistisch dominieren und deformieren soll." ("Antifa", Juli/August 2005, S. 21) 136 Gerd DEUMLICH, Vorsitzender der zur VVN-BdA gehörenden "Emslandlagergemeinschaft" im DKP-Theorieorgan "Marxistische Blätter" 3/2005, S. 15. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 173 2.2.3 "Marx-Engels-Stiftung e. V." (MES) Die linksextremistisch beeinflusste MES blieb ein Instrument des Linksextremistisch "ideologischen Kampfes" in erster Linie für DKP-Parteitheoretiker beeinflusst und Propagandisten, weiterhin aber auch für traditionskommuni stisch eingestellte ehemalige SED-Wissenschaftskader. Ihr neu ge wählter Vorsitzender, wie seine Vorgänger Mitglied der DKP, umriss ihr Aufgabenfeld - unter Beachtung der "im Leninschen Sinne unauf hebbaren Dialektik von Theorie und Praxis": Die MES sei eine von Parteien und anderen Organisationen unabhängige Institution, doch seien ihre Mitglieder überzeugt, dass eine marxistische Gegen wartsanalyse auch immer die Frage nach einer wirkungsvollen Orga nisation des antikapitalistischen Widerstandes einschließe. 137 Die MES war bemüht, ihr Tätigkeitsfeld auszuweiten. So veranstaltete sie im April in Wuppertal gemeinsam mit der "Rosa-Luxemburg-Stif tung" in Nordrhein-Westfalen eine Konferenz "Islam - Islamismus 'islamischer' Widerstand" mit deutlichen "antiimperialistischen" und vor allem antiamerikanischen Akzenten. 2.2.4 "Bundesausschuss Friedensratschlag" Der linksextremistisch beeinflusste "Bundesausschuss Friedensrat Linksextremistisch schlag", ein Forum aus Kommunisten, Anhängern der beeinflusst "Linkspartei.PDS" und traditionellen Bündnispartnern von Linksex tremisten, trat im Wesentlichen durch seinen jährlichen "Friedens politischen Ratschlag" Anfang Dezember in Erscheinung. Seine von Funktionären noch vor der Konferenz entworfene und den Teilneh mern lediglich zur Akklamation vorgelegte "Erklärung" hielt an ei ner leninistischen Kriegsursachenanalyse fest. Demnach dienen ver teidigungspolitische Maßnahmen westlicher Demokratien grundsätzlich imperialistischen Zielen im Ausland und der Bekämp fung sozialer Protestbewegungen im Inland: "Der ausgeweitete 'Anti-Terrorkampf' ist selbst Terror und steigert die Spirale der Ge walt. Innenpolitisch wird dieser Kampf zunehmend in den Dienst des Abbaus demokratischer Grundrechte gestellt." 138 137 UZ vom 29. Juli 2005, S. 16. BERICHT 138 "Erklärung des Friedenspolitischen Ratschlags", in: UZ vom 16. Dezember 2005, S. 7. 2005 174 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3. "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) gegründet: 1982 Sitz des Zentralkomitees: Gelsenkirchen Vorsitzender: Stefan ENGEL Mitglieder: um die 2.300 (2004: mehr als 2.000) Publikationen: "Rote Fahne", wöchentlich; "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "Rebell"), zweimonatlich; "Lernen und Kämpfen", mehrmals jährlich Teilnahme an der Die maoistisch-stalinistisch orientierte MLPD blieb weiterhin selbst Bundestagswahl unter Linksextremisten isoliert. Sie versuchte erfolglos, sich zur Bun destagswahl am 18. September in das Projekt einer gemeinsamen Linkspartei einzubringen. Schließlich stellte sie als "MLPD/ Offene Liste" in allen 16 Bundesländern eigene Kandidaten auf. Die Parteiführung deklarierte den Wahlkampf von Be ginn an als Maßnahme zur "Erweiterung und Beschleunigung des Parteiaufbaus" 139 ; sie versprach sich davon Kontakte zu potenziellen Sympathisanten und eine vergrößerte Mitglie derbasis. Ihr Zweitstimmenanteil blieb mit 0,1 % (45.000 Stimmen) statistisch irrelevant. Im Vergleich zur letzten flächendeckenden Teilnahme der MLPD an einer Bundestagswahl (1994) konnte die Par tei aber ihren Zuspruch vervierfachen. Zugewinne ergaben sich an traditionellen Standorten der Partei in Nordrhein-Westfalen und Ba den-Württemberg, vor allem aber in einzelnen östlichen Bundeslän dern. Der Parteivorsitzende Stefan ENGEL erklärte, der "tatsächliche Ein fluss" der MLPD auf "die Massen" sei sogar wesentlich höher, als das Wahlergebnis deutlich mache 140 : "Die bürgerlichen Wahlen sind selbst eine massive Manipulation der öffentlichen Meinung mit ihrer so genannten abgestuften Chancen gleichheit, nach der die kleineren Parteien systematisch aus den Me dien gedrängt und unter "Sonstiges" zusammengefasst werden ... Die 139 MLPD-Zentralorgan "Rote Fahne" (RF) vom 29. Juli 2005, S. 16. 140 RF vom 23. September 2005, S. 12 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 175 einzige gesellschaftsverändernde Kraft in Deutschland ist die MLPD. Die Wahlen können nie mehr sein als ein Gradmesser des Bewusst seins der Massen." ("Rote Fahne" vom 26. August 2005, S. 15) Intern setzte die MLPD ihre Gewohnheit fort, auf angebliche "Abwei chungen" von der Parteilinie mit internen "Säuberungen" zu reagie ren. So fand Mitte des Jahres auf Veranlassung der Parteiführung ein "1. außerordentlicher Parteitag der MLPD" statt. Anlass dazu boten angebliche "Tendenzen einer revisionistischen Entartung" in der "Zentralen Kontrollkommission" (ZKK) der Partei. Tatsächlich dürfte eine Machtdemonstration der Parteiführung gegenüber der ZKK die Ursache gebildet haben. Die auf dem VII. Parteitag 2004 gewählte Kommission wurde suspendiert. Nach innen wurde die "Säuberung" als großer Erfolg der Gesamtpartei dargestellt: "Der außerordentliche Parteitag der MLPD markiert einen histori schen Sieg des Systems der Selbstkontrolle der Partei über die Gefahr der revisionistischen Entartung der Zentralen Kontrollkommission der Partei und der Veränderung des Charakters der Partei als Partei neuen Typs." ("Dokumente des 1. außerordentlichen Parteitages der MLPD", S. 152) Tatsächlich prägen sich in der MLPD aus dem Hochstalinismus ent lehnte Denkund Handlungsmuster zunehmend deutlicher aus. Die Parteiführung beansprucht eine totale Kontrolle über das Denken der Mitglieder und der leitenden Funktionäre. Sie erklärte, "die Kon trolle der Denkweise insbesondere der leitenden Kader der Partei" sei von ausschlaggebender Bedeutung, um einer "revisionistischen Entartung" vorzubeugen. 141 Ansätze zum Personenkult um den Par teivorsitzenden nahmen zu: Im Sommer wurde ENGEL, der die Partei seit 1982 führt, im Zentralorgan "Rote Fahne" auf mehreren Seiten als "dienstältester Parteivorsitzender der Bundesrepublik" gefeiert. 142 4. Trotzkistische Gruppen Die Anhänger des russischen Revolutionärs Leo Bronstein, genannt Trotzki (1878-1940), unterscheiden sich vom leninistisch-stalinisti schen Traditionsstrang des revolutionären Marxismus u. a. dadurch, dass sie die Errichtung einer Diktatur des Proletariats durch Arbei terräte nur in einer weltweiten Revolution für möglich halten. Sie sind daher konsequent "internationalistisch" orientiert. In Deutsch 141 "Dokumente des 1. außerordentlichen Parteitages der MLPD", S. 94. BERICHT 142 RF vom 21. Januar 2005, S. 8 ff.. 2005 176 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE land sind derzeit 17 internationale trotzkistische Dachverbände mit 21 Sektionen oder Resonanzgruppen aktiv. Die Zahl ihrer Aktivisten ging leicht auf insgesamt etwa 1.600 zurück. Sie waren in Zusam menschlüssen organisiert, deren Größe von Splittergruppen bis hin zu handlungsfähigen Strukturen mit mehreren Hundert Mitgliedern reichte. Nach dem Stil ihres politischen Auftretens lassen sich zwei unterschiedliche Typen trotzkistischer Organisationen unterschei den: Selbst innerhalb des Linksextremismus isoliert bleiben ideologisch erstarrte Gruppen, die als selbsternannte Hüter trotzkistischer Or thodoxie ihre Aktivitäten weitgehend auf die ideologische Bekämp fung konkurrierender trotzkistischer Zusammenschlüsse beschrän ken. Eine der sterilsten Gruppierungen unter diesen "Propaganda Fighting Groups", die "Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands" (SpAD, deutsche Sektion der "International Communist League", Sitz New York) propagierte die "Wiederschmiedung der Vierten Interna tionale, Weltpartei der proletarischen Revolution". 143 Ihre Jugendor ganisation will auf der Basis eines "proletarischen, revolutionären und internationalistischen Programms, des Programms von Marx, Engels, Lenin und Trotzki, für neue sozialistische Revolutionen welt weit" 144 kämpfen. Die mit der SpAD konkurrierende "Gruppe Arbei termacht" (GAM, deutsche Sektion der "League for the Fifth Interna tional", Sitz London), mit Stützpunkten in immerhin einem Dutzend Städten, will den "bürgerlichen Staat entwaffnen" 145 und eine Gesell schaftsordnung errichten, in der "die Arbeiterklasse durch Räte herrscht". Eine solche Revolution könne nicht auf ein Land be schränkt sein, sondern müsse die Weltrevolution zum Ziel haben. 146 Aktionsorientierte trotzkistische Strömungen hingegen suchen die Beteiligung an gesellschaftlichen Protestkampagnen und auf typi schen Handlungsfeldern von Linksextremisten. Sie sind dazu auch bereit, organisiert in nichtextremistische Gruppen einzutreten (so genannter Entrismus). Ihre Aktivitäten sind wegen ihres oft jugendli chen Anhängerpotenzials, straffer Organisation und internationaler Koordination bisweilen deutlicher wahrnehmbar als diejenigen zah lenmäßig stärkerer linksextremistischer Formationen. 143 "Spartakist" Nr. 158 vom Frühjahr 2005, S. 14. 144 "Spartakist" Nr. 160 vom Herbst 2005, S. 5. 145 "Neue Internationale" Nr. 8/9-05, S. 6. 146 Flugschrift der GAM vom Sommer 2005. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 177 4.1 "Sozialistische Alternative" (SAV) Die SAV ist die deutsche Sektion des internationa len Dachverbandes "Committee for a Worker's In ternational" (CWI, Sitz London). CWI leitet 30 na tionale Sektionen an und propagiert die "weltweite Abschaffung des kapitalistischen Profitsystems und den Aufbau einer Föderation so zialistischer Demokratien". 147 Die deutsche Sektion teilt das Ziel des CWI, eine "revolutionäre sozialistische Masseninternationale" 148 auf bauen zu wollen. Ihre rund 400 Mitglieder bildeten größere Gruppen vor allem in Berlin, Hamburg, Kassel, Köln, Aachen und Stuttgart. In der nichtextremistischen Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) sah die SAV die Chance, eine "Massen partei für abhängig Beschäftigte, Erwerbslose, Jugendliche und RentnerInnen" 149 aufzubauen. Die SAV-Leitung wies ihre Kader an, "in der WASG für einen kämpferischen Kurs, einen demokratischen Aufbau und ein sozialistisches Programm" 150 einzutreten. Auf örtli cher Ebene gelangten SAV-Mitglieder in Vorstandsfunktionen der WASG. Sie trafen aber auch auf Widerstand: Ihnen wurde bedeutet, dass die Mitarbeit von anderen Parteien in der WASG unerwünscht sei. Ein weiteres Aktionsfeld der SAV blieb das 1996 in der ehemali gen ÖTV initiierte "Netzwerk für eine kämpferische und demokrati sche ver.di". Dazu erklärte die SAV, ihre Mitglieder seien "aktive Ge werkschafterInnen und beteiligen sich am Aufbau von innergewerkschaftlichen Oppositionsgruppen und Zusammen schlüssen". 151 Die SAV-Jugendorganisation - Teil des CWI-gesteuerten "Internatio nal Socialist Resistance" - nennt sich in Deutschland "Widerstand in ternational - wi!". Sie versteht sich als "Teil der Bewegung gegen ka pitalistische Globalisierung und Krieg" 152 und nahm an internationalen Protesten, z. B. gegen den G8-Gipfel im schottischen Gleneagles im Juli, teil. 4.2 Gruppe "Linksruck" Die Gruppe "Linksruck", deutsche Sektion des inter nationalen trotzkistischen Dachverbandes "Inter national Socialist Tendency" (IST, Sitz London), for dert eine "Revolution, nicht als bloße Träumerei von einer besseren Welt, sondern als Mittel, überhaupt soziale Forderun 147 Alle Ausgaben des SAV-Organs "Solidarität", jeweils S. 11. 148 "Solidarität" Nr. 38 vom August 2005, S. 10. 149 Ebenda. 150 Ebenda. 151 Ebenda. BERICHT 152 wi-Flugschrift "Zukunft erkämpfen" von 2005. 2005 178 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE gen gegen die Herrschenden durchzusetzen". Dazu sei die "Zerschla gung des bewaffneten Staatsapparates" und die "Entmachtung der Bosse" notwendig. 153 Die rund 300 Mitglieder versuchten weiter, an gesellschaftliche Protestbewegungen anzuknüpfen. Sie agitierten gegen "Sozialabbau" und riefen zu Protesten gegen den Deutsch land-Besuch des US-Präsidenten im März auf. Stets will "Linksruck" durch Einschaltung in linke Protestbewegungen in erster Linie An hänger werben, um die eigene Organisation zu stärken. So hieß es anlässlich der Mobilisierung gegen eine NPD-Demonstration am 8. Mai in Berlin in einem internen Blatt der Gruppe: "Daher ist die Kampagne gegen die NPD ein Sprungbrett dafür, unsere Wachstumsziele bis Mai zu erreichen. Voraussetzung dafür ist, dass wir gemeinsame Mobilisierungsaktivitäten mit Beitrittsgesprächen verbinden." ("Linksruck-Notizen" vom 7. März 2005, S. 3) Bereits vor der Ankündigung der vorgezogenen Bundestagswahl hatte "Linksruck" seine Kader angewiesen, sich in der WASG zu enga gieren. Dazu sollten die begrenzten personellen Reserven der Grup pen auf "Teams" aufgeteilt werden, die ausschließlich für "Linksruck" auftreten und andere, die in der - nichtextremistischen - WASG mit arbeiten. Eine konstruktive Mitwirkung in einer parlamentarisch ausgerichteten Partei ist damit nicht beabsichtigt, wie Christine BUCHHOLZ, Mitglied der "Linksruck"-Bundesleitung und zugleich des erweiterten Bundesvorstands der WASG, erläuterte: "Keine Regierung wird linke Politik ausgehend vom Parlament durch setzen können. ... Eine linke Regierung kann wirkliche Verbesserun gen nur unter einer Bedingung durchsetzen: Wenn die Bosse wegen ei ner starken Bewegung von unten, Massendemonstrationen und Generalstreiks fürchten müssen, ihre Macht zu verlieren." ("Linksruck-Zeitung für internationalen Sozialismus" vom 20. Juli 2005, S. 4) Die Aktivitäten von "Linksruck" trafen in der WASG zum Teil auf Wi derstand; ein durchgreifender Erfolg blieb insofern aus. Durch ihr geschlossenes Handeln konnten "Linksruck"-Kader aber in einzelnen Orten, in denen die Gruppe stark vertreten ist, Personen in Vorstän den der WASG platzieren. 153 "Linksruck - Zeitung für internationalen Sozialismus" vom 20. Juli 2005, S. 7. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 179 5. "Rote Hilfe e. V." (RH) gegründet: 1975 Sitz: Göttingen (Bundesgeschäftsstelle) Mitglieder: über 4.300 (2004: über 4.600) in fast 40 Ortsgruppen Publikation: "Die Rote Hilfe", vierteljährlich Die "Rote Hilfe e. V." (RH) verfolgte wie in den Vorjahren ihre sat zungsgemäße Hauptaufgabe, als strömungsübergreifende Organisa tion linksextremistische Straftäter und gemäß ihrer Sicht von "staatli cher Repression" Betroffene aus dem linksextremistischen Spektrum durch finanzielle und politische Solidarität zu unterstützen. Der Bundesvorstand erstellte zum 18. März - dem alljährlich dekla rierten "Tag der politischen Gefangenen" 154 - eine "Sonderausgabe der Roten Hilfe" als Beilage zur Tageszeitung "junge Welt" (jW) vom 11. März, die neben Berichten über inhaftierte Linksextremisten - im Inund Ausland - auch die Forderung nach der "Abschaffung aller Knäste" enthält. In den Revisionsverfahren gegen zwei militante Magdeburger Links extremisten 155 setzte sich die RH gemeinsam mit der autonomen "Soligruppe Magdeburg/Quedlinburg" für die sofortige Freilassung der Inhaftierten ein. In einer im Internet veröffentlichten Presseer klärung vom 19. Oktober rief der Bundesvorstand zur Prozessbeob achtung auf und behauptete: "Wem es tatsächlich um Gerechtigkeit geht, für den kann es nur eine Konsequenz geben: die Forderung nach sofortiger Freilassung!" Insbesondere durch fortlaufende Berichterstattung auf ihrer Inter netseite begleitete die RH neben weiteren Unterstützergruppen den Prozess gegen einen belgischen und drei spanische Anarchisten, die am 28. September vom Aachener Landgericht wegen Geiselnahme und anderer Straftaten zu zum Teil langjährigen Freiheitsstrafen ver urteilt wurden. In der Ausgabe Nr. 3/2005 ihrer vierteljährlich er 154 Der traditionelle Aktionstag 18. März nimmt Bezug auf den bürgerlichen Widerstand ge gen den Feudalismus im Jahre 1848 und den Beginn der Pariser Kommune 1871. Bereits 1923 hat die Internationale Rote Hilfe dieses Datum zum "Tag der Solidarität mit den politischen Gefangenen" erklärt. 155 Das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg (Sachsen-Anhalt) hatte am 16. Dezember 2003 die beiden Magdeburger Militanten wegen Brandstiftung in vier Fällen zu zwei Jahren Jugend strafe verurteilt. Dem Urteil zufolge waren die beiden Linksextremisten am 18. März 2002 in Magdeburg an Brandanschlägen auf das Gebäude des Landeskriminalamtes (LKA) und auf ein Fahrzeug des Bundesgrenzschutzes (BGS) sowie an weiteren gleichartigen Straftaten - u. a. unter der Gruppenbezeichnung "revolutionaere aktion carlo giuliani" - beteiligt. Ein BERICHT dritter Angeklagter war seinerzeit vom OLG freigesprochen worden. 2005 180 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE scheinenden Zeitschrift "DIE ROTE HILFE" nahm die RH den Aache ner Prozess zum Anlass, über Haftbedingungen in spanischen Ge fängnissen zu berichten, in denen zwei der drei Spanier bereits langjährige Haftstrafen verbüßt hatten. Zu vereinsinternen Auseinandersetzungen kam es, nachdem der Bundesvorstand sich geweigert hatte, ein Mitglied, welches ein an deres Mitglied der RH aufgrund einer körperlichen Auseinanderset zung bei einer Demonstration bei der Polizei angezeigt hatte, nicht aus der Organisation auszuschließen. Die Ortsgruppe Berlin befand, dies sei ein nicht akzeptierbares Fehlverhalten, denn "die Zusam menarbeit mit staatlichen Repressionsorganen ist ein "eklatanter Bruch" mit den Grundsätzen der "Roten Hilfe" und gefährde die Si cherheit der einzelnen Mitglieder und den Bestand der Organisa tion" 156 ; sie forderte sofortige Neuwahlen des Bundesvorstands. Der Bundesvorstand berief sich auf den strömungsübergreifenden Cha rakter der RH und verurteilte die Art und Weise der Auseinanderset zung als völlig unsolidarisch. Im Februar gründete die RH einen Verein zur "Errichtung und Förde rung eines Archivs der Solidaritätsorganisationen der Arbeiterund Arbeiterinnenbewegung und der sozialen Bewegungen" (Rote-HilfeArchiv) und setzte damit den auf der Bundesdelegiertenversamm lung im September 2004 gefassten Beschluss der Mitglieder um, dass zur Arbeit der RH auch die Beschäftigung mit der eigenen Ge schichte gehöre. Grundlage der Sammlung bilden als Leihgabe die bisher im Göttinger Archiv der RH vorhandenen Dokumente. Die RH stellte dem Verein eine Anschubfinanzierung zur Verfügung. Neben der Archivierung von einschlägigen Materialien sieht der Verein ent sprechend seiner Satzung auch die Schulung einer interessierten Öf fentlichkeit durch Seminare und Vorträge als seine Aufgabe an. IV. Aktionsfelder 1. "Antifaschismus" "Antifaschismus" Der "Antifaschismus", das traditionelle Aktionsfeld linksextremisti mit systemüber scher Zusammenschlüsse, zielt nur vordergründig auf die Bekämp windender fung rechtsextremistischer Bestrebungen. Eigentliche Stoßrichtung Stoßrichtung ist letztendlich die freiheitlich verfasste demokratische Gesellschafts ordnung als "kapitalistisches System", in dem der Faschismus angeb lich seine Wurzeln habe. Dazu erklärte das autonome "Bündnis Anti faschistischer Gruppen Hessen" (BASH) im Internet: 156 RH Mitgliederrundbrief 3/2005, S. 2. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 181 "Konsequenter Antifaschismus muss sich also notwendig in Gegner schaft zu dieser Gesellschaft und ihrem Staat begeben, wenn er die fa schistischen Tendenzen konsequent bekämpfen will. Das heißt, dass ernst gemeinter Antifaschismus revolutionär, also auf die grundle gende Überwindung der bestehenden Verhältnisse gerichtet sein muss. ... Mit revolutionären AntifaschistInnen ist also aus gutem Grund kein Staat zu machen." Ebenso offen und eindeutig äußert sich der "Linkspartei.PDS"-Ju gendverband "['solid]" Brandenburg (vgl. Kap. III, Nr. 1.2) im Internet unter der Überschrift "Wer vom Faschismus redet, darf zum Kapita lismus nicht schweigen" von der "grundsätzlichen Verbindung" von faschistischer Theorie und Praxis sowie dem Kapitalismus und zieht daraus den Schluss: "Antifaschismus ist demnach für uns nicht nur die Abwehr und Bekämpfung jeglicher faschistischer Aktivitäten, sondern auch die Bekämpfung der herrschenden Verhältnisse des Kapitalismus." Der "antifaschistische Kampf" rückte - vor allem nach den Erfolgen Aktivitäten rechtsextremistischer Parteien bei Landtagswahlen im Jahr 2004 - weiter in den Blickpunkt gewaltbereiter Linksextremisten. Dies führte im Vergleich zu den Vorjahren in verschiedenen Regionen zu verstärkten Aktivitäten insbesondere gegen "Nazi-Aufmärsche" und in Einzelfällen zu aggressiverem Vorgehen in der Auseinanderset zung mit Rechtsextremisten. Ein direktes Aufeinandertreffen der un terschiedlichen Lager konnte häufig durch massive Polizeipräsenz bzw. geeignete Polizeimaßnahmen verhindert werden. Aktionistisch ausgerichtete Autonome sahen den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten vorrangig im Kampf gegen "Faschisten". Dabei suchten sie die direkte Konfrontation mit dem politischen Gegner auf der Straße und versuchten, durch Massenmilitanz oder in Kleingruppen taktik deren Aufmärsche zu verhindern bzw. zu stören. Ziele waren auch Einrichtungen von Rechtsextremisten wie Trefflokale oder Info stände. Szeneangehörige schrieben in einem Internetbeitrag unter der Überschrift "Naziangriffe stoppen": "... wo sie auftauchen werden sie angegriffen, selbst wenn sie von de mos nach hause kommen, müssen sie damit rechnen als 30-köpfiger haufen noch aufs maul zu bekommen. ... es hilft dort nur eins. die eiBERICHT 2005 182 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE genen strukturen müssen noch stärker geschützt werden, den nazis muss unbarmherzig aufs dach gestiegen werden. d. h. zurück zu den alten formen. hausbesuche, einzelne abgreifen, autos aufpolieren etc." Zum Teil regte sich in der Szene auch Kritik gegen solche Militanz und sie warnten: "Antifa heißt nicht Hooliganism. Klar, jeder Nazi hat etwas auf die Fresse verdient, vor allem in Verteidigungssituationen, aber es sollte immer beim Denkzettel bleiben. Wenn jedoch ein Nazi, wie gesche hen am Hauptbahnhof auf der Rückreise von Pirna nach Leipzig, der artig verwammst wird, dass er später durch einen Leberriss in Lebens gefahr schwebt, dann ist die Vertretbarkeit der angewendeten Gewalt, deutlich überschritten." ("Incipito" Nr. 15 vom Januar 2005, S. 25) Stärker theoretisch ausgerichtete Linksextremisten forderten, die Be kämpfung des "kapitalistischen Systems" in den Vordergrund ihrer "politischen" Arbeit zu stellen. So betonte die autonome Gruppe "Po litik.Organisation.Praxis. [P.O.P.]" in einer im Internet verbreiteten Grundsatzerklärung: "Es ist von daher unumgänglich, aktuelle gesellschaftliche Zusam menhänge angemessen zu analysieren, um aus revolutionärer Be trachtung heraus Handlungsperspektiven möglich zu machen. ... Wir sind der Überzeugung, dass [es] für die Überwindung von Staat und Kapital der verbindlichen Organisierung bedarf. Wir sind nur gemein sam stark, denn eine gut strukturierte Organisation [ist] viel eher in der Lage, den politischen Kampf zu führen. ... Festzuhalten ist, dass jede revolutionäre Organisation langfristig in der Lage sein muss, wirkliche Veränderung auch durchsetzen zu können, wir wollen den Klassenkampf heute, morgen bis zum Ziel!" Militante Aktionen Typisch für militante Aktionen von Linksextremisten gegen Rechts extremisten sind folgende Beispiele: - Am 29. Januar beteiligten sich in Kiel (Schleswig-Holstein) etwa 1.750 Gewaltbereite, von denen bis zu 1.200 vermummt und ca. 500 mit Schlagwerkzeugen ausgerüstet waren, an einer De monstration der dem linken Spektrum zuzurechnenden "Run den Tische gegen Rassismus und Faschismus" gegen einen Auf LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 183 zug von Rechtsextremisten. Nach Beendigung der Demonstra tion, an der sich insgesamt etwa 7.000 Personen beteiligten, kam es zu massiven Störungen durch zahlreiche linke Klein gruppen im gesamten Umfeld des Marschweges der Rechtsex tremisten. Dabei wurden Container in Brand gesetzt, Signal munition gegen Wasserwerfer abgeschossen, Pkw-Reifen zer stochen, Scheiben einer Sparkassenfiliale und eines Streifenwa gens zerstört sowie Polizeibeamte mit Flaschen beworfen. - In Leipzig protestierten am 1. Mai ca. 2.000 Gewaltbereite, da von mehrere hundert Angehörige der autonomen Szene, ge gen einen von dem Hamburger Rechtsextremisten Christian WORCH angemeldeten Aufmarsch. Im Verlauf der Protestak tion, an der insgesamt etwa 4.000 Personen teilnahmen, wur den aus den Reihen der Gewaltbereiten Signalmunition gezün det, Polizeibeamte sowie Teilnehmer des rechtsextremisti schen Aufzugs massiv mit Steinen und Flaschen beworfen, Bar rikaden errichtet und mehrfach Sitzblockaden durchgeführt. Die Veranstaltung der Rechtsextremisten musste vorzeitig be endet werden. Insgesamt wurden 66 Einsatzkräfte der Polizei verletzt und 31 Dienstfahrzeuge beschädigt. Die Polizei führte 104 freiheitsentziehende Maßnahmen durch. In einem vorab im Internet veröffentlichten Beitrag hieß es dazu: "Das wir alles dafür tun, dem völkischen Mob gehörig den Tag zu ver sauen, liegt auf der Hand. Deshalb rufen wir jedeN dazu auf, sich den Nazis offensiv in den Weg zu stellen." - Zum 29. Oktober hatte in Göttingen ein breites Bündnis zu Pro testaktionen gegen einen Aufmarsch des NPD-Landesverbands Niedersachsen mobilisiert: Neben zahlreichen demokrati schen Organisationen unterstützten auch örtliche Gremien der "Linkspartei.PDS" sowie der DKP und einzelne autonome Struk turen einen entsprechenden Aufruf, in dem es u. a. hieß: "Wir fordern alle Menschen auf, sich mit ihren Mitteln und Protest formen an den Aktivitäten gegen den Nazi-Aufmarsch zu betei ligen." Die mit erheblichen Ausschreitungen verbundenen Ak tionen (vgl. Kap. I, Nr. 1.2) wurden später im Internet wie folgt bewertet: "Das Zusammenspiel von antifaschistischer Bündnisarbeit und mili tanten Aktionen gegen den Neonaziaufmarsch haben diesen Tag zu einem Erfolg für die Linke in Göttingen gemacht. ... Die Nazis können froh sein, dass sie heute noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen sind. Ohne den Schutz durch die Polizei hätten die Faschi stInnen keinen Fuß in die Stadt setzen können!" BERICHT 2005 184 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Angehörige der gewaltbereiten linksextremistischen Szene scheuten auch nicht vor direkten körperlichen Angriffen gegen Rechtsextre misten bzw. vermeintliche Rechtsextremisten zurück. Dabei wurden - zum Teil erhebliche - Verletzungen des "politischen" Gegners durchaus in Kauf genommen: - Am 19. Juni griffen in Potsdam (Brandenburg) vier vermummte Personen des linken Spektrums einen Angehörigen der rechts extremistischen Szene mit Schlagwerkzeugen an. Sie schlugen das Opfer mit einem Teleskopschlagstock auf den Kopf, traten und schlugen auf den am Boden Liegenden ein. Die Täter wur den wegen versuchten gemeinschaftlichen Mordes angeklagt. - Am 3. September nahmen in Oldenburg (Niedersachsen) bis zu 500 Autonome an einer Protestaktion von insgesamt 1.300 Per sonen gegen eine Demonstration des NPD-Landesverbands Niedersachsen teil. Am späten Nachmittag überfiel eine 15 bis 20 Personen starke Gruppe mutmaßlicher Linksextremisten auf dem Gelände des Bahnhofs Sandkrug (Niedersachsen) acht abreisende Teilnehmer der NPD-Veranstaltung. Die vermumm ten Angreifer hatten ihren Opfern gezielt aufgelauert, ihr An griff erfolgte koordiniert und überfallartig. Sie setzten eigens dazu mitgeführte Eisenstangen, Baseballschläger, Schlag stöcke, Pfefferspray sowie Schreckschusspistolen ein. - Am 7. Oktober griff eine Gruppe von ca. 40 Personen der linken Szene in Wernigerode (Sachsen-Anhalt) bis zu zehn An gehörige der rechtsextremistischen Szene an. Die Täter waren mit Baseballschlägern, Zaunlatten und Schlagringen bewaff net. Zwei Personen, die zu Boden geworfen und getreten wur den, erlitten schwere Kopfverletzungen und Prellungen. Ziel von Linksextremisten war es darüber hinaus, Aktivitäten von Rechtsextremisten aufzudecken bzw. Einzelpersonen zu outen und zu bekämpfen. So hieß es in einer Interneteinstellung: "Der Sinn des Outings besteht darin, Neo-Nazis in ihren Rückzugsräu men aufzustöbern und sie aus ihrer Anonymität zu holen, vor allem auch um den Menschen in der unmittelbaren Nachbarschaft mitzu teilen, mit welchen unangenehmen Zeitgenossen sie Tür an Tür woh nen." Im Rahmen so genannter Recherchearbeit betrieben Autonome of fensive "Aufklärung". Sie sammelten Informationen über Funk tionäre, Schulungseinrichtungen, Trefflokale und andere logistische Einrichtungen zur Veröffentlichung in Szenepublikationen oder im Internet sowie zur Vorbereitung von militanten Aktionen. Am 1. Ok LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 185 tober führten Angehörige der linksextremistischen Szene einen so genannten Hacker-Angriff auf die Internet-Präsenz des "Freien Wi derstands" durch und verbreiteten die so gewonnenen Informatio nen - mehr als 16.000 Dateien - im Internet. Dazu schrieben Szenean gehörige: "Wir nutzten vorhandene Sicherheitslücken des Freien Widerstandes und verschafften uns so Zutritt zur Quatschbude. ... Diese Aktion zeigt, dass sich Nazis im realen - wie auch im virtuellen Leben nicht sicher fühlen können. Heute nicht und auch in Zukunft nicht." 2. Kampagne gegen "Sozialabbau" Linksextremisten unterschiedlicher ideologischer Ausrichtungen versuchten zum Jahresbeginn, das in Teilen der Bevölkerung beste hende Unbehagen gegenüber den - im Szenejargon - als Sozialraub bezeichneten Arbeitsmarktund Sozialreformen der Bundesregie rung agitatorisch aufzugreifen und aktionistisch an die Protestwelle der so genannten Montagsdemonstrationen im Spätsommer 2004 anzuknüpfen. Am 3. Januar, dem ersten Auszahlungstag von "Ar beitslosengeld II" (ALG II), beteiligten sich bundesweit bis zu 2.000 Aktivisten - überwiegend friedlich - an einem dezentralen Aktions tag unter dem Motto "Agenturschluss". Dabei kam es zu "fantasievol len" Aktionen vor und in Arbeitsagenturen; der größte Aufzug fand mit 180 Personen in Berlin statt. Angesichts des überaus beachtlichen Medieninteresses resümierten kritisch reflektierende Linksextremi sten später im Internet, die vielleicht größte Schwäche ihrer Kampa gnenpolitik liege darin, stets Gefahr zu laufen, "mediale mit gesellschaftlicher Realität zu verwechseln". Tatsächlich sei es nicht gelungen, für den "Agenturschluss" über den eigenen Szenerahmen hinaus zu mobilisieren, insbesondere sei das er hoffte Szenario einer "massenhaften Solidarisierung" betrof fener Bürger nicht eingetreten. 157 Folgeaktionen - wie ein ge gen die so genannten 1-Euro-Jobs gerichteter Aktionstag "WORKFARE IS NOT FAIR" am 20. Mai bzw. ein weiterer dezen traler Aktionstag unter dem Motto "Hartz-Schluss" am 5. Sep tember - blieben schließlich selbst unter Linksextremisten weitgehend unbeachtet. Ähnlich verhielt es sich mit den wenigen noch regelmäßig stattfindenden "Montagsdemonstrationen gegen Hartz IV", für die fast allein die "Marxistisch-Leninistische Partei BERICHT 157 "radikal", Ausgabe "Episode 158", Sommer 2005. 2005 186 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Deutschlands" (MLPD) agitierte. Ihr Zentralorgan "Rote Fahne" veröf fentlichte auf seiner Internetseite unverdrossen entsprechende Ter mine, Orte sowie die - nur noch sehr geringen - Teilnehmerzahlen. Die im Jahresverlauf einzige "bundesweite" Demonstration gegen den so genannten Sozialabbau war ein "Sternmarsch gegen die neue Bundesregierung" am 5. November in Berlin. Mit etwa 4.000 Teilneh mern erreichte er bei weitem weder die Dimensionen der themenbe zogenen Proteste des Spätsommers bzw. Herbst 2004 noch die von den Veranstaltern erwartete Teilnehmerzahl von 25.000 (später auf 15.000 korrigiert). Auch in Einzelaktionen führten Anhänger der autonomen Szene ihren "antikapitalistischen Kampf" fort. Unter der Bezeichnung "Die Überflüssigen" 158 , sie entstanden zunächst aus der autonomen Szene Berlins, störten sie - weiß maskiert und mit gleichartigen Trainings anzügen uniformiert - die Gäste so genannter Luxusrestaurants 159 oder gingen gegen ihnen missliebige Bedienstete von Sozialbehörden 160 bzw. Träger so genannter 1-Euro-Jobs 161 vor. Als selbst ernann ter "Weckund Prüfdienst" führten "Die Überflüssigen" am frühen Morgen des 16. November eine lärmintensive Störaktion vor dem Pri vathaus des damaligen Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit in Bonn-Bad Godesberg durch. Insbesondere in Großstädten wurde zur Beteiligung an "Umsonst-Aktionen" aufgerufen, in deren Rahmen Ladendiebstahl und Leistungserschleichung, wie etwa das "Schwarz fahren" in öffentlichen Verkehrsmitteln, propagiert und praktiziert wurden. Daneben griffen Gruppierungen aus der autonomen Szene die "kapitalistische Verwertungslogik" auch immer wieder militant an. Das Spektrum strafbarer Handlungen reichte dabei von Sachbe schädigungen an Gebäuden oder Fahrzeugen bis hin zu schweren Brandstiftungen. Bevorzugte Anschlagsziele waren Arbeitsagentu ren, Träger bzw. Anbieter so genannter 1-Euro-Jobs sowie Filialen von Lebensmitteldiscountern, die im besonderen Maße der "Ausbeu tung" von Mitarbeitern bezichtigt werden. 3. Kampagne von Linksextremisten gegen Kernenergie Linksextremisten unterstützten auch im Jahr 2005 den Protest gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie. Gleichwohl blieb ihr Einfluss auf die von überwiegend nichtextremistischen Initiativen getragene 158 Nach einer im Internet veröffentlichten Selbstdarstellung verstehen "Überflüssige" sich als Menschen in den Industriestaaten, die vom gesellschaftlichen Reichtum ausgeschlossen werden. Sie sehen sich als "Ziel des Klassenkampfes von oben und der aktuellen Armuts kampagne in Deutschland" und kämpfen gegen das "profitfanatische System, das nicht un angenehme Arbeit überflüssig macht, sondern Menschen". Ihre Hauptparole lautet schlicht: "Kapitalismus ist überflüssig - Alles für Alle!". 159 Beispielsweise am 1. Mai in Hamburg und am 11. August in Darmstadt (Hessen). 160 So am 9. August in Lüchow (Niedersachsen). 161 So am 19. Oktober in Berlin. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 187 Anti-Atom-Bewegung weiterhin gering. Engagement und Widerstand der Linksextremisten haben letztlich eine weitergehende systemüberwindende Zielrichtung. So betonten Aktivisten aus der autonomen Szene 162 nach einem Brandanschlag am 1. Februar auf Fahrzeuge der Deutschen Bahn AG und der Berliner Städtischen Elektrizitätswerke AG (BEWAG) - als Protest gegen eine Tagung des Deutschen Atomforums e. V.: "Wir finden unsere Aktionen nicht automatisch wichtiger oder besser [als Flugblattaktionen und Handlungen]. Sie bringen aber unseren Hass auf die herrschende Ordnung oft besser zur Geltung. ... Das Ziel linksradikaler Politik sollte momentan sein, alternative Vorstellung von gesellschaftlichen Verhältnissen gegenüber dem herrschenden Konsens wieder denkbar zu machen. Auch gegenüber dem Atomkon sens. Das kann nicht nur, aber auch durch militante Aktionen gesche hen." ("INTERIM" Nr. 611 vom 10. Februar 2005, S. 4) Die Autoren plädierten für mehr militante Aktionen, und zwar nicht nur während der alljährlichen Castor-Transporte im November. Die im Mai und Juni vom ehemaligen Forschungszentrum in Rossen dorf (Sachsen) zum Brennelementezwischenlager Ahaus (NordrheinWestfalen) durchgeführten drei Castor-Transporte verliefen jedoch weitgehend störungsfrei. An den überwiegend von Anti-Atom-Initia tiven aus Nordrhein-Westfalen und Sachsen initiierten Protestaktio nen beteiligten sich bundesweit jeweils zwischen 1.000 und 2.000 Atomkraftgegner; die Beteiligung von Linksextremisten war gering. Schwerpunkt linksextremistischer Aktivitäten war - wie in den Vor jahren - der Castor-Transport von der französischen Wiederaufarbei tungsanlage (WAA) La Hague in das niedersächsische Zwischenlager Gorleben vom 19. bis 22. November. Bereits im Vorfeld des Transports hatten "Autonome und linksradikale Gruppen aus Nordund Ost deutschland" in einem am 23. Oktober im Internet verbreiteten Auf ruf angekündigt, den "Castor Transport nach Gorleben zu einem Des aster machen!" und "die notwendigen Eingriffe in den gesellschaftlichen Normalbetrieb" organisieren zu wollen: "Der Standort Gorleben soll ... nach Träumen der CDU im Land und auf Bundesebene, anderer einzelner Mitglieder verschiedenster Par teien und der Atom-Lobby, zum Endlagerstandort des deutschen Atommülls werden. Gegen alljene, die dieses Vorhaben unterstützen BERICHT 162 Vollständige Verfasserangabe "autonome gruppen/peng-zong-kollektiv". 2005 188 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE und versuchen durchzusetzen, Gorleben zu einem der weltweit größ ten Endlagerstandorte für hochradioaktiven Müll werden zu lassen, werden wir unseren entschiedenen Gegendruck von unten entgegen bringen. ... In diesem Sinne: Bildet Euch und bildet Banden! Auto nome und Linksradikale Gruppen aus Nordund Ostdeutschland". Der Text endete mit der Parole "AGAINST CASTOR, CAPITAL & COPS!" Auch süddeutsche "Autonome Gruppen BW" unterstützten die AntiCastor-Aktionen propagandistisch im Internet und kündigten mit den Parolen "polizeiunterkünfte interessieren uns brennend" 163 und "castor stoppen!" einen "heissen herbst!" an. Am 2. November verübten Unbekannte so genannte Hakenkral lenanschläge auf Strecken der Bahn AG bei Aumühle (Schleswig-Hol stein) und im Raum Hagen (Nordrhein-Westfalen). Am 7. und 10. No vember gingen hierzu bei verschiedenen Zeitungsredaktionen textidentische Selbstbezichtigungsschreiben ein. Unter der Über schrift "Der Atomlobby die Krallen zeigen" schrieb eine unbekannte Gruppierung "c.r.o.c.h.e.t.", mit dieser Aktion des französischen Akti visten Sebastien Briat gedenken zu wollen: 164 "Sebastiens Tod hat uns schmerzlich daran erinnert, dass die Vertre ter und Profiteure dieser lebensfeindlichen Herrschaftstechnologie unbeeindruckt über Leichen gehen." "Wut und Trauer in Widerstand! Für die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen und der herrschen den Klasse!" Die den Castor-Transport selbst begleitenden Proteste verliefen größ tenteils friedlich. Das tatsächlich vor Ort aktive Protestpotenzial war mit etwa 3.500 Personen geringer als in den Jahren zuvor. Je etwa 100 Aktivisten aus dem linksextremistischen autonomen Spektrum betei ligten sich an so genannten Auftaktdemonstrationen in Lüneburg (5. November) und Hitzacker (19. November). Angehörige des anarchi stischen Spektrums sowie der "Linkspartei.PDS" nahmen in eher un bedeutender Anzahl (ca. 100) an den Protesten teil. 163 Die Autoren nahmen damit offensichtlich Bezug auf einen in der Nacht zum 28. September 2005 bei Woltersdorf (Niedersachsen) von Unbekannten verübten Brandanschlag auf Wohncontainer, die anlässlich von Castor-Transporten Einsatzkräften der Polizei als Unter kunft dienen. Es entstand Sachschaden in Höhe von rund 3 Millionen Euro. 164 Briat war am 7. November 2004 während des Castor-Transports bei einer versuchten Schie nen-"Ankettaktion" im lothringischen Avricourt tödlich verunglückt. LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 189 4. "Anti-Globalisierungsbewegung" Anlässlich des Jahrestreffens der Staatsund Regierungschefs der acht bedeutendsten Industrienationen (G8) vom 6. bis 8. Juli in Gleneagles (Schottland) provozierten militant orien tierte linksextremistische Globalisierungskritiker - nach dem G8-Gipfel Anfang Juni 2003 in Evianles-Bains (Frankreich) - wieder erhebliche Ausschreitungen. Im Jahr 2004 hatten ge eignete Mobilisierungsanlässe in erreichbarer Nähe gefehlt, da alle bedeutsamen internationalen Gipfelveranstaltungen in den USA stattgefunden hatten. Nach friedlich verlaufenen Auf taktveranstaltungen gemäßigter Organisatoren - etwa der Großdemonstration "Make Poverty History" am 2. Juli in Edin burgh (nach unterschiedlichen Angaben 150.000 bis 400.000 Teilnehmer) - versuchten am 6. Juli mehrere hundert Mili tante, die von G8-Delegationen benutzten Zufahrtswege zum Ta gungshotel zu blockieren bzw. auf das weiträumig abgesperrte Gelände zu gelangen. Im Internet rühmten sich die Gewalttäter anschließend damit, etwa zehn Streckenabschnitte "mehr oder weni ger erfolgreich blockiert", Absperreinrichtungen niedergerissen und "die anrückenden Bullenheere" nicht nur mit Wurfgeschossen, son dern auch mit Knüppeln und Eisenstangen "bearbeitet" zu haben. Zur Beteiligung deutscher Autonomer an den gewalttätigen Aus schreitungen hieß es später in einem in der "INTERIM" veröffentlich ten Bericht: "Hinter uns schob eine Gruppe von schwarz gekleideten Deutschen zwei Einkaufswagen voller Steine und warfen sie auf die gut gepan zerte Polizei. 'So machen wir das in Deutschland', erklärten sie ..." ("INTERIM" Nr. 622 vom 15.09.2005, S. 5) Im Hinblick auf das für Frühsommer 2007 in Heiligendamm (Meck lenburg-Vorpommern) geplante G8-Treffen äußerten militante Linksextremisten bereits die Hoffnung, auch dort wieder gemeinsam "protestieren, blockieren und sabotieren" zu können; die Proteste in Schottland bezeichneten sie insoweit als "Aufwärmtraining für 2007". 165 Erste Brandanschläge ordneten klandestin operierende mi litante Linksextremisten in ihren Taterklärungen dem sich gegen das G8-Treffen formierenden "Widerstand" zu bzw. verknüpften sie mit dem "Vorschlag für eine breite, auch militante Kampagne zum G8 Gipfel 2007 in Heiligendamm" (vgl. Kap. II, Nr. 1.3). BERICHT 165 "Pasaremos - Aktiv werden gegen den G8-Gipfel", S. 8. 2005 190 LINKSEXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Höhepunkt der "globalisierungskritischen Bewe gung" war ihre eigene Veranstaltung, das "5. World Social Forum" (WSF) vom 26. bis 31. Januar in Porto Alegre (Brasilien). Unter den über 150.000 Teilneh mern (aus 135 Ländern) dieser von zahlreichen Vor trägen, Präsentationen und Workshops geprägten Großveranstaltung waren nach Berichten im Inter net auch mehrere hundert Globalisierungskritiker aus Deutschland, weit überwiegend aus nichtextre mistischen Zusammenhängen. Das 5. WSF schloss - so eine Interneteinstellung - mit einem "Aufruf zu Friedensmarsch am 27.1. in Porte Alegra internationalen Aktionen gegen Krieg und Neolibe (Brasilien) ralismus". Im europäischen Vergleich deutlich verspätet fand vom 21. bis 24. Juli in Erfurt (Thüringen) das "1. Sozialforum in Deutschland" (DSF) statt. Mit nur etwa 2.500 Teilnehmern wurden die hohen Erwartungen der Veranstalter - im Vorfeld war mit 5.000 bis 10.000 Personen gerech net worden - nicht erfüllt. Neben zahlreichen Nichtextremisten wa ren - so berichtete jedenfalls die linksextremistische Presse - Kom munisten, Trotzkisten sowie Teile der autonomen und anarchistischen Szene präsent. 166 In Kommentaren wurde später das Fehlen einer breiten, lebendigen Bewegung (in Deutschland) be klagt, die das Sozialforum hätte tragen und entwickeln können. 167 166 "neue internationale" (Zeitung der Gruppe "Arbeitermacht") Nr. 103 von August/Septem ber 2005, S. 1. 167 "Graswurzelrevolution" (GWR) Nr. 302 von Oktober 2005, S. 5. VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 192 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE I. Überblick 1. Entwicklungen im Islamismus Islamistische Bestrebungen gefährdeten auch 2005 die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland in unterschiedlicher In tensität. Die größte Gefahr geht dabei nach wie vor von islamistischen Terro risten aus, welche mit ihrem Kampf die Verwirklichung ihrer Vor stellungen von einer "islamischen Weltordnung" anstreben, die im klaren Widerspruch zu demokratischen und freiheitlichen Werteund Ordnungsvorstellungen steht. Sie berufen sich dabei auf eine von ihnen postulierte Pflicht aller Muslime zum gewalttätigen "Ji had", verstanden als "heiliger Krieg" zur Verteidigung und Ausbrei tung des Islam. Ungeachtet der auch im Berichtszeitraum erfolgreich durchgeführ ten Exekutivmaßnahmen gegen islamistisch-terroristische Grup pierungen und Netzwerke sowohl auf nationaler als auch auf inter nationaler Ebene bleiben die "Mujahedin", die Kämpfer des "Jihad", weiterhin im Fokus der Sicherheitsbehörden. Der erhöhte Fahn dungsdruck, vor allem in Afghanistan, führte zwar zu einer erhebli chen Einschränkung der operativen Möglichkeiten verschiedener islamistisch-terroristischer Organisationen, insbesondere der "AlQaida". In der Folgezeit konnte aber eine zunehmende Dezentrali sierung der Netzwerkstrukturen festgestellt werden, die die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden vor neue Herausforderungen stellt. Wenngleich der Gefährdungsgrad Deutschlands deutlich hinter dem der unmittelbar an der militärischen Intervention im Irak be teiligten Staaten zurückbleibt, ist doch festzuhalten, dass auch Deutschland in den Augen der "Mujahedin" zum Lager der so ge nannten Kreuzzügler, zu den Helfern der USA und Israels, zählt. Das deutsche Engagement in Afghanistan spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Stationierung deutscher Marinesoldaten in Somalia oder die Ausbildung irakischer Armeeoffiziere und Polizisten. Dass der europäische Raum zum Aktionsgebiet islamistischer Terroristen gehört, verdeutlichen die Anschläge auf Einrichtungen des öffentli chen Personennahverkehrs in London am 7. Juli sowie der An schlagsversuch am 21. Juli erneut. Offensichtlich verfügen islamisti sche Terroristen über die personellen, materiellen und logistischen Möglichkeiten, überall auf der Welt, auch mitten in Europa, An schläge größeren Ausmaßes zu begehen. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 193 Auch von islamistischen Organisationen, die nicht dem islamisti schen internationalen Terrorismus zuzuordnen sind, sondern regio nal agieren, geht eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die in nere Sicherheit aus. Diese Organisationen zielen vor allem darauf ab, die in ihren Herkunftsländern bestehenden Staatsund Gesell schaftsordnungen durch ein strikt islamistisches Staatswesen auf der Grundlage des islamischen Rechts, der Scharia, zu ersetzen. Die Mehrzahl dieser Organisationen hat ein taktisches Verhältnis zur Ge walt und agiert zumeist im Heimatland auch mit terroristischen Mit teln. In Deutschland setzen diese Organisationen ihren Schwerpunkt ne ben der Betreuung von Landsleuten insbesondere auf Spenden sammlungen zur Unterstützung der Aktivitäten ihrer Mutterorgani sationen in den jeweiligen Heimatländern. Der Aufklärung der Instrumentarien und Strukturen zur Sammlung von Spendengel dern in Deutschland und der Kontrolle der entsprechenden Geld transfers an die jeweilige Mutterorganisationen kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Zu diesem islamistischen Spektrum zählt die palästinensische "Isla mische Widerstandsbewegung" (HAMAS), die das Ziel verfolgt, einen islamistischen Staat auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" zu errich ten, und sich damit gegen das Existenzrecht des Staates Israel wen det. Wie die HAMAS verneint auch die libanesische "Hizb Allah" das Existenzrecht Israels. Gerade vor dem Hintergrund der antiisraeli schen und antisemitischen Äußerungen des iranischen Präsidenten Ahmadinejad stehen die in Deutschland lebenden Anhänger der vom Iran beeinflussten "Hizb Allah" weiterhin im Fokus der Sicher heitsbehörden. Auch die islamistische "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/ "Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB), die mit terroristi schen Mitteln für die Errichtung eines von der Russischen Föderation unabhängigen tschetschenischen "Gottesstaates" kämpft, verfügt über Unterstützer in Deutschland. Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland, die sich als In teressenvertreter großer Teile der im Bundesgebiet lebenden etwa drei Millionen Muslime sehen, verfolgen eine breiter angelegte Stra tegie. Zwar wollen auch sie die Herrschaftsverhältnisse in ihren Her kunftsländern zugunsten eines islamistischen Staatswesens ändern, zugleich streben sie aber im Rahmen einer so genannten legalisti schen Strategie an, ihren Anhängern im Bundesgebiet Freiräume für BERICHT 2005 194 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE ein schariakonformes Leben zu schaffen. Mit der Scharia ist ihrer Auf fassung zufolge ein alle Lebensbereiche regelndes islamisches Geset zessystem vorgegeben, dessen Umsetzung notwendige Vorausset zung zur Ausübung des "wahren" Islam sei. Zum Kern ihrer islamistischen Ideologie gehört die Behauptung, Staatsgewalt dürfe nicht dem menschlichen Willen entspringen, sondern gehe von Allah aus, dessen Wille - offenbart im Koran - die alleinige Wahrheit für alle Menschen darstelle. Dieser Absolutheitsanspruch steht in unauflösbarem Widerspruch zu den obersten Wertprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, etwa dem Grundsatz der Volkssouveränität, dem Mehrheitsprinzip oder dem Recht auf Bildung und Ausübung parla mentarischer Opposition. Diese "legalistisch" agierenden islamisti schen Gruppierungen stellen eine besondere Gefahr für den inneren Zusammenhalt unserer Gesellschaft dar. Unter anderem durch ihr umfangreiches islamistisch orientiertes Bildungsund Betreuungs angebot insbesondere für Kinder und Jugendliche mit Migrations hintergrund fördern sie die Entstehung und Ausbreitung islamisti scher Milieus in Deutschland, die der Integrationsarbeit des Bundes und der Länder entgegenlaufen. Es besteht die Gefahr, dass mit der Entstehung solcher Milieus auch die Basis für weitergehende Radika lisierung geschaffen wird. Größte Gruppierung dieses Spektrums ist die "Islamische Gemein schaft Milli Görüs e. V." (IGMG). Ebenso "legalistisch" agieren die An hänger der "Muslimbruderschaft" (MB) in Deutschland. Ihre Ideen werden von der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) und den ihr angeschlossenen "Islamischen Zentren" verbreitet. Im Zusammenhang mit Radikalisierungsverläufen ist auch die paki stanische "Tablighi Jama'at" (TJ) von besonderer Bedeutung. Ihre An hänger üben regelmäßig missionarische Tätigkeiten aus, deren Zweck die Islamisierung der Gesellschaft und der Wandel der durch westliche Werte geprägten Gesellschaft zu einer islamischen Gesell schaftsform ist. In Deutschland versuchen TJ-Anhänger in intensiven Gesprächen, insbesondere wirtschaftlich und sozial benachteiligte Muslime für die Bewegung zu gewinnen. Häufig werden dabei auch Aufenthalte in Pakistan vermittelt. Die Schulungen der TJ können für einzelne junge Muslime der Einstieg in den Islamismus und - in der Folge - auch in islamistisch-terroristische Gruppierungen sein. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 195 2. Organisationen und Personenpotenzial Das Personenpotenzial der 28 (2004: 24) im Bundesgebiet aktiven is lamistischen Organisationen ist gegenüber dem Vorjahr auf 32.100 (2004: rund 31.800) angestiegen. Mit rund 27.250 (2004: 27.250) bildeten wiederum die Anhänger tür kischer Gruppierungen das größte Potenzial. Mitgliederstärkste Gruppierung (unverändert rund 26.500) blieb die türkische Organi sation "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG). Das Personenpotenzial der Gruppierungen aus dem arabischen Raum stieg auf 3.350 (2004: 3.250) an. Mitgliederstärkste Organisa tion blieb die "Muslimbruderschaft" (MB) mit unverändert 1.300 An hängern. Die zweitgrößte Gruppierung, die libanesische "Hizb Al lah", verzeichnete einen Zuwachs auf 900 (2004: ca. 850). Zu den in Deutschland in die internationalen "Mujahedin"-Netz werke eingebundenen Personen liegen keine gesicherten Zahlen vor. Islamismuspotenzial 1) 2003 2004 2005 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Arabischer Ursprung 2) 14 3.300 14 3.250 15 3.350 Türkischer Ursprung 2) 6 27.300 5 27.250 5 27.250 Iranischer Ursprung 2) 1 50 1 50 3 150 Sonstige 3 300 4 1.250 5 1.350 Summe 24 30.950 24 31.800 28 32.100 1) Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2) Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. BERICHT 2005 196 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE II. Internationaler islamistischer Terroris mus 1. Aktuelle Entwicklungen Anschläge Im Jahr 2005 forderten terroristische Aktionen in Europa wiederum in London zahlreiche Menschenleben. Am Morgen des 7. Juli ereigneten sich in der Innen stadt von London vier Bombenanschläge, drei da von in U-Bahn-Zügen, einer in einem Bus der Lon doner Verkehrsbetriebe. Die Bomben in den U-Bahn-Zügen wurden nahezu zeitgleich gezün det. Nach Angaben der britischen Sicherheits behörden wurden bei diesen Anschlägen insge samt 56 Menschen, einschließlich der Attentäter, getötet und 528 Personen verletzt. Unter den Ver letzten befanden sich auch fünf deutsche Staats Anschlag am 7. Juli in London angehörige. In den Mittagsstunden des 21. Juli versuchten mehrere Attentäter, er neut vier Bombenanschläge in der Innenstadt von London zu bege hen, wieder in drei U-Bahn-Zügen und einem Bus. Es detonierten aber lediglich die Zündvorrichtungen. Bei diesen Anschlagsversu chen wurde eine Person verletzt. Die vier mutmaßlichen Attentäter flüchteten, konnten aber nach erfolgreichen polizeilichen Ermitt lungen festgenommen werden. Am 23. Juli wurde eine herrenlose Sprengladung in einem Park in London aufgefunden, die vermutlich für einen fünften Anschlag vorgesehen gewesen war. Der mutmaßli che fünfte Attentäter stellte sich der Polizei und wurde festgenom men. Weitere Auch in anderen Teilen der Welt forderten terroristische Aktionen Terroranschläge eine Vielzahl von Opfern. islamistischer Terroristen Am 7. April wurden bei einem Anschlag auf einen Basar in Kairo weltweit (Ägypten) vier Personen getötet und 19 Personen verletzt. Unter den Toten befanden sich zwei Franzosen, ein Amerikaner und der At tentäter selbst. Am 30. April wurden bei einem Selbstmordanschlag in Kairo neun Personen verletzt. Außerdem beschossen zwei weibliche Verwandte des Selbstmord-Attentäters einen mit Touristen besetzten Bus. Auch zu einem der mutmaßlichen Hintermänner des Attentats am 7. April sollen familiäre Verbindungen bestanden haben. