Rennen Verfassungsschutzbericht 2003 L se D aE ae u www.bmi.bund.de | www.verfassungsschutz.de VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation BERICHT Gesetzestexte 2003 ISSN: 0177-0357 2 Impressum Herausgeber: Bundesministerium des Innern Berlin: Alt-Moabit 101D, 10559 Berlin Mai 2004 Hinweis: Der Verfassungsschutzbericht 2003 ist auch über das Internet abrufbar: http://www.bmi.bund.de http://www.verfassungsschutz.de Satz /Layout: Bundesamt für Verfassungsschutz Druck: Druckerei Silber -Druck, Niestetal Bildnachweis: dpa: S. 66, 118, 170 (2), 171, 178, 204, AP: S. 41, 147 3 Vorwort des Bundesministers des Innern Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, die menschenverachtenden Anschläge vom 11. September 2001in den USA sind uns allen noch in bestürzender Erinnerung. Nicht erst seit den grauenvollen Ereignissen vom 11. März 2004 in Madrid befin det sich auch Europa im Visier islamistischer Terroristen. Die Bundes republik Deutschland ist entgegen mancher Befürchtungen bislang von Anschlägen verschont geblieben. Nicht zuletzt die Aufklärungs arbeit der Verfassungsschutzbehörden mit Blick auf islamistische Gruppierungen, die schon vor dem 11. September 2001einsetzte, hat zu wichtigen Fahndungserfolgen beigetragen. Die grenzüberschrei tende Gewalt, die perfide und langfristig angelegte Strategie des Ter rors müssen und werden wir weiterhin mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu bekämpfen haben. Propagandisten des Hasses und der Gewalt dürfen in der Bundesre publik Deutschland kein Forum finden. So habe ich beispielsweise der pan-islamischen Bewegung "Hizb ut-Tahrir" am 15. Januar 2003 wegen ihrer antisemitischen und antiwestlichen Agitation, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, jede Betäti gung in Deutschland verboten. Auch in Zukunft wird genau darauf zu achten sein, ob mittels eines Missbrauchs der Religion das friedli che Zusammenleben der Menschen zerstört werden soll. Insbeson dere legalistisch operierende islamistische Organisationen wollen ihre antiwestliche Weltsicht unter den hiesigen Muslimen verbrei ten. Ihre schleichende, vielfach im Verborgenen sich vollziehende Indoktrinierung von Muslimen kollidiert unausweichlich mit unserer Verfassungsordnung. Das neue Zuwanderungsgesetz eröffnet in die sem Zusammenhang die Möglichkeit, die so genannten geistigen Brandstifter und Hassprediger auszuweisen. Über die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus dürfen die anderen Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes nicht aus dem Blickfeld geraten. Wie gefährlich beispielsweise der Rechtsextremis mus ist, hat der geplante Anschlag auf die Grundsteinlegung für die 4 Synagoge, das jüdische Gemeindezentrum und das jüdische Museum am 9. November 2003 in München unter Beweis gestellt. Glücklicher weise ist dieses Verbrechen dank unserer Sicherheitsbehörden nicht zur Ausführung gelangt. Die Tatbeteiligten haben sich gegenwärtig in Strafverfahren zu verantworten. Die Menschen in Deutschland können sich darauf verlassen, dass nicht nur diesen Erscheinungen, sondern allen extremistischen Umtrieben mit aller gebotenen Entschlossenheit der wehrhaften Demokratie begegnet wird. Der Verfassungsschutz ist ein wesentli ches Instrument dieser wehrhaften Demokratie. Die auf Grund seiner Arbeit gewonnenen Informationen sind gegenwärtig und zukünftig unverzichtbare Grundlage für die Bekämpfung verfassungsfeindli cher Bestrebungen durch Politik und Gesellschaft. Entscheidend dabei ist eine offensiv geführte, geistig-politische Auseinanderset zung. Sie zu führen, kann allerdings nicht allein Aufgabe des Staates und seiner dafür geschaffenen Institutionen sein. Aktives Handeln ist von allen Bürgerinnen und Bürgern gefragt, vor allem wenn es darum geht, eindeutig extremistischen Äußerungen und Handlun gen, die im Widerspruch zu den Grundwerten unserer Verfassung stehen, Einhalt zu gebieten. Der Verfassungsschutzbericht über das Jahr 2003 dokumentiert in diesem Sinne sorgfältig die Aktivitäten des politischen Extremismus in Deutschland und belegt somit einmal mehr die vielfältigen Gefah ren, die unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung dro hen. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Bundesamtes für Verfassungsschutz gilt daher für ihre engagierte, professionelle und fundierte Arbeit mein besonderer Dank. Otto Schily Bundesminister des Innern 5 I NHALTSVERZEICHNIS Strukturdaten I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2Bundesverfassungsschutzgesetz. . . . . . . . . . . 11 1. Bundesamt für Verfassungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 2. Militärischer Abschirmdienst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Weitere Strukturdaten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Verfassungsschutz und Demokratie I. Verfassungsschutz im Grundgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 II. Verfassungsschutzbehörden -Aufgaben und Befugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 III. Kontrolle desVerfassungsschutzes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 IV. Verfassungsschutzbericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 V. Verfassungsschutz durch Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Rechtsextremistische Bestrebungen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Ideologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 II. Übersicht in Zahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Organisationen und Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1 Definitionssystem PMK. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.2 Politisch motivierte Strafund Gewalttaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.3 Rechtsextremistisch motivierte Straf. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . und Gewalttaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3.2 Zielrichtungen der Gewalttaten mit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . extremistischem Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.3.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 III. Gewaltbereite Rechtsextremisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1. Rechtsextremistisches Gewaltpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Bewaffnung und Gewaltdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 3. Rechtsextremistische Skinhead-Szene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 3.1 Skinhead-Organisationen mit bundesweitem Anspruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 3.2 Rechtsextremistische Skinhead-Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3.3 Rechtsextremistische Skinhead-Vertriebe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 3.4 Skinhead-Fanzines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 6 IV. Neonazismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2. Neonazistische "Hilfsorganisation für . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . nationale politische Gefangene und deren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Angehörige e. V." (HNG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 V. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1.1 Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 1.2 Organisation und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 2. "Deutsche Volksunion" (DVU). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.1 Zielsetzung und Methode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.2 Organisation und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. "Die Republikaner" (REP). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.1 Zielsetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2 Organisation und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 VI. Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . 83 VII. Antisemitische Agitation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 VIII. Internationale Verbindungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Internationale Veranstaltungen/Ausländische Gastredner . . . . . . . . . . . . . . . . 93 2. "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 3. "Combat 18" (C18) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 4. Aktivitäten internationaler Holocaust-Leugner. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 IX. Agitationsund Kommunikationsmedien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 1. Periodische Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 2. Organisationsunabhängige Verlage und Vertriebsdienste . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3. Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.1 Kommunikationsmedium für Rechtsextremisten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 3.2 Rechtsextremistische Parteien im Internet. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 4. Parteiunabhängige rechtsextremistische Info-Telefone . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Linksextremistische Bestrebungen I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 Entwicklungen im Linksextremismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 II. Übersicht in Zahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 1. Organisationen und Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 2. Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 III. Gewalttätiger Linksextremismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 7 1. Autonome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1.1 Potenzial und Selbstverständnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1.2 Aktionsformen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1.3 Autonome Strukturen mit terroristischen Ansätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Traditionelle Anarchisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Parteien und sonstige Gruppierungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 1.2 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschis tinnen und Antifaschisten in der Bundesrepublik e. V." (VVN-BdA) . . . . . . . 128 1.3 "Bundesausschuss Friedensratschlag" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 2. "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 2.1 Ideologische und programmatische Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 2.2 Extremistische Strukturen in der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 2.3 Zusammenarbeit mit deutschen Linksextremisten außerhalb der Partei . 137 2.4 Internationale Verbindungen der Partei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3. Trotzkistische Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 3.1 Gruppe "Linksruck" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 3.2 "Sozialistische Alternative" (SAV) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.3 Deutsche Resonanzgruppen der "IV. Internationale/ Vereinigtes Sekretariat" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Maoisten/Stalinisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.1 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 4.2 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 5. "Rote Hilfe e. V." (RH) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 V. Aktionsfelder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 1. Entwicklung der "Anti-Globalisierungsbewegung". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. "Antifaschismus". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 3. "Antirassismus". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4. Kampagne von Linksextremisten gegen Kernenergie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VI. Agitationsund Kommunikationsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Übersicht in Zahlen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 1. Organisationen und Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 8 2. Extremistisch motivierte Strafund Gewalttaten aus dem Bereich des Ausländerextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 III. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Araber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1.1 "Al-Qaida" (Die Basis)/"Arabische Mujahedin" (Kämpfer für die Sache Allahs). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1.2 Ägyptische islamistische Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1.3 Algerische islamistische Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB)/Islamische Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 1.5 Islamistische Gruppen aus dem Nahen Osten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1.5.1 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1.5.2 "Hizb Allah" (Partei Gottes). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1.5.3 "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (HuT) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Türken (ohne Kurden) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2.1 Türkische Islamisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 2.1.1 "Kalifatsstaat" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 2.1.2 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2.2 Linksextremisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2.2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2.2.2 "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML). . . . . . 195 2.2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) . . . . . . . . . . . . . . 198 3. Kurden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK)/"Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) . . . . . . . . 200 3.2.1 Allgemeine Lage. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 3.2.2 Organisatorische Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 3.2.3 Propaganda des KADEK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 3.2.4 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 3.2.5 Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre der PKK/KADEK . . . . . . . . . . . 206 4. Iraner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4.1 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 4.2 "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 4.3 Vom Iran beeinflusste islamische Zentren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 5. Tamilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 IV. Agitationsund Kommunikationsmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Periodische Schriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Internet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 V. Übersicht über weitere erwähnenswerte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 9 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten I. Überblick. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation . . . . . . 221 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgabenstellung der Dienste im russischen Staatswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 3. Methodische Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.1 Aktivitäten unter zentraler Steuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 3.2 Die Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . 225 3.3 Verstärkte Aktivitäten des Inlandsnachrichtendienstes FSB gegen deutsche Auslandsvertretungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 III. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der übrigen Mitgliedsländer der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten ausStaaten desNahen und Mittleren Ostenssowie Nordafrikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 1. Iranische Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 2. Syrische Nachrichtendienste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 3. Irakische Nachrichtendienste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 4. Libysche Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 V. Fernöstliche Nachrichtendienste. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 1. Chinesische Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 2. Nordkoreanische Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 231 VI. Proliferation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 VII. Festnahmen und Verurteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 Geheimschutz Geheimschutz, Sabotageschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 Scientology "Scientology-Organisation"(SO). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 1. Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 2. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 4. Auftreten in der Öffentlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 10 Erläuterungen und Dokumentation I. Endnoten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Verfassungsschutz und Demokratie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Rechtsextremistische Bestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 Linksextremistische Bestrebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . 269 Scientology - Organisation (SO) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 II. Gesetzestexte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) vom 16.08.2002 (BGBl. I S. 3202) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 2. Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz - MADG) vom 08.03.2004 (BGBl. I, S. 334) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 3. Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-G) vom 16.08.2002 (BGBl. I S. 3202) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 4. Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz - PKGrG) vom 26.06.2001(BGBl. I S. 1260). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 5. Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom 25.11.2003 (BGBl. I S. 2304) . . . 317 III. Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 IV. Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348 ST R U K T U RD A T EN 11 I. Strukturdaten gemäß SS 16 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz 1. Bundesamt für Verfassungsschutz Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2003 betrug 144.075.146,73 EUR (2002: 123.895.737,62 EUR). Das Bundesamt für Verfas sungsschutz hatte 2.401(2002: 2.235) Bedienstete. 2. Militärischer Abschirmdienst Der Zuschuss aus dem Bundeshaushalt im Jahr 2003 betrug 64.938.585 EUR (2002: 65.401.567EUR). Der Militärische Abschirmdienst hatte 1.249 (2002: 1.286) Bedienstete. II. Weitere Strukturdaten Anfang 2004 waren von Bund und Ländern gemeinsam im Nach richtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 985.300 (Anfang 2003: 942.350) personenbezogene Eintragungen enthalten, davon 569.700 Eintragungen (57,8 %) aufgrund von Sicherheitsüberprüfun gen (Anfang 2003: 55,2 %). BERICHT 2003 12 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 14 V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E I. Verfassungsschutz im Grundgesetz Das Grundgesetz (GG) für die Bundesrepublik Deutschland gewährt den Bürgerinnen und Bürgern eine Vielzahl von Freiheitsrechten. Dazu gehören das Recht auf freie Meinungsäußerung (Art. 5 GG), Versammlungs(Art. 8 GG) und Vereinigungsfreiheit (Art. 9 GG). Diese Rechte stehen selbst Gegnern der freiheitlichen demokrati schen Grundordnung unseres Staates zu. Eine klare Grenze bei der Inanspruchnahme dieser Rechte ist allerdings dort zu ziehen, wo deutlich erkennbar wird, dass sie dazu missbraucht werden, die frei heitliche demokratische Grundordnung zu untergraben und damit das Fundament dieser Freiheitsrechte zu beseitigen. Die leidvollen Erfahrungen im Zusammenhang mit dem Ende der Weimarer Republik, deren Verfassung keine wirksamen Abwehrme chanismen vorsah, haben dazu geführt, dass im Grundgesetz das Prinzip der wehrhaften und abwehrbereiten Demokratie verankert worden ist. "Wehrhafte Dieses Prinzip ist durch drei Wesensmerkmale gekennzeichnet: Demokratie" 1 - die Wertegebundenheit, d. h., unser Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, - die Abwehrbereitschaft, d. h., der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen, und - die Vorverlagerung des Verfassungsschutzes, d. h., der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen ge setzliche Bestimmungen verstoßen. Das Prinzip der wehrhaften und abwehrbereiten Demokratie findet in einer Reihe von Vorschriften des Grundgesetzes deutlichen Aus druck: - Art. 79 Abs. 3 GG bestimmt, dass wesentliche Grundsätze der Verfassung, darunter der Schutz der Menschenwürde, Art. 1Abs. 1GG unabänderlich und damit einer Änderung auch durch den Verfassungsgesetzgeber entzogen sind. - Nach Art. 21Abs. 2 GG können Parteien vom Bundesverfas sungsgericht für verfassungswidrig erklärt werden, wenn sie darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. - Art. 9 Abs. 2 GG bestimmt, dass Vereinigungen, die sich ge gen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Ge danken der Völkerverständigung richten, verboten sind. V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E 15 - Nach Art. 18 GG kann das Bundesverfassungsgericht die Verwirkung bestimmter Grundrechte aussprechen, wenn sie zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden. - Art. 73 Nr. 10 Buchstabe b und Art. 87Abs. 1S. 2 GG sind Grundlage für die Einrichtung und Tätigkeit der Verfas sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. II. Verfassungsschutzbehörden - Aufgaben und Befugnisse Hauptsächliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des BunAufgaben des und der Länder ist nach dem Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungs schutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundes verfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) die Sammlung und Auswer tung von Informationen über - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkei ten im Geltungsbereich des Bundesverfassungsschutzge setzes für eine fremde Macht, - Bestrebungen im Geltungsbereich des Bundesverfassungs schutzgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen im Geltungsbereich des Bundesverfassungs schutzgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerver ständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammen leben der Völker, gerichtet sind. Die Verfassungsschutzbehörden gewinnen die zur Erfüllung ihrer InformationsAufgaben für sie wichtigen Informationen in erster Linie aus offen gewinnung zugänglichen Quellen. Sofern das nicht möglich oder nicht effektiv ist, dürfen sie sich im Rahmen gesetzlich genau festgelegter Befug nisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit so genannter nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsbe schaffung bedienen. Hierzu gehören etwa der Einsatz von Informan ten, die Observation, Bildund Tonaufzeichnungen sowie die Über wachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des BERICHT 2003 16 V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheim nisses (Artikel 10-Gesetz - G 10). Durch das am 1. Januar 2002 in Kraft getretene Gesetz zur Bekämp fung des internationalen Terrorismus wurden die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) ausgeweitet. U. a. wurden dem BfV unter engen Voraussetzungen Auskunftsrechte einge räumt gegenüber Finanzunternehmen, Luftfahrtunternehmen, Postdienstleistungsunternehmen sowie Telekommunikationsdiens ten und Teledienstunternehmen. Sicherheitsüber Darüber hinaus haben die Verfassungsschutzbehörden die Aufgabe, prüfungen bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen mitzuwirken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Informationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder die an si cherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungs wichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Befugnisse für das BfV in diesem Zusammenhang sind im Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüber prüfungen des Bundes (SÜG) im Einzelnen geregelt. Keine polizeilichen Den Verfassungsschutzbehörden stehen bei der Erfüllung ihrer Auf Befugnisse gaben keinerlei polizeiliche Befugnisse zu, d. h. sie dürfen u. a. nie manden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen. Bindung an Recht Die Verfassungsschutzbehörden sind bei ihrer Tätigkeit an die allge und Gesetz meinen Rechtsvorschriften gebunden. Daraus folgt vor allem, dass bei der Aufgabenerfüllung keine strafbaren Handlungen begangen werden dürfen. Die Verfassungsschutzbehörden tragen in ihrem Zuständigkeitsbe reich dazu bei, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutsch land zu gewährleisten. Sie arbeiten mit anderen Sicherheitsbehör den, insbesondere den anderen Nachrichtendiensten des Bundes - dem für den Bereich der Bundeswehr zuständigen Militärischen Ab schirmdienst (MAD) und dem mit Auslandsaufklärung befassten Bundesnachrichtendienst (BND) - sowie Polizeiund Strafverfol gungsbehörden auf gesetzlicher Grundlage vertrauensvoll und eng zusammen. Das BfV steht darüber hinaus angesichts der zunehmen den Internationalisierung der Bedrohungsphänomene in regem Kontakt zu den Partnerdiensten im Ausland. V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E 17 III. Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Tätigkeit des BfV unterliegt der Kontrolle durch die Bundesre Bundesregierung gierung und den Deutschen Bundestag. Das zu diesem Zweck einge richtete Parlamentarische Kontrollgremium ist in regelmäßigen Ab Parlamentarisches ständen umfassend über die allgemeine Tätigkeit des BfV, des MAD Kontrollgremium und des BND und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu un terrichten (SS 2 des Gesetzes über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes). Die Bundesregierung hat dem Parlamentarischen Kontrollgremium auf Verlangen Ein sicht in Akten und Dateien zu geben und die Anhörung von Mitar beitern zu gestatten. Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmel degeheimnisses nach Maßgabe des Art. 10 GG werden durch die vom Parlamentarischen Kontrollgremium bestellte unabhängige G 10- G 10-Kommission Kommission grundsätzlich vor deren Vollzug auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Gleiches gilt für die mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus neu eingeräum ten Auskunftsrechte (vgl. Nr. II). Das BfV ist gesetzlich verpflichtet, Betroffenen auf Antrag unentgelt Auskunftsrecht lich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten zu ertei len, soweit auf einen konkreten Sachverhalt hingewiesen und ein besonderes Interesse an einer Auskunft dargelegt wird (SS 15 Abs. 1 BVerfSchG). Eine Auskunft unterbleibt nur dann, wenn einer der im Absatz 2 dieser Vorschrift ausdrücklich bezeichneten Verweige rungsgründe vorliegt. Maßnahmen des BfV, bezüglich derer der Betroffene geltend macht, Kontrolle durch in seinen Rechten beeinträchtigt zu sein, unterliegen gerichtlicher Gerichte Nachprüfung. Das Bundesverfassungsschutzgesetz enthält zahlreiche daten Kontrolle durch schutzrechtliche Bestimmungen, die eine weit reichende Kontrolle den Bundesbeauf durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz ermöglichen. tragten für den Datenschutz IV. Verfassungsschutzbericht Der jährliche Verfassungsschutzbericht dient der Unterrichtung Jährliche Berichte und Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Be strebungen in der Bundesrepublik Deutschland. Er beruht auf den Erkenntnissen, die das BfV im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Landesbehörden für Verfassungsschutz gewon nen hat. Er kann keinen erschöpfenden Überblick geben, sondern unterrichtet über die wesentlichen Erkenntnisse, analysiert und be wertet maßgebliche Entwicklungen und Zusammenhänge. BERICHT 2003 18 V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E Bei den im Bericht aufgeführten Personenzusammenschlüssen (Par teien, Organisationen und Gruppierungen) liegen die gesetzlichen Voraussetzungen für ein Tätigwerden des BfV vor. Die Erkenntnis lage zu den dargestellten Gruppierungen kann allerdings im Hin blick auf Umfang und Dichte der angefallenen Informationen je weils ganz unterschiedlich sein, was wiederum Einfluss auf die Art und Weise der Beobachtung durch das BfV haben kann. Die Bewer tung einer Gruppierung als extremistisch bedeutet nicht in jedem Fall, dass alle ihre Mitglieder extremistische Bestrebungen verfol gen. Alle Zahlenangaben zum Mitgliederpotenzial der im Bericht ge nannten Organisationen und Personenzusammenschlüsse beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehör den nicht zu allen Personen individuelle Erkenntnisse vorliegen. Dies folgt schon daraus, dass die Verfassungsschutzbehörden hauptsächlich einen Strukturbeobachtungsauftrag haben; umfas sende personenbezogene Erkenntnisse zur gesamten Mitgliedschaft der beobachteten Organisationen sind dafür nicht erforderlich. In den Zitaten wurden eventuelle orthographische und grammati kalische Fehler der Originaltexte nicht korrigiert. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Verfassungsschutz bericht keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzre levanten Personenzusammenschlüsse darstellt. V. Verfassungsschutz durch Aufklärung Wahrgenommen wird die Aufgabe "Verfassungsschutz durch Auf klärung" auf Bundesebene gemeinsam vom Bundesministerium des Innern und dem Bundesamt für Verfassungsschutz, auf Länder ebene von den Innenministerien bzw. den Landesbehörden für Ver fassungsschutz. Das Hauptaugenmerk gilt dem Dialog mit den Bürge rinnen und Bürgern über die Aufgabenfelder des Verfassungsschutzes. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes bietet Informatio nen über seine Erkenntnisse an, die es jedermann ermöglichen sol len, sich selbst ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Fundamentalismus und Extremismus sowie Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind für den demokratischen und sozialen Rechtsstaat eine stetige Herausforderung. Die umfassende Bekämpfung aller Formen des politischen Extremismus ist daher kontinuierlich ein Schwerpunkt der Innenpolitik. V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E 19 Die Bundesregierung misst der präventiven und repressiven Ausei nandersetzung mit diesen Erscheinungen eine herausragende Be deutung zu. Eine besondere Rolle bei der Festigung des Verfassungskonsenses und der Stärkung der Zivilgesellschaft spielt das von der Bundesregierung initiierte und am 23. Mai 2000 der Öffentlichkeit vor gestellte "Bündnis für Demokratie und Toleranz - ge gen Extremismus und Gewalt". Das "Bündnis" bün delt und mobilisiert die gesellschaftlichen Kräfte gegen Extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Ge walt. Eine seiner wichtigsten Aufgaben besteht darin, lokale Initiativen und Projekte durch Informa tion, Beratung und Dokumentation zu fördern, zu unterstützen, zu vernetzen und bekannt zu machen (siehe im Internet unter www.buendnis-toleranz.de). Wichtige öffentliche Förderprogramme, wie z. B. XENOS, CIVITASund ENTIMON im Rahmen des Ak tionsprogramms "Jugend für Toleranz und Demo kratie - gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeind lichkeit und Antisemitismus" (siehe auch unter www.bmfsfj.de) stehen unter dem Dach des "Bünd nisses". Die freiheitliche demokratische Grundordnung kann dauerhaft nicht ohne nachhaltige geistig-politische Auseinandersetzung mit den verschiedenen Formen des Extremismus bewahrt werden. We sentlich dabei ist eine fundierte Aufklärung und Informationsver mittlung über Art und Umfang extremistischer Bestrebungen. Das Bundesinnenministerium gibt in seiner Reihe "Texte zur Inneren Sicherheit" Themenbände heraus, die auch un abhängig von den einzelnen Positionen des HerausgebersPlattform einer grundsätzlichen Diskussion sind. Im Januar 2004 erschien ein neuer Band zum Thema "Islamismus". Zur geistig-politischen Auseinandersetzung mit diesem Phänomen enthält dieser Band wissenschaftliche Beiträge, die in Hintergründe und Kontexte islamistischer Weltbil der allgemein einführen, den aktuellen Forschungsstand darstellen und speziell Staatsund Gesellschaftsbild der Muslimbruderschaft sowie die Bedeutung der Scharia ver tiefen. Die zivilgesellschaftliche Perspektive bringt ein Bei trag ein, der Pressionsversuche islamistischer Organisatio nen gegen Akteure der Bürgergesellschaft thematisiert. BERICHT 2003 20 V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E Das Bundesamt für Verfassungsschutz informierte im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit mit seiner Interneteinstellung, zahlreichen Ausstellungsund Messeterminen, einem großen Angebot an Publi kationen sowie der Beantwortung vielfältiger Bürgeranfragen über seine Arbeitsfelder und die jeweils aktuellen Erkenntnisse. Das Internet ist ein wichtiges Instrument der Öffentlich keitsarbeit. Die Website des BfV enthält ausführliche In formationen über die Aufgaben und Arbeitsfelder des Ver fassungsschutzes. Schwerpunkt dabei sind ca. 30 Publikationen, die zum Herunterladen angeboten wer den. Daneben werden regelmäßig interessante Neuigkei ten aus dem Tätigkeitsbereich des Verfassungsschutzes bzw. aktuelle Hinweise zu den Wanderausstellungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz in den Rubriken "News" und "Ausstellungen" eingestellt. Das Interesse an den beiden Wanderausstellungen des BfV war auch im Jahr 2003 anhaltend groß. Insgesamt sahen etwa 70.000 Besu cher an bundesweit 16 verschiedenen Orten die Ausstellun gen "Es betrifft Dich! Demokratie schützen - Gegen Extremis mus in Deutschland" und "Demokratie ist verletzlich - Rechtsextremismus in Deutschland". Letztere wurde Anfang 2004 durch eine moderne, an pädagogischen Kriterien orien tierte Neukonzeption mit dem Titel "Die braune Falle - Eine rechtsextremistische 'Karriere'" abgelöst. Neben zahlreichen Einzelbesuchern nutzten hauptsächlich Schulklassen die Möglichkeit, sich über Extremismus und seine Erscheinungs formen zu informieren. Während der jeweiligen Laufzeit wer den die Ausstellungen vor Ort von Verfassungsschutzmitar beitern betreut, die den Besuchern Führungen anbieten und für Fragen zur Verfügung stehen. Das BfV beteiligte sich außerdem an ver schiedenen Messen, beispielsweise der Bildungsmesse "didacta" in Nürnberg und der "Abi-Messe" in Berlin. Die Gesamtauflage der im Jahr 2003 ver teilten Broschüren des BfV - lag einsch ließlich der Nachdrucke - bei rund 49.000 Exemplaren. Zudem ist dieses Angebot auf der Internet-Seite des BfV eingestellt und wird von den Interessen ten auch hier in starkem Maße abgeru V ERFA SSU N G SSCH U T Z UND D EM OK RA T I E 21 fen. Ansprechpartner In allen Fragen des Verfassungsschutzes steht das Bundesamt für Verfassungsschutz Merianstraße 100 50765 Köln Telefon: 0221/ 7920 Telefax: 0221/ 10-79-2915 als Ansprechpartner jederzeit zur Verfügung. Im Internet ist das Bundesamt für Verfassungsschutz unter www.verfassungsschutz.de erreichbar. BERICHT 2003 22 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 24 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN I. Überblick 1. Ideologie Nationalismus Das rechtsextremistische Weltbild wird von nationalistischen und und Rassismus rassistischen Anschauungen geprägt. Dabei herrscht die Auffassung vor, die ethnische Zugehörigkeit zu einer Nation oder Rasse ent scheide über den Wert eines Menschen. Da nach rechtsextremisti schem Verständnis diesem Kriterium auch die Menschenund Bür gerrechte untergeordnet werden, stehen Rechtsextremisten in fundamentalem Widerspruch zum Grundgesetz, das diesen Rech ten besonderen Rang und Schutzwürdigkeit zuweist. So lehnen Rechtsextremisten das für jedes Individuum geltende universale Gleichheitsprinzip ab, wie es Art. 3 des Grundgesetzes konkretisiert. Autoritärer Staat Rechtsextremisten treten in aller Regel für ein autoritäres politisches und VolksgemeinSystem ein, in dem Staat und Volk - nach ihrer Vorstellung ein eth schafts-Ideologie nisch geschlossenes Volk - als angeblich natürliche Ordnung in einer Einheit verschmelzen. Gemäß dieser Ideologie der "Volksgemein schaft" sollen die staatlichen Führer intuitiv nach dem vermeintlich einheitlichen Willen des Volkes handeln. Dementsprechend würden in einem rechtsextremistisch geprägten Staat die wesentlichen Kon trollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben, oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition wegfallen. Kein ideologisch Rechtsextremismus tritt in Deutschland mit unterschiedlichen Aus einheitliches prägungen nationalistischer, rassistischer und antisemitischer Ideo Gefüge des logieelemente und unterschiedlichen, sich daraus herleitenden Ziel Rechtsextremis setzungen auf: Das Weltbild gewaltbereiter Rechtsextremisten, mus in Deutschand dazu zählen insbesondere rechtsextremistische Skinheads, ist diffus. Ihr Lebensgefühl wird von fremdenfeindlichen, oft rassistischen so wie gewaltbejahenden Ressentiments geprägt. Sie treten mit spon tanen Gewalttaten und aggressiver, volksverhetzender Musik in Er scheinung. So wollen sie ihren Willen ausdrücken, Deutschland von allen Fremden zu "befreien". Neonazis orientieren sich stärker auf zielgerichtete politische Aktivitäten, die oftmals stark aktionistisch angelegt sind. Ihre Überzeugungen richten sich an nationalsoziali stischen Vorstellungen eines totalitären Führerstaats auf rassisti scher Grundlage aus. Aus ihrer Sicht ist das deutsche Volk höherwer tig und deshalb vor "rassisch minderwertigen" Ausländern oder Juden zu schützen. Bei den rechtsextremistischen Parteien finden sich eher nationalistische Positionen. Ihnen gilt die Nation als obers tes Prinzip, damit einher geht eine Abwertung der Menschenund Bürgerrechte. Dies hat insbesondere eine Ablehnung der Gleich heitsrechte für diejenigen zur Folge, die nicht dem - von ihnen nur ethnisch definierten - "Deutschen Volk" angehören. Sie streben R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 25 nach einem autoritären Staat, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung außer Kraft gesetzt wäre. 2. Entwicklungen im Rechtsextremismus Trotz des Rückgangs rechtsextremistischer Gewalttaten im Jahr 2003 Rückgang rechts blieb das Niveau der Strafund Gewalttaten insgesamt weiterhin extremistischer hoch (vgl. Kap. II, Nr. 2). Gewalttaten Wie in den Vorjahren war im Bereich des rechtsextremistischen Per Rückgang des sonenpotenzials ein weiterer Rückgang zu verzeichnen (vgl. Kap. II, rechtsextremisti Nr. 1). Die Zahl gewaltbereiter Rechtsextremisten ist 2003 erstmals schen Personenpo seit neun Jahren nicht weiter angestiegen, sondern zurückgegan tenzials und der Zahl gewaltberei gen. Fast die Hälfte der rechtsextremistischen Skinheads und sonsti ter Rechtsextremis ger gewaltbereiter Rechtsextremisten lebt im Osten Deutschlands. ten Wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung Anschlagsplanun hat der Generalbundesanwalt Ermittlungen gegen einen Personen gen und Bewaff kreis um den Anführer der aus Neonazis und Skinheads bestehenden nung "Kameradschaft Süd" (vgl. Kap. III, Nr. 2) aufgenommen und am 28. April 2004 gegen fünf Angehörige der Gruppierung Anklage erho ben. Eine Kerngruppe dieser Kameradschaft hatte zunächst die Grundsteinlegung für das jüdische Gemeindezentrum in München durch einen Sprengstoffanschlag verhindern wollen und später an dere Anschlagsziele in München erörtert. Anhaltspunkte für terroris tische Absichten anderer Rechtsextremisten lagen 2003 nicht vor, allerdings beschlagnahmten die Sicherheitsbehörden wiederholt Waffen und Sprengstoff. Auch wenn die rechtsextremistische Szene auf die bekannt gewordenen Anschlagspläne ganz überwiegend ab lehnend reagiert hat, können einzelne, im Internet verbreitete Kon zepte für einen "Krieg gegen das System" durchaus die Hemm schwelle zu schwersten Straftaten heruntersetzen (vgl. Kap. III, Nr. 2). Die Skinhead-Musik ist nach wie vor für viele Jugendliche attraktiv. Prägende rechtsex Über sie erhalten diese Jugendlichen Kontakt zur rechtsextremisti tremistische schen Szene. Skinhead-Musik hat damit eine bedeutende Funktion Skinhead-Musik bei der Entstehung und Verfestigung von Gruppen rechtsextremisti scher gewaltbereiter Jugendlicher. Die subkulturell geprägte Skinhead-Szene ist weiterhin insbesondere mit ihren Musikveranstal tungen aktiv. Die Anzahl der Konzerte hat im Jahr 2003 leicht zuge nommen; die Zahlen der Skinhead-Bands und der Vertriebe blieben in etwa gleich. Die Skinheads, die öffentlichkeitswirksamen Veran staltungen gegenüber aufgeschlossen sind, beteiligten sich weiter hin an Demonstrationen sowohl der Neonazi-Szene als auch der "Na tionaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) (vgl. Kap. III, Nr. 3). BERICHT 2003 26 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Aktionistische Prä Das überwiegend in Kameradschaften organisierte neonazistische senz der NeonaziPersonenpotenzial ist 2003 angestiegen, die Zahl der Kameradschaf Szene ten blieb bei rund 160. Die Neonazi-Szene wirkte insbesondere auf Skinheads anziehend. Die Entwicklung der letzten Jahre setzte sich fort, es bildeten sich weitere "Mischszenen" von Neonazis und Skinheads. Die aktionistische Strategie der Neonazis - möglichst viele Demonstrationen zu organisieren - führte zwar zu einer gewis sen Präsenz in der Öffentlichkeit. Die große Zahl der Demonstratio nen führte aber zu einer Demonstrationsmüdigkeit und sorgte für interne Streitigkeiten über die mangelnde Koordination. Obwohl mehrere regionale Kameradschafts-Bündnisse initiiert wurden, ge lang die Abstimmung der Szene nur eingeschränkt (vgl. Kap. IV, Nr. 1). NPD in Orientie Das Verbotsverfahren gegen die NPD, das vom Bundesverfassungs rungsphase gericht im März eingestellt wurde, hat die Partei organisatorisch und finanziell geschwächt, sie hat deutlich an Mitgliedern verloren. Un beeindruckt von dem Verfahren agitierte die von Udo VOIGT ge führte Partei auch 2003 aggressiv gegen die freiheitliche demokrati sche Grundordnung. Obwohl die NPD zu ihren Demonstrationen weiterhin rechtsextremistische Skinheads und Neonazis mobilisie ren konnte ("Kampf um die Straße"), gelang es ihr nicht, wie in den Vorjahren eine Führungsrolle im "Nationalen Widerstand" einzu nehmen, da viele Neonazis auf Distanz zu ihr gegangen sind. Das strategische "Drei-Säulen-Konzept" behielt weiterhin Gültigkeit, die Parteiführung verstärkte aber die ideologische Schulung ("Kampf um die Köpfe"); (vgl. Kap. V, Nr. 1.). Stagnation bei der Auch nach weiteren Mitgliederverlusten blieb die "Deutsche Volks DVU union" (DVU) die mitgliederund finanzstärkste Organisation im par teipolitischen Rechtsextremismus. Die innerparteiliche Machtposi tion des Vorsitzenden Dr. Gerhard FREY blieb unangefochten. Die Aktivitäten der DVU gingen jedoch zurück, statt der früher üblichen jährlichen Großveranstaltung fanden vier Regionalveranstaltungen statt. Die Partei nahm 2003 lediglich an den Wahlen zur Bremer Bürgerschaft teil und erzielte landesweit 2,3 %.Ansonsten verzichtete die DVU auf die Teilnahme an Landtagswahlen. Mit dem Erwerb ei nes Mandats in Bremen und ihren fünf Abgeordneten im Branden burger Landtag ist die DVU in zwei Landesparlamenten vertreten (vgl. Kap. V, Nr. 2). Niedergang der Bei der Partei "Die Republikaner" (REP) liegen weiterhin tatsächliche REP Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen vor. Wie in den Vorjahren war das Erscheinungsbild der von Dr. Rolf SCHLIERER geführten Partei 2003 von Wahlniederlagen, innerparteilichen Strei tigkeiten um den Kurs der Partei und Mitgliederverlusten geprägt. Auch aus Unzufriedenheit mit der Parteiführung suchten zahlreiche R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 27 Mitglieder Kontakte zu anderen Rechtsextremisten. Die REP beteilig ten sich an den Landtagswahlen in Hessen (1,3 %), Niedersachsen (0,4 %) und Bayern (2,2 %), dabei verloren sie überall deutlich an Stimmen (vgl. Kap. V, Nr. 3). Die Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus, insbe Intellektualisie sondere in Richtung so genannter "kultureller Hegemonie", blieben rungsbemühun auch im Jahr 2003 ohne Erfolg. Eigenständige Publikationen aus die gen erfolglos sem Bereich erschienen nur sehr unregelmäßig. Eine gewisse Reso nanz erzeugte dieses theorieorientierte rechtsextremistische Spek trum im Umfeld der NPD mit Aufsätzen in deren Parteizeitung "Deutsche Stimme" oder Seminaren wie denen der organisationsüber greifenden "Deutschen Akademie" (vgl. Kap. VI). Antisemitismus spielt in allen Bereichen des Rechtsextremismus eine Antisemitismus bedeutende Rolle. Neben der offenen Agitation und Hetze gegen Ju den - vorwiegend aus der Skinheadund Neonazi-Szene - hat sich ein Antisemitismus der Andeutungen entwickelt. Er spekuliert auf ein an tisemitisches Einstellungspotenzial in der Bevölkerung und versucht hier Einfluss zu gewinnen (vgl. Kap. VII). Für Rechtsextremisten ist das Internet das zentrale Medium geworden. Internet als Sie nutzen es zur Selbstdarstellung und Agitation, zur szeneinternen zentrales Medium Diskussion sowie zur Mobilisierung zu Veranstaltungen. Die Zahl der von deutschen Rechtsextremisten betriebenen Homepages ging ge ringfügig auf 950 zurück. Statt dessen nutzten Rechtsextremisten ver stärkt interaktive Dienste des Internet, um sich zu informieren oder zu diskutieren. Neben Mailinglisten und Newslettern haben Diskussions foren eine immer größere Bedeutung für die Szene (vgl. Kap. IX, Nr. 3). II. Übersicht in Zahlen 1. Organisationen und Personenpotenzial Ende 2003 gab es in Deutschland 169 1 (2002: 146) rechtsextremisti Erneuter Rückgang sche Organisationen und Personenzusammenschlüsse. Die Zahl ihrer des rechts Mitglieder sowie der nichtorganisierten Rechtsextremisten ist weiter extremistischen Personenpotenzi zurückgegangen und liegt mit 41.500 rund 8 %unter der des Vorjah als res (45.000). BERICHT 2003 28 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Weniger Die Zahl der subkulturell geprägten* und sonstigen gewaltbereiten gewaltbereite Rechtsextremisten ist mit 10.000 Personen (2002: 10.700) um knapp Rechtsextremisten 7%gesunken. Damit ist diese Zahl erstmals seit neun Jahren wieder zurückgegangen. Zu den Gewaltbereiten werden auch diejenigen Rechtsextremisten gezählt, die ohne bislang Gewalttaten verübt zu haben Gewaltanwendung befürworten. Dazu gehören als weitaus größte Gruppe rechtsextremistische Skinheads, die sich durch ihre subkulturelle Prägung von anderen gewaltbereiten Rechtsextremis ten, beispielsweise aus dem Neonazilager, unterscheiden. Zahl der Neonazis Die Zahl der Neonazis ist dagegen mit 3.000 (2002: 2.600) um rund gestiegen 15 %gestiegen. Ebenfalls gestiegen ist der Organisationsgrad in der Neonazi-Szene: 95 (2002: 72) Gruppierungen ließen ein Mindestmaß an organisatorischen Strukturen erkennen. Dazu zählte auch ein be trächtlicher Teil der rund 160 Kameradschaften. Mitgliederverluste In den rechtsextremistischen Parteien sind nur noch rund 24.500 rechtsextremisti (2002: 28.100) Personen organisiert. In dieser Zahl sind die Mitglieder scher Parteien der Partei "Die Republikaner" (REP) enthalten, ohne dass damit jedes einzelne Mitglied als rechtsextremistisch zu bewerten ist. Der Rück gang um rund 13 %ergibt sich aus weiteren deutlichen Mitgliederver lusten der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD; ca. 1.100), der REP (ca. 1.000) und der "Deutschen Volksunion" (DVU; ca. 1.500). Die Zahl der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen ist mit 69 (2002: 70) kaum zurückgegangen, diesem Spektrum gehören rund 4.600 (2002: 4.400) Mitglieder/Aktivisten an. * Gewaltbereitschaft und Gewalttätigkeiten sind nicht nur bei Skinheads, sondern auch - in gerin gem Umfang - bei Neonazis und - noch seltener - bei Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien festzustellen. Daher kann die Gewaltbereitschaft nicht das einzige Abgrenzungskriterium zwischen Skinheadund Neonazi-Szene sein. Hinzu kommt vielmehr die subkulturelle Komponente, mit der sich die Skinheads von allgemeinen gesellschaftlichen Standards abgrenzen. Dazu gehören bei spielsweise martialisches Auftreten, aggressive Musik und exzessiver Alkoholkonsum. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 29 Rechtsextremismuspotenzial 1) 2001 2002 2003 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechts extremisten 2) 1 10.400 1 10.700 2 10.000 Neonazis 3) 65 2.800 72 2.600 95 3.000 Parteien 3 33.000 3 28.100 3 24.500 davon "Die Republikaner" (REP)4) 11.500 9.000 8.000 "Deutsche Volksunion" (DVU) 15.000 13.000 11.500 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 6.500 6.100 5.000 Sonstige rechts extremistische Organisationen 72 4.300 70 4.400 69 4.600 Summe 141 50.500 146 45.800 169 42.100 Nach Abzug von Mehrfachmitglied schaften 5) 49.700 45.000 41.500 1) Die Zahlen sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2) Die meisten subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten (hauptsächlich Skinheads) sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind als gewaltbereit nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 3) Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. In der Zahl der Gruppen sind nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen und diejenigen der rund 160 Kameradschaften, die ein gewisses Maß an Organisierung auf weisen. 4) Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Mitglieder der REP rechtsextremistische Ziele verfolgen oder unterstüt zen. 5) Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom ge samten Personenpotenzial abgezogen (für das Jahr 2003: 600). 2. "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) 2.1 Definitionssystem PMK Das Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" wurde Definitionssystem nach einem Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister "Politisch moti und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) zum 1. Januar 2001 vierte Kriminalität" (PMK) eingeführt. Zentrales Erfassungskriterium dieses Meldesystems ist die politisch motivierte Tat. Als politisch motiviert gilt eine Tat insbe sondere dann, wenn die Umstände der Tat oder die Einstellung des Täters darauf schließen lassen, dass sie sich gegen eine Person auf grund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, VolkszugehörigBERICHT 2003 30 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN keit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft, sexuel len Orientierung, Behinderung oder ihres äußeren Erscheinungsbil des bzw. ihres gesellschaftlichen Status richtet. Die erfassten Sachver halte werden im Rahmen einer mehrdimensionalen Betrachtung unter verschiedenen Gesichtspunkten bewertet. Hierbei werden ins besondere Feststellungen zur Qualität des Delikts, zur objektiven thematischen Zuordnung der Tat, zum subjektiven Tathintergrund, zur möglichen internationalen Dimension der Tat und zu einer ggf. zu verzeichnenden extremistischen Ausprägung der Tat getroffen. In diesem Zusammenhang wurde auch der Bereich der Gewaltdelikte erweitert und bundeseinheitlich festgelegt. Die differenzierte Darstellung ermöglicht eine konkret bedarfsorien tierte Auswertung der Daten und bildet damit die Grundlage für den zielgerichteten Einsatz geeigneter repressiver und präventiver Bekämpfungsmaßnahmen. Die im Verfassungsschutzbericht genannten Zahlen zu den von Ex tremisten verübten Strafund Gewalttaten basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Das Definitionssystem PMK wirkt sich auch auf die im Verfassungsschutzbericht enthaltenen Zahlenüber sichten aus. Diese weisen - dem gesetzlichen Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes entsprechend - schwerpunktmäßig extremisti sche Straftaten aus. 2.2 Politisch motivierte Strafund Gewalttaten Für das Jahr 2003 wurden vom BKA 20.477(2002: 21.690) politisch motivierte Straftaten registriert. In dieser Zahl sind 10.669 (52 %) Pro pagandadelikte enthalten (2002: 11.749 =54,2 %). 1.870 Delikte (9,1%) sind der politisch motivierten Gewaltkriminalität zuzuordnen (2002: 1.930 =8,9 %). Politisch motivierte 11.576 (2002: 12.933) Straftaten wurden dem Phänomenbereich Straftaten nach "rechts", 3.614 (2002: 3.639) dem Phänomenbereich "links" und 1.743 Phänomenberei (2002: 845) dem Phänomenbereich der "politisch motivierten Aus chen länderkriminalität" zugeordnet. Bei 3.544 (2002: 4.273) Straftaten konnte keine eindeutige Zuordnung zu einem Phänomenbereich ge troffen werden. Extremistische 13.903 Straftaten (67,9 %) wurden als extremistisch eingestuft (2002: Straftaten 12.758 =58,8 %), davon 10.792 (2002: 10.902) aus dem Phänomenbe reich "rechts", 1.459 (2002: 1.137) aus dem Phänomenbereich "links" und 1.473 (2002: 573) aus dem Bereich der "politisch motivierten Aus länderkriminalität". 179 (2002: 146) Straftaten deuteten auf Grund der Tatumstände auf einen extremistischen Hintergrund hin, wur R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 31 den aber ohne Zuordnung zu einem Phänomenbereich gemeldet. Der erneute Anstieg des Anteils der extremistischen Straftaten an der Politisch motivierten Kriminalität im Jahr 2003 ist Indiz für eine kon sequente Anwendung der Richtlinien des kriminalpolizeilichen Mel dedienstes "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK). Im Jahr 2001, dem ersten Jahr der Anwendung des neuen Definitionssystems PMK, waren noch Unterschiede bei der Zuordnung zur extremistischen Kriminalität in den Bundesländern festgestellt worden. Gleichgela gerte Sachverhalte wurden zum Teil durch die Bundesländer unter schiedlich bewertet und erfasst. Auf Grund detaillierterer Hand lungsanweisungen hatten die Bundesländer ihre Bewertung zur extremistischen Kriminalität bereits im Jahr 2002 einander angegli chen. 2.3 Rechtsextremistisch motivierte Straf und Gewalttaten 2.3.1 Überblick Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten bilden eine Rückgang der Teilmenge des Phänomenbereichs "Politisch motivierte Kriminalität rechtsextremi - rechts". Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität stisch motivierten Kriminalität rechts" wurden 11.576 (2002: 12.933) Straftaten, hiervon 7.951(2002: 8.538) Propagandadelikte nach SSSS 86, 86a StGB und 845 (2002: 940) Gewalttaten, zugeordnet. Im Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" wurden 10.792 (2002: 10.902) Straftaten mit ex tremistischer Motivation, darunter 759 (2002: 772) Gewalttaten er fasst. Damit ging die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten um 1%, die der Gewalttaten mit rechtsextremistischer Mo tivation um 1,7%zurück. Der Anteil der rechtsextremistisch motivier ten Gewalttaten an der Gesamtzahl der rechtsextremistisch motivier ten Straftaten beträgt 7%(2002: 7,1%). Bei 86,1%(2002: 86,4 %) aller rechtsextremistisch motivierten Straftaten handelte es sich entwe der um Propagandadelikte (7.551Taten, 2002: 7.294) oder um Fälle von Volksverhetzung (1.744 Taten, 2002: 2.122). Insgesamt wurden 141Delikte (2002: 150) im Themenfeld "Gewalttaten gegen Linksex tremisten oder vermeintliche Linksextremisten" und 70 Delikte (2002: 57) im Themenfeld "Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner" ausgewiesen. BERICHT 2003 32 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Übersicht über Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" 1) Gewalttaten: 2002 2003 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 8 7 Körperverletzungen 646 637 Brandstiftungen 26 24 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Landfriedensbruch 32 28 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 11 2 Freiheitsberaubung 1 2 Raub 6 12 Erpressung 5 2 Widerstandsdelikte 36 45 Sexualdelikte 0 0 gesamt 772 759 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 178 225 Nötigung/Bedrohung 115 93 Propagandadelikte 7.294 7.551 Störung der Totenruhe 30 26 Andere Straftaten, insbesondere Volksverhetzung 2.513 2.138 gesamt 10 .130 10.033 Straftaten insgesamt 10.902 10.792 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Ist zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zu gleich eine Körperverletzung begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. Im Jahr 2003 gab es kein vollendetes rechtsextremistisch motiviertes Tötungsdelikt. Im Zuge von Ermittlungen in Zusammenhang mit einem - nach er ster Einschätzung - versuchten Tötungsdelikt konnten die Sicher heitsbehörden einen großen Erfolg verbuchen: Am 19. Juli geriet eine Gruppe Skinheads - unter ihnen auch An gehörige des "Aktionsbüros Süd" - nach einem gemeinsamen Gast stättenbesuch in Unterschleißheim (Bayern) in Streit. Dabei traten mindestens zwei Täter mit ihren Springerstiefeln gezielt auf den Kopf eines Kameraden, der offenbar aus der Szene aussteigen wollte. Alle Beteiligten standen unter erheblichem Alkoholeinfluss. Die Po lizei nahm fünf Tatverdächtige fest. Die weiteren Ermittlungen in diesem Fall führten zur Zerschlagung der rechtsextremistischen R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 33 "Kameradschaft Süd" (vgl. Kap. III, Nr. 2). Am 15. März 2004 verur teilte das Amtsgericht München die zwei Haupttäter wegen gefährli cher Körperverletzung zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und acht Monaten bzw. drei Jahren und vier Monaten. 2.3.2 Zielrichtungen der Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund Mit 430 (2002: 440) Delikten richtete sich die Mehrzahl der politisch rechtsmotivierten Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund ge gen Fremde; somit waren rund 56,7%aller entsprechenden Gewalt taten fremdenfeindlich motiviert. 141(18,6 %) Gewaltdelikte (2002: 150 =19,4 %) richteten sich gegen (mutmaßliche) Linksextremisten, 35 (4,6 %) Taten (2002: 28 =3,6 %) waren antisemitisch motiviert. Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund 1) Gewalttaten: 2002 2003 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 6 5 Körperverletzungen 388 377 Brandstiftungen 20 19 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 12 12 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 3 1 Freiheitsberaubung 1 1 Raub 3 6 Erpressung 0 1 Widerstandsdelikte 7 8 Sexualdelikte 0 0 gesamt 440 430 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). BERICHT 2003 34 R ECH T SEX TREM I ST I SCH E BEST REBU N GEN Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" 1) [Zielrichtungen] Gesamt 675 Gesamt 676 440 430 150 141 57 70 28 35 2002 2003 Fremdenfeindliche Gewalttaten Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten Antisemitische Gewalttaten Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 35 2.3.3 Verteilung der Gewalttaten auf die Länder Die - in absoluten Zahlen - meisten Gewalttaten mit rechtsextremis tischem Hintergrund ereigneten sich mit 95 registrierten Delikten in Nordrhein-Westfalen, das allerdings bezogen auf je 100.000 Einwoh ner im Mittelfeld der Statistik steht. Danach folgen Brandenburg (87; bezogen auf die Einwohnerzahl an der Spitze der Statistik), Nieder sachsen (80; bezogen auf die Einwohnerzahl im Mittelfeld) sowie Sachsen und Berlin (jeweils 69). Nach wie vor ist ein deutlicher Schwerpunkt in den östlichen Ländern festzustellen. Im Durch schnitt wurden dort mit 2,08 Gewalttaten je 100.000 Einwohner mehr als dreimal so viele Gewalttaten registriert wie in den westli chen Bundesländern (0,62). (Grafik auf Seite 36) BERICHT 2003 36 R ECH T SEX TREM I ST I SCH E BEST REBU N GEN Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" 1) [ in den Ländern ] Nordrhein95 Westfalen 80 87 Brandenburg 78 80 Niedersachsen 104 69 Sachsen 89 69 Berlin 50 Schleswig66 Holstein 58 Baden55 Württemberg 51 Sachsen50 Anhalt 66 47 Thüringen 55 45 Bayern 51 Mecklenburg32 Vorpommern 15 30 Hessen 24 Rheinland18 Pfalz 21 10 Saarland 10 4 Hamburg 13 2 Bremen 7 2003 2002 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). R ECH T SEX T REM I ST I SCH E BEST REBU N GEN 37 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts"1) [je 100.000 Einwohnern in den Ländern ] 3,37 Brandenburg 3,02 Schleswig2,34 Holstein 2,08 2,03 Berlin 1,48 1,96 Thüringen 2,27 Sachsen1,96 Anhalt 2,54 Mecklenburg1,83 Vorpommern 0,86 1,59 Sachsen 2,04 1,00 Niedersachsen 1,30 0,94 Saarland 0,94 Nordrhein0,53 Westfalen 0,44 Baden0,52 Württemberg 0,48 0,49 Hessen 0,39 Rheinland0,44 Pfalz 0,52 0,36 Bayern 0,41 0,30 Bremen 1,06 0,23 Hamburg 0,75 2003 2002 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Statistischen Bundesamtes zu den Einwohnerzahlen der Länder. BERICHT 2003 38 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN III. Gewaltbereite Rechtsextremisten 1. Rechtsextremistisches Gewaltpotenzial Gewaltbereite Das Potenzial der gewaltbereiten Rechtsextremisten ist mit etwa Szene stagniert 10.000 Personen (2002: 10.700) leicht zurückgegangen. Den weitaus größten Teil hiervon stellen rechtsextremistische Skinheads. Nach dem der Zuwachs in der Szene bereits im Jahr 2002 nur noch knapp drei Prozent betragen hatte, scheint die Aufwärtsentwicklung - auch wegen der konsequenten staatlichen Maßnahmen - vor allem im Skinhead-Musikbereich (vgl. Nr. 3.2) - gestoppt. 2. Bewaffnung und Gewaltdiskussion Verdacht der Der Generalbundesanwalt hat erstmals seit Jahren Anklage gegen Bildung einer mehrere Angehörige einer rechtsextremistischen Gruppierung we rechtsterroristi gen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung er schen Vereinigung hoben. Anklagen gegen weitere Mitglieder der Gruppierung sind in Vorbereitung. Hintergrund sind die Aktivitäten eines Personenkrei ses um den Anführer der neonazistischen Münchener "Kamerad schaft Süd", Martin WIESE. Bei Durchsuchungen im August und Sep tember stellte die Polizei u. a. 1,2 kg TNT, eine Handgranate, mehrere Langund Kurzwaffen sowie Munition sicher. Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen hatte WIESE ab Herbst 2002 aus engen per sönlichen Gefolgsleuten innerhalb der "Kameradschaft Süd" einen straff organisierten abgeschotteten Führungszirkel aufgebaut. Diese intern als "Schutzgruppe" (SG) bezeichnete Organisation bereitete sich in wöchentlichen paramilitärischen Übungen auf spätere Kampfeinsätze vor. Ihr Ziel war nach bisherigem Ermittlungsstand die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung mit Hilfe gewaltsamer Anschläge. Im Frühjahr 2003 fasste die Gruppie rung die Absicht, am 9. November die Grundsteinlegung für die Sy nagoge, das jüdische Gemeindezentrum und das jüdische Museum in München mittels eines Sprengstoffanschlags zu verhindern. Hierzu hatte sich WIESE über seine Kontakte in die Militariaszene in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern in den Besitz von Waf fen und Sprengstoffen gebracht. Von diesen ursprünglichen Planun gen nahm die Gruppierung Abstand, als sie aufgrund polizeilicher Ermittlungen in anderer Sache die Aufdeckung des Vorhabens be fürchtete. Daraufhin wurden andere Anschlagsziele in der Münche ner Innenstadt in Erwägung gezogen. Zu konkreten Planungen kam es wegen der Verhaftung WIESEs und anderer indes nicht mehr. WIESE verfügte über weitere Kontakte zu anderen rechtsextremisti schen Gruppierungen, insbesondere in Bayern, die jedoch nicht in die Anschlagsüberlegungen eingebunden waren. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 39 Anhaltspunkte für terroristische Aktivitäten anderer Rechtsextremis ten lagen im Jahr 2003 nicht vor. Insbesondere gab es auch keine Hinweise auf terroristische Aktivitäten von "Combat 18"-Gruppierungen 2 (vgl. Kap. VIII, Nr. 3) in Deutschland. Im Namen dieser in England bekannt gewordenen Organisation pro "Combat 18" (C18) pagieren Rechtsextremisten in Schriften und im Internet den ver deckten (terroristischen) Kampf gegen all diejenigen, die als "Gefahr für die weiße Rasse" gesehen werden oder die in Opposition zum Na tionalsozialismus stehen. Der Kampf soll von Einzelkämpfern ("lone wolves") oder in Form eines führerlosen Widerstandes ("leaderless resistance") 3 geführt werden. In Deutschland verwen den Gruppierungen oder Einzelpersonen seit Jahren die Bezeich nung C18, um die eigene Gefährlichkeit zu unterstreichen. Das Mitte 2003 bekannt gewordene neonazistische "Totenkopf-Magazin" for dert - wie schon frühere Publikationen - die Bildung bewaffneter Zellen nach dem Vorbild von C18. Die Staatsanwaltschaft Flensburg ermittelte wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen Angehörige der neonazistischen Szene, die sich auch als "C18-Pinneberg" bezeichne ten. Diese versuchten den regionalen Handel mit rechtsextremisti schen Tonträgern zu kontrollieren und Konkurrenten einzuschüch tern. Bei Durchsuchungen wurde bei dem Anführer der Gruppe auch eine Schusswaffe sichergestellt. Hinweise darauf, dass die Gruppie rung die Absicht hatte, terroristische Anschläge zu begehen, gibt es nicht. Allerdings wurden in einschlägigen Publikationen wie "Stormer - Die deutsche Fassung" unter dem C18-Symbol auch Aktionen unterhalb der Schwelle zum Terrorismus propagiert. Hiermit sollte zum einen nach außen hin eine Drohkulisse aufgebaut werden, andererseits sollten die handelnden Gruppen mit ihren Aktionen an Bedeutung gewinnen. In einem "Aktivistenwettbewerb" ruft der "Stormer" etwa dazu auf, C18-Aufkleber an Synagogen und Denkmälern zu verbrei ten. Einige Straftaten deuten darauf hin, dass derartige Konzepte in die Tat umgesetzt werden könnten. So schändeten unbekannte Täter am 4. Mai eine Gedenkstätte für jü Schändung einer dische Opfer des Zweiten Weltkriegs in Neustadt (Schleswig-HolGedenkstätte stein). Vor einem Gedenkstein - den sie mit dem Schriftzug "C18" be schmierten - legten sie den Kadaver eines Ferkels nieder. Später bezichtigte sich eine Gruppierung "Combat 18 Deutschland" der Tat. Dabei wurden massive Drohungen gegen Juden und Politiker BERICHT 2003 40 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN geäußert, die die Schändung verurteilt hatten, offensichtlich mit dem Ziel, ein Klima der Einschüchterung und Angst zu erzeugen. Am 31. Januar und 2. Februar wurden im baden-württembergischen Rems-Murr-Kreis Hakenkreuzfahnen an Brücken festgestellt. Neben dem Schriftzug "C18" befanden sich darauf Drohungen gegen na mentlich genannte Polizeibeamte. Dies war der Auftakt zu einer Se rie von insgesamt 43 rechtsextremistisch motivierten Straftaten, da runter drei Brandanschläge. Bei etwa der Hälfte der Taten verwendeten die Täter die Bezeichnung "Combat 18" oder die Formel "C18". Das Landgericht Stuttgart verurteilte am 27. April 2004 vier Rechtsextremisten als Haupttäter u. a. wegen schwerer Brandstif tung in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung und Sachbeschä digung zu Freiheitsstrafen zwischen zweieinhalb und sechs Jahren. Die Gruppe nutzte - nach Feststellungen des Gerichts - bei der Bege hung ihrer Straftaten den Ruf von C18 als besonders gewaltbereite und gefährliche Organisation in der Absicht, in ihrer Heimatregion eine Drohkulisse aufzubauen und sich selbst aufzuwerten, ohne je doch ein an C18 angelehntes Konzept zu verfolgen. Wehrsportübun Es gab verstärkt Hinweise auf wehrsportähnliche Übungen rechtsex gen tremistischer Gruppierungen. In einem Fall konnte die Polizei einen Lkw der ehemaligen NVA, einen Jeep, vier Luftdruckgewehre und eine Kiste mit acht Übungshandgranaten sicherstellen. Auch An gehörige des Kreises um Martin WIESE trafen sich nach derzeitigem Stand der Ermittlungen zu regelmäßigen paramilitärischen Übun gen. Neben körperlicher Ertüchtigung und militärischem Drill gehörten Schießübungen mit sogenannten "Soft-Air-Waffen" zum Trainingsprogramm. Nach Einschätzung der Generalbundesanwalt schaft dienten die Übungen dazu, spätere Kampfeinsätze mit schar fen Waffen vorzubereiten. Waffenbesitz Der Waffenbesitz von Angehörigen der Szene bedeutet eine abstrakte Gefahr. Viele Rechtsextremisten ver fügen über eine hohe Affinität zu Waffen und Sprengstoffen und ver suchen daher, sich entsprechende Gegenstände und Kenntnisse - auch zum Bombenbau - anzueignen. Im mer wieder kann bei Verdächtigen solches Material sichergestellt werden: So durchsuchte die Polizei Ende Juli die Wohnung eines mutmaßlichen Rechtsextremisten im bayerischen Grünwald sowie dessen Arbeits stelle in München. Neben diversen Waffen wurden bereits mit Spreng zündern versehene Rohrbomben, Munition sowie Chemikalien zum Bombenbau gefunden. Gegen den Tatverdächtigen erging Haftbefehl. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 41 Auch bei einer Hausdurchsuchung Ende November im thüringi schen Ohrdruf stellte die Polizei bei einem 19-jährigen Tatverdächti gen ein privates Chemielabor mit explosiven Substanzen fest. Die rechtsextremistische Szene in Deutschland zeigte sich für terroris Fast einhellige tische Strategien wenig empfänglich. Innerhalb der rechtsextremis Ablehnung tischen Szene war keine intensiv geführte Gewaltdiskussion festzu terroristischer Stra tegien stellen. Nur wenige Äußerungen sprachen sich für die systematische Anwendung von Gewalt aus. Ein Klima, das die Entstehung terroristi scher Strukturen begünstigen würde, bestand nicht. Gleichwohl übt nach wie vor das Konzept des "leaderless resistance" eine gewisse Faszination auf Rechtsextremisten aus. Die Vorstellung, als Teil einer Potenzielle Gefahr größeren Bewegung einen gemeinsamen großen "Krieg gegen das durch Einzeltäter System" zu führen, könnte bei einigen rechtsextremistischen Einzel und Kleinstgrup pen personen oder Kleinstgruppen die Bereitschaft schüren, schwerste Straftaten zu begehen. 3. Rechtsextremistische Skinhead-Szene Bei den meisten rechtsextremistischen Skinheads ist nur ein diffuses Diffuses nationalistisches, fremdenfeindliches und antisemitisches Weltbild nationalistisches, vorhanden. Auch wenn einschlägige Skinhead-Musikgruppen in fremdenfeindli ches und antisemi ihren Texten ein derartiges Bewusstsein propagieren (vgl. Nr. 3.2), tisches Weltbild entwickeln Skinheads nur selten eine gefestigte entsprechende Weltanschauung oder zielgerichtete politische Arbeit im engeren Sinne. Attraktiv für viele, überwiegend männliche, Jugendliche ist die Skinhead-Subkultur aufgrund ihrer zu einem großen Teil auf Un terhaltung und Aktion (Skinhead-Musik, Alkoholkonsum, Teilnahme an Konzerten und Demonstrationen) sowie der auf spontane Gewalt gerichteten Lebenseinstellung. Der Schwerpunkt der rechtextremisti Schwerpunkt in schen Skinhead-Szene liegt wie in den Ostdeutschland letzten Jahren in Ostdeutschland; dort lebt fast die Hälfte der gewaltbereiten Rechtsextremisten. Bedeutendere Sze nen waren im Großraum Berlin, in Westsachsen sowie im südlichen Sachsen-Anhalt festzustellen. Perso nell größere Skinhead-Gruppierungen existieren aber auch in anderen Regionen wie dem Ruhrgebiet oder im Großraum Hamburg. BERICHT 2003 42 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Verurteilungen Das Landgericht Dresden verurteilte am 22. Mai fünf Mitglieder der von Mitgliedern verbotenen Gruppierung "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) u. a. der "Skinheads wegen Bildung und Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung Sächsische zu Freiheitsstrafen zwischen eineinhalb und zwei Jahren mit Be Schweiz" währung. In einem zweiten Prozess wurden am 12. November elf weitere Mitglieder zu Bewährungsstrafen zwischen sechs und 24 Monaten verurteilt. Ein dritter und letzter Prozess ist derzeit anhän gig. Mit der Gruppierung SSShatten Skinheads eine kriminelle Ver einigung aufgebaut, die in der Region Sächsische Schweiz militant gegen politische Gegner vorgegangen war. Der Sächsische Staats minister des Innern hatte die SSSzusammen mit ihrer "Aufbauor ganisation" (SSS-AO) - bereits am 5. April 2001verboten. Verhältnis Obwohl Neonazis und rechtsextremistische Skinheads seit Jahren zu Neonazis zusammenwirken, ist ihr Verhältnis zwiespältig geblieben. Mit ihrem meist nur verschwommenen neonazistischen Weltbild fehlt den Skinheads größtenteils der Wille zu längerfristiger politischer Arbeit. Sie nehmen zwar häufig an neonazistischen Veranstaltungen teil, doch stellen sie dort ihre Erlebniserwartung etwa an Auftritte von Musikgruppen und Alkoholkonsum und nicht das politische Ele ment in den Vordergrund. Wenn sich in lokalen Gruppierungen Skinheads und Neonazis unter einem Dach finden, dürfte die Moti vation für die Zugehörigkeit zu einer Kameradschaft oft unter schiedlicher Natur sein: Skinheads sind auf der Suche nach subkultu rellen sozialen Kontakten, Neonazis streben zielgerichtete politische Arbeit an. Verhältnis zu Rechtsextremistischen Parteistrukturen und -aktivitäten begegnen rechtsextremisti Skinheads mit Misstrauen. Dies gilt insbesondere für die "Deutsche schen Parteien Volksunion" (DVU) (vgl. Kap. V, Nr. 2) und "Die Republikaner" (REP) (vgl. Kap. V, Nr. 3), die sich vom Spektrum der gewaltbereiten Rechts extremisten abgrenzen. Verbindungen bestehen aber zur "National demokratischen Partei Deutschlands" (NPD) (vgl. Kap. V, Nr. 1), die sich seit Jahren nicht nur den Neonazis, sondern auch den Skinheads geöffnet hat. Nicht zuletzt als Personenpotenzial, das sich für Veran staltungen mobilisieren lässt, sind sie dort gern gesehen. Zu einer kontinuierlichen Zusammenarbeit zwischen dem subkulturell ge prägten Spektrum und der NPD ist es allerdings bisher nicht gekom men. 3.1 Skinhead-Organisationen mit bundesweitem Anspruch Keine bundeswei Nach dem Verbot der "Blood & Honour-Division Deutschland" und ten Strukturen ihrer Jugendorganisation "White Youth" durch den Bundesminister des Innern im September 2000 sind länderübergreifend nur noch die international agierenden "Hammerskins" und die Skinhead R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 43 Gruppierung "Furchtlos & Treu" (F +T) mit Gliederungen in mehre ren Bundesländern vertreten. Den "Hammerskins" gehören in Deutschland etwa 120 Personen an "Hammerskins" (2002: 120). Die hier seit Anfang der 90er Jahre bestehende, national sozialistisch und rassistisch orientierte Vereinigung trat in der Öf fentlichkeit kaum in Erscheinung. Einzelne Führungsaktivisten der regionalen "Hammerskin"-Chapter wirkten bei der Durchführung von Skinhead-Konzerten in Deutschland und dem benachbarten Ausland mit. Die im Jahr 1999 gegründete Skinhead-Gruppierung "Furchtlos & "Furchtlos & Treu" Treu" (F +T) gliedert sich nach eigenen Angaben in die Divisionen Deutschland und Kroatien, jeweils mit mehreren Sektionen. Ihr Ziel ist die Vereinigung aller Skinheads, ausgerichtet an der so genann ten "Völkischen Idee". Mit Konzerten, Balladenabenden, Kranznie derlegungen und Rechtsschulungen sollen junge, orientierungslose Kameraden gefördert und ihnen ein "Halt" gegeben werden. Zwischen ehemaligen Aktivisten der verbotenen Skinhead-Organisa"Blood & Honour" tion "Blood & Honour" bestehen nach wie vor - teils enge - Kontakte. nach Verbot weit Organisatorische Strukturen lassen sich auf Bundesebene gehend zerfallen allerdings nicht mehr feststellen. In Südwestdeutschland organisier ten einzelne ehemalige "Blood & Honour"-Mitglieder weiterhin SkinheadKonzerte und Veranstaltungen, die aber nicht zur Werbung für die verbotene Vereinigung genutzt wurden. In eini gen wenigen Fällen trugen frühere deutsche "Blood & Honour"-Mitglieder bei Konzerten im europäischen Ausland T-Shirts mit Aufdrucken des verbotenen Organisationslogos. Im März wurde die Verbreitung des vermutlich von ehemaligen Aktivisten aus Thüringen produzierten - strafrechtlich relevanten Tonträgers "Blood & Honour Deutschland - Trotz Verbot nicht tot" bekannt. Im Rahmen des daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Gera wegen des Verdachts der Unterstützung bzw. Fortführung einer rechtskräftig verbotenen verfassungswidri gen Vereinigung fanden am 25. November bei 22 Personen Durchsu chungen in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen statt. Den Beschuldigten wird vorgeworfen, an der Produktion und dem Vertrieb des Samplers beteiligt gewesen zu sein. Die Ermittlungen dauern an. BERICHT 2003 44 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 3.2 Rechtsextremistische Skinhead-Musik Große Bedeutung Die rechtsextremistische Skinhead-Musik ist ein wesentlicher iden der Skinheadtitätsstiftender Faktor der subkulturell geprägten rechtsextremisti Musik schen Szene. Sie bildet für Jugendliche, die sich sozial und wirtschaft lich benachteiligt fühlen, einen Anreiz für den Einstieg in die Szene. Über die Weitergabe von CDs innerhalb ihrer Cliquen oder durch das Internet kommen sie mit der Musik in Berührung. Die Jugendlichen nehmen die durch Liedtexte vermittelten Feindbilder an. Das politi sche Weltbild der meisten rechtsextremistischen Skinheads setzt sich dementsprechend aus - durch die Skinhead-Musik geprägten - Ver satzstücken diffuser nationalistischer, fremdenfeindlicher und anti semitischer Einstellungsmuster zusammen. Die Konzerte einschlägiger Bands haben für die ansonsten zersplit terte Szene eine besondere Bedeutung. Diese Veranstaltungen sind die eigentlichen Treffpunkte der Szene. Bei den Besuchern erzeugen sie ein Gefühl der Gemeinschaft und Stärke. Als nicht alltägliche und nicht jedermann zugängliche Veranstaltungen üben sie auf Jugend liche einen besonderen Reiz aus. Leichter Anstieg Die Zahl der rechtsextremistischen Skinhead-Konzerte war 2003 in rechtsextremisti Deutschland mit 119 Konzerten (2002: 112) weiterhin hoch. Allerdings scher Skinheadkamen lediglich zu zwei Konzerten (2002: 7) mehr als 500 Teilneh Konzerte mer. Die durchschnittliche Teilnehmerzahl ist damit von ca. 180 Per sonen im Jahr 2002 auf 160 gesunken. Durch intensive Aufklärungs maßnahmen, Kontrollen an Vortrefforten und Verbote konnten 22 Veranstaltungen (2002: 17) verhindert werden. Weitere 17Konzerte (2002: 21) löste die Polizei während des Verlaufs auf. Zu Widerstands handlungen kam es nur in wenigen Fällen. Konspirative Die Mehrzahl der Skinhead-Konzerte in Deutschland wird weiterhin Organisation konspirativ organisiert. Bis kurz vor Beginn sind meist nur wenige Szeneangehörige über den Veranstaltungsort informiert. Die poten ziellen Besucher erhalten lediglich Angaben, welche Bands auftreten werden und wo weitere Hinweise zu erhalten sind. Dann werden sie von Vortrefforten zum Veranstaltungsort gelotst. Gegenüber den Verpächtern der Räumlichkeiten geben die Organisatoren oftmals einen falschen Veranstaltungshintergrund an. Nach Bekanntwerden der tatsächlichen Umstände versuchen die Verpächter dann, sich aus dem Vertrag zu lösen. Deshalb nutzen Rechtsextremisten zuneh mend Objekte, die sich in eigener Hand oder der Verfügungsgewalt von Sympathisanten befinden, um den Verlust bereits sicher ge glaubter Veranstaltungsräumlichkeiten zu vermeiden. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 45 Mehrfach wurden rechtsextremistische Musikveranstaltungen und Zeitliche und Demonstrationen für denselben Tag und in räumlicher Nähe organi räumliche Nähe siert. Dadurch erhofften die Veranstalter, die Teilnehmer für beide von Demonstratio nen und Musikver Veranstaltungen gewinnen zu können und die Mobilisierung zu stei anstaltungen gern. Zum Teil traten Bands auch im Rahmenprogramm oder direkt im Anschluss an eine Kundgebung auf. Die Zahl der aktiven rechtsextremistischen Skinhead-Musikgruppen Rechtsextremisti in Deutschland, die bei einschlägigen Konzerten auftraten oder Ton sche Skinhead träger veröffentlichten, ist auf 95 (2002: 90) gestiegen. Etwa ein Drit Bands tel davon ist seit Jahren aktiv und in der Szene populär. Auch im Jahr 2003 veröffentlichten deutsche rechtsextremistische Bands strafrechtlich rele vante Tonträger mit volksverhetzenden, häufig antisemitischen bzw. fremdenfeindlichen oder gegen den Staat und seine Institutionen gerichte ten Texten. So heißt es z. B. in dem Lied "Volk steh auf" 4 der Band "Rassenhass": "Jeder Neger ist dann zu Haus in Afrika oder hängt an einem Baum, und Europa ist dann wieder weiss, denn für Affen ist hier kein Raum ... Wir brennen alle Judaskirchen ab denn wir brauchen hier kein Chri stentum ... Jedes Krummnasengrab wird exhumiert, denn mit Anti menschen ham wir nix zu tun ... Schwarz-rot-gold wird abgeschafft und das Hakenkreuz wird wieder wehen ... Die Bundesregierung stür zen wir und das Kanzleramt wird in Flammen stehen." (Schreibweise wie im Original) Gegen Mitglieder mehrerer Musikgruppen Ermittlungsverfah leiteten die Strafverfolgungsbehörden Ver ren gegen rechts fahren ein. So fanden Durchsuchungen bei extremistische Musikgruppen Mitgliedern der Bands "Oidoxie", "Race War", "Skalinger", "Weisse Wölfe" und "Stahlgewitter" statt. Die Ermittlungen dau erten Ende 2003 an. Am 22.12.2003 verurteilte das Kammerge richt Berlin erstmals wegen des Vorwurfs der Bildung und Mitglied schaft in einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB) drei Mitglieder der Band "Landser". Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sie sich nicht nur zur Musikproduktion zusammengeschlossen haben, sonBERICHT 2003 46 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN dern dass der eigentliche Zweck ihres gemeinsamen Wirkens die konspirativ organisierte Verbreitung ihrer "gemeinschaftlichen rechtsradikalen" Ideologie durch Musik mit in hohem Maße strafba ren, insbesondere volksverhetzenden und die Bundesrepublik ver leumdenden Inhalten war. Die Skinhead-Szene reagierte auf einige der Ermittlungsverfahren mit Solidaritätsaktionen. Mit der Einrichtung von Spenden-Konten, Solidaritätskonzerten und der Veröffentlichung entsprechender CDs, deren Erlös den Betroffenen zugute kommen soll, leisteten Rechtsextremisten ihren Mitstreitern nicht nur moralische Unter stützung. Internationale Die Zahl der Konzerte in Deutschland, an denen rechtsextremisti Kontakte sche Musikgruppen aus dem Ausland teilnahmen, war mit 12 Veran staltungen (2002: 19) rückläufig. Eine hohe Attraktivität besaßen vor allem Musikgruppen aus Großbritannien und Österreich. Auch deut sche rechtsextremistische Bands traten immer wieder bei SkinheadKonzerten im europäischen Ausland auf. Rechts Ebenso wie im Vorjahr traten 18 rechtsextremistische Liedermacher extremistische (2002: 18) im Jahr 2003 bei 33 sonstigen rechtsextremistischen Musik Liedermacher veranstaltungen auf (2002: 33). 3.3 Rechtsextremistische Skinhead-Vertriebe Vertriebsstruktur Rechtsextremistische Musik ist nicht im allgemeinen Handel erhält lich. Daher hat sich für ihre Verbreitung ein eigenes Vertriebsnetz gebildet. Die Konsumenten können die Musik bei über 50 bundes weit aktiven Versandhändlern beziehen. Darüber hinaus stehen ih nen auch zahlreiche Szeneläden zur Verfügung, die zugleich Treff punkte der regionalen Szene sind. Bei Konzerten bieten mobile Händler ihr Sortiment an. Bedeutung Für den Vertrieb der Musik spielt das Internet eine große Rolle. Unab des Internet hängig davon, ob ein Interessent über Szenekontakte verfügt, wird so der Zugang zu rechtsextremistischer Musik ermöglicht. Bei zahl reichen Anbietern im Inund Ausland können Angebote und Preise verglichen werden. Mittlerweile nutzen fast alle größeren in Deutschland aktiven Vertriebsfirmen - ebenso wie die ausländischen Anbieter rechtsextremistischer Musik - das Internet, um ihr Angebot audiovisuell einem breiten Kundenkreis zugänglich zu machen. Aber nicht nur die Vertriebe werben für die CDs. Hinweise auf Neuer scheinungen und deren Bezugsquellen finden sich auch in Internet foren sowie in Szenepublikationen. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 47 Bei der Mehrzahl der in Deutschland ansässigen Anbieter macht der Handel Handel mit legalen CDs den wesentlichen Teil des Umsatzes aus. mit strafbaren Nach deutschem Recht strafbare Tonträger sind eine Domäne aus Tonträgern ländischer Anbieter, die - aufgrund anderer gesetzlicher Bestim mungen in ihren Ländern - für diese CDs offen werben und mit ih nen handeln dürfen. Doch auch bei deutschen Musikhändlern sind strafbare CDs "unter dem Ladentisch" zu kaufen. Einige deutsche Händler beteiligen sich sogar an der Produktion solcher CDs und an deren Vertrieb über das Ausland. Die Strafverfolgungsbehörden stellten - zum Teil auf Hinweis der Strafverfahren Verfassungsschutzbehörden - wieder zahlreiche CDs mit volksver hetzenden Inhalten sicher. Am 15. Februar beschlagnahmten die Zollbehörden am Flughafen Frankfurt am Main eine Paketsendung mit 5.000 Tonträgern. Die Lieferung der von einem deutschen Neo nazi in Thailand in Auftrag gegebenen CDs sollte nach Schweden weitergeleitet und von dort über einen Versandhandel u. a. auch in Deutschland vertrieben werden. Gegen den deutschen Auftraggeber wurde Anklage erhoben. 