Zusammenfassung ................................................................................................................................ 3 Im Fokus: Ausstiegsund Distanzierungsprogramm "wageMUT" .................................................. 16 1. Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes ................................................ 19 2. Aktuelle Entwicklungen: Separatistische Ansätze im Extremismus .......................................... 24 3. Rechtsextremismus ......................................................................................................................... 33 3.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)................................................................ 35 3.2 DER DRITTE WEG ...................................................................................................................... 39 3.3 Parteiunabhängige Strukturen 1: Kameradschaften ............................................................... 43 3.4 Parteiunabhängige Strukturen 2: Freie Kräfte ......................................................................... 45 3.5 Parteiunabhängige Strukturen 3: Bruderschaften .................................................................. 47 3.6 Parteiunabhängige Strukturen 4: Zukunft Heimat e.V. ........................................................... 51 3.7 Parteiunabhängige Strukturen 5: COMPACT-Magazin GmbH................................................ 55 3.8 Parteiunabhängige Strukturen 6: Kampfsportgruppen .......................................................... 59 3.9 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial .................................................................... 62 3.11 Immobilien der rechtsextremistischen Szene ....................................................................... 70 3.12 Rechtsextremistischer Verdachtsfall: Alternative für Deutschland (AfD) - Landesverband Brandenburg .................................................................................................................................... 73 3.13 Rechtsextremistischer Verdachtsfall: Junge Alternative für Deutschland (JA) - Landesverband Brandenburg ......................................................................................................... 82 4. Reichsbürger und Selbstverwalter ................................................................................................. 85 5. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates .......................................................... 93 6. Linksextremismus............................................................................................................................ 99 6.1 Autonome ................................................................................................................................. 103 6.2 Rote Hilfe e.V. ........................................................................................................................... 115 7. Islamischer Extremismus / Islamismus ....................................................................................... 119 7.1 Muslimbruderschaft, Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) und HAMAS............... 127 7.2 Salafismus ................................................................................................................................ 131 7.3 Islamistische Nordkaukasische Szene (INS) ......................................................................... 137 7.4 Tablighi Jama'at ....................................................................................................................... 142 8. Auslandsbezogener Extremismus................................................................................................ 145 9. Scientology Organisation.............................................................................................................. 151 10. Spionageabwehr, Schutz vor Wirtschaftsspionage, Proliferation und Geheimschutz .......... 154 10.1 Spionageabwehr und Proliferation....................................................................................... 155 10.2 Schutz vor Wirtschaftsspionage........................................................................................... 158 1 10.3 Hybrde Bedrohungen und Desinformation.......................................................................... 160 10.4. Materieller Geheimschutz ..................................................................................................... 166 10.5 Personeller Geheimschutz .................................................................................................... 167 11. Verfassungsschutz durch Aufklärung........................................................................................ 169 2 Zusammenfassung 3 Abgesehen vom deutlichen Rückgang des Personenpotenzials1 im Bereich Linksextremismus sind für das Jahr 2022 lediglich geringfügige Veränderungen feststellbar. Insbesondere der Rechtsextremismus verharrt damit auf dem zweithöchsten Niveau in der Geschichte des Landes. Ebenso halten sowohl der Islamische Extremismus als auch Reichsbürger und Selbstverwalter ihre Höchststände. Der Auslandsbezogene Extremismus ist auf niedrigem Niveau weiter rückläufig. Unter allen Phänomengebieten stellt der Rechtsextremismus weiterhin das mit Abstand größte Personenpotenzial. Von ihm gehen die schwerwiegendsten Bedrohungen für die freiheitliche demokratische Grundordnung aus. Daraus ergeben sich besondere Herausforderungen für Staat und Gesellschaft. Verschärfend kommt hinzu, dass insbesondere rechtsextremistische Akteure das Ziel verfolgen, die Mitte der Gesellschaft ideologisch zu durchdringen. Mit dieser Entgrenzungsstrategie soll das politische System der Bundesrepublik unterwandert und schließlich im Sinne rechtsextremistischer Einstellungen fundamental umgestaltet werden. Zu den zentralen Entgrenzungsakteuren zählen in Brandenburg der Verdachtsfall "Alternative für Deutschland" (AfD)2 samt ihrer Jugendorganisation "Junge Alternative für Deutschland" (ebenfalls Verdachtsfall), der neonationalsozialistisch beeinflusste, rechtsextremistische Verein "Zukunft Heimat"3 sowie die rechtsextremistische "COMPACT-Magazin GmbH"4. Dem vom Verfassungsschutzverbund im Jahr 2021 neu eingerichteten Phänomenbereich Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates können in Brandenburg erneut nur wenige Akteure ausschließlich zugeordnet werden. Deren Inhalte werden bereits von den brandenburgischen Entgrenzungsakteuren sowie vom Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter maßgeblich bedient. Alle Entgrenzungsakteure waren spätestens ab Herbst 2022 bemüht, den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine ins Zentrum ihrer Tätigkeiten zu rücken. Hierbei rechtfertigten viele die russische Aggression und kritisierten den Beistand, den Deutschland der Ukraine gewährt. Ebenso hofften sie auf soziale Spannungen im Zuge wirtschaftlicher Beeinträchtigungen, um diese dann zu instrumentalisieren und extremistisch aufzuladen. Der von ihnen ersehnte Wut-Winter blieb jedoch trotz aller Bemühungen von Extremisten aus. Der Bundeskanzler und zwei Bundesministerinnen kommen aus Brandenburg. Sie haben hier ihre parteipolitisch-strukturellen Verankerungen. Brandenburg nimmt damit im bundesweiten Vergleich eine Sonderrolle ein. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine erhöht deutlich die Gefahren durch russische Spionage gegen Einrichtungen und Personen. Das gilt insbesondere für den Raum Potsdam, wo sich ebenfalls sowohl das Präsidium der Bundespolizei als auch das Einsatzführungskommando der Bundeswehr befinden. 1 Personenpotenziale beruhen auf Verfassungsschutzerkenntnissen zu Strukturen und Einzelpersonen, die im Zusammenhang mit relevanten extremistischen Aktivitäten stehen. Darüber hinaus liegen Erkenntnisse zu Personen mit extremistischen Bezügen ohne entsprechend relevante Aktivitäten vor. Sie werden daher nicht zwingend bei den Personenpotenzialen berücksichtigt. Diese Personen sind jedoch regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob ihre Aktivitäten ein Niveau erreicht haben, um sie im jeweiligen Phänomenbereich auszuweisen. 2 Seit Juni 2020 ist der brandenburgische Landesverband der "Alternative für Deutschland" (AfD) Verdachtsfall des brandenburgischen Verfassungsschutzes, da hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. 3 Der Verein "Zukunft Heimat" wird vom Verfassungsschutz Brandenburg seit dem Frühjahr 2020 als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. 4 Die "COMPACT-Magazin GmbH" wird seit Dezember 2021 sowohl vom Bundesamt für Verfassungsschutz als auch vom Verfassungsschutz Brandenburg als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. 4 Rechtsextremismus Im Jahr 2022 erreichte das rechtsextremistische Personenpotenzial unter Berücksichtigung des Verdachtsfalls AfD5 mit 2.855 (2021: 2.830) den zweithöchsten Stand in der Geschichte des Landes Brandenburg. Auf die AfD6 (inklusive ihrer Jugendorganisation "Junge Alternative für Deutschland"7) entfallen hierbei 820 (2021: 790) Personen. Die AfD8 Brandenburg hat im Berichtsjahr weiterhin hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür geliefert, dass sie eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (Verdachtsfall) ist. 5 Siehe FN 2. 6 Bereits im Jahr 2019 waren die AfD-Teilstrukturen "Junge Alternative für Deutschland" (JA) und "Der Flügel" Verdachtsfälle des brandenburgischen Verfassungsschutzes. "Der Flügel" hat nach eigenen Angaben Ende April 2020 seine Aktivitäten bundesweit eingestellt. Seit Juni 2020 ist der brandenburgische Landesverband der "Alternative für Deutschland" (AfD) Verdachtsfall des brandenburgischen Verfassungsschutzes, da hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. Das diesem Verdachtsfall zugeordnete Personenpotenzial (AfD: 730; JA: 90) hat sich gegenüber dem Vorjahr im Bereich der JA um 30 erhöht. Durch die Nicht-Ausweisung aller Mitglieder des brandenburgischen Landesverbandes wird dem Sachverhalt Rechnung getragen, dass es sich bei der AfD Brandenburg um einen Verdachtsfall für extremistische Bestrebungen handelt. Eigenen Angaben zufolge hatte der Landesverband zum Jahresende 2021 insgesamt 1.404 Mitglieder. 7 Siehe Fußnote 6. 8 Siehe Fußnote 6. 5 AfD9-Mitglieder machen sich insbesondere bei dem Personenpotenzial rechtsextremistischer Parteien bemerkbar. Alle zusammen verfügten im Jahr 2022 über rund 1.080 Mitglieder (2021: 1.045). Die Mitgliederzahl der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) ist auf 200 gesunken (2021: 210). Sie ist praktisch handlungsunfähig. Erneute Versuche, sich an Protesten anderer zu beteiligen, konnten den seit 13 Jahren anhalten Abwärtstrend nicht stoppen. Die NPD wird offenbar zusehends zwischen der AfD10 und "DER DRITTE WEG" zerrieben. Ihre Jugendorganisation "Junge Nationalisten" schlägt bereits Brücken zu "DER DRITTE WEG" und bricht zusehends mit der Mutterpartei. Ob sich die NPD in absehbarer Zeit tatsächlich vollständig aus der Parteienlandschaft verabschiedet, wird sich zeigen. Im Laufe ihrer Geschichte wurde sie schon oft totgesagt. "DER DRITTE WEG" ist strikt neonationalsozialistisch ausgerichtet und nimmt bisher nur aus taktischen Gründen und daher unregelmäßig an Wahlen teil. So will die Kleinstpartei ihren Parteienstatus untermauern, um Exekutivmaßnahmen auf Basis des Vereinsrechts zu entgehen. Im Jahr 2022 verfügte "DER DRITTE WEG" über 60 Mitglieder (2021: 45). Er gibt sich elitär, ist innerhalb der Szene sehr gut vernetzt und strebt einen ideologisch-organisatorischen Führungsanspruch an. Die Parteistrukturen werden langsam aber stetig ausgebaut. Trotz der noch geringen Mitgliederzahl zeigte sich "DER DRITTE WEG" vergleichsweise aktiv und handlungsfähig. Möglicherweise wird er sich 2024 erstmalig an der brandenburgischen Landtagswahl beteiligen. Das "weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial" umfasste im Jahr 2022 insgesamt 1.620 Personen (2021: 1.600). Diese Personengruppe wächst seit dem Jahr 2016 kontinuierlich an.11 Damit ist ein erheblicher Teil der dem Verfassungsschutz Brandenburg bekannten Rechtsextremis- 9 Siehe Fußnote 6. 10 Siehe Fußnote 6. 11 Die Subkategorie "weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial" wurde im Verfassungsschutzverbund erstmalig für das Berichtsjahr 2016 ausgewiesen. 6 ten nicht in Parteien und ebenso nicht in parteiunabhängigen Strukturen eingebunden. Trotz allem bestehen Kontaktund Kennverhältnisse. Daher lassen sich aus dieser Gruppe jederzeit Personen mobilisieren. Im Jahr 2022 entfielen auf die Kategorie "Rechtsextremisten in parteiunabhängigen Strukturen" insgesamt 375 Personen (2021: 395). Sie waren in 14 (2021: 14) Personenzusammenschlüssen organisiert. Darunter fallen eine "Kameradschaft", einmal "Freie Kräfte", acht "Bruderschaften", der Verein "Zukunft Heimat", zwei "Kampfsportgruppen" und die "COMPACT-Magazin GmbH". So unterschiedlich die Organisationsformen auch sein mögen, letztendlich eint alle die rechtsextremistische Ideologie und die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hinzu kommen insbesondere bei "Kameradschaften", "Freien Kräften", "Bruderschaften" und "Kampfsportgruppen" die ideologische Ausrichtung am Neonationalsozialismus sowie eine starke Gewaltorientierung. Gleichzeitig markiert die Verstetigung der eher im Hintergrund wirkenden "Bruderschaften" einen tiefgreifenden Strukturwandel der Szene. Denn parallel dazu sind die früher häufig öffentlich aktiven Kameradschaften und Freien Kräfte als Organisationsform Auslaufmodelle. 1.260 und damit rund 44 Prozent aller dem Verfassungsschutz Brandenburg im Jahr 2022 bekannten Rechtsextremisten gelten als "gewaltorientiert" (2021: 1.245). Rückläufig sind dagegen Gewaltstraftaten im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts". Im Jahr 2022 wurden 90 entsprechende Delikte registriert (2021: 108). 7 Die rechtsextremistische Musikszene konnte trotz der Corona-Schutzmaßnahmen ihre Aktivitäten im Jahr 2022 aufrechterhalten. Die Zahl der Bands ist auf 25 (2021: 24) leicht gestiegen. Hinzu kommen zusätzlich 14 Liedermacher (2021: 19). Aufgrund des hohen und erfolgreichen Drucks der Sicherheitsbehörden, insbesondere der brandenburgischen Polizei, und der pandemiebedingten Einschränkungen konnten im Jahr 2022 nur zwei Konzerte (2021: 2) stattfinden. Zusätzlich gab es vier Liederabende (2021: 3). Die Szene ließ Bands und Liedermacher jedoch verstärkt im Rahmen privater Feierlichkeiten auftreten, um staatliche Exekutivmaßnahmen zu erschweren. Der Verfassungsschutz zählte neun entsprechende Ereignisse (2021: 8). Teilweise nahmen bis zu 150 Personen daran teil. 16 neue Tonträger konnten 2022 (2021: 16) festgestellt werden. Im Jahr 2023 ist mit einer deutlichen Belebung der Konzertaktivitäten zu rechnen. Diese werden jedoch weiterhin eher außerhalb Brandenburgs stattfinden. Gleichzeitig müssen sich die Sicherheitsbehörden auf den Trend einstellen, dass Rechtsextremisten ihre Konzerte ins Private verlagern. Insgesamt betrachtet, treten rechtsextremistische Bestrebungen im Süden des Landes weiterhin stärker als in anderen Landesteilen in Erscheinung. Diese Entwicklung beschreibt der Verfassungsschutz seit Jahren und setzt hier - gemeinsam mit Polizei und zivilgesellschaftlichen Akteuren - Schwerpunkte. Im Süden existiert eine über Jahrzehnte gewachsene, verdichtete und verzahnte Mischszene. Zu ihr zählen Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker, Parteimitglieder, Bekleidungssowie Musiklabels und Hooligans. Hinzu kommen weitere extremistische Aktivitäten, wie die vom Verein "Zukunft Heimat" und vom Verdachtsfall AfD12. Reichsbürger und Selbstverwalter Die Zahl der "Reichsbürger und Selbstverwalter" lag im Jahr 2022 erneut bei 650 (2021: 650). Gleichzeitig ist mit dem "Königreich Deutschland" ein neuer Akteur in Brandenburg tätig geworden. Bis dahin waren nur über das Land verstreute Einzelpersonen dieser Gruppierung zuzurechnen. In Lychen (UM) ist das "Königreich Deutschland" bestrebt, als Struktur Fuß zu fassen. 12 Siehe Fußnote 6. 8 Linksextremismus Sowohl im bundesweiten Vergleich als auch im Vergleich zum Rechtsextremismus ist der Linksextremismus in Brandenburg deutlich weniger relevant. Zudem fiel das Personenpotenzial im Jahr 2022 deutlich auf 530 (2021: 630). Die Zahl gewaltorientierter Autonomer lag bei 200 (2021: 240). Im Gegensatz dazu sind jedoch die Gewaltstraftaten im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" auf 29 (2021: 18) erneut angestiegen. In nur noch sieben (2021: 14) Kommunen beziehungsweise Regionen waren Strukturen gewaltorientierter Autonomer feststellbar. 9 Die "Rote Hilfe e. V." verfügte im Jahr 2022 über unverändert 360 Mitglieder. Das ist weiterhin ihr höchster jemals in Brandenburg festgestellter Wert. Innerhalb des Linksextremismus behauptet der Verein damit unangefochten seine Rolle als übergreifende, zwischen allen Strömungen vermittelnde Konsensorganisation. Die Rote Hilfe kümmert sich unter anderem um Rechtsbeistand für politisch motivierte Straftäter. Daher ist sie als gewaltrechtfertigend und -unterstützend zu bewerten, wenngleich sie selbst nicht gewalttätig agiert. Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) hat sich mit ihren nur noch 30 Mitgliedern (2021: 40) für die vollständige Bedeutungslosigkeit entschieden. Dort verharrt bereits seit Jahren die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) mit ihren letzten Einzelmitgliedern. Islamischer Extremismus Die Zahl islamischer Extremisten ist seit 2013 kontinuierlich angestiegen. Im Jahr 2022 wurden erneut 210 gezählt (2021: 210). Das salafistische Personenpotenzial beträgt ebenso unverändert 160. Salafismus bildet den geistigen Nährboden für den Jihadismus und sich schnell radikalisierende Einzeltäter. Darunter befinden sich weiterhin 80 Personen (2021: 80), welche Bezüge zur "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" aufweisen. Diese sind besonders relevant, da sich Gruppierungen im Kaukasus teilweise dem terroristischen "Islamischen Staat" (IS) unterstellt hatten. Eine erhöhte Gefährdung ergibt sich nach wie vor daraus, dass in den letzten Jahren unter Ausnutzung der Flüchtlingsmigration islamische Extremisten nach Deutschland gekommen sind. Darunter solche, die über Kampferfahrung als Jihadisten verfügen. Durch den militärischen Zusammenbruch des terroristischen "Islamischen Staats" versuchen zudem diejenigen nach Deutschland zurückzukehren, die zuvor aus Deutschland ausgereist waren, um sich dem IS oder anderen Terrororganisationen anzuschließen. Darunter sind auch Frauen, die in den Kampfzonen Kinder geboren haben. Gleichzeitig steht Brandenburg vor der Herausforderung, Einflussnahmeversuche von Islamisten auf die muslimische Infrastruktur im Land abzuwehren. Hierbei geht die Gefahr nicht nur von Salafisten sondern vor allem von Legalisten aus den Kreisen der Muslimbruderschaft und der extremistischen Missionierungsbewegung "Tablighi Jama'at" aus. 10 Auslandsbezogener Extremismus Das größte Personenpotenzial im Bereich auslandsbezogener Extremismus weist in Brandenburg die bundesweit mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) auf. Im Jahr 2022 wurden ihr jedoch nur noch 60 Personen zugerechnet (2021: 80). Die Gesamtzahl der auslandsbezogenen Extremisten sank im Jahr 2022 ebenfalls auf 80 (2021: 95). 11 Scientology-Organisation Die extremistische Sekte "Scientology-Organisation" (SO) wurde 1954 in den USA durch L. Ron Hubbard gegründet. Sie ist seit 1970 in Deutschland aktiv. In Brandenburg wird die SO seit 1997 aufgrund eines Beschlusses der Innenministerkonferenz durch den Verfassungsschutz beobachtet. Ausschlaggebend hierfür ist unter anderem, dass die SO eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen anstrebt und zudem das demokratische Rechtssystem ablehnt. Seit dem Jahr 2021 findet die SO wieder in Verfassungsschutzberichten des Landes Brandenburg Erwähnung, weil ein entsprechendes erhöhtes Erkenntnisaufkommen vorliegt. Das bezieht sich unter anderem auf Aktivitäten von SO-Tarnorganisationen wie "The Way To Happiness". Zuverlässigkeitsund Sicherheitsüberprüfungen Neben der Beobachtung extremistischer Bestrebungen wirkt der Verfassungsschutz an Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit. Für diese Aufgabe werden Daten von Extremisten und ihren Bestrebungen benötigt. Der Verfassungsschutz erhält sie von anderen Behörden und erhebt sie selbst. Bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen werden die entsprechenden Datenbanken abgefragt. So soll beispielsweise verhindert werden, dass dem Verfassungsschutz bekannte Extremisten beruflichen Zugang zum Sicherheitsbereich von Flughäfen erlangen oder Asylunterkünfte bewachen. Dieselbe Überprüfung ist für Personen möglich, die beispielsweise als Sicherheitspersonal bei Fußballspielen eingesetzt werden. Im Jahr 2022 gingen insgesamt 7.800 entsprechende Anfragen beim brandenburgischen Verfassungsschutz ein (2021: 6.384). Als Sicherheitsdienstleister wirkt der Verfassungsschutz ebenfalls an den personalintensiven Sicherheitsüberprüfungen mit. Betroffen sind davon Mitarbeiter von etwa 20 Behörden (unter anderem: Polizei, Staatskanzlei und Ministerien, Landtag, Gerichte sowie Staatsanwaltschaften). 293 Sicherheitsüberprüfungen waren es im Jahr 2022 (2021: 367). 12 Verfassungsschutz durch Aufklärung Informationsangebote des Verfassungsschutzes waren im Jahr 2022 wieder deutlich stärker gefragt als in den zwei pandemiebelasteten Vorjahren. In 80 teilweise online angebotenen Veranstaltungen wurden Vorträge gehalten (2021: 37). 13 Ebenso stieg die Zahl der Bürger, die daran teilgenommen haben auf 2.400 (2021: 1.670). Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit dem Jahr 2008 auf 1.357. Gut 49.900 Zuhörer wurden in diesem Zeitraum gezählt. 14 15 Im Fokus: Ausstiegsund Distanzierungsprogramm "wageMUT" 16 Mit der Einführung des Ausstiegsund Distanzierungsprogramms "wageMUT" zum 1. Januar 2023 kommt der brandenburgische Verfassungsschutz seinem gesetzlichen Auftrag nach, verfassungsfeindlichen Bestrebungen durch Angebote zum Ausstieg aus dem Extremismus entgegenzuwirken.13 Das Programm bietet Szeneangehörigen, die den Willen haben, sich aus ihrem extremistischen Umfeld zu lösen, professionelle Unterstützung bei der Eingliederung beziehungsweise Wiedereingliederung in die demokratische Gesellschaft an. Zunächst richten sich die Angebote an Angehörige der Bereiche Rechtsextremismus, Reichsbürger und Selbstverwalter, Delegitimierung des Staates und Linksextremismus. In der nächsten Ausbaustufe soll der islamistische Extremismus eingebunden werden. Grundsätzlich können alle ausstiegswilligen Personen unverbindlich und bei Bedarf auch anonym Kontakt mit "wageMUT" aufnehmen. Möglich ist dies über eine Telefonhotline, die E-Mail-Adresse des Programmes, ein Kontaktformular auf der Homepage des Aussteigerprogrammes14 oder über die allgemeine Erreichbarkeit des Verfassungsschutzes. Darüber hinaus bietet "wageMUT" ein Beratungsangebot für besorgte Angehörige, Freunde und Kollegen. Die Ausstiegsbegleiterinnen und -begleiter von "wageMUT" warten jedoch nicht nur, bis Betroffene auf sie zukommen. Denn ein wichtiger Teil der Arbeit ist ebenso die proaktive Fallakquise, also das aktive Zugehen auf Extremistinnen und Extremisten. Auch hier erweist sich die Anbindung des Aussteigerprogrammes an den Verfassungsschutz als vorteilhaft. Schließlich ist er stets über aktuelle Entwicklungen in den extremistischen Szenen informiert und kann somit bei Hinweisen auf erste Distanzierungen entsprechend handeln. Sowohl im konkreten Ausstiegsprozess als auch in der Fallakquise greift das Aussteigerprogramm auf ein weitreichendes Netzwerk aus Sicherheitsbehörden sowie auf relevante Präventionsakteure der Zivilgesellschaft zurück. Die Kontakte reichen von der kommunalen über die Landesbis hin zur Bundesebene. Sie bilden eine Brücke zum Programm, wenn Personen eine eigenständige Kontaktaufnahme selbst nicht wagen oder dies, zum Beispiel aufgrund einer Haftsituation, nur erschwert können. Grundsätzlich sind Freiwilligkeit und Gesprächsbereitschaft maßgeblich und Voraussetzung für die Aufnahme in das Aussteigerprogramm. 13 Vgl. Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz, SS 5 Abs. 2. 14 www.mik.brandenburg.de/wagemut. 17 Ablauf der Ausstiegsbegleitung Zunächst sollen persönliche Einstiegsmotive in die Szene und extremistische Einstellungsmuster besprochen, analysiert und aufgelöst werden. Dies beinhaltet zum Beispiel historische, politische oder kulturelle Themen, aber auch die Aufarbeitung des eigenen Radikalisierungsprozesses. Die kritische Auseinandersetzung mit der extremistischen Vergangenheit zielt darauf ab, Impulse für eigene Reflexionsund Bewusstwerdungsprozesse zu setzen. Den Kern der Ausstiegsbegleitung bilden daher regelmäßige persönliche Gespräche. Daneben ist die Stabilisierung der persönlichen Lebensverhältnisse ein weiteres wesentliches Element. Das Programm leistet nach dem Motto "Hilfe zur Selbsthilfe" Hilfestellung im Alltag wie zum Beispiel durch die Unterstützung bei der Wohnungsund Arbeitsplatzsuche sowie durch eine Suchtoder Schuldnerberatung. Personen, die sich aus einer extremistischen Szene lösen möchten, sehen sich in der Regel mit vielfältigen Problemlagen konfrontiert. Arbeitslosigkeit, Suchterkrankungen, psychische Probleme durch traumatisierende Erfahrungen oder die Herausforderung, den Alltag plötzlich allein bewältigen zu müssen, können Stolpersteine beim Aufbau eines Lebens außerhalb der gewohnten Struktur sein. Die "wageMUT"Ausstiegsbegleiter nehmen solche Herausforderungen gemeinsam mit dem Aussteiger in den Blick. Langfristig sollen die Programmteilnehmer befähigt werden, eigene Zukunftsperspektiven zu entwickeln, neue Lösungsideen mit der nötigen Unterstützung zu erarbeiten und diese schrittweise umzusetzen. Dabei gilt, dass die Ausstiegsbegleiter lediglich zu einer Veränderung ermutigen oder andere Wege aufzeigen können. Die Veränderung des Verhaltens und der Einstellung jedoch liegt in der Verantwortung des ausstiegswilligen Betroffenen selbst. Grundsätzlich endet die Ausstiegsbegleitung, wenn eine erfolgreiche Abwendung von der extremistischen Szene erfolgt ist, extremistische Handlungsmuster abgelegt wurden, eine Abkehr von der Gewalt eingetreten ist sowie im Idealfall ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Gesellschaft entstanden ist. Dieser Prozess verläuft in der Regel über mehrere Jahre. Kontakt zu "wageMUT": Homepage: www.mik.brandenburg.de/wagemut Telefon (Montag - Freitag | 9-17 Uhr): 0151 / 159 357 36 E-Mail: wagemut@mik.brandenburg.de 18 1. Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes 19 Das Grundgesetz und die Verfassung des Landes Brandenburg garantieren den Bürgern ein sicheres Leben in Freiheit. In unserer freiheitlichen Gesellschaft sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenwürde das Fundament des Gemeinwesens und allen staatlichen Handelns. Sie sind daher sowohl in unserer Landesverfassung (Artikel 2 und 7) als auch im Grundgesetz (Artikel 1 und 20) als tragende Strukturprinzipien festgeschrieben. Zusätzlich verbietet das Grundgesetz in Artikel 79, diese Prinzipien anzutasten. In der Gesamtschau ergibt sich daraus die "freiheitliche demokratische Grundordnung". Unser Staat ist somit "das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt" (BVerfG 2, 1, 12). Um die freiheitliche demokratische Grundordnung als Grundlage unseres Zusammenlebens zu schützen, muss eine Demokratie bereit und in der Lage sein, diese Werte zu verteidigen. Bedrohungen kommen jedoch nicht nur von außen, sondern auch von innen. Das Grundgesetz hat daher verschiedene Schutzmaßnahmen vorgesehen, die als "wehrhafte Demokratie" bezeichnet werden. Vereinigungen, deren Zweck oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind gemäß Artikel 9 Grundgesetz verboten. Gehen solche Aktivitäten von Parteien aus, können sie gemäß Grundgesetz Artikel 21 vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Artikel 73 sieht zudem den Verfassungsschutz als Bestandteil der wehrhaften Demokratie vor. Denn Vereinigungssowie Parteiverbote und andere Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung können nur wirksam eingesetzt werden, wenn Öffentlichkeit, Regierung und zuständige staatliche Stellen umfassend über verfassungsfeindliche Bestrebungen unterrichtet sind. Diese Informationen bekommen sie vom Verfassungsschutz. Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Es ist Aufgabe des Verfassungsschutzes, Bedrohungen durch politischen Extremismus, Terrorismus oder Spionagetätigkeiten zu erkennen und einzuschätzen, bevor solche Bedrohungen zu einer konkreten Gefahr werden. Entsprechend nimmt der Verfassungsschutz in Deutschlands Sicherheitsarchitektur15 die Rolle eines "Frühwarnsystems" wahr. Dazu sammelt der Verfassungsschutz gemäß SS 3 Absatz 1 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz (BbgVerfSchG) Informationen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind, wertet sie aus und unterrichtet die Landesregierung sowie andere zuständige Stellen. 15 Zur Sicherheitsarchitektur gehören die drei Säulen der Inneren Sicherheit: Polizei, Verfassungsschutz und Katastrophenschutz. Diese gliedern sich jeweils auf den Ebenen der Bundesländer, des Bundes und der Europäischen Union. Ergänzend werden oft die Staatsanwaltschaften miteinbezogen. 20 Anders als die Polizei hat der Verfassungsschutz keine exekutiven Befugnisse: Seine nicht uniformierten und unbewaffneten Mitarbeiter dürfen weder Wohnungen durchsuchen noch Personen festnehmen oder diese verhören. Sie erstellen vielmehr Lagebilder und Analysen. Diese sind kein Selbstzweck, sondern dienen der frühzeitigen Warnung sowie Information der zuständigen Stellen und ermöglichen damit den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unter engen gesetzlichen Voraussetzungen sowie unter Achtung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Nachrichtendiensten werden ebenso an Staatsanwaltschaften und Polizei Erkenntnisse übermittelt und so exekutive Maßnahmen unterstützt. Daneben wirkt der Verfassungsschutz beim Sabotageund Geheimschutz mit, beispielsweise durch technische Sicherung von Verschlusssachen oder mittels Sicherheitsüberprüfungen für Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen eingesetzt sind. Den Großteil seiner Informationen gewinnt der Verfassungsschutz aus öffentlich zugänglichen Quellen. Daneben ist allerdings auch der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erforderlich, um die konspirativen Vorgehensweisen sowie geheimen Ziele von Extremisten, Terroristen und fremden Nachrichtendiensten aufzuklären. Diese Mittel, wie "Observation", "Telekommunikationsüberwachung" und "Verdeckt Informationsgebende"16, unterliegen engen gesetzlichen Grenzen und dem strengen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Hierzu gehören ebenso neue den erhöhten Sicherheitsgefährdungen und modernen Technologien angepasste Befugnisse. Daher können nun "IMSI17-Catcher" eingesetzt werden, um Standorte, Geräteoder Kartennummern von Mobiltelefonen zu ermitteln (SS 6 Absatz 3 Nummer 11 BbgVerfSchG). Daneben darf der Verfassungsschutz online Informationen erheben, ohne die eigene Identität offen legen zu müssen (SS 6 Absatz 3 Nummer 12 BbgVerfSchG). Der Einsatz dieser nachrichtendienstlichen Mittel ist zur Erfüllung des gesetzlichen Verfassungsschutzauftrages unabdingbar. Insbesondere "Verdeckt Informationsgebende" haben im Bereich des Rechtsextremismus maßgeblich dazu beigetragen, dass brandenburgische Innenminister bislang acht Vereinsverbote erlassen konnten. Mit solchen Verboten wird die Ausbreitung extremistischer Ideologien unterbunden. Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist eine übergreifende Aufgabe aller Bundesländer und des Bundes. Daher arbeiten alle Verfassungsschutzbehörden eng zusammen, bündeln ihr Fachwissen und tauschen Informationen aus. Dies erfolgt auf allen Organisationsebenen. Zusätzlich wurde der Austausch in den Informationsund Kommunikationsplattformen "Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) und "Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) institutionalisiert. Der Verfassungsschutz Brandenburg arbeitet nicht losgelöst von rechtsstaatlichen und demokratischen Anforderungen, sondern ist streng an diese gebunden. Als Abteilung des Ministeriums des Innern und für Kommunales unterliegt der Verfassungsschutz der Fachaufsicht durch den Minister und die Staatssekretäre. Die Landesbeauftragte für den Datenschutz hat das Recht auf Akteneinsicht. Sie kontrolliert unabhängig und kontinuierlich, ob die datenschutzrechtlichen Bestimmungen des BbgVerfSchG und des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes eingehalten werden. Über die Achtung haushaltsrechtlicher Vorschriften wacht der Landesrechnungshof. Daneben existiert beim Verfassungsschutz eine "Stabsstelle Innenrevision", die nach anerkannten fachlichen Standards die Arbeit auditiert und der Leitung der Abteilung berichtet (SS 2 Absatz 2 BbgVerfSchG). Wie jeder Teil der Exekutive wird auch der Verfassungsschutz durch das Parlament kontrolliert. Neben dem Ausschuss für Inneres und Kommunales übernimmt vor allem die Parlamentarische Kontrollkom16 "Verdeckt Informationsgebende" wurden früher einfach nur "V-Mann" oder "Menschliche Quellen" genannt. 17 IMSI = "International Mobile Subscriber Identity". 21 mission (PKK) diese Funktion: Sie besteht aus höchstens neun Mitgliedern des Landtags. Sowohl Abgeordnete der Regierungsals auch der Oppositionsparteien sind vertreten (SS 24 BbgVerfSchG). Sie wird durch den "Ständigen Bevollmächtigten" (SS 25a BbgVerfSchG) unterstützt, der einzelfallbezogene Untersuchungen durchführen kann. Die Landesregierung unterrichtet die PKK umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, die Lage und besonders bedeutsame Vorgänge sowie über die Ergebnisse der Prüfungen der Stabsstelle Innenrevision. Die PKK kann verlangen, über Einzelfälle oder sonstige Vorgänge unterrichtet zu werden. Über bestimmte einzelne Maßnahmen, wie beispielsweise den Einsatz von "Verdeckt Informationsgebenden", Observationen oder Telekommunikationsüberwachungen, muss die PKK ebenfalls unterrichtet werden (SS 25 BbgVerfSchG). Die PKK tagt mindestens vierteljährlich (SS 26 Absatz 2 BbgVerfSchG). Neben der PKK gibt es die G10-Kommission, die ebenfalls vom Landtag gewählt wird und Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses aus Artikel 10 GG vor ihrer Durchführung auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Sie besteht aus drei weisungsfreien Mitgliedern, wobei die/der Vorsitzende die Befähigung zum Richteramt haben muss. Sämtliche Handlungen des Verfassungsschutzes, die nach Darstellung der Betroffenen in ihre Rechte eingreifen, unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Zudem kontrollieren Medien und Öffentlichkeit den Verfassungsschutz. Alle Bürgerinnen und Bürger können den Verfassungsschutz kontrollieren, indem sie gemäß SS 12 BbgVerfSchG unentgeltlich Auskunft über die zu ihnen beim Verfassungsschutz gespeicherten Daten sowie den Zweck und die Rechtsgrundlage der Speicherung verlangen. Die Auskunft muss erteilt werden, wenn nicht im Ausnahmefall Verweigerungsgründe nach SS 12 Absatz 2 BbgVerfSchG vorliegen. Über Auskünfte, Teilauskünfte und verweigerte Auskünfte wird der PKK regelmäßig Bericht erstattet. Der Verfassungsschutz Brandenburg in Zahlen Am 31. Dezember 2022 hatte der brandenburgische Verfassungsschutz im Ministerium des Innern und für Kommunales 128 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (2021: 129). Diese Zahl erfasst auch Teilzeitbeschäftigte. Der Verfassungsschutz als eine von sechs Abteilungen im Ministerium des Innern und für Kommunales umfasst sieben Referate: 22 Wie in den vorangegangenen Berichten werden abgeordnete Bedienstete nicht ausgewiesen. An Sachmitteln standen der Verfassungsschutzbehörde im Haushaltsjahr 2022 insgesamt 2 Millionen Euro zur Verfügung. Davon wurden 1.849.050,46 Euro verausgabt. 23 2. Aktuelle Entwicklungen: Separatistische Ansätze im Extremismus 24 Alle Extremisten eint die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. An deren Stelle wollen sie totalitäre Regime nach ihren Vorstellungen installieren. Sei es der autoritäre Führerstaat im Rechtsextremismus, die Diktatur des Proletariats im Linksextremismus oder der Gottesstaat im Islamischen Extremismus. Grundsätzlich wollen sie alle nur das System überwinden. Am deutschen Staat selbst halten sie mehrheitlich fest. Denn sie brauchen seine exekutiven Instrumente, das Staatsgebiet und das Staatsvolk für ihre jeweiligen Diktaturen. Einige extremistische Vorstellungen und Strömungen weichen jedoch davon ab, das gilt insbesondere für "Reichsbürger und Selbstverwalter". Sie glauben, es gebe keine Bundesrepublik Deutschland oder man könne aus ihr einfach austreten und Fantasiestaaten gründen. So streben Reichsbürger nach einem wie auch immer gearteten Reich. Teilweise sollen hierbei sogar Gebiete Polens und anderer Staaten angeschlossen werden. Andere Reichsbürger favorisieren dagegen die Sezession beziehungsweise Separation, indem sie nur Teile wie beispielsweise "Preußen" aus dem deutschen Staatsgebiet herausbrechen wollen. Die selbe Strategie - wenn auch ein paar Nummern kleiner - verfolgen Selbstverwalter. Die glauben, mit Haus und Garten oder manchmal nur mit der Mietwohnung den deutschen Staat verlassen zu können, um sich unter eine eigene Selbstverwaltung zu stellen. Reichsbürger und Selbstverwalter sind seit langem bekannt. Neuerdings schwelt jedoch zusehends in klassischen Teilen des deutschen Rechtsextremismus eine Debatte über sezessionistische Visionen und Ideen, die tatsächlich darauf hinauslaufen würden, bestimmte Territorien zu besetzen oder abzuspalten oder Deutschland sogar ganz aufzugeben. Das ist umso bemerkenswerter, als Rechtsextremisten über Jahrzehnte genau andersherum funktionierten. Sie nahmen jede Gelegenheit wahr, die Bundesrepublik Deutschland zu diffamieren und zu delegitimieren. Sie galt als "Staat der anderen"18, Spielball fremder Mächte, Befehlsempfänger sowie als Gebilde ohne innere Souveränität. Rechtsextremisten hielten aber alle einhellig an einem deutschen Staat fest. Dieser sollte autoritär, ohne freiheitliche demokratische Grundordnung und ohne Ausländer sein. Sie hofften auf den Systemzusammenbruch, gingen "aktionsorientiert" auf die Straße und versuchten durch Parlamentsarbeit das "System" von innen auszuhöhlen. Und natürlich sollte das Territorium vergrößert werden. Dieser rechtsextremistische Grundkonsens könnte zukünftig wanken. Die Separatismus-Fantasien sind in unterschiedlichen Ausprägungen präsent. Sie reichen vom Aufruf, in bestimmten Regionen Deutschlands bevorzugt zu siedeln. Diese gelte es weltanschaulich sowie politischkulturell zu prägen. Schließlich könne man solche Regionen dann übernehmen und ethnisch reinhalten. Andere setzen sich für den Aufbau eines ethnisch reinen Staates jenseits der Grenzen Deutschlands ein. Oft wird hierbei Neuseeland genannt. Und noch mal andere wollen Ostdeutschland vom Westen abspalten, weil sie den Westen im Sinne einer angestrebten homogenen ethnisch-weißen Bevölkerung für unrettbar verloren halten. Diese Entwicklungen sind aus Sicht des brandenburgischen Verfassungsschutzes Sprengstoff für unsere Demokratie. Denn das Streben nach Sezession ist ein Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung und auf den Bestand des deutschen Staates. Diese Strategie dient der weiteren Mobilisierung der rechtsextremistischen Szene und birgt ebenso Mobilisierungspotenzial für neue, daraus entstehende rechtsextremistische Strömungen. Zudem hat das Agitationsund Handlungsfeld der Separatismus-Überlegungen das Potenzial, die globale Vernetzung von Rechtsextremisten zu forcieren. Daher widmet sich der brandenburgische Verfassungsschutz im vorliegenden Bericht aufgrund seiner Funktion als Frühwarnsystem diesem neuen Agitationsund Handlungsfeld, den historischen und ideologischen Hintergründen sowie den aktuellen Entwicklungen in Brandenburg. 18 Vgl. Jenke, Manfred: "Die nationale Rechte", S.145. 25 Separatistische Ansätze im Rechtsextremismus Ende der 1960er-Jahre formierte sich im Rechtsextremismus ein radikal-aktionistischer Flügel, aus dem wenig später die Neue Rechte hervorgegangen ist. Wichtiger Bestandteil der Ideologie war neben dem Ethnopluralismus der "Befreiungsnationalismus". Darunter wurde in erster Linie verstanden, die nationalen Volkskulturen von den damaligen Supermächten USA und UdSSR zu befreien. Damit sollte eine innenpolitische Umwälzung zugunsten einer völkisch-organischen Gesellschaft einhergehen. Autonomiebewegungen waren generell für die "Neue Rechte" gewaltige Kräfte. Sie versuchte deshalb, Anschluss an europäische separatistische Bewegungen zu bekommen. Auch für Deutschland wurden Vorstellungen entwickelt. Ziel war der weltweite Sieg des "Befreiungsnationalismus" und eine unabhängige, an der Selbstverwirklichung orientierte Völkerordnung, deren Ordnungsgrundlage das nationalrevolutionäre Prinzip des Ethnopluralismus sein sollte. Bezüge zum klassischen "Befreiungsnationalismus" der Nationalrevolutionäre lassen sich heute nur noch bei der rechtsextremistischen Partei "DER DRITTE WEG" finden. Das erklärt, warum sie im Gegensatz zu den meisten anderen rechtsextremistischen Akteuren die Ukraine im Krieg gegen den Aggressor Russland geschlossen unterstützt. Auch die NPD hatte sich ab der Jahrtausendwende unter ihrem damaligen Vorsitzenden, Udo Voigt, als "nationalrevolutionäre" Kraft bezeichnet. So heißt es in einem Schulungsheft der NPD: "Nur ethnisch-geschlossene Gesellschaftskörper mit geringem Ausländeranteil sind solidarund belastungsfähig. Nur sie können positive Gemeinschaftskräfte zur Krisenbewältigung entwickeln."19 An anderer Stelle führt die NPD aus: "Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, gleich, wie lange sie in Deutschland leben, und mutieren durch die Verleihung bedruckten Papiers nicht zu Germanisch stämmigen Deutschen."20 Zusätzlich erwogen führende Neonationalsozialisten und NPD-Aktivisten die Gründung und Besiedlung von "Wehrdörfern" zum Schutz der "Volksgemeinschaft". In ihnen sollten sich Gleichgesinnte ansiedeln, sich vom Kampf erholen und sich bewaffnet gegen Feinde verteidigen. Hinter dem dominanten "aktionsorientierten Widerstand" war für die Parteiaktivisten aber genügend Spielraum für andere Handlungsstrategien vorhanden. Auf der Basis der skizzierten Vorstellungen von einer Volksgemeinschaft war die NPD und ihr damaliger Jugendverband "Junge Nationaldemokraten" (JN) über Jahre Heimat für Neonationalsozialisten. Viele haben sich gezielt in ländlichen, eher infrastrukturschwachen Regionen und Orten wie Jamel, Krakow oder Koppelow (alle Mecklenburg-Vorpommern) mit Gleichgesinnten angesiedelt. Sie folgten damit ihrem völkischen Weltbild und Rassendogma; sie wollen parallelgesellschaftlich autark mit Menschen "gleicher Art" zusammenleben. Einige dieser "völkischen Siedler" stammen ursprünglich aus Brandenburg und waren viele Jahre lang führende JN-Aktivisten und damit Kern der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg. Für sie war damals das Leben auf dem Land eine Frage nationaler Vorfeldpolitik. Teilweise knüpften sie wie in Koppelow direkt an völkische Siedlungsprojekte an, welche bereits in der Übergangszeit zum Nationalsozialismus entstanden. Völkische Siedler Bei völkischen Siedlern handelt es sich noch nicht um eine regionalistische Autonomiebewegung. Jedoch gehen von diesem Konzept entsprechende Impulse aus. Völkische Siedler streben nach wirtschaftlicher Autarkie, Unabhängigkeit von staatlichen Institutionen, Sozialisation der Kinder und Jugendlichen in bündischen Organisationen und anti-urbaner und anti-moderner Lebensführung. Sie suchen Kontakt zu anderen lokalen rechtsextremistischen Gruppierungen, bilden Netzwerke und legen so eine Grundlage für die langfristige Beeinflussung regionaler und lokaler Alltagskulturen. Ziel der völkischen Siedler ist, ein 19 NPD-Parteivorstand (2006), Argumente für Kandidaten und Funktionsträger, Berlin, S. 7 20 NPD-Parteivorstand (2006): Argumente für Kandidaten und Funktionsträger, Berlin S. 12 26 Bewusstsein der Rassenzugehörigkeit zu schaffen und diese "besondere" Identität gegen fremde Einflüsse zu verteidigen. So wollte man "für die Rückgewinnung unseres Vaterlandes (...) eine sichere Basis"21 aufbauen. Konzept des weißen Ethnostaats Im Jahr 2017 entstand in neonationalsozialistischen Kreisen das Konzept des "Ethnostaats"22 außerhalb von Mitteleuropa. Das Konzept ist auf mehreren Kongressen und Vortragsveranstaltungen der Nova Europa Society e. V. (NES) beworben worden. Auch die Partei "DER DRITTE WEG" und die Plattform "Gegenstrom", betrieben vom rechtsextremistischen Verlag "MetaPol Verlag & Medien" aus Luckenwalde (TF), vermittelten das Konzept. Der Verein schlägt einen Ethnostaat außerhalb von Mitteleuropa vor, wobei der unter dem Pseudonym Johannes Scharf auftretende Ideengeber ebenso darüber sinnierte, dass sich Ostdeutschland in diesem Sinne vom Bundesgebiet abspalten könnte.23 In diesem Ethnostaat sollen sich die durch Migration verdrängten weißen Europäer neu organisieren und so ihre vermeintlich bedrohte ethnische und kulturelle Identität in die Zukunft retten: "Ultimatives Ziel (...) ist die Errichtung einer Heimstätte für Weiße auf dem Planeten, in der das langfristige Überleben unserer Rasse dadurch sichergestellt ist, dass die Verfassung dieses künftigen Ethnostaates den Schutz derselben als Entität festschreibt und gleichsam zur obersten Staatsräson erhebt." Der Begründer des Vereins, "Johannes Scharf", ist überwiegend als Publizist aktiv. In seinen Büchern thematisiert er hauptsächlich die Notwendigkeit ethnisch homogener Siedlungsprojekte für Weiße sowohl im östlichen Teil Europas als auch außerhalb des europäischen Kontinents. Scharf fordert eine Abkehr vom "Ethnomasochismus" und fordert: "Die Rasse zuerst! Diese drei Worte fassen meine Überzeugungen am prägnantesten zusammen und wären dem Wesen eines echten weißen Ethnostaats quasi per definitionem immanent." An anderer Stelle äußerte Scharf, sein Traum sei "eine Allianz aller weißen Staaten inklusive der Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation, deren Bevölkerungen sich der Wichtigkeit des Rassegedankens bewusstgeworden sind." Sein Projekt umschreibt er mit "Arche Noah der weißen Völker". Initiative Zusammenrücken Die "Initiative Zusammenrücken"24 ist ein weiteres Projekt von Rechtsextremisten, das versucht, ethnokulturell geprägte Siedlungsbestrebungen zu forcieren. Im Unterschied zum theoretischen Konzept des "Ethnostaats" bietet die Initiative praktische Hilfe bei der "Umsiedlung" an. In der neonationalsozialistischen Publikation "N.S. heute" wurde 2020 von einer "Initiative Zusammenrücken" für "nationale Siedlungsprojekte" in den ostdeutschen Bundesländern geworben.25 Ziel der Initiative ist die Ansiedlung autochthoner Deutscher in "Mitteldeutschland". Die Verantwortlichen zeichneten ein düsteres Bild von der demografischen Entwicklung und dem Wandel der Bevölkerungsstruktur in Deutschland. Im Gegensatz zur Situation in Westdeutschland stelle sich jedoch die Situation in "Mitteldeutschland" bei einem Migrationsanteil von sechs Prozent ganz anders dar. Außerdem herrschten in den ostdeutschen Ländern andere Vorstellungen über die gesellschaftliche Zukunft als in Westdeutschland. Die "systematische Ansiedlung in Mitteldeutschland" sei eine Möglichkeit, "dem stetig anwachsenden ethnisch-kulturellen und religiösen Konfliktpotenzial" zu begegnen. Wohnungen, Arbeitsplätze, Entfaltungsraum für Kinder seien vorhanden, die deutsche Sprache würde flächendeckend gesprochen und "hiesige Sitten und kulturelle Gebräuche" hätten noch Bestand. Die Initiative bot Unterstützung für eine mögliche Umsiedlung an, um dem "biokulturellen Abgrund in Westdeutschland", in dem die "Restdeutschen an die Wand" gedrückt würden, zu entkommen. Die Initiative nutzte einen Kanal im Messenger-Dienst Telegram und wurde neben "N.S. 21 Der Aktivist: "Neue Siedler? Wenn der 'Nazi' mit dem Trecker kommt", Ausgabe 25 (2016). 22 Vgl. Scharf, Johannes (2017): "Der weiße Ethnistaat". 23 Vgl. Homepage von DER DRITTE WEG: Fraktur gesprochen Nr. 79 - Johannes Scharf: "Ein weißer Ethnostaat als letzte Rettung", 21.07.2019 (der Audiofile der Rede ist nicht mehr abrufbar). 24 Vgl. Homepage "zusammenruecken in Mitteldeutschland (letzter Zugriff 10.03.2023). 25 Vgl. Homepage "zusammenruecken in Mitteldeutschland (letzter Zugriff 10.03.2023). 27 Heute" auf rechtsextremen Podcasts, dem rechtsextremen Internetradio "FSN TV" (mit anschließender Veröffentlichung auf der Plattform "BitChute") und dem Podcast "Revolution auf Sendung" von der Partei "DER DRITTE WEG" beworben. Konzept der temporären Sezession Das Konzept der "temporären Sezession"26 stammt vom Österreicher Martin Sellner, dem führenden Gesicht der "Identitären Bewegung" (IB). Sellner hat in den letzten Jahren die Aktionen der IB geplant und koordiniert. Im Jahr 2021 schreibt Sellner in dem Text "Sezession oder Reconquista - nach der 'Stunde Null'", man müsse erkennen, dass die "Katastrophe des Bevölkerungsaustauschs" in Deutschland (und Österreich) unumkehrbar sei. Ursprünglich wollten die "Identitären" die aus ihrer Sicht bestehenden Gefahr einer Überfremdung in Europa bislang durch eine geistig-metapolitische Strategie der Reconquista bekämpfen. Nun stelle sich angesichts der Migrationsentwicklung jedoch die Frage, ob ein Strategiewechsel sinnvoll wäre: "Die einzige Wahl, die sich meiner Meinung nach stellt, besteht zwischen den Leitstrategien der 'Reconquista' und der 'Sezession'. Letztere können wir wie folgt definieren: Die Sezession koppelt das Ziel 'Erhalt der ethnokulturellen Identität' von dem Zwischenziel der 'Reconquista' (Eroberung metapolitischer Macht zur Erlangung politischer Macht) ab. Die Bewahrung des Eigenen soll von der Erlangung staatspolitischer Macht weitgehend unabhängig gemacht werden." Die "temporäre Sezession" stellt laut Sellner keine eigene Staatsgründung, sondern eine Sammlung und Konzentration aller verbliebenen Ressourcen in einer bestimmten Region dar, um dort die entsprechenden Mehrheitsund Synergieeffekte über eine Sammlungsstrategie zu erzielen. "Siedlungskreise" und der Versuch autonomer Staatsgründungen werden von Sellner als "Arche-Noah-Strategie" kritisiert. Ihm geht es "nicht um die Rettung der eigenen Felle ins Trockene und die Flucht an einen (noch) lebenswerten Ort, sondern um die Bewahrung der ethnokulturellen Identität durch Schaffung und Erhaltung eines eben solchen Bereichs. Die Strategie bestünde also auch in einer Bewusstmachung, Politisierung und Professionalisierung der stattfindenden Enklavenbildung in jenen Räumen des Staatsgebiets, in die sie sich instinktiv verlagert hat." In diesen Gebieten müsste die absolute Mehrheit in Landesparlamenten und Stadträten ebenso angestrebt werden wie die metapolitische Dominanz über die lokale Zivilgesellschaft. Über ein umfassendes Netz an Parallelstrukturen müssten, soweit das rechtlich möglich sei, Bedingungen geschaffen werden, die deutschen Familien eine Lebensperspektive böten. Während die Reconquista die legitime Hoheit der einheimischen Bevölkerung über ihr Staatsgebiet, ihre Leitkultur und Bevölkerungspolitik zurückerobern wollte, liefe die Forderung der Sezession notwendig auf Volksgruppenrechte in einer Region hinaus. Keinesfalls aber dürfe eine Sammlungsstrategie das staatliche Gewaltmonopol herausfordern und in die Militanz kippen, weil das ihr Ende wäre. Separatismus bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern Die Vorstellungen von "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" sind geprägt von gewohnheitsund naturrechtlichen Vorstellungen, die mit einem modernen Rechtsstaat nicht kompatibel sind. Für sie ist es eine unerlässliche Voraussetzung und Rechtfertigung für ihre Handlungen, jedwede staatliche Autorität und Souveränität der Bundesrepublik zu leugnen, auf dem Fortbestand des "Deutschen Reiches" zu beharren oder ein eigenes Staatsgebiet zu proklamieren. Dabei gibt es im Bereich der Selbstverwalter Entwicklungen, die weit über die im Rechtsextremismus kursierenden Vorstellungen hinausgehen. Die Loslösung vom demokratischen Rechtsstaat über den Erwerb von Grundstücken und Immobilien wird symbolisch in aller Öffentlichkeit bereits gezielt umgesetzt. So auch in Brandenburg. "Reichsbürger" sind der Auffas26 Vgl. Homepage Sezession: "Sezession oder Reconquista nach der Stunde Null" (letzter Zugriff 10.3.2023). 28 sung, eine über die Abstammung ererbte, "latente, verborgene Staatsangehörigkeit" mache sie zu Angehörigen dieses Deutschen Reiches.27 Bundesweit sind der Szene mit Stand Dezember 2022 rund 23.000 Personen zuzurechnen.28 In Brandenburg liegt das Personenpotential bei 650. Separatismus am Beispiel des Fantasiestaates "Königreich Deutschland" (KRD) Der Fantasiestaat "Königreich Deutschland" wurde im September 2012 in Lutherstadt Wittenberg (Sachsen-Anhalt) gegründet. Seither versucht das KRD in verschiedenen Regionen Deutschlands Fuß zu fassen. Der Koch Peter Fitzek ist als selbsternannter König die herausragende Figur der Bewegung. Mit dem KRD versucht er Parallelstrukturen zur Bundesrepublik Deutschland aufzubauen.29 Das Ideenkonstrukt basiert auf einem religiösen und esoterischen Fundament, das der selbsternannte Monarch Peter Fitzek in teilweise fanatischen Reden im Internet verbreitet. Das KRD weist Eigenschaften einer Sekte, eines Unternehmens aber auch einer extrem rechten Gruppe auf.30 Verfassungsschutzbehörden stufen den Fantasiestaat "Königreich Deutschland" (KRD) als extremistische Bestrebung ein. Sie zählt zu den "Reichsbürgern und Selbstverwaltern". Das KRD versteht sich als "völkerrechtskonformer neuer deutscher Staat", dessen Akteure die Bundesrepublik Deutschland ablehnen. Einige glauben, die Bundesrepublik Deutschland sei kein legaler Staat. Andere vermuten, ihre Regierung und alle staatlichen Institutionen dienten den Interessen klandestiner Mächte. Für Anhänger des "Königreich Deutschlands" ist die Bundesrepublik Deutschland ein "Geschäftsmodell" namens "BRD GmbH", welches allein die "Ausplünderung des Volkes" bezwecke.31 Häufig knüpfen ihre ideologischen Begründungen an antisemitische Verschwörungserzählungen an. Das KRD ist auf Expansion ausgerichtet. Die Eröffnung von "Gemeinwohlrestaurants" und "Gemeinwohlkassen" sowie der Erwerb von Immobilien und Ländereien für "Gemeinwohldörfer" dienen der Ausdehnung des Fantasiestaates. In der Vergangenheit hat das KRD immer wieder versucht, sich Grundstücke mit Bestandsimmobilien und Ländereien in Deutschland zu sichern. Unter dem Vorwand, alternative Wohnkonzepte ausprobieren zu wollen und Lebensmittel für die Gemeinschaft zu produzieren, werden "ökologische Gemeinwohldörfer" gegründet. Dahinter steckt die Idee, unabhängig von der Bundesrepublik Deutschland auf "eigenem Territorium" ein autarkes Gebiet zu schaffen, das sich selbst versorgen kann. Die Akteure des Fantasiestaates sind an Grundstücken ab einer Größe von etwa drei Hektar mit Wald und Freiflächen für Landwirtschaft interessiert. Entsprechende Kaufanfragen waren in der Vergangenheit häufig nicht auf den ersten Blick dem KRD zuzuordnen, da Strohleute vorgeschickt wurden. Der Verfassungsschutz hat mehrmals vor dieser Strategie gewarnt und darüber aufgeklärt. Anfang des Jahres 2022 konnte das KRD zwei Anwesen in Sachsen erwerben: das Schloss Bärwalde im Landkreis Görlitz sowie das Wolfsgrüner Schlößchen im Erzgebirgskreis. Auch in Brandenburg hat das KRD nach Grundstücken und Immobilien gesucht. In Lychen (UM) versucht das KRD seit Mitte 2022 eine Genossenschaft zu übernehmen. Diese verfügt über 44 Hektar landwirtschaftliche Fläche, Wege und Wald. Damit strebt die Gruppierung nun auch in Brandenburg ganz konkret nach einem autarken Gebiet, separiert von der Bundesrepublik Deutschland. Das langfristige Ziel ist, sich selbst versorgen zu können 27 Vgl. Michael Hüllen, Heiko Homburg: "'Reichsbürger' zwischen zielgerichtetem Rechtsextremismus, Gewalt und Staatsverdrossenheit" https://www.gemeinwesenberatung-demos.de/wp-content/uploads/2021/03/Wilking_Reichsbuerger_Beitrag01_Huellen_Homburg.pdf (zuletzt abgerufen am: 22.02.2023). 28 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: "Reichsbürger und Selbstverwalter", https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/reichsbuerger-und-selbstverwalter/reichsbuerger-und-selbstverwalter_node.html (zuletzt abgerufen am: 25.01.2023). 29 Vgl. VSB_ST_2021_Endfassung_01.pdf (sachsen-anhalt.de), https://mi.sachsen-anhalt.de/fileadmin/Bibliothek/Politik_und_Verwaltung/MI/MI/3._Themen/Verfassungsschutz/VSB_ST_2021_Endfassung_01.pdf (zuletzt abgerufen am: 20.02.2023). 30 Siehe Fußnote 27. 31 Siehe Fußnote 27. 29 und gleichzeitig die eigenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen umzusetzen. Beim KRD würde das in der Errichtung eines autoritären Staatssystems münden. Zur Rekrutierung neuer Anhänger und zur Bildung neuer Allianzen - auch mit Rechtsextremisten - entfaltet das KRD vielfältige Aktivitäten. Wie alle Extremisten nutzt das Königreich Deutschland dafür das Internet und dort vor allem Kommunikationstools wie Social-Media-Kanäle und Messenger-Dienste. Auf der Suche nach Lösungen für individuelle Problemlagen oder einer allgemein empfundenen Ungerechtigkeit stoßen Betroffene im digitalen Raum immer häufiger ungefiltert auf extremistische Strukturen. Kurzweilig befrieden die gefundenen Inhalte vorhandene Sehnsüchte und bieten scheinbar einfache Lösungen.32 Die vermeintliche Aussicht auf ein "steuerfreies Wirtschaftssystem", "verminderte Sozialabgaben" sowie ein "autarkes und geschlossenes zinsfreies Geldsystem" sind offenbar die zugkräftigsten Argumente, mit denen das KRD versucht, neue Anhänger zu ködern.33 Die primäre Webseite ist das Einfallstor zur KRD-Parallelgesellschaft. Sie verweist auf eine Vielzahl weiterer Internetpräsenzen. Die meisten Profile des Fantasiestaates finden sich in Form von Gruppen und Kanälen auf dem Messenger-Dienst Telegram. Der reichweitenstärkste Kanal "Königreich Deutschland" hat etwa 10.700 Follower. Täglich wird mindestens ein Post zu unterschiedlichen Themen wie zum Beispiel "Staatstheorie" veröffentlicht. Darüber hinaus existieren weitere Profile in diversen Sozialen Netzwerken wie TikTok, Instagram und Facebook, die jedoch nicht die Reichweite der Telegramkanäle erreichen. Die Veröffentlichungen zeigen deutlich antidemokratische, menschenfeindliche, und antisemitische Haltungen des KRD. In den Posts werden regelmäßig antisemitische Bilder, Verschwörungsideologien und Antikapitalismus propagiert. Zudem bietet das KRD regelmäßig Seminare und Livestreams an. Das Werben von Anhängern und Investoren erfolgt über "Unternehmerseminare" oder "Tage der offenen Tür". Die wachsende Anzahl von Beiträgen und die stetige Aktualisierung des Veranstaltungskalenders lässt auf eine aktive und strukturierte Kommunikationsstrategie schließen. Hervorzuheben ist der eigene Online-Marktplatz "Kauf das Richtige", welcher zum Erwerb diverser Artikel und Buchungen unterschiedlicher Dienstleistungen animiert. Ein weiteres Angebot ist der Online-Shop "Kleinanzeigen". Dieser wurde nach dem Vorbild der Plattform "Ebay-Kleinanzeigen" für den Handel gebrauchter Waren eingerichtet. Der Erwerb von Produkten auf diesen Plattformen ist ausschließlich mit der KRD-Währung "E-Mark" möglich. Dieses Zahlungsmittel kann ausschließlich in "Gemeinwohlkassen" gegen Euro eingetauscht werden. Dazu wurden Filialen in mehreren Bundesländern gegründet. Das KRD versucht damit ein unabhängiges Bankenund Währungssystem einzurichten. Unter dem Vorwand, Staatsangehörige des KRD müssten keine Steuern und Zinsen zahlen, versucht "König" Peter Fitzek an das Geld seiner Anhänger zu kommen und diese zugleich an sich zu binden. Sind die erforderlichen Anträge ("Kapitalüberlassungserträge") erst unterschrieben und das Geld überwiesen, verliert man jeden Rechtsanspruch auf Rückerstattung. Mit den Einnahmen entwickeln Peter Fitzek und andere führende Köpfe des KRD eine enorme unternehmerische Tätigkeit. Dieses Prinzip wird mit der Gründung weiterer pseudostaatlicher Institutionen wie Krankenkassen und Bildungseinrichtungen fortgeführt. Dies soll eine finanzielle Unabhängigkeit des KRD vorgaukeln und die Separatismus-Bestrebung festigen. Separatismus-Fantasien als Gefahr für unsere Demokratie? Früher haben Rechtsextremisten am deutschen Staat an sich festgehalten. Jedoch strebten sie einen Systemwechsel an, um die von ihnen verhasste Demokratie durch ein autoritär-rassistisches System zu ersetzen. Gleichwohl ging es ihnen immer auch darum, das staatliche Territorium zu erweitern, indem revisionistische Gebietsansprüche an andere Länder formuliert wurden. Hierbei richtete man sich - wie 32 Vgl. Jan-Gerrit Keil: Zwischen Wahn und Rollenspiel - das Phänomen der "Reichsbürger" aus psychologischer Sicht (gemeinwesenberatung-demos.de), S. 107 (zuletzt abgerufen am: 25.01.2023). 