Zusammenfassung ................................................................................................................................... 3 1. Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes ......................................................... 14 2. Aktuelle Entwicklungen im Cyber-Extremismus .................................................................................. 18 3. Rechtsextremismus ............................................................................................................................ 31 3.1 IM FOKUS: Rechtsextremistische Gewalt bricht sich weiter Bahn ........................................................ 35 3.2 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ............................................................................ 39 3.3 DER DRITTE WEG ......................................................................................................................... 46 3.4 Rechtsextremistische Verdachtsfälle: "Der Flügel" und "Junge Alternative für Deutschland" .................. 49 3.5 Parteiunabhängige Strukturen 1: Kameradschaften ............................................................................ 51 3.6 Parteiunabhängige Strukturen 2: Freie Kräfte .................................................................................... 54 3.7 Parteiunabhängige Strukturen 3: Bruderschaften ............................................................................... 56 3.8 Parteiunabhängige Strukturen 4: Vereine und sonstige Gruppierungen ................................................ 60 3.9 Parteiunabhängige Strukturen 5: Kampfsportgruppen......................................................................... 63 3.10 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial ............................................................................... 66 3.11 Rechtsextremistische Hassmusik.................................................................................................... 67 3.12 Immobilien der rechtsextremistischen Szene ................................................................................... 75 4. Reichsbürger und Selbstverwalter ...................................................................................................... 76 5. Linksextremismus .............................................................................................................................. 81 5.1 Autonome ...................................................................................................................................... 85 5.2 Rote Hilfe e.V. ................................................................................................................................ 94 6. Islamischer Extremismus / Islamismus ............................................................................................... 98 6.1 IM FOKUS: Islamismus im ländlichen Raum ................................................................................... 104 6.2 Muslimbruderschaft ("Jamiyat al-Ikhwan al-Muslimin") ...................................................................... 107 6.3 Salafismus ................................................................................................................................... 109 6.4 Islamistische nordkaukasische Szene (INS) .................................................................................... 113 7. Auslandsbezogener Extremismus ..................................................................................................... 117 8. Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz .............................................. 124 8.1 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Proliferation....................................................................... 125 8.2 Materieller Geheimschutz .............................................................................................................. 129 8.3 Personeller Geheimschutz ............................................................................................................. 130 9. Verfassungsschutz durch Aufklärung ............................................................................................... 131 2 Zusammenfassung 3 Zusammenfassung Für das Jahr 2019 ist in relevanten extremistischen Phänomenbereichen ein teilweise deutlicher Anstieg der Personenpotenziale1 feststellbar. Das gilt in unterschiedlichem Maße für den Rechtsund Linksextremismus sowie für den Islamischen Extremismus. Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft stellen diese Entwicklungen weiterhin vor große und teilweise neue Herausforderungen. Denn im Zuge der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 ist parallel dazu ein politisches Umfeld entstanden, welches insgesamt auf eine Entgrenzung und Modernisierung des Rechtsextremismus ausgerichtet ist. Dieses Umfeld tummelt sich sowohl ideologisch als auch personell an und jenseits der Schwelle zum herkömmlichen Rechtsextremismus. Es bildet dort eine weit ausgreifende, durchlässige Grauzone, um den Rechtsextremismus mit der Mitte der Gesellschaft zu verzahnen. Hierzu zählen neben den Verdachtsfällen "Junge Alternative für Deutschland" (JA) und "Der Flügel" der Partei "Alternative für Deutschland (AfD) 2 insbesondere der neonationalsozialistisch beeinflusste Verein "Zukunft Heimat"3, die rechtsextremistische "Identitäre Bewegung Deutschland" und der rechtsextremistische Verdachtsfall "Compact-Magazin". Rechtsextremismus Im Jahr 2019 erreichte das rechtsextremistische Personenpotenzial unter Berücksichtigung der AfD-Verdachtsfälle JA sowie "Der Flügel" mit 2.765 (2018: 1.675) den höchsten Stand in der Geschichte des Landes Brandenburg und ist damit zum sechsten Mal in Folge angestiegen. Beide Effekte wären auch ohne die beiden AfD-Verdachtsfälle eingetreten.4 Die JA zählte 2019 rund 30 Mitglieder, "Der Flügel" rund 640 Anhänger. 1 Personenpotenziale beruhen auf Verfassungsschutzerkenntnissen zu Strukturen und Einzelpersonen, die im Zusammenhang mit relevanten extremistischen Aktivitäten stehen. Darüber hinaus liegen Erkenntnisse zu Personen mit extremistischen Bezügen ohne entsprechend relevanten Aktivitäten vor. Sie werden daher nicht zwingend bei den Personenpotenzialen berücksichtigt. Diese Personen sind jedoch regelmäßig daraufhin zu überprüfen, ob ihre Aktivitäten ein Niveau erreicht haben, um sie im jeweiligen Phänomenbereich auszuweisen. Für das Jahr 2019 ist das - neben den neuen AfD-Verdachtsfällen "Junge Alternative für Deutschland" und "Der Flügel" - eine Ursache für den Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials. 2 Die AfD-Teilstrukturen "Junge Alternative für Deutschland" (JA) und "Der Flügel" sind seit dem Jahr 2019 Verdachtsfälle des brandenburgischen Verfassungsschutzes, da hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. "Der Flügel" hat nach eigenen Angaben Ende April 2020 seine Aktivitäten bundesweit eingestellt. Der gesamte AfD-Landesverband wird seit Juni 2020 als rechtsextremistischer Verdachtsfall vom brandenburgischen Verfassungsschutz beobachtet, da hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. 3 Der Verein "Zukunft Heimat" wird vom Verfassungsschutz Brandenburg seit dem Frühjahr 2020 als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung beobachtet. 4 Ohne die Verdachtsfälle "Junge Alternative für Deutschland" (JA) und "Der Flügel" läge das rechtsextremistische Personenpotenzial bei 2.095. 4 Die insgesamt 670 Angehörigen der AfD-Verdachtsfälle5 JA sowie "Der Flügel" machen sich insbesondere bei dem Personenpotenzial rechtsextremistischer Parteien bemerkbar. Sie verfügten im Jahr 2019 damit über rund 970 Mitglieder (2018: 320). Die Mitgliederzahl der "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ist auf 260 gesunken (2018: 280). Sie unterhielt im Jahr 2019 unverändert 10 Kreisverbände. Die Aktivitäten sind jedoch in der gesamten Fläche des Landes merklich ermattet. Die NPDJugendorganisation "Junge Nationalisten" ist weiterhin nicht handlungsfähig. Ein Erstarken der NPD ist in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Schon deswegen nicht, weil die in Brandenburg hochgradig verflügelte AfD6 das zwischenzeitlich bei etwa drei Prozent liegende NPD-Wählerreservoir nahezu vollständig bindet. 5 Siehe FN 2. 6 Siehe FN 2. 5 Die den Parteienstatus beanspruchende und stramm neonationalsozialistisch ausgerichtete Organisation "DER DRITTE WEG" verfügte im Jahr 2019 erneut über 40 Mitglieder. Drei "Stützpunkte" (2018: 2) wurden unterhalten. Der sich elitär gebende "DER DRITTE WEG" ist innerhalb der Szene gut vernetzt und strebt einen ideologisch-organisatorischen Führungsanspruch an. Mit vielen Aktivitäten wurde dieser Anspruch im Jahr 2019 erneut untermauert. Es kann aktuell davon ausgegangen werden, dass die NPD zwischen dem Verdachtsfall AfD7 und "DER DRITTE WEG" zusehends zerrieben wird. Die geringe Mitgliederzahl der Organisation "DER DRITTE WEG" wird erfolgreiche Teilnahmen an Wahlen jedoch weiterhin verhindern. Vorrangiges Ziel sind auch nicht Wahlerfolge. Vielmehr will sich "DER DRITTE WEG" unter dem Schutzschirm des Parteienprivilegs sicher wähnen. Das "weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial" umfasste im Jahr 2019 insgesamt 1.565 Personen (2018: 1.125). Damit ist ein erheblicher Teil der dem Verfassungsschutz Brandenburg bekannten Rechtsextremisten nicht in Parteien oder parteiunabhängigen Strukturen eingebunden. Trotz allem bestehen Kontaktund Kennverhältnisse. Damit lassen sich aus dieser Gruppe durchaus Personen für Aktivitäten von Parteien oder Kameradschaften mobilisieren. 7 Siehe FN 2. 6 Im Jahr 2019 entfielen auf die Kategorie "Rechtsextremisten in parteiunabhängigen Strukturen" insgesamt 380 Personen (2018: 335). Sie waren in 15 (2018: 20) Personenzusammenschlüssen organisiert: zwei "Kameradschaften" (2018: 4), zwei "Freie Kräfte" (2018: 3), unverändert sieben "Bruderschaften", zwei "Vereine" (2018: 4) und unverändert zwei "Kampfsportgruppen". So unterschiedlich die Organisationsformen auch sein mögen, letztendlich eint alle die rechtsextremistische Ideologie und die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hinzu kommt bei vielen die ideologische Ausrichtung am Neonationalsozialismus. 1.280 und damit etwas mehr als 46 Prozent aller dem Verfassungsschutz Brandenburg im Jahr 2019 bekannten Rechtsextremisten gelten als "gewaltorientiert" (2018: 1.235). Erneut rückläufig waren dagegen Gewaltstraftaten aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts". Im Jahr 2019 wurden 90 entsprechende Delikte registriert (2018: 123). Im Jahr 2019 konnte die rechtsextremistische Musikszene in Brandenburg ihre Umtriebe der Vorjahre deutlich steigern. Die Zahl der Bands ist zwar auf 22 ganz leicht gesunken (2018: 23). Hinzu kommen jedoch immerhin 17 Liedermacher (2018: 14). Aufgrund des hohen und erfolgreichen Drucks der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Polizei, bewegten sich die Konzertaktivitäten von Bands im Jahr 2019 weiterhin auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Wie im Vorjahr konnten nur vier durchgeführt werden. Drei Konzerte wurden im Vorfeld verhindert (2018: 2). Zusätzlich fanden 14 Liederabende statt (2018: 8). Die Veröffentlichung neuer Tonträger wurde fast verdoppelt und lag bei 18 (2018: 10). 7 Insgesamt betrachtet, tritt der Süden des Landes nach wie vor stärker als andere Landesteile rechtsextremistisch in Erscheinung. Diese Entwicklung beschreibt der Verfassungsschutz seit Jahren und setzt hier - gemeinsam mit Polizei und zivilgesellschaftlichen Akteuren - Schwerpunkte. Im Süden existiert eine gewachsene, verdichtete und verzahnte Mischszene. Zu ihr zählen Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker, Parteimitglieder, Kleidungssowie Musiklabels und Hooligans. Hinzu kommen weitere extremistische Aktivitäten, wie die von der "Identitären Bewegung Deutschland". Reichsbürger und Selbstverwalter Die Zahl verfassungsschutzrelevanter "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist 2019 auf 600 leicht gesunken (2018: 650). Linksextremismus Im bundesweiten Vergleich und im Vergleich zum Rechtsextremismus ist der Linksextremismus in Brandenburg deutlich weniger relevant. Im Linksextremismus ist das Personenpotenzial sechsmal in Folge angestiegen. Im Jahr 2019 wurden 650 Anhänger gezählt (2018: 620). Die Zahl gewaltorientierter Autonomer lag unverändert bei 240. Die Gewaltstraftaten im Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" sind auf 24 angestiegen (2018: 18). In unverändert 14 Kommunen beziehungsweise Regionen waren gewaltorientierte Autonome aktiv. Erneut deutlich gewachsen ist die "Rote Hilfe e. V.". Sie zählte im Jahr 2019 insgesamt 360 Mitglieder (2018: 305). Das ist ihre höchste jemals in Brandenburg festgestellte Mitgliederzahl. 8 Innerhalb des Linksextremismus behauptet die "Rote Hilfe" ihre Rolle als übergreifende, zwischen allen Strömungen vermittelnde Konsensorganisation und baut sie weiter aus. Sie kümmert sich unter anderem um Rechtsbeistand für politisch-motivierte Straftäter. Daher ist sie als gewaltrechtfertigend und -unterstützend zu bewerten, wenngleich sie selbst nicht gewalttätig agiert. 9 Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verharrt als Splitterorganisation ohne Zukunftsaussichten unverändert bei 50 Mitgliedern. Bei der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) sind Organisationsmerkmale in Brandenburg nicht feststellbar. Von diesem parteipolitischen Linksextremismus gehen nur noch theoretische Gefahren aus. Eine Handlungsfähigkeit ist schon seit Jahren nicht mehr gegeben. Islamischer Extremismus Die Zahl islamischer Extremisten steigt seit dem Jahr 2013 kontinuierlich an. Im Jahr 2019 wurden 190 gezählt (2018: 180). Knapp 70 von ihnen haben Bezüge zur islamistischen nordkaukasischen Szene. Dortige Gruppierungen hatten sich teilweise der Terrororganisation "Islamischer Staat" unterstellt. Eine erhöhte Gefährdung ist nach wie vor damit verbunden, dass in den letzten Jahren unter Ausnutzung der Flüchtlingsmigration auch islamische Extremisten nach Deutschland gekommen sind. Darunter solche, die über Kampferfahrung als Jihadisten verfügen. Durch den militärischen Zusammenbruch des terroristischen "Islamischen Staats" (IS) versuchen zudem diejenigen nach Deutschland zurückzukehren, die zuvor - teils als deutsche Staatsbürger - aus Deutschland mit dem Ziel ausgereist waren, sich dem IS oder anderen Terrororganisationen anzuschließen. Gleichzeitig steht Brandenburg vor der Herausforderung, Einflussnahmeversuche von Islamisten auf die noch sehr überschaubare muslimische Infrastruktur im Land abzuwehren. In der Vergangenheit gingen diese insbesondere von Organisationen aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft aus. Auslandsbezogener Extremismus 10 Das größte Personenpotenzial im Bereich auslandsbezogener Extremismus weist in Brandenburg die bundesweit mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) auf. Im Jahr 2019 wurden ihr erneut rund 90 Personen zugerechnet. Die Gesamtzahl der auslandsbezogenen Extremisten betrug im Jahr 2019 insgesamt 105 (2018: 115). Zuverlässigkeitsund Sicherheitsüberprüfungen Neben der Beobachtung extremistischer Bestrebungen wirkt der Verfassungsschutz an Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit. Um dieser Aufgabe überhaupt nachkommen zu können, benötigt der Verfassungsschutz Daten von Extremisten. Er bekommt sie von anderen Behörden oder erhebt sie selbst. Diese Daten werden in einer eigenen Datenbank erfasst und ständig gepflegt. Bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen wird diese Datenbank abgefragt. So soll beispielsweise verhindert werden, dass dem Verfassungsschutz bekannte Extremisten beruflichen Zugang zum Sicherheitsbereich von Flughäfen erlangen oder Asylunterkünfte bewachen. Dieselbe Überprüfung ist für Personen möglich, die beispielsweise als Sicherheitspersonal bei Fußballspielen eingesetzt werden. 2019 gingen insgesamt 7.773 entsprechende Anfragen beim brandenburgischen Verfassungsschutz ein (2018: 6.223). Das ist der höchste Stand seit zehn Jahren. 11 Wenn der Flughafen Tegel schließt und nur noch der in Schönefeld genutzt wird, werden die wichtigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen gemäß Luftsicherheitsgesetz fast ausschließlich vom brandenburgischen Verfassungsschutz durchgeführt. Die Zahl der jährlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen wird dann sehr deutlich ansteigen. Als Sicherheitsdienstleister wirkt der Verfassungsschutz ebenfalls an den personalintensiven Sicherheitsüberprüfungen mit. Betroffen sind davon Mitarbeiter von etwa 20 Behörden (unter anderem: Polizei, Staatskanzlei und Ministerien, Landtag, Gerichte sowie Staatsanwaltschaften). 267 Sicherheitsüberprüfungen waren es im Jahr 2019 (2018: 336). Verfassungsschutz durch Aufklärung 12 Informationsangebote des Verfassungsschutzes waren 2019 erneut stark nachgefragt. In 80 Veranstaltungen wurden Vorträge gehalten (2018: 65). Rund 3.100 Bürger nahmen teil (2018: 2.700). Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit 2008 auf insgesamt 1.209 mit etwa 45.100 Zuhörern. 13 1. Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes 14 1. Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes Das Grundgesetz und die Verfassung des Landes Brandenburg garantieren den Bürgern ein sicheres Leben in Freiheit. In unserer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft sind Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenwürde die Pfeiler des Gemeinwesens und das Fundament staatlichen Handelns. Sie sind so wichtig, dass sie sowohl in unserer Landesverfassung (Artikel 2 und 7) als auch im Grundgesetz (Artikel 1 und 20) als tragende Strukturprinzipien festgeschrieben sind. Zusätzlich verbietet das Grundgesetz in Artikel 79, diese Prinzipien anzutasten. In der Gesamtschau ergibt sich daraus die "freiheitliche demokratische Grundordnung" (fdGo). Unser Staat mit der fdGo als Grundlage ist daher - wie das Bundesverfassungsgericht bereits 1952 urteilte - "das Gegenteil des totalen Staates, der als ausschließliche Herrschaftsmacht Menschenwürde, Freiheit und Gleichheit ablehnt"8. Um die fdGo als Grundlage unseres Zusammenlebens zu schützen, muss eine Demokratie bereit und in der Lage sein, diese Werte zu verteidigen. Bedrohungen kommen jedoch nicht nur von außen, sondern auch von innen. Das Grundgesetz hat daher verschiedene Schutzmaßnahmen vorgesehen, die als "wehrhafte Demokratie" bezeichnet werden. Vereinigungen, deren Zweck oder deren Tätigkeit sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind gemäß Artikel 9 Grundgesetz verboten. Gehen solche Aktivitäten von Parteien aus, können sie gemäß Grundgesetz Artikel 21 Grundgesetz vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Artikel 73 Grundgesetz sieht zudem den Verfassungsschutz als Bestandteil der wehrhaften Demokratie vor. Denn Vereinigungssowie Parteiverbote und andere Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung können nur wirksam eingesetzt werden, wenn Öffentlichkeit, Regierung und zuständige staatliche Stellen umfassend über verfassungsfeindliche Bestrebungen unterrichtet sind. Diese Informationen bekommen sie vom Verfassungsschutz. Verfassungsschutz als Frühwarnsystem Es ist Aufgabe des Verfassungsschutzes, Bedrohungen durch politischen Extremismus, Terrorismus oder Spionagetätigkeiten zu erkennen und einzuschätzen, bevor die Bedrohung zu einer konkreten Gefahr wird. Entsprechend nimmt der Verfassungsschutz in Deutschlands Sicherheitsarchitektur9 die Rolle eines "Frühwarnsystems" wahr. Dazu sammelt und wertet der Verfassungsschutz gemäß SS 3 Absatz 1 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz (BbgVerfSchG) Informationen über Bestrebungen aus, die sich entweder gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, oder die durch die Anwendung von Gewalt auswärtige Belange Deutschlands gefährden, oder die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung und insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Darüber hinaus werden sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht beobachtet. Anders als die Polizei hat der Verfassungsschutz keine exekutiven Befugnisse: Die nicht uniformierten und unbewaffneten Mitarbeiter dürfen weder Wohnungen durchsuchen noch Personen festnehmen, sondern erstellen Lagebilder und Analysen. Diese sind kein Selbstzweck, sondern dienen der frühzeitigen Warnung und Information der zuständigen Stellen und ermöglichen damit den Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Unter engen gesetzlichen Voraussetzungen und unter Achtung des Trennungsgebots zwischen Polizei und Nachrichtendiensten 8 Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) vom 23.10.1952 (BVerfG 2, 1, 12). 9 Zur Sicherheitsarchitektur gehören die drei Säulen der Inneren Sicherheit: Polizei, Verfassungsschutz und Katastrophenschutz. Und dies jeweils auf der Ebene von Bundesländern, Bund und EU. Ergänzend werden oft die Staatsanwaltschaften miteinbezogen. 15 werden ebenso an Staatsanwaltschaften und Polizei Erkenntnisse übermittelt und so exekutive Maßnahmen unterstützt. Daneben wirkt der Verfassungsschutz beim Sabotageund Geheimschutz mit, beispielsweise durch technische Sicherung von Verschlusssachen oder mittels Sicherheitsüberprüfungen für Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen eingesetzt sind. Den Großteil seiner Informationen gewinnt der Verfassungsschutz aus öffentlich zugänglichen Quellen. Daneben ist allerdings auch der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erforderlich, um die konspirativen Vorgehensweisen und die geheimen Ziele von Extremisten, Terroristen und fremden Nachrichtendiensten aufzuklären. Diese Mittel wie Observationen, Telekommunikationsüberwachungen und "Verdeckt Informationsgebende"10 unterliegen engen gesetzlichen Grenzen und dem strengen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist übergreifende Aufgabe aller Bundesländer und des Bundes. Daher arbeiten alle Verfassungsschutzbehörden eng zusammen, bündeln ihr Fachwissen und tauschen Informationen aus. Zusätzlich wurde der Austausch in den Informationsund Kommunikationsplattformen "Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) und "Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) institutionalisiert. Maßvolle Erweiterung der Befugnisse durch das neue Verfassungsschutzgesetz Im Sommer 2019 wurde das brandenburgische Verfassungsschutzgesetz nach 26 Jahren zum ersten Mal umfassend novelliert. Dabei hat der Verfassungsschutz Brandenburg auch neue, den erhöhten Sicherheitsgefährdungen und modernen Technologien angepasste Befugnisse erhalten. Nun darf ein "IMSI11-Catcher" eingesetzt werden, um Standort, Geräteoder Kartennummer eines Mobiltelefons zu ermitteln (SS 6 Absatz 3 Nummer 11 BbgVerfSchG). Daneben darf der Verfassungsschutz verdeckt online Informationen erheben (SS 6 Absatz 3 Nummer 12 BbgVerfSchG). Weitergehend als bisher kann der Verfassungsschutz im Einzelfall Auskünfte von privaten Post-, Telekommunikations-, Finanzund Verkehrsdienstleistern einholen (SS 14a BbgVerfSchG). Außerdem wurden unter Berücksichtigung neuer höchstrichterlicher Rechtsprechung bislang bestehende Befugnisse neu geregelt: Für Observationen über drei Tage hinaus wurden in SS 10 BbgVerfSchG deutlich strengere Regelungen eingeführt. Für den Einsatz aller nachrichtendienstlichen Mittel schreibt SS 7a BbgVerfSchG den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung nun auch gesetzlich vor. SS 8a BbgVerfSchG erhöht den Schutz Minderjähriger bei der Verarbeitung personenbezogener Daten. Die Voraussetzungen einer Speicherung wurden erhöht und kürzere Löschfristen eingeführt. Der Einsatz "Verdeckt Informationsgebender" ist weiterhin zur Aufgabenerfüllung erforderlich. Dieses nachrichtendienstliche Mittel hat in der Vergangenheit erheblich zum Verbot rechtsextremistischer Vereinigungen in Brandenburg beigetragen. Seine Anwendung wurde durch die SSSS 6a, 6b BbgVerfSchG nun strenger gefasst. Zudem schreibt das Gesetz nun die Beendigung der Zusammenarbeit vor, wenn "Verdeckt Informationsgebende" eine Straftat begehen, die mit mindestens drei Monaten Freiheitsstrafe geahndet wird. Kontrolle des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz Brandenburg arbeitet nicht losgelöst von rechtsstaatlichen und demokratischen Anforderungen, sondern ist streng an diese gebunden und will das auch so. Als Abteilung des Ministeri10 Ein "Verdeckt Informationsgebender" wurde früher "V-Mann" oder "Menschliche Quelle" genannt. 11 IMSI = "International Mobile Subscriber Identity". 16 ums des Inneren und für Kommunales unterliegt der Verfassungsschutz der Fachaufsicht durch den Minister und die Staatssekretäre. Die Landesbeauftragte für Datenschutz hat das Recht auf Akteneinsicht. Sie kontrolliert unabhängig und kontinuierlich, ob die datenschutzrechtlichen Bestimmungen des BbgVerfSchG und des Brandenburgischen Datenschutzgesetzes eingehalten werden. Über die Einhaltung haushaltsrechtlicher Vorschriften wacht der Landesrechnungshof. Mit der Gesetzesnovellierung ist eine "Stabstelle Innenrevision" beim Verfassungsschutz einzurichten, die nach anerkannten fachlichen Standards die Arbeit auditiert und der Leitung der Behörde berichtet (SS 2 Absatz 2 BbgVerfSchG). Wie jeder Teil der Exekutive wird auch der Verfassungsschutz durch das Parlament kontrolliert. Neben dem Ausschuss für Inneres und Kommunales übernimmt vor allem die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) diese Funktion. Die Landesregierung unterrichtet die PKK umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, die Lage und besonders bedeutsame Vorgänge. Die PKK kann verlangen, über Einzelfälle oder sonstige Vorgänge unterrichtet zu werden. Über bestimmte einzelne Maßnahmen wie beispielsweise den Einsatz von "Verdeckt Informationsgebenden", Observationen oder Telekommunikationsüberwachungen muss die PKK ebenfalls unterrichtet werden (SS 25 BbgVerfSchG). Die PKK tagt mindestens vierteljährlich (SS 26 Absatz 2 BbgVerfSchG). Die parlamentarische Kontrolle wurde mit der Gesetzesänderung durch Einführung eines "Ständigen Bevollmächtigten" ergänzt (SS 25a BbgVerfSchG). Die Arbeit der PKK wird zukünftig durch regelmäßige und einzelfallbezogene Untersuchungen und durch die Vorbereitung der Sitzungen unterstützt. Seit der Gesetzesänderung ist die PKK auch für Einwendungen von Mitarbeitern des Verfassungsschutzes wegen innerdienstlichen Missständen zuständig. Die Verfassungsschutzmitarbeiter können sich als "Whistleblower" ohne Einhaltung des Dienstweges und ohne dienstliche Benachteiligungen befürchten zu müssen, direkt an die PKK wenden (SS 25 Absatz 5 BbgVerfSchG). Neben der PKK gibt es die G10-Kommission, die ebenfalls vom Landtag gewählt wird und Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses aus Artikel 10 Grundgesetz vor ihrer Durchführung auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Sie besteht aus drei weisungsfreien Mitgliedern, wobei die/der Vorsitzende die Befähigung zum Richteramt haben muss. Sämtliche Handlungen des Verfassungsschutzes, die nach Darstellung der Betroffenen in ihre Rechte eingreifen, unterliegen der gerichtlichen Kontrolle. Die Medien und die Öffentlichkeit kontrollieren den Verfassungsschutz als "vierte Gewalt". Alle Bürgerinnen und Bürger können den Verfassungsschutz kontrollieren, indem sie gemäß SS 12 BbgVerfSchG unentgeltlich Auskunft über die zu ihnen beim Verfassungsschutz gespeicherten Daten sowie den Zweck und die Rechtsgrundlage der Speicherung verlangen. Die Auskunft muss erteilt werden, wenn nicht im Ausnahmefall Verweigerungsgründe nach SS 12 Absatz 2 BbgVerfSchG vorliegen. Der Verfassungsschutz Brandenburg in Zahlen Am 31. Dezember 2019 hatte der brandenburgische Verfassungsschutz im Ministerium des Inneren und für Kommunales 101 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (2018: 93). Diese Zahl erfasst auch Teilzeitbeschäftigte. Wie in den vorangegangenen Berichten werden abgeordnete Bedienstete nicht ausgewiesen. An Sachmitteln standen der Verfassungsschutzbehörde im Haushaltsjahr 2019 insgesamt 1.810.000 Euro zur Verfügung. Davon wurden 1.771.649,41 Euro verausgabt. 17 2. Aktuelle Entwicklungen im Cyber-Extremismus 18 Games, Podcasts und Social Media: Online-Rekrutierungsstrategien von Rechtsextremisten Extremisten haben das Potenzial des Internets frühzeitig erkannt und konsequent missbraucht. In Brandenburg waren es vor allem rechtsextremistische Strukturen wie die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), die seit Beginn der 1990er Jahre dieses damals noch neue Medium intensiv nutzte12. Hierbei ist anzumerken, dass die von Rechtsextremisten betriebenen Webangebote zunächst in erster Linie dafür konzipiert wurden, sich innerhalb der Szene zu vernetzen und Propaganda auszutauschen. Da die technischen Anforderungen an die Erstellung eigener Internetinhalte seit der Jahrtausendwende kontinuierlich abgenommen haben, stieg die Anzahl rechtsextremistischer Angebote im Netz sprunghaft an. Damit einher ging der Ansatz, nicht mehr nur die eigene Szene mit Internetinhalten ansprechen zu wollen. Rechtsextremisten nutzen seitdem das Internet als Mittel zur Rekrutierung neuer Anhänger. Mit der kontinuierlichen Etablierung neuer Internetangebote versucht die rechtsextremistische Szene insbesondere junge Menschen anzusprechen und für ihre verfassungsfeindlichen Inhalte zu gewinnen. Ziel dieser Analyse ist daher, einen aktuellen und anhand konkreter Beispiele nachvollziehbaren Überblick über solche rechtsextremistische Onlinerekrutierungsstrategien zu geben. Hiermit soll Eltern, Lehrern o- der Freunden geholfen werden, potenziellen Konsum rechtsextremistischer Internetpropaganda zu erkennen. Die Verfassungsschutzbehörden warnen bereits seit Längerem vor einer zunehmenden Entgrenzung des Rechtsextremismus. Hierbei handelt es sich um eine von Rechtsextremisten angewandte Strategie zur gezielten Auflösung klarer Grenzen zwischen dem extremistischen und dem demokratischen Spektrum. Ziel ist es, rechtsextremistische Ideologien über einen mittelbis langfristigen Prozess im politischen Diskurs zu verankern und damit in der Gesellschaft anschlussfähig zu werden. Im Internet setzen Rechtsextremisten diese Strategie auf verschiedenen Ebenen um. Zum einen stellen sie ihre Ideologie zielgruppenorientiert zur Verfügung. So werden beispielsweise unpolitische Internetseiten von Rechtsextremisten unterwandert, um so neue Mitglieder an die Szene heranzuführen. Zum anderen setzen Rechtsextremisten darauf, auf möglichst vielen Internetplattformen vertreten zu sein, wodurch ihre Reichweite erhöht wird. Daraus ergibt sich bereits eine nicht zu unterschätzende Gefahr gerade für junge, internetaffine Menschen. Vor dem Hintergrund der plattformübergreifenden Onlinepräsenz rechtsextremistischer Akteure kann insbesondere bei Jugendlichen der Eindruck entstehen, fremdenfeindliche und rassistische Positionen seien gesellschaftsfähig. Das "Deplatforming" und seine Folgen Diese Entwicklung hat in jüngster Vergangenheit sowohl auf staatlicher als auch auf zivilgesellschaftlicher Seite dazu geführt, spürbaren Druck auf die reichweitenstärksten "Social Media"-Anbieter auszuüben. Als Folge hieraus sind unter anderem Facebook und Twitter dazu übergegangen, Accounts zu sperren, die beispielsweise verfassungsfeindliche, antisemitische oder gewaltverherrlichende Inhalte verbreiten. Diese oftmals als "Deplatforming" bezeichnete Strategie nimmt Rechtsextremisten die Bühne für ihre menschenverachtende Propaganda und zwingt sie letztlich dazu, ihre Aktivitäten auf andere "Social Media"-Plattformen zu verlagern. Beispielhaft lässt sich der Prozess des "Deplatformings" anhand der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) gut belegen. So sperrten Facebook und "Instagram" im Mai 2018 eine Vielzahl von IBD-Accounts, 12 Vgl. Glaser, Stefan, Thomas Pfeifer und Christiane Yavuz (2017): "#hassimnetz: Frei - sozial multimedial", in: Glaser, Stefan und Thomas Pfeifer (Hrsg.): "Erlebniswelt Rechtsextremismus - modern, subversiv, hasserfüllt", Wochenschau Verlag, S. 106. Anmerkung: Der Aufsatz gibt einen detaillierten Überblick über die frühen Entwicklungen in der Internetnutzung deutscher und internationaler Rechtsextremisten. 19 um so der weiteren Verbreitung extremistischer Inhalte auf ihren Plattformen zu begegnen. Betroffen von den Sperrungen waren sowohl offizielle IBD-Accounts, wie der der "Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg", als auch Nutzerkonten führender IBD-Aktivisten. Als Reaktion auf die aus ihrer Sicht "willkürlichen Löschungen" kündigte die IBD auf ihrer Homepage an, "den Ausbau alternativer Medien und direkter Kommunikationsmöglichkeiten mit den eigenen Nutzern und Zielgruppen noch stärker forcieren" zu wollen13. Obwohl die IBD zum Beispiel weiterhin auf Twitter vertreten ist, nutzt sie nunmehr verstärkt das aus Russland stammende Soziale Netzwerk "vk" sowie den Nachrichtendienst "Telegram". Von den Betreibern dieser beiden Plattformen hat die IBD - ebenso wie eine Vielzahl anderer dort agierender Extremisten - die Sperrung oder Löschung ihrer Accounts kaum zu befürchten. Vor diesem Hintergrund wird vielfach die Frage aufgeworfen, wie effektiv "Deplatforming" überhaupt sei, wenn Extremisten mit geringem Aufwand ihre Accounts auf andere Portale verlagern. Aus präventiver Sicht tragen Sperrungen dazu bei, nichtextremistische Internetnutzer vor Rekrutierungsversuchen zu schützen. Zudem kann auf diese Weise ein notwendiger Beitrag gegen die immer stärkere Verrohung des politischen Onlinediskurses geleistet werden. Ebenso wird der Verbreitung von "Hatespeech" und "Fake News" auf den Portalen mit großen Reichweiten entgegengewirkt. Zugleich ist anzumerken, dass nach Sperrungen extremistischer Accounts die Gefahr besteht, dass die extremistischen User zusammen mit den bereits anpolitisierten Internetnutzern auf alternative Plattformen ausweichen. Dieser Schritt kann die Radikalisierung Einzelner verschärfen, da auf den Alternativplattformen extremistische Ideologien noch präsenter und zumeist unwidersprochen aufzufinden sind. Diese Wirkung wird in der Wissenschaft auch als "Filterblasen-" beziehungsweise "Echokammer-Effekt" bezeichnet. Die Münchner Medienforscherin Diana Rieger hält hierzu fest: "Unter einer "Echokammer" [werden] virtuelle Räume im Internet [verstanden], in denen Menschen vorrangig mit Informationen und Meinungen konfrontiert sind, die den eigenen Einstellungen und Sichtweisen entsprechen [...]. Das Fehlen von 'anderen' [...] Meinungen oder Sichtweisen soll - der Theorie nach - dazu führen, dass bestimmte Ansichten echoartig bestärkt werden."14 Insbesondere für deutsche Nutzer dürfte dieser Effekt auf alternativen Portalen, wie "vk", "ok.ru" oder dem sozialen Netzwerk "gab", besonders stark ausgeprägt sein. Erkennen, ansprechen, sich Hilfe holen - Extremismusprävention beginnt in der Familie Aus dieser Erkenntnis lässt sich eine sehr praxisorientierte Handlungsanweisung für die Extremismusprävention ableiten. So hat beispielsweise "vk" eigenen Angaben zufolge weltweit rund 97 Millionen Nutzer und will damit das größte soziale Netzwerk in Russland und den GUS-Staaten sein 15. Für den Großteil der deutschen Bevölkerung ist eine Vernetzung mit Freunden über "vk" aktuell keine Option, da das Portal hier nach wie vor recht unbekannt ist. Umso mehr nutzen jedoch weite Teile der rechtsextremistischen Szene "vk" für Hasspropaganda sowie für die Verbreitung brutaler Gewaltund Tötungsvideos 16. Aus diesem Grund ist es wichtig, jugendlichen Nutzern auch die Gefahren solcher Netzwerke aufzuzeigen, um sie damit vor den Fängen der Extremisten zu schützen. Hierbei geht es in keiner Weise um einen oft unterstellten Generalverdacht für alle Nutzer der in diesem Text dargestellten Alternativplattformen. Die konkrete Benennung einzelner Webseiten erfolgt hier ausschließlich mit dem Ziel der Sensibilisierung. Um einer möglichen Radikalisierung vorzubeugen, ist es daher wichtig, dass insbesondere Eltern, aber ebenso Freunde und Lehrer, zur Kenntnis nehmen, wenn 13 Vgl. Homepage Identitäre Bewegung Deutschland: "Instagram und Facebook mit Löschwelle gegen identitäre Seitenauftritte", 31.05.2018 (letzter Zugriff 07.02.2020). 14 Rieger, Diana: "Diskussionsräume und Radikalisierungsprozesse in sozialen Medien", 09.05.2019, https://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtspopulismus/290851/diskussionsraeume-in-sozialen-medien (letzter Zugriff am 19.03.2020). 15 Vk - Über uns, https://vk.com/about (letzter Zugriff am 25.03.2020). 16 Vgl. jugendschutz.net (2018): Rechtsextremismus im Netz, S. 18f. 20 junge Menschen die genannten Alternativplattformen nutzen. In einem zweiten Schritt sollte das Gespräch mit Jugendlichen gesucht werden, um sie vor den Gefahren auf diesen Plattformen zu warnen. Sollte darüber hinaus individuelle Hilfe benötigt werden, kann auch auf staatliche oder zivilgesellschaftliche Angebote zurückgegriffen werden. Im Land Brandenburg bieten das "Tolerante Brandenburg", das "Institut für Gemeinwesenberatung" (demos) sowie die "Regionalen Arbeitsstellen für Bildung, Integration und Demokratie" (RAA) kompetente Hilfe in der Extremismusprävention an. Der Verfassungsschutz unterstützt diese Angebote mit seinen Informationen. 21 Rechtsextremistisches Bekleidungslabel "Black Legion" aus Cottbus auf "vk". Rechtsextremistische Symbolik als Teil einer "Online-Erlebniswelt" In diesem Zusammenhang muss das im US-Bundesstaat Pennsylvania ansässige soziale Netzwerk "gab"17 benannt werden. Im Gegensatz zu Facebook oder "vk" versteht sich "gab" jedoch nicht nur als soziales Netzwerk, sondern gleichermaßen als Kurznachrichtendienst. Während Twitter zunehmend rechtsextremistischer Propaganda und Hetze durch Sperrungen und Löschungen entgegentritt, versteht sich "gab" als "Verteidiger der freien Rede, der persönlichen Freiheit und des freien Austauschs von Onlineinformationen"18. Aus diesem Grund ist "gab" bei rechtsextremistischen Gruppierungen als Ersatz für den bekanntesten Kurznachrichtendienst Twitter beliebt. Unter expliziter Berufung auf den ersten Zusatzartikel der US-amerikanischen Verfassung stellt "gab" seinen Mitgliedern eine Basis für politische Debatten zur Verfügung, ohne selbst auf die Inhalte korrigierend einzugehen. Dieses "Freedom of speech"Selbstverständnis machen sich auch Rechtsextremisten zu eigen und verbreiten auf "gab" ihre menschenverachtenden sowie gewaltverherrlichenden Positionen in großem Stil. Als Beispiel sei hier auf den bereits seit Oktober 2016 aktiven Account mit dem Namen "Will to Power"19 verwiesen, auf welchem sich mehrere tausend Postings mit eindeutig rechtsextremistischen, antisemitischen und den Nationalsozialismus verherrlichenden Inhalten befinden. Das Titelbild des Profils zeigt Adolf Hitler, der den Arm zum Hitlergruß ausstreckt. Ebenso sind mehrere Hakenkreuzfahnen und ein Sonnenrad (schwarze Sonne) abgebildet. Das hier exemplarisch ausgewählte Profil offenbart, dass sich die von den Verfassungsschutzbehörden seit mehreren Jahren dargestellten Elemente einer "rechtsextremistischen Erlebniswelt" in den entsprechenden Echokammern des Internets wiederfinden. 17 Der englische Begriff "to gab" bedeutet "quatschen". 18 Vgl. Selbstdarstellung auf www.gab.com (im Original: "A social network that champions free speech, individual liberty and the free flow of information online.", letzter Zugriff: 11.02.2020). 19 "Will to Power" ist die englische Übersetzung des auch von den Nationalsozialisten missbrauchten Begriffs "Wille zur Macht" des deutschen Philosophen Friedrich Nietzsche. 