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 197 In der Nacht vom 22. auf den 23. Juli kam es zu drei nahezu zeitglei chen Explosionen in Sharm El Sheikh (Ägypten), bei denen nach offi ziellen Angaben 64 Personen getötet wurden. Nach den Ermittlungs ergebnissen der ägyptischen Behörden ist von einem personellen Zusammenhang mit den Hin termännern der Anschläge von Taba (Ägypten) vom 7. Oktober 2004 (vgl. Verfassungs schutzbericht 2004, S. 198) auszugehen. Am 1. Oktober wurden auf der indonesischen Ferie ninsel Bali von drei Selbstmordattentätern Bombe nanschläge auf zwei Restaurants verübt, bei denen 22 Menschen ums Leben kamen. Unter den über 100 verletzten Personen befanden sich auch zwei Anschlag am 1. Oktober auf Bali Deutsche. Die terroristisch agierende indonesische Gruppierung "Jemaah Islamiyah" (Islamische Gemeinschaft) wird verdächtigt, für diese Anschläge verantwortlich zu sein. Der Irak war auch 2005 weiterhin Kristallisationspunkt des interna Lage im Irak tionalen "Jihad". Die Anschläge - zahlenmäßig nach wie vor auf hohem Niveau - galten wie im Vorjahr hauptsächlich den Truppen der Koalition, hier vor allem den US-amerikanischen Streitkräften, sowie den mit den Koalitionskräften kooperierenden Bevölkerungsgrup pen, so etwa den vor Rekrutierungsbüros wartenden Bewerbern für den Polizeioder Armeedienst. Insbesondere die Organisation "Al-Qaida für den Jihad im Zweistromland" ("Tanzim Qaidat al-Jihad fi Bilad al-Rafidayn" - TQJ) des Jordaniers Ahmed Nazzal Fadhil AL-KHALALIYAH, alias Abu Musab AL-ZARQAWI, setzte ihre Angriffe auf Koalitionskräfte und deren Unterstützer, aber auch auf die schiitische Bevölkerung des Irak kontinuierlich fort. Durch ihre mit äußerster Brutalität begangenen Anschläge sowie ihre vor laufender Kamera durchgeführten Hinrichtungen von Gei seln hat die TQJ, zusammen mit der "Ansar Al-Islam" (AAI), auch in Deutschland im Vergleich zu anderen, kleineren "Mujahedin"-Grup pen im Irak große Aufmerksamkeit erreicht. Im Zusammenhang mit der Bekämpfung terroristischer Strukturen Anti-Terror-Kampf in Saudi-Arabien veröffentlichte das Saudische Innenministerium in Saudi-Arabien am 28. Juni eine Fahndungsliste mit 36 Personen, denen eine Beteili gung an terroristischen Anschlägen vorgeworfen wird. Durch Zu griffe der Sicherheitsbehörden konnte in den letzten Monaten die Führungsstruktur der saudi-arabischen "Al-Qaida"-Zellen ge BERICHT 2005 198 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE schwächt werden. Auch aufgrund des Fahndungsdrucks und der Verbesserung der Sicherheit besonders gefährdeter Einrichtungen war zuletzt eine geringere Anzahl von Anschlägen in Saudi-Arabien zu verzeichnen. Dezentrale Die weltweit begangenen Anschläge belegen die anhaltende Bedro Netzwerke hung durch den islamistischen Terrorismus. Sie zeigen zudem die zu nehmende Komplexität des islamistisch-terroristischen Spektrums, geprägt von hoher Fluktuation und Dynamik. Zu beobachten ist, dass dezentral operierende "Mujahedin"-Gruppen gegenüber "AlQaida" weiter an Bedeutung gewinnen. "Veteranen" - also Personen, die an Kampfeinsätzen in Afghanistan, Tschetschenien oder Bosnien teilgenommen haben oder eine Ausbildung in einem Lager der "Mu jahedin" durchlaufen haben - nehmen zwar nach wie vor häufig eine gewichtige Funktion in den "Mujahedin"-Gruppen ein, die jeweili gen Gruppen unterscheiden sich aber mitunter erheblich voneinan der. In manchen sind z. B. besonders viele Konvertiten vertreten, in anderen gar keine, manche sind ethnisch homogen, andere setzen sich aus Personen der unterschiedlichsten Nationalitäten zusam men; einige Gruppen haben ein konkretes gemeinsames Aktionsziel, während andere lediglich ihre ideologische Ausrichtung gemein ha ben. "Al-Qaida" erfüllt dabei die Funktion eines identitätsstiftenden und handlungsleitenden Ideals und gibt damit weiterhin in erhebli chem Umfang Impulse für terroristische Aktionen. "non-aligned-Muja Die Akteure dieses am Leitbild des globalen "Jihads" orientierten Per hedin" sonenspektrums sind zum Teil in unabhängig voneinander agie rende Netzwerkstrukturen lokaler Terrorgruppen eingebunden (vgl. Nr. 3) oder in kleinen oder Kleinstgruppen zusammengeschlossen (so genannte "non-aligned-Mujahedin", vgl. Nr. 4). Letztere finden sich zum Teil nur anlassbezogen zusammen und wählen in eigener Ab schätzung ihrer Handlungsmöglichkeiten sowie ihrer logistischen Möglichkeiten die Ziele - häufig "weiche" Ziele - für ihre Anschläge aus. Die Entwicklungen der letzten Jahre deuten darauf hin, dass die größte Bedrohung Deutschlands von solchen "non-aligned"-Struktu ren ausgehen dürfte. "homegrown Die Anschläge bzw. Anschlagsversuche in London verdeutlichen zu networks" dem die Entstehung neuartiger Tätergruppen in Europa, deren Mit glieder nicht über eigene "Jihad"-Erfahrungen oder anderweitig ge wachsene Verbindungen in das weltweite "Mujahedin"-Netzwerk verfügen, sondern als Angehörige der zweiten oder dritten Einwan derergeneration im westlichen Kulturkreis Europas geboren und aufgewachsen sind ("homegrown networks"). Beide Tätergruppen bestanden aus jungen Männern zwischen 19 und 30 Jahren, die die britische Staatsbürgerschaft entweder durch Geburt oder Einbürge ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 199 rung erworben hatten bzw. im Besitz einer unbefristeten Aufenthalt serlaubnis für Großbritannien waren. Die in solchen Kleingruppen agierenden Personen haben - obwohl scheinbar voll integriert - über individuelle islamistische Radikalisierungsverläufe die Bereitschaft zur Teilnahme am gewalttätigen "Jihad" entwickelt. 2. "Al-Qaida" (Die Basis) "AlQaida" (Die Basis) gegründet: Mitte der 80er Jahre Leitung: Usama BIN LADEN Mitglieder/Anhänger: keine gesicherten Zahlen Die Terrororganisation "Al-Qaida" verfügt über ein weltweites Netzwerk von "Jihadi sten", die einen persönlichen Treueschwur auf Usama BIN LADEN geleistet haben und aktiv oder logistisch unterstützend für die Organisa tion tätig sind. Der weltweite Kampf gegen den islamistischen Terrorismus und die zahl reichen Fahndungserfolge seit dem 11. Sep tember 2001 haben die von Usama BIN LADEN gegründete "Al-Qaida" unter Druck gesetzt. Gleichzeitig wurden mit dem Sturz der Taliban auch die "Al-Qaida"-Strukturen in Afghanistan weitgehend zerschlagen. Infolgedessen sahen sich "Al-Qaida"-Angehörige gezwungen, von dort nach Pakistan oder in den Iran, aber auch auf die Arabische Halbinsel, nach Südostasien, Tschetschenien oder in den Nord-Irak auszuweichen. Eine unmittelbare zentrale Führung der Organisation durch BIN LA DEN oder seinen Stellvertreter Dr. Ayman AL-ZAWAHIRI scheint auf grund ihrer eigenen Fluchtbestrebungen nur noch schwer möglich. Beide fungieren derzeit eher als ideologische Anführer, die ihre Bot schaften mittels Audiound Videoaufzeichnungen verbreiten lassen (vgl. Kap II, Nr. 5). Aktuell erscheint "Al-Qaida" eher als "virtuelle" Or ganisation, die Impulse für die jeweils Agierenden setzt, und weni ger als zentral organisierte Gruppierung. BERICHT 2005 200 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Festnahmen und Trotz zahlreicher repressiver Maßnahmen in der Vergangenheit, in Verurteilungen deren Rahmen viele strategisch wichtige Personen der "Al-Qaida" verhaftet wurden (unter ihnen Abu Faraj AL-LIBI, der als Drahtzieher zweier Anschläge auf den pakistanischen Präsidenten Musharraf im Dezember 2003 gilt), kann nicht von einer Zerschlagung des globa len Netzwerkes ausgegangen werden. Die juristische Aufarbeitung der von "Al-Qaida" zu verantwortenden Attentate des 11. September 2001 setzt sich derweil fort. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) bestätigte mit Urteil vom 9. Juni den Freispruch im Strafverfahren gegen Abdelghani MZOUDI. Mit dieser Entscheidung im Revisionsverfahren ist der Frei spruch nunmehr rechtskräftig. Das Hanseatische Oberlandesgericht (OLG) hatte Abdelghani MZOUDI mit Urteil vom 5. Februar 2004 vom Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Beihilfe zum Mord in 3.066 Fällen freigesprochen. Das Gericht sah es nicht als erwiesen an, dass MZOUDI in die Pläne der Anschläge am 11. September 2001 eingeweiht gewesen war. Am 21. Juni reiste Abdelghani MZOUDI freiwillig von Deutschland nach Marokko aus. Am 19. August verurteilte der 4. Strafsenat des Hanseatischen OLG Mounir EL-MOTASSADEQ wegen Mitgliedschaft in einer terroristi schen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und setzte den gegen EL-MOTASSADEQ erlassenen Haftbefehl erneut in Vollzug. Gegen das Urteil haben sowohl EL-MOTASSADEQ als auch die Bundesanwaltschaft und die Nebenkläger Revision eingelegt. 168 3. Regionale "Mujahedin"-Gruppierungen "Mujahedin", die in bekannten regionalen islamistischen Organisa tionen und Gruppierungen vertreten sind, verstehen sich in der Re gel primär als Angehörige dieser Organisationen, haben aber Ausbil dungen in Afghanistan oder Pakistan absolviert und sind damit gleichzeitig in das Netzwerk der "Mujahedin" eingebunden. Sie stel len Schnittstellen zwischen diesem Netzwerk und den regionalen Or ganisationen dar und können aufgrund ihrer Kontakte z. B. anderen Mitgliedern einen Aufenthalt in Ausbildungslagern vermitteln. 168 Nach Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2006 wurde EL-MOTASSA DEQ aus der Untersuchungshaft entlassen. Das Revisionsverfahren dauert an. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 201 3.1 "Bewaffnete Islamische Gruppe" ("Groupe Islamique Arme" - GIA)/ "Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) "Bewaffnete Islamische Gruppe" ("Groupe Islamique Arme" - GIA) gegründet: 1992 in Algerien Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen "Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf" ("Groupe salafiste pour la Predication et le Combat" - GSPC) gegründet: Ende 1997 in Algerien als Abspaltung von der GIA, seit Anfang 1999 unter dem Namen GSPC Leitung: Adelmalek DROUKDAL alias Abou Mossab ABDELOUADOUD Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Aktivitäten der algerischen GIA konnten 2005 in Deutschland nicht festgestellt werden. Der nationale Führer der algerischen GSPC, Abdelmalik DROUKDAL, scheint an der von seinem Vorgänger Nabil SAHRAOUI eingeleiteten Orientierung der Organisation am Leitbild des internationalen ge walttätigen "Jihad" festzuhalten. So konnte zum Beispiel am 22. März im Internet eine Videobotschaft festgestellt werden, in der er seine Anhänger dazu aufrief, sich stär ker dem internationalen "Jihad" anzuschließen. Ferner kritisierte er die USA sowie die arabischen Regime und propagierte den "Jihad" als einzigen Weg, "Ehre und Würde" wieder herzustellen, um so letzt endlich das "rechtgeleitete Kalifat nach dem Vorbild des Propheten" zu errichten. BERICHT 2005 202 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Mitte August rief DROUKDAL in einer weiteren Internetverlautba rung "französische Brüder" dazu auf, algerische Regierungsvertreter, die sich in Frankreich befinden, zu ermorden. Mehreren Kommuniques der GSPC konnten außerdem Solidaritäts bekundungen für andere Protagonisten des internationalen "Jihad", zum Beispiel Usama BIN LADEN und Abu Musab AL-ZARQAWI, sowie die "Kämpfer in Tschetschenien, Palästina und auf der Arabischen Halbinsel", entnommen werden. 3.2 "Ansar Al-Islam" - AAI ("Anhänger des Islam")/ "Ansar al-Sunna" - AAS ("Gefolge des Islam") gegründet: AAI im Jahre 2001 als Nachfolgerin der "Jund al Islam" ("Armee des Islam"), AAS im Jahre 2004 Leitung: Abdullah AL-SHAFI Mitglieder/Anhänger in Deutschland: keine gesicherten Zahlen Die im Frühjahr 2001 nach mehreren komplexen Fraktionierungs und Verschmelzungsprozessen aus der "Jund al Islam" ("Armee des Islam") entstandene kurdisch-islamisti sche AAI verfolgt das Ziel der Errichtung eines eigenen islamistischen National staates im kurdischen Teil des Irak. Hierzu bedient sie sich terroristi scher Mittel, darunter auch Selbstmordanschläge. Nach dem offiziellen Ende des Irak-Kriegs im Sommer 2003 verla gerte die AAI ihr ursprünglich um die kurdische Stadt Halabja gele genes Kampfgebiet in den gesamten nördlichen Irak einschließlich des sunnitischen Dreiecks um Bagdad. In diesen Regionen führen ihre in Zellen organisierten "Kämpfer" seither einen Guerillakrieg gegen Personen und Infrastruktur der US-amerikanischen Truppen, deren Verbündete sowie gegen die neugeschaffenen Sicherheits kräfte Iraks. Weiterhin im Visier von Terrorangriffen der AAI stehen die mit den Koalitionsstreitkräften zusammenarbeitenden und über eigene be waffnete Strukturen verfügenden kurdischen Parteien "Patriotische Union Kurdistans" (PUK) und "Demokratische Partei Kurdistans - Irak" (DPK-I). Die Parteien werden von der AAI als Rivalen im Kampf um die Hegemonie im kurdischen Teil des Irak verstanden. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 203 Im Verlauf des Jahres 2004 schuf die AAI unter den Bezeichnungen "Jaish Ansar al Sunna" bzw. "Ansar al Sunna" (AAS) eine Art Dachor ganisation, die auch als Sammelbecken für ausländische "Mujahe din" fungiert. Zumeist unter diesem Namen zeichnete sie auch 2005 für eine Vielzahl von Gewaltakten im Irak verantwortlich. Hierzu zählt u. a. die auf Videoband aufgezeichnete und über das In Drohungen im ternet propagandistisch verbreitete Hinrichtung eines hochrangi Zusammenhang gen Angehörigen der irakischen Sicherheitsstreitkräfte in Mosul am mit irakischen Parlamentswahlen 23. Januar. In einer am 27. Januar über eine islamistische Homepage verbreiteten, als "finale Warnung" bezeichneten Erklärung droht die Terrorgruppe der Bevölkerung des Irak für den Fall der Teilnahme an den Parlamentswahlen. Wahllokale seien selbstverständlich Ziele von Angriffen durch "Mujahedin". Korrespondierend zu der Bot schaft wurde am selben Tag über dieselbe Homepage ein dreiminüti ges Video verbreitet. Dieses zeigte die zerstörerische Wirkung einer detonierenden Bombe in einem als Wahllokal vorgesehenen Ge bäude in Mosul. Die AAI verfügt in verschiedenen europäischen Staaten - so auch in Deutschland - über ein Sympathisantenund Anhängernetz, aller dings ohne feste organisatorische Struktur. Den in Deutschland in das Anhängerund Unterstützernetz der AAI eingebundenen Perso nen kommen neben der offenen oder verborgenen Agitation für die Ziele ihrer Organisation auch klassische logistische Aufgaben zu. Hierzu zählen u. a. die Beschaffung und der Transfer von Spenden in den Irak zur finanziellen Unterstützung der AAI/AAS sowie die Re krutierung von "Mujahedin". Gegen die vornehmlich logistischen Unterstützeraktivitäten der in Deutschland lebenden AAI-Anhänger gehen die Sicherheitsbehörden seit langem entschieden vor: Das OLG München verurteilte am 12. Januar Strafverfahren 2006 den irakischen Staatsangehörigen Amin gegen Anhänger Lokman MOHAMMED wegen Mitgliedschaft der AAI in Deutsch land in einer ausländischen terroristischen Verei nigung, der bandenmäßigen Einschleusung von Ausländern und wegen Betruges zu sie ben Jahren Haft. Das Urteil erlangte am 23. Ja nuar 2006 Rechtskraft. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass bei den Gruppierungen "Ansar Al Islam" und "Jaish Ansar Al Sunna", für die der irakische Staatsangehörige aktiv Amin L. MOHAMMED war, die Voraussetzungen für ausländische terroristische Vereinigungen vorliegen. BERICHT 2005 204 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE In dem Verfahren fand der nach dem 11. September 2001 neu ge schaffene Paragraph SS 129 b StGB (kriminelle und terroristische Ver einigungen im Ausland) erstmalig Anwendung. Im Ermittlungsverfahren gegen drei mutmaßliche Anhänger der AAI aus Berlin, Stuttgart und Augsburg wegen des Verdachts, einen Anschlag auf den irakischen Ministerpräsidenten Allawi während seines offiziellen Besuches in Berlin am 2. und 3. Dezember 2004 ge plant zu haben, ist am 10. November Anklage erhoben worden. Am 14. Juni wurden im Rahmen des Anfang Dezember 2003 durch den GBA eingeleiteten Strukturverfahrens gegen mutmaßliche Un terstützer der ausländischen terroristischen Vereinigung AAI über 20 Objekte von insgesamt 14 Beschuldigten, u. a. in Bayern, BadenWürttemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und SchleswigHolstein, durchsucht und mehrere Haftbefehle vollstreckt. 4. "Non-aligned-Mujahedin" "Mujahedin" finden sich auch in kleinen und Kleinstgruppen. Sie sammeln sich in der Regel um eine Führungspersönlichkeit, sind über vielfältige Kontakte in das weltweite Netzwerk der "Mujahedin" eingebunden und durch unterschiedliche Aktivitäten für den "Jihad" aktiv, wie zum Beispiel durch Sammlung von Geld, Schleusung von Freiwilligen (entweder in Ausbildungslager oder an die Schauplätze des bewaffneten Kampfes) oder durch die Einbindung in die Vorbe reitung terroristischer Aktionen. Diesen Strukturen gemein ist die Bereitschaft zur Beteiligung am gewalttätigen weltweiten "Jihad". In den vergangenen Jahren konnten auch in Deutschland einige Netzwerke zerschlagen werden, die dem "non-aligned"-Spektrum zuzurechnen sind. Festnahmen und So wurden am 23. Januar Ibrahim KHALIL und Yasser ABOU SHA Verurteilungen WEESH an ihren Wohnsitzen in Mainz bzw. Bonn festgenommen. Ihnen wird die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung i. S. von SS 129 a StGB vorgeworfen. KHALIL und ABOU SHAWEESH planten offensichtlich die Begehung von Anschlägen im arabischen Raum. Die Finanzierung dieser Anschläge sollte über die betrügerische In anspruchnahme von Lebensversicherungen durch fingierte Todes fälle sichergestellt werden. Ihsan GARNAOUI, der geplant hatte, Anfang 2003 zusammen mit weiteren Personen Anschläge in Deutschland zu begehen und des halb am 20. März 2003 festgenommen worden war, wurde am 6. April vom 1. Strafsenat des Kammergerichts in Berlin u. a. wegen Ver ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 205 stoßes gegen das Waffengesetz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Der zudem erhobene Vor wurf der versuchten Bildung einer terroristischen Vereinigung nach SS 129a StGB konnte nicht bewiesen werden; das Gericht sah es aber als erwiesen an, dass GARNAOUI während seines fast zweijährigen Aufenthalts im Ausland eine Ausbildung für den gewaltsamen "Ji had" durchlaufen und geplant hatte, zu Beginn des Irak-Kriegs in Deutschland einen Sprengstoffanschlag zu begehen. 169 Nach insgesamt 136 Prozesstagen seit Februar 2004 verkündete das Oberlandesgericht Düsseldorf am 26. Oktober das Urteil gegen vier Angehörige eines deutschen Zweigs des international agierenden is lamistischterroristischen "Al Tawhid"-Netzwerkes. Das Gericht verurteilte die aus Palästina stammenden Angeklagten Mohammed ABU DHESS, Ismail SHALABI und Ashraf AL DAGMA u. a. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tatein heit mit der bandenmäßigen Vorbereitung der Fälschung von amtli chen Ausweisen zu Freiheitsstrafen zwischen sechs und acht Jahren. Der aus Algerien stammende vierte Angeklagte, Djamel MOUSTAFA, wurde unter Berücksichtigung seines weitgehenden Geständnisses wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung und anderer Delikte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Die vier Verurteilten hätten - so die Feststellung des Gerichts - auf An weisung des international gesuchten Terroristen AL-ZARQAWI An schläge auf jüdisch-israelische Ziele in Deutschland vorbereitet und ferner Kampfgefährten im Ausland mit gefälschten Papieren versorgt. Bereits im Herbst 2003 war ein geständiges Mitglied des Netzwerks um ABU DHESS, Shadi ABDALLAH, wegen Mitgliedschaft in einer ter roristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren ver urteilt worden. 5. Verlautbarungen Nach wie vor ist die Nutzung der Medien ein wichtiges Mittel des in ternationalen islamistischen Terrorismus, wobei das Internet zum bevorzugten Werkzeug geworden ist. Die Verbreitung von Erklärun gen, Videound Audiobotschaften und anderem Propagandamate rial sichert ein hohes Maß an öffentlicher Aufmerksamkeit. Be stimmte Gruppierungen, wie etwa die "Abu Hafs Al Masri Brigaden", sind bisher ausschließlich "virtuell" in Erscheinung getreten. Die Pu blikationen verfolgen das Ziel der Information und Motivation der eigenen Anhängerschaft, der Werbung von Mitgliedern und Sympa 169 Mit Beschluss des BGH vom 8. Februar 2006 wurde die Revision gegen das Urteil des Kam BERICHT mergerichts verworfen. 2005 206 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE thisanten sowie des Aufbaus bzw. der Aufrechterhaltung einer Droh kulisse. Die eigene Position gegenüber dem Gegner soll durch die Veröffentlichung echter und vermeintlicher Erfolgsmeldungen ge stärkt werden. Weitere Ziele sind die Legitimierung zukünftiger An schläge, aber auch Darstellung und Untermauerung der eigenen Handlungsfähigkeit. Auch "Al-Qaida" nutzte im Jahr 2005 mehrfach gezielt die Medien und veröffentlichte mehrere Erklärungen. Vor al lem der Stellvertreter Usama BIN LADENs, Ayman AL-ZAWA HIRI, trat mittels Videobotschaften, die wie üblich vom kata rischen Fernsehsender Al-Jazeera ausgestrahlt wurden, an die Öffentlichkeit. In seinen Botschaften griff AL-ZAWAHIRI zumeist bekannte Themen auf, wie die Notwendigkeit der Fortführung des "Jihad" und die Androhung von Anschlä gen im Falle der Fortsetzung einer angeblich gegen Mus lime gerichteten westlichen Politik und des Verbleibens Ayman AL-ZAWAHIRI westlicher Truppen in islamischen Ländern. In der zweiten Jahres hälfte äußerte sich AL-ZAWAHIRI in drei Videobotschaften zu den Anschlägen von London. So wies er sowohl in einer am 4. August als auch in einer am 1. September veröffentlichten Videoerklärung die Verantwortung für die Anschläge dem britischen Premierminister Blair zu. Bei dem letztgenannten Video handelte es sich um Zusam menschnitte von Sequenzen, die zum einen AL-ZAWAHIRI und zum anderen Mohammed Sidique KHAN, einen der London-Attentäter vom 7. Juli, zeigen. In ähnlicher Weise äußerte sich AL-ZAWAHIRI in seiner Botschaft vom 19. September 2005, in der er sich erstmals im Namen von "Al-Qaida" zu den Anschlägen von London bekannte: "Der gesegnete Kriegszug von London ist einer der Kriegszüge, bei dem die 'Al-Qaida' die Ehre hatte, ihn gegen die kreuzzüglerische bri tische Arroganz durchgeführt zu haben. Es ist ein Kriegszug gegen die mehr als hundertjährige kreuzzüglerische Aggression und gegen das Verbrechen Großbritanniens hinsichtlich der Gründung Israels sowie gegen die andauernden Verbrechen der Engländer gegen die Muslime in Afghanistan und im Irak." In seiner Erklärung vom 23. Oktober anlässlich des Erdbebens in Pa kistan trat AL-ZAWAHIRI dagegen nicht kämpferisch auf, sondern beschränkte sich auf einen Aufruf zur Hilfe für die Opfer der Naturka tastrophe. In seiner jüngsten Erklärung am 30. Januar 2006 ver höhnte AL-ZAWAHIRI den US-Präsidenten und verurteilte den Luft angriff auf ein Haus in Damadola (Pakistan) am 13. Januar 2006. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 207 Auch terroristische Gruppierungen im Irak, wie die AAS oder die "Is lamische Armee im Irak", die sich zu Entführungen von Ausländern im Irak bekannt hat, zeichnen sich durch eine immer professionel lere Medienarbeit aus. Dabei nutzen sie häufig das Internet, wodurch ihre Botschaften ohne großen personellen und finanziellen Aufwand sowie ohne Preisgabe des eigenen Standorts einen hohen Verbrei tungsgrad finden. Fast täglich werden Selbstbezichtigungsschreiben zu Anschlägen im Irak und Erklärungen gegen jegliche demokrati sche Reformbemühungen im Irak veröffentlicht. AL-ZARQAWI rief in seinen im Internet veröffentlichten Tonbandbot schaften immer wieder auch zur Fortsetzung und Intensivierung des "Jihads" gegen die US-Amerikaner auf. So äußerte er in einer am 29. April im Internet veröffentlichten Tonbandaufnahme: "Wir versprechen Gott, dass der römische Hund Bush keinen Seelen frieden genießen und seine Armee kein gutes Leben haben wird, so lange unsere Herzen schlagen." Neben US-Amerikanern benennt AL-ZARQAWI regelmäßig die iraki schen Schiiten als Feinde der Sunniten; er erklärte ihnen in einer am 14. September veröffentlichten Verlautbarung einen "totalen Krieg". Die Gruppierung AL-ZARQAWIs "TQJ" ist im Jahr 2005 insbesondere durch Erklärungen zur Entführung und Hinrichtung hochrangiger Diplomaten arabischer Länder ins Blickfeld der Öffentlichkeit gerückt. Im Frühjahr nutzte das "AL-ZARQAWI"-Umfeld erstmals das Internet zur Verbreitung eines Magazins mit dem Namen "Thurwat al-Sinam" ("Spitze des Kamelhöckers"), von dem bislang drei Ausga ben erschienen sind. In mehreren Artikeln wird zum "Jihad" gegen "Ungläubige" im Irak und in anderen islamischen Ländern aufgeru fen. Außerdem werden demokratische Regierungssysteme diffa miert und diskreditiert. Das Magazin enthält zudem Berichte mit de taillierten militärischen Anweisungen. Seit etwa Mitte September werden über einen "Internet-Fernsehsen der" "Sout al-Khilafa" ("Stimme des Kalifats") unregelmäßig Vide obeiträge publiziert. In diesen Beiträgen verliest ein vermummter und bewaffneter Sprecher Nachrichten zu Themen wie "Jihad", inter nationale "Mujahedin", Palästina und Irak sowie Erklärungen von entsprechenden islamistisch-terroristischen Gruppierungen aus der ganzen Welt. Darüber hinaus werden Filmbeiträge beispielsweise zu Anschlägen und Entführungen im Irak eingespielt. "Sout al-Khilafa" BERICHT 2005 208 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Welle von versucht einerseits den Stil konventioneller Nachrichtensendungen Entführungen und zu kopieren, grenzt sich aber andererseits inhaltlich deutlich von der Ermordungen üblichen Medienberichterstattung ab und wirft dieser eine Verfäl schung der Wirklichkeit vor. Als Produzent der Sendungen tritt die Organisation "Global Islamic Media Front" (GIMF) auf, unter deren Namen seit Jahren islamistische Propaganda im Internet verbreitet wird. III. Islamismus 1. Arabischer Ursprung 1.1 "Hizb Allah" (Partei Gottes) gegründet: 1982 im Libanon Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger In Deutschland: ca. 900 (2004: ca. 850) Medien: "Al-Ahd" (Die Verpflichtung), wöchentlich erscheinende Publikation (nur im Libanon); "Al-Manar" (Der Leuchtturm), TV-Sender (Beirut) Die schiitische "Hizb Allah" wird maßgeblich vom Iran beeinflusst und erhält von dort finanzielle Unterstützung. Seit 1992 im libanesi schen Parlament vertreten, konnte sie sich auch bei der Parlaments wahl im Mai behaupten. Erstmalig ist die "Hizb Allah" an der Regie rung beteiligt und stellt den Energieminister. Gleichwohl hat der militärische Arm der "Hizb Allah", "Al Muqa wama al-Islamiyya" (Islamischer Widerstand), weiterhin Bedeutung. Im Palästina-Konflikt unterstützt die "Hizb Allah" die "Intifada" (Auf stand der Palästinenser) in den von Israel besetzten Gebieten. Haupt ziel ist der Kampf gegen den Staat Israel als "unrechtmäßiger Besat zer palästinensischen Bodens". Der Rückzug der israelischen Armee aus dem Libanon im Mai 2000 wird in diesem Zusammenhang als Beispiel für den erfolgreichen Kampf der "Hizb Allah" gegen Israel genannt. Ihre Fähigkeit, die Bevölkerung Libanons zu mobilisieren, stellte die "Hizb Allah" Anfang März unter Beweis, als etwa 1 Mio. Menschen und damit etwa ein Viertel der Bevölkerung Libanons an einer Kund ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 209 gebung in Beirut teilnahmen, zu der die Partei aufgerufen hatte. Die Demonstration war eine Reaktion auf die Ermordung des ehemali gen libanesischen Premiers Rafiq Hariri. Mit dem Attentat auf Hariri am 14. Februar werden nach einem Bericht der UN-Untersuchungs kommission Angehörige des syrischen und libanesischen Geheim dienstes in Verbindung gebracht. Hassan NASRALLAH, Generalse kretär der "Hizb Allah", sprach sich in seiner Rede im Rahmen dieser Kundgebung für den Abzug der seit dem Ende des Bürgerkriegs 1990 im Land stationierten Angehörigen des syrischen Militärs und der Nachrichtendienste sowie für die vollständige Aufklärung des HaririAttentats aus. Seine Rede enthielt auch antiamerikanische und anti israelische Aussagen. Überwiegend zeigten Anhänger der Organisation in Deutschland nur wenig Interesse an einer aktiven Mitarbeit in den örtlichen "Hizb Allah"-Vereinen. Die Zahl der Gläubigen, die anlässlich religiöser Feste die Moscheen besuchten, war nach wie vor gering; nur anläss lich schiitischer Feiertage, wie z. B. dem "Aschura"-Fest, das zum Ge denken an den Märtyrertod des Imam Hussein begangen wird, war eine verstärkte Teilnahme festzustellen. Vereinzelt fanden zum Jah restag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Libanon, der all jährlich am 23. Mai als "Tag der Befreiung" gefeiert wird, "Siegesfei ern" in kleinerem Rahmen statt. An einigen dieser Veranstaltungen nahm traditionell auch einer der "Hizb Allah"-Abgeordneten des li banesischen Parlaments teil. An der alljährlich in Berlin stattfindenden "Al-Quds"-Demonstration zum Gedenken an die "Besetzung" der Stadt Jerusalem nahmen 2005 nur noch wenige "Hizb Allah"-Anhänger teil (vgl. Nr. 3.1). 1.2 "Hizb ut-Tahrir al-Islami" - HuT ("Islamische Befreiungspartei") gegründet: 1953 in Jordanien Leitung: Ata Abu AL-RASCHTA alias Abu Yassin (seit April 2003) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 300 (2004: ca. 200) Publikationen: "Khilafah Magazine" (englisch), "Hilafet" und "Köklü degisim" (türkisch), "Al-Waie" (arabisch), "Expliciet" (niederländisch) Betätigungsverbot: 15. Januar 2003 BERICHT 2005 210 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Die HuT wurde 1953 von dem Journalisten Taqi ud-Din AN-NABHANI, einem ehemaligen Mitglied der "Muslimbruderschaft" (MB, vgl. Nr. 1.4), in Jordanien gegründet. Als pan-islamische Bewegung wendet sie sich an die Gesamtheit der Muslime (Umma) und akzeptiert für diese Gemeinschaft ausdrücklich nicht den Fortbestand national staatlicher Grenzen. Erklärte Ziele der HuT sind insbesondere die Vernichtung des Staates Israel, die "Befreiung" der muslimischen Welt von westlichen Ein flüssen sowie die Wiedereinführung des Kalifats und der Scharia als Strukturprinzipien der "islamischen Ordnung". Die Zentrale der HuT befindet sich vermutlich im Libanon. Weltweite Stützpunkte der Organisation (so genannte wilayat) befinden sich u. a. in Ägypten, Australien, Jordanien, Kirgisistan, Kuwait, Sudan, Sy rien, Tadschikistan, Türkei, Usbekistan und in den USA. Auch der eu ropäische Bereich stellt ein eigenes "wilaya" dar. Ihre Propaganda verbreitet die HuT hauptsächlich über das Internet. Bis zum Betätigungsverbot im Januar 2003 trat die HuT in Deutsch land vorwiegend in Universitätsstädten durch das Verteilen ihrer Pu blikationen und von Flugblättern in Erscheinung. Diese enthielten regelmäßig antijüdische, antiisraelische oder antiwestliche Positio nen: "Warum brechen diese Armeen nicht los, um die Juden zu bekämpfen, den Judenstaat endgültig zu vernichten und jede Spur von ihm zu ent fernen? Warum werden nicht überall die Fronten eröffnet, um das jü dische Räuberpack zu bekämpfen?" (Undatiertes Flugblatt der HuT) Auch aktuelle Äußerungen ausländischer Repräsentanten der Orga nisation belegen diese Haltung: "Die Partei betrachtet die westlichen Staaten, allen voran Großbri tannien, Amerika und Frankreich, als den Erzfeind des Islam und der Muslime." (Interview mit dem Repräsentanten der HuT in Dänemark, veröffentlicht am 17. Januar 2005 im Internet) Ebenso geht die HuT von einer Unvereinbarkeit aller laizistisch ori entierten Staatsformen, so auch der Demokratie, mit der "islami schen Ordnung" aus: ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 211 "Deshalb ist es dem Muslim nicht gestattet, die Demokratie zu akzep tieren, da sie Blasphemie ist ... jeder Muslim muss sie verwerfen und all jenen gegenüber Widerstand leisten, die sie verbreiten." (Bro schüre der HuT von 1996 mit dem Titel ",Die Kampagne der USA zur Vernichtung des Islam") Da sich die HuT mit ihren Propagandaaktivitäten u. a. gegen den Ge Betätigungs danken der Völkerverständigung richtete, hatte das Bundesministe verbot rium des Innern am 15. Januar 2003 ein Betätigungsverbot für Deutschland erlassen. Die dagegen gerichtete Klage der HuT hatte das Bundesverwaltungs gericht (BVerwG) endgültig mit Urteil vom 25. Januar 2006 abgewie sen. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die HuT über die ihr zweifelsfrei zuzurechnende Zeitschrift "Explizit" sowie in verschiede nen Flugblättern dem Staat Israel das Existenzrecht abspreche und zu dessen gewaltsamer Beseitigung sowie zur Tötung von Menschen aufrufe. Damit richte sie sich gegen den Gedanken der Völkerver ständigung. Die Zeitschrift "Explizit" ist seit dem Betätigungsverbot nicht mehr erschienen. Öffentliche Aktivitäten der HuT in Deutschland waren seit dem Betätigungsverbot nicht mehr festzustellen. Auf Grundlage der im Nachgang zum Vollzug des Betätigungsver bots gewonnenen Erkenntnisse zu HuT-Strukturen in Deutschland ist heute - abweichend von Schätzungen der vergangenen Jahre - von einer ca. 300 Personen umfassenden Anhängerschaft der HuT in Deutschland auszugehen. 1.3 "Islamische Widerstandsbewegung" ("Harakat Al-Mu quawama Al Islamiya" - HAMAS) gegründet: Anfang 1988 im Gazastreifen/heutiges palästinensisches Autonomiegebiet Leitung: Khaled MASHAL (Sitz: Damaskus/Syrien) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 300 (2004: ca. 300) BERICHT 2005 212 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Im Zusammenhang mit dem Ausbruch der ersten "Intifada" (Auf stand der Palästinenser) im Dezember 1987 sammelten sich Anhän ger der islamistischen "Muslimbruderschaft" (MB) innerhalb der palästinensischen Bevölkerung um Scheich Ahmad Yassin und grün deten Anfang 1988 die HAMAS. "Izzadin al-QassamHauptziel der HAMAS ist die Errichtung eines islamischen Staates auf Brigaden" dem gesamten Gebiet "Palästinas" auch mittels Gewalt, maßgeblich getragen vom militärischem Arm der HAMAS, den "Izzadin al-Qas sam-Brigaden". Diese sind für eine Vielzahl von Terroranschlägen in Israel und den palästinensischen Gebieten mit zahlreichen Todesop fern verantwortlich. Im Zusammenhang mit dem in Sharm El Sheikh (Ägypten) am 8. Fe bruar zwischen der Palästinensischen Behörde und der israelischen Regierung vereinbarten Waffenstillstand hat sich die HAMAS auf Be treiben des neuen palästinensischen Präsidenten verpflichtet, vor erst keine Anschläge mehr gegen israelische Ziele zu verüben. An diese Absprache hat sich die HAMAS im Vorfeld der palästinensi schen Parlamentswahlen am 25. Januar 2006 weitgehend gehalten. Die erstmals bei den Parlamentswahlen angetretene HAMAS er reichte mit ihrer Partei "Wechsel und Reform" im Palästinensischen Legislativrat (PLC) die absolute Mehrheit (74 von 132 Sitzen). Die Räumung der israelischen Siedlungen im Gazastreifen im August sieht die HAMAS als Erfolg ihres "Widerstandes". Zum israelischen Rückzug aus dem Gazastreifen führte der HAMAS-Funktionär Mah moud AL-ZAHAR in einem Interview aus: "Wir werden in die Siedlungen vordringen und die Würde Israels mit Füßen treten. Wir werden auf den Ruinen der israelischen Siedlungen stehen und unseren Leuten den Sieg verkünden." 170 AL-ZAHAR stellte in diesem Zusammenhang außerdem klar, dass auch zukünftig mit Gewalttaten der HAMAS zu rechnen sei und die HAMAS das Existenzrecht des Staates Israel weiterhin nicht aner kenne: "Erstens gibt es keine israelischen Städte, sondern lediglich Siedlun gen. Und wenn die Aggression und die Besatzung andauern, hat die palästinensische Bevölkerung keine Alternative als sich zu verteidi gen." 171 170 "Al-Sharq Al-Awsat" vom 17. August 2005. 171 "Al-Sharq Al-Awsat" vom 17. August 2005. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 213 Die HAMAS verfügt in Deutschland über ca. 300 Anhänger, die nicht in eine feste Organisationsstruktur eingebunden sind. Dieser Perso nenkreis ist auch 2005 kaum öffentlich in Erscheinung getreten. Zur Unterbindung der finanziellen Unterstützung von HAMAS-Aktivitä ten aus Deutschland wurden erneut Exekutivmaßnahmen gegen Vereine durchgeführt, die in Verdacht stehen, Spendengelder an HA MAS-Einrichtungen in den palästinensischen Gebieten transferiert zu haben. Nachdem der Spendensammelverein "Al-Aqsa e. V." bereits 2002 vom Bundesministerium des Innern wegen Unterstützung der HA MAS verboten worden war (bestätigt durch Urteil des Bundesverwal tungsgerichts vom 3. Dezember 2004), stellte das Bundesministe rium des Innern mit inzwischen bestandskräftiger Verfügung vom 30. August fest, dass es sich bei dem Verein "YATIM-Kinderhilfe e. V." mit Sitz in Essen um eine Ersatzorganisation des "Al-Aqsa e. V." han delt. Das Vereinsvermögen des "YATIM-Kinderhilfe e. V." wurde ein gezogen. Wie bereits der "Al-Aqsa e. V." sammelte auch der "YATIMKinderhilfe e. V." in Deutschland Spenden, leitete sie an vorgebliche Sozialeinrichtungen der HAMAS in den palästinensischen Gebieten weiter und unterstützte so den bewaffneten Kampf der HAMAS ge gen Israel. Am 15. Januar löste sich der ebenfalls im Verdacht der "Al-Aqsa e. V." Nachfolge stehende "Bremer Hilfswerk e. V." auf, nachdem seine Ak tivitäten zuvor Gegenstand eines vereinsrechtlichen Ermittlungsver fahrens geworden waren. Vereinsrechtliche Ermittlungen richteten sich auch gegen den "Islamische Wohlfahrtsorganisationen e. V." (IWO) mit Sitz in Herne wegen des Verdachts der Unterstützung der HAMAS durch Spendengelder. 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB) gegründet: 1928 in Ägypten Leitung: Mohamed Mahdi Othman AKEF (Sitz: Ägypten) Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 1.300 (2004: ca. 1.300) Publikationen: "Risalat ul-Ikhwan" (Rundschreiben der Bruderschaft); "Al-Islam" (Der Islam; nur noch als Online-Version) BERICHT 2005 214 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Die islamistische MB hat die Funktion einer "ideologischen Mutteror ganisation" für zahlreiche sunnitisch orientierte islamistische Grup pen, wie u. a. die palästinensische HAMAS (vgl. Nr. 1.3). Die MB wurde 1928 in Ägypten durch Hassan Al-Banna gegründet und verbreitete sich in nahezu allen arabischen Staaten sowie in Län dern, in denen sunnitische Muslime leben. Die MB strebt die Umge staltung dieser Länder in Staaten islamistischer Prägung mit einer ausschließlich an Koran und Sunna orientierten Staatsordnung an. Dabei setzt die MB auf eine Strategie der Einflussnahme im religiö sen, politischen und gesellschaftlichen Bereich. Die ca. 1.300 MB-Anhänger in Deutschland nutzen eine Vielzahl so genannter Islamischer Zentren als Treffpunkte und Orte für ihre Akti vitäten. Die in Deutschland mitgliedstärkste Organisation von MBAnhängern ist die 1960 gegründete "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD). Neben ihrem Hauptsitz im "Islamischen Zentrum München" unterhält die IGD eigenen Angaben zufolge "Is lamische Zentren" u. a. in Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt/Main, Köln, Marburg und Münster. 172 Sowohl die MB als auch die IGD haben die Anschläge vom 7. Juli in London in scharfer Form verurteilt. Während der IGD-Vorsitzende Ibrahim EL-ZAYAT betonte, kein Un recht rechtfertige die Tötung Unschuldiger, 173 verurteilte der Leiter der MB, Mohammed Mahdi AKEF, die Anschläge zwar ebenfalls als "kriminellen Akt", der "durch kein Gesetz und auch durch keine Reli gion gerechtfertigt" sei. AKEF führte aber weiter aus, dass "die Aus breitung der Kultur von Gewalt und Terror und der steigende Druck auf internationalem Niveau die direkte Konsequenz der Gesetzes brüche, der Nichteinhaltung von internationalen Verträgen und Ab kommen und der Unterdrückung der Völker durch die amerikani sche Führung und die britische Regierung" sei. 174 Am 21. August hatte die ägyptische MB in einer in Kairo veröffentlich ten Presseerklärung ihre Landsleute zur Teilnahme an den Präsident schaftswahlen am 7. September aufgerufen. Offen blieb, welchen Kandidaten die MB unterstützen wollte. Eine vorangegangene Volks abstimmung über eine Wahlrechtsreform, nach der erstmals meh rere unabhängige Kandidaten nominiert werden durften, hatte die MB noch mit dem Hinweis boykottiert, dass auch das neue Wahl recht unabhängigen Bewerbern keine Chance gegenüber dem amtierenden Präsidenten Mubarak gewähre. Der plötzliche Sinneswan 172 Programm der IGD-Jahreskonferenz 2004 vom 18.-19. September 2004. 173 Presseerklärung der IGD vom 7. Juli 2005. 174 Presseerklärung der MB vom 7. Juli 2005. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 215 del der MB führte - auch unter MB-Anhängern in Deutschland - zu Spekulationen über einen möglichen Pakt zwischen der ägyptischen Regierung und der MB. 2. Türkischer Ursprung 2.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) gegründet: 1985 in Köln (als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V." - AMGT) Leitung: Osman DÖRING (genannt Yavuz Celik KARAHAN) Mitglieder in Deutschland: ca. 26.500 (2004: ca. 26.500) Publikationen: "IGMG Perspektive", unregelmäßig Die Mitgliederstärke der IGMG in Deutschland beträgt schätzungs Strukturdaten weise 26.500 Personen 175 , wobei die IGMG mit zahlreichen Einrich tungen und vielfältigen Angeboten einen weitaus größeren Perso nenkreis erreicht. Nach eigenen Angaben verfügt die IGMG europaweit über mehr als 210.000 Mitglieder 176 , in der überwiegen den Mehrheit dauerhaft in Europa lebende Zuwanderer aus der Tür kei. Auf ihrer Homepage gibt die Organisation an, insgesamt ca. 2.200 Einrichtungen wie Moscheegemeinden, Frauen-, Jugendund Sportvereine zu unterhalten. Innerhalb Europas werde sie derzeit von 514 Moscheegemeinden repräsentiert, davon 323 in Deutsch land. 177 Mit der Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes ist seit 1995 die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsge meinschaft e. V." (EMUG) betraut. Die ideologischen Wurzeln der IGMG gehen auf Ideen und Konzepte Die ideologischen des langjährigen türkischen Politikers Prof. Dr. Necmettin ERBAKAN Wurzeln der IGMG zurück, deren Schlüsselbegriffe "Milli Görüs" (Nationale Sicht) und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung) sind. Die IGMG-Mitglieder vereh ren ERBAKAN unverändert als Begründer und geistigen Führer der "Milli-Görüs"-Bewegung. In der Türkei sind seine Anhänger gegen wärtig in der "Saadet Partisi" (SP - "Partei der Glückseligkeit") organi siert, nachdem die islamistischen Vorgängerparteien "Refah Partisi" ("Wohlfahrtspartei") und "Fazilet Partisi" ("Tugendpartei") verboten 175 Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Mitglieder/ Anhänger der IGMG islami stische Ziele verfolgen oder unterstützen. 176 Internet-Homepage der IGMG (17. Oktober 2005). 177 Internet-Homepage der IGMG (17. Oktober 2005), Selbstdarstellung "Islam Toplumu Milli BERICHT Görüs - Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V.", S. 12. 2005 216 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE worden waren. 178 Trotz eines gegen ERBAKAN dort erlassenen le benslangen Politikverbots, das ihm die Ausübung einer offiziellen Parteifunktion verwehrt, gilt er weiterhin als zentrale Leitfigur mit weitreichendem Einfluss auf Partei und Bewegung. Neben der Er richtung einer "neuen großen Türkei" in Anlehnung an das Osmani sche Reich gehören auch die Abschaffung des Laizismus und die Er richtung einer uneingeschränkt islamischen Lebensund Gesellschaftsordnung - letztlich auch auf globaler Ebene - zu den Zielen der Bewegung. Dieses langfristige und umfassende dreistufige Vorhaben - die fun damentale Umgestaltung der Türkei, die Wiederherstellung einer "Großtürkei" und schließlich eine islamische Weltordnung - bringen Verantwortliche der "Milli-Görüs"-Bewegung nach wie vor in Beiträ gen und Reden zum Ausdruck. Der SP-Vorsitzende Recai KUTAN etwa äußerte mit Blick auf das vermeintliche Wiedererstarken seiner Par tei im Oktober 2005: "Das einzige Rezept zur Rettung unseres Landes ist die "Saadet Par tisi", denn die Milli Görüs ist nicht nur eine Sichtweise, die die Gerech tigkeit an oberste Stelle stellt, sondern auch die einzige Adresse für eine lebenswerte Türkei, eine neue Großtürkei und eine neue Welt, die auf Gerechtigkeit gründet." ("Milli Gazete" vom 26. Oktober 2005, S. 1) Gerechtigkeit ist nach dem Verständnis der "Milli Görüs" unabding bar und untrennbar mit dem Islam bzw. einer strikten islamischen Ordnung verbunden, während vom Islam abweichende Politikoder Gesellschaftsmodelle gleichsam als Synonyme für Ungerechtigkeit oder Despotie gelten. So sprach der Vorsitzende des "Vereins der Anatolischen Jugend" (Anadolu Genclik Dernegi), der Jugendorgani sation der "Milli-Görüs"-Bewegung in der Türkei, mit Blick auf die westliche Demokratie schlicht von einer "falschen Zivilisation". 179 Auch die Ausführungen ERBAKANs spiegeln unverändert diese kate gorische und polarisierende Denkweise wider. Der geistige Führer der "Milli-Görüs"-Bewegung postuliert die Religion als den bestim menden Faktor für alle Lebensbereiche und verwendet in seinen Re den den Begriff einer umfassenden "islamischen Zivilisation", die al lein die materielle Macht der "Ungläubigen" brechen und Frieden und Freiheit für die Menschheit gewährleisten könne. 180 Im Rahmen einer von der SP in Istanbul veranstalteten Ramadan-Veranstaltung äußerte der telefonisch zugeschaltete ERBAKAN: 178 "Refah Partisi" ("Wohlfahrtspartei"): Verbot 1998, "Fazilet Partisi" ("Tugendpartei"): Verbot 2001. 179 "Milli Gazete" vom 18. Oktober 2005, S. 1, 10. 180 "Milli Gazete" vom 13. Oktober 2005, S. 10. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 217 "Wo immer die Imperialisten hinkommen, verbreiten sie Tod und Ver derben. Die islamische Zivilisation wird den Menschen Frieden und Gerechtigkeit bringen." ("Milli Gazete" vom 20. Oktober 2005, S. 1) Die "Milli-Görüs"-Bewegung hält beharrlich an ihren ideologischen Prämissen fest. Diese Kontinuität definiert die "Milli Gazete"-Kolum nistin Efser SELAMET als "Einheit im Wesen und Wort" und erklärt explizit zur "Milli-Görüs"-Bewegung: "Das, was wir 1970 gesagt haben, sagen wir auch jetzt. Was richtig ist, ist zu jeder Zeit richtig. Das Richtige lässt sich nicht nach der Zeit und den Bedingungen ändern. Die Bemühung, das Richtige zu ändern, führt zu nichts anderem als zu Selbstbetrug. Der einzige Weg: die 'Milli Görüs'." ("Milli Gazete" vom 22. Juli 2005, S. 15) Für die "Milli-Görüs"-Bewegung gibt der Islam ihrer Sichtweise den Islam als verbindlichen Rahmen vor, in dem sich sowohl das Leben des Einzel ausschließliches Ordnungssystem nen als auch das gesellschaftliche und politische Leben bewegen soll. für Politik und Aus Sicht der Bewegung kann nur mit einer solchen, ausschließlich Gesellschaft islamorientierten Ausrichtung des gesamten Lebens Recht, Gerech tigkeit und Gutes erreicht werden und damit die "Gerechte Ord nung". "Es gibt im Hinblick auf die Scharia zwei Arten von Politik: Die despo tische Politik: eine Politik, die den Rechten des Volkes zuwiderläuft und die die Scharia verbietet. Die gerechte Politik: eine Politik, die die Rechte des Volkes aus den Händen der Despoten rettet, die Unter drückung und das Übel vertreibt und diejenigen hindert, die Zwie tracht und Unruhe säen; sie zählt zur Scharia. ... Politik kann mit der Scharia eine gerechte Basis schaffen. ... Erklärt die Politik ihre Unab hängigkeit von der Scharia, setzt sie sich absolut und wird selbst zur Quelle der Unterdrückung." ("Milli Gazete" vom 5. Juli 2005, S. 13) Über Kolumnen der "Milli Gazete" wird häufig ein kompromissloses, absolutes Islamverständnis propagiert, das sich möglichen Refor mansätzen betont entzieht: BERICHT 2005 218 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE "Ich bin ein Muslim der Sunna und will keine Reformen und Neuerun gen in der Religion. Der islamische Glaube braucht keine Reformen, Veränderungen und Erneuerungen. ... Die Thesen einiger Radikaler, Konvertiten und Reformer sind komplett falsch. Im Islam gibt es keine Reformen. ... Reformen und Veränderungen können nur in verdorbe nen Religionen, in menschlichen Ideologien und Lehren durchgeführt werden." ("Milli Gazete" vom 9. September 2005, S. 4) IGMG - Teil der Die IGMG ist weiterhin Teil der "Milli-Görüs"-Bewegung. Zwar fand "Milli-Görüs"-Bewe die letzte persönliche Teilnahme ERBAKANs an einer IGMG-Veran gung staltung im Jahr 2002 statt, doch wird dies durch gelegentliche Live zuschaltungen, nicht zuletzt aber durch die Entsendung persönli cher Vertrauter aus der SP kompensiert. Parteifunktionäre aus der Türkei werden regelmäßig von IGMG-Anhängern zu offiziellen oder privaten Anlässen in Deutschland oder im europäischen Ausland empfangen und wirken dabei mit, die IGMG auch weiterhin ideolo gisch an den Zielen der Partei zu orientieren. 181 Auch an IGMGGroßveranstaltungen des Jahres 2005 nahmen hochrangige SP-Re präsentanten teil. So waren Mitte Mai die namhaften Parteifunktionäre Arif ERSOY und Numan KURTULMUS Gäste des IGMG-Familientags in Kerpen, der mit deutlich mehr als 10.000 Teil nehmern größten Veranstaltung des Jahres. Seref MALKOC, einer der stellvertretenden Vorsitzenden der SP und Geschäftsführer des "Milli-Görüs"-Fernsehsenders "TV 5", trat am 24. September auf ei nem internationalen Funktionärstreffen der IGMG in Leverkusen als Redner auf. Themenschwerpunkt der mehrere Tausend Teilnehmer zählenden Veranstaltung war u.a. das Arbeitsprogramm der Organi sation für das Jahr 2005/2006. 182 Nach außen versucht die IGMG, die Verbundenheit mit der "MilliGörüs"-Bewegung in der Türkei zu relativieren. So äußerte der IGMGGeneralsekretär Oguz ÜCÜNCU in einem Zeitungsinterview: "Das heißt, das was sich aktuell tagespolitisch in der Türkei ent wickelt, bleibt quasi ohne Wirkung auf unser Leben und unsere Anfor derungen in Deutschland. Deshalb haben wir einen sehr scharfen Blick darauf entwickelt, daß wir hier unsere Aufgaben vernünftig erle digen und den Rückenwind aus der Türkei dann in Anspruch nehmen, wenn es wirklich Themen sind, die von der Türkei abhängen. Das 181 "Milli Gazete" vom 25. Januar 2005, S. 20 (Teilnahme von führenden SP-Funktionären am Opferfest des "Vereins Junger Muslime Bremen" in Delmenhorst); "Milli Gazete" vom 28. Januar 2005, S. 20 (Teilnahme des SP-Funktionärs Mukadder BASEGMEZ an einem Opferfest der IGMG-Nordruhr in Bielefeld); "Milli Gazete" vom 24./25 September 2005, S.2 (Teilnahme des SP-Funktionärs Arif ERSOY an einem Jugendfest der IGMG-Gemeinde Bielefeld). 182 "Milli Gazete" vom 28. September 2005, S. 1 und 16. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 219 heißt zum Beispiel, die EU-Mitgliedschaft ist für uns als IGMG ein Her zensanliegen. Sie werden sehen, daß wir da mit der Milli-Görüs-Bewe gung in der Türkei nicht auf einer Linie sind. Aber wir sehen das aus einem anderen Blickwinkel." (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 11. Januar 2005, S. 6) Diese Aussagen des IGMG-Generalsekretärs sind Ausdruck der - bis lang weitgehend erfolglosen - Bemühungen um mehr Handlungs freiheit, um sich vermehrt den spezifischen Belangen der in Europa lebenden Muslimen widmen zu können. Ein Herauslösen der IGMG aus der "Milli-Görüs"-Bewegung und damit auch die Lossagung von ERBAKAN zeichnet sich jedoch nach wie vor nicht ab. Von zentraler Bedeutung für den Zusammenhalt der "Milli-Görüs" "Milli Gazete" Bewegung und für die Verbreitung ihrer ideologischen Grundprä missen ist die türkische Tageszeitung "Milli Gazete", deren Europa ausgabe auch im freien Handel in Deutschland erhältlich ist. Neben der Berichterstattung aus der Türkei - und hier mit Schwer punkt auf den Aktivitäten und Verlautbarungen der SP - berichtet die Zeitung u. a. ausführlich über Veranstaltungen der IGMG. In einem Artikel zum 33jährigen Bestehen werden die Ziele der "Milli Gazete" ausführlich dargelegt: "Ihr Ziel (d. h. der Zeitung) ist es, die geistigen und moralischen Werte unserer Ahnen wieder zu einem bestimmenden Faktor für das Leben der Gesellschaft zu machen. ... In all ihren Ausgaben hat sich die MillA(r) Gazete anstelle eines imperialistischen Kulturverständnisses für die Betonung der nationalen Kultur eingesetzt und um die Wiederbele bung der islamischen Zivilisation und Kultur bemüht." ("Milli Gazete" vom 12. Januar 2005, S. 11) Der "Generaldirektor" der Türkeiausgabe stellte die zentrale Bedeu tung und aus seiner Sicht unverzichtbare Funktion der Zeitung für den Zusammenhalt der "Milli-Görüs"-Bewegung wie folgt heraus: "Wenn ihr wollt, dass unser Hoca Necmettin Erbakan in jedes Haus kommt, müsst ihr die Milli Gazete lesen. Diese Zeitung reflektiert un ter allen Umständen und mit jeder Nachricht die Position der Milli Görüs. Selbst wenn die Milli Gazete aus einem leeren weißen Blatt be stünde, auf dem nur 'Milli Gazete' steht, müsst ihr die Milli Gazete BERICHT 2005 220 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE kaufen, um Milli Görüs zu unterstützen. ... Wir müssen Gott dafür danken, dass wir Leute der Milli Gazete und damit der Milli Görüs sind, die die Wahrheit sagt und sich auf die Seite der Wahrheit und desjeni gen, der im Recht ist, stellt." ("Milli Gazete" vom 20. Juli 2005, S. 12) Auch innerhalb der IGMG wird für die Unterstützung der "Mili Ga zete" geworben. Vertreter der Zeitung nahmen an Veranstaltungen und Seminaren der IGMG teil und betonten dort in ihren Reden die Bedeutung der "Milli Gazete". 183 Gelegentlich werden bei IGMG-Ver anstaltungen auch Abonnements der "Milli Gazete" als Preis ver schenkt. 184 Wie sehr sich die IGMG mit der Zeitung identifiziert, zeigt die Aussage eines regionalen IGMG-Funktionärs, der anlässlich einer Feier zum Opferfest ausdrücklich erklärte: "Die 'Milli Gazete' ist unsere Lebensader. Für sie einzutreten, sie zu lesen und andere dazu zu motivieren, sollte unsere vorrangige Aufgabe sein." ("Milli Gazete" vom 17. Februar 2005, S. 3) Seit Mitte 2005 erscheint die Europaausgabe der Zeitung mit verän dertem Impressum. In dem Text heißt es u. a.: "Die Milli Gazete - Europa - steht allen Institutionen und Parteien neutral gegenüber - verfolgt nicht das Ziel einer Parallelgesellschaft, sondern zielt auf eine multikulturelle, multireligiöse, multisprachliche, multiethni sche und vielstimmige Gesellschaft ab, sie verteidigt die 'Einheit in nerhalb der Vielfalt' - lehnt jede Art von Diskriminierung, Rassismus und Antisemitismus ab, ... - ist im Hinblick auf Demokratie, Menschenrechte und Freiheiten äußerst gewissenhaft, bekennt sich zur Freiheit des Einzelnen und zur Hoheit des Rechts, respektiert die Verfassungen und Gesetze der europäischen Staaten ... - Die in den Kolumnen veröffentlichen Meinungen sind dem jeweili gen Autor zuzuordnen und geben nicht die Meinung unserer Zeitung wieder. - Die Zeitung ist nicht das offizielle Publikationsorgan irgendeiner In stitution." 185 183 "Milli Gazete" vom 25. Februar 2005, S. 3, und "Milli Gazete" vom 6. April 2005, S. 3. 184 "Milli Gazete" vom 16. Juli 2005, S. 20. 185 Festgestellt seit dem 17. Juni 2005. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 221 Mit der Impressumsänderung sollte keine inhaltliche Neuausrich tung der Zeitung verbunden sein; die Redaktionslinie wurde nicht substanziell modifiziert. Die Verantwortlichen der "Milli Gazete" ha ben vielmehr beabsichtigt, die Kritik an der islamistischen Ausrich tung der Publikation zu entschärfen und sie durch ein gemäßigteres Erscheinungsbild weniger angreifbar zu machen. Gerade das enge Beziehungsgeflecht zwischen "Milli Gazete", IGMG und der "MilliGörüs"-Bewegung blieb jedoch unangetastet. Insgesamt ist davon auszugehen, dass Äußerungen der "Milli Gazete" weiterhin repräsen tativ sowohl für das Islamverständnis als auch für die ideologische Ausrichtung der IGMG sind. Zu den Aktivitätsschwerpunkten der IGMG gehört nach wie vor die Jugendund Jugendund Bildungsarbeit. Das Ideal der eigenen Jugend wurde in Bildungsarbeit der IGMG der "Milli Gazete" in einem als Gedicht veröffentlichten Beitrag wie folgt skizziert: "Der Religion, dem Vaterland, der Fahne sind sie respektvoll verpflich tet, besorgt sind sie wegen jenen, die das Vaterland verraten, dem Milli-Görüs-Führer Erbakan sind sie treu ergeben, bewusst und re spektvoll sind sie, unsere Jugendlichen. ... Geht es um Heimat oder Ehre, ist ihnen ihr Leben egal, bewusst und respektvoll sind sie, unsere Jugendlichen. Sie studieren ihre Geschichte, erneuern die Zuversicht, bemühen sich auf dem Weg der Vorfahren zu gehen, Koran und Sunna sind sie ver bunden, diese Soldaten, bewusst und respektvoll sind sie, unsere Ju gendlichen." ("Milli Gazete" vom 9./10. April 2005, S. 10) Ein IGMG-Funktionär äußerte im Zusammenhang mit einem IGMGWissenswettbewerb, man bemühe sich, eine gebildete, kultivierte Jugend heranzubilden, die sich für nationale und moralische Werte einsetze. 186 Zum Hintergrund von Jugendbildungsseminaren heißt es in der organisationseigenen Publikation "IGMG-Perspektive", diese Seminare sollten durchgeführt werden, um die islamische Identität der muslimischen Jugendlichen zu entwickeln und ihre re ligiösen Gefühle zu stärken. 187 Regelmäßig betont die IGMG, ihre Schulungsangebote förderten u. a. auch die Integration. Vor dem Hintergrund der von der "Milli Görüs"-Bewegung vertretenen Ideologie, die die islamische Zivilisa tion in einem unüberbrückbaren Gegensatz zu den westlichen Ge sellschaftssystemen sieht, ist jedoch zweifelhaft, inwieweit diese 186 "Milli Gazete" vom 27. Mai 2005, S. 3. BERICHT 187 "IGMG-Perspektive", März 2005, S. 10. 2005 222 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Kurse tatsächlich einen Beitrag zur Integration leisten können. Antisemitismus Die IGMG wendet sich in öffentlichen Verlautbarungen grundsätz lich gegen Antisemitismus. Gemäß dieser Vorgabe enthalten der offi zielle Buchkatalog der Organisation und ihr diesbezügliches Interne tangebot keine offen antisemitische Literatur. In Einzelfällen findet eine Verbreitung entsprechender Schriften über Moscheen der IGMG aber doch statt. Bei der Durchsuchung einer IGMG-Moschee in München am 30. Sep tember 2004 und am 14. April wurden u. a. einige Bücher mit eindeu tig antisemitischen und teilweise volksverhetzenden Inhalten festge stellt. Unter diesen für den Verkauf bzw. Vertrieb vorgesehenen Publikationen befand sich zum Beispiel die türkische Ausgabe des antisemitischen "Klassikers" "Der internationale Jude" von Henry Ford. Auch in den überdies festgestellten Veröffentlichungen "Das Holzschwert des Juden" von Mustafa AKGÜN und "Freimaurerwesen und Kapitalismus" von einer namentlich nicht näher bestimmten "Forschungsgruppe" werden antisemitische Verschwörungstheo rien ausgebreitet. Beschlagnahmt wurde zudem das Buch "Der Auf schwung des Islam" der "Milli Gazete"-Kolumnistin Gülay PINAR BASI. Die Autorin verwendet in dieser Schrift das Zerrbild einer globalen jüdischen Pressemacht, die angeblich Grundlage der zioni stischen Weltherrschaft sei und die Zersetzung anderer Völker an strebe. 