3.4 Skinhead-Fanzines Die Zahl der rechtsextremistischen Fanzines in gedruckter Form ging Abnehmende 2003 weiter zurück. Sie betrug gerade noch 17(Vorjahr: 28). Bedeutung der Damit setzte sich der Trend der letzten Jahre fort. Die Nutzung des In Fanzines ternet (vgl. Kap. IX, Nr. 3) hat sich insbesondere wegen der Aktualität und der geringen Kosten als Informationsund Kommunikationsme dium eindeutig gegenüber den Fanzines durchgesetzt. Konzerthinweise und -besprechungen, CD-Reviews und Neuankün digungen sowie Szene-Neuigkeiten werden dabei sowohl über die diversen Homepages rechtsextremistischer Bands oder Vertriebe verbreitet, als auch über die zahlreichen Internetforen. Nicht durchsetzen konnten sich dagegen so genannte Online-Fanzines, da es ihnen - ähnlich wie den konventionellen Fanzines - häufig an Aktualität mangelt. IV. Neonazismus 1. Überblick Neonazis beziehen ihr Weltbild auf die politischen Strömungen des Weltbild am historischen Nationalsozialismus: Sie sehen sich als politische Kämp Nationalsozialis fer und erstreben ein "Deutsches Reich" ohne Ausländer und Juden, mus angelehnt an dessen Spitze ein Führer und eine alle politischen Bereiche be stimmende Einheitspartei steht. Neonazis sind von Rassismus, Anti semitismus sowie Fremdenhass geprägt. BERICHT 2003 48 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Anstieg des neona Das neonazistische Personenpotenzial ist 2003 auf rund 3.000 Aktivi zistischen Perso sten (2002: 2.600) angestiegen. Damit wurde der Höchststand von nenpotenzials zuletzt vor neun Jahren wieder erreicht. Die Szeneangehörigen sind ganz überwiegend in den rund 160 Kameradschaften (2002: 160) or ganisiert. Kaum weibliche Männliche Mitglieder bestimmen zu fast 90 %das Erscheinungsbild Mitglieder der Szene; Aktivistinnen spielen nur eine untergeordnete, oft "die nende" Rolle. Die wenigen Versuche, Kameradschaften für Frauen zu gründen, blieben ohne größere Resonanz. Kein eindeutiges Neonazis lehnen überwiegend militante Aktionen ab. Allerdings ist Verhältnis zur diese Ablehnung von Gewalt meist taktisch motiviert: Die Szene Gewalt fürchtet die Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden und die da mit verbundene Einschränkung ihrer politischen Handlungsmög lichkeiten. Auch sieht sie durch Gewaltaktionen ihr - bislang aller dings erfolgloses - Bemühen um Sympathie bei der Bevölkerung gefährdet. Dies wurde insbesondere in der szeneinternen Diskussion nach dem Bekanntwerden der Anschlagsabsichten einer Gruppie rung innerhalb der "Kameradschaft Süd" um ihren Anführer Martin WIESE deutlich (vgl. Kap. III, Nr. 2). Nur vereinzelt gab es zustim mende Äußerungen zu den Anschlagsabsichten WIESEs. Antiamerikanis Die USA sind eines der Hauptfeindbilder der Neonazis. Sie sind Sym mus und Solida bol für die von ihnen gehasste multikulturelle oder multiethnische rität mit dem Irak Gesellschaft; Neonazis sehen in den USA die jüdische Machtzentrale ("USrael") und den Verfechter einer die Völker zerstörenden, auf USHerrschaft gerichteten Globalisierung. Dieser antisemitisch beein flusste Antiamerikanismus ist in weiten Teilen der neonazistischen Szene die Triebfeder für eine Solidarisierung mit dem Irak. "Kampfbund Deut Besonders der neonazistische "Kampfbund Deutscher Sozialisten" scher Sozialisten" (KDS) engagierte sich hier: Auf seiner Homepage verehrte der KDS Saddam HUSSEIN als "völkisch revolutionären Sozialisten" und kommentierte die Niederlage des Irak als Stunde na tionaler Erniedrigung, in der man fester denn je an der Seite des irakischen Volkes stehe. Dessen Kampf verdiene Hochachtung. Der KDSmit seinen rund 50 (2002: 50) Mit gliedern propagiert einen "nationalen Sozialismus" und versucht, eine Querfront zwischen Linksund Rechtsextre misten zu bilden. In unregelmäßigen Abständen erschei nen seine Publikationen "Der Gegenangriff" und "Wetter leuchten". Organisation in Nach zahlreichen Vereinsverboten - vor allem in der Zeit zwischen Kameradschaften 1992 und 1998 - organisierte sich die neonazistische Szene überwie R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 49 gend in Kameradschaften. Diese Gruppierungen, denen im Durch schnitt 17, höchstens etwa 25 Mitglieder angehören, verfügen meist nur über geringe vereinsähnliche Strukturen. In aller Regel steht ih nen ein "Kameradschaftsführer" vor, der die Gruppe autoritär leitet. Namen wie "Kameradschaft Sturmfront" oder "Kameradschaft Kitzingen/Würzburg" sowie Fahnen und T-Shirts mit ihren Bezeichnun gen sollen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit vermitteln. Fast je der der ca. 3.000 Neonazis ist in einer der rund 160 Kameradschaften eingebunden. Zum Teil gehören diesen Kameradschaften auch rechtsextremisti Skinheads sche Skinheads an. Ein Beispiel hierfür ist die "Kameradschaft Süd", von deren Mitgliedern etwa zwei Drittel der Skinhead-Szene an gehören. In der Regel geben Neonazis in diesen gemeinsamen Struk turen den Ton an. Die in Kameradschaften eingebundenen Skinheads sind meist stärker politisiert als solche, die nur einer in der örtlichen Skinhead-Szene üblichen losen Clique angehören. Da sie ihr skinhead-typisches Verhalten nicht ablegen, bringen sie oftmals einen nicht zu unterschätzenden Faktor spontaner Gewalt in die Ka meradschaften. Die Aktivitäten der Kameradschaften sind sehr unterschiedlich. Ei Unterschiedliches nige beschränken sich darauf, "Kameradschaftsabende" durchzu Aktivitätspotenzial führen, die oft eher Stammtischcharakter haben, als dass sie politi sche Arbeit erkennen lassen. Andere organisieren Vorträge mit nationalsozialistischen Inhalten, schulen in Rechtsfragen (beispiels weise zum Thema "Deine Rechte gegenüber der Polizei"), veranstal ten Reisen zu ihren "Kultstätten" wie der Wewelsburg (NordrheinWestfalen) und nehmen an Demonstrationen teil. Der Aktionismus der neonazistischen Szene zeigt sich vor allem in Demonstrationen den Demonstrationen. Deren Anzahl ist 2003 auf 84 (2002: 68) gestie gen. Die vielen Termine führten jedoch zu Demonstrationsmüdig keit, so blieben die Teilnehmerzahlen mit 70 bis 150 weit hinter den Erwartungen der jeweili gen Veranstalter zurück. Kritik und Auseinander setzungen in der Szene waren die Folge. Das neo nazistische "Aktionsbüro Norddeutschland" stellte in einem "Leitfaden für freie Nationalisten" auf seiner Homepage im "Gedenkmarsch" der "Jungen Landsmannschaft Herbst 2003 fest: Ostpreussen" am 8. Mai 2003 in Dresden BERICHT 2003 50 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Die Entwicklung der letzten Jahre dokumentiert eindeutig und für jeden nachvollziehbar, daß die gewaltige Zahl an nationalen Demon strationen letztlich keinen zählbaren personellen Aufschwung brachte. Anstatt mit Inhalten um die Deutschen vor Ort zu kämpfen, reisten gerade Führungskräfte Wochenende für Wochenende als Be rufsdemonstranten quer durch die Republik und unterließen es meist, die Verantwortlichen zu einer Vorund Nachbereitung der Demon stration aufzufordern." Kameradschafts In Aktionsbündnissen und Aktionsbüros haben sich meist die Führer bündnisse und mehrerer Kameradschaften einer Region zusammengefunden, um Vernetzungen Aktionen, Demonstrationen und Kampagnen abzustimmen. Eigent lich hätten sie die Koordination der Demonstrationsaktivitäten über nehmen sollen, um die zersplitterte Neonazi-Szene zu koordinieren und ihre Aktionsund Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen. "Nationales Das dieser Organisationsform zu Grunde liegende Konzept der und Soziales "Freien Nationalisten" wurde von Neonazis Mitte der 90er Jahre nach Aktionsbündnis dem Verbot der Neonazi-Organisation "Nationale Liste" entwickelt. Norddeutschland" Es hatte zum Ziel, die nach den Vereinsverboten zersplitterte neona zistische Szene in Norddeutschland unter Verzicht auf vereins mäßige Strukturen zu bündeln, um so deren Aktionsfähigkeit wie derherzustellen und zugleich ein erneutes Verbot zu vermeiden. Seit 1997ist im Sinne dieses Konzeptes das "Nationale und Soziale Akti onsbündnis Norddeutschland" (NSAN) aktiv. Diesem Bündnis gehören Neonazis und Kameradschaften aus Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern an. "Aktionsbüro Koordinator und Sprachrohr des NSAN ist das "Aktionsbüro Nord Norddeutschland" deutschland". Es tritt vor allem durch seine administrative Unterstüt als Sprachrohr zung bei Demonstrationen hervor, meldet selbst aber keine Kundge bungen an. Das "Aktionsbüro" propagierte Kampagnen wie die "Bürgerbewegung Ausländerstop - Heimreise statt Einwanderung" und Positionen zu aktu ellen Themen, z. B. zur "Wehrmachtsausstel lung", zum "Heß-Gedenkmarsch" und zum Irak-Krieg. Die laufend aktualisierte InternetHomepage mit "Einsatzberichten" über Aktio nen sowie Pressemitteilungen, Terminen und umfangreichem Propagandamaterial machte das "Aktionsbüro Norddeutschland" für die Szene über den norddeutschen Bereich hinaus interessant. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 51 Das "Aktionsbüro" scheute auch nicht davor zurück, der neonazisti Interne schen Szene im Internet ein Forum zur Austragung ihrer internen Streitigkeiten Streitigkeiten zu geben. Die Verbreitung meist sehr persönlicher Kri tik führte zu Zerwürfnissen innerhalb des neonazistischen Lagers. Als großen Erfolg sehen die Neonazis aber die von dem Rechtsanwalt Zentrale "Rudolf Jürgen RIEGER mit Unterstützung des neonazistischen "Aktions Heß-Gedenkbüros Norddeutschland" organisierte Demonstration unter dem veranstaltung" in Wunsiedel Motto "Gedenken an Rudolf Heß" am 16. August in Wunsiedel (Bay ern), dem Begräbnisort des Hitler-Stellvertreters. Allerdings stellten nicht Neonazis, sondern rechtsextremistische Skinheads den größten Teil der ca. 2.600 Teilnehmer. An dem "Gedenkmarsch" beteiligten sich auch zahlreiche Teilneh mer aus dem europäischen Ausland, so aus Schweden, Ita lien, den Niederlanden, Öster reich, der Schweiz, der Slo wakei und Bulgarien. Demonstration am 17. August in Wunsiedel Gegen zahlreiche Verbote ihrer Demonstrationen führte die Szene "Rechtskampf" erfolgreich ihren so genannten "Rechtskampf" fort. So hob das Bun durch alle desverfassungsgericht das vom Landratsamt ausgesprochene Verbot Instanzen der Demonstration in Wunsiedel auf, das zuvor das Verwaltungsge richt Bayreuth und der Bayerische Verwaltungsgerichtshof München bestätigt hatten. Eine Vielzahl der Demonstrationen betraf tagespolitische Themen. Themen und So wurde versucht, unter dem Motto "Heimreise statt Einwanderung Kampagnen - denn deutsche Kinder braucht das Land" Zuwanderungsgesetz und Familienpolitik öffentlichkeitswirksam miteinander zu verbinden. Andere Kundgebungen thematisierten die kommunale Jugendar beit und die Situation des eigenen Lagers: "Gegen die Kriminalisie rung nationaler Jugendarbeit - Für Freiräume und Selbstbestim mung". Das vorrangige Ziel, damit eine größere Öffentlichkeit anzusprechen, konnte aber auch 2003 nicht erreicht werden. Die aus dem Jahr 2002 insbesondere in den ersten Monaten des Jahres fort geführte Kampagne gegen die USA im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg erzielte ebenso wenig die gewünschte öffentliche Wir kung wie die Thematisierung von Globalisierung und Arbeitslosig keit ("Arbeitsplätze statt Globalisierung - Für eine Welt souveräner Staaten"). BERICHT 2003 52 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Anti-Antifa"Ein weiteres Aktionsfeld für Neonazis war Aktivitäten der Kampf gegen den politischen Gegner, die "Antifa" ("Anti-Antifa"). Aktivisten der "Kameradschaft Süd" um Martin WIESE sammelten - ebenso wie andere Neonazispersönliche Daten von politischen Geg nern. Bei einem Mitglied der "Kamerad schaft Süd" stellte die Polizei eine Notiz mit Daten des SPD-Spitzenkandidaten für die bayerische Landtagswahl sicher. Zu konkreten Anschlagsplanungen kam es in diesem Zusammenhang nicht. Verunsicherung Durch die Veröffentlichung solcher Daten versuchten "Anti-Antifa"politischer Gegner Aktivisten, die Betroffenen zumindest zu verunsichern. So enthielt die Anfang des Jahres bekannt gewordene Publikation "Brauner Par tisan - Stimme der braunen autonomen Untergrundbewegung" auf acht Seiten umfangreiches Adressmaterial, hauptsächlich zu der Par tei "Bündnis 90/Die Grünen" sowie der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (VVN-BdA). Im Vorwort erklärte eine "Revolutionäre Anti-Antifa-Zelle" (RAAZ) ihre Grün dung. Veröffentlichun Insbesondere die neonazistische "Fränkische Aktionsfront" (F.A.F.), gen im Internet die durch das Bayerische Staatsministerium des Innern unter Einzie hung des Vereinsvermögens am 22.01.2004 verboten worden ist, nutzte für derartige Veröffentlichungen das Internet. Auf ihrer Ho mepage verbreitete sie Lichtbilder und politische Biographien von "Linken". In einer Ende April bekannt gewordenen Veröffentlichung der F.A.F. im Internet waren 89 Personen aufgeführt, bei denen es sich um Mitglieder und Nutzer eines linksextremistischen Nürnber ger Archivzentrums handeln soll. Gewalttaten von Rechtsextremisten in unmittelbarem Zusammen hang mit derartigen "Anti-Antifa"-Veröffentlichungen wurden nicht bekannt. Verhältnis zur Die Einstellung des Verbotsverfahrens gegen die "Nationaldemokra NPD tische Partei Deutschlands" (NPD) rief bei den Neonazis nur geringe Resonanz hervor. Ihr Verhältnis zur NPD ist nach wie vor von einer gewissen Ambivalenz gekennzeichnet: Ein Teil der Szene kritisiert die Partei scharf wegen ihres vermeintlich nachlässigen Umgangs mit V-Leuten und verweigert eine weitere Zusammenarbeit, da die Partei nicht konsequent gegen eine mögliche Unterwanderung vor gehe. Andere Neonazis lassen sich auf eine anlassbezogene Zusam menarbeit ein, weil sie bereit sind, die "gemeinsame Sache" in den R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 53 Vordergrund zu stellen. Gut sind die Beziehungen zur NPD dort, wo es persönliche Verbindungen gibt oder neonazistisch ausgerichtete NPD-Mitglieder den Kurs der Partei in einer Region mitbestimmen. Wie stark dennoch die Ablehnung sein kann, zeigt die Demonstra tion am 1. Mai in Halle (Sachsen-Anhalt) mit 1.200 Teilnehmern, die Neonazis bewusst in Konkurrenz zu der NPD-Kundgebung in Berlin (1.300 Teilnehmer) veranstaltet hatten. 2. Neonazistische "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) gegründet: 1979 Sitz: Frankfurt am Main Bundesvorsitzende: Ursula MÜLLER Mitglieder: 600 (2002: 600) Publikation: "Nachrichten der HNG", Auflage: rund 700, monatlich Der Mitgliederbestand der HNG stagniert. Die nach wie vor größte Lagerübergreifen neonazistische Organisation in Deutschland zählt in ihren Reihen der Charakter der zwar überwiegend Neonazis und Skinheads, aber auch Mitglieder HNG der NPD. Sie besitzt damit einen organisations und lagerübergreifenden Charakter. Die Akti vitäten beschränkten sich allerdings im Wesent lichen auf die Durchführung ihrer Jahreshaupt versammlung am 15. März in Alzenau - Wasserlos (Bayern) mit 300 Teilnehmern und auf die Herausgabe der monatlich erscheinen den Mitgliederzeitschrift "Nachrichten der HNG". Das Ziel der seit 1991von Ursula MÜLLER geleiteten HNG ist die BeBetreuung "natio treuung von "nationalen politischen Gefangenen". Hierzu dient insnaler politischer besondere die Zeitschrift "Nachrichten der HNG", die auch an inhafGefangener" tierte "Kameraden" verschickt wird. Die darin veröffentlichte "Gefangenenliste", die auch von vielen rechtsextremistischen Publi kationen nachgedruckt wird, soll helfen, Kontakte zu inhaftierten "nationalen Gefangenen" zu knüpfen, um ihre Einbindung in die Szene aufrecht zu erhalten. Dass die Szene die Bemühungen der HNG anerkennt, zeigt sich an den zahlreich veröffentlichten Leserbriefen. Ein einschlägig bekannter Neonazi äußerte sich in einem Interview über die HNG: BERICHT 2003 54 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Die HNG ist zweifelsohne eine der wichtigsten Organisationen des Widerstandes in Deutschland. Ihre karitative und integrierende Ar beit sind im 'Deutschland von heute' von enormer Bedeutung. Die Ar beit der HNG ist der Gegenpol zu Umerziehungsmaßnahmen und Ge sinnungsterror in BRD-Justizvollzugsanstalten. Ziel der BRD-Justiz ist es, nationalpolitische Gefangene in den Gefängnissen aus der Bewe gung zu lösen und sie mittels Schikanemaßnahmen mürbe zu ma chen. Die HNG kann dem über juristische Unterstützung, dem Ver mitteln von Kontakten etc. entgegen wirken. Natürlich setzt das den Willen des Betroffenen voraus. Ja, auch ich unterstütze Gleichge sinnte hinter Gittern." ("Ratatösk - Das Fan-Zine aus der Wartburgstadt", Ausgabe 1/2003, S. 1) V. Parteien 1. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) gegründet: 1964 Sitz: Berlin Bundesvorsitzender: Udo VOIGT Mitglieder: rund 5.000 (2002: über 6.100) Publikation: "Deutsche Stimme", monatlich, Auflage: 10.000 Unterorganisationen: "Junge Nationaldemokraten" (JN), "Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V." (NHB) 1.1 Zielsetzung Die NPD sieht in der Einstellung des Parteiverbotsverfahrens durch das Bundesverfassungsgericht am 18. März 5 ein "Aufbruchsignal für Deutschland" und sich als "die nationale Alternative, auf die das Land wartet" 6. Sie behauptet, das "Ende der BRD" stehe bevor, der "Verfall des BRD-Systems" werde nun für jeden sichtbar. Mit ihrer "Theorie des sozial-revolutionären Nationalismus" sei die NPD als einzige Partei in der Lage, dem deutschen Volk "wirkliche Perspektiven" aufzuzeigen. 7 "Reichsidee" gegen Die Partei hält unverändert an ihrer offenen, aggressiv-kämpferidie freiheitliche schen Feindschaft gegenüber der freiheitlichen demokratischen demokratische Grundordnung fest. Sie strebt weiterhin die "Wiederherstellung" des Grundordnung "Deutschen Reiches" an. So behauptete der Parteiideologe und Vor gerichtet sitzende des Arbeitskreises "Volk und Staat" beim Parteivorstand Jür- R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 55 gen SCHWAB im Parteiorgan "Deutsche Stimme" 8, Deutschland sei kein (souveräner) Staat mehr, da "unser Land militärisch besetzt ... und das Deutsche Reich seit dem 23. Mai 1945, dem Tag der Verhaf tung der Reichsregierung Dönitz zwar völkerrechtlich fortbesteht, doch nicht mehr handlungsfähig ist". Daraus folgert SCHWAB: "Die Hauptaufgabe des deutschen Nationalismus besteht deshalb in der Wiederherstellung der vollen Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches. Wir setzen uns ein für eine Staatskonzeption, die eine jegli che Form von Fremdherrschaft, aber auch von Partei-, Standesoder Klassendiktatur ausschließt und stattdessen gemeinwohlorientiert auf die Verwirklichung der deutschen Volksgemeinschaft ausgerichtet ist ..." ("Deutsche Stimme" Nr. 10/2003, S. 21) Ihre dem Menschenbild des Grundgesetzes entgegenstehenden Weitere Agitation Grundvorstellungen dokumentiert die NPD in weiteren Erläuterun gegen die freiheit liche demokrati gen zu politischen Grundbegriffen in dem "Taschenkalender des na sche Grundord tionalen Widerstandes 2004" 9. So sind das "christliche, das liberalisti nung sche sowie das marxistische Menschenbild" für die NPD "moralische Utopien", denen sie ihr "wissenschaftliches Menschenbild" gegen überstellt, das "der biologischen Grundlage, der Gemeinschaftsge bundenheit und der Überlieferung der Menschen und ihrer natürli chen Ordnungsform sowie den Völkern" Rechnung trage. Die Partei distanziert sich auch von der universellen Gültigkeit der Menschen rechte, d. h. der Vorstellung, "daß allen Menschen Würde und ge wisse Grundrechte angeboren seien". Die Lehre der Menschenrechte, die "rein individualistisch" ausgelegt würde, sei ein "wichtiger Hebel des Internationalismus zur Schaffung der 'One World' unter Zer störung gewachsener kultureller und ökonomischer Strukturen". Vor diesem Hintergrund lehnt die NPD auch die "Irrlehre von der 'Gleichheit aller Menschen von Geburt an'" ab. Für die NPD ist die "westliche Wertegemeinschaft" eine "hohle Phrase, mit der die Liberalisten der US-Ostküste 10 und ihre Nachbeter in Europa ihre Lehre als nicht nur richtig, sondern allgemeinverbind lich und unumkehrbar ausgeben wollen." 11 Als "Kern der westlichen Wertegemeinschaft" werden "Individualismus, Internationalismus, 'Menschenrechte'" sowie die "Vorherrschaft der Wirtschaft und Ka pitalanliegen" herausgestellt, die durch "Wegfall von Grenzen und nationalen Unterschieden zu einem globalen System von Markt, Ge winnvorrang und Gleichmacherei" führten. Die NPD, die den Antiim perialismus zur Grundlage ihrer Weltanschauung erklärt hat 12, spricht in ihrem "Taschenkalender des nationalen Widerstandes BERICHT 2003 56 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 2004" vom "heutigen Imperialismus der 'westlichen Werte'", dessen Abwehr nur durch eine "überregionale Zusammenarbeit von Natio nalisten verwandter Völker" möglich sei. 13 Völkischer Mit der von ihr erstrebten "neuen Ordnung" verbindet die NPD völKollektivismus/ kisch-kollektivistische Vorstellungen. So erklärte der Parteivorsit "neue Ordnung" zende Udo VOIGT im Parteiorgan "Deutsche Stimme" 14, die "neue als "Volksgemein Ordnung" heiße "Nationaldemokratie", die NPD setze die "Gebor schaft" genheit in einer Volksgemeinschaft gegen die Kälte der Ellbogenge sellschaft der BRD" .15 Der Parteiideologe Jürgen SCHWAB zeigt in der Juli-Ausgabe der "Deutschen Stimme" 16 unter der Überschrift "Volksgemeinschaft oder Parlamenta rismus?" den fundamentalen Gegensatz zwischen der parlamentarischen Demokratie und der Volks gemeinschaft auf, zu der sich die NPD in ihrem Parteiprogramm eindeutig bekannt habe. SCHWAB erscheint schon der Gedanke "absurd", dass in einem "parlamentarischen System wie in der BRD ... überhaupt so etwas wie eine 'Volksge meinschaft' zu verwirklichen wäre." Ansätze zu ei ner Volksgemeinschaft habe es in Deutschland bei Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 und in der Zeit zwischen 1933 und 1945 gege ben. Allerdings seien dabei "Unzulänglichkeiten und Widersprüch lichkeiten" zutage getreten, die im "mangelnden geistigen Bewußt sein der Handelnden" gelegen hätten. Unter der Überschrift "Danaergeschenk parlamentarische Demokratie" zieht SCHWAB das Fazit: "Der Parlamentarismus dient dem alliierten Sieger dazu, eine am Ge meinwohl des Staatsvolkes orientierte Regierungspolitik beim Besieg ten präventiv zu verhindern. Das Parlament ist das Instrument der in ternationalen Oligarchie, der Ort für die Erfüllungspolitik nationsvergessener Angehöriger der 'westlichen Wertegemeinschaft'. Mit dem Sturz der amerikanischen Weltherrschaft wird auch die 'De mokratie', die keine Volkssouveränität kennt, endlich verschwinden." ("Deutsche Stimme" Nr. 7/2003, S. 15) "Volksgemein In der Januar-Ausgabe der "Deutschen Stimme" setzt sich ein wieder schaft" und posi holt im Parteiorgan schreibender Autor unter der Überschrift "Von tive Haltung zu der roten Revolte zur nationalen Revolution" mit dem "Stellenwert Ideen des Nationalsozialis des 30. Januar 1933 in der deutschen Geschichte" auseinander. Insbe mus sondere zum Nationalsozialismus und der "Idee der Volksgemein schaft" erklärt der Autor: R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 57 "Dem Kaiserreich fehlte ein Politiker und eine Partei, die gewillt war, dem Treiben der Interessenparteien ein Ende zu bereiten. Die Weima rer Republik besaß diese Elemente in Form Adolf Hitlers und der NSDAP ... Am 14. Juli verabschiedete die Regierung das Gesetz gegen die Neubildung von Parteien, das die NSDAP zur einzigen legalen Par tei erhob. Damit war die nationale Revolution zur Bildung einer Volksgemeinschaft gescheitert ... Die überragende Persönlichkeit Adolf Hitlers überdeckte die große Unzufriedenheit, die das deutsche Volk mit der NSDAP und seiner Funktionärskaste hatte ... Hätte das deutsche Volk die Idee der Volksgemeinschaft verinnerlicht, hätte die NSDAP das Volk politisiert statt zu kontrollieren, wäre es der alliierten Soldateska ungleich schwerer gefallen, ein Gebilde wie die BRD zu schaffen." ("Deutsche Stimme" Nr. 1/2003, S. 20 f.) In einem Leserbrief in der März-Ausgabe der "Deutschen Stimme" missbilligt der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD in BadenWürttemberg Sepp BIBER die in dem Artikel enthaltene Kritik an der NSDAP und dem behaupteten Scheitern der Volksgemeinschaft im Nationalsozialismus. BIBER schreibt: "Die Volksgemeinschaft war verwirklicht! Wir haben sie erlebt. Ohne sie wären auch die großartigen Leistungen des deutschen Soldaten und der Menschen in der Heimat nicht möglich gewesen." ("Deutsche Stimme" Nr. 3/2003, S. 22) Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus Verharmlosung wird auch an der Heroisierung führender Repräsentanten des NSdes NS-Systems, Systems deutlich. Unter der Überschrift "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch. Heroisierung von NS-Protagonisten Weder Recht noch Menschlichkeit" berichtete die "Deutsche Stimme" über die Demonstration am 16. August im bayerischen Wunsiedel (vgl. Kap. IV) zum Gedenken an die "Ermordung (des Friedensfliegers) Rudolf Heß am 17. Au gust 1987". 17 Mit seinem "spektakulären und opferbereiten Englandflug 1941" habe sich Heß zu einem "beispiellosen Vorbild für die deutsche Jugend ent wickelt und wie kaum ein anderer in der Geschichte des 20. Jahrhunderts be sonderen Rang erworben". BERICHT 2003 58 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Der Neonazi Ralph TEGETHOFF ehrte in der Mai-Ausgabe der "Deut schen Stimme" den "SS-Brigadeführer und Generalmajor der Waffen-SSFritz Witt", der bereits 1931in die SSund die NSDAP eingetre ten sei, um mit der "aufstrebenden nationalsozialistischen Bewegung ... Deutschland von den Ketten Versailles zu befreien und dem Reich wieder einen geachteten Platz in der Völkergemeinschaft zu verschaffen". TEGETHOFF bezeichnet Witt als "Förderer einer idealistischen Jugend", der mit der von ihm aufgestellten "SS-Panzerdivision Hitlerjugend" eine "junge Gemeinschaft - voller Mut, Ver trauen und Zuversicht" geschaffen habe, die nach der alliierten Inva sion in der Normandie im Juni 1944 erfolgreich "Widerstand gegen die Weltherrschaftsansprüche der USA" geleistet habe. 18 Aggressive Agita Aussagen der Partei lassen eine aggressive Diktion erkennen, die bis tion gegen den po hin zur Militanz reicht. So veröffentlicht die NPD in ihrem "Taschen litischen Gegner kalender des nationalen Widerstandes 2004" sog. Leitlinien des "po litischen Soldaten". In einem Vorwort erklärt die Partei: "Das Reich und die von uns angestrebte Volksgemeinschaft müssen heute schon von allen nationalen Widerstandskämpfern vorgelebt und verwirklicht werden. Seid Euch bewußt, daß der Überlebens kampf des deutschen Volkes immer härter und in der Zukunft noch mehr Opfer von uns allen verlangen wird, als es im Augenblick schon notwendig ist. Unsere Gegner arbeiten systematisch an der Verwirkli chung der multikulturellen Gesellschaft, die letztlich die Zerstörung unseres Volkes zur Folge haben soll. Wenn wir also unser Volk retten wollen, müssen wir unseren Kampfauftrag bedingungslos annehmen, und zwar auf allen Ebenen und in allen Lebensbereichen ... Macht Euch frei vom Ungeist der Zeit, legt alle Verhaltensweisen und Ge wohnheiten ab, die unserem Volk direkt oder indirekt schaden. Unsere Gegner sind uns weit voraus. Das heißt auch, daß wir von ih nen lernen können. Beobachtet die Tätigkeiten unserer Gegner und zieht daraus Nutzen." ("Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2004") Weiter ruft die NPD dazu auf: "Tretet Schützenvereinen bei, besucht Kampfsportschulen, bildet Euch in Selbstverteidigung aus! Die Militanz unserer Gegner erfordert die Fähigkeit zum Selbstschutz. Nehmt an Orientierungsmärschen R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 59 und Zeltlagern teil. Organisiert Euch im Ordnungsdienst. Nutzt die Möglichkeit, die Euch selbst noch die marode Bundeswehr bietet. Laßt Euch zu qualifizierten Führungskräften ausbilden und lernt soldatische Führung." ("Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2004") In der August-Ausgabe der "Deutschen Stimme" schreibt VOIGT un ter der Überschrift "Mit Wortergreifungsstrategie zum Erfolg" über das "geistig offensive Auftreten im öffentlichen Raum" und fordert "Wortergreifung immer und überall", insbesondere auf "offiziellen Veranstaltungen" und auf "Veranstaltungen des Gegners". 19 Als "höchst erfolgreich(e)" Umsetzung der "Idee der Wortergreifung" in die Praxis bezeichnete die NPD auf ihrer Homepage die Sprengung einer Podiumsdiskussion zum Thema "Kampf den Verführern - Wie verführerisch sind rechtsextremistische Organisationen in Sachsen" anlässlich des "Tages der Sachsen" am 6. September in Sebnitz. An der Diskussion nahmen ca. 25 bis 30 Angehörige rechtsextremisti scher Parteien und Vereine teil, darunter der stellvertretende NPDParteivorsitzende Holger APFEL. Nach dem angeblichen "Drängen großer Teile des Publikums" sei APFEL als "Vertreter der nationalen Opposition" in die Podiumsdiskussion eingebunden worden. Die "diskussionsfeindlichen 'Diskutanten'" hätten jedoch die Bühne ver lassen, als APFEL gerade noch auf das "kriminelle Treiben der Antifa" eingehen und die "Kriminalisierung deutscher Patrioten" habe zurückweisen können. Ein häufiger Autor der "Deutschen Stimme" verband seine Bewer tung des "Tages der Sachsen" auf der Homepage der NPD mit einer "Der diesjährige Tag der Sachsen mit den Ständen mehrer nationaler Parteien und Organisationen, der Verteilung von zigtausend Flug blättern zu Fragen des aktuellen politischen Zeitgeschehens und der Sprengung einer Politikerrunde wirft die Frage in den Raum: 'Volks verräter, hört Ihr die Signale?'" Drohung an die "Volksverräter": Der NPD-Bundesgeschäftsführer Frank SCHWERDT rief am 27. Au gust auf der Homepage der Partei dazu auf, überall in Deutschland "zivilen Ungehorsam" auszuüben und Asylbewerberheime zu ver hindern: BERICHT 2003 60 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Jedes verhinderte Asylbewerberheim ist ein Sieg der Deutschen ge genüber Bevormundung. Jedes verhinderte Asylbewerberheim erhöht den Druck auf die Verantwortlichen, dem Zustrom endlich Einhalt zu gebieten und jedes verhinderte Asylbewerberheim entlastet den deut schen Steuerzahler." Rassismus und Die NPD agitierte auch 2003 unverändert aggressiv rassistisch und Fremdenfeindlich fremdenfeindlich. So wurde im Januar in einer Verlagsanzeige der keit "Deutschen Stimme" das von der "Deutschen Stimme Verlagsgesell schaft mbH" im Jahr 2002 neu aufgelegte Buch von Jacques de Ma hieu "Volk - Nation - Rasse. Grundlagen der Biopolitik" 20 als "argu mentative Fundgrube für alle Gegner von Überfremdung und Rassenmischung" bezeichnet: "Die Lebensmächtigkeit der Humanbiologie triumphiert über alle Gleichheitsideologen, die glauben, mit sozialer Milieuverbesserung und Erziehung die biokulturellen Wurzeln und rassischen Identitäten der Menschen ausradieren zu können ... Getragen von tiefen Einsich ten in das Wesen menschlichen Lebens entwirft der Franzose die Grundzüge einer Politik auf biologischer, und damit lebensrichtiger, Grundlage. Mit wissenschaftlicher Genauigkeit und guter Textver ständlichkeit wird dem Rassebegriff, der Rassenentstehung und Ras senungleichheit auf den Grund gegangen, und die Existenz der menschlichen Rassen als Produkt eines evolutionären Optimierungs prozesses erklärt. Auch höchst aktuelle Bedrohungen wie Rassenver mischung, Völkerwanderung und demographische Krise werden kenntnisreich wie kritisch beleuchtet." ("Deutsche Stimme" Nr. 1/2003, S. 19) In ihrem kleinen "Lexikon der politischen Grundbegriffe" erklärt die NPD, die "'Menschheit'" werde in drei "Großrassen" eingeteilt: "Die mongolide, die europide und die negride Großrasse". Die "jeweilig kennzeichnende Zusammensetzung aus Unterrassen" gebe den eu ropäischen Völkern ihre "unverwechselbaren Nationaleigenschaf ten". "Nationalismus" sei "die politische Ausprägung des Territorial verhaltens" und diene der "Arterhaltung, also einem biologischen Grundprinzip". Nationalisten lehnten die "Aufnahme fremder Kul turund Volksteile in die Nationalkultur" ab. 21 In der Juli-Ausgabe der "Deutschen Stimme" erklärte der stellvertre tende NPD-Parteivorsitzende Holger APFEL in einem Beitrag gegen R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 61 den EU-Beitritt der Türkei unter der Überschrift "Um Deutschlands Leben oder Untergang" , das einzige, was die Türkei mit Europa ver binde, sei die "Geschichte der türkischen Landnahme". Er fügte hinzu: "Sollten sich die multikulturellen Pharisäer mit ihrer Wahnlehre ei ner grenzenlosen Gesellschaft durchsetzen, droht dem Kontinent der weißen Völker Desintegration und Dekomposition unbekannten Aus maßes ... Ziel der Umvolkungsfanatiker ist über die Zwangsgermani sierung nicht nur die Entwurzelung (der) Deutschen, sondern auch die Identitätsstörung bei hier lebenden Ausländern ... Als Nationali sten, die wir für den Erhalt von Sprache, Kultur, Tradition und Iden tität aller Menschen eintreten, haben wir immer deutlich gemacht, daß wir gegen die Integration von Ausländern sind, weil es Ziel ist, die in Deutschland lebenden Ausländer eines Tages in ihre angestammte Heimat zurückzuführen." (Fehler im Original) ("Deutsche Stimme" Nr. 7/2003, S. 19 ff.) Bei der Verbreitung antisemitischer Propaganda nutzt die NPD aktuAntisemitismus elle politische Ereignisse um Ressentiments gegen Juden zu bedie nen. So lautet in der Mai-Ausgabe der "Deutschen Stimme" die Überschrift zu einem Beitrag zum Krieg im Irak: "Strahlende Kriegs gewinner unterm Davidstern. 'Neokonservative' US-Kriegstreiber sind selber Juden oder dienen dem Staat Israel". 22 Ein Mitglied des NPD-Parteivorstands erklärte in der September-Ausgabe der "Deutschen Stimme" unter der Überschrift "US-Imperialismus. Weltherrschaftsgelüste im Philosophiestreit" im Zusammen hang mit einer politischen Einschätzung einflussreicher Mitglieder der US-Regierung: "Die 'Neokonservativen' wollen hingegen unter der Losung der 'Neuen Weltordnung' mit Waffengewalt eine völkerund kulturen lose Neuschöpfung der Welt erzwingen. Wolfowitz, Perle und Shulsky (Geheimdienstfachmann im Pentagon) verfügen über andere geistige Quellen und Handlungsmotive. Man lese die Thora als Urdokument jüdischen Völkerhasses, und stelle sich einen verweltlichten jüdischen Erwähltheitsanspruch unter dem Schutz eines globalkapitalistischen Machtapparates vor. Hier liegt der Hase im Pfeffer." ("Deutsche Stimme" Nr. 9/2003, S. 24) BERICHT 2003 62 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN In ihrer "Abo-Kampagne 2003" wirbt das NPD-Parteiorgan "Deut sche Stimme" in mehreren Ausgaben mit folgenden Textauszügen 23: "Kein Thema fällt dabei der Zensur oder irgendwelchen Tabus zum Opfer - ob die unverschämten finanziellen Forderungen der zionisti schen Lobby, ... die immer skrupelloser von der amerikanischen Ost küste vertretenen Weltherrschaftsgelüste, der Staatsterrorismus Isra els ... Wenn Sie wollen, dass Michel Friedman und Paul Spiegel das Lachen vergeht, dann handeln Sie jetzt - und helfen Sie der Deutschen Stimme, wo immer es geht." 24 Revisionismus Die NPD versucht, das Geschichtsbild über die Zeit des Nationalsozia lismus zugunsten einer wohlwollenden bis rechtfertigenden Betrachtung zu korrigieren. Denn sie sieht ihre Vision von einem au toritär geführten und ethnisch homogenen Staat durch das wissen schaftlich gesicherte Geschichtsbild des "Dritten Reiches" auf Dauer belastet. Daher leugnet sie die Schuld des Hitler-Regimes am Aus bruch des Zweiten Weltkriegs, die von Teilen der Wehrmacht verüb ten Verbrechen während des Krieges und relativiert den Massen mord an den Juden. Das langjährige Mitglied des NPD-Parteivorstands und jetzige bayerische Landesvorstandsmitglied Per Lennart AAE erklärte in ei nem in der "Deutschen Stimme" abgedruckten Beitrag unter der Überschrift "Imperialistischer Raubzug oder nationaler Notwehrakt? Ein historischer Vergleich: George W. Bushs Irakkrieg 2003 und Adolf Hitlers Polenfeldzug 1939": "Am 16. Oktober 1946 wurde der Außenminister des Deutschen Rei ches, Joachim von Ribbentrop, in Nürnberg durch den Strang hinge richtet. Er war einer von etwa 500 politischen und militärischen Füh rern des Dritten Reiches, die nach dem 8. Mai 1945 infolge von Schauprozessen der westlichen Siegermächte ermordet wurden. Da mit sollte die Alleinschuld Deutschlands am Zweiten Weltkrieg be kundet werden, was die für die Hinrichtungen verantwortlichen Re gierungen auch nötig hatten. Denn sie selbst waren es, die das bis dahin größte Völkermorden der Weltgeschichte absichtsvoll herbeige führt hatten, um das Deutsche Reich in die Knie zu zwingen und seine für die internationale Hochfinanz existenzgefährdenden Erfolge auf den Gebieten der Wirtschaft, des sozialen Lebens und der Kultur aus zulöschen." 25 ("Deutsche Stimme" Nr. 8/2003, S. 20 f.) R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 63 AAE gelangt zu dem Fazit, der deutsche Angriff gegen Polen 1939 habe "auf jeden Fall der Abwehr einer deutlich angezeigten militäri schen Bedrohung gegen das Reich" gedient und fügt hinzu: "Hitler führte zwar einen Angriffskrieg gegen Polen. Er hatte aller dings alles Menschenmögliche getan, um den deutsch-polnischen Konflikt friedlich zu lösen, scheiterte aber am nachweislichen Kriegs willen seiner Gegner." ("Deutsche Stimme" Nr. 8/2003, S. 20 f.) In polemischer, diffamierender und verunglimpfender Weise agi Agitation gegen tierte die NPD auch 2003 gegen die demokratische und rechtsstaatli die parlamentari sche Demokratie che Ordnung des Grundgesetzes. Das wird deutlich durch die Be und den demokra hauptung einer vermeintlichen Umerziehung der deutschen tischen Rechtsstaat Bevölkerung und den Vorwurf der Fremdherrschaft; hinzu kommen Verunglimpfungen von Repräsentanten und Institutionen der frei heitlichen Demokratie sowie abwertende Kritik am demokratischen Rechtsstaat. Damit verunglimpft die Partei das parlamentarische Sys tem als illegitim, unfähig, korrupt und gegen die Interessen des Volkes handelnd und zweifelt den demokratischen Rechtsstaat als Ganzen mit dem Ziel an, ihn abzuschaffen und durch ein anderes Sys tem zu ersetzen. So behauptete ein Autor des Parteiorgans in der Mai-Ausgabe der "Deutschen Stimme", bekanntlich habe die "BRD" keine Verfassung, sondern "nur ein von den Alliierten diktiertes Grundgesetz".26 Der Parteiideologe Jürgen SCHWAB beschreibt in der "Deutschen Stimme" unter der Überschrift "Systemkrise. Das Grundgesetz im Vi sier: Feuer frei!" die "Quelle des Übels": "Nach der sogenannten Entnazifizierung, Parteiund Medienlizenz vergabe und Installation des Programms amerikanischer Umerzie hung wurde am 23. Mai 1949 das Grundgesetz vom Parlamentari schen Rat ... verabschiedet, verkündet und von den alliierten Hochkommissaren genehmigt. Zuvor wurde es von einem ominösen 'Verfassungskonvent' ausgearbeitet, der im Sommer 1948 nur 13 Tage lang auf der bayerischen Insel Herrenchiemsee getagt hatte. Die Grundstruktur der neuen Möchtegernverfassung hatten die alliierten Sieger sowohl dem Verfassungskonvent als auch dem ParlamentariBERICHT 2003 64 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN schen Rat vorgegeben, was vor allem parlamentarische Demokratie und Bundesstaat bedeutete. Rund 50 Jahre später ... sollte ... die NPD verboten werden, unter anderem deshalb, weil deren Vertreter das fremdherrschaftliche Zustandekommen dieses Grundgesetzes und die überhaupt gemeinwohlschädlichen Verhältnisse, die damit einhergehen, kritisieren." ("Deutsche Stimme" Nr. 6/2003, S. 4) Der Parteivorsitzende Udo VOIGT behauptete in seiner Rede anläss lich einer Demonstration der "Jungen Landsmannschaft Ost preußen" zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens im Zweiten Weltkrieg am 13. Februar in Dresden, Deutschland sei kein "souverä ner Staat". Er rief dazu auf, "das in der BRD auch ein halbes Jahrhun dert nach dem Krieg allgegenwärtige Joch der Fremdbestimmung abzuschütteln". 27 1.2 Organisation und Entwicklung Weiterer Mitglie Die vom Bundesverfassungsgericht am 18. März verkündete Einstel derrückgang lung des Parteiverbotsverfahrens führte weder zu der von der NPD erhofften Aufbruchstimmung noch zu einem Mitgliederauf schwung. Der NPD-Bundesvorsitzende Udo VOIGT räumte in der Mai-Ausgabe der "Deutsche Stimme" einen Rückgang auf 5.500 Mit glieder ein: "... im letzten Jahr des Verbotsverfahrens, haben wir 'Federn lassen müssen' und ca. 1.000 Mitglieder bundesweit verloren ... Unser aktu eller Stand von 5.500 Mitgliedern, die bundesweit in 16 Landesverbän den und 187 Kreisverbänden organisiert sind, bilden nun einen in stür mischen Zeiten bewährten Kader für einen entschlossenen Neuanfang!" 28 ("Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 14) Die tatsächliche Mitgliederzahl der NPD lag zum Jahresende nur noch bei rund 5.000 (2002: über 6.100). Die unmittelbar als Reaktion auf die Entscheidung des Bundesverfas sungsgerichts initiierte Kampagne "1:0 für Deutschland" stieß weder innerparteilich noch im rechtsextremistischen Umfeld der NPD auf nennenswerte Reaktionen. Prekäre Finanzlage Die schwierige finanzielle Situation der NPD hat sich verschärft. Grund hierfür war der erhöhte Finanzbedarf im Zusammenhang mit R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 65 dem Verbotsverfahren sowie ein rückläufiges Spendenaufkommen und die daraus resultierende Verpflichtung der Partei, zuviel erhal tene Abschlagszahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung an die Bundestagsverwaltung zurückzuzahlen. Die Partei befindet sich in einer politisch-strategischen Orientie rungsphase. Der NPD-Parteivorstand hält aber weiterhin an dem Strategiekonzept der "Drei-Säulen" 29 fest 30 : "Kampf um die Straße", "Kampf um die Parlamente" und "Kampf um die Köpfe". Angesichts der zunehmenden Eigenständigkeit der Neonazi-Szene verliert aber der bislang im Vordergrund stehende "Kampf um die Straße" für die NPD an Bedeutung. Der "Kampf um die Köpfe" und der "Kampf um die Parlamente" genießen zunehmend Priorität. Das Jahr 2003 wollte die NPD zu "Schulungen und einer Struktur und Verbandsreform" nutzen. 31 Hierbei gewann die Bildungsarbeit Vorrang der ("Kampf um die Köpfe") für die Parteiführung "eine besondere Be "Bildungsarbeit" deutung". 32 Auf dem Gelände der Parteizentrale in Berlin-Köpenick begann die Partei im Sommer mit der Errich tung eines "Nationaldemokratischen Bil dungszentrums", das junge Deutsche dazu befähigen soll, "in der BRD eine geistige Re volution zu entfachen". 33 Mit überregionalen Veranstaltungen und Seminaren - z. B. dem "Freiheitlichen Kongress" im Mai in Leipzig und der "Sommeruniversität" im August in Saarbrücken - versuchte die NPD, auch unter Einbeziehung parteiunabhängiger Referen ten (Pierre KREBS, Horst MAHLER), die "Fol gen deutschfeindlicher Politik ... mit Bil dungsmaßnahmen aktiv zu bekämpfen und eine alternative nationale Politik zu vermit teln". 34 Im Jahr 2004 will die Partei "verstärkt den 'Kampf um die Parlamente' mit dem Anspruch auf Überwin dung der Fünf-Prozent-Sperrklausel auf Länderebene" angehen. 35 Die Versuche der NPD, sich im Rahmen ihres "Kampfes um die Demonstrationen Straße" mit größeren aktionsorientierten medienwirksamen Veranals Erfolg der staltungen und Demonstrationen darzustellen, fanden 2003 weniger Bündnispolitik Resonanz als in den Vorjahren. So führte die NPD nur noch rund 50 Demonstrationen (2002: 100 36) durch, an denen durchschnittlich etwa 150 Personen - darunter auch solche aus dem Neonazi spektrum - teilnahmen. Themenschwerpunkt im Frühjahr war der Irak-Krieg. Für die 1. Mai-Kundgebung in Berlin konnten nur noch rund 1.300 Demonstranten mobilisiert werden. Im Jahr 2002 hatte die NPD zum 1. Mai dezentral sechs Kundgebungen durchgeführt, an denen insgesamt rund 3.000 Personen teilnahmen. BERICHT 2003 66 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Neben der Durchführung eigener Veranstaltungen beteiligte sich die NPD erneut auch an den Demons trationen der Neonazi-Szene, insbesondere an de ren Aktionen gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht". Die zunehmende Fähigkeit der Neonazis, eigene Demonstrationen durchzuführen und in Konkurrenz zur NPD anzutreten, zeigte sich besonders am 1. Mai, als sich an einer Demonstra tion in Halle (Sachsen-Anhalt) mit rund 1.200 TeilDemonstration am 1. Mai in Berlin nehmern fast ebenso viele Personen beteiligten wie an der Parallelveranstaltung der NPD in Berlin. Das zunehmend distanzierte Verhältnis der "Freien Kräfte" zur NPD wird aus einem im "Störtebeker Netz" im Internet veröffentlichten Kom mentar zum Europa-Parteitag der NPD deutlich. Danach sei es bei den kommenden Wahlen auch recht unwahrscheinlich, dass sich die nichtparteigebundene nationale Szene wie noch Jahre zuvor ge schlossen hinter die NPD stelle. Zwar kooperiere man hier und da noch punktuell miteinander, doch geschehe dies weniger aus innerer Zuneigung, sondern mehr aus dem Grund, sonst in der Öffentlichkeit überhaupt nicht mehr wahrgenommen zu werden. Auch die Kritik des Parteivorsitzenden Udo VOIGT an Reaktionen des "nationalen Lagers" auf die Einstellung des NPD-Verbotsverfahrens verdeutlicht das auch aus Sicht der NPD angespannte Verhältnis der Partei zur Neonazi-Szene. VOIGT spricht hier von "egomanisch ver anlagten 'Nationalisten'", die sich "wohl nicht weniger über ein Ver bot der NPD als die Berliner Systemschergen gefreut hätten". 37 Den führenden Hamburger Neonazi Christian WORCH bezeichnet VOIGT als "Miesmacher". 38 Wie ambivalent jedoch das Verhältnis der NPDParteiführung zur Neonazi-Szene ist, zeigt die Solidaritätsbekun dung des stellvertretenden NPD-Parteivorsitzenden Holger APFEL anlässlich der "Rudolf Heß-Gedenkveranstaltung" am 16. August im bayerischen Wunsiedel (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Dort überbrachte er den Teilnehmern die Grüße des NPD-Parteivorstands und versicherte, "daß die NPD an der Seite derer sei, die für Wahrheit und Gerechtig keit einstehen". 39 Der Parteiführung dürfte durchaus bewusst sein, dass Neonazis und Skinheads weiterhin ein wichtiges Mobilisie rungspotenzial der Partei stellen. Bündnisangebot Vor dem Hintergrund des zunehmend problembehafteten Verhält an REP, DVU und nisses der NPD zur Neonazi-Szene setzt die Parteiführung wieder auf DP eine Annäherung an das rechtsextremistische Parteienspektrum. Ein im August vom Parteivorstand als "Leipziger Appell" verabschiedeter Aufruf an die Führungen der REP, der DVU sowie der "Deutschen Par tei" (DP), die Zerstrittenheit des nationalen Lagers zu überwinden und auf einer gemeinsamen "DEUTSCHEN LISTE FÜR EUROPA" R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 67 (DLFE) für die Europawahl im Jahr 2004 zu kandidieren, wurde von DVU und DP hinhaltend, von den REP gar nicht beantwortet. Zur "Bündelung nationaler Kräfte" für die im Juni 2004 in Sachsen Zusammenarbeit stattfindenden Kommunalwahlen haben sich am 24. April aktuelle mit anderen und ehemalige Mitglieder der NPD, der REP, der DVU sowie Vertreter Rechtsextremisten im "Nationalen der "Freien Nationalisten" zu einem "Nationalen Bündnis Dresden" Bündnis Dresden" (NBD) zusammengeschlossen. 40 Zum Vorsitzenden wurde der stell vertretende NPD-Bundesvorsitzende Holger APFEL gewählt. In einer Selbstdarstellung heißt es, mit dem "Nationalen Bündnis Dresden" soll auch ein "wirksames Signal weit über Dresden hinaus" gesendet werden, "daß im Zeitalter zunehmender Stigmatisierung und Krimi nalisierung der nationalen Opposition nur durch den verstärkten Schulterschluß aller Deutschen heute noch erfolgreich Politik ... ge staltet werden kann". 41 Unterstützung erhält das NBD vor allem von der NPD 42, aber auch vom REP-Landesvorstand Sachsen. Der REPBundesvorstand dagegen lehnt eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis ausdrücklich ab (vgl. Nr. 3). Eine Reaktion des DVU-Bundesvorstandes blieb bislang aus. Die NPD verzichtete auf eine Teilnahme an den Landtagswahlen. Sie Teilnahme an nahm lediglich in Bayern und Brandenburg an Kommunalwahlen Wahlen teil: Bei der Bezirkstagswahl in Niederbayern am 21. September erhielt sie keine Mandate. In Brandenburg trat die Partei am 26. Ok tober lediglich in drei Landkreisen sowie in der Gemeinde Wittstock/Dosse an, sie erreichte vier Kreistagsmandate sowie ein Stadt ratsmandat. 1.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) gegründet: 1969 Sitz: Riesa (Sachsen) Bundesvorsitzender: Stefan ROCHOW Mitglieder: 400 (2002: bis zu 500) Publikation: nur regional Als einzige rechtsextremistische Partei verfügt die NPD über eine zahlenmäßig relevante Jugendorganisation. Die JN sind laut Satzung der NPD "integraler Bestandteil" der Partei. Der JN-Bundesvorsitzende ist kraft Amtes zugleich Mitglied des NPD-Parteivorstands. Die JN verstehen sich - so ihr Bundesvorsitzender Stefan ROCHOW - als "national-revolutionäre Speerspitze" der NPD. 43 Nur durch eine BERICHT 2003 68 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Revolutionierung aller Bereiche der Politik und einer Verdrängung der liberalistischen Ideologie im national-revolutionären Sinne" könnten die massiven heutigen und zukünftigen Probleme wirklich überwunden werden. Nur der "revolutionäre Nationalismus" sei wil lens und in der Lage, diese große politische Aufgabe anzugehen. 44 Zwar haben die JN ihre frühere (eigenständige) Bedeutung als Schar nier zwischen der NPD, Neonazis und anderen rechtsextremistischen Gruppierungen verloren; im Gegensatz zum Jahr 2002 gelang es der Organisation jedoch, wieder öffentlichkeitswirksamer aufzutreten. So führten die JN mit Unterstützung der NPD und freier Kräfte am 29. März in Hanau unter dem Motto "Schluss mit der US-Tyrannei! Für Freiheit der Völker" eine Demonstration mit rund 150 Teilneh mern durch. Unter Federführung der JN fand am 21. Juni in Schwäbisch-Hall eine Demonstration gegen die sog. "Wehrmachtsausstel lung" statt, an der rund 300 Personen teilnahmen. Die JN führten erstmals nach 2000 wieder ihren "Europakongress", der früher jährlich stattfand, durch. An der Veranstaltung im bayeri schen Gremsdorf bei Erlangen nahmen rund 200 Personen teil, dar unter Gäste aus mehreren Staaten. 2. "Deutsche Volksunion" (DVU) gegründet: 1987 * Sitz: München Bundesvorsitzender: Dr. Gerhard FREY Mitglieder: 11.500 (2002: 13.000) ** Publikation: "National-Zeitung/ Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ), Auflage: 41.000 **, wöchentlich * DVU e. V. 1971als Verein gegründet, 1987 als Partei konstituiert, 1987 - 1991"DVU - Liste D" ** geschätzt Die DVU ist weiterhin die mitgliederstärkste Partei im rechtsextremis tischen Parteienspektrum. Sie wird seit ihrer Gründung vom Bundes vorsitzenden Dr. Gerhard FREY zentralistisch und autokratisch ge führt sowie weitestgehend finanziert. 45 FREY ist Inhaber der "DSZ - Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH" (DSZ-Verlag) und Herausgeber der wöchentlich erscheinenden "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ), der auflagenstärksten periodischen Publikation im Bereich des Rechtsextremismus in Deutschland. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 69 2.1 Zielsetzung und Methode Die Partei greift bei ihren verfassungsfeindlichen Be strebungen im Wesentlichen die typischen rechtsex tremistischen Agitationsfelder vor dem Hintergrund eines übersteigerten Nationalismus auf. Besondere Schwerpunkte bilden Fremdenfeindlichkeit, Antise mitismus und Antiamerikanismus sowie ein umfas sender Revisionismus. Ausländer und Juden werden pauschal diskre ditiert und dienen der Partei als antideutsche Feindbilder. Die NZ kann wegen der uneingeschränkt beherrschenden Stellung FREYs in der DVU und des Fehlens einer originären Parteizeitung als das Presseorgan der Partei angesehen werden, das deren program matische Linie widerspiegelt. Für den redaktionellen Teil der "national-freiheitlichen" Zeitung werden vorzugsweise politische Themen und Ereignisse ausgewählt, die sich durch verzerrte - häufig ver schwörungstheoretisch geprägte - Darstellung in den klassisch rechtsextremistischen Themenfeldern der Partei agitatorisch nutz bar machen lassen. Gleiches gilt für die - weniger umfängliche - Prä sentation von DVU und DSZ-Verlag im Internet. Viele NZ-Artikel münden in Reklame für einschlägige Bücher aus FREYs Verlagen, die als angeblich weiterführende, das angeschnittene Thema vertie fende Literatur empfohlen werden. Bei diesen Publikationen handelt es sich häufig nur um Zusammenstellungen früherer NZ-Berichte. 46 In zahlreichen NZ-Beiträgen wird auf in Vorbereitung befindliche Bücher hingewiesen. 47 In beiden Fällen werden die NZ-Artikel ein weiteres Mal vermarktet. Ein wesentliches Interesse FREYs besteht mithin in der Umsatzund Gewinnmaximierung durch politische Agitation in Verbindung mit intensiver Werbung für seine Verlags geschäfte. Ein Großteil der Agitation in der NZ gilt dem Thema "Ausländer in Deutschland". Einen weiteren Schwerpunkt bilden Themen, die eine tendenziöse Bewältigung der nationalsozialistischen Vergangenheit ermöglichen sollen. Mit stereotypen Schlagzeilen und mit unter schwellig antisemitischen Artikeln werden Ressentiments gegen Ju den geschürt und in Beiträgen der demokratische Rechtsstaat und seine Repräsentanten angegriffen. Die Vielzahl und ständige Wiederholung solcher Beiträge nach rechtsextremistischen Agitationsmustern belegen, dass es nicht um die Darstellung von Problemen oder um die demokratische Ausei nandersetzung geht, sondern dass hinter den Pauschalisierungen und Herabwürdigungen eindeutige Angriffe gegen wesentliche Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. BERICHT 2003 70 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN FremdenfeindlichDie fremdenfeindliche Einstellung der Partei tritt in der einseitig ne keit gativen, schablonenhaften und verzerrenden Berichterstattung der NZ über Ausländer, Ausländerkriminalität und Asylmissbrauch zu tage. Durch die ständige Wiederho lung aggressiver Schlagzeilen wie "Wird Ausländerkriminalität verharm lost? - Milde Strafen schrecken nicht ab" 48, "Erschreckend hohe Ausländer kriminalität" 49 und "Fast jeder zweite 'Knacki' Ausländer" 50 soll suggeriert werden, die in Deutschland lebenden Ausländer seien generell kri minell. Durch Anreicherung mit Statistiken und eigenen Schaubildern wird versucht, diese Beiträge plakativ zu verstärken und als offiziell be stätigt darzustellen. Mit reißerischen Überschriften werden bewusst Vorurteile und Angst vor Fremden in der Bevölkerung geschürt und es wird der Eindruck vermittelt, dass in Deutschland lebende Auslän der eine Bedrohung für den Bestand und die Sicherheit des Landes sowie auch für den Einzelnen seien. Als weiteres Stereotyp beim Thema Asylund Ausländerpolitik ver wendet die Partei in ihren zahlreichen fremdenfeindlich motivierten Beiträgen die angeblich drohende "Umvolkung" der Deutschen. Dazu lässt sich die NZ unter der Überschrift "Freie Fahrt nur für Fremde? Neue Kampagne gegen deutsche Aussiedler" wie folgt aus: "Die irrwitzige herrschende Einwanderungspolitik lässt sich nach dem Motto zusammenfassen: Freie Fahrt für Fremde aus aller Welt, Türen zu für Deutsche! ... Deutsche Aussiedler, die den schrumpfen den deutschen Bevölkerungsanteil und damit auch die Zukunft der Renten stärken könnten, werden mit geradezu fiesen Methoden fern gehalten. Ausländer aus allen Teilen der Welt aber - ob Anspruch oder nicht, ob Sprachkenntnisse oder nicht - mit offenen Armen empfan gen und als "Bereicherung" gepriesen!" (NZ Nr. 38/2003, S. 10) In Artikeln mit reißerischen Schlagzeilen wie "Sollen Ausländer die Deutschen ersetzen?" 51 und "Arbeitsplätze für Ausländer statt für Deut sche?" 52 sollen Ängste vor Massenzuwanderung und Überfremdung Deutschlands hervorgerufen werden. Auch in Beiträgen zur EU-Osterweiterung appellierte die Partei mit Überschriften wie "'Menschenaus tausch' soll Europas Gesicht verändern - EU will ethnische Herkunft der europäischen Bevölkerung durchbrechen" an Abwehrinstinkte. 53 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 71 Die Partei vertritt im Kontext von Fremdenfeindlichkeit und Rassis Antisemitismus mus meist unterschwellig, teilweise aber auch kaum verhohlen, ei nen für Rechtsextremisten typischen Antisemitismus. Die NZ veröf fentlichte in dichter Abfolge Schlagzeilen und Artikel mit subtil antisemitisch gefärbten Botschaften. Darin wurde unterstellt, das deutsche Volk werde besonders durch die Juden auf die NS-Vergangenheit festgelegt und so daran gehindert, ein gleichberechtigtes Mitglied in der Völkergemeinschaft zu werden. In den Artikeln wur den die angeblich übergroße Präsenz von Personen jüdischen Glau bens oder jüdischer Abstammung in Politik, Wirtschaft und Medien behandelt, jüdische Organisationen diskreditiert, deutsche Wieder gutmachungsleistungen verurteilt und Vorgänge in Israel und Paläs tina polemisch kommentiert. Die herabsetzende Kritik an Juden war zwar häufig zwischen den Zei len verborgen, doch schon die Vielzahl der einschlägigen Artikel mit Schlagzeilen wie "Deutschland: Einwanderungsland Nummer 1für Juden" 54 und "Israels (un)heimliche Macht - Wo überall in Deutschland seine V-Männer sitzen" 55 soll dem Leser einen angeblich be drohlichen Einfluss "antideutscher Juden" und eine vor allem gegen Deutschland ge richtete Verschwörung suggerieren. Am Ende der Artikel wurde stets das zweibän dige, antisemitische Anklänge aufweisende Standardwerk der "FZ - Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH" (FZ-Verlag) 56 "Wer ist wer im Judentum" als weiterführende Literatur angeprie sen. 57 Der FZ-Verlag bietet zudem das Buch "Jüdische Kriegserklärun gen an Deutschland" an, mit dem der rechtsextremistische Mythos einer massiven Bedrohung durch das Judentum übernommen und fortgeschrieben wird. In diesem Zusammenhang ist auch das 2003 im FZ-Verlag erschienene Buch "Das Netz - Israels Lobby in Deutsch land" zu sehen, das - laut Verlagswerbung - Namen von Organisatio nen und ihren Mitwirkenden nennt, die "hinter den Kulissen" erheb lichen Einfluss ausüben, "um Politik und Medien zu lenken". Die Partei bemühte sich nach wie vor, den Holocaust zu relativieren. Relativierung des In der NZ wurde immer wieder angedeutet, die Sichtweise vom Holo Holocaust caust als historischer Tatsache sei in Wahrheit von maßloser Über treibung und von Fälschungen geprägt. Das historische Wissen über den Völker mord an den europäischen Juden wurde daher mit Fälschungsvorwürfen und his torisch längst widerlegten, aber als schein bar aktuell dargestellten Sachverhalten vermengt und somit in Frage gestellt. BERICHT 2003 72 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Die Zeitung war auch bestrebt, mit einer inflationären Verwendung des Begriffs "Holocaust" in unterschiedlichen Zusammenhängen ge schichtliche Tatbestände und die inhaltliche Eindeutigkeit des Be griffs zu verwischen. Außerdem wurde häufig behauptet, "falsche Meinungen" zu dem historischen Geschehen deutscher Massenmorde an Juden und zu anderen NS-Verbrechen würden kriminalisiert. Die Beiträge der Zeitung stellen damit die Glaubwürdigkeit historischer Berichte grundlegend in Frage. Sie relativieren so indirekt - entgegen vordergründig anderslautender Beteuerungen und in strafrechtlich nicht fassbarer Weise - das Ausmaß der Judenverfolgung. Die NZ agitierte in einer Vielzahl von Artikeln gegen die Planung und Errichtung von Holocaust-Mahnmalen. Die Mahnmale wurden scharf abgelehnt und als Negativsymbole einer angeblich einseiti gen Vergangenheitsbewältigung gewertet, die durch die Manifestie rung deutscher Schuld dem tatsächlichen Geschichtsverlauf nicht gerecht würden. In Beiträgen mit Überschriften wie "Hochkonjunk tur für NS-Gedenken" 58 sowie "Und wieder eine NS-Gedenkstätte ..." 59 wurde die Zahl der bereits bestehenden Mahnmale kritisiert. Unter der Schlagzeile "Sollen wir ewig büßen? - Der wahre Sinn des Holocaust-Mahnmals" wurden demokratische Politiker als "einseitige Vergangenheitsbewältiger" diskriminiert, die in Berlin "ihr bisher größtes Ding" drehen. 60 Relativierung Ein fester Bestandteil der Wochenzeitung ist auch die Relativierung weiterer NS-Verweiterer NS-Verbrechen. Um das "Dritte Reich" in günstigerem Licht brechen darzustellen, präsentiert die NZ ein weltweites Sündenregister der Gräueltaten anderer Völker von der Antike bis zur Gegenwart. Zu dem werden die vom nationalsozialistischen Deutschland verübten Verbrechen vornehmlich durch geschichtsklitternde Umdeutung verharmlost oder gar in Frage gestellt. Die rechtsextremistische Ausrichtung der Partei wird auch aus ihrer revisionistisch-positiven Einstellung zu Repräsentanten und Institu tionen des NS-Regimes deutlich. Um deren "wirkliche" Größe und Leistung der angeblich verfälschenden Geschichtsschreibung entge genzusetzen, empfahl der FZ-Verlag seine umfangreiche Palette un terschiedlicher Medien. 61 Dem gleichen Zweck dienten zahlreiche Veröffentlichungen in der NZ über bekannte Wehrmachtsan gehörige und über die deutsche Kriegsführung im Zweiten Welt krieg. Beiträge mit Überschriften wie "Hetze gegen Wehrmacht - Le gende - So war Günther Prien wirklich" 62 und "'So unerschütterlich tapfer ...' - Zum Ableben des U-Boot-Kommandanten und Publizisten Kurt Baberg" 63 sollen den Mythos einer heldenund ehrenhaften Verteidigung des Vaterlandes gegen den alliierten "Vernichtungs krieg" aufrechterhalten und beleben. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 73 In diesem Zusammenhang ist auch die Agitation der NZ gegen die überarbeitete Version der Wanderausstellung "Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 19411944" 64 zu sehen. In Beiträgen mit Schlagzeilen wie "Steuergeld für ReemtsmaSchau missbraucht" 65 und "Widerwärtige Anti-Wehrmacht-Hetze" 66 wurden die Veranstalter der Ausstellung angegriffen. Die Partei griff in der NZ wieder mit einer Vielzahl von Beiträgen den Agitation gegen demokratischen Rechtsstaat und seine Repräsentanten an. Polemik das Demokratie prinzip und diffamierende Darstellung sollen das Ansehen von Institutionen und Personen beschädigen und damit das Vertrauen des Staatsbür gers in die Politik und in die Werteordnung des Grundgesetzes er schüttern. Unablässig erhob sie den unzutreffenden Vorwurf, demo kratische Politiker beharrten aus machttaktischen Gründen auf einer Kollektivschuld der Deutschen an der Massenvernichtung der Juden. Mit dieser ständigen Anklage als Herrschaftsinstrument wollten sie angeblich das Volk demoralisieren, es leichter regierbar machen und so ihre eigene Macht sichern. Mit dieser Agitation verfolgt die DVU die Absicht, die Demokratie zu diskreditieren. Die Partei hat die Terroranschläge am 11. September 2001in den USA Verschärfung der und die folgenden Reaktionen der internationalen Staatenwelt dazu Agitation gegen genutzt, die USA - weiter - zu attackieren. die USA Unter der Überschrift "Irak 2003/Polen1939 - (k)ein Vergleich?Oder: Was Bush darf, dürfen andere noch lange nicht ..." 67 verglich sie den Krieg gegen den Irak mit Hitlers Angriff auf Polen. Der amerikani sche Präsident habe das militärische Vorgehen gegen den Irak mit dem Verweis auf die Terroranschläge des 11. September 2001legiti miert. Sollte aber vorangegangenes Unrecht eine Vielzahl von Krie gen rechtfertigen, erscheine dann nicht der Einmarsch der Wehr macht in Polen am 1. September 1939 in einem anderen Licht? Mit diesem Angriff habe sich das "Dritte Reich" nämlich gegen angeblich aggressive Absichten seines Nachbarlandes, die Diskriminierung von "Volksdeutschen" und die widerrechtliche Okkupation deutschen Gebiets zur Wehr gesetzt. In diesem Zusammenhang intensivierte die Partei auch ihre antisemitische Agitation in Bezug auf den palästinensisch-israelischen Konflikt und verknüpfte sie mit Angriffen auf demokratische Politiker. In Beiträgen der NZ mit Schlagzeilen wie "Irak - 'ein Krieg der Juden'?" 68 und "Steckt Israel hinter Amerikas Kriegen? - Erst Irak, dann Syrien, dann Iran ..." 69 wurde der Eindruck vermit telt, Israel und die in den USA lebenden Juden seien letztlich für den Irak-Krieg verantwortlich. BERICHT 2003 74 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 2.2 Organisation und Entwicklung Organisations Die innerparteiliche Machtposition des Bundesvorsitzenden Dr. struktur Gerhard FREY blieb unangefochten. Er legte nach wie vor die ideolo gischen Positionen und Zielsetzungen der Partei fest, überwachte die wichtigeren personellen Vorgänge auch auf der Ebene der Landes verbände und entschied über die Teilnahme an Wahlen zu Lan desparlamenten. Die Mitglieder des zahlenmäßig auf ein Minimum reduzierten Bundesvorstands spielen fast nur eine Statistenrolle. Den 16 Landesverbänden bleibt kein Raum für selbstständige politische Arbeit und eigene Initiativen. Innerparteiliche Demokratie fehlt mit hin in der Partei vollständig. Sein Führungsstil ermöglicht es FREY, die Partei weitestgehend geschlossen zu halten und sie gegen Ein flüsse von Seiten der NPD und der REP, aber auch aus dem neonazisti schen Bereich abzuschirmen. Allerdings bewirken diese Umstände eine mehr oder weniger starke Isolation der DVU im rechtsextremis tischen Lager. Hierdurch konnte die Partei auch keinen Ausgleich des altersbedingten Mitgliederschwunds durch junge Rechtsextre misten aus anderen Bereichen der Szene erreichen. DVUDie früher alljährlich durchgeführte "Großkundgebung" der DVU in Veranstaltungen der Passauer Nibelungenhalle, die schon von September 2002 auf Juni 2003 verschoben worden war, fiel ganz aus. Stattdessen konzen trierte sich die Partei auf vier Regionalveranstaltungen. Die Örtlich keiten dafür waren so gewählt, dass jeweils mehrere gemeinsame Landesparteitage abgehalten werden konnten, bei denen insgesamt acht neue DVU-Landesvorstände gewählt wurden. Neben FREY als Hauptredner hielten DVU-Abgeordnete aus Landesparlamenten und DVU-Spitzenfunktionäre Vorträge. 70 Ihr Auftreten sollte eine angeb lich erfolgreiche Parlamentsund Parteiarbeit der DVU belegen. Teilnahme an Die Partei beteiligte sich lediglich an den Wahlen zur Bremischen Wahlen Bürgerschaft am 25. Mai und zur kommunalen Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung am 28. September. Bei der Wahl zur Bürgerschaft erzielte die DVU landesweit 2,3 % (1999: 3,0 %) der Stimmen. Wegen des Wahlergebnisses in Bremerha ven (7,1%) erhielt die Partei wieder einen Sitz in der Bürgerschaft. 71 Bereits seit Herbst 2002 hatte FREY mit persönlichen Kolumnen in der NZ die Leser zu Spenden aufgerufen. In einem finanziell aufwän digen Wahlkampf wurden insbesondere Postwurfsendungen und eine breit angelegte Plakatierung eingesetzt. Die Partei agitierte mit aggressiven, vor allem fremdenfeindlichen Slogans wie "Noch mehr Ausländer rein? NEIN!" und "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche!". Bei der Kommunalwahl in Bremerhaven konnte die DVU ihr bei der Bürgerschaftswahl erzieltes Ergebnis nochmals steigern. Sie erhielt 8,1%(1999: 5,2 %) der Stimmen und erhöhte damit die Zahl ihrer Sitze R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 75 in der Kommunalvertretung - in der die DVU seit ihrer Gründung vertreten ist - von drei auf vier. Die fünfköpfige DVU-Fraktion im Landtag von Brandenburg bemüht DVU-Abgeordnete sich - vor dem Hintergrund einer miserablen Selbstdarstellung von im Landtag von DVU-Fraktionen in verschiedenen früheren Landesparlamenten - um Brandenburg ein seriöses Erscheinungsbild. Sie gibt regelmäßig eine Fraktionszeit schrift heraus, die auch auf der eigenen Internet-Homepage einge stellt ist. Einige Abgeordnete präsentieren sich dort auch in Video clips. 3. "Die Republikaner" (REP) gegründet: 1983 Sitz: Berlin Bundesvorsitzender: Dr. Rolf SCHLIERER Mitglieder: ca. 8.000 (2002: 9.000) Publikation: "DER REPUBLIKANER", Auflage: 12.000, zweimonatlich, Unterorganisationen: "Republikanische Jugend" (RJ), "Republikanischer Bund der öffentlich Bediensteten" (RepBB), "Republikanischer Bund der Frauen" (RBF), "Republikanischer Hochschulverband" (RHV) 3.1 Zielsetzung Die Partei "Die Republikaner" (REP) weist weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Be strebungen auf. Zwar verfolgt nicht jedes Parteimitglied verfassungsfeindliche Ziele, doch machen - insbesondere unterhalb der Ebene des Parteivorstandes - einflussrei che Kräfte keinen Hehl aus ihrer Gegnerschaft zur frei heitlichen demokratischen Grundordnung. Darüber ver mag auch das Bemühen der gegenwärtigen Parteiführung um den Parteivorsitzenden Dr. Rolf SCHLIERER, die REP als eine rein demo kratische Partei erscheinen zu lassen, nicht hinwegzutäuschen. Die Art der Kritik an bestehenden Verhältnissen lässt vielmehr in der Ge samtschau die fundamentale Ablehnung von wesentlichen Prinzi pien unserer Verfassung erkennen und findet in unterschiedlicher Dichte ihre Ausprägung in Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Revisionismus, Agitation gegen das Demokratieprinzip sowie in der Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten. BERICHT 2003 76 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Fremdenfeindlich Die gegen die Menschenwürde und den Gleichheitsgrundsatz des keit Grundgesetzes verstoßende fremdenfeindliche Agitation der REP wird im Wesentlichen unter dem Gesichtspunkt einer Gefahr des Un tergangs des deutschen Volkes geführt. Hierzu gehört, dass die REP Ausländer pauschal diffamieren, diese für gesellschaftliche Prob leme und Konflikte verantwortlich machen sowie gezielt die Angst vor Überfremdung und einen gegen Ausländer gerichteten Sozial neid schüren. Exemplarisch für fremdenfeindliche Agitation ist eine im Vorfeld der Landtagswahlen in Hessen und Niedersachsen herausgegebene Wahlkampfausgabe der Parteizeitung "DER REPUBLIKANER", deren zentrales Thema die Einwanderungsund Ausländerpolitik in Deutschland war. Das offensichtliche Ziel, Ängste und Ressentiments der Bevölkerung zum Nachteil von Minderheiten politisch zu miss brauchen und sich als einziger Wahrer nationaler Interessen darzu stellen, wird bereits durch die sloganartigen Überschriften der Artikel deutlich: "Stoppt den Durchmarsch der Türkei!", "Millionenwander ung in die Ghettos", "Islam-Unterricht an unseren Schulen?", "Wird Weihnachten bald abgeschafft?", "Die doppelte Staatsbürgerschaft - Chronologie eines Wahlbetrugs", "Das Christliche Abendland vertei digen!" und "Rückführung statt Zuwanderung - Wir halten Wort!". 72 Dass gesellschaftliche Konflikte und Probleme von den REP in beson derer Weise als geeignet zum Missbrauch für fremdenfeindliche Stimmungsmache betrachtet werden, macht die Aussage des Partei vorsitzenden SCHLIERER deutlich, der den sozialen und inneren Frie den gefährdet sieht und von einem "Bürgerkriegsszenario der MultiKulti-Gesellschaft" 73 spricht. So wurde im Wahlkampf für die Landtagsund Bezirks tagswahlen in Bayern am 21. September im Rahmen der Diskussion um die Kosten im Gesundheitswesen auf Pla katen polemisiert: "Goldzähne für Asylbewerber? Zahn lücken für Deutsche!? Nicht mit uns!" 74. In einer dazu er stellten Veröffentlichung mit der Überschrift "Wußten Sie schon, was Sie mit Ihren Steuern und Sozialabgaben alles bezahlen?" wurden Umfang und rechtliche Trag weite des Sozialversicherungsabkommens mit der Tür kei und Ex-Jugoslawien teilweise wahrheitswidrig dar gestellt. Insbesondere wurde behauptet, die in der Heimat lebenden Familienangehörigen ausländischer Arbeitnehmer ("also Erstund Zweit-Ehefrau usw. inklusive aller Kin der, Großeltern und evtl. auch Bruder mit Familie") seien kostenlos bei deutschen Krankenkassen mitversichert. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 77 In einer von der Bundesgeschäftsstelle am 31. Juli herausgegebenen Pressemitteilung wird konstatiert: "Während Arbeitnehmer und Steuerzahler in harter Arbeit die Vor aussetzungen für den Erhalt unseres Sozialstaates schaffen, liegen in Deutschland zahlreiche Scheinasylanten auf der faulen Haut und fei ern rauschende Feste." (Pressemitteilung der REP-Bundesgeschäftsstelle Nr. 34/03 vom 31. Juli 2003 "Gutmenschen-Terror in Rastatt") Der völkisch geprägte Hintergrund der von den REP verbreiteten These der Überfremdung wird in einer auf der Bundesseite der Partei im Internet verbreiteten Erklärung zum 54. Jahrestag des Grundge setzes exemplarisch deutlich: "Mehr und mehr der an sich unveränderlichen Grundrechte wurden ausgehöhlt. Das deutsche Volk als Souverän wird gerade dieser Jahre ausgetauscht durch die Bevölkerung ... Falsch verstandener Liberalis mus auf allen Gebieten zerstört gemeinsame Grundwerte und ersetzt diese durch Toleranz gegenüber jenen, die diese Demokratie letztend lich abschaffen wollen. Z. B. gegenüber dem Islam. Politische Korrektheit ersetzt Grundrechte." Als politische Lösung für die von Ausländern verursachten Probleme verlangen die REP: "Macht die Grenzen wieder dicht". Konkret for dern sie die "Wiedereinführung wirksamer Kontrollen an den deut schen und bayerischen Grenzen, Rückführung statt Zuwanderung und konsequente Abschiebung kriminell gewordener Ausländer". Andernfalls begehe Deutschland "Selbstmord". 75 Auch formuliert die Partei - mit teilweise ihre Fremdenfeindlichkeit verstärkenden zynischen Untertönen - "Empfehlungen" an Auslän der zur Rückkehr in ihre Heimatländer. So heißt es in einem Artikel über die Geburt eines muslimischen Jungen unter der Überschrift "Flörsheim feiert Geburt Mohammeds": "Wieviele Mohammeds, Alis und Mustafas werden in diesem Jahr wohl noch in unserem Land geboren?" ... In der Hoffnung, daß in die sem Jahr auch noch einige deutsche Kinder in Flörsheim und an derswo in unserem Land das Licht der Welt erblicken, gratulieren wir BERICHT 2003 78 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Republikaner den stolzen Eltern und wünschen ihnen und Moham med eine möglichst baldige angenehme Rückreise ins Morgenland und ein glückliches Leben im Land ihrer Väter." ("Groß-Gerauer Kreis-REPort", Mitteilungsblatt der Kreistagsfraktion 'Die Republikaner' im Kreis Groß-Gerau, Ausgabe 1/2003, S. 4) Antisemitische Im Zusammenhang mit einem in einer Düsseldorfer Bezirksvertre Anklänge tung eingebrachten Antrag, die Geschichte der Juden-Deportationen in Düsseldorf aufzuarbeiten, erklärte ein den REP angehörendes Ratsmitglied einer Pressemitteilung des REP-Landesverbandes NRW, Pressestelle Münster, vom 19. November zufolge: "Wenn das so weitergeht, haben wir irgendwann mehr Mahnund Gedenkstätten als ermordete Juden. Davon werden die auch nicht mehr lebendig." Die Partei instrumentalisiert die Vorgänge um den ehemaligen Vize präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland für ihre antise mitische Agitation. In einer im Internet verbreiteten Erklärung des REP-Landesverbandes Saar kommt die antisemitisch motivierte Ge nugtuung zur "Friedman-Affäre" deutlich zum Ausdruck. Darin wird unter der Überschrift "Kokain, Huren und Deutschenhass!" Michel Friedman als "Vorzeigejude" tituliert und die angebliche Ungleich behandlung bei der öffentlichen Bewertung des Vorgangs beklagt. Während "Rechte" auch ohne Beweise schnell vorverurteilt würden insbesondere, wenn "die Opfer Juden waren" - sei dies trotz eindeuti gen Sachverhalts "nicht so wenn man Jude in Deutschland ist". Inso fern gäbe es in Deutschland eine "Zweiklassengesellschaft. Den an gepassten 'Judas' und den freidenkenden Bürger. Wehe man gehört Zweiterem an ...". Revisionismus Kernpunkte der revisionistischen Agitation der Partei sind die - bisweilen die Grenze zur Geschichtsklitterung überschreitende - Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus und das Infra gestellen der bestehenden deutschen Grenzen. Häufiger Ausgangspunkt der REP-Argumentation zur Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus ist die vergleichende Dar stellung der während des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten an Deutschen verübten angeblichen oder tatsächlichen Kriegsverbre chen. Beispielhaft dafür steht die Aussage des Bundesvorsitzenden SCHLIERER: "Die Kriegsverbrechen der Alliierten dürfen nicht durch R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 79 den gebetsmühlenartigen Verweis auf NS-Untaten verharmlost wer den." Entsprechend fordern die REP auch ein "Mahnmal für alle deutschen Opfer des Bombenterrors", denn schließlich, so SCHLIERER, sei der Massenmord an Frauen und Kindern durch systemati schen Bombenterror aus der Luft eine genuine Erfindung der briti schen und amerikanischen Militärstrategen gewesen. 76 In der Parteizeitung "DER REPUBLIKANER" ergänzt SCHLIERER: "Die Speichellecker-Attitüde von Merkel und Schäuble, die immer noch nicht begreifen wollen oder können, daß Dankbarkeit nur ein anderes Wort für Vasallität ist, verursacht ebenso Brechreiz wie die Behauptung, dass wir nur dank der Bombardierung durch die USAF im Zweiten Weltkrieg wieder in die Gemeinschaft der zivilisierten Völ ker aufgenommen worden seien. Das einzige, wovon die Bomben der amerikanischen Luftwaffe befreit haben, waren Leben, Hab und Gut der Bombenkriegsopfer." ("DER REPUBLIKANER" Nr. 3-4/2003, S. 11) Auf der Aschermittwochsveranstaltung der Partei am 5. März in Gei senhausen (Bayern) erklärte SCHLIERER: "Es muß Schluß sein mit dem deutschen Schuldkomplex, als wären die NS-Verbrechen einzig artig und die Deutschen eine Verbrechernation." 77 In einem Flugblatt für den Wahlkampf zur Landtagswahl in Bayern am 21.September mit dem bezeichnenden Untertitel "Mitteldeutsch land ist nicht Ostdeutschland ist nicht Polen!" wird kritisiert, dass Deutschland im Zwei-plus-Vier-Vertrag die Oder-Neiße-Grenze aner kannt habe. Dies begegne angesichts "des völkerrechtlichen Annexi onsverbotes und der Unverletzlichkeit des Selbstbestimmungsrech tes ... ernsthaften völkerrechtlichen Bedenken." Die REP verfolgten deshalb im Sinne einer "dauerhaften Friedensordnung in Mittelund Osteuropa" das "Ziel einer friedlichen Vollendung der deutschen Einheit unter Einbezug Ostdeutschlands". 78 Auch in der Parteizeitung "DER REPUBLIKANER" wird vom "polnische(n) Landraub an den deutschen Ostgebieten" und von "unein sichtigen Vertreiberstaaten wie Polen und Tschechien" gesprochen. 79 Mit der gezielten Diffamierung des demokratischen Rechtstaates, Diffamierung des seiner Institutionen und Vertreter soll versucht werden, das Verdemokratischen Rechtsstaats trauen der Bevölkerung in seine Funktionsweise und - fähigkeit und damit in die Werteordnung des Grundgesetzes zu erschüttern. We sentliches Agitationsmuster ist dabei die pauschale Verunglimpfung BERICHT 2003 80 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN der "etablierten Parteien", d. h. letztlich des Mehrparteiensystems. So polemisieren die REP beispielsweise: "SPD und CDU, gemeinsam mit ihren Hilfstruppen, nehmen dieses Land aus wie eine Weihnachts gans." 80 Auch an anderen Stellen wird von "Korruptionsparteien, wo hin man nur schaut" 81 gesprochen und die polemische Frage gestellt "Deutschland - Korruptistan?" 82 Dem schließt sich das Mitteilungs blatt einer Kreistagsfraktion, der "Groß-Gerauer Kreis-Report", naht los an: "Wie überall in Deutschland, so funktioniert auch im Kreis Groß-Gerau nur noch die Steuergeldverschwendung in fremde Taschen und die Selbstbedienung der Politiker-Kaste völlig reibungslos. Die Altpar teien haben aus Deutschland einen nahezu bankrotten, multikulturellen Augias-Stall gemacht, durch den der Gestank von Korruption, Vetternwirtschaft und Bestechung wabert." ("Groß-Gerauer Kreis-REPort", Mitteilungsblatt der Kreistagsfraktion 'Die Republikaner' im Kreis Groß-Gerau, Ausgabe 1/2003, S. 4) 3.2 Organisation und Entwicklung Erneuter Mitglie Die Partei hatte auch im Jahr 2003 einen weiteren Mitgliederrück derrückgang gang auf etwa 8.000 hinzunehmen (2002: 9.000; 2001: 11.500; 2000: 13.000). Sie trat - wie auch in den vergangenen Jahren - außerhalb von Wahlkämpfen kaum in Erscheinung. An der alljährlichen Aschermittwochveranstaltung am 5. März im bayerischen Geisen hausen nahmen rund 500 Personen teil (2002: rund 600). Abwärtstrend setzt Vor dem Hintergrund der seit Jahren anhaltenden innerparteilichen sich fort Differenzen um den vom REP-Bundesvorsitzenden SCHLIERER vertretenen Abgrenzungskurs der Partei gegenüber anderen rechts extremistischen Organisationen und der auch im Jahre 2003 anhal tenden Wahlniederlagen hat sich der Abwärtstrend der Partei fort gesetzt. Von der Parteiführung ignorierte Forderungen nach einem Kurswechsel sowie die Kritik am Führungsstil des Bundesvorsitzen den haben zu einem weiteren personellen Aderlass geführt. Aus drücklich aus Kritik am Abgrenzungskurs SCHLIERERs legte am 26. Mai der Berliner Landesvorsitzende Bernd BERNHARD seine Par teiämter nieder. In seinem Rücktrittsschreiben heißt es, die Partei sei zu einer "Loser-Partei" geworden und befinde sich "im freien Fall". Es bedürfe eines - auch für die Medien - unüberhörbaren Signals, das nur erreicht werden könne, "wenn zunächst die zwei großen deut schen Rechtsparteien DVU und Republikaner eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit vereinbaren würden". Die Kleinstparteien R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 81 könnten "später mit ins Boot genommen werden". 83 Während sich ein Teil der frustrierten Mitglieder der "Deutschen Par Zusammenarbeit tei" (DP) angeschlossen haben, gibt es bei einigen Landesverbänden mit anderen Überlegungen, einer überparteilichen Sammlungsbewegung aus Rechtsextremisten Parteien und Organisationen des nationalkonservativen und rechts extremistischen Lagers, der "Freiheitlichen Initiative Deutschlands" (FID) 84, beizutreten. Gegen den Willen des Bundesvorstandes schlos sen sich die REP-Landesverbände Rheinland-Pfalz 85 und Saarland 86 der FID an. Der REP-Bundesvorstand hat am 28./29. Juni die rheinland-pfälzische FID-Mitgliedschaft - über die Mitgliedschaft des Lan desverbandes Saar wurde nicht befunden - für rechtswidrig erklärt und eine FID-Mitgliedschaft von REP-Parteigliederungen grundsätz lich abgelehnt. Gleichzeitig wurde jedoch der stellvertretende Bun desvorsitzende Haymo HOCH beauftragt, mit der FID "Kontakt auf zunehmen und die Möglichkeit einer Zusammenarbeit zu sondieren". 87 Neben den Einigungsbestrebungen im Rahmen der FID bemühten sich auch sächsische REP-Mitglieder um eine politische Neuorientie rung. Unter Führung des Beisitzers im Landesvorstand und Dresdner Kreisvorsitzenden Frithjof RICHTER 88 haben sie sich dem am 24. April von Rechtsextremisten gegründeten Wahlbündnis "Natio nales Bündnis Dresden" (NBD) angeschlossen (vgl. Nr. 1). Die Beteili gung dieser REP-Mitglieder wurde von der Landesvorsitzenden Ker stin LORENZ ausdrücklich unterstützt. In einer im Internet verbreiteten Meldung äußerte sie sogar, dass sie sich bewusst sei, auf grund ihres Festhaltens am NBD wahrscheinlich nicht mehr lange Landesvorsitzende der REP zu sein. Wörtlich sagte sie weiter: "... doch das ist mir so ziemlich egal". Am 28./29. Juni fasste der REP-Bundesvorstand den Beschluss, dass die REP-Mitglieder im NBD nicht im Namen und Auftrag der Partei handeln, eine NBD-Mitgliedschaft mit einer REP-Mitgliedschaft unvereinbar ist und eine weitere Zusam menarbeit mit dem NBD als parteischädigendes Verhalten, das zum Parteiausschluss führt, gewertet wird. 89 Die trotz des von der Parteiführung vertretenen Abgrenzungskurses nach wie vor mangelnde Distanz vieler REP-Mitglieder/-Funktionäre zu Rechtsextremisten belegen weitere Beispiele: - So haben Parteimitglieder am sog. "1. Freiheitlichen Kon greß" (23.-25. Mai in der Nähe von Leipzig) - der vom NPD-eigenen "Deutsche Stimme-Verlag" veranstaltet wurde - teil genommen. 90 - Der Vorsitzende des REP-Bezirksverbands Niederbayern, Oskar ATZINGER, zugleich Bezirksrat und Spitzenkandidat BERICHT 2003 82 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN für die anstehende Wahl zum Bezirkstag Niederbayern, hielt zusammen mit der Vorsitzenden des NPD-Bezirksverbands Niederbayern, Gisela BÖHMER, am 17. Juni in Passau eine gemeinsame Mahnwache zum Gedenken an die Opfer des Aufstandes in der ehemaligen DDR ab. 91 - Das NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" berichtete in einer Sonderbeilage zum "Deutsche Stimme-Pressefest" am 9. Au gust in Meerane (Sachsen), dass über alle Parteigrenzen hin weg "Aktivisten der NPD, der DVU, der Republikaner und freier Kameradschaften" zusammengekommen seien, "um ihren Willen zu unterstreichen, bisher Trennendes zu über winden und gemeinsam den Schulterschluß aller zukunfts orientierten Nationalisten und Patrioten zu suchen". 92 - Anlässlich der regelmäßig von der rechtsextremistischen "Jungen Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO) am 13. Februar organisierten Demonstration zum Gedenken an die alliier ten Bombenangriffe auf Dresden im Zweiten Weltkrieg nah men auch 2003 Vertreter der REP teil, darunter der stellver tretende REP-Vorsitzende aus Nordrhein-Westfalen Reinhard RUPSCH (der wie bereits 2002 als Redner auftrat) sowie die Landesvorsitzenden aus Sachsen und dem Saar land, Kerstin LORENZ und Andreas THIES. 93 - Am "Tag der Sachsen" (6.-7. September in Sebnitz) waren die REP, das NBD, die NPD sowie die JLO mit Informationsstän den vertreten. In einem im Internet eingestellten Beitrag der NPD zum "erfolgreiche(n) Auftreten der nationalen Op position beim ,Tag der Sachsen' in Sebnitz" heißt es, "sicht barer Ausdruck des Zusammengehörigkeitsgefühls war übrigens das neue T-Hemd des Bündnisses mit der Forde rung ,Nationale Einheit jetzt', das insgesamt 15 Kameraden an den Ständen von NPD, Republikanern und JLO trugen". - Nach einer Pressemitteilung der "Deutschen Partei" Landes verband Baden-Württemberg lud der REP-Bezirksverband Süd-Württemberg am 7. September zu seinem traditionel len parteiübergreifenden "Erlebnis-Bodenseetag 2003" ein. Zu der Veranstaltung hätten sich "engagierte politische Freunde der REP, DP, Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH), Schill-Partei, DVU sowie parteilose" eingefunden. Zum Abschied - so die Pressemitteilung weiter - seien sich alle einig gewesen, "daß die REP-Süd-Württemberg die ... Selbstisolierung aufgegeben haben und von einer Wagen burgmentalität tatsächlich nichts halten". 94 Teilnahme an Die Partei beteiligte sichjeweils ohne Konkurrenz aus dem rechtsextre Wahlen mistischen Lageran den Landtagswahlen in Hessen, Niedersachsen und Bayern sowie an den Kommunalwahlen in Bayern und Brandenburg. R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 83 Bei den Landtagswahlen am 2. Februar in Hessen und Niedersachsen musste die Partei jeweils hohe Stimmenverluste hinnehmen. In Hes sen erhielt sie 1,3 %der Stimmen (1999: 2,7%), in Niedersachsen 0,4 % der Stimmen (1998: 2,8 %). Bei den bayerischen Landtagswahlen am 21. September erlitten die REP eine weitere empfindliche Niederlage und konnten nur noch 2,2 %der Stimmen erzielen (1998: 3,6 %). Auch bei den gleichzeitig stattfindenden Wahlen zu den bayerischen Be zirkstagen musste die Partei flächendeckend Stimmeneinbußen hin nehmen. Sie gewann lediglich noch ein Mandat (1996: 6). Bei den Kommunalwahlen am 26. Oktober in Brandenburg waren die REP ohne Erfolg mit einem Bewerber im Landkreis Oder/Spree angetre ten. In Berlin ist ein Verfahren des REP-Landesverbandes gegen die Be Verwaltungs obachtung der Partei mit nachrichtendienstlichen Mitteln noch in gerichtsverfahren der Berufungsinstanz anhängig. VI. Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus Um politisch erfolgreich sein zu können, bedürfen Bewegungen, Or ganisationen und Parteien programmatischer Attraktivität. Die nötige Theoriearbeit leisten bestimmte Intellektuelle, deren Ergeb nisse für die Identität und Praxis politischer Akteure von zentraler Bedeutung sind. Im deutschen Rechtsextremismus bestand und be steht hier ein Defizit, worauf selbst Protagonisten dieses politischen Lagers immer wieder hinweisen. Als Konsequenz aus derartigen Ein schätzungen bemühten sich eine Reihe von Rechtsextremisten mit höherem Bildungsniveau seit Anfang der 80er Jahre verstärkt um eine Intellektualisierung der rechtsextremistischen Szene. Die Ein richtung von Lesekreisen, die Gründung neuer Zeitschriften, die Durchführung von Kongressen und die Veröffentlichung einschlägi ger Bücher zeugen von derartigen Bemühungen. Bereits Mitte der 90er Jahre zeichnete sich allerdings deren Niedergang und Scheitern ab: Eine Reihe von Initiativen lösten sich auf oder stagnierten in ihrer Entwicklung. Über das rechtsextremistische Lager hinausgehende Wirkungen ließen sich kaum beobachten. Die angestrebte "kultu relle Hegemonie" im öffentlichen Diskurs wurde noch nicht einmal in Ansätzen erlangt. Auch die Intellektualisierung des eigenen politischen Lagers konnte nicht vorangebracht werden, was der Parteienbereich exemplarisch veranschaulicht: Entsprechende Bemühungen der Partei "Die Repu blikaner" (REP) Anfang und Mitte der 90er Jahre scheiterten, konn ten doch weder Intellektuelle an die Partei gebunden noch das Par teiorgan diesbezüglich anspruchsvoller gestaltet werden. Die "Deutsche Volksunion" (DVU) bemühte sich erst gar nicht um ein inBERICHT 2003 84 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN tellektuelleres Profil. Statt dessen beschränkte man sich bei der Agi tation zu Wahlen oder in der "National-Zeitung/Deutsche WochenZeitung" (NZ) auf platte und stereotype Aussagen. Intellektualisie Bei der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) zeigt rungsansätze in sich dagegen ansatzweise ein Intellektualisierungsprozess, nachdem der NPD sich der Partei im Zuge des ideologischen, strategischen und organi satorischen Wandels im letzten Drittel der 90er Jahre einige jüngere, akademisch gebildete Rechtsextremisten anschlossen. Diese übten als Autoren oder über die Redaktion Einfluss auf die Gestaltung des Parteiorgans "Deutsche Stimme" aus, wodurch die Zahl ideologi scher oder strategischer Beiträge zunahm. Dazu gehörten 2003 etwa die in der Reihe "Kampf um die Köpfe" erschienenen Grundsatz beiträge über das Verständnis von "Europa", "Nationalstaat" und "Souveränität", fundamentale Kritiken des als "dekadent" und "völ kerverachtend" geltenden Westens, Überlegungen zur Konzeption einer nationalistischen Umweltpolitik, Forderungen nach einer bündnispolitischen "Querfront-Strategie" - auch mit nicht-deutschen "Fundamentalisten" und "Volkstreuen" - oder Erinnerungen an als Vorbilder geltende politische Klassiker. 95 Im Vergleich zu den Vorjah ren ging die Bedeutung derartiger Aufsätze allerdings zurück. Einer der wichtigsten Akteure des Intellektualisierungsprozesses in der NPD ist der studierte Germanist Jürgen SCHWAB, der auch den Ar beitskreis "Volk und Staat" beim NPD-Parteivorstand leitet. Dieser soll nach eigener Ankündigung zukünftig Schulungen und Veröffentli chungen zu den Themen "Wirtschaft und Staat", "Mediensystem der BRD", "Die Familie als Keimzelle des Volkes" und "Grundlagen der Volksgemeinschaft" anbieten. Darüber hinaus will der Arbeitskreis leiter die von ihm durchgeführte Seminarreihe "Politische Theorie" in inhaltlicher und zeitlicher Erweiterung zur Schulung von Parteiakti visten anbieten. 96 "Deutsche SCHWAB ist außerdem - neben weiteren rechtsextremistischen Intel Akademie" lektuellen wie Dr. Pierre KREBS, Horst MAHLER und Dr. Reinhold OBERLERCHER - Mitinitiator der organisationsübergreifenden "Deutschen Akademie". Die im Umfeld der NPD agierende Einrich tung soll die staatstheoretische Bildungsarbeit vertiefen und unter Betonung der Reichsidee Alternativen zum System der Bundesrepu blik Deutschland entwickeln. Darüber hinaus will die "Deutsche Aka demie" mit der NPD-Untergliederung "Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V." (NHB) im Vorfeld der Parteiaktivitäten Intellek tuelle zusammenführen und sie für den angestrebten "Kampf um die Köpfe", "Kampf um die Straße" und "Kampf um die Parlamente" zu gunsten der NPD aktivieren. Mit diesen Absichten führte die Akade mie auch 2003 Seminare, so etwa die Sommerveranstaltung mit Re ferenten wie dem Verlagslektor Dr. Rolf KOSIEK und SCHWAB selbst R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 85 durch. In einer Einladung zu dieser Tagung heißt es u. a., man lege mit der eigenen "nationalpolitischen Theoriearbeit" großen Wert auf die Erarbeitung politischer Begriffe, habe es doch seit 1945 eine Gehirnwäsche durch "Entnazifizierung" und "Umerziehung" und eine dadurch bedingte Akzeptanz von "Worthülsen wie Demokratie und Menschenrechten" gegeben. 97 Aus diesem Grund widmete sich die Tagung ausführlich einem ethnischen und nicht politischen Ver ständnis von Volk und versuchte den Begriff der "Volksgemein schaft" aufzuwerten. 