33 Vgl. Homepage des Königreichs Deutschland (zuletzt abgerufen am 27.02.2023). 30 wesentliche Teile der Reichsbürgerszene - an unterschiedlichen historischen Ausprägungen vorangegangener deutscher Staaten aus. Im Gegensatz zu Reichsbürgern spielen Rechtsextremisten jedoch nicht Reichsregierung mit Fantasieministern. Sie rufen auch keine Fantasiegebilde aus und sie verkaufen keine Fantasiedokumente. Das ist vielmehr die Spezialität von Reichsbürgern und Selbstverwaltern. Deren Aufkommen als gesellschaftliches Phänomen ist nur in kleinen Teilmengen rechtsextremistisch motiviert. Ihre Existenz und ihr Wirken dokumentieren vielmehr, dass der demokratische Rechtsstaat bei einigen Bürgern an Bindungskraft verloren hat. Angehörige dieser Szene wollen also nicht mehr Bürger der Bundesrepublik Deutschland sein und unterstreichen das mit fundamentalen Verweigerungshaltungen. Dem liegen unterschiedliche Einstellungen und Erfahrungen zu Grunde. Sei es, weil sie biografische Brüche nicht verkraftet haben, weil sie überschuldet sind oder weil sie im festen Glauben leben, die "BRD GmbH" setze Chemtrails ein, um die Menschen zu vergiften und zu kontrollieren. Sogar überzeugte Rechtsextremisten halten solche Positionen für Spinnerei. In letzter Konsequenz sind Reichsbürger und Selbstverwalter Ausdruck einer sich zunehmend ausdifferenzierenden Gesellschaft. Trotz allem sind damit erhebliche Gefahren verbunden. Einige Reichsbürger und Selbstverwalter sind gewaltorientiert. Mit ihrer totalen Verweigerungshaltung suchen sie den Konflikt mit staatlichen Instanzen. Einige Szeneangehörige greifen in solchen Fällen dann zur Waffe.34 Ebenso fluten sie das Internet mit ihren Fantasien und Verschwörungserzählungen, um ihre Anhängerschaft zu erweitern. Viele Menschen, die darauf reinfallen, werden so ins Unglück gestürzt. Das Beispiel KRD macht zudem deutlich, wie konkret und umfassend solche Bestrebungen sein können. Und je konkreter sie sind, desto gefährlicher sind sie. Bei der Frage nach dem Erhalt der deutschen Staatlichkeit zeigt sich inzwischen ebenso eine Ausdifferenzierung im Rechtsextremismus. Teile reaktivieren die Idee völkischer Siedlungsprojekte, setzen sie aber strategisch in einen neuen Kontext. Drei zentrale Ansätze sind hierbei erkennbar und sie lassen sich als resignativ-realistischer Rechtsextremismus kennzeichnen, denn wesentliche gesellschaftliche Realitäten werden ausdrücklich anerkannt und damit nicht mehr in Frage gestellt. Die einen wollen Deutschland und sogar Europa ganz verlassen und damit vollständig aufgeben. Sie sehnen sich irgendwo auf der Welt nach einem "weißen Ethnostaat". Sie gehen davon aus, dass die hiesigen Gesellschaften kulturell und ethnisch bereits zu weit fortgeschritten verändert wurden. Eine 'Rückeroberung' und 'Rückabwicklung' im Sinne der rechtsextremistischen Rassenideologie wird als unrealistisch betrachtet. Wiederum andere streben danach, bestimmte Räume in Ostdeutschland gezielt zu besiedeln, politisch-kulturell zu durchdringen und schließlich zu erobern. Im nächsten Schritt soll dieser Raum dann einen Schutz-Status wie beispielsweise die Sorben erhalten. Das wäre eine Art 'weiße Ethno-Region innerhalb Ostdeutschlands'. Und nochmals andere träumen davon, sich von Westdeutschland abzukoppeln und im Zusammenwirken mit ethnisch als homogen empfundenen weißen osteuropäischen Brüdervölkern neue Staaten und Bündnisse zu gründen. Hierbei wird Russland als Führungsmacht anerkannt. Das wäre dann eine Art 'weißes Ethno-Osteuropa'. Welche der drei rechtsextremistischen 'Denkrichtungen' sich am Ende durchsetzt, ist mit Blick auf die Gefahren, die von ihnen ausgehen, zunächst belanglos. Denn alle drei sind Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Neu ist vielmehr, dass sie in Teilen ebenfalls Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik verkörpern und dabei bestrebt sind, mit anderen transnationale Bündnisse einzugehen, welche dieselben oder ähnliche Ziele verfolgen. Von der Idee, irgendwo in der Welt einen "weißen Ethnostaat" zu errichten, gehen wohl die geringsten Gefahren für Deutschland aus. Denn gäbe es diesen, würden viele Rechtsextremisten das Land verlassen. Ob es allerdings beispielsweise Neuseeland gestatten würde, dass dort Horden von "DER DRITTE WEG" durchs Land ziehen, darf bezweifelt werden. Das Konzept wird daher in der rechtsextremistischen Szene stark kritisiert. Variante 34 Zuletzt wurde in Reutlingen (Baden-Württemberg) am 22. März 2023 im Zusammenhang mit einer polizeilichen Maßnahme gegen die Reichsbürger-Szene ein Polizist angeschossen. 31 zwei, die 'weiße Ethno-Region innerhalb Ostdeutschlands', wirkt ebenfalls schon auf den ersten Blick unrealistisch. Denn es müssten zigtausende Anhänger koordiniert umziehen. Da stellt sich bereits die Frage, ob es überhaupt so viele umzugsbereite Anhänger gibt, wer das koordinieren soll und ob die bereits in den Zielregionen lebenden Menschen diese politischen Migranten überhaupt akzeptieren würden. Andererseits kann man dem Ideengeber dieser Variante, Martin Sellner, unterstellen, dass er ein ganz bestimmtes Szenario vor Augen hat. Ihm scheint nämlich vorzuschweben, dass seine Vision spätestens dann realpolitisch konkret wird, sobald der Verdachtsfall AfD35 irgendwo in Ostdeutschland die Mehrheit in einem Bundesland erringt. Bei aller rechtsextremistischer Motivation ist jedoch festzuhalten, dass dieses Modell zunächst auf regionale Separation setzt, ohne gleich den Bestand des Deutschen Staates in Frage zu stellen. In der Konsequenz würde es aber trotzdem darauf hinauslaufen. Und damit ist Sellners 'weiße Ethno-Region innerhalb Ostdeutschlands' strategisch wesensverwandt mit Variante drei, der Sezession Ostdeutschlands mit dem Ziel, ein 'weißes Ethno-Osteuropa' gegebenenfalls unter Führung Russlands zu schaffen. Der Vordenker des völkisch-nationalistischen AfD36-Lagers, Björn Höcke, scheint diesen Ideen einiges abgewinnen zu können. Unter dem Eindruck des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine erklärt er am 3. Oktober 2022 in Gera: "Der natürliche Partner für uns als Nation ... wäre Russland. (...) Es ist tragisch, dass man uns ... zwischen Ost und West zur Entscheidung zwingt. (...) Aber mit einem 'Weiter so' ... ist das unwiederbringliche Versinken in tödliche Dekadenz so sicher, wie das Amen in der Kirche. Das deutsche Volk steht an einer historischen Wendemarke. (...) Aber wenn ich mich jetzt für das deutsche Volk entscheiden müsste, zwischen dem Regenbogenimperium, zwischen dem neuen Westen, zwischen dem globalistischen Westen und dem traditionellen Osten, ich wählte in dieser Lage den Osten."37 Und mit Blick auf Sellners Idee wird man bei Höcke ebenfalls fündig: "Dann haben wir immer noch die strategische Option der 'gallischen Dörfer'. Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie einst die tapfer-fröhlichen Gallier in unsere ländlichen Refugien zurück, und die neuen Römer, die in den verwahrlosten Städten residieren, können sich an den teutonischen Asterixen und Obelixen die Zähne ausbeißen! Wir Deutsche - zumindest die, die es noch sein wollen - sind dann zwar nur noch ein Volksstamm unter anderen. Die Re-Tribalisierung im Zuge des multikulturellen Umbaus wird aber so zu einer Auffangstellung und neuen Keimzelle des Volkes werden. Und eines Tages kann diese Auffangstellung eine Ausfallstellung werden, von der eine Rückeroberung ihren Ausgang nimmt."38 Ideen und Handlungsstrategien, die auf die Errichtung parallelgesellschaftlicher Autarkie oder gar Herbeiführung einer Sezession ausgerichtet sind, gewinnen an Dynamik. Rechtsextremisten machen nicht mehr nur das politische System verächtlich, sondern richten ihre Aufmerksamkeit zunehmend gegen den Bestand des deutschen Staats an sich, den sie zerschlagen wollen. Einige streben mit aus Deutschland herauszubrechenden Regionen neuen Bündnissen, Zusammenschlüssen und Staaten im Osten Europas entgegen. Diese Zunahme der Radikalität im Denken wird eine Zunahme der Radikalität im Handeln nach sich ziehen. 35 Siehe Fußnote 6 und 27 36 Siehe Fußnote 6. 37 Youtube-Kanal von Björn Höcke, Rede in Gera am 03.10.2022 (letzter Zugriff 21.03.2023). 38 COMPACT Magazin: "Die Asterix-Option", 07/2018, S. 29. 32 3. Rechtsextremismus 33 Rechtsextremistisches Personenund Organisationspotenzial in Brandenburg (zum Teil geschätzt) 2020 2021 2022 in Parteien (gesamt) 1.075 1.045 1.080 NPD 250 210 200 DER DRITTE WEG 45 45 60 Verdachtsfall AfD39 780 790 820 in parteiunabhängigen Strukturen 410 395 375 weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial 1.585 1.600 1.620 gesamt 3.070 3.040 3.075 Mehrfachmitgliedschaften 210 210 220 Personenpotenzial (nach Abzug von Mehrfachzählungen) 2.860 2.830 2.855 davon40 gewaltorientierte Rechtsextremisten 1.285 1.245 1.260 39 Siehe Fußnote 6. 40 Bezogen auf das "Personenpotenzial" (nach Abzug von Mehrfachzählungen). 34 3.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz / Verbreitung Die NPD gliedert sich unterhalb der Bundesebene in Landesund Kreisverbände. Die Bundespartei hat ihren Sitz in Berlin. Gründung / Bestehen Die NPD wurde 1964 gegründet. Ein eigenständiger brandenburgischer Landesverband besteht seit 2003. Struktur / Repräsentanten Bundesvorsitzender: Frank Franz (seit 2014) Landesvorstand der NPD Brandenburg: Vorsitzender: Klaus Beier (seit 2004) stellv. Vorsitzender: Thomas Gürtler Schatzmeister: Thomas Gürtler Struktur des Landesverbandes: elf Kreisverbände Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Im Land Brandenburg hatte die NPD Ende 2022 nur noch knapp 200 Mitglieder (2021: 210). Damit hielt der seit mehr als einem Jahrzehnt voranschreitende Mitgliederund Bedeutungsverlust weiter an. Veröffentlichungen Publikationen des Bundesverbandes: Magazin "Deutsche Stimme" (monatlich) Parteizeitung für die NPD "Stimme Deutschlands" Publikation für Brandenburg: "Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" Web-Angebote: Bundesverband: npd.de Landesverband: npd-brandenburg.de Die Landespartei und ihre Regionalverbände betreiben diverse Projekte und Profile in den Sozialen Medien, zum Beispiel auf Facebook, Twitter und Telegram. Hierbei wird zuweilen vermieden, einen direkten Zusammenhang mit der Partei erkennen zu lassen. Kurzportrait / Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik. Sie vertritt rassistische, antisemitische und revisionistische Positionen. Ihr Ziel ist eine am völkischen Sozialismus orientierte Staatsform, die sie als "wahre Demokratie" bezeichnet. Damit offenbart die NPD ihre Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus und ihre aggressiv-kämpferische Gegnerschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 35 Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung (hierzu ist noch ein Verfahren beim Bundesverfassungsgericht zum Ausschluss aus der staatlichen Parteienfinanzierung aus dem Jahr 2019 anhängig), Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche Demokratie in Deutschland ab und strebt ihre Beseitigung an. Wesentliche Prinzipien des Grundgesetzes werden von ihr verworfen. Das gilt beispielsweise für die unantastbare Würde des Menschen. Die NPD ordnet diese Würde einem nationalen Kollektivismus unter. Sie strebt einen autoritären Staat an, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung ihre Geltung verliert. An deren Stelle will sie auf Grundlage ihrer rechtsextremistischen Ideologie eine auf Rassismus beruhende "Volksgemeinschaft" setzen, die Parallelen zur nationalsozialistischen "Volksgemeinschaft" aufweist. Die Zugehörigkeit beruht ausschließlich auf ethnischen Abstammungskriterien. Wer diesen nicht genügt, soll ausgegrenzt und damit entrechtet werden. Demnach lehnt die NPD die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz nach Art. 3 des Grundgesetzes ab. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 17. Januar 2017, dass die NPD mangels Potenzialität nicht verboten wird. Das Gericht sah dennoch deutliche verfassungsfeindliche Ziele: "Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vertritt ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten 'Volksgemeinschaft' ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. [...] Das Konzept der 'Volksgemeinschaft', die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen. Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der NPD mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus bestätigt deren Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung."41 Die Partei verfolgt ihre Ziele in einer aggressiv-kämpferischen Weise. Dies belegt nicht zuletzt ihre Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Neonationalsozialisten und Hooligans. Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Jahr 2022 ist die NPD, bedrängt von AfD42 (Verdachtsfall) und der noch deutlich extremeren Partei "DER DRITTE WEG", weiterhin vom kontinuierlichen Niedergang in die politische Bedeutungslosigkeit geprägt. Auch wenn es zwischen einzelnen NPD-Kreisverbänden im Land Brandenburg hierbei durchaus Unterschiede gibt, so trat die Partei 2022 insgesamt öffentlichkeitswirksam kaum in Erscheinung. Zudem gaukelt die Aufzählung von insgesamt elf, zumeist kaum aktiven beziehungsweise gänzlich inaktiven Kreisverbänden auf der Webseite der NPD eine real nicht vorhandene Größe und regionale Verwurzelung vor. Einige wenige kommunale Mandatsträger, die für diese Verwurzelung in der Gesellschaft stehen könnten, haben es nicht vermocht, wahrnehmbare politische Erfolge für die NPD zu erzielen. 41 Bundesverfassungsgericht: "Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele", 17.01.2017, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/ DE/2017/bvg17-004.html, (letzter Zugriff am 22.02.2021). 42 Siehe Fußnote 6 36 Auf ihrem 38. Bundesparteitag im hessischen Altenstadt wollte die NPD im Mai 2022 die Weichen für einen Neustart stellen. Die Partei sucht ihre neue Position im rechten Spektrum. Da realistische Wahlchancen nicht mehr gesehen werden, will man "sich fortan verstärkter denn je als Netzwerker, Dienstleister, punktueller Bündnispartner und regionaler Motor von Bürgerprotesten und regierungskritischen Initiativen verstehen".43 Ein mit positiven Attributen besetzter neue Parteiname "Die Heimat" sollte diesen Neustart symbolisieren und das alte negative Image abstreifen. Diese Umbenennung scheiterte an drei fehlenden Stimmen. Die neue Kommunikations-Aufgabe versuchte das Parteiorgan "Deutsche Stimme" (DS) mit zwei "DSNetzwerktagen" auszufüllen. Mit Diskussionsveranstaltungen sollten "Persönlichkeiten aus ... unterschiedlichen Bereichen und Organisationen ins Gespräch kommen", um "Trennendes hintenanzustellen" und "den gemeinsamen Nenner zu suchen".44 Unter dem Motto "Deutschland braucht ein Netzwerk derer, denen das Land noch am Herzen liegt." fand schließlich am 10. Dezember 2022 der "2. DS-Netzwerktag" in einem Restaurant in Lauchhammer (OSL) statt. Dort probten Protagonisten von der NPD, Die Rechte, ehemalige Mitglieder der Alternative für Deutschland und weitere altbekannte Rechtsextremisten den Schulterschluss. Die Veranstaltung wurde live auf Youtube gestreamt. Ein großes Publikum fand die vierstündige, zähe und bisweilen absurde Diskussionsrunde nicht. Sowohl diese Veranstaltung als auch der kurz zuvor ebenfalls in Lauchhammer stattgefundene NPD-Landesparteitag unterstreichen, dass die Partei nur noch im Süden des Landes eingeschränkt handlungsfähig ist. Junge Nationalisten (JN) Im Berichtszeitraum haben es die Jungen Nationalisten (JN) nicht vermocht, ihrem Anspruch, eine völkisch-elitäre Kaderschmiede der NPD zu sein, auch nur annähernd gerecht zu werden. Die JN positionierten sich im Vorfeld des NPD-Bundesparteitags klar zur beabsichtigten Neuaufstellung der Partei und sparten nicht mit Fundamentalkritik: "Die JN wird nach dem anstehenden Bundesparteitag nicht mehr die Jugendorganisation der NPD sein. Entweder, weil das Laster des Parteinamens dann zeitnah abgelegt wird, oder weil eben dies nicht geschieht und wir uns von der Mutterpartei trennen. [...] Sollte sich in den nächsten zwei Jahren zeigen, dass die Neuaufstellung fehlschlug und sich nur der Name, aber nicht die Strategie und die Personen änderten, darf keine weitere Energie in dieses schwarze Loch fließen. [...] Ein weiteres Dahindümpeln wird es aber nur ohne uns geben."45 Zwar haben die JN ihre Ankündigung nicht umgesetzt. Jedoch haben einige ehemals führende JN-Aktivisten aus dem Raum Berlin-Brandenburg sehr wohl ihre ganz persönlichen Konsequenzen zogen und ihren Aktionsschwerpunkt zur deutlich radikaleren Kleinstpartei "DER DRITTE WEG" verlagert. Dieser Aderlass machte offensichtlich auch eine Neuwahl des Vorstandes des erst Anfang August 2021 gegründeten JN-Gebietsverbandes Mitte notwendig.46 Das seinerzeit selbst gesteckte Ziel, an Schlagkraft zu gewinnen, dürfte bislang wohl eher als gescheitert zu betrachten sein. Neben diesen Querelen waren die wenigen Aktivisten der JN Brandenburg im Jahr 2022 erneut um Wahrnehmung bemüht. Dazu zählen obligatorische Szenetermine wie der "Trauermarsch" am 13. Februar 2022 in Dresden und der 1. Mai als "Arbeiterkampftag". Zusätzlich sind insbesondere im südlichen Brandenburg vermehrt Aktivitäten festzustellen. Lauchhammer (OSL) scheint sowohl für die JN als auch für die NPD eine feste Größe zu werden. In der südbrandenburgischen Kleinstadt fanden Ende des Jahres 43 Homepage NPD Bundesverband: "Der Heimat eine Zukunft geben!", 16.05.2022 (abgerufen 01.02.2023). 44 Homepage NPD Bundesverband: "Wer baut mit am Netzwerk für die Heimat?", 12.08.2022, (abgerufen 01.02.2023). 45 Homepage Bundesverband Junge Nationalisten: "Grundvoraussetzung: Neuer Name", 21.04.2022 (abgerufen 01.02.2023). 46 Facebook-Eintrag des Vorsitzenden der "JN Mitte" und NPD-Aktivisten Nico Koal, 03.10.2022 (abgerufen 01.02.2023). 37 2022 sowohl der Landesparteitag als auch der 2. Deutsche-Stimme-Netzwerktag statt. Zudem soll dort jeden ersten Freitag im Monat ein "Jugend und Heimat-Stammtisch" stattfinden.47 Natürlich versuchen die Jungen Nationalisten, über eine positive Außendarstellung derartiger Veranstaltungen, insbesondere über ihre Social-Media-Kanäle, Jugendliche für ihre Ziele zu begeistern und zu werben. Aktionismus, jugendgerechte Sprache, Kleidung und Stil dienen strategisch als attraktive Anknüpfungspunkte. Allerdings fehlen wie in der Mutterpartei charismatische Personen. Bewertung / Ausblick Die NPD ist eine zutiefst verfassungsfeindliche Partei. Sie bot sich über Jahre als Schutzschirm für Kameradschaften, Freie Kräfte und andere wenig organisierte Rechtsextremisten an. Diese nutzten die Möglichkeit sehr intensiv, unter dem gesetzlichen Schutz des Parteienprivilegs ihren neonationalsozialistischen Geschäften nachzugehen. Der Landesverband der NPD lebt weiterhin von einigen wenigen Multifunktionären. Die Kreisverbände liegen, mit Ausnahme des Kreisverbandes Niederlausitz weitgehend brach. Schon der Ausfall eines Aktivpostens kann solche Stagnationen herbeiführen. NPD und JN fehlt es im Vergleich zu anderen Szene-Organisationen zunehmend an extremistischer Attraktivität. Auch charismatische Führungspersonen sind Mangelware. Szeneaktivisten und Wähler wenden sich somit ab und anderen Strukturen zu. Das sind insbesondere die sich stramm neonationalsozialistisch gebende Organisation "DER DRITTE WEG" und die AfD48. Ob sich die NPD von diesem Niedergang jemals erholen wird, ist mehr als fraglich. In den vergangenen Jahrzehnten ist es ihr jedoch immer wieder gelungen, schwere Krisen zu überwinden. 47 Facebook-Seite NPD Kreisverband Niederlausitz, 26.11.2022 (abgerufen 01.02.2023). 48 Siehe Fußnote 6. 38 3.2 DER DRITTE WEG Sitz / Verbreitung Bundesverband: Weidenthal (Rheinland-Pfalz); Verbreitung hauptsächlich in Südund in Ostdeutschland Gründung / Bestehen 28. September 2013 in Heidelberg Struktur / Repräsentanten Bundesvorsitzender: seit dem 13.11.2021 Matthias Fischer Vorsitzender "Gebietsverband Mitte": Matthias Fischer Struktur im Land Brandenburg: Zuständig für das Land Brandenburg ist der "Gebietsverband Mitte". Die zwei von der Partei in Brandenburg genannten Stützpunkte "Uckermark" und "Potsdam/Mittelmark" sind Bestandteile dieses Gebietsverbands. Obgleich öffentlich kaum wahrnehmbar, wird mit der Nennung der Stützpunkte auf der Partei-Webseite eine größere Basis und tiefere Verwurzelung im kommunalen Raum vorgetäuscht. Hinzu kommen einzelne regionale Akteure ohne formale Anbindung an offizielle regionale Strukturen. Entgegen dem klassischen Parteiaufbau mit Landesund Kreisverbänden unterhält die den Parteienstatus beanspruchende Organisation "DER DRITTE WEG" aufgrund ihrer geringen Mitgliederzahl nur drei Gebietsverbände unterhalb der Bundesebene. In diesen sind unterschiedliche regionale Stützpunkte aktiv. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Im Land Brandenburg hat "DER DRITTE WEG" etwa 60 Mitglieder (2021: 45). Die Tendenz ist dabei leicht ansteigend. Der Anstieg resultierte unter anderem aus dem Umstand, dass Anhänger von NPD und JN zur Partei "DER DRITTE WEG" übergetreten sind. Veröffentlichungen Web-Angebote: eigene Webseite und diverse Profile in sozialen Netzwerken, Videoportalen und in Messenger-Diensten. Die Partei betreibt zudem einen eigenen Internetshop, über den sie beispielsweise Parteikleidung und diverse Propagandamaterialien vertreibt. Kurzportrait / Ziele Die Kleinstpartei wurde zunächst unter Beteiligung einzelner ehemaliger NPD-Mitglieder und Neonationalsozialisten aus Rheinland-Pfalz sowie Hessen gegründet. 2014 zeichnete sich in Bayern ein Verbot des neonationalsozialistischen Netzwerks "Freies Netz Süd" ab. Daraufhin ist ein Teil der Betroffenen ebenfalls der Kleinstpartei "DER DRITTE WEG" beigetreten, um staatlichen Verbotsmaßnahmen zu entgehen. Die Aktivisten nutzen also gezielt den Schutz des Parteienprivilegs, um ihre neonationalsozialistischen Aktivitäten fortzusetzen. Finanzierung Die Finanzierung erfolgt überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit "DER DRITTE WEG" vertritt ein klar rechtsextremistisches Staatsund Gesellschaftsbild. Insbesondere völkisch-nationalistische Elemente des Nationalsozialismus werden aufgegriffen. Sein 10-Punkte-Programm ist ideologisch an das Gedankengut der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) angelehnt. Gefordert wird darin ein "deutscher Sozialismus". 39 Die Partei propagiert die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", fordert "die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" und die "konsequente Förderung von kinderreichen Familien zur Abwendung des drohenden Volkstodes". Angestrebt wird eine ethnisch homogene Gesellschaft im Sinne des völkischen Nationalismus. Ohne Rücksicht auf die Menschenrechte soll dieses Ziel durch die rigide Ausgrenzung aller vermeintlich Fremden verwirklicht werden. Somit handelt es sich bei der Partei um eine offen neonationalsozialistische Struktur. "DER DRITTE WEG" agitiert vor allem gegen Flüchtlinge. Er fordert zudem "die Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen" und verfolgt damit offen revisionistische Gebietsansprüche. Lediglich aus taktischen Erwägungen lehnt "DER DRITTE WEG" Gewalt ab. Zahlreiche Mitglieder verfügen über eine rechtsextremistische Biografie. Die Kleinstpartei pflegt dementsprechend Kontakte zu verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen in Europa. Eine besondere Bedeutung haben für die Partei zunehmend Engagements im Bereich Kampfsport. Dieser dient sowohl der körperlichen Ertüchtigung als auch der Herstellung vermeintlicher Wehrhaftigkeit. Entwicklungen im Berichtszeitraum Hervorzuheben ist, dass der in der Uckermark wohnhafte Bundesvorsitzende Matthias Fischer versucht, den Ausbau und die Festigung der Kleinstpartei voranzutreiben. Fischer steht zudem dem bundeslandübergreifenden Gebietsverband "Mitte" vor, dem die brandenburgischen Stützpunkte nachgeordnet sind. Mitglieder und Sympathisanten der Kleinstpartei traten im Jahr 2022 zumeist mit Flugblattverteilungen, Infoständen und Kundgebungen öffentlich in Erscheinung. Neben dem regionalen Wirkungskreis des Stützpunktes "Uckermark" bildet der Nordwesten Brandenburgs einen räumlichen Schwerpunkt. Ebenfalls dort setzt die Partei "DER DRITTE WEG" ihre Expansionsbemühungen fort. Maßgeblichen Anteil an der Entwicklung haben altbekannte Rechtsextremisten. Unterstützung erfuhr die Partei zudem von Protagonisten der aufgelösten "Freien Kräfte Prignitz" (FKP), der "Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland" (FKN/O)49, Akteuren der verbotenen Gruppierung "Weiße Wölfe Terrorcrew" sowie von Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern. "DER DRITTE WEG" setzte Anfang 2022 seine Kundgebungen und Agitation gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie fort. Die Kleinstpartei übte sich hierbei im Schulterschluss mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen und verfolgte das Ziel, die Proteste anderer Akteure für sich zu vereinnahmen. Mit Beginn des von Russland gegen die Ukraine geführten Angriffskrieges und seiner Folgewirkungen wurden auch Themen wie Inflation, Flüchtlingsbewegungen, Verteuerungen und Kriminalität in die Parteipropaganda eingewoben. Es ging den Rechtsextremisten hierbei nicht um die staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung, Preisentlastung und Eindämmung des wirtschaftlichen und sozialen Krisengeschehens, sondern vorrangig um die Artikulation ihres rechtsextremistischen Staatsund Gesellschaftsbildes. Dies offenbarte Anfang 2022 zunächst der Slogan "Das System ist gefährlicher als Corona!", der im Zeitlauf durch die Kampagnenparole "Die wahre Krise ist das System!" abgelöst wurde. Zum Jahresende skandierte die Partei gar auf einer am 9. Dezember 2022 in Wittstock abgehaltenen Kundgebung: "Wir tragen zu Grabe ein krankes System!" Eben dort forderte der Hauptredner die Teilnehmer auf, "sich geistig zu reinigen, Abschied zu nehmen von diesem gescheiterten BRD-Experiment, das uns Mitteldeutsche seit 1989 im wahrsten Sinne des Wortes ausbluten lässt und Platz zu schaffen für neue Denkansätze, wirkliche und tragfähige Alternativen".50 Mittels der Organisation solcher Demonstrationen beabsichtigt die Partei ihre Anschlussfähigkeit in ländlich geprägten Räumen zu erhöhen. Einen kleineren Erfolg erzielte die Partei bei der Wahl zum Landrat des Landkreises Prignitz. Der Kandidat, ein bekannter Rechtsextremist, der vor seiner Mitgliedschaft beim DRITTEN WEG der NPD und der 49 Für weiterführende Informationen zu "Freien Kräften" siehe Kap. 3.4. 50 Homepage "DER DRITTE WEG": Demonstration in Wittstock (Brandenburg); 09.12.2022 (letzter Zugriff am 12.01.2023) 40 2006 verbotenen Organisation "Schutzbund Deutschland" angehörte, erzielte am 8. Mai 2022 8,2 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen.51 Einen traditionellen Agitationsschwerpunkt der Kleinstpartei bildeten im Berichtsjahr erneut der "Fackelmarsch - ein Licht für Dresden" am 13. Februar anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens (Sachsen) und der "nationalrevolutionäre Arbeiterkampftag" am 1. Mai. Hierbei kam es im Vorfeld und Nachgang vereinzelt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen und Schlägereien. Darüber hinaus mobilisierte die Kleinstpartei unter anderem zu Demonstrationen in Plauen (SN) und Wunsiedel (BY). Der von Russland am 24. Februar 2022 gegen die Ukraine begonnene Angriffskrieg bildete neben der Pandemie das bestimmende Kampagnenthema der Partei. "DER DRITTE WEG" unterhält zu der ukrainischen, rechtsextremistischen Partei "Nationales Korps" (NK) Beziehungen und nimmt im Gegensatz zu anderen deutschen Rechtsextremisten eine eindeutige pro-ukrainische Position ein.52 Diese Positionierung hat nicht die demokratischen Institutionen der Ukraine und deren Hinwendung zur Europäischen Union zum Gegenstand, sondern bezieht sich "allein auf die nationalrevolutionäre Bewegung der Ukraine"53, da nur diese die Interessen des ukrainischen Volkes vertrete. Hierbei kommt das rassistische Weltbild der Partei zum Vorschein. Es wird die vermeintliche "Reinheit" des ukrainischen Volkes proklamiert, die vor "rassischen Vermischungen" mit dem russischen Volk bewahrt werden müsse. Bereits lange vor dem Krieg nahmen Parteiakteure an Veranstaltungen des NK in der Ukraine teil - darunter politischideologische Schulungen und Wehrübungen. Kampfsport ist ein fester Bestandteil der internen Parteiarbeit. Mit Kriegsbeginn bekundete "DER DRITTE WEG" seine Solidarität mit dem NK durch offenes Zeigen von Symbolen und Kennzeichen dieser ukrainischen Gruppierung. Zudem rief "DER DRITTE WEG" innerhalb der rechtsextremistischen Szene zu Sachund Materialspenden auf. Bewertung / Ausblick Die Partei "DER DRITTE WEG" hat im Land Brandenburg in den letzten Jahren stabile Strukturen aufgebaut. Unter dem Parteivorsitzenden Fischer sind diese Strukturen und deren Akteure in das bundesweite rechtsextremistische Netzwerk eingebunden. Mit dem im Vergleich zu anderen extremistischen Organisationen hohen Organisationsgrad der einzelnen Mitglieder gepaart mit dem oftmals uniformierten Auftreten präsentiert sich die Partei in der Öffentlichkeit patriotisch, politisch engagiert und diszipliniert. Sie täuscht so über das wahre Gesicht der Partei hinweg. Die hohen Anforderungen, die "DER DRITTE WEG" an sich und seine Mitglieder stellt, werden von der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg nur selten erfüllt. Das Personenpotenzial der Partei wird, abgesehen von geringfügigen Steigerungen, langfristig eher auf niedrigem Niveau verharren. Der Einfluss der Kleinstpartei innerhalb der rechtsextremistischen Szene steigt stetig, auch wenn es ihr 2022 noch nicht gelang, die von ihr proklamierte Führungsrolle einzunehmen. Hingegen gewinnen die brandenburgischen Strukturen innerhalb der Partei durch das Agieren des Bundesvorsitzenden Fischer kontinuierlich an Gewicht. Ebenfalls sind seither gesteigerter Aktionismus und stärkere Expansionsbestrebungen in Brandenburg feststellbar. Durch die Besetzung aktueller Themen wie die Corona-Schutzmaßnahmen, Inflation, Verteuerungen sowie Zuwanderung wollte die Partei vor allem ihre Anschlussfähigkeit ins rechtsextremistischen Milieu erweitern. Im Vergleich zur NPD und anderen parteifernen Szenestrukturen verfügt "DER DRITTE WEG" über ein auffällig hohes Aktionismus-Potenzial, die strikteste Organisation und eine rigorose rechtsextremistische Ideologie. Insofern ist die Kleinstpartei für aktive, insbesondere am Neonationalsozialismus ausgerichtete Rechtsextremisten attraktiv. "DER DRITTE 51 Homepage Landeswahlleiter Brandenburg: Endgültiges Ergebnis der Landratswahl am 08. Mai 2022 im Landkreis Prignitz (letzter Zugriff am 12.01.2022). 52 An den im Jahr 2019 in der Ukraine abgehaltenen Parlamentswahlen beteiligte sich die Partei Nationales Korps und trat hierzu dem von der rechtsextremistischen Partei "Swoboda" organisierten Wahlbündnis bei. Dieses Wahlbündnis bewältigte nicht die 5-Prozent-Klausel und zog damit nicht ins ukrainische Parlament ein. 53 Homepage "DER DRITTE WEG": "Was geht uns die Ukraine an?"; 03.01.2022 (letzter Zugriff am 12.01.2023). 41 WEG" stellt damit weiterhin in erster Linie eine Auffangstruktur für gefestigte Rechtsextremisten dar. Mit der Ausnutzung des Parteienstatus sollen staatliche Sanktionsmaßnahmen erschwert werden. Allerdings zeigt sich, dass die Partei auf kommunaler Ebene mittlerweile in der Lage ist, beinahe zehn Prozent der Wähler hinter sich zu vereinen. Dies ist bei einer Partei mit eindeutig neonationalsozialistischem Gedankengut ein erschreckendes Zeichen. Ein Antritt zu den Kommunalwahlen 2024 und zur Landtagswahl erscheint möglich. 42 3.3 Parteiunabhängige Strukturen 1: Kameradschaften Sitz / Verbreitung In Brandenburg existierte im Jahr 2022 eine Kameradschaft mit Wirkungskreis im nördlichen Brandenburg. Gründung / Bestehen Kameradschaften entstanden als Reaktion auf Verbote rechtsextremistischer Organisationen in den 1990er-Jahren. Rechtsextremisten glaubten, sich durch diese Art der Zusammenschlüsse vereinsrechtlichen Verbotsverfahren entziehen zu können. Struktur / Repräsentanten Der Wirkungskreis von Kameradschaften ist für gewöhnlich lokal oder regional begrenzt. Oft spiegelt sich dies in der Namensgebung wider. Innerhalb der Kameradschaften besteht eine Übereinkunft zu gemeinsamem politischen Aktivismus auf der Basis rechtsextremistischer Grundorientierung. Ihre Binnenstrukturen sind in der Regel streng hierarchisch aufgebaut. Letztlich ist das Selbstverständnis der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP), die sich nie nur als Partei, sondern immer auch als Bewegung verstanden hat, das historische Vorbild für Kameradschaften. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Die letzte vorhandene rechtsextremistische Kameradschaft verfügte im Berichtszeitraum 2022 über rund 30 Mitglieder im Land Brandenburg. Kurzportrait / Ziele Bei Kameradschaften handelt es sich um Gruppierungen, die insbesondere auf lokaler Ebene agieren. Überwiegend treten sie durch Teilnahme an regionalen oder überregionalen ausländerfeindlichen Veranstaltungen und Demonstrationen in Erscheinung. Bisweilen sind sie in die Organisation und Durchführung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen eingebunden. Ihr Auftreten ist aktionsund erlebnisorientiert. Rechtsbrüche werden billigend in Kauf genommen beziehungsweise bewusst angestrebt. Finanzierung Kameradschaften finanzieren sich in erster Linie aus sich selbst heraus, beispielsweise durch Mitgliedsbeiträge. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Kameradschaften bekennen sich zur nationalsozialistischen Weltanschauung und zeichnen sich durch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt aus. Sie überhöhen sich als "politische Soldaten". Vermeintlich Fremde und auch politische Gegner gelten als Feinde, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. Damit wird Gewalt gegen diese legitimiert. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Kameradschaften huldigen nationalsozialistischen Gallionsfiguren wie Horst Wessel und Rudolf Heß. Sie glorifizieren NS-Organisationen wie die Wehrmacht sowie die Waffen-SS und führen Traditionen aus der Zeit des Nationalsozialismus fort. Insbesondere begehen sie "Szene"-Feiertage, die sie als "Heldengedenktage" missdeuten. Die Szene feiert beispielsweise Hitlers Geburtstag. 43 Entwicklungen im Berichtszeitraum "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" (KMOB) Die "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" (KMOB) ist in Bad Freienwalde (MOL) verortet. Sie verfügt dort über eine Liegenschaft, welche als Treffort für Szeneveranstaltungen dient.54 Bereits 2010 verkündete die Gruppierung ihre Selbstauflösung. Allerdings sind seither weiterhin Aktivitäten feststellbar. Dabei spielt innere Betriebsamkeit eine wichtigere Rolle als Aktionen mit Außenwirkung. Bewusst nutzten die Mitglieder 2014 das Parteienprivileg des Grundgesetzes, um einem möglichen Verbot zu entgehen. Sie traten geschlossen in die Partei "DIE RECHTE" ein und bildeten den "Kreisverband Märkisch-OderlandBarnim". Auf diese Weise konnten sie ihr Label KMOB beibehalten. Zum 31. Januar 2018 verließen die Mitglieder dann geschlossen wieder die Partei. Seither führt KMOB ihren selbsterklärten "Kampf um Deutschland" und gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung erneut als Kameradschaft fort. Trotz dieser Ankündigung sind öffentliche Auftritte der KMOB auch im Jahr 2022 nicht bekannt geworden. Bewertung / Ausblick Das antiquierte Konzept "Kameradschaft" hat mittlerweile selbst für brandenburgische Rechtsextremisten massiv an Bedeutung verloren. Öffentliche Aktionen und Auftritte finden quasi nicht mehr statt. Nur noch wenige Akteure verfolgen das Konzept und bekennen sich zu den kaum anschlussfähigen Strukturen. Diese alten Kameradschaften finden kaum noch einen Platz zwischen den streng hierarchisch organisierten Bruderschaften, den eher informellen Netzwerken und den weitgehend lose organisierten "Freien Kräften", die bewusst auf Strukturen verzichten. Häufig sind es bereits jahrzehntelang aktive Mitglieder, die an der Struktur festhalten, ohne dabei noch Anspruch auf Mobilisierungen oder Breitenwirkung zu entfalten. Unattraktiv sind herkömmliche Kameradschaften unter anderem aufgrund ihrer nicht vorhandenen Anschlussfähigkeit selbst innerhalb der rechtsextremistischen Szene, ihrer Nichtpräsenz in den Sozialen Medien und ihrer geringen Ausstrahlung. Staatliche Repressionen und Vereinsverbote haben zudem Wirkung gezeigt. Andere Organisationsformen - insbesondere im Spektrum der "Neuen Rechten" - haben aufgrund ihres jugendaffinen Auftretens eine höhere Anziehungskraft auf heranwachsende Rechtsextremisten. 54 Für weiterführende Informationen zu Immobilien der rechtsextremistischen Szene siehe Kap. 3.12. 44 3.4 Parteiunabhängige Strukturen 2: Freie Kräfte Sitz / Verbreitung "Freie Kräfte" sind ausschließlich im nordwestlichen Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Mitte der 1990er-Jahre entwickelten Neonationalsozialisten das Konzept der "Freien Kräfte" als Reaktion auf zahlreiche auch gegen rechtsextremistische Kameradschaften gerichtete Vereinsverbote. Struktur / Repräsentanten Angehörige "Freier Kräfte" nutzen diese Organisationsform insbesondere, um sich von rechtsextremistischen Parteistrukturen oder eher hierarchisch organisierten Kameradschaften abzugrenzen. Eine Organisationshierarchie mit zentraler Führungsebene wird von "Freien Kräften" bewusst abgelehnt. Untereinander und gruppierungsübergreifend sind "Freie Kräfte" gut vernetzt. Der Begriff kommt bei Neonationalsozialisten zunehmend nur noch unverbindlich zur Anwendung, um das eigene parteiungebundene Konzept zu verdeutlichen. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Rechtsextremistische "Freie Kräfte" verfügten Ende 2022 noch über etwa 15 Mitglieder im Land Brandenburg. Kurzportrait / Ziele Als "Freie Kräfte" bezeichnen sich Neonationalsozialisten, die sich bewusst außerhalb von rechtsextremistischen Parteien, Vereinen und anderen festen Strukturen wie Kameradschaften verorten. Sie sind in der Regel lokal organisiert, rekrutieren neue Mitglieder über lokale Themen, die sie aktionsund erlebnisorientiert vermarkten. Rechtsbrüche werden billigend in Kauf genommen beziehungsweise bewusst angestrebt. Finanzierung Die Finanzierung erfolgt teilweise durch Mitgliedsbeiträge. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit "Freie Kräfte" sind neonationalsozialistisch orientiert und gewaltbereit. Vermeintlich Fremde und politische Gegner gelten als Feinde, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. Damit wird Gewalt gegen diese legitimiert. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Darüber hinaus glorifizieren sie, wie beispielsweise rechtsextremistische Kameradschaften, nationalsozialistische Verbrecher. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die 2009 gegründeten "Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland" (FKN/O) sind mit rund 15 Mitgliedern noch immer eine aktive rechtsextremistische Gruppierung im Nordwesten des Landes Brandenburg. Sie sind die einzige noch aktive Struktur "Freier Kräfte" in Brandenburg. Seit über dreizehn Jahren sind sie fest in der neonationalsozialistischen Szene der Landkreise Ostprignitz-Ruppin und Havelland verankert. Die Gruppierung ist im Internet aktiv, organisiert eigene Aktionen und nimmt an überregionalen rechtsextremistischen Veranstaltungen teil. Die FKN/O sind mit dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial der regionalen rechtsextremistischen Szene eng verzahnt.55 Charakteristisch für die FKN/O ist zudem ihre enge Verbindung mit der NPD Brandenburg, insbesondere mit dem NPD-Kreisverband Prignitz-Ruppin sowie mit dem Stadtverband Neuruppin (OPR). 55 Für weiterführende Informationen zum "weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial" siehe Kap. 3.9. 45 Die Maßnahmen zum Schutz vor der Corona-Pandemie hemmten 2022 die Aktivitäten der FKN/O. Eigene Veranstaltungen fanden nicht statt. Jedoch beteiligten sich Angehörige der FKN/O vereinzelt an regionalen Demonstrationen, die sich gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie richteten. Im Laufe des Jahres 2022 hielten sich selbst die Aktivitäten auf ihrer Facebook-Seite auf einem niedrigen Niveau. Die Themenfelder auf dieser Seite umfassten die Flüchtlingspolitik, Teilnahmeaufrufe für rechtsextremistische Demonstrationsveranstaltungen sowie Gedenkappelle. Mehrfach wurde sich zudem geschichtsrevisionistisch geäußert. Allerdings konnte mit den veröffentlichten Beiträgen kein nennenswertes Kommentaraufkommen generiert werden. In der Gesamtschau waren für das Jahr 2022 sporadisch anlassbezogene Aktivitäten festzustellen, die den rückläufigen Trend des Jahres 2021 fortsetzten. Bewertung / Ausblick Die "Freien Kräfte" waren in Brandenburg zuletzt wenig innovativ in ihren Aktionsformen. Offensichtlich handelt es sich um ein organisatorisches Auslaufmodell. Dies wird dadurch deutlich, dass nach der formellen Selbstauflösung der "Freien Kräfte Prignitz" (FKP) im Jahr 2020 keine Neugruppierungen und strukturellen Fortführungsbestrebungen in der Organisationsform "Freie Kräfte" erfolgten. Ein signifikanter Anstieg der Aktivitäten ist nicht zu erwarten. Dennoch gilt es weiterhin zu beobachten, ob und inwieweit "Freie Kräfte" ihre extremistischen Aktivitäten wieder verstärken beziehungsweise in andere Strukturen verlagern. 46 3.5 Parteiunabhängige Strukturen 3: Bruderschaften Sitz / Verbreitung Bruderschaften sind im gesamten Land Brandenburg vertreten. Bisweilen verfügen Bruderschaften über Immobilien, die für interne Treffen und Feierlichkeiten genutzt werden. Gründung / Bestehen Das Phänomen rechtsextremistischer Bruderschaften ist nicht neu. Bereits 1982 gründete sich beispielsweise in Ostberlin die rockerähnliche Gruppierung "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft". Die "Vandalen" sind bis heute in die rechtsextremistische Musikszene eingebunden. Bruderschaften sind wie eine "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG)56 organisiert und ähneln durch das einheitliche Tragen von Kutten im Auftreten klassischen Rockerclubs. In den letzten Jahren traten rechtsextremistische Bruderschaften verstärkt in Erscheinung und scheinen damit nach und nach die rückläufigen Organisationsmodelle "Freie Kräfte" und "Kameradschaft" abzulösen. Struktur / Repräsentanten In Bruderschaften ahmen Rechtsextremisten den klassischen Rocker-Lifestyle nach. Mitglieder tragen bei Szeneveranstaltungen Lederkutten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen. Häufig werden die hierarchischen Strukturen der Rockerclubs übernommen. So haben beispielsweise einige rechtsextremistische Bruderschaften, wie die "Barnimer Freundschaft", die rockertypische Unterscheidung in "Prospects" (Anwärter) und "Fullmember" (Vollmitglieder) übernommen. Rituale, Sprach-Codes, Symbole, Outfits und Strukturen werden demnach kopiert. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Bruderschaften im Land Brandenburg verfügten Ende 2022 weiterhin über etwa 95 Mitglieder. Kurzportrait / Ziele Ziel der Rechtsextremisten ist es, durch die Bildung rockerähnlicher Clans einen vermeintlich elitären Zirkel zu schaffen. Die Aufnahme als Mitglied auf Probe und der Aufstieg zum Vollmitglied sind häufig mit bestimmten Ritualen verbunden. Auf diese Weise soll eine verschworene Gemeinschaft von "Brüdern" geschaffen werden, die sich auch rein äußerlich durch das Tragen einer Art Vereinsuniform abgrenzt. Die strengen Hierarchien und klaren Regeln der OMCG passen dabei hervorragend mit den autoritären Führerfantasien mancher Rechtsextremisten zusammen. Das martialische Auftreten und die kameradschaftlich-brüderliche Verbundenheit der Rocker fügen sich in die Welt von Neonationalsozialisten ein. Gemeinsam ist allen rechtsextremistischen Bruderschaften, dass sie gemeinschaftliche, öffentliche Auftritte eher meiden. Kutten und sonstige Erkennungsmerkmale werden insbesondere bei internen Veranstaltungen und Konzerten getragen. Auf öffentliche Machtdemonstrationen, wie es bei OMCG üblich ist, wird für gewöhnlich verzichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass es vielen Gruppierungen schlichtweg an Masse mangelt. Zum anderen treibt rechtsextremistische Bruderschaften die Sorge um, durch ihre Uniformierung zu leicht als "Verein" identifiziert und damit Gegenstand vereinsrechtlicher Exekutivmaßnahmen zu werden. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass Bruderschaften sich bisher kaum zu öffentlichkeitswirksamen politischen Aktionen durchringen konnten. Die Gemeinschaft soll voll und ganz im Zentrum stehen. Eine gefestigte Ideologie beziehungsweise gezielte Meinungsäußerungen zu speziellen Themen - wie man es von vielen "Freien Kräften" oder Kameradschaften kennt - sind nachrangig. Die Bruderschaften wollen vornehmlich nach innen wirken, weniger nach außen. 56 Als "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) werden in erster Linie polizeilich relevante Rockergruppierungen bezeichnet. Vgl. auch: Homepage Bundeskriminalamt: "Unsere Aufgaben, Deliktsbereiche, Rockerkriminalität" (letzter Zugriff am 24.02.2022). 47 Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Mitglieder rechtsextremistischer Bruderschaften vertreten rassistische, nationalistische und antisemitische Positionen. Szene-Musik ist von besonderer Bedeutung. Sie dient der Rekrutierung und dem Ideologietransfer. Besonders bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden menschenverachtende Liedtexte gesungen, die bei öffentlichen Veranstaltungen gelegentlich und bei im Geheimen stattfindenden Konzerten nahezu immer mit offenen Bekundungen zum Nationalsozialismus wie "Sieg Heil"oder "Heil Hitler"-Rufen einhergehen. Die Mitglieder von Bruderschaften nehmen insbesondere an rechtsextremistischen Veranstaltungen mit Erlebnischarakter (beispielsweise Konzerte, Liederabende oder Clubabende) teil. Entwicklungen im Berichtszeitraum Folgende Bruderschaften waren im Berichtszeitraum 2022 im Land Brandenburg aktiv: "AO Strausberg" (AO SRB) Die "AO Strausberg" ist eine Gruppierung von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Strausberg (MOL), die nach dem Verbot der ANSDAPO ("Alternative Nationale Strausberger Dart-, Piercingund Tattoo-Offensive") im Jahr 2005 von einigen ehemaligen Mitgliedern gegründet wurde. Das Clubhaus befindet sich in Strausberg. Unter anderem führt die Gruppe hier Szeneveranstaltungen wie Feiern und Liederabende durch. Gute Kontakte hält die "AO Strausberg" zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie der "Barnimer Freundschaft", der "Bruderschaft H8" und den "Vandalen" (Berlin). Die Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf den regionalen Raum und auf Szeneund Privatveranstaltungen. Öffentliche Auftritte bleiben nach wie vor selten. Im Jahr 2022 sind weiterhin keine öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten bekannt geworden. "Barnimer Freundschaft" (BF25) Die "Barnimer Freundschaft" (BF25) ist ein Personenzusammenschluss von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Bernau (BAR). Das Clubhaus der "Barnimer Freundschaft" befindet sich in Wandlitz (OT Klosterfelde, BAR). Die Gruppierung pflegt gute Kontakte zu den rechtsextremistischen Gruppierungen "Northsidecrew", "AO Strausberg", "Bruderschaft H8", "Turonen"/"Garde 20" (Thüringen), "Vandalen" (Berlin) sowie den regionalen NPD-Strukturen im Raum Barnim und Berlin. Die BF25 besteht seit etwa 2006. Die Finanzierung wird vermutlich durch Mitgliedsbeiträge und Erlöse aus Szeneveranstaltungen (zum Beispiel für Aktivitäten im Bereich Security) sichergestellt. An rechtsextremistisch geprägten Veranstaltungen nehmen Mitglieder als Gruppe erkennbar teil. Sie setzen sich durch ihre Lederkutten mit aufgenähten Logos, die uniformähnlich sind, in Szene. So suggerieren sie Macht und Selbstbewusstsein. Einzelne Mitglieder der BF25 zeigen zudem Interesse an Kampfsport. So wurde beispielsweise im Jahr 2020 eine Veranstaltung im Rahmen des rechtsextremistischen "Kampf der Nibelungen" in Firmenräumen eines führenden Mitglieds der BF25 ausgerichtet. Im Jahr 2022 fanden keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der Gruppierung statt. "Bruderschaft H8" (H8) Die "Bruderschaft H8" ist eine Gruppierung von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Strausberg (MOL), die nach dem Verbot der "ANSDAPO" von einigen ehemaligen Mitgliedern gegründet wurde. Zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie der "Barnimer Freundschaft", den "Vandalen" (Berlin) und den "Turonen"/"Garde 20" (Thüringen) bestehen gute Kontakte. Die H8 finanziert sich vermutlich aus Mitgliedsbeiträgen. Sie verfügt über kein bekanntes Clubhaus. Die Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen. Politische Aktivitäten oder öffentliche Auftritte der Mitglieder waren im Jahr 2022 nicht feststellbar. 48 "Brigade 8 - Chapter Spreewald" (B8) Die ursprünglich in Schleswig-Holstein gegründete "Brigade 8" verfügt über regionale Ableger, die als "Chapter" bezeichnet werden. In Brandenburg existiert seit 2017 das "Chapter Spreewald", das aus über 15 Mitgliedern besteht, welche hauptsächlich aus der Region Cottbus sowie aus Frankfurt (Oder) stammen. Aufgrund polizeilicher Maßnahmen gegen Ende des Jahres 2021 gingen die Aktivitäten der Gruppierung im Berichtszeitraum deutlich zurück. Wohl um weitere behördliche Aufmerksamkeit von ihrem Clubund Wohnhaus eines Mitgliedes in Neupetershain (OSL) abzulenken, ist die "Brigade 8 - Chapter Spreewald" um die Etablierung einer neuen Immobilie bemüht. Dort könnten größere Veranstaltungen mit Szenebezug durchgeführt werden. "Hammerskin-Nation" (HSN) Die "Hammerskin-Nation" (HSN) ist eine international agierende Organisation, die Ende der 1980er-Jahre in den USA gegründet wurde und sich als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene versteht. Aktivitäten in Deutschland sind seit Anfang der 1990er-Jahre bekannt. Die "Hammerskin-Nation" ist der rechtsextremistischen Musikszene zugehörig und organisiert Konzerte. In Brandenburg existiert seit 2017 mit dem "Hammerskin-Chapter Brandenburg" (HS) eine eigene Untergruppe mit etwa zehn Mitgliedern. Das "Hammerskin-Chapter Brandenburg" nutzte in den vergangenen Jahren einen Kleingarten in Rathenow (HVL) sowie das Privatgrundstück eines Angehörigen der "Hammerskins" in Gransee (OHV). Für größere Events werden "unauffällige" und "neutrale" Objekte angemietet. In Brandenburg existierte bereits seit 2012 die "Crew 38 Brandenburg" als Supporter-Gruppierung der Hammerskins. 2017 stieg die "Crew 38" zu einem vollwertigen Mitglied der HSN auf. Die Gruppierung darf sich seitdem "Hammerskin-Chapter Brandenburg" nennen und die "Hammerskin"-Symbolik tragen. Das Chapter konnte dadurch weitere Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen, Bands und Personen in Deutschland, Europa und vor allem in den USA aufnehmen. Die "Hammerskin-Nation" verfolgt das Ziel, die "weiße Rasse" zu beschützen und alle rechtsextremistischen weißen Skinheads weltweit zu vereinigen. Ihr Symbol der gekreuzten Zimmermannshämmer vor einem Zahnrad steht für die "weiße Arbeiterklasse", die sich dem rassistischen Leitsatz der Bewegung des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane verpflichtet sieht. Dessen "14 words" lauten: "We must secure the existence of our people and a future for white children" ("Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für unsere weißen Kinder sichern."). Die "Hammerskins" finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge und durch Einnahmen aus Musikveranstaltungen. Aufgrund der pandemischen Lage fanden 2022 jedoch nur vereinzelt Treffen und Aktionen statt. Aktivitäten mit breiter Wirkung waren daher kaum feststellbar. Im Oktober 2022 hat eine Veranstaltung der Hammerskins in Brandenburg stattgefunden. Für die folgenden Jahre ist nicht mit einem Rückgang der Mitgliederzahlen zu rechnen. Die Struktur ist seit Jahrzehnten gefestigt und die Mitglieder sind ideologisch überzeugte Rechtsextremisten. Bisher erzielen die "Hammerskins" jedoch keine besonders hohe Außenwirkung, da sie aufgrund ihres elitären Selbstanspruches zumeist unter sich bleiben. "Kameradschaft Kommando Werwolf" (KSKW) Die "Kameradschaft Kommando Werwolf" (KSKW) rekrutiert sich schwerpunktmäßig aus dem rechtsextremistischen Milieu in Frankfurt (Oder) und Beeskow (LOS). Vermutlich gründete sich die KSKW im Jahr 2010. Ihre Aktivitäten beschränken sich seither auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen. Engere Kontakte und Kennverhältnisse bestehen zur "Barnimer Freundschaft", "Brigade 8", "Bruderschaft H8" und "AO Strausberg". Ein wichtiges Betätigungsfeld der Gruppe sind rechtsextremistische Musikveranstaltungen. Zudem unterhält die KSKW Beziehungen zu den rechtsextremistischen Bands "Feuer Frei", 49 "Frontfeuer" und "Projekt 8.8". Die KSKW gehört trotz des Namens "Kameradschaft" zu den rechtsextremistischen Bruderschaften. Auffälligerweise tragen ihre Mitglieder bei Szeneveranstaltungen die für Bruderschaften typischen Lederkutten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen. In den letzten Jahren versuchte die KSKW rechtsextremistische Konzerte durchzuführen. Über ein eigenes Szeneobjekt verfügt die Gruppierung seit dem Jahr 2020 nicht mehr. "Märkische Skinheads 88" (MS88) Die "Märkischen Skinheads 88" (MS88) sind seit 2011 bekannt. Sie stammen aus der Region Oberhavel. Die etwa zehn Mitglieder umfassende rechtsextremistische Gruppierung ist an der Organisation und Durchführung von szenetypischen Musikveranstaltungen (wie zum Beispiel der "Whisky & Rebellen"-Musiktour) beteiligt. Die MS88 haben Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Gruppen, wie der "Barnimer Freundschaft", der "Northsidecrew" und zu rechtsextremistischen Bands wie "Hausmannskost", "D.S.T." (Berlin) sowie "Helle & die RAC'ker" (MV). Zudem pflegen die MS88 Umgang zu rechtsextremistischen Liedermachern, wie "Helle" (MV), und zu Szene-Vertrieben wie "Rebel Records" in Cottbus. Darüber hinaus existieren Verbindungen zu den "Velten Skinheads". Die MS88 finanzieren sich vermutlich durch die Organisation rechtsextremistischer Konzerte und Liederabende. Aufgrund der Corona-Pandemie war es der Gruppierung kaum möglich, entsprechende Veranstaltungen durchzuführen. Erfahrungsgemäß werden sie weiterhin an Musikveranstaltungen im Land Brandenburg sowie in Sachsen teilnehmen und an der Organisation mitwirken. "Wolfsschar Brandenburg" Die Bruderschaft "Wolfsschar" wurde nach eigenen Angaben im Juni 2021 gegründet. Sie ist in die Chapter "Magdeburg", "Berlin" und "Brandenburg" mit Sitz in Frankfurt (Oder) unterteilt. Dem Chapter "Brandenburg" gehören etwa zehn Personen an. Die "Wolfsschar Brandenburg" besteht vornehmlich aus ehemaligen Mitgliedern sowie Unterstützern der rechtsextremistischen Partei NPD. Insgesamt betrachtet erzeugte die "Wolfsschar Brandenburg" durch ihr uniformiertes Auftreten in Form von bedruckten T-Shirts bei Veranstaltungen eine öffentliche Wahrnehmbarkeit und versuchte seit ihrer Gründung rechtsextremistisches und rassistisches, vorwiegend durch die NPD geprägtes Gedankengut in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Bewertung / Ausblick Bruderschaften werden weiterhin ihren festen Platz in der rechtsextremistischen Szene des Landes Brandenburg einnehmen, da sich diese Organisationsstruktur etabliert und für die Szene bewährt hat. Scheinbar haben die klassischen Rocker-Clubs wie Hells Angels oder Gremium MC kein Problem mit dem Auftreten der Neonationalsozialisten in Kutten. Zukünftig werden Bruderschaften in der rechtsextremistischen Szene weiter und verstärkt mitmischen, insbesondere bei der Organisation von rechtsextremistischen Rockkonzerten und als Security bei Veranstaltungen. 50 3.6 Parteiunabhängige Strukturen 4: Zukunft Heimat e. V. Sitz / Verbreitung Der Verein "Zukunft Heimat e. V." ist in Golßen (LDS) ansässig. Öffentlichkeitswirksam tritt der Verein jedoch zumeist in Cottbus in Erscheinung. Gründung / Bestehen Der Verein wurde im Jahre 2015 unter anderem von Hans-Christoph Berndt57 gegründet. Struktur / Repräsentanten Der Verein wird eigenen Angaben zufolge unter anderem von Anne Haberstroh vertreten. Neben den Straßenprotesten ist der Verein vor allem auf Facebook (rund 18.400 Abonnenten) und Twitter (circa 4.300 Follower) aktiv. Des Weiteren verfügt er über einen Instagram-Account (etwa 2.500 Abonnenten) und einen Telegram-Kanal (etwa 1.500 Abonnenten), der im vierten Quartal 2021 zur Mobilisierung genutzt wurde.58 Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Der Verein hat etwa 80 Mitglieder. Kurzportrait / Ziele "Zukunft Heimat e. V." (kurz "Zukunft Heimat") verfolgt das Ziel, mit Demonstrationen und anderen öffentlichkeitswirksamen Aktionen gegen eine vermeintliche "Überfremdung" Deutschlands und Europas mobil zu machen. Ebenfalls tritt der Verein durch öffentliche Diffamierungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Erscheinung. Der frühere Vereinsvorsitzende Hans-Christoph Berndt sieht "Zukunft Heimat" als Teil einer politischen Vorfeld-Bewegung sowie als Bestandteil eines neurechten Netzwerkes. Hierzu zählen unter anderem der als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestufte Verein "Ein Prozent e. V.", das rechtsextremistische COMPACT-Magazin59 und das wiedereröffnete rechtsextremistische Szeneobjekt "Die Mühle" in Cottbus.60 Der Verein versucht, breite Teile der Bevölkerung im Raum Cottbus anzusprechen. Mit einem vermeintlich bürgerlichen Auftreten trägt "Zukunft Heimat" dazu bei, rechtsextremistische Inhalte zu normalisieren und gesellschaftlich anschlussfähig zu machen. Diese auf Dauer angelegte Strategie der Veränderung der politischen und gesellschaftlichen Kultur im Sinne einer rechtsextremistischen Ideologie wird als Entgrenzung des Rechtsextremismus bezeichnet. Der Verein konnte bereits mehrfach über 3.000 Demonstranten aus verschiedenen rechtsextremistischen und bürgerlichen Milieus mobilisieren und somit die Entgrenzung des Rechtsextremismus vorantreiben. Darüber hinaus veranstaltete der Verein zusammen mit dem vorübergehend geschlossenen rechtsextremistischen Szeneobjekt "Die Mühle"61 in der Vergangenheit diverse Vortragsveranstaltungen, Stammtische und Feste in Cottbus. An diesen nahmen unter anderem führende Persönlichkeiten des neurechten Spektrums und der AfD62 teil. Somit versucht "Zukunft Heimat", die Stadt Cottbus als einen bundesweiten Vernetzungsund Verschmelzungsort für rechtsextremistische Strukturen zu etablieren. Finanzierung Der Verein finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. 57 Siehe Kap. 3.12. Landesverband der Alternative für Deutschland (Verdachtsfall). 58 Die Abonnentenund Followerzahlen in den Sozialen Medien beziehen sich auf den Stand vom 15.12.2022. 59 Für weitere Informationen zu COMPACT siehe zudem Kapitel 3.7. 60 Vgl. YouTube-Video mit Hans-Christoph Berndt vom 02.09.2019 (letzter Zugriff am 13.11.2019). Anmerkung: Das Video unterliegt derzeit einer privaten Zugangsbeschränkung. 61 Siehe Kap. 3.11. Immobilien der rechtsextremistischen Szene. 62 Siehe Fußnote 6. 