ZUM THEMA HIER: VERFASSUNGSSCHUTZ 1968 EINE SCHRIFTENREIHE DES BUNDESMINISTERIUMS DES INNERN ZUM THEMA Erfahrungsbericht über die Beobachtungen der Ämter für Verfassungsschutz im Jahre 1968 Eine Schriftenreihe des Bundesinnenministeriums ZUM THEMA Band 4 Inhaltsverzeichnis: Seiten 150--152 Herausgeber: Bundesministerium des Innern, Referat Öffentlichkeitsarbeit, 53 Bonn 7, Rheindorfer Straße 198 (1. Auflage, August 1969) Druck: Joh. Heider, Bergisch Gladbach VORWORT Seit Anfang der sechziger Jahre legt das Bundesministerium des Innern jährlich einen Bericht über rechtsund linksextreme Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland vor. Aufgabe dieser Berichte ist es, die Öffentlichkeit über die Ergebnisse der Beobachtungen der Ämter für Verfassungsschutz zu unterrichten und den Staatsbürger auf diese Weise in die Lage zu versetzen, sich selbst ein fundiertes Urteil darüber zu bilden, inwieweit dem Bestand und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unseres Staatswesens von diesen Bestrebungen Gefahren drohen. Die Berichterstattung ist weder als eine politische Auseinandersetzung mit diesen Kräften noch als verfassungsrechtliche Würdigung derselben zu verstehen. Die Jahresberichte über den Rechtsund Linksextremismus sind bisher als Einzelberichte in größerem zeitlichen Abstand erschienen. Die in diesem Jahr erstmalig vorgenommene Zusammenfassung in einem Bericht soll die Übersicht über die Lage auf dem Gebiet des politischen Radikalismus erleichtern. Eine Gesamtschau erscheint notwendig, um die Stabilität unserer demokratischen Grundordnung und die ihr drohenden Gefahren besser beurteilen zu können; sie trägt auch dazu bei, daß der Leser die ihm nach seinem eigenen politischen Standort größer erscheinende Gefahr des einen Extrems nicht überbewertet, die des anderen dagegen unterschätzt. Ein demokratischer Staat kann nur bestehen, wenn er nach allen Seiten, von denen Gefahr droht, wachsam ist, und nicht nur die Angriffe abwehrt, die im Augenblick gefährlicher zu sein scheinen. Die Erfahrung lehrt, daß die Erfolgsaussichten eines Angriffs wesentlich größer sind, wenn er aus einer Richtung geführt wird, aus der er nicht erwartet wird. Diese Erfahrung gilt auch für die Demokratie. 3 Der vorliegende Bericht für das Jahr 1968 ist erstmals ergänzt um offen verwertbare Erkenntnisse bei der Spionageabwehr. Obwohl die Aufgaben der Spionageabwehr sich von denen der Beobachtung linksund rechtsextremer Strömungen erheblich unterscheiden, werden sie hier in einem Bericht zusammengefaßt. Damit soll keineswegs einer Beurteilung politisch radikaler Bestrebungen unter kriminellen Aspekten, wie sie für Landesverrat gelten, Vorschub geleistet werden. Der Grund der Zusammenfassung liegt allein in der gesetzlichen Zuständigkeit der Ämter für Verfassungsschutz, die nachrichtendienstliche Operationen gegen die Bundesrepublik Deutschland ebenso aufzuklären haben wie politische Bestrebungen gegen die Verfassungsordnung. Ein Bericht über die Erfahrungen dieser Behörden wäre ohne die Erkenntnisse der Spionageabwehr unvollständig. Da der Bericht sich ausschließlich auf das Jahr 1968 bezieht, konnten die Ereignisse und Entwicklungen der ersten Monate des Jahres 1969 nicht berücksichtigt werden. Dieser Verzicht auf Aktualität mußte in Kauf genommen werden, weil der Bericht das Ergebnis zeitraubender Analysen verschiedener Bundesund Länderbehörden ist, die der gegenseitigen Erörterung und Abstimmung bedürfen. Die Beschränkung des Berichtszeitraumes auf das Jahr 1968 hat u. a. zur Folge, daß der Bericht über die Entwicklung der NPD mit dem Zeitpunkt endet, in dem die Zahlen der Mitglieder und Anhänger und auch die Ergebnisse bei Kommunalwahlen eine deutlich rückläufige Tendenz zeigen. Dieser Trend hat sich seit Anfang des Jahres 1969 nicht fortgesetzt. Es ist der Partei im Frühjahr vielmehr gelungen, sich stärker zu konsolidieren und auch wieder steigende Mitgliederzahlen aufzuweisen. Die künftige Tendenz wird zuverlässig erst nach den nächsten Wahlen beurteilt werden können. Im Bericht über den Linksradikalismus mußte der am 11./12. April 1969 veranstaltete 1. Parteitag der DKP in Essen und die dort verabschiedete Grundsatzerklärung mit Aktionsprogramm unberücksichtigt bleiben. Diese Verlautbarungen bestätigen jedoch die im Bericht dargestellte politische Linie der Partei. 4 Rechtsextreme Bestrebungen I. Allgemeine Entwicklung Das Bild des Rechtsradikalismus in der Bundesrepublik Deutschland wurde im Jahre 1968 im wesentlichen von der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) und der publizistischen Tätigkeit der "Deutschen NationalZeitung" (DNZ) bestimmt. Alle weiteren Gruppierungen der extremen Rechten haben an Bedeutung verloren. Die Baden-Württembergischen Landtagswahlen im April 1968 brachten der NPD mit einem Stimmenanteil von 9,8 % ihren bisher größten Wahlerfolg. In den folgenden Monaten erlitt die NPD erhebliche Rückschläge. Sie verlor Mitglieder sowie Förderer und Leser ihres offiziellen Parteiorgans "Deutsche Nachrichten". Diese rückläufige Tendenz zeigte sich auch, als die Partei bei den Kommunalwahlen in Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und im Saarland im Herbst in den Kreisen durchschnittlich nur 5,2 % der Stimmen erhielt und in zahlreichen Wahlkreisen sogar an der 5-%-Klausel scheiterte. Immerhin repräsentierte die NPD Ende 1968 mit etwa 27 000 Parteimitgliedern rund 73 % des organisierten Rechtsradikalismus. Im Bereich der rechtsradikalen Publizistik behauptete sich die DNZ mit einer durchschnittlichen Verkaufsauflage von etwa 87 000 Exemplaren als beherrschende Zeitung. Versuche ihres Herausgebers Dr. Gerhard F r e y , sich der NPD zu nähern, blieben ohne Erfolg. Die seit Jahren beobachtete Auflagensteigerung der DNZ setzte sich 1968 nicht mehr fort. Im Zeitungshandel hatte die Wochenschrift während des ganzen Jahres einen starken Rücklauf an unverkäuflichen Exemplaren. Leicht rückläufige Tendenzen kennzeichneten auch die Entwicklung im gesamten übrigen Bereich des Rechtsradikalismus. Die durchschnittliche Gesamtauflage rechtsradikaler Publikationen sank von 288 000 Exemplaren zu Anfang 1968 auf 269 000 am Jahresende. Sie verteilte sich auf 37 Periodika (gegenüber 42 im Jahre 1967). Die Ge- 5 samtstärke der rechtsextremen Organisationen ging von 38 700 Mitgliedern im Jahre 1967 auf ca. 37 000 Mitglieder zurück, die sich in 90 Vereinigungen bzw. Parteien zusammengeschlossen haben. Im einzelnen ergaben sich folgende Veränderungen: Ende 1967 seither Ende 1968 gegründet Mitglieder Mitglieder erloschen Org. Org. Org. Art Zahl Zahl ca. ca. Parteien 30 400 7 1 1 7 29 400 Jugendgruppen 500 11 1 2 10 700 sonstige Gruppen 10 400 36 6 5 37 9 400 freie Verlage 200 39 3 6 36 200 Abzug von Doppelmitgliedschaften 2 800 2 700 38 700 93 11 14 90 37 000 Zu diesem seit Ende 1964 erstmalig wieder beobachteten Umschwung des Trends haben u. a. die folgenden Gründe beigetragen: * die zunehmende Isolierung der NPD * die immer wieder zu Tage tretenden inneren Streitigkeiten der Partei * die Neubelebung der Wirtschaftskonjunktur und der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung 6 * die Tatsache, daß die vorwiegend von Ressentiments, Vorurteilen und Emotionen geprägte Argumentation der rechtsradikalen Parteien und Publikationsorgane offenbar doch nur einen relativ begrenzten Personenkreis anspricht * die Radikalisierung des politischen Stils der Rechtsextremisten, die gemäßigte konservative Kreise davon abhielt, sich rechtsradikalen Gruppen anzuschließen oder ihnen weiterhin als Mitglied anzugehören * die zunehmende Einsicht der Bevölkerung in die Zusammenhänge zwischen Rechtsradikalismus und Außenpolitik (NPD als willkommener Vorwand für die Sowjetunion zur Begründung ihres Festhaltens an der Interventions-Klausel der UN-Charta) * die fehlende Faszinationsund Anziehungskraft der Repräsentanten des "Nationalen Lagers", ihrer Funktionäre, Kandidaten und Abgeordneten * das Ausbleiben sichtbarer parlamentarischer Erfolge der nationaldemokratischen Abgeordneten in den Landtagen und Kommunalvertretungen * die Sorge, mit einer Partei identifiziert zu werden, deren Verbot von breiten Kreisen der Bevölkerung gefordert wird. II. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 1. Der unverändert rechtsradikale Charakter der NPD Die NPD hat ihr rechtsradikales Profil auch im Jahre 1968 beibehalten. Sie ist weder von ihrer Ideologie noch von ihren Zielen, die sie als rechtsextreme Gruppierung ausweisen, abgewichen. Ihren Verzicht auf die Durchführung eines Bundesparteitages im Jahre 1968 hat sie ausdrücklich damit begründet, daß sie zunächst keine weiteren programmatischen Aussagen zu machen habe. Damit gelten 7 die in den Vorjahren verkündeten programmatischen Erklärungen weiter, die in der Parteipresse und den übrigen offiziellen Veröffentlichungen enthalten sind. Im Dezember 1967 hatte das Mitglied des Parteipräsidiums Prof. Dr. A n r i c h aufgrund eines Beschlusses des Parteivorstandes die politische Bildungsarbeit in der NPD übernommen (DN Nr. 49/67, S. 11). Schon Anfang 1968 gab er die ersten politischen Bildungsbriefe heraus, welche die gleichen rassebiologischen und staatsautoritären Vorstellungen enthalten wie seine Rede auf dem NPD-Parteitag 1966 (NPD-Rundbrief zur politischen Bildung Nr. 2/68, S. 3--4). In seinem Ende 1968 erschienenen Buch "Was haben wir nötig, um diese Krise zu bestehen?" (Seeheim 1968) setzte Anrich diese Propaganda fort. Die Führungsgremien der Partei sind nach wie vor stark mit ehemaligen Funktionären der "Deutschen Reichspartei" (DRP) und anderer rechtsradikaler Organisationen sowie mit Personen durchsetzt, die der NSDAP bereits vor der Machtergreifung Hitlers angehört haben. Auch im vierten Jahre nach Gründung der NPD steigt in der Parteihierarchie der Anteil von Funktionären, die sich früher bereits rechtsradikal betätigt haben, von Stufe zu Stufe. Der Parteivorstand und die Vorstände der Landesverbände setzen sich zu jeweils über 60 % aus diesen Personen zusammen. Entsprechendes gilt für die Landtagsabgeordneten der NPD. Die Gesellschafter des DNVerlages sind auch nach der Erweiterung des Gesellschafterkreises im Jahre 1968 ausnahmslos bekannte Rechtsextremisten. Nach wie vor ist die NPD nicht bereit, sich von radikalen Kräften zu trennen oder sie zurückzuhalten. Dies zeigen die folgenden Beispiele: * Zum Mitarbeiter der Rechtsabteilung beim NPD-Parteivorstand und juristischen Berater der niedersächsischen Landtagsfraktion wurde der 31jährige Rechtsanwalt Dr. Klaus G o e b e I berufen. G o e b e I gehört zu den Gründern des "Bundes Nationaler Studenten" (BNS), der 8 wegen verfassungsfeindlicher Ziele verboten und aufgelöst wurde. Außerdem befand sich Goebel mehrere Monate wegen dringenden Verdachts der Beteiligung an Sprengstoffverbrechen in Südtirol in Untersuchungshaft, bis der Vollzug des gegen ihn bestehenden Haftbefehls gegen eine Kaution von DM 20 000,-ausgesetzt wurde. Das Verfahren ist wegen der Flucht eines Mitbeschuldigten noch nicht abgeschlossen. * Schriftleiter der parteioffiziösen "Deutschen Wochenzeitung" und Verfasser zahlreicher Artikel im offiziellen Parteiorgan "Deutsche Nachrichten" sind drei ehemalige nationalsozialistische Funktionäre, deren rechtsextreme Einstellung auch nach dem Kriege immer wieder sichtbar wurde: Heinrich H ä r t l e , ehem. Mitarbeiter in der NSDAPReichsleitung und im Amt Rosenberg, "ALT-Pg" seit 1927; Dr. Peter K l e i s t , in der NS-Zeit hoher Beamter in dem Ministerium für die besetzten Ostgebiete unter Rosenberg, "ALT-Pg" seit 1932; Erich K e r n m a y r , alias K e r n , Verfasser zahlreicher rechtsextremer Bücher, ehem. Angehöriger der Leibstandarte Adolf Hitler. Eine demokratische Meinungsbildung von unten nach oben ist in der NPD nicht gewährleistet: * Die radikale Führungsgruppe des DN-Verlages bestimmt als Herausgeber der "Deutschen Nachrichten" und des "Politischen Lexikons" die ideologische Ausrichtung der Gesamtpartei. * Der Parteivorstand legt Sprachregelungen für Parteiredner fest und erklärt publizistische Pläne regionaler Parteigliederungen für genehmigungspflichtig, soweit sie ihnen nicht grundsätzlich untersagt sind (Rundschreiben des Parteivorstandes vom 26. 6. 1968 und der Landesgeschäftsstelle des NPD-Landesverbandes Baden-Württemberg vom 19. 8. 1968). 9 * Mehrere NPD-Kreisvorsitzende schieden aus der Partei mit der Begründung aus, daß jegliche Kritik der Parteimitglieder von den Funktionären mundtot gemacht werde. Der stellvertretende Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes Lübeck begründete seinen Austritt wie folgt: "Das einzelne Parteimitglied wird nicht als politisch mündiger Bürger betrachtet, sondern zum Parolenempfänger oder Austeiler von Parteimeinungen degradiert." Die vorformulierten Anweisungen für Redner würden "ex cathedra ohne Diskussion verkündet". Die Redner, Kandidaten und Funktionäre der Partei seien gezwungen, "groteske Sätze der Parteileitung öffentlich zu vertreten" (Schreiben des Rektors Heinz W i l l n e r , Lübeck, an den Vorsitzenden des NPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein). Vorstandsmitglieder des Kreisverbandes Heilbronn/Land drohten im Juli 1968 mit dem Austritt, weil sämtliche Anträge des Kreisverbandes der Satzung zuwider nicht in das Arbeitsprogramm des Landesparteitages aufgenommen wurden (Schreiben des Vorsitzenden des Kreisverbandes Heilbronn/Land an den Vorstand des NPD-Landesverbandes Baden-Württemberg vom 7. 7. 1968). Der Vorsitzende des Kreisverbandes Minden der NPD verließ die Partei, weil er zu der Überzeugung gelangte, "daß alle Versuche der Kritik und Verbesserungsvorschläge von der Parteispitze sofort unterdrückt" und eine demokratische Meinungsbildung von unten nach oben dadurch verhindert werde, daß Vertreter abweichender Auffassung als disziplinlos gebrandmarkt oder lächerlich gemacht würden. Insbesondere durch die von der Parteileitung eingesetzten, mit besonderen Vollmachten ausgestatteten Bezirksbeauftragten werde das "demokratische Prinzip in der Partei ad absurdum geführt". Der Vorsitzende des Kreisverbandes Dinslaken begründete seinen Austritt u. a. mit der Feststellung, das Verhalten einer Mehrheit der Mitglieder sowie des Landesvorstandes Nordrhein-Westfalens und des Bundesvorstandes sei autoritär. a) Propaganda für eine "Nationaldemokratie" Die Staatsund verfassungspolitischen Vorstellungen der Partei beruhen auf einer Ideologie, die in ihrem Kern anti10 demokratische Züge erkennen läßt. Schon frühzeitig hat die NPD bekannt, daß sie an zwei geistige Vorläufer des Nationalsozialismus anknüpft: * an den erklärten Gegner des Parlamentarismus und des Mehrparteiensystems, Möller van den Bruck (Verfasser des Buches "Das dritte Reich"), der den Lesern des Parteiorgans als "Führer und Mahner im weltanschaulichen und politischen Ringen der Gegenwart" empfohlen wurde (vgl. u. a. DN 16/66, S. 5); * an den Antisemiten und Vorkämpfer einer rassisch verstandenen Volkstumspolitik, Paul de Lagarde, der als "Seelsorger der deutschen Nation", "großer Volkserzieher", "Mahner in der Notzeit" und "geistiger Helfer" gepriesen wurde (DN 51/52/66, S. 13). Als Vorbilder des nationaldemokratischen Staatskonzepts werden in Parteiorganen ausländische Modelle wie Portugal und Griechenland erwähnt (DN 41/68, S. 3 und 4, ähnlich DN 44/68, S. 2). Auf diesem geistigen Nährboden beruht die Forderung der Partei nach Ablösung der bestehenden Ordnung durch eine "Nationaldemokratie", deren Verfassung es "in immer weitergreifenden konzentrischen Einbeziehungen" so auszugestalten gelte, daß den Grundgrößen Staat, Volkstum und Volksgemeinschaft auch Kontrolle über die Freiheit des einzelnen und seinen Gebrauch davon eingeräumt wird (DN 32/67, S. 9 und 10, A n r i c h : "Was haben wir nötig, um diese Krise zu bestehen?", Seeheim 1968, S. 182). Die individuellen Menschenrechte sollen gegenüber einem nationalen Kollektivismus zurücktreten, erst der Staat erfülle "das Leben des einzelnen mit Sinn und Wert" (Programm der NPD, Abschnitt: Grundlagen nationaldemokratischer Politik, ähnlich Hanseaten-Kurier v. 1. 10. 1968, S. 1). Diese Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus kommt besonders deutlich in einer Rede des Wirtschaftsexperten der NPD, A r n o l d , zum Ausdruck, die der Ausschuß für Wirtschaftsund Finanzpolitik im Bundesvorstand der Partei im Sommer 1968 als Drucksache verbreitet hat. 11 A r n o l d verglich die Freiheitsund Menschenrechte des Staatsbürgers mit dem Urlaub eines Frontsoldaten, der mit seinem Kompaniechef auch keinen "Kompromiß zur Wahrung berechtigter eigener Belange" schließe, sondern Urlaub empfange, "wie es die Kompanie für richtig hält" (Rede A r n o l d s zum Thema "Nation und Weltwirtschaft", S. 4, 5 und 14). Grundlage aller Erziehung müsse "die natürliche Bindung an Volk und Vaterland" sein (NPD-Programm Abschnitt III, Ziff. 1). Wer sich in diesem Sinne nicht umformen lasse, wird für politisch unmündig erklärt ( A n r i c h : "Was haben wir nötig, um diese Krise zu bestehen?", Seeheim 1968, S. 208, 209, 217--221). Wer die "Realität der NPD" nicht akzeptiere, habe die Möglichkeit, auszuwandern (Einladungsschreiben des Kreisverbandes Berlin-Schöneberg vom 10.4. 1968). b) Aggressiver Nationalismus Auch die außenpolitischen Ziele der NPD werden von einem extremen Nationalismus geprägt, der durch seine Verknüpfung mit dem "Mythos vom Reich" aggressive Formen annimmt. Die NPD will -- wie ihre Funktionäre sagen -- Europa von fremden Einflüssen freimachen und Deutschland innerhalb der Reichsgrenzen von 1937 unter Einschluß des Memellandes, von Danzig, Westpreußen und des Sudetenlandes wiedervereinigen. Dies seien "Mindestforderungen". Jede künftige völkerrechtliche Regelung, die diese Ansprüche nicht voll erfülle, sei für das deutsche Volk "als falscher und fauler Friede" unverbindlich (Wilhelm G u t - m a n n , damals Landesvorsitzender der NPD in BadenWürttemberg in seinem Rednerdienst vom 21. 2. 1968, Beilage: "Kommentare und Erläuterungen zum Programm" S. 2 und 4). In den ehemals deutschen Gebieten billigt die NPD keinem "nichtdeutschen Individuum", das dort wohnt oder in Zukunft geboren wird, ein Recht auf das Land zu (DN 18/66, S. 7, Erklärung der NPD zum sudetendeutschen Problem vom 28. 8. 1965, S. 2). 12 Diesen Forderungen entsprechen die Vorstellungen der Partei zu ihrer Verwirklichung. Obwohl die NPD in ihren programmatischen Verlautbarungen Gewalt zur Durchsetzung nationaler Ansprüche ablehnt, ist sie in Wirklichkeit bereit, alle Risiken einer nationalistischen Machtpolitik zu übernehmen. Sie vertritt zum Beispiel den Standpunkt, das Heimatrecht bleibe solange Theorie, "bis eine Macht zu seiner Verwirklichung begründet und eingesetzt werden kann". Dabei brauche "Macht nicht unbedingt Gewaltanwendung zu bedeuten" (Politisches Lexikon der NPD, Sachwort: Heimatrecht). Doch sei "jeder Schritt auf die Wiederherstellung eines staatlich geeinten Deutschlands zu ein Wagnis, jeder Schritt zur Wiedergewinnung der abgetrennten Gebiete das Wagnis der Existenz" und setze "eine Haltung voraus, die bereit ist, ein solches Wagnis einzugehen". Die Hoffnung auf eine günstige Gelegenheit, die eines Tages das erwünschte Ziel auch ohne dieses totale Wagnis in erreichbare Nähe rücke, "sei utopisch und ein Zeichen der Schwäche" (Politisches Lexikon, Sachwort: Deutsche Frage). Diesem Denken in den Kategorien nationalistischer Machtpolitik entsprangen auch die NPD-Kommentare anläßlich des Einmarsches der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei im August 1968. Die NPDPresse hat dieses Ereignis zur Rechtfertigung des deutschen Einmarsches in die Tschechoslowakei im Jahre 1939 benutzt und dabei ausgeführt, die Liquidation des tschechoslowakischen Reststaates durch Hitler sei eine zwingende außenpolitische Notwendigkeit gewesen, weil dieser Staat "in den deutschen Siedlungsraum wie ein Pfahl im Fleisch) als russisches Flugzeugmutterschiff hineingeragt" habe (Rundschreiben des Kreisverbandes der NPD Karlsruhe-Stadt vom 25. 9. 1968, S. 2). c) Kampf gegen das System Der Ideologie und der Zielsetzung der NPD entsprechen die Angriffe, die die NPD gegen das parlamentarischdemokratische Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland richtet. 13 Die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland wird von der NPD als "Klüngelwirtschaft und Ersatzdemokratie" (Rede des Fraktionsvorsitzenden Gutmann auf dem Wahlkongreß vom 3. 3. 1968 in Stuttgart; DN-Wahlzeitung für Rheinland-Pfalz 1967, S. 6), "morsch und unglaubhaft gewordene Herrschaftsstruktur" (Fraktionsspiegel der NPD-Landtagsfraktion in Baden-Württemberg vom September 1968), "altes und verbrauchtes, vom Volk nicht getragenes und den Volkswillen nicht repräsentierendes System" (DN Nr. 9/68, S. 6, ähnlich DN 12/68, S. 6) bezeichnet. Der Bundesrepublik wird die demokratische Legitimation mit der Behauptung bestritten, die staatstragenden Kräfte seien "nicht aus dem Willen des Volkes, sondern auf den Bajonetten der Sieger zur Macht gekommen" (DN Nr. 15/68, S. 11). Die Regierung wird als "Bankrottgesellschaft ohne rettende Alternative" hingestellt. In den Politikern der "alten Parteien" sieht die NPD "Handlanger fremder Gewaltund Willkürpolitik, die die Interessen Deutschlands verraten" (Flugblatt des Akademischen Arbeitskreises der NPD, Frankfurt/M.). Die Politiker hätten -- verstärkt durch Deutsche mit "doppelter Staatsangehörigkeit" -- den "Gehirnwäschern von jenseits des großen Teiches" Handlangerdienste geleistet, um das deutsche Volk in zwei Klassen zu spalten (Flugblatt des Landesverbandes Saarland der NPD, herausgegeben vom Kreisverband Homburg). Die demokratischen Parteien werden durch Ausdrücke wie "Futterkrippenparteien" (Rundbrief Nr. 1/68 des Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg vom 21. 2. 1968), "Lizenzparteien" (Rundschreiben des Bezirksverbandes der NPD Mittelbaden vom 30. 4. 1968) verunglimpft. Parteien, Parlamente und Behörden seien bereits "von Zweifeln an ihrer eigenen Legitimation erfüllt", bei den Autoritäten sei der "Wille zum Widerstand erloschen". Diese Zweifel kündigten "das Ende einer Epoche" an, eine neue Kraft habe bereits einen Fuß in der Tür, die Nationaldemokraten (NPD-Fraktionsspiegel der bayerischen Landtagsfraktion vom 1 . 1 . 1968). 14 2. Die innere Struktur der NPD a) Organisation Das auf dem Bundesparteitag in Hannover am 10. 11. 1967 gewählte Parteipräsidium unter Adolf von T h a d d e n und seinen Stellvertretern Dr. P ö h l m a n n und Dr. L a m k e r bestimmte während des ganzen Jahres den politischen Kurs der NPD. Die Parteizentrale wurde weiter ausgebaut. Von den Fachausschüssen des Parteivor! standes haben die Ausschüsse für Sozialpolitik, Wirtschaftspolitik und Wehrpolitik besondere Aktivität entfaltet. In Bonn richtete die Parteizentrale eine Außenstelle ein, um zu politischen Stellen und zur Presse bessere Kontakte zu schaffen. Die regionale Gliederung der Partei zeigte Ende 1968 folgendes Bild: Gruppen des NationalKreisverbände Ortsbereiche Landesverband Bezirke demokratischen Hochca. schulbundes (NHB) Baden-Württemberg 13 70 88 5 Bayern 7 135 168 1 Berlin -- 12 -- 2 Bremen -- 3 4 1 Hamburg -- 7 20 1 Hessen -- 44 100 3 Niedersachsen 16 70 70 1 Nordrhein-Westfalen 16 85 105 2 Rheinland-Pfalz 7 37 24 1 Saarland -- 8 23 -- Schleswig-Holstein 4 20 50 -- Landesverbände 63 491 ca. 652 17 15 Die Parteijugend "Junge Nationaldemokraten" ist organisatorisch nicht selbständig. Ihre wenigen regionalen Gruppen unterstehen den Jugendreferenten der Kreisverbände. b) Mitglieder Die NPD hatte Anfang 1968 ca. 28000 Mitglieder. Sie nahm im Laufe des Jahres rund 7 500 neue Mitglieder auf, davon zwei Drittel in der ersten Jahreshälfte (NPD-Pressedienst Nr. 29/68). Diesem Zugang stand jedoch ein größerer Verlust gegenüber. Wegen des Absinkens der Zugänge seit Jahresmitte rief die Parteileitung zu einer umfassenden Mitgliederwerbung auf, deren Ziel es war, die Mitgliederzahl um die Hälfte zu steigern (Rundschreiben des Parteivorstandes Org. 17/68 vom 15. 11. 1968). Diese Aktion war ein Mißerfolg. Es gelang der Partei nicht, die Einbußen an Mitgliedern durch entsprechende Neuzugänge auszugleichen. Die Verluste an Mitgliedern durch Streichungen, Austritte, Ausschlüsse und Tod erreichten im Herbst 1968 ihren bisherigen Höhepunkt. Die stärksten Einbußen erlitt der Landesverband Berlin, der in der Zeit seines Bestehens die Hälfte seiner Mitglieder verlor. Die Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Bayern verloren fast 40 % ihrer Mitglieder. Insgesamt verlor die Partei seit Ende 1964 mehr als 15 000 Mitglieder. Ende 1968 hatte die NPD noch etwa 27 000 Mitglieder. Der Nationaldemokratische Hochschulbund (NHB) hatte als bisher einzige organisatorisch selbständige Gliederung der Partei Ende 1968 rund 250 Mitglieder. Die NPD ist im wesentlichen eine Männerpartei. Nur 9 % ihrer Mitglieder sind Frauen (gegenüber 11 % Ende 1966). Das Durchschnittsalter der Parteiangehörigen liegt bei etwa 42 Jahren. Untersuchungen von je 4 000 Zuund Abgängen der NPD, die als repräsentativ für die personelle Entwicklung der Gesamtpartei im Jahre 1968 gelten können, zeigten eine besonders starke Fluktuation junger Parteimitglieder. 16 Nach wie vor bilden die Parteimitglieder aus mittelstän! dischen Berufen das Rückgrat der NPD. Innerhalb dieser Gruppe hat der Anteil des selbständigen städtischen und ländlichen Mittelstandes weiterhin zugenommen. Er lag Ende 1966 bei 25 %; heute beträgt er 29 % der Gesamtmitgliedschaft. Parteimitglieder dieser Gruppe neigen am wenigsten dazu, die NPD zu verlassen. Dagegen ist die Fluktuation der Mitglieder innerhalb der Gruppen der Angestellten und der Arbeiter in mittelständischen Betrieben auffallend stark. Der Anteil der Industriearbeiter sank im Verlaufe des Jahres von 1 6 % auf 1 4 % ab. Mit 6 % blieb die Gruppe der Angehörigen des öffentlichen Dienstes einschließlich der Bundeswehr im Vergleich zum Vorjahre unverändert. Damit entspricht ihre Stärke etwa dem Anteil des öffentlichen Dienstes an der berufstätigen Gesamtbevölkerung. Mitgliederfluktuation in der NPD nach Altersgruppen Altersschichtung AltersZugänge Abgänge Fluktuationsin der gruppe tendenz Gesamtpartei Ende 1968 30 Jahre 36% 35% 25% | stark 45 Jahre 31% 30% 29% 60 Jahre 22% 20% 31% | schwach u. älter 11% 15% 15% c) Finanzen In den vergangenen Jahren hat vor allem die kommunistische Propaganda wiederholt behauptet, die NPD werde 17 in erheblichem Umfang von finanzkräftigen inund ausländischen Geldgebern unterstützt. Westliche Presseorgane übernahmen diese Meldungen z. T. ungeprüft. Die östliche Presseagitation gipfelte im Jahre 1968 in Meldungen über angeblich "umfangreiche, mit politischen Auflagen verbundene Finanzzuwendungen" des Internationalen Faschismus, "westdeutscher Finanzund Industriekapitäne" sowie des Militärischen Abschirmdienstes an die NPD (Neues Deutschland vom 2. 9. und 4. 10. 1968, Prawda vom 1. 8. 1968). Die Unwahrheit des Vorwurfs finanzieller Zuwendungen seitens der Bundeswehr ist offensichtlich. Ebenso unzutreffend ist auch die kommunistische Propagandathese einer erheblichen Subventionierung durch inund ausländische Geldgeber. Die Einkünfte der NPD aus Spenden gingen vielmehr nach dem übereinstimmenden Urteil der gesamten Parteiprominenz gerade im abgelaufenen Jahre so stark zurück, daß sie innerhalb des Etats der Parteileitung und der NPD-Landesvorstände kaum mehr ins Gewicht fielen (Ergebnis der gemeinsamen Tagung des Parteivorstandes und der Landesvorstände vom 26727. 10. 1968 in Oberursel). Ein im Februar 1968 gleichzeitig im Parteiorgan "Deutsche Nachrichten" (DN), in der "Deutschen Wochen-Zeitung" (DWZ) und in der "Deutschen National-Zeitung" (DNZ) veröffentlichter Spendenaufruf zur Baden-Württembergi! schen Landtagswahl erbrachte knapp 38 000 DM. Die einzige weitere Spendenaktion der Partei, die der Landesverband Bayern in den Monaten Mai und Juni 1968 durchführte, erzielte einen Betrag in Höhe von insgesamt 16 200,13 DM und deckte damit gerade die Werbungskosten. In allen übrigen Landesverbänden schlugen die geringen Zuwendungen von Nichtmitgliedern im Jahreshaushalt 1968 nicht zu Buche. Etwas günstiger ist das Bild bei den Kreisverbänden, die ihre Einkünfte durch Zuwendungen Dritter aufbessern konnten. Die Parteiführung hat den Rückgang der Einnahmen aus fremden Zuwendungen offensichtlich verschwiegen, um ihre Spendenaktion für den Bundestagswahlkampf nicht zu gefährden. 18 Die im folgenden genannten Beträge wurden auf Grund zuverlässiger Einzelinformationen geschätzt. Einnahmen: Die Haushaltsmittel aller Gliederungen der Partei zusammen erreichten im Rechnungsjahre 1968 annähernd den Betrag von 4000000,-DM. In dieser Summe sind die Einkünfte der "Deutsche Nachrichten-Verlags GmbH" nicht enthalten. Die Gesamteinkünfte der Partei setzen sich im wesentlichen aus folgenden Posten zusammen: * ca. 1 940 000,-DM Erstattungsbeträge für die Wahlkosten der Landtagswahlen Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg in den Jahren 1966/67/68, die der Partei noch zu Beginn des Rechnungsjahres 1968 zur Verfügung standen * 750 000,-DM Mitgliedsbeiträge einschließlich der Aufnahmegebühren (etwa 21 000 der insgesamt etwa 27 000 Parteimitglieder zahlten ihre Beiträge von monatlich 3,-DM) * ca. 210000,-DM, die sich aus den Abgaben der NPDLandtagsgruppen in Höhe von 20 % der Diäten und den Fraktionszuschüssen zusammensetzen * ca. 600 000,-bis 700000,-DM an Einkünften aus dem Verkauf von Publikationen, Eintrittsgeldern und Sam! melerlösen bei Parteiveranstaltungen, Umlagen und Spenden von Mitgliedern * ca. 300 000,-DM sonstige Einkünfte, darunter Zuschüsse der "Deutsche Nachrichten-Verlags GmbH" für den Wahlkampf in Baden-Württemberg in Höhe von 30 000,-DM, Zinserträge, sowie Spenden von Nicht! mitgliedern. Ausgaben: Die Ausgaben der Partei beliefen sich im Jahre 1968 auf rd. 2 600 000,-DM. Einen Teilbetrag von 1 400 000,-DM aus der Erstattung von Wahlkampfkosten betrachtet die Partei als Rücklage für den Bundestagswahlkampf 1969. 