98 Ebenfalls im NPD-Umfeld bewegt "Deutsches Kolleg" sich das "Deutsche Kolleg", des sen Leiter die ehemaligen Links und jetzigen Rechtsextremisten Horst MAHLER und Dr. Reinhold OBERLERCHER sowie der NPDAktivist Uwe MEENEN sind. Auch diese Einrichtung sieht ihre zentrale Aufgabe in der Schulung der "nationalen Intelligenz" und der Veröffentlichung von Grundsatzer klärungen. So führte das Kolleg etwa ein Seminar mit dem Thema "Der Hegelsche Gottesbegriff als Zugang zur Wiederaufnahme und Vollendung der Deutschen Revolution von 1933" durch. In dem erst mals Ende 2002 verbreiteten Flugblatt mit der Überschrift "Deutsch land wird wieder Deutsch!", das nach wie vor auf der Homepage des "Deutschen Kollegs" abrufbar ist, wurde der allgemeine "Aufstand des Deutschen Volkes" als erster Schritt auf dem "Weg nach Deutsch land, zu Kaiser und Reich" gefordert. In einer Internet-Einstellung zur Erinnerung an den 50. Jahrestag des Arbeiteraufstandes in der DDR am 17. Juni 1953 stellte das Kolleg diesen in den Kontext "deut scher Freiheitskämpfe", wozu auch der Beginn der nationalsozialisti schen Herrschaft von 1933 und die fremdenfeindlichen Gewaltüber griffe von 1991und 1992 gezählt wurden. Öffentlichkeitswirksam sollte die Verlesung eines "Verdener Manife stes" (vgl. Kap. VII) mit revisionistischen Aussagen durch MAHLER am 30. Juli im Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau in Polen sein. Nachdem MAHLER die Ausreise verwehrt worden war, führte er die Veranstaltung am 30. Juli auf der Wartburg bei Eisenach durch. Dort zeigten einige der etwa 20 teilnehmenden Rechtsextremisten Transparente mit Aufschriften wie "Den Holocaust gab es nicht". Die von MAHLER erhoffte öffentliche Aufmerksamkeit wurde allerdings nicht erzielt. Insgesamt blieb die Wirkung der Agitation des "Deut schen Kollegs" selbst im rechtsextremistischen Lager begrenzt, da sich ihre Protagonisten zu abwegigen Vorstellungen verstiegen und diese in nur schwer nachvollziehbarer Weise vortrugen. BERICHT 2003 86 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Thule-Seminar" Dies gilt mit gewissen Einschränkungen auch für das "Thule-Seminar", das 1980 von Dr. Pierre KREBSals deutscher Ableger der franzö sischen "Neuen Rechten" gegründet wurde. Ähnlich wie diese geis tige Schule wollte er mit einer Strategie der "Kulturrevolution von rechts" geistigen Einfluss auf öffentliche Dis kussionen nehmen und so Anhänger für seine Ideen von einer Erneuerung des "europäi schen Geistes" gegen das westliche Denken gewinnen. KREBSüberwarf sich allerdings mit seinem früheren ideologischen Vorbild Alain de BENOIST und isolierte sich dadurch noch mehr im rechtsextremistischen Intellek tuellenlager. Gleichzeitig gelang es ihm kaum mehr, seine publizistischen Projekte voranzu treiben. Die als wichtigstes Publikationsorgan der Organisation gel tende Zeitschrift "Elemente" erschien zuletzt 1998. Die neue Zeit schrift "Metapo" wurde bereits 2001nach nur vier Heften wieder eingestellt. Der ohnehin nur aus wenigen Seiten bestehende "ThuleBrief" erschien ebenfalls in lediglich zwei Ausgaben. Nur der unter der Bezeichnung "Mars Ultor" vertriebene "Taschenkalender der Avantgarde" konnte zu Beginn des Jahres 2004 das vierte Mal in Folge herausgegeben werden. Rückgang bei Auch bei den organisationsunabhängigen Publikationsorganen des organisations intellektuellen Rechtsextremismus kann ein weiterer Rückgang kon unabhängigen statiert werden. Die von Dr. Hans-Dietrich SANDER geleiteten "Staats Publikationen briefe" hatten bereits im Jahr 2002 ihr Erscheinen eingestellt. Die publizistischen Aktivitäten SANDERs konzentrierten sich auf seine kontinuierlich aktualisierte Homepage, auf der u. a. Beiträge der früheren Stammautoren Gerhoch REISEGGER, Wolfgang STRAUSS und Josef SCHÜßLBURNER verbreitet wurden. Von der nur noch unre gelmäßig herausgegebenen Publikation "Sleipnir. Zeitschrift für Kul tur, Geschichte und Politik" erschienen zwei Ausgaben. Auch der Ver leger Manfred ROUHSvermochte es nicht, seine sich ursprünglich als Organ mit theoretischem Anspruch verstehende Vierteljahreszeit schrift "Signal - Das patriotische Magazin" regelmäßig zu veröffentli chen. Im Frühjahr erschien eine Ausgabe in stark reduziertem Um fang, die sich insbesondere in antiamerikanischer Weise mit dem Krieg der USA gegen den Irak befasste. Ein darin für das Wochenende 28./29. Juni angekündigtes Pressefest im Großraum Kassel wurde ohne nähere Begründung abgesagt. Im Herbst veröffentlichte ROUHS seine Publikation erstmals unter dem neuen Titel "nation24.de - Das patriotische Magazin". Die Umbenennung solle, so der Herausgeber, die stärkere Verschränkung zwischen Druckausgabe und nunmehr gleichnamiger Homepage zum Ausdruck bringen. 99 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 87 Mitunter deuten rechtsextremistische Intellektuelle in ihren Texten Wochenzeitung extremistische Positionen nur an und sind um verbale Mäßigung "Junge Freiheit" bemüht, um auf diese Weise zu einer Erosion der Abgrenzung zum demokratisch-konservativen Lager beizutragen. So wollen sie ihren Positionen den Anschein von Seriosität geben und eine größere Brei tenwirkung erreichen. Dazu tragen Veröffentlichungen von rechts extremistischen und demokratisch-konservativen Autoren in ge meinsamen Sammelbänden, Verlagen oder Zeitschriften bei. Ein Beispiel dafür bietet die Wochenzeitung "Junge Freiheit" (JF). Zwar stellten sich der Zeitung auch 2003 eine Reihe namhafter demokrati scher Vertreter aus Medien, Politik und Wissenschaft zu Interviews zur Verfügung. Daneben nutzten aber auch unverändert einzelne rechtsextremistische Autoren die JF als Forum. Außerdem fanden sich bei Redakteuren und Stammautoren bisweilen gängige rechts extremistische Argumentationsmuster oder lobende Kommentare zu rechtsextremistischen Personen oder Organisationen. Zur Veran schaulichung drei Beispiele: Der Publizist Günter MASCHKE, der sich in einem früheren JF-Interview selbst als "Verfassungsfeind" bezeichnete und an anderer Stelle die Verfassung als "Gefängnis" bewertete 100, diff amierte demokratische Werte als "Kannibalenhumanität und Zigeu nerliberalismus" 101. Anlässlich des Todes des als geistiger Vater der deutschen "Neuen Rechten" geltenden Publizisten Armin Mohler, der sich selbst als Faschisten bezeichnete und bei der freiheitlichen Grundordnung nach eigenem Bekunden "das große Kotzen" bekam102, veröffentlichte die JF eine Traueranzeige für ihren langjährigen Mit arbeiter, damit er als Kollege und Mentor in Erinnerung gehalten werde. 103 Revisionistische Aussagen zur Leugnung der Schuld des NSRegimes am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und zur Rechtferti gung des Vernichtungskrieges in der Sowjetunion finden sich in fol gendem Ausschnitt aus einem JF-Beitrag: "Hitler-Zitate zeigen, wie klarsichtig er die für einen großen Krieg viel zu schwache Basis Deutschlands erkannte und danach zu handeln suchte. Ein Raub krieg lag, auch ausweislich der Protokolle seiner Geheimreden, nicht in seiner prinzipiellen Vorstellung. Zum erklärten Vernichtungs krieg gegen die sowjetischen Führungskader - nicht gegen das Volk ... - sah er sich gezwungen." 104 VII. Antisemitische Agitation Der für den 9. November beabsichtigte Sprengstoffanschlag einer Kerngruppe der neonazistischen "Kameradschaft Süd" auf die Bau stelle der Synagoge und des jüdischen Gemeindezentrums in Mün chen (vgl. Kap. III, Nr. 2) hat die antisemitische Ausprägung des Rechtsextremismus auch in der öffentlichen Wahrnehmung zu ei nem wichtigen Thema gemacht. Überdies erhöhte sich 2003 die Zahl der registrierten Schändungen jüdischer Friedhöfe, Synagogen und BERICHT 2003 88 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Gedenkstätten im Vergleich zum Vorjahr von 78 auf 115 Fälle. Auch bei den antisemitisch motivierten Gewalttaten war mit 35 Delikten ein merklicher Anstieg zu verzeichnen (2002: 28), auch wenn die Ge samtzahl der antisemitisch motivierten Straftaten zurückging (2003: 1.199, 2002: 1.515). Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den Artikulationsund Erscheinungsformen des Antisemitis mus sowie nach dessen Bedeutung und Stellenwert für das rechtsex tremistische Lager. Allgemein lässt sich sagen: Antisemitismus spielt für den deutschen Rechtsextremismus als Agitationsthema nach wie vor eine wichtige Rolle. Begriffsdefinition Den Juden werden dabei in diffamierender und diskriminierender Weise pauschal negative Eigenschaften unterstellt, um ihre Abwer tung, Benachteiligung, Verfolgung oder gar Vernichtung ideolo gisch zu "rechtfertigen". Neben den jahrhundertelang existierenden religiösen, sozialen, politischen und rassistischen Varianten des Anti semitismus lassen sich heute damit ideologisch verkoppelte neuere Formen ausmachen. Hierzu gehört zum einen der "sekundäre Anti semitismus", der den Juden vorwirft, die mit dem Holocaust verbun dene moralische Belastung Deutschlands zu missbrauchen. Zum an deren finden sich die bekannten antisemitischen Stereotype auch in einer "antizionistischen" Variante, die in der pauschalen Diffamie rung des Staates Israel zum Ausdruck kommt. 105 Aufgrund eines in der Öffentlichkeit vorherrschenden Grundkonsen ses gegen Antisemitismus arbeiten Rechtsextremisten in ihrer antise mitischen Agitation vielfach mit Andeutungen. Allerdings gibt es auch weiterhin Gruppierungen (insbesondere in der Neonaziund Skinheadszene), die ihren Antisemitismus offen artikulieren. Offene Varianten Aufforderungen zur Tötung von Juden und der Zerschlagung Israels des Antisemitismus fanden sich in den Texten der Skinhead-Band "Hassgesang", die auf dem 2003 herausgebrachten Tonträger "B.Z.L.T.B." 106 enthalten sind. Dort heißt es in dem Stück "Final Fight": "For an Aryan world we will give our lives our people will be free when the last Jew dies" ("Für eine arische Welt werden wir unser Leben ge ben, unser Volk wird frei beim Tod des letzten Juden") In dem Stück "Israel" fordert die Band: "Die beste Lösung sei genannt: Vernichtet dieses Land" und "Heilig sei allen Völkern der Befehl: Atomraketen auf Israel". R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 89 Das Motiv für die Forderung einer Vernichtung Israels wird in folgen der Liedzeile deutlich: "Unverschämt sind ihre Lügen wohlbekannt in aller Welt die sechs Millionen Toten wollen mal wieder unser Geld". Noch deutlicher zeigt sich die Vermischung der rassistischen, politiOffener Antisemi schen und antizionistischen Elemente des Antisemitismus in einem tismus in der Beitrag der von der "Nationalsozialistischen Deutschen ArbeiterparNeonazi-Szene tei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO; vgl. Kap. VIII, Nr. 2) in Lincoln (USA) herausgegebenen in deutschen Neonazi-Kreisen verbreiteten Publikation "NSKampfruf" 107. Dort heißt es, die "Not wendigkeit der Endlösung der Judenfrage" ergebe sich aus der "star ken jüdischen Beeinflussung des geistigen Lebens der arischen Rasse" und den daraus abzuleitenden "Forderungen nach Rassen trennung von Juden und Ariern". Entsprechend der politischen Vari ante des Antisemitismus wird die Existenz einer verschwörerischen "übergroßen weltweiten Macht des Judentums in Politik, Wirtschaft, Hochfinanz, den Massenmedien und der Kultur" zur Erlangung der "Weltherrschaft" behauptet. Die angestrebte "Endlösung" solle aber nicht in der Ausrottung des jüdischen Volkes, sondern in einer "ge schlossenen Ansiedlung" in den USA erfolgen. Diese setze allerdings die Liquidierung des "Piratenstaates Israel" voraus. Unverhohlen antisemitisch und revisio nistisch äußerte sich auch mehrfach der führende Aktivist des rechtsextre mistischen Intellektuellenzirkels "Deut sches Kolleg" Horst MAHLER (vgl. Kap. VI). Im so genannten "Verdener Mani fest" vom 5. Februar 2003 agitierte er: "Die Völker leiden unter der Meinungsdiktatur Israels und seiner Hilfstruppen - am schlimmsten ergeht es dabei dem Palästinensi schen und dem Deutschen Volk ... Mit dem Seelenmord am Deutschen Volk, mit dem Völkermörder Israel und mit der Verfolgung der Holo caustungläubigen muß es endlich ein Ende haben ... Das Heilige Deut sche Reich lebt, um die Judenheit vor das Weltgericht zu fordern!" 108 BERICHT 2003 90 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN In verschiedenen Kommentaren zur Gründung des von ihm initiier ten "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holo causts Verfolgten" verband er ebenfalls in aggressiver Weise antise mitische und revisionistische Elemente. Wörtlich hetzte er etwa in einer E-Mail an einen Landtagsabgeordneten: "Die Judenheit - ohne Ausnahme - glaubte, die Judenfrage endgültig in die Auschwitzlüge entsorgt zu haben, in eine Lüge, die sie unter den Bedingungen absoluter Wehrunfähigkeit des Deutschen Reiches mit ihrer Geldund Medienmacht in die Köpfe einpflanzen konnte. Aber Lügen haben eine für den Lügner unangenehme Eigenschaft: sie bröckeln." Angedeutete Die Unterschiede zwischen einem offenen und einem angedeuteten Varianten des Antisemitismus werden an den verschwörungstheoretischen Kom Antisemitismus mentaren von Rechtsextremisten zum Tod des FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann deutlich. So wird in der aus Großbritannien in die Bundesrepublik Deutschland versandten rechtsextremistischen Pu blikation "Das neue National Journal" behauptet: "Der Tod Jürgen W. Möllemanns zeigt ganz bestimmte Parallelen zum Mossad-Mord an Uwe Barschel auf." 109 Andeutend formuliert hingegen das NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" (vgl. Kap. V, Nr. 1) in der Überschrift ei nes Artikels: "Hinrichtung eines Israel-Kritikers?". 110 Eine mit Anspielungen arbeitende Schlagzeilen-Technik nutzt auch die "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) für ihre anti semitische Agitation (vgl. Kap. V, Nr. 2). Dabei werden keine Behaup tungen aufgestellt, sondern scheinbar offene Fragen formuliert. Gleichwohl suggeriert die NZ den Lesern eine bejahende Antwort auch wenn der Inhalt des Artikels dazu nicht notwendigerweise ein deutige Aussagen enthält. Exemplarisch für dieses Vorgehen stehen Schlagzeilen wie: "Steckt Israel hinter Amerikas Kriegen? - Erst Irak, dann Syrien, dann Iran ...", "Israels Lobby in Deutschland - Ihre Macht - Ihr Einfluss - Ihre Hauptpersonen" und "So mächtig ist die IsraelLobby - Kann sie jeden Politiker vernichten?". 111 Mit diesen Formulie rungen deutet die NZ das Bestehen einer einflussreichen jüdischen Macht hinter den Kulissen an und bemüht damit Argumentations muster einer antisemitischen Verschwörungsideologie. Derartige Anspielungen finden sich auch in dem NPD-Organ "Deut schen Stimme", die zur Förderung einer Abo-Kampagne mehrmals einen Werbetext mit folgenden antisemitischen Auszügen veröffent lichte: R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 91 "Kein Thema fällt dabei der Zensur oder irgendwelchen Tabus zum Opfer - ob die unverschämten finanziellen Forderungen der zionisti schen Lobby ... die immer skrupelloser von der amerikanischen Ostkü ste vertretenen Weltherrschaftsgelüste, der Staatsterrorismus Israels ... Wenn Sie wollen, dass Michel Friedman und Paul Spiegel das La chen vergeht ... sind (sie) zur Unterstützung der Deutschen Stimme aufgefordert!" 112 Die Bezeichnung "Ostküste" wird hier wie in vielen anderen rechts extremistischen Zusammenhängen als Synonym für die angeblich die USA beherrschenden jüdischen Bankiers genutzt. 113 Auch die For mulierung "zionistische Lobby" suggeriert die Existenz einer mächti gen jüdischen Interessenorganisation, womit sowohl Bestandteile des politischen wie sozialen Antisemitismus zur Agitation dienen. Als weitere Variante des angedeuteten Antisemitismus ist die de monstrative Hervorhebung der jüdischen Herkunft von negativ be schriebenen Personen zu nennen. Ein Beispiel dafür ist ein Artikel in der Zeitschrift "Nation & Europa" zur Erinnerung an den Aufstand in der DDR am 17. Juni 1953, der folgende Ausführungen zu dessen Geg nern in Gestalt von SED-Funktionsträgern oder mit ihnen sympathi sierenden Intellektuellen enthält: "Einer war ... das Mitglied des ZK der SED ... Kurt Barthel ... Er hatte ... in der Jüdischen Liberalen Jugendorganisation mitgewirkt ... Ein an derer ... wurde verprügelt von Berliner Arbeitern: der amerikanisch jüdische Schriftsteller Stefan Heym ... Stephan Hermlin, der eigentlich Rudolf Leder hieß und wie Heym der deutsch-jüdischen Bourgeoisie entstammte, traf der 17. Juni 1953 wie ein Donnerschlag." 114 Ohne erkennbaren inhaltlichen Bezug wird bei allen drei Personen die jüdische Abstammung hervorgehoben, während die religiöse Herkunft bei den anderen geschilderten Personen keine Erwähnung findet. In derartigen Fällen wird Kritik an einzelnen Personen jüdischer Ab stammung oder jüdischen Glaubens auf alle Juden verallgemeinert. Ein in dieser Hinsicht sehr deutliches und typisches Beispiel stellt ein Artikel in der "Deutschen Stimme" dar, in dem Bezüge des seinerzei tigen Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland Mi chel Friedman in das Drogenund Prostitutionsmilieu thematisiert werden. Dort heißt es: BERICHT 2003 92 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Dabei scheint Friedmann geradezu symptomatisch für den derzeiti gen Zustand einiger jüdischer Intellektueller zu sein. Nach außen ex trem moralinsauer und im Innersten sittlich verwahrlost. Der berufs auserwählte 'Mischu' ... enthüllt die moralische Negativauslese der jüdischen Spitzenorganisationen im speziellen und der BRDGesell schaft im allgemeinen." 115 Etliche Rechtsextremisten sahen in der öffentlichen Debatte um die antisemitische Klischees insinuierende Rede des Bundestagsabge ordneten Martin Hohmann eine Bestätigung ihrer verschwörungs ideologischen Vorbehalte. Aus Sicht des REP-Vorsitzenden Rolf SCHLIERER handelte es sich um eine inszenierte Medienkampagne zur Demontage eines konservativen Politikers mit der "Antisemitis muskeule". 116 In der vom DVU-Vorsitzenden Dr. Gerhard FREY her ausgegebenen NZ wurde behauptet, in Deutschland sei nur noch das "Wiederkäuen" politisch korrekter, von der herrschenden Politik und einer willfährigen Meinungsindustrie vorgegebener Meinun gen gestattet. 117 Der NPD-Bundesgeschäftsführer Frank SCHWERDT kommentierte, die Ereignisse um Hohmanns Rede hätten gezeigt, wer in "dieser Republik" das Sagen habe. Es sei unmöglich, gegen den Strom anzuschwimmen, der vom "jüdischen Zentralrat" bewegt werde. 118 Die antisemitische Agitation im gegenwärtigen Rechtsextremismus ist weder in Inhalt noch in Intensität eine neue Entwicklung. Wie bei früheren Gelegenheiten werden aktuelle tagespolitische Ereignisse zum Anlass genommen, um Aversionen gegen Juden zu artikulieren. Eine derartige Agitation zielt in erster Linie auf Personenkreise mit latent antisemitischen Einstellungen. Deren Anteil liegt unterschied lichen sozialwissenschaftlichen Studien zufolge innerhalb der Bevöl kerung dauerhaft bei bis zu 20 %119. Ob und in welcher Weise antisemi tische Agitation auf diese Personenkreise wirkt, wurde bisher noch nicht untersucht. Ein Kausalzusammenhang zwischen der Entwick lung antisemitischer Agitation, antisemitischer Einstellungspotenziale und antisemitisch motivierter Straftaten ist jedenfalls nicht belegbar. VIII. Internationale Verbindungen Deutsche Rechtsextremisten pflegen vielfältige Kontakte zu auslän dischen Gesinnungsgenossen. Zusammenkünfte in verschiedenen europäischen Ländern dienen der Festigung der internationalen Kontakte, dem Informationsaustausch und der Absprache gemeinsa mer Aktionen. In einigen Fällen fördern ausländische Organisatio nen insbesondere durch Versendung von Propagandamaterial die R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 93 Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts in Deutschland. Zunehmend treten auch ausländische Aktivisten als Redner bei rechtsextremistischen Veranstaltungen in Deutschland auf. 1. Internationale Veranstaltungen/ Ausländische Gastredner Nachfolgend sind beispielhaft einige Veranstaltungen mit interna tionaler Beteiligung aufgeführt: - Bei von Neonazis veranstalteten Demonstrationen zum 1. Mai in Halle und gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" am 20. September in Dortmund trat der Vorsit zende der rechtsextremistischen niederländischen Partei "Nederlandse Volksunie", Constantijn KUSTERS, als Redner auf. - Auf dem "1. Freiheitlichen Kongress des ",Deutsche StimmeVerlages'" am 30./31. Mai in der Nähe von Leipzig traten der Schweizer Rechtsextremist Bernhard SCHAUB und der öster reichische Revisionist Dr. Walter MARINOVIC als Gastredner auf. SCHAUB ist ehemaliges Mitglied der rechtsextremisti schen "Partei National Orientierter Schweizer" und verbrei tet in seinen zahlreichen Publikationen revisionistische The sen. MARINOVIC schreibt Artikel für die "National-Zeitung/ Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) (vgl. Kap. V, Nr. 2) und die "Deutsche Stimme" (vgl. Kap. V, Nr. 1). Auch bei einer Demonstration gegen die Ausstellung "Ver brechen der Wehrmacht" am 14. Juni in Schwäbisch-Hall trat SCHAUB in Erscheinung. - Beim Pressefest der "Deutschen Stimme" am 9. August in Meerane (Sachsen) hielt der ehemalige Vorsitzende der "Bri tish National Party" (BNP), John TYNDALL, eine vom ehema ligen NPD-Vorsitzenden Günter DECKERT übersetzte Rede über das deutsch-britische Verhältnis. Nach Angaben der NPD nahmen an der Veranstaltung Gäste aus den USA, Ka nada, Großbritannien, Schweden, Norwegen, Spanien, Ita lien, Irland, der Slowakei, Belgien und Frankreich teil. - An der zentralen Gedenkveranstaltung zum 16. Todestag von Rudolf Heß am 16. August in Wunsiedel (Bayern) nahmen ca. 2.600 Rechtsextremisten teil (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Damit wurden die Teilnehmer zahlen von 2001(900) und 2002 (2.500) er neut übertroffen. Mehr als 200 ausländiDemonstration am 17. August 2003 in sche Rechtsextremisten (2002: 60) waren Wunsiedel BERICHT 2003 94 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN aus Schweden, Italien, den Niederlanden, Österreich, der Schweiz, der Slowakei, England, Tschechien, Frankreich und Bulgarien angereist. Es zeichnet sich ab, dass die Veranstal tung gerade auch für ausländische Gesinnungsgenossen eine zunehmende Anziehungskraft entwickelt. - An dem von der rechtsextremistischen belgischen Organisa tion "Voorpost" organisierten "Internationalen Kamerad schaftsabend" am 24. August in Steenstrate (Belgien) nah men nur einige wenige Teilnehmer aus Deutschland teil. Bereits in den letzten Jahren hatte das Interesse stark nach gelassen. Erstmalig fand diese Veranstaltung nicht mehr im örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der so ge nannten "Ijzerbedevaart" statt, bei der patriotisch gesinnte Flamen alljährlich in Diksmuide der Gefallenen des Ersten Weltkriegs gedenken. - Am Rande der vom 20. bis 21. September in der Nähe von Klagenfurt (Österreich) veranstalteten traditionellen "Ulrichsberg-Gedenkfeier" zu Ehren der Gefallenen beider Weltkriege fanden sich ca. 80 Rechtsextremisten (2002: ca. 70) aus dem Inund Ausland ein, darunter ca. 40 deutsche Teilnehmer (2001/2002: etwa 10 bis 15). - An der "27. Gästewoche" des rechtsextremistischen "Freun deskreises Ulrich von Hutten e. V." und der rechtsextremisti schen "Deutschen Kulturgemeinschaft Österreich" vom 17. bis 22. Oktober in Rosenheim (Bayern) nahmen etwa 150 Personen (2002: etwa 165) aus Österreich und Deutschland teil. Zu den Vortragenden zählten unter anderem die öster reichischen Rechtsextremisten Herbert SCHWEIGER und Lisbeth GROLITSCH. - An den Gedenkveranstaltungen zu Ehren von Francisco Franco und Jose Antonio Primo de Rivera vom 22. bis 23. No vember in Madrid nahm auch eine kleine Delegation der NPD teil. - Am 6. Dezember fand in Salem bei Stockholm der "DanielWretström-Marsch" unter internationaler Beteiligung statt. Unter den 1.500 Teilnehmern befanden sich auch ca. 200 deutsche Rechtsextremisten. Diese Veranstaltung, mit der die rechtsextremistische Szene des Todes eines 17-jährigen Skinheads gedenkt, hatte bereits im Jahr 2002 etwa 1.600 Teilnehmer aus dem Inund Ausland angezogen. 2. "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/ Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) Die 1972 von dem amerikanischen Staatsbürger Gary LAUCK gegrün dete und in Lincoln (Nebraska) ansässige NSDAP/AO beliefert welt R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 95 weit Neonazi-Zirkel mit Propagandamit teln aller Art. Während früher der Schwerpunkt auf der Verbreitung ge druckter Publikationen lag, mit denen er zur Bildung von Zellen aufrief, die unab hängig voneinander einen propagandis tischen, gegebenenfalls auch bewaffne ten Kampf zur Errichtung eines nationalsozialistischen Systems führen sollten, hat LAUCK heute seine Tätigkeit hauptsächlich ins Internet verlagert. Auf seiner Ho mepage bietet er in 21Sprachen eine Vielzahl antisemitischer Schrif ten und rechtsextremistischer Devotionalien an. Ausländischen - da runter auch deutschen - Rechtsextremisten stellt er gegen Bezahlung Speicherplatz auf seinem Server zur Verfügung. Dabei sichert er ih nen die Wahrung ihrer Anonymität zu, damit sie unbehelligt von den Strafverfolgungsbehörden ihrer Heimatländer strafbare zumeist volksverhetzende Inhalte auf ihren Homepages präsentieren kön nen. Die Print-Ausgabe der deutschsprachigen NSDAP/AO-Publikation "NS Kampfruf" erschien 2003 im vierteljährlichen Rhythmus. LAUCKs ideologische Einstellung spiegelt sich in jeder Ausgabe wi der. So werden zum Beispiel in einer als "Lexikon" bezeichneten Rub rik die dem nationalsozialistischen Sprachgebrauch entstammenden Begriffe "Biologischer Humanismus" und "Endlösung" erläutert. Deutsche Neonazis stehen dem von LAUCK betriebenen Hitlerkult in zwischen überwiegend reserviert gegenüber. 3. "Combat 18" (C18) Die Bezeichnung "Combat 18" 120 steht für viele Angehörige der deutschen rechtsextre mistischen Szene auch heute noch als Syno nym für einen militanten Aktivismus (vgl. Kap. III, Nr. 2). Die Organisation "Combat 18" (C18) wurde 1992 als kämpferischer Zweig und Ordnungstruppe der "British National Party" (BNP) ge gründet. Sie spaltete sich jedoch schon 1993 wieder von der BNP ab, weil die Mutterpartei die Missachtung ihrer Führungsautorität und die gewaltsamen Aktionen der Gruppierung nicht länger tolerieren wollte. Danach entwickelte sich C18 immer mehr zu einer Schläger truppe, die im Großraum London politische Gegner terrorisierte. Im Jahr 2002 gründete sich mit der "Racial Volunteer Force" (RVF) eine neue Abspaltung von C18, weil einige Mitglieder die Inaktivität der Organisation und die damit verbundenen Einnahmeverluste nicht länger hinnehmen wollten. Die RVF propagierte im Internet BERICHT 2003 96 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN und in ihrem Fanzine "Stormer" den Rassenkampf und Konzepte wie den "führerlosen Widerstand" (vgl. Kap. III, Nr. 2). Damit versucht sie in erster Linie, sich ein gewisses Renommee in der Szene zu verschaf fen, um den Verkauf von Szene-Artikeln aller Art zu fördern. Nach großangelegten polizeilichen Exekutivmaßnahmen im Frühjahr 2003 scheint die RVF in Großbritannien zerschlagen zu sein. C18 und die RVF zehrten im Wesentlichen von ihrem gewalttätigen Image, traten aber in der britischen Öffentlichkeit kaum noch in Er scheinung. Aktivitäten zur Umsetzung eines terroristischen Kon zepts oder auch nur zur Beschaffung von Waffen gab es nicht. In Deutschland bedienen sich Einzelpersonen oder kleinere Gruppie rungen des Namens C18 oder der RVF oder berufen sich darauf. Dies nicht zuletzt, um nach außen hin den Eindruck einer gewissen Ge fährlichkeit und Entschlossenheit zu vermitteln (vgl. auch Kap. III, Nr. 2). 4. Aktivitäten internationaler Holocaust-Leugner Eines der wichtigsten thematischen Agitationsfelder von Rechtsex tremisten im Ausland mit Bezug auf Deutschland blieb nach wie vor die geschichtsrevisionistische Leugnung des Holocaust. 121 Da solche Aussagen in Deutschland unter Strafe (SSSS 130, 185, 189 des Strafge setzbuches) stehen, verlagerten mehrere Revisionisten nach einigen Verurteilungen in den 90er Jahren ihre Aktivitäten ins Ausland. Aus Ländern, in denen die Leugnung des Holocaust nicht mit Strafe be droht ist, verbreiten sie einschlägige Bücher, Broschüren und Propa gandamaterialien in die Bundesrepublik. Viele dieser Revisionisten haben aber mittlerweile auch im Ausland ihre Arbeit eingestellt. Auch der lange Zeit von Kanada aus aktive deutsche Holocaust-Leugner Ernst ZÜNDEL konnte seine geschichtsrevisionistischen Propa gandaaktivitäten nicht mehr in früherem Ausmaß fortsetzen. Nach seiner Übersiedlung von Kanada in die USA Ende 2000, wurde er am 5. Februar von Beamten der US-Einwanderungsbehörde in Knoxville/ Tennessee festgenommen und am 19. Februar nach Kanada abge schoben. ZÜNDEL stellte dort einen Antrag auf Asylgewährung. Bis zur Klärung seines rechtlichen Status' wurde er von den kanadischen Behörden in Haft genommen. Gesinnungsfreunde verbreiten weiter seinen "Germania-Rundbrief", in dem sich ZÜNDEL aber primär über seine Situation im Gefängnis beklagt. Lediglich der nach einer 1995 erfolgten Verurteilung zu einer Ge fängnisstrafe wegen Volksverhetzung ins Ausland geflohene Holocaust-Leugner Germar RUDOLF setzte seine Aktivitäten in bisheri gem Maße fort. Über seinen in Großbritannien ansässigen Verlag R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 97 "Castle Hill Publishers" veröffentlichte er neben der Zeitschrift "Vier teljahreshefte für freie Geschichtsforschung" auch verschiedene Bücher, wie die Ende 2002 erschienene Schrift "Treblinka. Vernich tungslager oder Durchgangslager?" des Schweizers Jürgen GRAF und des Italieners Carlo MATTOGNO. Seit Anfang 2003 gibt der zwi schenzeitlich in den USA lebende RUDOLF auch die englischspra chige Zeitschrift "The Revisionist" heraus, mit der er seine Stellung in der internationalen revisionistischen Szene stärken will. Allgemein ist ein Bedeutungsverlust und Rückgang der HolocaustLeugnung durch Rechtsextremisten zu erkennen. Bereits 2002 hatte der bekannteste französische Revisionist Robert FAURISSON eine Krise konstatiert, herrsche doch bei den Revisionisten Orientierungs losigkeit vor, da den",Holocaust'-Historikern" in ermüdender Weise ständig nur die eigenen Argumente gegenübergestellt würden und diese sich dabei wie "Don Quixote" oder "Sisyphus" fühlten. 122 Über diesen Bedeutungsverlust können auch nicht die in Deutschland durchgeführten Aktivitäten des neu gegründeten "Vereins zur Reha bilitierung der wegen Bestreitens des Holocausts Verfolgten" (vgl. Kap. VII) hinweg täuschen. Dessen Initiator Horst MAHLER geht es primär um das Erwecken von öffentlicher Aufmerksamkeit für seine eigene Person. IX. Agitationsund Kommunikationsmedien 1. Periodische Publikationen Die Zahl der periodischen rechtsextremistischen Publikationen ist auf 102 (2002: 109) zurückgegangen. Diese hatten eine Gesamtauf lage von rund 4,4 Millionen (2002: rund 4,7Millionen). 50 (2002: 44) Publikationen erschienen mindestens viermal im Jahr. 2. Organisationsunabhängige Verlage und Vertriebsdienste Neben den an Parteien und Organisationen gebundenen Verlagen und Vertriebsdiensten bestehen im rechtsextremistischen Lager 38 (2002: 42) eigenständige und organisationsunabhängige Unterneh men dieser Art. Durch die Herstellung und den Vertrieb von Büchern und Zeitschriften, aber auch von Tonträgern und Videos wollen sie zur Verbreitung ihrer politischen Auffassungen beitragen. Die Veröf fentlichungen dienen zur Propagierung eigener Ideologieelemente und Wertvorstellungen, zur revisionistischen Verharmlosung des "Dritten Reiches" oder zur Diffamierung demokratischer Institutio nen und Prinzipien. Verstärkt wurden in den letzten Jahren auch Ka lender, Kleidung, Poster und Schmuck in die Vertriebsprogramme BERICHT 2003 98 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN aufgenommen. Derartige Angebote erklären sich zum einen mit den finanziellen Interessen der jeweiligen Unternehmen, zum anderen durch das gestiegene Bedürfnis nach symbolischer Integration ins rechtsextremistische Lager. Alltagsgegenstände mit einschlägigen Bekenntnissen stellen hierbei Bestandteile einer angestrebten "Ge genkultur" dar und sollen die politische Identität der jeweiligen Nut zer zum Ausdruck bringen. Die rechtsextremistischen Verlage und Vertriebsdienste sind von un terschiedlicher Bedeutung: Neben wenigen größeren Verlagen mit einem breiten Angebot existiert eine Vielzahl von Kleinunterneh men. Hinzu kommen reine Vertriebsdienste, die lediglich Produkte anderer Verlage zum Kauf anbieten. Zwar konkurrieren die meisten Unternehmen um die gleiche Kundengruppe, gleichwohl besteht eine Kooperation bei der Produktwerbung. Um ihr Angebot zu er weitern, legen viele Verlage und Vertriebsdienste ihren Sendungen Prospektmaterial anderer rechtsextremistischer Unternehmen bei. Bestellungen sollen dann aber jeweils über den eigenen Vertriebs dienst erfolgen. Zu den größeren Verlagen gehören der "Arndt-Verlag" in Kiel, der "Grabert-Verlag" in Tübingen, der "Nation Europa-Verlag" in Coburg und die "Verlagsgesellschaft Berg mbH" in Inning am Ammersee. Diese bereits seit Jahrzehnten bestehenden Unternehmen verfügen innerhalb des rechtsextremistischen Lagers über einen hohen Be kanntheitsgrad und einen festen Kundenstamm. Ihre Produkte wer den durch Anzeigen und Rezensionen in rechtsextremistischen Pu blikationsorganen empfohlen. "Arndt-Verlag" Zum traditionellen Programm des von Dietmar MUNIER geleiteten "Arndt-Verlags" zählen die kulturkritischen Bücher des verstorbenen Autors Gustav Sichelschmidt, in denen der allgemeine Untergang der Gesellschaft behauptet wird, und die revisionistischen Werke des verstorbenen Publizisten Bolko von Richthofen, in denen die Haupt schuld des Hitler-Regimes am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ab gestritten wird. Auch Bücher des britischen Holocaust-Leugners Da vid IRVING über das Leben von Joseph Goebbels, die so genannten Geheimwaffen des Dritten Reiches oder den Nachrichtendienst von Hermann Göring gehören zum Verlagsprogramm. Die Bedeutung derartiger Eigenprodukte ging in den letzten Jahren allerdings zurück. Gleichwohl erschienen weiterhin Bücher mit einer unkriti schen Sicht auf den NS-Staat, wofür insbesondere großformatige Bildbände der Reihe "Zeitgeschichte in Farbe" mit Titeln wie "Die großen Militärparaden des Dritten Reiches", "Führerhauptquartier Wolfschanze", "Hitlers Neue Reichskanzlei" oder "Reichsautobah nen" stehen. Nach dem Motto "Lasst Bilder sprechen" soll den Be R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 99 trachtern und Lesern mit großen Fotos die angeblich imposante und schöne Seite des Hitler-Regimes vermittelt werden. 123 Eine herausra gende Buchveröffentlichung konnte der "Arndt-Verlag" jedoch nicht mehr auf den Markt bringen. Dies gilt auch für den zum Unterneh menskomplex gehörenden "Bonus-Verlag", den "Orion-HeimreiterVerlag" und den "Pour le Merite-Verlag", bei denen auch nicht rechtsextremistische Autoren veröffentlichen. Mit dem "Lesen & Schenken"-Jahreskatalog bieten der "Arndt-Buchdienst" und die "Europa-Buchhandlung" neben Büchern, Tonträgern und Videos auch Bilder mit unterschiedlichen Germanenmotiven, Kalender mit Fotos aus der Zeit des Dritten Reiches, Skulpturennachbildungen von Bild hauern der NS-Zeit sowie Videos mit Spielfilmen aus den 30er und 40er Jahren an. Der von Wigbert GRABERT geleitete "Grabert-Verlag" veröffentlichte "Grabert-Verlag" in der Vergangenheit insbesondere revisionistische Titel, etwa zur Leugnung der Schuld des NS-Staates am Ausbruch des Zweiten Welt kriegs. Er konzentrierte sich 2003 in seinem Buchprogramm aber stärker auf aktuelle Themen. In dem Verlag und dem Schwesterun ternehmen "Hohenrain-Verlag" erschien etwa das Buch "Der An griff" des Publizisten Claus NORDBRUCH, der darin angebliche und tatsächliche Verfehlun gen in Gesellschaft und Staat kritisiert. Daraus leitet er die Forderung nach einer Überwin dung des politischen Systems und dessen Erset zung durch eine als "Deutsches Reich" zu be zeichnende Alternative ab. 124 Ebenfalls einen aktuellen Bezug hat das von dem Stammautor der zwischenzeitlich eingestellten rechtsextre mistischen Zeitschrift "Staatsbriefe", Gerhoch REISEGGER, verfasste Buch "Wir werden schamlos irregeführt", in dem die offizielle Darstellung der Terroran schläge vom 11. September 2001als Ergebnis eines absichtsvollen und geplanten Betrugs bezeichnet wird. 125 Außer derartigen Büchern veröffentlicht der "Grabert-Verlag" das zweimonatlich erscheinende Informationsblatt "Euro-Kurier" mit Kurzkommentaren und Verlags mitteilungen sowie vierteljährlich die Zeitschrift "Deutschland in Geschichte und Gegenwart", die bereits im 51. Jahr erscheint. Die ur sprünglich überwiegend revisionistisch ausgerichtete Publikation griff zunehmend auch Fragen des politischen und strategischen Selbstverständnisses oder aktuelle tagespolitische Themen mit ent sprechender ideologischer Ausrichtung auf. Das Redaktionsmitglied Karl RICHTER sah etwa in der Demokratie mit ihrer Parteienherr schaft den Drehund Angelpunkt der gegenwärtigen Misere und trat für ein Bündnis mit nichtdeutschen Fundamentalisten und Nationa listen gegen die USA ein. 126 BERICHT 2003 100 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Nation Dem "Nation Europa-Verlag" kommt seine Bedeutung im rechtsEuropa-Verlag" extremistischen Verlagswesen nicht wegen seiner eigenen Bücher veröffentlichungen, sondern aufgrund der von ihm herausgegebe nen Zeitschrift "Nation & Europa. Deutsche Monatshefte" zu. Die mittlerweile im 53. Jahr gang und nach Eigenangaben in einer Auflage von rund 20.000 Ex emplaren erscheinende Abonnementzeitschrift verfügt über eine gewachsene Leserschaft und findet große Aufmerksamkeit im rechtsextremistischen Lager. Die jeweiligen Ausgaben enthalten so wohl Grundsatzbeiträge zum aktuellen Tagesgeschehen als auch Überlegungen zu strategischen und theoretischen Fragen. So veröf fentlichte der hier ebenfalls in der Redaktion tätige Karl RICHTER ei nen Beitrag zum Irak-Krieg, in dem er die deutsche Friedensbewe gung aufgrund ihrer immer gleichen hilflosen Mischung aus Empörung und Weinerlichkeit kritisiert und eine multipolare Welt ordnung auf der Grundlage souveräner Völker einfordert. Einen der artigen Entwurf zur Ordnung der Welt "nach kontinentalen Großräumen" habe 1944/45 schon eine Planungsstelle im SS-Hauptamt entwickelt. 127 Im laufenden Jahrgang fanden sich darüber hi naus in zahlreichen Artikeln und Kommentaren latent antisemit ische Aussagen, die insbesondere ein verschwörerisches Wirken israelischer oder jüdischer Kräfte hinter bestimmten Ereignissen sug gerierten. So wiesen Beiträge über die russische Oktoberrevolution von 1917und den Aufstand vom 17. Juni 1953 in der DDR ohne erkenn baren inhaltlichen Bezug immer wieder auf die jüdische Abstam mung von negativ beschriebenen kommunistischen Politikern hin. Außerdem wurde auf das angebliche Wirken des israelischen Ge heimdienstes Mossad bei den Terroranschlägen vom 11. September 2001und im Zusammenhang mit dem Tod des FDP-Politikers Jürgen W. Möllemann angespielt. Der ehemalige Bundesvorsitzende der Partei "Die Republikaner" (REP) Franz SCHÖNHUBER verfügt in "Nation & Europa" mit der Rub rik "Aus meiner Sicht" über eine eigene Kolumne. Darin äußerte er sich auch zu strategischen Fragen und rief etwa zur Überwindung des "Lagerdenkens" auf. Die Welt könne nicht mehr in links und rechts, sondern nur noch in oben und unten eingeteilt werden. Inso fern müsste sich das eigene politische Lager mit allen ebenfalls "un ten" angesiedelten Strömungen verbünden, da sie sich als Gegner der USA doch auf derselben Seite fänden. Patrioten müssten nicht nur "rechts" stehen, sie gebe es sogar in der PDS. 128 Sieht man von ver einzelten rechtsextremistischen Teilnehmern an Demonstrationen gegen den Irak-Krieg ab, so wurden derartige Bündnisangebote an die politische "Linke" von dieser in der Regel allerdings abgelehnt. SCHÖNHUBER nutzt seine Kolumne darüber hinaus immer wieder R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 101 zu revisionistischen Aussagen. So meinte er etwa, dass sich Hitler nicht in den Krieg hätte treiben lassen dürfen. 129 Diese oberflächlich betrachtet kritische Äußerung gegenüber dem NS-Diktator sugge riert, dass nicht er zum Krieg gedrängt habe, sondern von anderen Mächten zu aggressiven militärischen Handlungen verlockt worden sei. Bei der von Dr. Gert SUDHOLT geleiteten "Verlagsgesellschaft Berg" "Verlagsgesell handelt es sich um den Zusammenschluss der früher eigenständigen schaft Berg" Verlage "Druffel", "Türmer" und "Vowinckel", deren Namen bei der Veröffentlichung von Büchern gelegentlich noch Verwendung fin den. In den letzten Jahren ging das insbesondere aus militärhistori schen und revisionistischen Titeln bestehende Programm an Neu erscheinungen kontinuierlich zurück, so dass von einer Krise des Unternehmens gesprochen werden kann. Neu erschienen lediglich Bücher über die Zeit des Dritten Reiches und des Zweiten Weltkriegs, etwa über das Horoskop von Adolf Hitler, die Schutzstaffel der NSDAP oder den Weg eines deutschen U-Bootes. Ein inhaltlicher Impuls für das rechtsextremistische Lager kann von einer solchen vergangen heitsfixierten Produktion nicht ausgehen. Dies gilt auch für die zwei monatlich erscheinende Zeitschrift "Deutsche Geschichte. Europa und die Welt", für die mit folgendem Text geworben wird: "Sieger, Umerzieher und etablierte Historiker haben den Deutschen seit über einem halben Jahrhundert ihre Geschichte gestohlen und daraus ein Verbrecheralbum gemacht. Wir geben deutsche Geschichte jetzt zurück." Der revisionistische Schwerpunkt der Verlagsgesellschaft korrespondiert mit den von SUDHOLT durchgeführten Wochenend seminaren "Erlebnis Geschichte". Dort treten regelmäßig bekannte rechtsextremistische Autoren als Referenten auf, die die deutsche Hauptschuld am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs leugnen. Ledig lich in dem Jahrbuch "Deutsche Annalen" finden sich Grundsatz beiträge zur aktuellen und theoretischen Standortbestimmung des eigenen politischen Lagers. Neben anderen Rechtsextremisten trat SUDHOLT vom 4. bis 6. April "Gesellschaft für auf dem in Bayreuth veranstalteten "Deutschen Kongress" der 1960 freie Publizistik" gegründeten "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GFP) als Redner auf. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Freiheit bewahren - das Volk erhalten". Die GFP, die vorgibt, sich für die Freiheit und Wahr heit des Wortes einzusetzen, ist mit ca. 500 Mitgliedern die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Ver leger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an. Vorsitzender ist seit Mai 1992 der frühere "Chefideologe" der NPD, Dr. Rolf KOSIEK. Die zahlreichen kleinen Unternehmen haben sich auf besondere An gebote spezialisiert. So veröffentlicht etwa der "Verlag für ganzheitliBERICHT 2003 102 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN che Forschung" aus Viöl/Nordfriesland - unter Hinweis auf doku mentarische oder wissenschaftliche Zwecke - Nachdrucke von ur sprünglich in den 20er bis 40er Jahren erschienenen völkischen Schriften. Tatsächlich geht es dem durch eigene Veröffentlichungen als Rechtsextremisten bekannten Verleger Roland BOHLINGER aber darum, mit solchen Schriften für die darin enthaltenen Inhalte poli tisch zu werben. Gleiches gilt für den von der Tochter des nationalisti schen Schriftstellers Hans Grimm (1875-1959), Holle GRIMM, geleite ten "Klosterhaus-Verlag" in Wahlsburg-Lippoldsberg. Sie veröffentlicht dort insbesondere das Werk ihres Vaters, der in der Weimarer Repub lik durch kolonialistische und nach 1945 durch revisionistische Ver öffentlichungen bekannt wurde. Darüber hinaus vertreibt das Unter nehmen über einen ihm angeschlossenen Buchdienst Veröffent lichungen aus anderen rechtsextremistischen Verlagen. Mitunter gründen Rechtsextremisten auch neue Unternehmen, um so - poli tisch weniger belastet - bestimmte Veröffentlichungen über den Buchmarkt zu verbreiten. Ein Beispiel dafür stellt das von dem deutsch-französischen Publizisten und Leiter des "Thule-Seminars" Pierre KREBSins Leben gerufene Unternehmen "editio de facto" in Kassel dar. Dort erschienen die deutschen Übersetzungen zweier Bücher des französischen Publizisten Thierry MEYSSAN mit den Titeln "11. September 2001. Der inszenierte Terrorismus - Auftakt zum Wel tenbrand?" und "Pentagate. Fotound Fragenkatalog zu einer Insze nierung". Darin wird behauptet, dass die im Titel angesprochenen Anschläge tatsächlich aus dem amerikanischen Staatsapparat heraus geplant und durchgeführt worden seien. Derartige verschwörungs ideologische Deutungen finden sich in zahlreichen extremistischen Veröffentlichungen. 3. Internet 3.1 Kommunikationsmedium für Rechtsextremisten Der Bereich des "World Wide Web" (WWW) hat sich seit langem zu einer Plattform entwickelt, über die sich Rechtsextremisten - mit vergleichsweise wenig Aufwand und viel Effekt - einer breiten Öf fentlichkeit darstellen. Hinsichtlich ihrer Wirkung, insbesondere auf Jugendliche, dürfte die volksverhetzende Propaganda im Internet die der herkömmlich in der rechtsextremistischen Szene verwende ten Medien wie Flugblätter, Zeitschriften und Briefsendungen bei weitem in den Schatten stellen. Zahl der Home Die Zahl der von Deutschen betriebenen rechtsextremistischen Ho pages auf konstant mepages ist 2003 geringfügig auf ca. 950 (2002: 1.000, 2001: 1.300) hohem Niveau zurückgegangen. Ursache hierfür dürfte vor allem das Ausweichen der Homepagebetreiber in andere Internet-Bereiche (E-Mail- R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 103 Kommunikation und Diskussionsforen) sein. Durch Exekutivmaß nahmen gegen Betreiber strafrechtlich relevanter Homepages oder Sperrungen rechtsextremistischer Seiten durch die Service-Provider waren sie verunsichert worden. Eine der aktivsten deutschen Internetseiten war das "StörtebekerNetz". Es will nach eigenen Angaben der "außerparlamentarischen nationalen Opposition" eine Internet-Basis bieten, um nicht auf die "gleichgeschalteten Staatsmedien" angewiesen zu sein. Auf der Seite wurden fast täglich neue Beiträge zu Geschehnissen in der gesamten rechtsextremistischen Szene sowie zu allgemeinen politischen The men eingestellt. Letztere wurden häufig mit antisemitischen Bemer kungen kommentiert. In letzter Zeit bemühten sich Betrei Bemühungen ber rechtsextremistischer Home um optische und pages verstärkt darum, die optische, inhaltliche Verbesserungen technische und inhaltliche Gestal tung ihrer Homepages zu verbes sern. Die Einbindung von multime dialen Elementen, Grafiken sowie Tonund Videosequenzen soll dazu beitragen, die Attraktivität des Internet-Angebots vor allem für Jugendliche weiter zu steigern. Der Anteil der deutschen Homepages mit strafbaren Inhalten war Strafbare Inhalte weiter rückläufig. Etwa 10 %bis 15 %der von Deutschen betriebenen anonym über rechtsextremistischen Homepages weisen nach deutschem Recht die USA strafbare Inhalte auf. Der Rückgang dürfte auch auf den erhöhten Druck deutscher Strafverfolgungsbehörden zurückzuführen sein. Die Mehrzahl dieser Internet-Seiten wird anonym über das Ausland, vornehmlich über die USA, ins Netz gestellt. Rechtsextremisten nut zen dabei die Tatsache, dass die dort geltenden Gesetze die Verbrei tung derartiger Inhalte weitestgehend zulassen. Inzwischen gehen jedoch kommerzielle US-amerikanische Provider dazu über, im Ein zelfall rechtsextremistische Internet-Angebote zu sperren. Als recht liche Grundlage hierfür dient ein in den meisten Geschäftsbedingun gen enthaltenes Verbot von Hasspropaganda ("hate speech"). Rechtsextremisten versuchten auch mit Hilfe anderer InternetNutzung aller Dienste ihre Weltanschauung zu verbreiten und aktiv auf die politi Internet-Dienste sche Willensbildung Einfluss zu nehmen. So gewann der Einsatz von E-Mail-Kommunikation an Bedeutung. Rechtsextremisti Dabei tauschen nicht nur einzelne Nutzer Daten aus, vielmehr wer sche Mailinglisten den diese auch via Mailinglisten und Newsletter, also mittels auto matisierter Rundbriefe weiterverbreitet. Zeitgleich werden dabei an einen größeren Adressatenkreis beispielsweise Termine und Mobili BERICHT 2003 104 R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN sierungsaufrufe versandt. Der Empfängerkreis ist unterschiedlich groß, zum Teil erhalten nur szenebekannte Personen mittels Pass wort Zugang zu den Informationen. Rechtsextremisten konfrontierten aber auch zunehmend unbetei ligte Bürger via E-Mail mit ihrer Propaganda. So versandten Unbe kannte im Januar in großer Anzahl Spam-Mails 130 unter verschiede nen - offensichtlich gefälschten - Absenderkennungen wie z. B. "regierungua325@bund.de", "ns@antifa.de" oder "InternetPostue634@bundesregierung.de". Die Mails bewarben eine für den 25. Januar in Lübeck von Rechtsextremisten geplante Demonstration unter dem Motto "Arbeitsplätze für Lübeck" und nannten Bezugs quellen für weitergehende Informationen. Gewaltaufruf In einer anonymen E-Mail rief ein Rechtsextremist Mitte September per E-Mail zahlreiche Kameraden dazu auf, durch Gewalttaten gegen Auslän der einen Bürgerkrieg zu provozieren und dadurch einen Systemum sturz herbeizuführen. Die Adresse, unter der die E-Mail abgesandt worden war, hatte er zuvor bei einem Freemail-Provider unter der Angabe fiktiver Daten eingerichtet. Das Versenden von E-Mails - teilweise auch mit strafbaren Inhalten - über eigens dazu eingerichtete anonyme E-Mail-Accounts ist attrak tiv, weil die Gefahr der Strafverfolgung geringer ist als bei der Errich tung einer Homepage. Diskussionsforen Auch Diskussionsforen erfreuten sich innerhalb der rechtsextremisti im Aufwind schen Internet-Gemeinschaft einer großen Beliebtheit. Zum Teil sind in diesen Foren mehrere hundert Teilnehmer zusam mengeschlossen. Sie stellen mehr als nur einen Er satz für Homepages dar. Das interaktive Miteinander führt zu regen Diskussionen sowie zum Austausch von Szeneinformationen, rechtsextremistischer Mu sik und Computerspielen. Zur Verbreitung einschlägiger Musik-, Textund Videodateien nutz ten Rechtsextremisten auch sogenannte File-Sharing Services. 131 In dizierte Filme wie z. B. "Der ewige Jude" sowie zahlreiche verbotene Musiktitel rechtsextremistischer Szenebands stehen dort zum Down load zur Verfügung. 3.2 Rechtsextremistische Parteien im Internet NPD im Internet Ende 2003 wurden wie im Vorjahr rund 80 aktive NPDund JN-Homepages festgestellt. Neben dem NPD-Bundesverband sind auch zahlreiche NPD-Landesund Kreisverbände sowie Gliederungen der R ECH T SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 105 JN im Internet vertreten. Angeboten werden Berichte und Kommen tare zu aktuellen Ereignissen, Demonstrationsaufrufe, Pressemittei lungen, programmatische Aussagen sowie sonstige Informationen über die Parteiverbände. Die Seiten werden jedoch überwiegend nur sporadisch aktualisiert. Auch die DVU nutzt das Internet zur Selbstdarstellung und Agitation. DVU im Internet Sie besitzt bereits seit 1997eine Domain. Verantwortlich für die Ho mepage ist die Münchener DVU-Zentrale. Die früher aufwendig mit Videosequenzen bestückte Seite ist inzwischen wieder einfacher strukturiert. Sie enthält grundsätzliche Hinweise zu Parteiprogramm und Tagesthemen, weist auf geplante Stammtische/Veranstaltungen hin und nennt DVU-Kontaktanschriften. Neben den parteibezoge nen Inhalten führen Links zur Homepage der "DSZ - Druckschriften und Zeitungsverlag GmbH" (DSZ-Verlag; vgl. Kap. V, Nr. 2) und 74 Ho mepages verschiedener DVU-Landesverbände. Die Zahl der REP-Homepages ging im Jahr 2003 zurück. Insgesamt REP im Internet wurden ca. 120 (2002: über 140) Websites, darunter die des REP-Bundesverbandes, von Landes-, Kreisund Ortsverbänden, von Vertre tern in Kommunalund Kreisparlamenten sowie von Funktionsträ gern der Partei festgestellt. Die Homepage des Bundesverbandes, der einen eigenen Server betreibt, enthält u. a. aktuelle Nachrichten, Presseerklärungen, die Internetausgabe des Parteiorgans "Der Repu blikaner" sowie das Parteiprogramm. 4. Parteiunabhängige rechtsextremistische Info-Telefone Die Bedeutung der parteiunabhängigen rechtsextremistischen Inforückläufige Telefone für die Szene hat weiter abgenommen. Lediglich für Szene Bedeutung angehörige, die noch nicht über einen Zugang zum Internet verfü gen, stellen sie auch heute noch ein wichtiges Informationsmittel dar. Ende 2003 waren noch 4 (2002: 8) Info-Telefone regelmäßig ak tiv. BERICHT 2003 106 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 108 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN I. Überblick Entwicklungen im Linksextremismus Linksextremisten bekämpfen die bestehende freiheitlich verfasste Staatsund Gesellschaftsordnung, die sie als von Rassismus und Fa schismus geprägten Kapitalismus/Imperialismus diffamieren. An deren Stelle wollen sie eine totalitäre sozialistisch/kommunistische Gesellschaft oder eine aus ihrer Sicht "herrschaftsfreie Gesellschaft" - eine Anarchie - etablieren und lassen sich dazu in ihrem politischen Handeln von revolutionär-marxistischen oder anarchisti schen Ideologien leiten. Die Aktionsformen von Linksextremisten sind vielfältig. Für die ei nen umfassen sie öffentliche Kundgebungen, offene Agitation (mit Flugblättern, Plakataufrufen, periodischen Schriften, elektroni schen Kommunikationsmedien) ebenso wie die Beteiligung an Wahlen und Versuche der verdeckten Einflussnahme in gesell schaftlichen Gremien. Für andere sind auch Gesetzesverletzungen einschließlich offen oder verdeckt begangener Gewalttaten (wie Sachbeschädigungen, militante Zusammenrottungen und Körper verletzungen) ein Weg zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele. So beeinträchtigten militante Linksextremisten, insbesondere aus der anarchistisch orientierten autonomen Szene, die innere Sicher heit Deutschlands. Die Zahl der Gewalttaten mit linksextremisti scher Motivation ist gegenüber dem Jahr 2002 um über 25 %ange stiegen; bemerkenswert ist die hohe Zahl von 192 (2002: 152) Körperverletzungen. Einzelne militante Gruppierungen überschritten erneut mit ihren Anschlägen die Grenze zu terroristischem Handeln. Jedoch blieben die Bereitschaft und Fähigkeit insbesondere gewaltbereiter Linksex tremisten, zu aktuellen Konfliktthemen zu mobilisieren und das Bild von Protesten zu prägen, relativ schwach ausgeprägt: Es fehlt ein Mindestmaß an Organisation und systematischer Arbeit. Die Rekru tierung neuer Anhänger bei starker Fluktuation ist offenbar unzu reichend. Demokratische Kräfte dominieren die traditionell von Linksextremisten beanspruchten Aktionsfelder wie den "Antifa schismus". Schließlich verhinderte eine erfolgreiche Polizeistrategie und -taktik z. T. schon im Ansatz bestimmte Aktivitäten gewaltberei ter Linksextremisten. Im Aktionsfeld "Antirassismus" beeinträchtig ten auch im Jahr 2003 Auseinandersetzungen zwischen autonomen "antirassistischen" Gruppen sowie Zusammenschlüssen von Migran ten die Aktivitäten nachhaltig. Einzelne trotzkistische Strömungen konnten sich in erheblichem L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 109 Umfang in gesellschaftliche Protestkampagnen und typische Hand lungsfelder von Linksextremisten einbringen. Sie wirkten in der "An tikriegsbewegung" und im Rahmen der "Antiglobalisierungsbewe gung" mitunter bestimmend mit. Der bereits für das Jahr 2002 im Rahmen der Kampagne gegen Kern energie festgestellte Trend abnehmender Störeraktivitäten setzte sich beim CASTOR-Transport aus Frankreich in das Brennelemente zwischenlager Gorleben (Niedersachsen) im November 2003 fort. Die Protestaktionen führten zu keinen wesentlichen Beeinträchti gungen. Insgesamt hat die Anti-Atom-Bewegung weiter an Mobili sierungskraft verloren. Unter dem Aspekt einer möglichen Beeinträchtigung der freiheitli chen demokratischen Grundordnung waren die Auseinanderset zungen in der "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) zu ei nem neuen Parteiprogramm von besonderer Relevanz. Dieses wurde im Oktober 2003 beschlossen. Danach verfolgt die PDSwei terhin das Ziel, eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaft - nämlich des Kapitalismus - hinausweisende sozialistische Ordnung zu errichten und auf diesem Weg die aus ihrer Sicht Unfreiheit und Ausbeutung verursachenden Machtund Eigentumsverhält nisse zu überwinden. Die PDSakzeptiert nach wie vor offen extremi stische Kräfte in ihrer Partei und arbeitet mit sonstigen inund aus ländischen Extremisten zusammen. II. Übersicht in Zahlen 1. Organisationen und Personenpotenzial Struktur und Erscheinungsbild im Bereich des organisierten Links Leichter Anstieg extremismus haben sich im Jahr 2003 gegenüber dem Vorjahr nur des linksextremis geringfügig verändert; das Gesamtpotenzial weist insgesamt einen tischen Personen potenzials leichten Anstieg auf. Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften waren Ende 2003 etwa 31.300 Personen (2002: 31.100) Organisationen und sonstigen Perso nenzusammenschlüssen zuzurechnen, bei denen zumindest An haltspunkte für linksextremistische Bestrebungen feststellbar sind. Darin enthalten sind auch die Anhänger der "Kommunistischen Plattform der PDS" (KPF), deren Zahl auf bis zu 1.500 zu schätzen ist. Die PDShatte nach eigenen Angaben Ende 2002 etwa 71.000 Mitglie der (Ende 2001: 78.000). Das Spektrum der gewaltbereiten Linksextremisten in überwiegend anarchistisch orientierten Gruppierungen umfasste Ende 2003 rund 5.400 Personen (2002: 5.500), darunter wie im Vorjahr bis zu 5.000 BERICHT 2003 110 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Personen, die sich selbst als Autonome bezeichnen. Bei marxistisch-leninistischen, trotzkistischen und sonstigen revolutionär-marxistischen Zusammenschlüssen stieg die Mitgliederzahl mit insgesamt 26.300 Mitgliedern (2002: 26.000) leicht an und be wegt sich damit wieder auf dem Niveau des Jahres 2001. In Teilberei chen werden sie von Organisationen unterstützt, die linksextremis tisch beeinflusst sind. Diesen gehörten zum Ende 2003 etwa 19.000 Mitglieder (2002: 15.200) an. 1) Linksextremismuspotenzial 2001 2002 2003 Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Gewaltbereite Links extremisten 2) 55 7.000 3) 56 5.500 3) 55 5.400 3) MarxistenLeninisten andere revolutionäre Marxisten 4) - Kernund Neben organisationen 42 26.300 43 26.000 49 26.300 - beeinflusste Organisationen 31 12.000 30 15.200 33 19.000 Summe 128 33.300 12.000 129 31.500 15.200 137 31.700 19.000 Nach Abzug von Mehrfachmitglied ca. ca. ca. ca. ca. ca. schaften 32.900 10.000 31.100 11.700 31.300 14.500 "Partei des Demo kratischen Sozialismus" ca. ca. ca. (PDS) 5) 84.000 78.000 71.000 6) 1) Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2) In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Links extremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Struk turen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. 3) Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 4) Einschließlich "Kommunistischer Plattform der PDS" (KPF). Hinzu kommen die Mitglieder weiterer linksextremistischer Gruppen in der PDS. 5) Die PDS ist wegen ihres ambivalenten Erscheinungsbildes gesondert ausgewiesen. 6) Die Mitgliederzahl entspricht dem Stand vom 31. Dezember 2002, vgl. Endnote 22. 2. Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten * Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten bilden eine Teilmenge des Phänomenbereichs "Politisch motivierte Kriminalität - links". Dem Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität links" wurden 3.614 (2002: 3.639) Straftaten, hiervon 803 (2002: 806) Gewalttaten, zugeordnet. In diesem Bereich wurden 1.459 (2002: 1.137) Straftaten mit extremistischer Motivation, darunter 483 (2002: 385) Gewalttaten, erfasst. * Zum Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) und zu den "Politisch motivierten Straf und Gewalttaten" vgl. Kap. II, Nr. 2.1und 2.2 im Berichtsteil "Rechtsextremistische Bestrebungen". L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 111 Von den extremistisch motivierten Gewalttaten wurden insgesamt 21(2002: 16) Fälle im Themenfeld "Kampagne gegen Kernenergie", 1(2002: 7) Delikt(e) im Themenfeld "Antiglobalisierung" und 226 (2002: 202) Delikte im Themenfeld "Gewalttaten gegen Rechtsextre misten oder vermeintliche Rechtsextremisten" ausgewiesen. Übersicht über Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) Gewalttaten: 2002 2003 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 152 192 Brandstiftungen 35 36 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 124 118 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 16 29 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 6 5 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 51 102 Sexualdelikte 0 0 gesamt 385 483 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 410 510 Nötigung, Bedrohung 11 35 Andere Straftaten 331 431 gesamt 752 976 Straftaten insgesamt 1.137 1.459 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Ist zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zu gleich eine Körperverletzung begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. BERICHT 2003 112 L I N K SEX T REM I ST I SCH E BEST REBU N GEN Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) [Zielrichtungen] Gesamt 248 Gesamt 225 226 202 16 21 7 1 2002 2003 gesamt Kampagne gegen Kernenergie 2) Links gegen Rechts Antiglobalisierung 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Es sind nur die wichtigsten Zielrichtungen berücksichtigt. 2) Beinhaltet Aktionen gegen CASTOR-Transporte L I N K SEX T REM I ST I SCH E BEST REBU N GEN 113 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) [ in den Ländern ] 132 Berlin 74 92 Niedersachsen 41 Baden49 Württemberg 29 Schleswig44 Holstein 47 28 Hessen 29 Nordrhein24 Westfalen 30 Sachsen23 Anhalt 18 17 Sachsen 50 16 Bayern 21 14 Brandenburg 20 Mecklenburg12 Vorpommern 3 11 Hamburg 8 Rheinland11 Pfalz 4 6 Thüringen 6 3 Saarland 1 1 Bremen 4 2003 2002 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). BERICHT 2003 114 L I N K SEX T REM I ST I SCH E BEST REBU N GEN Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" 1) [ je 100.000 Einwohner in den Ländern ] 3,89 Berlin 2,18 Schleswig1,56 Holstein 1,68 1,15 Niedersachsen 0,51 Sachsen0,90 Anhalt 0,69 Mecklenburg0,69 Vorpommern 0,17 0,64 Hamburg 0,46 0,54 Brandenburg 0,77 Baden0,46 Württemberg 0,27 0,46 Hessen 0,48 0,39 Sachsen 1,15 0,28 Saarland 0,09 Rheinland0,27 Pfalz 0,10 0,25 Thüringen 0,25 0,15 Bremen 0,61 Nordrhein0,13 Westfalen 0,17 0,13 Bayern 0,17 2003 2002 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA) und des Statistischen Bun desamtes zu den Einwohnerzahlen der Länder. L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 115 Übersicht über Gewalttaten von Linksextremisten gegen Rechtsextremisten oder vermeintliche Rechtsextremisten 1) Gewalttaten: 2002 2003 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 114 134 Brandstiftungen 8 6 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbruch 57 53 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 6 1 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 6 3 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 10 28 gesamt 202 226 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Ist zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zu gleich eine Körperverletzung begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. III. Gewalttätiger Linksextremismus Gewalttätige Linksextremisten finden sich vor allem in der autono men Szene. Von ihnen gingen auch im Jahr 2003 Beeinträchtigun gen für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland aus. Ihre in den letzten Jahren festzustellende ideologische und konzep tionelle Schwäche hielt jedoch an und zeigte sich vor allem in man gelnder Mobilisierungsfähigkeit. Die im Jahr 2001begonnene Militanzdebatte - eine Diskussion über die Vernetzung militanter Gruppenstrukturen sowie den Einsatz "weitergehender Mittel", die über Sachbeschädigungen hinaus ge hen - wurde sowohl mit Texten in Szenepublikationen und im Inter net als auch mit "flankierenden" Aktionen fortgeführt. Mit ihren An schlägen überschreiten militante autonome Gruppierungen mit unter die Grenze zu terroristischem Gewalthandeln. Eine gefestigte terroristische Struktur 1 - vergleichbar der früheren "Roten Armee Fraktion" (RAF) - die in der Lage und bereit wäre, schwerste An schläge bis hin zu Mordtaten zu planen und durchzuführen, gibt es in Deutschland jedoch nicht. BERICHT 2003 116 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Struktur: Gruppen existieren in fast allen größeren Städten, insbesondere in den Ballungszentren Berlin, Hamburg, Rhein-Main-Gebiet, aber auch in kleineren Universitätsstädten wie Göttingen Anhänger: ca. 5.400 (2002: ca. 5.500) Publikationen: mehr als 50 Szenepublikationen; von bundesweiter Bedeutung ist vor allem das in Berlin erscheinende Blatt "INTERIM"; Beachtung finden auch - meist kostenlos verteilte - "Jugendzeitschriften" 1. Autonome 1.1 Potenzial und Selbstverständnis 2 Autonome: größtes Die autonome Szene stellt mit bis zu 5.000 Personen bundesweit den Potenzial gewalt weitaus größten Anteil des gesamten gewaltbereiten linksextremis bereiter Linksex tischen Potenzials. Fast alle Gewalttaten mit erwiesenem oder zu tremisten vermutendem linksextremistischem Hintergrund dürften auf das Konto militanter Autonomer gehen, darunter Brandanschläge, Kör perverletzungen und gefährliche Eingriffe in den Straßenund Schienenverkehr. Die mehr oder weniger eigenständigen Gruppierungen innerhalb der autonomen Szene verfügen über kein einheitliches ideologisches Konzept; Anführer oder hie rarchische Strukturen sind der autonomen Szene fremd. Anschaulich schildern dies fünf Szeneangehörige in ihrem im Juni er schienenen Buch "Autonome in Bewegung - aus den ersten 23 Jahren". Dort heißt es: "Dabei gibt es nie 'die' typische autonome Gruppe. Stattdessen bilden sich die unterschiedlichsten Konstellationen: Aus Freundeskreisen werden mehr oder weniger kurzlebige Banden oder bei Bedarf akti vierbare Aktionsgruppen; aus Demobekanntschaften ergeben sich spontan handlungsfähige und wieder zerfallende Chaoten-Combos; L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 117 aus politischen Plena entwickeln sich dauerhafte Gruppen, die auch zur Tat schreiten, in wechselnden und sich auch überschneidenden Zusammensetzungen agieren Gruppen nur ein einziges Mal, manch mal über Jahre, einige verfestigen sich, andere bleiben lose, manche wandeln sich in Theoriezirkel oder Selbsthilfegruppen." (A.G. Grauwacke: "Autonome in Bewegung", Berlin, Hamburg, Göt tingen, o. J., S. 143) Autonome propagieren den Widerstand gegen Autoritäten und die Missachtung von Normen; dies findet in diversen Anti-Einstellungen ("antifaschistisch", "antikapitalistisch", "antipatriarchal") seinen Ausdruck. Diffuse anarchistische und kommunistische Ideolo giefragmente bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitä ten. Dabei zielen Autonome - wie alle Linksextremisten - im Kern auf die Einig in der BereitÜberwindung des "herrschenden Systems". Die Anwendung von Geschaft zur Gewalt walt halten Autonome in diesem Zusammenhang durchweg für leanwendung gitim. Sie rechtfertigen Gewalt als angeblich erforderliches Mittel gegen die "strukturelle Gewalt" eines "Systems von Zwang, Ausbeu tung und Unterdrückung": "Militanz ist in unseren Augen notwendiger Bestandteil linksradika ler Politik, sowohl im allgemeinen Sinn der konsequenten, kämpferi schen Haltung an sich, als auch im engeren Sinn von politischer Ge walt. Dass dies ein höheres Maß an Verantwortung erfordert als das Bilden von Lichterketten ist selbstverständlich. Doch wer auf die Op tion der Militanz verzichtet, beraubt sich selbst der notwendigen Mit tel gegen ein System der Herrschaft, dem allein mit den besseren Ar gumenten nicht beizukommen ist." ("Autonome in Bewegung", a. a. O., S. 380/381) 1.2 Aktionsformen Die Aktionsformen der Autonomen sind vielgestaltig. Zur Aktions palette gehören u. a. Brandund Sprengstoffanschläge, militante Anti-AKW-Aktionen und gewalttätige Demonstrationen, bei denen Steine und andere Wurfgeschosse eingesetzt werden. Die Aktionen richten sich sowohl gegen Personen als auch gegen Sachen. An griffsziele sind u. a. vermeintliche "Handlanger" und "Profiteure" des "Systems" sowie (angebliche) Rechtsextremisten und deren Strukturen. BERICHT 2003 118 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Bei der Wahl von Angriffszielen und Aktionsformen lassen sich Au tonome in der Regel vom Kriterium der "Vermittelbarkeit" leiten; sie erwarten etwa bei aktuellen "Reizthemen" breite Akzeptanz bis in Teile der "bürgerlichen" Gesellschaft hinein. So heißt es z. B., Aktio nen gegen den "Sozialabbau" sollten so geplant sein, dass "am Ende nicht nur die übliche linksradikale Szene, sondern auch die 45jährige Nachbarin von nebenan ... gegenüber der Konsensgesell schaft illoyal ist und gut und richtig findet, daß da letztens so ein paar Leute bei der Zeitarbeitsfirma xy ein paar Scheiben eingeworfen ha ben. 3 Die Propaganda der Tat muß in den Alltagsverstand der Men schen hinein wirken." ("INTERIM" Nr. 576 vom 10. Juli 2003, S. 15) Straßenkrawalle Eine typische Form von Gewalt Autonomer sind Straßenkrawalle, sog. Massenmilitanz. Dabei kommt es auch zur Bildung "schwarzer Blöcke" vermummter Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüs tung". Diese Krawalle gab es in der Vergangenheit oftmals bei Protesten ge gen Aufmärsche von Rechtsextremisten und regelmäßig im Zuge von Demonstrationen zum "Revolutionären 1. Mai" vor allem in Berlin. Dort begannen auch 2003 die Auseinandersetzungen bereits am Vorabend ("Walpurgisnacht") und eskalierten am Abend des 1. Mai. Nach Abschluss der De monstrationen, die ein erhebliches Potenzial an gewaltbereiten Linksextremisten angezo gen hatten, kam es in Kreuzberg zu schweren Ausschreitungen. Daran waren etwa 1.300 Ge walttäter beteiligt, darunter auch Personen ohne erkennbar linksextremistischen Hinter grund. Sie agierten in Gruppen bis zu 200 Per sonen und griffen Polizeibeamte massiv mit Flaschen und Steinen an, setzten Fahrzeuge in Brand, errichteten brennende Barrikaden und Ausschreitungen am 1. Mai in Berlin verübten weitere schwere Sachbeschädigun gen (u. a. an einem Postamt und einem Autohaus). Erst nach Mitter nacht konnte die Polizei mit starkem Kräfteeinsatz die Lage beruhi gen. Insgesamt wurden 175 Polizeibeamte verletzt, 139 Personen wurden vorläufig festgenommen. L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 119 Zur Motivation solcher Gewaltausbrüche heißt es etwa: "Der Krawall wird zum politischen Ausdruck an sich, der nicht gezielt eingesetzt wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, sondern der 'den Preis' hochtreiben soll, den 'das System' zu zahlen hat - für ein Atomkraftwerk, ein geräumtes Haus, den Polizeiapparat, unsere To ten." ("Autonome in Bewegung", a. a. O., S. 142) Erheblich planvoller als Massenmilitanz sind klandestine militante Klandestine Aktionen, d. h. konspirativ vorbereitete und durchgeführte AnAktionen schläge. Bei solchen Anschlägen, denen gewöhnlich ein rechtferti gendes Selbstbezichtigungsschreiben folgt, ist die Grenze zur terro ristischen Aktion oftmals fließend (vgl. Nr. 1.3). Zur Vermittelbarkeit stehen die Anschlagsziele meistens im Zusammenhang mit aktuell verfolgten Kampagnen. Im Begründungszusammenhang "Antirassismus" verübten unbe kannte Täter in der Nacht zum 28. Januar einen Brandanschlag auf ein Gebäude des Landratsamts des Werra-Meißner-Kreises in Eschwege (Hessen). Sie setzten vor dem verglasten Eingangsbereich mehrere Reifen in Brand. Aufgrund der starken Hitzeentwicklung zerplatzten zwei große Doppelglasscheiben. Außerdem warfen die Täter mehrere mit roter Farbe gefüllte Eier gegen den Gebäudeteil, in dem sich das Ausländeramt befindet. Es entstand insgesamt ein Sachschaden von etwa 20.000 EUR. In einer Selbstbezichtigung einer Gruppierung "Schneewittchen und die sieben Feuerzeuge" heißt es u.a.: "'Ausländerbehörden' sind Ausdruck des staatlich institutionalisier ten Rassismus. Rassismus gehört zu den Grundprinzipien der BRD, er durchzieht alle Bereiche in dieser Gesellschaft, ist in Gesetze gegossen und es existieren Behörden, die diesen Rassismus umsetzen, die soge nannten Ausländerbehörden. Daher sind alle 'Ausländerbehörden' anzugreifen." ("INTERIM" Nr. 569 vom 3. April 2003, S. 22) Abschließend werden die Namen des Leiters der Ausländerbehörde und seines Stellvertreters genannt, mit dem Zusatz: "Ihnen, wie vielen anderen, muß das Handwerk gelegt werden." BERICHT 2003 120 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg war in den frühen Morgen stunden des 21. März das Kreiswehrersatzamt in Wetzlar (Hessen) Ziel eines Brandanschlags. Unbekannte Täter zerstörten zunächst mehrere Fensterscheiben des Gebäudes mit Pflastersteinen und war fen anschließend mehrere Brandsätze in die Büroräume. Lediglich ein Brandsatz entzündete sich, das Feuer erlosch von allein. In einer mit "militante aktion gegen patriarchat und militarismus" überschriebenen Erklärung bezichtigte sich eine "feministisch-antimilitaristische zelle" der Tat und bekräftigte: "wir wissen um unsere eigene ohnmacht. aber wir haben noch so viel wut und hoffnung auf bessere verhältnisse, genau diese nicht zu ak zeptieren. sofortige entwaffnung der staatlichen kriegsmaschinerien! kein friede mit deutschland! patriarchat, militarismus ... weltweit angrei fen!" In der Nacht zum 5. Juli brachten unbekannte Täter am zukünftigen Sitz der Bundesakademie für Sicherheitspolitik - an einem im Um bau befindlichen Nebengebäude des Schlosses Niederschönhausen in Berlin-Pankow - mehrere Zündschnüre und Brandsätze an. Die Brandsätze entzündeten sich nicht. 4 In einer mit "Revolutionä rer Aufbau" unterzeichneten Selbstbezichtigung behaupteten die Täter, die Akademie spiele eine zentrale Rolle in der neuen deut schen - aggressiven - Sicherheitspolitik. Medien Zur Kommunikation bedient sich die autonome Szene seit jeher eige ner Medien: Neben den "bewährten" und weiterhin wichtigsten Me thoden des Informationsaustausches durch Szenepublikationen 5, In foläden und geheime Treffen nutzen Autonome verstärkt das Internet 6 und Mobiltelefone. Dabei begünstigen moderne Informationsund Kryptotechnologien - wie das kostenlose Verschlüsselungsprogramm Pretty Good Pri vacy (PGP) - das in weiten Teilen konspirative Verhalten von Linksex tremisten, erhöhen deren Manövrierfähigkeit und erschweren die Aufklärung. 1.3 Autonome Strukturen mit terroristischen Ansätzen Grenzen zur terro Innerhalb der militanten autonomen Szene haben sich Strukturen ristischen Aktion verfestigt, die bei ihren Anschlägen die Grenze zu terroristischem fließend Gewalthandeln überschreiten. L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 121 Die Angehörigen dieser im Verborgenen handelnden Kleingruppen "no-name"-Miliführen nach außen hin ein unauffälliges Leben. Sie hinterlassen bei tanz ihren Aktionen kaum auswertbare Spuren und benutzen in der Re gel zum Schutz vor Strafverfolgung in Taterklärungen ständig wech selnde Aktionsnamen ("no-name"-Militanz). So heißt es beispiels weise in einem Szenepapier: "Da sollten wir es ihnen nicht zu einfach machen und auch noch die Hebel für den 129 a [Anm.: gemeint ist SS 129 a StGB] dazu liefern. Der Sicherheitsaspekt überwiegt hier für den Fall, daß es einmal schief geht. Wichtiger als ein Markenname ist für uns deshalb inhaltliche und praktische Kontinuität." ("INTERIM" Nr. 552 vom 20. Juni 2002, S. 25) Einige Gruppierungen operieren allerdings auch unter gleichblei bendem "Markennamen". Jedenfalls ist Militanz für Angehörige sol cher Personenzusammenschlüsse gleichermaßen unverzichtbarer, unmittelbarer Ausdruck ihrer Gegnerschaft zum "System" und Be standteil des eigenen Lebensgefühls. Typisches Beispiel für einen Anschlag unter einem einmaligen Ak tionsnamen ist der Brandanschlag auf das Gebäude des Arbeitsamts Hildesheim am frühen Morgen des 24. November. Unbekannte Täter entzündeten vor dem Eingang zum Internet-Center einen Autoreifen. Das Feuer griff zunächst auf die Eingangstür über, erlosch dann aber von allein. Durch die Rauchgasnieder schläge wurden das neu eingerichtete Internet-Center und weitere Räume des Arbeitsamts beschädigt. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von rund 500.000 EUR. Am Tatort wurde ein Selbstbezichtigungs schreiben mit der Aktionsbezeichnung "autonom bestimmte maß nahmen (abm)" aufgefunden. Darin agitieren die Verfasser gegen den "Kahlschlag" im Sozialbereich und das "Hartz-Konzept". Weiter heißt es: "auch wenn es jetzt darum gehen muß, die aktuellen 'reformen' ent schieden zurückzuweisen, muß es das Ziel einer radikalen linken sein, die lohnarbeit an sich und die damit verbundene verwertungslo gik zu thematisieren und anzugreifen. den terror der arbeit beenden!!! vom individuellen widerstand zum kollektiven aufstand!!!" BERICHT 2003 122 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "militante gruppe Die seit Mitte 2001unter der Bezeichnung "militante gruppe (mg)" (mg)" forciert Mili auftretende Gruppierung setzte auch 2003 ihre Bemühungen fort, tanzdebatte innerhalb der militanten autonomen Szene eine Debatte um den Ein satz "weitergehender Mittel" - über Sachbeschädigungen hinaus - zu etablieren. Mit zwei kurz aufeinanderfolgenden Brandanschlägen unterstrich die mg gleich zu Beginn des Jahres 2003 das aktionistische Moment ihres Konzepts. In der Nacht zum 1. Januar verübte sie einen Brand anschlag auf das Finanzamt Berlin-Neukölln. Dabei brannte ein La gerraum vollständig aus, zahlreiche Akten wurden zerstört oder durch Löschwasser unbrauchbar. Es entstand erheblicher Sachscha den. In der Taterklärung heißt es: "Wir setzen mit unserem Brandanschlag ... unsere militante Linie ge gen Institutionen der sozialen Verelendung und Deklassierung fort." Die Verfasser rufen dazu auf: "Sozialtechnokratie angreifen - Klassenkampf organisieren! Für eine militante Plattform - für einen revolutionären Aufbauprozeß - für den Kommunismus!" ("INTERIM" Nr. 564 vom 23. Januar 2003, S. 21) Am Morgen des 26. Februar waren zwei in einer Mercedes-Werkstatt in Petershagen (Brandenburg) abgestellte Geländewagen der Bundes wehr Ziel eines Brandanschlags der mg. Die Fahrzeuge brannten voll ständig aus; der Sachschaden betrug etwa 100.000 EUR. In einer Selbst bezichtigung unternahm die mg eine inhaltliche Einordnung ihres bisherigen Wirkens. Sie bekräftigte den "politischen" Ansatz der Gruppe als Synthese aus sozialrevolutionären und antiimperialistis chen Elementen und betonte die Bedeutung der von ihr angestoße nen "Militanzdebatte". Im Laufe des Jahres folgten zwei weitere Aktionen der mg: - am 18. September Brandanschläge auf das Gebäude des Oberlandesgerichts Naumburg sowie ein Dienstfahrzeug der Staatsanwaltschaft Halle (Saale) in Naumburg (SachsenAnhalt)7; - am 30. Oktober ein Brandanschlag auf einen Firmen-Lkw eines Entsorgungsunternehmens in Berlin-Reinickendorf. L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 123 Gleichzeitig wurde die Militanzdebatte auch mit Positionspapieren und Presseerklärungen fortgeführt. Insgesamt ergaben sich jedoch keine wesentlichen Neuerungen im Hinblick auf Konzept und Stra tegie. Wie im Jahr 2002 gab es eine Reihe kritischer Stellungnahmen aus der Szene zu Anlage und Verlauf der Debatte. So wurde den Beteilig ten u. a. vorgeworfen, bisher keine profunde Analyse der aktuellen gesellschaftlichen Situation geliefert zu haben und stattdessen mit Hilfe eines Revolutionsdiskurses im Stil der 60er und 70er Jahre im Jahr 2003 militanten Widerstand in Deutschland aufbauen zu wol len. Dies sei "angesichts sich zuspitzender sozialer Verhältnisse und des umfas senden Angriffs der Eliten und ihrer Helfershelfer ... ein Ausdruck für die fehlende Substanz in der radikalen Linken". ("INTERIM" Nr. 576 vom 10. Juli 2003, S. 16) In Erwiderung auf diese Vorwürfe räumte die "Militante Antiimpe rialistische Gruppe - Aktionszelle Pierre Overney" ein, die Militanz debatte komme weniger schnell voran als erhofft; dies sei den der zeitigen Bedingungen innerhalb der revolutionären Linken geschuldet, die keine ergebnisorientierte Debatte innerhalb nur we niger Monate zuließen. Man befinde sich nach wie vor erst am An fang einer Organisierung militanter Zusammenhänge, ohne dass Eckpunkte einer "militanten Plattform" abschließend diskutiert seien oder eine stabile gruppenmäßige Basis bestehe: "D. h. in der aktuellen Organisierungsphase steht der Aufbau und die anschließende strukturelle Festigung einer militanten Plattform im Mittelpunkt der sukzessiven inhaltlichen Formulierung und prakti schen Erarbeitung einer politisch-militärischen Strategie." ("INTERIM" Nr. 576 vom 10. Juli 2003, S. 16) Der angestrebte gesellschaftliche Umwälzungsprozess werde Konfrontation mit zwangsläufig mit einem "gewaltsamen Zusammenstoß" mit dem dem System Apparat von Staat und Kapital einhergehen: zwangsläufig "Jeder auf Sand gebauten Vision eines friedfertigen Hinübergleitens in eine solidarische Ära ... muß aufgrund der historischen Erfahrungen BERICHT 2003 124 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN und aktuellen Voraussetzungen eine klare Absage erteilt werden." ("INTERIM" Nr. 579 vom 18. September 2003, S. 10-12) Dabei sei es - so wird Lenin zitiert - "unvermeidlich, daß neue Kampfformen bei Änderung der gegebenen sozialen Konjunktur ... auftauchen". Auch wenn die an der Militanzdebatte beteiligten Gruppierungen deutlich machen, dass ein unmittelbarer Übergang zum "bewaffne ten Kampf" nicht in Rede steht, wird auch in Zukunft sorgfältig be obachtet werden, inwieweit vor allem die Positionen und Aktionen der "militanten gruppe (mg)" innerhalb der gewaltbereiten autono men Szene auf weitere Resonanz stoßen und ob sich daraus mögli cherweise neue Bedrohungen ergeben. 2. Traditionelle Anarchisten Zum Spektrum traditioneller Anarchisten in Deutschland gehören diverse Gruppierungen der "Graswurzelbewegung" und die in der "Freien Arbeiterinnenund Arbeiter - Union" (FAU) organisierten Anarcho-Syndikalisten mit Anbindung an die "Internationale Ar beiter Assoziation" (IAA). Anarchisten wollen die bestehende Staats und Gesellschaftsordnung umstürzen und an ihrer Stelle eine an geblich herrschaftsfreie, auf Selbstverwaltung gegründete Gesell schaft etablieren. Die unverändert etwa 200 Anhänger der "Graswurzelbewegung" wollen "Hierarchie und Kapitalismus" durch eine "selbstorgani sierte, sozialistische Wirtschaftsordnung" und den Staat durch eine "föderalistische" Gesellschaft ersetzen. Um "Herrschaftsund Ge waltstrukturen zurückzudrängen und zu zerstören", setzen sie "ge waltfreie Aktionsformen" ein. 8 Anhänger der "Graswurzelbewe gung" bezeichnen sich selbst als "gewaltfrei". Sie betrachten allerdings Gewalt gegen Sachen im Rahmen des Aktionskonzepts als legitim, "menschenverletzende" Gewalt jedoch nicht. Zu den "ge waltfreien Aktionsformen" zählt für sie "ziviler Ungehorsam", z. B. in Form von Sitzblockaden bei Protesten gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie und bei "antimilitaristischen" Aktionen gegen die "Atomwaffenstandorte" in Süddeutschland. Der Irak-Krieg war ein aktionistischer und agitatorischer Schwer punkt der "Graswurzelbewegung". Im Vorfeld der militärischen In tervention im Irak veröffentlichte die anarchistische Monatszeitung L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 125 "graswurzelrevolution" ein Extrablatt und forderte darin alle "Solda tinnen und Soldaten der Bundeswehr" auf, zu desertieren; denn im Falle einer deutschen Beteiligung an den Militäraktionen würde die Bundesregierung ungesetzlich handeln und "zum wiederholten Male!" die Verfassung brechen. 9 Die FAU-IAA mit mehr als 300 Anhängern (2002: etwa 200) in zahl reichen Ortsgruppen hat die "herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft als Ziel". So erklärte die FAU-IAA im Internet: "Langfristig möchten wir tatsächlich die Grundfesten dieser Gesell schaft, insbesondere das Privateigentum an Produktionsmitteln, zum Einsturz bringen." Parlamentarische Tätigkeit lehnen die Anhänger der FAU-IAA ebenso ab wie die Vertretung ihrer Interessen in "reformistischen Gewerkschaften". Zur Durchsetzung ihrer Ziele dienen ihnen "Mittel der Direkten Aktion, wie z. B. Besetzungen, Boykotts, Streiks etc.". 10 Thematische Schwerpunkte der Aktionen bildeten die Kritik an den Folgen der Globalisierung und an dem zunehmenden "Sozialkahl schlag" in Deutschland vor allem im Zusammenhang mit der "Agenda 2010". Vordergründig solidarisierte sich die FAU-IAA mit den Interessen der Arbeiter, verdeutlichte in einem im Internet ver breiteten Aufruf 11 aber auch ihre weiterreichenden Ziele: "Unsere Emanzipation von kapitalistischer Herrschaft geschieht nicht durch das Schwenken von Fahnen, auch nicht, wenn diese schwarz und rot sind. Demonstrationen sind immerhin eine Möglich keit zu zeigen, dass wir da sind, dass es uns gibt. Entscheidend ist es, den menschenfeindlichen Verrücktheiten der kapitalistischen Ökono mie Paroli zu bieten. Denn: ob 5 Minuten mehr Pause oder Weltrevo lution - wir kriegen nur, wofür wir kämpfen!" BERICHT 2003 126 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN IV. Parteien und sonstige Gruppierungen 1. "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und Umfeld 1.1 "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) gegründet: 1968 Sitz: Essen Vorsitzender: Heinz STEHR Mitglieder: 4.700 (2002: 4.700) Publikationen: "Unsere Zeit" (UZ), Auflage: 7.500 (2002: 8.000), wöchentlich Die DKP konnte ihre Mitgliederzahl 12 auf dem Niveau von 2002 sta bilisieren. Es gelang der Partei jedoch nicht, die internen Spannun gen zwischen den östlichen und westlichen Parteigliederungen bei zulegen. Das Zentralorgan "Unsere Zeit" (UZ) musste die Auflage auf nunmehr 7.500 Exemplare 13 weiter reduzieren, und erschien zum Teil nur zweiwöchentlich. Die Partei hielt an ihrer orthodoxen marxistisch-leninistischen Aus richtung fest, in deren Zentrum die "Überwindung des kapitalisti schen Systems" steht. Hierzu erklärte der DKP-Parteivorstand, im Kapitalismus könnten Krisen und Arbeitslosigkeit nicht verhindert werden. Dazu seien vielmehr die Überwindung der wirtschaftli chen und politischen Macht der Multis und der Banken - d. h. die Er reichung des Sozialismus - notwendig: "Wehren wir uns gegen Kapital und Kabinett! Beginnen wir heute mit dem Kampf um die Zukunft." ("DKP-Informationen" Nr. 3/2003, 12. Juli 2003, S. 29) Der DKP-Vorsitzende STEHR bekräftigte: "Der Kapitalismus darf nicht das letzte Wort der Geschichte sein, sonst ist die Existenzvernichtung der Menschheit als Gattung eine reale Gefahr. So stimmt es noch immer, wie Rosa Luxemburg die Frage stellte "Sozialismus oder Barbarei"." ("junge Welt" (jW) vom 27./28. September 2003, S. 11) L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 127 Die Partei sucht sich sorgfältig von politischen Konzepten abzuset zen, die sie für "revisionistisch" hält. Sie ging dementsprechend auf stärkere Distanz zur "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS). Zugleich erteilte ihr Parteivorstand einer Zusammenarbeit mit der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) eine Absage. Die Ent scheidung für eine förmliche Abgrenzung von stalinistischen Strö mungen entspricht der seit ihrer "Neukonstituierung" 1968 von der Partei strikt verfolgten Legalitätstaktik. Diese ist indessen in den Partei-Gliederungen der neuen Bundesländer nicht unumstritten und verursachte weiterhin Spannungen mit dortigen neostalinistisch ge stimmten DKP-Mitgliedern um die Zeitschrift "Rot-Fuchs". Das wichtigste Ereignis für die Partei im Jahr 2003 stellte ihr 13. UZPressefest vom 20. bis 22. Juni in Dortmund dar. Die alle zwei Jahre organisierte Veranstaltung stand unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich - Frieden durchsetzen". Dort stellten sich die einzel nen Bezirksorganisationen mit Informationsständen vor. Ebenso wa ren "befreundete Organisationen" vertreten, mit denen die Partei traditionell zusammenarbeitet. Die Diskussion über den Entwurf eines neuen Parteiprogramms - das alte stammt aus dem Jahr 1978 - konnte auch 2003 nicht zu ei nem einvernehmlichen Abschluss gebracht werden. 