51 Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Auf Demonstrationen, Veranstaltungen und im Internet verbreitet der Verein rassistische, antisemitische sowie islamund fremdenfeindliche Thesen. Vor allem Migranten und Geflüchtete werden pauschal als "Invasoren" oder auch als "kriminelle Gäste" diffamiert. Migration wird dabei als "Volksaustausch" verstanden, die in erster Linie dazu diene, die Bevölkerung in Deutschland zu ersetzen. Schlagworte wie "Volksaustausch", "Umvolkung" oder "Volkstod" sind in rechtsextremistischen Kreisen aufgrund der Verschwörungserzählung des "Großen Austausches" weit verbreitet. Der "Große Austausch" besagt, dass die weiße Mehrheitsbevölkerung aufgrund eines "geheimen Plans" angeblicher "globalistischer Eliten" durch nicht-weiße - vor allem muslimische - Einwanderer gezielt ausgetauscht werden soll. Wie gefährlich die Verbreitung dieser Verschwörungserzählung und der damit einhergehenden Bedrohungsszenarien ist, zeigen rechtsterroristische Anschläge der letzten Jahre. Ein Beispiel hierfür ist der Terrorangriff von Christchurch (Neuseeland), bei dem am 15. März 2019 über 50 Menschen muslimischen Glaubens ermordet wurden. Der Attentäter verbreitete im Internet ein Manifest, welches den Titel "The Great Replacement" - zu Deutsch "Der Große Austausch" - trug. Der Rückgriff auf diese Verschwörungserzählung hat in der rechtsextremistischen Szene des Landes Brandenburg einen langen Vorlauf. So bediente sich beispielsweise in den beginnenden 2010er-Jahren die "Widerstandsbewegung Südbrandenburg" im Rahmen ihrer "Volkstod-Kampagne" dieser Erzählung. Zentrale Akteure der 2012 verbotenen neonationalsozialistischen "Widerstandsbewegung Südbrandenburg", die auch unter dem Namen "Spreelichter" bekannt war, sind bis heute bei "Zukunft Heimat" aktiv. Der Verein versucht die Menschen durch "bürgerliche" Aktionen zu erreichen. Zugleich ist der Verein aufgrund seiner engen Zusammenarbeit mit der AfD63 bestrebt, die eigene verfassungsfeindliche Ideologie ins Parlament zu tragen. Des Weiteren verunglimpfen zentrale Akteure des Vereins "Zukunft Heimat" die freiheitliche demokratische Grundordnung und stellen diese in Abrede. Dabei greifen sie auf geschichtsrevisionistische Vergleiche zurück, um die freiheitliche demokratische Grundordnung zu delegitimieren und zum "Widerstand" gegen die vermeintliche "Diktatur" aufzurufen. Führende Politikerinnen und Politiker demokratischer Parteien werden zu Feindbildern des "deutschen Volkes" erklärt. Bekannte Politiker werden als "Volksverräter, die für die Morde, Übergriffe und Islamisierung hier in Deutschland verantwortlich sind" oder als "Wiedergeburt von Stasi-Chef Erich Mielke" verächtlich gemacht.64 So forderte beispielsweise der damalige Vereinsvorsitzende Hans-Christoph Berndt 2019 öffentlich den "Widerstand fort[zu]setzen, aus[zu]weiten, solange bis wir diejenigen, die Heimat und Identität zerstören, aus ihren Ämtern verjagt haben".65 Dies zeigt zum einen die Ablehnung demokratischer Prozesse, deren Kernbestandteil es ist, politische Amtsträger abzuwählen und nicht zu "verjagen". Zum anderen zeigt sich hier wieder die Verschwörungserzählung des "Volksaustauschs" und eine vermeintliche Bedrohung der eigenen kollektiven Identität. Ein weiterer Grund für die Beobachtung des Vereins ist die enge Vernetzung und Verschmelzung mit weiteren rechtsextremistischen Strukturen. So engagieren sich führende Köpfe des entgrenzten Rechtsextremismus für den Verein. Hierzu zählen zum Beispiel Neonationalsozialisten der verbotenen Vereinigung "Widerstandsbewegung Südbrandenburg" sowie Vertreter des rechtsextremistischen "Institut für Staatspolitik"66 aus Schnellroda (Sachsen-Anhalt). Ebenfalls treten ehemalige Aktivisten der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" für den Verein öffentlich in Erscheinung und unterstützen ihn unter 63 Siehe Fußnote 6. 64 Vgl. YouTube-Video vom 03.02.2018 (letzter Zugriff am 14.04.2021). 65 Vgl. YouTube-Video mit Hans-Christoph Berndt vom 15.07.2019 (letzter Zugriff am 13.11.2019). Anmerkung: Das Video wurde gelöscht. 66 Das Institut für Staatspolitik wird durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet sowie durch den Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt als Beobachtungsobjekt geführt. 52 anderem in der Medienarbeit. Zusätzlich erfährt "Zukunft Heimat" breite Unterstützung vom völkisch-nationalistischen Lager der AfD67. Diese nutzen Veranstaltungen und Demonstrationen des Vereins zur Verbreitung ihrer rechtsextremistischen Ideologie. Der Verein "Zukunft Heimat" fungiert als länderübergreifendes Scharnier zwischen unterschiedlichen rechtsextremistischen Akteuren: von der gewaltbereiten Hooliganund Kampfsportszene bis hin zu führenden Köpfen des intellektuellen Rechtsextremismus und der AfD.68 Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Berichtsjahr 2022 trat "Zukunft Heimat" zunächst vor allem im Zuge des Protestgeschehens gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen der Landesund Bundesregierung in Erscheinung, um wie in den Jahren zuvor maximales politisches Kapital aus der Pandemie zu schlagen. In der zweiten Jahreshälfte bezog der Verein vor allem Stellung zum russischen Angriffskrieg und den daraus abgeleiteten Versorgungskrisen. Auch hier stand durch Skandalisierung vor allem die Mobilisierung von Menschen auf der Straße im Vordergrund. Dies wird verdeutlicht in einem Interview mit dem Gesicht des Vereins HansChristoph Berndt. Dieser forderte im August 2022 am Rande einer Veranstaltung des rechtsextremistischen "Instituts für Staatspolitik" (IFS) "dezentral so wie es im letzten Winter war (...) an tausenden Orten gleichzeitig auf die Straße [zu] gehen, überall Initiativen zu bilden, überall aktiv werden, sich überall vernetzen. Das entfaltet eine Kraft, (...) der wird die Regierung nicht widerstehen können."69 Auf den Demonstrationen des Vereins wurde das Handeln der Regierung regelmäßig als "Staatswillkür" oder Machtkartell verunglimpft, welche einen "Impfzwang" durchsetzen wolle.70 Die wiederholte und oftmals diffamierende Unterstellung, "der Staat" würde im Rahmen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen willkürlich gegen seine Bürger handeln, untergräbt den demokratischen Rechtsstaat. Die im Parlament beschlossenen Gesetze und deren Umsetzung wurden wiederholt als Willkür delegitimiert. Auch die Polizei wurde zunehmend als Feindbild aufgebaut. Hierbei boten die Sozialen Medien und Telegram Raum für Radikalisierung. Dort wurden aggressive, menschenverachtende Aussagen gegen die Polizei getroffen, welche bis hin zu konkreten Gewaltaufrufen reichten. So entfachte etwa das am 17. Januar 2022 auf dem Facebook-Profil von "Zukunft Heimat" geteilte Video zu einem "Spaziergang" heftige Reaktionen über den Polizeieinsatz und wurde unter anderem von einem Nutzer folgendermaßen kommentiert: "jetzt muss die Knüppeltruppe nur noch dezimiert werden. Wenn sie mit Gewalt agieren muss mit Gewalt geantwortet werden." [sic!]71 Hieraus wird ersichtlich wie die gezielte, anhaltende virtuelle Agitation durch "Zukunft Heimat" als Radikalisierungsmotor wirkt. Der Verein verbreitete wie schon in den Vorjahren verschwörungsideologisches Gedankengut. Ein Beispiel bietet der Redebeitrag einer Aktivistin auf einer Demonstration am 28. Februar 2022 in Cottbus. In ihrer Rede kontextualisiert sie die Debatte über die Corona-Eindämmungsmaßnahmen mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und bettet dies verschwörungsideologisch ein: "Die Lügenkonstrukte müssen zum Einsturz gebracht werden. Nur dann ist ein rechtmäßiger Status für uns und unser Land zu erreichen. Corona ist auf einmal von der Bildfläche verschwunden. Wahrscheinlich mit an die Front nach Osten ausgerückt. Wahrscheinlich kehrt es von dort aus mit seinem Bruder nicht Omicron, sondern Vitalicron zurück. Pünktlich im September, siehe da, Simsalabim zückt unser Karlchen die allgemeine Impfpflicht für alle ab 18 aus der Schublade."72 67 Siehe Fußnote 6. 68 Siehe Fußnote 6. 69 Info-direkt. Das Magazin für Patrioten: Widerstands-Tipps für den heißen Herbst von Hans-Christoph Berndt (AfD), 04.08.2022 (letzter Zugriff 15.12.2022). 70 Telegram-Seite Zukunft Heimat, 06.02.2022 (letzter Zugriff am 12.08.2022). 71 Facebook Zukunft Heimat, 17.01.2022 (letzter Zugriff 18.01.2022). 72 Twitter Account Antifa Zeckenbiss, vom 28.02.2022 (letzter Zugriff 01.03.2022). 53 An zahlreichen weiteren Beispielen lässt sich die anhaltende Kooperation zwischen "Zukunft Heimat" und anderen Akteuren sowie Organisationen, insbesondere aber der AfD73 Brandenburg nachvollziehen. Dabei stand vor allem das Schüren von Ängsten gegen Migranten im Vordergrund. So tauchten etwa Ende August 2022 an einer Brücke im Goethepark in Cottbus mehrere Plakate mit der Aufschrift "Vorsicht vor kriminellen Migranten - Betreten auf eigene Gefahr" auf. Die Fotos zur Plakataktion sowie ein Beitrag des rechtsextremistischen Verdachtsfalls "Ein Prozent e. V." wurden unter anderem in sozialen Netzwerken vom Vorsitzenden des AfD74-Kreisverbands Cottbus und dessen Beitrag wiederum von "Zukunft Heimat" geteilt.75 Im Beitrag von "Ein Prozent e. V." wird generalisierend vor "kriminellen Ausländern" in Cottbus gewarnt und der Polizei eine gezielte Desinformation vorgeworfen.76 Im Zuge der Veröffentlichung dieses Beitrags hat "Zukunft Heimat" diese Aussagen weiterverbreitet. Ein Interview mit Hans-Christoph Berndt zur Rolle von sogenannten Bürgerbewegungen legt zudem offen, dass die im Jahr 2022 wahrnehmbare öffentliche Zurückhaltung hinsichtlich rechtsextremistischer Äußerungen im Rahmen von Demonstrationen einer Strategie gleicht. Im Interview, in welchem Berndt als Mitbegründer von "Zukunft Heimat" auftritt, kommen Positionen zum Tragen, die für eine Kontinuität und somit gegen eine Abkehr von rechtsextremistischem Gedankengut sprechen.77 So bewertet er im völkisch-ethnopluralistischen Duktus die Maßnahmen der Bundesregierung im Zuge der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 mit den Worten: "Die Grenzöffnung 2015 war ein Angriff auf die Nationalstaaten des weißen Mannes". Bewertung / Ausblick Im Jahr 2022 agierten der Verein "Zukunft Heimat" und seine zentralen Akteure deutlich weniger mit rechtsextremistischen Parolen. Sie konzentrierten sich im öffentlichen Raum verstärkt auf die Rolle des Organisators und insbesondere in der zweiten Jahreshälfte auf Themen wie die Inflation oder die Energiekrise im Zuge des russischen Angriffskriegs. Dies erfolgte aus rein strategischen Gesichtspunkten. Dass sich der Verein nicht von den bisherigen verfassungsfeindlichen Zielen und Parolen abwendet, erkennt man daran, dass er weiterhin mit anderen Rechtsextremisten kooperiert und gemeinsam agiert. Er verleiht ihnen im öffentlichen sowie im virtuellen Raum eine Stimme. Trotz der Reduzierung der eindeutig rechtsextremistischen Parolen vertritt der Verein weiterhin öffentlich stigmatisierende, ausgrenzende Positionen zu Migranten. Es ist davon auszugehen, dass er auch künftig an der Strategie festhalten wird, gesellschaftspolitische Problemlagen zu instrumentalisieren und zu versuchen, diese als "Türöffner" in breite Bevölkerungsschichten zu nutzen, um gezielt eine Radikalisierung durch rechtsextremistische Propaganda voranzutreiben. Der Verein bleibt neben dem rechtsextremistischen Verdachtsfall AfD Brandenburg78 einer der zentralen Akteure des entgrenzten Rechtsextremismus in Brandenburg. "Zukunft Heimat" soll als Bewegung neben der Partei politisch mobilisieren und die Bevölkerung ansprechen. Nicht ohne Grund ist der Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion79 weiterhin das Gesicht von "Zukunft Heimat". Zukünftig ist davon auszugehen, dass der Verein einerseits seine Stellung in der rechtsextremistischen beziehungsweise neurechten Szene festigen wird. Andererseits dürfte "Zukunft Heimat" neben dem "Institut für Staatspolitik" weiterhin eine entscheidende Rolle in der Vernetzung, Entgrenzung und letzten Endes der Verschmelzung verschiedener rechtsextremistischer Organisationen einnehmen. 73 Siehe Fußnote 6. 74 Siehe Fußnote 6. 75 Facebook Zukunft Heimat, 29.08.2022 (letzter Zugriff 29.08.2022.). 76 Telegram Ein Prozent, 26.08.2022 (letzter Zugriff 30.08.2022). 77 Christoph Berndt in "Auf 1.TV": "Wir brauchen den Druck der Straße", 31.10.2022 (letzter Zugriff 02.11.2022). 78 Siehe Fußnote 6. 79 Siehe Fußnote 6. 54 3.7 Parteiunabhängige Strukturen 5: COMPACT-Magazin GmbH Sitz / Verbreitung Die "COMPACT-Magazin GmbH" hat seit dem Jahr 2022 ihren offiziellen Sitz in Falkensee (HVL). Dort wird das monatlich erscheinende "COMPACT-Magazin" verlegt. Hinzu kommen diverse Sonderhefte. Die Printprodukte des Magazins werden bundesweit sowie im Ausland vertrieben. Daneben ist das Unternehmen in Sozialen Medien aktiv und unterhält eine eigene Webseite. Dort werden digitale Fassungen der Magazin-Ausgaben vertrieben und weitere Beiträge sowie Videos veröffentlicht.80 Gründung / Bestehen Die Printausgabe des COMPACT-Magazins erscheint seit dem Jahr 2010. Chefredakteur ist Jürgen Elsässer. Struktur / Reichweite Eigenen Angaben zufolge lag die monatliche Auflage des COMPACT-Magazins zwischenzeitlich bei etwa 40.000 Exemplaren.81 Daneben wird ein eigener YouTube-Kanal mit dem Namen "COMPACT TV" betrieben. Er verfügt über rund 171.000 Abonnenten. Zudem ist COMPACT in den Sozialen Medien auf Twitter (etwa 32.000 Follower), vk.com (etwa 3.000 Abonnenten) und Telegram (etwa 56.000 Abonnenten) aktiv.82 Darüber hinaus verfügt das Magazin über eine eigene Webseite. Des Weiteren richtet COMPACT seit 2012 jährliche "Konferenzen für Souveränität" aus. Dort treten Personen aus dem rechtsextremistischen, neurechten und verschwörungsideologischen Milieu auf. Die Konferenzen dienen dem inhaltlichen Austausch und der Vernetzung. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Im Berichtsjahr 2022 schrieben sechs offizielle Redakteure und eine Reihe an Gastautoren regelmäßig für die Printausgaben des Magazins. Veröffentlichungen Das COMPACT-Magazin ist erstmals im Dezember 2010 erschienen und wird seit Mai 2011 monatlich publiziert. Neben der monatlichen Printausgabe erscheinen in regelmäßigen Abständen die Sonderausgaben "COMPACT Spezial" und "COMPACT Geschichte". Zusätzlich erscheinen unregelmäßig "COMPACT Edition" und "COMPACT Aktuell". Kurzportrait / Ziele COMPACT beschreibt sich selbst als "oppositionelles" Medium, das sich als Ziel gesetzt hat, "zum Sturz des Regimes beizutragen."83 Es verfolgt eine selbst begründete "Fünf-Finger-Strategie" und sieht sich als Teil eines Netzwerkes. So schrieb COMPACT im Jahr 2018: "Alle zusammen in großer Einheit: Pegida, IB, AfD, Ein Prozent, Compact! Fünf Finger, alle kann man einzeln brechen, aber alle zusammen sind eine Faust!".84 Im Sinne dieser Strategie bietet COMPACT rechtsextremistischen und verschwörungsideologischen Akteuren eine Plattform zur Verbreitung ihrer Agenden. Ziel von COMPACT ist es, eine rechtsextremistische Verschiebung des politischen Diskurses herbeizuführen. Dafür werden Verschwörungserzählungen, Falschinformationen und Bedrohungsszenarien genutzt und mit Fakten vermischt. Für das 80 In die Bewertung der COMPACT GmbH werden alle Publikationsformate des Magazins sowie Social-Media-Auftritte berücksichtig. Bei der Verwendung des Namens COMPACT sind entsprechend alle Publikationsformen eingeschlossen. 81 Vgl. COMPACT 08/2020, S. 8. 82 Die Abonnentenund Followerzahlen in den Sozialen Medien beziehen sich auf den Stand von Januar 2023. 83 COMPACT 05/2018, S. 29. 84 COMPACT 01/2018, S. 52. 55 Magazin sind verschiedene rechtsextremistische Autoren, unter anderem von der "Identitären Bewegung", tätig.85 Finanzierung COMPACT finanziert sich unter anderem aus Erlösen der Zeitschriftenverkäufe, einer "Clubmitgliedschaft", einem Web-Shop, Spenden und YouTube-Werbeeinnahmen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Das zentrale Ziel von COMPACT ist, die demokratisch legitimierte Regierung der Bundesrepublik Deutschland durch einen Sturz des vermeintlichen "Regimes" zu entmachten. Anschließend soll das demokratische durch ein identitäres System ersetzt werden. Um den anvisierten Umsturz zu erreichen, ruft COMPACT unter anderem zur Selbstjustiz und zum Widerstand auf. Solche Verlautbarungen stehen klar im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Darüber hinaus fordert COMPACT eine Ungleichbehandlung von Muslimen. Diese stehen neben Migranten und Geflüchteten im besonderen Fokus von COMPACT. Die genannten Personengruppen werden in einer die Menschenwürde verletzenden Weise ausgegrenzt, verächtlich gemacht, kriminalisiert oder anderweitig herabgewürdigt. COMPACT baut so ein extremistisches Freund-Feind-Schema auf: "Es findet ein Krieg gegen Deutsche statt [...]. Dieser Krieg findet statt von innen: durch Politiker - und von außen: durch kulturfremde Gruppenvergewaltiger, Messerstecher, Totschläger und Mörder. Deutsche werden gejagt, vergewaltigt, geschlagen, gemessert, vertrieben, ermordet - im eigenen Land."86 Des Weiteren ist Antisemitismus, zum Beispiel in Form von Verschwörungserzählungen mit antisemitischen Chiffren, ein zentrales Element von COMPACT. So beschreibt COMPACT die EU und die UN beispielsweise als "Attrappen-Institution der Hochfinanz"87, womit sich COMPACT klassisch antisemitischen Verschwörungsmythen aus der Zeit des Nationalsozialismus bedient. Diese Strategie zielt darauf ab, Sprache mit nationalsozialistischem Bezug zu normalisieren und somit den Nationalsozialismus selbst zu relativieren. Beispielsweise verwendet COMPACT den Begriff "atomarer Holocaust". 88 "Holocaust" bezeichnet jedoch ein singuläres Ereignis. Den Begriff anderweitig zu verwenden, führt zu einer bewussten Verharmlosung der industriellen Ermordung der Juden im Dritten Reich. Weitere Beispiele für eine angestrebte Normalisierung des NS-Sprachgebrauchs sind Begriffe wie "Umvolkung" und "Herrenmenschen".89 Entwicklungen im Berichtszeitraum Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war im Berichtszeitraum eines der bestimmenden Themen der COMPACT-Berichterstattung. Seit der militärischen Intervention am 24. Februar 2022 verbreitet COMPACT hierzu über zahlreiche virtuelle Kanäle und seine Printmedien gezielt Desinformation, Verschwörungsnarrative, geschichtsrevisionistische Positionen und macht sich teilweise die Propaganda der russischen Regierung zu eigen. 85 Für weitere Informationen zur "Identitären Bewegung" siehe Kapitel 3.8. 86 COMPACT-Online: "'Verzeichnis der Schande': Unsere toten und vergewaltigten Frauen beschwiegen und ignoriert", 26.07.2019 (letzter Zugriff am 17.03.2022). 87 COMPACT 08/2019, S. 3. 88 COMPACT 04/2019, S. 3. 89 Vgl. COMPACT-Geschichte Nr. 9: "Dresden 1945", 2020, S.29 ff., S. 46 ff., S. 51 ff., S. 69-82. 56 Im Schulterschluss mit AfD90-Akteuren richtete COMPACT etwa am 10. März 2022 eine Veranstaltung in Hoppegarten (MOL) unter dem Motto "Ukraine-Russland Konflikt!" aus und veröffentlichte die Rede Elsässers nachträglich im Internet.91 Elsässer solidarisierte sich dort mit dem russischen Propaganda-Sender RT, der seit dem 2. Februar 2022 mit einer Beanstandungsund Untersagungsverfügung belegt ist. Zudem beschrieb er die ukrainische Regierung folgendermaßen: "Dieser Selensky, sein Außenminister Kuleba und auch der ukrainische Botschafter hier in Berlin sind ausgemachte Drecksäcke, Extremisten und Brandstifter [...] Sie greifen ja nicht Russland wegen Putin an, sondern sie greifen Putin wegen Russland an. Die wollen Russland haben [...]. Das geht 260 Jahren schon so." Derartige Verunglimpfungen der ukrainischen Regierung sowie die ständige Täter-Opfer-Umkehr mit Blick auf den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gehören zum Rechtfertigungsnarrativ der russischen Regierung und legen offen, dass COMPACT diese Kriegsrhetorik vollständig übernimmt. In zahlreichen Beiträgen, wie zum Beispiel in der Spezial-Ausgabe "Feindbild Russland: Die NATO marschiert", wird die NATO unter Verweis auf die zugeschriebene dominante Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika im Kriegsgeschehen als Aggressor dargestellt: "Der Angreifer ist, wie schon oft in der Geschichte beobachtet, nicht der Aggressor. Die Aggression geht von der NATO unter Führung der USA aus, die die Ukraine als Offensivplattform gegen Russland nutzen wollen und bereits eine ständige Militärpräsenz im Land unterhalten."92 Die beschriebene Dämonisierung der NATO geht bei COMPACT mit einem verschwörungsideologisch aufgeladenen Antiamerikanismus einher. In einem Beitrag auf COMPACT-Online unter dem Titel "Pipeline-Terror: Indizien sprechen gegen die USA" werden angebliche Belege aufgeführt, die beweisen sollen, dass die USA Sabotagen an den beiden Nordstream-Gasleitungen verübt haben sollen. Deutschland befände sich demnach weiterhin unter amerikanischer Besatzung und sei als US-Kolonie "aggressiven Aktionen der USA gegen die BRD" ausgesetzt.93 Unter Berufung auf dubiose Quellen, wie den TelegramKanal "Übersicht Ukraine", werden angebliche Argumente für amerikanisch-ukrainische Sabotageakte aufgezählt. Die Aneignung und Weiterverbreitung russischer Propaganda verdeutlicht die extremistische Rolle COMPACTs im außenpolitischen Diskurs. Gleichermaßen wird offenbar, wie Rechtsextremisten gezielt versuchen, von Spekulationen bis zu Verschwörungsideologien sämtliche ihnen in die Hände spielenden Geschichten aufzugreifen und für die eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu nutzen. Bewertung / Ausblick COMPACT tritt im Rahmen des russischen Krieges gegen die Ukraine als Agitator auf und verbreitet über seine zahlreichen Medienformate aggressiv Desinformation, Verschwörungserzählungen und prorussische Propaganda. Dabei werden gezielt Narrative der russischen Regierung übernommen und mit eigenen Verschwörungserzählungen angereichert, um so den vermeintlich totalitär agierenden deutschen Staat beziehungsweise den Westen ganz allgemein als Feindbild zu präsentieren. COMPACT versucht seit dem Krieg in der Ukraine in noch schärferer Tonart, Ängste zu schüren und diese im eigenen Sinne zu instrumentalisieren. Ziel der COMPACT-Magazin GmbH wird auch künftig sein, ideologisch für nicht-extremistische Milieus anschlussfähig zu werden. So wird COMPACT aufgrund des anhaltenden Krieges in der Ukraine nicht nur versuchen, seine rechtsextremistische Stammklientel 90 Siehe Fußnote 6. 91 COMPACT-Online: Elsässer: "Deutschland muss aus der NATO-Kriegsfront ausscheren!" vom 12.03.2022 (letzter Zugriff am 14.03.2022). 92 COMPACT Spezial 33/2022, S. 76. 93 COMPACT-Online "Pipeline-Terror: Indizien sprechen gegen die USA", 29.09.2022 (letzter Zugriff am 04.10.2022). 57 zu bedienen, sondern aller Voraussicht nach auch weiter in politisch linksorientierten Kreisen an Bedeutung zu gewinnen. Insbesondere vor dem Hintergrund der für Extremisten verhältnismäßig großen Reichweite COMPACTs besteht die Gefahr, dass das Magazin zu gesellschaftlichen Verwerfungen sowie zur politischen Destabilisierung in Deutschland beiträgt. Ziel der wehrhaften Demokratie muss daher sein, die Reichweite von COMPACT zu verkürzen. Die Löschung des entsprechenden Tik-Tok-Kanals ist da nur ein erster Schritt.94 94 Vgl. Verfassungsschutz Brandenburg: "TikTok setzt COMPACT vor die Tür", https://mik.brandenburg.de/mik/de/start/service/presse/pressemitteilungen/detail-pm-und-meldungen/~21-02-2023-tiktok-setzt-compact-vor-die-tuer (letzter Zugriff 20.03.2023). 58 3.8 Parteiunabhängige Strukturen 6: Kampfsportgruppen Sitz / Verbreitung Rechtsextremistische Kampfsportgruppen sind in Brandenburg überwiegend im Süden vertreten. Gründung / Bestehen Die gegenwärtig älteste rechtsextremistische Kampfsportgruppierung in Brandenburg stammt aus dem Jahr 2008. Das Phänomen wurde im Verfassungsschutzverbund erstmalig durch Brandenburg beschrieben. Struktur / Repräsentanten Die Anhänger rechtsextremistischer Kampfsportgruppierungen entstammen häufig dem Fußballhooligan, Kampfsportsowie dem Securityund Türstehermilieu. Es bestehen Überschneidungen mit Rocker-Gruppen. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Etwa 125 Mitglieder beziehungsweise Anhänger werden rechtsextremistischen Kampfsportgruppen im Land Brandenburg zugerechnet. Kurzportrait / Ziele Im rechtsextremistischen Weltbild hat die Vorbereitung auf einen "Endkampf" und den "Tag X" eine besondere Bedeutung. Die Ausübung von Kampfsport entspricht der Überzeugung, sich für den angestrebten Zusammenbruch der staatlichen Ordnung zu wappnen und ist somit Ausdruck einer aggressiv-kämpferischen Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Rechtsextremisten beschwören dabei vermeintliche soldatische Tugenden, wie "Härte", "Unerbittlichkeit", "Selbstüberwindung" und "Wehrhaftigkeit". Sie erheben sich über alle Menschen, die sie als minderwertige Volksfeinde ausmachen und denen sie Angst einflößen wollen. Die vermeintlich rassische Überlegenheit spiegelt sich im nationalsozialistischen Zerrbild des Übermenschen wider. Ein vermeintlicher "Volksgesundungsgedanke" spielt in der Ideenwelt der Rechtsextremisten eine Rolle. Dies äußert sich unter anderem in einer zunehmenden Orientierung an gesunder Ernährung, Bioprodukten bis hin zu einer "Straight Edge"-Lebensweise95; was wiederum Anschluss an bestimmte Teile der Gesellschaft und Jugendkulturen ermöglicht. Finanzierung Rechtsextremistische Kampfsportgruppierungen finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge, Sponsoring und die Organisation von Szeneveranstaltungen. Zusätzliche Einnahmen fallen durch Security-Einsätze sowie Tätigkeiten im Türsteher-Milieu an. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Neben körperlicher Fitness verbinden Rechtsextremisten den Kampfsport mit neonationalsozialistischer Ideologie und vertreten rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Positionen gepaart mit einem hohen Gewaltpotenzial. Um das rechtsextremistische Verständnis von "Männlichkeit" in diesem Kontext zu vermitteln, werden Selbstüberwindung, Härte, Disziplin und Kampfbereitschaft als identitätsstiftende Tugenden des "politischen Soldaten" propagiert. Der "Kampf" wird als ständige Lebensart der deutschen Rasse betrachtet, über den die Zukunftsfähigkeit des deutschen Volkes gesichert werden soll. 95 "Straight Edge" ist ein Lebensstil ohne Alkohol, Zigaretten und sonstige Drogen. 59 Entwicklungen im Berichtszeitraum "Kampfgemeinschaft Cottbus" Die "Kampfgemeinschaft Cottbus" ist eine lose Gruppierung von Rechtsextremisten aus dem gewaltbereiten Hooligan-, Kampfsport-, Securityund Türstehermilieu. Die Mitglieder stammen überwiegend aus Cottbus und dem Landkreis Spree-Neiße. Sie entwickelte sich in Cottbus und Umgebung zum Sammelbecken für Rechtsextremisten mit hohem Gewaltpotenzial. Nach der Auflösung von "Inferno Cottbus" Mitte des Jahres 2017 suchten deren führende Akteure neue Betätigungsfelder und vertieften ihre schon vorhandene Allianz mit den teilweise aus dem Türsteherund Security-Milieu stammenden Protagonisten des rechtsextremistischen Labels "Black Legion". Bilder und Texte der "Kampfgemeinschaft Cottbus" werden über dieses Bekleidungslabel veröffentlicht. Kampfund Kraftsport stehen bei den rechtsextremistischen Akteuren für Wehrhaftigkeit sowie den Kampf gegen den politischen Gegner und dienen zusätzlich der Rekrutierung. Die Gruppierung konzentriert sich weiterhin im Hintergrund auf die Verbreiterung und wirtschaftliche Verfestigung in der Region. Szenemitglieder betreiben bereits einige gastronomische Betriebe in Burg (Spreewald, SPN) und Cottbus. Zudem sind sie insbesondere im Sicherheitsgewerbe aktiv. Sogar eine Firma, die Überlebens-Trainings anbietet, ist dem Umfeld der Szene zurechenbar. Angehörige der Gruppierung nahmen am 5. November 2022 an einem Lagerverkauf des rechtsextremistischen Labels "Kampf der Nibelungen" in Chemnitz teil. Am 31. Dezember 2022 wurde vom Label "Black Legion" ein Bild veröffentlicht, welches etwa 60 Personen zeigt, die mit schwarzen oder rot-weißen Sturmhauben maskiert sind. Sie posieren vor einem Banner mit der Aufschrift "WEG MIT DEM KDN-VERBOT" und der Unterschrift "KAMPFGEMEINSCHAFT". Hierbei spielt man auf die in der Vergangenheit behördlich untersagten rechtsextremistischen Kampfsportturniere des Labels "Kampf der Nibelungen" an, an denen sich die "Kampfgemeinschaft Cottbus" organisatorisch beteiligte. Northsidecrew Die "Northsidecrew" (NSC) ist ein rechtsextremistischer Kampfsportverein mit knapp 20 Mitgliedern. Die Kampfsportgruppe verfügt mittlerweile über zwei Ableger, die sich in Lübben (LDS) und Gröden (EE) befinden. Neben der bekannten ehemaligen Diskothek "Players" in Lübben betreibt die NSC in Gröden ebenfalls eigene Trainingsund Clubräume. Die NSC ist in der regionalen rechtsextremistischen Szene Südbrandenburgs besonders mit der rechtsextremistischen Fußballhooligan-Szene sowie darüber hinaus beispielsweise mit der "Barnimer Freundschaft" und den "Märkischen Skinheads 88" gut vernetzt. Weiterhin verfügt sie über gute Kontakte in der europäischen rechtsextremistischen Kampfsportszene. Der Verein führt in unterschiedlichen Abständen Szene-Veranstaltungen mit mehreren Dutzend Teilnehmern in seinen Trainingsräumen in Lübben (LDS) und Gröden (EE) durch. Durch die Gründung des NSC-Ablegers in Gröden und der damit einhergehenden Etablierung einer Immobilie vor Ort rücken die rechtsextremistischen Szenen Südbrandenburgs und Nordsachsens noch enger zusammen. Mehrere Mitglieder der NSC nahmen am 12. Februar 2022 in Ungarn am "Ausbruch 60" teil. Dieser 60 Kilometer lange Marsch, der jährlich Hunderte Rechtsextremisten aus ganz Europa anzieht, soll den ungarischen und deutschen Soldaten gedenken, die Budapest im Zweiten Weltkrieg gegen die Rote Armee verteidigten. Bewertung / Ausblick 60 Es ist davon auszugehen, dass sich das Aggressionspotenzial von Rechtsextremisten, die in körperlicher Auseinandersetzung geschult sind, zunehmend erhöht. "Kämpfe ohne Regeln" können zu einer Enthemmung der Gewalt führen. "Tag X"-Phantasien und die Vorstellungen eines vermeintlichen "Volkstodes" können insbesondere in dieser Szene zu einem aggressiven Handlungsdruck bis hin zu schweren Straftaten führen. Zudem nutzen Rechtsextremisten den Kampfsport als Rekrutierungsfeld für Jugendliche. Das konsequente behördliche Einschreiten gegen rechtsextremistische Kampfsportveranstaltungen sowohl im Inland als auch im benachbarten Ausland führte in den letzten Jahren zu einer Resignation und Verunsicherung der Szene, sodass es im Jahr 2022 zu keinem solchen Szeneevent kam. Diese Entwicklung könnte künftig dazu führen, dass die Szene längere Fahrstrecken für entsprechende Veranstaltungen in Kauf nehmen wird, da die Gefahr von Verboten im Inland oder in Grenznähe zu groß erscheint. 61 3.9 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial Sitz / Verbreitung Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial ist im gesamten Land Brandenburg verbreitet. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Das weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial umfasst 1.620 Personen im Land Brandenburg. Kurzportrait / Ziele Die Zusammensetzung des Personenpotenzials ist sehr heterogen. Hierunter fallen alle organisationsungebundenen Rechtsextremisten, wie zum Beispiel subkulturell geprägte Rechtsextremisten, Gewalttäter, Internet-Aktivisten, die keiner Organisation zugeordnet werden können, rechtsextremistische Skinheads, regelmäßige Besucher von rechtsextremistischen Demonstrationen oder Konzerten sowie Personen in informellen Kleinstgruppen, die keine Außenwirkung entfalten. Hinzu kommen Personen, die nicht mehr für eine rechtsextremistische Gruppierung aktiv sind, die sich zugleich aber nicht von ihrer Gesinnung gelöst haben. Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial bildet folglich keine geschlossene Szene. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Personen, die dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial zugeordnet werden, sind zumeist (wiederholt) durch rechtsextremistische (Gewalt-)Straftaten oder durch die Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen, wie Szenekonzerten und Demonstrationen, in Erscheinung getreten. Personen, die im Internet durch fremdenfeindliche, menschenverachtende und rassistische Äußerungen auffallen oder die sich offen zum Nationalsozialismus bekennen, werden ebenfalls erfasst. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden geht vom weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial eine besondere Bedrohung aus, da Personen aus diesem Spektrum überproportional häufig (Gewalt-)Straftaten begehen. Die fehlende Anbindung an feste Strukturen erschwert die Beobachtung. Eine hohe anlassbezogene Handlungsdynamik ist kennzeichnend. Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial ist ein Nährboden für allein handelnde Täter ("lone-actor terrorist"). Entwicklungen im Berichtszeitraum Anhaltend hohe Zahlen bei politisch motivierten (Gewalt-)Straftaten, rechtsextremistisch beeinflusste Demonstrationen und Äußerungen in sozialen Netzwerken ließen das Personenpotenzial im weitgehend unstrukturierten Rechtsextremismus im Jahr 2022 erneut anwachsen. Besonderen Vorschub leisteten hierfür rechtsextremistische Verschwörungsideologen und Widerstandserzählungen, die mitunter auf einschlägigen Veranstaltungen und Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der CoronaPandemie skandiert wurden. Demonstrationen und Kundgebungen, die als Widerstandshandlungen gegen eine "Corona-Diktatur" propagiert wurden, bildeten 2022 für das weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial eine thematische Basis. Diese Proteste boten zugleich Anknüpfungspunkte zu organisierten Rechtsextremisten und zum Milieu des Phänomenbereichs Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates. Insbesondere die Kleinstpartei "DER DRITTE WEG" ist daran interessiert, hier weitere Mitläufer zu rekrutieren. Bewertung / Ausblick Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen ist davon auszugehen, dass sich das unstrukturierte Personenpotenzial in einer dynamischen Phase befindet. Aufgrund rechtsextremistischer Einflussnahme62 versuche auf die Proteste gegen die Corona-Schutzmaßnahmen kann derzeit nicht ausgeschlossen werden, dass das Personenpotenzial weiter ansteigen wird. Parallel dazu werden jedoch diverse Agitatoren und informelle Kleinstgruppen weiterhin versuchen, die Strukturierung der Szene voranzutreiben. Diese nutzen die durch die Pandemie bedingten Ängste aus, um in sozialen Netzwerken, in Messenger-Diensten und auf Demonstrationen die Demokratie zu delegitimieren und für ihre verfassungsfeindlichen Ziele Personal zu rekrutieren. Unabhängig davon werden Teile des unstrukturierten Personenpotenzials durch rechtsextremistische Konzerte und Großveranstaltungen über viele Jahre lose in der Szene gehalten. Das Internet bietet Rechtsextremisten, die dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial zugerechnet werden, eine offene und kaum zu kontrollierende Bühne für menschenverachtende und rassistische Hass-Kommentare. Solche Formen der Onlineradikalisierung bergen die große Gefahr, rechtsextremistische Gewaltphantasien real werden zu lassen. 63 3.10 Rechtsextremistische Hassmusik Sitz / Verbreitung Rechtsextremistische Hassmusiker sind vor allem im Süden und im Osten des Landes Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Eine entsprechende Musikszene besteht seit den 1990er-Jahren. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer 25 Bands (2021: 24) 14 Liedermacher (2021: 19) Kurzportrait / Ziele Rechtsextremistische Musik ist das verbindende und identitätsstiftende Element der Szene. Sie ist häufig der erste Berührungspunkt Jugendlicher mit dem Rechtsextremismus. Dabei dient die Musik als Vehikel, um das Gedankengut zu transportieren. Die verschiedenen Versatzstücke der Ideologie werden in der Musik in griffigen Parolen und Slogans verpackt. Die Bandbreite der Liedtexte ist entsprechend groß. Sie reicht von antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten über germanische Mythologie bis hin zu antidemokratischer und systemfeindlicher Agitation und der Verherrlichung des NS-Regimes. Musik ist Teil einer rechtsextremistischen Erlebniswelt und dient der ideologischen Orientierung ihrer meist jungen Hörer. Von Liedermachern und Rap-Versuchen abgesehen, wird überwiegend Skinheadmusik und Rechtsrock gespielt. Insbesondere die zumeist konspirativ vorbereiteten und durchgeführten Konzerte haben eine immense Bedeutung für den inneren Zusammenhalt der Szene. Der Musik fällt damit eine gemeinschaftsstiftende Funktion zu. Sie hat sich als probates Lockmittel erwiesen, um neue Anhänger an das rechtsextremistische Weltbild heranzuführen. Zudem sind rechtsextremistische Musikveranstaltungen und der Handel mit Tonträgern sowie Devotionalien eine gute Möglichkeit, Geld für den politischen Kampf einzunehmen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Musik von Rechtsextremisten dient der Verherrlichung von Gewalt sowie des Nationalsozialismus. Bands sowie Liedermacher verbreiten - teils offen, teils verdeckt - rechtsextremistische, antisemitische sowie fremdenfeindliche Propaganda. Die Musiker hetzen zudem gegen politische Gegner und stacheln zu Gewalt an. Auf Konzerten kommt es immer wieder zu strafbaren Handlungen. Oft werden verbotene nationalsozialistische Parolen gerufen oder der verbotene Hitler-Gruß gezeigt. Rechtsextremistische Musik ist somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. Entwicklungen im Berichtszeitraum Auch im dritten Jahr der Corona-Pandemie war die rechtsextremistische Musikszene in Brandenburg eingeschränkt aktiv. Die Zahl der rechtsextremistischen Bands blieb nahezu unverändert. Im Bereich der Liedermacher konnte indes ein Rückgang verzeichnet werden. Im Jahr 2022 wurden in Brandenburg 25 Bands (2021: 24, 2020: 24) und 14 Liedermacher (2021: 19, 2020: 18) gezählt. Hierbei handelt es sich um folgende Akteure: Rechtsextremistische Bands: 1. Aryan Brotherhood (A.B.); Potsdam 2. Barbaren; LOS (Wiederaufnahme) 3. Burn Down; Potsdam 64 4. Confident of Victory (C.O.V.) und S.U.D. (Sturm und Drang) sowie das Projekt UNSAID; OSL 5. Drag Pipes Brotherhood; OHV (Neuaufnahme 2022) 6. Frontalkraft (FK); Cottbus 7. Frontfeuer; LOS 8. Feuer Frei; ohne regionale Zuordnung, einige Bandmitglieder kommen aus LOS 9. Handstreich inklusive Bandprojekte Natürlich und Motivation; Potsdam 10. Hausmannskost (HMK); Cottbus 11. Lost Souls, Potsdam (Wiederaufnahme) 12. Old School Rockerz (Old School Rockers); BAR 13. Projekt 8.8; LOS 14. Raritäten; BAR, vormals Exempel 15. Resolut; LOS 16. Skrew You; LOS 17. SPN-S; SPN, kurzzeitig Unbeugsam 18. Spreewehr; ohne regionale Zuordnung (Neuaufnahme 2022) 19. Stahlhelm; TF 20. Stonehammer; LOS 21. Sons of Odin; LOS 22. Sturm & Stille; OHV (Neuaufnahme 2022) 23. Skindogs; LOS 24. Uwocaust und Helfershelfer beziehungsweise Uwocaust und RAConquista inklusive Bandprojekt Blutrein; Potsdam, vormals Uwocaust und alte Freunde 25. Wutbürger; BAR Rechtsextremistische Liedermacher: 1. Andy Habermann (Frontmann der Band Wutbürger); BAR (Neuaufnahme 2022) 2. Bloody 32; Cottbus 3. Brenner; SPN 4. Erik; OSL (Neuaufnahme 2022) 5. Fylgien; UM 6. Griffin; LOS 7. ICMEK; OHV (Neuaufnahme 2022) 8. Martin; Potsdam 9. Der M.; Frankfurt (Oder) 10. Paul (teilweise Bartender IB); Cottbus 11. Son of the Wind (S.o.W.); BAR 12. Sten; Cottbus 13. Thype andere Schreibweise TyPe ; EE (Neuaufnahme 2022 / Zuzug aus einem anderen Bundesland) 14. Varghona; OHV (Neuaufnahme 2022 / Zuzug aus einem anderen Bundesland) Wegen des anhaltend hohen Drucks der Sicherheitsbehörden und der Beschränkungen im Zuge der Corona-Pandemie blieben die Konzertaktivitäten der rechtsextremistischen Szene auch im Jahr 2022 auf einem sehr niedrigen Niveau. Letztlich konnten im Land Brandenburg nur zwei Konzerte (2021: 2; 2020: 1) durchgeführt werden. 2022 wurde zudem ein Konzert im Vorfeld verhindert (2021: 0; 2020: 0). Darüber hinaus wurde, wie in den vorrangegangenen Jahren, auf private Veranstaltungen ausgewichen. 65 Szenekonzerte 2022 im Land Brandenburg Am 26. März 2022 wurde in Hohen Neuendorf, Ortsteil Pinnow (OHV) ein Konzert im Vorfeld untersagt. Es war ein Auftritt der Band "Drag Pipes Brotherhood" (OHV) vorgesehen. Am 14. Mai 2022 wurde in Schwedt/Oder (UM) ein Konzert durchgeführt. Die Band "Drag Pipes Brotherhood" (OHV) ist vor etwa 50 Teilnehmern aufgetreten. Am 27. August 2022 wurde in Müncheberg (MOL) ein weiteres Konzert durchgeführt. Erneut hat die Band "Drag Pipes Brotherhood" (OHV) vor etwa 50 Teilnehmern gespielt. Szenetypische Liederabende 2022 im Land Brandenburg Lediglich vier Liederabende wurden im Jahr 2022 in Brandenburg durchgeführt (2021: 3; 2020: 5): Am 7. Mai 2022 fand ein Liederabend in Lauchhammer (OSL) im Anschluss an eine NPD-Versammlung statt. Es trat der Liedermacher "Eidstreu" (ST) auf. Anzumerken ist, dass auch die Versammlung selbst musikalisch durch den Liedermacher "Erik" (OSL) begleitet wurde. Am 6. August 2022 fand zudem in Guben (SPN) ein Liederabend statt. Es trat der Liedermacher "Benjamin Gruhn" (SN) auf. Am 1. Oktober 2022 gab es erneut einen Liederabend mit Benjamin Gruhn (SN) im Land Brandenburg. Ausrichter war die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten". Am 17. Dezember 2022 fand ein weiterer Liederabend im Land Brandenburg mit dem Liedermacher "Visionär" (ST) statt. Wie bereits in den Vorjahren beobachtet, verblieben die "klassischen" Musikveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene (Konzerte und Liederabende) im Jahre 2022 erneut auf einem niedrigen Niveau. Dazu trugen abermals die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Beschränkungen bei. Vor diesem Hintergrund wich die rechtsextremistische Szene wieder auf Privatfeiern mit musikalischer "Untermalung" aus. Es fanden im Jahr 2022 insgesamt neun (2021: 8) szenetypische Feiern96 statt: Szenetypische Feiern 2022 im Land Brandenburg Im Mai 2022 traten die Liedermacher "F.I.E.L." (MV) und "Freilich Frei" (SN) bei einer rechtsextremistischen Feier im kleinen Rahmen vor bis zu 60 Gästen im Landkreis Prignitz auf. Die Band "Stahlhelm" (TF) trat im Sommer 2022 bei einer Feier von Rechtsextremisten im Land Brandenburg auf. Am 3. September 2022 fand in Frankfurt/Oder eine Feier der "Kameradschaft Kommando Werwolf" (KSKW) statt. Hierbei traten die Bands "Resolut" (LOS) sowie der bundesweit agierende Szenemusiker "Lunikoff" (BR) auf. Am 5. November 2022 trat in Frankfurt (Oder) bei einer Feier unter der Teilnahme von regionalen Rechtsextremisten der Liedermacher "Lunikoff" (BR) erneut auf. 96Das Veranstaltungsformat "szenetypische Feier" mit Live-Musik entspricht dann nicht einem Konzert, wenn wesentliche Elemente einer kommerziellen Veranstaltung fehlen. 66 Die Band "Resolut" (LOS) trat im Dezember 2022 zweimal bei rechtsextremistischen Feiern im kleinen Rahmen vor bis zu 50 Gästen auf. Diese Feiern fanden im Landkreis Märkisch-Oderland sowie im Landkreis Oder-Spree statt. Am 10. Dezember 2022 traten zwei Liedermacher aus Sachsen ("Prototyp" und "Kavalier") bei einer Veranstaltung der NPD im Land Brandenburg auf. Am 17. Dezember 2022 spielte die Band "Spreewehr" (ohne regionale Zuordnung) in Spremberg (SPN) vor bis zu 80 Gästen auf einer privaten Feier. Am 26. Dezember 2022 traten der Liedermacher "Bloody 32" (CB) und die Band "Spreewehr" (ohne regionale Zuordnung) vor bis zu 150 Gästen einer privaten Feier auf. Unter den Anwesenden waren auch Angehörige der rechtsextremistischen Mischszene Cottbus. Szenekonzerte 2022 außerhalb Brandenburgs mit Beteiligung brandenburgischer Bands und Liedermacher Datum Veranstaltungsort Bandname / Liedermacher / Organisation Teilnehmer 23.04. Mecklenburg-VorOld School Rockerz (BAR) unbekannt pommern 02.07. Staupitz (Sachsen) Uwocaust (Potsdam), Veranstalter war eine 230 Person aus Cottbus Oktober Baden-Württemberg Skindogs (LOS) unbekannt 21.10. Staupitz (Sachsen) Uwocaust und Helfershelfer (Potsdam), 170 Hausmannskost (Cottbus), Veranstalter war eine Person aus Cottbus 22.10. Staupitz (Sachsen) Frontfeuer (LOS), Veranstalter war eine Per230 son aus Cottbus Die mit der Corona-Pandemie einhergehenden Beschränkungen hatten wie in den letzten Jahren keinen Einfluss auf die Tonträgerproduktionen. Die Produktion neuer Tonträger (einschließlich der Beteiligung an Tonträgern anderer Bands und an CD-Samplern) ist im Jahre 2022 mit 16 Veröffentlichungen (2021:16; 2020: 13) auf dem Niveau des Vorjahres geblieben. Lfd. Nr. Bandname / LiederTitel Art Hersteller macher 1 Andy Habermann Lieder aus Beton CD Sub Version Production (Cottbus) 2 Barbaren Wut CD PC Records (Chemnitz, Sachsen) 3 Bloody 32 Manifest CD Sub Version Production (Cottbus) 4 Bloody 32 Records Release Party Live DVD / Sub Version Production in Spremberg 2019 (DVD 3 CD (Cottbus) Disc-Set und CD 2 Disc-Set) 5 Drag Pipes BrotherTreibjagd CD nicht bekannt hood 6 Feuer Frei Ehre CD Das Zeughaus (Apolda, Thüringen) 67 7 Handstreich Endlich 18 CD PC Records (Chemnitz, Sachsen) 8 Lost Souls In das Licht CD / PC Records (Chemnitz, Single Sachsen) 9 Skindogs Skindogs CD FK-Produktion (Lengenfeld, Sachsen) 10 UNSAID CARNIVORE CD OPOS Records (Lindenau, OSL) 11 Uwocaust and the Das alte Feuer CD PC Records (Chemnitz, ANGRY BOIS Sachsen) 12 Wutbürger Feindeskreis CD Sub Version Production (Cottbus) 13 Blutschwur & RaritäIm Geiste vereint CD ONE-EIGHT-VERSAND ten (Höchstberg, RP) 14 Hausmannskost Solidarität aus dem ProbeCD Rebel Records (Cottbus) SPN/S raum 15 CD-Sampler Selektion Vol. 1 CD Das Zeughaus (Apolda, Selektion Vol. 1 Thüringen) (u.a. ein Beitrag von Uwocaust) 16 LIFA (Unterstützung Ideale halten Stand CD PC Records (Chemnitz, von Handstreich) Sachsen) Produktion und Vertrieb von Tonträgern erfolgen meist über rechtsextremistische Musiklabels. Sie stellen Aufnahmetechnik zur Verfügung und verkaufen Tonträger über das Internet und in Ladengeschäften. Wie in den letzten Jahren waren "One People One Struggle Records" (OPOS Records) in Lindenau (OSL), "Rebel Records" mit dem Ladengeschäft "The Devils Right Hand Store" in Cottbus sowie das ebenfalls in Cottbus ansässige Label "Sub Version Production" für die brandenburgische Szene wichtige Auflaufpunkte. Gleiches gilt für "PC Records" aus Chemnitz (Sachsen). Die Vertriebe versorgen die Szene regelmäßig mit neuer Ware, beispielsweise mit limitierten Sonderausgaben. So ließ Rebel Records (Cottbus) 2022 die bereits 2015 veröffentlichte CD "Lieder die wir für Deutschland schrieben 2015" der Band Frontalkraft (Cottbus) noch einmal auf Schallplatte pressen. Um in der Szene einen Sammlerwert zu genieren, wird die Schallplatte in einer Gesamtauflage von 500 Stück - in Anlehnung an die Farben des Deutschen Reichs verteilt auf 150 in Weiß, 150 in Rot und 200 in Schwarz - vertrieben. Folgende rechtsextremistische Vertriebsund Tonträgerproduktionsstrukturen waren 2022 im Land Brandenburg aktiv: Erik & Sons (Königs Wusterhausen, LDS): Textillabel Exzess Records (Strausberg, MOL): Label, Vertrieb Fourth Time Clothing Brand (Teltow, PM): Textillabel K.S. Versand (Knochensack) (Steinhöfel vormals Bad Saarow, LOS): Vertrieb OPOS Records mit Textillabel "Greifvogel Wear" (Lindenau, OSL): Label, Vertrieb Rebel Records und "18Vinyl" mit Textillabel "Black Legion Wear" (Cottbus): Label, Vertrieb, Ladengeschäft Sub Version Production (Cottbus): Label, Vertrieb Superbolle (Bestensee, LDS): Vertrieb 68 Bewertung / Ausblick Rechtsextremistische Musik blieb selbst im dritten Jahr der Corona-Pandemie ein starkes Bindemittel in der rechtextremistischen Szene. Konzerte werden weiterhin ein wichtiger Bestandteil der rechtsextremistischen Erlebniswelt bleiben und nach Überwindung der Pandemie wieder deutlich zunehmen. Denn es besteht ein großer Nachholbedarf an Veranstaltungen, die das "Gemeinschaftsgefühl" stärken und nebenbei Geld in die Kassen spielen. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass der Trend zur Produktion rechtsextremistischer Tonträger weiter anhalten wird. Gerade unter Pandemiebedingungen stellt der Verkauf von CDs eine besonders wichtige Einnahmequelle für die rechtsextremistische Szene dar. Mit Blick auf die Einwohnerzahl kommt aus Brandenburg noch immer die wohl umtriebigste rechtsextremistische Hassmusik(er)szene Deutschlands. Die Zahl der Bands bewegt sich seit Jahren konstant auf hohem Niveau. Dies gilt auch für die Zahl der Liedermacher, auch wenn hier im Jahre 2022 ein Rückgang zu verzeichnen war. Nach wie vor ist die Gefahr des Verbots beziehungsweise der Auflösung von Konzerten durch die Polizei hoch. Denn die Organisatoren müssen in solchen Fällen mit enormen Verlusten rechnen. Daher war in den vergangenen Jahren grundsätzlich ein Ausweichen auf andere Bundesländer sowie eine deutliche Zunahme von Liederabenden festzustellen. Sie sind mit weniger Aufwand vorzubereiten und durchzuführen. Die Gefahr finanzieller und materieller Verluste durch Verbote oder Veranstaltungsauflösungen ist hier deutlich geringer. 2022 wich die Szene wie im Vorjahren zudem auf kleinere und einfachere Feiern mit musikalischer Umrahmung von Liedermachern und Bands aus. Diese Feiern lassen sich noch unkomplizierter als Konzerte oder Liederabende durchführen. Hinzu kommt im Land Brandenburg eine breit aufgestellte Label-Struktur, die beständig für TonträgerNachschub sorgt. Hier nimmt Brandenburg für die gesamte rechtsextremistische Szene Deutschlands eine gefährliche Sonderrolle ein und ist mit seinen Bands, Liedermachern und Labels zentraler Taktgeber für das Hassmusikgeschehen. Hieran hat die Corona-Pandemie nichts geändert. 69 3.11 Immobilien der rechtsextremistischen Szene Extremistische politische Aktivitäten, Feiern, Konzerte und Schulungen erfordern Strukturen, Organisation und Räumlichkeiten. Vor allem gastronomische Einrichtungen, die für einen begrenzten Zeitraum ungestört genutzt werden können, sind daher begehrt. Diese werden dabei nur in Ausnahmefällen explizit für rechtsextremistische Szenetreffen angemietet. Meist erfolgt die Anmietung unter Vorspiegelung falscher Tatsachen oder durch Personen, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes nicht als Szeneangehörige erkennbar sind. Vermeintlich "unpolitische" Veranstaltungen oder Geburtstagsfeiern entpuppen sich erst im Nachgang als rechtsextremistisch. Im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Veranstaltungen kommt es immer wieder zu Straftaten wie dem Verbreiten und Verwenden von Kennzeichen verbotener oder verfassungswidriger Organisationen (SSSS 86, 86a StGB). Für Vermieter, in deren Räumlichkeiten das geschieht, kann das einen erheblichen Imageschaden nach sich ziehen. Extremistische Aktivitäten gestalten sich mit einer eigenen Immobilie deutlich leichter. Extremistische Parteien und Gruppierungen sind daher immer auf der Suche nach geeigneten Räumlichkeiten oder Grundstücken, die sich möglichst im Eigentum eines Anhängers oder eines Sympathisanten befinden. Derartige Liegenschaften werden auch in einer Mischnutzung für Wohnzwecke und als politischer Anlaufpunkt genutzt. Immobilien der rechtsextremistischen Szene werden hier berücksichtigt, wenn Rechtsextremisten über eine uneingeschränkte grundsätzliche Zugriffsmöglichkeit verfügen, etwa in Form von Eigentum, Miete, Pacht (das heißt Eigentumsoder Besitzverhältnis) oder durch ein Kennund Vertrauensverhältnis zum Objektverantwortlichen. Ebenso müssen die Immobilien wiederkehrend politisch zielund zweckgerichtet durch Rechtsextremisten genutzt werden. Diese Kriterien sind bundesweit abgestimmt.97 Beim Erwerb von Immobilien verfolgen Extremisten oft das Ziel, ein "regionales Zentrum" zu bilden. So können Veranstaltungen, Parteitage und Ähnliches ohne größere Einschränkungen durchgeführt werden. Das gilt ebenso für die Herstellung und Verbreitung von Propagandamaterialien wie szenetypische Tonträger und Bekleidung. Im Land Brandenburg wurden im Jahr 2022 folgende Immobilien von Rechtsextremisten genutzt: Bad Freienwalde (MOL) Der ehemalige Vorsitzende des mittlerweile aufgelösten Landesverbandes der rechtsextremistischen Kleinpartei "DIE RECHTE" besitzt in Bad Freienwalde (MOL) ein Einfamilienhaus mit ausgebautem Nebengelass. Diese Räumlichkeit wird szeneintern als "Sturmlokal" bezeichnet. Es dient samt Grundstück der "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" als Treffort und wird für Szeneveranstaltungen genutzt. Brandenburg an der Havel, OT Kirchmöser Der völkisch-rechtsextremistische "Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e.V." besitzt einen Vierseitenhof, der in unregelmäßigen Abständen als Liegenschaft für Szenetreffen, wie dem "Völkischen Maitanz" im Mai 2022, genutzt wird. Burg (SPN) Nach dem Kauf eines Gastronomiebetriebes durch einen bekannten Rechtsextremisten wies der Verfassungsschutz Brandenburg bereits 2020 darauf hin, dass diese Immobilie besondere logistische Voraus97 Vgl. Deutscher Bundestag: Drucksache 19/10043 vom 09.05.2019, S. 2. 70 setzungen für die Durchführung rechtsextremistischer Veranstaltungen bietet. Diese Nutzung findet nunmehr statt. So wurde die Lokalität 2022 für eine Veranstaltung von Akteuren aus dem Bereich der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten zur Verfügung gestellt. Cottbus Die vorübergehend geschlossene "Mühle Cottbus" wurde auch 2022 als Veranstaltungsort von Vertretern des rechtsextremistischen Vereins "Zukunft Heimat" genutzt. Cottbus In Cottbus hat das rechtsextremistische Musiklabel "Rebel Records" seinen Sitz. Der Betreiber unterhält an derselben Adresse zudem den Szeneladen "The Devils Right Hand Store", in dem unter anderem die rechtsextremistische Bekleidung der Marke "Black Legion" verkauft wird. Gröden (EE) Ein Ableger der rechtsextremistischen Kampfsportgruppierung "Northsidecrew" unterhält in Gröden (EE) Clubund Trainingsräume, die neben dem Kampfsporttraining für Szene-Veranstaltungen genutzt werden. Königs Wusterhausen (LDS) Das rechtsextremistische Bekleidungslabel "Erik & Sons" hat in Königs Wusterhausen (LDS) seinen Sitz und vertreibt von dort seine Bekleidung. Lauchhammer (OSL) Die rechtsextremistische Jugendorganisation der NPD, die Jungen Nationalisten, nutzen eine in Lauchhammer ansässige Gaststätte für Szeneveranstaltungen. Lindenau (OSL) Das rechtsextremistische Musiklabel "OPOS - Records" sitzt im selben Gebäude wie eine Gaststätte im Ort Lindenau (OSL). Beide Geschäfte werden von einem bekannten Rechtsextremisten geführt. Lübben (LDS) Der rechtsextremistische Kickbox-Verein "Northsidecrew" unterhält in Lübben (LDS) in der ehemaligen Diskothek "Players" seine Trainingsund Clubräume. Neupetershain (OSL) Ein im Besitz eines Mitgliedes der rechtsextremistischen Gruppierung "Brigade 8 - Chapter Spreewald" befindliches Einfamilienhaus wird als Clubhaus für Szenefeiern genutzt. Rathenow (HVL) Bei der Liegenschaft in Rathenow (HVL) handelt es sich um einen Kleingarten, der wiederholt durch die lokale rechtsextremistische Szene für Veranstaltungen, wie interne Feiern oder Liederabende, genutzt wird. 71 Steinhöfel (LOS) In der Ortschaft Steinhöfel (LOS) hat der rechtsextremistische "Knochensack Versand" seinen Geschäftssitz. Strausberg (MOL) In Strausberg (MOL) betreibt die rechtsextremistische Gruppierung "AO Strausberg" einen Clubraum in einem Garagenkomplex, in welchem Szenefeiern und Clubabende veranstaltet werden. Wandlitz OT Klosterfelde (BAR) Im Wandlitzer Ortsteil Klosterfelde (BAR) unterhält die rechtsextremistische Gruppierung "Barnimer Freundschaft" ihr Clubhaus auf einem ehemaligen Industriegelände. Die Immobilie wird weiterhin für Szenefeiern und Clubabende genutzt. 72 3.12 Rechtsextremistischer Verdachtsfall: Alternative für Deutschland (AfD) - Landesverband Brandenburg Sitz / Verbreitung Die AfD gliedert sich unterhalb der Bundesebene in Landesund Kreisverbände. Die Bundespartei hat ihren Sitz in Berlin. Der Landesverband Brandenburg hat seinen Sitz in Potsdam. Gründung / Bestehen Gründungsdatum des AfD-Landesverbandes Brandenburg ist der 28. April 2013. Seit 2014 ist die AfD im Landtag Brandenburg vertreten. Bei der Landtagswahl 2019 erhielt sie 23,5 Prozent der Zweitstimmen und verfügt derzeit über 23 Abgeordnete. Struktur / Reichweite Landesvorstand der AfD Brandenburg laut Webseite98: Vorsitzende: Birgit Bessin stellv. Vorsitzende: Rene Springer, Andreas Galau Ehrenvorsitzender: Alexander Gauland (Landesvorsitzender 2014-2017) Struktur des Landesverbandes: Der Landesverband unterhält in allen 14 Landkreisen und allen vier kreisfreien Städten Kreisverbände. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Die AfD verfügt in Brandenburg über insgesamt rund 1.400 Mitglieder (Stand 01/2022)99. Bei etwa 730 ist von einer rechtsextremistischen Einstellung auszugehen.100 Veröffentlichungen Der Landesverband, seine Untergliederungen sowie relevante Mitglieder der Partei sind online mit eigenen Webseiten, in relevanten Internetforen und den Sozialen Medien vertreten. Die AfD Brandenburg verfügt unter anderem über einen eigenen YouTube-Kanal (1.750 Abonnenten), eine Facebook-Seite mit 27.051 Followern, einen Twitter-Kanal mit 2.009 Followern und einen Telegram-Kanal mit 509 Abonnenten.101 98 Homepage AfD Brandenburg (letzter Zugriff 20.02.2023). 99 Vgl. Süddeutsche Zeitung vom 28.01.2022: "Grüne und FDP vorne bei den Mitgliedern: Linke und AfD verlieren", https://www.sueddeutsche.de/politik/parteien-potsdam-gruene-und-fdp-vorne-bei-mitgliedern-linke-und-afd-verlieren-dpa.urnnewsml-dpa-com-20090101-220128-99-881267 (letzter Zugriff 20.01.2023). 100 Siehe Fußnote 6. 101 Die Abonnentenund Followerzahlen auf YouTube, Facebook, Twitter und Telegram beziehen sich auf den Stand vom 05.01.2023. 73 Kurzportrait / Ziele Anfang 2013 hat sich die AfD unter anderem im Zusammenhang mit der Diskussion um den Euro-Rettungsschirm gegründet. Ihre ursprüngliche Ausrichtung war die einer nationalliberalen Wirtschaftspartei. Von Anfang an traten jedoch Personen aus dem rechtspopulistischen bis rechtsextremistischen Spektrum der Partei bei.102 Seit dem Jahr 2017 prägen diese Strömungen den brandenburgischen AfD-Landesverband. Heute dominieren sie den Landesverband mit völkisch-nationalistischen Konzepten und streben eine ethnisch homogene Gemeinschaft an. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund für die Beobachtung als Verdachtsfall / Verfassungsfeindlichkeit Gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz (BbgVerfSchG) hat der Verfassungsschutz Brandenburg den Auftrag, Informationen über Personenzusammenschlüsse zu sammeln und auszuwerten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in diesen verfassungsfeindlichen Bestrebungen verfolgt werden. In Parteien oder ihren Teilorganisationen werden verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, wenn sie darauf gerichtet sind, die in SS 4 Abs. 2 BbgVerfSchG genannten Verfassungsgrundsätze durch politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen (SS 4 Abs. 1 Nr. 3 BbgVerfSchG). Für den Landesverband der AfD Brandenburg liegen dafür hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte vor. Er wurde ab 2017 zunehmend von der, inzwischen formell aufgelösten, AfD-Sammlungsbewegung "Der Flügel" dominiert. Der Landesverband Brandenburg propagiert ein Politikkonzept, das primär auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet ist. Die Staatsbürgerschaft von muslimischen Deutschen wird in Frage gestellt. Ihnen drohen bei konsequenter Umsetzung der von der Partei propagierten Positionen Massenabschiebungen. Dieses verletzt alle Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Fortbestand eines ethnisch homogenen Volkes wird als höchster Wert angesehen. Der einzelne Deutsche wird im Wesentlichen als Träger des Deutschtums definiert. "Kulturfremde" Nicht-Deutsche gelten als kaum integrierbar. Ihnen soll eine Bleibeperspektive konsequent verwehrt werden.103 Charakteristisch für den Landesverband Brandenburg ist zudem, dass sich führende Mitglieder aktiv um die Vernetzung mit dem rechtsextremistischen Spektrum bemühen und so die Entgrenzung des Rechtsextremismus aktiv vorantreiben. Diese Protagonisten sehen sich als Teil einer "Bewegung", zu der andere rechtsextremistische Organisationen beziehungsweise rechtsextremistische Verdachtsfälle, wie das "Institut für Staatspolitik" (IfS), der Verein "Zukunft Heimat", das Magazin COMPACT, die "Identitäre Bewegung" (IB) und "Ein Prozent", gehören. Entwicklungen im Berichtszeitraum Seit Juni 2020 stuft die Verfassungsschutzbehörde Brandenburg den AfD Landesverband Brandenburg als Beobachtungsobjekt im Status eines Verdachtsfalls ein. Als Reaktion auf diese Einstufung erfolgte 102 Vgl. Lewandowsky, Marcel: "Alternative für Deutschland (AfD)", in Decker, Frank und Viola Neu (Hrsg.): "Handbuch der deutschen Parteien", 3. Auflage, Wiesbaden 2017, S. 161-170. 103 Diese Einschätzung wird durch ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom 28. Mai 2020 zum "Flügel" innerhalb der AfD bestätigt (vgl. VG Berlin, Beschluss v. 28.05.2020, Az. VG 1 L 97/20, S. 17f.). Das Gericht hält in seiner Urteilsbegründung fest, dass "tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht dafür [bestehen], dass zentrale politische Vorstellung des Flügels der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand ist und ethnisch "Fremde" nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollen". Die Richter schlussfolgern unmissverständlich: "Ein dergestalt völkischabstammungsmäßiger Volksbegriff verstößt gegen die Menschenwürde." 