19 Die verausgabten Mittel wurden im wesentlichen für folgende Zwecke verwendet: * ca. 1000 000,-DM für allgemeine Geschäftsbedürfnisse. * ca. 700 000,-DM für Herstellung und Vertrieb von Werbeund Informationsmaterial, Presseanzeigen, Saalmieten und sonstige Veranstaltungskosten außerhalb der Wahlkampfaufwendungen. * ca. 900000,-DM für die Landtagswahlen BadenWürttemberg (Gesamtkosten etwa 700 000,-DM) sowie für die Kommunalwahlen im Herbst 1968 in Niedersachsen, Hessen, Baden-Württemberg und im Saarland (Gesamtkosten etwa 200 000,-DM). Die Partei konnte ihre Wahlkämpfe im Jahre 1968 nur zur Hälfte aus allgemeinen Einkünften bestreiten. Sie brachte die fehlenden 440 000,-DM durch die Inanspruchnahme der ihr auf Grund der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung zugeflossenen Gelder auf. Diejenigen Landesverbände, welche aus der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung (Landtagswahlen) bereits Beträge erhalten und auf Sperrkonten festgelegt hatten, beteiligten sich an der Finanzierung der Kosten durch Beleihung dieser Konten. Die NPD setzte sich damit über ihre in der Öffentlichkeit abgegebene Versicherung hinweg, diese Mittel "nicht anzurühren" (Rundschreiben des Parteivorstandes FIN 17/67 vom 27. 11. 1967). Sie nahm auch keine Rücksicht auf den zu dieser Zeit noch nicht entschiedenen, von ihr vor dem Bundesverfassungsgericht angestrengten Rechtsstreit in Sachen staatliche Wahlkampfkostenerstattung. 80 000,-DM aus den genannten Mitteln wurden zur Sanierung Baden-Württem! bergischer Kreisverbände verwendet (Rundschreiben des Landesverbandes Baden-Württemberg -- Landeswahl! kampfleitung -- vom 10. 2. 1969). Außerdem bekam der Landersverband Niedersachsen einen Betrag von 100 000, -- DM zur Abdeckung seiner Wahlkampfaufwendungen. 20 d) Publizistische Mittel der NPD Die Auflage des Parteiorgans "Deutsche Nachrichten" ging in den Jahren 1967 und 1968 leicht zurück, obwohl die NPD mehrere Werbeaktionen für ihre Parteipresse durchführte. Das gleiche gilt für die in wesentlichen Teilen mit den "Deutschen Nachrichten" inhaltsgleiche "Deutsche Wochen-Zeitung". Näheres zeigt die folgende Übersicht: Auflagendurchschnitt DN DWZ zusammen je Woche I.Quartal 1967 50 000 26 000 76 000 2. Quartal 1967 47 000 27 500 74 500 3. Quartal 1967 42 000 27 000 69 000 4. Quartal 1967 43 000 29 000 72 000 I.Quartal 1968 42 500 28 300 70 800 2. Quartal 1968 42 200 28 100 70 300 3. Quartal 1968 41 500 26 600 68 100 4. Quartal 1968 40 000 24 000 64 000 Zusätzliche Publizität hat sich die NPD durch die Herausgabe von insgesamt 6 DN-Sonderdrucken verschafft, die jeweils bestimmte Leitthemen, wie das Parteiprogramm, die nationaldemokratische Agrarpolitik oder die Ausschreitungen der außerparlamentarischen Linken behandelten. Diese Sonderdrucke erreichten eine Gesamtauflage von rund 12,4 Millionen Stück. Darüber hinaus gab die Partei während des Wahlkampfes in Baden-Württemberg und anläßlich der Kommunalwahlen in 4 Bundesländern im Herbst 1968 12,1 Millionen Wahlzeitungen heraus. Sie wurden in den genannten Ländern bis in die einzelnen Haushalte verteilt. Weitere wesentliche Träger der nationaldemokratischen Öffentlichkeitsarbeit sind die folgenden unregelmäßig erscheinenden Informationsdienste: * Nationaldemokratischer Pressedienst, Herausgeber: Presseund Informationsabteilung der NPD 21 * NPD-Fraktionsspiegel, Mitteilungen der NPD-Fraktion im bayerischen Landtag (Auflage bis zu 200 000 Stück je Ausgabe) * NPD-Fraktionsspiegel, Mitteilungen der NPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg (Auflage bis zu 120 000 Stück je Ausgabe) * NPD-Pressedienst, Herausgeber: Pressestelle der NPD-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg * "Für Sie", Berichte der NPD-Fraktion aus der Bremischen Bürgerschaft (Auflage bis zu 5 000 Stück je Ausgabe) * NPD-Fraktionsspiegel, die Arbeit der Nationaldemokraten im hessischen Landtag (Auflage bis zu 300 000 Stück je Ausgabe) * NPD-Parlamentsspiegel, Herausgeber: NPD-Fraktion im niedersächsischen Landtag (Auflage um 10 000 Stück je Ausgabe) * "Nationale Politik", Informationsdienst der NPD-Landtagsfraktion, Landesverband Schleswig-Holstein (Auflage um 2 000 Stück je Ausgabe) * "Zur Information", Herausgeber: NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen * "NPD-Schnelldienst", Mitteilungen aus dem Landesverband Bayern und der Bayerischen Landtagsfraktion. Trotz dieses erheblichen publizistischen Aufwandes gelang es der Partei im Berichtszeitraum nicht, auch nur Teile der großen demokratischen Tagespresse für sich einzunehmen. Dasselbe gilt für die übrigen Massenmedien. Im Hinblick auf die Bundestagswahlen 1969 beschloß der Parteivorstand deshalb Maßnahmen zur Koordinierung und Straffung des parteiamtlichen Publikationswesens. 22 Die Presseabteilung des Parteipräsidiums wurde um ein Referat "Publizistische Beratung" erweitert. Die Kreisverbände sollen zur Verbesserung der Öffentlichkeitsarbeit Pressereferenten berufen, deren künftige Zusammenarbeit mit Presse, Funk und Fernsehen jedoch von der vorherigen Absprache mit dem Parteipräsidium abhängig sein wird. Die DN-Verlags-GmbH und der "Natio! nal-Verlag" des Herausgebers der DWZ, Waldemar S c h ü t z , wahrten in verlegerischer, finanzieller und redaktioneller Hinsicht ihre Eigenständigkeit gegenüber der Gesamtpartei. Gegen diesen Sonderstatus der beiden Verlage richtet sich in zunehmendem Maße die Kritik der mittleren Funktionärsschicht. e) Ordnerdienst Mit besonderem Nachdruck hat sich die Partei um die Verstärkung, Ausbildung und technische Ausstattung ihres Ordnerdienstes bemüht. Die Kreisverbände wurden aufgefordert, junge, geeignete Parteimitglieder für diesen Dienst anzuwerben und zur Verfügung zu stellen. Der Landesverband Schleswig-Holstein forderte alle Mitglieder, soweit sie nicht als Versammlungsredner eingesetzt oder körperlich gebrechlich sind, zur Mitarbeit im Parteiordnerdienst auf (Rundschreiben 1/69 des Landesbeauftragten für den Ordnerdienst Schleswig-Holstein). Anläßlich einer zentralen Ordnertagung am 16. 11. 1968 in Ulm wurde die Ausbildung des Ordnerdienstes in "Judo" beschlossen. Diese Schulung wird innerhalb der NPD bereits durchgeführt ("Oberland", Mitteilung des NPD-Bezirksverbandes München/Obb. vom Juli 1968, S. 4). Die Ordner der Partei treffen sich regelmäßig in ihren Verkehrslokalen, um die Einsätze vorzubereiten. Sie sind z. T. mit Schutzhelmen und Sprechfunkgeräten ausgerüstet. f) Inneres Gefüge Die seit Mitte des Jahres 1968 in der Öffentlichkeit immer stärker gewordene Diskussion über ein Parteiverbot, die Enttäuschung der NPD-Anhänger über den Ausgang der Kommunalwahlen in vier Bundesländern im Herbst 23 des Jahres 1968 und die persönlichen Rivalitäten in zahlreichen Regionalverbänden wirkten sich negativ auf die NPD aus. In welchem Umfange die Arbeit der Partei beeinträchtigt wurde, zeigen folgende Tatsachen: * Im Oktober 1968 beschloß der Berliner Landesverband der NPD seine Selbstauflösung, um einem Verbot durch die alliierten Schutzmächte zuvorzukommen. Dieser Beschluß löste in der Partei heftige Meinungsverschiedenheiten aus. Schließlich erklärte ihn das Landgericht Berlin auf Antrag eines Berliner NPD-Funktionärs für satzungswidrig. Damit besteht der NPD-Landesverband Berlin weiter. Aber seine Aktivität ist gebrochen und seine personelle Substanz erheblich geschwächt. * In der Gesamtpartei griff die Austrittsbewegung auch auf die Funktionäre über. So verloren zwei Kreisverbände in Baden-Württemberg als Folge parteiinterner Auseinandersetzungen alle Funktionäre. Im Kreisverband Bonn wandten sich Funktionäre im Verlaufe von Auseinandersetzungen an die ordentlichen Gerichte. Insgesamt traten im Laufe des Jahres 1968 39 Vorsitzende oder stellvertretende Vorsitzende von Kreisverbänden sowie fünf Funktionäre auf Landesebene aus der Partei aus. Dadurch wurde die Handlungsfähigkeit der betroffenen Verbände zeitweilig stark beeinträchtigt. Ähnlich nachteilige Auswirkungen hatten die Parteiaustritte von acht nationaldemokratischen Kreisbzw. Stadträten, die sich größtenteils anderen Parteien anschlossen, sowie eines Landtagsabgeordneten in Rheinland-Pfalz. * In zahlreichen Rundschreiben und anderen Parteiverlautbarungen wurde seit März 1968 über die nachlassende Aktivität der Parteimitglieder geklagt. In mehreren Kreisverbänden blieb das von der Parteileitung bereitgestellte Propagandamaterial, darunter die Aufrufe zum "Tag der Anmerkung Der Parteivorsitzende v. Thadden räumte auf dem Parteitag in Schwabach im Februar 1969 ein, daß die Partei im Jahre 1968 erhebliche Rückschläge erlitten habe (DN Nr. 10/69, S. 9). 24 NPD", in großen Mengen liegen, weil sich nicht genügend Parteimitglieder bereitfanden, es in der Öffentlichkeit zu verteilen. Der Landesschatzmeister des Landesverbandes Bayern bezeichnete die Schatzmeister der Kreisverbände wegen säumiger und unzureichender Meldungen über die Finanzlage ihrer Kreisverbände als "disziplinlosen Haufen" (Rundschreiben FIN 11/68 vom 6. 11. 1968). Die NPD versuchte mit allen Mitteln, der Resignation ihrer Mitglieder entgegenzuwirken (Rundschreiben des Parteivorstandes Org. 13/68 vom 4. 10. 1968 und Org. 16/68 vom 31. 10. 1968). Diesem Zweck dienten u. a. "zentrale Mitgliederversammlungen", an denen der Parteivorsitzende von Thadden persönlich teilnahm. Eine Verbesserung der Gesamtsituation der Partei war jedoch bis zum Jahresende nicht erkennbar. 3. Schwerpunkte der nationaldemokratischen Aktivität a) Agitation Die politische Agitation der NPD zielte im Berichtsjahr hauptsächlich darauf ab, sich als wirksame Interessenvertretung der Wähler im Parlament darzustellen. In den "Deutschen Nachrichten", in Wahlsonderzeitungen, Flugblättern und in ihren Versammlungen bot sich die Partei den "mündigen und verantwortungsbewußten Bürgern" als "wachsame, unbestechliche, tatkräftige und leistungsfähige Opposition" an (NPD-Kurier E/68 S. 4). Dabei versuchte sie den Anschein zu erwecken, nicht nur das "rechte Lager" unterstützen zu wollen. Mit Parolen wie "Partei der arbeitenden Bevölkerung" (Flugblatt des Kreisverbandes Karlsruhe/Land/Nord), "politische Gemeinschaft deutscher Patrioten" (DN 17/68, S. 9), "ge! fürchteter Faktor der deutschen Politik" (DN 48/68, S. 1) wandte sie sich vielmehr an "alle Schichten der Bevölkerung" (DN 20/68, S. 3). Neben diesen Bemühungen um Anerkennung als "wirkliche Volkspartei" (DN 24/68, S. 10) waren Schwerpunkte nationaldemokratischer Agitation insbesondere 25 * die Aktivität linksradikaler Gruppen und die nach Meinung der NPD unzureichende Reaktion des Staates * die Agrarpolitik der europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, insbesondere der Mansholt-Plan * wirtschaftsund finanzpolitische Parolen * die Deutschlandfrage und die nationale Sicherheit. Die Ausschreitungen des SDS und anderer linksextremer Gruppen nahm die Partei zum Anlaß, sich der Bevölkerung als Garant für "Freiheit, Ordnung und Recht" anzubieten (NPD-Kurier E/68, S. 3). Nur die NPD könne "denen Einhalt gebieten, die unseren Staat über den Haufen rennen wollen" (NPD-Fraktionsspiegel für Bayern, September 1967). Die "Auflösung aller staatlichen Ordnung" wäre gewiß, wenn es die NPD nicht gäbe (DN 48/68, S. 10). Diese Selbstüberschätzung, die die NPD mit allen rechtsradikalen Gruppen teilt, war mit Angriffen gegen das "bestehende System" (DN 46/68, S. 2) verbunden. Die "alten politischen Kräfte" könnten weder "Leitnoch Vorbilder" sein (NPD-Kurier B/68, S. 3). Die Staatsgewalt habe "bis zur Zahnlosigkeit abgerüstet" (DN 20/68, S. 1). Die bäuerlichen Wähler waren die einzigen, an die sich die NPD im Baden-Württembergischen Wahlkampf mit einer besonderen Wahlzeitung wandte. Außerdem erschien ein Sonderdruck dieser Wahlzeitung aus Anlaß der Schau der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft 1968 (DLG-Schau) in München (Gesamtauflage 150 000 Stück). Der Plan des EWG-Vizepräsidenten Mansholt zur Rationalisierung und Strukturverbesserung der europäischen Landwirtschaft wurde als "gigantischstes Bauernlegen aller Zeiten" abgelehnt (DN 50/68, S. 1). Auf dem Rücken der Bauern hätten "christlichund sozialdemokratische Politiker ihre eitle, verschwenderische Großmannssucht und ihre billige politische Effekthascherei betrieben" (Flugblatt "Deutscher Bauer" des Kreisverbandes Sinsheim). Die NPD sei die einzige Partei, die eine wirkliche Agrar-Konzeption besitze (DN 40/68, S. 4). 26 "Bäuerliche Lebensform" sei "der Kraftquell dieses Abendlandes" gewesen (NPD-Kurier C/68, S. 2). Die Bauern werden aufgerufen, Vertrauen zur NPD zu haben, "da die Scholle nach NPD-Auffassung ihren Platz in der Volkswirtschaft behalten müsse" (DN 14/68, S. 10). Der Bundesregierung sei "der mit seiner Scholle verwurzelte konservative Bauer ein Dorn im Auge" (DN 20/68, S. 6). Die wirtschaftsund finanzpolitische Agitation der NPD zielt darauf ab, Unruhe, Unsicherheit und Krisenangst in der Bevölkerung zu erzeugen. Die Partei behauptet u. a., der "Ausverkauf" der deutschen Wirtschaft gehe weiter. Die Wirtschaft habe sich bei ihren Entscheidungen an einem "der Nation verpflichteten Denken" zu orientieren (DN 18/68, S. 4). In ihr habe "nicht das römische Recht, sondern die Ganzheit der Nation lebendig zu sein" (DN 46/68, S. 4). Zumal in Wahlkämpfen verspricht sich die NPD Erfolg von der Parole, 300 Milliarden Mark seien für "Besatzungskosten", Devisenhilfen, Rüstungskäufe, Reparationen und Entwicklungshilfe verpulvert worden (vgl. NPD-Kurier B/68, S. 1). Das sei der Grund für "leere Kassen des Bundes, des Landes und der Gemeinden" und eine "Schuldenpolitik der öffentlichen Hand". Damit begründet die Partei ihre "Sorge um die Sicherheit der Arbeitsplätze und die wirtschaftliche Entwicklung schlechthin" (vgl. NPD-Kurier B/68, S. 8) und versucht, die Existenzangst bei weiten Bevölkerungskreisen zu schüren. Die eigenen finanz-, sozialund wirtschaftspolitischen Forderungen der NPD erwiesen sich in zunehmendem Maße als widersprüchlich und wurden ohne Rücksicht auf die Möglichkeiten der staatlichen Haushaltswirtschaft mit finanziellen Versprechungen für viele Interessenten verknüpft. So verlangte die Partei zur gleichen Zeit u. a. gesetzliche Mindestrenten für alte und erwerbsunfähige Bürger, Nachzahlungen von Wehrsold und Haftentschädigung an ehemalige Kriegsgefangene sowie höhere Entschädigungssätze für die Kriegsopfer, erhöhte Mittel für die Bundeswehr, den Straßenbau, für Wissenschaft und Forschung, für Zwecke der Volksgesundheit, des Sports sowie zur Verwirklichung eines Sozialpflichtjahres für Mädchen. 27 Mit Ausnahme einiger, für den Gesamthaushalt unbedeutender Ausgabenkürzungen hat die NPD keine konkreten Deckungsvorschläge für die von ihr geforderten Mehrausgaben gemacht. Sie empfiehlt andererseits aber den Verzicht auf eine Reihe von Steuern, wie die Lohnsteuer für erwerbstätige Rentner, die Gewerbesteuer, eine Vielzahl von Verbrauchssteuern bei gleichzeitiger genereller Minderung der steuerlichen Allgemeinbelastung des einzelnen Staatsbürgers. Darüber hinaus erhebt die NPD Forderungen, welche mit Sicherheit zur Verschlechterung der derzeitigen Wirtschaftslage und zum Rückgang des Wachstums des Sozialproduktes führen würden. Sie verlangt: * Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Erschwerung ausländischer Investitionen wegen ihrer angeblichen Gefahr für die eigene Volkswirtschaft (NPD-Spiegel, Landesverband Berlin, vom Juli 1968; DN 16/67, S. 4) * Kürzung der Mittel für die Entwicklungshilfe, wobei sie deren positive Auswirkungen für die deutsche Exportindustrie verschweigt (von T h a d d e n auf der öffentlichen Wahlkundgebung am 10. 9. 1968 in Braunschweig) * Einschränkung der Beschäftigung von Gastarbeitern, wobei sie außer acht läßt, daß der Bedarf an Arbeitskräften im eigenen Lande nicht gedeckt werden kann (Politisches Lexikon I, Sachwort: Arbeit). Die grundsätzlichen, eine dirigistische Lenkung und Führung der Wirtschaft befürwortenden Vorstellungen der NPD zur Wirtschaftsordnung laufen darauf hinaus, die Gesamtwirtschaft in der Form einer "nationalen Leistungsgemeinschaft" zu organisieren (Druckschrift des Ausschusses für Wirtschaftsund Finanzpolitik der NPD über Vorträge des NPD-Funktionärs Diplomvolkswirt M e n s e l vom 24. 4. und 31. 8. 1968, S. 4). Die Partei beschwor das "Nationalbewußtsein" und die "nationale Solidarität" als angeblich "unbändige", staatserhaltende Kräfte (Bayerischer NPD-Kurier, Oktober 1968). 28 Regierung und Parteien wurden laufend mit der Behauptung angegriffen, sie vernachlässigten die nationalen Interessen. In der gleichen Richtung polemisiert die NPD gegen die Anwesenheit verbündeter Truppen auf deutschem Boden, ohne Rücksicht auf das Sicherheitsbedürfnis der Bundesrepublik. Sie werden als "lästige Besucher" diffamiert, die eine "mündige Nation auf ihrem Boden auf die Dauer nicht dulden könne" (NPD-Kurier, Wahlzeitung für Baden-Württemberg, Februar/März 1968, S. 7). b) Beteiligung an Wahlen Ende des Jahres 1968 war die NPD in folgenden Landtagen vertreten: Zahl der Land! davon Land tagsab! NPD-AbNPD-Abgeordnete in geordne! geordLandtagsausschüssen ten insnete gesamt Baden127 12 je 2 Abgeordnete in 5 WürttemAusschüssen, je 3 Abgeberg ordnete in 3 Ausschüssen, 1 Abgeordneter in 1 Ausschuß (beratend) Bayern 204 14 je 1 Abgeordneter in 10 Ausschüssen Bremen 100 8 1 Abgeordneter in der Finanzdeputation Hessen 96 8 je 1 Abgeordneter in 8 Ausschüssen Niedersachsen 149 10 je 1 Abgeordneter in 13 Ausschüssen, davon 2 X beratend 29 RheinlandPfalz 100 4 keine Abgeordneten in Ausschüssen SchleswigHolstein 73 4 keine Abgeordneten in Ausschüssen 849 60 Im ganzen Bundesgebiet hat die NPD etwa 600 Vertreter in Kreisund Gemeindevertretungen. aa) Landtagswahlen in Baden-Württemberg Die NPD legte auf die Teilnahme an den Landtagswahlen in Baden-Württemberg vom 28. 4. 1968 großes Gewicht. Im Wahlkampf griff sie auf alle personellen und materiellen Kräfte der Gesamtpartei zurück. In ihrer Wahlagitation stützte sie sich neben den bekannten rechtsradikalen Parolen auf allgemeine innenpolitische Themen. Den Wählern empfahl sich die Partei als "demokratische Alternative zu den etablierten alten Parteien". Sie versuchte, nationale Ressentiments zu wecken sowie politische und wirtschaftliche Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung zu schüren und auszunutzen. In der Endphase des Wahlkampfes nach den Osterunruhen bot sie sich gegenüber linksextremen Umtrieben als Hüter staatlicher Autorität an. Mit einem Stimmenanteil von 9,8 % erreichte sie ihr bisher höchstes Wahlergebnis in einem Bundesland. In den 70 Wahlkreisen Baden-Württembergs schwankte das NPDErgebnis zwischen 6,0 % und 14,8 % der gültigen Stimmen. Den geringsten Zuspruch fand die Partei in den Wahlkreisen mit überwiegend katholischer Bevölkerung. Dagegen erreichte sie in wirtschaftlich schwachen Kreisen mit überwiegend protestantischer und bäuerlicher Bevölkerung überdurchschnittliche Ergebnisse. In den Städten und industriellen Gebieten des Landes wurde die NPD vorwiegend vom Mittelstand gewählt. 30 Den auffälligen Zusammenhang zwischen erhöhter NPDAnfälligkeit und schwacher Wirtschaftssituation in ländlichen Gemeinden zeigt nachstehende Gegenüberstellung von NPD-Stimmergebnissen zu dem Realsteuerkraftbetrag je Kopf der Bevölkerung, die für 589 Landgemeinden Baden-Württembergs mit einem höheren NPD-Stimmenanteil als 15 % errechnet wurde: NPD-Stimmendurchschnittliche Realsteuerkraft im anteile Realsteuerkraft Landesdurchschnitt in den Gemeinden 1 2 3 15 -- 2 0 % 110,43 DM 20 -- 30 % 100,62 DM 30 -- 4 0 % 84,04 DM 233,29 DM 40 -- 5 0 % 77,06 DM über 50 % 65,48 DM Wie diese Übersicht zeigt, ist in den Gemeinden der Stimmenanteil der NPD um so höher, je niedriger der Realsteuerbetrag der einzelnen Gemeinden ist. Der zwischen der Höhe des Flüchtlingsund Vertriebenen! anteils und der NPD-Stimmenzahl bestehende Zusammenhang ergibt sich aus der nachstehenden Analyse: F l ü c h t l i n g s - und V e r t r i e b e n e n a n t e i l und N P D - S t i m m e n NPD: Flüchtlingsu. Zahl der Flüchtlingsu. StimmenVertriebenen! untersuchten Vertriebenen! anteil anteil in der Landanteil im Bevölkerung gemeinden Landesdurchschnitt 8,9 % unter 1 0 % 1 103 9,8 % 10--30% 2 075 20,8 % 10,4% 30--40 % 187 11,0% über 40 % 15 31 Anzeichen dafür, daß Angehörige der Bundeswehr-Garnisonen weit überdurchschnittlich NPD gewählt haben, sind nicht erkennbar. Der Gesamtdurchschnitt des NPD-Stimmenanteils in den 23 Garnisonsorten Baden-Württembergs lag mit 10,14 % nur leicht über dem Landesdurchschnitt von 9,8 %. Untersuchungen über das frühere Wahlverhalten der NPDWähler in Baden-Württemberg führten zu dem Ergebnis, daß sich der NPD-Stimmenanteil von 9,8 % aus etwa 2,2 % NPD-Stammwählern, 1,8 % bisherigen NichtWählern und 5,8 % früheren Wählern demokratischer Parteien (3 % frühere SPD-Wähler, 2,5% frühere CDU-Wähler, 0,3% frühere FDP-Wähler) zusammensetzte (so: Zentralarchiv für empirische Sozialforschung Köln aufgrund einer Meinungsumfrage im Mai 1968). Wie schon bei den Landtagswahlen 1966/67 stimmten wiederum vorwiegend ältere Wähler für die NPD. Dagegen wählten in den Altersgruppen der 21--29jährigen nur 8,1 % die NPD. Damit lagen die Jungwähler -- bezogen auf den gesamten Stimmenanteil der NPD von 9,8 % -- unter dem Durchschnitt. Die Auszählung der Repräsentativstimmbezirke ergab außerdem bei der NPD einen starken Anteil an Männerstimmen. Weitere Einzelheiten dieser Auszählung ergibt die folgende Übersicht (Statistische Monatshefte Baden-Württemberg 8/68, S. 3 ff). A u f g l i e d e r u n g des N P D - S t i m m e n a n t e i l s v o m 28. 4 . 1968 n a c h A l t e r u n d G e s c h l e c h t Altersgruppe Stimmendavon davon anteil der Männer Frauen NPD 21--29jährige 8,1 % 10,9% 5,3% 30--44jährige 10,9% 13,6% 8,0 % 45--59jährige 12,0% 17,1 % 8,1 % 60 u. ä. 7,7 % 11.2% 4,9 % insgesamt 9,8 % 13,4% 6,8 % 32 In Nordbaden und Nordwürttemberg schnitt die NPD im allgemeinen dort gut ab, wo sie an alte nationalistische Traditionen anknüpfte. Bei mindestens der Hälfte der NPD-Wähler dürfte weniger eine nationalistische Einstellung oder Zustimmung zur Politik der NPD, als vielmehr Protest aus unterschiedlichen Gründen das ausschlaggebende Wahlmotiv gewesen sein. bb) Die Kommunalwahlen in Niedersachsen (29. 9. 1968), Hessen, im Saarland und in Baden-Württemberg (20. 10. 1968) Die Kommunalwahlen im September/Oktober 1968 in 4 Bundesländern brachten Rückschläge für die Partei. Sie erzielte bei den Kreiswahlen in Niedersachsen, Hessen und im Saarland Stimmenanteile von je 5,2 %. Die NPDErgebnisse bei den Wahlen zu den Gemeindevertretungen in den genannten Ländern und in Baden-Württemberg waren aufs Ganze gesehen noch geringer, zumal sich die NPD nur in wenigen Gemeinden zur Wahl stellte. Die Einzelergebnisse der Kommunalwahlen ergeben sich aus der folgenden Analyse: Kreiswahlen Gemeindewahlen Land zu vergevon der zu vergevon der bende NPD gebende NPD geSitze wonnene Sitze wonnene Sitze Sitze Niedersachsen 2 765 117 34 008 133 Hessen 1 409 40 24 374 53 Bad.-Württ. -- -- 15 924 4 Saarland 195 4 4 775 22 4 369 161 79 081 212 33 Da bei den Kommunalwahlen das Wählerverhalten durch örtliche Gegebenheiten stark beeinflußt wird, bilden diese Wahlergebnisse der NPD keine verläßliche Grundlage für Untersuchungen über die Wählerstruktur. Doch ergeben sich auch hier deutliche Hinweise auf eine Überrepräsentation mittelständischer Wählerschichten. Im übrigen bestätigt der Ausgang der Kommunalwahlen die allgemeine Entwicklung, die sich bereits im Mai 1968 für die NPD abzeichnete. Auf eine entsprechende Frage eines Meinungsforschungsinstituts an einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung bekannten sich damals 4 % der Befragten als Wähler der NPD, wenn zu diesem Zeitpunkt eine Bundestagswahl stattgefunden hätte. c) Parlamentsarbeit Die NPD hat ihren rechtsextremen Charakter auch in der Parlamentsarbeit ihrer Landtagsfraktionen nicht verleugnet. Dies zeigte sich u. a. bei zahlreichen Wortmeldungen ihrer Mandatsträger. Ein Fraktionsmitglied im Baden-Württembergischen Landtag bezeichnete die Auflösung der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung von NS-Verbrechen als "die wichtigste politische Aufgabe" seiner Fraktion (Fraktionsspiegel BaWü 1/69, S. 3). Bei anderer Gelegenheit rügte dieser Abgeordnete in einer Kleinen Anfrage, daß erhebliche Mittel für eine "fragwürdige Vergangenheitsbewältigung" aufgewendet würden (Drucks. des Baden-Württembergischen Landtages Nr. 178 vom 20. 9. 1968). Auch die NPD-Fraktionen in Bayern, Niedersachsen, Hessen und Bremen forderten die Streichung der Landeszuschüsse für die Ludwigsburger Zentralstelle. In den Haushaltsdebatten mehrerer Bundesländer zielten Anträge der NPD-Abgeordneten darauf ab, die für Maßnahmen der politischen Bildung bereitgestellten Mittel zu kürzen oder zu streichen (Protokoll über die 15. Sitzung des niedersächsischen Landtages, S. 1225 ff; NPD-Pressedienst der Landtagsfraktion Baden34 Württemberg Nr. 112/68, S. 2; Antrag Nr. 466 der NPDFraktion im hessischen Landtag; Informationsdienst der NPD-Abgeordneten in der bremischen Bürgerschaft "Für Sie" Aug./Sept. 1968, S. 7). Ein hessischer NPD-Abgeordneter begründete seinen Antrag auf Streichung der Zuschüsse für die Amerikahäuser u. a. damit, diese Institutionen hätten an der "Umerziehung" des deutschen Volkes mitgewirkt. Es sei bereits durch die Umerziehungsforderung der Siegermächte von 1945 "genug Schaden angerichtet worden" (NPD-Fraktionsspiegel der NPDFraktion im hessischen Landtag Nr. 1/1967, S. 6). Gegenüber aktuellen Sachfragen zeigten die NPD-Abgeordneten vielfach Unsicherheit. Der Mangel der Partei an fachlich und persönlich qualifizierten Mitarbeitern konnte durch die beim Parteipräsidium eingerichtete "Koordinierungsstelle für die Parlamentsarbeit" nicht ausgeglichen werden. Deshalb u. a. waren der nationaldemokratischen Parlamentsarbeit im Jahre 1968 keine nennenswerten Erfolge beschieden. Der gleichzeitig in mehreren Länderparlamenten eingereichte NPD-Entwurf eines HochschulOrganisationsgesetzes wurde u. a. deshalb abgelehnt, weil er * "keine neuen Gesichtspunkte bzw. keine neuen Lösungsvorschläge, die sich nicht zur Zeit bereits im Stadium der Erörterung befanden", enthalte (Protokoll des niedersächsischen Landtages vom 9. 10. 1968, S. 2819) * der Wichtigkeit und Bedeutung des Problems "in seiner ungeheuren Schlichtheit" nicht gerecht werde und die Zeichen von "zu später Stunde angefertigter Notizen" trage (Protokoll des niedersächsischen Landtages vom 9. 10. 1968, S. 2832) * gesetzestechnisch unzureichend, "unausgereift" und in entscheidenden Teilen verfassungswidrig sei (Protokoll des Baden-Württembergischen Landtages vom 12. 12. 1968, S. 549). Angesichts der Erfolglosigkeit ihrer Gesetzesinitiativen wichen die NPD-Fraktionen zunehmend auf mündliche 35 und schriftliche Anfragen und Anträge aus, die vielfach vordergründig propagandistischen Zwecken dienten. Nach wie vor ist der politische Einfluß der NPD auf die praktische parlamentarische Arbeit gering. 4. Die NPD als Ziel östlicher Nachrichtendienste Die kommunistischen Nachrichtendienste interessieren sich in zunehmendem Maße für die NPD. Insbesondere das "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) im sowjetisch besetzten Teil Deutschlands betrachtet die NPD als einen ihrer Aufklärungsschwerpunkte und sammelt systematisch Erkenntnisse über * Namen, Charakteristiken, Vorstrafen und politische Belastungen von NPD-Mitgliedern; * Originalunterschriften führender NPD-Funktionäre sowie Kfz-Kennzeichen der Parteiaktivisten; * Ziele, Entwicklung und Finanzierung der Partei sowie über den Verlauf von NPD-Veranstaltungen und die Einstellung der Bevölkerung zur NPD. Offensichtlich hat das MfS bereits eine Reihe von Agenten in die NPD eingeschleust. Auch bei Befragungen von Personen, die in die SBZ reisen, wird das Interesse der sowjetzonalen Staatsorgane an Informationen aus der NPD deutlich. Die Nachrichten werden als Grundlage für propagandistische Angriffe gegen die Bundesrepublik und zur Durchführung des Erlasses des sowjetzonalen Innenministeriums vom 10.3.1968 verwendet, der NPDMitgliedern die Durchreise durch die Zone untersagt. III. Rechtsradikale Gruppierungen außerhalb der NPD 1. Splittergruppen der nationalen Rechten Zahl und Stärke der neben der NPD existierenden rechtsradikalen Splittergruppen haben sich im Berichtsjahr nur unwesentlich verändert, zumal der in den früheren Jahren 36 festgestellte starke Mitgliederschwund vor allem durch Abwanderungen zur NPD nachgelassen hat. Bei den erfaßten Organisationen handelt es sich größtenteils um zahlenmäßig unbedeutende regionale Gruppen, von denen etwa zwei Drittel weniger als 100 Mitglieder haben. Ein Teil von ihnen sind "Ein-Mann-Organisationen", die nur aus ihrem Gründer und seinem persönlichen Anhang bestehen. Nur die national-neutralistische "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD) und das "Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG) haben zwischen 1000 und 2000 Mitglieder. Das politische Gewicht dieser Gruppen ist aber gering. a) Die Nationalneutralisten Die 1965 gegründete "Aktionsgemeinschaft Unabhängiger Deutscher" (AUD) sollte nach den Vorstellungen ihrer Initiatoren eine "unabhängige Alternative zur NPD" bieten. Sie war als Auffangund Dachorganisation für Gruppierungen wie "Deutsche Gemeinschaft" (DG), "Deutsche Freiheitspartei" (DF), "Vereinigung Deutsche Nationalversammlung" (VDNV) gedacht und sollte -- im Gegensatz zur NPD -- nationalistische und sozialistische Vorstellungen miteinander verbinden. Im Jahre 1968 versuchte die AUD sich an die Spitze der sogenannten vorund außerparlamentarischen Opposition zu setzen. Sie trat deshalb mit pazifistischen Organisationen, mit linken Gruppen und mit rebellierenden Studenten in Verbindung, um eine gemeinsame Teilnahme am Bundestagswahlkampf vorzubereiten. Durch die betonte Öffnung nach links hat die AUD Mitglieder verloren, die zum Teil zur NPD übergetreten sind. Nach vorsichtigen Schätzungen dürfte die AUD im Bundesgebiet im Augenblick etwa 1 700--2 000 Mitglieder haben. Die Partei ist stark überaltert. 