Freie Hansestadt Bremen Verfassungsschutzbericht 2019 2 3 Verfassungsschutzbericht 2019 4 Vorwort 5 In diesem Jahr wird der Bremer Verfassungsschutz 70 Jahre alt. Aktuell erfordern die Corona-Pandemie und die zu ihrer Eindämmung ergriffenen Schutzmaßnahmen ein hohes Maß an gesellschaftlichem Zusammenhalt und Solidarität. Extremisten versuchen die bestehende Verunsicherung in der Bevölkerung auszunutzen, um Zustimmung für ihre Vorstellung eines Systemwandels zu generieren. In diesen Zeiten wird besonders deutlich, wie wichtig das LfV als Radar demokratiefeindlicher Strömungen in unserer Gesellschaft ist. Die Erkenntnisse des LfV sind essentiell, wenn es um die Beschreibung der Gefahren für den demokratischen Rechtsstaat geht. Die Zurückdrängung verfassungsfeindlicher Strömungen und das Einstehen für unsere freiheitliche Demokratie ist dabei die Aufgabe aller Demokraten in diesem Land. In diesem Sinne beschloss die Bremische Bürgerschaft im Kampf gegen Rassismus und rechtsextremistisches Gedankengut im März 2020 die Änderung der Landesverfassung: "Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen." Extremistische Akteure nutzen gezielt das gesellschaftliche Konfliktund Krisenpotenzial, um ihre Ideologien in der Mitte der Gesellschaft zu etablieren. Derzeit finden phänomenübergreifend Verschwörungsideologien eine weite Verbreitung. Dem Internet kommt dabei eine entscheidende Rolle zu, da sich über soziale Netzwerke und Messenger-Dienste eine enorme Reichweite erzielen lässt. Die Radikalisierungsprozesse vollziehen sich dabei meist im Verborgenen und lassen sich in der Anonymität des virtuellen Raumes nur bedingt nachverfolgen. Die durch Algorithmen gestützte selektive Themensetzung über soziale Netzwerke fördert die Entstehung von "Echokammern" und "Filterblasen", in denen sich Verschwörungsideologien unhinterfragt verbreiten und verfestigen können. Ein Resonanzraum, in dem sich gruppenund menschenfeindliche Ansichten verstetigen und gegenseitig verstärken, birgt somit immer auch eine Gefahr für den demokratischen Verfassungsstaat und seine Werte, Regeln und Institutionen. Eine umfassende Beobachtung der extremistischen Szene Bremens auch in diesem Raum durch den Verfassungsschutz bleibt daher unumgänglich. Das sich in den letzten Jahren bereits abzeichnende steigende Bedrohungspotenzial durch den Rechtsextremismus kulminierte im vergangenen Jahr in einer Serie von rechtsterroristischen Anschlägen: Die rassistisch und antisemitisch motivierten Attentäter von Hanau und Halle töteten insgesamt 12 Menschen. In Kassel wurde der Regierungspräsident Walter Lübcke, der im Vorfeld bereits wegen seiner liberalen Flüchtlingspolitik von Rechtsextremisten bedroht wurde, vor seinem Wohnhaus durch einen Rechtsextremisten erschossen. Diese drei Terroranschläge rücken das Bedrohungspotenzial, das von rechtsextremi- 6 stisch motivierten Einzeltätern ausgeht, in den Fokus der Sicherheitsbehörden. Der Verfassungsschutz steht vor der großen Herausforderung, Personen frühzeitig zu erkennen, die sich außerhalb bekannter rechtsextremistischer Strukturen zum Teil innerhalb kurzer Zeit derart radikalisieren, dass sie andere Personen kaltblütig und gezielt töten. Die Aufgabe des LfV ist es, im Rahmen seiner Funktion als Frühwarnsystem offene und verdeckte antidemokratische Positionen und Akteure zu identifizieren und Gefahren aufzuzeigen. Als Reaktion auf die steigende Gefahr rechtsextremistisch motivierter Terroranschläge wurde daher am 1. Juli 2020 die behördenübergreifende Task Force "Gewaltorientierter Rechtsextremismus" eingesetzt mit dem Ziel, virtuelle und realweltliche Radikalisierungsprozesse von einzelnen Personen frühzeitig zu erkennen und somit das rechtsterroristische Bedrohungspotenzial zu minimieren. Das LfV hat in diesem Rahmen die Analyseeinheit "Hass und Hetze" eingerichtet, die einen personenorientierten Ansatz verfolgt. Die frühzeitige Unterbindung rechtsextremistischer Strukturen bleibt auch weiterhin essentiell für den Erhalt und Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das Verbot der rechtsextremistischen Gruppierung "Phalanx 18" ist ein Zeichen unserer Entschlossenheit, die Etablierung solcher Strukturen, die sich in Tätigkeit und Zweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, bereits in ihrer Entstehungsphase zu unterbinden. Die "Null-Toleranz-Strategie" gegenüber rechtsextremistischen Bestrebungen zeigt sich in der guten Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden in Bremen, beispielsweise wenn es darum geht, Extremisten die Waffen zu entziehen. Gleichzeitig ist auch die Mitwirkung der Öffentlichkeit ein wichtiger Bestandteil der Bekämpfung der rechtsextremistischen Bedrohung in unserer Gesellschaft. Mit einem solchen Appell wandte sich der Amtsleiter des LfV nach dem zweiten rechtsterroristischen Anschlag am 17. Oktober 2019 direkt an die Bürger des Landes Bremen. Informationen und Hinweise auf rechtsextremistische Aktivitäten nimmt das LfV unter anderem über das Hinweistelefon entgegen. Im Bereich des Linksextremismus ließ sich im vergangenen Jahr eine quantitative Steigerung der Militanz feststellen. So erreichte die Zahl der "militanten Aktionen" in Bremen im Jahr 2019 ihren Höhepunkt. Der Großteil der Brandanschläge und Sachbeschädigungen richtete sich gegen Immobilienund Wohnungsunternehmen, da der Kampf um bezahlbaren Wohnraum erklärter Aktionsschwerpunkt auch der gewaltorientierten linksextremistischen Szene Bremens im Jahr 2019 war. Besorgniserregend sind auch die derzeitigen Angriffe gewalttätiger Linksextremisten auf die Polizei. Die Brandanschläge auf das Polizeirevier in Schwachhausen 2018 und auf das Polizeirevier Steintor 2019 sowie die zahlreichen körperlichen Angriffe gegen Polizisten während ihres Einsatzes sind als ein deutliches Zeichen der Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten zu verstehen und unvereinbar mit unseren demokratischen Werten. Die Gefährdung Deutschlands durch den Islamismus ist im Jahr 2019 konstant hoch geblieben. So gab es diverse Festnahmen und Gerichtsverfahren gegen Personen aus dem islamistisch-terroristischen Spektrum. Obwohl die Krisengebiete in Syrien und dem Irak im Jahr 2019 aufgrund der fortgesetzten Zurückdrängung des "IS" für jihadistische Salafisten aus Deutschland zunehmend an Bedeutung verloren, finden ausreisewillige Jihadisten trotzdem Anschlussmöglichkeiten bei "al-Qaida" nahestehenden Gruppierungen. Dementsprechend gab es 2019 eine Ausreise einer Person aus Bremen. Die Problematik der Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus den "Jihad"-Gebieten stellt aktuell eine große Herausforderung für den Verfassungsschutz dar. Hierbei spielen 7 insbesondere in den Jahren 2014 bis 2016 ausgereiste Personen eine Rolle, die sich für einen bestimmten Zeitraum in den vom "IS" oder anderen jihadistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten aufgehalten haben und nun nach Bremen zurückkehren könnten. Diese Personen haben ausnahmslos mit den terroristischen Gruppierungen und Organisationen sympathisiert und diese teilweise auch unterstützt. Besonderes Augenmerk liegt auf den Frauen und Kindern, die häufig ebenfalls fest in die organisatorischen Strukturen eingebunden waren bzw. in jedem Fall erheblich ideologisch indoktriniert wurden. In diesen Fällen ist eine sehr enge Kooperation im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben mit allen beteiligten Behörden sowie mit staatlichen und nicht-staatlichen Deradikalisierungsund Beratungsstellen unabdingbar. Neben der Beobachtung des salafistischen Extremismus liegt insbesondere die frühzeitige Erkennung jihadistischer, gewaltorientierter Verhaltensweisen von Einzelpersonen oder Gruppierungen im Fokus der Arbeit des LfV. Hierbei sind insbesondere geplante Ausreisen zur Unterstützung terroristischer Vereinigungen im Ausland sowie die Planung von islamistisch motivierten Gewalttaten im Inland von Interesse. Die Anzahl der sogenannten jihadistischen Verdachtsund Gefährdungssachverhalte, die durch das LfV bearbeitet werden, ist auch im Jahr 2019 konstant hoch. Dabei sind viele der Tatverdächtigten in Deutschland geboren und sozialisiert worden. Über diese bereits in Deutschland verwurzelten Personen hinaus betreffen jihadistische Sachverhalte u.a. mögliche Einreisen von jihadistischen Zellen und Kämpfern nach Deutschland und somit auch nach Bremen, mit dem vermuteten Ziel, Anschläge zu planen oder zu begehen. Auch erreichen das LfV Hinweise auf Terrorfinanzierungen oder logistische Unterstützungshandlungen von jihadistisch motivierten Personen oder Bestrebungen. Im Jahr 2019 ist zudem die Anhängerzahl der Salafisten erneut geringfügig gestiegen, wobei der Anstieg in etwa dem Vorjahresniveau entspricht. Neben dem weiteren Ausbau bestehender Präventionsnetzwerke sowie der zielgruppenorientierten Optimierung von Präventionsmaßnahmen liegt in der Beobachtung salafistischer Strukturen und Netzwerke nach wie vor ein Schwerpunkt der Arbeit des Bremer LfV. Im Bereich des Ausländerextremismus spiegelten sich die Geschehnisse in der Türkei und Syrien im vergangenen Jahr in Deutschland durch ein verstärktes Demonstrationsgeschehen und eine gesteigerte Emotionalisierung der Anhänger der verschiedenen Ausländerorganisationen wider. Dies wurde z.B. mit Beginn der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" Anfang Oktober 2019 in Nordsyrien deutlich. Bundesweit fanden in diesem Zusammenhang mehr als 780 Protestveranstaltungen statt, davon über 50 im Land Bremen. In Bremen wurden mehrfach Fahnen mit dem Abbild des türkischen Staatspräsidenten Erdogan verbrannt. Insbesondere Anhänger der kurdischen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und der türkisch-nationalistischen "Grauen Wölfe" stehen sich bei Demonstrationen feindlich gegenüber. Aufgrund des hier latent vorhandenen Gewaltpotentials unterliegen beide Organisationen der fortwährenden Beobachtung durch das LfV. Insgesamt zeigt sich deutlich, dass die Werte unserer Demokratie phänomenübergreifend in Frage gestellt und angegriffen werden. Um diesen Gefahren frühzeitig und adäquat entgegenzuwirken, ist die Arbeit des LfV unverzichtbar. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und mich bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für ihre Arbeit und ihren Einsatz herzlich bedanken. Ulrich Mäurer Senator für Inneres 8 Inhalt Seitenzahl 10 1 Verfassungsschutz im Lande Bremen 15 1.1 Kontrolle des Verfassungsschutzes 16 1.2 Haushaltsmittel und Personalstand des LfV 17 2 Öffentlichkeitsarbeit des LfV 20 3 Rechtsextremismus 21 3.1 Rechtsextremistisches Weltbild 23 3.2 Rechtsterrorismus 25 3.3 Rechtsextremistische Agitation und Propaganda 28 3.4 Strukturen und Gruppierungen im Rechtsextremismus 28 3.4.1 "Neue Rechte" 29 3.4.2 "Identitäre Bewegung" 30 3.4.3 AfD-Teilorganisationen "Der Flügel" und "Junge Alternative" 33 3.4.4 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 34 3.4.5 Partei "Die Rechte" 36 3.4.6 Rechtsextremistische "Mischszene" Bremens 39 4 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 43 5 Linksextremismus 44 5.1 Linksextremistisches Weltbild und linksextremistische Strukturen 47 5.2 Gruppierungen des gewaltorientierten Linksextremismus 54 5.3 Aktivitäten gewaltorientierter Linksextremisten 54 5.3.1 Linksextremistische Aktivitäten gegen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten 57 5.3.2 Kampf um bezahlbaren Wohnraum 59 5.3.3 Proteste gegen "staatliche Repression" 61 5.3.4 "Klimaproteste" 63 5.3.5 Proteste gegen die Bundeswehr 9 64 6 Islamismus 65 6.1 Islamismus 67 6.2 Islamistischer Terrorismus 67 6.2.1 Globales Terrornetzwerk "al-Qaida" 68 6.2.2 "Islamischer Staat" (IS) 69 6.2.3 Anschläge durch islamistische Terrororganisationen und radikalisierte Einzeltäter 72 6.2.4 Islamistischer Terrorismus in Deutschland 75 6.2.5 Internet und andere Medien 75 6.3 Salafistische Bestrebungen 79 6.3.1 Salafismus im Land Bremen 81 6.3.2 Islamisches Kulturzentrum Bremen e.V. (IKZ) 82 6.3.3 Jihadismus im Land Bremen 85 6.4 Schiitischer Islamismus: Hizb Allah 87 7 Ausländerextremismus 89 7.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 100 7.2 "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland" (ADÜTDF) 104 8 Unterstützungsaufgaben des LfV 107 Anhang 110 Impressum 10 1 Verfassungsschutz im Lande Bremen Seitenzahl 15 1.1 Kontrolle des Verfassungsschutzes 16 1.2 Haushaltsmittel und Personalstand des LfV 11 1 Verfassungsschutz im Lande Bremen Der Verfassungsschutz gilt als "Frühwarnsystem" der Demokratie, da er verfassungsfeindliche Aktivitäten (extremistische Bestrebungen) und sicherheitsgefährdende Das Bremische VerfassungsTätigkeiten erkennen soll. Vor dem Hintergrund der geschichtlichen Erfahrungen schutzgesetz (BremVerfSchG) Deutschlands mit dem Nationalsozialismus ist der demokratische Rechtsstaat mit regelt die Aufgaben und Befugeinem Warnund Schutzsystem ausgestattet. Das Prinzip der "wehrhaften Demokranisse sowie die Rechtsstellung tie" trägt der Entschlossenheit des Staates Rechnung, sich gegenüber den Feinden des LfV und seine Zusammender freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu wehren. Die freiheitliche demoarbeit mit den Verfassungskratische Grundordnung beinhaltet die zentralen Grundprinzipien, die einen demokraschutzbehörden der Länder tischen Verfassungsstaat ausmachen, dazu gehören insbesondere die Würde des und des Bundes. Menschen sowie das Demokratieund das Rechtsstaatsprinzip. Die "wehrhafte Das Artikel 10-Gesetz Demokratie" zeigt sich etwa im Festschreiben eines unveränderlichen Kerns einer (G 10) regelt die Befugnisse der Grundund Werteordnung, die selbst vor Verfassungsänderungen geschützt ist deutschen Nachrichtendienste ("Ewigkeitsklausel", Art. 79 Abs. 3 Grundgesetz (GG)). Neben den Staatsstrukturprinzu Eingriffen in das durch Artikel zipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sind dadurch vor allem die wesent10 des Grundgesetzes garanlichen Freiheitsrechte des Einzelnen abgesichert, allen voran der Schutz der Mentierte Brief-, Postund Fernmelschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG). Ergänzt wird die "Wehrhaftigkeit" durch die degeheimnis. Möglichkeit des Verbots von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Art. 21 Abs. 2 GG, Art. 9 Abs. 2 GG) oder durch die Das Bremische SicherheitsVerwirkung von Grundrechten, wenn diese im Kampf gegen die freiheitlich-demokraüberprüfungsgesetz tische Grundordnung missbraucht werden (Art. 18 GG). (BremSÜG) regelt die VoraussetGemäß Artikel 65 Absatz 2 der Bremischen Landesverfassung gilt: zungen und das Verfahren "Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die zur Sicherheitsüberprüfung von Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische Personen, die mit bestimmten und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen sicherheitsempfindlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen." Tätigkeiten betraut werden sollen (Sicherheitsüberprüfung) Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat folgende im Gesetz über den oder bereits betraut worden sind Verfassungsschutz im Lande Bremen (SS 3 BremVerfSchG) normierte Aufgaben: (Aktualisierungsbzw. Wieder- . Die Beobachtung von Bestrebungen, die holungsprüfung). gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder Die Gesetze sind im Internet . die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, abrufbar unter: durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen www.verfassungsschutz. . auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden, bremen.de gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Das LfV ist auch zuständig für die Spionageabwehr im Land Bremen. Daneben unterstützt es im Rahmen seiner Mitwirkungsaufgaben Sicherheitsüberprüfungen von Freiheitliche demokratische Personen zum Zweck des Geheimund Sabotageschutzes. Grundordnung . Garantie der Menschenwürde . Demokratieprinzip Zu den Aufgaben des LfV zählen weiterhin die regelmäßige Unterrichtung von Senat . Rechtsstaatsprinzip und Bürgerschaft über die Sicherheitslage im Land Bremen und die Information der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen. Letzteres wird unter anderem durch die Veröffentlichung des jährlich erscheinenden Verfassungsschutzberichtes gewährleistet. Der Verfassungsschutzbericht beruht auf den Erkenntnissen, die das LfV im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags zusammen mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder gewonnen hat. Der Bericht stellt keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrelevanten Gruppierungen oder Ereignisse dar, sondern unterrichtet über die wesentlichen, während des Berichtsjahres zu verzeichnenden verfassungsschutzrelevanten Entwicklungen. 12 Beobachtungsschwerpunkte Das LfV beobachtet insbesondere Bestrebungen in den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, Islamismus, Linksextremismus, Ausländerextremismus sowie "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". Im Fokus der Beobachtung stehen die gewaltorientierten Teile der einzelnen Phänomenbereiche. Als gewaltorientiert gelten nicht nur Personen und Gruppierungen, die selbst gewalttätig handeln oder gewaltbereit gegen ihre "politischen Gegner" vorgehen, sondern ebenso diejenigen, die Gewalt unterstützen oder Gewalt befürworten. Die Gewaltorientierung einer Person oder Gruppierung kann sich aus ihrer ideologischen Ausrichtung oder aus ihren konkreten Handlungen ergeben. Die Bedrohung der Inneren Sicherheit geht darüber hinaus von radikalisierten Einzeltätern und Kleingruppen aus, die nicht zwingend in extremistische Strukturen eingebunden sein müssen. Mit der Fokussierung auf Gewalt veränderte sich in den vergangenen Jahren insofern der Blickwinkel des Verfassungsschutzes, als nunmehr auch verstärkt Verbindungen zwischen Extremisten und gewaltaffinen Gruppierungen in die Beobachtung einbezogen werden. Angesichts des vielfach hohen Aggressionsund Gewaltpotenzials von Extremisten ist es seit Jahren das erklärte Ziel des Senators für Inneres, Extremisten zu entwaffnen. Im Dezember 2016 gab der Senator für Inneres einen Erlass heraus, wonach Angehörige des Spektrums der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" regelmäßig als waffenrechtlich unzuverlässig einzustufen sind, so dass Anträge auf Waffenerlaubnisse abzulehnen und bereits erteilte Waffenerlaubnisse aufzuheben sind. Der Personenkreis ist mit dem Erlass von Mai 2018 auf alle Extremisten erweitert worden. Grundsätzlich wird damit allen Extremisten, egal welcher Ideologie sie anhängen und welche politischen Ziele sie verfolgen, die Befähigung und Zuverlässigkeit im Umgang mit Waffen abgesprochen. Auf Grundlage dieser Erlasse hat die Waffenbehörde bereits in den vergangenen Jahren mehreren Extremisten die Waffen entzogen. Seit dem 30. März 2020 wurde das neue Massendatenverfahren waffenrechtliche Erlaubnisse (MDV-WaffG) in Produktion genommen. Im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung gem. SS 5 II Nr. 4 WaffG bittet die zuständige Waffenbehörde um Auskunft, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen. Die erforderliche Zuverlässigkeit besitzen Personen nicht, bei denen Erkenntnisse im Sinne des SS 5 II Nr. 2 und 3 WaffG vorliegen. Antisemitismus Antisemitismus stellt einen Arbeitsschwerpunkt des LfV dar. Die Verbreitung von Antisemitismus unter Islamisten, Rechtsund Linksextremisten sowie weiteren Extremisten zeigte sich nicht zuletzt durch die steigende Zahl antisemitischer Vorfälle in den vergangenen Jahren in Deutschland. Die Bundesregierung arbeitet mit der 2017 von der "Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken" (IHRA) entwickelten Arbeitsdefinition: "Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindein- stitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein." (BT-Drs. 19/444, Bremische Bürgerschaft 19/1808) Im Rechtsextremismus gehört die Feindschaft gegenüber Juden zum festen Bestandteil der Ideologie. Im Nationalsozialismus wurde die Ausgrenzung, Vertreibung und Vernichtung von Juden rassistisch begründet, während Antisemitismus bis dahin vor allem 13 religiös und sozial begründet worden war. Entsprechend noch heute existierender und ständig weiter gesponnener Verschwörungsfantasien werden Juden weltweit für politische, soziale und wirtschaftliche Probleme verantwortlich gemacht; es herrscht die Vorstellung, dass ein weltweit vernetztes jüdisches Volk die Fäden im Verborgenen spinnt. Auch im Linksextremismus existieren ebenfalls antisemitische Positionen, die antikapitalistisch konnotiert sind. Dem Kapitalismus sei eine auf die Ausweitung des eigenen Herrschaftsgebiets abzielende Politik (Imperialismus) immanent, betonen beispielsweise Antiimperialisten. Sie bekämpfen daher die USA und Israel als Protagonisten imperialistischer Bestrebungen und solidarisieren sich mit Autonomiebestrebungen, wie der palästinensischen Befreiungsbewegung. In diesem Zusammenhang werden teilweise antisemitische Positionen vertreten. Bei der Beobachtung der islamistischen Szene Bremens durch den Verfassungsschutz werden auch antisemitische Äußerungen beobachtet und erfasst. So richtet sich insbesondere der Salafismus in seiner pauschal gegen "die Ungläubigen" gerichteten Rhetorik sowohl implizit als auch stellenweise explizit gegen Juden und ihren Glauben. Auch im Bereich des Ausländerextremismus kommt es vereinzelt zu antisemitischen Äußerungen. Detaillierte Informationen über etwaige Vorfälle finden sich in den jeweiligen Kapiteln dieses Berichts. Überschreiten festgestellte Äußerungen die Schwelle der Strafbarkeit, werden diese umgehend an die Polizei weitergeleitet. Gesetzliche Grundlagen Gesetze VerhältnismäßigkeitsTrennungsgebot grundsatz (keine Befugnisse (keine Exekutivohne gesetzliche befugnisse) Regelung) BremVerfSchG, Artikel 10-Gesetz und bremisches Ausführungsgesetz, BremSÜG Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei Unter Beachtung des Trennungsgebotes stellte die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen Verfassungsschutz und Polizei einen Schwerpunkt des Prozesses der Neuausrichtung dar. So trägt das "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ), an dem sich Polizei und Verfassungsschutz 14 gleichermaßen beteiligen, zum effizienteren Informationsaustausch innerhalb der Sicherheitsbehörden bei. Das GETZ ist nach dem Vorbild des im Bereich des islamistischen Terrorismus erfolgreich operierenden "Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums" (GTAZ) geschaffen worden. Die Einrichtung von Untergremien im GETZ in Gestalt einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) sowie einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS), hat insbesondere die Analysefähigkeit der Sicherheitsbehörden verbessert. Zu einem besseren Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei trägt auch die Plattform "Koordinierte Internetauswertung Rechtsextremismus" (KIAR) bei. Die "Rechtsextremismusdatei" (RED) sichert einen schnellen Austausch von Informationen über gewaltbereite Rechtsextremisten zwischen Verfassungsschutz und Polizei. "Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) Die effektive Bekämpfung des islamistischen Terrorismus kann eine nachrichtendienstliche Behörde nicht alleine bewältigen. Aus diesem Grund wurde das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) geschaffen, ein Zusammenschluss aller Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Vorrangige Aufgabe des GTAZ ist es, für einen reibungslosen Austausch von Erkenntnissen zu sorgen und operative Maßnahmen abzustimmen. Bundesamt für GeneralbundesMigration und anwalt Flüchtlinge Bundesamt für BundeskriminalVerfassungsamt schutz 16 Landes16 Landesämter für Verfassungskriminalämter GTAZ PI AS N I AS schutz BundesnachrichBundespolizei tendienst Militärischer Zollkriminalamt Abschirmdienst "Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) Das im Jahr 2012 eingerichtete "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) ist ebenfalls ein Zusammenschluss aller Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder. Das GETZ beschäftigt sich mit den Phänomenbereichen Ausländer-, Linksund Rechtsextremismus sowie der Spionageabwehr. 15 Bundesamt für BundeskriminalGeneralbundesVerfassungsamt anwalt schutz 16 Landesämter Bundespolizei für Verfassungs- N I AS schutz PI AS Bundesnachrich16 Landeskriminalämter GETZ tendienst Europol Militärischer Abschirmdienst 1.1 Kontrolle des Verfassungsschutzes Die Arbeit des LfV unterliegt der parlamentarischen Kontrolle durch die Bremische Bürgerschaft (Parlamentarische Kontrollkommission und G 10-Kommission). Die Aufsicht über die Verfassungsschutzbehörde führt der Senator für Inneres. Maßnahmen des LfV sind auch gerichtlich überprüfbar. Parlamentarische Parlamentarische Parlamentarische Kontrolle Kontrolle Kontrolle Parlamentarische Parlament G 10-Kommission Kontrollkommission LfV Bremen VerwaltungsGerichtliche Öffentliche kontrolle Kontrolle Kontrolle Senator für Inneres VerwaltungsBürger gerichtlicher (Auskunftsrecht) Landesbeauftragte für Rechtsschutz Datenschutz und Presse Informationsfreiheit Bremen Landesrechnungshof Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) Die PKK wird durch den Senator für Inneres über die Tätigkeit des LfV sowie über 16 Vorgänge von besonderer Bedeutung fortlaufend und umfassend unterrichtet. Die PKK hat das Recht, Einsicht in Akten und andere Unterlagen zu nehmen, und hat Zugang zu Einrichtungen des LfV. Die PKK der Bremischen Bürgerschaft besteht aus drei Mitgliedern (und drei stellvertretenden Mitgliedern), die die Bürgerschaft zu Beginn jeder Wahlperiode aus ihrer Mitte wählt. Daneben können nicht in der PKK vertretene Fraktionen einen ständigen Gast in die PKK entsenden. Die Kommission tritt mindestens alle drei Monate zusammen. Ihre Beratungen unterliegen der Geheimhaltungspflicht. G 10-Kommission Die G 10-Kommission entscheidet über die Zulässigkeit und Notwendigkeit von Beschränkungsmaßnahmen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses. Die Kontrollbefugnis der Kommission erstreckt sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach dem G 10-Gesetz erlangten personenbezogenen Daten durch Nachrichtendienste einschließlich der Entscheidung über die Mitteilung an Betroffene. Die G 10-Kommission der Bremischen Bürgerschaft besteht aus drei Mitgliedern, die die PKK zu Beginn jeder Wahlperiode wählt. Der Vorsitzende besitzt die Befähigung zum Richteramt. 1.2 Haushaltsmittel und Personalstand des LfV Zur Erfüllung seiner Aufgaben gab das LfV im Haushaltsjahr 2019 für Personal 3.557.157,76 Euro (2018: 2.943.576,53 Euro) und für Sachmittel 1.153.601,86 Euro (2018: 1.181.967,58 Euro) aus. Die investiven Ausgaben betrugen 240.351,41 Euro (2018: 313.200,39 Euro). Das Gesamtausgabevolumen lag 2019 bei 4.951.111,03 Euro (2018: 4.438.744,5 Euro). Das Beschäftigungsvolumen umfasste 70 Vollzeiteinheiten (2018: 65,5 ). 2 Öffentlichkeitsarbeit des LfV 17 18 2 Öffentlichkeitsarbeit des LfV Die Bekämpfung extremistischer Aktivitäten erfolgt (in einer Demokratie) in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Aus diesem Grund ist es dem LfV ein besonderes Anliegen, das Wissen des Verfassungsschutzes für die Aufklärung und Meinungsbildung, aber auch für die erfolgreiche Präventionsarbeit anderer Träger in Staat und Gesellschaft zur Verfügung zu stellen. Vorträge Im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit bietet das LfV Vorträge über extremistische Bestrebungen an. In den Vorträgen kann es um aktuelle Entwicklungen und extremistische Erscheinungsformen im Lande Bremen gehen, jedoch können nach Bedarf auch andere Schwerpunkte gesetzt werden. Die Vorträge richten sich insbesondere an Behörden, Einrichtungen, Vereine und Schulen. Im Bereich Islamismus verfolgt das LfV vor allem das Ziel, die öffentliche Debatte über Islam und Islamismus zu versachlichen und die bremische Bevölkerung über islamistische Bestrebungen zu informieren. Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Behörden und zivilgesellschaftlichen Stellen sollen unter der Überschrift "Sensibilisierung und Früherkennung" in die Lage versetzt werden, zwischen legitimer Religionsausübung und dem eventuellen Abdriften einer Person in extremistische Kreise zu unterscheiden. Zentrales Anliegen ist es, dabei zu helfen, die Radikalisierung junger Personen frühzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen, bevor Sicherheitsbehörden aktiv werden müssen. Präventionsangebote in Bremen Demokratiezentrum Land Bremen Das Demokratiezentrum Land Bremen koordiniert umfassende Präventionsund Kontakt: Beratungsangebote für Betroffene, Ratsuchende und Interessierte zu den ThemenSenatorin für Soziales, Jugend, gebieten Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sowie Frauen, Integration und Sport islamistischer Extremismus und Muslim*afeindlichkeit. Das Bundesprogramms Referat 22 - Kinderund Jugend"Demokratie leben!" bildet die Arbeitsgrundlage. Die Arbeit des Projektverbundes ist förderung an den Förderzielen "Demokratieförderung, Extremismusprävention und VielfaltgeDemokratiezentrum staltung" ausgerichtet. Dienstsitz: Bahnhofstraße 28 - 31 Postanschrift: Bahnhofsplatz 29 Das Demokratiezentrum fungiert als Erstkontaktstelle und nimmt Verweisberatungen 28195 Bremen vor. Das bei freien Trägern der Kinderund Jugendhilfe angesiedelte BeratungsangeTel.: 0421 361-996 67 bot beruht auf den fachlichen Grundsätzen der Freiwilligkeit und der Vertraulichkeit, E-Mail: demokratiezentrum@ ist niedrigschwellig ausgerichtet und für Ratsuchende kostenfrei. Das Demokratiezensoziales.bremen.de trum koordiniert Unterstützungsangebote für Betroffene rechter Gewalt und darüber www.demokratiezentrum.bremen.de hinaus Distanzierungsund Ausstiegsberatung. Zum Umgang mit den Phänomenbe- reichen Rechtsextremismus, islamistischer Extremismus, Muslim*afeindlichkeit und weiteren Facetten gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit bietet das Demokratiezentrum Hilfestellungen bzgl. Interventionsmöglichkeiten und Handlungsstrategien. Neben der Koordination der Netzwerkarbeit für die Akteur*innen in den Arbeitsfeldern, werden Informationsmaterialien entwickelt und Fachveranstaltungen organisiert. 19 Das Angebot der Fachund Beratungsstelle "kitab" richtet sich primär an Eltern und Angehörige von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die sich möglicherweise in einem Hinwendungsprozess zu religiös begründetem Extremismus befinden. Ebenso leistet "kitab" Fachberatung und Unterstützung für Fachkräfte der Kinderund Jugendhilfe, der sozialen Dienste und weiterer relevanter Berufsfelder, die hinsichtlich Kontakt: solcher Wahrnehmungen sensibilisiert sind. Die Fachund Beratungsstelle bietet www.vaja-bremen.de/teams/kitab auch Distanzierungsbegleitung und Unterstützung für die betroffenen HeranwachsenE-Mail: kitab@vaja-bremen.de den selber. Je nach Bedarf, kann die Beratung auch in türkischer, arabischer und Tel.: 0157 55 75 30 02 oder englischer Sprache erfolgen. "kitab" ist Teil des Projektverbundes des Demokratie0177 / 6912905 zentrums. Kompetenzzentrum für Deradikalisierung und Extremismusprävention - KODEX Seit Oktober 2018 hat KODEX die Arbeit aufgenommen. In Ergänzung zum Angebot des Demokratiezentrums Bremen koordiniert KODEX Anfragen und Angebote bei der Arbeit mit bereits stark radikalisierten Personen aus dem Bereich des demokratiefeindlichen und gewaltorientierten Islamismus. Für diesen Bereich der sogenannten tertiären Prävention arbeitet KODEX eng mit einem zivilgesellschaftlichen Träger Kontakt: zusammen. Kodex unterstützt sowohl die Vernetzung der Akteure im Aufgabenkreis Der Senator für Inneres der allgemeinen Extremismusprävention als auch die wissenschaftliche BegleitforReferat 31-9 schung im Themenfeld Radikalisierung, Deradikalisierung und Ausstieg. Außerdem KODEX - Kompetenzzentrum bietet KODEX Hilfe bei Qualifizierung und Weiterbildung für diesen Bereich an. für Deradikalisierung und KODEX versteht sich selbstverständlich auch als allgemeiner Ansprechpartner für Extremismusprävention Fragen rund um das Thema Extremismusprävention. Contrescarpe 22/24 28203 Bremen Tel.: 0421 361-81679 kodex@inneres.bremen.de www.kodex.bremen.de 20 3 Rechtsextremismus Seitenzahl 21 3.1 Rechtsextremistisches Weltbild 23 3.2 Rechtsterrorismus 25 3.3 Rechtsextremistische Agitation und Propaganda 28 3.4 Strukturen und Gruppierungen im Rechtsextremismus 28 3.4.1 "Neue Rechte" 29 3.4.2 "Identitäre Bewegung" 30 3.4.3 AfD-Teilorganisationen "Der Flügel" und "Junge Alternative" 33 3.4.4 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 34 3.4.5 Partei "Die Rechte" 36 3.4.6 Rechtsextremistische "Mischszene" Bremens 21 3 Rechtsextremismus Innerhalb eines Jahres erschütterten drei rechtsextremistisch motivierte Terroranschläge Deutschland. In Hanau tötete ein rassistisch motivierter Attentäter am 19. Februar 2020 zehn Personen und sich selbst, fünf weitere Personen verletzte er. Zuvor war Stephan B. am 9. Oktober 2019 mit seinem Versuch gescheitert, in eine Synagoge einzudringen. Er tötete anschließend zwei Personen und verletzte zwei weitere Personen. Wegen seiner liberalen Flüchtlingspolitik ist der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke am 2. Juni 2019 mutmaßlich von dem Rechtsextremisten Stephan E. erschossen worden. Die drei Attentate rücken eindringlich das Bedrohungspotenzial, das von rechtsextremistisch motivierten Einzeltätern ausgeht, in den Fokus der Sicherheitsbehörden. Die große Herausforderung für den Verfassungsschutz besteht darin, Personen frühzeitig zu erkennen, die sich außerhalb bekannter rechtsextremistischer Strukturen zum Teil innerhalb kurzer Zeit derart radikalisieren, dass sie andere Personen töten. Als Reaktion auf die rechtsextremistisch motivierten Terroranschläge richtete der Senator für Inneres am 1. Juli 2020 die behördenübergreifende Task Force "Gewaltorientierter Rechtsextremismus" mit dem Ziel ein, virtuelle und realweltliche Radikalisierungsprozesse frühzeitig zu erkennen und somit das rechtsterroristische Bedrohungspotenzial zu minimieren. Im Rahmen der "Task Force" stellt das LfV die Analyseeinheit "Hass und Hetze", die einen personenorientierten Bearbeitungsansatz verfolgt. In Bremen unterband der Senator für Inneres im Jahr 2019 das Vorhaben der rechtsextremistischen Gruppierung "Phalanx 18", neonazistische Strukturen in Bremen zu etablieren. Die Gruppierung wurde mit der Begründung verboten, dass sich Tätigkeit und Zweck gegen die verfassungsmäßige Ordnung richteten. Ihre Mitglieder hatten gezielt die Auseinandersetzung mit ihrem "politischen Gegner" gesucht und für den 9. November 2019, den Gedenktag der Reichspogromnacht, einen rechtsextremistischen Liederabend "im Herzen Bremens" geplant. 3.1 Rechtsextremistisches Weltbild Rechtsextremismus ist eine Weltanschauung, die sich vor allem gegen die fundamentale Gleichheit aller Menschen richtet (Ideologie der Ungleichheit). Rechtsextremisten sind der Überzeugung, dass die Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Nation oder Rasse über den Wert eines Menschen entscheidet, welchem aufgrund dessen (Grund-) Rechte verwehrt bleiben. Die rechtsextremistische Ideologie besteht aus folgenden Elementen: Fremdenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit umschreibt eine ablehnende Haltung gegenüber allem, was als fremd und deshalb bedrohlich oder minderwertig empfunden wird. Abgelehnt werden vor allem Ausländer, Muslime, Obdachlose, Behinderte und Homosexuelle. 22 Während die Ausländerfeindlichkeit die Feindseligkeit gegenüber Ausländern meint, beschreibt die Islamoder Muslimenfeindlichkeit die Feindseligkeit speziell gegenüber Muslimen. Personen werden aufgrund ihrer religiösen Überzeugung, ethnischen Zugehörigkeit oder Nationalität abgewertet. Antisemitismus Antisemitismus meint die Feindschaft gegenüber Juden, die häufig politisch, kulturell, sozial oder rassistisch begründet ist und vielfach mit Verschwörungstheorien untermauert wird. Die Feindschaft gegenüber Juden hat eine lange Tradition und ist nach wie vor das verbindende Ideologieelement von Rechtsextremisten unterschiedlicher Spektren. Revisionismus Trotz der Erfahrungen Deutschlands während der Zeit des Nationalsozialismus ist der Rechtsextremismus durch Einstellungen geprägt, die geschichtliche Tatsachen leugnen und tendenziell zur Verharmlosung, Rechtfertigung oder gar Verherrlichung nationalsozialistischer Verbrechen einschließlich des Holocausts beitragen. Revisionismus meint die Umdeutung historischer, rechtlicher und wissenschaftlicher Fakten für die eigenen Zwecke. Rassismus Rassismus bezieht sich ausschließlich auf äußere Merkmale. Beim Rassismus wird aus genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene Rangordnung abgeleitet und zwischen "wertvollen" und "minderwertigen" Rassen unterschieden. Nationalismus und Konzept der Volksgemeinschaft Unter Nationalismus ist ein übersteigertes Bewusstsein vom Wert und der Bedeutung der eigenen Nation zu verstehen. Die eigene Nation wird dabei gegenüber anderen als höherwertig eingestuft. Der völkische oder rassistisch geprägte Nationalismus beruft sich darüber hinaus auf das Konzept der Volksgemeinschaft, welches die Verschmelzung eines totalitären Staates mit einer ethnisch homogenen Gemeinschaft vorsieht. In dieser Gemeinschaft sind die Interessen und Meinungen des Einzelnen dem Interesse und dem Wohl der Volksgemeinschaft gänzlich untergeordnet. Konzept des Ethnopluralismus Weltanschauungen, in denen der historische Nationalsozialismus und der völkische Rassismus betont werden, verlieren in der rechtsextremistischen Szene teilweise an Bedeutung. Vertreter eines ethnopluralistischen Weltbildes argumentieren, dass sich Menschen nicht aufgrund ihrer "Rasse" voneinander unterscheiden, sondern anhand ethnischer und kultureller Faktoren. Dem Individuum kommen ausschließlich (Menschen-)Rechte aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einem ethnokulturellen Kollektiv zu. Das Konzept des Ethnopluralismus läuft jedoch ebenso wie das Konzept der Volksgemeinschaft im Wesentlichen auf die Idealvorstellung eines ethnisch homogenen Staates hinaus, in dem sich das Individuum sowohl auf politischer als auch auf gesellschaftlicher Ebene dem Kollektiv unterordnet. Ablehnung von Demokratie und Pluralismus Das Ziel aller Rechtsextremisten besteht darin, den demokratischen Rechtsstaat mit seiner pluralistischen Gesellschaftsordnung durch einen ethnisch homogenen Staat oder eine Volksgemeinschaft zu ersetzen. Diese antidemokratischen Vorstellungen stehen im Widerspruch zur Werteordnung des Grundgesetzes und zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Fremdenfeindlichkeit als Grundelement rechtsextre23 mistischen Denkens ist weder mit dem Prinzip der Menschenwürde noch mit dem Prinzip der Gleichheit aller Menschen vereinbar. Das autoritäre Staatsverständnis und das antipluralistische Gesellschaftsverständnis widersprechen sowohl dem Demokratieprinzip, wie z.B. der Gewaltenteilung, der Volkssouveränität, dem Schutz von Minderheiten oder dem Recht zur Bildung und Ausübung einer Opposition, als auch dem Rechtsstaatsprinzip, wie z.B. der Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, der Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte sowie dem staatlichen Gewaltmonopol. 