14 Die hierfür verantwortliche Programmkommission benannte, entgegen dem Vorschlag des Sekretariats des Parteivorstandes, eine eigene Auto rengruppe, die sich nun mit der Ausarbeitung eines neuen Program mentwurfs befasst. 15 Hierbei ergaben sich heftige Kontroversen zu den "Sozialismusvor stellungen" der Partei. So wurden unterschiedliche Erklärungen für das Scheitern des "real existierenden Sozialismus" in der DDR erör tert. Vor allem aber ist zwischen westund ostdeutschen DKP-Genossen weiterhin die "Staatsund Demokratiefrage" ungeklärt - eine Umschreibung dafür, dass die aus der ehemaligen DDR stammen den Teile der Partei dafür eintreten, Begriffe wie "Diktatur des Prole tariats" in den Programmtext aufzunehmen. 16 Neben diesen nach innen gerichteten Tätigkeiten bemühte sich die Partei weiterhin, bei übergreifenden Aktivitäten der Linken präsent zu sein. Sie beteiligte sich an "Anti-Kriegsdemonstrationen" im Früh jahr und an Aktionen gegen "Sozialabbau". Sie nahm am "2. Euro päischen Sozialforum" (ESF) vom 12. bis 16. November in Paris teil und hatte die Hoffnung, dass sich aus der globalisierungskritischen Bewegung eine "außerparlamentarische Opposition" 17 entwickelt. Solchen Bewegungen und Bündnissen kommt nach Einschätzung der Partei "strategische Bedeutung" 18 zu; sie möchte dort einen "marxistischen Standpunkt" einbringen. 19 BERICHT 2003 128 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Traditionell eng mit der Partei verbunden ist weiterhin die "Sozialis tische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die als ehemalige "Kaderre serve" über mehr als 300 Mitglieder (2002: rund 350) verfügt. Am 15. März veranstaltete die SDAJ in Düsseldorf zusammen mit der "Asso ziation Marxistischer StudentInnen" (AMS) und der DKP ein "Jugend tribunal gegen Krieg, Sozialabbau und Bildungsklau". Der fingierte "Gerichtsprozess" fand lediglich vor den eigenen Genossen statt und wurde von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen. Die Vorsit zende der SDAJ Tina SANDERSkritisierte anschließend die man gelnde Unterstützung durch den DKP-Parteivorstand. 20 1.2 "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Bundesrepublik e. V." (VVN-BdA) gegründet: 1947 Sitz: Berlin Bundesgeschäftsstelle: Berlin Vorsitzende: Cornelia KERTH Fred DELLHEIM (bis 9. Oktober 2003), Prof. Heinrich FINK (seit November 2003) Mitglieder: unter 9.000 (2002: rund 9.000) Publikationen: "antifa", zweimonatlich Von der im Oktober 2002 erfolgten Fusion der westund ostdeut schen traditionell orthodox-kommunistisch ausgerichteten AntifaVerbände VVN-BdA und "Verband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Nazi-Regimes und Hinterbliebener - Bund der Antifaschisten" (VVdN-BdA) sind keine Impulse für die Arbeit des nun ge samtdeutschen Verbands ausgegangen. Die Aktivitäten der Organisation nahmen auf allen Ebenen ab. Sie verfügt nur noch über eine dürftige Internet-Präsenz und konnte lediglich mit Mühe die weitere Herausgabe ihrer bundesweiten Zeitschrift "antifa" sichern. Das schwächere Profil war vor allem durch die Al terstruktur der Organisation bedingt. Sie verlor neben je einem der beiden gleichberechtigten Vorsitzenden und Ehrenvorsitzenden auch eine größere Anzahl langjähriger Aktivisten. Solche zumeist hoch betagten Personen waren als tatsächlich zur NS-Zeit Verfolgte von der Organisation als "Zeitzeugen" eingesetzt worden. Sie konn ten authentischer als die nachgewachsenen Generationen von "An tifaschisten" - zumeist aus kommunistischer Sicht - über den Terror L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 129 der Nationalsozialisten gegen politische Gegner berichten. Das politische Profil des Verbands änderte sich nicht. Nach wie vor dominieren in den Vorständen Kommunisten orthodox-kommunistischer Ausrichtung, überwiegend aktive und ehemalige Mitglieder der DKP sowie ehemalige SED-Mitglieder, die heute zumeist der PDS angehören. Die Organisation bewertete die Aktivitäten gewaltbereiter "Antifa schisten" weiterhin positiv; sie arbeitete trotz verminderter Wahr nehmbarkeit auch 2003 im Sinne ihrer "offenen Bündnispolitik" mit gewaltbereiten Linksextremisten zusammen. So schreibt ein Autor in der "antifa" über die von Autonomen in Berlin herausgegebene Publikation "Fight Back": "Berlin besitzt eine lebendige, aktive antifaschistische Jugendkultur ... Den Autoren von 'Fight Back' geht es in ihren informativen Artikeln und Interviews darum, 'eine Basis für konkrete antifaschistische Arbeit in Berlin zu schaffen'". ("antifa" vom Oktober/November 2003) Die Organisation lehnt auch weiterhin den gegen alle Formen des Extremismus gerichteten antitotalitären Konsens des Grundgeset zes ab. Sie wirft staatlichen Institutionen regelmäßig vor, Rechtsex tremisten zu begünstigen und gleichzeitig repressiv gegen "Antifa schisten" vorzugehen. So heißt es in der Zeitschrift "antifa" über eine Initiative der Landesvereinigung Nordrhein-Westfalen der VVNBdA: "Die Landesvereinigung der VVN-BdA schlägt vor, in Nordrhein-Westfalen ein landesweites Bündnis gegen Rechts und gegen die staatliche Begünstigung der Neonazis zu schaffen ... Die Hauptsorge von Verfas sungsschutzämtern und Strafverfolgungsbehörden sei auf den störungsfreien Ablauf von Neonaziaktionen gerichtet. 'Der Schutz der Nazis erhält geradezu Verfassungsrang.'" ("antifa" vom Oktober/November 2003) Eine der wenigen in der Öffentlichkeit noch wahrnehmbaren Akti vitäten der Organisation richtete sich gegen ein traditionelles jährli ches Treffen der Gebirgstruppe der Bundeswehr in Mittenwald (Bay ern). Den daran teilnehmenden ehemaligen Soldaten der Wehrmacht warf die Organisation vor, sich während des Zweiten BERICHT 2003 130 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Weltkriegs an Kriegsverbrechen beteiligt zu haben. Zu dem Traditi onstreffen erklärte das Mitglied des Bundesausschusses Ulrich SANDER (DKP) im September in Dortmund: "Die Bundeswehr erweist sich auch fast 50 Jahre nach ihrer Gründung als Verein zur Strafvereitelung zu Gunsten von Mördern." ("antifaschistische nachrichten" Nr. 21/2003, 9. Oktober 2003, S. 9) 1.3 "Bundesausschuss Friedensratschlag" gegründet: 1996 (als "Arbeitsausschuß Friedensratschlag") Sitz: Kassel Mitglieder: 50 (2002: 50) Publikationen: "Friedens-Journal" Der linksextremistisch beeinflusste "Bundesausschuss Frie densratschlag" steht in der Tradition des orthodox-kommunistischen "Friedenskampfes"; er hält an einer Kriegsursa chenanalyse fest, nach der militärische Konflikte hauptsächlich durch "kapitalistische" Staaten verschuldet und ausgelöst werden. Nach dem Ende des "realen Sozialis mus" bot die Organisation organisatorische und ideologi sche Dienstleistungen an, mit denen sie einer sich wieder be lebenden "Friedensbewegung" eine "antiimperialistische" und "antikapitalistische" Stoßrichtung zu geben hoffte. Im Rahmen eines von britischen Trotzkisten initiierten "internatio nalen Aktionstages gegen den Krieg im Irak" fand am 15. Februar in Berlin eine Großdemonstration statt. Hierzu mobilisierte die Organi sation in einem "Aktionsbündnis 15. Februar" gemeinsam mit ande ren linksextremistischen, aber auch demokratischen Organisatio nen. Nach dem Sturz der Diktatur im Irak ging der Zuspruch zu Protestveranstaltungen stetig zurück. Die von der Organisation an gestrebte Vernetzung und Konsolidierung einer vor allem antiame rikanisch ausgerichteten "Anti-Kriegsbewegung" schlug fehl. Nach dem Ende der Kampfhandlungen ergriff die Organisation Par tei für den gewaltsamen irakischen "Widerstand" gegen die Besat zungstruppen. Auf dem "10. Friedenspolitischen Ratschlag" am 6./7. Dezember in Kassel erklärten Teilnehmer vor laufenden Fernsehka meras, nach ihrer Auffassung handele es sich bei den tödlichen An L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 131 schlägen im Irak, teils von Islamisten, teils von Anhängern der ge stürzten Diktatur verübt, um "legitimen Widerstand". 21 2. "Partei des Demokratischen Sozialismus" (PDS) gegründet: 1989/90 (Umbenennung SED in PDS) Sitz: Berlin Parteivorsitzender: Lothar BISKY Mitglieder: 22 ca. 71.000 (2002: rund 78.000), davon in den westlichen Ländern ca. 4.700 (2002: ca. 4.000) Publikationen: "DISPUT", (Auswahl) monatlich; "PDS-Pressedienst", wöchentlich; "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS", monatlich; "Marxistisches Forum", unregelmäßig; "PDS International", unregelmäßig Die sich seit der Niederlage bei der Bundestagswahl am 22. Septem ber 2002 23 verschärfenden innerparteilichen Auseinandersetzun gen, obwohl diese letztlich nur Fragen der Strategie und Taktik be trafen, haben das Bild der Partei geprägt und Kräfte über lange Zeit gebunden. Im Mittelpunkt standen Flügelkämpfe um das politische Profil der Partei, das nach wie vor zwiespältig ist. Einerseits will sie innerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse - etwa als Koalitionspartner in Landesregierungen - mit wirken. Andererseits strebt sie langfristig die Sys temüberwindung bis hin zu einer sozialistischen Ge sellschaftsordnung an. Ein neugewählter Vorstand unter dem Vorsitzenden Lothar BISKY soll Ruhe in diese Kontroverse bringen. Nach fünfjähriger Diskussion verabschiedete die PDSauf dem Partei tag am 25./26. Oktober in Chemnitz ein neues Parteiprogramm. Trotz verbaler Anklänge an das Grundgesetz ist damit keine politi sche Neuausrichtung der Partei verbunden; das Programm bietet weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für linksextremistische Be strebungen im Sinne des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Nach wie vor können offen extremistische Kräfte innerhalb der Partei wirBERICHT 2003 132 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN ken. Auch arbeitet die PDSweiter mit inund ausländischen Linksex tremisten zusammen. 2.1 Ideologische und programmatische Entwicklung Neue Ein außerordentlicher Parteitag am 28./29. Juni in Berlin wählte eine Parteiführung neue Führungsspitze. Der erst im Oktober 2002 in Gera bestellte Vor stand unter Leitung von Gabriele ZIMMER war nach heftigen inter nen Auseinandersetzungen mehrheitlich nicht mehr angetreten. Zum neuen Parteivorsitzenden wurde Lothar BISKY gewählt, der die Partei bereits von 1993 bis 2000 geführt hatte. Erstmalig in der Ge schichte der Partei hatte BISKY den Delegierten für die Wahl zum Parteivorstand eine umfangreiche Kandidatenliste vorgelegt und führende Vertreter der widerstreitenden Parteiflügel gebeten, nicht mehr zu kandidieren. Es gelang ihm, seine Wunschkandidaten bis auf zwei durchzusetzen. Von den ausgewiesenen Vertretern des tra ditionellen Flügels konnte sich lediglich Sahra WAGENKNECHT, Mit glied des Bundeskoordinierungsrats der "Kommunistischen Platt form der PDS" (KPF), durchsetzen. Programmpartei Der Parteitag am 25./26. Oktober in Chemnitz verabschiedete mit tag in Chemnitz überraschend deutlicher Mehrheit ein neues Parteiprogramm. 24 Zuvor hatte sich BISKY ausdrücklich von einer Hinwendung der Par tei in Richtung Sozialdemokratie abgegrenzt: "Ich bin es leid, immer wieder mit dem Vorwurf konfrontiert zu wer den, wir wollten ein sozialdemokratisches Programm verabschieden. Aus der PDS heraus erhoben, zeugt ein solcher Vorwurf nicht gerade von besonders exzellenter Kenntnis unseres Programmtextes oder der real existierenden SPD." ("Disput/Pressedienst", Gemeinschaftsausgabe von November 2003, S. 6) Sozialismus als Ziel Das programmatische Ziel der Partei bleibt eine über die Grenzen der bestehenden Gesellschaft hinausweisende sozialistische Ord nung. Wie im bisherigen Programm von 1993 bekennt sich die Par tei zum Sozialismus als notwendigem Ziel, als Bewegung und Wer tesystem und definiert entsprechend: "Sozialismus ist für uns ein notwendiges Ziel - eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung einer und eines jeden zur Bedingung der freien Entwicklung aller geworden ist ... 25 Sozialismus ist für uns eine L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 133 Bewegung ... Sozialismus ist für uns ein Wertesystem ...". (Programm der PDS, zitiert nach Sonderausgabe von "DISPUT" Nr. 11/03, S. 3) Das Programm stellt klar: Systemüberwin dung "Wir kämpfen für die Überwindung des Kapitalismus." (Programm der PDS, zitiert nach Sonderausgabe von "DISPUT" Nr. 11/03, S. 22) Dieses Vorhaben der PDSso der Kontext - umfasst die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Zu deren Entwicklung bekräftigt die PDSzuvor ausdrücklich ihre ab wertende Grundposition, verglichen mit dem "Aufbau einer besse ren Gesellschaftsordnung" in der DDR: "Die antifaschistisch-demokratischen Veränderungen im Osten Deutschlands und das spätere Bestreben, eine sozialistische Gesell schaft zu gestalten, standen in berechtigtem Gegensatz zur Weiter führung des Kapitalismus in Westdeutschland, der durch die in der Menschheitsgeschichte unvergleichbaren Verbrechen des deutschen Faschismus geschwächt und diskreditiert war." (Programm der PDS, zitiert nach Sonderausgaben von "DISPUT" Nr. 11/03, S. 20) Gegenwärtig sind die "krassen Gegensätze des Kapitalismus" nach Analyse der PDSzu "globalen Existenzgefährdungen der Weltgesell schaft" geworden. An anderer Stelle des Programms benennt die Partei die "Profitund Herrschaftsinteressen der international mächtigsten Teile des Kapi tals" als Ursachen u. a. für die Gefährdung der menschlichen Zivilisa tion, Gewalt und Krieg. Sie strebt an, dass "diese gesellschaftlichen Strukturen zurückgedrängt und schließlich überwunden werden". Unmissverständlich wird bekräftigt: "Sozialismus entsteht in demokratischen Kämpfen, die geführt wer den, um die strukturellen Bedingungen für Unfreiheit, Ungleichheit BERICHT 2003 134 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN und Ausbeutung sowie jene Machtund Eigentumsverhältnisse, auf denen diese beruhen, zurückzudrängen und zu überwinden." (Programm der PDS, zitiert nach Sonderausgabe von "DISPUT" Nr. 11/03, S. 3) Zu Fragen der Strategie und Taktik auf dem Weg zum Sozialismus erläuterte BISKY bei der Vorstellung des Parteiprogramms, der de mokratische Sozialismus sei als ein "Prozess sozialer Reformen mit ten in der bürgerlichen Gesellschaft mit der Perspektive der Über schreitung der Grenzen des Kapitalismus" zu verstehen, ein "Prozess, kleiner und größerer Veränderungen und Brüche", ein Pro zess, der "in das heute Machbare den Anschluss an weiterreichenden Wandel über die Grenzen des Kapitalismus hinaus" 26 aufnehme. Ein Mitglied der Grundsatzkommission stellte dazu auf der PDS-Homepage klar: "Keine wahrhaftige Rede also davon, dass die herrschenden Eigen tumsund Machtverhältnisse mit diesem Programm aktzeptiert wer den sollen! ... Und Dominanz des Profits zurückzudrängen, das be deutet allemal, tief in die Eigentumsverhältnisse einzugreifen. Anders geht es nämlich nicht. Sinnlos, das auseinander zu denken und so zu tun, als ginge es bei einer Veränderung der Verfügungsverhältnisse nicht um veränderte Eigentumsstrukturen. Sozialismus ist beides: ein Prozess des Kampfes um jede nur mögliche politische und soziale Ver besserung mitten in der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft und um die Überschreitung ihrer Grenzen." 2.2 Extremistische Strukturen in der Partei Die Partei sieht sich u. a. ausdrücklich in der Tradition der kommunistischen Arbeiterbewegung und verpflichtet, den Anti kommunismus zu bekämpfen; letzteres ist offenbar eine Konzession an die traditionell kommunistischen Kräfte in der Partei. Auch das neue Parteiprogramm lässt offen extremistische Zusammenschlüsse innerhalb der Partei zu: "In der PDS wirken unterschiedliche, linke demokratische Kräfte zu sammen. In ihr haben sowohl Menschen einen Platz, die der kapitalis tischen Gesellschaft Widerstand entgegensetzen und die die gegebe nen Verhältnisse fundamental ablehnen, als auch jene, die ihren L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 135 Widerstand damit verbinden, die gegebenen Verhältnisse positiv zu verändern und schrittweise zu überwinden." (Programm der PDS, zitiert nach Sonderausgabe von "DISPUT" Nr. 11/03, S. 21) Zu den extremistischen Strukturen innerhalb der PDSgehören die "Kommunistische Plattform der PDS" (KPF), das "Marxistische Forum der PDS", die in zwei Bundesländern noch existierende "Arbeitsge meinschaft Junger GenossInnen in und bei der PDS" (AGJG) 27 sowie die Organisationen des "Forum Kommunistischer Arbeitsgemein schaften" (ehemals "Bund Westdeutscher Kommunisten" - BWK). Solche Gruppierungen sind weiterhin in wichtigen Gremien der Partei (u. a. im Parteivorstand, Parteirat, Programmkommission) vertreten. Entsprechend dem Statut der PDSerhalten sie als innerparteiliche Zu sammenschlüsse - nach einem festgelegten Delegiertenschlüssel - di rekte Parteitagsmandate. In der Finanzplanung wird ihnen - soweit es die Partei öffentlich bekannt gibt - finanzielle Zuwendung gewährt. Die KPF, die an den marxistisch-leninistischen Traditionen festhält, "Kommunistische ist weiterhin in den wichtigen Gremien der Partei vertreten. Plattform der PDS" So wurde Sahra WAGENKNECHT auf dem Sonder parteitag der Partei am 28./29. Juni in Berlin mit über 60 %der Stimmen im Parteivorstand bestätigt. Trotz heftiger Kritik am neuen Parteiprogramm be schloss die Bundeskonferenz der KPF am 2. Novem ber in Berlin, den Zusammenschluss nicht aufzulö sen, sondern weiter aktiv in der Partei zu wirken. 28 Im Hinblick auf das Ziel der KPF, die Errichtung einer sozialistisch/kommunistischen Gesellschaft, bekräftigte Sahra WAGENKNECHT: "Daß linke Politik die Realität so, wie sie ist, analysieren und verste hen muß, um sie verändern zu können, ist eine Selbstverständlich keit. Daß wir politische und gesellschaftliche Kräfteverhältnisse, aus gehend von den gegenwärtig bestehenden, verändern müssen, auch." ("Mitteilungen der KPF", Heft Nr. 5 vom März 2003, S. I Mittelteil) Ein Vertreter des "Marxistischen Forums der PDS" 29, ein Zusammen"Marxistisches Fo schluss von orthodox-kommunistisch orientierten Mitgliedern und rum der PDS" Sympathisanten, beschrieb in einem Referat 30 unmissverständlich BERICHT 2003 136 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN das Szenario der angestrebten grundlegenden, d. h. revolutionären Umgestaltung: "Ich setze hinzu: Eine sozialistische Partei, die diesen Namen ver dient, darf auch kein Hehl daraus machen, dass die Überwindung des kapitalistischen Systems nicht nur erfordert, den Herrschenden ihre ökonomischen Machtgrundlagen zu entreißen, sondern voraussetzt, ihnen die politische Macht zu nehmen, sie von den Schalthebeln der staatlichen Macht zu entfernen und diese für die grundlegende Um gestaltung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu nutzen." ("Geschichtskorrespondenz" Nr. 2/2003 vom April 2003, S. 17) Jugendverband Der als Jugendorganisation bei der ['solid] Partei anerkannte 31 Jugendver band "['solid]", der Name steht für sozialistisch, links und demokra tisch, verfügt nach eigenen Angaben über ca. 800 bis 900 Mitglieder (2002: rund 1.300). Auf der 4. Bundesdelegiertenkonferenz vom 4. bis 6. April in Braun schweig fand nach heftigen Auseinandersetzungen 32 zwischen Mit gliedern des "reformorientierten" und des "traditionell kommunis tisch orientierten" Flügels ein Führungswechsel statt. Der neue Bundessprecherrat von "['solid]" wird zum Großteil von der eher kommunistisch geprägten Strömung dominiert. Die Bundesdelegiertenkonferenz beschloss ferner einen Leitantrag mit dem Titel "Kapital braucht Krieg - Krieg braucht Kapital!". So hieß es auf der Internetseite von "['solid]" Nordrhein-Westfalen: "Da Kapitalismus auf Expansionsund Machtstreben beruht, ist dau erhafter und weltweiter Frieden in dieser Gesellschaftsordnung nicht möglich ... Heute gilt mehr denn je: Ohne Sozialismus im Einklang mit individueller Freiheit, ohne internationale Solidarität und ökolo gische Verantwortung ist Zukunft nicht denkbar ... ['solid] sagt NEIN zum kapitalistischen System, das mit Vergeltung, Krieg, Militarismus den Fortbestand der Menschheit gefährdet ... ['solid] sagt JA zu einer sozialistischen Zukunft als Voraussetzung für Frieden und Gerechtig keit für alle Menschen." "['solid]" arbeitet auch mit anderen deutschen Linksextremisten zu sammen. So lobte der Landesverband Nordrhein-Westfalen im Inter net die gute Zusammenarbeit mit der "Sozialistischen Deutschen Ar L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 137 beiter Jugend" (SDAJ) in Nordrhein-Westfalen. Ebenso pflegte "['solid]" die Kontakte zu ausländischen Linksextre misten. Im Februar wurde die Jugendorganisation in das "European Network of Democratic Young Left" (ENDYL) aufgenommen. Im August/September besuchte ein Mitglied des "Bundesarbeitskrei ses International" ein Sommercamp der "Giovani Communisti/e" in Italien, an dem auch mehrere hundert Mitglieder der "Rifondazione Comunista" Italiens teilnahmen. 2.3 Zusammenarbeit mit deutschen Linksextremisten außerhalb der Partei Aufgrund gemeinsamer Traditionen pflegt die Partei zur DKP weiVerhältnis zur DKP terhin ein kritisch-solidarisches Verhältnis. Der Vorsitzende der DKP, Heinz STEHR, nahm als Gast am PDS-Parteitag am 25./26. Oktober in Chemnitz teil. 33 Die Zusammenarbeit erfolgt vor allem auf lokaler und regionaler Ebene, oftmals über kommunistische Kräfte - insbe sondere der KPF. So erklärte der Bundessprecherrat der KPF auf der 2. Tagung der 11. Bundeskonferenz am 25. Mai in Hannover: "Zugleich gestalten wir unsere Zusammenarbeit mit der DKP enger. So, wie wir an der DKP-Programmkonferenz im September 2002 und am DKP-Parteitag im vergangenen Dezember aktiv teilnahmen wer den wir auch am UZ-Pressefest im Juni mitwirken und auf Länder ebene vielfältig - vor allem im Rahmen von Bündnissen - mit den Ge nossen der DKP zusammenarbeiten." ("Mitteilungen der Kommunistischen Plattform", Heft Nr. 6 vom Juni 2003, S. 12 f.) Mitglieder der DKP nahmen an der 11. Bundeskonferenz der KPF am 2. November in Berlin teil. 34 Zur Landtagswahl in Hessen am 2. Feb ruar kandidierte ein Mitglied des PDS-Landesvorstands auf der Liste der DKP. Einzelne Vertreter, Gliederungen und Strukturen der Partei arbeiten Zusammenarbeit in Aktionsbündnissen nach wie vor mit gewaltbereiten Linksextremit Autonomen misten zusammen. Ein PDS-Abgeordneter des Thüringer Landtages organisierte am 5. Juli eine sog. Antifaschistische Kaffeefahrt mit etwa 50 - vorwiegend dem autonomen Spektrum zuzurechnenden - Teilnehmern. Dabei fuhr ein Bus quer durch Thüringen, um "Treff punkte der rechten Szene anzusteuern" und "bei der örtlichen Be völkerung Proteste gegen die Versammlungsorte" zu mobilisieren. Während der Veranstaltung kam es zu gewalttätigen AuseinanderBERICHT 2003 138 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN setzungen mit mutmaßlichen Angehörigen der rechten Szene. 35 Solidaritätsarbeit Besonderen Raum nimmt die Solidarität der Partei mit Kuba ein. für das sozialisti Wesentlicher Träger der Solidaritätsarbeit ist die 1991gegründete sche Kuba "Arbeitsgemeinschaft Cuba Si beim Parteivorstand der PDS". 36 In der Zeitschrift der AG "Cuba Si revista" wurde die Verurteilung von mehr als 70 kubanischen Dissidenten zu langjährigen Haftstra fen sowie die Vollstreckung von drei Todesurteilen gegen Schiffsent führer zur Solidaritätsbekundung mit Kuba genutzt: "Niemand muss die jüngsten Verurteilungen auf Kuba rechtfertigen oder verteidigen. Bevor man jedoch verurteilt, sollte die Frage gestellt werden, unter welchen existenzbedrohenden Bedingungen sich ein Land wie Kuba behaupten muss und demzufolge diese Urteile zu stande gekommen sind ... Trotz unserer prinzipiellen Ablehnung der Todesstrafe werden wir von Cuba Si keine Abstriche an unserer Solida rität mit dem sozialistischen Kuba vornehmen ...". ("Cuba Si revista" Nr. 2/2003, S. 1, 3) Führende Mitglieder der Partei, darunter der Ehrenvorsitzende Hans MODROW 37und der Bundesgeschäftsführer der PDS, Rolf KUTZMUTZ 38, bekräftigten die Notwendigkeit der Solidarität mit dem sozialistischen Kuba. Solidaritätsarbeit Seit Jahren greift die Partei - sowohl durch einzelne Vertreter als für Kurdistan auch durch ihre Strukturen - Anliegen der in Deutschland verbote nen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und deren Nachfolgeorgani sation "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) 39 auf, um sie politisch zu unterstützen. So wandte sich eine PDS-Abgeordnete des Europäischen Parlaments gegen die im Jahr 2002 erfolgte Aufnahme der PKK in die EU-Liste der terroristischen Organisationen: "Dass die PKK, die sich ohnehin von Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele losgesagt hatte, noch nach ihrer Auflösung in die Lis te aufgenommen worden ist, weist darauf hin, dass Terrorismus bekämpfung als Vorwand genommen wird, um unliebsame Bewegun gen zu kriminalisieren." ("Kurdistanrundbrief" vom 15. Februar 2003, S. 29, 32) L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 139 2.4 Internationale Verbindungen der Partei Die Partei bekennt sich entsprechend ihrem Selbstverständnis zum Internationalismus; nach wie vor unterhält sie vielfältige Kontakte zu ausländischen kommunistischen Parteien, u. a. durch Entsen dung von Parteitagsdelegationen, Teilnahme an Konferenzen und Gesprächen sowie Besuche von Pressefesten der Parteizeitungen. Auf dem Programmparteitag am 25./26. Oktober in Chemnitz be Gäste auf dem grüßte die Partei "in solidarischer Verbundenheit" ausländische Parteitag Gäste von 38 "nahen und befreundeten Parteien" aus 34 Ländern, unter ihnen überwiegend hochrangige Vertreter der kommunisti schen Parteien aus China, Frankreich, Griechenland, Großbritan nien, Indien, Irak, Italien, Japan, Kuba, Moldau, Österreich, Portugal, der Russischen Föderation, Slowakei, Sudan, Tschechien, Vietnam und Weißrussland. 40 Die Partei ist weiterhin im Europaparlament mit sechs Abgeordne Europäische ten vertreten, organisiert in der "Konföderalen Fraktion der Verei Zusammenarbeit nigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke" (KVEL/NGL). 41 Im Hinblick auf die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004 bemüht sich die Partei um die Gründung einer "Europäischen Linkspartei". An Treffen einer entsprechenden Initiativgruppe betei ligten sich neben der PDSmehrere europäische kommunistische Parteien. 42 3. Trotzkistische Gruppen Nach wie vor sind in Deutschland 17internationale trotzkistische Dachverbände mit Sektionen oder Resonanzgruppen aktiv. Die Zahl ihrer Aktivisten betrug insgesamt rund 1.800 (2002: rund 1.700). Sie waren in Zusammenschlüssen organisiert, deren Größe von Kleinst gruppen bis hin zu handlungsfähigen Strukturen mit mehreren Hundert Mitgliedern reichte. Unbedeutend und selbst innerhalb des Linksextremismus isoliert blieben ideologisch erstarrte Gruppen wie die "Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands" (SpAD) oder die "Partei für soziale Gleichheit" (PSG). Als selbsternannte Gralshüter trotzkistischer Orthodoxie be schränkten sie ihre Aktivitäten weitgehend auf Agitation und die ideologische Bekämpfung konkurrierender trotzkistischer Zusam menschlüsse. BERICHT 2003 140 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Aktionsorientierte trotzkistische Strömungen konnten sich hinge gen in erheblichem Umfang in gesellschaftliche Protestkampagnen und typische Handlungsfelder von Linksextremisten einbringen. Ihre Aktivitäten waren wegen ihres oft jugendlichen Anhängerpo tenzials, straffer Organisation und internationaler Koordination bis weilen deutlicher wahrnehmbar als diejenigen der zahlenmäßig stärkeren linksextremistischen Formationen. 3.1 Gruppe "Linksruck" Die Gruppe "Linksruck" blieb die agilste und zahlen mäßig größte trotzkistische Organisation in Deutsch land. Sie gehört als deutsche Sektion dem internatio nalen trotzkistischen Dachverband "International Socialist Tendency" (IST) in London an. Deren stärkste - und den Dachverband dominierende - nationale Sektion, die briti sche "Socialist Workers Party" (SWP), ist in unterschiedlichen Ar beitsfeldern mit eigens dafür geschaffenen Vorfeldorganisationen tätig. So unterhält sie für die Globalisierungsproteste "Globalize Re sistance" und für die "Antikriegsbewegung" die "Stop the War Coali tion". Nach dem von Trotzkisten gepflegten Grundsatz des "demo kratischen Zentralismus" sind die übrigen IST-Sektionen gehalten, solche organisatorischen und auch politisch-inhaltliche Vorgaben für ihre Länder zu übernehmen. Hauptaktionsfeld dieses trotzkisti schen Dachverbands war seit Jahresbeginn eine aggressive, deutlich antiamerikanisch und "antizionistisch" ausgerichtete Kampagne gegen eine Irak-Intervention der USA und Großbritanniens sowie ge gen das Vorgehen der israelischen Sicherheitskräfte gegen den palästinensischen Terrorismus. Die deutsche Sektion "Linksruck" war an der Orga nisation und Mobilisierung für eine Großdemonst ration der zumeist als "Antikriegsbewegung" be zeichneten Proteste gegen eine Irak-Intervention am 15. Februar in Berlin maßgeblich beteiligt. Die nach wie vor rund 500 Mitglieder traten nach außen wahlweise unter dem Namen ihrer Organisa tion oder als Mitglieder der "AG Globalisierung und Krieg" des globalisierungskritischen Netzwerks ATTAC in Deutsch land auf. In dieser AG nutzte "Linksruck" seinen bestimmenden Ein fluss, um beispielsweise eine "ATTAC-Friedenstour" mit Anhängern extremistischer Palästinensergruppen zu organisieren. So begrüßte nach einem Bericht der Zeitung "Jungle World" vom 5. Februar eine britische Referentin auf der Auftaktveranstaltung der "Friedens tour" am 18. Januar in Göttingen (Niedersachsen) die "heroischen Kämpfer der Intifada". L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 141 Augenscheinlich auf Weisung der Londoner Zentrale bemühte sich "Linksruck" weiterhin, islamistische Organisationen für die "Anti kriegsbewegung" zu gewinnen. Ein solches Vorgehen ist für Linksex tremisten ungewöhnlich, da islamistische Bewegungen überwie gend als reaktionär und frauenfeindlich kritisiert, zudem Selbstmordanschläge grundsätzlich abgelehnt werden. Entspre chend negativ fielen die Reaktionen anderer Linksextremisten aus. In einer Stellungnahme im Internet hieß es: "Ein stadtbekanntes Linksruck-Mitglied, das mehrfach aufgefallen war, eine palästinensische Front an der Spitze jeglicher Frankfurter Antikriegsdemo seit dem letzten Jahr stellen zu wollen, ist scheinbar dermaßen sauer, dass er alle Hüllen fallen lässt. Bei dem Koordinie rungstreffen des Frankfurter Bündnisses gegen den Krieg am vergan genen Dienstag in der Katharinenkirche forderte er einen Sprecher der Hamas auf künftigen Demonstrationen. Ihm schallte erneut ex tremer Widerspruch entgegen." Im Verlauf des Jahres reduzierte die Organisation ihre Mitarbeit in der "Antikriegsbewegung" und konzentrierte sich zunehmend auf eine übergreifende Kampagne gegen die Sozialreformen der Bun desregierung. 3.2 "Sozialistische Alternative" (SAV) Die Organisation will den Kapitalismus stürzen und durch eine so zialistische Demokratie ersetzen. Dies, so wird formuliert, gelinge aber nur, wenn zuvor eine weltweite revolutionär-sozialistische Mas senpartei aufgebaut werde. Dazu hat die SAV sich als deutsche Sek tion dem internationalen trotzkistischen Dachverband "Committee for a Workers International" (CWI, Sitz London) zugeordnet. CWI will mit Sektionen in mehr als 30 Ländern der Erde "dem globalen Kapitalismus globalen Widerstand" entgegenstellen. Die Organisation konnte in den letzten Jahren ihren Mitgliederbe stand auf 380 Personen (2002: rund 350) steigern. Sie ist in mehr als 30 Städten mit Ortsgruppen oder "Stützpunkten" tätig und will bis Ende 2004 ihren Kader auf 500 Mitglieder aufstocken. Die SAV beteiligt sich gelegentlich an Wahlen, konnte jedoch bei der Landtagswahl in Hessen am 2. Februar mit eigenen Kandidaten in Kassel und am 25. Mai bei der Bürgerschaftswahl in Bremen keine nennenswerten Ergebnisse erzielen. Darüber hinaus trat die Organi sation unter eigenem Namen vor allem als korporatives Mitglied von ATTAC Deutschland und durch ihre traditionellen jährlichen "Sozia lismustage" in Erscheinung; diese lockten über Ostern mehr als 400 BERICHT 2003 142 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Besucher (2002: 450) nach Berlin. Das Aktionsprofil des CWI und seiner Sektionen unterscheidet sich nicht grundsätzlich von demjenigen des konkurrierenden briti schen Dachverbandes IST (vgl. Nr. 3.1). So unterhält auch die SAV für unterschiedliche Kampagnenfelder Vorfeldstrukturen, für die glo balisierungskritische und die "Antikriegsbewegung" ist dies "wider stand international !" (wi!). Diese Vorfeldorganisation soll vor allem bislang unorganisierte jugendliche Sympathisanten gewinnen. Sie diente auch zum Aufbau örtlicher Gruppierungen "Jugend gegen den Krieg", die im Rahmen der gegen die Irak-Intervention gerichte ten "Antikriegsbewegung" gebildet wurden. Einen Schwerpunkt der Organisation bildete von jeher ihre ver deckte Arbeit in einzelnen DGB-Gewerkschaften; diese erhielt mit den Protesten gegen die Sozialreformen der Bundesregierung im Herbst 2003 neue Bedeutung. Seit 1996 hatte die SAV - zunächst in der damaligen Gewerkschaft ÖTV - das "Netzwerk für eine kämpfe rische und demokratische ver.di" aufgebaut. Auf seinem 14. bundes weiten Treffen am 10. Mai im DGB-Haus in Kassel bekräftigten die Teilnehmer, dem "Anpassungskurs der Gewerkschaftsspitze" entge genwirken zu wollen. 43 3.3 Deutsche Resonanzgruppen der "IV. Internationale/ Vereinigtes Sekretariat" Der traditionsreichste trotzkistische Dachverband "IV. Internationale/Vereinigtes Sekretariat" (franz. "IV. Internationale/Secretariat Unifie", Sitz Paris) verfügt in Deutschland nur über zwei kleine Reso nanzgruppen, den "Revolutionär-Sozialistischen Bund" (RSB) und die "internationale sozialistische linke" (isl) 44. Der Dachverband ist aber vor allem in globalisierungskritischen Zusammenschlüssen wie ATTAC oder den "Sozialforen" (vgl. Kap. V Nr. 1) gut verankert und stellt in vielen Ländern entscheidende Wortführer dieser Protest szene. Sie sind auch die maßgeblichen Betreiber eines Projektes "Eu ropäische Antikapitalistische Linke", das mehrfach parallel zu Gip feltreffen der EU tagte und zu den Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni 2004 eine europaweite Plattform auf anti kapitalistischer und revolutionärer Basis zustande bringen will. Andere trotzkistische Strömungen und auch die traditionell orthodox-kommunistischen Parteien wurden zur Teilnahme eingeladen. L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 143 4. Maoisten/Stalinisten 4.1 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) gegründet: 1982 Sitz des Zentralkomitees: Gelsenkirchen Vorsitzender: Stefan ENGEL Mitglieder: rund 2.000 (2002: unter 2.000) Publikationen: "Rote Fahne", wöchentlich; "REBELL" (Magazin des Jugendverbandes "Rebell"), zweimonatlich; "Lernen und Kämpfen", mehrmals jährlich Die maoistisch-stalinistisch ausgerichtete Partei meinte insbeson dere Probleme der sozialen Sicherungssysteme und der kommuna len Dienstleistungen für ihre Agitation aufgreifen zu können. Ideo logisch erklärte sie dies als "5. Phase der allgemeinen Krise des Kapitalismus" und bekräftigte, dass die Antwort auf die "allseitige Verschärfung aller grundlegenden Widersprüche" die "internatio nale proletarische Revolution" sein müsse. 45 Ihre Teilnahme an den Protesten gegen die amerikanisch-britische Intervention im Irak be gründete sie mit der "aktuellen Destabilisierung des gesamten im perialistischen Weltsystems". 46 Von dieser Entwicklung hoffte die Partei offenbar zu profitieren. Sie verstärkte ihre Anstrengungen, sich besonders in ihren regionalen Schwerpunkten als Ansprech partner der von Sozialkürzungen Betroffenen bekannt zu machen. Dazu setzte sie erhebliche finanzielle Mittel zum Ankauf eines größeren Bürokomplexes in Gelsenkirchen und eines ausgedehnten früheren SED-Ferienobjektes in Truckenthal (Thüringen) ein. Be standteil einer neuen, für die Partei ungewöhnlichen Strategie war der Ausbau von "unabhängigen" kommunalen Bündnissen in nun mehr sechs Städten in Nordrhein-Westfalen. Ihre offensichtliche Do minanz darin bestritt die Partei 47 und stellte ihre Wahlbündnisse als "unabhängig und überparteilich" dar. Der Aufwand schien sich aus Sicht der Partei zu lohnen. Im Rahmen einer ausführlichen Direktive gab der Parteivorsitzende im Zentral organ Erfolgsmeldungen ab. Der gesellschaftliche Einfluss der MLPD habe sich seit dem letzten Parteitag 1999 schätzungsweise verzehnBERICHT 2003 144 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN facht, die Mitgliederzahl sei um 15 %gestiegen. Der "Rebell" sei zum stärksten linken Jugendverband geworden, doch bestehe ein Prob lem in der Prägung der Masse der Jugend durch "den modernen An tiautoritarismus". Dieser bete Spontaneität an, sei für die Theorie der internationalen Arbeiterbewegung wenig aufgeschlossen und lehne festere Organisationsformen - wie von der Partei in Gestalt des "demokratischen Zentralismus" propagiert - ab. Vorsichtige Abstri che machte der MLPD-Vorsitzende auch bezüglich der qualitativen Erwartungen an neue Mitglieder und unterstrich damit zugleich die autoritäre Binnenstruktur der Partei: "Wir müssen künftig den Unterschied zwischen den Kadern der Partei und Mitgliedern ohne besondere Funktion bewusster im Blick haben." ("Rote Fahne" Nr. 37/2003 vom 12. September 2003, S. 1118) Die Haltung nahezu aller anderen Linksextremisten gegenüber der Partei blieb feindselig. In ihrem Zentralorgan schilderte die Partei detailliert, wie sie bei den Vorbereitungen zu einer Großdemonstra tion gegen "Sozialkahlschlag" (1. November in Berlin) von einer Ko alition aus Trotzkisten, DKPund PDS-nahen Gewerkschaftsfunk tionären sowie ATTAC-Vertretern gezielt ausgegrenzt worden sei. 48 4.2 "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) gegründet: 1990 Sitz: Berlin Vorsitzender: Werner SCHLEESE Mitglieder: 200 (2002: 200) Publikationen: "Die rote Fahne", monatlich Die 1990 noch in der damaligen DDR überwiegend von ehemaligen SED-Mitgliedern gegründete Partei begreift sich als einzig legitime Fortsetzung der zum Jahreswechsel 1918/19 entstandenen histori schen KPD. Mit ihrer monatlich erscheinenden Postille "Die Rote Fahne" präsentiert sie sich als in den neuen Bundesländern flächen deckend vertretene Partei, verfügt tatsächlich aber nur über etwa 200 Anhänger. Ideologisch ist sie rein neostalinistisch ausgerichtet. In ihrer "Schriftenreihe" erschienen zahllose Texte von Lenin, vor al lem aber von Stalin und Kim Il Sung sowie ideologisch ähnlich aus gerichtete Ausarbeitungen von früheren Wissenschaftskadern der SED. Ihre Agitation orientiert sich am Klassenkampf der KPD von den 20er Jahren bis in den Hochstalinismus. Die DDR-nostalgischen L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 145 Beiträge beschränken sich indessen auf die Ära Ulbricht (1945 - 1971); dabei werden die Tätigkeit des MfSund der Grenztruppen der DDR offen als notwendig zur Niederhaltung der Konterrevolution ge rechtfertigt. Besonders unterwürfige Treuebekenntnisse gibt die Partei fortlaufend für das nordkoreanische Regime ab. 49 Politische Gegner wie z. B. Trotzkisten werden hingegen in klassisch stalinisti scher Manier implizit als "Ungeziefer" abqualifiziert. 50 5. "Rote Hilfe e. V." (RH) gegründet: 1975 Sitz: Göttingen (Bundesgeschäftsstelle) Mitglieder: über 4.600 (2002: über 4.300) Publikation: "DIE ROTE HILFE", vierteljährlich Die "Rote Hilfe e. V." (RH) setzte - entsprechend ihrer Selbstdarstel lung - auch 2003 ihre politische und materielle Unterstützung für Angehörige des linken Spektrums fort, wenn sie vermeintlich Opfer politischer bzw. staatlicher Verfolgung sind. Einen besonders breiten Raum nahm die Unterstützung von drei Untersuchungs häftlingen aus Magdeburg 51 ein. So rich tete die RH ein Spendenkonto ein, betei ligte sich an der Organisation von Solidaritätsveranstaltungen und berich tete dazu im Internet und in ihrer Vereins publikation. Auch für zwei mutmaßliche Unterstützer der baskischen Terrororgani sation ETA, die in Deutschland und der Schweiz inhaftiert waren, or ganisierte die RH verschiedene Solidaritätsaktionen, um deren im Januar und November erfolgte Auslieferung an Spanien zu verhin dern. Ein weiterer Schwerpunkt der Organisation war die finanzielle und politische Unterstützung von Globalisierungsgegnern, die bei Groß demonstrationen wie dem NATO-Gipfel in Prag, dem G 8-Gipfel in Genua, dem EU-Gipfel in Göteborg oder der NATO-Sicherheitskonferenz in München festgenommen worden waren. In einer im Internet verbreiteten Presseerklärung vom 3. April 2003 protestierte die RH gegen die anschließende Strafverfolgung von Teilnehmern durch deutsche Behörden und machte deutlich: BERICHT 2003 146 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN "Die Rote Hilfe wird alles in ihrer Macht stehende tun, um die staatli chen Repressionsangriffe, die im Extremfall zu mehrjährigen Knast führen können, zurück zu drängen - damit es auch in Zukunft mög lich sein wird ... sich an systemkritischen Protesten zu beteiligen." In einem Beitrag unter dem Titel "Der große Bruder ist schon einge zogen" in ihrer Publikation "DIE ROTE HILFE" befasste sich die Orga nisation zudem mit neu entwickelten technischen Möglichkeiten zur Überwachung von Personen oder Orten. 52 Angesichts solcher Überwachungsmöglichkeiten sei zu befürchten, dass unter entspre chenden politischen Bedingungen "Big Brother" keine Vision mehr sei, vor der gewarnt werden müsse, sondern bittere Realität. 53 Im Oktober erschien unter dem Titel "Schafft Rote Hilfe!" ein Buch über "Geschichte und Aktivitäten der proletarischen Hilfsorganisa tion für Gefangene in Deutschland (1918 - 1938)". Nicht zuletzt durch den Vertrieb des Buches und die aufwändige Werbung in der ver einseigenen Publikation dokumentiert die Organisation ihr Be kenntnis zu ihren kommunistischen Wurzeln. Entsprechend befin det auch der Autor, dass sich die heutige RH trotz ihres Selbstverständnisses als parteiunabhängige Schutzund Solida ritätsorganisation allein schon durch ihre Namensgebung bewusst in die Tradition der Roten Hilfe Deutschlands der 20er und 30er Jahre - damals eine Nebenorganisation der KPD - stelle. 54 Die über 4.600 Mitglieder der Organisation wirken in etwa 40 Orts gruppen und vier Regionen in fast allen Bundesländern. Durch die steigende Mitgliederzahl und eine restriktive Haushaltsführung hat sich die finanzielle Situation der Organisation weiter stabilisiert. V. Aktionsfelder 1. Entwicklung der "Anti-Globalisierungsbewegung" Internationale Gipfelkonferenzen in Europa waren wiederum von zum Teil massiven Ausschreitungen militanter linksextremistischer Globalisierungskritiker und in zunehmendem Maße auch von Stö rern ohne klar formulierten politischen Anspruch begleitet. Ende Ja nuar randalierten in der Schweiz mehr als 1.000 Militante in der In nenstadt von Bern, nachdem ihnen zuvor ein unkontrollierter Zugang nach Davos, dem Tagungsort des jährlichen World Econo mic Forum, verwehrt worden war. Anfang Juni, anlässlich des G 8- Gipfels in Evian-les-Bains (Frankreich), entluden sich die Aggressio nen mehrerer Hundert Randalierer in Genf und Lausanne (Schweiz), Tankstellen wurden in Brand gesetzt, Geschäfte geplündert und Ge L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 147 bäude beschädigt. Es entstand Sachschaden von mehreren Millionen Franken. Am 20./21. Juni schließlich lieferten sich in Thessaloniki anlässlich des EU-Gipfels zum Abschluss der griechischen EU-Ratspräsidentschaft weit überwiegend einhei mische Gewalttäter schwere Straßenschlachten mit der Polizei. Sie verübten zahlreiche Brandstif tungen und Sachbeschädigungen. Deutsche Au tonome zeigten sich insgesamt nur eingeschränkt mobilisierbar; sie waren an den Gipfelkrawallen Ausschreitungen am 20. Juni in Thessaloniki des Jahres 2003 lediglich marginal beteiligt. Gewaltbereite Linksextremisten stellten in der nach wie vor außeror dentlich heterogen zusammengesetzten globalisierungskritischen Bewegung nur eine kleine Minderheit dar. Ihre Straßenmilitanz wirkte zunehmend anachronistisch. Dagegen verfolgten Anhänger traditioneller revolutionär-marxistischer oder von ihnen beeinfluss ter Organisationen ihr Fernziel einer grundlegenden Umwälzung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung in der auf demo kratische Protestformen setzenden Mehrheit der Protestbewegung. Diese hat damit begonnen, sich von den Terminen und Orten inter nationaler Gipfelkonferenzen zu emanzipieren und unabhängige eigene "Events" zu schaffen, die so genannten Sozialforen. So fanden sich zum inzwischen "3. Weltsozialforum" in Porto Alegre (Brasilien) im Januar bis zu 100.000 Globalisierungskritiker aus aller Welt ein. Am "2. Europäischen Sozialforum" (ESF) im November in Paris beteiligten sich bis zu 50.000 Menschen, darunter eine vierstel lige Zahl Aktivisten aus Deutschland. Neben diesen großen periodi schen Zusammenkünften etablierten sich - auch in Deutschland - zahlreiche kontinuierlich arbeitende regionale bzw. lokale Sozial foren, ein "Gründungskreis für ein Sozialforum in Deutschland" traf sich erstmals am 6. April in Kassel. Zwei maßgebliche linksextremistische Protagonisten führten in ei nem Beitrag "Neue Allianzen schmieden - Zum Charakter und zu Aufgaben der Sozialforumsbewegung" aus, mit der Einrichtung von Sozialforen habe sich die globale Bewegung einen wichtigen Raum geschaffen, um Erfahrungen auszutauschen, Analysen zu verfei nern, Strategien zu entwickeln und ihren Widerstand zu koordinie ren. 55 Ein Angehöriger der von unterschiedlichen linksextremisti schen Gruppierungen mitgetragenen "Initiative Berliner Sozialforum" stellte in einem von "Indymedia" 56 veröffentlichten In terview fest, der zunehmenden "Vernetzung sozialer Kräfte von un ten" liege die Erkenntnis zu Grunde, dass "alle von der forcierten Brutalisierung der Arbeitsund Lebensverhältnisse durch den NeoliBERICHT 2003 148 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN beralismus betroffen" seien. 57 Ein in globalisierungskritischen Zu sammenhängen exponierter Trotzkist verkündet Ende Oktober be reits euphorisch: "Die Linke in Deutschland hat aufgrund der neuen Bewegung viele Ansatzpunkte, wieder über ein alternatives Gesellschaftsprojekt zum Kapitalismus zu reflektieren. Nicht abstrakt, sondern konkret auf grund der sozialen Kämpfe und der von unten artikulierten Bedürf nisse der Masse der Bevölkerung." ("junge Welt" (jW) Nr. 252 vom 29. Oktober 2003, Beitrag "Linke und das ESF - Neue Möglichkeiten in der Bewegung offensiv nutzen", ESFSonderteil, S. 3) Tatsächlich jedoch konnte sich die globalisierungskritische Bewe gung in Deutschland - anders als etwa in Italien, Frankreich oder in Spanien - nicht als Massenphänomen etablieren. Der geringe Um fang der Protestszene erleichtert es den dort engagierten Linksextremisten, vor allem aus orthodox-kommunistischen und trotzkistischen Gruppen, ihren Einfluss geltend zu machen. 2. "Antifaschismus" Der "antifaschistische Kampf", ein traditionelles Aktionsfeld für linksextremistische Zusammenschlüsse, befand sich in einer tiefen Flaute, die mit geringer bzw. fehlender Mobilisierungsund Bünd nisbereitschaft, Verunsicherung und Frustration einherging. Die vielfach dominierenden breiten Bündnisse demokratischer Organi sationen im Kampf gegen den Rechtsextremismus - Autonome spre chen vom "staatlichen Antifaschismus" - und geeignete Polizeimaß nahmen erschwerten es Linksextremisten, sich entsprechend zu profilieren. Die eigentliche Stoßrichtung beim "antifaschisti schen Kampf" gilt der freiheitlich verfassten demo kratischen Gesellschaft. Sie wird von Linksextremis ten als "kapitalistisches System" bezeichnet, in dem der Faschismus angeblich seine Wurzeln habe. Dif ferenzen in der autonomen Szene über die vorran gige Orientierung des "antifaschistischen Kampfes" führten dazu, dass die Aktivitäten weiter reduziert wurden und das autonome Potenzial bei Protestak tionen gegen Aufmärsche von Rechtsextremisten zurückging. Offen erklärt die Szene, die "radikale Linke" befinde sich in der Krise: L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 149 "der Zustand der ehemaligen Antifabewegung schwankt weiterhin zwischen Auflösung und Stagnation". (Internet-Ausgabe der autonomen Szenepublikation "Phase 2 zeit schrift gegen die realität", Nr. 6 vom Januar 2003) Eine Minderheit von autonomen Gruppen, die trotz der - in den ver gangenen Jahren - gescheiterten Organisierung der "Antifa-Bewegung" an dem Postulat einer verbindlichen und koordinierten Zu sammenarbeit festhält, forderte, Agitation und Aktionen müssten sich vor allem gegen das System und die es tragende Zivilgesell schaft richten. So schreiben Autonome aus Nürnberg zum "aktuellen Stand" der Szene: "Und noch eines kann nicht oft genug wiederholt werden: Faschismus ist nichts anderes als die extremste Ausprägung des kapitalistischen Sy stems, seinen Ursachen gilt der Kampf, für eine Welt jenseits von Fa schismus und Krieg und damit jenseits kapitalistischer Ausbeutung und Unterdrückung." ("barricada - zeitung für autonome politik und kultur", Juni 2003, S. 3) Im Fokus eher "traditioneller" Autonomer stand weiter in erster Li nie der Kampf gegen "Faschos". Dabei wurde die Auseinanderset zung mit dem Gegner vornehmlich auf der Straße gesucht mit der Absicht, durch Massenmilitanz oder in "Kleingruppentaktik" Auf märsche von Rechtsextremisten zu verhindern oder zumindest räumlich oder zeitlich einzuschränken. Die Redaktion der Szenezeitschrift "INTERIM" bekräftigte: "Für Faschisten gilt im übrigen noch immer: Schlagt sie, wenn ihr sie trefft. Und trefft sie, wenn ihr sie schlagt." ("INTERIM" Nr. 569 vom 3. April 2003, S. 3) Zudem betrieben autonome Gruppierungen "Antifarecherche", um Strukturen und Logistik rechtsextremistischer Gruppen und Organi sationen aufzuklären. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse über Personen, Trefflokale, Schulungseinrichtungen oder "Naziläden" wurden in Publikationen oder im Internet veröffentlicht oder dienBERICHT 2003 150 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN ten zur Vorbereitung militanter Aktionen. Nachfolgend einige Beispiele für militante Aktionen gegen Rechts extremisten, die Linksextremisten zuzurechnen sind: Am 13. Februar protestierten in Dresden anlässlich des Jahrestags der alliierten Luftangriffe auf Dresden ca. 170 Angehörige der links extremistischen Szene gegen einen Aufmarsch der "Jungen Lands mannschaft Ostpreußen" (JLO). Etwa 70 Gewaltbereite griffen nach Abschluss der JLO-Versammlung Teilnehmer des Aufzugs, die sich in einer Straßenbahn aufhielten, mit Steinen und Feuerwerkskörpern an. Insgesamt nahm die Polizei 18 Personen in Gewahrsam. Die "Autonome Antifa Dresden" hatte zuvor im Internet dazu aufge rufen, den Aufmarsch zu verhindern: "Auch wir wollen die Innenstadt am 13. Februar besuchen und lassen uns nicht die Laune verderben von kerzenschwingenden Betroffenheits-Deutschen ... Es ist wieder ein Neonazi-Aufmarsch zu verhin dern ... Die Innenstadt ist also wieder voller betroffener Deutscher, die dem Tag seine besondere Prägung als Monster-Mob-Scheisse geben." Am 15. April verübten Angehörige der linksextremistischen Szene ei nen Brandanschlag auf ein von Rechtsextremisten erworbenes Ge bäude in Trebnitz (Sachsen-Anhalt). Eine "Antifaschistische Bürgeri nitiative" bezichtigte sich dieser Tat. In einem Interview beschrieben die Täter den Aufbau der benutzten Zündvorrichtungen und recht fertigten den Anschlag auf das "geplante Schulungsund Veranstal tungszentrum 'Schloss Trebnitz'". Insbesondere von "freien Kame radschaften" gehe eine Gefahr und eine Anziehungskraft aus, die den "Stiefelrassismus" fördere. Mit dem Anschlag sollten Nazizen tren in ihrer Arbeitsweise und Funktion behindert werden: "Wir haben uns entschieden für die konkrete Aktion mit konkretem Schaden für die Nazis, ohne dass es grade eine breite antifaschistische Bewegung gibt. Ziel war es unter anderem auch, zu zeigen, dass Wi derstand nicht nur symbolisch, sondern auch Ergebnisse vorweisen kann. Dadurch sollen auch andere Gruppen ermutigt werden, Wider stand, in welcher Form auch immer, zu leisten. Unser Widerstand, der wird weiter leben. Für Bunt statt Braun!" ("INTERIM" Nr. 575 vom 26. Juni 2003, S. 10) Am 24. Mai protestierten in Hannover etwa 1.500 Personen, an der L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 151 Spitze ein so genannter Schwarzer Block mit ca. 250 gewaltbereiten Linksextremisten, gegen einen Aufmarsch der "Nationaldemokrati schen Partei Deutschlands" (NPD). Die Demonstranten bewarfen Po lizeibeamte mit Flaschen, Steinen und anderen Gegenständen und beschossen sie mit Feuerwerkskörpern. Insgesamt erfolgten mehr als 300 freiheitsentziehende Maßnahmen durch die Polizei. In einem zuvor im Internet verbreiteten Aufruf hieß es: "Unverzichtbar ist antifaschistisches Handeln, das bei der Zivilcou rage im Alltag beginnt und das zu organisiertem politischem Protest und Widerstand gegen faschistische Entwicklungen führt. Die Neona zis lassen sich nicht mit Sozialarbeit und auch nicht durch schöne Re den und Appelle zurückdrängen." 3. "Antirassismus" Die bereits im Jahr 2002 zum Thema "An tirassismus" festgestellten Auseinander setzungen innerhalb der in der Grenz campbewegung vertretenen Spektren - autonome "antirassistische" Gruppen so wie Zusammenschlüsse von Migranten - dauerten an und beeinträchtigten die Ak tivitäten in diesem Aktionsfeld. Zwar einigte man sich 2003 auf die Ausrichtung eines gemeinsamen - seit 1998 jährlich stattfindenden - Grenzcamps, vom 31. Juli bis 10. August in Köln. Jedoch zeigten die Diskussionen auf dem Forum "Antirassismus ausbuchstabiert" vor Beginn des Grenzcamps sowie in der Nachbereitung, dass die Differenzen an Schärfe zugenommen hatten. In der Auseinandersetzung forderten Teile der autonomen Gruppen erneut eine inhaltliche Erweiterung des Camps. "Antirassismus" müsse nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in einen größe ren inhaltlichen Rahmen gestellt werden, zu dem auch eine radikale Systemkritik gehöre. Einzelne Vertreter autonomer Gruppen warfen den Zusammenschlüssen von Migranten vor, sie instrumentalisier ten die Grenzcampbewegung für ihre eigenen Forderungen. Es sei zu fragen, ob "antirassistische" Politik notwendigerweise eine Ko operation zwischen Migranten und Menschen ohne Migrationshin tergrund beinhalten müsse. BERICHT 2003 152 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN An dem "6. antirassistischen Grenzcamp" in Köln nahmen dauerhaft etwa 500 Personen teil. Bereits am 9. August, einen Tag vor dem geplanten Ende, löste die Polizei das Camp auf, da einzelne Teilnehmer bei der Vorbereitung von Protestaktio nen gegen eine Demonstration von Rechtsextremisten in er heblichem Umfang Straftaten begangen hatten und weitere Straftaten zu erwarten waren. Als Reaktion auf die Auflösung kam es in mehreren Städten auch zu militanten Protesten. Am 24. August beispielsweise warfen Vermummte mit Farbe und Bi tumen gefüllte Gasflaschen gegen die Gebäudefront der Landesver tretung Nordrhein-Westfalen in Berlin. Dabei entstand erheblicher Sachschaden. In einer mit "Autonome Campistas" unterzeichneten Selbstbezichtigung, die am 26. August bei der Nachrichtenagentur ddp und der Frankfurter Rundschau einging, erklärten die Verfasser ihre Solidarität mit den "Betroffenen der brutalen Übergriffe" durch die Polizei und forderten zur Nachahmung ihrer Aktion auf: "Was wir ... vermitteln wollen ist, dass es trotz des helllichten Tages, dem Wachschutz, den glotzenden Passanten und den Überwachungs kameras möglich war, eine militante Aktion in der Mitte der Haupt stadt durchzuziehen und diese als Beispiel (zur Nachahmung emp fohlen) angesehen werden soll." Im Berliner Szeneblatt "INTERIM" propagierten Vertreter der Grenz campbewegung provozierend, sie fühlten sich nicht zu Unrecht kri minalisiert. Innerhalb des herrschenden Kriminalitätsbegriffs seien sie gerne kriminell: "Wir halten es für nötig, auf vielfältige Weise Gesetze zu brechen ... Eine emazipatorische Kritik und Praxis, die den rassistische verfass ten Staat genauso wie die rassistische Struktur der Gesellschaft an greifen will, muss sich jenseits von Gesetz und Kriminalitätsempfin den bewegen. Deswegen kann sich antirassistische Politik nicht auf einem, ihr zugewiesenen Platz in der demokratischen Pluralität der Zivilgesellschaft niederlassen." ("INTERIM" Nr. 578 vom 4. September 2003, S. 6 f.) 4. Kampagne von Linksextremisten gegen Kernenergie Linksextremisten versuchten weiterhin, dem im Wesentlichen von nichtextremistischen Bürgerund Umweltschutzinitiativen getra L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 153 genen Protest gegen die friedliche Nutzung der Kernenergie eine systemüberwindende Stoßrichtung mit antikapitalistischem Akzent zu geben: "Wir haben schon ein sehr ernsthaftes Anliegen und das richtet sich gegen die bestehenden Herrschaftsverhältnisse ... Denn es geht uns nicht nur darum, die Atomtechnologie zu stoppen - und zu glauben, danach ist alles in Ordnung - sondern es geht uns um eine Gesellschaft, in der u. a. diese menschenverachtende Technologie keinen Platz hat. Die Atomtechnologie ist nicht ein Fehler, sondern konsequenter Aus druck dieser herrschenden Verhältnisse. Verhältnisse, in denen die Profitinteressen der Konzerne über die Lebensinteressen der Men schen gestellt werden, in denen Menschen zunehmend nach ihrer Verwertbarkeit kategorisiert und selektiert werden." ("Solidaritätsgruppe Goldene Hakenkralle, Juli 2003", in: "INTERIM" Nr. 579 vom 18. September 2003, S. 22) Gleichwohl war die Beteiligung von Linksextremisten an Protestak tionen erneut rückläufig. Damit verfestigte sich der seit dem Jahr 2002 insgesamt zu verzeichnende Trend abnehmender Störerakti vitäten unterschiedlich ausgerichteter Anti-Atom-Initiativen sowie deren mittelbare oder unmittelbare Unterstützung durch Linksex tremisten. Die insgesamt 11CASTOR-Transporte aus Deutschland in die Wieder aufarbeitungsanlagen (WAA) nach La Hague (Frankreich) und Sella field (Großbritannien) verliefen nahezu störungsfrei. Aktionsschwerpunkte waren wie in den Vorjahren die Proteste ge gen den CASTOR-Transport von der WAA La Hague in das Brennele mentezwischenlager Gorleben (Niedersachsen) vom 10. bis 12. No vember. Bundesweit beteiligten sich daran bis zu 4.500 Personen, darunter rund 250 bis 300 Aktivisten aus dem linksextremistischen Spektrum, einschließlich gewaltbereiter Linksextremisten. Trotz mehrmonatiger Mobilisierung im Internet konnte eine anarchis tisch ausgerichtete Anti-Atom-Initiative nur etwa 150 Sympathisan ten für eine Schienenblockade mobilisieren. Auch Störmaßnahmen wie zwei Gleisblockaden durch sog. Ankettaktionen, eine Straßen blockade und die Unterspülung einer für den abschließenden LkwTransport verwendeten Kreisstraße führten zu keiner wesentlichen Beeinträchtigung des Transports. Kurz vor dem CASTOR-Transport waren bereits Hakenkrallenund Brandanschläge sowie Schienen blockaden verübt worden. BERICHT 2003 154 L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN Die von einigen Anti-Atom-Initiativen erwartete Unterstützung ins besondere aus der sog. Anti-Kriegsund der Anti-Globalisierungsbewegung blieb aus. Kontakte zwischen deutschen und französi schen Atomkraftgegnern reduzierten sich auf die Verabredung vereinzelter gemeinsamer Protestaktionen auf regionaler Ebene. Insgesamt hat die Anti-Atom-Bewegung gegenüber den Vorjahren erheblich an Mobilisierungskraft verloren. Daraus resultiert auch das geringere Interesse von Linksextremisten und vor allem Autonomer an dieser Bewegung. Gleichwohl ist weiterhin mit einem gewaltbe reiten Störerpotenzial zu rechnen, das seine Aktivitäten gegen CASTOR-Transporte - vornehmlich ins Zwischenlager Gorleben - richten wird. So stellten "Autonome Gruppen" resümierend fest, der Widerstand gegen Castortransporte ins Wendland verfüge über eine stabile Massenbasis. Die Akzeptanz von "eingebetteten militanten Aktio nen" scheine innerhalb des aktiven Teils der dortigen Bevölkerung in den letzten Jahren zu steigen. Aufgabe autonomer Gruppierung wäre es, sich untereinander und mit Aktivisten vor Ort noch enger zu vernetzen und bei weiteren Transporten "Akzente zu setzen: phantasievoll, subversiv und unberechenbar". 58 VI. Agitationsund Kommunikationsmedien 1. Verlage, Vertriebe und periodische Publikationen Im Jahr 2003 verbreiteten über 30 Verlage und Vertriebsdienste im Bereich des Linksextremismus Zeitungen, Zeitschriften und Bücher. Die Gesamtzahl der von diesen Verlagen und Vertriebsdiensten he rausgegebenen periodischen Publikationen (etwa 220) sowie die Ge samtauflage von nahezu acht Millionen Exemplaren hat sich ge genüber 2002 nur unwesentlich verändert. 2. Internet Für Linksextremisten ist die Nutzung des Internet, insbesondere des "World Wide Web", zur Selbstverständlichkeit geworden. In erster Linie dient es dazu, Informationen zu verbreiten und zu dokumen tieren, aber auch dem Versuch, Teile der Szene zu vernetzen. Zur Vernetzung, so hieß es noch Ende 2003 in einem Beitrag der "INTERIM", sei das Internet ein "sehr geeignetes Medium". Zugleich wurde kritisch bemerkt, dass sich innerhalb linker Zusam menhänge ein "doch etwas nachlässiger Umgang mit der Sicher heitsproblematik" beim Einsatz von Handys und Computern einge stellt habe. Vor "drohender Repression" sei unverändert L I N K SE X T REM I ST I SCH E BE ST REBU N GEN 155 entsprechender Schutz notwendig: "Grob gesagt, bist Du ab und zu im Internet, weiß die Polizei im Zwei felsfall, was Du sonst so mit dem Computer machst. Und zwar ge nauer und mehr als Du selbst noch auf der Festplatte - zumindest auf den ersten Blick - erkennen kannst." ("INTERIM" Nr. 585 vom 18. Dezember 2003, S. 9) Völlig sicher sei nur eine klare physische Trennung des privaten, am Internet angeschlossenen Computers vom "politischen" Rechner. Denn: "... mensch (sollte) schon vorsichtig sein, wenn es sich um repressi onsbedrohte Tätigkeiten handelt, und einige Sicherheitsfragen verin nerlichen." Die etablierten Informationsportale wie "nadir", "Partisan.net", "gipfelsturm" oder "LINKE SEITE" bün deln die Vielzahl der im Internet vorhan denen "einschlägigen" Informationen, um sie - nach Themenschwerpunkten wie "Antifaschismus", "Antiglobalisierung" oder "Antiimperialis mus" (Kampagne gegen die US-Intervention im Irak) kategorisiert - leicht auffindbar zu machen. Verstärkt werden von Linksextremisten zu einzelnen Themen oder Ereignissen "Kampagnenseiten" eingestellt. Auf diesen Seiten wird zu Demonstrationen oder Aktionen zu bestimmten Anläs sen aufgerufen oder umfassend und aktuell zu Ereignis sen - wie die Szene interessierenden Gerichtsverfahren - informiert. Die Gestaltung der Internetseiten ist eher nüchtern, unter weitgehendem Verzicht auf optische und akustische Ele mente. Soweit Audiound Videodateien eingesetzt wer den, haben diese in der Regel einen dokumentarischen Charakter. So bietet beispielsweise das von Linksextremis ten verstärkt genutzte Informationsportal "indymedia.de" im Rahmen der Berichte über Demonstrationen/Aktionen oftmals Bildmaterial an. BERICHT 2003 156 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 158 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN I. Überblick Extremistische und terroristische Ausländergruppierungen bedroh ten auch 2003 die innere Sicherheit Deutschlands nachhaltig. Wie derum ging die größte Gefahr von islamistischen Terroristen aus, die dem Leitprinzip eines "Jihad" (verstanden als gewalttätiger Kampf/ "heiliger Krieg" gegen den Westen) folgen. Auch Deutschland war und bleibt Teil des Gefahrenraumes. Deutsche Staatsbürger waren Opfer von Anschlägen im Ausland. Die Aktivitäten der extremistischen Ausländerorganisationen in Deutschland wurden wieder maßgeblich durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Ideologische Posi Nach Ansicht militanter Islamisten ist der "Jihad" gegen die vom tionen militanter "wahren Glauben Abgefallenen" sowie gegen "Ungläubige" musli Islamisten mische Pflicht. Er diene der Verteidigung und der Ausbreitung des Islam und ist nach ihrer Überzeugung erst dann zu beenden, wenn der in ihrem Sinn verstandene Islam weltweit die herrschende Reli gion und Staatsmacht ist. Träger dieser Form des "Jihad" sind die "Mujahedin", die "heiligen Krieger". Es handelt sich um Personen, die eine militärische Ausbildung und z. T. auch Kampferfahrung in Krisengebieten, insbesondere in Afghanistan, Bosnien, Tschet schenien und aktuell auch im Irak, erworben und ideologische Un terweisungen u. a. in afghanischen, sudanesischen oder pakistani schen Trainingslagern erhalten haben. Vor allem arabische Muslime - Angehörige aus nahezu allen islamistischen Organisationen aus den Ländern des Maghreb, Libyen, Ägypten, Sudan, Saudi-Arabien und anderen Staaten des Nahen Ostens - haben solche Ausbildungs lager durchlaufen. In den Ausbildungslagern entstehen jene persönlichen Kontakte, die das multinationale Netzwerk der "Arabischen Mujahedin" tra gen. Dieses Netzwerk erstreckt sich in unterschiedlicher Dichte über alle Kontinente und ermöglicht einen Einsatz an jedem Ort, an dem Islamisten den "heiligen Krieg" für notwendig halten. Religiös gelei teter Fanatismus, menschenverachtender Hass, Rigorosität in der Wahl von Zielen und Aktionsmitteln, hohe Mobilität und Konspira tion machen die Gefährlichkeit der "Arabischen Mujahedin" aus. "Al-Qaida" und Zu diesem Spektrum zählen die von Usama BIN LADEN gegründete Netzwerke "Arabi "Al-Qaida" sowie die mit ihr kooperierenden Netzwerke "Arabischer scher Mujahedin" Mujahedin" bzw. einzelne regionale islamistische Organisationen. Diese haben den USA und ihren Verbündeten den "heiligen Krieg" erklärt. Sie werfen den USA weltweites Vormachtstreben, Einmi schung in die Angelegenheiten muslimischer Staaten und einseitige SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 159 Parteinahme zugunsten Israels im Nahost-Konflikt vor. Aus ihrer Sicht sind die Vereinigten Staaten Sinnbild für "Dekadenz" und "Un moral" westlicher Kultur und Lebensweise. Der Verlust Afghanistans als zentralem Ort für Ausbildungslager der "Al-Qaida" hatte Abwanderungen "Arabischer Mujahedin" u. a. nach Pakistan, Iran, in den Norden des Irak, Tschetschenien, in den Jemen und in den südostasiatischen Raum zur Folge. Ein breiter Fahndungs druck und eine Anzahl von Verhaftungen auch ranghoher "AlQaida"-Führer (z. B. Khalid SHEIKH MOHAMMAD, Planer mehrerer Anschläge, mutmaßlich auch des Anschlags vom 11. September 2001, sowie des als Hambali bekannten Riduan BIN ISAMUDDIN, Führungs mitglied der südostasiatischen "Jemaah Islamiyah", verantwortlich für den Anschlag auf Bali) wirkten sich auf die Operationsmöglich keiten sowohl der "Al-Qaida" als auch regionaler Gruppen aus. Gleichwohl ist weiterhin von Aktivitäten zur Vorbereitung von An schlägen seitens "Arabischer Mujahedin" auszugehen. Die Umset zung terroristischer Planungen orientiert sich nicht an konkreten politischen Tagesereignissen oder Kalenderdaten, sondern be stimmt sich wesentlich danach, welche Erfolgsaussichten Terror isten für ihre Vorhaben sehen. Die Anschläge in Riad (Saudi-Arabien) am 12. Mai und 8. November, Casablanca (Marokko) am 16. Mai und Jakarta (Indonesien) am 5. August auf Wohnanlagen, Restaurants und ein Hotel, aber auch die Anschläge im Irak auf Einrichtungen von Hilfsorganisationen sowie der Vereinten Nationen (die Täter im Einzelnen sind nicht bekannt) lassen befürchten, dass auch künftig kaum zu schützende "weiche" Ziele im Visier islamistischer Täter bleiben. Dafür sprechen auch die Anschläge am 15. und 20. Novem ber in Istanbul auf zwei Synagogen, das britische Generalkonsulat und eine britische Investmentbank. Der Irak-Konflikt hatte als Handlungsmotiv für terroristische Akti vitäten der "Arabischen Mujahedin" zunächst keine besondere Rolle gespielt, war dann allerdings in Erklärungen Usama BIN LADENs in den Vordergrund gerückt. In Botschaften rief BIN LADEN zu Selbst mordanschlägen auf und erklärte den "Jihad" als Pflicht aller Mus lime. Die zunehmenden Aktivitäten von "Mujahedin"-Gruppen im Irak deuten darauf hin, dass sich der Kampf gegen die US-Truppen dort zum Kristallisationspunkt eines internationalen "Jihad" ent wickeln könnte mit dem Ziel, nicht nur die militärische Präsenz der USA im Irak, sondern im ganzen Nahen und Mittleren Osten zu be enden. Auch in Bezug auf Deutschland kann trotz hohen Fahndungsdrucks und Erfolgen der Sicherheitsbehörden keine Entwarnung gegeben werden. Die zahlreichen Festnahmen mutmaßlicher islamistischer BERICHT 2003 160 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Gewalttäter in Westeuropa, auch in Deutschland, verdeutlichen vielmehr den Grad der Präsenz und der Vernetzung von Strukturen "Arabischer Mujahedin" in Europa. Bei den Ermittlungen aufgefun dene Dokumente und Materialien deuteten immer wieder auf An schlagsplanungen und Vorbereitungen hin. Auch in Deutschland ist weiterhin von einem - zahlenmäßig nicht konkret zu beziffernden - Potenzial "Arabischer Mujahedin" mit internationalen Verbindun gen auszugehen. Deutschland kommt nicht nur als Vorbereitungs raum für Anschläge andernorts in Betracht, auch Einrichtungen in der Bundesrepublik könnten Ziel von Anschlägen werden, da auch Deutschland in den Augen von Islamisten zum Lager der sog. Kreuz zügler, zu den Helfern der USA und Israels, zählt und sich zudem in Afghanistan engagiert. Die hohe Gefährdung für US-amerikanische, israelische und jüdische sowie britische Einrichtungen in Deutsch land besteht fort. Einrichtungen anderer westlicher Alliierter der USA sowie prowestlich ausgerichteter muslimischer Staaten müssen ebenfalls als gefährdet angesehen werden. Islamistische Islamisten gehen davon aus, dass mit der Scharia (islamisches Positionen Rechtssystem) - d. h. den im Koran, in der Sunna (Praxis der musli mischen Urgemeinde) und den Hadithen (Taten und Aussprüche des Propheten Mohammed) enthaltenen Bestimmungen - eine alle Le bensbereiche regelnde göttliche Ordnung vorgegeben sei, die es überall zu verwirklichen gelte. Jegliche Staatsgewalt könne aus schließlich von Gott und seinem im Koran offenbarten Willen, nicht aber vom Willen des Volkes abgeleitet werden. Demokratische Grundprinzipien wie die Volkssouveränität, das Mehrparteiensys tem oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentari schen Opposition sind mit diesem Absolutheitsanspruch unverein bar; sie werden von Islamisten abgelehnt. Die Mehrzahl der sonstigen im Bundesgebiet vertretenen islamisti schen Ausländergruppierungen, so z. B. die am 15. Januar mit einem Betätigungsverbot belegte "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (HuT) oder der im Dezember 2001verbotene "Kalifatsstaat", verfolgen als vorrangi ges Ziel, westlich orientierte Regimes in den Herkunftsländern durch ein auf die Scharia gegründetes islamistisches Staatsund Gesell schaftssystem zu ersetzen. Einige erklären offen, die Weltherrschaft des Islam anzustreben. Ihre Mitglieder sind oft als politische Flücht linge nach Deutschland gelangt und unterstützen von hier die zum Teil gewaltsamen Bestrebungen in ihren Heimatregionen, z. B. die li banesische "Hizb Allah" (Partei Gottes) oder die palästinensische "Is lamische Widerstandsbewegung" (HAMAS). Andere islamistische Gruppierungen verfolgen eine breiter angelegte Strategie. Zwar wol len auch sie die Herrschaftsverhältnisse in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamistischen Staatswesens ändern, zugleich stre SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 161 ben sie aber an, ihren Anhängern in Deutschland Freiräume zu schaf fen, in denen diese ein Leben nach der Scharia führen können. Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) ist als mitglie derstärkste islamistische Organisation in Deutschland nach wie vor von besonderer Bedeutung. Die Verbindungen der IGMG zur türki schen "Partei der Glückseligkeit" (SP), die ebenso wie die Vorgänger parteien unter erheblichem Einfluss von Necmettin ERBAKAN steht, bestehen fort. Auch 2003 setzte die IGMG ihre faktisch desintegra tive islamische Bildungsarbeit fort, die sich schwerpunktmäßig an türkische Kinder und Jugendliche richtet. Mit ihrem Gesellschafts modell, das letztlich auf eine einheitlich religiös formierte Gesell schaft hinausläuft, fördert sie die Entstehung und Ausbreitung isla mistischer Milieus in Deutschland. Gleichzeitig versucht sie sich als auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehende Organisation darzustellen, die sich um Integration bemühe. Ähnlich wie die IGMG agiert teilweise auch die "Muslimbruder schaft" (MB). Deren Ideen werden von der "Islamischen Gemein schaft in Deutschland e. V." (IGD) und den ihr angeschlossenen "Isla mischen Zentren" verbreitet. Zu den Aktivitätsschwerpunkten zählt ebenfalls die islamische Bildungsarbeit. Linksextremistische Ausländergruppierungen verfolgen - wenn auch Linksextremisti in unterschiedlicher Intensität - nach wie vor die "revolutionäre" Zersche Positionen schlagung der bestehenden Gesellschaftsordnungen und die Errich tung sozialistischer bzw. kommunistischer Systeme in ihren Heimat ländern. Die ideologischen Wurzeln der hauptsächlich türkischen Gruppierungen finden sich zumeist im Bereich des Marxismus-Leninismus sowie des Maoismus. Die zum Teil stark ausgeprägte "antiim perialistische" Einstellung dieser Organisationen äußerte sich auch im Jahr 2003 vielfach wieder in Protesten gegen die USA. Türkische linksextremistische Organisationen thematisierten außerTürkische linksex dem erneut die Verlegung "politischer Gefangener" in türkischen tremistische Haftanstalten aus Großraumgefängnissen in Einzelzellen. Organisationen Der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), der PKK/KADEK/KONsich als Nachfolger der in Deutschland verbotenen "Arbeiterpartei GRA GEL Kurdistans" (PKK) versteht, hat seinen nach eigenem Bekunden auf eine friedliche Lösung der Kurdenfrage angelegten politischen Kurs trotz mehrfacher ultimativer Drohungen gegenüber der türkischen Regierung fortgesetzt. Das durch das türkische Parlament im Juli verabschiedete "Resozialisierungsgesetz", das für Mitglieder terro ristischer Organisationen unter bestimmten Bedingungen MöglichBERICHT 2003 162 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN keiten der Strafmilderung vorsieht, wurde durch den KADEK abge lehnt und in mehreren Propagandakampagnen thematisiert. Auf dem 9. Parteikongress, der Ende Oktober im Nord-Irak stattfand, be schloss der KADEK seine Auflösung. Nur kurze Zeit später, am 15. No vember, gab der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) seine Gründung bekannt. Nach eigenen Verlautbarungen will der KONGRA GEL die Politik des KADEK fortsetzen, ein eigener Kurdenstaat werde nicht angestrebt. Nationalistische Für nationalistische bzw. nationalistisch geprägte Ausländerorgani Positionen sationen - im Vordergrund stehen türkische Gruppierungen - nimmt die Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell den höchsten Stellenwert ein. Diese Ideologie missachtet die Rechte anderer Völker und bemisst den Wert des Menschen aus der Zu gehörigkeit zu einer Nation bzw. Rasse. Somit besteht ein elementa rer Widerspruch zu fundamentalen Menschenrechten und dem Ge danken der Völkerverständigung. Iranische Oppositi Die Aktivitäten extremistischer iranischer Oppositionsgruppen rich onsgruppen teten sich weiterhin primär gegen die Herrschaftsverhältnisse in der Islamischen Republik Iran. Für die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) waren darüber hinaus polizeiliche Maßnahmen gegen Mitglieder und Objekte der Organisation in Frankreich sowie die Aufnahme der MEK in die internationale Liste terroristischer Organi sationen weitere Agitationsschwerpunkte. Asiatische Separatistische Organisationen aus Südasien wie die "Liberation Ti Separatisten gers of Tamil Eelam" (LTTE) aus Sri Lanka sowie Organisationen der Sikhs, die für einen unabhängigen Staat Khalistan auf dem Gebiet In diens eintreten, konzentrierten sich weiterhin auf propagandisti sche Aktivitäten und die Beschaffung von Geldmitteln. II. Übersicht in Zahlen 1. Organisationen und Personenpotenzial 1 In Deutschland lebten Ende 2003 rund 7,3 Millionen Ausländer, da runter über 3 Millionen Muslime. Die meisten von ihnen leben ihren Glauben im Rahmen unserer freiheitlichen Gesellschaftsordnung, lediglich eine Minderheit (rund 1%) hat sich islamistischen Organisa tionen angeschlossen. In die 24 (2002: 22) aktiven islamistischen Organisationen waren nach Schätzungen der Verfassungsschutzbehörden im Jahr 2003 etwa 30.950 (2002: etwa 30.600) Personen fest eingebunden. Der Wirkungskreis dieser Organisationen ist allerdings wesentlich größer. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 163 Über die von ihnen betriebenen Moscheen und Islamischen Zentren erreichen sie nicht nur ihre Mitglieder, sondern auch mehrere Tau send Muslime, die diese Einrichtungen regelmäßig aufsuchen. Mitgliederstärkste Organisation blieb die türkische "Islamische Ge meinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) mit unverändert rund 26.500 Mitgliedern. Das Anhängerpotenzial der islamistischen Organisationen aus dem arabischen Raum stieg auf 3.300 (2002: 3.150) an. Der ägyptische und der syrische Zweig der "Muslimbruderschaft" (MB) verfügten zusammen über 1.300 Mitglieder (2002: 1.200). Die Anhängerschaft der libanesischen "Hizb Allah" (Partei Gottes) umfasste weiterhin rund 800 Personen. Das Personenpotenzial der Netzwerke "Arabischer Mujahedin" ist für Deutschland nicht bezifferbar. Das Mitgliederund Anhängerpotenzial der 41(2002: 42) nicht islami stischen, sicherheitsgefährdenden bzw. extremistischen Ausländer organisationen ist 2003 auf 26.450 (2002: 26.750) zurückgegangen. Am stärksten betraf dies die linksextremistischen oder linksextremis tisch geprägten Ausländergruppierungen, deren Personenpotenzial auf 17.470 (2002: 17.850) weiter zurückging. Auch das Mitgliederpotenzial nationalistischer Ausländergruppie rungen hat sich mit 8.880 (2002: 8.900) Personen leicht verringert. BERICHT 2003 164 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Mitgliederpotenzial extremistischer Ausländerorganisationen 1) Staatsangehörigkeit Linksextremisten Extreme Islamisten Gesamt bzw. Nationalisten Volkszugehörigkeit Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Gruppen Personen Kurden 2) 2003 21 11.850 21 11.850 2002 22 11.850 22 11.850 20 0 1 22 12.350 22 12.350 Türken 2) 2003 12 3.370 1 8.000 6 27.300 19 38.670 2002 12 3.650 1 8.000 5 27.300 18 38.950 20 0 1 12 3.950 1 8.000 5 28.650 18 40.600 Araber 2003 4 150 14 3.300 18 3.450 2002 4 150 14 3.150 18 3.300 20 0 1 4 150 12 3.100 16 3.250 Iraner 2003 2 1.200 1 50 3 1.250 2002 2 1.300 1 50 3 1.350 20 0 1 1 900 1 100 2 1.000 Sonstige 2003 2 900 4 880 3 300 9 2.080 2002 2 900 4 900 2 100 8 1.900 20 0 1 2 900 4 900 1 100 7 1.900 Summe 2003 41 17.470 5 8.880 24 30.950 70 57.300 2002 42 17.850 5 8.900 22 30.600 69 57.350 20 0 1 41 18.250 5 8.900 19 31.950 65 59.100 1) Die Zahlenangaben beziehen sich auf Deutschland und sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2) Hier werden auch mit Verbot belegte Gruppen gezählt. 2. Extremistisch motivierte Strafund Gewalttaten aus dem Bereich des Ausländerextremismus* Extremistisch motivierte Strafund Gewalttaten aus dem Bereich des Ausländerextremismus bilden eine Teilmenge des Phänomenbe reichs "Politisch motivierte Ausländerkriminalität". Dem Phäno menbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" wurden 1.743 (2002: 845) Straftaten, hiervon 122 (2002: 103) Gewalttaten, zu geordnet. In diesem Bereich wurden 1.473 (2002: 573) Straftaten mit extremistischer Motivation, darunter 88 (2002: 61) Gewalttaten, er fasst. * Zum Definitionssystem "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) und zu den "Politisch motivierten Strafund Gewalttaten" vgl. Kap. II, Nr. 2.1und 2.2 im Berichtsteil "Rechtsextremistische Bestrebun gen". SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 165 Übersicht über Gewalttaten und sonstige Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" 1) Gewalttaten: 2002 2003 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 4 0 Körperverletzungen 20 32 Brandstiftungen 2 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbruch 7 9 Gefährliche Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 6 Freiheitsberaubung 8 4 Raub 2 2 Erpressung 16 20 Widerstandsdelikte 1 9 Sexualdelikte 0 1 gesamt 61 88 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 22 28 Nötigung/Bedrohung 23 17 Andere Straftaten 467 1.340 gesamt 512 1.385 Straftaten insgesamt 573 1.473 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Übersicht enthält - mit Ausnahme der Tötungsdelikte - vollendete und versuchte Strafta ten. Jede Tat wurde nur einmal gezählt. Ist zum Beispiel während eines Landfriedensbruchs zu gleich eine Körperverletzung begangen worden, so erscheint nur die Körperverletzung als das Delikt mit der höheren Strafandrohung in der Statistik. Wurden mehrere Straftaten verübt, wurde ausschließlich der schwerer wiegende Straftatbestand gezählt. BERICHT 2003 166 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" 1) [ in den Ländern ] Baden19 Württemberg 15 18 Berlin 16 Nordrhein13 Westfalen 11 8 Bremen 1 7 Hessen 1 5 Hamburg 2 4 Niedersachsen 4 Schleswig- 4 Holstein 0 2 Brandenburg 0 2 Thüringen 0 1 Bayern 9 1 Saarland 1 1 Sachsen 1 Mecklenburg- 1 Vorpommern 0 Rheinland- 1 Pfalz 0 Sachsen- 1 Anhalt 0 2003 2002 1) Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 167 III. Ziele und Aktionsschwerpunkte einzelner Gruppen 1. Araber 1.1 "Al-Qaida" (Die Basis)/"Arabische Mujahedin" (Kämpfer für die Sache Allahs) "Al-Qaida" (Die Basis) gegründet: Mitte der 80er Jahre Leitung: Usama BIN LADEN Mitglieder/Anhänger: keine gesicherten Zahlen "Arabische Mujahedin" Entstehungszeit: Anfang der 80er Jahre in Pakistan/Afghanistan Mitglieder/Anhänger: keine gesicherten Zahlen Kennzeichnend für die ideologische Ausrichtung "Arabischer Muja hedin" ist ein pan-islamischer Ansatz, der die Verteidigung der mus limischen Welt gegen Ungläubige propagiert, verbunden mit einer militanten Ablehnung der westlichen Gesellschaft und ihrer Werte. Islamisten arabischer Herkunft bilden den größten Anteil des welt Paramilitärische weiten amorphen Netzwerkes "Arabischer Mujahedin". Diese, aber Ausbildungslager auch Mujahedin anderer Herkunft, haben als Anhänger des inter nationalen "Jihads" oftmals an Kampfeinsätzen in Afghanistan, Bos nien, Kaschmir, Tschetschenien oder - seit dem Frühjahr 2003 - im Irak teilgenommen bzw. dort eine militärische oder terroristische Ausbildung erhalten. Hieraus entstandene persönliche Kontakte bil den das verbindende Element der Netzwerkstrukturen, deren An gehörige aber auch Verbindungen zu regionalen islamistischen Or ganisationen z. B. in den Ländern Nordafrikas, in Ägypten, Jordanien oder dem Libanon unterhalten oder herstellen können. Kern der Bewegung der "Arabischen Mujahedin" ist trotz der mi litärischen Intervention der US-Streitkräfte in Afghanistan im Herbst 2001nach wie vor die Kaderorganisation Usama BIN LADENs, "AlQaida" (Die Basis). Der Zusammenbruch des Taliban-Regimes in Afghanistan zwang "Al-Qaida"-Angehörige und andere Mujahedin, von dort nach Pakis tan oder in den Iran, aber auch auf die arabische Halbinsel, nach Südostasien, Tschetschenien oder in den Nord-Irak auszuweichen. Dadurch wurde eine zentrale Führung der Bewegung durch Usama BIN LADEN und dessen Stellvertreter Dr. Ayman AL-ZAWAHIRI deut lich erschwert, konnte aber nicht gänzlich unterbunden werden. BERICHT 2003 168 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Festnahme Khalid Mit der Festnahme Khalid SHEIKH MOHAMMADs am 1. März nahe SHEIKH MOHAMder pakistanischen Hauptstadt Islamabad verlor "Al-Qaida" eine MADs zentrale Führungsperson und einen der wichtigsten Organisatoren von Terroranschlägen. Er gilt als Urheber und Planer der Anschläge vom 11. September 2001und soll auch in die Vorbereitungen des An schlags auf Djerba am 11. April 2002 eingebunden gewesen sein, bei dem 23 Menschen, darunter 14 Deutsche, ums Leben gekommen wa ren. Bereits am 11. September 2002 war, ebenfalls in Pakistan, Ramzi BINALSHIB festgenommen worden. Mit der Verhaftung dieser bei den Personen wurde die vormals sehr aktive "Al-Qaida"-Struktur in Pakistan erheblich geschwächt. Bis dahin galt Pakistan neben Afgha nistan als das Land mit den ausgeprägtesten "Al-Qaida"-Strukturen. Der Irak-Krieg als Der Kriegsbeginn im Irak am 21. März hatte für Islamisten weltweit, Motivationsfaktor insbesondere aber für "Al-Qaida" und die "Arabischen Mujahedin", eine Mobilisierungswirkung. Die Ablehnung der militärischen Prä senz der USA und der Alliierten im Irak sowie Aufrufe zum Kampf ge gen die "Besatzer" sind Stereotype in der Agitation von Islamisten. Unbeeinflusst blieb diese Stimmungslage von der Bekanntgabe des vorläufigen Endes der offiziellen Kampfhandlungen am 2. Mai. "AlQaida" und andere Netzwerke "Arabischer Mujahedin" nutzen die Situation im Irak zur Rekrutierung neuer Kämpfer für den "Jihad". Der Erzfeind USA habe ein muslimisches Land angegriffen und dort Soldaten als "Besatzer" zurückgelassen, die es zu vertreiben gelte. Tatsächlich folgten viele Mujahedin den Aufrufen, sich in den Irak zu begeben, um dort gegen die "Ungläubigen" zu kämpfen. Vor die sem Hintergrund entwickelte sich der Irak 2003 zum wichtigsten Schauplatz des "Jihad". Rolle der Gruppie Die islamistische kurdische Gruppierung "Ansar Al-Islam" (AAI) kon rung "Ansar trollierte bis zur US-Intervention ein kleines Gebiet rund um die Al-Islam" Stadt Halabja im Norden des Irak. Ziel der AAI war die Gründung ei nes eigenen islamischen Staates im kurdischen Teil des Irak. In den Monaten vor Kriegsbeginn verdichteten sich Hinweise darauf, dass das von der AAI besetzte Gebiet auch als Rückzugsgebiet von "AlQaida"-Kämpfern genutzt wurde. Diese sollen im kurdischen Teil des Irak ein Ausbildungslager errichtet haben. Auch der eng mit der "AlQaida" verbundene, immer noch flüchtige Jordanier Ahmed Nazzal Fadhil AL-KHALALIYAH alias "Abu Mosab AL-ZARQAWI", Anführer eines eigenen Mujahedin-Netzwerkes, soll sich zeitweise im Gebiet der AAI aufgehalten haben. In Deutschland konnten Personenzu sammenhänge festgestellt werden, die zumindest logistische Unter stützungshandlungen für die AAI leisteten. Diese Netzwerke werden mittlerweile auch von Islamisten nichtirakischer Herkunft zur Un terstützung von Mujahedin-Aktivitäten im Irak genutzt. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 169 Am 2. Dezember wurden in München vier Personen, die der AAI zu gerechnet werden, wegen des Verdachts der gewerbsund banden mäßigen Einschleusung von Ausländern festgenommen. Drei der Festgenommenen wurden nach erkennungsdienstlicher Behand lung wieder auf freien Fuß gesetzt. Gegen den Hauptbeschuldigten, Amin Lokman MOHAMED alias "Lokman", erging Haftbefehl wegen Schleusungstätigkeiten. Der bereits am 28. November im Rahmen einer international koordinierten Aktion in Hamburg festgenom mene gebürtige Algerier Abderrazak MAHDJOUB gilt als Kontakt person zu "Lokman" und soll als Logistiker für die AAI tätig gewesen sein.2 Die von der "Al-Qaida"-Propaganda ins Visier genommenen Feind Feindbilder / Ver bilder waren auch 2003 vor allem die USA, Israel und die Staaten der lautbarungen westlichen Welt. Konkrete Drohungen richteten sich - vor dem Hin tergrund des Krieges im Irak - vor allem an die an der Kriegsallianz der USA beteiligten Staaten. Daneben gab es Drohungen gegen je den Staat, der sich seit den Anschlägen vom 11. September 2001an ir gendeiner Stelle besonders für den Kampf gegen den Terror enga giert hat. Der vermeintliche Kampf gegen den Terror sei in Wahrheit ein Kampf gegen den Islam. Besondere Aufmerksamkeit der "AlQaida"-Führung galt - in zahlreichen Verlautbarungen BIN LADENs und AL-ZAWAHIRIs - auch den Regierungen derjenigen islamischen Staaten, die sich aus Sicht der Organisation als zu westlich und zu ko operativ mit den "Feinden des Islam" gezeigt hatten. So wurden in einer Erklärung BIN LADENs vom 11. Februar die Regierungen von Jordanien, Marokko, Nigeria, Pakistan, Saudi-Arabien und Jemen als "Despoten" und "Lakaien" Amerikas bezeichnet, von denen sich die Umma (Gemeinschaft der Gläubigen) befreien müsse. Andere Verlautbarungen vor dem Hintergrund des Krieges im Irak richteten sich direkt an die Umma und riefen die Gläubigen auf, sich am Kampf gegen die USA zu beteiligen. Unterstützungsleistungen für die USA und ihre Alliierten wurden angeprangert und deren an geblich negative Folgen - vor allem für muslimische Staaten - aufge zeigt. So hieß es u. a., die USA planten die Gründung eines "Groß israel", zum Nachteil für die benachbarten arabischen Staaten. Mit ihren Videound Tonbandbotschaften haben die "Al-Qaida"Führer BIN LADEN und AL-ZAWAHIRI immer wieder Lebenszeichen gegeben. Die Videobänder - oft unter Verwendung alten Bildmate rials erstellt - und Tonbandaufnahmen wurden häufig an arabische Fernsehsender wie "Al Jazeera" und "Al Arabia" lanciert, um einen möglichst großen Verbreitungsgrad der Botschaften zu erreichen. Darüber hinaus wurde eine größere Anzahl von Video-Botschaften kleinerer, unbekannter Gruppen aus dem Irak veröffentlicht, deren BERICHT 2003 170 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Vertreter sich meist vermummt und bewaffnet vor der Kamera prä sentierten und den USA und ihren Alliierten den Kampf ansagten. Terroranschläge Auch im Jahr 2003 forderten terroristische Aktionen der "Arabi"Arabischer schen Mujahedin"/"Al-Qaida" zahlreiche Menschenleben: Am 12. Mujahedin" Mai wurden in Riad (Saudi-Arabien) bei einer Anschlagsserie auf Wohnund Geschäftsanlagen westlicher Ausländer 35 Menschen getötet und 194 verletzt. Nur vier Tage später, am 16. Mai, wurden bei Bombenanschlägen im Stadtzentrum Casablancas (Marokko) 41Menschen getötet und etwa 100 verletzt. Die Täter hatten im Vergnügungsund Fi nanzzentrum der Stadt zeitgleich drei Autobomben zur Explosion gebracht. Einige der Selbstmordattentä ter hatten sich vor westlichen und jüdischen Einrich tungen in die Luft gesprengt. Drei Attentäter zündeten ihre Sprengstoffgürtel inmitten des vollbesetzten Res Anschlag am 12. Mai in Riad taurants des spanischen Kulturzentrums. Am 5. August gab es in Jakarta (Indone sien) einen Bombenanschlag auf das Marriott Hotel. Dabei wurden dreizehn Menschen getötet und etwa 150 ver letzt. Zu dem Anschlag ging bei einer indonesischen Zeitung ein Bekenner anruf eines mutmaßlichen Mitglieds der indonesischen islamistischen "JeAnschlag am 05. August in Jakarta maah Islamiah" ein. Das Attentat stand möglicherweise in Zusammenhang mit der seinerzeit unmittelbar bevorstehenden Verurteilung eines der Verantwortlichen für den Terroranschlag auf der Ferieninsel Bali am 12. Oktober 2002. Zu dem Anschlag bekannten sich außerdem die "Abu Hafs Al-Masri-Brigaden", eine Gruppierung, deren Existenz noch nicht konkretisiert werden konnte. Bei einem weiteren Selbstmordanschlag auf ein Ausländer-Wohnquartier in der saudi-arabischen Hauptstadt Riad kamen am 8. No vember siebzehn Menschen ums Leben, weitere 122 wurden verletzt. Der Ablauf dieses Anschlags weist zwar Parallelen zu dem vom 12. Mai auf, die Opfer waren diesmal jedoch in der Mehrheit saudi-arabischer, sudanesischer oder ägyptischer Staatsangehörigkeit. Die At tentäter hatten sich den Weg in die bewachte Siedlung freigeschos sen und mindestens ein mit Sprengstoff präpariertes Auto zur Detonation gebracht. Zu zwei folgenschweren Doppelanschlägen kam es Ende 2003 in Is tanbul. Am 15. November sprengten sich zwei Selbstmordattentäter SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 171 nahezu zeitgleich vor der Neve-Schalom-Synagoge im europäischen Stadtbezirk Beyoglu und in der Nähe der Synagoge im benachbarten Bezirk Sisli in die Luft. Durch die Explosionen wurden 24 Menschen getötet und etwa 300 verletzt. Nur fünf Tage nach diesen Attentaten kam es erneut zu Selbstmordanschlägen. Zwei in kurzem zeit lichen Abstand zur Explosion gebrachte Autobomben richteten sich gegen das Britische Konsulat und eine britische Investmentbank. Dabei wurden 31Menschen Anschlag am 15. November in Istanbul getötet und etwa 450 verletzt. Der Modus operandi der Anschläge (Autobomben, Verwendung großer Mengen Sprengstoff (Selbstlaborat), Selbstmordattentäter, nahezu zeitgleiche Explosionen) sowie die Auswahl der Anschlags ziele (Synagogen, britische Einrichtungen) ähnelt dem Vorgehen "Arabischer Mujahedin". Bei den Selbstmordattentätern handelte es sich jedoch um türkische Staatsangehörige. Zu beiden Doppelan schlägen gingen bei einer türkischen Presseagentur Selbstbezichti gungen der türkischen islamistischen Gruppierung "Kämpfer für den islamischen Großen Osten-Front" (IBDA-C) ein. Danach habe diese die Attentate in Kooperation mit "Al-Qaida" durchgeführt. Hierfür, wie auch für eine Selbstbezichtigung der "Abu Hafs AlMasri-Brigaden", fand sich bei den nachfolgenden Ermittlungen bis her keine Bestätigung. Als einer der wichtigsten Organisatoren terroristischer Aktivitäten Mujahedin-Aktigilt Ahmed Nazzal Fadhil AL-KHALALIYAH alias "Abu Mosab AL-ZARvitäten in QAWI". Er führte von Aufenthaltsorten im Nahen und Mittleren Deutschland/ Festnahmen und Osten ein Mujahedin-Netz, u. a. in Deutschland, dessen Angehörige Verurteilungen sich mutmaßlich mit der Anwerbung von Mujahedin, der Beschaf fung und Verfälschung von Personaldokumenten sowie der Beschaf fung technischer Geräte (z. B. Mobil-/Satellitentelefone, Nachtsicht geräte etc.) befassten. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass Angehörige dieses Netzes - in der Presse häufig als "Al-Tawhid" bezeichnet - auf Weisung AL-KHALALIYAHs mit der Planung terroristischer An schläge auf jüdische bzw. israelische Einrichtungen in Deutschland begonnen hatten. Der Generalbundesanwalt hatte deshalb am 23./24. April 2002 die Festnahme von insgesamt zwölf Verdächtigen in Deutschland erwirkt. Als Mitglied des Netzes von AL-KHALALIYAH wurde auch der Jorda nier Shadi ABDALLAH inhaftiert. Dieser soll u. a. versucht haben, an eine Handfeuerwaffe und Handgranaten zu gelangen. Das Oberlan desgericht Düsseldorf hat ihn am 26. November wegen Mitglied schaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. BERICHT 2003 172 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN In einem als Folge der Ermittlungen zu den Anschlägen vom 11. Sep tember 2001eingeleiteten Strafverfahren 3 wurde dem im Oktober 2002 festgenommenen Marokkaner Abdelghani MZOUDI vorgewor fen, ebenso wie Mounir EL-MOTASSADEQ, der am 19. Februar vom Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg zu einer Freiheits strafe von 15 Jahren verurteilt wurde 4, die Attentäter vom 11. Sep tember 2001von Deutschland aus unterstützt zu haben. Beide hat ten im Jahr 2000 eine Ausbildung in einem "Al-Qaida"-Camp in Afghanistan erhalten. Das Oberlandesgericht in Frankfurt am Main hat am 10. März vier Is lamisten u. a. wegen Vorbereitung eines Bombenanschlags auf den Straßburger Weihnachtsmarkt im Jahr 2000 zu Freiheitsstrafen zwi schen 10 und 12 Jahren verurteilt. Bei den Angeklagten handelte es sich um drei Algerier und einen Franzosen algerischer Abstam mung. In der Urteilsbegründung heißt es, die Angeklagten hätten christliche Symbole wie das Straßburger Münster und den Weih nachtsmarkt treffen und Frankreich für die Unterstützung der alge rischen Regierung abstrafen wollen. Die zu Beginn des Prozesses von den Angeklagten vorgebrachte Behauptung, nicht der Weihnachts markt sei ihr Ziel gewesen, sondern eine zur Tatzeit menschenleere Synagoge in der Stadt, wurde in der Urteilsbegründung als "absurd" bezeichnet. Die von den Angeklagten gefertigte Bombe (ein mit Sprengstoff gefüllter Schnellkochtopf) sei für die Zerstörung eines Gebäudes ungeeignet gewesen. Am 20./21. März durchsuchten Polizeibeamte im Rahmen eines Er mittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts wegen des Ver dachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung sieben Ob jekte in Berlin und Gelsenkirchen sowie die Berliner Al-NurMoschee. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen wurden mehrere Ge genstände gefunden, die den Verdacht von Anschlagsvorbereitun gen belegen. Der bei diesen Maßnahmen inhaftierte Ihsan G. soll Ausbilder der "Al-Qaida" in Afghanistan gewesen sein und beabsichtigt haben, in nerhalb der nächsten Monate einen Anschlag in Deutschland, mög licherweise in selbstmörderischer Absicht, durchzuführen.* Es be stand überdies der Verdacht gegen den Leiter der "Islamischen Abteilung" an der Saudischen Botschaft in Berlin, enge Kontakte zu dieser Gruppe gewaltbereiter Islamisten gepflegt zu haben. Der sau dische Diplomat kehrte im März vorzeitig in seine Heimat zurück. * Gegen G. hat der Generalbundesanwalt im Januar 2004 Anklage vor dem Kammergericht Berlin wegen versuchter Gründung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB erhoben. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 173 Am 1. Juni nahm die Polizei in Paris den zuvor in Duisburg wohnhaf ten marokkanischen Staatsbürger Karim M. fest. Er soll beabsichtigt haben, potenzielle Ziele für Anschläge nach dem Vorbild der Terror akte von Bali auf der französischen Ferieninsel La Reunion auszu spähen. M. gab an, zusammen mit anderen Personen, u. a. dem deut schen Staatsbürger Christian GANCZARSKI, eine Mujahedin-Zelle gebildet zu haben. Aufgrund dieser Aussage wurde GANCZARSKI am 3. Juni auf der Rückreise von Saudi-Arabien nach Deutschland bei einer Zwischenlandung in Paris festgenommen. GANCZARSKI stand im Kontakt zur Führungsspitze von "Al-Qaida". Zudem wird er verdächtigt, von den Planungen für den Anschlag auf Djerba am 11. April 2002 Kenntnis gehabt zu haben. Beide Personen befanden sich Ende 2003 in französischer Untersu chungshaft. 1.2 Ägyptische islamistische Gruppen "Al-Gama'a al-Islamiyya" (GI) (Islamische Gemeinschaft) gegründet: 1971in Ägypten Leitung: Shura, bestehend aus 8 bis 10 Personen; die meisten davon außerhalb Ägyptens Mitglieder/Anhänger in Deutschland: nur Einzelne "Jihad Islami" (JI) (Islamischer Heiliger Krieg) gegründet: 1973 in Ägypten Leitung: Shura, bestehend aus 8 bis 10 Personen; die meisten davon außerhalb Ägyptens Mitglieder/Anhänger in Deutschland: nur Einzelne In Deutschland leben einzelne Mitglieder und Funktionäre sowohl der "Al-Gama'a al-Islamiyya" (GI) als auch des "Jihad Islami" (JI). Sie unterhalten Verbindungen zu im Herkunftsland und dem europäi schen Ausland wohnhaften Gesinnungsgenossen. Die GI ist auch im Jahr 2003 nicht gewalttätig aktiv geworden. Nach den Anschlägen auf ausländische Touristen in Luxor im November 1997hält sich die Organisation an die von ihr 1999 öffentlich verbrei tete Erklärung, bewaffnete Operationen künftig zu unterlassen. Nach langjährigen Diskussionen innerhalb der Shura, ob der einge schlagene Weg einer Waffenruhe beibehalten werden soll, scheint sich diese Linie durchgesetzt zu haben. Offensichtlich betrachten die ägyptischen Behörden diesen Gesinnungswandel als glaubwürdig, BERICHT 2003 174 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN da im Verlauf des Jahres Mitglieder und Funktionäre der GI aus der Haft in Ägypten entlassen wurden. Unklar bleibt, ob sich die im Exil befindliche Führung der GI dem Gewaltverzicht auch in Zukunft verpflichtet fühlen wird. Die Situation des JI blieb 2003 unverändert. Während sich der eine Teil des JI unter dem langjährigen Führer Dr. Ayman AL-ZAWAHIRI "Al-Qaida" (vgl. Nr. 1.1) anschloss, war das Shura-Mitglied Tharwat SHEHATA weiterhin bemüht, eine von "Al-Qaida" unabhängige Or ganisation aufzubauen. SHEHATA versucht auf diese Weise, das Akti onsfeld des JI wieder auf Ägypten zu konzentrieren. Hinsichtlich der in Deutschland lebenden Anhänger lässt sich zurzeit noch keine Tendenz erkennen, ob sie sich in Zukunft eher dieser neuen JI-Struktur, "Al-Qaida" oder eher einem anderen lokalen Netzwerk "Arabi scher Mujahedin" unterordnen werden. 1.3 Algerische islamistische Gruppen "Front Islamique du Salut" (FIS) ("Islamische Heilsfront") gegründet: 1988 in Algier, 1989 in Algerien als Partei zugelassen, seit 1992 dort verboten Leitung: Vorsitzender des 2002 gegründeten "Nationalen Exekutivbüros der FIS im Ausland", Dr. Mourad DHINA (Schweiz) Mitglieder/Anhänger: ca. 350 (2002: ca. 350) Publikationen: "Al-Ribat" (Das Band/Die Verbindung), wöchentlich "Groupe Islamique Arme" (GIA) ("Bewaffnete Islamische Gruppe") gegründet: 1992 in Algerien Leitung: Rachid UKALI Mitglieder/Anhänger: In den Zahlen der FIS enthalten. "Groupe salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC) ("Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf") gegründet: Ende 1997 in Algerien als Abspaltung von der GIA, seit Anfang 1999 unter dem Namen GSPC Leitung: Hassan HATTAB alias Abou HAMZA, Nabil SAHRAOUI alias Abu Mustafa IBRAHIM (seit August 2003) Mitglieder/Anhänger: In den Zahlen der FIS enthalten. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 175 Die Streitigkeiten innerhalb der Anhängerschaft der FISin Europa setzten sich auch im Jahr 2003 fort. Der von dem langjährigen Leiter der "Exekutivinstanz der FISim Ausland" (IEFE), Rabah KEBIR, ver folgte gemäßigte Kurs gegenüber der algerischen Regierung wird von den FIS-Anhängern um Mourad DHINA, ehemaliger Leiter des "Koordinationsrates der FISim Ausland" (C.C.-FIS), strikt abgelehnt. Der in der Schweiz lebende DHINA war im Nachgang zum "Europa kongress" in Belgien im August 2002, der der Beilegung des Konflik tes dienen sollte, von FIS-Anhängern zum Vorsitzenden des neu ge gründeten "Nationalen Exekutivbüros der FISim Ausland" gewählt worden. Dieses "Exekutivbüro" wird jedoch von einem Teil der FIS-Anhänger - auch in Deutschland - nicht als Auslandsvertretung der FISaner kannt, da es unter maßgeblichem Einfluss ehemaliger Anhänger der C.C.-FISgegründet wurde. Die Führungsrolle DHINAs ist - insbeson dere seit der Entlassung der beiden Gründer der FIS, Abassi MADANI und Ali BELHADJ, aus langjähriger Haftstrafe bzw. Hausarrest - un gewiss. Durch Gespräche zwischen MADANI und dem algerischen Präsidenten kam es zu einer Annäherung zwischen Regierung und FIS. FIS-Anhänger in Algerien und Deutschland reagierten auf die Ge spräche teilweise mit Unverständnis. Sie erhoffen sich seit der Frei lassung MADANIs und BELHADJs vorrangig die Einigung der kon kurrierenden Lager der FISim Ausland. GIA und GSPC waren 2003 in Deutschland nicht aktiv. Der GSPC ist je Entführungen von doch die Entführung von 32 europäischen Touristen, darunter 15 32 Touristen in Deutsche, in Algerien zuzuschreiben. Verantwortlich für diese Ak Algerien tion, mit der ein hohes Lösegeld erpresst werden sollte, war mut maßlich der regionale GSPC-Emir Saifi AMARI alias Abderrazak le PARA. 5 Es gibt Anzeichen dafür, dass die Entführung der westlichen Touri sten auch innerhalb der GSPC Streitigkeiten über Ziele und Strate gien ausgelöst hat. Nabil SAHRAOUI, vormals GSPC-Gebietsleiter (Emir), wurde Nachfol ger des bisherigen Führers Hassan HATTAB. SAHRAOUI ist nach ei ner von ihm am 23. Oktober veröffentlichten Presseerklärung be strebt, den bisher auf Veränderung der Herrschaftsverhältnisse in Algerien konzentrierten Kurs der GSPC zu verlassen und sich künftig mehr am internationalen "Jihad" und der Zusammenarbeit mit "AlQaida" zu orientieren. BERICHT 2003 176 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 1.4 "Muslimbruderschaft" (MB)/Islamische Zentren gegründet: 1928 in Ägypten Leitung: Ma'moun AL-HUDAIBI in Ägypten (seit Januar 2004: Mohamed Mahdi AKEF in Ägypten) Mitglieder/Anhänger: ca. 1.300 (2002: ca. 1.200) Publikationen: "Risalat ul-Ikhwan" (Rundschreiben der Bruderschaft), "Al-Islam" mit "Al-Islam aktuell" (Der Islam), "Ar-Raid" (Der Kundschafter) Nach ihrer Gründung 1928 in Ägypten durch Hassan Al-Banna ver breitete sich die islamistische MB in nahezu allen arabischen Staaten sowie in Ländern, in denen arabische Muslime leben. Sie wurde dort zur Keimzelle zahlreicher auch militanter islamistischer Organisa tionen, wie u. a. der algerischen "Islamischen Heilsfront" (FIS; vgl. Nr. 1.3), der tunesischen "En Nahda" (Bewegung der Erneuerung), der ägyptischen Organisationen "Al-Gama'a al-Islamiyya" (Islamische Gemeinschaft) und "Jihad Islami" (Islamischer Heiliger Krieg) - vgl. zu beiden Nr. 1.2 - sowie der palästinensischen "Islamischen Wider standsbewegung" (HAMAS; vgl. Nr. 1.5.1). Die MB lehnt die Mehrzahl der Regime der muslimischen Länder als unislamisch ab. Ihr Haupt ziel ist die Errichtung einer ausschließlich an Koran und Sunna ori entierten, nach ihrer Interpretation "wahrhaft islamischen" Staats ordnung in den betreffenden Ländern: "Deshalb erkennen wir kein Regierungssystem, das nicht auf den Grundlagen des Islam beruht und aus diesem schöpft, an. Wir werden für die Belebung einer Ordnung der islamischen Herrschaft in ihrer ganzen Erscheinungsform arbeiten und für den Aufbau der islami schen Regierung auf den Grundlagen dieser Ordnung." (Hassan al Banna, "Sendschreiben an die Jugend", S. 2) Der Oberste Führer der MB in Ägypten, Ma'moun AL-HUDAIBI 6, rief nach dem Einmarsch US-amerikanischer und britischer Truppen in den Irak in der "Risalat ul-Ikhwan" vom 20. August alle arabischen Muslime auf, "das Banner des Jihad zu erheben." Der Angriff auf den Irak sei durch die "Kräfte des Bösen und der Häresie" erfolgt. Nach Auffassung der MB ist der "Jihad" im Sinne eines bewaffneten Kampfes durch den Koran legitimiert: SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 177 "Er (Gott) hat es nur in einem Fall erlaubt, zu töten - wenn es gar kei nen anderen Ausweg gibt - und das ist der Kampf für die Sache Gottes (Jihad). Er hat die Absicht der Gläubigen und die Absicht der Ungläu bigen ganz klar und deutlich herausgestellt: 'Die da glauben, kämp fen für Gottes Sache, und die nicht glauben, kämpfen für die Sache des Bösen. Kämpft darum wider die Freunde Satans! Denn gewiss, Satans Feldherrnkunst ist schwach.' (Qur'an Sure 4, Vers 77)" (Sayyid Qutb, "Dieser Glaube der Islam", S. 134) 7 Der Einsatz von Gewalt zur Verwirklichung eines "wahrhaft islamis tischen Staates" wird generell befürwortet, da die Mächtigen nicht freiwillig auf ihre Privilegien verzichten würden. Dieses Jihad-Konzept als Bestandteil der MB-Ideologie kann damit als Kampfansage an die gesamte Welt verstanden werden: "In der Tat hat der Islam das Recht, die Initiative zu ergreifen. Der Is lam ist nicht das Erbe einer einzelnen Rasse oder eines einzelnen Lan des. Er ist Gottes Religion und er ist für die ganze Welt bestimmt. Der Islam hat das Recht, alle Hindernisse zu zerstören, die in Form von In stitutionen und Traditionen die menschliche Freiheit beeinträchti gen." (Sayyid Qutb: "Meilensteine", 1964, Kapitel 4, S. 59) Die in Deutschland mitgliederstärkste Organisa Rolle der IGD tion von MB-Anhängern, die "Islamische Ge meinschaft in Deutschland e. V." (IGD) mit Sitz in München, unterhält nach eigener Darstellung zwölf eigene Zentren und koordiniere ihre Akti vitäten mit mehr als fünfzig weiteren Moschee gemeinden 8. In den Freitagsveranstaltungen der IGD-Zentren und -Moscheen war neben der "Intifada" und dem israelischen Vorgehen in den palästi nensischen Gebieten der Irak-Krieg und das Verhalten der US-Regierung Hauptthema. Auf einer im Sommer ins Internet eingestellten umfangreichen Seite kritisierte die IGD den Angriff auf den Irak als völkerrechtswidrig. Die seit der Wahl Ibrahim F. EL-ZAYATs zum IGD-Präsidenten im Jahr 2002 eingeleiteten Anstrengungen, verstärkt die Generation der in Deutschland aufgewachsenen jungen Muslime arabischen Ur sprungs zu umwerben, wurden auch 2003 fortgesetzt. BERICHT 2003 178 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN So soll u. a. über den Ausund Aufbau von Bildungseinrichtungen in Islamischen Zentren der IGD erreicht werden, dass heranwachsende Muslime ihre Identität in einem "deutschsprachigen Islam" finden und sich an der Gestaltung der hiesigen Gesellschaft aktiv beteili gen. Das Thema "Integration" war auch Leitmotiv der von der IGD organisierten 25. Jahreskonferenz, die vom 19. bis 21. September erst malig an drei verschiedenen Tagungsorten (München, Hanau/Hessen, Berlin) stattfand und insgesamt mehr als 10.000 Teilnehmer ver zeichnen konnte. Als besonderer Publikumsmagnet, auch für nicht der MB nahestehende Muslime, hatte sich der von der IGD eingela dene, in der arabischen Welt populäre muslimische Fernsehpredi ger Amr KHALED erwiesen. Von den jugendlichen Anwesenden er hielt er für seinen Vortrag über die Vorzüge eines am Islam orientierten Lebens großen Beifall. 1.5 Islamistische Gruppen aus dem Nahen Osten 1.5.1 "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) gegründet: Anfang 1988 im Gazastreifen/heutiges palästinensisches Gebiet Leitung: Scheich Ahmad YASSIN (geistlicher Führer); Auslandsführung (Sitz: Damaskus/Syrien) Mitglieder/Anhänger: ca. 300 (2002: ca. 300) Als Reaktion auf den Ausbruch der ersten Intifada im Dezember 1987 gründeten palästinensische Anhänger der "Muslimbruderschaft" (MB) unter Führung von Scheich Ahmad YASSIN Anfang 1988 die HAMAS. Die Organisation verfolgt das Ziel, auf dem gesamten Gebiet "Palästinas" 9 einen isla mistischen Staat zu errichten. Ihr militärischer Arm, die "Issedin-el-Kassem"-Brigaden 10, ver übte auch 2003 zahlreiche Terroranschläge in Israel und den palästinensischen Gebieten. Die Organisation verfügt aufgrund der finan ziellen Unterstützung sozialer Einrichtungen vor Ort über erheblichen Rückhalt innerhalb der palästinensischen Bevölkerung. In diesem Umfeld rekrutiert die HAMASu. a. so genannte Märtyrer für Selbst mordanschläge. Anlässlich des Irak-Krieges rief die HAMAS-Führung über das Inter SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 179 net 11 alle Muslime dazu auf, gegen die "tyrannische und kreuzzügle rische Aggression" der USA und Großbritanniens zu protestieren und die Produkte dieser Staaten zu boykottieren. Der HAMAS-Sprecher Abdel Aziz AL-RANTISI appellierte an die Bevölkerung des Irak, zehntausende Märtyrer sowie Sprengstoffgürtel bereitzustellen, um sich inmitten der "amerikanischen Tyrannen" in die Luft zu spren gen. 12 Die im Rahmen eines Friedensplans für den Nahen Osten im Juni ausgehandelte Waffenruhe zwischen Israel, der Palästinensischen Behörde und den militanten islamistischen Gruppen fand schon im August durch ein Attentat in Jerusalem, zu dem sich die HAMASund der "Palästinensische Islamische Jihad" (PIJ) bekannten, ihr Ende. Erhöhung des poli Die erneute Eskalation des Konflikts führte auf internationaler tischen Drucks auf Ebene zu einer deutlichen Erhöhung des politischen Drucks auf die die HAMAS HAMAS. Neben Maßnahmen der USA und Großbritanniens zur Un terbindung finanzieller Transaktionen zugunsten der HAMASund Forderungen gegenüber Syrien, das dort befindliche Auslandsbüro der Organisation zu schließen, beschlossen die EU-Außenminister die Aufnahme auch des politischen Arms der HAMASin die EU-Liste terroristischer Organisationen 13. Khalid MASCHAL, Führungsfunk tionär der HAMASin Syrien, wertete dies in einem Interview 14 als schweren Fehler, als "Komplizenschaft mit Israel und Unterwürfig keit unter den Druck der USA". Die Maßnahme der EU sei ein Akt der Aggression gegen das palästinensische Volk, weniger gegen die HAMASselbst. Die in Deutschland lebenden etwa 300 Anhänger der HAMASsind nicht in eine feste Organisationsstruktur eingebunden. An den bun desweiten Demonstrationen anlässlich des Irak-Krieges Anfang des Jahres beteiligten sich HAMAS-Anhänger nur vereinzelt. Dabei ver zichteten sie auf öffentliche Propaganda für die Ziele und Stand punkte der HAMAS. Am 5. August 2002 hat der Bundesminister des Innern den Aachener "Al-Aqsa e. V." u. a. unter dem Vorwurf der finanziellen Unterstüt zung für die HAMASverboten. Mit Beschluss vom 16. Juli hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die aufschiebende Wirkung der Klage des "Al-Aqsa e. V." gegen das Verbot mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass der Ver ein dem Bundesministerium des Innern monatlich über seine Zah lungsvorgänge Rechenschaft ablegt. Eine Entscheidung des BVerwG in der Hauptsache, d. h. über die Rechtmäßigkeit des Verbots als sol ches, liegt noch nicht vor. BERICHT 2003 180 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 1.5.2 "Hizb Allah" (Partei Gottes) gegründet: 1982 im Libanon Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 800 (2002: ca. 800) Publikationen: u. a. "Al-Ahd" (Die Verpflichtung), wöchentlich (nur im Libanon) Die "Hizb Allah" hat sich seit ihrer Gründung im Jahre 1982 nach und nach als politische Kraft im Libanon etabliert. Die aus dem Iran poli tisch beeinflusste und finanziell unterstützte Organisation ist seit 1992 im libanesischen Parlament vertreten. Neben dem politischen Flügel der "Hizb Allah" existiert weiterhin der bewaffnete Arm "AlMuqawama Al-Islamiya" (Islamischer Wi derstand), der nach wie vor mit militäri schen Aktionen gegen Israel droht und an der israelischen Nordgrenze in unre gelmäßigen Abständen - vor allem im Be reich der so genannten Shebaa-Farmen - beschränkte militärische Aktionen durchführt. Die politische Position der "Hizb Allah" zur Lage im Nahen Osten ist seit Jahren unverändert. Die Intifada der Palästinenser wird unter stützt, das Existenzrecht Israels verneint, wobei die Organisation stets den Rückzug der israelischen Armee aus dem Libanon im Mai 2000 als eigenes Verdienst und als Beispiel für einen erfolgreichen Kampf gegen Israel in den Vordergrund stellt. Die Führer der "Hizb Allah" befürchten deshalb, die USA könnten im Kampf gegen den weltweiten Terrorismus, nach Afghanistan und dem Irak, militärisch auch gegen die "Hizb Allah" vorgehen. Generalsekretär Scheich Has san NASRALLAH warnte im August die USA, jeder Versuch, die be waffneten Kräfte der Organisation zu zerschlagen, werde einen An griff auf amerikanische Interessen in verschiedenen Ländern der Erde nach sich ziehen. Zugleich machte er deutlich, dass die "Hizb Allah" eine Bewegung im Libanon gegen Israel sei, die keine An schläge irgendwo auf der Welt durchführe und somit nicht mit der "Al-Qaida" zu vergleichen sei. Wenn ihr Fortbestand jedoch bedroht sei, habe sie das Recht, ihre Existenz überall und zu jeder Zeit mit al len Mitteln zu verteidigen. NASRALLAH stellte in diesem Zusam menhang allerdings auch die Auflösung des bewaffneten Flügels der "Hizb Allah" für den Fall der Verwirklichung eines umfassenden Friedens im Nahen Osten in Aussicht. 15 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 181 Die anti-israelische Position kommt nicht nur in regelmäßigen ver balen Attacken der "Hizb Allah" zum Ausdruck. Seit dem Frühjahr wird ein Computerspiel der "Hizb Allah" im Internet angeboten, in dem ein Training als Einzelkämpfer zu absolvieren und dabei auf is raelische Panzer oder israelische Politiker zu schießen ist. Das auch in Deutschland verbreitete Spiel, das in arabischer, englischer, fran zösischer und persischer Sprache gespielt werden kann, hatte eine Startauflage von 100.000 Kopien. Die Aktivitäten der "Hizb Allah"-Gemeindemitglieder in Deutsch Weiter nachlas land erreichten auch 2003 nicht mehr die Intensität früherer Jahre. sende Aktivitäten Das Interesse der in Deutschland lebenden "Hizb Allah"-Anhänger in Deutschland an aktiver Mitarbeit in Moscheevereinen oder der Teilnahme an Ver anstaltungen hat seit den Terroranschlägen in den USA im Septem ber 2001fortlaufend abgenommen. Die Zahl der Gläubigen, die an lässlich der religiösen Feste wie Ramadan oder Aschura (Gedenken an den Märtyrertod des Imam Hussein) die Moscheen besuchte, ging abermals zurück. Damit entfielen auch Spendeneinnahmen, aus de nen sich die Trägervereine finanzieren. Selbst der Jahrestag des Ab zugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon ("Tag der Befrei ung", 23. Mai) 16 fand bei den in Deutschland lebenden Schiiten libanesischer Herkunft nur noch wenig Beachtung. Es fanden nur vereinzelt schwach besuchte "Siegesfeiern" statt. Geplante Besuchs reisen libanesischer Geistlicher und Funktionsträger fielen - unter anderem wegen der restriktiven Praxis deutscher Behörden bei der Vergabe von Einreisevisa - aus. Mit distanziertem Interesse verfolgte die "Hizb Allah"-Anhängerschaft in Deutschland die militärische Intervention der alliierten Truppen im Irak. Da sich die Beiruter "Hizb Allah"-Führung in der Öf fentlichkeit gegen eine Einmischung in den politischen Prozess der Neuordnung im Irak entschied, veranstalteten oder beteiligten sich "Hizb Allah"-Anhänger in Deutschland weder an Protesten noch an organisierten Aktionen oder öffentlichen Meinungsbekundungen. An der Demonstration zum "al-Quods"-Tag (Jerusalem-Tag) 17, die am 22. November in Berlin stattfand, nahmen nur wenige Schiiten aus "Hizb Allah"-Kreisen teil. Die Gesamtzahl der Teilnehmer aus allen muslimischen Lagern wurde von der Polizei auf etwa 650 Personen geschätzt (2002: ca. 1.000 Personen). Eine alternativ von "Hizb Allah"-Anhängern organisierte Gedenkveranstaltung am 23. Novem ber in Bottrop (Nordrhein-Westfalen) konnte etwa 500 Teilnehmer verzeichnen. BERICHT 2003 182 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 1.5.3 "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (HuT) gegründet: 1953 in Jordanien Leitung: Ata Abu AL-RASCHTA alias Abu YASSIN (seit April 2003) Mitglieder/Anhänger: ca. 200 (2002: ca. 150) Publikationen: "Al-Khilafa" (englisch/arabisch), "Hilafet" (türkisch), "Al-Waie" (arabisch), "Explizit" (deutsch/niederländisch) Betätigungsverbot: seit 15. Januar 2003 Die pan-islamische 18 Bewegung "Hizb ut-Tahrir al-Islami" (Partei der Befreiung) wurde 1953 von Taqi ud-din AN-NABHANI, einem vormaligen Mitglied der "Muslim bruderschaft" (MB), in Jordanien gegründet. Sie versteht den Islam als geistiges System, das alle Lebensbereiche der Menschen, insbesondere auch politische, wirtschaftliche und gesellschaft liche Fragen, abschließend regelt. Unter Ableh nung nationalstaatlicher Strukturen wird die Ei nigung der islamischen Gemeinschaft (Umma) in einem weltweiten islamischen Staat unter der Führung eines Kalifen angestrebt: "Darüber hinaus soll der Islam als das was er ist, als umfassende Le bensordnung und im Gegensatz zu den bestehenden Gesellschaftssys temen einzig gangbarer Weg dargestellt werden ... Das Kalifat gemäß dem Plan des Propheten stellt hierbei das einzige Regierungssystem dar, welches der menschlichen Natur und ihren Bedürfnissen tatsäch lich entspricht." ("Explizit", Ausgabe Nr. 30, März - Juni 2002) Die HuT wendet sich gegen die aus ihrer Sicht "blasphemischen" is lamischen Staaten und deren Regierungen, da diese der angestreb ten Wiedererrichtung des weltweiten Kalifats im Wege stünden. Sämtliche säkularen ("ungläubigen") Gesellschaftssysteme und Staatsformen werden rigoros abgelehnt. Darüber hinaus gelte es, das "'Heilige Land' von den Zionisten zu befreien". Organisationseinheiten der HuT (sog. wilayat, Bedeutung: Verwal tungsbezirke bzw. Provinzen) befinden sich nach Darstellung der Or SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 183 ganisation u. a. in Ägypten, Europa, Jemen, Jordanien, Kuwait, Su dan, Syrien, Türkei, Kirgisistan, Usbekistan und Tadschikistan. Der seit 1977amtierende Führer (Emir) der Partei, Abdul Qadim ZALLOUM alias Abu YUSUF, ist am 29. April verstorben. Zum Nachfol ger wurde Ata Abu AL-RASCHTA alias Abu YASSIN, ehemaliger Vor sitzender des "wilaya" Jordanien, erkärt. Die Anhänger der HuT in Deutschland, darunter vielfach muslimiBetätigungsverbot sche Akademiker und Studenten, agieren in kleinen Gruppen, über wiegend in Universitätsstädten. Die antisemitischen und antiwestli chen Inhalte in HuT-Propagandaschriften veranlassten den Bundesminister des Innern, der HuT mit Wirkung vom 15. Januar jede weitere Betätigung in Deutschland zu verbieten, da diese sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richte 19. Die Organi sation hatte auch Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Be lange befürwortet: "Als Muslimen muss uns klar sein, dass das Problem 'Israel' für uns keine Grenzfrage, sondern eine Existenzfrage ist. Dieser zionistische Fremdkörper im Herzen der islamischen Welt darf unter keinen Um ständen bestehen bleiben. Der gesamte Boden Palästinas ist ... Eigen tum der islamischen Umma ... Die Lösung: der Jihad ... Allah Der Er habene befiehlt: Und tötet sie, wo immer ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben!" ("Explizit" Nr. 30, März - Juni 2002) Im Rahmen des Vollzugs des Betätigungsverbots wurden am 15. Ja nuar und 10. April bundesweit mehr als 100 Wohnungen durchsucht und u. a. große Mengen Propagandamaterial sichergestellt. Die "Deutsche Stimme", Parteiorgan der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), veröffentlichte noch im Februar (Aus gabe Nr. 2) ein mehrseitiges Interview mit Shaker ASSEM, bis dahin Herausgeber von "Explizit", in dem dieser u. a. seine kompromiss lose Forderung nach Errichtung eines islamistischen Kalifatsstaats unterstrich. Die Zeitschrift "Explizit" ist seit dem Betätigungsverbot nicht mehr Nachfolgeaktivitä erschienen. Auch durch öffentliche Aktionen oder Veranstaltungen ten ist die HuT seit dem Verbot nicht mehr in Erscheinung getreten. 2. Türken (ohne Kurden) 2.1 Türkische Islamisten BERICHT 2003 184 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 2.1.1 "Kalifatsstaat" gegründet: 1984 in Köln Sitz: Köln Leitung (bis zum Verbot): Metin KAPLAN Anhänger: 800 (2002: 800) Publikation: "Beklenen ASR-I SAADET" (Das erwartete Jahrhundert der Glückseligkeit), türkisch, wöchentlich; D.I.A. (Der Islam als Alternative), deutsch, monatlich Organisationsverbot: seit 12. Dezember 2001, bestandskräftig seit 27. November 2002 Die in Deutschland verbotene Organisation "Kalifatsstaat" (Hilafet Devleti) strebte unter der Führung ihres selbsternannten "Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime", Metin KAPLAN, als Endziel die weltweite Herrschaft des Islam an. Erste Etappe auf diesem Weg sollte der Sturz des laizistischen Systems in der Türkei sein, das durch ein ausschließlich auf Koran und Sunna begründetes Gemeinwesen ersetzt werden sollte. Demokratische Regierungsformen lehnte die Organisation strikt ab. Zur Verwirklichung dieser Ziele forderte Me tin KAPLAN von den Mitgliedern der Organisationen die Bereit schaft zum "Jihad". Ungeachtet der Verbotsverfügungen gegen die Gesamtorganisation (Dezember 2001) und mehrere Teilorganisationen (September 2002) versuchten ehemalige Mitglieder, sowohl organisatorische Zusam menhänge aufrecht zu erhalten als auch die Lehren des "Kalifen" weiterhin zu verbreiten. Gegen die westliche Staatsund Gesell schaftsordnung sowie die Türkei gerichtete Agitation wird seit dem Verbot - wenn auch mit geringerer Intensität - vom Ausland aus be trieben. Meinungsforum ist weiterhin die auch im Internet abruf bare Zeitung "Beklenen ASR-I SAADET". Dort hieß es u. a.: "Der Islam ist eine solche vollkommene Ordnung, dass alles an ihm ganz und gar vollendet ist, dass er mit keinerlei Fehler oder Makel be haftet ist! Ebenso ist der Islam nicht gekommen, um sich den Zeiten anzupassen, sondern um die Zeiten an ihn anzupassen! Die islami sche Ordnung, die den Menschen sowohl diesseitige als auch jensei SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 185 tige Glückseligkeit bringt, wenn man sich ihr anpasst, hat im Gegen satz zu den übrigen Offenbarungsreligionen den Menschen auch für den weltlichen Seelenfrieden ein Modell angeboten: Nämlich selbst ein Staat zu sein, d. h. ein islamischer Staat! Den Weg zu diesem Staat hat wiederum der Islam selbst festgelegt und bestimmt: Verkündi gung, Auszug, Jihad und Staat!" ("Beklenen ASR-I SAADET" Nr. 54 vom 8. Januar 2003) In der Publikation, die bis Dezember an eine umfangreiche Adressa tenliste auch in Deutschland versandt wurde, finden sich auch anti jüdische und antizionistische Parolen. Zusätzlich zu der Publikation wird über Satellit eine wöchentliche Fernsehsendung ausgestrahlt, die auch in der Türkei empfangen werden kann. Am 13. Dezember wurden im Rahmen eines staatsanwaltschaftli Exekutivmaß chen Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts des Verstoßes ge nahme im Zusam gen das Vereinigungsverbot ca. 1.200 Objekte im Bundesgebiet menhang mit Nachfolgeaktivitä durchsucht. Die Exekutivmaßnahmen richteten sich in erster Linie ten gegen die Bezieher der Zeitung "Beklenen ASRI-I SAADET". Nach Verbüßung einer vierjährigen Haftstrafe, zu der ihn das Ober Haftentlassung landesgericht Düsseldorf (OLG) im Jahr 2000 wegen des öffentlichen Metin KAPLANs Aufrufs zur Ermordung eines organisationsinternen Konkurrenten verurteilt hatte und anschließender Auslieferungshaft, hat das OLG mit Beschluss vom 27. Mai die Auslieferung Metin KAPLANs an die türkischen Justizbehörden für unzulässig erklärt und die sofortige Haftentlassung angeordnet. Das Verwaltungsgericht Köln hatte entschieden, dass - bezogen auf die Person KAPLAN und den Zielstaat Türkei - ein Abschiebehinder nis besteht. Gegen diese Entscheidung hat das Oberverwaltungsge richt (OVG) Münster das Rechtsmittel der Berufung zugelassen. Zu dem bestätigte das OVG Münster am 4. Dezember ein Urteil der Vorinstanz, wonach KAPLAN kein Recht auf Asyl habe. 2.1.2 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) gegründet: 1985 in Köln (als "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V." - AMGT) Leitung: Osman DÖRING, (genannt Yavuz Celik KARAHAN) Mitglieder/Anhänger: ca. 26.500 (2002: ca. 26.500) Publikationen: u. a. "Milli Görüs & Perspektive", unregelmäßig BERICHT 2003 186 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Der IGMG kommt unter den islamistischen Organisationen sowohl aufgrund der großen Zahl ihrer Mitglieder und Anhänger als auch ihrer zahlreichen Moscheen und Einrichtungen, auch in anderen europäischen Ländern, eine besondere Bedeutung zu. Ihre Anhän gerschaft setzt sich im Unterschied zu den meisten anderen islamis tischen Organisationen auch mehrheitlich nicht aus Flüchtlingen oder Asylbewerbern, sondern aus dauerhaft in Europa lebenden Zu wanderern zusammen. Strukturdaten Die europaweiten Interessen der IGMG spiegeln sich auch im eige nen Organisationsaufbau wider: Der Zentrale (Europaverband) in Kerpen/NRW sind 30 Regionen (Regionalverbände - davon 15 in Deutschland und 15 im europäischen Ausland) mit mehreren hun dert örtlichen Moscheegemeinden nachgeordnet. In Deutschland unterhält die Organisation mehr als 300, europaweit nach eigenen Angaben mehr als 2.000 Einrichtungen, deren Besucherzahl bei etwa 300.000 Personen liegen soll. Für die Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes der Organisation ist seit 1995 die "Europäische Moscheebauund Unter stützungsgemeinschaft e. V." (EMUG) zuständig. Wie aus dem Namen der Organisation ersichtlich, steht die IGMG in der Tradition der von Prof. Necmettin ERBAKAN inspirierten "Milli Nähe zu islamisti Görüs"-Bewegung 20. Diese strebt eine Re-Islamisierung von Gesell schen Parteien in schaft, Staat und Politik der Türkei an. Um seine Vorstellung von ei der Türkei ner "Gerechten Ordnung" (Adil Düzen) zu verwirklichen, in der alle Lebensbereiche (Erziehung, Bildung, Handel und Wirtschaft, Rechtswesen und staatliches Handeln) an den Geboten und Traditio nen des Islam orientiert sind, ist Necmettin ERBAKAN seit den 1970er Jahren politisch aktiv. Er war Gründer oder Mitgründer mehrerer is lamistischer Parteien, die jeweils vom türkischen Verfassungsgericht wegen Verstoßes gegen das Laizismusgebot verboten wurden 21. Den Vorsitz der Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit - SP), die bei den türkischen Parlamentswahlen am 3. November 2002 mit einem Stimmenanteil von nur mehr 2,5 %22 an der 10 %-Hürde scheiterte, musste ERBAKAN im Dezember nach einer Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe, verbunden mit einem lebenslangen Poli tikverbot, aufgeben. 23 Die Partei wird derzeit kommissarisch von Recai KUTAN, früher Vorsitzender der Fazilet Partisi (Tugendpartei - FP), geleitet. Auswirkungen des politischen Bedeutungsverlustes ERBAKANs in der Türkei auf das Verhältnis zwischen IGMG und Saadet Partisi wur den noch nicht sichtbar. Funktionäre der SP, wie der stellvertretende SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 187 Parteivorsitzende Sevket Kazan, ehemaliger türkischer Justizminis ter, sowie der stellvertretende SP-Vorsitzende Temel Karamollaoglu, traten auch 2003 wieder als Redner bei IGMG-Veranstaltungen auf. Die politische Arbeit der AKP in der Türkei wird von IGMG-Mitgliedern und Funktionären teils hoffnungsvoll, teils mit Sorge um die Zukunft der "Milli Görüs"-Idee gesehen. Auch die Forderungen nach Lösung der IGMG von politischen Kräften und Entwicklungen in der Türkei und Konzentration auf die Belange der türkischen Muslime in Europa hielten an. Eine offene Programmdiskussion kam jedoch weiterhin nicht zustande. Der IGMG-Vorsitzende Osman DÖRING (genannt Yavuz Celik KARAHAN) betonte während des Jahreskongresses der Organisation am 22. Juni in Köln die herausragende Bedeutung der "Milli Görüs"-Bewegung nicht nur für die Türkei, sondern weltweit: "Dennoch glauben wir, dass es möglich ist, alle Unterdrückung, Un gleichheit, Ungerechtigkeit, sinnlosen Streitigkeiten und Kriege, die wir derzeit auf der Welt beobachten, zu beseitigen und zwar durch eine von der islamischen Welt unter Vorreiterrolle der Türkei ausge hende Bewegung der Einheit sowie durch ein Zusammenkommen der Kulturen, bei dem wiederum die Türkei eine Brückenfunktion einneh men wird. Und wir glauben von ganzem Herzen, dass sich dies nur Menschen, die über die Milli Görüs-Mentalität verfügen, vorstellen und auch verwirklichen können." ("Milli Gazete" vom 25. Juni 2003, S. 14) Orientiert an der "Milli Görüs"-Idee ist die IGMG bestrebt, ihren An IGMG um Anerken hängern im gesellschaftlichen Alltag Deutschlands ein Leben ent nung als Interes senvertretung der sprechend ihrer Interpretation von Koran und Sunna zu ermögli türkischen Mus chen. Zu diesem Zweck bemüht sich die Organisation als legitime lime in Deutsch Vertretung der türkischen Muslime im politischen Raum und als An land bemüht sprechpartner für staatliche Stellen anerkannt zu werden. So ist sie seit dem Jahr 1990 als größte Mitgliedsorganisation im muslimi schen Dachverband "Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland" engagiert. Derzeitiger Vorsitzender des Islamrates ist der langjährige IGMG-Funktionär Ali KIZILKAYA. Bezüglich der von der Organisation angestrebten Ziele zeigt sich Ziele der IGMG eine Diskrepanz zwischen dem nach außen vertretenen Anspruch und intern an die Mitglieder gerichteten Verlautbarungen. Öffent lich präsentiert sich die IGMG als integrationsbereite und den Dialog der Kulturen fördernde Organisation. In diesem Sinne stellte der IGMG-Vorsitzende beim Jahreskongress der Organisation ihre Ziele wie folgt dar: BERICHT 2003 188 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN "Unser Ziel ist es ... den Muslimen in Europa zu dienen sowie ihnen dabei behilflich zu sein, ihre eigenen Werte zu bewahren und weiter zuentwickeln. Indem wir mit sozialen und kulturellen Aktivitäten, mit unserem religiösen und kulturellen Reichtum in der multikultu rellen europäischen Gesellschaft eine Brückenfunktion zwischen Eu ropa und der islamischen Welt einnehmen, unterstützen wir den Dia log zwischen den Gesellschaften und Kulturen und leisten unseren Beitrag zu einem Leben in Frieden und Ruhe." ("Milli Gazete" vom 25. Juni 2003, S. 14) Interne Äußerungen von IGMG-Funktionären lassen erkennen, dass Integration und Kommunikation zwischen den "Gesellschaften und Kulturen" nicht als Prozess der Verständigung zur Herstellung einer gesellschaftlichen Einheit von Muslimen und Nichtmuslimen gese hen wird, sondern sich auf ein möglichst rechtsgleiches Nebenei nander von Mehrheit und Minderheit beschränken soll. Dementsprechend verurteilt die IGMG die Integrationspolitik der Bundesregierung als vermeintliche Assimilationspolitik. Einherge hend damit hebt sie stets den Stellenwert der eigenen kulturellen Identität der türkischen Muslime hervor. Diese Diskrepanz zeigt sich z. B. in einem "Aufruf zur Beachtung von der Gemeinde" eines für die IGMG tätigen Imams: "Einige unserer Brüder erwerben Häuser und Wohnungen, die weit von den Moscheen entfernt sind. Auf diese Weise vernachlässigen sie den Besuch der Gemeinde ... Sie selbst verlieren langsam das Interesse an der Gemeinde. Weil sie in weiter Entfernung zu den Moscheen wohnen, müssen ihre Töchter und Söhne muslimische Freunde und das muslimische Umfeld entbehren ... Sie sind gezwungen, Freund schaften mit Personen einzugehen, die nicht zu ihrem Glauben und zu ihrer Mentalität passen. Deswegen mache ich eindringlich darauf aufmerksam, dass Muslime unbedingt in der Nähe von Moscheen wohnen sollten. Sie sollten sich in einem islamischen Umfeld aufhal ten und sich nicht von den Moscheen und Gemeinden entfernen. Wir haben damit viel Erfahrung. Wenn wir dieser Situation keine beson dere Aufmerksamkeit schenken, stehen wir der großen Gefahr ge genüber, unsere [junge] Generation und unseren Glauben zu verlie ren." ("Milli Gazete" vom 27. Dezember 2002, S. 15) SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 189 Auch Versicherungen von IGMG-Funktionären, die Wertordnung des Grundgesetzes vollinhaltlich anerkennen zu können, ist mit Skepsis zu begegnen. Der Vorsitzende Osman DÖRING äußerte sich zur Vereinbarkeit der deutschen Rechtsordnung mit den eigenen Rechtsvorstellungen relativierend: "Wir richten uns, unsere Institutionen und unsere Aktivitäten im Licht von Koran und Sunna aus, und dies stellt keinen Hinderungs grund dar, diese in das vorhandene Rechtssystem zu integrieren." ("Milli Gazete" vom 25. Juni 2003, S. 14) Im Gegensatz zu einer Vielzahl anderer islamistischer OrganisatioSozialund Jugend nen und Gruppierungen ist für die IGMG Gewalt kein Mittel zur arbeit der IGMG Durchsetzung ihrer Ziele. Große Priorität räumt die IGMG in ihrem breit gefächerten Aktivitä tenspektrum hingegen der Jugendund Bildungsarbeit ein. Auch hier steht im Mittelpunkt die Vermittlung einer "islamischen Iden tität", um eine "Assimilation" in die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die in den Augen der IGMG als moralisch minderwertig dasteht, zu verhindern. So werden die muslimischen Jugendlichen in einer Ko lumne der "Milli Gazete" zu in den Schulferien von der IGMG ange botenen Korankursen ermahnt, das dort Erlernte auch zu bewahren. Dabei komme auch den Erwachsenen eine wichtige Rolle zu: "Jene unschuldigen Kinder hat uns Gott anvertraut. Wir sind dazu verpflichtet, sie die Religion Gottes zu lehren. Dutzende von perversen Institutionen, allen voran Judenund Christenkomitees, lauern nur auf eine günstige Gelegenheit, um uns unsere Kinder abspenstig zu machen. Werfen wir unsere Kinder jenen verirrten Ungeheuern nicht zum Fraß vor!" ("Milli Gazete" vom 5./6. Juli 2003, S. 12) Im Zusammenhang mit dem Thema "Kindererziehung" warnt ein Journalist der "Milli Gazete": "Eltern sollen wissen und verstehen, dass sie ihren Kindern reichlich Liebe durchtränkt mit Glauben zu essen und zu trinken geben sollen. Dann werdet ihr sehen, dass die schmutzigen Festungen des Westens unseren Kindern nicht mehr standhalten können, sondern es wird BERICHT 2003 190 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN eine nach der anderen fallen ..." ("Milli Gazete" vom 6./7. September 2003, S. 2) "Milli Gazete" Formal von der IGMG unabhängig, spielt die türkische Tageszeitung "Milli Gazete" (Nationale Zeitung) für die Verbreitung der "Milli Görüs"-Ideologie nach wie vor eine zentrale Rolle. Ein für die IGMG in Bremen tätiger Imam unterstrich bei einem Vortrag, dass die Zei tung "die einzige Verfechterin und Sprecherin der Sache der Milli Görüs und die Augen und Ohren der Gläubigen" sei. Aus diesem Grunde müssten unter den Mitglie dern der IGMG Abonnementkam pagnen gestartet werden. 24 Auch die Zeitung selbst lässt keinen Zweifel an ihrer Bindung an die "Milli Görüs"-Bewegung: "Seit Beginn ihrer journalistischen Aktivitäten ist Milli Gazete von ihrem Ziel und ihrer Richtung nicht abgewichen und ist in Bezug auf ihre Werte keinerlei Kompromisse eingegangen ... Ihrem Motto 'Die Wahrheit ist gekommen, das Nichtige ist vergangen' ist sie treu ge blieben ... Sie war stets die unerschrockene Verteidigerin der Anliegen von Milli Görüs." ("Milli Gazete" vom 14. Januar 2003, S. 13) Aussagen in der "Milli Gazete" werden daher als repräsentativ für das Islamverständnis der "Milli Görüs"-Bewegung und damit auch für das der IGMG angesehen. "Milli Gazete"-Kolumnist Mehmed Sevket EYGI propagiert auch im Berichtsjahr wieder ein kompro missloses Islamverständnis. Religion könne für Muslime auch nie nur Privatangelegenheit sein, sie erhebe einen politischen und ge sellschaftlichen Anspruch: "Manche behaupten, die Religion dürfe sich nicht in weltliche Angele genheiten einmischen oder mit ihnen vermischt werden ... Wenn wir uns jedoch die Gebote der Religion betrachten, dann sehen wir, dass diese die weltlichen Angelegenheiten regeln. Die Freimaurer, die Sabatäer, diese oder jene Ideologie oder Philosophie mischen sich in weltliche Angelegenheiten ein, verkünden eine Reihe von Ansich ten, um diese zu regeln. Warum soll das die Religion nicht auch tun? SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 191 Die Religion und das Weltliche können nicht voneinander getrennt werden, sind miteinander verwoben. ... Ist ein muslimischer Aufschwung und Fortschritt möglich mit Metho den, die den Geboten und Prinzipien des Koran, der Sunna, der Scha ria und der Mystik (Ethik) zuwiderlaufen? Niemals! Islamisten, die ihre Dienste und Taten nicht an dem Buch Gottes, der Sunna des Propheten, den Geboten und Prinzipien der Scharia und der Mystik ausrichten, sind auf dem falschen Weg ..." ("Milli Gazete" vom 11. Juli 2003, S. 4) 2.2 Linksextremisten Gemeinsames Ziel türkischer Linksextremisten ist die Destabilisie rung und letztlich "revolutionäre" Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung in der Türkei. Diese Zielsetzung bestimmt auch die Agitation türkischer Linksextremisten in Deutschland. Ein thematischer Schwerpunkt war erneut der anhaltende Protest der "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) gegen die Einrichtung von Einzelzellen in türkischen Haftanstalten. Daneben wurden innerdeutsche und weltpolitische Ereignisse, wie der IrakKrieg, aufgegriffen und propagandistisch genutzt. Die DHKP-C ver schärfte ihre Agitation, die sie im Kern als "antiimperialistisch" ver steht und bekannte sich öffentlich zu Sprengstoffanschlägen in der Türkei. Die über Jahre mit der DHKP-C rivalisierende "Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Revolutionäre Linke" (THKP-C - De vrimci Sol) trat dagegen kaum noch öffentlich in Erscheinung. Auch die in zwei Fraktionen gespaltene "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) sowie die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) polemisierten mit "antiimpe rialistischer" Propaganda besonders gegen die USA. 2.2.1 "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) gegründet: 1994 in Damaskus (Syrien) nach Spaltung der 1978 in der Türkei gegründeten, 1983 in Deutschland verbotenen "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke) Leitung: Generalsekretär Dursun KARATAS Mitglieder/Anhänger: ca. 700 (2002: 750) Publikationen: u. a. "Devrimci Sol" (Revolutionäre Linke), unregelmäßig; BERICHT 2003 192 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN "Ekmek ve Adalet" (Brot und Gerechtigkeit), wöchentlich Organisationsverbot: seit 13. August 1998 Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete DHKP-C strebt die revolu tionäre Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsord nung in der Türkei und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft an. Als Mittel hierzu propagiert die Organisation, insbe sondere ihr militärischer Arm "Revolu tionäre Volksbefreiungsfront" (DHKC), den bewaffneten Volkskampf: "Der Kampf gegen den volksfeindlichen Staat ist die Aufgabe aller, die auf der Seite des Volkes stehen." (Erklärung Nr. 311der DHKC vom 31. August 2003) "Und heute steht die Gültigkeit und die Notwendigkeit der Alternative des Sozialismus ... erneut auf der Tagesordnung der Welt. ... Der Volksbefreiungskampf ist die universelle Linie der Befreiung. ... Gegen den Imperialismus und die Oligarchie gibt es keinen anderen Befrei ungsweg als den Volksbefreiungskampf. Die einzige Alternative ist der Sozialismus." (Erklärung Nr. 25 der "Revolutionären Volksbefreiungspartei" (DHKP), dem politischen Arm der DHKP-C, veröffentlicht von der DHKC am 30. März 2003) Sprengstoffan Die DHKP-C operiert in der Türkei terroristisch und führte auch im schläge in der Jahre 2003 mehrere Sprengstoffanschläge u. a. auf ein McDonaldsTürkei Restaurant und staatliche türkische Einrichtungen sowie auf An gehörige türkischer Sicherheitskräfte durch. Gleichzeitig drohte die DHKC weitere Anschläge an und nannte als Ziele ausdrücklich die für die Einführung von Einzelzellen in türkischen Haftanstalten ver antwortlichen politischen Parteien und Entscheidungsträger inner halb der Polizei, Armee und Bürokratie. Im Zusammenhang mit der vorzeitigen Detonation eines Sprengsat zes in einem Cafe in Ankara im Mai kam die Attentäterin, eine Aktivistin der DHKP-C, ums Leben. Dazu erklärte die DHKC, der An schlag sei als Rache für die im Todesfasten gefallenen Märtyrer in türkischen Gefängnissen gedacht und richte sich zudem gegen die Politik der USA. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 193 Der Hungerstreik und die Situation "politischer" Gefangener in türHungerstreikprokischen Haftanstalten war auch im Jahr 2003 beherrschendes Agitablematik tionsthema der DHKP-C. Der im Oktober 2000 begonnene Hunger streik richtet sich vor allem gegen die Verlegung von Inhaftierten aus Großraumzellen in Gefängnisse mit kleineren Zellen bzw. Einzel zellen. Er wird seit Mai 2002 nahezu ausschließlich noch von Anhän gern der DHKP-C fortgesetzt. Zur Hungerstreikproblematik versuchte - in thematischer Überein stimmung mit der DHKP-C - auch der "Solidaritätsverein mit den po litischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei" (TAYAD) in Gestalt des "TAYAD-Komitees e. V." in Hamburg sowie des "Solida ritätskomitees mit TAYAD" in Bielefeld durch Demonstrationen und Kundgebungen Aufmerksamkeit zu erlangen. Im Juli rief das "TAYAD-Komitee" Hamburg in mehreren deutschen Großstädten (Köln, Berlin, Frankfurt am Main, Dortmund) zu mehrtägigen Hun gerstreiks auf. In Flugschriften des TAYAD hieß es unter Bezugnahme auf den Hungerstreik in der Türkei: "Für den Tod dieser 107 Menschen 25 ist auch europäische Politik mit verantwortlich. Trotz der scheinbaren Kritik in Bezug auf die Men schenrechte, unterstützt und legitimiert insbesondere Deutschland diese Linie des türkischen Staates ... Wir appellieren an alle Europäer: Unterstützt nicht die inhumane und zweigesichtige Politik eurer Re gierungen, kritisiert die europäische Unterstützung menschenver achtender Politik in der Türkei, zu dieser Politik schweigen heißt Tot schweigen." Als ihren Hauptfeind sieht die DHKP-C neben dem türkischen Staat und seinen Einrichtungen auch die USA an. Aus ihrer Sicht habe sich die Türkei dem "US-Imperialismus" untergeordnet und sei politisch, wirtschaftlich und militärisch von den USA abhängig. Die DHKP-C wertet den Einmarsch der amerikanischen Truppen in Reaktionen auf den Irak als einen "Angriff des amerikanischen Imperiums" und den Irak-Krieg gleichzeitig als "Wendepunkt für die ganze Welt": "Seit dem 11. September 2001stehen den Völkern mehr denn je impe rialistischer Terror und Einschüchterung gegenüber. Mit dem Angriff auf den Irak hat dieser Terror die höchste Ebene der heutigen Zeit er reicht." (Erklärung Nr. 25 der DHKP vom 30. März 2003) BERICHT 2003 194 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Auch gegen den - letztlich nicht umgesetzten - Beschluss des türki schen Parlaments vom 7. Oktober, Truppen in den Irak zu entsenden, agitierte die DHKP. Unter der Überschrift "Gegen die AKP-Regierung zu kämpfen bedeutet, gegen Amerika zu kämpfen!" polemisierte die Organisation, der Beschluss bedeute Verrat am türkischen Volk, in dem das Land unter die Vorherrschaft des Imperialismus gestellt und dem Geschwistervolk im Irak der Krieg erklärt werde. Mit dieser Entscheidung wolle die Regierung ihre "Verleumdungsund Ver nichtungspolitik" gegen das kurdische Volk fortsetzen und werde sie Feindschaft zwischen den türkischen, kurdischen und arabischen Völkern säen: "Unsere Jugendlichen werden in einen ungerechten und illegitimen Krieg gedrängt, sie werden zu Mördern eines Geschwistervolkes und letztlich für die amerikanischen Interessen sterben." Nunmehr gelte es, eine Widerstandsfront gegen die Entsendung von Streitkräften in den Irak aufzubauen: "Völker der Türkei! Patriot/innen, Demokrat/innen, Revolutionär/innen, Islamist/innen! Wir werden gegen den Imperialismus und die Oligarchie auf allen Ebenen, in allen Bereichen kämpfen. Nur so kann verhindert werden, dass die Türkei ein Land ist, welches andere Völker ermordet und sein eigenes Volk unterdrückt." (Erklärung Nr. 27 der DHKP vom 11. Oktober 2003) Durchsuchung von Am 9. und 15. Juli durchsuchte die Polizei in Rheinland-Pfalz, Hessen, DHKP-C-Objekten Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Thüringen rund 45 Wohnungen und Büros von Verdächtigen aus dem Bereich der DHKP-C. Dabei konnten u. a. PCs, Handys, Propagan damaterial, schriftliche Unterlagen und eine Schusswaffe sicherge stellt werden. Im Rahmen der Polizeiaktion wurde ein mit Haftbefehl gesuchter Aktivist der DHKP-C festgenommen. Am 18. November durchsuchte die Polizei ein weiteres Objekt in Köln und stellte um fangreiches Beweismaterial sicher. Zu den Durchsuchungen äußerte sich - ganz im Sinne der DHKP-C - ein "TAYAD-Komitee" im Internet. Deutschland praktiziere im Namen der USA und des türkischen Fa schismus eine Repressionsund Einschüchterungspolitik gegen re volutionäre, demokratische und antifaschistische Menschen mit dem Ziel, die USA und die Türkei zufrieden zu stellen. Zum Jahrestag ihrer Gründung und zum Gedenken an die "Gefalle SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 195 nen der Revolution" führte die DHKP-C am 26. April in Rotterdam (Niederlande) ihre jährliche Feier, diesmal mit etwa 3.500 Besuchern, durch. Auch 2003 kam es in Deutschland gegenüber DHKP-C-Aktivisten zu Anklageerhebungen und Verurteilungen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte einen 32-jährigen DHKP-C-Funktionär im Februar wegen Mitgliedschaft in einer terro ristischen Vereinigung und versuchter schwerer Brandstiftung zu ei ner Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er 1995 als Mitglied der seinerzeit inner halb der DHKP-C-Spitze bestehenden terroristischen Vereinigung u. a. an zwei versuchten Brandstiftungen gegen türkische Banken in Duisburg und Köln beteiligt war. Gegen drei weitere Funktionäre der DHKP-C wurden wegen des Ver dachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung An klagen erhoben. 2.2.2 "Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) gegründet: 1972 in der Türkei Mitglieder: ca. 1.400 (2002: ca. 1.500) Die Organisation ist gespalten in: "Partizan" Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 850 (2002: ca. 900) Publikationen: "Yeni Demokrasi Yolunda Isci Köylü" (Arbeiter und Bauern auf dem Weg der neuen Demokratie), vierzehntäglich; "Bülten" (Das Bulletin), monatlich; "Komünist" (Der Kommunist), zweimonatlich und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) (bis Dezember 2002 "Ostanatolisches Gebietskomitee" -DABK-) Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 550 (2002: ca. 600) BERICHT 2003 196 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Publikation: "Halk Icin Devrimci Demokrasi" (Revolutionäre Demokratie für das Volk), vierzehntäglich Seit 1994 ist die TKP/ML in die zwei konkurrierenden Fraktionen "Partizan" und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) gespal ten. Sowohl "Partizan" als auch MKP haben je weils die Ideologie und Zielsetzung der Mutter organisation übernommen. Demzufolge bilden die Lehren des Marxismus, Leninismus und Maoismus das ideologische Gerüst. Sie propa gieren einen nach maoistischem Vorbild ge führten bewaffneten "Volkskrieg" in den ländli chen Gebieten der Türkei, um mit dessen Hilfe eine "demokratische Volksrevolution" herbeizuführen und letztendlich eine am Kommu nismus orientierte Gesellschaftsordnung in der Türkei zu etablieren. Zur Strategie heißt es in einer der zahlreichen Propagandaschriften u. a.: "Auf der 7. Konferenz hat sie sich mit Hilfe der Wissenschaft des Marxismus-Leninismus-Maoismus und der Strategie des Volkskrieges or ganisiert, um die Zukunft zugunsten des Volkes zu gestalten und hat dadurch ihr Versprechen erneuert, den Krieg zu erweitern ... Es lebe die Demokratische Volksrevolution! Es lebe der Volkskrieg!" (Flugblatt von "Partizan" vom August 2003) Zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele in der Türkei propagieren beide Fraktionen den bewaffneten Kampf: "Die unterdrückten und ausgebeuteten Millionen mussten gegen den organisierten und bewaffneten Imperialismus ... sowie gegen die fa schistische Türkische Republik organisiert und bewaffnet werden. Wir versprechen unseren Gefallenen, dass wir die Partei entwickeln sowie unseren Kampf auf allen Bereichen ausdehnen und die Macht erlangen werden. Wir haben unseren Gefallenen die Revolution ver sprochen! Hoch lebe der Marxismus-Leninismus-Maoismus!" (Publikation von "Partizan", "Yeni Demokrasi Yolunda Isci Köylü" Nr. 1vom 31. Januar - 13. Februar 2003) "Stärke Dich durch den Maoismus, gehe mit dem Volkskampf voran! SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 197 Wenn wir alle Imperialisten ... die faschistische Diktatur ... stürzen und stattdessen die demokratische Volksmacht der Völker der Türkei und Nordkurdistans aufbauen wollen, so gibt es dafür einen Haupt weg des Kampfes: Unter der ideologischen Führung des Maoismus und unter der politischen Führung der Maoistischen Kommunisti schen Partei als Kämpfer in den Reihen unserer Volksbefreiungsarmee (HKO) teilnehmen." (Flugblatt der MKP vom April 2003) Zur Umsetzung ihrer Ziele unterhalten beide Flügel in der Türkei voneinander getrennte eigenständige bewaffnete Guerillagruppen. Die "Partizan"-Guerilla nennt sich "Türkische Arbeiterund Bauern befreiungsarmee" (TIKKO), während die MKP über die "Volksbefrei ungsarmee" (HKO) verfügt. Beide Verbände lieferten sich in der Tür kei bewaffnete Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheits kräften. "Partizan" und MKP verfügen in Deutschland über ein Anhängerpo tenzial, welches sich u. a. in einer Reihe von Komitees und Vereinen zusammengeschlossen hat. Wie in den Vorjahren führten beide Flügel der TKP/ML getrennt von einander Großveranstaltungen zum Gedenken an den 1973 verstor benen Gründer der TKP/ML, Ibrahim Kaypakkaya, durch. Die MKP organisierte am 17. Mai in der Eissporthalle in Frankfurt am Main eine Saalveranstaltung mit ca. 4.000 Personen aus dem ganzen Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland. An der am 24. Mai durchgeführten Veranstaltung von "Partizan" in der Universitäts halle in Wuppertal nahmen ebenfalls etwa 4.000 Personen aus dem Bundesgebiet und Westeuropa teil. Die Agitationsthemen von TKP/ML und MKP griffen andere ihnen offenbar nahestehende türkische Gruppierungen auf. So polemisierte die "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa" (ATIK) im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg: "Der US-Imperialismus wird noch einmal im Nahen Osten Blut ver gießen ... Der 11. September hat den USA einen Nährboden geschaffen, BERICHT 2003 198 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN um seine Imperiumsträume mit den kriegerischen Angriffen auszu bauen und sie zu befestigen." (Flugblatt der ATIK vom Februar 2003) Ebenfalls im Sinne "antiimperialistischer" Ideologie äußerte sich die "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V." (ATIF): "Deutscher Imperialismus, der eine noch aggressivere Rolle in der in ternationalen Ebene um Verteilung der Absatzmärkte spielen möchte, verhält sich nach innen zunehmend antidemokratisch, nach außen hin militaristisch und aggressiv." (Flugblatt der ATIF vom Mai 2003) 2.2.3 "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) gegründet: 1994 in der Türkei Leitung: Funktionärsgruppe Mitglieder/Anhänger: ca. 600 (2002: ca. 600) Publikationen: "Yeniden Atilim" (Der neue Vorstoß), wöchentlich; "Internationales Bulletin der MLKP", monatlich; "Partinin Sesi" (Stimme der Partei), zweimonatlich Erklärtes Ziel der MLKP ist es, das türkische Staatsgefüge durch eine gewaltsame Revolution zu beseitigen und in eine Diktatur des Prole tariats umzuwandeln. Ideologisch beruft sie sich dabei auf die Theo rien von Marx, Engels, Lenin und Stalin. Die MLKP versteht sich eige nen Angaben zufolge als die politische Vorhut des Proletariats der türkischen und kurdischen Nation und der nationalen Minderhei ten. Thematisierung Im Berichtszeitraum entfaltete die MLKP in des Irak-Krieges Deutschland keine nennenswerten öffentlichen Aktivitäten. Sie beschränkte sich weitgehend auf die Verbreitung von Äußerungen zu politischen Reizthemen. Beherrschendes Agitationsthema war der Krieg im Irak. Dabei griff die MLKP vor al SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 199 lem die USA an und rief dazu auf, "die USA im Mittleren Osten ein neues Vietnam erleben zu lassen ... Barrikaden gegen den imperialistische Krieg zu errichten und zu kämpfen. Die USA, der größte Feind der Arbeiterklasse und Völker der Welt, führen mit ihren Komplizen ... Verhandlungen über die Neuauf teilung der Energiequellen." (Flugblatt des Auslandskomitees der MLKP vom März 2003) In diesem Kontext propagierte die MLKP Widerstandsaktionen und polemisierte: "... Um den Willen der Kriegsaggression und Provokation zu brechen und zurückzuschlagen, müssen wir uns Aktionen vornehmen, die die Produktion stoppen können, den Verkehr, die Kommunikation lahm legen; solche Aktionen, die direkt das gesellschaftliche Leben beein flussen. Die Produktion, Verkehr und Kommunikation können durch Streiks gestoppt werden. Der Verkehr in der Luft, im Wasser und auf der Erde kann lahm gelegt werden. Die Verkehrswege sowie Flughä fen und Häfen können zu diesem Zweck belagert und besetzt werden ... Botschaften, Konsulate und Handelszentren von den Ländern, die Kriegsprovokateure oder kriminelle Partner sind, können belagert und besetzt werden ..." (Sonderausgabe Nr. 1des "Internationalen Bulletin" der MLKP vom Fe bruar 2003) Auch die "Föderation der Arbeiterimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V." (AGIF), eine der MLKP offenbar nahestehende Or ganisation, thematisierte die militärische Intervention im Irak und rief alle Immigranten in Deutschland auf, sich dem Krieg zu wider setzen und sich international zu solidarisieren: "Die Arbeiter und Werktätigen legen die Produktion lahm und neh men ihre Zukunft selbst in die Hand. Alle verweigern den Militär dienst und streuen so Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie. Nur die Massen können auf den Straßen mit zivilem Ungehorsam die Macht der Konzerne, Banken und ihrer Regierung brechen ... Hoch die internationale Solidarität! Gegen Krieg und Kapital und die deutsche Friedensheuchelei!" (Flugblatt der AGIF vom 20. März 2003) BERICHT 2003 200 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 3. Kurden 3.1 Überblick Die Aktivitäten extremistischer kurdischer Organisationen in Deutschland werden entscheidend von der Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten der Türkei und des Irak beeinflusst. Im Mittel punkt von Propaganda und Aktionsverhalten dieser Gruppierungen standen Forderungen nach mehr politischer und kultureller Eigen ständigkeit in ihren Herkunftsländern. Von den rund 500.000 in Deutschland lebenden Kurden sind ungefähr 12.000 Personen extre mistischen Organisationen zuzurechnen. Unter ihnen verfügte der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK), der im April 2002 aus der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) hervor gegangen war, nach wie vor über das größte Mobilisierungspo tenzial. Anfang November gab der KADEK seine Auflösung be kannt. Kurze Zeit später wurde der "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) gegründet. 3.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK)/"Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA GEL) * gegründet: 1978 als "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) in der Türkei Leitung: Führungsfunktionäre der "Kurdischen demokratischen Volksunion" (YDK) (in Abhängigkeit vom Generalvorsitzenden des KADEK, Abdullah ÖCALAN, und dem Generalpräsidialrat) Mitglieder/Anhänger: ca. 11.500 (2002: ca. 11.500) Publikationen: u. a. "Serxwebun" (Unabhängigkeit), monatlich Betätigungsverbot: seit 26. November 1993 (der KADEK ist vom Betätigungsverbot der PKK mit umfasst) 3.2.1 Allgemeine Lage Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) unterliegt in Deutschland ei * Kurdische Bezeichnung: "KONGRA GEL(E) KURDISTAN" SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 201 nem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot, weil sie hier in früheren Jahren u. a. mit terroristischen Anschlägen und zahlreichen gewalt tätigen Demonstrationen agiert hat. Das Verbot erstreckt sich grundsätzlich auch auf solche Organisationen, die - wie der KADEK - lediglich unter veränderter Bezeichnung das Organisationsund Handlungskonzept der PKK übernehmen und fortsetzen. Die PKK hatte ab 1984 hauptsächlich im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär begonnen, um auf diesem Wege die Errichtung eines eigenständigen kurdischen Staates zu er zwingen. Nachdem der PKK-Vorsitzende Abdullah ÖCALAN im Jahr 1999 in Kenia gefasst und anschließend in der Türkei wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden war, das Urteil wurde später in eine le benslange Freiheitsstrafe umgewandelt, erklärte er noch im selben Jahr die Einstellung des bewaffneten Kampfes. Die Guerillaverbände der PKK beendeten daraufhin ihre Operationen in der Türkei und zo gen sich mit ihren Waffen hauptsächlich in den Nord-Irak zurück. ÖCALAN kündigte außerdem an, dass sich die PKK in Zukunft nur noch auf friedlichem und politischem Wege für die Erfüllung ihrer Forderungen einsetzen wolle. Das Ziel eines eigenen kurdischen Staates werde aufgegeben, stattdessen nunmehr die kulturelle Au tonomie der Kurden innerhalb der Grenzen einer demokratischen Türkei angestrebt. Auch nachdem die PKK auf ihrem 8. Parteikongress im Frühjahr 2002 beschlossen hatte, ihre alte Organisationsbezeichnung aufzu geben und in der Nachfolge den "Freiheitsund Demokratiekon gress Kurdistans" (KADEK) zu gründen, wurde die Friedensstrategie fortgesetzt. Allerdings ließ der KADEK verstärkt Zweifel aufkommen, ob der seit vier Jahren erklärte Friedenskurs von Dauer sein werde. Ein Ultimatum, das die Organisation der türkischen Regierung bis zum 1. September 2003 gesetzt hatte, war mit der Drohung verbun den, dass der KADEK seine bisherige Strategie überdenken würde KADEK stellt der und in der Türkei auch zu terroristischen Aktionen zurückkehren türkischen Regie könne, wenn in der Kurdenfrage keine Fortschritte erzielt würden. rung Ultimaten Dieses und ein weiteres Ultimatum, das der Türkei bis zum 1. Dezem ber eine Waffenstillstandsgarantie und die Einstellung sämtlicher militärischer Operationen gegen den KADEK abverlangte, verstri chen, ohne dass die Organisation ihre Drohungen wahr machte und den bewaffneten Kampf wieder aufnahm. Mehrfach kam es jedoch zu kleineren bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem türki schen Militär. Die daran beteiligten Kräfte der KADEK-Guerilla sind in den Augen der Organisation Teil einer "Volksverteidigungsarmee", deren Existenz - angeblich für Zwecke der Selbstverteidigung - auch weiterhin notwendig sei. BERICHT 2003 202 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Auflösung des Am 11. November gab der KADEK seine auf einem Parteikongress im KADEK und Nordirak beschlossene Auflösung bekannt. Kurze Zeit später, am Gründung des 15. November, gründete sich der "Kurdische Volkskongress" (KONKONGRA GEL GRA GEL). Nach den Verlautbarungen des KADEK sei diese Entschei dung vor dem Hintergrund der amerikanischen Intervention im Irak und einer dadurch grundlegend veränderten politischen Lage ge troffen worden. Hiermit wolle man den Weg für eine Neustrukturie rung der Organisation im Einklang mit einem demokratischen, öko logischen System eröffnen. An die Stelle der bisherigen Kaderpartei leninistischer Prägung solle eine demokratische Massenorganisa tion mit zivilem politischem Charakter treten. Diese habe das Ziel, die kurdische Frage auf friedlichem Wege zu lösen. Zum Vorsitzen den des KONGRA GEL wurde Zübeyir AYDAR gewählt. Abdullah ÖCALAN, der bisherige Generalvorsitzende des KADEK, wurde durch den Volkskongress zum "kurdischen Volksführer" ernannt. Allein schon der enge zeitliche Zusammenhang zwischen der Auflö sung des KADEK und der Gründung des KONGRA GEL, der Wechsel von Führungskadern der einen in die andere Organisation und kon zeptionelle Übereinstimmungen zeigten ein hohes Maß an Konti nuität. Das wurde auch darin deutlich, dass sich der KONGRA GEL den "Fahrplan für einen demokratischen Wandel" zu eigen machte, den zuvor noch der KADEK zur Lösung der Kurdenfrage veröffent licht hatte. Die Organisation sieht darin eine "Roadmap", die mit der türkischen Seite verhandelt werden solle und - im Einigungsfall - bis hin zu einer Auflösung ihrer Guerilla führen könne. Mit diesem "Fahrplan" hatte der KADEK zahlreiche Forderungen an die türkische Regierung ver knüpft, die - so die ursprüngliche Vorstellung - über mehrere Etap pen im Zeitraum eines Jahres erfüllt werden müssten. Von dieser - engen - Zeitvorstellung ist der KONGRA GEL jedoch abgerückt. 3.2.2 Organisatorische Situation Die im November erklärte Auflösung des KADEK und Gründung des KONGRA GEL haben für die Strukturen der Organisation in Deutsch land bislang keine erkennbaren Veränderungen gebracht. Die An hängerschaft des KADEK hat die Gründung des KONGRA GEL be grüßt, aber gegenüber der Ankündigung organisationsinterner Demokratisierung keine besonderen Erwartungen gezeigt. Frühere Absichtsbekundungen, innerhalb des KADEK mehr demokratische Mitbestimmung einzuführen, hatten angesichts hierarchischer Or ganisationsformen und eines zentralistisch gesteuerten Funk tionärswesens zu keinen markanten Verbesserungen geführt. Im Organisationsschema des KADEK ist Deutschland in drei Ab SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 203 schnitte, die so genannten Serits Nord, Mitte und Süd mit insgesamt 22 Gebieten eingeteilt. Anordnungen und Vorgaben der Führungs spitze werden über verschiedene Organisationsebenen bis auf die Ortsebene weitergegeben. Dort werden sie in der Regel von den ört lichen Vereinen umgesetzt, in denen die meisten der KADEK-Anhänger organisiert sind. Dachorganisation der örtlichen Vereine ist nach wie vor die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM). Auch die vom KADEK unterhaltenen Massenverbände 26, in denen verschiedene kurdische Berufsund Interessengruppen für die Ziele und Belange der Organisation eintreten, bestehen weiter fort. Der KADEK verfügt daneben über Organisationseinheiten, deren Ak tivitäten besonderer Geheimhaltung unterliegen. Dazu gehört ins besondere das so genannte Heimatbüro (ÜLKE-Büro), mit dessen Hilfe Funktionäre aus dem Nahen Osten nach Europa bzw. in umge kehrte Richtung geschleust werden. Die dazu erforderlichen Pa piere werden durch Anhänger der Organisation häufig auch in Deutschland beschafft und dann zum Beispiel durch den Austausch von Lichtbildern oder die Veränderung der Geburtsdaten verfälscht. 3.2.3 Propaganda des KADEK Mit einer Vielzahl von Aktivitäten versuchte der KADEK die Politik der Organisation auch in Deutschland propagandistisch zur Geltung zu bringen. Thematische Schwerpunkte waren erneut Forderungen nach Anerkennung der politischen und kulturellen Identität der Kurden in der Türkei, aber auch die Haftbedingungen Abdullah ÖCALANs. Die rege Teilnahme an breit angelegten Kampagnen und zahlreichen Einzelveranstaltungen bestätigte erneut die Fähigkeit der Organisation zu einer umfassenden Mobilisierung ihrer Anhän ger und Sympathisanten. Am 15. Februar, dem vierten Jahrestag der Fest nahme Abdullah ÖCALANs in Kenia, führten An hänger des KADEK in Straßburg eine friedliche Großdemonstration durch, an der etwa 10.000 Per sonen aus mehreren europäischen Staaten teilnah men. Wie in den Vorjahren veranstalteten Kurden am 21. März unter maß geblicher Beteiligung von Anhängern des KADEK in zahlreichen deutschen Städten zur Feier des kurdischen Neujahrsfestes Newroz Fackelumzüge und Kundgebungen. Der Höhepunkt der diesjährigen Newroz-Feiern war eine zentrale europaweite Demonstration am 22. März in Frankfurt am Main, BERICHT 2003 204 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN an der insgesamt zirka 27.000 Personen - überwie gend Kurden aus Deutschland und dem angrenzen den Ausland - teilnahmen. Zu der Veranstaltung un ter dem Motto "NEWROZ - Fest des Friedens, der Freiheit und der Völkerverständigung" hatte die "Fö deration kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) aufgerufen. Die Kundgebung stand im Zeichen des Irak-Krieges sowie der europaweiten Protestkampagne des KADEK zur Verbesserung der Kadek-Demonstration am 22.März in Haftbedingungen von Abdullah ÖCALAN. Frankfurt/M. Forderung nach Ein vom türkischen Parlament verabschiedetes Gesetz, das Mitglie "Generalamnestie" dern terroristischer Organisationen unter bestimmten Bedingun gen Strafmilderung bis hin zum Straferlass gewährt, veranlasste den KADEK, in einer europaweit angelegten Propagandakampagne eine Generalamnestie für alle Anhänger der Organisation, einschließlich des inhaftierten Abdullah ÖCALAN, zu fordern. Zu einer zentralen Protestveranstaltung am 11. Juni in Brüssel reisten etwa 3.000 Teil nehmer an, darunter auch viele Kurden aus Deutschland. Zum Ende der Kampagne wurden am 12. Juli Demonstrationen in Stuttgart, Köln und Hannover durchgeführt, an denen jeweils bis zu 4.000 Per sonen teilnahmen. Am 25. und 26. Juli veranstaltete die YEK-KOM in Köln das "6. Maz lum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival", das zum ersten Mal in Deutschland stattfand. Hieran nahmen etwa 6.000 kurdische Ju gendliche teil, die aus dem gesamten Bundesgebiet und den an grenzenden europäischen Staaten angereist waren. In einer Gruß botschaft rief der Generalpräsidialrat des KADEK die kurdische Jugend dazu auf, sich aktiv am "Kampf für Demokratie und Freiheit" zu beteiligen. Unter dem Motto "Für einen demokratischen Mittleren Osten und ein freies Kurdistan" fand am 13. September in Gelsenkirchen das "11. Internationale Kurdistan-Kulturfestival" statt. Hieran nahmen etwa 40.000 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet sowie den eu ropäischen Nachbarländern teil. Das Programm bestand wie in den Vorjahren aus kulturellen Darbietungen und politischen Rede beiträgen, in denen u. a. Gleichberechtigung und Freiheit für das kurdische Volk sowie eine Verbesserung der Haftbedingungen Ab dullah ÖCALANs gefordert wurden. Der Generalpräsidialrat des KADEK hob in einer an die Teilnehmer gerichteten Erklärung hervor, dass Frieden als Grundlage des kurdi schen Lebens und Kampfes die einzige Basis für die Entwicklung von Demokratie, Gleichberechtigung und Freiheit sei. Es wurde auch eine Grußbotschaft Abdullah ÖCALANs verlesen, in der dieser dazu SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 205 aufrief, den "demokratischen Kampf" in allen Bereichen fortzu führen. Vom 20. September bis 27. November initiierte die "Föderation der KONKURD kurdischen Vereine in Europa" (KONKURD) 27 unter dem Motto "De Kampagne "Demo mokratische Lösung für den Frieden" eine Kampagne, in deren Rah kratische Lösung für den Frieden" men KADEK-Anhänger im gesamten Bundesgebiet Aktionen wie Hungerstreiks, Mahnwachen oder Fackelmärsche durchführten. Damit sollte insbesondere auf den vom KADEK im August zur Lösung der Kurdenfrage veröf fentlichten "Fahrplan für den demokratischen Wan del" sowie auf den Gesundheitszustand und die Haft bedingungen ÖCALANs hingewiesen werden. Im gleichen thematischen Zusammenhang setzten Anhänger der kurdischen Jugendorganisation "Bewegung der freien Jugend Kur distans" (TECAK)28 am 26. September in Berlin, Bremen und Ham burg u. a. Benzinkanister und Autoreifen in Brand. Dabei kam es zu kurzfristigen Beeinträchtigungen des Straßenverkehrs. In zurückge lassenen Flugblättern wurde auf die Kurdenproblematik sowie die Haftbedingungen ÖCALANs hingewiesen. Am 9. Januar hat es in Berlin und am 6. Dezember in Hamburg vergleichbare Aktionen ge geben. Anhänger des KADEK führten anlässlich des fünften Jahrestages der so genannten "Vertreibung" 29 von Abdullah ÖCALAN aus Syrien (9. Oktober 1998) in mehreren europäischen Ländern Veranstaltungen durch. Auch in zahlreichen deutschen Städten fanden entspre chende Kundgebungen statt. Vor einigen diplomatischen Vertre tungen der Türkei in Deutschland wurden schwarze Trauerkränze niedergelegt. In Hamburg kam es im Anschluss an eine Kundge bung vor dem türkischen Generalkonsulat zu Auseinandersetzun gen zwischen jugendlichen Anhängern und der Polizei. Der KADEK nutzte zur öffentlichen Verbreitung seiner politischen Ideen auch weiterhin den Fernsehsender "MEDYA-TV", der in Deutschland über Satellit empfangen werden kann. "MEDYA-TV" berichtete regelmäßig über die Aktivitäten des KADEK und seiner Anhänger, wie z. B. im Zusammenhang mit dem "11. Inter nationalen Kurdistan Kulturfestival" am 13. September in Gelsenkirchen. Darüber hinaus enthielt das Programm auch wieder Diskussi onssendungen, in denen sich u. a. führende Funktionäre des KADEK zum aktuellen politischen Geschehen äußerten. Auch in der tür kischsprachigen Tageszeitung "Özgür Politika" kamen regelmäßig BERICHT 2003 206 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Führungsfunktionäre des KADEK zu Wort. Die Zeitung enthielt im mer wieder auch Hinweise auf Veranstaltungen, die einen Bezug zum KADEK aufwiesen. Beide Medien bieten auch dem KONGRA GEL ein Forum. 3.2.4 Finanzielle und wirtschaftliche Aktivitäten Spenden Wie schon im Vorjahr finanzierte sich der KADEK in Europa im We kampagne sentlichen wieder aus einer jährlichen Spendensammelaktion unter seinen Anhängern, aus monatlichen Beiträgen seiner Mitglieder und Erlösen aus der Durchführung von Veranstaltungen und dem Verkauf von Publikationen. Diese Einnahmen wurden benötigt, um einen aufwändigen Propagandaapparat, die hauptund nebenamt lichen Führungskräfte der Organisation und deren sonstige Struktu ren zu unterhalten. Die Spendenkampagne konnte jedoch nicht die vom KADEK vorgegebenen Ziele erreichen. Das Ergebnis reicht an das Niveau der Vorjahre heran. Der KADEK bemühte sich weiterhin darum, über die "Union der in ternationalen kurdischen Arbeitgeber" (KARSAZ), einen eingetra genen Verein mit Sitz in Frankfurt am Main, das kurdische Wirt schaftspotenzial in Europa zusammenzuführen und zu fördern. Vom 31. Januar bis 2. Februar veranstaltete KARSAZ in Raunheim (Hessen) seinen "3. Ordentlichen Kongress". Nach Berichten der Ta geszeitung "Özgür Politika" nahmen hieran 165 Delegierte aus vier Kontinenten teil. In einer Erklärung habe KARSAZ die "Isolations haft" des KADEK-Vorsitzenden Abdullah ÖCALAN kritisiert und Un terstützung der Kampagne "Freiheit für Öcalan" angekündigt. KARSAZ zeigte Bestrebungen, neben der Zentrale in Frankfurt am Main auch in anderen Staaten Zweigstellen zu gründen und seine Mitgliederzahl zu erhöhen. 3.2.5 Strafverfahren gegen ehemalige Funktionäre der PKK/KADEK Aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofs erfolgte am 13. Januar in Mannheim die Festnahme eines ehemaligen PKK-Funktionärs wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung. Im Zeitraum von April 2001bis Februar 2002 hat er in Berlin die Funktion eines Gebietsverantwortlichen der PKK beklei det. Das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart verurteilte ihn am 18. De zember zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren. Am 13. Februar verurteilte das OLG Koblenz einen früheren Regions verantwortlichen der Jugendorganisation YCK (heute TECAK) we gen versuchter Brandstiftung in Tateinheit mit Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten. SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 207 Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er einen Brandanschlag auf die Räumlichkeiten des Deutsch-Türkischen-Freundschaftsvereins in Bad Kreuznach am 21. Mai 1997angeordnet und überwacht hatte. Das OLG Düsseldorf verhängte am 14. Mai gegen einen ehemaligen stellvertretenden PKK-Regionsleiter eine Freiheitsstrafe von 30 Mo naten wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Zwei frühere PKK-Regionsverantwortliche wurden am 20. Oktober wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung vom OLG Celle zu Freiheitsstrafen von drei Jahren und drei Monaten bzw. zwei Jahren und neun Monaten verurteilt. Am 3. Dezember verurteilte das OLG Hamburg einen früheren PKKFunktionär wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, Landfriedensbruch und Anstiftung zum schweren Hausfriedens bruch zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er von 1998 bis 1999 die PKKRegion Nord-West verantwortlich geleitet und im Februar 1999 aus Protest gegen die Festnahme von Abdullah ÖCALAN die Besetzung des SPD-Büros in Hamburg angeordnet hatte. 4. Iraner Die Aktivitäten der iranischen Opposition in Deutschland orientie ren sich schwerpunktmäßig an aktuellen politischen Ereignissen im Iran. Dies zeigte sich im Zusammenhang mit den Studentenprotes ten im Sommer in Teheran. Die innenpolitischen Spannungen im Iran nahmen iranische Oppositionsgruppen zum Anlass für Solida ritätskundgebungen und Proteste gegen Menschenrechtsverletzun gen. Die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) reagierte außerdem mit einer Vielzahl von Protestbekundungen auf polizeili che Durchsuchungsmaßnahmen, von denen - u. a. wegen des Ver dachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung - Mitglieder und Objekte der Organisation Mitte Juni in der Nähe von Paris be troffen waren. 