37 b) Sonstige Parteien und Vereinigungen Die nach der Führungskrise im Jahre 1967 von dem ehemaligen NPD-Vorsitzenden Fritz T h i e l e n gegründete "Nationale Volkspartei" (NVP) entfaltete im Berichtsjahr kaum noch politische Aktivität. Ende 1968 gründeten abgefallene NPD-Funktionäre den "Verein zur Förderung der nationalen Politik" als weiteres Auffangbecken für enttäuschte NPD-Anhänger. Seit Ende 1967 verschickte der Hamburger Ingenieur WolfDieter Eckart an Interessenten einen "Nationalsozialistischen Deutschen Nachrichtendienst". Später folgten Werbeschriften unter dem Briefkopf "Bund Deutscher Nationalsozialisten" (BDNS). In den Schriften wurde das Gedankengut des Nationalsozialismus, insbesondere des "Führers Adolf Hitler", verherrlicht und das Judentum verurteilt. Für Februar 1969 war eine Arbeitstagung, für Mai 1969 eine Gründungsversammlung vorgesehen. Der BDNS ist praktisch eine "Ein-Mann-Organisation" des Wolf-Dieter Eckart, der nur wenig Gleichgesinnte fand. Die meisten übrigen Gruppen des "nationalen" Lagers sympathisieren mit der NPD. Dies gilt insbesondere für das "Deutsche Kulturwerk Europäischen Geistes" (DKEG), die "Aktion Oder-Neiße" (AKON), die Redaktion der Monatsschrift "Nation Europa" sowie für die rechtsradikalen Jugendgruppen. Die stärkste Jugendgruppe ist der "Bund heimattreuer Jugend" (BHJ) mit 150--200 Mitgliedern. Er warb im Laufe des Jahres "ganze Kerle" für den Dienst in einem "Hilfskorps Arabien". Hauptinitiator dieser Aktion war ein wegen Diebstahls von Geheimakten und Stempeln sowie wegen zahlreicher sonstiger Straftaten gesuchter Mann, der inzwischen festgenommen wurde. Auf dem 6. Bundesjugendtag des BHJ wurde der Bundesbahnschaffner Fritz B u r g e r aus Garmisch-Partenkirchen zum neuen 1. Vorsitzenden gewählt. Anmerkung Der Bundesminister des Innern hat mit Verfügung vom 29. April 1969 den BDNS verboten und aufgelöst. 38 2. Rechtsextreme Strömungen in der Ostemigration Die in der Bundesrepublik lebenden Ostemigranten verfolgen, soweit sie sich zu Organisationen zusammengeschlossen haben, in ihrer überwiegenden Mehrheit kulturelle und soziale Belange. Im Bereich der kroatischen Emigration kam es jedoch -- wie in den Vorjahren -- wieder zu politisch motivierten Straftaten. Die "Kroatische Revolutionäre Bruderschaft" (HRB) wurde durch Verfügung des Bundesministers des Innern vom 24. 6. 1968 verboten und aufgelöst. Sie bezeichnete sich selbst als geheime Kampforganisation. Ihre Mitglieder bedienten sich konspirativer Arbeitsmethoden; sie gelobten ihren Führern bedingungslosen Gehorsam und verpflichteten sich, unter Einsatz "aller zur Verfügung stehenden Mittel" bis zum Lebensende "für die Befreiung des kroatischen Volkes" zu kämpfen. Für den Bruch dieses Gelöbnisses war die Todesstrafe angedroht. Eine in Paris bestehende weitere Geheimorganisation, "Die Kroatische Nationale Revolutionäre Mitternachtsbewegung" (HNRPP), hat Sektionen im Bundesgebiet aufzubauen versucht. In den Bereich der Kroatischen Emigration fielen im Jahre 1968 folgende schwerwiegende Straftaten: * Am 16. 2. 1968 wurde auf eine Gaststätte in Schwen! ningen/N. durch unbekannte Täter ein Anschlag mit einer Zeitbombe verübt. * Am 16. 6. 1968 wurde in Saarbrücken ein Kroate festgenommen, da er im Besitz von Sprengstoff und Waffen war, die über Frankreich nach Jugoslawien eingeschleust werden sollten. * Am 30. 9. 1968 wurde ein Angehöriger einer kroatischen Terroristengruppe in der Gemarkung Sandlos/Krs. Lauterbach tot aus der Fulda geborgen. * Am 26. 10. 1968 wurden im Büro des "Bundes der Vereinten Kroaten" (UHNJ) in München die Kroaten Mile R u k a v i n a , Vorsitzender der UHNJ, Kresimir T o l j , ehemaliger Herausgeber der kroatischen Emigrantenzeitschrift "Hrvatska Sloboda" und Vid M a r i c i c erschossen aufgefunden. 39 In vier Fällen wurden im Jahre 1968 Kroaten wegen Sprengstoffverbrechen, Waffenschmuggel und Geheimbündelei zu längeren Freiheitsstrafen verurteilt. Damit erhöht sich die Zahl der von deutschen Gerichten seit 1964 abgeurteilten Terroristen kroatischer Herkunft auf 44. 3. Internationaler Faschismus Die Bemühungen des internationalen Faschismus, vom Ausland her auf das politische Geschehen in der Bundesrepublik Einfluß zu nehmen, haben im Berichtsjahr nachgelassen. Das gilt insbesondere für die Zusammenarbeit der "National Socialist White Peoples Party" (NSWPP) und ihrer britischen Sektion "National Socialist Movement" (NSM) mit rechtsextremen Gruppen in der Bundesrepublik. Die bestehenden Kontakte beschränkten sich praktisch auf den Austausch von Publikationen. Sympathiebekundungen dieser Gruppen für die NPD blieben im Gegensatz zum Jahre 1967 aus. Die "Europäisch-Soziale-Bewegung" (ESB) in Malmö ist seit Jahren die einzige Organisation des internationalen Faschismus, die auf deutschem Boden noch eine eigene Sektion, die "Deutsch-Soziale Bewegung" (DSB) mit je einer Ortsgruppe in Köln und Darmstadt unterhält. Mitglieder verschiedener deutscher und ausländischer rechtsradikaler Jugendgruppen besuchten gegenseitig ihre Veranstaltungen. So besuchten die Mitglieder des "Bundes Heimattreuer Jugend" (BHJ) und der "Wiking-Jugend" (WJ) am 17./18. 8. 1968 ein Treffen belgischer Faschisten in Dixmuiden. Der "Vlaams National Jeugdverbond" veranstaltete unter Beteiligung deutscher rechtsextremer Jugendgruppen im Juli 1968 ein Sommerlager in Hameln/ Weser. Auf dem Pfingstlager 1968 des BHJ waren Mitglieder der "Vlaamse Militanten Orde" anwesend. Im Ausland verfolgten einige deutschsprachige Publikationen, wie das Nachfolgeorgan der "Deutschen Kommen40 tare am Rio de la Plata", "La Plata-Ruf", die "Rundschau des Ranke-Kreises" und der "Afrika-Spiegel" extrem nationalistische Tendenzen. "Oberstes Ziel" ihrer publizistischen Tätigkeit "ist und bleibt die Erhaltung und Förderung eines gesunden Nationalgefühls, um so (in vollem Einklang mit dem ewigen Naturgesetz) die organisch gewachsenen Gemeinschaften gesunder Völker vor parasitären Elementen zu schützen" (Afrika-Spiegel, Jan./Febr. 1968, S. 2). IV. Die "Deutsche National-Zeitung" (DNZ) Die "Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung" (DNZSZ) ist nach wie vor das auflagenstärkste Organ der rechtsradikalen Publizistik. Sie wurde Mitte 1968 in "Deutsche-National-Zeitung" (DNZ) umbenannt. Der bisherige Untertitel wird jetzt zur Bezeichnung einer "Vierteljahresschrift für Wehrfragen" verwandt, die der DNZ als kostenlose Nebenausgabe beigefügt wird. Auch die DNZ-Verlagsgesellschaft erhielt, ohne daß sich dadurch an den Besitzund Gesellschaftsverhältnissen etwas geändert hätte, einen neuen Namen. Der Herausgeber und Chefredakteur der DNZ, Dr. F r e y , ist zugleich alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der jetzt als "Druckschriftenund Zeitungsverlag" firmierenden GmbH. Anfang Juli erwarb Dr. F r e y die Monatszeitung "Deutscher Bauer" der rechtstendierenden "Notgemeinschaft Deutscher Bauern" (NDB). Er gibt das Blatt jetzt in gleicher Aufmachung wie die DNZ heraus. Demoskopische Untersuchungen in der Zeit von Januar bis März 1968 ergaben, daß von hundert Lesern der DNZ 45 Anhänger der NPD waren. Eine von der DNZ selbst im November 1968 veranstaltete Leserbefragung zeigte, daß im Falle einer Wahl zu diesem Zeitpunkt 37,7 % der Leser NPD gewählt hätten (DNZ 51/68, S. 2). Zwischen dem Herausgeber der DNZ und dem Kreis um den NPD-Vorsitzenden von T h a d d e n besteht eine starke Gegnerschaft. Deren Ursache liegt nicht nur in der natürlichen Konkurrenz von Herausgebern nationalisti41 scher, auf denselben Leserkreis ausgerichteter Wochenzeitungen, sondern auch in persönlichen Gegensätzen. Dr. F r e y ist bemüht, die Position der "von T h a d d e n - Gruppe" durch Angriffe in der D N Z zu erschüttern. So brachte die D N Z in ihrer Ausgabe vom 25. 10. 1968 unter der Schlagzeile: " W i e T h a d d e n Berlins NPD i n den Selbstmord trieb" einen ihrer typischen Angriffe gegen den NPD-Vorsitzenden. A n anderer Stelle warf F r e y von T h a d d e n vor, er habe seit 20 Jahren die deutsche Rechte vergiftet ( D N Z 28/68, S. 4). Die nationalistische, antisemitische und rassistische Polemik der D N Z hielt auch im Jahre 1968 an (vgl. Anm. 1). Die Schlagzeilenpolitik war vorwiegend gegen Repräsentanten des Staates gerichtet. Die Themen Israel und Zionismus bildeten zwar weiterhin einen Schwerpunkt der DNZ-Veröffentlichungen, wurden aber mit wenigen A u s - nahmen im Innern des Blattes behandelt. Die häufigsten Angriffe der Überschriftenhetze richteten sich gegen die führenden Politiker der Großen Koalition (vgl. Anm. 2). Das Blatt verstieg sich zu der Behauptung, an der Spitze unseres Staates stünden "unzweifelhaft auch Verbrecher und Landesverräter, Halunken und Ganoven, die in der schwersten Bedrängnis des eigenen Volkes Dienste für A n m e r k u n g 1: Die Bundesregierung, vertreten durch den Bundesminister des Innern, stellte am 17. März 1969 beim Bundesverfassungsgericht folgenden Antrag (Art. 18 GG): 1. Der Journalist Dr. Gerhard Frey und die Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH haben das Grundrecht der freien Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit, auf eine vom Bundesverfassungsgericht festzusetzende Dauer verwirkt; 2. Dr. Frey wird auf die Dauer der Verwirkung des Grundrechts das Wahlrecht, die Wählbarkeit und die Fähigkeit zur Bekleidung öffentlicher Ämter aberkannt; 3. Die Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH wird aufgelöst. A n m e r k u n g 2: Die 5. Strafkammer des Landgerichts München 1 hat durch Beschluß vom 11. April 1969 im sogenannten "überschriftenverfahren" das Hauptverfahren zugelassen. Dr. Frey und dem Redakteur Mages werden in diesem Verfahren fortgesetzte Volksverhetzung und Beleidigung vorgeworfen. 42 den Landesfeind verrichteten" (DNZ 44/68, S. 1). Deutschland sei "das Land der unbegrenzten nationalen Würde! losigkeiten" (DNZ 9/68, S. 7). In Übereinstimmung mit einigen programmatischen Forderungen der NPD wurde "die Forderung nach plebiszitärer Demokratie" erhoben (DNZ 32/68, S. 11). Die Mitglieder der Regierung wurden generell als "Umerzieher", "Verzichtspolitiker", "Bonner Koalitionskomplizen" und das Ergebnis der Großen Koalition wurde als "Scherbenhaufen" abgewertet (DNZ 44/68, S. 1, 2/68, S. 7, 15/68, S. 2 29/68, S. 1). Israel wurde als "aggressives, räuberisches kleines Land" hingestellt (DNZ 50/68, S. 6). Trotz wiederholter Appelle Dr. F r e y s an die Leser, ihm durch vermehrten Bezug der Zeitung und durch Spenden "bei der Verbreitung der Wahrheit" und "im Kampf um Deutschland" behilflich zu sein, ging der Gesamtverkauf der DNZ im IV. Quartal 1968 erstmals um mehr als 9 000 Exemplare zurück. V. Sonstige parteiungebundene Publizistik Auch die Gesamtauflage der übrigen parteiungebundenen rechtsradikalen Publikationsorgane lag 1968 unter derjenigen des Vorjahres. Die rechtsextreme Studentenzeitung "Deutscher Studenten-Anzeiger" (DSA) befand sich 1968 ständig in finanziellen Schwierigkeiten. Ihre Auflage schwankte zwischen 32 000 und 26 000 Exemplaren, wobei die einzelnen Nebenausgaben miteinbezogen sind. Eine indirekte Konkurrenz erhielt der DSA durch die erstmals im November 1968 erschienene Zeitung "student" -- Freiheitliche Zeitung für Politik, Kultur und Gesellschaft --, die von der "Burschenschaftlichen Aktionsgemeinschaft für Publizistik e.V., Würzburg" herausgegeben wird. Aufgrund der Konkurrenz durch "student" verringerte sich die Auflage des DSA zuletzt auf 22 000 Exemplare. Die in Hamburg erscheinende national-neutralistische Wochenzeitung "Neue Politik" (NP) (Gesamtauflage: 43 7 000 Exemplare) nähert sich mehr und mehr der sowjetzonalen Argumentation in der Deutschlandfrage. Die rechtsextreme Monatsschrift "Nation Europa" (NE) wird von der NPD ihren Mitgliedern als Informationsund Schulungsmaterial empfohlen. VI. Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund 1. Statistik Die Strafverfolgungsbehörden und die Ämter für Verfassungsschutz haben im Jahre 1968 in der Bundesrepublik Deutschland einschließlich Westberlin insgesamt 349 Ausschreitungen festgestellt, die auf nazistische oder antisemitische Hintergründe schließen ließen (gegenüber 387 im Jahre 1967). Die Zahl der Vorfälle hat seit 1965 stetig abgenommen. Die im Anhang veröffentlichte Statistik erfaßt alle Vorkommnisse, bei denen der objektive Tatbestand nazistische oder antisemitische Merkmale erkennen ließ. Sie berücksichtigt jedoch solche Fälle nicht, in denen Hakenkreuze und andere NS-Embleme eindeutig aus antinazistischen Beweggründen benutzt wurden. So haben Hakenkreuze in mindestens 82 Fällen als Mittel eines öffentlichen Protestes gegen die NPD oder andere politische Erscheinungen gedient, deren rechtsradikaler Charakter angeprangert werden sollte. 2. Tatmerkmale Nach den äußeren Tatmerkmalen gliedern sich die Fälle wie folgt auf: a) Terroristische Handlungen (8 Fälle) Die zunehmende Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen in der Bundesrepublik führte einerseits zu einer Reihe von gewalttätigen Störungen von NPD-Versammlungen seitens politischer Gegner. Andererseits hat sie auch im vergangenen Jahr zu Gewalttaten seitens rechtsextrem eingestellter Personen geführt. 44 * Bei dem Anschlag des 24jährigen Anstreichers Josef B a c h m a n n auf den SDS-Funktionär Rudi D u t s c h k e am 11. 4. 1968 in Berlin können rechtsextreme Beweggründe nicht ausgeschlossen werden. D u t s c h k e wurde lebensgefährlich verletzt. Bachmann wurde inzwischen wegen versuchten Mordes zu 7 Jahren Zuchthaus verurteilt. Das Urteil des Berliner Schwurgerichts ist noch nicht rechtskräftig (Az.: 1 Ks 44/68). * Am 18. 5. 1968 verwüsteten mehrere "Junge Nationaldemokraten" ein SDS-Büro in Berlin und verletzten dabei zwei Personen. * Am 22. 6. 1968 schlugen vier NPD-Plakatkleber in Berlin einen Autofahrer, der "Nieder mit der NPD" gerufen hatte, zusammen. * Am 1. 10. 1968 feuerte ein Mitglied des NPD-Ordnerdienstes auf dem Heimweg von einer NPD-Veranstaltung mehrere Schüsse aus einem Kleinkalibergewehr in die Fenster des Büros der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP) in Bonn. * Ein Mitglied des NPD-Parteivorstandes sprühte im März einem politischen Gegner, der anläßlich einer Parteiveranstaltung Flugblätter mit Parolen gegen die NPD verbreitete, Tränengas ins Gesicht. Er wurde inzwischen zu zwei Monaten Gefängnis verurteilt (Urteil des Amtsgerichts Urach vom 24. 9. 1968--3 Ds 117/68). * Weitere Ermittlungsverfahren richteten sich gegen Mitglieder und Ordner der NPD wegen tätlicher Ausschreitungen oder verbotenen Waffenbesitzes bei Veranstaltungen ihrer Partei. b) Schändungen jüdischer Friedhöfe (14 Fälle, einschließlich der Unfughandlungen von Kindern) In allen bisher aufgeklärten Fällen waren die Täter Kinder oder Jugendliche, die nicht aus politischen Motiven gehandelt haben. Bei Friedhofsschändungen in Recklinghausen 45 (24. 4. 1968) und Augsburg (Anfang November 1968) wurden jüdische Grabstätten mit Hakenkreuzen besudelt. Diese offensichtlich politisch motivierten Ausschreitungen sind noch nicht aufgeklärt. c) Flugblattund Plakataktionen (9 Fälle) Primitive Textgestaltung und Form der bekanntgewordenen antisemitischen Flugschriften und Plakate sowie ihr rein örtliches Auftauchen deuteten durchweg auf Einzeltäter hin. In den inzwischen geklärten Fällen konnten die Täter wegen krankhafter Störung ihrer Geistestätigkeit strafrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen werden. d) Beleidigungen und Bedrohungen jüdischer Mitbürger oder politischer Gegner (36 Fälle) Diese Handlungen sind seit 1965 in weit stärkerem Maße als die übrigen Vorfälle zurückgegangen. Meist handelte es sich um Beleidigung im Verlauf von Streitigkeiten. e) Nazistische oder antisemitische Schmieraktionen (180 Fälle) Am 2. 10. 1968 wurde in Belgien ein niederländischer Staatsangehöriger festgenommen, der seit Juni 1966 in den Grenzgebieten der Niederlande, Belgiens, Frankreichs und der Bundesrepublik in über 200 Fällen Friedhöfe und Kirchen mit antichristlichen Parolen, Hakenkreuzen und SS-Runen besudelt hatte. Betroffen waren auch zahlreiche Kirchen im Bundesgebiet. Wie die Ermittlungen ergaben, wurde der Täter zu seinen Taten durch religiöse Wahnvorstellungen veranlaßt. f) Sonstige Störaktionen und Unfughandlungen (102 Vorfälle) 46 3. Täter und Tatmotive Bisher wurden 168 der 349 Taten des Jahres 1968 aufgeklärt und 255 Täter ermittelt. Von ihnen sind 182 (71 %) jünger als 30 Jahre. Der Anteil der jugendlichen Täter hat 1968 wie schon im Vorjahre stark zugenommen: 1960--1966 1967 1968 Alter Täter % Täter % Täter % Kinder bis zu 14 Jahren 229 10 22 11 10 4 15--20jährige 364 17 47 24 125 49 21--30jährige 570 26 46 24 47 18 31--40jährige 401 18 32 17 35 14 41--50jährige 292 13 15 8 20 8 51--60jährige 235 11 21 11 13 5 über 60jährige 118 5 10 5 5 2 insgesamt 2 209 100 193 100 255 100 Die Analyse der Tatmotive zeigt eine auffallende Zunahme der Handlungen ohne politische Beweggründe: 28 Täter handelten aus nationalistischer Überzeugung (11 % ) . Einige von ihnen sind überzeugte Antisemiten, etwa zur Hälfte sind oder waren sie Mitglieder der NPD bzw. der "Jungen Nationaldemokraten". 32 Personen ließen sich im Affekt oder unter Alkoholeinfluß zu antisemitischen Beleidigungen hinreißen (13 % ) . Dabei haben offensichtlich tiefverwurzelte, politische Ressentiments als Beweggründe mitgewirkt. Mehrere dieser Täter sind wegen krimineller Verfehlungen vorbestraft. 179 überwiegend jüngere Täter begingen aus Übermut oder aggressivem Tätigkeitsdrang Unfughandlungen ohne politische Beweggründe (70 % ) . 10 Täter sind Kinder (4 % ) . 6 Täter sind wegen krankhafter Störungen der Geistestätigkeit im strafrechtlichen Sinne unzurechnungsfähig (2 %). 47 Die folgende Übersicht gibt Aufschluß über die Motive der ermittelten Täter: Motive 1966 1967 1968 1960--1968 insgesamt Politische Überzeugungstäter 30 19 28 431 = 16% Politische Affekttäter 57 48 32 767 = 29 % Unpolitische Unfugtäter 71 99 179 1 064 = 40 % Kinder 53 22 10 290 = 11 % Geisteskranke 13 5 6 105= 4% Täter insgesamt 224 193 255 2 657 = 100% Anzeichen für eine zentrale Steuerung der rechtsextremen Ausschreitungen waren auch im Jahre 1968 nicht feststellbar. VII. Maßnahmen 1. Vorbereitungen von Verbotsmaßnahmen, Strafverfahren*) Verboten wurde die "Kroatische Revolutionäre Bruderschaft" -- HRB. Das Straffreiheitsgesetz v. 9.7.1968 hat zur Einstellung einer Reihe von Strafverfahren mit rechtsradikalem Hintergrund geführt. Insgesamt wurden im Jahre 1968 73 Personen wegen strafbarer Handlungen aus extremnationalistischen oder antisemitischen Motiven verurteilt. Anmerkung: *) Die Bundesregierung hat am 17. März 1969 beim Bundesverfassungsgericht gegen den Herausgeber der "Deutschen Nationalzeitung und gegen deren Verlag einen Antrag auf Aberkennung des Grundrechtes der freien Meinungsäußerung, insbesondere der Pressefreiheit gestellt. 48 61 dieser Urteile sind rechtskräftig. Seit 1960 sind auf diesem Gebiet insgesamt 951 Beschuldigte rechtskräftig verurteilt worden. Gegen diese Personen wurden verhängt: 20 Zuchthausstrafen, davon 18 gegen Ausländer, 34 Gefängnisund Jugendstrafen von einem bis zu fünf Jahren, davon 13 gegen Ausländer, 73 Gefängnisund Jugendstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr, davon 8 gegen Ausländer, 325 Gefängnisstrafen unter sechs Monaten, 368 Geldbzw. Haftstrafen (die neben Gefängnis verhängten Geldstrafen sind in dieser Statistik nicht erfaßt), 131 Maßregeln und Zuchtmittel nach dem Jugendgerichtsgesetz. Acht der im Jahre 1968 verurteilten 73 Personen sind oder waren Mitglieder rechtsradikaler Parteien oder Vereinigungen. Außerdem ist im Jahre 1968 die Verurteilung von zwei AUD-Funktionären in Berlin wegen Wahltäuschung rechtskräftig geworden. Damit hat sich die Zahl der seit 1960 abgeurteilten Täter aus rechtsradikalen Organisationen auf insgesamt 118 erhöht. Das sind 12 % aller Verurteilten. 2. Parlamentarische Initiativen, Maßnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung In den Parlamenten der Bundesrepublik haben Vertreter der demokratischen Parteien wiederholt Kritik am rechtsradikalen Charakter der NPD geübt (Drucksachen des Deutschen Bundestages V/3320 vom 3. 10. 1968 und V/3572 vom 29. 11. 1968, Protokolle des Landtages von Baden-Württemberg vom 27. 6. 1968 [4. Sitzung 49 S. 15], vom 17. 7. 1968 [7. Sitzung S. 107] und vom 27. 2. 1969 [27. Sitzung S. 1411 ff], Drucksache Nr. 327 des Schleswig-Holsteinischen Landtages vom 16. 4. 1968, Niederschrift über die 26. Sitzung des Landtages von Rheinland-Pfalz vom 20. 9. 1967, S. 128 sowie die Sitzung vom 10. 7. 1968, S. 781/782). In der Sitzung des Deutschen Bundestages vom 29. 11. 1968 gab der Bundesminister des Innern auf eine Kleine Anfrage im Namen der Bundesregierung folgende Erklärung ab: * "Das offenkundig jenseits aller Realitäten stehende politische Programm" der NPD gefährdet "die Interessen und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland" sowie "das nach dem Kriege wiedererstandene Vertrauen des Auslandes in die Deutschen". * "Die Führer der NPD trifft der schwere Vorwurf, daß ihre Haltung und Argumentation der Sowjetunion Vorwände für die von ihr behaupteten Interventionsrechte liefern." * "So wie der NPD jedes Verständnis für politische Solidarität von gleichgesinnten Nationen fehlt, so entwickelt sie auch kein Verantwortungsbewußtsein für die Lösung der Probleme einer sich immer enger zusammenschließenden Welt, in der das Schicksal der Entwicklungsländer mit dem der eigenen Nation eng verbunden ist." Die Bundeszentrale und die Landeszentralen für politische Bildung haben ihre Aufklärungsarbeit über die Gefahren des Rechtsradikalismus intensiviert. 50 Kommunistische und andere linksextreme Bestrebungen I. Die Tätigkeit der deutschen Kommunisten 1. Ziele der deutschen Kommunisten Die deutschen Kommunisten haben im Jahre 1968 daran festgehalten, zwei Hauptziele zu verfolgen: * die Anerkennung des Regimes in der Sowjetzone durch die freie Welt zu erlangen (Nahziel) sowie * die Voraussetzungen für eine "revolutionäre Umwälzung" und für die Errichtung eines kommunistischen Systems in der Bundesrepublik Deutschland zu schaffen (Fernziel). Die illegale "Kommunistische Partei D e u t s c h l a n d s " (KPD) erklärte in ihrem im Februar 1968 veröffentlichten Programmentwurf, sie sei eine "marxistisch-leninistische Partei". Der "Weg zum Sozialismus" führe über die "Diktatur des Proletariats". Die KPD erstrebe eine "revolutionäre", "sozialistische Umwälzung", die sich nach den "allgemein gültigen Grundsätzen des Marxismus-Leninismus" vollziehen müsse. Eine "sozialistische Ordnung" in der Bundesrepublik werde zwar auf dem Mehrparteiensystem beruhen, die "sozialistische Staatsmacht" werde aber ihre Errungenschaften entschieden gegen "konterrevolutionäre Anschläge" schützen. Der Programmentwurf zeigt, daß die deutschen Kommunisten nach wie vor nicht nur auf eine "sozialistische Umwälzung" hinarbeiten, sondern daß sie im Falle der Machtübernahme auch nicht bereit wären, Opposition zu dulden und ihre errungenen Machtpositionen aufzugeben, selbst wenn der Wähler dies wünschen würde. 51 Die KPD unterscheidet sich mit diesen Forderungen in keiner Weise von der " S o z i a l i s t i s c h e n E i n - heitspartei Deutschlands" (SED), deren Führer auf der 9. Tagung des SED-Zentralkomitees (22.--* 25. Oktober 1968) erklärten, * der Weg zum Sozialismus erfordere "tiefgreifende, zutiefst revolutionäre Veränderungen", die nicht allein auf parlamentarischem Wege zu erringen seien (Kurt H a g e r , Mitglied des SED-Politbüros); * diese Veränderungen könnten nur unter der Führung einer revolutionären marxistisch-leninistischen Partei verwirklicht werden (Kurt H a g e r ) ; * entscheidend sei stets die Frage, wer die Macht habe, die "Arbeiterklasse" oder die "Bourgeoisie". Es gäbe nur ein "Entweder-Oder" (Walter U l b r i c h t ) ; * weder mit Gewalt noch friedlich werde es möglich sein, ein Land aus der "sozialistischen Staatengemeinschaft" herauszureißen (Gerhard G r ü n e b e r g , Mitglied des SED-Politbüros); * das System der Sowjetunion bleibe das "Grundmodell des Sozialismus" (Kurt H a g e r ) , die Haltung zur Sowjetunion und zur KPdSU sei das wichtigste Kriterium einer marxistisch-leninistischen Partei (Erich H o n e c k e r , Mitglied des SED-Politbüros). (Vgl. "Neues Deutschland" vom 23., 25., 27. und 29. Oktober 1968). In seiner Festansprache zum 50. Jahrestag der Gründung der KPD sagte Ulbricht: * "Im Sozialismus, der auf dem Willen des Volkes beruht und das Werk der Volksmassen ist, kann eine von volksfeindlichen antisozialistischen Zielen ausgehende Opposition keinen Platz haben". ("Neues Deutschland" vom 31. 12. 1968). 52 Weitaus vorsichtiger als KPD und SED hat sich die im September 1968 gegründete " D e u t s c h e K o m m u - n i s t i s c h e P a r t e i " (DKP) über ihre Ziele geäußert. Auch sie betrachtet sich als marxistisch-leninistische Partei. Sie will die "Traditionen der revolutionären deutschen Arbeiterbewegung" fortsetzen. ("Erklärung" des DKPBundesausschusses vom 26. 9. 1968). Zwar vermeidet es die DKP im Hinblick auf das am 17. 8. 1956 gegen die KPD ergangene Verbotsurteil des Bundesverfassungsgerichtes, sich zur "proletarischen Revolution" und zur "Diktatur des Proletariats" zu bekennen. Jedoch umfaßt ihr uneingeschränktes Bekenntnis zu Marx, Engels und Lenin auch diese wesentlichen Elemente des Marxismus-Leninismus. Die programmatischen Äußerungen der DKP zwingen zu der Schlußfolgerung, daß es sich bei ihr nicht um eine neuartige, etwa "reform-kommunistische" Partei handelt. Auch die DKP verfolgt ein revolutionäres Programm. Allein aus taktischen Gründen versucht sie, dies zu verschleiern. Die DKP hat die Anerkennung der "DDR" als "Kernforderung" in ihre "Grundsatzerklärung" aufgenommen. 2. Parteipolitische Bestrebungen der Kommunisten Die Kommunisten betrieben ihre Arbeit im Jahre 1968 auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen organisatorischen Formen: * Der illegale Apparat der KPD mit seiner Führungsstelle im Sowjetsektor Berlins setzte seine Tätigkeit in der Bundesrepublik fort. * Der "Initiativausschuß für die Wiederzulassung der KPD" führte zahlreiche Veranstaltungen durch. 53 * Im September 1968 gründeten deutsche Kommunisten die "Deutsche Kommunistische Partei". * Im November kehrte Max R e i m a n n , 1. Sekretär des ZK der KPD, aus dem Sowjetsektor Berlins in die Bundesrepublik zurück, um den "Kampf für die Aufhebung des KPD-Verbots" fortzusetzen. * Die "SED-Westberlin" verstärkte ihre Tätigkeit in der Öffentlichkeit und zeigte sich zunehmend selbstsicher und geschlossen. * Im Dezember schlossen sich Anhänger des chinesischen Kommunismus zu einer eigenen Partei, der "KPD/ Marxisten-Leninisten" zusammen. a) Arbeit der KPD bis zur Gründung der DKP Parteiorganisation Bis zur Gründung der DKP im September 1968 hielt die illegale KPD, gesteuert von ihrem Politbüro im Sowjetsektor Berlins, ihre Bezirksund Kreisorganisationen im Bundesgebiet im wesentlichen unverändert aufrecht. Dieser Parteiapparat hatte vor allem die Aufgabe, die Mitglieder zusammenzuhalten, den Kampf für die "Aufhebung" des KPD-Verbotes und offene Agitation fortzusetzen sowie den Einfluß der Kommunisten in den von ihnen infiltrierten Organisationen und in den Wahlbündnissen zu sichern, an denen sie beteiligt waren. Im organisatorischen Bereich setzte die KPD ihre Bemühungen fort, Mitglieder zu gewinnen, wobei sie wenig Erfolg hatte. Sie schulte weiterhin Mitglieder und Funktionäre auf Wochen-, Dreimonatsund Jahreslehrgängen in der SBZ. Die "Zentrale Parteikontrollkommission" (ZPKK) war vor allem damit befaßt, die Bildung pro-chinesischer Gruppen 54 zu verhindern. Wo sich solche Gruppen zusammenfanden, versuchte die ZPKK, in ihnen Vertrauensleute zu gewinnen. Im übrigen beobachtete sie die Auswirkung der Intervention der fünf Mächte des Warschauer Paktes in der CSSR auf die Parteimitglieder. Programmentwurf Einen wesentlichen Auftrieb hatte sich die KPD-Führung von der Veröffentlichung ihres Programmentwurfes erhofft. Sie entsandte im Februar 1968 drei bis dahin in der KPD-Führung im Sowjetsektor Berlins tätig gewesene Spitzenfunktionäre, Max S c h ä f e r , Herbert M i e s und Grete T h i e l e , mit dem Auftrag ins Bundesgebiet, den Programmentwurf auf einer Pressekonferenz öffentlich bekanntzumachen. Diese für den 8. 2. 