2.2 "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti") gegründet: 1984 in Köln Sitz: Köln Leitung Metin KAPLAN (bis zum Verbot): Anhänger in Deutschland: 750 (2004: 750) Organisationsverbot: 12. Dezember 2001 Die in Deutschland verbotene Organisation "Kalifatsstaat" unter der Führung ihres selbsternannten "Emirs der Gläubigen und Kalifen der Muslime", Metin KAPLAN, strebte die Beseitigung des Laizismus in der Türkei und die dortige Errichtung eines islamischen Systems auf der Grundlage der Scharia an. Langfristiges Ziel war die islamische ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 223 Weltherrschaft. Demokratie und Parteienpluralismus galten der Or ganisation als unvereinbar mit islamischen Glaubensgrundsätzen und wurden kategorisch abgelehnt. Die 2001 und 2002 vom Bundesministerium des Innern gegen den Verbot zeigt "Kalifatsstaat" und insgesamt 36 Teilorganisationen erlassenen Ver weiterhin Wirkung einsverbote sowie zahlreiche polizeiliche Exekutivmaßnahmen in der Folgezeit zeigen weiterhin eine nachhaltig dämpfende Wirkung auf die Anhänger KAPLANs. Auch im Jahr 2005 wurden Exekutiv maßnahmen gegen Anhänger KAPLANs durchgeführt. So fanden am 29. September Durchsuchungen von zahlreichen Objekten in Nieder sachsen, Nordrhein-Westfalen, den Niederlanden und in Belgien u. a. wegen des Verdachts verbotener Folgeaktivitäten statt. Am 23. No vember folgten weitere Durchsuchungen und Beschlagnahmen in Bayern. Ein großer Teil der ehemaligen Mitglieder des "Kalifatsstaates" ver meidet seit dem Verbot offene Nachfolgeaktivitäten. Einzelne aber versuchen, sowohl organisatorische Zusammenhänge aufrechtzuer halten als auch die Lehren des "Kalifen" - unter anderem über das In ternet - weiter zu verbreiten. Entsprechende Internetseiten in türki scher Sprache werden über einen niederländischen Webserver eingestellt und aktualisiert. Auf der Eingangsseite einer der beiden "Kalifatsstaats"-Internetseiten sind die in Deutschland verbotene Vereinsflagge sowie der Organisationsgründer Cemaleddin KAPLAN und dessen Sohn Metin abgebildet. Auf beiden Internetseiten kön nen Texte zu und von Metin KAPLAN abgerufen werden, u. a. Beiträge über das gegen ihn in der Türkei durchgeführte Gerichts verfahren. Nach seiner Abschiebung in die Türkei am 12. Oktober 2004 verur KAPLAN teilte ein Schwurgericht in Istanbul Metin KAPLAN am 20. Juni zu ei in der Türkei zu ner lebenslangen Haftstrafe u. a. wegen Hochverrats. Das Urteil ent lebenslanger Haft verurteilt sprach dem Antrag der Staatsanwaltschaft, die KAPLAN wegen insgesamt 13 Straftaten angeklagt hatte. Unter anderem wurde ihm vorgeworfen, am 29. Oktober 1998 ein Attentat auf das Atatürk-Mau soleum geplant zu haben, an dem sich die Regierung anlässlich des Nationalfeiertages der Türkei zum Staatsakt versammelt hatte. Das Urteil wurde am 30. November durch das oberste Berufungsgericht der Türkei aufgehoben. Der Termin für ein neues Verfahren steht noch nicht fest. BERICHT 2005 224 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3. Sonstige 3.1 Iranischer Einfluss auf in Deutschland lebende Schiiten "Islamisches Zen Das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH) ist das bedeutendste isla trum Hamburg" mische Zentrum des Irans in Deutschland und eine der wichtigsten (IZH) Anlaufstellen für schiitische Muslime in Europa. Dem IZH sind in Deutschland noch weitere iranische Einrichtungen wie z. B. in Berlin, Frankfurt/Main und München angeschlossen. Das IZH verbreitet die schiitische Glaubenslehre und verbindet dies mit der Propagierung der in der iranischen Verfassung verankerten theokratischen Staatsdoktrin, nach der Staatsgewalt nicht vom Volk ausgeht, sondern allein religiös legitimiert werden kann, und der Re ligionsführer - über der Nationalversammlung und dem Staatspräsi denten stehend - zugleich politischer und religiöser Führer mit na hezu unbeschränkter Machtfülle ist. Geleitet wird das IZH von Ayatollah Seyyed Abbas GHAEM-MAG HAMI. Besucher des IZH sind Schiiten jeglicher Nationalität, darun ter auch konvertierte deutsche Staatsbürger. Die Aktivitäten des IZH bestehen u. a. in der Durchführung von Ge betsveranstaltungen (Freitagsgebete), Vortragsveranstaltungen zu islamischen Themen und Festivitäten anlässlich schiitischer Feier tage. Daneben veröffentlicht das IZH Publikationen mit religiösem Inhalt, wozu auch das Monatsmagazin "Al Fadschr" (Die Morgen dämmerung) zählt. Koranbezogene Themen, Berichte über regel mäßig stattfindende Veranstaltungen, Auszüge aus Freitagspredig ten sowie "Nachrichten aus der islamischen Welt" bestimmen den Inhalt dieses Magazins. "Al-Quds"-Tag Das IZH ist neben den Angehörigen der iranischen Gemeinde in Ber lin regelmäßig Mitorganisator der alljährlich in der Hauptstadt statt findenden Großveranstaltung zum "Al-Quds"-Tag (Jerusalem-Tag). Der von Ayatollah Khomeini im Jahre 1979 ausgerufene "Al-Quds" Tag wird seit 1996 in Deutschland von Schiiten verschiedener ethni scher Herkunft begangen. Dabei soll an die "Besetzung" Jerusalems erinnert werden. An der diesjährigen Demonstration am 29. Oktober nahmen nur rund 330 Personen u. a. iranischer, libanesischer und türkischer Na tionalität teil; die Teilnehmerzahl erreichte damit im Vergleich zu den Vorjahren ihren bisherigen Tiefststand. Antiisraelische Äuße ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 225 rungen des neugewählten iranischen Staatspräsidenten Ahmadine jad im Rahmen einer in Teheran gehaltenen Rede zum "Al-Quds"-Tag und die dadurch bedingten verschärften Auflagen der Berliner Behörden sind wahrscheinlich der maßgebliche Grund für die ge ringe Teilnehmerzahl. Den Teilnehmern an der Demonstration in Berlin war vor diesem Hintergrund untersagt worden, sich die antiis raelischen Äußerungen des iranischen Staatspräsidenten durch Transparente oder durch das "demonstrative Mitführen von Bildern" zu eigen zu machen. Die Aussagen des iranischen Staatspräsidenten hatten international für Empörung gesorgt; muslimische Vereini gungen in Deutschland hatten sich öffentlich von den Äußerungen distanziert, allerdings nicht das IZH. Über das Internetportal "Muslim-Markt" (MM) wird - direkt oder in "Muslim-Markt" direkt - antizionistische und antiisraelische Propaganda verbreitet. Betreiber des MM ist der türkischstämmige schiitische Islamist Yavuz ÖZOGUZ, unterstützt durch seinen Bruder Gürhan ÖZOGUZ. Die Brü der ÖZOGUZ haben eine enge Bindung an das durch den Religions führer Ayatollah KHAMENEI repräsentierte theokra tische Regierungssystem Irans und agitieren dementsprechend im Sinne der iranischen Führung. Am 9. September veröffentlichte Yavuz ÖZOGUZ im MM einen in Gebetsform abgefassten Text, der sich gegen einen deutschen Islamwissenschaftler rich tete. Dieser hatte in der Vergangenheit entschieden gegen islamischen Fundamentalismus Position bezogen. Der von ÖZOGUZ verfasste Text hatte folgenden Wortlaut: "Wenn der Islam so ist, wie R. es immer wieder vorstellt, dann möge der allmächtige Schöpfer alle Anhänger jener Religion vernichten! Und wenn Herr R. ein Hassprediger und Lügner ist, dann möge der all mächtige Schöpfer ihn für seine Verbrechen bestrafen und diejenigen, die trotz mehrfacher Hinweise auf die verbreiteten Unwahrheiten von R. immer noch bestehen, auch." Der Betroffene sah in diesem Text einen gegen ihn gerichteten Mord aufruf und erstattete Strafanzeige. BERICHT 2005 226 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 3.2 "Tablighi Jama'at" - TJ ("Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") gegründet: etwa 1926 in (Britisch-)Indien Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 500 (2004: ca. 450) Die TJ wurde um 1926 als islamistische Erweckungsund Missionie rungsbewegung durch Maulawi Muhammad Ilyas gegründet. Ihr Zentrum befindet sich in Lahore/Pakistan. Ilyas war Anhänger der indischen "Dar al-Ulum" oder DeobandSchule, einer orthodoxen Richtung des sunnitischen indischen Islam, die auf die Verteidigung und Abgrenzung des Islam gegenüber an deren Religionen, insbesondere dem Hinduismus, abzielt. Ziel der in zwischen nahezu weltweit aktiven Bewegung ist es, Muslime zu ei nem streng an Koran und Sunna ausgerichteten Leben hinzuführen. Zu den obligatorischen Pflichten der TJ-Anhänger gehört es, regel mäßig, freiwillig und unbezahlt missionarisch tätig zu sein, um ei nerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits als Prediger selbst zu einer besonderen Frömmigkeit zu gelangen. Im Rahmen ih rer Pilgerreisen, die sie auch nach Deutschland führen, besuchen sie insbesondere Moscheen. Dort predigen die TJ-Anhänger und betrei ben ihre Missionsarbeit. Darüber hinaus werden aber auch im priva ten Bereich Einzelgespräche mit Muslimen geführt. Erfolgreich Missionierten werden häufig mehrmonatige Schulungs veranstaltungen in pakistanischen Koranschulen vermittelt. Solche intensiven Schulungen sind geeignet, die Teilnehmer zu indoktrinie ren und für islamistisches Gedankengut empfänglich zu machen. In Einzelfällen haben Schulungsteilnehmer anschließend den Weg in "Mujahedin"-Ausbildungslager in Afghanistan gefunden. Auch wenn die Bewegung nach eigenem Bekunden Gewalt ablehnt und sich als unpolitisch darstellt, ist die Gefahr gegeben, dass sie auf grund ihres strengen Islamverständnisses und der weltweiten Mis sionierungstätigkeit islamistische Radikalisierungsprozesse fördert und als Keimzelle zukünftiger "Jihadisten" bzw. islamistischer Terro risten dient. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 227 TJ-Einrichtungen existieren in Hannover, Hamburg, Köln, Erfurt, Nürnberg und München. Die TJ verfügt über keine flächendeckende, feste Organisationsstruktur in Deutschland; ihre Aktivitäten werden gesteuert und koordiniert über ein hierarchisch aufgebautes perso nelles Netzwerk und über informelle Kontakte der Anhängerschaft untereinander. Die vorrangige Zielgruppe der TJ in Deutschland sind insbesondere wirtschaftlich und sozial benachteiligte junge Mus lime. Diese werden seitens der TJ als sehr empfänglich für ihre Bot schaften eingeschätzt. Daneben gehören aber auch junge Konverti ten zur Zielgruppe der TJ, die in intensiven persönlichen Gesprächen geworben werden. Im April wurde in Hamburg ein einwöchiges Treffen der TJ mit ca. 1.000 Teilnehmern aus dem Inund Ausland ausgerichtet. Als Gäste waren für diese Veranstaltung u. a. hochrangige Prediger aus Indien und Pakistan eingeladen. Am Ende der Veranstaltung wurden Grup pen zusammengestellt und auf Missionsreisen geschickt. Die Missi onsreisen beschränkten sich nicht nur auf Deutschland, sondern führten teilweise auch in das benachbarte europäische Ausland. 3.3 "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI)/ "Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB) 188 gegründet: Anfang der 90er Jahre im Kaukasus Leitung: Sheik Hakim SADULAJEW Mitglieder/Anhänger in Deutschland: ca. 500 (2004: 500) Auch 2005 stand der gewaltsam ausgetragene Konflikt in der russi schen Kaukasusrepublik Tschetschenien, der sich zunehmend auf die Nachbarrepubliken Tschetscheniens ausweitet, im Blickfeld der Öf fentlichkeit. Er fand in dem von Kämpfern der CRI/TSB bzw. verbün deter lokaler Gruppierungen verübten Überfällen am 13. Oktober auf staatliche Einrichtungen in Naltschik, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Kabardino-Balkarien, einen Höhepunkt. Bei den Über fällen wurden mehr als 130 Menschen getötet. Die CRI/TSB entstand Anfang der 90er Jahre im Zuge der Auflösung Der Konflikt in der damaligen Sowjetunion. Ziel der CRI/TSB ist die Unabhängigkeit Tschetschenien Tschetscheniens von der Russischen Föderation. Im Laufe der Jahre gewannen innerhalb der CRI/TSB islamistische Kräfte immer stärker 188 Die Bezeichnung "Tschetschenische Separatistenbewegung" (TSB) ist ein Arbeitsbegriff der Sicherheitsbehörden für die "Tschetschenische Republik Itschkeria" (CRI) unter ihrem der BERICHT zeitigen "Präsidenten" und Anführer Sheik Hakim SADULAJEW. 2005 228 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE an Einfluss, deren Ziel in der Etablierung eines nordkaukasischen "Gottesstaates"/Kalifats in Tschetschenien und darüber hinaus be steht. Der fortdauernde Kampf gegen die "Besetzung" Tschetscheniens durch die russischen Sicherheitskräfte forderte mit Gewaltaktionen auch außerhalb Tschetscheniens, wie den Geiselnahmen in Moskau 2002 und Beslan 2004, zahlreiche zivile Opfer. Im März wurde der 1997 gewählte und seit 1999 von der Regierung der Russischen Föderation nicht mehr als solcher anerkannte Präsi dent der CRI, Aslan Maschadow, getötet. Neuer "Präsident" der CRI ist der im Vergleich zu Maschadow deutlich islamistischer orien tierte, zuvor weithin unbekannter Sheik Hakim SADULAJEW. Der für eine Reihe von Terrorakten verantwortliche islamistische Feldkom mandeur Schamil BASSAJEW wurde in die "Regierung" eingebunden und zum "Ersten Stellvertretenden Regierungschef" ernannt. Durch SADULAJEW wurde zudem die so genannte "Kaukasus-Front" ins Leben gerufen, die den bis 2004 auf Tschetschenien begrenzten Kampf gegen die russischen Streitkräfte auf den gesamten Nordkau kasus ausdehnen soll. In der Folge wurden in den russischen Teilre publiken der Nordkaukasus Dagestan, Inguschetien und KabardinoBalkarien sowie im Südosten der Region Stawropol Gewaltaktionen verübt. Aktivitäten der Zur Unterstützerbewegung in Deutschland gehören neben Tschet CRI/TSB in Deutsch schenen auch Türken tschetschenischer Abstammung. land Die Aktivitäten umfassen u. a. Propagandaveranstaltungen mit An gehörigen der von SADULAJEW geführten "Regierung", die Samm lung und Weiterleitung von Geldern für die CRI/TSB sowie sonstige logistische Unterstützungshandlungen. Wie im Jahr zuvor konnte eine Zunahme der Aktivitäten beobachtet werden. Gewaltaktionen der CRI/TSB in Deutschland wurden bislang nicht festgestellt. Gewalttätige Aktivitäten in Europa dürften dem Bestre ben der CRI/TSB, in Europa Verständnis für ihren "Unabhängigkeits kampf" zu gewinnen, zuwiderlaufen. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 229 IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maß nahmen des BMI Organisation Datum der Verbots Verbotsgründe Verfahrensstand verfügung "Kalifatsstaat" 8. Dezember 2001, - Bestrebungen Rechtskräftige Ver u. a. gegen die verfas bote (Urteil des und Teilorganisatio sungsmäßige Ord BVerwG vom 27. No nen nung und den Ge vember 2002, u. a.) danken der Völkerverständigung (Ablehnung demo kratischer Regie rungsformen, Ziel der Einführung einer islamischen Ordnung auf Grundlage der Scharia sowie Agita tion gegen Israel, ge gen Juden und die Republik Türkei). - Propagierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung von politischen Zielen. "Hizb-ut Tahrir" Betätigungsverbot - Verstoß gegen den Betätigungsverbot ist (HuT) am 10. Januar 2003 Gedanken der Völ rechtskräftig (Urteil kerverständigung des BVerwG vom 25. (Negation des Exis Januar 2006) tenzrechts Israels). - Befürwortung von Gewalt zur Durch setzung politischer Belange. BERICHT 2005 230 ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE Organisation Datum der Verbots Verbotsgründe Verfahrensstand verfügung "Al-Aqsa e. V." 31. Juli 2002 u. a. Verbot ist rechtskräf tig (Urteil des - Verstoß gegen den BVerwG vom 3. De Gedanken der Völ zember 2004) kerverständigung - Unterstützung einer Vereinigung außer halb der Bundesre publik Deutschland, die Anschläge ge gen Personen ver anlasst, jeweils durch finanzielle Un terstützung von HA MAS-Sozialverei nen. "Islamische Wohl Einleitung eines ver - Verdacht des Ver Laufendes Ermitt fahrtsorganisation" einsrechtlichen Er stoßes gegen den lungsverfahren (IWO) mittlungsverfahrens Gedanken der Völ am 5. September kerverständigung 2005 wegen der Unter stützung der HA MAS. "YATIM-Kinderhilfe 30. August 2005 - Nachfolgeorganisa Mit Ablauf der Kla e. V." tion des rechtskräftig gefrist am 5. Okto verbotenen "Al-Aqsa ber 2005 wurde das e. V." Verbot bestandskräf tig. "Bremer Hilfswerk Selbstauflösung mit BMI hatte am 3. De e. V." Wirkung vom 18. Ja zember 2004 ein nuar 2005; Lö vereinsrechtliches schung im Vereins Ermittlungsverfahren register am 29. Juni mit dem Ziel eines 2005 Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e. V." eingeleitet. Der Verein ist dem Ver bot durch Selbstauf lösung zuvorgekom men. ISLAMISTISCHE/ISLAMISTISCH -TERRORISTISCHE B ESTREBUNGEN UND VERDACHTSFÄLLE 231 Organisation Datum der Verbots Verbotsgründe Verfahrensstand verfügung "Yeni-Akit-GmbH" 22. Februar 2005 - Leugnung und Ver Mit Ablauf der Frist harmlosung des Ho zur Einlegung eines Verlegerin der Eu locausts in volksver Rechtsmittels Anfang ropa-Ausgabe der hetzender Weise. 2006 wurde das Ver türkisch-sprachigen bot bestandskräftig. Tageszeitung "Ana - Verbreitung antisemi doluda Vakit" tischer/antiwestlicher Propaganda. BERICHT 2005 232 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 234 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) I. Überblick 1. Entwicklungen im Ausländerextremismus (ohne Islamismus) Wie auch in den vorausgegangenen Jahren wurde das Verhalten der in Deutschland agierenden - nicht islamistischen - extremisti schen Ausländerorganisationen im Wesentlichen durch die Ent wicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Linksextremisti Linksextremistische Ausländerorganisationen treten nach wie vor sche Positionen für die "revolutionäre" Zerschlagung der Gesellschaftsordnung ih rer jeweiligen Heimatländer und die Errichtung sozialistischer bzw. kommunistischer Systeme ein. Ideologisch sind sie vor allem ge prägt durch eine marxistisch-leninistische bzw. maoistische Welt anschauung. Türkische linksex Primär handelt es sich hier um türkische Gruppierungen, deren tremistische Agitation in Deutschland insbesondere von Protesten gegen die Organisationen Türkei, die Europäische Union (EU) sowie zunehmend auch gegen die deutsche Sozialund Ausländerpolitik beherrscht wurde. Für die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) war des wei teren die seit einigen Jahren anhaltende Kampagne gegen die Ver legung "politischer Gefangener" in türkischen Haftanstalten aus Großraumzellen in Einzelzellen ein Agitationsthema. Wie bereits im Vorjahr waren diese Gruppierungen in ihren Heimatländern zum Teil auch terroristisch aktiv. PKK/KADEK/ In Europa hat die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die heute unter KONGRA GEL der Bezeichnung "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) auf tritt, den nach eigener Bekundung auf eine friedliche Lösung der "Kurdenfrage" gerichteten politischen Kurs auch in diesem Jahr fortgesetzt. Im Frühjahr beschloss die Organisation auf einem Kon gress die Gründung der "neuen" PKK. Diese soll das von Abdullah ÖCALAN entwickelte Prinzip des "demokratischen Konföderalis mus" verfolgen. In Europa sind bislang keine Strukturen der neuen Organisation zu erkennen. In Folge der Aufhebung des einseitigen Waffenstillstandes der "Volksverteidigungskräfte" (HPG) gegenüber der Türkei Mitte 2004 führte die Organisation dort auch Anschläge gegen zivile Ziele mit infrastruktureller Bedeutung, wie Pipelines und Bahnstrecken, durch. In türkischen Städten und Urlaubsgebieten hat es ebenfalls vermehrt Sprengstoffanschläge gegeben. Zu einigen Anschlägen bekannten sich die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) 189 , eine Grup pierung, die erstmals im August 2004 auftrat. 189 TAK = Teyrebaze Azadiya Kurdistan ("Freiheitsfalken Kurdistans"). SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 235 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Nach einem erneuten einseitigen Waffenstillstand der HPG vom 20. August bis zum 3. Oktober ist die Situation in den kurdischen Gebie ten durch Kampfhandlungen zwischen der türkischen Armee und den HPG geprägt. Die vor allem türkischen nationalistischen bzw. nationalistisch ge Nationalistische prägten Ausländerorganisationen messen der Nation sowohl poli Positionen tisch-territorial als auch ethnisch-kulturell den höchsten Stellenwert bei. Sie missachten die Rechte anderer Völker und stehen somit in ei nem elementaren Widerspruch zu den fundamentalen Menschen rechten und dem Gedanken der Völkerverständigung. Die extremistischen iranischen Oppositionsgruppen agitieren insbe Iranische sondere gegen die Herrschaftsverhältnisse in der Islamischen Repu Oppositionsgrup blik Iran und verfolgen nach wie vor das Ziel, diese grundlegend zu pen verändern. Die Aktivitäten der "Volksmodjahedin Iran Organisation" (MEK) und ihres in Europa agierenden politischen Armes "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) richten sich darüber hinaus auf die Streichung der Organisation von der EU-Liste terroristischer Organi sationen. Separatistische asiatische Organisationen konzentrieren sich auf die Asiatische Beschaffung von Geldmitteln und propagandistische Aktivitäten zur Separatisten Unterstützung ihrer Organisationen in den jeweiligen Heimatlän dern. Hinsichtlich des Friedensprozesses zwischen den "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) und der Regierung von Sri Lanka be steht seit geraumer Zeit eine Verhärtung der Lage, verbunden mit der Gefahr des Wiederaufflammens des Bürgerkrieges. 2. Organisationen und Personenpotenzial Bei den nicht islamistischen sicherheitsgefährdenden bzw. extremi stischen Ausländerorganisationen hat sich das Mitgliederund An hängerpotenzial der 45 Organisationen (2004: 47) mit 25.320 (2004: 25.720) weiter verringert: Das Personenpotenzial der linksextremisti schen oder linksextremistisch-geprägten Ausländergruppierungen ging auf 16.890 (2004: 17.290) zurück; das Potenzial der nationalisti schen Ausländergruppierungen blieb stabil bei 8.430 (2004: 8.430). BERICHT 2005 236 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Mitgliederpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen 1) (ohne Islamismus) Staatsangehörigkeit Linksextremisten Extreme Gesamt bzw. Nationalisten Volkszugehörigkeit Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Kurden 2) 2005 19 11.500 19 11.500 2004 21 11.950 21 11.950 2003 21 11.850 21 11.850 Türken 2) 2005 12 3. 150 1 7.500 13 10.650 2004 12 3.150 1 7.500 13 10.650 2003 12 3.370 1 8.000 13 11.370 Araber 2) 2005 4 150 4 150 2004 4 150 4 150 2003 4 150 4 150 Iraner 2005 2 1. 150 2 1.150 2004 2 1.150 2 1.150 2003 2 1.200 2 1.200 Sonstige 2005 2 940 5 930 7 1.870 2004 2 890 5 930 7 1.820 2003 2 900 4 880 6 1.780 Summe 2005 39 16.890 6 8.430 45 25.320 2004 41 1 7.290 6 8.430 47 25.720 2003 41 1 7.470 5 8.880 46 26.350 1) Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2) Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. II. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzel ner Gruppierungen 1. Türken (ohne Kurden) 1.1 Linksextremisten Ziel türkischer linksextremistischer Organisationen ist der revolu tionäre Umsturz der Staatsund Gesellschaftsordnung in der Türkei. Dort sind diese Gruppen auf der Grundlage ihrer marxistisch-lenini stischen bzw. maoistischen Ideologie zum Teil auch terroristisch ak tiv. Bezugspunkte der Agitation in Deutschland sind neben politi schen Themen aus der Türkei und aktuellen Ereignissen zunehmend auch Bereiche der deutschen Sozialund Ausländerpolitik. Ein weite res Agitationsthema, an dem inzwischen nur noch die "Revolu tionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) festhält, ist der Hun gerstreik bzw. das "Todesfasten" von Gesinnungsgenossen in türkischen Haftanstalten. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 237 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) 1.1.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) gegründet: 1994 in Damaskus (Syrien) nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten, 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke); Leitung: Generalsekretär Dursun KARATAS Mitglieder/Anhänger: ca. 650 (2004: ca. 650) Publikationen: u. a. "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke), unregelmäßig; "Ekmek ve Adalet" (Brot und Gerechtigkeit), wöchentlich, eingestellt am 15. Mai 2005; "Yürüyüs" (Marsch), wöchentlich, seit 22. Mai 2005 Organisationsverbot: seit 13. August 1998 Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete DHKP-C strebt nach wie vor die revolutionäre Beseitigung der bestehenden Staatsund Ge sellschaftsordnung in der Türkei an und will dort eine sozialistische Gesellschaft errichten. Sie bekräftigt, dass eine "Befreiung des Volkes" nur durch einen bewaffneten Volkskampf unter der Führung ihres militärischen Armes "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC) zu erreichen sei. So heißt es in einer Erklärung der "Revolutionären Volksbefreiungs partei" (DHKP), dem politischen Arm der DHKP-C, zum 11. Jahrestag ihrer Gründung: "Es gibt nur einen Ausweg. Dieses System zu verändern, die Imperiali sten aus unserem Land zu vertreiben und die oligarchische Regierung stürzen. Die Probleme können durch die Revolution gelöst werden, die Alternative ist Sozialismus. ... Unsere Partei ist der Auffassung, dass die Befreiung nur durch einen bewaffneten Volkskampf zu errei chen ist." (Internet-Erklärung Nr. 34 der DHKP vom 29. März 2005) BERICHT 2005 238 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Terroristische Der weiterhin andauernde "bewaffnete Kampf" der Organisation in Aktivitäten der Türkei zeigte sich erneut in mehreren terroristischen Aktivitäten. in der Türkei So wurde am 1. Juli ein mutmaßlicher Selbstmordattentäter beim Versuch, ins türkische Justizministerium in Ankara einzudringen, von Sicherheitskräften erschossen. Die DHKC bekannte sich zu die sem versuchten Anschlag: "Wir haben uns mit Bomben bewaffnet, um Rechenschaft für unsere 119 Menschen zu verlangen, die sie ermordet haben, um die F-Typ-Ge fängnisse zu öffnen und ihre Isolationspolitik fortsetzen zu können." (Internet-Erklärung Nr. 350 der DHKC vom Juli 2005) Gleichzeitig drohte die DHKC Racheaktionen an: "Die Verantwortlichen für das Isolationsmassaker werden sich der Re chenschaft nicht entziehen können! ... Solange die Isolation andau ert, das Sterben weitergeht, werden unsere Aktionen fortgesetzt." (Internet-Erklärung Nr. 350 der DHKC vom Juli 2005) Angehörige der nur in der Türkei aktiven "Bewaffneten Propaganda einheiten" der DHKC verübten aus Protest gegen die Erschießung des mutmaßlichen Attentäters vom 1. Juli nach eigenen Angaben am 3. und 9. Juli mehrere Anschläge auf Bürogebäude der Regierungspar tei AKP in Istanbul. Darüber hinaus bezichtigte sich die DHKC in den Internetausgaben Nr. 9 und 11 der Publikation "Yürüyüs" vom 17. bzw. 31. Juli 2005 weiterer Angriffe gegen Einrichtungen der AKP mittels Molotowcocktails sowie des Schusswaffengebrauchs gegen Polizei fahrzeuge in Istanbul am 21. bzw. 23. Juli. Auch weiterhin stellt der Hungerstreik in türkischen Gefängnissen, der kurz nach seinem Beginn im Oktober 2000 in ein so genanntes unbefristetes "Todesfasten" umgewandelt wurde, das beherrschende Agitationsthema der DHKP-C dar. Das "Todesfasten" - bei dem nach Angaben der DHKP-C bislang rund 120 Häftlinge, davon rund 40 in folge von Auseinandersetzungen mit Sicherheitskräften, verstarben - richtet sich gegen die als "Isolationshaft" bezeichnete Verlegung von Gefangenen aus Großraumzellen in neuerbaute Haftanstalten mit Einzelzellen, die sog. F-Typ-Gefängnisse. So heißt es in einer Er klärung der DHKP: SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 239 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) "Unser Widerstand in den F-Typ-Gefängnissen ist der Widerstand für die Revolution, die Verteidigung des Sozialismus und die Verbreitung der Hoffnung." (Internet-Erklärung Nr. 34 der DHKP vom 29. März 2005) Im gleichen thematischen Zusammenhang polemisiert die DHKC auch gegen die Europäische Union (EU) bzw. gegen eine mögliche Aufnahme der Türkei in die EU: "Die in der Türkei unter der Bezeichnung F-Typ-Gefängnisse einge führten Isolationsgefängnisse sind Massakerzentren, die den Zweck befolgen, die revolutionäre Opposition in der Türkei auszuschalten und den Weg zur EU-Aufnahme zu ebnen." (Internet-Erklärung der DHKC vom 26. Mai 2005) In einer Internet-Erklärung des DHKC-Informationsbüros in Brüssel vom 5. November wird der Vorwurf erhoben: "Mit der Unterstützung eines Regimes, das 120 Tote in den Gefängnis sen verursacht, die demokratische Opposition unterdrückt, mit reak tionären Gesetzen das Verteidigungsrecht unterminiert, macht sich die EU mitschuldig." Auch Anhänger des "Solidaritätsvereins mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei" (TAYAD) befassten sich - in themati scher Übereinstimmung mit der DHKP-C - mit dem "Todesfasten" der in der Türkei inhaftierten DHKP-C Anhänger. Die TAYAD-Aktivitäten in Deutschland wurden maßgeblich vom "TAYAD-Komitee" Hamburg initiiert, das seinen Sitz im Sommer nach Berlin verlegte. Neben Kundgebungen vor diplomatischen Ver tretungen der Türkei in Deutschland organisierten "TAYAD-Komi tees" Informationsveranstaltungen, mehrtägige Hungerstreikaktio nen sowie die Beobachtung von Strafprozessen in der Türkei. Die Beteiligung an diesen Aktivitäten findet in der deutschen Öffentlich keit allerdings kaum Resonanz. Die in Köln ansässige "Anatolische Föderation e. V.", bei der - ebenso wie bei "TAYAD" - Anhaltspunkte auf personelle Verflechtungen mit BERICHT 2005 240 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) der DHKP-C hindeuten, setzte ihre Propagandaaktivitäten wie in den Jahren zuvor fort. Thematische Schwerpunkte waren hier insbeson dere die Sozialund Ausländerpolitik. Bei ihren propagandistischen Aktivitäten achtet die Organisation darauf, dass eine Nähe zur verbo tenen DHKP-C nicht offenkundig wird. Die Redaktion der seit März 2002 erschienenen DHKP-C-Publikation "Ekmek ve Adalet" (Brot und Gerechtigkeit) verkündete in ihrer Inter netausgabe vom 15. Mai - ohne Angabe von Gründen - die Einstel lung der Zeitschrift. Gleichzeitig wies sie auf das Erscheinen einer Nachfolgepublikation mit dem Titel "Yürüyüs" (Marsch) ab dem 22. Mai hin. In ihrer Erstausgabe legte die "Yürüyüs" ein klares Bekenntnis zu ei nem revolutionären Umsturz und der Errichtung einer sozialisti schen Gesellschaft in der Türkei ab: "Unsere Revolution hat ein klares Ziel, das gegenwärtige System um stürzen, die revolutionäre Herrschaft des Volkes gründen und eine un abhängige, demokratische, sozialistische Türkei gründen." (Internet-Erklärung der Publikation "Yürüyüs" vom 22. Mai 2005) Wegen Verstoßes gegen ein Vereinsverbot und der Teilnahme an ei ner Schulungsveranstaltung der DHKP-C im August 2002 verurteilte das Landgericht Karlsruhe am 24. Januar eine DHKP-C Funktionärin und einen DHKP-C Aktivisten zu Geldstrafen. Am 21. Juni wurde ein DHKP-C Funktionär durch das Oberlandesge richt Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Verei nigung zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Am 26. Juli erhob der Generalbundesanwalt beim Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf gegen einen DHKP-C Funktionär, der nach schengenweiter Fahndung am 29. Juni 2004 in Rotterdam festgenommen worden war, Anklage wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Die Auslieferung von den Niederlanden nach Deutschland war am 27. Juni erfolgt. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 241 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) 1.1.2 "Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten" (TKP/ML) gegründet: 1972 in der Türkei Mitglieder/Anhänger: ca. 1.300 (2003: ca. 1.400) Die Organisation ist gespalten in: "Partizan" Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 800 (2004: ca. 800) Publikationen: "Özgür Gelecek Yolunda Isci Köylü" (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der freien Zukunft), vierzehntäglich; "Komünist" (Der Kommunist), monatlich und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) (bis Dezember 2002 "Ostanatolisches Gebietskomitee" - DABK - ) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 500 (2004: ca. 500) Publikationen: "Halk Icin Devrimci Demokrasi" (Revolutionäre Demokratie für das Volk), vierzehntäglich; "Halk Savasi" (Volkskrieg), monatlich Die 1972 in der Türkei gegründete TKP/ML ist seit 1994 in die beiden miteinander konkurrierenden Fraktionen "Partizan" und MKP ge spalten. Beide Fraktionen nehmen für sich in Anspruch, die Nach folge der ursprünglichen TKP/ML angetreten zu haben, deren ori ginäre Ideologie und Zielsetzung sie unverändert übernommen haben. Hierbei bildet eine stark am Maoismus ausgerichtete marxi stisch-leninistische Ideologie das weltanschauliche Fundament, wel ches auf die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsord nung in der Türkei abzielt. Dieses Ziel soll mittels eines in der Türkei militärisch geführten revolutionären Kampfes erreicht werden. Beide Fraktionen verfügen zur nachhaltigen Umsetzung ihrer Ziele in der Türkei über paramilitärische Gruppen; bei der "Partizan"-Frak tion ist dies die "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" BERICHT 2005 242 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) (TIKKO), bei der MKP die "Volksbefreiungsarmee" (HKO). Diese wa ren häufiger in bewaffnete Auseinandersetzungen mit türkischen Si cherheitskräften verwickelt, so auch am 16. und 17. Juni im Südosten der Türkei, als im Vorfeld eines geplanten Kongresses bei einem Feu ergefecht mit der türkischen Armee 17 Anhänger der HKO bzw. MKP den Tod fanden. In einer schriftlichen Erklärung gab die MKP im Juni bekannt: "Am 16. Juni 2005 ... wurden 17 unserer Genossen vom faschistischen türkischen Staat getötet. Dieser Verlust trifft schwer und der Schmerz ist groß. ... Verdammt sei der mörderische, faschistische türkische Staat! Hoch lebe der Volkskrieg! Hoch lebe der Marxismus-Leninis mus-Maoismus!" Denselben Anlass griff "Partizan" in einer ebenfalls im Juni herausge gebenen Flugschrift auf. Darin heißt es: "Mit Hochachtung verneigen wir uns vor den ruhmreichen Erinne rungen an die Gründer der MKP, ihren führenden Kadern ... den Kom mandanten der HKO und ihren Kämpfern, die in Folge eines nieder trächtigen Angriffs des ... oligarchischen Staates ... gefallen sind. ... Als Garant dafür, dass der Kampf der gefallenen Führungskader und Kämpfer der MKP bis zur endgültigen Befreiung fortgeführt wird, wird unsere Partei TKP/ML ihre Verantwortung erfüllen. ... Den Kampf für die demokratische Volksrevolution zum Sieg zu führen, ist die uns auferlegte Pflicht." Die zuvor erwähnte bewaffnete Auseinandersetzung in der Türkei nahmen beide Fraktionen der TKP/ML zum Anlass, gemeinsam mit anderen linksextremistischen türkischen Gruppen in verschiedenen deutschen Städten Demonstrationen durchzuführen, um ihren Pro test gegen den Militäreinsatz der türkischen Armee und ihre Solida rität mit den betroffenen Personen und der MKP öffentlich zum Aus druck zu bringen. Bei einer entsprechenden Veranstaltung am 25. Juni in Duisburg versammelten sich etwa 2.000 Personen. Auch die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK) und die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutsch land e. V." (ATIF) sowie die "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (ADHK) und die "Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e. V." (ADHF) griffen den Vorfall auf. Damit zeigten SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 243 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) diese Organisationen - wie schon in früheren Jahren - einen deutli chen thematischen Gleichklang mit "Partizan" bzw. MKP. In einer Flugschrift der ADHK vom Juli heißt es zum Beispiel: "Am 16./17. Juli hat der türkische Staat mit seinen rassistischen Kräf ten ein neues Massaker verübt. ... Diese heldenhaften Kinder unserer Völker ... hatten sich getroffen, um eine Lösung zu finden und das Schicksal des Landes zu verändern. Diese Mutigen ... haben ... ihr Le ben dem Befreiungskampf unserer Völker und dem Volkskrieg geop fert." Im Internet äußerten u. a. ATIK und ADHK in einem gemeinsamen "Nachruf": "Die Ermordeten waren wichtige Aktivisten im demokratischen Kampf gegen den türkischen Nationalismus. ... Wir wollen auch eine restlose Aufklärung der Vorfälle und sie gegebenenfalls vor dem Inter nationalen Gerichtshof einfordern!" (Internet-Veröffentlichung der ATIK vom 8. Juli 2005) Sowohl "Partizan" als auch "MKP" unterhalten in Deutschland von einander getrennte Strukturen, mit deren Hilfe auch die Mutterorga nisationen in der Türkei unterstützt werden sollen. Die erforderli chen Gelder werden durch Spendenkampagnen, den Verkauf von Publikationen und die Durchführung von Veranstaltungen gewon nen. So heißt es in einem von "Partizan" herausgegebenen Flugblatt von Oktober 2004: "Die Revolution ist eine Notwendigkeit! ... Jede wahre kommunisti sche Partei und besonders eine kämpfende Partei bedarf der finanziel len Unterstützung durch die Basis. ... Hilf deiner Partei mit deiner fi nanziellen Unterstützung und gib ihr Kraft." Darüber hinaus führte "Partizan" am 14. Mai in Ludwigshafen, anläs slich des Gründungsjubiläums der ursprünglichen TKP/ML, eine Saal veranstaltung mit etwa 3.000 Personen durch. An zwei aus demsel ben Anlass organisierten Veranstaltungen der MKP am 7. Mai in Wuppertal und am 21. Mai in Ludwigsburg nahmen jeweils etwa BERICHT 2005 244 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) 1.000 Personen teil. Solche Aktivitäten sollen die in Deutschland le benden Anhänger der Organisation motivieren und auch der Anwer bung neuer Mitglieder dienen. So heißt es in einer von dem in der Türkei ansässigen Zentralkomitee der MKP unterzeichneten Flug schrift vom 14. April: "In unserem Land ist der Weg der Volkskrieg. ... Jetzt ist die Zeit ge kommen, um weitere Schritte einzuleiten! Nimm deinen Platz in den Reihen der "Volksbefreiungsarmee" (HKO) ein." 1.1.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) gegründet: 1994 in der Türkei durch einen Zusammenschluss der "TKP/MLHareketi" (Bewegung) und der "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 600 (2004: ca. 600) Publikationen: "Atilim" (Vorstoß), wöchentlich; "Internationales Bulletin der MLKP", monatlich; "Partinin Sesi" (Stimme der Partei), zweimonatlich Erklärtes Ziel der MLKP ist es, das türkische Staatsgefüge durch eine gewaltsame Revolution zu beseitigen und in eine Diktatur des Prole tariats umzuwandeln. Sie beruft sich dabei auf die Lehren von Marx und Engels, ergänzt durch ideologische Leitlinien von Lenin und Sta lin. Die MLKP beschränkte ihre Aktivitäten in Deutschland im Wesentli chen auf die propagandistische Kommentierung aktueller politi scher Themen. Nennenswerte öffentliche Auftritte waren nicht zu verzeichnen. In ihrer Publikation "Internationales Bulletin" übte die MLKP Kritik am G8-Gipfel, der im Juli in Gleneagles (Schottland) stattfand, verur SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 245 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) teilte aber auch die am 7. und 21. Juli verübten Anschläge in London: "... betonen wir ganz eindeutig, dass diese Tat nicht mit der sozialisti schen Sichtweise und mit dem Verständnis der gerechten revolutionä ren Gewalt übereinstimmt und somit nicht akzeptabel ist." ("Internationales Bulletin" Nr. 36 vom August 2005) In weiteren Ausführungen kommt die für Gruppierungen des links extremistischen türkischen Spektrums typische AntiimperialismusIdeologie zum Ausdruck: "Die wahren Gründe für die Bombenanschläge, welche London in ein blutrotes Meer verwandelten, liegen im britischen Imperialismus, der von Afghanistan bis zum Irak und von Palästina bis in die ganze Welt, die Völker der Erde in Blut ertränkt. Deswegen sind für den Tod der bei den Anschlägen zu Tode gekommenen unschuldigen Menschen die Bushs und Blairs verantwortlich, welche behaupten 'wir werden im Mittleren Osten ein neues System errichten' und 'Demokratie brin gen'. ... Die imperialistische Aggression und Barbarei werden durch den vereinigten Kampf und Aktionen der britischen Arbeiterklasse, der Völker des Irak und des Mittleren Osten und der Arbeiterklasse der Welt und der Völker der Welt auf internationaler, regionaler und loka ler Ebene zunichte gemacht werden." ("Internationales Bulletin" Nr. 36 vom August 2005) Die "Föderation der Arbeitsimmigrant/innen aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF), deren Verlautbarungen in der Vergangen heit durch thematische Übereinstimmungen mit der MLKP deutliche Anhaltspunkte für ihre Nähe zu dieser Organisation gezeigt haben, äußerte sich mehr zu in Deutschland aktuellen politischen Themen. So gab die AGIF anlässlich der Bundestagswahl am 18. September eine "Wahlempfehlung" für die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland" (MLPD) heraus: "Lafontaine, die WASG, PDS und die DKP sind die linke Variante der SPD-Grünen-Regierung und wollen den erhöhten Klassenhass der Massen gegen das Kapital und die Ausbeuter für ihre Politik gewin nen. ... Aus diesen Tatsachen heraus unterstützt AGIF die MLPD; mit BERICHT 2005 246 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) der Perspektive, ein revolutionäres Zentrum der Arbeiterklasse und der Millionen unterdrückten werktätigen Massen in Deutschland ge gen Ausbeutung und Kapitalherrschaft zu stärken." (Flugblatt der AGIF vom September 2005) 2. Kurden 2.1 Überblick Von den rund 500.000 in Deutschland lebenden Kurden sind unge fähr 11.500 der Anhängerschaft des "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) zuzurechnen. Zielsetzung dieser Gruppierung ist die Forderung nach größerer politischer und kultureller Eigenständig keit der Kurden in ihren Herkunftsländern, allen voran der Türkei. 2.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheits und De mokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/"Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) gegründet: 1978 als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in der Türkei Leitung: Zübeyir AYDAR (in Abhängigkeit vom "Kurdischen Volksführer" Abdullah ÖCALAN und dem Leitungsrat) Mitglieder/Anhänger: ca. 11.500 (2004: ca. 11.500) Publikationen: u. a. "Serxwebun" (Unabhängigkeit), monatlich "Özgür Politika" (Freie Politik) täglich Betätigungsverbot: seit 26. November 1993 (KADEK und KONGRA GEL sind von dem Betätigungsverbot der PKK mit umfasst) SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 247 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) 2.2.1 Allgemeine Lage Seit der Verhaftung Abdullah ÖCALANs im Jahre 1999 versucht die von ihm gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), sich auch un ter veränderten Bezeichnungen - seit Frühjahr 2002 "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) und seit November 2003 "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) - von ihrem Ruf als terro ristische Organisation zu lösen. Vor allem in Europa wirbt sie trotz ih rer Aufnahme in die EU-Liste terroristischer Organisationen im Jahre 2002 um Anerkennung als politische Kraft. So versucht die Organisa tion immer wieder auf verschiedenen Ebenen Kontakte zu politi schen Entscheidungsträgern aufzubauen und für ihre Anliegen Un terstützung zu finden. Im Mittelpunkt stand im Jahr 2005 u. a. die Forderung, die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei müsse eng mit der Kurdenfrage verknüpft werden. In zeitlichem Zusammenhang mit dem kurdischen Neujahrsfest Ne wroz, das traditionell am 21. März begangen wird, richtete der KON GRA GEL ein Ultimatum an die türkische Regierung. Im Februar hatte der Vorsitzende des KONGRA GEL-Leitungsrates, Murat KARAY ILAN, angekündigt, dass die Organisation - sollte die türkische Regie rung bis zum Newroz-Fest keine geeigneten Schritte zur Lösung der Kurdenfrage unternehmen - in der Lage und bereit sei, in der Türkei auch wieder verstärkt den militärischen Kampf zu führen. Seit der Beendigung des so genannten einseitigen Waffenstillstands durch die "Volksverteidigungskräfte" (HPG) - die vornehmlich in der Türkei und im Nordirak operierenden Guerillaverbände der Organisation - war es bereits seit Mitte 2004 zu einem Anstieg der Kampfhandlun gen im Südosten der Türkei gekommen. Seit April zeichnete sich dar aufhin eine Verschärfung des Konflikts ab, da die HPG - entgegen ih rer bisherigen Praxis - nunmehr auch Anschläge gegen zivile Ziele mit infrastruktureller Bedeutung, u. a. Erdölpipelines und Bahn strecken, verübten. Im Sommer kam es auch zu mehreren Anschlägen in türkischen Anschläge Städten und Touristengebieten. Zu einem Teil dieser Aktionen hat in der Türkei sich eine Gruppierung mit der Bezeichnung TAK 190 bekannt. So ver ursachten die TAK unter anderem am 14. Juni in Tuzla eine Explosion, bei der eine Person getötet und sieben weitere verletzt wurden. Am 10. Juli verletzte eine Splitterbombe der TAK im Touristenzentrum von Cesme zwanzig Personen. Die TAK richteten auch mehrere Auf rufe an Touristen, in denen sie vor Reisen in die Türkei warnten. Ver bindungen zwischen TAK und KONGRA GEL werden zwar von beiden Seiten bisher geleugnet, sind aber aufgrund konzeptioneller Übereinstimmungen naheliegend. BERICHT 190 Siehe Fn. 189. 2005 248 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) "Phase der Im Herbst rief die Organisation eine so genannte Phase der Aktions Aktionslosigkeit" losigkeit aus, während derer seitens der HPG nur "passive Verteidi gung" geübt werden sollte. Die zunächst auf den Zeitraum bis zum 20. September begrenzte Phase wurde dann bis zum 3. Oktober - und somit bis zum Beginn der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - verlängert, danach aber für beendet erklärt. Hintergrund dieses Vor stoßes war offenbar die Erwartung, die türkische Regierung könnte Bereitschaft signalisieren, auf Forderungen des KONGRA GEL einzu gehen. Auch während der "Phase der Aktionslosigkeit" gab es jedoch immer wieder Meldungen über kämpferische Auseinandersetzungen zwi schen kurdischen Rebellen und türkischen Sicherheitskräften. In Europa dagegen verfolgt der KONGRA GEL weiterhin den nach der Verhaftung Abdullah ÖCALANs im Jahre 1999 eingeschlagenen ge waltfreien Kurs. Die Organisation verfügt hier aber nach wie vor über eine große Anhängerschaft, die über die laufenden propagan distischen Kampagnen hinaus auch für militante Aktivitäten jeder zeit mobilisiert werden kann, wenn die Leitung des KONGRA GEL dies - wie zuletzt die PKK-Führung im Jahr 1999 - für angezeigt hält. 2.2.2 Organisatorische Situation Die PKK unterliegt in Deutschland auch unter ihrer Bezeichnung KA DEK bzw. KONGRA GEL einem Betätigungsverbot. Ebenfalls verboten ist der politische Arm der Organisation, die "Nationale Befreiungs front Kurdistans" (ERNK), die im Mai 2000 in "Kurdische Demokrati sche Volksunion" (YDK) umbenannt wurde. Die YDK wurde auf ihrem "5. Ordentlichen Europakongress" im Juni 2004 in Frankreich aufgelöst; an ihre Stelle trat die "Koordination der kurdisch-demo kratischen Gesellschaft in Europa" (CDK), welche die Strukturen der YDK unter neuem Namen weiterführt. Die CDK bildet nun den politi schen Arm der Organisation in Europa und prägt mit ihrem ver zweigten Funktionärswesen entscheidend den strukturellen Aufbau des illegalen Apparates des KONGRA GEL in Deutschland. Gründung einer Vom 28. März bis 4. April fand im Kandil-Gebirge (Nordirak) ein "neuen" PKK "Kongress zum Wiederaufbau der PKK" statt, an dem ca. 250 Dele gierte teilgenommen haben. Im Anschluss daran wurde die Grün dung einer "neuen" PKK verkündet. Dieser Entschluss sei als "zweite offizielle Geburt" der Organisation zu verstehen. Einer von den Dele gierten unterzeichneten Erklärung zufolge solle die "neue" PKK eine Schlüsselrolle in der Demokratisierung des Nahen Ostens spielen. Im Mittelpunkt steht dabei das von Abdullah ÖCALAN stammende Prinzip des "Demokratischen Konföderalismus", das auch mit dem SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 249 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Begriff einer "Koma Komalen Kurdistan - Union der kurdischen Ge meinschaften" (KKK) verbunden ist. Hiermit werde das ursprünglich von der PKK verfolgte Ziel eines unabhängigen Kurdistans endgültig aufgegeben. An seine Stelle trete die Absicht, eine so genannte Föde ration des Demokratischen Nahen Ostens zu entwickeln. Gemeint ist damit ein föderaler Verbund der kurdischen Siedlungsgebiete in der Türkei, Syrien, im Iran und Irak, allerdings unter Achtung der beste henden staatlichen Grenzen. Im Wesentlichen entspricht dieses Pro jekt der bereits in den Programmen von KADEK und KONGRA GEL enthaltenen Idee einer so genannten Föderation des Demokrati schen Nahen Ostens, die alle kurdischen Siedlungsgebiete umfassen soll. Das Konzept sieht vor, dass die "neue" PKK den KONGRA GEL nicht er setzen werde. Letzterer soll als Dachverband bestehen bleiben, um möglichst viele kurdische Strömungen und Organisationen zu verei nen. Die Gründung einer "neuen" PKK hat in den europäischen Strukturen der Organisation bisher zu keinen Veränderungen ge führt. Die Wiederbelebung des alten Namens hat eher deklaratori sche Wirkung. Sie soll eine Rückbesinnung auf Tradition und Werte der alten PKK bewirken und besonders die Kader dazu anhalten, sich im Sinne Abdullah ÖCALANs für die Organisation einzusetzen. Die dritte Generalversammlung des KONGRA GEL vom 4. bis 21. Mai im Nordirak hat Murat KARAYILAN als Vorsitzenden des Leitungsra tes und Zübeyir AYDAR als Vorsitzenden des KONGRA GEL bestätigt. In Deutschland bestehen die illegalen und im Kernbereich konspira tiv agierenden Strukturen des KONGRA GEL und seiner europäischen Frontorganisation CDK ohne wesentliche Änderungen fort. Nach wie vor unterteilt die Organisation die Bundesrepublik auf der obersten Gliederungsebene in die so genannten Serits Nord, Mitte und Süd. Diesen sind wiederum insgesamt 29 Gebiete untergeordnet. Für die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informati onsfluss zur Basis bedienen sich KONGRA GEL und CDK der örtlichen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkte und Anlaufstellen dienen. Viele dieser Vereine sind unter dem Dach der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) zu sammengefasst. Daneben unterhält der KONGRA GEL länderüber greifend zahlreiche so genannte Massenorganisationen, die jeweils bestimmte Bevölkerungsund Interessengruppen der kurdischen Gemeinde repräsentieren. Besonders aktiv sind hier die "Freie Ju gendbewegung Kurdistans" (TECAK), die "Union der freien Frauen" (YJA) sowie die "Union der StudentInnen aus Kurdistan" (YXK). Dane ben existieren noch die "Union der kurdischen Lehrer" (YMK), die "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK), die "Union der Juristen BERICHT 2005 250 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Kurdistans" (YHK), die "Union der Schriftsteller Kurdistans" (YNK), die "Islamische Gemeinde Kurdistans" (CIK), die "Union der Yeziden aus Kurdistan" (YEK), die "Union kurdischer Familien" (YEK-MAL) und die "Union der Aleviten aus Kurdistan" (KAB). Zu den Strukturen des KONGRA GEL gehört auch das so genannte Heimatbüro (Ülke-Büro). Seine Tätigkeit erfolgt unter besonderer Ge heimhaltung und ist daher nach außen hin kaum wahrnehmbar. Diese Organisationseinheit unterstützt von Europa aus die Aktivitä ten der Organisation im Nahen Osten, namentlich durch die Schleu sung von Funktionären und damit verbundene Passfälschungen. Aufgrund mehrerer polizeilicher Maßnahmen in den Niederlanden Ende des Jahres 2004 scheint diese Struktur schweren Schaden ge nommen zu haben, so dass 2005 - zumindest in Deutschland - kaum Aktivitäten festzustellen waren. Organisationsver Von großer Bedeutung für die Organisation ist ihr Medienwesen, bot gegen über welches u. a. Verlautbarungen führender Gremien und Funk "Sprachrohre" des tionäre des KONGRA GEL sowie Berichte auch über terroristische Ak KONGRA GEL tivitäten in den kurdischen Herkunftsgebieten verbreitet werden. Im September verfügte das Bundesministe rium des Innern gegen die Herausgebe rin der in Deutschland erscheinenden Tageszeitung "Özgür Politika" (ÖP) und die ebenfalls in Deutschland ansässige Betreibergesellschaft der Nachrichtenagentur "Mesopota mia Haber Ajansi" (MHA) ein Organisationsverbot. Beide Medien sind aufgrund ihrer strukturellen Anbindung und inhaltlichen Ausrich tung als "Sprachrohre" des KONGRA GEL anzusehen. Die Verbote wurden im Dezember aus Rechtsgründen, d. h. ohne Beurteilung der Tatsachengrundlagen, durch das Bundesverwaltungsgericht aufge hoben. Bis zu dem Verbot war die ÖP - inhaltlich nahezu identisch mit der Druckausgabe - auch im Internet vertreten. Danach wurden die den KONGRA GEL betreffenden Nachrichten noch über die Website der MHA verbreitet; seit Ende Oktober hat die "Firat Nachrichtenagen tur" (ANF) diese Aufgabe übernommen. 191 Darüber hinaus können Nachrichten über die Organisation auch über einen Live-Stream des Fernsehsenders "ROJ-TV" im Internet abgerufen werden. 2.2.3 Propaganda des KONGRA GEL Mit einer Vielzahl von Aktivitäten versuchte der KONGRA GEL erneut seine Anliegen in Europa auch propagandistisch zur Geltung zu brin gen. Thematische Schwerpunkte waren - insbesondere nach Beginn 191 Seit dem 16. Januar 2006 erscheint die "Yeni Özgür Politika" (Neue Freie Politik). SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 251 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei - die bekannten Forde rungen nach stärkerer Anerkennung der politischen und kulturellen Identität der Kurden in der Türkei sowie die Haftbedingungen des als "kurdischer Volksführer" bezeichneten Abdullah ÖCALAN. Die rege Teilnahme an diesen Kampagnen und zahlreichen Veranstaltungen bestätigte erneut die Fähigkeit der Organisation zu einer umfassen den Mobilisierung ihrer Anhänger auch in Deutschland. Vor dem Hintergrund des sechsten Jahrestages der Festnahme Ab dullah ÖCALANs am 15. Februar 1999 in Kenia führten Anhänger des KONGRA GEL am 12. Februar in Straßburg eine Großdemonstration durch. An der von der "FEYKA KURDISTAN", dem Dachverband der Kurdenvereine in Frankreich, organisierten und unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - eine demokratische Lösung der Kurdenfrage" durchgeführten Veranstaltung beteiligten sich etwa 9.000 Personen, die aus mehreren europäischen Ländern - überwiegend jedoch aus Deutschland - angereist waren. Zum Internationalen Weltfrauentag am 8. März führten kurdische - zumeist dem KONGRA GEL nahestehende - Frauenorganisationen in mehreren europäischen Ländern Versammlungen und Kundge bungen durch. Auch in Deutschland fanden zahlreiche Veranstal tungen, überwiegend in den KONGRA GEL-nahen örtlichen Verei nen, statt. Auf eine öffentliche, überregionale Großkundgebung - wie in den vergangenen Jahren - wurde verzichtet. Traditionell begehen Anhänger des KONGRA GEL das kurdische Neu Überregionale jahrsfest Newroz (21. März) mit Festveranstaltungen und Fackelmär Hallenveranstal schen. Als Höhepunkt der diesjährigen Newroz-Feiern in Deutsch tungen zum kurdi schen Neujahrsfest land wurden - im Gegensatz zu den letzten Jahren, als jeweils eine Newroz zentrale europaweite Großdemonstration stattfand - drei überregionale Hallenveranstaltungen durchgeführt: am 19. März in Essen - unter Beteiligung des KONGRA GEL-Vorsitzenden Zübeyir AY DAR , am 26. März in Hamburg und am 2. April in Frankfurt/Main. Zu diesen Veranstaltungen reisten jeweils mehrere tausend Besucher an. Anlässlich des 1. Mai beteiligten sich im gesamten Bundesgebiet, wie schon in den vergangenen Jahren, auch Aktivisten und Sympathisan ten des KONGRA GEL an den traditionellen lokalen Kundgebungen und Demonstrationen. Unter dem Motto "Frauen wollen Frieden und Gerechtigkeit - für "2. Internationales eine ökologisch-demokratische Welt" führte das dem KONGRA GEL ZILAN-Frauenfesti nahestehende "Frauenbüro für Frieden - CENI" am 18. Juni in Gelsen val" BERICHT 2005 252 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) kirchen das "2. Internationale ZILAN-Frauenfestival" 192 durch. An der Veranstaltung beteiligten sich ca. 3.500 Personen, die mit Bussen an gereist waren. Im Vorfeld war insbesondere durch die ÖP und den Fernsehsender "ROJ-TV", der auch live vom Festival berichtete, inten siv für die Veranstaltung geworben worden. Im Programm gab es Grußbotschaften von KONGRA GEL-nahen Frauenorganisationen. Darin wurde die sofortige Einstellung sämtlicher militärischer Ope rationen des türkischen Staates gegen die HPG gefordert und dazu aufgerufen, für den Freiheitskampf des kurdischen Volkes die Stimme zu erheben. Die "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD) initiierte - mit den Slogans "Freiheit für Öcalan", "Solidarität mit Öcalan" bzw. "Ich akzeptiere Öcalan als den politischen Willen des kurdischen Volkes" - eine neue europaweite Solidaritätsund Unter schriftenkampagne, die am 14. Juli begann und bis März 2006 andau ern soll. Mit der Kampagne soll erreicht werden, dass ÖCALAN von Kurden in aller Welt als politische Führungsfigur anerkannt wird. Es ist vorgesehen, die gesammelten Unterschriften nach Beendigung der Kampagne dem Europarat sowie anderen internationalen Ein richtungen und Institutionen zu übergeben. Der KON-KURD-Vorsit zende Ali YIGIT erklärte im Rahmen einer Pressekonferenz, dass man mit jeder Unterschrift der Lösung des Kurdenproblems näher komme. Man werde mit dieser Kampagne den "kurdischen Volksfüh rer" Abdullah ÖCALAN zum politischen Ansprechpartner machen. "13. Internationales Unter dem Motto "EU-Türkei: Auch wir sind Verhandlungspartei - Lö Kurdistan-Kulturfe sung der kurdischen Frage, Freiheit für Abdullah Öcalan" fand am 3. stival" September in Köln das "13. Internationale Kurdistan-Kulturfestival" statt, an dem sich etwa 40.000 Besucher beteiligten. Die Teilnehmer reisten aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland, vor allem aus Frankreich, Belgien, der Schweiz und den Niederlanden an. Das Programm bestand - wie schon in früheren Jahren - aus vielfältigen kulturellen und folkloristischen Darbietungen sowie politischen Redebeiträgen. Telefonisch wurde auch der Spitzen funktionär des KONGRA GEL, Murat KARAYILAN, zuge schaltet. Der KONGRA GEL Vorsitzende Zübeyir AYDAR sandte Kurdistanfestival am 3. September in eine Grußbotschaft. Während des Festivals brachten Köln zahlreiche Besucher ihre Sympathie für den KONGRA GEL und insbesondere für Abdullah ÖCALAN offen zum 192 Namensgeberin für das Festival war Zeynep Kinaci ("ZILAN"), die von Anhängern des KON GRA GEL als Märtyrerin verehrt wird. Sie hatte sich am 30. Juni 1996 in Tunceli (Ostanato lien/Türkei) während einer Militärparade selbst in die Luft gesprengt und dabei minde stens sechs Soldaten getötet; mehr als zwanzig Personen erlitten teilweise schwere Verletzungen. