Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 s s u n g Pres sefa Mit dem vorliegenden Jahresbericht 2019 unterrichtet die Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg in Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrages die Öffentlichkeit. Der Verfassungsschutz versteht sich als Frühwarnsystem zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das diesjährige Titelbild steht dafür. Die Farbradierung "Potsdamer Stadtschloss" des Malers Christian Heinze entstand 1996 im Rahmen des Zyklus "Spurensuche". Es verarbeitet den historischen Grundriss des ehemaligen Stadtschlosses, das nach seinem Wiederaufbau seit 2013 Sitz des Landtages Brandenburg ist. Unweit dieser historischen Stelle befand sich bereits im Jahr 993, am Ufer der Havel, eine slawische Festung, die vor feindlichen Angriffen schützen sollte. Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Impressum Herausgeber: Ministerium des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg (MIK) Henning-von-Tresckow-Straße 9 - 13 | 14467 Potsdam Internet: mik.brandenburg.de Redaktion: MIK | Abteilung Verfassungsschutz, Referat 52 Internet: www.verfassungsschutz.brandenburg.de E-Mail: info@verfassungsschutz-brandenburg.de Telefon: 0331 866-2699 Fax: 0331 866-2599 Layout und Druck: LGB (Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg) Heinrich-Mann-Allee 103 | 14473 Potsdam Auflage: 2.500 Redaktionsschluss: 26.04.2019 Diese Informationsschrift wird kostenlos im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Bundes-, Landtagsund Kommunalwahlen sowie für die Wahl der Mitglieder des Europäischen Parlaments. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zu Gunsten einzelner Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer einzelnen Mitglieder zu verwenden. Liebe Bürgerinnen und Bürger, im kommenden November jährt sich der Fall der Berliner Mauer zum 30. Mal. Dieses Jubiläum wird uns daran erinnern, wie mutig die Menschen damals mit ihrer Parole "Wir sind das Volk!" einen entscheidenden Beitrag zum Sturz des "Eisernen Vorhangs" leisteten. Heute, drei Jahrzehnte später, leben wir in einer gefestigten Demokratie, die sich durch Meinungsfreiheit, Vielfalt und Solidarität auszeichnet. Hierauf können wir stolz sein. Gleichzeitig ist es eine Warnung für uns alle, wenn Rechtsextremisten in Brandenburg die Losung von 1989 für ihre Zwecke instrumentalisieren und missbrauchen. Extremisten stehen nicht für das Volk, sie stehen für Hass, Ablehnung von Freiheit und Demokratie sowie für totalitäre Fantasien. Daher müssen wir die Entwicklungen im Extremismus sehr genau im Blick behalten. Alarmierend sind hierbei die Anstiege der Personenpotenziale in allen Phänomenbereichen. Besonders erschreckend ist dabei der ungebrochene Zulauf in die rechtsextremistische Szene. Mit 1.675 Personen ist diese so stark wie noch nie in der Geschichte unseres Landes. Derartige Entwicklungen und die Zunahme von Gefahren im Bereich sicherheitsrelevanter Cyberkriminalität unterstreichen meine Entscheidung, den brandenburgischen Verfassungsschutz insbesondere personell besser ausstatten zu müssen. Nur so kann die Behörde ihren aktuellen Anforderungen gerecht werden. Der Verfassungsschutz ist eine tragende Säule in der Sicherheitsarchitektur und wird seine Rolle als Frühwarnsystem zukünftig noch besser wahrnehmen. Diese Notwendigkeit zeigt sich auch in der zunehmenden Entgrenzung des Rechtsextremismus. Hiermit wird eine schleichende Einflussnahme von Rechtsextremisten auf nichtextremistische Kreise beschrieben, mit dem Ziel, gesellschaftlich anschlussfähig werden zu wollen. Zur Aufdeckung solcher Vorgehensweisen bedarf es eines starken und leistungsfähigen Verfassungsschutzes. Aus diesem Grund freue ich mich, dass der brandenburgische Verfassungsschutz im Jahr 2018 erneut eine Vielzahl von Vorträgen und Veranstaltungen durchgeführt hat. Denn eines ist klar: Der aufgeklärte Bürger ist noch immer der beste Schutz unserer Verfassung. Vorwort des Ministers 5 Neben der Entgrenzung ist im Rechtsextremismus eine weitere Professionalisierung unter anderem im Kampfsport zu beobachten. Vor allem im südlichen Brandenburg sind diese besonders gewaltbereiten Rechtsextremisten aktiv. Ihnen gelingt es über den Kampfsport, neue Personen an die Szene heranzuführen. Sie sind eingebunden in ein Netzwerk, welches Rocker, bestimmte Teile des SecurityGewerbes, Neonationalsozialisten, diverse geschäftliche Tätigkeiten und rechtsextremistische Bands umfasst. Dagegen werden die Sicherheitsbehörden weiter entschieden vorgehen. Auch wenn im Jahr 2018 kein vergleichbares Großevent wie der G20-Gipfel in Deutschland stattgefunden hat, so bleibt die Gewaltbereitschaft der linksextremistischen Szene dennoch virulent. Die Straftaten richten sich gegen Vertreter des Staates und gegen den politischen Gegner. Wer so agiert, tritt unsere Demokratie - unabhängig von seinen politischen Zielen - mit Füßen. Denn Demokratie lebt von politischen und nicht von körperlichen Auseinandersetzungen. Eine besondere Stärke unseres freiheitlichen Systems ist die Religionsfreiheit. Das genaue Gegenteil davon streben Islamisten an. Sie wollen einen totalitären Gottesstaat ohne individuelle Freiheiten errichten. Islamisten ist im Jahr 2018 gelungen, die Zahl ihrer Anhänger in Brandenburg weiter zu erhöhen. Wenngleich 180 Islamisten im Bundesvergleich noch immer niedrig erscheinen, so hat deren Potenzial bei uns in Brandenburg einen Höchststand erreicht. Wachsamkeit und konsequentes Handeln sind hier unabdingbar. Um Ihnen, liebe Brandenburgerinnen und Brandenburger, einen noch detaillierten Blick auf die Entwicklungen im politischen Extremismus zu geben, ist der vorliegende Bericht neu gestaltet und mit einigen thematischen Schwerpunkten angereichert worden. Ihr Karl-Heinz Schröter Minister des Innern und für Kommunales des Landes Brandenburg 6 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Vorwort des Ministers 7 Inhalt Vorwort.................................................................................................................5 Zusammenfassung............................................................................................10 Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes................. 19 Im Fokus: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen................... 23 Rechtsextremismus..........................................................................................33 Im Fokus: Rechtsextremistische Vorstellungen von Europa...............................37 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)............................................51 DER DRITTE WEG.............................................................................................62 Parteiunabhängige Strukturen 1: Kameradschaften...........................................65 Parteiunabhängige Strukturen 2: Freie Kräfte.....................................................70 Parteiunabhängige Strukturen 3: Bruderschaften...............................................74 Parteiunabhängige Strukturen 4: Vereine...........................................................81 Parteiunabhängige Strukturen 5: Identitäre Bewegung Deutschland, Ortsgruppe Cottbus.............................................................................................88 Parteiunabhängige Strukturen 6: Kampfsportgruppen........................................91 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial.................................................96 Rechtsextremistische Hassmusik........................................................................98 Immobilien der rechtsextremistischen Szene....................................................108 Reichsbürger und Selbstverwalter................................................................ 111 Linksextremismus........................................................................................... 119 Autonome..........................................................................................................123 Rote Hilfe e. V....................................................................................................134 Islamistischer Extremismus...........................................................................139 Im Fokus: Islamistischer Extremismus im ländlichen Raum.............................145 Extremistischer Salafismus...............................................................................150 Islamistische nordkaukasische Szene (INS).....................................................153 Muslimbruderschaft (Jamiyat al-Ikhwan al-Muslimin)........................................156 8 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Auslandsbezogener Extremismus.................................................................159 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen.......................................161 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz..........................................................................................165 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Proliferation......................................166 Materieller Geheimschutz..................................................................................171 Personeller Geheimschutz................................................................................172 Verfassungsschutz durch Aufklärung...........................................................175 Inhalt 9 Zusammenfassung Für das Jahr 2018 ist in allen extremistischen Phänomenbereichen ein Aufwuchs der Personenpotenziale feststellbar. Sicherheitsbehörden und Zivilgesellschaft stellt diese Entwicklung weiterhin vor große Herausforderungen. Rechtsextremismus Im Jahr 2018 erreichte das rechtsextremistische Personenpotenzial mit 1.675 (2017: 1.540) den höchsten Stand in der Geschichte des Landes Brandenburg. Damit ist das rechtsextremistische Personenpotenzial in Brandenburg zum fünften Mal in Folge angestiegen. Dieser Prozess vollzog sich insbesondere ab dem Jahr 2015 und spiegelt eine hohe Szene-Dynamik als Reaktion auf die Flüchtlingskrise wider. Parallel dazu wuchsen die rechtsextremistisch motivierten Gewaltstraftaten bis ins Jahr 2016 auf 167 dramatisch auf. 2018 wurden noch 123 Gewaltstraftaten 10 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 registriert (2017: 124), womit sich die Zahl gegenüber dem Vorjahr kaum verändert hat und auf hohem Niveau verharrt. Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) war in den Jahren 2015 und 2016 bemüht, die Flüchtlingskrise für fremdenfeindliche Propaganda zu missbrauchen. Dafür setzte sie auf eine breit angelegte Anti-Asyl-Kampagne und strebte - vergeblich - eine führende Rolle innerhalb des rechtsextremistischen Milieus in Brandenburg an. Ihre bereits im Jahr 2017 weitgehend eingebrochenen Aktivitäten konnten 2018 nicht reaktiviert werden. Ihre Mitgliederzahl stagniert und liegt bei unverändert 280. Sie unterhielt im Jahr 2018 insgesamt 10 (2017: 9) Kreisverbände, von denen kaum Aktivitäten ausgingen. Die erst 2014 gegründete NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" ist nicht mehr handlungsfähig. Die den Parteienstatus beanspruchende und neonationalsozialistisch ausgerichtete Organisation "DER DRITTE WEG" kam 2018 auf 40 Mitglieder (2017: 30). Zwei "Stützpunkte" wurden unterhalten (2017: 3). "DER DRITTE WEG" gibt sich elitär, ist innerhalb der Szene sehr gut vernetzt und strebt einen ideologisch-organisatorischen Führungsanspruch an, welcher im Jahr 2018 erneut mit zahlreichen Aktivitäten geltend gemacht wurde. Damit hat die Kleinstpartei trotz ihrer geringen Mitgliederzahl den Einfluss der NPD innerhalb der rechtsextremistischen Szene zurückgedrängt und in einigen Regionen des Landes die Führungsrolle im parteipolitischen Rechtsextremismus übernommen. Ihre geringe Mitgliederdichte hinderte sie jedoch daran, sich wie die NPD durchgehend an Wahlen zu beteiligen. Zusammenfassung 11 Die Kleinstpartei "DIE RECHTE" löste im Januar 2018 ihren Landesverband auf und existiert in Brandenburg nicht mehr. Insgesamt ist damit die Mitgliederzahl rechtsextremistischer Parteien im Jahr 2018 auf 320 gesunken (2017: 345). Das "weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial" umfasste im Jahr 2018 insgesamt 1.125 Personen (2017: 1.030). Damit sind rund zwei Drittel der dem Verfassungsschutz Brandenburg bekannten Rechtsextremisten nicht in Parteien oder parteiunabhängigen Strukturen eingebunden. Gleichwohl bestehen Kontaktund Kennverhältnisse. Somit zählen zu dem "weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial" durchaus Personen, die für Aktivitäten von Parteien oder Kameradschaften mobilisierbar sind. Im Jahr 2018 entfielen auf die Kategorie "Rechtsextremisten in parteiunabhängigen Strukturen" insgesamt 335 Personen (2017: 250). Sie waren unverändert in 20 Personenzusammenschlüssen organisiert: vier "Kameradschaften", drei "Freie Kräfte", sieben "Bruderschaften", vier "Vereine" und zwei "Kampfsportgruppen". So unterschiedlich die Organisationsformen im Einzelnen auch sein mögen, letztendlich eint alle die rechtsextremistische Ideologie und die Ablehnung der freiheit12 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 lichen demokratischen Grundordnung. Hinzu kommt bei vielen die ideologische Orientierung am Neonationalsozialismus. 1.235 und damit fast 75 Prozent aller dem Verfassungsschutz Brandenburg im Jahr 2018 bekannten Rechtsextremisten gelten als "gewaltorientiert" (2017: 1.120). Im Jahr 2018 konnte die rechtsextremistische Musikszene in Brandenburg ihr hohes Aktivitätslevel der Vorjahre halten. Die Zahl der Bands ist auf 23 (2017: 20) gestiegen. Hinzu kamen 14 Liedermacher (2017: 13). Aufgrund des hohen und erfolgreichen Drucks der Sicherheitsbehörden, insbesondere der Polizei, bewegten sich die Konzertaktivitäten in Brandenburg 2018 weiterhin auf vergleichsweise niedrigem Niveau. Vier Konzerte (2017: 5) konnten durchgeführt werden. Zwei Konzerte wurden wie bereits im Jahr 2017 im Vorfeld verhindert. Zusätzlich fanden acht (2017: 7) Liederabende statt. Die Produktion neuer Tonträger lag erneut bei zehn (2017: 10). Insgesamt betrachtet, tritt der Süden des Landes immer stärker in Erscheinung. Vor dieser Entwicklung warnt der Verfassungsschutz bereits seit Längerem. Dort existiert eine gewachsene Mischszene, die sich zunehmend verdichtet und verzahnt. Zu ihr zählen Neonationalsozialisten, Rocker, Angehörige des Bewachungsgewerbes, Kampfsportler, Hass-Musiker, Parteimitglieder, Kleidungssowie Musiklabels und Hooligans. Hinzu kommen weitere extremistische Aktivitäten, wie die von der "Identitären Bewegung Deutschland" und solche, die sich in einer Grauzone zwischen Radikalismus und Extremismus bewegen. Zusammenfassung 13 Reichsbürger und Selbstverwalter Die Zahl verfassungsschutzrelevanter "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist 2018 auf 650 (2017: 560) angewachsen. Der starke Aufwuchs der letzten Jahre flacht zunehmend ab. Linksextremismus Im Linksextremismus ist das Personenpotenzial fünfmal in Folge angestiegen und lag im Jahr 2018 bei 620 (2017: 520). Erneut zugenommen hat die Zahl gewaltbereiter Autonomer auf jetzt 240 (2017: 220). Die Gewaltstraftaten sind jedoch auf 18 (2017: 24) erneut gesunken. In unverändert 13 Kommunen beziehungsweise Regionen sind gewaltbereite Autonome aktiv. Erneut gewachsen ist die "Rote Hilfe e. V.". Sie zählte im Jahr 2018 insgesamt 305 Mitglieder (2017: 225). Das ist ihre höchste jemals in Brandenburg festgestellte Mitgliederzahl. Innerhalb des Linksextremismus behauptet die "Rote Hilfe" ihre Rolle als übergreifende, zwischen allen Strömungen vermittelnde Konsensorganisation und kümmert sich unter anderem um Rechtsbeistand für politisch motivierte Straftäter. Vor diesem Hintergrund ist sie als gewaltrechtfertigend und -unterstützend zu bewerten. 14 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verharrt als Splitterorganisation ohne Zukunftsaussichten bei 50 Mitgliedern (2017: 50). Bei der "Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands" (MLPD) sind Organisationsmerkmale in Brandenburg praktisch nicht mehr feststellbar. Von diesem parteipolitischen Linksextremismus gehen nur noch theoretische Gefahren aus, weil er praktisch völlig handlungsunfähig ist. Islamistischer Extremismus Unter Ausnutzung der Flüchtlingsmigration der letzten Jahre sind auch islamistische Extremisten nach Deutschland gekommen. Darunter solche, die über Kampferfahrung als Jihadisten verfügen. Durch den militärischen Zusammenbruch des terroristischen "Islamischen Staats" (IS) versuchen zudem diejenigen zurück nach Deutschland zu kommen, die zuvor - teils als deutsche Staatsbürger - aus Deutschland mit dem Ziel ausgereist waren, sich dem IS anzuschließen. Das betrifft sowohl die Terroristen selbst als auch deren Familien. Hierbei ist mit einer starken Verrohung der Personen zu rechnen. Einige von ihnen werden sich desillusioniert ins Private zurückziehen. Doch andere werden an ihrer terroristischen und totalitären Islaminterpretation festhalten. Diese Personen stellen unsere Zivilgesellschaft und unsere Sicherheitsbehörden vor völlig neue und personalintensive Herausforderungen. Vielleicht wird es gelingen, einige aus der jihadistischen Denksowie Lebensweise herauszubrechen, um sie entsprechend zu resoziaZusammenfassung 15 lisieren. Doch bei anderen wird nur pure und strikte Repression helfen, um sie unter rechtsstaatlicher Kontrolle zu halten - und zwar über Jahrzehnte hinweg. Neben dem jihadistisch-terroristischen Islamismus existiert der legalistisch operierende Extremismus. Diese Strömung versucht, zunächst ohne Gewalt ihr Ziel zu erreichen. Das ist die Errichtung eines islamischen Gottesstaats in Deutschland, also die Ersetzung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung durch die Scharia. In Brandenburg ist die Anzahl muslimischer Gebetshäuser überschaubar. Islamisten aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft verfolgen hier die Strategie, diese Freiräume mit eigenen Angeboten zu füllen, um so ihre extremistische Einflusssphäre zu erhöhen. Ebenso gab es Hinweise darauf, dass sich salafistisch orientierte Islamisten aus Berlin bemühen, in bereits bestehenden Einrichtungen Einfluss geltend zu machen. Im Verfassungsschutzbericht 2014 wurden lediglich 40 islamistische Extremisten ausgewiesen. 2018 waren es bereits 180 (2017: 130). Knapp 70 von ihnen haben Bezüge zum Nordkaukasus. Dortige Gruppierungen hatten sich teilweise dem terroristischen "Islamischen Staat" unterstellt. Auslandsbezogener Extremismus Das größte Personenpotenzial im Bereich auslandsbezogener Extremismus weist in Brandenburg die bundesweit mit einem Betätigungsverbot belegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) auf. Im Jahr 2018 wurden ihr rund 90 Personen zugerechnet 16 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 (2017: 80). Die Gesamtzahl der auslandsbezogenen Extremisten betrug in 2018 insgesamt 115 (2017: 100). Zuverlässigkeitsund Sicherheitsüberprüfungen Neben der Beobachtung extremistischer Bestrebungen wirkt der Verfassungsschutz an Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit. Um dieser Aufgabe überhaupt nachkommen zu können, benötigt der Verfassungsschutz Daten über Extremisten. Er bekommt sie von anderen Behörden oder erhebt sie selbst. Diese Daten werden in einer eigenen Datenbank erfasst und ständig gepflegt. Bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen wird diese Datenbank abgefragt. So soll beispielsweise verhindert werden, dass dem Verfassungsschutz bekannte Extremisten beruflichen Zugang zum Sicherheitsbereich von Flughäfen erlangen oder Asylunterkünfte bewachen. Dasselbe gilt für Personen, die beispielsweise als Sicherheitspersonal bei Fußballspielen von den Vereinen eingesetzt werden. 