1968 in Frankfurt am Main vorgesehene Pressekonferenz wurde von den zuständigen Behörden unter Berufung auf das KPDVerbot verhindert. Die KPD-Führung plante daraufhin, am 2. 4.1968 schlagartig in allen größeren Städten -- vornehmlich vor Industriebetrieben -- 60 000 in Österreich hergestellte Broschüren mit dem neuen Parteiprogramm zu verteilen. An dieser Aktion sollten sich alle Mitglieder und Funktionäre beteiligen. Die KPD wollte damit das Parteiverbot demonstrativ ignorieren und hoffte, auf diese Weise die Legalität ihrer Partei Zug um Zug zurückzugewinnen. Vor Beginn der Aktion wurden die für die vier norddeutschen Länder vorgesehenen Broschüren auf Anordnung des Ermittlungsrichters beim BGH beschlagnahmt. In 25 Städten der übrigen Länder verteilten Kommunisten die Programme. 12 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Die Aktion erwies sich als Fehlschlag. Betriebsarbeit Während im Jahre 1967 noch in etwa 130 Betrieben eine kommunistische Tätigkeit festgestellt wurde, waren es 55 1968 nur noch etwa 60 Unternehmen, in denen Kommunisten aktiv gewesen sind. Die im Frühjahr 1968 durchgeführten Betriebsrätewahlen brachten den Kommunisten keinen Erfolg. Die Zahl der kommunistischen Betriebszeitungen verringerte sich auf 40 gegenüber 65 im Jahre 1967. 15 dieser Betriebszeitungen erschienen regelmäßig mit Auflagen zwischen 200 und 600 Exemplaren, die übrigen nur gelegentlich. Verbreitung von Druckschriften Ihre Druckschriften ließ die KPD wie in den vergangenen Jahren nicht nur in der Sowjetzone sondern auch in Schweden, Frankreich und Österreich herstellen, versandte sie aus diesen Ländern mit der Post oder brachte sie durch Kuriere des "Briefversandapparates" ins Bundesgebiet. Im Jahre 1968 verbreitete die KPD auf diese Weise * ihr Zentralorgan "Freies Volk" in 12 Ausgaben (Auflage je etwa 15 000), * ihre theoretische Zeitschrift "Wissen und Tat" in 9 Ausgaben (Auflage je etwa 6 000), * den "Informationsdienst" Max R e i m a n n s in 2 Ausgaben, * sowie "offene Briefe" und Broschüren, darunter den Programmentwurf. Offene Arbeit Mehr noch als in den vorausgegangenen Jahren versuchte die KPD, durch "offene Arbeit" vollendete Tatsachen zu schaffen und dadurch das KPD-Verbot in Frage zu stellen. Die allgemeine politische Entwicklung und die Neufassung des Staatsschutzstrafrechtes erschienen ihr dafür besonders günstig. 56 Um im Bundesgebiet handlungsfähiger zu sein, begann die KPD-Führung Anfang 1968, ihre leitenden Funktionäre und andere Mitarbeiter ihres Zentralkomitees aus dem Sowjetsektor Berlins ins Bundesgebiet zurückzusenden, wo sie im Parteiapparat Führungsaufgaben übernahmen. Nach und nach kehrten von den 13 Mitgliedern des Politbüros 10 und etwa 25 andere hauptamtliche Funktionäre des Zentralkomitees in die Bundesrepublik zurück. Schwerpunkte der "offenen" Arbeit waren * die Beteiligung an der Landtagswahl in Baden-Württemberg (28. April), den Kommunalwahlen in Niedersachsen (29. September), Baden-Württemberg, Hessen und im Saarland (20. Oktober) sowie * die Aktionen zum 12. Jahrestag des KPD-Verbotes (17. August). Den 12. Jahrestag ihres Verbots wollte die KPD zu einem Höhepunkt ihrer offenen Arbeit und der Kampagne für ihre Wiederzulassung machen. Sie verbreitete erheblich mehr Agitationsschriften als in früheren Jahren, führte öffentliche Veranstaltungen durch, richtete Informationsstände ein und diskutierte mit Straßenpassanten. Die Resonanz bei der Bevölkerung war jedoch sehr gering. Mehrere Veranstaltungen wurden verboten. Kommunisten verbreiteten im Rahmen der "offenen" Arbeit auch 1968 zahlreiche Broschüren, "offene Briefe" und Flugschriften und gaben sieben regionale Zeitungen heraus. "Initiativausschuß für die Wiederzulassung der KPD" Von Januar 1968 bis zur Bildung der DKP im September 1968 sprachen die Mitglieder des "Initiativausschusses für die Wiederzulassung der KPD" Karl S c h a b r o d , Franz A h r e n s , Kurt E r I e b a c h , Richard S c h e r i n - g e r und Manfred K a p I u c k , Mitglieder örtlicher kom57 munistischer "Initiativausschüsse" oder leitende KPDFunktionäre wie Max S c h ä f e r , Herbert M i e s und Grete T h i e l e auf 117 Veranstaltungen. An diesen Kundgebungen nahmen etwa 15 000 Personen teil. Zu den Veranstaltungen hatten einzelne KPD-Funktionäre, kommunistische "Arbeitskreise", kommunistisch beeinflußte Organisationen und auch nichtkommunistische Vereinigungen eingeladen. Die Sprecher setzten sich nicht nur für eine Aufhebung des KPD-Verbots ein, sondern vertraten auch den kommunistischen Standpunkt zu innenund außenpolitischen Fragen. Der "Initiativausschuß" gab eine Reihe von "Erklärungen" und "Informationen" heraus, in denen er gegen das KPDVerbot und auch gegen die Notstandsgesetze agitierte. Im Januar verbreitete er eine "Dokumentation über die Verfolgung kommunistischer Wahlkandidaten", die von dem Ausschuß-Mitglied Karl S c h a b r o d zusammengestellt und veröffentlicht wurde. Mit einem Brief vom 3. Juli 1968 versandte der "Initiativausschuß" einen Aufruf des KPDZentralkomitees, mit dem "die Notstandsgegner, die Gegner des Rüstungskurses und der sozialen Reaktion" aufgefordert wurden, sich zu einer "machtvollen demokratischen Volksbewegung" zusammenzuschließen und den "Angriff der Reaktion und des Neonazismus" abzuwehren. In dem Brief hieß es, der "Initiativausschuß" erfülle mit der Veröffentlichung des Aufrufs -- entsprechend seiner "legitimen Aufgabe" -- den Wunsch nach Information über die Politik der Kommunisten. b) "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Konstituierung Die KPD-Führung hatte es jahrelang abgelehnt, als "Partei von Regierungsgnaden" die KPD neu zu gründen. Etwa um die Jahresmitte 1968 gab sie -- zunächst noch insgeheim -- diese Politik auf. Überraschend für die 58 Öffentlichkeit, aber auch für die KPD-Mitglieder, trat am 26. 9. 1968 der "Bundesausschuß zur Neukonstituierung einer kommunistischen Partei" in Frankfurt/Main mit einer "Erklärung" an die Öffentlichkeit. Offensichtlich waren folgende Gründe für die Schaffung der DKP ausschlaggebend: * Die KPD-Führung hatte erkannt, daß eine "Aufhebung" des Parteiverbotes nicht zu erreichen ist. In dieser Überzeugung fühlte sie sich durch die Äußerungen prominenter politischer Persönlichkeiten der Bundesrepublik bestärkt. * Die KPD-Führung ging davon aus, die Bundesregie! rung könne es sich politisch nicht leisten, gegen eine neugegründete kommunistische Partei vorzugehen, solange sie nichts gegen die NPD unternimmt. * Sie befürchtete ferner, durch das Aufkommen der neuen linken Strömungen könne die KPD vollständig aus dem politischen Leben verdrängt werden. Deshalb hatten die Kommunisten auch stets die Bildung einer linkssozia! litischen Partei verhindert. Nicht alle Kommunisten haben die Bildung der DKP uneingeschränkt begrüßt. Einige kritisierten die Parteiführung, weil sie plötzlich ihre Haltung in der Frage der "Neugründung" geändert habe, ohne die Masse der Funktionäre im Bundesgebiet vorher zu informieren. Einige untere KPD-Funktionäre lehnten es ab, in der DKP tätig zu werden. Sie fürchteten Schwierigkeiten an ihren Arbeitsstellen und in den Gewerkschaften, wenn sie offen als Mitglieder einer kommunistischen Partei aufträten. Leitende Funktionäre erklärten deshalb, viele Mitglieder müßten noch "umdenken". Parteiorganisation Die DKP-Parteiorganisation wurde sehr schnell aufgebaut. Zehn Tage nach der ersten Pressekonferenz be59 standen bereits in allen Bundesländern mit Ausnahme Berlins -- wo die KPD auch bisher nicht tätig war -- DKPLandesausschüsse. Ende 1968 hatte die KPD rund 200 DKP-Kreisausschüsse und 59 Betriebsausschüsse gebildet. Die Organisation der DKP entspricht nahezu vollständig derjenigen der KPD. Das Statut der DKP verbindet die kommunistischen Organisationsgrundsätze mit den Anforderungen des Parteiengesetzes. Es enthält die wesentlichen Bestandteile des grundlegenden Organisationsprinzips einer kommunistischen Partei, den "demokratischen Zentralismus", ohne jedoch diesen Begriff ausdrücklich zu verwenden. Danach besitzt die Parteileitung eine beherrschende Stellung, während die Rechte der Mitglieder eingeschränkt sind. Die DKP hat auch das "Betriebsprinzip" übernommen, indem sie Mitglieder primär an ihren Arbeitsstellen in Betriebsgruppen organisiert. Die Landesausschüsse der DKP bildeten nach dem Vorbild der KPD Kommissionen für bestimmte Aufgaben (Betriebsund Gewerkschaftsarbeit, Schulung, Jugendund Frauenarbeit, Kommunalund Landespolitik u. ä.). Am 27. 10. 1968 fand in der Offenbacher Stadthalle die Bundeskonferenz der DKP statt, an der 513 Vertreter der Orts-, Kreisund Landesausschüsse der DKP teilnahmen. Die DKP gab bekannt, 282 Teilnehmer der Bundeskonferenz seien Betriebsund Gewerkschaftsfunktionäre, 407 seien Arbeiter und Angestellte; 36 gehörten freien Berufen an. Das Durchschnittsalter der Teilnehmer betrage 40 Jahre. S t e u e r u n g durch die i l l e g a l e KPD Funktionäre des KPD-Zentralkomitees und der KPDLeitungen im Bundesgebiet haben leitende Funktionen in der DKP übernommen. 60 Von den 13 Mitgliedern und Kandidaten des KPD-Politbüros hatten Ende des Jahres 1968 sieben führende Funktionen in der DKP. Darüber hinaus besetzten zahlreiche hauptamtliche Funktionäre des KPD-Zentralkomitees, die 1968 aus dem Sowjetsektor Berlins in die BRD zurückgekehrt waren, wichtige Positionen in der neugegründeten Partei. Von den etwa 40 noch lebenden und arbeitsfähigen Mitgliedern des ehem. KPD-Parteivorstandes (Stand 17. 8. 1956) haben 16 Funktionen in der DKP übernommen. Finanzierung Die SED sieht die DKP als ihre "Bruderpartei" an, deren politischen Kampf gegen die Herrschaft der Monopole es zu unterstützen gelte. Es widerspräche der gesamten kommunistischen Praxis, wenn die ostzonalen Machthaber dieser Partei, die linientreu die politischen Ziele der SED verfolgt, nicht wirksame finanzielle Hilfe zuteil werden ließen. Ein Vergleich der Einnahmen und Ausgaben der DKP zeigt, daß diese Partei erheblich über ihre Verhältnisse lebt. Wie die SED es bereits seit vielen Jahren bei der KPD getan hat, sorgt sie nach allen Erfahrungen auch für die Abdeckung der erheblichen Finanzierungslücken der DKP. Die Gelder wandern im Regelfalle als "Spenden" getarnt über die KPD in die Hände der DKP-Kassierer. Parteiveröffentlichungen Die DKP verfügte 1968 noch über keine parteioffiziellen Publikationsmittel. Sie bediente sich zunächst der von Kommunisten herausgegebenen sieben "offenen" Zeitungen und des seit 1953 erscheinenden kommunistischen Informationsdienstes "bonner korrespondenz". "Erklärungen", Broschüren und Flugblätter gab die DKP z.T. in hoher Auflage heraus. Nahziele Nachdem die DKP die erste Stufe ihres organisatorischen Aufbaues schnell erreicht hatte, begannen die Kommunisten * die Wahlpartei "Aktion Demokratischer Fortschritt" (ADF) aufzubauen, * die Osterdemonstrationen des Jahres 1969 vorzubereiten * und in mehr als 100 öffentlichen Veranstaltungen für "Demokratie in der Bundesrepublik", besonders für Mitbestimmung, zu agitieren. Identität von KPD und DKP Die DKP hat die Parteiarbeit der KPD weitgehend übernommen. Ihre Erklärungen zeigen, daß ihre ideologische und politische Grundhaltung mit derjenigen der KPD identisch ist. Ihr Bekenntnis zum Grundgesetz ist lediglich taktisch bedingt. Sie betrachtet sich als echte marxistisch-leninistische Partei, die die "Traditionen der deutschen Arbeiterbewegung" wahrt, die Kommunisten zusammenhält, ihnen neue Wirkungsmöglichkeiten schafft. Die Gemeinsamkeit von KPD und DKP ist sowohl in den Zielen als auch in der personellen Zusammensetzung der Parteien unverkennbar. Nur einige DKP-Mitglieder sind neu zu dieser Partei gestoßen. Die große Mehrzahl der Mitglieder und erst recht der Funktionäre stammt aus den Reihen der KPD. Politische Zielsetzung, weitgehende personelle Identität von KPD und DKP sowie undurchsichtige Methoden der Finanzierung zeigen, daß die KPD, die die DKP nach außen als eine "andere" Partei hinstellt, tatsächlich mit der DKP eng verflochten ist. c) Arbeit der KPD nach der Gründung der DKP Taktisches Nebeneinander von KPD und DKP Seit der Gründung der DKP hat die KPD ihre Führungsstellen im Sowjetsektor Berlins erheblich verkleinert. Die 62 "Parteikontrollkommission" und andere "Apparate" der KPD sind jedoch weiterhin aktiv. Die KPD ist nicht nur im Geheimen tätig, sie demonstriert ihre Existenz auch öffentlich, um damit den Anschein zu erwecken, KPD und DKP seien zwei Parteien. Die Kommunisten wollen damit erreichen, daß sie in Gestalt der DKP unbehindert tätig sein können. Seit der Bildung der DKP ist der "Initiativausschuß" nicht mehr tätig. Seine Mitglieder haben Funktionen in der DKP übernommen. Reisen von KPD - D e I e g a t i o n e n in den Ostblock Nachdem bereits im Juli 1968 eine Delegation der KPD unter Leitung Max Reimanns die UdSSR besucht und die Politbüromitglieder Max Schäfer und Josef Angenfort in Budapest als Vertreter der KPD an den Vorbereitungsberatungen für die Weltkonferenz der kommunistischen Parteien teilgenommen hatten, entsandte die KPD Delegationen * zum V. Parteitag der "Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei" nach Warschau (November 1968), * zu den Feierlichkeiten zum 51. Jahrestag der Oktoberrevolution im Sowjetsektor Berlins (November 1968) und * zu der Festveranstaltung der SED zum 50. Jahrestag der Gründung der KPD (Dezember 1968). Tätigkeit Max Reimanns Nachdem die im Zusammenhang mit dem 8. Strafrechtsänderungsgesetz erlassene Amnestie für politische Straftaten in Kraft getreten war und der Bundesgerichtshof am 18. Oktober den Haftbefehl gegen Max R e i m a n n aufgehoben hatte, begab sich R e i m a n n am 14. 11. 1968 in die Bundesrepublik. 63 Am 19. 11. 1968 gab er in Düsseldorf eine Pressekonferenz, zu der der Altkommunist Ludwig L a n d w e h r , Osnabrück, eingeladen hatte. R e i m a n n bezeichnete sich als "Vorsitzender der KPD seit 1948" und als "Leiter der Kommission für Verhandlungen mit der Bundesregierung über die Wiederzulassung der KPD". Er kündigte an, mit der Bundesregierung über die "Aufhebung" des Verbotes verhandeln und auf öffentlichen Kundgebungen sprechen zu wollen. Die erste dieser Kundgebungen fand am 23. November in der Westfalenhalle in Dortmund statt. 1 500 Personen nahmen daran teil. R e i m a n n sprach über die "Aufhebung" des KPD-Verbotes. Er griff die Bundesregierung scharf an und agitierte gegen deren Ostpolitik, gegen die Notstandsgesetze und die Rüstungsausgaben. Gleichzeitig rechtfertigte er die Intervention in der CSSR. Am 17. 12. 1968 veranstaltete er in Düsseldorf wieder eine Pressekonferenz, wobei er bekanntgab, am 4. Dezember habe er der Bundesregierung in einem Brief vorgeschlagen, "nunmehr unverzüglich" Verhandlungen über die "Aufhebung" des KPD-Verbotes einzuleiten. R e i m a n n übt auch weiterhin das Amt des 1. Sekretärs des ZK der KPD aus. In dieser Funktion wurde er von kommunistischer Seite auch öffentlich genannt. Zum Jahreswechsel nahm er im Sowjetsektor Berlins als Vertreter der KPD an der Festveranstaltung der SED zum 50. Jahrestag der Gründung der KPD teil. d) "SED-Westberlin" Die "SED-Westberlin"*) konnte die für ihre Verhältnisse recht beachtlichen Werbungserfolge des Jahres 1967 -- nach eigenen Angaben gewann sie in dieser Zeit etwa 700 neue Mitglieder -- 1968 nicht fortsetzen, was sowohl *) Sie nennt sich seit dem außerordentlichen Parteitag im Februar 1969: "Sozialistische Einheitspartei Westberlins" -- (SEW). 64 auf die rasche Konsolidierung der Berliner Wirtschaft als auch auf die Intervention in der CSSR zurückzuführen ist. Die Partei hatte Ende des Jahres 1968 etwa 7 000 Mitglieder. Demonstrationen und andere öffentliche Veranstaltungen, das ungehinderte Zeigen der eigenen Fahnen und Parolen in der Öffentlichkeit, das Singen der Kampflieder und das ungestörte Verteilen von Agitationsmaterial führten zu wachsender Selbstsicherheit der Partei und ihrer Mitglieder. Die 1968 begonnene Bildung von "Ordner-Gruppen" trug zu dieser Entwicklung bei. Die Mitglieder standen nach dem Einmarsch in die CSSR nahezu geschlossen hinter ihrer Führung, was nach dem 17. 6. 1953, nach dem Ungarn-Aufstand von 1956 und nach den sowjetzonalen Sperrmaßnahmen am 13.8.1961 nicht der Fall war. Der "SED-Westberlin" gelang es zwar auch 1968 nicht, ihre Resonanz bei der Berliner Bevölkerung zu steigern. Sie konnte aber ihr Vorhandensein öffentlich demonstrieren, wozu sich vor allem anläßlich der gemeinsam mit der Außerparlamentarischen Opposition durchgeführten MaiDemonstration (12 000 Teilnehmer) sowie anläßlich der Demonstration gegen den Freispruch des ehem. Beisitzers am "Volksgerichtshof" R e h s e am 14. 12. 1968 (4 000 Teilnehmer) Gelegenheit bot. Die "SED-Westberlin" war mit dem Ergebnis ihrer Arbeit im Jahre 1968 sehr zufrieden. Es gelang ihr mindestens zeitweilig, sich innerhalb der sog. "Außerparlamentarischen Opposition" als Partner darzustellen, ohne jedoch mit deren wirren Zielen und militanten Kampfmethoden identifiziert zu werden. Die kommunistischen Hilfsorganisationen in Berlin (West), vor allem die FDJ (Freie Deutsche Jugend), konzentrierten sich darauf, Aktionen der APO zu unterstützen, soweit diese von der SED gebilligt wurden. Die "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft" in Berlin (West) führte regelmäßig -- in der Öffentlichkeit wenig beachtete -- Veranstaltungen durch, an denen auch Funktionäre aus der UdSSR teilnahmen. 65 e) "Kommunistische Partei Deutschlands I MarxistenLeninisten" (KPD/ML) Ende Dezember 1967 hatten sich in Hamburg auf Initiative des ehemaligen KPD-Funktionärs und langjährigen Chefredakteurs der kommunistischen Wochenzeitung "Blink füer", Ernst A u s t , einige Mao-Anhänger zur "Gruppe Roter Morgen", einer "Vereinigung Hamburger MarxistenLeninisten", zusammengeschlossen. Anfang 1968 nahm A u s t Verbindung mit den übrigen pro-chinesischen Gruppen in der Bundesrepublik auf und bewog sie, ihre Tätigkeit unter seiner Leitung politisch und organisatorisch "mit dem Ziel der Gründung einer deutschen revolutionären marxistisch-leninistischen Partei" zu koordinieren. Die "Freie Sozialistische Partei" (Sitz Niederschelder! hütte/Sieg), eine kleine Mao-Gruppe, stellte daraufhin ihre Schrift "Die Wahrheit" ein und übernahm Austs Flugschrift "Roter Morgen" als "Parteiorgan". Auch die pro-chinesischen Gruppen in Mannheim, Karlsruhe, Köln und Berlin (West) nahmen Verbindungen mit der Hamburger "Gruppe Roter Morgen" auf. A u s t gründete am 31. 12. 1968 in Hamburg mit seinen wenigen Anhängern die "Kommunistische Partei Deutsch! lands/Marxisten-Leninisten" (KPD/ML). 33 "Delegierte" beschlossen eine "Programmatische Erklärung zur nationalen und sozialen Befreiung des deutschen Volkes" und wählten ein 9köpfiges "Zentralkomitee" sowie ein "Politbüro". Die "KPD/ML", heißt es in dieser Erklärung, stehe fest auf dem Boden der revolutionären Theorie von Marx, Engels, Lenin, Stalin und Mao-Tse-tung. Sie will den bürgerlichen Staatsapparat zerschlagen und in einer "Volksrepublik Deutschland" die Diktatur des Proletariats errichten. Die neue "Partei" hat nur wenige Anhänger. Sie hat keine Aussicht, eine politische Rolle zu spielen. 66 3. Methoden kommunistischer Politik a) Bündnispolitik Die Kommunisten setzten auch im Jahre 1968 ihre Bestrebungen fort, mit den Schlagworten "Aktionseinheit" und "Volksfront" Einfluß auf ideologisch befreundete und neutrale Organisationen zu gewinnen. Diese Initiativen verfolgten vor allem den Zweck, bei Wahlen die kommunistischen Zielsetzungen auf einer breiteren Basis vertreten zu können. W a h l b ü n d n i s s e im Jahre 1968 Bereits im Jahre 1967 hatten die Kommunisten für die Landtagswahl in Baden-Württemberg am 28. 4. 1968 in diesem Bundesland die "Demokratische Linke" (DL) gegründet. Dieses Unternehmen sollte als Testfall für künftige Wahlen dienen. Trotz beträchtlichen materiellen und personellen Einsatzes erhielt die "Demokratische Linke" nur 88 181 (= 2,3%) der abgegebenen gültigen Stimmen. Lediglich in einigen im Raum Stuttgart gelegenen Wahlbezirken (Rohracker, Botnang, Feuerbach und Münster) entfielen auf die DL-Kandidaten bis zu 9,9 % der Stimmen. Dennoch schöpften die Kommunisten aus diesen Ergebnissen neue Hoffnung, zumal die "Demokratische Linke" trotz ihres erkennbar kommunistischen Charakters im wesentlichen unbehindert aufgebaut werden konnte. Zur Kommunalwahl am 29. September in Niedersachen bildeten sich unter starker kommunistischer Beteiligung Wählergemeinschaften wie "Demokratische Opposition", "Demokratische Linke" und "Sozialistisch-Demokratische Wählergruppe". Diese Gruppen stellten insgesamt 214 Kandidaten auf. Keiner wurde gewählt. Auch für die Kommunalwahlen am 20. Oktober im Saarland, in Hessen und in Baden-Württemberg stellten kommunistisch beeinflußte Gruppen Kandidaten auf. 67 Im Saarland erhielt die "Deutsche Demokratische Union" (DDU) bei den Kreistagswahlen in keinem Kreis ein Mandat. In 22 von insgesamt 347 Gemeinden gelang es ihr jedoch insgesamt 43 Sitze zu erringen. Die "Deutsche Friedens-Union" (DFU), die lediglich in der Gemeinde Klarenthai kandidierte, erhielt dort einen Sitz im Gemeinderat. Auch in Hessen gelang es den Wahlbündnissen, an denen Kommunisten maßgeblich beteiligt waren, nicht, Mandate in den Kreisvertretungen zu erhalten. In acht Gemeinden, errangen diese Wahlbündnisse dagegen insgesamt 16 Sitze. In Baden-Württemberg gewannen die kommunistischen Wahlbündnisse 8 Mandate in Kommunalvertretungen, darunter je ein Mandat in Stuttgart, Mannheim, Schwen! ningen und Markgröningen. Bei der Kommunalwahl im Landkreis Unna am 10. 3. 1968 kandidierte die DFU in Hamm, wo sie 3,2 % der Stimmen und damit kein Mandat erhielt, und in Pelkum, wo sie mit 8,5 % der Stimmen 2 Sitze errang. "Aktion Demokratischer Fortschritt" (ADF) Aus den mit DFU, DDU und DL bei den Landtagsund Kommunalwahlen des Jahres 1968 gewonnenen Erfahrungen zogen die Kommunisten den Schluß, daß ein neues Bündnis erforderlich sei, um breitere Schichten für die Bundestagswahl 1969 zu gewinnen. Als Ausgangspunkt benutzten sie den von den Professoren Werner H o f ! m a n n , Wolfgang A b e n d r o t h und Helmut R i d d e r gegründeten "Gießener Kreis", in dem der Kommunist Dr. Hans B r e n d e r eine maßgebliche Rolle spielt. Auf Initiative des "Gießener Kreises" entstand im September 1968 ein "Ausschuß zur Vorbereitung einer Bündniskonferenz". In vielen Orten veranstalteten Kommunisten "Arbeiterkonferenzen", die ebenfalls der Vorbereitung des Wahlbündnisses dienten. Durch eine unter kommu68 nistischem Einfluß neugebildete "Agrarpolitische Opposition" sollten auch Bauern für ein solches Bündnis gewonnen werden. Am 2. 11. 1968 fand schließlich in Dortmund der Gründungskongreß des "Aktionsund Wahlbündnisses für demokratischen Fortschritt" statt. Die Teilnehmer beschlossen ein Aktionsprogramm, das mit den kommunistischen Nahzielen übereinstimmt. Sie bildeten einen "Rat" sowie aus dessen Mitgliedern einen "Arbeitsausschuß" als Exekutivorgan des Bündnisses. Der Kongreß zeigte jedoch, daß kaum neue Kräfte gewonnen worden waren. Überwiegend wird das "Bündnis" von den kommunistischen Organisationen DKP, DL, "Sozialistische Deutsche Arbeiter-Jugend" (SDAJ) sowie von den kommunistisch beeinflußten Vereinigungen DFU und "Bund der Deutschen" (BdD), ferner von Kommunisten im SDS und in den kommunistischen Hilfsorganisationen getragen. Um die wahlund parteienrechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen, gründete das "Aktionsund Wahlbündnis" am 7. Dezember in Frankfurt eine "Wahlpartei", die "Aktion Demokratischer Fortschritt" (ADF). Die Kommunisten betrieben die Gründung nach der Devise "Partei soviel wie nötig -- Bündnis soviel wie möglich". Von den 55 Mitgliedern des Parteivorstandes sind über die Hälfte Kommunisten oder führende Funktionäre kommunistischer Hilfsorganisationen. Politik und Tätigkeit der ADF werden in erster Linie von den Mitgliedern des "Rates" und des "Arbeitsausschusses" und regional sowie örtlich von den Mitgliedern der "Aktionszentren" bestimmt, in denen ebenfalls Kommunisten führend tätig sind. In ihrem Programm fordert die ADF die Unterzeichnung des Atomwaffensperrvertrages, Kürzung der Rüstungsausgaben, Anerkennung der "DDR", Auflösung der Militärblöcke, Verständigung mit der Sowjetunion und ein europäisches Sicherheitssystem. Ferner wird die "Aufhebung" der Notstandsgesetze sowie die Sozialisierung der 69 Schlüsselindustrien und der marktbeherrschenden Unternehmen verlangt. Die ADF setzt sich für Mitbestimmung, Erhöhung der Grundrenten und das Recht auf Kriegsdienstverweigerung ein. Im Wahlkampf will die ADF besonders die Arbeiterschaft ansprechen und sich in erster Linie gegen CDU und NPD wenden, sich aber auch mit der Politik der SPD-Führung scharf auseinandersetzen, um Stimmen von SPD-Anhängern zu gewinnen. Funktionäre der KPD/DKP glauben nicht daran, daß es der ADF gelingen wird, die 5%-Klausel zu überwinden. Die Intervention in der CSSR hat zudem Spannungen zwischen den Kommunisten und ihren Bündnispartnern verursacht, die sich hemmend auswirken. Auch das Programm der ADF scheint wenig geeignet, größere Kreise der Bevölkerung anzuziehen. "Kampagne für Demokratie und Abrü- s t u n g " (KDA) Die für die Ostermarschbewegung verantwortliche KDA war auch im Jahre 1968 Ziel einer intensiven Infiltration der Kommunisten. An den Ostermärschen (13. bis 15. April) beteiligten sich 24 000 Personen (1967: 17 500) und an den Kundgebungen 41 500 Personen (1967: 26 500). Die Zahl der Teilnehmer stieg insbesondere deshalb, weil sich Jugendliche und Studenten, darunter zahlreiche Mitglieder des SDS und der von ihm beeinflußten Schülergruppen, aus Protest gegen den einige Tage vorher erfolgten Anschlag auf Rudi D u t s c h k e beteiligten. "Demokratische Aktion" (DA) Die Kommunisten versuchten von Anfang an Einfluß auf alle Aktionen gegen die "Notstandsgesetze" und die NPD zu gewinnen. Aus diesem Grunde beteiligten sie sich auch 70 maßgeblich an der im Januar 1968 erfolgten Gründung der "Demokratischen Aktion" (DA). Am 22. 6. 1968 veranstaltete diese Organisation in München ein "Europa! treffen gegen Neonazismus und Faschismus, für europäische Sicherheit und Völkerverständigung". Die Kommunisten hatten mit 20 000 bis 30 000 Teilnehmern gerechnet. Sie wurden enttäuscht. Trotz intensiver Vorbereitung -- vor allem durch die "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) -- waren nur 3 000 Personen erschienen. Werbung unter Sozialdemokraten Mehrfach unternahmen die Kommunisten im Jahre 1968 den Versuch, sich der SPD als Partner anzubieten. Richard S c h e r i n g e r , Mitglied des KPD-Zentralkomitees, nahm als Beobachter am SPD-Parteitag im März 1968 in Nürnberg teil, um die Bereitschaft der Kommunisten zu einer "Zusammenarbeit" zu demonstrieren und Ansatzpunkte für Kontakte zu finden. Besonders auffällig waren die Versuche der DKP, mit Sozialdemokraten ins Gespräch zu kommen. Der Bundesausschuß dieser Partei verbreitete im Dezember 1968 in hoher Auflage einen Brief mit der Erklärung, er strebe nach einer "Zusammenarbeit", er suche die Diskussion und das Gespräch mit der SPD. In Wirklichkeit ging es den Kommunisten jedoch nicht darum, sich mit der SPD zu verständigen. Sie wissen, daß alle Anbiederungsversuche an der konsequenten Haltung der SPD-Führung scheitern müssen. Sie versuchten daher, die SPD zu zersetzen und Druck auf die Führung dieser Partei auszuüben mit dem Ziel, diese zur Änderung ihrer Politik zu bewegen. Darüber hinaus intensivierten die Kommunisten ihre Versuche, unzufriedene SPD-Mitglieder auf ihre Seite zu ziehen und für ihre Ziele zu gewinnen. Diesen Zwecken dienten öffentliche Diskussionen, "offene Briefe", Flugschriften, Demonstrationen und zahlreiche Veranstaltungen der "marxistischen Studiengruppen". 