22 Die Ideologie und die dazugehörige Symbolik, mit der zum Beispiel Verleger rechtsextremistischer Hassmusik und Szenebekleidung seit langem ihr Geld verdienen, wird in einer neuen "rechtsextremistischen Online-Erlebniswelt" adaptiert und zielgruppengerecht aufbereitet. Profil des Nutzers "Will to Power" auf "gab" Die Mehrheit der offen rechtsextremistischen Inhalte auf "gab" stammt von englischsprachigen Nutzern, wobei hier angenommen werden muss, dass sich darunter auch welche aus Deutschland befinden. Hinzu kommt eine nennenswerte Anzahl extremistischer Gruppen und Profile auf Deutsch. Neben Reichsbürgerstrukturen wie der "Verfassunggebenden Versammlung" sowie einzelnen Untergruppierungen der "Identitären Bewegung" ist auf "gab" in erster Linie das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial vertreten. Hierzu zählen Personen, die sich zwar rechtsextremistisch betätigen, aber keiner konkreten rechtsextremistischen Organisation zugerechnet werden können. Dieser Personenkreis nutzt den Kurznachrichtendienst einerseits, um sich national wie international zu vernetzen, und andererseits, um "FakeNews" und Verschwörungstheorien innerhalb der eigenen Filterblase zu verbreiten. Auffällig sind hierbei insbesondere antisemitische Inhalte sowie Hasspostings gegenüber Flüchtlingen. Reichsbürger auf "gab" 23 Anpassung des Rekrutierungsverfahrens - Rechtsextremisten reagieren auf das "Deplatforming" Um die skizzierte Filterblase trotz des zunehmenden "Deplatformings" weiter zu befüllen, hat die rechtsextremistische Szene ihr Rekrutierungsverfahren im Internet angepasst. Während die Szene lange Zeit über die reichweitenstarken Netzwerke Facebook und Twitter direkt versucht hat, neue Anhänger anzuwerben, ist das Verfahren nunmehr zweistufig. Aufgrund drohender Sperrungen haben sie ihre Propaganda auf den großen Netzwerken sprachlich und inhaltlich angepasst. Die rechtsextremistische Szene nutzt Facebook und Twitter daher zwar weiterhin zur Kontaktanbahnung. Die Verfassungsfeinde sind jedoch bemüht, Interessierte dann möglichst schnell auf die Alternativplattformen zu locken. Hier steht dann einerseits einer offensiveren Darstellung der tatsächlichen Ideologie wenig im Wege. Andererseits ist mit Gegenrede auf den Alternativplattformen kaum zu rechnen. Denn Parteien, Verbände und zivilgesellschaftliche Organisationen, die ein Gegengewicht bilden könnten, sind dort nicht präsent. Aus diesem Grund ist es letztlich unumgänglich, dass insbesondere Jugendliche in ihrer Medienkompetenz gestärkt und über rechtsextremistische Rekrutierungsstrategien im Internet aufgeklärt werden. Das Ausweichen der rechtsextremistischen Szene auf kleinere und unbekanntere Plattformen bleibt nicht nur auf den Bereich der sozialen Netzwerke beschränkt. Derselbe Prozess zeigt sich auch bei OnlineVideoportalen. So sperrte beispielsweise das weltweit größte Videoportal YouTube im April 2019 den rechtsextremistischen Kanal "Der Volkslehrer". Er nutzte den Kanal für rechtsextremistische Verschwörungsfantasien und Antisemitismus. Aufgrund der verhältnismäßig hohen Zugriffsraten besaß der Videoblog bis zur Sperrung eine starke, zum Teil auch über die rechtsextremistische Szene hinausreichende Verbreitung. Die Videos wurden teilweise über 100.000 Mal aufgerufen20. Seit der YouTube-Sperrung konzentriert sich der "Volkslehrer" auf das auch bei Rechtsextremisten beliebte Videoportal "BitChute". Dort erreicht er zwar nicht seine YouTube-Klickzahlen, doch steigen die Abrufe seiner Videos auf "BitChute" seit der YouTube-Sperrung an. "Der Volkslehrer" auf "BitChute" 20 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Verfassungsschutzbericht 2018, S. 61f. Der "Volkslehrer" hat bereits mehrfach Teile seines ehemaligen Kanals unter neuen Namen bei YouTube wieder hochgeladen. YouTube geht jedoch auch mit Sperrungen gegen diese weniger stark frequentierten Ersatzkanäle vor. 24 Cross Media Publishing - Maximierung rechtsextremistischer Internetinhalte Um die eigenen Inhalte einem möglichst breiten Publikum zugänglich zu machen, nutzen Rechtsextremisten "Cross Media Publishing". Hierunter wird das Verbreiten eines einzelnen Inhaltes auf unterschiedlichen Medien beziehungsweise Plattformen verstanden. Hierdurch soll die individuelle Reichweite eines Inhalts erhöht werden. Zumeist gibt es dafür ein Hauptmedium, auf welches die anderen Kanäle verlinken. So stellt beispielsweise der unter dem Namen Nikolai A. agierende Gründer der rechtsextremistischen Onlinegruppierung "Reconquista Germanica" die Mehrzahl seiner Videos bei "BitChute" zur Verfügung. Zugleich bewirbt er diese Videos unter anderem bei "Instagram", "vk" und "Telegram". Diese Vorgehensweise begründet Nikolai A. in einem von ihm im Juli 2019 auf "vk" veröffentlichten "Leitfaden zur Unterstützung der Reconquista Germanica" wie folgt: "Um im asymmetrischen Medienkrieg die Zensurmaschinerie des Gegners zu überwinden, müssen wir breit aufgestellt, schnell und flexibel sein. Folge uns auf möglichst vielen Plattformen, um den Anschluss nicht zu verlieren und unsere Wirkung zu maximieren."21 Zur angestrebten Maximierung seiner Wirkung verfügt Nikolai A. zudem über mehrere Kanäle bei Y- ouTube. Da dort aufgrund von Sperrungen nicht alle seiner Videos verfügbar sind, weist er auf YouTube explizit darauf hin, dass ein "vollständiges Archiv der Videos auf BitChute zu finden" sei 22. Entsprechend der oben dargelegten Rekrutierungsstrategie sollen die Nutzer zunächst auf YouTube angesprochen werden, um sie dann schnell und gezielt auf die Alternativplattform weiterzuleiten. Dieses galt beispielsweise für die im Jahre 2019 aufgelöste und von Nikolai A. angeführte Onlinegruppierung "Reconquista Germanica". Für eine effektive Steuerung der rechtsextremistischen Gruppe griff Nikolai A. auf das im weiteren Verlauf dieses Textes noch vorgestellte Sprachund Videochatprogramm "discord" zurück. "Reconquista Germanica" wirbt für "discord" Podcasts und Imageboards - Aktuelle Formen rechtsextremistischer Ideologisierung Neben dem "Cross Media Publishing" trägt ein gegenseitiges Bewerben rechtsextremistischer Onlineangebote zur Entstehung des oben beschriebenen "Echokammer-Effekts" bei. So spart beispielsweise Nikolai A. auf seinen Kanälen nicht mit Hinweisen auf neue Formate, die seinen politischen Ansichten entsprechen. Von diesen Empfehlungen "profitierte" unter anderem der im Oktober 2019 erstmals erschienene Podcast "Die Schwarze Fahne". Da sich Podcasts gegenwärtig in Deutschland wieder einer größeren Beliebtheit erfreuen, haben auch Rechtsextremisten dieses Medium für sich (neu-)entdeckt. Dieses gilt insbesondere vor dem Hintergrund, 21 VK-Seite von Nikolai A., 22.07.2019 (letzter Zugriff am 19.03.2020). 22 YouTube-Kanal von Nikolai A., ohne Datum (letzter Zugriff am 18.03.2020). 25 dass Podcasts zunehmend auch auf Musikstreaming-Plattformen verfügbar sind und damit eine sehr hohe Reichweite erzielen können. So ist beispielsweise "Die Schwarze Fahne" auf "Spotify" verfügbar. Die wöchentlich erscheinenden Folgen des Podcasts sind als Gespräch zwischen 3-4 Personen aufgebaut. Thematisch orientiert man sich zumeist an den politischen Ereignissen der zurückliegenden Tage. Auffällig ist, dass sich die Hauptprotagonisten gezielt dem Sprachgebrauch und des Habitus von Internetforen wie "4chan" oder "8chan" bedienen, um so ein netzaffines, junges Publikum zu erreichen. Einer der Abgründe des politischen Diskurses im Internet: Die Unterseite /pol/ des Imageboards "4chan" "4chan", "8chan" und ähnliche Seiten sind im Prinzip Foren, wie es sie bereits seit den Anfangstagen des Internets gibt. Sie werden ebenso als Imageboards bezeichnet. Dort kommunizieren Akteure verschiedener Subkulturen anonym. Da auf Imageboards nahezu keine inhaltliche Intervention eines Webseitenbetreibers stattfindet, werden auf ihnen massenhaft fremdenfeindliche, antisemitische und gewaltverherrlichende Inhalte verbreitet23. So werden auf diesen Internetseiten beispielsweise durch Teile des IncelMilieus24 frauenverachtende und extremistische Gewaltphantasien verbreitet. Darüber hinaus werden auf Imageboards regelmäßig Rechtsterroristen wie die Attentäter von Christchurch (Neuseeland) und Halle (Sachsen-Anhalt) als Helden glorifiziert25. Vielfach wird dieses in Deutschland strafbare Verhalten von den Imageboard-Nutzern bagatellisiert. Es wird behauptet, es handele es sich nur um eine typische Form der Übertreibung der Internetund vor allem der Videospielszene. Dem muss klar entgegengehalten werden, dass echtsextremistische Inhalte als solche klar identifiziert werden können. Ebenso weisen einzelne Passagen des oben angesprochenen Podcasts "Die Schwarze Fahne" offensichtliche Bezüge in rechtsextremistische Milieus auf. So wird beispielsweise das in Eberswalde begangene politisch motivierte Tötungsdelikt an dem aus Angola stammenden Amadeu Antonio Kiowa von 1990 als reine "Affekttat von Skinheads, die einen Neger totschlagen", verharmlost. In einer anderen Folge wird bezweifelt, dass es in Deutschland eine rechtsterroristische Gefahr gebe. Zugleich wird die Legitimität des Verbots des rechtsextremistischen Vereins "Combat 18 Deutschland" infrage gestellt.26 23 Vgl. Guhl, Jakob, Julia Ebner und Jan Rau: "Das Online-Ökosystem rechtsextremer Akteure", 11.02.2020, S. 9, https://www.bosch-stiftung.de/de/publikation/das-online-oekosystem-rechtsextremer-akteure (letzter Zugriff: 19.03.2020). 24 "Incel" ist eine Selbstbezeichnung einer zumeist aus heterosexuellen Männer bestehenden Internetsubkultur, die sich vor allem dadurch auszeichnet, dass ihre Anhänger eigenen Angaben zufolge in unfreiwilliger sexueller Enthaltsamkeit leben müssen. Aus diesem Umstand leiten Teile der Incels ein angebliches Recht auf Gewaltanwendung gegenüber Frauen ab. Der Begriff "Incel" setzt sich aus den englischen Worten "involuntary" und "celibate" zusammen, die auf Deutsch mit "unfreiwilligem Zölibat" übersetzt werden können. 25 Vgl. beispielhaft Baeck, Jean-Philipp und Andreas Speit (2020): Rechte Egoshooter - Von der virtuellen Hetze zum Livestream-Attentat, Ch. Links Verlag, S. 7 ff. 26 "Combat 18 Deutschland" wurde im Januar 2020 verboten. 26 Logo des Podcasts "Die Schwarze Fahne" Des Weiteren traten bereits mehrfach Gäste in dem Podcast auf, die der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden können. So wurden bereits dem bekanntesten Akteur der "Identitären Bewegung", dem Österreicher Martin Sellner, sowie mehreren führenden Vertretern des rechtsextremistischen Verdachtsfalls "Junge Alternative" in dem Podcast eine Bühne geboten. Noch deutlicher kommt der Bezug zum Rechtsextremismus auf dem Sprachund Video-Chatdienst "Discord" zur Geltung. Bei einer Betrachtung der mit dem Podcast gleichnamigen "Discord"-Gruppe27 fallen zum Beispiel die Profile der Moderatoren auf. Einer der Hauptprotagonisten nutzte zeitweise einen Soldaten als Profilbild, der eindeutig einen SS-Totenkopf als Abzeichen trägt. Ein zweiter bekennt sich mittels seines Profilbildes zu Gabriele D'Annunzio (1863-1938). D'Annunzio stand als Schriftsteller und Intellektueller dem faschistischen Diktator Benito Mussolini sowohl politisch als auch persönlich nahe.28 "Die Schwarze Fahne" auf "Discord" - Das Profilbild soll einen ehemaligen Angehörigen der SS-Division "Handschar" zeigen. 27 Wie im weiteren Verlauf des Textes noch dargestellt werden wird, handelt es sei bei einem "Discord-Server" letztlich um eine Gruppe auf der Plattform. 28 Vgl. zu Gabriele D'Annunzio: Fiume: Gabriele D'Annunzio und die Kommune der Faschisten, Interview mit Kersten Knipp, https://www.dw.com/de/fiume-gabriele-dannunzio-und-die-kommune-der-faschisten/a-50391359 (letzter Zugriff: 18.03.2020). 27 Computer und Konsolen als Rekrutierungszonen - Rechtsextremisten kapern Spieleplattformen Das insbesondere bei Videospielern beliebte Chatprogramm "Discord" ist derzeit eine der meistgenutzten Alternativplattformen von Rechtsextremisten. Das Programm ist im Rahmen des dargelegten zweistufigen Rekrutierungsverfahrens daher eine derjenigen Plattformen, auf die Rechtsextremisten anpolitisierte Internetnutzer locken, um sie weiter zu ideologisieren. Da "Discord" eigentlich dafür entwickelt wurde, dass sich Teams während des gemeinsamen Videospielens miteinander austauschen können, sind die einzelnen Sprachund Video-Chats zumeist nicht offen zugänglich. Sie bedürfen vielmehr einer privaten Einladung zur Teilnahme. Rechtsextremisten machen sich genau das zunutze. Ihnen dient der geschützte Kommunikationsraum für die gezielte Vermittlung ihrer verfassungsfeindlichen Agenda. Das Spielen von Videogames tritt dabei vollständig in den Hintergrund. Wie hemmungslos und zugleich unkontrolliert auf "Discord" rechtsextremistische Propaganda verbreitet werden kann, zeigt sich bei einer Betrachtung neonationalsozialistischer Gruppen auf der Plattform. Diverse Gruppen, die bei "Discord" offiziell "Server" genannt werden, verdeutlichen ihre politischen Standpunkte bereits in ihren Selbstbeschreibungen. So heißt beispielsweise der Server "Third Reich" "alle Nazis und Faschisten willkommen, um sich [unter anderem] über 'Untermenschen' lustig zu machen und in Strategiespielen als Deutsches Reich die Weltherrschaft zu übernehmen". Ein deutscher Ableger der USamerikanischen, neonationalsozialistischen Gruppierung "Atomwaffen Division" findet sich auf "Discord": der Server "Atomwaffendivision Deutschland". Diese Gruppierung agiert ganz im Sinne eines rassistischen und antisemitischen Weltbildes und dokumentiert unzweifelhaft, welche Personengruppen auf ihrem Server nicht erwünscht sind. Neonationalsozialisten auf "Discord": "Third Reich" und "Atomwaffendivision Deutschland" Der brandenburgische Verfassungsschutz hat bereits 2019 in einem Beitrag auf seiner Homepage dargelegt, wie Rechtsextremisten die große Beliebtheit von Videogames für ihre Zwecke instrumentalisieren29. Die Strategie von Rechtsextremisten ist es, bevor sie die Kommunikation in geschlossene Kanäle verlagern, den ersten Kontakt zu potenziell Interessierten über offene Videospielforen zu suchen. Videogames dienen Rechtsextremisten demnach als Köder, um die Inhalte der Spiele mit ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie zu verknüpfen. Dieses gilt beispielsweise für Games mit hohen Gewaltbeziehungsweise Action-Anteilen und Simulationen des Zweiten Weltkriegs. 29 Brandenburgischer Verfassungsschutz: Rechtsextremisten nutzen Spieleplattformen als Rekrutierungszone, 16.09.2019, https://verfassungsschutz.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.645502.de. 28 Eines der größten offenen Videospielforen bietet die Firma "Steam", welche zugleich eine umsatzstarke Vertriebsplattform für Computerspiele betreibt. Auf "Steam" existieren noch immer mehrere öffentlich einsehbare Gruppen mit Bezügen zur "Identitären Bewegung". Die größte davon verfügt weiterhin über mehr als 500 Mitglieder. Neben einzelnen Kommentaren zu Videospielen finden sich dort hauptsächlich Informationen zu politischen Zielen der "Identitären Bewegung" sowie einige Videos über deren (realweltliche) Aktionen. Darüber hinaus fällt auf, dass die Diskussionen in dieser "Steam"-Gruppe äußerst kurz sind. Gleichzeitig wird dazu aufgerufen, den Sprachund Video-Chatdienst "Discord" für weitergehende Unterhaltungen zu nutzen. So richtete beispielsweise ein sich "Teutonic_Twerp" nennender "Steam"-Nutzer einen entsprechenden "Discord"-Server ein30. "Identitäre Bewegung" auf "Steam" mit Verweis auf einen neuen "Discord"-Server Selbst wenn auf "Steam" - ähnlich wie im Sozialen Netzwerk "gab" - vor allem das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial aktiv ist, bietet das Forum organisierten Rechtsextremisten eine Möglichkeit der Rekrutierung. Dass dieses weder im Sinne des Betreibers noch eines Teils der dort vertretenen Videospieler ist, zeigt eine von der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein (MA HSH) angestoßene Sperrung diverser verfassungsfeindlicher Inhalte auf "Steam". Die MA HSH erklärte am 9. Dezember 2019, dass "Steam" nach einer Intervention seitens der Medienanstalt die Entfernung von 78 Inhalten mit verfassungsfeindlichen Symbolen und die Sperrung eines volksverhetzenden Profils veranlasst hat.31 Diese Schritte wurden im "Steam"-Forum anschließend kontrovers diskutiert. Die Positionen reichten von den bereits oben beschriebenen Verharmlosungen32 über die Sorge zunehmender staatlicher Kontrolle der Videospiel-Gemeinde bis hin zur klaren Unterstützung, rechtsextremistische Propaganda von der Plattform zu verbannen. 30 Vgl. Steam-Gruppe Identitäre Bewegung, 07.02.2020 (letzter Zugriff am 19.03.2020). 31 Vgl. Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein: "Nach MA HSH-Hinweis: Steam sperrt Bilder und Profil mit Nazi-Symbolen und rechten Parolen", 09.12.2019 (letzter Zugriff am 19.03.2020). 32 So merkte beispielsweise ein sich "Swordfish" nennendes Mitglieder am 12.12.2019 im deutschen "Steam"-Forum an: "Was soll der ganze Scheiss mit dem Nazi-Gedön's! Auf der Welt gibt es doch [...] nun viel wichtigere Sachen und Probleme..." (letzter Zugriff am 19.03.2020). 29 Dem Cyberextremismus entgegentreten - die Präventionsangebote des brandenburgischen Verfassungsschutzes Insgesamt geht es nicht um eine generelle Verurteilung aller Videospieler. Dies wäre völlig unangemessen und zudem aus präventiver Sicht kontraproduktiv. Zugleich zeigt das hier dargestellte Beispiel, dass die weit verbreitete Annahme falsch ist, der Rechtsstaat könne nichts gegen Gesetzesverstöße im Internet unternehmen. Vielmehr bestehen - beispielsweise durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz - klare rechtliche Möglichkeiten, dem cyberextremistischen Handeln der Verfassungsfeinde konsequent zu begegnen. Ein aktives Nutzen der vorgestellten Alternativplattformen stellt nicht per se einen Hinweis auf Extremismus dar. Für verunsicherte Angehörige, Freunde oder Lehrer ist es daher zunächst ratsam, das persönliche Gespräch zu suchen. So können die Gründe für das Verwenden alternativer "Social Media"-Dienste erfragt und Missverständnisse oftmals ausgeräumt werden. Darüber hinaus steht Ihnen der brandenburgische Verfassungsschutz selbstverständlich auch für persönliche Gespräche zur Verfügung. Erfahrungsgemäß wird eine individuelle Radikalisierung am ehesten vom Nahumfeld einer Person festgestellt. Die Sicherheitsbehörden sind daher auf Ihre Hinweise und Hilfe angewiesen. 30 3. Rechtsextremismus 31 3. Rechtsextremismus Rechtsextremistisches Personenund Organisationspotenzial in Brandenburg (zum Teil geschätzt) 2017 2018 2019 in Parteien (gesamt) 345 320 970 NPD 280 280 260 DER DRITTE WEG 30 40 40 Verdachtsfall AfD-Struktur "Der Flügel"33 640 Verdachtsfall AfD-Struktur "Junge Alternative für Deutschland"34 30 in parteiunabhängigen Strukturen 250 335 380 weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial 1.030 1.125 1.565 gesamt 1.625 1.780 2.915 gesamt (ohne AfD-Strukturen) 1.625 1.780 2.245 Mehrfachmitgliedschaften 85 105 150 Personenpotenzial (nach Abzug von Mehrfachzählungen) 1.540 1.675 2.765 Personenpotenzial (nach Abzug von Mehrfachzählungen und ohne AfD-Strukturen) 1.540 1.675 2.095 davon gewaltorientierte Rechtsextremisten35 1.120 1.235 1.280 33 Siehe FN 2. 34 Siehe FN 2. 35 Bezogen auf das "Personenpotenzial (nach Abzug von Mehrfachzählungen)". 32 Die in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschriebene Unantastbarkeit der Menschenwürde lehnen Rechtsextremisten grundlegend ab. Für sie ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Rasse oder Nationalität das entscheidende Kriterium für die Wertigkeit eines Menschen. Daraus leiten Rechtsextremisten unter anderem ab, welche Rechte einzelnen Personen zustehen. Rechtsextremistische Ideologien widersprechen damit klar gegen das in Artikel 3 Grundgesetz festgeschriebene Gleichheitsgebot. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Rechtsextremisten die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte leugnen. Hieran wird deutlich, dass rechtsextremistische Konzepte geradezu konträr zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. Bei der Betrachtung des rechtsextremistischen Personenpotenzials muss im Land Brandenburg für das Jahr 2019 ein starker Anstieg festgestellt werden. Die Gesamtzahl brandenburgischer Rechtsextremisten wuchs damit im sechsten Jahr in Folge und hat mit 2.765 Personen den höchsten Stand in der Geschichte erreicht. Diese Feststellung gilt auch dann, wenn die als Verdachtsfall eingestuften AfD-Strukturen JA und "Der Flügel"36 in dem Vergleich unberücksichtigt blieben. Auffällig ist weiterhin, dass sich die Entwicklungen in den drei von den Verfassungsschutzbehörden im Rechtsextremismus gebildeten Kategorien nennenswert unterscheiden. So schritt 2019 insbesondere der Bedeutungsverlust der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) voran. Denn ihr deutlicher Mitgliederrückgang seit dem Jahr 2010 zog einen spürbaren Einbruch ihrer Parteiaktivitäten nach sich. Damit einher geht ein Bedeutungsverlust innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Auch die Mitgliederzahl der neonationalsozialistischen Kaderpartei "DER DRITTE WEG" stagniert auf niedrigem Niveau, wobei sie trotzdem vergleichsweise viele Aktivitäten an den Tag legte. Dennoch hat sich die Anzahl der Anhänger des rechtsextremistischen Parteienspektrums im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz erklärte am 15. Januar 2019 die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative für Deutschland" (JA) und die parteiinterne AfD-Sammlungsbewegung "Der Flügel" zu Verdachtsfällen. Ferner teilte das Bundesamt für Verfassungsschutz mit, dass im Rahmen der Verdachtsfallbearbeitung der Verfassungsschutzverbund unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz die JA und "Der Flügel" systematisch beobachten wird. Die Erkenntnisse zu den Strukturen "Der Flügel" und JA in Brandenburg haben zu dieser Einstufung beigetragen. Beide Strukturen werden seitdem in Brandenburg ebenfalls beobachtet. In Brandenburg wurden der JA Ende des Jahres 2019 etwa 30 Personen und der parteiinternen Sammlungsbewegung "Der Flügel" etwa 640 Personen zugerechnet. Einen weiteren Anstieg der Mitgliedschaften konnten die parteiunabhängigen Strukturen verzeichnen. Hierunter werden Personenzusammenschlüsse wie "Kameradschaften" und "Freie Kräfte" sowie rechtsextremistische Vereine gezählt. Für das Jahr 2019 wurden den parteiunabhängigen Strukturen etwa 380 Personen im Land Brandenburg zugeordnet. Parallel hierzu muss für die Kategorie des weitgehend unstrukturierten Personenpotenzials erneut ein Aufwuchs festgestellt werden. Im Vergleich zum Vorjahr stieg das weitgehend unstrukturierten Personenpotenzials von 1.125 (2018) auf 1.565 (2019). Trotz der im Vergleich zu den Jahren 2015 und 2016 weiterhin deutlich niedrigeren Flüchtlingszahlen gelingt es der rechtsextremistischen Szene noch immer, über diese Thematik neue Personen an sich zu binden. Alarmierend bleibt, dass aus den Reihen der Rechtsextremisten, die nicht in einer der festen Strukturen aktiv sind, verhältnismäßig viele (Gewalt-) Straftaten begangen werden. Viele dieser Täter traten im Kontext der Auseinandersetzung um Migration zudem erstmals strafrechtlich in Erscheinung37. 36 Siehe FN 2. 37 Siehe hierzu auch das nachfolgende Kapitel "IM FOKUS: Rechtsextremistisches Gewaltpotenzial bricht sich weiter Bahn". 33 Wie eingangs erwähnt, ist der Kern rechtsextremistischer Ideologie die "Ungleichheit menschlichen Lebens". Darüber hinaus gibt es zwischen den einzelnen rechtsextremistischen Konzeptionen aber durchaus Unterschiede. Aus diesem Grund werden die wichtigsten rechtsextremistischen Akteure im Land Brandenburg in den folgenden Teilkapiteln getrennt analysiert. 34 3.1 IM FOKUS: Rechtsextremistische Gewalt bricht sich weiter Bahn Das Gewaltpotenzial im Rechtsextremismus In der Vergangenheit fielen innerhalb der rechtsextremistischen Szene in erster Linie Neonationalsozialisten und Skinheads durch Gewaltbereitschaft auf. Beispiele hierfür waren bereits in den 1990er Jahren die Übergriffe in Mölln, Solingen und Rostock-Lichtenhagen. Ebenso waren in Brandenburg Todesopfer zu beklagen. Zu dieser Zeit wurde die rechtsextremistische Szene jünger, aktionistischer und militanter. Ebenso kursierten Texte, die zum bewaffneten Kampf aufriefen. Ein Strategiepapier des neonationalsozialistisch ausgerichteten Skinhead-Netzwerks "Blood and Honour" unter dem Motto "Von Worten zu Taten" war sicherlich eines der Vorbilder der terroristischen Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU). Auch in den "Turner Diaries" des US-amerikanischen Rechtsextremisten und Verlegers William Pierce wurde der Rassenkrieg propagiert. Die rechtsextremistischen Straftaten "stabilisierten" sich in den Folgejahren auf hohem Niveau. Eine grundlegende Studie des Dresdener "Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung e.V." kam für die Jahre 2001 bis 2011 bei der Betrachtung rechtsextremistischer Mehrfachund Intensivtäter zu dem Ergebnis, dass es sich vor allem um junge, überdurchschnittlich häufig arbeitslose Männer mit teils psychischen Auffälligkeiten handelte.38 Die Gewaltneigung dieser Personen konnte auf den Gruppeneinfluss zurückgeführt werden, das heißt, sie waren politisch geprägt durch ihre rechtsextremistische Bezugsgruppe. Hierbei waren nationalsozialistische Symbolik und der Konsum rechtsextremistischer Hass-Musik von hoher Bedeutung. Die Opfer waren Menschen mit Migrationshintergrund oder als "links" geltende Menschen. Seit 2015: Entgrenzung rechtsextremistischer Gewalt Ab dem Jahr 2015 verzeichneten die brandenburgischen Sicherheitsbehörden einen dramatischen Anstieg rechtsextremistischer Gewalt im Zusammenhang mit einer stärkeren Fluchtmigration. Mittlerweile wird angenommen, dass sich in dieser Zeit ein eskalierendes, latent vorhandenes Gewaltpotenzial innerhalb des Rechtsextremismus manifestierte, das durch die Flüchtlingsbewegung deutlich verstärkt wurde. 38 Sächsisches Staatsministerium für Soziales und Verbraucherschutz (Hrsg.): "Rechte Hassgewalt in Sachsen. Entwicklungstrends und Radikalisierung", 26.02.2019, https://hait.tu-dresden.de/wm_2019_smgi_hassgewalt_broschuere%201904.pdf, (letzter Zugriff am 27.07.2020). 35 Im Zusammenhang mit dem Anstieg der Geflüchtetenzahlen bekam die rechtsextremistische Szene ideologischen und propagandistischen Auftrieb, wodurch ein Resonanzboden für rechtsextremistische Ideologiefragmente in der Gesellschaft entstand. Die Folge war eine "Entgrenzung" der rechtsextremistischen Szene in ein Umfeld hinein, das sich bislang nicht für rechtsextremistische Strukturen interessierte, diesem aber offenkundig ideologisch nahesteht. Dies hatte Auswirkungen auf Radikalisierungsprozesse und rechtsextremistisch motivierte Gewalt: Viele dieser Strafund Gewalttaten wurden in der Folge von radikalisierten Personen und Kleingruppen begangen, die bislang weder politisch auffällig noch in rechtsextremistischen Strukturen organisiert waren. Befeuert wird dies seither auch durch Hasspropaganda im Internet, die geprägt ist von der rassistischen Abwertung von Migranten und teilweise offen kommunizierten Gewaltfantasien gegenüber Migranten und Politikern. Letzteren wird unter anderem vorgeworfen, sie betrieben aktiv einen Volksaustausch bis hin zu einem "Volkstod" der Deutschen. Zudem ist der Personenkreis, von dem rechtsextremistisch motivierte Gewalt ausgehen kann, durch diese Entwicklung größer geworden. In den Jahren nach 2016 ist die Zahl der rechtsextremistischen Gewaltstraftaten zwar etwas zurückgegangen, stagniert jedoch gegenüber dem vorherigen Niveau. 36 Die Abwertung und die Entmenschlichung von Menschen und Menschengruppen, etwa als "Kopftuchgeschwader"39, senken die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung. Ebenfalls nehmen anonyme Drohungen zu. 2018 und 2019 wurden bundesweit verschiedene Mails mit Drohungen an Presseorgane, Behörden, Organisationen und Personen des öffentlichen Lebens versandt, die unter anderem mit "National-Sozialistische Offensive", "Wehrmacht", "NSU 2.0", "Elysium", "Staatsstreichorchester" und "Atomwaffen Division Deutschland" unterzeichnet waren. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 wurde der Kasseler Regierungspräsident, Dr. Walter Lübcke, auf seinem Wohngrundstück in Wolfhagen (Hessen) aus nächster Nähe erschossen. Ein tatauslösendes Motiv soll eine Äußerung von ihm auf einer öffentlichen Informationsveranstaltung in Lohfelden (Hessen) am 14. Oktober 2015 zum Thema Flüchtlinge gewesen sein. Der Regierungspräsident hatte sich zu der humanitären Verpflichtung, Schutzsuchenden zu helfen, bekannt. In der Folge erhielt er bedrohende und beleidigende Zuschriften. Auch nach dem Mord an Dr. Walter Lübcke blieb die rechtsextremistische Szene im Agitationsmodus. Die NPD äußerte sich zu seinem Tode beispielsweise verschwörungsideologisch: "Zudem sind die in den Medien getätigten Äußerungen, wonach das Opfer wegen eines in der Asylflutwelle 2015/16 getätigten Aussage Opfer eines Mordverbrechens wurde, höchst zweifelhaft. Vielmehr drängst sich der Eindruck auf, dass die Öffentlichkeit über die tatsächliche Motivlage dieses abscheulichen Verbrechens in Unkenntnis bleiben soll."40 Am 15. Juni 2019 wurde der dringend Tatverdächtige Stephan E. festgenommen. Er soll Lübcke heimtückisch durch einen Kopfschuss getötet haben. E. besaß mehrere Waffen.41 Nach Ansicht des Generalbundesanwalts liegen zureichende Anhaltspunkte für einen rechtsextremistischen Hintergrund der Straftat vor. Sie ergeben sich insbesondere aus dem Vorleben des Tatverdächtigen und seinen öffentlich geäußerten politischen Ansichten. Inzwischen hat er die Tat eingeräumt. Laut Generalbundesanwalt wird gegen den Tatverdächtigen zudem wegen des Verdachts ermittelt, bereits am 6. Januar 2016 in Lohfelden versucht zu haben, einen irakischen Asylbewerber heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten. Bei einer weiteren rechtsextremistischen Gewaltstraftat am 9. Oktober 2019 in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) erschoss ein Rechtsextremist vor einer Synagoge und in einem Döner-Imbiss zwei zufällig anwesende Personen und verletzte weitere auf seiner Flucht. Der Täter hatte zunächst erfolglos versucht, mithilfe selbstgebauter Schusswaffen und Sprengmittel in eine Synagoge einzudringen. Nach Erkenntnis der Generalbundesanwaltschaft plante der Täter aus einer rechtsextremistischen und antisemitischen Gesinnung heraus einen Mordanschlag auf Mitbürger jüdischen Glaubens am höchsten jüdischen Feiertag Jom Kippur. Er streamte das Tatgeschehen live ins Internet. Dies belegt, dass das Internet und die dort zu erwartende Resonanz auf die Tat in seiner Gedankenwelt eine zentrale Rolle spielten. In den Aufnahmen inszenierte sich der Täter wie ein Computerspieler in der realen Welt. So setzte er sich "Ziele" wie das Töten von Juden, die er dann im Rahmen der Tatausführung zu erreichen versuchte. Die daraus ersichtliche Übertragung der Handlungslogik von Computerspielen auf die Realwelt deutet auf Entmenschlichungseffekte hin, die im Zusammenhang mit einer in der virtuellen Welt stattgefundenen Radikalisierung stehen können42. 39 Youtube: "A. Kalbitz: Angstschweiß ist das Parfum der Verlierer!", 27.10.2019, (zuletzt aufgerufen am 05.08.2020). Anmerkung: Hierbei handelt es sich um eine Rede von Andreas Kalbitz am 26.10.2019 in Erfurt. 40 Homepage NPD Bundesverband: Festgenommener im Fall Lübcke ist kein NPD-Mitglied, 17.06.2019, (letzter Zugriff am 05.08.2020). 41 Vgl. Süddeutschen Zeitung: Beschuldigte sollen 46 Schusswaffen besessen haben, 21.08. 2019, https://www.sueddeutsche.de/politik/mordfall-luebcke-waffen-1.4570614 (letzter Zugriff am 15.07.2020). Anmerkung: Das Land Brandenburg hat sich im Rahmen seines "Maßnahmenplans im Kampf gegen Rechtsextremismus und Hasskriminalität" unter anderem zum Ziel gesetzt, allen Rechtsextremisten konsequent die Waffen zu entziehen. 42 Siehe ergänzend hierzu auch das Kapitel: "Games, Podcasts, Social Media - Aktuelle Formen der Onlinerekrutierung von Rechtsextremisten" 37 Brandenburg: Strafund Gewalttaten gegen kommunale Amtsund Mandatsträger Rechtsextremistische Gewalttaten, so könnte man aus den dargestellten Taten schlussfolgern, entstehen in einem Klima von Fremdenfeindlichkeit und Rassismus verbunden mit einer Ablehnung von Demokratie und Pluralismus. Und sie werden mitunter regelrecht inszeniert. Der vermutlich rechtsextremistisch motivierte Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke hat zudem das Thema Hass und insbesondere Strafund Gewalttaten gegen kommunale Amtsträger in den gesellschaftlichen Mittelpunkt gerückt. Nach einer im Jahr 2019 bundesweit durchgeführten und repräsentativen Umfrage unter Bürgermeistern der Zeitschrift KOMMUNAL gaben über 40 Prozent der Befragten an, dass ihre Rathäuser schon mit HassMails und Einschüchterungsversuchungen zu tun hatten. In rund acht Prozent der Kommunalverwaltungen gab es sogar körperliche Attacken gegen Bürgermeister oder Mitarbeiter.43 Bei einer Wiederholungsstudie im Januar 2020 erhöhten sich diese Zahlen. 64 Prozent der Bürgermeister wurden beleidigt oder bedroht. Neun Prozent wurden tätlich angegriffen, bespuckt oder geschlagen.44 Viele der befragten Bürgermeister äußerten die Absicht, nicht mehr für eine weitere Amtszeit kandidieren zu wollen.45 Diese alarmierende Entwicklung vollzieht sich auch im Land Brandenburg. Wie eine im März 2020 vom brandenburgischen Innenministerium vorgelegte Statistik zeigt, sind in Brandenburg im Jahr 2019 insgesamt 2.978 Delikte politisch motivierter Kriminalität erfasst worden46. Hierbei handelt es sich um das absolut höchste Fallzahlaufkommen, welches es in Brandenburg jemals gab. Besonders erschreckend ist dabei die Zunahme von Straftaten gegen Amtsund/oder Mandatsträger sowie Straftaten gegen Parteirepräsentanten und deren Einrichtungen. Brandenburg verzeichnete im Jahr 2019 bereits schockierende 161 solcher Straftaten. In Brandenburg blieb es nicht nur bei Sachbeschädigungen. Das Spektrum der Straftaten reicht von übelsten Beleidigungen, über Nötigung und Bedrohungen hin bis zu Körperverletzungen zum Nachteil von Politikern. Selbst vor Brandstiftung oder gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr machten die Täter 2019 keinen Halt. Es muss jedoch darauf hingewiesen werden, dass es nicht nur Rechtsextremisten sind, die Amtsund Mandatsträger beschimpfen, bedrohen oder angreifen.47 43 Erhardt, Christian: Hasswelle: Kommunalpolitik - Aus Hetze werden Taten, 25.06.2019, https://kommunal.de/hasswellealle-Zahlen, (letzter Zugriff am 24.04.2020). 44 Erhardt, Christian: Kommunalpolitiker: Bedrohungen sind an der Tagesordnung, 10.03.2020, https://kommunal.de/kommunalpolitiker-umfrage-2020, (letzter Zugriff am 24.04.2020). 45 Erhardt, Christian: Es droht der Kollaps im Ehrenamt, 25.06.2019, https://kommunal.de/hasswelle-ehrenamt-kommentar, (letzter Zugriff am 24.04.2020). 46 Ministerium des Innern und für Kommunales Brandenburg: Politisch motivierte Kriminalität in Brandenburg erheblich gestiegen, 20.03.2020, https://mik.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.662040.de, (letzter Zugriff am 24.04.2020). 47 Vgl. Hessischer Rundfunk: Mehrheit der Bürgermeister und Landräte wird angefeindet, 09.09.2019, https://www.hessenschau.de/politik/hr-umfrage-mehrheit-der-buergermeister-und-landraete-wird-angefeindet,hr-umfrage-daten-fakten102.html, (letzter Zugriff am 24.04.2020). Die zunehmende Enthemmung des gesellschaftlichen Diskurses entzündet sich zum Teil auch an einzelnen kommunalen Verwaltungsakten. 38 3.2 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz / Verbreitung Die NPD gliedert sich unterhalb der Bundesebene in Landesund Kreisverbände. Die Bundespartei hat ihren Sitz in Berlin. Gründung / Bestehen Die NPD wurde 1964 gegründet. Ein eigenständiger brandenburgischer Landesverband besteht seit 2003. Struktur / Repräsentanten Bundesvorsitzender: Frank Franz (seit 2014) Landesvorstand der NPD Brandenburg: Vorsitzender: Klaus Beier (seit 2004) stellv. Vorsitzende: Thomas Gürtler und Thomas Salomon Schatzmeisterin: Aileen Rokohl Struktur des Landesverbandes: insgesamt elf Kreisverbände; 13 Mandate in Kommunalvertretungen des Landes Brandenburg Ergänzende Informationen: Ronny Zasowk ist seit 2014 stellvertretender Vorsitzender der Bundespartei, Klaus Beier nimmt zudem das Amt des Bundesgeschäftsführers der NPD wahr. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Im Land Brandenburg hat die NPD etwa 260 Mitglieder. Veröffentlichungen Publikation des Bundesverbandes: Deutsche Stimme (monatlich) Publikation für Brandenburg: "Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" (quartalsweise), Online-Publikationen: Homepage "zuendstoff-nachrichten" Web-Angebote: Bundesverband: npd.de Landesverband: npd-brandenburg.de Die Partei und deren (brandenburgische) Regionalverbände betreiben diverse Projekte und Profile in den sozialen Medien. Kurzportrait / Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik. Sie vertritt rassistische, antisemitische und revisionistische Positionen. Ihr Ziel ist eine am völkischen Sozialismus orientierte, von ihr als "wahre Demokratie" bezeichnete, Staatsform. Damit offenbart die NPD ihre Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus und ihre Gegnerschaft zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 39 Finanzierung Bislang profitierte die NPD von den gesetzlichen Regelungen zur Finanzierung der politischen Parteien in Deutschland, wie sie im Parteiengesetz (PartG) festgehalten sind. Bundesrat, Bundestag und Bunderegierung haben am 19. Juli 2019 beim Bundesverfassungsgericht den Antrag auf Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung gestellt und über 300 Belege für fortdauernde verfassungsfeindliche Aktivitäten der Partei vorgelegt.48 Das Verfahren ist noch anhängig. Ansonsten finanziert sich die NPD über Mitgliedsbeiträge und Spenden. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung in Deutschland ab und strebt ihre Beseitigung an. Wesentliche Prinzipien des Grundgesetzes werden von ihr verworfen. Das gilt beispielsweise für die unantastbare Würde des Menschen. Die NPD ordnet diese Würde einem nationalen Kollektivismus unter und strebt einen autoritären Staat auf Grundlage ihrer rechtsextremistischen Ideologie einer auf Rassismus beruhenden "Volksgemeinschaft" an. Die Zugehörigkeit zu dieser "Volksgemeinschaft" beruht ausschließlich auf ethnischen Abstammungskriterien. Wer diesen nicht genügt, soll ausgegrenzt und damit entrechtet werden. Demnach lehnt die NPD die Gleichheit aller Menschen als allgemeines Menschenrecht nach Art. 3 des Grundgesetzes ab. Im Jahr 2019 setzte die Partei ihre gegen Migranten und insbesondere gegen Muslime sowie Flüchtlinge gerichtete Hetze fort. Sie versucht Ängste vor einer angeblichen Überfremdung der Gesellschaft zu schüren. Das Bundesverfassungsgericht bescheinigte der NPD, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen: "Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vertritt ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten 'Volksgemeinschaft' ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. [...] Das Konzept der 'Volksgemeinschaft', die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen. Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zumindest relevanter Teile der NPD mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus bestätigt deren Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung."49 Die Partei verfolgt ihre verfassungsfeindlichen Ziele in einer aggressiv-kämpferischen Weise. Dies belegt nicht zuletzt ihre Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Neonationalsozialisten und Hooligans. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die NPD unterhielt im Jahr 2019 in Brandenburg nach eigener Darstellung folgende Kreisverbände: Barnim, Dahmeland, Havel-Nuthe, Lausitz, Niederlausitz, Oberhavel, Märkisch-Oderland, Oderland, Potsdam, Prignitz-Ruppin und Uckermark. 48 Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat: "Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung beantrag", 19.07.2019, https.//www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemit/DE/2019/07/antrag-ausschluss-npd-parteienfinaz.html (letzter Zugriff am 18.05.2020). 49 Bundesverfassungsgericht: "Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele", 17.01.2017, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-004.html, (letzter Zugriff am 15.07.2020). 40 Kreisverband Barnim (BAR) Der Kreisverband Barnim besteht seit Beginn des Jahres 2017 als eigenständiger Kreisverband. Vorsitzende ist Aileen Rokohl. Sie ist zugleich als Schatzmeisterin Mitglied im NPD-Landesvorstand. Als Untergruppierung des Kreisverbands werden der Stadtverband Bernau (BAR) und der Ortsverband Joachimsthal (BAR) genannt. Bei den Kommunalwahlen 2019 verlor der Kreisverband sämtliche Mandate. Zwar gibt sich der Kreisverband seither weiterhin optimistisch, sein Aktionsniveau ist jedoch deutlich gesunken. Die Zahl der öffentlichkeitswirksamen Aktionen ist geringer geworden. Anfang März 2019 berichtet die NPD Barnim über einen offenen Stammtisch zum Thema "Nationaler Widerstand in der Krise? Stillstand oder Aufbruch im nationalen Lager?" in Eberswalde.50 Ende März rief die Partei unter dem Slogan "Umweltschutz ist Heimatschutz!!" und der Aussage "wo der Staat versagt, sind wir gefragt" zum Frühjahrsputz auf.51 Im Mai 2019 veranstaltete der Kreisverband mit Unterstützung der NPD Berlin-Pankow, der Jungen Nationalisten Berlin-Pankow sowie "Freier Kräfte" einen "Aktionstag im Barnim", um für die Wahl der NPD bei den Europawahlen 2019 zu werben.52 Zum Volkstrauertag wurden vom Kreisverband - wie in den letzten Jahren - Denkmäler der Gefallenen beider Weltkriege gereinigt. Den Volkstrauertag begeht die NPD wie alle anderen Neonationalsozialisten traditionell unter der verklärenden Überschrift "Heldengedenken".53 Bereits seit dem Sommer 2018 beteiligt sich der Kreisverband an der bundesweiten NPD-Kampagne "Schutzzone". Hierbei schürt die NPD mit "Streifengängen" und Sicherheitsaktionen Ängste in der Bevölkerung vor Geflüchteten. So will sich die NPD als Kümmerer und Ordnungshüter im öffentlichen Raum inszenieren. Das eigentliche Ziel der Partei ist allerdings, das staatliche Gewaltmonopol öffentlichkeitswirksam in Frage zu stellen. Anfang 2019 wurde im Rahmen dieser Kampagne die Möglichkeit zum Kraftsport und zum Selbstverteidigungstraining angeboten. Werbewirksam formulierte die NPD: "Stärke Körper und Geist, denn der Selbstschutz wird immer wichtiger. Nicht nur auf Streifen der Schutzzone [...] auch die Fahrt zur Arbeit oder der Besuch im Kino können heutzutage ungemütlich werden." 54 Ebenso wurde für "Schutzzonen-Fahrten" per Kleinbus durch den Barnim geworben. 55 Ende 2019 beteiligte sich die NPD Barnim an der Kampagne "Deutsche helfen Deutschen" und rief zu Sachund Geldspenden für Obdachlose auf.56 Kreisverband Dahmeland (LDS und TF) Der wenig aktive Kreisverband umfasst das Einzugsgebiet der Landkreise Dahme-Spreewald und TeltowFläming. Von diesem Kreisverband gingen 2019 keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten aus. Einzig die Facebook-Seite wird leidenschaftslos mit Inhalten ohne regionale Relevanz befüllt. Kreisverband Havel-Nuthe (HVL, PM und Brandenburg an der Havel) Vorsitzender des Kreisverbandes ist seit vielen Jahren Michel Müller aus Rathenow (HVL). Die FacebookProfile des Kreisverbandes wurden zwar 2019 gepflegt, lassen aber nur wenige regionale Bezüge erkennen. Konkrete Parteiaktivitäten waren - mit Ausnahme der Wahlwerbung für die Europaund Kommunalwahlen - im Jahr 2019 kaum wahrnehmbar. 50 Facebook-Seite NPD Barnim, 04.03.2019, (letzter Zugriff am 06.03.2019). 51 Facebook-Seite NPD Barnim, 25.03.2019, (letzter Zugriff am 26.03.2019). 52 Facebook-Seite NPD Barnim,19.05.2019, (letzter Zugriff am 20.05.2019). 53 Facebook-Seite NPD Barnim, 17.11.2019, (letzter Zugriff am 18.11.2019). 54 Facebook-Seite NPD Barnim, 14.03.2019, (letzter Zugriff am 15.03.2019). 55 Facebook-Seite NPD Barnim, 18.02.2019, (letzter Zugriff am 18.02.2019) sowie Facebook-Seite NPD Barnim, 11.05.2019, (letzter Zugriff am 15.05.2019). 