4.1 "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) (in Farsi: "Modjahedin-E-Khalq") gegründet: 1965 im Iran Sitz: Bagdad Leitung: Massoud RADJAVI Publikation: u. a. "Modjahed" (Glaubenskämpfer), wöchentlich BERICHT 2003 208 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Außerhalb der Heimatregion vertreten durch "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI) gegründet: 1981in Paris - in Deutschland vertreten seit 1994 Sitz: Berlin Leitung: Deutschlandsprecherin Dr. Massoumeh BOLOURCHI Mitglieder: ca. 900 (2002: 900) Militärischer Arm: "Nationale Befreiungsarmee" (NLA) gegründet: 1987 im Irak Sitz: irakisch-iranisches Grenzgebiet (bis Mai 2003) Leitung: "Oberbefehlshaber" Massoud RADJAVI Innerhalb der iranischen Opposition im Ausland ist die von ihren Aussagen her revolutionär marxistisch ausgerichtete "Volksmodja hedin Iran-Organisation" (MEK) weiterhin die stärkste und aktivste iranische Gruppe. Sie verfügt über einen weltweit agierenden politischen Arm, den "Nationalen Widerstandsrat Iran" (NWRI), der die Organisation auch in Deutschland vertritt. Die Aktivitäten des NWRI zielten ver stärkt auf politische Selbstdarstellung. Im Vordergrund stand dabei die Absicht, eine Streichung der MEK von internationalen Listen ter roristischer Organisationen zu erreichen und dadurch eine stabilere Basis für politische Aktivitäten gegen die iranische Führung zu er langen. Insbesondere die Aufnahme der MEK in die EU-Liste terroris tischer Organisationen im Mai 2002 war immer wieder Gegenstand von Protestaktionen. In diesem Zusammenhang wurden auch im Jahr 2003 vielerorts Unterschriftenkampagnen durchgeführt. Mit ihren propagandistischen Aktivitäten versuchte die Organisation, sich als freiheitsliebende und "demokratische" Exilbewegung zu präsentieren. Am 19. April versammelten sich knapp 1.000 Anhänger der MEK zu einer friedlichen De monstration in Köln. Dies war eine von welt weit 14 zeitgleich stattfindenden Veranstaltun gen und richtete sich gegen angebliche Angriffe des Iran auf im Irak befindliche Lager der Organisation. Im Verlauf der zweiten Jah reshälfte kam es zu weiteren Protestkundge bungen von MEK-Anhängern vor diplomati schen Vertretungen in Berlin, Hamburg, München und Düsseldorf. Am 18. Oktober fand SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 209 in der Dortmunder Westfalenhalle ein Konzert statt, an dem etwa 5.000 Anhänger der Organisation und sonstige Besucher aus dem Inund Ausland teilnahmen. Am 17. Juni durchsuchten französische Sicherheitskräfte die Europa Durchsuchung der zentrale und weitere Objekte der Organisation in Auvers-sur-Oise bei Europazentrale Paris. Dabei wurden 156 Personen vorläufig festgenommen, darun und weiterer ter auch Maryam RADJAVI, die Ehefrau des MEK-Führers Massoud Objekte RADJAVI, die allerdings nach wenigen Tagen unter Meldeauflagen und gegen Zahlung einer Kaution wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Bei den Durchsuchungen - die sich auf den Verdacht der Bil dung einer terroristischen Vereinigung und der Finanzierung terro ristischer Aktivitäten stützten - wurden u. a. Bargeldbeträge in Mil lionenhöhe sichergestellt. Als Reaktion kam es weltweit zu spontanen Protestkundgebungen von MEK/NWRI-Anhängern vor französischen Einrichtungen, mit Selbstverbrennungsaktionen in Paris, Bern, London, Rom und Washington. In London und Paris gab es dabei zwei Todesopfer. Protestaktionen vor französischen Einrich tungen in Hamburg, München, Düsseldorf und Berlin fanden nur geringe Beteiligung. Geldbeschaffungsaktivitäten wie die in der Vergangenheit mit großem Aufwand durchgeführten bundesweiten Straßensammlun gen wurden nicht mehr festgestellt. Um gegenüber den Spendern die Verwendung der Gelder zu verschleiern, war der NWRI früher unter dem Namen verschiedener Tarnvereine aufgetreten. Hierzu zählte insbesondere der im Oktober aufgelöste Verein "Flüchtlings hilfe Iran e. V." (FHI) mit Sitz in Hamburg. Unter diesem Namen war die Organisation auch im Rahmen von Haussammlungen gezielt und systematisch auf potenzielle Spender zugegangen. Bei ihrem Ziel, die iranische Regierung gewaltsam zu stürzen, hatte sich die MEK bislang auf ihren bewaffneten Arm, die "Nationale Be freiungsarmee" NLA stützen können. Der MEK-Führer Massoud RADJAVI hatte dieser Guerillaarmee mit zuletzt etwa 5.000 Kämpfern eine zentrale Bedeutung beigemessen. Die NLA war mit Unterstüt zung des früheren irakischen Regimes militärisch ausgebildet und bewaffnet worden und von 1997bis 2001für zahlreiche Terrorakte im Iran verantwortlich. Im Zuge des Irak-Krieges wurde die NLA von den US-Streitkräften entwaffnet. Die verbliebenen NLA-Kämpfer wurden in dem ehemals größten Lager "Ashraf" im Irak unter USAufsicht gestellt. Die in diesem Zusammenhang mit den US-Streitkräften geführten Verhandlungen versuchte Massoud RADJAVI politisch aufzuwerten. So erklärte er in einer am 19. April im Internet verbreiteten Verlaut barung: BERICHT 2003 210 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN "Wir teilen allen Sympathisanten der Modjahedin und des Widerstan des Irans mit, dass es nun keinen Anlass für die Mullahs gibt, die Orga nisation der Volksmodjahedin als terroristische Organisation zu be zeichnen. Es muss international dafür plädiert werden, dass der Name der Organisation aus der Liste der terroristischen Organisatio nen gestrichen wird." Die Zukunft der NLA war Ende 2003 ungeklärt. Ihre Fähigkeit zu ter roristischen Aktionen ist nach ihrer weitgehenden Entwaffnung im Irak in Frage gestellt. 4.2 "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) gegründet: 1991als Abspaltung der "Kommunistischen Partei Irans" Sitz: London Leitung: Kourush MODARESI Deutschland: Bezeichnung: "Arbeiterkommunistische Partei Iran" oder "Auslandsorganisation der Arbeiterkommunistischen Partei Iran - Sektion Deutschland" oder "Exilregierung der iranischen Arbeiterpartei" Sitz: Köln Leitung: Nassan NOUDINIAN Vorsitzender der Deutschlandsektion der API Mitglieder: ca. 300 (2002: 400) Die API wurde 1991von ihrem am 4. Juli 2002 verstorbenen ehemali gen Vorsitzenden Mansour Hekmat als Abspaltung von der "Kom munistischen Partei Irans" (KPI) gegründet. Die höchste Parteiebene bildet das Zentralkomitee (ZK). Die Linie der Partei wird jedoch vom Politbüro des ZK bestimmt. Zu den politi schen Zielen der API, die einen revolutionären Umsturz im Iran an strebt, heißt es: SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 211 "Das unmittelbare Ziel der Arbeiterkommunistischen Partei ist die Organisation der gesellschaftlichen Revolution der Arbeiterklasse ... Unser Programm steht für die unmittelbare Einrichtung einer kom munistischen Gesellschaft, einer klassenlosen Gesellschaft ohne Pri vatbesitz der Produktionsmittel, ohne lohnabhängiges Arbeitssystem und ohne Staat." (Parteiprogramm der API vom Juli 1994, S. 24) Nach dem Tod von Mansour Hekmat gingen die öffentlichen Akti vitäten dieser Oppositionsgruppe kontinuierlich zurück. Demon strationen bzw. Kundgebungen, wie die am 14. Juni vor dem irani schen Generalkonsulat in Frankfurt am Main unter dem Motto "Verfassung und Folter im Iran" mit ca. 150 Teilnehmern, verliefen friedlich. Vor dem Generalkonsulat protestierten am 9. Juli ebenfalls etwa 150 Anhänger der API aus Anlass der Studentenunruhen im Iran. Die politische Arbeit der API wird von mehreren ihr nahe stehenden Organisationen in Deutschland, die organisatorische und personelle Verflechtungen zur API aufweisen, unterstützt. Dazu gehören z. B. die "Internationale Föderation der iranischen Flüchtlingsund Im migrantenräte" (IFIR, in Farsi: "Hambastegi") und die "Internatio nale Kampagne zur Verteidigung von Frauenrechten im Iran e. V.". 4.3 Vom Iran beeinflusste islamische Zentren Bis heute ist die Bewahrung der einst vom iranischen Revolutions führer Ayatollah Khomeini propagierten Idee der "Islamischen Re volution" im Iran sowie deren internationale Verbreitung wesentli cher Bestandteil der iranischen Politik. Der Iran unterstützt daher eine Vielzahl islamischer und islamistischer Bewegungen und Orga nisationen vor allem im Nahen und Mittleren Osten, so u. a. im Liba non, in Afghanistan und Ägypten. Der "Export der Revolution" in diese Länder, die zu lernen hätten, "mit Hilfe Gottes zur Revolution zu gelangen", ist in der iranischen Verfassung vorgeschrieben. Auch islamische Zentren und Moscheen in Deutschland sind Ziel des "Re volutionsexportes" und Foren für Versuche der Einflussnahme durch den Iran. Das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH) nimmt dabei eine beson dere Stellung ein. Es will als Multiplikator schiitischen Gedanken guts innerhalb der muslimischen Gemeinden in Deutschland wir ken. Auch europaweit ist es eine der wichtigsten Anlaufstellen für schiitische Muslime und ein aktives Propagandazentrum. Ein Ziel BERICHT 2003 212 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN des IZH ist es, auf Muslime anderer Staatsangehörigkeit im Sinne der iranischen "Revolutionsidee" einzuwirken, um so indirekt die Politik dieser Staaten zu beeinflussen. Zum Kreis der Besucher des IZH wie auch anderer Zentren iranischer Schiiten, u. a. in Berlin, Münster und München, gehören neben regimetreuen Iranern daher regel mäßig auch Angehörige anderer Nationalitäten wie Iraker, Libane sen, Afghanen, Pakistaner, Türken, Nordafrikaner und deutsche Muslime. Das IZH vertreibt eine Vielzahl von Bro schüren und Zeitungen in verschiedenen Sprachen. Als monatliches Organ gibt es die Broschüre "AL-FADSCHR" (Die Morgen dämmerung) heraus. Darin werden u. a. koranbezogene Themen, Berichte über regelmäßig stattfindende Veranstaltungen, Auszüge aus Freitagspredigten sowie "Nachrichten aus der islamischen Welt" veröffentlicht. Einen Überblick über die Aktivitäten des IZH gab der vormalige Lei ter des IZH, Dr. Seyyid Reza HOSSEINI NASSAB, anlässlich seines Aus scheidens in dieser Funktion im September 2003. 30 Einen Schwer punkt bildet danach die Gründung neuer islamischer Zentren in Deutschland bzw. die Unterstützung entsprechender Vorhaben, z. B. beim Ankauf der erforderlichen Immobilien. Auch gebe es vielfäl tige Formen der Kooperation des IZH mit anderen Gruppierungen und Einrichtungen in Deutschland, aber auch dem europäischen Ausland. Neben der Teilnahme am interreligiösen Dialog - über deutsche Religionslehrer, Universitätsprofessoren und Studenten - seien die Aktivitäten des IZH vor allem auf die Bündelung der in Deutschland bzw. Europa lebenden Schiiten gerichtet. 5. Tamilen "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) gegründet: 1972 in Sri Lanka Leitung: Führungskader der deutschen Sektion Mitglieder/Anhänger: ca. 750 (2002: ca. 750) Publikationen: "Viduthalai Puligal", vierzehntäglich Seit dem Waffenstillstandsabkommen vom Februar 2002 und den im September des gleichen Jahres offiziell begonnenen Friedensver handlungen zwischen den Separatisten der tamilischen LTTE und der Regierung Sri Lankas ist es zu keinen nennenswerten gewaltsa SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 213 men Auseinandersetzungen mehr gekommen. Gleichwohl zeichnet sich gegenwärtig weder ein konkreter Zeitpunkt für einen von bei den Parteien akzeptierten Friedensvertrag noch für eine Verfas sungsänderung ab, mit der ein erweiterter Autonomiestatus für die primär von Tamilen besiedelten Regionen des Landes gewährleistet werden könnte. Im April wurden die Friedensverhandlungen seitens der LTTE wegen angeblicher Verstöße der Regierung gegen getrof fene Vereinbarungen unterbrochen. Kurz nachdem die LTTE im No vember 2003 neue Verhandlungsvorschläge vorgelegt hatte, stoppte die Präsidentin Sri Lankas ihrerseits aus Furcht vor zu weit gehenden Konzessionen der Regierung gegenüber den LTTE den Fortgang der Verhandlungen. Angesichts dieser Lage ist die weitere Entwicklung ungewiss. Die LTTE schließen eine Rückkehr zum be waffneten Kampf nicht aus, auch wenn die Organisation zunächst noch Verhandlungsbereitschaft signalisierte. Die ambivalente Situation spiegelt sich auch im Aktionskonzept des LTTE-Spektrums in Deutschland wider. Neben propagandistischen Ak tivitäten geht es dabei vor allem um die Beschaffung von Geldmitteln. So setzten die LTTE mittels ihrer Hilfsund Tarnorganisationen ihre Bemühungen fort, tamilische Landsleute zum Beispiel bei Kultur-, Sportoder Gedenkveranstaltungen zur Abgabe von Geldspenden zu bewegen. Überwiegend wurde dies - wie bereits im Jahr 2002 - mit dem Finanzbedarf beim Wiederaufbau im tamilischen Siedlungsbe reich, für humanitäre und kulturelle Zwecke sowie für die Errich tung von eigenen Verwaltungsstrukturen begründet. Gleichzeitig wurde jedoch mit Blick auf ein mögliches Scheitern der Friedensver handlungen auf die nach wie vor bestehende Kriegsgefahr und die deshalb erforderliche Kampfbereitschaft der LTTE hingewiesen. Da mit indiziert die Organisation, dass sich ihr logistischer Bedarf auch auf ihre bewaffneten Einheiten erstreckt. IV. Agitationsund Kommunikationsmedien 1. Periodische Schriften Im Jahr 2003 wurden von extremistischen Ausländergruppierungen 71(2002: 74) regelmäßig erscheinende Schriften herausgegeben. Von diesen vertraten 47(2002: 50) linksextremistische, 21(2002: 21) islamistische und 3 (2002: 3) nationalistische Positionen. Wie in den Vorjahren werden die meisten Schriften, nämlich 24 (2002: 25) von linksextremistischen türkischen Gruppierungen herausgegeben. 2. Internet Immer mehr ausländische extremistische Organisationen nutzen das Internet als Medium zur Selbstdarstellung, Verbreitung von ProBERICHT 2003 214 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN pagandaund Parteischriften sowie zur Kommunikation. Nahezu alle der in Deutschland vertretenen extremistischen Organi sationen betreiben inzwischen mit zunehmender Professionalität ei gene mehrsprachige Internetseiten, um ihre Ziele zu propagieren. Sie veröffentlichen ihre Homepages meist in der Sprache des Her kunftslandes, viele bieten zusätzlich eine englischoder deutsch sprachige Version an. Auch "Mujahedin" sind mit zahlreichen arabischaber auch eng lischsprachigen Seiten im Netz vertreten: So richtet sich die englischsprachige Seite "Jihad Unspun" an "Arabi sche Mujahedin" in allen Teilen der Welt. Berichtet wird über ein zelne "Jihad"-Regionen; auch Verlautbarungen von "Jihad"-Kommandanten werden veröffentlicht. Neben Texten und Beiträgen von und über BIN LADEN bietet die Seite auch anderen militanten Isla misten ein Forum. So wurden dort Botschaften des Talibanführers Mullah OMAR sowie des BIN LADEN-Stellvertreters Ayman AL-ZAWAHIRI eingestellt. Auch arabischsprachige Seiten beschäftigen sich mit dem Leitmotiv des "Jihad". Dort wird z. B. über die Aktivitäten der "Mujahedin" in Afghanistan berichtet, es werden militärische Operationen der "Mu jahedin" gegen die amerikanischen Truppen und ihre Verbündeten dargestellt sowie Reden BIN LADENs und AL-ZAWAHIRIs verbreitet. Außerdem finden sich Kommuniques der irakischen, mutmaßlich "Al-Qaida"-nahestehenden "Abu Hafs Al-Masri-Brigaden", u. a. die Erklärungen dieser Gruppe zu den Anschlägen auf das UN-Hauptquartier in Bagdad im August und die beiden Synagogen in Istanbul im November. Zum "Jihad" im Irak werden auch Erklärungen von Gruppen mit dem Namen "Armee der Sunna-Anhänger" oder "Brigaden der Mu jahedin der kämpfenden Salafiya-Gruppe/Irak" veröffentlicht. Auch der Konflikt zwischen Israel und Palästina wurde von extremis tischen Organisationen im Internet thematisiert: Das "Palestinian Information Center" (PIC) bietet tagesaktuelle Be richte und Nachrichten aus Sicht der Palästinenser an. Die palästi nensische "Islamische Widerstandsbewegung" (HAMAS) stellt hier ebenfalls ihre Kommuniques und andere Artikel ein. Sie verfügt nicht mehr über eine eigene Internetpräsenz und veröffentlicht in zwischen ausschließlich über diese Internetseite. Die Internetseiten der algerischen "Front Islamique du Salut" (FIS) SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 215 waren in diesem Jahr thematisch durch die am 2. Juli erfolgte Freilas sung der beiden FIS-Anführer Scheich BENHADJ und Scheich MADANI dominiert. Auch die weltweit agierende islamistische Organisation "Hizb ut Tahrir al-Islami" (HuT) ist mit einer sprachlich weit gefächerten In ternetpräsentation im Netz vertreten. So veröffentlicht die HuT u. a. in arabischer, englischer, persischer, türkischer und usbekischer Sprache. Die HuT machte sich insbesondere anlässlich ihres Kon gresses im August in London das Internet zu Nutze, indem sie die Re debeiträge ins Internet einstellte. Mit entsprechender technischer Ausstattung ließen sich die Ansprachen auch als Video verfolgen. Ebenso wurden Audiodateien bereitgestellt. Die HuT lieferte hier ein Beispiel dafür, wie effektiv Islamisten das Medium "Internet" zur Verbreitung ihrer Ideologie nutzen können. Die am Kampf in Tschetschenien beteiligten islamistischen Akteure können auf ein Internet-Informationsangebot zurückgreifen, das sich mit dem "Jihad" dort - aus Sicht der "Mudjahedin" - befasst. Das Internetangebot der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) hat sich nicht wesentlich verän dert. Presseerklärungen oder Termine er scheinen ausschließlich in deutscher Sprache. Die Internetseite kann eine Vielzahl von Besuchern ver zeichnen. Der dort seit 2002 angebotene Radiosender läuft nach wie vor als "Testversion". Die Internetseite des "Kalifatsstaates" wurde nach dem Verbot der Organisation zunächst eingestellt, präsentierte sich dann aber wie der mit neuem Layout. Das Verbandsorgan "Beklenen ASR-I SAADET" (Das erwartete Jahrhundert der Glückseligkeit) wird wöchent lich auch als Onlineausgabe ins Internet eingestellt. Meldun gen und Berichte aus der Zeit vor dem Verbot sind zudem im mer noch über die Internet seite abrufbar. Der "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) nutzte das Internet, um seine politischen Ansichten und Forderungen zu verbreiten sowie um auf die Aktivitäten und Kampagnen der Orga nisation aufmerksam zu machen. Die Website des neu gegründeten "Volkskongresses Kurdistans" (KONGRA GEL) befand sich Ende 2003 noch im Aufbau. BERICHT 2003 216 SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN Die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) nutzt das Internet weiterhin sehr intensiv, um durch Presseerklärungen und Nachrichten zu aktuellen Themen zu informieren. Hauptthemen waren die aktuelle Situation im Irak, wobei insbesondere die Türkei und die USA kritisiert wurden, und erneut das Todesfasten von "poli tischen" Häftlingen in türkischen Gefängnissen. Auf der Website des "Nationalen Widerstandsrats Iran" (NWRI) wur den aktuelle Berichte, Erklärungen und Bilder, insbesondere zu den polizeilichen Maßnahmen gegen die Organisation Mitte des Jahres in Frankreich, verbreitet. V. Übersicht über weitere erwähnenswerte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Übersicht über weitere erwähnenswerte Organisationen sowie deren wesentliche Presseerzeugnisse Organisation Mitglieder/Anhänger Publikationen - einschl. Sitz (z.T. geschätzt) (einschl. Erscheinungs weise) 2003 (2002) Türken (ohne Kurden) "Türkische VolksbefreiungsEinzel (50) "Devrimci Cizgi" partei/-Front - Revolutionäre mitglieder (Revolutionäre Linie) Linke" (THKP-C-Devrimci - sporadisch - Sol), jetzt "Revolutionäre Linie" (Devrimci Cizgi) "Föderation der türkisch ca. 8.000 (8.000) "Türk Federasyon demokratischen Idealisten Bülteni" vereine in Europa e.V." (Bulletin der Türk(ADÜTDF) Förderation) - monatlich - "Föderation der demokrati 650 (700) "Tatsachen" schen Arbeitervereine e.V. - zweimonatlich - (DIDF) "Front der islamischen Einzel (Einzel u.a. "Furkan" Kämpfer des Großen mitglieder mitglieder) (Die Rettung). Ostens" (IBDA-C) "Akademya" (Die Akademie), "Haberci" (Der Bote) - alle unregelmäßig SICHERHEITSGEFÄHRDENDE UND EXTREMISTISCHE BESTREBUNGEN VON AUSLÄNDERN 217 Organisation Mitglieder/Anhänger Publikationen - einschl. Sitz (z.T. geschätzt) (einschl. Erscheinungs weise) 2003 (2002) Kurden Irakische Organisationen - "Demokratische Partei zusammen zusammen Kurdistans/Irak" (DPK-I) 350 (350) - "Patriotische Union Kurdistan (PUK) Araber "Hizb AI Da'Wa AI Islamiya" 100 (150) http://www.daawaparty.com (DA'WA) (Partei des islamischen Rufs/der islamischen Mission) "Gruppen des libanesischen 200 (200) "Al Awassef" Widerstandes" (AMAL) (Die Stürme) - wöchentlich - und (http://www.amalmovement.com Iraner "Union islamischer 50 (50) u.a. "Quds" Studentenvereine" (U.I.S.A.) (Jerusalem) - unregelmäßig - Sikhs "International Sikh Youth 600 (600) Federation" (ISYF) "Babbar Khalsa 200 (200) International" (BK) "Kamagata Maru Dal 40 (50) International" (KMDI) BERICHT 2003 218 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 220 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN I. Überblick Aufklärungsziel Deutschland ist auch weiterhin ein Aufklärungsziel für die NachDeutschland richtendienste einer Reihe fremder Staaten. Dazu zählen neben eini gen Ländern aus der Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 1 - vornehmlich der Russischen Föderation - auch solche aus dem nah-, mittelund fernöstlichen sowie dem nordafrikanischen Raum. Präsenz von Die Nachrichtendienste dieser Staaten sind in unterschiedlicher PerNachrichtensonalstärke an den amtlichen bzw. halbamtlichen Vertretungen ih dienstpersonal rer Länder in Deutschland präsent. Ihre dort als "Diplomaten" auf Tarndienstposten in den so genannten Legalresidenturen eingesetz ten Mitarbeiter betreiben entweder selbst - offen oder verdeckt - In formationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei nachrichten dienstlichen Operationen, die von den Zentralen der Dienste in den Heimatländern geführt werden. Werden solchen "Diplomaten" sta tuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann das dazu führen, dass die Personen aus Deutschland ausgewiesen werden, wie das zuletzt im Fall Irak geschehen ist (vgl. Kap. IV, Nr. 3). "Klassische Die Aufklärungsziele ausländischer Spionage" und Dienste reichen von "klassischer" Oppositionellen Spionage - d. h. Informationsbeschaf ausspähung fung aus Politik, Wirtschaft, Militär etc. - bis hin zur Ausspähung und Un terwanderung in Deutschland ansäs siger Organisationen und Personen, die in Opposition zu den Regierungen im Heimatland stehen (vgl. Kap. IV, Nr. 1). Fremde Dienste entfalten ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegen deutsche Interessen nicht nur in Deutschland, sondern auch im eigenen Land (vgl. Kap. II, Nr. 3.3). Proliferation Schließlich bemühen sich einige Länder unverändert darum, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungs waffen sowie der dazu erforderlichen Trägersysteme zu gelangen bzw. die zu deren Herstellung notwendigen Güter und das erforder liche Know-how zu erwerben (Proliferation). Die Aktualität der Proli ferationsthematik wird z. B. an einer im April verhinderten Waren lieferung nach Nordkorea deutlich (vgl. Kap. V, Nr. 2). SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN 221 II. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 1. Strukturelle Entwicklung sowie Status und Aufgaben stellung der Dienste im russischen Staatswesen Im Gefüge der russischen Nachrichtenund Sicherheitsdienste sind Auflösung von im Jahr 2003 gravierende Veränderungen eingetreten. Sie betrafen FAPSI und FPS vor allem den Fernmeldespezialdienst FAPSI 2 und den Grenzschutz dienst FPS 3, die ihre Eigenständigkeit verloren haben. Die Neugestaltung der Aufgaben und Zuständigkeiten bei den russi schen Diensten wurde im März vom russischen Präsidenten in einem Präsidialerlass angeordnet. Der FPSwurde ab 2003 vollständig in den Inlandsdienst FSB 4 eingegliedert. Darüber hinaus wurden die Aufgaben der FAPSI zum Teil dem FSB, dem zivilen Auslandsnach richtendienst SWR 5 und dem präsidialen Schutzdienst FSO 6 über tragen. Ziel der Umstrukturierungsmaßnahmen soll es sein, die staatliche Kontrolle im Bereich der Sicherheit der Russischen Föde ration zu optimieren und den Kampf gegen Terrorismus sowie Dro genhandel effektiver zu gestalten. Da das Personal sowie die Aufgaben und Befugnisse der aufgelösten Stärkung der Dienste den übrigen Institutionen des Staatssicherheitsapparats zuPosition des FSB gewiesen wurden, haben diese von der Umorganisation profitiert und eine Stärkung erfahren. Allerdings wurde dadurch die nach der Auflösung der Sowjetunion in Russland erfolgte Zerschlagung des ehemaligen KGB in verschiedene eigenständige Nachrichtenund Sicherheitsdienste zum Teil rückgängig gemacht. Insbesondere der FSB hat durch die Reorganisation wieder eine besondere Machtfülle erhalten. Obwohl sich das politische Verhältnis zwischen der Russischen FödeDeutschland bleibt ration und der Bundesrepublik Deutschland seit Jahren positiv entAufklärungsziel wickelt, wird Deutschland von den russischen Nachrichtendiensten unverändert als Zielland angesehen und mit entsprechender Prio rität bearbeitet. - Der SWR ist für die Auslandsaufklärung im zivilen Bereich SWR zuständig. Die Aufklärungsschwerpunkte des Dienstes sind die klassischen Zielbereiche Politik, Wissenschaft und Tech nologie sowie wirtschaftliche Fragen. Zusätzlich hat der SWR die Aufgabe, bei der Bekämpfung der Proliferation und desinternationalen Terrorismusmitzuwirken. Darüber hinausbetreibt der Dienst Gegenspionage mit dem Ziel, Akti vitäten und Arbeitsmethoden westlicher Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden aufzuklären und auszuforschen. BERICHT 2003 222 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN Durch die Umstrukturierung der russischen Dienste wurde dem SWR ein Teil der Aufgaben des aufgelösten Fernmelde spezialdienstes FAPSI zugewiesen. Zu diesem Zweck wird der Dienst personell aufgestockt. Vor der Aufgabenerweite rung verfügte der SWR über etwa 13.000 Mitarbeiter. GRU - Bei der GRU 7 handelt es sich um den militärischen Aus landsnachrichtendienst der Russischen Föderation, dessen Personalstärke gegenwärtig etwa 12.000 Mitarbeiter betra gen dürfte. Die Aufklärungsaktivitäten der GRU, die dem russischen Verteidigungsministerium untersteht, umfassen das ge samte militärische Spektrum. Die GRU betreibt daher vor al lem sicherheitspolitische, strategische, taktische, logisti sche und geografische Informationsbeschaffung zur Ausforschung der Bundeswehr und des westlichen Vertei digungsbündnisses, insbesondere der NATO. Außerdem versucht die GRU, an militärisch nutzbare Forschungser gebnisse sowie an Militärtechnologie oder Produktinfor mationen aus der Rüstungstechnik zu gelangen. Dabei ist der Dienst auch an zivilen Produkten mit militärischen An wendungsmöglichkeiten ("dual use") interessiert. FSB - Der Inlandsnachrichtendienst FSB verfügt über ein komple xes Aufgabenspektrum und breit gefächerte Befugnisse. Seine Personalstärke dürfte nach den jüngsten Umorgani sationen von etwa 100.000 Mitarbeitern auf zwischen 350.000 und 400.000 Personen gestiegen sein. Zu seinen Hauptaufgaben zählt der FSB, der auch mit um fangreichen Exekutivbefugnissen ausgestattet ist, die Spio nageabwehr im zivilen und im militärischen Bereich, die Beobachtung des politischen Extremismus sowie die Bekämpfung von Terrorismus und Organisierter Krimina lität (OK). Darüber hinaus soll der Dienst den Schutz der rus sischen Industrie vor Wirtschaftsspionage und OK sowie ausländischer Investoren vor Wirtschaftskriminalität ge währleisten. Zur Bekämpfung von Terrorismus, OK und Pro liferation darf der Dienst auch grenzüberschreitend tätig werden, um internationale Verflechtungen mit nachrich tendienstlichen Mitteln aufzuklären. Auch in anderen Aufgabenbereichen kann der FSB in Ab stimmung mit den Auslandsnachrichtendiensten unter Ab wehrgesichtspunkten Auslandsaufklärung betreiben. So SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN 223 kann er im Rahmen der Spionageabwehr z. B. ausländische Staatsangehörige - Mitarbeiter diplomatischer Vertretun gen, Firmenrepräsentanten, Geschäftsreisende oder Touris ten etc. - die zwischen ihrem Heimatland und Russland pendeln und die vom FSB einer Zusammenarbeit mit aus ländischen Nachrichtendiensten verdächtigt werden, an werben, um Erkenntnisse über die Aufklärungsziele frem der Nachrichtendienste und deren Arbeitsmethoden zu er langen. Die Befugnisse des FSB wurden durch die Eingliederung des Grenz Erweiterung der schutzdienstes FPSerheblich erweitert. Damit ist der FSB auch für Befugnisse des FSB den Schutz der russischen Staatsgrenze und für die Kontrolle ein und ausreisender Personen zuständig. Außerdem wurden dem FSB Aufgaben des aufgelösten Fernmeldespezialdienstes FAPSI übertra gen. Ihm wurde dabei vermutlich die Zuständigkeit für die Gewähr leistung der Fernmeldesicherheit im Bereich der Telekommunika tion zugewiesen. Der FSB dürfte damit künftig auch für die Vergabe kommerziell genutzter Funkkanäle und Lizenzen zuständig sein und als Genehmigungsbehörde für den Einsatz von Verschlüsse lungstechnologien im Bereich der gewerblichen Wirtschaft fungie ren. Bei seinen Abwehraktivitäten in Russland betreibt der FSB auch eine intensive Internet-Überwachung. Danach müssen alle russischen Anbieter von Internet-Zugängen dem FSB einen ständigen Zugriff auf ihren Datenverkehr ermöglichen. Auf diese Weise geraten zwangsläufig auch ausländische Staatsangehörige in das Blickfeld des FSB und können gezielt geheimdienstlich überwacht werden. Bereits im Januar 2001war durch Präsidialerlass ein operativer Hauptund Regionalstab zur Leitung der antiterroristischen Opera tionen im Nordkaukasus gegründet worden. Zum Leiter des Haupt stabes wurde der Direktor des FSB ernannt, der damit auch das Kom mando über die militärische "Antiterroroperation" in Tschetschenien erhielt. 2. Zielbereiche und Aufklärungsschwerpunkte Den russischen Aufklärungsdiensten ist die Informationsbeschaf Klassische Auf fung in den klassischen Zielbereichen Politik, Wirtschaft, Wissen klärungsziele schaft und Technologie sowie im militärischen Komplex als Grund auftrag vorgegeben. Der Schwerpunkt der Aufklärungsaktivitäten richtet sich jeweils nach dem aktuellen Informationsbedürfnis der russischen Staatsführung. BERICHT 2003 224 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN So waren beispielsweise im politischen Bereich vor allem die deut schen Positionen zum Tschetschenienkonflikt, zu anderen Krisen herden in der Welt sowie zur Kaliningradfrage von Interesse. Des Weiteren waren Aufklärungsaktivitäten auf die Entwicklung der EU und eigenständiger europäischer Sicherheitsinitiativen, der NATO und deren Osterweiterung sowie der Rolle Deutschlands im Atlanti schen Bündnis gerichtet. Von daher waren für die russischen Nach richtendienste auch die Strukturreform, die Haushaltsplanung und die Logistik der Bundeswehr sowie deren Auslandseinsätze von Be deutung. Außerdem konnten Aktivitäten zur Informationsbeschaf fung über die deutsche Rüstungsindustrie beobachtet werden. 3. Methodische Vorgehensweise Aufklärung durch Zu diesen Methoden gehört insbesondere die offene Informations offene und beschaffung, z. B. durch die gesprächsweise Abschöpfung von Kon konspirative taktpersonen sowie die Nutzung offener Informationsquellen wie Informationsbe schaffung des Internets. Diese Vorgehensweise steht aus Sicherheitsgründen im Vordergrund der Beschaffungsbemühungen. Allerdings wenden Geheimdienstangehörige bei ihren Aufklärungs aktivitäten nach wie vor auch konspirative Beschaffungsmethoden an und setzen zu diesem Zweck etwa geheime Mitarbeiter als Agen ten ein. 3.1 Aktivitäten unter zentraler Steuerung Sowohl der SWR als auch die GRU nutzen unvermindert die Mög lichkeit, Zielländer unmittelbar aus den Zentralen der Dienste in Moskau aufzuklären. Dabei kommen z. B. Agenten zum Einsatz, die zuvor für eine geheimdienstliche Tätigkeit angeworben wurden. Vor allem Ausländer oder im Ausland lebende russische Staatsan gehörige, die aus beruflichen oder familiären Gründen häufig nach Spätaussiedler als Russland reisen, stehen daher verstärkt im Blickfeld der russischen Zielgruppe Dienste und müssen damit rechnen, nachrichtendienstlich ver strickt zu werden. Auch unter den deutschstämmigen Spätaussied lern forschen die russischen Nachrichtendienste traditionell nach geeigneten Zielpersonen für eine geheimdienstliche Agententätig keit. Spätaussiedler werden vereinzelt bereits vor ihrer Ausreise nach Deutschland nachrichtendienstlich angesprochen. Die im Ausland eingesetzten geheimen Mitarbeiter stehen auf un terschiedliche Weise mit den Zentralen der Dienste in Verbindung. Dabei kommen z. B. Agentenfunk und Geheimschriftverfahren so wie "Tote Briefkästen" 8 zum Einsatz. Zur Führungsunterstützung für aus der Zentrale gesteuerte Agenten werden auch hauptamtliche SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN 225 Nachrichtendienstmitarbeiter, die in den Zielländern Tarndienstpos ten an den russischen Auslandsvertretungen innehaben, eingesetzt. Bei ihren zentral gesteuerten Beschaffungsaktivitäten binden die Einbindung sonsti Aufklärungsdienste außerdem hauptamtliche oder ehemalige Mit ger Personengrup arbeiter unter der Tarnung als Privatoder Geschäftsreisende sowie pen in Beschaf fungsaktivitäten nachrichtendienstlich verpflichtete Informanten, z. B. russische Wis senschaftler oder Journalisten, ein. 3.2 Die Legalresidenturen der russischen Nachrichtendienste Neben zentral geführten Agentenoperationen spielen bei den Auf Legalresidenturen klärungsaktivitäten von SWR und GRU in Deutschland die diploma als Stützpunkte vor tischen und konsularischen Vertretungen der Russischen Födera Ort tion sowie die Niederlassungen der russischen Medienagenturen eine wichtige Rolle. Dort ist für die Geheimdienste eine große An zahl von Stellen für den verdeckten Einsatz von Nachrichtendiens tangehörigen unter diplomatischer oder journalistischer Tarnung reserviert. Das nachrichtendienstliche Personal bildet innerhalb die ser Einrichtungen die so genannte Legalresidentur. Damit verfügen die russischen Dienste in Deutschland über feste Stützpunkte, aus denen Geheimdienstaktivitäten aller Art entwickelt werden können. Der Anteil der Nachrichtendienstangehörigen am Gesamtpersonal Hohe Präsenz von der russischen Auslandsvertretungen in Deutschland lag auch im Nachrichten Jahr 2003 auf unverändert hohem Niveau, zeigte sogar eine gering dienstpersonal fügig ansteigende Tendenz. Im europäischen Vergleich sind die russischen Aufklärungsdienste damit im Legalresidenturbereich in Deutschland deutlich überrepräsentiert. Die nachrichtendienstli chen Tarndienstposten werden überwiegend von den Aufklärungs diensten SWR und GRU besetzt. Ihren größten Geheimdienststütz punkt auf deutschem Boden unterhalten die russischen Dienste in der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin. Die dortige Perso nalkonzentration macht deutlich, dass SWR und GRU ein besonde res Augenmerk auf die Aufklärung der deutschen und ausländi schen Institutionen in der Bundeshauptstadt gerichtet haben. Die Residenturoffiziere betreiben in erster Linie eine offene Informa Offene Informati tionsbeschaffung. Dazu gehört die "Abschöpfung" von Kontaktper onsbeschaffung sonen, z. B. im politischen und militärischen Bereich, in wissen schaftlichen Einrichtungen, Behörden etc. Darüber hinaus decken die Residenturoffiziere einen großen Teil ihres Informationsbedarfs durch die Sammlung von frei zugänglichen Informationen. Zu die sem Zweck besuchen sie politische Veranstaltungen, Symposien, Industriemessen oder nutzen offene Informationsquellen wie BERICHT 2003 226 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN Medien, Fachbibliotheken oder wissenschaftliche Informationszen tren. "Vertrauliche Ver Bei den Aufklärungsaktivitäten aus Legalresidenturen werden aber bindungen" auch konspirative Vorgehensweisen festgestellt, die als "halboffene" Beschaffung bezeichnet werden können und die teilweise bereits die Kriterien der verdeckten Agentenführung erfüllen. Bei diesen Verbindungen legen die Residenturangehörigen z. B. für weitere Zu sammenkünfte mit ihren Kontaktpersonen im Vorhinein die Moda litäten fest, so dass eine erneute Kontaktaufnahme zur Absprache von Folgetreffen überflüssig wird. In der Regel erfolgt die Treffab wicklung auf "neutralem Boden", z. B. in Restaurants. Diese Kon takte, die als "vertrauliche Verbindungen" anzusehen sind, sind in der Regel eindeutig auf die Lieferung von Informationen gegen Geld oder andere Vorteile gerichtet. Beide Seiten vermeiden jedoch, den nachrichtendienstlichen Charakter ihres Kontakts offen zur Sprache zu bringen. Diese zurückhaltendere Variante wird derzeit vor allem durch den SWR praktiziert. Klassische Eine verdeckte Agentenführung mit klassischen Methoden und Mit konspirative Be teln pflegt vor allem das Residenturpersonal der GRU. Sie umfasst Si schaffung cherheitsmaßnahmen, um eine konspirative Treffabwicklung und Kommunikation zu gewährleisten. Traditionelle Verbindungsmittel wie der "Tote Briefkasten" kommen neben der Anwendung techni scher Mittel immer noch zum Einsatz. 3.3 Verstärkte Aktivitäten des Inlandsnachrichtendienstes FSB gegen deutsche Auslandsvertretungen Auch der FSBhält bei seinen Arbeitsmethoden in Russland an Vorge hensweisen seinesVorläufers, desInlands-KGBder ehemaligen Sowjet union, fest. Dabei versucht der Dienst unter anderem, ausländischeZiel personen für eineAgententätigkeit ausfindig zu machen und zu werben. So werden deutschediplomatischeAuslandsvertretungen in Russland und deren Personal intensivvom FSBüberwacht und mit nachrichten dienstlichen Mitteln aggressivbearbeitet. DieMitarbeiter der Vertretun gen müssen - wiezu KGB-Zeiten - damit rechnen, auch unter Einsatz von Kompromaten nachrichtendienstlich angesprochen zu werden. Zwei Anwerbungs Belegbar sind derartige Aktivitäten des FSB anhand zweier Fälle, die versuche gegen sich 2003 in zwei Republiken der GUSereignet haben. Dort wurde je über deutschen weils versucht, einen Mitarbeiter einer deutschen Auslandsvertre Staatsangehörigen tung für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit zu Gunsten des FSB zu gewinnen. Beide Anwerbungsversuche scheiterten jedoch, da sich die Betroffenen ihren Vorgesetzten offenbarten. SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN 227 Auch gegen Geschäftsreisende, Firmenrepräsentanten oder Touris ten mit ausländischer Staatsangehörigkeit, die nach Russland rei sen, richten sich Kontrolloder Überwachungsmaßnahmen des FSB. III. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der übrigen Mitgliedsländer der Gemein schaft Unabhängiger Staaten (GUS) Auch die übrigen Republiken der GUSverfügen inzwischen über eine Reihe von Nachrichtenund Sicherheitsdiensten. Oft sind Ab wehr und Aufklärung in einem Dienst vereint. Einige Staaten haben aber auf den Strukturen der früheren sowjetischen GRU in ihrem Land auch militärische Aufklärungsdienste eingerichtet. Die GUSstellt inzwischen nicht mehr die bei ihrer Gründung als Nachfolgerin der ehemaligen Sowjetunion angestrebte homogene Gemeinschaft dar. Die politischen und wirtschaftlichen Interessen der einzelnen Republiken sind oft sehr unterschiedlich. Dem 1992 von allen GUS-Republiken geschlossenen Vertrag über kollektive Si cherheit gehören zurzeit nur noch Armenien, Kasachstan, Kirgisis tan, Russland, Tadschikistan und Weißrussland an. Im April 2003 schlossen sich diese Staaten in einer "Organisation für kollektive Si cherheit" (ODKB) zusammen. Die Nachrichtendienste der übrigen Republiken der GUShaben Aufklärungsziele grundsätzlich die gleichen Aufklärungsschwerpunkte wie die russi schen Dienste. Auch hier stehen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär im nachrichtendienstlichen Aufklärungsinteresse. We gen knapper finanzieller Mittel gibt es jedoch vor allem bei den Akti vitäten im Ausland Einschränkungen. Dennoch setzen einige Diens te aus Republiken der GUSauch Mitarbeiter an Legalresidenturen in Deutschland ein. Soweit in den jeweiligen GUS-Republiken vorhanden, bilden Spätaussiedler deutschstämmige Aussiedler eine Zielgruppe der Auslandsauf klärung. Die Abwehrbereiche der Dienste konzentrieren sich im Hei matland auf die Interessenvertretungen der Deutschen in den GUSRepubliken. In Kontaktgesprächen mit den Repräsentanten dieser Organisationen lassen sich Nachrichtendienstmitarbeiter u.a. über Aktivitäten und ausreisewillige Mitglieder sowie über bereits ausge siedelte Verwandte berichten. Da viele Aussiedler nach einiger Zeit wieder Besuchsreisen in ihre frühere Heimat unternehmen, besteht für die Nachrichtendienste dann eine gute Gelegenheit zur Kontakt aufnahme. BERICHT 2003 228 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN Hilfs Neben den Deutschstämmigen und ihren Interessenvertretungen organisationen sind ausländische Hilfsorganisationen, die in den GUS-Republiken tätig sind, ein Ausspähungsziel der dortigen Nachrichtendienste beispielsweise die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ), die im Auftrag der Bundesregierung tätig ist und in den GUSRepubliken enge Beziehungen zu den deutschen Interessenvertre tungen unterhält. Bei der Beobachtung ausländischer Firmen und deren Mitarbeiter stehen wirtschaftliche und technische Informationen im Mittel punkt des Interesses. Relevante Personen geraten bereits bei der Be antragung eines Einreisevisums in Deutschland in das Blickfeld der Dienste und können so gegebenenfalls schon von der Grenzüber schreitung an überwacht werden. Auch die diplomatischen Vertre tungen westlicher Staaten unterliegen in den meisten Republiken der GUSder Überwachung durch die dortigen Nachrichtendienste. Zusammenarbeit Die Dienste einiger Republiken der GUSarbeiten eng mit den russi mit Russland schen Nachrichtendiensten zusammen. Die Zusammenarbeit kann dabei bis zur Führung gemeinsamer Operationen reichen. IV. Aktivitäten von Nachrichtendiensten aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas Die Nachrichtendienste einiger nahund mittelöstlicher sowie nord afrikanischer Staaten entwickelten auch 2003 in Deutschland nach richtendienstliche Aktivitäten. Diese sind methodisch schwerpunkt mäßig unverändert auf die Überwachung ihrer hier lebenden Oppositionellen Landsleute, insbesondere der in Opposition zu den jeweiligen Regie ausspähung als rungen stehenden Personen und die Unterwanderung ihrer Organi primäres Ziel sationen, gerichtet. Ferner ist die Sammlung von Informationen über internationale Netzwerke islamistischer Terroristen in den letz ten Jahren intensiviert worden. 1. Iranische Nachrichtendienste Wie in den Jahren zuvor steht für den iranischen Nachrichtendienst VEVAK (Ministerium für Nachrichtenwesen und Sicherheit) die Be obachtung der iranischen Opposition in Deutschland im Vorder grund seiner Aktivitäten. Das Interesse gilt dabei allen oppositionel len Strömungen, ganz besonders aber der militantesten Gruppe, der auch mit terroristischen Mitteln agierenden "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK), sowie ihrem politischen Arm, dem "Natio nalen Widerstandsrat Iran" (NWRI). SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN 229 Durch Agenten in diesen Organisationen oder in ihrem Umfeld ge lingt es dem VEVAK, Informationen über ihre regimefeindlichen Ak tivitäten, ihre Strukturen und die Führungskader zu gewinnen. Bei der Anwerbung seiner "Quellen" übt der VEVAK teilweise auch psy chischen Druck auf die Betroffenen aus, etwa durch die Androhung von Repressalien gegen ihre im Iran lebenden Familienangehörigen. Am 29. September wurde ein seit vielen Jahren in Berlin lebender 65Verurteilung jähriger Deutsch-Iraner vom Kammergericht Berlin wegen seiner in Berlin zwölfjährigen Agententätigkeit für den iranischen Nachrichten dienst rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er war geständig, systematisch Informa tionen über iranische monarchistische Organisationen, ihre Mitglie der, Veranstaltungen und Pläne gesammelt sowie diese an seine Auf traggeber in Teheran, zeitweise auch an einen Angehörigen des damaligen Iranischen Generalkonsulatesin Berlin, geliefert zu haben. 2. Syrische Nachrichtendienste Das Interesse der syrischen Nachrichtendienste gilt unverändert al len oppositionellen Strömungen im Inund Ausland, die als poten zielle Bedrohung für das syrische Regime angesehen werden. Bei der Verfolgung ihrer Ziele können die syrischen Dienste in Deutschland auf nachrichtendienstliche Strukturen und auf Organi sationsstrukturen der syrischen Baath-Partei zurückgreifen, die in besonderer Weise zur Überwachung hier lebender Syrer genutzt werden. Derartige Aktivitäten konnten auch 2003 festgestellt wer den. Bei der Gewinnung neuer Agenten arbeiten syrische Nachrichten dienste nach wie vor mit der Androhung erheblicher Repressalien ge gen die Betroffenen selbst oder ihre in Syrien lebenden Angehörigen. Die in Deutschland ausgeforschten Regimegegner oder die als Dissi denten denunzierten Personen sind bei Reisen in die Heimat häufig Opfer von Inhaftierung, Verhören und Misshandlungen, um sie zur nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit zu bewegen. 3. Irakische Nachrichtendienste Der Irak-Krieg und der Sturz des Regimes von Saddam HUSSEIN hatte auch die Auflösung des dortigen Geheimdienstund Sicher heitsapparates zur Folge. Bis zu diesem Zeitpunkt war in Deutschland ein starkes Interesse der irakischen Nachrichtendienste an politischen Informationen, an den Aktivitäten der irakischen Auslandsopposition sowie am Erwerb BERICHT 2003 230 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN von Know-how und Gütern festzustellen, die wegen des langjähri gen Embargos nicht in den Irak exportiert werden durften. Im be sonderen Blickfeld standen vor allem Produkte aus dem militärisch nutzbaren Bereich. Ausweisung von Anfang März 2003 - kurz vor Ausbruch des Krieges - wurden die an Nachrichten der Irakischen Botschaft in Berlin als Diplomaten abgetarnt tätigen dienstmitarbeitern Mitarbeiter irakischer Nachrichtendienste ausgewiesen. Dadurch wurde die bis dahin in Deutschland bestehende nachrichtendienstli che Struktur des Irak zerstört. 4. Libysche Nachrichtendienste Integrations Libyen ist intensiv darum bemüht, wieder in die internationale Staa bemühungen tengemeinschaft aufgenommen zu werden. Vor diesem Hinter grund sind die Anstrengungen zu verstehen, die Folgen der eigenen staatsterroristischen Vergangenheit zu bewältigen. So einigten sich die libyschen Verhandlungsbeauftragten im August 2003 mit den Opferanwälten des"Lockerbie-Anschlags" 9 auf Entschä digungszahlungen. Auch im Fall desAnschlagsauf die Berliner Disko thek "La Belle" 10 erklärte sich Libyen zu Entschädigungszahlungen be reit. Die Verhandlungen mit den Opferanwälten sind indesnoch nicht abgeschlossen. In allen Fällen war auf libyscher Seite die "Gaddafi In ternational Foundation for Charitable Associations" mit den Verhand lungen beauftragt. AlsFolge der Einigung zu Lockerbie wurden im September 2003 die UN-Sanktionen gegen Libyen aufgehoben. Keine Verände Unabhängig von diesem außenpolitischen Kurswechsel, der auch den rung der innenpo Verzicht auf den Besitz von Massenvernichtungswaffen einschließt, litischen Situation haben sich die internen Herrschaftsstrukturen nicht verändert. Oppo sitionelle Bestrebungen in Libyen werden nicht geduldet, im Ausland lebende Staatsangehörige werden überwacht. Diesgilt sowohl für li bysche Studenten alsauch für andere ausberuflichen oder sonstigen Gründen in Deutschland aufhältliche libysche Staatsangehörige. Dis sidenten ausdem laizistischen und religiösen Lager werden systema tisch ausgespäht. In diese Aufgaben sind die Angehörigen der liby schen Vertretungen in Berlin und Bonn eingebunden, insbesondere die auf diplomatischen Dienstposten abgetarnt untergebrachten Mit arbeiter der libyschen Nachrichtenund Sicherheitsorgane. V. Fernöstliche Nachrichtendienste Auch die Nachrichtendienste einzelner fernöstlicher Staaten entwick eln Aktivitäten, die deutsche Interessen tangieren. Zu nennen sind hier vor allem die Dienste der Volksrepubliken China und Nordkorea. SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN 231 1. Chinesische Nachrichtendienste Die innerchinesische Demokratiebewegung, separatistische BestreAufklärungsziele bungen wie die nach Autonomie strebenden islamischen Uiguren in den westlichen Randgebieten Chinas sowie die Kultbewegung Falun Gong sind unverändert Ziel umfassender Aufklärungsmaßnahmen der chinesischen Sicherheitsorgane. Die Beobachtung entsprechender Aktivitäten innerhalb der chinesi schen Gemeinden im Ausland ist Aufgabe der chinesischen Nach richtendienste. Um die Auslandschinesen im Sinne des Regimes zu beeinflussen und von unerwünschten oppositionellen Aktivitäten abzuhalten, unterstützen die Chinesische Botschaft in Berlin und die beiden Generalkonsulate in Hamburg und München die Gründung von Vereinen innerhalb der hiesigen chinesischen Gemeinde. Auch bei Reisen nach China ist dieser Personenkreis besonderer Aufmerk samkeit der dortigen Sicherheitsorgane ausgesetzt. Neben der Durchführung dieser Überwachungsmaßnahmen sam meln die chinesischen Nachrichtendienste in Deutschland kontinu ierlich in allen gesellschaftlichen Bereichen Informationen aus Poli tik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militärwesen. Vorrangiges Ziel ist es, den technologischen Abstand zu den führenden Industriestaaten zu verringern. Nachrichtendienstmitarbeiter in den amtlichen chi nesischen Vertretungen nutzen ihre Tarnung als Diplomaten zur In formationsgewinnung. Ebenso werden die hier akkreditierten Jour nalisten zu Aufklärungszwecken eingesetzt. Im Rahmen der seit Jahren betriebenen "Offensive des Lächelns" knüpfen die Nachrich"Offensive des tendienstangehörigen Kontakte zu wissenschaftlichen und politiLächelns" schen Instituten, zu Stiftungen und zu staatlichen Stellen. Die Teil nahme an Seminaren oder anderen Veranstaltungen dient dem Kennenlernen von nachrichtendienstlich interessanten Personen. Die Nachrichtendienstoffiziere, die in der Regel über ausgezeich nete Deutschkenntnisse verfügen, pflegen diese Kontakte. Ziel ist es, das Wissen ihrer Gesprächspartner unauffällig abzuschöpfen und dabei auch vertrauliche Informationen zu erlangen. 2. Nordkoreanische Nachrichtendienste Nach der Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Demokratischen Volksre publik Korea am 1. März 2001sowie der Akkreditierung des nord koreanischen Botschafters in Berlin, dessen Zuständigkeit sich auch auf andere europäische Länder erstreckt, umfasst die koreanische Vertretung 13 Diplomaten bzw. Verwaltungspersonal. BERICHT 2003 232 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN Vielzahl der Zur Stützung des herrschenden Regimes unterhält Nordkorea sechs Dienste Nachrichtendienste, die KIM Jong Il, dem Vorsitzenden des Verteidi gungskomitees, unmittelbar bzw. - kraft seines Amtes als Parteichef - mittelbar unterstellt sind. Daneben gibt es eine Reihe von Organisa tionen, die wie ein Nachrichtendienst organisiert und tätig sind, z. B. das "Büro 39", das für Beschaffungsaufgaben der Nomenklatura zu ständig ist. Legalresidenturen An der nordkoreanischen Botschaft in Berlin unterhalten die Nach richtendienste "Abteilung Staatssicherheit", "Abteilung Einheits front" und das "Aufklärungsbüro der Abteilung Streitkräfte" Legal residenturen. Aktivitäten Schwerpunkte ihrer Aktivitäten waren auch 2003 die Anleitung und Organisation von gegen Südkorea gerichteten Dissidentengruppen, die Sicherstellung der personellen und materiellen Sicherheit in den nordkoreanischen Einrichtungen in Deutschland und anderen eu ropäischen Ländern, die in den Zuständigkeitsbereich der Nord koreanischen Botschaft in Berlin fallen, sowie die Beschaffung von Gütern für die Volksstreitkräfte. Darüber hinaus waren verstärkte Bemühungen zur Beschaffung von Computern und gebrauchten Kommunikationsgeräten feststellbar. Der internationale Konflikt mit Nordkorea spitzte sich 2003 wegen der Fortführung seines Kernwaffenprogramms weiter zu, insbeson dere nachdem Nordkorea mehrmals behauptet hatte, alle 8.000 Atombrennstäbe aus dem Reaktor in Yongbyon zu waffenfähigem Plutonium aufbereitet zu haben. Daneben gibt esdeutliche Hinweise, dassNordkorea auch an der Gasultrazentrifugentechnologie interessiert ist. Diesem Ziel diente der Versuch, Spezialaluminiumröhren über Deutschland zu beschaffen: "Notbremse Eine süddeutsche Firma versuchte - trotz einer vorhergehenden Un auf See" terrichtung durch die deutsche Ausfuhrgenehmigungsbehörde, dass die Ausfuhr derartiger Röhren nicht genehmigt würde und ei nes Hinweises auf die Strafbarkeit eines Zuwiderhandelns - im April 2003 die Aluminiumrohre, angeblich nach China, auszuführen. Der Transport konnte jedoch noch auf dem Seeweg gestoppt werden. Das Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Firma wegen Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz ist noch nicht abge schlossen. SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN 233 VI. Proliferation * Die Verlautbarungen von nordkoreanischer Seite über die WeiterProliferationsreleverfolgung des dortigen Atomprogramms, aber auch die Sorge der vante Staaten Internationalen Atomenergie Organisation (IAEO) über das irani sche Nuklearprogramm haben die Aktualität und Bedeutung des Problems der Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen sowie der zugehörigen Trägertechnologie und Raketentechnik un terstrichen. Unverändert wird davon ausgegangen, dass Staaten - z. B. Nordkorea, Syrien - den Besitz von Massenvernichtungswaffen anstreben oder bereits darüber verfügen. Es bleibt abzuwarten, ob die Erklärungen Libyens, auf Massenvernichtungswaffen zu verzich ten, auch umgesetzt werden. Nach den Ereignissen im Irak ist davon auszugehen, dass irakische Stellen zunächst und unter amerikani scher Kontrolle keine proliferationsrelevanten Aktivitäten entfalten. Wenngleich einige Staaten bereits über das notwendige Know-how und die Produktionsmöglichkeiten zur Herstellung von atomaren, biologischen oder chemischen Waffen sowie Raketensystemen ver fügen oder diese auf dem Weltmarkt sogar schon anbieten, sind wei tere Beschaffungsaktivitäten auf dem internationalen Markt nicht überflüssig geworden. Ziel ist der Erwerb von Produkten (z. B. Ma schinen, Ersatzteile, Grundstoffe), die den Fortbestand und die Wei terentwicklung eines bestehenden Produktionsprogramms sichern sollen oder die für die Entwicklung neuer Massenvernichtungswaf fen oder Raketensysteme benötigt werden. Die europäischen Staaten haben in den vergangenen Jahren ihre ExBeschaffungsportgesetze und -kontrollen wirksam verschärft. Einzelne an Prolifebemühungen rationsgütern interessierte Staaten wenden aber teilweise konspira tive Beschaffungsmethoden an. Dazu gehört in einzelnen Fällen auch die Beteiligung von Nachrichtendiensten oder die Beschaf fungsorganisation unter Zuhilfenahme nachrichtendienstlicher Me thoden. Der direkte Kontakt zwischen dem tatsächlichen Endver wender und dem Hersteller oder Händler im Ausland bildet eher die Ausnahme. In der überwiegenden Zahl der Fälle werden Zwi schenhändler oder Tarnfirmen eingeschaltet und/oder Lieferwege über Drittstaaten gewählt, um die tatsächliche Endverwendung ei ner Ware in einem Proliferationsprogramm gegenüber dem Ge schäftspartner zu verschleiern. Die Bewertung, ob und inwieweit ein erkannter Geschäftskontakt tatsächlich Proliferationsrelevanz be sitzt, wird dann schwieriger, wenn die angefragte Ware "Dual-Use- * Unter Proliferation versteht man die Verbreitung von A-, B-, C-Waffen sowie entsprechender Trägertechnologien. BERICHT 2003 234 SP I ON A G E U N D SON ST I GE N A CH RI CH T EN DI EN ST LI CH E A K T I V I TÄ T EN Charakter" hat, d. h. das Produkt sowohl für zivile als auch für proli ferationsrelevante Zwecke verwendbar ist. "Know-howDie um Proliferation bemühten Staaten sind auch an der BeschafTransfer" fung von Know-how aus den Bereichen Forschung und Technologie interessiert. Dazu werden im Einzelfall auch konspirative Methoden angewandt, indem beispielsweise die Zugehörigkeit eines Studen ten oder Wissenschaftlers zu einer proliferationsrelevanten Einrich tung gegenüber einer deutschen Universität oder Forschungsein richtung verschleiert wird. Kooperation der Zur Aufdeckung proliferationsrelevanter Aktivitäten und im RahSicherheitsmen der Exportkontrolle arbeiten das Bundesamt für Wirtschaft behörden und Ausfuhrkontrolle, das Zollkriminalamt, das Bundeskriminal amt, der Bundesnachrichtendienst und der Verfassungsschutz zu sammen. Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit werden sowohl die Industrie als auch Bildungsund Forschungseinrichtungen über die Proliferationsthematik und ihre Risiken für die Betroffenen in Deutschland - zum Beispiel Reputationsverlust, wirtschaftliche Ein bußen - informiert und sensibilisiert. Broschüre Zur Unterstützung dieser Sensibilisie rungsmaßnahmen haben die Verfas sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder die Broschüre "Proliferation - Das geht uns an!" herausgegeben. Die Broschüre ist auch im Internet ab rufbar (www.verfassungsschutz.de). VII. Festnahmen und Verurteilungen Im Jahr 2003 wurden durch den Generalbundesanwalt 14 Ermitt lungsverfahren eingeleitet, 13 wegen des Verdachts geheimdienstli cher Agententätigkeit, eines wegen Landesverrats. Gegen zwei Per sonen wurde Haftbefehl erlassen. Das Kammergericht Berlin verurteilte einen Angeklagten wegen geheimdienstlicher Agen tentätigkeit (SS 99 StGB). VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 236 GEH EI M SCH U T Z , SA BO TA G E SCH U T Z Geheimschutz, Sabotageschutz Aufgaben des GeDer Geheimschutz ist für den demokratischen Rechtsstaat unver heimschutzes zichtbar. Er sorgt dafür, dass Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand, lebenswichtige Interessen oder die Si cherheit des Bundes oder eines seiner Länder gefährden kann, vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Verschlusssache Unabhängig von ihrer Darstellungsform sind Tatsachen, Gegen stände oder Erkenntnisse, die geheim zu halten sind, Verschluss sachen (VS) und mit einem Geheimhaltungsgrad STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu kennzeichnen. Materieller Ge Der materielle Geheimschutz schafft die heimschutz organisatorischen und technischen Vor kehrungen zum Schutz von VS. Diese Auf gabe wird in erster Linie vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) wahrgenommen. Die Mitwirkung des BfV auf diesem Gebiet folgt aus SS 3 Abs. 2 Satz 1Nr. 3 Bundesverfassungsschutzge setz (BVerfSchG) und bezieht sich auf die Mitteilung nachrichtendienstlicher Er kenntnisse, die für den materiellen Schutz von VSbedeutsam sein können. Personeller GeZentrale Aufgabe ist der Schutz von Ver heimschutz schlusssachen. Das hierzu genutzte Instrument ist die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die mit einer sicherheits empfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren ist im Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) geregelt. Die Mitwirkung des BfV beruht auf SS 3 Abs. 2 Satz 1Nr. 1BVerfSchG in Ver bindung mit SS 3 Abs. 2 SÜG. Zuständigkeit Die Zuweisung des personellen Geheimschutzes als "Mitwirkungs aufgabe" bedeutet, dass das BfV keine originäre Zuständigkeit be sitzt, sondern die Verantwortung für die Sicherheitsmaßnahmen bei den zuständigen Stellen liegt. Im öffentlichen Bereich des Bundes ist die zuständige Stelle in der Regel die Beschäftigungsbehörde. GEH EI M SCH U T Z , SA BO TA G E SCH U T Z 237 Nicht nur in öffentlichen Institutionen, sondern z. B. auch in Wirt schaftsunternehmen wird mit staatlichen VSumgegangen, deren Schutz gewährleistet werden muss. Hier nimmt das Bundesministe rium für Wirtschaft und Arbeit die Verantwortung wahr. Das Instrument des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes Personeller Sabota wurde als eine Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September geschutz 2001mit Artikel 5 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002 in das SÜG eingeführt. Das im personellen Geheimschutz bewährte Instrument der Sicher Sicherheitsüber heitsüberprüfung soll verhindern, dass Personen mit Sicherheitsrisi prüfung ken an Schlüsselpositionen in sensiblen Bereichen beschäftigt wer den. Überprüft werden Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrich tungen beschäftigt sind oder werden sollen. Einrichtungen sind lebenswichtig, wenn deren Beeinträchtigung Lebenswichtige auf Grund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Ge Einrichtungen sundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich ge fährden kann. Die betriebliche Eigengefahr bezeichnet die Gefahr, die vom Arbeitsprozess oder von den genutzten Produktionsoder Arbeitsmitteln ausgeht (z. B. Brand-, Explosionsoder Verseuchungs gefahr). Lebenswichtig sind außerdem solche Einrichtungen, die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Be einträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ent stehen lassen würde. Dazu gehört z. B. die Versorgung der Bevölke rung mit Postund Telekommunikationsdienstleistungen. In den vorbeugenden personellen Sabotageschutz werden auch ver Verteidigungs teidigungswichtige Einrichtungen außerhalb des Geschäftsbereichs wichtige Einrich des Bundesministeriums der Verteidigung einbezogen. Dies sind tungen Einrichtungen, die der Herstellung oder dem Erhalt der Verteidi gungsbereitschaft dienen und deren Beeinträchtigung die Funkti onsfähigkeit der Bundeswehr, verbündeter Streitkräfte sowie der Zi vilen Verteidigung erheblich gefährden kann. Zu ihnen zählen auch Schlüsselbetriebe der Rüstungsund Ausrüstungsindustrie sowie zentrale Verkehrsund Fernmeldeeinrichtungen. Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit ist der Anwendungsbereich Sicherheitsemp des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes auf sicherheits findliche Stellen empfindliche Stellen innerhalb der lebensbzw. verteidigungswich tigen Einrichtungen beschränkt. Damit sind die kleinsten selbst BERICHT 2003 238 GEH EI M SCH U T Z , SA BO TA G E SCH U T Z ständig handelnden Organisationseinheiten gemeint, die vor unbe rechtigtem Zugang geschützt sind. Nur diejenigen, die dort beschäf tigt sind, werden sicherheitsüberprüft. Für den Sabotageschutz ist die Überprüfungsform vorgeschrieben, die den Betroffenen mög lichst wenig belastet (sog. einfache Sicherheitsüberprüfung). Rechtsverordnung Die Bundesregierung hat die Sicherheitsüberprüfungsfeststellungs verordnung (SÜFV) erlassen, die am 9. August 2003 in Kraft getreten ist. In ihr werden die lebensund verteidigungswichtigen Einrich tungen verbindlich genannt. Zu finden ist sie im Bundesgesetzblatt 2003 I S. 1553. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hat einen Leitfa den für den personellen Sabotageschutz in der Wirtschaft verfasst. Er kann im Internet unter www.bmwa-sicherheitsforum.de abgeru fen werden. Zustimmung Abschließend ist hervorzuheben, dass eine Sicherheitsüberprüfung nur mit ausdrücklicher vorheriger Zustimmung des Betroffenen er folgen darf. VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 240 SCI EN T O L O GY -O R G A N I SA T I ON "Scientology-Organisation" (SO) gegründet: 1954 in den USA, erste Niederlassung in Deutschland 1970 Sitz: Los Angeles ("Church of Scientology International", CSI) Mitglieder: in Deutschland geschätzt: ca. 5.000 bis 6.000 (2002: ca. 5.000 bis 6.000) * Publikationen: u. a. "FREIHEIT", "IMPACT", "SOURCE", "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", "ADVANCE!" 1 Teilorganisationen: In Deutschland zehn "Kirchen", (Auswahl) darunter zwei "Celebrity Centres", und zehn "Missionen" 2 * Eigenangaben der SO: 30.000 1. Vorbemerkung Die Feststellung der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) vom 5./6. Juni 1997, dass hinsichtlich der SO tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheit liche demokratische Grundordnung vorliegen und deshalb die ge setzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung durch die Ver fassungsschutzbehörden gegeben sind, hat weiter Gültigkeit. 2. Grundlagen Der Organisationsgründer L. Ron Hubbard (19111986) sah sich als Erfüllung einer Prophezeiung des indischen Religionsstifters Gautama Siddharta (genannt "Buddha"), nach der "zu einer Zeit weltweiter Degeneration ein Mann aus dem Westen mit einer be freienden Technologie in Erscheinung treten würde, um ein geisti ges Goldenes Zeitalter auf Erden herbeizuführen". 3 Die SO betrachtet ihre von Hubbard entwickelte "Lehre" als eine "Er lösungsreligion" 4 in der Tradition ostasiatischer Religionen, insbe sondere des Buddhismus, die angeblich "dem Menschen den Zu stand vollständiger geistiger Freiheit von dem endlosen Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt vermitteln und ihn von seinen Banden im materiellen Universum" befreien will. 5 Die Person bzw. SCI EN T O L O GY -O R G A N I SA T I ON 241 die Identität des Menschen ist nach Vorstellung der SO zum Beispiel nicht sein Körper oder Name, sondern der "Thetan" 6; dieser habe "keine Masse, keine Wellenlänge, also nichts Ge genständliches". Er sei im Idealzustand als "Ope rierender Thetan" 7 "völlig Ursache über Materie, Energie, Raum, Zeit und Denken" und "nicht in einem Körper". Um diesen Zustand zu erreichen, ist Ziel der Scientology zunächst der "Clear" 8, d. h. der Mensch, der "als Ergebnis der dianetischen Therapie weder aktiv noch potentiell vorhandene psychosomatische Krankheiten oder Aberrationen hat". "Aberration" 9 bedeutet für Scientologen "eine Abweichung vom rationalen Denken oder Ver halten". Abweichungen von der Rationalität können auf so ge nannte Engramme zurückgehen. Unter einem "Engramm" 10 verstehen Scientologen "ein gei stiges Vorstellungsbild, welches eine Auf zeichnung einer Zeit von physischem Schmerz und Bewußtlosigkeit ist". Mit Hilfe des so ge nannten Auditings 11 können diese "En gramme" entdeckt und ihre Auswirkungen eliminiert werden. Bei diesem Verfahren soll der Auditor ("jemand der zuhört"; ein so bezeichneter Geistlicher der "Scientology-Kirche" oder jemand, der dazu ausgebildet wird) 12 dem so genannten Preclear ("jemand, der noch nicht Clear ist") 13 durch eine festgelegte Abfolge von Fragen oder Anweisungen helfen, Bereiche von Kummer oder Schmerz auf zuspüren. 14 Als Hilfsmittel steht dabei dem "Auditor" das so ge nannte E-Meter 15 zur Verfügung. Dieses Gerät soll "den Körperwi derstand und dessen Schwankungen aufgrund seelischer Interaktion" gegen einen elektrischen Strom messen, wenn der Teil nehmer am "Auditing" die beiden Elektroden des Geräts in der Hand hält und vom "Auditor" befragt wird. Die durch den Stromfluss ver ursachten Ausschläge der Nadel des "E-Meters" sollen dem "Auditor" anzeigen, ob der richtige Bereich von Kummer und Schmerz von ihm angesprochen wurde. 16 Über das "Auditing" hinaus bietet die Organisation in Deutschland noch eine Reihe weiterer Kurse an. 17 Sie beinhalten überwiegend Anweisungen für eine aus scientologischer Sicht erfolgreiche Le bensführung. Die Veranstaltungen und entsprechende Publikatio nen werden nach Art eines gewinnorientierten Unternehmens ge gen Entgelt angeboten. Darin besteht die Hauptaufgabe und -tätigkeit der "Kirchen" und "Missionen" in Deutschland. 18 BERICHT 2003 242 SCI EN T O L O GY -O R G A N I SA T I ON 3. Zielsetzung Tatsächliche Die "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD) und die "ScientoAnhaltspunkte für logy Kirche Berlin e. V." (SKB) haben mit Schriftsatz vom 31. März verfassungsfeindliKlage beim Verwaltungsgericht Köln gegen die Beobachtung durch che Bestrebungen das Bundesamt für Verfassungsschutz erhoben. Die Kläger begrün deten ihre Anträge im Wesentlichen damit, dass sie als Glieder einer angeblich weltweit anerkannten Religionsgemeinschaft keine poli tischen Ziele verfolgten. Das Verwaltungsgericht Köln hatte Ende 2003 über die Klage noch nicht entschieden. Im Gegensatz zu diesem Vorbringen stehen die Aktivitäten der SO. Die Organisation wirkt in verfassungsfeindlicher Zielrichtung auf die politische Willensbildung ihrer Mitglieder ein. So veröffentlicht sie wiederkehrend 19 und ohne inhaltliche Einschränkung die für die Organisation unabänderlichen 20 Schriften ihres Gründers L. Ron Hubbard. Diese enthalten Passagen, nach denen Prinzipien der frei heitlichen demokratischen Grundordnung zum Aufbau einer "neuen OT-Zivilisation" 21 abgeschafft werden sollen. Darüber hinaus schult die SO ihre Funktionsträger und Mitglieder in deutschen Ein richtungen auch durch Kurse, in denen anhand der Schriften ihres Gründers antidemokratisches Denken und Handeln vermittelt wird. Eine als Kursunterlage für Funktionsträger der Organisation ver wendete 22 Zusammenfassung von Schriften Hubbards enthält Passa gen, nach denen die parlamentarische Demokratie abgeschafft und durch ein scientologisches System ersetzt werden muss: Ablehnung der "Eine völlig demokratische Organisation ist in Dianetik und Sciento parlamentarischen logy schlecht angeschrieben, trotz all dieses Geredes von Übereinstim Demokratie mung. Durch ein tatsächliches Experiment (Los Angeles, 1950) hat man festgestellt, dass Menschengruppen, die aufgefordert werden, unter sich durch Nominierung und Abstimmung eine Führungsper son auszuwählen, routinemäßig nur jene auswählen, die sie umbrin gen würden ... Sollten Sie jemals die Gelegenheit haben, für Ihre Gruppe eine Führungsperson auszuwählen, seien sie dabei nicht de mokratisch ... Nehmen Sie die Person, die ein guter Auditor ist ... Hü ten Sie sich ... vor diesen Damen und Herren parlamentarischer Vor gehensweisen, die sämtliche rechtlichen und zeitverschwenderischen Verfahren kennen ... Demokratien hassen Verstand und Können. Ver fallen Sie nicht in diesen Trott ... Demokratie ist nur in einer Nation von Clears möglich ... Wenn die Mehrheit herrscht, leidet die Minder heit. Die Besten sind immer eine Minderheit ... SCI EN T O L O GY -O R G A N I SA T I ON 243 Scientology gibt uns unsere erste Chance, eine wirkliche Demokratie zu haben". ("Organisationsführungskurs Grundlegender Mitarbeiter-Hut 23 Band O", S. 123 f., S. 652) Hubbard hat das von ihm angestrebte System in einer seiner weite Eingeschränkte ren Veröffentlichungen als Rechtsordnung beschrieben, in der die Geltung der Grun Existenz des Einzelnen vom willkürlichen Ermessen der SO abhängt. drechte und keine Gleichheit vor dem Grundrechte stehen nur den Personen zu, die aus Sicht der Organisa Gesetz tion nach einer Auslese im "Auditing"-Verfahren zu den "Ehrlichen" gehören: "um Hilfe zu erhalten, muß man seinem Auditor gegenüber ehrlich sein ... Dies ist der Weg zur geistigen Gesundheit ... und wirklicher Freiheit ... Jemandes Recht auf Überleben ist direkt mit seiner Ehrlichkeit ver knüpft ... Freiheit ist für ehrliche Menschen da". (Hubbard, "Einführung in die Ethik der Scientology", Kopenhagen 1998, S. 36 f., 46) Nach von Hubbard stammenden Textpassagen eines weiteren Kur ses 24 dürfen insbesondere vermeintliche Gegner der SO keinerlei Rechte haben: "Unterdrückerische Handlungen sind eindeutig diejenigen versteck ten und offenen Handlungen, die bewußt darauf abzielen, den Ein fluß oder die Aktivitäten der Scientology zu verringern bzw. zu zer stören ... Da Personen oder Gruppen, die so etwas tun würden, nur aus Eigeninteresse heraus zum Schaden aller anderen handeln, können ihnen die Rechte, die normaler Weise vernünftigen Wesen zuerkannt werden, nicht gewährt werden". ("Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt - PTS/SPKurs", Kopenhagen 2001, S. 138 f.) In der angestrebten scientologischen Rechtsordnung darf der nach den Maßstäben der SO Erfolgreiche nach einem Fehlverhalten nicht bestraft werden: BERICHT 2003 244 SCI EN T O L O GY -O R G A N I SA T I ON "Wir belohnen Produktion und Aufwärtsstatistiken und bestrafen Nichtproduktion und Abwärtsstatistiken. Immer. ... Halten Sie noch nicht einmal eine Anhörung über jemanden mit ei ner Aufwärtsstatistik ab. Akzeptieren Sie niemals einen Ethikzettel 25 über eine solche Person - stempeln Sie ihn einfach ab mit: 'Tut mir leid'. 'Aufwärtsstatistik' und schicken Sie ihn zurück". ("Wie man Unterdrückung konfrontiert und zerschlägt - PTS/SPKurs", Kopenhagen 2001, S. 86 f.) Unumschränkt Ein organisationseigener Nachrichtendienst, der nicht an Recht und herrschender Gesetz gebunden ist, soll Sachverhalte mit möglichem Fehlverhalten Nachrichtendienst erforschen sowie aus Sicht der Organisation erforderliche präven tive und repressive Maßnahmen treffen, ohne dass es einen Schutz durch unabhängige Gerichte für den Betroffenen gibt: "Wir kennen unsere Feinde, ehe sie zuschlagen. Wir halten sie von wichtigen Positionen fern. Wenn wir einen zufälligerweise in eine Schlüsselposition bringen und er anfängt, Fehler zu machen, dann schießen wir schnell und sprechen später Recht". (Hubbard, "Handbuch des Rechts", Kopenhagen 1979, S. 2 f.) Langfristige VeränDie politischen Fernziele sollen nach Hubbard nicht durch Teil derungen des polinahme der SO am Prozess der politischen Willensbildung erreicht tischen Systems werden, sondern durch ständige Vergrößerung der Organisation durch "Expansion" und ihrer Einnahmen: der SO "Hitler hat (genau wie Cäsar) nicht sein erobertes Territorium gefe stigt. Es war unmöglich, dies zu tun - nicht, weil er keine Truppen ge habt hätte, sondern weil er keine wirkliche Nachfrage nach deutscher Technologie und deutscher Sozialphilosophie hatte, bevor er die Er oberung begann. Daher verlor Hitler seinen Krieg, und das faschisti sche Deutschland starb ... Sie können Nachfrage anregen ... Sie kön nen sie erschaffen ... Da wir ein Produkt haben, das im höchsten Sinne befreit und entaberriert ... Wir erobern sowieso nicht das Land in dem Sinne, wie es Regierungen tun".("Organisationsführungskurs Grund legender Mitarbeiter-Hut Band O", S. 45 f.) "Dies wird erreicht, indem man Individuen von ihren Aberrationen befreit und indem man verhindert, dass Unterdrücker die Nachfrage schwächen und die Leute erneut aberrieren; und dies ist die Methode der Expansion". SCI EN T O L O GY -O R G A N I SA T I ON 245 ("Organisationsführungskurs Grundlegender Mitarbeiter-Hut Band O", S. 50) 4. Auftreten in der Öffentlichkeit Das Verhalten der Organisation in der Öffentlichkeit ist statisch. Sie Broschüren und öf warb unverändert mit Publikationen, Broschüren und Flugblättern, fentliche Werbe die sie in Fußgängerzonen deutscher Großstädte verteilte. Themati veranstaltungen sche Schwerpunkte waren soziale Themen wie Betäubungsmittel und Alkoholmissbrauch oder die aus Sicht der SO bestehenden Miss stände in der Psychiatrie. Darüber hinaus versuchte die Organisation durch öffentliche Veranstaltungen, wie der so genannten Kavalkade der ehrenamtlichen Geistlichen (u. a. Demonstration des "Audit ings" in dafür errichteten gelben Zelten) 26, in mehreren deutschen Großstädten Aufmerksamkeit zu erregen und Kursbesucher zu ge winnen. Wie in den Vorjahren bot die Organisation umfangreiche und tech Internet-Angebote nisch aufwändig gestaltete Seiten im Internet 27 mehrsprachig an, die Angaben über ihre Ziele, Teilorganisationen und aktuelle Publi kationen enthielten. Daneben warben weiterhin Scientologen, da runter unverändert ca. 600 deutsche Mitglieder, für die Organisa tion mit eigenen Internetseiten, auf denen sie sich zur SO bekannten. Die Werbeaktionen der SO blieben wie in den vergangenen Jahren Kaum Resonanz in in der Regel erfolglos. Der Organisation gelang es weiterhin nur in der Öffentlichkeit sehr geringem Umfang, neue Mitglieder zu gewinnen und sie für eine längere Zeitdauer an sich zu binden. Der größte Teil der neu ge wonnenen Mitglieder trat schon nach kurzer Zeit wieder aus der SO aus. Die öffentlichen Werbeveranstaltungen verzeichneten kaum Besucher oder Aufmerksamkeit in den Medien. Die regionalen Schwerpunkte des Mitgliederbestandes und der Mitgliederbestand Tätigkeit sind unverändert der Großraum Hamburg sowie Badenund Tätigkeit wei Württemberg und Bayern. Daneben lässt sich eine größere Zahl von terhin ungleich mäßig verteilt Mitgliedern jeweils den Ländern Hessen, Niedersachsen, NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz zuordnen. BERICHT 2003 246 VERFASSUNGS SCHUTZ Verfassungsschutz und Demokratie Rechtsextremistische Bestrebungen Linksextremistische Bestrebungen Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten Geheimschutz, Sabotageschutz Scientology-Organisation (SO) Erläuterungen und Dokumentation Gesetzestexte BERICHT 2003 248 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON I. Endnoten Verfassungsschutz und Demokratie 1 Jesse, Eckhard: Der Verfassungsschutzauftrag der abwehr bereiten Demokratie: Theorie und Praxis, und Lange, HansGert: Verfassungsschutz in der Demokratie - ein Instrument zur Sicherung des inneren Friedens, beide in: Bundesminis terium des Innern (Hrsg.), Wehrhafte Demokratie und Rechtsextremismus (Reihe: Texte zur Inneren Sicherheit), Bonn 1992, S. 7ff. und S. 19 ff. Rechtsextremistische Bestrebungen 1 In dieser Zahl sind nur diejenigen der rund 160 neonazisti schen Kameradschaften enthalten, die ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen. 2 Die britische neonazistische Gruppierung "Combat 18" (C18) stand im ungeklärten Verdacht, 1997eine Briefbombenserie initiiert zu haben. Ihr sind in jüngerer Zeit zwar kaum noch militante Aktionen zuzurechnen. In der gewaltbereiten Szene genießt C18 aber nicht nur in Deutschland, sondern auch in anderen europäischen, insbesondere skandinavi schen Ländern, ein erhebliches Renommee. 3 Unter "leaderless resistance" (führerloser Widerstand) ist eine Anfang der 90er Jahre von dem US-amerikanischen Rechtsextremisten Louis BEAM formulierte Strategie zu ver stehen, die auf - möglicherweise gewalttätigen - Aktionen geheimer Widerstandszellen fußt, denen lediglich die ideo logische Basis gemeinsam ist und die weder einer einheitli chen Führung unterstehen, noch untereinander organisato risch verbunden oder vernetzt sein müssen. 4 Der Titel erschien auf dem Tonträger "Lasst sie ruhig kom men". Die CD wurde von der Bundesprüfstelle für jugendge fährdende Medien (BPjM) indiziert (Bundesanzeiger Nr. 243 vom 31. Dezember 2003). 5 Mit Beschluss vom 18. März 2003 hat das Bundesverfassungs gericht das Verfahren eingestellt. Im Zweiten Senat fand sich nicht die nach SS 15 Abs. 4 Bundesverfassungsgerichtsge setz (BVerfGG) notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Fortsetzung; drei von sieben Richtern stimmten für die Be ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 249 endigung. Unter anderem führten diese drei Richter aus, dass die Beobachtung einer Partei durch V-Leute auf Vor standsebene unmittelbar vor und während eines Verbots verfahrens in der Regel unvereinbar mit den Anforderun gen an ein rechtstaatliches Verfahren sei. Ausnahmen könnten nur gemacht werden, wenn von der Partei außer gewöhnliche Gefahren ausgingen. Die vier Richter, die für eine Fortführung des Verfahrens stimmten, erklärten, die nachrichtendienstliche Beobach tung der Antragsgegnerin begründe weder im Hinblick auf den Grundsatz der Staatsfreiheit der Parteien noch wegen Fragen der Zurechnung der vorgelegten Beweismittel noch aufgrund der Pflicht zur Gewährleistung eines fairen Ver fahrens ein Verfahrenshindernis. Insbesondere betont die Senatsmehrheit die Pflicht des Bundesverfassungsgerichts zur Ermittlung aller entscheidungserheblichen Umstände und wendet sich gegen eine Prozessbeendigung ohne Auf klärung der zur Entscheidung über ein Verfahrenshindernis abwägungsrelevanten Tatsachen. Unter anderem seien hierbei die Belange des präventiven Verfassungsschutzes nicht angemessen berücksichtigt worden. 6 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 4/2003, S. 1f. 7 Vgl. "Deutsche Zukunft", Publikation des NPD-LV Nordrhein-Westfalen, Ausgabe Sommer 2003, S. 3. 8 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 10/2003, S. 21. 9 "Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2004", Deutsche Stimme Verlag, Riesa 2003. 10 Die Bezeichnung "US-Ostküste" bzw. "amerikanische Ost küste" wird von Rechtsextremisten, so auch von der NPD, häufig als Synonym für die angeblich die USA beherrschen den jüdischen Bankiers genutzt. 11 Vgl. "Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2004", Deutsche Stimme Verlag, Riesa 2003. 12 Vgl. Interview von "Radio Freiheit" (Beitrag vom 30. April 2003) mit dem NPD-Parteivorsitzenden Udo VOIGT. 13 Vgl. "Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2004", Deutsche Stimme Verlag, Riesa 2003. BERICHT 2003 250 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 14 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 3/2003, S. 2. 15 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 14. 16 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 7/2003, S. 15. 17 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 9/2003, S. 11. 18 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 21. 19 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 8/2003, S. 10. 20 Die "Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft mbH", die auch das Parteiorgan der NPD verlegt, hat das Buch des 1990 ver storbenen ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS-Division "Charlemagne" im Jahr 2002 neu aufgelegt. 21 Vgl. "Taschenkalender des nationalen Widerstandes 2004", Deutsche Stimme Verlag, Riesa 2003. 22 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 15. 23 Vgl. z. B. "Deutsche Stimme" Nr. 7/2003, nicht-paginierte Seite. 24 Vgl. Anmerkung 10. 25 AAE verwendet hier, wie auch viele andere Rechtsextremis ten, den Begriff "internationale Hochfinanz" als Synonym für das angeblich von Juden beherrschte internationale Fi nanzkapital. 26 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 6. 27 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 3/2003, S. 1, 10. 28 Im März hatte der Landesparteitag des Landesverbandes Berlin-Brandenburg beschlossen, den Landesverband in zwei selbstständige Landesverbände Berlin und Branden burg zu teilen. 29 Das bereits 1997von der Parteiführung in einem Grundsatz papier als Anleitung zum Handeln propagierte Drei-SäulenKonzept enthält als strategische Elemente den "Kampf um die Straße" (Demonstrationen und öffentliche Veranstaltun gen), den "Kampf um die Köpfe" (Beeinflussung der politi ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 251 schen Meinung und Schulung von Anhängern) und den "Kampf um die Parlamente" (Teilnahme an Wahlen). 30 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 14. 31 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 14. 32 Spendenaufruf der NPD für den Bau eines nationaldemokra tischen Bildungszentrums vom 23. Juli 2003. 33 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 10/2003, S. 11. 34 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 10/2003, S. 11. 35 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 5/2003, S. 14. 36 In der Vergleichszahl für 2002 sind auch Info-Stände und kleinere Wahlkampfveranstaltungen enthalten, die teil weise als Demonstration angemeldet worden waren. 37 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 4/2003, S. 10. 38 Vgl. "Deutsche Stimme" Nr. 4/2003, S. 10. 39 Artikel "Wunsiedel: Gedenken an Rudolf Heß" des NPD-Bundesgeschäftsführers Frank SCHWERDT vom 17. August 2003, eingestellt auf der Internetseite der NPD. 40 Das "Nationale Bündnis Dresden" wurde am 24. April 2003, u. a. in Anwesenheit der Landesvorsitzenden der REP in Sachsen, Kerstin LORENZ, und der stellvertretenden Landes vorsitzenden von NPD und DVU, Klaus MENZEL und Hans-Joachim LEWIN, gegründet. 41 Erklärung des "Nationalen Bündnis Dresden" "Gemeinsam sind wir stark - Nationales Bündnis Dresden!" auf dessen In ternetseite. 42 Pressemitteilung des NPD-Landesverbandes Sachsen vom 3. November 2003, "Deutsche Stimme" Nr. 11/2003, S. 10. 43 Pressemitteilung des JN-Landesverbandes Nordrhein-Westfalen vom 3. August 2003. 44 Pressemitteilung Nr. 04/2003 des JN-Bundesvorstandes vom 30. Mai 2003. BERICHT 2003 252 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 45 So kreditiert FREY im Wesentlichen das Defizit der DVU, das 1989 entstanden war. Die Partei hatte damals als "DVU - Liste D" mit Unterstützung der NPD an der Europawahl teilge nommen und diese Wahl mit einem riesigen Defizit abge schlossen. Erklärtes Ziel war der Einzug in das Europaparla ment. FREY hatte dazu nach eigenen Angaben ca. 9,2 Millionen EUR für zahlreiche spektakuläre Aktionen in den Wahlkampf investiert. Wegen des Ergebnisses von 1,6 %der Stimmen erhielt die DVU jedoch lediglich rund 1,89 Millio nen EUR an Wahlkampfkostenerstattung. Die seinerzeit ent standene Verschuldung der DVU beträgt noch ca. 3 Millio nen EUR. Zur Minderung des Defizits unterstützt FREY die Partei mit einer jährlichen Spende von ca. 500.000 EUR. 46 So beispielsweise die Bücher: "Helden der Wehrmacht - Un sterbliche deutsche Soldaten", "Schweinejournalismus? - Wenn Medien hetzen, türken und linken", "Lexikon der antideutschen Fälschungen - 200 Lügen und populäre Irrtü mer von A - Z". 47 So beispielsweise die Bücher: "Alliierter Luftterror - Von Dresden bis Bagdad", "Amerikas falsches Spiel - Die IrakLüge und kein Ende", "Das Netz - Israels Lobby in Deutsch land". 48 Vgl. NZ Nr. 3/2003, S. 10. 49 Vgl. NZ Nr. 31/2003, S. 2. 50 Vgl. NZ Nr. 31/2003, S. 10. 51 Vgl. NZ Nr. 22/2003, S. 1f. 52 Vgl. NZ Nr. 6/2003, S. 2. 53 So versuchte die NZ (Nr. 29/2003, S. 12) ebenfalls Überfrem dungsängste zu schüren: "Aber die angestrebte Verände rung ist noch nicht voll eingetreten, so dass die 'Befürworter' des neuen Europa mit Hochdruck darangehen, das ange peilte Ziel ehestens zu erreichen: die ethnische Homogenität der einheimischen Bevölkerung durch vermehrte Zuwande rung mit der Zeit in einen multiethnischen und multikultu rellen Bevölkerungskonglomerat untergehen zu lassen." 54 Vgl. NZ Nr. 21/2003, S. 7. ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 253 55 Vgl. NZ Nr. 45/2003, S. 1. 56 Die "FZ - Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH" (FZ-Verlag) wird von FREYs Ehefrau geleitet. 57 So warb z. B. die NZ (Nr. 28/2003, S. 13) unter der Überschrift "'Uralter Hang zur Barbarei' - Licht und Schatten im Lexikon 'Wer ist wer im Judentum'" für die 2003 in aktualisierter, er gänzter Neuauflage erschienene Publikation: "Dort begegnet man integren Persönlichkeiten, die sich auch mit aller Kraft antideutscher Hetze entgegenge stemmt haben ... Und es kommen Gestalten vor, die vor Deutschenhass regelrecht platzen." 58 Vgl. NZ Nr. 29/2003, S. 5. 59 Vgl. NZ Nr. 32/2003, S. 2. 60 Vgl. NZ Nr. 35/2003, S. 1. 61 So beispielsweise Bücher wie "Goebbels - Macht und Magie", "Deutsche Soldaten - Mörder oder Helden?", "Die Waffen-SS und die Polizei 1939-1945", Bildbände wie "Führerhaupt quartier Wolfsschanze 1940-1945", "Hitlers Berghof 1928 1945", "Auf den Spuren des Westwalls", Videos/DVDs wie "Mythos Rommel", "Die Geschichte der Deutschen Panzer waffe 1914-1945", "Die Geschichte des deutschen Afrika korps" und CDs/MCs wie "Lieder unserer Fallschirmjäger" oder "Soldaten, Helden, Vaterland". 62 Vgl. NZ Nr. 17/2003, S. 12. 63 Vgl. NZ Nr. 16/2003, S. 12. 64 Die frühere Wanderausstellung "Vernichtungskrieg. Ver brechen der Wehrmacht 1941bis 1944" des Hamburger Insti tuts für Sozialforschung war 1995 gestartet und wegen Un richtigkeiten in den Textund Fotodokumenten im November 1999 von den Verantwortlichen zurückgezogen und überarbeitet worden. 65 Vgl. NZ Nr. 32/2003, S. 3. 66 Vgl. NZ Nr. 23/2003, S. 7. 67 Vgl. NZ Nr. 14/2003, S. 15. BERICHT 2003 254 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 68 Vgl. NZ Nr. 14/2003, S. 4. 69 Vgl. NZ Nr. 18/2003, S. 1f. 70 Vgl. Artikel "'Den Nutzen des deutschen Volkes mehren' Harmonische DVU-Landesparteitage in Brandenburg und Berlin", "National-Zeitung" (NZ) Nr. 8/2003. 71 In den getrennt gezählten Wahlbereichen Bremen und Bre merhaven erzielte die DVU 1,4 %(1999: 2,5 %) bzw. 7,1%(1999: 6 %). Wegen einer Sonderregelung im Bremer Wahlrecht ist der Einzug einer Gruppierung in das Landesparlament mög lich, wenn sie in einem der beiden Wahlbereiche die 5 %- Sperrklausel überwindet. Der bisherige Mandatsträger und Spitzenkandidat der DVU-Landesliste in Bremerhaven ver tritt die DVU weiterhin in der Bürgerschaft. 72 "DER REPUBLIKANER", Wahlkampfausgabe, Nr. 1-2/2003. 73 "DER REPUBLIKANER" Nr. 5-6/2003, S. 1. 74 "Werbemittel zur bayerischen Landtagswahl 2003", REP-Landesverband Bayern. 75 "DER REPUBLIKANER" Nr. 7-8/2003, S. 4. 76 Pressemitteilung der REP-Bundesgeschäftsstelle Nr. 33/03 vom 23. Juli 2003. 77 Pressemitteilungen der REP-Bundesgeschäftsstelle Nr. 11/03 vom 11. März 2003. 78 Flugblatt des REP-Landesverbandes Bayern "Heimatvertrie bene wählen Republikaner". 79 "DER REPUBLIKANER" Nr. 5-6/2003, S. 5. 80 Pressemitteilung des LV NRW Nr. 1/2003 vom 16.01.2003. 81 "DER REPUBLIKANER" Nr. 1-2/2003, S. 8. 82 "DER REPUBLIKANER" Nr. 7-8/2003, S. 9. 83 Rücktrittsschreiben des Landesvorsitzenden Bernd BERNHARD vom 26. Mai 2003. ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 255 84 Die "Freiheitliche Initiative Deutschlands" (FID) ist ein Zu sammenschluss von Parteien und Organisationen des "national-konservativen" und rechtsextremistischen Lagers. Gegründet wurde sie am 12. Mai 2001in Bayern. Ziel der FID ist es nach eigenen Angaben, "in Gestalt einer einzigen frei heitlichen, bürgerlich-wertkonservativen Partei Deutsch lands in Zusammenarbeit mit gleichgesonnenen europäi schen Parteien zur kommenden Europawahl anzutreten". Nach Angaben von "Nation & Europa" - Ausgabe Juni 2003, S. 49 - sollen sich der FID auch Mitglieder bzw. ehemalige Mitglieder der rechtsextremistischen DVU, DP und FDVP an geschlossen haben. 85 Pressemitteilung des REP-Landesverbandes Rheinland-Pfalz vom 16. April 2003. 86 Pressemitteilung Nr. 06/03 des REP-Landesverbandes Saar. 87 "DER REPUBLIKANER" Nr. 7-8/2003, S. INTERN 1. 