74 seitens des Landesverbandes weder eine inhaltliche Distanzierung von verfassungsfeindlichen Positionen noch von erwiesenen Rechtsextremisten in der Partei. Vielmehr inszenierte sich die Partei als "Opfer". Es wird seitdem regelmäßig unterstellt, die Landesregierung wolle sich mit Hilfe des Verfassungsschutzes unliebsamer politischer Konkurrenz entledigen. Standen 2021 die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung im Vordergrund, so benutzte die AfD 2022 primär den Krieg in der Ukraine, um das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland zu diskreditieren und zu unterminieren. Der politische Gegner aber auch der Staat und seine Repräsentanten werden zum Beispiel pauschal als Erfüllungsgehilfen "fremder Mächte" diffamiert, die bewusst gegen die Interessen des deutschen Volkes handeln. Ein Ziel dieser immer wieder nebulös betiteln "fremden Mächte" soll ein angeblicher Bevölkerungsaustausch sein. Hier fließen Elemente von Verschwörungsideologien und Antisemitismus in die Erzählung ein. So wird versucht, das politische System der Bundesrepublik Deutschland grundlegend zu delegitimieren. Wesentliche Ereignisse im Berichtszeitraum Im Jahr 2022 ist es der AfD nach mehreren vergeblichen Anläufen104 gelungen, ihren Parteitag vom 9. bis 10. April 2022 in Prenzlau (UM) mit Vorstandswahlen durchzuführen. Neue Landesvorsitzende wurde die Landtagsabgeordnete Birgit Bessin mit 51 Prozent der Mitgliederstimmen. Ihr Gegenkandidat, der Bundestagsabgeordnete Rene Springer, erhielt 44 Prozent105 und wurde schließlich zu ihrem Stellvertreter gewählt. Zweiter Stellvertreter ist der Landtagsabgeordnete Andreas Galau.106 Im neuen Landesverband haben die Mitglieder die Mehrheit, die sich offen zum ehemaligen Landesvorsitzenden und führenden Protagonisten der 2020 aufgelösten Parteistruktur "Der Flügel", Andreas Kalbitz, bekennen. Dessen Mitgliedschaft in der AfD wurde 2020 vom damaligen Bundesvorstand annulliert, weil er bei seiner Aufnahme in die Partei seine früheren Mitgliedschaften bei der verbotenen rechtsextremistischen "Heimatreuen Deutschen Jugend" und der Partei "Die Republikaner" verschwiegen haben soll. Seine Versuche, auf dem Rechtsweg den Weg zurück in die Partei zu erstreiten, waren bisher erfolglos. Im Zuge der Vorbereitung des Landesparteitages war bereits 2021 deutlich geworden, dass im Landesverband mit Blick auf die Causa Kalbitz zwei Lager existieren. Die im April 2022 gewählte Vorsitzende steht weiterhin für dessen Politikstil. Andreas Kalbitz gratulierte ihr dementsprechend mit einem Facebook-Beitrag unter der Losung "Brandenburg bleibt stabil": "Ich freue mich, dass vom #Landesparteitag in #Prenzlau ein Signal der Stabilität und Kontinuität ausgeht und die Mitglieder sich für einen verlässlichen inhaltlichen Kurs mit einer klaren politischen Linie entschieden haben."107 Gegen die von Andreas Kalbitz begrüßte Form der Stabilität und Kontinuität stand eine Gruppe um den nun erstmals zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählten AfD-Bundestagsabgeordneten Rene Springer und den Fraktionsvorsitzenden der AfD im Brandenburger Landtag, Dr. Hans-Christoph Berndt. Berndt scheiterte gänzlich bei seiner Kandidatur für den Landesvorstand. Inhaltlich unterscheiden sich die Gruppen kaum. Allerdings propagiert die Gruppe um Berndt einen anderen Politikstil, der vor allem die kommunale Basis stärken und konsequent die Machtfrage zu Gunsten der AfD stellen soll. 104 Vgl rbb 24: "2G-Regel in Hotels - Brandenburger AfD sagt Parteitag in Prenzlau ab" vom 15.11.2021, https://www.rbb24.de/politik/thema/corona/beitraege/2021/11/coroba-2g-brandenburg-prenzlau-afd-partgeitag-absage.html/listall=on/print=true.html (letzter Zugriff am 16.11.2021). 105 Vgl. rbb 24: "Neuer Landesvorstand der Brandenburger AfD - Das leere Mantra der Einigkeit" vom 10.04.2022, https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/04/afd-brandenburg-neuer-landesvorstand-analyse.html (letzter Zugriff 11.04.2022). 106 Vgl. Facebook-Seite des AfD Landesverbandes Brandenburg, 10.04.2022, (letzter Zugriff 11.04.2022). 107 Facebook-Seite Andreas Kalbitz, 10.04.2022, (letzter Zugriff 11.04.2022). 75 Dass der Landesvorstand um Birgit Bessin weiterhin zu Andreas Kalbitz steht, zeigt ein Antrag des Landesvorstandes zum AfD-Bundesparteitag vom 17. bis 19. Juni 2022 in Riesa (SN). Dieser hatte zum Inhalt, das Auftrittsverbot des Bundesvorstandes für Kalbitz auf öffentlichen Veranstaltungen der AfD aufzuheben.108 Einzelne brandenburgische AfD-Funktionäre hatten im Vorfeld des Bundesparteitages öffentlich geäußert, gegen den Antrag des Landesvorstandes zu stimmen.109 Letztendlich scheiterte der Antrag, weil er mit knapper Mehrheit von den Delegierten des Parteitages in Riesa nicht zur Abstimmung angenommen wurde.110 Nichtsdestotrotz ist der Rechtsextremist Andreas Kalbitz - auch ausdrücklich als Mitglied der AfD-Landtagsfraktion - häufig auf AfD-Veranstaltungen vertreten und erhält dort immer wieder eine Bühne für sich und seine Agenda. Der Einfluss der Ideologie und einiger Protagonisten der ehemaligen AfD-Parteistruktur "Der Flügel" wurde in Brandenburg zum Ende des Jahres 2022 nochmals deutlich. Initiiert vom ehemaligen Berliner Obmann des "Flügel", fand am 10. Oktober 2022 in Hönow (MOL) die Auftaktveranstaltung des "IdeariumDebatten-Netzwerk" statt.111 An der Veranstaltung nahmen zahlreiche Mitglieder der brandenburgischen AfD und ihrer Jugendorganisation "Junge Alternative für Deutschland" (JA) teil, darunter die Landesvorsitzende.112 Die Veranstaltung war in Form einer Podiumsdiskussion organisiert. Gesprächspartner des Moderators war an diesem Abend der thüringische Landessprecher der AfD, der Rechtsextremist Björn Höcke. Den Beteiligten ging es nach eigener Aussage nicht darum, eine Nachfolgeorganisation für den "Flügel" gründen zu wollen, sondern, neben dem ideologischen Austausch und der Selbstversicherung, um die Vernetzung mit dem "politischen Vorfeld" beziehungsweise anderen Strukturen der "Neuen Rechten".113 Zum politischen Vorfeld gehören rechtsextremistische Bestrebungen wie "Zukunft Heimat", COMPACT, das "Institut für Staatspolitik" und der Verdachtsfall "Ein Prozent". Bereits diese Positionierung zum politischen Vorfeld verdeutlicht, in welche Richtung die "Ideenwerkstatt" arbeitet. Noch deutlicher wird dies anhand des im Nachgang veröffentlichten Podiumsgespräches. Dabei wiederholte Björn Höcke im bekannten schwülstigen Duktus seine Positionen, mit denen er immer wieder die demokratische Ordnung der Bundesrepublik Deutschland delegitimiert und seine politischen Gegner diskreditiert. Er bezeichnete die Bundesrepublik Deutschland als "Ochlokratie", also als eigennützige und gewalttätige Herrschaft des "Pöbels". Er ließ es sich auch nicht nehmen, darauf zu verweisen, dass manche sie sogar als "Kakistokratie" und damit als Herrschaft der Schlechtesten beschreiben. Laut Höcke führten die theoretischen Grundlagen des demokratischen Systems der Bundesrepublik Deutschland zu einer "organisierten Verantwortungslosigkeit". "Negativauslese und institutionelle Verantwortungslosigkeit" seien in Deutschland kombiniert.114 108 Vgl. https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/06/afd-bundesparteitag-sachsenarena-bundesvorstand-wahlen.html 109 Vgl. Märkische Oderzeitung: "Tiefer Riss und eine Comeback-Versuch", 08.06.2022 (letzter Zugriff 08.06.2022) und Junge Freiheit: "Hohloch stellt sich gegen Kalbitz-Rückkehr in AfD", https://jungefreiheit.de/poliotik/deutschland/2022/hohloch-gegen-kalbitz/, 12.06.2022 (letzter Zugriff am 16.06.2022). 110 RBB24: "AfD-Bundesparteitag lässt Kalbitz abblitzen", https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2022/06/afd-bundesparteitagsachsenarena-bundesvorstand-wahlen.html/listall=on/print=true.html, 17.06.2022 (letzter Zugriff 20.06.2022). 111 Vgl. Welt vom 31.10.2022 "Ausweitung der Kampfzone" - Wie sich der völkische Flügel um Björn Höcke neu formiert", https://www.welt.de/politik/deutschland/plus241883291/AfD-wie-sich -der-völkische-Flügel-um-Björn-Höcke-neu-formiert.html (letzter Zugriff 21.11.2022). 112 Facebook-Seite Birgit Bessin, 10.10.2022, (letzter Zugriff 11.10.2022) und Telegram-Kanal der JA Brandenburg, 11.10.2022, (letzter Zugriff 11.10.2022). 113 Vgl. Die Welt: "Ausweitung der Kampfzone" - Wie sich der völkische Flügel um Björn Höcke neu formiert", https://www.welt.de/politik/deutschland/plus241883291/AfD-wie-sich -der-völkische-Flügel-um-Björn-Höcke-neu-formiert.html, 31.10.2022 (letzter Zugriff 21.11.2022). 114 Vgl. Idearium auf Telegram: Björn Höcke zum Zustand des deutschen Parteiensystems und der notwendigen Verzahnung mit dem politischen Vorfeld, 23.10.2022 (letzter Zugriff 27.10.2022). 76 Cottbus ist ein Beispiel für entsprechende Vernetzungsbemühungen der selbsterklärten Bewegungspartei AfD115. Hier meldet der AfD-Kreisvorsitzende regelmäßig Montagsdemonstrationen an. Deren Teilnehmerzahlen sind allerdings 2022 stetig zurückgegangen. Beworben werden die Veranstaltungen unter anderem vom rechtsextremistischen Verein "Zukunft Heimat e. V." ("Zukunft Heimat e. V."; siehe Kapitel 3.6).116 Im Anschluss an die Demonstration wird dann noch zum Gespräch in den "Bürgertreffpunkt Mühle e. V." eingeladen.117 Der Bürgertreffpunkt steht wiederum auch anderen Akteuren der Neuen Rechte für Veranstaltungen zur Verfügung.118 Zusammenarbeit mit anderen Akteuren der Neuen Rechten gibt es nicht nur in Cottbus. Besonders augenfällig war im Berichtszeitraum die Zusammenarbeit zwischen der AfD und dem COMPACT-Magazin (siehe Kapitel 3.7) in Brandenburg. So fand zum Beispiel am 10. März 2022 in Hönow (MOL), organisiert vom Vorsitzenden des Kreisverbandes Märkisch Oderland, Lars Günther (MdL), eine Diskussionsveranstaltung unter anderem gemeinsam mit dem Chefredakteur des COMPACT-Magazins zum "Ukraine - Russland Konflikt" statt.119 Am 16. Mai 2022 nahmen dann mehrere Landtagsabgeordnete der AfD sowie ein Bundestagsabgeordneter aus Brandenburg an einer Veranstaltung des COMPACT-Magazins unter dem Motto: "Frieden mit Russland! Druschba: Warum wir das Öl brauchen" in Schwedt/Oder (UM) teil.120 Das von Höcke vorangetriebene neurechte Konzept der "kulturellen Hegemonie"121 soll schleichend dazu führen, dass sämtliche gesellschaftlichen Bereiche ausschließlich im Sinne der ideologischen Vorstellungen der AfD gedacht werden können. Letztendlich würde eine solche Entwicklung dazu führen, dass die vom Grundgesetz bestimmte pluralistische Ausrichtung unserer Gesellschaft, abgeschafft werden würde. Gegenwehr von politisch gemäßigten Mitgliedern innerhalb der AfD erwartet Höcke bezüglich dieser Strategie nicht mehr: "Wir haben jetzt durch den neuen Bundesvorstand das Zeichen gesetzt, dass die Meuthisten (...) in der AfD nichts mehr zu sagen haben und auch in Zukunft nie wieder etwas zu sagen haben werden. Das heißt, dass diejenigen, die immer noch den Krieg gegen die Partei führen wollten, jetzt auf dem Abstellgleis sind und da stehen bleiben bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag."122 Allgemeine Entwicklungen im Berichtszeitraum Weiterhin wurden die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie vom Landesverband Brandenburg der AfD propagandistisch dazu benutzt, das politische System der Bundesrepublik Deutschland zu delegitimieren. Weiteres zentrales Thema der AfD im Berichtszeitraum war erwartungsgemäß der Angriffskrieg 115 Vgl. Idearium auf Telegram: Björn Höcke zum Zustand des deutschen Parteiensystems und der notwendigen Verzahnung mit dem politischen Vorfeld, 23.10.2022 (letzter Zugriff 27.10.2022): "... kulturelle Hegemonie bedeutet, die Partei strategisch dahingehend aufzustellen, dass man sich nicht nur als Parlamentspartei versteht, sondern als Bewegungspartei." 116 Vgl. Facebook-Seite "Zukunft Heimat e. V. "Montagsdemonstration in Cottbus", 23.10.2022 (letzter Zugriff 24.10.2022). 117 Vgl. Facebook-Seite Mühle Cottbus, 02.05.2022, (letzter Zugriff 09.05.2022). 118 Vgl. Die Kehre auf Twitter: Veranstaltung: Heftvorstellung, 09.01.2023 (letzter Zugriff 11.01.2023). 119 Vgl. Facebook-Seite AfD Kreisverband MOL, 07.03.2022, (letzter Zugriff 08.03.2022). 120 Vgl. Facebook-Seite Steffen Kotre, 17.05.2022 (letzter Zugriff 18.05.2022). 121 Vgl. Idearium auf Telegram: Björn Höcke zum Zustand des deutschen Parteiensystems und der notwendigen Verzahnung mit dem politischen Vorfeld, 23.10.2022 (letzter Zugriff 27.10.2022). Anm 1: Das Konzept der kulturellen Hegemonie geht auf den italienischen Marxisten Antonio Gramsci zurück. Gramsci ging davon aus, dass die Durchsetzung revolutionärer Ideen nur erfolgreich ist, wenn zuvor der politisch-kulturelle Überbau erobert wurde. 1985 wurde dieses Konzept vom rechtsextremistischen französischen Autor Alain de Benoist erstmals für die Neue Rechte beansprucht. Es geht darum, rechtsextremistische Konzepte nur noch verschleiert zu kommunizieren und so die Mitte der Gesellschaft zu infiltrieren. Ziel ist die Delegitimierung des demokratischen Rechtsstaates und seiner pluralistischen Ausrichtung. Anm. 2: Wenn Björn Höcke vom politischen Vorfeld spricht, meint er damit nicht nur anderen Organisationen der Neuen Rechten, sondern Organisationen, die er als natürliche Verbündete begreift, wie zum Beispiel Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen, Demonstrationen gegen Corona-Maßnahmen und ähnliches. Strukturen, die man im eigenen Interesse beeinflussen soll. 122 Vgl. ebd. 77 Russlands gegen die Ukraine und seine Folgen. Im diesem Zusammenhang wurden verschwörungsideologische Elemente angeführt, die Krieg und Krisen als bewusstes machtpolitisches Instrument einer angeblichen globalen Elite ansehen, deren vorrangiges Ziel es sei, Deutschland nachhaltig zu schaden. Bei allen Themen, die die AfD aufgreift, wird das Handeln der Regierung und der Mehrheit der im Parlament vertretenden Parteien dabei häufig als Verrat am eigenen Volk diffamiert. Sinnbildlich für die verzerrende Darstellung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie steht der zudem Vergleich der Maßnahmen mit den Verbrechen des Nationalsozialismus. Bei einer Demonstration am 3. Januar 2022 in Neuruppin (OPR) äußerte der Anmelder der Versammlung und AfD-Aktivist laut Medienberichten: "Es wird behauptet, nur Impfen bringt uns die Freiheit zurück (...) Wer schon mal in Sachsenhausen war, im KZ, der hat da gesehen: 'Arbeit macht frei'. Da steht nicht: 'Impfen macht frei'."123 Neben der Delegitimierung des Prozesses der demokratischen Willensbildung und des Rechtsstaates in der Bundesrepublik Deutschland wird hier auch der Holocaust relativiert. Eine Demonstration der AfD am 25. Februar 2022 in Eberswalde (BAR) - ursprünglich gegen die CoronaImpfpflicht - zeigte, dass innerhalb des Landesverbandes Brandenburg von Anfang die oben erwähnte Sichtweise auf den Krieg dominierte und zur pauschalen Delegitimierung der Parlamentsmehrheit und der westlichen Regierungen missbraucht wurde. So verstieg sich das AfD-Landesvorstandsmitglied Inka Länger in der Behauptung, dass der Krieg in der Ukraine nur ein Mittel der "Globalisten" sei, um die Menschen in der "Corona-Pause" weiter unterdrücken zu können: "Für das Globalistenregime des Westens ist klar, es darf einfach nie Ruhe einkehren, dass ist das Motto der strategischen Strippenzieher, denn sonst hätten die Menschen ja Zeit auf die Verbrechen und Verfehlungen der Politik zu schauen. Es muss immer durch Angst und Krisen abgelenkt werden. Es sind dieselben Globalisten die den CoronaAusnahmezustand vom Zaun gebrochen haben und die uns jetzt in den Krieg hetzen wollen."124 Auch das Landesvorstandsmitglied Lars Günther machte sich auf derselben Veranstaltung Gedanken über Putins Angriffskrieg und kam zu folgendem Ergebnis: "Der westlich militärische industrielle mediale Komplex hat diesen Konflikt gesucht und nun haben wir ihn leider."125 Günther verbreitet hier die Erzählung, dass nicht die vom Volk gewählten Vertreter in den Parlamenten die politischen Entscheidungen treffen, sondern dass "Mächte" im Hintergrund die eigentlichen politischen Fäden ziehen. Diese Mächte richten ihr Handeln an ihren eigenen Interessen aus und nicht an denen des Volkes. Pauschal degradiert er die gewählten "Volksvertreter" der "Altparteien" zu Erfüllungsgehilfen der "imperialen Kräfte".126 Sein Verweis auf die "imperialen Kräfte aus Übersee" sowie eines damit verbundenen "westlich militärischen industriellen medialen Komplex" ist zentral für das bei Rechtsextremisten127 beliebte Motiv einer amerikanischen Elite, die die Fäden der Weltpolitik in der Hand hielte. Ähnlich äußerte sich Björn Höcke anlässlich einer Versammlung der AfD am 29. März 2022 in Prenzlau (UM). Seine Abschlussrede enthielt zahlreiche verschwörungsideologische Ausführungen, in welchen er ebenfalls die Corona-Pandemie, den Krieg gegen die Ukraine und die Energiepolitik in einen Sinnzusammenhang brachte. Er bezeichnete sie als "Plandemie", aus der "globalistische Eliten" einen Nutzen für ihr Fortbestehen ziehen würden128: So führte er zu diesen "Eliten" aus, die seiner Meinung nach "gerade in einem Überlebenskampf sind, beziehungsweise ihre globalistische Agenda, ihren Traum von der neuen Weltordnung, ihren Traum von der Weltregierung jetzt einen großen Schritt nach vorne in die Zukunft entwickeln wollen."129 123 MAZ-online vom 04.01.2022 "Neuruppin: Staatsschutz ermittelt nach Anti-Impf-Demo"; https://www.maz-online.de/lokales/ostprignitz-ruppin/neuruppin/neuruppin-staatsschutz-ermittelt-nach-anti-impf-demo-56OVXTEBOG2JUI2PTUPJOOK3YA.html (letzter Zugriff 05.01.2022). 124 Vgl. Facebookseite AfD Kreisverband Barnim, 26.02.2022 (letzter Zugriff 28.02.2022). 125 Vgl. Ebd. 126 Vgl. Ebd. 127 Linksextremisten nutzen hierfür bereits seit Jahrzehnten den Begriff "militärisch-industrieller Komplex". Vgl. Ebd. 128 Vgl. Facebook-Seite der AfD Brandenburg, 29.03.2022, (letzter Zugriff am 30.03.2022). 129 Ebd. 78 Ebenso übernahm Björn Höcke die antisemitisch gefärbte Agitation gegen den US-amerikanischen Investor George Soros und dessen Stiftung und band die unter Verschwörungsagitatoren verbreitete These einer gezielt durch die Stiftung betriebenen Unterwanderung souveräner Staaten in seine Darstellung ein: "Ich kritisiere George Soros und die anderen Superreichen dafür, dass sie ihr Geld, dass sie angehäuft haben, missbrauchen. Dass sie mit ihren Stiftungen, wie im Falle Soros, souveräne Staaten unterwandern"130 Darüber hinaus bezeichnete er zentrale politische Akteure der Bundesregierung ebenfalls als "globalistische Sprechpuppen"131, welche lediglich im Interesse amerikanischer Konzern handeln würden. Die von den drei oben genannten Rednern behauptete Verschwörung einer globalistischen, amerikanischen Elite zur Errichtung einer Weltregierung ist schon verbal - wohl nicht unbeabsichtigt - mit der vom Nationalsozialismus propagierten jüdischen Weltverschwörung zu vergleichen. Tatsächlich glauben Rechtsextremisten oft an eine angebliche Weltverschwörung, durch die angeblich von Juden dominierte Wall Street. Das Offensichtliche wird verschleiert, unter anderem durch Begriffe wie Finanzelite, Globalisten, Wall Street, imperiale Kräfte. In dieser Form wird die Argumentation dem sekundären Antisemitismus zugeordnet und verstößt somit neben der Delegitimierung der aus der demokratischen Willensbildung hervorgegangenen Volksvertreter ebenfalls gegen die durch die fdGO geschützte Menschenwürde (gleiche Behandlung aller Religionen; keine Diskriminierung aufgrund einer Religionszughörigkeit). Sekundärer Antisemitismus beinhaltet zudem eine Relativierung des Holocaust, da er eine vermeintliche Begründung für die Verbrechen Deutschlands an den europäischen Juden liefert. Dadurch bedienen AfDAkteure beständig klassische rechtsextremistische Verschwörungserzählungen, welche den Antisemitismus zum Inhalt haben. In diesem Zusammenhang wird ebenfalls verschwörungsideologisch von einem "Great Reset" gesprochen. Der "Great Reset" bezeichnet eine Initiative des Weltwirtschaftsforums und seines Direktors, die Weltwirtschaft beziehungsweise die Weltgesellschaft nach der Covid-19-Pandemie neu zu denken. Aspekte von globaler Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit und die Bekämpfung des Klimawandels sollten stärkere Berücksichtigung finden. Verschwörungsideologen interpretieren diese Initiative aber als Plan einer mächtigen politischen und finanziellen Elite, die angeblich die Pandemie zur Errichtung einer Weltherrschaft nutzen will. Eine solche Argumentation findet sich zum Beispiel beim AfD-Kreisverband OderSpree: "An der rasanten Inflation im Eurosystem, an einer zur Pandemie erklärten Erkrankungswelle oder naturgemäßen Klimaveränderungen sind weder ein Herr Putin, noch der einzelne Bürger durch ihr (sic) alltägliches Verhalten schuld. Da lohnt schon eher die Frage nach einer 'Großen Transformation' oder dem 'Great Reset'".132 Gerne werden die politischen Verhältnisse in Deutschland auch mit denen in Diktaturen gleichgesetzt. Der Kreisverband Elbe-Elster geht sogar so weit, die Polizeieinsätze bei Demonstrationen gegen CoronaMaßnahmen mit der blutigen Niederschlagung der Protestbewegung im Iran durch die iranischen Sicherheitskräfte gleichzusetzen. Anlass dafür war eine Verurteilung des Verhaltens der iranischen Regierung durch den Bundeskanzler. 130 Ebd. 131 Vgl. Ebd. 132 Vgl. Facebook-Seite des AfD-Kreisverbandes Oder-Spree, 01.12.2022 (letzter Zugriff 05.12.2022), Fehler im Original. 79 133 Weiterhin werden Migranten, insbesondere aus muslimischen Ländern und Afrika in einer Art und Weise diffamiert, die ihre Menschwürde beeinträchtigt. Ihnen wird unterstellt, gezielt nach Deutschland einzuwandern, um das Sozialsystem auszunutzen. Zusätzlich werden sie als die wesentliche Bedrohung für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland diffamiert und zwar in einer Art und Weise, die ihre Menschenwürde beeinträchtigt: "Nach Griechenland oder Italien geht es erst zunächst in Sicherheit. Und dann geht es weiter nach Deutschland in den Wohlstand, finanziert durch die hier hart arbeitenden Steuerzahler! So sieht sie aus die 'Fluchtroute' von Migranten aus Nordafrika und dem Nahen Osten. (...) Schon jetzt regiert die offene Gewalt auf den Straßen, haben kriminelle Familienclans ganze Stadtviertel in ihren Händen, ziehen Versprengte ziellos durch die Städte. So sieht das Deutschland aus, an dem die Altparteien unter grüner Führung arbeiten."134 Obwohl der Begriff der Umvolkung inzwischen bei den Protagonisten der AfD in Brandenburg weitgehend vermieden wird, finden sich immer wieder Hinweise, die unterstellen, dass die politisch Verantwortlichen den bewussten Austausch der autochthonen Bevölkerung vorantreiben sollen. So wird eine gewollte Islamisierung Deutschlands behauptet135. Ebenso wird eine Gefahr herbeigeredet, dass das Staatsvolk durch Einwanderung ersetzt wird136 oder die Frage gestellt: "Wie lange wird Deutschland noch Deutschland heißen und sein?"137 Bewertung / Ausblick Mit der Neuwahl des Landesvorstandes hat sich der Landesverband personell weitestgehend auf die Unterstützer des ehemaligen Landesvorsitzenden festgelegt. Allerdings erhielt der innerparteiliche Konkurrent Rene Springer bei der Wahl zum Landesvorstand nur sieben Prozent weniger Parteitagsstimmen als die gewählte Landesvorsitzende Birgit Bessin. Ein Grund, warum beide Kandidaten bei der Wahl für den Vorsitz fast gleichauf lagen, ist, dass sie und ihre jeweiligen Anhänger sich ideologisch wenig voneinander unterscheiden. Beide Lager betreiben letztendlich Fundamentalopposition, lehnen die liberale 133 Vgl. Facebook-Seite des AfD-Kreisverbandes Elbe-Elster, 15.11.2022 (letzter Zugriff 15.11.2022). 134 Facebook-Seite der AfD Brandenburg: "Immer mehr Flüchtlinge - und fast alle wollen nach Deutschland", 28.06.2022, (letzter Zugriff 28.06.2022). 135 Vgl. Facebook-Seite Dennis Hohloch, 27.06.2022, (letzter Zugriff 28.06.2022). 136 Vgl. Facebook-Seite AfD Cottbus, 04.11.2022 (letzter Zugriff 07.11.2022). 137 Vgl. Facebook-Seite Birgit Bessin, 01.12.2022 (letzter Zugriff 02.12.2022). 80 westliche Demokratie und Pluralismus im Großen und Ganzen ab und streben eine weitgehend ethnisch homogene Gesellschaft an. Unterschiede gibt es vor allem im politischen Stil. Das Lager um Rene Springer und Hans-Christoph Berndt strebt eine stärkere "basisdemokratische Verankerung" an, um sich als wählbare Alternative im kommunalpolitischen Raum zu präsentieren. Strategisch verzichtet dieses Lager dabei oftmals auf die offensichtliche Parteianbindung. Ein Beispiel dafür sind die Montagsdemonstrationen in Cottbus. Daran orientierten sich auch AfD-Kandidaten bei kommunalen Wahlen. Sie bemühten sich, vordergründig einen parteipolitisch "neutralen" Wahlkampf zu führen. Der Unterstützerkreis der neugewählten Landesvorsitzenden übernimmt inzwischen ebenfalls diese Strategie. Darüber hinaus gründen AfD-Mitglieder bereits regionale Vereine im Bereich Kulturund Sport ohne offensichtliche AfD-Bezüge. Trotz der unterschiedlichen Lager werden die Konflikte innerhalb der Partei 2023 mit Hinblick auf die anstehenden Wahlen 2024 nur punktuell sichtbar werden. An den Themenschwerpunkten und der ideologischen Ausrichtung des AfD-Landesbandes Brandenburg dürfte sich 2023 nichts grundlegend ändern. 81 3.13 Rechtsextremistischer Verdachtsfall: Junge Alternative für Deutschland (JA) - Landesverband Brandenburg Sitz / Verbreitung Die "Junge Alternative für Deutschland" (JA) gliedert sich unterhalb der Bundesebene in 16 Landesverbände. Der Bundesverband hat seinen Sitz in Berlin. Der brandenburgische Landesverband hat seinen Sitz in Potsdam. Die JA unterhält in Brandenburg landesweite Strukturen. Gründung / Bestehen Gründungsdatum des JA-Landesverbandes Brandenburg ist der 12. Juli 2014. Seit dem 18. April 2015 ist der Landesverband offizielle Jugendorganisation des AfD-Landesverbandes Brandenburg.138 Struktur / Reichweite Landesvorstand der JA Brandenburg: Vorsitzende: Anna Leisten, Franz-Sebastian Dusatko Stellv. Vorsitzende: Hannes Gnauck, Oliver Stiffel Struktur des Landesverbandes: Die JA Brandenburg verfügt über acht "Botschafter", die laut Internetseite der JA organisatorisch für einzelne Landkreise zuständig sind.139 Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Der Landesverband Brandenburg umfasst eigenen Angaben zufolge etwa 120 Mitglieder (2021: 60). Veröffentlichungen Der JA-Landesverband Brandenburg ist im Internet, insbesondere in den Sozialen Medien, vertreten. Einige Mitglieder der JA verfügen zudem über eigene Auftritte in Sozialen Medien. Der in den Jahren 2020 und 2021 produzierte Podcast wurde im Berichtsjahr 2022 nicht fortgesetzt. Kurzportrait / Ziele Die JA Brandenburg ist inhaltlich und personell eng mit ihrer Mutterpartei - dem AfD-Landesverband Brandenburg140 - verbunden. Genau wie bei der AfD dominieren in der brandenburgischen Jugendorganisation völkisch-nationalistische Konzepte, mit denen eine ethnisch homogene Gemeinschaft angestrebt wird. Laut AfD-Bundessatzung (SS 17a Abs. 2 Satz 1) dient die JA der Partei als "Innovationsmotor". Laut SS 1 Absatz 3 ihrer eigenen Satzung hat die JA Brandenburg das Ziel, die Weltanschauung der AfD Brandenburg in ihrem Wirkungskreis zu vertreten und zu verbreiten.141 Finanzierung Die JA Brandenburg finanziert sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Grund für die Beobachtung als Verdachtsfall/Verfassungsfeindlichkeit Über die "Junge Alternative für Deutschland" liegen hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei ihr um einen Verdachtsfall handelt. Sie richtet sich gegen die Garantie der 138 Siehe Fußnote 6. 139 Vgl. Homepage Junge Alternative Brandenburg, ohne Datum (letzter Zugriff am 17.02.2022). 140 Siehe Fußnote 6. 141 Satzung der Jungen Alternative für Deutschland, Landesverband Brandenburg vom 19. Januar 2020 82 Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz. Dies wurde 2022 vom Verwaltungsgericht Köln bestätigt.142 Die JA Brandenburg vertritt eine auf dem Konzept des Ethnopluralismus basierende fremdenfeindliche Haltung und ist dem völkisch-nationalistischen Lager der Mutterpartei zuzurechnen. Dies äußert sich beispielsweise in einer fortwährenden Instrumentalisierung der Flüchtlingspolitik. In zahlreichen Beiträgen führender JA-Funktionäre werden Geflüchtete generell als Gefahr für die innere Sicherheit und den sozialen Frieden dargestellt. Regelmäßig werden abwertende, kriminalisierende und ausgrenzende Positionen gegenüber Migranten seitens der JA verbreitet. Damit einhergehend vertritt die JA Brandenburg ein kulturdeterministisches Gesellschaftskonzept, welches kulturell, normativ und ethnisch voneinander abgegrenzte politische Gemeinschaften als Ideal propagiert. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die oben beschriebenen Elemente des verfassungsfeindlichen Weltbilds der JA zeigten sich im Jahr 2022 beispielsweise an diversen Veröffentlichungen des brandenburgischen Landesverbandes. So warb die JA Brandenburg für die Teilnahme am JA-Bundeskongress mit einer Darstellung, die die politische Situation in Deutschland aus Sicht der JA beschreibt. Hierbei griff die JA einerseits auf bekannte ethnopluralistische Argumentationen zurück, die letztlich auf die Abwertung von Personen nichtdeutscher Herkunft abzielen. Gleichzeitig bediente sich die JA dabei verschwörungstheoretischen Ideologemen einer vermeintlich "globalistischen Elite", die die Politik beeinflussen beziehungsweise lenken würde. Konkret heißt es in dem Facebook-Beitrag: "Die Zukunft Deutschlands kann ebenso wenig von nichtgewählten Technokraten und globalistischen Konzernen bestimmt werden. Nicht von Davos, Washington oder Brüssel. Nicht von alten Milliardären, antideutschen Migranten oder grün-kosmopolitischen Pseudoakademikern. Nicht von den Soros, den A- tamans oder Neubauers dieser Republik. In diesen, noch dominierenden Gruppen liegt keine Zukunft für Deutschland als Deutschland."143 Dass es sich hierbei um keinen Einzelfall handelt, zeigt ein weiterer Beitrag auf der Facebook-Seite der JA Brandenburg aus dem August 2022. Auch in diesem Protestaufruf wird deutlich, dass die JA Brandenburg - die für weite Teile der verfassungsschutzrelevanten "Neuen Rechten" elementaren - Verschwörungstheorien ideologisch aufgreift und zugleich öffentlich verbreiten. Die JA Brandenburg erklärt: "Für uns ist klar: Unsere Regierung kann die Probleme Deutschlands nicht lösen und will sie auch gar nicht lösen. Sie hat das Volk längst vergessen und dient lieber Globalisten und Lobbyisten."144 Die innerhalb der rechtsextremistischen Szene häufig bediente Verschwörungserzählung vom "Großen Austausch" wird auch von der JA Brandenburg aufgegriffen und weiterverbreitet. Da diese attestiert, eine weiße Mehrheitsbevölkerung würde aufgrund eines "geheimen Plans" angeblicher "globalistischer Eliten" durch nicht-weiße Einwanderer gezielt ausgetauscht werden, gilt sie als rassistische und antisemitische Verschwörungsideologie. So kommentierte die JA Brandenburg bei Telegram am 10. Mai 2022 beispielsweise ein Plakat zur Ausstellung "Die Deutschen des 21. Jahrhunderts", welches eine dunkelhäutige Frau zeigt, mit den Worten: "Ein großer Austausch findet nicht statt!"145 Mit diesem offensichtlich ironisch gemeinten Kommentar leistet die JA Brandenburg trotz stilistischer Verschleierung der Verschwörungserzählung vom "Großen Austausch" durch derartige Kommentare Vorschub. Der Umgang der JA Brandenburg mit rechtsextremistischen Positionen in den eigenen Reihen wird auch daran deutlich, dass der Landesverband weiterhin an einem ehemaligen Vorstandsmitglied festhält, welches 2021 aufgrund rechtsextremistischer Äußerungen und einer anschließenden parteiinternen Debatte 142 Urteil VG Köln (Az 13 K 208/20) vom 08.03.2022 143 Vgl. Facebook-Seite "Junge Alternative Brandenburg", 27.09.2022 (letzter Zugriff am 07.02.2023). 144 Vgl. Facebook-Seite "Junge Alternative Brandenburg", 25.08.2022 (letzter Zugriff am 07.02.2023). 145 Vgl. Telegram-Kanal "Junge Alternative Brandenburg", 10.05.2022 (letzter Zugriff am 11.05.2022). 83 aus der AfD146 austrat. Die betreffende Person nahm dennoch öffentlichkeitswirksam im Berichtszeitraum an offiziellen JA-Veranstaltungen, wie der JA-Großdemonstration am 8. Oktober 2022 in Berlin, teil. Sie ist zudem nach wie vor Mitglied der JA Brandenburg und arbeitet mittlerweile als persönlicher Referent eines Bundestagsabgeordneten. Die fehlende Distanzierung von rechtsextremistischen Akteuren erinnert an das Verfahren im Umgang mit Andreas Kalbitz. Die Verbindungen der JA Brandenburg zu rechtsextremistischen Organisationen waren auch im Jahr 2022 öffentlich nachvollziehbar. Anna Leisten, Vorsitzende der JA Brandenburg und zugleich Beisitzerin im Bundesvorstand, trat im August 2022 als Studiogast beim Videoformat des rechtsextremistischen COMPACT-Magazins auf. In diesem Interview stellte sie heraus, dass die JA "radikaler" sei als ihre Mutterpartei und sich der Jugendverband als "Motor" der AfD verstehe.147 Weiterhin trug Leisten trotz eines entsprechenden Unvereinbarkeitsbeschlusses der AfD offen ihre Sympathie für die "Identitäre Bewegung" zur Schau. Indem sie im August 2022 auf dem JA-Sommerfest ein T-Shirt der Firma "Phalanx Europa", der offiziellen Bekleidungsmarke der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" trug, unterstützt sie die "Identitären" sowohl ideell als auch materiell.148 Der JA-Bundeskongress im Jahr 2022 belegt diese Verzahnung zwischen Organisationen der verfassungsschutzrelevanten Neuen Rechten bundesweit. So waren hier beispielsweise das rechtsextremistische COMPACT-Magazin oder das oben benannte Modelabel "Phalanx Europa" mit Ständen präsent.149 Ebenso war Götz Kubitschek vom rechtsextremistischen "Instituts für Staatspolitik" vor Ort. Die einschlägige Präsenz der JA Brandenburg im JA-Bundesverband ist zudem ein Indikator für die Kräfteverhältnisse zwischen gemäßigten und rechtsextremistischen Kräften innerhalb der Jugendorganisation der AfD. Bewertung / Ausblick Die JA Brandenburg vertritt geschlossen fremdenund flüchtlingsfeindliche Positionen und favorisiert eine ethnisch homogene Gesellschaft. Ihre Ideologie basiert auf einer fremdenfeindlichen Haltung, die klar im Widerspruch zur Offenheit des Staatsvolkverständnisses des Grundgesetzes steht. Die Jugendorganisation der AfD Brandenburg bewegt sich inhaltlich und ideologisch auf einer Linie mit den verfassungsfeindlichen Auffassungen der brandenburgischen Mutterpartei. Dies wirkt sich bis in die Bundesorganisation der JA aus. Eine Umkehr der inhaltlichen und ideologischen Ausrichtung der JA Brandenburg ist nicht erkennbar. 146 Siehe Fußnote 6. 147 COMPACT TV Der Tag: "Razzia bei Trump: Deep State schlägt zu", 09.08.2022, (letzter Zugriff am 03.02.2023). 148 Vgl. Facebook-Seite "Junge Alternative Brandenburg", 24.08.2022 (letzter Zugriff am 01.09.2022). 149 Vgl. Twitterkanal "vincenzo9904", 18.10.2022, (letzter Zugriff am 18.10.2022). 84 4. Reichsbürger und Selbstverwalter 85 Sitz / Verbreitung Reichsbürger und Selbstverwalter sind bundesweit aktiv. Gründung / Bestehen 1985 wurde die erste "Kommissarische Reichsregierung" (KRR) in Berlin gegründet. In Brandenburg wurden seit dem Jahr 2000 immer wieder Gruppierungen aktiv. Struktur / Repräsentanten Das Spektrum ist strukturarm und heterogen. Neben sieben Hauptgruppierungen existieren in Brandenburg kleinere Personenzusammenschlüsse, regionale Netzwerke und Einzelpersonen. Die Szene wandelt sich ständig und organisiert sich immer wieder neu. Sie ist durch persönliche Kennverhältnisse mit zum Teil hoher Aktivitätsentfaltung im Internet gekennzeichnet. Es kommt regelmäßig zu Streitigkeiten und Zerwürfnissen, sodass sich Gruppierungen auflösen und neue, zum Teil Splittergruppen, entstehen. Somit unterliegt die Szene einer hohen Fluktuation. Eine übergeordnete, einheitliche Struktur, welcher eine größere Bedeutung zugemessen werden kann, ist nicht vorhanden. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg gibt es rund 650 Anhänger, die mehrheitlich keiner festen Organisation angehören. Es handelt sich überwiegend um Einzelpersonen und Angehörige örtlich loser Szenen. Rund zehn Prozent weisen Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf. Sie sind insbesondere dort dem Rechtsextremismus zuzuordnen, wo sich Versatzstücke antisemitischer und nationalsozialistischer Denkmuster wiederfinden. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die nachfolgenden Gruppierungen entfalteten regelmäßige - auch überregionale - Aktivitäten: Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) - Preußisches Institut - Bismarcks Erben - Ewiger Bund Verfassunggebende Versammlung Indigenes Volk Germaniten Königreich Deutschland Geeinte deutsche Völker und Stämme (verboten) Veröffentlichungen In der Regel verfügen solche Gruppierungen über eigene Internetauftritte und bieten unter anderem Fantasiepapiere und teilweise Schriftsätze zum Download an. Daneben existieren Vernetzungsplattformen im Internet und ein vielfältiges Angebot an zumeist geschlossenen Foren in den sozialen Netzwerken. Einzelne Autoren und Autorenzusammenschlüsse aus dem verschwörungsideologischen Milieu veröffentlichen gezielt Monografien für Angehörige und Sympathisanten der Szene. Eine der Hauptveröffentlichungen ist "Die 'BRD-GmbH' oder zur völkerrechtlichen Situation in Deutschland und den sich daraus ergebenden Chancen für ein neues Deutschland". Verfasser ist ein Aktivist der verbotenen Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Kurzportrait / Ziele "Reichsbürger und Selbstverwalter" sind in ihrer heutigen Ausprägung ein relativ junges Phänomen. Eine Teilmenge vertritt revisionistische, antisemitische sowie ausländerfeindliche Ansichten und ist damit dem 86 Rechtsextremismus zuzurechnen. Sie berufen sich auf den Fortbestand des Deutschen Reiches in unterschiedlichen Formen und eine angeblich fehlende Legitimation der Bundesrepublik Deutschland. Sie behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daraus folgern einige, dass alle Deutschen staatenlos seien. Daher fühlen sie sich auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Außerdem verneinen sie die Rechtmäßigkeit deutscher Gerichte und Verwaltungen. Die Bundesrepublik sei nur ein Unternehmen ("GmbH"), eine Scheinbehörde oder eine übergangsweise von den Alliierten eingesetzte Verwaltung. Selbstverwalter definieren beispielsweise ihre Wohnung, ihr Haus oder ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet, auf dem ihre eigene "Staatsordnung" gelte. Ihr Grundstück markieren sie mitunter durch eine (Grenz-)Linie und erfinden eigene "Staatswappen". Mithin berufen sich Selbstverwalter in der Regel auf ein selbst definiertes Naturrecht, geben "Lebenderklärungen" ab und fühlen sich ebenso nicht an Gesetze gebunden. Sehr oft steckt der Versuch dahinter, sich Steuern, Bußgelder oder sonstiger finanzieller Verpflichtungen zu entledigen. Vorbild für diesen Teil der Szene sind die "Souveränen Bürger" (Sovereign Citizens) oder "Freemen" in den USA. Ähnlich wie diese gründen "Selbstverwalter" seit einigen Jahren "Gemeinden", "Staaten" und andere Fantasiegebilde. "Reichsbürger und Selbstverwalter" sind zudem stark von Verschwörungsideologien beeinflusst. Das kann die Grundlage für weitergehende Radikalisierungsprozesse sein. Gerichte, Finanzämter, Polizei und andere Behörden werden seit Jahren in ihrer Arbeitsweise behindert. "Reichsbürger und Selbstverwalter" schrecken dabei nicht vor Einschüchterungsversuchen, Bedrohungen und Gewalt zurück. Seit Dezember 2016 wird das Milieu auf waffenrechtliche Erlaubnisse hin überprüft, um diese - wo immer möglich - zu entziehen und so den legalen Waffenbesitz in der Szene zu unterbinden. "Reichsbürger und Selbstverwalter" sind eine Bestrebung mit erheblichem Gewaltpotenzial. Finanzierung "Milieumanager"150 in der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" finanzieren sich insbesondere durch den Verkauf von Fantasiepapieren, Autokennzeichen sowie Büchern und bieten sowohl Seminare als auch Vorträge an. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Ideologie und Aktivitäten von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand der Bundesrepublik Deutschland und sind somit verfassungsfeindlich. Für "Reichsbürger und Selbstverwalter" stellt die bestehende politische und soziale Ordnung etwas fundamental Schlechtes dar. Sie soll durch eine grundlegende Umwälzung zugunsten eines anderen Systems überwunden werden. "Reichsbürger und Selbstverwalter" sehen sich als Gefangene oder Unterdrückte in einem ihnen fremden Feindstaat und verfolgen eine darauf ausgerichtete Widerstandsstrategie. Dazu gehört beispielsweise die Gründung von "Staatenbünden". Deren Fantasie-Verfassungen dokumentieren deutlich, wie fundamental dieses Milieu die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt. Der extremistische Charakter von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" zeigt sich zudem in der Einstellung zur Gewalt. Die Androhung "reaktiver" Gewalt ist im Milieu weit verbreitet. Zudem zeigt sich eine 150Milieumanager sind Personen, die aus eigennützigen Zwecken ein Interesse daran haben, dass die Unterstützung für das politische System der Bundesrepublik nachlässt. Politische Krisensituationen sind ihre Geschäftsgrundlage. Sie suchen die Öffentlichkeit, halten Vorträge und schüren Ängste. Damit verdienen sie ihr Geld, denn sie verkaufen "Rechtsund Steuerberatung", Seminarplätze, Geldanlagen, Bücher, Zeitschriften und andere Medien. Zudem nutzen sie das Internet, um ihren Umsatz zu erhöhen. 87 große Affinität zu den verschiedensten Verschwörungsfantasien, zum Beispiel in Bezug auf die CoronaPandemie und den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine. Entwicklungen im Berichtszeitraum Strukturierte Organisationsformen: "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" Die Gruppierung "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" mit Sitz in Cottbus ist eine Nachfolgeorganisation des "Freistaats Preußen", der seinerzeit eine der größten Vereinigungen des "Reichsbürger"Milieus in Deutschland war. Nach einer polizeilichen Maßnahme und internen Auseinandersetzungen spaltete sich der "Freistaat Preußen" im Frühjahr 2017. Ein kleiner Teil der Mitglieder gründete den "Freistaat Preußen - Deutsches Reich". Der verbliebene Teil nennt sich seitdem "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen". Die Gruppierung fällt regelmäßig mit revisionistischen und antisemitischen Äußerungen in ihren Schreiben auf. So sind Begriffe des rechtsextremistischen Spektrums wie "Bevölkerungsaustausch" oder "Völkermord an den Deutschen" in den Veröffentlichungen der Gruppierung regelmäßig zu finden. Die Gruppe behauptet, dass die Bundesrepublik Deutschland zum einen nicht das Recht habe, deutsche Pässe auszustellen. Zum anderen müsste der Staat Preußen einer Ansiedlung von Flüchtlingen zustimmen. Darüber hinaus fordert die "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" die Rückkehr zu den Staatsgrenzen von 1914. Das bedeutet, dass Teile von Frankreich und Polen wieder zum "Reich" gehören sollen. Die fremdenfeindliche Ideologie der Gruppierung "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" wird unter anderem in einem am 9. Juli 2022 veröffentlichten Schreiben deutlich. Darin heißt es: "Wir Preußen respektieren jeden Menschen auf dieser Erde, weil es der Wille des Schöpfers war, jeden Menschen nach seinem Ebenbild zu erschaffen, jeder Rasse ein Territorium zuzuweisen und durch geografische Barrieren voneinander zu trennen, in welchen diese nach ihrer Art, in Glück und Frieden leben können. Jeder, der diese Ordnung des Schöpfers durch Vermischung zerstört oder diesen Kräften hilft oder auch nur tatenlos zusieht, muss der Gegenpol des Schöpfers sein und auf der Seite der Satanisten stehen."151 Verquer wird später hinzugefügt: "Wir Preußen sind keine nationalsozialistischen Nigger der BRD".152 Ebenso wird das politische System der Bundesrepublik Deutschland verunglimpft. So heißt es, man werde "weiter ... den Völkermord, welchen die Schergen der ... BRD ... täglich begehen, dokumentieren".153 Bei so viel reichsbürgerlichem Aktivismus darf ein Brief an die russische Botschaft und an "Eure Exzellenz Wladimir W. Putin und das russische Volk" nicht fehlen. Er beginnt mit "wir, das Brudervolk der Russen"154. Die "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" wirbt zudem für ein identitäres Politikverständnis. Dieses Konzept geht von einer strikten Einheit der Regierenden und Regierten aus und zielt auf die Schaffung eines homogenen Volkes ab. Dieses ist typisch für viele "Reichsbürger und Selbstverwalter". Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnen sie als "BRD-GmbH" und staatliche Institutionen als deren (Unter)Firmen. 151 Homepage "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen": "Antwort auf Reichsbürgerartikel der LR vom 08.07.2022", 09.07.2022 (letzter Zugriff am 23.02.2023); Hinweis: Offenbar sind bei Reichsbürgern orthografische Herausforderungen besonders stark ausgeprägt. Daher wurden die Zitate zugunsten der Lesbarund Verständlichkeit an die korrekte deutsche Sprache und Rechtschreibung angepasst. 152 Ebd. 153 Homepage "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen": "Denkschrift zu Prinz HeinrichXIII und der BRD", 10.12.2022 (letzter Zugriff am 23.02.2023); Hinweis: Offenbar sind bei Reichsbürgern orthografische Herausforderungen besonders stark ausgeprägt. Daher wurden auch hier das Zitat zugunsten der Lesbarund Verständlichkeit an die korrekte deutsche Sprache und Rechtschreibung angepasst. 154 Homepage "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen": "offener Brief an das russische Volk", 25.01.2023 (letzter Zugriff am 23.02.2023). 88 Strukturierte Organisationsformen: "Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches" Einige Personen, die im Geflecht rund um den ehemaligen "Freistaat Preußen" aktiv waren, haben den "Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches" gegründet. Sie unterhalten vom südlichen Brandenburg aus Beziehungen zu Gruppierungen mit ähnlichen Namen im gesamten Bundesgebiet. Dazu zählt im Berichtszeitraum beispielsweise der "Volksstaat Bayern". Teilweise verschicken diese Zusammenschlüsse gemeinsame "Amtsblätter / Anordnungen" an Verwaltungen in ganz Deutschland. Der "Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches" ist dabei besonders aktiv. Der historische, 1918 gegründete Freistaat Preußen habe im Nationalsozialismus widerrechtlich seine Autonomie verloren. Deutschland als Nachfolger des Dritten Reichs sei demnach auch kein rechtmäßiger Staat. Für die Mitglieder der Gruppe existieren das Deutsche Reich und damit auch Preußen fort. Die Bundesrepublik sei lediglich ein Verwaltungskonstrukt der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Gruppe gründete unter anderem eine "Zentralverwaltung" mit Sitz in Rheinland-Pfalz, und ein "Auswärtiges Amt Freistaat Preußen" in Fürstlich Drehna bei Luckau (LDS). Sie ist nach wie vor im Internet mit einer eigenen Webseite vertreten, auf der die Vielschreiber ihre "Amtsblätter" und "Beschlüsse" offen einsehbar bereitstellen. Im "Amtsblatt Nr. 30 vom 5. Mai 2022" heißt es, "der preußische Staat Freistaat Preußen wird seit 1945 durch die USA und seinen [sic!] Verbündeten völkerrechtswidrig kriegerisch okkupiert". Zudem sei die "Besatzungsdiktatur, sich selbst 'freiheitlich demokratische Grundordnung' nennend", ein "schwerer Bruch des Völkerrechts".155 Neben solcher Delegitimierung des Staates werden auch beispielsweise internationale Verträge für nichtig erklärt, aktuelle Staatsgrenzen infrage gestellt und die Bundesrepublik Deutschland zu einem "Fantasiestaat" degradiert. Strukturierte Organisationsformen: "Vaterländischer Hilfsdienst" Wie alle Reichsbürgergruppierungen erkennt der "Vaterländische Hilfsdienst" (VHD), der zusätzlich unter den Bezeichnungen "Preußisches Institut", "Bismarcks Erben" und "Ewiger Bund" firmiert, weder die Bundesrepublik noch deren Exekutivbefugnisse an. Ziel von "Bismarcks Erben" ist die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Kaiserreiches im Rechtsstand vom 27. Oktober 1918. Dafür ist eigenen Angaben zufolge eine Reorganisation der Bundesstaaten vonnöten. Hierfür sollen sich deutsche Staatsangehörige vernetzen und ihre jeweiligen Gemeinden reorganisieren. Diese Aufgabe übernimmt der VHD, an den sich Personen mit einem "Abstammungsnachweis" melden sollen.156 Der Vaterländische Hilfsdienst gliedert sich in insgesamt 24 "Armeekorpsbezirke", die sich geographisch an den historischen Armeekorpsbezirken von 1914 orientieren. Eine vom VHD im Internet veröffentlichte Karte zeigt diese Aufteilung und die jeweiligen Bezeichnungen mit römischen Ziffern.157 Der III. Armeekorpsbezirk betrifft das Gebiet Berlin / Brandenburg. In Brandenburg wurden bereits häufiger Broschüren und Flugblätter des VHD in verschiedenen Regionen festgestellt. Des Weiteren ist der VHD im Internet sehr aktiv. Der eigene YouTube-Kanal wurde jedoch 2022 eingestellt. Seitdem werden die Videos auf eigenen Plattformen angeboten. Ebenso finden regelmäßig realweltliche Treffen der Anhänger des VHD statt. Brandenburg zählt hierbei zu den aktiveren Bundesländern. Eigenen Angaben zufolge sollen 2022 im Land Brandenburg etwas mehr als zehn Treffen des VHD stattgefunden haben. 155 "Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches", "Amtsblatt Nr. 30 vom 5. Mai 2022" (letzter Zugriff: 23.02.2023). 156 Homepage Ewiger Bund: "Broschüre - Der Vaterländische Hilfsdienst im Jahr 2020", ohne Datum (letzter Zugriff am 18.03.2022). 157 Vgl. Homepage Vaterländischer Hilfsdienst: "Die Armeekorpsbezirke.", ohne Datum (letzter Zugriff am 23.02.2023). 89 Strukturierte Organisationsformen: "Verfassunggebende Versammlung" Die "Verfassunggebende Versammlung" (VV) ist eine bundesweit vernetzte "Reichsbürger"-Organisation, die maßgeblich virtuell in sozialen Netzwerken aktiv ist. Sie unterhält unter anderem einen eigenen Internet-Radiosender und produziert Videos. Die Gruppierung vertritt gängige Reichsbürgeransichten. Die Aktivitäten sind in Brandenburg im Jahr 2022 jedoch zum Erliegen gekommen. Strukturierte Organisationsformen: "Indigenes Volk Germaniten" Die Gruppierung "Indigenes Volk Germaniten" wird aufgrund ihrer Ideologie den Reichsbürgern zugerechnet. Die "Germaniten" übernehmen zum Teil deren Argumentation, insbesondere zur vermeintlichen Illegitimität der Bundesrepublik, gehen aber nicht vom Fortbestehen des Deutschen Reiches aus. Vielmehr betrachten sie sich als indigenes Volk, weshalb sie ihren eigenen Staat gründen wollen. "Germaniten" sind bisher deutschlandweit vornehmlich dadurch auffällig geworden, dass sie die Arbeit von Gerichtsvollziehern behindern und Gerichtsverhandlungen gestört haben. In Brandenburg fiel die Gruppierung insbesondere durch den massenhaften Versand umfangreicher Schreiben an Behörden auf. Auch wenn das Gesamtaufkommen dieser Schreiben 2022 im Vergleich zu den Vorjahren rückläufig war, versendeten die selbsternannten "autochthonen Angehörigen des Indigenen Volkes Germaniten" auch 2022 diverse "Forderungen" an brandenburgische Amtsstuben. Strukturierte Organisationsformen: "Königreich Deutschland" Im Jahr 2009 gründete der Esoteriker und Koch Peter Fitzek den Verein "NeuDeutschland". Hauptsitz ist die Lutherstadt Wittenberg (Sachen-Anhalt). Seit 2012 tritt Fitzek als "Monarch" des "Königreichs Deutschland" (KRD) in Erscheinung. Laut KRD-Programmatik gelten die hoheitlichen Befugnisse und Rechtsgrundlagen der Bundesrepublik Deutschland nicht auf dem Gebiet des Königreichs. Damit wird die Existenz der Bundesrepublik Deutschland delegitimiert. Ebenso liegt - wie bei allen Reichsbürgern - eine Bestrebung vor, die sich gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes richtet. Auch stehen die gesellschaftspolitischen Vorstellungen des KRD den im Grundgesetz verbrieften Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegen. Das KRD war immer bemüht, seine Aktivitäten auf andere Bundesländer auszudehnen. 2021 wurden diese Expansionsbemühungen weiter intensiviert. Für die Schaffung von "Gemeinwohldörfern" wurden verschiedene Vereine ins Leben gerufen, die Immobilien und Land suchen. So soll bei Anfragen das Wirken des KRD verschleiert werden. Die Vereine oder ihre Vertreter fragten Kommunen nach Immobilien an, die über bestimmte Parameter für Eigenversorgung verfügen. Die Liegenschaften sollten beispielsweise eine Größe von bis zu 20 Hektar haben, damit dort bis zu 300 Personen leben können. Ziel der Ausdehnung ist zudem die Rekrutierung neuer Anhänger und die Herstellung neuer Allianzen: "Wir suchen Pioniere, die den Aufbau neuer Gemeinwohlstrukturen mitgestalten. Freies Lernen und die ganzheitliche Entwicklung der Kinder werden möglich sein." Darin liege die "Zukunft für alle freiheitsliebenden Menschen". Diese könnten sich so "unabhängig von alten Systemstrukturen versorgen".158 Der Verfassungsschutz Brandenburg hat davor gewarnt. Außerhalb Brandenburgs wurden in jüngster Zeit in der Tat weitere Immobilien vom KRD erworben. Der offensichtlich teure Autos bevorzugende und unter anderem wegen Fahrens ohne Führerschein bereits verurteilte "König" Fitzek gilt innerhalb der extremistischen Reichsbürgerszene als besonders umtriebiger Milieumanager. Er zeigt sich offen im Umgang mit rechtsextremistischen Akteuren, ist antisemitischen Verschwörungserzählungen zugeneigt und sehr am Geld seiner Anhänger interessiert. Wie bei 158Vgl. Homepage Königreich Deutschland: "Wir planen Dorfprojekte für freie Menschen!", 14.05.2021 (letzter Zugriff am 14.03.2023). 90 der extremistischen Scientology-Organisation159 werden nicht unerhebliche Einnahmen über Seminargebühren erzielt. So kann man sich beim KRD für einige Hundert Euro zum "Seminarleiter" ausbilden lassen. Sogar "Qualifikationen" wie "Systemausstieg - Zusatzmodul B" werden angeboten. Wer dann für das Königreich als "Seminarleiter" loslegen will, muss dafür aber Lizenzgebühren abführen. Beim "Seminarleiter" der Stufe "2" sind das 3.000 Euro im Monat. Als Dankeschön und besonderen Anreiz hält Fitzek für seine "Seminarleiter" folgendes Angebot parat: Sie "erhalten je nach Eigenleistung zusätzlich Provisionen für folgende Vertragsabschlüsse: Deutsche Heilfürsorge, Deutsche Rente, Staatszugehörigkeit, Staatsangehörigkeit, Betriebsgründung und Betriebsumstellung, Klimagie Magus und Heizleisten, E-Mark-Umtausch, Kapitalüberlassungsvertrag und Sparbucheröffnung, Zustiftungserklärung, Studie der Deutschen Heilfürsorge".160 Unermüdlich füllt sich so die Schatulle des Fantasie-"Königs". Das KRD wirbt offensiv um Gewerbetreibende. Die vermeintliche Aussicht auf ein "steuerfreies Wirtschaftssystem", "verminderte Sozialabgaben" sowie ein "autarkes und geschlossenes zinsfreies Geldsystem" sollen die zugkräftigsten Argumente darstellen, um einen Übertritt in das KRD herbeizuführen. Das Werben von Anhängern und Investoren erfolgt über "Unternehmerseminare" oder "Tage der offenen Tür".161 Ebenso wird großspurig behauptet, es würden "Ausbildungen u. a. zum Bankdirektor oder Direktor einer regionalen Wirtschaftsförderung, Leiter einer Regionalstelle, Gutsverwalter, Richter im KRD, Direktor für Soziales, Vertriebsdirektor für freie Energiemaschinen, Bürgermeister, Leiter eines Rates, Leiter eines Gesundheitshauses, Leiter eines Seminarhauses / Hotel, Leiter eines Staatsbetriebes, u. v. m." angeboten.162 In Brandenburg gab es bis 2022 lediglich Hinweise auf Einzelakteure im Zusammenhang mit dem KRD. Seit Herbst 2022 liegen jedoch Erkenntnisse vor, nach denen KRD-Aktivisten bemüht sind, in Lychen (OT Rutenberg, UM) im Kontext der "Gemeinwohldorf"-Kampagne Fuß zu fassen. Ziel ist ganz offenbar die Übernahme einer finanziell angeschlagenen Genossenschaft, die über rund 40 Hektar Land verfügt. Ebenso wurde von einem KRD-Anhänger bereits eine Immobilie erworben. Darüber hinaus sind die KRDAktivisten bemüht, weitere Immobilien zu kaufen. Mit Unterstützung der Mobilen Beratungsteams des "Brandenburgischen Instituts für Gemeinwesenberatung - demos" hat der Verfassungsschutz frühzeitig den Kontakt mit lokalen Entscheidungsträgern aufgenommen, informiert und sensibilisiert. Strukturierte Organisationsformen: "Geeinte deutsche Völker und Stämme" Im Landkreis Oberhavel wurde 2017 die Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) ins Leben gerufen. Deren Anhänger verschickten eine Vielzahl an Schreiben an staatliche Stellen. Die Gründerin wohnte zu der Zeit in Berlin und war einige Jahre zuvor schon in der Region um die niedersächsische Stadt Melle aktiv. Dort organisierte sie mit dem Verein "Landmark" verschwörungsideologisch geprägte Veranstaltungen. Die Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" vertrat bis zu ihrem Verbot 2020 die Auffassung, es gäbe eine "Staatsform im höchsten Recht". Dies sei "der Naturstaat, der im engen und harmonischen Zusammenhang mit dem Grund und Boden steht auf dem er wirkt. Ein freier Zusammenschluss von Menschen die sich Ihrer Zusammengehörigkeit bewusst sind und unter Achtung der Natur diesen Staat auf dessen Boden errichtet haben."163 An anderer Stelle hieß es auf der ehemaligen Webseite der Gruppierung: "Gemeinsam haben wir schon viel erreicht. In ganz Deutschland haben 159 Siehe Kapitel 9. 160 Vgl. Homepage Königreich Deutschland: "Ausbildung zum lizenzierten Vortragsredner und Seminarleiter", ohne Datum (letzter Zugriff am 24.02.2023). 161 Vgl. Homepage Königreich Deutschland: "Freies Unternehmertum im Königreich - Unternehmerwochenende Online", Ohne Datum (letzter Zugriff am 24.02.2023). 162 Vgl. Homepage Königreich Deutschland: "Ausbildung zum lizenzierten Vortragsredner und Seminarleiter", ohne Datum (letzter Zugriff am 24.02.2023). 163 Homepage "Geeinte deutsche Völker und Stämme", ohne Datum (letzter Zugriff 2020). Anmerkung: Vor dem Hintergrund des Verbots der Gruppierung ist deren Homepage nicht mehr abrufbar. 91 sich zahlreiche Menschen zusammengeschlossen, sich die Rechte am Boden zurück geholt und Gebiete wieder ins höchste Recht gehoben."164 Am 19. März 2020 wurde der Verein vom Bundesinnenminister verboten. Damit wurde erstmals ein überregional aktiver Personenzusammenschluss aus dem Milieu der "Reichsbürger und Selbstverwalter" aufgelöst. Konsequenterweise fanden am Tag des Verbots in Brandenburg und in neun weiteren Bundesländern Hausdurchsuchungen statt. Trotz des Verbotes waren auch im Jahr 2022 Nachfolgeaktivitäten der GdVuSt wahrnehmbar. Dieses gilt insbesondere für das erste Quartal 2022. So konnte beispielsweise am 19. März 2022 eine vorab im Internet beworbene Vortragsveranstaltung im brandenburgischen Perwenitz (HVL) seitens der Sicherheitsbehörden erfolgreich verhindert werden. Der Rückgang der Aktivitäten der GdVuSt ab dem zweiten Quartal 2022 ist unter anderem damit zu begründen, dass die oben benannte Gründerin der Gruppierung seit April 2022 inhaftiert ist. Das Landgericht Lüneburg verurteilte die Berlinerin schließlich im November 2022 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und sechs Monaten wegen Verstoßes gegen das Vereinigungsverbot in Tateinheit mit Verwenden und Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung sowie Missbrauchs von Berufsbezeichnungen. Lose Organisationsformen der "Reichsbürger und Selbstverwalter" Neben diesen Zusammenschlüssen haben sich in vielen Teilen Brandenburgs kleinere, unstrukturierte regionale "Reichsbürger"-Milieus herausgebildet. Die Mehrheit dieses unstrukturierten Milieus eint die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland. Immer wieder lässt sich in diesen unstrukturierten Milieus die Bildung loserer Netzwerke beobachten, die über die Grenzen der Bundesländer hinweg miteinander kooperieren. Sie halten teilweise in sozialen Netzwerken, mit eigenen Videokanälen oder Internetpräsenzen zueinander Kontakt. Seit Jahren werden immer wieder Aktivitäten von Reichsbürgern in der Öffentlichkeit bekannt. So waren Reichsbürger am 29. August 2020 an der zeitweisen Erstürmung der Reichstagstreppen in Berlin maßgeblich beteiligt. Sie suchen Demonstrationen auf, stören bei Gerichtsverhandlungen und behindern Vollzugsmaßnahmen. Proteste gegen Corona-Schutzmaßnahmen haben der Szene neue Akteure zugeführt. Bemerkenswert sind das sehr hohe Mobilisierungspotenzial sowie die gegenseitige Unterstützungsbereitschaft. Dies zeigte sich bei Gerichtsverhandlungen gegen Anhänger der Szene, die zum Teil nur mit erheblichem Einsatz von Sicherheitspersonal durchgeführt werden können. Insbesondere werden "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" durch Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte auffällig. So verweigern sie sich zum Beispiel bei polizeilichen (Verkehrs-)Kontrollen. Bewertung / Ausblick Die Reichsbürgerideologie ist insgesamt geeignet, dass sich Personen in ein geschlossenes verschwörungstheoretisches Weltbild verstricken. Im Zuge dessen kann aus Staatsverdrossenheit Staatshass werden. Insbesondere die Expansionsbestrebungen des selbsternannten "Königreich Deutschland" gilt es weiter genauestens zu beobachten. Aktionismus und Aggression in Teilen der Szene verstärken sich gegenseitig, sodass es zu Radikalisierungseffekten kommt. Dies kann bis zur Gewaltanwendung führen. Die Corona-Pandemie wirkte hier als Beschleuniger. Die virale Verbreitung der Reichsbürger-Fantasien wird sich weiterhin fortsetzen und Sympathisanten für Aktivitäten mobilisieren. "Steckbrieflich" gesuchte Staatsanwälte und Vorsteher von Finanzämtern in Brandenburg sind erschreckende Beispiele für diese Tendenzen. Vor diesem Hintergrund bewertet der brandenburgische Verfassungsschutz die "Reichsbürger und Selbstverwalter" als Bestrebung mit teilweise erheblichem Gefahrenpotenzial. 