56 Facebook-Seite NPD Barnim, 22.11.2019, (letzter Zugriff am 25.11.2019). 41 Sowohl Andre Schär aus Bad Belzig (PM) als auch Müller sind für die NPD weiterhin in den Kommunalvertretungen der Städte Bad Belzig und Rathenow vertreten. Müller sitzt zudem im Kreistag Havelland. Lediglich am 30. August 2019 fand in Rathenow (HVL) eine Kundgebung der NPD unter dem Motto "Wir haben es satt - schafft endlich Sicherheit" statt, an der rund 50 Rechtsextremisten, darunter auch Personen des rechtsextremistischen "Bürgerbündnis Havelland", teilnahmen. Kreisverband Lausitz (Cottbus und SPN) Der Kreisverband Lausitz wählte zu Beginn des Jahres 2019 einen neuen Vorsitzenden. Wie in anderen Kreisverbänden spielte hier die "Schutzzonen"-Kampagne eine Rolle. "Streifengänge" konnten allerdings nur in Cottbus und Guben (SPN) festgestellt werden. Am 2. Februar 2019 organisierte der Kreisverband in der Umgebung von Cottbus eine Rednerveranstaltung der rechtsextremistischen Stiftung "Europa Terra Nostra". Die Stiftung gehört zum rechtsextremistischen europäischen Parteienbund "Allianz für Frieden und Freiheit", dem die NPD angehört.57 Der Kreisverband Lausitz war nahezu ausschließlich im ersten Quartal 2019 aktiv. Kreisverband Niederlausitz (OSL und EE) Vom Kreisverband Niederlausitz, der erst 2018 gegründet wurde, gingen bislang ausschließlich OnlineAktivitäten aus. Zwei Mal wurde der Kreisverband innerorganisatorisch für den gesamten Landesverband tätig. Am 19. Januar 2019 hielt der Landesverband der NPD seine jährliche "Reichsgründungsfeier" sowie am 28. Dezember 2019 einen "patriotischen Jahresabschluss" in Lauchhammer (OSL) ab. Auf beiden Veranstaltungen spielten rechtsextremistische Liedermacher58. Kreisverband Oberhavel (OHV) Der NPD-Kreisverband Oberhavel ist der älteste Kreisverband im Land Brandenburg. Er gliedert sich in die beiden Stadtverbände Oranienburg und Gransee-Zehdenick und wird seit 2013 von dem langjährigen Funktionär Burkhard Sahner angeführt. Der Kreisverband büßte bei den Kommunalwahlen 2019 zwei seiner bislang fünf Mandate ein. Die NPD Oberhavel ist nun nur noch mit einem Sitz im Kreistag Oberhavel vertreten. Zudem verfügt die Partei über je einen Sitz in den Stadtverordnetenversammlungen Kremmen und Velten. In Velten ist es Robert Wolinksi, der für seine intensiven Kontakte zu Neonationalsozialisten und Hassmusikern bekannt ist. Über Aktivitäten berichtet der Kreisverband auf einer eigenen Facebook-Seite, auf der gegen Flüchtlinge gehetzt wird. Ebenso wird über Parteiaktivitäten, wie der Verteilung von Materialien, Vortragsveranstaltungen und Infoständen, berichtet. Im Jahr 2019 dominierte der Wahlkampf die Online-Aktivitäten. Erst im Oktober 2018 stieg der Kreisverband Oberhavel deutlich später als andere NPD-Verbände in die Kampagne "Schafft Schutzzonen" ein. Mehrfach fanden in Oranienburg (OHV) "Schutzzonen-Streifen" statt. Mehr als eine Handvoll Mitstreiter konnte die NPD jedoch nicht zur Teilnahme motivieren. Seit Mitte 2019 ließen diese Aktivitäten deutlich nach. 57 Facebook-Seite NPD Lausitz, 06.02.2019, (letzter Zugriff am 07.02.2019). 58 Homepage NPD-Brandenburg, 21.01.2019, (letzter Zugriff am 04.04.2019). 42 Kreisverband Märkisch Oderland (MOL) Kreisverband und Stadtverband Strausberg (MOL) sind wie schon in den Jahren zuvor 2019 kaum in Erscheinung getreten. Im Wahlkampf zur Kommunalwahl am 26. Mai 2019 verteilte der Kreisverband Wahlwerbung. Wie in anderen Kreisverbänden blieb der erhoffte Erfolg aus. Die NPD ist im Kreistag Märkisch-Oderland nicht mehr vertreten. Lediglich in der Gemeindevertretung Neuhardenberg reichte es für einen Sitz. Kreisverband Oderland (Frankfurt (Oder) und LOS) Der Kreisverband Oderland gehört zu den ersten Parteigliederungen, die in Brandenburg gegründet wurden. Hier wurden 1998 die ersten kommunalen Mandate errungen. Vorsitzender des Kreisverbandes ist der Landesvorsitzende Klaus Beier. Er sitzt seit 2003 im Kreistag Oder-Spree. Zum Kreisverband gehören die Stadtverbände Stadt Frankfurt (Oder) und Fürstenwalde (LOS) und die zwei Ortsbereiche Scharmützelsee und Schöneiche bei Berlin (beide LOS). Darüber hinaus hält die NPD einen Sitz in der Gemeindevertretung Spreenhagen (LOS), den die langjährige Funktionärin Manuela Kokott wahrnimmt. Die Internetaktivitäten des Kreisverbandes sind im Vergleich zu den Vorjahren merklich zurückgegangen. Stadtverband Potsdam Der Stadtverband Potsdam ist eine Fake-Gliederung der NPD, um der Öffentlichkeit vorzugaukeln, sie sei in der Landeshauptstadt präsent. Kreisverband Prignitz-Ruppin (OPR, PR) Der Kreisverband Prignitz-Ruppin umfasst die Landkreise Ostprignitz-Ruppin und Prignitz. Der eigentliche Motor des Kreisverbandes ist der Stadtverband Neuruppin. Bei der Kommunalwahl 2019 wurden alle kommunalen Mandate verloren. Der Kreisverband ist seit vielen Jahren personell und organisatorisch eng mit der regionalen neonationalsozialistischen Szene, speziell den "Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland", verflochten. Die Aktivitäten des Kreisverbandes sind weiter rückläufig. Bis auf die obligatorischen Facebook-Seiten - auf denen hauptsächlich gegen Geflüchtete gehetzt wurde - und Plakatierungen in den Wahlkämpfen 2019 war die NPD im Nordwesten Brandenburgs kaum wahrnehmbar. Kreisverband Uckermark (UM) Der Kreisverband Uckermark besteht als eigenständiger Kreisverband erst seit Beginn des Jahres 2017. Zum Kreisverband gehören die Stadtverbände Prenzlau und Schwedt/Oder (beide UM). Zwar war die NPD im Wahlkampf an einigen Orten für die Europaund Kommunalwahl 2019 mit Plakaten, Flugblattverteilungen, Mahnwachen und Infoständen präsent. Aber insgesamt gingen die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten im Vergleich zu den Vorjahren zurück. Auch der erhoffte Wahlerfolg blieb aus. Anstelle der bisherigen zwei Sitze erreichte man nur noch einen Sitz im Kreistag Uckermark. In den Kommunalvertretungen der Städte und Gemeinden der Uckermark hat die NPD keinen Sitz mehr. 43 Am Volkstrauertag gedachten Mitglieder des Kreisverbandes wieder den deutschen Gefallenen beider Weltkriege in Angermünde, Flemsdorf und Schwedt/Oder (alle UM). Den Volkstrauertag begehen Rechtsextremisten in geschichtsrevisionistischer Absicht jährlich als "Heldengedenken". 59 Ende 2019 beteiligt sich die NPD Uckermark an der bundeweiten Kampagne "Deutsche helfen Deutschen". Der Kreisvorsitzende und Mitglieder des Ortsbereichs Prenzlau (UM) wollen vollgepackte Stoffbeutel mit Lebensmitteln an bedürftige Personen verschenkt haben.60 Junge Nationalisten (JN) Die "Jungen Nationalisten" (JN) befinden sich auf Bundesebene und im Land Brandenburg seit Jahren in einer tiefen Krise. Öffentlich ist die Jugendorganisation der NPD quasi kaum mehr in Erscheinung getreten. In Brandenburg fiel der erst 2014 gegründete Landesverband nach der Ablösung des damaligen Landesvorsitzenden im März 2016 fast vollständig in sich zusammen. Ihrem Anspruch, eine völkischelitäre Kaderschmiede der NPD zu sein, wurden die JN in Brandenburg nie gerecht. Im Januar 2018 führten die JN ihren Bundeskongress in Riesa (Sachsen) durch. Nichts weniger als ein kompletter Neustart mit dem neu gewählten Bundesvorsitzenden Christian Häger aus Rheinland-Pfalz war das Ziel. Deutlich sollte das durch eine Umbenennung werden. Aus den "Jungen Nationaldemokraten" wurden im Januar 2018 die "Jungen Nationalisten". Zu einer Wiederbelebung der Aktivitäten in Brandenburg hat dieser erhoffte aber letztendlich völlig gescheiterte Neuanfang nicht geführt. Die JN Brandenburg waren 2019 nahezu inaktiv. Einzig zum "Tag der politischen Gefangenen" am 16. März 2019 in Brandenburg an der Havel ergriff der Bundesvorsitzende der "Jungen Nationalisten" das Wort und agitierte gegen die "politische Justiz" die missliebige Meinungen klein hielte und Recht beuge.61 Projekt Schutzzone (Bundespartei) Im Jahr 2018 initiierte die NPD das Projekt "Schafft Schutzzonen", um so ihrer Meinung nach die Sicherheit im öffentlichen Raum zu erhöhen. Dabei sollte einer vermeintlich ausufernden Kriminalität von Migranten durch "nationale Streifen" begegnet werden, weil angeblich "der Staat nicht fähig oder willens ist, seine Bürger zu schützen".62 Maßgeblicher Akteur in Brandenburg ist Ronny Zasowk aus Cottbus. Die angeblichen Einsätze der selbsternannten nationalen Bürgerstreifen werden auf Facebook dokumentiert. Dafür reicht es jedoch aus, drei NPD-Aktivisten kurz auf die Straße zu stellen, davon ein Foto zu machen und es hochzuladen, um anschließend zu behaupten, man sei hier und da unterwegs gewesen. Schwerpunkt der NPD-Bürgerstreifen war im Jahr 2019 die Stadt Cottbus. Mit lediglich nur sieben Aktionen in Brandenburg ist eine deutliche Stagnation der Bürgerstreifen-Kampagne feststellbar. 59 Facebook-Seite NPD Uckermark, 15.11.2019, (letzter Zugriff am 18.11.2019) sowie Facebook-Seite NPD Uckermark, 16.11.2019, (letzter Zugriff am 18.11.2019). 60 Facebook-Seite NPD Uckermark, 17.12.2019, (letzter Zugriff am 17.12.2019). 61 Facebook-Seite der Jungen Nationalisten, 26.03.2019, (letzter Zugriff am 06.02.2020). 62 Homepage "Schafft Schutzzonen", ohne Datum, (letzter Zugriff am 15.07.2020). 44 Bewertung / Ausblick Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei. Sie bot sich über Jahre als Schutzschirm für Kameradschaften und andere Rechtsextremisten an. Diese nutzten die Möglichkeit sehr intensiv, unter dem gesetzlichen Schutz des Parteienprivilegs ihre neonationalsozialistisch geprägte Ideologie in der NPD auszuleben. Der Landesverband der NPD lebt von einigen wenigen Multifunktionären. Schon der Ausfall eines Aktivisten kann bei der notorisch dünnen Personalund Funktionärsdecke einen ganzen Kreisverband lähmen. Zudem verliert die NPD zusehends an Unterstützung. Die Partei "DER DRITTE WEG" bietet sich als aktivistisch orientierte Alternative für den harten Kern der Neonationalsozialisten in der NPD an. Der gemäßigtere Teil der Anhänger fühlt sich zur anschlussfähigeren und wahlpolitisch erfolgreicheren AfD63 und deren extremistischen Verdachtsfällen JA und "Der Flügel" hingezogen. Kampagnen, wie das Projekt "Schafft Schutzzonen" zündeten nicht, weil offen uniformiertes Auftreten von Mitgliedern und Sympathisanten einer verfassungsfeindlichen Organisation, die es zum Teil selbst nicht so genau mit den Gesetzen nehmen, kaum positiv der Öffentlichkeit zu vermitteln sind. Im Mittelpunkt der NPD-Aktivitäten standen die Wahlen des Jahres 2019. Nennenswerte Erfolge erzielt die NPD aber nicht. Ganz im Gegenteil: Europaund Kommunalwahlen gerieten zum politischen Desaster. Der frühere NPD-Vorsitzende Udo Voigt wurde nicht wieder in das Europaparlament gewählt. In den Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen der kreisfreien Städte als auch in den Kommunalvertretungen der Städte und Gemeinden verlor die NPD massiv an Stimmen und Mandaten. Von insgesamt 49 Mandaten blieben nach der Kommunalwahl 2019 nur noch 13 übrig. Der Landesverband bewies angesichts dieser herben Niederlage Realitätssinn und zog seine Teilnahme an der Landtagswahl zurück.64 Bei der Europawahl gaben ihr nur noch 8.739 Brandenburgerinnen und Brandenburger65 ihre Stimme, was 0,7 Prozent entspricht. Erst zusammen mit den Ergebnissen der AfD66, deren Teilstrukturen JA und "Der Flügel" im Jahr 2019 als rechtsextremistische Verdachtsfälle galten, ergibt sich hier eine besorgniserregende Problemstellung. Denn ein nicht unerheblicher Teil der Wählerschaft ist entweder extremismusanfällig oder er nimmt zumindest in Kauf, Parteien zu wählen, die damit im Zusammenhang stehen. Der Bundesparteitag in Riesa (Sachsen) setzte den Schlusspunkt im Krisenjahr 2019. Die NPD versuchte mit ihrem im Amt bestätigten Vorsitzenden Frank Franz einen Neuanfang, der jedoch gründlich misslang. Um die Partei aus ihrem Tief und der Bedeutungslosigkeit zu holen, soll ein Zukunftskonzept erarbeitet werden. Selbst der Name "NPD" steht zur Disposition. Allerdings hat die Umbenennung der Jugendorganisation im Jahr 2018 keine Wirkung entfaltet. Die kommenden Jahre werden aller Voraussicht nach noch schwieriger für die NPD. Kaum qualifiziertes Personal, kaum kommunale Mandate, kein überzeugendes politisches Konzept und starke Konkurrenz durch die AfD67 und die neonationalsozialistische Partei "DER DRITTE WEG". 63 Siehe FN 2. 64 Homepage NPD Brandenburg, 18.06.2019, (letzter Zugriff am 06.02.20020). 65 Der Landeswahlleiter - Brandenburger Wahlergebnisse: Europawahl im Land Brandenburg am 26.05.2019, (letzter Zugriff am 06.02.2020). 66 Siehe FN 2. 67 Siehe FN 2. 45 3.3 DER DRITTE WEG Sitz / Verbreitung Bundesverband: Weidenthal (Rheinland-Pfalz); Verbreitung hauptsächlich in Südund in Ostdeutschland Gründung / Bestehen 28. September 2013 in Heidelberg Struktur / Repräsentanten Bundesvorsitzender: Klaus Armstroff; Vorsitzender "Gebietsverband Mitte": Matthias Fischer (auch stellvertretender Bundesvorsitzender) Struktur im Land Brandenburg: Zuständig für das Land Brandenburg ist der "Gebietsverband Mitte". Die drei in Brandenburg genannten Stützpunkte "Uckermark", "Mittelmark (Havel)" und "Potsdam/Mittelmark" sind Bestandteil dieses Gebietsverbandes. Ergänzende Informationen: Entgegen des herkömmlichen Parteiaufbaus mit Landesund Kreisverbänden unterhält die Partei "DER DRITTE WEG" unterhalb der Bundesebene vier Gebietsverbände. Innerhalb der einzelnen Gebietsverbände sind unterschiedliche regionale Stützpunkte aktiv. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Im Land Brandenburg hat die Partei "DER DRITTE WEG" etwa 40 Mitglieder. Veröffentlichungen Web-Angebote: der-dritte-weg.info sowie diverse Profile in sozialen Netzwerken und auf Videoportalen Kurzportrait / Ziele Die Partei wurde zunächst unter Beteiligung einzelner ehemaliger NPD-Mitglieder und Neonationalsozialisten aus Rheinland-Pfalz sowie Hessen gegründet. 2014 zeichnete sich in Bayern ein Verbot des neonationalsozialistischen Netzwerks "Freies Netz Süd" ab. Daraufhin ist ein Teil der Betroffenen ebenfalls der Partei "DER DRITTE WEG" beigetreten, um staatlichen Verbotsmaßnahmen zu entgehen. Die Aktivisten nutzen also gezielt den Schutz des Parteienprivilegs, um ihre neonationalsozialistischen Aktivitäten fortzusetzen. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden 46 Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit "DER DRITTE WEG" vertritt ein rechtsextremistisches Staatsund Gesellschaftsbild. Insbesondere völkisch-nationalistische Elemente des Nationalsozialismus werden aufgegriffen. Sein 10-Punkte-Programm ist ideologisch an das Gedankengut der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) angelehnt. Gefordert wird darin ein "deutscher Sozialismus". Die Partei propagiert die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", fordert "die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" und die "konsequente Förderung von kinderreichen Familien zur Abwendung des drohenden Volkstodes". Angestrebt wird eine ethnisch homogene Gesellschaft im Sinne des völkischen Nationalismus. Ohne Rücksicht auf die Menschenrechte soll dieses Ziel durch die rigide Ausgrenzung aller vermeintlich Fremden verwirklicht werden. Daher agitiert "DER DRITTE WEG" vor allem gegen Geflüchtete. Er fordert zudem "die Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen" und verfolgt damit offen revisionistische Gebietsansprüche. Lediglich aus taktischen Erwägungen lehnt "DER DRITTE WEG" Gewalt ab. Zahlreiche Mitglieder verfügen über eine langjährige rechtsextremistische Biografie. Die Partei pflegt Kontakte zu verschiedenen rechtsextremistischen Organisationen in Europa, wie beispielsweise zur "Goldenen Morgenröte" ("Chrysi Avgi", Griechenland) und zum "Asow Regiment" (Ukraine). Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Partei unterhielt im Jahr 2019 in Brandenburg nach eigener Darstellung die drei Stützpunkte "Uckermark", "Mittelmark (Havel)" und "Potsdam/Mittelmark". Alle drei gehören zum "Gebietsverband Mitte". Der Stützpunkt "Mittelmark (Havel)" wurde zwischenzeitlich nicht auf der Homepage erwähnt. Mitglieder und Sympathisanten der Partei traten im Jahr 2019 zumeist mit dem Verteilen von Flugblättern und Infoständen öffentlich in Erscheinung. Einen Schwerpunkt bildeten die regionalen Wirkungskreise der Stützpunkte. Auch im Rahmen der Aktionen "Deutsche Winterhilfe" und "Tierfutter statt Böller" traten Mitglieder regional begrenzt in Erscheinung, um Spenden zu sammeln beziehungsweise zu verteilen. Zudem wurden im Jahr 2019 in mehreren Gemeinden nach eigenen Angaben "nationale Streifen" durchgeführt. Die Partei kopiert hierbei die NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen" und versuchte sich im Wahljahr 2019 als "Kümmerer-" und Sicherheitspartei darzustellen. Ihre Flugblätter offenbarten das zentrale Ziel der Partei: die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. So schrieb "DER DRITTE WEG" über eine Verteilaktion des Stützpunktes Potsdam/Mittelmark unter dem Motto "Härtere Strafen für Kinderschänder": "Nur eine radikale Umkehr der politischen Verhältnisse mithilfe einer neuen Werteordnung gegenüber dem dekadenten BRD Establishment, wird die Lösung sein. Nur so können wir eine gesunde völkische Gemeinschaft erlangen."68 "DER DRITTE WEG" nahm im Jahr 2019 an den Europawahlen teil. Das diente dem Zweck unter den Schutzschirm des grundgesetzlichen Parteienprivileges zu flüchten. So will die Organisation Argumente gegen diejenigen ins Feld führen, die den Parteienstatus der Partei aufgrund ihres Charakters als neonationalsozialistische und aktivistische Kaderorganisation in Zweifel ziehen. Erfolg hatte die Partei mit 939 Stimmen nicht. Gleichwohl muss festgehalten werden, dass in Brandenburg ein erheblich höheres Wählerpotenzial für rechtsextremistische Parteien vorhanden ist. 68 Homepage "DER DRITTE WEG": Härtere Strafen für Kinderschänder - Verteilaktionen des Stützpunktes Potsdam/Mittelmark, 02.03.2019, (letzter Zugriff am 28.05.2020). 47 Die brandenburgischen Partei-Aktivisten waren 2019 bundesweit unterwegs und nahmen an szenerelevanten Treffen und Demonstrationen teil. Matthias Fischer und weitere Parteimitglieder aus Brandenburg besuchten ebenso extremistische Veranstaltungen im europäischen Ausland. Dazu zählen das faschistische Netzwerk "CasaPound" in Rom, der "Marsch der Ehre" in Budapest und zum wiederholten Mal der von ukrainischen Nationalisten und Rechtsextremisten organisierte "Marsch der Nationen" in der ukrainischen Hauptstadt Kiew im Oktober 2019. Bewertung / Ausblick In Brandenburg verfügt "DER DRITTE WEG" mit Matthias Fischer über einen ideologisch geschulten Kader, der seine aktionsorientierte Kleinstpartei weiter festigen will. Der hohe Organisationsgrad gepaart mit dem oftmals uniformen Auftreten in der Öffentlichkeit soll ein völkisch-heimatverbundenes, politisch engagiertes und diszipliniertes Bild vermitteln. "DER DRITTE WEG" zeichnet von sich und seinen Mitgliedern ein elitäres Zerrbild. Das Personenpotenzial der Partei wird deshalb weiter gering bleiben. Selbst wenn es der Partei bislang nicht gelang, die beanspruchte Führungsrolle innerhalb der "nationalen Bewegung" zu übernehmen, so steigt ihr Einfluss dennoch kontinuierlich an. Von allen 2019 in Brandenburg vertretenen rechtsextremistischen Parteien verfügt "DER DRITTE WEG" über die höchste Aktionsorientierung, die effizienteste Organisation und zudem über eine rigorose nationalsozialistische Gesinnung. Insofern ist sie sehr attraktiv für aktivistisch orientierte Rechtsextremisten. Die Partei wird an ihrer flüchtlingsfeindlichen Anti-Asyl-Kampagne festhalten und sich mithilfe der Themen "Heimatschutz" und "Traditionspflege" der völkischen Orientierung ihrer Mitglieder widmen. Die Partei birgt in sich ein latentes Gewaltpotenzial, dass durch gesellschaftliche oder szene-interne Einflussfaktoren in massive Gewalt eskalieren kann. Die Faszination der Mitglieder für Kampfsport und die Organisation entsprechender Veranstaltungen für den aktionsorientierten Teil des Rechtsextremismus sind hierfür ein klares Indiz. 48 3.4 Rechtsextremistische Verdachtsfälle: "Der Flügel" und die "Junge Alternative für Deutschland" (JA)69 Gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 1 Fall 1, SS 4 Abs. 1 Satz 1 lit. c, SS 4 Abs. 1 Satz 3 Bundesverfassungsschutzgesetz haben die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder den Auftrag, Informationen über Personenzusammenschlüsse zu sammeln und auszuwerten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in diesen verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden. In Parteien oder ihren Teilorganisationen werden verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt, wenn sie darauf gerichtet sind, die in SS 4 Abs. 2 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz (BbgVerfSchG) genannten Verfassungsgrundsätze durch politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen (SS 4 Abs. 1 Nr. 3 BbgVerfSchG). Bei bundesweit aktiven Bestrebungen ist ein bundesweit koordiniertes und abgestimmtes Vorgehen erforderlich. Sofern tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in einem Personenzusammenschluss verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt werden, betrachtet der Verfassungsschutz im Rahmen seines gesetzlichen Auftrags fortlaufend offen wahrnehmbare Aktivitäten und untersucht, inwiefern diese von hinreichendem Gewicht sind, um ein Beobachtungsobjekt einzurichten. Die Voraussetzungen für die Beobachtung durch den Verfassungsschutz sind gegeben, wenn hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen eines Personenzusammenschlusses vorliegen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgerichtet sind und mithin auf die Beeinträchtigung oder Beseitigung des grundgesetzlichen Kernbestandes abzielen. Der Verfassungsschutz Brandenburg ist diesbezüglich zu dem Ergebnis gekommen, dass die beiden Teilorganisationen der AfD "Junge Alternative für Deutschland" (JA) und "Der Flügel" extremistische Bestrebungen in der Stufe eines Verdachtsfalls sind. "Der Flügel" Hinsichtlich der in Brandenburg etwa 640 Personen zuzurechnenden AfD-Sammlungsbewegung "Der Flügel" um den Thüringer AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke sowie dem brandenburgischen AfD-Vorsitzenden Andreas Kalbitz liegen dafür hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte vor. Das durch den "Flügel" propagierte Politikkonzept ist primär auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet. Es verletzt alle Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratieund das Rechtsstaatsprinzip. Die Relativierung des historischen Nationalsozialismus ist zudem prägend für die Aussagen der "Flügel"-Vertreter. Der Fortbestand eines organisch-einheitlichen Volkes wird vom "Flügel" als höchster Wert angesehen. Der einzelne Deutsche wird nur als Träger des Deutschtums wertgeschätzt. "Kulturfremde" Nicht-Deutsche gelten als nicht integrierbar. Ihnen soll eine Bleibeperspektive konsequent verwehrt werden. Ziel des "Flügels" ist ein ethnisch homogenes Volk, welches keiner "Vermischung" ausgesetzt sein soll. Diese Einschätzung wird durch ein aktuelles Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts vom 28. Mai 2020 bestätigt. Das Gericht hält in seiner Urteilsbegründung fest, dass "tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht dafür [bestehen], dass zentrale politische Vorstellung des Flügels der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand ist und ethnisch "Fremde" nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben 69 Siehe FN 2. 49 sollen".70 Die Richter schlussfolgern unmissverständlich: "Ein dergestalt völkisch-abstammungsmäßiger Volksbegriff verstößt gegen die Menschenwürde."71 Diese Einschätzung wird durch flüchtlingsund muslimfeindliche Positionen des "Flügels" untermauert. Die Staatsbürgerschaft von muslimischen Deutschen wird in Frage gestellt. Ihnen drohen bei konsequenter Umsetzung der "Flügel"-Positionen Massenabschiebungen. Mittels einer aggressiven Wortwahl wird die von Migranten ausgehende Kriminalität krass überzeichnet. Befürworter einer liberalen Migrationspolitik werden zudem entwürdigend beschimpft. Ihre politische Haltung wird etwa mit einer Geisteskrankheit gleichgesetzt. "Flügel"-Vertreter wenden sich zudem gegen das Demokratieund das Rechtsstaatsprinzip. Demokratische Entscheidungen werden nur akzeptiert, wenn diese zu einer Regierungsübernahme durch die AfD führen. Mitglieder des "Flügels" weisen zudem Bezüge zu bereits als extremistisch eingestuften Organisationen auf. "Junge Alternative für Deutschland" Auch in Bezug auf die "Junge Alternative für Deutschland" (JA) liegen sowohl inhaltlich als auch numerisch hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei der Jugendorganisation der AfD um einen Verdachtsfall handelt. Sie richtet sich gegen die Garantie der Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz. Eine gründliche politikwissenschaftliche und juristische Analyse der Aussagen der JA zeigt, dass sie auf den Vorrang eines ethnisch-homogenen Volksbegriffs abzielt. Diejenigen, die dieser ethnisch geschlossenen Gemeinschaft nicht angehören, macht die JA in offensichtlicher Weise verächtlich. In Brandenburg hat die JA etwa 30 Mitglieder. Es liegen zudem deutliche Anhaltspunkte für eine migrationsund insbesondere islamfeindliche Haltung der JA vor. Dieser wird mit aggressiver Rhetorik Nachdruck verliehen. So forderte die JA zeitweise eine generelle abendliche Ausgangssperre für alle männlichen Flüchtlinge. Eine über reine Islamkritik drastisch hinausgehende Muslimfeindlichkeit tritt in vielen Redebeiträgen zutage, in denen immer wieder vor einem "Bevölkerungsaustausch" durch Muslime gewarnt wird. Vor diesem Hintergrund urteilte das Berliner Verwaltungsgericht in einer weiteren Entscheidung vom 28. Mai 2020, dass "tatsächliche Anhaltspunkte von hinreichendem Gewicht dafür vor[liegen], dass Landesverbände und exponierte Vertreter der [JA] kontinuierlich gegen Ausländer, vornehmlich muslimischen Glaubens, agitieren, diese pauschal diffamieren und verächtlich machen".72 Die Kammer sieht hierdurch die Menschenwürde klar verletzt. Die JA richtet sich weiterhin gegen das Demokratieprinzip. Den Verfassungsschutzbehörden liegen zahlreiche pauschal diffamierende Aussagen über die Regierung und das gesamte politische System vor. In der Gesamtschau stellen sich diese als Verächtlichmachung des Parlamentarismus dar, ohne dass von Seiten der JA eine den verfassungsrechtlichen Vorgaben pluralistischer Willensbildung entsprechende Alternative benannt wird. Die hierin begründeten Einstufungen der JA und des "Flügels" als Verdachtsfälle ermöglicht dem brandenburgischen Verfassungsschutz nunmehr eine personenbezogene Auswertung sowie eine Speicherung von personenbezogenen Daten in Dateien und Akten. Zudem dürfen - entsprechend des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. 70 Vgl. Verwaltungsgericht Berlin, VG 1 L 97/20, S. 17, https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.938829.php (letzter Zugriff: 17.02.2020). 71 Ebenda. 72 Vgl. Verwaltungsgericht Berlin, VG 1 L 95/20, S. 15 f., https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/presse/pressemitteilungen/2020/pressemitteilung.938829.php (letzter Zugriff: 17.02.2020). 50 3.5 Parteiunabhängige Strukturen 1: Kameradschaften Sitz / Verbreitung Kameradschaften sind eher im nördlichen Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Kameradschaften entstanden als Reaktion auf Verbote rechtsextremistischer Organisationen in den 1990er Jahren. Rechtsextremisten glaubten, dass sie sich durch diese Art der Zusammenschlüsse einem vereinsrechtlichen Verbotsverfahren entziehen könnten. Struktur / Repräsentanten Der Wirkungskreis von Kameradschaften ist für gewöhnlich lokal oder regional begrenzt. Oft spiegelt sich dies in der Namensgebung wider. Innerhalb der Kameradschaften besteht eine Übereinkunft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf der Basis rechtsextremistischer Grundorientierung. Ihre Binnenstrukturen sind in der Regel streng hierarchisch aufgebaut. Letztlich ist das Selbstverständnis der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP), die sich nie als Partei, sondern immer als Bewegung verstanden hat, das historische Vorbild für Kameradschaften. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Rechtsextremistische Kameradschaften haben etwa 50 Mitglieder im Land Brandenburg. Kurzportrait / Ziele Bei Kameradschaften handelt es sich um Gruppierungen, die insbesondere auf lokaler Ebene agieren. Überwiegend treten sie durch Teilnahme an regionalen oder überregionalen asylfeindlichen Veranstaltungen und Demonstrationen in Erscheinung. Bisweilen sind sie in die Organisation und Durchführung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen eingebunden. Ihr Auftreten ist aktionsund erlebnisorientiert. Rechtsbrüche werden billigend in Kauf genommen beziehungsweise bewusst angestrebt. Finanzierung Kameradschaften finanzieren sich zum Teil durch Mitgliedsbeiträge. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Kameradschaften bekennen sich zur Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus und zeichnen sich durch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt aus. Sie sehen sich als "politische Soldaten". Vermeintlich Fremde und auch politische Gegner gelten als Feinde, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. Damit wird Gewalt gegen "Fremde" beziehungsweise "Feinde" legitimiert. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Kameradschaften huldigen nationalsozialistischen Gallionsfiguren wie Horst Wessel und Rudolf Heß. Sie glorifizieren NS-Organisationen wie die Wehrmacht sowie die Waffen-SS und führen Traditionen aus der Zeit des Nationalsozialismus fort. Insbesondere begehen sie "Szene"-Feiertage, die sie als "Heldengedenktage" missdeuten. Die Szene feiert beispielsweise Hitlers Geburtstag. 51 Entwicklungen im Berichtszeitraum Von folgenden Kameradschaften wurden im Berichtszeitraum Aktivitäten verzeichnet: "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" (KMOB) Der Sitz der "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" (KMOB) ist in Bad Freienwalde (MOL). Trotz der offiziellen Selbstauflösung der Gruppierung im Jahr 2010 nach einem vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren waren fortlaufend Aktivitäten feststellbar. Im Februar 2014 traten die KMOB-Angehörigen geschlossen in die Partei "DIE RECHTE" ein und bildeten den "Kreisverband Märkisch-Oderland-Barnim". Damit konnte das Label KMOB beibehalten werden. Bewusst nutzten die Kameradschaftsmitglieder das besondere Parteienprivileg des Grundgesetzes, um einem möglichen Vereinsverbot zu entgehen. Zum 31. Januar 2018 verließen die Mitglieder wieder die Partei "DIE RECHTE". Die KMOB wollte ihren "Kampf um Deutschland" wieder als Kameradschaft weiterführen. Trotz dieser Ankündigung sind zumindest öffentliche Auftritte der KMOB im Jahr 2019 nicht bekannt geworden. "Identitärer Aufbruch" Die Mitglieder des "Identitären Aufbruchs" stammen aus der Region Senftenberg im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Es handelt sich um eine Kleinstgruppierung ohne konkrete Struktur, die seit 2016 existiert. Ihre Mitgliederzahl bewegt sich im kleinen, einstelligen Bereich. Die Akteure sind seit vielen Jahren als Neonationalsozialisten bekannt. Der "Identitäre Aufbruch" orientiert sich in seinem Aktionsmuster an der "Identitären Bewegung Deutschland", ohne mit dieser jedoch in irgendeinem organisatorischen Zusammenhang zu stehen. Die Hauptthemen des "Identitären Aufbruchs" sind eine vermeintlich drohende Überfremdung und eine angeblich damit einhergehende Islamisierung. Mit kleineren öffentlichen Aktionen versucht der "Identitäre Aufbruch" auf diese Situation aufmerksam zu machen. Der Aktionsradius ist auf Senftenberg (OSL) und das Umland beschränkt. In der Vergangenheit waren die Mitglieder bereits unter anderen Namen wie "Krümelmonster" und "Heimat & Zukunft" aktiv. Die Aktionen des "Identitären Aufbruchs" richten sich gegen Flüchtlinge und Menschen muslimischen Glaubens. Im rechtlichen Sinne handelt es sich zumeist um Sachbeschädigungen oder Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Die Aktionen der Gruppierung sind geeignet, zu Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass aufzustacheln. Der "Identitäre Aufbruch" fiel im ersten Quartal 2019 durch drei Aktionen auf, von denen die öffentlichkeitswirksamste die Verhüllung der Germania-Statue am 27. Januar 2019 im Stadtzentrum von Lauchhammer (OSL) war. Die Figur wurde mit einem schwarzen Tuch verschleiert und ihr ein Schild mit der Aufschrift "SOLL DAS UNSERE ZUKUNFT SEIN?" umgehängt. 73 Die Aktion wurde von der Gruppierung auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht und sollte als Warnung vor einer vermeintlich drohenden Islamisierung verstanden werden. Ab dem April 2019 wurden von der Gruppierung jedoch weder realweltliche noch Internetaktivitäten bekannt. 73 Ehemalige Facebook-Seite "Identitärer Aufbruch", 01.02.2019, (letzter Zugriff am 07.01.2020). Anmerkung: Die Facebook-Seite der Gruppierung ist derzeit nicht mehr aufrufbar. 52 Bewertung / Ausblick Das rückwärtsgewandte Kameradschaftskonzept hat für Rechtsextremisten in Brandenburg nahezu vollständig an Bedeutung verloren und wird nur noch von wenigen Akteuren verfolgt. Das Konzept findet kaum noch einen Platz zwischen den streng hierarchisch organisierten Bruderschaften, den eher informellen Netzwerken und den weitgehend lose organisierten "Freien Kräften", die bewusst auf Strukturen verzichten. Staatliche Repressionen und Vereinsverbote haben zudem die herkömmliche Kameradschaft unattraktiv für Rechtsextremisten gemacht. Andere Organisationsformen scheinen durch jugendaffineres Auftreten eine höhere Anziehungskraft auf junge Rechtsextremisten auszuüben als das Kameradschaftsmodell. 53 3.6 Parteiunabhängige Strukturen 2: Freie Kräfte Sitz / Verbreitung "Freie Kräfte" sind insbesondere im nördlichen Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Mitte der 1990er Jahre entwickelten Neonationalsozialisten das Konzept der "Freien Kräfte" als Reaktion auf zahlreiche auch gegen Kameradschaften gerichtete Vereinsverbote im Rechtsextremismus. Struktur / Repräsentanten Angehörige "Freier Kräfte" nutzen diese Organisationsform insbesondere, um sich von rechtsextremistischen Parteistrukturen oder eher hierarchisch organisierten Kameradschaften abzugrenzen. Eine Organisationshierarchie mit zentraler Führungsebene wird von "Freien Kräften" bewusst abgelehnt. Untereinander sind "Freie Kräfte" gut vernetzt. Der Begriff kommt bei Neonationalsozialisten zunehmend nur noch unverbindlich zur Anwendung, um das eigene parteiungebundene Konzept zu verdeutlichen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Rechtsextremistische "Freie Kräfte" haben etwa 35 Mitglieder im Land Brandenburg. Kurzportrait / Ziele Als "Freie Kräfte" bezeichnen sich Neonationalsozialisten, die sich bewusst außerhalb von rechtsextremistischen Parteien, Vereinen und anderen festen Strukturen wie Kameradschaften verorten. Sie sind in der Regel lokal organisiert, rekrutieren neue Mitglieder mit lokalen populistischen Themen, die sie aktionsund erlebnisorientiert vermarkten. Rechtsbrüche werden billigend in Kauf genommen beziehungsweise bewusst angestrebt. Finanzierung Die Finanzierung erfolgt teilweise durch Mitgliedsbeiträge. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit "Freie Kräfte" sind revisionistisch orientiert und gewaltbereit. Vermeintlich Fremde und auch politische Gegner gelten als Feinde, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. Damit wird Gewalt gegen "Fremde" beziehungsweise "Feinde" legitimiert. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Darüber hinaus glorifizieren sie, wie die rechtsextremistischen Kameradschaften, nationalsozialistische Verbrecher. Entwicklungen im Berichtszeitraum Folgende "Freie Kräfte" waren im Berichtsjahr 2019 in Brandenburg aktiv: "Freie Kräfte Prignitz" (FKP) Die "Freien Kräfte Prignitz" (FKP) stammen aus dem Landkreis Prignitz. Vermutlich wurden die FKP im Jahr 2014 gegründet. Bei der neonationalsozialistischen Gruppierung handelt es sich um einen gut vernetzten regionalen Zusammenschluss von etwa zwölf Personen, die allerdings überregional mobil sind. 54 Sie verfügen in Legde/Quitzöbel (Ortsteil Roddan) über ein Szeneobjekt.74 Ihre führenden Protagonisten sind seit vielen Jahren tief in der rechtsextremistischen Szene verwurzelt. Die FKP pflegen einen engen Kontakt zu den "Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland". Mitglieder beider Gruppierungen besuchen gemeinsam Szeneveranstaltungen, wie zum Beispiel rechtsextremistische Demonstrationen und Konzerte. "Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland" (FKN/O) Die 2009 gegründeten "Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland" (FKN/O) sind mit rund 15 Mitgliedern noch immer die aktivste rechtsextremistische Gruppierung im Nordwesten des Landes Brandenburg. Seit nunmehr fast zehn Jahren sind sie fest in der neonationalsozialistischen Szene der Landkreise OstprignitzRuppin und Havelland verankert. Die Gruppierung ist sowohl virtuell im Internet aktiv, organisiert aber auch eigene Aktionen und nimmt an überregionalen rechtsextremistischen Veranstaltungen teil. Charakteristisch für die FKN/O ist die enge Verzahnung mit der NPD, insbesondere dem NPD-Kreisverband Prignitz-Ruppin. Der ehemalige NPD-Stadtverordnete von Neuruppin, Dave Trick, ist gleichzeitig bei den FKN/O aktiv. Hauptthema ihrer Facebook-Seite ist die Flüchtlingsthematik. Fortwährend werden Beiträge über Straftaten, die mutmaßlich von Geflüchteten begangen wurden, veröffentlicht. Anschließend werden diese Beiträge von den Nutzern der Seite in extrem abwertender Art und Weise und in verallgemeinernder Form kommentiert. Die Mitglieder bekunden ihre Einstellung in der Öffentlichkeit zudem durch die Teilnahme an regionalen und überregionalen neonationalsozialistischen Veranstaltungen. Darüber hinaus initiieren die FKN/O Aktionen zu den rechtsextremistischen "Pflichtterminen" wie dem "Heldengedenken" am Volkstrauertag. Bewertung / Ausblick Die "Freien Kräfte" waren in Brandenburg zuletzt wenig innovativ in ihren Aktionsformen. Ein signifikanter Anstieg der Aktivitäten ist nicht zu erwarten. Dennoch gilt es weiterhin zu beobachten, ob und inwieweit sie ihre extremistischen Aktivitäten wieder verstärken. 74 Weitere Informationen finden Sie im Kapitel "Immobilien der rechtsextremistischen Szene". 55 3.7 Parteiunabhängige Strukturen 3: Bruderschaften Sitz / Verbreitung Bruderschaften sind im gesamten Land Brandenburg vertreten. Bisweilen verfügen Bruderschaften über eine feste Immobilie, die für interne Treffen und Feierlichkeiten genutzt werden. Gründung / Bestehen Das Phänomen rechtsextremistischer Bruderschaften ist kein neues. Bereits 1982 gründete sich beispielsweise in Ostberlin die rockerähnliche Gruppierung "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft". Sie ist wie eine "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG)75 organisiert und ähnelt durch das einheitliche Tragen von Kutten im Auftreten einem klassischen Rockerclub. Die "Vandalen" sind bis heute in die rechtsextremistische Musikszene eingebunden. In den letzten Jahren treten rechtsextremistische Bruderschaften verstärkt in Erscheinung. Struktur / Repräsentanten In Bruderschaften ahmen Rechtsextremisten den klassischen Rocker-Lifestyle nach. Mitglieder tragen bei Szeneveranstaltungen Lederkutten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen. Häufig werden die hierarchischen Strukturen der Rocker-Clubs übernommen. So haben beispielsweise einige rechtsextremistische "Bruderschaften", wie die "Barnimer Freundschaft", die eigentlich rockertypische Unterscheidung in "Prospects" (Anwärter) und "Fullmember" (Vollmitglieder) übernommen. Rituale, Sprach-Codes, Symbole, Outfits und Strukturen werden demnach kopiert. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Die Bruderschaften im Land Brandenburg haben etwa 75 Mitglieder. Kurzportrait / Ziele Ziel der Rechtsextremisten ist es, durch die Bildung rockerähnlicher Clans einen vermeintlich elitären Zirkel zu schaffen. Die Aufnahme als Mitglied auf Probe und der Aufstieg zum Vollmitglied sind häufig mit bestimmten Ritualen verbunden. Auf diese Weise soll eine verschworene Gemeinschaft von "Brüdern" geschaffen werden, die sich auch rein äußerlich durch das Tragen einer Art Vereinsuniform abgrenzt. Die strengen Hierarchien und klaren Regeln der OMCG passen dabei hervorragend mit den autoritären Führerfantasien mancher Rechtsextremisten zusammen. Das martialische Auftreten und die kameradschaftlich-brüderliche Verbundenheit der Rocker fügen sich in die Welt von Neonationalsozialisten ein. Gemeinsam ist allen rechtsextremistischen Bruderschaften, dass sie gemeinschaftliche, öffentliche Auftritte eher meiden. Kutten und sonstige Erkennungsmerkmale werden insbesondere bei internen Veranstaltungen und Konzerten getragen. Auf öffentliche Machtdemonstrationen, wie es bei OMCG üblich ist, wird für gewöhnlich verzichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass es vielen Gruppierungen schlichtweg an Masse mangelt. Zum anderen treibt die rechtsextremistischen Bruderschaften die Sorge um, durch ihre Uniformierung zu leicht als "Verein" identifiziert und damit Gegenstand vereinsrechtlicher Exekutivmaßnahmen zu werden. 75 Als "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) werden in erster Linie polizeilich relevante Rockergruppierungen bezeichnet. Vgl. auch: Bundeskriminalamt: Rockerkriminalität, https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/Rockerkriminalitaet/rockerkriminalitaet_node.html (letzter Zugriff am 16.07.2020). 