88 Laut "Deutsche Stimme" Nr.11/2003, S. 1wurde gegen RICHTER ein Parteiausschlussverfahren eingeleitet. 89 "DER REPUBIKANER" Nr. 7-8/2003, S. INTERN 1. 90 Einstellung von Frithjof RICHTER im REP-Forum des Landes verbandes Sachsen vom 25. Mai 2003. 91 "Deutsche Stimme" Nr. 7/2003, S. 11. 92 "Sonderbeilage zum DS-Pressefest 2003", S. 1. 93 "Deutsche Stimme" Nr. 3/2003, S. 10. 94 Pressemitteilung der "Deutschen Partei" - LV Baden-Württemberg - zum "Parteiübergreifende(n) Erlebnis-Bodenseetag 2003", ohne Datum. 95 Vgl. Jürgen SCHWAB, Der Nationalstaat als gesamteuropäi sche Kulturleistung, in: Deutsche Stimme (DS) Nr. 9/September 2003, S. 20; Karl RICHTER, Amerika - Weltbrandstifter auf tönernen Füßen, in: DSNr. 5/Mai 2003, S. 17; Hauke NANNINGA, Nationales Ringen um die Lebensgrundlagen, in: DS Nr. 2/Februar 2003, S. 4; Karl RICHTER, Willige Vollstrecker der Globalisierung, in: DSNr. 9/September 2003, S. 7; Jürgen SCHWAB, Volksgemeinschaft oder Parlamentarismus?, in: BERICHT 2003 256 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON DSNr. 7/Juli 2003, S. 15 (über Carl Schmitt); Jürgen W. GANSEL, Die dritte Partei für das neue Deutschland, in: ebenda, S. 16 (über Arthur Moeller van den Bruck). 96 Vgl. Florian GEYER, Was bedeutet Volksgemeinschaft?, in: DSNr. 9/September 2003, S. 9. 97 Die Einladung ist abgedruckt in: Politische Hintergrundin formationen (PHI) Nr. 20 vom 20. Mai 2003, S. 149 f. (E-MailFassung). 98 Vgl. Wir-Gemeinschaft statt Ich-Gesellschaft, in: DSNr. 9/September 2003, S. 14. 99 Vgl. "nation42.de" Nr.144/2. Quartal 2003, S. 3. 100 Vgl. MASCHKE: "Der Raum der geistigen Freiheit ist gera dezu verdampft" (Interview mit Günter MASCHKE), in: "Junge Freiheit" (JF) Nr. 6 vom Juni 1991, S. 3; Günter MASCHKE, Das bewaffnete Wort. Aufsätze aus den Jahren 1973-93, Wien - Leipzig 1997, S. 74. 101 Günter MASCHKE, Der Engel der Vernichtung, in: JF Nr. 15 vom 4. April 2003, S. 17. 102 Vgl. "Ich bin ein Faschist" (Interview mit Armin Mohler), in: Leipziger Volkszeitung (Wochenendbeilage) vom 25./26. November 1995; Armin Mohler, Das Gespräch. Über Linke, Rechte und Langweiler, Dresden 2001, S. 41. 103 Vgl. JF Nr. 29 vom 11. Juli 2003, S. 19. 104 Vgl. JF Nr. 35 vom 22. August 2003, S. 15. 105 Vgl. zur Geschichte und den Erscheinungsformen des Anti semitismus u. a. Werner Bergmann, Geschichte des Antise mitismus, München 2002; Armin Pfahl-Traughber, Antisemi tismus in der deutschen Geschichte, Opladen 2002. 106 Hassgesang, "B.Z.L.T.B.", Maple Shade (USA) o. J. (2003). Die Abkürzung steht für "Bis zum letzten Tropfen Blut". Die CD wurde von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Me dien (BPjM) indiziert (Bundesanzeiger Nr. 41vom 28. Februar 2004). 107 "NSKampfruf", Nr. 143/Herbst 2003, S. 6, 11. ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 257 108 Homepage von Horst MAHLER, Stand: November 2003. 109 Der Tod von Jürgen W. Möllemann, in: "Das neue National Journal", Nr. 66-67/2003, S. 5 f., hier S. 6. 110 Claus NORDBRUCH, Hinrichtung eines Israel-Kritikers?, in: "Deutsche Stimme" Nr. 7/Juli 2003, S. 1, 5. 111 "National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) Nr. 18 vom 25. April 2003, S. 1f.; Nr. 20 vom 9. Mai 2003, S. 1und 3; Nr. 21vom 18. Mai 2003, S. 1und 4. 112 "Deutsche Stimme" Nr. 7/Juli 2003, nicht-paginierte Beilage. 113 Nur selten wird dieser Bedeutungsgehalt eindeutig und klar benannt. Eine Ausnahme stellt folgendes Statement von Horst MAHLER dar: "Damit erweist sich dieses Jahrhundert in Wahrheit als das Jahrhundert der Ostküsten-Juden. Denn das Machtzentrum des Dollarimperialismus - der vor einigen Jahren die hübschende Bezeichnung 'Globalismus' ange nommen hat - ist das von Juden beherrschte Bankensystem der USA." Horst MAHLER, Guten Tag, Herr Friedman ... Unter Berufung auf Christus, Marx und deutsche Philosophen lädt der Vordenker Horst MAHLER führende Köpfe zu erstem kritischen Dialog, Malmö (Schweden) o. J. (2002), S. 58. 114 Wolfgang STRAUSS, Der 17. Juni 1953, in: "Nation & Europa" Nr. 6/Juni 2003, S. 58-63, hier S. 60-62. 115 Vgl. Kirsten FRISCHE, Moraltrompeter mit Drogenund Nut tenvorliebe, in: "Deutsche Stimme" Nr. 7/Juli 2003, S. 1, 4. 116 Vgl. Pressemitteilung der REP-Bundesgeschäftsstelle Nr. 47/03 vom 31. Oktober 2003. 117 Vgl. Bruno WETZEL, Das Unrecht an MdB Hohmann und Ge neral Günzel, in: "National-Zeitung/Deutsche WochenZeitung" (NZ) Nr. 47vom 14. November 2003, S. 3. 118 Homepage der NPD, Stand: November 2003. 119 Vgl. die zusammenfassende Darstellung zu den Ergebnissen der Einstellungsforschung: Werner Bergmann, Wie viele Deutsche sind rechtsextrem, fremdenfeindlich und antise mitisch? Ergebnisse der empirischen Forschung von 1990 bis 2000, in: Wolfgang Benz (Hrsg.), Auf dem Weg zum BürgerBERICHT 2003 258 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON krieg? Rechtsextremismus und Gewalt gegen Fremde in Deutschland, Frankfurt/M. 2001, S. 41-62. 120 Die Ziffern "18" stehen für den ersten und den achten Buch staben im Alphabet, AH =Adolf Hitler. 121 Unter zeitgeschichtlichem Revisionismus wird hier keine Strömung in der wissenschaftlichen Diskussion, sondern der rechtsextremistisch motivierte Umdeutungsversuch des Bil des vom "Dritten Reich" verstanden. Vgl. Bundesamt für Ver fassungsschutz (Hrsg.), Rechtsextremistischer Revisionis mus. Ein Thema von heute, Köln 2002. Allgemein zum Revisionismus vgl.: Wolfgang Benz/Peter Reif-Spirek (Hrsg.), Geschichtsmythen. Legenden über den Nationalsozialis mus, Berlin 2003; zur Holocaust-Leugnung: Deborah E. Lip stadt, Betrifft: Leugnen des Holocaust, Zürich 1994. 122 Vgl. Robert FAURISSON, In Los Angeles fand die 14. revisionistische Konferenz statt in: "Vierteljahreshefte für freie Geschichtsforschung" Nr. 3/2002, S. 259. 123 Vgl. Peter Reichel, Der schöne Schein des Dritten Reiches. Faszination und Gewalt des Faschismus, München - Wien 1991. 124 Vgl. Claus NORDBRUCH, Der Angriff. Eine Staatsund Gesell schaftskritik an der "Berliner Republik", Tübingen 2003, S. 14 und 383. 125 Vgl. Gerhoch REISEGGER, Wir werden schamlos irregeführt! Vom 11. September zum Irak-Krieg, Tübingen 2003. 126 Vgl. Karl RICHTER, Die falsche Rechte: oder: Die Lakaien der Globalisierung, in: "Deutschland in Geschichte und Gegen wart", 51. Jg., Nr. 2/Juni 2003, S. 17-18, hier S. 18. 127 Vgl. Karl RICHTER, Pazifismus ist keine Lösung, in: "Nation & Europa", Nr. 6 vom Juni 2003, S. 22-27, hier S. 25. 128 Vgl. Franz SCHÖNHUBER, Verpasster Rücktritt, in: "Nation & Europa" Nr. 6 vom Juni 2003, S. 36-40, hier S. 38. 129 Vgl. Panoptikum des Absurden, in: Der Spiegel, Nr. 37vom 8. September 2003, S. 58-76. 130 Unter "Spam" versteht man unverlangt zugestellte - zumeist ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 259 kommerzielle - E-Mails. Aufgrund der geringen Kosten für den Urheber können diese Mails massenweise und zudem mittels spezieller "Spam"-Software automatisiert verschickt werden. 131 "File-Sharing-Services" bieten die Möglichkeit, den eigenen PC über eine spezielle Software mit einem Server zu verbin den. Verschiedene Server sind wiederum miteinander zu ei nem Netzwerk verbunden, für das jeder Benutzer Verzeich nisse auf seinem PC freigeben kann. Die Server dienen lediglich als Schnittstelle zwischen den Benutzern und bie ten selbst keine eigenen Dateien an. Mit Hilfe der entspre chenden Software können die Benutzer über einschlägige Stichworte Informationen in den freigegebenen Dateien al ler anderen an das Netzwerk angeschlossenen Benutzer su chen. Linksextremistische Bestrebungen 1 Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutz behörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Ei gentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, ins besondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Absatz 1Strafgesetzbuch genannt sind, oder durch andere Strafta ten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. 2 Neben den Autonomen existieren Reststrukturen einer zweiten Strömung gewaltbereiter Linksextremisten; sie um fassen vor allem antiimperialistisch und internationalistisch ausgerichtete Kleinstgruppen und Einzelpersonen, darun ter Aktivisten aus ehemals der "Roten Armee Fraktion" (RAF) nahe stehenden Strukturen. Diese konzentrieren sich im Wesentlichen auf einen Einsatz für "politische Gefangene". Nennenswerte Aktivitäten gingen von Gruppierungen aus diesem Spektrum im Jahre 2003 nicht aus. 3 Diese Andeutung bezieht sich auf eine Serie von Sachbe schädigungen in der Nacht zum 1. Mai 2003 in Berlin; unbe kannte Täter hatten an sechs Niederlassungen von Zeitar beitsfirmen Scheiben eingeworfen, Farbe verschmiert und übelriechende Flüssigkeit ausgebracht. In einer in "INTERIM" vom 15. Mai (Nr. 572) veröffentlichten Erklärung be zichtigte sich eine Gruppe unter der Aktionsbezeichnung "Die fröhliche Nachtschicht" der Taten. BERICHT 2003 260 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 4 Die Vorbereitung des Brandanschlags zeugt von großer kri mineller Energie. Nach Einschätzung der Polizei hätte ein Entflammen der Zündschnur zwar wahrscheinlich nicht zum Durchzünden des Brandsatzes im Gebäude geführt, bei einer vollständigen Entzündung des Brandsatzes wären je doch Menschenleben in Gefahr gewesen. 5 Zahlreiche - z. T. konspirativ hergestellte und verbreitete - Szenepublikationen veröffentlichen regelmäßig Taterklärun gen, Positionspapiere, Aufrufe zu Demonstrationen, "Bastel anleitungen" (Anleitungen zur Herstellung u. a. von Brand und Sprengsätzen) und andere für die linksextremistische Diskussion und Praxis relevante Beiträge. Die meisten dieser Publikationen - z. B. "Swing" (Frankfurt am Main), "EinSatz" (Göttingen) oder "incipito" (Leipzig) - haben vorrangig regio nale Bedeutung. Von bundesweiter Relevanz ist vor allem die 14-tägig in Berlin erscheinende Schrift "INTERIM". 6 So sind einzelne Homepages aus dem linksextremistischen Kontext im Internet abrufbar, die - um einer eventuellen Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen - gezielt über im Ausland angesiedelte Provider angeboten werden. 7 Mit dieser Aktion nahm die mg Bezug auf die Exekutivmaß nahmen (November 2002 sowie April 2003) des Generalbun desanwalts gegen mutmaßliche militante Linksextremisten. Dabei waren drei junge Männer festgenommen worden, die im Verdacht standen, als Angehörige der terroristischen Ver einigung "kommando 'freilassung aller politischen gefange nen'" an zwei Brandanschlägen auf Polizeieinrichtungen in Magdeburg am 18. März 2002 sowie an weiteren gleicharti gen Straftaten beteiligt gewesen zu sein. Am 16. Dezember verurteilte das OLG Naumburg zwei der Angeklagten zu zweieinhalb bzw. zwei Jahren Freiheitsstrafe wegen Brandstiftung in vier Fällen, davon zwei vollendete und zwei versuchte Brandstiftungen. Der dritte Angeklagte wurde freigesprochen. Den Vorwurf der Mitgliedschaft in ei ner terroristischen Vereinigung hatte das Gericht bereits zu vor fallen gelassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 8 Impressum der "graswurzelrevolution" Nr. 280, Juni 2003. 9 Aktionsblatt der "graswurzelrevolution" Nr. 276, Februar 2003. 10 Selbstdarstellung der FAU-IAA zum Thema Anarcho-Syndi- ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 261 kalismus, u. a. in der anarchosyndikalistischen Zeitung "Di rekte Aktion", Herbst 2003. 11 Aufruf des Allgemeinen Syndikats der FAU-IAA Ortsgruppe Berlin zur Beteiligung am anarcho-syndikalistischen Block der bundesweiten Demonstration am 1. November 2003 in Berlin. 12 Das durchschnittliche Mitgliedsalter liegt bei 58 Jahren; vgl. "DKP-Informationen" Nr. 3/2003, 12. Juli 2003, S. 21. 13 Vgl. Heinz STEHR in "junge Welt" (jW) vom 27./28. Septem ber 2003, S. 10. 14 Vgl. "DKP-Informationen" Nr. 4/2003, 30. September 2003, S. 11. 15 Vgl. "DKP-Informationen" Nr. 4/2003, 30. September 2003, S. 10. 16 Vgl. "DKP-Informationen" Nr. 4/2003, 30. September 2003, S. 12. 17 Vgl. UZ vom 22. August 2003, S. 12. 18 Vgl. Leo MAYER, Mitglied des DKP-Parteivorstands, in UZ vom 12. September 2003, S. 9. 19 Vgl. UZ vom 22. August 2003, S. 12. 20 Vgl. "DKP-Informationen" Nr. 4/2003, 30. September 2003, S. 15. 21 ARD-Magazin Panorama, ausgestrahlt am 11. Dezember 2003. Ein weiterer Interviewpartner, befragt während des "Friedensratschlages" zum Widerspruch zwischen Pazifis mus und einer Unterstützung des terroristischen "Wider standes" im Irak, erklärte, sein Begriff von Pazifismus sei "halt ein bißchen anders". Nach kommunistischer, von Le nin entwickelter Doktrin ist kollektiver und strategisch ein gesetzter Terror als Kampfmittel eines antiimperialistischen Befreiungskrieges legitim, unabhängig von den dabei verur sachten Menschenrechtsverletzungen. 22 Die Mitgliederzahlen entsprechen jeweils dem Stand vom 31. Dezember des Vorjahres und stammen aus dem TätigBERICHT 2003 262 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON keitsbericht des Parteivorstands; zuletzt veröffentlicht auf der außerordentlichen Tagung des 8. Parteitags am 28./29. Juni 2003 in Berlin. 23 Bei der Bundestagswahl am 22. September 2002 scheiterte die PDSmit 4 %der Zweitstimmen an der 5 %-Hürde. Die Par tei ist im 15. Deutschen Bundestag nur noch mit zwei in Ber liner Wahlkreisen direkt gewählten Abgeordneten vertre ten. 24 Das bisher gültige Parteiprogramm stammt aus dem Jahre 1993. Bereits auf der 1. Tagung des 6. Bundesparteitags am 16./17. Januar 1999 hatte die PDSbeschlossen, mit der Pro grammdiskussion zu beginnen. Es folgte eine fünfjährige, teilweise heftig geführte Debatte; in deren Verlauf legte die Parteiführung drei, jeweils leicht veränderte Programment würfe vor. Die Zustimmung der Delegierten zum Programm fiel mit 77,8 %(333 der insgesamt 381abgegebenen Stimmen) unge wöhnlich deutlich aus; es gab nur 38 Neinstimmen und 10 Stimmenthaltungen. Erforderlich war eine Zweidrittel mehrheit. Gegenstimmen kamen u. a. von Vertretern der "Kommunistischen Plattform der PDS", des "Marxistischen Forums der PDS" und der "Ökologischen Plattform". 25 Die Definition des sozialistischen Ziels im Programm von 2003 und im bisherigen Programm von 1993 ist dem "Mani fest der Kommunistischen Partei" von Karl Marx/Friedrich Engels entlehnt. Dort ist das Erreichen des Sozialismus an die Voraussetzung einer Revolution gebunden: "Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse auf hebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." (Marx-Engels-Werke [MEW], Bd. 4, S. 482). 26 "Disput/Pressedienst", Gemeinschaftsausgabe von Novem ber 2003, S. 6 ff. ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 263 27 Obwohl sich die Bundesstruktur der "Arbeitsgemeinschaft Junger GenossInnen" seit einigen Jahren aufgelöst hat - an ihre Stelle ist der PDS-Jugendverband "['solid]" getreten - ar beiten Gruppen der AG nach wie vor in mindestens zwei Ländern: Sachsen und Sachsen-Anhalt. 28 Erklärung der Bundeskonferenz der KPF, abgedruckt in ei ner Beilage der Zeitschrift "junge Welt" (jW) vom 8./9. No vember 2003. 29 Das "Marxistische Forum der PDS" (MF) konstituierte sich im Juni 1995. In ihm vereinigen sich nach eigenem Selbstver ständnis Persönlichkeiten, die unter Nutzung des Marx'schen Erbes die Analyse der kapitalistischen Gesellschaft der Bundesrepublik intensivieren und einen Beitrag zur theore tischen Profilierung der Politik der PDSleisten wollen. Das MF will dabei sein marxistisches Gedankengut in leitenden Gremien der PDSals auch in der Basis, einschließlich der Sympathisanten und Wähler, verbreiten. (Hefte des Marxis tischen Forums, Heft 3 vom November 1995). Dem MF gehören zurzeit etwa 60 Personen an. 30 Der Vertreter des "Marxistischen Forums" referierte auf ei ner Diskussionsveranstaltung des "Marxistischen Arbeits kreises zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung bei der PDS" zum Thema "Sozialistiche Programmatik und Re gierungsfrage, Geschichtliches und Aktuelles" Ende März in Berlin. 31 Der Parteivorstand der PDSerkannte "['solid]" am 25. März 2002 formell als Jugendorganisation bei der PDSan ("PDSPressedienst" Nr. 14 vom 5. April 2002). 32 Die Bundesdelegiertenkonferenz war geprägt von heftigen persönlichen Auseinandersetzungen zwischen den bisheri gen Mitgliedern des Bundessprecherrats (BSPR) und mehre ren Delegierten, die dem alten BSPR eine Entpolitisierung der Jugendarbeit und mangelnde Entfaltung von Aktivitä ten vorwarfen. Schon seit längerem existieren starke Kon flikte zwischen den ostdeutschen Landesverbänden, die eher dem gemäßigten "Reformer-Flügel" zuzurechnen sind, und den westdeutschen Landesverbänden, die traditionell linksextremistisch und zum Teil kommunistisch dominiert sind. 33 "Unsere Zeit" (UZ) vom 31. Oktober 2003, S. 7. BERICHT 2003 264 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 34 "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform", Heft 11/2003, S. 37. 35 Drei Personen wurden vorläufig festgenommen und meh rere Strafanzeigen, u. a. gegen den Landtagsabgeordneten wegen versuchter Strafvereitelung gestellt. Quelle: Veröf fentlichung im Internet. 36 "Cuba Si" besteht eigenen Angaben zufolge aus 39 regiona len Gruppen, die u. a. Materialund Spendensammlungen für Kuba organisieren. 37 In einer Presseerklärung vom 13. September 2003 auf der "Cuba Si"-Internetseite warnte MODROW die Europäische Union davor, die Beziehungen zu Kuba weiter einzuschrän ken. Zwar sei "die moralische Empörung über die Voll streckung der Todesstrafe gegen die drei Entführer, die Men schenleben aufs Spiel setzten, und die Repressalien gegen Oppositionelle" verständlich, allerdings würden auch in den USA viele Unschuldige den hundertfachen Hinrichtungen zum Opfer fallen. 38 "PDS-Pressedienst" Nr. 25/2003, S. 5. 39 Am 11. November 2003 erklärte KADEK seine Auflösung. Am 15. November 2003 wurde die Gründung des "Kurdischer Volkskongress" (KONGRA-GEL) bekannt gegeben. 40 Eröffnungsrede vom Ehrenvorsitzenden der PDS, Hans MODROW, in: "Disput/Pressedienst" Gemeinschaftsausgabe über den Sonderparteitag der PDS, S. 5; "PDS-Pressedienst", Nr. 46 vom 14. November 2003, S. 18. 41 Der Fraktion gehören einer Selbstdarstellung im Internet zufolge 49 Abgeordnete aus 10 Ländern und 13 Mitgliedspar teien an, darunter Abgeordnete der kommunistischen Par teien aus Frankreich, Griechenland, Italien und Portugal so wie der kommunistisch-dominierten "Vereinten Linke" Spaniens (IU). 42 An Treffen am 22. März und 3. Mai in Athen beteiligten sich u. a. die kommunistische "Fortschrittspartei des Werktäti gen Volkes Zyperns" (AKEL), die KP Frankreichs (PCF), die ita lienische "Partei der Kommunistischen Wiedergründung" (PRC), die kommunistisch-dominierte "Vereinte Linke" Spa niens (IU), die KP Österreichs (KPÖ), die "Partei der Italieni ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 265 schen Kommunisten" (PdCI) sowie die "Kommunistische Partei Portugals" (PCP). 43 Diese Diktion erinnert an die Strategie der KPD aus den 30er Jahren, eine "Revolutionäre Gewerkschaftsopposition" auf zubauen; mit ihr sollte die Basis der Gewerkschaften von ihren angeblich "rechten Führern" getrennt werden. 44 Ehemals "Vereinigte Sozialistische Partei" bzw. "Verein für Sozialistische Politik". 45 "Rote Fahne" Nr. 7/2003 vom 14. Februar 2003, S. 18. Dort wird ein neues Buch des MLPD-Vorsitzenden vorgestellt: Ste fan ENGEL, Götterdämmerung über der "neuen Weltord nung", Essen 2003. 46 "Rote Fahne" Nr. 10/2003 vom 7. März 2003, S. 3. 47 So erklärte eine Vertreterin des Gelsenkirchener Bündnisses AUF, Kritiker wollten "uns als Parteilose das Recht abspre chen, mit Marxisten-Leninisten zusammenzuarbeiten", "Rote Fahne" Nr. 50/2003 vom 12. Dezember 2003, S.13. 48 "Rote Fahne" Nr. 45/2003 vom 7. November 2003, S. 3 ff. 49 So in "Die Rote Fahne", Dezember 2003, S. 12: "Anlässlich des 12. Jahrestages der Ernennung unseres Freundes und Genossen Kim Jong Il, Generalsekretär der Partei der Arbeit Koreas und Vorsitzender des Nationalen Verteidigungskomitees der KDVR zum Oberbefehlshaber der koreanischen Volksar mee am 24. Dezember 1991übermittelt das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei Deutschlands die herzlichsten Glückwünsche." 50 Z. B. wird auf der Titelseite von "Die Rote Fahne", September 2003, unter der Überschrift "Trotzkisten auf gefährlichem Weg" eine Karikatur aus der Stalin-Ära "Genosse Lenin säu bert die Erde vom Ungeziefer" abgedruckt. 51 Vgl. Endnote 7. 52 "DIE ROTE HILFE", Heft 3.2003 u. a. elektronische Barcodes, sog. Stille SMS, IMSI-Catcher zur Ortung von Handys, DNSDatenbanken und Überwachung anhand biometrischer Merkmale. BERICHT 2003 266 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 53 "DIE ROTE HILFE", Heft 3. 2003, S. 13. 54 Nikolaus Brauns: "Schafft Rote Hilfe!", Pahl-Rugenstein-Verlag Nachfolger GmbH, Bonn 2003, S. 9. 55 "junge Welt" (jW) Nr. 252 vom 29. Oktober 2003, ESF-Sonderteil, S. 3. 56 Informationen zu aktuellen Themenschwerpunkten werden zunehmend im Internet über das von Linksextremisten ver stärkt genutzte Portal "indymedia.de" verbreitet. Bei dem deutschen Internetportal "indymedia.de" handelt es sich um den seit März 2001aktiven Ableger des weltweit operie renden Netzwerkes selbsternannter "unabhängiger Medi enzentren" (idependent media center). 57 "Indymedia Spezial O1.11.", Print-Sonderausgabe, 1. Novem ber 2003, S. 4. 58 "INTERIM" Nr. 583 vom 27. November 2003, S. 14. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 1 Zahlenangaben im Folgenden beruhen auf Schätzungen. Veränderungen der Mitglieder-/Anhängerzahlen gegen über dem Vorjahr können auch auf neuere Erkenntnisse zurückzuführen sein, bedeuten daher nicht immer einen tatsächlichen Zuwachs bzw. Verlust. 2 MAHDJOUB ist zur Zeit inhaftiert. Gegen ihn liegt in Italien ein Haftbefehl vor. 3 MZOUDI wurde am 5. Januar 2004 vom Vorwurf der Mit gliedschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tatein heit mit Beihilfe zum Mord in 3.066 Fällen freigesprochen. Das vom Generalbundesanwalt betriebene Revisionsverfah ren ist anhängig. 4 Mit Revisionsentscheidung vom 4. März 2004 hat der BGH das Urteil des Hanseatischen OLG gegen EL-MOTASSADEQ aufgehoben und zur erneuten Verhandlung zurückverwie sen. 5 Seit dem 22. Februar befanden sich die Geiseln in der Gewalt ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 267 einer von PARA geführten Gruppe der GSPC. Am 13. Mai wurde eine Gruppe von 17Geiseln durch die algerische Ar mee befreit. Die verbliebenen 14 Geiseln (eine Deutsche starb während der Geiselhaft in der Wüste) kamen am 18. August in Mali frei. 6 Ma'moun AL-HUDAIBI ist am 8. Januar 2004 im Alter von 82 Jahren verstorben. 7 Zitiert aus: "Dieser Glaube der Islam", Kuwait 1992, S. 134, Hrsg. "International Islamic Federation of Student Organisa tions" (IIFSO). Sayyid Qutb (1906 - 1966), Ägypter, gilt als einer der wichtigs ten Ideologen der MB. Von ihm stammt die Soziallehre der MB. Seine Schriften bilden bis heute für viele islamistische Gruppierungen das geistige Rüstzeug. 8 Programm der IGD-Jahreskonferenz 2003 vom 19. bis 21. September 2003. 9 Die Organisation meint damit das Gebiet zwischen Mittel meer und Jordan, also auch das Territorium des Staates Is rael. 10 Benannt nach dem Syrer Issedin el-Kassem, der in den 1930er Jahren in Palästina gegen die britische Mandats macht kämpfte und dabei sein Leben verlor. 11 Aufruf der HAMASan die islamische und arabische UMMA vom 22. März 2003, eingestellt auf der Internetseite der ägyptischen "Muslimbruderschaft" (MB). 12 lt. "Al-Hayat" vom 11. Januar 2003, S. 2. 13 Seit dem 22. Dezember 2003 wird die HAMASinsgesamt auf der EU-Liste terroristischer Organisationen geführt. 14 Interview mit der Nachrichtenagentur ap am 14. September 2003, veröffentlicht am 15. September 2003. 15 "Asharg Al Awsat" vom 2. August 2003. 16 Wird seit dem 23. Mai 2000 jährlich gefeiert. 17 "al-Quds"-Tag: von Ayatollah KHOMEINI Anfang der 80er Jahre initiierter Gedenktag anlässlich der Besetzung der heiBERICHT 2003 268 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON ligen Stätten in Jerusalem durch Israel. 18 Auf Einigung der islamischen Umma gerichtet. 19 Eine Entscheidung des BVerwG über die von der HuT einge reichte Klage gegen das Verbot steht noch aus. 20 "Milli Görüs" bedeutet "national-religiöse Sicht"; die Bewe gung verbindet nationalistische und islamistische Elemente. 21 Partei der Nationalen Ordnung/MillA(r) Nizam Partisi - MNP (Verbot 1971), Nationale Heilspartei/MillA(r) Selamet Partisi - MSP (Verbot 1980), Wohlfahrtspartei/Refah Partisi - RP (Ver bot 1998), Tugendpartei/Fazilet Partisi - FP (Verbot 2001). 22 Die Vorläuferin, Fazilet Partisi (Tugendpartei - FP), hatte bei den Wahlen am 18. April 1999 16 %der Stimmen erreicht. Auf die Adalet ve Kalkinma Partisi (Gerechtigkeitsund Entwick lungspartei - AKP), zu der zahlreiche Abgeordnete früherer "ERBAKAN-Parteien" übergewechselt sind, entfielen bei den letzten Wahlen zur Türkischen Nationalversammlung 35 % der Stimmen. 23 Aufgrund eines ärztlichen Attestes wurde der Haftantritt um ein Jahr verschoben. 24 "Milli Gazete" vom 15. September 2003, S. 3. 25 Von den 107Todesfällen sind 67auf die unmittelbaren Fol gen des Hungerstreiks zurückzuführen, die restlichen 40 To desfälle stehen in Zusammenhang mit gewalttätigen Aus einandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften (z. B. bei Gefängnisrevolten). 26 Es handelt sich dabei um folgende Organisationen: "Union der Jugendlichen aus Kurdistan" (YCK), seit August 2003 in TECAK umbenannt "Partei der freien Frauen" (PJA) "Union der StudentInnen aus Kurdistan" (YXK) "Union der kurdischen Lehrer" (YMK) "Union der Journalisten Kurdistans" (YRK) "Union der Juristen Kurdistans" (YHK) "Union der Schriftsteller Kurdistans" (YNK) "Islamische Bewegung Kurdistans" (KIH) "Union der Yeziden aus Kurdistan" (YEK) ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 269 "Union der Aleviten aus Kurdistan" (KAB). 27 Die "Konföderation kurdischer Vereine in Europa" (KONKURD) ist der europäische Dachverband der kurdischen Ver eine mit Sitz in Brüssel, dessen Mitglied auch die "Födera tion kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) ist. 28 Bis August 2003 "Union der Jugendlichen aus Kurdistan" (YCK). 29 Auf massiven Druck der Türkei hatte die syrische Regierung ÖCALAN ihre Unterstützung entzogen und ihn veranlasst, sein Exil in Damaskus am 9. Oktober 1998 aufzugeben. Der KADEK sah hierin den Beginn einer "internationalen Ver schwörung", die schließlich zur Festnahme ÖCALANs und seiner Verurteilung in der Türkei geführt habe. 30 Die Nachfolge war bis Ende 2003 vakant; seit Anfang 2004 ist Seyed Abbas GHAEM-MAGHAMI neuer Leiter des IZH. Spionage und sonstige nachrichtendienstliche Aktivitäten 1 Zur GUSgehören: Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Ka sachstan, Kirgisistan, Moldau, Russische Föderation, Tad schikistan, Turkmenistan, Ukraine, Usbekistan und Weiß russland. 2 Federalnoje Agenstwo Prawitelstvennoj Swjasi i Informazij ("Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und In formation") 3 Federalnaja Pogranitschnaja Slushba ("Föderaler Dienst für Grenzschutz") 4 Federalnaja Slushba Besopasnosti ("Föderaler Sicherheits dienst") 5 Slushba Wjneschnej Raswedki ("Dienst für Auslandsauf klärung") 6 Federalnaja Slushba Ochrany ("Föderaler Schutzdienst") 7 Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije ("Hauptverwal tung für Aufklärung beim Generalstab") BERICHT 2003 270 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 8 Getarnte (Erd)Verstecke zum Informationsund Material austausch oder für finanzielle Zuwendungen an geheime Mitarbeiter. 9 Bei dem Absturz eines Verkehrsflugzeuges der amerikani schen Fluggesellschaft PAN-AM über dem schottischen Ort Lockerbie sind am 21. Dezember 1988 270 Menschen ums Le ben gekommen. 10 Bei dem Anschlag auf die vornehmlich von US-Soldaten be suchte Berliner Diskothek waren am 5. April 1986 drei Perso nen getötet und über 200 Menschen verletzt worden. Scientology - Organisationen (SO) 1 Die Organisation gibt eine Vielzahl von Publikationen he raus. Als bedeutend für den deutschsprachigen Raum er scheinen die Publikationen "FREIHEIT", "IMPACT", "SOURCE", "INTERNATIONAL SCIENTOLOGY NEWS", "ADVANCE!" und "THE AUDITOR". Angaben zur Auflagenhöhe werden nur vereinzelt veröffentlicht, z. B. im Hinblick auf Sonderausgaben der "FREIHEIT". 2 Die Zahl der im Berichtszeitraum tätigen "Missionen" be ruht auf den tatsächlichen Feststellungen der Verfassungs schutzbehörden. Nach eigenen Angaben im Internet besitzt die SO in Deutschland allerdings nur neun "Missionen" (Stand: 11. November 2003). 3 Vgl. "Advance!", Ausgabe 140, 2000, S. 9; "The Auditor", Aus gabe 290, 2001, S. 15. 4 Nach einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 23. März 1995 (Neue Juristische Wochenschrift 1996, S. 143 ff.) handelt es sich bei der SO in Deutschland nicht um eine Reli gionsoder Weltanschauungsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes. Ihre religiösen oder weltanschaulichen Leh ren dienten vielmehr nur als Vorwand für die Verfolgung wirtschaftlicher Ziele. 5 Vgl. SS 3 der Satzung des "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD) vom 21. März 2002 (AG München, VR 6322); SS 3 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 271 der Mustersatzung einer SO-Mission. 6 Vgl. zum Begriff "Thetan": HUBBARD, Fachwortsammlung für Dianetics und Scientology, 4. Auflage, Kopenhagen 1985 (zitiert: HUBBARD, Fachwortsammlung) S. 98; HUBBARD, Scientology - Die Grundlagen des Denkens, 2. Auflage, Ko penhagen 1973, S. 37. 7 Vgl. zum Begriff "Operierender Thetan": HUBBARD, Fachwortsammlung, S. 67. 8 Vgl. zum Begriff "Clear": HUBBARD, Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit, 8. Auflage, Kopen hagen 1984 (zitiert: HUBBARD, Dianetik), S. 215. 9 Vgl. zum Begriff "Aberration": HUBBARD, Fachwortsamm lung, S. 1. 10 Vgl. zum Begriff "Engramm": HUBBARD, Fachwortsamm lung, S. 27. 11 Vgl. zum Begriff "Auditing": HUBBARD, Das ScientologyHandbuch, Kopenhagen 1994, S. XX. 12 Vgl. zum Begriff "Auditor": Was ist Scientology?, Kopenha gen 1998, S. 164 ff. 13 Vgl. zum Begriff "Preclear": Was ist Scientology?, a.a.O., S. 164. 14 Vgl. zum Ablauf des "Auditing": Was ist Scientology?, a.a.O., S. 164 f. 15 Vgl. zum Begriff "E-Meter": Was ist Scientology?, a.a.O., S. 165 ff. 16 Vgl. Was ist Scientology?, a.a.O., S. 164 ff. 17 Vgl. Kursliste der "Scientology Kirche Hamburg e. V." (SKH), Juli 2003. 18 Auf die Gefahren, die der Besuch der Kurse oder die Anwen dung scientologischer Methoden für den Einzelnen darstel len können, wird unter anderem in der im Auftrag des Bun desministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vom Bundesverwaltungsamt herausgegebenen Broschüre BERICHT 2003 272 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON "Die Scientology Organisation - Gefahren, Ziele und Prakti ken" (Stand: November 1998) hingewiesen. 19 Vgl. eine SO-eigene Seite für den Bücherkauf im Internet (Stand: 12. November 2003). 20 Vgl. SS 2 Nr. 3 und SS 5 Nr. 3 der Satzung des SKD vom 21. März 2002 (AG München, VR 6322): "Die Scientology-Kirche soll die Scientology-Religion vorstellen, bekannt machen, ver breiten, ausüben, sowie ihre Reinheit und Unversehrtheit erhalten und bewahren, mit dem Ziel, dass jede Person ... den von L. Ron Hubbard aufgezeigten Weg der Erlösung ge hen kann, so wie er es in seinen Schriften und anderen Wer ken bezüglich der Scientology-Religion oder ScientologyKirchen - allgemein als 'die Schriften' bezeichnet beschrieben hat" (SS 2 Nr. 3); "Verbreitung von einschlägigen Schriften der Scientology Religion. Unter Schriften sind die schriftlichen, auf Tonband oder anderen Kommunikati onsträgern aufgezeichneten Werke des Religionsgründers L. Ron Hubbard in Bezug auf die Scientology-Lehre und Scientology-Kirchen gemeint" (SS 5 Nr. 3). Vgl. "IMPACT", Ausgabe 105, 2003, S. 1; dort bezeichnet die "International Association of Scientologists" (IAS) es als ihren Organisationszweck, "Die Scientology-Religion und Scientologen in allen Teilen der Welt zu vereinigen, zu un terstützen und zu schützen, damit die Ziele der Scientology, wie L. Ron Hubbard sie aufgestellt hat, erreicht werden". Vgl. "Was ist Scientology?", Kopenhagen 1998, S. 405 ff.: "Sie (SO-Mitglieder) wissen, dass sie ... die spirituellen Erlösungs stufen, die sie in Scientology anstreben, mit hundertprozen tiger Sicherheit erreichen werden, wenn sie die Lehre exakt gemäß den Schriften L. Ron Hubbards ausüben. ... Um genau das sicherzustellen, existiert das Religious Technology Cen ter. ... in exakter Übereinstimmung mit den Original-Schriften des Gründers". Die Organisation wirbt damit ausdrücklich auf ihren Seiten im Internet: "Alle Kirchen unterstehen einem internationa len Verwaltungssystem ... um sicherzustellen, daß die von L. Ron Hubbard entwickelte geistige und spirituelle Lehre und religiöse geistige Philosophie und Technologie der Dianetik und Scientology ... genauso angewendet werden, wie Hub bard dies festgelegt hat"; eine Homepage der SO (Stand: 12. November 2003). "Die religiöse Philosophie und die Technologien der Diane ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON 273 tik und der Scientology wurden ausschließlich von L. Ron Hubbard entdeckt und entwickelt. Ein fundamentaler Standpunkt der Scientologen ist, dass, wenn die Praktiken genauso angewendet werden, wie er es in seinen Schriften beschreibt, sie universell durchführbar sind und dadurch die Bedingungen verbessern, bzw. zu einem erhöhten geisti gen Bewusstsein und erhöhten Fähigkeiten aller führen. Aus diesem Grund betonen die Scientologen die orthodoxe und standardgemäße Anwendung der Scientology Schrif ten. Deshalb legen sie sich niemals die Schrift gegenseitig aus, sondern beziehen sich immer auf das ursprüngliche Quellenmaterial"; eine Homepage der SO (Stand: 1. August 2003). Darüber hinaus besteht für den einzelnen Scientologen nach den "Glaubensbekenntnissen und Kodizes der Sciento logy" die Pflicht, "Auf standardgemäßer und unveränderter Scientology als eine angewandte Aktivität zu bestehen, und zwar in der Ethik, im Auditing und in der Verwaltung von Scientology Organisationen"; eine Homepage der SO (Stand: 1. August 2003). 21 Vgl. zum Begriff "neue OT-Zivilisation": Freewinds - FSM Newsletter, Ausgabe 38, 2003, Titelseite. 22 Vgl. Werbeschreiben der "Scientology Kirche Hamburg e. V." (SKH), Juli 2003, für die Teilnahme am Kurs. 23 Vgl. zum Begriff "Hut": HUBBARD, Fachwortsammlung, S. 47; "Hut" dient danach zur Bezeichnung einer Arbeit oder eines Postens in der SO oder als Ausdruck für Niederschrif ten, Checkblätter und Packs, in denen die Zwecke, das Know-How und die Pflichten eines solchen Postens generell beschrieben sind. 24 Vgl. Kursliste der "Scientology Kirche Hamburg e. V." (SKH), Juli 2003. 25 Vgl. zum Begriff "Ethikzettel": HUBBARD, Fachwortsamm lung, S. 29; dabei handelt es sich um eine Aufzeichnung ("Eintragung") über ein aus Sicht der SO fehlerhaftes Verhal ten von Personen oder Gruppen. 26 Vgl. "IMPACT", Ausgabe 104, 2003, S. 6 ff. 27 Nach eigener Verkündung "eine der größten Internet-Sites, BERICHT 2003 274 ERLÄ U T ER U N GEN UND D OK U M EN TA T I ON die es im World Wide Web gibt. Auf mittlerweile über 40.000 Seiten kann sich jeder ... über jeden Aspekt der Scientology-Religion informieren."; vgl. Sonderausgabe der "FREIHEIT" mit der Schlagzeile "3000 Kilometer für Religi onsfreiheit", 1998, S. 4. BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 275 II. Gesetzestexte 1. Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970) zuletzt geändert am 16.08.2002 (BGBl. I S. 3202) Erster Abschnitt Zusammenarbeit, Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden SS1 Zusammenarbeitspflicht (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokra tischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Der Bund und die Länder sind verpflichtet, in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. (3) Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung. SS2 Verfassungsschutzbehörden (1) Für die Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern unterhält der Bund ein Bundesamt für Verfassungsschutz als Bundesoberbehörde. Es un tersteht dem Bundesminister des Innern. Das Bundesamt für Verfassungs schutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. (2) Für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund und der Länder untereinander unterhält jedes Land eine Behörde zur Bearbeitung von An gelegenheiten des Verfassungsschutzes. SS3 Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grund ordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines BERICHT 2003 276 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchti gung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkei ten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vor bereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesre publik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die ge gen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1des Grundge setzes ) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder wirken mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öf fentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zu gang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen kön nen, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an si cherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidi gungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder wer den sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tat sachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz bei der Mit wirkung nach Satz 1Nr. 1und 2 sind im Sicherheitsüberprüfungsge setz vom 20. April 1994 (BGBI. I S. 867) geregelt. (3) Die Verfassungsschutzbehörden sind an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes) . BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 277 SS4 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind a) Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten zielund zweckgerich teten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personen zusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuhe ben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen; b) Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerich teten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personen zusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Län der oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; c) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für ei nen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, ei nen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Be strebungen nachdrücklich unterstützt. Voraussetzung für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte. Verhaltenswei sen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personen zusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Ge setzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: a) das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Ab stimmungen und durch besondere Organe der Gesetzge bung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmit telbarer freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, BERICHT 2003 278 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z b) die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, c) das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentari schen Opposition, d) die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlich keit gegenüber der Volksvertretung, e) die Unabhängigkeit der Gerichte, f) der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und g) die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS5 Abgrenzung der Zuständigkeiten der Verfassungsschutzbehörden (1) Die Landesbehörden für Verfassungsschutz sammeln Informa tionen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zur Erfüllung ihrer Aufgaben, werten sie aus und übermitteln sie dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Landesbehörden für Verfassungsschutz, soweit es für deren Aufgabenerfüllung erforderlich ist. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf in einem Lande im Benehmen mit der Landesbehörde für Verfassungsschutz Informa tionen, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen im Sinne des SS 3 sammeln. Bei Bestrebungen und Tätigkeiten im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1bis 4 ist Voraussetzung, dass 1. sie sich ganz oder teilweise gegen den Bund richten, 2. sie sich über den Bereich eines Landes hinaus erstrecken, 3. sie auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland berühren oder 4. eine Landesbehörde für Verfassungsschutz das Bundesamt für Verfassungsschutz um ein Tätigwerden ersucht. Das Benehmen kann für eine Reihe gleichgelagerter Fälle herge stellt werden. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz unterrichtet die Landes BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 279 behörden für Verfassungsschutz über alle Unterlagen, deren Kennt nis für das Land zum Zwecke des Verfassungsschutzes erforderlich ist. SS6 Gegenseitige Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörden sind verpflichtet, beim Bundesamt für Verfassungsschutz zur Erfüllung der Unterrichtungspflichten nach SS 5 gemeinsame Dateien zu führen, die sie im automatisierten Verfahren nutzen. Diese Dateien enthalten nur die Daten, die zum Auffinden von Akten und der dazu notwendigen Identifizierung von Personen erforderlich sind. Die Speicherung personenbezogener Daten ist nur unter den Voraussetzungen der SSSS 10 und 11zulässig. Der Abruf im automatisierten Verfahren durch andere Stellen ist nicht zulässig. Die Verantwortung einer speichernden Stelle im Sinne der allgemeinen Vorschriften des Datenschutzrechts trägt jede Verfassungsschutzbehörde nur für die von ihr eingegebenen Daten; nur sie darf diese Daten verändern, sperren oder löschen. Die eingebende Stelle muss feststellbar sein. Das Bundesamt für Verfas sungsschutz trifft für die gemeinsamen Dateien die technischen und organisatorischen Maßnahmen nach SS 9 des Bundesdatenschutzge setzes. Die Führung von Textdateien oder Dateien, die weitere als die in Satz 2 genannten Daten enthalten, ist unter den Voraussetzungen dieses Paragraphen nur zulässig für eng umgrenzte Anwendungsge biete zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheim dienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebun gen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltan wendung vorzubereiten. Die Zugriffsberechtigung ist auf Personen zu beschränken, die unmittelbar mit Arbeiten in diesem Anwen dungsgebiet betraut sind; in der Dateianordnung (SS 14) ist die Erfor derlichkeit der Aufnahme von Textzusätzen in der Datei zu begrün den. SS7 Weisungsrechte desBundes Die Bundesregierung kann, wenn ein Angriff auf die verfassungs mäßige Ordnung des Bundes erfolgt, den obersten Landesbehörden die für die Zusammenarbeit der Länder mit dem Bund auf dem Ge biete des Verfassungsschutzes erforderlichen Weisungen erteilen. BERICHT 2003 280 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z Zweiter Abschnitt Bundesamt für Verfassungsschutz SS8 Befugnisse desBundesamtesfür Verfassungsschutz (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich perso nenbezogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Bundesdatenschutzgeset zes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Ein Ersuchen des Bundesamtes für Verfassungsschutz um Übermitt lung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezo genen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerläss lich sind. Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Methoden, Gegen stände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Ob servationen, Bildund Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarn kennzeichen anwenden. Diese sind in einer Dienstvorschrift zu be nennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationsbeschaffungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Bundesministers des Innern, der das Parlamentari sche Kontrollgremium unterrichtet. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Bundesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (4) Werden personenbezogene Daten beim Betroffenen mit sei ner Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Der Betroffene ist auf die Freiwilligkeit seiner Angaben hinzuweisen. (5) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunter nehmen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Betei ligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 erfor derlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Ge fahren für die in SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 genannten Schutzgüter vorlie gen. BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 281 (6) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Er füllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 unter den Voraus setzungen des SS 3 Abs. 1des Artikel 10-Gesetzes bei Personen und Un ternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Post fächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs einholen. (7) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, An schriften und zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Er füllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 genannten Schutzgüter vorliegen. (8) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall zur Er füllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 unter den Voraus setzungen des SS 3 Abs. 1des Artikel 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste er bringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Tele kommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekom munikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt wer den. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenut zungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortken nung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genom menen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistungen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (9) Auskünfte nach den Absätzen 5 bis 8 dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Bundes amtes für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheidet das vom Bundeskanzler beauftragte Bundesministerium. Es unterrichtet mo natlich die G 10-Kommission (SS 1Abs. 2 des Artikel 10-Gesetzes) über BERICHT 2003 282 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzuge kann das Bundesministerium den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die G 10Kommission prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwer den die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Aus künften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommis sion sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach den Absätzen 5 bis 8 erlangten personenbezogenen Daten er streckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das Bundesministe rium unverzüglich aufzuheben. Für die Verarbeitung der nach den Absätzen 5 bis 8 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes ent sprechend anzuwenden. Das Auskunftsersuchen und die übermit telten Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Auskunfts geber nicht mitgeteilt werden. SS 12 Abs. 1und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechende Anwendung. (10) Das nach Absatz 9 Satz 3 zuständige Bundesministerium un terrichtet im Abstand von höchsten sechs Monaten das Parlamenta rische Kontrollgremium über die Durchführung der Absätze 5 bis 9; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Er gebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maß nahmen nach den Absätzen 5 bis 8 zu geben. Das Gremium erstattet dem Deutschen Bundestag jährlich sowie nach Ablauf von drei Jah ren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zusammenfassend zum Zweck der Evaluierung einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach den Ab sätzen 5 bis 8; dabei sind die Grundsätze des SS 5 Abs. 1des Kontroll gremiumgesetzes zu beachten. (11) Die Befugnisse nach den Absätzen 5 bis 8 stehen den Verfas sungsschutzbehörden der Länder nur dann zu, wenn das Antrags verfahren, die Beteiligung der G 10-Kommission, die Verarbeitung der erhobenen Daten und die Mitteilung an den Betroffenen gleich wertig wie in Absatz 9 und ferner eine Absatz 10 gleichwertige parla mentarische Kontrolle sowie eine Verpflichtung zur Berichterstat tung über die durchgeführten Maßnahmen an das Parlamen tarische Kontrollgremium des Bundes unter entsprechender An wendung des Absatzes 10 Satz 1Halbsatz 2 für dessen Berichte nach Absatz 10 Satz 2 durch den Landesgesetzgeber geregelt ist. (12) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 6, 8, 9 und 11eingeschränkt. BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 283 (13) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz diejenige zu wählen, die den Betroffenen vo raussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf kei nen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS9 Besondere Formen der Datenerhebung (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, mit den Mitteln gemäß SS 8 Abs. 2 erheben, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass 1. auf diese Weise Erkenntnisse über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1oder die zur Erforschung solcher Erkenntnisse erforderlichen Quellen gewonnen werden können oder 2. dies zum Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegen stände und Quellen des Bundesamtes für Verfassungs schutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstli che Tätigkeiten erforderlich ist. Die Erhebung nach Satz 1ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, den Betroffenen weniger beeinträchti gende Weise möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugängli chen Quellen oder durch eine Auskunft nach SS 18 Abs. 3 gewonnen werden kann. Die Anwendung eines Mittels gemäß SS 8 Abs. 2 darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklären den Sachverhaltes stehen. Die Maßnahme ist unverzüglich zu been den, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür erge ben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (2) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Wort darf mit technischen Mitteln nur heimlich mitgehört oder aufgezeichnet werden, wenn es im Einzelfall zur Abwehr einer gegenwärtigen ge meinen Gefahr oder einer gegenwärtigen Lebensgefahr für einzelne Personen unerlässlich ist und geeignete polizeiliche Hilfe für das be drohte Rechtsgut nicht rechtzeitig erlangt werden kann. Satz 1gilt entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen. Maßnah men nach den Sätzen 1und 2 werden durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter angeord net, wenn eine richterliche Entscheidung nicht rechtzeitig herbei geführt werden kann. Die richterliche Entscheidung ist unverzügBERICHT 2003 284 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z lich nachzuholen. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat. Für das Ver fahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenhei ten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. Die erhobenen Informationen dürfen nur nach Maßgabe des SS 4 Abs. 4 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. Technische Mittel im Sinne der Sätze 1und 2 dürfen überdies zum Schutz der bei einem Einsatz in Woh nungen tätigen Personen verwendet werden, soweit dies zur Ab wehr von Gefahren für deren Leben, Gesundheit oder Freiheit uner lässlich ist. Maßnahmen nach Satz 8 werden durch den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz oder seinen Vertreter ange ordnet. Außer zu dem Zweck nach Satz 8 darf das Bundesamt für Verfassungsschutz die hierbei erhobenen Daten nur zur Gefahren abwehr im Rahmen seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 sowie für Übermittlungen nach Maßgabe des SS 4 Abs. 4 Nr. 1und 2 des Arti kel 10-Gesetzes verwenden. Die Verwendung ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüg lich nachzuholen. SS 4 Abs. 6 des Artikel 10-Gesetzes gilt entspre chend. Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. (3) Bei Erhebungen nach Absatz 2 und solchen nach Absatz 1, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das Ab hören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehören, ist 1. der Eingriff nach seiner Beendigung dem Betroffenen mit zuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann, und 2. das Parlamentarische Kontrollgremium zu unterrichten. (4) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung sei ner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1des Artikel 10-Gesetzes auch technische Mittel zur Er mittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkend gerätes und zur Ermittlung der Geräteund Kartennummern einset zen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung die Erreichung des Zwecks der Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Für die Verarbeitung der Daten gilt SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absolu BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 285 ten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 8 Abs. 9 und 10 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. SS 10 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf zu Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verän dern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätig keiten nach SS 3 Abs. 1vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1erforderlich ist oder 3. das Bundesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 2 tätig wird. (2) (aufgehoben) (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungs dauer auf das für seine AufgabenerfülIung erforderliche Maß zu be schränken. SS 11 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraus setzungen des SS 10 Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres in zu ihrer Person geführten Akten nur speichern, ver ändern und nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür beste hen, dass der Minderjährige eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. In Dateien ist eine Speicherung von Daten oder über das Verhalten Minder jähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres nicht zulässig. (2) In Dateien oder zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf die Erforder lichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 3 Abs. 1angefallen sind. BERICHT 2003 286 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z SS 12 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Da ten in Dateien (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien ge speicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie un richtig sind. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien ge speicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Spei cherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfül lung nicht mehr erforderlich ist. Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Inte ressen des Betroffenen beeinträchtigt würden. In diesem Falle sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung des Be troffenen übermittelt werden. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfall bearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu löschen sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1Nr. 1sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1Nr. 3 und 4 sind spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Informa tion zu löschen, es sei denn, der Behördenleiter oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke verwendet wer den. SS 13 Berichtigung und Sperrung personenbezogener Daten in Akten (1) Stellt das Bundesamt für Verfassungsschutz fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind oder wird ihre Richtigkeit von dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat personenbezogene Daten zu sperren, wenn es im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sper rung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt wür den und die Daten für seine künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 287 Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermit telt werden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. SS 14 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei beim Bundesamt für Verfas sungsschutz nach SS 6 oder SS 10 sind in einer Dateianordnung, die der Zustimmung des Bundesministers des Innern bedarf, festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nut zung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass einer Da teianordnung anzuhören. (2) Die Speicherung personenbezogener Daten ist auf das erfor derliche Maß zu beschränken. In angemessenen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. (3) In der Dateianordnung über automatisierte personenbezo gene Textdateien ist die Zugriffsberechtigung auf Personen zu be schränken, die unmittelbar mit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, dem die Textdateien zugeordnet sind; Auszüge aus Textdateien dür fen nicht ohne die dazugehörenden erläuternden Unterlagen über mittelt werden. SS 15 Auskunft an den Betroffenen (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz erteilt dem Betroffenen über zu seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich BERICHT 2003 288 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z Auskunft, soweit er hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Aus kunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein kön nen oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu be fürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile be reiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere we gen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Drit ten, geheimgehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft der Behördenleiter oder ein von ihm beson ders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Her kunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begrün dung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung ge fährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind akten kundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist der Betroffene auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, dass er sich an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. Dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Bundesminister des Innern im Einzelfall feststellt, dass da durch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Bundesbeauftragten an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Bundesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern es nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. SS 16 Berichtspflicht desBundesamtesfür Verfassungsschutz BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 289 (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz unterrichtet den Bun desminister des Innern über seine Tätigkeit. (2) Die Unterrichtung nach Absatz 1dient auch der Aufklärung der Öffentlichkeit durch den Bundesminister des Innern über Bestre bungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1, die mindestens einmal jähr lich in einem zusammenfassenden Bericht erfolgt. Dabei dürfen auch personenbezogene Daten bekannt gegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierun gen erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse des Betroffenen überwiegen. In dem Be richt sind die Zuschüsse des Bundeshaushaltes an das Bundesamt für Verfassungsschutz und den Militärischen Abschirmdienst sowie die jeweilige Gesamtzahl ihrer Bediensteten anzugeben. Dritter Abschnitt Übermittlungsvorschriften SS 17 Zulässigkeit von Ersuchen (1) Wird nach den Bestimmungen dieses Abschnittes um Über mittlung von personenbezogenen Daten ersucht, dürfen nur die Da ten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde bekannt sind oder aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden kön nen. (2) Absatz 1gilt nicht für besondere Ersuchen der Verfassungs schutzbehörden, des Militärischen Abschirmdienstes und des Bun desnachrichtendienstes um solche Daten, die bei der Wahrneh mung grenzpolizeilicher Aufgaben bekannt werden. Die Zulässigkeit dieser besonderen Ersuchen und ihre Erledigung regelt der Bundesminister des Innern in einer Dienstanweisung. Er unter richtet das Parlamentarische Kontrollgremium über ihren Erlass und erforderliche Änderungen. Satz 2 und 3 gilt nicht für die beson deren Ersuchen zwischen Behörden desselben Bundeslandes. SS 18 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutz behörden (1) Die Behörde des Bundes, der bundesummittelbaren juristi schen Personen des öffentlichen Rechts, die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen SachleitungsbefugBERICHT 2003 290 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z nis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie an dere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundes grenzschutzgesetz wahrnehmen, unterrichten von sich aus das Bun desamt für Verfassungsschutz oder die Verfassungsschutzbehörde des Landes über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die si cherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Geset zes erkennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1Nr. 1, 3 und 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind. Über Satz 1hinausge hende Unterrichtungspflichten nach dem Gesetz über den Militäri schen Abschirmdienst oder dem Gesetz über den Bundesnachrich tendienst bleiben unberührt. Auf die Übermittlung von Informa tionen zwischen Behörden desselben Bundeslandes findet Satz 1 keine Anwendung. (1a) Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flücht linge übermittelt von sich aus dem Bundesamt für Verfassungs schutz, die Ausländerbehörden eines Landes übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde des Landes ihnen bekannt ge wordene Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1, wenn tatsächli che Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übermittlung für die Er füllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden erforderlich ist. Die Übermittlung dieser personenbezogenen Daten an ausländi sche öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stel len nach SS 19 Abs. 3 unterbleibt, es sei denn, die Übermittlung ist völ kerrechtlich geboten. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwalt schaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundesgrenzschutzgesetz wahrnehmen, und der Bundesnachrichtendienst dürfen von sich aus dem Bundesamt für Verfassungsschutz oder der Verfassungsschutzbehörde des Lan des auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür be stehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. Absatz 1Satz 3 findet Anwendung. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung sei ner Aufgaben die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien sowie andere Behörden um Übermittlung der zur Erfüllung seiner Aufga BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 291 ben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezoge ner Daten ersuchen wenn sie nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine den Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Unter den gleichen Voraussetzungen dürfen Verfassungs schutzbehörden der Länder 1. Behörden des Bundes und der bundesummittelbaren juris tischen Personen des öffentlichen Rechts, 2. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwalt schaftlichen Sachleitungsbefugnis, Polizeien des Bundes und anderer Länder um die Übermittlung solcher Informa tionen ersuchen. (4) Würde durch die Übermittlung nach Absatz 3 Satz 1der Zweck der Maßnahme gefährdet oder der Betroffene unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Wahrnehmung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1Nr. 2 bis 4 sowie bei der Beobachtung terroristischer Bestrebungen amtliche Register einse hen. (5) Die Ersuchen nach Absatz 3 sind aktenkundig zu machen. Über die Einsichtnahme nach Absatz 4 hat das Bundesamt für Ver fassungsschutz einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck und die Veranlassung, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (6) Die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund ei ner Maßnahme nach SS 100 a der Strafprozessordnung bekannt ge worden sind, ist nach den Vorschriften der Absätze 1, 2 und 3 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass je mand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die einer Verfassungsschutz behörde nach Satz 1übermittelten Kenntnisse und Unterlagen fin det SS 4 Abs. 1und 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwen dung. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten durch dasBundesamt für Verfassungsschutz (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an inländische Behörden übermitteln, wenn dies zur ErfülBERICHT 2003 292 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z lung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit benötigt. Der Empfän ger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm über mittelt wurden. (2) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen von Arti kel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Par teien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Trup pen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland statio nierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl 1961Il S. 1183, 1218) verpflichtet ist. (3) Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwi schenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Er füllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheits interessen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutsch land oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen. Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermit telt wurden, und das Bundesamt für Verfassungsschutz sich vor behält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Da ten zu bitten. (4) Personenbezogene Daten dürfen an andere Stellen nur über mittelt werden, wenn dies zum Schutz der freiheitlichen demokrati schen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von le bensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach SS 1Abs. 4 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes erforderlich ist. Übermittlun gen nach Satz 1bedürfen der vorherigen Zustimmung durch das Bundesministerium des Innern. Das Bundesamt für Verfassungs schutz führt einen Nachweis über den Zweck, die Veranlassung, die Aktenfundstelle und die Empfänger der Übermittlungen nach Satz 1. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtig ten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die über mittelten Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm über mittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbe schränkung und darauf hinzuweisen, dass das Bundesamt für BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 293 Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die Verwen dung der Daten zu bitten. Die Übermittlung der personenbezoge nen Daten ist dem Betroffenen durch das Bundesamt für Verfas sungsschutz mitzuteilen, sobald eine Gefährdung seiner Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. Die Sätze 2 und 3 finden keine Anwendung, wenn personenbezo gene Daten zum Zweck von Datenerhebungen nach SS 8 Abs. 1Satz 2 übermittelt werden. SS 20 Übermittlung von Informationen durch dasBundesamt für Ver fassungsschutz an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten desStaatsund Verfassungsschutzes (1) Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staats anwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeien von sich aus die ihm bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Da ten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutz delikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1sind die in SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen auf Grund ihrer Zielsetzung, des Mo tivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Ar tikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. Das Bundesamt für Verfassungsschutz übermittelt dem Bundesnachrichtendienst von sich aus die ihm be kannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezoge ner Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Empfängers erforderlich ist. (2) Die Polizeien dürfen zur Verhinderung von Staatsschutzdelik ten nach Absatz 1Satz 2 das Bundesamt für Verfassungsschutz um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich per sonenbezogener Daten ersuchen. Der Bundesnachrichtendienst darf zur Erfüllung seiner Aufgaben das Bundesamt für Verfassungs schutz um die Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. BERICHT 2003 294 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z SS 21 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutz behörden der Länder an Strafverfolgungsund Sicherheits behörden in Angelegenheiten desStaatsund Verfassungs schutzes (1) Die Verfassungsschutzbehörden der Länder übermitteln den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftli chen Sachleitungsbefugnis, den Polizeien Informationen einschließ lich personenbezogener Daten unter den Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1Satz 1und 2 sowie Abs. 2 Satz 1. Auf die Übermittlung von Infor mationen zwischen Behörden desselben Bundeslandes findet Satz 1 keine Anwendung. (2) Die Verfassungsschutzbehörden der Länder übermitteln dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten unter den Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1Satz 3 sowie Abs. 2 Satz 2. SS 22 Übermittlung von Informationen durch die Staatsanwaltschaf ten und Polizeien an den Militärischen Abschirmdienst Für die Übermittlung von Informationen einschließlich personenbe zogener Daten durch die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienst stellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundesgrenzschutzgesetz wahrnehmen, an den Militärischen Abschirmdienst findet SS 18 ent sprechende Anwendung. SS 23 Übermittlungsverbote Die Übermittlung nach den Vorschriften dieses Abschnitts unter bleibt, wenn 1. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Er hebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entge genstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z 295 Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonde ren Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vor schriften beruhen, bleibt unberührt. SS 24 Minderjährigenschutz (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Spei cherung nach SS 11erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Ab wehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verfolgung einer Straftat von erheblicher Bedeutung erforderlich ist. (2) Informationen einschließlich personenbezogener Daten über das Verhalten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS 25 Pflichten desEmpfängers Der Empfänger prüft, ob die nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erfor derlich sind, hat er die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. SS 26 Nachberichtspflicht Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrich tig, so sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichti gen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhalts ohne Bedeutung ist. BERICHT 2003 296 BU N DE SV ERFA SSU N G SSCH U T ZGE SE T Z Vierter Abschnitt Schlussvorschriften SS 27 Geltung desBundesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 durch das Bundesamt für Verfassungsschutz finden SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4 b und 4 c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST 297 2. Gesetz über den Militärischen Abschirmdienst (MAD-Gesetz - MADG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I, S. 2954/2977) zuletzt geändert am 8.03.2004 (BGBl. I, S. 334 ) SS1 Aufgaben (1) Aufgabe des Militärischen Abschirmdienstes des Bundesminis teriums der Verteidigung ist die Sammlung und Auswertung von In formationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Aus künften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkei ten im Geltungsbereich dieses Gesetzes für eine fremde Macht, wenn sich diese Bestrebungen oder Tätigkeiten gegen Personen, Dienststellen oder Einrichtungen im Geschäftsbereich des Bundes ministeriums der Verteidigung richten und von Personen ausgehen oder ausgehen sollen, die diesem Geschäftsbereich angehören oder in ihm tätig sind. Darüber hinaus obliegt dem Militärischen Ab schirmdienst die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nach richten und Unterlagen, über die Beteiligung von Angehörigen des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung sowie von Personen, die in ihm tätig sind oder tätig sein sollen, an Bestre bungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zu sammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1des Grundgesetzes) ge richtet sind. SS 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet An wendung. (2) Darüber hinaus obliegt dem Militärischen Abschirmdienst zur Beurteilung der Sicherheitslage 1. von Dienststellen und Einrichtungen im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung und 2. von Dienststellen und Einrichtungen der verbündeten Streitkräfte und der internationalen militärischen HauptBERICHT 2003 298 GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST quartiere, wenn die Bundesrepublik Deutschland in inter nationalen Vereinbarungen Verpflichtungen zur Sicherheit dieser Dienststellen und Einrichtungen übernommen hat und die Beurteilung der Sicherheitslage im Einvernehmen zwischen dem Bundesministerium der Verteidigung und den zuständigen obersten Landesbehörden dem Militäri schen Abschirmdienst übertragen worden ist, die Auswertung von Informationen über die in Absatz 1genannten Bestrebungen und Tätigkeiten gegen diese Dienststellen und Ein richtungen, auch soweit sie von Personen ausgehen oder ausgehen sollen, die nicht dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung angehören oder in ihm tätig sind. (3) Der Militärische Abschirmdienst wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die dem Ge schäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung angehören, in ihm tätig sind oder werden sollen und a) denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürf tige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich ver schaffen können, oder b) die an sicherheitsempfindlichen Stellen des Geschäftsbe reichs des Bundesministeriums der Verteidigung einge setzt sind oder werden sollen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen im Geschäftsbe reich des Bundesministeriums der Verteidigung zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbe dürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen ge gen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Die Befugnisse des Militärischen Abschirmdienstes bei der Mitwir kung nach Satz 1Nr. 1Buchstabe a und b sind im Sicherheitsüberprü fungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBI. I S. 867) geregelt. (4) Der Militärische Abschirmdienst darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. (5) Der Militärische Abschirmdienst ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST 299 SS2 Zuständigkeit in besonderen Fällen (1) Zur Fortführung von Aufgaben nach SS 1Abs. 1kann der Mi litärische Abschirmdienst, soweit es im Einzelfall zwingend erforder lich ist, seine Befugnisse gegenüber Personen ausüben, die dem Ge schäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung nicht angehören oder nicht in ihm tätig sind. Dies ist nur zulässig 1. gegenüber dem Ehegatten oder Lebenspartner oder Ver lobten einer in SS 1Abs.1genannten Person oder dem mit ihr in eheähnlicher Gemeinschaft Lebenden, wenn angenom men werden muss, dass Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 1Abs. 1auch von ihm ausgehen, 2. im Benehmen mit der zuständigen Verfassungsschutz behörde gegenüber Personen, bei denen tatsächliche An haltspunkte dafür bestehen, dass sie mit einer in SS 1Abs. 1 genannten Person bei Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 1Abs. 1zusammenarbeiten, und wenn anderenfalls die weitere Erforschung des Sachverhalts gefährdet oder nur mit übermäßigem Aufwand möglich wäre. (2) Zum Schutz seiner Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten kann der Militärische Abschirmdienst in Wahrnehmung seiner Aufgaben nach SS 1Abs. 1, soweit es im Einzelfall zwingend er forderlich ist, im Benehmen mit der zuständigen Verfassungsschutz behörde seine Befugnisse gegenüber Personen ausüben, die dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Verteidigung nicht an gehören oder nicht in ihm tätig sind. SS3 Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden (1) Der Militärische Abschirmdienst und die Verfassungsschutz behörden arbeiten bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zusammen. Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung. (2) Zur Fortführung von Aufgaben nach SS 3 Abs. 1des Bundesver fassungsschutzgesetzes kann eine Verfassungsschutzbehörde, so weit es im Einzelfall zwingend erforderlich ist, im Benehmen mit dem Militärischen Abschirmdienst Maßnahmen auf Personen er strecken, die dem Geschäftsbereich des Bundesministers der Vertei digung angehören oder in ihm tätig sind und der ZuständigBERICHT 2003 300 GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST keit des Militärischen Abschirmdienstes unterliegen. Dies ist nur zulässig gegenüber Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie mit einer Person aus dem Zuständigkeitsbe reich der Verfassungsschutzbehörden bei Bestrebungen oder Tätig keiten nach SS 3 Abs. 1des Bundesverfassungsschutzgesetzes zusam menarbeiten, und wenn anderenfalls die weitere Erforschung des Sachverhalts gefährdet oder nur mit übermäßigem Aufwand mög lich wäre. (3) Der Militärische Abschirmdienst und das Bundesamt für Ver fassungsschutz unterrichten einander über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. SS4 Befugnisse desMilitärischen Abschirmdienstes (1) Der Militärische Abschirmdienst darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbe zogener Daten erheben, verarbeiten und nutzen nach SS 8 Abs. 2, 4 und 13 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, soweit nicht die anzu wendenden Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen. Er ist nicht befugt, personenbezogene Daten zur Erfüllung seiner Aufga ben nach SS 1Abs. 2 zu erheben. SS 8 Abs. 2 Satz 2 und 3 des Bundesver fassungsschutzgesetzes findet Anwendung; die Zustimmung zur Dienstanweisung erteilt das Bundesministerium der Verteidigung. (2) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Militärischen Abschirmdienst nicht zu; er darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen er selbst nicht befugt ist. SS5 Besondere Formen der Datenerhebung Der Militärische Abschirmdienst darf Informationen, insbesondere personenbezogene Daten, nach SS 9 des Bundesverfassungsschutzge setzes erheben, soweit es 1. zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 1Abs. 1und SS 2 Abs. 1 sowie zur Erforschung der dazu erforderlichen Quellen oder GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST 301 2. um Schutz der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Militärischen Abschirmdienstes gegen si cherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten, auch nach SS 2 Abs. 2, erforderlich ist; SS 9 Abs. 2 bis 4 des Bundesverfassungsschutzgeset zes findet entsprechende Anwendung. SS6 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Der Militärische Abschirmdienst darf personenbezogene Da ten nach SS 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes speichern, ver ändern und nutzen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben erfor derlich ist. Zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 1Abs. 2 gespeicherte Daten über Personen, die nicht dem Geschäftsbereich des Bundes ministers der Verteidigung angehören oder in ihm tätig sind, dürfen für andere Zwecke nicht verwendet werden, es sei denn, die Ver wendung wäre auch für die Erfüllung der Aufgaben nach SS 1Abs. 1 zulässig. (2) In Dateien oder zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte Daten über Minderjährige sind nach zwei Jahren auf die Erforder lichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 1Abs. 1oder SS 2 angefallen sind. Dies gilt nicht, wenn der Betroffene nach SS 1Abs. 3 überprüft wird. Die Spei cherung personenbezogener Daten über Minderjährige vor Vollen dung des 16. Lebensjahres in zu ihrer Person geführten Akten und Dateien ist unzulässig. SS7 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Daten (1) Der Militärische Abschirmdienst hat die in Dateien gespeicher ten personenbezogenen Daten zu berichtigen, zu löschen und zu sperren nach SS 12 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (2) Der Militärische Abschirmdienst hat personenbezogene Daten in Akten zu berichtigen und zu sperren nach SS 13 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes. BERICHT 2003 302 GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST SS8 Dateianordnungen Der Militärische Abschirmdienst hat für jede automatisierte Datei mit personenbezogenen Daten eine Dateianordnung nach SS 14 des Bundesverfassungsschutzgesetzes zu treffen, die der Zustimmung des Bundesministeriums der Verteidigung bedarf. SS 14 Abs. 2 und 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet Anwendung. SS9 Auskunft an den Betroffenen Der Militärische Abschirmdienst erteilt dem Betroffenen über zu sei ner Person gespeicherte Daten Auskunft entsprechend SS 15 des Bun desverfassungsschutzgesetzes; an die Stelle des dort genannten Bundesministers des Innern tritt das Bundesministerium der Vertei digung. SS 10 Übermittlung von Informationen an den Militärischen Ab schirmdienst (1) Die Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren juris tischen Personen des öffentlichen Rechts unterrichten von sich aus den Militärischen Abschirmdienst über die ihnen bekannt geworde nen Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen im Geltungs bereich dieses Gesetzes erkennen lassen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 1Abs. 1Satz 1Nr. 1und Satz 2 genannten Schutzgüter gerichtet sind, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Un terrichtung zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 1Abs. 1und 2 er forderlich ist. (2) Der Militärische Abschirmdienst darf nach SS 18 Abs. 3 des Bun desverfassungsschutzgesetzes jede Behörde um die Übermittlung der zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. Im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben darf er zur Feststellung, ob eine Person dem Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung angehört oder in ihm tätig ist, den Familiennamen, den Vornamen, frühere Namen, das Geburtsdatum, den Dienstgrad, die Dienststel lennummer und das Dienstzeitende des Betroffenen aus dem Perso nalführungsund Informationssystem der Bundeswehr abrufen. Die Verantwortung für den einzelnen Abruf trägt der Militärische Ab schirmdienst. Das Bundesministerium der Verteidigung überprüft GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST 303 die Zulässigkeit der Abrufe nur, wenn dazu Anlass besteht. Es regelt in einer Dienstvorschrift 1. den Kreis der zum Abruf berechtigten Angehörigen des Mi litärischen Abschirmdienstes, 2. das bei einem Abruf zu beachtende Verfahren, 3. die bei einem Abruf einzeln oder kumulativ einzugebenden Daten einschließlich der Suche mit unvollständigen Anga ben, 4. die Begrenzung der auf Grund eines Abrufs zu übermitteln den Personendatensätze auf das für eine Identifizierungs notwendige Maß, 5. die Löschung der auf einen Abruf übermittelten, aber nicht mehr benötigten Daten und 6. die Protokollierung aller Abrufe und die Kontrolle durch die behördliche Datenschutzbeauftragte oder den behörd lichen Datenschutzbeauftragten. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass und vor Änderung der Dienstvorschrift anzuhören. (3) Der Militärische Abschirmdienst darf im Einzelfall zur Erfül lung seiner Aufgaben nach SS 1Abs. 1Satz 1Nr. 2 und Satz 2 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1des Artikel 10-Gesetzes bei denjeni gen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Tele dienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstnut zungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünf tige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Tele dienstnutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortken nung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genom menen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistungen, BERICHT 2003 304 GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. Die Auskünfte dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Militärischen Abschirmdienstes oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. SS 8 Abs. 9 Satz 3 bis 11und Abs. 