2018 gingen insgesamt 6.223 entsprechende Anfragen beim brandenburgischen Verfassungsschutz ein (2017: 7.155). Wenn der Flughafen Berlin-Brandenburg öffnet und Tegel parallel dazu schließt, werden die wichtigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen gemäß dem Luftsicherheitsgesetz ausschließlich vom brandenburgischen Verfassungsschutz durchgeführt. Die Zahl der jährlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen wird dann mit hoher Wahrscheinlichkeit fünfstellig werden. Zusammenfassung 17 Als Sicherheitsdienstleister wirkt der Verfassungsschutz ebenfalls an den personalintensiven Sicherheitsüberprüfungen mit. Betroffen sind davon Mitarbeiter von etwa 20 Behörden (unter anderem: Polizei, Staatskanzlei und Ministerien, Landtag, Gerichte sowie Staatsanwaltschaften). 336 Sicherheitsüberprüfungen waren es 2018 (2017: 354). Verfassungsschutz durch Aufklärung Informationsangebote des Verfassungsschutzes waren 2018 erneut stark nachgefragt. In 65 Veranstaltungen wurden Vorträge gehalten (2017: 96). Rund 2.700 Bürger nahmen teil (2017: 3.600). Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit 2008 auf insgesamt 1.129 mit etwa 42.000 Zuhörern. 18 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes 19 Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes Die freiheitliche demokratische Grundordnung ist eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung gehören nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip, die Chancengleichheit aller politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Ohne die Achtung dieser Prinzipien ist eine Demokratie nicht möglich. Um diese zu schützen, sammelt der Verfassungsschutz Informationen über Bestrebungen, die gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Er wertet sie aus und unterrichtet zuständige Stellen. In unserer Demokratie zählen dazu die Bevölkerung, die Landesregierung, die öffentliche Verwaltung, die Polizei und viele andere. Auf diesem Wege über verfassungsfeindliche Bestrebungen zu informieren, ist somit eine zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes. Denn der beste Schutz der Verfassung ist der informierte Bürger. Am 31. Dezember 2018 hatte der brandenburgische Verfassungsschutz im Ministerium des Innern und für Kommunales 93 Mitarbeiter (2017: 89).1 An Sachmitteln standen der Verfassungsschutzbehörde im Haushaltsjahr 2018 insgesamt 1.600.000 Euro zur Verfügung. Davon wurden 1.599.999,54 Euro verausgabt. Der Verfassungsschutz ist der Inlandsnachrichtendienst Deutschlands. Diese Aufgabe fällt sowohl in die Zuständigkeit des Bundes als auch der Länder. Anders als die Polizei hat der Verfassungsschutz keine exekutiven Befugnisse. Kein Verfassungsschützer darf Wohnungen durchsuchen, Personen festnehmen oder Zeugen vernehmen. Verfassungsschützer sind unbewaffnet und tragen keine Uniform. Im demokratischen Rechtsstaat wachen parlamentarische Gremien über alle Aktivitäten des Verfassungsschutzes. Im Landtag Brandenburg sind das die "Par- 1 Die Zahl umfasst auch Teilzeitbeschäftigte. Wie in den vorangegangenen Berichten werden abgeordnete Bedienstete nicht ausgewiesen. 20 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 lamentarische Kontrollkommission" (PKK) und die "G 10-Kommission". Die PKK ist von der Landesregierung unter anderem umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten, auf Verlangen der Kommission muss sie dieser auch über Einzelfälle berichten (SS 25 Absatz 1 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz). Die "Parlamentarische Kontrollkommission" kann von der Landesregierung alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Stellungnahmen sowie Aktenund Dateneinsicht und Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen. Bei besonderem Aufklärungsbedarf können Bedienstete mit Zustimmung des Innenministers zum Sachverhalt befragt werden. Darüber hinaus wird die PKK regelmäßig ohne Aufforderung nach SS 7 Absatz 3 Satz 3 in Verbindung mit Absatz 4 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz über Quellen und Observationen sowie in anonymisierter Form über Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses informiert. Der Landtag beschließt über Größe und Zusammensetzung der "Parlamentarischen Kontrollkommission": Sie soll nicht mehr als neun Mitglieder haben, wobei die parlamentarische Opposition angemessen vertreten sein muss (SS 24 Absatz 1 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz). Das Gremium tritt in der Regel alle zwei Monate zusammen, Beratungen erfolgen in geheimer Sitzung (SS 26 Absatz 2 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz). Beschränkungen des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses werden durch die vom Landtag gewählte "G 10-Kommission" vor ihrer Durchführung auf ihre Zulässigkeit und Notwendigkeit überprüft. Angeordnete Beschränkungsmaßnahmen, welche die "G 10-Kommission" für unzulässig oder nicht notwendig erachtet, hat das Innenministerium unverzüglich einzustellen. Die Kontrollbefugnis erstreckt sich auf die gesamte Verarbeitung der nach dem "Artikel 10-Gesetz" erlangten personenbezogenen Daten (SS 3 Absatz 1 Satz 4 Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes). Die "G 10-Kommission" besteht aus dem Vorsitzenden, der die Befähigung zum Richteramt besitzen oder Diplomjurist sein muss, und zwei Beisitzern. Mitglieder der "G 10-Kommission" sind in ihrer Amtsführung unabhängig und Weisungen nicht unterworfen (SS 2 Absatz 1 Satz 3, Absatz 3 Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes). Jeder hat das Recht, bei der Verfassungsschutzbehörde unentgeltlich ein Auskunftsersuchen zu stellen, SS 12 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz. Davon machten im Jahr 2018 insgesamt 308 Personen Gebrauch (2017: 162). Der Verfassungsschutz hält den Einsatz von menschlichen Quellen zur Erfüllung seines Auftrages für unabdingbar. Denn menschliche Quellen sind durch andere Aufgaben, Befugnisse und Kontrolle des Verfassungsschutzes 21 nachrichtendienstliche Mittel nicht zu ersetzen. Im Bereich des Rechtsextremismus haben sie maßgeblich dazu beigetragen, dass brandenburgische Innenminister bislang acht Vereinsverbote erlassen konnten. Mit solchen Verboten wird die Ausbreitung extremistischer Ideologien maßgeblich unterbunden. Ebenso trägt der Quelleneinsatz zur Aufklärung politisch motivierter Kriminalität bei. Dies gilt beispielsweise für die Eindämmung rechtsextremistischer Hasskonzerte. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Quellen ist im Verfassungsschutzgesetz des Landes Brandenburg und insbesondere detailliert in einer internen Dienstanweisung geregelt. Festgelegt sind Mindeststandards sowohl bei der Werbung von Quellen als auch bei der Informationserhebung durch Quellen. Weiterhin ist geregelt, dass menschliche Quellen und die für sie zuständigen Personen beim Verfassungsschutz keine Straftaten begehen dürfen. 22 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 IM FOKUS: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen Im Fokus: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen 23 IM FOKUS: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen Am 9. November 2014, genau 25 Jahre nach dem Mauerfall, hat der Korrespondent für Politik und Wirtschaft der Tageszeitung "Die Welt", Richard Herzinger, ein düsteres Bild der Zukunft der liberalen Demokratie gezeichnet. Es sei von der damaligen Euphorie des Aufbruchs in die Freiheit nur noch wenig zu spüren. "Weltweit sieht es so aus, als ob die liberale Demokratie, der unbestritten die Zukunft zu gehören schien, in die Defensive gerät und an Anziehungskraft verliert. War damals die Erwartung weit verbreitet, universale Prinzipien wie Menschenrechte und Pluralismus würden sich unaufhaltsam durchsetzen und es könnte eine auf ihnen basierende Weltordnung entstehen, so erleben wir heute erschreckende Rückfälle in gewaltsame Eroberungspolitik, ethnischen Nationalismus und religiösen Extremismus."2 Fast fünf Jahre später ist es an der Zeit, diese ernüchternde Diagnose aus Sicht der Verfassungsschutzbehörde zu erörtern. Liberale Demokratie in der Defensive Zunächst einmal kann fast 30 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung und der Erlangung der vollen inneren und äußeren Souveränität der vereinten Bundesrepublik positiv festgehalten werden, dass sich die Demokratie in Europa durchgesetzt hat. Es gibt nur wenige autokratische Ausnahmen. In Europa leben so viele Menschen in Freiheit und Sicherheit wie noch nie. Und doch - das haben die wenigen Jahre nach Herzingers Befund gezeigt - hat das nicht überall zur Akzeptanz von Demokratie und Pluralismus geführt. Im Gegenteil: Folgt man den Zahlen der Verfassungsschutzbehörden, dann hat die Vielfalt und die Zahl der Feinde der liberalen Demokratie in den letzten Jahren in Deutschland kontinuierlich zugenommen. Neben dem Rechtsund Linksextremismus haben sich islamistische Strömungen in Deutschland weiter etabliert. Zusätzlich haben sich "Reichsbürger und Selbstverwalter" als eigenständiges Extremismusphänomen entwickelt. Dazu gesellt sich eine Art Brückenspektrum an Organisationen, die in der Grauzone zwischen Demokratie und Extremismus aktiv sind und das Wählerreservoir des mittlerweile 2 Richard Herzinger: "Ist die liberale Demokratie ein Auslaufmodell?", in: "Die Welt", 09.11.2014, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article134154197/Ist-die-liberale-Demokratie-einAuslaufmodell.html (letzter Zugriff am 25.03.2019). 24 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 auch in Deutschland erstarkten rechtsnationalen Populismus bilden. Die Zahl der Anhänger rechtsextremistischer Organisationen und Strukturen hat sich zwischen 2014 und 2017 um 12,5 Prozent von 21.000 auf 24.000 Personen erhöht.3 Die Steigerungsrate im Linksextremismus liegt im selben Zeitraum bei 7,8 Prozent beziehungsweise einem Anstieg von 27.200 Anhängern im Jahr 2014 auf 29.500 Anhänger im Jahr 2017. Auch im Bereich der salafistischen Bestrebungen - einer Teilmenge des Islamismus beziehungsweise des terroristischen Islamismus - ist die Steigerung enorm: Wurden 2014 noch 7.000 Anhänger verzeichnet, so ist ihre Zahl im Jahr 2017 auf 10.800 hochgeschossen, eine Steigerung von 35,2 Prozent. Auch das Personenpotenzial von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" ist bundesweit binnen zwei Jahren von 10.000 (2016) auf 19.000 (2018) dramatisch angewachsen. Jenseits dieser beunruhigenden Zahlen kommt die Extremismusforschung bezogen auf den gesamten europäischen Raum zu dem ergänzenden qualitativen Befund, dass der politische Extremismus die Demokratien in Europa nach wie vor auf vielfältige Art gefährdet, "sei es durch autokratische Ordnungsvorstellungen, gleichsam als Antidot zu den - vermeintlichen und tatsächlichen - (post-)demokratischen Funktionsstörungen, sei es durch die Wahlerfolge antidemokratischer Parteien und ihrer auf Verweigerung und Blockade gründenden Strategie, sei es durch die Ablehnung und Bekämpfung demokratischer Werte und europäischer Ideen, sei es durch die Polarisierung der Gesellschaften und die Verrohung des politischen Klimas, sei es durch Akzeptanz und Anwendung von Militanz und Gewalt."4 Die Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg hat sich auf einer Klausurtagung im Jahr 2018 intensiv mit den Herausforderungen befasst, vor denen die liberale Demokratie steht. Dabei wurde herausgearbeitet, dass die derzeit weltweit aktiven antiliberalen Gegenbewegungen ein Reflex auf die Verunsicherungen durch fundamentale Veränderungen sind: Globalisierung, Digitalisierung der Lebensund Arbeitswelt, weltweite Migration, die Erosion des Nationalstaats und die Auflösung der patriarchalen Geschlechterordnung. Diese Entwicklungen laufen parallel und mit hoher Geschwindigkeit ab. Sie stellen alte Sicherheiten in Frage und werden von Teilen der Bevölkerung als Bedrohung empfunden. Popu- 3 Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses waren die 2018er Zahlen für ganz Deutschland noch nicht bekannt. 4 Vgl. Tom Thieme: "Extremismus in westund osteuropäischen Demokratien", in: Eckard Jesse, Tom Mannewitz: "Extremismusforschung: Handbuch für Wissenschaft und Praxis", Baden-Baden, 2018, S. 473. Im Fokus: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen 25 listische und extremistische Strömungen haben in den letzten Jahren diese Stimmungen aufgenommen, zugespitzt und so für eine Polarisierung der deutschen Gesellschaft gesorgt. Liberale Demokratien setzen solche Entwicklungen unter Stress. Demokratien sind dynamische Systeme. Institutionen, Verfahren, Organisationen und die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger sind ihr Lebenselixier. Wandlungsfähigkeit und Weiterentwicklung in einer sich rasch wandelnden Welt ebenso. Andernfalls würde die Leistungsfähigkeit des gesamten demokratischen Systems abnehmen und damit auch die Legitimität, die ihr von den Bürgerinnen und Bürgern zugesprochen wird. Auch in der Gesellschaft verändern sich die Werte, Prioritäten sowie Weltsichten und fordern die Anpassungsfähigkeit demokratischer Systeme heraus. "Ihr Dilemma ist dabei, dass sie an Zweifel, Heterogenität und Offenheit als ihrem Lebenselixier festhalten, gegenüber ihren Feinden - die dies als Zeichen von Schwäche und Dekadenz denunzieren - jedoch Stärke, Konsequenz und Geschlossenheit an den Tag legen" müssen. So drückte es der Redakteur Herzinger nach 25 Jahren gesamtdeutscher Demokratie im Jahr 2014 aus. Schaut man sich die Zustimmungswerte zur Demokratie an, dann scheint dies immer noch zu funktionieren. Demokratie als Ordnungsmodell und ihre Funktionsweise Die traumatischen Erfahrungen durch die totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts sowie die fast 30jährigen gesamtdeutschen Erfahrungen mit der liberalen Demokratie sind die historisch-kulturellen Rahmenbedingungen, die einen Einfluss auf die politische Kultur5 Deutschlands haben. Daher ist die Frage nach der Legitimität und Akzeptanz der Demokratie gegenüber anderen möglichen Herrschaftsordnungen zentral. Man unterscheidet dabei zwischen einer generellen Systemakzeptanz der Demokratie und der Zufriedenheit mit der Funktionsweise und den Leistungen der Demokratie. Die Demokratie als Ordnungsmodell findet in Deutschland und ganz Europa einen hohen Zuspruch. Wie die Daten des von der Europäischen Kommission herausgegebenen Eurobarometers zeigen, haben sich die Ostdeutschen kurz nach der Wiedervereinigung im Jahr 1991 mit einer großen Mehrheit von 70 Prozent für die Demokratie als beste Staatsform ausgesprochen. Die Zustimmung der Westdeutschen war mit 86 Prozent noch deutlich höher. Bis ins Jahr 2014 blieb der Wert im Westen stabil. Im Osten fiel er jedoch 5 Unter politischer Kultur wird die Gesamtheit aller Werte, Prioritäten und Weltsichten in einer Gesellschaft verstanden. 26 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 auf 63 Prozent im Jahr 2006 ab, um im Jahr 2014 auf sogar 82 Prozent anzusteigen (Westen: 90 Prozent).6 Im Anschluss daran sanken die Werte jedoch deutlich. Anfang 2019 stimmten der Aussage nur noch 77 Prozent der Westdeutschen und 42 Prozent der Ostdeutschen zu.7 Etwas differenzierter wird die Funktionsweise der Demokratie und ihre Leistungsbilanz beurteilt. Diese Einstellung bezieht sich auf die Verfassungsrealität oder die Wirklichkeit der Demokratie in Deutschland. Es überwiegen die positiven Wahrnehmungen, jedoch zeigt sich erneut eine deutliche Differenz zwischen Ostund Westdeutschland. Über den gesamten Zeitraum von 1991 bis 2017 hinweg war im Westen Deutschlands durchschnittlich eine klare Mehrheit von 67 Prozent der Bürgerinnen und Bürger zufrieden, im Ostteil Deutschlands durchschnittlich lediglich 43 Prozent. Es gab erhebliche Schwankungen im Zeitverlauf, die parallel in Ostund Westdeutschland zu beobachten waren. Die Bürgerinnen und Bürger in beiden Teilen Deutschlands reagieren also ganz ähnlich auf bestimmte Ereignisse, das aber auf unterschiedlichem Niveau.8 Anpassungsstrategien des Extremismus Die Einstellungen der Bürgerinnen und Bürger zur Demokratie wirken sich auf die Chancen der extremistischen Kräfte aus. Je stärker die Idee der Demokratie und ihre Institutionen anerkannt sind, desto schwächer fällt das Mobilisierungspotenzial für Extremisten aus.9 Das wiederum beeinflusst seit einigen Jahren die Vorgehensweisen extremistischer Akteure, die verstärkt Anpassungsstrategien anwenden, um ihre demokratiefeindlichen Ansichten hinter systemkonformen Verhaltensweisen zu verbergen. So versteckt die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) ihre antidemokratischen Einstellungen schon seit vielen Jahren hinter dem Begriff der "sozialen Heimatpartei". Ehemalige Funktionäre der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" agieren bei der aktivistischen aber ideologisch gemäßigteren "Identitären Bewegung Deutschland". 6 Vgl. Dieter Fuchs, Edeltraud Roller: "Akzeptanz der Demokratie als Staatsform", 14.11.2018, http://www.bpb.de/nachschlagen/datenreport-2018/politische-und-gesellschaftlichepartizipation/278503/akzeptanz-der-demokratie-als-staatsform (letzter Zugriff am 20.03.2019). 7 Vgl. Institut für Demoskopie Allensbach: "Fremd im eigenen Haus", Januar 2019. 8 Vgl. Dieter Fuchs, Edeltraud Roller: "Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie", http://www.bpb.de/nachschlagen/datenreport-2018/politische-und-gesellschaftlichepartizipation/278505/zufriedenheit-mit-dem-funktionieren-der-demokratie-in-deutschland, (letzter Zugriff am 20.03.2019). 9 Vgl. Tom Thieme: "Extremismus in westund osteuropäischen Demokratien", in: Eckard Jesse, Tom Mannewitz: "Extremismusforschung: Handbuch für Wissenschaft und Praxis", Baden-Baden, 2018, S. 476. Im Fokus: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen 27 Darüber hinaus hat sich ein relativ breites Brückenspektrum an Gruppierungen und Initiativen gebildet, die sich strategisch ganz bewusst im Feld zwischen Extremismus und Populismus aufhalten. Die Verfassungsschutzbehörden diskutieren solche Entwicklungen, die derzeit vor allem im Rechtsextremismus eine Rolle spielen, unter dem Begriff der "Entgrenzung". Die Zeitschriften, Institute, Verlage und Initiativen aus diesem als "Neue Rechte" bezeichneten Spektrum docken an die Traditionen der antidemokratischen "konservativen Revolution" der Weimarer Republik an. Sie möchten den Pluralismus, der die liberale Demokratie auszeichnet, zurückdrängen. Homogenitätsvorstellungen sowie ethnisch-nationaler Kollektivismus sollen wieder ins Zentrum der Gesellschaft rücken und der Liberalismus mit seinem Gleichheitsgebot ausgeschaltet werden. Auch der Einfluss auf die öffentliche Meinung ist ein wichtiges Anliegen. Die Entgrenzung des Rechtsextremismus hat im Zuge der Fluchtmigration der letzten Jahre zugenommen. Mit dem Auftreten neuer Akteure, die auch bürgerliche Schichten ansprechen, sind die Grenzen zwischen den radikalen Rändern des politischen Spektrums und der Mitte der Gesellschaft porös geworden. Anschluss an konservativ-bürgerliche Milieus zu gewinnen ist ein strategisches Ziel der "Neuen Rechten". Im Bereich des Linksextremismus haben diese Grenzverschiebungen ebenfalls Tradition, wenn links-bürgerliche Organisationen gemeinsam mit Autonomen Demonstrationen abhalten, wie beim G20-Gipfel im Jahr 2017 in Hamburg und im Jahr 2018 im nordrhein-westfälischen Hambacher Forst. Auch die Verbindungen zwischen demokratischen Akteuren und der linksextremistischen Roten Hilfe kennzeichnen die beschriebenen Grenzverschiebungen. Unterschiedliches Verständnis von Demokratie Die vor allem im Osten Deutschlands (sowie in den postkommunistischen und südeuropäischen Staaten) teils als negativ empfundene Leistungsbilanz der Demokratie hängt unter anderem damit zusammen, dass es unterschiedliche Begriffe von Demokratie gibt. Vom westlichen, pluralen Demokratieverständnis ist ein identitäres Verständnis von Demokratie zu unterscheiden, welche von einer Interessenkonvergenz von Regierenden und Regierten ausgeht.10 Die seit Jahren zu hörende Parole "Wir sind das Volk!" zeugt davon. Extremisten instrumentalisieren den Demokratiebegriff, um das repräsentative Demokratie-Modell als ignorantes, 10 Vgl. ebd., S. 477. 