56 Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass sie sich bisher kaum zu öffentlichkeitswirksamen politischen Aktionen durchringen konnten. Die Gemeinschaft soll voll und ganz im Zentrum stehen. Eine gefestigte Ideologie beziehungsweise gezielte Meinungsäußerungen zu speziellen Themen - wie man es von vielen "Freien Kräften" oder Kameradschaften kennt - sind nachrangig. Die Bruderschaften wollen vornehmlich nach innen wirken, weniger nach außen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Mitglieder rechtsextremistischer Bruderschaften vertreten rassistische, nationalistische und antisemitische Positionen. Szene-Musik ist von besonderer Bedeutung. Sie dient der Rekrutierung und dem Ideologietransfer. Besonders bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden menschenverachtende Liedtexte gesungen, die bei öffentlichen Veranstaltungen gelegentlich und bei im Geheimen stattfindenden Konzerten nahezu immer mit offenen Bekundungen zum Nationalsozialismus wie "Sieg Heil"oder "Heil Hitler"-Rufen einhergehen. Die Mitglieder von Bruderschaften nehmen insbesondere an rechtsextremistischen Veranstaltungen mit Erlebnischarakter (beispielsweise Konzerte, Liederabende, Clubabende) teil. Entwicklungen im Berichtszeitraum Folgende Bruderschaften waren im Berichtszeitraum im Land Brandenburg aktiv: "AO Strausberg" (AO SRB) Die "AO Strausberg" ist eine Gruppierung von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Strausberg (MOL), die nach dem Verbot der ANSDAPO ("Alternative Nationale Strausberger Dart-, Piercing und Tattoo-Offensive") im Jahr 2005 von einigen ehemaligen Mitgliedern gegründet wurde. Das Clubhaus befindet sich in Strausberg. Unter anderem führt die Gruppe hier Szeneveranstaltungen wie Feiern und Liederabende durch. Gute Kontakte hält die "AO Strausberg" zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie der "Barnimer Freundschaft", der "Bruderschaft H8" und den "Vandalen" (Berlin). Die Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen. Öffentliche Auftritte bleiben selten. Öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten sind im Jahr 2019 nicht bekannt geworden. "Barnimer Freundschaft" (BF25) Die "Barnimer Freundschaft" (BF25) ist ein Personenzusammenschluss von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Bernau (BAR). Das Clubhaus der "Barnimer Freundschaft" befindet sich in Wandlitz (OT Klosterfelde, BAR). Die Gruppierung pflegt gute Kontakte zu den rechtsextremistischen Gruppierungen "Northsidecrew", "AO Strausberg", "Bruderschaft H8", NPD (im Raum BAR und Berlin), "Turonen"/"Garde 20" (Thüringen) und "Vandalen" (Berlin). Die BF25 besteht seit etwa 2006. Die Finanzierung wird vermutlich durch Mitgliedsbeiträge und Erlöse aus Szeneveranstaltungen (zum Beispiel für Aktivitäten im Bereich Security) sichergestellt. An rechtsextremistisch geprägten Veranstaltungen nehmen Mitglieder als Gruppe erkennbar teil. Sie setzen sich mit ihren Lederkutten und aufgenähten Logos, die uniformähnlich sind, in Szene. So suggerieren sie Macht und Selbstbewusstsein. Im Jahr 2019 hat sich die Gruppierung mit öffentlichen Auftritten zurückgehalten. Dazu dürfte die Befürchtung vor Exekutivmaßnahmen der Strafverfolgungsbehörden beigetragen haben. 57 "Bruderschaft H8" (H8) Die "Bruderschaft H8" ist eine Gruppierung von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Strausberg (MOL), die nach dem Verbot der "ANSDAPO" von einigen ehemaligen Mitgliedern gegründet wurde. Zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie der "Barnimer Freundschaft", den "Vandalen" (Berlin) und den "Turonen"/"Garde 20" (Thüringen) bestehen gute Kontakte. Die H8 finanziert sich vermutlich aus Mitgliedsbeiträgen. Sie verfügt über kein bekanntes Clubhaus. Die Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen. Politische Aktivitäten oder öffentliche Auftritte der Mitglieder wurden nicht bekannt. "Brigade 8 - Chapter Spreewald" (B8) Die in Schleswig-Holstein gegründete rechtsextremistische Bestrebung "Brigade 8" verfügt über regionale Ableger, die als "Chapter" bezeichnet werden. In Brandenburg existiert seit 2017 das "Chapter Spreewald", dass aus etwa 15 Mitgliedern besteht, welche hauptsächlich aus Frankfurt (Oder) und der Region Burg (Spreewald) stammen. Das größte und bedeutendste Chapter ist "Eastside" in Mücka (Sachsen). Dort nahm das "Chapter Spreewald" häufiger an Szeneveranstaltungen teil. Das "Chapter Spreewald" organisierte 2019 eigene kleinere Szenetreffs, unter anderem auf einem Privatgrundstück in Burg (Spreewald) sowie in Lieberose (LDS). Es verfügt jedoch über kein bekanntes eigenes Clubhaus. Durch den guten Kontakt zum "NPD-Kreisverband Lausitz" sind die Mitglieder der Gruppierung im Vergleich zu anderen rechtsextremistischen Bruderschaften politisch aktiver und lassen sich für eine aktive Parteiarbeit instrumentalisieren, zum Beispiel im Rahmen der NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen". Die Aktivitäten der Gruppierung beschränken sich auf den südlichen Teil Brandenburgs sowie auf Szeneveranstaltungen in Sachsen. "Hammerskin-Nation" (HSN) Die "Hammerskin-Nation" (HSN) ist eine international agierende Organisation, die Ende der 1980er Jahre in den USA gegründet wurde und sich als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene versteht. Aktivitäten in Deutschland sind seit Anfang der 1990er Jahre bekannt. Die "Hammerskin-Nation" ist der rechtsextremistischen Musikszene zugehörig und organisiert Konzerte. In Brandenburg existiert seit 2017 mit dem "Hammerskin-Chapter Brandenburg" (HS) eine eigene Untergruppe mit etwa zehn Mitgliedern. Dem "Hammerskin-Chapter Brandenburg" dient ein Kleingarten in Rathenow (HVL) als Treffpunkt für kleine Veranstaltungen und Feiern. Für größere Events werden unauffällige und "neutrale" Objekte angemietet. In Brandenburg existierte bereits seit 2012 die "Crew 38 Brandenburg" als Supporter-Gruppierung der Hammerskins. 2017 stieg die "Crew 38" zu einem vollwertigen Mitglied der "Hammerskin-Nation" auf. Die Gruppierung darf sich seitdem offiziell "Hammerskin-Chapter Brandenburg" nennen und die "Hammerskin"-Symbolik tragen. Das Chapter konnte dadurch weitere Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen, Bands und Personen in Deutschland, Europa und vor allem in den USA aufnehmen. Die "Hammerskin-Nation" verfolgt das Ziel, die "weiße Rasse" zu beschützen und alle rechtsextremistischen weißen Skinheads weltweit zu vereinigen. Ihr Symbol der gekreuzten Zimmermannshämmer vor einem Zahnrad steht für die "weiße Arbeiterklasse", die sich dem rassistischen Leitsatz der Bewegung des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane verpflichtet sieht. Lanes "14 words" lauten: "We must secure the existence of our people and a future for white children"76. Das ideologische Hauptziel ist die "Reinhaltung der weißen Rasse". 76 "Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für unsere weißen Kinder sichern." 58 Die "Hammerskins" finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge und durch Einnahmen aus Musikveranstaltungen. So richteten die Hammerskins in Brandenburg am 23. November 2019 das sogenannte "National Officers Meeting" (NOM) aus. An dem NOM nahmen ca. 50 Hammerskins aus dem Bundesgebiet teil. "Märkische Skinheads 88" (MS88) Die "Märkischen Skinheads 88" (MS88) sind seit 2011 bekannt. Die Gruppierung stammt aus der Region Oberhavel. Die etwa zehn Mitglieder umfassende rechtsextremistische Gruppierung ist an der Organisation und Durchführung von szenetypischen Konzerten und Musikveranstaltungen beteiligt. Weiterhin pflegen die MS88 Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Gruppen, wie der "Barnimer Freundschaft", der "Northsidecrew" sowie zu rechtsextremistischen Bands wie "Hausmannskost", "D.S.T." (Berlin), Liedermachern wie "RAC'er Helle" (MV) und zu rechtsextremistischen Vertrieben, wie "Rebel Records" in Cottbus. Die MS88 finanzieren sich unter anderem durch die Organisation rechtsextremistischer Konzerte und Liederabende. "Burgunden Schwedt/Oder" Der Motorradclub "Burgunden Schwedt/Oder" hat sich 2019 von seiner öffentlich propagierten politischen Enthaltsamkeit endgültig verabschiedet. Der Gründer der Gruppierung hat im Jahr 2017 eine fremdenfeindliche Straftat begangen, für die er zu einem Jahr Haft verurteilt wurde. Die Strafe ist zu drei Jahren auf Bewährung ausgesetzt. Das Urteil ist seit März 2019 rechtskräftig. Im gleichen Monat traten die Burgunden als Veranstalter einer rechtsextremistischen Musikveranstaltung mit dem Hass-Musiker Michael Regner alias "Lunikoff" in Schwedt auf. Am 30. Mai 2019 folgte eine Veranstaltung mit der rechtsextremistischen Band "Wutbürger" in Zehdenick (Oberhavel). Damit dokumentierte die Bruderschaft, dass sie Teil der rechtsextremistischen Szene ist. Bewertung / Ausblick Bruderschaften werden weiterhin ihren festen Platz in der rechtsextremistischen Szene des Landes Brandenburg haben. Mittlerweile haben sich diese Strukturen etabliert und ihren Platz innerhalb der rechtsextremistischen Szene gefunden. Scheinbar haben die klassischen Rocker-Clubs wie Hells Angels oder Gremium MC kein Problem mit dem Auftreten der Neonationalsozialisten in Kutten. Zukünftig werden diese Gruppierungen in der rechtsextremistischen Szene weiter und verstärkt mitmischen, insbesondere bei der Organisation von rechtsextremistischen Rockkonzerten oder als Security bei Veranstaltungen. 59 3.8 Parteiunabhängige Strukturen 4: Vereine und sonstige Gruppierungen Sitz / Verbreitung In Brandenburg sind rechtsextremistische Vereine in den Landkreisen Havelland und Oberhavel ansässig. Struktur / Repräsentanten Rechtsextremistische Vereine organisieren sich zumeist in klassischer Vereinsform (Vorstandsmitglieder und einfache Vereinsmitglieder). Sie geben sich eine Satzung und kommen zu regelmäßigen Mitgliederversammlungen zusammen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 40 Mitglieder im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele Vereine vernetzen Rechtsextremisten miteinander und lassen sie in festen Organisationsstrukturen zielorientiert zusammenwirken. Darüber hinaus vermitteln Vereine auf den ersten Blick einen seriösen und offiziellen Anschein. Dies nutzen Rechtsextremisten gezielt aus und versuchen die Zivilgesellschaft zu unterwandern. Finanzierung Rechtsextremistische Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Rechtsextremistische Vereine vertreten eine rassistisch geprägte Ideologie der Ungleichheit. Grundlage ist oft ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild. Ihr Staatsbild ist antipluralistisch, autoritär und durch revisionistische Ansichten geprägt. Die Vereinsmitglieder haben häufig einen Vorlauf in anderen rechtsextremistischen Organisationen. Entwicklungen im Berichtszeitraum Von folgenden rechtsextremistischen Vereinen sind im Berichtszeitraum Aktivitäten verzeichnet worden: Bürgerbündnis Havelland e. V. 77 Der Verein wurde am 19. Dezember 2016 beim Amtsgericht Potsdam eingetragen. Vereinsvorsitzender ist Christian Kaiser. Zweck des Vereins ist laut Satzung die "Förderung des Politischen Bewusst-sein" (Fehler im Original!) verbunden mit einem Lippenbekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 77 Der Verein hat sich Anfang des Jahres 2020 aus dem Vereinsregister beim Amtsgericht löschen lassen. 60 Der Verein umfasst etwa 20 Mitglieder und finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Kommunikation und Außendarstellung erfolgt zum großen Teil über soziale Netzwerke. Wichtigstes Propagandaund Vernetzungsinstrument ist die Facebook-Seite "Bürgerbündnis Havelland e. V." Das "Bürgerbündnis Havelland" propagiert Islamund Fremdenfeindlichkeit, die Ablehnung demokratisch gewählter Repräsentanten und Reichsbürgerpositionen. Im Vereinslogo fällt die "Lebensrune" auf. Hiermit stellt der Verein bewusst die Nähe zur Symbolik des historischen Nationalsozialismus her.78 Das "Bürgerbündnis Havelland" veranstaltet regelmäßig flüchtlingsfeindliche Demonstrationen in Rathenow (HVL), auf denen die freiheitliche demokratische Grundordnung verunglimpft und in Abrede gestellt wird. Zum Teil wird offen zu Gewalt gegen den politischen Gegner und gegen den Staat aufgerufen. Die organisatorischen, ideologischen und personellen Überschneidungen mit der rechtsextremistischen Szene lassen darüber hinaus eine strukturelle Nähe zum herkömmlichen organisierten Rechtsextremismus erkennbar werden. Das "Bürgerbündnis Havelland" ist mit mehreren überregional agierenden islamund fremdenfeindlichen Gruppierungen vernetzt. Zu nennen sind insbesondere die "Bürgerbewegung Altmark" aus Stendal (Sachsen-Anhalt), das Bündnis "THÜGIDA" 79 sowie die beiden Berliner Gruppierungen "Wir für Deutschland" und "Hand in Hand". Hauptaktionsformen des Bürgerbündnisses waren 2019 wie in den vergangenen Jahren die Kundgebungen auf dem Märkischen Platz in Rathenow (HVL), aber auch Teilnahmen an islamund fremdenfeindlichen Demonstrationen in Berlin sowie an anderen Orten. Identitäre Bewegung Deutschland e.V., Ortgruppe Cottbus Die "Identitäre Bewegung Berlin/Brandenburg" besteht seit 2017 vorgeblich aus zwei Ortsgruppen (Cottbus und Potsdam). Davon war lediglich die Ortsgruppe Cottbus (etwa zehn Mitglieder) zeitweise aktiv. Die Ortsgruppe Cottbus der "Identitären Bewegung Deutschland" wird von "Ein Prozent e. V." 80 finanziell unterstützt. Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) ist ein aktionistisches, europaweites rechtsextremistisches Netzwerk. Die Anhänger vertreten ethnopluralistische Positionen auf der Straße und vermarkten diese online. Die liberale Freiheit lehnen sie als geistige Immunschwächekrankheit ab. Zur Durchsetzung des Ethnopluralismus propagieren sie einen Stopp der vermeintlichen Masseneinwanderung und Islamisierung Europas und Deutschlands. Zugleich spricht sich die IBD, wie die NPD, für die Schaffung einer "Festung Europa" aus. Die IBD distanziert sich zwar plakativ vom historischen Nationalsozialismus. Ihre extremistische Ideologie des Ethnopluralismus sowie ihr kollektivistischer Grundsatz, das Individuum mit seinen Menschenrechten einer konformistisch geprägten Nation unterzuordnen, sind unvereinbar mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Bewertung / Ausblick Es wird weiterhin Teil der Strategie von Rechtsextremisten sein, sich in Vereinen zu organisieren, die ihre wahren ideologischen Absichten verschleiern. Sie sind oftmals Teil eines breiteren, länderübergreifenden Netzwerkes muslimund fremdenfeindlicher Akteure. Dieses Netzwerk vertritt eine Ideologie der Ungleichheit. Die Aktivisten nutzen jede Gelegenheit, um fremdenfeindlich zu agitieren. 78 Im Nationalsozialismus wurde die "Lebensrune" etwa als "Lebensborn"-Zeichen genutzt und fand unter anderem Verwendung in den Abzeichen der "NS-Frauenschaft", des "Deutschen Frauenwerkes" und des "Reichsbundes Deutsche Familie". Zudem war es Dienstrangabzeichen des Sanitätsdienstes der "Sturmabteilung" (SA). 79 Die Abkürzung der unter anderem in Thüringen aktiven Gruppierung "THÜGIDA" steht für "Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes". 80 Der Verein ist seit Juni 2020 Verdachtsfall des Bundesamtes für Verfassungsschutz. 61 Bei der "Identitären Bewegung Cottbus" handelt es sich um eine aktionsorientierte Gruppierung, die in der Stadt Cottbus Fremdenhass und Islamfeindlichkeit fördert. In Teilen der Anti-Asyl-Bewegung der Region finden ihre Aktionen durchaus Zuspruch. Die ideologische Nähe zwischen der "Identitären Bewegung Berlin/Brandenburg" und den extremistischen Verdachtsfällen JA und "Der Flügel"81 führt dazu, dass die "Identitäre Bewegung Berlin/Brandenburg" in naher Zukunft keine eigenständige Rolle mehr spielen wird. 81 Siehe FN 2. 62 3.9 Parteiunabhängige Strukturen 5: Kampfsportgruppen Sitz / Verbreitung Rechtsextremistische Kampfsportgruppen sind in Brandenburg eher im südlichen Teil des Landes vertreten. Gründung / Bestehen Die gegenwärtig älteste rechtsextremistische Kampfsportgruppierung in Brandenburg stammt aus dem Jahr 2008. Das Phänomen wurde im Verfassungsschutzverbund erstmalig durch Brandenburg beschrieben. Struktur / Repräsentanten Die Anhänger von rechtsextremistischen Kampfsportgruppierungen entstammen häufig dem Fußballhooligan-, Kampfsportsowie dem Securityund Türstehermilieu. Es bestehen Überschneidungen mit Rocker-Gruppen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 125 Mitglieder bzw. Anhänger im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele Im rechtsextremistischen Weltbild hat die Vorbereitung auf einen "Endkampf" und den "Tag X" eine besondere Bedeutung. Die Ausübung von Kampfsport entspricht der Überzeugung, sich für den angestrebten Zusammenbruch der staatlichen Ordnung zu wappnen und ist somit Ausdruck einer aggressiv-kämpferischen Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Rechtsextremisten beschwören dabei vermeintliche soldatische Tugenden, wie "Härte", "Unerbittlichkeit", "Selbstüberwindung" und "Wehrhaftigkeit". Sie erheben sich über alle Menschen, die sie als minderwertige Volksfeinde ausmachen und denen sie mit ihrem überzogenen Körperbild Angst einflößen wollen. Die vermeintlich rassische Überlegenheit spiegelt sich im nationalsozialistischen Zerrbild des Übermenschen wider. Ein vermeintlicher "Volksgesundungsgedanke" spielt in der Ideenwelt der Rechtsextremisten eine Rolle. Dies äußert sich unter anderem in einer zunehmenden Orientierung an gesunder Ernährung, Bioprodukten bis hin zu einer "Straight Edge"-Lebensweise82; was wiederum Anschluss an bestimmte Teile der Gesellschaft und Jugendkulturen ermöglicht. Finanzierung Rechtsextremistische Kampfsportgruppierungen finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge, Sponsoring und die Organisation von Szeneveranstaltungen. Zusätzliche Einnahmen fallen durch Security-Einsätze sowie Tätigkeiten im Türsteher-Milieu an. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Neben körperlicher Fitness verbinden Rechtsextremisten den Kampfsport mit neonationalsozialistischer Ideologie und vertreten rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Positionen gepaart mit einem hohen Gewaltpotenzial. Um das rechtsextremistische Verständnis von "Männlichkeit" in diesem Kontext zu vermitteln, werden Selbstüberwindung, Härte, Disziplin und Kampfbereitschaft als identitätsstiftende Tugenden des "politischen Soldaten" propagiert. Der "Kampf" wird als ständige Lebensart der deutschen Rasse betrachtet, über den die Zukunftsfähigkeit des deutschen Volkes gesichert werden soll. 82 "Straight Edge" ist ein Lebensstil ohne Alkohol, Zigaretten und sonstige Drogen. 63 Entwicklungen im Berichtszeitraum "Kampfgemeinschaft Cottbus" Die "Kampfgemeinschaft Cottbus" ist eine lose Gruppierung von Rechtsextremisten aus dem gewaltbereiten Hooligan-, Kampfsport-, Securityund Türstehermilieu. Die Mitglieder stammen überwiegend aus Cottbus und dem Landkreis Spree-Neiße. Der Gruppierung besteht aus über 100 Personen. Sie entwickelte sich in Cottbus und Umgebung zum Sammelbecken für Rechtsextremisten mit hohem Gewaltpotenzial. Nach der Auflösung von "Inferno Cottbus" Mitte des Jahres 2017 suchten deren führende Akteure neue Betätigungsfelder und vertieften ihre schon vorhandene Allianz mit den teilweise aus dem Türsteherund Securitymilieu stammenden Protagonisten des rechtsextremistischen Labels "Black Legion". Bilder und Texte von der Gruppierung werden über dieses Bekleidungslabel veröffentlicht. Kampfund Kraftsport stehen bei den rechtsextremistischen Akteuren nicht nur für Wehrhaftigkeit und den Kampf gegen den politischen Gegner, sondern dienen ebenfalls der Rekrutierung. Die Gruppierung hat sich dem Repressionsdruck der Polizei gebeugt und weicht allen öffentlichen Konfrontationen aus. Stattdessen konzentriert sie sich im Hintergrund auf die Verbreiterung und wirtschaftliche Verfestigung ihres Netzwerkes. Konkurrierende Gruppen werden durch Druck und Gewalt verdrängt. Aufgrund der großen Bedeutung des Fußballvereins "FC Energie Cottbus" für die Lausitz bedarf es weiterhin erhöhter Aufmerksamkeit aller Verantwortlichen, Anhänger und Beteiligten, damit die Gruppierung ihren Herrschaftsanspruch im Umfeld des Fußballs verliert. Die Anstrengungen des Vereins tragen dazu bei. Northsidecrew Die "Northsidecrew" (NSC) ist ein rechtsextremistischer Kampfsportverein. Die Gruppierung betreibt in Lübben (LDS) eigene Trainingsund Clubräume in der ehemaligen Diskothek "Players". Sie verfügt über etwa zehn Mitglieder. Die NSC ist in der regionalen rechtsextremistischen Szene Südbrandenburgs besonders mit der rechtsextremistischen Fußballhooligan-Szene sowie darüber hinaus beispielsweise mit der "Barnimer Freundschaft" und den "Märkischen Skinheads 88" gut vernetzt. Der Verein führt in unterschiedlichen Abständen Szene-Veranstaltungen in seinen Trainingsräumen mit mehreren Dutzend Teilnehmern durch. Die Gruppe finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Sponsoring und Szeneveranstaltungen. Des Weiteren organisierte sie in ihren Trainingsräumen Feiern für die rechtsextremistische Szene. Der Verein ist seit 2008 eine Konstante im rechtsextremistischen Kampfsportmilieu. Das Alleinstellungsmerkmal "rechtsextremistischer Kampfsportverein" kommt der Gruppierung zu Gute. Bei den regelmäßig stattfindenden Kampfsportevents der Szene sind die NSC-Kämpfer fester Bestandteil. Zwischen "Northsidecrew", "Kampfgemeinschaft Cottbus", "Black Legion" und "Greifvogel-Wear" besteht eine Arbeitsteilung. Organisation von Szeneveranstaltungen, Vermarktung des Kampfsports, Accessoiresund Devotionalienhandel sowie Securityund Türstehereinsätze werden einvernehmlich aufgeteilt. 64 Bewertung / Ausblick Es besteht die Gefahr, dass sich das Aggressionspotenzial von Rechtsextremisten, die in körperlicher Auseinandersetzung geschult sind, zunehmend erhöht. "Kämpfe ohne Regeln" können zu einer Enthemmung der Gewalt führen. Zudem nutzen Rechtsextremisten den Kampfsport als Rekrutierungsfeld für Jugendliche. Darüber hinaus haben sich Kampfsportveranstaltungen zu Großevents der Szene entwickelt. Ein Teil der Erlöse wird für Szeneveranstaltungen zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise entsteht ein szeneinterner Geldkreislauf, welchen es weiterhin zu beobachten gilt. Größe und Gewaltpotenzial haben zu einer dominanten Stellung im nicht parteigebundenen rechtsextremistischen Spektrum Südbrandenburgs geführt. 65 3.10 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial Sitz / Verbreitung Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial ist im gesamten Land Brandenburg verbreitet. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 1.565 Personen im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele Das weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial umfasst in Brandenburg rund 1.565 Personen. Die Zusammensetzung ist sehr heterogen. Hierunter fallen alle organisationsungebundenen Rechtsextremisten, wie zum Beispiel subkulturell geprägte Rechtsextremisten, Gewalttäter, Internet-Aktivisten, die keiner Organisation zugeordnet werden können, rechtsextremistische Skinheads, regelmäßige Besucher von rechtsextremistischen Demonstrationen oder Konzerten sowie Personen in informellen Kleinstgruppen, die keine Außenwirkung entfalten. Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial bildet folglich keine geschlossene Szene. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Personen, die dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial zugeordnet werden, sind zumeist (wiederholt) durch rechtsextremistische (Gewalt-)Straftaten oder durch die Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen, wie Szenekonzerten und Demonstrationen, in Erscheinung getreten. Personen, die im Internet durch fremdenfeindliche, menschenverachtende und rassistische Äußerungen auffallen oder die sich offen zum Nationalsozialismus bekennen, werden hierunter gefasst. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden geht vom weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial eine besondere Bedrohung aus, da Personen aus diesem Spektrum überproportional häufig (Gewalt-)Straftaten begehen. Die fehlende Anbindung an feste Strukturen erschwert die Beobachtung dieser Personengruppe. Eine hohe anlassbezogene Gruppendynamik ist kennzeichnend. Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial ist ein Nährboden für radikalisierte Einzeltäter. Entwicklungen im Berichtszeitraum Anhaltend hohe Zahlen bei politisch motivierten (Gewalt-)Straftaten, regelmäßig durchgeführte Rechtsrock-Konzerte, rechtsextremistische Demonstrationen sowie verstärkte Aktivitäten bei Internet-Aktivisten ließen das Personenpotenzial im weitgehend unstrukturierten Rechtsextremismus im Jahr 2019 erneut anwachsen. Bewertung / Ausblick Von einem weiteren Anstieg des unstrukturierten Personenpotenzials ist in den nächsten Jahren auszugehen. Diese Personen werden durch rechtsextremistische Konzerte, Großveranstaltungen und Demonstrationen sowie sozialen Netzwerken und Internetplattformen rekrutiert und über viele Jahre in der Szene gehalten. Extremisten wird so eine offene und kaum zu kontrollierende Bühne für menschenverachtende und rassistische Hass-Kommentare geboten. Solche Formen der Onlineradikalisierung bergen die große Gefahr, rechtsextremistische Gewaltphantasien real werden zu lassen. 66 3.11 Rechtsextremistische Hassmusik Sitz / Verbreitung Rechtsextremistische Hassmusiker sind vor allem im Süden und im Osten des Landes Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Eine entsprechende Musikszene besteht seit den 1990er Jahren. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer 22 Bands (2018: 23 Bands) 17 Liedermacher (2018: 14 Liedermacher) Kurzportrait / Ziele Rechtsextremistische Musik ist das verbindende und identitätsstiftende Element der Szene. Sie ist häufig der erste Berührungspunkt für Jugendliche mit dem Rechtsextremismus. Dabei dient die Musik als Vehikel, um das neonationalsozialistische Gedankengut zu transportieren. Die verschiedenen Versatzstücke der rechtsextremistischen Ideologie werden in griffigen Parolen und Slogans verpackt. Die Bandbreite der Liedtexte ist entsprechend groß. Sie reicht von antisemitischer, rassistischer und fremdenfeindlicher Hetze, über Versatzstücke germanischer Mythologie bis hin zu antidemokratischer und systemfeindlicher Agitation und der Verherrlichung des NS-Regimes. Musik ist Teil einer rechtsextremistischen Erlebniswelt und dient der ideologischen Irreführung ihrer meist jungen Hörer. Von einigen Liedermachern und ihren Balladen, "National Socialist Black Metal" und nationalen Rap-Versuchen abgesehen, wird überwiegend Skinheadmusik oder Rechtsrock gespielt. Insbesondere die zumeist konspirativ vorbereiteten und durchgeführten Konzerte haben eine immense Bedeutung für den inneren Zusammenhalt der Szene. Der Musik kommt damit eine gemeinschaftsstiftende Funktion zu. Sie hat sich als probates Lockmittel erwiesen, um neue Anhänger an das rechtsextremistische Weltbild heranzuführen. Zudem sind rechtsextremistische Musikveranstaltungen und der Handel mit Tonträgern und Devotionalien eine gute Möglichkeit Geld für den politischen Kampf einzunehmen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Musik von Rechtsextremisten dient der Verherrlichung von Gewalt sowie des Nationalsozialismus. Bands sowie Liedermacher verbreiten - teils offen, teils verdeckt - rechtsextremistische, antisemitische sowie fremdenfeindliche Propaganda, hetzen gegen ihre politischen Gegner und stacheln zu Gewalt an. Auf Konzerten kommt es immer wieder zu strafbaren Handlungen. Oft werden verbotene nationalsozialistische Parolen gerufen und Grußformen wie etwa der verbotene Hitler-Gruß gezeigt. Rechtsextremistische Musik ist somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. 67 Entwicklungen im Berichtszeitraum 2019 konnte die rechtsextremistische Musikszene in Brandenburg ihr bereits hohes Aktivitätsniveau nochmals steigern. Die Zahl der Bands ist mit 22 (2018: 23; 2017: 20) auf einem hohen Niveau geblieben. Die Zahl der Liedermacher hat sich auf 17 (2018: 14; 2017: 13) erhöht. Parallel dazu stieg die Zahl durchgeführter Liederabende deutlich auf 14 (2018: 8; 2017: 7): Folgende aus Brandenburg stammende Bands waren 2019 aktiv: 1. Aryan Brotherhood (A.B.); Potsdam 2. Burn Down; Potsdam (2019 wieder aktiv) 3. Confident of Victory (C.O.V.); OSL 4. Exzess; MOL 5. Frontalkraft (FK); Cottbus 6. Frontfeuer; LOS 7. Feuer Frei; ohne regionale Zuordnung, einige Bandmitglieder kommen aus LOS 8. Handstreich inkl. Bandprojekte Natürlich und Motivation (neu für 2019); Potsdam 9. Hausmannskost (HMK); Cottbus 10. Old School Rockerz (Old School Rockers); BAR 11. Projekt 8.8; LOS, 12. Raritäten; BAR, vormals Exempel 13. Skrew You; LOS 14. SPN-S; SPN, kurzzeitig Unbeugsam 15. Stonehammer; LOS 16. Sons of Odin; LOS 17. Skindogs; LOS 18. Uwocaust und Helfershelfer beziehungsweise Uwocaust und RAConquista mit Bandprojekt Blutrein (neu für 2019); Potsdam, vormals Uwocaust und alte Freunde 19. Volkstroi; LOS 20. Wutbürger; BAR (Neuaufnahme für 2019) 21. Band aus Südbrandenburg; OSL 22. Band aus dem Landkreis LOS (Neuaufnahme für 2019) Inaktiv waren im Jahr 2019 folgende aus Brandenburg stammende Bands: 1. Jungvolk; UM, 2. Preussen Revolte; BAR 3. Stahlhelm; TF 4. Outlaw; OSL 68 Von folgenden aus Brandenburg stammenden Liedermacherinnen und Liedermachern wurden 2019 Aktivitäten festgestellt: 1. AK - Solingen (47); Cottbus 2. Anna; Südbrandenburg 3. Björn (teilweise Brusi oder Herr B.!); Frankfurt (Oder) 4. Bloody 32; Cottbus 5. Brenner; SPN 6. Fylgien; UM 7. Griffin; LOS 8. Hähnel bzw. Jörg Hähnel; TF (Neuaufnahme für 2019) 9. Hotte; ohne regionale Zuordnung (Neuaufnahme für 2019) 10. Martin; Potsdam 11. Luitgard; ohne regionale Zuordnung (Neuaufnahme für 2019) 12. Der M.; Frankfurt (Oder) (Neuaufnahme für 2019) 13. Paul (teilweise Bartender IB); Cottbus, 14. Paladin; MOL 15. Son of the Wind (S.o.W.); BAR 16. Sten; Cottbus 17. namentlich nicht bekannter Liedermacher aus Südbrandenburg; ohne konkretere regionale Zuordnung (Neuaufnahme für 2019) Obwohl Rockmusik noch immer das bestimmende Genre innerhalb der rechtsextremistischen Hassmusik ist, haben in den letzten Jahren nationaler Rap und Hiphop an Bedeutung gewonnen. Seit 2018 tritt der Rapper "Bloody 32" auf rechtsextremistischen Musikveranstaltungen in Brandenburg und Sachsen auf. Trauriger Höhepunkt war ein Auftritt am 7. Dezember 2019 vor 150 Teilnehmern in Spremberg. Der Hassmusiker berichtete auf Facebook übertrieben von einer erfolgreichen "Bloody 32"-Release-Party zum neuen Album "Zeitzeuge" mit rund 250 Gästen unterstützt von "Chris Ares" und "Prototyp NDS". Abschließend interpretiert er die Veranstaltung mit den Worten "SOLIDARITÄT IST EINE WAFFE!!!". In der jüngeren Vergangenheit entstanden verschiedene Bands im direkten Umfeld neonationalsozialistischer Organisationen wie Kameradschaften und Bruderschaften. Aber es gibt auch andere Beispiele. Erwähnenswert ist hierbei die Rechtsrock-Band "Wutbürger", die den schmalen Grat zwischen selbsterklärtem Wutbürgertum und Extremismus mit der Zeit verlassen und sich mit rechtsextremistischer Ideologie sowie entsprechender Symbolik dem rechtsextremistischen Milieu zuwandte. Der Sänger forderte im Sommer 2019 in einem Tweet, die "Spaltung [der Patrioten] in viele verschiedene Lager" zu überwinden. Hierbei erwähnte er explizit die rechtsextremistische "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD). Ein weiteres Beispiel: Die Bandmitglieder begrüßten im Herbst 2019 auf Facebook ihren neuen Gitarristen mit einem Posting und artikulierten dabei "Hass gegenüber dem temporär [...] herrschenden System". In einem Kommentar zu diesem Posting hieß es in Anlehnung an bekannte Thesen der "Reichsbürger und Selbstverwalter": "Liebe zu Deutschland und Hass dem Konstrukt was sich BRD schimpft." Auf diesen Kommentar reagierte die Band mit dem "Gefällt mir"-Button. Das rechtsextremistische Milieu finanziert sich zum Teil über rechtsextremistische Hassmusik. So war auffällig oft die Kameradschaft "Märkische Skinheads 88" (MS 88; OHV) an der Organisation und Durchführung von rechtsextremistischen Hassmusikveranstaltungen in Brandenburg und Sachsen beteiligt. Das gilt ebenso für die "Freien Kräfte Prignitz" und die NPD. Wegen des anhaltend hohen Drucks der Sicherheitsbehörden blieben die Konzertaktivitäten von Bands im Jahr 2019 auf einem sehr niedrigen Stand. Ohne Berücksichtigung reiner Liederabende konnten vier Konzerte (2018: 4; 2017: 5) durchgeführt werden. Drei Konzerte wurden im Vorfeld verhindert (2018: 2, 2017: 2). 69 Szenemusikveranstaltungen 2019 im Land Brandenburg Anfang Februar: Auftritt mehrerer Bands und Liedermacher in Südbrandenburg mit circa 100 Teilnehmern 09. März: verhindertes Konzert in Cottbus, unter anderem geplanter Auftritt von Bloody 32 (Cottbus). Das Konzert wurde noch am selben Tag in Hoyerswerda (Sachsen) durchgeführt. 30. Mai: verhindertes Konzert in Zehdenick (OHV) 30. Mai: Auftritt der Band Wutbürger (BAR) in Zehdenick (OHV) mit circa 40 Teilnehmern 31. Mai: verhindertes Konzert in Zehdenick (OHV) 31. Mai: Konzert in Zehdenick (OHV) mit circa 30 Teilnehmern 07. Dezember 2019: Konzert in Spremberg (SPN), organisatorische Beteiligung: Sub Version Production (Cottbus), unter anderem Auftritt von Bloody 32 (Cottbus) vor circa 150 Teilnehmern szenetypische Liederabende 2019 im Land Brandenburg Insgesamt 14 Liederabende fanden statt (2018: 8; 2017: 7): 19. Januar: Auftritt des Liedermachers Frank Rennicke (Bayern) vor etwa 30 bis 50 Teilnehmern in Lauchhammer (OSL) 25. Januar: Liederabend im Landkreis Oberhavel unter organisatorischer Beteiligung der "Märkischen Skinheads 88" (MS 88) mit circa 40 Besuchern 26. Januar: Liederabend im Landkreis Oberhavel mit organisatorischer Beteiligung der "Märkischen Skinheads 88" mit circa 40 Teilnehmern 19. März: Auftritt des Liedermachers Lunikoff (Berlin) in Schwedt/Oder (UM) vor circa 25 Teilnehmern auf dem Gelände der Burgunden April: Liederabend im Landkreis Barnim 27. April: Auftritt der Liedermacher Zeitnah (Thüringen) und FreilichFrei (Sachsen) im Land Brandenburg 10. Mai: Liederabend in Gramzow / OT Lützlow (UM) mit 60 Teilnehmern 13. Juli: Liederabend in Lauchhammer (OSL) 14. September: Auftritt von Fylgien (UM), Eidstreu (Sachsen-Anhalt) und Hermunduren (Thüringen) in Roddan (PR) unter organisatorischer Beteiligung der "Freien Kräfte Prignitz" 14. September: Auftritte von Zeitnah (Thüringen) und FreilichFrei (Sachsen) vor circa 40 Teilnehmern im Land Brandenburg Dezember: Liederabend im Landkreis Uckermark mit organisatorischer Beteiligung der NPD Uckermark 14. Dezember: Auftritt des Liedermachers FreilichFrei (Sachsen) in Südbrandenburg 21. Dezember: Liederabend in Kremmen (OHV) mit circa 50 Teilnehmern 28. Dezember: Auftritt des Liedermachers Bienenmann (Thüringen) in Lauchhammer (OSL) vor circa 60 Teilnehmern Im bundesweiten Vergleich sind die Aktivitäten rechtsextremistischer Bands und Liedermacher - darunter einige weibliche Liedermacherinnen - hoch. Das wird durch die Nähe zu Sachsen begünstigt, denn in Torgau (Ortsteil Staupitz) befindet sich ein Konzertort von bundesweiter Bedeutung. Dort ereigneten sich im Jahr 2019 wieder zahlreiche Konzerte mit Beteiligung brandenburgischer Bands. Statt in Brandenburg Auftrittsorte zu suchen, buchen Rechtsextremisten aus der Region Veranstaltungsorte in Sachsen für eigene Veranstaltungen. Darüber hinaus waren Hassmusiker aus Brandenburg noch häufig an weiteren auswärtigen Orten an Musikveranstaltungen beteiligt. 70 So waren vom 21. bis 22. Juni 2019 beim "3. Schild & Schwert-Festival" in Ostritz (Sachsen) unter dem Motto "Sonnenwende Sommerfest - Für die Selbstbestimmung aller freien Völker der Erde" die rechtsextremistischen Bands "Griffin" (LOS), "Frontfeuer" (LOS), "Confident of Victory" (OSL), "Sons of Odin" (LOS) und "Hausmannskost" (Cottbus) zugegen. Bei der Veranstaltung wurden rund 1.000 Besucher gezählt. An den folgenden bundesweit organisierten Konzerten und Veranstaltungen waren 2019 Akteure aus Brandenburg auf der Bühne oder als Organisatoren beteiligt: Datum Veranstaltungsort Bandname / Liedermacher / Organisation Teilnehmer 18.01. Allstedt OT SotterUwocaust (Potsdam); etwa 230 hausen (SachsenPersonen aus Brandenburg (OHV und CottAnhalt) bus) waren in die Organisation eingebunden. 19.01. Staupitz (Sachsen) Uwocaust (Potsdam); etwa 230 Personen aus Brandenburg (OHV und Cottbus) waren in die Organisation eingebunden und als Ordner vorgesehen. 26.01. Leipzig (Sachsen) Fylgien (UM) nicht bekannt 16.02. Staupitz (Sachsen) Handstreich (Potsdam) etwa 130 23.02. Bad GottleubaUwocaust (Potsdam) etwa 120 Berggießhübel OT Langenhennersdorf (Sachsen) 09.03. Hoyerswerda (SachBloody 32 (Cottbus) etwa 250 sen) 23.03. Mücka (Sachsen) Oldschool Rockers (BAR) etwa 200 27.04. Striegistal OT MarFylgien (UM) etwa 20 bach (Sachsen) 18.05. Hoyerswerda (SachHausmannskost (Cottbus), Frontalkraft etwa 200 sen) (Cottbus), SPN-S (SPN), Liedermacherin Anna (Südbrandenburg); Personen aus Brandenburg (Cottbus) waren in die Organisation eingebunden. 21.06. / Ostritz (Sachsen) Griffin (LOS), Frontfeuer (LOS), Confident etwa 300 / 700 22.06. of Victory (OSL), Sons of Odin (LOS), Hausmannskost (Cottbus) 13.07. Hoyerswerda (Sachverhindertes Konzert: Es sollten unter andesen) rem Exzess (MOL), Feuer Frei (LOS) und Oldschool Rockerz (BAR) auftreten. 20.07. Zwickau (Sachsen) Fylgien (UM) etwa 35 20.07. Meerane (Sachsen) verhinderter Liederabend: Es war unter anderem der Auftritt von Fylgien (UM) geplant. 01.11. Bad GottleubaExzess (MOL); etwa 200 Berggießhübel OT Personen aus Brandenburg (OHV und CottLangenhennersdorf bus) waren in die Organisation eingebunden. (Sachsen) 71 02.11. Staupitz (Sachsen) Exzess (MOL), Uwocaust (Potsdam), Hausetwa 230 mannskost (Cottbus); Personen aus Brandenburg (OHV und Cottbus) waren in die Organisation eingebunden. Darunter auch "MS 88". 08.11. Staupitz (Sachsen) Personen aus Brandenburg (OHV und Cottetwa 250 bus) waren in die Organisation eingebunden. 08.11. / Neuensalz (SachBundeskongress "Junge Nationalisten" (JN); etwa 100 09.11. sen) unter anderem Auftritt von Fylgien (UM) 09.11. Bad GottleubaPersonen aus Brandenburg (OHV und Cottetwa 100 Berggießhübel OT bus) waren in die Organisation eingebunden, Langenhennersdorf darunter auch "MS 88". (Sachsen) 07.12. Sachsen verhindertes Konzert von Bloody 32 (Cottbus); Personen aus Brandenburg (Cottbus) waren in die Organisation eingebunden, darunter das Label "Sub Version Production" (Cottbus). 28.12. Staupitz (Sachsen) Uwocaust (Potsdam); etwa 240 Personen aus Brandenburg (Cottbus) waren in die Organisation eingebunden. Die Produktion neuer Tonträger (einschließlich der Beteiligung an Tonträgern anderer Bands und CDSampler) ist mit 18 Veröffentlichungen (2018: 10; 2017: 10) gegenüber dem Vorjahr deutlich gestiegen. Lfd. Nr. Bandname Titel Art Hersteller 1 AK - Solingen (47) DEMO CD unbekannt 2 AK - Solingen (47) RechtsRock einmal anders CD unbekannt 3 Bloody 32 Zeitzeuge CD Sub Version Production (Cottbus) 4 Blutrein Naturkampf CD PC Records (Chemnitz, (Band/Bandprojekt Sachsen) von Uwocaust) 5 Confident of VicBis zum Horizont CD OPOS Records (Lintory denau, OSL) 6 Confident of VicMitten im Widerstand CD OPOS Records (Lintory denau, OSL) 7 Exempel C 18 CD C 18 8 Feuer Frei Hoffnung 2019 CD OPOS Records (Lindenau, OSL) 9 Motivation Deutschland wird frei CD PC Records (Chemnitz, (Band/Bandprojekt Sachsen) von Handstreich) 10 Son of the Wind Promo CD 2019 CD unbekannt (S.o.W.) 11 Sons Of Odin Odin's Demolition Crew CD Nordic Sun Records Budapest (Ungarn) 72 12 unter anderem mit Sampler: Eine Front Drinnen CD Rebel Records (Cottbus) Fylgien, Burn wie Draußen Down, Luitgard 13 unter anderem mit Sampler: Der JN Sampler - CD PC Records (Chemnitz, Fylgien, Hand50 Jahre Widerstand für Sachsen) streich, Jörg HähDeutschland nel 14 unter anderem mit Sampler: Tag der deutschen CD PC Records (Chemnitz, Uwocaust, HandZukunft 2019 Sachsen) streich 15 unter anderem mit Sampler: Unterstützer-CD CD NPD Materialdienst (BerUwocaust und alte Tage der nationalen Bewelin) Freunde gung 2019 in Themar (TH) 16 unter anderem mit Fünfundzwanzig CD GKS / Frontmusik (LosUwocaust satal, Sachsen) 17 mit Unterstützung Lieder die das Leben schrob CD PC Records (Chemnitz, von Front Feuer Sachsen) 18 mit Unterstützung Alarmstufe Braun CD Front Records (Lossatal, von Son of the Sachsen) Wind (S.o.W.) Die Produktion und der Vertrieb von Tonträgern erfolgen meist über rechtsextremistische Musiklabels. Sie stellen Aufnahmetechnik zur Verfügung und verkaufen Tonträger über das Internet und in Ladengeschäften. Wie in den letzten Jahren waren "PC Records" in Chemnitz (Sachsen) und "Rebel Records" mit dem Ladengeschäft "The Devils Right Hand Store" in Cottbus für die brandenburgische Szene ein wichtiger Auflaufpunkt. Ein weiterer einflussreicher Vertrieb ist "One People One Struggle Records" (OPOS Records) in Lindenau (OSL). Folgende rechtsextremistische Vertriebsund Tonträgerproduktionsstrukturen waren 2019 im Land Brandenburg aktiv: Erik & Sons (Königs Wusterhausen, LDS): Textillabel Exzess Records (Strausberg, MOL): Label, Vertrieb K.S. Versand (Knochensack) (Bad Saarow, LOS): Vertrieb Opos Records mit Textillabel "Greifvogel Wear" (Lindenau, OSL): Label, Vertrieb Rebel Records mit Textillabel "Black Legion Wear" (Cottbus): Label, Vertrieb, Ladengeschäft Superbolle (Bestensee, LDS): Vertrieb Sub Version Production (Cottbus): Label, Vertrieb (Neuaufnahme für 2019) 73 Bewertung / Ausblick Das rechtsextremistische Konzertgeschehen kann - wenn auch außerhalb Brandenburgs - nach wie vor mit Großveranstaltungen aufwarten, die vierstellige Besucherzahlen hervorbringen. Daher wird der hohe Druck der brandenburgischen Sicherheitsbehörden auf die Szene konsequent aufrechterhalten. So konnten 2019 erneut rechtsextremistische Konzerte und Liederabende im Land Brandenburg verhindert werden. Brandenburgische Bands wissen darum und meiden deshalb Konzertorte im Land. Die Gefahren des Verbots beziehungsweise der Konzertauflösung sind zu hoch, führen zu enormen Verlusten der Organisatoren und rechtfertigen daher kaum den Aufwand. Deshalb weichen brandenburgische Bands auf andere Bundesländer wie Sachsen oder in den Jahren zuvor sogar ins Ausland aus. Im Gegensatz dazu steht eine deutliche Zunahme von Liederabenden in Brandenburg. Sie sind mit weniger Aufwand vorzubereiten und durchzuführen. Denn die Gefahr finanzieller und materieller Verluste durch Verbote oder Konzertauflösungen ist hier deutlich geringer. Die Szene ist sich dessen bewusst und offenbar bereit, diese geringeren Risiken einzugehen und damit den Staat herauszufordern. Darauf müssen die Sicherheitsbehörden neue Antworten finden. Mit Blick auf die Einwohnerzahl kommt aus Brandenburg die wohl umtriebigste rechtsextremistische Hassmusik(er)szene Deutschlands. Durch die hohe Auftrittsdichte ist sie bundesweit bekannt. Die Zahl der Bands bewegt sich seit Jahren konstant auf einem hohen Niveau. Parallel wächst die Zahl der Liedermacher stetig. Ebenso hat die Zahl der Tonträgerproduktionen deutlich zugenommen. Hinzu kommt eine breit aufgestellte Label-Struktur, die beständig für Tonträger-Nachschub sorgt. Hier nimmt das Land Brandenburg also für die gesamte rechtsextremistische Szene Deutschlands eine gefährliche Sonderrolle ein. Es ist mit seinen Bands, Liedermachern und Labels quasi zentraler Taktgeber für das Hassmusikgeschehen, während Sachsen die Locations stellt. Hassmusik ist das Bindemittel des deutschen Rechtsextremismus und dient drei zentralen Zielen. Sie soll erstens die Ideologie des Rechtsextremismus verbreiten, also junge Menschen außerhalb der Szene quasi "anfixen", um sie als Nachwuchs zu gewinnen. Sie soll zweitens für Konzert-Events sorgen, auf denen sich Rechtsextremisten aller Couleur tummeln. Solche Ereignisse dienen schließlich der Pflege der gemeinsamen Erlebniswelt, der Vernetzung und als Bindemittel der Szene-Verdichtung. Und drittens wird über Konzerte sowie Tonträgerverkäufe Geld generiert, welches wieder reinvestiert wird, was größere Unabhängigkeit schafft und den ganzen Betrieb zur weiteren Befeuerung der Subkultur am Laufen hält. Die Szene in Brandenburg ist hier Taktgeber. Zivilgesellschaft, Politik und Sicherheitsbehörden sind gefordert, nach neuen Mitteln und Wegen zu suchen, um dieses Hassmusik-Cluster noch stärker als bisher unter Druck zu setzen. 