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird inso weit eingeschränkt. (4) Würde durch die Übermittlung nach Absatz 2 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder der Betroffene unverhältnismäßig beein trächtigt, darf der Militärische Abschirmdienst bei der Wahrneh mung der Aufgaben nach SS 1Abs. 1Nr. 2 amtliche Register einsehen. Diese Einsichtnahme bedarf der Zustimmung des Amtschefs für den Militärischen Abschirmdienst oder seines Vertreters. (5) SS 17Abs. 1sowie SS 18 Abs. 5 des Bundesverfassungsschutzgeset zes sind entsprechend anzuwenden. SS 11 Übermittlung personenbezogener Daten durch den Militärischen Abschirmdienst (1) Der Militärische Abschirmdienst darf personenbezogene Da ten nach SS 19 des Bundesverfassungsschutzgesetzes übermitteln. An die Stelle der Zustimmung des Bundesministeriums des Innern tritt diejenige des Bundesministeriums der Verteidigung. Für vom Ver fassungsschutz übermittelte personenbezogene Daten im Sinne des SS 18 Abs. 1a Satz 1des Bundesverfassungsschutzgesetzes gilt SS 18 Abs. 1a Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (2) Der Militärische Abschirmdienst übermittelt Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Staatsanwaltschaften, Polizeien und den Bundesnachrichtendienst nach SS 20 des Bundes verfassungsschutzgesetzes. SS 12 Verfahrensregeln für die Übermittlung von Informationen Für die Übermittlung von Informationen nach diesem Gesetz finden die SSSS 23 bis 26 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entspre chende Anwendung. GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST 305 SS 13 Geltung desBundesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 1Abs. 1bis 3, SS 2 und SS 14 fin den SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 14 Besondere Auslandsverwendungen (1) Der Militärische Abschirmdienst sammelt während besonde rer Auslandsverwendungen der Bundeswehr im Sinne des SS 1Abs. 3 Satz 2 des Soldatengesetzes oder bei humanitären Maßnahmen auf Anordnung des Bundesministers der Verteidigung Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen, die zur Sicherung der Einsatzbereitschaft der Truppe oder zum Schutz der Angehörigen, der Dienststellen und Einrichtungen des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung erforderlich sind, im Inland sowie im Ausland nur in Liegenschaften, in denen sich Dienststellen und Einrichtungen der Truppe befinden, und wertet sie aus. Zu diesem Zweck dürfen auch öffentliche Stellen im Einsatzland um Auskünfte ersucht werden. SS 1Abs. 2 des BND-Gesetzes bleibt unberührt. (2) Darüber hinaus wertet der Militärische Abschirmdienst während besonderer Auslandsverwendungen der Bundeswehr nach Absatz 1entsprechend SS 1Abs. 2 Informationen auch aus über Perso nen oder Personengruppen, die nicht zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung gehören oder in ihm tätig sind, wenn sich deren Bestrebungen oder Tätigkeiten gegen die ein gesetzten Personen, Dienststellen oder Einrichtungen richten. Ab satz 1Satz 2 und 3 gilt entsprechend. Ist die Sammlung von Informa tionen nach Satz 1erforderlich, ersucht der Militärische Abschirm dienst den Bundesnachrichtendienst um entsprechende Maßnah men. (3) Der Militärische Abschirmdienst wirkt während besonderer Auslandsverwendungen der Bundeswehr nach Absatz 1auch im Ausland in den Liegenschaften nach Absatz 1mit an Überprüfungen von Personen und an technischen Sicherheitsmaßnahmen entspre chend SS 1Abs. 3. Absatz 1Satz 2 und 3 gilt entsprechend. (4) Ist es zur Erfüllung der Aufgaben nach den Absätzen 1bis 3 er forderlich, Informationen einschließlich personenbezogener Daten im Inland oder über deutsche Staatsangehörige zu erheben, richten sich die Erhebung, weitere Verarbeitung und Nutzung der InformaBERICHT 2003 306 GE SE T Z Ü BER D EN M I LI T Ä RI SCH EN A BSCH I RM DI EN ST tionen nach den SSSS 4 bis 8 und 10 bis 12. Im Ausland sind besondere Formen der Datenerhebung nach SS 5 außerhalb der Liegenschaften nach Absatz 1in keinem Fall zulässig. Die Erhebung der Informatio nen im Inland darf nur im Benehmen mit den zuständigen Verfas sungsschutzbehörden erfolgen und wenn anderenfalls die weitere Erforschung des Sachverhalts gefährdet oder nur mit übermäßigem Aufwand möglich wäre. Das Benehmen kann für eine Reihe gleich gelagerter Fälle hergestellt werden. (5) Die Aufgaben nach den Absätzen 1bis 3 und die Befugnisse sind zeitlich und räumlich auch durch die Auslandsverwendung der Bundeswehr begrenzt. (6) Die Unterrichtung nach SS 10 Abs. 1erstreckt sich auf alle Infor mationen, die für die Aufgaben des Militärischen Abschirmdienstes nach den Absätzen 1bis 3 erforderlich sind. Zur Erfüllung der Aufga ben nach den Absätzen 1bis 3 arbeiten der Militärische Abschirm dienst und der Bundesnachrichtendienst im Rahmen ihrer gesetzli chen Befugnisse zusammen. Der Militärische Abschirmdienst und der Bundesnachrichtendienst unterrichten einander über alle Ange legenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforder lich ist. Die Einzelheiten der Zusammenarbeit des Militärischen Ab schirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes bei besonderen Auslandsverwendungen der Bundeswehr oder bei humanitären Maßnahmen sind für jeden Einsatz in einer Vereinbarung zwischen dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesnachrichten dienst zu regeln, die der Zustimmung des Chefs des Bundeskanzler amtes und des Bundesministers der Verteidigung bedarf und über die das Parlamentarische Kontrollgremium zu unterrichten ist. (7) Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kon trollgremium vor Beginn des Einsatzes des Militärischen Abschirm dienstes im Ausland. GE SE T Z Ü BER D EN BU N DE SN A CH RI CH T EN DI EN ST 307 3. Gesetz über den Bundesnachrichtendienst (BND-G) vom 20.12.1990 (BGBl. I S. 2979) zuletzt geändert am 16.08.2002 (BGBI. I S. 3202) SS1 Organisation und Aufgaben (1) Der Bundesnachrichtendienst ist eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Chefs des Bundeskanzleramtes. Einer polizeili chen Dienststelle darf er nicht angegliedert werden. (2) Der Bundesnachrichtendienst sammelt zur Gewinnung von Erkenntnissen über das Ausland, die von außenund sicherheitspoli tischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, die er forderlichen Informationen und wertet sie aus. Werden dafür im Geltungsbereich dieses Gesetzes Informationen einschließlich per sonenbezogener Daten erhoben, so richtet sich ihre Erhebung, Ver arbeitung und Nutzung nach den SSSS 2 bis 6 und 8 bis 11. SS2 Befugnisse (1) Der Bundesnachrichtendienst darf die erforderlichen Infor mationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, verar beiten und nutzen, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmun gen des Bundesdatenschutzgesetzes oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen, 1. zum Schutz seiner Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegen stände und Quellen gegen sicherheitsgefährdende oder ge heimdienstliche Tätigkeiten, 2. für die Sicherheitsüberprüfung von Personen, die für ihn tätig sind oder tätig werden sollen, 3. für die Überprüfung der für die Aufgabenerfüllung not wendigen Nachrichtenzugänge und 4. über Vorgänge im Ausland, die von außenund sicherheits politischer Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland sind, wenn sie nur auf diese Weise zu erlangen sind und für ihre Erhebung keine andere Behörde zuständig ist. (1a) Der Bundesnachrichtendienst darf im Einzelfall bei Kreditins tituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen BERICHT 2003 308 GE SE T Z Ü BER D EN BU N DE SN A CH RI CH T EN DI EN ST unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, soweit dies im Rah men seiner Aufgaben nach SS 1Abs. 2 Satz 1für die Sammlung von In formationen über die in SS 5 Abs. 1Satz 3 Nr. 1bis 4 und 6 des Artikel 10-Gesetzes genannten Gefahrenbereiche erforderlich ist und tat sächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die außenund sicherheitspolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland vorliegen. Die Auskünfte dürfen nur auf Antrag einge holt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Bundesnach richtendienstes oder seinen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. SS 8 Abs. 9 Satz 3 bis 11und Abs. 10 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung, wobei an die Stelle des vom Bundeskanzler beauftragten Bundesministeriums der Chef des Bundeskanzleramtes tritt. (2) Werden personenbezogene Daten beim Betroffenen mit sei ner Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. Der Betroffene ist auf die Freiwilligkeit seiner Angaben und bei einer Si cherheitsüberprüfung nach Absatz 1Nr. 2 auf eine dienstund ar beitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hin zuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen ist das Sicherheitsüber prüfungsgesetz vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) anzuwenden. (3) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Bundesnachrichtendienst nicht zu. Er darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen er selbst nicht befugt ist. (4) Von mehreren geeigneten Maßnahmen hat der Bundesnach richtendienst diejenige zu wählen, die den Betroffenen voraussicht lich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem be absichtigten Erfolg steht. SS3 Besondere Formen der Datenerhebung Der Bundesnachrichtendienst darf zur heimlichen Beschaffung von Informationen einschließlich personenbezogener Daten die Mittel gemäß SS 8 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes anwenden, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. SS 9 des Bundesverfassungsschutz gesetzes ist entsprechend anzuwenden. GE SE T Z Ü BER D EN BU N DE SN A CH RI CH T EN DI EN ST 309 SS4 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) Der Bundesnachrichtendienst darf personenbezogene Daten nach SS 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes speichern, verän dern und nutzen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben erforder lich ist. (2) Die Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezo gener Daten über Minderjährige ist nur unter den Voraussetzungen des SS 11des Bundesverfassungsschutzgesetzes zulässig. SS5 Berichtigung, Löschung und Sperrung personenbezogener Da ten (1) Der Bundesnachrichtendienst hat die in Dateien gespeicher ten personenbezogenen Daten zu berichtigen, zu löschen und zu sperren nach SS 12 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (2) Der Bundesnachrichtendienst hat personenbezogene Daten in Akten zu berichtigen und zu sperren nach SS 13 des Bundesverfas sungsschutzgesetzes. SS6 Dateianordnungen Der Bundesnachrichtendienst hat für jede automatisierte Datei mit personenbezogenen Daten eine Dateianordnung nach SS 14 des Bun desverfassungsschutzgesetzes zu treffen, die der Zustimmung des Chefs des Bundeskanzleramtes bedarf. SS 14 Abs. 2 und 3 des Bundes verfassungsschutzgesetzes ist anzuwenden. SS7 Auskunft an den Betroffenen Der Bundesnachrichtendienst erteilt dem Betroffenen auf Antrag Auskunft über zu seiner Person nach SS 4 gespeicherte Daten entspre chend SS 15 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. An die Stelle des dort genannten Bundesministers des Innern tritt der Chef des Bun deskanzleramtes. BERICHT 2003 310 GE SE T Z Ü BER D EN BU N DE SN A CH RI CH T EN DI EN ST SS8 Übermittlung von Informationen an den Bundesnachrichten dienst (1) Die Behörden des Bundes und der bundesunmittelbaren juris tischen Personen des öffentlichen Rechts dürfen von sich aus dem Bundesnachrichtendienst die ihnen bekanntgewordenen Informa tionen einschließlich personenbezogener Daten übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung 1. für seine Eigensicherung nach SS 2 Abs. 1Nr. 1oder 2. im Rahmen seiner Aufgaben nach SS 1Abs. 2 zur Sammlung von Informationen über die in SS 5 Abs. 1Satz 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Gefahrenbereiche erforderlich ist. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwalt schaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeien, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundesgrenzschutzgesetz wahrnehmen, über mitteln dem Bundesnachrichtendienst von sich aus die ihnen be kanntgewordenen Informationen einschließlich personenbezoge ner Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, daß die Übermittlung für seine Eigensicherung nach SS 2 Abs. 1Nr. 1erfor derlich ist. Darüber hinaus dürfen sie dem Bundesnachrichtendienst von sich aus die ihnen bekannt gewordenen Informationen ein schließlich personenbezogener Daten nach Maßgabe des Absatzes 1 Nr. 2 übermitteln. (3) Der Bundesnachrichtendienst darf nach SS 18 Abs. 3 des Bun desverfassungsschutzgesetzes jede Behörde um die Übermittlung der zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen und nach SS 18 Abs. 4 des Bundesverfassungsschutzgesetzes amtlich geführte Regis ter einsehen, soweit es zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. SS 17Abs. 1und SS 18 Abs. 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes sind anzuwenden. (3a) Der Bundesnachrichtendienst darf im Einzelfall, soweit dies im Rahmen seiner Aufgaben nach SS 1Abs. 2 Satz 1für die Sammlung von Informationen über die in SS 5 Abs. 1Satz 3 Nr. 1bis 4 und 6 des Ar tikel 10-Gesetzes genannten Gefahrenbereiche erforderlich ist, bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Aus GE SE T Z Ü BER D EN BU N DE SN A CH RI CH T EN DI EN ST 311 künfte über Telekommunikationsverbindungsdaten und Telediens tenutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und zukünftige Nutzung von Tele diensten verlangt werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten sind: 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortken nung sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch genom menen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistungen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. Die Auskünfte dürfen nur auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist durch den Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes oder sei nen Vertreter schriftlich zu stellen und zu begründen. SS 8 Abs. 9 Satz 3 bis 11und Abs. 10 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet ent sprechende Anwendung, wobei an die Stelle des vom Bundeskanzler beauftragen Bundesministeriums der Chef des Bundeskanzleramtes tritt. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (4) Für die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozeßordnung be kanntgeworden sind, ist SS 18 Abs. 6 des Bundesverfassungsschutzge setzes entsprechend anzuwenden. SS9 Übermittlung von Informationen durch den Bundesnachrich tendienst (1) Der Bundesnachrichtendienst darf Informationen einschließ lich personenbezogener Daten an inländische Behörden übermit teln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder wenn der Empfänger die Daten für Zwecke der öffentlichen Sicher heit benötigt. Der Empfänger darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verwen den, zu dem sie ihm übermittelt wurden. BERICHT 2003 312 GE SE T Z Ü BER D EN BU N DE SN A CH RI CH T EN DI EN ST (2) Für die Übermittlung von Informationen einschließlich perso nenbezogener Daten an andere Stellen ist SS 19 Abs. 2 bis 4 des Bun desverfassungsschutzgesetzes entsprechend anzuwenden; dabei ist die Übermittlung nach Absatz 4 dieser Vorschrift nur zulässig, wenn sie zur Wahrung außenund sicherheitspolitischer Belange der Bun desrepublik Deutschland erforderlich ist und der Chef des Bundes kanzleramtes seine Zustimmung erteilt hat. Für vom Verfassungs schutz übermittelte personenbezogene Daten im Sinne des SS 18 Abs. 1a Satz 1des Bundesverfassungsschutzgesetzes gilt SS 18 Abs. 1a Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (3) Der Bundesnachrichtendienst übermittelt Informationen einschließlich personenbezogener Daten an die Staatsanwaltschaf ten, die Polizeien und den Militärischen Abschirmdienst entspre chend SS 20 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. SS 10 Verfahrensregeln für die Übermittlung von Informationen Für die Übermittlung von Informationen nach SSSS 8 und 9 sind die SSSS 23 bis 26 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entsprechend anzu wenden. SS 11 Geltung desBundesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben des Bundesnachrichtendienstes fin den SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SSSS 10 und 13 bis 20 des Bundesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 12 Berichtspflicht Der Bundesnachrichtendienst unterrichtet den Chef des Bundes kanzleramtes über seine Tätigkeit. Über die Erkenntnisse aus seiner Tätigkeit unterrichtet er darüber hinaus auch unmittelbar die Bun desminister im Rahmen ihrer Zuständigkeiten; hierbei ist auch die Übermittlung personenbezogener Daten zulässig. K ON T R OLL GREM I U M GE SE T Z 313 4. Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz - PKGrG) vom 11. April 1978 (BGBl. I S. 453) zuletzt geändert am 26.06.2001 (BGBl. I S. 1260) SS1 (1) Die Bundesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, des Militärischen Abschirm dienstes und des Bundesnachrichtendienstes der Kontrolle durch das Parlamentarische Kontrollgremium. (2) Die Rechte des Deutschen Bundestages, seiner Ausschüsse und der Kommission nach dem Artikel 10-Gesetz bleiben unberührt. SS2 Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentarische Kontroll gremium umfassend über die allgemeine Tätigkeit der in SS 1Abs. 1 genannten Behörden und über die Vorgänge von besonderer Bedeu tung. Auf Verlangen des Parlamentarischen Kontrollgremiums hat die Bundesregierung auch über sonstige Vorgänge zu berichten. SS 2a Die Bundesregierung hat dem Parlamentarischen Kontrollgremium im Rahmen der Unterrichtung nach SS 2 auf Verlangen Einsicht in Akten und Dateien der Dienste zu geben, die Anhörung von Mitar beitern der Dienste zu gestatten und Besuche bei den Diensten zu er möglichen. SS 2b (1) Die Verpflichtung der Bundesregierung nach den SSSS 2 und 2a erstreckt sich nur auf Informationen und Gegenstände, die der Ver fügungsberechtigung der Nachrichtendienste des Bundes unterlie gen. (2) Die Bundesregierung kann die Unterrichtung nach den SSSS 2 und 2a nur verweigern, wenn dies aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzuganges oder aus Gründen des Schutzes von Persön lichkeitsrechten Dritter notwendig ist oder wenn der Kernbereich der exekutiven Eigenverantwortung betroffen ist. Lehnt die Bundes regierung eine Unterrichtung ab, so hat der für den betroffenen BERICHT 2003 314 K ON T R OLL GREM I U M GE SE T Z Nachrichtendienst zuständige Bundesminister (SS 2 Abs. 1Satz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes, SS 1Abs. 1Satz 1des MAD-Gesetzes) und, soweit der Bundesnachrichtendienst betroffen ist, der Chef des Bundeskanzleramtes (SS 1Abs. 1Satz 1des BND-Gesetzes) dies dem Parlamentarischen Kontrollgremium auf dessen Wunsch zu begrün den. SS 2c Das Parlamentarische Kontrollgremium kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder nach Anhörung der Bundesregie rung im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahr nehmung seiner Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzu führen. Der Sachverständige hat dem Parlamentarischen Kontroll gremium über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 5 Abs. 1gilt entsprechend. SS 2d Angehörigen der Nachrichtendienste ist es gestattet, sich in dienstli chen Angelegenheiten, jedoch nicht im eigenen oder Interesse an derer Angehöriger dieser Behörden, mit Eingaben an das Parlamen tarische Kontrollgremium zu wenden, soweit die Leitung der Dienste entsprechenden Eingaben nicht gefolgt ist. An den Deut schen Bundestag gerichtete Eingaben von Bürgern über ein sie be treffendes Verhalten der in SS 1Abs. 1genannten Behörden können dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Kenntnis gegeben werden. SS 2e (1) Der Vorsitzende, sein Stellvertreter und ein beauftragtes Mit glied können an den Sitzungen des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung mitberatend teilnehmen. In gleicher Weise haben der Vorsitzende des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung, sein Stellvertreter und ein beauftrag tes Mitglied die Möglichkeit, mitberatend an den Sitzungen des Par lamentarischen Kontrollgremiums teilzunehmen. (2) Die Entwürfe der jährlichen Wirtschaftspläne der Dienste wer den dem Parlamentarischen Kontrollgremium zur Mitberatung überwiesen. Die Bundesregierung unterrichtet das Parlamentari sche Kontrollgremium über den Vollzug der Wirtschaftspläne im Haushaltsjahr. Bei den Beratungen der Wirtschaftspläne der Dienste und deren Vollzug können die Mitglieder wechselseitig mitberatend an den Sitzungen beider Gremien teilnehmen. K ON T R OLL GREM I U M GE SE T Z 315 SS3 Die politische Verantwortung der Bundesregierung für die in SS 1ge nannten Behörden bleibt unberührt. SS4 (1) Der Deutsche Bundestag wählt zu Beginn jeder Wahlperiode die Mitglieder des Parlamentarischen Kontrollgremiums aus seiner Mitte. (2) Er bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise des Parlamentarischen Kontrollgremiums. (3) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Deutschen Bundestages auf sich vereint. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Deutschen Bundestag oder sei ner Fraktion aus oder wird ein Mitglied zum Bundesminister oder Parlamentarischen Staatssekretär ernannt, so verliert es seine Mit gliedschaft im Parlamentarischen Kontrollgremium; SS 5 Abs. 4 bleibt unberührt. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mit glied zu wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Parla mentarischen Kontrollgremium ausscheidet. SS5 (1) Die Beratungen des Parlamentarischen Kontrollgremiums sind geheim. Die Mitglieder des Gremiums und die an den Sitzun gen teilnehmenden Mitglieder des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung sind zur Geheimhaltung der Angele genheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit im Parlamenta rischen Kontrollgremium bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus beiden Gremien. Das gleiche gilt für Angelegenheiten, die den Mitgliedern des Gremiums anläss lich der Teilnahme an Sitzungen des Vertrauensgremiums nach SS 10a der Bundeshaushaltsordnung bekannt geworden sind. Satz 1gilt nicht für die Bewertung aktueller Vorgänge, wenn eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder des Parlamentari schen Kontrollgremiums ihre vorherige Zustimmung erteilt. (2) Das Parlamentarische Kontrollgremium tritt mindestens ein mal im Vierteljahr zusammen. Es gibt sich eine Geschäftsordnung. (3) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung des Parlamentarischen Kontrollgremiums verlangen. BERICHT 2003 316 K ON T R OLL GREM I U M GE SE T Z (4) Das Parlamentarische Kontrollgremium übt seine Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Deutschen Bundestages so lange aus, bis der nachfolgende Deutsche Bundestag gemäß SS 4 entschieden hat. SS6 Das Parlamentarische Kontrollgremium erstattet dem Deutschen Bundestag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode einen Be richt über seine bisherige Kontrolltätigkeit. Dabei sind die Grund sätze des SS 5 Abs. 1zu beachten. SS 14 Abs. 1Satz 2 des Artikel 10-Gesetzes bleibt unberührt. SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 317 5. Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes vom 20. April 1994 (BGBl. I S. 867) zuletzt geändert am 25.11.2003 (BGBl. I S. 2304) Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck und Anwendungsbereich desGesetzes (1) Dieses Gesetz regelt die Voraussetzungen und das Verfahren zur Überprüfung einer Person, die von der zuständigen Stelle mit ei ner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Sicher heitsüberprüfung) oder bereits betraut worden ist (Wiederholungs überprüfung). (2) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt aus, wer 1. Zugang zu Verschlußsachen hat oder ihn sich verschaffen kann, die STRENG GEHEIM, GEHEIM ODER VS-VERTRAULICH eingestuft sind, 2. Zugang zu Verschlußsachen überstaatlicher Einrichtungen und Stellen hat oder ihn sich verschaffen kann, wenn die Bundesrepublik Deutschland verpflichtet ist, nur sicher heitsüberprüfte Personen hierzu zuzulassen, 3. in einer Behörde oder einer sonstigen öffentlichen Stelle des Bundes oder in einem Teil von ihr tätig ist, die auf Grund des Umfanges und der Bedeutung dort anfallender Ver schlußsachen von der jeweils zuständigen obersten Bundes behörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern als Nationale Sicherheitsbehörde zum Sicher heitsbereich erklärt worden ist. (3) Verpflichten sich Stellen der Bundesrepublik Deutschland ge genüber Stellen anderer Staaten durch Übereinkünfte, bei Personen, die Zugang zu Verschlußsachen ausländischer Staaten haben oder sich verschaffen können, zuvor Sicherheitsüberprüfungen nach deutschem Recht durchzuführen, ist in diesen Übereinkünften fest zulegen, welche Verschlußsachengrade des Vertragspartners Ver schlußsachengraden nach diesem Gesetz vergleichbar sind. Derar tige Festlegungen müssen sich im Rahmen der Bewertungen dieses BERICHT 2003 318 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z Gesetzes halten und insbesondere den Maßstäben des SS 4 entspre chen. (4) Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übt auch aus, wer an ei ner sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung oder wer innerhalb einer be sonders sicherheitsempfindlichen Stelle des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung ("Militärischer Sicherheitsbe reich") beschäftigt ist oder werden soll (vorbeugender personeller Sabotageschutz). (5) Lebenswichtig sind solche Einrichtungen, 1. deren Beeinträchtigung auf Grund der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Gesundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann oder 2. die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind und deren Beeinträchtigung erhebliche Unruhe in großen Teilen der Bevölkerung und somit Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung entstehen lassen würde. Verteidigungswichtig sind außerhalb des Geschäftsbereiches des Bundesministeriums der Verteidigung solche Einrichtungen, die der Herstellung oder Erhaltung der Verteidigungsbereitschaft die nen und deren Beeinträchtigung auf Grund 1. fehlender kurzfristiger Ersetzbarkeit die Funktionsfähig keit, insbesondere die Ausrüstung, Führung und Unterstüt zung der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie der Zivilen Verteidigung, oder 2. der ihnen anhaftenden betrieblichen Eigengefahr die Ge sundheit oder das Leben großer Teile der Bevölkerung erheblich gefährden kann. Sicherheitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbständig handelnde Organisationseinheit innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung, die vor unberech tigtem Zugang geschützt ist und von der im Falle der Beeinträchti gung eine erhebliche Gefahr für die in den Sätzen 1und 2 genannten Schutzgüter ausgeht. SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 319 SS2 Betroffener Personenkreis (1) Eine Person, die mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden soll (Betroffener), ist vorher einer Sicherheitsüber prüfung zu unterziehen. Die Sicherheitsüberprüfung bedarf der Zu stimmung des Betroffenen, soweit gesetzlich nichts anderes be stimmt ist. Die Zustimmung ist schriftlich zu erteilen, aber nicht in elektronischer Form. Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit darf erst nach Vollendung des 16. Lebensjahres übertragen werden. Auf eine Sicherheitsüberprüfung nach diesem Gesetz kann verzichtet werden, wenn für den Betroffenen bereits eine gleichoder höher wertige Sicherheitsüberprüfung durchgeführt worden ist. (2) Der volljährige Ehegatte, der Lebenspartner oder der voll jährige Partner, mit dem der Betroffene in einer auf Dauer angeleg ten Gemeinschaft lebt (Lebensgefährte), soll in die Sicherheitsüber prüfung nach den SSSS 9 und 10 einbezogen werden. Über Aus nahmen entscheidet die zuständige Stelle. Im Falle der Einbezie hung ist die Zustimmung des Ehegatten, Lebenspartners oder Le bensgefährten erforderlich. Die Zustimmung ist schriftlich zu ertei len, aber nicht in elektronischer Form. Geht der Betroffene die Ehe während oder erst nach erfolgter Sicherheitsüberprüfung ein oder begründet er die Lebenspartnerschaft oder die auf Dauer angelegte Gemeinschaft in dem entsprechenden Zeitraum, so ist die zustän dige Stelle zu unterrichten, um sie in die Lage zu versetzen, die Ein beziehung des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefährten in die Sicherheitsüberprüfung nachzuholen. Das gleiche gilt bei später eintretender Volljährigkeit des Ehegatten oder Lebensgefährten. (3) Dieses Gesetz gilt nicht für 1. die Mitglieder der Verfassungsorgane des Bundes, 2. Richter, soweit sie Aufgaben der Rechtsprechung wahrneh men, 3. ausländische Staatsangehörige, die in der Bundesrepublik Deutschland im Interesse zwischenstaatlicher Einrichtun gen und Stellen eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach SS 1Abs. 2 Nr. 2 ausüben sollen. BERICHT 2003 320 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z SS3 Zuständigkeit (1) Zuständig für die Sicherheitsüberprüfung ist 1. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes, die einer Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit zuwei sen, übertragen oder sie dazu ermächtigen will, 2. bei deutschen Staatsangehörigen aus Anlaß ihrer Tätigkeit im sicherheitsempfindlichen Bereich bei der NATO oder an deren zwischenstaatlichen Einrichtungen und Stellen das Bundesministerium des Innern als Nationale Sicherheits behörde, soweit nichts anderes bestimmt ist, 3. bei politischen Parteien nach Artikel 21des Grundgesetzes sowie deren Stiftungen die Parteien selbst, 4. im übrigen die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes, die eine Verschlußsache an eine nicht-öffentliche Stelle weitergeben will, 5. die Behörde oder sonstige öffentliche Stelle des Bundes, die auf Grund einer Rechtsverordnung gemäß SS 34 Aufgaben nach SS 1Abs. 4 wahrnimmt und eine Person mit einer derar tigen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betrauen will. In den Fällen der Nummern 1und 4 kann bei nachgeordneten Behör den und sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes deren oberste Bundesbehörde Aufgaben der zuständigen Stelle übernehmen. Die Aufgaben der zuständigen Stelle nach diesem Gesetz sind von einer von der Personalverwaltung getrennten Organisationseinheit wahr zunehmen. (2) Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist das Bundesamt für Verfassungsschutz nach SS 3 Abs. 2 Nr. 1des Bundes verfassungsschutzgesetzes und im Geschäftsbereich des Bundesmi nisteriums der Verteidigung der Militärische Abschirmdienst nach SS 1Abs. 3 Nr. 1Buchstabe a und b des MAD-Gesetzes, soweit nicht in Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher Einrichtungen oder in völ kerrechtlichen Verträgen, denen die gesetzgebenden Körperschaf ten gemäß Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes zugestimmt haben, etwas anderes bestimmt ist. (3) Der Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungs schutz und der Militärische Abschirmdienst führen Sicherheitsüber SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 321 prüfungen bei Bewerbern und Mitarbeitern des eigenen Dienstes al lein durch. Sie wenden hierbei die Vorschriften dieses Gesetzes an. Gleiches gilt, wenn der Bundesnachrichtendienst oder der Militäri sche Abschirmdienst eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nach Ab satz 1Nr. 1und 4 zuweisen, übertragen oder dazu ermächtigen will. SS4 Verschlußsachen (1) Verschlußsachen sind im öffentlichen Interesse geheimhal tungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse, unab hängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Ver anlassung eingestuft. (2) Eine Verschlußsache ist 1. STRENG GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbe fugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bun desrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefähr den kann, 2. GEHEIM, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Si cherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, 3. VS-VERTRAULICH, wenn die Kenntnisnahme durch Unbe fugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, 4. VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, wenn die Kenntnis nahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesre publik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann. SS5 Sicherheitsrisiken, sicherheitserhebliche Erkenntnisse (1) Im Sinne dieses Gesetzes liegt ein Sicherheitsrisiko vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 1. Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen oder BERICHT 2003 322 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 2. eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsund Wer bungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpreßbarkeit, begründen oder 3. Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgeset zes oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung be gründen. Ein Sicherheitsrisiko kann auch auf Grund tatsächlicher Anhalts punkte zur Person des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensge fährten vorliegen. (2) Eine Erkenntnis ist sicherheitserheblich, wenn sich aus ihr ein Anhaltspunkt für ein Sicherheitsrisiko ergibt. SS6 Rechte desBetroffenen (1) Vor Ablehnung der Zulassung zu einer sicherheitsempfindli chen Tätigkeit ist dem Betroffenen Gelegenheit zu geben, sich per sönlich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Der Betroffene kann zur Anhörung mit einem Rechtsanwalt erscheinen. Die Anhörung erfolgt in einer Weise, die den Quellen schutz gewährleistet und den schutzwürdigen Interessen von Perso nen, die im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung befragt wurden, Rechnung trägt. Sie unterbleibt, wenn sie einen erheblichen Nach teil für die Sicherheit des Bundes oder eines Landes zur Folge hätte, insbesondere bei Sicherheitsüberprüfungen der Bewerber bei den Nachrichtendiensten des Bundes. (2) Liegen in der Person des Ehegatten, Lebenspartners oder Le bensgefährten Anhaltspunkte vor, die ein Sicherheitsrisiko begrün den, ist ihm Gelegenheit zu geben, sich vor der Ablehnung der Zu lassung des Betroffenen zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit persönlich zu dem für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Absatz 1Satz 2 bis 4 gilt entsprechend. (3) Die Absätze 1und 2 sind auch im Falle der Ablehnung einer Weiterbeschäftigung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit anzuwenden. SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 323 Zweiter Abschnitt Überprüfungsarten und Durchführungsmaßnahmen SS7 Arten der Sicherheitsüberprüfung (1) Entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit wird entweder eine 1. einfache Sicherheitsüberprüfung oder 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung oder 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermitt lungen durchgeführt. (2) Ergeben sich bei der Sicherheitsüberprüfung sicherheitser hebliche Erkenntnisse, die nur durch Maßnahmen der nächsthöhe ren Art der Sicherheitsüberprüfung geklärt werden können, kann die zuständige Stelle mit Zustimmung des Betroffenen und der ein bezogenen Person die nächsthöhere Art der Sicherheitsüberprüfung anordnen. SS 12 Abs. 5 bleibt unberührt. SS8 Einfache Sicherheitsüberprüfung (1) Die einfache Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durch zuführen, die 1. Zugang zu VS-VERTRAULICH eingestuften Verschlußsa chen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1Abs. 2 Nr. 3 wahrnehmen sollen, 3. Tätigkeiten in Bereichen nach SS 1Abs. 4 wahrnehmen sol len. (2) In den Fällen von Absatz 1Nr. 2 kann die zuständige Stelle von der Sicherheitsüberprüfung absehen, wenn Art oder Dauer der Tätigkeit dies zulassen. BERICHT 2003 324 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z SS9 Erweiterte Sicherheitsüberprüfung Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung ist für Personen durchzu führen, die 1. Zugang zu GEHEIM eingestuften Verschlußsachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. Zugang zu einer hohen Anzahl VS-VERTRAULICH einge stuften Verschlußsachen erhalten sollen oder ihn sich ver schaffen können, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 für ausreichend hält. SS 10 Erweitere Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen Eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlun gen ist für Personen durchzuführen, 1. die Zugang zu STRENG GEHEIM eingestuften Verschluß sachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 2. die Zugang zu einer hohen Anzahl GEHEIM eingestuften Verschlußsachen erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, 3. die bei einem Nachrichtendienst des Bundes oder einer Behörde oder sonstigen öffentlichen Stelle des Bundes tätig werden sollen, die nach Feststellung der Bundesregierung gemäß SS 34 Aufgaben von vergleichbarer Sicherheitsemp findlichkeit wahrnimmt, soweit nicht die zuständige Stelle im Einzelfall nach Art und Dauer der Tätigkeit eine Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 oder SS 9 für aus reichend hält. SS 11 Datenerhebung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde dürfen die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlichen Da ten erheben. Der Betroffene sowie die sonstigen zu befragenden Per SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 325 sonen und nicht-öffentlichen Stellen sind auf den Zweck der Erhe bung, die Auskunftspflichten nach diesem Gesetz und auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungs pflicht, ansonsten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 3 Satz 1genannten Per sonen kann die Angabe der erhebenden Stelle gegenüber den sons tigen zu befragenden Personen oder nicht-öffentlichen Stellen un terbleiben, wenn dies zum Schutz des Betroffenen oder des Nach richtendienstes erforderlich ist. (2) Die zuständige Stelle erhebt die personenbezogenen Daten beim Betroffenen oder bei dem in die Sicherheitsüberprüfung ein bezogenen Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefährte. Reicht diese Erhebung nicht aus oder stehen ihr schutzwürdige Interessen des Betroffenen oder seines Ehegatten, Lebenspartners oder Lebens gefährten entgegen, können andere geeignete Personen oder Stel len befragt werden. SS 12 Maßnahmen bei den einzelnen Überprüfungsarten (1) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 trifft die mitwirkende Behörde folgende Maßnahmen: 1. sicherheitsmäßige Bewertung der Angaben in der Sicher heitserklärung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Län der, 2. Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bun deszentralregister, 3. Anfragen an das Bundeskriminalamt, die Grenzschutzdi rektion und die Nachrichtendienste des Bundes. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 9 trifft die mitwirkende Behörde zusätzlich zu Absatz 1folgende Maßnahmen: 1. Anfragen an die Polizeidienststellen der innegehabten Wohnsitze des Betroffenen, in der Regel beschränkt auf die letzten fünf Jahre, 2. Prüfung der Identität des Betroffenen. Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder Lebensgefährte des Betroffe nen in die Sicherheitsüberprüfung gemäß SS 2 Abs. 2 einbezogen, BERICHT 2003 326 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z trifft die mitwirkende Behörde bezüglich der einzubeziehenden Per son die in den Absätzen 1und 2 genannten Maßnahmen. (3) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 10 befragt die mitwir kende Behörde zusätzlich von dem Betroffenen in seiner Sicherheits erklärung angegebene Referenzpersonen und weitere geeignete Auskunftspersonen, um zu prüfen, ob die Angaben des Betroffenen zutreffen und ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die auf ein Sicherheitsrisiko schließen lassen. (4) Die zuständige Stelle fragt zur Feststellung einer hauptamtli chen oder inoffiziellen Tätigkeit des Betroffenen oder der einbezo genen Person für den Staatssicherheitsdienst der ehemaligen Deut schen Demokratischen Republik bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deut schen Demokratischen Republik an, wenn der Betroffene oder die einbezogene Person vor dem 1. Januar 1970 geboren wurde und in dem Gebiet der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik wohnhaft war oder Anhaltspunkte für eine Tätigkeit für den Staatssi cherheitsdienst der ehemaligen Deutschen Demokratischen Repu blik vorliegen. Ergibt die Anfrage sicherheitserhebliche Erkennt nisse, übermittelt sie die zuständige Stelle zur Bewertung an die mitwirkende Behörde. (5) Soweit es eine sicherheitserhebliche Erkenntnis erfordert und die Befragung des Betroffenen oder seines Ehegatten, Lebenspart ners oder Lebensgefährten nicht ausreicht oder ihr schutzwürdige Interessen entgegenstehen, kann die mitwirkende Behörde neben den Maßnahmen nach den Absätzen 1bis 3 weitere geeignete Aus kunftspersonen oder andere geeignete Stellen, insbesondere Staats anwaltschaften oder Gerichte, befragen oder Einzelmaßnahmen der nächsthöheren Art der Sicherheitsüberprüfung durchführen. Dritter Abschnitt Verfahren SS 13 Sicherheitserklärung (1) In der Sicherheitserklärung sind vom Betroffenen anzugeben: 1. Namen, auch frühere, Vornamen, 2. Geburtsdatum-, -ort, SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 327 3. Staatsangehörigkeit, auch frühere und doppelte Staatsan gehörigkeiten, 4. Familienstand, 5. Wohnsitze und Aufenthalte von längerer Dauer als zwei Mo nate, und zwar im Inland in den vergangenen fünf Jahren, im Ausland ab dem 18. Lebensjahr, 6. ausgeübter Beruf, 7. Arbeitgeber und dessen Anschrift, 8. Anzahl der Kinder, 9. im Haushalt lebende Personen über 18 Jahre (Namen, auch frühere, Vornamen, Geburtsdatum und Geburtsort und Verhältnis zu dieser Person), 10. Eltern, Stiefoder Pflegeeltern (Namen, auch frühere, Vor namen, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsangehörigkeit und Wohnsitz), 11. Ausbildungsund Beschäftigungszeiten, Wehroder Zivil dienstzeiten mit Angabe der Ausbildungsstätten, Beschäfti gungsstellen sowie deren Anschriften, 12. Nummer des Personalausweises oder Reisepasses, 13. Angaben über in den vergangenen fünf Jahren durchge führte Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, und ob zur Zeit die finanziellen Verpflichtungen erfüllt werden können, 14. Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrichtendiensten der ehemaligen Deutschen Demokra tischen Republik, die auf einen Anbahnungsund Wer bungsversuch hindeuten können, 15. Beziehungen zu verfassungsfeindlichen Organisationen, 16. anhängige Strafund Disziplinarverfahren, 17. Angaben zu Wohnsitzen, Aufenthalten, Reisen, nahen An gehörigen und sonstigen Beziehungen in und zu Staaten, in denen nach Feststellung des Bundesministeriums des In nern als Nationale Sicherheitsbehörde besondere SicherBERICHT 2003 328 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z heitsrisiken für die mit sicherheitsempfindlicher Tätigkeit befaßten Personen zu besorgen sind, 18. zwei Auskunftspersonen zur Identitätsprüfung des Betrof fenen nur bei der Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 (Namen, Vornamen, Anschrift und Verhältnis zur Person), 19. drei Referenzpersonen (Namen, Vornamen, Beruf, berufli che und private Anschrift und Rufnummern sowie zeitli cher Beginn der Bekanntschaft) nur bei einer Sicherheits überprüfung nach SS 10, 20. Angaben zu früheren Sicherheitsüberprüfungen. Der Erklärung sind zwei aktuelle Lichtbilder mit der Angabe des Jah res der Aufnahme beizufügen. (2) Bei der Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 entfallen die Anga ben zu Absatz 1Nr. 8, 11und 12 und die Pflicht, Lichtbilder beizubrin gen; Absatz 1Nr. 10 entfällt, soweit die dort genannten Personen nicht in einem Haushalt mit dem Betroffenen leben. Zur Person des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefährten sind mit deren Einverständnis die in Absatz 1Nr. 1bis 4, 14 und 15 genannten Daten anzugeben. Ergeben sich aus der Sicherheitserklärung oder auf Grund der Abfrage aus einer der in SS 6 des Bundesverfassungs schutzgesetzes genannten Verbunddateien sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensge fährten des Betroffenen, sind weitere Überprüfungsmaßnahmen nur zulässig, wenn der Ehegatte oder Lebenspartner mit seiner Zu stimmung in die erweiterte Sicherheitsüberprüfung einbezogen wird. (3) Wird der Ehegatte, Lebenspartner oder Lebensgefährte in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, so sind zusätzlich die in Absatz 1Nr. 5 bis 7, 12, 13, 16, 17und 18 genannten Daten anzugeben. (4) Bei Sicherheitsüberprüfungen der in SS 3 Abs. 3 genannten Per sonen, sind zusätzlich die Wohnsitze seit der Geburt, die Geschwis ter und abgeschlossene Straf und Disziplinarverfahren sowie alle Kontakte zu ausländischen Nachrichtendiensten oder zu Nachrich tendiensten der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik anzugeben. (5) Der Betroffene kann Angaben verweigern, die für ihn, einen nahen Angehörigen im Sinne des SS 52 Abs. 1der Strafprozeßord SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 329 nung, den Lebenspartner oder Lebensgefährten die Gefahr straf rechtlicher oder disziplinarischer Verfolgung, der Entlassung oder Kündigung begründen könnten. Über das Verweigerungsrecht ist der Betroffene zu belehren. (6) Die Sicherheitserklärung ist vom Betroffenen der zuständigen Stelle zuzuleiten. Sie prüft die Angaben des Betroffenen auf ihre Vollständigkeit und Richtigkeit. Zu diesem Zweck können die Perso nalakten eingesehen werden. Die zuständige Stelle leitet die Sicher heitserklärung an die mitwirkende Behörde weiter und beauftragt diese, eine Sicherheitsüberprüfung durchzuführen, es sei denn, die zuständige Stelle hat bereits bei der Prüfung der Sicherheitser klärung festgestellt, daß ein Sicherheitsrisiko vorliegt, das einer si cherheitsempfindlichen Tätigkeit entgegensteht. Die mitwirkende Behörde kann mit Zustimmung der zuständigen Stelle und des Be troffenen in die Personalakte Einsicht nehmen, wenn dies zur Klärung oder Beurteilung sicherheitserheblicher Erkenntnisse uner läßlich ist. SS 14 Abschluß der Sicherheitsüberprüfung (1) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, daß kein Sicherheitsrisiko nach SS 5 Abs. 1vorliegt, so teilt sie dies der zuständi gen Stelle mit. Fallen Erkenntnisse an, die kein Sicherheitsrisiko be gründen, aber weiterhin sicherheitserheblich sind, so werden diese mitgeteilt. (2) Kommt die mitwirkende Behörde zu dem Ergebnis, daß ein Si cherheitsrisiko vorliegt, unterrichtet sie schriftlich unter Darlegung der Gründe und ihrer Bewertung die zuständige Stelle. Bei nachge ordneten Stellen erfolgt die Unterrichtung über deren oberste Bun desbehörde. (3) Die zuständige Stelle entscheidet, ob ein Sicherheitsrisiko vor liegt, das der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit des Betroffenen entgegensteht. Im Zweifel hat das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen. SS 6 Abs. 1und 2 ist zu beachten. (4) Lehnt die zuständige Stelle die Betrauung mit der sicherheits empfindlichen Tätigkeit ab, teilt sie dies dem Betroffenen mit. BERICHT 2003 330 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z SS 15 Vorläufige Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit Die zuständige Stelle kann in Ausnahmefällen abweichend von SS 2 Abs. 1die sicherheitsempfindliche Tätigkeit des Betroffenen vor Ab schluß der Sicherheitsüberprüfung erlauben, wenn die mitwirkende Behörde 1. bei der einfachen Sicherheitsüberprüfung die Angaben in der Sicherheitserklärung unter Berücksichtigung der eige nen Erkenntnisse bewertet hat oder 2. bei der erweiterten Sicherheitsüberprüfung und bei der er weiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermitt lungen die Maßnahmen der nächstniederen Art der Sicher heitsüberprüfung abgeschlossen hat und sich daraus keine tatsächlichen Anhaltspunkte für ein Sicher heitsrisiko ergeben haben. SS 16 Sicherheitserhebliche Erkenntnisse nach Abschluß der Sicher heitsüberprüfung (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben sich unverzüglich gegenseitig zu unterrichten, wenn sicherheitserhebli che Erkenntnisse über den Betroffenen oder den in die Sicherheits überprüfung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartner oder Lebens gefährte bekanntwerden oder sich mitgeteilte Erkenntnisse als unrichtig erweisen. (2) Die mitwirkende Behörde prüft die sicherheitserheblichen Er kenntnisse und stellt fest, ob ein Sicherheitsrisiko nach SS 5 Abs. 1vor liegt und unterrichtet die zuständige Stelle über das Ergebnis der Prüfung. Im übrigen ist SS 14 Abs. 3 und 4 entsprechend anzuwenden. SS 17 Ergänzung der Sicherheitserklärung und Wiederholungsüber prüfung (1) Die Sicherheitserklärung ist dem Betroffenen, der eine sicher heitsempfindliche Tätigkeit ausübt, in der Regel alle fünf Jahre er neut zuzuleiten und im Falle eingetretener Veränderungen vom Be troffenen zu ergänzen. SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 331 (2) Bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten nach SS 10 ist in der Regel im Abstand von zehn Jahren eine Wiederholungsüberprüfung einzuleiten. Im übrigen kann die zuständige Stelle eine Wiederho lungsüberprüfung einleiten, wenn sicherheitserhebliche Erkennt nisse dies nahelegen. Das Verfahren bei der Wiederholungsüber prüfung entspricht dem der Erstüberprüfung; die mitwirkende Behörde kann von einer erneuten Identitätsprüfung absehen. Die Wiederholungsüberprüfung erfolgt nur mit Zustimmung des Be troffenen, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, und mit der Zustimmung seines Ehegatten, Lebenspartners oder Lebensgefähr ten, falls er einbezogen wird. Vierter Abschnitt Akten über die Sicherheitsüberprüfung, Datenverarbeitung SS 18 Sicherheitsakte und Sicherheitsüberprüfungsakte (1) Die zuständige Stelle führt über den Betroffenen eine Sicher heitsakte, in die alle die Sicherheitsüberprüfung betreffenden Infor mationen aufzunehmen sind. (2) Informationen über die persönlichen, dienstlichen und ar beitsrechtlichen Verhältnisse der Personen, die mit einer sicher heitsempfindlichen Tätigkeit befaßt sind, sind zur Sicherheitsakte zu nehmen, soweit sie für die sicherheitsmäßige Beurteilung erheblich sind. Dazu zählen insbesondere: 1. Zuweisung, Übertragung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, die dazu erteilte Ermächtigung sowie deren Än derungen und Beendigung, 2. Umsetzung, Abordnung, Versetzung und Ausscheiden, 3. Änderungen des Familienstandes, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit, 4. Anhaltspunkte für Überschuldung, insbesondere Pfän dungsund Überweisungsbeschlüsse, 5. Strafund Disziplinarsachen sowie dienstund arbeitsrecht liche Maßnahmen. (3) Die Sicherheitsakte ist keine Personalakte. Sie ist gesondert zu führen und darf weder der personalverwaltenden Stelle noch dem BERICHT 2003 332 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z Betroffenen zugänglich gemacht werden; SS 23 Abs. 6 bleibt un berührt. Im Falle des Wechsels der Dienststelle oder des Dienstherrn ist die Sicherheitsakte nach dorthin abzugeben, wenn auch dort eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausgeübt werden soll. (4) Die mitwirkende Behörde führt über den Betroffenen eine Si cherheitsüberprüfungsakte, in die aufzunehmen sind: 1. Informationen, die die Sicherheitsüberprüfung, die durch geführten Maßnahmen und das Ergebnis betreffen, 2. das Ausscheiden aus oder die Nichtaufnahme der sicher heitsempfindlichen Tätigkeit, 3. Änderungen des Familienstandes, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsangehörigkeit. Die in Absatz 2 Nr. 4 und 5 genannten Daten sind zur Sicherheits überprüfungsakte zu nehmen, wenn sie sicherheitserheblich sind. (5) Die zuständige Stelle ist verpflichtet, die in Absatz 4 Satz 1Nr. 3 und Satz 2 genannten Daten unverzüglich der mitwirkenden Behörde zu übermitteln. Die Übermittlung der in Absatz 4 Satz 1Nr. 2 genannten Daten erfolgt nach den in SS 22 Abs. 2 Nr. 1festgelegten Fristen. SS 19 Aufbewahrung und Vernichtung der Unterlagen (1) Die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung sind geson dert aufzubewahren und gegen unbefugten Zugriff zu schützen. (2) Die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung sind bei der zuständigen Stelle innerhalb eines Jahres zu vernichten, wenn der Betroffene keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, der Betroffene willigt in die weitere Aufbewahrung ein. Im übrigen sind die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung bei der zuständigen Stelle fünf Jahre nach dem Ausscheiden aus der si cherheitsempfindlichen Tätigkeit zu vernichten, es sei denn, der Be troffene willigt in die weitere Aufbewahrung ein oder es ist beab sichtigt, dem Betroffenen in absehbarer Zeit erneut eine sicher heitsempfindliche Tätigkeit zuzuweisen, zu übertragen oder ihn dazu zu ermächtigen. (3) Die Unterlagen über die Sicherheitsüberprüfung bei der mit wirkenden Behörde sind nach den in SS 22 Abs. 2 Nr. 2 genannten Fris SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 333 ten zu vernichten. Gleiches gilt bezüglich der Unterlagen zu den in SS 3 Abs. 3 genannten Personen. SS 20 Speichern, Verändern und Nutzen personenbezogener Daten in Dateien (1) Die zuständige Stelle darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz die in SS 13 Abs. 1Nr. 1bis 6 genannten personenbezo genen Daten, ihre Aktenfundstelle und die der mitwirkenden Behörde sowie die Beschäftigungsstelle, Verfügungen zur Bearbei tung des Vorganges und beteiligte Behörden in Dateien speichern, verändern und nutzen. (2) Die mitwirkende Behörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben 1. die in SS 13 Abs. 1Nr. 1bis 6 genannten personenbezogenen Daten des Betroffenen und des in die Sicherheitsüberprü fung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartners oder Le bensgefährten und die Aktenfundstelle, 2. Verfügungen zur Bearbeitung des Vorgangs sowie 3. sicherheitserhebliche Erkenntnisse und Erkenntnisse, die ein Sicherheitsrisiko begründen, in Dateien speichern, verändern und nutzen. Die Daten nach Num mer 1dürfen auch in die nach SS 6 des Bundesverfassungsschutzge setzes zulässigen Verbunddateien gespeichert werden. SS 21 Übermittlung und Zweckbindung (1) Die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespeicherten personenbezogenen Daten dürfen von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde nur für 1. die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgten Zwecke, 2. Zwecke der Verfolgung von Straftaten von erheblicher Be deutung, 3. Zwecke parlamentarischer Untersuchungsausschüsse genutzt und übermittelt werden. Die Strafverfolgungsbehörden dürfen die ihnen nach Satz 1Nr. 2 übermittelten Daten für Zwecke eiBERICHT 2003 334 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z nes Strafverfahrens nur verwenden, wenn die Strafverfolgung auf andere Weise erheblich weniger erfolgversprechend oder wesent lich erschwert wäre. Die zuständige Stelle darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus für Zwecke der diszipli narrechtlichen Verfolgung sowie dienstoder arbeitsrechtlicher Maßnahmen nutzen und übermitteln, wenn dies zur Gewährleis tung des Verschlußsachenschutzes erforderlich ist. Die mitwirkende Behörde darf die gespeicherten personenbezogenen Daten darüber hinaus im Rahmen des erforderlichen Umfangs nutzen und über mitteln zur Aufklärung von sicherheitsgefährdenden oder geheim dienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder von Bestrebun gen, die darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt anwendung vorzubereiten oder zur Aufklärung sonstiger Bestre bungen von erheblicher Bedeutung. (2) Die Übermittlung der nach SS 20 in Dateien gespeicherten Da ten ist nur zulässig, soweit sie für die Erfüllung der in Absatz 1ge nannten Zwecke erforderlich ist. Die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 1gespei cherten Daten dürfen zur Erfüllung aller Zwecke des Verfassungs schutzes genutzt und übermittelt werden. (3) Die mitwirkende Behörde darf personenbezogene Daten nach den Absätzen 1und 2 nur an öffentliche Stellen übermitteln. (4) Die Nutzung oder Übermittlung unterbleibt, soweit gesetzli che Verwendungsregelungen entgegenstehen. (5) Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verarbeiten und nutzen, zu dessen Erfüllung sie ihm übermit telt werden, und zum Zweck der Strafverfolgung gemäß Absatz 1 Satz 1Nr. 2. Eine nicht-öffentliche Stelle ist darauf hinzuweisen. SS 22 Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Die zuständige Stelle und die mitwirkende Behörde haben per sonenbezogene Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wird festgestellt, daß personenbezogene Daten unrichtig sind oder wird ihre Richtigkeit vom Betroffenen bestritten, so ist dies, soweit sich die personenbezogenen Daten in Akten befinden, dort zu vermer ken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (2) In Dateien gespeicherte personenbezogene Daten sind zu lö schen SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 335 1. von der zuständigen Stelle a) innerhalb eines Jahres, wenn der Betroffene keine sicher heitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt, es sei denn, der Be troffene willigt in die weitere Speicherung ein, b) nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden des Be troffenen aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, es sei denn, der Betroffene willigt in die weitere Speicherung ein oder es ist beabsichtigt, dem Betroffenen in absehbarer Zeit eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit zuzuweisen, zu übertragen oder ihn dazu zu ermächtigen, 2. von der mitwirkenden Behörde a) bei einfachen Sicherheitsüberprüfungen nach Ablauf von fünf Jahren nach dem Ausscheiden des Betroffenen aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit, b) bei den übrigen Überprüfungsarten nach Ablauf von zehn Jahren, beim Bundesnachrichtendienst nach Ablauf von 25 Jahren, nach den in Nummer 1genannten Fristen, c) die nach SS 20 Abs. 2 Nr. 3 gespeicherten Daten, wenn fest steht, daß der Betroffene keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aufnimmt oder aus ihr ausgeschieden ist. Im übrigen sind in Dateien gespeicherte personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist. (3) Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme be steht, daß durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen be einträchtigt würden. In diesem Fall sind die Daten zu sperren. Sie dürfen nur noch mit Einwilligung des Betroffenen verarbeitet und genutzt werden. SS 23 Auskunft über gespeicherte personenbezogene Daten (1) Auf Antrag ist von der zuständigen Stelle oder mitwirkenden Behörde unentgeltlich Auskunft zu erteilen, welche Daten über die anfragende Person im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung gespei chert wurden. (2) Bezieht sich die Auskunftserteilung auf die Übermittlung per sonenbezogener Daten an die mitwirkenden Behörden, ist sie nur BERICHT 2003 336 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z mit deren Zustimmung zulässig. (3) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. die Auskunft die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zu ständigkeit der speichernden Stelle liegenden Aufgaben gefährden würde, 2. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 3. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere we gen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Drit ten, geheimgehalten werden müssen und deswegen das Interesse des Anfragenden an der Auskunftsertei lung zurücktreten muß. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf einer Begrün dung nicht, soweit durch die Mitteilung der tatsächlichen und rechtlichen Gründe, auf die die Entscheidung gestützt wird, der mit der Auskunftsverweigerung verfolgte Zweck gefährdet würde. In diesem Fall sind die Gründe der Auskunftsverweigerung aktenkun dig zu machen. Die anfragende Person ist auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf hinzuweisen, daß sie sich an den Bundesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. (5) Wird dem Anfragenden keine Auskunft erteilt, so ist sie auf sein Verlangen dem Bundesbeauftragten für den Datenschutz zu er teilen, soweit nicht die jeweils zuständige oberste Bundesbehörde im Einzelfall feststellt, daß dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Die Mitteilung des Bundesbeauftrag ten für den Datenschutz darf keine Rückschlüsse auf den Erkenntnis stand der speichernden Stelle zulassen, sofern diese nicht einer wei tergehenden Auskunft zustimmt. (6) Die zuständige Stelle gewährt der anfragenden Person Ein sicht in die Sicherheitsakte, soweit eine Auskunft für die Wahrneh mung ihrer rechtlichen Interessen nicht ausreicht und sie hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist. Die Regelungen der Absätze 2 bis 5 gelten entsprechend. (7) Die Auskunft ist unentgeltlich. SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 337 Fünfter Abschnitt Sonderregelungen bei Sicherheitsüberprüfungen für nicht-öffentliche Stellen SS 24 Anwendungsbereich Bei Sicherheitsüberprüfungen von Betroffenen, die von der zustän digen Stelle zu einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach SS 1 Abs. 2 Nr. 1bis 3 bei einer nicht-öffentlichen Stelle ermächtigt oder mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nach SS 1Abs. 4 bei ei ner nichtöffentlichen Stelle betraut werden sollen, gelten folgende Sonderregelungen. SS 25 Zuständigkeit (1) Zuständige Stelle für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten nach SS 1Abs. 2 Nr. 1bis 3 ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit, soweit nicht im Einvernehmen mit ihm eine andere oberste Bundesbehörde die Aufgabe als zuständige Stelle wahr nimmt. (2) Zuständige Stelle für sicherheitsempfindliche Tätigkeiten nach SS 1Abs. 4 ist dasjenige Bundesministerium, dessen Zuständig keit für die nichtöffentliche Stelle in einer Rechtsverordnung nach SS 34 festgelegt ist. Das zuständige Bundesministerium kann seine Befugnis auf eine von ihm bestimmte sonstige öffentliche Stelle des Bundes übertragen. (3) Die Aufgaben der nicht-öffentlichen Stelle nach diesem Gesetz sind grundsätzlich von einer von der Personalverwaltung getrenn ten Organisationseinheit wahrzunehmen. Die zuständige Stelle kann Ausnahmen zulassen, wenn die nicht-öffentliche Stelle sich verpflichtet, Informationen, die ihr im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung bekanntwerden, nur für solche Zwecke zu gebrauchen, die mit der Sicherheitsüberprüfung verfolgt wer den. SS 26 Sicherheitserklärung Abweichend von SS 13 Abs. 6 leitet der Betroffene seine Sicherheitser klärung der nicht-öffentlichen Stelle zu, in der er beschäftigt ist. Im BERICHT 2003 338 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z Falle der Einbeziehung des Ehegatten, Lebenspartners oder Lebens gefährten nach SS 2 Abs. 2 fügt er dessen Zustimmung bei. Die nicht öffentliche Stelle prüft die Vollständigkeit und Richtigkeit der Anga ben und darf, soweit dies erforderlich ist, die Personalunterlagen beiziehen. Sie gibt die Sicherheitserklärung an die zuständige Stelle weiter und teilt dieser vorhandene sicherheitserhebliche Erkennt nisse mit. SS 27 Abschluß der Sicherheitsüberprüfung, Weitergabe sicherheits erheblicher Erkenntnisse Die zuständige Stelle unterrichtet die nicht-öffentliche Stelle nur darüber, daß der Betroffene zur sicherheitsempfindlichen Tätigkeit ermächtigt oder nicht ermächtigt wird. Erkenntnisse, die die Ableh nung der Ermächtigung zur sicherheitsempfindlichen Tätigkeit be treffen, dürfen nicht mitgeteilt werden. Zur Gewährleistung des Ver schlußsachenschutzes können sicherheitserhebliche Erkenntnisse an die nicht-öffentliche Stelle übermittelt werden und dürfen von ihr ausschließlich zu diesem Zweck genutzt werden. Die nicht-öffentliche Stelle hat die zuständige Stelle unverzüglich zu unterrich ten, wenn sicherheitserhebliche Erkenntnisse über den Betroffenen oder den in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährten bekanntwerden. SS 28 Aktualisierung der Sicherheitserklärung (1) Die nicht-öffentliche Stelle leitet dem Betroffenen, der eine si cherheitsempfindliche Tätigkeit ausübt, auf Anforderung der zu ständigen Stelle die Sicherheitserklärung in der Regel alle fünf Jahre erneut zu. (2) Der Betroffene hat die in der Sicherheitserklärung angegebe nen Daten im Falle eingetretener Veränderungen zu ergänzen. Die zuständige Stelle beauftragt die mitwirkende Behörde, die Maßnah men nach SS 12 Abs. 1Nr. 2 und 3 erneut durchzuführen und zu be werten. SS 29 Übermittlung von Informationen über persönliche und arbeits rechtliche Verhältnisse Die nicht-öffentliche Stelle hat der zuständigen Stelle das Ausschei den aus sicherheitsempfindlicher Tätigkeit, Änderungen des Fami lienstandes, des Namens, eines Wohnsitzes und der Staatsan SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 339 gehörigkeit unverzüglich mitzuteilen. SS 30 Sicherheitsakte der nicht-öffentlichen Stelle Für die Sicherheitsakte in der nicht-öffentlichen Stelle gelten die Vorschriften dieses Gesetzes über die Sicherheitsakte entsprechend mit der Maßgabe, daß die Sicherheitsakte der nicht-öffentlichen Stelle bei einem Wechsel des Arbeitgebers nicht abgegeben wird. SS 31 Datenverarbeitung, -nutzung und -berichtigung in automati sierten Dateien Die nicht-öffentliche Stelle darf die nach diesem Gesetz zur Erfül lung ihrer Aufgaben erforderlichen personenbezogenen Daten des Betroffenen in automatisierten Dateien speichern, verändern und nutzen. Die für die zuständige Stelle geltenden Vorschriften zur Be richtigung, Löschung und Sperrung finden Anwendung. Sechster Abschnitt Reisebeschränkungen, Sicherheitsüberprüfungen auf An trag ausländischer Dienststellen und Schlußvorschriften SS 32 Reisebeschränkungen (1) Personen, die eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben, die eine Sicherheitsüberprüfung nach den SSSS 9 und 10 erfordert, können verpflichtet werden, Dienstund Privatreisen in und durch Staaten, für die besondere Sicherheitsregelungen gelten, der zustän digen Stelle oder der nicht-öffentlichen Stelle rechtzeitig vorher an zuzeigen. Die Verpflichtung kann auch für die Zeit nach dem Aus scheiden aus der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit angeordnet werden. (2) Die Reise kann von der zuständigen Stelle untersagt werden, wenn Anhaltspunkte zur Person oder eine besondere sicherheits empfindliche Tätigkeit vorliegen, die eine erhebliche Gefährdung durch fremde Nachrichtendienste erwarten lassen. BERICHT 2003 340 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z (3) Ergeben sich bei einer Reise in und durch Staaten, für die be sondere Sicherheitsregelungen gelten, Anhaltspunkte, die auf einen Anbahnungsund Werbungsversuch fremder Nachrichtendienste hindeuten können, so ist die zuständige Stelle nach Abschluß der Reise unverzüglich zu unterrichten. SS 33 Sicherheitsüberprüfung auf Antrag ausländischer Dienststellen (1) Ersucht eine ausländische Dienststelle die mitwirkenden Behörden um die Mitwirkung bei einer Sicherheitsüberprüfung, so richtet sie sich nach den Bestimmungen dieses Gesetzes, soweit nicht in Rechtsvorschriften zwischenstaatlicher Einrichtungen oder völkerrechtlichen Verträgen, denen die gesetzgebenden Körper schaften gemäß Artikel 59 Abs. 2 des Grundgesetzes zugestimmt ha ben, etwas anderes bestimmt ist. (2) Die Mitwirkung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige In teressen des Betroffenen entgegenstehen. Dies gilt auch bei der Übermittlung personenbezogener Daten an die ausländische Dienststelle. (3) Die ausländische Dienststelle ist darauf hinzuweisen, daß die im Rahmen der Sicherheitsüberprüfung übermittelten personenbe zogenen Daten nur für Zwecke der Sicherheitsüberprüfung verwen det werden dürfen und die mitwirkende Behörde sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bit ten. SS 34 Ermächtigung zur Rechtsverordnung Die Bundesregierung wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung festzustellen, welche Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes oder nichtöffentlichen Stellen oder Teile von ihnen le bensoder verteidigungswichtige Einrichtungen mit sicherheits empfindlichen Stellen im Sinne des SS 1Abs. 4 sind, welches Bundes ministerium für die nichtöffentliche Stelle zuständig ist und welche Behörden oder sonstigen öffentlichen Stellen des Bundes Aufgaben im Sinne des SS 10 Satz 1Nr. 3 wahrnehmen. SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 341 SS 35 Allgemeine Verwaltungsvorschriften (1) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes erläßt das Bundesministerium des Innern, soweit in den Absätzen 2 bis 4 nichts anderes bestimmt ist. (2) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes im Bereich der Sicherheitsüberprüfung in der Wirt schaft erläßt das Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. (3) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung erläßt das Bundesministerium der Verteidigung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. (4) Die allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Ausführung dieses Gesetzes bei den Nachrichtendiensten des Bundes erläßt die jeweils zuständige oberste Bundesbehörde im Einvernehmen mit dem Bundesministerium des Innern. SS 36 Anwendung desBundesdatenschutzgesetzes, Bundesverfas sungsschutzgesetzes, MAD-Gesetzesund BND-Gesetzes (1) Die Vorschriften des Ersten Abschnitts mit Ausnahme von SS 3 Abs. 2 und 8 Satz 1, SS 4 Abs. 2 und 3, SSSS 4b und 4c sowie SS 13 Abs. 1a und des Fünften Abschnitts sowie die SSSS 18 und 39 des Bundesdaten schutzgesetzes, des Ersten Abschnitts und die SSSS 14 und 23 Nr. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes auch in Verbindung mit SS 12 des MAD-Gesetzes und SS 10 des BND-Gesetzes sowie die SSSS 1und 8 des MAD-Gesetzes und SS 6 des BND-Gesetzes finden Anwendung. (2) Für die Datenschutzkontrolle der von öffentlichen und nicht öffentlichen Stellen nach diesem Gesetz gespeicherten personenbe zogenen Daten gelten die SSSS 21und 24 bis 26 des Bundesdaten schutzgesetzes. SS 37 Strafvorschriften (1) Wer unbefugt von diesem Gesetz geschützte personenbezo gene Daten, die nicht offenkundig sind, BERICHT 2003 342 SI CH ERH EI T SÜ BERPRÜ FU N G SGE SE T Z 1. speichert, verändert oder übermittelt, 2. zum Abruf mittels automatisierten Verfahrens bereithält oder 3. abruft oder sich oder einem anderen aus Dateien ver schafft, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe be straft. (2) Ebenso wird bestraft, wer 1. die Übermittlung von durch dieses Gesetz geschützten per sonenbezogenen Daten, die nicht offenkundig sind, durch unrichtige Angaben erschleicht oder 2. entgegen SS 21Abs. 1oder SS 27Satz 3 Daten für andere Zwecke nutzt, indem er sie innerhalb der Stelle an einen an deren weitergibt. (3) Handelt der Täter gegen Entgelt oder in der Absicht, sich oder einen anderen zu bereichern oder einen anderen zu schädigen, so ist die Strafe Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe. (4) Die Tat wird nur auf Antrag verfolgt. SS 38 (nicht abgedruckt) SS 39 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft. A BK Ü RZU N G SV ERZEI CH N I S 343 III. Abkürzungsverzeichnis A AAI Ansar Al-Islam ADHF Föderation für demokratische Rechte in Deutschland ADHK Konföderation für demokratische Rechte in Europa ADÜTDF Föderation der türkisch-demokratischen Idealisten vereine in Europa e. V. AGIF Föderation der Arbeitsimmigranten aus der Türkei in Deutschland e. V. AKP Adalet ve Kalkinma Partisi (Gerechtigkeitsund Ent wicklungspartei) AMAL Gruppen des libanesischen Widerstandes API Arbeiterkommunistische Partei Iran ATIF Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. ATIK Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa B BK Babbar Khalsa International C18 Combat 18 C.C.FIS Koordinationsrat der FISim Ausland CWI Committee for a Workers International D DABK Ostanatolisches Gebietskomitee DAO Deutsche Aufbau-Organisation DA'WA Hizb Al Da'Wa Al Islamiya (Partei des islamischen Rufs/ der islamischen Mission) DHKC Revolutionäre Volksbefreiungsfront DHKP-C Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front DHKP Revolutionäre Volksbefreiungspartei DIDF Föderation der demokratischen Arbeitervereine aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e. V. DKP Deutsche Kommunistische Partei DLVH Deutsche Liga für Volk und Heimat DP Deutsche Partei DPK-I Demokratische Partei Kurdistans/Irak DSZ-Verlag DSZ - Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH DVU Deutsche Volksunion E EMVG Europäische Moscheebauund Unterstützungsge meinschaft e.V. BERICHT 2003 344 A BK Ü RZU N G SV ERZEI CH N I S F F.A.F. Fränkische Aktionsfront FAPSI Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information der Russischen Föderation FAU-IAA Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union - Internatio nale Arbeiter Assoziation FDVP Freiheitliche Deutsche Volkspartei FHI Flüchtlingshilfe Iran e. V. FIS Front Islamique du Salut (Islamische Heilsfront) FP Fazilet Partisi (Tugendpartei) FPS Föderaler Dienst für Grenzschutz der Russischen Fö deration FSB Russischer Inlandsnachrichtendienst FSO Föderaler Schutzdienst (u.a. zum Schutz des russ. Prä sidenten und russ. Regierungsmitglieder) F+T Furchtlos & Treu FZ-Verlag FZ - Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH G GFP Gesellschaft für Freie Publizistik GI Al-Gama'a al-Islamiyya (Islamische Gemeinschaft) GIA Groupe Islamique Arme (Bewaffnete Islamische Gruppe) GRU Militärischer russischer Auslandsnachrichtendienst GSPC Groupe salafiste pour la Predication et le Combat (Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf) H HAMAS Islamische Widerstandsbewegung HKO Volksbefreiungsarmee der MKP HUT Hizb ut-Tahrir al-Islami HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. I IBDA-C Front der islamischen Kämpfer des Großen Ostens ICCB Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V., Köln IEFE Exekutivinstanz der FISim Ausland IFIR Internationale Föderation zur Verteidigung von Frauenrechten im Iran e.V. IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. IHR Institute for Historical Review IKM Komitee gegen Isolationshaft A BK Ü RZU N G SV ERZEI CH N I S 345 ISYF International Sikh Youth Federation J JI Jihad Islami (Islamischer Heiliger Krieg) JI Jemaah Islamiyah-Indonesien JF Junge Freiheit JLO Junge Landsmannschaft Ostpreußen JN Junge Nationaldemokraten K KAB Union der Arbeiter aus Kurdistan KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KARSAZ Union der Internationalen Kurdischen Arbeitgeber KDS Kampfbund Deutscher Sozialisten KIH Islamische Bewegung Kurdistans KMDI Kamagata Maru Dal International KONGRA-GEL Volkskongress Kurdistans KONKURD Föderation der kurdischen Vereine in Europa KP Kommunistische Partei Chinas KPI Kommunistische Partei Iran KPF Kommunistische Plattform der PDS L LTTE Liberation Tigers of Tamil Eelam M MB Muslimbruderschaft MEK Volksmodjahedin Iran-Organisation MfSS Nordkoreanischer Nachrichtendienst MID Nachrichtendienst der chinesischen "Volksbefreiungsarmee" MKP Maoistische Kommunistische Partei mg militante Gruppe MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MRN Bewegung für die Nationale Erneuerung MSS Chinesischer ziviler Nachrichtendienst N NBD Nationales Bündnis Dresden NHB Nationaldemokratischer Hochschulbund e. V. NL Nationale Liste NLA Nationale Befreiungsarmee NLD Nationale Liga Deutschland NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSAN Nationales und Soziales Aktionsbüro Norddeutsch land BERICHT 2003 346 A BK Ü RZU N G SV ERZEI CH N I S NSDAP/AO Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation NVU Nederlandse Volksunie NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran NZ National-Zeitung/Deutsche Wochen-Zeitung P PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PJA Partei der freien Frauen PKK Arbeiterpartei Kurdistans PMK Politisch motivierte Kriminalität PUK Patriotische Union Kurdistans R RBF Republikanischer Bund der Frauen REP Die Republikaner RepBB Republikanischer Bund der öffentlich Bediensteten RH Rote Hilfe e. V. RHV Republikanischer Hochschulverband RJ Republikanische Jugend RP Refah-Partisi RVF Racial Volunteer Force S SAV Sozialistische Alternative Voran SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SKB Scientology Kirche Berlin e.V. SKD Scientology Kirche Deutschland e.V. SKH Scientology Kirche Hamburg e.V. SO Scientology-Organisation SP Saadat-Partisi (Glückseligkeits-Partei) SSS Skinheads Sächsische Schweiz SWR ziviler russischer Auslandsnachrichtendienst T Tayad Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei TECAK Bewegung der freien Jugend Kurdistans THKP/-C - Devrimci Sol Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Revolu tionäre Linke TIKKO Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/MarxistenLeninisten A BK Ü RZU N G SV ERZEI CH N I S 347 U U.I.S.A. Union islamischer Studentenvereine UZ Unsere Zeit V VGB Verlagsgesellschaft Berg mbH VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten in der Bun desrepublik e.V. Y YCK Union der Jugendlichen aus Kurdistan YDK Kurdische Demokratische Volksunion YEK Union der Yeziden aus Kurdistan YEK-KOM Förderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. YHK Union der Juristen Kurdistans YMK Union kurdischer Lehrer YNK Union der Schriftsteller Kurdistans YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Union der StudentInnen aus Kurdistan BERICHT 2003 348 R EG I ST ER IV. Register Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 161, 200 ff. Arndt-Buchdienst 99 A Arndt-Verlag 98 f., 106 AAE, Per Lennart 62 f. Ar-Raid (Der Kundschafter) 176 ABDALLAH, Shadi 171 ASSEM, Shaker 183 Abu Hafs Al-Masri-Brigaden 171, 214 Auslandsorganisation der Arbeiterkommu nistischen Partei Iran-Sektion Deutschland 210 Adalet ve Kalkinma Partisi (Gerechtigkeits und Entwicklungspartei) (AKP) 187, 194 ATZINGER, Oskar 81 ADVANCE 240 AYDAR, Zübeyir 202 Akademya (Die Akademie) 216 Aktionsbüro Norddeutschland 50 Aktionsbüro Süd 32 B Al-Ahd (Die Verpflichtung) 180 Babbar Khalsa International (BK) 217 Al-Aqsa e. V. 179 Beklenen ASR-I SAADET (Das erwartete AL-BANNA, Hassan 176 Jahrhundert der Glückseligkeit) 215 Al-Fadschr (Die Morgendämmerung) 212 BELHADJ, Ali 175 AL-HUDAIBI, Mamoun 176 BERNHARD, Bernd 80 Al-Gama'a al-Islamiyya Bewaffnete Islamische Gruppe (Islamische Gemeinschaft) (GI) 173, 176 (Groupe Islamique Arme) (GIA) 174 Al-Islam (Der Islam) 176 Bewegung der freien Jugend Kurdistans (TECAK) 205 f. AL KHALALIYAH, Achmed Nazzal Fadhil 168, 171 Bewegung für die Nationale Erneuerung Al Khilafa 182 (MRN) 176 Al Moquawama Al Islamiya BIBER, Sepp 57 (Islamischer Widerstand) 180 BINALSHIB, Ramzi 168 Al-Qaida (Die Basis) 158 f., 167ff. BIN ISAMUDDIN (alias Hambali) 159 Al Qods-Tag (Jerusalem Tag) 181 BIN LADEN, Usama 158 f., 167 AL-RANTISI, Abdel Aziz 179 BÖHMER, Gisela 82 Al-Ribat (Das Band/Die Verbindung) 174 Blood & Honour 42 f. AL RASCHTA, Ata Abu (alias Abu Yassin) 183 BOHLINGER, Roland 102 Al-Tawhid 171 BOLOURCHI, Dr. Massoumeh 208 Al Waie 182 Bonus-Verlag 99 AL-ZAWAHIRI, Dr. Ayman 167, 174, 214 Brauner Partisan - Stimme der braunen AMARI, Saifi (alias Abderreazak le Para) 175 autonomen Untergrundbewegung 52 AN-NABHANI, Taqi ud-Din 182 British National Party 93, 95 Anti-Antifa 52 Bundesausschuss Friedensratschlag 130 antifa 117, 128 f., 148 ff. C Antirassismus 108, 119, 151 Castle Hill Publishers 97 APFEL, Holger 59 f., 66 f. Combat 18 (C18) 39 f., 95 Arabische Mujahedin (Kämpfer für die Sache Allahs) 167, 214 Committee for a Workers International (CWI) 141f. Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) 210 f. R EG I ST ER 349 D EL-ZAYAT, Ibrahim ENGEL, Stefan 177 143 Das neue National-Journal 90 EN NAHDA (Bewegung der Erneuerung) 176 de BENOIST, Alain 86 ERBAKAN, Necmettin 161, 186 DECKERT, Günter 93 Euro-Kurier 99 DELLHEIM, Fred 128 Europa-Buchhandlung 99 Demokratische Partei Kurdistans/Irak (DPK-I) 217 Europa vorn Verlag 106 Der Gegenangriff 48 Europäische Moscheebauund Der Republikaner 75 f., 79, 82, 105 Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG) 186 Deutsche Akademie 84 Exekutivinstanz der FISim Ausland (IEFE) 175 Deutsche Geschichte 106 EYGI, Mehmet Sevket 190 Deutsche Kommunistische Exilregierung der iranischen Arbeiterpartei 210 Partei (DKP) 126 ff. Explizit 182 Deutsche Kulturgemeinschaft Österreich 94 Deutsche Liga für Volk und Heimat (DLVH) 82 Deutsche Liste für Europa (DLFE) 66 Deutsche Partei (DP) 66 f., 81f. F Deutsche Stimme 27, 55 ff., 82, 84, 90 ff. FAURISSON, Robert 97 Deutsche Volksunion (DVU) 26, 28 f., 42, 68, 83 Fazilet-Partisi (Tugendpartei) (FP) 186 Deutsches Kolleg 85 Flüchtlingshilfe Iran e. V. (FHI) 209 Deutschland in Geschichte Föderation der Arbeiter aus der Türkei und Gegenwart 99, 106 in Deutschland e. V. (ATIF) 198 Devrim Yolunda Isci Köylü (Arbeiter und Föderation der Arbeiterimmigranten aus Bauern auf dem Weg der Revolution) 195, der Türkei in Deutschland e. V. (AGIF) 149 Devrimci Cizgi (Revolutionäre Linie) 216 Föderation der demokratischen Arbeiter vereine aus der Türkei in der Devrimci Demokrasi Bundesrepublik Deutschland e. V. (DIDF) 216 (Revolutionäre Demokratie) 196 Föderation der kurdischen Vereine in Europa Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 191 (KONKURD) 205 DHINA, Dr. Mourad 174 f. Föderation der türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V. D.I.A. (Der Islam als Alternative) 184 (ADÜTDF) 216 Die Republikaner (REP) 26, 28 f., 42, 75, 83, 100 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) 203 f. Die Rote Hilfe 145 f. Fränkische Aktionsfront 52 DÖRING, Osman (alias Yavuz Celik Karahan) 183, 187 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter - Union - DSZ - Druckschriftenund Zeitungsverlag Internationale Arbeiter Assoziation (FAU-IAA) 124 f. GmbH (DSZ-Verlag) 68, 89, 105 Freie Nationalisten 49 DVU e. V. 68 FREIHEIT 240 DVU-Liste D 68 Freiheitliche Initiative Deutschlands (FID) 81 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) 161f., 200 ff. E Freundeskreis Ulrich von Hutten e. V. 94 Ekmek ve Adalet (Brot und Gerechtigkeit) 192 FREY, Dr. Gerhard 26, 68 f., 74, 92 EL-MOTASSADEQ, Mounit 172 Friedens-Journal 130 BERICHT 2003 350 R EG I ST ER Front der islamischen Kämpfer Hohenrain-Verlag 99 des Großen Ostens (IBDA-C) 171, 216 HOSSEIN NASSB, Dr. Seyyed Reza 212 Furchtlos & Treu (F+T) 43 Furkan (Die Rettung) 216 FZ - Freiheitliche Buchund Zeitschriftenverlag GmbH (FZ-Verlag) 71f. I IMPACT 240 Info-Telefone 105 G INTERIM 116, 120 ff., 149, 152 GANCZARSKI, Christian 173 Internationale Föderation der iranischen Flüchtlingsund Immigrantenräte (IFIR) 211 Geheimschutz 236 ff. Internationale Kampagne zur Verteidigung Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei (AKP) 187, 194 von Frauenrechten im Iran e. V. 211 Germania-Rundbrief 96 INTERNATIONAL SCIENTOLOGY Gesellschaft für freie Publizistik (GFP) 101 NEWS 240 Graswurzelbewegung 124 International Sikh Youth Federation (ISYF) 217 graswurzelrevolution 125 Intifada 177f., 180 GRABERT, Wigbert 99 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 161, 177f. Grabert-Verlag 98 f., 106 Islamische Gemeinschaft GRAF, Jürgen 97 Milli Görüs e. V. (IGMG) 161, 185 ff. GRIMM, Holle 102 Islamische Heilsfront (Front Islamique du Salut) (FIS) 174 ff., 215 GROLITSCH, Lisbeth 94 Islamische Widerstandsbewegung Groß-Gerauer Kreis Report 78, 80 (HAMAS) 160, 176, 178 f., 214 Gruppen des libanesischen Widerstandes Islamische Zentren 176, 211 (AMAL) 217 Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 211f. Issedin-el Kassem-Brigaden 178 H Haberci (Der Bote) Hammerskins 216 43 J Jemaah Islamiyah (JI) 159, 170 Hassgesang 88 Jihad 158 f., 167f., 173, 175 f., 184 HATTAB, Hassan (alias HAMZA, Abou) 174 f. Jihad Islami HEKMAT, Mansour 210 f. (Islamischer Heiliger Krieg) (JI) 173, 176 Hilafet 182, 184 Junge Freiheit (JF) 87 Hilfsorganisation für nationale politische Junge Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) 82 Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) 53 f. Junge Nationaldemokraten (JN) 64, 67 Hizb al-Da'Wa al-Islamiyya (Partei des islamischen Rufs/der islamischen Mission) (DA'WA) 217 Hizb Allah (Partei Gottes) 160, 163, 180 Hizb ut -Tahrir al Islami (HuT) 160, 162, 182 f., 198, 215 K HOCH, Haymo 81 Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) 160, 183 f., 215 Kamagata Maru Dal International (KMDI) 217 R EG I ST ER 351 Kameradschaft Kitzingen/Würzburg Kameradschaft Süd 49 25, 33, 38, 48 f., 52, 87 M MADANI, Abassi 175, 215 Kameradschaft Sturmfront 49 MAHDJOUB, Abderrazak 164 Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) 48 MAHLER, Horst 65, 84 f., 89, 97 KAPLAN, Metin 184 f. Maoistische Kommunistische Partei (MNP) 195 ff. KARAHAN, Yavuz Celik 87, 185 MARINOVIC, Dr. Walter 93 KARATAS, Dursun 191 MATTOGNO, Carlo 97 KARAMOLLAOGLU, Temel 187 Marxistisches Forum 135 KAYPAKKAYA, Ibrahim 197 Marxistisch-Leninistische KAZAN, Sevket 187 Kommunistische Partei (MLKP) 191, 198 f. KEBIR, Rabah 175 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 143 f. KERTH, Cornelia 128 MASCHAL, Khalid 179 KHALED, Amr 178 MASCHKE, Günther 87 KIZILKAYA, Ali 187 MEDYA-TV 205 Klosterhaus-Verlag 102 MEENEN, Uwe 85 Kommunistische Partei Irans (KPI) 210 militante gruppe (mg) 122 Kommunistische Plattform der PDS(KPF) 109 f., 132, 135, 137 Milli Gazete (Nationale Zeitung) 187, 189 f. Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) 197 Milli Görüs 161, 163, 185 ff. Koordiantionsrat der FISim Ausland (C.C.FIS) 175 Milli Görüs & Perspektive 185 KOSIEK, Dr. Rolf 84, 101 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS 109 f., 130 f., 135, 142 KREBS, Dr. Pierre 65, 84, 86, 102 Modjahed (Glaubenskämpfer) 207 Kurdische Demokratische Volksunion (YDK) 200 Modjahedin 210 KUSTERS, Constantijn 93 MOHAMED, Armin Lokman 169 KUTAN, Recai 186 Mujahedin (Krieger Allahs) 158 ff., 167ff. MÜLLER, Ursula 53 MUNIER, Dietmar 98 L Muslimbruderschaft (MB) 161, 163, 176, 178, 182 Landser 45 MZOUDI, Abdelghani 172 LAUCK, Gary Rex 94 f. Lernen und Kämpfen 143 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) 162, 212 f. N Nachrichten der HNG 53 f. Linksruck 140 f. NASRALLAH, Hassan 180 LORENZ, Kerstin 81f. Nation24.de-Das patriotische Magazin 86 Nationale Befreiungsarmee (NLA) 208 f. Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) 208 f., 216 BERICHT 2003 352 R EG I ST ER Nation & Europa Patriotische Union Kurdistans (PUK) 217 - Deutsche Monatshefte 100, 106 PDSInternational 131 Nation Europa Verlag GmbH 98, 106 PDS-Pressedienst 131 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 26, 29, 52, 64, 84, 104 Pour le Merite-Verlag 99 Nationaldemokratischer Proliferation 220, 222, 233 f. Hochschulbund e. V. (NHB) 54, 84 Nationale Liste (NL) 50 Nationales Bündnis Dresden (NBD) Nationales Exekutivbüro der FISim Ausland 67, 81 174 f. Q Qods (Jerusalem) 181, 217 Nationales und Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland (NSAN) 50 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/ Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) 89, 94 f. R National-Zeitung/Deutsche Race War 45 Wochen-Zeitung (NZ) 89, 94 f. Racial Volunteer Force (RVF) 95 f. Nederlandse Volksunie (NVU) 93 RADJAVI, Massoud 207, 209 NORDBRUCH, Dr. Claus 99, 257 REBELL 143 f. NOUDINIAN, Nassan 210 REISEGGER, Gerhoch 86, 99 NSKampfruf 95, 257 Republikanische Jugend (RJ) 75 Republikanischer Bund der Frauen (RBF) 75 Republikanischer Bund der O öffentlich Bediensteten (RepBB) 75 OBERLERCHER, Dr. Reinhold 84 f. Republikanischer Hochschulverband (RHV) 75 ÖCALAN, Abdullah 200 ff. Revolutionäre Linie (Devrimci Cizgi) 216 Oidoxie 45 Revolutionäre Volksbefreiungsfront (DHKC) 192 OMAR, Mullah 214 Revolutionäre Volksbefreiungspartei Orion-Heimreiter-Verlag 99 (DHKP) 191ff. Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) 195 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 191ff. Özgür Politika 205 f. RICHTER, Frithjof 81 RICHTER, Karl 99 f. RIEGER, Jürgen 51 P Risalat ul-Ikhwan Palästinensicher Islamischer Jihad (PIJ) 179 (Rundschreiben der Bruderschaft) 176 Palestine Information Center (PIC) 214 ROCHOW, Stefan 67 Partei der Glückseligkeit Rote Fahne 143 f. (Saadet-Partisi-SP) 161, 184 f., 214 f. Rote Hilfe e. V. (RH) 145 f. Partei des Demokratischen ROUHS, Manfred 86, 106 Sozialismus (PDS) 109, 127, 129, 131ff. RUDOLF, Germar 96 f. Partinin Sesi (Stimme der Partei) 198 RUPSCH, Reinhard 82 Partizan 195 ff. R EG I ST ER 353 S T Saadet-Partisi Taliban 167, 214 (Glückseligkeits-Partei) (SP) 186 Taschenkalender der Avantgarde-Mars Ultor 86 Sabotageschutz 236 ff. Taschenkalender des nationalen Widerstandes SAHRAOUI, Nabil (alias Abu Mustafa Ibrahim) 175 (2004) 86 Salafiyya-Gruppe für die Mission und den Kampf TEGETHOFF, Ralph 58 (Groupe salafiste pour la Predication et le Combat) (GSPC) 175 The Revisionist 97 SANDER, Hans-Dietrich 86 THIES, Andreas 82 SANDER, Ulrich 130 Thule-Seminar 86, 102 SCHLIERER, Dr. Rolf 26, 75 f., 78 ff. Totenkopf-Magazin 39 SCHÖNHUBER, Franz 100 Türk Federasyon Bülteni (Bulletin der Türk-Föderation) 216 SCHÜßLBURNER, Josef 86 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee SCHWAB, Jürgen 55 f., 63, 84 (TIKKO) 197 SCHWEIGER, Herbert 94 Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) 191, 195 ff. SCHWERDT, Frank 59, 92 Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Scientology-Organisation Revolutionäre Linke (SO) 240 ff. (THKP/-C - Devrimci Sol) 191 Scientology Kirche Deutschland e. V. (SKD) 242 TYNDALL, John 93 Scientology Kirche Berlin e. V. (SKB) 242 SHEHATA, Tharwat 174 SHEIKH MOHAMMAD, Khalid Signal. Das patriotische Magazin 159 86, 106 U UKALI, Rachid 174 Skalinger 45 ÜLKE-Büro (Heimatbüro) 203 Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) 42 Union der Internationalen Kurdischen Sleipnir 86 Arbeitgeber (KARSAZ) 206 ['solid] 136 ff. Union der Jugendlichen aus Kurdistan (YCK) 206 Serxwebun (Unabhängigkeit) 200 Union Islamischer Studentenvereine Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen (U.I.S.A.) 217 und deren Familien in der Türkei (Tayad) 193 f. Unsere Zeit (UZ) 126 SOURCE 240 Sozialistische Alternative Voran (SAV) 141f. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 128, 137 V Staatsbriefe 86, 99 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Stahlgewitter 45 Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) 128 f. STEHR, Heinz 126, 137 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens Stormer 36, 39 des Holocausts Verfolgten (VRBHV) 90 Störtebeker-Netz 103 Verlag für ganzheitliche Forschung 101 STRAUSS, Wolfgang 86 Verlagsgesellschaft Berg mbH (VGB) 106 SUDHOLT, Dr. Gert 101 Verlag und Agentur Werner Symanek (VAWS) 106 BERICHT 2003 354 R EG I ST ER VOIGT, Udo 26, 54, 56, 59, 64, 66 Volksbefreiungsarmee (HKO) 197 Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) 192, 200 ff. Volksmodjahedin Iran-Organisation (ModjahedinE-Khalq) (MEK) 182, 207ff. Voorpost 94 W WAGENKNECHT, Sahra 132, 135 Weisse Wölfe 45 Wetterleuchten 48 White Youth 42 WIESE, Martin 38, 48, 52 WORCH, Christian 66 Y YASSIN, Scheich Ahmad 178, 183 Yeniden Atilim (Erneuter Vorstoß) 198 Z ZALLOUM, Abdel Quadim (alias Abu Yusuf) 183 ZIMMER, Gabriele 132 ZÜNDEL, Ernst 96 N O T I ZEN 355 BERICHT 2003 356 N OTI ZEN