3.2 Rechtsterrorismus Die drei rechtsterroristischen Attentate in Hanau im Februar 2020, in Halle im Oktober 2019 und in Wolfhagen im Juni 2019 zeigen eindrücklich die große Herausforderung, vor der die Sicherheitsbehörden bei der Identifizierung von sich radikalisierenden Einzeltätern und Kleingruppen stehen. Über den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke hatte der Verfassungsschutz zum Tatzeitpunkt keine aktuellen Erkenntnisse mehr, obwohl er einen langen Vorlauf in der rechtsextremistischen Szene hatte. Den Attentäter von Halle kannte der Verfassungsschutz nicht, obwohl sein Weltbild eindeutig rassistisch und antisemitisch ist. Ebenso wenig war dem Verfassungsschutz der Attentäter von Hanau vor der Tat bekannt, der ein rechtsextremistisches, rassistisches Weltbild pflegte. Der Verfassungsschutz steht vor der schwierigen Aufgabe, rechtsextremistisch motivierte Personen oder Kleingruppen, die sich im Verborgenen im Internet und in sozialen Netzwerken radikalisieren, jedoch keine (enge) organisatorische Anbindung an die rechtsextremistische Szene aufweisen, in den Fokus zu nehmen. Bei der Identifizierung potenzieller rechtsextremistischer Attentäter besteht zudem die Schwierigkeit, ihr Radikalisierungspotenzial und ihre weitere Entwicklung einzuschätzen und frühzeitig zu prognostizieren. Rassistisch motiviertes Attentat in Hanau Der rechtsterroristische Attentäter Tobias R., der am 19. Februar 2020 an drei Tatorten in Hanau insgesamt zehn Personen tötete, fünf weitere Personen verletzte und sich im Anschluss an die Tat selbst tötete, handelte aus einer rassistischen, fremdenfeindlichen Motivation heraus, die er in Beiträgen und Videos auf seiner Internetseite darlegte. Rechtsextremistische Ideologieelemente wie Antisemitismus sowie ein rassistisches und ethnisch-homogenes Weltbild vertritt er ebenfalls in seiner "Botschaft an das gesamte deutsche Volk", mit der er seine Tat zu erklären versuchte. Das 24-seitige Schreiben besitzt starken autobiografischen Charakter und offenbart psychische Probleme des Attentäters. Verschwörungsfantasien sind in seinem Weltbild von zentraler Bedeutung, so glaubt er an die ständige Überwachung durch eine ominöse "Geheimorganisation". Antisemitisch motiviertes Attentat in Halle Am 9. Oktober 2019 versuchte der Rechtsextremist Stephan B. während des Jom Kippur-Gottesdienstes mit selbstgebauten Sprengsätzen und Schusswaffen bewaffnet eine Synagoge in Halle zu stürmen, scheiterte jedoch an den geschlossenen Toren. In der Synagoge hielten sich zum Tatzeitpunkt ca. 50 Gläubige auf. Nach der 24 misslungenen Stürmung erschoss er vor der Synagoge eine Passantin und tötete im Anschluss eine weitere Person in einem nahegelegenen türkischen Imbiss. Während seines Fluchtversuchs, bei dem weitere Passanten verletzt wurden, lieferte er sich eine Schießerei mit der Polizei. Seine Tat übertrug er live per Helmkamera auf einer Gaming-Plattform und kommentierte sie für die Zuschauer. Ähnlich wie bei einem Ego-Shooter, einem Computerspiel, bei dem der Spieler aus der Ich-Perspektive Mitspieler mit Waffen bekämpft, setzte er sich sogenannte "Achievements": Gewisse Tathandlungen folgten einem von ihm aufgestellten Punktesystem. Stephan B. hatte im Vorfeld der Tat ein Bekennerschreiben auf Englisch veröffentlicht, in welchem er sein rechtsextremistisches und antisemitisches Weltbild offenbarte. Das Manifest sowie der Tathergang weisen Parallelen zu dem Terroranschlag auf zwei Moscheen im neuseeländischen Christchurch im März 2019 auf, bei dem insgesamt 51 Menschen getötet und weitere 50 verletzt wurden, sowie den Morden des norwegischen Massenmörders Anders Breivik 2011. Die Liveübertragung der Morde sowie der Gaming-Charakter des Tathergangs sind Ausdruck eines neuen rechtsterroristischen Bedrohungspotenzials, welches sich im Verborgenen der virtuellen Welt entwickeln und letztlich in reale Taten münden kann. Über Plattformen und Imageboards werden rechtsextremistische Ideologien und Verschwörungstheorien ausgetauscht und die Täter rechtsterroristischer Anschläge glorifiziert. Mit geringem Aufwand können über das Internet eine enorme Reichweite erzielt und Nachahmungstäter animiert werden. Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) gilt als "Zäsur", denn erstmals seit dem Jahr 1945 ist ein amtierender Politiker durch einen rechtsextremistisch motivierten Anschlag getötet worden. Lübcke wurde am 2. Juni 2019 vor seinem Wohnhaus aus nächster Nähe erschossen. Der Rechtsextremist Stephan E. gilt als dringend tatverdächtig. Über Jahre war er nicht mehr aktiv in rechtsextremistische Strukturen eingebunden und stand somit nicht im Fokus des Verfassungsschutzes. Der Tatverdächtige radikalisierte sich im Kontext der rechtsextremistischen "Anti-Asyl-Agitation" als Reaktion auf die sogenannte "Flüchtlingskrise" im Jahr 2015. Lübcke, der sich für die Aufnahme von Geflüchteten in seinem Wahlkreis aussprach, wurde aufgrund seiner Haltung von Rechtsextremisten sowie Personen aus dem islamfeindlichen Spektrum bedroht. Die Tat reiht sich ein in eine Serie von Bedrohungen von Politikern, die die Aufnahme von Geflüchteten befürworten. Nach der Tat verhöhnten Rechtsextremisten den ermordeten Regierungspräsidenten in sozialen Netzwerken und kündigten weitere Taten an. Rechtsterroristische Kleingruppen Neben radikalisierten Einzeltätern bilden rechtsterroristische Kleingruppen eine ernstzunehmende Bedrohung. So bereitete sich beispielsweise die 2017 bekannt gewordene Gruppe "Nordkreuz" auf einen "Tag X" vor, an dem sie ihre politischen Gegner beseitigen wollte, und hortete dazu Waffen und Munition. Die Mitglieder der Gruppe "Nordkreuz" gehören der Prepper-Szene an, deren Angehörige sich u.a. durch Einlagerung von Lebensmitteln und Waffen sowie den Bau von Schutzbauten auf einen möglichen Katastrophenfall vorbereiten. Am 23. März 2020 verurteilte das Oberlandesgericht Dresden mehrere Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppierung "Revolution Chemnitz" zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Sie hatten den "Systemumsturz" und insbesondere das Ausschalten ihres "politischen Gegners" und staatlicher Repräsentanten geplant. "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Die geplante und gezielte Mordserie der rechtsterroristischen Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU), die über Jahre kein öffentliches Bekenntnis in direkter oder indirekter Form ablegte, stellt eine Besonderheit in der Geschichte des deutschen Terrorismus dar. Die in den 1970erbis 2000er-Jahren in Deutschland existierenden rechtsterroristischen Gruppierungen begingen keine Serienmorde an 25 Personen und auch keine gezielten Tötungen. Im Vergleich zu früheren Gruppierungen im Rechtsterrorismus unterscheidet sich der NSU damit deutlich hinsichtlich seiner Gewaltintensität. Die Mitglieder des NSU lebten rund 13 Jahre im Untergrund und ermordeten in den Jahren 2000 bis 2007 insgesamt zehn Menschen vor allem aus fremdenfeindlichen und rassistischen Motiven. Darüber hinaus beging das Trio mindestens zwei Bombenanschläge und 15 bewaffnete Raubüberfälle. Der von Mai 2013 bis Juli 2018 laufende Strafprozess richtete sich nach dem Selbstmord der beiden Mitglieder der rechtsterroristischen Gruppierung Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos im Jahr 2011 gegen das einzige noch lebende NSU-Mitglied Beate Zschäpe und vier mutmaßliche Unterstützer. Das Oberlandesgericht München sprach 2018 sein Urteil im Prozess und befand alle fünf Angeklagten wegen unterschiedlicher Tatvorwürfe im Zusammenhang mit der Mordserie des NSU für schuldig und verurteilte sie zu mehrjährigen Haftstrafen. 3.3 Agitation und Propaganda Politiker als Angriffsziel Bundesweit erhielten Anfang des Jahres 2020 zahlreiche Parteien, Politiker, Vereine und weitere Institutionen E-Mails mit rechtsextremistischem Inhalt. In Bremen war neben Parteien und Politikern unter anderem auch die Fatih-Moschee in Gröpelingen von derartigen E-Mails betroffen. Zahlreiche E-Mails enthielten rechtsextremistische Codes und nahmen Bezug auf das Motiv des Wolfes, das im Rechtsextremismus als Metapher für Führungsstärke und Unbeugsamkeit steht. Den Adressaten wurde bisweilen mit massiver Gewalt und Anschlägen gedroht. In Bremen verschickte ein unbekannter Täter darüber hinaus Anfang des Jahres 2020 zahlreiche Briefe, die eine pulverartige Substanz enthielten. Die Briefe richteten sich vor allem an Parteien und Politiker und bedrohten sie mit rechtsextremistischen und teilweise auch antisemitischen Äußerungen. Juden als Angriffsziel Juden stellen seit jeher ein Angriffsziel für Rechtsextremisten dar. Antisemitische Straftaten gelten generell als extremistisch. Der Großteil der in den vergangenen Jahren begangenen und von der Polizei registrierten antisemitischen Strafund Gewalttaten wurde als "rechts" motiviert eingestuft. Dabei ist zu beachten, dass fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten statistisch generell im Bereich der Politisch Motivierten Kriminalität (PMK)-Rechts erfasst werden, wenn der Polizei keine weiterführenden Hinweise zu Tatmotivation oder Täter vorliegen. Den Großteil der Straftaten machen hier Volksverhetzungsund Propagandadelikte aus. Muslime als Angriffsziel Muslime und ihre Einrichtungen sind seit einigen Jahren ein verstärktes Angriffsziel von Rechtsextremisten. Moscheen werden als zentrales Symbol der islamischen Religion und der muslimischen Kultur betrachtet. Straftaten mit islamoder muslimenfeindlichem Motiv wies die Polizei erstmals im Jahr 2017 gesondert aus. Im Jahr 2019 wurden in 26 Bremen mehrere Schmierereien mit islamoder muslimenfeindlichem Inhalt festgestellt. Wie in den Vorjahren waren insbesondere Moscheen hiervon betroffen. Darüber hinaus gibt es immer wieder Fälle, in denen Muslime direkt bedroht werden. Beispielsweise drohte im Jahr 2019 ein unbekannter Täter einer Frau, die ein Kopftuch trug, er werde ihr den Kopf abschneiden. Rechtsextremistische Propaganda Das Ziel rechtsextremistischer Propaganda ist die individuelle und kollektive Radikalisierung, indem über gesellschaftspolitische Diskussionen Einfluss auf die Meinung von Einzelpersonen und somit auf Stimmungen in der Gesellschaft genommen wird. Rechtsextremisten gelingt es zunehmend unter anderem mit "weicheren" Formulierungen oder dem Weglassen von verfassungsfeindlichen Positionen, sich in aktuelle politische Diskussionen einzubringen und ihre fremdensowie speziell islamund muslimenfeindlichen Positionen zu verbreiten. Der politische Diskurs verändert sich zusehends dahingehend, dass fremdenund islamfeindliche Positionen offener als noch vor wenigen Jahren vertreten werden. Die Themen Asyl und Zuwanderung stehen seit mehreren Jahren im Mittelpunkt der rechtsextremistischen Agitation und Propaganda. Mit dem Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland nahm die "Anti-Asyl-Agitation" der rechtsextremistischen Szene in den Jahren 2014 und 2015 signifikant zu und ließ mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen im Jahr 2016 in ihrer Intensität nach. Gleichwohl ist das Thema weiterhin von zentraler Bedeutung für die Szene. Eine Schwerpunktverschiebung lässt sich hier insofern ausmachen, als zunächst generell der Zuzug von Flüchtlingen nach Deutschland kritisiert wurde und dann Muslime und die Religion des Islams verstärkt zum Angriffsziel geworden sind. In der politischen Debatte um Asyl und Zuwanderung heben Rechtsextremisten die von Flüchtlingen begangenen Straftaten hervor. Sie greifen dazu die Sorgen und Ängste vieler Menschen auf, wie die Angst vor einer "Überfremdung" oder der vermeintlichen Zunahme von Kriminalität. Ihr Ziel besteht vor allem darin, die Straftaten von einzelnen Migranten in den Zusammenhang mit der aus ihrer Sicht verfehlten Flüchtlingspolitik der letzten Jahre einzuordnen und aufzuzeigen, dass der deutsche Staat unfähig sei, seine Bürger vor kriminellen Flüchtlingen und Migranten zu schützen. Dabei betonen die Akteure die soziale Ungerechtigkeit zwischen Asylbewerbern und in "Not geratenen" Deutschen. Sie arbeiten dabei mit diffamierenden Stereotypen: Jeder Flüchtling wird pauschal zum "Vergewaltiger", jeder Muslim zum "Terroristen" und jeder "Alternative" zum "Stalinisten". Mit gezielten Tabubrüchen und dem Zeichnen von Bedrohungsszenarien, für die sie teilweise manipulierte oder verfälschte Informationen heranziehen, versuchen Rechtsextremisten, Aufmerksamkeit in der Bevölkerung zu erregen, vorhandene Ängste zu verstärken und Hass zu schüren. Rechtsextremisten propagieren das Szenario einer drohenden "Islamisierung" Deutschlands und thematisieren häufig Selbstschutz, Selbstverteidigung sowie das "Recht auf Notwehr" in diesem Zusammenhang. Dabei fallen auch aggressive und beleidigende Äußerungen bis hin zu Mordund Gewaltandrohungen. Neben den typischen Feindbildern dienen insbesondere Bürgerkriegsoder Endzeitszenarien der Rechtfertigung von Gewalttaten. Mit dem Rückgang der Flüchtlingszahlen sank auch das Mobilisierungspotenzial der Themen Migration und Einwanderung. Gleichzeitig deutet sich eine Diskursverschiebung an: Zunehmend geraten Politiker der "Altparteien" als auch die "Lügenpresse" in den Fokus rechtsextremistischer Narrative. Den politischen Vertretern wird vorgeworfen, Politik gegen das deutsche Volk zu betreiben und die Meinungsfreiheit massiv einzuschränken. Das Ziel von Rechtsextremisten besteht in der Polarisierung der Gesellschaft, indem sie das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber ihren gewählten Vertretern fördern. Die "Anti-Asyl-Propaganda" rechtsextremistischer Akteure hat einen Resonanzraum geschaffen, in dem die Hetze gegen Geflüchtete und Minderheiten als "patriotisch" gilt und ein allgemeines Misstrauen gegenüber den Medien sowie den politischen Repräsentanten gehegt wird. Seit geraumer Zeit ist ein Anstieg von Hasspostings zu verzeichnen, der mit einer Zunahme radikaler Positionen und Inhalte in sozialen Medien einhergeht. 27 Radikalisierung durch rechtsextremistische Propaganda im Internet Dem Internet kommt bei der Verbreitung rechtsextremistischer Feindbild-Propaganda eine entscheidende Rolle zu. Soziale Netzwerke und Messenger-Dienste wie Facebook, Twitter oder YouTube dienen der rechtsextremistischen Szene zur Kommunikation, Verbreitung von Propaganda, Mobilisierung von Personen für Aktionen und Organisation von Veranstaltungen. Über internationale Plattformen und Imageboards wie "4chan" oder "8chan" findet eine Vernetzung mit Gleichgesinnten über Ländergrenzen hinaus statt. Zudem vermag sich die rechtsextremistische Szene durch die Nutzung alternativer Plattformen wie dem Discord-Server kurzfristig neu aufzustellen und sich flexibel an Verbote und Überwachung anzupassen. Radikalisierungsprozesse vollziehen sich nicht nur über realweltliche Aktivitäten wie Szenetreffs und politische Veranstaltungen. Das Internet bietet für viele ein niedrigschwelliges Angebot, da es nicht an lokale Rahmenbedingungen geknüpft ist und eine Vielfalt von Themen und Partizipationsmöglichkeiten bietet. Zudem gewährleistet die Anonymität des Internets ein Engagement ohne öffentliche Stigmatisierung oder gar Repressionen. Rechtsextremisten nutzen gezielt die Möglichkeiten der virtuellen Vernetzung, lancieren Kampagnen und streuen Desinformationen. Medienbeiträge werden selektiv und oft verzerrt verbreitet, um Stimmung gegen Geflüchtete, gewählte Vertreter und politisch Andersdenkende zu machen. Durch die Vernetzung untereinander und die Nutzung eigener "rechter" Medienportale werden Vorurteile geschürt und negative Emotionen verstärkt. Die durch Algorithmen gestützte selektive Themensetzung über soziale Netzwerke fördert die Entstehung von "Echokammern" und "Filterblasen", in denen sich das rechtsextremistische Weltbild unhinterfragt verbreiten und verfestigen kann. Die Entstehung eines Resonanzraums, in dem die eigenen gruppenund menschenfeindlichen Ansichten geteilt und gespiegelt werden, birgt die Gefahr einer Parallelwelt, die im Gegensatz zu realweltlichen Kontakten enthemmter und vielschichtiger wirken kann. Die sogenannten "Echokammern" und "Filterblasen" können sich beschleunigend auf Radikalisierungsprozesse auswirken. Welche Auswirkungen solche Radikalisierungsverläufe im realweltlichen Kontext haben können, zeigt das Beispiel des Attentäters von Halle. Stephan B. war Teil einer virtuellen Gemeinschaft, die Antisemitismus und Muslimenfeindlichkeit lancierte und Verschwörungsfantasien verbreitete. 3.4 Strukturen und Gruppierungen im Rechtsextremismus 28 3.4.1 "Neue Rechte" Während sich der traditionelle Rechtsextremismus ideologisch vor allem durch seine Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus und den völkischen Rassismus auszeichnet, propagieren Teile des Rechtsextremismus mit zunehmendem Erfolg eine "modernere" Variante der rechtsextremistischen Ideologie. Statt Rasse sind für die Anhänger der sogenannten "Neuen Rechten" Ethnie oder Kultur die entscheidenden Kriterien für die Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft. So argumentieren die "Identitären" mit dem Konzept des Ethnopluralismus, nach dem die ethnokulturelle Identität eines Volkes ausschließlich durch seine Abschottung zu anderen Völkern erhalten werden könne. Zu den Akteuren, die an der Verbreitung ihrer rechtsextremistischen Ansichten in der Gesellschaft starkes Interesse haben, zählen Vertreter der sogenannten "Neuen Rechten". Bei der "Neuen Rechten" handelt es sich im engeren Sinne um eine Gruppe von Intellektuellen, die sich auf das Gedankengut der Konservativen Revolution der Weimarer Republik beruft und mit einer "Kulturrevolution von rechts" einen grundlegenden politischen Wandel herbeiführen will. Der Begriff wird aber heute vielfach weiter gefasst. Inzwischen werden sämtliche Akteure, Institutionen oder Organisationen zur "Neuen Rechten" gezählt, die mit den Schlagworten Ethnie, Identität oder Kultur als Abgrenzungskriterien arbeiten und die ein identitäres Demokratieverständnis oder ein ethnisches Volksverständnis eint. Ihre antidemokratischen Vorstellungen - weil grundsätzlich antipluralistisch und antiindividualistisch - tragen die Anhänger der "Neuen Rechten" auf strategische Weise in die Gesellschaft. Ihr Ziel besteht in der Schaffung eines Klimas, das politische Veränderungen ermöglicht. Sie versuchen sukzessive, politische Werte umzudeuten und gesellschaftlichen Konsens aufzubrechen, wie beispielsweise die über Jahrzehnte von großen Teilen der Bevölkerung mitgetragene Flüchtlingspolitik. Im Rahmen von politischen Diskussionen beabsichtigen sie, die "Grenze des Sagbaren" durch gezielte Tabubrüche stetig zu erweitern. Die sogenannte "Strategie der Metapolitik" wird gezielt eingesetzt, um "rechte" Positionen "salonfähig" zu machen und in der Gesellschaft zu verbreiten. Durch die Umdeutung der politischen Diskurse soll langfristig der Nährboden für die erhoffte politische Wende vorbereitet werden. Die Argumentationsund Vorgehensweise ist als populistisch zu beschreiben. Populismus meint eine Strategie, einen Politikstil oder ein politisches Programm, das auf Emotionen der Bevölkerung eingeht, diese für die eigenen Ziele zu nutzen versucht und vermeintlich einfache und klare Lösungen unter Ausblendung gesellschaftlicher und politischer Zusammenhänge anbietet. Kern des Rechtspopulismus ist die Bezugnahme auf eine homogene Ethnie, Nation oder ein homogenes Volk. Pluralismus in politischer oder gesellschaftlicher Hinsicht wird entsprechend abgelehnt. So wird das als Einheit verstandene Volk von Ausländern, Flüchtlingen, der Bundesregierung oder "politischen Eliten" abgegrenzt und gegeneinander ausgespielt. Bei ihrem Ziel, dem vermeintlich "linksliberalen Mainstream" eine "rechte" Alternative entgegenzusetzen und somit "rechte" Positionen in der bürgerlichen Gesellschaft anschlussfähig zu machen, können die Akteure der "Neuen Rechten" auf ein breit aufgestelltes heterogenes Netzwerk zurückgreifen. Häufig arbeiten sie in Bewegungen, Initiativen oder Netzwerken mit Personen aus dem nichtextremistischen, rechtskonservativen Spektrum zusammen, die sich nicht zwangsläufig selbst der rechtsextremistischen Szene zuordnen lassen. Es entstehen situative Netzwerke, über die sich Personen für (virtuelle) Kampagnen und Aktionen leicht rekrutieren lassen. Im Kampf um den vorpolitischen Raum greifen die Akteure dabei auf ein weit verzweigtes Geflecht aus Verlagen, eigenen Medien und Nachrichtenportalen sowie 29 Publikationen zurück. 3.4.2 "Identitäre Bewegung" Die im Jahr 2012 gegründete Gruppierung "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) gehört dem Netzwerk der "Neuen Rechten" als zentraler Akteur an. Bundesweit vernetzte sie Aktivisten der rechtsextremistischen Szene über das soziale Netzwerk Facebook. Die IBD ist ein Ableger der französischen rechtsextremistischen Bewegung "Generation Identitaire", die sich 2003 formierte. Die "Identitären" gibt es in mehreren europäischen Ländern. In Deutschland existieren lokale und regionale Gruppierungen und auch ein Verein der "Identitären". In Bremen gründete sich 2012 die "Identitäre Bewegung Bremen" (IBB), die anfangs öffentlichkeitswirksam in Erscheinung trat, in den folgenden Jahren jedoch keinerlei öffentliche Aktivitäten mehr entfaltete. Im November 2016 reaktivierten Aktivisten der rechtsextremistischen Szene Bremens die Gruppierung. Nach einer groß angekündigten Offensive folgten 2016 und 2017 in Bremen mehrere Plakat-Aktionen. Im Jahr 2019 gab es keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Gruppierung. Bundesweit sind die "Identitären" 2019 kaum öffentlich in Erscheinung getreten, ihre medienwirksamen Aktivitäten haben deutlich nachgelassen. Die "Identitären", die ihre Gruppierung maßgeblich über das soziale Netzwerk Facebook aufbauten und für die das soziale Netzwerk die zentrale Propagandaplattform darstellte, traf die Löschung sämtlicher Profile durch das Unternehmen im Jahr 2018 hart. Soziale Netzwerke sind deshalb von zentraler Bedeutung für die Gruppierung, weil es ihr vor allem um die Inszenierung ihrer Aktionen geht. Die "Identitären" bemühen sich um den Aufbau alternativer Kommunikationskanäle und damit um neue Plattformen zur Organisierung. Die derzeitige organisatorische Schwäche der Gruppierung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die "Identitären" als unmittelbares Produkt und Teil des Netzwerkes der "Neuen Rechten" bedeutend dazu beigetragen, den Ethnopluralismus "salonfähig" zu machen sowie den gesellschaftlichen Diskurs nach "rechts" zu verschieben. Ideologie des Ethnopluralismus Die "Identität" bildet das prägende Element in der Weltanschauung der Gruppierung. Dazu greift sie auf das Konzept des Ethnopluralismus zurück. Grundlegende Annahme des Ethnopluralismus ist die Verschiedenartigkeit der Völker. Migrationsprozesse bedrohten diese Völkervielfalt, entwurzelten Menschen und vernichteten kulturelle Identitäten. Die Ethnienvielfalt könne letztlich nur durch die Trennung der Völker bewahrt werden. Ethnopluralisten betonen, dass sich Menschen nicht aufgrund ihrer Rasse, sondern aufgrund kultureller, regionaler und geografischer Faktoren unterscheiden. Ihr Ziel sind ethnisch und kulturell homogene Staaten ohne "fremde" Einflüsse. Vor diesem ideologischen Hintergrund lehnen die "Identitären" die Einwanderung - insFlyer der "Identitären" besondere von Muslimen - nach Deutschland und Europa fundamental ab und begreifen sie als Bedrohung. Die islamische Kultur wird als unvereinbar mit den Werten der deutschen oder europäischen Kultur dargestellt. Die "Identitäre Bewegung" fordert eine "identitäre Demokratie", die die Homogenität des Volkes voraussetzt, und die repräsentative Demokratie ablehnt. Das Konzept des Ethnopluralismus begreift sie somit als Gegenmodell zur bestehenden pluralistischen Gesellschaftsordnung und wendet sich somit von der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab. 30 Agitation der "Identitären" Die "Identitären" treten in der Öffentlichkeit mit "Flashmobs", Plakat-Aktionen und der Verteilung von Flugblättern mit dem Ziel auf, in die mediale Berichterstattung zu gelangen, um ihre fremdenund islamfeindlichen Positionen in die gesellschaftspolitischen Diskussionen zum Thema Asyl und Einwanderung einzubringen. Von ihren Aktionen erstellen sie in der Regel kurze Videoclips. In den Videos steht die Aktion im Vordergrund, wie z.B. die Aufsehen erregende "Kletteraktion" am Brandenburger Tor in Berlin 2016. Mit ihren professionell gestalteten Videos und Internetseiten sprechen die "Identitären" insbesondere jüngere Personen an. Die Aktionen der Gruppierung sind häufig in Kampagnen eingebettet, wobei der 2015 ausgerufenen Kampagne "Großer Austausch" eine zentrale Bedeutung zukommt. Die Parole bezieht sich auf das Konzept des Ethnopluralismus und damit auf die Forderung nach ethnisch und kulturell homogenen Staaten. Die Kampagne richtet sich gegen "die ungebremste Masseneinwanderung und die daraus resultierende Islamisierung", die mit einer politischen und ökonomischen Benachteiligung der einheimischen Bevölkerung einhergehe (Fehler im Original, Facebook-Seite der IBD, 07.02.2017). InsbesonFlugblatt der "Identitären" dere die islamische Religion und Kultur halten die "Identitären" für unvereinbar mit europäischen Werten und nehmen sie als Bedrohung wahr. Ihrer Ansicht nach zielen die politisch Verantwortlichen auf ein "multikulturalisiertes" Deutschland ohne Identität, Patriotismus und Traditionen ab und fördern den "Austausch" des deutschen Volkes. Das Hauptaugenmerk der Aktionen der "Identitären" lag zuletzt auf der vermeintlich staatlich gelenkten "Massenmigration". In diesem Zusammenhang gründeten die "Identitären" 2018 die Kampagne "Alternative Help Association" (AHA), die auf die Verhinderung von Migration ziele, indem sie vor Ort Migrationsursachen bekämpfe und Perspektiven für den Wiederaufbau schaffe. Die als humanitärer Akt getarnte Kampagne bedient ein weit verbreitetes Narrativ der "Neuen Rechten": Die Forderung nach "Remigration" durch Massenabschiebungen wird um die freiwillige Rückkehr von Geflüchteten in ihre Heimatländer erweitert. Dem liegt das ethnokulturelle Volksverständnis zugrunde, das auf die Erhaltung eines ethnisch homogenen Staates zielt. 3.4.3 AfD-Teilorganisationen "Der Flügel" und "Junge Alternative" Zum Netzwerk der "Neuen Rechten" zählt der informelle Personenverbund "Der Flügel" der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Seine Stärke und seinen Einfluss innerhalb der Partei bewies "Der Flügel" beispielsweise am 5. Februar 2020, als der FDP-Fraktionsvorsitzende im Thüringer Landtag Thomas Kemmerich mit den Stimmen von CDU und AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, ungeachtet des eigenen, zur Wahl stehenden AfD-Kandidaten. Wenngleich der mit den Stimmen der AfD gewählte Kemmerich bereits einen Tag später seinen Rücktritt als Ministerpräsident erklärte, so ist diese Wahl ein Beispiel für den Erfolg der Rechtsextremisten innerhalb der AfD, aber auch für ihre Akzeptanz und ihre Verankerung in der Gesellschaft. Die Wahl Kemmerichs war ein Sieg des "Flügels" und seiner unumstrittenen Führungsfunktionäre, dem Thüringer AfD-Fraktionsund Landesvorsitzenden Björn Höcke und dem Brandenburger AfD-Landesund Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz. Dass die AfD ihrem eigenen Kandidaten die Stimmen in der Wahl versagte und den Kandidaten einer anderen Partei zum Ministerpräsidenten machte, verdeutlicht ihre Verachtung gegenüber der Demokratie und demokratischen Regeln. 31 Den seit Anfang 2019 unter Beobachtung stehenden informellen Personenverbund "Der Flügel" stufte das "Bundesamt für Verfassungsschutz" (BfV) am 12. März 2020 als gesichert rechtsextremistische Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ein. Gründe dafür waren die organisatorische Ausdifferenzierung des "Flügels", der undemokratische Umgang mit parteiinterner Kritik und die Vielzahl an fremden-, muslimenfeindlichen und antidemokratischen Äußerungen von "Flügel"Anhängern, die sich gegen die Menschenwürde sowie das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip wenden. Seinen Einfluss innerhalb der Partei hatte der "Flügel" im Dezember 2019 abgesichert, indem er mehrere Posten des Bundesvorstandes mit seinen Anhängern besetzte. Der Einstufung des BfV folgte die Ankündigung der Auflösung des "Flügels" zum 30. April 2020. Ob damit in Zukunft jedoch die Macht und der Einfluss von Rechtsextremisten innerhalb der AfD zurückgehen wird, ist fraglich. Dem lose organisierten "Flügel" sind bundesweit etwa 7.000 Anhänger zuzurechnen. Einzelne Mitglieder des Bremer Landesverbandes weisen eine inhaltliche oder ideologische Nähe zum "Flügel" auf, die sich insbesondere in der Ablehnung Geflüchteter sowie der Diffamierung der "politischen Gegner" zeigt. Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) Den 2016 gegründeten Bremer Landesverband der AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) beobachtet das LfV seit dem Jahr 2018 als Verdachtsfall. Während sich die JA in den Jahren 2017 und 2018 mit einer Reihe verfassungsfeindlicher Äußerungen in die politische Debatte einzubringen versuchte, trat sie 2019 kaum öffentlich in Erscheinung. Nach der Einstufung der JA zum Beobachtungsobjekt und der damit verbundenen medialen Aufmerksamkeit wurde der Bremer Landesverband in seinen öffentlichen Äußerungen zurückhaltender als zuvor. Der JA-Bundesvorstand hatte der Jugendorganisation nach der bundesweiten Einstufung der JA zum Beobachtungsobjekt Anfang 2019 Maßnahmen zur Mäßigung auferlegt, wie z.B. das Verbot der Teilnahme an Aktionen und Kundgebungen der "Identitären Bewegung". Bundesweit verzeichnete die JA einen starken Mitgliederrückgang, der die Handlungsfähigkeit der Jugendorganisation erheblich einschränkte. Die Handlungsfähigkeit des Bremer Landesverbandes wurde zusätzlich durch den Wegzug von Führungsfunktionären geschwächt. So arbeitet der ehemalige Vorsitzende des Bremer Landesverbandes mittlerweile als Büroleiter des AfD-Fraktionsund Landesvorsitzenden Björn Höcke. Ethnisches Volksverständnis Zahlreiche der von JA-Mitgliedern getätigten Äußerungen deuten auf ein ethnischbiologistisches oder ethnisch-kulturelles Verständnis von Volk hin, welches als homogene Einheit verstanden wird. Zum "deutschen" Volk gehören demnach nur diejenigen, die ihm ethnisch zugeordnet werden können. Einwanderer gehören grundsätzlich nicht dazu, gleichgültig, ob sie die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Dieses ethnische Volksverständnis widerspricht dem in der Verfassung verankerten Volksverständnis. Danach gehören alle Personen - unabhängig von ihrer ethnischen Herkunft - dem deutschen Volk an, die die entsprechende Staatsangehörigkeit besitzen. Die Bremer JA vertritt ein exkludierendes Volksverständnis, wonach bestimmten Bevölkerungsgruppen aufgrund ihrer Ethnie, Kultur und Nation die Zugehörigkeit zum deutschen Volk abgesprochen wird. Sie betrachtet die Einwanderung nach Deutschland als Gefahr für den Erhalt des "deutschen" Volks und warnt vor seinem "Austausch", d.h. der Verdrängung der "Deutschen" aus Deutschland. So beklagt sie in einem 2017 veröffentlichten Beitrag ein "multikulturalisiertes" Deutschland: "In Gröpe32 lingen ist der Große Austausch bittere Realität! Wie häufig müssen wir uns anhören, dass unsere Einwanderungskritik Hetze oder blanker Unsinn sei? Wie hart gehen Medien und die Altparteien gegen unser Begehren eines deutschen und nicht multikulturalisierten Deutschlands ins Gericht? (...) Deutschland stirbt in vielen Großstädten und die kritischen Parallelgesellschaften werden nicht nur die Mehrheit stellen, sie werden dominieren." (Facebook-Seite der JA, 20.02.2017). Zudem spricht die JA Bevölkerungsteilen die Fähigkeit ab, jemals Teil des deutschen Volkes zu werden: Sie kommentierte 2018 einen Artikel des Weser-Kuriers zu überfüllten Schulen im Bremer Stadtteil Blumenthal: "'Die Kinder sollen hier in Deutschland ankommen. Integration braucht einen langen Atem. Aber am Ende des Weges sind das Deutsche.' Nein? Man kann aus Arabern keine Deutschen zaubern." (Facebook-Seite der JA, 23.05.2018). Pauschale Abwertung von Flüchtlingen Das ethnische Volksverständnis der JA geht einher mit der Abwertung von Personen aufgrund ihrer Ethnie, Nationalität und ihres politischen oder religiösen Hintergrundes. Die pauschale Herabwürdigung von Personen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit richtet sich gegen die Menschenwürde als Kernelement der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In einem 2018 veröffentlichten Beitrag der JA werden Flüchtlinge zum Beispiel pauschal diskriminiert und verunglimpft, indem sie als nutzlos und kriminell bezeichnet werden: "Weiteres, trauriges Puzzlestück zur Realität im Jahre 2018: Die Polizei muss kapitulieren vor den Invasoren, die uns als wertvoll verkauft werden. In den Heimatländern mindestens gesellschaftlicher Bodensatz, im Aufnahmeland nicht nur nutzlos, sondern kriminell. #abschieben #remigration" (Fehler im Original, Facebook-Seite der JA, 02.05.2018). Eine pauschale Diffamierung von Asylbewerbern erfolgt auch in einer weiteren Veröffentlichung der Bremer JA 2018, in der ihnen ausnahmslos unterstellt wird, Menschen zu töten: "Wieder ein bestialischer Mord durch einen 20-jährigen abgelehnten (!) Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern. Wieder ein deutsches Opfer Merkels Willkommenspolitik und eines nicht funktionierenden Rechtsstaats. Ohne eine 180deg-Wende in unserer Rückführungspolitik, wird es nicht der letzte Tote gewesen sein. Wir fordern: Abschieben JETZT!" (Fehler im Original, Facebook-Seite der JA, 19.11.2018). Die Bremer JA verzerrt bewusst Medienberichte oder stellt sie überspitzt dar, so dass der Eindruck entsteht, die deutsche Bevölkerung würde durch von "Migranten" begangene Straftaten massiv gefährdet. Die Beiträge werden verbunden mit der Forderung nach "Remigration", der Massenabschiebung von Menschen, die der ethnopluralistischen Vorstellung nach nicht zum "deutschen" Volk gehören. Übernahme von Parolen der "Identitären" Die Bremer JA übernimmt Ideologiefragmente sowie Parolen der "Identitären". Die häufige Verwendung der Parole des "großen Austausches" sowie die Forderung nach einer "Reconquista" - also der Rückeroberung des "christlichen Abendlandes" durch die Zurückdrängung muslimischer Einflüsse - belegen die ethnopluralistische Weltanschauung des Bremer Landesverbandes. Der "große Austausch" ist das Negativszenario eines ethnokulturell veränderten Europas, in dem die europäischen Völker in ihrer ethnischen und kulturellen Zusammensetzung aufgelöst und durch nichteuropäische Einwanderer ersetzt werden. Ein 2018 im Weser-Kurier veröffentlichter Artikel unter der Überschrift "Mohamed 2017 der beliebteste Vornamen in Bremen", der die Namensgebung bei Neugeborenen thematisiert, wurde auf der Facebook-Seite der JA veröffentlicht und mit den Worten kommentiert: "Der Große Austausch ist bittere Realität in Bremen." (Facebook-Seite der JA, 04.05.2018). 