28 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 abgekartetes Spiel einer abgehobenen politischen Klasse gegenüber dem Staatsbürger und seinen Interessen darzustellen. Sie setzen ihr identitätstheoretisches Demokratiebild dagegen. Darunter verstehen sie "Staat, Führung und Bevölkerung als Schicksalsgemeinschaft zur Verteidigung der in ihren Augen durch politische Eliten, EU, ,Kapitalismus' und Medien bedrohten ,wahren' Demokratie."11 Die liberale Demokratie muss sich gegen diese Umkehrung wehren und das anti-demokratische Element des identitären Demokratie-Begriffs offenlegen: "Das identitäre Politikverständnis geht von der politischen Homogenität des Volkes aus: Es soll eine Einheit von Regierenden und zu Regierten geben, was letztendlich eine Opposition ebenso wie den Pluralismus ausschließt. Eine Diktatur wäre dann so verstanden demokratischer als der Parlamentarismus, sofern sie sich auf eine wie auch immer bestimmbare Massenakzeptanz stützen würde."12 Sog zur "intoleranten" Demokratie Die empirische Demokratieforschung hat festgestellt, dass Teilbereiche der Demokratie mit erheblichen Herausforderungen zu kämpfen haben, die ebenfalls von den Feinden der liberalen Demokratie ausgenutzt werden könnten.13 Während die kulturelle Modernisierung des deutschen Rechtsstaates erfolgreich voranschreitet,14 sieht es in anderen Teilbereichen der liberalen Demokratie deutlich kritischer aus. Das betrifft in erster Linie die politische Beteiligung. Die Wahlbeteiligung hat überall in den entwickelten demokratischen Staaten sichtbar abgenommen, während die soziale Selektivität der gesamten politischen Partizipation zugenommen hat. Demokratieforscher kommen zu dem Ergebnis, dass es nicht die Mittelschichten sind, die aussteigen, sondern die unteren Schichten. Letztere hätten sich längst aus der politischen Teilnahme entfernt. Die entwickelten Staaten seien hinsichtlich der Partizipation in der Zweidritteldemokratie angekommen: "Man könnte das ignorant als eine fast unvermeidliche Elitisierung der Politik in Zeiten der Komplexität abtun. Die Ignoranz dürfte aber aufhören, wenn diese bildungsferneren Schichten stärker von rechtspopulistischen Parteien mobilisiert werden können. Die liberalen Demokratien gerieten dann immer mehr in den kri11 Vgl. ebd., S. 477f. 12 Armin-Pfahl-Traughber: "Was die 'Neue Rechte' ist - und was nicht. Definition und Erscheinungsformen einer rechtsextremistischen Intellektuellengruppe", 21.01.2019, http://www. bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/284268/was-die-neue-rechte-ist-und-was-nicht (letzter Zugriff am 25.03.2019). 13 Vgl. Wolfgang Merkel: "Krise der Demokratie? Anmerkungen zu einem schwierigen Begriff", 30.09.2016, http://www.bpb.de/apuz/234695/krise-der-demokratie-anmerkungen-zu-einemschwierigen-begriff?p=all (letzter Zugriff am 25.03.2019). 14 Gemeint sind Bürgerrechte wie Geschlechtergleichheit, der Schutz ethnischer und religiöser Rechte sowie die rechtliche Gleichstellung heteround homosexueller Paare. Im Fokus: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen 29 senhaften Sog einer intoleranten und 'illiberalen Demokratie'."15 Den demokratischen Staaten steht zudem mit Russland, China und Iran eine wachsende Zahl nach Macht und Einfluss strebender autokratischer Regime gegenüber, die solche Entwicklungen mit Interesse beobachten. Teilweise werben diese Regime mit eigenen Fernsehsendern und Internetformaten direkt in Deutschland und Europa für ihre Weltsicht. Deren oftmals negative Berichterstattung über Deutschland zielt darauf ab, vorhandene Konflikte in der deutschen Gesellschaft zu vertiefen und zu polarisieren. Gefährdung der inneren Sicherheit durch Gewaltpotenzial Die liberale Demokratie wird auch durch das dem politischen Extremismus innewohnende Gewaltpotenzial herausgefordert. Der Rechtsextremismus ist ambivalent in seiner Entwicklung. Er versucht einerseits in die Mitte der Gesellschaft zu drängen (siehe oben). Organisationen wie die "Identitäre Bewegung Deutschland" geben sich ein modernes und pseudointellektuelles Erscheinungsbild. Damit versuchen sie, die Stigmatisierung des Rechtsextremismus zu überwinden. Andere Teile der Szene wiederum diskutieren Endzeitszenarien und folgern, dass sie sich auf einen Bürgerkrieg oder einen weißen "Ethnostaat" vorbereiten müssten. Das Spektrum der - auch mit massiver Gewalt bekämpften - Gegner reicht von Migranten über vermeintlich linke Aktivisten bis hin zu Politikern. Es besteht die Gefahr, dass sich auf diesem Nährboden rechtsterroristische Strukturen oder Einzeltäter entwickeln könnten. Linksextremisten dagegen leben ihre Protestkultur verbunden mit Gewalttätigkeit ziemlich unmittelbar aus. In der gewaltbereiten autonomen Szene Deutschlands konnte in den letzten Jahren eine Verschärfung der linksextremistischen Gewalttaten bis hin zu massiven Sabotageakten und Brandstiftungen beobachtet werden. Auch der islamistische Extremismus ist eine Gegenbewegung zur liberalen Demokratie und trifft unter Jugendlichen zunehmend auf Resonanz. Islamisten betrachten die liberale Gesellschaft als gottlose, dekadente Verirrung. Ihnen geht es um die Formierung von Staat und Gesellschaft nach Gottes Geboten. Ein aus dem historischen Kontext herausgelöster Koran wird als Aufforderung verstanden, dieses Ziel falls nötig mit Gewalt (Jihad) durchzusetzen. 15 Wolfgang Merkel: Wolfgang Merkel: "Krise der Demokratie? Anmerkungen zu einem schwierigen Begriff", 30.09.2016, http://www.bpb.de/apuz/234695/krise-der-demokratie-anmerkungen-zueinem-schwierigen-begriff?p=all (letzter Zugriff am 25.03.2019). 30 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Polarisierung und Radikalisierung Gesellschaftspolitisch relevante Veränderungen, wie sie in Deutschland in den letzten Jahren stattgefunden haben, polarisieren. Dies wiederum befördert eine Radikalisierung der Gesellschaft und führt zu nachlassendem gesellschaftlichen Zusammenhalt. Vor diesem Zusammenhang hat 2018 Bundespräsident FrankWalter Steinmeier gewarnt. Er sprach von einer "Lust zum Untergang" und warnte vor "einer sozial-moralischen Rage, mit der Gruppen regelrecht gegeneinander in den Kulturkampf ziehen". Darauf muss sich die liberale Demokratie einstellen und regelmäßig mögliche Gefährdungspotenziale für die freiheitliche demokratische Grundordnung abschätzen. Gleichzeitig muss aber auch für eine Depolarisation der öffentlichen Debatte eingestanden werden. Dies ist eine Aufgabe, die vor allem den politischen Parteien obliegt. Hierzu schieb Herzinger vor fast fünf Jahren: "Statt angesichts der explosiven Weltlage in anthropologischen Pessimismus zu verfallen, sollten wir uns an den konkreten Gründungsimpuls der modernen liberalen Zivilisation erinnern. Der transatlantische Zusammenschluss der Demokratien nach 1945 stützte sich nicht so sehr auf eine positive "Wertegemeinschaft" als auf den Willen zur gemeinsamen Abwehr von Unfreiheit und Unrecht. Sie ging weniger aus dem hervor, was alle Demokratien gemeinsam als Idealzustand erstreben, als vielmehr aus der Ablehnung dessen, was nicht mehr sein soll: Kolonialismus, Rassismus, Nationalismus und Totalitarismus in seiner faschistischen wie kommunistischen Form. Die Überwindung dieser Übel hat jedoch die Kräfte der absoluten Negation von Freiheit nicht aus der Welt geschafft. Sie ändern nur stets das Gewand, in dem sie auftreten, und fordern die liberalen Demokratien heute wieder zur Erneuerung ihrer ideellen Grundlage heraus."16 16 Richard Herzinger: "Ist die liberale Demokratie ein Auslaufmodell?", in: "Die Welt", 09.11.2014, https://www.welt.de/debatte/kommentare/article134154197/Ist-die-liberale-Demokratie-einAuslaufmodell.html (letzter Zugriff am 25.03.2019). Im Fokus: Feindbild liberale Demokratie und ihre Institutionen 31 32 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Rechtsextremismus IM FOKUS: Rechtsextremistische Vorstellungen von Europa...................... 37 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)...................................... 51 DER DRITTE WEG............................................................................................. 62 Parteiunabhängige Strukturen 1: Kameradschaften..................................... 65 Parteiunabhängige Strukturen 2: Freie Kräfte................................................ 70 Parteiunabhängige Strukturen 3: Bruderschaften......................................... 74 Parteiunabhängige Strukturen 4: Vereine....................................................... 81 Parteiunabhängige Strukturen 5: Identitäre Bewegung Deutschland, Ortsgruppe Cottbus.......................................................................................... 88 Parteiunabhängige Strukturen 6: Kampfsportgruppen................................. 91 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial........................................... 96 Rechtsextremistische Hassmusik................................................................... 98 Immobilien der rechtsextremistischen Szene.............................................. 108 Rechtsextremismus 33 Rechtsextremismus Die in Artikel 1 des Grundgesetzes festgeschriebene Unantastbarkeit der Menschenwürde lehnen Rechtsextremisten grundlegend ab. Für sie ist die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie, Rasse oder Nationalität das entscheidende Kriterium für die Wertigkeit eines Menschen. Daraus leiten Rechtsextremisten unter anderem ab, welche Rechte einzelnen Personen zustehen. Rechtsextremistische Ideologien widersprechen damit klar gegen das in Artikel 3 Grundgesetz festgeschriebene Gleichheitsgebot. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Rechtsextremisten die Allgemeingültigkeit der Menschenrechte leugnen. Hieran wird deutlich, dass rechtsextremistische Konzepte nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind. Rechtsextremistisches Personenund Organisationspotenzial in Brandenburg (zum Teil geschätzt) 2016 2017 2018 in Parteien (gesamt) 355 345 320 NPD 300 280 280 DIE RECHTE 25 35 0 DER DRITTE WEG 30 30 40 in parteiunabhängigen Strukturen 220 250 335 weitgehend unstrukturiertes 920 1.030 1.125 Personenpotenzial gesamt 1.495 1.625 1.780 Mehrfachmitgliedschaften 105 85 105 Personenpotenzial 1.390 1.540 1.675 (nach Abzug von Mehrfachzählungen) davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 1.010 1.120 1.235 34 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Bei der Betrachtung des rechtsextremistischen Personenpotenzials muss im Land Brandenburg für das Jahr 2018 erneut ein Anstieg festgestellt werden. Die Gesamtzahl brandenburgischer Rechtsextremisten wuchs damit im fünften Jahr in Folge und hat mit 1.675 Personen den höchsten Stand in der Geschichte erreicht. Auffällig ist, dass sich die Entwicklungen in den drei von den Verfassungsschutzbehörden im Rechtsextremismus gebildeten Kategorien nennenswert unterscheiden. So schritt 2018 der Bedeutungsverlust rechtsextremistischer Parteien weiter voran. Dieses gilt insbesondere für die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD). Ihr deutlicher Mitgliederrückgang seit dem Jahr 2010 zieht ein spürbares Einbrechen ihrer Parteiaktivitäten nach sich. Damit einher geht ihr Bedeutungsverlust innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Die Schwäche rechtsextremistischer Parteien lässt sich 2018 zudem an der Auflösung des brandenburgischen Landesverbandes der Kleinstpartei "DIE RECHTE" ablesen. Einzig die neonationalsozialistische Kaderpartei "DER DRITTE WEG" konnte im Jahre 2018 leichte Zuwächse verbuchen. Einen spürbaren Anstieg der Mitgliedschaften konnten demgegenüber die parteiunabhängigen Strukturen verzeichnen. Hierunter werden zum einen freie Personenzusammenschlüsse, wie zum Beispiel "Kameradschaften" oder "Freie Kräfte", sowie zum anderen rechtsextremistische Vereine gezählt. Der Mitgliederzuwachs im Bereich "parteiunabhängige Strukturen" ist vor allem mit dem Aufkommen der rechtsextremistischen "Kampfgemeinschaft Cottbus" zu erklären. Parallel hierzu muss auch für das "weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial" erneut ein Aufwuchs festgestellt werden. Trotz der im Vergleich zu den Jahren 2015 und 2016 deutlich niedrigeren Flüchtlingszahlen gelingt es der rechtsextremistischen Szene noch immer, über diese Thematik neue Personen an sich zu binden. Alarmierend bleibt, dass aus den Reihen der Rechtsextremisten, die nicht in einer der festen Strukturen aktiv sind, verhältnismäßig viele (Gewalt-)Straftaten begangen werden. Viele dieser Täter traten im Kontext der Auseinandersetzung um Migration zudem erstmals strafrechtlich in Erscheinung. Wie eingangs erwähnt, kann als Kern rechtsextremistischer Ideologie die "Ungleichheit menschlichen Lebens" ausgemacht werden. Darüber hinaus gibt es zwischen den einzelnen rechtsextremistischen Konzeptionen aber durchaus Unterschiede. Aus diesem Grund werden die wichtigsten rechtsextremistischen Akteure im Land Brandenburg in den folgenden Teilkapiteln getrennt analysiert. Vor dem Hintergrund der angesprochenen Auflösung des brandenburgischen Landesverbandes wird auf eine Betrachtung der Kleinstpartei "DIE RECHTE" verzichtet, auch wenn die Partei in einzelnen Bundesländern weiter aktiv ist und von Rechtsextremismus 35 den dortigen Verfassungsschutzbehörden weiter beobachtet wird. Die ehemaligen brandenburgischen Parteimitglieder organisieren sich wieder in ihrer alten "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" (KMOB), die in diesem Bericht entsprechend dargestellt wird. 36 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 IM FOKUS: Rechtsextremistische Vorstellungen von Europa In den letzten Jahren ist das stillschweigende Einverständnis, auf das sich die europäische Integration in ihrer Geschichte immer stützen konnte, durch zunehmend offensiv vorgetragene Kritik, Skepsis und Ablehnung unter Druck geraten. Nationalistische Positionierungen und Egoismen fordern zunehmend den Diskurs in und über Europa heraus. Das Leitmotiv der Europäischen Union - "In Vielfalt geeint" - hat beispielsweise durch die Schuldenkrise an Überzeugungskraft verloren. Populistische Protestbewegungen, Gruppierungen und Parteien greifen antieuropäische Vorbehalte auf und verstärken sie zusätzlich. Das geht mit Wahlerfolgen einher, welche diese Strömungen in Regierungsverantwortung tragen. Mit der Flüchtlingskrise und der damit verbundenen Herausforderung, eine Lösung über europäische Institutionen zu koordinieren, hat sich diese Entwicklung auch in Deutschland beschleunigt und zu spürbaren Veränderungen im Parteiensystem geführt. Bereits der Europawahlkampf 2014, der ganz im Zeichen der EuroRettungsschirmpolitik für einige südeuropäische Länder und Irland stand, war von massiver Kritik an den Entscheidungen und den Institutionen in Brüssel geprägt. Mittlerweile ist daraus ein Unbehagen in vielen Ländern Europas entstanden, welches sich nunmehr auch grundsätzlich gegen den Staat und die Medien richtet. Keine Chance für herkömmliche rechtsextremistische Parteien bei der Europawahl 2019 Von dieser Stimmung wollen auch die Rechtsextremisten in Deutschland profitieren. Das gilt vor allem für die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), die bei der Europawahl 2014 aufgrund einer fehlenden Sperrklausel17 und einer für Kleinstparteien günstigen Sitzzuteilung18 mit ihrem früheren Parteivorsitzenden, Udo Voigt, einen Abgeordneten ins Europäische Parlament entsenden konnte. "Europa rückt nach rechts - Deutschland ist dabei. Zum zweiten Mal in Folge haben die Deutschen die Chance, einen deutschen Nationalisten in das Europaparlament zu entsenden, denn bei der Europawahl gibt es keine Prozenthürde!", heißt es bei den regionalen Auftaktveranstaltungen der NPD zur Europawahl.19 Voigt, 17 Bei der Europawahl 2014 reichte weniger als ein Prozent der Stimmen für eine Partei, um einen Abgeordneten ins Europäische Parlament zu entsenden. Die NPD errang in Land Brandenburg 24.021 Stimmen (2,6 %). Erst bei der Europawahl 2024 wird wieder eine Sperrklausel eingeführt. 18 Sitzzuteilungsverfahren nach D'Hondt, Sainte-Lague. 19 Vgl. Facebook-Seite "Freundeskreis Udo Voigt", 12. März 2019 (letzter Zugriff am 21.03.2019). Rechtsextremismus 37 im Europäischen Parlament fraktionslos, wird als gradliniger Einzelkämpfer dargestellt, der die "Interessen unseres Volkes" vertrete. Die Vision der NPD von Europa ist ein "starker, freier Kontinent, der sich seiner Identität bewusst wird und bereit ist, seine Zukunft wieder in die eigene Hand zu nehmen."20 Dahinter steckt nichts anderes als die Absicht der NPD, die Europäische Union (EU) abzuschaffen und Europa nach den eigenen Ordnungsprinzipien neu zu gestalten. Auch die erstmals zu einer Europawahl antretende Kleinstpartei "DER DRITTE WEG" hat dies zum Ziel. Sie will Europa vom "amerikanischen Imperialismus" befreien. Trotz fehlender Sperrklausel kann sich keine der beiden rechtsextremistischen Parteien Chancen auf einen Einzug in das Europaparlament machen. Das Wählerpotenzial ist aufgrund der übermächtigen Konkurrenz aus dem populistischen Lager für beide zu klein, um den nötigen Prozentpunkt zu erreichen. Die NPD hat zudem seit einigen Jahren innerparteiliche Mobilisierungsschwierigkeiten und leidet unter chronischem Geldmangel. Unterschiedliche Neuordnungsprinzipien für Europa Die Ablehnung der europäischen Integrationsbemühungen, die Ablehnung supranationaler europäischer Institutionen und die Ablehnung des nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (NATO) sind seit jeher im deutschen Rechtsextremismus verbreitet. Von daher sind aus dieser Richtung keine Lösungsvorschläge für die Politik in Europa zu erwarten. Rechtsextremisten nutzen die Europawahl vielmehr, um ihre fundamentale Kritik an der Demokratie an sich zum Ausdruck zu bringen und ihre antidemokratischen Zukunftsvisionen zu präsentieren. Ein stereotypes Element im Weltbild von Rechtsextremisten ist die Vorstellung, dass Deutschland kein Nationalstaat wie jeder andere ist, sondern ein Staat von höherer Würde und Weihe in Europa. Eben das verloren gegangene "Reich", das zugleich "Schutzschild des Abendlandes" und "europäische Führungsmacht" sei. Neben diesem Reichsgedanken haben sich über die Jahrzehnte weitere Bilder von Europa im Rechtsextremismus etabliert, wie das vom "Europa der Völker", das der "Europäischen Eidgenossenschaft" oder das vom "Europa der Vaterländer". Rechtsextremistische Vorstellungen vom europäischen Kontinent thematisieren "raumfremde Mächte" in Europa, von deren Einfluss und Abhängigkeit sich die Europäer lösen müssten. In der Zeit vor der Deutschen Einheit waren damit die USA und die frühere UdSSR gemeint. Heute sind damit nur noch die USA gemeint. Das gilt sowohl für ihre militärische als auch für ihre wirtschaftliche Stärke. 20 Vgl. Facebook-Seite NPD-Bundesverband, 12. März 2019 (letzter Zugriff am 21.03.2019). 