164 Ebd. 92 5. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 93 Vor dem Hintergrund des zum Teil gewalttätigen Protestgeschehens im Kontext der Maßnahmen zum Schutz vor Corona wurde im April 2021 der Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" mit dem Sammel-Beobachtungsobjekt "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" eingerichtet. Die diesem Phänomenbereich zugeordneten Akteure zielen darauf ab, das Vertrauen in das staatliche System zu erschüttern und dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen. Dieses versuchen sie zu erreichen, indem sie unter anderem demokratisch gewählte Repräsentanten des Staates verächtlich machen, staatlichen Institutionen und ihren Vertretern die Legitimität absprechen, zum Ignorieren gerichtlicher Anordnungen und Entscheidungen aufrufen, staatliche oder öffentliche Institutionen (zum Beispiel der Gesundheitsfürsorge) mittels Sachbeschädigungen sabotieren oder zu Widerstandshandlungen gegen die staatliche Ordnung aufrufen. Diese Verhaltensweisen stehen im Widerspruch zu elementaren Verfassungsgrundsätzen wie dem Demokratieoder dem Rechtsstaatsprinzip. Daher ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 BbgVerfSchG. Das Protestund Demonstrationsgeschehen der Akteure des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" hat sich 2022 im Vergleich zu den beiden Vorjahren vor allem inhaltlich verändert. Während sich die Proteste zu Jahresbeginn 2022 weiterhin vor allem gegen die staatlichen Corona-Schutzmaßnahmen richteten, verschoben sich die Themenschwerpunkte nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zunehmend. Mit dem Eintreten einer Vielzahl von Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen ab Ende März 2022 verlor das Thema für die Akteure des Phänomenbereichs an Mobilisierungspotenzial und Anschlussfähigkeit. Aus diesem Grund griffen sowohl die Protestaktionen als auch die entsprechenden Internetkanäle des Phänomenbereichs den Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Themenkomplexe, wie Energiesicherheit, Waffenlieferungen und Inflation auf, um für ihr eigentliches Ziel - den Sturz des bestehenden politischen Systems - neue Anhänger zu rekrutieren. Besonders deutlich wird die von den Akteuren dieses Phänomenbereichs ausgehende Gefahr an einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Gründung einer terroristischen Vereinigung durch Mitglieder der Chatgruppe "Vereinte Patrioten". Am 13. April 2022 kam es in neun Bundesländern, darunter auch in Brandenburg, zu Durchsuchungen und Festnahmen. Die Polizei konnte neben gefälschten Impfpässen und gefälschten Testzertifikaten eine Vielzahl von Waffen, Munition und Unterlagen für anvisierte Umsturzplanungen sicherstellen.165 Konkret sollen "die Beschuldigten [laut Bundesanwaltschaft] einer Gruppierung angehört haben, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände auszulösen und damit letztlich den Sturz der Bundesregierung und der parlamentarischen Demokratie herbeizuführen. Hierzu war geplant, einen bundesweiten 'Black Out' durch Beschädigung oder Zerstörung von Einrichtungen zur Stromversorgung herbeizuführen. Überdies sollte der amtierende Bundesminister für Gesundheit, Prof. Dr. Karl Lauterbach, gegebenenfalls auch unter Tötung seiner Personenschützer, gewaltsam entführt werden."166 Die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft ergaben, dass die Zielsetzungen der Gruppierung "Vereinte Patrioten" Parallelen zu den Zielen des Milieus der Reichsbürger und Selbstverwalter aufweisen. So soll die Gruppierung nach einem gewaltsamen Umsturz des bestehenden politischen Systems geplant haben, "ein autoritär geprägtes Regierungssystem nach dem Vorbild des Deutschen Kaiserreichs [zu 165 Vgl. Generalstaatsanwaltschaft Koblenz: Gemeinsame Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz und des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz (LKA), 14.04.2022 (letzter Zugriff am 17.01.2023). 166 Vgl. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof: Übernahme der Ermittlungen wegen des Verdachts einer terroristischen Vereinigung, 26.04.2022 (letzter Zugriff am 17.01.2023). 94 etablieren]"167. An diesem Beispiel wird einmal mehr deutlich, wie stark die verschwörungsideologisch geprägten Phänomenbereiche "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates", "Reichsbürger und Selbstverwalter" sowie "Rechtsextremismus" miteinander verwoben sind. Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Land Brandenburg waren an den Protesten gegen die Corona-Schutzmaßnahmen im Jahr 2022 erneut sowohl nicht-verfassungsschutzrelevante Kritiker als auch Extremisten beteiligt. Wie in der obenstehenden Definition dargelegt, geht es den Akteuren des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" in erster Linie darum, den Staat und seine Repräsentanten verächtlich zu machen. Hierbei kommt es vielfach zur Gleichsetzung demokratisch legitimierter Entscheidungen mit Diktaturen wie dem NSoder DDR-Regime. Unter Bezugnahme auf die Argumentation, dass die Bundesrepublik Deutschland eine (Impf-)Diktatur sei, wurde 2022 einmal mehr auf den diversen Online-Kanälen der Akteure des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" dazu aufgerufen, politisch aktiv zu werden. So wurden beispielsweise Anfang März 2022 an unterschiedlichen Stellen im Land Brandenburg Aufkleber mit verschwörungsideologischen Inhalten verbreitet. Auf einem dieser Sticker heißt es "Die Medien sind das Virus" und auf einem anderen steht "Diktatur beendet man nicht durch Gehorsamkeit".168 Während hier weitgehend unklar bleibt, auf welchem Wege die angebliche Diktatur beendet werden soll, wurden 2022 auch in einschlägigen brandenburgischen Telegram-Gruppen offensichtliche Gewaltund Umsturzphantasien verbreitet. So wird in einem der Kanäle der "Freien Brandenburger" unmissverständlich festgehalten: "[...] im Grunde muss eine Säuberung im Land stattfinden und zwar auf allen Ebenen....eine Neuorientierung und Organisation des Staates und dessen eigentliche Aufgaben. Das wird nicht gewaltfrei passieren. soviel steht mal fest, denn niemand räumt Posten und Ämter freiwillig" (sic!).169 Neben führenden Politikerinnen und Politikern waren 2022 insbesondere Polizeibeamte und -beamtinnen das erklärte Feindbild der Akteure der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates". Vor 167 Vgl. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof: Anklage gegen fünf mutmaßliche Mitglieder einer terroristischen Vereinigung erhoben, 23.01.2023 (letzter Zugriff am 07.02.2023). 168 Vgl. Telegram Kanal "Austausch BRB STEHT AUF", 02.03.2022 (letzter Zugriff am 07.03.2022). 169 Vgl. Telegram Kanal "Freie_Brandenburger_Official", 03.01.2022 (letzter Zugriff am 03.01.2022). 95 allem auf dem Telegram-Kanal "Cottbus Widerstand" wurden regelmäßig menschenverachtende und gewaltverherrlichende Beiträge veröffentlicht. Neben wüsten Beleidigungen - "Bullen sind das letzte was es gibt"170 (sic!) - wird die Arbeit der Polizei in der für die Szene typischen verschwörungsideologischen Form als Teil des angeblichen Unrechtsstaates beschrieben. Am 14. Februar 2022 heißt es beispielsweise: "Das sind keine Polizisten mehr, im eigentlichen Sinn, das sind nur noch billige, käufliche SÖLDNER, [...] Die hätten sich, so wie heute auch wieder, Stalin & Konsorten völlig bedenkenlos angedient - Hauptsache ihr "Judas-Lohn" stimmt!!"171 (Unterstreichung im Original). Wie oben bereits angedeutet, verlagerte sich 2022 mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine und den Lockerungen der Corona-Schutzmaßnahmen die thematische Ausrichtung der Akteure des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates". Hierbei ist jedoch klar festzuhalten, dass auch die Deutung für die Gründe des Krieges in der Ukraine innerhalb des Milieus der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" unter Rückgriff auf Verschwörungsideologien erfolgte. Diese Feststellung lässt sich besonders anhand der Veröffentlichungen auf den unterschiedlichen Kanälen der "Freien Brandenburger" belegen. Bei den "Freien Brandenburgern" handelt es sich nicht wie bei den "Freien Sachsen" um eine rechtsextremistische Partei. Vielmehr nutzen diverse Online-Gruppen die Selbstbezeichnung "Freie Brandenburger", ohne dabei strukturell nennenswert miteinander verbunden zu sein. Aus diesem Grund gab es 2022 eine Vielzahl regionaler Ableger der "Freien Brandenburger", die teilweise extremistische Züge aufweisen und in erster Linie über lokale Protestaktionen berichteten beziehungsweise für diese mobilisierten. Immer wieder werden auf diesen Kanälen Verschwörungsideologien verbreitet. Auf dem Telegram-Kanal "MOL Freie Brandenburger" wird in Bezug auf den russischen Überfall auf die Ukraine beispielsweise behauptet: "Putin musste rein unter anderem um die 15 Biolabore der CIA aus zuschalten. Über diese 170 Vgl. Telegram Kanal "Cottbus Widerstand", 12.02.2022 (letzter Zugriff am 17.02.2022). 171 Vgl. Telegram Kanal "Cottbus Widerstand", 14.02.2022 (letzter Zugriff am 17.02.2022). 96 sollte Gates sein nächster Virus frei gelassen werden"172 (sic!). Hier werden die für den Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" bereits bekannten Feindbilder, wie zum Beispiel der Microsoft-Gründer Bill Gates, mit dem Krieg in der Ukraine inhaltlich verknüpft. Gleiches gilt für einen Beitrag vom 24. Februar 2022 in der Telegram-Gruppe "EE Freie Brandenburger (LK Elbe-Elster)". Dort wird in Bezug auf die Ukraine behauptet: "Endlich wird da aufgeräumt. Der Deep State hat dort jahrzehntelang geplündert und die Bevölkerung beraubt."173 Der "Deep State" ist eine zentrale Begrifflichkeit der stark antisemitisch geprägten "QAnon"-Verschwörungsideologie. Die Anhänger von "QAnon" gehen davon aus, dass es sowohl in den USA als auch in der restlichen Welt einen "Tiefen Staat" (auf Englisch: "Deep State") gebe, der unter anderem die Banken und die Regierungsadministrationen gezielt unterwandert habe. Die Vertreter dieses "Tiefen Staates" hielten die Weltbevölkerung mit Hunger, Krieg und Armut in ihrer Abhängigkeit und würden damit sämtliche politische Macht in ihren Händen halten.174 Ein weiteres zentrales Element von "QAnon" ist die frei erfundene Behauptung, dass einflussreiche Politiker, vor allem in den USA, Kinder in unterirdischen Verließen foltern, ihr Blut trinken, vergewaltigen und schließlich ermorden lassen. In mehreren Aufrufen aus dem Jahre 2022 zu Montagsprotesten in Eisenhüttenstadt (LOS) wurde hierauf zumindest indirekt Bezug genommen. Auf im Internet verbreiteten Mobilisierungsflyern ist neben der Forderung "keine weitere Vergiftung [...] durch [...] Chemtrails" unter anderem zu lesen: "Stopp der Phädophilen Machenschaften in unseren Land"175 (sic!). In einem weiteren Telegram-Kanal aus dem Raum Brandenburg an der Havel werden die "QAnon"-Bezüge noch deutlicher. In einem Diskussionsbeitrag wird - vermutlich deutschen - Regierungsmitgliedern pauschal pädokriminelles Verhalten vorgeworfen: "Die meisten Verbrechen kommen aus der Regierung, Pädophile Dreckschweine"176 (sic!). Abschließend bleibt anzumerken, dass die Verbreitung extremistischer Verschwörungsideologien durch das Milieu der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" im Jahre 2022 nicht nur auf das Internet begrenzt blieb. Auch in realweltlichen Aktionen der Szene waren immer wieder entsprechende Plakate oder Banner feststellbar. Dieses gilt vor allem in Bezug auf den vermeintlichen "Great Reset". Die Erzählung des "Great Reset" behauptet, dass eine "globale Elite" in Politik und Wirtschaft eine globalisierte Diktatur anstrebe. Ursprünglich stammt die Formulierung "Great Reset" von einer Initiative des Weltwirtschaftsforums, die insbesondere auf ökonomische Reformen für mehr Nachhaltigkeit und soziale Partizipation setzt.177 Genau diesen Umstand nehmen Verschwörungsideologen zur Grundlage und behaupten, dass Klaus Schwab, Gründer des Weltwirtschaftsforums, sowie einige andere einflussreiche Personen, wie zum Beispiel Bill Gates oder der US-amerikanische Finanzinvestor George Soros, die Corona-Pandemie und deren Folgen für individuelle machtpolitische Zwecke missbrauchen würden. In diesem Zusammenhang konnten 2022 europaweit ähnliche Plakate festgestellt werden, auf denen oftmals die drei genannten Personen zusammen mit hochrangigen Politikerinnen und Politikern - unter der Überschrift "Der Great Reset - Dir wird nichts gehören und Du wirst glücklich sein" - abgebildet waren. Solche Plakate wurden in Brandenburg beispielsweise in Schwedt (UM), Brandenburg an der Havel und Bad Liebenwerda (EE) festgestellt. Zudem waren auf diversen Demonstrationen Transparente mit Schriftzügen wie "Freiheit statt Great Reset" zu beobachten. 172 Vgl. Telegram Kanal "MOL Freie Brandenburger", 27.02.2022 (letzter Zugriff am 03.03.2022). 173 Vgl. Telegram Kanal "EE Freie Brandenburger (LK Elbe-Elster)", 24.02.2022 (letzter Zugriff am 01.03.2022). 174 Für eine ausführliche Darstellung zu "QAnon" siehe: Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2020, S. 29 ff. 175 Vgl. Telegram Kanal "Freie_Brandenburger_Official", 20.11.2022 (letzter Zugriff am 21.11.2022). 176 Vgl. Telegram-Kanal "Initiative Brandenburger Autokorso und Schilderdemo", im November 2022 (letzter Zugriff am 07.11.2022). 177 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: Glossar - Great Reset, aufrufbar unter: https://www.verfassungsschutz.de/DE/service/glossar/Functions/glossar.html?cms_lv2=678594 (letzter Zugriff am 18.01.2022). 97 Bewertung / Ausblick Die Gefahr, die von radikalisierten verschwörungsideologisch geprägten Milieus ausgeht, haben die Verfassungsschutzbehörden im Rahmen der Einführung des Phänomenbereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" verdeutlicht. Nachdem in den Jahren 2020 und 2021 vor allem die Instrumentalisierung der Corona-Schutzmaßnahmen im Zentrum des Agierens dieses Milieus stand, kamen 2022 im Zusammenhang mit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine neue Themen hinzu. Diese wurden gleichermaßen verschwörungsideologisch aufgeladen, um das Vertrauen in das politische System der Bundesrepublik Deutschland zu erschüttern und zugleich dessen Funktionsfähigkeit zu beeinträchtigen. Vor dem Hintergrund, dass der Krieg in der Ukraine auch 2023 anhält, ist davon auszugehen, dass die Akteure der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" weiter versuchen werden, über dieses Thema Anschlussfähigkeit in das bürgerliche Lager herzustellen. Auch wenn der erwartete starke Anstieg der Proteste ab Herbst 2022 ausgeblieben ist, konnte die Szene im Berichtszeitraum bestehende ideologische und strukturelle Verbindungen in die rechtsextremistische Szene sowie in das Milieu der "Reichsbürger und Selbstverwalter" stärken. Dieses gilt insbesondere für den rechtsextremistischen Verdachtsfall AfD178 sowie die neonationalsozialistische Kleinstpartei "DER DRITTE WEG". Gleichzeitig gelang es den Akteuren der "Verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" über den Themenkomplex "Krieg in der Ukraine", inhaltlich an bürgerliche - zum Teil politisch linksstehende - Milieus anzuknüpfen. Hier bleibt abzuwarten, ob sich diese Verbindungen verstätigen werden. Das rechtsextremistische COMPACT Magazin wird mit seinen Medienangeboten daran arbeiten, all diese Milieus noch enger zu verzahnen. 178 Siehe Fußnote 6. 98 6. Linksextremismus 99 Für den Verfassungsschutz ist "Linksextremismus" eine Sammelbezeichnung für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die auf einer Verabsolutierung von Freiheit und Gleichheit beruhen. Diese Bestrebungen verfolgen das Ziel, die bestehende Rechtsund Gesellschaftsordnung zugunsten eines kommunistischen oder anarchistischen Systems zu überwinden. Linksextremistische Gruppierungen bekämpfen auf verschiedenen Wegen das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland. Anarchistische Gruppierungen lehnen grundsätzlich jede Form von Herrschaft ab. Aus ihrer Sicht unterwerfen sich die Bürger einem verächtlichen Zwangsakt, wenn sie Gesetze eines Staates akzeptieren. Menschliche Freiheit könne es nur nach der Abschaffung des Staates und der Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft geben. Dem folgend lehnen Anarchisten sogar demokratische Gesellschaftsformen ab und setzen diese mit autoritären Regimen gleich. Aus diesem Grund wollen sie die Bundesrepublik und ihre Institutionen zerschlagen. Hierbei wird von einigen Gruppen auch der Einsatz von Gewalt als ein legitimes Mittel befürwortet. Anarchisten richten sich damit einerseits gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie andererseits gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist daher durch den Gesetzgeber vorgegeben. Autonome bilden die mit Abstand größte Gruppe im gewaltorientierten Linksextremismus. Weniger theoriegeleitet als Anarchisten streben diese pragmatisch nach der Schaffung von "Freiräumen", um sich der geltenden Rechtsordnung zu entziehen und schrecken hierbei auch nicht vor dem Einsatz von Gewalt zurück. Autonome Szenen bilden sich primär in Großund/oder Universitätsstädten. Meist verfügt die jeweilige Szene über einen zentralen Anlaufpunkt, um den sich ein Geflecht von Kleingruppen, Einzelpersonen und lokalen Ablegern überregionaler oder bundesweiter Organisationen und Strukturen formiert. Dogmatische Linksextremisten führen ihre Ideologie im Wesentlichen auf die Theorien kommunistischer Vordenker wie Karl Marx, Friedrich Engels oder Wladimir Iljitsch Lenin zurück. Verbindendes Element ist das Ziel einer sozialistischen Gesellschaftsordnung, die langfristig durch einen allumfassenden Umbau von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in eine "klassenlose" kommunistische Gesellschaft überführt werden soll. Diese kommunistischen Gruppierungen setzen sich für einen revolutionären Bruch mit den Eigentumsund demokratischen Machtverhältnissen ein. Sie streben hierfür zunächst die Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" unter der uneingeschränkten Führungsrolle einer kommunistischen Partei an. Bereits dieser Alleinvertretungsanspruch einer einzelnen Partei steht klar im Widerspruch zu dem in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Recht auf Opposition, dem Parteienpluralismus und der Gewaltenteilung. Unter die dogmatischen Linksextremisten werden Parteien wie die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) gezählt. Beide vertreten vehement den eben erwähnten Alleinvertretungsanspruch und streben ganz konkret ein totalitäres System nach Vorbild der ehemaligen DDR beziehungsweise der Sowjetunion an. Die linksextremistische Szene in Brandenburg lässt sich in drei maßgebliche Kategorien einteilen. Hierbei handelt es sich erstens um dogmatische Linksextremisten in linksextremistischen Parteien, zweitens um parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen sowie drittens um ein weitgehend unstrukturiertes linksextremistisches Personenpotenzial. 100 Linksextremistisches Personenund Organisationspotenzial in Brandenburg (zum Teil geschätzt) 2020 2021 2022 Parteien: Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 50 40 30 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) EP179 EP EP Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen - Rote Hilfe e. V. (RH) - 360 360 360 Weitgehend unstrukturiertes linksextremistisches Personenpotenzial - Autonome - 240 240 200 Sonstige linksextremistische Bestrebungen 50 50 30 Mehrfachmitgliedschaften 70 70 100 Gesamtzahl der Linksextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) 640 630 530 Wie der vorangestellten Tabelle zu entnehmen ist, unterscheiden sich die Personenpotenziale der drei Kategorien erheblich. Während die beiden kommunistischen Parteien DKP und MLPD in Brandenburg kaum noch Mitglieder haben, verringerte sich auch das unstrukturierte linksextremistische und überwiegend gewaltorientierte Personenpotenzial der Autonomen im Jahr 2022. Dies korrespondiert mit dem im Vergleich zum Bundestrend anhaltend niedrigen Aktionsund Mobilisierungsniveau der linksextremistischen Gruppierungen in Brandenburg. Der linksextremistische Verein "Rote Hilfe e. V." verharrt indessen weiterhin auf einem anhaltend hohen Niveau. Beide kommunistischen Parteien befinden sich schon seit Jahren in einer Abwärtsspirale. Die schwachen Parteistrukturen in Brandenburg, seit Jahren anhaltende ideologische Klüfte zu populäreren linksextremistischen Gruppierungen, dogmatische Alleinvertretungsansprüche sowie der hohe Altersdurchschnitt der wenigen Mitglieder verhindern Zuwächse und eine politische Wahrnehmbarkeit.180 Unter sonstigen linksextremistischen Bestrebungen in Brandenburg werden diejenigen Gruppierungen zusammengefasst, die nicht unter eine der drei obigen Kategorien fallen. Dazu zählen zum Beispiel anarchistische Kleingruppen, wie die "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). 181 Die ideologische Ausrichtung der FAU entspricht dem syndikalistischen Anarchismus beziehungsweise Anarchosyndikalismus, welcher mittels anarchistischer Branchengewerkschaften die "Produktionsmittel" übernehmen, die bestehende Gesellschaftsordnung revolutionär überwinden und ein herrschaftsfreies sowie klassenloses System errichten will. Gemäß ihrer Satzung strebt die FAU in Potsdam eine "libertäre, klassenlose Gesellschaft" an. In Brandenburg entfaltet die FAU jedoch kaum noch Öffentlichkeitswirkung. Die meisten linksextremistischen Bestrebungen thematisierten in ihren Aktionen im Land Brandenburg und bundesweit vor allem den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. In der zweiten Jahreshälfte wurde das durch die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges auf Deutschland 179 EP = Einzelpersonen. 180 siehe dazu auch die Berichterstattungen in den Verfassungsschutzberichten der Vorjahre. 181 Homepage "FAU Potsdam" (letzter Zugriff am 02.12.2022). Die FAU Potsdam ist nach eigenen Angaben seit dem Jahr 2017 in Potsdam zunächst als Berliner Ableger und seit April 2021 mit einem "eigenständigen Syndikat" vertreten. 101 ergänzt. Jedoch misslang die Erlangung der Deutungshoheit zu den direkt mit dem Krieg in Verbindung gebrachten Folgen wie Preissteigerungen und Ressourcenknappheit. Somit scheiterten die Linksextremisten an ihrem Selbstverständnis, soziale Stimme sein zu wollen und solidarische Lösungen einzufordern. Hingegen erreichten Rechtsextremisten mehr Breitenwirkung beim Besetzen dieser Themen.182 Darüber hinaus traten alte Differenzen vor allem in der Positionierung zum russischen Angriffskrieg zu Tage. Die DKP Potsdam stellte sich klar auf die Seite Russlands, warnte vor ukrainischen Faschisten: "der Hauptfeind steht im eigenen Land! (...) Der Aggressor ist die NATO!"183 Dieser dogmatischen Sichtweise stehen Positionen im linksextremistischen Spektrum entgegen, die Russland selbst als imperiale, kriegstreibende Macht kritisieren. Diese tiefgreifenden Differenzen verhinderten spektrenübergreifende Aktionsformen. Vereinzelt versuchten linksextremistische Akteure wie die "Rote Hilfe" in der Landeshauptstadt Potsdam Demonstrationen zivilgesellschaftlicher Bündnisse aus Gewerkschaften und Sozialverbänden als Plattform zu nutzen.184 Durch diese Abhängigkeit von Akteuren der Zivilgesellschaft waren extremistische Verlautbarungen kaum zu vernehmen. Aufrufe der "Interventionistischen Linken", im Herbst "Feuer zu machen"185, fanden in Brandenburg keine Resonanz. Die Teilnehmerzahlen blieben deutlich hinter den erhofften Mobilisierungen zurück. Im Folgenden soll ein genauerer Blick auf die beiden bedeutendsten extremistischen Akteure im brandenburgischen Linksextremismus geworfen werden. Hierbei handelt es sich um gewaltorientierte Autonome und den Verein "Rote Hilfe e. V.". 182 Siehe Kap. 3 Rechtsextremismus. 183 Facebook-Seite "DKP Potsdam&Umland": Beitrag vom 12.04.2022 (letzter Zugriff 07.01.2023). 184 Hier u. a. an einer Demonstration am 15.10.2022, siehe Homepage AWO Potsdam: "Solidarität statt Gieskanne." 15.10.2022, https://awo-potsdam.de/news-artikel/solidaritaet-statt-giesskanne/ (letzter Zugriff am 12.01.2023). 185 Homepage Interventionistische Linke: "Winter Is Coming: Zeit, Feuer zu machen!" (letzter Zugriff am 07.01.2023). 102 6.1 Autonome Sitz / Verbreitung Autonome Szenen finden sich landesweit in größeren Städten wie Potsdam, Cottbus, aber auch in Kleinstädten wie Finsterwalde (EE). Gründung / Bestehen Ab dem Ende der 1970er-Jahre entwickelten sich in der Bundesrepublik nach der Studentenbewegung von 1968 sowie den Aktivitäten der "Sponti-Szene"186 lokale autonome Szenen. Nach der Wiedervereinigung schlossen sich auch in Brandenburg Personen zu derartigen Gruppierungen zusammen. Struktur / Repräsentanten Der autonome Linksextremismus stellt weder in Organisationsstruktur noch hinsichtlich Ideologie und Strategie eine homogene Struktur dar. Politische Weltanschauungen und Methoden zu deren Erreichung unterscheiden sich zwischen den regionalen Szenen ebenso wie innerhalb lokaler Bündnisse und Gruppen. Autonome haben ein ambivalentes - eher pragmatisches - Verhältnis zu festen Gruppenstrukturen. Die brandenburgischen Szenestrukturen sind somit zumeist nur lokal verankert und nicht dauerhaft in überregionale Bündnisse eingebunden. Im Zusammenhang mit szenetypischen Großveranstaltungen und aus der Notwendigkeit als geschlossene Einheit zu wirken, kommt es jedoch zu zeitlich befristeten Kooperationen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen. Eine längerfristige Vernetzung und der Aufbau fester autonomer Strukturen scheitert häufig an der geringen Verweildauer einzelner Mitglieder in der Szene.187. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Der autonomen Szene werden im Land Brandenburg etwa 200 Personen zugerechnet. Veröffentlichungen Die autonome Szene in Brandenburg berichtet über ihre Aktivitäten zumeist über das Internet. Hierfür werden einschlägige Szene-Portale ebenso wie Blogs und soziale Netzwerke genutzt. Kurzportrait / Ziele Die autonome Szene besteht aus lokalen Personenzusammenschlüssen, deren Ziel die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist. Obwohl die autonome Szene zumeist kein in sich geschlossenes Weltbild vertritt, orientiert sie sich klar an anarchistischen Ideologien. So lehnen Autonome sowohl Staaten als auch Parlamentarismus als illegitime Herrschaftsapparate beziehungsweise -formen grundlegend ab. Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass die autonome Szene vor allem durch eine "Anti-Haltung" geprägt ist. Autonome wissen zwar sehr genau, was sie politisch ablehnen und bekämpfen. Eine konkrete Ausgestaltung der von ihnen angestrebten "herrschaftsfreien Gesellschaft" bleiben sie jedoch schuldig. Die autonome Szene organisiert ihren politischen Kampf entlang unterschiedlicher, zum Teil bis weit in die politische Mitte anschlussfähiger Themen. Im Zentrum stehen Aktionsfelder wie "Antifaschismus", "Antirassismus", "Kurdistansolidarität", "Klima" sowie "Antirepressions-" und "Antigentrifizierungsarbeit". In den letzten Monaten traten verstärkt Aktionen im "Antimilitarismus" auf. 186 Als "Spontis" wurden in den 1970erund 1980er-Jahren politisch linksorientierte Gruppen bezeichnet, deren Grundidee es war, mit einer "Spontaneität der Massen" für eine revolutionäre Überwindung des bestehenden Systems zu kämpfen. Hierfür besetzte die "Sponti-Szene" zum Beispiel Häuser oder rief zu wilden Streiks in Betrieben auf. 187 Homepage Bundeszentrale für politische Bildung: "Die internationale Vernetzung von Linksextremisten", 12.03.2018 (letzter am Zugriff 02.12.2022). 103 Unter dem Begriff "Antifaschismus" verstehen Linksextremisten etwas Anderes als Demokraten. Einerseits wollen sie den Kampf - teils wörtlich - gegen Personen und Gruppen führen, die sie der rechtsextremistischen Szene zurechnen. Andererseits wollen sie gegen das kapitalistische System und seine Repräsentanten kämpfen. Kapitalismus verstehen sie dabei nicht nur als Wirtschaftssondern als ein allumfassendes Herrschaftssystem. Diese doppelte Bedeutung des Begriffes "Antifaschismus" ist darauf zurückzuführen, dass Linksextremisten davon überzeugt sind, dass der Faschismus dem Kapitalismus innewohne. Das auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beruhende politische System der Bundesrepublik Deutschland sei "in seinem Kern selbst nur eine Spielart des Faschismus, da es mit der Sozialen Marktwirtschaft auf einer kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung basiere". Autonome glauben daher, dass ein Sieg über den Faschismus letztlich nur durch eine Zerschlagung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung möglich sei. Folglich ist nicht jeder Antifaschist ein Demokrat.188 Dieser Argumentation folgend ist der Kapitalismus für Autonome auch in anderen Aktionsfeldern die Hauptursache gesellschaftlicher Probleme. So wird dem deutschen Staat ein struktureller Rassismus gegenüber Personen nichtdeutscher Herkunft unterstellt. Der Grund für den angeblichen Rassismus deutscher Behörden ist nach Ansicht der autonomen Szene eine kapitalistische "Verwertungslogik" in der Migrationsund Flüchtlingspolitik. Demnach seien keine humanitären, sondern ausschließlich wirtschaftliche Kriterien entscheidend für die Zuwanderung nach Deutschland. Das heutige Symbol der "Antifa" steht somit nicht für eine einzelne Organisation, sondern oftmals eher für die Botschaft, dass es bei der "Antifaschistischen Aktion" nicht um zivildemokratisches Engagement gegen Rechtsextremismus geht, sondern gerade um die Abgrenzung vom "bürgerlichen" und zivildemokratischen Engagement gegen Rechtsextremismus. Dies wird durch die gegen rechts geneigten Doppelfahnen versinnbildlicht. Während die rote Fahne den Sozialismus symbolisiert, steht die schwarze Fahne für den autonomen Anarchismus.189 Gleichwohl hat das Symbol mittlerweile eine gewisse Popularität im Kampf gegen Rechtsradikalismus und - extremismus gewonnen, sodass dessen Verwendung als solches kein tatsächlicher Anhaltspunkt für eine linksextremistische Gesinnung sein muss. Die autonome Szene nimmt ihren "Kampf gegen den Faschismus" und das "Zerschlagen des Systems" durchaus wörtlich. Gewalt wird als legitimes politisches Mittel angesehen und gezielt eingesetzt. Hauptziele autonomer Gewaltstraftaten sind einerseits Vertreter staatlicher Behörden, allen voran Polizeibeamte. Andererseits richtet sich autonome Gewalt gegen Rechtsextremisten oder gegen Personen, die von der autonomen Szene so klassifiziert werden. Mithilfe von Aktionsbündnissen und Kampagnen versuchen Autonome, tagespolitische Themen aufzugreifen, sie perspektivisch in der linksextremistischen Szene zu verankern, um somit ihre Szene-Isolation zu überwinden und ihre Anschlussfähigkeit an das demokratische Spektrum voranzutreiben. Themen, die weit oben auf der politischen Agenda stehen, wie aktuell etwa "Klimaschutz" und "Kohleausstieg", werden 188 Der Terminus Antifaschismus wurde über Jahrzehnte hinweg missbräuchlich verwendet, instrumentalisiert und damit diskreditiert. Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg erörtert sowohl die demokratischen als auch extremistischen Wurzeln des Begriffs. Siehe dafür: Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg: Antifaschismus. Hintergründe und Analyse zur Definition und Rezeption, https://www.hamburg.de/contentblob/13365896/697d9f70e3d488994b65bca9dd29194f/ data/antifaschismus-hintergruende-und-analyse-zur-definition-und-rezeption.pdf (letzter Zugriff am 02.12.2022). 189 Vgl. Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz 2021, S.132. 104 als Aktionsfelder vereinnahmt. Ziel ist, die Deutungshoheit zu gewinnen, die demokratische Klimabewegung zu radikalisieren und einen allumfassenden Systemwandel linksextremistischer Prägung durchzusetzen. Letztendlich bildet vor allem das Themenfeld "Antifaschismus" eine inhaltliche Klammer für weite Teile des linksextremistischen (und zugleich auch demokratisch-linken) Spektrums - auch über Differenzen der sehr heterogenen und oft zerstrittenen Akteure hinweg. Unter Gentrifizierung wird allgemein die soziale Verdrängung ansässiger Menschen durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verstanden. Diesem vor allem in städtischen Ballungszentren anzutreffenden Prozess kann nach Auffassung der autonomen Szene ebenfalls nur durch die Überwindung des Kapitalismus wirksam begegnet werden. Dabei erhalten Hausbesetzungen mit dem Ziel der Eroberung und Aneignung "herrschaftsfreier Rückzugsräume" eine symbolische Wirkung. Diese sollen bis weit in die gesellschaftliche Mitte reichende Sympathien erzeugen. Hieran wird deutlich, dass Autonome für die Lösung oftmals komplexer Probleme nur einfache monokausale Erklärungsansätze liefern. Klare Feindbilder sind bei Extremisten typisch anzutreffende Denkmuster. Die "Kurdistansolidarität" ist ein weiteres althergebrachtes Agitationsfeld brandenburgischer Linksextremisten - vor allem in Potsdam und Cottbus. Dabei versuchen Linksextremisten durch die Teilnahme an Demonstrationen Bündnisse mit kurdischen Aktivisten und Anhängern der PKK sowie YPG zu schmieden.190 Das im nördlichen Syrien gelegene kurdische Gebiet "Rojava" ist zudem ein verklärter Sehnsuchtsort für Linksextremisten, die dort vereinzelt auf kurdischer Seiten in den bewaffneten Kampf ziehen. Den im Kampf Getöteten - darunter auch Deutsche - wird in einigen linksextremistischen Gruppierungen ein Märtyrerstatus zugeschrieben. Mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine gewinnt auch das Aktionsfeld "Antimilitarismus" wieder zunehmend an Bedeutung. In den Fokus gewaltorientierter Linksextremisten rücken dabei insbesondere Rüstungsunternehmen und ihre Zulieferbetriebe, die Bundeswehr, politische Parteien und Entscheidungsträger. Dabei versuchen sie, das Thema mit anderen Agitationsschwerpunkten wie den "Kampf um das Klima" zu verbinden. Finanzierung Die autonome Szene finanziert sich maßgeblich durch Spenden und Einnahmen aus der Organisation von Szeneaktivitäten, wie zum Beispiel Konzerten. Mitgliedsbeiträge gibt es nicht. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Das politische Fernziel der Autonomen ist die Überwindung der gegenwärtigen Staatsund Gesellschaftsordnung zugunsten einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". Zentrale und die diversen Spektren verbindende Ideologie ist die Ablehnung parlamentarischer und rechtsstaatlicher Strukturen sowie die Negierung des staatlichen Gewaltmonopols. Dafür befürwortet der Großteil der Szene den gezielten Einsatz von Gewalt. Gewalt ist für Autonome Ausdruck der Unversöhnlichkeit mit den gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Verhältnissen oder der "Preis", den die in ihren Augen Verantwortlichen für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung zahlen müssen. Die jeweiligen Einzeltaten haben für sich genommen in der Regel kaum revolutionären oder staatsgefährdenden Charakter. Vielmehr sollen vor allem Gewalttaten als revolutionärer Beitrag der Autonomen in der Summe politische Symbolkraft entfalten. In separaten Bekennerschreiben werden Begründungszusammenhänge formuliert und oft lediglich konstruiert, um Forderungen Nachdruck zu verleihen und die Gewalt zu legitimieren. Aus diesen Gründen richten sich Autonome eindeutig gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Folglich ergibt sich die Zuständigkeit nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. 190 Für weitere Informationen zur PKK und YPG siehe Kapitel 8 "Auslandsbezogener Extremismus". 105 Entwicklungen im Berichtszeitraum Seit 2019 konnte die autonome Szene in Brandenburg ihre Anhängerschaft nicht mehr vergrößern. Im Jahr 2022 verringerte sich das relevante Personenpotenzial sogar um 40 auf nunmehr rund 200 Anhänger und Unterstützer (2021: 240). Dies hängt unter anderem mit der Auflösung lokaler Kleinstrukturen zusammen, welche auch nach Ende der Corona-Pandemie keine neuen Aktionen entfalten konnten. Feste und hierarchische Organisationsstrukturen existieren weiterhin nicht. Die Szene wird seit vielen Jahren durch lokale, allerdings in sich nicht sehr homogene autonome Gruppierungen geprägt. Der Versuch postautonomer Akteure, auch in Brandenburg langfristige, größere Bündnisse aufzubauen, scheiterte bislang. Aufgrund ihrer örtlichen Schwerpunkte lassen sich Autonome vorwiegend als "Großstadt-Phänomen" beschreiben. Demnach sind sie im Land Brandenburg vornehmlich in Potsdam und Cottbus aktiv. Jedoch weisen ebenso kleinere Städte wie Finsterwalde (EE), Oranienburg (OHV), Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow (alle drei PM) aktive autonome Szenen auf. Die in früheren Berichten aufgeführten autonomen Szenen in Frankfurt (Oder), Neuruppin (OPR), Prenzlau (UM), Bernau, Eberswalde (beide BAR), Forst (SPN) und dem Westhavelland (HVL) konnten mit Beginn der Pandemie als auch nach Wegfall pandemiebedingter Beschränkungen im Jahr 2022 praktisch keine öffentlich wahrnehmbaren Aktionen mehr entfalten. Mithin werden diese faktisch inaktiven Strukturen auf der Übersichtskarte nicht mehr ausgewiesen. Die Szene rekrutiert sich vor allem aus dem studentischen Milieu. Das Interesse hat verschiedene Ursachen. Ein wichtiger Beweggrund für die Unterstützung der autonomen Szene kann die Begegnung mit Rechtspopulisten oder Rechtsextremisten sein. Viele junge Aktivisten sind zunächst nicht wegen einer geschlossenen linksextremistischen Weltanschauung oder gar fundamentaler gesellschaftlicher Umwälzungspläne in Kontakt mit Autonomen geraten. Vielmehr haben sie den Wunsch, nach einer gerechten und weltoffenen Gesellschaft. Die Anziehungskraft des linksextremistischen Milieus resultiert offenbar weniger aus der Attraktivität der Ideologie als vielmehr aus einem Gruppenund Identifikationsgefühl. Bei ihren Aktionen verlassen Autonome oft den demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmen. Die direkte körperliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner oder der Polizei erleben vor allem junge Aktivisten als sinnstiftende Erfahrung.191 Junge Szeneangehörige werden sowohl durch die langjährige Anhängerschaft in autonomen Gruppen und im besonderen Maße durch den Verein "Rote Hilfe e. V."192, der politisch motivierten Straftätern Rechtsbeistand gewährt, radikalisiert und instrumentalisiert. Die autonome Szene professionalisierte sich in den vergangenen Jahren mit internen Demonstrations-, Blockadeund Kampfsporttrainings. Entsprechende Verhaltensweisen (Durchbruch von Polizeiketten, Verhalten nach Festnahmen, Maßnahmen zur Identitätsverschleierung) werden trainiert, um diese in der "Antirepressionsarbeit", im Kampf gegen Rechtsextremisten sowie bei Klimaprotesten - unter anderem im Rahmen der linksextremistisch beeinflussten Kampagne "Ende Gelände" - einzusetzen. Gegenüber den letzten Jahren konnten 2022 größere Präsenztreffen stattfinden, jedoch wurde das Mobilisierungsniveau der vorpandemischen Jahre bei weitem nicht erreicht. Auch bundesweit beworbene und für die linksextremistische Szene in der Vergangenheit wichtige und "verlässliche" Reizthemen, wie zum Beispiel der G7-Gipfel im Juni 2022, stießen auf mäßige Resonanz bis hin zu deutlicher Zurückhaltung autonomer und postautonomer Gruppierungen. 191 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: "Linksextremismus - Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale", Köln 2016, S. 21. 192 Für weitere Informationen zu dem linksextremistischen Verein "Rote Hilfe e. V." siehe Kap. 6.2. 106 In der Vergangenheit hat sich neben anderen Städten auch Potsdam als Austragungsort für Kampfsportevents und -workshops etabliert.193 Eine Kampfsportreihe, an dessen Planung in der Vergangenheit auch Linksextremisten beteiligt waren, wurde für den Sommer 2022 angekündigt, allerdings nicht durchgeführt. Linksextremisten versuchen, durch Kampfsportveranstaltungen einerseits eine überregionale Vernetzung voranzutreiben, neue Anhänger zu rekrutieren sowie zu radikalisieren und sich im Kampf zu professionalisieren. Dieser Trend wird durch die zunehmende Beliebtheit von Kampfsport in der Gesellschaft begünstigt. Dabei kommuniziert die Szene gern, dass es dabei um Selbstverteidigung gegen eine (vermeintliche) Bedrohung durch den politischen Gegner gehe. Anderseits können erlernte Techniken in Demonstrationslagen und in "antifaschistischen Aktionen" offensiv eingesetzt werden. Die mit erheblicher Brutalität ausgeführten Überfälle linksextremistischer Gewalttäter194 zeigt die Aggressivität einiger Linksextremisten. Das regelmäßige Üben und Ausüben von physischer Gewalt senkt sukzessive die Hemmschwellen und führt zu militanten Routinen. Autonome in Brandenburg Mit einem Gesamtpotenzial von etwa 100 Personen existieren in der Landeshauptstadt Potsdam mehrere kleinere autonome Gruppierungen in losen zusammenhängenden Strukturen, die in unregelmäßigen Abständen in Szenetreffs und -objekten zusammenkommen. Neben dem Hauptthema "Antifaschismus" versuchen die Szeneakteure im Aktionsfeld "Antigentrifizierung" das Thema des angespannten Wohnungsmarktes und steigender Mietpreise zu besetzen, mit der Systemfrage zu verknüpfen und somit Sympathien in der Stadtbevölkerung zu erzielen. Jedoch gelang es 2022 nicht, die in den Vorjahren auch in Potsdam ausgerufene bundesweite Aktion "Housing Action Day" fortzuführen. Aktivitäten der "Emanzipatorische Antifa Potsdam" (EAP) sind ebenfalls stark rückläufig. Hatte sie sich im Berichtszeitraum 2021 noch für ein Engagement gegen "Coronaleugner" ausgesprochen, verstummte diese Gruppierung realweltlich und auch in ihren Onlineverlautbarungen. In dieses Verstummen bisheriger Akteure reiht sich auch die im Oktober 2022 erfolgte Absage weiterer Festivalveranstaltungen unter dem Label "ULTRASH" ein, obwohl im Juni 2022 noch ein zweitägiges Event unter Beteiligung von Linksextremisten, wie zum Beispiel der EAP und der "Roten Hilfe"195, in Potsdam stattfand. Die in der Begründung der Absage aufgeführten Ursachen scheinen symptomatisch für das schwindende Aktivierungspotenzial der linksextremistischen Szene in Brandenburg zu sein. Auch das zuletzt in Brandenburg 2020 durchgeführte JWD-CAMP, welches autonomen Gruppierungen die Möglichkeit der Vernetzung bot, wurde dieses Jahr abgesagt. Ein landesweites Treffen der feministischen Antifa Berlin-Brandenburg (fabb)196 konnte hingegen stattfinden. Die zweitgrößte relevante autonome Szene Brandenburgs existiert in Cottbus. Sie verfügt über ein Potenzial von etwa 30 Personen. Die 2018 in Cottbus festgestellte Ortsgruppe des "Kommunistischen Aufbaus" (KA) pflegt ein DKP-ähnliches, geschlossenes marxistisch-leninistisches Weltbild197. Im Gegensatz zu den völlig überalterten Parteien DKP und MLPD versuchte sie jedoch, durch moderne Aktionsformen junge Menschen für sich zu gewinnen. In den vergangenen Jahren wirkte die Gruppierung dabei sowohl 193 siehe Verfassungsschutzbericht der Jahre 2018 bis 2020 und BMI: "Radikalisierung im gewaltorientierten Linksextremismus." 22.07.2020, https://www.innenministerkonferenz.de/IMK/DE/termine/to-beschluesse/2020-06-17_19/analyse.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (letzter Zugriff am 14.02.2023). 194 vgl. Prozess des OLG Dresden gegen die Gruppierung um Lina E. (weitere Ausführungen unter dem Absatz "Antirepression" innerhalb dieses Kapitels) sowie Durchführung mehrerer zeitgleicher Überfälle auf Thor-Steinar-Bekleidungsgeschäfte im April 2022, siehe u.a. https://www.mdr.de/nachrichten/thueringen/mitte-thueringen/erfurt/suche-taeter-ueberfall-laden-thorsteinar-100.html. 195 Für weitere Informationen zu dem linksextremistischen Verein "Rote Hilfe e.V." siehe Kap. 6.2. 196 Zu vergangenen Aktionen der "feministischen Antifa Berlin-Brandenburg" siehe Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2019, S. 141. 197 Vgl. Homepage "Kommunistischer Aufbau": "Programmatisches Selbstverständnis", ohne Datum (letzter Zugriff am 21.01.2021). 107 ideologisch als auch aktivistisch auf die Cottbuser Szene ein und verbreitete ihre verfassungsfeindlichen Botschaften.198 Jedoch scheint der bereits 2021 festgestellte Aktionsrückgang mit der Auflösung der Cottbuser KA-Ortsgruppe endgültig vollzogen zu sein. Diese trat im Jahr 2022 nicht mehr in Erscheinung. Autonome Gruppierungen im Umland Berlins, hier vor allem Oranienburg, Teltow, Stahnsdorf und Kleinmachnow, zeigten sich 2022 medial sehr aktivistisch. Die autonome Szene in Finsterwalde entfaltete keine relevanten öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Aktionsfeld "Antifaschismus" Das Aktionsfeld "Antifaschismus" bildet in Brandenburg einen Schwerpunkt linksextremistischer Agitation. Anlassbezogen schließen sich immer wieder Teile der Szene zu regionalen und überregionalen Bündnissen zusammen. Wichtigster Gegner ist dabei die AfD199. Wie in den Vorjahren kam es auch 2022 zu Straftaten zum Nachteil von Repräsentanten dieser Partei und deren Einrichtungen. Dazu zählten Sachbeschädigungen an ihren Veranstaltungsorten und Parteibüros wie auch tätliche Angriffe auf Parteimitglieder. In Kampagnen wird gegen Vermieter von Räumlichkeiten für AfD200-Parteitage, sowie Unternehmen, welche der Partei die entsprechende Logistik zur Verfügung stellten, mobilisiert. Diese Form der politischen Intervention wurde durch die Schaffung des Meldeportals "Verpetz die AfD" seit 2020 intensiviert. Mehrere brandenburgische Unternehmen sind mittlerweile auf der Homepage des Bündnisses "Kein Raum der AfD" gelistet. Beispielhaft hierfür steht eine Mobilisierung des Bündnisses für eine Kundgebung gegen ein von der AfD201 häufiger als Treffpunkt genutztes Restaurant in Hoppegarten am 10. März 2022.202 In anderen Bundesländern lässt sich zunehmend eine Personalisierung der Gewalt gegen Funktionäre der AfD festmachen. Richteten sich die Angriffe in der Vergangenheit primär gegen ihre Büros oder Geschäftsstellen, so zielen diese in jüngster Zeit auch zunehmend auf die Privatsphäre von AfD203-Mitgliedern oder -unterstützern ab. Dieser Trend ist vor allem in Ballungsräumen mit starken linksextremistischen Szenen zu beobachten und in diesem Ausmaß noch nicht in Brandenburg zu konstatieren. Grundsätzlich nutzt die autonome Szene Camps, Festivals und ähnliche Veranstaltungen, um sich unter dem Label des Antifaschismus zu vernetzen und das Aktionsniveau hoch zu halten. Allerdings führten die Beendigungen pandemiebedingter Einschränkungen im Jahr 2022 nicht zu einem Nachholeffekt. Aktionsfeld "Antirepression" Die aggressive Grundhaltung autonomer Gruppen richtet sich nicht nur gegen den politischen Gegner, sondern auch gegen staatliche Organe, wie die Polizei, Behörden oder Abgeordnete des Landtags. Ihnen wird vorgeworfen, im Rahmen ihrer staatlichen Funktion Repression auszuüben und einen Überwachungsstaat zu schaffen. Insbesondere in der Debatte um vermeintliche "Polizeigewalt" im Zusammenhang mit Exekutivmaßnahmen gegen die linksextremistische Szene gelingt es Autonomen, Anschluss an das bürgerliche Spektrum zu finden. Mit dem diskreditierenden Narrativ, dass staatliche Repression willkürlich stattfinde, versuchen Linksextremisten den bürgerlichen Protest gegen staatliche Organe für sich 198 Vgl. Verfassungsschutzbericht 2021 Land Brandenburg. 199 Siehe Fußnote 6. 200 Siehe Fußnote 6. 201 Siehe Fußnote 6. 202 Homepage NEA: "Kein Raum der AfD! Kein Raum für rechte Kriegspropaganda!", 07.03.2022 (letzter Zugriff 07.01.2023). 203 Siehe Fußnote 6. 108 zu instrumentalisieren. Polizeibeamte gelten bei Linksextremisten als Ausdruck des vermeintlich faschistischen Staates, weswegen sie von der Szene regelmäßig als "FaschistInnen in Uniform"204 diffamiert werden, als auch mit Mord bedroht werden.205 Mehrere Prozesse gegen militante Linksextremisten wurden im Jahr 2022 vor Gericht weitergeführt. In Folge dessen schufen Linksextremisten Großkampagnen, die sich gegen das Justizsystem und die Polizei mit Slogans wie etwa "Das System ist kriminell - Nicht der Widerstand" richteten. Beispielhaft hierfür sind die Demonstrationen und Proteste im Zusammenhang mit dem Prozess gegen die Gruppierung um Lina E. und weitere drei Linksextremisten. Die Angeklagten müssen sich seit September 2021 vor dem Staatsschutzsenat des OLG Dresden verantworten. Laut Anklage sollen sie zu einer kriminellen, linksextremistischen Vereinigung gehören, die seit August 2018 Jagd auf tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten gemacht und mehrere Menschen brutal zusammengeschlagen hat. Neben der Solidarität mit den Angeklagten werden innerhalb der Szene Erzählungen hinsichtlich "der Verstrickungen von Faschist:innen im Staat" sowie "die Kriminalisierung von Antifaschismus" verbreitet. Auch die sich im Jahr 2020 in Potsdam gegründete Organisation "Red & Anarchist Skinheads Potsdam"206 (RASH Potsdam) solidarisierte sich mit der von Linksextremisten bundesweit betriebenen Kampagne "Free Lina" sowie anderer von der "Roten Hilfe"207 orchestrierten Solidaritätskampagnen gegen die Verurteilung von Linksextremisten. Auch wenn das Organisationsund Mobilisierungsniveau der Brandenburger linksextremistischen Szene nicht sehr hoch ist, ist vor allem der Verflechtungsraum um Berlin Aktionsraum für linksextremistische Täter aus Berlin. So setzten im Mai 2022 mutmaßlich linksextremistische Täter aus Berlin das Privatfahrzeug einer im Landkreis Dahme-Spree wohnhaften Beamtin des Berliner Landeskriminalamtes in Brand. Offensichtlich erfolgte die Ausforschung persönlicher Daten der Beamtin sowie deren Veröffentlichung in szenebekannten Internetauftritten im Rahmen eines Gerichtsprozesses gegen Berliner Linksextremisten. In ihrem Bekennerschreiben auf "Indymedia" bedrohen die Täter alle Polizisten. Man hätte "sie mehr im Blick als es ihnen wahrscheinlich lieb ist". Am Ende folgt: "Kein Feierabend für Mörder in Uniform!"208 Ein derartig gezieltes Vorgehen bedarf einer aufwändigen Vorbereitung und Planung der Tatausübung und geht mit dem Eindringen in das persönliche Lebensumfeld einher. Im Begründungszusammenhang des Themenfeldes "Antirepression" sind 2022 verstärkte linksextremistische Störaktionen und Straftaten gegen Politikerinnen und Politiker, politische Parteien und sie unterstützende Personen zu verzeichnen. Dabei stand und steht - wie oben bereits ausgeführt - die AfD209 bei Linksextremisten traditionell besonders im Fokus. Hingegen werden in den letzten Jahren verstärkt auch andere im Landund im Bundestag vertretene Parteien zunehmend bis hinunter auf die kommunale Ebene von Linksextremisten attackiert. In Brandenburg sind von dieser Entwicklung die SPD und vor allem die Partei BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN mit Schwerpunkt in der Landeshauptstadt betroffen. Für die linksextremistische Szene Brandenburgs und vorwiegend aus Berlin stammende Unterstützer ist dabei 204 Vgl. Homepage "Indymedia": "Bericht zum 13.12.2020 in Leipzig-Connewitz", 15.12.2020 (letzter Zugriff am 25.02.2022). 205 "Bald ist er aus Dein Traum, dann liegst Du im Kofferraum" war auf dem Stoffbanner hinter dem Namen des Chefs des sächsischen Polizeilichen Terrorismusund Extremismus-Abwehrzentrums zu lesen. Dies kann als Anspielung auf den RAFMord an Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer gewertet werden. Er wurde 1977 erschossen im Kofferraum eines Autos gefunden. 206 Dabei handelt es sich um eine eigenständige RASH-Sektion, die sich aus der 2018 aufgelösten "RASH Berlin-Brandenburg" und den "Scortesi beim SV Babelsberg 03" heraus gründete. Die Gruppierung beschreibt sich selbst als einen Zusammenschluss von Menschen, die sich mit der Idee von RASH, einer "antifaschistischen und antikapitalistischen Gegenkultur", verbunden fühlen. Ihre Aufgabe sehen die Mitglieder unter anderem in der aktiven Unterstützung sozialer Kämpfe in Potsdam. Sowohl Symbolik als auch Ausdrucksweise sind Anhaltspunkte für die Aktivität von Linksextremisten innerhalb der Gruppierung. 207 Für weitere Informationen zu dem linksextremistischen Verein "Rote Hilfe e. V." siehe Kap. 6.2. 208 Vgl. Indymedia, 24.05.2022 (letzter Zugriff am 07.01.2023). 209 Siehe Fußnote 6. 109 das in direkter Nachbarschaft zum Flughafen BER in Schönefeld (Dahme-Spreewald) geplante Einund Ausreisezentrum das zentrale Hassobjekt. Im Verlauf des Jahres 2022 mehrten sich Sachbeschädigungen an Parteibüros, Störungen von Landtagssitzungen, Verfälschungen von Webseiten und Social-Media-Accounts sowie auch verbale Anfeindungen und Diffamierungen gegen einzelne Personen auf einschlägigen Plattformen wie "Indymedia". Hingegen blieben konkrete Beteiligungen an Demonstrationen gegen den "Abschiebeknast" und gegen die als "Abschiebeparteien" diffamierten SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN trotz umfänglicher Mobilisierungen über diverse szenetypische Portale eher gering. Aktionsfeld "Antimilitarismus" Auf der vom Verfassungsschutz als linksextremistisch eingestuften Webseite "Indymedia" und auf anderen einschlägigen Webseiten wird unter der Überschrift "Rüstungsindustrie angreifen!" dazu aufgerufen, "Erkenntnisse und Recherchen über die deutsche Rüstungsindustrie zusammenzutragen". Erklärtes Ziel sei es, mit diesen Recherchen "zu einer Intensivierung der Angriffe auf diese Todesindustrie" beizutragen.210 Tatsächlich findet sich unter der beworbenen URL eine Liste mit Adressdaten von mehreren Unternehmen (geordnet nach Produzenten, Zulieferern, Logistik, Forschung, Finanzierung, Legitimierung), die nach Darstellung der Autoren in Zusammenhang mit deutschen Waffenexporten stünden und somit als potenzielle Anschlagsziele von Linksextremisten dienen würden. Unter anderem sind auch Unternehmen mit Sitz im Land Brandenburg gelistet. Im Rahmen seiner Zuständigkeit im Bereich Wirtschaftsschutz sensibilisierte der Verfassungsschutz gemeinsam mit der Polizei des Landes Brandenburg potenziell betroffene Firmen. Auch die Anfang September 2022 erfolgte Sabotage der Bahnstrecke zwischen der PCK-Raffinerie in Schwedt und Berlin erfolgte im Begründungszusammenhang "Antimilitarismus". Mit diversen Slogans wie "Kein Öl für Krieg - kein Krieg für Öl" und "Rettet das Klima - sabotiert die Kriegswirtschaft!" sowie Ausführungen über den russischen Angriffskrieg schlug das Selbstbezichtigungsschreiben211 einen breiten thematischen Bogen um bekannte linksextremistische Positionen. Es finden sich allgemeine Kapitalismuskritik, Klimaschutz und die Ablehnung von Projekten der Deutschen Bahn in Mexiko. Ebenso ging es gegen Rüstungskonzerne und Militär, gegen Tesla in Brandenburg bis hin zur Soldarisierung mit der "Antifa Sachsen". Ein Solidaritätsaufruf für die Angeklagten im oben erwähnten Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des OLG Dresden wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung durfte auch nicht fehlen. Im Dezember 2022 beklebten Linksextremisten eine Tür des Lehrstuhls für "Militärgeschichte / Kulturgeschichte der Gewalt" an der Universität Potsdam mit Anti-Bundeswehr-Aufklebern und bezeichneten den verantwortlichen Professor in dem auf "Indymedia" veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben als "Kriegsfetischist und Wehrmacht-Tollfinder"212. Aktionsfeld "Kurdistansolidarität" Erneut waren 2022 seitens brandenburgischer Linksextremisten Solidaritätsbekundungen und Spendenaktionen im Zusammenhang mit Kurdistan und der extremistischen PKK zu vernehmen. Dabei kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Gelder nicht nur in zivile Projekte, sondern auch in den bewaffneten Kampf fließen.213 Auffällig jedoch ist, dass der wahrgenommene Umfang hiesiger Aktionen im Vergleich zu den Vorjahren nicht den anhaltenden militärischen Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee und dem Sicherheitsapparat in den Gebieten der Autonomieverwaltung Nordund Ostsyriens sowie den 210 vgl. Indymedia, 03.04.2022 (letzter Zugriff am 07.01.2023). 211 vgl. Webseite Rüstungsindustrie.NoBlogs: "Rüstungsindustrie angreifen." 06.09.2022 (letzter Zugriff am 12.01.2023). 212 vgl. Indymedia, 15.12.2022 (letzter Zugriff 16.12.2022). 213 vgl. Kap. 8 Auslandsbezogener Extremismus. 110 Bedrohungen in Rojava (Westkurdistan) entspricht. Pressestatements, insbesondere der PKK-eigenen Medien214 über Solidaritätsveranstaltungen in Deutschland, sind stark von der PKK-Ideologie durchdrungen. In Potsdam ist der Märtyrerkult um getötete ausländische Kämpfer der PKK in der linksextremistischen Szene mittlerweile fest etabliert. Jährlich wird, auch mit Unterstützung der "Roten Hilfe", dem Tod eines brandenburgischen Linksextremisten gedacht. Dieser war im Dezember 2018 gemäß mehrerer einschlägiger Medien bei einem türkischen Luftangriff in Kurdistan ums Leben gekommen. Zum Jahrestag fand im Dezember 2022 ein "musikalisches Gedenken" statt. Der Verstorbene wird unter anderen mit Terroristen wie Ulrike Meinhof gleichgesetzt.215 Versuche der Einflussnahme von Linksextremisten auf die Klimabewegung Im Jahr 2022 versuchten Linksextremisten bundesweit erneut, ihren Einfluss in Klima-Aktionsbündnissen auszubauen. Dieses gilt ebenso für Bündnisse, die sich gegen Infrastrukturprojekte, wie den Bau von Autobahnen oder Flughäfen, richten. Derartige Themenfelder haben gerade bei Jugendlichen eine große Anziehungskraft. Vor allem postautonome Gruppierungen forcieren seit Jahren die Öffnung der klassischen linksextremistischen Themenfelder für Argumente des Klimaschutzes. Im gesamten Bundesgebiet ist eine Tendenz weg von einem festen Aktionsort - insbesondere dem lausitzer und dem rheinischen Braunkohlerevier - hin zu dezentral organisierten, über das Jahr verteilten und teils gleichzeitig stattfindenden Aktionen im gesamten Bundesgebiet zu beobachten. Bei der Organisation und Mobilisierung solcher Aktionen nehmen Postautonome weiterhin eine dominierende Stellung ein. Im Gegensatz zu Autonomen versuchen Postautonome durch langfristig angestrebte Kampagnen die gesellschaftliche Isolation von Linksextremisten zu durchbrechen und breit angelegte gesellschaftliche Protestbewegungen von innen heraus zu radikalisieren. Sie sehen sich als Scharnier zwischen militanten Autonomen und gemäßigten Linken. Daher wird von Postautonomen die Gewaltfrage nach rein strategischen Erwägungen beantwortet. Neben anderen Themenfeldern eignen sich aus ihrer Sicht besonders Umweltkampagnen aufgrund der hohen gesellschaftlichen Bedeutung und Aktualität dafür, die Grenzen zwischen extremistischem und demokratischem Protest zu verwischen und demokratische Aktivisten zu radikalisieren. Einer der linksextremistischen Hauptakteure in der Klimabewegung ist hierbei die "Interventionistische Linke" (IL). Für sie ist die Kampagne "Ende Gelände" aufgrund ihres Bekanntheitsgrades und der Verortung im zivilgesellschaftlichen Spektrum von entscheidender Bedeutung. Daher agiert die IL gemeinsam mit Umweltgruppen im Rahmen von "Ende Gelände". Anhaltspunkte für eine Beeinflussung von Linksextremisten existieren im Bundesgebiet für verschiedene Ortsgruppen von "Ende Gelände".216 In Brandenburg gelang es der IL trotz entsprechender Expansionsbemühungen bislang nicht, eine Ortsgruppe zu etablieren. Eine systematische Einflussnahme von Linksextremisten auf brandenburgische Klimaaktivisten und deren Bündnisse kann derzeit nicht beobachtet werden. In den vergangenen Jahren hatten Linksextremisten unter dem Pseudonym "Vulkangruppen" mehrmals Brandanschläge auf das Streckennetz der Deutschen Bahn im Raum Berlin verübt. Betroffen waren unter anderem der Personennahverkehr in Berlin und Brandenburg. Am Mai 2021 gab es einen Anschlag auf die TESLA-Stromversorgung in Grünheide (LOS). TESLA war auch im März 2022 Ziel mehrerer, jedoch offensichtlich nicht miteinander abgestimmter, Aktionen. Der am Vortag der Betriebseröffnung der Gigafactory in Grünheide durch Brandstiftung in zwei Kabelschächten nahe der S-Bahn Wuhlheide (Berlin) 214 siehe Abschnitt "Veröffentlichungen" im Kap. 8 Auslandsbezogener Extremismus 215 vgl. Kap.8 Auslandsbezogener Extremismus und Indymedia, 12.12.2022 (letzte Zugriffe 19.12.2022). 