33 3.4.4 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Im rechtsextremistischen Parteienspektrum war die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) lange Zeit die einzige Partei von bundesweiter Bedeutung. Mit den neonazistisch ausgerichteten Parteien "Die Rechte" und "Der III. Weg" hat die NPD mittlerweile Konkurrenz, sowohl was ihre Außenwirkung als auch ihr Personenpotenzial betrifft. Die 1964 gegründete NPD stellt mit rund 3.600 Mitgliedern im Jahr 2019 nach wie vor die mitgliederstärkste der rechtsextremistischen Parteien in Deutschland dar. Die Partei ist bundesweit auf kommunaler Ebene insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern vertreten. In den vergangenen Jahren war die NPD bei Wahlen durchgängig erfolglos. Seit mehreren Jahren besteht das strategische Grundproblem der NPD darin, dass sie einerseits zu einer von einem größeren Teil der Gesellschaft wählbaren Partei werden will und andererseits an der Beibehaltung der völkischen Ideologie sowie an der Fixierung auf den Nationalsozialismus festhält. Diese in sich widersprüchlichen Ausrichtungen versucht der seit 2014 amtierende Bundesvorsitzende Frank Franz in seinem Kurs zu vereinen. Ideologie der Volksgemeinschaft Die NPD vertritt offen fremdenfeindliche, rassistische und nationalistische Positionen, was sich auch im Parteiprogramm widerspiegelt. Allen politischen, ökonomischen und sozialen Themenbereichen oder Sachfragen liegt hier das Konzept der ethnisch homogenen Volksgemeinschaft zugrunde und damit ein antiindividualistisches Menschenbild sowie ein identitäres Politikund Staatsverständnis. Die Volksgemeinschaft als Gegenentwurf zur Demokratie gilt für die NPD als alternativloses Konzept. Die Verfassungsfeindlichkeit der NPD bekräftigte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zum Verbotsverfahren gegen die NPD im Januar 2017. Das von der Partei propagierte Ziel, den demokratischen Rechtsstaat durch eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft zu ersetzen, missachte die Menschenwürde und sei mit dem Demokratieund Rechtsstaatsprinzip unvereinbar. NPD droht Ausschluss aus der staatlichen Parteienfinanzierung Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung legten am 19. Juli 2019 dem Bundesverfassungsgericht einen Antrag auf Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung vor. Ein solcher Antrag ist aufgrund einer Grundgesetzänderung möglich geworden, die nach dem Ende des NPD-Verbotsverfahren 2017 verabschiedet worden war. Ein Wegfall der staatlichen Parteienfinanzierung würde die NPD, die angesichts der fortwährend schwachen Wahlergebnisse in den letzten Jahren ohnehin weniger als zuvor von der staatlichen Unterstützung profitiert, in ihrer Aktionsund Handlungsfähigkeit weiter einschränken. NPD in Bremen Der Bremer Landesverband der NPD ist in den vergangenen Jahren kaum noch öffentlich in Erscheinung getreten. Ein Grund für die Passivität des Landesverbandes ist sein Mangel an geeigneten Führungspersonen und die damit verbundene intellektuelle sowie organisatorische Schwäche. Er kämpft seit Jahren mit einem starken 34 Mitgliederrückgang. Die politische Erfolglosigkeit der Bremer NPD zeigte sich bei der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft im Mai 2019: Die NPD kandidierte lediglich auf kommunaler Ebene und verfehlte dabei ihr Ziel, in die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven einzuziehen. Ein solches Mandat hatte der NPD-Landesvorsitzende Horst Görmann von 2003 bis 2019 inne. Die NPD ist nunmehr weder auf Kommunalnoch auf Landesebene in Bremen vertreten. Angesichts seiner Schwäche spielt der Bremer Landesverband zurzeit keine Rolle innerhalb der rechtsextremistischen Szene Bremens. Gleichwohl handelt es sich bei den Mitgliedern des NPD-Landesverbandes um langjährige Szeneangehörige, die offen fremdenfeindliche, rassistische und nationalistische Positionen vertreten. Neonazis "Neonazi" ist die Kurzform für "Neonationalsozialist". Fälschlicherweise werden die Begriffe "Neonazi" und "Rechtsextremist" häufig synonym verwendet. Neonazis bezeichnen sich selbst häufig als "Freie Kräfte" oder "Freie Nationalisten". Der Neonazismus, der als ein Teilbereich des Rechtsextremismus gilt, ist dadurch gekennzeichnet, dass er in der Tradition des Nationalsozialismus steht. Neonazis vertreten mit ihrer starken Bezugnahme auf die nationalsozialistische Ideologie revisionistische Positionen. Sie greifen zudem die typischen rechtsextremistischen Ideologieelemente wie Fremdenund Islamfeindlichkeit, Rassismus und Nationalismus auf. Ihr Ziel besteht darin, die staatliche Ordnung Deutschlands, die sie als "das System" bezeichnen, durch einen totalitären Führerstaat nationalsozialistischer Prägung mit einer ethnisch homogenen Bevölkerungsstruktur zu ersetzen. Ethnische Vielfalt und Meinungsvielfalt bedrohen die von Neonazis angestrebte "Volksgemeinschaft", die Personen ausländischer Herkunft kategorisch ausschließt und in der sich jedes Individuum dem vorgegebenen Gesamtwillen unterzuordnen hat. Trotz übereinstimmender Grundüberzeugungen ist die neonazistische Szene ideologisch nicht homogen, die verschiedenen Ideologieelemente sind vielmehr je nach Gruppe unterschiedlich stark ausgeprägt. 3.4.5 Partei "Die Rechte" Mit dem im Jahr 2018 gegründeten Landesverband der Partei "Die Rechte" existiert eine weitere rechtsextremistische Partei in Bremen. Deren Landesvorsitzender, ein langjähriger Angehöriger der neonazistischen Szene Bremens, hatte zuvor Führungsfunktionen bei der NPD inne. In Bremen hatte es von 2013 bis 2015 bereits eine "Landesgruppe" der Partei gegeben. Der Bundesverband der Partei wurde 2012 von Christian Worch gegründet, der ein bekannter Protagonist der neonazistischen Szene ist und von 2012 bis 2017 ihr Bundesvorsitzender war. Die Partei verfügte 2019 über mehrere Landesverbände vor allem in Ostund Süddeutschland, mehrere Kreisverbände und zählte bundesweit 2019 etwa 550 Mitglieder. Den organisatorischen Schwerpunkt der Partei bildet Nordrhein-Westfalen, wo sich ihr aktivster und mitgliederstärkster Landesverband befindet. Die Wahl der aus Nordrhein-Westfalen stammenden Bundesvorsitzenden 2018 verdeutlicht die Dominanz des Landesverbandes innerhalb der Partei. Handlungsfähige Parteistrukturen existieren dort auch unterhalb der Ebene des Landesverbandes in den Kreisverbänden. Die Führungspositionen sind dort vor allem von früheren Aktivisten verbotener neonazistischer Kameradschaften besetzt. Insofern gilt der nordrhein-westfälische 35 Landesverband als Auffangbecken für Neonazis, die ihre Aktivitäten und Veranstaltungen unter dem Deckmantel der Partei, d.h. unter Ausnutzung des Parteienprivilegs, fortführen können. "Die Rechte" ist neonazistisch geprägt, ihre ideologischen Schwerpunkte bilden der Neonationalsozialismus, Antisemitismus und die Fremdenfeindlichkeit. In der zur Gründung des Bremer Landesverbandes veröffentlichten Pressemitteilung wird das Ziel der rechtsextremistischen Partei deutlich, das im Aufbau "nationaler Strukturen" besteht: "Während an der Bürgerweide die Toten Hosen ihre linke Musik spielten, Bürgermeister Carsten Sieling in seinem Größenwahn Bremen als 'Bollwerk gegen Plakat der Partei den Rechtstrend der Republik' ausrief und knapp 100 politisch Verwirrte im Rahmen "Die Rechte" der Seebrücken-Aktion in Bremerhaven für unkontrollierte Masseneinwanderung protestierten, setzt sich genau dieser Rechtstrend in unserem Bundesland fort. Zukünftig wird in den Reihen der Partei DIE RECHTE der (Wieder-)Aufbau nationaler Strukturen in unserem Bundesland vorangetrieben. (...) Im kleinsten Bundesland der BRD, unserem einstmals schönen Stadtstaat, werden wir die nationale Bewegung wieder in die Offensive bringen. Die Zeit, in der Nationalisten entlang der Weser ihre Gesinnung versteckt haben oder die Öffentlichkeit scheuten, ist vorbei." (Fehler im Original, Internetseite der Partei "Die Rechte": Wir nehmen Kurs: Die Rechte gründet Landesverband in Bremen! 05.08.2018). "Die Rechte" in Bremen Als einzige rechtsextremistische Partei trat der Bremer Landesverband der Partei "Die Rechte" zur Wahl der Bremischen Bürgerschaft im Mai 2019 an. Die Partei erreichte lediglich 0,04% der Stimmen und verfehlte damit deutlich ihr Ziel, in die Bürgerschaft (Landtag) als auch in die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven einzuziehen. Während des Wahlkampfes, der sich auf Bremerhaven konzentrierte, veranstalteten Mitglieder der Partei "Die Rechte" mehrere Informationsstände. Auf Flyern und Plakaten warb die Partei mit rechtsextremistischen Parolen wie "Wenn wir in ein Aufkleber der Partei Parlament einziehen, dann kommen wir als Feinde!", "Wir packen an: Einwanderung "Die Rechte" stoppen, Sozialabbau bekämpfen, Volksverräter abstrafen!" oder "Israel ist unser Unglück!". Nach der Wahl reduzierten sich die Aktionen der Partei auf einzelne Plakatund Banneraktionen. Die Aktionen der Partei zielen generell auf die Einschüchterung und Provokation ihrer "politischen Gegner". In Anlehnung an die vom Bundesverband und vom nordrheinwestfälischen Landesverband verfolgte Strategie bemühen sich Mitglieder der Partei in Bremerhaven um die Markierung "ihres" Territoriums. Insgesamt zeigen jedoch das schlechte Wahlergebnis der Partei bei der Bürgerschaftswahl 2019, der stagnierende Aufbau von Organisationsstrukturen sowie die geringe Mobilisierungsfähigkeit von Gleichgesinnten zu Aktionen, dass die Partei weder mit ihren rechtsextremistischen Positionen anschlussfähig an größere Teile der Gesellschaft ist noch dass sie innerhalb der rechtsextremistischen Szene Bremens eine führende Stellung einimmt. 3.4.6 Rechtsextremistische "Mischszene" Bremens In Bremen existiert seit langem eine "Mischszene" aus aktionsund gewaltorientierten Rechtsextremisten und Angehörigen anderer gewaltaffiner Szenen wie Hooligans oder Rockern. Das Bedrohungspotenzial liegt dabei weniger in der ideologischen Grundüberzeugung als vielmehr in der hohen Gewaltbereitschaft, die von Personen 36 aus diesen Spektren ausgeht und die mittels rechtsextremistischer Einflussnahme instrumentalisiert werden kann. Rechtsextremisten sind vielfach in der Lage, anlassund ereignisbezogen solche gewaltaffinen Gruppierungen zur Begehung von politisch motivierten Straftaten zu mobilisieren. Daher ist auch nicht nur die absolute Zahl der Rechtsextremisten maßgebend bei der Darstellung der rechtsextremistischen Bedrohung, sondern zugleich das sonstige gewaltbereite Rekrutierungspotenzial einzubeziehen. Die 2019 in Erscheinung getretene rechtsextremistische Gruppierung "Phalanx 18" ist ein Exempel dieser "Mischszene": Ihre Mitglieder stammten überwiegend aus der gewaltbereiten Hooligan-Szene, hingen einem rechtsextremistischen Weltbild an, gleichwohl waren nur wenige von ihnen dem LfV vor ihrem öffentlichen Auftreten als Rechtsextremisten bekannt. "Phalanx 18" Die rechtsextremistische Gruppierung "Phalanx 18" ist am 6. November 2019 vom Senator für Inneres mit der Begründung verboten worden, dass Tätigkeit und Zweck des Vereins sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richten. Das Verbot umfasst sämtliche Nachfolgeorganisationen sowie Symbolik und Losung der Gruppierung. Mit der Werbung für einen rechtsextremistischen Liederabend war die Gruppierung in der ersten Jahreshälfte 2019 erstmals in Erscheinung getreten. "Phalanx 18" hatte für den Jahrestag der Reichspogromnacht am 9. November 2019 einen Liederabend "im Herzen Bremens" geplant, in dessen Rahmen rechtsextremistische Bands aus Thüringen hätten auftreten sollen. Öffentliches Aufsehen erregte die Gruppierung am 5. Oktober 2019, als sie sich eine körperliche Auseinandersetzung mit mutmaßlich aus dem linksextremistischen Spektrum stammenden Personen in einem Lokal an der "Schlachte" in der Bremer Werbeflyer für rechtsextremisInnenstadt lieferte. Vor der Auseinandersetzung waren Mitglieder der Gruppierung tischen Liederabend in Bremen durch das Bremer Viertel gezogen und hatten unter anderem Aufkleber mit der Absicht verteilt, ihren "politischen Gegner" zu provozieren. In den Monaten zuvor waren Mitglieder von "Phalanx 18" wiederholt in aggressiver Weise ihren "politischen Gegnern" gegenüber aufgetreten. Neben Beleidigungen und Provokationen rief die Gruppierung auch zu Gewalttaten auf. Das Verbot konnte eine weitere Radikalisierung ihrer Mitglieder verhindern. "Phalanx 18" vertrat ein rechtsextremistisches Weltbild, was sich beispielsweise in der Namensgebung wie auch in der Selbstbeschreibung zeigt: Der ursprünglich aus dem Griechischen stammende Begriff "Phalanx" beschreibt eine militärische Schlachtaufstellung im antiken griechischen Stadtstaat Sparta, die den koordinierten Einsatz von Schilden und Speeren vorsieht. Zugleich steht der Begriff stellvertretend für "geschlossene Reihen" oder "geschlossene Fronten". In der rechtsextremistischen Szene wird die "Phalanx" und deren Erkennungszeichen - der griechische Buchstabe Lambda ("") - oftmals als Symbolbild für den "Kampf gegen Überfremdung" genutzt. Verbreitung fand das Symbol zuletzt durch die "Identitäre Bewegung", die das LambFlyer der Gruppierung da als Markenund Erkennungszeichen verwendet. Das Zahlenkürzel "18" steht in "Phalanx 18" der rechtsextremistischen Szene für die Initialen Adolf Hitlers. Der Wahlspruch der Gruppierung, der da lautet "Meine Heimat, meine Treue", ähnelt der Losung der nationalsozialistischen "Schutzstaffel" (SS) "Meine Ehre heißt Treue". Ihre rechtsextremistische Grundausrichtung beschreibt die Gruppierung in einem Manifest unter der Überschrift "FREI - STOLZ - DEUTSCH": "Wir sind ein Verbund treuer, stolzer, heimatliebender Deutscher Kameraden, die es wunderbar finden DEUTSCH zu sein. Wir präsentieren unsere Einstellung öffentlich, um den Menschen zu zeigen, dass man auf seine Heimat STOLZ sein kann, ohne sich zu verstecken und zu schämen. [...] Wir treten den "Deutsch sein" Hassern mit Argumenten, Zusammenhalt, Fragen, Antworten, Diskussionen und Präsenz entgegen. Denn die Tradition schlägt jeden Trend. Wir wollen aufzeigen, dass man, wenn man zu seiner Heimat steht, nicht nur Feinde hat, sondern auch viele Freunde 37 und Kameraden, die hinter einen stehen. [...] Der Umerziehungskult in unserem Land muss ein Ende haben, lerne auch DU wieder es zu lieben DEUTSCH zu sein." (Fehler im Original, Telegram-Kanal von "Phalanx 18", 02.10.2019). "Nordic 12" In Bremen trat die rechtsextremistische Gruppierung "Bruderschaft Nordic 12", die 2014 aus der Gruppe "Brigade 8 - Bremen Crew" hervorgegangen war, in den vergangenen Jahren kaum öffentlich in Erscheinung. Nichtsdestotrotz sind ihre Anhänger weiterhin politisch aktiv. Die sich als "patriotisch" bezeichnende Gruppierung bediente sich in Anlehnung an sogenannte "Outlaw-Motorcycle-Gangs" eines martialischen Erscheinungsbildes. "Nordic 12" ist insbesondere um die strategische Vernetzung der rechtsextremistischen Szene Bremens im Kampf gegen das politische "System" bemüht. Rechtsextremistisch beeinflusste Hooligans Die Bremer Hooligan-Szene war jahrelang wegen der Hooligan-Gruppierungen "Standarte Bremen", "City Warriors" und "Nordsturm Brema" sowie der FußballfanGruppierung "Farge Ultras" bundesweit bekannt. Auch wenn einige dieser Gruppierungen in der Vergangenheit vorgaben, sich aufgelöst zu haben, sind ihre ehemaligen Mitglieder und Anhänger weiterhin aktiv. Die Gruppierungen gelten als "rechtsextremistisch beeinflusst", das heißt, dass es sich bei einzelnen Mitgliedern um überzeugte Rechtsextremisten handelt. In der Regel sind Hooligans unpolitisch, lediglich ein Teil davon ist rechtsextremistisch oder fremdenfeindlich motiviert. Seit den 1980er-Jahren versuchen Rechtsextremisten, sowohl Hooligans gezielt abzuwerben und sie für ihre politischen Ziele zu instrumentalisieren als auch die Hooligan-Szene zu unterwandern. Rechtsextremistische Musik Musik hat eine wichtige Funktion für die rechtsextremistische Szene, weil die typischen Feindbilder in Liedtexten leicht dargestellt und vermittelt werden können. Um eine breite Zuhörerschaft zu erreichen, verdecken manche rechtsextremistischen Bands ihren ideologischen Hintergrund. Nach wie vor finden Jugendliche den Einstieg in die rechtsextremistische Szene neben sozialen Netzwerken häufig über die Musik. Konzerte bilden eine Gelegenheit für Szene-Treffs und stärken das Zusammengehörigkeitsgefühl. Gleichzeitig vermitteln sie den Jugendlichen einen Erlebnischarakter, auch weil sie häufig konspirativ organisiert sind. Der Anstieg von Musikveranstaltungen in den vergangenen Jahren belegt die Bedeutung von Musik für eine sich stark verändernde rechtsextremistische Szene. Neben Konzerten und Liederabenden gibt es vielfach auch Musikbeiträge im Rahmen von politischen Veranstaltungen. Die rechtsextremistischen Musikveranstaltungen "Tag der nationalen Bewegung" im thüringischen Themar und das "Schild & Schwert-Festival" im sächsischen Ostritz zogen auch im Jahr 2019 jeweils mehrere Hundert Besucher an, wenngleich beide Veranstaltungen im Vergleich zum Vorjahr einen Besucherrückgang verzeichneten. Beide Veranstaltungen fanden unter strengen Auflagen statt, wie Alkoholoder Auftrittsverbote für bestimmte Bands. Skinhead-Band "Endstufe" Die 1981 in Bremen gegründete rechtsextremistische Band "Endstufe" ist bundesweit eine der ältesten, aktiven "Skinhead Bands". Im Rahmen von rechtsextremistischen Konzerten trat "Endstufe" im Jahr 2019 sowohl bundesweit als auch international auf, wie etwa beim "Skinheads Back To The Roots Festival" im sächsischen Ostritz im 38 März 2019 sowie beim "Live & Loud"Konzert in Belgien im September 2019. Hooligan-Band "Kategorie C" Die 1997 gegründete, bundesweit bekannte und aktive rechtsextremistische Hooligan-Band "Kategorie C - Hungrige Wölfe" (KC) gilt seit Jahren als Bindeglied der 2019 erschienene CD der Hooliganund der rechtsextremistischen Szene, weil sie in beiden Szenen vor allem Band "Endstufe" wegen ihrer gewaltverherrlichenden Lieder beliebt ist und insbesondere mit ihren Konzerten zum Zusammenhalt und zur Mobilisierung der Szene beiträgt. Mittlerweile hat sich der Schwerpunkt der rechtsextremistische Hooligan-Band nach Niedersachsen verschoben. "Hammerskins" Die seit Beginn der 1990er-Jahre in Deutschland existierende rechtsextremistische Skinhead-Organisation "Hammerskins" beschäftigt sich vorwiegend mit der Planung und Durchführung rechtsextremistischer Konzerte. Vor dem Hintergrund ihres rassistischen und nationalistischen Weltbildes verfolgt die Organisation das Ziel, alle "weißen nationalen Kräfte" in einer weltweiten "Hammerskin-Nation" zu vereinigen. Die 1988 in den USA gegründeten "Hammerskins" verstehen sich als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene und sind straff und hierarchisch organisiert. Die "Hammerskin Nation" ist in nationale Divisionen aufgeteilt, die wiederum in regionale "Chapter" gegliedert sind. In Deutschland gibt es derzeit etwa zehn "Chapter", wobei das "Hammerskin-Chapter Bremen" zu den ältesten gehört. Abgesehen von Konzertveranstaltungen treten die konspirativ agierenden "Hammerskins" selten öffentlich in Erscheinung. 4 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" 39 40 4. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Mit dem Verbot der Organisation "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) am 19. März 2020 durch den Bundesinnenminister ist erstmals eine Gruppierung aus dem Spektrum der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" verboten worden. Die verfassungsfeindliche Haltung der Gruppierung wird in ihrer Ablehnung der Legitimität der Bundesrepublik deutlich, die sie als von Juden dominiertes Firmenkonstrukt versteht. Neben der Verbreitung von insbesondere antisemitischen Positionen bedrohten ihre Mitglieder staatliche Funktionsträger teilweise in massiver Weise. Struktur und Ideologie Das Spektrum der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ist ideologisch sowie organisatorisch heterogen. Ihm gehören vor allem Einzelpersonen und kleine Gruppierungen an, die jeweils ihre eigenen Theorien und Argumentationsmuster verfolgen. Ebenso wie im Vorjahr zählte der Verfassungsschutz 2019 bundesweit rund 19.000 Personen zu diesem Spektrum. Die Nicht-Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland und seiner Rechtsordnung ist das verbindende Element sämtlicher "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". "Reichsbürger" bestreiten die Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und berufen sich in Abgrenzung dazu auf den Fortbestand eines "Deutschen Reiches". Die Reorganisation des "Deutschen Reiches" gehört zu den häufigsten Handlungslinien von "Reichsbürgern", insofern weist ihre Ideologie revisionistische Bezüge auf. Bisweilen unterbleibt aber auch eine Bezugnahme auf die "Reichsidee" und die Personen proklamieren ihre Wohnung oder ihr Grundstück Türschild eines "Selbstverals eigenes Staatsgebiet. Sogenannte "Selbstverwalter" glauben, durch eine entsprewalters" chende Erklärung aus Deutschland "austreten" zu können. Angehörige des Spektrums erachten das Grundgesetz, Bundesund Landesgesetze sowie Bescheide von Behörden und Urteile von Gerichten als nichtig und geben sich stattdessen eigene Gesetze oder berufen sich auf ein selbst definiertes Naturrecht. Regelmäßig propagieren "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Verschwörungsfantasien, die zum Teil antisemitisch konnotiert sind. Explizit rechtsextremistische Positionen vertritt jedoch nur eine Minderheit; zum Teil sind die Ideen auch von sozialistischen Haltungen grundiert. Manche Gruppierungen sind zudem esoterisch geprägt. Wenngleich sich das heterogene Spektrum kaum ideologisch einordnen lässt, sind "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" als extremistisch zu bewerten, weil sie die völkerrechtliche Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland leugnen und sich damit gegen den Bestand des Staates sowie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden. Aktivitäten Die fundamentale Ablehnung der bestehenden Rechtsordnung zeigt sich in besonderem Maße im Verhalten von "Reichsbürgern" gegenüber Behörden und deren Mitarbeitern. Ihr Ziel besteht darin, die Funktionsfähigkeit des Staates erheblich zu beeinträchtigen, indem sie staatliche Institutionen und staatliche Maßnahmen sabotieren. Zum Beispiel versenden Angehörige des Spektrums massenhaft Schreiben mit 41 unsinnigen Forderungen an Behörden oder erklären den Mitarbeitern der öffentlichen Verwaltung, dass diese nur Personal der "BRD-GmbH" oder des "BRD-Systems" Selbstentworfener Ausweis seien, weshalb gerichtliche oder behördliche Entscheidungen rechtswidrig seien. eines "Reichsbürgers" Sie argumentieren häufig in pseudojuristischer Weise, das heißt, dass sie in ihren Argumentationen oft wahlund zusammenhangslos Gesetze und Urteile heranziehen. Im persönlichen Kontakt mit Behördenmitarbeitern zeigen "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" oftmals ein hohes verbales Aggressionspotenzial: Beleidigungen, Bedrohungen und Nötigungen sind das Mittel der Wahl. Die Übernahme von Fantasieämtern ist ein häufiges Merkmal von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern", sie sehen sich beispielsweise als "Reichskanzler", "Polizeipräsidenten" oder "Angehörige Preußens" und handeln im Namen von "(Kommissarischen) Reichsregierungen". Dazu fertigen sie Fantasiedokumente wie Führerscheine, Staatsangehörigkeitsausweise oder Rechtsgutachten an. Das heterogene und überwiegend aus Einzelpersonen und kleineren Gruppierungen bestehende Spektrum ist insbesondere über das Internet und soziale Netzwerke miteinander verbunden. In den vergangenen Jahren ist eine Zunahme der Aktivitäten von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" in sozialen Netzwerken zu verzeichnen. Dort mobilisieren Angehörige zum einen Unterstützer für ihre Aktivitäten und verbreiten zum anderen ihre abstrusen Theorien. So veröffentlichen sie beispielsweise ihre Urteilsund Gesetzesinterpretationen, liefern Vorlagen für ihre Argumentationslinien sowie Dokumente und führen vermeintliche Belege für ihre Verschwörungstheorien an. Gewalt und Affinität zu Waffen Wenngleich es in den vergangenen Jahren lediglich in Einzelfällen zu konkreten Gewalthandlungen kam, zeigen die Angriffe von "Reichsbürgern" auf Polizisten in Sachsen-Anhalt und Bayern im Jahr 2016, bei denen mehrere Polizisten durch Schüsse verletzt und ein Polizist getötet worden ist, das hohe Gewaltpotenzial, das von einzelnen Anhängern dieses Spektrums ausgeht. Viele Angehörige haben eine grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber dem Staat, welche insbesondere bei behördlichen Maßnahmen, die durchweg als unrechtmäßig empfunden werden, zu Widerstandshandlungen führen kann. So betrachteten Teile des Spektrums die Gewalttaten 2016 als zwangsläufige "Notwehrhandlungen". Insgesamt weisen Anhänger des Spektrums eine hohe Affinität zu Waffen auf und einige von ihnen verfügen über eine Waffenbesitzkarte, d.h. sie haben Zugriff auf Schusswaffen und sonstige erlaubnispflichtige Waffen. Bundesweit entzogen die Waffenbehörden zahlreichen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" ihre Waffen. In Bremen veröffentlichte der Senator für Inneres bereits in den Jahren 2016 und 2018 Erlasse zur Entziehung der waffenrechtlichen Erlaubnisse. Darin wird "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" grundsätzlich die charakterliche Eignung zum Führen von Waffen abgesprochen. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Bremen Das Spektrum der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" in Bremen besteht überwiegend aus Einzelpersonen und Kleingruppen. Im Jahr 2019 zählten rund 115 Personen dazu. Der leichte Rückgang des Personenpotenzials im Vergleich zum Vorjahr (2018: 130 Personen) ist auf die generell hohe Fluktuation in dem Spektrum und auf die 42 Abwanderung von Personen infolge einer gestiegenen öffentlichen Wahrnehmung zurückzuführen. Die Aktivitäten von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" in Bremen zeigen sich zum einen in der vielfältigen Propaganda im Internet und in sozialen Netzwerken, die zum Teil antisemitische Verschwörungsfantasien oder geschichtsrevisionistische Thesen enthält. Ihre Ideologie weist hier eine besonders große Überschneidung zur rechtsextremistischen Ideologie auf. Insbesondere mit antisemitisch konnotierten Verschwörungsfantasien finden Rechtsextremisten somit großen Zuspruch auch bei "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern". Zum anderen sind zahlreiche Bremer Behörden mit den "Anliegen" von "Reichsbürgern" beschäftigt, insbesondere die Justiz, das Stadtamt und die Steuerverwaltung. Dabei treten "Reichsbürger" unter anderem mit Beleidigungsdelikten, Urkundenfälschung oder mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte in Erscheinung. Angehörige des Spektrums beabsichtigen zum Beispiel, ihren Personalausweis abzugeben, oder verweigern die Zahlung von Gebühren. Sehr häufig stellen sie mit Bezug auf ihre "Reichsideen" auch Anträge auf "Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit" und berufen sich bei der Ausstellung des Dokuments beispielsweise auf die Staatsangehörigkeit des "Königreichs Preußen" oder beantragen Zusätze, wie "ist Deutscher mit der Staatsangehörigkeit im Bundesstaat Preußen". 5 Linksextremismus 43 Seitenzahl 44 5.1 Linksextremistisches Weltbild und linksextremistische Strukturen 47 5.2 Gruppierungen des gewaltorientierten Linksextremismus 54 5.3 Aktivitäten gewaltorientierter Linksextremisten 54 5.3.1 Proteste gegen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten 57 5.3.2 Kampf um bezahlbaren Wohnraum 59 5.3.3 Proteste gegen "staatliche Repression" 61 5.3.4 "Klimaproteste" 63 5.3.5 Proteste gegen die Bundeswehr 44 5 Linksextremismus Die Zahl der "militanten Aktionen" erreichte in Bremen mit 31 Taten im Jahr 2019 ihren Höhepunkt. Der Großteil der Brandanschläge und Sachbeschädigungen richtete sich gegen Immobilienund Wohnungsunternehmen. Der Kampf um bezahlbaren Wohnraum stellte einen Schwerpunkt der Aktivitäten der gewaltorientierten linksextremistischen Szene im Jahr 2019 dar. Ein weiterer Aktionsschwerpunkt der linksextremistischen Szene waren die "Klimaproteste", bei denen versucht wurde, extremistische Positionen in den demokratischen Protest einfließen zu lassen. Massive Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten sich beispielsweise gewaltorientierte Linksextremisten am Vorabend der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft am 25. Mai 2019. Sie bewarfen Polizisten unter anderem mit Flaschen, zündeten Pyrotechnik und entfachten Feuer. Zeitgleich griffen einige von ihnen gleich drei Polizeireviere in Bremen an und setzten Fahrzeuge in Brand. 5.1 Linksextremistisches Weltbild und linksextremistische Strukturen Linksextremisten eint das Ziel der Überwindung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung und die Errichtung eines herrschaftsfreien oder kommunistischen Systems. Während dogmatische Kommunisten die Überwindung des politischen Systems und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft über eine Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" anstreben, zielen Anarchisten, Antiimperialisten und Autonome auf die Abschaffung jeglicher Form von "Herrschaftsstrukturen". In der linksextremistischen Ideologie wird die Forderung nach sozialer Gleichheit unter Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates verabsolutiert. Das Ziel soll dabei unter Missachtung der Grundwerte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung erreicht werden und würde grundlegende Prinzipien der Verfassung außer Kraft setzen. Betroffen ist davon nicht nur das in der Verfassung verankerte Rechtsstaatsoder Demokratieprinzip, insbesondere die grundrechtlich geschützten Freiheiten würden dadurch weitgehend außer Kraft gesetzt werden. Autonome Autonome erheben den Anspruch, nach eigenen Regeln leben zu können, und streben nach einem hierarchiefreien, selbstbestimmten Leben innerhalb "herrschaftsfreier" Räume. Sie beziehen sich ideologisch vor allem auf anarchistische und kommunistische Theoriefragmente, wobei ihre ideologischen Vorstellungen insgesamt diffus bleiben. Da formelle Strukturen und Hierarchien grundsätzlich abgelehnt werden, ist die autonome Szene stark fragmentiert und besteht hauptsächlich aus losen Personenzusammenschlüssen, die anlassbezogen gegründet werden und sich ebenso kurzfristig auflösen. Autonome Linksextremisten erachten ihre Eigenund Selbstständigkeit für so wichtig, dass sie sich in der Regel in keine festen politischen Strukturen integrieren. Teile der autonomen Szene beteiligen sich jedoch an bürgerlich-demokratischen Bündnissen und nutzen diese, um zivilgesellschaftliche Proteste in ihrem Sinne zu radikalisieren und ihre politischen Vorstellungen in die Gesellschaft zu tragen. Mit der Taktik der Bündnispolitik gelingt es Autonomen immer wieder, insbesondere im Bereich "Antifaschismus", mit bürgerlich-demokratischen Gruppen zusammenzuarbeiten, die ihre 45 extremistischen Ansichten im Grunde ablehnen. Ein Teil der autonomen Szene lässt sich inzwischen deutlich von der ursprünglichen autonomen Szene abgrenzen und wird als "postautonom" bezeichnet. Während sich Autonome traditionell insbesondere durch ihre Organisationsfeindlichkeit, Gewaltbereitschaft und Theorieferne auszeichnen, können Postautonome lediglich noch als organisationskritisch, weniger gewaltbereit und oftmals als theoretisch gefestigter beschrieben werden. Ihre gesellschaftliche Isolation wollen sie vor allem dadurch durchbrechen, dass sie eine Scharnierfunktion zwischen gewaltbereiten Linksextremisten und gemäßigten, bürgerlichen "Linken" einnehmen. Gewalt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung Die Anwendung von Gewalt zur Erreichung politischer Ziele ist dabei einer der strittigsten Punkte innerhalb der linksextremistischen Ideologie. Während der Großteil der Linksextremisten auch aus taktischen Gründen auf die konkrete Ausübung von Gewalt verzichtet, ist die Notwendigkeit von Gewalt innerhalb der gewaltorientierten linksextremistischen Szene unumstritten. Zur gewaltorientierten linksextremistischen Szene zählen nicht nur Personen und Gruppierungen, die selbst gewalttätig handeln oder gewaltbereit gegen ihre "politischen Gegner" vorgehen, sondern ebenso diejenigen, die Gewalt unterstützen oder Gewalt befürworten. Die Gewaltorientierung einer Person oder Gruppierung kann sich zum einen aus ihrer ideologischen Ausrichtung und zum anderen aus ihren konkreten Handlungen ergeben. Dazu gehören beispielsweise das Propagieren der Notwendigkeit von Gewalt im Kampf gegen das "politische System" vor einem ideologischen Hintergrund, Appelle an politische Mitstreiter zur Ausübung von Gewalt oder die billigende Inkaufnahme von Gewalttätigkeiten politischer Mitstreiter, etwa mit der Begründung, im Hinblick auf ein politisches Ziel Geschlossenheit der Szene demonstrieren zu wollen. Gewaltorientierte Linksextremisten befürworten zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen die Anwendung von Gewalt gegen den Staat, seine Einrichtungen und Repräsentanten sowie gegen (vermeintlich) rechtsextremistische Strukturen und Personen. Gewalt wird häufig mit der von Staat und Gesellschaft ausgehenden "strukturellen Gewalt" gerechtfertigt. Gewalt ist in dieser Szene aber nicht nur ein Mittel zur Bekämpfung des "staatlichen Repressionsapparates", sondern zugleich auch ein identitätsstiftendes Merkmal. Viele Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene sehen darin einen Akt der individuellen Selbstbefreiung. Unterschieden werden kann in diesem Zusammenhang die konfrontative Gewalt von den sogenannten "militanten Aktionen": Konfrontative Gewalt Im Rahmen von Demonstrationen führt die hemmungslose Gewalt von Linksextremisten regelmäßig zu massiven gewalttätigen Ausschreitungen. Gewalttätige Linksextremisten greifen Polizisten und (vermeintliche) Rechtsextremisten gezielt u.a. mit Steinen, Flaschen und pyrotechnischen Gegenständen an. In den vergangenen 46 Jahren zeigten Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene in Auseinandersetzungen mit Polizisten und ihren "politischen Gegnern" bundesweit ein brutales Vorgehen, welches ein Absenken der Hemmschwelle verdeutlicht, auch schwerste Verletzungen zu verursachen. In diesem Zusammenhang ist häufig die Rede von einer zunehmenden szenedefinierten "Entmenschlichung des politischen Gegners". An gewalttätigen Auseinandersetzungen beteiligen sich neben Linksextremisten häufig auch "anpolitisierte" oder gänzlich unpolitische, erlebnisorientierte Jugendliche. Ihnen geht es weniger um konkrete politische und auf Systemüberwindung ausgerichtete Ziele als um den "Erlebnischarakter", der von solchen Ereignissen ausgeht; auch das Ausleben eines Aggressionspotenzials ist vielfach handlungsleitend. Exemplarisch für konfrontative Gewalt waren die massiven gewalttätigen Ausschreitungen während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg. "Militante Aktionen" "Militante Aktionen" in Form von Sachbeschädigungen und Brandstiftungen werden von konspirativ agierenden Kleingruppen zumeist nachts durchgeführt. Gebäude und Fahrzeuge von Behörden, Parteien, Unternehmen und auch Privatpersonen werden u.a. durch Steinwürfe und Farbe beschädigt oder in Brand gesetzt. Darüber hinaus erfolgen in diesem Rahmen auch gezielte Angriffe auf Personen. Konspirative Kleingruppen greifen vor allem (vermeintliche) Rechtsextremisten vorwiegend in ihrem privaten Wohnumfeld an. Diese gezielten und geplanten Anschläge sollen eine Signalwirkung entfalten. Zum einen geht es den Tätern um mediale Resonanz und zum anderen sollen die betroffenen Institutionen oder Personen zu einer Verhaltensänderung genötigt werden. Im Nachhinein werden die Taten oftmals in Selbstbezichtigungsschreiben ideologisch begründet und im Internet veröffentlicht. Unterzeichnet werden die Selbstbezichtigungsschreiben häufig mit fiktiven Gruppennamen. Mit ihrer Einstellung, politische Ziele gewaltsam zu verfolgen, setzen sich gewaltorientierte Linksextremisten über das Gewaltmonopol des Staates und den Grundkonsens demokratischer Verfassungsstaaten hinweg, gesellschaftspolitische Veränderungen ausschließlich auf demokratischem Wege herbeizuführen. Daher steht der gewaltorientierte Teil der linksextremistischen Szene im Fokus der Beobachtung durch das LfV. 5.2 Gruppierungen des gewaltorientierten Linksextremismus In Bremen kann die gewaltorientierte linksextremistische Szene zu bestimmten Anlässen, beispielsweise zu Spontandemonstrationen, auch sehr kurzfristig über 200 Personen mobilisieren. Eine maßgebliche Funktion bei der Organisierung von Protesten nehmen in Bremen die beiden postautonomen Gruppierungen "Interven47 tionistische Linke" (IL) und "Basisgruppe Antifaschismus" (BA) ein. "Interventionistische Linke" Die IL gehört zu den postautonomen Gruppierungen, die eine Organisierung der "linken" Szene zur Erreichung ihrer politischen Ziele für notwendig halten. Die Bremer Ortsgruppe der IL war im Jahr 2014 aus der Ortsgruppe der Gruppierung "Avanti - Projekt undogmatische Linke" ("Avanti")" hervorgegangen. Die Mehrheit der 1989 gegründeten "Avanti"-Ortsgruppen hatte 2014 ihre Auflösung als selbständige Organisation und ihren Beitritt zu der bundesweit agierenden IL erklärt. Die IL entwickelte sich damit von einem Netzwerk aus linksextremistischen und auch nichtextremistischen Gruppierungen und Einzelpersonen zu einer Organisation mit lokalen Ortsgruppen. Seit dem Jahr 2019 setzt sich das Bündnis aus 35 Ortsgruppen in Deutschland und Österreich zusammen. In Österreich ist die IL mit zwei Ortsgruppen vertreten. Ihre Zielsetzung und Strategie legte die IL 2014 in einem weiterhin gültigen "Zwischenstandspapier" dar: "Da sich auf der Basis patriarchaler und rassistischer Gesellschaftsstrukturen der real existierende Kapitalismus entfalten konnte, ist es für uns zentral, den Kampf für eine befreite Gesellschaft mit dem Kampf gegen all diese Herrschaftsformen zu verbinden. (...) Entscheidend für uns istsowohl in der theoretischen Begründung als auch in der Eröffnung praktischer Optionen-, stets auf eine gesamtgesellschaftliche Veränderung abzuzielen." (IL im Aufbruch - ein Zwischenstandspapier vom 11. Oktober 2014) Die IL, die sich selbst als "undogmatische Linke" bezeichnet, bietet damit keine konkrete "Systemalternative", gleichwohl kämpft sie für einen "revolutionären Bruch mit dem nationalen und globalen Kapitalismus" sowie der "Macht des bürgerlichen Staates". Mit der Formulierung, einen Zustand erreichen zu wollen, der dem Kommunismus ähnelt, bleibt ihr Ziel vage. Die Strategie, sich nicht unnötig ideologisch festzulegen, verfolgt die Organisation, um ideologische Differenzen und daraus resultierende Konflikte innerhalb der linksextremistischen Szene zugunsten einer gemeinsamen Organisierung zu überwinden. Die IL bemüht sich nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes seit Jahren, die Handlungsfähigkeit der "linken" Szene durch die Zusammenführung linksextremistischer und nichtextremistischer Aktivisten unterschiedlicher ideologischer Prägung in Bündnissen, Initiativen und Kampagnen zu erhöhen. Mit dieser Strategie nimmt die IL eine Scharnierfunktion zwischen linksextremistischen und nichtextremistischen Akteuren ein. Mit bewusst vage gehaltenen Formulierungen bezüglich des Ablaufs und des Ziels einer Veranstaltung gelang es der IL bei Großereignissen in den vergangenen Jahren wiederholt, eine große Zahl an Nichtextremisten in ihre Proteste zu involvieren und sie für ihre politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Der Erfolg dieser Strategie zeigt sich bei den andauernden Protesten gegen den Abbau von Braunkohle. Im Rahmen der Kampagne "Ende Gelände", die von der IL mitgetragen wird, gab es einen Schulterschluss zwischen Linksextremisten und Nichtextremisten. Die in die Proteste der IL eingebundenen Akteure unterscheiden sich nicht nur hinsichtlich ihrer ideologischen Ausrichtung, sondern auch in ihrer Einstellung zu Gewalt, die von Ablehnung bis Befürwortung reicht. Das Verhältnis der Gruppierung zu Gewalt kann somit als taktisch beschrieben werden: Einerseits arbeitet sie eng mit gewalttätigen Akteuren zusammen, nimmt ihre Gewalttätigkeiten bei Protesten in Kauf und bietet ihnen sogar einen Rahmen dafür. Andererseits vermeidet sie ein offenes Bekenntnis oder Aufrufe zur Anwendung von Gewalt, weil sie damit ihre als notwendig erachtete Zusammenarbeit mit Nichtextremisten aufgeben müsste, die Gewalt ablehnen und häufig auch die Zusammenarbeit mit Strafund Gewalttätern. Insbesondere vor dem Hintergrund ihrer gewaltbefürwortenden Einstellung gilt die Gruppierung als gewaltorientiert. 