38 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Dahinter steckt das Feindbild eines "jüdisch-dominierten US-Kapitalismus". Dagegen sieht die überwiegende Mehrheit der Rechtsextremisten Russland als Partner an, mit dem es eng zu kooperieren gilt. Neuordnungsprinzip "Europa der Völker" (NPD) Die NPD will sich seit der Verabschiedung ihres aktuell gültigen Grundsatzprogramms im Jahr 2010 als "soziale Heimatpartei" darstellen. Den Kern dieser Programmatik bildet die "nationale Solidarität". Gemeint ist hiermit die radikale Schließung Deutschlands gegenüber Bevölkerungsgruppen, die dem deutschen Volk nach Auffassung der Partei nicht zugerechnet werden dürfen. Folglich greift die NPD intensiv auf den Begriff der Volksgemeinschaft zurück, aus dem sie ihre staatspolitischen Vorstellungen und ihr Demokratieverständnis ableitet. Klar formuliert wird das in folgendem Satz: "Volksherrschaft setzt die Volksgemeinschaft voraus. Der Staat nimmt die Gesamtverantwortung für das Volksganze wahr und steht daher über den Gruppeninteressen."21 Eindimensional wird daher auch die Bedeutung des Staates gegenüber dem Stellenwert des einzelnen Menschen hervorgehoben: "Die politische Organisationsform eines Volkes ist der Nationalstaat. (...) Im Mittelpunkt nationaler Ordnungspolitik steht das Volk (...). Nationaldemokratische Politik sieht sich dem Wohl eines jeden Volksangehörigen und der Gemeinschaft verpflichtet. Voraussetzung dafür ist die grundsätzliche Einheit von Volk und Staat."22 In der Konsequenz läuft diese Ideologie auf politische Homogenität (Identität zwischen Führern und Geführten) und sozialen Kollektivismus (in Form ethnischer Homogenität) hinaus und steht daher im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes. Von diesem vermeintlich "lebensrichtigen" Weltbild und der Vorstellung von "wahrer" Demokratie überzeugt, erwartet die NPD den Zusammenbruch des aus ihrer Sicht unnatürlichen, liberalen, durch Multikulturalismus und Globalisierung geprägten politischen Systems und den Rassenkrieg in Europa: "Nur ethnisch geschlossene Gesellschaftskörper mit geringem Ausländeranteil sind solidarund belastungsfähig, nur sie können positive Gemeinschaftskräfte zur Krisenbewältigung entwickeln. (...) Zahlreiche Bevölkerungsprognosen sehen die alteingesessenen Europäer schon (...) als Minderheit (...). Das ist Völkermord an den Einheimischen und läuft auf den Völkerkrieg hinaus."23 21 Vgl. NPD-Parteiprogramm 2010, S. 7. 22 Vgl. ebd., S. 6. 23 Vgl. "Wortgewandt/Argumente für Mandatsund Funktionsträger. Schriftenreihe des Bundesvorstands der NPD", 2014, S. 10. Rechtsextremismus 39 Die NPD will unter dem Titel "Europa der Völker" einen europäischen Bund völkisch homogener Staaten schaffen. Im Grundsatzprogramm der Partei heißt es dazu: "Weltweit erteilt der Aufbruch der Völker dem multikulturellen Einheitswahn eine Absage. In Europa muß das Bekenntnis zum abendländischen Erbe, zum nationalstaatlichen Ordnungsprinzip, zur Anwendung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und zum Prinzip der Volkszugehörigkeit Grundlage einer Neuordnung sein. So wird an die Stelle eines 'EU-Europas' der Technokraten ein lebenskräftiges Europa der Völker treten, das frei, zukunftsfähig, sozial gerecht und in seinen nationalen Identitäten geschützt ist."24 Der Begriff "Europa der Völker" entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in Auseinandersetzung mit den gescheiterten - und in den Augen der Weltöffentlichkeit durch die NS-Vernichtungspolitik vollständig diskreditierten - Ideen nationalistischer und nationalsozialistischer Volksgruppenpolitik. Trotz allem läuft das Konzept "Europa der Völker" auf eine Relativierung der nationalsozialistischen Bevölkerungsund Vernichtungspolitik hinaus. Bereits 1952 erschien unter dem Titel "Europa der Völker" in einer Vertriebenenzeitschrift ein Beitrag, der die historischen Ursachen der Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, also die nationalsozialistische Volkstumsund Vernichtungspolitik, leugnete. Gefordert wurde stattdessen "jene neue Völkerordnung vorzubereiten, auf der Europa wiedererstehen muß, soll es nicht völlig zugrunde gehen."25 Hier setzt die NPD an und fordert in revisionistischer Absicht in ihrem Grundsatzprogramm eine neue "Friedensordnung" für Europa. Der Logik des völkischen Nationalismus nach, käme damit auch die Forderung nach einem Großdeutschland in den Grenzen von 1937 auf den Tisch. Deutschland würde als einziger Staat in Europa an territorialer Größe und Bevölkerungszahl zunehmen. Damit käme der Rechtsextremismus seinem politischen Ziel von einem Deutschland als der hegemonialen Macht in Europa ("europäische Schutzmacht") näher. Festung Europa - Schutzzone Deutschland Die NPD thematisiert im Europawahlkampf Abschottung, Schutz vor Migration und den Schutz der "nationalen Identitäten" in Europa. Dazu dient das Kampagnenthema "Festung Europa - Schutzzone Deutschland": "Alle Europäer sitzen im selben Boot. Können wir die Außengrenzen unseres Kontinents nicht schützen, werden unsere Länder ihre Identität verlieren. Europas Völker würden ei24 Vgl. NPD-Parteiprogramm 2010, S. 13. 25 Vgl. Eugen Lemberg (1952): "Ein Europa der Völker", in: "Ostdeutsche Zeitung/Die Stimme der Heimat - Deutschland - Europa", Nr. 10, 09.03.1952. 40 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 nem beispiellosen Bevölkerungsaustausch zum Opfer fallen. Dann wird unsere Heimat schon bald nicht mehr wiederzuerkennen sein. Während die Osteuropäer das bereits erkannt haben, torkeln Deutschland und der Westen Europas weiterhin in Richtung Untergang."26 Der Begriff "Festung Europa" gehörte ab 1943 zur NS-Propaganda und zum Sprachgebrauch Adolf Hitlers.27 Der NPD-Bundesvorsitzende Frank Franz nutzt in diesem Zusammenhang den nationalsozialistischen Begriff der "Umvolkung". Die Themen "Innere Sicherheit" und "Flüchtlinge bzw. Bewahrung der ethnischen Homogenität der Deutschen" hat die NPD bereits seit dem Herbst 2018 in der Kampagne "Schafft Schutzzonen" gebündelt. Neben der Themensetzung im Internet und den sozialen Medien versucht die NPD auch öffentlich sichtbar zu sein, in dem sie behauptet, "Schutzstreifen" aufzustellen, die in orangefarbenen Westen in Einkaufzentren und an anderen Orten angeblich "Streife" laufen. Die Westen nutzen sie als Symbol gegen demokratische Parteien und demokratisch gewählte Entscheidungsträger, die die Deutschen nicht genug vor Übergriffen von Migranten schützen würden. Dabei kommt den Parteistrategen die - ideologisch zwar anders gelagerte - Kampagne der französischen "Gelbwesten" höchst gelegen. Antisemitische Anti-Soros-Kampagne Einerseits sollen die Warnwesten als Protestkleidung die Aufmerksamkeit für die NPD-Kampagne vor Ort steigern. Andererseits wird diese Protestform generell dazu genutzt, um die Institutionen der EU abzuwerten. Dabei bedient sich die NPD auch des populistischen Schlagworts der EUdSSR. Damit soll die Überzeugung zum Ausdruck gebracht werden, dass sich die EU zu einer Union sozialistischer Sowjetrepubliken entwickeln würde: "Die NPD lehnt die Schaffung einer EUdSSR entschieden ab, weil sie die Völker entmündigt und die europäischen Nationalstaaten noch umfassender in die Abhängigkeit der Brüsseler Zentralorgane treibt."28 In diesem Zusammenhang verunglimpft die NPD die EU zusätzlich als ein "undemokratisches Monster".29 26 Vgl. Homepage NPD-Bundesverband: "Der NPD-Europaparteitag - Das Motto" (letzter Zugriff am 18.03.2019). 27 Vgl. Stefan Kestler: "Nationalsozialistische Europakonzeptionen im Zweiten Weltkrieg. Darstellung ausgewählter Beispiele", in Armin Pfahl-Traughber, Monika Rose-Stahl: "Festschrift zum 25-jährigen Bestehen der Schule für Verfassungsschutz und für Andreas Hübsch", Brühl/ Rheinland, 2007, S. 237. 28 Vgl. Homepage NPD-Bundesverband: "Für ein Europa der Völker und starken Nationalstaaten!", 11.12.2017 (letzter Zugriff am 18.03.2019). 29 Vgl. Homepage NPD-Bundesverband: "Die EU - Ein undemokratisches Monster!", 30.01.2019 (letzter Zugriff am 18.03.2019). Rechtsextremismus 41 Die NPD nutzt die Gelbwesten-Proteste in europäischen Nachbarländern, um mit antisemitischen Verschwörungstheorien ihre Stammwählerschaft zu bedienen. Seit einigen Jahren hat sich der Verweis auf den amerikanischen Hedgefonds-Manager George Soros als globaler antisemitischer Code etabliert.30 Bei einer Demonstration belgischer Aktivisten aus dem Spektrum der Gelbwesten hieß es in einem Bericht auf der Wahlkampfseite von Udo Voigt: "Voigt erinnerte daran, daß der französische Präsident Macron, an dessen Politik sich im November letzten Jahres der Gelbwesten-Protest entzündet hatte, im Wahlkampf unter anderem von dem sattsam bekannten Mega-Spekulanten (...) George Soros sowie vom Bank-Magnaten David Rothschild und dem Bankhaus Goldman-Sachs mit Geldsummen in mehrstelliger Millionenhöhe unterstützt worden war. Der Bank-Koloß Rothschild bildete in der gesamten Wahlkampagne von (...) Macrons Wahlplattform (...) eine Konstante (...) während sich keine französische Bank dazu bereit erklärte, den Wahlkampf der politischen Opposition von Macron, Marine Le Pen, zu finanzieren."31 In mehreren Parlamentarischen Anfragen an die EU-Kommission nutzte der ehemalige NPD-Vorsitzende ebenfalls den antisemitischen Code und fragte nach Treffen von Soros' Organisation "Open Society European Policy Institute" (OSEPI) mit Mitgliedern des Europäischen Parlaments und Mitgliedern der Europäischen Kommission. Diese Kontakte klassifizierte er in verschwörungsideologischer Absicht als "brisant". "Wie begründet die Kommission die unterbliebene Information der Öffentlichkeit über die Vielzahl politisch brisanter Kontakte, die hohe EUFunktionäre über Jahre hinweg mit Soros und Funktionären seines Netzwerkes pflegten?", hieß es in der Anfrage.32 Zerschlagung der EU und Annäherung an Russland Konsequent wirbt die NPD für eine Zerschlagung der EU. Dazu dient die Kampagne "DEXIT jetzt! - Volksabstimmung zum EU-Austritt", die an das Ausscheiden Groß30 2015 wurde George Soros von europäischen Populisten vorgeworfen, maßgeblich für die Flüchtlingskrise 2015 verantwortlich zu sein. Die Verschwörungstheorie entfaltet deshalb besondere Macht, weil Soros große Summen für liberale Zwecke einsetzt. Sein Vermögen hat er zum Großteil der "Open Society Foundation" übertragen. Vgl. "Verschwörungstheorie um Milliardär wird global - George Soros als 'Rothschild des 21. Jahrhunderts'", manager magazin, 05.12.2018, http://www.manager-magazin.de/politik/weltwirtschaft/midterms-george-soros-alsobjekt-von-verschwoerungstheorien-a-1236820.html (letzter Zugriff am 18.03.2019). 31 Vgl. Homepage von Udo Voigt: "Gemeinsam sind wir stark!", 07.02.2019 (letzter Zugriff am 18.03.2019). 32 Vgl. "Anfrage zur schriftlichen Beantwortung E-000207-19 an die Kommission Artikel 130 der Geschäftsordnung Udo Voigt (NI)", 16.01.2019, http://www.europarl.europa.eu/doceo/ document/E-8-2019-000207_DE.html (letzter Zugriff am 18.03.2019). 42 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 britanniens aus der EU angelehnt ist. Das Kalkül der NPD: Wenn Deutschland als größter Nettozahler des Haushaltes der EU wegfiele, würde die EU automatisch zusammenbrechen. Eines der Instrumente zur Zerschlagung der EU ist der Zusammenschluss europäischer rechtsextremistischer Parteien, der "Alliance of Peace and Freedom" (APF), die 2015 gegründet wurde und zu der die Stiftung "Europe Terra Nostra" (ETN) gehört. ETN versucht, ähnlich wie die als "Neue Rechte" bezeichnete politische Strömung in Deutschland, kulturrevolutionäre Metapolitik zu betreiben. Metapolitik bedeutet, Stimmungen und Meinungen im vorpolitischen Raum einer Gesellschaft zu beeinflussen, um dann mehrheitsfähig zu werden. Im Vorstand der ETN ist der NPD-Funktionär Karl Richter vertreten, der als politischer "Theoretiker" und "Stratege" der Partei gilt. In einem ETN-Podcast mit dem Titel "Wir haben die Wahl: EUdSSR oder Europa der Vaterländer" skizzierte Richter die Vorhaben der NPD und der europäischen Rechtsextremisten. Bei seinen Einlassungen wird der Anti-Amerikanismus der NPD, der die Partei seit ihrer Gründung 1964 prägt, deutlich. Demnach hält die NPD eine strategische Kooperation Europas mit Russland für dringend geboten. Europa solle sich aus der "transatlantischen Umklammerung" der USA lösen und auf die "eurasische" Option, gemeint ist damit die strategische Zusammenarbeit mit Russland, setzen. Diese Position würde in letzter Konsequenz zu einer Auflösung der EU und der NATO führen. Die ETN bedient sich älterer konzeptioneller Überlegungen, die zum Teil auf die Vorgängerin der NPD, die rechtsextremistische "Deutsche Reichspartei" (DRP), rechtsextremistische Intellektuelle, wie Hans-Dietrich Sander, und vor allem den früheren NPD-Theoretiker Jürgen Schwab zurückgehen. Schwab forderte bereits im Jahr 2007 eine "europäische Großraumordnung" mit einer geostrategischen Achse Paris - Berlin - Moskau. "Der deutsche Nationalstaat ist Kernbestand des mitteleuropäischen Reiches, dieses wiederum ist Zentrum einer europäischen Großraumordnung, der auch Rußland, einschließlich Sibirien, angegliedert werden soll",33 formulierte Schwab. In dieser europäischen Großraumordnung forderte er eine Vormachtstellung Deutschlands. In erster Linie sei diese Großraumordnung von seinem Zentrum Deutschland her zu organisieren.34 Neuordnungsprinzip "Europäische Eidgenossenschaft" ("DER DRITTE WEG") "DER DRITTE WEG" hat seine europapolitischen Vorstellungen unter anderem in seinem "10-Punkte-Programm" benannt. Dieses Programm gilt als eine Art Grundsatzpapier und legt den stark neonationalsozialistisch geprägten Rechtsex33 Vgl. Jürgen Schwab, "Die Westliche Werte-Gemeinschaft. Abrechnungen, Alternativen", 2007, S. 368. 34 Vgl. ebd., S. 380. Rechtsextremismus 43 tremismus der Partei offen. Unter Punkt 9 geht die Partei auf die "Schaffung einer Europäischen Eidgenossenschaft" ein: "Ziel der Partei DER DRITTE WEG ist der Austritt aus der Europäischen Union (EU) und die Schaffung einer Europäischen Eidgenossenschaft auf Grundlage der europäischen Kulturen sowie der gemeinsamen Geschichte und ist getragen vom Willen und der Souveränität der europäischen Völker."35 Die Partei beklagt, dass man Europa die Souveränität geraubt habe: "Masseneinwanderung, Turbokapitalismus, Lobbyismus und die Knechtschaft durch internationalistische Bündnisse sind nicht nur deutschlandweite, sondern kontinentale Probleme. Die europäischen Völker werden stetig mehr an den Rand gedrängt und ihrer Souveränität beraubt. Diesen gesamteuropäischen Missständen können die Völker nur im Verbund entgegentreten."36 In diesem Zusammenhang fordert "DER DRITTE WEG" eine gemeinsame Außen-, Verteidigungsund Geopolitik Europas. Dieser Anspruch ist stark anti-amerikanisch und antisemitisch geprägt, wie die folgende Äußerung der Partei zeigt: "In den Fängen der NATO sind europäische Staaten Handlanger für imperialistische Bestrebungen der USA und Israels. Söhne unserer Völker leisten unter dem Deckmantel des 'Kampfes gegen den Terror' ihren Frondienst für fremde Interessen. (...) Damit muss Schluss sein! Eine gemeinsame europäische Außen-, Verteidigungsund Geopolitik ist Garantin für eine friedliche und antiimperialistische Ordnung auf unserem Kontinent. (...) In diesem Zusammenhang müssen sich die europäischen Völker von Bündnissen wie der NATO lösen und auch sämtliche US-Militäreinrichtungen in ihren Ländern schließen."37 Zum Schutze der Identität der europäischen Völker schlussfolgert "DER DRITTE WEG" ähnlich wie die NPD, dass Europa zur Festung werden müsse: "Nur durch die Festung Europa können sich unsere Völker vor dem Ansturm Millionen Fremder schützen und ihre jeweilige Identität erhalten."38 Der "DER DRITTE WEG" folgt dabei einem völkischbiologistischen Menschenbild. Für die Partei ist "heimatverbundene Politik (...) seit jeher auch eine Erhaltungspolitik der (...) biologischen Substanz des eigenen Volkes. Die Partei 'Der III. Weg' schätzt alle natürlich gewachsenen Völker und ihre kulturellen Leistungen. (...) Ein - der natürlichen Ordnung entgegenstehender - Internationalismus des 'Alle Menschen sind gleich' (...) ist deshalb zum Schutz der Völkervielfalt abzulehnen."39 35 Vgl. Homepage DER DRITTE WEG: "Zehn-Punkte-Programm", (letzter Zugriff am 18.03.2019). 36 Vgl. Homepage DER DRITTE WEG: "Europawahl 2019: 'Der III. Weg' tritt an!", 17.01.2019 (letzter Zugriff am 18.03.2019). 37 Vgl. ebd. (letzter Zugriff am 18.03.2019). 38 Vgl. ebd. (letzter Zugriff am 18.03.2019). 39 Vgl. ebd. (letzter Zugriff am 18.03.2019). 44 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Vorläufer im Rechtsextremismus und im Nationalsozialismus In der jüngeren Geschichte des Rechtsextremismus fand das Konzept der "Europäischen Eidgenossenschaft" auch bei der mittlerweile aufgelösten revisionistischen "Europäischen Aktion" (EA) Anwendung. Der einzige Unterschied zwischen der EA und der Kleinstpartei "DER DRITTE WEG" ist, dass sich die EA positiv auf Russland und seine Rolle in Europa bezog, während "DER DRITTE WEG" das aus seiner Verbundenheit zum ukrainischen nationalistischen "Freiwilligen Regiment" (Azow) nicht tut. Azow sieht sich als Bewegung zur völkischen Neugeburt der Ukraine auf Grundlage der nationalen und sozialistischen Weltanschauung. Die EA war ein Verbund europäischer, in der Mehrheit deutscher Revisionisten und Holocaustleugner. In ihren "Sieben Zielen der Europäischen Aktion" orientierte sich die EA unter der Überschrift "Schaffung einer Europäischen Eidgenossenschaft" auf die "Ablösung von EU und NATO durch ein europäisches Bündnis mit gemeinsamer Aussenund Verteidigungspolitik".40 Erreichen wollte die EA diese Ziele durch einen Abzug der USA aus Europa sowie der übrigen Westalliierten aus Deutschland und eine "europäische Friedensordnung durch Abschluss des seit 1945 ausstehenden Friedensvertrages".41 Europa sei außenund verteidigungspolitisch praktisch impotent, ein Anhängsel der Achse Washington-Jerusalem.42 Darüber hinaus strebte die EA eine enge Zusammenarbeit mit Russland an: "Europa wird schließlich mit Russland jene freundschaftlichen Abkommen abschließen können, die für beide Teile strategisch und wirtschaftlich notwendig sind, um autark zu werden und sich jederzeit gegen raumfremde Mächte behaupten zu können."43 Die EA orientierte sich vor allem an Vorstellungen von Europa, wie sie im Nationalsozialismus entwickelt wurden. Vorherrschend war in der NS-Zeit das Konzept der "Reichs-" oder "Großraumordnung", welches von Carl Schmitt eingeführt und begründet wurde. Europakonzepte, wie das der "Europäischen Eidgenossenschaft", wurden gegen Ende des Zweiten Weltkriegs vor allem im SS-Hauptamt in Berlin entworfen. Sie zielten auf ein aus Sicht der Nationalsozialisten zu schaffendes europäisches Kontinental-Bewusstsein, stießen aber auf keine nennenswerte Resonanz mehr bei der NS-Führung. 40 Vgl. Bernhard Schaub: "Die Europäische Aktion - Aufbau und Ziele der Europäischen Freiheitsbewegung", Eschenz, o.J., S. 8. 41 Vgl. ebd., S. 8. 42 Vgl. ebd., S. 28. 43 Vgl. ebd., S. 29. Rechtsextremismus 45 Neuordnungsprinzip "Europa der Vaterländer" ("Identitäre Bewegung Deutschland") Der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) geht es, wie der NPD und der Partei "DER DRITTE WEG", um die Bewahrung einer angenommenen ethnokulturellen Identität in Europa. Anders als die eben genannten rechtsextremistischen Parteien grenzt sich die IBD aber von deren aggressivem Rassismus und chauvinistischem Nationalismus ab. Stattdessen stützt sich die IBD auf das Konzept des Ethnopluralismus. Einen rassistischen Überlegenheitsanspruch weist sie von sich. Dem stellt die IBD das Konzept der "Identität" im Verbund mit Heimat, Tradition und Europa gegenüber: "Mit dem Wort identitär umfassen wir unsere lokale Zugehörigkeit zu einer regionalen Kultur, unsere Zugehörigkeit zu unserem Volk, sowie unser Selbstverständnis als Europäer. Diese Identitäten ergänzen und bestärken einander. Gerade heute sehen wir nämlich, dass die Welt nicht an Deutschlands Grenzen aufhört und wir ein starkes, geeintes Europa von Spanien bis Russland, von Griechenland bis Island brauchen, um unsere ethnokulturelle Identität zu verteidigen."44 Allerdings ist der europapolitische Bezug der IBD stark von Europa-Pathos geprägt, den die Gruppierung gegen die liberalen Demokratien Europas in Stellung bringt. Dazu dient die Formel vom "Europa der Vaterländer": "Wir wollen das geeinte Europa! Allerdings nicht an den Völkern vorbei, als zentralistischer Superstaat. Nicht als bürokratische, kosmopolitische Wirtschaftsgemeinschaft, die endlos und ohne Rücksicht auf Kultur expandieren will. Wir wollen ein Europa der Vaterländer, der Regionen und Nationen, indem diese sich, unter Bewahrung aller Verschiedenheiten, zu einer höheren Einheit zusammenfinden. Unsere gemeinsamen kulturellen Traditionen, unser gemeinsames Schicksal und unsere ethnokulturelle Verwandtschaft machen Europa aus. Nicht Wirtschaftsabkommen, Währungsund Handelszonen!"45 An anderer Stelle heißt es: "Unsere Forderung lautet daher: Europa der Vaterländer statt monströse EUBürokratie! Nur ein Europa der Vaterländer, verbunden durch die gemeinsame Geschichte und eine Kultur, die von der Antike bis zum heutigen Tag reicht, mit souveränen Nationalstaaten kann unsere Zukunft sein."46 Eng mit dem "Europa der Vaterländer" verknüpft ist die Kampagne "Der große Austausch", diese entspricht in weiten Teilen der oben genannten "Umvolkungs44 Vgl. Identitäre Bewegung auf "Wordpress": "Unser Weg führt nach Europa", (letzter Zugriff am 18.03.2019). 