71 Besondere Anlässe für solche Aktivitäten waren die Herausgabe des Programmentwurfs der KPD im Februar 1968, der SPD-Parteitag im März 1968 in Nürnberg und die Verabschiedung der Notstandsgesetze. Bereits Wochen vor dem SPD-Parteitag verschaffte sich die KPD Informationen über Delegierte und "oppositionelle" Anträge. KPD-Mitglieder und in das Bundesgebiet eingereiste SED-Funktionäre suchten Gespräche mit Parteitagsdelegierten. Sie wollten dadurch oppositionelle Strömungen in der SPD fördern und vor allem die Kräfte stützen, die die Notstandsgesetze ablehnten. Den intensiven Bemühungen, SPD-Abgeordnete gegen die Notstandsgesetze zu mobilisieren, folgte nach Verabschiedung der Notstandsverfassung eine Hetzkampagne gegen diejenigen sozialdemokratischen Abgeordneten, die den Gesetzen zugestimmt hatten. Ihre Namen wurden in der kommunistischen Presse veröffentlicht. Die Sozialdemokraten wurden aufgefordert, diese Abgeordneten aus den Parteigremien abzuwählen und ihre Kandidatur für die Bundestagswahl 1969 zu verhindern. Werbung in Gewerkschaftskreisen Auf der gleichen Linie lagen die Bemühungen der Kommunisten, die im Deutschen Gewerkschaftsbund zusammengeschlossenen Gewerkschaften zu einem "klassenkämpferischen" Verhalten zu veranlassen. Dabei stellten sie sich als das Grundgesetz achtende Vorkämpfer gewerkschaftlicher Forderungen dar. Ermutigt durch die Neuordnung des politischen Strafrechts gingen sie 1968 dazu über, offener als zuvor in den Gewerkschaften zu arbeiten. So verbreitete die KPD im Februar unter Gewerkschaftern den Entwurf ihres neuen Programms. Kommunistische Gewerkschafter aus der Bundesrepublik wurden auf der XXVII. "Deutschen Arbeiterkonferenz" im März 1968 in Leipzig seit Jahren erstmals wieder mit ihrem vollen Namen und ihrer Gewerkschaftsfunktion vorgestellt. Nach der Verabschiedung der Notstandsgesetze hielten die Kommunisten den Gewerkschaftsführern vor, sich 72 dem "Druck der rechten Führer der SPD" gebeugt und "kraftvolle Streikaktionen" verhindert zu haben. Den "Kampf um Mitbestimmung" haben die Kommunisten nach Kräften gefördert, weil sie die Mitbestimmung in Betrieben, Hochschulen und auf allen Gebieten des gesellschaftlichen Lebens als eine geeignete Stufe für den Übergang zum Sozialismus ansehen. Eine Anzahl von Kommunisten hat sich untere gewerkschaftliche Funktionen verschafft. Sie fanden jedoch keine größere Resonanz in den Gewerkschaften. Die Funktionäre der KPD und der DKP erhielten bei ihren Einwirkungsversuchen auf die Gewerkschaften wirksame Schützenhilfe durch den ostzonalen "Freien Deutschen Gewerkschaftsbund" (FDGB). Dennoch war die "Westarbeit" des FDGB im Jahre 1968 weniger erfolgreich als in den Vorjahren. Sie erlitt Rückschläge vor allem durch die Intervention in der CSSR und durch die sowjetzonalen Reisebeschränkungen im Berlinverkehr. An den "Deutschen Arbeiterkonferenzen" in Leipzig und der "Arbeiterkonferenz der Ostseeländer, Norwegens und Islands" in Rostock sowie an kleineren Veranstaltungen und Schulungsaufenthalten nahmen 1968 nach Angaben des FDGB 29 300 Gewerkschafter aus dem Bundesgebiet teil. Das sind etwa 2 000 weniger als im Vorjahr. Der Plan des FDGB, offizielle Kontakte zum DGB aufzunehmen, scheiterte wegen der Ereignisse in der CSSR. V e r s u c h e der Z u s a m m e n a r b e i t mit K r e i s e n der APO Das Verhältnis der Kommunisten zur sogenannten "Außerparlamentarischen Opposition", insbesondere zu den diese beherrschen "antiautoritären" Kräften, ist zwiespältig. Einerseits versuchten die Kommunisten, die Aktionen der extremen Studenten für sich auszunutzen. Andererseits ist die anarchistisch-antiautoritäre Ideologie und Politik der jungen Rebellen unvereinbar mit der Theorie und Praxis der orthodoxen deutschen Kommunisten. 73 Die durch die "revolutionären" Studenten und die ihnen befreundeten Gruppen der APO hervorgerufenen Unruhen kamen den Vorstellungen der KPD von einer "breiten antifaschistisch-demokratischen" Volksbewegung entgegen. Die Kommunisten fürchteten jedoch, durch die unkontrollierte Aktivität der linken Studentenund Schülergruppen im linksradikalen Lager an Einfluß zu verlieren und isoliert zu werden. Darüber hinaus befürchteten sie, die Bevölkerung werde die Ausschreitungen den Kommunisten anlasten oder zumindest in ihrer Abneigung gegen den Radikalismus schlechthin bestärkt werden. Sie verstärkten ihre Versuche, die APO wegen dieser Gefährdungsmomente unter ihre Kontrolle zu bekommen. Die KPD erhob offen ihren Führungsanspruch in der APO. Im sowjetzonalen "Deutschen Freiheitssender 904" erklärte sie am 10. 6. 1968: * "Und diese breite Front kann doch nur Zustandekommen, wenn sie eine führende Kraft hat, die mit einem wissenschaftlichen Programm ausgestattet ist, die in der Lage ist, all diese Erscheinungen wissenschaftlich zu analysieren -- und das ist eben der Marxismus--Leninismus. Die APO braucht ein Zentrum -- und dieses Zentrum kann nur die KPD sein! . . . Es geht nicht darum, daß wir Kommunisten mit dem erhobenen Zeigefinger sozusagen alles besser wissen, sondern daß wir einfach durch die Kraft unserer wissenschaftlichen Lehre und damit durch die Kraft unserer besten Argumente mit dazu beitragen, den Klärungsprozeß voranzubringen, daß wir klare Antworten auf klare Fragen geben können." Die SED unterstützte die KPD in diesen Bestrebungen. Auch sie begrüßte einerseits die Aktivitäten der APO in Presse und Rundfunk der SBZ in größer Aufmachung. So erklärte Ulbricht am 26. 4. 1968 auf einer Kundgebung in Jena: * "Diese demokratische Bewegung setzt sich nicht nur aus Jungarbeitern, Studenten und Schülern zusammen. Alle Kreise der Bevölkerung, vor allem auch die Angehörigen der Intelligenz, sind beteiligt . . . es handelt sich bei 74 dem Widerstandskampf der jungen und älteren Demokraten und Sozialisten in Westdeutschland um eine zutiefst im Volke verwurzelte demokratische und nationale Bewegung." ("Neues Deutschland" vom 28. 4. 1968) Andererseits befürchtete auch die SED, es könne ein neues Zentrum "linker" Kräfte außerhalb der KPD entstehen. Deshalb kritisierte Kurt H a g e r , Mitglied des SED-Politbüros, in Forum (Nr. 7, 1. Aprilheft 1968) die Thesen des Prof. M a r c u s e : * "Die gesellschaftliche Kraft aber, die in der Lage ist, Westdeutschland auf den Weg zum Sozialismus zu führen, und damit auch gemeinsam mit der DDR die nationale Frage in Deutschland zu lösen, ist die geeinte Arbeiterklasse im Bündnis mit allen demokratischen und antimonopolistischen Kräften, insbesondere auch mit der Intelligenz." Auch die "SED-Westberlin" hat sich in einigen Fällen mit der APO solidarisch erklärt, gleichzeitig jedoch wiederholt Vorbehalte geltend gemacht. Sie wandte sich besonders gegen antisowjetische Angriffe und anarchistische Tendenzen, die es erschwerten, die "breiten Massen" für den Kampf zu gewinnen. Sie bemühte sich, in Zusammenarbeit mit der APO eine "antifaschistische Einheitsfront" zu entwickeln, die sich aber stärker auf die Arbeiter und die Gewerkschafter als auf Studentengruppen stützen sollte. Damit waren der Zusammenarbeit der SED-Westberlin mit anderen linksradikalen Gruppen, besonders dem SDS, Grenzen gesetzt. Die SED-Westberlin vermied es jedoch, wegen Meinungsverschiedenheiten über die Taktik mit den "antiautoritären" Gruppen der APO zu brechen. Obwohl die "Antiautoritären" die SED angriffen, zeigte sie sich diskussionsbereit, soweit sich die Erörterungen auf taktische Fragen bezogen oder sich auf Aktionen gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten. Grundsatzdiskussionen, die ihr der SDS immer wieder z. B. über das Thema Stalinismus aufzwingen wollte, verstand sie jedoch auszuweichen. 75 Im Dezember 1968 zeigte sich, daß es der "SED-Westberlin" gelungen war, den Antikommunismus innerhalb der gemäßigten Gruppen der APO abzubauen. Dieselben Gruppen, die wenige Monate zuvor wegen der Intervention in die CSSR jede Gemeinsamkeit mit der "SEDWestberlin" abgelehnt hatten, waren bereit, bei der Vorbereitung und Durchführung der Demonstration gegen das R e h s e - Urteil offen mit der "SED-Westberlin" zusammenzuarbeiten. Nur im SDS wurden ablehnende Stimmen laut, weil sich die SED autoritär, antirevolutionär und revisionistisch verhalte. Mit Ausnahme der kleinen Teilerfolge der SED-Westberlin müssen die Anstrengungen der Kommunisten, die "Neue Linke" unter ihre Kontrolle zu bringen, als gescheitert angesehen werden. Die KPD erkannte dies und zeigte hinfort nur noch eine unverbindliche Sympathie für die Reformforderungen der APO. Zunehmend kritisierten die Kommunisten die ideologischen Auffassungen der "Antiautoritären", wonach * die Arbeiterklasse im "Spätkapitalismus" angesichts der industriegesellschaftlichen Entwicklung nicht mehr in der Lage sei, Träger von Revolutionen zu sein, * der Parlamentarismus sich als System überlebt habe und * der revolutionäre Prozeß sofort in Gang gesetzt werden müsse. Die Kommunisten werfen der "Neuen Linken" vor, ihren Anhängern fehle die politische Reife und das Verständnis für die Voraussetzungen eines wirklich revolutionären Kampfes. Prof. Josef Schleifstein, Kandidat des KPD-Politbüros, hatte bereits 1967 gewarnt, Marxisten und Sozialisten sollten sich von dem "linksradikalen Lärm" "nicht beeindrucken lassen" (Marxistische Blätter Nr. 6/1967). Und "Freies Volk" schrieb (Nr. 1/1968), die "Fragen unserer 76 Zeit" seien nur mit der Arbeiterklasse zu lösen, nicht durch den "ausweglosen kleinbürgerlichen Anarchismus". Anläßlich der Mai-Unruhen in Frankreich stellte "Neues Deutschland" (28. 5. 1968) besorgt fest, es seien "zum erstenmal wieder seit dreißig Jahren die schwarzen Fahnen der Anarchie aufgetaucht". b) Tätigkeit von SBZ-Funktionären im Bundesgebiet Zur Unterstützung der Bestrebungen der KPD und der DKP entsandten die SED und andere sowjetzonale Organisationen auch im Jahre 1968 Funktionäre mit politischen Aufträgen in das Bundesgebiet. Insgesamt wurden 1 737 (im Vorjahr 1 350) solcher Funktionäre erkannt. Sie sprachen sowohl auf Veranstaltungen kommunistischer, kommunistisch beeinflußter und anderer linksradikaler Organisationen als auch auf Veranstaltungen demokratischer Gruppen. Andere hatten geheime Aufträge auszuführen. Allein 641 dieser Funktionäre (= 36,7 %) entsandten die in der "Westarbeit" führenden Organisationen der SED, FDJ und FDGB. 361 (= 20,8 %) kamen auf Weisung kultureller Organisationen oder von Publikationsorganen, 302 (= 17,4%) im Auftrag der "Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe". 138 (= 8,0%) schickte der "Deutsche Turnund Sportbund" und 114 (= 7,7 %) die "Nationale Front", der "Friedensrat der DDR" und die "Blockparteien". Regionale Schwerpunkte dieser Tätigkeit waren Nordrhein-Westfalen (558 Funktionäre = 32,2%), Hessen (308 Funktionäre = 17,7%), Bayern (202 Funktionäre = 11 % ) , Niedersachsen (178 Funktionäre = 10,1 %) und Baden-Württemberg (165 Funktionäre = 9,5 % ) . Von den genannten 1 737 Funktionären besuchten 692 (40 %) Veranstaltungen im Bundesgebiet, um für kommmu! nistische Ziele zu werben. Davon hatten 267 den Auftrag, an 130 Veranstaltungen kommunistischer, kommunistisch beeinflußter und anderer linksradikaler Organisationen (KPD/DKP, SDAJ, DFU, BdD, VVN, SDS u. a.) teilzunehmen. Weitere 425 Funktionäre besuchten 242 Veranstal77 tungen demokratischer Gruppen (Jugendorganisationen, Sportgruppen, Parteien, Gewerkschaften, kirchliche Kreise u. a.). Die übrigen 1 054 (= 60%) reisten meist ein, um insgeheim Kontakte zu Mitgliedern der Gewerkschaften, Jugendorganisationen, der SPD und anderen demokratischen Gruppen herzustellen. c) Jugendarbeit Am 475. 5. 1968 wurde in Essen in Anwesenheit führender KPD-Funktionäre die " S o z i a l i s t i s c h e D e u t - s c h e A r b e i t e r j u g e n d " (SDAJ) gegründet. Die Vorbereitungen dazu hatte seit Januar 1968 ein "Ausschuß zur Gründung einer revolutionären sozialistischen Jugendorganisation" betrieben. Die KPD sieht in der SDAJ eine Organisation zur Rekrutierung ihres Nachwuchses und zur Abwehr des steigenden Einflusses "ultralinker Kräfte" auf die Jugend ("Antiautoritäre", Maoisten u. a.). Die führenden SDAJ-Funktionäre sind Kommunisten. Nach ihrer Verbandssatzung, ihrem "Aktionsprogramm" und ihrem Gründungsappell will die SDAJ die Lehren von Marx, Engels und Lenin unter der Jugend verbreiten und eine "sozialistische" Ordnung errichten. Deshalb will sie den "spontanen Kampf" der Jugend gegen die Gesellschaft in einen "organisierten Kampf" verwandeln. Wie die KPD/DKP behauptet sie dennoch, sich auf dem Boden des Grundgesetzes zu bewegen. Ihre Ziele gehen über die der 1951 verbotenen FDJ hinaus. Diese hatte sich im Statut nicht auf den Marxismus-Leninismus festgelegt und wandte sich -- anders als die SDAJ -- an alle Schichten und nicht nur an die "Arbeiterjugend". Die erste Phase des organisatorischen Aufbaus der SDAJ ist weitgehend abgeschlossen. In Berlin (West), das die Kommunisten als selbständige nicht zur Bundesrepublik gehörende politische Einheit ansehen, ist die SDAJ nicht tätig. In den Bundesländern bestehen Landesverbände. 78 Ende 1968 hatte die SDAJ etwa 1 700 Mitglieder, von denen viele aus Jugendclubs kommen, die in den Vorjahren von Kommunisten gegründet worden waren. In den tagespolitischen Zielen stimmt die SDAJ völlig mit der KPD/DKP überein. Sie unterstützte alle kommunistischen Forderungen. So begrüßte sie die Gründung der DKP, rechtfertigte den sowjetischen Einmarsch in die CSSR und nimmt am "Aktionsund Wahlbündnis" für die Bundestagswahl 1969 teil. In die "Justizund Bundeswehrkampagne" der APO schaltete sich die SDAJ aktiv ein und versuchte dabei, den "Antiautoritären" den Führungsanspruch streitig zu machen. Mit der FDJ unterhält sie enge "freundschaftliche Beziehungen". Sie bemüht sich ferner um den Ausbau ihrer Verbindungen zum sowjetischen Komsomol und anderen ausländischen kommunistischen Jugendorganisationen. Bei den kommunistischen "Weltjugendfestspielen 1968" in Sofia war die SDAJ mit einer starken Delegation vertreten und trat dort durch ihre "Linientreue" und durch Tätlichkeiten gegen "antiautoritäre" SDS-Funktionäre hervor. d) Agitation gegen die Bundeswehr Die illegale KPD forderte ihre Mitglieder und Anhänger auf, in die Bundeswehr einzutreten und dort zersetzend zu wirken. In ihrer subversiven Tätigkeit gegen die Bundeswehr erhielten die westdeutschen Kommunisten erhebliche materielle Schützenhilfe durch die Zersetzungszentralen in der Sowjetzone. Mit ihren bereits aus den vergangenen Jahren bekannten Schriften "Contra", "Wahre Information für die Truppe", "Rührt Euch" und "Visier" suchte sie die Verteidigungsbereitschaft der Truppe und das Vertrauen 79 der Bevölkerung in sie zu erschüttern. Insgesamt 34 Ausgaben dieser Schriften sowie Nachahmungen des Informationsdienstes "Wehrpolitische Information" und der Zeitschrift des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr "Die Reserve" wurden versandfertig aus der Sowjetzone in die Bundesrepublik geschleust und hier -- häufig unter fingierten Absendern -- zur Post gegeben. Der von der Politischen Hauptverwaltung betriebene "Deutsche Soldatensender 935" und der "Deutsche Freiheitssender 904" der KPD (beide Sender stehen in der SBZ) unterstützten diese Propaganda, indem sie die Soldaten gegen ihre Vorgesetzten aufzuwiegeln versuchten und zum Ungehorsam aufforderten. Beauftragte der "Politischen Hauptverwaltung" des Verteidigungsministeriums der Sowjetzone schossen im September und Oktober 1968 in zahlreichen Städten der Bundesrepublik -- vorwiegend in der Nähe von Kasernen der Bundeswehr -- etwa 70 Flugblattraketen ab. In den ausgestreuten Flugzetteln wurde gegen die Manöver "Schwarzer Löwe" und "Fallex 68" polemisiert. e) Rundfunkpropaganda aus der SBZ Wegen der beschränkten eigenen Möglichkeiten und wegen der durch das KPD-Verbot bedingten Einengung in ihrer propagandistischen Entfaltung wurden die westdeutschen Kommunisten in ihrer Agitation weitgehend von dem sowjetzonalen Rundfunk unterstützt. Besonders der "Deutscblandsender" setzte seine überwiegend für Hörer in der Bundesrepublik bestimmten agitatorischen Wortsendungen im wesentlichen unverändert fort. Sendereihen für jugendliche Hörer sollten der Jugend "wahre Informationen" über das soziale Leben in "beiden deutschen Staaten" vermitteln. Eine Sendereihe "Wissenschaftliche Weltanschauung -- Zyklus lebendiger Marxismus" wandte sich besonders an "geistig und politisch anspruchsvolle" Hörer in der BRD. 80 Alle Redaktionen des "Deutschlandsenders" unterhalten einen Dienst für Hörerzuschriften und übersandten in beträchtlichem Umfange Agitationsmaterial (z. B. Sendemanuskripte, polemische Druckschriften usw.) an ihre Hörer im Bundesgebiet. Es ist damit zu rechnen, daß der Sender die gegen die BRD gerichtete Agitation künftig noch verstärken wird. Die für Fernsehen, Rundfunk und Presse der SBZ im Bundesgebiet tätigen Bildund Wortkorrespondenten wurden Ende des Jahres 1968 angewiesen, ihre Berichterstattung "parteilicher" zu gestalten. f) Kommunistische Schriften Wie in den vergangenen Jahren bedienten sich die Kommunisten auch 1968 neben anderen Kommunikationsmitteln für ihre Agitation wieder weitgehend des gedruckten Wortes. Die im Bundesgebiet periodisch erschienenen kommunistischen und kommunistisch beeinflußten Schriften erreichten 1968 eine Jahresauflage von etwa 5,6 Millionen Exemplaren, die weiterhin rückläufig ist. Ferner wurden auch 1968 wieder Millionen kommunistischer Schriften in die Bundesrepublik eingeschleust. Der größte Teil befand sich -- wie in den Vorjahren -- in Briefen, die die Post aus der Sowjetzone, aber auch aus dem westlichen Ausland und aus der VR China in die Bundesrepublik beförderte. Die Sowjetzone hat von der durch das Achte Strafrechtsänderungsgesetz gegebenen Möglichkeit, vom 1. 8. 1968 an Zeitungen in die Bundesrepublik auszuführen, keinen Gebrauch gemacht und damit bekundet, daß sie an einem ehrlichen Zeitungsaustausch kein Interesse hat. Es war nicht einmal möglich, einzelne außerhalb Berlins erscheinende Zeitungen ins Bundesgebiet einzuführen. 81 4. Agitation der Kommunisten Im Rahmen ihrer tagespolitischen Agitation verfolgten die Kommunisten das Ziel, sich zum Fürsprecher von Forderungen zu machen, die auch von anderer, insbesondere von demokratischer Seite vertreten werden. So propagierten sie die erweiterte Mitbestimmung in den Betrieben und eine "umfassende Demokratisierung". Sie forderten eine Finanzreform, soziale Sicherheit, eine Reform des Bildungswesens und vieles mehr, um einen verstärkten Anklang in breiteren Bevölkerungsschichten zu finden. Schwerpunkte der kommunistischen Agitation waren jedoch die Parolen, die bereits seit Jahren die Grundlage der Propaganda des Ostblocks gegen die Bundesrepublik Deutschland bildeten: Die Agitation gegen den "Neonazismus", gegen die Notstandsgesetze, gegen die Präsenz des Bundes in Berlin, gegen die NATO und die Bundeswehr sowie gegen den "amerikanischen Agressions! krieg" in Vietnam. Neu hinzu kamen seit dem 21. August 1968 die erfolglosen Anstrengungen der Kommunisten, vor der Öffentlichkeit, aber auch vor ihren eigenen Mitgliedern und Sympathisanten, den Überfall der Truppen des Warschauer Paktes auf die CSSR zu rechtfertigen. a) Gegen den Neonazismus Die KPD rief alle "demokratischen Kräfte" auf, sich an Kampagnen gegen "die nazistischen Umtriebe" in der Bundesrepublik zu beteiligen und sich angesichts der "drohenden neonazistischen Gefahr" zu einer "antifaschistischen Widerstandsfront" zusammenzuschließen. Auch die DKP polemisierte von Anfang an heftig gegen den "Neonazismus" in der Bundesrepublik. Sie erklärte, die Partei sei gegründet worden ,um der "bedrohlichen Rechtsentwicklung" entgegenzutreten. Sowohl KPD als auch DKP folgten mit dieser Agitation linientreu der Propaganda der SED. 82 Im Juli 1968 legte der "Nationalrat der Nationalen Front" der Sowjetzone eine neue Auflage des "Braunbuches über Kriegsund Naziverbrecher in der Bundesrepublik und West-Berlin" vor, in dem auf "die verstärkte Renazi! fizierung unter K i e s i n g e r " hingewiesen wird. In sog. "Dokumentationen" und Schmähschriften wurden führende Persönlichkeiten der Bundesrepublik -- so Bundespräsident Dr. L ü b k e , Bundeskanzler Dr. K i e s i n g e r und die Bundesminister Professor Dr. S c h i l l e r , Dr. S c h r ö d e r , Dr. S t r a u ß und W e h n e r -- verunglimpft. Nach dem Einmarsch in die CSSR steigerte die SED ihre Angriffe gegen den angeblichen "westdeutschen Neofaschismus und Militarismus", um von den Ereignissen im Nachbarlande abzulenken. Sie behauptete, die Bundesrepublik habe versucht, die CSSR auf kaltem Wege zu erobern. b) Gegen Notstandsgesetze Zahlreiche Mitglieder und Funktionäre kommunistischer und kommunistisch beeinflußter Organisationen beteiligten sich an dem "Sternmarsch auf Bonn" am 11.5. 1968, den das "Kuratorium Notstand der Demokratie" veranstaltet hatte. Das Kuratorium, dem oppositionelle Professoren, Schriftsteller, Theologen und Gewerkschafter angehören, protestierte mit diesem Sternmarsch, an dem sich etwa 25 000 Personen beteiligten, gegen die Verabschiedung der sogenannten Notstandsgesetze. Die Kommunisten betrachteten den Kampf gegen die Notstandsgesetze als einen Schwerpunkt ihrer Tätigkeit. Ihre Aktivität in den Gruppen der APO steigerte das Ausmaß der Kampagne erheblich. Im Gegensatz zu den antiparlamentarischen Kräften in den radikalen Studentenorganisationen sprachen sich die Kommunisten jedoch gegen Krawalle, insbesondere gegen gewaltsame Aktionen aus. Die kommunistische Presse propagierte eine "Einheitsfront der Intelligenz und Arbeiterschaft gegen die Notstandsgesetze". 83 c) Gegen die Präsenz des Bundes in Berlin Aus Anlaß der wiederholten Anwesenheit des Bundespräsidenten in Berlin, der Tagungen von Bundestagsausschüssen, der Arbeitswoche des Bundestages, der Sitzung des SPD-Präsidiums sowie des CDU-Parteitags (4.--7. 11. 1968) in Berlin agitierten die Kommunisten mit dem Hinweis, Westberlin sei eine "selbständige politische Einheit", gegen die Präsenz des Bundes in Berlin. Die kommunistische Agitation zielt offenbar darauf ab, Furcht zu erzeugen und die Bevölkerung zu veranlassen, sich gegen die Berlin-Politik der Bundesregierung zu wenden. Dieses Bemühen blieb jedoch ohne Erfolg. Die Sowjetzone drohte wegen dieser "Provokationen" wiederholt Maßnahmen gegen Berlin und seine Zugangswege an, "um die legitimen Sicherheitsinteressen der DDR zu schützen und den aggressiven Handlungen des westdeutschen Imperialismus wirksam zu begegnen". d) Gegen die NATO Die Vorbereitungen für eine bereits 1967 vom kommunistischen "Weltfriedensrat" begonnene "Kampagne gegen die NATO" wurden 1968 fortgesetzt. Kommunistisch infiltrierte Organisationen wie die "Deutsche Friedensgesellschaft -- Internationale der Kriegsdienstgegner" (DFG -- IdK) und die KDA forderten, die Bundesrepublik solle den NATO-Vertrag kündigen bzw. NATO und Warschauer Pakt sollten zugunsten eines europäischen Sicherheitssystems aufgelöst werden. e) Gegen den Vietnamkrieg Die Agitation der Kommunisten gegen den "amerikanischen Aggressionskrieg" in Vietnam hielt 1968 an. Die Kommunisten warfen der Bundesregierung vor, die Kriegführung der Vereinigten Staaten und die südvietnamesische Regierung zu unterstützen. 84 Im März 1968 veranstalteten die KDA, "Landesfriedenskomitees" und andere kommunistische Gruppen sowie der SDS in zahlreichen Städten Demonstrationen gegen die amerikanische Kriegführung in Vietnam. In Berlin und Hamburg ging die Polizei gegen Randalierer vor. Zum amerikanischen Unabhängigkeitstag (4. 7. 1968) verbreitete die KDA 500 000 Flugblätter mit der Forderung, die Bombardierung Nordvietnams einzustellen und den Druck auf die amerikanische Regierung zu verstärken. Veranstaltungen der KDA und anderer Gruppen in mehreren Städten fanden wenig Resonanz. Die "Hilfsaktion Vietnam", in deren Büro in Düsseldorf Kommunisten führend tätig sind, ließ sich Anfang Juni 1968 in das Vereinsregister eintragen und wurde später vom örtlichen Finanzamt als gemeinnützig anerkannt. Die "Hilfsaktion" erhielt bis zum Februar 1969 insgesamt 1 300 000,-DM Spenden. Davon gingen bisher nach Nordvietnam 611 644,-DM, an die "Nationale Befreiungsfront Südvietnams" 251 271,-DM und an oppositionelle Buddhisten in Südvietnam 80 000,-DM. Für einen "Viet! nam-Bazar" Anfang Dezember in Düsseldorf hatten 90 Künstler und Firmen Gaben gestiftet. Kommunisten werteten diese Aktion als großen Erfolg ihrer Aktivität. f) Gegen den "Alleinvertretungsanspruch" Ein Schwerpunkt der kommunistischen Agitation war ferner die Polemik gegen den "Alleinvertretungsanspruch" der B R D und -- damit zusammenhängend -- gegen die Weigerung der Bundesregierung, die Demarkationslinie und die Oder-Neiße-Linie als Staatsgrenze anzuerkennen. Das eigentliche Ziel, das die Kommunisten mit dem Kampf gegen den "Alleinvertretungsanspruch" zu erreichen suchen, ist die Anerkennung der "DDR". Sie bezeichnen die Anerkennung als unumgängliche Voraussetzung für Frieden und Entspannung in Europa. Die SED ließ keinen Zweifel daran, daß die bedingungslose Anerkennung ihres Systems die Voraussetzung für Verhandlungen sei. 85 g) Rechtfertigung des Überfalls auf die CSSR Die Besetzung der CSSR durch Truppen der Sowjetunion und ihrer Verbündeten führte in den deutschen kommunistischen Parteien, in den von ihnen beeinflußten Gruppen und in Kreisen der "Außerparlamentarischen Opposition" zu heftigen Diskussionen und sehr unterschiedlichen öffentlichen Reaktionen. Die KPD erklärte schon am 21. 8. 1968, das Eingreifen der Warschauer-Pakt-Mächte sei die notwendige Antwort auf die konterrevolutionäre Entwicklung in der CSSR. Diese schnelle Stellungnahme sollte offenbar das Bestehen "falscher Auffassungen" in der Mitgliederschaft verhindern. Dennoch kam es in den unteren Parteiorganisationen zu Diskussionen. Einige Funktionäre und viele Mitglieder kritisierten intern das Eingreifen der Sowjets. Die Mehrzahl der Mitglieder und Funktionäre zog es jedoch vor, die insgeheim gehegten Bedenken nicht zu äußern oder aus Parteitreue die offizielle Politik der KPD-Führung zu vertreten. Alle waren sich aber darüber einig, daß die Arbeit der KPD durch die Ereignisse in der CSSR einen schweren Rückschlag erleiden werde. Die Reaktion der kommunistischen Hilfsorganisationen hatte eines gemeinsam: Während viele von ihnen nur zögernd oder überhaupt keine klaren Stellungnahmen zum Verhalten der Sowjets und ihrer Verbündeten abgaben, polemisierten alle sofort heftig gegen die Bundesregierung und ihre Ostpolitik. Sie behaupteten, die eigentlich Schuldigen säßen in Bonn und versuchten, nach dem Scheitern ihrer "Expansionspolitik" das sowjetische Vorgehen für eine antikommunistische Propaganda auszunutzen, um die Einheit der "Außerparlamentarischen Opposition" zu zerstören. Einige von ihnen, die SDAJ, die "Demokratische Linke" in Baden-Württemberg und die "Deutsche Demokratische Union (DDU) im Saarland billigten den Einmarsch. Die DFU gab zunächst eine unklare Stellungnahme ab, die VVN "bedauerte" die Intervention. 86 Gruppen der APO reagierten ablehnend. Die "Deutsche Friedensgesellschaft -- Internationale der Kriegsdienstgegner", die "Sozialistische Opposition", der "Sozialistische Bund", "Republikanische Clubs" und die "Kampagne für Demokratie und Abrüstung" (KDA) verurteilten -- wie auch der SDS -- die Intervention, forderten den Rückzug der Besatzungstruppen und beteiligten sich gelegentlich an Protestdemonstrationen. Acht bekannte Vertreter der APO, darunter Prof. Wolfgang A b e n d r o t h , Dr. Arno K I ö n n e , Dr. Andreas B ü r o und Klaus V a c k , verurteilten am 22. August in einem "Offenen Brief an westdeutsche Kommunisten" die Intervention und erklärten, eine weitere Zusammenarbeit in der APO hänge davon ab, ob die Kommunisten auch Kritik an der Sowjetunion übten. Wegen der Intervention kam es in einigen kommunistischen Hilfsorganisationen zu Auseinandersetzungen. In der DFL) entstand eine Krise, als einige Vorstandsmitglieder das sowjetische Verhalten zu rechtfertigen versuchten. Prominente bürgerliche DFU-Funktionäre erklärten ihren Austritt aus der Partei. Selbst in der SDAJ wurde die Intervention hier und da kritisiert. Die linientreuen Kommunisten konnten die Differenzen zwar nicht immer ausräumen. Es gelang ihnen aber, die Gemeinsamkeit wiederherzustellen. In dem "Aktionsund Wahlbündnis" wurde die CSSR-Frage ausgeklammert. Dennoch lebt die Diskussion über den sowjetischen Einmarsch in die CSSR und seine vorbehaltlose Befürwortung durch die deutschen Kommunisten in einzelnen Gruppen immer wieder auf und belastet das Verhältnis der Kommunisten zu ihren Bündnispartnern. II. Tätigkeit anderer linksextremer Gruppen Wie in vielen anderen Ländern der freien Welt hat auch in der Bundesrepublik die "Neue Linke" versucht, durch Gewaltakte und vielfältige sich steigernde Demonstrationen Voraussetzungen zu schaffen, um die bestehende, 87 als "spätkapitalistisch" und "autoritär" angegriffene Ordnung revolutionär zu beseitigen. Besonderen Auftrieb erhielten diese Angriffe durch den Anschlag auf Rudi D u t s c h k e am 11. April 1968. Die "Neue Linke" ist organisatorisch und ideologisch vielfältig. Sie verbindet vor allem die Einheit in der Aktion gegen Staat und Gesellschaft und die Spontanität ihrer "informellen Kader". Sie orientiert sich mehr an dem Anarchisten B a k u n i n als am Marxismus-Leninismus, sowie an M a r c u s e und auch an den revolutionären Praktiken in China (Mao Tse-tung) und Lateinamerika (Che Guevara). Im Gegensatz zu den Kommunisten fehlt ihr eine verbindliche geschlossene Ideologie. Der DKP und anderen traditionellen linksextremen Gruppen wirft die "Neue Linke" vor, "autoritär" und nicht mehr zur Revolution bereit zu sein. Die "Neue Linke" lehnt auch die von den Kommunisten angewendeten Formen des "legalen Kampfes", den parlamentarischen Kampf sowie die Volksfrontpolitik als "systemstabilisierend" ab. In den Organisationen, die die Protestbewegung tragen, kommt es daher ständig zu Auseinandersetzungen zwischen den in der Minderheit befindlichen "Traditionalisten" (doktrinären Kommunisten und orthodoxen Sozialisten) und der vorherrschenden antiautoritären "Neuen Linken". 