216 Der Berliner Verfassungsschutz stufte die Berliner Ortsgruppe 2020 als linksextremistisch ein. 111 sabotierte Bahnverkehr wurde im Selbstbezichtigungsschreiben wortreich in den Begründungszusammenhang "Umweltschutz", "Antikapitalismus", "Antimilitarismus" und "Antirepression" gehoben.217 Für den Folgetag wurde zu Demonstrationen gegen TESLA und Blockadeaktionen gegen die offizielle Eröffnungsfeier unter Anwesenheit des TESLA CEO, des Bundeskanzlers und des Bundesministers für Wirtschaft und Klimaschutz sowie des brandenburgischen Ministerpräsidenten in diversen auch von Linksextremisten genutzten Internetportalen aufgerufen. Im Ergebnis wurden Werkstore blockiert und durch Abseilaktionen und Plakatierungen von Autobahn-Schilderbrücken starke Verkehrsbeeinträchtigungen auf der Bundesautobahn A10 verursacht. Sind Aktionsformen wie Straßensperrungen eher im urbanen Verkehrsraum mit einem ausgebauten ÖPNV vermittelund durchführbar, steht im Land Brandenburg hinsichtlich der symbolischen Zielauswahl der Flughafen BER inklusive seiner Zuund Abfahrtswege im Ziel klimaaktivistischer Gruppierungen. Jedoch wurden im Jahr 2022 - und dies in auffallend höherer Frequenz als in den Vorjahren - Straftaten und Sabotageversuche gegen die LEAG, gegen das PCK-Werk in Schwedt oder andere kritische Infrastrukturen im Land Brandenburg geführt. Die Bekennerschreiben wurden mehrheitlich auf "Indymedia" unter dem Label von Klimaschutz bzw. Klimagerechtigkeit veröffentlicht. Die Straftaten umfassten zum Beispiel Sachbeschädigungen an Entwässerungsrohren im Tagebau Jänschwalde, die Sabotage der Bahnstrecke zwischen der PCK-Raffinerie in Schwedt und Berlin218, Anschläge auf die Bahnanlagen der LEAG mittels Hakenkrallen und eine Blockadeaktion an der Kohlezufuhr zum Kraftwerk Jänschwalde. Insbesondere das Kraftwerk und der Tagebau Jänschwalde rücken nun wieder verstärkt in den Fokus von linksextremistischen Aktionen. Aufrufe zu Protesten für Klimaschutz und gegen fossile Energieträger beinhalten verstärkt Forderungen zum Einsatz militanterer Mittel. Die Angriffe mittels Hakenkrallen und die Brandstiftung an Bahnanlagen zeigen, dass die geforderte Eskalation der Mittel im Raum Berlin/Brandenburg umgesetzt wird. Grundsätzlich zeigen sich in den aktuellen Entwicklungen und im gesellschaftlichen Diskurs Tendenzen der Entgrenzung des Linksextremismus in die Klimaschutzbewegung. Gleichzeitig ergibt sich bei einigen selbsternannten Klimaschützern eine zunehmende Akzeptanz für extremistische Positionen und Mittel. Das Jahr 2022 brachte mit der Gruppierung "Letzte Generation"219 eine in ihrer Aktionsfrequenz, Flexibilität und Kompromisslosigkeit bundesweit einzigartige Klimaschutzgruppierung hervor. Für Postautonome sind diese neu entstandenen Klimaschutzgruppierungen mit hohem Aktionsniveau ein prioritäres Ziel der Einflussnahme. Sie gelten als Symbol des angestrebten Systemwandels. So startete die linksextremistische "Interventionistische Linke" den Solidaritätsaufruf "Klima schützen ist kein Verbrechen - Solidarität mit der Letzten Generation".220 Auch die Potsdamer Ortsgruppe der "Roten Hilfe" forderte Solidarität mit den Umweltaktivisten ein.221 Insofern werden mögliche Einflussnahmen extremistischer Gruppierungen auf diese Bewegungen fortlaufend geprüft. Bewertung / Ausblick Autonome in Brandenburg werden sich weiterhin in den gesellschaftlichen und politischen Aktionsfeldern betätigen, von denen sie sich Anschlussfähigkeit und politische Wirksamkeit im Sinne ihres Fernziels, der Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft, erhoffen. Den Anhängern geht es um die Behebung echter oder vermeintlicher Missstände sowie um umwälzende Veränderungen der gesellschaftlichen, politi217 Vgl. Indymedia, 21.03.2022 (letzter Zugriff 23.12.2022). 218 Vgl. Ausführungen unter "Antimilitarismus". 219 Die Erwähnung dieser Gruppierung erfolgt nur für den Kontext. Es handelt sich bei ihr nicht um ein Beobachtungsobjekt des brandenburgischen Verfassungsschutzes. 220 Webseite Interventionisitische Linke: "Klima schützen ist kein Verbrechen", 07.11.2022 (letzter Zugriff am 12.01.2023). 221 Vgl. Kap. 6.2. Rote Hilfe. 112 schen und wirtschaftlichen Verhältnisse. Hierbei folgen Autonome der Annahme, dass allein im Kapitalismus die Gründe für Armut und soziale Ungerechtigkeiten, Klimawandel, Krieg, Flucht und Migration lägen, zumal dem Kapitalismus letztlich der Faschismus innewohne. Staatliche Repression und Rechtsextremismus seien somit letztlich Instrumente zur Sicherung der sozial ungerechten Herrschaftsund Eigentumsverhältnisse. Die politische Fassade des kapitalistischen Systems sei der liberal-demokratische Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland, welchen es zu Gunsten eines kommunistischen oder anarchistischen Systems zu überwinden gelte. Folglich stehen Autonome außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Seit 2020 ist ein Rückgang realweltlicher linksextremistischer Demonstrationen zu verzeichnen. Gleichwohl werden die sonst üblichen Proteste einerseits durch Sachbeschädigungen sowie andererseits durch Veröffentlichungen in Szenemedien kompensiert. Zu den Hauptaktionsfeldern "Antirepression", "Kurdistansolidarität" und "Antikapitalismus" rücken Themen wie "Klimaschutz" und "Antimilitarismus" verstärkt ins Zentrum linksextremistischer Debatten. Autonome in Brandenburg sind weit davon entfernt, eine Deutungshoheit über Ursachen und Wirkung des Ukrainekrieges zu erlangen. Ebenso konnten sie auch die sozialen sowie wirtschaftlichen Folgen des Kriegs nicht in ihrem Sinne instrumentalisieren. Es mangelt allein am Finden gemeinsamer Positionen. Grundsätzlich dienen die aktuellen Krisen Linksextremisten als weitere Belege für die Fehlentwicklungen eines kapitalistischen Systems und damit der Propagierung eines allumfassenden Systemwechsels. Dabei werden sie vermutlich weiterhin nur wenige in der Gesellschaft erreichen. Die Bundeslage zeigt eine Verstetigung der Gewaltbereitschaft einzelner linksextremistischer militanter Kleingruppen. Diese Strukturen richten sich - trotz der teilweisen Missbilligung von Szeneangehörigen - mit schwersten Gewalttaten gegen politische Gegner, gegen Unternehmen und gegen Repräsentanten des als "faschistisch" verunglimpften Staates, hier vor allem Polizeibeamte. Jedoch konnte der Trend einer zunehmenden militanten Aktivität linksextremistischer Kleinstgruppen in Deutschland vorerst gestoppt werden. Dies liegt nicht zuletzt an der Verunsicherung der linksextremistischen Szene durch das "Antifa-Ost-Verfahren" beim OLG Dresden. Erkenntnisse zu brandenburgischen Akteuren an entsprechenden Gewaltstraftaten liegen nicht vor. Mit der Fokussierung auf das Themenfeld Klimaschutz geht auch eine Verlagerung zu Sabotageakten gegen Unternehmen und Infrastruktur des Energiesektors einher. Parallel forcieren Postautonome bundesweit eine zunehmend stärkere Kooperation linksextremistischer und demokratischer Akteure in der Klimabewegung. Hierbei sind vor allem aktionsorientierte Klimagruppierungen wie die "Letzte Generation" interessant. Inwiefern sich eine solche Entwicklung auch in Brandenburg vollziehen wird, hängt letztlich davon ab, ob die "Interventionistische Linke" oder andere postautonome Gruppen hier Fuß fassen können. Bislang gibt es noch keine Ortsgruppe der IL in Brandenburg. Hingegen erscheint die Unterwanderung bereits bestehender und die Initiierung neuer Bündnisse durch lokale Linksextremisten wahrscheinlich. Hierbei besteht die Gefahr einer Ausweitung bisheriger Zusammenschlüsse gegen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten auf andere Themenfelder. Die bisher in der Agitation von Linksextremisten beanspruchten Themenfelder Wohnen, Migration, Umwelt und Gesundheit werden um die wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Ukrainekrieges, wie die steigende Inflationsrate oder die Erhöhung der Energiepreise, ergänzt. Sie könnten im Zuge einer Ressourcenverknappung und eines weiteren Preisanstiegs auch künftig an Bedeutung gewinnen und zu einem verstärkten Protestund Aktionsspektrum führen. Linksextremisten werden versuchen, mit Angehörigen oder Gruppierungen aus dem demokratischen Spektrum zu kooperieren und so ihren Einfluss auszuweiten. Diese Mitwirkung in zivilgesellschaftlichen Bündnissen gründet sich auf Gemeinsamkeiten in 113 den Zielvorstellungen beispielsweise in der Sozialund Flüchtlingspolitik, bei denen extremistische Positionen gerade nicht im Vordergrund stehen. Das von Linksextremisten in diesen Bündnissen verfolgte Ziel ist allerdings, sich etwa in der Organisation von Demonstrationen zu engagieren, eigene extremistische (Um-)Deutungen einzubringen, mittelfristig die Deutungshoheit zu gewinnen und somit langfristig demokratische Bewegungen zu radikalisieren. All dies dient dem übergeordneten Ziel, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden. Größtes Hemmnis bei diesem Vorgehen wird die Überwindung interner ideologischer Konflikte, die Vermittlung klarer Botschaften, aber auch der Wettbewerb um die Deutungshoheit mit anderen Kräften, auch Rechtsextremisten, sein. 114 6.2 Rote Hilfe e. V. Sitz / Verbreitung Der Verein "Rote Hilfe e. V." (RH) hat seinen Sitz in Göttingen (Niedersachsen) und verfügt bundesweit über 50 Ortsgruppen mit weit über 10.000 Mitgliedern. Im Jahr 2022 waren vier Ortsgruppen in Brandenburg ansässig. Diese befinden sich in Cottbus, Königs Wusterhausen (LDS), Potsdam und Strausberg (MOL). Gründung / Bestehen Der Vorläufer des heutigen "Rote Hilfe e. V." in der Bundesrepublik Deutschland ist die "Rote Hilfe Deutschlands" (RHD).222 Der "Rote Hilfe e. V." wurde 1975 unter Bezug auf die RHD gegründet. Seit den 1990er-Jahren ist der Verein in Brandenburg aktiv. Struktur / Repräsentanten Die RH hat eine bundesweite, stark formalisierte Organisationsstruktur. Das wichtigste Gremium ist der Bundesvorstand. Dieser wird alle zwei Jahre auf einer Delegiertenkonferenz neu gewählt. Er hat den Auftrag, die Arbeit auf Bundesebene zu koordinieren und vor allem die finanziellen Mittel zu verwalten. Unterhalb des Bundesvorstandes gliedert sich der Verein in 50 Ortsgruppen, die nach sechs Regionen gemäß der Postleitzahlengebiete (Nord, Ost-Nord, Ost-Süd, West, Mitte, Süd) geordnet sind. Zur Struktur der RH gehört das in Göttingen ansässige "Hans-Litten-Archiv e. V." (HLA) und der in Kiel ansässige "Literaturvertrieb Rote Hilfe e. V.". Die brandenburgischen Ortsgruppen richten sich mit ihren juristischen Unterstützungsangeboten in erster Linie an die linksextremistischen Strukturen in ihren Regionen. Zum Teil gibt es deutliche personelle Überschneidungen zwischen lokaler autonomer Szene und der jeweiligen RH-Ortsgruppe. Da die größte linksextremistische Szene Brandenburgs in Potsdam ansässig ist, überrascht es nicht, dass sich auch die größte Ortsgruppe der RH in der Landeshauptstadt wiederfindet. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 360 Veröffentlichungen Die RH berichtet über ihre Aktivitäten zum einen auf ihrer Homepage und zum anderen in ihrer quartalsweise erscheinenden "Rote Hilfe Zeitung". Darüber hinaus gibt der Verein Flyer und Broschüren zum Umgang mit staatlichen Behörden heraus. Einzelne Ortsgruppen verfügen zudem über eigene Internetpräsenzen. Kurzportrait / Ziele Linksextremisten deuten die Verfolgung der von ihnen begangenen Straftaten zumeist als "staatliche Repression". Auf diese Weise soll die Bundesrepublik Deutschland als Unrechtsstaat verunglimpft werden, der rücksichtslos und unverhältnismäßig gegen politische Akteure aus dem linken Spektrum vorgehe. Auf diese angeblichen Missstände versucht die RH mit "Antirepressionsarbeit" aufmerksam zu machen. Die von Strafverfolgung Betroffenen werden sowohl durch persönlichen Beistand als auch finanziell unterstützt. Der Verein vermittelt Anwälte, übernimmt Gerichtskosten und trägt sogar verhängte Geldstrafen anteilig mit. Die RH ist aufgrund ihrer Größe und der ihr zur Verfügung stehenden Finanzmittel eine der bedeutendsten Gruppierungen im linksextremistischen Aktionsfeld "Antirepression". 222 Am 1. Oktober 1924 gründete sich die "Rote Hilfe Deutschlands" (RHD) als KPD-nahe Organisation. 115 Obwohl der Verein selbst nicht gewalttätig agiert, richtet er zumindest sein Angebot gezielt an gewaltorientierte Linksextremisten, indem er Straftäter juristisch und finanziell unterstützt. Darüber hinaus organisieren die einzelnen RH-Ortsgruppen regelmäßig Solidaritätskampagnen für inhaftierte Linksextremisten. Auf diesem Wege sollen die Verurteilten während ihrer Haftzeit in der linksextremistischen Szene gehalten werden. Somit deckt der Verein nicht nur das gesamte Spektrum der linksextremistischen "Antirepressionsarbeit" ab, sondern muss sich durch seinen juristischen Beistand für gewaltbereite Linksextremisten letztlich deren politische Ziele und Methoden zurechnen lassen. Die RH stellt mit deutlicher Sprache klar: "Jede und Jeder, die sich am Kampf beteiligen, soll das in dem Bewußtsein tun können, daß sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen [sic]."223 Diese Haltung zeigt, dass die RH nicht nur eine Förderin der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ist, sondern die Gewalt selbst als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung rechtfertigt. Finanzierung Die RH finanziert sich maßgeblich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die RH definiert sich in ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die ihre juristischen Unterstützungsangebote "unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung"224 anbietet. Vor diesem Hintergrund gewährt der Verein regelmäßig auch gewaltbereiten Linksextremisten seine Hilfe. Durch sein Versprechen, nach der Begehung von Straftaten juristischen und finanziellen Beistand zu leisten, sichert der Verein das Handeln gewalttätiger Linksextremisten ab und befördert es zugleich. Aus genau diesem Grund agiert er letztlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Folglich ergibt sich die Zuständigkeit nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Entwicklungen im Berichtszeitraum Seit 2019 stagniert die Mitgliederzahl der RH in Brandenburg bei rund 360. Diese verteilen sich auf vier Ortsgruppen: Potsdam mit etwa 200 Mitgliedern, Königs Wusterhausen (LDS) mit etwa 55 Mitgliedern, Strausberg (MOL) und Cottbus mit jeweils rund 45 Mitgliedern. Darüber hinaus ist vor allem in der Region um Neuruppin (OPR) noch mit einzelnen Mitgliedern zu rechnen. Die RH beschreibt sich selbst als "eine Solidaritätsorganisation, die politisch Verfolgte aus dem linken Spektrum unterstützt".225 Damit suggeriert sie bereits in der Selbstdarstellung, dass es angeblich eine staatlich angeordnete politische Verfolgung in der Demokratie gäbe. Da sie sich grundsätzlich für alle "Linken" einsetzt, kommt ihr eine Scharnierfunktion innerhalb der linksextremistischen Szene zu. Dieser Funktion wird die RH auch auf ihrer eigenen Webseite mit Artikeln, die den Zusammenhalt innerhalb der heterogenen linken Szene stärken sollen, gerecht. In einem im Juli 2020 veröffentlichten "Plädoyer für Zusammenhalt, mehr Größe und gegen Kleinlichkeit" wird dazu aufgerufen, inhaltliche Gräben und Widersprüche zu überwinden, um den "Repressionsorganen [nicht in] vorauseilendem Gehorsam die Arbeit ab[zunehmen]".226 Durch dieses umfassende Engagement innerhalb der "linken Szene" kommt der RH ein weitreichender Einfluss in selbiger zu. Außerdem trägt sie maßgeblich zur ihrer Professionalisierung bei. Beispielsweise verbreitet sie szenetypisches Know-how. Dazu zählen beispielsweise Tipps zum Verhalten bei Ermittlungsverfahren, Zeugenaussagen 223 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "Wer ist die Rote Hilfe", ohne Datum (letzter Zugriff am 22.02.2022). 224 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "Über uns", ohne Datum (letzter Zugriff am 12.01.2023). 225 ebd. 226 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "Das sind keine Linken", 16.07.2020 (letzter Zugriff am 04.03.2022). 116 oder Hausdurchsuchungen. Darüber hinaus organisiert sie Vorträge, Filmabende, Kundgebungen, Demonstrationen und "Solipartys".227 Das primäre Betätigungsfeld der RH ist die Verteidigung und Beratung linksextremistischer Straftäter. Insgesamt unterstützte die RH zwischen Mitte Oktober 2021 bis Ende September 2022 bundesweit 564 Anträge. Dafür wurden rund 380.000 Euro aufgewendet.228 Der Grundsatz einer möglichen finanziellen oder juristischen Hilfe ist an die Bedingung einer kategorischen Aussageund Kooperationsverweigerung gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft geknüpft. So wird in unterschiedlichen Artikeln, die die Solidarisierung mit Straftätern thematisieren, dazu aufgerufen, die Aussage zu verweigern. Für den Fall, dass dieser Aufforderung nicht nachgekommen wird, indem der Täter beispielsweise Reue zeigt oder sich gar für seine Tat entschuldigt, wird eine Unterstützung im Strafverfahren abgelehnt oder zurückgenommen. Regelmäßig werden auch in Brandenburg Spenden für Straftäter gesammelt, so nach eigenen Angaben durch die Ortsgruppe Königs Wusterhausen am 19.03.2022: "Wir sammeln für das 129a-Verfahren gegen Lina und andere Antifaschist*innen. Wir freuen uns auf Euer Kommen und zahlreiche Spenden."229 Folglich spielt das Handlungsfeld der "Antirepression" in jeder Ausgabe der "Roten Hilfe Zeitung" sowie auf den verschiedenen Internetauftritten des Vereins die zentrale Rolle. Die Öffentlichkeitsarbeit der RH dient dazu, die eigene Propaganda sowie die von Linksextremisten verübten Straftaten zu verharmlosen. Polizisten werden wiederholt als "Bullen" bezeichnet und Staatsanwaltschaft und Gerichte als "Klassenjustiz" diffamiert. Dieses Vorgehen wird auch im Zuge der Solidarisierung mit den vier Angeklagten im Prozess des OLG Dresden wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung verfolgt.230 Auch hier werden schwere Straftaten bagatellisiert, die angebliche Repression des Staates in den Vordergrund gestellt und strafrechtliche Ermittlungsbefugnisse gem. SSSS 129 des Strafgesetzbuches werden als "Gesinnungsparagraphen" diffamiert sowie deren Abschaffung wiederholt gefordert.231 So auch im Dezember 2022 in einer Erklärung der RH zur Solidarität mit Klimaaktivisten. Dabei fordert sie: "Lasst euch nicht einschüchtern, haltet eure Wohnungen und digitalen Geräte sauber. Klimaschutz und politischer Aktivismus ist wichtiger denn je!"232 Mit diesen Solidaritätsbekundungen versucht sie sich als Anwalt der Klimabewegung zu etablieren und diese gleichzeitig zu radikalisieren. Ähnliche Solidaritätsbekundungen äußerte sie bereits im Zusammenhang mit Besetzungsaktionen von Klimaaktivisten im Lausitzer Tagebaugebiet. Hiermit versucht sie die Straftäter auf ihre Seite zu ziehen und zu radikalisieren. Auch Gesetzesinitiativen des brandenburgischen Innenministeriums und der brandenburgischen Landesregierung wurden 2022 von der RH dazu instrumentalisiert, gegen eine "Aufrüstung von Polizei und Verfassungsschutz" und die angebliche "Schaffung eines Polizeistaates"233 zu agitieren. Die Bevölkerung solle laut RH-Ortsgruppe Potsdam mit einer herbeifantasierten Terrorgefahr eingeschüchtert und somit die Rechtfertigung geschaffen werden, einen Polizeistaat aufzubauen. Hinsichtlich der Diskussionen über die Einführung des "Verfassungstreue-Checks" für brandenburgische Landesbedienstete verunsichert die RH mit dem Szenario eines "neuen Radikalenerlasses" und schürt Ängste vor angeblich drohenden Berufsverboten.234 227 Homepage der RH-Kampagne "Aktiv werden", kein Datum (letzter Zugriff am 04.03.2022). 228 Gemäß Eigenangaben der RH in "Die Rote Hilfe Zeitung", Ausgaben 1 bis 4/2022 (letzte Zugriffe am 28.12.2022). 229 Homepage Rote Hilfe Königs Wusterhausen: "100 Jahre Rote Hilfe - Wir feiern 100 Jahre organisierte Solidarität!" 23.02.2022 (letzter Zugriff am 07.01.2023). 230 Vgl. Kap 6.1 Autonome, Aktionsfeld Antirepression. 231 "Die Rote Hilfe Zeitung", 3/2020, S. 16 f. (letzter Zugriff am 28.12.2022). 232 Homepage Rote Hilfe Potsdam, 14.12.2022 (letzter Zugriff am 28.12.2022). 233 Rote Hilfe Potsdam: "Innenminister Stübgen will den Polizeistaat", 30.11.2022 (letzter Zugriff am 28.12.2022). 234 Rote Hilfe Potsdam: Berufsverbote 2.0 im Land Brandenburg, 30.11.2022 (letzter Zugriff am 28.12.2022). 117 Im Aktionsfeld "Kurdistansolidarität" veranstaltete die Ortsgruppe Königs Wusterhausen eine Vortragsveranstaltung über das kurdische Gebiet Rojava235. Und die Ortsgruppe Potsdam beteiligt sich am jährlichen Gedenkkonzert für einen brandenburgischen Linksextremisten, der dort als Kämpfer sein Leben gelassen hat.236 Bewertung / Ausblick Der gewaltunterstützende Verein "Rote Hilfe e. V." ist in Brandenburg gemessen an der Einwohnerzahl und der sonstigen Schwäche der linksextremistischen Szene Brandenburgs mit vier Ortsgruppen und rund 360 Mitgliedern stark vertreten. Er schlägt Brücken innerhalb der ideologisch stark fragmentierten linksextremistischen Szene als auch zu Gruppierungen der Klimaschutzbewegung237 und wird als Konsensorganisation akzeptiert. Das verschafft ihm über das linksextremistische Spektrum hinaus Reputation. In Teilen der bürgerlichen politischen Linken gehört es weiterhin zum politischen Habitus, sich zur Mitgliedschaft in der RH zu bekennen. Besonders hervorzuheben ist, dass sich Mitglieder der RH - auch brandenburgische Mitglieder des Vereins - offensiv mit Straftätern und militanten Gruppen solidarisieren, welche schwere Körperverletzungen und versuchte Tötungsdelikte begangen haben sowie in ihrer Militanz bis zum Äußersten bereit sind. Damit trägt sie zur Legitimierung von Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen politischen Ziele bei. 235 Rote Hilfe Königs Wusterhausen: "Ein politischer Reisebericht aus Rojava", 06.09.2022 (letzter Zugriff am 27.12.2022). 236 Vgl. Kap 6.1 Autonome, Aktionsfeld Kurdistansolidarität und Kapitel 8 Auslandsbezogener Extremismus. 237 Vgl. Webseite Bundesvorstand Rote Hilfe: "Haft und Meldeauflagen gegen Klimaaktivist*innen nach Jänschwalde-Blockade", 23.09.2022 (letzter Zugriff am 12.01.2023). 118 7. Islamischer Extremismus / Islamismus 119 Der Verfassungsschutz benutzt die Begriffe "islamischer Extremismus" und "Islamismus" für einen religiös motivierten Extremismus. Dieser ist deutlich abzugrenzen vom Islam als Weltreligion. Die Ausübung des Islam fällt in den Bereich der Religionsfreiheit und ist durch Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert. Dagegen gleicht der islamische Extremismus einer politisch-religiösen Ideologie. Deren Anhänger wollen Staat und Gesellschaft gemäß ihrem Islamverständnis in einen totalitären Gottesstaat umformen. Somit zielen sie auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und sind daher verfassungsfeindlich. Ziel islamisch-extremistischer Bestrebungen ist die Schaffung einer aus ihrer Sicht unveränderlichen, gottgewollten Ordnung. Diese sei jeder von Menschen geschaffenen Ordnung überlegen. Islamisten vertreten die Auffassung, dass Gott der einzige legitime Herrscher, Souverän, Richter und Gesetzgeber sei. Daraus leiten sie die Einheit von Staat und Religion (arab.: al-Islam din wa daula) ab, in welcher eine Gewaltenteilung nicht mehr existiert. Dementsprechend betrachten islamische Extremisten von Menschen geschaffene Werte und Gesetze als unislamisch, da die von ihnen angestrebte Ordnung strikt den extremistisch ausgelegten islamischen Rechtsnormen unterworfen werden soll. Sie greifen in der Normenfindung verstärkt auf religiöse Quellentexte, wie Koran und Sunna, zurück. Sie streben ein totalitäres, antipluralistisches System an und argumentieren auf Grundlage einer ihnen eigenen Interpretation des theologischen Konzepts vom Glauben an die Einheit und Einzigartigkeit Gottes (tauhid). Die im Koran enthaltenen Inhalte beziehen sich sowohl auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch (beispielsweise gottesdienstliche Handlungen) als auch auf die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen. Dazu zählen unter anderem das Erbrecht, der Umgang mit anderen Religionsgemeinschaften und Vorgaben, die im weitesten Sinne als strafrechtliche Normen bezeichnet werden können. Zu Letzteren zählen Strafen für Handlungen, die als Verfehlung gegen die islamische "gottgewollte" Ordnung wahrgenommen werden. Wie und in welchem Umfang die "Hadd"-Strafen angewandt werden sollten, ist ein zentraler Bestandteil islamisch-extremistischer Diskurse. So werden in einigen Ländern, deren Rechtssysteme an islamischen Quellentexten ausgerichtet sind, beispielweise als Unzucht (Zina) verstandene Handlungen, wie außerehelicher oder homosexueller Geschlechtsverkehr, aber auch das Austreten aus der islamischen Glaubensgemeinschaft (Apostasie, arab.: Ridda), mit dem Tod bestraft. Diebstahlsdelikte werden etwa mit Abtrennen von Gliedmaßen geahndet. Auch kritische Äußerungen zum Islam bewerten islamische Extremisten als blasphemische Äußerungen, die zu bestrafen seien. All dies ist unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 120 In der folgenden Übersicht werden diese Gegensätze anschaulich gegenübergestellt: freiheitliche demokratische Grundislamisch-extremistisches Gesellschaftskonzept ordnung Volkssouveränität Souveränität Gottes (tauhid) Gewaltenteilung Gewaltenkonzentration Rechtsstaatlichkeit und parlamentariWillkürherrschaft durch islamisch-extremistische Normen, sche Gesetze welche auf religiösen Rechtsquellen, wie Koran und Sunna, beruhen und sich menschlicher Erwägungen oder Veränderung entziehen universelle Menschenrechte und Verneinung beziehungsweise Einschränkung etwa der Menschenwürde Rechte auf körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten Antisemitismus pluralistische Gesellschaftsordnung Monismus, homogene und Minderheiten ausschließende Gesellschaftsordnung Wahlprinzip als konstituierendes EleSpektrum von der konsequenten Ablehnung von Wahlen, ment der Demokratie bis hin zu Akzeptanz und Teilnahme an Wahlen, mit dem Ziel, politische Macht zu erlangen und ein islamisch-extremistisches Gesellschaftssystem umzusetzen Trotz des scheinbar engen ideologischen Korsetts dieser oben genannten Merkmale, die für die islamisch-extremistische Ideologie prägend sind, existiert eine Vielzahl von ideologischen Strömungen und Gruppierungen. Diese unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihrer religiösen Grundannahmen, Strategien, politischen Mittel und geographischen Orientierungen. Am syrischen Bürgerkrieg wird beispielsweise deutlich, dass sie sich teilweise auch gegenseitig bekämpfen. Die deutschen Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen legalistischen, gewaltorientierten und jihadistischen Islamisten. Legalisten versuchen langfristig und zunächst innerhalb des gesetzlichen Rahmens, Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen, um diese schrittweise und möglichst unbemerkt umzuformen. Zu den angewandten Strategien zählen zum Beispiel karitative Dienste, Angebote in der Jugendund Erwachsenenbildung, Spendenaktionen, Vereinsgründungen und die Unterwanderung bestehender Institutionen und Organisationen. Legalisten heben hervor, zur Umsetzung ihrer Ziele keine Gewalt anzuwenden. Dennoch streben sie nach der Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit politischen Mitteln. Vertreter des legalistischen Islamismus in Deutschland sind etwa die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG), die der Muslimbruderschaft nahestehende "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG) oder die transnationale Missionierungsbewegung "Tablighi Jama'at" (TJ). Gruppierungen des legalistischen Islamismus weisen insgesamt ein ambivalentes Verhältnis zur Anwendung von Gewalt auf, das von Ablehnung bis zur Befürwortung reicht. Gewaltorientierte islamische Extremisten wenden in Deutschland eher selten Gewalt an. Jedoch rechtfertigen sie Gewalt, die ihren gesellschaftlichen oder politischen Zielen dient. An der im Konflikt um Palästina seit vielen Jahren beteiligten terroristischen "HAMAS" und an der seit 30. April 2020 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten terroristischen "Hizb Allah"238 wird das besonders deutlich. Diese 238 Vgl. Bundesministerium des Innern und für Heimat: "Betätigungsverbot für Terrororganisation 'Hizb Allah' in Deutschland", 30.04.2020, https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/DE/2020/04/betaetigungsverbot-hizb-allah.html (letzter Zugriff am 21.01.2022). 121 nutzen Deutschland als Rückzugsraum für die Akquirierung von Geldern, um mit diesen den Kampf gegen Israel zu finanzieren. Beide Organisationen kennzeichnet ein unverhohlener Antisemitismus, der regelmäßig auch in Deutschland artikuliert wird. Zwar werden Wahlen von den Anhängern und Unterstützern beider Gruppen als Mittel der politischen Einflussnahme akzeptiert. Jedoch nur so lange, wie diese demokratischen Mittel dem eigentlichen Ziel, der Errichtung eines islamischen Staats, nicht im Wege stehen. Beide Organisationen verfügen im Nahen Osten über militante Strukturen und verüben dort terroristische Anschläge. Für Jihadisten ist der Einsatz von Waffengewalt das zentrale Instrument zur Erreichung ihrer politischen Ziele. Sie interpretieren das durchaus vielschichtige und auch nicht gewaltorientierte religiöse Konzept des Jihad (wörtlich: Anstrengung) selektiv als Pflicht zum bewaffneten Kampf gegen "Ungläubige" (Kafir, im Plural: Kuffar). So werden Gewaltakte gegen einzelne Menschen, Gruppen oder Staaten legitimiert. Anhänger der terroristischen Gruppierungen "Al-Qaida" (AQ) und "Islamischer Staat"239 (IS) gehören zu dieser Kategorie. Für Brandenburg von besonderer Bedeutung ist das Personenpotenzial der "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" (INS), deren Angehörige teilweise dem Kaukasischen Emirat (KE) angehörten, welches 2015 offiziell eine Provinz des IS wurde. Aus den dargelegten ideologischen Grundlagen des islamischen Extremismus ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg für die legalistisch orientierten Gruppierungen aus SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Für gewaltorientierte und jihadistische Gruppen folgt die Zuständigkeit aus SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Aktuelle Entwicklungen im Islamismus Die Corona-Pandemie hatte in den vergangenen Jahren nur einen begrenzten Einfluss auf den islamistischen Terrorismus in Europa. Wahrscheinlich haben die Auswirkungen der Krise, wie zum Beispiel finanzielle Unsicherheit, Isolation oder der gesteigerte Online-Konsum während der Lockdown-Phasen einen günstigen Nährboden für Radikalisierung geschaffen. Die salafistische Szene in Deutschland stagniert in jüngster Zeit. Zudem kann bedingt durch die Pandemie und verschiedene Vereinsverbote ein Strategiewechsel in salafistischen Aktionsformen verzeichnet werden: öffentlichkeitswirksame und demonstrative Missionierungsaktionen ("street-da'wa"-) und Kundgebungen finden kaum noch statt. Stattdessen ist eine Verlagerung der Aktivitäten in den nicht-öffentlichen beziehungsweise privaten Raum beobachtbar. Dort finden Lernzirkel und Treffen in Kleingruppen statt ("home-da'wa"). Ferner wurde das salafistische Online-Angebot weiterhin professionalisiert und ausgebaut. Gerade auf TikTok erreichen Salafisten sehr hohe Klickzahlen. Hierbei werden Jugendliche adressiert und an extremistische Inhalte herangeführt. Zielgruppengerecht werden humoristische Memes verwandt, um ihre Propaganda zu verbreiten und extremistische Ansprachen vorzubereiten. Auch wenn die salafistische Szene auf den ersten Blick an Dynamik eingebüßt zu haben scheint, sollte die verminderte Sichtbarkeit nicht mit einem zunehmenden Bedeutungsverlust verwechselt werden. Die hohen OnlineKlickzahlen sind nur ein Indikator für eine wieder aufkommende Dynamik im salafistischen Spektrum. Bundesweit sind in jüngster Zeit wieder realweltliche Aktivitäten zu verzeichnen und die "street-da'wa" könnte eine Renaissance erfahren.240 Der Ukraine-Krieg scheint bislang keinen nachhaltigen Einfluss auf die islamistische Szene in Deutschland zu haben. Das Kriegsgeschehen wurde vor allem im virtuellen Raum für islamistische Propaganda 239 Hierbei ist anzumerken, dass der "Islamische Staat" mit seiner Selbstbezeichnung zwar eine Staatlichkeit für sich in Anspruch nimmt, diese jedoch nicht (mehr) besteht. Für weitere Informationen zum IS siehe unter anderem die Kapitel 7.2 und 7.3. 240 Für weitere Informationen zum Salafismus siehe Kap. 7.2. 122 genutzt und kommentiert: Einerseits wurde das Kriegsgeschehen als Beleg für das Versagen westlicher, demokratischer Systeme und als "gerechte Strafe Gottes" bezeichnet. Dem Westen wurde eine Doppelmoral vorgeworfen, da er solidarisch mit der Ukraine aber nicht im gleichen Maße mit Palästinensern und Syrern sei. Andererseits wird opportunistisch die destabilisierende Wirkung des Krieges auf Europa begrüßt. Vereinzelt wurde dazu aufgerufen, das Momentum für Missionierung und militärisches Training in der Ukraine zu nutzen. Dieser Aufruf scheint allerdings nicht die erhoffte Wirkung erzielt zu haben. Trotz der militärischen Niederlage des "Islamischen Staates" (IS) und der Zerschlagung seines "Kalifats" gilt das transnationale IS-Netzwerk unverändert als die weltweit einflussreichste jihadistische Organisation. Am Ende des Jahres 2022 teilte die terroristische Organisation offiziell den Tod ihres "Kalifen" Abu Hassan al-Hashimi al-Quraishi mit, der bereits im Oktober 2022 in Syrien getötet worden sein soll. Zu seinem Nachfolger wurde Abu al-Hussein al-Husseini al-Quraishi ernannt. Der IS betätigt sich nunmehr als terroristische Untergrundorganisation in verschiedenen Weltregionen: IS-Ableger haben den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten vom Nahen Osten vermehrt nach Afrika verlagert. Andere wollen in Afghanistan einen neuen "Islamischen Staat der Khorasan Provinz" (ISKP) aufbauen. Ebenso kam es zu einem Aufwuchs von IS-Strukturen in Südostasien. Die jihadistische Organisation ruft ihre Anhänger dazu auf, weltweit Anschläge zu verüben. Das wirkt sich auf die Sicherheitslage in Deutschland und Europa aus, denn der Verlust territorialer Herrschaftsgebiete des IS hat strukturelle und personelle Verdrängungseffekte zur Folge. Viele ehemalige IS-Kämpfer haben die unmittelbaren Kampfgebiete verlassen, zahlreiche von ihnen wurden in kurdischen Gefangenenlagern, wie beispielsweise al-Hol, interniert. Dort befindet sich neben den Kämpfern auch noch eine große Zahl ursprünglich aus Europa ausgereister IS-Anhängerinnen samt Kindern. Eine zukünftige Rückkehr kampferfahrener Islamisten, darunter Anhänger der "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" (INS) samt Familienangehörigen, sorgt in ganz Europa für sicherheitspolitische Herausforderungen. Sowohl für den IS als auch für Al-Qaida (AQ) bringt die Machtübernahme in Afghanistan durch die Taliban am 15. August 2021 neue Expansionsspielräume mit sich. Die Ausrufung des "Islamischen Emirats Afghanistan" wurde von islamistischen und jihadistischen Gruppierungen unterschiedlicher Couleur weltweit als Sieg gegen den Westen gefeiert und als Motivation für die vermeintliche Befreiung weiterer muslimischer Gebiete propagiert.241 Es besteht die Gefahr, dass sich in Afghanistan erneut ein Rückzugsraum für jihadistische Terrororganisationen etabliert, welche die Möglichkeit zur Rekrutierung, Ausbildung und Reorganisation nutzen. Bereits jetzt scheinen die Taliban erneut AQ-Veteranen zu erlauben, sich unbehelligt in Afghanistan aufzuhalten. Inwiefern der mit den Taliban verfeindete ISKP zukünftig die Kontrolle über Gebiete in Afghanistan an sich reißen kann und sich das Land als Magnet für Jihad-Freiwillige entwickeln könnte, bleibt abzuwarten. Bislang scheint Afghanistan kein attraktives Jihad-Gebiet für Ausreisende aus Europa oder dem Nahen Osten zu sein. Allerdings könnte mittelund langfristig die Verankerung jihadistischer Gruppen in Afghanistan auch zu einer Verschärfung der Gefährdungslage in Deutschland führen. Eine große Bedrohung für die Innere Sicherheit stellt zudem die mögliche Einreise von Personen dar, die sich nach dem Zerfall des IS aus den Kampfregionen absetzen, ohne dass ihr Aufenthalt dort oder ihre Beteiligung am IS den europäischen Behörden bekannt ist. Diese könnten entweder direkt an der Vorbereitung und Durchführung von Anschlägen oder an der Radikalisierung, insbesondere der salafistischen Szene in Deutschland, mitwirken. Besonders bei gewaltaffinen Akteuren dürfte dieser Personenkreis gefragt sein, da ehemalige Kämpfer und anderweitig am IS Beteiligte eine hohe Milieu-Reputation besitzen. Es besteht die Gefahr, dass mit den unerkannten Rückkehrern auch ihre Ideologie ungehindert in 241Vgl. Bundesnachrichtendienst: "Eingangsstatement bei der öffentlichen Anhörung der Präsidenten der Nachrichtendienste des Bundes durch das Parlamentarische Kontrollgremium im Deutschen Bundestag am 27. Oktober 2021", https://www.bnd.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Statement_Bruno_Kahl_2021.pdf?__blob=publicationFile&v=5 (letzter Zugriff am 21.01.2022). 123 Deutschland eindringt und sich radikalisierend auf hiesige Szeneakteure auswirkt. Schlimmstenfalls könnten sich dadurch neue jihadistische Zellen bilden oder sich ideologisierte Einzelpersonen zu Gewaltakten mit leicht zu beschaffenden Tatmitteln entschließen. Grundsätzlich besteht die Gefahr, dass irreguläre Migrationsrouten von terroristischen Akteuren verstärkt zur Einschleusung von Personen nach Europa genutzt werden, um Anschlagsplanungen umzusetzen. Doch auch die von den Strafverfolgungsbehörden und der Justiz erfolgreich erkannten und zur Rechenschaft gezogenen Rückkehrer versuchen, ihre Ideologie in Haftanstalten weiter zu verbreiten. Strafverfolgung, Deradikalisierung und vor allem die Integration dieser Personen - auch der Frauen und Kinder - stellt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe dar und bedarf intensiver, ressortübergreifender Anstrengungen. Jihadistische Anschläge im Jahr 2022 Die Zahl weltweiter islamistischer Terroranschläge blieb auch im Jahr 2022 hoch. Ein Großteil der Anschläge wurde in den bekannten Konfliktregionen im Nahen Osten, insbesondere in Syrien und im Irak, sowie in Zentralasien, vor allem in Afghanistan und Pakistan, verübt. Darüber hinaus ist das Phänomen des internationalen islamistischen Terrorismus in verschiedenen Ländern Afrikas, vor allem in Westafrika, stark ausgeprägt. In diesen Staaten steigt die Zahl der Anschläge. Derzeit ist keine Beruhigung in den betroffenen Regionen absehbar, wie der "Fragile States Index" (FSI), der jährlich in der renommierten Zeitschrift "Foreign Policy" anhand quantitativer und qualitativer Indikatoren bestimmt wird, verdeutlicht.242 Eine Vielzahl von Faktoren spielt dabei den Terroristen in die Hände, welches ein Grund für die Beharrlichkeit ihrer Strukturen darstellen dürfte. Hierzu zählen beispielsweise politisch schwache Führungen ohne ausreichende Legitimität, Bürgerkriege, wirtschaftlicher Niedergang sowie demografischer Druck. Auch Flucht, militärische Interventionen fremder Staaten sowie negative Folgen klimatischer Veränderungen wirken sich aus. Für das Jahr 2022 ist wie bereits im Vorjahr, eine rückläufige Zahl von Anschlägen zu konstatieren.243 Generell setzte sich jedoch die Entwicklung fort, dass Anschläge von Einzeltätern mit einfachen Waffen - meist Messern - verübt werden. Bei vielen Taten gab es 2022 Hinweise darauf, dass ein jihadistisches Netzwerk, wie der IS, im Hintergrund die Anschläge in Auftrag gegeben oder koordiniert hat und Einzeltäter von der IS-Ideologie beeinflusst waren. Grundsätzlich handeln Attentäter immer häufiger unabhängig von bestimmten terroristischen Gruppen. Daneben auffällig ist, dass zunehmend Personen als Täter beziehungsweise Tatverdächtige festgestellt werden, die im Vorfeld der Anschläge psychische Auffälligkeiten aufwiesen und deswegen in Behandlung gewesen sind. Aufgrund psychischer Beeinträchtigungen bleibt oftmals offen, ob es sich bei Vorfällen um einen Terroranschlag mit islamistischem Motiv oder um die Tat eines psychisch erkrankten Menschen gehandelt hat. Beispielhaft hierfür ist die Messerattacke im ICE zwischen Passau und Nürnberg im November 2021. Dabei griff der Attentäter plötzlich vier Zugpassagiere an und verletzte diese teils schwer. Im unmittelbaren Nachgang der Tat bezeichnete sich der Täter als psychisch krank. Die Ermittler folgten dieser Einschätzung und schlossen zunächst einen terroristischen Hintergrund der Tat und die Schuldfähigkeit des Beschuldigten aus. Dies war jedoch nicht haltbar. Im März 2022 übernahm der Generalbundesanwalt die Ermittlungen und es kam am OLG München zum Prozess. Im Urteil vom Dezember 2022 wurde der Angeklagte wegen des versuchten Mordes und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gesprochen und zu 14 Jahren Haft verurteilt. Dabei sah das Gericht "gravierende Anhaltspunkte", dass der Angeklagte 242 Vgl. The Fund For Peace: "Fragile States Index Annual Report 2022", https://fragilestatesindex.org/wp-content/uploads/2022/07/22-FSI-Report-Final.pdf (letzter Zugriff am 16.01.2023). 243 In der zweiten Jahreshälfte 2020 war es zu einer Serie von islamistisch motivierten Terrorakten in Europa im Zuge der Wiederveröffentlichung der Mohammed-Karikaturen gekommen. 124 aus einem jihadistisch-islamistischen Motiv heraus handelte. Den "vorgeblichen psychiatrischen Erkrankung gemachten Angaben" des Angeklagten folgte das Gericht nicht und sah keine Einschränkung der Schuldfähigkeit.244 Im Folgenden werden einige Beispiele von Anschlägen mit islamistischem Hintergrund aus dem Inund Ausland exemplarisch dargestellt: Im Juni 2022 feuerte ein Mann in Oslo vor Norwegens größtem LGBT-Nachtclub auf Besucher und griff danach wahllos Personen in der näheren Umgebung an. Dabei tötete er zwei Menschen und verletze 21 Personen, etwa die Hälfte davon schwer. Der norwegische Geheimdienst PST stufte den Vorfall als islamistischen Terroranschlag ein. Den Sicherheitsbehörden war der Attentäter bereits seit 2015 bekannt, demnach soll er einem islamistischen Netzwerk angehört haben. Dieses Netzwerk hat vermutlich die Tat unterstützt: Im Zuge der Ermittlungen wurden zwei weitere Personen verhaftet und eine dritte international zur Fahndung wegen vermeintlicher Beihilfe zu einer terroristischen Tat ausgeschrieben. Wie bereits beim Anschlag in Orlando/USA im Juni 2016 und dem Messer-Attentat auf ein homosexuelles Paar in Dresden im Oktober 2020 scheint auch in Oslo eine islamistisch motivierte Tat vermeintlich mit menschenfeindlichen Einstellungen verbunden gewesen zu sein. Im September 2022 griff ein 30-jähriger Afghane in Ansbach (BY) mit Fleischermessern Passanten an und wurde von der Polizei erschossen. Die Generalstaatsanwaltschaft in München übernahm wegen eines möglichen terroristischen Hintergrunds den Fall. Am 11. November 2022 wurden zwei Streifenpolizisten am Brüsseler Nordbahnhof Opfer einer islamistisch motivierten Messerattacke. Ein Polizist wurde verletzt, der andere getötet. Der 23-jährige Attentäter war der belgischen Koordinierungsstelle für Bedrohungsanalysen (Ocam) als islamistischer Gefährder bekannt. Diese Beispiele zeigen, dass das Gefahrenpotenzial des islamistischen Terrorismus in Deutschland und Europa hoch bleibt. Allerdings konnten im Jahr 2022 in der Bundesrepublik auch mehrere Anschläge verhindert werden, da potenzielle Attentäter im Vorfeld durch sicherheitsbehördliche Maßnahmen erkannt und festgenommen wurden. Ein Beispiel hierfür ist die Verhaftung eines deutsch-türkischen Jugendlichen aus Kerpen (NW) im Januar 2022 wegen des dringenden Tatverdachts, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben. Die Vernehmung ergab, dass sich der 17-jährige Islamist Materialien zum Bau einer Sprengvorrichtung beschafft und eine solche hergestellt habe. Der Jugendliche soll Kontakte ins Umfeld des zu einer langfristigen Haftstrafe verurteilten Predigers "Abu Walaa" und dessen verbotenen "Deutschsprachigen Islamkreises Hildesheim" (DIK) gehabt haben.245 Der Fall verdeutlicht, dass indoktrinierte Minderjährige durchaus in der Lage sind, Materialien für komplexere Sprengvorrichtungen zu beschaffen und diese mit Anleitungen zu erstellen. Ebenso scheint dieser Fall Teil eines beobachtbaren Trends zu sein, in dem Minderjährige vermehrt in Anschlagsplanungen involviert sind und dabei Unterstützung von IS-Netzwerken bei den Vorbereitungen erhalten. So wurde im September 2022 ein 16-Jähriger festgenommen, bei dem der Bundesanwaltschaft Erkenntnisse vorlagen, einen islamistisch motivierten Anschlag begehen zu wollen. Im Jahr davor wurden ebenso Minderjährige in Berlin und Hagen verhaftet, die mit einem IS-Mitglied im Ausland in Kontakt standen und Sprengstoff-Anschläge vorbereiteten. 244 OLG München: Pressemitteilung 64 vom 23.12.2022, "Strafverfahren gegen Abdalrahman A. wegen des Verdachts des versuchten Mordes ("ICE")", https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/oberlandesgerichte/muenchen/presse/2022/64.php (letzter Zugriff am 17.01.2023). 245 Vgl. Polizei Köln: "POL-K: 220130-4-K/H. Kölner Staatsschutz ermittelt wegen mutmaßlicher staatsgefährdender Gewalttat, 30.01.2022, https://www.presseportal.de/blaulicht/pm/12415/5133955 (letzter Zugriff am 16.01.2023). 125 Das kontinuierlich bestehende Anschlagsgeschehen in Europa im Jahr 2022 verdeutlicht, dass die Aufmerksamkeit, die dem islamistischen Terrorismus im Zuständigkeitsbereich der staatlichen Sicherheitsvorsorge zukommt, einer unverändert hohen Priorität bedarf. Insbesondere die Bedrohung von sich in kürzester Zeit radikalisierenden jungen Erwachsenen, welche ohne langfristige Planung und direkte Anleitung durch eine jihadistische Gruppierung wie dem IS mit einfachsten Waffen zur Tat schreiten wollen, wird weiterhin konstant hoch bleiben. Ebenso zeigen die oben geschilderten vereitelten Anschlagsvorhaben, dass Islamisten in der Lage sind, komplexere Anschlagsvorhaben zu realisieren. Hinzu kommen die Gefahren, welche von psychisch labilen Personen oder Islamisten ausgehen, die in der Vergangenheit an der Ausreise in ein Kampfgebiet scheiterten. Gleiches gilt für Rückkehrer aus Kriegsgebieten. Zudem stellt die Sozialisierung und Indoktrinierung von Minderjährigen in salafistischen Familienverbänden ein langfristiges Risiko dar. Islamistisches Personenpotenzial in Brandenburg Islamistisches Personenpotenzial in Brandenburg 2020 2021 2022 Islamische Extremisten 200 210 210246 davon Legalisten und 40 50 50 Organisationen gewaltorientierter Islamisten davon Salafisten 160 160 160 davon Angehörige der 70 80 80 INS247 Die Zahl der islamischen Extremisten in Brandenburg stagniert erstmals seit Jahren mit 210 Personen (2021: 210) auf hohem Niveau. Wie bereits im Jahr zuvor äußerten sich auch 2022 einzelne Islamisten in Brandenburg über die Sozialen Medien offen antisemitisch und israelfeindlich. Die salafistisch geprägte "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" (INS) nutzt das Bundesland weiterhin als Rückzugsraum. Allerdings suchen insbesondere Jugendliche der Szene Orientierung in jihadistischen Ideologien. Obwohl der Anteil islamischer Extremisten unter den Moslems in Brandenburg damit sehr klein ist, werden vermehrt Personen mit Migrationshintergrund von islamischen Extremisten für ihre Ziele instrumentalisiert. Zudem werden den brandenburgischen Sicherheitsbehörden immer wieder Konvertiten ohne Migrationshintergrund bekannt, die sich dem islamischen Extremismus zuwenden. 246 Die Zahl der gewaltbereiten Islamisten liegt für das Jahr 2022 weiterhin wie im dem Jahren zuvor im mittleren zweistelligen Bereich. Dieses Personenpotenzial ist nahezu ausschließlich dem Salafismus zuzurechnen. 247 Die Angehörigen der "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" (INS) sind ein Teil des salafistischen Personenpotenzials. 126 7.1 Muslimbruderschaft ("Jamiyat al-Ikhwan al-Muslimin"), Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) und HAMAS Sitz / Verbreitung Die Muslimbruderschaft (MB) ist heute als pan-islamistische Bewegung nicht nur in allen arabischen Ländern, sondern nach eigenen Angaben in 70 Staaten weltweit vertreten. Je nach Land und vorgefundenen Rahmenbedingungen - Repression, Partizipation oder (informeller) Toleranz - haben sich die Ableger der MB organisatorisch wie strukturell unterschiedlich entwickelt. Sie eint aber unverändert die gemeinsam geteilte islamisch-extremistische Ideologie. Der Verein "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) fungiert als deutscher Ableger der MB mit Hauptsitz in Berlin. Die Terrororganisation HAMAS ist in den palästinensischen Autonomiegebieten und dem Gaza-Streifen zu verorten.248 Mitglieder und Unterstützer der HAMAS finden sich jedoch auch in Europa. Sie wird dem gewaltorientierten Islamismus zugeordnet. Gründung / Bestehen Die MB wurde 1928 in Ägypten gegründet. Aus ihr sind zahlreiche weitere islamistische Organisationen hervorgegangen. Dazu zählen die etwa 1960 in Deutschland gegründete "Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland" (1982 in "Islamische Gemeinschaft in Deutschland" (IGD) und 2018 in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG) umbenannt) und die Ende der 1980er-Jahre aus dem palästinensischen Zweig der MB hervorgegangene HAMAS. Struktur / Repräsentanten Die MB ist in Deutschland mit verschiedenen Gruppierungen vertreten, die in ein international verflochtenes Netzwerk von Moscheen, Dachverbänden, Organisationen, Instituten und regionalen Vereinen eingebunden sind. Als wichtigste Repräsentanz der Muslimbruderschaft in Deutschland fungiert die Dachorganisation "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG). Die DMG gehört zu den Gründungsmitgliedern des "Rats für europäische Muslime" (CEM, ehemals "Föderation islamischer Organisationen in Europa", FIOE). Der CEM hat seinen Sitz in Brüssel (Belgien) und ist als europäisches Sammelbecken für MB-Organisationen zu verstehen. Einige andere europäische Dachorganisationen, welche die Ideologie der MB verbreiten, sind etwa der aus Irland operierende "Europäische Fatwa-Rat" ("European Council for Fatwa and Research", ECFR), der mit dem "Fatwa-Ausschuss in Deutschland" (FAD) über einen deutschen Ableger verfügt, die sich insbesondere als Ansprechpartner für theologische Fragen präsentieren. Die ebenfalls in Brüssel ansässige "FEMYSO" ("Forum of European Muslim Youth and Student Organizations") führt als europäischer Dachverband die Jugendarbeit der zahlreichen MB und ihrer Jugendorganisationen auf nationaler Ebene zusammen. Weitere relevante, der MB zuzuordnende Organisationen sind die in Frankfurt/Main (Hessen) ansässigen Organisationen "Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland" (RIGD) als Zusammenschluss von Funktionären aus MB und MB-naher Einrichtungen in Deutschland sowie das "Europäisches Institut für Humanwissenschaft" (EIHW), welches als "Kaderschmiede" zukünftiger MB-Funktionäre dient. In Deutschland tritt die DMG vor allem bei größeren Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam auf. Der Verein und seine Akteure berufen sich stets auf Verfassungskonformität der Organisation und leugnen strukturelle oder ideologische Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Die DMG unterhält bundesweit eigene Moscheen und Moscheevereine. In Brandenburg sind Vereine oder Gebetsräume der DMG aktuell nicht 248 Für weiterführende Informationen zur Unterscheidung zwischen den Kategorien "legalistischer Islamismus", "gewaltorientierter Islamismus" und "Jihadismus" siehe Einleitung zu Kap. 7. 127 bekannt. Neben der DMG gibt es deutschlandweit eine Vielzahl weiterer Vereine, die die Ideologie der MB verbreiten. Diese Vereine sind zum Teil klein und regional ausgerichtet und weisen oft keinen oder nur einen gering wahrnehmbaren Bezug zur DMG auf. In Brandenburg war vor dem Jahr 2022 kurze Zeit die "Sächsische Begegnungsstätte" (SBS) aktiv. Sie wird der MB zugerechnet. Die HAMAS ist in Deutschland ebenfalls in Vereinsstrukturen tätig. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg haben Einzelpersonen Bezüge zu Strukturen und Funktionären der deutschen MB und HAMAS. Dazu kommen Einflussnahmeversuche von Akteuren aus Muslimbruderschaftsund HAMASnahen Zentren in Berlin. Veröffentlichungen Die MB und MB-nahe Akteure unterhalten international zahlreiche Verlage, TV-Sender, Internetseiten sowie Auftritte in sozialen Netzwerken. Diese sind zum Teil deutschsprachig. Das Spektrum der Inhalte reicht von allgemeinen nachrichtenähnlichen Sendungen über Propaganda, wie etwa der Glorifizierung getöteter (HAMAS)-Kämpfer, bis hin zu religiösen Formaten. Kurzportrait / Ziele Die MB stellt die älteste und ideengeschichtlich wichtigste islamisch-extremistische Massenbewegung sunnitischer Prägung dar. Hassan Al-Banna, der Gründer der MB, lehnte das damalige politische System in Ägypten, eine von der britischen Kolonialmacht gestützte konstitutionelle Monarchie, ebenso ab wie westliche Staatsund Gesellschaftsformen und säkulare Ideologien. Als Alternative sowie Quelle für das Wiedererstarken der Muslime propagierte Al-Banna die Errichtung eines "islamischen Systems" ("Nizam islami") sowie die Rückbesinnung auf die Wurzeln des Islams. Für die MB ist dieses "islamische System", welches auf Koran und Sunna beruht, ein allumfassendes System zur Lösung jedes gesellschaftlichen Problems. Es ist somit auch ein politisches Konzept. Als Fernziel steht die Ablösung der Regierungen der jeweiligen Heimatstaaten durch einen islamischen Staat auf Grundlage der Scharia. Trotz klarer hierarchischer Führung setzte die MB von Anfang an auf eine "Graswurzel-Islamisierung" entlang missionarischer, sozialer, karitativer und pädagogischer Ansätze, um die Gesellschaft langfristig und schrittweise ideologisch zu durchdringen. Die Geschichte der MB ist international geprägt von einem Wechselspiel aus Verfolgung und Tolerierung, wobei sich die Organisation als nachhaltig widerstandsfähig erwiesen hat. In den 1950erund 1960erJahren zwangen Repressalien unter dem ägyptischen Präsidenten Nasser zahlreiche dort lebende Muslimbrüder ins Exil, so auch nach Westeuropa. Das hatte unter anderem eine Weiterverbreitung des Gedankengutes zur Folge, dessen Ausdruck auch die Gründung eines deutschen Ablegers war. Zur gleichen Zeit erfolgte eine ideologische Radikalisierung in Teilen der Bewegung. Als eine Schlüsselfigur ist hier Sayyid Qutb zu nennen. Er gilt als ein wesentlicher Vordenker des gewaltorientierten Jihads. Seiner Auslegung nach sei es die Pflicht aller Moslems, vermeintlich unislamische Zustände zu beseitigen. Hierfür gälte es, auch unter Einsatz von Gewalt, die als unislamisch diffamierten Regierungen der jeweiligen Länder zu bekämpfen. Über die MB hinaus haben Qutb und seine Schriften bis heute großen Einfluss, besonders auf gewaltbefürwortende Gruppierungen. In den 1970er-Jahren postulierte die MB zwar einen formalen Verzicht auf Gewalt. Äußerungen verschiedener MB-Akteure belegen jedoch das Gegenteil. So werden etwa gewaltsame Aktionen gegen den Staat Israel und dort lebende Menschen oder die Todesstrafe für Homosexualität befürwortet. In Deutschland verfolgt die DMG eine konspirative und langfristig ausgerichtete Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Raum im Sinne der MB-Ideologie. Die Organisation und ihre Anhänger bieten sich dafür insbesondere staatlichen aber auch zivilgesellschaftlichen Akteuren als vermeintlich verfassungskonforme, tolerante und dialogbereite Akteure an, die ihr Recht auf soziale Teilhabe 128 wahrnehmen. Sie leugnen oder verschleiern dabei ideologische oder programmatische Bezüge zur MB und versuchen, kritische Betrachtungen ihrer Netzwerke, Aktivitäten oder Motivationen als islamfeindlich zu diskreditieren und sich damit dem Dialog zu entziehen. Die im Gazastreifen gegründete terroristische HAMAS entstammt dem palästinensischen Zweig der MB. HAMAS bedeutet im Arabischen auch Eifer oder Begeisterung. Die Organisation führt die Bezeichnung zudem als Akronym für "Harakat al-Muqawama al-islamiya" ("Bewegung des islamischen Widerstands"). Sie zielt auf die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem gesamten Gebiet Palästinas, was insbesondere das israelische Staatsgebiet umfasst und somit das Existenzrecht Israels verneint. Um dies zu erreichen, ist die HAMAS vor Ort in Politik und sozialkaritativen Einrichtungen tätig. Sie propagiert aber gleichermaßen den "bewaffneten Widerstand" als Kernelement im Kampf gegen die "israelische Besatzung". Dafür unterhält sie eigene Milizen beziehungsweise militärische Kampfverbände, welche auch Selbstmordattentate in Israel verüben. Die HAMAS wird in Deutschland und der EU als terroristische Organisation bewertet. Im Verfassungsschutzverbund wird sie dem Phänomenbereich der gewaltorientierten islamistischen Organisationen zugeordnet. Finanzierung Die DMG und HAMAS finanzieren sich größtenteils über internes oder externes Spendenaufkommen. Hierzu dienen auch vermeintlich gemeinnützige Vereine, welche durch Spenden oder Projekte Gelder akquirieren. Im arabischen Raum wird zum Teil auch über eigene Geschäftszweige oder staatliche Zuwendungen Geld generiert. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Muslimbruderschaft und die an ihr orientierten Organisationen wollen in allen Ländern mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung islamistische Diktaturen auf Grundlage der Scharia als langfristiges Ziel errichten. Gewalt wird zur Durchsetzung dieses Ziels nicht ausgeschlossen. In Bezug auf den Nahost-Konflikt und den anhaltenden Kampf gegen das Existenzrecht Israels werden Gewalttaten, etwa in Form von Selbstmordattentaten, auch gegen Zivilisten legitimiert und befürwortet. Die MB und die ihr nahestehenden Organisationen sind stark von einer antisemitischen Grundhaltung geprägt, lehnen säkulare, demokratische Staatssysteme, insbesondere deren Rechtsordnungen, ab und akzeptieren sie nur als Übergangsstadien. Die teilweise im Ausland zu beobachtenden Parteigründungen und die damit verbundenen Teilnahmen an Wahlen sind daher als taktisches Manöver der MB auf dem Weg zur erwünschten Übernahme der Macht beziehungsweise der Abschaffung demokratischer Strukturen und Prozesse zu verstehen. Eine Beobachtung der MB durch den Verfassungsschutz erfolgt daher auf Grundlage der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Die HAMAS ist eine gewaltorientierte, islamistische und terroristische Organisation, die einen islamistisch geprägten Staat auf dem Territorium des Staates Israel etablieren will, damit Israel das Existenzrecht abspricht und aktiv mit Waffengewalt bekämpft. Sie agiert daher gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die HAMAS und ihre Akteure nutzen Deutschland als Rückzugsraum, unterstützen von hier aus ihre terroristischen Aktivitäten im Ausland und gefährden damit auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Eine Beobachtung erfolgt auf Grundlage dieser Bestrebungen in Deutschland nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. 