45 Vgl. ebd. 46 Vgl. Homepage Identitäre Bewegung: "Europa ist nicht die EU", 04.06.2017 (letzter Zugriff am 18.03.2019). 46 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 annahme". Die Feindbilder der IBD, Muslime und Flüchtlinge, werden hier miteinander verknüpft. Zur Europawahl will die IBD mit einer außerparlamentarischen Kampagne ihre "patriotische Vision für Europa" vermitteln. "Mittels starker Aktionen, Aufklärungsarbeit, Infoveranstaltungen und Präsenz auf der Straße adressieren wir die politischen Eliten Europas (...). Sie fordern mehr Europa, meinen jedoch die Ausdehnung ihres totalitären Herrschaftsanspruchs und die Forcierung des Großen Austauschs",47 heißt es in einem Aufruf. Mit der Kampagne der "Große Austausch" fokussiert sich die IBD nach Aussage ihres österreichischen Aktivisten Martin Sellner auf die Masseneinwanderung, die ihrer Ansicht nach zur schrittweisen Verdrängung der einheimischen Bevölkerung Europas führe.48 Letztendlich geht der Ethnopluralismus der IBD davon aus, dass das Zusammenleben unterschiedlicher ethnischer Gruppen in einem Land abzulehnen ist. Der Zuzug Fremder nach Deutschland sowie von Nicht-Europäern nach Europa ist daher aus ihrer Sicht drastisch zu beschränken. Vorläufer im Rechtsextremismus Die Urheberschaft für das Konzept "Europa der Vaterländer" ist fälschlicherweise dem früheren französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle zugeschrieben worden. Dieser hatte in Verhandlungen über eine vertiefte europäische Zusammenarbeit Anfang der 1960er Jahre das Konzept der supranationalen Integration (Schaffung europäischer Behörden) abgelehnt. Stattdessen hatte er unter der nüchternen Formel "Europa der Staaten" eine institutionalisierte Zusammenarbeit der europäischen Staaten angeboten.49 Urheber ist vielmehr der frühere außenpolitische Sprecher der DRP und spätere NPD-Vorsitzende Adolf von Thadden, der 1953 die westeuropäische Integration scharf ablehnte und stattdessen ein "Europa der Vaterländer" vorschlug.50 Allerdings hat die Formel vom "Europa der Vaterländer" in Verbindung mit de Gaulle immer wieder die Fantasien im rechtsextremistischen Lager angeregt und ist dort bis heute gebräuchlich. 47 Vgl. Homepage Identitäre Bewegung: "Werkstatt Europa - Veranstaltungshinweis", ohne Datum (letzter Zugriff am 18.03.2019). 48 Vgl. Martin Sellner: "Identitär! Geschichte eines Aufbruchs", Schnellroda, 2017, S.188f. 49 Vgl. Tim Geiger: "Atlantiker gegen Gaullisten. Außenpolitischer Konflikt und innerparteilicher Machtkampf in der CDU/CSU 1958-1969", München, S. 87. 50 Vgl. Carl-Christoph Schweizer: "Eiserne Illusionen. Wehrund Bündnisfragen in den Vorstellungen der extremen Rechten", Köln, 1969, S. 92. Rechtsextremismus 47 Weitere Visionen von Europa im rechtsextremistischen Spektrum ("MetaPol") Abseits der bekannten und mittlerweile einige Jahrzehnte alten rechtsextremistischen Neuordnungsvorstellungen für Europa gibt es Bestrebungen innerhalb des Rechtsextremismus, die sich mit neueren ideologischen Anregungen auseinandersetzen. Eine solche Internet-Plattform wird seit dem Jahr 2018 von Brandenburg aus gesteuert und nennt sich "MetaPol". Die Aktivisten, zumeist in ihren Parteien gescheiterte Neonationalsozialisten und ehemalige IBD-Mitglieder, betreiben diese Internet-Seite, sind verlegerisch tätig und veranstalten Seminare in Ostdeutschland, um über ihre völkischen Ansichten zu diskutieren. Sie sehen eine - aus ihrer Sicht positive - geopolitische Entwicklung der Welt hin zu einer multipolaren Welt. Danach sei die weltweite Hegemonie der USA durch Russland und China gebrochen worden. Allerdings bestehe der Einfluss der USA über Europa weiter, sowohl militärisch, als auch politisch-kulturell. Das wollen die Protagonisten ändern: "Daher muss es die Aufgabe patriotischer Kräfte sein, die verlogene Herrschaft des Liberalismus dort anzugreifen und zu hinterfragen, wo auch immer es möglich ist. (...) Wer sich in dieser Situation für einen Erhalt der amerikanischen Hegemonie, sei es auf kultureller oder militärischer Ebene, einsetzt, kann kein Verbündeter sein, sondern nur der Feind. Ergreifen wir die Gelegenheit, um Europa vom Joch der amerikanischen Hegemonie zu befreien - noch nie war die Gelegenheit so günstig und die Zeit so reif dafür!"51 An anderer Stelle heißt es: "Gelingt uns dies, kann die Europäische Zivilisation einen Platz in einer multipolaren Welt haben. Das bedeutet, dass Europa wieder zu einem Reich wird und sich von der Europäischen Union als Antieuropa und geschmacklose Imitation der USA verabschiedet. Dazu müssen wir uns vom Westen und damit explizit vom Liberalismus in jeder Form befreien, um unsere Geschichte wiederzugewinnen und Volk sein zu können."52 Die Texte auf der Internetplattform geben Aufschluss darüber, dass man bemüht ist, der angestaubten geopolitischen Vorstellung von einem Deutschland als hegemonialem Reich in Europa weitere Impulse einzuhauchen. Fündig ist man dabei in Russland und Frankreich geworden. Man beschäftigt sich beispielsweise mit Texten von Alexandr Dugin, einem einflussreichen Intellektuellen in Russland und "Shooting Star" der rechtsextremistischen Szene in Deutschland. Er gilt als 51 Vgl. Homepage Gegenstrom (Metapol): "Die Multipolare Welt - gestern noch ein Traum, heute bereits Realität", 07.11.2018 (letzter Zugriff am 18.03.2019). 52 Vgl. ebd. 48 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 radikaler Gegner des Liberalismus und vertritt anti-individuelle, kollektivistische und anti-amerikanisch geprägte Auffassungen. Dugin ist stark von der antidemokratischen "Konservativen Revolution" der Weimarer Republik geprägt. Seine als "neueurasisch" bezeichnete Denkrichtung ist auf Expansion und der Stiftung imperialer Herrschaftsräume ausgerichtet. Das Weltbild der "Neueurasier" ist zudem von Verschwörungsideologie geprägt und will den Liberalismus des Westens militärisch bezwingen.53 In eine ähnliche Richtung gehen die Ideen des antiliberalen und antisemitischen französischen Rechtsintellektuellen Guillaume Faye, mit dem sich die Plattform beschäftigt. In seinen Schriften entwirft Faye das Bild eines von Katastrophen gebeutelten Europas, das sich der Massenansiedlung afrikanischer und asiatischer Migranten nicht mehr widersetzen kann. Als Erlösung präsentiert er die Idee eines eurosibirischen Reiches, welches ganz Europa und Russland umfasst und in dem die Identität Europas erhalten werden soll. In der rechtsextremistischen Szene kommen solche Entwürfe einer zukünftigen imperialen oder auf völkischen Prinzipien basierenden neuen Welt gut an, weil sie die Hoffnung auf Macht oder eine Machtübernahme bedienen. Ausblick Wie oben dargestellt wird, orientieren sich bedeutende Teile der rechtsextremistischen Szenen Europas zusehends an Russland und geben sich totalitären Großmachtsfantasien in Form einer geostrategischen Neuordnung hin. Die ursprünglich jeweils nationalistisch ausgerichteten Rassismen werden hierbei transnational entgrenzt, sodann in einen gemeinsamen eurasischen 'Soljanka-Rassismus' überführt und gleichzeitig mit identitär-kulturalistischen Konstrukten aufgeladen. Als integrativ-ideologische Schmiermittel dienen Antisemitismus, Ablehnung des als dekadent betrachteten Westens, Anti-Amerikanismus, ein um nationalsozialistische Versatzstücke erweiterter Antiimperialismus und Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft. Diese Ideologie ist teilweise anschlussfähig an linksextremistische Sichtweisen und wird von populistischen Strömungen tendenziell ebenso befeuert. Im Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Wladimirowitsch Putin, sehen sie eine Art Messias, der sie vom Joch des Westens befreien soll. Die Zielsetzungen zumindest der extremistischen Akteure sind die Zerstörung der freiheitlichen Demokratien, Austritt aus und Zertrümmerung der Europäischen Union, Austritt aus der NATO, vollständige geopolitische Ost-Ausrichtung und totale Abschottung insbesondere gegenüber Migration aus kulturfremden Räumen 53 Vgl. Samuel Salzborn: "Angriff der Antidemokraten", Weinheim, 2017, S. 147-162. Rechtsextremismus 49 im Sinne der identitär-kulturalistischen Neu-Konstruktion. Da Versatzstücke dieser Ideologie verstärkt über populistische Strömungen Verbreitung finden, kann ein weiteres Umsichgreifen die freiheitlichen Demokratien des Westens durchaus von innen heraus erschüttern. Die von ihnen gemeinsam repräsentierte Wertegemeinschaft soll schließlich über die Etablierung einer neuen Großkonfliktlinie im innersten Zentrum der politischen Kultur angegriffen werden. Dieser Angriff ist total und von grundsätzlicher Natur. Er wird insbesondere über das Internet mit seinen alternativen und sozialen Medien schlagkräftig geführt. 50 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz / Verbreitung Bundesverband: Berlin; bundesweite Strukturen Gründung / Bestehen Bundespartei seit 1964 eigenständiger Landesverband Brandenburg seit 2003 Struktur / Repräsentanten Bundesvorsitzender: Frank Franz (seit 2014) Landesvorstand der NPD Brandenburg laut Webseite: Vorsitzender: Klaus Beier (seit 2004) stellv. Vorsitzende: Ronny Zasowk und Thomas Salomon Schatzmeisterin: Aileen Rokohl Pressesprecher: Florian Stein Organisation: Michel Müller und Robert Wolinski Struktur des Landesverbandes: insgesamt elf Kreisverbände; nach eigener Darstellung insgesamt 42 Mandate in Kommunalvertretungen des Landes Brandenburg Ergänzende Informationen: Zasowk ist seit 2014 auch stellvertretender Vorsitzender der Bundespartei, Beier nimmt das Amt des Bundesgeschäftsführers der NPD wahr und Stein arbeitete zugleich für den NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Im Land Brandenburg hat die NPD etwa 280 Mitglieder. Veröffentlichungen Publikation des Bundesverbandes: Deutsche Stimme (monatlich) Publikation für Brandenburg: "Zündstoff - Deutsche Stimme für Berlin und Brandenburg" (quartalsweise) Web-Angebote: Bundesverband: NPD.de und BlickpunktTV auf einem Videoportal Landesverband: npd-brandenburg.de Die brandenburgischen Kreisverbände betreiben zum Teil eigene Homepages beziehungsweise Facebook-Seiten. Rechtsextremismus 51 Kurzportrait / Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist die älteste rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik. Sie vertritt rassistische, antisemitische und revisionistische Positionen. Ihr Ziel ist die Beseitigung der Demokratie. Die NPD greift dabei auf die Ideologie der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) von Adolf Hitler zurück. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche Demokratie in Deutschland ab und strebt ihre Beseitigung an. Wesentliche Prinzipien des Grundgesetzes werden von ihr verworfen. Das gilt beispielsweise für die unantastbare Würde des Menschen. Die NPD ordnet diese Würde einem nationalen Kollektivismus unter. Sie strebt einen autoritären Staat an, in der die freiheitliche demokratische Grundordnung ihre Geltung verliert. An deren Stelle will sie auf Grundlage ihrer rechtsextremistischen Ideologie eine auf Rassismus beruhende "Volksgemeinschaft" setzen. Die Zugehörigkeit zu dieser "Volksgemeinschaft" beruht ausschließlich auf ethnischen Abstammungskriterien. Wer diesen nicht genügt, soll ausgegrenzt und damit entrechtet werden. Demnach lehnt die NPD die Gleichheit aller Menschen als allgemeines Menschenrecht nach Art. 3 des Grundgesetzes ab. Im Jahr 2018 setzte die Partei ihre gegen Migranten und insbesondere gegen Muslime sowie Flüchtlinge gerichtete Hetze fort. Damit einher geht das Schüren von Ängsten vor einer angeblichen Überfremdung. Das Bundesverfassungsgericht entschied am 17. Januar 2017, die NPD wird nicht verboten. Jedoch bescheinigte das Gericht der NPD, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen: "Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vertritt ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten "Volksgemeinschaft" ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin.[...] Das Konzept der 'Volksgemeinschaft', die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung lassen deutliche Parallelen zum Nationalsozialismus erkennen. Hinzu kommen das Bekenntnis zu Führungspersönlichkeiten der NSDAP, der punktuelle Rückgriff auf Vokabular, Texte, Liedgut und Symbolik des Nationalsozialismus sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen, die eine Verbundenheit zu52 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 mindest relevanter Teile der NPD mit der Vorstellungswelt des Nationalsozialismus dokumentieren. Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem Nationalsozialismus bestätigt deren Missachtung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung."54 Die Partei verfolgt ihre verfassungsfeindlichen Ziele überdies in einer aggressivkämpferischen Weise. Dies zeigt nicht zuletzt ihre Zusammenarbeit mit gewaltbereiten Neonationalsozialisten und Hooligans. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die NPD unterhielt im Jahr 2018 in Brandenburg nach eigener Darstellung folgende Kreisverbände: Barnim, Dahmeland, Havel-Nuthe, Lausitz, Niederlausitz, Oberhavel, MärkischOderland, Oderland, Prignitz-Ruppin und Uckermark. Kreisverband Barnim (BAR) Der Kreisverband Barnim besteht seit Beginn des Jahres 2017 als eigenständiger Kreisverband. Vorsitzende ist Aileen Rokohl. Als Untergruppierung des Kreisverbands werden die Ortsbereiche beziehungsweise Stadtverbände Bernau (BAR) und Joachimsthal (BAR) benannt. Mit verschiedenen Aktionen versucht der Kreisverband sich öffentlich ins Licht zu rücken. Dies sind beispielsweise Verteilaktionen des NPD-Blatts "Deutsche Stimme", die Organisation von Stammtischen sowie die Pflege von Gedenkstätten und Gräbern der Gefallenen beider Weltkriege. Letztgenanntes erfolgt beispielsweise traditionell zum Volkstrauertag, den Neonationalsozialisten als "Heldengedenken" begehen. Im April 2018 beteiligte sich der Kreisverband an einer Wanderung der Parteijugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) Berlin durch den Barnim und an einem wenig erfolgreichen "Aktionstag" des NPD-Landesverbandes im Landkreis Märkisch-Oderland. Im Sommer wurde der Entschluss gefasst, sich an der bundesweiten NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen" zu beteiligen. In einem Internetbeitrag der NPD Barnim heißt es am 7. Juli 2018: "Die nächste Schutzzone in Brandenburg [ist] bei der Arbeit. Auch im Barnim wird nun wieder für Sicherheit und Ordnung gesorgt! Wenn der Staat uns Bürger nicht schützt, müssen wir uns selber schützen."55 54 Bundesverfassungsgericht: "Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele" (Pressemitteilung), 17.01.2017, https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2017/bvg17-004. html (abgerufen am 23.04.2018). 55 Facebook-Seite NPD Barnim, 07.07.2018 (Zugriff am 10.07.2018). Rechtsextremismus 53 Im Rahmen der Kampagne sollen mit "Streifengängen" und Sicherheitsaktionen Ängste vor Migrantinnen und Migranten geschürt werden. Die NPD will sich als Kümmerer und Ordnungshüter im öffentlichen Raum inszenieren sowie das Gefühl von Sicherheit vermitteln, um so das staatliche Gewaltmonopol in Frage zu stellen. In einzelnen Orten soll es "Streifengänge" und eine Rundfahrt durch den Barnim gegeben haben, auf denen auch Werbematerialien verteilt worden sein sollen. Am 7. August 2018 wird auf dem Facebook-Profil der "Schutzzone Barnim" unter der Überschrift "Hetzjagd in Bernau" der Aufruf "Schafft Schutzzonen!" begründet mit: "Lasst es nicht zu, dass Fremde in Eurer Stadt zur Bedrohung werden." 56 Zur bundesweiten NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen" zählt ebenso die "Schulweg-Wache". Am 26. September 2018 organisierten unter anderem die Vorsitzende des NPD-Kreisverbandes und der NPD-Bundesvorsitzende vor einer Grundschule in Zepernick (BAR) eine solche Aktion, um eigenen Angaben zufolge "im Rahmen der Schulweg-Wache für Sicherheit zu sorgen". Denn: "Die Schutzzonen-Kampagne bedeutet mehr als 'nur' Bürgerstreifen. Hier wird an die Kleinsten gedacht!" Zwei der drei Beteiligten trugen dabei rote Westen mit der Aufschrift "SCHUTZZONEN - SCHULWEGWACHE".57 Hieran wird deutlich, dass der Kreisverband Barnim zumindest punktuell in der Lage ist, Kampagnen und Inhalte der Bundespartei in den lokalen Raum zu transportieren. Kreisverband Dahmeland (LDS und TF) Der wenig aktive Kreisverband umfasst das Einzugsgebiet der Landkreise Dahme-Spreewald und Teltow-Fläming. Von diesem Kreisverband gehen keine bedeutsamen öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten aus. Einzig der Facebook-Auftritt wird noch mit Inhalten, die fast nie regionale Relevanz besitzen, befüllt. Kreisverband Havel-Nuthe (HVL, PM, Potsdam und Brandenburg an der Havel) Vorsitzender des Kreisverbands ist nach wie vor Michel Müller aus Rathenow (HVL). Die Facebook-Profile des Kreisverbandes wurden zwar 2018 gepflegt, lassen aber nur wenige regionale Bezüge erkennen. Konkrete Parteiaktivitäten waren im Jahr 2018 dagegen kaum wahrnehmbar. Dieses ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass die Personaldecke der NPD Havel-Nuthe sehr dünn ist. Einzig Andre Schär aus Bad Belzig (PM) war noch regelmäßig für den Kreisverband aktiv. Infostände, Plakatierungen und Veröffentlichungen als kommunaler NPD56 Facebook-Seite "Schutzzone Barnim", 07.08.2018 (Zugriff am 08.08.2018). 57 Facebook-Seite NPD Barnim, 26.09.2018 (Zugriff am 26.09.2018). 