1. " Sozialistischer Deutscher Studentenbund" (SDS) a) Verfassungsfeindliche Ziele Der SDS und die mit ihm verbundenen "antiautoritären" Kräfte im "Republikanischen Club" in Berlin sind nach wie vor der Kern der neomarxistischen Bewegung. Sie verfolgen offen v e r f a s s u n g s f e i n d l i c h e Z i e l e , was sich aus ihren Äußerungen und Aktionen ergibt. So schrieb der SDS-Funktionär Bernd R a b e h l : * "Die Mao-Plakette am Rockaufschlag bedeutet: Kampf der Gehorsamspflicht, Kampf der Bevormundung und 88 Kampf den Manipulationen: 'Revolution ist gerechtfertigt' . . . Der Marxismus wird von uns als Methode der Analyse der gesellschaftlichen Wirklichkeit verstanden, zugleich als kompromißlose Kampfanweisung für die antiautoritären Revolutionäre. Die wissenschaftlichen und anarchistischen Komponenten des Marxismus sind damit zum erstenmal seit Lenins 'Staat und Revolution' von 1917 wieder voll bewußt". ("Karl Marx und der SDS" in Der Spiegel Nr. 18 aus 1968 S. 86). Der Berliner SDS-Funktionär Peter N e i t z k e erklärte am 14. Dezember 1968 auf einer Protestdemonstration für den SDS: * Lenin "hat uns . . . die Richtung unseres Kampfes gezeigt. Dieser Kampf gipfelt in der Zertrümmerung des kapitalistischen Staatsapparates und der Errichtung der Diktatur des ganzen arbeitenden Volkes über seine Peiniger Nieder mit dem imperialistischen Unterdrük! kungsapparat und seinen Helfershelfern, den Arbeiterverrätern von Noske bis Hübner! Der kapitalistische Staatsapparat muß zerschlagen werden! . . . Es lebe die sozialistische Weltrevolution!" ("neue kritik" 51/52, Februar 1969, S. 116 ff.) Auch mit seinen Aktionen verfolgt der SDS revolutionäre Ziele. Er will damit * das Ansehen der staatlichen und gesellschaftlichen Einrichtungen in der Öffentlichkeit herabsetzen, * die dort tätigen Personen einschüchtern ("verunsichern"), * die angebliche "Unterdrückungsfunktion" dieser Einrichtungen sichtbar machen, indem er sie provoziert (Einsatz der Polizei u. a.), und schließlich * die Arbeit dieser Institutionen stören und lahmlegen, mit dem Ziel, sie zu zerschlagen ("Zerschlagt die Bundeswehr", "Zerschlagt die Justiz"). "Befreite Gebiete" (Universitätsbesetzungen) sollen Ausgangspunkte neuer aggressiver Maßnahmen sein, durch die eine Räteherrschaft errichtet werden soll. 89 Das Oberverwaltungsgericht Münster erklärte in seinem Urteil vom 21.8. 1968 (Il A 1558/66), der SDS lehne das parlamentarische System ab und trachte es zu beseitigen. Dieses Ziel sowie das vom SDS angestrebte Rätesystem widersprächen den freiheitlichen demokratischen Prinzipien des Grundgesetzes*. b) Organisation Die alte Organisationsstruktur des SDS begann Ende des Jahres 1967 zu zerfallen. Anfangs des Jahres 1969 bestanden in mindestens 38 Städten SDS-Gruppen in vielfältigen Formen: Hochschulgruppen, Basisgruppen, ad-hocGruppen usw. Alle diese Gruppierungen arbeiteten selbständig. Im September 1968 hatte der SDS nach Angaben seines Bundesvorstandes 2 500 Mitglieder. Der Bundesvorstand hat keine anleitenden Funktionen mehr. Er ist nur noch Informationsund Koordinationsstelle. Der "Kommunikation" im Gesamtverband dienen die Zeitschrift "Neue Kritik" und seit Ende des Jahres 1968 ein hekto! graphierter Informationsdienst "SDS-info". Beide werden vom Bundesvorstand herausgegeben. Die "Antiautoritären" haben im Jahre 1968 im SDS die Führung übernommen. Das zeigten der Ausschluß von fünf Angehörigen der "KP-Fraktion" auf der 23. Delegiertenkonferenz im September 1968 in Frankfurt und die Zusammensetzung des neuen Bundesvorstandes. Die "Antiautoritären" wurden bei ihrem Vorgehen von der kleinen, aber aktiven Gruppe der Trotzkisten unterstützt. Die bedeutungslos gewordene "KP-Fraktion", die von sich als den "Marxisten-Leninisten" im SDS spricht, hat auf mehreren Bundesseminaren ihre künftige Haltung festgelegt und beschlossen, als "Spartakus -- Assoziation Marxistischer Studenten" aufzutreten, aber zunächst noch aus taktischen Gründen innerhalb des SDS weiterzuarbeiten. * Anmerkung: Die Revision des SDS gegen dieses Urteil wurde am 20. Juni 1969 vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. 90 Die 23. Delegiertenkonferenz war unfähig, formelle Beschlüsse zur politischen Arbeit zu fassen und einen neuen Bundesvorstand zu wählen. Sie wurde deshalb im November 1968 in Hannover fortgesetzt. Auch dort kamen keine Beschlüsse zur Strategie zustande. Es bestand jedoch Einvernehmen, die Kampagnen gegen die Justiz, die Bundeswehr und an den Hochschulen verstärkt fortzuführen. Die "Delegierten" wählten schließlich ein "Führungskollektiv" als Bundesvorstand, übertrugen aber -- um eine Bürokratisierung und Zentralisierung zu vermeiden -- die Koordinierung der Verbandsarbeit in den wichtigsten Speziaibereichen einzelnen SDS-Gruppen. So den Gruppen Heidelberg die "Hochschulkampagne" und Tübingen die "Justizkampagne", den SDS-Gruppen Bremen, Hamburg und Mainz das "Bundeswehrsekretariat" und der Gruppe Frankfurt das "Kuratorium Republikanische Hilfe", das vor allem Verhaltensweisen für angeklagte Demonstranten in Strafprozessen entwickelt hat und Verteidiger vermittelt. c) Finanzierung Der SDS finanzierte sich aus Beiträgen der Mitglieder aus Spenden und dem Zuschuß des "Sozialistischen Bundes" (SB), der nach seiner Satzung 51 % seiner Einnahmen an den SDS weitergibt. Weitere Einnahmen erzielte er aus dem Verkauf von Büchern und Zeitschriften. SDS-Funktionäre sind verpflichtet, einen Teil der oft beachtlichen Honorare für Publikationen, Vorträge und Interviews an ihre Organisation abzuführen. Auch von Einzelpersonen erhielt der SDS erhebliche Spenden. In einigen Ländern bezog der SDS zunächst noch öffentliche Mittel. "Allgemeine Studentenausschüsse" (AStA) zahlten an die SDS-Hochschulgruppen anteilmäßig Zuschüsse. Darüber hinaus stellen SDS-Mitglieder, die Funktionen in den "Allgemeinen Studentenausschüssen" und in anderen Organisationen haben, häufig deren Einrichtungen (Räume, Telefon, Papier usw.) kostenlos zur Verfügung. Der Finanzbedarf des SDS ist geringer als allgemein angenommen wird, da die Mitglieder anspruchslos und 91 opferbereit sind. Trotzdem ist der Verband ständig in finanziellen Schwierigkeiten. Der SDS-Bundesvorstand hat etwa 12 000,-DM Schulden. d) Protestaktionen Die Aktionen des SDS werden von den "informellen Kadern" der einzelnen SDS-Gruppen selbständig, meist ohne zentrale Steuerung durchgeführt. Daß es dabei häufig zu einer Gleichartigkeit und Gleichzeitigkeit des Vorgehens kam, war das Ereignis einer langfristigen Verständigung und enger Beziehungen der einzelnen Gruppen untereinander, im übrigen aber auf die Nachrichtenvermittlung durch Presse, Rundfunk und Fernsehen zurückzuführen. Bei seinen Aktionen setzte der SDS dort an, wo er glaubte, viele Mitläufer zu finden. Vor allem war er daran interessiert, die Arbeiterschaft für seine Ziele zu gewinnen. Bisher ist der SDS jedoch gerade bei den Arbeitern auf Ablehnung gestoßen. Vietnamkongreß Am 17./18. 2. 1968 veranstaltete der SDS in Berlin (West) einen internationalen Vietnam-Kongreß, der eine weltweite revolutionäre Bewegung zur Bekämpfung des Imperialismus, materielle Unterstützung des Vietkong und Zersetzung der Wehrbereitschaft der amerikanischen Soldaten (Desertionskampagne) forderte und eine Aktion "Zerschlagt die NATO" beschloß. Hier bekannte sich der SDS erneut offen zur Beseitigung der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland durch revolutionären Umsturz. In den folgenden Monaten verbreiteten Mitglieder des SDS und anderer Studentengruppen bei Demonstrationen vor amerikanischen Kasernen Flugblätter mit der Aufforderung zu desertieren. Am 8.5. 1968, der als "Internationaler Desertionstag" begangen wurde, marschierten 500 Demonstranten mit Vietkong-Fahnen zum US-Hauptquar92 tier in Heidelberg, wo sie Flugblätter mit Raketen abfeuerten. Ähnliche Aktionen, an denen sich der SDS und andere Studentengruppen beteiligten, fanden in München, Mannheim, Frankfurt, Erlangen, Nürnberg und Fürth statt. Osterunruhen Den Anschlag auf Rudolf Dutschke am 11. 4. 1968 benutzte der SDS, um umfangreiche Protestund Gewaltaktionen durchzuführen, die sich -- vordergründig -- in erster Linie gegen den Springer-Konzern richteten. In ihrer Empörung über den Anschlag solidarisierten sich zahlreiche Studenten, Schüler und andere Jugendliche mit dem SDS. Bei den Krawallen in München wurden der Pressefotograf Klaus Frings durch einen Steinwurf und der Student Rüdiger Schreck durch eine geworfene Holzbohle so schwer verletzt, daß sie kurz darauf starben. In vielen anderen Städten gab es Verletzte und erheblichen Sachschaden. Antinotstandskampagne Die Ausschreitungen führten den SDS zunächst in eine gewisse Isolierung, weil sich seine Vertreter nicht von der Gewaltanwendung distanzierten. Erst die Lesung der "Notstandsgesetze" im Mai löste nochmals große, z. T. militante Protestaktionen aus, die der SDS vor allem mit linken Studentenund Schülergruppen durchführte. Ein Höhepunkt dieser Aktionen war der "Sternmarsch auf Bonn", an dem sich auch zahlreiche kommunistische und kommunistisch beeinflußte Organisationen beteiligten. Justizkampagne Die ersten strafrechtlichen Verfahren gegen Teilnehmer an den Osterunruhen und anderen politischen Krawallen veranlaßten den SDS, eine "Justizkampagne" einzuleiten. Es gelang ihm, sich als Fürsprecher der Angeklagten auf93 zuspielen und so die Sympathie und Unterstützung von Studenten und weiten Teilen der sogenannten "kritischen Öffentlichkeit" zu finden. Der SDS führte diese Kampagne aber nicht "defensiv" zum Schutz der Angeklagten, sondern "offensiv" als Kampf gegen den Staatsapparat. Demonstrationen vor und in Gerichtsgebäuden, "Happenings", massenhafte Selbstanzeigen und das "Entführen" von Angeklagten dienten diesem Zweck. Zur "Verunsicherung" der Justizbediensteten trugen "Recherchiergruppen" belastendes Material aus der NS-Zeit und der Intimsphäre zusammen. SDS-Mitglieder verschärften die Situation erheblich durch ihre Erklärungen, individueller Terror gegen Angehörige der Justiz sei gerechtfertigt. Unbekannte Täter verübten Anschläge gegen Justizgebäude und Richterwohnungen. Ferner versuchte der SDS, Unruhe in die Strafvollzugsanstalten zu tragen. Kampagne gegen die Bundeswehr Eine militante "Kampagne gegen die Bundeswehr" wurde auf der 23. Delegiertenkonferenz gefordert. Auf einer Pressekonferenz am 19. 12. 1968 übergab der SDS eine Erklärung, in der es heißt, er wolle seine Kampagne "Tragt die Unruhe in die Bundeswehr" konsequent fortsetzen und sich dabei nicht mehr nur auf Aufklärung der Soldaten beschränken. Er forderte vielmehr seine Mitglieder auf, "in der Bundeswehr zu bleiben und den Wehrdienst abzuleisten, um die praktische Kritik auch innerhalb der Bundeswehr zu entfalten". Daneben will der SDS auch Kriegsdienstverweigerer unterstützen. In den Gruppen Frankfurt, Hamburg und Hannover des früher rein pazifistischen "Verbandes der Kriegsdienstverweigerer" (VK) gelang es dem SDS, die Führung zu übernehmen, die Pazifisten zu verdrängen und den Vorstand zunehmend zu radikalisieren*). Diese Entwicklung und die *) Der Einfluß der radikal-antiautoritären Kräfte führte auf der letzten Bundeskonferenz des VK (19./20. 4. 1969) praktisch zu einer Spaltung des Verbandes. Die von den Radikalen gefaßten Organisationsbeschlüsse entmachten den Bundesverband und geben den einzelnen VK-Gruppen größere Selbständigkeit. 94 dem SDS angeglichenen ideologischen und methodischen Vorstellungen vieler VK-Gruppen lassen erwarten, daß diese in steigendem Maße zusammen mit dem SDS militante Aktionen gegen die Bundeswehr durchführen werden. Die kommunistisch beeinflußte "Deutsche Friedensgesellschaft -- Internationale der Kriegsdienstgegner" (DFG-IdK) beschränkt sich dagegen im wesentlichen darauf, die Abschaffung der Wehrpflicht zu fordern, Wehrdienstverweigerer zu beraten und besonders gegen den Artikel 87a GG (Einsatz der Bundeswehr im Inneren) zu agitieren. Hochschulkampagne Die Diskussion um die Hochschulreform ließ die Universitäten nicht zur Ruhe kommen. Wo die Diskussionen und die Proteste der Studenten in Krawalle, Besetzungen von Rektoraten und Instituten, Schmierereien, Sachbeschädigung und in Beleidigungen, Belästigungen und Anpöbe! leien führender Persönlichkeiten ausarteten, war meist der SDS die treibende Kraft. Er nutzte das Verlangen nach Reformen, um für seine zahlreichen und verschiedenartigen Protestund Gewaltaktionen Resonanz bei den Studenten und in anderen Kreisen der Bevölkerung zu finden. Der SDS will dadurch vor allem seine Position an den Hochschulen ausbauen, um von dort aus revolutionär in die Gesellschaft hineinzuwirken. In Wirklichkeit ist der SDS gegen eine Hochschulreform. Er kündigte daher Mitte Dezember 1968 an, er werde gegen die "technokratische Hochschulreform" kämpfen mit "systematischen Eingriffen in den Lehrbetrieb" und durch "Provokation" und "Organisation von Streiks und Aussperrung". Ein SDS-Funktionär sagte dazu, der SDS wolle nicht verhandeln, sondern seine Forderungen ultimativ durchsetzen. Diese Revolte "gegen die technokratische Hochschulreform" versteht der SDS als Teil seines Kampfes zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft. 95 e) Gewaltanwendung Bei zahlreichen Aktionen des SDS gegen den SpringerKonzern, die "Notstandsgesetze", die Justiz und die Hochschulen kam es zu Gewaltakten und zum Teil schweren Zusammenstößen mit der Polizei. Die Anwendung von Gewalt ist für den SDS heute selbstverständlich. Führende Funktionäre riefen zu "militanten Aktionen" auf oder rechtfertigten sie nachträglich. Der SDS-Funktionär Bernd R a b e h l versteht unter "militanten Aktionen" u. a. "das Abbrennen von Autos" und "die Aufstellung von Straßenbarrieren" ("neue kritik" Nr. 50, Oktober 1968, Seite 51). Frank W o l f f , ehem. 2. Bundesvorsitzender des SDS, erklärte auf einer Pressekonferenz, er bedauere, daß sich der SDS zunächst von den Warenhaus-Brandstiftern in Frankfurt distanziert habe, denn gegen die Gesellschaft anzukämpfen, sei legitim ("Frankf. Neue Presse" vom 1. 11. 1968). Auch der SDS-Landesverband Berlin solidarisierte sich in einer Erklärung "mit den Opfern des Frankfurter Prozesses". Die zeitweiligen Auseinandersetzungen in Kreisen des SDS und der mit ihm zusammenarbeitenden Gruppen über "legitime Kampfmittel" (Gewalt gegen Sachen, Gewalt gegen Personen u. a.) wurden regelmäßig allein unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit, nicht aber dem der Rechtmäßigkeit geführt. Sie waren immer taktisch, nicht grundsätzlich orientiert. Im übrigen zeigte sich, daß es nach jeder neuen Verschärfung der Kampfmethoden zu internen Auseinandersetzungen kam, ohne daß dadurch weitere Verschärfungen verhindert worden wären. Trotz bestehender Meinungsverschiedenheiten über das Vorgehen im einzelnen, vereinen sich diese Gruppen immer wieder in dem gemeinsamen Ziel, die gesellschaftliche und verfassungsmäßige Ordnung der BRD zu beseitigen. Seit Anfang November 1968 häuften sich Brandstiftungen und sonstige Sachbeschädigungen aus politischen Gründen. Selbstgebastelte Brandsätze wurden gegen öffentliche Gebäude in Berlin, Frankfurt, Tübingen und München 96 geworfen, Fensterscheiben von Privatwohnungen einiger Richter in Berlin eingeworfen und bei Rektoratsund Institutsbesetzungen erheblicher Sachschaden angerichtet. Die Täter konnten in den meisten Fällen bisher nicht ermittelt werden. Einige radikale Kreise beschafften sich Anleitungen zur Herstellung von Sprengstoffen und versuchten, in den Besitz von Waffen und Sprengkörpern zu gelangen sowie "Terrorgruppen" zu bilden. R a b e h l sprach in diesem Zusammenhang von der Existenz "eines Bakunistischen Geheimbundes im SDS" ("neue kritik" Nr 50, Oktober 1968, Seite 50). f) Internationale Verbindungen Die vielfältigen internationalen Verflechtungen im Hochschulbereich haben die Beziehungen zwischen SDS-Mit! gliedern und radikalen ausländischen Studentenorganisationen gefördert. Da der SDS bei der "Neuen Linken" in vielen Ländern hohes Ansehen genießt, erhielt er so zahlreiche Einladungen, daß die führenden Mitglieder des Verbandes ihnen kaum Folge leisten konnten. Zu einer geregelten, von einer internationalen Organisation kontrollierten Zusammenarbeit ist es aber nicht gekommen. Auch das vom SDS-Berlin nach dem "Vietnamkongreß" gegründete "Internationale Nachrichtenund Forschungsinstitut" (INFI) vermochte diese Zusammenarbeit nicht zu koordinieren, so daß die internationalen Verbindungen im wesentlichen durch die Beziehungen aufrechterhalten werden, die einzelne leitende SDS-Funktionäre ins Ausland haben. Der SDS warb für ein im Sommer 1968 in Kuba durchgeführtes Schulungsund Arbeitslager. Die deutsche Gruppe umfaßte 39 Personen. Sie wurden nicht -- wie einige Presseorgane berichteten -- in Guerillataktik ausgebildet. Die Teilnehmer waren primitiv untergebracht, arbeiteten in der Landwirtschaft, hörten einige politische 97 Vorträge und unternahmen einige Besichtigungsfahrten. Der größte Teil von ihnen kehrte enttäuscht zurück. Gleichzeitig hielt sich auf Einladung der kubanischen Regierung eine Delegation führender SDS-Mitglieder zur Teilnahme an den Feierlichkeiten zum kubanischen Nationalfeiertag (27. 7. 1968) in Kuba auf. Auf internationalen Arbeitstreffen hat der SDS mit ausländischen radikalen Organisationen Fragen der revolutionären Strategie und Taktik sowie die "Vietnamund Anti-NATO-Kampagne" besprochen, ohne daß formelle Beschlüsse gefaßt wurden. Solche Zusammenkünfte fanden u. a. im August 1968 in Amsterdam und in Brüssel statt. Die Kontakte des SDS zu ausländischen linksradikalen Organisationen führten bislang zu keinen greifbaren Ergebnissen. Der Verband hat dies erkannt. Für die Zukunft ist mit einem verstärkten Ausbau der internationalen Verbindungen zu rechnen. 2. Mit dem SDS zusammenarbeitende Gruppen a) Studentenorganisationen Für viele seiner Aktionen konnte sich der SDS die Mitwirkung anderer Studentenorganisationen sichern. Besonders der "Verband Deutscher Studentenschaften" (VDS), der "Liberale Studentenbund Deutschlands" (LSD), der "Sozialdemokratische Hochschulbund" (SHB) und die "Humanistische Studenten-Union" (HSU) solidarisierten sich häufig mit den radikalen Methoden des SDS und arbeiteten mit ihm zusammen. Auch diese Organisationen üben immer stärker Kritik an der bestehenden Gesellschaftsordnung und an dem parlamentarischen System der BRD, das nach ihrer Ansicht nur der "Verschleierung der tatsächlichen Herrschaftsverhältnisse" diene. 98 Auch die "Allgemeinen Studentenausschüsse" (AStA), in denen häufig SDS-Mitglieder stark vertreten sind, unterstützen an zahlreichen Universitäten die Arbeit des SDS. Studentenzeitungen veröffentlichten fortgesetzt radikale Parolen. b) "Republikanische Clubs" (RC) Seit Gründung des RC Berlin Ende April 1967 sind rund 60 "Republikanische Clubs" in Großund Mittelstädten der Bundesrepublik entstanden. Die Initiative zur Gründung der Clubs ging häufig von Studenten aus, die dem SDS angehören oder von ihm hierzu angeregt wurden. Den Kommunisten, die sich zunächst zurückgehalten hatten, gelang es, in einigen Clubs Einfluß zu gewinnen. Der RC Berlin betrachtet sich als ein politisches Zentrum der sog. "Außerparlamentarischen Opposition". Er will eine "radikal-demokratische Alternative" bieten. Während der Osterunruhen und aus anderen Anlässen betätigten sich Mitglieder des RC Berlin meist in Zusammenarbeit mit dem SDS als Initiatoren und Koordinatoren militanter Aktionen. Starke Kritik übte er an der SPD, die er nicht in das "herrschende System" integriert sehen möchte. Deshalb forderte er die Mitglieder der SPD auf, die Parteiführung öffentlich zu kritisieren, die innerparteiliche Opposition zu organisieren und sich an Aktionen der außerhalb der Partei agierenden, "antikapitalistischen Gruppen" zu beteiligen. Der RC Berlin bemüht sich auch, die "antiautoritäre Bewegung" im übrigen Bundesgebiet über andere "Republikanische Clubs" zu fördern. Die politische Richtung der "Republikanischen Clubs" im übrigen Bundesgebiet ist unterschiedlich. Alle Clubs opponierten gegen die Politik der Großen Koalition. Sie versuchten, in politischen Diskussionen und öffentlichen Demonstrationen die Bevölkerung für eine Änderung der Gesellschaftsordnung zu gewinnen. Ihre Auffassungen über eine solche neue Ordnung gehen allerdings weit aus99 einander. Seit Mitte des Jahres sind die meisten "Republikanischen Clubs" dazu übergegangen, "Justizund Wehrdienstverweigerungskampagnen" durchzuführen. c) "Republikanische Hilfe" (RH) Rechtsanwalt Horst M a h I e r und Dr. Klaus M e s c h ! k a t , beide vom "Republikanischen Club" Berlin, sowie der ehemalige SDS-Bundesvorsitzende Karl-Dietrich W o l f f u. a. gründeten am 17. 7. 1968 in Frankfurt/Main ein "Kuratorium Republikanischer Hilfe". Die Geschäftsstelle befindet sich in den Räumen des SDS-Bundesvor! standes. Das Kuratorium bereitet die Verteidigung in Prozessen gegen Angehörige der APO vor, unterstützt durch lokale Rechtshilfeeinrichtungen die Beschuldigten und versucht, solche Prozesse politisch "umzufunktionieren". In unregelmäßiger Folge gibt das Kuratorium die Schriftenreihe "Materialien zur politischen Justiz" heraus. Sie soll dazu beitragen, "Ausmaß und Systematik der Justizverfolgung der demokratischen und sozialistischen Linken in der BRD darzustellen". In mehreren Universitätsstädten bildeten sich "Rechtshilfefonds" mit gleichen Aufgaben und Zielen. Träger sind SDS-Hochschulgruppen und andere Kreise der APO. d) "Sozialistischer Bund" (SB) Der "Sozialistische Bund" -- 1961 von ehemaligen SDSund SPD-Mitgliedern als Förderergemeinschaft des SDS gegründet, nachdem die SPD dem SDS ihre finanzielle Hilfe entzogen hatte -- beteiligte sich auch im Jahre 1968 an der Finanzierung des SDS. Er versucht, eine gemeinsame ideologische Basis mit dem SDS zu erreichen. Dies stößt auf erhebliche Schwierigkeiten, da der SDS die sozialistisch-klassenkämpferischen Ziele des SB ablehnt. 100 e) "Aktionzentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" (AUSS) Die Unruhe unter den Schülern hat sich weiter ausgebreitet. Schülerzeitungen wurden zunehmend radikal. Immer häufiger und schärfer greifen sie nicht mehr allein die Verhältnisse an den Schulen, sondern die herrschende Ordnung, insbesondere die Bundeswehr an. Ebenso wie in den Publikationen zahlreicher Studentengruppen nimmt auch in den Schülerzeitungen die Tendenz zu, revolutionäre Veränderungen zu fordern, Andersdenkende zu diffamieren und pornografische Beiträge -- oft mit politischem Einschlag -- zu veröffentlichen. An vielen Orten bildeten sich linksradikale Schülergruppen unter Bezeichnungen wie "Unabhängige Schülergemeinschaft", "Unabhängiger Sozialistischer Schülerbund", "Unabhängige Sozialistische Schülergemeinschaft", "Liberaler Schülerbund", "Sozialistische Schülergemeinschaft". Der Dachverband aller linksgerichteten Schülergruppen, das "Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" (AUSS), steht völlig unter dem politischen Einfluß der "Antiautoritären" im SDS und hat deren Aktionen laufend unterstützt. Das AUSS hat ungefähr 3 000 Mitglieder. Es will die im letzten Jahr "aufgebrochene politische Aktivität der Schüler weitertreiben und die theoretische Arbeit durch Aufklärung und Information fördern". III. Kommunistischer Einfluß unter ausländischen Arbeitern Am 31. Januar 1969 hielten sich 1 136 900 ausländische Arbeiter in der Bundesrepublik auf. Das sind etwa 235 000 mehr als zu Beginn des Jahres 1968. Darunter befanden sich 282 000 Italiener 171 000 Türken 156 000 Griechen 120 000 Spanier. 101 1. Griechen Überwiegend kommunistische und sozialistische griechische Organisationen versuchten im Jahre 1968 verstärkt, die deutsche Öffentlichkeit in ihren Kampf gegen die Regierung in Griechenland einzubeziehen. Die Angriffe dieser oppositionellen Kräfte richteten sich gegen die griechischen diplomatischen Vertretungen und die mit Betreuungsaufgaben beschäftigten 22 Arbeitskommissionen sowie gegen regierungstreue griechische Vereinigungen in der BRD. Bei diesen Aktionen taten sich die Kommunisten besonders hervor. Häufig kam es zu Schlägereien mit regierungstreuen Griechen, wobei in der Regel die regierungsfeindlichen Griechen die Angreifer waren. Oppositionelle Griechen, unter ihnen der "Bund griechischer Gemeinden von West-Deutschland und West-Berlin" und der "Bund Griechischer Studenten-Vereinigungen von Westdeutschland und West-Berlin", z.T. kommunistisch beeinflußt, organisierten zahlreiche Demonstrationen, Protestkundgebungen und Spendenaktionen für politische Gefangene. Anlaß hierzu boten besonders die Verurteilung griechischer Attentäter und die Volksabstimmung am 29. September in Griechenland. Die Gegner der griechischen Regierung bemühten sich, Angehörige der "Außerparlamentarischen Opposition" für Demonstrationen und Protestkundgebungen zu gewinnen. Das gelang ihnen bei zahlreichen örtlichen Veranstaltungen. Der SDS-Landesverband Berlin und der VDS erwägen, den Kampf gegen die griechische Regierung wirkungsvoller zu unterstützen. Ferner benutzten griechische Oppositionelle die Osterdemonstrationen, Mai-Kundgebungen und andere Veranstaltungen zu Angriffen gegen die griechische Regierung. Eine 1967 in Berlin (West) gegründete griechische Widerstandsorganisation "AGONISTIKO METOPO ELLINON EXOTERIKOU" (Kampffront der Auslandsgriechen -- AMEE), die sich zur Waffengewalt bekennt, beteiligte sich in Berlin (West) an Demonstrationen der "Außerparlamentarischen Opposition" gegen die griechische Regierung. 102 Seit der Spaltung der KP Griechenlands im Februar 1968 in einen "nationalen" Flügel der Inland-Kommunisten und einen von K o I i j a n n i s geführten moskautreuen Flügel der Auslandskommunisten wurden in der BRD lebende griechische Kommunisten von der SED und der DKP nur noch insoweit unterstützt, als sie sich zu der "moskautreuen" Gruppe bekannten. Örtliche kommunistisch unterwanderte griechische Vereinigungen in der Bundesrepublik wurden bei ihren Protestveranstaltungen z. T. von deutschen Kommunisten unterstützt. 2. Spanier Spanische Kommunisten und Linkssozialisten warben in der BRD öffentlich vor allem für die Förderung der Gegner der Franco-Regierung. Dabei wandten sie sich besonders an die deutschen Gewerkschaften. Auf zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen vor spanischen Konsulaten und auf gewerkschaftlichen Veranstaltungen protestierten spanische Franco-Gegner gegen die derzeitige spanische Regierung und forderten die Freilassung der politischen Gefangenen und die Unterstützung kommunistischer gewerkschaftlicher Organisationen in spanischen Betrieben. In Frankfurt bildete sich ein Solidaritätskomitee "Demokratie in Spanien", kurz bevor im Februar 1969 in Paris die 4. "Westeuropäische Konferenz für Spanien" stattfand, auf der 250 Personen, darunter zahlreiche Kommunisten, forderten, die Opposition in Spanien zu unterstützen. Dem "Solidaritätskomitee" gehören neben den Professoren F l e c h t h e i m , H e y d o r n und B a r t s c h auch der Kommunist Willi H ö h n an. Spanische Kommunisten unterhalten im Sowjetsektor Berlins ein Verbindungsbüro. Ein im Juli 1963 im Sowjetsektor Berlins unter Leitung von Franz D a h l e m gegründetes "Solidaritätskomitee" veranstaltete 1968 Kundgebungen und Sammlungen. Der "Deutsche Freiheitssender 904" forderte in seinen spanischen Sendungen die spanischen 103 Arbeiter in der Bundesrepublik auf, den deutschen Gewerkschaften beizutreten und sich aus Solidarität mit der KPD an Demonstrationen gegen die Notstandsgesetze und gegen den "amerikanischen Aggressionskrieg" in Vietnam sowie an den Osterdemonstrationen der KDA zu beteiligen. 3. Italiener und Türken Italienische und türkische Kommunisten suchten auch 1968 auf ihre Landsleute im Bundesgebiet einzuwirken. Nur gelegentlich nahmen sie Kontakt zu Kommunisten in der BRD auf. 4. Agitation der Kommunisten unter den Gastarbeitern Unter den ausländischen Arbeitnehmern in der BRD wurden nach wie vor kommunistische Agitationsschriften verbreitet. Rivalitäten unter kommunistischen Griechen führten dazu, daß zentral im Ausland hergestellte und von dort versandte kommunistische Schriften die Publikationen kommunistischer Griechen in der BRD zurückdrängten. Kommunistische Rundfunkanstalten in osteuropäischen Ländern setzten ihre Propaganda für Griechen, Italiener, Spanier und Türken in der BRD fort. Besonders der "Deutsche Freiheitssender 904" der KPD versuchte, die ausländischen Arbeitskräfte für Solidaritätsaktionen gegen die BRD zu gewinnen. IV. Beurteilung der linksradikalen Bestrebungen im Jahre 1968 Seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1949 bis in das Jahr 1967 waren es überwiegend Kommunisten, die im linksradikalen Bereich die verfassungsmäßige Ordnung angriffen. Sie bedienten sich dabei zahlreicher Hilfsorganisationen. Schon im Jahre 1967 zeigten sich -- vor allem in Berlin (West) -- Ansatzpunkte für eine neue linksradikale Bewegung, die sich außerhalb kommu104 nistischer Organisationen und zum Teil gegen sie entwickelte. Diese radikale "Neue Linke" hat im Jahre 1968 die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland, die Verfassungsund Staatsorgane, die Parteien sowie andere Träger der demokratischen Gesellschaft unmittelbarer und gewalttätiger angegriffen als andere radikale Kräfte je zuvor. Eine "Neue Linke" ist nicht nur in Deutschland, sondern auch in zahlreichen anderen Ländern der Welt entstanden. Die Ursachen dafür sind vielschichtig. Eine wesentliche Rolle spielt dabei die Unzufriedenheit mit der Gesellschaft und den politischen Ereignissen. Die Ideen der "Neuen Linken" erhielten Impulse durch neue Entwicklungen und Theorien. Diese Strömungen fanden besonders Resonanz bei Studenten, die sie auch in andere Kreise der Jugend, vor allem der Schüler, hineintrugen. Den Kern dieser radikalen Bewegung bildete im Jahre 1968 der "Sozialistische Deutsche Studentenbund" (SDS), in dem sich schon zuvor Kräfte zusammengefunden hatten, die sich entschieden gegen die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse wandten. Es gelang ihm, andere Studenten und Schüler zu gewinnen, darunter solche, die bisher mit der freiheitlichen demokratischen Ordnung fest verbunden zu sein schienen. Der "Republikanische Club" und der SDS in Berlin haben diesen Prozeß wesentlich beeinflußt. Kennzeichnend für die Bewegung sind die Negation des Bestehenden, unübersichtliche Organisationsformen, die revolutionäre Bereitschaft, die sich besonders in spontanen Aktionen auswirkt, sowie die Forderung nach einer Räteherrschaft. Durch Anwendung von Gewalt und militante Kampfformen überschreitet der SDS bewußt die Schwelle, die von der KPD -- wenn auch aus taktischen Gründen -- in den letzten Jahren beachtet worden war. Die KPD hat im Jahre 1968 das Ziel erreicht, das sie seit ihrem Verbot im Jahre 1956 anstrebte: wieder als Partei -- 105 wenn auch unter neuem Namen -- ungehindert tätig werden zu können. Dennoch wird sie auch künftig die formelle "Aufhebung" ihres Verbotes verlangen, weil sie befürchtet, dieses Verbot könne einmal gegen die neugebildete DKP angewendet werden. Die DKP befindet sich fest in den Händen der Kader der KPD. Sie verfolgt unverändert deren Ziele, vertritt sie jedoch mit Methoden, die sie der politischen Entwicklung anzupassen sucht. Mit Hilfe der neuen Parteiorganisation wird es den Kommunisten möglich sein, ihre Tätigkeit zu erweitern und zu intensivieren. Die DKP wird sich in politische Vorgänge in Ländern und Kommunen einschalten und sich an Wahlen beteiligen. Viele ihrer Mitglieder betätigen sich im Parteiauftrag -- unbehindert -- in den Gewerkschaften, wo sie vor allem für eine radikale Form der Mitbestimmung agitieren, die sie jedoch nur als Stufe einer revolutionären Entwicklung ansehen. Die DKP-Führung hat erkannt, daß die neugebildete Partei wenig Aussicht hat, den Bundestagswahlkampf 1969 erfolgreich zu bestehen. Sie hat deshalb gemeinsam mit der DFL) und den anderen Gruppen, auf die sie schon in der Vergangenheit erheblichen Einfluß ausgeübt hat, die Wahlpartei "Aktion Demokratischer Fortschritt" (ADF) gebildet. Obwohl die Kommunisten hoffen, auf diese Weise Stimmen oppositioneller Sozialdemokraten, anderer sozialistischer Gruppen und nonkonformistischer bürgerlicher Kreise zu gewinnen, scheinen die Wahl-Erfolgsaussichten der ADF gering zu sein. Das Auftreten der "Neuen Linken", die Gründung einer "neuen" kommunistischen Partei und der "Aktion Demokratischer Fortschritt", das Weiterbestehen anderer kommunistischer Hilfsorganisationen sowie die Tendenz, neue sozialistisch orientierte Vereinigungen zu bilden, haben bewirkt, daß die linksradikale Bewegung vielfältiger geworden ist. Dazu hat auch die Kritik an der Intervention in der CSSR beigetragen. 