129 Entwicklungen im Berichtszeitraum In Brandenburg hatte die aus Sachsen heraus expandierte muslimbrudernahe "Sächsische Begegnungsstätte" (SBS) als wichtigste legalistische Organisation gewirkt. Die SBS ist in Brandenburg jedoch nicht mehr aktiv. Daneben existieren Einzelakteure, welche - ausgehend von Berliner Gebetsräumen - Einfluss auf brandenburgische Gemeinden ausüben. Im Berichtszeitraum konnten in Brandenburg einzelne Personennetzwerke festgestellt werden, die Bezüge zur Muslimbruderschaft und HAMAS aufweisen und für sie tätig waren. Der Nahost-Konflikt, in dem die HAMAS als politischer und militärischer Akteur maßgeblich involviert ist, zeigte seine anhaltend hohe Mobilisierungsfähigkeit und Bedeutung für die Sicherheitslage in Deutschland sehr deutlich im Mai 2021, als es zu einem militärischen Konflikt zwischen Israel und der den GazaStreifen kontrollierenden HAMAS kam. Der Konflikt brach - wenn auch nicht in dem Ausmaß - im Jahr 2022 erneut aus. Die Spannungen im Nah-Ost-Konflikt erreichten allerdings 2022 keine vergleichbare öffentliche Resonanz. Dennoch waren judenfeindliche Äußerungen durch in Brandenburg lebende oder arbeitende Personen festzustellen, die durch antijüdische Ressentiments und den Nah-Ost-Konflikt geprägt waren. Bewertung / Ausblick In Brandenburg sind Einzelpersonen und kleinere Personennetzwerke unverändert daran interessiert, die Ideologie der MB und HAMAS auf ausgemachte Zielgruppen, wie muslimische Gemeinden und Familien, Gebetsräume sowie Geflüchtete, zu übertragen. In Deutschland werden Vertreter der DMG oder andere MB-nahe Akteure weiterhin bemüht sein, ihren Einfluss unter Moslems auszubauen und als Ansprechpartner eines angeblich gemäßigten Islams ("Islam der Mitte") für Politik und Gesellschaft in Erscheinung zu treten. In jüngster Zeit haben staatliche Akteure vermehrt versucht, den Einfluss der DMG einzuschränken oder gar zurückzudrängen. Aktuelle Entwicklungen im Kontext des Nah-Ost-Konflikts haben sich in jüngerer Vergangenheit teilweise unmittelbar auf die gesellschaftliche und auch sicherheitspolitische Lage in Deutschland und Brandenburg ausgewirkt. Diese Resonanz wird sich nahezu sicher noch verstärken. In Ägypten ist die MB seit September 2013 verboten und als Terrororganisation eingestuft. Der nach einem Militärputsch an die Macht gelangte Präsident Al-Sisi wird weiterhin an den Repressionen gegen die MB und ihre Anhänger in Ägypten festhalten. Die daraus resultierende Migrationsbewegung von MBAnhängern wird sich somit auf die weitere Entwicklung legalistischer Strukturen in Europa und Deutschland auswirken. 130 7.2 Salafismus Sitz / Verbreitung Salafistische Akteure versuchen, auf muslimische Infrastrukturen Einfluss zu nehmen und eigene Strukturen aufzubauen. Dem Verfassungsschutz Brandenburg sind bislang einzelne Personenzusammenschlüsse bekannt, in denen aktiv eine salafistische Ideologie verbreitet wird. Es liegen jedoch bisher keine Erkenntnisse zu insgesamt salafistisch geprägten Gebetsräumen in Brandenburg vor. Gründung / Bestehen Salafismus ist ein Sammelbegriff für verschiedene ideologische Konzepte sunnitischer Prägung, die sich in ihrem Bestreben, einen ursprünglichen und möglichst unverfälschten Islam auszuleben, sehr stark an der islamischen Frühzeit orientieren. Zwar gelten die Gesellschaftsund Religionsvorstellungen der ersten muslimischen Generationen (etwa 7. bis 9. Jahrhundert) vielen - auch nichtextremistischen - Muslimen als Ideale. Salafisten hingegen versuchen, die in den religiösen Quellen enthaltenen Aussagen umfassend und wortwörtlich in einem zeitgenössischen Kontext anzuwenden. Während der Wunsch und das Streben nach einer ursprünglichen und möglichst reinen Religion kein neues Phänomen in der langen und vielfältigen Geschichte muslimischer Gesellschaften ist, entwickelte sich die hier beschriebene salafistische Bewegung maßgeblich im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts im Nahen Osten. In besonderem Maße prägten sie verschiedene zeitgenössische Gelehrte, die in dem Königreich Saudi-Arabien geboren oder ausgebildet wurden. Eng verknüpft mit dem Salafismus und dem damit verbundenen Anspruch, religiöse Quellen wörtlich umsetzen zu wollen, ist der maßgeblich auf die Anwendung von Gewalt ausgerichtete Jihadismus. Sein theologisches Grundkonstrukt entstand in Ägypten und in der Golfregion in den 1960erund 1970erJahren, als regionale Akteure - im Kontext des arabischen Sozialismus und der Kriege mit Israel - einen theologischen und gesellschaftlichen Gegenentwurf zu etablieren versuchten. In ihrem Wunsch, die als unislamisch und unterdrückerisch verstandenen Regierungen ihrer Länder zu beseitigen und eine islamische Gesellschaft zu schaffen, reduzierten sie zunehmend religiöse Quellen und Konzepte, wie etwa das sehr unterschiedlich verstandene Konzept des "Jihad" (wörtl.: Anstrengung) und entwickelten darauf aufbauend religiös legitimierte Gewaltkonzepte. Auf dieser Grundlage propagierten sie den Kampf gegen ihre Regierungen und Herrscher der arabischen Länder. Ein weiterer zentraler Moment in der Entwicklung des Jihadismus war der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979 und der damit verbundene Aufstieg der terroristischen "Al-Qaida"-Organisation. All dies wirkte sich maßgeblich auf die Entwicklung und Verbreitung des Jihadismus als eine transnationale Ideologie aus. Die Entstehung der terroristischen Organisation "Islamischer Staat" (IS) ist eine weitere Zäsur in der jüngeren Geschichte des internationalen islamistischen Terrorismus. Sie nahm während der 2000er-Jahre ihren Anfang und fand ihren vorläufigen Höhepunkt 2014, als sich zentrale Akteure von der bis dato bestehenden Anbindung an die Terrororganisation "Al-Qaida" lösten und ein "Islamisches Kalifat" - einen "Islamischen Staat" - ausriefen. Hierdurch fand erstmals eine international ausgerichtete terroristische Agenda ihren Niederschlag in einem regionalen, staatenähnlichen Gebilde. Struktur / Repräsentanten In Brandenburg existieren sowohl einzelne salafistisch orientierte Kleingruppen als auch eine Vielzahl von Einzelpersonen. Eine umfassende Vernetzung von Salafisten in Brandenburg ist bislang nur für die "Islamistisch Nordkaukasische Szene" (INS)249 bekannt. 249 Für weitere Informationen zur "Islamistisch Nordkaukasischen Szene" (INS) siehe Kap. 7.3. 131 Salafistische Akteure agieren in Deutschland zumeist in losen Netzwerken oder innerhalb einer Vereinsstruktur, die ihnen den Zugang zu den benötigten Ressourcen (Räumlichkeiten, finanzielle Mittel, Rekrutierung neuer Mitglieder) vereinfacht. In Deutschland existiert bislang weder ein "Dachverband" für salafistische Strukturen, noch eine Form der politischen Vertretung, beispielsweise durch eine Partei. Auch eine einheitliche Predigerszene gibt es in Deutschland nicht. Einzelne Prediger betätigen sich jedoch überregional und über die Landesgrenzen hinaus als salafistische Multiplikatoren. Beispiele hierfür sind der in Nordrhein-Westfalen geborene Pierre Vogel, der in Leipzig tätige Hassan Dabbagh oder der in Berlin ansässige Ahmad Armih (Abul Baraa). Salafistische Prediger aus anderen Bundesländern wurden in Brandenburg bislang nur vereinzelt festgestellt. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg haben salafistische Strukturen noch keine solche Wahrnehmbarkeit wie in einigen anderen Bundesländern erreicht. 2022 blieb das salafistische Personenpotenzial im Land Brandenburg mit etwa 160 Personen auf dem Vorjahresniveau. Die fortgesetzten Expansionsbemühungen salafistischer Akteure lassen jedoch erwarten, dass in Brandenburg zukünftig weitere salafistische Akteure und Strukturen festgestellt werden. Salafismus übt insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene Anziehungskraft aus. Anerkennung und das Gefühl, zu einer besonderen Gemeinschaft zu gehören, trägt zu der Bildung einer identitätsstiftenden Subkultur bei. Diese äußert sich beispielsweise in einer eigenen Sprache, Symbolik und im Kleidungsstil. Zentrales Element ist zudem die für eine Jugendkultur typische Abgrenzung von etablierten Autoritäten. Die Mitglieder der Szene bezeichnen sich als "Brüder" und "Schwestern" und finden in ihr nicht selten eine Ersatzfamilie. Salafistische Prediger werden zu Idolen und zum Teil wie Popstars gefeiert. Doch auch Minderjährige und Kinder sind für Salafisten und andere islamistische Akteure von großer Bedeutung für ihre Ziele. Veröffentlichungen Da es sich beim Salafismus um keine homogene Ideologie und bei seinen Vertretern um keine einheitlich agierende Gruppe handelt, gibt es unzählige Schriften salafistischer Ideologen, die teilweise auch auf Deutsch verlegt werden. Sie werden im Internet sowie als gedruckte Exemplare gegen eine geringe Gebühr oder sogar kostenfrei zur Verfügung gestellt. Die darin enthaltenen Aussagen zu gesellschaftspolitischen Vorstellungen sind oft desintegrativ und verfassungsfeindlich. Hinzu kommen antisemitisches Gedankengut und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Zudem relativieren oder befürworten diese Schriften religiös motivierte Gewalt. Um Kinder oder Jugendliche vor salafistischen Inhalten zu schützen, werden sie von der "Bundezentrale für Kinderund Jugendmedienschutz" (BzKJ; bis April 2021 bekannt als "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien") indiziert. Bislang betraf das jedoch nur wenige Schriften, die dem Salafismus zuzuordnen sind. Betroffen sind beispielsweise der salafistische Autor Abdulrahman Al-Sheha mit "Die Frau im Schutz des Islam", "Missverständnisse über Menschenrechte im Islam" und "Die Botschaft des Islam". Bei weiteren indizierten Publikationen handelt es sich um "Fiqh für Anfänger" von Wahid Abdulsalam Baly und "Die Religion der Wahrheit" von Abdulrahman Bin Hammad al-Omari. Weitere Indizierungen betreffen Tonträger, etwa Nasheeds deutscher IS-Kämpfer, in denen zu Hassund Gewaltaufgerufen wird. Soziale Medien und Netzwerke nehmen eine immer wichtiger werdende Rolle bei der Rekrutierung neuer Unterstützer, der Vernetzung und der Verbreitung salafistischer Propaganda ein. Insbesondere Kurzvideos auf TikToks können als "Türöffner" für den Kontakt mit der salafistischen Szene und den weiteren Konsum extremistischer Inhalte dienen. 132 Kurzportrait / Ziele Salafisten versuchen, die Religion von vermeintlich verbotenen Neuerungen (Bid'a) zu reinigen und lehnen theologische, gesellschaftliche und normative Diversifizierungen des Islam ab. Dies zeigt sich exemplarisch in ihrer Ablehnung verschiedener religiöser Rechtsverständnisse. Vielmehr argumentieren Salafisten, dass das Verstehen und das Ausleben des Islam nicht entlang einer (menschengemachten) Rechtstradition erfolgen dürfe, sondern ausschließlich auf Koran und Sunna, also auf der Überlieferung über Aussprüche und Taten des muslimischen Propheten Mohammed250, beruhen dürften. Das grundlegende Ziel von Salafisten ist, "die" Scharia - als Gesamtheit islamrechtlicher Vorgaben, welche jedoch nicht in einem Werk vorliegen - wortwörtlich anzuwenden und somit zur Richtschnur für individuelles und gemeinschaftliches Handeln zu machen. Andere, nicht auf dem Islam beruhende Werteoder Normensysteme werden strikt abgelehnt. Nicht selten wirken Salafisten gar auf deren Abschaffung hin. Entsprechend zielt das Handeln von Salafisten in letzter Konsequenz auf die völlige Zerschlagung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ab. Am Ende soll die Errichtung eines mit der Scharia konformen Gesellschaftssystems stehen. Das wäre dann ein totalitärer "Gottesstaat", das "Kalifat". Deutsche Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen zwei Ausrichtungen: dem "politischen Salafismus" und dem "jihadistischen Salafismus". Politische Salafisten zielen darauf ab, die Gesellschaft in einem langfristigen Prozess in einen totalitären Gottesstaat zu verwandeln und bedienen sich dabei auch vorhandener, gesellschaftlich akzeptierter Einflussmöglichkeiten: In Predigten, Schulungsveranstaltungen und Missionierungsarbeit (Da'wa) werden sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime aufgefordert, sich aktiv für den Aufbau einer Gesellschaft einzusetzen, die ihren salafistischen Vorstellungen entspricht. Hierfür nutzen sie sowohl die Realwelt, als auch den digitalen Raum. Ihr verfassungsfeindliches Islamverständnis wird oftmals bereits in kleinerem Maßstab umgesetzt, etwa innerhalb der Familie. Darüber hinausgehend wird die Überzeugung, die Anwendung von Waffengewalt sei nicht nur gerechtfertigt, sondern stelle sogar eine religiöse Verpflichtung dar, insbesondere von jihadistisch orientierten Salafisten vertreten.251 Für sie ist Waffengewalt zentraler Bestandteil ihres Islamverständnisses. Die Einteilung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus ist jedoch nicht als absolute oder trennscharfe Kategorisierung zu verstehen, da die Übergänge fließend sind. So nehmen politische Salafisten oftmals ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt ein, in dem sie Gewalt zwar rechtfertigen, diese aber nicht zwangsläufig selbst anwenden. Politische Salafisten befürworten etwa die Anwendung von Körperstrafen, wie Amputationen von Gliedmaßen als Strafe für Diebstahl, oder fordern zur Tötung von Personen auf, die aus ihrer Sicht den Islam beleidigt oder gegen seine Normen verstoßen haben. Es ist daher festzuhalten, dass der politische Salafismus mit demokratischen Werten unvereinbar ist und ganz wesentlich den Nährboden in der Entwicklung einer Person hin zu einem jihadistischen Islamverständnis bilden kann. Eine Person, die sich jihadistisch radikalisiert, muss jedoch nicht zwangsläufig zuvor Anhänger politisch salafistischer Positionen gewesen sein. 250 Laut der "Gesellschaft für deutsche Sprache" werden unter anderem auch diese Schreibweisen verwendet: Mohamad, Mohamed, Mohammad, Muhamad, Muhamed, Muhamet, Muhammad, Muhammed, Muhammet, Mehmet; vgl. https://gfds.de/vorname-der-woche-mohammed/, ohne Datum (letzter Zugriff 17.03.2023). 251 Jihadisten riefen in der Vergangenheit zur vermeintlichen "Verteidigung des Islam" oder der Befreiung angeblich unterdrückter Muslime auf. Diese verkündete Opferrolle von Moslems ist ein wesentlicher Bestandteil in ihrer Rechtfertigung, selbst Gewalt auszuüben: Sie stellen den bewaffneten Kampf gegen die vermeintlichen Unterdrücker - meist Israel und "der Westen" oder arabische Staaten - als "Verteidigung" von Moslems oder "dem" Islam dar. Sie argumentieren, dieser Kampf sei eine religiös verpflichtende kollektive Aufgabe aller Moslems (fard kifaya). Jihadistische Akteure forderten in der Vergangenheit auch zur Teilnahme am bewaffneten Kampf auf, mit dem Ziel, in den eroberten Gebieten ein islamisches Staatswesen zu etablieren. Sie argumentierten, dieser Kampf sei eine "individuelle Pflicht" (fard ayn) und beließen es daher nicht bei einem "abstrakten" Gewaltaufruf, sondern richteten diesen konkret an jeden einzelnen Muslem. 133 Finanzierung Die Finanzierung erfolgt maßgeblich über Spenden aus dem Inoder Ausland. Die Sammlungen werden etwa über religiöse Vereine, Einzelpersonen oder Spendenorganisationen koordiniert und durchgeführt. Darüber hinaus finanzieren sich einzelne salafistische Akteure zunehmend durch eine wirtschaftliche Betätigung eigenständig und machen sich dadurch von externen Geldern unabhängig. Dabei helfen etwa der Erwerb und die Nutzung von Immobilien, Werbeeinnahmen auf Streamingdiensten oder der Betrieb von Online-Shops, in denen szenetypische Kleidung, Literatur, Lebensmittel oder andere Artikel des Alltagsbedarfs verkauft werden. Die von ihnen angebotenen Dienstleistungen - wie Seminare oder die Veranstaltung von Reisen - nutzen sie dabei sowohl für die Verbreitung ihrer extremistischen Weltanschauung als auch zur Finanzierung ihrer Bestrebungen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Der Salafismus ist eine islamistische Ideologie und zugleich eine fundamentalistische Gegenkultur mit einem rückwärtsgewandten Lebensstil. Sowohl der politische als auch der jihadistische Salafismus vertreten eine verfassungsfeindliche Ideologie: Demokratie wird von Salafisten als falsche "Religion" und die Teilnahme an Wahlen als "Götzendienst" (Taghut) betrachtet. Gesetze können demnach nur von Gott, aber niemals von einem gewählten Gesetzgeber erlassen werden. Somit seien von Menschen beschlossene Gesetze Gotteslästerung. Weitere Forderungen salafistischer Akteure sind etwa eine rigide Trennung von Mann und Frau im öffentlichen und privaten Raum. Sie lehnen eine gemeinsame schulische Erziehung von Jungen und Mädchen sowie die Berufstätigkeit von Frauen ab oder binden diese an die Entscheidung eines männlichen Familienmitglieds. Salafistische Akteure befürworten zudem Gewalt gegen Frauen und rechtfertigen das mit dem Koran. Wichtiger Bestandteil eines salafistischen Islamverständnisses ist zudem die gezielte Abwertung und Entmenschlichung von Personen, die kein salafistisches Weltbild haben. Damit einher geht, dass Salafisten Andersgläubigen grundlegende Rechte absprechen. Hierbei handelt es sich beispielsweise um das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder das Recht auf Besitz. So erklärten in jüngerer Vergangenheit salafistische Akteure Menschen für vogelfrei und riefen zu deren Ermordung auf, weil sie den islamischen Glauben abgelegt haben. Ein salafistisches Islamverständnis kann also maßgeblich dazu beitragen, die Hemmschwelle in der Anwendung von Gewalt zu senken und ist somit geeignet, religiös motivierte Gewalttaten im Inund Ausland hervorzurufen. Diese Vorstellungen sind unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insgesamt geht vom Salafismus eine Gefährdung für die Innere Sicherheit in Deutschland aus. Der Verfassungsschutz ist daher gemäß SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes zuständig. Entwicklungen im Berichtszeitraum In Brandenburg konnten in der jüngeren Vergangenheit einzelne salafistisch orientierte Kleingruppen festgestellt werden. Eine umfassende Vernetzung von Salafisten in Brandenburg ist bislang nur für die "Islamistisch Nordkaukasische Szene" (INS)252 bekannt. Nach wie vor orientieren sich hiesige Akteure an der salafistischen Szene in Berlin. Der Berliner Verfassungsschutz führte in seinen Berichten der letzten Jahre mehrere Moscheen und Vereine als salafistisch oder salafistisch geprägt auf, die auch von brandenburgischen Akteuren genutzt werden. Im Jahr 2021 wurden mehrere salafistische Vereinigungen in Deutschland verboten. Von den Exekutivmaßnahmen gegen "Jamatu Berlin", "Ansaar International e. V." und seinem Vereinsgeflecht waren in Brandenburg gemeldete Salafisten betroffen.253 252 Für weitere Informationen zur "Islamistisch Nordkaukasischen Szene" (INS) siehe Kap. 7.3. 253 Für weitere Informationen siehe Verfassungsschutzbericht 2021. 134 Perspektivisch wird der Zuzug von Personen muslimischen Glaubens den Bedarf an Moscheen und Gebetsräumen in Brandenburg weiterhin steigen lassen. Bestehende oder neugegründete Moscheen waren in jüngerer Vergangenheit Ziel von Übernahmeversuchen salafistischer Akteure. In den letzten Jahren konnten einzelne Auftritte salafistischer Prediger aus Berlin in Brandenburg festgestellt werden. Diese Entwicklung wird sich wahrscheinlich weiterhin fortsetzen. Auch nach der Zerschlagung aller IS-Herrschaftsgebiete werden Minderjährige weiterhin mit der totalitären und gewaltverherrlichenden IS-Ideologie indoktriniert. Das passiert insbesondere in den Lagern, wo IS-Frauen mit ihren Kindern inhaftiert sind. In jüngerer Vergangenheit wurden mehrere dieser Frauen mit ihren Kindern nach Deutschland zurückgeholt - so auch 2022. Gegen sie wurden zumeist Strafverfahren eröffnet. Zudem entzogen ihnen Jugendämter wegen Kindswohlgefährdung das Sorgerecht. Salafistische und anderweitige islamistische Einstellungen werden auch in Deutschland von Minderjährigen übernommen und aktiv vertreten. Dieses zeigte sich beispielsweise Ende 2020, als an vielen deutschen Schulen der Ermordung eines französischen Lehrers gedacht werden sollte. Der Lehrer hatte im Rahmen eines Unterrichts über Meinungsfreiheit unter anderem Karikaturen des islamischen Propheten Mohammed gezeigt. Das veranlasste einen 18-jährigen Islamisten dazu, den Lehrer auf offener Straße bei Paris (Frankreich) zu enthaupten. Auch im Jahr 2022 wurden in Brandenburg Einzelfälle bekannt, in denen sich Jugendliche radikal-islamisch und gewaltverherrlichend äußerten. Bewertung / Ausblick Salafistische Bestrebungen als Nährboden für islamistisch orientierte Gewalttaten werden weiterhin langfristig von großer Bedeutung für die Sicherheitsbehörden bleiben. Dies zeigt die hohe Anzahl jihadistisch motivierter Anschläge oder Anschlagsversuche in Europa und Deutschland. Ein erheblicher Anteil davon wurde durch Jugendliche und junge Erwachsene begangen. Sie handelten - gleichwohl häufig losgelöst und ohne Bekenntnis zu einer festen terroristischen Organisation - dennoch im Geiste einer jihadistischen Ideologie.254 Sich nahezu eigenständig radikalisierende Akteure, zu deren Ideologisierung und wachsender Gewaltbereitschaft etwa extremistische Inhalte im Internet beitragen, stellen dabei eine besondere Gefahr dar, da sie nur schwer identifiziert werden können. Schwierig ist ebenfalls die Einschätzung des Gefährdungspotenzials von Personen mit psychologischen Erkrankungen. Auch wenn eine psychische Erkrankung bei Kontakt des Erkrankten mit einer extremistischen Ideologie nicht zwangsläufig zu seiner Radikalisierung oder der Begehung einer Gewalttat führt, erhöht jedoch ein labiler Persönlichkeitszustand die Anfälligkeit für extremistische Indoktrinierungen. Daher rückt eine möglichst frühe Erkennung von Ideologisierung, Rekrutierung und Vernetzung von Salafisten, insbesondere im digitalen Raum, für die Sicherheitsbehörden immer stärker in den Fokus. Der generell für Deutschland festzustellende Trend, dass sich Szeneakteure weniger auf große oder polarisierende, öffentlichkeitswirksame Aktivitäten stützen und ihre extremistische Bestrebung stattdessen in konspirativen Kleingruppen sowie im Internet vorantreiben, setzte sich 2022 fort und ist auch in Brandenburg zu beobachten. Im virtuellen Raum ist die Aktivität von in Deutschland lebenden Salafisten ungebrochen hoch. Auch neu aufkommende Medien und Plattformen werden in salafistische Bestrebungen schnell eingebunden und etwa für die Vernetzung, Verbreitung von Propagandamaterial oder das Sammeln von Spenden verwendet. Der Trend zur Online-Ansprache und Rekrutierung mit häufig auf dem ersten Blick unverfänglichen Fragen zur Religion und Lebensweise wird sich sehr wahrscheinlich verstärken. Durch den nahezu vollständigen Zusammenbruch aller IS-Herrschaftsgebiete und das massive militärische Vorgehen gegen verbliebene jihadistische Organisationen in Syrien, wie beispielsweise der "Hai'at 254 Für weiterführende Informationen hierzu siehe Einleitung zu Kap. 7. 135 Tahrir al-Sham" (HTS), sind die Ausreiseversuche mit dem Ziel, sich dortigen Terrorgruppen anzuschließen, praktisch zum Erliegen gekommen. Jedoch bestehen der Jihadismus und terroristische Organisationen, wie der IS, ideologisch fort. Sie verfügen nach wie vor über tausende Anhänger und Sympathisanten, welche die terroristische Agenda unterstützen und dafür kämpfen. So hielten militärische Auseinandersetzungen und Anschläge jihadistischer Akteure 2022 nicht nur im Raum Syrien/Irak an, eine Zunahme jihadistischer Aktivitäten konnte zuletzt insbesondere in Nordafrika festgestellt werden. Bislang sind jedoch Ausreisen in jihadistische Kriegsgebiete in Nordafrika oder Afghanistan nicht in größerem Umfang bekannt geworden. Eine signifikante Veränderung erscheint aktuell eher unwahrscheinlich. Nicht weniger bedrohlich sind Einzelpersonen, die einer jihadistischen Ideologie folgen - allerdings weitestgehend unabhängig von einer Terrororganisation eigenmächtig agieren. Dies verdeutlichten in den letzten Jahren zahlreiche Anschläge in Europa, denen kein Bekenntnis zu einer jihadistischen Organisation vorausging. Daher ist es nicht auszuschließen, dass sich Personen auch weiterhin zu solchen Anschlägen motiviert sehen. Im Jahr 2023 werden in Deutschland zahlreiche Personen entlassen, die aufgrund salafistisch motivierter Straftaten inhaftiert wurden. Bei diesen Personen ist schwer einzuschätzen, ob sie nach ihrer Entlassung weiterhin ihre extremistische Agenda verfolgen oder sich außerhalb der Szene ein neues Leben aufbauen wollen. Hier sind Sicherheitsbehörden gemeinsam mit Justiz und Vollzugseinrichtungen gefragt, extremistische Straftäter nicht nur nach Haftentlassung im Blick zu behalten, sondern ihnen auch während der Inhaftierung Möglichkeiten zum Ausstieg zu bieten. Von besonderer Bedeutung für deutsche Sicherheitsbehörden und die Zivilgesellschaft wird weiterhin die Frage sein, wie mit Personen verfahren wird, die in die Kampfgebiete ausgereist waren, um sich terroristischen Organisationen anzuschließen. So konnten zwar im Jahr 2022 Rückführungen von Frauen und ihrer Kinder nach Deutschland erfolgen, die zuvor aus Deutschland ausgereist waren um sich dem IS anzuschließen und nach dem Zusammenbruch des "IS" in Syrien oder der Türkei inhaftiert worden sind. Die Erfahrungen beim "IS" oder während der späteren Inhaftierung dürften jedoch insbesondere für die Kinder traumatisch gewesen sein. Möglicherweise haben nach Deutschland überführte Personen oder andere Rückkehrer in den Lagern eine weitere Radikalisierung erfahren, die es einzuschätzen und weiter zu berücksichtigen gilt. So wird der Umgang mit Erwachsenen oder Kindern, die im ehemaligen IS-Territorium jihadistisch erzogen wurden oder dort traumatische Erfahrungen machten, die Sicherheitsbehörden und die deutsche Gesellschaft vor große Herausforderungen stellen. In Deutschland besteht nach wie vor die Gefahr einer Radikalisierung hier lebender Kinder und Jugendlicher, etwa in salafistischen Familienverbänden oder anderen extremistisch geprägten Bildungseinrichtungen. Eine besonders anfällige Gruppe stellen hierbei unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dar. Minderjährige und Kinder sind für Salafisten und andere islamistische Akteure von großer Bedeutung für ihre Ziele. Salafistische Multiplikatoren, wie Imame, Erzieher oder Eltern, versuchen gezielt ihre verfassungsfeindlichen Standpunkte auf diese zu übertragen. Der Missbrauch von Minderjährigen wird besonders bei jihadistischen Gruppierungen deutlich. Diese binden Kinder gezielt in ihre terroristischen Aktivitäten ein und erziehen sie zu gewaltbereiten und fanatisierten Kämpfern. Damit verwehren Jihadisten Kindern ihre Rechte, etwa auf freie Entfaltung oder personelle Selbstbestimmung. In diesem Zusammenhang wird deutlich, warum Minderjährige unter der Kontrolle jihadistischer Gruppen immer wieder als Selbstmordattentäter oder als Täter in menschenverachtenden Hinrichtungsvideos agieren. Auch in salafistischen Familienverbänden in Deutschland werden Kinder weiterhin radikalisiert und für Gewalttaten instrumentalisiert. Zur Abwendung von Gefahren sowie für das Wohl der Minderjährigen selbst muss daher weiterhin eine enge Zusammenarbeit aller Sicherheitsbehörden mit staatlichen sowie zivilgesellschaftlichen Trägern forciert werden. Eine Sensibilisierung des sozialen Umfelds für Verhaltensauffälligkeiten im Kontext einer salafistischen Sozialisation ist somit ausgesprochen wichtig für die Bereiche Deradikalisierung und Prävention. 136 7.3 Islamistische Nordkaukasische Szene (INS) Sitz / Verbreitung Die "Islamistische Nordkaukasische Szene" (INS) verfügt über Einzelmitglieder in Deutschland. Gründung / Bestehen Die INS besteht seit der Unabhängigkeitserklärung der Tschetschenischen Republik "Itschkerien" nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 (ursprünglich als vorwiegend separatistische Organisation). Im Kampf für die Unabhängigkeit gewann der Salafismus eine immer größere Bedeutung. Als Konsequenz dieser Entwicklung gründete sich 2007 das "Kaukasische Emirat" (KE) im Nordkaukasus mit zunächst lokaler und später globaler jihadistischer Agenda. Seit circa 2015 ist das "KE" im Zuge des Ausrufs eines "Islamischen Staats" (IS) in der Bedeutungslosigkeit versunken. Viele jihadistische nordkaukasische Kämpfer schlossen sich dem IS an. Struktur / Repräsentanten In Brandenburg bestehen keine gefestigten Strukturen mit erkennbarer Hierarchie. Hiesige Akteure unterhalten jedoch deutschlandweit intensive Kennund Unterstützungsverhältnisse, die bis ins Ausland reichen. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg wurden 2022 erneut circa 80 (2021: 80) Personen der "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" zugerechnet. Veröffentlichungen Derzeit sind in Brandenburg keine Veröffentlichungen bekannt. Kurzportrait / Ziele Trotz der Fragmentierung der "Islamistischen Nordkaukasischen Szene" eint sie die konsequente Ablehnung der Russischen Föderation. Nach dem Scheitern der nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung in Tschetschenien und unter dem gewachsenen Einfluss salafistischer und wahhabitischer255 Ideologie während der Tschetschenienkriege versucht die INS, ihre politischen Forderungen mittels terroristischer Anschläge durchzusetzen. Teile der Bewegung bekennen sich zum terroristischen "Islamischen Staat" und damit auch zum global orientierten Jihadismus. Finanzierung Anhänger der INS finanzieren sich unter anderem durch allgemeine Kriminalität. Einzelmitglieder verfügen auch über Kontakte in die organisierte Kriminalität. Dabei verhalten sie sich höchst konspirativ. 255 Als "Wahhabismus" wird die Staatsreligion beziehungsweise die "Staatsdoktrin" Saudi-Arabiens bezeichnet. 137 Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Als stärker islamistisch geprägte Nachfolgeorganisation zur Sezessionsbewegung der "Tschetschenischen Republik Itschkerien" versuchte das "Kaukasische Emirat" im Nordkaukasus durch militante Überfälle und terroristische Anschläge die Kaukasusprovinzen zu vereinen. Ziel war es, einen unabhängigen Staat zu gründen, dessen Herrschaftsform sich an einem islamischen Kalifat orientiert. Im Jahr 2007 proklamierte der Führer des "Kaukasischen Emirats" Dokku Umarov die "Republik Itschkerien" als den Teil eines den gesamten Nordkaukasus umfassenden "Islamischen Emirats".256 Da die beanspruchten Gebiete257 unter der Verwaltung der Russischen Föderation stehen, versuchten die islamistischen Rebellen um Umarov mit Einsatz von terroristischen Mitteln die Russische Föderation zum Rückzug aus der Kaukasusregion zu zwingen. Zahlreiche Anschläge und Geiselnahmen mit vielen Todesopfern gehen auf das Konto des "Kaukasischen Emirates". Aufbauend auf lange bestehenden Verbindungen zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und dem internationalen Salafismus richtete Umarov das "Kaukasische Emirat" stärker als Teil einer global-jihadistischen Bewegung aus, mit klaren Bezügen zur damals noch führenden Terrororganisation "Al-Qaida". Bereits im Jahr 2012 reisten Kämpfer des "Kaukasischen Emirats" (KE) nach Syrien, um an Kampfhandlungen teilzunehmen. Im Juni 2013 wurde das KE durch das Bundesministerium der Justiz als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft und die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung ausgesprochen. Im Jahr 2015 gründeten Führungskader des "KE" eine dem "Islamischen Staat" zugehörige Organisation aus nordkaukasischen Kämpfern. Diese schworen dem damaligen Anführer des IS, Abu Bakr Al-Baghdadi, ihre Treue. Dieser Schwur führte zur faktischen Auflösung des "Kaukasischen Emirats". Nichtsdestotrotz existieren lokale Strukturen jihadistischer Prägung im Nordkaukasus fort. Nordkaukasische Islamisten kämpfen auch für andere jihadistische Organisationen in Syrien, wie der "AlNusra Front" und deren Nachfolgeorganisation "Hai'at Tahrir al-Sham" (HTS). Die nordkaukasischen Islamisten gelten als sehr umfassend ausgebildete, erfahrene Kämpfer und Logistiker. Ihr im Kampf erworbenes Wissen geben sie an Rekruten weiter. Mit dem Niedergang des IS schwand die Beteiligung der nordkaukasischen Kämpfer an Kampfhandlungen in den Grenzgebieten zwischen Irak, Syrien und der Türkei. Die INS wird in Brandenburg auf der Grundlage des SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes beobachtet. Sie gefährdet die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland durch Gewaltanwendung und darauf ausgerichtete Vorbereitungshandlungen. Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundesweit spielen Nordkaukasier in der islamisch-extremistischen Szene nach wie vor eine untergeordnete Rolle. In Brandenburg hingegen stellen sie einen großen Teil des gewaltbereiten salafistischen Personenpotenzials dar. Feste Strukturen konnten sich allerdings in Brandenburg bislang nicht etablieren. Derzeit lebt in Brandenburg eine größere vierstellige Anzahl von Migranten nordkaukasischer Herkunft. Diese Personen werden regelmäßig mehrheitlich nicht als Flüchtlinge anerkannt, allerdings kehren nur wenige von ihnen nach Russland zurück. Ein patriarchales Wertesystem und sozialisierte Gewalterfahrungen führen bei einigen nordkaukasischen Migranten zu - teils wiederholten - Gewalttaten. Das oftmals archaische Werteverständnis von Nordkaukasiern sowie eine gewachsene Bedeutung des Salafismus im nordkaukasischen Raum wirken sich zudem nachteilig auf die Integration aus. Daraus ergeben sich Anknüpfungspunkte für jihadistisches Gedankengut. 256Ein Emirat stellt eine Verwaltungseinheit eines Kalifats dar. 257Bestehend aus den Republiken Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien, Adygea, und Nord-Ossetien der Russischen Föderation. 138 Parallel dazu ist bei vielen nordkaukasischen Jugendlichen eine Affinität zum Kampfsport bekannt. Speziell Mixed Martial Arts (MMA) entfaltet eine hohe Anziehungskraft. In Tschetschenien und Dagestan ist eine Karriere als MMA-Kämpfer oder Ringer für viele Jugendliche oftmals der scheinbar einzige Ausweg aus der Arbeitslosigkeit. Zudem bietet ein solcher Werdegang die Möglichkeit, eine große Familie zu versorgen und gleichzeitig Wohlstand zu erlangen. Derartige Karrieren sind in der patriarchalischen nordkaukasischen Gesellschaftsstruktur gleichzusetzen mit Respekt, Anerkennung und der Durchsetzung des Stärkeren. Schlechte Integrationsaussichten führen dazu, dass junge Nordkaukasier oftmals nur Anstellungen im Bewachungsgewerbe suchen beziehungsweise finden. Teile des Sicherheitsgewerbes weisen dabei Überschneidungen mit kriminellen Strukturen innerhalb der nordkaukasischen Diaspora auf. Ein Beispiel hierfür sind die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen arabischstämmigen Clans und Nordkaukasiern im November 2020 in Berlin, welche 2021 zur Anklage gebracht wurden.258 Kontakte und vereinzeltes Agieren von Angehörigen der INS in kriminellen nordkaukasischen Strukturen erscheinen auch in Brandenburg möglich. Die nordkaukasische Diaspora - darunter auch die Anhänger der INS - wird zunehmend durch gezielte politische Morde verunsichert. Hierdurch wird eine die öffentliche Sicherheit gefährdende Dynamik entfacht, die auch Deutschland betrifft und sich unter anderem gegen INS-Anhänger richtet. In der ersten Jahreshälfte 2020 beauftragte ein Mitglied im Sicherheitsapparat des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow Valid D. mit der logistischen Organisation der Tötung eines in Deutschland lebenden Exil-Oppositionellen, der als Kritiker des Kadyrow-Regimes galt.259 Im Juni 2022 begann das Oberlandesgericht München das Hauptverfahren gegen den Angeklagten. Der virtuelle Raum gewinnt zunehmend an Bedeutung im Kampf zwischen Kadyrow-Anhängern, Salafisten und anderen Exil-oppositionellen Gruppen. Auch der russische Angriffskrieg in der Ukraine zieht Anhänger der unterschiedlichen Lager an. Die Kombination der oben genannten Faktoren wird auch in Brandenburg immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb der nordkaukasischen Szene, zu Konflikten mit anderen Asylbewerbern bis hin zu Sympathien für salafistische Bestrebungen führen. Während die ältere Generation immer noch an der Vorstellung eines unabhängigen tschetschenischen Nationalstaates festhält, zeigt sich bei den jüngeren Nordkaukasiern zunehmend eine Umorientierung zu salafistischen Bestrebungen mit häufiger Ausrichtung auf die global-jihadistische IS-Ideologie. Für die Bewertung der Sicherheitslage in Brandenburg muss diese Entwicklung ins Zentrum gerückt werden. Dabei finden auch Terroristen aus den Reihen der INS und des IS unter Jugendlichen Bewunderung. Gerade Soziale Medien bieten ein Einfallstor für salafistische und jihadistische Propaganda, welche nachweislich auch durch einzelne brandenburgische Minderjährige nordkaukasischer Herkunft konsumiert wurde. Einige Nordkaukasier aus Brandenburg hatten sich in den letzten Jahren dem IS in Syrien angeschlossen. Entsprechend weit verzweigte INS-Verbindungen kennzeichnen die in Brandenburg beobachteten nordkaukasischen Islamisten. Sie verfügen über ein nationales und internationales Netzwerk von Kennund Unterstützungsverhältnissen. Unter den insgesamt 80 bekannten Personen sind Kämpfer der älteren Generation. Einige haben im Nordkaukasus für das "Kaukasische Emirat" gekämpft und waren danach in Afghanistan, im Irak und in Syrien aktiv. Einige sind nach nur teilweise bestätigten Angaben in Syrien 258 Vgl. Berlin - Das offizielle Hauptstadtportal: Gewalt zwischen Clan und Tschetschenen, 25.06.2021 (letzter Zugriff am 17.02.2022). 259 Vgl. GBA: Anklage wegen Sichbereiterklärens zu einem Mord im staatlichen Auftrag. 03.03.2022. https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2022/Pressemitteilung-vom-03-03-2022.html (letzter Zugriff am 20.01.2023). 139 gefallen oder nach Europa zurückgekehrt, jedoch aktuell nicht in Brandenburg aufhältig. Andere betätigten sich als Werber und Schleuser, um weitere Anhänger der Organisation in Kampfgebiete zu bringen oder Geldmittel zu organisieren. Vor den bekannten Ausreisen war eine starke räumliche Anbindung an einschlägige Moscheevereine in Berlin zu beobachten. Ein offensives Propagieren der eigenen Ideologie ist in Brandenburg nicht zu beobachten. Vielmehr agieren die Personen konspirativ und im Privaten. Vereine oder Gebetsräume, die als Treffpunkte dienen könnten, sind in Brandenburg nicht bekannt. Bewertung / Ausblick Das "Kaukasische Emirat" existiert nicht mehr und die Führungskader sind in IS-Unterorganisationen aufgegangen. Damit treten lokale nordkaukasische Konflikte innerhalb der Russischen Föderation in den Hintergrund, während bei jungen Nordkaukasiern die ideologische Ausrichtung hin zum Salafismus und zum global-orientierten Jihadismus des IS deutlicher wird. Diese Umorientierung sowie die unterschiedlichen Gruppierungen mit ihren jeweiligen ideologischen Ausrichtungen, Interessensund Motivlagen erschweren eine Prognose. Die Struktur der INS in Brandenburg/Berlin bleibt ambivalent: Es existieren Führungspersönlichkeiten, aber insbesondere bilden vorhandene Kennverhältnisse aufgrund geteilter nordkaukasischer Ethnie und historischer Identität die strukturelle Basis. Dazu kommen die oben ausgeführten problematischen Aspekte von Teilen der Diaspora, wie die strenge Aufrechterhaltung einer nach innen wie außen ausgerichteten ethnisch-kulturellen Homogenität, die entsprechende Abschottung der Szene, eine Affinität zum Kampfsport sowie Aktivitäten im kriminellen Milieu. Obwohl der Ballungsraum Berlin/Brandenburg von der älteren INS-Generation als strategischer Rückzugsund Ruheraum angesehen und genutzt wird, geht von diesen doch eine Gefahr aus. Sie tragen salafistisches und jihadistisches Gedankengut mit sich und geben es an die jüngere Generation weiter. Ebenso ist spezifisches Propagandamaterial in großem Maße digital wie medial verfügbar und bildet das ideologische Fundament für viele Nordkaukasier in Brandenburg. Somit hat sich eine "2. Generation" der INS gebildet. Es besteht die Gefahr, dass diese durch islamistische Terrororganisationen instrumentalisiert wird. Auch im Jahr 2022 sind einige islamistisch motivierte Anschlagsplanungen in Deutschland aufgedeckt beziehungsweise vereitelt worden. Perspektivisch könnten Rückkehrer als charismatische Einflusspersonen mit Vorbildfunktionen neue Dynamiken unter den jüngeren Nordkaukasiern in Deutschland auslösen. Auch wenn Brandenburg und Deutschland in der Vergangenheit vor allem als Rückzugsräume der INS galten, zeigt unter anderem die Enthauptung eines Lehrers in Frankreich, dass die heranwachsende Generation alte Loyalitäten und die primäre Feindschaft gegenüber Russland zu Gunsten einer globalen jihadistischen Ideologie hinter sich lässt. Hierdurch gelten westliche Gesellschaften durch deren Wertverständnisse als potenzielles Ziel für Anschläge. Mehrere tausend Nordkaukasier haben in Syrien gekämpft. Sie gelten aufgrund ihrer ausgeprägten militärischen Fähigkeiten als erfahrene Kämpfer. Bislang ist noch nicht absehbar, wie sich diese Kämpfer nach dem Niedergang des IS in Syrien und Irak verhalten werden. Es ist abzusehen, dass Anhänger der INS zunehmend in anderen bewaffneten Konflikten, wie etwa in der Ukraine oder auch Afghanistan, in den Kampf ziehen werden. Eine Rückkehr nach Russland ist angesichts der starken Repressalien, die durch das Regime des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow drohen, unwahrscheinlich. Es ist vielmehr anzunehmen, dass ehemalige Kämpfer weiterhin als Flüchtlinge getarnt nach Europa kommen. Da Brandenburg bereits über eine große tschetschenische Gemeinde (Diaspora) verfügt, ist ein weiterer Zuzug islamistisch oder gar jihadistisch orientierter Nordkaukasier wahrscheinlich. 140 Für die Gefährdungseinschätzung in Brandenburg bleibt daher ebenso die aktuelle Lage in Russland und dessen weiteres Vorgehen im Inund Ausland, im Speziellen in der Ukraine und darüber hinaus - zum Beispiel im Nordkaukasus und in Syrien - von besonderer Relevanz. Gleiches gilt für die Entwicklung in Afghanistan unter der Führung der Taliban. 141 7.4 Tablighi Jama'at Sitz / Verbreitung Die globale sunnitische Missionierungsbewegung "Tablighi Jama'at" (kurz TJ; zu Deutsch: "Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung") besteht aus mehreren Strömungen. Als dessen internationales Zentrum gilt die Stadt Lahore in Pakistan. Das europäische Zentrum liegt in Dewsbury, Großbritannien. In Deutschland gibt es keine offiziellen Niederlassungen. Die TJ ist hinsichtlich ihrer Anhänger und Reichweite eine der bedeutendsten islamistischen Vereinigungen. Genaue Zahlen über die Höhe der Anhängerschaft sind aufgrund der eher losen Struktur kaum zu ermitteln. Die Bewegung verfügt jedoch weltweit über Gefolgschaft. Schwerpunkte der Aktivitäten bilden Indien und Pakistan sowie weitere Teile Zentralasiens. Dort stellt die TJ ein nicht zu unterschätzendes religiöses wie kulturelles Mosaikelement innerhalb der Gesellschaften dar. Je nach Land und vorgefundenen Rahmenbedingungen haben sich TJ-Strukturen unterschiedlich entwickelt. Sie eint in der Regel, so auch in Deutschland, eine Anbindung an ein internationales Netzwerk, welches einen weltweiten Austausch der Bewegung fördert. Des Weiteren eint die TJ ihre islamistische Ideologie, normativen Verhaltensprinzipien und gemeinsamen Handlungsstrategien. Gründung / Bestehen Die TJ entstand 1926 im damaligen Britisch-Indien als islamische Reformbewegung. Auslöser hierfür war insbesondere die Zunahme säkularer Einflüsse und Gesellschaftsvorstellungen vor dem Hintergrund der Hegemonie europäischer Kolonialmächte. Die TJ beabsichtigt, als Gegenbewegung auf Graswurzelebene Moslems wieder auf den Islam zu besinnen und diesen von vermeintlich geistigen wie kulturellen Verunreinigungen zu "säubern". Struktur / Repräsentanten In Deutschland organisiert sich die TJ zumeist in regionalen Führungszirkeln, den "Schuras". Zentrale szenebekannte Akteure koordinieren über informelle Kontaktnetzwerke in einem hierarchisch aufgebauten Gefüge die Arbeit der Bewegung. Diese Struktur ist wiederum mit globalen Netzwerken verbunden. Personenpotenzial: Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg besteht in der Stadt Rathenow (HVL) eine TJ-Gruppe. Neben einem einstelligen Kern an Mitgliedern existiert eine niedrige zweistellige Zahl an Anhängern und Unterstützern. Die zentralen Akteure sind an ein überregionales TJ-Netzwerk angeschlossen. Des Weiteren liegen Hinweise zu Einzelpersonen und Gruppen in anderen Landesteilen vor, welche der Ideologie der TJ anhängen und diese teils auch missionarisch verbreiten. Es gibt sowohl ethnisch homogene TJ-Gruppen als auch solche, die heterogen sind. Das wirkt sich auch auf den angesprochenen Personenkreis oder die für die Bestrebung genutzten Orte aus. Veröffentlichungen Ein der TJ zugerechneter Multiplikator aus Rathenow (HVL) veröffentlicht insbesondere auf seinem YouTube-Kanal religiös-politische Inhalte. 142 Kurzportrait / Ziele Die TJ orientiert sich strikt an einem frühzeitlichen, idealisierten Islamverständnis. Ihre Anhänger sollen den Islam möglichst genau auf die Art und Weise verstehen und praktizieren, wie es den ersten Moslems zugeschrieben wird. Durch die Fokussierung auf Ausbildung und einen rigiden Verhaltenssowie Kleidungskodex eines jeden einzelnen TJ-Anhängers soll die idealisierte islamische Frühzeit wiederhergestellt werden. Auf Grund dieses wortwörtlichen, fundamentalistischen Ansatzes sind zuweilen methodische und auch optische Parallelen zu Anhängern eines salafistischen Islamverständnisses festzustellen. Es handelt sich jedoch um unterschiedliche extremistische Strömungen, mit weitestgehend voneinander unabhängigen Entstehungsgeschichten und Referenzpersonen. Zentrales ideologisches und strategisches Ziel der TJ ist die Missionierungstätigkeit, die von jedem TJAngehörigen erwartet wird. Alle Moslems und islamischen Gesellschaften, die nicht dem TJ-Konzept folgen, sollen so von ihren vermeintlich unzulänglichen Islamauslegungen und ihrer fehlenden Frömmigkeit "befreit" werden. Die TJ propagiert dabei eine wörtliche Auslegung von Koran und Sunna, mit dem Ziel einer Anwendung eines vermeintlich "reinen", "ursprünglichen" Islam. Dies führt in letzter Konsequenz zu einer Abwertung und Ausgrenzung von Frauen und Nicht-Moslems sowie zu einer Ablehnung säkularer Prinzipien und demokratischer Verfahren. Schwerpunkte der Aktivitäten in Brandenburg sind insbesondere die Missionierung, Schulung sowie ideologische Festigung und der Erwerb eigener Räumlichkeiten. Finanzierung Die TJ finanziert sich unter anderem über Spenden ihrer Mitglieder. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Ziele der TJ sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Das von TJ-Angehörigen langfristig verfolgte Ziel ist die Errichtung einer islamisch extremistischen Ordnung auf Basis "der" Scharia. Andere, nicht auf dem Islam beruhende, Werteoder Normensysteme werden abgelehnt. Des Weiteren sind Ideologie und Akteure der TJ maßgeblich geprägt durch eine wörtliche Auslegung von Koran und Sunna, Ausgrenzung und Herabsetzung Andersdenkender sowie Diskriminierung von Frauen. Die Ablehnung demokratischer, rechtsstaatlicher und damit weltlicher Prinzipien sowie die polarisierende Unterscheidung zwischen Moslems und Nicht-Moslems widersprechen elementar der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Ideologie der TJ begünstigt die Entstehung von Parallelgesellschaften und befördert zugleich individuelle Radikalisierungsprozesse. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfolgt auf Grundlage der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Entwicklungen im Berichtszeitraum In Brandenburg besteht in der Stadt Rathenow (HVL) eine TJ-Gruppe, die versucht, vor Ort Einfluss auf die muslimische Gemeinschaft zu erlangen. Ihre führenden Mitglieder nehmen an überregionalen Missionierungsreisen teil und bringen sich aktiv in das Netzwerk der bundesweiten TJ-Szene ein. Dort werden Kampagnen für ganz Deutschland geplant, organisatorische Entscheidungen getroffen und die Missionierungsarbeit koordiniert. Auf kommunaler Ebene wurden deshalb Informationsund Sensibilisierungsveranstaltungen mit dem Ziel durchgeführt, das Wirken der TJ-Gruppierung in Rathenow zu begrenzen. Vermutlich pandemiebedingt reduzierten sich die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in den Jahren 2021 und 2022. Dem Verfassungsschutz Brandenburg wurden 2022 einzelne Aktivitäten von TJ-Gruppen in öffentlichen und nicht-öffentlich zugänglichen Räumlichkeiten bekannt. Ihre Anlaufpunkte sind zumeist 143 muslimische Versammlungsorte, wie Gebetsräume oder Sammelunterkünfte. Hier findet die TJ ihre primären Zielgruppen: Moslems, die ihrem Glauben vermeintlich unzureichende Aufmerksamkeit schenken, sowie orientierungslose, zumeist junge, Gläubige. Darüber hinaus erfolgen Straßenansprachen und nicht selten werden Nicht-Moslems Adressaten der Missionierung. Für ideologische Schulungen und Gottesdienste werden Privatwohnungen, Vereinsräume in Untermiete oder eigene angemietete Räumlichkeiten genutzt. Gelegentlich kann dadurch eine unübliche Nutzung, etwa von Wohnraum, durch Außenstehende wahrgenommen werden. Bewertung / Ausblick Mit Blick auf das Bundesgebiet ist die TJ unverändert bemüht, an Reichweite und Einfluss zu gewinnen. Insbesondere die Ausweitung missionarischer Aktivitäten und die Gewinnung von Anhängern stehen hier im Fokus. In Brandenburg werden TJ-Strukturen sowie mit ihr sympathisierende Einzelpersonen weiterhin daran interessiert sein, neue Anhänger für ihre Islamauslegung zu gewinnen. Hierunter fallen insbesondere die oben benannten Zielgruppen. Das rigide Auftreten der TJ erschwert dabei oftmals deren Anschlussfähigkeit. Ihr hoher optischer Wiedererkennungswert erleichtert zudem öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der TJ als solche zu identifizieren. Das hohe Mobilisierungspotenzial unter den Anhängern sowie ein starkes Sendungsbewusstsein werden wahrscheinlich dazu führen, dass die vorhandenen Akteure weiterhin überregional in TJ-Strukturen eingebunden bleiben und ihre Bestrebung aufrechterhalten werden. Darüber hinaus ist es ebenso wahrscheinlich, dass es den brandenburgischen TJ-Strukturen gelingen wird, weitere Anhänger zu gewinnen und an sich zu binden. Der Zugang zu Ressourcen (Räumlichkeiten und Adressaten von Missionierungsbemühungen) und vorhandene Sprachbarrieren sind dabei begrenzende Faktoren für die jeweils agierende Gruppe. 144 8. Auslandsbezogener Extremismus 145 In den in Deutschland bedeutendsten extremistischen Organisationen mit Auslandsbezug finden sich Ideologieelemente aus dem Rechtsund Linksextremismus. Zudem umfasst der Bereich Organisationen, die separatistische Bestrebungen in ihren Heimatländern verfolgen - dort oftmals auch durch den Einsatz von Gewalt und Terror. Innenund außenpolitische Konflikte in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmen ebenso wie Vorgaben der dortigen zentralen Organisationseinheiten Politik, Strategie und Aktionen der extremistischen Strukturen in Deutschland. Damit verstoßen extremistische Organisationen mit Auslandsbezug gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden hierzulande die innere Sicherheit. Deutschland ist für diese Organisationen ein Rückzugsraum und dient der Rekrutierung neuer Aktivisten, der Finanzierung der Organisationen sowie der politischen Agitation. Im Land Brandenburg sind extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug weiterhin von untergeordneter Bedeutung. Im Vergleich zu den anderen extremistischen Phänomenbereichen bewegt sich die Zahl der in Brandenburg wohnhaften und aktiven Anhänger seit Jahren auf einem relativ niedrigen Niveau. Mit 80 (2021: 95) Personen lag das Gesamtpotenzial auslandsbezogener extremistischer Gruppierungen im Land Brandenburg 2022 unter dem des Vorjahres. Die meisten dieser Personen verfügen über einen Migrationshintergrund. Personenpotenziale auslandsbezogener extremistischer Gruppierungen in Brandenburg 260 2020 2021 2022 Linksextremisten261 85 85 70 davon PKK/Nebenorganisationen 80 80 60 Nationalistische Extremisten262 10 10 10 gesamt 95 95 80 Eine mittelbare Gefährdung der inneren Sicherheit in Deutschland erwächst vor allem aus den aktuell virulenten innenund außenpolitischen Konflikten der Türkei. Von herausgehobener Bedeutung sind einerseits die linksextremistische "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) aufgrund gewalttätiger Aktionen in der Heimatregion sowie die marxistisch-leninistisch ausgerichtete "Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront" (DHKP-C), die sich für den Aufbau eines sozialistischen Gesellschaftssystems in der Türkei offen zum bewaffneten Kampf bekennt. Andererseits ist die rechtsextremistische türkische "Ülkücü"-Bewegung von hoher Relevanz. Sie ist geprägt von einer zum Teil militant nationalistischen, antisemitischen und rassistischen Ideologie, deren Bandbreite von neuheidnischen Elementen bis in den Randbereich des Islamismus reicht. Im Land Brandenburg sind keine regionalen Strukturen dieser extremistischen Gruppierungen mit Auslandsbezug feststellbar. Es sind vielmehr Einzelpersonen, die für diese Gruppierungen aktiv werden. Sie orientieren sich meistens nach Berlin, wo bereits entsprechende Organisationsstrukturen vorhanden sind. 260 Islamische Extremisten werden im vorangestellten Kapitel behandelt. 261 Hierunter werden neben der PKK vor allem linksextremistische Organisationen aus der Türkei, wie zum Beispiel die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), die "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) oder die "Marxistische Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) gefasst. Auch säkulare palästinensische Organisationen, wie die "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP) fallen unter diese Kategorie. 262 Hierzu zählen vor allem die Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei entstandene rechtsextremistische "Ülkücü"-Bewegung (zu Deutsch "Idealisten"-Bewegung) sowie extremistische Sikh-Organisationen mit Sitz in Pakistan, wie "Babbar Khalsa International" (BKI) und "Babbar Khalsa Germany" (BKG). Diese verfolgen in ihrem Heimatland Indien separatistische Bestrebungen. 146 Die linksextremistische "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) ist die einzige auslandsbezogene extremistische Organisation, die über ein relevantes Personenpotenzial verfügt. Im Jahr 2022 wurden ihr und ihren Nebenorganisationen in Brandenburg etwa 60 Personen (2021: 80) zugerechnet. "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK) und unterstützende Organisationen Sitz / Verbreitung Der Hauptsitz der in den vergangenen Jahrzehnten vielfach umbenannten263 PKK liegt im Nord-Irak. Die Führungsstrukturen der PKK-Europaführung (derzeit "Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" - KCDK-E) befinden sich vorwiegend in den westlichen Nachbarländern Deutschlands. Die PKK sieht sich als einzige legitime Interessenvertretung der Kurden. Die Partei ist deutschlandweit die mitgliederstärkste extremistische Organisation mit Auslandsbezug. Gründung / Bestehen Im November 1978 gründete sich die PKK als eine revolutionäre Partei mit einem von marxistisch-leninistischen sowie nationalen Grundsätzen geprägten Manifest. Die Anwendung von Gewalt mit militärischen Mitteln und terroristischen Anschlägen ist ein zentrales Element innerhalb der PKK-Strategie. In Europa und damit auch in Deutschland verzichtet die Organisation derzeit weitgehend auf Gewaltanwendung. Struktur / Repräsentanten Die höchsten Entscheidungsgremien der PKK sind die "Vereinigten Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) mit dem Präsidenten Abdullah Öcalan und den Vorsitzenden Cemil Bayik und Bese Hozat sowie die "Generalversammlung des Volkskongresses Kurdistans" (KONGRA-GEL). Die Strukturen folgen dem Kaderprinzip und sind an einer autoritären Führung ausgerichtet. Die PKK hat Deutschland in 31 Gebiete mit jeweils einem zumeist konspirativ agierenden Führungsfunktionär an der Spitze eingeteilt. Für die Umsetzung ihrer Vorgaben nutzt die Partei überwiegend örtliche kurdische Vereine als Treffpunkt und Anlaufstelle. Als Dachverband dieser Vereine fungiert die "Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED).264 Im Land Brandenburg ist keine derartige Struktur vertreten. Das Gebiet Brandenburgs steht unter dem Einfluss der PKK-Strukturen in Berlin und in Sachsen. Die als Neugründungen bezeichneten Umstrukturierungen der letzten Jahre sollen nach außen Rechtskonformität der PKK in Deutschland vermitteln. Jedoch haben sie nichts mit einer inhaltlichen Neuausrichtung oder der Etablierung demokratischer Strukturen zu tun, sondern dienen dem Zweck, die PKK dem internationalen Verfolgungsdruck zu entziehen. Tatsächlich sind die europäischen Strukturen weder organisatorisch selbstständig noch ideologisch oder personell unabhängig von der PKK im Nordirak.265 Die PKK versucht mithilfe von Massenorganisationen, in denen Anhänger nach sozialen Kriterien oder nach Berufsund Interessengruppen organisiert sind, möglichst alle Lebensbereiche abzudecken und ihren Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden zu zementieren. Die "Komalen Ciwan"/"Tevgera Ciwanen Soresger" (TCS) ist die Jugendorganisation der PKK und bildet ein großes Mobilisierungspotenzial für die zahlreichen Veranstaltungen der Organisation. Ihre Anhänger 263 Mehrfach vorgenommene Umbenennungen der PKK (Teil-)Organisationen: "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" ("Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane" - KADEK); "Volkskongress Kurdistans" ("Kongra Gele Kurdistan" - KONGRA GEL); "Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan" ("Koma Komalen Kurdistan" - KKK); "Union der Gemeinschaften Kurdistans" ("Koma Civaken Kurdistan" - KCK). 264 "Konfederasyona Civaken Mezopotamyaye li Elmanyaye" (KON-MED). 265 Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.10.2010, https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py? Gericht=bgh&Art=en&sid=7223b184dd06a6707ea4e42f4f4a1929&nr=54773&pos=0&anz=43 (letzter Zugriff am 01.12.2022). 147 rekrutieren Nachwuchs für den bewaffneten Kampf in den kurdischen Siedlungsgebieten und begehen in Deutschland Straftaten oder militante Aktionen gegen staatliche türkische Einrichtungen oder türkische Rechtsextremisten. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Das für den Verfassungsschutz relevante und aktive Personenpotenzial der PKK und ihrer Teilorganisationen wird im Land Brandenburg auf etwa 60 geschätzt. Veröffentlichungen Die wichtigsten bundesweit vertriebenen Publikationen der PKK und ihrer Nebenorganisationen sind "Serxwebun" (Unabhängigkeit), "Yeni Özgür Politika" (Neue Freie Politik), "Sterka Ciwan" (Stern der Jugend), "Newaya Jin" (Erlebnisse der Frauen), "Kurdistan Report" sowie "Ajansa Nuceyan a Firate" (ANF). Hinzu kommen einige Fernsehsender, wie zum Beispiel "Sterk TV", "Ronahi TV" oder "MedNuce TV". Des Weiteren ist die PKK über eine Vielzahl von Webseiten im Internet aktiv. Über das Video-Portal "Gerila TV" werden speziell Inhalte über den bewaffneten Kampf der Organisation und erfolgte Operationen veröffentlicht. Vor allem die deutschsprachige Version der ANF-Homepage stellt ein wichtiges Sprachrohr für die Organisation in Deutschland dar und berichtet täglich über aktuelle Ereignisse und Vorkommnisse in den kurdischen Siedlungsgebieten. Kurzportrait / Ziele Zentrale Ziele der PKK sind die Anerkennung der kurdischen Identität sowie eine politische und kulturelle Autonomie unter Aufrechterhaltung nationaler Grenzen in den kurdischen Siedlungsgebieten, vor allem in der Türkei und verstärkt auch in Syrien. Daneben konzentrieren sich die politischen Forderungen der PKK auf die Freilassung ihres seit 1999 inhaftierten Gründers Abdullah Öcalan266 beziehungsweise auf die Verbesserung seiner Haftbedingungen. Wie oben bereits dargestellt wurde, ist die Anwendung von Gewalt Teil der politischen Strategie der PKK. Ein wesentlicher Schwerpunkt der PKK-Aktivitäten in Deutschland ist die logistische und finanzielle Unterstützung der Gesamtorganisation. Diesem Zweck dienen Spendenkampagnen und Großveranstaltungen, die auch dazu genutzt werden, weitere Anhänger für die Parteiarbeit und für den aktiven Guerillakampf zu gewinnen. Die Aktivisten der PKK in Deutschland fordern daher beispielsweise die Aufhebung des im Jahr 1993 gegen die Organisation verfügten Betätigungsverbots. Mobilisierend wirkt für die PKK derzeit weniger ihre ursprüngliche marxistisch-leninistische Ideologie. Vielmehr wirken ihre rigiden Wertund Moralvorstellungen sowie ihre Eigeninszenierung als alleinige Vertreterin kurdischer Interessen. Finanzierung Die Finanzierung der militärischen und politischen Aktivitäten der PKK erfolgt insbesondere über die kurdische Diaspora in Europa. Kurden spenden sowohl freiwillig als auch unter Druck. In den jährlichen Spendenkampagnen ("kampanya") kommen bundesweit viele Millionen Euro zusammen. Hinzu treten Erlöse aus Zeitschriftenund Devotionalienverkäufen sowie Eintrittsgelder bei Großveranstaltungen. Das mit 16,7 Millionen Euro im Jahr 2021 bundesweit erzielte Spendenaufkommen konnte 2022 konstant gehalten werden. Die Einschränkungen und Folgen der Corona-Pandemie hatten somit wenig Einfluss. Dabei dürften sich die nach wie vor militärisch ausgetragenen Konflikte in den kurdischen Autonomiegebieten zwischen der Türkei und den Guerillaeinheiten der PKK ebenso förderlich auf die Spendenbereitschaft ausgewirkt haben wie die Sorge um die Haftsituation und den Gesundheitszustand Öcalans. 266Abdullah Öcalan ist Anführer und Gründungsmitglied der PKK und wird seit seiner Verhaftung im Februar 1999 auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer festgehalten. 