54 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Mandatsträger belegen dieses. So fand die einzig größere Veranstaltung der regionalen NPD in Bad Belzig statt. Am 30. Juni 2018 hielt der Landesverband eine Veranstaltung unter dem Motto "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!" ab. Neben Andre Schär und Ronny Zasowk hielt der NPD-Bundesvorsitzende eine Rede. Die Themen waren einmal mehr die "Massenzuwanderung" und das Projekt "Schafft Schutzzonen". Ende Oktober 2018 soll eine Bestreifung der Stadt im Rahmen dieser Kampagne stattgefunden haben.58 Der Stadtverband Potsdam entfaltet bis auf die obligatorischen Facebook-Seiten keine öffentlichkeitswirksamen Aktionen. Dies bestätigt die Annahme, dass die Personaldecke der NPD in der Landeshauptstadt extrem dünn ist und hier nur Größe und Aktionismus vorgetäuscht werden sollen. Kreisverband Lausitz (Cottbus und SPN) Am 22. April 2018 wurde auf einer Mitgliederversammlung die Teilung des NPDKreisverbandes Lausitz vollzogen. Es existieren nunmehr zwei eigenständige Kreisverbände: der neue Kreisverband Lausitz (Cottbus, SPN) und der Kreisverband Niederlausitz (OSL, EE). Hauptthema des Kreisverbandes Lausitz war im Jahr 2018 der Protest gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Nachdem die in den Vorjahren durchgeführten Mahnwachen aus Sicht der NPD nicht den gewünschten Erfolg in der Öffentlichkeit erzielt hatten, versuchte der Kreisverband 2018 mit anderen Protestformen auf sich aufmerksam zu machen. Anfang des Jahres 2018 wandte sich der NPD-Kreisverband Lausitz mit einem Brief an mehrere Schulen der Stadt Cottbus. Inhalt war die Sicherheit an Schulen, die der Kreisverband unter anderem durch "staatlichen Kontrollverlust" in Gefahr sah. Die NPD bot daher während der Schulzeit Schutz durch Bürgerstreifen sowie Ausbildungen zum Thema "Selbstschutz und Gefahrenabwehr" an. Am 31. Januar 2018 verteilten mehrere NPD-Mitglieder unter der Überschrift "Unsere Frauen sind kein Freiwild" Flyer mit asylkritischen Inhalten an Passanten. Frauen erhielten zudem Reizgas-Flaschen zur Selbstverteidigung. Im Sommer 2018 sattelte der NPD-Kreisverband auf die bundesweite Kampagne "Schafft Schutzzonen" auf. Die NPD Cottbus veranstaltete eigenen Angaben zufolge daraufhin fast wöchentlich "Schutzzonen"-Streifen in Cottbus. Auch in Guben (SPN) will die Partei derartige Streifen durchgeführt haben, allerdings nicht in der Häufigkeit wie in Cottbus. Entgegen eigener Erwartungen bescherten die vermeintlichen Streifen dem NPD-Kreisverband jedoch weder öffentliche Wahrnehmbarkeit noch einen feststellbaren Zulauf. Die anhaltende personelle Schwäche der 58 Facebook-Seite "Schutzzone",13.10.2018 (Zugriff am 24.01.2019). Rechtsextremismus 55 NPD Lausitz wurde 2018 beispielsweise an einer vom Landesverband initiierten Veranstaltung am 17. März in Spremberg (SPN) deutlich. An der Demonstration unter dem Motto "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt! - NPD = Ihre Sicherheitspartei!" nahmen nur 25 Personen teil, darunter viele NPD-Funktionäre, die nicht einmal aus dem Kreisverband stammen. Kreisverband Niederlausitz (OSL und EE) Der aus der oben beschriebenen Spaltung hervorgegangene Kreisverband hat seine Gründung nicht genutzt, um eigene Akzente zu setzen. Stattdessen verharrt er weitestgehend in Inaktivität. Der Kreisverband verfügt zwar über einen eigenen Facebook-Auftritt, die dort eingestellten Beiträge berichten jedoch zumeist über Veranstaltungen anderer NPD-Strukturen. Kreisverband Oberhavel (OHV) Der NPD-Kreisverband Oberhavel, der älteste Kreisverband im Land Brandenburg, gliedert sich in die beiden Stadtverbände Oranienburg und GranseeZehdenick (beide OHV). Zwei Abgeordnete der NPD sind im Kreistag vertreten. Zudem sitzt je ein NPD-Mitglied in den Stadtverordnetenversammlungen Oranienburg, Kremmen und Velten sowie in der Gemeindevertretung Oberkrämer (alle drei OHV). Bereits seit 2013 führt Burkhard Sahner den Kreisverband an. Wesentlich präsenter in der Öffentlichkeit ist jedoch der Veltener Stadtverordnete, Robert Wolinski, der intensive - auch überregionale - Kontakte in die neonationalsozialistische Szene unterhält, insbesondere in die rechtsextremistische Musikszene. Im Jahr 2018 geriet Wolinski als einer der Akteure des "Projekt HABULA e. V." in die Schlagzeilen. Hierbei handelt es sich um einen Drachenbootverein aus Velten, der in der Gesamtschau eine rechtsextremistische Ausrichtung aufweist. Über seine Aktivitäten berichtet der NPD-Kreisverband auf einer eigenen Facebook-Seite. Breiten Raum nimmt dort die Hetze gegen Flüchtlinge ein. Es wird aber auch über eigene Aktionen, wie das Verteilen der NPD-Zeitung "Deutsche Stimme" und die Durchführung von Vortragsveranstaltungen oder Infoständen berichtet. Gelegentlich finden auch soziale Themen, wie Kinderarmut, bezahlbarer Wohnraum oder die örtliche Feuerwehr Erwähnung. Deutlich später als andere NPD-Strukturen im Land Brandenburg stieg im Oktober 2018 der Kreisverband Oberhavel in die Kampagne "Schafft Schutzzonen" ein. In der Folgezeit sollen in Oranienburg mehrfach die bereits beschriebenen "Streifengänge" stattgefunden haben. Es gelang jedoch dem Kreisverband Oberhavel nicht, 56 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 mehr als eine Handvoll Mitstreiter zur Teilnahme zu motivieren. Obwohl der NPD-Kreisverband im Jahr 2018 durchaus aktiv war, konnte er keinen Zulauf verbuchen. Kreisverband Märkisch-Oderland (MOL) Der Kreisverband inklusive des Stadtverbandes Strausberg (MOL) ist nach wie vor schwach aufgestellt. Wie schon in den Jahren zuvor trat er 2018 kaum in Erscheinung. Am 28. April 2018 versuchte der NPD-Landesverband mit einem Aktionstag im Landkreis für die NPD zu werben. Es wurden Infostände in mehreren Orten aufgebaut, unter anderem in Fredersdorf, Müncheberg, Rüdersdorf und Seelow (alle MOL). Am Aktionstag beteiligten sich der NPD-Landesverband mit seinem Vorsitzenden sowie Vertreter der NPD-Kreisverbände Barnim, Oberhavel und Lausitz. Kreisverband Oderland Der Kreisverband Oderland umfasst geografisch die Stadt Frankfurt (Oder) und den Landkreis Oder-Spree. Die Vorsitzende des Kreisverbandes ist die langjährige Parteifunktionärin Manuela Kokott, die zugleich auch Mitglied der Gemeindevertretung Spreenhagen (LOS) ist. Kokott ist eine der führenden Aktivistinnen der brandenburgischen NPD und maßgeblich dafür verantwortlich, dass der Kreisverband zu den aktiveren im Land zählt. Mitglieder des Kreisverbandes waren 2018 wieder regelmäßig auf rechtsextremistisch geprägten Versammlungen vertreten. So beteiligten sie sich zum Beispiel am "Tag der politischen Gefangenen" am 18. März 2018 in Potsdam und an einem Protesttag unter der Überschrift "Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen" am 1. Mai 2018 in Erfurt (Thüringen). Darüber hinaus waren Mitglieder des Kreisverbandes an einer überregionalen Demonstration zum Todestag des Hitlerstellvertreters Rudolf Heß am 18. August 2018 in Berlin anwesend. Der Kreisverband unterhält eine Präsenz im sozialen Netzwerk Facebook. Dort wiederum hat die Aktivität im Vergleich zu den Vorjahren merklich nachgelassen. Trotzdem wird über das Facebook-Profil weiterhin entsprechendes Gedankengut verbreitet. So wurde anlässlich des Kriegsendes am 8. Mai 1945 ein Gedicht eines bekannten Neonationalsozialisten verbreitet, in dem die Befreiung Deutschlands infrage gestellt und zugleich suggeriert wird, dass das Volk über den Krieg "mit Lügen und Fälschungen zugemüllt" wird.59 Vermutlich sollte damit auf die in 59 Facebook-Seite NPD Oderland, 08.05.2018 (Zugriff am 09.05.2018). Rechtsextremismus 57 rechtsextremistischen Kreisen weit verbreitete "Holocaust-Lüge" angespielt werden, was zeitlich zu dem einen Tag vorher über die Seite verbreiten Aufruf zur Solidarisierung mit der inhaftierten notorischen Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck passt.60 Kreisverband Prignitz-Ruppin (OPR, PR) Der Kreisverband Prignitz-Ruppin umfasst die Landkreise Ostprignitz-Ruppin und Prignitz. Vorsitzender ist Peter Börs. Als regionale Untergruppierung ist der Stadtverband Neuruppin (OPR) aktiv, der zugleich den eigentlichen Motor für den gesamten Kreisverband darstellt. Ein NPD-Mitglied ist in der Stadtverordnetenversammlung Neuruppin vertreten. Hierbei handelt es sich um den Neonationalsozialisten Dave Trick, der somit als Bindeglied zwischen der regionalen neonationalsozialistischen Szene, speziell den "Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland", und der NPD fungiert. Die Verflechtungen sind jedoch nicht nur personeller, sondern auch organisatorischer Art. So weisen beispielsweise die Internetpräsenzen der NPD Neuruppin und der "Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland" viele Schnittstellen auf. Sowohl der NPD-Kreisverband als auch die NPD Neuruppin unterhalten eigene Facebook-Auftritte. Es werden vergleichsweise wenig eigene Beiträge eingestellt, stattdessen werden Veröffentlichungen anderer NPD-Strukturen verbreitet beziehungsweise Presseartikel kommentiert. Hauptsächlich handelt es sich um Hetze gegen Flüchtlinge. Nachdem der Kreisverband Anfang des Jahres 2018 auf Facebook noch über eigene Aktionen, wie dem Verteilen von Tränengas am 3. Februar 2018 in Neuruppin, berichten konnte, ließen die Aktivitäten des Kreisverbandes in der zweiten Jahreshälfte deutlich nach. Am 9. Februar 2018 veranstaltete der NPD-Stadtverband Neuruppin gemeinsam mit den "Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland" und den "Freien Kräften Prignitz" zudem eine Mahnwache unter dem Motto "Kriminelle Ausländer und Scheinasylanten raus". Daran nahmen immerhin rund 50 Personen teil, was zeigt, dass die NPD in der Prignitz und im Ruppiner Land durchaus noch über ein gewisses Mobilisierungspotenzial verfügt. Auch beim NPD-Kreisverband Prignitz-Ruppin wurde 2018 der Versuch unternommen, "Schutzzonen-Streifen" zu etablieren. Nach einer Auftakt-Aktion gemeinsam mit den "Freien Kräften" im Juni 2018 in Neuruppin verlief die Kampagne aber im Sande. 60 Facebook-Seite NPD Oderland, 07.05.2018 (Zugriff am 08.05.2018). 58 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Kreisverband Uckermark (UM) Der Kreisverband Uckermark besteht als eigenständiger Kreisverband seit Beginn des Jahres 2017. Vorsitzender ist Thomas Haberland. Als Untergruppierung des Kreisverbands Uckermark werden die Ortsbereiche beziehungsweise Stadtverbände Prenzlau (UM) und Schwedt/Oder (UM) benannt. Im Jahr 2018 wurde im Landkreis Uckermark seitens der NPD einiges versucht, um den eigenen Bedeutungsverlust sowie dem damit einhergehenden Bedeutungszuwachs der Partei "DER DRITTE WEG" etwas entgegenzusetzen. So organisierte die NPD in der Uckermark einige Verteilaktionen ihrer Zeitung "Deutsche Stimme". Zudem hielt die Partei mehrere Mahnwachen in Prenzlau, Schwedt/Oder und Angermünde (UM) ab und demonstrierte am 13. Oktober 2018 in der Prenzlauer Innenstadt. An dieser maßgeblich vom Landesverband initiierten Demonstration unter dem Motto "Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt!" nahmen letztlich nur etwa 25 Personen teil. Diese geringe Resonanz belegt einmal mehr die anhaltende strukturelle Schwäche der NPD in der Uckermark. Darüber hinaus beging die NPD im Jahr 2018 in der Uckermark wieder ihre "Gedenkfeiern" anlässlich einschlägiger Ereignisse der deutschen Geschichte. So wurde im Internet unter der Überschrift "8. Mai? Wir feiern nicht!" darüber berichtet, dass Mitglieder des NPD-Ortsbereichs Schwedt/Oder Blumen und Kerzen in Flemsdorf, Angermünde, Vierraden und Schwedt/Oder (alle vier UM) niederlegten, "um an die Taten der Besatzer zu erinnern. Denn: Befreier vergewaltigen nicht! Befreier plündern nicht! Befreier morden nicht! 8. Mai? Wir feiern nicht!"61 Unterzeichnet wurde der Beitrag von David Weide, der für die NPD im Kreistag Uckermark und in der Stadtverordnetenversammlung Schwedt/Oder sitzt. Zudem legten Mitglieder der NPD Uckermark anlässlich des "Heldengedenkens" im November 2018 in Angermünde und Schwedt/Oder Gestecke nieder und zündeten Kerzen an.62 Junge Nationalisten (JN) Die "Jungen Nationalisten" (JN) befanden sich im Jahr 2018 auf Bundesebene und im Land Brandenburg in einer tiefen Krise. Öffentlich ist die Jugendorganisation der NPD quasi nicht mehr in Erscheinung getreten. In Brandenburg fiel der erst 2014 gegründete Landesverband nach der Ablösung des Landesvorsitzenden Pierre Dornbrach im März 2016 fast vollständig in sich zusammen. Die 61 Facebook Seite David-Weide, 08.05.2018 (Zugriff am 09.05.2018). 62 Facebook Seite David-Weide, 16.11.2018 bzw. 17.11.2018 (Zugriff am 19.11.2018). Rechtsextremismus 59 JN Brandenburg war 2018 nahezu inaktiv. Ihrem Anspruch, eine völkisch-elitäre Kaderschmiede der NPD zu sein, wurde die JN hier nicht annähernd gerecht. Im Januar 2018 führten die JN ihren Bundeskongress in Riesa (Sachsen) durch. Nichts weniger als ein kompletter Neustart mit dem neu gewählten Bundesvorsitzenden Christian Häger aus Rheinland-Pfalz war das Ziel. Verdeutlicht wurde dies unter anderem durch eine Umbenennung der Jugendorganisation. Aus den langjährigen "Jungen Nationaldemokraten" wurden die "Jungen Nationalisten". Zu einer Wiederbelebung der Aktivitäten in Brandenburg hat dieser erhoffte, aber bisher vollständig gescheiterte Neuanfang jedenfalls nicht geführt. Projekt "Schafft Schutzzonen" (Bundespartei) Vorgeblich um die Sicherheit im öffentlichen Raum zu erhöhen, initiierte die NPD im vergangenen Jahr das Projekt "Schafft Schutzzonen". Dabei soll einer vermeintlich ausufernden Kriminalität von Migranten durch "nationale Streifen" begegnet werden. Ausdrücklich wird zur Bildung von Bürgerwehren aufgerufen. Maßgeblicher Akteur in Brandenburg ist der Cottbuser Ronny Zasowk. Die Einsätze der selbsternannten nationalen Bürgerstreifen werden auf Facebook dokumentiert. Danach sollen angeblich etwa 40 nationale Streifen in Brandenburg stattgefunden haben; teils handelte es sich um kurze Aktionen zur medialen Selbstdarstellung. Der Aktionsschwerpunkt lag mit angeblich 19 Streifen in Cottbus. Offensichtlich versucht die NPD hier am "Erfolg" des Vereins "Zukunft Heimat" zu partizipieren. Es bleibt festzustellen, dass das Projekt "Schafft Schutzzonen" der NPD eher als Imagekampagne dazu dienen soll, die eigene Partei aus der Bedeutungslosigkeit zu heben und sich als verlässlicher Partner für Sicherheit und Ordnung darzustellen. Letzteres gilt allerdings nur für Deutsche. Wenn aber Mitglieder und Sympathisanten einer verfassungsfeindlichen Organisation, die es zum Teil selbst nicht so genau mit den Gesetzen nehmen, durch ihr öffentliches uniformiertes Auftreten offen das Gewaltmonopol des Staates in Frage stellen, dürfte eine derartige Kampagne für die NPD wohl kaum medial positiv und gewinnbringend zu transportieren sein. Bewertung / Ausblick Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei, die sich über Jahre als Schutzschirm für Kameradschaften und andere Rechtsextremisten anbot. Diese nutzten die Möglichkeit sehr intensiv, unter dem gesetzlichen Schutz des Parteienprivilegs ihren neonationalsozialistischen Geschäften in der NPD nachzugehen. Jedoch verliert die NPD durch Konkurrenz der Kleinstpartei "DER DRITTE WEG" dieses Monopol zusehends. Auf viele Rechtsextremisten wirkt "DER DRITTE WEG" anziehender. Im Mittelpunkt der NPD-Parteiarbeit werden die anstehen60 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 den Wahlen des Jahres 2019 stehen. Dass sie sowohl bei den Kommunal-, Landtagsals auch bei den Europawahlen nennenswerte Erfolge erzielen kann, darf bezweifelt werden. Die NPD Brandenburg lebt von einigen wenigen Multifunktionären. Schon der Ausfall eines Aktivpostens kann zur Stagnation ganzer Kreisverbände führen. Schon im wenig koordinierten Bundestagswahlkampf 2017 wurde deutlich, dass kaum noch jemand landesweit öffentlich für die Partei Flagge zeigen wollte. Zugleich macht sich die Konkurrenz durch die rechtspopulistische AfD bemerkbar. Rechtsextremismus 61 DER DRITTE WEG Sitz / Verbreitung Bundesverband: Weidenthal (Rheinland-Pfalz); Verbreitung hauptsächlich in Südund in Ostdeutschland Gründung / Bestehen 28. September 2013 in Heidelberg Struktur / Repräsentanten Bundesvorsitzender: Klaus Armstroff; Vorsitzender "Gebietsverband Mitte": Matthias Fischer (auch stellvertretender Bundesvorsitzender) Struktur im Land Brandenburg: Zuständig für das Land Brandenburg ist der "Gebietsverband Mitte". Die zwei in Brandenburg aktiven Stützpunkte "Uckermark" und "Potsdam/Mittelmark" sind Bestandteil dieses Gebietsverbands. Ergänzende Informationen: Entgegen des herkömmlichen Parteiaufbaus mit Landesund Kreisverbänden unterhält die Partei "DER DRITTE WEG" unterhalb der Bundesebene vier Gebietsverbände. Innerhalb der einzelnen Gebietsverbände sind unterschiedliche regionale Stützpunkte aktiv. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Im Land Brandenburg hat die Partei "DER DRITTE WEG" etwa 40 Mitglieder. Die Tendenz ist dabei leicht ansteigend. Veröffentlichungen Web-Angebote: der-dritte-weg.info sowie diverse Profile in sozialen Netzwerken und auf Videoportalen Kurzportrait / Ziele Die Partei wurde zunächst unter Beteiligung einzelner ehemaliger NPD-Mitglieder und Neonationalsozialisten aus Rheinland-Pfalz sowie Hessen gegründet. 2014 zeichnete sich in Bayern ein Verbot des neonationalsozialistischen Netzwerks "Freies Netz Süd" ab. Daraufhin ist ein Teil der Betroffenen ebenfalls der Partei "DER DRITTE WEG" beigetreten, um staatlichen Verbotsmaßnahmen zu entgehen. Sie nutzen also gezielt den Schutz des Parteienprivilegs, um ihre neonatio62 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 nalsozialistischen Aktivitäten fortzusetzen. Finanzierung Überwiegend durch Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit "DER DRITTE WEG" vertritt ein rechtsextremistisches Staatsund Gesellschaftsbild. Insbesondere völkisch-nationalistische Elemente des Nationalsozialismus werden aufgegriffen. Sein 10-Punkte-Programm ist ideologisch an das Gedankengut der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP) angelehnt. Gefordert wird darin ein "deutscher Sozialismus". Die Partei propagiert die "Beibehaltung der nationalen Identität des deutschen Volkes", fordert "die Schaffung und Erhaltung der biologischen Substanz des Volkes" und die "konsequente Förderung von kinderreichen Familien zur Abwendung des drohenden Volkstodes". Angestrebt wird eine ethnisch homogene Gesellschaft im Sinne des völkischen Nationalismus. Ohne Rücksicht auf die Menschenrechte soll dieses Ziel durch die rigide Ausgrenzung aller vermeintlich Fremden verwirklicht werden. Daher agitiert "DER DRITTE WEG" vor allem gegen Flüchtlinge. Er fordert zudem "die Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen" und verfolgt damit offen revisionistische Gebietsansprüche. Lediglich aus taktischen Erwägungen lehnt "DER DRITTE WEG" Gewalt ab. Zahlreiche Mitglieder verfügen über eine rechtsextremistische Biografie. Die Partei pflegt Kontakte zu verschiedenen rechtsextremistischen Organisation in Europa, wie beispielsweise zur "Goldenen Morgenröte" ("Chrysi Avgi", Griechenland) und dem "Asow Regiment" (Ukraine). Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Partei unterhielt im Jahr 2018 in Brandenburg nach eigener Darstellung die beiden "Stützpunkte" Uckermark und Potsdam/Mittelmark. Beide gehören zum "Gebietsverband Mitte". Der frühere Stützpunkt Mittelmark/Havel wird auf der Partei-Webseite seit 2018 dagegen nicht mehr aufgeführt. Mitglieder und Sympathisanten der Partei traten im Jahr 2018 zumeist mit Flugblattverteilungen und Infoständen öffentlich in Erscheinung. Einen Schwerpunkt bildeten die regionalen Wirkungskreise der beiden Stützpunkte. Auch im Rahmen der Aktionen "Deutsche Winterhilfe" und "Tierfutter statt Böller" traten Mitglieder regional begrenzt in Erscheinung, um Spenden zu sammeln beziehungsweise zu verteilen. Zudem wurden im Jahr 2018 in mehreren Gemeinden nach eigenen Angaben "nationale Streifen" durchgeführt. Die Partei kopiert hierbei die NPDKampagne "Schafft Schutzzonen" und versucht sich vor den Wahlen im Jahr 2019 Rechtsextremismus 63 als "Kümmerer-" und Sicherheitspartei darzustellen. "DER DRITTE WEG" wird zumindest an den Europawahlen teilnehmen. Brandenburgische Mitglieder der Kleinstpartei waren 2018 auch überregional und bundesweit aktiv. Sie nahmen an szenerelevanten Treffen und Demonstrationen teil. Einzelne Personen waren sogar bei Veranstaltungen im europäischen Ausland zugegen. So besuchten Matthias Fischer und weitere Parteimitglieder aus Brandenburg im Januar 2018 den politischen Jahresauftakt der rechtsextremistischen Partei "Goldene Morgenröte" (Chrysi Avgi) in Athen (Griechenland). Im Oktober 2018 lief zudem eine Abordnung der Partei beim "Marsch der Nationen" in der ukrainischen Hauptstadt Kiew mit. Dieser Marsch wird von ukrainischen Nationalisten und Rechtsextremisten organisiert und durchgeführt. "DER DRITTE WEG" berichtete auf seiner Webseite über die Veranstaltung und bezeichnete diese als "Fortführung des Kampfes um die Vollendung der nationalen Revolution aus dem Jahr 2014". 63 Bewertung / Ausblick "DER DRITTE WEG" verfügt mit Matthias Fischer über einen ideologisch geschulten Kader, der den Aufbau und die Festigung der rechtsextremistischen Strukturen seiner Kleinstpartei weiter gezielt vorantreiben wird. Der hohe Organisationsgrad der einzelnen Mitglieder gepaart mit dem oftmals uniformen Auftreten in der Öffentlichkeit soll ein heimatverbundenes, politisch engagiertes und diszipliniertes Bild der Aktivisten vermitteln. Die hohen Anforderungen, die "DER DRITTE WEG" an sich und seine Mitglieder stellt, werden von der rechtsextremistischen Szene in Brandenburg nur selten erfüllt. Das Personenpotenzial der Partei wird deshalb weiter gering bleiben. Auch wenn es der Kleinstpartei bisher nicht gelang, die beanspruchte Führungsrolle innerhalb der "nationalen Bewegung" flächendeckend zu übernehmen, so steigt ihr Einfluss auf die gesamte Szene dennoch kontinuierlich an. Von allen in Brandenburg vertretenen rechtsextremistischen Parteien verfügt "DER DRITTE WEG" über das höchste Aktionismus-Potenzial, die effizienteste Organisation und die rigoroseste rechtsextremistische Ideologie. Insofern ist sie für aktive Rechtsextremisten von hoher Attraktivität. Es ist anzunehmen, dass sie weiterhin an ihrer flüchtlingsfeindlichen Anti-Asyl-Kampagne festhalten und sich der eigenen völkischen Interpretation von "Heimatschutz und Traditionspflege" widmen wird. Die Partei "DER DRITTE WEG" stellt damit auch weiterhin in erster Linie eine Auffangstruktur für Neonationalsozialisten dar. Mit der Ausnutzung des Parteienstatus sollen staatliche Sanktionsmaßnahmen erschwert werden. 