106 Infolgedessen wird es den Kommunisten nicht leicht, den von ihnen erhobenen Anspruch zu verwirklichen, die führende Kraft der linksradikalen Bewegung zu sein. Das zeigte sich besonders im SDS, in dem die Kommunisten sich gegenüber den "antiautoritären" Kräften nicht durchsetzen konnten, aber auch in der Ostermarschbewegung. Zusammenfassend läßt sich folgendes sagen: Die linksradikalen Kräfte haben im Jahre 1968 erheblich zugenommen. Starke Gruppen der "Neuen Linken" suchen ihr Ziel, die verfassungsmäßige Ordnung zu zerstören, auch durch Gewalt zu erreichen. Die Kommunisten wollen dagegen -- wie schon in den vergangenen Jahren -- eine revolutionäre Umwälzung vor allem unter Ausnutzung "legaler" Möglichkeiten herbeiführen. Die "Neue Linke" hat mit ihren militanten Aktionen die öffentliche Ordnung erheblich gestört und Unruhe in die von ihr besonders angegriffenen Institutionen (Hochschulen, Justiz, Bundeswehr) getragen. Während die Öffentlichkeit dadurch erheblich beunruhigt wurde, gelang es den Kommunisten, ihre wahren Absichten, die auf lange Sicht noch immer in der "sozialistischen Revolution" bestehen, in einem gewissen Umfange zu verbergen. Tatsächlich liegt die Gefahr, die heute die deutschen Kommunisten für die verfassungsmäßige Ordnung darstellen, vor allem darin, daß sie für den Fall der Krise ein Potential bilden, das die ostdeutschen und ausländischen kommunistischen Regierungen für ihre Ziele einsetzen können. 107 Spionageabwehr in der Bundesrepublik Deutschland im Jahre 1968 I. Vo r b em er k u n g Die Bundesrepublik Deutschland war wie in den Vorjahren auch 1968 das bevorzugte Ausspähungsziel östlicher Nachrichtendienste. Das Interesse kommunistischer, insbesondere sowjetzonaler Spione, galt vorwiegend militärischen, politischen und wirtschaftlichen Objekten. In verstärktem Maße versuchten die gegnerischen Nachrichtendienste qualifizierte Personen anzuwerben, die im militärischen Bereich, in Behörden, in Wissenschaft und Forschung und in den Parteien Zugang zu schutzwürdigen Informationen haben. Aber nicht nur Personen, die bereits in sicherheitsempfindlichen Objekten arbeiteten, waren Zielobjekt kommunistischer Anwerbungsversuche, sondern auch Personen, die noch in der Berufsausbildung stehen, von denen aber erwartet wird, daß sie aufgrund ihrer Ausbildung künftig wichtige Positionen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft einnehmen werden (sogenannte "Perspektivkandidaten"). Häufig erfolgten Ansprachen dieser Personen bei Reisen in die SBZ. Im Jahre 1968 konnte wiederum eine Reihe von Personen erkannt und z. T. auch festgenommen werden, die bereits als Nachrichtensammler für die Kommunisten arbeiteten. Diese Erfolge der Spionageabwehr veranlaßten die Flucht mehrerer auf wissenschaftlichem Gebiet in der Bundesrepublik Deutschland tätigen Spione zu ihren Auftraggebern jenseits der Demarkationslinie. In den letzten Jahren mehrten sich die Fälle, in denen kommunistische Agenten und Agentenführer "absprangen" und sich den zuständigen Behörden in der Bundesrepublik Deutschland und im westlichen Ausland stellten. Sie waren mit ihrem z. T. umfassenden Sachund Personenwissen für die Spionageabwehr von großem Nutzen. So konnten in der jüngsten Vergangenheit aufgrund der Angaben übergelaufener Führungsoffiziere mehrere Agenten 108 erkannt werden, die z. T. schon seit Jahren zum Schaden unseres Staates arbeiteten. In den letzten 10 Jahren offenbarten weit über 100 hauptamtliche Mitarbeiter kommunistischer Nachrichtendienste ihr Wissen den deutschen Abwehrstellen. Ein erheblicher Teil der Ausspähungsaktivitäten wurde von offiziellen kommunistischen Vertretungen in der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen. Nachrichtendienstlich tätige Angehörige von Botschaften und sonstigen offiziellen Vertretungen östlicher Staaten nutzten ihre Vorrechte aus, geheime Informationen zu gewinnen und Werbungen vorzunehmen. Die gegnerischen Nachrichtendienste setzten im Jahre 1968 ihre Versuche fort, neben diesen sogenannten "legalen Residenturen" auch "illegale Residenturen" zu errichten, denen nicht die Vorteile einer offiziellen Abtarnung zugute kommen. II. Die gegnerischen Nachrichtendienste Die Spionageabwehr in der Bundesrepublik hat es vorwiegend mit den Nachrichtendiensten der SBZ zu tun, deren Anteil an der gesamten Ausspähungstätigkeit etwa bei 80 % liegt. Die Nachrichtendienste der Sowjetunion, Polens und der Tschechoslowakei treten unter den restlichen 20 % am stärksten hervor. 1. Zweigleisigkeit kommunistischer Spionagetätigkeit Fast alle kommunistischen Länder verfügen -- entsprechend dem sowjetischen Vorbild -- jeweils über zwei Aufklärungsdienste. Der "zivile" Auslandsnachrichtendienst eines kommunistischen Landes treibt Spionage gegen Behörden, gegen Institutionen der Wissenschaft und Forschung sowie gegen Industrieund Wirtschaftsunternehmen. Der "militärische" Nachrichtendienst dagegen richtet seine Ausspähungstätigkeit vorwiegend gegen militärische und militärtechnische Einrichtungen. 109 Häufig sind jedoch Überschneidungen bei beiden Diensten festzustellen, die sich meist aus den Zugangsmöglichkeiten der Agenten ergeben. 2. Die sowjetischen Nachrichtendienste Die Sowjetunion unterhält zwei Nachrichtendienste: * das KGB (Komitet Gosudarstwennoj Bezopasnosti -- Komitee für Staatssicherheit) und * die GRU (Glawnoje Razwedywatelnoje Uprawlenije -- Hauptverwaltung für Aufklärung). Das KGB untersteht formell dem Ministerrat. Das Präsidium des ZK der KPdSU überwacht, koordiniert und kontrolliert jedoch die Arbeit des KGB und grenzt seinen Zuständigkeitsbereich gegenüber der GRU ab. Das KGB verfolgt neben seinen innerstaatlichen Abwehraufgaben das Ziel, politische, militärische, wirtschaftliche und wissenschaftliche Informationen aus allen fremden Staaten zu sammeln. Ferner betreibt es Diversion, Desinformation, Zersetzung und Infiltration im westlichen Ausland. Ihm obliegt auch der Schutz und die Überwachung aller sowjetischen Persönlichkeiten im Ausland. Die GRU untersteht dem sowjetischen Verteidigungsministerium. Ihre Aufgabe ist vorwiegend die Aufklärungs! tätigkeit in westlichen Ländern auf militärischem, taktischem und strategischem Gebiet. 3. Nachrichtendienste der SBZ, Polens und der CSSR Dem KGB entspricht in der SBZ das MfS (Ministerium für Staatssicherheit). Sein Aufklärungsdienst HVA (Hauptverwaltung Aufklärung) befaßt sich vorwiegend mit der Ausspähung interessanter Ziele in der Bundesrepublik. Der militärische Nachrichtendienst (entsprechend der GRU) ist die VfK (Verwaltung für Aufklärung). 110 Der zivile polnische Nachrichtendienst SB (Sluzba Bez! pieczenstwa) untersteht dem polnischen Innenministerium. Der militärische Nachrichtendienst Oddzial Drugi -- Wy! wiad Wojskowy ist eine Abteilung im polnischen Verteidigungsministerium. In der Tschechoslowakei untersteht der zivile Auslandsnachrichtendienst StB (Hlavni Sprava Statni Bezpecnost -- Hauptverwaltung Staatsicherheit) dem Innenministerium. Der militärische Nachrichtendienst Zpravodajska Sprava Generalniho Stabu Ceskoslovenske Lidove Ar! mady (Verwaltung für Aufklärung des Generalstabes der tschechoslowakischen Armee) untersteht dem Verteidigungsministerium. 4. Mitarbeiter der gegnerischen Nachrichtendienste Der größte Teil der hauptamtlichen Mitarbeiter der kommunistischen Nachrichtendienste befindet sich im jeweiligen kommunistischen Land selbst und wird von dort aus auch tätig. Die Nachrichtenoffiziere versuchen, Personen aus der Bundesrepublik für eine Spionagetätigkeit zu gewinnen und führen die in der Bundesrepublik tätigen Agenten überwiegend von ihrem Land aus. Daneben entsenden die kommunistischen Nachrichtendienste aber auch hauptamtliche Mitarbeiter unter einer offiziellen Abtarnung in die Bundesrepublik. In den Botschaften und Handelsvertretungen kommunistischer Länder sowie in den Niederlassungen ihrer staatlichen Handelsorganisationen finden hauptamtliche ND-Angehörige eine ausgezeichnete Abdeckung. Sie reisen getarnt als Botschaftsangehörige, als Mitarbeiter der Handelsvertretung oder als Vertreter eines staatlichen Handelsunternehmens in die Bundesrepublik ein. Um nicht aufzufallen, nehmen sie die ihnen aus Tarnungsgründen zugewiesenen Aufgaben in gewissem Umfang wahr. Überwiegend erfüllen sie jedoch nachrichtendienstliche Aufgaben. Die NDAngehörigen in den offiziellen Vertretungen sind nachrichtendienstlich gut geschult. Ein Teil dieser Offiziere in den Botschaften und Handelsvertretungen kann diese 111 Tätigkeit auf Grund des exterritorialen Status ohne persönliche Gefährdung durchführen. Mit nachrichtendienstlichen Aufgaben ist auch eine Reihe von Angehörigen der sowjetischen Militärmission in der Bundesrepublik betraut. Diese unterstehen dem sowjetischen militärischen Nachrichtendienst GRU. Angehörige der sowjetischen Militärmissionen versuchen insbesondere, militärische Objekte in der Bundesrepublik zu erkunden. Ihre Aktivität war zur Zeit des Höhepunktes der Krise in der CSSR besonders groß. Wegen der Vielzahl der kommunistischen Vertretungen in der Bundesrepublik ist die Überwachung der Nachrichtenoffiziere schwierig. Es ist bekannt, daß in jeder offiziellen Vertretung eines kommunistischen Landes Mitarbeiter des Nachrichtendienstes tätig sind. III. Ziele kommunistischer Nachrichtendienste Als besondere Ausspähungsziele kommunistischer Nachrichtendienste wurden im Jahre 1968 wieder militärische Einrichtungen der Bundeswehr und der in der Bundesrepublik stationierten NATO-Truppen, geschützte Industriebetriebe und Forschungseinrichtungen (besonders der Kernforschung) sowie Ministerien und politische Parteien festgestellt. Bei den sowjetischen Nachrichtendiensten wurde insbesondere das Interesse an der Beschaffung militärischer Waffen und technischer Geräte deutlich. Die im Oktober 1968 aufgeklärten Diebstähle der Sidewinder-Rakete und anderer Waffen sowie einiger Navigationsgeräte sind Beispiele dafür. Auch ein verstärktes Bemühen der kommunistischen Nachrichtendienste (insbesondere der SBZ-ND), qualifizierte Personen in der Bundesrepublik zur Mitarbeit zu gewinnen, war festzustellen. Ziel dieser Bestrebungen war es, militärische Objekte, Industrieunternehmen, Forschungsstätten usw. kontrollieren und auch durch Agenten Einfluß ausüben zu können (z. B. in politischen Parteien, Behörden usw.). 112 Auffällig war im Jahre 1968 das Bestreben der SBZ-Nachrichtendienste, in die NPD einzudringen. Die Versuche haben wohl vorwiegend dem Zweck gedient, Erkenntnisse über diese Partei und ihre Mitglieder propagandistisch gegen die Bundesrepublik zu verwerten. Das MfS interessierte sich besonders für * Namen und Charakteristiken von NPD-Mitgliedern, * Berichte über NPD-Wahlversammlungen und Redner, * die Finanzierung der Partei, * Originalunterschriften führender NPD-Funktionäre. Das Interesse an derartigen Informationen beruht nicht nur auf dem Erlaß des sowjetzonalen Innenministeriums vom 10. 3. 1968, nach dem Mitglieder der NPD nicht mehr durch die Zone reisen dürfen. IV. Anwerbungsschwerpunkte 1. Anwerbung von Bundesbediensteten Die Nachrichtendienste der SBZ versuchten weiterhin mit Nachdruck, in Bundesdienststellen einzudringen. Die Anbahnung von Kontakten zu Bundesbediensteten wurde meist bei Besuchen in der SBZ versucht. Äußerungen der ND-Offiziere ließen darauf schließen, daß eine eingehende Vorklärung über den Beamten oder Angestellten vorausgegangen war. Die ND-Offiziere waren z. B. auch dann über den Beruf und die Dienststelle unterrichtet, wenn im Antrag auf Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung lediglich "Angestellter" oder "Beamter" angegeben war. Die SBZ-Nachrichtendienste versuchten insbesondere Beamte des Zollgrenzdienstes und des Bundesgrenzschutzes anzuwerben. Die ND-Angehörigen traten an der Demarkationslinie in NVA-Uniformen auf. Sie versuchten zunächst, private Kontakte zu den Bundesbeamten herzustellen. Es wurden z. B. Zigaretten und alkoholische Getränke ausgetauscht. In der Folgezeit baten die ND-An113 gehörigen meist um kleinere Besorgungen wie Beschaffung von Zeitungen und Zeitschriften. Für diese Gefälligkeiten boten sie großzügig bemessenen "Auslagenersatz" an. Die Werbung versuchten sie oft erst nach längerer Zeit. 2. Anwerbung von Studenten Die SBZ-Nachrichtendienste bevorzugten bei ihren Werbungen zwei Gruppen von Studenten, die besondere Voraussetzungen für eine spätere Ausspähungstätigkeit erkennen ließen: * Studenten, von denen erwartet werden kann, daß sie in staatliche oder politische Stellungen gelangen (z. B. Juristen, Wirtschaftswissenschaftler, Politologen), * Studenten, bei denen eine spätere Agententätigkeit wesentliche wissenschaftliche und militärische Erkenntnisse verspricht (z. B. Naturwissenschaftler, Techniker, Offiziere). Die Anwerbungsmethoden waren auf den einzelnen Studenten zugeschnitten. Häufig erfolgte die Ansprache unter "falscher Flagge" bei Besuchen in der SBZ. Es wurde z. B. die Zugehörigkeit des Werbers zu einer wissenschaftlichen Institution vorgetäuscht. Der Student war oft über eine längere Zeit der Ansicht, es handele sich nur um einen politischen oder wissenschaftlichen Gedankenaustausch. In mehreren Fällen nahmen die SBZ-Nachrichtendienste schriftliche Anfragen von Studenten bei sowjetzonalen wissenschaftlichen oder politischen Institutionen zum Werbungsanlaß. Die SBZ-Nachrichtendienste versandten auch persönlich gehaltene Schreiben unter dem Absender einer Privatperson an Studenten in der Bundesrepublik. In diesen Schreiben wurde regelmäßig ein Meinungsaustausch vorgeschlagen. Bei Besuchen in der SBZ wurden Studenten, die für eine Werbung vorgesehen waren, besonders zuvorkommend behandelt. 3. Anwerbung von Diplomaten Neue Informationen haben die Erkenntnisse über die strenge Überwachung westlicher Vertretungen in kommunistischen Ländern bestätigt. 114 Der tschechoslowakische Nachrichtendienst (StB) in Prag verfügt beispielsweise über eine eigene Gruppe "TECHNIK", die auf die Durchsuchung von Dienstund Wohnräumen spezialisiert ist. Der StB versucht, auch über diese Gruppe an Unterlagen aus westlichen Vertretungen zu kommen. Die Gruppe "Technik" ist vermutlich auch für den Einbau von Abhörgeräten zuständig. V. Anwerbungsmethoden 1. Werbungsmethoden in der SBZ Die Methoden, deren sich die kommunistischen Nachrichtendienste bei den Anwerbungsversuchen bedienen, sind verfeinert worden. Die sowjetzonalen Nachrichtendienste nutzten vornehmlich den Reiseverkehr zwischen der Bundesrepublik und der Zone oder Berlin (West) für nachrichtendienstliche Ansprachen. Diese erfolgten meist unter einem harmlosen Vorwand. Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit gaben sich dabei häufig als Journalisten und Schriftsteller aus, die angeblich über die Verhältnisse in der Bundesrepublik schreiben wollten, und baten den westlichen Besucher um einige Auskünfte. Andere, die sich als Techniker, Ingenieure o. ä. ausgaben, suchten "Fachgespräche" mit ihren "Kollegen" aus der Bundesrepublik. Sobald der Angesprochene unbefangen auf ein Gespräch einging, folgte ein mehr oder weniger geschickt getarntes Angebot zu nachrichtendienstlicher Mitarbeit. Die VfK-Angehörigen stellten sich vorzugsweise als Techniker, Ingenieure, Chemiker oder Physiker der "Industrieberatung für Forschung und Entwicklung -- Leipzig bzw. Halle" vor und überreichten entsprechende Visitenkarten, um ihrem Gesprächspartner jeden Argwohn zu nehmen. Beim ersten "Erfahrungsaustausch" wurden meist Fragen besprochen, die in der Bundesrepublik offen diskutiert werden können. Bei diesem Gespräch testete der VfKAngehörige den Besucher. Oft endete die erste Ansprache mit der Bitte, offenes Prospektmaterial oder Fachliteratur zu schicken bzw. beim nächsten Besuch mitzubringen. 115 So wurde beispielsweise der Ingenieur A. eines Betriebes der chemischen Industrie während eines Verwandtenbesuches in der SBZ von dem "Techniker S c h n e i d e r von der Industrieberatung für Forschung und Entwicklung -- Leipzig" zu einem "Einzelgespräch" eingeladen. Es ging zunächst um den Vergleich der Produktion in "beiden Staaten". S c h n e i d e r zeigte sich sehr kundig. Es wurden auch einige politische Fragen erörtert. Zum Schluß der Besprechung bat S c h n e i d e r A., technische Literatur zu übersenden. Die Auslagen wollte S c h n e i d e r nach Empfang des Materials ersetzen. A. sollte ihn etwa zwei Monate später in Erfurt oder Leipzig besuchen. S c h n e i d e r versprach, eine Genehmigung für die Einreise mit dem Pkw zu besorgen. Von einer nachrichtendienstlichen Mitarbeit war bei diesem Gespräch noch keine Rede. Die Übersendung von Prospektmaterial oder Fachliteratur benutzen die VfK-Angehörigen später als Druckmittel. Sie geben dem Besucher zu verstehen, daß er in der Bundesrepublik Unannehmlichkeiten habe, wenn die Verbindung bekannt werde. In einem anderen Fall wurde der Ingenieur F. aus einem Flugzeugwerk während eines Verwandtenbesuchs in Magdeburg vom VfK-Angehörigen M ü l l e r angesprochen. M ü l l e r bat um einen Erfahrungsaustausch über den Arbeitsund Fertigungsablauf in F's Betrieb. Als F. erklärte, er habe keinen Überblick, wollte M ü l l e r Einzelheiten aus F's engerem Arbeitsgebiet wissen. S c h n e i d e r und M ü l l e r sind beim Verfassungsschutz aus mehreren Fällen als Angehörige des sowjetzonalen militärischen Nachrichtendienstes bekannt. Mit Vorliebe nahmen MfS-Angehörige angebliche Unstimmigkeiten in den Reisepapieren zum Anlaß, durchreisende Personen aus der Bundesrepublik im Inter! zonenzug nachrichtendienstlich anzusprechen. Die "Aussprache" fand meist in einem Dienstabteil statt. Es ist bekannt, daß das MfS einen Teil des Zugbegleitpersonals der Interzonenzüge zu Hilfsdiensten heran116 zieht. Reichsbahnangehörige müssen beispielsweise mitreisende MfS-Offiziere über bestimmte Fahrgäste unterrichten und besondere Beobachtungen melden. Auch MITROPA-Bedienstete und Begleiter der ReichsbahnLiegewagen haben MfS-Offiziere zu unterstützen. Wenn sich der sowjetzonale Nachrichtendienst für einen Besucher der SBZ oder Ostberlins besonders interessierte, sprach er ihn oft am Besuchsziel an. Neuerdings wurde festgestellt, daß das MfS in verstärktem Maße die besuchten Verwandten oder Bekannten zwingt, bei der Anbahnung des Besuchers aus der Bundesrepublik mitzuhelfen. Alle Angaben über die persönlichen Verhältnisse des Besuchers erfährt das MfS schon vor der Einreise, da es alle Anträge auf Aufenthaltsgenehmigung auswertet. Um die Bereitschaft eines angesprochenen Besuchers zu fördern, ließen die ND-Angehörigen häufig durchblicken, daß sie zusätzliche Aufenthaltsgenehmigung für Verwandtenbesuche und andere SBZ-Reisen beschaffen könnten. Auch die Einreiseerlaubnis zum Mitführen eines Pkw wurde häufig in Aussicht gestellt. Auch großzügiger "Auslagenersatz" ist gewährt oder versprochen worden. Wenn der Besucher Geld angenommen oder Bücher u. ä. beschafft hatte, wurde er häufig unter Druck gesetzt und schriftlich zur Mitarbeit für das MfS oder die VfK verpflichtet. Wenn die Reisepapiere in Ordnung waren und Reisende die gesetzlichen Bestimmungen der SBZ, insbesondere diejenigen über das Mitführen von Gegenständen und Devisen beachteten und keine Druckmittel gegen sich schufen, besteht keine unmittelbare Gefährdung durch solche Ansprachen. Es hat sich als vorteilhaft erwiesen, keine betriebsinternen Ausweise, Dienstausweise oder solche Schriftstücke mitzunehmen, die auf eine Tätigkeit im öffentlichen Dienst, insbesondere in der Bundeswehr hinweisen. Das MfS benutzt bei Kontrollen auf den Interzonen-Auto! bahnen, auf Autobahn-Parkplätzen und in Rasthäusern Kraftfahrzeuge westlicher Bauart mit amtlichen Kennzeichen der Bundesrepublik. Diese Überwachung dient dazu, 117 Kontakte von Besuchern aus westlichen Ländern, insbesondere aus der Bundesrepublik, mit Personen aus der SBZ sowie Fluchtversuche unauffälliger zu erkennen. Es liegen auch Informationen vor, nach denen das MfS westliche Kraftfahrzeuge mit Zoll-Kennzeichen und mit österreichischen Kennzeichen verwendet hat. Aus unbegründeter Angst vor Nachteilen in der Bundesrepublik meldeten SBZ-Besucher eine verdächtige Ansprache häufig nicht von sich aus. Gerade in diesen Fällen boten sich Ansatzpunkte für eine endgültige nachrichtendienstliche Verstrickung. Die Ämter für Verfassungsschutz sind in der Lage, die Ansprache richtig zu werten und den Betroffenen entsprechend zu beraten. Bei einer Offenbarung bei den Ämtern für Verfassungsschutz ist auch die Gewähr dafür gegeben, daß der Kreis der Mitwisser auf den dienstlichen Bereich beschränkt bleibt. 2. Werbungsmethoden in den übrigen Ostblockstaaten Besonders ausgeprägt ist in den übrigen Ostblockstaaten die bis ins einzelne gehende Überwachung von westlichen Besuchern. Das zeigt sich z. B. bei dem Reiseverkehr in die Tschechoslowakei. Dort beginnt die Überwachung eines Besuchers aus dem westlichen Ausland bereits bei den Kontrollen an den Grenzübergängen. In den Auto-ServiceStationen, in Reiseund Auskunftsbüros, bei der Fremdenführung und im Dolmetscherdienst sind offizielle und inoffizielle Mitarbeiter der Nachrichtendienste eingesetzt. Die Überwachung der Ausländer konzentriert sich vor allem auf die Hotels und Pensionen. In jedem Hotel, das ausländische Gäste beherbergt, üben die Nachrichtendienste die Kontrolle aus. In den Direktionen der Hotels befindet sich jeweils ein hauptamtlicher Mitarbeiter, der die Ausländerüberwachung leitet. Die eigentliche Kontrolle im Hotel beginnt schon beim Empfang. Der Empfangsangestellte hat für ausländische Gäste ein besonderes Buch mit einem Zusatzheft, in das neben den Personalien des Gastes Angaben über das Kraftfahrzeug-Kennzeichen, überBegleitpersonen sowie andere Tatsachen eingetragen werden. 118 Jedes Telefongespräch, das der Besucher führt, wird mit Angabe des Teilnehmers vermerkt. Über Hotelgäste, die vom Nachrichtendienst besonders bezeichnet wurden, muß der Empfangsangestellte einen schriftlichen Bericht fertigen. Ein Angehöriger des Nachrichtendienstes holt die Eintragungen im Gästebuch und die Berichte täglich ab. Sie werden geprüft, ob Ansatzpunkte für eine nachrichtendienstliche Werbung gegeben sind oder ob ein Besucher nachrichtendienstlich verdächtig erscheint. Auch Zimmermädchen, Serviererinnen, Kellner u. a. sind für den Nachrichtendienst tätig. Sie kontrollieren z. B. auftragsgemäß den Koffer eines Gastes oder untersuchen den Inhalt der Papierkörbe. Ist ein westlicher Besucher von besonderem Interesse, versucht der Nachrichtendienst, ihn durch Druckmittel für seine Zwecke gefügig zu machen. So wurde beispielsweise in einem Fall ein Mädchen an den Gast "herangespielt", das es verstand, ihn in eine verfängliche Situation zu bringen, die dann fotografisch festgehalten wurde. In gleicher Weise wurden Homosexuelle eingesetzt. In einzelnen Hotelzimmern waren versteckte Kameras oder Abhöranlagen installiert. In letzter Zeit ist wieder mehrfach bekannt geworden, daß Geschäftsleute aus der Bundesrepublik bei ihren Bemühungen um geschäftliche Verbindung mit den staatlichen Handelsorganisationen kommunistischer Länder von Angehörigen östlicher Nachrichtendienste angesprochen wurden. In allen staatlichen Handelsorganisationen sind Mitarbeiter der Nachrichtendienste tätig. Vielen Kaufleuten wurde ein guter Geschäftsabschluß in Aussicht gestellt. Dabei gab der Gesprächspartner jeweils zu verstehen, daß die erforderlichen Genehmigungen anderer Dienststellen leichter zu erhalten seien, wenn der deutsche Kaufmann sich zu "gewissen Gefälligkeiten" bereiterkläre. Diese "Gefälligkeiten" erschienen zunächst harmlos. Sie waren aber in der Regel bereits der Beginn einer nachrichtendienstlichen Verstrickung. Die kommunistischen Nachrichtendienste wandten diese Methode insbesondere bei Geschäftsleuten an, die wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten oder aus anderen Gründen ein sehr starkes Interesse an Geschäftsabschlüssen zeigten. 119 3. Werbungsmethoden im Bundesgebiet Die SBZ-Nachrichtendienste versuchten auch in zahlreichen Fällen, besonders geschickt getarnte Ansprachen in der Bundesrepublik durchzuführen. Die "Werber" aus der SBZ, geheime Mitarbeiter der Nachrichtendienste, führten die Ansprache regelmäßig unter "falscher Flagge" durch. Sie besaßen total gefälschte Bundespersonalausweise. Ihre Aufgabe war es, vom Nachrichtendienst bezeichnete Personen unauffällig anzusprechen, mit ihnen näher bekannt zu werden und sie schließlich nach Berlin oder in die SBZ zu locken, wo dann eine nachrichtendienstliche Ansprache erfolgen sollte. Die Werber bemühten sich auch, in der Bundesrepublik Personen, die früher geworben worden waren, an ihre Verpflichtung zu erinnern. Mitarbeiter des sowjetischen Nachrichtendienstes versuchten auch noch im Berichtszeitraum -- teilweise unter Drohungen -- ehemalige Kriegsgefangene, die während der Gefangenschaft verpflichtet worden waren, zur Mitarbeit zu bewegen. Einige Instrukteure und Werber konnten im Laufe des Jahres 1968 festgenommen werden. U. a. wurde in Norddeutschland ein Mitarbeiter des sowjetzonalen Nachrichtendienstes festgenommen, als er einem Agenten eine Kamera für Dokumentenfotografie überbringen wollte. Ein Werber aus der SBZ, der bereits mehrere Personen unter "falscher Flagge" angesprochen hatte, konnte ebenfalls im norddeutschen Raum festgenommen werden. Beide gaben sich -- wie andere festgenommene geheime Mitarbeiter -- als Bürger der Bundesrepublik aus. Sie besaßen neben den sowjetzonalen Ausweisen total gefälschte Bundespersonalausweise. Die Kuriere und Instrukteure erteilten den Agenten in der Bundesrepublik neue Aufträge, überbrachten Geld oder nachrichtendienstliche Hilfsmittel und versuchten, Agenten ideologisch zu schulen. 120 Besonders auffallend waren im Jahre 1968 die Ansprachen vieler Bundesbürger durch gezielte Briefe, insbesondere Schreiben des sowjetzonalen militärischen Nachrichtendienstes VfK. Nach den Versuchen der vergangenen Jahre, durch Versenden von "Preisausschreiben" und "Meinungstests" mit möglichst vielen Personen aus der Bundesrepublik ins Gespräch zu kommen, bemühten sich im Jahre 1968 ND-Angehörige im besonderen Maße, durch Versenden persönlich gehaltener Briefe Kontakte herzustellen. Den Adressaten wurde beispielsweise erklärt, sie seien besonders empfohlen worden. Man forderte sie auf, bestimmte "Erhebungen" durchzuführen oder Material für die Erstellung eines Buches oder für eine Fachzeitschrift zu liefern. Dafür wurde ein guter und ständiger Nebenverdienst in Aussicht gestellt. Bei Neuvermählten versprach man im Hinblick auf die finanzielle Belastung, die mit der Gründung eines Hausstandes verbunden ist, guten Nebenverdienst. V I . Spionageereignisse im Jahre 1968 Im Berichtsjahr 1968 wurde durch die Staatsschutzbehörden wiederum eine Reihe von Spionagefällen aufgedeckt, von denen die folgenden erwähnt werden sollten, zumal darüber z. T. unzutreffend in den Publikationsorganen berichtet worden ist. 1. Aufdeckung einer "Verbindungsresidentur" Die Bemühungen der Hauptverwaltung Aufklärung des MfS (HVA/MfS) um die Errichtung von Verbindungsnetzen in neutralen Ländern, die in Krisenzeiten benutzt werden sollen, traten bei der Aufdeckung eines solchen Netzes in Skandinavien zutage. Der Wirtschaftsingenieur Holm Gustav H a a s e aus Leipzig, der in Kopenhagen verhaftet wurde, gehörte der im Aufbau befindlichen Verbindungsresidentur an. H a a s e erfuhr von seinem Führungsoffizier folgende Einzelheiten über die Aufgaben der Verbinds! residenturen: Die HVA benötige bei Schließung der Demarkationslinie oder Ausbruch eines bewaffneten Konflikts zuverlässige 121 nachrichtendienstliche Postverbindungen für die sichere Beförderung von "Arbeitsergebnissen" ihrer Agenten in der Bundesrepublik und den anderen NATO-Staaten über das neutrale Ausland. Vorbeugend bemühe sich deshalb die HVA, vorwiegend in neutralen Staaten Europas zuverlässige Mitarbeiter anzuwerben oder einzuschleusen, die in Krisenzeiten das Material in die SBZ weiterzuleiten hätten. Die HVA gehe davon aus, daß in Krisenzeiten die postalischen Verbindungen der neutralen Staaten zur SBZ normal und unzensiert blieben. In mehreren Fällen ist die Suche der HVA nach geeigneten Mitarbeitern in Nachbarländern der Bundesrepublik bekannt geworden. Bei der Anwerbung wiesen die HVA-An! gehörigen häufig darauf hin, daß die Mitarbeit nicht ungesetzlich sei, da sich die Tätigkeit nicht gegen den neutralen Staat, sondern ausschließlich gegen die "imperialistischen Kriegstreiber in Westdeutschland" richte. Dabei kommen der HVA vorhandene Ressentiments gegen die Bundesrepublik zugute. Die HVA war sogar bereit, das Recht, die Mitarbeit gegen das eigene Land zu verweigern, in den Text einer Verpflichtungserklärung aufzunehmen. 