74 3.12 Immobilien der rechtsextremistischen Szene Um extremistisch-politische Arbeit wie Schulungen, Veranstaltungen, Konzerte oder Liederabende durchführen zu können, benötigen Rechtsextremisten Immobilien, die sich möglichst im Eigentum eines Anhängers oder Sympathisanten befinden. Der Zugriff auf solche Liegenschaften dient in erster Linie dem Aufbau und der Verfestigung der Szene sowie dem Ausbau der Szene-Infrastruktur. Die Anforderungen an die Objekte sind vielfältig und unterscheiden sich je nach Anlass. Bad Freienwalde (MOL) Der ehemalige Vorsitzende des mittlerweile aufgelösten Landesverbandes der rechtsextremistischen Kleinpartei "DIE RECHTE" besitzt in Bad Freienwalde (MOL) ein Einfamilienhaus mit ausgebautem Nebengelass. Diese Räumlichkeit wird szeneintern als "Sturmlokal" bezeichnet. Das Grundstück sowie das Nebengelass dienen der "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" als Treffort und für Szeneveranstaltungen. Lübben (LDS) Der rechtsextremistische Kickbox-Verein "Northsidecrew" unterhält in Lübben (LDS) in der ehemaligen Diskothek "Players" seine Trainingsund Clubräume. Das Objekt wurde im Jahr 2019 weiterhin für Feiern mit rechtsextremistischem Charakter genutzt. Legde/Quitzöbel OT Roddan (PR) Eine ehemalige Gaststätte in dem kleinen Ortsteil Roddan der Gemeinde Legde/Quitzöbel (PR) wurde von Mitgliedern der "Freien Kräfte Prignitz" zu einem Veranstaltungsobjekt für Szenefeiern und -treffen umgebaut. Am 14. September 2019 fand hier ein Liederabend mit den rechtsextremistischen Musikern "Fylgien", "Eidstreu" und "Hermunduren" statt. Rathenow (HVL) Bei der Liegenschaft in Rathenow (HVL) handelt es sich um einen Kleingarten, der wiederholt durch die lokale rechtsextremistische Szene für Veranstaltungen, wie interne Feiern oder Liederabende, genutzt wird. Strausberg (MOL) In Strausberg (MOL) betreibt die rechtsextremistische Gruppierung "AO Strausberg" ihr Clubhaus in einem Garagenkomplex, in welchem Szenefeiern und Clubabende veranstaltet werden. Wandlitz OT Klosterfelde (BAR) Im Wandlitzer Ortsteil Klosterfelde (BAR) unterhält die rechtsextremistische Gruppierung "Barnimer Freundschaft" ihr Clubhaus auf einem ehemaligen Industriegelände. Die Immobilie wird weiterhin für Szenefeiern und Clubabende genutzt. Insgesamt sind die Aktivitäten in dem Clubraum jedoch rückläufig. 75 4. Reichsbürger und Selbstverwalter 76 4. Reichsbürger und Selbstverwalter Sitz / Verbreitung In Brandenburg waren im Jahr 2019 in erster Linie vier Gruppierungen aktiv, die den "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" zuzurechnen sind: "Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches", "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen", "Geeinte deutsche Völker und Stämme"83 und "DIENSTSTELLE 1/76 - Vereinigung zur operativen Aufklärung, Ermittlung und Enttarnung der Richtlinie 1/76 des MfS der DDR". Gründung / Bestehen 1985 wurde die erste "Kommissarische Reichsregierung" (KRR) in Berlin gegründet. In Brandenburg wurden seit dem Jahr 2000 immer wieder einzelne Gruppierungen aktiv. Struktur / Repräsentanten Das Milieu der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist sehr heterogen. Neben den vier Hauptgruppierungen gehören in Brandenburg kleinere Vereine, regionale Netzwerke und Einzelpersonen dazu. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Es gibt rund 600 "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Brandenburg. Etwa 10 Prozent davon sind dem Rechtsextremismus zuzuordnen. Veröffentlichungen Alle vier Gruppierungen verfügen über einen eigenen Internetauftritt und bieten die szeneüblichen Fantasiepapiere und Schriftsätze zum Download an. Daneben existieren Vernetzungsplattformen im Internet und ein vielfältiges Angebot an zumeist geschlossenen Foren oder Gruppen in sozialen Netzwerken oder auf Messenger-Diensten. Einzelne Autoren und Autorenzusammenschlüsse aus dem verschwörungsideologischen Milieu veröffentlichen gezielt Monografien für die Angehörigen und Sympathisanten der Szene. Kurzportrait / Ziele "Reichsbürger und Selbstverwalter" in ihrer heutigen Ausprägung sind ein relativ junges Phänomen. Die Teilmenge der "Reichsbürger" orientiert sich häufig an den revisionistischen Ansichten des Rechtsextremismus und ist damit ein Teil dieser politischen Bewegung. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches und die angeblich fehlende Legitimation der Bundesrepublik Deutschland. Sie behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daraus folgern sie, dass alle Deutschen staatenlos seien. Daher fühlen sie sich auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Außerdem verneinen sie die Rechtmäßigkeit deutscher Gerichte und Verwaltungen. Die Bundesrepublik sei nur ein Unternehmen ("GmbH"), eine Scheinbehörde oder eine übergangsweise von den Alliierten eingesetzte Verwaltung. Zudem fallen "Reichsbürger" durch antisemitische, ausländerfeindliche und revisionistische Äußerungen auf. Selbstverwalter berufen sich in der Regel auf ein selbst definiertes Naturrecht, geben "Lebenderklärungen" ab und fühlen 83 Der Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme e.V." (GdVuSt) wurde am 19. März 2020 vom Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat verboten. Damit wurde erstmals ein überregional aktiver Verein aus dem Milieu der "Reichsbürger und Selbstverwalter" verboten. Mit dem Verbot einhergehend fanden in zehn Bundesländern, unter anderem auch in Brandenburg, Hausdurchsuchungen statt. 77 sich ebenfalls nicht an Gesetze gebunden. Sehr oft steckt dahinter der Versuch, sich Steuerzahlungen, Bußgeldern oder sonstiger finanzieller Verpflichtungen zu entledigen. Vorbild für diesen Teil der Szene sind die "souveränen Bürger" (Sovereign Citizens) oder "Freemen" in den USA. Ähnlich wie diese gründen "Selbstverwalter" seit einigen Jahren "Gemeinden", "Staaten" und andere Fantasiegebilde. Das Milieu der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist stark von Verschwörungsideologien beeinflusst. Das kann die Grundlage für weitergehende Radikalisierungsprozesse sein. Gerichte, Finanzämter, Polizei und andere Behörden werden seit Jahren in ihrer Arbeitsweise behindert. "Reichsbürger und Selbstverwalter" schrecken dabei auch nicht vor Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen zurück. Sie werden als Bestrebung mit erheblichem Gewaltpotenzial eingeschätzt. Seit Dezember 2016 wird das Milieu auf waffenrechtliche Erlaubnisse hin überprüft, um diese - wo immer möglich - zu entziehen und so den legalen Waffenbesitz in der Szene zu unterbinden. Finanzierung "Reichsbürger und Selbstverwalter" finanzieren sich durch den Verkauf von Fantasiepapieren, Seminarangeboten, Vorträgen und Büchern. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Ideologie und Aktivitäten von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind daher verfassungsfeindlich. Für "Reichsbürger und Selbstverwalter" stellt die bestehende politische und soziale Ordnung etwas fundamental Schlechtes dar, das durch eine grundlegende Umwälzung zugunsten eines autoritären Gesellschaftsmodells überwunden werden müsse. "Reichsbürger und Selbstverwalter" sehen sich als Gefangene oder Unterdrückte in einem ihnen fremden Feindstaat und verfolgen eine darauf ausgerichtete Widerstandsstrategie. Dazu gehört beispielsweise die Gründung von "Staatenbünden". Deren eigene Fantasie-Verfassungen dokumentieren deutlich, wie fundamental dieses Milieu die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt. Der demokratische Rechtsstaat mit seiner unabhängigen Justiz hat in diesen Fehlinterpretationen, welche auf angeblichen "vernunftrechtlichen Überlegungen" beruhen, keinen Platz. Entwicklungen im Berichtszeitraum "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" Die Gruppierung "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" besteht seit 2017 und hat ihren Sitz in Cottbus. Zu den mit der "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" verbundenen Strukturen gehören die "Stadtgemeinde Cottbus" sowie der "Verein zur Förderung des Rechtssachverstandes in der Bevölkerung-Brandenburg" (RSV-Brandenburg). Die Gruppierung fällt seit ihrer Gründung regelmäßig mit revisionistischen und antisemitischen Äußerungen auf. Zudem tritt ein Antiamerikanismus zu Tage. 2019 agitierte die Gruppierung vor allem gegen das Demokratieprinzip. So verunglimpfte die "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" auf ihren Internetseiten die repräsentative Demokratie als abgekartetes Spiel von Politik und Wirtschaft zum Nachteil der Staatsbürger: "Wir Preußen lehnen es ab, einen König, Führer, Kanzler oder Partei zu wählen, weil man damit seine Selbstbestimmung an einen Anderen überträgt und dieser dann, ausgestattet mit dieser Macht, eigene Interessen verfolgt. Korrekter formuliert, durch die Wahl und Abgabe der Stimme hat man eine Art Betreuungsvollmacht zugestimmt und wie man an oben genannten Fakten klar erkennen kann, steht man die nächsten 4 Jahre wieder unter Anweisung von oben, ohne darauf Einfluß nehmen zu können."84 84 Homepage "Provinz Brandenburg - Deutsches Reich", 15.11.2019, (letzter Zugriff am 08.07.2020). 78 Stattdessen verabsolutiert die Gruppierung ein vulgäres Demokratieverständnis von der politischen Homogenität des Volkes (Einheit von Regierenden und Regierten): "Die einzige Lösung, die Macht (Entscheidungen) der Einwohner muß in den Gemeinden bleiben. Jegliche Entscheidung kann nur von hier kommen. Jegliche Entscheidungen von oben müssen durch eine Verfassung ausgeschlossen bleiben". An anderer Stelle wird diese Sichtweise durch einen Bezug auf die verschwörungsideologische Behauptung, die Deutschen würden als Volk ausgetauscht, noch verstärkt: "Die Doktrin der Vernichtung der Deutschen ist schon sehr alt. Rom hat den Teutoburger Wald nie vergessen und über Karl den Großen, 30 Jährigem, 1. und 2. Krieg hat man die Deutschen versklavt, dressiert oder anders ausgedrückt, diszipliniert und jetzt sind sie überflüssig. Aus diesem Grund wird ihr Land geflutet mit Menschen, welche durch ihre Religion jederzeit manipulierbar sind. Denn wenn Allah befielt tötet die Ungläubigen. Welcher Moslem wird dann sagen, nein, die Deutschen waren doch so lieb zu mir. [...] Dieses Szenario hat man im kleinen 1945 getestet, in dem man die Ostgebiete von Deutschen gesäubert hat. Beim kommenden Finale, wird es keinen Zielort für die Flüchtenden, wie 1945, mehr geben. Keinen Schutz, weil kein schützender fürsorglicher Staat vorhanden ist. Wieder werden wir gejagt und erschlagen wo man uns findet."85 Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches Die Gruppierung "Freistaat Preußen / Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches" besteht seit 2017. Die wenigen Aktivisten unterhalten vom südlichen Brandenburg aus Beziehungen zu Gruppierungen mit ähnlichen Namen im gesamten Bundesgebiet. Dazu zählen unter anderem der "Volksstaat Bayern", der "Bundesstaat Sachsen" oder der "Bundesstaat Baden". Aktivitäten und Mitgliederzahl der Gruppierung sind mittlerweile rückläufig. Teilweise verschicken diese Zusammenschlüsse gemeinsame "Anordnungen" an Verwaltungen in ganz Deutschland. Insbesondere der "Freistaat Preußen" fällt dabei als Hort von Vielschreibern auf. Geeinte deutsche Völker und Stämme Im Landkreis Oberhavel wurde 2017 die Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" ins Leben gerufen. Die Gründerin wohnt in Berlin und war einige Jahre zuvor schon in der Region der niedersächsischen Stadt Melle aktiv. Dort organisierte sie mit dem Verein "Landmark e. V." verschwörungsideologische Veranstaltungen. Die Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" ist der Auffassung, es gäbe eine "Staatsform im höchsten Recht". Dies sei "der Naturstaat, der im engen und harmonischen Zusammenhang mit dem Grund und Boden steht auf dem er wirkt. Ein freier Zusammenschluss von Menschen die sich Ihrer Zusammengehörigkeit bewusst sind und unter Achtung der Natur diesen Staat auf dessen Boden errichtet haben."86 An anderer Stelle heißt es: "Gemeinsam haben wir schon viel erreicht. In ganz Deutschland haben sich zahlreiche Menschen zusammengeschlossen, sich die Rechte am Boden zurück geholt und Gebiete wieder ins höchste Recht gehoben"87 (tituliert als "aktivierte Gemeinde"). Die Verschwörungsideologen der "Geeinten deutschen Völker und Stämme" agieren bundesweit. Das wird durch eine Vielzahl vermeintlich "aktivierter Gemeinden" deutlich. Berlin sowie die brandenburgischen Landkreise Oberhavel, Potsdam-Mittelmark und Märkisch-Oderland zählen zu den Schwerpunktgebieten. 85 Homepage "Provinz Brandenburg - Deutsches Reich", 06.01.2019, (letzter Zugriff am 08.07.2020). 86 Homepage "Geeinte deutsche Völker und Stämme" ohne Datum, (letzter Zugriff am 25.03.2019). Anmerkung: Vor dem Hintergrund des Verbots der Gruppierung ist deren Homepage nicht mehr abrufbar. 87 Ebd., (letzter Zugriff am 25.03.2019). 79 Dokumentiert sind antisemitische Äußerungen der Gruppierung, Forderungen nach einer Freilassung des Holocaust-Leugners Horst Mahler, die Gründung einer "Gebietskörperschaft Oranienburg" (Landkreis Oberhavel) und Interviews mit dem rechtsextremistischen "Volkslehrer". Im Jahr 2019 verschickte die Gruppierung als "Stellvertretender Magistrat von Berlin" aggressive Schreiben an Behörden. Im September 2019 wurden Wohnungen mutmaßlicher Mitglieder der Gruppierung in Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wegen des Verdachts der Nötigung von Verfassungsorganen und der Bildung einer kriminellen Vereinigung durchsucht. Die "DIENSTSTELLE 1/76 - Vereinigung zur operativen Aufklärung, Ermittlung und Enttarnung der Richtlinie 1/76 des MfS der DDR" geht auf einen Agitator im Landkreis Dahme-Spreewald zurück, der Teil eines Netzwerks aktiver "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Nordund Ostdeutschland ist. Der Selbstverwalter und verurteile Gewalttäter Adrian Ursache aus Reuden (Sachsen-Anhalt) gehört ebenso wie die "Othala-Rechtsmanufaktur" zu diesem Umfeld. Im Landkreis war auch das "Institut für Rechtsicherheit" aktiv, ein Klon von Mustafa Selim Sürmelis "Internationalen Centrum für Menschenrechte / Zentralrat Europäischer Bürger" aus Stade bei Hamburg. Neben diesen Zusammenschlüssen haben sich in vielen Teilen Brandenburgs kleinere, unstrukturierte regionale "Reichsbürger"-Milieus herausgebildet. Die Mehrheit der Akteure eint die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates mitsamt seiner Verwaltung. Einzelne Teilnehmer aus Brandenburg nahmen 2019 auch an einer Demonstration von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" am 81. Jahrestag der antisemitischen Novemberpogrome in Berlin teil. In antisemitischen Reden wurde unter anderem behauptet, dass Zionisten Deutschland regieren würden und Hitler nur "Auftragnehmer" der Reichspogromnacht gewesen sei. Bewertung / Ausblick Aktionismus und Aggression in Teilen der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" verstärken sich, so dass es zu Radikalisierungseffekten kommt. Die virale Verbreitung der Reichsbürger-Ideen wird sich fortsetzen und Sympathisanten für Aktivitäten mobilisieren. "Steckbrieflich" gesuchte Staatsanwälte und Vorsteher von Finanzämtern in Brandenburg sind erschreckende Beispiele für diese Tendenzen. Vor diesem Hintergrund bewertet der brandenburgische Verfassungsschutz die "Reichsbürger und Selbstverwalter" als Bestrebung mit teilweise erheblichem Gefahrenpotenzial. 80 5. Linksextremismus 81 5. Linksextremismus Linksextremistische Gruppierungen bekämpfen auf verschiedenem Wege das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland. Auch im Jahr 2019 waren sie in unterschiedlicher Intensität im Land Brandenburg aktiv. Bevor die einzelnen Gruppen und ihre Ideologien dargestellt werden, soll zunächst der Begriff "Linksextremismus" definiert werden. Für den brandenburgischen Verfassungsschutz ist "Linksextremismus" eine Sammelbezeichnung für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die auf einer Verabsolutierung von Freiheit und Gleichheit beruhen. Diese Bestrebungen haben sich zum Ziel gesetzt, die bestehende Rechtsund Gesellschaftsordnung zugunsten eines kommunistischen oder anarchistischen Systems zu überwinden. Kommunistische und anarchistische Gruppierungen setzen sich dabei gleichermaßen für einen revolutionären Bruch mit den Eigentumsund demokratischen Machtverhältnissen ein. Kommunistische Gruppierungen streben hierfür zunächst die Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" unter der uneingeschränkten Führungsrolle einer kommunistischen Partei an. Diese Partei soll einen allumfassenden Umbau von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben und den Übergang in eine klassenlose Gesellschaft vorbereiten. Ein solcher Alleinvertretungsanspruch einer einzelnen Partei steht beispielsweise klar im Widerspruch zu dem in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Recht auf Opposition, dem Parteienpluralismus und der Gewaltenteilung. In Brandenburg sind derzeit zwei linksextremistische Parteien aktiv. Es handelt sich zum einen um die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) sowie zum anderen um die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). Beide vertreten vehement den eben erwähnten Alleinvertretungsanspruch und streben ganz konkret ein politisches System nach Vorbild der ehemaligen DDR beziehungsweise der Sowjetunion an. Anarchistische Gruppierungen lehnen grundsätzlich jede Form von Herrschaft ab. Aus ihrer Sicht unterwerfen sich die Bürger einem verwerflichen Zwangsakt, wenn sie Gesetze eines Staates akzeptieren. Menschliche Freiheit könne es nur nach der Abschaffung des Staates und der Etablierung einer herrschaftsfreien Gesellschaft geben. Daher lehnen Anarchisten autoritäre Regime ab und setzten demokratische Staaten mit ihnen sogar gleich. Aus diesem Grund wollen sie die Bundesrepublik und ihre Institutionen zerschlagen. Hierbei wird von einigen Gruppen auch der Einsatz von Gewalt als ein legitimes Mittel befürwortet. Anarchisten richten sich damit einerseits gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie andererseits gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist daher durch den Gesetzgeber vorgegeben. Die linksextremistische Szene lässt sich in drei maßgebliche Kategorien einteilen. Hierbei handelt es sich erstens um die oben bereits genannten Parteien, zweitens um parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen sowie drittens um ein weitgehend unstrukturiertes linksextremistisches Personenpotenzial. 82 Linksextremistisches Personenund Organisationspotenzial in Brandenburg (zum Teil geschätzt) 2017 2018 2019 Parteien: Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 50 50 50 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) EP88 EP EP Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen - Rote Hilfe e. V. (RH) - 225 30589 360 Weitgehend unstrukturiertes linksextremistisches Personenpotenzial - Autonome - 220 240 240 Sonstige linksextremistische Organisationen 65 65 60 Mehrfachmitgliedschaften 50 50 70 Gesamtzahl der Linksextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) 520 620 650 Wie der vorangestellten Tabelle zu entnehmen ist, unterscheiden sich die Personenpotenziale der drei Kategorien erheblich. Während die beiden kommunistischen Parteien DKP und MLPD in Brandenburg kaum noch Mitglieder haben, kann der linksextremistische Verein "Rote Hilfe e. V." seit Jahren einen Personenzuwachs verzeichnen. Dagegen stagnieren die gewaltorientierten Autonomen erstmals seit einigen Jahren. Die fortschreitende Bedeutungslosigkeit der linksextremistischen Parteien ist im Wesentlichen auf zwei Gründe zurückzuführen. Die DKP besitzt zwar in Brandenburg mehrere feste Ortsvereine, jedoch gelingt es diesen nicht, junge Menschen an sich zu binden. Die Partei ist nahezu ausschließlich von starren Altkadern mit geringer politischer Wandlungsbereitschaft geprägt. Zudem schwelt in der Partei seit vielen Jahren ein bundesweit ausgetragener Richtungsstreit darüber, ob man sich anderen gesellschaftlichen Gruppierungen öffnen sollte. Ein Flügel der Partei will diese Öffnung, ein anderer votiert für die Rückkehr zur unverfälschten Lehre des Marxismus-Leninismus mit dem Ziel, Avantgarde der Arbeiterklasse zu sein. Diese Entwicklung schlägt sich auch auf die brandenburgische Ebene nieder. In Anbetracht der organisatorischen Schwäche sowie der inhaltlichen Zersplitterung erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass die DKP zeitnah neue Mitglieder für die von ihr angestrebte Revolution gewinnen kann. 88 EP = Einzelpersonen. 89 Die Zahl beruht auf Eigenangaben der RH (Mitgliederrundbrief 3/2018). 83 Das gilt erst recht für die MLPD, die einen Sozialismus mit Elementen des Stalinismus und Maoismus anstrebt. Im Gegensatz zur DKP verfügt sie in Brandenburg über gar keine Strukturen. Lediglich einige wenige Parteimitglieder haben hier ihren Wohnsitz. Zudem ist der Mitgliederstamm der MLPD von einer anhaltenden Überalterung gekennzeichnet. Der starke ideologische Dogmatismus (Anspruch, den "wahren Sozialismus" verwirklichen zu wollen) und die damit verbundene starke Indoktrination der Mitglieder haben den Ruf der Partei verfestigt, eine "politischen Sekte" zu sein. Neue Mitglieder zieht das kaum an. Letztlich muss festgehalten werden, dass sich die kommunistischen Parteien in Brandenburg schon seit Jahren in einer Abwärtsspirale befinden. Die schwachen bis gar nicht vorhandenen Parteistrukturen sowie der hohe Altersdurchschnitt der wenigen Mitglieder verhindern Zuwächse und eine politische Wahrnehmbarkeit. Folglich gingen weder von der DKP noch von der MLPD im Jahre 2019 nennenswerte Aktivitäten aus. Beide Parteien traten erfolglos zur Europawahl 2019 an. Die DKP schickte zur Landtagswahl 2019 zusätzlich Direktkandidaten in einigen Wahlkreisen ins Rennen. Um dem permanenten Abstiegstrend entgegenzuwirken, haben Mitglieder der DKP die "Roten Gespenster - sozialistische Kinderorganisation in Berlin und Brandenburg" ins Leben gerufen90 und 2019 mehrere Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche durchgeführt. Allerdings waren die Teilnehmerzahlen gering; es fühlten sich nur wenige angesprochen. Ziel der Veranstaltungen war es, Jugendlichen den "Klassenstandpunkt" zu vermitteln. Unter sonstige linksextremistische Organisationen werden diejenigen Gruppierungen zusammengefasst, die nicht unter eine der drei obigen Kategorien fallen. Dazu zählen zum Beispiel anarchistische Kleingruppen, wie die "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Im März 2018 gründete sich in Potsdam erstmals eine eigenständige Ortsgruppe der FAU in Brandenburg. Eigenen Angaben zufolge sieht sie ihre Aufgabe zunächst darin, "über die Grundlagen und alltäglichen Werkzeuge anarchosyndikalistischer Gewerkschaftsarbeit"91 in Potsdam zu informieren. Der Anarchosyndikalismus will mittels anarchistischer Gewerkschaften die bestehende Gesellschaftsordnung revolutionär überwinden und ein herrschaftsfreies System errichten. Am 28. Mai 2019 veranstaltete erstmals die bereits 2018 gegründete "Die Plattform - Anarchokommunistische Organisation" ein Treffen in Finsterwalde (EE).92 Die "Plattform" verfolgt das Ziel einer langfristigen, flächendeckenden Vernetzung anarchistischer Gruppen in Deutschland. "Grundlegende gesellschaftliche Verbesserungen durch jede Art von parlamentarischer Demokratie" hält die Gruppierung für unmöglich.93 Alle Parteien seien ins "kapitalistische System eingebunden und müssen nach den Logiken des Kapitalismus agieren".94 Daher wird die Überwindung des bestehenden Systems durch eine "soziale Revolution" angestrebt.95 In wieweit der Organisation die Etablierung in Finsterwalde gelungen ist, ist noch unklar. Im Folgenden soll ein genauerer Blick auf die beiden bedeutendsten extremistischen Akteure im brandenburgischen Linksextremismus geworfen werden. Hierbei handelt es sich um gewaltorientierte Autonome und den Verein "Rote Hilfe e. V.". 90 Homepage "Rote Gespenster", ohne Datum, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 91 Homepage "FAU Stadtsektion Potsdam": D"ie Stadtsektion Potsdam stellt sich vor!", ohne Datum (letzter Zugriff am 07.07.2020). 92 Homepage "Die Plattform": "Wir kommen nach Finsterwalde!", 22.04.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 93 Homepage "Die Plattform": "Über die Bedingungen unter den wir kämpfen [...]", 02.01.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 94 Ebd., (letzter Zugriff am 07.07.2020). 95 Ebd., (letzter Zugriff am 07.07.2020). 84 5.1 Autonome Sitz / Verbreitung Autonome Szenen finden sich landesweit in größeren Städten wie Potsdam, Cottbus, Finsterwalde (EE) und Frankfurt (Oder). Gründung / Bestehen Ab dem Ende der 1970er Jahre entwickelten sich in der Bundesrepublik nach der Studentenbewegung von 1968 sowie den Aktivitäten der "Sponti-Szene"96 lokale autonome Szenen. Nach der Wiedervereinigung schlossen sich auch in Brandenburg Personen zu derartigen Gruppierungen zusammen. Struktur / Repräsentanten Die brandenburgischen Szenestrukturen sind zumeist nur lokal verankert und nicht dauerhaft in überregionale Bündnisse eingebunden. Im Zusammenhang mit szenetypischen Großveranstaltungen kam es jedoch bereits mehrfach zu zeitlich befristeten Kooperationen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Der autonomen Szene werden im Land Brandenburg etwa 240 Personen zugerechnet. Veröffentlichungen Die autonome Szene in Brandenburg berichtet über ihre Aktivitäten zumeist über das Internet. Hierfür werden einschlägige Szene-Portale ebenso wie Blogs und soziale Netzwerke genutzt. Kurzportrait / Ziele Die autonome Szene besteht aus lokalen Personenzusammenschlüssen, deren Ziel die Überwindung des politischen Systems in Deutschland ist. Obwohl die autonome Szene zumeist kein in sich geschlossenes Weltbild vertritt, orientiert sie sich klar an anarchistischen Ideologien. So lehnen Autonome zum Beispiel Staaten als illegitime Herrschaftsapparate grundlegend ab. Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass die autonome Szene vor allem durch eine "Anti-Haltung" geprägt ist. Autonome wissen zwar sehr genau, was sie politisch ablehnen und bekämpfen; eine konkrete Ausgestaltung der von ihr angestrebten "herrschaftsfreien Gesellschaft" bleiben sie jedoch schuldig. Die autonome Szene organisiert ihren politischen Kampf in unterschiedlichen, zum Teil bis weit in die politische Mitte anschlussfähigen, Aktionsfeldern. Im Zentrum autonomer Politik stehen die Aktionsfelder "Antifaschismus", "Antirassismus" sowie die "Antirepressions-" und "Antigentrifizierungsarbeit". Unter dem Begriff "Antifaschismus" verstehen Linksextremisten einerseits den Kampf gegen Personen und Gruppen, die sie der rechtsextremistischen Szene zurechnen. Andererseits fällt darunter aber auch der Kampf gegen das kapitalistische System und seine Repräsentanten. Diese doppelte Bedeutung des Begriffes "Antifaschismus" ist darauf zurückzuführen, dass Linksextremisten davon überzeugt sind, dass der Faschismus dem Kapitalismus innewohne. 96 Als "Spontis" wurden in den 1970er und 1980er Jahren politisch linksorientierte Gruppen bezeichnet, deren Grundidee es war, mit einer "Spontaneität der Massen" für eine revolutionäre Überwindung des bestehenden Systems zu kämpfen. Hierfür besetzte die "Sponti-Szene" zum Beispiel Häuser oder rief zu wilden Streiks in Betrieben auf. 85 Daher sei das auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beruhende politische System der Bundesrepublik Deutschland in seinem Kern selbst nur eine Spielart des Faschismus, da es auf einer kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung basiere. Autonome glauben daher, dass ein Sieg über den Faschismus letztlich nur durch eine Zerschlagung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung möglich sei. Folglich ist nicht jeder Antifaschist ein Demokrat.97 Dieser Argumentation folgend ist der Kapitalismus für Autonome auch in anderen Aktionsfeldern der Hauptgrund gesellschaftlicher Probleme. So wird dem deutschen Staat ein systematischer Rassismus gegenüber Personen nichtdeutscher Herkunft unterstellt. Der Grund für den angeblichen Rassismus deutscher Behörden ist nach Ansicht der autonomen Szene eine kapitalistische "Verwertungslogik" in der Migrationsund Flüchtlingspolitik. Demnach seien keine humanitären, sondern ausschließlich wirtschaftliche Kriterien entscheidend für die Zuwanderung nach Deutschland. Unter Gentrifizierung wird allgemein die soziale Verdrängung ansässiger durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verstanden. Diesem vor allem in städtischen Ballungszentren anzutreffenden Prozess kann nach Auffassung der autonomen Szene nur durch die Überwindung des Kapitalismus wirksam begegnet werden. Dabei erhalten Hausbesetzungen mit dem Ziel der Eroberung und Aneignung "herrschaftsfreier Rückzugsräume" eine symbolische Wirkung. Diese sollen bis weit in die gesellschaftliche Mitte reichende Sympathien erzeugen. Hieran wird deutlich, dass Autonome für die Lösung oftmals komplexer Probleme nur einfache monokausale Erklärungsansätze liefern. Die so konstruierten Feindbilder sind äußerst typisch für Extremisten. Mithilfe von Aktionsbündnissen und Kampagnen versuchen Autonome, tagespolitische Themen aufzugreifen, sie perspektivisch in der linksextremistischen Szene zu verankern, um somit ihre Anschlussfähigkeit an das demokratische Spektrum voranzutreiben. Themen, die weit oben auf der politischen Agenda stehen, wie etwa "Klimaschutz" und "Kohleausstieg" werden als Aktionsfeld vereinnahmt. Ziel ist es, die Deutungshoheit zu gewinnen, die demokratische Klimabewegung zu radikalisieren und einen allumfassenden Systemwandel linksextremistischer Prägung durchzusetzen. Auch die "Kurdistansolidarität" ist ein althergebrachtes Agitationsfeld brandenburgischer Linksextremisten - vor allem in Potsdam und Cottbus. Dabei versuchen Linksextremisten durch die Teilnahme an Demonstrationen Bündnisse mit kurdischen Aktivisten und Anhängern der PKK und YPG zu schmieden. Das im nördlichen Syrien gelegene kurdische Gebiet "Rojava" ist zudem ein Sehnsuchtsort für Linksextremisten, die dort vereinzelt auf kurdischer Seiten in den bewaffneten Kampf ziehen. Den im Kampf Getöteten wird in einigen linksextremistischen Gruppierungen ein Märtyrerstatus zugeschrieben. Die autonome Szene nimmt ihren "Kampf gegen den Faschismus" und das "Zerschlagen des Systems" durchaus wörtlich. Gewalt wird als legitimes politisches Mittel angesehen und gezielt eingesetzt. Hauptziele autonomer Gewaltstraftaten sind einerseits Vertreter staatlicher Behörden, allen voran Polizeibeamte. Andererseits richtet sich autonome Gewalt gegen Rechtsextremisten oder gegen Personen, die von der autonomen Szene als rechtsextremistisch klassifiziert werden. 97 Der Terminus Antifaschismus wurde über Jahrzehnte hinweg missbräuchlich verwendet, instrumentalisiert und damit diskreditiert. Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg erörtert sowohl die demokratischen als auch extremistischen Wurzeln des Begriffs. Siehe dafür: Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg: Antifaschismus. Hintergründe und Analyse zur Definition und Rezeption, https://www.hamburg.de/contentblob/13365896/697d9f70e3d488994b65bca9dd29194f/data/antifaschismus-hintergruende-und-analyse-zur-definitionund-rezeption.pdf, (letzter Zugriff: 25.02.2020). 86 Finanzierung Die autonome Szene finanziert sich maßgeblich durch Spenden und Einnahmen aus der Organisation von Szeneaktivitäten, wie zum Beispiel Konzerten. Mitgliedsbeiträge gibt es nicht. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Das politische Fernziel der Autonomen ist die Überwindung der gegenwärtigen Staatsund Gesellschaftsordnung zugunsten einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". Hierfür befürwortet der Großteil der Szene den gezielten Einsatz von Gewalt. Gewalt ist für die Autonomen Ausdruck der Unversöhnlichkeit mit den Verhältnissen oder der "Preis", den die Verantwortlichen für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Ordnung zahlen müssen. Aus diesen Gründen richten sich Autonome eindeutig gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Folglich ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Entwicklungen im Berichtszeitraum Im Jahr 2019 konnte die autonome Szene in Brandenburg ihre Anhängerschaft nicht mehr vergrößern und stagnierte bei einem Personenpotenzial von ca. 240 Anhängern (2018: 240). Die Szene wird seit vielen Jahren durch lokale, allerdings in sich nicht sehr homogene autonome Gruppierungen geprägt. Versuche, langfristige, größere Bündnisse aufzubauen scheitern immer wieder. Die vorhandenen regionalen Gruppierungen haben unterschiedliche Agitationsschwerpunkte und sind vornehmlich in den größeren Städten wie Potsdam und Cottbus aktiv. Auch einzelne Kleinstädte wie Finsterwalde (EE) und Forst (SPN) weisen aktive autonome Szenen auf. Darüber hinaus existieren autonome Szenen in Frankfurt (Oder), Neuruppin (OPR), Prenzlau (UM), Bernau, Eberswalde (beide BAR), Oranienburg (OHV), Teltow, Stahnsdorf, Kleinmachnow (alle drei PM) und im Westhavelland (HVL). Die autonome Szene Brandenburgs rekrutiert sich vor allem aus dem studentischen Milieu. Hinzu kommen Schüler. Das Interesse von Jugendlichen und Heranwachsenden, in der autonomen Szene aktiv zu werden, hat verschiedene Ursachen. Die Begegnung mit Rechtspopulisten oder Rechtsextremisten im unmittelbaren Sozialraum kann dabei ein wichtiger Beweggrund sein. Eine geschlossene linksextremistische Weltanschauung oder gar fundamentale gesellschaftliche Umwälzungspläne sind in der Regel kaum vorhanden. Vielmehr reizt die neuen Aktivisten ihre Vorstellung von einer gleichen, gerechten, weltoffenen Gesellschaft. Die direkte körperliche Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner oder der Polizei erleben diese jungen Aktivisten als sinnstiftende Erfahrung.98 Die Gewalthandlung als solche wird zum Ausdruck eines besonderen Lebensgefühls, zu einem selbstverständlichen Element der eigenen Identität. Der Radikalisierung wird durch solche Entwicklungen Vorschub geleistet. Jüngere Szeneangehörige werden in diesem Sinne durch Altautonome und durch die "Rote Hilfe" (RH) radikalisiert sowie instrumentalisiert. Seit Jahren professionalisiert sich die autonome Szene mit Demonstrations-, Blockadeund Kampfsporttrainings. Ebenso werden Maßnahmen zur Verschleierung der Identitäten in Schulungen gelehrt. Teils klandestin teils öffentlich werden entsprechende Verhaltensweisen eingeübt und später umgesetzt. 98 Vgl. Bundesamt für Verfassungsschutz: Linksextremismus - Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale, Köln 2016, S. 21. 87 Autonome in Brandenburg Mit einem Gesamtpotenzial von etwa 100 Personen ist die autonome Szene Potsdam die größte im Land Brandenburg. In der Landeshauptstadt existieren viele kleinere Gruppierungen, die nur lose zusammenhängende Strukturen aufweisen. Die Gruppen treffen sich in unregelmäßigen Abständen in Szenetreffs und -objekten. Eine der aktivsten Potsdamer Gruppierungen ist die "Emanzipatorische Antifa Potsdam" (eap). Neben dem "Antifaschismus" sind Autonome in Potsdam insbesondere im Aktionsfeld "Antigentrifizierung" aktiv. Sowohl am 17. Mai 2019 als auch am 19. Oktober 2019 wurden in diesem Zusammenhang mehrere Häuser besetzt. Die eap schrieb in diesem Zusammenhang: "Es ist an der Zeit, dass wir selbst Hand anlegen. Nehmen wir uns kollektiv den Raum den wir brauchen! Schließt euch zusammen, schaut in der Feubi36 vorbei, supported die Leute vor Ort. Venceremos!"99 Für Autonome sind besetzte Häuser und autonome Hausprojekte "Rückzugsund "herrschaftsfreie Räume" in denen ungestört Aktionen gegen den politischen Gegner oder die Polizei geplant werden können. Dennoch versucht die linksextremistische Szene Sympathie unter den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt zu bekommen. Dazu instrumentalisiert sie öffentlich Themen wie Mietensteigerung und Wohnraumknappheit und verknüpft diese mit der Systemfrage. Sie versucht über das in Potsdam kontrovers diskutierte Thema des Wiederaufbaus der Garnisonkirche Einfluss zu gewinnen. Die Kirche steht in ihren Augen sinnbildlich für preußischen Militarismus und Nationalsozialismus. Die zweitgrößte autonome Szene Brandenburgs existiert in Cottbus. Sie verfügt über ein Potenzial von etwa 35 Personen und unterhält enge Kontakte zu den autonomen Szenen in Forst (SPN) und Finsterwalde (EE). In Cottbus existieren einschlägige Szenetreffs, die der Vernetzung dienen. Die "Autonome Antifa Cottbus" ist im Vergleich zu den Vorjahren im Jahr 2019 weniger in Erscheinung getreten. Umso aktionistischer gab sich der seit 2018 in Cottbus aktive "Kommunistische Aufbau". Dieser orientiert sich ähnlich wie die DKP an einem geschlossenen marxistisch-leninistischen Weltbild. Anders als die DKP versucht man jedoch durch moderne Aktionsformen junge Menschen für sich zu gewinnen. Der "Kommunistische Aufbau" wirkt sowohl ideologisch als auch aktivistisch auf die Cottbuser Szene ein und verbreitet seine revolutionären, verfassungsfeindlichen Botschaften.100 Dieser vertritt die These, dass der Faschismus in den politischen und gesellschaftlichen Strukturen des Kapitalismus wurzele und nur offengelegt werden müsse. Der demokratische Rechtsstaat sei nach dieser Definition auch nur eine Spielart des Faschismus. Am Beispiel des Rechtsterrorismus ließe sich der faschistische Charakter der kapitalistischen Gesellschaft vollkommen entlarven: "Und wie sind die rechtsterroristischen Strukturen einzuschätzen: Handelt es sich um 'Rassisten' in Polizei und Bundeswehr die 'außer Kontrolle geraten' sind? Oder sind diese Strukturen staatlich gesteuert, ein fester Bestandteil von Herrschaft im Kapitalismus?"101 Die autonome Szene in Finsterwalde (EE) greift unverändert auf ein Personenpotenzial von 25 Personen zurück. Daneben existiert ein breites subkulturell geprägtes Umfeld, das aktionsabhängig mobilisiert werden kann. In Finsterwalde kommt es seit vielen Jahren häufig zur Konfrontation zwischen Angehörigen der linken und der rechten Szene. Besonders die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) wird immer wieder von der autonomen Szene ins Visier genommen und bekämpft. Das autonome Milieu in Finsterwalde ist landesund bundesweit gut vernetzt. Ein Beispiel dafür ist die "Proletarische Autonomie Finsterwalde" (PAF). Sie agiert zusammen mit der linksextremistischen Gruppe "Die Plattform - Anarchokommunistische Organisation".In einem gemeinsamen Aufruf zu einem Strategietreffen am 28. Mai 2019 in Finsterwalde hieß es: "Handlungsfähige Strukturen auf dem Land und den Kleinstädten aufzubauen ist 99 Homepage "Emanzipatorische Antifa Potsdam": "Hausbesetzung in Potsdam!", 19.10.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 100 Homepage "Kommunistischer Aufbau": "Programmatisches Selbstverständnis", ohne Datum, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 101 Facebook-Seite "Kommunistischer Aufbau", 02.11.