48 Die taktische Einstellung der IL zeigte sich deutlich beim G20-Gipfel 2017 in Hamburg, bei dem sie sich zu keinem Zeitpunkt von den schweren gewaltsamen Ausschreitungen distanzierte, die sich Linksextremisten über mehrere Tage mit der Polizei lieferten. Im Vorfeld des G20-Gipfels erläuterte eine Vertreterin der IL: "Ich will in einer Linken sein, die undogmatisch ist. Wir wollen immer prüfen, welches der gerade strategisch richtige Weg ist. (...) Wenn man es ernst meint mit der Vision des guten Lebens für alle, muss man auch etwas dafür riskieren. Das funktioniert nicht, wenn sich alle immer nur an die Regeln halten." ("Zeit online", Interview von Sigrid Neudecker mit Emily Laquer: G20-Gipfel. Ein abgebranntes Auto ist immer noch Sachbeschädigung, 27.04.2017). In Bremen bemühte sich die Ortsgruppe der IL im Jahr 2019 vor allem darum, die mehrheitlich von Nichtextremisten getragenen Klimaproteste in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die IL war an der Organisation der Proteste im Rahmen des "Global Climate Strike for Future" am 20. September 2019 und am 29. November 2019 beteiligt. Ihr Ziel ist es, ihre linksextremistische Weltanschauung in die demokratischen Proteste einzubringen und lenkenden Einfluss auf die Proteste zu nehmen. "...umsGanze!"-Bündnis Das 2006 gegründete Bündnis "...ums Ganze!" (uG) besteht zurzeit aus 13 eigenständig agierenden und lokal verankerten Mitgliedsgruppen, davon stammt eine aus Österreich. Mit den linksextremistischen Gruppierungen "Basisgruppe Antifaschismus" (BA) und "Antifaschistische Gruppe Bremen" (AGB) gehören dem Zusammenschluss gleich zwei Gruppen aus Bremen an. Das neben der IL ebenfalls bundesweit agierende und als postautonom geltende Bündnis gründete sich damals mit der Absicht, überregional handlungsfähig zu sein. Das Bündnis bezeichnet sich im Untertitel seines Namens als ein "kommunistisches Bündnis" und verweist damit auf seinen ideologischen Hintergrund. Es strebt die Abschaffung und Ersetzung der bestehenden Gesellschaftsordnung durch eine kommunistische Staatsund Gesellschaftsordnung an: "Wir wollen uns nicht mit realpolitischen Forderungen zufrieden geben, wir wollen nicht nach der praktischen Umsetzbarkeit irgendwelcher Reformen fragen, wir sagen klar und deutlich: Uns geht's ums Ganze! Wir wollen die Überwindung des gesellschaftlichen Verhältnisses Kapitalismus als die einzig ,menschenwürdige' Lösung propagieren. Wir wollen unsere Negation dieses Verhältnisses ausdrücken." ( ...ums Ganze!, smash capitalism. fight the g8 summit, Neustadt 2007, Vorwort, S. 3). Das "...umsGanze!"-Bündnis zählt zur gewaltorientierten linksextremistischen Szene, weil es Gewalt befürwortet. So lobte das Bündnis im Nachgang zum G20-Gipfel 2017 die gewalttätigen Proteste und hob hervor, dass die Blockadeaktion im Hamburger Hafen erst durch die zeitgleichen dezentralen, "militanten" Aktionen im Hamburger Stadtgebiet ermöglicht worden seien: "Die Vielfalt der Aktionsform hat sich dabei praktisch ergänzt, auch wenn das einige lieber nicht so laut sagen wollen. Denn ohne militante Aktionen an anderer Stelle, die viel Polizei gebunden haben, wären wohl weder der Blockadefinder noch die Hafenblockade so relativ erfolgreich gewesen." (Internetseite des "...umsGanze!"-Bündnisses: Ein Gruß aus der Zukunft, 11.07.2017). Aufruf des "...umsGanze!"Bündnisses "Basisgruppe Antifaschismus" Die 2008 gegründete und kommunistisch ausgerichtete "Basisgruppe Antifaschismus" (BA) ist seit mehreren Jahren eine der aktiven gewaltorientierten linksextremistischen Gruppierungen in Bremen. Die Gruppierung ist seit 2011 in dem kommunistischen "...umsGanze!"-Bündnis organisiert. 49 Unter dem Motto "All we want for birthday is communism" feierte die BA im Jahr 2018 ihr 10-jähriges Bestehen im "Alten Sportamt", welches der "linken" und linksextremistischen Szene als Veranstaltungsort dient. In der Einladung formuliert die Gruppierung ihre linksextremistische Zielrichtung deutlich, die in der revolutionären Überwindung des demokratischen Rechtsstaates und der Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung liegt: "Ihr seht, es ist viel passiert. Und noch viel mehr muss passieren, soll das mit diesem ganzen Rumgeprolle von sozialer Revolution und emanzipatorischer Aufhebung der gesellschaftlichen Verhältnisse im Kommunismus mal wirklich Wirklichkeit werden!" (Facebook-Seite der BA, 12.07.2018). Die verfassungsfeindliche Zielsetzung der Gruppierung erläuterte einer ihrer führenden Aktivisten unter einem Aliasnamen 2017 in einem Interview, das die Bedeutung der linksextremistischen terroristischen Vereinigung "Rote Armee Fraktion" (RAF) für die heutige linksextremistische Szene thematisierte: "Trotzdem ist es natürlich immer noch nötig, diese Gesellschaft revolutionär zu überwinden. Diese Gesellschaft ist auf Ausbeutung angelegt. Eine Linke, die sich grundsätzlich von Gewalt distanziert, ist eine sozialdemokratische Linke. Ich bin Kommunist, ich will diese Gesellschaft überwinden. Für mich ist Gewalt keine Moralfrage, sondern eine taktische. Mich interessiert: Passt das gewählte Mittel inhaltlich zum Zweck meiner Politik?" (Internetseite der BA, Protokoll von Timon Simons aufgezeichnet von Gesa Steeger: Strategisch bescheuert, 03.09.2017). Die taktische Einstellung des BA-Aktivisten zu Gewalt und seine Betonung, sich als Kommunist von der Gewalt distanzierenden "sozialdemokratischen Linken" abzugrenzen, zeigt, dass er nicht nur eine gewaltsame Revolution zur Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung als Fernziel für notwendig erachtet, sondern auch die Anwendung von Gewalt in den aktuellen Protesten. Angesichts ihrer zumindest Gewalt befürwortenden Einstellung zählt die Gruppierung zur gewaltorientierten linksextremistischen Szene Bremens. Die BA organisiert regelmäßig Protestaktionen und Veranstaltungen in Bremen, darüber hinaus beteiligt sie sich an Demonstrationen der linksextremistischen Szenen in Bremen und in anderen Städten bundesweit. Im Vorfeld von Demonstrationen veranstaltet die BA sogenannte Mobilisierungsveranstaltungen mit dem Ziel, möglichst viele Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene Bremens für die Teilnahme zu gewinnen. Dazu beschäftigt sich die Gruppierung einerseits inhaltlich mit dem Anlass und Grund der Demonstration und andererseits organisiert sie die Fahrten zum Demonstrationsort und bereitet die Demonstranten auf den Umgang mit der Polizei vor. Die gewaltorientierte Gruppierung organisiert die Veranstaltungsreihe "K*Schemme", die der Diskussion, Organisierung und Vernetzung dienen soll. Das "K" im Namen steht nach eigenen Angaben für Kommunismus und das Sternchen "soll deutlich machen, dass Kommunismus für uns die Leerstelle für die eine ganz andere Gesellschaft ist (...)" (Internetseite der BA, 09.11.2018). Die Veranstaltungen beschäftigten sich im Jahr 2019 beispielsweise mit dem "politischen Rechtsruck" in der Gesellschaft oder feministischen Themen. Neben den "K*Schemme"-Veranstaltungen bietet die BA seit Beginn des Jahres 2019 monatliche "Klönschnacks" an, um mit interessierten Personen "ungezwungen ins Gespräch" zu kommen (Facebook-Seite der BA, 25.01.2019). Das Themenfeld "Antifaschismus" und somit der Kampf gegen Rechtsextremismus und "rechte" Strukturen ist der Arbeitsschwerpunkt der "Basisgruppe Antifaschismus", wie bereits aus ihrem Namen hervorgeht. Die BA organisiert zusammen mit der linksextremistischen Gruppierung AGB im Rahmen der Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) seit mehreren Jahren Protestaktionen gegen (vermeintliche) Rechtsextremisten (siehe Kapitel 5.3.1). Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der BA war 50 wie bereits im Vorjahr das Thema "Gentrifizierung". Die Gruppierung diskutierte in diesem Zusammenhang zum Beispiel im Juli 2019 die Notwendigkeit von Gewerkschaften für Mieter. "Antifaschistische Gruppe Bremen" Die 2013 gegründete Gruppierung "Antifaschistische Gruppe Bremen" (AGB) ist kommunistisch und antinational ausgerichtet. Die AGB ist seit Oktober 2017 Mitglied im bundesweiten, kommunistischen "...umsGanze!"-Bündnis. Das Ziel der AGB, welches in der Beseitigung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung besteht, kommt in einem Redebeitrag zu einer Demonstration 2014 deutlich zum Ausdruck; dort heißt es im Hinblick auf die Fußballweltmeisterschaft: "Im Konkurrenzprinzip des Kapitalismus stehen die Nationen im ständigen Wettkampf miteinander. (...) Das nationale Konkurrenzprinzip des Kapitalismus wird im Feiern des Wettstreits der nationalen Mannschaft immer tiefer in den Köpfen der Menschen verankert und somit zum scheinbar natürlichen Ist-Zustand. (...) Die deutsche Fahne zu schwenken bedeutet Ja zu sagen zu Antisemitismus, zu Rassismus, zu Ausgrenzung, Ausbeutung und Herrschaft. (...) Wir sagen: Weg mit Deutschland! Weg mit der Nation!" (Fehler im Original, Internetseite der AGB: Redebeitrag zur antinationalen Demonstration 05.07.2014, 09.07.2014). Die AGB zählt zur gewaltorientierten linksextremistischen Szene Bremens, weil sie Gewalt befürwortet und auch offen dazu aufruft. Eine Aufforderung zu Gewalt ist die "Kampfansage", die ein Aktivist der AGB in seinem Redebeitrag bei einer Demonstration 2015 in Bremen-Nord macht: "Wir werden so lange hier aufschlagen und diesem braunen Drecksloch zeigen, wo Sichel und Hammer hängen, bis sie es begriffen haben! Und wenn es sein muss legen wir hier mit jedem notwendigen antifaschistischen Widerstand den ganzen braunen Sumpf restlos trocken. An alle Faschisten und Rassist_innen in diesem Stadtteil: Dies ist eine Kampfansage! Wir geben euch Nazis und Rassist_innen die Straße zurück... Stein für Stein... Stein für Stein!" (Fehler im Original, Internetseite der AGB: Nach Brandanschlag auf Geflüchtetenlager in Bremen Nord, 07.10.2015). Die AGB hält die Zusammenarbeit linksextremistischer Gruppierungen auf regionaler Ebene sowie die bundesweite Vernetzung Gleichgesinnter für notwendig, um ihr längerfristiges Ziel der Formierung einer Massenbewegung zur Überwindung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung zu erreichen. Ihre postautonome Ausrichtung wurde in ihrer Beitrittserklärung zum kommunistischen "...umsGanze!Bündnis 2017 deutlich: "Die gesellschaftlichen Zustände in Deutschland, Europa und der Welt werden nicht besser. Viel mehr stolpert der Kapitalismus von Krise zu Krise (...).Das sind keine neuen Erkenntnisse für die radikale Linke. Genauso wenig wie die Erkenntnis, dass es für uns als radikale Linke darum gehen muss diese Ideologien, dieses falsche Bewusstsein zu bekämpfen und Alternativen zu entwickeln und aufzuzeigen. Das ist schon an sich keine kleine Aufgabe, sondern erfordert gemeinsame Analysen, Diskussionen, Strategien und Aktionen auf lokaler Ebene und darüber hinaus. Darum haben wir uns als antifaschistische Gruppe Bremen dazu entschlossen uns beim kommunistischen ...ums Ganze! zu organisieren." (Fehler im Original, Internetseite des "...umsGanze!"-Bündnisses: Der nächste Schritt: Die Antifaschistische Gruppe Bremen goes ...umsGanze! 10.10.2017). Die Gruppierung beschäftigte sich in den vergangenen Jahren schwerpunktmäßig mit den Themenfeldern "Antifaschismus" und "Antirassismus". Die AGB organisiert häufig in Kooperation mit der BA linksextremistische Protestaktionen gegen (vermeintliche) Rechtsextremisten und Veranstaltungen. So warb die BA für die von der AGB am 22. Mai 2019 ausgerichtete Veranstaltung mit dem Titel "Daham ist Scheiße". Im Rahmen der Veranstaltung berichtete die "...umsGanze!"-Gruppe "autonome antifa w" aus Wien über ihren Protest gegen die österreichische Regierung unter 51 Beteiligung von "Faschisten" (Facebook-Seite der BA, 20.05.2019). "Kämpfende Jugend" Die linksextremistische Gruppierung "Kämpfende Jugend Bremen und Hannover" (KJ) gab am 24. März 2019 ihre Gründung bekannt. Die KJ hat ihren Aktivitätsschwerpunkt in Bremen. Die kommunistische Gruppierung orientiert sich am Marxismus-Leninismus. Anschaulich wird dies in der Gründungserklärung, die mit einem Zitat aus dem Parteiprogramm der "Kommunistischen Partei Deutschland" (KPD) von 1919 beginnt: "Es gilt eine Welt zu erobern und gegen eine Welt anzukämpfen!" (Facebook-Seite der KJ, 24.03.2019). Ihre verfassungsfeindlichen Ziele beschreibt die KJ in der Gründungserklärung ausführlich. Sie strebt die Überwindung des demokratischen Rechtsstaates und die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft an: "Wir verstehen uns als kommunistische Gruppe, die sich gegründet hat, um den politischen Entwicklungen und dem bürgerlichen Staat, in dem wir leben, entgegenzutreten. [...] Für uns gibt es keinen "besseren" oder "schlechteren" Kapitalismus. Deshalb sagen wir ihm den Kampf an - den Klassenkampf!" (Facebook-Seite der KJ, 04.04.2019). Die KJ argumentiert mit der "Kapitalismuskritik" von Karl Marx: "Wir sind Kommunistinnen und Kommunisten. Das heißt, wir verfolgen die Idee einer klassenlosen Gesellschaft, in der es kein Privateigentum an den Produktionsmitteln mehr gibt. [...] Wir sind der Auffassung, dass ein System, in dem nicht einige wenige entscheiden, was produziert wird, dem Kapitalismus in jeder Hinsicht überlegen ist. [...] ...in dem kollektiv gewirtschaftet wird. Durch die Abschaffung des Privateigentums und die Vergesellschaftung der Produktionsmittel können diese effizient genutzt werden." (Facebook-Seite der KJ, 04.04.2019). Ihre Ablehnung gegenüber dem parlamentarischen System formuliert die Gruppierung deutlich, von dessen Reformierung hält sie wenig: "Diese Widersprüche können nur überwunden werden, wenn der Kapitalismus überwunden wird. Dies geschieht nicht durch Wahlen, Reformen oder sonstigen bürgerlichen Nonsens, sondern kann nur auf revolutionärem Wege erreicht werden - durch die sozialistische Revolution!" (Facebook-Seite der KJ, 04.04.2019). Die gewaltsame Revolution erachtet die KJ als Voraussetzung für die Errichtung einer klassenlosen, kommunistischen Gesellschaftsform: "Um dies zu verwirklichen und auf den Umsturz dieses Systems hinzuarbeiten, treten wir nun an. [...] Es gilt eine Welt zu erobern! Und wir kämpfen, bis wir diese Welt erobert haben!" (FacebookSeite der KJ, 04.04.2019). Die Gewaltorientierung der Gruppierung zeigt sich in der Bezugnahme auf das 1966 vom deutschen Philosophen Herbert Marcuse formulierte "Prinzip der Gegengewalt", nach welchem es legitim sei, dass unterdrückte Völker und diskriminierte Minderheiten Gewalt gegen die sie beherrschende Gewalt ausübten, um diese zu brechen: "In diesem Kampf steht uns der bürgerliche Staat als Feind gegenüber. Er ist es, der die bestehenden Ausbeutungsverhältnisse mit Gewalt durchsetzt." (Facebook-Seite der KJ, 04.04.2019). Gewaltorientierte Linksextremisten führen das "Prinzip der Gegengewalt" als Narrativ an, um begangene Gewalttaten zu erklären und zu legitimieren. Die unverhohlene Drohung gegenüber (vermeintlichen) Rechtsextremisten kann als weiterer Beleg für die Gewaltorientierung der KJ erachtet werden: "Wir werden Faschisten da entgegentreten, wo wir sie treffen und werden nicht von ihnen ablassen, ehe sich nicht der letzte Nazi aus unserer Stadt verpisst hat." (Facebook-Seite der KJ, 04.04.2019). 52 Die Gruppierung formuliert für sich den Anspruch, Theorie und Praxis miteinander verbinden zu wollen. Für die KJ gehört der Marxismus nicht in Lesekreise, sondern auf die Straße. Ihrem Anspruch folgte die KJ zum Beispiel am 1. Mai 2019, an dem sie unter dem Motto "Kapitalismus spaltet - Gemeinsam gegen Ausbeutung und Unterdrückung" eine Demonstration mitorganisierte, an der sich mehrere Hundert Personen beteiligten. Die KJ trat dort mit einem eigenen "Roten Block" auf. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der Gruppierung war "Klimaschutz". In diesem Zusammenhang veröffentlichte sie eine Broschüre mit dem Titel "Klimakampf heißt KlassenBroschüre der KJ kampf - Für eine revolutionäre Klimabewegung statt bürgerlicher Konsumkritik". "Rote Hilfe" Der 1975 gegründete Verein "Rote Hilfe e.V." (RH) unterhält bundesweit etwa 50 Ortsgruppen, eine davon in Bremen. Der Verein hat seinen Sitz in Göttingen, ebenfalls dort befindet sich auch das Archiv der RH ("Hans-Litten-Archiv e.V."). Das Sprachrohr der RH ist die quartalsweise herausgegebene Zeitung "Die Rote Hilfe". Die RH, die sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" beschreibt, ist ausschließlich im Bereich der "Antirepressionsarbeit" tätig. Der Verein unterstützt "linke" Strafund Gewalttäter sowohl in politischer als auch in finanzieller Hinsicht, z.B. gewährt er Rechtshilfe, vermittelt Anwälte oder übernimmt in Teilen Anwalts-, Prozesskosten und Geldstrafen bei entsprechenden Straftaten. Darüber hinaus betreut der Verein rechtskräftig verurteilte Straftäter während ihrer Haft mit dem Ziel ihrer dauerhaften Bindung an die linksextremistische Szene. Die dabei entstehenden Kosten werden aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden finanziert. Auch das Oberverwaltungsgericht Bremen kommt in seiner Entscheidung vom 23. Januar 2018 zu dem Schluss, dass es sich bei der RH nicht um "eine Art 'linke Rechtsschutzversicherung' [handelt]. Ein solches Verständnis (...) widerspräche auch dem eigenen Selbstverständnis" (Beschluss des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen OVG: 1 B 238/17). Die Strafverfolgung von Linksextremisten sieht der Verein als "politische Verfolgung" an und unterstellt der Justiz und dem Staat die willkürliche Unterdrückung von Kritikern und Oppositionellen. So erklärte die RH beispielsweise anlässlich der Verurteilung von drei Mitgliedern der linksextremistischen Gruppierung "militante gruppe" (mg), die 2009 mehrere Brandanschläge auf Behörden verübte, zu mehrjährigen Haftstrafen wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung: "Die RH erklärt sich solidarisch mit den Verurteilten und fordert '(...) die sofortige Einstellung aller Verfahren (...) Weg mit dem Gummiparagrafen 129, 129a und 129b! Freiheit für alle politischen Gefangenen!'" (Bundesministerium des Innern: Verfassungsschutzbericht 2009, S. 191, zitiert von Internetseite "scharf-unten", 03.12.2009). Wenngleich die RH selbst nicht gewalttätig agiert, gehört sie aufgrund ihrer gewaltunterstützenden und gewaltbefürwortenden Einstellung zur gewaltorientierten linksextremistischen Szene. Ihre Einstellung zu Gewalt wird deutlich in der Solidarisierung mit der linksextremistischen terroristischen Vereinigung "Rote Armee Fraktion" (RAF). Unter der Überschrift "danach war alles anders ..." heißt es in einem 2013 in der Zeitung "Die Rote Hilfe" erschienenen Artikel: "die rote armee fraktion war ein wichtiges und notwendiges projekt auf dem weg zur befreiung, ein projekt, in dem un53 schätzbare erfahrungen über den kampf in der illegalität gesammelt wurden: die raf hat bewiesen, dass der bewaffnete kampf hier möglich ist. dieses projekt, das konzept stadtguerilla ist gescheitert, raf und widerstand sind hier nicht durchgekommen. die gründe dafür sind bekannt und müssen für zukünftige bewaffnete projekte berücksichtigt und einbezogen werden. und ein projekt wird folgen ... muss folgen - in welcher form auch immer. nicht als kopie oder reproduktion der raf, das wäre fatal, politisch wie historisch falsch. aber als integraler bestandteil einer neu zu schaffenden sozialrevolutiönären, emazipatorischen organisation oder partei, denn 'die waffe der kritik kann allerdings die kritik der waffen nicht ersetzen. die materielle gewalt muß gestürzt werden durch materielle gewalt'" (Fehler im Original, "Die Rote Hilfe" 2/2013, S. 35-40). Ihre das staatliche Gewaltmonopol ablehnende Haltung kam im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg deutlich zum Ausdruck. In einem dazu veröffentlichten Artikel bewertet der Verfasser die heftigen gewalttätigen Ausschreitungen insgesamt positiv, die sich Linksextremisten über mehrere Tage mit der Polizei lieferten, und kritisiert zugleich diejenigen, die sich davon distanzierten: "Zu den Auseinandersetzungen nur soviel: Einige demolierte Straßenzüge sind ein umgefallener Sack Reis im Vergleich zur unerträglichen täglichen Gewalt der G20-Staaten. Es ist sicher nicht unsere Aufgabe, uns empört in Distanzierungen zu verstricken, wo es doch eigentlich darum gehen muss, nach den Ursachen der Gewalt zu fragen und die Organisierung des Widerstands voranzubringen. Ja, es war richtig, dass die Bullen am Eindringen in das Stadtviertel gehindert werden konnten. (Internetplattform "indymedia.org": G20 - Event, Herausforderung, politische Arena, 07.08.2017). Mit seiner gewaltbefürwortenden Einstellung hat der Verein eine stabilisierende Funktion für die gewaltorientierte linksextremistische Szene, wenn er potenziellen linksextremistischen Gewaltund Straftätern vor Begehung von Taten politische und finanzielle Unterstützung verspricht. Dabei unterstützt er nur solche Taten, die er als "politisch" bewertet. Entschuldigungen oder Distanzierungen der Täter von linksextremistischen Gewaltdelikten im Verfahren führen regelmäßig zu einem Entzug seiner Unterstützung, hier ein Beispiel: "Abgelehnt haben wir einen Unterstützungsantrag in einem Verfahren wegen Brandstiftung an Autos. Der Antragsteller hat die Vorwürfe eingeräumt, die Sache bereut und einen politischen Zusammenhang abgestritten. Das unterstützen wir nicht." ("Die Rote Hilfe" 3/2011, S. 7). Die RH verweigert nicht nur dann die Kostenübernahme, wenn sich Tatverdächtige von ihrer Tat distanzieren oder zu ihrem Vorteil aussagen, sondern bei jeglicher Kooperation mit den Strafverfolgungsbehörden. Sie entzieht ihre Unterstützung selbst in solchen Fällen, in denen die Kooperation mit den Sicherheitsbehörden eindeutig darauf zielt, dem "politischen Gegner" zu schaden, wie ein Fall aus Bremen belegt: "Es liegt eine Mail der OG [Ortsgruppe] Bremen zu einem Fall vor, bei dem die betroffene Person nach einer Auseinandersetzung mit einem AfDler eine Gegenanzeige gestellt hat. Dadurch sind Aussagen seitens des Betroffenen notwendig, was eine Unterstützung in der Regel unmöglich macht. Der Buvo [Bundesvorstand] teilt die Einschätzung der OG Bremen." ("Die Rote Hilfe" 04/2019, S. 7). 5.3 Aktivitäten gewaltorientierter Linksextremisten Im Jahr 2019 gab es mehrere thematische Schwerpunkte der linksextremistischen Szene in Deutschland. Neben dem für Linksextremisten zentralen Aktionsund Themenfeld "Antifaschismus" standen die Themen "Klimaschutz" und "Gentrifi54 zierung" im Fokus der Agitation. Die unterschiedliche Schwerpunktsetzung macht den fortwährenden Anspruch der linksextremistischen Szene deutlich, ihre Weltanschauung zu aktuellen politischen Themen zu propagieren. Hohe Gewaltbereitschaft von Linksextremisten Das Jahr 2019 war geprägt von einem deutlichen Anstieg an "militanten Aktionen". In Bremen sind insgesamt 31 "militante Aktionen" verübt worden, im Vorjahr gab es hingegen 10 "militante Aktionen". Zehn Branddelikte an Fahrzeugen und Gebäuden begingen Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene im Jahr 2019, während es im Vorjahr sechs Branddelikte waren. Die Branddelikte im Jahr 2019 unterscheiden sich nicht nur in ihrer Quantität vom Vorjahr, sondern teilweise auch in ihrer Qualität. So entstand beispielsweise bei einigen Bränden ein hoher Sachschaden. Wenngleich die Brandstiftung als Form linksextremistischer "Militanz" seit jeher ein gängiger Modus Operandi ist, kann die Anzahl der Branddelikte als Indiz für eine gesteigerte Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene Bremens gewertet werden. Es ist ein weitaus höheres Maß an Gewaltbereitschaft und krimineller Energie erforderlich, um einen Brandsatz zu zünden, als Gegenstände auf eine andere Weise zu beschädigen. Das Risiko, Leib und Leben Unbeteiligter zu gefährden, ist bei einer Brandstiftung in der Regel ungleich höher als bei anderen Arten der Sachbeschädigung. 5.3.1 Proteste gegen Rechtsextremisten und Rechtspopulisten Im Mittelpunkt der "Antifaschismusarbeit" stehen Proteste gegen Strukturen und Veranstaltungen von (vermeintlichen) Rechtsextremisten. Im Rahmen von Demonstrationen und Veranstaltungen kommt es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen gewaltorientierten Linksextremisten und gewaltorientierten Rechtsextremisten. Hauptangriffsziel der gewaltorientierten linksextremistischen Szene war wie in den Vorjahren die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Das Parteibüro des Bremer Landesverbandes der AfD war 2019 mehrmals Angriffsziel gewaltorientierter Linksextremisten. So bewarf eine Gruppe vermummter PerAufkleber der linksextremissonen am 1. September 2019 das Parteibüro der AfD mit Pflastersteinen und beschätischen Szene digte mehrere Scheiben. Bereits am 20. Mai 2019 war das Gebäude mit Farbbeuteln beworfen worden. Zu beiden Taten gab es keine Selbstbezichtigungsschreiben, die Aktionsform der Tat deutet jedoch auf einen linksextremistischen Hintergrund hin. Linksextremisten verzichten mitunter auf das Veröffentlichen von Selbstbezichtigungsschreiben, wenn die "Sprache der Tat" für sich spricht. In den Augen von Linksextremisten sind Taten gegen die AfD selbsterklärend. Linksextremisten erachten die AfD als Symbol für den Beginn eines neuen Nationalsozialismus, den es mit allen Mitteln zu bekämpfen gelte. "Antifaschismus" Im Bereich der "Antifaschismusarbeit" ist neben linksextremistischen Organisationen und Gruppen auch eine Vielzahl unterschiedlicher demokratischer Akteure tätig. Mit dem Ziel der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung geht das Antifaschismusverständnis von Linksextremisten jedoch weit über das von Demokraten hinaus. Für Linksextremisten stellt die Bekämpfung von rechtsextremistischen 55 Strukturen und Personen nur ein vordergründiges Ziel dar, ihre tatsächliche Stoßrichtung ist das "bürgerliche und kapitalistische System" und die angeblich ihm zugrunde liegenden faschistischen Wurzeln. Zur Vergrößerung ihres politischen Einflusses und zur Gewinnung neuer Anhänger ist das Bemühen um Bündnisse mit nichtextremistischen Gruppen ein entscheidendes Instrument autonomer "Antifaschismusarbeit". "Antikapitalismus" "Antikapitalismus" ist die Basis der linksextremistischen Ideologie. Strukturen und Eigentumsverhältnisse des "Kapitalismus" sind demnach nicht nur Grundlagen für Armut, Hunger und soziale Ungerechtigkeit, sondern darüber hinaus ursächlich für "Faschismus", "Repression", Migrationsströme, ökologische Katastrophen, "Imperialismus" und Krieg. Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) Die 2016 ausgerufene Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) richtet sich vornehmlich gegen die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Viele Linksextremisten halten die Partei für einen Wegbereiter in einen neuen Faschismus, weshalb sie die AfD bekämpfen. Das über die Bekämpfung der AfD hinausgehende Ziel der beteiligten Gruppierungen, allen voran des kommunistischen "...umsGanze!"Bündnisses, liegt in der Diskreditierung und der revolutionären Überwindung des demokratischen Rechtsstaates. Die NIKA-Kampagne ist eine sogenannte "Mitmachkampagne", die den ideologischen Hintergrund, das "Corporate Design" oder das "Label" vorgibt und auf die bundesweite Beteiligung von Gruppierungen mit eigenen Flyer zur Kampagne Aktionen setzt. In Bremen wird die Kampagne maßgeblich von den beiden im "...umsGanze!"-Bündnis organisierten linksextremistischen Gruppierungen BA und AGB getragen. Unter dem Namen "NIKA Nord-West" arbeiten die beiden Bremer Gruppierungen seit März 2019 mit linksextremistischen Gruppen aus Niedersachsen und Hamburg zusammen. Die extremistische Ausrichtung des Zusammenschlusses kommt in seiner Gründungserklärung zum Ausdruck. So impliziert das Engagement "gegen rechts" die Überwindung des demokratischen Rechtsstaates: "Unter dem Motto "Gegen die Festung Europas und ihre Fans" kämpfen wir sowohl gegen die menschenfeindliche kapitalistische Ordnung, als auch gegen ihre scheinbaren rechten Alternativen. Wir wollen linke Forderungen und gesellschaftliche Alternativen jenseits der kapitalistischen Sachzwanglogik sichtbar machen." (Internetseite der Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative", 14.03.2019). In den vergangenen Jahren war es wie in den Vorjahren bundesweit zu Protesten gegen die AfD sowie zu Sachbeschädigungen an Einrichtungen der Partei und zu gezielten Angriffen auf ihre Mitglieder gekommen. Linksextremisten störten im Rahmen der NIKA-Kampagne unter anderem Wahlkampfveranstaltungen der Partei. In Bremen schirmten mehrere Dutzend NIKA-Anhänger während des Wahlkampfes zur Wahl der Bremischen Bürgerschaft am 18. Mai 2019 einen Wahlstand der AfD vor 56 interessierten Passanten ab. In einer am nächsten Tag veröffentlichten Erklärung führten die Aktivisten aus: "Worte haben Konsequenzen und der politischen Brandrede folgt der Brand in der Geflüchtetenunterkunft, das massenhafte Sterben an den europäischen Außengrenzen und die Hetzjagden durch die Innenstädte.[...] "Wir Flyer der NIKA-Kampagne wollen die rechte gesellschaftliche Formierung und die kapitalistischen Verhältnisse, die diese hervorbringen, abschaffen." (Internetseite der Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative", 19.05.2019). Gewaltsame Übergriffe von Linksextremisten gegenüber Rechtsextremisten In den vergangenen Jahren verübten gewaltorientierte Linksextremisten immer wieder gewaltsame Übergriffe auf (vermeintliche) Rechtsextremisten in Bremen. Am 5. Oktober 2019 überfiel eine Gruppe von rund 30 mutmaßlich aus dem linksextremistischen Spektrum stammenden Personen sechs Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppierung "Phalanx 18" in der Bremer Innenstadt (siehe Kapitel 3.4.6). Mit gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und Rechtsextremisten ist in Bremen regelmäßig insbesondere im Zuge von Fußballspielen zu rechnen, wo sich eine rechtsextremistisch beeinflusste Hooligan-Szene und "linke" Fußballfans der Ultra-Szene sowie gewaltorientierte Linksextremisten gegenüberstehen. Linksextremistische "Recherchearbeit" Die "Aufklärungsoder Recherchearbeit" gehört zu den zentralen Aktivitäten der autonomen Szene in der Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen Szene. In diesem Zusammenhang werden Beobachtungen und Informationen über Einzelpersonen, Gruppierungen und Strukturen der "rechten" Szene wie etwa Szeneläden gesammelt. Die Informationen zu Einzelpersonen werden meist in Steckbriefen Flyer der "Antifa" zusammengefasst und im Rahmen sogenannter "Outing-Aktionen" in der Nachbarschaft der Betroffenen und im Internet veröffentlicht. In den Steckbriefen werden neben persönlichen Daten, wie z.B. Anschrift, Geburtsdatum oder Beruf, auch weitere Einzelheiten aus dem Privatleben der Betroffenen bekanntgemacht. Ziel dieser Aktionen ist es, vermeintliche Rechtsextremisten aus der Anonymität zu holen und ihre politischen Aktivitäten öffentlich zu machen, wobei dies eine Gefahr für die Betroffenen darstellt und insbesondere ihre Persönlichkeitsrechte verletzt. 5.3.2 Kampf um bezahlbaren Wohnraum Die Schaffung und Erhaltung von "autonomen Freiräumen", wozu in erster Linie besetzte Häuser oder selbstverwaltete Projekte zählen, ist seit jeher von großer Bedeutung für die linksextremistische Szene. "Autonome Freiräume" und Szeneobjekte gelten in der Szene als Widerstandsstrukturen gegen die Überwachung des 57 "kapitalistischen Herrschaftssystems". In Bremen war das Thema der Erhaltung und Schaffung von "autonomen Freiräumen" in den vergangenen Jahren wiederholt Schwerpunkt von gewaltorientierten Linksextremisten, zuletzt im Zusammenhang mit dem "Alten Sportamt". Dieser Veranstaltungsort der "linken" Szene, der sowohl von Nichtextremisten als auch von gewaltorientierten Linksextremisten genutzt wird, galt in den Jahren 2015 bis 2017 als besetzt. Angesichts steigender Mieten und Kaufpreise in Städten und Ballungsräumen hat sich die gesellschaftspolitische Diskussion um bezahlbaren Wohnraum seit mehreren Jahren verschärft. Unter dem Stichwort "Gentrifizierung" wird ein Verdrängungseffekt infolge städtebaulicher Umstrukturierungsmaßnahmen kritisiert, d.h., weniger wohlhabende Bewohner werden durch wohlhabendere Bewohner aufgrund steigender Mieten beispielsweise infolge von Sanierungsmaßnahmen aus bestimmten Stadtteilen verdrängt. Vor diesem Hintergrund bemüht sich die gewaltorientierte linksextremistische Szene bundesweit zunehmend darum, mit ihren Protestaktionen breite Teile der Gesellschaft anzusprechen. Daneben verüben Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene in diesem Zusammenhang Brandanschläge auf Fahrzeuge von Immobilienund Bauunternehmen oder begehen Sachbeschädigungen an sogenannten Luxusimmobilien sowie an Büros von Immobilienund Bauunternehmen. In Bremen engagieren sich in dem Aktionsund Themenfeld "Antigentrifizierung" vor allem die linksextremistischen Gruppierungen BA und IL seit mehreren Jahren. Im Jahr 2019 organisierten sie mehrere Protestaktionen und Informationsveranstaltungen, in denen sie beispielweise mit Interessierten über "Wohnungskämpfe" oder den "Aufbau von Mieter*innengewerkschaften" diskutierten. Unter dem Titel "Wir haben Enteignungsbedarf - Kein Friede mit dem Wohnungsmarkt" veröffentlichte die BA am 28. März 2019 einen Aufruf zur Teilnahme an der Aktionswoche "#Mietenwahnsinn". In dem Aufruf sieht die Gruppierung die revolutionäre Abschaffung des demokratischen Rechtsstaates zugunsten der Einführung eines kommunistischen Politiksystems als Lösung des Problems an: "Wir fordern deshalb nicht, dass der Staat seine Versorgungsfunktion in Form von Wohnungsbereitstellung wieder aufnimmt - wir wollen eine Gesellschaft, in der Eigentum komplett vergesellschaftet ist und die Wirtschaft der Bedürfnisbefriedigung und nicht dem Profit dient. [...] Aktivist*innen, Mieter*innen aus allen Schichten und Milieus organisieren sich, besetzen und blockieren. Wer sich darüber jetzt empört und die Fahne des Privateigentums reckt, sollte sich bewusst machen, dass jede Zwangsräumung eine Enteignung ist, dass jede Eigenbedarfserklärung ein Skandal und jede Mieterhöhung eine Zumutung ist - ein Angriff auf unseren privaten Rückzugsraum, die uns zustehende Flyer zu einer DiskussionsverUnterkunft. Es ist an der Zeit, diese Attacken zu verunmöglichen, unsere Stadt anstaltung der BA basisdemokratisch zu organisieren und die Enteigner zu enteignen - bedingungslos, entschädigungslos. #enteignen" (Fehler im Original, Internetseite der BA, 28.03.2019). Aktivisten des "Bremer Bündnis gegen Zwangsräumung", das von der BA getragen wird, verhinderten am 11. Februar 2019 die Zwangsräumung einer Wohnung in Bremen-Nord. Unter starkem Polizeieinsatz wurde die Zwangsräumung wenige Tage später unangekündigt vollzogen. Die BA verdeutlicht ihre verfassungsfeindliche Ausrichtung mit der Ablehnung des Grundrechts auf Eigentum in folgendem Beitrag: "Der Versuch, die Räumung zu verhindern, war für uns keine Symbolik - wir wollten praktisch in die staatlich organisierte Wohnungslosigkeit eingreifen. [...] Wir werden weiter nach Wegen und Aktionsformen suchen, wie wir gegen die Wohnungspolitik der Stadt, gegen private wie öffentliche Vermieter*innen und Wohnungsbaugesellschaften vorgehen, die nie im Interesse der Mietenden, sondern bestimmt durch das Streben nach Profit handeln." (Fehler im Original, Facebook-Seite der BA, 13.03.2019). "Militante Aktionen" In den vergangenen Jahren kam es im Kontext der "Antigentrifizierung" immer wieder zu Brandstiftungen und Sachbeschädigungen in Bremen, von denen insbesondere Immobilienund Wohnungsunternehmen betroffen waren. Im Jahr 2019 gab es eine regelrechte Serie an "militanten Aktionen". Unbekannte Täter, die sich zu dem 58 Brandanschlag auf ein Fahrzeug des Wohnungsunternehmens Vonovia am 30. Mai 2019 in Bremen-Walle bekannten, hatten zuvor zu weiteren Straftaten aufgerufen. Anschläge gegen Vonovia bedürften ihrer Meinung nach keiner Begründung mehr. Zu einer deutlichen Häufung an Brandstifungen und Sachbeschädigungen zum Brandanschlag auf Fahrzeuge Nachteil von Wohnungsund Immobilienunternehmen kam es schließlich Mitte des von Vonovia. Jahres 2019. Außergewöhnlich war hier die Kadenz von Taten innerhalb eines kurzen Zeitraums. In acht Tagen verübten unbekannte Täter neun "militante Aktionen" und rechtfertigten diese in einem am 19. August 2019 veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben mit dem Titel "Aufwertung? Abwerten!": "Neben bereits erwähnten Zusammenschlüssen von Mieter*innen, selbstverwalteten Häusern und Mietenwahnsinn-Demos stärken gezielte Aktionen gegen Immobilienbüros, teure Läden oder Wohnungskonzerne die Praxis der Unordnung und der Wiederaneignung von Stadt. [...] In diesem Sinne schlagen wir vor, eine Praxis sichtund reproduzierbarer Angriffe zu etablieren. Ziele und Verantwortliche sind überall zu finden. Stadt für alle! (Fehler im Original, Internetplattform "Indymedia.org", 19.08.2019). Bei einem Brandanschlag auf Fahrzeuge des Wohnungsunternehmens Vonovia und des Industriedienstleisters Spie Verteilnetze GmbH am 3. November 2019 in BremenWoltmershausen stellte die Polizei einen Tatverdächtigen in unmittelbarer örtlicher und zeitlicher Nähe des Tatortes fest. Ein Selbstbezichtigungsschreiben zu dieser Tat gab es nicht. Während der Großteil der Taten in diesem Zusammenhang auf Immobilienund Wohnungsunternehmen zielt, richtete sich eine "militante Aktion" gegen Gerichtsvollzieher. Unbekannte Täter beschädigten am 29. April 2019 die Fassaden ihrer Häuser mit Farbe sowie Türen und Fenster mit Hammerschlägen. In dem am selben Tag veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben wurden Gerichtsvollzieher als "Akteure der Verdrängung" bezeichnet. Sie seien "ausführende Organe einer menschenverachtenden Bürokratie, die zwangsräumt, erniedrigt, beraubt und obdachlos macht" (Internetplattform "Indymedia.org", 29.04.2019). Die Verfasser sprechen der Justiz nicht nur die Rechtmäßigkeit ihres Handelns und ihre Unabhängigkeit ab, sondern stellen sie als Unterdrückungswerkzeug des Staates dar. Der Text endet mit dem Aufruf, den Verfassern Namen und Adressen von Gerichtsvollziehern zur Veröffentlichung zuzusenden. Diese Tat stellt insofern eine neue Eskalationsstufe dar, als dass bislang geplante und gezielte Angriffe auf Staatsbedienstete im privaten Umfeld eine Ausnahme darstellten. In Bremen gab es in den letzten Jahren keinen solchen Fall. Mit solchen Taten bezwecken die Täter die Einschüchterung von Staatsbediensteten. 