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 253 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Ausdruck, indem sie entsprechende Fahnen zeigten. Das Festival, welches auch im KONGRA GEL nahen Fernsehsender "ROJ-TV" live übertragen wurde, verlief friedlich und störungsfrei. Als Reaktion auf die am 5. September durch das Bundesministerium des Innern erlassene Verbotsverfügung gegen die "E. Xani Presseund Verlags-GmbH", die Herausgeberin der "Özgür Politika" (ÖP) war, kam es in Deutschland zu Protestbekundungen in mehreren Städten. So versammelten sich am 13. September - einem Aufruf der "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland" (YEK-KOM) folgend - etwa 200 kurdische Volkszugehörige auf einer Wiese vor dem Düs seldorfer Landtag, um gegen das Verbot zu protestieren. Dabei wur den verschiedene Plakate, Transparente und ältere Ausgaben der ÖP gezeigt. Die zumeist angemeldeten Demonstrationen verliefen ins gesamt friedlich. Lediglich am 7. September warfen mehrere Jugend liche einen brennenden Molotow-Cocktail auf die Fahrbahn einer Bundesstraße in Hessen. Sie hinterließen ein Plakat mit einer War nung an den Bundesinnenminister. Am 1. Oktober veranstaltete die KON-KURD eine Großdemonstration Großdemonstra in Brüssel, an der sich etwa 4.000 Personen aus mehreren europäi tion anlässlich des schen Staaten, darunter ein Großteil aus Deutschland beteiligten. Starts der Beitritts verhandlungen Unter dem Motto "A. Öcalan ist der politische Wille - bei den Ver zwischen der EU handlungen werden die Kurden Ansprechpartner sein" thematisier und der Türkei ten die Demonstrationsteilnehmer sowohl den für den 3. Oktober ge planten Beginn der Beitrittsverhandlungen zwischen der EU und der Türkei als auch die Verbotsmaßnahmen gegen kurdische Medienein richtungen in Deutschland sowie die Forderung nach "Freiheit für Öcalan" und "Frieden in Kurdistan". Am 9. Oktober wiederholte sich der Jahrestag der Ausweisung Abdul lah ÖCALANs aus Syrien. Nach Auffassung des KONGRA GEL war der 9. Oktober 1998 Ausgangspunkt eines "internationalen Komplotts", das schließlich zur Festnahme und Verurteilung ÖCALANs in der Tür kei geführt habe. In Mannheim, Duisburg, Saarbrücken, Berlin und Köln wurden aus diesem Anlass am 8. und 9. Oktober Demonstratio nen und Mahnwachen abgehalten. Die Teilnehmer betonten ihre Verbundenheit mit Abdullah ÖCALAN und verurteilten das "interna tionale Komplott". BERICHT 2005 254 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) 2.2.4 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten Der KONGRA GEL sammelte im Rahmen seiner jährlichen Spenden kampagne in Deutschland wieder mehrere Millionen Euro, musste damit im Vergleich zu früheren Jahren jedoch Einnahmeverluste hinnehmen. Es war der Organisation offensichtlich nicht gelungen, ihre Unterstützer zu höheren Abgaben zu bewegen. Weitere Einnah men konnten insbesondere aus monatlichen Mitgliedsbeiträgen und durch den Verkauf von Publikationen erzielt werden. Am 18. Oktober wurde ein Leitungsfunktionär des "Finanzund Wirtschaftsbüros" (EMB) des KONGRA GEL in Darmstadt wegen Verdachts der Rädels führerschaft in einer kriminellen Vereinigung (SS 129 Abs. 1 und 4 StGB) festgenommen. Das EMB ist zuständig für alle finanziellen An gelegenheiten der Organisation in Europa. Es verfügt über einen kompletten Überblick über Einnahmen und Ausgaben. Größere Aus gaben müssen zuvor vom EMB genehmigt werden. Vom 30. April bis 1. Mai fand der alljährliche Kongress der KONGRA GEL-nahen "Union Kurdischer Arbeitgeber" (KARSAZ) in Raunheim (Hessen) statt. Bei dieser Veranstaltung wurde eine Stärkung der kur dischen Wirtschaft thematisiert und für Investitionen in "Kurdistan" geworben; der Vorsitzende der KON-KURD hielt dort eine Rede. Der Verband blieb bisher einflusslos und entwickelte nur wenige öffent lichkeitswirksame Aktivitäten. 2.2.5 Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre Am 4. Januar wurde der ehemalige Vorstandsvorsitzende des "Kurdi schen Roten Halbmonds" (HSK) vom Landgericht Koblenz wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen verurteilt. Das Gericht vertrat die Ansicht, dass es sich bei HSK um eine Nebenorganisation der verbotenen PKK han dele. Ein hochrangiger Führungsfunktionär des KONGRA GEL wurde am 1. Februar aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofs bei der versuchten Einreise in die Bundesrepublik Deutschland festgenom men. Der Generalbundesanwalt erhob am 17. August Anklage vor dem OLG Frankfurt/Main wegen Rädelsführerschaft in einer krimi nellen Vereinigung. Der Prozess endete am 23. Dezember mit der Verurteilung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und drei Monaten. Der Angeklagte wurde für schuldig befunden, zwischen 1999 und 2001 der Europaführung der PKK angehört zu haben. Aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofs vom 13. April 2004 wurde am 8. Februar in Berlin ein kurdischstämmiger Türke festgenommen, gegen den der Generalbundesanwalt am 17. August SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 255 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Anklage vor dem OLG Stuttgart wegen Mitgliedschaft in einer krimi nellen Vereinigung erhob. In dem am 21. Dezember ergangenen Ur teil wurde der Angeklagte für schuldig befunden, von Juli bis Dezem ber 2001 als Führungskader für die damalige PKK-Region Nordwest (Hamburg, Bremen, Kiel und Oldenburg) zuständig gewesen zu sein. Er erhielt eine Haftstrafe von 18 Monaten, die zur Bewährung ausge setzt wurde. Zwei bereits der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung schuldig gesprochene ehemalige PKK-Funktionäre wurden am 29. April auch in einer zweiten Berufungsverhandlung vor dem OLG Celle zu Haftstrafen verurteilt. Das Gericht verhängte gegen einen der Angeklagten, der zugleich gegen ausländerrechtliche Gesetze verstoßen hatte, eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Mona ten, gegen den zweiten Angeklagten eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten. Die erneute Berufungsverhandlung über die Strafhöhe war notwendig geworden, weil der Bundesgerichtshof (BGH) das erste Urteil des OLG Celle zwar im Schuldspruch bestätigt, in der Strafzumessung aber aufgehoben hatte. Am 9. Mai begann die Hauptverhandlung vor dem OLG Düsseldorf gegen zwei bereits im Mai 2004 festgenommene ehemals führende Funktionäre der PKK/KADEK wegen Rädelsführerschaft bzw. Mit gliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und schwerer Körper verletzung. 193 Das Landgericht Dortmund verurteilte am 7. Juni einen langjährigen Führungsfunktionär der Organisation wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz, Erpressung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren. Ihm wurde nachge wiesen, u. a. Gebietsverantwortlicher für die Gebiete Dortmund, Bonn und Duisburg gewesen zu sein. Das OLG Koblenz verurteilte am 16. Juni einen 28-jährigen kurdisch stämmigen Türken wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Verei nigung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung. Das Gericht sah es als er wiesen an, dass er seit September 2003 als Gebietsleiter in Darmstadt und Mainz für KADEK/KONGRA GEL tätig war. Außerdem konnte ihm die Beschaffung von gefälschten Ausweisen und deren Weiterlei tung an Gesinnungsgenossen nachgewiesen werden. Am 18. Oktober wurde aufgrund eines Haftbefehls des Ermittlungs richters beim BGH ein 36-jähriger Türke kurdischer Volkszugehörig 193 In diesem Verfahren verurteilte das OLG am 3. Februar 2006 einen der Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten. Gegen den anderen Angeklagten verhängte das Gericht eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen BERICHT Vereinigung. 2005 256 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) keit in Darmstadt verhaftet. Er wird verdächtigt, als führender Fi nanzfunktionär in die Kommandostrukturen des KONGRA GEL ein gebunden und somit Rädelsführer in einer kriminellen Vereinigung im Sinne des SS 129 StGB gewesen zu sein. 3. Iraner Iranische oppositionelle Gruppen in Deutschland versuchten durch zahlreiche Aktivitäten, auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Sie thematisierten dabei insbesondere die politischen Verhältnisse innerhalb der Islamischen Republik Iran, deren Atompolitik, die Menschenrechtslage sowie die Wahl des Staatspräsidenten Ahmadi nejad. Anhänger des "Nationalen Widerstandsrates Iran" (NWRI), des politischen Arms der "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK), forderten zudem wiederholt, die MEK aus der europäischen und der US-amerikanischen Liste terroristischer Organisationen zu streichen. Die "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) prote stierte vor allem gegen Menschenrechtsverletzungen im Iran und stellte die Verteidigung der Rechte iranischer Frauen in den Mittel punkt ihrer Agitation. 3.1 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) gegründet: 1965 im Iran Sitz: ehemals in Bagdad in Deutschland nicht offiziell niedergelassen Leitung: Massoud RADJAVI Publikation: u. a. "Modjahed" (Glaubenskämpfer), wöchentlich Außerhalb der Heimatregion vertreten durch: "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) gegründet: 1981 in Paris - in Deutschland vertreten seit 1994 - Sitz: Berlin Leitung: Deutschlandsprecherin Dr. Massoumeh BOLOURCHI Mitglieder: ca. 900 (2004: ca. 900) Die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) ist die bedeutend ste und früher auch militanteste iranische Oppositionsgruppe. Mit ihrem ehemals militärischen Arm "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) war sie für zahlreiche, ausschließlich im Iran verübte An SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 257 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) schläge verantwortlich. Nach den letzten Anschlägen auf Einrich tungen iranischer Sicherheitskräfte in Teheran am 25. Oktober 2001 und 18. Mai 2002 konnten terroristische Aktionen oder Planungen nicht mehr festgestellt werden. Die Organisation ist durch die Entwicklungen im Irak nachhaltig be troffen. Nach der Zerschlagung der NLA, der Auflösung ihrer Lager im Irak und der Internierung der in der Region verbliebenen MEKAngehörigen im so genannten Lager Ashraf befindet sich die MEK in einem Zustand der Umorientierung. Die Fähigkeit zur Durchführung terroristischer Aktionen ist zur Zeit de facto nicht mehr gegeben, wenngleich die Organisation bis heute auf Gewaltanwendung als Handlungsoption nicht ausdrücklich verzichtet. Nach außen ver sucht sie ungebrochene Stärke zu dokumentieren. So fand anlässlich des 41. Jahrestages der Gründung der MEK am 6. September im "La ger Ashraf" im Irak eine Gedenkversammlung statt. In deren Verlauf wurde eine ehemalige NLA-Kommandantin zur neuen "ersten Ver antwortlichen" der MEK gewählt. Tatsächlich haben jedoch die Situa tion der Organisation im Irak und die nunmehr fehlende Unterstüt zung durch das entmachtete Regime Saddam Husseins dazu beigetragen, die Tätigkeit der Organisation auf politische Agitation zu beschränken. Hierbei kommt dem hauptsächlich in Europa und Nordamerika agierenden politischen Arm der MEK, dem NWRI, eine führende Rolle zu. Die vom NWRI getragenen Aktivitäten sind besonders auf die Erlan Propagierung des gung politischer Bedeutung und die Anerkennung als iranische op "Dritten Weges" positionelle Exilbewegung ausgerichtet. Maryam RADJAVI, die Ehe frau des MEK-Leiters Massoud RADJAVI - sie wurde 1993 vom NWRI zur "künftigen Präsidentin des Iran" gewählt , propagiert zur Zeit den so genannten Dritten Weg. Demnach soll ein politischer Um schwung im Iran weder durch eine militärische Intervention von außen ("Erster Weg") noch durch eine politische Einflussnahme der Europäischen Union - dies sei "Beschwichtigungspolitik" - ("Zweiter Weg") erfolgen. Vielmehr sollte eine solche Veränderung nach Vor stellung der Organisation durch das iranische Volk selbst - angeführt vom NWRI - ermöglicht werden. Die Organisation der Volksmodja hedin bezeichnete Maryam RADJAVI in diesem Kontext als "Herz des Widerstandes". Voraussetzung "für einen Wandel und die Schaffung eines demokratischen Iran" sei jedoch die Beseitigung des "unge rechtfertigten Terror-Etiketts" der MEK. Im Rahmen seiner politischen Agitation präsentierte sich der NWRI als vornehmlich lobbyistisch arbeitende "demokratische" iranische Exilbewegung mit dem Ziel, die öffentliche Meinung sowie gesell schaftliche und politische Entscheidungsträger in seinem Sinne zu BERICHT 2005 258 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) beeinflussen. Hierzu setzte die Organisation auch auf die Durch führung von Demonstrationen, Kunst-, Musikund Kulturevents so wie auf Informationsund Propagandaveranstaltungen. Anlässlich des 26. Jahrestages der islamischen Revolu tion im Iran nahmen ca. 1.500 Anhänger des NWRI an einer Protestveranstaltung am 10. Februar in Berlin teil. Die zunächst durch den Berliner Polizeipräsiden ten verbotene Veranstaltung wurde durch eine Ei lentscheidung des Berliner Verwaltungsgerichtes un ter Auflagen genehmigt. Insbesondere hatten die Demonstration am 10. Februar in Berlin Versammlungsteilnehmer jegliche Werbung für die von der Europäischen Union als terroristische Vereini gung eingestufte MEK zu unterlassen. Die zuvor für Paris geplante Veranstaltung war bereits durch die französischen Behörden untersagt worden. Am 9. Mai versammelten sich ca. 500 Sympathisanten der Organisa tion zu einer Saalveranstaltung in der Berliner Max-Schmeling-Halle. Im Rahmen dieser Versammlung wurde das neue Strategiekonzept des "Dritten Weges" propagiert. Zur Erinnerung an die am 17. Juni 2003 von französischen Sicher heitskräften vorgenommene Durchsuchung der MEK-Europazen trale in Auverssur-Oise bei Paris und die damalige Festnahme von Maryam RADJAVI wurde im Juni wie schon im Vorjahr in der Nähe des französischen Sitzes der Organisation der "Tag der 2. Geburt" be gangen. An der Großveranstaltung nahmen etwa 6.000 Anhänger der Organisation teil. Zur Finanzierung seiner zum Teil sehr kostenintensiven Aktivitäten hat der NWRI auch im Jahr 2005 Straßensammlungen fortgesetzt. Dabei bediente er sich in erster Linie des in Düsseldorf eingetragenen Vereins "Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen e. V." (MEI). Der "Menschenrechtsverein für Migranten" mit Sitz in Aachen kon taktierte ehemalige Spender der im Oktober 2003 aufgelösten "Flüchtlingshilfe Iran e. V." (FHI). SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 259 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) 3.2 "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) gegründet: 1991 als Abspaltung der "Kommunistischen Partei Irans" Mitglieder/Anhänger: ca. 250 (2004: 250 insgesamt in Deutschland vor der Spaltung) Die Organisation ist gespalten in: "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) Leitung: Hamid TAGHWAI und "Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist" (HEKMATIST) Leitung: Koroush MODARESI Die im August 2004 erfolgte Spaltung der API in "Arbeiterkommuni stische Partei Iran" (API) und "Arbeiterkommunistische Partei Iran - Hekmatist" (HEKMATIST) hat weiterhin Bestand. Zwar berufen sich beide Fraktionen in ihrer Zielsetzung auf die Ideologie des im Jahr 2002 verstorbenen Gründers der API, Mansour Hekmat, wonach mit tels eines revolutionären Umsturzes ein sozialistisches Rätesystem im Iran eingeführt werden soll. In Bezug auf die Strategie zur Errei chung dieses Ziels existieren jedoch grundlegend verschiedene Auf fassungen. HEKMATIST hält eine sozialistische Revolution auch mit Hilfe nichtsozialistischer oppositioneller Gruppierungen für möglich. In ihrem auf ihrer Gründungskonferenz im August 2004 verabschiede ten Strategiepapier heißt es: "Wir sind und kämpfen für eine sozialistische Revolution. ... Unmit telbares Ziel der Partei ist die Überzeugung der Mehrheit der Bevölke rung von ihrem Programm und die Veränderung der politischen Ver hältnisse im Iran. Dazu sammelt sie die mit dem Regime Unzufriedenen und bildet ein Netzwerk, das die gesamte Macht und sämtliche Fähigkeiten der Bevölkerung gegen die islamischen Macht haber vertritt." Die API plädiert hingegen für eine reine Revolution der Arbeiter klasse unter Führung der Partei. Ihr Leiter Hamid TAGHWAI äußerte sich in diesem Zusammenhang kurz nach der im August 2004 erfolg ten Trennung in einem Interview mit dem Rundfunksender Radio In ternational wie folgt: BERICHT 2005 260 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) "Unsere Position ist, dass, wenn die Macht gewonnen wird, wir sofort eine sozialistische Republik verkünden .... Ihre (Anm.: die Position der HEKMATIST) ist, dass es keine bevorstehende Revolution gibt, das isla mische Regime stattdessen zusammenbricht und dass, wenn dies ge schieht, selbst wenn die Partei die politische Macht gewinnt, wir im mer noch keine sozialistische Republik verkünden dürfen, weil die Bewegung gegen das islamische Regime nicht sozialistisch ist. Des halb befürworten sie, politische Macht in erster Linie über eine Koali tion und durch Kompromiss mit anderen Parteien zu gewinnen, um Macht zu erreichen." Verstärkung der In ihrem Streben nach gesellschaftlichem und politischem Einfluss Kampagnenarbeit setzte die API im Jahr 2005 verstärkt auf Kampagnenarbeit, insbeson dere mit der Durchführung von Infotischen, die u. a. über Menschen rechtsverletzungen im Iran aufklären sollten. Hierbei traten häufig Organisationen wie die "Internationale Kampagne zur Verteidigung der Frauenrechte im Iran e. V." oder die "Internationale Föderation iranischer Flüchtlinge" (IFIR, in Farsi: Hambastegi) auf, deren thema tische Ausrichtung für ihre Nähe zur API spricht. Zu Demonstrationen konnte die API hingegen keine größere Zahl von Teilnehmern mobilisieren. Selbst anlässlich von Ereignissen, die im Blickpunkt der Öffentlichkeit standen, wie die Präsidentschafts wahlen im Iran im Sommer, nahmen an ihren Kundgebungen selten mehr als 50 Personen teil. Die HEKMATIST trat demgegenüber sehr viel seltener öffentlich in Er scheinung. So stand sie sowohl hinsichtlich der Anzahl ihrer Info stände als auch der Teilnehmer ihrer Kundgebungen deutlich im Schatten der API. 4. Tamilen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) gegründet: 1972 in Sri Lanka Leitung: Führungskader der deutschen Sektion Mitglieder/Anhänger: ca. 800 (2004: ca. 750) Publikationen: "Viduthalai Puligal", vierzehntäglich SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 261 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) Auch 2005 gelang es nicht, die Friedensverhandlungen zwischen den LTTE und der Regierung Sri Lankas aus der Stagnation heraus zu führen. Vielmehr verhärteten sich die Fronten zwischen Tamilen und Singhalesen, und die Zahl der - angeblich von der jeweils anderen Seite zu verantwortenden - Waffenstillstandsverletzungen nahm er neut zu. Die LTTE erklärten zwar, sie seien nach wie vor zu Verhand lungen bereit. Sie warfen jedoch der Regierung vor, diese würde keine geeigneten Konzepte für eine künftige föderale Struktur des Landes vorlegen. Die Regierung warf ihrerseits den LTTE vor, für die größte Zahl der Wahlen gewaltsamen Übergriffe verantwortlich zu sein, nicht zuletzt für die in Sri Lanka Ermordung des Außenministers Sri Lankas im Sommer. Die am 17. November erfolgte Wahl des neuen Präsidenten des Landes, der - so weit bisher bekannt - für einen härteren Kurs gegenüber den LTTE eintritt, könnte die bestehenden Spannungen und damit die Gefahr eines erneuten Bürgerkrieges weiter erhöhen. Äußerungen führen der LTTE-Vertreter, die eine zunehmende Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Situation erkennen lassen und mit einem endgülti gen Abbruch der Gespräche drohen, sind ein Indiz hierfür. Fort währende Provokation der LTTE gegenüber der srilankischen Armee durch tödliche Anschläge gegen Regierungssoldaten und ein Sprengstoffanschlag, bei dem ein Schnellboot der srilankischen Ma rine versenkt wurde, sowie verschiedene Vergeltungsaktionen von Armeeangehörigen gegenüber der tamilischen Bevölkerung führten zum Jahresende bereits an den Rand eines neuen bewaffneten Kon flikts, der allerdings dank norwegischer Vermittlung vorerst verhin dert werden konnte. Das LTTE-Umfeld in Deutschland ist in Bezug auf einen künftigen Friedensvertrag ebenfalls eher pessimistisch eingestellt. Die LTTE bzw. ihre Hilfsund Tarnorganisationen nutzten diesen Umstand wiederum, um mit Spendenkampagnen nicht nur Gelder für den Wiederaufbau in den von ihnen besetzten Gebieten und für sonstige humanitäre und administrative Zwecke zu sammeln. Es gibt Anhalts punkte dafür, dass ein Teil der gesammelten Gelder auch für die Be waffnung der LTTE vorgesehen ist, um im Konfliktfall aktionsfähig zu sein. Fortgesetzt wurde auch die Propagandaarbeit des LTTE-Spek trums in Deutschland. Die Ende September veröffentlichte Erklärung der Europäischen Demonstrationen Union, wonach angesichts zunehmender Gewalt in Sri Lanka Regie in Europa rungen der Mitgliedsstaaten keine LTTE-Delegationen mehr empfan gen werden, hat unter den Anhängern der Organisation starken Pro test ausgelöst. Die Erklärung wird als einseitig und ungerecht BERICHT 2005 262 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) bezeichnet. Einige tausend Tamilen - zu einem nicht unerheblichen Teil aus Deutschland - demonstrierten daher am 24. Oktober vor EUEinrichtungen in Brüssel für eine Rücknahme der Maßnahme. Diese Aktion, wie auch eine symbolische Hungerstreikaktion in Düsseldorf Mitte Juni aus Protest gegen die angebliche Behinderung internatio naler Hilfsleistungen durch die Regierung Sri Lankas, zeigen, dass Propagandaarbeit nicht mehr nur überwiegend auf die eigenen Landsleute gerichtet ist, sondern zunehmend auch auf die hiesige Öffentlichkeit. 5. Sikhs "Babbar Khalsa International" (BKI) gegründet: 1978 in Indien Leitung: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: ca. 200 (2004: ca. 200) Publikationen: "Aazad" (Unabhängigkeit) "International Sikh Youth Federation" (ISYF) gegründet: 1984 in Großbritannien Leitung: gespalten in drei Fraktionen mit jeweils eigenem Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: ca. 600 (2004: ca. 600) "Kamagata Maru Dal International" (KMDI) gegründet: 1997 in den USA Leitung: Bundesvorstand Mitglieder/Anhänger: ca. 40 (2004: ca. 40) In Indien gehören 1,1 Prozent (etwa 11 Millionen Bürger) der Gesamt bevölkerung der Religionsgemeinschaft der Sikhs an. Die Mehrzahl davon lebt im nordindischen Bundesstaat Punjab. Dort kämpfen seit Jahrzehnten diverse separatistische Sikh-Organisationen auch mit militanten und terroristischen Mitteln für die Errichtung eines eige nen unabhängigen Staates "Khalistan". Zahlreiche Anschläge gegen indische Ziele innerhalb und zum Teil auch außerhalb Indiens gehen auf das Konto dieser Sikh-Gruppierungen, die in ihrer Zielsetzung weitestgehend übereinstimmen, jedoch unterschiedlichen Führern folgen. Von den ca. 70.000 in der Bundesrepublik Deutschland lebenden in dischen Staatsbürgern gehören ca. 20.000 der Religionsgemein schaft der Sikhs an. Davon werden schätzungsweise 840 in Deutsch SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 263 UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) land aktiven extremistisch-separatistischen Sikh-Organisationen zu gerechnet. Hier sind insbesondere die "Babbar Khalsa International" (BKI) die "International Sikh Youth Federation" (ISYF) und die "Kama gata Maru Dal International" (KMDI) zu nennen. Anschlagsaktivitäten gingen von diesen Organisationen in Deutsch land bisher nicht aus. Ihr Hauptziel ist die Geldbeschaffung. Sie sam meln bei von ihnen durchgeführten Veranstaltungen kontinuierlich Spenden, die zum Teil auch den Mutterorganisationen in Indien zur Finanzierung ihres - bewaffneten - Kampfes für die Unabhängigkeit zur Verfügung gestellt werden. Spendengelder fließen aber auch an Hinterbliebene von im Kampf gefallenen "Märtyrern" sowie in die Rechtshilfe für inhaftierte Glaubensbrüder. III. Übersicht über weitere erwähnenswerte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisationen Mitglieder/Anhänger Publikationen einschl. Sitz (z.T. geschätzt) (einschl. Erscheinungs weise) 2005 (2004) Türken (ohne Kurden) "Föderation der türkisch 7.500 (7.500) demokratischen Idealisten vereine in Europa e.V." (ADÜTDF) "Föderation der demokrati 600 (600) "Tatsachen" schen Arbeitervereine e.V." - zweimonatlich (DIDF) BERICHT 2005 264 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE B ESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN UND V ERDACHTSFÄLLE ( OHNE I SLAMISMUS ) IV. Übersicht über vereinsrechtliche Maßnahmen des BMI Organisation Datum der Verbots Verbotsgründe Verfahrensstand verfügung "Arbeiterpartei 26. November - Strafgesetzwidrig rechtskräftig Kurdistans" 1993 keit, Gefährdung (PKK) der inneren Si cherheit und öf und Teilorganisa fentlichen Ord tionen nung sowie außenpolitischer Belange Deutsch lands "Revolutionäre 9. Februar 1983 - Strafgesetzwidrig rechtskräftig Linke" keit (Devrimci Sol) "Revolutionäre 13. August 1998 - Ersatzorganisa rechtskräftig Volksbefreiungs tion der rechts partei-Front" kräftig verbote (DHKP-C) nen "Devrimci Sol", Strafgesetz widrigkeit und Ge fährdung der inne ren Sicherheit "Türkische Volks 13. August 1998 - Strafgesetzwidrig befreiungspar keit und Gefähr tei/-Front" dung der inneren (THKP/-C) Sicherheit VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 266 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N I. Überblick Aufklärungsziel Das Bedrohungsszenario im Aufgabenbereich der Spionageabwehr Deutschland hat sich im Jahr 2005 nicht verändert. Die Bundesrepublik Deutsch land ist auch weiterhin ein wichtiges Aufklärungsziel für die Nach richtendienste einer Reihe fremder Staaten. Dazu zählen unverän dert aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 194 die Russische Föderation und die Republik Belarus; darüber hinaus ei nige Staaten aus dem nordafrikanischen sowie nah-, mittelund fernöstlichen Raum, insbesondere die Volksrepublik China. Präsenz ausländi Die Nachrichtendienste dieser Staaten sind in unterschiedlicher Per schen Nachrichten sonalstärke an den amtlichen bzw. halbamtlichen Vertretungen ih dienstpersonals rer Länder in Deutschland präsent. Ihre dort als "Diplomaten" oder "Journalisten" auf Tarndienstposten in den so genannten Legalresi denturen eingesetzten Mitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichtendienstlichen Operationen, die direkt von den Zentra len der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Gelingt es der Spionageabwehr, solchen "Diplomaten" statuswidrige Aktivitäten nachzuweisen, kann dies zur Ausweisung der betreffenden Person aus Deutschland führen. "Klassische Die Aufklärungsziele ausländischer Dienste reichen von "klassischer Spionage" und Spionage" - d. h. der Informationsbeschaffung aus Politik, Wirt Oppositionellenschaft, Militär etc. - bis hin zur Ausspähung und Unterwanderung in ausspähung Deutschland ansässiger Organisationen und Personen, die in Opposi tion zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Die Nachrichten dienste versuchen, ausgewählte Personen mit dem Ziel einer Ver pflichtung zur nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit anzusprechen. Bei Ablehnung wird den betreffenden Personen oder ihren in der Heimat lebenden Angehörigen oftmals mit Repressalien gedroht. Proliferation Schließlich bemühen sich einige Länder unverändert darum, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungs waffen sowie der dazu erforderlichen Trägersysteme zu gelangen und die zu deren Herstellung notwendigen Güter und das erforderli che Knowhow zu erwerben (Proliferation; vgl. Kap. VI). 194 Zur GUS gehören: Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Kasachstan, Kirgisistan, Moldau, Russische Föderation, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Belarus SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 267 II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgaben stellung der Dienste im russischen Staatswesen Die Organisationsstruktur sowie die Aufgabenstellung der russi Strukturelle schen Nachrichtendienste wurde im Jahr 2005 nicht nennenswert Entwicklung verändert. Dies deutet darauf hin, dass die umfassende Geheim dienstreform der vergangenen Jahre im Wesentlichen abgeschlos sen ist. Die Reform der Dienste und deren neues Gefüge dürften den derzei tigen Vorstellungen der russischen Staatsführung entsprechen. Als Grundpfeiler der staatlichen Sicherheitsstruktur dienen die Nach richtendienste der politischen Führung des Landes auf nationaler Ebene als verlässliche Garanten zur Gewährleistung der staatlichen Souveränität und der inneren Sicherheit. Im Aufklärungsbereich fungieren sie als Instrumente und verlängerter Arm der Politik bei der Verwirklichung außen-, wirtschaftsund sicherheitspolitischer Ziele. Mit der Reorganisation des Staatssicherheitsapparats, die im Jahr Die zivilen 2003 begann, wurde die Anzahl der zivilen Nachrichtendienste redu Nachrichtendienste ziert. Die verbliebenen Dienste haben die Aufgaben und Befugnisse der aufgelösten Spezialdienste übernommen und sind gestärkt aus der Reform hervorgegangen. Auf diese Weise ist die Russische Föde ration in Teilbereichen zu einer Zentralisierung der zivilen Nachrich tendienste nach sowjetischem Vorbild zurückgekehrt. Zum Stellenwert der zivilen Auslandsaufklärung als Informations zweig der Politik äußerte sich der russische Präsident Putin im Juli 2005 in einer Festrede anlässlich der Beförderung von Generälen: "Die Entscheidung in vielen wichtigen politischen Fragen hängt un mittelbar von der rechtzeitigen und objektiven Berichterstattung des Auslandsnachrichtendienstes SWR 195 ab. Ich rechne damit, dass der SWR auch in Zukunft sein analytisches Potenzial ausbaut, um alle Veränderungen in der weltpolitischen Lage aus operativem Stand punkt zuverlässig melden zu können." In diesem Zusammenhang versprach der Präsident den Diensten fi nanzielle Unterstützung. Im August 2005 berichteten russische Me dien über eine deutliche Aufstockung der Finanzmittel für die zivilen Nachrichtendienste. BERICHT 195 SWR = Slushba Wneschnej Raswedkij (Russischer ziviler Auslandsnachrichtendienst). 2005 268 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N FSB Der Inlandsnachrichtendienst FSB 196 ist für die zivile und militärische Spionageabwehr, die Beobachtung des politischen Extremismus so wie die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Kriminalität (OK) zuständig. Er ist in die "antiterroristischen Operationen" im Nordkaukasus ein gebunden. Ferner ist er für den Schutz der russischen Industrie vor Wirtschaftsspionage und OK verantwortlich und soll ausländische Investoren vor Wirtschaftskriminalität schützen. Zur Bekämpfung von Terrorismus, OK und Proliferation darf der Dienst auch grenzü berschreitend tätig werden. Zudem versucht der FSB mit Hilfe von ausländischen Staatsangehörigen, die bei Aufenthalten in Russland angeworben werden, Auslandsaufklärung zu betreiben. Im Rahmen seiner Abwehraktivitäten in Russland betreibt der FSB eine intensive Internet-Überwachung. Zu diesem Zweck müssen alle russischen Anbieter von Internet-Zugängen dem FSB einen ständi gen Zugriff auf den Datenverkehr ermöglichen, der in Russland ab gewickelt wird. Auch die Telefongesellschaften des Landes sind an gewiesen, dem FSB den permanenten Zugang zu Informationen über Telefonkunden, deren Ferngespräche und die anfallenden Ge bühren zu gewähren. Dadurch erhält der FSB die Möglichkeit, telefo nische Kontakte, deren Intensität sowie den Aufenthalt der Ge sprächsteilnehmer zum Zeitpunkt der Telefonate festzustellen und systematisch auszuwerten. Daher müssen auch ausländische Staats angehörige in Russland damit rechnen, bei der Nutzung des Inter nets oder durch Telefongespräche in das Blickfeld des FSB zu geraten und gezielt geheimdienstlich überwacht zu werden. Zu den Aufgaben des FSB gehört außerdem der Schutz der russischen Staatsgrenze und die Kontrolle einund ausreisender Personen sowie die Gewährleistung der Fernmeldesicherheit im Bereich der Tele kommunikation. Die Personalstärke des FSB beträgt zurzeit minde stens 350.000. SWR Der SWR ist für die Auslandsaufklärung in den Bereichen Politik, Ökonomie sowie Wissenschaft und Technologie zuständig. Er wirkt bei der Bekämpfung der Proliferation und des internationalen Terro rismus mit. Darüber hinaus versucht der Dienst, die Aktivitäten und Arbeitsme thoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aus zuforschen. Bei der Umstrukturierung der russischen Dienste in den letzten Jah ren sind dem SWR Aufgaben im Bereich der Fernmeldeaufklärung 196 FSB = Federalnaja Slushba Besopasnosti (Russischer Inlandsnachrichtendienst). SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 269 übertragen und entsprechendes Fachpersonal zugewiesen worden. Dadurch verfügt der Dienst über mehr als 13.000 Mitarbeiter. Die GRU 197 ist der militärische Auslandsnachrichtendienst der RussiGRU schen Föderation. Sie untersteht dem russischen Verteidigungsmini sterium und hat etwa 12.000 Mitarbeiter. Die Aufklärungsaktivitäten der GRU in Deutschland umfassen das gesamte militärische Spektrum: die Bundeswehr, die NATO-Streit kräfte und den Bereich militärisch nutzbarer Technologie. Die Organisationsstruktur der GRU blieb von Veränderungen, wie sie die zivilen Nachrichtendienste Russlands erfahren haben, unberührt und ist seit Jahren konstant. 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte Obwohl sich das politische Verhältnis zwischen der Russischen FödeZiele ration und der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren positiv ent wickelt, halten die Aufklärungsaktivitäten der russischen Nachrich tendienste mit Zielrichtung Deutschland unvermindert an. Daraus wird deutlich, dass die russische Regierung zwischen politischer Annäherung einerseits und nachrichtendienstlicher Aufklärung an dererseits keinen Widerspruch sieht. Es wurden Aufklärungsbemühungen der russischen Auslandsnach richtendienste in allen nachrichtendienstlichen Zielbereichen fest gestellt. Der Schwerpunkt der Aufklärungsaktivitäten richtet sich je weils nach dem aktuellen Informationsbedürfnis der russischen Staatsführung. Im Rahmen der politischen Aufklärung bestand Interesse an InforPolitik mationen mit Bezug zur nationalen Sicherheitslage der Russischen Föderation, zur Entwicklung der politischen Machtverhältnisse in Deutschland sowie zur Wirtschaftsund Bündnispolitik des Westens. Im Zusammenhang mit der Bundestagswahl am 18. September 2005 und der Möglichkeit eines Regierungswechsels in Deutschland ver stärkten die russischen Dienste ihre Beschaffungsaktivitäten über po litische Parteien sowie deren Programme; dies vor Allem im Hinblick auf mögliche Auswirkungen auf das deutsch-russische Verhältnis. Die Entwicklung sowie die Politik der EU und der NATO standen per manent im Blickfeld der russischen Aufklärungsbemühungen. Auch die Tschetschenienproblematik und deren Bewertung durch die poli tischen Kräfte in Deutschland spielten eine wichtige Rolle. BERICHT 2005 197 GRU = Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije (Russischer militärischer Auslandsnach richtendienst). 270 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N Militär Im militärischen Bereich, dem Spezialgebiet der GRU, zielte das In formationsinteresse auf die Klärung sicherheitspolitischer und mi litärstrategischer Fragen. Auch die interne Arbeitsweise und die technische Ausstattung der Bundeswehr sowie die Rüstungsindu strie standen im Blickfeld der russischen Aufklärungsbemühungen. In diesem Zusammenhang mussten zwei als Diplomaten abgetarnte GRU-Offiziere wegen statuswidriger nachrichtendienstlicher Akti vitäten Deutschland vorzeitig verlassen. Ökonomie Im Zielbereich Ökonomie bestand Interesse an Hintergrundinforma tionen zur wirtschaftlichen Infrastruktur in Europa, zu energiewirt schaftlichen Themen sowie zu globalen Handelsund Wirtschaftsab läufen. Wissenschaft und Auf dem Gebiet Wissenschaft und Technologie zielten die Beschaf Technik fungsaktivitäten auf Informations-, Mikround Kommunikations technik sowie technische Neuentwicklungen aller Art. Dabei han delte es sich häufig um Produkte, die sowohl zivil als auch militärisch genutzt werden können ("dual use"). 3. Methodische Vorgehensweise Die Aufklärung Deutschlands durch die russischen Nachrichtendien ste erfolgt durch den Einsatz von oft als Diplomaten getarnten Ge heimdienstangehörigen auf deutschem Hoheitsgebiet, durch Be schaffungsmaßnahmen - u. a. dem Einsatz von Agente - , die von den Dienstzentralen aus Moskau gesteuert werden, sowie durch Aktivitä ten auf eigenem Territorium. Einen großen Teil ihrer Informationen beschaffen die russischen Dienste durch gesprächsweise "Abschöpfung" von Kontaktpersonen und die Nutzung allgemein zugänglicher Informationsquellen, wie der Medienberichterstattung, des Internets oder durch Besuche öf fentlicher Veranstaltungen in Deutschland. Um an besonders hochwertige geschützte Informationen zu gelan gen, setzen sie aber nach wie vor auch konspirative Beschaffungsme thoden und geheime Mitarbeiter (Agenten) ein. 3.1 Die Legalresidenturen der russischen Nachrichten dienste Bei den Aufklärungsaktivitäten der russischen Nachrichtendienste in Deutschland spielen die diplomatischen und konsularischen Vertre tungen der Russischen Föderation eine wichtige Rolle. SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 271 In fast allen diesen Einrichtungen und in einigen Repräsentanzen Hohe Präsenz russischer Medien ist eine große Anzahl von Stellen für den verdeck von NDten Einsatz von Nachrichtendienstangehörigen reserviert. Das nach Personal richtendienstliche Personal bildet innerhalb dieser Institutionen die so genannte Legalresidentur. Damit verfügen die russischen Dienste in Deutschland über feste Stützpunkte, aus denen vor Ort Geheim dienstaktivitäten aller Art entfaltet werden. Der Anteil der Nachrichtendienstangehörigen am Gesamtpersonal der russischen Auslandsvertretungen in Deutschland lag auch im Jahr 2005 auf unverändert hohem Niveau. Im europäischen Ver gleich sind die russischen Dienste mit ihrer Personalstärke in Deutschland deutlich überrepräsentiert. Dies unterstreicht den Stel lenwert Deutschlands als Aufklärungsziel. Die nachrichtendienstlichen Tarndienstposten werden überwiegend von den Aufklärungsdiensten SWR und GRU besetzt. Ihren größten Stützpunkt in Deutschland unterhalten die russischen Schwerpunkt Dienste in der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Berlin Der privilegierte Status der Auslandsvertretungen nach den Wiener Vorteile dieser Übereinkommen über diplomatische und konsularische Beziehun Methode gen verschafft den Nachrichtendienstangehörigen für ihre Spiona geaktivitäten ausgezeichnete Rahmenbedingungen. So bietet die di plomatische Immunität Schutz vor Strafverfolgung und die Tarnpositionen eröffnen vielfältige Möglichkeiten für eine unver fängliche Kontaktaufnahme mit interessanten Gesprächspartnern und potenziellen Zielpersonen. Durch den standortbedingten Vorteil können die Residenturan gehörigen ohne lange Anreise Gesprächsaufklärung im Kreis ihrer Kontaktpersonen betreiben oder sich mit geheimen Mitarbeitern treffen. Für ihre offene Informationsbeschaffung unterhalten die Residen Offene Beschaffung turangehörigen ein Netz von Kontakten zu Gesprächspartnern in al len Aufklärungsbereichen und auf vielen gesellschaftlichen Ebenen. Die Kontakte werden im Rahmen der offiziellen Aufgaben eines Di plomaten oder Journalisten geknüpft. Durch geschickte Gesprächs führung gelangen die Geheimdienstangehörigen dann oft schon an schutzbedürftige Informationen. Aus der großen Zahl ihrer offiziellen Kontaktpersonen wählen die Nachrichtendienstangehörigen solche aus, die für eine mitteloder langfristige Nutzung als Informationsquelle geeignet erscheinen. BERICHT 2005 272 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N Dabei sind Faktoren wie Zugang zu interessanten Informationen, be rufliche Perspektive der Kontaktperson, Bereitschaft zum Informati onsaustausch oder auch persönliche Sympathie wichtige Auswahl kriterien. Gesprächspartner, die als entwicklungsfähig eingeschätzt werden, werden fortan im Zuge einer "halboffenen" Informationsge winnung genutzt. "halboffene" Die "halboffene" Beschaffung verbindet offene Aktivitäten mit eini Beschaffung gen konspirativen Elementen. Die Residenturangehörigen verabre den weitere Zusammenkünfte mit ihren Kontaktpersonen bereits bei vorausgehenden Treffen. Damit werden erneute Kontakte zur Ter minvereinbarung, die in das Blickfeld der Verfassungsschutzbehörden geraten könnten, überflüssig. Ergänzend bittet der Residenturangehörige seinen deutschen Ge sprächspartner, nicht im Büro anzurufen - er begründet dies damit, dass er häufig unterwegs sei und seine Kollegen über den Kontakt nicht unterrichtet seien. Auf dem Weg zu den Treffen mit seinem Ge sprächspartner, die zumeist in Restaurants stattfinden, verhält sich der russische Nachrichtendienstoffizier besonders aufmerksam, um mögliche Observationen der Spionageabwehr zu erkennen. Diese Kontakte, die von den russischen Diensten als "vertrauliche Verbindungen" bezeichnet werden, sind langfristig auf die Liefe rung von Informationen gegen Geld oder andere Vorteile angelegt. Der nachrichtendienstliche Charakter der Verbindung wird jedoch unter den Beteiligten zumeist nicht offen angesprochen. Verdeckte Manche "vertrauliche Verbindung" entwickelt sich weiter zu einer Agentenführung klassischen Agentenverbindung. Hat z. B. ein deutscher Gespräch spartner Zugang zu sensiblen, geschützten Informationen, so prüft der russische Führungsoffizier dessen Motive und Bereitschaft, auch solche Informationen zu liefern. Durch schrittweise weitergehende Fragen und Beschaffungswünsche bei gleichzeitiger Steigerung der materiellen und psychologischen Zuwendung führt der russische Führungsoffizier seine Zielperson an eine - für sie strafbare - Zusam menarbeit heran. Ein solches Verhalten eines Nachrichtendienstoffiziers ist mit seinem diplomatischen oder konsularischen Status unvereinbar. Daher kommt ab dieser Phase dem Schutz der Verbindung vor Enttarnung eine besondere Bedeutung zu. Hierzu werden klassische Geheim dienstmethoden eingesetzt. SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 273 Mit der Einführung strenger konspirativer Regeln, der Ausdehnung der Beschaffungsaufträge auf sensibles Material sowie durch die großzügigen finanziellen Zuwendungen für erledigte Aufträge wird auch für die Kontaktpersonen der nachrichtendienstliche Charakter der Verbindung deutlich erkennbar. 3.2 Aktivitäten unter zentraler Steuerung Im Rahmen ihrer Beschaffungsaktivitäten nutzen die russischen Steuerung Nachrichtendienste auch Agenten, die direkt durch die Zentralen durch die Zentralen der Dienste geführt werden. Eine Agentenführung im Einsatzland ohne Beteiligung der Legalresidenturen ist wegen der Entfernung zwar aufwändig, sie vermindert dafür aber das Enttarnungsrisiko. Im Gegensatz zur Zeit des "Kalten Krieges" können die Führungsoffi ziere heutzutage im Strom russischer Touristen und Geschäftsleute unauffällig reisen. Als Agenten werden bei passender Gelegenheit Personen geworben, Zielpersonen die innerhalb oder außerhalb der Russischen Föderation leben. Von den Personen, die im Ausland leben, stehen vor allem solche, die aus beruflichen oder privaten Gründen öfter nach Russland reisen oder sich dort länger aufhalten, im Blickpunkt der russischen Dien ste. Potenzielle Agenten werden vor einer Ansprache überprüft. Dazu gehören alle erdenklichen Überwachungsmaßnahmen während des Aufenthaltes in Russland. Bei der Werbung werden dann die Überwachungsergebnisse genutzt und auch heute noch ge legentlich als "Kompromate" 198 eingesetzt. ür die Informationsübermittlung der so geworbenen Agenten wird Verbindungswesen zum Teil ein aufwändiges Kommunikationssystem verwendet. Agen tenfunk, Geheimschreibverfahren und Verschlüsselungstechniken kommen dabei ebenso zum Einsatz wie "Tote Briefkästen" (TBK) 199 , in denen Geld oder nachrichtendienstliche Hilfsmittel deponiert werden. Die Legalresidenturen leisten in diesen Fällen allenfalls technische oder logistische Unterstützung. Ein besonders interessantes Ziel stellen die deutschen diplomati Mitarbeiter an schen Vertretungen in der Russischen Föderation dar. Die russischen deutschen Nachrichtendienste überwachen diese Einrichtungen intensiv. Sie diplomatischen Vertretungen bemühen sich, in den Vertretungen arbeitende Personen als Agen ten zu gewinnen. Russen, die als so genannte Ortskräfte in diesen Einrichtungen be schäftigt sind, werden häufig Opfer von Anwerbungsversuchen. 198 Druckmittel in Form tatsächlicher oder verfälschter Beweise, die aus Sicht des Betroffenen bei Bekanntwerden geeignet sein könnten, dieser Person Nachteile zu bereiten. BERICHT 2005 199 Getarnte (Erd)Verstecke zum Informationsund Materialaustausch oder für finanzielle Zu wendungen an geheime Mitarbeiter. 274 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N Aber auch Deutsche sind Ziele solcher Werbungsmaßnahmen. Dabei suchen die russischen Dienste zunächst gezielt nach persönlichen Angriffspunkten, wie z. B. Ordnungswidrigkeiten, deren mögliche Folgen dann beim Anwerbungsgespräch überzeichnet werden. Die so erzeugten Ängste sollen die betreffende Person für eine Zusam menarbeit gefügig machen. Die Mitarbeiter der deutschen diplomatischen Vertretungen müssen aber auch in anderen Staaten, in denen die Russische Föderation starke Missionen unterhält, mit Anwerbungsversuchen durch russi sche Nachrichtendienste rechnen. III. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der übrigen Mitgliedsländer der Gemein schaft Unabhängiger Staaten (GUS) Nach dem Zusammenbruch der früheren UdSSR 1991 erlangten ne ben Russland auch die anderen früheren Sowjetrepubliken staatliche Selbstständigkeit. Mit Ausnahme der baltischen Staaten gründeten sie zusammen mit Russland die Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). Nachrichtendienste Während Russland die Zentralen der früheren sowjetischen Nach in allen Mitglieds richtendienste KGB und GRU übernahm, errichteten die übrigen Mit ländern der GUS gliedsländer der GUS eigene Nachrichtendienste auf der Basis der auf ihrem Territorium verbliebenen regionalen Geheimdienststrukturen aus der Zeit der Sowjetunion. Unterschiedliche Die Inlandsabwehr und die "zivile" Auslandsaufklärung sind bei den Strukturen meisten der übrigen GUS-Dienste, wie beim früheren KGB, in einem Nachrichtendienst vereint. Präsidentenund Grenzschutzdienste wurden teilweise aus den Nachrichtendiensten herausgelöst. Ferner haben mehrere Mitgliedsländer der GUS einen militärischen Nach richtendienst errichtet, wie beispielsweise die Ukraine und Belarus. Zusammenarbeit Die Zusammenarbeit der GUS-Dienste mit den russischen Nachrich mit den russischen tendiensten ist trotz vieler Kooperationsabkommen in den vergan Nachrichtendien genen Jahren sehr unterschiedlich. Zu den engen Verbündeten Rus sten slands auf nachrichtendienstlicher Ebene zählen Belarus, Kasachstan, Usbekistan und Armenien. Mit den Nachrichtendiensten dieser Staaten arbeite man heute aktiv zusammen, erklärte der Leiter des russischen Inlandsdienstes FSB im Mai 2005 vor der russischen Staatsduma 200 . Man operiere gemein 200 Russisches Parlament. SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 275 sam und tausche Informationen aus. Außerdem fänden regelmäßige Beratungstreffen statt. Trotz der Befugnis zur Auslandsaufklärung liegt der Aufgaben Schwerpunkt schwerpunkt der meisten Dienste im Bereich der inneren Sicherheit innere Sicherheit und der Spionageabwehr. Dennoch kann von den Inlandsaktivitäten der Dienste eine Gefährdung deutscher Sicherheitsinteressen ausge hen. Auf dem Territorium dieser Staaten müssen die deutschen diplo matischen Vertretungen mit einer Überwachung rechnen. Auch Deutsche, die sich, vor allem für längere Zeit, beruflich oder privat in der GUS aufhalten, können in das Blickfeld der dortigen Nachrich tendienste geraten. Die festgestellten Auslandsaktivitäten der Nachrichtendienste der Auslandsaktivitäten übrigen Mitgliedsländer der GUS sind sehr begrenzt. Die meisten die begrenzt ser Dienste entfalten in Deutschland keine erkennbaren Auf klärungsaktivitäten. Teilweise sind jedoch Nachrichtendienstan gehörige getarnt an den Auslandslandsvertretungen dieser Staaten in Deutschland eingesetzt. Dies trifft speziell für die Republik Belarus zu. In Deutschland unter Republik Belarus hält Belarus eine Botschaft in Berlin sowie eine Außenstelle in Bonn. Die dort eingesetzten Nachrichtendienstangehörigen betreiben hauptsächlich offene Informationsbeschaffung und treten z. B. als Besucher von Veranstaltungen mit breitem Themenspektrum in Er scheinung. Auch die Aktivitäten der hier lebenden belarussischen Diaspora stehen im nachrichtendienstlichen Interesse. Belarus verfügt über den zivilen Nachrichtendienst "Komitee für Staatssicherheit" (belarussische Abkürzung: KDB 201 ), einen militäri schen Nachrichtendienst, der Bestandteil des Verteidigungsministe riums ist, den "Sicherheitsdienst des Präsidenten" sowie einen Grenz schutzdienst. Zur Auslandsaufklärung verfügt das KDB über eine eigenständige Der belarussische Verwaltung, deren Aufgabe die Informationsbeschaffung auf den Dienst KDB klassischen Gebieten Politik, Wissenschaft , Technik und Wirtschaft ist. Der militärische Nachrichtendienst betreibt Auslandsaufklärung unter militärischen Aspekten. Insbesondere dem KDB sind in den vergangenen Jahren weitrei chende Befugnisse eingeräumt worden, wie etwa die Kontrolle des Internets. Außerdem wird das KDB seit Jahren zur Beobachtung der belarussischen politischen Opposition im Inund Ausland einge setzt. BERICHT 201 KDB = Kamitet Dzyazauny Byaspeki. 2005 276 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N Seit der "orangen Revolution" in der Ukraine im Jahr 2004 befürchtet der belarussische Präsident Lukaschenko ein Übergreifen dieser Strö mungen auf Belarus und sieht darin eine zusätzliche Bedrohung sei ner Machtposition. Der KDB-Leiter JERIN wurde 2004 nach einem Treffen mit Oppositionsangehörigen entlassen. Seit Januar 2005 lei tet Stepan SUCHORENKO das KDB. Gleichzeitig mit dem Leiter wur den zahlreiche weitere Führungspositionen im KDB neu besetzt, u. a. die der Auslandsaufklärung. In Belarus werden Ausländer intensiv überwacht. Die nachrichten dienstliche Beobachtung von Ausländern sei selbstverständlich für einen Nachrichtendienst, hatte schon SUCHORENKOs Amtsvorgän ger JERIN im belarussischen Fernsehen erklärt. Zu den nachrichten dienstlichen Zielen auf eigenem Hoheitsgebiet gehören ausländi sche Hilfsorganisationen, die verdächtigt werden, Umsturzvorbereitungen zu unterstützen. Ebenso stehen diplomati sche Vertretungen ausländischer Staaten, so auch die der Bundesre publik Deutschland, im Blickfeld des KDB und werden als Zielobjekte bearbeitet. IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens so wie Nordafrikas Schwerpunkt Zahlreiche Staaten des so genannten islamischen Gürtels zwischen Oppositionellen Marokko und Zentralasien sind mit ihren Nachrichtendiensten in ausspähung Deutschland aktiv. Das Ausmaß ihrer, in der Regel illegalen, Aktivitä ten ist allerdings unterschiedlich. Insbesondere autoritär regierte Staaten mit einer größeren Exilgemeinde in Deutschland bemühen sich auf vielfältigen Wegen um Informationen über regimekritische oder aus anderen Gründen missliebige Landsleute, deren Aktivitäten sie für den eigenen Machterhalt als gefährlich oder in anderer Weise als schädigend betrachten. Ziel der Ausspähungsaktivitäten ist die Kontrolle, Infiltration oder Neutralisierung dieser Organisationen und Personen. Wegen der weltweiten Bedrohung durch den internationalen islami stischen Terrorismus sind für viele dieser Staaten islamische Extremi sten, speziell solche unter ihren im Exil lebenden Landsleuten, einer der Aufklärungsschwerpunkte. SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 277 1. Iranische Nachrichtendienste Von erheblicher Bedeutung für die politische Entwicklung in der Is Politische lamischen Republik Iran ist der Ausgang der Präsidentschaftswahl Entwicklungen im Sommer 2005. Der bis dahin international unbekannte Mahmoud im Iran Ahmadinejad setzte sich gegen den relativ gemäßigten früheren Prä sidenten Rafsanjani durch. Ahmadinejad ist ein erklärter Hardliner. Seinem neu gebildeten Kabinett gehören ehemalige Angehörige der Revolutionsgarden (PASDARAN) und ExGeheimdienstangehörige an. Mit der Besetzung seines Kabinetts hat Ahmadinejad den Einfluss der PASDARAN in der Politik erweitert. Eine herausgehobene Stellung dürfte Gholam Hossein Mohseni Ejei als Minister für Informationen und Sicherheit (Nachrichtenund Staatssicherheitsdienst) inneha ben. Er hat seine ultrakonservative Prägung als Student einer islami schen Eliteschule für Theologie und Rechtswissenschaften erhalten. Bekannt wurde Mohseni Ejei als Staatsanwalt am Sondergericht für die Geistlichkeit - einem Gericht, das sich die Verfolgung und Bestra fung von reformorientierten und regimekritischen Geistlichen zur Aufgabe gemacht hat - und als Mitglied des Presserates, einer Insti tution, die für die Presseund Medienzensur verantwortlich ist. Eine wichtige Rolle unter den Repressionsorganen im Iran nimmt VEVAK der iranische Nachrichtendienst VEVAK 202 ein, dessen Organisations einheiten unter anderem für die Bekämpfung regimefeindlicher Be strebungen im Inund Ausland zuständig sind. Schwerpunkt der Ak tivitäten ist unverändert die Ausspähung und politische Neutralisierung der zahlreichen iranischen Oppositionsgruppen. Das primäre Interesse gilt der militantesten und aktivsten Oppositi onsgruppe, der "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK), und ihrem politischen Arm, dem "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI). Daneben stehen auch Monarchisten, Republikaner sowie linke Organisationen im Fokus. Durch die Anwerbung aktiver oder ehemaliger Mitglieder dieser Organisationen als Agenten versucht der VEVAK, Informationen über deren regimefeindliche Aktivitäten zu gewinnen. Ein Standbein des iranischen Nachrichtendienstes in Deutschland ist die Iranische Botschaft in Berlin, an der mehrere als Diplomaten ge tarnte Nachrichtendienstangehörige präsent sind. Führungsoffiziere aus der Botschaft, aber auch aus Führungsstellen im Iran, werben Personen für eine Spionagetätigkeit in Deutschland an, erteilen ih nen Aufträge und nehmen von ihnen Informationen mündlich, schriftlich, telefonisch oder per Internet entgegen. BERICHT 2005 202 VEVAK = Vezerate Etala' at Va Amniate Keshvar (Ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst des Iran). 