148 Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Aufgrund ihres auch in Deutschland gewalttätigen Vorgehens wurde die PKK am 26. November 1993 vom Bundesinnenminister mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegt.267 Seit 2002 ist sie von der Europäischen Union als terroristische Organisation gelistet. 2014 wurde diese Einstufung bekräftigt. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28. Oktober 2010 wird die PKK in Deutschland als terroristische Vereinigung im Ausland eingestuft. Damit können ihre Mitglieder nach SSSS 129a und b Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, was ein höheres Strafmaß und den Einsatz weitergehender Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht. Bereits aufgrund des Gewaltbezuges der Organisation ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 3 und 4 BbgVerfSchG. Entwicklungen im Berichtszeitraum Nach Aufhebung der pandemiebedingten Einschränkungen gelang es PKK-Aktivisten im Jahr 2022 europaweit für Großkundgebungen zu mobilisieren - wenn auch bei weitem nicht mehr das Mobilisierungsniveau der Vorjahre erreicht wurde. Wesentliches Kampagnenthema der PKK war 2022 erneut die Aufhebung des Betätigungsverbots. Zum Abschluss einer bundesweiten Aktionswoche anlässlich des 29. Jahrestags des PKK-Betätigungsverbots zeigte eine Demonstration unter dem Motto "PKK-Verbot aufheben! Den Weg für Frieden ebnen!" die Vernetzung zwischen auslandsbezogenem Extremismus und Linksextremismus. An der Demonstration am 26. November 2022 nahmen in Berlin mehr als 1000 Personen teil. Das äußerst heterogene Spektrum reichte vom direkten PKK-Umfeld bis zu Organisationen der deutschen linksextremistischen Szene. Aus dem Spektrum des Linksextremismus unterstützten auch 2022 die "North East Antifa" (NEA), die MLPD und die postautonome "Interventionistische Linke" (IL) den Aufruf.268 Linksextremisten unterstützen seit jeher die sozialistische Vision des PKK-Gründers Öcalan, dessen Autonomiebestrebungen und die Forderungen nach Aufhebung des PKK-Verbots. Der konkrete Beitrag deutscher Linksextremisten umfasst unter anderem die Verbreitung von PKK-Propaganda, aber auch die Begehung von Strafund Gewalttaten in Solidarität mit dem "kurdischen Volk" und der PKK in Deutschland. Im Gegenzug versuchen Linksextremisten Kurdinnen und Kurden für andere linksextremistische Aktionsfelder zu gewinnen.269 Ein Beispiel hierfür ist die Initiative "Defend Kurdistan". Ähnlich der Kampagne "Riseup4Rojava" wird auch die international ausgerichtete Initiative "Defend Kurdistan" von Linksextremisten beeinflusst. So mobilisieren Linksextremisten immer wieder zu Aktionstagen der Initiative.270 Im Jahr 2022 ist die Gruppierung "Defend Kurdistan" bundesweit vor allem mit mehreren Besetzungsund Blockadeaktionen von Büros politischer Parteien, mit Demonstrationen und Störungen von Vorlesungen an Universitäten als auch von Blockaden von Turkish-Airline-Schaltern aufgefallen. Am 30. November 2022 blockierten Aktivisten der Initiative "Defend Kurdistan" den Abfertigungsschalter von TurkishAirline im Flughafen Berlin-Brandenburg. Derartige Aktionen sollen die öffentliche Wahrnehmung auf den Krieg in den kurdischen Siedlungsgebieten lenken. Auf diesem Wege soll auch Sympathie für die PKK geweckt werden. Somit wird niedrigschwellig die Rekrutierung deutscher Staatsangehöriger für den bewaffneten Kampf gefördert.271 Seit Juni 2013 haben sich 267 Das Betätigungsverbot gilt auch für die umbenannten Strukturen der PKK. 268 vgl. Homepage "PKK-Verbot aufheben" (letzter Zugriff am 01.12.2022). 269 Für Informationen zu linksextremistischen Aktionsfeldern siehe Kap. 6.1. 270 Homepage Anarchistische Föderation: "Wir sehen eure Verbrechen - Stoppt den Einsatz chemischen Waffen in Kurdistan", 03.11.2022 (letzter Zugriff am 15.12.2022). 271 Zu diesem Zweck werden zunehmend professionelle Videos für den deutschsprachigen Raum erstellt. 2019/20 wurde über Internetprofile von STERK TV das Video "Der Weg der Freiheit" veröffentlicht. Der in Deutschland produzierte Film richtet sich auf Deutsch, Türkisch und Kurdisch an junge Heranwachsende in Deutschland. In der Produktion werden die Kriegsleiden der kurdischen Zivilbevölkerung, der Mythos von den gefallenen deutschen Kämpfern und das Fernziel des sozialistischen, kurdischen Utopie-Staats "Rojava" propagiert. 149 rund 300 Personen aus Deutschland in die kurdischen Siedlungsund Kampfgebiete im Südosten der Türkei, im Nordirak und in Nordsyrien begeben. Etwa 30 davon haben ihr Leben verloren. Weitere rund 150 Personen sind wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Die verschiedenen PKK-Guerillaeinheiten berichten regelmäßig über den Tod ihrer gefallenen Kämpfer, vor allem über "Internationalisten". Die PKK nutzt das propagandistische Potenzial ihrer getöteten ausländischen Kämpfer und instrumentalisiert deren Tod regelmäßig für die eigenen Zwecke. Die gefallenen "Internationalisten" werden von der Organisation dabei in gleicher Weise als "Märtyrer" verehrt, wie ihre kurdischen Kämpfer. Der Märtyrerkult der Organisation dient sowohl der Motivation der eigenen Anhänger als auch der Rekrutierung von neuen Unterstützern beziehungsweise Aktivisten und potenziellen "Freiheitskämpfern".272 So erinnert die linksextremistische Szene alljährlich an den Tod eines aus Potsdam stammenden Kämpfers, der durch einen türkischen Luftangriff ums Leben gekommen sein soll. In dem Aufruf zur Demonstration 2022 wird dieser in eine Reihe mit der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof gestellt.273 Bewertung / Ausblick Die türkische Intervention in Syrien und die teilweise massiven militärischen Aktionen der türkischen Armee in kurdischen Siedlungsgebieten haben sich bereits in den Vorjahren stark auf die Strategie und die Aktivitäten der PKK und ihrer Teilorganisationen in Deutschland ausgewirkt. Zugleich sind kurdische Verbände nach wie vor an den Kämpfen gegen den terroristischen "Islamischen Staat" beteiligt. Das militärische Vorgehen der Türkei ist weiterhin geeignet, PKK-Anhänger auch in Deutschland zu mobilisieren. Darüber hinaus sind der Jahrestag der Festnahme Öcalans sowie dessen Haftbedingungen und Gesundheitszustand Themen, die PKK-Anhänger stark emotionalisieren und zu politischen Aktivitäten veranlassen. Obwohl Linksextremisten die PKK in Deutschland offen unterstützen und in den Medien regelmäßig über die geopolitische Lage in den Kurdengebieten berichtet wird, hat die PKK auch nach Aufhebung pandemiebedingter Versammlungsbeschränkungen keine Trendwende in der Mobilisierung erreicht. Dennoch wird sich die Partei zukünftig weiter bemühen, größere Menschenmengen für ihre Ziele zu gewinnen, medienwirksame Aktionen zu veranstalten und Kämpfer zu rekrutieren. Zudem wird die PKK in Deutschland weiterhin Geld zur Finanzierung und Aufrechterhaltung der Organisationsstrukturen sowie für den bewaffneten Kampf sammeln. Zudem versuchen die PKK und ihre Teilorganisationen über Schulungen und Vorträge zu feministischen und ökologischen Themen Jugendliche und Studierende zu erreichen. Ebenso ist sie bemüht, in Deutschland Kämpfer für ihren Krieg in der kurdischen Heimat zu rekrutieren. Auch wenn die PKK in Deutschland und dem übrigen Westeuropa aus politisch-taktischen Erwägungen auf Gewalt verzichtet, hat sie der Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen nicht generell abgeschworen. Die politische Lobbyarbeit der PKK wird auch zukünftig ein wichtiges Aktionsfeld in Deutschland bleiben. Ihre vorrangigsten Ziele sind dabei die Aufhebung des gegen sie seit 1993 bestehenden Betätigungsverbotes und die Generierung von Finanzmitteln über Spenden. Hierdurch erhofft sich die PKK zumindest von Teilen der deutschen Gesellschaft und Politik als Ansprechpartner für die Belange der Kurden anerkannt zu werden. Solange die PKK jedoch ihre extremistischen und terroristischen Aktivitäten in der Türkei einschließlich der darauf gerichteten Unterstützungsund Vorbereitungshandlungen in Europa fortsetzt und in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt ist, wird sie dem Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden unterfallen. 272 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: "Rekrutierung von Kämpfern für die PKK in Deutschland.", Stand: Dezember 2022, https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/auslandsbezogener-extremismus/rekrutierung-vonkaempfern-fuer-die-pkk-in-deutschland.html (letzter Zugriff am 02.12.2022). 273 Vgl. indymedia, 12.12.2022. 150 9. Scientology Organisation 151 Die "Scientology Organisation" (SO) ist eine nur vermeintlich religiöse Organisation. Sie wurde 1954 in Kalifornien gegründet und ist international tätig. Ihre "Lehre" geht auf den US-amerikanischen Schriftsteller L. Ron Hubbard zurück und verfolgt wirtschaftliche und machtpolitische Ziele. In Brandenburg wird die SO seit 1997 aufgrund eines Beschlusses der Innenministerkonferenz durch den Verfassungsschutz beobachtet. Ausschlaggebend hierfür ist unter anderem, dass die SO eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen anstrebt und zudem das demokratische Rechtssystem ablehnt. Damit ist sie eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. In dem angestrebten totalitären scientologischen Weltstaat haben zudem wesentliche Grundrechte, wie das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit oder das Recht auf Gleichbehandlung, keinen Platz. Damit ist die SO eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Verfassungsfeindlichkeit der SO wurde unter anderem durch das Oberverwaltungsgericht Münster im Jahr 2008 festgestellt274. Nach wie vor beobachtet der Verfassungsschutz Aktivitäten von SO-Mitgliedern in Brandenburg. Dabei wurde festgestellt, dass durchaus vernetzte Strukturen - allerdings ohne wesentliche lokale organisatorische Basis im Land Brandenburg - existieren. Nach vorliegenden Erkenntnissen arbeiten einzelne SOMitglieder als "Field Staff Member"275 (FSM). In dieser Funktion sind sie für die Werbung und zeitweise Betreuung neuer Mitglieder sowie für die Verbreitung von Scientology-Publikationen zuständig. Daneben existieren in Brandenburg Unternehmen, die dem "World Institute of Scientology"276 (WISE) zugehören. Ihr Ziel ist, Lizenzverträge zu verkaufen und langfristig die Wirtschaft zu unterwandern. Damit soll die scientologische Ideologie im Unternehmenskontext verbreitet und ein entsprechender Umbau der Gesellschaft vorangetrieben werden. Die bereits früher in Brandenburg registrierten Tätigkeiten von Mitarbeitern einer Beratungsund Coaching-Firma sind neben der Beratung und des Coachings auf Angebote zur Deckung des Kapitalbedarfs wirtschaftlich angeschlagener kleinund mittelständischer Unternehmen ausgelegt. Eine professionelle Präsentation dieser Angebote auch im Internet, ohne dass dabei erkennbar scientologische Ziele verfolgt werden, führt potenzielle Opfer immer wieder in die Fänge geschickt und manipulativ vorgehender Scientologen. Die bekanntesten Beispiele betreffen jedoch nach wie vor unterschwellige Angebote an Privatpersonen über Tarnorganisationen der SO. Hierbei wird zumeist Propagandamaterial, mit dem Ziel neue Mitglieder anzuwerben, verbreitet. Dieses gilt beispielsweise für den von der SO entwickelten Leitfaden "The Way To Happiness"277 ("Der Weg zum Glücklichsein"). In dieser Broschüre werden Fragen des täglichen Lebens aufgegriffen, um Menschen an die SO heranzuführen. All diesen Anwerbeversuchen ist eines stets gemeinsam: Anfangs werden bei den Betroffenen mittels "Pseudo-Persönlichkeitstests" vermeintliche Schwächen im seelischen, moralischen oder körperlichen Bereich aufgezeigt. Anschließend gibt die SO vor, dass diese Schwächen nur durch Praktiken der Scientology-Methodik überwunden werden könnten. Genau hier beginnt oftmals der Einstieg in die individuelle psychologische Abhängigkeit zur SO. So sollen im weiteren Verlauf Kurse und Seminare zur Selbstoptimierung belegt werden, bei denen die Teilnahmekosten kontinuierlich ansteigen. Zudem setzt die SO ihre Mitglieder immer wieder unter Druck, den Kontakt zu allen Personen abzubrechen, die nicht der SO angehören. Auf diesem Wege isolieren sich (Neu-)Mitglieder von ihrem bisherigen Familienund Bekanntenkreis und gelangen somit auch in eine soziale Abhängigkeit zur SO. Die Organisation schreckt auch nicht davor zurück, ihre skrupellosen Methoden bei Kindern und Jugendlichen anzuwenden. Zu diesem 274 Vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil v. 12.02.2008, Az. 5 130/05. 275 Bezeichnung von freien SO-Mitarbeitern, ohne direkte arbeitsrechtliche Anbindung an eine SO-Organisationseinheit. 276 WISE ist ein weltweiter Verband von Scientology-Firmen, die gezielt Managementmethoden und -techniken verwenden, die auf den Lehren von L. Ron Hubbard basieren. 277 Vgl. Verfassungsschutzbericht 2021: Kap. 9 "Scientology Organisation". 152 Zweck versucht sie entsprechend kindgerechte Publikationen, die inhaltlich aber denen für Erwachsene ähneln, zu verbreiten. Ein Beispiel hierfür ist die Kinderbroschüre "Wie man gute Entscheidungen trifft".278 278Vgl. STMI Bayern: "Scientology-Tarnorganisation verbreitet eine Kinderbroschüre 'Wie man gute Entscheidungen trifft'", https://www.stmi.bayern.de/sus/verfassungsschutz/scientology/tarnorganisation/index.php (letzter Zugriff am 24.01.2023). 153 10. Spionageabwehr, Schutz vor Wirtschaftsspionage, Proliferation und Geheimschutz 154 10.1 Spionageabwehr und Proliferation Als Spionage bezeichnet man das Beschaffen und Erlangen nicht-öffentlich zugänglicher Informationen oder geschützten Wissens durch eine fremde staatliche Macht. Nach wie vor setzen viele Staaten ihre Nachrichtendienste ein, um Informationen im politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bereich auf diesem Weg zu gewinnen. Spionage stellt für sie ein effektives Mittel zur Sicherung unlauterer Interessensvorteile dar. Daher ist eine wesentliche Aufgabe des brandenburgischen Verfassungsschutzes die Spionageabwehr. Dabei werden im engen Zusammenwirken mit den anderen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern Spionageaktivitäten anderer Nachrichtendienste in Brandenburg aufgeklärt und verhindert. Zu diesem Zweck werden Informationen über geheimdienstliche Aktivitäten gesammelt und ausgewertet. Allerdings geht es nicht nur um die Enttarnung von Agenten, sondern auch um die Aufklärung von Strukturen, Aktivitäten, Arbeitsmethoden und Zielrichtungen fremder Dienste. Auch im Jahr 2022 gehörten die Russische Föderation, die Volksrepublik China, der Iran und die Türkei zu den Hauptakteuren der Spionageaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland. Darüber hinaus sind weitere fremde Nachrichtendienste in Deutschland aktiv. Ausländische Nachrichtendienste betreiben Spionage sowohl mit offener als auch mit verdeckter Informationsbeschaffung, wie etwa klassischer Agentenführung. Den größten Teil der Informationen erlangen sie durch die Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen, wie Zeitungen, Internet und Datenbanken, sowie durch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen oder wissenschaftlichen Projekten. Besonders sensible und deshalb auch entsprechend geschützte Informationen versuchen sie, mit geheimen Beschaffungsmethoden zu gewinnen. So wollen sie in Informationssysteme eindringen und die Telekommunikation überwachen oder Agenten im Zielobjekt einsetzen. Botschaften, Handels-, Reiseund Presseagenturen dienen ausländischen Nachrichtendiensten als Stützpunkte, um von dort aus Spionage zu betreiben. Neben der klassischen Informationsbeschaffung versuchen fremde Nachrichtendienste durch Propaganda und Desinformationen Einfluss auszuüben. Dadurch soll das Vertrauen in staatliche Stellen untergraben und somit das gesellschaftliche Stimmungsbild beeinflusst werden.279 Die Russische Föderation nutzt schon seit Jahren ihre staatlichen Medien sowie vermeintlich neutrale, aber von Russland gesteuerte oder finanzierte Kanäle, um Desinformationen und Propaganda zu verbreiten. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine ist ein erhöhtes Aufkommen von Desinformationen durch russische Staatsmedien, russlandnahe Webseiten sowie kremelnahe Accounts in sozialen Netzwerken festzustellen. Russland versucht dabei durch unterschiedliche Instrumente die Darstellung und Wahrnehmung des Krieges in seinem Sinne zu beeinflussen. Russische Narrative werden durch Abstreiten und Umdeuten des tatsächlichen Geschehens erzeugt. Darüber hinaus werden gezielt Falschinformationen gestreut und Bedrohungsszenarien konstruiert, die Ängste anfachen und Verunsicherung erzeugen sollen. Um die russischen Propagandaaktivitäten einzuschränken, sind im März 2022 EU-Sanktionsmaßnahmen gegen mehrere russische Sender in Kraft getreten, die die militärische Aggression gegen die Ukraine propagandistisch unterstützt haben. Fremde Nachrichtendienste machen auch von Instrumenten wie etwa Social Engineering Gebrauch. Beim Social Engineering werden menschliche Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Vertrauen, Angst oder Respekt vor Autorität ausgenutzt, um Personen geschickt zu manipulieren. So versuchen Nachrichtendienste potenzielle Zielpersonen in sozialen Netzwerken gezielt ausfindig zu machen, sie anzusprechen 279 Vgl. Kap. 10.3. "Hybride Bedrohungen". 155 und nachrichtendienstlich zu nutzen. Diese Strategie der Kontaktaufnahme, oft auch mittels gefälschter Identität, nimmt zu und wird auch in Zukunft verstärkt von fremden Nachrichtendiensten genutzt werden. Leider helfen viele Zielpersonen oder Unternehmen unfreiwillig und unwissentlich bei der Ausspähung vertraulicher und geheim zu haltender Informationen. Es gilt höchste Vorsicht, wenn Kontaktanfragen oder verlockende Jobangebote ungefragt an einen herangetragen werden. Ein sehr freizügiger Umgang mit persönlichen Daten in sozialen Netzwerken und oftmals veraltete Schutzmechanismen in den Unternehmen machen es den Tätern zudem sehr leicht, an ihr Ziel zu gelangen. Aber auch Spionage mit klassischen Mitteln hat weiterhin Hochkonjunktur: Am 13. April 2022 verurteilte das OLG München Ilnur N. wegen geheimdienstlicher Tätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. N. hatte als wissenschaftlicher Mitarbeiter der Uni Augsburg unter anderem Informationen zu der europäischen Trägerrakete "Ariane" an einen Mitarbeiter des russischen zivilen Auslandsnachrichtendienstes SWR weitergegeben.280 Am 18. November 2022 wurde Ralph G. vom OLG Düsseldorf wegen geheimdienstlicher Aktivitäten im Dienste Russlands schuldig gesprochen. Der ehemalige Reserveoffizier der Bundeswehr hat über Jahre Informationen an den russischen militärischen Auslandsnachrichtendienst GRU geliefert. Dabei soll er unter anderem Informationen über interne strategische Dokumente und das Reservistenwesen der Bundeswehr sowie die Auswirkungen der EU-Sanktionen gegen Russland geliefert haben. Er wurde zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung verurteilt.281 Der anhaltende russische Angriffskrieg in der Ukraine hat die Kluft zwischen der westlichen Welt und Russland vertieft. In Folge dessen wird das Aufklärungsinteresse russischer Nachrichtendienste in Deutschland sehr wahrscheinlich zunehmen. Da Teile des Bundeskabinetts aus Brandenburg kommen und hier parteipolitisch verwurzelt sowie entsprechend strukturell verankert sind, ist mit solchen Aktivitäten insbesondere auch in Brandenburg zu rechnen. Das Vorgehen fremder Nachrichtendienste wird daher vom brandenburgischen Verfassungsschutz weiterhin sehr ernst genommen. Hierbei werden alle notwendigen Schritte unternommen, um dem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden und die Gesellschaft zu schützen. Dieses gilt gleichermaßen für den Bereich der Proliferationsabwehr. Als Proliferation wird die Weiterverbreitung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen sowie der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte, einschließlich des dafür erforderlichen Know-hows und der Trägersysteme, bezeichnet. Die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen stellt global eines der größten Sicherheitsrisiken dar. Massenvernichtungswaffen und die entsprechenden Trägersysteme sind als Gesamtprodukt auf dem freien Markt nicht erhältlich. Staaten wie Pakistan, Iran, Nordkorea oder Syrien verfügen zwar in Teilbereichen bereits über Massenvernichtungswaffen, versuchen aber weiterhin erforderliche Produkte und Know-how auf illegalem Wege im Ausland zu beschaffen. So wollen sie bestehende Arsenale komplettieren, ihre Waffen in Lagerfähigkeit, Einsetzbarkeit und Wirkung perfektionieren sowie neue Waffensysteme entwickeln. Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder ist es, die illegale Beschaffung von Gütern, Technologie und Know-how zur Entwicklung und Herstellung von Massenvernichtungswaffen in Deutschland aufzuklären und zu verhindern. Hierbei arbeiten die Verfassungsschutzbehörden eng mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, dem Bundesnachrichtendienst, dem Zollkriminalamt und dem Bundeskriminalamt zusammen. Durch Information und Sensibilisierungen von Unternehmen 280 OLG München: "Pressemitteilung 21 vom 13.04.2022". https://www.justiz.bayern.de/gerichte-und-behoerden/oberlandesgerichte/muenchen/presse/2022/21.php (letzter Zugriff am 20.01.2023). 281 OLG Düsseldorf: "18.11.2022 Pressemitteilung Nr. 32/2022". https://www.olg-duesseldorf.nrw.de/behoerde/presse/Presse_aktuell/20221118_PM2_Urteil-Ralph-G_/index.php (letzter Zugriff am 20.01.2023). 156 und Forschungseinrichtungen zum Thema Proliferation sind die Verfassungsschutzbehörden zudem präventiv tätig. 157 10.2 Schutz vor Wirtschaftsspionage Ausländische Nachrichtendienste und andere staatliche Organisationen fremder Mächte versuchen verstärkt, das Wissen und die damit verbundenen Innovationen der deutschen Wirtschaft gezielt auszuspähen, um so einen Vorteil im internationalen Wettbewerb um Macht und Einfluss zu erlangen. Im Mittelpunkt dieser Operationen stehen vor allem hochinnovative und technologieorientierte Branchen wie die Informationsund Kommunikationstechnologie, die Luftund Raumfahrttechnik sowie die Automobilindustrie. Auch brandenburgische Unternehmen rücken zunehmend in den Fokus von Angreifern. Denn die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg zählt seit Jahren zu den erfolgreichsten Start-Upund Innovationszentren Deutschlands und verfügt über die bundesweit größte Forschungsdichte mit einem entsprechenden Innovationspotenzial, an dem auch die in der Region ansässigen Unternehmen partizipieren. Einer der Schlüsselfaktoren für den Erfolg der Region ist daher das Wissen aus wissenschaftlichen Einrichtungen, welche durch Forschung und Entwicklung einen wesentlichen Beitrag zu unserer Volkswirtschaft leisten. Wirtschaftsspionage kann für Unternehmen existenzbedrohend sein, da sie dadurch wichtige Geschäftsgeheimnisse, wie zum Beispiel technologische Innovationen, Produktionsprozesse, Finanzdaten und Kundeninformationen verlieren können. Dies gilt auch für Cyber-Angriffe, welche in den letzten Jahren stark zugenommen haben.282 Hackerangriffe, egal ob sie Cyberspionage oder die Konkurrenzausspähung283 betreffen, können ganze Betriebe und Behörden in die Handlungsunfähigkeit treiben und nachhaltig wirtschaftlich schädigen. Im schlimmsten Fall können durch den illegalen Abfluss von Know-how Insolvenzen drohen. Der brandenburgische Verfassungsschutz ist ein Sicherheitsdienstleister, der Unternehmen durch Maßnahmen der präventiven Spionageabwehr frühzeitig für Gefahren von Cyberangriffen und Ausspähversuchen sensibilisiert. Diese Sensibilisierung erfolgt nicht nur in Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen, sondern auch in Regierungsstellen und Parlamenten. Dabei werden Kenntnisse über Methoden und Ziele von Angriffen vermittelt sowie Hilfe bei der Initiierung geeigneter Sicherheitsmaßnahmen geboten. Das Angebot erstreckt sich nicht nur auf den Schutz vor Spionageangriffen, sondern umfasst gleichermaßen die Proliferationsabwehr284 und den Sabotageschutz. Sicherheitsbehörden warnten im Jahr 2022 vor schwerwiegenden Schäden im Bereich der Kritischen Infrastrukturen (KRITIS285) und KRITIS-nahen Unternehmen, die essenziell für ein funktionierendes Gemeinwesen sind. Auch wenn sich diese Befürchtungen vorerst nicht bewahrheiteten, ist aufgrund der geopolitischen Lage mit Operationen russischer Nachrichtendienste zu rechnen. Dabei werden systematisch offen zugängliche Informationen ausgewertet, um Schwachstellen zu entdecken. Diese sollen genutzt werden, um physische und cybergestützte Sabotagehandlungen durchzuführen. Solche Sabotagehandlungen können der Vorbereitung von komplexen Sabotagemanövern dienen, die sogar Versorgungsengpässe verursachen können. Ebenso ist die Störung der öffentlichen Sicherheit oder ein Versuch der politischen Einflussnahme auf diesem Wege nicht ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund unterbreitet der brandenburgische Verfassungsschutz den genannten Stellen umfangreiche Unterstützungsund Beratungsangebote. 282 Für weitere Informationen zum Thema Angriffe aus dem Cyberraum siehe Kap. 10.3. 283 Die Konkurrenzausspähung oder Industriespionage ist die nicht staatlich gelenkt, sondern wird von konkurrierenden Unternehmen betrieben. Für die Bearbeitung dieser Straftaten ist die Polizei zuständig. 284 Für weitere Informationen zum Thema "Proliferation" siehe Kap. 10.1. 285 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen oder Einrichtungen, die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen, der Gesundheit, der Sicherheit und des wirtschaftlichen oder sozialen Wohlergehens der Bevölkerung sind. Hierzu zählen beispielsweise: Energie, Wasser, Informationstechnik und Telekommunikation, Gesundheit, Ernährung, Staat und Verwaltung, Transport, Verkehr, Finanzen und Versicherungen sowie Medien und Kultur. 158 Der Bereich Wirtschaftsschutz des brandenburgischen Verfassungsschutzes fungiert als SPOC286 für die brandenburgischen Unternehmen. Dieser informiert sie auch über die von Extremisten und Terroristen ausgehenden Bedrohungen. Durch Partnerschaften mit der Wirtschaft, der Zusammenarbeit mit Hochschulen und einer engen Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden soll ein umfassendes Netzwerk gegen Angreifer gebildet werden. 286Ein Single Point of Contact (kurz SPOC) ist in einer Organisation eine zentrale Anlaufstelle für ein bestimmtes Thema, Problem oder eine festgelegte Tätigkeit. 159 10.3 Hybrde Bedrohungen und Desinformation Hybride Bedrohungen sind ein Sammelbegriff für verdeckte Maßnahmen staatlicher, halbstaatlicher oder staatlich gelenkter Akteure, die darauf abzielen, eine interessengeleitete Einflussnahme auf einen Staat unter Inkaufnahme der Verletzung etablierter Normen, Ordnungen und Werte vorzunehmen. Hierzu zählt etwa die gezielte Übernahme, Spionage oder Sabotage287 von sicherheitsrelevanten oder hochinnovativen Unternehmen, die systematische Manipulation von (Sozialen) Medien, Cyberangriffe oder die Instrumentalisierung von ethnischen Minderheiten oder Diasporagruppen bis hin zur Förderung terroristischer Gruppierungen. Somit sind hybride Einflussaktivitäten fester Bestandteil der Außenpolitik von Staaten, um deren Interessen auch fernab der Mittel konventioneller Kriegsführung durchzusetzen. Seit 2014 ist mit der russischen Annexion der ukrainischen Krim und der russischen Einflussnahme auf die US-Wahlen (2016) ein reales Bedrohungsszenario für Deutschland ausgehend von russischen hybriden Operationen stärker ins Bewusstsein gerückt. Mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar 2022 hat sich diese Bedrohung nochmals verschärft. Gerade die staatlich gesteuerte Verbreitung von Desinformationen ist eine wirksame hybride Bedrohung für Demokratien. Desinformation wird als staatlich gesteuertes, zielgerichtetes Einflussinstrument verstanden. Es unterscheidet sich somit von der nicht zielgerichteten und unbeabsichtigten Verbreitung von Falschinformationen.288 Für Desinformationen müssen daher bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Die verbreiteten Inhalte etc. müssen: 1) sachlich falsch289 oder irreführend sein und 2) zielgerichtet verbreitet werden und 3) darauf abzielen, einen wirtschaftlichen Gewinn oder eine vorsätzliche Täuschung der Öffentlichkeit zu generieren oder zu erreichen und 4) darauf abzielen, einen öffentlichen Schaden zu verursachen. Das langfristige Ziel von staatlich gesteuerter Desinformation ist das Schüren von Misstrauen gegenüber der Funktionsfähigkeit demokratischer und rechtsstaatlicher Institutionen sowie Medien in einer Gesellschaft. Der Staat soll destabilisiert werden, um so eigene geostrategische und politische Ziele leichter erreichen zu können. Gerade freiheitliche demokratische Gesellschaften basieren auf der freien Verfügbarkeit von Fakten und dem freien Meinungsaustausch. Daher sind sie besonders verwundbar für diese Art von Einflussnahme. Vor allem demokratische Wahlprozesse stellen ein bevorzugtes Ziel für Desinformationskampagnen fremder Mächte dar.290 287 Vgl. Kap. 10.2. "Schutz vor Wirtschaftsspionage". 288 Anmerkung: Desinformationen zeichnen sich, ähnlich wie Falschinformationen, dadurch aus, dass falsche Tatsachen, verkürzte Darstellungen und Verschwörungserzählungen gemeinsam mit überwiegend sachlich richtigen Informationen vermischt werden. 289 Anmerkung: Falsche Tatsachen fallen nur eingeschränkt unter Artikel 5 Abs. 1 des Grundgesetzes, da die Meinungsfreiheit primär die Kundgabe subjektiver Werturteile schützt. "Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sowie unrichtige Zitate sind demnach nicht vom Schutzumfang des Art. 5 I GG erfasst." (Desinformation: Herausforderung für die wehrhafte Demokratie, in Zeitschrift für Rechtspolitik 2019, 65: 4.). 290 Vgl. Verfassungsschutzbericht Brandenburg 2021: S. 34 ff. 160 Vor allem auf den russischen Staat oder ihm nahestehende Akteure zurückgehende Desinformationskampagnen konnten in den letzten Jahren in Deutschland beobachtet werden. Eines der zentralen Werkzeuge zur Verbreitung von Desinformation sind staatlich geförderte Institute und "Think Tanks"291, "Trollfabriken"292 oder pro-Kreml Influencer, die beispielsweise Blogs und Accounts in Sozialen Medien betreiben. Ebenso verbreiten Einflussagenten pro-russische Desinformation, indem sie ihre politische und gesellschaftliche Position ausnutzen. Ein Beispiel für eine vom russischen Staat beförderte Desinformationskampagne aus dem Jahr 2022 ist die Verbreitung eines aus dem Kontext gerissenen Zitates von Außenministerin Annalena Baerbock bei einer Podiumsdiskussion des "Forum 2000" am 31. August 2022 in Prag. Dort äußerte sich Baerbock zur Frage, wie lange europäische Länder die Unterstützung der Ukraine sowie die Sanktionen gegen Russland aufrechterhalten sollten. Dabei bezog sie umfassend Stellung.293 Später wurde nur ein kleiner Ausschnitt ihres etwa vier minütigen Redebeitrags veröffentlicht und instrumentalisiert: "Wenn ich den Menschen in der Ukraine das Versprechen gebe 'Wir bleiben solange an eurer Seite wie ihr uns braucht.' Dann will ich mein Versprechen halten - egal was meine deutschen Wähler denken - aber ich möchte gegenüber den Menschen in der Ukraine mein Versprechen halten." 294 Die russische Desinformationskampagne zielte darauf ab, die Unterstützung der Bundesregierung für die Ukraine zu diskreditieren und Baerbock als antidemokratische Politikerin zu diffamieren. Unmittelbar im Nachgang der Veranstaltung wurde auf dem Telegramkanal der staatlichen russischen Nachrichtenagentur "RIA Novosti" das aus dem Kontext gerissene Zitat der Außenministerin verbreitet und mehr als eine halbe Millionen Mal abgerufen.295 Es wurde dann von einer weiteren staatlich-russischen Nachrichtenagentur unter der Überschrift aufgriffen: "Die Chefin des Auswärtigen Amtes sagte, sie wolle Kiew helfen, ungeachtet der Wünsche der Wähler."296 Und am 1. September 2022 wurde Baerbocks Aussage bereits mit einer direkten Bezugnahme auf die staatlich-russische Berichterstattung auf einem deutschsprachigen pro-Kreml Blog diskutiert.297 Am Vormittag des 1. September 2022 äußerte sich dann der amtierende russische Außenminister Sergeij Lavrov bei einem Vortrag am Moskauer "State Institut of International Relations" zu Baerbocks stark verkürzter Äußerung und sagte: "Erst heute habe ich gelesen, dass gestern Frau Annalena Baerbock, die Außenministerin der Bundesrepublik Deutschland, gesagt hat. 'Ja, unsere Bürger leiden, aber sie werden 291 Definition: "Think tanks are public-policy research analysis and engagement organizations that generate policy-oriented research, analysis, and advice on domestic and international issues, thereby enabling policy makers and the public to make informed decisions about public policy", in: McGann, James G. (2017): Global GO to THINK TANK index Report. 292 Definition: Unter dem Terminus "Trollfabrik" versteht man eine durch eine fremde Macht finanzierte Medienagentur, die entsprechende Inhalte wie Desinformationen oder "Troll-Kontent" produziert und über soziale Netzwerke verbreitet. 293 26th Forum 2000 Conference Day 1, in YouTube Forum 2000, ab 1:23:00 vom 31.08.2022. https://www.youtube.com/watch?v=78-_Ou5sH3k (letzter Zugriff am 08.02.2023) oder Erklärungen des Auswärtigen Amts in der Regierungspressekonferenz vom 02.09.2022: "Äußerungen der Bundesaußenministerin in Prag zur Ukraine", https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/regierungspressekonferenz/2549956#content_3 (letzter Zugriff 14.02.2023). 294 Original: "If I give the promise to people in Ukraine: ,We stand with you as long as you need us', then I want to deliver-no matter what my German voters think, but I want to deliver to the people of Ukraine [ ..]". 295 Am 31.08.2022 um 17:03 wurde das Zitat auf dem russischen Telegramkanal der staatlichen russischen Nachrichtenagenturen "RIA Novosti" verbreitet. Dort wurde es mehr als 500.000-mal abgerufen. 296 Am 31.08.2022 um 17:45 veröffentlichte die staatlich-russische Nachrichtenagentur "TASS" ihren ersten Beitrag auf Russisch zur Baerbocks verkürzter Aussage. Glava MID FRG zaiavila, chto khochet pomogat' Kievu vne zavisimosti ot zhelanii izbiratelei, in TASS vom 31.08.2022. 297 Frage an die Schwarmintelligenz zu einer Aussage von Baerbock, in Anti-Spiegel vom 01.09.2022. 161 leiden müssen, weil wir die Ukraine um jeden Preis unterstützen werden.' Das ist ein fantastisches Eingeständnis. Einfach ein fantastisches Selbstbekenntnis."298 Lavrovs polemische Bewertung des Zitats und seine verzerrte Wiedergabe wurde dann ebenfalls von staatlich-russischen Nachrichtenagenturen und Medien erneut aufgegriffen.299 Am 3. September 2022 veröffentlichte RT DE einen diffamierenden Beitrag: "Baerbock hat in wenigen Sätzen das gesamte Konzept der westlichen Demokratie diskreditiert. Die Äußerungen von Annalena Baerbock werden aller Wahrscheinlichkeit nach im Nachhinein als ein Wendepunkt in der Geschichte angesehen werden. Ein Punkt, an dem die 'Maske der Demokratie' verrutschte und das diktatorische Gesicht der deutschen Eliten zum Vorschein kam."300 Am 1. September 2022 verbreitet sich das aus dem Kontext gerissene Zitat von Baerbock in sozialen Netzwerken, so vor allem auf Twitter. Der #BaerbockRücktritt wurde zehntausende Male geteilt.301 Das Beispiel zeigt, wie leicht sich Desinformationen über staatlich-russische Nachrichtenagenturen und Medien - angefacht von einem russischen Politiker - in sozialen Netzwerken verbreiten und breite Teile der deutschen Öffentlichkeit erreichen können. Perspektivisch wird die Verbreitung und Generierung von Desinformation durch neueste technische Innovationen wie Künstliche Intelligenz (KI)302 und die zunehmende internationale Vernetzung in Sozialen Medien begünstigt. Bereits heute können Desinformationsbeiträge mittels KI erzeugt werden. Falsche Schlagzeilen, damit verbundene Hintergrundgeschichten und passende Bilder lassen sich über eine KI durch kurze Text-Schlagwörter generieren. Flankierend generiert die KI neue Inhalte im Internet, welche zur Desinformationserzählung passen. Eine Demaskierung dieser Kampagne über eine Quellenrecherche im Internet wird somit zunehmend schwieriger. Umso wichtiger wird die Arbeit wissenschaftlicher Institute, Medien und Sicherheitsbehörden, um diese Bedrohungen zu demaskieren. Cyberangriffe In den letzten zwei Jahrzehnten ist die digitale Vernetzung in der Welt vorangeschritten. Cybertechnologien sind längst Schlüsselfaktoren der digitalen Transformation und damit Bestandteil neuer Wertschöpfungsketten. Das gilt insbesondere für den Wirtschaftsstandort Deutschland. Daher ist es nachvollziehbar, dass neben dem erhöhten Einsatz von Cybertechnologien auch die Bedrohungen im und aus dem Cyberraum in den vergangenen Jahren rasant gestiegen sind. Im vergangenen Jahr wurden alleine in Deutschland mehr als 15 Millionen Schadcode-Infektionen303 durch Malwareprogramme und andere Schadsoftware sowie komplexere Cyberangriffe auf IT-Infrastrukturen, insbesondere bei Konzernen, öffentlichen Stellen und KRITIS-Betreibern, registriert. Erneut wurden Vorjahreswerte im mehrstelligen Prozentbereich übertroffen, was die Bedrohungslage im Cyberraum somit weiter verschärft. Eine der wesentlichen Ursachen hierfür ist der Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine am 24. Februar 2022, was erhebliche Cyberaktivitäten nach sich zog. Methoden und Technologien in der Cyberspionage 298 Im Orginal: "Just today I read that yesterday Mrs. Annalena Baerbock, the Foreign Minister of the Federal Republic of Germany, said. 'Yes, our citizens are suffering, but they will have to suffer because we will support Ukraine no matter what.' That's a fantastic admission. Just a fantastic confession". 299 RT DE: "Lawrow über das fanatische Geständnis' von Annalena Baerbock" 01.09.2022. 300 Baerbock hat in wenigen Sätzen das gesamte Konzept der westlichen Demokratie diskreditiert, in RT DE vom 03.09.2022. 301 Hate Aid: Demokratie im Fadenkreuz: Desinformationskampagne #BaerbockRuecktritt, in vom 15.09.2022. 302 Definition: KI (im Englischen AI) ist die "Fähigkeit einer Maschine, menschliche Fähigkeiten wie logisches Denken, Lernen, Planen und Kreativität zu imitieren", in: EU Parlament: Was ist künstliche Intelligenz und wie wird sie genutzt? (2020). 303 BSI, "Die Lage der IT-Sicherheit in Deutschland 2022 im Überblick" vom 25.10.2022 162 APT (Advanced Persistent Threat) APT bezieht sich auf eine Art von Cyberbedrohung, bei der Angreifer versuchen, sich längerfristig in ein Netzwerk einzuschleichen. So wollen sie sensible Daten sammeln und weiteren Schaden anrichten. APTs werden aufgrund des Ressourcenbedarfs oft von staatlichen Organisationen im Sinne von Spionageund Sabotagehandlungen verwendet. Im Vergleich zu Cyberkriminellen, welche sich durch Cyberangriffe einen schnellen wirtschaftlichen Vorteil über Ransomware-Angriffe verschaffen wollen, erfolgen APT-Angriffe mit einem hohen Ressourcenaufwand und anhand einer professionellen Lifecycle-Planung. Beispiel: Hacker-Gruppe "APT29" (Cozy Bear) Operationsbasis: Russische Föderation Angriffsziele: Westeuropäische Regierungen, Gesundheitssystem, Energiesektor und ähnliche Organisationen Verwendete Malware: HAMMERTOSS, WELLMESS, tDISCOVERER Die Gruppe "APT29" verbirgt ihre Aktivitäten im Netzwerk der Opfer und zeichnet sich durch eine hohe Anpassungsfähigkeit aus. Zudem ist sie eine der am besten organisierten und technisch versiertesten Hackergruppen weltweit. Ausgeschleuste Daten werden nur unregelmäßig übermittelt und als legitimer Datenverkehr getarnt. APT29 wickelt zur Verschleierung zudem die gesamte Command-and-ControlKommunikation304 über gehackte Server, Proxys von Privathaushalten und Azure virtualisierten Maschinen ab. Sie implementiert Backdoors, um Fehler der eigenen Malware zu beheben und diese zu optimieren. Sie lässt mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Tools zurück und/oder versucht, legitime Berechtigungen für die kompromittierten Systeme zu erhalten, um einen dauerhaften Zugang aufrechtzuerhalten und Sicherheitsmaßnahmen beziehungsweise -aktivitäten ihrer Opfer zu erkennen. Social Engineering Social Engineering (= zwischenmenschliche Beeinflussung) dient seit Menschengedenken als Grundlage für die unterschiedlichsten Betrugsmaschen und Spionageaktivitäten. Während in der Vergangenheit Social Engineering-Angriffe oft realweltlich erfolgten, wuchsen diese Aktivitäten im Cyberraum in den vergangenen Jahren stetig an. Durch die Zunahme digitaler Kommunikation ergeben sich auch äußerst effektive Möglichkeiten, potenzielle Opfer so zu erreichen. Dabei werden menschliche Eigenschaften wie Hilfsbereitschaft, Vertrauen aber auch Emotionen ausgenutzt, um die Zielpersonen zu manipulieren. Meist werden Opfer auf diese Weise dazu verleitet, vertrauliche Informationen preiszugeben, Sicherheitsfunktionen auszuhebeln oder Schadsoftware auf dem privaten beziehungsweise betrieblichen Gerät im Firmennetzwerk zu installieren. Eine Beispiel-Technik für Social Engineering ist "Phishing". Hierbei werden Nutzer mittels gefälschter E-Mails oder Webseiten dazu gebracht, persönliche Informationen, wie Benutzernamen, Passwörter und andere vertrauliche persönliche Daten preiszugeben. Die Angreifer gestalten ihre gefälschten E-Mails im Corporate Design bekannter Unternehmen, um beim Empfänger die Legitimität dieser Mails vorzutäuschen. Im einem zweiten Schritt nutzen sie die ergaunerten Daten, um Zugriff auf sensible Systeme oder Konten zu erlangen. Im Jahr 2022 sind folgende Phishing-Varianten im Kontext der Cyberabwehr beobachtet worden: Gespoofte (= gefälschte) Absenderadresse: Vielen ist nicht bekannt, dass eine E-Mail-Adresse gespooft, also gefälscht werden kann. E-Mail-Sicherheitsmaßnahmen sind jedoch mittlerweile in der Lage, gespoofte Emails davon abzuhalten, in den Posteingang eines Nutzers zu gelangen. Um dies zu umgehen, registriert der Angreifer stattdessen eine Domain, die ähnlich aussieht wie die offizielle Domain und hofft, dass der Nutzer den Unterschied nicht bemerkt. Ein "Command-and-Control Server" dient der Steuerung von Botnetzen und ist das Verbindungssystem zwischen Mal304 ware und ihren Urhebern. 163 Ungewöhnliche Freundschaftsanfragen: Es ist nicht unüblich, dass ein Angreifer einen E-Mail-Account kompromittiert und schädliche Spam-Nachrichten an die Kontaktliste des Opfers versendet. Die Nachrichten sind normalerweise kurz und es fehlen die personalisierten Elemente. Seien Sie deshalb vorsichtig, auf Links in E-Mails von Freunden zu klicken, wenn die Nachricht nicht personalisiert ist. Schädliche Anhänge: Anstatt einen Nutzer auszutricksen und ihn dazu zu bringen, sensible Informationen bereitzustellen, kann eine fortschrittlichere Attacke darauf abzielen, mithilfe schädlicher E-Mail-Anhänge Malware auf einem Firmengerät zu installieren. Führen Sie niemals Makros oder ausführbare Dateien aus, die Sie von einer E-Mail erhalten haben, auch wenn sie scheinbar harmlos aussieht. Mailings mit Website-Links: Phishing-Links werden im Rahmen von Mailing-Kampagnen über verschiedene Zeiträume verschickt. Hier wird das Ziel verfolgt, Opfer dazu zu bringen, auf einen Webseitenlink zu klicken. So wird dann Schadsoftware aus dem Internet geladen. Das bekannteste Beispiel von Phishing-Kampagnen sind die der Hackergruppierung "Ghostwriter". Sie führt bereits seit 2017 regelmäßig Cyberangriffe und Desinformationskampagnen durch. Eine Intensivierung ihrer Aktivitäten und vermehrte Desinformationsoperationen sind im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 zu beobachten gewesen. In letzter Zeit waren es meist Phishing-Angriffe gegen E-Mail-Konten von politisch aktiven Personen und Organisationen in Deutschland. Es muss davon ausgegangen werden, dass "Ghostwriter" im Vorfeld solcher Attacken bereits weitere Social Engineering-Maßnahmen durchgeführt hat. Hierbei bedienen sich die Angreifer offen zugänglicher Informationen und Data Breaches305, um beispielweise an E-Mail-Adressen potenzieller Opfer zu gelangen. Der eigentliche Angriff erfolgt schließlich mittels Phishing-Mails. Mit denen werden die Opfer zur Eingabe sensibler Daten verleitet. Innerhalb der Phishing-Mail sind Links enthalten, welche das Opfer auf eine nachgebaute Login-Seite der Angreifer leiten. Die Anmeldedaten werden über die nachgebaute Login-Seite nach der Eingabe automatisch an den Angreifer, der dadurch Kontrolle über den E-Mail-Dienst erlangt, übertragen. Der Verfassungsschutz Brandenburg hat aufgrund einer solchen Phishing-Angriffswelle umfangreiche Maßnahmen im Land durchgeführt, um politisch aktive Stellen und Personen entsprechend zu sensibilisieren und mit konkreten Handlungsempfehlungen zu unterstützten. Supply-Chain-Angriffe Im Jahr 2022 sind die Bedrohungen durch Supply-Chain-Angriffe um 60 Prozent im Vergleich zum Vorjahr gestiegen. Hierbei versuchen Hacker oder staatliche Akteure, in das Netzwerk eines Unternehmens oder einer öffentlichen Stelle einzudringen, indem sie sich Zugang zu einem Dritten verschaffen, der bereits Zugang zum Netzwerk hat. Dabei kommen Dritte in Betracht, die direkt mit dem Betroffenen zusammenarbeiten, wie zum Beispiel Lieferanten oder Dienstleister. Neuere Varianten von Supply-Chain-Angriffen stellen eine neue Qualität von Bedrohungen dar, da gezielt marktführende Softwarehersteller und -zulieferer angegriffen werden, um über die Verbreitung legitimer Software einen flächendeckenden Zugang zu Netzwerken von Betroffenen zu erlangen. Insbesondere der Quellcode von Schlüsseltechnologien wird verändert. Ebenso werden Mechanismen in einem Softwareprodukt angepasst, um später Schadsoftware über eine Backdoor306 zu verteilen. Durch Abhängigkeiten von Softwareprogrammen und Code-Fragmenten in einer technisch globalisierten Welt wirkt sich ein solcher Angriff auf ganze Branchen und Nationen aus. Solche Abhängigkeiten finden sich in einer Vielzahl von Software, Anwendungen und Diensten wieder, die Unternehmen unter anderem zur Wartung ihrer Anwendungen und Netzwerke verwenden. Und: Sie sind schwer zu vermeiden. 305"Data Breaches" sind Datenpannen oder Datenlecks, bei dem Unberechtigte Zugriff auf eine Datensammlung erhalten. 306"Backdoor" bezeichnet einen Teil einer Software, der es Benutzern ermöglicht, unter Umgehung der normalen Zugriffssicherung Zugang zum Computer oder einer sonst geschützten Funktion eines Computerprogramms zu erlangen. 164 Bei einem Supply Chain-Angriff im Jahr 2020, bekannt als SolarWindsbzw. Nobelium-Angriff, konnten russische Angreifer (APT29) gezielt einen Hersteller von Netzwerkmanagementlösungen infiltrieren und Schadcode zu dessen Netzwerkmanagementsoftware hinzufügen, der dann als Software-Update an Kunden dieses Anbieters geschickt wurde. So wurde die modifizierte Software massenhaft verbreitet. Denn das betroffene Unternehmen beliefert über 300.000 Kunden weltweit. In den USA sind darunter zum Beispiel Microsoft, die "Cybersecurity and Infrastructure Agency" (CISA) und das "Department of Justice" (DOJ). Gut 18.000 der Kunden nutzen das Produkt, über die die Angreifer eine Backdoor in die Systeme ihrer Opfer einschleusten. In der Folge konnten sie Spionage und Sabotagehandlungen auf diesen Systemen durchführen. Supply-Chain-Angriffe sind schwer zu erkennen und zu verhindern, da sie sich über vertrauenswürdige Kanäle einschleichen und oftmals - bis zum erfolgreichen Angriff - unerkannt bleiben. Es wird davon ausgegangen, dass Supply-Chain-Angriffe in den kommenden Jahren zunehmen werden. Perspektive Cyberangriffe im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine und die steigende Anzahl von Malwaresoftware sind nur zwei Indizien für die stetig weiter ansteigende Bedrohungslage durch Angriffe durch und aus dem Cyberraum. Angesichts der voranschreitenden Digitalisierung im Land Brandenburg, der damit verbundenen Abhängigkeit von IT-gestützten Prozessen in kritischen Infrastrukturen sowie der beständig steigenden IT-Komplexität werden die Angriffsmöglichkeiten weiter zunehmen. Das gilt insbesondere für staatliche Akteure und staatlich finanzierte Cyberkriminelle. Sollten dem Verfassungsschutz Desinformationskampagnen oder Vorbereitungshandlungen wie etwa Cyberangriffe bekannt werden, ergreift er umgehend Maßnahmen. So konnte er 2021 und 2022 nachweisen, dass Hacker im Dienste des russischen Staates oder seiner Verbündeter auch in Brandenburg gezielt politische Entscheidungsträger ausforschen. Die "Ghostwriter"-Cyberangriffe richteten sich gegen eine Reihe Politiker in Brandenburg. Sie hatten das Ziel, private E-Mail-Accounts zu hacken. Die erbeuteten Daten dienen dazu, tiefergreifende Cyberangriffe vorzubereiten und können für Desinformation genutzt werden. Die Betroffenen wurden umfassend sensibilisiert. Der Verfassungsschutz Brandenburg wird daher seine Analysefähigkeit von Cyberangriffen sowie sein Angebot an branchenspezifischen Präventionsformaten weiter ausbauen. Weiterhin wird die Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund als auch innerhalb des Landes mit weiteren Partnern verstärkt. 165 10.4 Materieller Geheimschutz "Verschlusssachen" sind im öffentlichen Interesse geschützte Informationen, deren Preisgabe die Sicherheit der Menschen und die unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats gefährden würde. Schriftstücke, Bildmaterialien, das gesprochene Wort und weitere Informationsträger können Verschlusssachen sein. Die Einstufung in die gesetzlich vorgesehenen und bundesweit einheitlich definierten Geheimhaltungsgrade - "VS-Nur für den Dienstgebrauch", "VS-Vertraulich", "Geheim" und "Streng Geheim" - richtet sich nach dem Inhalt. Am häufigsten sind die beiden erstgenannten Geheimhaltungsgrade. Der damit verbundene Geheimschutz erfolgt in materieller sowie personeller Hinsicht. Gegenüber anderen Behörden und Einrichtungen wirkt der Verfassungsschutz hier insgesamt als Sicherheitsdienstleister. Den Umgang mit Verschlusssachen regelt die Verschlusssachenanweisung (VSA)307 des Landes Brandenburg. Sie wurde im Jahr 2021 novelliert. Ihre Neufassung wurde unter anderem erforderlich, um den elektronischen Umgang mit Verschlusssachen zu aktualisieren. So umfasst die VSA nun Sicherheitsmaßnahmen, die sich aus der Nutzung tragbarer IT-Geräte, wie zum Beispiel Smartphones oder Smartwatches, am Arbeitsplatz ergeben. Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen. Bei der entsprechenden Umsetzung berät und unterstützt der Verfassungsschutz andere Behörden und geheimschutzbetreute Unternehmen. Grundlage dafür ist die oben benannte VSA. Sie enthält Regelungen zur Aufbewahrung und Weitergabe von Verschlusssachen. Die Bearbeitung von Verschlusssachen erfolgt heutzutage fast ausschließlich im Bereich computergestützter Informationstechniken. Auch hierbei ergreift der Verfassungsschutz entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität (Unverfälschtheit) der Daten. Vor einer Übermittlung werden sie verschlüsselt. Auch die Speicherung erfolgt aufgrund der sehr hohen Schutzbedürftigkeit nach strengen Maßgaben. Sie sind höher als die des IT-Grundschutzes des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Grundlage dafür ist ein IT-Sicherheitskonzept. Es wird regelmäßig auf Wirksamkeit geprüft und neu angepasst. 307Die Verschlusssachenanweisung des Landes Brandenburg ist abrufbar unter folgenden Link: https://bravors.brandenburg.de/verwaltungsvorschriften/vsa_bb (letzter Zugriff 17.01.2023). 166 10.5 Personeller Geheimschutz Zuverlässigkeitsüberprüfungen Der Verfassungsschutz ist an der Zuverlässigkeitsüberprüfung von Personen beteiligt, welche in speziellen Sicherheitsbereichen beschäftigt werden sollen oder es bereits sind. Ebenso werden Personen überprüft, die als Jäger beziehungsweise Sportschütze eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragen wollen oder bereits eine besitzen. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen dafür sind das Luftsicherheits-, das Atom-, das Sprengstoff-, das Waffenund das Jagdgesetz. Zusätzlich fällt der Abfrage des nachrichtendienstlichen Informationssystems zur Prüfung der Zuverlässigkeit nach der Gewerbeordnung ebenfalls eine wichtige Rolle zu, da Bewachungsaufgaben privater Wachschutzfirmen sehr stark an Bedeutung gewonnen haben. Gerade in Bezug auf den Schutz spezieller Objekte beziehungsweise von Großveranstaltungen hat die jeweils zuständige Ordnungsbehörde bei der Prüfung der Zuverlässigkeit solcher Beschäftigter die zuständige Verfassungsschutzbehörde zu involvieren. 2022 gingen insgesamt 29.534 (2021: 21.969) Anfragen im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen ein, darunter: 5.167 (2021: 3.666) gemäß Luftsicherheitsgesetz, 116 (2021: 139) gemäß Atomgesetz, 896 (2021: 771) gemäß Sprengstoffgesetz und 1.621 (2021: 1.808) gemäß Gewerbeordnung für das Bewachungsgewerbe. Dies ergibt in Summe 7.800 Anfragen (2021: 6.384). Darüber hinaus wurde der Verfassungsschutz in 21.734 Überprüfungen gemäß Waffenrecht (2021: 15.585) angefragt. Überprüfungen im Rahmen aufenthaltsrechtlicher Angelegenheiten Im Rahmen gesetzlich vorgesehener Überprüfungen auf Hinweise zum Extremismus oder Terrorismus wirkt der Verfassungsschutz ebenfalls mit. Hierunter zählen aufenthaltsrechtliche Beteiligungsverfahren (SS 73 Absatz 3 AufenthG), Einbürgerungsanfragen (SS 37 Absatz 2 StAG), Visa(SS 73 Absatz 1 AufenthG) und Asylkonsultationsverfahren (SS 73 Absatz 1a und 3a AufenthG). Diese Aufgabe betrifft vor allem Migrantinnen und Migranten und hat im Umfang zugenommen. Sicherheitsüberprüfungen Rechtliche Grundlage für Sicherheitsüberprüfungen ist das "Brandenburgische Sicherheitsüberprüfungsgesetz" (BbgSÜG). Es gibt die Voraussetzungen und das Verfahren vor. So soll festgestellt werden, ob ein vorgesehener Geheimnisträger nach seinem bisherigen Verhalten prognostisch geeignet ist, mit übertragenen Verschlusssachen vertraulich umzugehen (SS 1 BbgSÜG). Die Art der Sicherheitsüberprüfung (Ü1 / Ü2 / Ü3) richtet sich nach der Einstufung und der Anzahl der Verschlusssachen, zu denen eine Person künftig Zugang haben darf oder sich diesen Zugang verschaffen kann. Anhaltspunkte, die gemäß SS 7 Absatz 1 BbgSÜG dem erfolgreichen Abschluss einer Sicherheitsüberprüfung entgegenstehen, sind: Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit; eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste; oder Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Solche Anhaltspunkte können selbstverschuldet sein (Straftaten, finanziell bedenklicher Lebensstil) oder beim Lebenspartner bestehen, sofern dieser in eine Sicherheitsüberprüfung einbezogen ist. Das könnte beispielsweise ein Ehepartner mit einer erheblichen Anzahl an Straftaten sein. In solchen Fällen kann es unter Umständen wegen vorliegender Sicherheitsrisiken zur Ablehnung kommen. 167 Im Jahr 2022 wirkte der Verfassungsschutz Brandenburg beim Abschluss von insgesamt 293 (2021: 367) Sicherheitsüberprüfungen mit (SÜ1: 104; SÜ2: 147; SÜ3: 42). In Brandenburg betrifft das Mitarbeiter von etwa 20 Behörden. Die wichtigsten sind Polizei, Staatskanzlei und Ministerien, Landtag, Gerichte sowie Staatsanwaltschaften. 168 11. Verfassungsschutz durch Aufklärung 169 Unsere Demokratie ist verwundbar. Deswegen trägt der Verfassungsschutz Erkenntnisse über Extremisten zusammen. Diese Erkenntnisse versauern nicht in Tresoren. Vielmehr dienen sie den Sicherheitsbehörden, den Verwaltungen aber auch den Bürgern und damit der gesamten Gesellschaft. So trägt der Verfassungsschutz dem Anspruch Rechnung, als effektives Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie zu dienen. Das brandenburgische Innenministerium hatte daher über "Angriffe gegen kommunale Amtsund Mandatspersonen - wie Einschüchterungen, Hetze oder Gewalt" eine Studie308 bei dem Institut "Change Centre Consulting GmbH" in Auftrag gegeben. Die Ergebnisse, die Innenminister Michael Stübgen im April 2022 vorgestellt hatte, sind erschütternd. Jede dritte Person, die im Land Brandenburg in der Kommunalpolitik Verantwortung trägt, wurde mindestens einmal mit einer Beleidigung, Bedrohung, Sachbeschädigung oder mit körperlicher Gewalt konfrontiert. Während des Untersuchungszeitraums der Studie, der die Jahre 2014 bis 2021 umfasst, wurden im Land Brandenburg hochgerechnet etwa 2.500 Menschen mit Verantwortung in der Kommunalpolitik angegriffen. Es verging also fast kein einziger Tag, an dem es nicht irgendwo in Brandenburg zu einem Angriff gekommen ist - ob es sich nun um eine Beleidigung, eine Bedrohung, eine Sachbeschädigung oder um körperliche Gewalt gehandelt hat. Das sind ungeheuerliche Zahlen. Besonders betroffen sind Frauen, Mandatsträger im Süden und in größeren Städten sowie Personen, welche sich zu politisch kontrovers diskutierten Themen wie Asyl, Klima und Extremismus äußern. Bereits mit der Vorstellung der Studie im April 2022 wurde ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Unterstützung von Amtsund Mandatsträgern durch das Innenministerium angestoßen. Das Beratungstelefon des Polizeipräsidiums und das Angebot der Erstberatung durch die Staatskanzlei-Koordinierungsstelle "Tolerantes Brandenburg" wurden intensiv beworben. Ebenso hat das Innenministerium eine Informationsund Beratungsoffensive gestartet. Wichtige Partner sind dabei die Zivilgesellschaft, politische Stiftungen, die Landesakademie für öffentliche Verwaltung, die Polizei, die Generalstaatsanwaltschaft, Vereine der Betroffenenberatung wie die Opferhilfe, DER WEISSE RING und Hateaid sowie die Vertretungen der Kommunen (Städteund Gemeindebunde sowie Landkreistag) und deren Studieninstitute (Brandenburgische Kommunalakademie und Niederlausitzer Studieninstitut für kommunale Verwaltung). In zahlreichen Workshops, Weiterbildungen und Symposien konnten sich Amtsund Mandatsträger sowie weitere Interessierte zur Erkennung von Gefahrensituationen, über Beratungsangebote für Betroffene und Handlungstipps für den souveränen und sicheren Umgang mit Hass im Netz informieren. Ebenso wurden Möglichkeiten zur Vernetzung untereinander geboten und Tipps zur Strafverfolgung und Anzeige gegeben. Die Studie wurde zudem in der Herbst-IMK und im Innenausschuss des Landtages erörtert. Die Studie selbst ist ein Teil des Maßnahmenpakets gegen Rechtsextremismus, das Innenminister Stübgen im Sommer 2020 angeordnet hatte. Weitere davon den Verfassungsschutz betreffende Maßnahmen sind die inzwischen erfolgte Einrichtung eines Cyber-Extremismus-Referats, verstärke Öffentlichkeitsarbeit zu Cyber-Extremismus und der Anstoß eines Verfassungstreue-Checks für Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst. Vorträge, Teilnahmen an Podiumsdiskussionen, Info-Stände auf Großveranstaltungen und eigene Fachtagungen, das sind wesentliche Aufklärungsinstrumente des brandenburgischen Verfassungsschutzes, um über extremistische Phänomenbereiche und Wirtschaftsschutz zu informieren. Mit Blick auf die Corona-Schutzmaßnahmen konnten die entsprechenden Aktivitäten jedoch nicht das Niveau der Vorjahre halten. Im Jahr 2022 nahmen an den teilweise per Video-Stream gehaltenen 80 Vorträgen (2021: 37) rund 2.400 (2021: 1.670) Bürgerinnen und Bürger teil. In Kontakt kamen die Mitarbeiterinnen und Mitar308 https://mik.brandenburg.de/mik/de/innere-sicherheit/verfassungsschutz/informationen/publikationen/kommunalstudie/ 170 beiter des Verfassungsschutzes dabei mit Schülern, Lehrern, Soldaten, Polizisten, Firmen, Schöffen, Justizbediensteten, kommunalen Bediensteten und anderen. Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit dem Jahr 2008 auf 1.357. Gut 49.900 Zuhörer wurden in diesem Zeitraum gezählt. Aufgrund der Corona-Lage blieb das Verfassungsschutz-Infomobil in der Garage. Fortgesetzt wurde dagegen die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Aktionsbündnis "Tolerantes Brandenburg", demos - Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung, dem Städteund Gemeindebund, dem Landkreistag, der Hochschule der Polizei und der Brandenburgischen Kommunalakademie. Hierbei stand bei zwei Veranstaltungen mit insgesamt 105 Teilnehmern die oben erwähnte Studie "Angriffe gegen kommunale Amtsund Mandatspersonen - wie Einschüchterungen, Hetze oder Gewalt" im Mittelpunkt. Die Kooperationspartner haben damit seit 2008 insgesamt 49 ganztägige Veranstaltungen für etwas mehr als 2.300 kommunale Entscheidungsträger angeboten. Diese Reihe wird 2023 fortgesetzt. Darüber hinaus haben sich Fachtagungen etabliert, die der Verfassungsschutz Brandenburg selbst oder in Kooperation mit anderen Verfassungsschutzbehörden durchführt. Seit dem Jahr 2005 nahmen rund 3.480 Interessierte an insgesamt 21 Tagungen teil. 171