5.3.3 Proteste gegen "staatliche Repression" "Antirepression" stellt seit jeher einen Aktionsschwerpunkt der gewaltorientierten linksextremistischen Szene dar. Ihre individuelle, soziale oder politische Entfaltung sehen gewaltorientierte Linksextremisten durch den Staat und seine "Machtund Repressionsstrukturen" unterbunden, vor allem durch Sicherheitsgesetze, polizeiliche 59 Sicherheitsmaßnahmen oder technische Entwicklungen und digitale Vernetzung. Unter Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols bekämpfen sie "staatliche Repression". Die Polizei als Handlanger des "kapitalistischen Systems" stellt ein Angriffsziel für gewaltorientierte Linksextremisten dar. Ihrem Weltbild entsprechend sei die Polizei für die unverhältnismäßige Niederschlagung von legitimem Protest durch massive Gewalt verantwortlich, was "militanten Widerstand" notwendig mache. Polizisten Aufkleber der linkswerden nicht als Menschen betrachtet, sondern als personifizierte Hassobjekte. Vor extremistischen Szene diesem Hintergrund gelten Angriffe auf sie als legitim. Die Hemmschwelle, Polizisten zu verletzen, ist in den letzten Jahren deutlich gesunken. Massive Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten sich Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene Bremens am Vorabend der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft am 25. Mai 2019. Zum "Cornern gegen Rechtsruck", das heißt zum längerfristigen Verweilen auf der sogenannten Sielwallkreuzung in BremenSteintor, hatten Linksextremisten über soziale Netzwerke aufgerufen. Bis zu 300 Personen folgten diesem Aufruf zunächst friedlich. Im Verlaufe des Abends kam es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und gewaltorientierten Linksextremisten, nachdem eine kleine Gruppe von Linksextremisten begonnen hatte, Polizisten mit Wurfgeschossen anzugreifen. Demonstranten blockierten zeitweilig die Sielwallkreuzung, dabei zündeten sie Pyrotechnik, entfachten Feuer und beschädigten Geschäfte. Die Polizei räumte die Kreuzung unter starkem Kräfteeinsatz. Gewaltorientierte Linksextremisten bewarfen Polizisten mit Flaschen. Insgesamt wurden vier Polizisten verletzt und die Polizei nahm mehrere Personen fest. Zeitgleich zu der massiven Auseinandersetzung an der "Sielwallkreuzung" beschädigten Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene die Polizeireviere in der Bremer Innenstadt, in Gröpelingen und Woltmershausen. Am Polizeirevier in der Bremer Innenstadt wurden zusätzlich fünf Fahrzeuge beschädigt. In einem wenig später veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben bekennen sich die sich als "Autonome Gruppen" bezeichnenden Verfasser sowohl zu den Ausschreitungen an der Sielwallkreuzung als auch zu den Sachbeschädigungen an den Polizeirevieren: "Wir wählen den Angriff! Randale und Fußball am Eck: Brennende Reifen, Steinund Flaschenwürfe auf Bullen und klirrende Scheiben. Angriffe auf Bulleninfrastruktur mit Farbe, Steinen und Hämmern: Wache am Wall, Wache in Gröpelingen, Wache in Woltmershausen." (Internetplattform "blackblogs.org", 26.05.2019). Die Verfasser rechtfertigen ihre Taten mit dem Prinzip der "Gegengewalt": Die Polizei sei das Unterdrückungswerkzeug des kapitalistischen Staates, welche nicht für Recht und Ordnung sorge, sondern die Menschen in ihrem Drang nach Freiheit einschränke: "Anstatt der Ohnmachtserfahrungen des Alltags wählten wir ein paar kurze Momente der Offensive. Jeder laufende Bulle, jedes zerstörte Einsatzfahrzeug und jede eingeworfene Wache wird uns noch einige Zeit ein Lächeln auf die Lippen zaubern. [...] Der Abend vor den Wahlen war der richtige Moment, um uns und dem Rest der Stadt ins Gedächtnis zu rufen: Radikale soziale Bewegungen haben immer auch auf der Straße gekämpft. Die Polizei stand bisher noch jedem emanzipatorischen Anliegen im Weg. Die Ohnmacht gegenüber Staat und Wirtschaft kann nur durch eigenes Handeln überwunden werden. Und ein Stein trifft die herrschende Ordnung besser als jeder Wahlzettel. Für eine befreite Gesellschaft! Für eine aufständische Perspektive!" (Internetplattform "blackblogs.org", 26.05.2019). "Militante Aktionen" Im Jahr 2019 verübten Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene wie auch in den Vorjahren mehrere "militante Aktionen" im Aktionsfeld "Antirepression". Polizeireviere gehörten in den vergangenen Jahren regelmäßig zu den Angriffszielen von gewaltorientierten Linksextremisten. Neben den bereits beschriebenen 60 Angriffen auf Polizeireviere verübten Linksextremisten am 28. Juli 2019 einen Brandanschlag auf das Polizeirevier in Schwachhausen. Dabei beschädigten sie den Eingang des Polizeireviers mit einem selbstgebauten Brandsatz und steckten mehrere Fahrzeuge in Brand. In dem zu der Tat veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben erklärten die Täter ihre Solidarität mit den "Dreien von der Parkbank". Bei den "Dreien von der Parkbank" handelt es sich um drei Hamburger Linksextremisten, die am 8. Juli 2019 in einem Park von der Polizei festgenommen wurden. Sie führten mehrere selbstgebaute Brandsätze mit sich. Mit der Festnahme der Personen verhinderte die Polizei offenbar unmittelbar bevorstehende Brandanschläge. Bundesweit gab es Solidaritätsbekundungen der linksextremistischen Szene und mehrere Resonanzstraftaten auf Einrichtungen der Polizei in diesem Zusammenhang, so zum Beispiel in Berlin. Ein weiterer Brandanschlag in diesem Aktionsfeld richtete sich im Jahr 2019 unter anderem gegen die Justizvollzugsanstalt (JVA) in Bremen. Unbekannte Täter setzten am 5. Juli 2019 einen Lastwagen der JVA in Brand. In dem am gleichen Tag veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben rechtfertigten sie ihre Tat mit dem Kampf gegen ein "System der Einsperrung". Der Justizvollzug sei darauf ausgelegt "widerständige und unangepasste Subjekte zu brechen": "Unsere Gedanken sind bei den Gefährt_innen, die gerade nicht bei uns sind. Sie sitzen in der Architektur der Feinde, fristen ihr Dasein hinter Gittern und sollen durch den Entzug ihrer Bewegungsfreiheit bestraft werden. Aber nicht nur für sie war das Feuer. Wir wollen auch die Menschen nicht vergessen, die sich der menschenverachtenden Idee des Wegsperrens entzogen haben. Diejenigen, die alles hinter sich gelassen haben und nun auf der Flucht sind." (Fehler im Original, Internetplattform "Indymedia.org", 05.07.2019). Ziel eines Brandanschlages war das Polizeirevier Steintor am 28. Januar 2020. Unbekannte Täter zündeten einen selbstgebauten Brandsatz im Eingang des Polizeireviers und beschädigten damit die Tür und die Fassade des Gebäudes. In einem dazu veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben beziehen sich die Täter auf die 2017 vom Bundesinnenminister verbotene linksextremistische Internetplattform "Indymedia.linksunten", deren Verbot das Bundesverwaltungsgericht am 29. Januar 2020 bestätigte. "Das Verbot von Linksunten war die direkte Reaktion auf die polizeiliche und politische Niederlage in Hamburgs Straßen. [Anmerkung: gewaltsame Ausschreitungen während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg] Uns als revolutionäre Linke wurde eine wichtige Struktur der Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit genommen. Einen Verein zu konstruieren und diesen dann zu verbieten: damit hat sicher der deutsche Staat ein wirksames Repressionswerkzeug geschaffen. [...] Wir werden auch weitere Angriffe auf uns und unsere Strukturen nicht unbeantwortet lassen. Bullen verpisst euch aus unseren Vierteln! Oder stellt die Feuerlöscher bereit." (Fehler im Original, Internetseite "end of road", 29.01.2020). 5.3.4 "Klimaproteste" Der Klimaschutz war ebenso wie im Vorjahr ein Schwerpunktthema der linksextremistischen Szene in Deutschland. In der politischen Diskussion geht es seit mehreren Jahren um die globalen Auswirkungen des Klimawandels, eine Energiewende und die inzwischen beschlossene Stilllegung von Kohlekraftwerken. Linksextremisten 61 brachten sich in die politische Diskussion mit der Absicht ein, ihre extremistische Weltanschauung und ihre politischen Ziele zu verbreiten sowie ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu vergrößern. Sie erreichten die Zusammenarbeit von linksextremistischen und nichtextremistischen Aktivisten in Bündnissen, Initiativen und Kampagnen, wie in der Kampagne "Ende Gelände" (EG). Die 2014 initiierte linksextremistisch beeinflusste Kampagne organisiert Protestaktionen gegen den Braunkohleabbau. Die Kampagne wird von Gruppierungen und Einzelpersonen sowohl des demokratischen als auch des linksextremistischen Spektrums unterstützt. Die bundesweit agierende linksextremistische Gruppierung "Interventionistische Linke" (IL) ist maßgeblich in die Aktivitäten involviert. Im Jahr 2019 fanden zwei "Ende Gelände-Aktionstage" im rheinischen Braunkohlerevier und im Lausitzer Braunkohlerevier statt, an denen sich Bremer Linksextremisten beteiligten. Im Vorfeld der Aktionstage in der Lausitz gab es in Bremen mehrere Informationsveranstaltungen und ein "Aktionstraining" am 17. November 2019 im Szeneobjekt "Altes Sportamt". Ziel des Aktionstrainings war es, die Teilnehmer auf ein Aufeinandertreffen mit der Polizei vorzubereiten und zum Beispiel das Durchbrechen und Umfließen einer polizeilichen Absperrung zu üben. Blockaden während des "Global Climate Strike" Im Jahr 2019 organisierte die nichtextremistische Bewegung "Fridays for Future" weltweit "Klimastreiks". Mit ihrem Protest forderten Millionen Menschen ihre jeweiligen Regierungen dazu auf, Maßnahmen zur Verbesserung des Klimaschutzes zu ergreifen. An den Demonstrationen unter dem Motto "Global Climate Strike for Future", an denen in Deutschland teilweise mehrere Hunderttausend Personen teilnahmen, beteiligten sich stets auch Linksextremisten. Sie nutzen solche demokratischen Proteste, um ihre linksextremistischen Positionen und Aktionsformen einzubringen. Die Bremer Ortsgruppe der IL beteiligte sich unter anderem an der Demonstration, die im Rahmen des dritten "Global Climate Strike for Future" am 20. September 2019 stattfand. An der Demonstration in der Bremer Innenstadt nahmen insgesamt 30.000 Personen teil. Im Vorfeld rief die Gruppierung zu eigenständigen "kreative(n) Blockaden des städtischen Normalzustandes" (Twitter-Kanal der IL, 06.09.2019) auf. Sie kündigte an, Orte zu blockieren, an denen die Klimakrise täglich produziert würde, und benannte als neuralgische Punkte beispielsweise Häfen, Flughäfen und Autobahnen. Während der Demonstration verließ der von der IL geführte Demonstrationsblock "Vielfalt Block(t)" die abgesprochene Demonstrationsroute in der Bremer Innenstadt. Für rund eine Stunde blockierten etwa 200 Demonstranten die Fahrbahn der Bundesstraße 75 und zwangen die Autofahrer zum Anhalten. Zuvor hatten sie eine Polizeikette durchbrochen. "Militante Aktionen" Unter dem Motto "Ende Gelände-wagen" riefen Linksextremisten im Sommer 2019 bundesweit eine sogenannte "militante Begleitkampagne" zu den vielfältigen Klimaprotesten aus. Ihr Ziel war die Zerstörung von Geländewagen, sogenannten "Sport Utility Vehicle" (SUV). Die Kampagne war im Vergleich zu vorherigen, ähnlich gela62 gerten Kampagnen der gewaltorientierten linksextremistischen Szene von geringer Dauer. In Bremen gab es in diesem Zusammenhang zwei Brandanschläge. In dem zum Brandanschlag auf einen Geländewagen am 21. August 2019 in BremenSteintor veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben argumentierten die unbekannten Täter, dass die Inbrandsetzung eines Geländewagens insgesamt weniger klimaschädlich sei, als wenn das Fahrzeug bis zum Ende der üblichen Nutzungsdauer weitergefahren worden wäre. Die Verfasser erwarteten, dass sich der Geschädigte keinen weiteren Geländewagen, sondern einen Kleinwagen kauft. Die Absicht von Linksextremisten, Personen mit "militanten Aktionen" zu Verhaltensänderungen zu nötigen, wird hier deutlich: "Der "Zerstörungs-Konsens" ist dabei denkbar einfach: Alle Mittel, diesen ökologischen Unsinn zu beenden, sind uns recht. Es soll maximal ungemütlich werden, ein solches Fahrzeug irgendwo abzustellen. Das "Aktionsbild" ist völlig autonom bestimmt und daher wunderbar uneinheitlich und unvorhersehbar." (Internetseite "end of road", 30.08.2019). Kommunikation Das Internet ist das wichtigste Kommunikationsmittel der linksextremistischen Szene. Es dient ihr sowohl als Kommunikationsplattform als auch als Medium zur Verbreitung von Propaganda. Die 2017 vom Bundesinnenministerium verbotene Internetplattform "linksunten. indymedia" nahm eine zentrale Bedeutung für das gesamte "linke" Spektrum ein. Sie betrieb einen "offenen Journalismus", d.h., jeder Internetnutzer konnte dort ohne redaktionelle Vorgaben und unter Nutzung eines Pseudonyms Beiträge veröffentlichen, die andere Internetnutzer wiederum anonym kommentieren und ergänzen konnten. Die Beiträge reichten von Berichten zum Verlauf von Kundgebungen über Analysen zu tagespolitischen Entwicklungen bis hin zu Taterklärungen und Selbstbezichtigungsschreiben sowie Informationsoder Diffamierungskampagnen gegen politische Gegner. Die Internetseite "de.indymedia.org" könnte das verbotene Internetportal in Zukunft ersetzen. In Bremen gibt es seit 2009 die Internetplattform "end of road". Die Betreiber erklärten, dass es sich um ein "antikapitalistisches Projekt" handele und sie "nur Dinge veröffentlichen, die dem Sinne des Projektes entsprechen und eine antifaschistische, autonome und antinationale Grundhaltung haben" (Internetseite "end of road", 06.09.2009). Die veröffentlichten Artikel, Aktionsberichte, Demonstrationsaufrufe und Terminankündigungen spiegeln ein breites Themenspektrum wider. Die Nutzer können die eingestellten Artikel kommentieren und sind darüber hinaus zum Einsenden von Berichten und Terminankündigungen aufgefordert. Die veröffentlichten Beiträge stammen jedoch auch aus anderen Medien. Ein zentrales Publikationsorgan ist die in Berlin herausgegebene Szene-Zeitschrift "Interim", die als eine von wenigen autonomen Schriften bundesweite Bedeutung genießt. Die Szene-Zeitschrift dient vor allem dem gewaltbereiten autonomen Spektrum zur Information und Diskussion. In der "Interim" finden sich Beiträge zu aktuellen Themen, aber auch Rechtfertigungen zur Gewaltanwendung sowie Aufforderungen und Anleitungen zu Gewalttaten. Um Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren, gibt es keine feste Redaktion, auch wird kein Impressum abgedruckt. Titelbild der "Interim" 2019 5.3.5 Proteste gegen die Bundeswehr Das Themenfeld "Antimilitarismus" stellt seit Jahren einen Aktionsund Themenschwerpunkt der linksextremistischen Szene dar. In der Kritik steht die Sicherheitspolitik der Bundesregierung sowie die Existenz und der Einsatz der Bundeswehr. Das Ziel von Kriegen seien der Kampf um Ressourcen und neue Absatzmärkte. Linksex63 tremisten erachten die Bundeswehr als ein "Werkzeug der imperialistischen Unterdrückungspolitik". Die Bundeswehr und Unternehmen, die mit ihr zusammenarbeiten, werden somit als legitimes Ziel von "militanten Aktionen" angesehen. Bundesweit gab es in den letzten Jahren regelmäßig "militante Aktionen" zum Nachteil der Bundeswehr, so auch im Jahr 2019 in Bremen. Am 16. Februar 2019 verübten Angehörige der gewaltorientierten linksextremistischen Szene einen Brandanschlag auf zwei Schwerlasttransporter der Bundeswehr. Es entstand ein hoher Sachschaden. In dem dazu veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben stellen die unbekannten Täter ihre Tat in den Begründungszusammenhang "Antiimperialismus" und "Antimilitarismus" und beziehen sich auf die zu diesem Zeitpunkt abgehaltene "Münchener Sicherheitskonferenz": "Unsere Perspektive in Zeiten von globaler Aufrüstung und militärischer Eskalation ist die praktische Abrüstung von unten. Gegen den globalen Wahnsinn militärischer und ökonomischer Unterdrückung setzen wir eine lokale Praxis direkter Sabotage." (Fehler im Original, Internetplattform "Indymedia.org", 20.02.2019). Einen weiteren Brandanschlag auf die Bundeswehr gab es am 5. September 2019, bei dem ein in der Bremer Innenstadt geparkter Reisebus der Bundeswehr in Brand gesetzt wurde. In dem am 10. September 2019 veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben unter der Überschrift "Nächtliche Abrüstung in der Innenstadt" nehmen die Verfasser neben dem Aktionsund Themenfeld "Antimilitarismus" Bezug auf das der "Antirepression". 64 6 Islamismus Seitenzahl 65 6.1 Islamismus 67 6.2 Islamistischer Terrorismus 67 6.2.1 Globales Terrornetzwerk "al-Qaida" 68 6.2.2 "Islamischer Staat" (IS) 69 6.2.3 Anschläge durch islamistische Terrororganisationen und radikalisierte Einzeltäter 72 6.2.4 Islamistischer Terrorismus in Deutschland 75 6.2.5 Internet und andere Medien 75 6.3 Salafistische Bestrebungen 79 6.3.1 Salafismus im Land Bremen 81 6.3.2 Islamisches Kulturzentrum Bremen e.V. (IKZ) 82 6.3.3 Jihadismus im Land Bremen 85 6.4 Schiitischer Islamismus: Hizb Allah 65 6.1 Islamismus Islamismus bezeichnet eine politische Ideologie, die anstelle des demokratischen Rechtsstaates und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung eine Gesellschaftsund Rechtsordnung vorsieht, welche auf einer islamistischen Interpretation der "Scharia" beruht. Das hier im Mittelpunkt stehende "Prinzip der Gottessouveränität" widerspricht dem "Prinzip der Volkssouveränität". In der Öffentlichkeit werden die Begriffe Islamismus und Islam häufig fälschlicherweise gleichbedeutend verwendet oder verwechselt. Die politische Ideologie des Islamismus ist jedoch deutlich von der Religion des Islam zu trennen. Während der Islam die Religion bezeichnet, bedient sich der Islamismus als extremistische Ideologie an Symbolen und Begriffen aus dem Islam, um seine extremistischen politischen Ziele religiös zu legitimieren und durchzusetzen. Kennzeichen islamistischer Bestrebungen . Islamisten folgen nicht nur ihrer religiös fundamentalistischen Überzeugung, Muslime . sondern sind darüber hinaus politisch motiviert. Das Ziel ist, unter Berufung auf die "Scharia" eine vom Islam vorgegebene Gesellschaftsordnung zu verwirklichen, die für alle Bürger unabhängig von ihrer Religion gilt und die die Regeln und Gesetze eines demokratischen Rechtsstaates . ersetzen soll. Islamisten fordern ein "islamisches" Staatswesen und lehnen die westliche Islamisten Zivilisation, ihre Werte und ihr Demokratieverständnis ab. Salafisten Jihadisten "Scharia" "Scharia" bedeutet wörtlich übersetzt "Weg zur Quelle" und bezeichnet die Gesamtheit aller islamischen Regeln und Riten, die im Koran und den gesammelten PropheRadikale Ansichten tentraditionen (Sunna) festgeschrieben sind. Diese Texte zu interpretieren und werden von einem Bruchteil daraus konkrete Handlungsempfehlungen und Gesetze abzuleiten, ist die Aufgabe der Muslime vertreten der islamischen Rechtsgelehrten. Diese Wissenschaft wird mit dem Begriff "Fiqh" beschrieben. Zur Rechtsfindung werden vier Quellen bzw. Methodiken zu Rate gezogen: der Koran, die Sunna, der Konsens der Gelehrten ("Ijma") und der Vergleich von früher zu heute ("Qiyas"). Die "Scharia" ist nirgends abschließend festgeschrieben, sondern unterliegt einer steten Auslegung. Die "Scharia" besteht im Wesentlichen aus zwei Bereichen, den "Ibadat" (rituelle Pflichten) und den "Muamalat" (gemeinschaftliche Regeln). Die "Ibadat" umfassen Vorschriften zum rituellen Leben und Pflichten gegenüber Gott. Dort sind u.a. neben den fünf Säulen des Islam (Glaubensbekenntnis, fünfmaliges tägliches Gebet, Almosenspende, Fasten im Monat Ramadan, Pilgerfahrt nach Mekka) die rituelle Reinheit, z.B. Waschungen vor dem Gebet, und das Verbot bestimmter Speisen, z.B. Schweinefleisch, geregelt. Die "Muamalat" befassen sich mit den Regeln des menschlichen Zusammenlebens. Dort finden sich Bestimmungen zum Ehe-, Familien-, Personenstands-, Vermögens-, Verkehrsund Wirtschaftsrecht sowie aus dem Strafrecht wieder. Islamisten fordern die unmittelbare und vollkommene Umsetzung ihrer Interpretation der "Scharia", während sich heute die große Mehrheit der Muslime lediglich an die in der "Scharia" im Bereich der "Ibadat" festgelegten Vorschriften zum rituellen Leben und an die Pflichten gegenüber Gott hält. Einige Vorschriften in der "Scharia" aus dem Bereich der "Muamalat", die das menschliche Zusammenleben regeln, widersprechen der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und der in Deutschland geltenden 66 Rechtsordnung. Die grundrechtlich garantierte körperliche Unversehrtheit wird beispielsweise durch Vergeltungsstrafen verletzt, dazu gehören u.a. das Abhacken der Hand oder die Steinigung. Die im Widerspruch zu den im Grundgesetz verankerten Menschenrechten bestehende Ungleichbehandlung der Geschlechter zeigt sich insbesondere in den Rechtsgebieten des Erbund Familienrechts, z.B. ist die Zeugenaussage eines Mannes in manchen Bereichen so viel wert wie die zweier Frauen. Der Islamismus ist eine sehr heterogene Bewegung und hat im Laufe seiner Geschichte verschiedene Ausprägungsformen entwickelt, die sich methodisch und ideologisch teilweise stark voneinander unterscheiden. Ausgehend von der Einstellung zur Gewalt können im Islamismus zwei Hauptströmungen unterschieden werden: legalistischer Islamismus und islamistischer Terrorismus. Die Grenze zwischen beiden Strömungen verläuf fließend, weil zum einen die ideologische Ausrichtung und die damit begründete Gewaltaffinität der Anhänger nicht immer eindeutig definiert werden kann, zum anderen weil terroristische Gruppen ihre Anhänger häufig aus legalistisch-extremistischen Organisationen rekrutieren. Legalistischer Islamismus und islamistischer Terrorismus differenzieren sich hauptsächlich durch die Wahl ihrer Mittel: . Legalistisch-islamistische Organisationen streben die Veränderung der Staatsund Gesellschaftsordnung zugunsten eines islamischen Staatswesens über die politische Einflussnahme an. Durch politische und gesellschaftliche Veränderungen sollen rechtliche Freiräume für ein "schariakonformes" Leben geschaffen werden. So zielt auch die politische Strategie der in Deutschland lebenden Legalisten darauf, hier entsprechend ihrer Ideologie leben zu können. Beispiele für in Deutschland tätige legalistisch-islamistische Organisationen sind die "Muslimbruderschaft", die "Saadet Partisi", die "Furkan Gemeinschaft" oder die "Hizb ut-Tahrir". . Islamistische Terrororganisationen verfolgen ihre Ziele demgegenüber mit Gewalt, unter anderem in Form von terroristischen Anschlägen. Unterschieden werden kann hier zwischen islamistisch-terroristischen Organisationen, die ausschließlich in ihren Heimatländern einen bewaffneten Kampf führen, z.B. die libanesische Organisation "Hizb Allah", und Jihadisten, die weltweit einen bewaffneten Kampf führen, z.B. das Terrornetzwerk "al-Qaida" und der "Islamische Staat". Insgesamt sind in Deutschland ca. 28.000 Personen der islamistischen Szene zugehörig. In Bremen sind im Jahr 2019 etwa 660 Personen islamistischen Gruppen zuzurechnen. 6.2 Islamistischer Terrorismus Der überwiegende Teil der islamistisch-terroristischen Bewegung ist jihadistisch geprägt. Die Anhänger dieser Ideologie legitimieren die von ihnen verübten Terroranschläge religiös. "Jihad" bedeutet wörtlich übersetzt "Anstrengung" oder "Bemühung" und meint die geistlich-spirituellen Bemühungen der Gläubigen um das richtige 67 Verhalten gegenüber Gott. Islamische Gelehrte unterscheiden hierbei zwischen dem "Großen Jihad" und dem "Kleinen Jihad". Mit dem "Großen Jihad" sind alle "inneren Bemühungen" eines Muslims gemeint, die moralischen Maßstäbe des Islam so gut wie möglich zu befolgen. Der "Kleine Jihad" dagegen meint den Kampfeinsatz zur Verteidigung sowie zur Ausbreitung des islamischen Herrschaftsbereichs. Die Jihadisten beziehen sich demzufolge auf den "Kleinen Jihad". Sie führen unter dem Leitprinzip des "Jihad" einen bewaffneten Kampf gegen die angeblichen Feinde des Islam. Dieser religiösen Legitimation bedienen sich nicht nur die Terrornetzwerke "Islamischer Staat" (IS), "al-Qaida" und ihre Ablegerorganisationen, sondern auch organisatorisch unabhängig agierende jihadistische Einzelgruppierungen und Einzeltäter. 6.2.1 Globales Terrornetzwerk "al-Qaida" "Al-Qaida" vollzog innerhalb der letzten 20 Jahre einen fundamentalen Wandel von einer Organisation mit festen Strukturen zu einem globalen losen Terrornetzwerk. Das Terrornetzwerk "al-Qaida" umfasst eine Vielzahl von islamistisch-terroristischen Organisationen, einzelne Terrorzellen aus dem Nahen Osten, Afrika und Europa sowie zahlreiche regional und überregional agierende Ablegerorganisationen. Zu den von der Kernorganisation "al-Qaida" logistisch und finanziell relativ unabhängig agierenden regionalen Gruppen gehören unter anderem "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH) im Jemen, "al-Shabab" ("die jungen Menschen") in Somalia, "Jabhat Fath ash-Sham" (JFS, "Eroberungsfront Syriens") in Syrien, "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM) in den Maghrebstaaten und "al-Qaida auf dem indischen Subkontinent" (AQIS). Die aus "al-Qaida im Irak" hervorgegangene Terrororganisation "IS" agiert mittlerweile unabhängig bzw. sogar in bewaffneter Abgrenzung zu "al-Qaida". Viele dieser Organisationen und Terrorzellen stehen nicht in unmittelbarem Kontakt zur Kernorganisation "al-Qaida". Weltweit werden inzwischen Terroranschläge von Personen oder Organisationen verübt, die sich lediglich der Ideologie "al-Qaidas" verschrieben haben. Die von "al-Qaida" entwickelte "Dachideologie" des globalen "Jihad" existiert damit organisationsunabhängig und ist auch durch den Wegfall einzelner Personen nicht zu beseitigen. Entstehung und Ideologie des Terrornetzwerkes "al-Qaida" Die Entstehung von "al-Qaida" ("die Basis") ist eng mit der sowjetischen Besetzung Afghanistans in den Jahren von 1979 bis 1989 verknüpft. Neben den afghanischen "Mujahideen" ("die, die den "Jihad" betreiben") gab es eine Gruppe unter der Führung des Palästinensers Abdallah Azzam, die weltweit Muslime zur Verteidigung Afghanistans als muslimisches Land aufrief und den "Jihad" somit internationalisierte. Azzam betrieb zusammen mit dem Saudi-Araber Usama bin Laden und dem Ägypter Ayman az-Zawahiri das sogenannte "Dienstleistungsbüro" (maktab al-khidamat), das die Finanzierung und Koordinierung der arabischen "Mujahideen" übernahm. Aus diesem "Dienstleistungsbüro" entstand die Organisation "al-Qaida". Entscheidend für die Entwicklung der Ideologie "al-Qaidas" waren der Zweite Golfkrieg 1990-1991 und die Tatsache, dass die Islamisten Anfang der 1990er-Jahre in keinem arabischen Staat die Herrschaft erringen konnten. Während bin Laden die Stationierung von US-amerikanischen Truppen in Saudi-Arabien im Zuge des Golfkrieges als nicht hinnehmbare Demütigung der islamischen Welt empfand, betrachtete Zawahiri die Machtübernahme von islamistischen Bewegungen in arabischen Staaten als aussichtslos, solange diese durch den Westen und insbesondere die USA unterstützt würden. Diese Unterstützung könne ausschließlich durch Angriffe auf den Westen beendet werden. 68 Die Hinwendung von der Bekämpfung des "nahen Feindes" (die arabischen Regime) zur Bekämpfung des "fernen Feindes" (der Westen) ist ein Schlüsselkonzept der Ideologie "al-Qaidas". Dieses Konzept manifestierte sich in den Anschlägen auf das "World Trade Center" in den USA 1993, die US-amerikanischen Botschaften in Daressalam/Tansania und Nairobi/Kenia 1998, das US-Kriegsschiff "USS Cole" 2000 und auf das "World Trade Center" 2001 in den USA. Mittlerweile hat sich dieses ideologische Konzept verselbstständigt und bildet die Motivation für zahlreiche Anschläge, die nicht direkt von der Kernorganisation "al-Qaida" koordiniert werden, wie die Terroranschläge am 11. März 2004 in Madrid oder am 7. Juli 2005 in London. Seitdem wird "al-Qaida" nicht mehr als Organisation, sondern als ein Netzwerk von gleichgesinnten Jihadisten definiert. Usama bin Laden und Ayman az-Zawahiri 6.2.2 "Islamischer Staat" (IS) Spätestens seit dem Bruch mit seiner Mutterorganisation ist der sogenannte "IS" als eigenständige Terrororganisation wahrzunehmen, die in einem Konkurrenzverhältnis zu "al-Qaida" steht. Die Ideologie beider Gruppen ist sich sehr ähnlich, die Unterschiede sind eher struktureller Natur. Im Gegensatz zur eher dezentral und versteckt agierenden "al-Qaida" verfügte der "IS" über einen Herrschaftsbereich in größeren Teilen Syriens und des Iraks. In verschiedenen Ländern (Libyen, Ägypten, Algerien, Nigeria, Jemen) hatten terroristische Gruppen ihre Loyalität zum "IS" bekundet. Der "IS" ist gegenwärtig die stärkste jihadistische Terrororganisation, hat "al-Qaida" in dieser Hinsicht den Rang abgelaufen und kontrollierte zeitweise in Syrien und im Irak ein Territorium von der Größe Großbritanniens. Der Versuch, in diesen Gebieten staatsähnliche Strukturen aufzubauen, gelang dem "IS" durch umfangreiche finanzielle Mittel, die vor allem aus Beutezügen, Schutzgelderpressung und dem Verkauf von Rohöl erlangt wurden. Hinzu kam der Besitz von modernem Kriegsgerät, wodurch der "IS" mehr als eine Miliz denn als einfache, im reinen Untergrund agierende Terrororganisation verstanden werden muss. Aus dieser augenblicklichen "Position der Stärke" erwächst die Attraktivität und Anziehungskraft auf viele radikalisierte Jugendliche und junge Erwachsene. So kommt es, dass sich dem "IS" aus fast der gesamten Welt sogenannte "Foreign Fighters" angeschlossen haben. Alleine aus Europa sind ca. 5.000 Personen ausgereist, davon rund 1.000 aus Deutschland. Mittlerweile sind die Gebiete des "IS" in Syrien und Irak zurückerobert worden, doch die Organisation bleibt im Untergrund und vor allem virtuell weiterhin aktiv. Genese des "Islamischen Staates" Die Ursprünge des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) liegen im 2003 begonnenen Irakkrieg. Die unter der Führung des Jordaniers Abu Musab al-Zarqawi stehende Terrorgruppe "al-Tawhid wa-l-Jihad" benannte sich 2004 in "al-Qaida im Zweistromland" um und agierte fortan als regionaler Ableger von "Kern-al-Qaida" im Irak. Schon zu dieser Zeit fiel die Gruppe durch ihre enorme Brutalität auf. Durch möglichst Aufsehen erregende und opferreiche Anschläge auf schiitische Heiligtümer und Bürger wollte ihr Anführer al-Zarqawi Gegenschläge gegen die sunnitische Bevölkerung provozieren und sich in dem antizipierten Bürgerkrieg zum wichtigsten Verteidiger der Sunniten aufschwingen. 2005 rief die damalige Nr. 2 von "al-Qaida", Ayman az-Zawahiri, Zarqawi zur Mäßigung auf, da er einen Imageverlust von "al-Qaida" aufgrund der Gräueltaten von Zarqawis Gruppe vermutete. Nach dem Tod al-Zarqawis 2006 benannte sich die Gruppe in den "Islamischen Staat im Irak" um, blieb jedoch weiterhin Teil von "al-Qaida". In den folgenden Jahren konnte die Organisation weitestgehend zurückgedrängt werden. Erst mit dem Abzug der Amerikaner aus dem Irak, der konfessionell spaltenden Politik des ehemaligen schiitischen irakischen Premiers 69 In Deutschland al-Maliki und dem durch den Bürgerkrieg bedingten Machtvakuum im Nachbarland verbotene Flagge Syrien konnte sich der "Islamische Staat im Irak" wieder etablieren. des "IS" Anfang 2012 entsandte der jetzige Anführer des "IS", Abu Bakr al-Baghdadi, eine unter der Führung von Abu Muhammad al-Jaulani stehende Delegation von Kämpfern nach Syrien, die den Namen "Jabhat al-Nusra" ("JaN") trug. Al-Jaulani agierte jedoch zunehmend unabhängiger von al-Baghdadi. Dieser erklärte in einer Veröffentlichung im April 2013, dass die JaN Teil seiner Organisation sei, die er in den "Islamischen Staat im Irak und Sham" (ISIS) umbenannte. Al-Jaulani pochte weiterhin auf seine Unabhängigkeit und schwor die Treue zum Führer von "Kern-al-Qaida" Ayman az-Zawahiri. In der Folge kam es zu einem Zerwürfnis und az-Zawahiri schloss "ISIS" schließlich im April 2014 aus dem "al-Qaida"-Netzwerk aus. Kurz darauf benannte sich "ISIS" in den "Islamischen Staat" (IS) um und erklärte seinen Anführer Abu Bakr al-Baghdadi zum Kalifen und somit zum Herrscher über alle Muslime. Am 12. September 2015 wurde gegen die Organisation "Islamischer Staat" in Deutschland durch das Bundesinnenministerium ein Betätigungsverbot erlassen. Die Tätigkeiten der Vereinigung laufen Strafgesetzen zuwider und richten sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung, heißt es in der Verbotsverfügung. Es ist ferner verboten, Kennzeichen des "IS" öffentlich, in einer Versammlung oder in Schriften, Tonoder Bildträgern, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden können oder zur Verbreitung bestimmt sind, zu verwenden. Im Oktober 2019 wurde al-Baghdadi in Syrien durch US-Streitkräfte getötet, die Organisation ernannte jedoch mit Abu Ibrahim al-Quraischi unmittelbar einen Nachfolger. 6.2.3 Anschläge durch islamistische Terrororganisationen und radikalisierte Einzeltäter Der islamistische Terrorismus ist ein globales Phänomen. Von den Anschlägen islamistischer Terrororganisationen sind daher sowohl die islamische Welt als auch die nicht-islamische Welt betroffen. Beide sehen sich einer asymmetrischen Bedrohungslage ausgesetzt. Dies gilt zum einen für den Tätertypus. So kann es sich bei den Tätern um langjährige Operateure, neu ausgebildete Rekruten und Rückkehrer, "Home-Grown"-Aktivisten, "Lone-Wolf"-Akteure oder als Flüchtlinge getarnte Terroristen handeln. Ebenso ist an jedem Ort und zu jeder Zeit mit Anschlägen zu rechnen. Die Ziele des islamistischen Terrorismus umfassen nicht nur kritische Infrastruktur, wie Bahnhöfe oder Flughäfen, sondern auch sogenannte "soft targets" wie z.B. Einkaufszentren oder Cafes. Schließlich gilt die Asymmetrie auch für die Tatausführung, den sogenannten Modus Operandi. Jegliche Arten von Waffen können hierbei zum Einsatz kommen. So werden Sprengsätze sowohl per Fernzünder als auch mittels Selbstmordattentäter ebenso benutzt wie Schusswaffen oder Kraftfahrzeuge. Letztlich ist auch der Gebrauch eines einfachen Küchenmessers zur Tatbegehung ausreichend. Die Anschläge finden sowohl in der islamischen, wie auch in der westlichen Welt statt und treffen jeweils sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime. USA und Europa In Frankreich kam es 2019 zu mehreren Anschlägen bzw. Anschlagsversuchen. In Conde-sur-Sarthe kam es am 05.03.2019 zu einem Messerangriff auf Wachleute in einem Gefängnis durch einen Häftling und seine Ehefrau. Diese wurde durch Polizeikräfte erschossen, des Weiteren wurden zwei Personen verletzt. Nur zwei 70 Wochen später, am 24.05.2019 verletzte eine Paketbombe in Lyon 13 Menschen. Am 03.10.2019 starben fünf Personen bei einem Messerangriff auf eine Polizeipräfektur in Paris, eine weitere Person wurde verletzt. Am 03.01.2020 schließlich starben zwei Menschen, darunter der Täter, bei einem Messerangriff in einem Park in Villejuif, zwei weitere Personen wurden verletzt. Alle Fälle waren laut Polizeiangaben islamistisch motiviert. Auch in Großbritannien kam es 2019 zu islamistisch motivierten Anschlägen. In Manchester gab es am 11.10.2019 einen Messerangriff in einem Einkaufszentrum. Dabei wurden fünf Personen verletzt. Einen Monat später, am 29.11.2019 attackierte eine männliche Person mehrere Passanten auf der London Bridge mit einem Messer. Zwei Personen starben durch den Messerangriff, drei weitere wurden verletzt. Die Polizei erschoss den Täter, der eine Sprengstoffweste trug, die sich im Nachhinein allerdings als Attrappe herausstellte. Zu weiteren Anschlägen innerhalb der EU kam es 2019 in Norwegen, den Niederlanden und in Italien. So wurde am 17.01.2019 bei einem Messerangriff auf Kunden eines Supermarktes in Oslo eine Person verletzt. Am 18.03.2019 wurden beim einem Schusswaffenanschlag in einer Straßenbahn in Utrecht drei Personen getötet und fünf weitere verletzt. In Mailand kam es am 18.09.2019 zu einem Messerangriff auf Soldaten vor dem Hauptbahnhof, wobei eine Person verletzt wurde. In den USA kam es am 06.12.2019 zu einem Anschlag auf Marinesoldaten in Pensacola, Florida. Der Täter, ein Leutnant der saudischen Luftwaffe und Auszubildender zum Marineoffizier, erschoss dabei drei Personen und verletzte weitere acht. Im darauf folgenden Feuergefecht wurde er erschossen. Laut dem US-amerikanischen Generalbundesanwalt sei die Tat jihadistisch motiviert gewesen. Entsprechende Aussagen hätten sich auf seinen Social-Media-Profilen finden lassen. Auch wenn sich die Attentäter zum "IS" bekennen oder dieser im Nachhinein die Anschläge für sich reklamiert, bleibt häufig unklar, ob die Terrororganisation im Vorfeld davon wusste oder die Täter autonom agierten. Ebenso wird deutlich, dass Personen nicht mehr ausreisen, sondern versuchen, in ihren Heimatländern, z.T. sogar an ihren Wohnorten, Anschläge zu begehen. Die Tatsache, dass viele Personen den Sicherheitsbehörden bekannt waren, zeigt zudem, dass tendenziell die richtigen Zielgruppen im Fokus stehen. Seit jedoch Anschläge mit einfachsten Mitteln ausgeführt und äußerst spontan geplant werden, wird es immer schwieriger, diese zu verhindern. Hinzu kommt, dass häufig zunächst keine Erkenntnisse hinsichtlich einer möglichen Hinwendung zum islamistischen Extremismus vorliegen und die Täter lediglich durch Alltagsbzw. Kleinkriminalität auffällig werden. Durch eine zunehmende Bedeutung des Internets bzw. von "Social Media" für Radikalisierungsprozesse wird die Entdeckung im Vorfeld weiter erschwert. "Home-Grown-Terrorismus" Die Profile islamistischer Terroristen haben sich in den letzten Jahren deutlich verändert. Längst stellen nicht mehr nur aus dem Ausland eingereiste Attentäter eine Bedrohung für die Innere Sicherheit dar. Eine hohe Gefährdung geht von sogenannten "Home-Grown"-Terroristen aus, die in westlichen Staatsund Gesellschaftsformen aufgewachsen und sozialisiert worden sind. Wenngleich "Home-Grown"-Terroristen äußerlich meistens gut in die Gesellschaft integriert scheinen, wenden sie sich radikal islamistischem Gedankengut zu und fühlen sich zur Verübung von Anschlägen berufen. Durch ihre Sozialisation bewegen sich "Home-Grown"-Terroristen bei der Planung und Durchführung von Anschlägen in der Regel unauffälliger als aus dem Ausland eingereiste Attentäter. 