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 88 etwas, was die radikale Linke und die anarchistische Bewegung die letzten Jahre und Jahrzehnte weitestgehend versäumt hat. Die Genoss*innen in Finsterwalde zeigen auf, wie es gehen kann, wir sind gespannt!"102Auch die Themen Tierschutz und Klimaschutz werden von der autonomen Szene der Stadt vereinnahmt. Eine anarchistische Gruppe von Tierbefreiern forderte: "Wir lassen uns von den Bullen, ihrer Gewalt und ihrer Repression nicht einschüchtern. Der Kampf geht solange weiter, bis jedes Lebewesen auf der Welt befreit ist!"103 Die stark studentisch geprägte autonome Szene in Frankfurt (Oder) ist im Jahr 2019 kleiner geworden und deutlich unter das frühere Personenpotenzial von 30 Personen gesunken. Insbesondere durch Aktionen gegen die AfD und deren Sympathisanten versucht die autonome Szene in der Stadt an Unterstützung zu gewinnen. Daher wurden in einem auf "indymedia104" veröffentlichten Bekennerschreiben vom 26. August 2019 Sachbeschädigungen an der Tür und Fassade des städtischen Kleistforums mit Formulierungen legitimiert, die glauben machen sollen, man sei nur die Speerspitze einer breiten gesellschaftlichen Bewegung in der Stadt: "Uns reicht es! Wir werden faschistische Meinungen in der Öffentlichkeit nicht länger hinnehmen! Aus diesem Grund haben wir das Kleistforum letzte Nacht farblich als einen Ort, der Demokratiefeinden eine Bühne bietet, markiert. Wer in Zukunft in Frankfurt der AfD einen Ort zur Verfügung stellt, wird mit uns rechnen müssen. Kein Raum, keine Stimme, keinen Ort der AfD! Antifa in die Offensive!"105 Aktionsfeld "Antifaschismus" Im Aktionsfeld "Antifaschismus" gibt es für die Autonomen in Brandenburg traditionell die höchsten Mobilisierungseffekte. Anlassbezogen werden dazu Kräfte gebündelt. So waren in verschiedenen überregionalen, von Linksextremisten dominierten und bundesweit aktiven Bündnissen wie "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) und "Kein Raum der AfD" auch brandenburgische Akteure aus der autonomen Szene eingebunden. Ein entsprechend hohes Aktionsniveau der autonomen Szene war besonders im Vorfeld der drei Wahlen in Brandenburg im Jahr 2019 (Kommunal-, Europa-, und Landtagswahl) festzustellen. Gewalt gegen den politischen Gegner wird - wie bereits beschrieben - im autonomen Milieu als ein legitimes Mittel der Auseinandersetzung angesehen. Die AfD ist dabei das Hauptziel. Als eine der aktivsten Gruppen im gesamten Bundesland sorgte die "feministische Antifa Brandenburg" (fabb) mit einem gewaltverherrlichenden Posting unter dem Titel "AfD zur Hölle jagen" vom 19. März 2019 für Aufsehen: "In Hinblick auf die Kommunal-, Europaund Landtagswahlen in Brandenburg werden schon kräftig Pläne geschmiedet, wie wir der AfD in die Suppe spucken können. Und auch wenn es sich nicht verhindern lässt, dass ganz viele Idiot_innen die Partei wählen werden, sei eins gewiss: Wir werden sie zur Hölle jagen. Immer und überall!" Am Ende des Textes waren als Drohung drei Messer abgebildet. Zusätzlich wurde ein Poster mit der Aufschrift "AfD zur Hölle jagen" in mehreren brandenburgischen Städten festgestellt.106 2019 wurden 15 Übergriffe auf Büros der AfD im Land Brandenburg verzeichnet. Darüber hinaus wurden zahlreiche Beschädigungen von Wahlplakaten der AfD festgestellt und in einigen Fällen wurden sogar Wahlkampfhelfer und Abgeordnete bedroht oder körperlich angegriffen. Bereits 2018 war die AfD ein bevorzugtes Ziel der aktionsorientierten linksextremistischen Szene in Brandenburg. Aber nicht nur die AfD sondern auch Gastgewerbe und Restaurants, welche der Partei ihre Örtlichkeiten zur Verfügung stellen, sind regelmäßig Anfeindungen, Drohungen und Angriffen ausgesetzt. Im Rahmen 102 Homepage "Die Plattform": "Wir kommen nach Finsterwalde!", 22.04.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 103 Homepage "Proletarische Autonomie Finsterwalde": "Auswertung von den Anarchistischen TierbefreierInnen [...]", 19.06.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 104 Bei "indymedia" handelt es sich um eine von Linksextremisten genutzten Internetplattform, auf der regelmäßig Selbstbezichtigungsschreiben veröffentlicht werden. 105 Indymedia: "Kein Raum der AfD - Auch nicht in Frankfurt Oder!", 26.08.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 106 Homepage "fabb": "AfD zur Hölle jagen!", 19.03.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 89 des von "NIKA" und "Kein Raum der AfD" beworbenen "Antifaschistischen Aktionsmonats" im Mai 2019 wurde ein Fahrradkorso gegen Betriebe organisiert, welche die AfD in der Vergangenheit bewirtet haben sollen.107 Solche Aktionen zielen auf die öffentliche Ächtung und Geschäftsschädigung der betroffenen Betriebe. Bei Kampagnen gegen den politischen Gegner kommt es auch zum Schulterschluss des autonomen Spektrums mit anderen Vertretern des Linksextremismus. So konnte die "NIKA" während einer Veranstaltung der Kampagne "Wann wenn nicht jetzt" am 3. August 2019 in Cottbus mit dem Beitrag "Angreifen statt Mitreden - Warum wir keinen Bock auf eine Bühne für Faschismus haben" für sich werben. Ebenso wurde einer Vertreterin der DKP Cottbus ein Podium geboten.108 Um das Aktionsniveau hoch zu halten, vernetzt sich die autonome Szene über Camps, Festivals und ähnliche Veranstaltungen. Dort informieren sich die teilweise aus der autonomen Szene stammenden Teilnehmer gegenseitig zu neuesten Entwicklungen des rechtspopulistischen und rechtsextremistischen Milieus. Ebenso wird zum Ausspähen und anschließend öffentlichen Outen des politischen Gegners ermuntert. Das Interesse an Selbstverteidigungstechniken und Kampfsport wächst in der autonomen Szene ebenfalls. Mit dem "Anti-Fascist-Martial Arts Event" (14. bis 16. Juni 2019 in Potsdam) und dem "JWD Camp" (12. bis 13. Juli 2019 in Potsdam) bestanden für die autonomen Szenen regionale Möglichkeiten der Vernetzung. Gruppen wie die "feministische Antifa Brandenburg" oder die "Red and Anarchist Skinheads" (RASH) warben um eine Teilnahme an den Veranstaltungen. Solche Events bergen in sich die Gefahr, dass die erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten zu einem späteren Zeitpunkt gegen den politischen Gegner oder die Polizei eingesetzt werden. Aktionsfeld "Antirepression" Die Aggressivität autonomer Gruppen richtet sich nicht nur gegen den politischen Gegner, sondern auch gegen die Polizei, staatliche Organe, Behörden und einzelne Abgeordnete des Landtags, die aus Sicht der Autonomen vermeintlich Repression ausüben. Ihnen wird vorgeworfen "Faschisten" zu schützen, linkes Engagement zu unterbinden, die eigenen Kompetenzen in illegitimer Weise auszubauen und somit einen Überwachungsstaat zu schaffen. Mit Hilfe dieser Themen gelingt es der autonomen Szene oftmals, Anschluss an das nicht-extremistische Spektrum zu finden und den bürgerlichen Protest für ihre Ziele zu instrumentalisieren. Veranstaltungen im Themenfeld Antirepression wurden unter anderem in Potsdam zum "Tag der politischen Gefangenen" am 18. März 2019 und in Finsterwalde (EE) durchgeführt.109 Wichtiger Verbündeter der autonomen Gruppierungen ist in diesem Aktionsfeld die Rote Hilfe. Aktionsfeld "Kurdistansolidarität" Die in der autonomen Szene traditionelle Solidarität mit Kurdistan und der PKK erlebte in Brandenburg im Vergleich zu vergangenen Jahren eine höhere Aufmerksamkeit. Einen Beitrag hierzu leistete die türkische Militäroffensive in Syrien. Bereits im März 2019 wurde eine "Märtyrer-Gedenkstätte" durch die Ortsgruppe des "Kommunistischen Aufbaus" in Cottbus eingerichtet.110 Im Juli 2019 veröffentlichten Potsdamer Autonome auf der von Linksextremisten genutzten Plattform "indymedia" eine Solidaritätserklärung. Dort heißt es: "Wir Antifaschist:innen und Antikapitalist:innen erklären uns solidarisch mit den zivilen und den militärischen Organisationen in Rojava. Wir stehen hinter den Ideen für ein friedliches Zusammenleben und eine gerechtere herrschaftsfreie Gesellschaft. Wir fordern aber auch von der Stadt Potsdam und der Zivilgesellschaft Solidarität mit Rojava! Kampf den Faschismus und dem Kapitalismus - hier und 107 Homepage "Kein Raum der AfD!": "Critical Derby Mass - Den Nazis die Suppe versalzen!", 14.05.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 108 Vgl. Veranstaltungsflyer "Wann wenn nicht jetzt - Cottbus 03.08.2019", (letzter Zugriff am 07.07.2020). 109 Homepage Infoladen "Black-Mask": "Gemeinsam den gefangenen Genossinnen und Genossen schreiben!", (Ankündigung für 2019), 25.12.2018, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 110 Homepage "Kommunistischer Aufbau": "Erinnern heißt kämpfen: Ivana H.", 07.03.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 90 Überall, denn der Kampf um Befreiung ist international! Stoppt die Kriminalisierung der kurdischen Bewegung!"111 Im August und September 2019 wurden mehrere Gedenkmärsche in Potsdam unter Beteiligung einer mittleren dreistelligen Personenzahl und auch in Cottbus unter Mitwirkung von Linksextremisten durchgeführt.112 Mit ihnen sollte einem Potsdamer gedacht werden, der auf kurdischer Seite im Kampfgebiet gefallen war. Die Mitteilung über dessen Tod wurde vorher über die PKK nahe Nachrichtenagentur ANF und indymedia verbreitet. Am Ende des Jahres 2019 kam es wiederum in Potsdam und in Anlehnung an die von Linksextremisten beeinflusste bundesweite Kampagne "Rise up for Rojava" zu mehreren Demonstrationen. Einflussnahmeversuche von Linksextremisten auf die Klimabewegung Überregionales Kampagnenthema von autonomen und insbesondere postautonomen Gruppen in Deutschland war 2019 ein weiteres Jahr in Folge der Kohleausstieg und die damit verbundenen Proteste um den Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen. Damit verbunden war eine "Massenaktion des zivilen Ungehorsams" im Lausitzer Braunkohletagebaugebiet vom 29. November bis zum 1. Dezember 2019, zu der in allen linksextremistischen Hochburgen mobilisiert wurde. Einer der Hauptakteure dieser Proteste ist die "Interventionistische Linke" (IL), ein Netzwerk postautonomer Gruppen in Deutschland. Postautonome versuchen im Gegensatz zu Autonomen durch langfristig angestrebte Kampagnen die gesellschaftliche Isolation von Linksextremisten zu durchbrechen und breit angelegte gesellschaftliche Protestbewegungen von innen heraus zu radikalisieren. Sie sehen sich als Scharnier zwischen militanten Autonomen und gemäßigten Linken. Daher wird bei der IL die Gewaltfrage nach rein strategischen Erwägungen beantwortet. Neben anderen Themenfeldern eignen sich aus der Sicht Postautonomer besonders Umweltkampagnen aufgrund der hohen gesellschaftlichen Bedeutung und Aktualität dazu, die Grenzen zwischen extremistischem und demokratischem Protest zu verwischen und demokratische Aktivisten zu radikalisieren. So agiert die IL beispielsweise gemeinsam mit Umweltgruppen im Rahmen des Aktionsbündnisses "Ende Gelände". Anhaltspunkte für eine Beeinflussung von Linksextremisten existieren im Bundesgebiet für einzelne Ortsgruppen von "Ende Gelände". Allerdings kann bislang keine systematische Einflussnahme von Linksextremisten auf die Potsdamer Ortsgruppe festgestellt werden. "Ende Gelände" organisiert mit direkter Unterstützung der IL seit einigen Jahren Großaktionen zivilen Ungehorsams für den Klimaschutz. Im Jahr 2019 rief das Aktionsbündnis zum zweiten Mal zu öffentlichen Protesten und zivilem Ungehorsam im Lausitzer Braunkohlerevier auf: "Die Reförmchen des Klimakabinetts führen uns noch tiefer in die Klimakrise. Der Kohleausstieg bleibt Handarbeit. Es ist angesichts der sich zuspitzenden Klimakrise an der Zeit, zum nächsten Global Climate Strike mit der stark wachsenden Klimagerechtigkeitsbewegung vom öffentlichen Protest zum zivilen Ungehorsam an den Orten der Zerstörung zu gehen. Am Wochenende 29.11.-01.12.2019 werden wir, gemeinsam mit vielen Menschen, durch Aktionen des zivilen Ungehorsams den Betrieb im Lausitzer Braunkohlerevier mächtig durcheinanderbringen." An diesem Aktionswochenende war die brandenburgische Lausitz mit dem Tagebau Welzow-Süd bei Finsterwalde (OSL) und dem Kraftwerk Jänschwalde (SPN) zentraler Mobilisierungspunkt aus dem gesamten Bundesgebiet. Autonome Gruppen wurden gezielt in die "Fingerstrukturen"113 der Kampagne integriert, die innerhalb der Tagebaue operierten. Innerhalb der einzelnen Fingerstrukturen wurden Transparente mit der Aufschrift 111 Indymedia: "Solidarische Grüße aus Potsdam nach Rojava", 18.07.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 112 Indymedia: "Für das Leben, für die Freiheit - In Gedenken an Micha - Gedenkkundgebung und Demonstration", 29.08.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 113 Die "Fünf-Finger-Taktik" erlangte erstmals durch den G8 Gipfel in Heiligendamm 2007 breitere Bekanntheit. Sie wird seitdem durch Bündnisse, die größere Menschengruppen umfassen, eingesetzt, beispielsweise zur Blockade von Castor91 "Ob Lausitz oder Rojava, Klimaschutz heißt Antifa" mitgeführt und die einschlägigen Sprechchöre autonomer Gruppen angestimmt. Einzelne Transparente hatten eine klar entmenschlichende Botschaft, wie etwa "Nein heisst nein - du Kapitalistenschwein". Brandenburgische Autonome waren nur vereinzelt vertreten. Anders als im Jahr 2016 konnte 2019 jedoch verhindert werden, dass die Aktivisten auf das Kraftwerksgelände vordrangen. Doch nicht nur Aktionen gegen Energieunternehmen rückten 2019 stärker ins Visier der Autonomen sondern auch weltumspannende Firmen wie Amazon. Am 31. Januar 2019 wurden Fahrzeuge von Amazon in Berlin-Mitte vermutlich von Autonomen in Brand gesetzt. Zeitgleich wurde das Wohnhaus des Direktors des Amazon Development Centers in Falkensee (HVL) mit Farbe beworfen.114 Bewertung / Ausblick Autonome in Brandenburg werden sich auch zukünftig in den gesellschaftlichen und politischen Aktionsfeldern betätigen, von denen sie sich Anschlussfähigkeit und politische Wirksamkeit im Sinne ihres Fernziels, eine herrschaftsfreie Gesellschaft zu errichten, erhoffen. Dabei werden sie in Brandenburg perspektivisch wieder auf ihr derzeitiges Personenpotenzial zurückgreifen können. Ihren Anhängern geht es grundlegend nicht nur um die Behebung von echten oder vermeintlichen Missständen, sondern um umfassende Veränderungen der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. So unterschiedlich die Aktionsfelder sind, so haben sie doch alle dieselbe Botschaft: Die Gründe für Armut und soziale Ungerechtigkeiten, Klimawandel, Krieg, Flucht und Migration liegen im Kapitalismus. Staatliche Repression und Rechtsextremismus seien somit letztlich Instrumente zur Sicherung der sozial ungerechten Herrschaftsund Eigentumsverhältnisse. Die politische Fassade des kapitalistischen Systems sei aber auch der liberal-demokratische Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland, welchen es Gunsten eines kommunistischen oder anarchistischen Systems zu überwinden gelte. Folglich stehen Autonome außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das Thema "Antifaschismus" wird für die autonome Szene in Brandenburg in den nächsten Jahren weiterhin an erster Stelle stehen. Großes Reizthema wird die AfD bleiben. Mit weiteren Farbanschlägen, Sachbeschädigungen, Drohungen und Körperverletzungen zum Nachteil der AfD ist daher zu rechnen. Bundesweit steigt in der Szene nicht nur die Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner, ebenso rücken die Polizei, kommunale Behörden - als Vertreter des verhassten Staates - und Unternehmen ins Fadenkreuz der linksextremistischen Szene. Diese Entwicklung belegten 2019 die zahlreichen Anschläge auf Unternehmen, die Polizei und staatliche Repräsentanten in Leipzig, Berlin und Hamburg. Die Taten lassen die Existenz kleiner professionell agierender, militanter Zellen vermuten, die ihre politische Agenda mit Mitteln von Sachbeschädigungen bis hin zu schwersten Gewaltstraftaten durchzusetzen versuchen. Letzteres auch unter Inkaufnahme des Verlusts von Menschenleben. Transporten. Jeder der Aktionsfinger umfasst oftmals hunderte Personen. Jeder Finger agiert dabei als Einheit und verfolgt sein eigenes strategisches Ziel. Damit soll der Polizei der Zugriff auf einzelne Personen erschwert und Polizeiabsperrungen umgangen werden. 114 Indymedia: "[B] Offline Bytes Against Amazon", 01.02.2019, (letzter Zugriff am 29.06.2020). 92 Diese Entwicklung kann am Beispiel der in Leipzig aktiven autonomen "Kiezmiliz" nachvollzogen werden, welche Anfang November 2019 eine Mitarbeiterin eines großen Immobilienunternehmens in Leipzig in ihrer Wohnung zusammenschlug und zuvor durch Brandstiftung auf einer Baustelle enorme Sachschäden angerichtet hatte. Trotz eines deutlichen Anstiegs der politisch linksmotivierten Kriminalität und einer Steigerung linksmotivierter Gewaltstraftaten in Brandenburg im Jahr 2019 ist der bundesweite Trend hin zur Bildung klandestiner militanter Kleingruppen, die schwerste Straftaten begehen, für brandenburgische Autonome bislang nicht festzustellen. Autonome und Postautonome werden weiterhin versuchen, bereits bestehende zivilgesellschaftliche politische Kampagnen oder Bündnisse in Deutschland zu unterwandern. Dabei haben sie es besonders auf die zivilgesellschaftlichen Umweltbündnisse abgesehen. Sie werden beispielsweise weiter über das Bündnis "Ende Gelände" Kontakte zu nichtextremistischen Klimaaktivisten zu knüpfen versuchen, um diese in ihrem Sinne zu radikalisieren. Während Autonome zunehmend integraler Bestandteil der Kampagne werden und an Einfluss gewinnen, gelingt das dogmatischen Linksextremisten, wie der MLPD, nicht. Eine zunehmend stärkere Vermischung linksextremistischer und demokratischer Akteure in der Klimabewegung ist beabsichtigt. Inwiefern sich eine solche Entwicklung auch in Brandenburg vollziehen wird, hängt letztlich davon ab, ob die "Interventionistische Linke" in Brandenburg Fuß fassen kann. Bislang gibt es noch keine Ortsgruppe der IL in Brandenburg. Hingegen erscheint die Unterwanderung bereits bestehender und die Initiierung neuer Bündnisse gegen Rechtspopulisten und Rechtsextremisten durch lokale Linksextremisten wahrscheinlich. Die Vernetzung des autonomen Milieus wird sich mit Hilfe der sozialen Medien rasch weiter intensivieren. Neben Veröffentlichungen auf Facebook und Twitter, auf die seitens der autonomen Szene gerne zur Mobilisierung zurückgegriffen werden, achtet die Szene konsequent auf die Verschlüsselung eigener Nachrichten. Hierbei sind Autonome anderen Extremisten noch immer etwas voraus. Ziel ist es, durch anonymisierte Berichte im Internet, eine "freie Gegenöffentlichkeit" zu etablieren. Hierbei werden auch gewaltverherrlichende Beiträge auf einschlägigen Szene-Portalen veröffentlicht. Nach dem erfolgreichen Verbot der maßgeblich von Linksextremisten genutzten Plattform "linksunten.indymedia" im Jahre 2017 veröffentlichen große Teile der autonomen Szene nunmehr auf der ähnlich lautenden Webseite "indymedia". "Indymedia" ist mittlerweile "Sprachrohr der Szene" und ein vollwertiger Ersatz des verbotenen Portals "linksunten.indymedia" geworden. Am 29. Januar 2020 verhandelte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig eine Klage gegen das Verbot. Diese wurde abgewiesen. Im Vorfeld kam es zu gewalttätigen Protesten, was die zunehmende Militanz des Milieus verdeutlicht.115 Die Verknappung von Wohnraum und der Kampf gegen die damit verbundene Neugestaltung der Städte wird voraussichtlich ein weiteres zentrales Anliegen der autonomen Szene bleiben. Diesbezüglich dürften Hausbesetzungen auch zukünftig als ein adäquat angesehenes Instrument gelten. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche in Potsdam wird zudem weiterhin ein Agitationsschwerpunkt bleiben. 115 Indymedia: "Der Tag ist am 25.01.2020 - Unsere Solidarität mit linksunten.indymedia.org muss praktisch werden!", 16.01.2020, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 93 5.2 Rote Hilfe e.V. Sitz / Verbreitung Der Verein "Rote Hilfe e. V." (RH) hat seinen Sitz in Göttingen (Niedersachsen). Die RH hat bundesweit etwa 50 Ortsgruppen. Ende 2019 waren vier davon in Brandenburg ansässig. Diese befinden sich in Cottbus, Königs Wusterhausen (LDS), Potsdam und Strausberg (LOS). Die Ortsgruppe in Neuruppin (OPR) hat sich offensichtlich im Laufe des Jahres 2019 aufgelöst. Gründung / Bestehen Der Verein wurde 1975 gegründet. Seit den 1990er Jahren ist er in Brandenburg aktiv. Struktur / Repräsentanten Das wichtigste Gremium der RH ist der Bundesvorstand. Dieser wird alle zwei Jahre auf einer Delegiertenkonferenz neu gewählt und hat den Auftrag, die Arbeit des Vereins auf Bundesebene zu koordinieren und vor allem die finanziellen Mittel zu verwalten. Unterhalb des Bundesvorstandes gliedert sich der Verein in etwa 50 Ortsgruppen. Die brandenburgischen Ortsgruppen richten sich mit ihren juristischen Unterstützungsangeboten dabei in erster Linie an die linksextremistischen Strukturen in ihren Regionen. Zum Teil gibt es deutliche personelle Überschneidungen zwischen lokaler autonomer Szene und der jeweiligen RH-Ortsgruppe. Da die größte linksextremistische Szene Brandenburgs in Potsdam ansässig ist, überrascht es nicht, dass sich auch die größte Ortsgruppe der RH in der Landeshauptstadt wiederfindet. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer 360 Veröffentlichungen Die RH berichtet über ihre Aktivitäten zum einen auf ihrer Homepage und zum anderen in ihrer quartalsweise erscheinenden "Rote Hilfe Zeitung". Darüber hinaus gibt der Verein Flyer und Broschüren zum Umgang mit staatlichen Behörden heraus. Einzelne Ortsgruppen verfügen zudem über eigene Internetpräsenzen, so zum Beispiel die Ortsgruppen aus Cottbus, Königs Wusterhausen (LDS) und Potsdam. Kurzportrait / Ziele Linksextremisten deuten die Verfolgung der von ihnen begangenen Straftaten zumeist als "staatliche Repression". Auf diese Weise soll die Bundesrepublik Deutschland als Unrechtsstaat dargestellt werden, der rücksichtslos und unverhältnismäßig gegen politische Aktivisten aus dem linken Spektrum vorgeht. Auf diese angeblichen Missstände versucht die RH mit "Antirepressionsarbeit" aufmerksam zu machen. Die von Strafverfolgung betroffenen Aktivisten werden sowohl durch persönlichen Beistand als auch finanziell unterstützt. Der Verein vermittelt Anwälte, übernimmt Gerichtskosten und trägt sogar verhängte Geldstrafen anteilig. Die RH ist aufgrund ihrer Größe und der ihr zur Verfügung stehenden Finanzmittel eine der bedeutendsten Gruppierungen im linksextremistischen Aktionsfeld "Antirepression". Obwohl der Verein selbst nicht gewalttätig agiert, so richtet er zumindest sein Angebot gezielt an gewaltorientierte Autonome, indem er Straftäter juristisch und finanziell unterstützt. Darüber hinaus organisieren die einzelnen Ortsgruppen der RH für inhaftierte Linksextremisten regelmäßig Solidaritätskampagnen. Auf diesem Wege sollen die Verurteilten während ihrer Haftzeit in der linksextremistischen Szene gehalten werden. 94 Somit deckt der Verein nicht nur das gesamte Spektrum der linksextremistischen "Antirepressionsarbeit" ab, sondern muss sich durch seinen juristischen Beistand für gewaltbereite Linksextremisten letztlich deren politische Ziele und Methoden zurechnen lassen. Die RH stellt klar: "Jede und jeder, die sich am Kampf beteiligen, soll das in dem Bewusstsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen."116 Diese Haltung zeigt, dass die RH nicht nur eine Förderin der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ist, sondern die Gewalt selbst als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung rechtfertigt. Finanzierung Die RH finanziert sich maßgeblich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die RH definiert sich in ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die ihre juristischen Unterstützungsangebote "unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung" anbietet. Vor diesem Hintergrund gewährt der Verein regelmäßig auch gewaltbereiten Linksextremisten seine Hilfe. Durch sein Versprechen nach der Begehung von Straftaten juristischen und finanziellen Beistand zu leisten, sichert der Verein das Handeln gewalttätiger Linksextremisten ab. Aus genau diesem Grund agiert er letztlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Folglich ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die RH ist die einzige linksextremistische Organisation in Brandenburg, die kontinuierlich wächst und ihre Strukturen in den letzten Jahren ausbauen konnte. Trotz des deutlichen Anstieges auf nunmehr rund 360 Mitglieder (2017: 225, 2018: 305) hat sich im Berichtszeitraum die Ortsgruppe Neuruppin (OPR) offensichtlich aufgelöst.117 Somit verfügt die RH über nun nur noch vier Ortsgruppen in Brandenburg: mehr als 200 Mitglieder in Potsdam, ca. 50 Mitglieder in Königs Wusterhausen (LDS), ca. 45 Mitglieder in Strausberg (MOL) sowie ca. 45 Mitglieder in Cottbus. Trotz der Auflösung der Ortsgruppe Neuruppin (OPR) sind dort wahrscheinlich noch einzelne Mitglieder aktiv. Die RH hat in der gesamten linksextremistischen Szene Einfluss. Sie dient ihr als Scharnier und unterstützt die Szene mit Know-how (Tipps zum Verhalten bei Ermittlungsverfahren, Zeugenaussagen oder Hausdurchsuchungen), organisiert Veranstaltungen, Schulungen und Aktionssowie Blockadetrainings.118 Bei den Trainings werden Strategien und Taktiken regelmäßig den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Ebenso werden Datenverschlüsselungen und andere szenespezifische Eigenschaften geschult. Die RH wirkt damit maßgeblich an der Professionalisierung der autonomen Szene mit. Das Kerngeschäft der RH ist jedoch die Verteidigung und Beratung linksextremistischer Straftäter. Bundesweit gab die Organisation nach Medienberichten im Jahr 2019 über 430.000 Euro dafür aus, Mitglieder finanziell oder juristisch zu unterstützen. Der Verein organisierte rund 700 "Beratungsabende". 119 Der Grundsatz einer möglichen finanziellen oder juristischen Hilfe ist dabei jedoch geknüpft an die kategorische Bedingung der Aussageund Kooperationsverweigerung gegenüber Polizei und Staatsanwaltschaft. 116 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "Wer ist die Rote Hilfe", ohne Datum, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 117 Seit der Ausgabe 03/2019 findet die Ortsgruppe Neuruppin (OPR) in der "Roten Hilfe Zeitung" keine Erwähnung mehr. 118 Homepage der RH-Kampagne "Solidarität verbindet", ohne Datum, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 119 Vgl. Litschko, Konrad: "Rechtsbeistand für Linksradikale - Hilfe für die Roten", 07.01.2020, https://taz.de/Rechtsbeistand-fuer-Linksradikale/!5653609/, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 95 Wie der Verein selbst in seiner Zeitung "Die Rote Hilfe" regelmäßig darstellt, sind nur jene Straftäter einer Unterstützung würdig, die von ihren Straftaten - gleich welcher Schwere - überzeugt sind und keine Reue zeigen. Sobald ein Aktivist eine Überreaktion einräumt oder sich gar für eine begangene Beleidigung oder Körperverletzung entschuldigt, kann er nicht mehr mit der Solidarität der RH rechnen. Wie die RH in einer ihrer Publikationen ausführte: "In dem Brief an die Staatsanwaltschaft bedauerte er sein Handeln. Eine solche Distanzierung delegitimiert seine politische Aktion und die anderer. Zusätzlich führte sie dazu, dass wir seinen Antrag auf Unterstützung ablehnen mussten."120 Selbst eine Verständnisäußerung gegenüber Staatsorganen führt dazu, dass die RH ihre Unterstützung einstellt. In einem Fall hatte eine Demonstrantin Verständnis für überlastete Polizisten geäußert, woraufhin die RH ihre finanzielle Unterstützung deutlich minderte.121 Darüber hinaus fördert der Verein aktiv die Entmenschlichung von und die Enthemmung gegenüber Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen. Sowohl juristisch als auch finanziell unterstützte die RH im Jahr 2019 zum Beispiel einen Demonstrationsteilnehmer der Fotos von Polizisten gemacht und diese mit dem Titel "So sehen Bullenschweine aus" im Internet veröffentlicht hatte.122 Mit dieser Terminologie befördert die RH bewusst die Dehumanisierung von Staatsbediensteten. Demokratische Institutionen und Behördenvertreter werden als "Repressionsorgane" und "Staatliche Schergen" verunglimpft. Die "Antirepressionsarbeit" steht auch für die brandenburgischen RH-Ortsgruppen im Fokus. Dies geht aus einer Stellungnahme der RH Potsdam hervor: "Auch in Potsdam spüren wir die Repression des Staates und werden Genoss*innen inhaftiert oder mit Ermittlungsverfahren überzogen, weil sie gegen Nazis und den staatlichen Rassismus kämpfen oder soziale Forderungen stellen. Erinnert sei hier an die vielfältigen Proteste gegen die AfD oder Pogida, aber auch an die städtischen und sozialen Kämpfe für den Erhalt der FH oder die Besetzung der Gutenbergstraße 67 im letzten Jahr. Hinzu kommt ein immer weiterer ausgebauter Repressionsund Überwachungsapparat, der mit der Verabschiedung des neuen Polizeigesetzes seine Befugnisse ausbaut. (...) Deshalb, seid solidarisch, engagiert und achtsam! Keine Zusammenarbeit mit staatlichen Repressionsorganen!"123 Der hohe Mitgliederzuwachs ist teilweise mit der im Herbst 2019 groß angelegten öffentlichkeitswirksamen Kampagne unter dem Slogan "Solidarität verbindet" zu erklären. Damit verfolgt die RH das Ziel, die Mitgliederwerbung breitenwirksamer zu gestalten und eine stärkere Akzeptanz in der Öffentlichkeit zu erlangen. Die RH wirbt in der Kampagne offensiv gegen jegliche Zusammenarbeit mit staatlichen Behörden: "Eines der langfristig wirksamsten Mittel gegen die Repression ist unsere Aufforderung zur Aussageverweigerung bei Polizei und Staatsanwaltschaft."124 Die Unterstützung linker Militanz und Gewalt wird eingefordert, wie aus dem Slogan "Solidaritätsverein für alle Linke" zu deuten ist. Innerhalb der Kampagne "Ende Gelände" findet die RH einen zunehmenden Unterstützerkreis.125 Folglich verwundert es nicht, dass einige Ortsgruppen der Roten Hilfe Verbindungen zu dogmatischen Linksextremisten unterhalten und offen verteidigen. Anlässlich des 20-jährigen Bestehens der Ortsgruppe Hannover veröffentlichte die RH Jubiläumsglückwünsche linksextremistischer Parteien und Organisationen wie der DKP und der MLPD.126 Auch der linksextremistische "Kommunistische Aufbau", der unter anderem in Cottbus sehr aktiv ist, erklärte sich solidarisch mit der Roten Hilfe. 120 "Die Rote Hilfe", 2/2019, S. 6. 121 Ebd. 122 "Die Rote Hilfe", 3/2019, S. 7. 123 Homepage Rote Hilfe Potsdam: "18. März - Tag der politischen Gefangenen", 18.03.2019, (letzter Zugriff am 28.01.2020). 124 Homepage der RH-Kampagne "Solidarität verbindet", ohne Datum (letzter Zugriff am 07.07.2020). 125 Twitter Ende Gelände: "Kein #WirSindSystemwandel ohne #WirSindRoteHilfe", 06.12.2019, (letzter Zugriff am 27.07.2020). 126 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "DKP und SDAJ Hannover: Grußwort zum 20jährigen Jubiläum", 14.10.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 96 Ebenso wie im Vorjahr hat die RH ihre juristische und öffentliche Unterstützung für Aktivisten aus dem Umfeld der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) fortgesetzt.127 Darüber hinaus solidarisierte sich die RH mit der linksextremistischen Organisation "Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML).128 Bewertung / Ausblick Im Jahr 2019 setzte die RH ihren starken Mitgliederanstieg der Vorjahre fort und wuchs bundesweit auf mehr als 10.000 Mitglieder an. Das personelle und finanzielle Wachstum des Vereins wurde durch die Debatte um ein mögliches Verbot der RH und die Kampagne "Solidarität verbindet", mit der bewusst der Schulterschluss zwischen linken, bürgerlichen und gewaltbereiten linksextremistischen Akteuren gesucht wurde, befeuert. Die RH wird voraussichtlich auch im Jahr 2020 weiterwachsen und ihren Einfluss und ihre Verbindungen in das nichtextremistische Milieu erweitern. Die RH schlägt Brücken in der ideologisch stark fragmentierten linksextremistischen Szene und wird als Konsensorganisation akzeptiert. Das verschafft ihr weit über das linksextremistische Spektrum hinaus Reputation. In Teilen der bürgerlichen politischen Linken gehört es weiterhin zum politischen Habitus, sich zur Mitgliedschaft in der RH zu bekennen. 127 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "Kurdischer Aktivist in Nürnberg im Hungerstreik - Solidaritätsorganisation steht an seiner Seite", 11.11.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 128 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "Auch 2020 weiter stramm in den Polizeirechtsstaat?", 31.12.2019, (letzter Zugriff am 07.07.2020). 97 6. Islamischer Extremismus / Islamismus 98 6. Islamischer Extremismus / Islamismus Islamischer Extremismus oder Islamismus als ein religiös motivierter Extremismus ist deutlich abzugrenzen vom Islam als Weltreligion. Die Ausübung des Islam fällt in den Bereich der Religionsfreiheit und ist durch Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert. Dagegen gleicht der islamische Extremismus einer politisch-religiösen Ideologie. Deren Anhänger wollen Staat und Gesellschaft gemäß ihres Islamverständnisses in einen totalitären Gottesstaat umformen. Somit zielen sie auf die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und sind daher verfassungsfeindlich. Ziel islamisch-extremistischer Bestrebungen ist die Schaffung einer aus ihrer Sicht unveränderlichen, gottgewollten Ordnung. Diese sei jeder von Menschen geschaffenen Ordnung überlegen. Bei der Umsetzung dieser Ordnung zielen islamisch-extremistische Akteure darauf ab, alle Bereiche des menschlichen Zusammenlebens ihrer Islaminterpretation zu unterwerfen. Sie streben ein totalitäres, antipluralistisches System an. Ihre Gesellschaftskonzepte stehen im Widerspruch zu den konstituierenden Prinzipen der Demokratie, wie der Volkssouveränität und der Rechtsstaatlichkeit. Islamische Extremisten argumentieren auf Grundlage einer ihnen eigenen Interpretation des theologischen Konzepts vom Glauben an die Einheit und Einzigartigkeit Gottes (Tauhid). Sie vertreten die Auffassung, dass Gott der einzige legitime Herrscher, Souverän, Richter und Gesetzgeber sei. Daraus leiten sie die Einheit von Staat und Religion (arab.: al-Islam din wa daula) ab, in welcher eine Gewaltenteilung nicht mehr existiert. Dementsprechend lehnen islamische Extremisten von Menschen geschaffene Werte und Gesetze als vermeintlich unislamisch ab, da die gesamte Ordnung des Zusammenlebens strikt extremistisch ausgelegten islamischen Rechtsnormen unterworfen werden soll. Sie greifen in der Normenfindung verstärkt auf religiöse Quellentexte wie Koran und Sunna zurück. Während sich ein Großteil der im Koran enthaltenen Inhalte auf das Verhältnis zwischen Gott und Mensch (z.B. gottesdienstliche Handlungen) beziehen, enthalten die historischen Texte auch Aussagen über die Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen. Dazu gehören das Erbrecht, der Umgang mit anderen Religionsgemeinschaften oder Vorgaben, die im weitesten Sinne als strafrechtliche Normen bezeichnet werden können. Zu Letzteren zählen Strafen für Handlungen, die als Verfehlung gegen die islamische "gottgewollte" Ordnung wahrgenommen werden. Wie und in welchem Umfang die sogenannten "Hadd"Strafen angewandt werden sollten, ist daher ein zentraler Bestandteil islamisch-extremistischer Diskurse. So werden in einigen Ländern, deren Rechtssysteme an islamischen Quellentexten ausgerichtet sind, beispielweise als Unzucht (Zina) verstandene Handlungen, wie außerehelicher oder homosexueller Geschlechtsverkehr, aber auch das Austreten aus der islamischen Glaubensgemeinschaft (Apostasie, arab.: Ridda) mit dem Tod bestraft. Diebstahlsdelikte werden etwa mit Abtrennen von Gliedmaßen geahndet. Auch kritische Äußerungen zum Islam oder bereits eine kritische Auseinandersetzung mit ihm bewerteten islamische Extremisten in der Vergangenheit als blasphemische Äußerungen, die zu bestrafen seien. All dies ist unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 99 In der folgenden Übersicht werden diese Gegensätze anschaulich gegenübergestellt: Freiheitliche demokratische Grundislamisch-extremistisches Gesellschaftskonzept ordnung Volkssouveränität Souveränität Gottes (Tauhid) Gewaltenteilung Gewaltenkonzentration Rechtsstaatlichkeit und parlamentariWillkürherrschaft durch von islamischen Extremisten aussche Gesetze gewählten Normen, welche auf religiösen Rechtsquellen wie Koran und Sunna beruhen und sich menschlicher Erwägungen oder Veränderung entziehen. Menschenrechte und MenschenVerneinung beziehungsweise Einschränkung etwa der würde Rechte auf körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und Gleichberechtigung von Frauen und Minderheiten Antisemitismus Pluralistische Gesellschaftsordnung Monismus, homogene und Minderheiten ausschließende Gesellschaftsordnung Wahlprinzip als konstituierendes EleSpektrum von der konsequenten Ablehnung von Wahlen, ment der Demokratie bis hin zu Akzeptanz und Teilnahme an Wahlen, mit dem Ziel, politische Macht zu erlangen und ein islamisch-extremistisches Gesellschaftssystem umzusetzen. Trotz des scheinbar engen ideologischen Korsetts dieser oben genannten Merkmale, die für die islamisch-extremistische Ideologie prägend sind, existiert eine Vielzahl von ideologischen Strömungen und Gruppierungen, welche sich hinsichtlich ihrer religiösen Grundannahmen, Strategien, politischen Mittel und geographischen Orientierungen unterscheiden. Am syrischen Bürgerkrieg wird beispielsweise deutlich, dass sie sich teilweise auch gegenseitig bekämpfen. Die deutschen Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen legalistischen, gewaltorientierten und jihadistischen Islamisten. Legalisten versuchen langfristig innerhalb des gesetzlichen Rahmens Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen, um sie schrittweise und möglichst unbemerkt umzuformen. Zu den angewandten Strategien zählen zum Beispiel karitative Dienste, Angebote in der Jugendund Erwachsenenbildung, Spendenaktionen, Vereinsgründungen und die Unterwanderung bestehender Institutionen und Organisationen. Sie heben hervor, zur Umsetzung ihrer Ziele keine Gewalt anzuwenden. Dennoch streben sie nach der Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mit politischen Mitteln. Vertreter des legalistischen Islamismus in Deutschland sind etwa die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) und die der Muslimbruderschaft nahestehende "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG). Gruppierungen des legalistischen Islamismus weisen insgesamt ein ambivalentes Verhältnis zur Anwendung von Gewalt auf, das von Ablehnung bis hin zur Befürwortung reicht. 100 Gewaltorientierte islamische Extremisten wenden in Deutschland eher selten Gewalt an. Jedoch rechtfertigen sie Gewalt, die ihren gesellschaftlichen oder politischen Zielen dient. An denen im Konflikt um Palästina seit vielen Jahren beteiligten Organisationen "HAMAS" und "Hizb Allah" wird das besonders deutlich. Diese nutzen Deutschland als Rückzugsraum für die Akquirierung von Geldern, um mit diesen den Kampf gegen Israel zu finanzieren. Beide Organisationen kennzeichnet ein unverhohlener Antisemitismus, der regelmäßig auch in Deutschland artikuliert wird. Zwar werden Wahlen von den Anhängern und Unterstützern beider Gruppen als Mittel der politischen Einflussnahme akzeptiert. Jedoch nur so lange, wie diese demokratischen Mittel dem eigentlichen Ziel, der Errichtung eines islamischen Staats, nicht im Wege stehen. Beide Organisationen verfügen im Nahen Osten über militante Strukturen, welche dort terroristische Anschläge ausführen. Für Jihadisten ist der Einsatz von Waffengewalt das zentrale Instrument zur Erreichung ihrer politischen Ziele. Sie interpretieren das durchaus vielschichtige und auch nicht gewaltorientierte religiöse Konzept des Jihad (wörtlich: Anstrengung) selektiv als Pflicht zum bewaffneten Kampf gegen "Ungläubige" (Kafir, im Plural: Kuffar). So werden Gewaltakte gegen einzelne Menschen, Gruppen oder Staaten legitimiert. Anhänger der terroristischen Gruppierungen "Islamischer Staat" ("IS") und "Al-Qaida" (AQ) gehören zu dieser Kategorie. Aus den dargelegten ideologischen Grundlagen des islamischen Extremismus ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg für die legalistisch orientierten Gruppierungen aus SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Für gewaltorientierte und jihadistische Gruppen folgt die Zuständigkeit aus SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Aktuelle Entwicklungen im Islamismus Der im Jahr 2017 eingeleitete Niedergang des terroristischen "Islamischen Staates" hat sich auch im Jahr 2019 fortgesetzt. Das Territorialprojekt des IS ist zerschlagen. Seitdem betätigt er sich hauptsächlich als terroristische Untergrundorganisation und ruft seine Anhänger dazu auf, Anschläge zu verüben. Das wirkt sich auch auf die Sicherheitslage in Deutschland und Europa aus, denn der territoriale Zerfall des "IS" hat strukturelle und personelle Verdrängungseffekte zur Folge. Insbesondere die Rückkehr ehemaliger "IS"-Kämpfer und ihrer Familien nach Europa sorgt für neue sicherheitspolitische Herausforderungen. Viele ehemalige "IS"-Kämpfer haben die unmittelbaren Kampfgebiete verlassen. Während sich einige noch in nahegelegenen Regionen aufhalten, muss davon ausgegangen werden, dass einige der aus Deutschland und anderen europäischen Ländern ausgereisten Jihadisten in ihre Heimatländer zurückkehren wollen und zum Teil auch daran nicht gehindert werden können. So besteht die Gefahr, dass Rückkehrer, die wegen ihrer Beteiligung an Verbrechen in den Kriegsgebieten zu Haftstrafen verurteilt wurden, Haftinsassen radikalisieren. Dementsprechend müssen aktuell und in den nächsten Jahren verstärkt Anstrengungen unternommen werden, diese Personen zu deradikalisieren und dann in die Gesellschaft zu reintegrieren. Eine noch größere Herausforderung für die Innere Sicherheit stellt die mögliche Einreise von Personen dar, die sich nach dem Zerfall des "IS" aus der Region absetzen, ohne das ihr Aufenthalt dort oder ihre Beteiligung am "IS" den europäischen Behörden bekannt ist. Besonders bei gewaltaffinen Akteuren dürfte dieser Personenkreis gefragt sein, weil ehemalige Kämpfer und anderweitig am "IS" Beteiligte eine hohe Milieu-Reputation besitzen. Es besteht die Gefahr, dass mit den unerkannten Rückkehrern auch ihre Ideologie ungehindert in die Szene in Deutschland eindringt und sich negativ auf hiesige Szeneakteure auswirkt. 