2. Wissenschaftler als Spione Als im Sommer 1968 im Anschluß an die Festnahme einer Reihe kommunistischer Agenten fünf Wissenschaftler und zwei Ingenieure in die SBZ flüchteten, ergaben die Ermittlungen, daß fast alle in den Jahren 1958 bis 1961 nach Abschluß ihrer Studien in die Bundesrepublik Deutschland "geflüchtet" waren. Als Fluchtgrund hatten nahezu alle Behinderungen in der beruflichen Fortbildung durch das SBZ-Regime angegeben. Fünf der Flüchtlinge haben vor ihrer Flucht nachweislich kommunistischen Organisationen angehört. Es handelt sich um: * Physiker Hans W i e c z o r e k geb. 14. 7. 1933 in Jena, beschäftigt im Laboratorium Prof. Dr. B e r t h o I d , Strahlenmeßtechnik, Wildbad, zuletzt wohnhaft in Waldrennbach Krs. Calw. 122 W i e c z o r e k war Anfang 1958 mit seiner Ehefrau in die Bundesrepublik "geflüchtet". Beide waren in der SBZ Mitglieder der "Freien Deutschen Jugend" (FDJ), der "Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft" (DSF) und des "Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes" (FDGB). Von 1953--1956 studierte W. Physik an der Universität Jena. Als Fluchtgrund gab W. an, er habe in der SBZ keine fachlichen Entwicklungsmöglichkeiten gehabt. W. erhielt nach seiner Übersiedlung eine Stelle im Laboratorium von Prof. Dr. B e r t h o I d . Am 17. 8. 1968 reiste W. mit seinen Kindern in die SBZ zum Besuch seiner Mutter. Er kehrte nicht zurück. * Dipl.-Physiker Dr. Klaus Gerd B r e u e r , geb. 17. 2. 1935 in Frankfurt/Main, Assistent am Institut für Kernphysik der Universität Frankfurt/Main, zuletzt wohnhaft in Frankfurt/Main. B r e u e r hatte in der SBZ der SED, der FDJ, der "Gesellschaft für Sport und Technik" (GST), der DSF und dem FDGB angehört. Seine Ehefrau war ebenfalls Mitglied verschiedener politischer Organisationen in der SBZ gewesen. Mit Hilfe seines Bruders, der im Jahre 1955 in die Bundesrepublik übergesiedelt war, "flüchtete" B. am 26. 12. 1961 mit seiner Ehefrau im umgebauten VW seines Bruders in die Bundesrepublik. Als Fluchtgrund gab B. an, er habe nach seinem Studium in einem Betrieb arbeiten müssen und habe keine wissenschaftliche Tätigkeit ausüben dürfen. Sein Bruder verhalf ihm zu einer Assistentenstelle am Institut für Kernphysik der Universität Frankfurt/Main. B r e u e r , der am 23. 8. 1968 von seinem Urlaub zurückkehren sollte, hat sich -- vermutlich über Dänemark -- in die SBZ begeben. * Dipl.-Physiker Herbert P a t z e l t , geb. 11. 11. 1932 in Reichenberg/CSSR, beschäftigt in der Dokumentationsabteiliung bei EURATOM in Brüssel, zuletzt wohnhaft in Brüssel, Rue Meyerbeer 24. 123 P a t z e l t hatte die SBZ 1959 unmittelbar nach Abschluß seines Physikstudiums an der Universität Rostock verlassen. Er war Mitglied der FDJ, der GST, des FDGB sowie Kandidat der SED gewesen. In seiner Fluchtbegründung gab er an, er habe sich sachlich und wissenschaftlich weiterbilden wollen, was sich aber unter dem herrschenden System in der SBZ nicht habe verwirklichen lassen. Unmittelbar nach seiner "Flucht" erhielt P. eine Anstellung als Kernphysiker bei der Gesellschaft für Kernenergieverwertung in Hamburg, später bei der Gesellschaft für Kernforschung in Karlsruhe. Ab Juli 1966 war P. bei EURATOM in Brüssel in der Dokumentationsabteilung, in der vor Jahren bereits eine Agentin des MfS tätig gewesen war. * Mikro-Biologe Dr. Ehrenfried P e t r a s geb. 8. 5. 1930 in Breslau, Laborleiter im Institut für Aero-Biologie in Grafschaft (Sauerland) zuletzt wohnhaft in Fredeburg Krs. Meschede. P e t r a s , der von 1950 bis 1952 an der Universität Jena studiert hatte, war angeblich als Bürger der Bundesrepublik zwangsexmatrikuliert worden. Er gehörte bis 1952 der FDJ in der Bundesrepublik an und war Mitglied der KPD. P. war seit dem 1. 2. 1960 als Mikrobiologe Mitarbeiter am Institut für Aerobiologie in Grafschaft (Sauerland). Zum 31. 12. 1968 war ihm das Beschäftigungsverhältnis gekündigt worden. Am 18. 11. 1968, seinem ersten Urlaubstag, wurde P. zum letzten Mal in seiner Wohnung gesehen. * Dipl.-Physiker Dr. Peter M ö b i u s , geb. 6. 6. 1930 in Meißen/Sachsen, Mitarbeiter im physikalisch-technischen Institut der TH Karlsruhe, zuletzt wohnhaft in Karlsruhe. M ö b i u s war 1957 mit seiner Ehefrau nach einem Studienaufenthalt in Kopenhagen in die Bundesrepublik gekommen. Bis 1956 hatten die Eheleute M ö b i u s ihren 124 ständigen Wohnsitz in Dresden gehabt. Sie durchliefen in der Bundesrepublik kein Notaufnahmeverfahren. Nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik war M ö b i u s bis 1959 als Physiker an der Universität Göttingen tätig. Danach war er bis 1964 Assistent am Institut für theoretische Physik der Technischen Hochschule Aachen und ab 1964 an der Hochschule in Wien als Physiker beschäftigt. 1966 nahm er eine Tätigkeit an der Universität in Lund/ Schweden auf. Zum Zeitpunkt seiner Flucht am 13. 12. 1968 war M ö b i u s Mitarbeiter an der Technischen Hochschule Karlsruhe. * Ingenieur Hermann S t e f f e n , geb. 10.4.1931 in Bartelshagen Krs. Ribnitz, beschäftigt gewesen bei MAN-Turbo in München-Allach, zuletzt wohnhaft in München. Im Oktober 1960 war S t e f f e n mit seiner Familie in die Bundesrepublik "geflüchtet". S t e f f e n war Mitglied der SED, des FDGB und der DSF gewesen. Von 1954 bis 1958 besuchte er die Ingenieurschule für Flugzeugbau in Dresden. Bis zu seiner Flucht war er beim VEB-Industrie! werk Ludwigsfelde (Serienwerk für Strahlenbetriebe) tätig. Als Fluchtgrund gab S t e f f e n an, er sei mit den politischen Maßnahmen des sowjetzonalen Systems, insbesondere mit der Zwangskollektivierung der Landwirtschaft, von der auch sein Vater betroffen gewesen sei, nicht mehr einverstanden gewesen. Nach seiner "Flucht" war S t e f f e n als Ingenieur bei den Bayerischen Motorenwerken (Triebwerkbau) und bei MAN-Turbo beschäftigt. Am 31. 7. 1968 schied S t e f f e n aus der Firma MAN aus. Er begab sich zu einem noch nicht näher festgestellten Zeitpunkt in die SBZ. * Ingenieur Hans E s c h h o l z , geb. 8. 3.1915 in Berlin, beschäftigt gewesen bei der Gutehoffnungshütte in Oberhausen, zuletzt wohnhaft in Oberhausen. 125 E s c h h o l z ist vermutlich im August 1960 in die Bundesrepublik gekommen. Er war anläßlich der Leipziger Messe von der Gutehoffnungshütte Oberhausen angeworben worden. Seine Familie blieb in der SBZ. E. war bis zur Rückkehr in die SBZ als Ingenieur in der Abteilung "Werksanlagen" beschäftigt. Von seinem Weihnachtsurlaub 1968 kehrte E. nicht zurück. Auf Grund der vorliegenden Erkenntnisse und Erfahrungen ist anzunehmen, daß alle diese Wissenschaftler für die ostzonale Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) in der Bundesrepublik nachrichtendienstlich tätig waren. Im Dezember wurden zunächst P e t r a s , P a t z e l t und M ö b i u s im sowjetzonalen Fernsehen, danach alle Wissenschaftler und Ingenieure gemeinsam auf einer Pressekonferenz vorgestellt. Hierzu ist zu bemerken, daß die öffentliche Vorstellung von geheimen Mitarbeitern der HVA nicht außergewöhnlich ist. Hierzu entschließt sich die SBZ, wenn sie sich davon eine politische oder propagandistische Wirkung verspricht. Die vorgestellten Personen begründeten ihren Übertritt in die SBZ meistens mit "Gewissenskonflikten", denen sie bei ihrer Tätigkeit in der Bundesrepublik ausgesetzt gewesen seien. In jedem Fall wurde die vorherige "Flucht" aus der SBZ in die Bundesrepublik verschwiegen. Das SED-Organ "Neues Deutschland" behauptete bei der Publikation dieser Fälle erneut, die Bundesrepublik strebe nach nuklearen Waffen und betreibe Kriegsvorbereitungen. Es stellte dabei einen Zusammenhang mit der "Weigerung der Unterzeichnung des Atomsperrvertrages durch die Bundesrepublik" her. 3. Die " Selbstmordfälle" Als sich im Oktober und November 1968 im Bereich der zivilen und militärischen Bundesbehörden mehrere Selbstmordfälle ereigneten, vermutete die Öffentlichkeit -- unterstützt durch von Massenmedien ausgesprochene Mut126 maßungen -- einen größeren nachrichtendienstlichen Zusammenhang zwischen den einzelnen Vorfällen und sprach von einer "Spionageaffäre". Der Selbstmord des leitenden Mitarbeiters des Bundesnachrichtendienstes, Horst W e n d I a n d , am 7. 10. 1968, hatte die Diskussion in der Öffentlichkeit ausgelöst. Als wenige Tage später der Tod des Flottillenadmirals L ü d k e bekannt wurde, stellten Zeitungen zu Unrecht eine Verbindung zwischen beiden Fällen her. Die Gründe für W e n d l a n d s Selbstmord waren persönlicher Natur. L ü d k e geriet in Spionageverdacht, als er einen Film, der neben privaten Aufnahmen auch geheime NATO-Doku! mente zeigte, in einem Bonner Fotogeschäft hatte entwickeln lassen. Die Mutmaßungen erreichten ihren Höhepunkt, als in den folgenden Wochen weitere Selbstmordfälle aus Bundesbehörden und der Diebstahl der Side! winder-Rakete bekannt wurden. Allen Selbstmordfällen mit Ausnahme des Falles L ü d k e lagen nach den Feststellungen der Behörden private Motive zugrunde. Obwohl die zuständigen Stellen dies immer wieder betonten, setzten die Publikationsorgane ihre Vermutungen über nachrichtendienstliche Zusammenhänge fort. Die Ermittlungen im Falle des Flottillenadmirals L ü d k e sind noch nicht abgeschlossen. VII. Sonstige Erfahrungen aus der Spionageabwehr Wie in jedem Jahr konnten auch 1968 wichtige grundsätzliche Erkenntnisse über die Spionagetätigkeit des Gegners gewonnen werden. 1. Überläufer Eine wesentliche Quelle für das Erkennen kommunistischer Agenten und Agentenringe stellen die zahlreichen Überläufer dar, die des Dienstes für ihre östlichen Nachrichtenzentralen überdrüssig und bereit sind, ihr zuweilen umfangreiches nachrichtendienstliches Wissen zu offenbaren. 127 In der Regel kennen diese Überläufer der eigenen Vorteile wegen keine Bedenken, die ihnen bekannten Mitarbeiter ihrer seitherigen Auftraggeber aufzudecken und damit deren Festnahme zu ermöglichen. Auch im Jahre 1968 liefen wieder mehrere Angehörige kommunistischer Geheimdienste in die Bundesrepublik oder andere westliche Länder über. Sie brachten den Staatsschutzbehörden wertvolle Hinweise, die zum Teil zur sofortigen Festnahme von Agenten in der Bundesrepublik führten. Vielfach reichten jedoch die Hinweise für eine sofortige Identifizierung von Agenten nicht aus. Den Ämtern für Verfassungsschutz und den übrigen Sicherheitsbehörden gelang es dann erst nach und nach, in aufwendiger und zeitraubender Kleinarbeit die meist vagen Hinweise zu erhärten und die Agenten zu ermitteln. Das war auch der Grund dafür, daß die Mitarbeiter gegnerischer Dienste oft noch gewarnt und in den Osten zurückgerufen werden konnten. Häufig lagen bei den Staatsschutzbehörden auch schon unvollständige Erkenntnisse über Agenten vor, die durch die Überläuferangaben ergänzt werden konnten. Zu den Überläufern, die 1968 flüchteten, gehörten u. a. mehrere tschechoslowakische ND-Angehörige. Ihre Angaben führten in einer Reihe von Fällen zu Ermittlungsverfahren wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für den CSSRNachrichtendienst. Nicht alle Überläufer wurden der Öffentlichkeit bekannt. Aus Sicherheitsgründen mußten die Namen vieler Überläufer geheim gehalten werden. 2. Ausweisfälschungen Anfang November 1968 berichtete die Presse, daß ein Agent aus dem Bundeskriminalamt die Rezeptur für die Herstellung des Sicherheitspapiers für Bundespersonalausweisund Reisepaßformulare an einen östlichen Nachrichtendienst verraten habe. Diese Meldung ist falsch. Wie Untersuchungen und Ermittlungen der zuständigen Behörden ergaben, sind die sowjetzonalen Nachrichtendienste seit langem im Besitz der Rezeptur für das Sicher128 heitspapier, das in der Bundesrepublik für die Herstellung von Vordrucken der Bundespersonalausweise und Reisepässe verwendet wird. Diese Kenntnis dürfte auch anderen Nachrichtendiensten des Ostblocks zur Verfügung gestellt worden sein. Technik der Fälschung: * In allen Fällen handelte es sich um Totalfälschungen, die mit Seriennummern existierender Bundespersonalausweise versehen waren. * Die Fälschungen waren von hervorragender drucktechnischer Qualität. * Papierzusammensetzung und Wasserzeichen der Falsifikate stimmten mit den echten Papieren überein. * Dienstsiegel und Dienststempel, Unterschriften der ausstellenden Beamten sowie die Ausstellungsund Gültigkeitsdaten auf den Fälschungen glichen den echten Gegenstücken. In fast allen Fällen war bei den Falsifikaten die besondere Ausfüllungsart (Handschrift, Schreibmaschine oder Druck) der Ausstellungsbehörde berücksichtigt. Die Fälscherarbeit ist präzis. Sogar Fehler des Paßamtes wurden nachvollzogen. Vorlagen erhielt das MfS an den Grenzübergangsstellen mit Hilfe der Paßkontrolleinheiten der HPF (Hauptabteilung für Paßkontrolle und Fahndung). Diese Hauptabteilung hat das MfS zu einem umfangreichen und wirksamen Fahndungsapparat ausgebaut. Jeder Grenzübergang von der SBZ zum westlichen und östlichen Ausland sowie nach Berlin (West) ist von Angehörigen der HPF in wechselnder Stärke besetzt. Die HPF ist vor allem für die Kontrolle aller Ein-, Ausund Durchreisenden verantwortlich. Ferner wird im Rahmen eines nahezu perfekten Fahndungsdienstes die HPF sowohl von den Nachrichtendiensten der SBZ als auch von anderen staatlichen Stellen in Anspruch genommen. 129 3. Behandlung desertierter Bundeswehrsoldaten in der SBZ Die sowjetzonalen Nachrichtendienste unterhalten Sonderlager zur Befragung von ehemaligen und desertierten Bundeswehrangehörigen sowie von Angehörigen der übrigen NATO-Armeen und des Bundesgrenzschutzes. Im Regelfall erfolgt kurze Zeit nach dem Überschreiten der Demarkationslinie eine erste eingehende Befragung über militärische Kenntnisse, wobei der Deserteur häufig Skizzen über Bundeswehreinrichtungen fertigen muß. Innerhalb von zwei Tagen wird er dann in ein Lager eingewiesen. Dort werden dem Deserteur die Privatsachen abgenommen, die er erst am Tage der Entlassung zurückerhält. Der Lageraufenthalt erstreckt sich in der Regel über 2--3 Monate. Die Insassen dürfen sich untereinander nur mit Vornamen anreden. Es ist ihnen untersagt, sich über ihre Vergangenheit und über die Befragungsthemen zu unterhalten. Während des Aufenthalts gibt es keine Ausgangsgenehmigung. Die Deserteure müssen Angaben über die persönlichen und familiären Verhältnisse sowie über den Fluchtgrund machen. Bei der Befragung über das militärische Wissen interessieren besonders Namen und Charakteristiken ehemaliger Kameraden und Vorgesetzter, wobei besonderer Wert auf etwaige Schwächen und Verfehlungen dieser Personen gelegt wird. Hierdurch sollen möglicherweise Hinweise für eine Anbahnung neuer Quellen in der Bundeswehr erlangt werden. Diese Erkenntnisse werden auch in den Sendungen des "Deutschen Soldatensenders 935" und den Hetzbroschüren der SBZ propagandistisch genutzt. Ziel der Befragung ist es, das gesamte militärische Wissen des Deserteurs zu erfahren. Bei der Entlassung werden die Lagerinsassen schriftlich verpflichtet, mit niemandem über die Existenz des Lagers und die Befragung zu sprechen. Für Kontaktzwecke bei evtl. späteren persönlichen Schwierigkeiten erhalten die Entlassenen Deckanschriften. 130 Die wesentlichen Bestimmungen einer Dienstanweisung der Hauptabteilung Paß und Fahndung (HPF) des MfS über die Behandlung von "Überläufern" aus dem Westen an den Grenzübergangsstellen lauten: * "Auf der Grundlage des Befehls Nr. 27/67 des Ministers für Staatssicherheit vom 25. 7. 1967 über die politisch-operative Bearbeitung von Überläufern und in Durchführung der dazu vom 1. Stellvertreter des Ministers erlassenen 1. Durchführungsbestimmung sowie zur Gewährleistung einer einheitlichen und den politischoperativen Erfordernissen entsprechende Verfahrenweise bei der Feststellung von Überläufern an den Grenzübergangsstellen der Staatsgrenze der Deutschen Demokratischen Republik weise ich an: * 1. Überläufer (alle Angehörigen und Reservisten der Bundeswehr, der übrigen NATO-Armeen sowie anderer bewaffneter Organe Westdeutschlands, Westberlins und des kapitalistischen Auslandes sowie Personen, die zu diesen militärischen Verbänden gemustert wurden), sowie sie begleitende Personen (Familienangehörige u. a.) sind bei Eintreffen an den Grenzübergangsstellen sofort vom übrigen grenzüberschreitenden Verkehr zu isolieren. Es ist zu gewährleisten, daß Unbefugte (Reisende, andere um Aufnahme bzw. Asyl ersuchende Personen, Mitarbeiter der an der Grenzübergangsstelle tätigen Organe) keine Kenntnis von der Tatsache des Eintreffens eines Überläufers erhalten und mit diesen nicht in Verbindung treten können. Gleichzeitig sind Überläufer durch geeignete gedeckte Maßnahmen so zu überwachen, daß durch sie die Sicherheit an der Grenzübergangsstelle nicht gefährdet werden kann. * 2. Unmittelbar nach Eintreffen sind Überläufer und sie begleitende Personen fahndungsmäßig zu überprüfen. 131 * 3. Handelt es sich bei den Überläufern um -- Angehörige der Bundeswehr im Offiziersrang, die außerhalb des Grenzvorfeldes (30 km) stationiert sind, -- Personen, die in einem Dienstoder Arbeitsverhältnis beim Bonner Kriegsministerium beschäftigt waren, -- Angehörige der übrigen NATO-Streitkräfte, ist sofort über den Leiter der Abteilung Paßkontrolle und Fahndung der Bezirksverwaltung der Leiter der Abteilung XV der Bezirksverwaltung zu verständigen. Von den Paßkontrolleinheiten in der Hauptstadt der DDR, Berlin ist über den ODH1) der Hauptabteilung der Leiter der Abteilung XV der Verwaltung Groß-Berlin zu verständigen. Bei allen anderen Überläufern ist sofort auf dem gleichen Weg die zuständige Operativ-Gruppe der Hauptabteilung I/Abteilung Aufklärung beim Kommando der Grenztruppen zu verständigen. Von den Paßkontrolleinheiten in der Hauptstadt der DDR, Berlin, ist über den ODH der Hauptabteilung die Hauptabteilung I/Abteilung Aufklärung B zu verständigen. Bei der Verständigung dieser Diensteinheiten ist gleichzeitig das Ergebnis der fahndungsmäßigen Überprüfung mitzuteilen. * 4. Alle weiteren Maßnahmen werden von den verständigten Diensteinheiten festgelegt und durchgeführt." 1 ) Offizier, diensthabender VIII. Verurteilungen wegen Spionagetätigkeit Im Jahre 1968 sind in der Bundesrepublik 85 Personen wegen landesverräterischer Beziehungen zu kommunistischen Nachrichtendiensten verurteilt worden. Im Jahre 1967 waren es 126 Personen. Der Rückgang der Verurteilungen ist offensichtlich eine Auswirkung des am 1. 8. 1968 in Kraft getretenen Straffreiheitsgesetzes. 80 Verurteilte hatten Beziehungen zu einem sowjetzonalen, 3 zu einem tschechoslowakischen und 2 zu einem sowjetischen Nachrichtendienst. 132 Ver f ah r en und Verur teilungen in Staatsschutzsachen I. Nach Feststellungen des Bundesministers der Justiz sind im Jahre 1968 folgende S t r a f v e r f a h r e n in S t a a t s s c h u t z s a c h e n eingeleitet bzw. durchgeführt worden: 1. Rechtskräftige Verurteilungen im Jahre 1968: a) B i s zum Inkrafttreten des 8. Strafrechtsänderungsgesetzes (31. Juli 1968) 105 Personen (wegen Staatsgefährdung 38 und wegen Landesverrats 67 Personen). b) N a c h dem Inkrafttreten des 8. Strafrechtsänderungsgesetzes (1. August 1968) 31 Personen (wegen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates 2 und wegen Landesverrats und Gefährdung der äußeren Sicherheit 29 Personen). 2. Anhängige Verfahren am 31.12.1S68: a) Staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren: 865, (wegen Hochverrats 1, wegen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates 219, wegen Landesverrats und Gefährdung der äußeren Sicherheit 643 und wegen Straftaten gegen die Verfassungsorgane 2 Verfahren). b) Gerichtliche Verfahren: 91, (wegen Hochverrats 2, wegen Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates 24 und wegen Landesverrats und Gefährdung der äußeren Sicherheit 65 Verfahren). 3. Strafhaft am 31.12.1968: 29 Personen, (wegen Landesverrats und Gefährdung der äußeren Sicherheit). 133 Verfahren und Verurteilungen wegen Beteiligung an Ausschreibungen bei Demonstrationen sind nicht zentral erfaßt worden. Sie sind in der vorstehenden Statistik nicht enthalten. II. Die im ersten Teil (Rechtsradikalismus) Seite 44ff aufgeführten Zahlen sind mit der Statistik unter I. nur bedingt vergleichbar. Die Ausschreitungen mit rechtsradikalem Hintergrund wurden nach dem äußeren Erscheinungsbild und der politischen Motivation erfaßt, so daß das Ergebnis der Zählungen nicht auf die eigentlichen Staatsschutzdelikte beschränkt blieb. III. Die im dritten Teil (Spionageabwehr) Seite 132 genannten 85 Verurteilungen wegen landesverräterischer Beziehungen zu kommunistischen Nachrichtendiensten sind nur zum Teil rechtskräftig, so daß auch insoweit ein Vergleich mit der Statistik unter I. nicht möglich ist. IV. Auf dem Gebiet des Linksradikalismus liegen keine einschlägigen Statistiken für das Jahr 1968 vor. 134 Anhang Mitgliederentwicklung im organisierten Rechtsradikalismus von 1960--1968 136 Die Entwicklung der NPD-Landesverbände 137 Die Berufsund Sozialschichtung der NPD-Mitglieder 138 Die Auflagenentwicklung der NPD-Organe 139 NPD-Schwerpunkte bei den Landtagswahlen am 28. 4 . 1968 i n Baden-Württemberg . . . . 140 Die Auflagenentwicklung der "Deutschen NationalZeitung" mit ihren Nebenausgaben . . . . 141 Schlagzeilen der "Deutschen National-Zeitung" 142 Wahlparolen und Schlagzeilen der NPD . 143 Internationaler Faschismus (Presse-Schlagzeilen) . 144 Erscheinungsformen nazistischer und antisemitischer Vorkommnisse 1965--1968 145 Die Strafverfolgung nazistischer und antisemitischer Ausschreitungen 146 Auflagenentwicklung der kommunistischen und kommunistisch beeinflußten periodischen Schriften 147 Sowjetzonale Funktionäre mit politischen Aufträgen im Bundesgebiet 148 Wehrzersetzende Schriften (Titel und Häufigkeit der Ausgaben) 149 MITGLIEDERENTWICKLUNG IM ORGANISIERTEN RECHTSRADIKALISMUS VON 1960 BIS 1968 90 136 DIE ENTWICKLUNG DER NPD-LANDESVERBÄNDE 137 Die Berufsund Sozialschichtung der NPD-Mitglieder 138 DIE AUFLAGENENTWICKLUNG DER NPD-ORGANE 139 NPD - SCHWERPUNKTE BEI DEN L A NDTA GSWA HL EN AM 28.4.1968 IN BADEN - WÜRTTEMBERG 140 DIE AUFLAGENENTWICKLUNG DER DEUTSCHEN NATIONAL-ZEITUNG MIT IHREN NEBENAUSGABEN 141 142 Wahlparolen u. Schlagzeilen der NPD 143 144 ERSCHEINUNGSFORMEN NAZISTISCHER UNO ANTISEMITISCHER VORKOMMNISSE 1965-1968 145 DIE STRAFVERFOLGUNG NAZISTISCHER UND ANTISEMITISCHER AUSSCHREITUNGEN INSGESAMT 262 VERURTEILUNGEN MIT 462 FESTGESTELLTEN RECHTSVERSTÖSSEN -VEREINIGUNGSDELIKTE: SSSS90a (alter Fassung). 127, 128. 129 St GB STRAFTATEN AUS TERRORISTISCHEN MOTIVEN: SSSS 306, 311. 240. 241. 114, 49a. 111. 125, 212 St GB. SPRENGSTOFFGESETZ. WAFFENGESETZ - FÄLLE STAATSUND ORDNUNGSGEFÄHRDNDER AGITATION: SSSS 91, 93, 95, 96, 96d, 97 (jeweils alter Fassung), 130, 140, 169. 166 StGB SONSTIGE FÄLLE NAZISTISCHER UNO ANTISEMITISCHER STÖR-UNO -SCHMIERTÄTIGKEIT: SSSS185, 360, 303, 304, 305, 330a, 223, 223a, 166 St GB. VERSAMMLUNGSGESETZ 146 Auflage der periodischen Schriften 147 Sowjetzonale Funktionäre mit politischen Aufträgen im Bundesgebiet 148 Wehrzersetzende Schriften Titel und Häufigkeit der Ausgaben 149 INHALT VORWORT 3--4 RECHTSEXTREME BESTREBUNGEN I. Allgemeine Entwicklung 5-- 7 II. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) . 7-36 1. Der unverändert rechtsradikale Charakter der NPD 7-14 a) Propaganda für eine ,Nationaldemokratie" . . . 10--12 b) Aggressiver Nationalismus 12-13 c) Kampf gegen das System 13-14 2. Die innere Struktur der NPD 15--25 a) Organisation 15-16 b) Mitglieder 16-17 c) Finanzen 17-20 d) Publizistische Mittel der NPD 21--23 e) Ordnerdienst 23 f) Inneres Gefüge 23-25 3. Schwerpunkte der nationaldemokratischen Aktivität 25-36 a) Agitation 25-29 b) Beteiligung an Wahlen 29-34 aa) Landtagswahlen Baden-Württemberg . . . 30-33 bb) Die Kommunalwahlen i m Jahre 1968 . . . . 33--34 c) Parlamentsarbeit 34-36 4. Die NPD als Ziel östlicher Nachrichtendienste . . 36 III. Rechtsradikale Gruppierungen außerhalb der NPD 36-41 1 . Splittergruppen der nationalen Rechten . . . . 36 -- 3 8 a) Die Nationalneutralisten 37 b) Sonstige Parteien und Vereinigungen 38 2. Rechtsextreme Strömungen in der Ostemigration . 39-40 3. Internationaler Faschismus 40-41 IV. Die " Deutsche National-Zeitung" (DNZ) . . . . 41-43 V . Sonstige parteiungebundene Publizistik . . . . 43-- 4 4 VI. Straftaten mit rechtsradikalem Hintergrund . . . 44-48 1. Statistik 44 2. Tatmerkmale 44-46 a) Terroristische Handlungen 44-45 b) Schändung jüdischer Friedhöfe 45-46 c) Flugblattund Plakataktionen 46 d) Beleidigungen und Bedrohungen jüdischer Mitbürger oder politischer Gegner 46 150 e) Nazistische oder antisemitische Schmieraktionen . 46 f) Sonstige Störaktionen und Unfughandlungen . . 46 3. Täter und Tatmotive 47-48 VII. Maßnahmen 48-50 1. Vorbereitungen von Verbotsmaßnahmen, Strafverfahren 48-49 2. Parlamentarische Initiativen, Maßnahmen zur Aufklärung der Bevölkerung 49-50 KOMMUNISTISCHE UND ANDERE LINKSEXTREME BESTREBUNGEN I. Die Tätigkeit der deutschen Kommunisten . . . . 5 1 -- 87 1. Ziele der deutschen Kommunisten 51--53 2. Parteipolitische Bestrebungen der Kommunisten . 53-66 a) Arbeit der KPD bis zur Gründung der DKP . . . 54-58 b) "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) . . . 58-62 c) Arbeit der KPD nach der Gründung der DKP . . 62-64 d) "SED-West-Berlin" 64-65 e) "Kommunistische Partei Deutschlands/MarxistenLeninisten" (KPD/ML) 66 3. Methoden kommunistischer Politik 67-81 a) Bündnispolitik 67-77 b) Tätigkeit von SBZ-Funktionären im Bundesgebiet 77-78 c) Jugendarbeit 78-79 d) Agitation gegen die Bundeswehr 79-80 e) Rundfunkpropaganda aus der SBZ 80-81 f) Kommunistische Schriften 81 4. Agitation der Kommunisten 82-87 a) Gegen den Neonazismus 82-83 b) Gegen Notstandsgesetze . 83 c) Gegen die Präsenz des Bundes in Berlin . . . . 84 d) Gegen die NATO 84 e) Gegen den Vietnamkrieg 84 f) Gegen den "Alleinvertretungsanspruch" . . . . 85 g) Rechtfertigung des Überfalls auf die CSSR . . . 86-87 II. Tätigkeit anderer linksextremer Gruppen . . . . 87 1. " Sozialistischer Deutscher Studentenbund" (SDS) 88-98 a) Verfassungsfeindliche Ziele 88-90 b) Organisation 90-91 c) Finanzierung 91-92 d) Protestaktionen 92-95 e) Gewaltanwendung 96-97 f) Internationale Verbindungen 97-98 151 2. Mit dem SDS zusammenarbeitende Gruppen . . 98 a) Studentenorganisationen 98-99 b) .Republikanische Clubs" (RC) 99--100 c) "Republikanische Hilfe" (RH) 100 d) "Sozialistischer Bund" (SB) 100 e) "Aktionszentrum Unabhängiger und Sozialistischer Schüler" (AUSS) 101 III. Kommunistischer Einfluß unter ausländischen Arbeitern 101--104 1. Griechen 102 2. Spanier .103 3. Italiener und Türken 104 4. Agitation der Kommunisten unter den Gastarbeiter 104 IV. Beurteilung der linksextremen Bestrebungen im Jahre 1968 104--107 SPIONAGEABWEHR IN DER BRD IM JAHRE 1968 I. Vorbemerkung 108--109 II. Die gegnerischen Nachrichtendienste 109--112 1. Zweigleisigkeit kommunistischer Spionagetätigkeit 109--110 2. Die sowjetischen Nachrichtendienste 110 3. Nachrichtendienste der SBZ, Polens und der CSSR 110 4. Mitarbeiter der gegnerischen Nachrichtendienste . 111 --112 III. Ziele kommunistischer Nachrichtendienste . . . 112--113 IV. Anwerbungsschwerpunkte 113--115 1. Anwerbung von Bundesbediensteten 113--114 2. Anwerbung von Studenten 114 3. Anwerbung von Diplomaten 114--115 V. Anwerbungsmethoden 115--121 1. Werbungsmethoden in der SBZ . 115--118 2. Werbungsmethoden in den übrigen Ostblockstaaten 118--119 3. Werbungsmethoden im Bundesgebiet 120--121 VI. Spionageereignisse im Jahre 1968 121--127 1. Aufdeckung einer Verbindungsresidentur . . . 121--122 2. Wissenschaftler als Spione 122--126 3. Die "Selbstmordfälle" 126--127 VII. Sonstige Erfahrungen aus der Spionageabwehr 127--132 1. Überläufer 127--128 2. Ausweisfälschungen 128--129 3. Behandlung desertierter Bundeswehrsoldaten in der SBZ 130--132 VIII. Verurteilung wegen Spionagetätigkeit . . . . 132 Verfahren und Verurteilungen in Staatsschutzsachen 133--134 Anhang 135--149 152 Z U M THEMA ist eine neue Schriftenreihe des Bundesministeriums des Innern. In weiteren Folgen werden die Sachbereiche der einzelnen Abteilungen des Bundesinnenministeriums dargestellt. Bisher sind erschienen: Band 1: Aufgaben und Organisation des Bundesministeriums des Innern Band 2: Sozialarbeit heute und morgen Band 3: Die Studentenunruhen Band 4: Verfassungsschutz 1968 Bundesministerium des Innern Referat Öffentlichkeitsarbeit 53 Bonn 7, Rheindorfer Straße 198