71 Radikalisierungsprozesse Die Wandlung von in die Gesellschaft integriert erscheinenden jungen Personen zu islamistisch motivierten Gewalttätern wirft Fragen zum Radikalisierungsprozess auf. Es existieren zahlreiche wissenschaftliche Studien zu dem Thema, die trotz unterschiedlicher Methodik Grundaussagen bezüglich der Radikalisierung von Personen zulassen: Viele junge Menschen stellen sich Fragen zu ihrer Identität und meinen, u.a. im Islam Antworten finden zu können. Zentral ist dabei oftmals die Frage nach der Bedeutung, als Muslim in einer mehrheitlich nicht-muslimischen Gesellschaft zu leben. Eine scheinbare Antwort auf diese Fragen können islamistische Ideologien, wie der Salafismus, bieten, der vor allem über das Internet, aber auch in geringerem Maße über Literatur und Prediger vermittelt wird. Die meisten Muslime lehnen eine solche extremistische Islaminterpretation ab. Akzeptanz findet die Ideologie bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen dann, wenn sie dort aufgrund von erlebten Frustrationserfahrungen wie Diskriminierung, Erniedrigung, Entfremdung, Ungleichbehandlung, Perspektivund Orientierungslosigkeit oder Konflikten mit dem Elternhaus angebliche Bestätigung finden. In diesem Fall werden persönliche negative Erfahrungen in eine Weltsicht eingebettet, in der sich die Ungläubigen in jeder Hinsicht gegen die Muslime verschworen haben. Die Ursachen für eine Radikalisierung liegen jedoch nicht im Islam, sondern sind sozialer, ökonomischer oder psychologischer Natur. Daher ist häufig nicht die Ideologie der wichtigste Grund, sich einer extremistischen Gruppierung anzuschließen, sondern die Aufnahme und Akzeptanz in einer Gemeinschaft von vermeintlich Gleichgesinnten. Auch wenn die Befürwortung oder sogar Ausübung von Gewalt eher die Ausnahme darstellt, so gefährdet auch die gewaltlose Radikalisierung, vergleichbar mit Sekten und fundamentalistischen Strömungen innerhalb anderer Religionen, den gesellschaftlichen Zusammenhalt und ein friedliches, interkulturelles Zusammenleben, da sie Polarisierung und soziale Abschottung fördert. Begünstigt werden entsprechende Radikalisierungsprozesse darüber hinaus durch die insgesamt zu beobachtende Polarisierung und damit verbundene Diskriminierung innerhalb der gesamten Gesellschaft. 6.2.4 Islamistischer Terrorismus in Deutschland Die Gefährdung Deutschlands durch den islamistischen Terrorismus ist im Jahr 2019 konstant hoch geblieben. So gab es diverse Festnahmen und Gerichtsverfahren gegen Personen aus dem islamistisch-terroristischen Spektrum. Schließlich fließen auch 72 die Reisebewegungen von deutschen Staatsbürgern wie auch von Geflüchteten in die Sicherheitslage ein. Anschlagsplanungen und Verhaftungen Am 29.01.2019 wurden drei Personen in Meldorf, Schleswig-Holstein verhaftet. Nach Aussage des Präsidenten des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, haben die drei festgenommenen Iraker als anerkannte Flüchtlinge in Deutschland gelebt. Die mutmaßlichen Islamisten hätten subsidiären Flüchtlingsschutz genossen, sagte Münch in Berlin. Dieser subsidiäre Schutz greift ein, wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht - etwa Folter oder Todesstrafe. Münch sagte, den Ermittlungen zufolge hatten die Verdächtigen das Ziel, "möglichst viele Menschen zu töten". Am 21.02.2019 durchsuchten Polizisten mehrere Wohnungen in Hessen. Im Zentrum der Ermittlungen stand ein Ehepaar, das zur Terrormiliz IS nach Syrien reisen wollte. Sie sollen gemäß der Frankfurter Staatsanwaltschaft im November 2016 gemeinsam mit ihren beiden Kleinkindern in die Türkei gereist sein und erfolglos versucht haben, zu "dschihadistischen Zwecken" in ein von der Terrormiliz IS beherrschtes Gebiet in Syrien zu gelangen. Sie wurden den Angaben zufolge noch in der Türkei festgenommen und nach Deutschland abgeschoben. Das Ehepaar wurde im Rahmen der Durchsuchungsmaßnahmen verhaftet. Am 30.03.2019 kam es zu Durchsuchungen in Nordrhein-Westfalen und BadenWürttemberg. Zehn mutmaßliche Islamisten wurden wegen Terrorverdachts festgenommen. Ermittelt werde wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat, erklärte ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf. Der Anfangsverdacht gegen zunächst sechs Männer deutete darauf hin, dass sie Waffen und Sprengstoff für einen Anschlag horteten. Den Personen werde vorgeworfen, "entweder als Zelle der terroristischen Vereinigung IS oder als Befürworter der Ziele dieser Organisation sich Waffen und/oder Sprengstoff verschafft zu haben, um damit in der Zukunft einen noch nicht konkret geplanten Anschlag auf dem Gebiet der Bundesrepublik zu begehen", so die Generalstaatsanwaltschaft. Am 17.04.2019 hat die Bundesanwaltschaft ein mutmaßliches "IS"-Mitglied in Hamburg vom Landeskriminalamt festnehmen lassen. Der Beschuldigte sei "dringend verdächtig, sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung IS beteiligt zu haben", hieß es in einer Mitteilung. Die Person verließ demnach im November 2013 die Bundesrepublik Deutschland, um sich in Syrien dem "IS" anzuschließen. Er soll sich in die Entscheidungsund Befehlsstruktur der Terrororganisation eingegliedert und in einem ihrer Stützpunkte eine militärische Ausbildung absolviert haben. Im März 2014 kehrte er nach Deutschland zurück und soll Mitglieder für den IS rekrutiert und geschleust haben. Am 12.11.2019 sind drei Männer unter dem Verdacht, einen islamistischen Terroranschlag vorbereitet zu haben, festgenommen worden. Laut der Frankfurter Generalstaatsanwaltschaft werde ihnen vorgeworfen, Vorbereitungen getroffen zu haben, um im Rhein-Main-Gebiet mittels Sprengstoff oder Schusswaffen eine religiös motivierte Straftat zu begehen und dabei möglichst viele Menschen zu töten. Der Hauptverdächtige habe bereits Grundbestandteile zur Herstellung von Sprengstoff beschafft und im Internet nach Schusswaffen gesucht, hieß es weiter. Alle drei Verdächtigen sollen sich Zeugen gegenüber als Anhänger der Terrormiliz Islamischer Staat zu erkennen gegeben haben. Eine Spezialeinheit der Polizei hat am 19.11.2019 einen Mann in Berlin festgenommen. Er soll sich im Internet über den Bau von Bomben informiert und ausgetauscht sowie Bestandteile von Sprengstoff beschafft haben. Zweck des Chatverkehrs soll die Vorbereitung von Terroranschlägen gewesen sein, teilte die Generalstaatsanwaltschaft Berlin mit. Unter anderem soll der Verdächtige im August 2019 Aceton und im September Wasserstoffperoxidlösung gekauft haben. Beide Chemikalien werden zur Herstellung des hochexplosiven Sprengstoffs Triacetontriperoxid (TATP) benötigt. Der Haftbe73 fehl wurde in Berlin wegen des Verdachts der Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat erlassen. Der Generalbundesanwalt ermittelt parallel wegen des Verdachts der Vorbereitung einer derartigen Tat. Ermittlungsverfahren und Strafprozesse gegen Terrorverdächtige Die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Islamisten ist erneut angestiegen. Insgesamt werden in Deutschland derzeit rund 1.000 Ermittlungsverfahren mit islamistischen Bezügen geführt. Im Folgenden werden einige der Verfahren beispielhaft dargestellt. Die Bundesanwaltschaft hat am 7. Januar 2019 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart Anklage gegen einen 37-jährigen syrischen Staatsangehörigen erhoben. Der Angeklagte sei hinreichend verdächtig, sich als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Jabhat al-Nusra" beteiligt (SSSS 129a, 129b StGB) sowie gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen (SS 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG) zu haben. Er schloss sich demnach Ende des Jahres 2012 in Syrien der ausländischen terroristischen Vereinigung "Jabhat al-Nusra (JaN)" an. Dort sei er innerhalb kurzer Zeit in eine führende Position aufgestiegen. Unter anderem sei er als persönlicher Assistent eines Gründungsmitglieds der "JaN" eingesetzt gewesen. Zudem habe der Angeklagte nach der Einnahme der Stadt Tabka in Syrien durch die "JaN" und andere Gruppierungen am 10. Februar 2013 die Leitung der örtlichen "Scharia-Polizei" übernommen. In dieser Eigenschaft sei der Angeklagte neben der Bewachung des eroberten Euphrat-Staudammes sowie des Krankenhauses von Tabka vor allem für die Umsetzung der Befehle der von der "JaN" eingesetzten "Scharia-Richter" verantwortlich gewesen. Hierzu hätten insbesondere die Verhaftungen von Personen, die Ahndung von Diebstählen sowie die Absicherung von öffentlichen Auspeitschungen gehört. Darüber hinaus habe er sich auf Seiten der "JaN" aktiv an Kampfhandlungen gegen die Regierungstruppen des syrischen Machthabers Assad beteiligt. Bei mindestens zwei Kampfhandlungen sei der Angeklagte mit einem Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow nebst dazugehöriger Munition bewaffnet gewesen. Die Bundesanwaltschaft hat am 8. März 2019 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf Anklage gegen drei irakische Staatsangehörige erhoben. Die drei Angeklagten seien hinreichend verdächtig, sich in den Jahren 2014 und 2015 im Irak jeweils als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat (IS)" beteiligt zu haben (SS 129b Abs. 1, SS 129a Abs. 1 StGB). Gegen eine Person bestehe darüber hinaus der hinreichende Tatverdacht der Beihilfe zum Mord und zu Kriegsverbrechen (SS 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, SSSS 211, 27 StGB), des mehrfachen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (SS 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG) sowie der Nötigung (SS 240 StGB). Ferner ist die Person angeklagt, als Jugendlicher im Zeitraum von 2006 bis 2008 als Mitglied der Vereinigung "Islamischer Staat im Irak" - der Vorgängerorganisation des "Islamischen Staates" - in insgesamt dreizehn Fällen eine Sprengstoffexplosion herbeigeführt und dadurch jeweils Menschen aus niedrigen Beweggründen, heimtückisch sowie mit gemeingefährlichen Mitteln getötet zu haben (SSSS 211, 308 Abs. 1 und Abs. 3 StGB). Hierbei habe es sich um Angehörige der US-Streitkräfte, der irakischen Armee und der örtlichen Polizei sowie um Zivilisten, die sich zufällig am Anschlagsort aufhielten, gehandelt. Alle drei Angeklagten sollen sich laut Generalbundesanwalt im Jahr 2014 dem "Islamischen Staat" als Mitglieder angeschlossen haben. Dort hätten sie verschiedene Aufgaben wahrgenommen, so habe eine Person ein Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow erhalten und hiermit bewaffnet in Al-Rutba Sicherungsund Wachdienste übernommen. In zwei Fällen habe er Hinrichtungen auf dem Dorfplatz abgesichert, bei denen Mitglieder der Terrororganisation Kinder, Frauen und Männer 74 ermordeten. Weiterhin habe er einen Bewohner von Al-Rutba gewaltsam zum Gebet in die örtliche Moschee gebracht. Der zweite Angeklagte absolvierte demnach eine militärische Ausbildung, in deren Anschluss er, jeweils ausgerüstet mit einem Sturmgewehr des Typs "Kalaschnikow", aufseiten des "Islamischen Staates" an Kampfhandlungen teilgenommen und Wachdienste versehen habe. Der dritte Angeklagte habe für den "Islamischen Staat" Propagandamaterial hergestellt und verbreitet. Insbesondere habe er Hinrichtungen, Bestrafungsaktionen und Einsätze der Terrororganisation gefilmt und die Videos aufbereitet. Anschließend zwangen Mitglieder des "IS" die Bevölkerung von Al-Rutba, sich diese Videos auf dem Markplatz anzuschauen. Ferner habe er in mindestens zwei Fällen für die terroristische Vereinigung an Kampfhandlungen teilgenommen, während er jeweils mit einem Sturmgewehr des Typs Kalaschnikow bewaffnet gewesen sei. Die Bundesanwaltschaft hat ferner am 12. Juni 2019 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart Anklage gegen einen syrischen Staatsangehörigen erhoben. Der Angeklagte sei hinreichend verdächtig, sich in fünf Fällen als Mitglied an der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat (IS)" beteiligt SS 129a Abs. 1 Nr. 1, SS 129b Abs. 1 Satz 1 StGB) und in Zusammenhang mit drei dieser Fälle Kriegsverbrechen gegen Personen (SS 8 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 VStGB) begangen zu haben. In einem anderen dieser Fälle werden ihm auch ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (SS 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG) und eine gefährliche Körperverletzung (SSSS 223 Abs. 1, 224 Abs. 1 Nr. 2) zur Last gelegt. Darüber hinaus bestehe ein hinreichender Tatverdacht wegen zwei weiteren Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz (SS 22a Abs. 1 Nr. 6 KrWaffKontrG) und einem Kriegsverbrechen gegen Personen (SS 8 Abs.1 Nr. 1 VStGB). Der Angeklagte habe sich im Jahr 2012 in Syrien zunächst einer lokal agierenden, der sogenannten "Freien Syrischen Armee" zuzuordnenden regimefeindlichen Gruppierung angeschlossen und sich in einem Propagandavideo dieser Gruppierung mit einem Maschinengewehr gezeigt und in einem weiteren Fall mit einem solchen geschossen. Zudem habe er gemeinsam mit zwei Mitgliedern seiner Einheit einen gegnerischen Kämpfer, den sie zuvor gefangen genommen und an den Händen gefesselt hatten, erschossen. Im Frühsommer 2014 habe der Angeklagte zum sogenannten "Islamischen Staat" gewechselt, wo er unter anderem in einem Gefängnis des "IS" eingesetzt gewesen sei und sich dort an der Misshandlung von mindestens drei Gefangenen beteiligt habe. Zudem habe der Angeklagte Patrouillenfahrten durchgeführt und von ihm gefangen genommene Personen in das Gefängnis des "IS" gebracht. Im Sommer 2014 habe der Angeklagte gemeinsam mit zwei weiteren Mitgliedern des "IS" einen zuvor von der Terrororganisation wegen "Gotteslästerung" Festgenommenen exekutiert. Reisebewegungen Es liegen derzeit Erkenntnisse zu mehr als 1.050 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie aufseiten des "Islamischen Staates" und der "al-Qaida" oder diesen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilnehmen bzw. teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützen bzw. unterstützt haben. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden vorliegen. Einzelne Ausreisesachverhalte werden unverändert erst nachträglich bekannt. Neue Ausreisen Richtung Syrien/Irak werden aktuell nur noch sehr vereinzelt registriert. Etwa ein Viertel der gereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu über 110 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicher75 heitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger Verurteilungen aus Syrien/Irak zurückgekehrter Personen bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Zu mehr als 230 Personen liegen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Nach dem Verlust des Herrschaftsgebietes des sog. "Islamischen Staates" liegen Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen im unteren dreistelligen Bereich vor, die aktuell aus Syrien/Irak ausreisen möchten und/oder die sich aktuell in Syrien/Irak in Haft bzw. in Gewahrsam befinden. Zur Mehrheit der Personen liegen Erkenntnisse vor, dass sie beabsichtigen, u.a. nach Deutschland zurückzukehren. 6.2.5 Internet und andere Medien Die Radikalisierung von jungen Menschen kann insbesondere über im Internet abrufbare islamistische Propaganda erfolgen. Das Internet dient Islamisten als wichtiges Medium zur Kontaktpflege, Verbreitung von Propaganda und Rekrutierung von neuen Anhängern. Die Präsenz dieser Propaganda sowie der dahinter stehenden Organisationen im Internet hat sich in den vergangenen Jahren insbesondere durch die Nutzung sozialer Netzwerke im Internet bzw. entsprechender Programme wie Twitter, WhatsApp, Facebook, Youtube oder Telegramm erhöht. Popularität genießen auch jihadistische Kampflieder, sogenannte "Nasheeds". Da in diesen Liedern keine Instrumente benutzt werden, stellen sie entsprechend einer strengen islamischen Auslegung die einzige legitime Musikform dar. Die Kampflieder stammen ursprünglich aus dem mystischen Islam (Sufismus). In den 1980er-Jahren, während des Krieges in Afghanistan, entdeckten Jihadisten diese Kampflieder für sich und unterlegen damit oft musikalisch ihre Propagandavideos. 6.3 Salafistische Bestrebungen Der Salafismus gilt sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene als die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Ihr werden in Deutschland derzeit ca. 12.150 Personen und in Bremen rund 560 Personen zugerechnet. Eine exakte Bezifferung des salafistischen Personenpotenzials ist aufgrund von strukturellen Besonderheiten der Szene schwierig. So weisen zahlreiche salafistische Personenzusammenschlüsse keine festen Strukturen auf. Gleichzeitig finden sich Salafisten in anderen islamistischen Organisationen und Einrichtungen. Salafismus leitet sich vom arabischen Begriff "Salafiyya" ab, der eine Strömung des Islams bezeichnet, die sich ideologisch an den sogenannten "Salaf as-Salih" ("die frommen Altvorderen"), also den ersten drei Generationen der Muslime, orientiert. Salafisten versuchen deren Lebensweise detailgetreu zu kopieren. Die Anhänger dieser Ideologie sind der Überzeugung, dass Probleme der Gegenwart durch die Rückbesinnung auf den "wahren Urislam" gelöst werden können. Dazu legen sie die islamischen Quellen, Koran und Sunna, wortwörtlich aus. Anpassungen der Islamauslegung an veränderte gesellschaftliche und politische Gegebenheiten werden durch die Salafisten als "unislamisch" kategorisch abgelehnt und führen - so die Vorstellung - zwangsläufig zum "Unglauben". Auch im Alltag orientieren sich viele Salafisten an den Lebensumständen der frühislamischen Zeit. Zum Beispiel befolgen 76 sie spezielle Zahnputztechniken, tragen nach dem Vorbild des Propheten Mohammed knöchellange Gewänder oder Vollbärte und propagieren die Vollverschleierung der Frau. Die Ideologie des Salafismus lässt sich in eine politische und eine jihadistische Strömung unterteilen. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit, um ihre extremistische Ideologie zu verbreiten sowie politischen und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Anhänger des jihadistischen Salafismus hingegen glauben, ihre Ziele durch Gewaltanwendung realisieren zu können. Die Übergänge zwischen beiden Formen sind fließend. In Deutschland lebende Anhänger lassen sich sowohl dem politischen als auch dem jihadistischen Salafistenspektrum zuordnen. Der Salafismus, der seiner Interpretation der "Scharia" absoluten Geltungsanspruch einräumt, widerspricht in mehreren Punkten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. So lehnen Salafisten die Demokratie als politisches System grundsätzlich ab, da nur Gott Gesetze erlassen dürfe. Des Weiteren verletzen die in der "Scharia" vorgeschriebenen Körperstrafen für Kapitalverbrechen, die körperliche Züchtigung der Frau und die Beschränkung ihrer Freiheitsrechte sowie die fehlende Religionsfreiheit die im Grundgesetz konkretisierten Grundbzw. Menschenrechte. Salafistische Aktivitäten in Deutschland Die salafistische Szene in Deutschland ist sehr heterogen, was ihre Struktur und Gewaltaffinität betrifft. Die salafistischen Vereine veranstalten in regelmäßigen Abständen bundesweit sogenannte "Islamseminare", in denen sie ihre salafistische Ideologie vermitteln. Finanzielle Unterstützung erhalten sie vor allem aus SaudiArabien, dort stellt der Salafismus die offizielle, staatliche Islaminterpretation dar. In den vergangenen Jahren hatte der Salafismus eine wachsende Anziehungskraft insbesondere auf junge Menschen. Der bekannteste salafistische Verein in Deutschland war der Verein "Einladung zum Paradies e.V." (EZP). Einem angestrebten Verbotsverfahren kam der Verein im Jahr 2011 durch seine Selbstauflösung zuvor. Seine Mitglieder blieben jedoch weiterhin aktiv. Der Verein EZP war vor allem wegen umstrittener und aufsehenerregender Vorträge seiner Prediger bekannt. Insbesondere der Konvertit Pierre Vogel, der seine Botschaften stets charismatisch vorträgt, ist bei einigen jungen Muslimen populär. Gleiches gilt für dessen Weggefährten Sven Lau, der ebenfalls bundesweit agiert. Dieser machte bereits im September 2014 Schlagzeilen, als er die Gründung einer "Scharia-Polizei" bekannt gab. Zusammen mit einer Gruppe von Gleichgesinnten zog er damals durch die Wuppertaler Innenstadt und riet anderen Muslimen zu einem islamkonformen Verhalten. Zudem lud er sie in die "Darul Arqam Moschee" ein, die als Zentrum der Salafisten um Pierre Vogel gilt. Nachdem er 2015 zunächst in Untersuchungshaft kam, wurde er 2017 wegen Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt. Mitte 2019 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen, da er an einem Deradikalisierungsprogramm teilgenommen und sich dem Gericht nach glaubwürdig von seinen extremistischen Ansichten distanziert habe. Das aktive salafistische Netzwerk "Die wahre Religion" (DWR) hatte sich die missionarische Verbreitung der "reinen Form" des Islams zur Aufgabe gemacht. Das Netzwerk propagierte die salafistische Ideologie über bundesweit stattfindende Vorträge und Seminare sowie seine Internetseite. Die meist emotional gehaltenen Vorträge zielten auf die Radikalisierung ihrer Zuhörer ab. Die Prediger versuchten, ihre Zuhörer insbesondere mit dem Vorwurf der Untätigkeit zur Teilnahme am bewaffneten "Jihad" zu bewegen. Der Hauptakteur des Netzwerkes DWR war der salafis77 tische Prediger Ibrahim Abou Nagie. Im Rahmen des von Nagie initiierten Projektes "LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat" wurde der Koran kostenlos verteilt. Bundesweit gab es seit dem Jahr 2012 zahlreiche Verteilaktionen, davon auch mehrere in Bremen und Bremerhaven. Der Koran wurde mit dem Ziel verteilt, vor allem Jugendliche langfristig in salafistische Netzwerke einzubinden. Für die Beteiligung an Verteilaktionen war keine formelle Mitgliedschaft im salafistischen Netzwerk DWR nötig, vielmehr konnten Interessierte entsprechendes Material über die Internetseite anfordern. Für viele junge Menschen war die Aktion deshalb attraktiv, weil sie in ihren Augen dem Abbau von Vorurteilen gegenüber der Religion des Islam diente. Insofern stellte die Beteiligung einer Person an einer solchen Verteilaktion nicht zwangsläufig den Beleg für ihre salafistische Einstellung dar. Vielmehr gelang es dem Netzwerk durch diese vermeintlich unverfängliche Aktion, den Erstkontakt zu nicht extremistischen Personenpotenzialen herzustellen. Am 15. November 2016 wurde DWR durch das Bundesministerium des Innern (BMI) verboten. In der Verbotsverfügung heißt es, "Die wahre Religion" richte sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie den Gedanken der Völkerverständigung und vertrete einen totalitären Anspruch. Die Vereinigung befürwortete demnach den bewaffneten "Jihad" und stellte ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungsund Sammelbecken für jihadistische Islamisten sowie für solche Personen dar, die aus jihadistisch-islamistischer Motivation nach Syrien beziehungsweise in den Irak ausreisen wollten. Aus einer Studie des BKA geht hervor, dass ein Viertel der aus Deutschland nach Syrien und in den Irak ausgereisten Personen zuvor Kontakt mit der "LIES"-Aktion gehabt hatte. Ein entsprechender Kontakt zu dem Netzwerk konnte vereinzelt auch bei aus Bremen ausgereisten Personen festgestellt werden. Nachdem im Dezember 2017 die Klage gegen das Verbot überraschend zurückgenommen wurde, ist dieses rechtskräftig. Der salafistische Verein "Dawa FFM" und die dazugehörige Internetplattform "Islamische Audios" wurde im März 2013 wegen Verstoßes gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung durch das BMI verboten. Hintergrund des Verbots waren die Verbreitung salafistischer Ideologie sowie Aufrufe zu Gewalt im Zusammenhang mit den gewalttätigen Ausschreitungen zwischen Salafisten und der Polizei im Rahmen des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes 2012. Mit derselben Begründung war im Jahr 2012 bereits die salafistische Vereinigung "Millatu Ibrahim" (MI, "die Gemeinschaft Abrahams") durch das BMI verboten worden. Der Verein hatte u.a. den "Jihad" und das Märtyrertum glorifiziert. Darüber hinaus hatte er sich für die Befreiung von in Deutschland inhaftierten Islamisten eingesetzt. Das Verbot, das auch Nachfolgebestrebungen einschloss, erstreckte sich im März 2013 folglich auch auf den Nachfolgeverein "an Nussrah". Der Name "Millatu Ibrahim" ist ein ideologischer Verweis auf das gleichnamige Hauptwerk des bekannten jihadistischen Ideologen Muhammad al-Maqdisi, welcher zurzeit in Jordanien wohnhaft ist. Am 26. Februar 2015 hat das BMI die Vereinigung "Tauhid Germany" alias "Team Tauhid Media" als Ersatzorganisation von "Millatu Ibrahim" verboten. Zu dem Verbot gehörte auch die Abschaltung der Webseite ansarul-aseer.com, welche als Plattform salafistischer Gefangenenunterstützung diente. "Tauhid Germany" hatte salafistisches Propagandamaterial vor allem über das Internet verbreitet und nutzte hierzu vorrangig soziale Medien. 78 Am 28. Februar 2017 wurde die Berliner "Fussilet-Moschee" verboten. Die Gebetsräume waren nach Erkenntnissen der Polizei ein Treffpunkt gewaltbereiter Islamisten. Auch der Berliner Attentäter Anis Amri verkehrte dort regelmäßig. Dem Verbotsantrag der Innenverwaltung gab das Verwaltungsgericht nach Angaben der Polizei bereits am 15. Februar statt. Vorsitzender von "Fussilet" war der selbst ernannte "Emir" Ismet D., der in Berlin-Moabit durch seinen Islamunterricht Muslime - meist Türken und Kaukasier - für den "Jihad" in Syrien radikalisiert haben soll. In der Moschee soll auch Geld für Terroranschläge in Syrien gesammelt worden sein. Am 14. März 2017 wurde der "Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim" in Niedersachsen durchsucht und verboten. Der Moscheeverein sei ein Rekrutierungsort für Kämpfer der Terrormiliz "Islamischer Staat" gewesen. Muslime seien dort zielgerichtet indoktriniert worden, um sie zur Ausreise in Richtung Syrien und den Irak zu mobilisieren. Auch der Berliner Attentäter Anis Amri verkehrte mehrere Male in der Moschee. Schon im November des Vorjahres war in diesem Zusammenhang der Iraker Abu Walaa festgenommen worden. Er hatte wiederholt in den Räumen des Hildesheimer Vereins gepredigt. Abu Walaa gilt als prägende Figur der SalafistenSzene. Er soll viele Freiwillige für den Islamischen Staat rekrutiert haben und steht aus diesem Grund in Celle vor Gericht. Nur eine Woche später, am 23. März 2017, wurde in Kassel der salafistische Verein "al-Madinah" verboten. Dort hätten der hauptverantwortliche Imam und ein weiterer Geistlicher fortlaufend salafistische Predigten gehalten und offen zum Heiligen Krieg sowie zur Tötung Andersgläubiger aufgerufen. Dem Verbot waren laut Innenministerium monatelange Ermittlungen vorausgegangen. Auch der hessische Verfassungsschutz und das Landeskriminalamt seien daran beteiligt gewesen. Wegen des Verdachtes auf Extremismus ist am 13.11.2018 ein salafistischer Moscheeverein in Mönchengladbach durchsucht worden. Auch 15 Wohnungen von Mitgliedern sind überprüft worden. Der Verein sei "nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden Anlaufstelle für zahlreiche Personen aus dem salafistischen und islamistischen Spektrum", teilte das Landesinnenministerium in Düsseldorf mit. Etwa 250 Polizisten sind im Einsatz gewesen, die unter anderem Laptops, Smartphones, Speichermedien und Unterlagen beschlagnahmt haben. Die Durchsuchungen seien Teil vereinsrechtlicher Ermittlungen des Innenministeriums. Der Moscheeverein ist nicht unmittelbar verboten, wenn es aber ausreichend Beweise gebe, würde der Verein verboten werden, erklärte der nordrheinwestfälische Innenminister, Herbert Reul. Bisher ist kein Verbot erfolgt. Auf Anordnung des Bundesinnenministeriums durchsuchte die Polizei am 10.04.2019 in neun Bundesländern etwa 90 Objekte, die mit dem salafistischen Verein Ansaar International und einem der Organisation eng verbundenen, weiteren Verein in Verbindung stehen sollen. Bei den Durchsuchungen geht es darum, Material für ein mögliches späteres Vereinsverbot durch das Bundesinnenministerium zu sammeln. Zudem gibt es strafrechtliche Ermittlungen wegen Terrorismusfinanzierung, unter anderem ermittelt die Düsseldorfer Generalstaatsanwaltschaft gegen mehrere Beschuldigte aus dem Ansaar-Umfeld. Die verschiedenen Aktivitäten der salafistischen Szene dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Es handelt sich um ein organisches Netzwerk, in dem die Grenzen zwischen militanten und nicht militanten Teilen oftmals verschwimmen. Statistisch gesehen reist jeder zehnte Salafist in Deutschland nach Syrien bzw. in den Irak aus. Diese Sogwirkung verdeutlicht die Gefahr, die vom Salafismus in Deutschland ausgeht. Auch mittelbis langfristig geht von der salafistischen Ideologie eine erhebliche Gefährdung für die freiheitlich-demokratische Grundordnung aus, da sich die Angehörigen der 79 Szene gezielt von der übrigen Gesellschaft abgrenzen und so eine weitere Spaltung forcieren. Durch die Verknüpfung mit der Religion des Islam schaden die Anhänger des Salafismus darüber hinaus der großen Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime, die keinerlei extremistische Positionen vertreten. 6.3.1 Salafismus im Land Bremen Die salafistische Szene zeichnet sich auch im Land Bremen, genau wie in den übrigen Bundesländern und wesentlichen Teilen Westeuropas, durch ihre Heterogenität aus. Dies bedeutet, dass neben den klassisch strukturierten Milieus, etwa innerhalb eines Moscheevereins, viele Kleingruppen bzw. in kleinem Rahmen organisierte Zusammenschlüsse existieren, was die Beobachtung nicht unwesentlich erschwert. Die rund 560 Anhänger lassen sich sowohl dem gewaltfreien politischen Salafismus als auch dem jihadistischen Salafismus mit seinen unterschiedlichen Ausprägungen gewaltunterstützend, gewaltbefürwortend bis hin zu gewalttätig zuordnen. Im Jahr 2019 ist die Anhängerzahl erneut geringfügig gestiegen, wobei der Anstieg in etwa dem Vorjahresniveau entspricht (siehe Anhang). Neben dem weiteren Ausbau bestehender Präventionsnetzwerke sowie der zielgruppenorientierten Optimierung von Präventionsmaßnahmen liegt in der Beobachtung salafistischer Strukturen und Netzwerke nach wie vor ein Schwerpunkt der Arbeit des Bremer Landesamtes für Verfassungsschutz. Dies führt zu einer konstanten Erhellung bestehender Dunkelfelder, wodurch gezieltere Aufklärungsarbeit möglich wird, auch wenn sich dies trotz guter nachrichtendienstlicher Zugangslage vor dem Hintergrund immer klandestiner agierender Gruppierungen zunehmend als sehr aufwendig erweist. Die Heterogenität der Szene führt letztlich dazu, dass wegen unterschiedlicher ideologischer Ansichten und Begründungsmuster kaum noch von einem einheitlichen salafistischen Milieu gesprochen werden kann, sondern vielmehr diverse Kleinstgruppen und Einzelakteure existieren, die sich auch entsprechend kleinteilig organisieren. Gleichwohl verbindet all diese Akteure und Gruppen ihre klar antidemokratische und somit verfassungsfeindliche Einstellung. DaE?wa-Arbeit "Da'wa" bedeutet wörtlich übersetzt "Ruf" und kann als "Einladung zum Islam" verstanden werden. Einige Muslime sehen es als ihre Pflicht an, andere Menschen über den Islam aufzuklären und sie auf diese Weise zu bekehren. So heißt es im Koran (Sure 16, Vers 125): "Ruf [die Menschen] mit Weisheit und einer guten Ermah80 nung auf den Weg deines Herrn und streite mit ihnen auf eine möglichst gute Art." Nach islamischer Lehre erfolgt die Bekehrung ohne Androhung oder Anwendung von Gewalt. Insofern sind Da'wa-Aktivitäten ohne extremistischen Hintergrund von der Religionsfreiheit gedeckt. Insbesondere die Anhänger der salafistischen Szene nutzen jedoch die ihnen zustehenden rechtlichen Freiräume, um ihre Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten und den Staat sowie die Gesellschaft in einem langfristigen Prozess nach salafistischen Normen umzugestalten. Sie sind stets bestrebt, andere Muslime, Atheisten oder Anhänger anderer Religionen für sich zu gewinnen. Je nach anzusprechender Zielgruppe variieren auch die Formen der geleisteten DaE?wa-Arbeit. Hierbei gab es in der Vergangenheit bundesweit die Koranverteilaktionen der zwischenzeitlich verbotenen, salafistischen Organisation "Siegel des Propheten", die auch medial viel Aufmerksamkeit erzeugten. Daneben gibt es aber auch eine Vielzahl kleinerer, häufig nicht eindeutig der Szene zuzuordnende Formen der StraßenDa'wa-Arbeit. Gemein ist all diesen Missionierungsbemühungen, dass die Verantwortlichen stets suggerieren, "den Islam" bzw. "die muslimische Community" zu vertreten und die Herstellung erster Kontakte häufig zwar anhand religiöser Themen oder Fragestellungen erfolgt, allerdings nicht erkennbar ist, welche extremistischen Positionen tatsächlich vertreten werden. Seit Beginn des Jahres 2019 beschäftigt das großräumig angelegte Einwerfen von Flyern in private Briefkästen im gesamten Bremer Stadtgebiet die Sicherheitsbehörden. Hierbei wird durch den Ersteller der Flyer suggeriert, nur eine Konversion zum Islam könne die Adressaten vor der "Hölle" bewahren. Von dieser recht drastischen Botschaft fühlten sich viele Bremerinnen und Bremer, gleich welcher Religion, verunsichert und haben daher auch immer wieder Kontakt mit dem Landesamt für Verfassungsschutz aufgenommen. Zwar ist das Verteilen von Flyern (im konkreten Fall) rechtlich nicht zu verbieten und die entsprechenden Aktionen dauern an, jedoch sensibilisiert der Verfassungsschutz sowohl die betroffenen Einzelpersonen als auch generell dafür, sich einerseits nicht von den Botschaften entsprechender Flyer einschüchtern zu lassen, andererseits aber auch nicht den Eindruck zu gewinnen, der Verfasser vertrete die muslimische Community Bremens und vermittele einen authentischen Eindruck "des Islams". Durch die vorgenannten Aktionen wird gezielt versucht, bestehende Ressentiments zu schüren bzw. diese zu verstärken, um dann im Anschluss auf die vermeintliche "Islamfeindlichkeit" der Gesellschaft hinzuweisen. Nach diesem Muster stacheln sich Extremisten nahezu aller Phänomenbereiche gegenseitig auf und versuchen, Feindbilder aufzubauen, um die eigene Anhängerschaft zu vergrößern. So wird gerade auch bei entsprechenden Missionierungsbemühungen salafistischer Akteure auf Taten, wie etwa die Koranschändung in einer Bremer Moscheegemeinde 2019 oder rechtsterroristische Attentate, wie beispielsweise in Hanau, Bezug genommen, um die vermeintliche Islamfeindlichkeit der gesamten Gesellschaft zu belegen. Ein immer wiederkehrendes Motiv hierbei ist die Abgrenzung gegeneinander anstelle des demokratisch geschützten gleichwertigen Miteinanders. Durch dieses Begründungsmuster wird letztlich der Schein einer Art "Notwehrlage" bereits in der Da'wa-Arbeit geschaffen, der dann dazu genutzt wird, die bei fortschreitender Missionierung aufkommenden, extremistischen Positionen zu legitimieren. Im April 2019 wurde die österreichische Organisation "IMAN" (deutsch: Glaube) erstmalig in Bremen aktiv. Hierbei handelt es sich um ein "Da'wa"-Projekt, welches eigenen Angaben zufolge seit 2014 besteht. Die Organisation sowie deren Projekte werden dem salafistischen Spektrum zugerechnet. "IMAN" vermittelt interessierten Personen im gesamten Bundesgebiet Techniken der Missionierungsarbeit. Neben klassischen Missionierungs-Bemühungen durch die persönliche Ansprache 81 gewinnen auch Online-Da'wa-Aktivitäten zunehmend an Bedeutung. Diese zielen vorwiegend, aber nicht ausschließlich, darauf ab, junge Menschen für die salafistische Ideologie zu gewinnen, wobei gezielt Social-Media-Formate gewählt werden, die die jüngeren Generationen ansprechen sollen. Vermehrt festgestellt werden konnten letztlich auch Angebote, sowohl im Internet als auch in der Realwelt, die sich gezielt an Frauen und Kinder richten. Besonders perfide erscheint hierbei, dass gerade die in der Regel klar auf die Unterordnung der Frau gerichtete Ideologie ausgerechnet Frauen über entsprechende Narrative erfolgreich vermittelt wird und selbst kleine Kinder bereits in diesem vermeintlich geschlossenen salafistischen Gesellschaftssystem aufgezogen bzw. erzogen werden. 6.3.2 "Islamisches Kulturzentrum Bremen e.V." (IKZ) Der salafistische Verein "Islamisches Kulturzentrum Bremen e.V." (IKZ) gründete sich im Jahr 2001. Das wöchentlich stattfindende Freitagsgebet im IKZ ist mit 400 bis 500 Besuchern das am stärksten frequentierte Gebet. Die Teilnehmer stammen größtenteils aus Nordafrika, der Türkei und vom Balkan. Neben führenden Funktionären des IKZ treten auch regelmäßig Gastprediger auf. Diese reisen aus dem gesamten Bundesgebiet sowie von der arabischen Halbinsel an und sind mehrheitlich dem salafistischen Spektrum zuzuordnen. Die salafistische Ausrichtung des Vereins kommt daher in Predigten, Vorträgen und Seminaren zum Ausdruck. Beispielsweise Gebäude des IKZ in äußerte sich der Imam des IKZ in einer Freitagspredigt ablehnend zur Gleichstellung Bremen-Mitte von Mann und Frau. Er erklärte der Gemeinde, dass ein bereits verstorbener tunesischer Präsident ein Gesetz zur Gleichstellung schaffen wollte. Sein Ableben würde allerdings zeigen, dass das mit allen passiere, die sich gegen Allahs Gesetze richten. Das Gesetz Allahs setze sich am Ende durch, so der Imam. Im Oktober 2019 wurde weiterhin ein Flyer auf Facebook veröffentlicht, der auf eine Lesung im IKZ hinwies, bei der eine Kommentierung von 40 bekannten Überlieferungen des Propheten Mohammed (Hadithe) besprochen werden sollte. Bei dem Autor des Buches handelt es sich um den saudischen Gelehrten Ibn al-Uthaymin, der als salafistischer Prediger international bekannt ist. Die Veranstaltungen des IKZ werden teilweise - mitunter sogar live - auf der Facebook-Seite des Vereins zur Verfügung gestellt, um einen möglichst großen und nicht nur regionalen Adressatenkreis zu erreichen. Neben den auf Deutsch und Arabisch stattfindenden religiös geprägten Seminaren, welche sich vorwiegend mit der Glaubensausübung und dem Koranverständnis befassen, bot das IKZ im Jahr 2019 erstmalig einen Vortrag für Besucher somalischer Herkunft an. Damit versucht das IKZ, seinen Einfluss auf verschiedene muslimische Gemeinschaften auszudehnen. Darüber hinaus rief die Moschee dieses Jahr eine überregionale Veranstaltungsreihe für Kinder ins Leben. Die mehrtägigen "Unterhaltungsund Dawa-Treffen" fanden in Kooperation mit Personen des salafistischen Spektrums aus Schleswig-Holstein in Bremen und Kiel statt und beinhalteten neben islamischen Vorträgen diverse gemeinsame sportliche Aktivitäten. Die Gefahr solcher Veranstaltungen ergibt sich aus der unterschwelligen Vermittlung salafistischer Grundsätze. Im Jahr 2019 lud der Moscheeverein während des muslimischen Fastenmonats Ramadan erneut jeden Abend zum sogenannten Fastenbrechen (Iftar) ein. Wie in den vergangenen Jahren finden im IKZ auch weiterhin wöchentlich "Islamunterrichte" für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene statt. Für Frauen gibt es separate Lernangebote im Sinne der Geschlechtersegregation. Das IKZ versucht mit regelmäßig wiederkehrenden Lehrveranstaltungen Gläubige an sich zu binden und damit ihre 82 verfassungswidrige und demokratiefeindliche Ideologie zu verbreiten. 