101 Schlimmstenfalls könnten sich dadurch neue jihadistische Zellen bilden oder wie in der Vergangenheit geschehen, ideologisierte Einzelpersonen zu Gewaltakten mit leicht zu beschaffenden Tatmitteln (Messer, chemische Erzeugnisse, etc.) verführen. Deutschland und andere europäische Länder werden zudem langfristig vor der großen Herausforderung stehen, adäquat auf Rückkehrer zu reagieren, die ihre Kinder gezielt im Sinne der jihadistischen Ideologie erziehen. Insgesamt bildet der "IS" als transnationales Netzwerk unverändert die einflussreichste terroristische Organisation weltweit. Er ist samt seinen Ablegern immer noch präsent und in der Lage, insbesondere über das Internet, Propaganda zu verbreiten. Die zentrale Strategie - ein islamisch-extremistisches Gegenmodell zu demokratisch-liberalen Verfassungsstaaten zu schaffen, dort den sozialen Frieden zu stören und Terror zu verbreiten - hat sich nicht verändert. Daher muss in Deutschland nach wie vor von einer hohen abstrakten Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus ausgegangen werden. Die Zahl weltweiter islamistischer Terroranschläge blieb auch im Jahr 2019 hoch. Ein Großteil der Anschläge wurde in den bekannten Konfliktregionen im Nahen Osten, insbesondere in Syrien und im Irak, sowie in Zentralasien, insbesondere in Afghanistan und in Pakistan, verübt. Darüber hinaus ist das Phänomen des internationalen islamistischen Terrorismus auch in Nordafrika und in der Sahel-Zone stark ausgeprägt. Derzeit ist keine Beruhigung in den betroffenen Regionen absehbar, denn viele dieser Staaten nehmen im "Fragile States Index" (FSI), der jährlich in der renommierten Zeitschrift "Foreign Policy" veröffentlicht wird, Spitzenplätze ein.129 Eine Vielzahl von Faktoren spielen dabei den Terroristen in die Hände, was ein Grund für die Beharrlichkeit ihrer Strukturen darstellen dürfte. Hierzu zählen politisch schwache Führungen ohne ausreichende Legitimität, sich zum Teil in Bürgerkriegen bekämpfende Fraktionen, wirtschaftlicher Niedergang, Flucht sowie demografischer Druck und militärische Interventionen fremder Staaten. In Europa wurden im Jahr 2019 ebenfalls islamisch-extremistisch motivierte Anschläge begangen, obwohl im Vergleich zu vorherigen Jahren eine rückläufige Tendenz festzustellen ist. Daher muss die Aufmerksamkeit, die dem islamistischen Terrorismus im weiten Feld der staatlichen Sicherheitsvorsorge zukommt, unverändert hoch bleiben. Einige terroristische Vorfälle werden exemplarisch kurz beschrieben: Am 18. März 2019 eröffnete eine männliche Person mit niederländischer und türkischer Staatsbürgerschaft im niederländischen Utrecht in der Nähe des Hauptbahnhofes das Feuer auf Passanten in einer Straßenbahn. Vier Menschen wurden getötet, sechs verletzt. Der Schütze wurde am selben Tag festgenommen und gestand die Tat. Die Ermittler gehen von einem terroristischen Motiv aus. Am 24. Mai 2019 wurde ein Anschlag mit einem selbst gebauten Sprengsatz in einer Einkaufsstraße vor einer Bäckerei im französischem Lyon verübt. Dabei wurden 14 Menschen verletzt. Der festgenommene aus Algerien stammende Tatverdächtige gab an, Anhänger der Terrorgruppe "IS" zu sein. Am 3. Oktober 2019 wurden in Frankreich bei einer Messerattacke in der Pariser Polizeipräfektur insgesamt fünf Menschen getötet - vier Polizisten und der Angreifer. Der Attentäter war langjähriger Mitarbeiter der Polizeipräfektur und soll vor zehn Jahren zum Islam konvertiert sein. Er soll Kontakte zu Salafisten gehabt und sich in den Wochen vor dem Anschlag radikalisiert haben. 129 Vgl. The Fund For Peace: "Fragile States Index Annual Report 2019", 08.04.2019, (letzter Zugriff am 13.05.2020). 102 Im Jahr 2019 konnten in der Bundesrepublik Anschläge verhindert werden, da potenzielle Attentäter im Vorfeld durch sicherheitsbehördliche Maßnahmen erkannt und festgenommen werden konnten. Ein Beispiel ist die Verhaftung eines 24-jährigen Deutschen in Offenbach (Hessen) am 12. November 2019. Ihm wird die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat aus islamisch-extremistischen Motiven vorgeworfen. Ebenfalls im November 2019 wurde in Berlin ein Syrer mit islamisch-extremistischen Bezügen festgenommen, der sich im Internet über den Bau von Bomben informiert und ausgetauscht haben soll. Islamistisches Personenpotenzial in Brandenburg 2016 2017 2018 2019 Islamische Extremisten 100 130 180 190 Die Zahl der islamischen Extremisten in Brandenburg ist leicht von 180 Personen im Jahr 2018 auf 190 Personen im Jahr 2019 gestiegen. Dieser Zuwachs ist unter anderem auf eine bessere Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Obwohl der Anteil islamischer Extremisten unter muslimischen Migranten in Brandenburg nur einen kleinen Teil abbildet, werden vermehrt Personen mit Migrationshintergrund von islamischen Extremisten für ihre politisch-extremistischen Zwecke instrumentalisiert. Zudem steigt auch die den brandenburgischen Sicherheitsbehörden bekannte Zahl der Fälle von Konvertiten ohne Migrationshintergrund, die sich dem islamischen Extremismus zuwenden. 103 6.1 IM FOKUS: Islamismus im ländlichen Raum Muslimische Religionslandschaft in Brandenburg Der Wunsch und das Recht auf freie Religionsausübung ist durch das Grundgesetz und die brandenburgische Verfassung geschützt. Der Verfassungsschutz wird erst dann tätig, wenn Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. Das muslimische Leben im Flächenland Brandenburg ist geprägt durch eine fragmentierte Religionslandschaft mit kleinen Gemeinden in regionalen, eher urbanen Zentren. Die Migrationsbewegung ab dem Jahre 2015 hat auch in Brandenburg zu einem signifikanten Anstieg von Geflüchteten aus Syrien, Irak, dem Kaukasus und Nord-Afrika geführt. Die damit verbundenen Herausforderungen sind für das Land und die Kommunen aber auch für die Geflüchteten und die muslimischen Gemeinden erheblich. Im Zuge dieser Entwicklungen war und ist eine hohe Nachfrage nach muslimischer Infrastruktur in Form von Vereinen und Gebetsräumen zu beobachten. Die Geflüchteten suchen verständlicherweise nach persönlicher Orientierung und einem sozialen Gefüge in Brandenburg. Dazu gehört der Wunsch, ihren Glauben zu praktizieren. Die kaum vorhandene muslimische Infrastruktur in Brandenburg war dafür nicht ausgelegt. Bedingt durch die hohe Nachfrage werden seit 2015 verstärkt Vereine und Gebetsräume gegründet. Zumeist handelte es sich um Kleinund Mittelstädte, welche vergleichsweise zentral und nahverkehrsgünstig gelegen sind und daher ein lokales bis regionales Einzugsgebiet bedienen können. Der Impuls zur Schaffung solcher Strukturen des muslimischen Lebens geht zumeist von Initiativen vor Ort aus. Diese sind lokal orientiert und eher lose organisiert. Eine weitere Möglichkeit ist, dass externe Akteure um Unterstützung gebeten werden. Der Impuls kann aber ebenso von externen Strukturen ausgehen, welche sich vor Ort interessierte Personen zur Umsetzung suchen. Die nachfolgenden Fallbeispiele illustrieren, dass mit externen Einflüssen Probleme verbunden sein können, aber nicht unbedingt müssen. Im Allgemeinen suchen Muslime zunächst Kontakt zur Kommunalverwaltung und Zivilgesellschaft. Zumeist wird die Form des Moscheevereins gewählt, um sich einen organisatorischen wie juristischen Rahmen zu geben. 2019 war in Brandenburg im Vergleich zu den Vorjahren jedoch eine Abnahme an formellen Gebetsraumgründungen zu verzeichnen. Monetäre, organisatorische sowie rechtliche Hürden erschweren vielerorts das Vorhaben, sich feste Strukturen zu geben. Der Trend der Jahre 2015 bis 2018, muslimische Infrastruktur zu schaffen, wird sich vermutlich weiter verlangsamen, aber aufgrund der nach wie vor vorhandenen Nachfrage nicht zum Erliegen kommen. Aktuelle Entwicklungen im Umfeld von Gebetsräumen Brandenburg zählt zu den Regionen in Deutschland, die bislang nur geringfügig vom islamischen Extremismus betroffen sind. Nur ein Bruchteil der muslimischen Gesamtbevölkerung in Brandenburg fühlt sich von islamisch extremistischen Überzeugungen angezogen oder sympathisiert mit entsprechenden Bestrebungen. Nach bisherigen Erkenntnissen erfolgt eine Radikalisierung meistens in Privaträumen und in einschlägigen Online-Foren der sozialen Netzwerke oder in Chat-Gruppen von Messenger-Diensten. Wenn sich Muslime in Gebetsräumen radikalisieren, dann überwiegend in bekannten, einschlägigen Objekten, oftmals in Berlin. Bei einer Radikalisierung, die im lokalen Kontext beginnt, stellen charismatische Prediger oder bereits radikalisierte Personen eine Gefahr dar. In Gebetsräumen können sie ihre Zielgruppen ansprechen sowie ihre ideologischen Botschaften verbreiten. Der islamische Extremismus fordert somit auch die muslimischen Gemeinden heraus. Diese sind als Akteure und Ansprechpartner vor Ort wichtig, um eine gemäßigte theologische Deutung durchzusetzen und Gläubige, die sich in einer extremistischen Frühphase befinden, sowie bereits radikalisierte Personen von ihrem Weg abzubringen. 104 Vor dem Hintergrund eines starken Zuwachses an Muslimen und einer immer noch lückenhaften sowie wenig gefestigten muslimischen Infrastruktur sind im Umfeld brandenburgischer Gebetsräume drei Entwicklungen zu erkennen, die eine Ausbreitung des islamischen Extremismus befördern könnten. Seit 2017 breiten sich nicht in Brandenburg ansässige Vereinigungen aus, die Bezüge zum legalistischen Islamismus aufweisen. Ein Beispiel sind die Aktivitäten der "Sächsischen Begegnungsstätte" (SBS) in den Jahren 2017 und 2018. Die der islamisch-extremistischen Bewegung der "Muslimbruderschaft" (MB) nahestehende Vereinigung nutzt die erhöhte regionale Nachfrage nach religiösen Angeboten aus, um sich lokalen muslimischen Gemeinden anzudienen und die bestehenden Lücken auf der Angebotsseite zu füllen. Anschläge auf Leib und Leben sind von dieser Vereinigung aktuell in Deutschland nicht zu befürchten. Sie strebt jedoch eine islamisch-extremistische Gesellschaftsordnung an, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. Unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft wollen die Muslimbrüder die Lebenssituation der Geflüchteten ausnutzen, um neue Anhänger zu gewinnen. Damit geht von diesen Extremisten langfristig eine erhebliche Gefahr aus, denn es besteht das Risiko, dass sich extremistische Parallelkulturen bilden, die nicht mehr in die Gesellschaft integriert werden können. Eine solche Entwicklung wäre schwerlich umkehrbar und würde extremistischen Bestrebungen weiteren Vorschub leisten. Konkret versuchte die SBS in Brandenburg an der Havel Einfluss auf einen Gebetsraum auszuüben. Weitere Expansionsbemühungen in Luckenwalde (TF), Senftenberg (OSL) und Cottbus verliefen erfolglos. Die SBS wurde im Frühjahr 2016 in Dresden (Sachsen) gegründet. Sie ist als Vereinigung mittlerweile formell aufgelöst. Die SBS verbreitete sich binnen eines Jahres regional schnell, was darauf schließen lässt, dass die SBS über größere Finanzmittel verfügte. Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte vor, die eine Zuordnung der Vereinigung zur MB nahelegen. So hat Saad Elgazar, der Geschäftsführer der SBS, über einen längeren Zeitraum in sozialen Netzwerken Aktivitäten der MB beschrieben. Darüber hinaus verbreitete und kommentierte er Beiträge, die von einem der wichtigsten und bekanntesten Ideologen der MB, Yusuf Al-Qaradawi, stammten oder in denen über ihn berichtet wurde. Des Weiteren veröffentlichte er Beiträge über Hassan Al-Banna, den Gründer der MB, und ideologische Auffassungen von Sayyid Qutb, einem der wichtigsten Ideologen des islamischen Extremismus. Qutb wird regelmäßig von Jihadisten zur Legitimation ihres Handelns herangezogen. Elgazar vertritt auch den antisemitischen und strikt anti-israelischen Kurs der MB. Seine antisemitische Haltung wurde deutlich, als er ein Video teilte, in dem der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, als Verräter bezeichnet und im Hintergrund des Videos eine geografische Karte Palästinas ohne Israel gezeigt wurde. Elgazar machte ebenso deutlich, dass er Israel das Existenzrecht abstreitet, in dem er das Video mit den Worten kommentierte: "Es gab für uns ein Land mit dem Namen Palästina - und wird es [wieder] werden." Dass Elgazar die extremistische Ideologie der Muslimbruderschaft verbreitete, macht deutlich, dass er sich als ein Teil dieser Bewegung versteht. Wiederholt verwendete er in einigen seiner Beiträge Formulierungen wie "unsere Feinde", "unsere Methoden" oder auch "unser Krieg". Die ideologische Verbindung zur Muslimbruderschaft wurde bei zahlreichen Veranstaltungen deutlich, bei denen Redner, Referenten und Gastimame der Muslimbruderschaft in den Räumen der SBS auftraten. Aufgrund der Presseberichterstattung zu den Aktivitäten der SBS wurden viele dieser Beiträge im Internet gelöscht. Das zeigt, dass die SBS ihre tatsächlichen Absichten verschleiern wollte. Dementsprechend wirkte die Website der SBS unverfänglich. Damit wurde versucht, den Eindruck zu erwecken, dass die SBS eine weltoffene und kommunikationsorientierte Organisation sei. Hierbei handelt es sich um die bekannte Doppelstrategie von Organisationen und Vereinigungen, die der MB nahestehen. 105 2019 versuchten vereinzelt Vertreter des politischen Salafismus oder legalistisch orientierter Vereinigungen aus Berlin ihren Einfluss in Brandenburg geltend zu machen. Oft bitten lokale muslimische Gemeinden um Unterstützung oder sie werden von den Berliner Akteuren direkt angesprochen, weil man weiß, dass die Gemeinde einen Gebetsraum aufbauen oder betreiben will. Ob der ideologische Hintergrund und die politische Absicht der Berliner Akteure der Gemeinde vor Ort bekannt oder eher unbekannt ist, lässt sich im Nachhinein meistens nicht mit Sicherheit rekonstruieren. Während die Vertreter legalistischer Vereinigungen und Organisationen aus Berlin versuchen, nach Brandenburg zu expandieren, ziehen die islamistischen Zentren in Berlin gleichzeitig Personen aus Brandenburg an, die für die islamisch-extremistische Ideologie offen sind. Es ist eine kleine Minderheit, die sich oft in ihrem lokalen Gebetsraum nicht ausreichend repräsentiert fühlt und sich gerne von einem strengorthodoxen oder islamisch-extremistisch geprägten Islamverständnis leiten lassen möchte. Vor Ort in den brandenburgischen Städten verfügen sie oftmals nur über geringen Einfluss. Für diese Personen wirkt Berlin schon aufgrund seiner zentralen Lage mitten in Brandenburg sowie eines vielfältigen Angebots an unterschiedlichen Ausrichtungen des Islams samt den dazugehörigen Szenen wie ein Magnet. Bislang hat dieser Anziehungseffekt noch zu keinen nachhaltigen islamisch-extremistisch geprägten Strukturen in Brandenburg geführt. Es besteht dennoch das Risiko, dass Einzelpersonen mit einer entsprechenden Ausrichtung ihre ideologischen Ansichten in Brandenburg verbreiten, weil sie hier ihren Lebensmittelpunkt haben und sehr wahrscheinlich die hiesigen Gebetsräume weiter besuchen werden. Es besteht - wenn auch nur abstrakt - sogar die Gefahr, dass islamisch-extremistische Organisationen diese Personen als Sprungbrett für den Aufbau ihrer Strukturen in Brandenburg nutzen könnten. 2019 haben zudem orthodoxe "Newcomer" - hierbei handelt es sich um Personen aus den Kernländern der Migrationsbewegung wie Syrien, Irak und Afghanistan - versucht, schon vorhandene Moscheevereine "feindlich" zu übernehmen oder die Übernahme vorzubereiten. Die Vorgehensweise dieser oppositionellen Kleingruppen folgt dabei in der Regel einem Muster. Beispielsweise werden etablierte Moscheevereine herausgefordert, indem ihre Amtsführung und eine vermeintlich "falsche" Islamauslegung bemängelt und kritisiert wird. Das passiert in der Regel nicht ad hoc, sondern die oppositionelle Kleingruppe bringt mit der Zeit ihre politischen und religiösen Positionen ein, kritisiert oder diskreditiert den Imam und den Moscheevorstand und forciert den Aufbau eines Unterstützernetzwerkes. Auf diese Art und Weise wollen sie nach und nach Ämter und später den ganzen Vorstand des Moscheevereins übernehmen, um eigene Schwerpunkte zu setzen und andere religiöse Auffassungen endgültig zu verdrängen. Eine solche Entwicklung kann Moscheegemeinden grundsätzlich spalten und birgt die Gefahr, dass sich am Ende tatsächlich eine fundamentale oder islamisch-extremistische Islamauslegung durchsetzt. Bislang waren solche "Übernahmen" in Brandenburg allerdings nicht nachhaltig erfolgreich. Als weitere Konsequenz kann es zur Einrichtung eines zweiten - dann oftmals problematischeren - Gebetsraumes vor Ort kommen, in dem die extremistischen "Spalter" die Agenda vorgeben. 106 6.2 Muslimbruderschaft ("Jamiyat al-Ikhwan al-Muslimin") Sitz / Verbreitung Die ägyptische Muslimbruderschaft (MB) hat ihren Hauptsitz in Kairo. Die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) fungiert als deutscher Ableger der MB mit Hauptsitz in Köln. Die extremistische MB ist heute als pan-islamistische Bewegung nicht nur in allen arabischen Ländern, sondern nach eigenen Angaben in 70 Staaten weltweit vertreten. Je nach Land und vorgefundenen Rahmenbedingungen - Repression, Partizipation oder (informeller) Toleranz - haben sich die Ableger der MB organisatorisch wie strukturell unterschiedlich entwickelt. Sie eint aber unverändert die gemeinsam geteilte islamisch-extremistische Ideologie. Gründung / Bestehen Die MB wurde 1928 in Ägypten gegründet und ist in Deutschland seit den 1960er Jahren aktiv. Struktur / Repräsentanten Die MB ist in Deutschland mit verschiedenen Gruppierungen vertreten, die in das international verflochtene Netzwerk eingebunden sind. Als wichtigste Repräsentanz fungiert die Dachorganisation "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG), ehemals "Islamische Gemeinschaft in Deutschland" (IGD). Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der "Föderation islamischer Organisationen in Europa" (FIOE), welche als europäisches Sammelbecken für MB-Organisationen gilt. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg haben Einzelpersonen Bezug zu Strukturen und Funktionären der deutschen MB. Veröffentlichungen Die MB unterhält diverse Internetseiten und Auftritte in sozialen Netzwerken. Diese sind zum Teil deutschsprachig. Kurzportrait / Ziele Die MB stellt die älteste und wichtigste islamisch-extremistische Massenbewegung sunnitischer Prägung dar. Hassan Al-Banna, der Gründer der MB, lehnte das damalige politische System in Ägypten, eine von der britischen Kolonialmacht gestützte konstitutionelle Monarchie, ebenso ab wie westliche Staatsund Gesellschaftsformen und säkulare Ideologien. Als Alternative sowie Quelle für das Wiedererstarken der Muslime propagierte Al-Banna die Errichtung eines "islamischen Systems" ("nizam islami") sowie die Rückbesinnung auf die Wurzeln des Islams. Für die MB ist dieses "islamische System", welches auf Koran und Sunna beruht, ein allumfassendes System zur Lösung jedes gesellschaftlichen Problems. Es ist somit auch ein politisches Konzept. Als Fernziel steht die Ablösung der Regierungen der jeweiligen Heimatstaaten durch einen islamischen Staat auf Grundlage der Scharia. Al-Banna wandte sich mittels seines Aktionismus direkt an die muslimischen Massen und reagierte unmittelbar auf deren soziale, materielle und religiöse Bedürfnisse. Die MB entwickelte sich daher innerhalb weniger Jahre zu einer streng hierarchisch organisierten, politischen Massenbewegung, welche vielschichtige soziale, karitative und ökonomische Aktivitäten entfaltete. Sie setzte von Anfang an auf eine "Graswurzel-Islamisierung" entlang missionarischer und pädagogischer Ansätze zur kulturellen Durchdringung der Gesellschaft. 107 Die Geschichte der MB ist geprägt von einem Wechselspiel aus Verfolgung und Toleranz, wobei sich die Organisation als nachhaltig widerstandsfähig erwiesen hat. In den 1950er und 1960er Jahren zwangen Repressalien unter dem ägyptischen Präsidenten Nasser zahlreiche dort lebende Muslimbrüder ins Exil, so auch nach Westeuropa. Das hatte unter anderem eine Weiterverbreitung des Gedankengutes zur Folge. Des Weiteren setzte eine ideologische Radikalisierung in Teilen der Bewegung ein. Als Schlüsselfigur ist hier Sayyid Qutb (1906-1966) zu nennen. Qutb gilt als ein wesentlicher Vordenker des modernen, politischen Jihads. Seiner Auslegung nach sei es die Pflicht aller Muslime, die unislamischen Zustände zu beseitigen - auch unter Einsatz von Gewalt. Über die MB hinaus haben Qutb und seine Schriften bis heute großen Einfluss, besonders auf gewaltbefürwortende Gruppierungen. Innerhalb der MB war und ist Qutb nach wie vor umstritten. Finanzierung Spenden, im arabischen Raum zum Teil auch über eigene Geschäftszweige und vereinzelte staatliche Unterstützung. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Muslimbruderschaft hat die Umgestaltung der Länder mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung in Staaten mit islamistischer Regierungsform auf Grundlage der Scharia als langfristiges Ziel. Gewalt wird zur Durchsetzung dieses Ziels in der Endphase nicht ausgeschlossen, ist aber kein vorrangiges Mittel. Die MB lehnt säkulare, demokratische Staatssysteme, insbesondere deren Rechtsordnungen, ab und akzeptiert sie nur als Übergangsstadium. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfolgt auf Grundlage der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Entwicklungen im Berichtszeitraum In der Vergangenheit hat die aus Sachsen heraus nach Brandenburg expandierte muslimbruderschaftsnahe "Sächsische Begegnungsstätte" (SBS) als wichtigster legalistischer Akteur in Brandenburg gewirkt. Doch auch nach dem Rückzug des Vereins bestehen weiterhin einzelne Personennetzwerke mit Bezug zur Muslimbruderschaft in Brandenburg fort. In Deutschland tritt der Verein "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG) nur bei größeren Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam auf. Er beruft sich stets auf Verfassungskonformität der Organisation und distanziert sich von Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Jedoch verfolgt die DMG eine an der Ideologie der Muslimbruderschaft ausgerichtete, gewaltfreie Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Raum. Bewertung / Ausblick In Brandenburg sind Einzelpersonen und kleinere Personennetzwerke unverändert daran interessiert, die Ideologie der MB auf ausgemachte Zielgruppen wie muslimische Gemeinden, Gebetsräume sowie Geflüchtete zu übertragen. Entsprechend will die MB Einfluss auf diese Strukturen oder Gruppen ausüben. Es ist davon auszugehen, dass diese Entwicklung anhalten wird. In Deutschland wird die DMG weiterhin bemüht sein, ihren Einfluss unter Muslimen auszubauen und als Ansprechpartner eines angeblich gemäßigten Islams für Politik und Gesellschaft in Erscheinung zu treten. In Ägypten ist die MB seit September 2013 verboten. Zudem ist die Bewegung dort als Terror-Organisation eingestuft. Der nach dem Militärputsch an die Macht gelangte Präsident Al-Sisi wird vermutlich mittelfristig an den Repressionen gegen die MB festhalten. Auch in einigen anderen nahöstlichen Ländern besteht ein Verfolgungsdruck gegenüber Anhängern der jeweiligen MB-Ableger. 108 6.3 Salafismus Sitz / Verbreitung Es gibt in Brandenburg bisher keine salafistischen Moscheen. Allerdings versuchen Salafisten Einfluss zu nehmen und eigene Strukturen aufzubauen. Gründung / Bestehen Salafismus ist als Sammelbegriff verschiedener ideologischer Konzepte sunnitischer Prägung zu verstehen, die sich in ihrem Bestreben, einen ursprünglichen und möglichst unverfälschten Islam auszuleben, sehr stark an der islamischen Frühzeit orientieren. Zwar gelten die Gesellschaftsund Religionsvorstellungen der ersten muslimischen Generationen (etwa 7.-9. Jh. n. Chr.) vielen - auch nichtextremistischen - Muslimen als Ideal. Salafisten hingegen versuchen, die in den religiösen Quellen enthaltenen Aussagen umfassend und wortwörtlich in einem zeitgenössischen Kontext anzuwenden. Während der Wunsch und das Streben nach einer ursprünglichen und möglichst reinen Religion kein neues Phänomen in der langen und vielfältigen Geschichte muslimischer Gesellschaften ist, entwickelte sich die hier beschriebene salafistische Bewegung maßgeblich im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts im Nahen Osten. In besonderem Maße prägten sie verschiedene zeitgenössische Gelehrte, die in dem Königreich Saudi-Arabien geboren oder ausgebildet wurden. Eng verknüpft mit dem Salafismus und dem damit verbundenen Anspruch religiöse Quellen wörtlich umzusetzen, ist der zeitgenössische Jihadismus. Sein theologisches Grundkonstrukt entstand maßgeblich in Ägypten und in der Golfregion in den 1960er und 1970er Jahren, als regionale Akteure - im Kontext des arabischen Sozialismus und der Kriege mit Israel - einen theologischen und gesellschaftlichen Gegenentwurf zu etablieren versuchten. In ihrem Wunsch, die als unislamisch und unterdrückerisch verstandenen Regierungen ihrer Länder zu beseitigen und eine islamische Gesellschaft zu etablieren, entwickelten sie religiös legitimierte Gewaltkonzepte und propagierten den Kampf gegen ihre Regierungen und die Herrschenden der arabischen Länder. Ein weiterer zentraler Moment in der Entwicklung des Jihadismus war der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan 1979 und der damit verbundene Aufstieg der terroristischen Al-Qaida Organisation. Das wirkte sich maßgeblich auf die Entwicklung und Verbreitung des Jihadismus als eine transnationale Ideologie aus. Struktur / Repräsentanten In Deutschland existiert weder ein Dachverband für salafistische Strukturen noch eine politische Vertretung, beispielsweise durch eine Partei. Salafistische Akteure agieren in Deutschland zumeist in losen Netzwerken oder innerhalb einer Vereinsstruktur, die ihnen den Zugang zu den benötigten Ressourcen (Räumlichkeiten, finanzielle Mittel, Rekrutierung neuer Mitglieder) vereinfacht. Eine einheitliche Predigerszene gibt es in Deutschland nicht. Einzelne Prediger betätigen sich jedoch überregional und über die Landesgrenzen hinaus als salafistische Multiplikatoren. Als Beispiele hierfür sind der in Nordrhein-Westfalen geborene Pierre Vogel, der in Leipzig tätige Hassan Dabbagh oder der in Berlin ansässige Ahmad Armih zu nennen. Salafistische Prediger aus anderen Bundesländern wurden in Brandenburg bislang nur vereinzelt festgestellt. 109 Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Salafismus übt in Deutschland insbesondere auf Jugendliche und junge Erwachsene Anziehungskraft aus. Anerkennung und das Gefühl zu einer besonderen Gemeinschaft zu gehören, die Verwendung einer eigenen Sprache und eigener Slogans, ein besonderer Kleidungsstil sowie eine eigene Musikkultur sind prägende und attraktive Faktoren. Zentrales Element ist zudem die für eine Jugendkultur typische Abgrenzung von etablierten Autoritäten. Die Mitglieder der Szene bezeichnen sich als "Brüder" und "Schwestern" und finden in ihr nicht selten eine Ersatzfamilie. Salafistische Prediger werden zu Idolen und zum Teil wie Popstars gefeiert. Brandenburg ist in dieser Hinsicht nicht mit den alten Bundesländern gleichzusetzen, in denen etablierte islamisch-extremistische Strukturen stark sichtbar sind. Jedoch sind in den letzten Jahren die Zahlen auch hier gestiegen. Der Verfassungsschutz Brandenburg rechnet aktuell 150 Personen (2018: 130) der hiesigen salafistischen Szene zu. Der generell für Deutschland festzustellende Trend, dass sich Szeneakteure aus der Öffentlichkeit zurückziehen und in konspirativen Zirkeln sowie im Internet betätigen, setzte sich auch 2019 fort. Veröffentlichungen Da es sich beim Salafismus um keine homogene Ideologie und bei ihren Vertretern um keine einheitlich agierende Gruppe handelt, gibt es unzählige Schriften salafistischer Ideologen, die auch auf Deutsch verlegt werden. Diese Veröffentlichungen werden im Internet sowie als gedruckte Exemplare gegen geringe Gebühr oder sogar kostenfrei zur Verfügung gestellt. Die in salafistischen Publikationen enthaltenen Aussagen zu gesellschaftspolitischen Vorstellungen umfassen stark desintegrative und antipluralistische Elemente. Nicht selten sind sie durchsetzt mit antisemitischem Gedankengut und enthalten Aussagen, die religiös motivierte Gewalt relativieren oder sogar befürworten. Die "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" (BPjM) prüft, inwiefern einzelne Medien geeignet sind, Kinder und Jugendliche in ihrer Entwicklung zu eigenständigen und gemeinschaftsfähigen Personen negativ zu beeinträchtigen. Kommt die BPjM zu dem Schluss, dass sich Inhalte jugendgefährdend auswirken können, kann sie die entsprechende Publikation indizieren und eine ungehinderte Verbreitung einschränken. Unter den bislang durch die BPjM indizierten Publikationen im Bereich des islamischen Extremismus finden sich beispielsweise Publikationen des salafistischen Autors Abdulrahman Al-Sheha, darunter "Die Frau im Schutz des Islam", "Missverständnisse über Menschenrechte im Islam" und "Die Botschaft des Islam". Kurzportrait / Ziele Salafisten versuchen die Religion von vermeintlichen verbotenen Neuerungen (Bid'a) zu reinigen und lehnen in diesem Zusammenhang die historisch begründete theologische, gesellschaftliche und normative Diversifizierung des Islam ab. Dies zeigt sich exemplarisch in ihrer Ablehnung der vier sunnitischen Rechtsschulen mit ihren unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und Rechtsnormen. Vielmehr argumentieren Salafisten, dass die Ausformung ausschließlich auf Koran und Sunna, also der Überlieferung über Aussprüche und Taten des Propheten Muhammad, beruhen dürften. Das gemeinsame Ziel von Salafisten ist, einen mit der Scharia konformen "Gottesstaat" mit einem Kalifen als politischer und religiöser Autorität an der Spitze zu errichten. Hierzu müssen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft vollständig umgestaltet, also die freiheitliche demokratische Grundordnung zerschlagen werden. Deutsche Sicherheitsbehörden unterscheiden grob zwischen zwei Ausrichtungen: dem politi110 schen Salafismus und dem gewaltorientierten Salafismus. Politische Salafisten zielen darauf ab, die Gesellschaft in einem langfristigen Prozess zu verändern. In Predigten und öffentlicher Missionierungsarbeit (Da'wa) werden sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime aufgefordert, sich aktiv und offensiv für den Aufbau von Strukturen eines ihren salafistischen Vorstellungen entsprechenden islamischen Gesellschaftssystems einzusetzen. Gewaltorientierte Salafisten sind hingegen bereit, zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden. Sie setzen sich beispielsweise für Körperstrafen wie etwa Amputationen von Gliedmaßen ein, währenddessen jihadistische Salafisten die Anwendung von Waffengewalt als die individuelle Pflicht eines jeden Muslims und als kollektive Pflicht einer propagierten muslimischen Gemeinschaft ansehen. Finanzierung Die Finanzierung erfolgt über Spenden aus dem Inoder Ausland. Darüber hinaus finanzieren sich Salafisten weltweit über Online-Shops, Seminare und Reisen, mit denen sie ihre extremistische Weltanschauung verbreiten und ihre Bestrebungen zugleich finanzieren können. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Der Salafismus ist eine fundamentalistische islamistische Ideologie und zugleich eine extremistische Gegenkultur mit einem rückwärtsgewandten Lebensstil. Sowohl der politische als auch der gewaltorientierte Salafismus vertreten eine antidemokratische und verfassungsfeindliche Ideologie: Demokratie wird von Salafisten als falsche "Religion" und die Teilnahme an Wahlen als "Götzendienst" (Taghut) betrachtet. Gesetze können demnach nur von Gott, aber niemals von einem gewählten Gesetzgeber erlassen werden. Somit seien von Menschen beschlossene Gesetze eine Gotteslästerung. Weitere Forderungen salafistischer Akteure sind etwa eine rigide Trennung von Mann und Frau sowohl in der Moschee als auch im öffentlichen Raum. Sie lehnen eine gemeinsame schulische Erziehung von Jungen und Mädchen sowie die Berufstätigkeit von Frauen ab oder binden diese an die Entscheidung eines Mannes. Dem Ehemann wird zudem das Recht zugeschrieben, seine Frau oder Frauen körperlich zu misshandeln. Diese Vorstellungen sind vollständig unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insgesamt geht vom Salafismus eine Gefährdung für die Innere Sicherheit in Deutschland aus. Der Verfassungsschutz ist gemäß SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes zuständig. Entwicklungen im Berichtszeitraum In Brandenburg konnten in der jüngeren Vergangenheit einzelne salafistisch orientierte Kleingruppen festgestellt werden. Eine umfassende Vernetzung von Salafisten in Brandenburg ist bislang nicht bekannt. Allerdings orientieren sich Einzelpersonen in die salafistische Szene nach Berlin. Zu den bedeutenden Anlaufpunkten für radikale Predigten zählt unter anderem die dortige Al-Nur-Moschee. Sie gilt als Zentrum gewaltbereiter und fundamentalistischer Islamisten. Es zeichnen sich aber Tendenzen einer Ausdehnung von Berlin nach Brandenburg ab. Bedingt durch den Zuzug von Personen muslimischen Glaubens steigt auch der Bedarf an Moscheen und Gebetsräumen in Brandenburg und damit die Gefahr, dass sie von salafistischen Predigern als neue Missionierungsorte ausgewählt werden könnten. So konnten in der Vergangenheit vereinzelt salafistische Prediger in Brandenburg festgestellt werden. 111 Bewertung / Ausblick Eine besonders anfällige Gruppe für Radikalisierung stellen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dar. Sie leben häufig in einem instabilen sozialen Umfeld und könnten sich deshalb auf der Suche nach Geborgenheit, Halt und Anerkennung der salafistischen Szene zuwenden. Durch den territorialen Niedergang des "IS" und dem massiven militärischen Vorgehen gegen die verbliebenen jihadistischen Organisationen in Syrien ist die Zahl derer, die aus Deutschland mit dem Ziel ausreisen, sich dortigen Organisationen anzuschließen, erheblich zurückgegangen. Von besonderer Bedeutung für deutsche Sicherheitsbehörden wird weiterhin die Frage sein, wie mit Rückkehrern aus Kampfgebieten verfahren wird und wie diese sich in Deutschland verhalten. Es ist schwer einzuschätzen, ob sie nach wie vor ihre terroristische Agenda verfolgen oder sich desillusioniert ein neues Leben in Deutschland aufbauen wollen. Auch der Umgang mit zurückkehrenden Witwen getöteter "IS"-Kämpfer und ihren Kindern, die in der Region im Sinne einer jihadistischen Ideologie erzogen wurden oder dort traumatische Erfahrungen etwa während ihres Aufenthaltes in Gefangenenlagern machten, wird die deutsche Gesellschaft und die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen stellen. 112 6.4 Islamistische nordkaukasische Szene (INS) Sitz / Verbreitung Die Islamistische nordkaukasische Szene (INS) verfügt über Einzelmitglieder in Deutschland. Gründung / Bestehen Die INS besteht seit der Unabhängigkeitserklärung der Tschetschenischen Republik "Itschkerien" nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 (ursprünglich als vorwiegend separatistische Organisation). Im Kampf für die Unabhängigkeit gewann der Salafismus eine immer größere Bedeutung. Als Konsequenz dieser Entwicklung gründete sich 2007 das "Kaukasische Emirat" (KE) im Nordkaukasus mit zunächst lokaler und später globaler jihadistischer Agenda. Seit circa 2015 ist das "KE" im Zuge des Ausrufs eines "Islamischen Staats" in der Bedeutungslosigkeit versunken. Viele jihadistische nordkaukasische Kämpfer schlossen sich dem "IS" an. Struktur / Repräsentanten Es bestehen keine gefestigten Strukturen mit erkennbarer Hierarchie. Es existieren jedoch intensive Kennund Unterstützungsverhältnisse in Brandenburg und deutschlandweit sowie Vernetzungen im Ausland. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg werden derzeit 70 (2018: 65) Personen der islamistischen nordkaukasischen Szene zugerechnet. Veröffentlichungen Derzeit sind in Brandenburg keine Veröffentlichungen bekannt. Kurzportrait / Ziele Trotz der Fragmentierung der Islamistischen nordkaukasischen Szene eint sie die konsequente Ablehnung der Russischen Föderation. Nach dem Scheitern der ethno-nationalistischen Unabhängigkeitsbewegung in Tschetschenien und unter dem gewachsenen Einfluss salafistischer und wahhabitischer130 Ideologie während der Tschetschenienkriege versucht die INS ihre politischen Forderungen mittels terroristischer Anschläge durchzusetzen. Teile der Bewegung bekennen sich zum terroristischen "Islamischen Staat" und damit auch zum global orientierten Jihadismus. Finanzierung Anhänger der INS finanzieren sich u.a. durch allgemeine und organisierte Kriminalität. Dabei verhalten sie sich höchst klandestin. 130 Als "Wahhabismus" wird die Staatsreligion bzw. die "Staatsdoktrin" Saudi-Arabiens bezeichnet. 113 Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Als stärker islamistisch geprägte Nachfolgeorganisation zur Sezessionsbewegung der "Tschetschenischen Republik Itschkerien" versuchte das "Kaukasische Emirat" im Nordkaukasus durch militante Überfälle und terroristische Anschläge die Kaukakusprovinzen zu einen und einen unabhängigen Staat zu gründen, dessen Herrschaftsform sich an einem islamischen Kalifat orientiert. Im Jahr 2007 proklamierte der Führer des "Kaukasischen Emirats" Dokku Umarov die "Republik Itschkerien" als den Teil eines den gesamten Nordkaukasus umfassenden "Islamischen Emirats".131 Da die beanspruchten Gebiete132 unter der Verwaltung der Russischen Föderation stehen, versuchten die islamistischen Rebellen um Umarov auch mit Einsatz von terroristischen Mitteln die Russische Föderation zum Rückzug aus der Kaukasusregion zu zwingen. Zahlreiche Anschläge und Geiselnahmen mit vielen Todesopfern gehen auf das Konto des "Kaukasischen Emirates". Aufbauend auf lange bestehenden Verbindungen zwischen entscheidenden Figuren der Unabhängigkeitsbewegung und dem international operierenden Salafismus richtete Umarov das "Kaukasische Emirat" stärker als Teil einer global-jihadistischen Bewegung aus, mit klaren Bezügen zur damals noch international führenden salafistisch-jihadistischen Terrororganisation Al-Qaida. Bereits im Jahr 2012 reisten Kämpfer des "Kaukasischen Emirats" nach Syrien aus, um an Kampfhandlungen teilzunehmen. Im Juni 2013 wurde das "KE" durch das Bundesministerium der Justiz als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft und die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung ausgesprochen. Im Jahr 2015 gründeten entscheidende Führungskader des "KE" eine dem "Islamischen Staat" zugehörige Organisation aus Kämpfern nordkaukasischer Abstammung und schworen dem damaligen Anführer des "IS" Abu Bakr AlBaghdadi ihre Treue. Im Oktober 2019 bestätigte der "IS" den Tod Abu Bakrs. Dieser Schwur führte zur faktischen Auflösung des "Kaukasischen Emirats". Nordkaukasische Islamisten kämpften auch für andere jihadistische Organisationen in Syrien, wie der "Al-Nusra Front", und gelten als exzellent ausgebildete, erfahrene Kämpfer und Logistiker. Die INS wird in Brandenburg auf der Grundlage des SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes beobachtet. Sie gefährdet die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland durch Gewaltanwendung und darauf ausgerichtete Vorbereitungshandlungen. Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundesweit spielen Nordkaukasier in der islamisch-extremistischen Szene eine untergeordnete Rolle. In Brandenburg hingegen stellen sie einen großen Teil des gewaltbereiten salafistischen Personenpotenzials dar. Feste Strukturen konnten sich allerdings in Brandenburg bislang nicht etablieren. Derzeit lebt in Brandenburg eine größere vierstellige Anzahl von Migranten nordkaukasischer Herkunft, von denen die große Mehrheit nicht als Flüchtling anerkannt wird, allerdings auch nur wenige nach Russland zurückkehren. Aufgrund eines patriarchalischen Wertesystems und sozialisierter Gewalterfahrungen neigen nordkaukasische Migranten auch in Deutschland zur Gewalt. Das oftmals archaische und patriarchale Werteverständnis vieler Nordkaukasier sowie eine gewachsene Bedeutung des Salafismus im nordkaukasischen Raum wirken sich nachteilig auf die Integration aus und hindern die gesellschaftliche Kohäsion. Dies schafft Anknüpfungspunkte für jihadistisches Gedankengut. Durch die mangelhafte Integration finden junge Nordkaukasier nur Anstellungen im nordkaukasisch kontrollierten Bewachungsgewerbe mit Verbindungen zur allgemeinen und organisierten Kriminalität innerhalb der Diaspora. 