278 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 2. Syrische Nachrichtendienste Syrische Im Machtapparat der Arabischen Republik Syrien haben die Sicher Sicherheitsorgane heitsorgane eine überragende Stellung. Zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit sowie der Stabilität des Regimes unterhält Syrien zahlreiche Nachrichtendienste, deren Tätigkeiten nicht allein auf das eigene Land beschränkt bleiben. Durch die Überschneidung von Auf gabengebieten und Tätigkeitsfeldern will das Regime eine gegensei tige Kontrolle der Dienste erreichen. Besonders bedeutsam ist der militärische Nachrichtendienst (SHU'BATAL-MUKHABARAT AL-ASKA RIYA). Sein Leiter ist der Schwager des syrischen Staatspräsidenten. In Syrien unterliegen alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ei ner umfassenden Überwachung durch die Nachrichtendienste. An hänger regimekritischer Strömungen müssen mit massiven Repres salien rechnen. Um sich dem Zugriff der omnipotenten Sicherheitsdienste zu entziehen, sind viele Oppositionelle ins Aus land geflüchtet. Doch auch hier versuchen die Nachrichtendienste, sie auszuforschen, einzuschüchtern und ihre Aktivitäten zu neutrali sieren. Die an der Syrischen Botschaft in Berlin als Diplomaten abgetarnten Nachrichtendienstmitarbeiter sind in die festgestellten Aus spähungsaktivitäten eingebunden. Ihr Interesse gilt allen oppositio nellen Strömungen, in denen eine Bedrohung für das Regime gese hen wird. Dazu zählen islamistische Gruppierungen - vor allem Anhänger der "Muslimbruderschaft" (vgl. Islamistische/islamistisch terroristische Bestrebungen und Verdachtsfälle, Kap. III, Nr. 1.4) - so wie die in Deutschland lebenden syrischen Kurden. Insbesondere kurdische Gruppierungen stehen in jüngster Zeit im besonderen Blickfeld der Dienste. Unruhen unter der kurdischen Minderheit in Syrien, bei denen es auch Tote und Verletzte gegeben haben soll, führten im Ausland zu massiven kurdischen Protesten, so auch vor der Syrischen Botschaft in Berlin. Beachtliches Zu Ausforschungszwecken haben die syrischen Nachrichtendienste Informantennetz ein Informantennetz in Deutschland aufgebaut. Bei der Werbung neuer Agenten und zur Einschüchterung von Regimegegnern schrecken sie nicht vor Repressalien gegen Betroffene oder deren im Heimatland wohnende Angehörige zurück. In Deutschland lebende Zielpersonen müssen bei einem Besuch in Syrien mit ihrer Festnahme, mit Verhören und Misshandlungen so wie Anwerbungsversuchen rechnen. Die konsularische Betreuung SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 279 hier lebender Syrer spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle. Hilfestellungen der Syrischen Botschaft werden von der Bereit schaft zu einer nachrichtendienstlichen Mitarbeit abhängig ge macht. Selbst bei offiziellen Zusagen einer unbedenklichen Besuchs reise nach Syrien können Betroffene dort nicht vor Repressalien der syrischen Nachrichtendienste sicher sein. Zur Aufklärung des Attentats an dem früheren libanesischen Mini Hinweise auf sterpräsidenten Rafik Hariri am 14. Februar 2005 in Beirut setzten die Staatsterrorismus Vereinten Nationen (VN) eine internationale unabhängige Untersu chungskommission ein. Die von der VN-Untersuchungskommission vorgelegten Berichte enthalten Hinweise auf eine mögliche Beteili gung leitender syrischer Nachrichtendienstoffiziere aus dem unmit telbaren Umfeld des syrischen Präsidenten Assad an der Planung des Mordanschlags. Der Anschlag war Auslöser heftiger Proteste der libanesischen Bevöl kerung gegen die anhaltende Stationierung syrischer Truppen. Un ter dem Druck der internationalen Staatengemeinschaft zog Syrien im April 2005 seine Truppen aus dem Libanon ab und löste seine dor tigen Geheimdienstbüros auf. 3. Libysche Nachrichtendienste Von der seit dem Jahr 2003 vollzogenen außenpolitischen Annähe Keine Änderung rung und wirtschaftlichen Öffnung Libyens zum Westen sind die in der Innenpolitik neren politischen Strukturen unberührt geblieben. Es wurden keine innenpolitischen Reformen hin zu einer Demokratisierung der Machtstrukturen durchgeführt. Das Land wird weiterhin von dem Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi und seinem Revolutionsrat diktatorisch regiert. In einer Grundsatzrede im September 2005 hat Gaddafi demokratische Reformen eindeutig abgelehnt. Der auf Machterhalt fixierte Sicherheitsapparat überwacht opposi Beobachtung tionelle Bestrebungen im Inund Ausland, insbesondere Islamisten. oppositioneller Davon sind auch Libyer in Deutschland betroffen, u. a. im Exil le Bestrebungen bende regierungskritische Journalisten, Angehörige von Menschen rechtsgruppen sowie libysche Geschäftsreisende und Studenten. Unter Beobachtung steht auch das an libyschen Botschaften und Konsulaten tätige eigene Personal. Zum Zwecke der Informationsge winnung greift der libysche Nachrichtendienst auf ein Netz von In formanten und Zuträgern innerhalb der libyschen Gemeinde zurück. BERICHT 2005 280 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N V. Fernöstliche Nachrichtendienste Von den fernöstlichen Nachrichtendiensten gehen insbesondere von den Diensten der Volksrepublik China und der Demokratischen Volksrepublik Korea (Nordkorea) Aktivitäten aus, die deutsche Si cherheitsinteressen berühren. 1. Chinesische Nachrichtendienste Die wachsende geostrategische Bedeutung der Volksrepublik China ist offensichtlich. In diesem Wachstumsprozess spielen die chinesi schen Nachrichtendienste eine bedeutende Rolle. Sie betreiben welt weit intensive Aufklärung in allen Spionagebereichen. Die nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung obliegt in er ster Linie dem Ministerium für Staatssicherheit (MSS) 203 und dem mi litärischen Nachrichtendienst (MID) 204 , der im Generalstab der Volksbefreiungsarmee angesiedelt ist. Ausspähungsziele Das MSS als ziviler Inlandsund Auslandsnachrichtendienst über wacht gesellschaftliche Organisationen und beobachtet Regimekri tiker im Inund Ausland. Ziel ist die Informationsgewinnung über die "fünf Gifte" (Angehörige der Demokratiebewegung, nach Auto nomie strebende moslemische Uiguren sowie Tibeter, die Kulturbe wegung Falun Gong und alle im Zusammenhang mit dem - nach chi nesischer Auffassung - separatistischen Taiwan bestehenden Organisationen und Personen), die eine Gefahr für das Regime sein könnten. Im Rahmen der Auslandsaufklärung beschafft das MSS weltweit In formationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie aus Randbereichen des Militärwesens. Der MID beschafft als weltweit operierender Aufklärungsdienst primär Informationen, die für die Modernisierung der chinesischen Militärund Rüstungstechnik dringend benötigt werden. Daneben beschafft der MID auch alle Informationen, die für die chinesische Verteidigungsund Bündnispolitik von Bedeutung sind. Auslands Die diplomatischen Vertretungen der Volksrepublik China und die vertretungen Agenturen chinesischer Medien in Deutschland bieten den chinesi schen Nachrichtendiensten gute Möglichkeiten für den verdeckten Einsatz von Führungsoffizieren. Die als Diplomaten oder akkredi tierte Journalisten getarnten Nachrichtendienstangehörigen wer den von ihren Kontaktpersonen im Gastland kaum als Angehörige ei 203 MSS = Ministry for State Security. 204 MID = Military Intelligence Department. SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 281 nes Nachrichtendienstes wahrgenommen und können so ihr Inter esse an sensiblen Informationen unauffällig mit ihrer offiziellen Funktion begründen. Zur Informationsgewinnung suchen und halten sie gezielt Kontakte zu wichtigen Informationsträgern in Verbänden, wissenschaftlichen Instituten und anderen Einrichtungen. Sie besuchen Messen, Fach veranstaltungen oder andere gesellschaftliche Veranstaltungen und nehmen dort Kontakt zu interessanten Personen auf. Durch wieder holte Einladungen wird der Kontakt ausgebaut und durch kleine Ge fälligkeiten gefestigt. Es entsteht eine aus dem Gedanken der Freundschaft heraus verpflichtende Beziehung. Bei diesen oft über Jahre hinweg gepflegten Kontakten lassen die verdeckt arbeitenden Nachrichtendienstangehörigen ihre Gesprächspartner über ihre wahren Absichten im Unklaren. Die chinesischen Nachrichtendienste gehen nach entsprechender Überprüfung auch auf Selbstanbieter mit guten Zugängen ein. Ein Angehöriger des Militärattachestabes einer chinesischen Auslands vertretung traf sich mit einem deutschen Staatsbürger, der gewinn bringend Forschungsberichte über militärische Entwicklungen sei nes früheren Arbeitgebers veräußern wollte. Eine Materialübergabe konnte durch gemeinsame Maßnahmen des Bundesamtes für Ver fassungsschutz und der Strafverfolgungsbehörden verhindert wer den. Der deutsche Staatsbürger wurde zwischenzeitlich wegen ge heimdienstlicher Agententätigkeit für den MID zu einer Haftstrafe von acht Monaten, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung, rechts kräftig verurteilt. Der Angehörige des Militärattachestabes hat unmittelbar nach öf fentlichem Bekannt werden des Falles Deutschland verlassen. Die Volksrepublik China zieht aus ihrer Öffnung nach Westen einen Westliches großen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Know-how Nutzen. Das Land unternimmt große Anstrengungen, westliches Know-how aus allen wesentlichen Bereichen zu erlangen, um zu den technologisch hoch entwickelten Staaten des Westens aufzu schließen. Ein entsprechendes Beschaffungsprogramm setzt sich aus einer le galen (z. B. Kooperationen zwischen deutschen und chinesischen Hochschulen, Forschungsinstituten und Firmen) und einer illegalen Komponente zusammen. Zur Umsetzung des Programms werden zunächst die weltweit führenden industriellen Entwicklungsprojekte/IndustrieproduktioBERICHT 2005 282 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N nen in allen relevanten Bereichen identifiziert. Dabei spielen die di plomatischen Vertretungen Chinas eine große Rolle. Anschließend erfolgt eine Kontaktaufnahme/Annäherung an die in interessanten Zielbereichen (z. B. Forschungseinrichtungen, Unternehmen der Hochtechnologie) tätigen Chinesen. Ziel ist die Aneignung des Know-hows auf allen legalen und illegalen Wegen. Deutschland als eines der führenden westlichen Industrieländer mit seiner exportorientierten Produktion steht dabei im besonderen In teresse der chinesischen Nachrichtendienste. Die in Deutschland le benden und arbeitenden oder zeitweilig aufhältigen chinesischen Wissenschaftler, postgraduierten Studenten und Akademiker wer den seitens der diplomatischen Vertretungen oder anderer staatli cher Stellen aufgefordert, ihr Wissen zum Nutzen der Heimat auch il legal, also ohne Zustimmung ihrer Beschäftigungsstelle, weiterzugeben. Ebenso werden die zahlreichen Besuche chinesi scher Delegationen bei deutschen Firmen und Instituten zur Infor mationsgewinnung genutzt. Besondere Anstrengungen gelten der Modernisierung der chinesischen Streitkräfte. 2. Nordkoreanische Nachrichtendienste Nachrichtendienste Die nordkoreanischen Nachrichtenund Sicherheitsdienste beste hen aus der Partei-Aufklärung, dem militärischen Nachrichtendienst und dem "Ministerium für Staatssicherheit" (MfSS) 205 . Alle Dienste sind dem Staatsund Parteichef Kim Jong Il unterstellt. Das MfSS betreibt zur politischen Aufklärung sowohl Inlandsals auch Auslandsaufklärung. Es ist in seiner Funktion mit dem ehemali gen sowjetischen KGB vergleichbar. Die Partei-Aufklärung befasst sich überwiegend mit Aufklärungs und Propaganda-Operationen gegen Südkorea. Ihre "Abteilung Ein heitsfront" ist für die ideologische Beeinflussung der südkoreani schen Opposition zuständig. Legalresidenturen Zur Aufgabenerfüllung unterhalten die nordkoreanischen Nachrich tenund Sicherheitsdienste legale Residenturen an der Nordkoreani schen Botschaft in Berlin. Die dortige "Abteilung Einheitsfront" be treut südkoreanische Dissidentengruppierungen in Deutschland, die das kommunistische Regime Nordkoreas unterstützen. Der Si cherheitsoffizier des MfSS ist u. a. Ansprechpartner für alle Nordkore aner während ihres Aufenthalts in Deutschland (einschließlich der Gastwissenschaftler und Studenten). 205 MfSS = Ministry for State Security. SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 283 Im Februar 2005 gab die nordkoreanische Führung das erste Mal offi ziell den Besitz von Atomwaffen bekannt. Nach eigenen Angaben bleibt Nordkorea auch weiterhin bemüht, sowohl sensitive Güter als auch das nötige Know-how zum Ausbau seines ABC-Waffen-Pro gramms 206 zu beschaffen. Die an der Botschaft akkreditierten Nachrichtendienstmitarbeiter repräsentieren in der Bundesrepublik Deutschland auch Beschaf fungsorganisationen des zweiten Wirtschaftskomitees (Beschaffung für Atomindustrie) und der Volksstreitkräfte (Beschaffung für Streit kräfte). Für diese Einrichtungen versuchen sie, sensitive Güter zu be schaffen, die Verwendung im nordkoreanischen Atomprogramm fin-den sollen. Auf Grund der deutschen Ausfuhrbestimmungen und Kon-trollmaßnahmen sind die Botschaftsmitarbeiter vermehrt bemüht, die Güter über Drittländer (z. B. China, Singapur) zu expor tieren. Nordko-reanische Tarnfirmen in diesen Ländern werden da bei als angebliche Endverbraucher angegeben. VI. Proliferation Unter Proliferation wird die Weiterverbreitung von atomaren, biolo Definition gischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen sowie von ent sprechenden Trägermitteln bzw. der zu ihrer Herstellung verwende ten Produkte, einschließlich des dazu erforderlichen Know-how, verstanden. Bei proliferationsrelevanten Ländern ist zu befürchten, dass von dort aus Massenvernichtungswaffen in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oder ihr Einsatz zur Durchsetzung politi scher Ziele angedroht wird. Von besonderer Relevanz sind derzeit Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien. Das Problem der Weiterverbreitung von atomaren, biologischen Allgemeine Lage oder chemischen Waffen und der Raketensysteme zur Ausbringung dieser Massenvernichtungswaffen erfordert weiterhin die größte Aufmerksamkeit der internationalen Staatengemeinschaft. Im Vor dergrund stehen weiterhin die Fragen, ob bzw. in welchem Umfang in den Ländern Iran und Nordkorea ein Atomwaffenprogramm be trieben wird und inwieweit nichtstaatliche Akteure Massenvernich tungswaffen erlangen und einsetzen können. Für die Entwicklung, Herstellung und Weiterentwicklung von Mas senvernichtungswaffen oder Trägersystemen ist entsprechendes Know-how sowie eine umfangreiche technische Ausrüstung (z. B. Maschinen, Vorprodukte, Ersatzteile) erforderlich. Bis heute sind proliferationsrelevante Länder darauf angewiesen, weiterhin tech nologisches Wissen oder bestimmte Produkte und Schlüsseltechno BERICHT 206 ABC-Waffen = Atomare, biologische und chemische Waffen. 2005 284 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N logien auf dem Weltmarkt einzukaufen. Entsprechende Beschaf fungsaktivitäten auch in den westlichen Industriestaaten sind die Folge. Um diesen Aktivitäten entgegentreten zu können, haben insbeson dere die Staaten der Europäischen Union und des nordamerikani schen Kontinents schon seit geraumer Zeit ihre Exportgesetze sowie Exportkontrollmaßnahmen verstärkt und den internationalen Erfor dernissen angepasst. Beschaffungs Einzelne proliferationsrelevante Länder sind bereits in der Lage, zu bedarf mindest in wissenschaftlichen und technologischen Teilbereichen ihren Beschaffungsbedarf aus eigener Kraft zu decken. Zum Teil sind sie sogar imstande, Know-how, Einzelteile oder vollständige Systeme (z. B. Raketen) auf dem Weltmarkt anzubieten. Auf diese Weise kön nen sich kritische Länder beim Aufbau eines Massenvernichtungs waf-fenprogramms gegenseitig unterstützen. Methoden Zur Deckung ihres Beschaffungsbedarfs auf dem Weltmarkt wenden proliferationsrelevante Länder auch konspirative Methoden an oder schalten bei Bedarf ihre Nachrichtendienste ein. Sie beauftragen bei spielsweise Tarnfirmen mit der Beschaffung eines relevanten Pro dukts, nehmen konspirativ arbeitende Beschaffungsnetze in An spruch oder gründen unscheinbar wirkende Firmen im eigenen Land oder in Drittländern. Dadurch sollen proliferationsrelevante Einkäufe und deren Endverwendung in einem Waffenprogramm ge genüber dem Verkäufer und den Exportkontrollbehörden verschlei ert werden. Sensibilisierung Die Verfassungsschutzbehörden informieren in Sensibilisierungsge sprächen wissenschaftliche Einrichtungen oder Firmen über die Pro liferationsproblematik und klären über mögliche Risiken (z. B. Repu tationsverlust, wirtschaftliche Einbußen) auf, die sich im Rahmen von Kontakten mit Personen oder Einrichtungen aus kritischen Län dern ergeben können. Im Bereich der Proliferationsabwehr arbeiten das Bundesamt für Verfassungsschutz, das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon trolle, das Zollkriminalamt, das Bundeskriminalamt und der Bundes nachrichtendienst eng zusammen. Zur Unterstützung der Öffentlichkeitsarbeit haben die Behörden für Verfassungsschutz des Bundes und der Länder die Broschüre "Proli feration - das geht uns an!" herausgegeben, die auch im Internet ab rufbar ist (www.verfassungsschutz.de). SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N 285 VII. Gefährdung durch Wirtschaftsspionage Vor dem Hintergrund ökonomischer und politischer Umbrüche in Verbindung mit einem harten globalisierten Wettbewerb ist die The matik der Wirtschaftsspionage 207 von hoher Bedeutung. Verschie dene Indikatoren lassen vermuten, dass fremde Nachrichtendienste auch deutsche Wirtschaftsunternehmen angreifen, um sie auszufor schen. Insbesondere die zunehmende Zahl von Angriffen über das Internet, aber auch deren Art und Umfang, deuten darauf hin, dass sich fremde Nachrichtendienste dieser Methode der Informationsge winnung bedienen. Eine zunehmende Bedeutung haben internetgebundene Angriffe Gefahr durch durch Schadsoftware (z. B. mittels Viren und Trojanern) auf Netz Schadsoftware werke und Computersysteme deutscher Wirtschaftsunternehmen. Grundsätzlich unterliegt jedes Netzsystem einer Gefährdung durch Virenoder Trojanerattacken. Diese Formen von Schadsoftware sind nach der unbemerkten Installation in der Lage, alle Arten von LoginDaten, Netzwerkinformationen, Datenmaterial und Dokumenten zu entwenden, Dateien zu verändern oder andere Netzwerkcomputer zu manipulieren oder zu kapern. Bei gezielten Angriffen über das In ternet spielen auch Personen eine Rolle, die bereits in auszuforschen den Wirtschaftsunternehmen als so genannte Innentäter aktiv sind. Das BfV geht davon aus, dass eine Anzahl potenter Staaten internet gebundene Ausforschung bzw. Aufklärung betreibt. Im Ausland, insbesondere in den USA, wurden vermehrt IT-Angriffe auf nationale Netzwerke und -strukturen festgestellt. Diese Angriffe ließen sich überwiegend zu chinesischen Servern zurückverfolgen. Die Vielzahl der koordinierten Angriffe und die Qualität der genutz ten Technik lassen auf eine Beteiligung staatlicher Dienste schließen bzw. setzen zumindest eine Duldung staatlicher Stellen voraus. Die Verfassungsschutzbehörden gehen davon aus, dass ähnliche Attacken auch in Deutschland stattfinden. In einem konkreten Fall wurden durch einen gezielten Angriff tech nologisches Know-how und Geschäftsbzw. Betriebsinterna eines Unternehmens ausgespäht. Für diesen technischen Angriff auf das Firmennetzwerk war durch den Angreifer zusätzliche Hardware - wahrscheinlich durch einen "Innentäter" - verdeckt im Unterneh men installiert worden. Die Installation von Schadsoftware muss nicht zwangsläufig über ei nen Internet-Datenzugang erfolgen. Auch durch das Öffnen einer BERICHT 2005 207 Wirtschaftsspionage = Staatlich gelenkte oder gestützte, von Nachrichtendiensten fremder Staaten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben. 286 SPIONAGE UND SONSTIGE NACHRICHTENDIENSTLICHE A K T I V I T ÄT E N z. B. für Werbezwecke versandten CD kann unbemerkt Schadsoft ware installiert werden. Sensibilisierung Das BfV und die Landesbehörden für Verfassungsschutz sensibilisie ren und beraten Firmen hinsichtlich der Gefahren im Bereich der Wirtschaftsspionage, um damit zum Wirtschaftsschutz beizutragen. Die Beratung soll die Firmen in die Lage versetzen, sich vor Angriffen fremder Nachrichtendienste zu schützen. Sie trägt aber auch zur Vorbeugung gegen Konkurrenzausspähung bei. Erkannte Methoden werden analysiert und fließen in Schutzkonzepte für die deutsche Wirtschaft ein. VIII. Festnahmen und Verurteilungen Im Jahr 2005 wurden durch den Generalbundesanwalt 29 Ermitt lungsverfahren wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agen tentätigkeit bzw. wegen Landesverrats eingeleitet. Gegen vier Perso nen wurde Haftbefehl erlassen. Im gleichen Zeitraum wurde ein Angeklagter wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 StGB) verurteilt. VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 288 G E H E I M S C H U T Z , S A B O TA G E S C H U T Z Geheimschutz, Sabotageschutz Aufgaben des Der Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unver Geheimschutzes zichtbar. Er sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Be kannt werden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Si cherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Verschlusssache Unabhängig von ihrer Darstellungsform sind Tatsachen, Gegen stände oder Erkenntnisse, die geheim zu halten sind, Verschlusssa chen (VS) und mit einem Geheimhaltungsgrad STRENG GEHEIM, GE HEIM, VS-VERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeichnen. Materieller Der materielle Geheimschutz schafft die orga Geheimschutz nisatorischen und technischen Vorkehrungen zum Schutz von VS. Diese Aufgabe wird in er ster Linie vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wahrgenommen. Die Mitwirkung des BfV auf diesem Gebiet folgt aus SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 Bundesverfas sungsschutzgesetz (BVerfSchG) und bezieht sich auf die Mitteilung nachrichtendienstli cher Erkenntnisse, die für den materiellen Schutz von VS bedeutsam sein können. Personeller Zentrale Aufgabe ist der Schutz von Verschluss Geheimschutz sachen. Das hierzu genutzte Instrument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit be traut werden sollen. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) geregelt. Die Mitwirkung des BfV beruht auf SS 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BVerfSchG in Verbindung mit SS 3 Abs. 2 SÜG. Zuständigkeit Die Zuweisung des personellen Geheimschutzes als "Mitwirkungs aufgabe" bedeutet, dass das BfV keine originäre Zuständigkeit be sitzt, sondern die Verantwortung für die Sicherheitsmaßnahmen bei den zuständigen Stellen liegt. Im öffentlichen Bereich des Bundes ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. Nicht nur in öffentlichen Institutionen, sondern z. B. auch in Wirt schaftsunternehmen wird mit staatlichen VS umgegangen, deren Schutz gewährleistet werden muss. Hier nimmt das Bundesministe rium für Wirtschaft und Technologie die Verantwortung wahr. G E H E I M S C H U T Z , S A B O TA G E S C H U T Z 289 Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde als eine Reak Personeller tion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 mit dem Terro Sabotageschutz rismusbekämpfungsgesetz vom 9. Januar 2002 in das SÜG einge führt. Das im personellen Geheimschutz bewährte Instrument der Sicher Sicherheits heitsüberprüfung soll verhindern, dass Personen mit Sicherheitsrisi überprüfung ken an Schlüsselpositionen in sensiblen Bereichen beschäftigt wer den. Überprüft werden Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrich tungen beschäftigt sind oder werden sollen. Einrichtungen sind lebenswichtig, wenn deren Beeinträchtigung auf Lebenswichtige Grund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Ge Einrichtungen sundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich ge fährden kann. Die betriebliche Eigengefahr bezeichnet die Gefahr, die vom Arbeitsprozess oder von den genutzten Produktionsoder Arbeitsmitteln ausgeht (z. B. Brand-, Explosionsoder Verseuchungs gefahr). Lebenswichtig sind außerdem solche Einrichtungen, die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Be einträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ent stehen lassen würde. Dazu gehört z. B. die Versorgung der Bevölke rung mit Postund Telekommunikationsdienstleistungen. In den vorbeugenden personellen Sabotageschutz werden auch ver Verteidigungs teidigungswichtige Einrichtungen außerhalb des Geschäftsbereichs wichtige des Bundesministeriums der Verteidigung einbezogen. Dies sind Ein Einrichtungen richtungen, die der Herstellung oder dem Erhalt der Verteidigungs bereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung die Funktionsfähig keit der Bundeswehr, verbündeter Streitkräfte sowie der Zivilen Verteidigung erheblich gefährden kann. Zu ihnen zählen auch Schlüsselbetriebe der Rüstungs -und Ausrüstungsindustrie sowie zentrale Verkehrsund Fernmeldeeinrichtungen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist der Anwendungsbereich Sicherheits des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes auf sicherheits empfindliche empfindliche Stellen innerhalb der lebens bzw. verteidigungswichti Stellen gen Einrichtungen beschränkt. Damit sind die kleinsten selbständig handelnden Organisationseinheiten gemeint, die vor unberechtig tem Zugang geschützt sind. Nur diejenigen, die dort beschäftigt sind, werden sicherheitsüberprüft. Für den Sabotageschutz ist die Überprüfungsform vorgeschrieben, die den Betroffenen möglichst wenig belastet (so genannte einfache Sicherheitsüberprüfung). BERICHT 2005 290 G E H E I M S C H U T Z , S A B O TA G E S C H U T Z Rechtsverordnung, In der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung vom Leitfaden 30.07.2003 (BGBl. I S. 1553) werden die lebensund verteidigungs wichtigen Einrichtungen verbindlich genannt. Die Verordnung wurde durch die Änderungsverordnung vom 17. Oktober 2005 (BGBl. I S. 2984) unter anderem um den Sektor der Elektrizitätswirtschaft er weitert. Das Bundesministerium des Innern hat gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, dem Bundesmi nisterium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und dem Bundes ministerium der Verteidigung einen Leitfaden für den personellen Sabotageschutz in der Wirtschaft verfasst. Er kann im Internet unter www.bmwa-sicherheitsforum.de abgerufen werden. Zustimmung Hervorzuheben ist, dass eine Sicherheitsüberprüfung nur mit aus drücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen erfolgen darf. VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 292 S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) "Scientology-Organisation" (SO) gegründet: 1954 in den USA, erste Niederlassung in Deutschland 1970 Sitz: Los Angeles ("Church of Scientology International", CSI) Mitglieder: in Deutschland geschätzt: ca. 5.000 bis 6.000 (2004: ca. 5.000 bis 6.000) *) Publikationen: u. a. "FREIHEIT", "IMPACT", "SOURCE", "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", "ADVANCE!", "THE AUDITOR" Teilorganisationen: in Deutschland zehn "Kirchen", (Auswahl) darunter zwei "Celebrity Centres", und 14 "Missionen" *) Nach Eigenangaben der SO beträgt die Zahl der Mitglieder 12.000 1. Vorbemerkung Die Feststellung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -se natoren der Länder (IMK) vom 5./6. Juni 1997, dass hinsichtlich der SO tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen und deshalb die gesetzli chen Voraussetzungen für eine Beobachtung durch die Verfassungs schutzbehörden gegeben sind, gilt unverändert fort. Sie wird durch aktuelle Aktivitäten und Publikationen der SO bestätigt. 2. Grundlagen Der Organisationsgründer L. Ron Hubbard (1911 - 1986) veröffent lichte 1950 in den USA das für die SO grundlegende Buch "Dianetik Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit". 208 Nach Selbstdarstellung der SO im Internet soll Hubbard mit der dort vorge stellten "wissenschaftlichen Methode" der Dianetik "die Probleme des menschlichen Verstandes gelöst" haben. Erst seit 1954, mit der Gründung der ersten "Scientology Kirche" in Los Angeles, versuchen die Scientologen, ihre Lehre in der Öffentlichkeit als "angewandte re ligiöse Philosophie" oder als "eine Religion des zwanzigsten Jahrhun derts" 209 darzustellen. Diese Entwicklung und zahlreiche Äußerun 208 Titel der amerikanischen Originalausgabe: "Dianetics: The Modern Science of Mental Health". 209 Internetseite der SO, Stand 17. Oktober 2005. S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) 293 gen von Hubbard zur angeblich wissenschaftlichen Natur von Scien tology lassen die Selbstcharakterisierung der SO als Religionsge meinschaft jedoch zweifelhaft erscheinen. Die auf den Vorstellungen der "Dianetik" aufbauende Lehre der Scientology geht davon aus, dass die "Person" bzw. die "Identität" des Menschen zum Beispiel nicht sein Körper oder Name, sondern der "Thetan" sei; er habe "keine Masse, keine Wellenlänge also nichts Ge genständliches". 210 Er sei im Idealzustand als "Operierender Thetan" "völlig Ursache über Materie, Energie, Raum, Zeit und Denken" und "nicht in einem Körper". 211 Um diesen Zustand zu erreichen, ist Ziel der Scientology zunächst der "Clear", d. h. der Mensch, der "als Ergebnis der dianetischen The rapie weder aktiv noch potenziell vorhandene psychosomatische Krankheiten oder Aberrationen hat". 212 Letzteres bedeutet für Scien tologen "eine Abweichung vom rationalen Denken oder Verhalten". 213 Abweichungen von der Rationalität können auf so genannte En gramme zurückgehen. Unter einem "Engramm" verstehen Sciento logen "ein geistiges Vorstellungsbild, welches eine Aufzeichnung ei ner Zeit von physischem Schmerz und Bewußtlosigkeit ist". 214 Mit Hilfe des so genannten Auditings 215 können diese "Engramme" ent deckt und ihre Auswirkungen eliminiert werden. Bei diesem Verfahren soll der Auditor ("jemand der zuhört"; ein so bezeichneter Scientologe) 216 dem so genannten Preclear ("jemand, der noch nicht Clear ist") 217 durch eine festgelegte Abfolge von Fra gen oder Anweisungen helfen, Bereiche von Kummer oder Schmerz aufzuspüren. 218 Als Hilfsmittel steht dabei dem Auditor das so ge nannte E-Meter zur Verfügung. Dieses Gerät soll "den Körperwider stand und dessen Schwankungen aufgrund seelischer Interaktion" gegen einen elektrischen Strom messen, wenn der Teilnehmer am Auditing die beiden Elektroden des Geräts in der Hand hält und vom Auditor befragt wird. 219 Die durch den Stromfluss verursachten Aus 210 Vgl. zum Begriff "Thetan": HUBBARD, Fachwortsammlung für Dianetics und Scientology, 4. Auflage, Kopenhagen 1985 (zitiert: HUBBARD, Fachwortsammlung) S. 98; HUBBARD, Scien tology - Die Grundlagen des Denkens, 2. Auflage, Kopenhagen 1973, S. 37. 211 Vgl. zum Begriff "Operierender Thetan": HUBBARD, Fachwortsammlung, S. 67. 212 Vgl. zum Begriff "Clear": HUBBARD, Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Ge sundheit, 8. Auflage, Kopenhagen 1990 (zitiert: HUBBARD, Dianetik), S. 215 ff. 213 Vgl. zum Begriff "Aberration": HUBBARD, Fachwortsammlung, S. 1. 214 Vgl. zum Begriff "Engramm": HUBBARD, Fachwortsammlung, S. 27. 215 Vgl. zum Begriff "Auditing": HUBBARD, Das Scientology-Handbuch, Kopenhagen 1994, S. XX. 216 Vgl. zum Begriff "Auditor": Was ist Scientology?, Kopenhagen 1998, S. 164 ff. 217 Vgl. zum Begriff "Preclear": Was ist Scientology?, a.a.O., S. 164. 218 Vgl. zum Ablauf des "Auditing": Was ist Scientology?, a.a.O., S. 164 f. BERICHT 219 Vgl. zum Begriff "E-Meter": Was ist Scientology?, a.a.O., S. 165 ff. 2005 294 S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) schläge der Nadel des E-Meters sollen dem Auditor anzeigen, ob der richtige Bereich von Kummer und Schmerz von ihm angesprochen wurde. 220 Über das "Auditing" hinaus bietet die Organisation in Deutschland noch eine Reihe weiterer Kurse an; diese geben überwiegend Anwei sungen für eine aus scientologischer Sicht erfolgreiche Lebens führung. Die Veranstaltungen und entsprechende Publikationen werden nach Art eines gewinnorientierten Unternehmens gegen Entgelt angeboten. Die Gewinnerzielung ist eine Hauptaufgabe und -tätigkeit der "Kirchen" oder "Missionen" in Deutschland. 221 3. Zielsetzung Klage der SO gegen Die "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD) und die "Sciento die Beobachtung logy Kirche Berlin e. V." (SKB) hatten 2003 Klage beim Verwaltungs durch das BfV gericht (VG) Köln gegen die nachrichtendienstliche Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) erhoben. Die Klä ger begründeten ihre Anträge im Wesentlichen damit, dass sie als Glieder einer angeblich weltweit anerkannten Religionsgemein schaft keine politischen Ziele verfolgten. Mit Urteil vom 11. November 2004 hatte das VG Köln die Klage gegen das BfV in vollem Umfang abgewiesen. 222 Die SO hat im Januar 2005 gegen diese Entscheidung Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster eingelegt, über die bislang noch nicht entschieden wurde. Tatsächliche Das VG Köln hat die Beobachtung der SKD und der SKB durch das BfV Anhaltspunkte sowohl anhand offen zugänglicher Quellen als auch mit nachrich für verfassungs tendienstlichen Mitteln für rechtmäßig erklärt. Nach Ansicht des Ge feindliche Bestrebungen richts liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die Kläger Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgen. Aus einer Vielzahl, teilweise auch nicht öffentlich zugäng licher Quellen ergebe sich, dass wesentliche Grundund Menschen rechte, wie die Menschenwürde, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und das Recht auf Gleichbehandlung, außer Kraft ge setzt oder eingeschränkt werden sollten. Zudem strebe Scientology eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an. Die Beob achtung der Kläger durch das BfV sei daher auch erforderlich sowie angemessen und damit insgesamt verhältnismäßig. 220 Vgl. Was ist Scientology?, a.a.O., S. 164 ff. 221 Auf die Gefahren, die der Besuch der kostenintensiven Kurse oder die Anwendung sciento logischer Methoden für den Einzelnen darstellen können, wird unter anderem in der im Auftrag des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend durch das Bun desverwaltungsamt herausgegebenen Broschüre "Die Scientology Organisation - Gefahren, Ziele und Praktiken" (Stand: November 1998) hingewiesen. 222 VG Köln, Urteil vom 11. November 2004, Az.: 20 K 1882/03 (http://www.justiz.nrw.de). S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) 295 In einem anderen Gerichtsverfahren hat das Oberverwaltungsge Urteil des richt (OVG) des Saarlandes am 27. April 2005 entschieden, dass das Oberverwaltungs Landesamt für Verfassungsschutz Saarland den Einsatz nachrichten gerichts des Saarlandes dienstlicher Mittel bei der Beobachtung der SO einzustellen habe. Das Gericht hält deren Einsatz nach saarländischem Landesrecht u. a. deshalb für nicht mehr verhältnismäßig, weil es in diesem Bundes land aktuell keine Niederlassungen der SO und nur wenige Einzel mitglieder gibt. Das Urteil kann - auch nach den ausdrücklichen Feststellungen des Gerichts - nicht auf die Beobachtungstätigkeit des BfV übertragen werden. 223 In beiden Urteilen wird ausgeführt, dass der Frage, ob die SO als Reli gionsgemeinschaft zu qualifizieren ist, hinsichtlich der Zulässigkeit einer Beobachtung der Organisation durch den Verfassungsschutz keine entscheidende Bedeutung zukommt. Denn nach dieser Recht sprechung ist es nicht ausgeschlossen, eine evtl. religiös motivierte Verhaltensweise zugleich als politisch zu bewerten. Die SO wirkt - wie im Urteil des VG Köln festgestellt - nach wie vor Unveränderliche mit verfassungsfeindlicher Zielrichtung auf die politische Willensbil Gültigkeit der dung ihrer Mitglieder ein. Sie veröffentlicht wiederkehrend 224 und Schriften Hubbards ohne inhaltliche Einschränkung die für die Organisation verbindli chen Schriften ihres Gründers Hubbard. Zu deren unabänderlicher Geltung heißt es in der Satzung der SKD: "Die Scientology-Kirche soll die Scientology-Religion vorstellen, be kannt machen, verbreiten, ausüben, sowie ihre Reinheit und Unver sehrtheit erhalten und bewahren, mit dem Ziel, dass jede Person ... den von L. Ron Hubbard aufgezeigten Weg der Erlösung gehen kann, so wie er es in seinen Schriften und anderen aufgezeichneten Werken bezüglich der Scientology-Religion oder Scientology-Kirchen - allge mein als 'die Schriften' bezeichnet - beschrieben hat". 225 Auf ihrer Internetseite bestätigt die Organisation, dass sie die "Schrif ten und aufgezeichneten, gesprochenen Worte L. Ron Hubbards zu 223 OVG des Saarlandes, Urteil vom 27. April 2005, Az.: 2 R 14/03. 224 Vgl. "Ursprung - Das Magazin der Scientology Kirche Bayern e. V.", Ausgabe 312, 2005. 225 SS 2 Nr. 3 der Satzung der SKD vom 21. März 2002 (AG München, VR 6322). Vgl. auch SS 5 Nr. 3 der Satzung und den Mitgliedsantrag der "International Association of Scientologists" (IAS), Copyright 2005; dort bezeichnet die IAS es als ihren Organisationszweck, "die ScientologyReligion und Scientologen in allen Teilen der Welt zu vereinigen, zu fördern, zu unterstüt zen und zu schützen, damit die Ziele der Scientology, wie L. Ron Hubbard sie aufgestellt hat, erreicht werden". Antragsteller müssen im Mitgliedsantrag "geloben", sich "im Rahmen der für alle geltenden Gesetze an die Regeln, Kodizes und Richtlinien von Scientology zu halten". BERICHT 2005 296 S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) dem Thema Scientology" nach wie vor als "heilige Schriften" be trachtet. 226 Diese Schriften enthalten Passagen, in denen die Demokratie verun glimpft wird und nach denen Prinzipien der freiheitlichen demokra tischen Grundordnung zugunsten des Aufbaus einer "neuen OT-Zivi lisation" 227 abgeschafft werden sollen. Eingeschränkte Hubbard hat die von ihm angestrebte neue scientologische ZivilisaGeltung der tion u. a. als Rechtsordnung beschrieben, in der die Existenz des EinGrundrechte und zelnen vom willkürlichen Ermessen der SO abhängt. Grundrechte keine Gleichheit stehen demzufolge nur den Personen zu, die aus Sicht der Organisa vor dem Gesetz tion erst nach einer Auslese im "Auditing"-Verfahren zu den "Ehrli chen" gehören: "Wenn wir jetzt noch andere stark dahingehend beeinflussen, ehrlich zu werden, indem sie sich bezüglich ihrer Overts und Withholds (Anm.: d. h. ihrer Sünden) auditieren lassen ..." (Hubbard: "Sciento logy can have a group win", zitiert nach: Berufungsbegründung der SO vom 10. Mai 2005, S. 134) "um ... Hilfe zu erhalten, muß man seinem Auditor gegenüber ehrlich sein ... Dies ist der Weg zur geistigen Gesundheit ... und wirklicher Freiheit ... Jemandes Recht auf Überleben ist direkt mit seiner Ehrlichkeit ver knüpft ..." (Hubbard, "Einführung in die Ethik der Scientology", Kopenhagen 1998, S. 36 f.; 46) "Freiheit ist für ehrliche Menschen da. Individuelle Bürgerrechte exi stieren nur für die, die die Fähigkeit besitzen, frei zu sein." ("Persönliche Werte und Integrität - Gegründet auf die Werke von L. Ron Hubbard", Kopenhagen 1991, S. 208) Das VG Köln stellt in seinem Urteil 228 fest, dass aus SO-Sicht nur Scientologen "ehrliche" Menschen sein können und - nach der Auf fassung Hubbards - nur diesen in einer scientologischen Gesellschaft staatsbürgerliche Rechte zustehen sollten. Das Fernziel dieser scientologischen Zweiklassengesellschaft klingt bereits in den von Hubbard formulierten und nach wie vor gültigen "Zielen der Scientology" an: 226 Internetseite der SO, Stand: 19. Oktober 2005. 227 Vgl. zum Begriff "neue OT-Zivilisation": Freewinds, Ausgabe 57, 2005, S. 16. 228 Siehe Fn. 222. S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) 297 "Eine Zivilisation ohne Wahnsinn, ohne Verbrecher und ohne Krieg, in der tüchtige Leute erfolgreich sein und ehrliche Wesen Rechte ha ben können ..." (Neujahrskarte der "International Association of Scientologists", die zum Jahreswechsel 2004/2005 in Deutschland verbreitet wurde) Die Organisation versucht sich nach außen als unpolitische und de Langfristige mokratiekonforme Religionsgemeinschaft darzustellen. Sie nimmt Veränderungen des politischen Systems zwar nicht offen am Prozess der politischen Willensbildung teil. Aus durch "Expansion" den auch für die aktuellen Aktivitäten der SO maßgeblichen Schrif der SO ten ihres Gründers ergibt sich jedoch, dass die politischen Fernziele durch eine langfristig ausgerichtete Expansionsstrategie, durch Er höhung der Einnahmen der Organisation sowie durch die erfolgrei che Bekämpfung ihrer Kritiker erreicht werden sollen. Es ist ein durchgängiges Merkmal der SO, dass sie alle Kritiker und Diffamierung von Gegner ihrer Ideologie als kriminell und krank diffamiert. Diese Agi Kritikern und tation stellt einen weiteren tatsächlichen Anhaltspunkt für gegen Psychiatern die Menschenwürde gerichtete Bestrebungen dieser Organisation dar. Besonders deutsche Politiker und Privatpersonen, die vor den Gefah ren der SO warnen, werden pauschal diskreditiert. So wird der Präsi dent der "Scientology Kirche International", Heber JENTZSCH, mit Ausführungen zur "Schaffung einer sicheren Umgebung für Orgs 229 in Europa" in Bezug auf "Deutschland" wie folgt zitiert: "Wie es auch anderswo der Fall ist, haben Persönlichkeiten des öffent lichen Lebens in Deutschland, die Scientology angreifen, keine 'saube ren Hände'. Von ihnen kann einheitlich festgestellt werden, dass sie auch sonst jeden unterdrücken." ("IMPACT", Ausgabe 111, 2005, S. 15) Aktuell versucht die SO besonders über den Kurs "Wie man Unter Indoktrination über drückung konfrontiert und zerschlägt" ("PTS/SP-Kurs") ihre Mitglie den "PTS/SP-Kurs" der entsprechend zu indoktrinieren. Dieser Lehrgang bildet einen besonderen Schwerpunkt im Kursangebot der deutschen SO-Nieder lassungen und wird für Mitglieder zu einem "Vorzugspreis" von 1.186 Euro angeboten. 230 In den Schulungsunterlagen heißt es zu Kritikern der Organisation u. a.: 229 "Orgs" (Organisationen) ist eine SO-interne Kurzbezeichnung für örtliche "Kirchen" bzw. größere SO-Niederlassungen. BERICHT 230 Vgl. "Neue Zivilisation - Magazin der Scientology Kirche Hamburg e. V.", Ausgabe 184, 2005. 2005 298 S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) "Wir finden keine Kritiker der Scientology, die keine kriminelle Ver gangenheit haben. ... Diejenigen, die sich uns entgegenstellen, haben Verbrechen zu verber gen. ... Sprechen Sie mit dem Kritiker niemals über die Scientology. Sprechen Sie nur über seine Verbrechen ..." ("Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt - PTS/SPKurs", Kopenhagen 2001, S. 78 f.) Besonders aggressiv hetzt die SO gegen die Berufsgruppe der Psychiater: "Leute wie Dschingis-Khan, Hitler, Psychiater und psychopathische Kriminelle wollen Macht nur, um zu zerstören." ("Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt - PTS/SPKurs", Kopenhagen 2001, S. 151) In einer anderen SO-Publikation heißt es unter der Überschrift "Been digung des psychiatrischen Terrors - Unser zerschmetternder Angriff auf die Psychiatrie", es müsse "die Quelle hinter all dem beseitigt werden, was die Menschheit verabscheut: die Psychiatrie". Die SO kündigt in dem Artikel an, "ein für alle Mal ihr Terrorregime been den" zu wollen. 231 Auch das VG Köln stellt in seinem Urteil ausdrücklich fest, es sei Aus druck des menschenverachtenden Weltbildes von Scientology, dass "unterdrückerische Personen" bzw. "Unterdrücker", also Gegner von Scientology, durch Zwang entfernt bzw. möglichst ruiniert werden sollen. Diese seien "Freiwild", das seines Eigentums beraubt, verletzt, verklagt, hereingelegt, belogen oder zerstört werden darf. 232 Unbeschränkt Ein weiterer tatsächlicher Anhaltspunkt für die gegen die Menschen herrschender rechte und den Rechtsstaat gerichteten Bestrebungen der SO ist Geheimdienst schließlich die Existenz eines weltweit tätigen organisationseigenen Geheimdienstes, dem "Office of Special Affairs" (OSA). Zu den Aufgaben des verantwortlichen "Direktors für Spezielle An gelegenheiten" gehört u. a. die Sammlung von Informationen über Gegner und Kritiker von Scientology sowie deren Bekämpfung: 231 "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 29, 2004, S. 26. 232 Siehe Fn. 222. S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) 299 "Der Direktor für Spezielle Angelegenheiten isoliert und handhabt jegliche Gruppen, die gegenüber der Organisation feindlich einge stellt sind." "Der Direktor für Spezielle Angelegenheiten hat vollständige Infor mation über jegliche potentielle Angreifer der Organisation, plant die Handhabung derselben und handhabt erfolgreich jede Angriffssitua tion, die geschieht." (Hubbard, Qualität der Abteilungen, Checklisten, 1990, "Führungsab teilung Macht-Qualität", Nrn. 52, 54) Die SO fordert ihre Mitglieder in deutschen Publikationen regelInformationssamm mäßig dazu auf, über "Wissensberichte" ihnen bekannt gewordene lung durch "Wis sensberichte" "unterdrückerische Handlungen" und Verstöße gegen andere scientologische Vorstellungen an das "Religious Technology Center" (RTC) in den USA zu melden. Zu diesen "Angelegenheiten, die für das RTC von Interesse sind" gehören u. a.: "Öffentliche Äußerungen gegen Scientology oder Scientologen ... Eine Person, die bezüglich Scientology oder der Kirche außerordent lich kritisch ist. Öffentlich von Scientology wegzugehen. ... Jegliche Aktionen oder Unterlassungen, die unternommen wurden, um Scientology oder Scientologen bewusst zu unterdrücken, zu redu zieren oder zu hindern. ... Jemand, der das Schreiben von Wissensberichten verbietet oder davon abrät." ("INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 30, 2005, S. 54 f.) Aktuell versucht die SO weltweit, bestimmte größere Niederlassun Expansion durch gen zu so genannten "Idealen Orgs" auszubauen. Auch mehrere die Schaffung deutsche "Orgs" sollen nach diesem Konzept expandieren und dann "Idealer Orgs" verstärkt im scientologischen Sinne auf die Gesellschaft einwirken. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass die SO mit diesen "Idealen Orgs" noch mehr als bisher politisch wirken will. Die Organisation sieht in dem "Kreieren Idealer Organisationen" sogar "die allumfassende Strategie für das Klären des Planeten". 233 In seinem Jahresrückblick 2004 führte der Vorsitzende des Vorstands des RTC, David MISCA VIGE, zu den Aktivitäten von "Orgs" u. a. aus: BERICHT 233 "IMPACT", Ausgabe 111, 2005, S. 54. 2005 300 S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) "Ja, für den Einzelnen bedeutet das, die Brücke zu persönlicher Frei heit zu Clear und darüber hinaus hinaufzugehen. Das besagt es aber kaum alles. ... Während früher einige dachten, bei Kirchen gehe es im Wesentlichen um Auditing und Ausbildung, meinen wir mit unserer neuen Art von Organisation das, was in ihren Gemeinden, Städten und geographi schen Gebieten passiert. ... Wie erreicht man die nötige Größenord nung, um diese neue Zivilisation zu erschaffen?" ("INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 30, 2005, S. 33) In Deutschland versucht u. a. die "Org Hamburg", den Status einer "Idealen Org" zu erreichen. Sie wirbt dafür unter ihren Mitgliedern massiv um Mitarbeit und um Spenden. Auf einer internen Veranstal tung will sie in diesem Zusammenhang über 250.000 Euro gesam melt haben. Auch ihren Mitarbeiterstamm konnte die "Org" im Rah men dieser Kampagne erweitern. Zu den "eigentlichen und neuen Aufgaben idealer Organisationen" heißt es in einem Rundbrief u. a.: "Jeder Sektor der Scientology ist in einer idealen Org zu Hause und fin det dort seinen zentralen Ausgangspunkt in die Gesellschaft, um dort neue Einrichtungen zu schaffen, welche die jeweiligen Aktivitäten so dann beherbergen und weiter in die Gesellschaft hinaustragen." ("NEWSLETTER Ideale Org Hamburg", Ausgabe IV, April 2005, S. 2) Auch die SO-Niederlassung in Stuttgart strebt aktuell die Expansion zur "Idealen Org" an. Im Rahmen dieser Kampagne führte die SO am 17. Juli in Stuttgart Bad-Cannstatt eine größere Propagandaveranstal tung durch, an der schätzungsweise 250 Personen teilnahmen. Diese Veranstaltung diente u. a. dazu, im Stuttgarter Scientology-Milieu Gelder für den Kauf eines neuen, repräsentativen Gebäudes zu akqui rieren. Hinweisen zufolge sollen zur Finanzierung der "Idealen Org" Stuttgart bislang Gelder in Höhe von rund einer Million Euro gesam melt worden sein. Aggressive Diktion Die SO-Führung versucht, ihre Mitglieder mit teilweise aggressiven in Aufrufen der Formulierungen auf die Errichtung einer scientologischen Gesell SO-Führung schaft und den aktuellen Expansionskurs, der mittlerweile den "Fak tor" der "Notwendigkeitsstufe" erreicht habe, einzuschwören: S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) 301 "Er treibt auch die kommenden Aktionen voran: die Psychiatrie zum Verschwinden zu bringen, Regierungen L. Ron Hubbards Lösungen zu bieten. ... Wir wissen, dass jede Minute zählt. Und wir beabsichtigen, alles aus dem Weg zu räumen, was wir aus dem Weg räumen müssen, ganz gleich, wie groß es ist, um eine Zivilisation zu schaffen, die über leben kann." ("IMPACT", Ausgabe 110, 2004, S. 43) In diesem Zusammenhang sprach MISCAVIGE auf einer SO-Veran staltung ausdrücklich von der Beseitigung von "unterdrückerischen Personen" (so genannte SPs): "Was wir heute aufgreifen, hat unmittelbar damit zu tun und folgt daraus, was wir auf der ganzen Welt tun, um Ideale Orgs hervorzu bringen. Das heißt natürlich, wir beseitigen SPs nicht einfach als Sport ... wir arbeiten für nichts Geringeres als eine neue Zivilisation gemäß unserer Ziele ..." ("IMPACT", Ausgabe 111, 2005, S. 12) 4. Werbung in der Öffentlichkeit Die SO versucht sowohl weltweit als auch in Deutschland verstärkt, Verstärkte Entscheidungsträger in Politik und Gesellschaft von ihrer Ideologie Werbung der SO im zu überzeugen. Bereits Ende 2004 berichtete die SO-Führung in einer politischen Bereich Publikation über diese Aktivitäten: "Um für unsere Lösungen auf höchstmöglicher Ebene Interesse zu schaffen, begannen wir im letzten Jahr mit einem Programm, um die LRH 234 Lösungen direkt in die Hände der Opinionleader und gewähl ten Volksvertreter Europas zu bringen. ... Insgesamt wurden seit Beginn des Programms 550.000 Broschüren in Europa verteilt." ("INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 29, 2004, S. 30) In derselben Publikation erklärte die SO, im Jahr 2005 "neu erschlos sene Kanäle" zu nutzen, um ihre "Programme zur Verbesserung der Gesellschaft bis zu den höchsten Regierungsebenen hinaufzubrin gen". 235 Die SO glaubt, dass ihre laufende Werbekampagne unter europäischen Politikern bereits erste Erfolge erbracht habe: 234 Abkürzug für L. Ron Hubbard. BERICHT 235 "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", Ausgabe 29, 2004, S. 2. 2005 302 S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) "Durch all das, zusammen mit vielen Besuchen des Europäischen Bü ros für Öffentlichkeitsarbeit und Menschenrechte der Scientology Kir che International bei Botschaftern, nationalen Gesetzgebern, Mit gliedern des europäischen Parlaments, Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens verschiedener Städte, Religionsführern und Pädagogen, wurde zweifellos eine Auswirkung auf diejenigen hervor gebracht, die Richtlinien für Europas Zukunft formulieren." ("IMPACT", Ausgabe 111, 2005, S. 39) Entsprechend werden auch deutsche Scientologen in Rundbriefen aufgerufen, persönlich bei politisch Verantwortlichen zu werben: "wenn wir über LRH-Tech sprechen, dann wollen wir alle Gesell schaftsschichten erreichen. Du solltest derjenige sein, der das Kran kenhaus besucht, den Bürgermeister, den Landeshauptmann etc." ("FSM NEWSLETTER - Der FSM Nachrichtenbrief von der Fortge schrittenen Org - Saint Hill Europa", 2005, S. 2) Broschüren und öf Das Verhalten der Organisation in der Öffentlichkeit ist nach wie vor fentliche Werbever relativ statisch. Sie warb unverändert mit Publikationen, Broschüren anstaltungen und Flugblättern, die sie in Fußgängerzonen deutscher Großstädte verteilte und an zahlreiche Privatpersonen und staatliche Behörden versandte. Viele Werbesendungen der SO gingen u. a. bei Dienststel len der Bundespolizei ein. Schwerpunkte der Werbeaktionen waren soziale Themen wie Betäubungsmittelund Alkoholmissbrauch oder die aus Sicht der SO bestehenden Missstände in der Psychiatrie. Darü ber hinaus versuchte die Organisation durch öffentliche Werbever anstaltungen wie der so genannten Kavalkade der ehrenamtlichen Geistlichen (u. a. Demonstration des "Auditings" in dafür errichteten gelben Zelten) und so genannten Stress-Tests am E-Meter, in mehre ren deutschen Großstädten Aufmerksamkeit zu erregen und Kursbe sucher zu gewinnen. Internet-Angebote Auch 2005 bot die Organisation umfangreiche und technisch auf wändig gestaltete mehrsprachige Seiten im Internet an, die Informa tionen zu ihrer Geschichte, ihren Zielen und Teilorganisationen ent halten. Auf etlichen Internetseiten wirbt die SO auch für einen Teil ihrer Schriften und Kurse. Mehrere hundert deutsche Mitglieder be kennen sich zudem auf eigenen Internetseiten zur SO und ihren Zie len. S C I E N T O L O G Y - O R G A N I S AT I O N ( S O ) 303 Die Werbeaktionen der SO blieben - wie in den vergangenen Jahren Kaum Resonanz in - meist erfolglos. Der Organisation gelang es trotz der Gründung der Öffentlichkeit von drei weiteren "Missionen" und der Kampagne zum Aufbau "Idealer Orgs" weiterhin nur in sehr geringem Umfang, neue Mit glieder zu gewinnen und diese langfristig an sich zu binden. Viele der neu gewonnenen Mitglieder verlassen die SO bereits nach kurzer Zeit oder verhalten sich inaktiv. Die öffentlichen Werbeveranstaltun gen verzeichneten kaum Besucher oder Aufmerksamkeit in den Me dien. Die regionalen Schwerpunkte hinsichtlich des Mitgliederbestandes Mitgliederbestand und der Tätigkeit sind der Großraum Hamburg sowie die Länder Ba und Tätigkeit den-Württemberg und Bayern. Auch im Großraum Berlin können weiterhin ungleich mäßig verteilt verstärkte Aktivitäten beobachtet werden. Daneben lässt sich eine größere Zahl von Mitgliedern jeweils den Ländern Hessen, Nieder sachsen und Nordrhein-Westfalen zuordnen. BERICHT 2005 304 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Politisch motivierte Kriminalität Rechtsextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Linksextremistische Bestrebungen und Verdachtsfälle Islamistische/islamistisch-terroristi sche Bestrebungen und Verdachts fälle Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern und Verdachtsfälle (ohne Islamismus) Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Begriffserläuterungen Gesetzestexte, Erläuterungen BERICHT 2005 306 BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 307 Begriffserläuterungen Begriffe, die sich auf die Rechtsgrundlagen, Aufgaben und Methoden des Verfassungsschutzes und auf seine Beobachtungsfelder beziehen Anarchismus Die Anhänger des "Anarchismus" erhoffen eine "herrschaftsfreie" Gesell schaft ohne den Zwang gesellschaftlicher Normen. In Deutschland gibt es eine Anzahl anarchistischer Kleinparteien und -gruppen, die sich zum Teil auf klassische Theoretiker des Anarchismus wie Bakunin berufen, oft aber auch ihre eigenen Vorstellungen entwickeln. Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Ter minologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Er fassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Mit der Begriffswahl wollen sie verdeutlichen, dass ihr Handeln eine Reaktion auf linksextremistische Aktivitäten darstellt und als solche auch militante Akti onsformen umfassen kann. Ihre Aktivitäten weisen bisher in der Regel al lerdings einen propagandistischen Charakter auf und zielen vornehmlich auf die Verunsicherung des Gegners ab. Als Gegner werden dabei auch An gehörige der Sicherheitsbehörden angesehen. Antideutsche Antideutsche Strukturen bilden eine Besonderheit innerhalb der linksex tremistischen autonomen Szene. Ausgehend von der Vorstellung, der deutsche Staat strebe die Errichtung eines "Vierten Reiches" sowie eine neuerliche Dominanz über Europa an, fordern deren Anhänger die Auflö sung der nationalstaatlichen Identität. "Antideutsche" sprechen sich dane ben - in Befürchtung eines neuerlichen, von Deutschland ausgehenden Holocaust - für eine massive Unterstützung Israels und des Judentums so wie daraus resultierend auch der USA aus. Im linksextremistischen Umfeld treten "Antideutsche" verstärkt durch Antisemitismusvorwürfe gegen ri valisierende linksextremistische Gruppierungen hervor. Antifa, autonome Ein Hauptagitationsfeld der Autonomen ist der "antifaschistische Kampf". Autonome behaupten, dass der kapitalistische Staat um seiner Selbsterhal tung willen den Faschismus begünstige, zumindest aber toleriere. Deshalb ist es aus Sicht der Autonomen geboten, den Kampf gegen Faschisten und BERICHT 2005 308 BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN Rassisten in die eigenen Hände zu nehmen. Im Rahmen der "antifa schistischen Selbsthilfe" richten sich militante Aktionen in erster Li nie gegen den politischen Gegner, also tatsächliche oder vermeintli che "Nazis". In autonomen Publikationen werden häufig Adressen und "Steckbriefe" von politischen Gegnern veröffentlicht, nicht sel ten mit der Aufforderung verbunden, die bezeichneten Personen anzugreifen. Antisemitismus Während dem religiösen "Antisemitismus" im rechtsextremisti schen Diskurs kaum Bedeutung zukommt, spielt die Judenfeind schaft aus rassistischen, sozialen oder politischen Gründen eine größere Rolle. So nutzen Rechtsextremisten verstärkt im politischen und gesellschaftlichen Alltag geäußerte Kritik an einzelnen politi schen Entscheidungen des Staates Israel, um mit einer pauschalen Diffamierung die Existenzberechtigung Israels in Frage zu stellen. Die grundsätzliche Ablehnung Israels ist indes nicht das Resultat po litischer Überlegungen zum Nahost-Konflikt, sondern basiert auf der grundsätzlichen Ablehnung des Judentums. Neben dieser "anti zionistischen" Variante findet auch der so genannte sekundäre Anti semitismus Anhänger unter Rechtsextremisten. Hierbei wird den Ju den vorgeworfen, sie benutzten die Verantwortung Deutschlands für den Holocaust als Mittel der Erpressung, um finanzielle und poli tische Forderungen durchsetzen zu können. Letztlich unterstellen alle Formen antisemitischer Agitation den Juden pauschal negative Eigenschaften, womit ihre Ausgrenzung, Benachteiligung, Verfol gung oder sogar Ermordung als "gerechtfertigt" erscheinen soll. Antisemitismus islamistischer Prägung Zu den Feindbildern islamistischer Organisationen gehören prinzi piell der Staat Israel bzw. "die Zionisten", denen - je nach Standort im islamistischen Spektrum - die verschwörerische Manipulation westlicher Staaten, vor allem der USA, unterstellt wird. Die jüdische Einwanderung in Palästina, die Entstehung des Staates Israel und der seither ungelöste Konflikt zwischen den arabischen Staaten und Israel waren Auslöser für einen islamistischen Antizionismus, der sich seit den 50er Jahren zu einem eliminatorischen Antizionismus mit einer ausgeprägten antisemitischen Unterfütterung entwickelt hat (antizionistischer Antisemitismus). In den einschlägigen Ver lautbarungen und Programmen islamistischer Organisationen ver schwimmen die Begriffe "Zionist", "Israeli" und "Jude". Dieser isla mistische Antizionismus war und ist stark antijüdisch gefärbt, insofern auch auf die prinzipielle, nach Auffassung von Islamisten im Koran belegte und durch die islamistische Geschichtsauffassung BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 309 gestützte ewige Feindschaft "der Juden" gegenüber den Muslimen/dem Islam Bezug genommen wird. Im Unterschied zum Antisemitismus deutscher Rechtsextremisten ist der islamistische Antisemitismus nicht rassistisch begründet. Ausländerextremismus Extremistische ausländische Organisationen verfolgen in Deutsch land Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Ent wicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei zum Beispiel um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein kommunistisches Herrschaftssystem an streben, oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöh tes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Her kunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde hin zu einem eigenen Staat verfolgen. Darüber hinaus gibt es in Deutschland aktive islamistische Organisa tionen (Ausländervereine, deren Mitglieder/Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer sind, aber auch Vereine, deren Mitglieder/Leiter überwiegend deutsche Staatsbürger sind), welche darauf abzielen, die in ihren Herkunftsländern bestehenden Staats und Gesellschaftsordnungen durch ein strikt islamistisches Staats wesen auf der Grundlage des islamischen Rechts, der Scharia, zu er setzen. Einige erklären offen, die Weltherrschaft des Islam anzustre ben. Ihre Mitglieder gelangen zumeist als politische Flüchtlinge nach Deutschland und unterstützen von hier die zum Teil gewaltsa men Bestrebungen in ihren Heimatregionen logistisch, finanziell und propagandistisch. Die beiden anhängerstärksten islamistischen Gruppierungen, die sich auch als Interessenvertretung großer Teile der in Deutschland lebenden Muslime sehen, streben an, ihren An hängern im Rahmen einer legalistischen Strategie im Bundesgebiet Freiräume zu schaffen, in denen diese ein Leben nach der Scharia führen können. Sie sind der Auffassung, dass mit der Scharia ein alle Lebensbereiche regelndes islamistisches Gesetzessystem vorgege ben sei, dessen gesellschaftliche Umsetzung hier zur Ausübung des "wahren" Islam notwendige Voraussetzung sei. Dabei gehen die Is lamisten davon aus, dass staatliches/gesellschaftliches Handeln nicht dem Willen und damit der Willkür des Menschen entspringen dürfe, sondern allein Allah zustehe, dessen Wille sich im Koran of fenbart habe und eine für alle geltende "Wahrheit" sei. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: BERICHT 2005 310 BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN - sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versu chen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, - sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deut schem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, - vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder vorbereiten und dadurch auswärtige Bezie hungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten ge fährden, - sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständi gung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Autonome Die Ursprünge der "Autonomen" reichen bis in die Anfänge der stu dentischen Protestbewegung der 60er Jahre zurück. Kennzeichnend für "Autonome" ist die Ablehnung gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der gewalttätige Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen. "Autonome" besitzen in der Regel kein einheitliches, verbindliches Weltbild, sondern folgen oft verschwommenen anarchistischen und anarchokommunistischen Vorstellungen und spontanen aktionisti schen Antrieben. Sie bilden daher kein festes Gefüge. "Klassische" autonome Vorstellungswelten sind in letzter Zeit einem deutlichen Wandel unterworfen. Entrismus "Entrismus" ist eine von Anhängern des Trotzkismus praktizierte Methode, andere Parteien und Vereinigungen gezielt zu unterwan dern, um in ihnen zu Einfluss zu gelangen, die eigene Ideologie zu verbreiten und schließlich die betroffene Organisation für eigene Zwecke zu instrumentalisieren. Ethnopluralismus Der "Ethnopluralismus" sieht sein Idealbild in einer Völkervielfalt ethnisch homogener Staaten. Diese von Rechtsextremisten vertre tene Vorstellung läuft letztlich auf die Schaffung ethnisch reiner Ge sellschaften und damit die Ausweisung aller "Volksfremden" hinaus. BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 311 Extremistisch beeinflusste Organisationen "Extremistisch beeinflusste Organisationen" sind Vereinigungen, die von Extremisten oder auf deren Initiative hin gegründet oder von Extremisten unterwandert und erheblich beeinflusst sind, wo bei der Grad der Beeinflussung unterschiedlich ist. Kennzeichnend ist insbesondere, - dass sie bestimmte politische Ziele verfolgen, die mit denen der Kernorganisation ganz oder teilweise übereinstimmen, und dass sie dadurch die Bestrebungen der Kernorganisation unterstüt zen, - dass ihre Funktionäre, insbesondere in den Sekretariaten, zu ei nem größeren oder kleineren Teil Mitglieder oder Anhänger der Kernorganisation sind, - und dass ihnen auch Personen angehören, die keine Extremisten, vielmehr u. U. sogar Mitglieder demokratischer Organisationen sind, die die Teilziele der Organisation verfolgen und dabei ent weder den erheblichen extremistischen Einfluss nicht erkennen, oder ihn zwar erkennen, aber in Kauf nehmen, oder in Einzelfäl len diesen Einfluss sogar zurückdrängen wollen. Extremistische Bestrebungen Als "extremistische Bestrebungen" bezeichnen die Verfassungs schutzbehörden solche Aktivitäten, die darauf abzielen, die Grund werte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen; es geht also um die Abschaffung des unantastbaren Kernbestandes unserer Verfas sung - die freiheitliche demokratische Grundordnung - die die ober sten Wertprinzipien unserer Demokratie enthält. Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen dem Be griff "Extremismus" und dem Begriff "Radikalismus", obwohl beide Begriffe anderweitig oft synonym gebraucht werden. Beim "Radika lismus" handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extre men neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Pro bleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch we der der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbunde nen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt wer den. Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusam men. In der rechtsextremistischen Szene informieren diese PublikaBERICHT 2005 312 BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN tionen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Sze neveranstaltungen. Aktivisten und rechtsextremistische Gruppie rungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres Gedankengutes. Freie Nationalisten Das Konzept "Freie Nationalisten" wurde Mitte der 90er Jahre von Neonazis als Reaktion auf die zahlreichen Vereinsverbote ent wickelt. Ziel war es, die zersplitterte neonazistische Szene unter Ver zicht auf vereinsmäßige Strukturen ("Organisierung ohne Organisa tion") zu bündeln, deren Aktionsfähigkeit zu erhöhen und gleichzeitig Verbotsmaßnahmen zu verhindern. Fremdenfeindlichkeit Unter dem Oberbegriff "Fremdenfeindlichkeit" werden ablehnende Vorurteile verstanden, die sich gegen Menschen richten, denen auf grund ihres Aussehens, ihrer Herkunft, ihrer sexuellen Orientie rung, ihrer Nationalität oder Religion bzw. sonstiger Eigenschaften, durch die sie sich von dem als "normal" erachteten Umfeld abheben, eine "Fremdheit" unterstellt wird. Die mit dieser Zuweisung typi scherweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaf ten sind für fremdenfeindliche Straftäter handlungsmotivierend und werden als Rechtfertigung für die Ignorierung der Menschen rechte und die Verletzung der Menschenwürde der Opfer missbraucht. Islamismus Der Begriff des "Islamismus" bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Reli gion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Gesellschaftsordnung, die für die Ausübung des Islam unverzichtbar sei. Dementsprechend versuchen islamistische Organisationen, für ihre Anhänger in Deutschland Freiräume zu schaffen, in denen sie ein Leben nach der Scharia führen können. Der in der Öffentlichkeit z. T. gebräuchliche Begriff des "islamischen Fundamentalismus" bezeichnet demgegenüber die Ausrichtung des eigenen Lebens nach islamischen Glaubensgrundsätzen und bedeu tet noch keine extremistische Orientierung. Jihad "Innerer Kampf" bzw. Anstrengung oder "heiliger Krieg". Der Begriff des "Jihad" hat eine Mehrfachbedeutung. Zum einen beschreibt er BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 313 einen "inneren Kampf" bzw. Anstrengung um Läuterung der eige nen Person im ethischen Sinn. Zum anderen wird er - vor allem von Islamisten - verstanden als Aufforderung und Pflicht, das muslimi sche Gebiet zu schützen und auszuweiten. Islamistische Terroristen führen unter dem Leitprinzip dieses "Jihad" ihren gewalttätigen Kampf/"heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische "Kameradschaften" verstanden. Sie sind durch den Willen zu politi scher Aktivität geprägt. Obwohl sie meist keine oder nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindli che Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Einige "Ka meradschaften" verwenden Bezeichnungen, die sie für die Öffent lichkeit erkennbar machen. Eine seit Ende 2001 für alle Verfassungs schutzbehörden gültige Definition fordert folgende Mindestkrite rien, um eine Gruppierung als Kameradschaft bezeichnen zu können: - ein abgegrenzter Aktivistenstamm mit beabsichtigter geringer Fluktuation, - eine lediglich lokale oder maximal regionale Ausdehnung, - eine zumindest rudimentäre Struktur und - die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf Basis einer rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Grundori entierung. Im Herbst 2005 wurden die polizeilichen Definitionen damit in Ein klang gebracht. Kommunismus Der "Kommunismus" ist für Anhänger der marxistischen Lehre die höchste Form der gesellschaftlichen Entwicklung. In dieser Gesell schaftsordnung ist der Gegensatz von Kapital und Arbeit aufgeho ben. Das Privateigentum an den Produktionsmitteln ist abgeschafft. Voraussetzung hierfür ist die revolutionäre Überwindung des Kapi talismus. Merkmale des "Kommunismus" sind nach Marx und Engels: - Gesellschaftliches Eigentum an Produktionsmitteln in der Form der "Assoziation der freien Produzenten". - Verwirklichung des Prinzips "Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen". - Das Absterben der Klassenherrschaft und des Staates. - Überwindung des Gegensatzes zwischen Stadt und Land. BERICHT 2005 314 BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN - Überwindung der Arbeitsteilung und die Befreiung der mensch lichen Persönlichkeit. - Verschwinden der Religion. - Überwindung der nationalen Konflikte und friedliches Zusam menleben zwischen den Völkern. - Völlige soziale Gleichheit sämtlicher Mitglieder der Gesellschaft. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Parteien, Vereinigun gen oder Einzelpersonen bezeichnet, für die alle oder einige der fol genden Merkmale charakteristisch sind: - Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftlicher" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Par tei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Zedong und andere. - Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transfor mation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen. - Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herr schaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft. - Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugter oder, je nach den konkreten Bedingungen, taktisch einzusetzender Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: - Dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten; in Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten. - Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre; in lo sen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Verei nigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbe stimmtes Leben - frei von jeglicher staatlicher Autorität - an. Marxismus Nach der auf Karl Marx und Friedrich Engels zurückgehenden Lehre vom wissenschaftlichen Sozialismus wird das politische, geistige, kulturelle und sonstige Leben in einer Gesellschaft durch die ökono mischen Strukturen und Verhältnisse bestimmt. In der kapitalisti schen Gesellschaft stehen sich nach dem "Marxismus" die ausbeu tende Klasse der bürgerlichen Kapitalisten (Kapital als Eigentümer BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 315 an Produktionsmitteln) und die ausgebeutete Klasse der Arbeiter schaft (Proletariat als "Eigentümer" bloßer Arbeitskraft) voneinan der entfremdet gegenüber. Der Wert der Arbeitskraft wird im Ver wertungsprozess des Kapitals nicht hinreichend entlohnt. Mit dem so entstandenen Mehrwert kann der bürgerliche Kapitalist auf Ko sten des arbeitenden Proletariats Kapital ansammeln. Dieser erwirt schaftete Profit wiederum wird zur Entwicklung neuer Techniken (Maschinen, Fabriken etc.) verwandt, die einerseits den Profit stei gern und andererseits überflüssige Arbeitskräfte freisetzen. Dies führt zu Lohndruck und zur Verelendung des Proletariats. Konse quenz ist eine Verschärfung des Klassengegensatzes zwischen Bür gertum und Proletariat, der sich notwendigerweise in Klassenkämp fen, in einer Revolution des Proletariats entlädt. Nach einer vorübergehenden Diktatur des Proletariats mündet dieser Prozess in eine kommunistische klassenlose Gesellschaft. Marxismus-Leninismus Der Marxismus wurde durch Lenin zu einer Staatsdoktrin und theo retischen Vorgabe für den Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft und für den internationalen Klassenkampf weiterentwickelt. Der "Marxismus-Leninismus" unterstreicht vor allem die revolu tionäre Seite des Marxismus und gibt dazu konkrete organisatori sche und strukturelle Vorgaben. Lenins Lehre von der Partei neuen Typs ging vor allem davon aus, dass das Proletariat als revolutionäres Subjekt auf sich allein gestellt, nicht das notwendige politische Be wusstsein entwickeln kann. Dies muss ihm durch eine revolutionäre Kaderpartei ("Avantgardeanspruch" der kommunistischen Partei) vermittelt werden. Alle Funktionen in der Partei müssen dabei in der Hand einer möglichst geringen Zahl von Berufsrevolutionären kon zentriert sein. Die Partei muss nach den Grundsätzen vom "demo kratischen Zentralismus", wonach alle Beschlüsse von Leitungsgre mien strikt zu befolgen und Fraktionen innerhalb der Partei verboten sind, straff organisiert sein. Maoismus Unter der Führung von Mao Zedong bildete sich in China nach dem kommunistischen Sieg 1949 eine Theorie und Praxis heraus, die sich als historisch-konkrete Anwendung und kritische Weiterentwick lung des Marxismus-Leninismus auf die speziellen Bedingungen Chinas versteht. Die Ideen Maos waren Vorbild für große Teile der nach 1968 entstandenen "Neuen Linken" (Dogmatische Neue Linke). Mao entwickelte auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus eine BERICHT 2005 316 BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN neue Revolutionstheorie, in der die besonderen Bedingungen der so genannten Dritten Welt berücksichtigt wurden. Nach der Auffas sung Maos war die Revolution in einem Land der Dritten Welt durch einen Guerillakrieg bäuerlicher Partisanen auszulösen. Auch Mao betonte allerdings die führende Rolle der kommunistischen Partei in diesem Krieg, der sich zu einem Volkskrieg ausweiten sollte mit dem Ziel, die herrschende Klasse zu stürzen und die Diktatur des Proletariats zu errichten. Revolutionäre Zentren waren für Mao demnach die Entwicklungsländer, nicht hingegen die imperialisti schen Länder des Westens und auch nicht die Sowjetunion mit ihrem Vormachtsanspruch. Mujahedin Die "Mujahedin" (wörtlich: Kämpfer für die Sache Allahs) sind die Träger des gewaltorientierten "Jihad". Es handelt sich vielfach um Personen, die Kampferfahrung an den Kriegsschauplätzen des "Ji had", z. B. in Afghanistan, Bosnien-Herzegowina oder Tschet schenien, erworben und religiöse bzw. ideologische Unterweisun gen in afghanischen, sudanesischen oder pakistanischen Trainingslagern erhalten haben. Vor allem arabische Muslime ver schiedener Nationalität haben solche Ausbildungslager durchlau fen, darunter Angehörige vieler islamistischer Organisationen in den Ländern des Maghreb, in Libyen, Ägypten, dem Sudan, SaudiArabien und in Staaten des Nahen Ostens. Zum Spektrum der "Jihad"-Gruppen zählen die von Usama BIN LADEN gegründete "Al-Qaida" sowie die mit ihr kooperierenden "Mujahe din"-Netzwerke bzw. einzelne regionale islamistische Organisationen. Nationalismus Mit "Nationalismus" wird eine Einstellung bezeichnet, die die ei gene Nation gegenüber anderen Nationen als überlegen und wert voller sieht. Dies hat automatisch eine Abwertung der nicht zur eige nen Nation gehörenden Personengruppen zur Folge und steht im Widerspruch zu dem universalen Gleichheitsprinzip, wie es das Grundgesetz in Art. 3 konkretisiert. Im "Nationalismus" werden die individuellen Rechte zugunsten "volksgemeinschaftlicher" Kon strukte eingeschränkt. Neue Rechte Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich um eine in den 70er Jahren in Frankreich aufgekommene geistige Strömung, die sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus bemüht. Sie beruft sich unter anderem auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 317 der Weimarer Republik unter der Bezeichnung "Konservative Revo lution" aktiv waren. Die Aktivisten der "Neuen Rechten" beabsichti gen die Beseitigung oder zumindest die Beeinträchtigung des de mokratischen Verfassungsstaates und versuchen, zunächst einen bestimmenden Einfluss auf den kulturellen Bereich zu erlangen, um letztlich den demokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern. Proliferation Unter "Proliferation" wird die Weiterverbreitung von atomaren, bio logischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dazu er forderlichen Know-hows, sowie entsprechender Waffenträgersy steme verstanden. Rassismus Der "Rassismus" versucht Kultur und Geschichte auf biologisch-an thropologische und nicht auf politische und soziale Ursachen zurückzuführen. Rassisten plädieren für "ethnisch homogene" Na tionen. Der "Rassismus" klassifiziert Gruppen und Individuen nach vermeintlichen ethnischen und biologischen Kriterien. Der "Rassis mus" kann sich in der Unterscheidung von höherund minderwerti gen Menschen oder "Rassen" äußern. Er kann auch kulturelle Diffe renzen als angeboren und unveränderbar erklären. In beiden Fällen negiert er die universelle Geltung der Menschenrechte. Rechtsextremismus Unter "Rechtsextremismus" werden Bestrebungen verstanden, die sich gegen die im Grundgesetz konkretisierte fundamentale Gleich heit der Menschen richten und die universelle Geltung der Men schenrechte ablehnen. Rechtsextremisten sind Gegner des demo kratischen Verfassungsstaates; sie haben ein autoritäres Staatsverständnis. Das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit (Fremdenfeindlich keit). Dabei herrscht die Auffassung vor, die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse bestimme den Wert eines Menschen. Indi viduelle Rechte und gesellschaftliche Interessenvertretungen treten zugunsten kollektivistischer "volksgemeinschaftlicher" Konstrukte zurück (Antipluralismus). Revisionismus, rechtsextremistischer Der eigentlich unverfängliche, das Bestreben nach einer kritischen BERICHT 2005 318 BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN Überprüfung von Erkenntnissen beschreibende Begriff "Revisionis mus" wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Vergangen heit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftliche Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Ge schichtsbildes, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen und diesen dadurch wieder hoffähig zu machen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revi sionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Scharia Bei der "Scharia" handelt es sich um die von Gott vorgegebene, ver bindliche Ordnung für alle Lebensbereiche. Diese Ordnung gründet dabei u. a. auf den schriftlichen Quellen Koran und den Überliefe rungen des Propheten Mohammed (eigentlich: Muhammad), den Hadithen. Inhaltlich behandelt die "Scharia" die religiösen/rituellen Pflichten sowie die privaten und öffentlichen Beziehungen von Mus limen. Innerhalb der islamischen Welt wird die Bedeutung der "Scharia" kontrovers und unterschiedlich beurteilt. Einig ist man sich darin, dass die in ihr enthaltenen religiösen Vorschriften unveränderbar und verbindlich sind. Für Islamisten ist die "Scharia" unantastbares Wort Gottes und auf ewige Zeit gültig. Staaten, in denen die "Scharia" nicht befolgt wird, gelten aus ihrer Sicht als unislamisch bzw. als illegitim. Skinheads, rechtsextremistische "Rechtsextremistische Skinheads" sind wesentlicher Bestandteil des rechtsextremistischen Spektrums in Deutschland. Ihr Lebensstil ist subkulturell geprägt und häufig mehr auf Unterhaltung als auf poli tische Arbeit ausgerichtet. Auch verfügen die meisten nicht über ein gefestigtes rechtsextremistisches Weltbild. Jugendliche finden aber über die Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Skinhead-Subkul tur Zugang zu einer nationalistischen, fremdenfeindlichen und anti semitischen Gedankenwelt. Stalinismus Die auf den Theorien Lenins fußende Lehre Josef W. Stalins von den Möglichkeiten des "Sozialismus in einem Land" (nämlich zunächst nur in der Sowjetunion), verknüpft mit den Machtmöglichkeiten ei ner internationalen kommunistischen Organisation - "Kommunisti sche Internationale" (Komintern), richtete das Handeln aller in ihr BEGRIFFSERLÄUTERUNGEN 319 organisierten kommunistischen Parteien auf die Interessen der Sowjet union als zentrale Führerin des internationalen Kommunismus aus. Sunna/Hadithe Die "Sunna" bezeichnet die Darstellung von Taten und Aussprüchen des Propheten Mohammed (Muhammad) und seiner Gefährten. Sie wurde zum Maßstab für das politische, religiöse und rechtliche Han deln der Muslime. Im 9. Jh. wurden ihre Aussagen, Aussprüche und Handlungen zu schriftlichen Sammlungen zusammengetragen. Diese werden als "Hadithe" (Überlieferungen) bezeichnet. Die "Ha dithe" bilden neben dem Koran die wichtigste Rechtsquelle und sind integraler Bestandteil der Scharia. Der Rückgriff auf die "Hadithe" spielt gerade für zeitgenössische politische Bewegungen im Rah men ihrer Interpretation des islamischen Rechts eine wichtige Rolle. Terrorismus "Terrorismus" ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Absatz 1 Strafgesetzbuch genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Trotzkismus Das auf Leo Trotzki zurückgehende Modell des Sozialismus stellt eine Modifikation des Marxismus-Leninismus dar, die vor allem aus Op position von Trotzki zu Stalin entstanden ist. Wesentliche Elemente sind die Theorie der "permanenten Revolution", das Ziel der Errich tung einer "Diktatur des Proletariats" und das Festhalten am proleta rischen Internationalismus. Verdachtsfälle Hierbei handelt es sich um Personenzusammenschlüsse, die noch nicht eindeutig extremistisch sind, bei denen aber "tatsächliche An haltspunkte" für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen (SS 4 Abs. 1 S. 3 BVerfSchG). Das Vorliegen "tatsächlicher Anhaltspunkte" ist nach den gesetzlichen Bestimmungen maßgebliche Vorausset zung für das Tätigwerden des BfV. BERICHT 2005 320 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z I. Gesetzestexte 1. Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geän dert durch Gesetz vom 21. Juni 2005 (BGBl. I S. 1818) Erster Abschnitt Zusammenarbeit, Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden SS1 Zusammenarbeitspflicht (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen de mokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Der Bund und die Länder sind verpflichtet, in Angelegenhei ten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. (3) Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstüt zung und Hilfeleistung. SS2 Verfassungsschutzbehörden (1) Für die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern unter hält der Bund ein Bundesamt für Verfassungsschutz als Bundesober behörde. Es untersteht dem Bundesminister des Innern. Das Bundes amt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. (2) Für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund und der Länder untereinander unterhält jedes Land eine Behörde zur Bear beitung von Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. SS3 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, ins besondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nach B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 321 richten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkei ten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vor bereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesre publik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die ge gen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundge setzes ) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öf fentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zu gang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an si cherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidi gungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder wer den sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tat sachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mit wirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Sicherheitsüberprüfungsge setz vom 20. April 1994 (BGBI. I S. 867) geregelt. BERICHT 2005 322 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z (3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). SS4 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind a) Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten zielund zweckgerich teten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personen zusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuhe ben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; b) Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerich teten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personen zusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Län der oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; c) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für ei nen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, ei nen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Be strebungen nachdrücklich unterstützt. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. Verhaltenswei sen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personen zusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Ge setzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Ab stimmungen und durch besondere Organe der Gesetzge bung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 323 auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmit telbarer freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentari schen Opposition, d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlich keit gegenüber der Volksvertretung, e) die Unabhängigkeit der Gerichte, f) der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS5 Abgrenzung der Zuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden (1) Die Landesbehörden für Verfassungsschutz sammeln Informa tionen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zur Erfüllung ihrer Aufgaben, werten sie aus und übermitteln sie dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesbehörden für Verfassungsschutz, soweit es für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf in einem Lande im Benehmen mit der Landesbehörde für Verfassungsschutz Informa tionen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen im Sinne des SS 3 sammeln. Bei Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 ist Voraussetzung, dass 1. sie sich ganz oder teilweise gegen den Bund richten, 2. sie sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken, 3. sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland berühren oder 4. eine Landesbehörde für Verfassungsschutz das Bundesamt für Verfassungsschutz um ein Tätigwerden ersucht. Das Benehmen kann für eine Reihe gleichgelagerter Fälle hergeBERICHT 2005 324 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z stellt werden. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz unterrichtet die Lan desbehörden für Verfassungsschutz über alle Unterlagen, deren Kenntnis für das Land zum Zwecke des Verfassungsschutzes erfor derlich ist. SS6 Gegenseitige Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörden sind verpflichtet, beim Bundesamt für Verfassungsschutz zur Erfüllung der Unterrichtungspflichten nach SS 5 gemeinsame Dateien zu führen, die sie im automatisierten Verfahren nutzen. Diese Dateien enthalten nur die Daten, die zum Auffinden von Akten und der dazu notwendigen Identifizierung von Personen erforderlich sind. Die Speicherung personenbezogener Da ten ist nur unter den Voraussetzungen der SSSS 10 und 11 zulässig. Der Abruf im automatisierten Verfahren durch andere Stellen ist nicht zulässig. Die Verantwortung einer speichernden Stelle im Sinne der allgemeinen Vorschriften des Datenschutzrechts trägt jede Verfas sungsschutzbehörde nur für die von ihr eingegebenen Daten; nur sie darf diese Daten verändern, sperren oder löschen. Die eingebende Stelle muss feststellbar sein. Das Bundesamt für Verfassungsschutz trifft für die gemeinsamen Dateien die technischen und organisatori schen Maßnahmen nach SS 9 des Bundesdatenschutzgesetzes. Die Führung von Textdateien oder Dateien, die weitere als die in Satz 2 genannten Daten enthalten, ist unter den Voraussetzungen dieses Paragraphen nur zulässig für eng umgrenzte Anwendungsgebiete zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstli chen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten. Die Zugriffsberechtigung ist auf Personen zu be schränken, die unmittelbar mit Arbeiten in diesem Anwendungsge biet betraut sind; in der Dateianordnung (SS 14) ist die Erforderlichkeit der Aufnahme von Textzusätzen in der Datei zu begründen. SS7 Weisungsrechte des Bundes Die Bundesregierung kann, wenn ein Angriff auf die verfassungs mäßige Ordnung des Bundes erfolgt, den obersten Landesbehörden die für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund auf dem Ge biete des Verfassungsschutzes erforderlichen Weisungen erteilen. B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 325 Zweiter Abschnitt Bundesamt für Verfassungsschutz SS8 Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich perso nenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesdatenschutzgeset zes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuchen des Bundesamtes für VerfassIungsschutz um Übermitt lung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezo genen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerläss lich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Methoden, Gegen stände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Ob servationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarn kennzeichen anwenden. Diese sind in einer Dienstvorschrift zu be nennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Bundesministers des Innern, der das Parlamentari sche Kontrollgremium unterrichtet. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Werden personenbezogene Daten beim Betroffenen mit sei ner Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Der Betroffene ist auf die Freiwilligkeit seiner Angaben hinzuweisen. (5) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunter nehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Betei ligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 erfor derlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Ge fahren für die in SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 genannten Schutzgüter vorlie gen. BERICHT 2005 326 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z (6) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Er füllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 unter den Voraus setzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei Personen und Un ternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Post fächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs einholen. (7) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, An schriften und zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Er füllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 genannten Schutzgüter vorliegen. (8) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Er füllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 unter den Voraus setzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste er bringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Tele kommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekom munikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledien stenutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortken nung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genom menen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistun gen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (9) Auskünfte nach den Absätzen 5 bis 8 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Bundes amtes für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet das vom Bundeskanzler beauftragte Bundesministerium. Es unterrichtet mo natlich die G 10-Kommission (SS 1 Abs. 2 des Artikel 10-Gesetzes) über B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 327 die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzuge kann das Bundesministerium den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die G 10 Kommission prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Aus künften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommis sion sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach den Absätzen 5 bis 8 erlangten personenbezogenen Daten er streckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das Bundesministe rium unverzüglich aufzuheben. Für die Verarbeitung der nach den Absätzen 5 bis 8 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes ent sprechend anzuwenden. Das Auskunftsersuchen und die übermit telten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunfts geber nicht mitgeteilt werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechende Anwendung. (10) Das nach Absatz 9 Satz 3 zuständige Bundesministerium un terrichtet im Abstand von höchsten sechs Monaten das Parlamenta rische Kontrollgremium über die Durchführung der Absätze 5 bis 9; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Er gebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maß nahmen nach den Absätzen 5 bis 8 zu geben. Das Gremium erstattet dem Deutschen Bundestag jährlich sowie nach Ablauf von drei Jah ren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zusammenfassend zum Zweck der Evaluierung einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach den Ab sätzen 5 bis 8; dabei sind die Grundsätze des SS 5 Abs. 1 des Kontroll gremiumgesetzes zu beachten. (11) Die Befugnisse nach den Absätzen 5 bis 8 stehen den Verfas sungsschutzbehörden der Länder nur dann zu, wenn das Antrags verfahren, die Beteiligung der G 10-Kommission, die Verarbeitung der erhobenen Daten und die Mitteilung an den Betroffenen gleich wertig wie in Absatz 9 und ferner eine Absatz 10 gleichwertige parla mentarische Kontrolle sowie eine Verpflichtung zur Berichterstat tung über die durchgeführten Maßnahmen an das Parlamen tarische Kontrollgremium des Bundes unter entsprechender An wendung des Absatzes 10 Satz 1 Halbsatz 2 für dessen Berichte nach Absatz 10 Satz 2 durch den Landesgesetzgeber geregelt ist. (12) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 6, 8, 9 und 11 eingeschränkt. BERICHT 2005 328 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z (13) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die den Betroffenen vo raussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf kei nen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS9 Besondere Formen der Datenerhebung (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit den Mitteln gemäß SS 8 Abs. 2 erheben, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegen stände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungs schutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstli che Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung nach Satz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchti gende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugängli chen Quellen oder durch eine Auskunft nach SS 18 Abs. 3 gewonnen werden kann. Die Anwendung eines Mittels gemäß SS 8 Abs. 2 darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklären den Sachverhaltes stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu been den, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür erge ben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen ge meinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerlässlich ist und geeignete polizeiliche Hilfe für das be drohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1 gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen. Maßnah men nach den Sätzen 1 und 2 werden durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter angeord net, wenn eine richterliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbei geführt werden kann. Die richterliche Entscheidung ist unverzüg B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 329 lich nachzuholen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Bun desamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Ge richtsbarkeit entsprechend. Die erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des SS 4 Abs. 4 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. Technische Mittel im Sinne der Sätze 1 und 2 dürfen überdies zum Schutz der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen verwendet werden, soweit dies zur Abwehr von Gefahren für deren Leben, Gesundheit oder Freiheit unerlässlich ist. Maßnahmen nach Satz 8 werden durch den Präsi denten des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter an geordnet. Außer zu dem Zweck nach Satz 8 darf das Bundesamt für Verfas sungsschutz die hierbei erhobenen Daten nur zur Gefahrenabwehr im Rahmen seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 sowie für Übermittlun gen nach Maßgabe des SS 4 Abs. 4 Nr. 1 und 2 des Artikel 10-Gesetzes verwen den. Die Verwendung ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richter liche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. SS 4 Abs. 6 des Artikel 10-Ge setzes gilt entsprechend. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Woh nung (Artikel 13 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. (3) Bei Erhebungen nach Absatz 2 und solchen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldege heimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeich nen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören, ist 1. der Eingriff nach seiner Beendigung dem Betroffenen mitzutei len, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausge schlossen werden kann, und 2. das Parlamentarische Kontrollgremium zu unterrichten. (4) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Auf gaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes auch technische Mittel zur Ermittlung des Standor tes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteund Kartennummern einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung die Erreichung des Zwecks der Überwachungs maßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Für die Verarbei tung der Daten gilt SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Personenbe zogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Ver wendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 8 Abs. 9 und 10 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird inBERICHT 2005 330 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z soweit eingeschränkt. SS 10 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf zu Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verän dern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätig keiten nach SS 3 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 erforderlich ist oder 3. das Bundesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 2 tätig wird. (2) (aufgehoben) (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungs dauer auf das für seine AufgabenerfülIung erforderliche Maß zu be schränken. SS 11 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraus setzungen des SS 10 Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres in zu ihrer Person geführten Akten nur speichern, ver ändern und nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür beste hen, dass der Minderjährige eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien ist eine Speicherung von Daten oder über das Verhalten Minder jähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres nicht zulässig. (2) In Dateien oder zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf die Erforder lichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 3 Abs. 1 angefallen sind. B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 331 SS 12 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Da ten in Dateien (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien ge speicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie un richtig sind. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien ge speicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Spei cherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfül lung nicht mehr erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Inte ressen des Betroffenen beeinträchtigt würden. In diesem Falle sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung des Be troffenen übermittelt werden. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfall bearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 und 4 sind spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Informa tion zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke verwendet werden. SS 13 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Daten in Akten (1) Stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat personenbezogene Daten zu sperren, wenn es im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sper rung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt wür den und die Daten für seine künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermitBERICHT 2005 332 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z telt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. SS 14 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei beim Bundesamt für Verfas sungsschutz nach SS 6 oder SS 10 sind in einer Dateianordnung, die der Zustimmung des Bundesministers des Innern bedarf, festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nut zung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass einer Da teianordnung anzuhören. (2) Die Speicherung personenbezogener Daten ist auf das erfor derliche Maß zu beschränken. In angemessenen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. (3) In der Dateianordnung über automatisierte personenbezo gene Textdateien ist die Zugriffsberechtigung auf Personen zu be schränken, die unmittelbar mit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, dem die Textdateien zugeordnet sind; Auszüge aus Textdateien dür fen nicht ohne die dazugehörenden erläuternden Unterlagen über mittelt werden. SS 15 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 333 und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Aus kunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein kön nen oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu be fürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile be reiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere we gen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Drit ten, geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Behördenleiter oder ein von ihm beson ders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Her kunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begrün dung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung ge fährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind akten kundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass er sich an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Bundesminister des Innern im Einzelfall feststellt, dass da durch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Bundesbeauftragten an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Bundesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern es nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. SS 16 Berichtspflicht des Bundesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz unterrichtet den BunBERICHT 2005 334 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z desminister des Innern über seine Tätigkeit. (2) Die Unterrichtung nach Absatz 1 dient auch der Aufklärung der Öffentlichkeit durch den Bundesminister des Innern über Bestre bungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1, die mindestens einmal jähr lich in einem zusammenfassenden Bericht erfolgt. Dabei dürfen auch personenbezogene Daten bekannt gegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierun gen erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. In dem Be richt sind die Zuschüsse des Bundeshaushaltes an das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst sowie die jeweilige Gesamtzahl ihrer Bediensteten anzugeben. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 17 Zulässigkeit von Ersuchen (1) Wird nach den Bestimmungen dieses Abschnittes um Über mittlung von personenbezogenen Daten ersucht, dürfen nur die Da ten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bekannt sind oder aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden kön nen. (2) Absatz 1 gilt nicht für besondere Ersuchen der Verfassungs schutzbehörden, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bun desnachrichtendienstes um solche Daten, die bei der Wahrneh mung grenzpolizeilicher Aufgaben bekannt werden. Die Zulässigkeit dieser besonderen Ersuchen und ihre Erledigung regelt der Bundesminister des Innern in einer Dienstanweisung. Er unter richtet das Parlamentarische Kontrollgremium über ihren Erlass und erforderliche Änderungen. Satz 2 und 3 gilt nicht für die beson deren Ersuchen zwischen Behörden desselben Bundeslandes. SS 18 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutz behörden (1) Die Behörde des Bundes, der bundesummittelbaren juristi B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 335 schen Personen des öffentlichen Rechts, die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefug nis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie an dere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespoli zeigesetz wahrnehmen, unterrichten von sich aus das Bundesamt für Verfassungsschutz oder die Verfassungsschutzbehörde des Lan des über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die sicherheits gefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes er kennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf ge richtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 und 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind. Über Satz 1 hinausge hende Unterrichtungspflichten nach dem Gesetz über den Militäri schen Abschirmdienst oder dem Gesetz über den Bundesnachrich tendienst bleiben unberührt. Auf die Übermittlung von Informa tionen zwischen Behörden desselben Bundeslandes findet Satz 1 keine Anwendung. (1a) Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flücht linge übermittelt von sich aus dem Bundesamt für Verfassungs schutz, die Ausländerbehörden eines Landes übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde des Landes ihnen bekannt ge wordene Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1, wenn tatsächli che Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übermittlung für die Er füllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden erforderlich ist. Die Übermittlung dieser personenbezogenen Daten an ausländi sche öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stel len nach SS 19 Abs. 3 unterbleibt, es sei denn, die Übermittlung ist völ kerrechtlich geboten. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwalt schaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, und der Bundesnachrichtendienst dürfen von sich aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder der Verfassungsschutzbehörde des Landes auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür be stehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. Absatz 1 Satz 3 findet Anwendung. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiBERICHT 2005 336 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z ner Aufgaben die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien sowie andere Behörden um Übermittlung der zur Erfüllung seiner Aufga ben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezoge ner Daten ersuchen wenn sie nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine den Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Unter den gleichen Voraussetzungen dürfen Verfassungs schutzbehörden der Länder 1. Behörden des Bundes und der bundesummittelbaren juris tischen Personen des öffentlichen Rechts, 2. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwalt schaftlichen Sachleitungsbefugnis, Polizeien des Bundes und anderer Länder um die Übermittlung solcher Informa tionen ersuchen. (4) Würde durch die Übermittlung nach Absatz 3 Satz 1 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder der Betroffene unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 sowie bei der Beobachtung terroristischer Bestrebungen amtliche Register einse hen. (5) Die Ersuchen nach Absatz 3 sind aktenkundig zu machen. Über die Einsichtnahme nach Absatz 4 hat das Bundesamt für Ver fassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (6) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund ei ner Maßnahme nach SS 100 a der Strafprozessordnung bekannt ge worden sind, ist nach den Vorschriften der Absätze 1, 2 und 3 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass je mand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die einer Verfassungsschutz behörde nach Satz 1 übermittelten Kenntnisse und Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 und 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 337 SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an inländische Behörden übermitteln, wenn dies zur Erfül lung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. Der Empfän ger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm über mittelt wurden. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen von Arti kel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Par teien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Trup pen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland statio nierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl 1961 Il S. 1183, 1218) verpflichtet ist. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwi schenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Er füllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheits interessen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutsch land oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermit telt wurden, und das Bundesamt für Verfassungsschutz sich vor behält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Da ten zu bitten. (4) Personenbezogene Daten dürfen an andere Stellen nur über mittelt werden, wenn dies zum Schutz der freiheitlichen demokrati schen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von le bensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach SS 1 Abs. 4 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes erforderlich ist. Übermittlun gen nach Satz 1 bedürfen der vorherigen Zustimmung durch das Bundesministerium des Innern. Das Bundesamt für Verfassungs schutz führt einen Nachweis über den Zweck, die Veranlassung, die Aktenfundstelle und die Empfänger der Übermittlungen nach Satz 1. BERICHT 2005 338 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtig ten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die über mittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm über mittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbe schränkung und darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die Verwen dung der Daten zu bitten. Die Übermittlung der personenbezoge nen Daten ist dem Betroffenen durch das Bundesamt für Verfas sungsschutz mitzuteilen, sobald eine Gefährdung seiner Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. Die Sätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn personenbezo gene Daten zum Zweck von Datenerhebungen nach SS 8 Abs. 1 Satz 2 übermittelt werden. SS 20 Übermittlung von Informationen durch das Bundesamt für Ver fassungsschutz an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staats anwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeien von sich aus die ihm bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Da ten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutz delikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, des Mo tivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Ar tikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt dem Bundesnachrichtendienst von sich aus die ihm be kannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezoge ner Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Empfängers erforderlich ist. (2) Die Polizeien dürfen zur Verhinderung von Staatsschutzdelik ten nach Absatz 1 Satz 2 das Bundesamt für Verfassungsschutz um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich per sonenbezogener Daten ersuchen. Der Bundesnachrichtendienst darf zur Erfüllung seiner Aufgaben das Bundesamt für Verfassungs schutz um die Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 339 SS 21 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutz behörden der Länder an Strafverfolgungsund Sicherheits behörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungs schutzes (1) Die Verfassungsschutzbehörden der Länder übermitteln den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftli chen Sachleitungsbefugnis, den Polizeien Informationen einschließ lich personenbezogener Daten unter den Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Satz 1. Auf die Übermittlung von Infor mationen zwischen Behörden desselben Bundeslandes findet Satz 1 keine Anwendung. (2) Die Verfassungsschutzbehörden der Länder übermitteln dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten unter den Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1 Satz 3 sowie Abs. 2 Satz 2. SS 22 Übermittlung von Informationen durch die Staatsanwaltschaf ten und Polizeien an den Militärischen Abschirmdienst Für die Übermittlung von Informationen einschließlich personenbe zogener Daten durch die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienst stellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahr nehmen, an den Militärischen Abschirmdienst findet SS 18 entspre chende Anwendung. SS 23 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Abschnitts unter bleibt, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Er hebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entge genstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher BERICHT 2005 340 B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beru hen, bleibt unberührt. SS 24 Minderjährigenschutz (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 11 erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. (2) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS 25 Pflichten des Empfängers Der Empfänger prüft, ob die nach den Vorschriften dieses Gesetzes über mittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben er forderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, hat er die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. SS 26 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, so sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhalts ohne Bedeutung ist. B U N D E S V E R FA S S U N G S S C H U T Z G E S E T Z 341 Vierter Abschnitt Schlussvorschriften SS 27 Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz finden SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4 b und 4 c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. BERICHT 2005 342 GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST 2. Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz - MADG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. April 2005 (BGBl. I S. 1106) SS1 Aufgaben (1) Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes des Bundesminis teriums der Verteidigung ist die Sammlung und Auswertung von In formationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Aus künften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkei ten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht, wenn sich diese Bestrebungen oder Tätigkeiten gegen Personen, Dienststellen oder Einrichtungen im Geschäftsbereich des Bundes ministeriums der Verteidigung richten und von Personen ausgehen oder ausgehen sollen, die diesem Geschäftsbereich angehören oder in ihm tätig sind. Darüber hinaus obliegt dem Militärischen Ab schirmdienst die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nach richten und Unterlagen, über die Beteiligung von Angehörigen des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung sowie von Personen, die in ihm tätig sind oder tätig sein sollen, an Bestre bungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zu sammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) ge richtet sind. SS 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet An wendung. (2) Darüber hinaus obliegt dem Militärischen Abschirmdienst zur Beurteilung der Sicherheitslage 1. von Dienststellen und Einrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung und 2. von Dienststellen und Einrichtungen der verbündeten Streitkräfte und der internationalen militärischen Haupt GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST 343 quartiere, wenn die Bundesrepublik Deutschland in inter nationalen Vereinbarungen Verpflichtungen zur Sicher heit dieser Dienststellen und Einrichtungen übernommen hat und die Beurteilung der Sicherheitslage im Einverneh men zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und den zuständigen obersten Landesbehörden dem Mi litärischen Abschirmdienst übertragen worden ist, die Auswertung von Informationen über die in Absatz 1 genannten Bestrebungen und Tätigkeiten gegen diese Dienststellen und Ein richtungen, auch soweit sie von Personen ausgehen oder ausgehen sollen, die nicht dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung angehören oder in ihm tätig sind. (3) Der Militärische Abschirmdienst wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die dem Ge schäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung angehören, in ihm tätig sind oder werden sollen und a) denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürf tige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich ver schaffen können, oder b) die an sicherheitsempfindlichen Stellen des Geschäftsbe reichs des Bundesministeriums der Verteidigung einge setzt sind oder werden sollen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen im Geschäftsbe reich des Bundesministeriums der Verteidigung zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbe dürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen ge gen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Die Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes bei der Mitwir kung nach Satz 1 Nr. 1 Buchstabe a und b sind im Sicherheitsüberprü fungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBI. I S. 867) geregelt. (4) Der Militärische Abschirmdienst darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. (5) Der Militärische Abschirmdienst ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). BERICHT 2005 344 GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST SS2 Zuständigkeit in besonderen Fällen (1) Zur Fortführung von Aufgaben nach SS 1 Abs. 1 kann der Mi litärische Abschirmdienst, soweit es im Einzelfall zwingend erfor derlich ist, seine Befugnisse gegenüber Personen ausüben, die dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung nicht an gehören oder nicht in ihm tätig sind. Dies ist nur zulässig 1. gegenüber dem Ehegatten oder Lebenspartner sowie ge genüber dem Verlobten, auch im Sinne des Lebenspartner schaftsgesetzes, einer in SS 1 Abs. 1 genannten Person oder dem mit ihr in eheähnlicher Gemeinschaft Lebenden, wenn angenommen werden muss, dass Bestrebungen oder Tätig keiten nach SS 1 Abs. 1 auch von ihm ausgehen, 2. im Benehmen mit der zuständigen Verfassungsschutz behörde gegenüber Personen, bei denen tatsächliche An haltspunkte dafür bestehen, dass sie mit einer in SS 1 Abs. 1 genannten Person bei Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 1 Abs. 1 zusammenarbeiten, und wenn anderenfalls die weitere Erforschung des Sachverhalts gefährdet oder nur mit übermäßigem Aufwand möglich wäre. (2) Zum Schutz seiner Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten kann der Militärische Abschirmdienst in Wahrnehmung seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 1, soweit es im Einzelfall zwingend er forderlich ist, im Benehmen mit der zuständigen Verfassungsschutz behörde seine Befugnisse gegenüber Personen ausüben, die dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung nicht an gehören oder nicht in ihm tätig sind. SS3 Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden (1) Der Militärische Abschirmdienst und die Verfassungsschutz behörden arbeiten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zusammen. Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung. (2) Zur Fortführung von Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 des Bundesver fassungsschutzgesetzes kann eine Verfassungsschutzbehörde, so weit es im Einzelfall zwingend erforderlich ist, im Benehmen mit dem Militärischen Abschirmdienst Maßnahmen auf Personen er strecken, die dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Vertei GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST 345 digung angehören oder in ihm tätig sind und der Zuständigkeit des Militärischen Abschirmdienstes unterliegen. Dies ist nur zulässig ge genüber Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür be stehen, dass sie mit einer Person aus dem Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden bei Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes zusammenar beiten, und wenn anderenfalls die weitere Erforschung des Sachver halts gefährdet oder nur mit übermäßigem Aufwand möglich wäre. (3) Der Militärische Abschirmdienst und das Bundesamt für Ver fassungsschutz unterrichten einander über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. SS4 Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes (1) Der Militärische Abschirmdienst darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbe zogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen nach SS 8 Abs. 2, 4 und 13 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, soweit nicht die anzu wendenden Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Er ist nicht befugt, personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufga ben nach SS 1 Abs. 2 zu erheben. SS 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Bundesver fassungsschutzgesetzes findet Anwendung; die Zustimmung zur Dienstanweisung erteilt das Bundesministerium der Verteidigung. (2) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Militärischen Abschirmdienst nicht zu; er darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen er selbst nicht befugt ist. SS5 Besondere Formen der Datenerhebung Der Militärische Abschirmdienst darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, nach SS 9 des Bundesverfassungsschutzge setzes erheben, soweit es 1. zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 1 und SS 2 Abs. 1 so wie zur Erforschung der dazu erforderlichen Quellen oder 2. um Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Militärischen Abschirmdienstes gegen si cherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten, auch nach SS 2 Abs. 2, BERICHT 2005 346 GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST erforderlich ist; SS 9 Abs. 2 bis 4 des Bundesverfassungsschutzgeset zes findet entsprechende Anwendung. SS6 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Der Militärische Abschirmdienst darf personenbezogene Da ten nach SS 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes speichern, ver ändern und nutzen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben erfor derlich ist. Zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 1 Abs. 2 gespeicherte Daten über Personen, die nicht dem Geschäftsbereich des Bundes ministers der Verteidigung angehören oder in ihm tätig sind, dürfen für andere Zwecke nicht verwendet werden, es sei denn, die Ver wendung wäre auch für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 1 Abs. 1 zulässig. (2) In Dateien oder zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf die Erforder lichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 1 Abs. 1 oder SS 2 angefallen sind. Dies gilt nicht, wenn der Betroffene nach SS 1 Abs. 3 überprüft wird. Die Speicherung personenbezogener Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres in zu ihrer Person geführten Akten und Dateien ist unzulässig. SS7 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Der Militärische Abschirmdienst hat die in Dateien gespeicher ten personenbezogenen Daten zu berichtigen, zu löschen und zu sperren nach SS 12 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (2) Der Militärische Abschirmdienst hat personenbezogene Daten in Akten zu berichtigen und zu sperren nach SS 13 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes. SS8 Dateianordnungen Der Militärische Abschirmdienst hat für jede automatisierte Datei mit personenbezogenen Daten eine Dateianordnung nach SS 14 des GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST 347 Bundesverfassungsschutzgesetzes zu treffen, die der Zustimmung des Bun desministeriums der Verteidigung bedarf. SS 14 Abs. 2 und 3 des Bundesver fassungsschutzgesetzes findet Anwendung. SS9 Auskunft an den Betroffenen Der Militärische Abschirmdienst erteilt dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten Auskunft entsprechend SS 15 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes; an die Stelle des dort genannten Bundesministers des Innern tritt das Bundesministerium der Verteidigung. SS 10 Übermittlung von Informationen an den Militärischen Abschirm dienst (1) Die Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts unterrichten von sich aus den Militäri schen Abschirmdienst über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes er kennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 ge nannten Schutzgüter gerichtet sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Unterrichtung zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 1 und 2 erforderlich ist. (2) Der Militärische Abschirmdienst darf nach SS 18 Abs. 3 des Bundesver fassungsschutzgesetzes jede Behörde um die Übermittlung der zur Erfül lung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich perso nenbezogener Daten ersuchen. Im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben darf er zur Feststellung, ob eine Person dem Geschäftsbereich des Bundes ministeriums der Verteidigung angehört oder in ihm tätig ist, den Famili ennamen, den Vornamen, frühere Namen, das Geburtsdatum, den Dienst grad, die Dienststellennummer und das Dienstzeitende des Betroffenen aus dem Personalführungsund Informationssystem der Bundeswehr ab rufen. Die Verantwortung für den einzelnen Abruf trägt der Militärische Abschirmdienst. Das Bundesministerium der Verteidigung überprüft die Zulässigkeit der Abrufe nur, wenn dazu Anlass besteht. Es regelt in einer Dienstvorschrift 1. den Kreis der zum Abruf berechtigten Angehörigen des Militäri schen Abschirmdienstes, 2. das bei einem Abruf zu beachtende Verfahren, BERICHT 2005 348 GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST 3. die bei einem Abruf einzeln oder kumulativ einzugebenden Daten einschließlich der Suche mit unvollständigen Anga ben, 4. die Begrenzung der auf Grund eines Abrufs zu übermittelnden Personendatensätze auf das für eine Identifizierungs notwendige Maß, 5. die Löschung der auf einen Abruf übermittelten, aber nicht mehr benötigten Daten und 6. die Protokollierung aller Abrufe und die Kontrolle durch die behördliche Datenschutzbeauftragte oder den behörd lichen Datenschutzbeauftragten. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass und vor Änderung der Dienstvorschrift anzuhören. (3) Der Militärische Abschirmdienst darf im Einzelfall zur Erfül lung seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei denjeni gen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Tele dienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnut zungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünf tige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Tele dienstnutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortken nung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genom menen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistun gen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. Die Auskünfte dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Militärischen Abschirmdienstes oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. SS 8 Abs. 9 Satz 3 bis 11 und Abs. 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST 349 entsprechende Anwendung. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird inso weit eingeschränkt. (4) Würde durch die Übermittlung nach Absatz 2 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder der Betroffene unverhältnismäßig beein trächtigt, darf der Militärische Abschirmdienst bei der Wahrneh mung der Aufgaben nach SS 1 Abs. 1 Nr. 2 amtliche Register einsehen. Diese Einsichtnahme bedarf der Zustimmung des Amtschefs für den Militärischen Abschirmdienst oder seines Vertreters. (5) SS 17 Abs. 1 sowie SS 18 Abs. 5 des Bundesverfassungsschutzgeset zes sind entsprechend anzuwenden. SS 11 Übermittlung personenbezogener Daten durch den Militärischen Abschirmdienst (1) Der Militärische Abschirmdienst darf personenbezogene Da ten nach SS 19 des Bundesverfassungsschutzgesetzes übermitteln. An die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums des Innern tritt diejenige des Bundesministeriums der Verteidigung. Für vom Ver fassungsschutz übermittelte personenbezogene Daten im Sinne des SS 18 Abs. 1a Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes gilt SS 18 Abs. 1a Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (2) Der Militärische Abschirmdienst übermittelt Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Staatsanwaltschaften, Polizeien und den Bundesnachrichtendienst nach SS 20 des Bundes verfassungsschutzgesetzes. SS 12 Verfahrensregeln für die Übermittlung von Informationen Für die Übermittlung von Informationen nach diesem Gesetz finden die SSSS 23 bis 26 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entspre chende Anwendung. SS 13 Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 1 Abs. 1 bis 3, SS 2 und SS 14 fin den SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. BERICHT 2005 350 GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST SS 14 Besondere Auslandsverwendungen (1) Der Militärische Abschirmdienst sammelt während besonde rer Auslandsverwendungen der Bundeswehr im Sinne des SS 62 Abs. 1 des Soldatengesetzes oder bei humanitären Maßnahmen auf Anord nung des Bundesministers der Verteidigung Informationen, insbe sondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen, die zur Sicherung der Einsatzbereitschaft der Truppe oder zum Schutz der Angehörigen, der Dienststellen und Einrich tungen des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Vertei digung erforderlich sind, im Inland sowie im Ausland nur in Liegen schaften, in denen sich Dienststellen und Einrichtungen der Truppe befinden, und wertet sie aus. Zu diesem Zweck dürfen auch öffentli che Stellen im Einsatzland um Auskünfte ersucht werden. SS 1 Abs. 2 des BND-Gesetzes bleibt unberührt. (2) Darüber hinaus wertet der Militärische Abschirmdienst während besonderer Auslandsverwendungen der Bundeswehr nach Absatz 1 entsprechend SS 1 Abs. 2 Informationen auch aus über Perso nen oder Personengruppen, die nicht zum Geschäftsbereich des Bun desministeriums der Verteidigung gehören oder in ihm tätig sind, wenn sich deren Bestrebungen oder Tätigkeiten gegen die eingesetz ten Personen, Dienststellen oder Einrichtungen richten. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Ist die Sammlung von Informationen nach Satz 1 erforderlich, ersucht der Militärische Abschirmdienst den Bun desnachrichtendienst um entsprechende Maßnahmen. (3) Der Militärische Abschirmdienst wirkt während besonderer Auslandsverwendungen der Bundeswehr nach Absatz 1 auch im Ausland in den Liegenschaften nach Absatz 1 mit an Überprüfungen von Personen und an technischen Sicherheitsmaßnahmen entspre chend SS 1 Abs. 3. Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend. (4) Ist es zur Erfüllung der Aufgaben nach den Absätzen 1 bis 3 er forderlich, Informationen einschließlich personenbezogener Daten im Inland oder über deutsche Staatsangehörige zu erheben, richten sich die Erhebung, weitere Verarbeitung und Nutzung der Informa tionen nach den SSSS 4 bis 8 und 10 bis 12. Im Ausland sind besondere Formen der Datenerhebung nach SS 5 außerhalb der Liegenschaften nach Absatz 1 in keinem Fall zulässig. Die Erhebung der Informatio nen im Inland darf nur im Benehmen mit den zuständigen Verfas sungsschutzbehörden erfolgen und wenn anderenfalls die weitere Erforschung des Sachverhalts gefährdet oder nur mit übermäßigem Aufwand möglich wäre. Das Benehmen kann für eine Reihe gleich gelagerter Fälle hergestellt werden. GESETZ ÜBER DEN MILITÄRISCHEN ABSCHIRMDIENST 351 (5) Die Aufgaben nach den Absätzen 1 bis 3 und die Befugnisse sind zeit lich und räumlich auch durch die Auslandsverwendung der Bundeswehr begrenzt. (6) Die Unterrichtung nach SS 10 Abs. 1 erstreckt sich auf alle Informatio nen, die für die Aufgaben des Militärischen Abschirmdienstes nach den Ab sätzen 1 bis 3 erforderlich sind. Zur Erfüllung der Aufgaben nach den Absät zen 1 bis 3 arbeiten der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst im Rahmen ihrer gesetzlichen Befugnisse zu sammen. Der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichten dienst unterrichten einander über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Die Einzelheiten der Zusam menarbeit des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrich tendienstes bei besonderen Auslandsverwendungen der Bundeswehr oder bei humanitären Maßnahmen sind für jeden Einsatz in einer Vereinbarung zwischen dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichten dienst zu regeln, die der Zustimmung des Chefs des Bundeskanzleramtes und des Bundesministers der Verteidigung bedarf und über die das Parla mentarische Kontrollgremium zu unterrichten ist. (7) Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgre mium vor Beginn des Einsatzes des Militärischen Abschirmdienstes im Aus land. BERICHT 2005 352 GESETZ ÜBER DEN BUNDESNACHRICHTENDIENST 3. Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-G) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2979), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2005 (BGBl. I S. 1818) SS1 Organisation und Aufgaben (1) Der Bundesnachrichtendienst ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Chefs des Bundeskanzleramtes. Einer polizeili chen Dienststelle darf er nicht angegliedert werden. (2) Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außenund sicherheitspoli tischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die er forderlichen Informationen und wertet sie aus. Werden dafür im Geltungsbereich dieses Gesetzes Informationen einschließlich per sonenbezogener Daten erhoben, so richtet sich ihre Erhebung, Ver arbeitung und Nutzung nach den SSSS 2 bis 6 und 8 bis 11. SS2 Befugnisse (1) Der Bundesnachrichtendienst darf die erforderlichen Infor mationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verar beiten und nutzen, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmun gen des Bundesdatenschutzgesetzes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen, 1. zum Schutz seiner Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegen stände und Quellen gegen sicherheitsgefährdende oder ge heimdienstliche Tätigkeiten, 2. für die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die für ihn tätig sind oder tätig werden sollen, 3. für die Überprüfung der für die Aufgabenerfüllung not wendigen Nachrichtenzugänge und 4. über Vorgänge im Ausland, die von außenund sicherheits politischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, wenn sie nur auf diese Weise zu erlangen sind und für ihre Erhebung keine andere Behörde zuständig ist. GESETZ ÜBER DEN BUNDESNACHRICHTENDIENST 353 (1a) Der Bundesnachrichtendienst darf im Einzelfall bei Kreditins tituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, soweit dies im Rah men seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 2 Satz 1 für die Sammlung von In formationen über die in SS 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 4 und 6 des Artikel 10-Gesetzes genannten Gefahrenbereiche erforderlich ist und tat sächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die außenund sicherheitspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland vorliegen. Die Auskünfte dürfen nur auf Antrag einge holt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Bundesnach richtendienstes oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. SS 8 Abs. 9 Satz 3 bis 11 und Abs. 10 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung, wobei an die Stelle des vom Bundeskanzler beauftragten Bundesministeriums der Chef des Bundeskanzleramtes tritt. (2) Werden personenbezogene Daten beim Betroffenen mit sei ner Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Der Betroffene ist auf die Freiwilligkeit seiner Angaben und bei einer Si cherheitsüberprüfung nach Absatz 1 Nr. 2 auf eine dienstund ar beitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hin zuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen ist das Sicherheitsüber prüfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) anzuwenden. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Bundesnachrichtendienst nicht zu. Er darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen er selbst nicht befugt ist. (4) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat der Bundesnach richtendienst diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussicht lich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem be absichtigten Erfolg steht. SS3 Besondere Formen der Datenerhebung Der Bundesnachrichtendienst darf zur heimlichen Beschaffung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten die Mittel gemäß SS 8 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes anwenden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. SS 9 des Bundesverfassungsschutz gesetzes ist entsprechend anzuwenden. BERICHT 2005 354 GESETZ ÜBER DEN BUNDESNACHRICHTENDIENST SS4 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Der Bundesnachrichtendienst darf personenbezogene Daten nach SS 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes speichern, verän dern und nutzen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben erforder lich ist. (2) Die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezo gener Daten über Minderjährige ist nur unter den Voraussetzungen des SS 11 des Bundesverfassungsschutzgesetzes zulässig. SS5 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Da ten (1) Der Bundesnachrichtendienst hat die in Dateien gespeicher ten personenbezogenen Daten zu berichtigen, zu löschen und zu sperren nach SS 12 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (2) Der Bundesnachrichtendienst hat personenbezogene Daten in Akten zu berichtigen und zu sperren nach SS 13 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes. SS6 Dateianordnungen Der Bundesnachrichtendienst hat für jede automatisierte Datei mit personenbezogenen Daten eine Dateianordnung nach SS 14 des Bun desverfassungsschutzgesetzes zu treffen, die der Zustimmung des Chefs des Bundeskanzleramtes bedarf. SS 14 Abs. 2 und 3 des Bundes verfassungsschutzgesetzes ist anzuwenden. SS7 Auskunft an den Betroffenen Der Bundesnachrichtendienst erteilt dem Betroffenen auf Antrag Auskunft über zu seiner Person nach SS 4 gespeicherte Daten entspre chend SS 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. An die Stelle des dort genannten Bundesministers des Innern tritt der Chef des Bun deskanzleramtes. GESETZ ÜBER DEN BUNDESNACHRICHTENDIENST 355 SS8 Übermittlung von Informationen an den Bundesnachrichten dienst (1) Die Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren juris tischen Personen des öffentlichen Rechts dürfen von sich aus dem Bundesnachrichtendienst die ihnen bekanntgewordenen Informa tionen einschließlich personenbezogener Daten übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung 1. für seine Eigensicherung nach SS 2 Abs. 1 Nr. 1 oder 2. im Rahmen seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 2 zur Sammlung von Informationen über die in SS 5 Abs. 1 Satz 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Gefahrenbereiche erforderlich ist. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwalt schaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, übermit teln dem Bundesnachrichtendienst von sich aus die ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Da ten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für seine Eigensicherung nach SS 2 Abs. 1 Nr. 1 erforder lich ist. Darüber hinaus dürfen sie dem Bundesnachrichtendienst von sich aus die ihnen bekannt gewordenen Informationen ein schließlich personenbezogener Daten nach Maßgabe des Absatzes 1 Nr. 2 übermitteln. (3) Der Bundesnachrichtendienst darf nach SS 18 Abs. 3 des Bun desverfassungsschutzgesetzes jede Behörde um die Übermittlung der zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen und nach SS 18 Abs. 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes amtlich geführte Regis ter einsehen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. SS 17 Abs. 1 und SS 18 Abs. 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes sind anzuwenden. (3a) Der Bundesnachrichtendienst darf im Einzelfall, soweit dies im Rahmen seiner Aufgaben nach SS 1 Abs. 2 Satz 1 für die Sammlung von Informationen über die in SS 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 bis 4 und 6 des Ar tikel 10-Gesetzes genannten Gefahrenbereiche erforderlich ist, bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich AusBERICHT 2005 356 GESETZ ÜBER DEN BUNDESNACHRICHTENDIENST künfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Telediens tenutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Tele diensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortken nung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genomme nen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistungen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. Die Auskünfte dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes oder sei nen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. SS 8 Abs. 9 Satz 3 bis 11 und Abs. 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet ent sprechende Anwendung, wobei an die Stelle des vom Bundeskanzler beauftragen Bundesministeriums der Chef des Bundeskanzleramtes tritt. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (4) Für die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozeßordnung be kanntgeworden sind, ist SS 18 Abs. 6 des Bundesverfassungsschutzge setzes entsprechend anzuwenden. SS9 Übermittlung von Informationen durch den Bundesnachrich tendienst (1) Der Bundesnachrichtendienst darf Informationen einschließ lich personenbezogener Daten an inländische Behörden übermit teln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder wenn der Empfänger die Daten für Zwecke der öffentlichen Sicher heit benötigt. Der Empfänger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwen den, zu dem sie ihm übermittelt wurden. (2) Für die Übermittlung von Informationen einschließlich perso nenbezogener Daten an andere Stellen ist SS 19 Abs. 2 bis 4 des Bun GESETZ ÜBER DEN BUNDESNACHRICHTENDIENST 357 desverfassungsschutzgesetzes entsprechend anzuwenden; dabei ist die Übermittlung nach Absatz 4 dieser Vorschrift nur zulässig, wenn sie zur Wahrung außenund sicherheitspolitischer Belange der Bun desrepublik Deutschland erforderlich ist und der Chef des Bundes kanzleramtes seine Zustimmung erteilt hat. Für vom Verfassungs schutz übermittelte personenbezogene Daten im Sinne des SS 18 Abs. 1 a Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes gilt SS 18 Abs. 1a Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (3) Der Bundesnachrichtendienst übermittelt Informationen einschließlich personenbezogener Daten an die Staatsanwaltschaf ten, die Polizeien und den Militärischen Abschirmdienst entspre chend SS 20 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. SS 10 Verfahrensregeln für die Übermittlung von Informationen Für die Übermittlung von Informationen nach SSSS 8 und 9 sind die SSSS 23 bis 26 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entsprechend anzu wenden. SS 11 Geltung des Bundesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes fin den SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 12 Berichtspflicht Der Bundesnachrichtendienst unterrichtet den Chef des Bundes kanzleramtes über seine Tätigkeit. Über die Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit unterrichtet er darüber hinaus auch unmittelbar die Bun desminister im Rahmen ihrer Zuständigkeiten; hierbei ist auch die Übermittlung personenbezogener Daten zulässig. BERICHT 2005 358 KO N T RO L LG R E M I U M G E S E T Z 4. Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz - PKGrG) vom 11. April 1978 (BGBl. I S. 453), zuletzt geändert durch Gesetz vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254) SS1 (1) Die Bundesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirm dienstes und des Bundesnachrichtendienstes der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium. (2) Die Rechte des Deutschen Bundestages, seiner Ausschüsse und der Kommission nach dem Artikel 10-Gesetz bleiben unberührt. SS2 Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontroll gremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit der in SS 1 Abs. 1 genannten Behörden und über die Vorgänge von besonderer Bedeu tung. Auf Verlangen des Parlamentarischen Kontrollgremiums hat die Bundesregierung auch über sonstige Vorgänge zu berichten. SS2a Die Bundesregierung hat dem Parlamentarischen Kontrollgremium im Rahmen der Unterrichtung nach SS 2 auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien der Dienste zu geben, die Anhörung von Mitar beitern der Dienste zu gestatten und Besuche bei den Diensten zu er möglichen. SS2b (1) Die Verpflichtung der Bundesregierung nach den SSSS 2 und 2a erstreckt sich nur auf Informationen und Gegenstände, die der Ver fügungsberechtigung der Nachrichtendienste des Bundes unterlie gen. (2) Die Bundesregierung kann die Unterrichtung nach den SSSS 2 und 2a nur verweigern, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzuganges oder aus Gründen des Schutzes von Persön lichkeitsrechten Dritter notwendig ist oder wenn der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Lehnt die Bundes KO N T RO L LG R E M I U M G E S E T Z 359 regierung eine Unterrichtung ab, so hat der für den betroffenen Nachrichtendienst zuständige Bundesminister (SS 2 Abs. 1 Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, SS 1 Abs. 1 Satz 1 des MAD-Geset zes) und, soweit der Bundesnachrichtendienst betroffen ist, der Chef des Bundeskanzleramtes (SS 1 Abs. 1 Satz 1 des BND-Gesetzes) dies dem Parlamentarischen Kontrollgremium auf dessen Wunsch zu begründen. SS2c Das Parlamentarische Kontrollgremium kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder nach Anhörung der Bundesregie rung im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahr nehmung seiner Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzu führen. Der Sachverständige hat dem Parlamentarischen Kontroll gremium über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 5 Abs. 1 gilt entsprechend. SS2d Angehörigen der Nachrichtendienste ist es gestattet, sich in dienstli chen Angelegenheiten, jedoch nicht im eigenen oder Interesse an derer Angehöriger dieser Behörden, mit Eingaben an das Parlamen tarische Kontrollgremium zu wenden, soweit die Leitung der Dienste entsprechenden Eingaben nicht gefolgt ist. An den Deut schen Bundestag gerichtete Eingaben von Bürgern über ein sie be treffendes Verhalten der in SS 1 Abs. 1 genannten Behörden können dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Kenntnis gegeben werden. SS2e (1) Der Vorsitzende, sein Stellvertreter und ein beauftragtes Mit glied können an den Sitzungen des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung mitberatend teilnehmen. In gleicher Weise haben der Vorsitzende des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung, sein Stellvertreter und ein beauftrag tes Mitglied die Möglichkeit, mitberatend an den Sitzungen des Par lamentarischen Kontrollgremiums teilzunehmen. (2) Die Entwürfe der jährlichen Wirtschaftspläne der Dienste wer den dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Mitberatung überwiesen. Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentari sche Kontrollgremium über den Vollzug der Wirtschaftspläne im Haushaltsjahr. Bei den Beratungen der Wirtschaftspläne der Dienste und deren Vollzug können die Mitglieder wechselseitig mitberatend an den Sitzungen beider Gremien teilnehmen. BERICHT 2005 360 KO N T RO L LG R E M I U M G E S E T Z SS3 Die politische Verantwortung der Bundesregierung für die in SS 1 ge nannten Behörden bleibt unberührt. SS4 (1) Der Deutsche Bundestag wählt zu Beginn jeder Wahlperiode die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums aus seiner Mitte. (2) Er bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des Parlamentarischen Kontrollgremiums. (3) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Deutschen Bundestag oder sei ner Fraktion aus oder wird ein Mitglied zum Bundesminister oder Parlamentarischen Staatssekretär ernannt, so verliert es seine Mit gliedschaft im Parlamentarischen Kontrollgremium; SS 5 Abs. 4 bleibt unberührt. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mit glied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Parla mentarischen Kontrollgremium ausscheidet. SS5 (1) Die Beratungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind geheim. Die Mitglieder des Gremiums und die an den Sitzun gen teilnehmenden Mitglieder des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung sind zur Geheimhaltung der Angele genheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im Parlamenta rischen Kontrollgremium bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus beiden Gremien. Das gleiche gilt für Angelegenheiten, die den Mitgliedern des Gremiums anläss lich der Teilnahme an Sitzungen des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung bekannt geworden sind. Satz 1 gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehr heit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Parlamentari schen Kontrollgremiums ihre vorherige Zustimmung erteilt. (2) Das Parlamentarische Kontrollgremium tritt mindestens ein mal im Vierteljahr zusammen. Es gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verlangen. KO N T RO L LG R E M I U M G E S E T Z 361 (4) Das Parlamentarische Kontrollgremium übt seine Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Deutschen Bundestages so lange aus, bis der nachfolgende Deutsche Bundestag gemäß SS 4 entschieden hat. SS6 Das Parlamentarische Kontrollgremium erstattet dem Deutschen Bundestag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode einen Be richt über seine bisherige Kontrolltätigkeit. Dabei sind die Grund sätze des SS 5 Abs. 1 zu beachten. SS 14 Abs. 1 Satz 2 des Artikel 10-Ge setzes bleibt unberührt. BERICHT 2005 362 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 5. Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2005 (BGBl. I S. 1818) Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck und Anwendungsbereich des Gesetzes (1) Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Überprüfung einer Person, die von der zuständigen Stelle mit ei ner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Sicher heitsüberprüfung) oder bereits betraut worden ist (Wiederholungs überprüfung). (2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer 1. Zugang zu Verschlußsachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG GEHEIM, GEHEIM ODER VS-VERTRAU LICH eingestuft sind, 2. Zugang zu Verschlußsachen überstaatlicher Einrichtungen und Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, wenn die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, nur sicher heitsüberprüfte Personen hierzu zuzulassen, 3. in einer Behörde oder einer sonstigen öffentlichen Stelle des Bundes oder in einem Teil von ihr tätig ist, die auf Grund des Umfanges und der Bedeutung dort anfallender Ver schlußsachen von der jeweils zuständigen obersten Bundes behörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern als Nationale Sicherheitsbehörde zum Sicher heitsbereich erklärt worden ist. (3) Verpflichten sich Stellen der Bundesrepublik Deutschland ge genüber Stellen anderer Staaten durch Übereinkünfte, bei Personen, die Zugang zu Verschlußsachen ausländischer Staaten haben oder sich verschaffen können, zuvor Sicherheitsüberprüfungen nach deutschem Recht durchzuführen, ist in diesen Übereinkünften fest zulegen, welche Verschlußsachengrade des Vertragspartners Ver schlußsachengraden nach diesem Gesetz vergleichbar sind. Derar SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 363 tige Festlegungen müssen sich im Rahmen der Bewertungen dieses Gesetzes halten und insbesondere den Maßstäben des SS 4 entspre chen. (4) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt auch aus, wer an ei ner sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung oder wer innerhalb einer be sonders sicherheitsempfindlichen Stelle des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung ("Militärischer Sicherheitsbe reich") beschäftigt ist oder werden soll (vorbeugender personeller Sabotageschutz). (5) Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, 1. deren Beeinträchtigung auf Grund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann oder 2. die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde. Verteidigungswichtig sind außerhalb des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung solche Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft die nen und deren Beeinträchtigung auf Grund 1. fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit die Funktionsfähig keit, insbesondere die Ausrüstung, Führung und Unterstüt zung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie der Zivilen Verteidigung, oder 2. der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Ge sundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann. Sicherheitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbständig handelnde Organisationseinheit innerhalb ei ner lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unbe rechtigtem Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beein trächtigung eine erhebliche Gefahr für die in den Sätzen 1 und 2 genannten Schutzgüter ausgeht. BERICHT 2005 364 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SS2 Betroffener Personenkreis (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Betroffener), ist vorher einer Sicherheitsüber prüfung zu unterziehen. Die Sicherheitsüberprüfung bedarf der Zu stimmung des Betroffenen, soweit gesetzlich nichts anderes be stimmt ist. Die Zustimmung ist schriftlich zu erteilen, aber nicht in elektronischer Form. Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit darf erst nach Vollendung des 16. Lebensjahres übertragen werden. Auf eine Sicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz kann verzichtet werden, wenn für den Betroffenen bereits eine gleichoder höher wertige Sicherheitsüberprüfung durchgeführt worden ist. (2) Der volljährige Ehegatte, der Lebenspartner oder der voll jährige Partner, mit dem der Betroffene in einer auf Dauer angeleg ten Gemeinschaft lebt (Lebensgefährte), soll in die Sicherheitsüber prüfung nach den SSSS 9 und 10 einbezogen werden. Über Aus nahmen entscheidet die zuständige Stelle. Im Falle der Einbezie hung ist die Zustimmung des Ehegatten, Lebenspartners oder Le bensgefährten erforderlich. Die Zustimmung ist schriftlich zu ertei len, aber nicht in elektronischer Form. Geht der Betroffene die Ehe während oder erst nach erfolgter Sicherheitsüberprüfung ein oder begründet er die Lebenspartnerschaft oder die auf Dauer angelegte Gemeinschaft in dem entsprechenden Zeitraum, so ist die zustän dige Stelle zu unterrichten, um sie in die Lage zu versetzen, die Ein beziehung des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefährten in die Sicherheitsüberprüfung nachzuholen. Das gleiche gilt bei später eintretender Volljährigkeit des Ehegatten oder Lebensgefährten. (3) Dieses Gesetz gilt nicht für 1. die Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes, 2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtsprechung wahrneh men, 3. ausländische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse zwischenstaatlicher Einrichtun gen und Stellen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Nr. 2 ausüben sollen. SS3 Zuständigkeit (1) Zuständig für die Sicherheitsüberprüfung ist SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 365 1. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes, die einer Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit zuwei sen, übertragen oder sie dazu ermächtigen will, 2. bei deutschen Staatsangehörigen aus Anlaß ihrer Tätigkeit im sicherheitsempfindlichen Bereich bei der NATO oder an deren zwischenstaatlichen Einrichtungen und Stellen das Bundesministerium des Innern als Nationale Sicherheits behörde, soweit nichts anderes bestimmt ist, 3. bei politischen Parteien nach Artikel 21 des Grundgesetzes sowie deren Stiftungen die Parteien selbst, 4. im übrigen die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes, die eine Verschlußsache an eine nicht-öffentliche Stelle weitergeben will, 5. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes, die auf Grund einer Rechtsverordnung gemäß SS 34 Aufgaben nach SS 1 Abs. 4 wahrnimmt und eine Person mit einer derar tigen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betrauen will. In den Fällen der Nummern 1 und 4 kann bei nachgeordneten Behör den und sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes deren oberste Bundesbehörde Aufgaben der zuständigen Stelle übernehmen. Die Aufgaben der zuständigen Stelle nach diesem Gesetz sind von einer von der Personalverwaltung getrennten Organisationseinheit wahr zunehmen. (2) Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist das Bundesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 2 Nr. 1 des Bundes verfassungsschutzgesetzes und im Geschäftsbereich des Bundesmi nisteriums der Verteidigung der Militärische Abschirmdienst nach SS 1 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a und b des MAD-Gesetzes, soweit nicht in Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher Einrichtungen oder in völ kerrechtlichen Verträgen, denen die gesetzgebenden Körperschaf ten gemäß Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes zugestimmt haben, etwas anderes bestimmt ist. (3) Der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungs schutz und der Militärische Abschirmdienst führen Sicherheitsüber prüfungen bei Bewerbern und Mitarbeitern des eigenen Dienstes al lein durch. Sie wenden hierbei die Vorschriften dieses Gesetzes an. Gleiches gilt, wenn der Bundesnachrichtendienst oder der Militäri sche Abschirmdienst eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach Absatz 1 Nr. 1 und 4 zuweisen, übertragen oder dazu ermächtigen will. BERICHT 2005 366 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ SS4 Verschlußsachen (1) Verschlußsachen sind im öffentlichen Interesse geheimhal tungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unab hängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Ver anlassung eingestuft. (2) Eine Verschlußsache ist 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepu blik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann, 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Si cherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, 3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbe fugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnis nahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepu blik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann. SS5 Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Erkenntnisse (1) Im Sinne dieses Gesetzes liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen oder 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Wer bungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpreßbarkeit, begründen oder 3. Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgeset zes oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung be gründen. SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 367 Ein Sicherheitsrisiko kann auch auf Grund tatsächlicher Anhalts punkte zur Person des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensge fährten vorliegen. (2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. SS6 Rechte des Betroffenen (1) Vor Ablehnung der Zulassung zu einer sicherheitsempfindli chen Tätigkeit ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich per sönlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Der Betroffene kann zur Anhörung mit einem Rechtsanwalt erscheinen. Die Anhörung erfolgt in einer Weise, die den Quellen schutz gewährleistet und den schutzwürdigen Interessen von Perso nen, die im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung befragt wurden, Rechnung trägt. Sie unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nach teil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen der Bewerber bei den Nachrichtendiensten des Bundes. (2) Liegen in der Person des Ehegatten, Lebenspartners oder Le bensgefährten Anhaltspunkte vor, die ein Sicherheitsrisiko begrün den, ist ihm Gelegenheit zu geben, sich vor der Ablehnung der Zu lassung des Betroffenen zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit persönlich zu dem für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Absatz 1 Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. (3) Die Absätze 1 und 2 sind auch im Falle der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuwenden. Zweiter Abschnitt Überprüfungsarten und Durchführungsmaßnahmen SS7 Arten der Sicherheitsüberprüfung (1) Entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder eine 1. einfache Sicherheitsüberprüfung oder BERICHT 2005 368 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung oder 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermitt lungen durchgeführt. (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung sicherheitser hebliche Erkenntnisse, die nur durch Maßnahmen der nächsthöhe ren Art der Sicherheitsüberprüfung geklärt werden können, kann die zuständige Stelle mit Zustimmung des Betroffenen und der ein bezogenen Person die nächsthöhere Art der Sicherheitsüberprüfung anordnen. SS 12 Abs. 5 bleibt unberührt. SS8 Einfache Sicherheitsüberprüfung (1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durch zuführen, die 1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlußsa chen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1 Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen, 3. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1 Abs. 4 wahrnehmen sol len. (2) In den Fällen von Absatz 1 Nr. 2 kann die zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder Dauer der Tätigkeit dies zulassen. SS9 Erweiterte Sicherheitsüberprüfung Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzu führen, die 1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Verschlußsachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Zugang zu einer hohen Anzahl VS-VERTRAULICH einge stuften Verschlußsachen erhalten sollen oder ihn sich ver schaffen können, SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 369 soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 für ausreichend hält. SS 10 Erweitere Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlun gen ist für Personen durchzuführen, 1. die Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften Verschluß sachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. die Zugang zu einer hohen Anzahl GEHEIM eingestuften Verschlußsachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 3. die bei einem Nachrichtendienst des Bundes oder einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Bundes tätig werden sollen, die nach Feststellung der Bundesregierung gemäß SS 34 Aufgaben von vergleichbarer Sicherheitsemp findlichkeit wahrnimmt, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 oder SS 9 für aus reichend hält. SS 11 Datenerhebung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde dürfen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Da ten erheben. Der Betroffene sowie die sonstigen zu befragenden Per sonen und nicht-öffentlichen Stellen sind auf den Zweck der Erhe bung, die Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungs pflicht, ansonsten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 3 Satz 1 genannten Per sonen kann die Angabe der erhebenden Stelle gegenüber den sons tigen zu befragenden Personen oder nicht-öffentlichen Stellen un terbleiben, wenn dies zum Schutz des Betroffenen oder des Nach richtendienstes erforderlich ist. (2) Die zuständige Stelle erhebt die personenbezogenen Daten beim Betroffenen oder bei dem in die Sicherheitsüberprüfung ein bezogenen Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefährte. Reicht BERICHT 2005 370 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ diese Erhebung nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige Interessen des Betroffenen oder seines Ehegatten, Lebenspartners oder Lebens gefährten entgegen, können andere geeignete Personen oder Stel len befragt werden. SS 12 Maßnahmen bei den einzelnen Überprüfungsarten (1) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 trifft die mitwirkende Behörde folgende Maßnahmen: 1. sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicherheit serklärung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Ver fassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, 2. Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bun deszentralregister, 3. Anfragen an das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei direktion und die Nachrichtendienste des Bundes. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 9 trifft die mitwirkende Behörde zusätzlich zu Absatz 1 folgende Maßnahmen: 1. Anfragen an die Polizeidienststellen der innegehabten Wohnsitze des Betroffenen, in der Regel beschränkt auf die letzten fünf Jahre, 2. Prüfung der Identität des Betroffenen. Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder Lebensgefährte des Betroffe nen in die Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 2 Abs. 2 einbezogen, trifft die mitwirkende Behörde bezüglich der einzubeziehenden Per son die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen. (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 10 befragt die mitwir kende Behörde zusätzlich von dem Betroffenen in seiner Sicherheits erklärung angegebene Referenzpersonen und weitere geeignete Auskunftspersonen, um zu prüfen, ob die Angaben des Betroffenen zutreffen und ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko schließen lassen. (4) Die zuständige Stelle fragt zur Feststellung einer hauptamtli chen oder inoffiziellen Tätigkeit des Betroffenen oder der einbezo genen Person für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deut schen Demokratischen Republik bei dem Bundesbeauftragten für SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 371 die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut schen Demokratischen Republik an, wenn der Betroffene oder die einbezogene Person vor dem 1. Januar 1970 geboren wurde und in dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wohnhaft war oder Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für den Staatssi cherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Repu blik vorliegen. Ergibt die Anfrage sicherheitserhebliche Erkennt nisse, übermittelt sie die zuständige Stelle zur Bewertung an die mitwirkende Behörde. (5) Soweit es eine sicherheitserhebliche Erkenntnis erfordert und die Befragung des Betroffenen oder seines Ehegatten, Lebenspart ners oder Lebensgefährten nicht ausreicht oder ihr schutzwürdige Interessen entgegenstehen, kann die mitwirkende Behörde neben den Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 3 weitere geeignete Aus kunftspersonen oder andere geeignete Stellen, insbesondere Staats anwaltschaften oder Gerichte, befragen oder Einzelmaßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung durchführen. Dritter Abschnitt Verfahren SS 13 Sicherheitserklärung (1) In der Sicherheitserklärung sind vom Betroffenen anzugeben: 1. Namen, auch frühere, Vornamen, 2. Geburtsdatum-, -ort, 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und doppelte Staatsan gehörigkeiten, 4. Familienstand, 5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer Dauer als zwei Mo nate, und zwar im Inland in den vergangenen fünf Jahren, im Ausland ab dem 18. Lebensjahr, 6. ausgeübter Beruf, 7. Arbeitgeber und dessen Anschrift, 8. Anzahl der Kinder, BERICHT 2005 372 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 9. im Haushalt lebende Personen über 18 Jahre (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort und Verhältnis zu dieser Person), 10. Eltern, Stiefoder Pflegeeltern (Namen, auch frühere, Vor namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz), 11. Ausbildungsund Beschäftigungszeiten, Wehroder Zivil dienstzeiten mit Angabe der Ausbildungsstätten, Beschäfti gungsstellen sowie deren Anschriften, 12. Nummer des Personalausweises oder Reisepasses, 13. Angaben über in den vergangenen fünf Jahren durchge führte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, und ob zur Zeit die finanziellen Verpflichtungen erfüllt werden können, 14. Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokra tischen Republik, die auf einen Anbahnungsund Wer bungsversuch hindeuten können, 15. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen, 16. anhängige Strafund Disziplinarverfahren, 17. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reisen, nahen An gehörigen und sonstigen Beziehungen in und zu Staaten, in denen nach Feststellung des Bundesministeriums des In nern als Nationale Sicherheitsbehörde besondere Sicher heitsrisiken für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit befaßten Personen zu besorgen sind, 18. zwei Auskunftspersonen zur Identitätsprüfung des Betrof fenen nur bei der Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 (Namen, Vornamen, Anschrift und Verhältnis zur Person), 19. drei Referenzpersonen (Namen, Vornamen, Beruf, berufli che und private Anschrift und Rufnummern sowie zeitli cher Beginn der Bekanntschaft) nur bei einer Sicherheits überprüfung nach SS 10, 20. Angaben zu früheren Sicherheitsüberprüfungen. SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 373 Der Erklärung sind zwei aktuelle Lichtbilder mit der Angabe des Jah res der Aufnahme beizufügen. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 entfallen die Anga ben zu Absatz 1 Nr. 8, 11 und 12 und die Pflicht, Lichtbilder beizubrin gen; Absatz 1 Nr. 10 entfällt, soweit die dort genannten Personen nicht in einem Haushalt mit dem Betroffenen leben. Zur Person des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefährten sind mit deren Einverständnis die in Absatz 1 Nr. 1 bis 4, 14 und 15 genannten Daten anzugeben. Ergeben sich aus der Sicherheitserklärung oder auf Grund der Abfrage aus einer der in SS 6 des Bundesverfassungs schutzgesetzes genannten Verbunddateien sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensge fährten des Betroffenen, sind weitere Überprüfungsmaßnahmen nur zulässig, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner mit seiner Zu stimmung in die erweiterte Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird. (3) Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder Lebensgefährte in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, so sind zusätzlich die in Absatz 1 Nr. 5 bis 7, 12, 13, 16, 17 und 18 genannten Daten anzugeben. (4) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 3 genannten Per sonen, sind zusätzlich die Wohnsitze seit der Geburt, die Geschwis ter und abgeschlossene Straf und Disziplinarverfahren sowie alle Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrich tendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik anzugeben. (5) Der Betroffene kann Angaben verweigern, die für ihn, einen nahen Angehörigen im Sinne des SS 52 Abs. 1 der Strafprozeßord nung, den Lebenspartner oder Lebensgefährten die Gefahr straf rechtlicher oder disziplinarischer Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen könnten. Über das Verweigerungsrecht ist der Betroffene zu belehren. (6) Die Sicherheitserklärung ist vom Betroffenen der zuständigen Stelle zuzuleiten. Sie prüft die Angaben des Betroffenen auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit. Zu diesem Zweck können die Perso nalakten eingesehen werden. Die zuständige Stelle leitet die Sicher heitserklärung an die mitwirkende Behörde weiter und beauftragt diese, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, es sei denn, die zuständige Stelle hat bereits bei der Prüfung der Sicherheitser klärung festgestellt, daß ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das einer si cherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Die mitwirkende Behörde kann mit Zustimmung der zuständigen Stelle und des BeBERICHT 2005 374 troffenen in die Personalakte Einsicht nehmen, wenn dies zur Klärung oder Beurteilung sicherheitserheblicher Erkenntnisse uner läßlich ist. SS 14 Abschluß der Sicherheitsüberprüfung (1) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, daß kein Sicherheitsrisiko nach SS 5 Abs. 1 vorliegt, so teilt sie dies der zuständi gen Stelle mit. Fallen Erkenntnisse an, die kein Sicherheitsrisiko be gründen, aber weiterhin sicherheitserheblich sind, so werden diese mitgeteilt. (2) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, daß ein Si cherheitsrisiko vorliegt, unterrichtet sie schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer Bewertung die zuständige Stelle. Bei nachge ordneten Stellen erfolgt die Unterrichtung über deren oberste Bun desbehörde. (3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Sicherheitsrisiko vor liegt, das der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen entgegensteht. Im Zweifel hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen. SS 6 Abs. 1 und 2 ist zu beachten. (4) Lehnt die zuständige Stelle die Betrauung mit der sicherheits empfindlichen Tätigkeit ab, teilt sie dies dem Betroffenen mit. SS 15 Vorläufige Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen abweichend von SS 2 Abs. 1 die sicherheitsempfindliche Tätigkeit des Betroffenen vor Ab schluß der Sicherheitsüberprüfung erlauben, wenn die mitwirkende Behörde 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung die Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der eige nen Erkenntnisse bewertet hat oder 2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung und bei der er weiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermitt lungen die Maßnahmen der nächstniederen Art der Sicher heitsüberprüfung abgeschlossen hat und sich daraus keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicher heitsrisiko ergeben haben. SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 375 SS 16 Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach Abschluß der Sicher heitsüberprüfung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich unverzüglich gegenseitig zu unterrichten, wenn sicherheitserhebli che Erkenntnisse über den Betroffenen oder den in die Sicherheits überprüfung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartner oder Lebens gefährte bekanntwerden oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unrichtig erweisen. (2) Die mitwirkende Behörde prüft die sicherheitserheblichen Er kenntnisse und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach SS 5 Abs. 1 vor liegt und unterrichtet die zuständige Stelle über das Ergebnis der Prüfung. Im übrigen ist SS 14 Abs. 3 und 4 entsprechend anzuwenden. SS 17 Ergänzung der Sicherheitserklärung und Wiederholungsüber prüfung (1) Die Sicherheitserklärung ist dem Betroffenen, der eine sicher heitsempfindliche Tätigkeit ausübt, in der Regel alle fünf Jahre er neut zuzuleiten und im Falle eingetretener Veränderungen vom Be troffenen zu ergänzen. (2) Bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten nach SS 10 ist in der Regel im Abstand von zehn Jahren eine Wiederholungsüberprüfung einzuleiten. Im übrigen kann die zuständige Stelle eine Wiederho lungsüberprüfung einleiten, wenn sicherheitserhebliche Erkennt nisse dies nahelegen. Das Verfahren bei der Wiederholungsüber prüfung entspricht dem der Erstüberprüfung; die mitwirkende Behörde kann von einer erneuten Identitätsprüfung absehen. Die Wiederholungsüberprüfung erfolgt nur mit Zustimmung des Be troffenen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, und mit der Zustimmung seines Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefähr ten, falls er einbezogen wird. Vierter Abschnitt Akten über die Sicherheitsüberprüfung, Datenverarbeitung SS 18 Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprüfungsakte (1) Die zuständige Stelle führt über den Betroffenen eine Sicher heitsakte, in die alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Infor mationen aufzunehmen sind. BERICHT 2005 376 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ (2) Informationen über die persönlichen, dienstlichen und ar beitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die mit einer sicher heitsempfindlichen Tätigkeit befaßt sind, sind zur Sicherheitsakte zu nehmen, soweit sie für die sicherheitsmäßige Beurteilung erheblich sind. Dazu zählen insbesondere: 1. Zuweisung, Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die dazu erteilte Ermächtigung sowie deren Än derungen und Beendigung, 2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Ausscheiden, 3. Änderungen des Familienstandes, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit, 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfän dungsund Überweisungsbeschlüsse, 5. Strafund Disziplinarsachen sowie dienstund arbeitsrecht liche Maßnahmen. (3) Die Sicherheitsakte ist keine Personalakte. Sie ist gesondert zu führen und darf weder der personalverwaltenden Stelle noch dem Betroffenen zugänglich gemacht werden; SS 23 Abs. 6 bleibt un berührt. Im Falle des Wechsels der Dienststelle oder des Dienstherrn ist die Sicherheitsakte nach dorthin abzugeben, wenn auch dort eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt werden soll. (4) Die mitwirkende Behörde führt über den Betroffenen eine Si cherheitsüberprüfungsakte, in die aufzunehmen sind: 1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüfung, die durch geführten Maßnahmen und das Ergebnis betreffen, 2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufnahme der sicher heitsempfindlichen Tätigkeit, 3. Änderungen des Familienstandes, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit. Die in Absatz 2 Nr. 4 und 5 genannten Daten sind zur Sicherheits überprüfungsakte zu nehmen, wenn sie sicherheitserheblich sind. (5) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die in Absatz 4 Satz 1 Nr. 3 und Satz 2 genannten Daten unverzüglich der mitwirkenden Behörde zu übermitteln. Die Übermittlung der in Absatz 4 Satz 1 Nr. SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 377 2 genannten Daten erfolgt nach den in SS 22 Abs. 2 Nr. 1 festgelegten Fristen. SS 19 Aufbewahrung und Vernichtung der Unterlagen (1) Die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung sind geson dert aufzubewahren und gegen unbefugten Zugriff zu schützen. (2) Die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung sind bei der zuständigen Stelle innerhalb eines Jahres zu vernichten, wenn der Betroffene keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, der Betroffene willigt in die weitere Aufbewahrung ein. Im übrigen sind die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung bei der zuständigen Stelle fünf Jahre nach dem Ausscheiden aus der si cherheitsempfindlichen Tätigkeit zu vernichten, es sei denn, der Be troffene willigt in die weitere Aufbewahrung ein oder es ist beab sichtigt, dem Betroffenen in absehbarer Zeit erneut eine sicher heitsempfindliche Tätigkeit zuzuweisen, zu übertragen oder ihn dazu zu ermächtigen. (3) Die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung bei der mit wirkenden Behörde sind nach den in SS 22 Abs. 2 Nr. 2 genannten Fris ten zu vernichten. Gleiches gilt bezüglich der Unterlagen zu den in SS 3 Abs. 3 genannten Personen. SS 20 Speichern, Verändern und Nutzen personenbezogener Daten in Dateien (1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die in SS 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezo genen Daten, ihre Aktenfundstelle und die der mitwirkenden Behörde sowie die Beschäftigungsstelle, Verfügungen zur Bearbei tung des Vorganges und beteiligte Behörden in Dateien speichern, verändern und nutzen. (2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben 1. die in SS 13 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 genannten personenbezogenen Daten des Betroffenen und des in die Sicherheitsüberprü fung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartners oder Le bensgefährten und die Aktenfundstelle, BERICHT 2005 378 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs sowie 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und Erkenntnisse, die ein Sicherheitsrisiko begründen, in Dateien speichern, verändern und nutzen. Die Daten nach Num mer 1 dürfen auch in die nach SS 6 des Bundesverfassungsschutzge setzes zulässigen Verbunddateien gespeichert werden. SS 21 Übermittlung und Zweckbindung (1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespeicherten personenbezogenen Daten dürfen von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde nur für 1. die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgten Zwecke, 2. Zwecke der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Be deutung, 3. Zwecke parlamentarischer Untersuchungsausschüsse genutzt und übermittelt werden. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die ihnen nach Satz 1 Nr. 2 übermittelten Daten für Zwecke ei nes Strafverfahrens nur verwenden, wenn die Strafverfolgung auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesent lich erschwert wäre. Die zuständige Stelle darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus für Zwecke der diszipli narrechtlichen Verfolgung sowie dienstoder arbeitsrechtlicher Maßnahmen nutzen und übermitteln, wenn dies zur Gewährleis tung des Verschlußsachenschutzes erforderlich ist. Die mitwirkende Behörde darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus im Rahmen des erforderlichen Umfangs nutzen und über mitteln zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheim dienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebun gen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt anwendung vorzubereiten oder zur Aufklärung sonstiger Bestre bungen von erheblicher Bedeutung. (2) Die Übermittlung der nach SS 20 in Dateien gespeicherten Da ten ist nur zulässig, soweit sie für die Erfüllung der in Absatz 1 ge nannten Zwecke erforderlich ist. Die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 1 gespei cherten Daten dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des Verfassungs schutzes genutzt und übermittelt werden. SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 379 (3) Die mitwirkende Behörde darf personenbezogene Daten nach den Absätzen 1 und 2 nur an öffentliche Stellen übermitteln. (4) Die Nutzung oder Übermittlung unterbleibt, soweit gesetzli che Verwendungsregelungen entgegenstehen. (5) Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verarbeiten und nutzen, zu dessen Erfüllung sie ihm übermit telt werden, und zum Zweck der Strafverfolgung gemäß Absatz 1 Satz 1 Nr. 2. Eine nicht-öffentliche Stelle ist darauf hinzuweisen. SS 22 Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben personenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wird festgestellt, daß personenbezogene Daten unrichtig sind oder wird ihre Richtigkeit vom Betroffenen bestritten, so ist dies, soweit sich die personenbezogenen Daten in Akten befinden, dort zu ver merken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) In Dateien gespeicherte personenbezogene Daten sind zu lö schen 1. von der zuständigen Stelle a) innerhalb eines Jahres, wenn der Betroffene keine sicher heitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, der Be troffene willigt in die weitere Speicherung ein, b) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden des Be troffenen aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei denn, der Betroffene willigt in die weitere Speicherung ein oder es ist beabsichtigt, dem Betroffenen in absehbarer Zeit eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit zuzuweisen, zu übertragen oder ihn dazu zu ermächtigen, 2. von der mitwirkenden Behörde a) bei einfachen Sicherheitsüberprüfungen nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden des Betroffenen aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, b) bei den übrigen Überprüfungsarten nach Ablauf von zehn Jahren, beim Bundesnachrichtendienst nach Ablauf von 25 Jahren, nach den in Nummer 1 genannten Fristen, BERICHT 2005 380 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ c) die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 3 gespeicherten Daten, wenn fest steht, daß der Betroffene keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt oder aus ihr ausgeschieden ist. Im übrigen sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. (3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme be steht, daß durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen be einträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung des Betroffenen verarbeitet und genutzt werden. SS 23 Auskunft über gespeicherte personenbezogene Daten (1) Auf Antrag ist von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde unentgeltlich Auskunft zu erteilen, welche Daten über die anfragende Person im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespei chert wurden. (2) Bezieht sich die Auskunftserteilung auf die Übermittlung per sonenbezogener Daten an die mitwirkenden Behörden, ist sie nur mit deren Zustimmung zulässig. (3) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. die Auskunft die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zu ständigkeit der speichernden Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde, 2. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 3. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere we gen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Drit ten, geheimgehalten werden müssen und deswegen das Interesse des Anfragenden an der Auskunftsertei lung zurücktreten muß. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf einer Begrün dung nicht, soweit durch die Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung gestützt wird, der mit SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 381 der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde. In diesem Fall sind die Gründe der Auskunftsverweigerung aktenkun dig zu machen. Die anfragende Person ist auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, daß sie sich an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. (5) Wird dem Anfragenden keine Auskunft erteilt, so ist sie auf sein Verlangen dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu er teilen, soweit nicht die jeweils zuständige oberste Bundesbehörde im Einzelfall feststellt, daß dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Die Mitteilung des Bundesbeauftrag ten für den Datenschutz darf keine Rückschlüsse auf den Erkenntnis stand der speichernden Stelle zulassen, sofern diese nicht einer wei tergehenden Auskunft zustimmt. (6) Die zuständige Stelle gewährt der anfragenden Person Ein sicht in die Sicherheitsakte, soweit eine Auskunft für die Wahrneh mung ihrer rechtlichen Interessen nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist. Die Regelungen der Absätze 2 bis 5 gelten entsprechend. (7) Die Auskunft ist unentgeltlich. Fünfter Abschnitt Sonderregelungen bei Sicherheitsüberprüfungen für nicht-öffentliche Stellen SS 24 Anwendungsbereich Bei Sicherheitsüberprüfungen von Betroffenen, die von der zustän digen Stelle zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 bei einer nicht-öffentlichen Stelle ermächtigt oder mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach SS 1 Abs. 4 bei ei ner nichtöffentlichen Stelle betraut werden sollen, gelten folgende Sonderregelungen. SS 25 Zuständigkeit (1) Zuständige Stelle für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten nach SS 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, soweit nicht im Einvernehmen mit ihm eine andere oberste Bundesbehörde die Aufgabe als zuständige Stelle wahr nimmt. BERICHT 2005 382 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ (2) Zuständige Stelle für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten nach SS 1 Abs. 4 ist dasjenige Bundesministerium, dessen Zuständig keit für die nichtöffentliche Stelle in einer Rechtsverordnung nach SS 34 festgelegt ist. Das zuständige Bundesministerium kann seine Befugnis auf eine von ihm bestimmte sonstige öffentliche Stelle des Bundes übertragen. (3) Die Aufgaben der nicht-öffentlichen Stelle nach diesem Gesetz sind grundsätzlich von einer von der Personalverwaltung getrenn ten Organisationseinheit wahrzunehmen. Die zuständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn die nicht-öf fentliche Stelle sich verpflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung bekanntwerden, nur für solche Zwecke zu gebrauchen, die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgt wer den. SS 26 Sicherheitserklärung Abweichend von SS 13 Abs. 6 leitet der Betroffene seine Sicherheitser klärung der nicht-öffentlichen Stelle zu, in der er beschäftigt ist. Im Falle der Einbeziehung des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebens gefährten nach SS 2 Abs. 2 fügt er dessen Zustimmung bei. Die nicht öffentliche Stelle prüft die Vollständigkeit und Richtigkeit der Anga ben und darf, soweit dies erforderlich ist, die Personalunterlagen beiziehen. Sie gibt die Sicherheitserklärung an die zuständige Stelle weiter und teilt dieser vorhandene sicherheitserhebliche Erkennt nisse mit. SS 27 Abschluß der Sicherheitsüberprüfung, Weitergabe sicherheits erheblicher Erkenntnisse Die zuständige Stelle unterrichtet die nicht-öffentliche Stelle nur darüber, daß der Betroffene zur sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ermächtigt oder nicht ermächtigt wird. Erkenntnisse, die die Ableh nung der Ermächtigung zur sicherheitsempfindlichen Tätigkeit be treffen, dürfen nicht mitgeteilt werden. Zur Gewährleistung des Ver schlußsachenschutzes können sicherheitserhebliche Erkenntnisse an die nicht-öffentliche Stelle übermittelt werden und dürfen von ihr ausschließlich zu diesem Zweck genutzt werden. Die nicht-öf fentliche Stelle hat die zuständige Stelle unverzüglich zu unterrich ten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Betroffenen oder den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährten bekanntwerden. SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 383 SS 28 Aktualisierung der Sicherheitserklärung (1) Die nicht-öffentliche Stelle leitet dem Betroffenen, der eine si cherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt, auf Anforderung der zu ständigen Stelle die Sicherheitserklärung in der Regel alle fünf Jahre erneut zu. (2) Der Betroffene hat die in der Sicherheitserklärung angegebe nen Daten im Falle eingetretener Veränderungen zu ergänzen. Die zuständige Stelle beauftragt die mitwirkende Behörde, die Maßnah men nach SS 12 Abs. 1 Nr. 2 und 3 erneut durchzuführen und zu be werten. SS 29 Übermittlung von Informationen über persönliche und arbeits rechtliche Verhältnisse Die nicht-öffentliche Stelle hat der zuständigen Stelle das Ausschei den aus sicherheitsempfindlicher Tätigkeit, Änderungen des Fami lienstandes, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsan gehörigkeit unverzüglich mitzuteilen. SS 30 Sicherheitsakte der nicht-öffentlichen Stelle Für die Sicherheitsakte in der nicht-öffentlichen Stelle gelten die Vorschriften dieses Gesetzes über die Sicherheitsakte entsprechend mit der Maßgabe, daß die Sicherheitsakte der nicht-öffentlichen Stelle bei einem Wechsel des Arbeitgebers nicht abgegeben wird. SS 31 Datenverarbeitung, -nutzung und -berichtigung in automati sierten Dateien Die nicht-öffentliche Stelle darf die nach diesem Gesetz zur Erfül lung ihrer Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten des Betroffenen in automatisierten Dateien speichern, verändern und nutzen. Die für die zuständige Stelle geltenden Vorschriften zur Be richtigung, Löschung und Sperrung finden Anwendung. BERICHT 2005 384 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ Sechster Abschnitt Reisebeschränkungen, Sicherheitsüberprüfungen auf An trag ausländischer Dienststellen und Schlußvorschriften SS 32 Reisebeschränkungen (1) Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, die eine Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 erfordert, können verpflichtet werden, Dienstund Privatreisen in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen gelten, der zustän digen Stelle oder der nicht-öffentlichen Stelle rechtzeitig vorher an zuzeigen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit nach dem Aus scheiden aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit angeordnet werden. (2) Die Reise kann von der zuständigen Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte zur Person oder eine besondere sicherheits empfindliche Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche Gefährdung durch fremde Nachrichtendienste erwarten lassen. (3) Ergeben sich bei einer Reise in und durch Staaten, für die be sondere Sicherheitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, die auf einen Anbahnungsund Werbungsversuch fremder Nachrichtendienste hindeuten können, so ist die zuständige Stelle nach Abschluß der Reise unverzüglich zu unterrichten. SS 33 Sicherheitsüberprüfung auf Antrag ausländischer Dienststellen (1) Ersucht eine ausländische Dienststelle die mitwirkenden Behörden um die Mitwirkung bei einer Sicherheitsüberprüfung, so richtet sie sich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes, soweit nicht in Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher Einrichtungen oder völkerrechtlichen Verträgen, denen die gesetzgebenden Körper schaften gemäß Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes zugestimmt ha ben, etwas anderes bestimmt ist. (2) Die Mitwirkung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige In teressen des Betroffenen entgegenstehen. Dies gilt auch bei der Übermittlung personenbezogener Daten an die ausländische Dienststelle. (3) Die ausländische Dienststelle ist darauf hinzuweisen, daß die im SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 385 Rahmen der Sicherheitsüberprüfung übermittelten personenbezoge nen Daten nur für Zwecke der Sicherheitsüberprüfung verwendet werden dürfen und die mitwirkende Behörde sich vorbehält, um Aus kunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. SS 34 Ermächtigung zur Rechtsverordnung Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung festzustellen, welche Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes oder nichtöffentlichen Stellen oder Teile von ihnen le bensoder verteidigungswichtige Einrichtungen mit sicherheits empfindlichen Stellen im Sinne des SS 1 Abs. 4 sind, welches Bundes ministerium für die nichtöffentliche Stelle zuständig ist und welche Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes Aufgaben im Sinne des SS 10 Satz 1 Nr. 3 wahrnehmen. SS 35 Allgemeine Verwaltungsvorschriften (1) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes erläßt das Bundesministerium des Innern, soweit in den Absätzen 2 bis 4 nichts anderes bestimmt ist. (2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes im Bereich der Sicherheitsüberprüfung in der Wirt schaft erläßt das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. (3) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung erläßt das Bundesministerium der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. (4) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes bei den Nachrichtendiensten des Bundes erläßt die jeweils zuständige oberste Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. SS 36 Anwendung des Bundesdatenschutzgesetzes, Bundesverfas sungsschutzgesetzes, MAD-Gesetzes und BND-Gesetzes (1) Die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme von SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SS 13 Abs. 1a und des Fünften Abschnitts sowie die SSSS 18 und 39 des BundesdatenBERICHT 2005 386 SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ schutzgesetzes, des Ersten Abschnitts und die SSSS 14 und 23 Nr. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes auch in Verbindung mit SS 12 des MAD-Gesetzes und SS 10 des BND-Gesetzes sowie die SSSS 1 und 8 des MAD-Gesetzes und SS 6 des BND-Gesetzes finden Anwendung. (2) Für die Datenschutzkontrolle der von öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen nach diesem Gesetz gespeicherten personenbe zogenen Daten gelten die SSSS 21 und 24 bis 26 des Bundesdaten schutzgesetzes. SS 37 Strafvorschriften (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geschützte personenbezo gene Daten, die nicht offenkundig sind, 1. speichert, verändert oder übermittelt, 2. zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält oder 3. abruft oder sich oder einem anderen aus Dateien ver schafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe be straft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. die Übermittlung von durch dieses Gesetz geschützten per sonenbezogenen Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder 2. entgegen SS 21 Abs. 1 oder SS 27 Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt, indem er sie innerhalb der Stelle an einen an deren weitergibt. (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. SICHERHEITSÜBERPRÜFUNGSGESETZ 387 SS 38 (nicht abgedruckt) SS 39 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. BERICHT 2005 388 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS II. Abkürzungsverzeichnis A AAI Ansar Al-Islam (Anhänger des Islam) AAS Ansar Al-Sunna (Gefolge des Islam) ADHF Almanya Demokratik Haklar Federasyonu (Föde ration für demokratische Rechte in Deutschland e. V.) ADHK Avrupa Demokratik Haklar Konfederasyonu (Konföderation für demokratische Rechte in Eu ropa) ADÜTDF Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Fe derasyonu (Föderation der türkisch-demokratischen Ideali stenvereine in Europa e. V.) AGIF Almanya Göcmen Isciler Federasyonu (Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V.) AG-GGG Die Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Ge meinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. AMGT Avrupa Milli Görüs Teskilatlar (Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V.) ANF Ajansa Nuceyan a Firate (Firat Nachrichtenagentur) ANSDAPAO Alternative Nationale Strausberger Dart, Piercing und Tattoo Offensive API Arbeiterkommunistische Partei Iran ATIF Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu (Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutsch land e. V.) ATIK Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu (Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Eu ropa) B BASO Berliner Alternative Südost BKI Babbar Khalsa International C CDK Civata Kongreya Kurdistan (Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa) CIK Ciwaka Islamiye Kurdistan/ Kürdistan Islam Toplumu (Islamische Gemeinschaft Kurdistans) ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 389 CRI Tschetschenische Republik Itschkeria D DABK Dogu Anadolu Bölge Komitesi (Ostanatolisches Gebietskomitee) DKP Deutsche Kommunistische Partei DHKC Devrimci Halk Kurtulus Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungsfront) DHKP Devrimci Halk Kurtulus Partisi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei) DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DGG Deutschland in Geschichte und Gegenwart DIDF Demokratik Isci Dernekleri Federasyonu (Föderation der demokratischen Arbeitervereine e. V.) DLVH Deutsche Liga für Volk und Heimat DPK-I Demokratische Partei Kurdistans-Irak DSZ-Verlag DSZ-Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH DVU Deutsche Volksunion E EMB Ekonomi ve Maliye Bürosu (Finanzund Wirtschaftsbüro) EMUG Europäische Moscheebauund Unterstützungs gemeinschaft e. V. ENF European National Front (Europäische Nationalistische Front) ERNK Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan (Nationale Befreiungsfront Kurdistans) F FAU-IAA Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union-Interna tionale Arbeiter Assoziation FEYKA KURDISTAN Federasyona Komeleyen Kurd a Fransa (Föderation der kurdischen Vereine in Frankreich) FHI Flüchtlingshilfe Iran e.V. FSB Federalnaja Slushba Besopasnosti (Russischer Inlandsnachrichtendienst) F+T Furchtlos und Treu FZ-Verlag FZ-Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH G GD/SD Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog BERICHT 2005 390 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS GFP Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. GIA Groupe Islamique Arme (Bewaffnete Islamische Gruppe) GIMF Global Islamic Media Front GSPC Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat (Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf) H HAMAS Harakat Al-Muquawama Al Islamiya (Islamische Widerstandsbewegung) HEKMATIST Arbeiterkommunistische Partei Iran-Hekmatist HKO Halk Kurtulus Ordusu (Volksbefreiungsarmee) HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefan gene und deren Angehörige e. V. HPG Hezen Parastina Gele Kurd (Volksverteidigungskräfte) HSK Heyva Sor a Kurdistane (Kurdischer Roter Halbmond e. V.) HuT Hizb ut-Tahrir al-Islami (Islamische Befreiungspartei) I IFIR Internationale Föderation iranischer Flüchtlinge IGD Islamische Gemeinschaft Deutschland e. V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. ISYF International Sikh Youth Federation IWO Islamische Wohlfahrtsorganisation e. V. IZH Islamisches Zentrum Hamburg J JLO Junge Landsmannschaft Ostpreußen JN Junge Nationaldemokraten jW junge Welt K KAB Kürdistanli Aleviler Birligi (Union der Aleviten aus Kurdistan) KADEK Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan (Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) KARSAZ Yekitiya Karsazen Kurda Neteviya (Union der Kurdischen Arbeitgeber) KKK Koma Komalen Kurdistan (Union der kurdischen Gemeinschaften) ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 391 KMDI Kamagata Maru Dal International KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Volkskongress Kurdistans) KON-KURD Konfederasyona Komaleyen Kurd li Ewrupa (Konföderation der Kurdischen Vereine für Europa) KPF Kommunistische Plattform der PDS L LTTE Liberation Tigers of Tamil Eelam M MB Muslimbruderschaft MEI Menschenrechtszentrum für ExilIranerinnen e. V. MEK Modjahedin-E-Khlaq (Volksmodjahedin Iran-Organisation) MF Marxistisches Forum der PDS mg militante gruppe MHA Mezopotamya Haber Ajansi (Nachrichtenagentur Mesopotamien) MKP Maoistische Kommunistische Partei MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MM Muslim-Markt N NHB Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V. NIT Nationales Infotelefon Rheinland NLA Nationale Befreiungsarmee NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NVU Nederlandse Volks Unie NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran NZ National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung O ÖP Özgur Politika (Freie Politik) P PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PLC Palestinian Legislative Council (Palästinensischer Legislativrat) PMK Politisch motivierte Kriminalität PUK Patriotische Union Kurdistans BERICHT 2005 392 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS R RBF Republikanischer Bund der Frauen REP Die Republikaner RepBB Republikanischer Bund der öffentlich Bediensteten RH Rote Hilfe e. V. RHV Republikanischer Hochschulverband RJ Republikanische Jugend S SAV Sozialistische Alternative SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SP Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit) SKB Scientology Kirche Berlin e. V. SKD Scientology Kirche Deutschland e. V. SO Scientology-Organisation SpAD Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands T TAK Teyrebazen Azadiya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans) TAYAD Tutuklu Aileleri ile Yardimlasma Dernegi (Solidaritätsverein mit den politischen Gefange, nen und deren Familien in der Türkei) TECAK Tevgera Ciwanen Azad a Kurdistane (Freie Jugendbewegung Kurdistans) THKP/-C Türkiye Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (Türkische Volksbefreiungspartei/-Front) TIKKO Türkiye Isci-Köylü Kurtulus Ordusu (Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee) TJ Tablighi Jama'at (Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) TKIH Türkiye Komünist Isci Hareketi (Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung) TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Le ninisten TQJ Tanzim Qaidat al-Jihad fi Bilad al-Rafidayn (Al-Qaida für den Jihad im Zweistromland) TSB Tschetschenische Separatistenbewegung U UZ Unsere Zeit V VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS 393 VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des NaziregimesBund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V. Y YDK Yekitiya Demokratika Gele Kurd (Kurdische Demokratische Volksunion) YEK Yekitiya Ezidiyen Kurdistan (Union der Yeziden aus Kurdistan) YEK-KOM Yekitiya Komelen Kurd li Almanya (Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V.) YEK-MAL Yekitiya Malbaten Kurd (Union kurdischer Familien YHK Yekitiya Huquqnasen Kurdistan (Union der Juristen Kurdistans) YJA Yekitiyen Jina Azad (Union der freien Frauen) YMK Yektiya Mamosteyen Kurd (Union kurdischer Lehrer) YNK Yekitiya Niviskaren Kurdistan (Union der Schriftsteller Kurdistans) YRK Yekitiya Rojnamevenen Kurdistan (Union der Journalisten Kurdistans) YXK Yekitiya Xwendevanen Kurdistan (Union der StudentInnen aus Kurdistan) BERICHT 2005 394 REGISTER III. Register Al-Waie 209 AL-ZAHAR, Mahmoud 212 A AL-ZAWAHIRI, Dr. Ayman 199, 206 Aazad (Unabhängigkeit) 262 Anadolu Genclik Dernegi (Verein der ABDALLAH, Shadi 205 Anatolischen Jugend) 216 ABDELOUADOUD, Abou Mossab 201 Anarchisten 154, 179, 314 ABRAHAM, Dirk 106 Anatolische Föderation e. V. 239 ABOU SHAWEESH, Yasser 204 AN-NABHANI, Taqi ud-Din 210 Ansar Al-Islam (Anhänger des Islam) ABU DHESS, Mohammad 205 (AAI) 197, 202 Abu Hafs Al Masri Brigaden 205 Ansar Al-Sunna (Gefolge des Islam) (AAS) 202 Adelaide-Institute 114 Anti-Antifa 72, 131, 307 Adil Düzen (Gerechte Ordnung) 215 Antifaschismus 138, 144, 171, 180 f. AKEF, Mohammad Mahdi Othman 213, 214 Anti-Globalisierungsbewegung 138 AKGÜN, Mustafa 222 APFEL, Holger 80 f.,90, 127, 130 Aktionsbüro Rhein-Neckar 78 Arbeiterkommunistische Partei Iran Al-Ahd (Die Verpflichtung) 208 (API) 256, 259 Al-Aqsa e. V. 213, 230 Arbeiterkommunistische Partei IranHekmatist (HEKMATIST) 259 f. Al-Banna, Hassan 214 Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Al Fadschr (Die Morgendämmerung) 224 Kurdistan) (PKK) 167, 234, 246 f., 264 AL DAGMA, Ashraf 205 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si beim Partei vorstand der PDS 167 Al-Jazeera (katarischer Fernsehsender) 206 Arbeitsgemeinschaft Junger GenossInnen in Al-Islam (Der Islam) 213 und bei der PDS 159 f. AL-KHALALIYAH, Ahmed Nazzal Fadhil Arndt-Verlag 129 (alias Abu Musab AL-ZARQAWI) 197 Atilim (Vorstoß) 244 ALLEN, Martin 130 Autonome 136, 139, 141 ff. AL-LIBI, Abu Faraj 200 Autonome Nationalisten 68 Al Manar (Der Leuchtturm) 208 AYDAR, Zübeyir 246, 249, 251 Al Muqawama al-Islamiyya (Islamischer Widerstand) 208 Al-Qaida (Die Basis) 192, 199 ff, 316 B Al-Qaida für den Jihad im Zweistromland Babbar Khalsa International (BKI) 262 f. (Tanzim Qaidat al-Jihad fi Bilad al-Rafidayn) (TQJ) 197, 207 BAIER, Klaus 90 Al-Quds-Tag (Jerusalem Tag) 224 BARKAS, Julius H. 118 f. AL-RASCHTA, Ata Abu (alias Abu Yassin) 209 BASEGMEZ, Mukadder 218 AL-SHAFI, Abdullah 202 BASSAJEW, Schamil 228 Al Tawhid-Netzwerk 205 Bataillon 500 64 Alternative Strausberger Dart, Piercing BECK, Bernd 106 und Tattoo Offensive (ANSDAPAO) 57, 72 Before the War 121 REGISTER 395 Berliner Alternative Südost (BASO) 71 Die Linkspartei.PDS 137, 139, 155 ff. Bewaffnete Islamische Gruppe (Groupe Die Republikaner 101 ff. Islamique Arme) (GIA) 201 Die Artgemeinschaft - Germanische GlaubensBewaffnete Propagandaeinheiten der DHKC 238 Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung Bildungswerk für Heimat und nationale e. V. (AG-GGG) 54 Identität e.V. 108 DÖRING, Osman (alias Yavuz Celik KARAHAN) 215 BIN LADEN, Usama 199, 202, 206 Dresdner Schule 53, 74 f., 80, 86, 108, 127 BISKY, Lothar 155, 159 DRÖSE, Bernd 130 Blood & Honour 60, 62, 64 DROUKDAL, Abdelmalek (alias Abou Mossab ABDELOUADOUD) 201 f. BOLOURCHI, Dr. Massoumeh 256 DSZ-Druckschriftenund Zeitungsverlag BRÄUNIGER, Eckart 120 GmbH (DSZ-Verlag) 93 f. Bremer Hilfswerk e. V. 213, 230 DVU e. V. 93 Brigade 11 121 DVU-Liste D 93 Bundesausschuss Friedensratschlag 173 E C Ekmek ve Adalet (Brot und Gerechtigkeit) 237, 240 Castle Hill Publishers (CHP) 125 EL-MOTASSADEQ, Mounir 200 CLEMENS, Björn 107 EL-ZAYAT, Ibrahim 214 Collegium Humanum e. V. 110 ERBAKAN, Prof. Dr. Necmettin 215 ff. COHRS, Ernst Otto 110 ERSOY, Arif 218 Euro-Kurier 109, 129 D Europäische Moscheebauund Unterstützungs gemeinschaft e. V. (EMUG) 215 Dar al-Ulum (Deoband Schule) 226 European National Front (Europäische DEHOUST, Peter 108 Nationalistische Front) (ENF) 122 f. Demokratische Partei Kurdistans-Irak (DPK-I) 202 E. Xani Presseund Verlags-GmbH 253 Deoband Schule (Dar al-Ulum) 226 Expliciet (Zeitschrift-niederländisch) 209 DEUSCHLE, Ulrich 103 Explizit (Zeitschrift) 211 Deutsche Akademie 111 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 107 F Deutsche Geschichte. Eurpopa und die Welt 109, 124 Fazilet Partisi (Tugendpartei) 215 f. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 137, 168 Finanzund Wirtschaftsbüro (Ekonomi ve Maliye Bürosu) (EMB) 254 Deutsche Kulturgemeinschaft Österreich 121 Firat Nachrichtenagentur (Ajansa Nuceyan a Deutsche Stimme 73 f., 80 ff., 106 f., 130 Firate) (ANF) 250 Deutsche Volksunion (DVU) 93 ff. Flüchtlingshilfe Iran e. V (FHI) 258 Deutsches Kolleg (DK) 110 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland in Geschichte und Deutschland e. V. (Almanya Türkiyeli Isciler Gegenwart (DGG) 109, 124, 129 Federasyonu) (ATIF) 242 Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 237, 264 BERICHT 2004 396 REGISTER Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Gerechte Ordnung 215, 217 Türkei in Deutschland e. V. (Almanya Göcmen Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) 54, 130 Isciler Federasyonu) (AGIF) 245 f. GHAEM-MAGHAMI, Seyyed Abbas 224 Föderation der demokratischen Arbeitervereine e. V. (Demokratik Isci Dernekleri Federasyonu) GIESEN, Lutz 122 (DIDF) 164, 263 Global Islamic Media Front (GIMF) 208 Föderation der kurdischen Vereine in Frankreich (Federasyona Komeleyen Kurd a Fransa) Grabert-Verlag 109, 128 f. (FEYKA KURDISTAN) 251 GROLITSCH, Elisabeth 121 Föderation der türkisch-demokratischen Idealisten vereine in Europa e. V. (Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) (ADÜTDF) Föderation für demokratische Rechte in Deutsch 263 H land e. V. (Almanya Demokratik Haklar Halk Icin Devrimci Demokrasi (Revolutionäre Federasyonu) (ADHF) 242 Demokratie für das Volk) 241 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland Halk Savasi (Volkskrieg) 241 e. V. (Yekitiya Komelen Kurd li Almanya) (YEK-KOM) 249, 253 HAMAS (Harakat Al-Muquawama Al Islamiya) (Islamische Widerstands Forum Kommunistischer Arbeitsgemeinschaften 159 bewegung) 193, 211 ff., 230 Frauenbüro für Frieden - Ceni 251 Hammerskins 60 Freie Arbeiterinnen und Arbeiter UnionHAVERBECK-WETZEL, Ursula 110 Internationale Arbeiter Assoziation (FAU-IAA) 154 HEISE, Thorsten 88 Freie Jugendbewegung Kurdistans (Tevgera Ciwanen Azad a Kurdistane) (TECAK) 249 HEKMAT, Mansour 259 Freie Kräfte 70 HELSING van, Jan 118 Freie Nationalisten 121, 312 Hilafet (Zeitschrift-türkisch) 209 Freier Widerstand 90 Hilafet Devleti (Kalifatsstaat) 222 f., 229 Freiheitsfalken Kurdistans (Teyrebazen Hilfsorganisation für nationale politische Gefan Azadiya Kurdistan) (TAK) 234, 247 gene und deren Angehörige e. V. (HNG) 69 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans Hizb Allah (Partei Gottes) 193 f., 208 f. (Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan) (KADEK) 167, 246 ff. Hizb ut-Tahrir al-Islami (Islamische Befreiungspartei) (HuT) 209 ff. Freikorps Havelland 51, 56 Hohenrain-Verlag 128 Freundeskreis Ulrich von Hutten e. V. 121 Homegrown networks 198 FREY, Dr. Gerhard 53, 70, 89, 93 ff. Frontline 113 Furchtlos & Treu (F+T) 60 I FZ-Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag IGMG Perspektive (Publikation) 215 GmbH (FZ-Verlag) 96 f. Ilyas, Maulawi Muhammed 226 Indiziert 121 G INTERIM 141 ff., 187, 189 GARNAOUI, Ihsan 204 f. Internationale Föderation iranischer Flüchtlinge (IFIR) 260 GANSEL, Jürgen 74 f., 80, 84, 109, 124, 127 Internationales Bulletin der MLKP 245 f. Geheimschutz 288 ff. International Sikh Youth Federation (ISYF) 262 f. Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SD) 159 f. REGISTER 397 KARATAS, Darsun 237 Intifada 112, 208, 212 KARAYILAN, Murat 247, 249, 252 IRVING, David 85, 98, 125 KHALIL, Ibrahim 204 Islamische Armee im Irak 207 KHAN, Mohammed Sidique 206 Islamische Gemeinde Kurdistans (Ciwaka Ädegslamiye Kurdistan) (CIK) 250 Khilafah Magazine (Publikation-englisch) 209 Islamische Gemeinschaft in Deutschland Kinaci, Zeynep (ZILAN) 252 e. V. (IGD) 194 f., 215 ff. Köklü degisim (Zeitschrift-türkisch) 209 Islamische Gemeinschaft MillA(r) Görüs e. V. (IGMG) 194 f., 215, 218 ff. Koma Komalen Kurdistan (KKK) 249 Islamische Ordnung 210 Kommunistische Plattform der PDS (KPF) 138 f., 159 ff. Islamische Widerstandsbewegung (Harakat AlMuquawama Al Islamiya) (HAMAS) 193, 211 ff., 230 Komünist (Der Kommunist) 241 Islamische Wohlfahrtsorganisation e. V. (IWO) 213, 230 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (Avrupa Türkiyeli Isciler Konfedera Islamische Zentren 214 syonu) (ATIK) 242 f. Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 224 f. Konföderation für demokratische Rechte in Europa (Avrupa Demokratik Haklar Konfedera Islamisches Zentrum München 214 syonu) (ADHK) 242 Izzadin al-Qassam Brigaden 212 Koordination der kurdischen Vereine in Europa (Konfederasyona Komaleyen Kurd li Ewrupa) (KON-KURD) 252 ff. J KÖRNER, Wieland 114 JÄCKEL, Thomas 107 KOSIEK, Dr. Rolf 130 Jaish Ansar al-Sunna (auch Ansar Kurdische Demokratische Volksunion Al-Sunna) (AAS) 202 f., 207 (Yekitiya Demokratika Gele Kurd) (YDK) 248 Jemaah Islamiyah (Islamische Gemeinschaft) 197 Kurdischer Roter Halbmond (Heyva Sor a Kurdistane) (HSK) 254 Jihad 192, 197 ff., 226, 312 KURTULMUS, Numan 218 Jund al Islam (Armee des Islam) 202 KUSTERS, Constantijn 120 Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) 107 KUTAN, Recai 216 Junge Nationaldemokraten (JN) 70, 73, 87 ff., 92 f. junge Welt (jW) 140 f. L Landser 62 ff., 88 K Lebensschutz-Informationen - LSI - Stimme des Gewissens 110 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 222 f., 229 LEICHSENRING, Uwe 106 f. Kamagata Maru Dal International (KMDI) 262 f. Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 235, 260 f. Kameradschaft Hauptvolk 71 Linksruck 164, 177 f. Kameradschaft Süd 51, 56 f. Kameradschaft Tor Kampagne gegen Kernenergie 71 42, 187 f. M MAHLER, Horst 110, 114 Kampagne gegen Sozialabbau 185 Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 241 ff. KAPLAN, Metin 222 f. BERICHT 2004 398 REGISTER MARX, Peter Marxistisches Forum der PDS (MF) 90 159 ff. N Nachrichten der HNG 69 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 244 f. NASRALLAH, Hassan 209 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands Nation & Europa - Deutsche (MLPD) 137, 174 f., 186, 245 Monatshefte 74, 77, 106 ff., 126 ff. Maschadow, Aslan 228 Nation Europa Verlag GmbH 126 MASHAL, Khaled 211 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 55, 73 ff. MEENEN, Uwe 110 Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V. MEISER, Hans 128 (NHB) 73 Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen Nationale Befreiungsarmee (NLA) 256 f. e. V. (MEI) 258 Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) 248 Menschenrechtsverein für Migranten 258 Nationaler Widerstandsrat Iran MENZEL, Klaus-Jürgen 76 (NWRI) 235, 256 ff., 277 Mezopotamya Haber Ajansi (Nachrichten Nationales Infotelefon Rheinland (NIT) 70 agentur Mesopotamien) (MHA) 250 National-Zeitung/Deutsche militante gruppe (mg) 146, 151 Wochen-Zeitung (NZ) 53, 93 ff. MillA(r) Gazete 216 ff. Nederlandse Volks Unie (NVU) 120 Milli Görüs (Nationale Sicht) 194 f., 215 ff. NEUBAUER, Harald 127 f. Milli Görüs-Bewegung 215 ff. NISSEN, Thomas 105 MISCAVIGE, David 299, 301 Nordwind 66 MODARESI, Kourush 259 Nothung 121 Modjahed (Glaubenskämpfer) 256 MOHAMMED, Amin Lokman 203 O MOLAU, Andreas 130 OBERLERCHER, Dr. Reinhold 110 MOUSTAFA, Djamel 205 ÖCALAN, Abdullah 234, 246 ff. Mujahedin 192 ff., 226, 316 Ostanatolisches Gebietskomitee (Dogu Mujahedin, non-aligned 198, 204 Anadolu Bölge Komitesi) (DABK) 241 Mujahedin-Gruppierungen, regionale 200 Özgur Gelecek Yolunda Isci Köylü (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der freien Zukunft) 241 Mujahedin-Netzwerke 195 Özgur Politika (Freie Politik) 246 MÜLLER, Annett 64 ÖZOGUZ, Gürhan 225 MÜLLER, Michael 64 ÖZOGUZ, Yavuz 225 MUNIER, Dietmar 129 P Murder Squad 112 f. Muslimbruderschaft (MB) 194 f., 210, 212, 278 Palästinensischer Legislativrat (Palestinian Muslim-Markt (MM) 225 Legislative Council) (PLC) 212 Partei der Glückseligkeit (Saadet Partisi) (SP) 215 f. Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) 137, 139, 155 ff. REGISTER 399 Partei "Wechsel und Reform" 212 ROCHOW, Stefan 90, 92, 109 Partinin Sesi (Stimme der Partei) 244 Rock Nord 66 Partizan 241 ff. ROJ TV 250, 252 f. Patriotische Union Kurdistans (PUK) 202 Rote Fahne 174 f., 186 PINARBASI, Gülay 222 Rote Hilfe e. V. (RH) 179 f. Projekt Schulhof 52, 61 RUDOLF, Germar 125 Proliferation 266, 268, 283 f. S Q Saadet Partisi (SP) (Partei der Glückseligkeit) 215 f. Quds (Jerusalem) 209, 224 f. SAHRAOUI, Nabil 201 Salafiyya-Gruppe für Predigt und Kampf R (Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat) (GSPC) 201 f. Race War 63 f. Scharia (Islamisches Rechtssystem) 193, 210, 217 ff. radikal 141, 149, 153, 185 Schiiten 207, 224 RADJAVI, Maryam 257 f. SCHLIERER, Dr. Rolf 53, 101, 104 f. RADJAVI, Massoud 256 f. SCHMIDT, Mirko 90 Rassenhass 64 SCHÖN, Jürgen 90 Refah Partisi (Wohlfahrtspartei) 215 f. SCHÜTZINGER, Jürgen 107 REGENER, Michael 88 SCHWAB, Jürgen 109, 111 REISEGGER, Gerhoch 128 SCHWEIGER, Herbert 121 REITZ, Axel 67 SCHWERDT, Frank 75 f. RENNICKE, Frank 64 Scientology-Organisation (SO) 292 ff. Republikanische Jugend (RJ) 101 Scientology Kirche Berlin e. V. (SKB) 294 Republikanischer Bund der Frauen (RBF) 101 Scientology Kirche Deutschlands e. V. (SKD) 294 Republikanischer Bund der öffentlich SELAMET, Efser 217 Bediensteten (RepBB) 101 Serxwebun (Unabhängig) 246 Republikanischer Hochschulverband (RHV) 101 SHALABI, Ismail 205 Revolutionäre Linke (Devrimci Sol) 237, 264 Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen Revolutionäre Volksbefreiungsfront (Devrimci und deren Familien in der Türkei (Tutuklu Halk Kurtulus Cephesi) (DHKC) 237 ff. Aileleri ile Yardimlasma Dernegi) (TAYAD) 239 Revolutionäre Volksbefreiungspartei (Devrimci ['solid]die sozialistische Jugend 162 ff. Halk Kurtulus Partisi) (DHKP) 237 ff. Sout al-Khilafa (Stimme des Kalifats) 207 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (Devrimci Halk Kurtulus PartisiSozialistische Alternative (SAV) 164, 177 f. Cephesi) (DHKP-C) 234, 236 ff., 264 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend RICHTER, Karl 74, 77, 82 f., 86, 108 f. (SDAJ) 163 f. RIEGER, Jürgen 70 Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD) 176 Risalat ul-ikhwan (Rundschreiben der STEHR, Heinz 168 Bruderschaft) 213 BERICHT 2004 400 REGISTER Störtebeker-Netz 71, 105, 109, 111, 116 Union der Kurdischen Arbeitgeber (Yekitiya Karsazen Kurda Neteviya) (KARSAZ) 254 Sturm 27 71 Union der Schriftsteller Kurdistans (Yekitiya SUDHOLT, Dr. Gert 130 Niviskaren Kurdistan) (YNK) 250 Sunniten 207 Union der StudentInnen aus Kurdistan (Yekitiya Xwendevanen Kurdistan) (YXK) 249 T Union der Yeziden aus Kurdistan (Yekitiya Ezidiyen Kurdistan) (YEK) 250 Tablighi Jama'at (Gemeinschaft der Union kurdischer Familien (Yekitiya Verkündigung und Mission) (TJ) 194, 226 f. Malbaten Kurd) (YEK-MAL) 250 TAGHWAI, Hamid 259 Union der kurdischen Lehrer (Yektiya Mamosteyen Kurd) (YMK) 249 Tanzim Qaidat al-Jihad fi Bilad al-Rafidayn ('Al-Qaida' für den Jihad im Zweistromland) Unsere Zeit (UZ) 165, 168 ff. (TQJ) 197, 207 Tatsachen 263 TEGETHOFF, Ralph 77 V VERBEKE, Siegfried 125 Terrorismus, internationaler islamistischer 196 ff. Verein der Anatolischen Jugend (Anadolu Thurwat al-Sinam ("Spitze des Kamelhöckers" Genclik Dernegi) 216 Magazin) 207 Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V. TRENKMANN, Thoralf 83 (Avrupa Milli Görüs Teskilatlari) (AMGT) 215 Tschetschenische Republik Vereinigung der Verfolgten des NaziregimesItschkeria (CRI) 193, 227 f. Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten e. V. (VVN-BdA) 171 f. Tschetschenische Separatisten bewegung (TSB) 193, 227 f. Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestrei tens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 124 f. Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (Türkiye Isci-Köylü Kurtulus Ordusu) (TIKKO) 242 Verlagsgesellschaft Berg mbH (VGB) 109, 130 Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung Viduthalai Puligal 260 (Türkiye Komünist Isci Hareketi) (TKIH) 244 Vierteljahreshefte für freie Geschichts Türkische Kommunistische Partei/Marxistenforschung (VffG) 125 Leninisten (TKP/ML) 241 ff. Vlaams Belang 107 Türkische Volksbefreiungspartei/-Front (Türkiye Halk Kurtulus Partisi-Cephesi) (THKP/-C) 264 VOIGT, Udo 73, 76 ff., 86 ff., 99, 109, 116, 120 f. Volksbefreiungsarmee (Halk Kurtulus Ordusu) (HKO) 242, 244 U Volkskongress Kurdistans (Kongra Gele ÜCÜNCU, Oguz 218 Kurdistan) (KONGRA GEL) 140, 167, 234, 246 ff. Ülke-Büro (Heimatbüro) 250 Volksmodjahedin Iran-Organisation (Modjahedin-E-Khalq) (MEK) 235, 256 ff., 277 Umma (Gemeinschaft der Muslime) 210 Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Union der Aleviten aus Kurdistan (Kürdistanli Gele Kurd) (HPG) 234, 247 f., 252 Aleviler Birligi) (KAB) 250 Union der freien Frauen (Yekitiyen Jina Azad) (YJA) 249 W Union der Journalisten Kurdistans (Yekitiya WAGENKNECHT, Sahra 161 Rojnamevenen Kurdistan) (YRK) 249 Weltordnung, islamische 216 Union der Juristen Kurdistans (Yekitiya Huquqnasen Kurdistan) (YHK) 250 WIECHMANN, Hans-Gerd 106 REGISTER 401 WIESE, Martin 51, 56 f. Wilayat (Stützpunkte) 210 Wohlfahrtspartei (Refah Partisi) 215 f. WORCH, Christian 68, 121,183 WULFF, Thomas 77 Y Yassin, Scheich Ahmad 212 Yatim-Kinderhilfe 213, 230 Yeni Akit GmbH 231 YIGIT, Ali 252 Yürüyüs (Marsch) 237 f., 240 Z Zeit für Protest 101 ff. ZIKELI, Gerd 121 ZÜNDEL, Ernst 125 BERICHT 2004 BERICHT 2004