6.3.3 Jihadismus im Land Bremen Obwohl die Krisengebiete in Syrien und dem Irak im Jahr 2019 aufgrund der fortgesetzten Zurückdrängung des "IS" für jihadistische Salafisten aus Deutschland zunehmend an Bedeutung verlor, gab es einen Ausreisesachverhalt in Bremen. Hierbei ist relevant, dass neben dem "IS" zwischenzeitlich andere jihadistische Gruppierungen insbesondere in Syrien an Bedeutung gewonnen haben, die ideologisch eher dem "Al-Qaida"-Netzwerk nahestehen. Hierdurch ergeben sich neue Anknüpfungspunkte, die für ausreisewillige Jihadisten aus Deutschland trotz der Zurückdrängung des "IS" Anschlussmöglichkeiten bieten können. Trotz der jüngst erfolgten Ausreise stellt die Problematik der Rückkehrerinnen und Rückkehrer aus den "Jihad"-Gebieten aktuell die größere Herausforderung für den Verfassungsschutz dar. Hierbei spielen insbesondere in den Jahren 2014 bis 2016 ausgereiste Personen eine Rolle, die sich für einen bestimmten Zeitraum in den vom "IS" oder anderen jihadistischen Gruppierungen kontrollierten Gebieten aufgehalten haben und nun nach Bremen zurückkehren könnten. Diese Personen haben ausnahmslos mit den terroristischen Gruppierungen und Organisationen sympathisiert und diese teilweise auch durch militärisches oder sonstiges Engagement unterstützt. Neben den in der Regel für Kampfhandlungen eingesetzten Männern liegt ein besonderes Augenmerk auf den Frauen und Kindern, die häufig ebenfalls fest in die organisatorischen Strukturen eingebunden waren bzw. in jedem Fall erheblich ideologisch indoktriniert wurden. Das Ausmaß der Traumatisierung, das der Aufenthalt in den umkämpften Regionen gerade bei dort aufgewachsenen Kindern zur Folge hat, ist heute noch nicht absehbar. In diesen Fällen ist eine sehr enge Kooperation mit allen beteiligten Behörden unabdingbar, wobei sich das LfV im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben auf diesem Feld erheblich engagiert und eng mit staatlichen und nicht-staatlichen Deradikalisierungsund Beratungsstellen zusammenarbeitet. Insgesamt nimmt die Bearbeitung von Einzelhinweisen mit jihadistischen Bezügen, die sich sowohl auf noch bevorstehende Aktivitäten und Taten in Bremen bzw. Deutschland beziehen als auch einen Auslandsbezug aufweisen können, aufgrund des hohen Gefährdungspotenzials sowie der Dringlichkeit großen Raum ein und stellt einen der Arbeitsschwerpunkte des Verfassungsschutzes dar. Jihadistische Verdachtsund Gefährdungssachverhalte Neben der Beobachtung des salafistischen Extremismus, liegt insbesondere die frühzeitige Erkennung jihadistischer, gewaltorientierter Verhaltensweisen von Einzelpersonen oder Gruppierungen im Fokus der Arbeit des LfV. Hierbei sind insbesondere geplante Ausreisen zur Unterstützung terroristischer Vereinigungen im Ausland sowie die Planung von islamistisch motivierten Gewalttaten im Inland von Interesse. Die Anzahl der sogenannten jihadistischen Verdachtsund Gefährdungssachverhalte, die durch das LfV bearbeitet werden, ist auch im Jahr 2019 konstant hoch. Dabei sind viele der Tatverdächtigten in Deutschland geboren und sozialisiert worden (siehe Kasten zu "Home-Grown-Terrorismus in Kapitel 6.3.2). Über diese bereits in Deutschland verwurzelten Personen hinaus betreffen jihadistische Sachverhalte u.a. mögliche Einreisen von jihadistischen Zellen und Kämpfern nach Deutschland und somit auch nach Bremen, mit dem vermuteten Ziel, Anschläge zu planen oder zu begehen. Auch erreichen das LfV Hinweise auf Terrorfinanzierungen oder logistische Unterstützungshandlungen von jihadistisch motivierten Personen oder Bestrebungen. 83 Vor besonderen Herausforderungen sah sich der Bremer Verfassungsschutz im Hinblick auf geflüchtete Personen, die sich im Rahmen ihrer Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zur Erlangung eines Asylstatus zu Straftaten wie der Mitgliedschaft in terroristischen Organisationen oder der Teilnahme an kriminellen Handlungen in ihren Heimatländern selbst bezichtigten. Diese Form des Hinweisaufkommens erfordert bei der Aufklärung und Bearbeitung durch den Verfassungsschutz eine besondere Sensibilität. Die Geflüchteten wurden in ihrer Heimat unter Androhung von Repressalien nicht nur gegen sie selbst, sondern auch gegen ihre Angehörigen mitunter dazu genötigt, unterstützende Handlungen zu vollziehen. Um diese Sachverhalte möglichst vollumfänglich aufzuklären, ist die Zusammenarbeit mit anderen Sicherheitsbehörden, insbesondere den zuständigen Polizeidienststellen, unerlässlich. Obgleich die Antragszahlen in den Asylverfahren gesunken sind, nahm die Bearbeitung von Altfällen nach wie vor großen Raum ein. Bremer Ausreisen nach Syrien und Irak Alle in Bremen bislang bekannt gewordenen Ausreisesachverhalte lassen im Vorfeld klare Bezüge der jeweiligen Personen zu unterschiedlichen Bereichen der salafistischen Szene Bremens erkennen. Zunehmend gewinnt hierbei die Radikalisierung im und Vernetzung über das Internet an Bedeutung. So gelingt es den Salafisten, über niedrigschwellige Online-Angebote insbesondere jugendliche und heranwachsende Menschen anzusprechen. In Bremen sind den Sicherheitsbehörden 31 Personen, darunter eine Jugendliche und ein Heranwachsender, bekannt geworden, die mit der Absicht Richtung Syrien reisten, sich dort agierenden jihadistischen Organisationen, mehrheitlich dem "IS", anzuschließen. Hierbei schreckten einige der Personen nicht davor zurück, ihre minderjährigen, teils sehr jungen Kinder, mit in die Jihadgebiete zu nehmen und dort bewusst dem Einfluss der jeweiligen terroristischen Organisationen auszusetzen. Nicht in allen Fällen war die Ausreise erfolgreich, teilweise wurden die Personen bereits an der türkischen Grenze festgenommen und die Einreise nach Syrien verhindert. Fünf der 20 aus Bremen ausgereisten Männer sollen bereits bei Kampfhandlungen auf Seiten der Terrororganisation "IS" getötet worden sein. Den Bremer Sicherheitsbehörden gelang es bislang gemeinsam mit dem Bremer Stadtamt, die Ausreise von 20 Personen, darunter zwei Jugendliche, durch ausreiseverhindernde Maßnahmen zu vereiteln. Hierbei wurden in der Regel Ausreiseverbote verfügt und Meldeauflagen verhängt. Auch wird regelmäßig geprüft, inwieweit bei erkennbarer jihadistischer Radikalisierung eine Zusammenarbeit mit Deradikalisierungseinrichtungen erfolgsversprechend ist und von den Betroffenen angenommen wird. In den Jahren 2017 und 2018 betrug die Gesamtzahl der Ausreisen konstant 30 Personen; erst durch einen Ausreisesachverhalt im Jahre 2019 stieg sie auf 31 an. Abgesehen davon nimmt die Zahl der Personen mit konkreten Ausreiseabsichten weiter ab, wobei dies nur den generellen, bundesweit zu verzeichnenden Trend darstellt und trotzdem weiterhin Einzelpersonen mit entsprechenden Absichten festgestellt werden können. Eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden in Bremen stellen Männer, Frauen und Kinder dar, die aus dem Kriegsgebiet in Syrien bzw. dem Irak nach Deutschland zurückkehren. Hinsichtlich möglicher strafrechtlicher Verfahren ist häufig schwer nachzuweisen, dass die so genannten "Rückkehrer" in Syrien aktiv an Kämpfen teilgenommen haben, militärisch ausgebildet wurden oder sonstige Unterstützungsleistungen für Terrororganisationen erbrachten. Hinzu kommt die mögliche Traumatisierung der Personen durch die Erlebnisse im Kampfgebiet. Derzeit sind zehn der aus Bremen ausgereisten Personen wieder nach Bremen zurückgekehrt. Zwei aus Bremen ausgereiste Frauen wurden von einem irakischen Gericht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Bislang sind den Sicherheitsbehörden elf Frauen 84 bekannt, die mit insgesamt 14 Kindern, überwiegend im Kleinkindalter, nach Syrien ausreisten. Bekannt ist auch, dass im "Jihad"-Gebiet weitere Kinder geboren worden sein sollen. Bislang ist ein Fall bekannt, in dem eine der aus Bremen ausgereisten Frauen verstorben sein soll. Grundsätzlich kann die Rückkehr weiterer, möglicherweise an Waffen ausgebildeter, aber auch ideologisch indoktrinierter bzw. traumatisierter Menschen nicht ausgeschlossen werden. Verurteilung einer gebürtigen Bremerin durch das OLG Hamburg Am 16. Dezember 2019 wurde eine zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung 41 Jahre alte Frau zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland in vier Fällen (SSSS 129a, b Strafgesetzbuch) verurteilt. Hierbei ging das Gericht bei dem Strafmaß über den Antrag des Vertreters des Generalbundesanwalts hinaus. Die gebürtig aus Bremen stammende Frau hat sich nach den Feststellungen des Staatsschutzsenates des Hamburger Oberlandesgerichts seit dem Jahr 2015 via Messenger-Diensten in Kontakt mit weiteren "IS"-Angehörigen befunden. Hierbei erklärte sie sich dazu bereit, einen potenziellen Attentäter der Terrororganisation bei sich aufzunehmen und zu heiraten, woraufhin sich tatsächlich zwei Angehörige des "IS" in Syrien auf den Weg in Richtung Deutschland begaben. Diese Personen wurden dann jedoch in der Türkei festgenommen, woraufhin die Verurteilte mutmaßlich Vorbereitungen für die eigene Ausreise unternahm. Insgesamt war insbesondere ihr Kommunikationsverhalten hoch konspirativ und sowohl sie als auch die übrigen beteiligten "IS"-Angehörigen versuchten, ihre Identitäten sowie Absichten durch die Nutzung unterschiedlicher Aliaspersonalien zu verschleiern. Letztlich gelang es den Sicherheitsbehörden jedoch, u.a. maßgebliche Chatinhalte, die konkrete Anschlagsabsichten belegten, zu sichern, und so erfolgte im Dezember 2018 die Festnahme der nun Verurteilten in Hamburg. Besondere Beachtung erlangte das Urteil u.a. dadurch, dass das OLG klarstellte, dass auch die reine Unterstützungsleistung aus Deutschland durch eine Frau strafbewehrt ist. Mangels einer klaren Distanzierung der Verurteilten von der Ideologie des "IS" auch im laufenden Verfahren sowie vor dem Hintergrund, dass sie bei der Planung ihrer eigenen Ausreise keinerlei Rücksicht auf ihre minderjährigen Kinder nahm, verhängte das Gericht letztlich auch eine empfindliche Freiheitsstrafe. Die Entscheidung ist zum Zeitpunkt der Erstellung dieses Berichts noch nicht rechtskräftig. Islamistische Nordkaukasische Szene Innerhalb der salafistischen Szene Deutschlands spielen Akteure nordkaukasischer Herkunft nach wie vor eine große Rolle. In Syrien und Irak besaßen sie eine herausgehobene Stellung unter den "foreign fighters" und nahmen bedeutende Positionen beim "IS" ein. Westeuropa wird von den Akteuren der nordkaukasischen islamistischen Szene vor allem als Ruheund Rückzugsraum betrachtet. Nach Überzeugung aller Sicherheitsbehörden geht von nordkaukasischen Ausreisewilligen und Rückkehrern ein unverändert hohes abstraktes Gefährdungspotenzial aus. Ein entscheidender Faktor für eine Radikalisierung ist das persönliche Kontaktspektrum. Verbindende Elemente sind hierbei Religion und die traditionelle Clanstruktur, die nach außen weitgehend abgeschottet agiert. Zum besonderen Gefährdungspotential zählt die Affinität vieler Nordkaukasier zu Waffen, welche als Statussymbole wahrgenommen werden, sowie zum Kampfsport. Aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft und ihres Mobilisierungspotentials stellen nordkaukasische Islamisten auch weiterhin eine abstrakte Gefährdung für Westeuropa und Deutschland dar. Die islamistisch-nordkaukasische Szene in Bremen weist keine förmlichen Strukturen oder öffentlich auftretende Führungspersonen auf. Sie ist hauptsächlich gekennzeichnet durch weitläufige, zum Teil europaweite Netzwerke, auch über religiös-ideologische Grenzen hinweg. Zunehmend werden Überschneidungen zwischen der organisierten Kriminalität und islamistischen Netzwerken festgestellt. 85 6.4 Schiitischer Islamismus: Hizb Allah Bei der "Hizb Allah" ("Partei Gottes") handelt es sich um eine libanesische Organisation, die im Jahr 1982 hauptsächlich auf Initiative des Iran nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon gegründet wurde. Seither wird die islamistischschiitische Organisation vom iranischen Mullah-Regime finanziell sowie materiell unterstützt. Auch in ideologischer Hinsicht stellt der "revolutionäre Iran" ein Vorbild für die "Hizb Allah" dar. So war es bis in die 1990er-Jahre ihr Kernziel, eine "islamische Revolution" auch im Libanon auszulösen, um dadurch die Errichtung eines schiitischen Gottesstaates zu erwirken. Aufgrund der politischen Entwicklungen verlor dieses Ziel jedoch an Relevanz. Stattdessen stehen nunmehr der Schutz des libanesischen Territoriums vor israelischen Militäraktionen und die Zerstörung des Staates Flagge der Israel im Vordergrund, dem die "Hizb Allah" das Existenzrecht abspricht. "Hizb Allah" In der Vergangenheit gab es wiederholt militärische Auseinandersetzungen zwischen der "Hizb Allah" und der israelischen Armee. So spitzte sich der Konflikt mit Israel im August 2019 erneut zu, nachdem seitens des Libanons auf israelische Aufklärungsdrohnen geschossen wurde. Der Grund dafür war laut Angabe der libanesischen Armee, dass die Drohnen unbefugt in den libanesischen Luftraum eingedrungen waren. Dieser Zwischenfall drohe das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen den beiden Staaten weiter zu verschlechtern. Im September eskalierte die Situation an der Grenze zwischen Libanon und Israel, als Israel mit Gegenangriffen auf einen Raketenbeschuss aus dem Libanon reagierte. Die "Hizb Allah" bekannte sich zu dem Angriff und rechtfertigte ihn als Racheakt für den Tod zweier "Hizb Allah"-Kämpfer durch einen israelischen Angriff in Syrien. Die "Hizb Allah" verfügt darüber hinaus im Libanon über eine Partei, die über eine Fraktion im libanesischen Parlament vertreten und an der libanesischen Regierung beteiligt ist. Nachdem im September 2019 der wirtschaftliche Notstand von der erst im Januar gebildeten Regierung ausgerufen wurde, der wiederum massive Sparmaßnahmen nach sich zog, verlor die Staatsmacht Rückhalt in der Bevölkerung. Folglich kam es zu großen Demonstrationen in weiten Teilen des Landes, gegen die die Sicherheitskräfte und Anhänger der "Hizb Allah" teilweise mit Gewalt vorgingen. Der Regierungschef Saad Hariri trat aufgrund des öffentlichen Drucks zurück. Doch auch unter dem neuen Ministerpräsidenten Hassan Diab dauern die Proteste gegen die Führungselite aktuell an, sodass es auch weiterhin zu Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften kommt. Neben der parlamentarischen Interessenvertretung der "Hizb Allah" unterhält diese zusätzlich einen militärischen Arm, dessen paramilitärische Einheiten seit 2012 im syrischen Bürgerkrieg auf Seiten der Regierung gegen die zahlreichen Oppositionsgruppen kämpfen. Seit dem Jahr 2013 wird der militärische Arm der "Hizb Allah" von der Europäischen Union als Terrororganisation gelistet. Die "Hizb Allah" in Deutschland und Bremen In Deutschland ist es das primäre Ziel der "Hizb Allah", den Aufbau von Organisationsstrukturen voranzubringen. Hierzu zählen eigene "Moschee-Vereine", in denen sich ihre Anhänger vorwiegend organisieren. Bundesweit verfügt die Organisation über etwa 1050 Anhänger. Entgegen der Situation im Libanon beschränken sich die 86 Aktivitäten der "Hizb Allah" in Deutschland vorwiegend auf die Organisation von beziehungsweise Teilnahme an religiösen Veranstaltungen, Spendensammlungen sowie Demonstrationen. Die ca. 50 Anhänger der "Hizb Allah" in Bremen sind in dem Verein "Al-Mustafa Gemeinschaft e.V." organisiert. Dieser arabisch-schiitische Kulturverein fungiert als Anlaufstelle für schiitische Muslime in Bremen, insbesondere aus dem Libanon. Der "Al-Mustafa Gemeinschaft e.V." ist bereits seit dem Auftreten des verbotenen Spendenvereins "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." in die finanzielle Unterstützung zugunsten der "Hizb Allah" verwickelt. Der Zweck dieses Vereins bestand in erster Linie in der finanziellen Unterstützung der Hinterbliebenen gefallener "Hizb Allah"Kämpfer. Der "Al-Mustafa Gemeinschaft e.V." bot seinen Besuchern auch 2019 verschiedene Treffen, Diskussionsveranstaltungen sowie gemeinsame religiöse Aktivitäten und Veranstaltungen an. Erneut stellte das im schiitischen Glauben bedeutsame AschuraFest anlässlich des Märtyrertodes von Imam Hussain einen Höhepunkt für den Verein dar. Ungefähr 500 Teilnehmer erschienen zu den Feierlichkeiten. Beachtlich war in diesem Jahr, dass ein bundesweit bekannter Islamist aus dem Bremer Umland zusammen mit anderen Mitgliedern seiner Familie an den Aschura-Feierlichkeiten in dem "Al-Mustafa Gemeinschaft e.V." teilnahm. Er und seine Angehörigen wirkten aktiv mit und hielten religiöse sowie politische Vorträge. Die besagten Personen gehören zu einem norddeutschen schiitisch-islamistischen Netzwerk, welches das Ziel verfolgt, die Ideologie des iranischen Mullah-Regimes zu verbreiten und Hass auf Israel sowie den Westen zu schüren. Dies zeigte sich auch in den Redebeiträgen, die zum Großteil aus Darstellungen klassischer Feindbilder gegen Israel - in den Redebeiträgen lediglich als "das zionistische Regime" bezeichnet -, die USA oder sunnitisch-arabische Regime bestanden. Zusätzlich organisierte der "Al-Mustafa Gemeinschaft e.V." Kooperationsveranstaltungen mit anderen schiitisch-islamistischen Vereinen aus Norddeutschland. Dabei nutzten Akteure des schiitischen Islamismus die Räumlichkeiten des Bremer Vereins, hielten Vorträge oder nahmen an religiösen Veranstaltungen teil. Im Vorfeld solcher Veranstaltungen wurden hauptsächlich die sozialen Medien als Multiplikatoren genutzt. Auch ist bekannt, dass auf Veranstaltungen innerhalb der Vereinsräumlichkeiten regelmäßig Mullahs aus dem Libanon mit Redebeiträgen und Gebeten auftreten. Die Mullahs weisen in Teilen Bezüge zur "Hizb Allah" auf. 7 Ausländerextremismus 87 Seitenzahl 89 7.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 100 7.2 "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland" (ADÜTDF) 88 7 Ausländerextremismus Die Geschehnisse in der Türkei und Syrien im vergangenen Jahr spiegelten sich auch in Deutschland durch ein verstärktes Demonstrationsgeschehen und eine gesteigerte Emotionalisierung der Anhänger der verschiedenen Ausländerorganisationen wider. Dies wurde z.B. mit Beginn der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" Anfang Oktober 2019 in Nordsyrien deutlich. Bundesweit fanden in diesem Zusammenhang mehr als 780 Protestveranstaltungen statt, davon über 50 im Land Bremen. In Bremen wurden mehrfach Fahnen mit dem Abbild des türkischen Staatspräsidenten Erdogan verbrannt. Daneben sind viele der ausländerextremistischen Organisationen verstärkt bestrebt, ihre Ziele nicht mehr durch offene Agitationen gegen die verfassungsmäßige Ordnung zu erreichen, sondern sich dieser vordergründig sogar anzupassen, um ungestörter auch in der Bundesrepublik agieren zu können. Die Anstrengungen gehen teilweise soweit, dass durch Verantwortliche der jeweiligen Organisationen dazu aufgerufen wird, sich nicht nur unauffällig und gesetzeskonform zu verhalten, sondern auch über demokratisch legitimierte Organisationen bzw. deren Unterwanderung gezielt Einfluss zu nehmen. Hierbei erfolgt keineswegs eine Abkehr von der eigenen, nicht mit der deutschen Verfassung in Einklang zu bringenden Ideologie der jeweiligen extremistischen Organisation. Durch die gezielte Einflussnahme über demokratische Organisationen soll vielmehr der Eindruck einer vermeintlichen Verfassungstreue erweckt und gezielt Lobbyarbeit für die eigentlichen, extremistischen Ziele betrieben werden, ohne dass eine tatsächliche und offene Hinwendung zur demokratischen Zivilgesellschaft erfolgt. Entwicklung extremistischer "Ausländerorganisationen" in Deutschland Die extremistischen "Ausländerorganisationen" in Deutschland sind stark von Ereignissen und Entwicklungen in ihren Herkunftsländern abhängig. Im Gegensatz zu islamistischen Organisationen orientieren sie sich nicht an einer religiös-politischen Weltanschauung, sondern an weltlichen, politischen Ideologien oder Anschauungen, auch wenn in Einzelfällen eine gewisse Nähe zu religiösen Anschauungen oder Einstellungen bestehen kann. Die Zielrichtungen von ausländerextremistischen Organisationen lassen sich im Wesentlichen in linksextremistische, nationalistische und ethnisch motivierte Autonomieund Unabhängigkeitsbestrebungen unterteilen. Die "Ausländerorganisationen" sind nicht autark, sondern meistens Teil einer "Mutterorganisation" im Herkunftsland oder zumindest ideologisch eng mit einer solchen verbunden, wobei der Grad der Einflussnahme bzw. Steuerung durch die "Mutterorganisationen" unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Gesellschaftliche und politische Konflikte aus anderen Teilen der Welt können durch Migration und den Zuzug von Arbeitskräften nach Deutschland importiert werden. Von der Finanzkraft der hier lebenden und arbeitenden Ausländer sowie Menschen mit Migrationshintergrund profitieren auch extremistische Organisationen in den Heimatländern. Vielfach gründeten sie "Exilvereine" in Deutschland. Heute ist Deutschland für extremistische "Ausländerorganisationen" in unterschiedlicher Intensität in erster Linie ein Rückzugsund Rekrutierungsraum und dient ihnen zur Beschaffung von Material und finanziellen Mitteln, die auf legale und kriminelle Art und Weise akquiriert werden. Zu den Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz gehört die Beobachtung von Bestrebungen, die auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland durch 89 Gewalt gefährden. Dies ist gegeben, wenn ausländische Gruppierungen von hier aus gewaltsame Aktionen im Heimatstaat unterstützen, etwa durch Aufrufe zur Gewalt oder durch logistisch-finanzielle Hilfe. Die freiheitlich-demokratische Grundordnung kann auch durch ausländerextremistische Bestrebungen gefährdet sein, wenn Kaderstrukturen beabsichtigen, demokratische Grundregeln in Deutschland außer Kraft zu setzen bzw. demokratische Strukturen gezielt zu unterwandern, um ihre Positionen in den politischen Willensbildungsprozess einzubringen. Im Jahr 2019 umfasste das ausländerextremistische Personenpotenzial in Deutschland rund 30.000 Personen, wobei die Gruppierungen aus verschiedenen Herkunftsländern stammen. In Bremen nehmen die zwei türkischen Organisationen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) einen besonderen Stellenwert ein, wobei erstere eher linksextremistisch und die zuletzt genannte nationalistisch ausgerichtet sind. 7.1 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Die größte Gruppe unter den ausländischen Extremisten in Deutschland bilden im Jahr 2019 mit etwa 14.500 Personen die Anhänger der verbotenen kurdischen Organisation "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). Die PKK sowie ihre Nachfolgeorganisation "Kongra Gel" sind in Deutschland seit 1993 bzw. 2004 aufgrund vielfältiger, teilweise gewaltsamer Unterstützungshandlungen ihrer hier lebenden Anhänger Flagge der verboten. Die EU stuft die PKK seit 2002 als terroristische Organisation ein. PKK-Nachfolgeorganisation "Kongra Gel" Der Europäische Gerichtshof hat jedoch am 15. November 2018 entschieden, dass die PKK zwischen 2014 und 2017 zu Unrecht auf der sog. EU-Terrorliste geführt wurde. Nach Ansicht des Gerichts habe der EU-Ministerrat nicht hinreichend begründet, weshalb die PKK auf der Liste zu führen sei. Außerdem hätten u.a. die aktuellen Entwicklungen und der Friedensaufruf des PKK-Gründers Abdullah Öcalan zum Newroz-Fest 2013 beachtet werden müssen. Der Antrag auf rückwirkende Streichung von der Terrorliste seit 2002 wurde aber zurückgewiesen. Für das Jahr 2019 lag ein neuer Beschluss seitens des Ministerrats zur Nennung auf der EU-Terrorliste vor, der seitens des Europäischen Gerichtshofs nicht infrage gestellt wurde. Die kurdischen Extremisten stellen mit rund 750 Anhängern auch in Bremen die mitgliederstärkste Gruppe unter den extremistischen "Ausländerorganisationen" dar. Sie organisieren sich überwiegend im "Verein zur Förderung demokratischer Gesellschaft Kurdistans" ("Birati e.V."), der als regionales Ausführungsorgan der PKK fungiert. In den 1990er-Jahren waren im Zusammenhang mit dem Verbot der PKK in Bremen vier "Unterstützervereine" sowie deren Nachfolgeorganisationen verboten worden. Die PKK-Anhänger in Bremen gründeten jedoch jeweils unmittelbar nach den Verboten neue Vereine. Entwicklung der PKK Die 1978 von dem noch heute amtierenden PKK-Führer Abdullah Öcalan ("Apo") gegründete Organisation erhebt den Anspruch, alleinige Vertreterin aller Kurden zu sein. Die Kurden bilden eine ethnische Volksgruppe, die vorwiegend in der Türkei, jedoch auch im Irak, Iran und in Syrien lebt. Während das anfängliche Ziel der PKK 90 in der Errichtung eines kurdischen Nationalstaates bestand, kämpft sie nunmehr für die politisch-kulturelle Autonomie der Kurden innerhalb des türkischen Staates. Das von Öcalan 2005 hierzu entwickelte Konzept sieht die Etablierung eines politisch-kulturellen Verbundes der in verschiedenen Staaten lebenden Kurden vor. Der mit Unterbrechungen seit fast 30 Jahren geführte Guerilla-Kampf der PKK gegen den türkischen Staat wurde mit der Proklamation eines "einseitigen Waffenstillstands" durch PKK-Führer Öcalan im März 2013 vorerst beendet. Im Gegenzug war der türkische Staat u.a. aufgefordert, den Kurden insbesondere die Gleichstellung als Staatsvolk, die Benutzung der kurdischen Sprache, etwa in Schulen, und mehr Selbstbestimmung in ihren Siedlungsgebieten einzuräumen. Seit die "Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP) bei den türkischen Parlamentswahlen im Juni 2015 die absolute Mehrheit verfehlte, ging der türkische Staat erneut härter gegen die PKK vor. Politischer Arm in Syrien Die kurdische Partei "Partiya Yekitiya Demokrat" (PYD) wurde 2003 in Syrien gegründet und ist die dortige Zweigorganisation der PKK, wenngleich die offene Darstellung dieser Verbindung vermieden wird. Die PYD strebt die Autonomie der Kurden in Syrien an und rief im Januar 2014 in drei von Kurden dominierten Kantonen (Afrin, Kobane und Cizre) eine "Demokratische Autonomie" aus. Die PYD unterhält paramilitärische Einheiten, die sogenannten "Volksverteidigungseinheiten" (YPG), die sich seit Herbst 2012 wiederholt bewaffnete Auseinandersetzungen mit anderen in Nordsyrien agierenden Konfliktparteien lieferten, etwa mit der "Freien Syrischen Armee" und dem "IS". In Europa organisiert die PYD insbesondere Protestveranstaltungen gegen Menschenrechtsverletzungen in Syrien. Die PKK in Deutschland und Europa Zur Unterstützung ihrer Interessen in der Türkei ist die PKK in Europa durch den "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistan in Europa" (KCDK-E) vertreten. Einer der Vorsitzenden des KCDK-E ist der Bremer PKK-Funktionär Yüksel Koc. In ihrem "gewaltfreien Kampf" greift die Organisation auf legale und illegale Strukturen zurück. Regionale Kurdenvereine (sogenannte Basisvereine) dienen den Anhängern als Informationsund Kommunikationszentren. Diese der PKK nahestehenden Vereine waren bisher in Deutschland unter dem Dachverband des "Demokratischen Gesellschaftszentrums der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAV-DEM) zusammengeschlossen. Die PKK hat den bisher nicht ausdrücklich von dem Betätigungsverbot umfassten Verband umstrukturiert. Im Mai 2019 wurde als neuer Dachverband die "Konföderation der Gesellschaften Kurdistans in Deutschland" (KON-MED) gegründet, dem insgesamt fünf regionale Föderationen angehören. Für den norddeutschen Raum wurde diese Struktur mit der Gründung der "Föderation der kurdischen Gemeinschaft in Norddeutschland" (FED-DEM) umgesetzt. Laut der PKK-Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) vom 06. Mai 2019 startete die Gründungsversammlung mit einer Schweigeminute und den anschließenden kurdischsprachigen Slogans: "Die Märtyrer sind unsterblich!" und "Hoch lebe Führer Apo!". Die PKK in Bremen Der Verein "Birati e.V." nimmt als regionales Ausführungsorgan der PKK eine besondere Stellung ein, weil er zu den sogenannten "Zentralvereinen" gehört. Er bietet seinen Mitgliedern u.a. soziale und kulturelle Aktivitäten an. Die im Zusammenhang mit der PKK stehenden Aktivitäten nehmen dabei einen breiten Raum ein, etwa Feiern zum Geburtstag Abdullah Öcalans oder zum Jahrestag des Beginns des 91 bewaffneten Kampfes der PKK. Bisher wurde Deutschland vom politischen Arm der PKK intern in ca. 30 Gebiete unterteilt. In einem solchen Gebiet nimmt der jeweils bedeutendste kurdische Verein die Stellung eines "Zentralvereins" ein, alle anderen PKK-nahen Vereine sind meist abhängig von dessen Entscheidungen und Weisungen. In Bremen stehen z.B. der Verein "Förderung der kurdisch-islamischen Kultur e.V." (Trägerverein der "Saidi Kurdi Moschee") und der "Frauenrat Seve e.V." (ehemals "Internationale Fraueninitiative e.V.") in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Zentralverein "Birati e.V.". Jedem Gebiet steht an der Spitze ein Führungsfunktionär vor. Die verantwortlichen Führungsfunktionäre, deren Tätigkeit in aller Regel zeitlich begrenzt ist, agieren zumeist konspirativ und leiten organisationsinterne Anweisungen und Vorgaben zur Umsetzung an nachgeordnete Ebenen weiter. Für die Umsetzung dieser Vorgaben nutzt die PKK überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Als Dachverband der Vereine fungierte bislang NAV-DEM. Diese Führungsfunktionäre werden regelmäßig wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt (SSSS 129a, 129b Strafgesetzbuch). So wurde am 06. Januar 2020 der ehemalige Führungsfunktionär für das Gebiet Bremen aufgrund eines solchen Tatverdachtes verhaftet. PKK-Funktionäre bestimmen das politische Geschehen im "Bremer Volksrat", der auch als "Kurdisches Parlament" bezeichnet wird. Die Einsetzung von "Volksräten" erfolgt einem von Öcalan 2005 entwickelten Konzept entsprechend, das letztlich auf die Etablierung eines politisch-kulturellen Verbundes der in verschiedenen Staaten lebenden Kurden abzielt, um die Mitbestimmung aller Kurden zu gewährleisten. Tatsächlich erfolgt die politische Arbeit im "Bremer Volksrat" allerdings nicht nach demokratischen Regeln, sondern ist nach wie vor von autoritären Strukturen geprägt. Im Rahmen einer von der PKK-Führung beschlossenen und den Anhängern vorgegebenen Umstrukturierung sind an die Stelle der bisherigen Vereine wie beispielsweise "Birati e.V." oder "Kurdisch-deutscher Gemeinschaftsverein" in Bremerhaven die "Zentren der demokratischen kurdischen Gesellschaft" (DKTM) getreten. In Bremerhaven und mehreren Bremer Umlandgemeinden wurden "regionale Volksparlamente" eingerichtet. Neben dem "Birati e.V." stellen auch diese "regionalen Volksparlamente" sowie verschiedene weitere Organisationen die Vertreter eines übergeordneten Volksparlaments. Während die Aktivitäten der Bremer PKK-Anhänger bisher hauptsächlich auf Weisungen übergeordneter legaler und illegaler hierarchischer Strukturen zurückzuführen waren, sollten sie zukünftig demokratisch strukturiert werden. In der Praxis erfolgten jedoch bisher keine Veränderungen der Entscheidungsprozesse Gebäude des "Birati e.V." in und diese sind in wesentlichen Teilen nach wie vor undemokratisch. Bremen "Kurdisch-deutscher Gemeinschaftsverein" in Bremerhaven Im Frühjahr 2013 wurde in Bremerhaven der "Kurdisch-deutsche Gemeinschaftsverein" gegründet, der wiederum in einem Abhängigkeitsverhältnis zum "Birati e.V." steht. Die Eintragung in das Vereinsregister Bremen erfolgte am 19. Juni 2014. Die Mitglieder organisieren regelmäßig Feierlichkeiten, bei denen u.a. dem PKK-Führer Öcalan 92 gehuldigt wird. In der YÖP-Ausgabe vom 10. April 2018 wurde berichtet, dass in diversen "Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentren" (DKTM) der 69. Geburtstag von Abdullah Öcalan gefeiert wurde, u.a.: "In Bremerhaven wurde beteuert, so lange kämpfen zu Gebäude des "Kurdischwollen, bis Öcalan frei sei." Der Verein beantragte in den letzten Jahren Zuschüsse deutschen Gemeinschaftsfür "Kulturveranstaltungen", die durch den Kulturausschuss wegen fehlender Distanz vereins" in Bremerhaven zur PKK abgelehnt wurden. Im Januar 2018 stellte der Verein beispielsweise einen Antrag auf einen Zuschuss für eine Musikveranstaltung, bei der am 7. April 2018 Volkslieder aus Kurdistan vorgetragen werden sollten. Im Antrag wurde u.a. die MiR Multimedia GmbH erwähnt. Die in Neuss ansässige Gesellschaft ist innerhalb der PKK-Strukturen für den Verkauf und Vertrieb einschlägiger Musikproduktionen, hauptsächlich PKK-naher Künstler, zuständig. Sie ist mit Verkaufsständen regelmäßig bei PKK-Großveranstaltungen, wie beispielsweise den Newroz-Veranstaltungen und den Kurdistan-Kulturfestivals, vertreten. Im März 2018 hat das Bundesinnenministerium vereinsrechtliche Ermittlungen gegen die MiR Multimedia GmbH wegen des Verdachts der Unterstützung der verbotenen PKK eingeleitet. Dem Unternehmen wird vorgeworfen, mit den von ihm vertriebenen Produkten den organisatorischen Zusammenhalt der in Deutschland verbotenen PKK zu unterstützen. Zudem wird es verdächtigt, sich dadurch gegen den Gedanken der Völkerverständigung zu richten. Am 12. Februar 2019 wurden die MiR Multimedia GmbH sowie die Mezopotamien Verlag und Vertrieb GmbH durch das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) als Teilorganisationen der PKK verboten und aufgelöst. Finanzierung der PKK Die von der PKK in der Türkei über Jahrzehnte geführten Kämpfe sowie ihre politische Arbeit in Europa erfordern erhebliche finanzielle Mittel. Die PKK finanziert sich in erster Linie durch Spenden, daneben auch aus Veranstaltungserlösen und dem Verkauf von Publikationen. Jedes Jahr ruft die PKK zu einer groß angelegten Spendenkampagne auf, die sie "das Jährliche" nennt, und fordert von ihren Anhängern regelmäßig die Steigerung der Spendeneinnahmen. Die Höhe der Beiträge richtet sich nach dem Jahreseinkommen der Spender. Während von durchschnittlich verdienenden kurdischen Familien mehrere Hundert Euro verlangt werden, erwartet man von erfolgreichen Geschäftsleuten mehrere Tausend Euro. Auch in Bremen gibt es jedes Jahr eine solche Kampagne. Laut Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz sammelte die PKK 2017/2018 allein in Deutschland geschätzt über 15 Millionen Euro. Die Einnahmen aus Spendengeldern in Deutschland wurden in den letzten zehn Jahren nahezu verdreifacht. "Solidaritätskomitee Kurdistans" Die Unterstützung kurdischer Autonomiebestrebungen ist ein traditionelles Thema auch linksextremistischer Gruppierungen. Seit Oktober 2014 erfolgt sie in Bremen einerseits mittels Informationsveranstaltungen und Aktionen wie Mahnwachen sowie zahlreicher Demonstrationen des "Kurdistan Solidaritätskomitee Bremen" und andererseits konkret in Form von Spendensammlungen. Der Eigendarstellung des Bündnisses zufolge ist das "Bremer Solidaritätskomitee Kurdistan" ein Zusammenschluss "verschiedener linker Gruppen und Vereine und Einzelpersonen, mit dem Ziel, das emanzipierte Gesellschaftsprojekt von Rojava bekannter zu machen, zu unterstützen (...)". Ziele des Bündnisses seien u.a. die "Unterstützung der basisdemokratischen selbstverwalteten Strukturen in Rojava" sowie die "Aufhebung des PKK-Verbots". Über die Internetseite werden Hinweise, Demonstrationsabläufe, Aktionen und Veranstaltungen veröffentlicht. Bislang fanden 93 in Bremen gemeinsam mit dem "Birati e.V." organisierte friedliche Informations-, Diskussionsund Protestveranstaltungen in Form von Mahnwachen und Kundgebungen statt. Zuspitzung des Konfliktes zwischen der PKK und der türkischen Regierung Ein im Juli 2015 verübter Selbstmordanschlag in der südosttürkischen Stadt Suruc durch einen mutmaßlichen Anhänger des sog. "Islamischen Staates" (IS) ließ den Konflikt zwischen PKK und türkischem Staat wieder eskalieren. In einer Verlautbarung des "Verbandes der Studierenden aus Kurdistan" (YXK) hieß es, der Anschlag habe einer über 300-köpfigen Jugenddelegation gegolten, die auf dem Weg nach Kobane gewesen sei, um sich am Wiederaufbau der syrischen Grenzstadt zu beteiligen. Türkische Sicherheitsbehörden machten die Terrororganisation "IS" für den Anschlag verantwortlich. In der Folge kam es in der Türkei zu zahlreichen Protesten prokurdischer Demonstranten, die der türkischen Regierung vorwarfen, sich nicht ausreichend bzw. zu spät im Kampf gegen den "Islamischen Staat" engagiert zu haben. Zudem verübte die PKK in der Folge zahlreiche Anschläge, insbesondere auf türkische Sicherheitskräfte. Im Gegenzug kam es zu landesweiten Exekutivmaßnahmen gegen Einrichtungen der PKK. Im weiteren Verlauf kündigten beide Seiten die damals zwei Jahre währende Waffenruhe faktisch auf. Ende 2015 rief die PKK in mehreren Städten im Südosten der Türkei eine kurdische Selbstverwaltung aus (nach dem Vorbild der PKK-Schwesterorganisation PYD, die Anfang 2014 in den kurdischen Siedlungsgebieten in Nordsyrien eine "Demokratische Autonomie" proklamiert hatte). Diese Bestrebungen wurden Anfang 2016 verstärkt. Die Militäroperationen des türkischen Staates richten sich u.a. gegen diese Selbstverwaltung. Am 16. April 2017 wurde in der Türkei auf Initiative von Präsident Recep Tayyip Erdogan ein Referendum über eine Verfassungsänderung zur Einführung eines Präsidialsystems abgehalten. Das Ergebnis fiel zugunsten von dessen Einführung aus und bedeutete einen umfassenden Ausbau der präsidentiellen Befugnisse Erdogans. Die ursprünglich für November 2019 vorgesehenen Parlamentsund Staatspräsidentschaftswahlen wurden, für die Opposition überraschend, auf den 24. Juni 2018 vorgezogen. Wahlberechtigt waren auch rund drei Millionen türkische Staatsangehörige im Ausland, darunter etwa 1,4 Millionen Menschen in Deutschland. Staatspräsident Erdogan wurde mit 52,6 % der Stimmen bereits in der ersten Wahlrunde im Amt bestätigt. Allerdings gelang es seiner konservativen AKP nicht, eine eigene Parlamentsmehrheit zu erreichen. Sie koaliert in der Folge mit der rechtsnationalistischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP). Die pro-kurdische "Demokratische Partei der Völker" (HDP) wurde mit 11,7 % der Stimmen drittstärkste Kraft. Protest im Zusammenhang mit den Geschehnissen in der Türkei In Deutschland kam es in den vergangenen Jahren zu zahlreichen Protesten aufgrund aktueller oder vergangener Ereignisse in der Türkei. Infolge der türkischen Militärschläge gegen von der PYD dominierte Gebiete rund um die nordsyrische Stadt Afrin im Januar 2018 und der darauf folgenden Boden94 offensive ("Operation Olivenzweig") war es zu einer Steigerung des bereits zuvor hohen Demonstrationsgeschehens gekommen. Mit Beginn der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" Anfang Oktober 2019 in Nordsyrien kam es bundesweit erneut zu einem Anstieg der Proteste. Ziel der türkischen Operation war die Errichtung einer rund 30 Kilometer breiten sogenannten Sicherheitszone entlang der syrisch-türkischen Grenze in Syrien. Gemäß