131 Ein Emirat stellt eine Verwaltungseinheit eines Kalifats dar. 132 Bestehend aus den Republiken Tschetschenien, Dagestan, Inguschetien, Adygea, und Nord-Ossetien der Russischen Föderation 114 Die Kombination der oben genannten Faktoren zeigt sich auch in Brandenburg in gewaltsamen Auseinandersetzungen innerhalb der nordkaukasischen Szene, in Konflikten mit anderen Asylbewerbern bis hin zu Sympathien für salafistische Bestrebungen. Während die ältere Generation immer noch an der Vorstellung eines unabhängigen Tschetscheniens festhält, zeigt sich bei den jüngeren Nordkaukasiern eine Umorientierung zu salafistischen Bestrebungen, meist in Richtung der global-jihadistischen Ideologie des "Islamischen Staates". Die Frage, ob die INS eher global als regional ausgerichtet ist, ist zentral für die Bewertung der Sicherheitslage. Die Tatsache, dass Nordkaukasier bei Anschlagsplanungen in Europa bislang kaum in Erscheinung getreten sind, sprechen für eine nationale Agenda. Die Reisebewegungen von jihadistisch orientierten Zugehörigen der INS in die vom "Islamischen Staat" kontrollierten Gebiete zum Kampf gegen russische und syrische Regierungstruppen belegen dagegen eher eine globale Ausrichtung. Mit den Anschlägen auf den Boston Marathon (2013) und dem Messerangriff in Paris (2018) waren erstmals auch tschetschenische Personen unmittelbar an Terroranschlägen außerhalb von Kriegsgebieten im Namen des "IS" aktiv. In beiden Fällen waren die Täter junge im Ausland aufgewachsene Tschetschenen, die sich zu Jihadisten entwickelt hatten. Mit der Verhaftung eines Tschetschenen in Berlin (2018), der engste Kontakte zu Jihadisten pflegte, die eindeutige Anschlagsabsichten in Deutschland hatten, ist dies - neben der Kampfteilnahme in Syrien - ein weiterer Beleg für die globale Ausrichtung der INS. Im Jahr 2019 verübten Nordkaukasier in der EU keine Anschläge. Auch Personen aus Brandenburg haben sich in Syrien dem "IS" angeschlossen und an grausamen Menschenrechtsverletzungen mitgewirkt. Entsprechend weit verzweigter Verbindungen der INS zeichnen sich die in Brandenburg beobachteten nordkaukasischen Islamisten durch ein nationales und internationales Netzwerk von Kennund Unterstützungsverhältnissen aus. Unter den 70 bekannten Personen sind Kämpfer der älteren Generation. Einige haben im Nordkaukasus für das "Kaukasische Emirat" gekämpft und waren danach in Afghanistan, im Irak und Syrien aktiv. Eine geringe Anzahl ist nach nur teils bestätigten Angaben in Syrien verstorben oder nach Europa zurückgekehrt, jedoch aktuell nicht in Brandenburg aufhältig. Für Ausreisen in das Kampfgebiet Syrien/Irak haben in der nordkaukasischen Diaspora auch Personen aus Brandenburg aktiv geworben. Andere betätigten sich als Schleuser, um weitere Anhänger der Organisation ins Land zu bringen oder Geldmittel zu akquirieren. Vor den bekannten Ausreisen war eine starke räumliche Anbindung an einschlägige Moscheevereine in Berlin zu beobachten. Darüber hinaus haben sich einige Personen bereits vor ihrer Einreise nach Deutschland in extremistischen Koranschulen im Ausland radikalisiert. Ein offenes Propagieren der eigenen Ideologie ist in Brandenburg nicht zu beobachten. Vielmehr agieren die Personen konspirativ und im Privaten. Vereine oder Moscheen, die als Treffpunkte dienen könnten, sind in Brandenburg nicht bekannt. Zunehmend haben die sozialen Medien eine wichtige Rolle eingenommen, um sich über die Heimat zu informieren und untereinander in Kontakt zu bleiben. Bewertung / Ausblick Das "Kaukasische Emirat" existiert nicht mehr und die Führungskader sind in Unterorganisationen des "Islamischen Staats" aufgegangen. Damit treten lokale nordkaukasische Konflikte innerhalb der Russischen Föderation in den Hintergrund, während bei jungen Nordkaukasiern die ideologische Ausrichtung hin zum Salafismus und global-orientierten Jihadismus des "IS" deutlicher wird. Diese Umorientierung sowie die unterschiedlichen Gruppierungen mit ideologischen Ausrichtungen sowie Interessensund Motivlagen erschweren eine Prognose. 115 Mehrere tausend Nordkaukasier haben in Syrien gekämpft, sie gelten aufgrund ihrer ausgeprägten militärischen Fähigkeiten als erfahrene Kämpfer. Bislang ist noch nicht absehbar, wie sich diese Kämpfer nach dem Niedergang des "IS" in Syrien verhalten werden. Es ist abzusehen, dass Anhänger der INS zunehmend auch in anderen bewaffneten Konflikten, wie etwa in der Ukraine, in den Kampf ziehen werden. Eine Rückkehr nach Russland ist angesichts der starken Repressalien, die durch das Regime des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow drohen, unwahrscheinlich. Es ist wahrscheinlich, dass auch weiterhin ehemalige Kämpfer als Flüchtlinge getarnt nach Europa kommen werden. Da Brandenburg bereits über eine große tschetschenische Gemeinde verfügt, ist eine weitere Zuwanderung islamistisch oder gar jihadistisch orientierter Nordkaukasier nicht unwahrscheinlich. Im Jahr 2019 sind eine Vielzahl islamistisch motivierter Anschlagsplanungen in Deutschland aufgedeckt beziehungsweise vereitelt worden. Perspektivisch könnten Rückkehrer als charismatische Einflusspersonen mit Vorbildfunktionen neue Dynamiken unter den jüngeren Nordkaukasiern in Deutschland auslösen. Maßgeblich für die Gefährdungseinschätzung bleibt aber ebenso die Lage in Russland und dessen weiteres Vorgehen im Inland wie im Ausland. 116 7. Auslandsbezogener Extremismus 117 7. Auslandsbezogener Extremismus Personenpotenziale auslandsbezogener extremistischer Gruppierungen in Brandenburg 133 2017 2018 2019 Linksextremisten 95 100 95 Davon PKK/ Nebenorganisationen 80 90 90 Nationalistische Extremisten 15 15 10 *gesamt 100 115 105 *Hier werden auch mit einem Verbot belegte Gruppen mitgezählt. Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug sind im Land Brandenburg nach wie vor von untergeordneter Bedeutung. Im Vergleich zu den anderen extremistischen Phänomenbereichen liegt die Zahl brandenburgischer Anhänger auslandsbezogener extremistischer Gruppierungen seit Jahren auf einem relativ niedrigen Niveau. Im Jahr 2019 gehörten nur etwa 105 (2018: 115) Personen solchen Organisationen an. Die meisten Anhänger verfügen über einen Migrationshintergrund. Deutschland ist für dieses Personenspektrum ein Rückzugsraum, in dem sich um die Rekrutierung neuer Aktivisten sowie die Finanzierung der Organisationen gekümmert wird. Zugleich betreiben auslandsbezogene Extremisten in Deutschland politische Agitation. Im Land Brandenburg sind keine Strukturen extremistischer Gruppierungen mit Auslandsbezug feststellbar. Es sind vielmehr Einzelpersonen, die für diese Gruppierungen aktiv werden. Sie orientieren sich meistens nach Berlin, weil dort bereits entsprechende Organisationsstrukturen vorhanden sind. Die in Deutschland bedeutendsten extremistischen Organisationen mit Auslandsbezug erwachsen aus den innenund außenpolitischen Konflikten der Türkei. Hierbei wird zwischen Rechtsund Linksextremisten unterschieden. Die linksextremistische Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist die einzige auslandsbezogene extremistische Organisation im Land Brandenburg, die über ein relevantes Personenpotenzial verfügt. Im Jahr 2019 wurden ihr und ihren Nebenorganisationen etwa 90 Personen (2018: 90) zugerechnet. 133 Islamische Extremisten werden im vorherigen Kapitel behandelt. 118 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen Sitz / Verbreitung Der Hauptsitz der PKK liegt im Nord-Irak. Die Vertretung in Europa erfolgt vor allem durch Kader der CDK ("Koordinasyon Civata Ekolojik - Demokratik a Kurd Li Ewropa"). Gründung / Bestehen Im November 1978 gründete sich die PKK als eine revolutionäre Partei. Struktur / Repräsentanten Die höchsten Entscheidungsgremien der PKK sind die "Vereinigten Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) mit dem Präsidenten Abdullah Öcalan134 und den Vorsitzenden Cemil Bayik und Bese Hozat sowie die "Generalversammlung des Volkskongresses Kurdistans" (KONGRA-GEL). Als Schwesterpartei der PKK in Nordsyrien fungiert die PYD ("Partei der Demokratischen Union"). Die Strukturen folgen dem Kaderprinzip und sind an einer autoritären Führung ausgerichtet. Die PKK hat Deutschland in Regionen und Gebiete eingeteilt. Für ihre Vorgaben nutzt sie überwiegend die örtlichen kurdischen Vereine, die den Anhängern der Organisation als Treffpunkt und Anlaufstelle dienen. Der Dachverband aller Vereine ist das "Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAV-DEM), welches den Anspruch erhebt, eine demokratische Massenorganisation zu sein. Im Mai 2019 wurde eine neue Dachorganisation neben dem weiterhin existierenden NAV-DEM gegründet, die "Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED)135. Tatsächlich sind die Strukturen weder organisatorisch selbstständig noch ideologisch oder personell unabhängig von der PKK im Nordirak 136. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer 90 Veröffentlichungen Die wichtigsten Publikationen sind "Serxwebun" (Unabhängigkeit), "Yeni Özgir Politika" (Neue Freie Politik), "Sterka Ciwan" (Stern der Jugend), "Newaya Jin" (Erlebnisse der Frauen), "Kurdistan Report" sowie "Firat News Agency" (ANF). Hinzu kommen einige Fernsehsender, wie zum Beispiel "Nuce TV", "STERK TV", "Ronahi TV" oder "Mednuce". Des Weiteren ist die PKK über eine Vielzahl von Webseiten im Internet aktiv. Kurzportrait / Ziele Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) sieht sich als einzige legitime Interessenvertretung der Kurden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie sich immer wieder umbenannt (KADEK, KONGRA-GEL, KKK beziehungsweise KCK). Ursprünglich trat sie für die Errichtung eines unabhängigen Staates "Kurdistan" ein und versuchte, mit militärischen Mitteln und terroristischen Anschlägen ihre Ziele zu erreichen. Nach der Inhaftierung ihres Gründers Abdullah Öcalan im Jahr 1999 wurde öffentlich nur noch eine kulturelle Autonomie der kurdischen Gebiete angestrebt. Im Zuge der territorialen Veränderungen im Nahen Osten seit dem Arabischen Frühling propagiert die PKK jedoch wieder zunehmend Forderungen nach einem länderübergreifenden föderalen Verbund aller Kurden. 134 Abdullah Öcalan ist der Gründer der PKK. 135 Homepage Yeni Özgir Politika, 31.05.2019, (letzter Zugriff am 13.01.2020). 136 Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.10.2010, https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/10/3-179-10.php, (letzter Zugriff am 29.07.2020). 119 Finanzierung Die Finanzierung der militärischen und politischen Aktivitäten der PKK erfolgt insbesondere über die kurdische Diaspora in Europa. Kurden spenden sowohl freiwillig als auch unter Druck an die Strukturen der PKK und deren Ableger in Nordsyrien. In den jährlichen Spendenkampagnen kommen viele Millionen Euro bundesweit zusammen. Hinzu treten Erlöse aus Zeitschriftenund Devotionalienverkäufen sowie Eintrittsgeldern von Großveranstaltungen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Aufgrund ihres auch in Deutschland gewalttätigen Vorgehens wurde die PKK am 26. November 1993 vom Bundesinnenminister mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegt. Seit 2002 ist sie von der Europäischen Union als terroristische Organisation gelistet. 2014 wurde diese Einstufung bekräftigt. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28. Oktober 2010 wird die PKK in Deutschland als terroristische Vereinigung im Ausland eingestuft. Damit können ihre Mitglieder nach SSSS 129a und b Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, was ein höheres Strafmaß und den Einsatz weitergehender Ermittlungsmaßnahmen ermöglicht. Bereits aufgrund des Gewaltbezuges der Organisation ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 BbgVerfSchG. Entwicklungen im Berichtszeitraum Bereits im September 2018 hatte die Selbstverbrennung eines jungen in Ingolstadt lebenden Kurden eine große mediale Resonanz erzeugt. Diese seit den 1990er Jahren unter Kurden nicht mehr verwendete Protestform erlebte im Jahr 2019 einen traurigen Neubeginn. Am 20. Februar 2019 sorgte die Selbstverbrennung eines 43-jährigen Kurden und PKK-Aktivisten in Krefeld für Aufsehen. In einer Stellungnahme, die durch die PKK-nahe Medienorganisation ANF verbreitet wurde, nahm er bewusst Bezug auf die PKK und ihren inhaftierten Anführer Öcalan.137 Als Reaktion auf den Tod des Kurden lehnten PKK-Sprecher Selbstverbrennungen als politische Aktionsform ab, erneuerten aber gleichzeitig ihre Kritik an den Haftbedingungen Öcalans.138 Aus Protest gegen diese als Isolationshaft bezeichneten Haftbedingungen Öcalans führten seit Dezember 2018 einige prominente PKK-Aktivisten europaweit Hungerstreikaktionen durch. Dass Öcalan im Frühjahr 2019 von seinen Anwälten auf der Gefängnisinsel Imrali besucht werden konnte, wurde in diesem Zusammenhang von der PKK als großer Erfolg gefeiert. Seit Beginn der türkischen Militäraktionen im März 2018 gegen die PYD und deren militärischen Arm "Yekineyen Parastina Gel" (YPG; zu Deutsch "Volksverteidigungseinheiten") im Grenzgebiet zu Syrien und dem damit einhergehenden Rückzug der kurdischen Kampfverbände aus der in Nordsyrien liegenden Stadt Afrin bestimmen diese militärischen Auseinandersetzungen in Nordsyrien die PKK-Aktivitäten deutschlandund europaweit. Diese Entwicklung wurde durch die "Operation Kralle" der türkischen Streitkräfte gegen PKK-Stellungen im Nordirak im Mai 2019 und durch den Einmarsch türkischer Bodentruppen am 9. Oktober 2019 in Nordsyrien noch verstärkt. Anfang Oktober 2019 gab es eine erhebliche Anzahl spontaner Demonstrationen und Aufzüge in Hamburg, Dortmund und Berlin. Die Protestkundgebungen erreichten am 12. Oktober 2019 in Köln mit geschätzt 15.000 Teilnehmern ihren vorläufigen Höhepunkt. In Potsdam versammelten sich am 10. und 12. Oktober 2019 jeweils mehrere hundert Personen zu Kundgebungen. 137 Homepage ANF deutsch: "Kurde verbrennt sich aus Protest gegen Isolation", 20.02.2019, (letzter Zugriff am 02.01.2020). 138 Trotz der Ablehnung der Führungsebene setzte sich ein weiterer deutscher Kurde aus Essen vor der UN-Flüchtlingskommission in Genf im Oktober 2019 selbst in Brand. 120 Linksextremisten unterstützen seit jeher die sozialistische Vision des PKK-Gründers Öcalan und seine Autonomiebestrebungen. Sie wollen Kurden für andere linksextremistische Aktionsfelder gewinnen. Besonders hervor trat in der öffentlichen Mobilisierung die international organisierte Kampagne "RiseUp4Rojava", die in Deutschland von linksextremistischen Organisationen wie der "Roten Hilfe" 139 und der "Interventionistischen Linken"140 unterstützt wird. Bis Ende des Jahres 2019 gab es im Rahmen dieser Kampagne deutschlandweit mehrere hundert Kundgebungen, Protestaktionen und Demonstrationen, die alle im Zusammenhang mit der PKK und den militärischen Auseinandersetzungen in Syrien und im Nordirak standen. Die PKK und ihre Teilorganisationen in Deutschland riefen 2019 aber nicht nur zu Demonstrationen, sondern ebenfalls zu Gewalt und zivilem Ungehorsam auf. Die Aktionen waren sowohl gegen Institutionen und Vereine, die der türkischen Führung nahestehen, als auch gegen deutsche Institutionen gerichtet.141 Die militante Kampagne "fight4rojava" rief am 10. Oktober 2019 international zu Vergeltungsschlägen gegen türkische Einrichtungen auf.142 In Brandenburg kam es vereinzelt zu Sachbeschädigungen und Verstößen gegen das Vereinsgesetz, die von PKK-Aktivisten und PKK-Sympathisanten aus dem linksextremistischen Milieu verübt wurden. Darüber hinaus kam es in Berlin und einigen westdeutschen Regionen häufiger zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen PKK-Sympathisanten, türkischen Rechtsextremisten und türkischen Nationalisten. Mehrere auf Seiten der YPG kämpfende Deutsche haben im Kampf gegen türkische Truppen in den kurdischen Autonomiegebieten im Nordosten Syriens - die auch als "Rojava" bezeichnet werden - ihr Leben verloren.143 Nach Behördenschätzungen sind seit Juni 2013 über 260 Personen aus Deutschland mit dem Ziel ausgereist, der PKK in Syrien, dem Nordirak und in den Grenzgebieten der Türkei beizustehen.144 Dem Ziel der Rekrutierung für den bewaffneten Kampf diente die Aktion "Lebende Schutzschilde", die von der PKK im Jahr 2018 begonnen und 2019 fortgesetzt wurde. Hier wirbt die PKK in Europa gezielt über soziale Medien für die Ausreise von Jugendlichen in umkämpfte kurdische Autonomiegebiete.145 In Deutschland ansässige PKK-nahe Vereine unterstützen ausreisewillige Deutsche dann finanziell und logistisch bei ihrer Reise in die Krisengebiete, wo sich die Jugendlichen dann dem bewaffneten Kampf anschließen können. So wurde zum Beispiel im August 2019 bekannt, dass ein Potsdamer YPG-Kämpfer im Dezember 2018 bei einem türkischen Luftangriff ums Leben gekommen war.146 Dessen Tod wurde in der linksextremistischen Szene und in PKK-nahestehenden Medien glorifiziert. Dort hieß es: "Unsere Trauer verwandeln wir in Wut, unsere Wut in die Verantwortung seine Träume und Mühen einer anderen Welt zu verwirklichen, sei es in Mesopotamien, Chiapas oder Ostdeutschland. Wir gedenken allen Gefallenen der Revolution die ihr Leben für die Freiheit gegeben haben. Ihr Kampf ist der unsere!"147 139 Homepage Rote Hilfe Berlin: "Kommt zur Rojava-Demo am Samstag", 31.10.2019, (letzter Zugriff am 06.01.2020). 140 Twitter IL Berlin, 02.12.2019, (letzter Zugriff am 21.01.2020). 141 Im Januar 2019 kam es in Köln zu Sachbeschädigungen an einem türkischen Vereinsheim und im März 2019 blockierten PKK-Aktivisten den Landtag in Düsseldorf bis die Polizei eingriff. 142 Homepage der Kampagne "Fight4Rojava", 10.10.2019, (letzter Zugriff am 28.01.2020). 143 Im Berichtszeitraum bekannt gewordene getötete YPG-Kämpfer sind Jakob R. (Siyar Gabar) im Dezember 2018, Sahra H. (Sara Dorsin) im April 2019 und Konstantin G. (Andok Cotkar) im Oktober 2019. 144 Bundesamt für Verfassungsschutz: "Tod für die PKK: Immer wieder sterben auch deutsche Guerillakämpfer für die verbotene Terrororganisation", November 2019, https://www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/newsletter/newsletter-archive/bfv-newsletter-archiv/bfv-newsletter-2019-03-archiv/bfv-newsletter-2019-03-thema-06, (letzter Zugriff am 17.01.2020). 145 Homepage ANF deutsch: "Lebende Schutzschilde: PDK unterstützt türkische Besatzung", 30.01.2019, (letzter Zugriff am 02.01.2020). 146 Vgl. Verfassungsschutz Brandenburg: "Potsdamer PKK-Aktivist vermutlich im Nordirak bei Gefechten getötet", 30.08.2019, https://verfassungsschutz.brandenburg.de/cms/detail.php/bb1.c.643994.de, (letzter Zugriff am 29.07.2020). 147 Indymedia: "Erinnerungen an unseren Freund, internationalistischen Revolutionär [...]", 27.08.2019, (letzter Zugriff am 17.01.2020). 121 Sowohl auf der Internetseite der PKK-nahen ANF als auch auf der Internetseite der linksextremistischen "Roten Hilfe" wurde zu einer Kundgebung und Demonstration unter dem Motto "Für das Leben und die Freiheit - In Gedenken an Micha" am 31. August 2019 in Potsdam aufgerufen.148 Die Kundgebung, bei der sich eine kleinere dreistellige Teilnehmerzahl versammelte, verlief weitgehend störungsfrei. Anlässlich des Todestags am 14. Dezember 2019 folgte eine weitere Gedenkveranstaltung in Potsdam.149 Die Verklärung deutscher Gefallener zu PKK-Märtyrern zielt darauf ab, junge Deutsche für den Krieg in den Gebieten Syriens, Iraks und der Türkei zu rekrutieren. Bewertung / Ausblick Die militärische Intervention der Türkei in Syrien mit dem Ziel, eine türkisch kontrollierte Zone in Syrien zum Schutz der türkischen Grenze zu schaffen, hat sich 2019 stark auf die Strategie und die Aktivitäten der PKK und ihrer Teilorganisationen in Deutschland ausgewirkt. Demonstrationen und Gewaltaufrufe der PKK gegen türkische Institutionen und Vereine sowie ziviler Ungehorsam gegen deutsche Institutionen prägten das Jahr 2019. Auch in Brandenburg wurden Aktivitäten festgestellt. Obwohl Linksextremisten die PKK in Deutschland offen unterstützen und in den Medien regelmäßig über die geopolitische Lage in den Kurdengebieten berichtet wird, hat die PKK keine Trendwende in der Mobilisierung erreicht. Dennoch wird sich die PKK auch zukünftig bemühen, größere Menschenmengen für ihre Ziele zu gewinnen, medienwirksame Aktionen zu veranstalten, Kämpfer zu rekrutieren und Geld für den Krieg zu sammeln. Als Katalysatoren wirken dabei begründete Sorgen um den Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan, Angriffe der türkischen Armee auf die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak und Syrien sowie ein massives militärisches Vorgehen gegen die kurdische Zivilbevölkerung im Nahen Osten. Zur besseren Mobilisierung sollen auch Vereinsgründungen beitragen, wie beispielsweise die im Jahr 2019 neu geschaffene "Konföderation der Gesellschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED). Die Neugründung von Vereinen ist eine beliebte Strategie, um das Betätigungsund Kennzeichenverbot, dem die PKK unterliegt, zu umgehen. Damit ist auch in den nächsten Jahren zu rechnen. Auch wenn der generelle Gewaltverzicht der PKK in Deutschland und dem übrigen Westeuropa aus politisch-taktischen Erwägungen nicht zur Disposition steht, hat die PKK der Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Interessen nicht abgeschworen. Die Rekrutierung junger Menschen als Kämpfer ist dafür ein gutes Beispiel und wird weiterhin von deutschen PKK-Strukturen forciert werden. Zu diesem Zweck werden zunehmend professionelle Videos für den deutschsprachigen Raum erstellt. Am 7. November 2019 veröffentlichte die Gruppierung über STERK TV, ihre Internetseiten und ihre Twitter-Accounts das Video "Der Weg der Freiheit". 148 Homepage Rote Hilfe Berlin: "Für das Leben und die Freiheit - Gedenken an Micha am Samstag in Potsdam", 29.08.2019, (letzter Zugriff am 06.01.2020). 149 Homepage ANF deutsch: "Gedenkfeier [...] in Potsdam", 08.12.2019, (letzter Zugriff am 29.07.2020). 122 Das in Deutschland produzierte Video richtet sich auf deutsch, türkisch und kurdisch an junge Heranwachsende in Deutschland. In der Produktion werden die Kriegsleiden der kurdischen Zivilbevölkerung, der Mythos von den gefallenen deutschen Kämpfern und das Fernziel des sozialistischen, kurdischen Utopie-Staats "Rojava" inszeniert. So sollen Heranwachsende - insbesondere solche mit Verbindungen ins linksextremistische Milieu - weiter radikalisiert und für den bewaffneten Kampf der PKK begeistert werden. Begünstigend für diese Entwicklung ist auch die Verbreitung von alltäglichen Gebrauchsgegenständen und Devotionalien, welche die Person Öcalan und den bewaffneten Kampf der PKK für eine sozialistische Utopie glorifizieren. In der Gesamtschau ergibt sich daher auch weiterhin für den brandenburgischen Verfassungsschutz der Auftrag der Beobachtung nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 und 4 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz. 123 8. Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz 124 8.1 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Proliferation Der Brandenburgische Verfassungsschutz arbeitet intensiv mit den anderen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zusammen. Zudem tauscht er sich eng mit dem Bundesnachrichtendienst (BND), dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und dem Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) aus. Es gibt - unter Beachtung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Verfassungsschutz - darüber hinaus eine gute Zusammenarbeit mit der Landesund Bundespolizei sowie mit dem Zollkriminalamt. Spionage bezeichnet das Beschaffen und Erlangen nicht-öffentlich zugänglicher Informationen oder geschützten Wissens durch eine fremde staatliche Macht. Nach wie vor setzen viele Staaten ihre Nachrichtendienste ein, um Informationen im politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bereich auf diesem Weg zu gewinnen. Spionage stellt für sie ein effektives Mittel zur Sicherung unlauterer Interessensvorteile dar. Wirtschaftsschutz ist der präventive Bereich im Rahmen der Abwehr von Wirtschaftsspionage. Unter Zuhilfenahme ihrer Nachrichtendienste oder anderen staatlichen Organisationen versuchen andere Staaten das Know-how unserer heimischen Wirtschaft auf illegale Weise abzuschöpfen. Weiterhin sind in diesem Zusammenhang auch die Cyberabwehr (Abwehr elektronischer Angriffe mit nachrichtendienstlichem Hintergrund), der Schutz "Kritischer Infrastruktur" (KRITIS) 150, der Sabotageschutz und die Proliferationsabwehr151 als Aufgabengebiete zu nennen. Die Spionageabwehr gehört zu den wesentlichen Aufgaben des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Sie zielt darauf ab, Spionageaktivitäten gegnerischer Nachrichtendienste aufzuklären und zu verhindern. Aus diesem Grund sammelt die Spionageabwehr Informationen über geheimdienstliche Aktivitäten und wertet sie aus. Allerdings geht es nicht nur um die Enttarnung von Agenten, sondern auch um die Aufklärung von Strukturen, Aktivitäten, Arbeitsmethoden und Zielrichtungen fremder Dienste. Heutzutage jedoch verschwimmen die Grenzen zwischen eindeutig staatlich gelenkter Spionage und kriminellen Aktivitäten immer mehr. Im Gegensatz zu früher bedienen sich staatliche Nachrichtendienste oft anderer Organisationen oder krimineller Vereinigungen. So lässt sich die tatsächliche Herkunft des Angreifers verschleiern oder die "Beute" teilen. Da sich in einigen Staaten die Nachrichtendienste teilweise selbst finanzieren, agieren sie wie kriminelle Akteure und bedienen sich entsprechender Mittel, um sich die benötigten Ressourcen zu beschaffen. Zu den Hauptakteuren der Spionageaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland zählen die Russische Föderation, die Volksrepublik China und der Iran. Zusätzlich ist die Türkei zu nennen, die schwerpunktmäßig Oppositionelle ausspäht. Darüber hinaus sind weitere fremde Nachrichtendienste in Deutschland aktiv. 150 KRITIS: Kritische Infrastrukturen sind Organisationen oder Einrichtungen, die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen, der Gesundheit, der Sicherheit und des wirtschaftlichen oder sozialen Wohlergehens der Bevölkerung sind. Hierzu zählen beispielsweise: Energie, Wasser, Informationstechnik und Telekommunikation, Gesundheit, Ernährung, Staat und Verwaltung, Transport, Verkehr, Finanzen und Versicherungen sowie Medien und Kultur. 151 Proliferationsabwehr ist die Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und/oder Gütern, die zu deren Herstellung dienen. 125 Ausländische Nachrichtendienste betreiben Spionage sowohl mit offener als auch mit verdeckter Informationsbeschaffung, wie etwa klassischer Agentenführung. Den größten Teil der Informationen erlangen sie durch die Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen wie Zeitungen, Internet und Datenbanken sowie durch Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen oder wissenschaftlichen Projekten. Besonders sensible und deshalb auch entsprechend geschützte Informationen versuchen sie mit geheimen Beschaffungsmethoden zu gewinnen. So versuchen sie in Informationssysteme einzudringen und die Telekommunikation zu überwachen oder Agenten im Zielobjekt einzusetzen. Botschaften, Handels-, Reiseund Presseagenturen dienen ausländischen Nachrichtendiensten als Stützpunkt, um von dort aus Spionage zu betreiben. Neben der klassischen Informationsbeschaffung versuchen fremde Nachrichtendienste durch Propaganda und Desinformation Einfluss auszuüben. Insbesondere probieren die russischen Nachrichtendienste über staatlich gelenkte Medien, soziale Netzwerke und über staatliche Institutionen das westliche Bündnis zu schwächen. Über diese Kanäle werden in Deutschland und den anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und der NATO gesellschaftliches Misstrauen und negative Stimmung geschürt. Besonders die sozialen Netzwerke machen es fremden Nachrichtendiensten leicht, potenzielle Zielpersonen ausfindig zu machen, sie anzusprechen und nachrichtendienstlich zu nutzen. Diese Strategie der Kontaktaufnahme, oft auch mittels gefälschter Identität (Social-Engineering)152, nimmt zu und wird auch in Zukunft verstärkt von fremden Nachrichtendiensten genutzt werden. Als Wirtschaftsstandort mittlerer Größe mit innovativen Wachstumsfeldern ist Brandenburg ein attraktives Ziel fremder Nachrichtendienste. Ein zusätzlicher Anziehungspunkt für ausländische Dienste ist die Bundeshauptstadt Berlin im Zentrum des Bundeslandes. Darüber hinaus verfügt die Hauptstadtregion BerlinBrandenburg über die bundesweit größte Forschungsdichte mit einem entsprechenden Innovationspotenzial, an dem auch die in der Region ansässigen Unternehmen partizipieren. Vor diesem Hintergrund werden in Brandenburg gemäß dem gesetzlichen Auftrag in SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes Informationen gesammelt und ausgewertet, um geheimdienstliche Tätigkeiten zu verhindern beziehungsweise aufzuklären. Grundsätzlich sind die Arbeitsweisen fremder Nachrichtendienste im Wesentlichen gleich - wenn auch die Gewichtung einzelner Punkte, wie der Einsatz von "Technik", die Finanzausstattung, die Intensität oder die Quantität durchaus variieren. Eine der häufigsten Methoden ist die Informationsgewinnung im Rahmen staatlicher oder wissenschaftlicher Veranstaltungen, wie zum Beispiel bei Delegationsbesuchen, Tagungen, Messen, Kongressen oder Symposien. Wie in der klassischen Spionage setzen fremde Nachrichtendienste hierbei auf "Social-Engineering", um an sensible Informationen einzelner Unternehmen o- der staatlicher Stellen zu gelangen. Bei den von den Nachrichtendiensten ausgewählten Zielpersonen handelt es sich oftmals um arglose und zugleich hilfsbereite Mitarbeiter beziehungsweise Behördenvertreter. Ebenso nimmt die fremde Wirtschaftsspionage Wissenschaftler und hochkarätige Manager ins Visier. Zur Bekämpfung derartiger Vorgehensweisen bietet der brandenburgische Verfassungsschutz präventive Maßnahmen an. Im Mittelpunkt steht dabei die Sensibilisierung brandenburgischer Unternehmen für die Probleme und Folgen der Wirtschaftsspionage. Hierfür steht der Verfassungsschutz des Landes Brandenburg mit individuellen Vortragsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen sowie vertraulichen Gesprächen der Wirtschaft aktiv zur Seite. Seine Angebote beziehen sich dabei nicht nur auf die Bekämpfung von Wirtschaftsspionage, sondern gleichermaßen auf Cyberund Proliferationsabwehr, Sabotageschutz und den Schutz der "Kritischen Infrastruktur". 152 "Social Engineering" ist eine Strategie der sozialen Manipulation, um mittels eines persönlichen Vertrauensverhältnisses geheime Informationen von einer Zielperson zu bekommen. Oft wird unter gefälschter Identität Kontakt aufgenommen. 126 Vor etwa 20 Jahren begann eine elektronische Revolution. Von Beginn an war diese Entwicklung von einem starken nachrichtendienstlichen Interesse begleitet. Zunehmend wurden Dienstleistungen wie die normale Briefpost, das Telefax oder auch das Festnetztelefon fast vollständig von E-Mail, SMS, MMS, WhatsApp, Skype und anderen IPbasierten Dienstleistungen abgelöst. Dies eröffnete auch den Geheimdiensten völlig neue Mittel und Wege. Grundsätzlich brachte diese Entwicklung sowohl für Unternehmen als auch für jeden einzelnen Bürger wirtschaftliche Vorteile und größere Freiheiten. Electronic-Banking, Online-Shopping und E-Government machen für Verwaltung, Unternehmen und Bürger das Leben leichter. Mit dem rasanten technischen Fortschritt gehen jedoch ernstzunehmende Risiken einher. Die Gefahr der Ausspähung vertraulicher und geheim zu haltender Informationen, die, wenn sie in falsche Hände geraten, zu erheblichen Schäden bis hin zur totalen Abhängigkeit führen können, ist nicht zu unterschätzen. Leider "helfen" viele Zielpersonen oder Unternehmen unfreiwillig bei dieser Art von Informationsbeschaffung. Es gilt höchste Vorsicht, wenn Kontaktanfragen oder verlockende Jobangebote ungefragt an eine oder mehrere Personen herangetragen werden. Ein sehr freizügiger Umgang mit persönlichen Daten in sozialen Netzwerken und oftmals veraltete Schutzmechanismen in den Unternehmen machen es den Tätern zudem sehr leicht, an ihr Ziel zu gelangen. 80 % der Täter sind bei dem ausgespähten Unternehmen oder der ausgespähten Behörde selbst tätig (sogenannte Innentäter). Oft ist es den Betroffenen nicht klar, dass sie Informationen weitergeben. Zum Teil werden Innentäter aber für ihr Handeln bezahlt oder erpresst. In diesen Fällen hilft vor allem die Sensibilisierung im Vorfeld, welche beim brandenburgischen Verfassungsschutz, wie oben geschildert, einen wichtigen Stellenwert hat. Vor einigen Jahren ließen sich die Teilbereiche der Spionageabwehr noch genau trennen. Heute müssen die einzelnen Bereiche in einem engen Zusammenhang gesehen werden. Spionageabwehr, Wirtschaftsspionage, Sabotageschutz, Proliferation, Cyberabwehr und Wirtschaftsschutz haben durch die informationstechnische Entwicklung nunmehr viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Bei der Analyse der nachrichtendienstlich gesteuerten Cyberangriffe zeigt sich in der Regel eine hohe informationstechnische Qualität. So werden zum Beispiel unbekannte Sicherheitslücken in Softwareprodukten ausgenutzt. Andererseits weisen "Spear-Phishing"-Angriffe einen im Vorlauf auf einzelne Personen ausgerichteten intensiven Rechercheeinsatz auf, in dessen Ergebnis dem Opfer individuell zugeschnittene unauffällige E-Mails mit versteckter Schadsoftware zugespielt werden. Darüber hinaus sind breit angelegte Cyberattacken ein weit verbreitetes und zuweilen auch erfolgversprechendes Mittel der Spionage fremder Nachrichtendienste. Aus diesem Grund werden sie in allen Bereichen eingesetzt. Insbesondere die "Hidden Champions"153 sind aus Sicht der Spionageabwehr besonders gefährdet. Der jährliche Schaden für die deutsche Volkswirtschaft beläuft sich auf eine Höhe von etwa 50 bis 70 Milliarden Euro. Laut Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz kann sogar mit einem dreistelligen Jahresbetrag gerechnet werden. Die hohe Dunkelziffer im Cyber-Bereich lässt sich dadurch erklären, dass Delikte aus Angst vor Nachahmern, Scham oder der Sorge vor Rufschädigung nicht angezeigt werden oder schlicht weg nicht bemerkt werden. 153 "Hidden Champions" sind Unternehmen, die in ihrer Branche zwar zu den Weltmarktführern gehören, aber in der Öffentlichkeit oftmals kaum bekannt sind, da ihr Jahresumsatz unter 3 Milliarden Euro liegt. 127 Durch Sicherheitspartnerschaften, wie zum Beispiel mit den Industrieund Handelskammern, durch eine Zusammenarbeit mit Universitäten und durch die enge Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden wird seitens des brandenburgischen Verfassungsschutzes gewährleistet, eine möglichst breite Front gegen Angreifer zu bilden und diese kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die dargestellten Bedrohungen sind auch im Land Brandenburg akut und dessen sollte sich die Gesellschaft bewusst sein. Das Vorgehen fremder Nachrichtendienste wird auch in Zukunft vom Verfassungsschutz Brandenburg sehr ernst genommen. Hierbei werden alle notwendigen Schritte unternommen, um dem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden und die Gesellschaft zu schützen. 128 8.2 Materieller Geheimschutz "Verschlusssachen" sind im öffentlichen Interesse geschützte Informationen, deren Preisgabe die Sicherheit der Menschen und die unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats gefährden würde. Schriftstücke, Bildmaterialien, das gesprochene Wort und weitere Informationsträger können Verschlusssachen sein. Die Einstufung in die gesetzlich vorgesehenen und bundesweit einheitlich definierten Geheimhaltungsgrade - "VS-Nur für den Dienstgebrauch", "VS-Vertraulich", "Geheim" und "Streng Geheim" - richtet sich nach dem Inhalt. Am häufigsten sind die beiden erstgenannten Geheimhaltungsgrade. Der damit verbundene Geheimschutz erfolgt in materieller sowie personeller Hinsicht. Gegenüber anderen Behörden und Einrichtungen wirkt der Verfassungsschutz hier insgesamt als Sicherheitsdienstleister. Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen. Bei der entsprechenden Umsetzung unterstützt der Verfassungsschutz andere Behörden und geheimschutzbetreute Unternehmen. Grundlage dafür ist die Verschlusssachenanweisung des Landes Brandenburg. Sie enthält Regelungen zur Aufbewahrung und Weitergabe von Verschlusssachen. Die Bearbeitung von Verschlusssachen erfolgt heutzutage fast ausschließlich im Bereich computergestützter Informationstechniken. Auch hierbei ergreift der Verfassungsschutz entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität (Unverfälschtheit) der Daten. Vor einer Übermittlung werden sie verschlüsselt. Auch die Speicherung erfolgt aufgrund der sehr hohen Schutzbedürftigkeit nach strengen Maßgaben. Sie sind höher als die des IT-Grundschutzes des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Grundlage dafür ist ein IT-Sicherheitskonzept. Es wird regelmäßig auf Wirksamkeit geprüft und neu angepasst. 129 8.3 Personeller Geheimschutz Zuverlässigkeitsüberprüfungen Der Verfassungsschutz ist auf Antrag an Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen dafür sind das Luftsicherheits-, das Atomund das Sprengstoffgesetz. Zusätzlich fällt der Abfrage des nachrichtendienstlichen Informationssystems zur Prüfung der Zuverlässigkeit nach der Gewerbeordnung ebenfalls eine wichtige Rolle zu. Bewachungsaufgaben privater Dienstleister haben generell an Bedeutung und Komplexität gewonnen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz spezieller Infrastrukturen oder von Großveranstaltungen. Die zuständige Ordnungsbehörde hat zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Beschäftigten die unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister und eine Stellungnahme der für den Wohnort zuständigen Polizeibehörde einzuholen. Je nach Einsatzart ist darüber hinaus auch der Verfassungsschutz über Personenerkenntnisse anzufragen. Es gibt seit vielen Jahren bereits die Berufsausbildung zur "Fachkraft für Schutz und Sicherheit", die einen regulären Berufsabschluss darstellt. Daneben gibt es noch weitere Qualifikationen, bis hin zum studierten Sicherheitsfachwirt. Insbesondere öffentliche Auftraggeber sollten in ihren Ausschreibungen diese hoch qualifizierten Kräfte verlangen, um den gestiegenen Ansprüchen gerecht zu werden. 2019 gingen insgesamt 7.773 (2018: 6.223) Anfragen im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen ein: davon 6.069 (2018: 5.299) gemäß Luftsicherheitsgesetz, 82 (2018: 78) gemäß Atomgesetz, 302 (2018: 242) gemäß Sprengstoffgesetz und 1.320 (2018: 604) auf der Grundlage der Gewerbeordnung für das Bewachungsgewerbe. Sicherheitsüberprüfungen Rechtliche Grundlage für Sicherheitsüberprüfungen ist das "Brandenburgische Sicherheitsüberprüfungsgesetz" (BbgSÜG). Es gibt die Voraussetzungen und das Verfahren vor. So soll festgestellt werden, ob ein vorgesehener Geheimnisträger nach seinem bisherigen Verhalten prognostisch geeignet ist, mit übertragenen Verschlusssachen vertraulich umzugehen (SS 1 BbgSÜG). Die Art der Sicherheitsüberprüfung (Ü1 / Ü2 / Ü3) richtet sich nach der Einstufung und der Anzahl der Verschlusssachen, zu denen eine Person künftig Zugang haben darf oder sich diesen Zugang verschaffen kann. Anhaltspunkte, die gemäß SS 7 Absatz 1 BbgSÜG dem erfolgreichen Abschluss einer Sicherheitsüberprüfung entgegenstehen, sind: Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit; eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste; oder Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Solche Anhaltspunkte können selbstverschuldet sein (Straftaten, finanziell bedenklicher Lebensstil) oder beim Lebenspartner bestehen, sofern dieser in eine Sicherheitsüberprüfung einbezogen ist. Das könnte beispielsweise ein Ehepartner mit einer erheblichen Anzahl an Straftaten sein. In solchen Fällen kann es unter Umständen wegen vorliegender Sicherheitsrisiken zur Ablehnung kommen. Im Jahr 2019 wirkte der Verfassungsschutz Brandenburg beim Abschluss von insgesamt 267 (2018: 336) Sicherheitsüberprüfungen mit. In Brandenburg betrifft das Mitarbeiter von etwa 20 Behörden. Hierzu zählen beispielsweise Polizei, Staatskanzlei und Ministerien, Landtag, Gerichte sowie Staatsanwaltschaften. 130 9. Verfassungsschutz durch Aufklärung 131 9. Verfassungsschutz durch Aufklärung Unsere Demokratie ist verwundbar. Deswegen trägt der Verfassungsschutz Erkenntnisse über Extremisten zusammen. Diese Erkenntnisse versauern nicht in Tresoren. Vielmehr dienen sie den Sicherheitsbehörden, den Verwaltungen aber auch den Bürgern und damit der gesamten Gesellschaft. So trägt der Verfassungsschutz dem Anspruch Rechnung, als effektives Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie zu dienen. Vorträge, Teilnahmen an Podiumsdiskussionen, Info-Stände auf Großveranstaltungen und eigene Fachtagungen, das sind wesentliche Aufklärungsinstrumente des brandenburgischen Verfassungsschutzes. Im Jahr 2019 wurden sie erneut intensiv eingesetzt, um über extremistische Phänomenbereiche und Wirtschaftsschutz zu informieren. Insgesamt nahmen an den 80 Vorträgen knapp 3.100 Bürgerinnen und Bürger teil. 11.500 Kilometer legten Verfassungsschützer dafür im Land zurück. In Kontakt kamen sie dabei mit einer breiten Öffentlichkeit: interessierte Bürger, Justizbedienstete, Polizisten, Soldaten, Unternehmen, Gewerkschafter, Sozialarbeiter, Auszubildende, Verwaltungsmitarbeiter, Studenten, Absolventen des Bundesfreiwilligendienstes, Senioren, Schüler, Lehrer und viele mehr. Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit dem Jahr 2008 auf 1.209. Rund 45.100 Zuhörer wurden in diesem Zeitraum gezählt. Auffällig ist: Schulen rufen wieder stärker die Expertise des Verfassungsschutzes ab. Anlässe waren Vorkommnisse wie die Nutzung und Weiterverbreitung rechtsextremistischer Inhalte in Gruppen-Chats, beispielsweise per WhatsApp. Mit seinem Infomobil besuchte der Verfassungsschutz im Jahr 2019 beispielsweise das Demokratiefest in Prenzlau und den Tag der Offenen Tür der Polizeidirektion Süd in Cottbus. Zudem beteiligte sich der brandenburgische Verfassungsschutz mit einem Informationsstand am Deutschen Präventionstag in Berlin. Verstetigt hat sich die erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Aktionsbündnis "Tolerantes Brandenburg", demos - Brandenburgisches Institut für Gemeinwesenberatung, dem Städteund Gemeindebund, dem Landkreistag, der Polizeifachhochschule und der Brandenburgischen Kommunalakademie. Die Kooperationspartner haben im Rahmen ihrer "Oranienburger Reihe" seit 2008 insgesamt 47 ganztägige Veranstaltungen für etwas mehr als 2.200 kommunale Entscheidungsträger angeboten. 2019 waren es drei. Die Themen lauteten "Extremismus und demokratische Kultur im Superwahljahr 2019 - Tipps und Orientierung für Kommunen und Sicherheitsbehörden" sowie "Das Gebot zur politischen Neutralität in Theorie und Praxis - Handlungsspielräume von Amtsträgern". 215 Personen nahmen daran teil. Diese Reihe soll 2020 fortgesetzt werden. Etabliert haben sich ebenso Fachtagungen, die der Verfassungsschutz Brandenburg selbst oder in Kooperation mit anderen Verfassungsschutzbehörden durchführt. Seit dem Jahr 2005 nahmen rund 3.130 Interessierte an insgesamt 20 Tagungen teil. Im Jahr 2019 befasste sich eine mit dem Thema "Die neurechte Entgrenzung als Herausforderung für die Demokratie". 180 Gäste konnten in Potsdam begrüßt werden. Die andere fand unter dem Titel "Ist unsere Demokratie noch wehrhaft?" in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) statt und zog 150 Interessierte an. Veranstalter in Schwerin waren die Verfassungsschutzbehörden Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Diese Kooperation wird im kommenden Jahr fortgesetzt. 132