türkischer Darstellung sollten damit Terroraktivitäten insbesondere der "Volksverteidigungseinheiten" (YPG), des militärischen Arms der PYD, bekämpft werden. Am 9. Oktober 2019 hatte die Offensive mit Bombenangriffen der türkischen Luftwaffe und Artilleriefeuer auf mutmaßliche Stellungen der YPG in einer überwiegend von Kurden bewohnten Region in Nordsyrien begonnen. Seit dem 10. Oktober 2019 sind auch Bodentruppen der türkischen Armee auf syrischem Staatsgebiet im Einsatz. Über den Anstieg des Demonstrationsgeschehens hinaus zeigten sich in Deutschland auch weitere Reaktionen auf die türkische Militäroffensive. So wurde in einem Artikel der YÖP vom 9. Oktober 2019 die Gründung einer Plattform mit dem Namen "Verteidige Rojava" bekannt gegeben. Auch wurde zudem ein Bündnis bzw. eine Kampagne unter dem Hashtag "#RiseUp4Rojava" gegründet, unter dem in der Folge eine Vielzahl von Aktionen durchgeführt wurden. "#RiseUp4Rojava" bezeichnet sich als "Internationale Kampagne zur Verteidigung der Revolution in Rojava und ihrer Erfolge", die im Frühjahr 2019 gegründet worden sei. Die Gesamtbewegung, deren Motto "Let's smash Turkish fascism" lautet, bestehe aus verschiedenen Organisationen, Initiativen und Kampagnen aus zahlreichen Ländern. Als unterstützende Organisationen in Deutschland nennt das Bündnis u.a. linksextremistische Gruppierungen wie die "Interventionistische Linke" sowie die extremistisch beeinflusste Kampagne "TATORT Kurdistan", die sowohl von einer Vielzahl PKKnaher Vereinigungen als auch von deutschen linksextremistischen Organisationen wie der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) getragen wird. Das Aktionsbündnis hatte u.a. zum "Tag X" für den Zeitpunkt aufgerufen, zu dem ein eventueller Einmarsch ("Invasion") des türkischen Militärs in "Rojava" erfolge. In diesem Falle gelte: "Geht auf die Straße, macht Aktionen, besetzt, stört und blockiert! Zeigt den Verantwortlichen in den Regierungsbüros und Firmensitzen, was ihr von ihrem Krieg haltet! Gemeinsam können wir den Angriffskrieg der Türkei stoppen! Kein Krieg gegen Nordsyrien!" Bundesweit fanden im Zusammenhang mit der türkischen Militäroperation "Friedensquelle" mehr als 780 Protestveranstaltungen statt, davon gut 50 in Bremen. Das "Bündnis Bremen für Rojava" meldete mehrere Demonstrationen an. Es besteht ein eindeutiger Bezug zum hiesigen PKK-Verein "Birati e.V.". Treffen fanden in der Vergangenheit in den Räumlichkeiten des "Birati e.V." statt und zum Teilnehmerkreis zählten neben Personen des linken Spektrums Mitglieder und Anhänger des "Birati e.V.". In den PKK-nahen Medien wurde für solche Bündnisse deutschlandweit geworben. An einem kurzfristig angemeldeten Aufzug des "Birati e.V." zum Thema "Stoppt die Invasion der türkischen Armee auf Nordsyrien" am 10. Oktober 2019 nahmen entgegen der vom Veranstalter angekündigten 150 Teilnehmer in der Spitze bis zu 1.500 Personen teil. An einer Kundgebung am 11. Oktober 2019 nahmen ca. 1.100 Personen teil. Der Aufzug führte vom Bahnhofsvorplatz zum Markplatz. Im Rahmen dieser Kundgebung wurde ein Banner mit dem Abbild Erdogans als Esel und dem Wort "Esek" (türkisch für Esel) verbrannt. Am 12. Oktober 2019 führte der "Kurdisch-Deutsche Gemeinschaftsverein e.V." in Bremerhaven eine Versammlung zum Thema "Schluss mit den Angriffen auf "Rojava" 95 durch. Im Laufe der Kundgebung wuchs die Teilnehmerzahl auf ca. 300 Personen. Während des Aufzuges provozierte ein Anwohner die Teilnehmer durch Gesten und durch das Zeigen einer türkischen Flagge, (ohne allerdings nennenswerte Reaktionen hervorzurufen). Am selben Tag demonstrierten ca. 2.000 Personen in Bremen gegen die Militäroffensive der Türkei in Nordsyrien. Der "Birati e.V." hatte die Kundgebung unter dem Motto "Türkische Armee raus aus Nord Syrien" angemeldet. Während des Aufzuges wurden verbotene Fahnen mit dem Bild Abdullah Öcalans gezeigt. Ein passierender Autofahrer zeigte den Demonstrationsteilnehmern den sogenannten "Wolfsgruß" (siehe Kapitel 7.2 ADÜTDF), woraufhin sich einige der Versammlungsteilnehmer absetzten und auf das Auto einschlugen. Bei der abschließenden Kundgebung auf dem Marktplatz wurde ein Plakat mit dem Konterfei des türkischen Staatspräsidenten verbrannt. Laut der PKK-nahen "Firatnews Agency" (ANF-News) hatte der bundesweit organisierte Dachverband "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland" (KON-MED) für den 12. Oktober 2019 zu Demonstrationen aufgerufen. In der Erklärung des kurdischen Verbands hieß es: "Der türkische Staat hat mit seiner Invasion in Nordsyrien einen großen Krieg begonnen, bei dem er auf die Errungenschaften der Kurden abzielt. Dieser Krieg greift aber nicht nur politische und gesellschaftliche Institutionen an, es handelt sich um den Versuch eines Genozids. Wir fordern alle kurdischen Organisationen auf, den Rojava-Widerstand zu unterstützen und ideologische und politische Unterschiede außer Acht zu lassen. Wir rufen dazu auf, den Widerstand zu verstärken und sich den großen Demonstrationen [...] in Deutschland anzuschließen." Am 24. Oktober 2019 fand eine Spontanversammlung am Flughafen Bremen statt, die sich gegen "den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Türkei in Nordsyrien" richtete. In der Flughafenhalle versammelten sich ca. 35 Personen und behinderten die Passagierabfertigung eines Fluges von Turkish-Airlines. Es wurden u.a. Fahnen mit der Aufschrift "Deutsche Panzer raus aus Rojava, War starts here" und solche der YPG geschwenkt. Einige Teilnehmer stellten sich am Boden liegend als Leichen dar. Laut ANF-News fand die Aktion im Rahmen der "#RiseUpForRojava"-Kampagne "No Flight To Turkey" statt. Die Kampagne "#RiseUp4Rojava" hat im Vorfeld zum Widerstand gegen den "türkischen Angriffskrieg in Nordsyrien" aufgerufen. Die Türkei müsse für ihren Krieg sanktioniert und wirtschaftlich geschädigt werden, hieß es in einer veröffentlichten Erklärung. Die Kampagne begründet diese Aktion mit dem Widerstandsrecht und der Bedeutung der Fluggesellschaften für die türkische Ökonomie. Am 25. Oktober 2019 versammelte sich eine kleine Personengruppe vor dem Flughafen Bremen. Es wurden ein Transparent mit der Aufschrift "Blut an unseren Händen, Stoppt Waffenexporte in Krisengebiete, #RiseUp4Rojava" und eine Fahne der "Demokratische Föderation Nordund Ostsyrien - Rojava" (gelb-rot-grün) gezeigt. Die Kampagne "#RiseUp4Rojava" mobilisierte für den 02. November 2019 zu einem "World Resistance Day". Auf der Website der Kampagne wurde für diesen Tag zu einer weltweiten Massenmobilisierung und zu Aktionen gegen die türkische "Invasion" im Nordosten Syriens aufgerufen. Neben zahlreichen anderen genannten Ländern sollte es auch in Deutschland bundesweit zu Aktionen kommen. Laut YÖP vom 02. Dezember 2019 fanden in Deutschland mehrere Protestveranstaltungen gegen die "Invasionsangriffe des türkischen Staates in Nordsyrien" statt, u.a. auch in Bremen. In Bremen organisierte das "Rojava-Verteidigungskomitee" die Protestaktion auf dem Bahnhofsvorplatz. Die Demonstranten zogen vom Bahnhof ins Stadtzentrum und verteilten Flugblätter. Ebenfalls in Bremen marschierten Kinder bei dem traditionellen Fackelmarsch mit Fahnen der "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) und der "Frauenverteidigungseinheiten" (YPJ) mit. 96 Am 09. November 2019 veranstaltete das "Bündnis Bremen für Rojava" einen sog. Sternmarsch zum Thema "Stoppt Erdogan! Solidarität mit Rojava!". Drei Demonstrationszüge trafen sich an der Kreuzung Am Brill und marschierten schließlich gemeinsam Richtung Marktplatz. An der Veranstaltung nahmen ca. 1.500 Personen teil. Während der Versammlung kam es zu einer körperlichen Auseinandersetzung. Vorausgegangen war das Zeigen des "Wolfsgrußes" (s.o.) durch Passanten. Bei der Abschlusskundgebung auf dem Marktplatz wurde eine Flagge verbrannt. ANF-News berichtete: "In Bremen fand ein Sternmarsch gegen die Invasion in Rojava statt. Zeitgleich starteten drei Demonstrationen, der Grüne Zug begann am Bremer Flughafen, der Rote im Stadtteil Walle und der Gelbe am Hauptsitz des Rüstungskonzerns Rheinmetall. Die drei Züge trafen sich nach etwa vier Stunden im Stadtzentrum und blockierten dieses mit einem Sitzstreik für eine halbe Stunde. Anschließend zogen sie zum Landesparlament und hielten eine Kundgebung ab." Laut Veranstalter haben die den einzelnen Zügen zugeordneten Farben verschiedene Bedeutungen: Grün steht für "Feminismus, LGBTIQ und Ökologie", gelb für einen "multiethnischen und interreligiösen Block" und rot für "Internationalismus und Antifaschismus". Zusammen bilden die drei Farben die Flagge Rojavas. Die Europaführung der PKK, der "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa" (KCDK-E) und der neue Dachverband PKK-naher Vereine in Deutschland, KON-MED, riefen im Rahmen des "Internationalen Aktionstages für Rojava" für den 14. Dezember 2019 zur Teilnahme an Demonstrationen und Aktionen auf. Ebenso rief die Kampagne "#riseup4rojava" für diesen Tag zu Aktionen auf. Am 14. Dezember 2019 fand eine Demonstration des "Bündnis Bremen für Rojava" statt. An der Versammlung nahmen ca. 230 Personen teil. Es wurde eine Menschenkette vom Herdentor bis zum Domshof gebildet. Einzelne Teilnehmer zeigten Transparente mit Schriftzügen wie "Sucht uns nicht in den Bergen. Wir sind überall" 1 und Fahnen der YPG und YPJ. Haftsituation von Abdullah Öcalan Der Gesundheitszustand des auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali inhaftierten PKK-Anführers Abdullah Öcalan ist nach wie vor in besonderem Maße dazu geeignet, die in Bremen lebende PKK-Anhängerschaft zu emotionalisieren und zu mobilisieren. So werden in diesem Kontext Demonstrationen und verschiedene Aktionen durchgeführt, die sich auch auf die Sicherheitslage in Bremen auswirken oder von Bremern unterstützt werden können. Seit Dezember 2018 führen Anhänger der PKK in Straßburg einen unbefristeten Hungerstreik, unter dem Motto: "Die Isolation durchbrechen, den Faschismus zerschlagen, Kurdistan befreien" durch. 1 Gemeint ist vermutlich das nordirakische Kandil-Gebirge, welches den Rückzugsort der PKK darstellt. Auch der Bremer Yüksel Koc (Co-Vorsitzender des KCDK-E) befand sich seit Dezember 2018 in Straßburg im Hungerstreik. Mit dem Protest sollte die Beendigung der "Isolationshaft" von Abdullah Öcalan erreicht und die Solidarität mit der Abgeordneten der HDP Leyla Güven, die in der Türkei inhaftiert ist und sich seit November 2018 im Hungerstreik befand, bekundet werden. Kocs Gesundheitszustand soll zwischenzeitlich lebensbedrohlich gewesen sein. Eine ärztliche Behandlung lehnte er jedoch ab. In der YÖP vom 17. Januar 2019 wird berichtet, dass Yüksel Koc beteuerte: "Was auch 97 immer es uns kosten mag, unsere Aktionen werden zum Erfolg führen [...]". In Bremen und Bremerhaven fanden als Zeichen der Solidarisierung mit den Hungerstreikenden und infolge ihres sich verschlechternden Gesundheitszustands mehrere Kundgebungen statt. Am 19. Januar 2019 veranstaltete der "Birati e.V." einen Demonstrationszug, der vom Hauptbahnhof zum Bremer Marktplatz führte. Das Motto der Veranstaltung, an der ca. 350 Personen teilnahmen, lautete: "Wir protestieren gegen die Isolationshaft von Herr Öcalan - Wir verurteilen die Folter gegen Öcalan". Ein vergleichbarer Demonstrationszug, mit ca. 250 Personen, zog am 26. Januar 2019 ebenfalls vom Hauptbahnhof zum Marktplatz. Bei dieser Veranstaltung wurde erneut auch Leyla Güven gedacht und Bildnisse von ihr und Abdulla Öcalan gezeigt. Am 05. Februar 2019 veranstaltete der "Birati e.V." einen weiteren Aufzug, bei dem in der Spitze bis zu 230 Teilnehmer anwesend waren. Am 02. März 2019 nahmen bis zu 200 Personen aus dem Umfeld des "Birati e.V." an einer Großdemonstration in Köln unter dem Motto "Die Isolation durchbrechen - Freiheit für Abdullah ÖCALAN" teil. Insgesamt zählte die Veranstaltung ca. 2.300 Personen. Laut YÖP vom 02. März 2019 wurde in Bremen eine Plattform gegen die Isolationshaft gegründet. Unterstützer der Plattform, darunter die Kinder und der Rechtsanwalt von Yüksel Koc sowie Akademiker, Politiker und Vertreter von Vereinen, seien im alevitischen Gebetshaus (Cemevi) in Bremen zusammengekommen. Es seien verschiedene Arbeitsgruppen gebildet und es sei beschlossen worden, am 6. März 2019 eine Podiumsdiskussion und am 16. März 2019 eine Kundgebung in Bremen zu veranstalten. Am 30.04.2019 wurde vor dem Hauptbahnhof Bremen mit ca. 50 Personen erneut eine Solidaritätsdemonstration für die Hungerstreikenden unter dem Motto "Brennende Aktion der Kerze - Brich das Schweigen - 7000 Stimmen für Hungerstreikende" durchgeführt. Auf dieser Versammlung wurden trotz des Verbots mehrere Öcalan-Abbildungen gezeigt. Am 06. Mai 2019 kam es dann erstmals seit acht Jahren zu einem Besuch der Anwälte Abdullah Öcalans auf der Gefängnisinsel Imrali. Bei der anschließenden Pressekonferenz wurde mitgeteilt, dass Abdullah Öcalan den Aktivisten zwar dankbar sei, die Aktion allerdings nicht soweit geführt werden solle, dass ihr Leben in Gefahr gerate oder sie zum Tod führe. Diese Möglichkeit, den Hungerstreik zu Ende zu bringen, wurde allerdings nicht genutzt. Erst weitere Besuche von Familie und Anwälten Abdullah Öcalans sowie dessen explizite Aufforderung, "die Aktion zu beenden", führten dazu, dass Leyla Güven ihren Hungerstreik am 26. Mai 2019 beendete, woraufhin die anderen Hungerstreikenden ihren Protest ebenfalls beendeten. Ein Grund für die hohe Emotionalisierung und die gesteigerte Aktionsbereitschaft unter den Bremer PKK-Anhängern dürfte die Beteiligung Yüksel Kocs am Hungerstreik gewesen sein. Als in diesem Zusammenhang zentrale Identifikationsfigur für die Bremer PKK wurde Koc nicht nur von seiner Familie besucht, sondern im Januar 2019 auch von einer Delegation anderer Bremer PKK-Funktionäre. Am Rande einer Großdemonstration in Köln mit 3.000 Teilnehmern, die die Solidarität mit den Hungerstreikenden zum Thema hatte, gab die Ehefrau von Yüksel Koc der PKK-Tageszeitung YÖP ein Interview, in welchem sie ihren Stolz auf ihren Mann zum Ausdruck brachte. Nach Beendigung seines Hungerstreiks wurde Koc am 30. Mai 2019 bei seiner Rückkehr nach Bremen im "Birati e.V." von ca. 100 Personen in Empfang genommen und für sein Engagement gefeiert. Die Lockerung der Haftbedingungen Abdullah Öcalans sowie die Genehmigung der Besuchsanträge von Anwälten und Familienangehörigen wurden von der PKK als 98 Erfolg gedeutet. Die daraus resultierende Beilegung der Hungerstreiks führte zu einer Lageberuhigung innerhalb der Anhängerschaft der PKK in Bremen. Todesfälle unter den (prominenten) Hungerstreikenden hätten zu einer erheblichen Emotionalisierung führen können. Newroz-Feiern Die PKK instrumentalisiert auch weiterhin das jährliche Neujahrsfest ("Newroz-Fest", 21. März) für ihren "Befreiungskampf" gegen den türkischen Staat. Das Fest geht auf eine Legende um einen kurdischen Schmied zurück, der zum Widerstand gegen einen Tyrannen aufgerufen und diesen in der Nacht vom 20. auf den 21. März im Jahr 612 v. Chr. erschlagen haben soll. Daher wird Newroz auch als Fest des Widerstands gegen Tyrannei und als Symbol für den kurdischen Freiheitskampf verstanden. 2019 fand die zentrale Newroz-Feier in Frankfurt am Main unter dem Motto "NEWROZ das Fest der Freiheit - Freiheit für Abdullah Öcalan" statt. Ca. 25.000 Personen nahmen am 23. März 2019 an der Großveranstaltung teil, darunter zahlreiche PKK-Anhänger aus Bremen. Tatsächlich war das zentrale Thema der Veranstaltung die Forderung der PKK nach der Aufhebung der "Isolationshaft Abdullah Öcalans" und die damit im Zusammenhang stehenden Hungerstreiks von Anhängern der PKK in Deutschland und Europa seit Dezember 2018. Parallel zu der zentralen Großveranstaltung in Frankfurt am Main fanden bundesweit Newroz-Feiern statt. In Bremen organisierte der "Birati e.V." am 10. März 2019 sein diesjähriges Newroz-Fest mit ca. 700 Teilnehmern. In der YÖP-Ausgabe vom 12. März 2019 und in ANF-News vom 11. März 2019 wurde über das Newroz-Fest in Bremen berichtet: "Tausende Menschen nahmen an einer Newroz-Feier in Bremen (HB) teil. Ein Vertreter der "Partei der Demokratischen Union" (PYD) hielt eine Ansprache, in welcher er auf die Bedeutung der Hungerstreikaktion Leyla Güvens aufmerksam machte und zur breiten Solidarität aufrief. Auch ging er auf die Befreiung vom IS in Nordsyrien durch den Einsatz der Demokratischen Kräfte Syriens (QSD) ein und übermittelte der Menge die aktuelle Situation an der letzten Kampffront gegen die Islamisten in al-Bagouz." Des Weiteren veranstaltete die YXK am 21. März 2019 an der Universität Bremen ein eigenes Newroz-Fest, an dem ca. 250 Personen teilnahmen. Es wurden Fahnen und Bilder Abdullah Öcalans gezeigt. Über das Treffen wurde in der YÖP vom 23. März 2019 berichtet. In Bremerhaven fand ein Newroz-Fest am 16. März 2019 statt.. "27. Internationales Kurdisches Kulturfestival" 2 Das "Internationale Kurdische Kulturfestival" stellt regelmäßig einen Höhepunkt der kurdischen Großveranstaltungen dar. Neben der von der PKK propagierten "Pflege der kurdischen Kultur" dient es ihr zur Verbreitung ihrer politischen Botschaften. Erstmals seit 21 Jahren fand das Festival nicht in Deutschland, sondern in den Niederlanden statt. An der friedlich verlaufenen Veranstaltung am 21. September 2019 in Maastricht nahmen ca. 7.000 Personen teil. Auch aus Bremen fuhren mehrere Busse zum Festival. Angemeldet wurde die Veranstaltung als Protestkundgebung unter dem Motto "Status für Rojava, Freiheit für Öcalan!". 2 Laut Angaben der Organisation handelte es sich um das 28. Kurdische Kulturfestival. Nach Zählungen des LfV Bremen um das 27. Kurdische Kulturfestival. In mehreren PKK-nahen Medien wurde für das Festival geworben. In der YÖP vom 23. September 2019 wurde wie folgt berichtet: "Ein Vertreter sprach im Namen der Jugend und erklärte, dass, solange es eine kurdische Jugend gebe, der Kampf weitergeführt werde. In einem weiteren Redebeitrag im Namen des Dachverbandes KCDK-E wurde erklärt: "Wenn wir den Faschismus Erdogans vernichten wollen und wenn wir in einem freien Kurdistan leben wollen, müssen wir Widerstand leisten. Durch beständigen Widerstand werden wir siegen. Es 99 gibt keinen anderen Weg und keine andere Lösung als den Widerstand. Es ist an der Zeit, den Führer Apo zu befreien, Kurdistan aufzubauen und "Rojava" zu einem Status zu verhelfen." Im Vorjahr (2018) war das "26. Internationale Kurdische Kulturfestival" von den Behörden wegen nicht erfüllter bauordnungsrechtlicher Auflagen untersagt worden. An der in Düsseldorf angemeldeten Ersatzveranstaltung hatten dann lediglich ca. 3.500 Personen teilgenommen. Ursache hierfür dürften u.a. die Probleme um den Versammlungsort und das wiederholte Untersagen von Verpflegungsständen gewesen sein. Trotz der Untersagung der ursprünglichen Veranstaltung waren aus Bremen Busse nach Düsseldorf gefahren. Die Verlegung des Veranstaltungsortes 2019 in die Niederlande ist sicherlich ein Ergebnis der zuletzt zunehmenden behördlichen Auflagen. Die Organisation dürfte auf eine höhere Teilnehmerzahl durch die Verlegung gehofft haben. Auseinandersetzungen zwischen rechtsextremen Türken und PKK-Anhängern Zwischen den Anhängern der PKK und Personen des türkisch-nationalen Spektrums kam es im vergangenen Jahr zu Provokationen am Rande von Demonstrationen. Ursache sind einerseits andauernde militärische Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Militär und der PKK sowie andererseits in der Türkei verübte Anschläge, zu denen sich PKK-Splittergruppen bekannten. Die Vielzahl von Demonstrationen der PKK-Anhänger schafft zusätzliches Potenzial für eine direkte Konfrontation. Insbesondere bei jugendlichen PKK-Anhängern sind auch militante Aktionsformen gegen türkische Einrichtungen und Personen des türkisch-nationalen Spektrums zu befürchten. Von beiden Seiten kam es 2019 in Bremen zu kleineren Sachbeschädigungen der jeweils anderen Seite. Werbung und Rekrutierung für die PKK-Guerilla Die Kampfhandlungen in Syrien und im Irak haben die Bereitschaft der PKK-Anhänger, sich für den bewaffneten Kampf rekrutieren zu lassen, gesteigert. Sie folgen u.a. Aufrufen, die von der PKK nahestehenden Medien auf einschlägigen Internetseiten, in (Jugend-)Zeitschriften oder auf Großveranstaltungen wie dem jährlichen kurdischen Kulturfestival verbreitet werden. Auch von den örtlichen Vereinen organisierte sogenannte "Märtyrerveranstaltungen", bei denen gefallene Guerilla-Kämpfer glorifiziert werden, bereiten den Boden für Rekrutierungen. Im Jahr 2019 wurden in den Räumlichkeiten des "Birati e.V." Gedenkfeiern für die "Märtyrer" veranstaltet. Unterstützung der PYD und PKK durch öffentliche Einrichtungen Es ist weiterhin festzustellen, dass sich die örtlichen Funktionäre der PYD und der PKK verstärkt an öffentliche Einrichtungen in Bremen sowie im Umland wenden, um Unterstützung für ihre Ziele bzw. Projekte zu erhalten. So werden beispielsweise Anfragen zur Nutzung öffentlicher Räumlichkeiten an Behörden und Einrichtungen gestellt, Spendengeldsammlungen zugunsten vermeintlich humanitärer Zwecke mit Unterstützung öffentlicher Einrichtungen beworben und Zuschüsse für "kulturelle Darbietungen" beantragt. Zum Teil sind die Bemühungen der Organisationen erfolgreich. PKK und PYD nutzen nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes ihre zurzeit positive Wahrnehmung in Öffentlichkeit und Politik einerseits, um ihre gesellschaftlichen und politischen Kontakte auszubauen und andererseits, um gezielt eigene Vertreter in politischen und gesellschaftlichen Strukturen zu platzieren. Langfristige Ziele dieser Bemühungen sind die Aufhebung des PKK-Verbots, die Freilassung des PKK-Führers Öcalan und die Anerkennung der PKK als demokratische Vertretung 100 aller Kurden. 7.2 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland (ADÜTDF) Logo der ADÜTDF Ideologie/ Ziele Die Alamanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland, kurz: ADÜTDF) ist der älteste und mit ca. 7.000 Mitgliedern zugleich anhängerstärkste Dachverband der Ülkücü-Bewegung in Deutschland und fungiert darüber hinaus ebenso als Auslandsorganisation der türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP), die den politischen Arm der Ülkücü in der Türkei darstellt. Die Föderation und ihre bundesweiten Mitgliedsvereine, die sog. Ülkü Ocaklari (Idealisten-Vereine), gelten als ein Sammelbecken extrem nationalistischer Personen mit türkischem Migrationshintergrund. Ihre Mitglieder sind auch bekannt unter dem Namen Graue Wölfe (Bozkurtlar). Der Dachverband findet seine lokale Vertretung in Bremen und Bremerhaven in dem Verein "Türkische Familienunion in Bremen und Umgebung e.V.", dem ca. 200 Mitglieder zuzurechnen sind. Organisatorisch ist die ADÜTDF in mehrere Gebiete (Bölge) unterteilt. Der Bremer Verein gehört gemeinsam mit Hamburg, Neumünster, Lübeck und Kiel zum Nordverbund (Bölge-Nord), in dessen Rahmen ein enger Kontakt und Austausch besteht. Ideologisch bekennen sich die ADÜTDF und ihre Mitgliedsvereine zu Alparslan Türkes, dem 1997 verstorbenen Gründer der MHP. Der ehemalige Oberst wird weiterhin uneingeschränkt als ewiger Führer (Basbug) verehrt. Ihm folgt der Parteivorsitzende der MHP Devlet Bahceli. Die MHP ist eine Partei des rechten Spektrums. Die Ideologie der MHP - und somit auch der ADÜTDF - stützt sich u.a. auf den Gedanken des Panturkismus, d.h. einer Vereinigung aller Turkvölker - vom Balkan bis nach Zentralasien - unter der Führung einer "Großtürkei", angelehnt an das Osmanische Reich. Sie sehen die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als höchsten Wert an. Prägend für die Bewegung ist ein übersteigerter türkischer Nationalismus, mit einer Überhöhung der eigenen Ethnie. Damit einher geht eine Abwertung anderer Ethnien wie beispielsweise Kurden, Armeniern, Griechen und Juden. Die Ülkücü-Vereine vermeiden einen offenen Antisemitismus und geben sich nach außen hin überwiegend legalistisch und demokratisch. In der Vergangenheit forderten jedoch führende Mitglieder, die demokratischen Rechte in Deutschland wahrzunehmen und sich politisch und gesellschaftlich zu betätigen, um Einfluss auszuüben. So sind im Bundesgebiet Anhänger der Ülkücü-Bewegung in Parteien tätig und auch in Ausländerbeiräten und anderen Gremien vertreten. Dies darf insoweit nicht als Anerkennung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verstanden werden, sondern als gezielte politische Einflussnahme im Sinne einer türkisch-nationalistischen Ideologie. Neben den Mitgliedern in den Ülkü Ocaklari gibt es auch Anhänger, die der Bewegung ideologisch verbunden, jedoch nicht in einem Verein organisiert sind. Diese unorganisierte Bewegung besteht überwiegend aus jüngeren Menschen, die insbesondere in den sozialen Netzwerken gegen politische Gegner und Völker hetzen und an das gemeinsame türkische Nationalbewusstsein appellieren. Sie pflegen ihre Feindbilder und äußern sich viel unverblümter über ihren Antisemitismus als die Anhänger in den Idealistenvereinen. 101 Die ADÜTDF sieht sich nicht nur als alleinige Hüterin der Ideologie der "Nationalistischen Bewegung" in Deutschland, sondern generell als Hüterin türkischer Werte und Kultur. Eine derartige auf Volkszugehörigkeit und übersteigertem Nationalismus gründende Identität kann in einer pluralistisch geprägten Gesellschaft jedoch unterschiedliche Konflikte hervorrufen. Sie führt nicht zuletzt zu Intoleranz gegenüber anderen Völkern. Dies widerstrebt dem Gedanken der Völkerverständigung, ist gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet und wirkt einer Integration in die deutsche Gesellschaft entgegen. Symbolik Um ihre Zugehörigkeit zur "Ülkücü"-Bewegung sowie Gesinnung öffentlich darzustellen, werden im Wesentlichen drei Symbole verwendet. Der graue Wolf (Bozkurt) Nationalistische Türken werden auch als "Graue Wölfe" bezeichnet. Der Wolf spielt in der alttürkischen Mythologie eine zentrale Rolle. Je nach Überlieferung existiert zum einen der Mythos eines grauen Wolfes, der das urtürkische Volk der Göktürken aus dem Tal Ergenekon nach der Niederlage gegen die Chinesen im 8. Jahrhundert hinausgeführt haben soll, zum anderen wird von einem kleinen Jungen erzählt, der als einziger Überlebender seines Stammes von einer Wölfin aufgezogen wurde. In ADÜTDF-Kreisen wird der "Graue Wolf" auch als nationales Symbol der Türken, vergleichbar mit dem Bundesadler, bezeichnet. Ab den 1960er-Jahren spielte der "Graue Wolf" auch auf politischer Ebene eine Rolle. Dieser war Symbol für die 1968 entstandene paramilitärisch ausgebildete Jugendorganisation der rechtsextremen türkischen Partei MHP, dem politischen Arm der "Ülkücü". Daher werden innerhalb der "Ülkücü-Szene" auch heute noch junge, männliche Anhänger als "Bozkur" (Graue Wölfe) bezeichnet. Der Wolfsgruß Aufgrund der Verwendung des "Grauen Wolfes" als Symbol verbreitete sich unter MHP-Anhängern das Zeigen des "Wolfsgrußes". Vorwiegend wird dieser mit der rechten Hand geformt und dient den "Ülkücü-Anhängern" als Begrüßungswie auch Erkennungszeichen. Auch zur Provokation politischer Gegner wird das Zeichen beispielsweise bei Demonstrationen eingesetzt. Der kleine Finger beim Wolfsgruß soll den Türken symbolisieren, der Zeigefinger den Islam. Der beim "Wolfsgruß" entstehende Ring, geformt durch Ring-, Mittelfinger und Daumen steht für die Welt. Der Punkt, an dem sich diese drei Finger treffen, soll als Stempel angesehen werden. Damit soll der "Wolfsgruß" bedeuten, dass die "Grauen Wölfe" der Welt ihre Ansichten und ihren islamischen Stempel aufdrücken wollen. Drei Halbmonde Insbesondere von jugendlichen "Grauen Wölfen" werden aufgrund eines stark ausgeprägten Überlegenheitsgefühls die "Drei Halbmonde" sichtbar getragen und gemacht. Sei es durch Sprühen von "cCc" auf Hauswände, durch Tragen von Ketten und Ringen oder durch Tätowierungen. 102 Die Symbolik der "Drei Halbmonde" hat ihren Ursprung im Osmanischen Reich. Eine von dessen Kriegsflaggen zeigte die "Drei Halbmonde" auf grünem Hintergrund (die Farbe des Islams). Symbolisch standen die Halbmonde für die drei Kontinente Asien, Afrika und Europa, auf denen sich der Islam durch das Osmanische Reich verbreitet hatte. Die "Drei Halbmonde" auf rotem Grund sind das Parteilogo der MHP. Damit signalisiert sie ihre Verbundenheit zum Osmanischen Reich, welches aus Sicht der "Ülkücü" das beste und konstanteste System für die ganze Welt darstelle und die islamische Weltanschauung offenbare. Ideologisch stehen die "Drei Halbmonde" in der "Ülkücü-Szene" für die "Türkische Einheit" aller Turkvölker in einem fiktiven Land namens Turan, die "Islamische Einheit", die sich darin äußert, dass sich auch nicht-türkische muslimische Völker dem Turan anschließen, sowie die "Türkische Weltherrschaft", die mit einer globalen Islamisierung einhergeht. Ereignisse 2019 Wie schon bei der Präsidentschaftswahl im Jahr 2018 in der Türkei ist die "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) des Vorsitzenden Devlet Bahceli zusammen mit der Regierungspartei für "Gerechtigkeit und Aufschwung" (AKP) unter der Führung vom Staatspräsidenten Erdogan als sogenannte "Volksallianz" bei der Kommunalwahl 2019 angetreten. Die Annäherung von AKP und MHP nach dem Putschversuch im Jahr 2016 führte zu Spaltungen innerhalb der Ülkücü-Bewegung. Bei vielen MHP-Funktionären wurden neue Sympathien für die AKP entfacht. Andere wiederum haben sich gegen diese Allianz gestellt und eine neue gemeinsame Partei gegründet. Die Resonanz auf die Kommunalwahlen fiel verhalten aus und bezog sich vorwiegend auf die Wahlsiege der CHP in mehreren Großstädten, was als großer Schlag gegen die AKP und als persönliche Niederlage Erdogans angesehen wurde. Bereits im Dezember 2018 kündigte der Präsident Erdogan einen Einmarsch in die von Kurden kontrollierten Gebiete Nordsyriens an, um eine Sicherheitszone entlang der Grenze einzurichten. Zunächst sollten die syrischen Rebellen vor dem AssadRegime Syriens beschützt werden, später jedoch sollten mit einer Pufferzone die kurdischen "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) der PKK zurückgedrängt werden, um die Sicherheit der türkischen Grenzregion zu gewährleisten. Nach Abzug der amerikanischen Truppen, die mit der Türkei gemeinsam Grenzpatrouillen durchführten, begann die türkische Militäroperation "Friedensquelle" am 09.10.2019 und dauert weiter an. Aus Kreisen der ADÜTDF wird die Militäroperation unterstützt und im Hinblick auf den Schutz der nationalen Sicherheit innerhalb der Grenzregion befürwortet. Nicht die Integrität Syriens soll angetastet werden, sondern die in der Grenzregion lebende kurdische Bevölkerung von dem Druck der YPG befreit werden, damit Vertriebene zurück in ihre Häuser können. Für die Verbreitung ihres ideologischen Gedankengutes und zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls, wurden in den vergangenen Jahren regelmäßig kulturelle und familiäre Veranstaltungen durchgeführt. Dazu zählen beispielsweise Fahnenfeste sowie Kulturund Kunstfeste. Derartige Veranstaltungen deuten auf die Bemühungen des Dachverbandes hin, als engagierter Verein zum Wohle und Schutz der kulturellen und religiösen Werte aufzutreten und Mitglieder sowie insbesondere junge Menschen an sich zu binden. Auch im Berichtsjahr 2019 fanden im Bremer ADÜTDF-Verein 103 mehrere solcher Treffen statt. Wechselwirkungen zwischen nationalistischen Türken und PKK-Anhängern Die politische Lage in der Türkei und die militärische Offensive gegen die PKK in Nordsyrien verschärfen weiterhin die Spannungen zwischen nationalistischen Türken und PKK-Anhängern. Am Rande von PKK-Demonstrationen gegen die Operation "Friedensquelle" kam es zu Ausschreitungen zwischen PKK-Anhängern und nationalistischen Türken. Von Seiten der rechten Türken kam es zu Provokationen durch Zeigen des "Wolfsgrußes", um die politischen Gegner zu reizen und die Proteste insgesamt zu stören. Die Entwicklungen in der Türkei und in Nordsyrien führten insgesamt zu einem erhöhten Aggressionspotential und eine gesteigerte Gewaltbereitschaft in beiden Lagern. Solange die türkische Regierung ihre Offensive fortführt, kann nicht mit einer Abnahme der Spannungen hierzulande gerechnet werden. 104 8 Unterstützungsaufgaben des LfV 105 8 Unterstützungsaufgaben des LfV Dem LfV obliegt nicht nur die Beobachtung extremistischer Bestrebungen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, sondern es trägt über umfangreiche Prüfungen ebenfalls dazu bei, Sicherheitsrisiken in Behörden oder privaten Unternehmen zu minimieren. Geheimschutz Der Geheimschutz hat die Aufgabe, Informationen und Vorgänge, deren BekanntGeheimhaltungsgrade werden den Bestand, die Sicherheit oder sonstige Interessen der Bundesrepublik von Verschlusssachen (VS) Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden, vor unbefugter Kenntnisnahme (SS 5 BremSÜG) zu schützen. Der Schutz dieser so genannten Verschlusssachen (VS) wird durch . . STRENG GEHEIM Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes verwirklicht. . GEHEIM . Geheimschutz findet nicht nur in Behörden statt, sondern auch in Unternehmen, VS-VERTRAULICH die im Auftrag des Staates mit Verschlusssachen umgehen und demzufolge die VS-NUR FÜR DEN Regelungen des personellen und materiellen Geheimschutzes zu beachten haben. DIENSTGEBRAUCH Geheimschutzbetreute Unternehmen sind z.B. Betriebe, die im Bereich der wehrtechnischen Forschung oder Produktion tätig sind. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz beinhaltet technische und organisatorische Sicherheitsmaßnahmen und regelt z.B., in welcher Weise VS-Dokumente aufbewahrt und verwaltet werden müssen. Die Einzelheiten ergeben sich im Wesentlichen aus der Verschlusssachenanweisung des Landes Bremen. Dort ist jeweils in Abhängigkeit vom Geheimhaltungsgrad auch die Erforderlichkeit von Tresoren und Alarmanlagen geregelt. Das LfV ist zentraler Ansprechpartner für alle bremischen Behörden, die mit VS-Material umgehen. Es berät und unterstützt diese bei der Erfüllung der Anforderungen des materiellen Geheimschutzes. Personeller Geheimschutz Der personelle Geheimschutz soll sicherstellen, dass in Bereichen, die mit VS-Material umgehen, keine Person beschäftigt wird, von der ein Sicherheitsrisiko ausgeht. Zu diesem Zweck und nur mit vorheriger Zustimmung des Betroffenen finden individuelle Sicherheitsüberprüfungen statt. Das LfV wirkt an den Sicherheitsüberprüfungen mit. Seine fachliche Bewertung dient der zuständigen Behörde als Entscheidungshilfe, bevor sie eine Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut. Abstufung von Sicherheitsüberprüfungen (SS 8 BremSÜG) . . (Ü1) - einfache Sicherheitsüberprüfung . (Ü2) - erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü3) - erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen Die Stufe der Sicherheitsüberprüfung richtet sich nach der Höhe des Geheimhaltungsgrades, zu dem die Person Zugang erhalten soll. Bei den Überprüfungsarten Ü2 und Ü3 werden Ehegatte oder Lebenspartner in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen, weil sich Sicherheitsrisiken bei diesen Personen auf die betroffene Person auswirken können. 106 Weitere Sicherheitsüberprüfungen Der Ausschluss von individuellen Sicherheitsrisiken ist nicht nur im Bereich des Geheimschutzes, sondern auch in anderen Arbeitsbereichen von Bedeutung. So sieht u.a. das Luftsicherheitsgesetz, Sprengstoffgesetz und Bremische Hafensicherheitsgesetz vergleichbare Überprüfungen der in diesen Bereichen in der Regel bei privaten Unternehmen beschäftigten Personen vor. Auch an diesen Sicherheitsüberprüfungen wirkt das LfV mit. Regelanfragen im Bereich des Einbürgerungsund Aufenthaltsrechts Zu den Aufgaben des LfV gehört darüber hinaus die Beantwortung von Regelanfragen im Rahmen von Einbürgerungsverfahren und vor der Erteilung von Aufenthaltstiteln. Durch die große Zahl der anfallenden Prüfungen bilden diese Bereiche den Schwerpunkt der personenbezogenen Prüfungen für das LfV. Personenanzahl 9.000 8.973 8.335 8.000 7.000 6.000 5.000 4.000 3.766 3.500 3.000 2.500 2.182 2.000 2.071 1.926 1.500 1.000 500 2018 203 93 19 4 2019 0 Regelanfragen Regelanfragen vor ZuverlässigkeitsZuverlässigkeitsZuverlässigkeitsim Rahmen Erteilung oder überprüfungen überprüfungen überprüfungen gemäß von Verlängerung einer gemäß dem gemäß dem dem Einbürgerungen AufenthaltsLuftsicherheitsHafensicherheitsSprengstoffgesetz genehmigung gesetz gesetz Anhang 107 Übersicht extremistischer Gruppierungen und Szenen in Bremen 108 Mitglieder / Personenpotenzial Organisation / Gruppierung / Szene in Deutschland in Bremen Rechtsextremismus Parteien ca. 13.530 ca. 20 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen ca. 6.600 ca. 30 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial ca. 13.500 ca. 130 davon Anteil gewaltorientierter Rechtsextremisten ca. 13.000 ca. 90 "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Spektrum der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" ca. 19.000 ca. 115 Linksextremismus Gewaltorientierte linksextremistische Szene ca. 9.200 ca. 230 Islamismus Salafistische Bestrebungen ca. 12.150 ca. 560 "Hizb Allah" ca. 1.050 ca. 50 Sonstige ca. 14.800 ca. 50 Ausländerextremismus "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und Nachfolgeorganisationen (Kongra Gel) ca. 14.500 ca. 750 "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." (ADÜTDF) ca. 7.000 ca. 200 Politisch motivierte Kriminalität in Bremen 2015 - 2019* Politisch motivierte Ausländerkriminalität 109 Straftaten 2015 2016 2017 2018 2019 gesamt 34 52 23 29 10 davon extremistische Delikte 22 36 19 27 5 davon Gewaltdelikte 2 13 1 5 3 Politisch motivierte Kriminalität "Rechts" Straftaten 2015 2016 2017 2018 2019 gesamt 126 122 110 152 134 davon Propagandadelikte 74 68 50 89 95 davon Gewaltdelikte 6 13 4 4 3 Politisch motivierte Kriminalität "Links" Straftaten 2015 2016 2017 2018 2019 gesamt 88 70 126 119 127 davon extremistische Delikte 41 32 108 28 54 davon Gewaltdelikte 7 14 11 15 22 Antisemitische Straftaten Straftaten 2015 2016 2017 2018 2019 gesamt 8 6 17 15 4 * Die Zahlen der politisch motivierten Kriminalität werden von der Polizei erhoben. 110 Impressum Herausgeber: Der Senator für Inneres Contrescarpe 22-24 28203 Bremen www.inneres.bremen.de Redaktion: Landesamt für Verfassungsschutz Bremen Postfach 28 61 57 28361 Bremen Tel.: 0421 53 77-0 Fax: 0421 53 77-195 office@lfv.bremen.de www.verfassungsschutz.bremen.de Gestaltung: moltkedesign, Bremen Fotos: LfV Titelbild: Dienstgebäude des Senators für Inneres Erscheinungsdatum: 16. Juli 2020 111