63 Homepage "DER DRITTE WEG": "'Der III. Weg" marschiert in Kiew (+Video)", 20.10.2018 (Zugriff am 04.02.2019). 64 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Parteiunabhängige Strukturen 1: Kameradschaften Sitz / Verbreitung Kameradschaften sind eher im nördlichen Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Kameradschaften entstanden als Reaktion auf Verbote rechtsextremistischer Organisationen in den 1990er Jahren. Rechtsextremisten glaubten, dass sie durch diese Art der Zusammenschlüsse einem vereinsrechtlichen Verbotsverfahren ausweichen könnten. Struktur / Repräsentanten Der Wirkungskreis von Kameradschaften ist für gewöhnlich lokal oder regional begrenzt. Oft spiegelt sich dies in der Namensgebung wider. Innerhalb der Kameradschaften besteht eine Übereinkunft zu gemeinsamer politischer Arbeit auf der Basis rechtsextremistischer Grundorientierung. Ihre Binnenstrukturen sind in der Regel streng hierarchisch aufgebaut. Letztlich ist das Selbstverständnis der "Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei" (NSDAP), die sich nie als Partei, sondern immer als Bewegung verstanden hat, das historische Vorbild für Kameradschaften. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 50 Mitglieder im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele Bei Kameradschaften handelt es sich um Gruppierungen, die insbesondere auf lokaler Ebene agieren. Überwiegend treten sie durch Teilnahme an regionalen oder überregionalen asylfeindlichen Veranstaltungen und Demonstrationen in Erscheinung. Bisweilen sind sie in die Organisation und Durchführung rechtsextremistischer Konzerte und Musikveranstaltungen eingebunden. Ihr Auftreten ist aktionsund erlebnisorientiert. Rechtsbrüche werden billigend in Kauf genommen beziehungsweise bewusst angestrebt. Finanzierung teilweise durch Mitgliedsbeiträge Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Kameradschaften kennzeichnen sich für gewöhnlich durch ein offenes Bekenntnis zur Weltanschauung des historischen Nationalsozialismus und durch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt aus. Sie beziehen sich positiv auf die Ideologie des "politischen Soldaten". Vermeintlich Fremde und auch politische Gegner gelRechtsextremismus 65 ten als Feinde, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. Damit wird Gewalt gegen "Fremde" beziehungsweise "Feinde" legitimiert. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Kameradschaften beziehen sich offen positiv auf nationalsozialistische Akteure, wie Horst Wessel und Rudolf Heß. Sie glorifizieren NS-Organisationen wie Wehrmacht sowie Waffen-SS und führen Traditionen aus der Zeit des Nationalsozialismus fort. Insbesondere begehen sie "Szene"-Feiertage, wie den "Heldengedenktag", die Sonnenwendfeiern oder Hitlers Geburtstag. Entwicklungen im Berichtszeitraum Von folgenden Kameradschaften wurden im Berichtszeitraum Aktivitäten verzeichnet: "Freie Kameradschaft Märkisch Oderland" (FK MOL) Die Mitglieder der "Freien Kameradschaft Märkisch Oderland" stammen aus dem Landkreis Märkisch-Oderland. Die Kameradschaft trat erstmals im Januar 2017 in Erscheinung. Sie verfügt nur über wenige Mitglieder im unteren einstelligen Bereich. Nachdem der Kopf der Gruppierung im Jahr 2017 durch Redebeiträge auf überregionalen Demonstrationen ebenso wie durch das Zeigen islamund asylfeindlicher Transparente die Aufmerksamkeit auf die Kameradschaft zog, konnten 2018 keine Aktionen unter dem Label "Freie Kameradschaft Märkisch Oderland" festgestellt werden. Dennoch waren Mitglieder der Kameradschaft, allen voran der Kopf der Gruppierung, im Jahr 2018 an überregionalen asylund fremdenfeindlichen Veranstaltungen beteiligt. Derartige Teilnahmen dienen erfahrungsgemäß dem Knüpfen überregionaler Szenekontakte und szeneinternen Vernetzungen. Die "Freie Kameradschaft Märkisch Oderland" gehört für den Berichtszeitraum nicht zu den herausfordernden Gruppierungen im Land Brandenburg. Dennoch gilt es zu beobachten, welche Entwicklung die Mitglieder der Kameradschaft hinsichtlich neonationalsozialistischer Aktivitäten nehmen. Insbesondere die feststellbaren Vernetzungsbemühungen gilt es im Blick zu behalten. "Märkische Skinheads 88" (MS88) Die "Märkischen Skinheads 88" (MS88) sind seit 2011 bekannt. Die Gruppierung stammt aus der Region Oberhavel. Die etwa zehn Mitglieder waren für den Vertrieb des rechtsextremistischen Tonträgers "Gift für die Ohren Teil 2" (2017) von "Burn Down & X.x.X" verantwortlich. Die Gruppierung ist zudem an der Organisation und Durchführung von Konzerten und Musikveranstaltungen beteiligt. Weiter66 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 hin pflegen die MS88 Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Gruppen, wie der "Barnimer Freundschaft", der "Northsidecrew" sowie zu rechtsextremistischen Bands wie "Hausmannskost" und zu rechtsextremistischen Vertrieben, wie "Rebel Records" in Cottbus. Darüber hinaus existieren Verbindungen zu den "Velten Skinheads". Die MS88 finanzieren sich vermutlich durch die Organisation rechtsextremistischer Konzerte. 2018 organisierten sie folgende Musikveranstaltungen im Land Brandenburg: * Konzert am 26. Januar 2018 im Landkreis Oberhavel zusammen mit der "Northsidecrew" und den "Velten Skinheads" * Konzert am 27. Januar 2018 in Lübben (LDS) zusammen mit der "Northsidecrew" und den "Velten Skinheads" Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die MS88 weiterhin an Musikveranstaltungen im Land Brandenburg sowie im Freistaat Sachsen (insbesondere in Staupitz) teilnehmen und an der Organisation mitwirken. "Identitärer Aufbruch" Die Mitglieder des "Identitären Aufbruchs" stammen aus der Region Senftenberg im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Die Gruppierung ist seit 2016 existent. Es handelt sich um eine Kleinstgruppierung ohne wirkliche Struktur. Ihre Mitgliederzahl bewegt sich im kleinen, einstelligen Bereich. Die Akteure sind seit vielen Jahren als Neonationalsozialisten bekannt. Die Gruppierung verfügte über einen Facebookund einen Twitter-Auftritt. Der "Identitäre Aufbruch" orientiert sich in seinem Aktionsmuster an der "Identitären Bewegung Deutschland", ohne mit dieser jedoch in irgendeinem organisatorischen Zusammenhang zu stehen. Die Hauptthemen des "Identitären Aufbruchs" sind eine vermeintlich drohende Überfremdung und eine angeblich damit einhergehende Islamisierung. Mit kleineren öffentlichkeitswirksamen Aktionen versucht der "Identitäre Aufbruch" auf diese Situation aufmerksam zu machen. Der Aktionsradius ist auf Senftenberg (OSL) und das Umland beschränkt. In der Vergangenheit waren die Mitglieder bereits unter anderen Namen wie "Krümelmonster" und "Heimat & Zukunft" aktiv. Die Aktionen des "Identitären Aufbruchs" richten sich gegen Flüchtlinge und Menschen muslimischen Glaubens. Im strafrechtlichen Sinne handelt es sich zumeist um Sachbeschädigungen oder Verstöße gegen das Versammlungsgesetz. Die Aktionen der Gruppierung sind geeignet, zu Fremdenfeindlichkeit und Rassenhass aufzustacheln. Rechtsextremismus 67 Bis Mitte des Jahres 2018 waren einige öffentlichkeitswirksame Aktionen zu verzeichnen. So wurde am 23. Juni 2018 auf dem Marktplatz von Senftenberg (OSL) ein schwarzes Holzkreuz an einen Fahnenmast angebracht. Es trug die Aufschrift "Offene Grenzen und Masseneinwanderung töten". Neben weiteren Transparenten wurden im Umfeld Plakate mit den Fotos von Personen angebracht, die Opfer von Tötungsdelikten, mutmaßlich begangen durch Flüchtlinge, wurden. Im zweiten Halbjahr schliefen die Aktivitäten weitgehend ein. Auch die Internet-Auftritte wurden nicht mehr regelmäßig gepflegt. Jedoch muss damit gerechnet werden, dass die Aktivitäten wieder aufleben. Es ist ebenso denkbar, dass die handelnden Personen künftig unter einem neuen Logo und einer neuen Bezeichnung wieder aktiv werden. "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" (KMOB) Die "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" (KMOB) besteht seit 2007. Ihr Sitz befindet sich in Bad Freienwalde (MOL). Kopf der Gruppierung ist ein langjährig bekannter Rechtsextremist aus Bad Freienwalde. Die Gruppierung verfügt über rund 25 Mitglieder. Aus Furcht vor vereinsrechtlichen Maßnahmen hatte die KMOB bereits im Jahr 2010 offiziell ihre Auflösung bekannt gegeben. Trotzdem waren fortlaufend Aktivitäten feststellbar. Im Februar 2014 traten die KMOB-Angehörigen schließlich geschlossen der Partei "DIE RECHTE" bei und bildeten den "Kreisverband Märkisch-Oderland-Barnim". Damit konnte das Label KMOB beibehalten werden. Bewusst nutzten die Kameradschaftsmitglieder das besondere Parteienprivileg des Grundgesetzes, um einem möglichen Vereinsverbot zu entgehen. Die Führungsperson der Kameradschaft, Robert Gebhardt, wurde Vorsitzender des Kreisverbandes. Im Jahr 2017 wurde er zudem Landesvorsitzender und war in dieser Funktion auch Mitglied des Bundesvorstandes. Im Jahr 2018 traten die Mitglieder der Kameradschaft wiederum geschlossen aus der Partei "DIE RECHTE" aus. In einem FacebookEintrag kündigte Robert Gebhardt an, dass der gesamte Landesvorstand und alle Mitglieder zum 31. Januar 2018 die Partei "DIE RECHTE" verlassen würden. Laut Gebhardt will die KMOB nunmehr wieder als Kameradschaft ihren "Kampf um Deutschland" weiterführen. Trotz dieser Ankündigung ist die KMOB im Jahr 2018 nach außen praktisch nicht in Erscheinung getreten. Das aus den Anfangsjahren bekannte Aktivitätsniveau ist in nächster Zeit kaum zu erwarten. Es gilt aufmerksam zu beobachten, welche Entwicklung die Kameradschaft hinsichtlich des angekündigten "Kampfes um Deutschland" nehmen wird. 68 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Bewertung / Ausblick Das Kameradschaftsmodell wird für Rechtsextremisten in Brandenburg voraussichtlich weiter an Bedeutung verlieren. Das Konzept findet kaum noch einen Platz zwischen den streng hierarchisch organisierten Bruderschaften, den eher informellen Netzwerken und den weitgehend lose organisierten "Freien Kräften", die bewusst auf Strukturen verzichten. Staatliche Repressionen und Vereinsverbote haben zudem die herkömmliche Kameradschaft unattraktiv für Rechtsextremisten gemacht. Andere Organisationsformen scheinen durch jugendaffineres Auftreten eine höhere Anziehungskraft auf junge Rechtsextremisten auszuüben als das etwas verstaubte Kameradschaftsmodell. Rechtsextremismus 69 Parteiunabhängige Strukturen 2: Freie Kräfte Sitz / Verbreitung "Freie Kräfte" sind insbesondere im nördlichen Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Mitte der 1990er Jahre entwickelten Neonationalsozialisten das Konzept der "Freien Kräfte" als Reaktion auf zahlreiche Vereinsverbote im Rechtsextremismus. Struktur / Repräsentanten Angehörige von "Freien Kräften" nutzen diese Organisationsform insbesondere um sich von rechtsextremistischen Parteistrukturen oder eher hierarchisch organisierten Kameradschaften abzugrenzen. Eine Organisationshierarchie mit zentraler Führungsebene wird von "Freien Kräften" bewusst abgelehnt. Untereinander sind "Freie Kräfte" gut vernetzt. Der Begriff kommt bei Neonationalsozialisten zunehmend nur noch unverbindlich zur Anwendung, um das eigene parteiungebundene Konzept zu verdeutlichen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 35 Mitglieder im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele Als "Freie Kräfte" bezeichnen sich Neonationalsozialisten, die sich bewusst außerhalb von rechtsextremistischen Parteien, Vereinen und anderen festen Strukturen, wie Kameradschaften, verorten. Sie sind in der Regel lokal organisiert und fühlen sich ihrer regionalen Umgebung verpflichtet. Ihr Auftreten ist aktionsund erlebnisorientiert. Rechtsbrüche werden billigend in Kauf genommen beziehungsweise bewusst angestrebt. Finanzierung teilweise durch Mitgliedsbeiträge Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit "Freie Kräfte" zeichnen sich für gewöhnlich durch ein offenes Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus und durch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt aus. Vermeintlich Fremde und auch politische Gegner gelten als Feinde, denen das Existenzrecht abgesprochen wird. Damit wird Gewalt gegen "Fremde" beziehungsweise "Feinde" legitimiert. Ideologische Grundlage ist ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. "Freie Kräfte" beziehen sich offen positiv auf 70 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 nationalsozialistische Akteure, wie Horst Wessel und Rudolf Heß. Sie glorifizieren NS-Organisationen wie Wehrmacht sowie Waffen-SS und führen Traditionen aus der Zeit des Nationalsozialismus fort. Insbesondere begehen sie "Szene"-Feiertage wie den "Heldengedenktag", die Sonnenwendfeiern oder Hitlers Geburtstag. Entwicklungen im Berichtszeitraum Folgende "Freie Kräfte" waren im Berichtsjahr 2018 in Brandenburg aktiv: "Freie Kräfte Schwedt/Oder" (FKS) Die "Freien Kräfte Schwedt/Oder" (FKS) traten im Jahr 2013 erstmals in Erscheinung. Ihre Mitglieder stammen aus Schwedt/Oder (UM) und der direkten Umgebung. Die Gruppierung berichtet über ihre Aktionen insbesondere in sozialen Netzwerken. Sie verfügt über eine geringe Anhängerzahl im einstelligen Bereich. Bei den "Freien Kräften Schwedt/Oder" handelt es sich um eine Gruppierung auf lokaler Ebene mit deutlichen Bezügen zur örtlichen NPD. Ihre Angehörigen treten insbesondere durch öffentlichkeitswirksame Aktionen in Erscheinung, die der Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus dienen. Dies geschieht beispielsweise regelmäßig am Todestag des SA-Führers Horst Wessel am 23. Februar. Auch 2018 wurden an diesem Tag Banner mit der Aufschrift "Ermordet durch rote Hand" aufgehängt. Ebenfalls wurde mit Plakaten das Kriegsende am 8. Mai 1945 wie folgt thematisiert: "Vernichtung ist keine Befreiung". Der Volkstrauertag im November wurde unter der Überschrift "Ewig lebt der Toten Tatenruhm" zum "Heldengedenktag" umgedeutet. Mitunter wurden die Aktionen mit der NPD Uckermark oder dem NPDOrtsbereich Schwedt/Oder durchgeführt. Durch ihre Aktionen drücken die "Freien Kräfte Schwedt/Oder" ihren positiven Bezug zum Nationalsozialismus aus. "Freie Kräfte Prignitz" (FKP) Die "Freien Kräfte Prignitz" (FKP) stammen aus dem Landkreis Prignitz. Vermutlich wurden die FKP im Jahr 2014 gegründet. Bei der neonationalsozialistischen Gruppierung handelt es sich um einen gut vernetzten regionalen Zusammenschluss von etwa zwölf Personen, die allerdings überregional mobil sind. Ihre führenden Protagonisten sind seit vielen Jahren tief in der rechtsextremistischen Szene verwurzelt. Die FKP pflegen einen engen Kontakt zu den "Freien Kräften Neuruppin/Osthavelland". Mitglieder beider Gruppierungen besuchen gemeinsam Szeneveranstaltungen, wie zum Beispiel rechtsextremistische Demonstrationen und Konzerte. Die FKP sind mit einer eigenen Facebook-Seite im Internet vertreten. Die darauf veröffentlichten Beiträge berichten tendenziös über die Flüchtlingssituation und Rechtsextremismus 71 sind dazu geeignet, zur Hetze aufzustacheln. Über Facebook mobilisieren die FKP außerdem regelmäßig zur Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen. Bereits seit dem Jahr 2017 ist ein leichter Rückgang öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten zu verzeichnen. 2018 nahmen FKP-Mitglieder nur noch sporadisch an rechtsextremistischen Veranstaltungen teil. So waren sie beispielsweise am 9. Februar 2018 an einer Demonstration der "Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland" unter dem Motto "Kriminelle Ausländer und Scheinasylanten raus" in Neuruppin (OPR) und am 18. März 2018 an einer Demonstration zum "Tag der politischen Gefangenen" in Potsdam beteiligt. Die FKP widmeten sich auch im Jahr 2018 typisch neonationalsozialistischen Aktivitäten. Sie berichteten auf ihrer FacebookSeite über ein Heldengedenken, dass sie am Volkstrauertag am 17. November 2018 unter dem Motto "Deutsche Soldaten, Ihr wart Helden und keine Verbrecher" an einer Gedenkstätte in der Prignitz durchführten. Die Gruppierung hegt zudem offensichtlich Sympathien für die rechtsextremistische Kampfsportszene. Mehrfach wurden im Jahr 2018 Beiträge zum rechtsextremistischen Kampfsport-Event "Kampf der Nibelungen" veröffentlicht. In der Gesamtschau ließen die Aktivitäten der "Freien Kräfte Prignitz" in den letzten beiden Jahren jedoch etwas nach. Dieses ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass in dieser Zeit der Mitgliederbestand leicht gesunken ist. "Freie Kräfte Neuruppin/Osthavelland" (FKN/O) Die 2009 gegründeten "Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland" (FKN/O) sind mit rund 15 Mitgliedern noch immer die aktivste rechtsextremistische Gruppierung im Nordwesten des Landes Brandenburg. Seit nunmehr fast zehn Jahren sind sie fest in der neonationalsozialistischen Szene der Landkreise Ostprignitz-Ruppin und Havelland verankert. Die Gruppierung ist sowohl virtuell im Internet aktiv, organisiert aber auch eigene Aktionen und nimmt an überregionalen rechtsextremistischen Veranstaltungen teil. Charakteristisch für die FKN/O ist die enge Verzahnung mit der NPD, insbesondere dem NPD-Kreisverband Prignitz-Ruppin. Der NPD-Stadtverordnete von Neuruppin (OPR), Dave Trick, ist gleichzeitig bei den FKN/O aktiv. Hauptthema der Facebook-Seite ist die Flüchtlingsthematik. Fortwährend werden Beiträge über Straftaten, die mutmaßlich von Flüchtlingen begangen wurden, veröffentlicht. Anschließend werden diese Beiträge von den Nutzern der Seite in extrem abwertender Art und Weise und in verallgemeinernder Form kommentiert. Die Mitglieder bekunden ihre Einstellung in der Öffentlichkeit zudem durch die Teilnahme an regionalen und überregionalen neonationalsozialistischen Veranstaltungen. Darüber hinaus initiieren die FKN/O Aktionen zu den rechtsextremis72 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 tischen "Pflichtterminen" wie "Heldengedenken" am Volkstrauertag. Das größte Event in der Geschichte der FKN/O war im Jahr 2015 der "7. Tag der deutschen Zukunft" (TddZ), an dem immerhin 600 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet durch Neuruppin (OPR) zogen. Die FKN/O wirkten an dieser Veranstaltung maßgeblich mit. Derartig teilnehmerstarke rechtsextremistische Veranstaltungen gab es in der Folge in Neuruppin jedoch nicht mehr. Im Jahr 2018 fanden letztlich nur zwei Veranstaltungen statt, für die die FKN/O zumindest mitverantwortlich waren. Hierbei handelte es sich zum einen um eine Mahnwache unter dem Motto "Kriminelle Ausländer und Scheinasylanten raus" am 9. Februar 2018 in Neuruppin (OPR) mit 35 Teilnehmern und zum anderen um eine Demonstration zum "Tag der politischen Gefangenen" mit knapp 50 Teilnehmern am 18. März 2018 in Potsdam. Ansonsten fanden nur noch kleinere interne Veranstaltungen statt, etwa eine Mahnwache zum Gedenken an die Bombardierung Nauens (HVL) am 20. April 2018. Nach eigenen Angaben veranstalteten die FKN/O auch im Jahr 2018 zum Volkstrauertag wieder ein Heldengedenken. In der zweiten Jahreshälfte ließen die Aktivitäten insgesamt jedoch etwas nach. Trotz allem spielen die FKN/O weiterhin eine ernstzunehmende Rolle in der rechtsextremistischen Szene des Landes Brandenburg. Sie blieben im Jahr 2018 ihren alten Aktionsmustern treu, neue kreative Auftritte oder Präsentationen waren nicht erkennbar. Ihre Mitglieder verfügen über eine langjährige Erfahrung in der rechtsextremistischen Szene und über genügend Potenzial, um weiterhin eigene Veranstaltungen zu organisieren. Bewertung / Ausblick Die "Freien Kräfte" waren in Brandenburg zuletzt wenig innovativ in ihren Aktionsformen. Ein signifikanter Anstieg der Aktivitäten ist nicht zu erwarten. Anschlussfähigkeit an die bürgerliche Anti-Asyl-Protestbewegung besteht auf Grund des typisch rechtsextremistischen Auftretens derzeit kaum. Dennoch gilt es weiterhin zu beobachten, ob und inwieweit sie ihre extremistischen Aktivitäten wieder verstärken. Rechtsextremismus 73 Parteiunabhängige Strukturen 3: Bruderschaften Sitz / Verbreitung Bruderschaften sind im gesamten Land Brandenburg vertreten. Bisweilen verfügen Bruderschaften über eine feste Immobilie, die für interne Treffen und Feierlichkeiten genutzt werden. Gründung / Bestehen Das Phänomen rechtsextremistischer Bruderschaften ist kein neues. Bereits 1982 gründete sich beispielsweise in Ostberlin die rockerähnliche Gruppierung "Vandalen - Ariogermanische Kampfgemeinschaft". Sie ist wie eine "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG)64 organisiert und ähnelt durch das einheitliche Tragen von Kutten im Auftreten einem klassischen Rockerclub. Die "Vandalen" sind bis heute in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv. In den letzten Jahren treten rechtsextremistische Bruderschaften oder "Brotherhoods" verstärkt in Erscheinung. Struktur / Repräsentanten In Bruderschaften ahmen Rechtsextremisten den klassischen Rocker-Lifestyle nach. Mitglieder tragen bei Szeneveranstaltungen Lederkutten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen. Häufig werden die hierarchischen Strukturen der Rocker-Clubs übernommen. So haben beispielsweise einige rechtsextremistische Bruderschaften, wie die "Barnimer Freundschaft", die eigentlich rockertypische Unterscheidung in "Prospects" (Anwärter) und "Fullmember" (Vollmitglieder) übernommen. Rituale, Sprach-Codes, Symbole, Outfits und Strukturen werden demnach kopiert. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 75 Mitglieder im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele Ziel der Rechtsextremisten ist es, durch die Bildung rockerähnlicher Clans einen vermeintlich elitären Zirkel zu schaffen. Die Aufnahme als Mitglied auf Probe und der Aufstieg zum Vollmitglied sind häufig mit bestimmten Ritualen verbunden. Auf diese Weise soll eine verschworene Gemeinschaft von "Brüdern" geschaffen werden, die sich auch rein äußerlich durch das Tragen einer Art Vereinsuniform abgrenzt. Die strengen Hierarchien und klaren Regeln der OMCG passen dabei hervorragend mit den autoritären Führerfantasien mancher Rechtsextremisten zu64 Als "Outlaw Motorcycle Gang" (OMCG) werden in erster Linie polizeilich relevante Rockergruppierungen bezeichnet.Vgl. auch: https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/ Deliktsbereiche/Rockerkriminalitaet/rockerkriminalitaet_node.html (letzter Zugriff: 06.03.2019). 74 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 sammen. Auch das martialische Auftreten und die kameradschaftlich-brüderliche Verbundenheit der Rocker fügen sich in die Welt von Neonationalsozialisten ein. Gemeinsam ist allen rechtsextremistischen Bruderschaften, dass sie gemeinschaftliche, öffentliche Auftritte eher meiden. Kutten und sonstige Erkennungsmerkmale werden insbesondere bei internen Veranstaltungen und Konzerten getragen. Auf öffentliche Machtdemonstrationen, wie es bei klassischen OMCG üblich ist, wird für gewöhnlich verzichtet. Dies mag zum einen daran liegen, dass es vielen Gruppierungen schlichtweg an Masse mangelt. Zum anderen treibt die rechtsextremistischen Bruderschaften die Sorge um, durch ihre Uniformierung zu leicht als "Verein" identifiziert und damit Gegenstand vereinsrechtlicher Exekutivmaßnahmen zu werden. Dies dürfte auch der Grund dafür sein, dass sie sich bisher kaum zu öffentlichkeitswirksamen politischen Aktionen durchringen konnten. Die Gemeinschaft soll voll und ganz im Zentrum stehen. Eine gefestigte Ideologie beziehungsweise gezielte Meinungsäußerungen zu speziellen Themen - wie man es von vielen "Freien Kräften" oder Kameradschaften kennt - sind nachrangig. Die Bruderschaften wollen nach innen wirken, weniger nach außen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Mitglieder rechtsextremistischer Bruderschaften vertreten rassistische, nationalistische und antisemitische Positionen. Szene-Musik ist von besonderer Bedeutung. Sie dient der Rekrutierung und dem Ideologietransfer. Besonders bei rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden menschenverachtende Liedtexte gesungen, die bei öffentlichen Veranstaltungen gelegentlich und bei im Geheimen stattfindenden Konzerten nahezu immer mit offenen Bekundungen zum Nationalsozialismus wie "Sieg Heil"oder "Heil Hitler"-Rufen einhergehen. Die Mitglieder von Bruderschaften nehmen insbesondere an rechtsextremistischen Veranstaltungen mit Erlebnischarakter (beispielsweise Konzerte, Liederabende, Clubabende) teil. Entwicklung im Berichtszeitraum Folgende Bruderschaften waren im Berichtszeitraum im Land Brandenburg aktiv: "AO Strausberg" (AO SRB) Die "AO Strausberg" ist eine Gruppierung von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Strausberg (MOL), die nach dem Verbot der "ANSDAPO"65 von einigen ehemaligen Mitgliedern gegründet wurde. Das Clubhaus befindet sich in 65 Die "Alternative Nationale Strausberger Dart-, Piercingund Tattoo-Offensive" (ANSDAPO) wurde im Jahre 2005 verboten. Rechtsextremismus 75 Strausberg. Unter anderem führt hier die Gruppe Szeneveranstaltungen, wie Feiern oder Liederabende, durch. Gute Kontakte hält die "AO Strausberg" zu den rechtsextremistischen Gruppierungen, "Kameradschaft Kommando Werwolf", "Barnimer Freundschaft", "Bruderschaft H8" und "Vandalen" (Berlin). Die Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen. Öffentliche Auftritte beispielsweise bei Versammlungen sind selten. Politische Arbeit ist 2018 nicht bekannt geworden. "Barnimer Freundschaft" (BF25) Die "Barnimer Freundschaft" (BF25) ist ein Personenzusammenschluss von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Bernau (BAR). Die Gruppierung führt in ihrem Clubhaus Szeneveranstaltungen, wie Feiern und Liederabende, durch und pflegt gute Kontakte zu den rechtsextremistischen Gruppierungen "Northsidecrew", "AO Strausberg", "Kameradschaft Kommando Werwolf", "Bruderschaft H8", NPD (im Raum BAR und Berlin), "Turonen"/"Garde 20" (Thüringen) und "Vandalen" (Berlin). Verglichen mit anderen Bruderschaften agieren die Mitglieder der "Barnimer Freundschaft" deutlich politischer, indem sie beispielsweise an rechtsextremistisch geprägten Versammlungen als Gruppe erkennbar teilnehmen. Dieses erfolgte unter anderem bei einer Veranstaltung am Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß am 18. August 2018. Das bekannteste Mitglied der BF25 ist der NPDLokalpolitiker Marcel Zech. Er wurde 2017 wegen des öffentlichen Zeigens seines volksverhetzenden und den Holocaust billigenden Auschwitz-Tattoos zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Das Clubhaus der "Barnimer Freundschaft" befindet sich in Wandlitz (OT Klosterfelde, BAR). Die Gruppierung besteht wahrscheinlich seit 2006. Vermutlich finanziert sie sich über Mitgliedsbeiträge und Erlöse aus Szeneveranstaltungen (zum Beispiel für Securityaufgaben). Zu Jahresbeginn 2018 konnten von der BF25 kaum Aktivitäten beobachtet werden, was voraussichtlich auf die Inhaftierung des zuvor besonders aktiven Mitglieds, Marcel Zech, zurückzuführen ist. Ab März konnten Mitglieder der "Barnimer Freundschaft" aber auf folgenden rechtsextremistischen Veranstaltungen festgestellt werden: * 18. März 2018 - "Tag der politischen Gefangenen" - Versammlung in Potsdam * 21. April 2018 - "Schildund Schwertfestival" - Musikund Kampfsportveranstaltung in Ostritz (Sachsen) * 18. August 2018 - "Recht statt Rache! - Mord verjährt nicht - gebt die Akten frei" - Versammlung in Berlin 76 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 * 5./6. Oktober 2018 - "Rock gegen Überfremdung III" - Versammlung/Musikveranstaltung in Apolda (Thüringen) * 13. Oktober 2018 - "Kampf der Nibelungen" - Kampfsportveranstaltung in Ostritz (Sachsen) Durch Betreiben und Pflege rechtsextremistischer Netzwerke wird die "Barnimer Freundschaft" zunehmend organisatorisch in die Durchführung rechtsextremistischer Großveranstaltungen einbezogen. Hervorzuheben ist die Tatsache, dass sie bei der Großveranstaltung "Rock gegen Überfremdung III" aktiv mitgewirkt hat und Marcel Zech dabei stellvertretender Versammlungsleiter war. Die Veranstaltung wurde von Thüringer Rechtsextremisten aus dem Umfeld der Gruppierungen "Turonen"/"Garde 20" organisiert. Sie waren bereits im Jahr 2017 für die Durchführung mehrerer Großkonzerte verantwortlich. Da die Szene immer auf der Suche nach geeigneten Immobilien für solche Veranstaltungen ist, besteht die Gefahr, dass mit Hilfe der BF25 zukünftig auch in Brandenburg solche Konzertveranstaltungen organisiert werden könnten. "Brigade 8 - Chapter Spreewald" (B8) Die in Schleswig-Holstein gegründete "Brigade 8" ist ein rechtsextremistischer Personenzusammenschluss, der seine regionalen Ableger als "Chapter" bezeichnet. Das größte und bedeutendste Chapter ist "Eastside" in Mücka (Sachsen). Dort nahm das "Chapter Spreewald" häufiger an Szeneveranstaltungen teil. Es führte 2018 ebenso eigene kleinere Treffen in Burg (Spreewald) (SPN) durch, bei denen teilweise durch Zeugen rechtsextremistische Musik und strafbewehrte Verbaläußerungen aus der Zeit des Nationalsozialismus vernommen wurden. Des Weiteren unterstützten 2018 Mitglieder der "Brigade 8" im Rahmen der Kampagne "Schafft Schutzzonen" den NPD-Kreisverband Lausitz bei angeblichen Streifengängen durch Cottbus. Das "Chapter Spreewald" verfügt über kein bekanntes eigenes Clubhaus. Die aus Frankfurt (Oder) und der Region Burg (Spreewald) stammenden zehn bis 15 Mitglieder treffen sich auf einem Grundstück eines Veranstalters für Kahnfahrten in Burg (Spreewald). Die Gruppierung gründete sich im Jahr 2017. Durch den guten Kontakt zum NPD-Kreisverband Lausitz sind die Mitglieder der Gruppierung im Vergleich zu anderen rechtsextremistischen Bruderschaften politisch aktiver und lassen sich beispielsweise für Parteiarbeit instrumentalisieren. In der Öffentlichkeit wird der Bezug zur "Brigade 8" allerdings nicht offen dargestellt. Ansonsten beschränken sich die Aktivitäten der Gruppierung auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen, insbesondere in Mücka (Sachsen). Rechtsextremismus 77 "Bruderschaft 25" (B25) Die "Bruderschaft 25" ist eine Gruppierung von Rechtsextremisten aus der Region Frankfurt (Oder). Sie besteht vermutlich seit 2013 und verfügt über etwa fünf Mitglieder. Ein Clubhaus ist nicht bekannt. Die Zahl "25" ist ein von Rechtsextremisten oft genutzter Szenecode und steht für den zweiten ("B") und fünften ("E") Buchstaben des Alphabets. Die Zahlenbeziehungsweise Buchstabenkombination spielt auf den Wahlspruch der Hitlerjugend "Blut und Ehre" an. Die Namensähnlichkeit zur verbotenen rechtsextremistischen Vereinigung "Blood & Honour" ("Blut und Ehre") ist offensichtlich und zeigt die Verbundenheit der Gruppe mit der rechtsextremistischen Musikszene. Die Aktivitäten der Gruppierung drehen sich überwiegend um rechtsextremistische Musikveranstaltungen im Inund Ausland. Darüber hinaus gehende politische Arbeit oder die Teilnahme an politischen Veranstaltungen waren im Jahr 2018 nicht feststellbar. "Bruderschaft H8" (H8) Die "Bruderschaft H8" ist eine Gruppierung von etwa zehn Rechtsextremisten aus der Region Strausberg (MOL), die nach dem Verbot der "ANSDAPO" von einigen ehemaligen Mitgliedern gegründet wurde. Gute Kontakte bestehen zu den rechtsextremistischen Gruppierungen "Kameradschaft Kommando Werwolf", "Barnimer Freundschaft", "Vandalen" (Berlin) und "Turonen"/"Garde 20" (Thüringen). Die H8 finanziert sich vermutlich aus Mitgliedsbeiträgen. Sie verfügt über kein bekanntes Clubhaus. Die Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen. Durch die Kontakte zu den "Turonen"/"Garde 20" war die Gruppierung in der Vergangenheit auch bei rechtsextremistischen Musikgroßveranstaltungen als Ordnerdienst eingesetzt. Sie war im Jahr 2018 allerdings nahezu inaktiv. Politische Aktivitäten oder öffentliche Auftritte der Mitglieder fanden nicht statt. "Hammerskin-Nation" (HSN) Die "Hammerskin-Nation" (HSN) ist eine international agierende Organisation, die Ende der 1980er Jahre in den USA gegründet wurde und sich als Elite der rechtsextremistischen Skinhead-Szene versteht. Aktivitäten in Deutschland sind seit Anfang der 1990er Jahre bekannt. Die "Hammerskin-Nation" ist der rechtsextremistischen Musikszene zugehörig und organisiert Konzerte. Dem "Hammerskin-Chapter Brandenburg" (HS) dient ein Kleingarten in Rathenow (HVL) als Treffpunkt für kleine Veranstaltungen und Feiern. Für größere Events werden unauffällige und "neutrale" Objekte angemietet. In Brandenburg existier78 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 te bereits seit 2012 die "Crew 38 Brandenburg" als Supporter-Gruppierung der Hammerskins. 2017 stieg die "Crew 38" zu einem vollwertigen Mitglied der "Hammerskin-Nation" auf, darf sich nun "Hammerskin-Chapter Brandenburg" nennen und das entsprechende Symbol tragen: zwei gekreuzte Zimmermannshämmer vor einem Zahnrad. Den etwa zehn Mitgliedern eröffneten sich nunmehr Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen, Bands und Personen in Deutschland, Europa und vor allem in den USA. Die "Hammerskin-Nation" verfolgt das Ziel, die "weiße Rasse" zu beschützen und alle rechtsextremistischen weißen Skinheads weltweit zu vereinigen. Ihr Symbol der gekreuzten Zimmermannshämmer vor einem Zahnrad steht für die "weiße Arbeiterklasse", die sich dem rassistischen Leitsatz der Bewegung des US-amerikanischen Rechtsextremisten David Lane verpflichtet sieht. Lanes "14 words" lauten: "We must secure the existence of our people and a future for white children".66 Das ideologische Hauptziel der Hammerskins ist insofern das Bestreben nach "Reinhaltung der weißen Rasse". Ihre Losung "Hammerskins forever, forever Hammerskins", welche die Mitglieder untereinander auch als Grußformel gebrauchen, untermauert ihren elitären Anspruch und verdeutlicht auch sprachlich ihr Bemühen, sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene abzugrenzen. Sie finanzieren sich durch Mitgliedsbeiträge und durch Einnahmen aus Musikveranstaltungen. So organisierten beispielsweise Hammerskins am 10. November 2018 in Kirchheim (Thüringen) ein Konzert mit den rechtsextremistischen Szenebands "Confident of Victory" (OSL), "Exzess" (MOL) und "Uwocaust" (Potsdam). Es nahmen 230 Personen teil. "Kameradschaft Kommando Werwolf" (KSKW) Die "Kameradschaft Kommando Werwolf" (KSKW) ist eine Gruppierung von Rechtsextremisten aus Frankfurt (Oder), Beeskow (LOS) und Gardelegen (Sachsen-Anhalt). Die Gründung der KSKW erfolgte vermutlich im Jahr 2010. Die Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf den regionalen Raum und auf Szeneveranstaltungen. Ein Teil der Mitglieder ist in der rechtsextremistischen Musikgruppe "Frontfeuer" aktiv. Gute Kontakte bestehen zu den Gruppierungen "Barnimer Freundschaft", "Bruderschaft H8" und "AO Strausberg". Die KSKW gehört trotz des Namens "Kameradschaft" zu den rechtsextremistischen Bruderschaften. So tragen ihre Mitglieder beispielsweise bei Szeneveranstaltungen die für Bruderschaften typischen Lederkutten mit entsprechenden Symbolen und Schriftzügen. 66 "Wir müssen die Existenz unseres Volkes und eine Zukunft für unsere weißen Kinder sichern." Rechtsextremismus 79 Eine weitergehende hierarchische Differenzierung zwischen den etwa zehn bis 15 Mitgliedern und Anwärtern ist nicht bekannt. Die KSKW verfügte 2018 über einen alten Luftschutzbunker im Zentrum von Frankfurt (Oder). Dort versuchte sie am 3. Februar 2018 ein rechtsextremistisches Konzert durchzuführen, was durch polizeiliche Maßnahmen verhindert wurde. Versuche dieser Art gab es bereits zuvor. Durch den behördlichen Druck scheint die Immobilie für die Gruppierung aber kaum noch im eigenen Interesse nutzbar zu sein. Im Jahr 2018 waren die Aktivitäten deutlich rückläufig. Sollte der Bunker endgültig aufgegeben werden, wird sich die KSKW voraussichtlich auf die Suche nach etwas Neuem im Raum Frankfurt (Oder) begeben. Bewertung / Ausblick Bruderschaften werden weiterhin ihren festen Platz in der rechtsextremistischen Szene des Landes Brandenburg haben. Mittlerweile haben sich diese Strukturen etabliert und ihren Platz innerhalb der rechtsextremistischen Szene gefunden. Scheinbar haben die klassischen Rocker-Clubs wie Hells Angels oder Gremium MC kein Problem mit dem Auftreten der Neonationalsozialisten in Kutten. Zukünftig werden diese Gruppierungen in der rechtsextremistischen Szene weiter und verstärkt mitmischen, insbesondere bei der Organisation von rechtsextremistischen Rockkonzerten oder als Security bei Veranstaltungen. 80 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Parteiunabhängige Strukturen 4: Vereine Sitz / Verbreitung In Brandenburg sind rechtsextremistische Vereine in den Landkreisen Havelland und Oberhavel ansässig. Gründung / Bestehen - Struktur / Repräsentanten Rechtsextremistische Vereine organisieren sich zumeist in klassischer Vereinsform (Vorstandsmitglieder und einfache Vereinsmitglieder). Sie geben sich eine Satzung und kommen zu regelmäßigen Mitgliederversammlungen zusammen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 40 Mitglieder im Land Brandenburg Veröffentlichungen - Kurzportrait / Ziele Vereine vernetzen Rechtsextremisten miteinander und lassen sie in festen Organisationsstrukturen zielorientiert zusammenwirken. Darüber hinaus vermitteln Vereine auf den ersten Blick einen seriösen und offiziellen Anschein. Dies nutzen Rechtsextremisten gezielt aus. Insbesondere rechtsextremistische Sportvereine versuchen, die Zivilgesellschaft in vorgeblich unpolitischer Art zu unterwandern, um so die rechtsextremistische Ideologie im "Kampf um die Köpfe" in breiten Kreisen der Gesellschaft schleichend anschlussfähig zu machen. Finanzierung Rechtsextremistische Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Rechtsextremistische Vereine treten für eine rassistische, fremdenfeindliche und revisionistische Ideologie ein. Grundlage ist oft ein rassenbiologisch geprägtes, völkisches Menschenbild und die Vorstellung einer antipluralistischen Gesellschaft sowie eines autoritären Staates. Vereinsmitglieder haben häufig einen biografischen Vorlauf in anderen rechtsextremistischen Organisationen. Rechtsextremismus 81 Entwicklungen im Berichtszeitraum Von folgenden rechtsextremistischen Vereinen sind im Berichtszeitraum Aktivitäten verzeichnet worden: "Bürgerbündnis Havelland e. V." Öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen des in Rathenow (HVL) angesiedelten Vereins "Bürgerbündnis Havelland e. V." sind seit Oktober 2015 zu verzeichnen. Die Vereinsgründung datiert auf den 1. Mai 2016. Beim Amtsgericht Potsdam wurde der Verein am 19. Dezember 2016 eingetragen. Vereinsvorsitzender ist Christian Kaiser. Zweck des Vereins ist laut Satzung die "Förderung des Politischen Bewusst-sein" (Fehler im Original!) verbunden mit einem (Lippen-)Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Verein umfasst etwa 20 Mitglieder und finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und Spenden. Kommunikation und Außendarstellung erfolgt zum großen Teil über soziale Netzwerke. Wichtigstes Propagandaund Vernetzungsinstrument ist die Facebook-Seite "Bürgerbündnis Havelland e. V.". Der Verein knüpft bewusst an Inhalte und Ziele der bundesweit in Erscheinung tretenden PEGIDA und PEGIDA-ähnlichen Gruppierungen an. Das "Bürgerbündnis Havelland" definiert sich nicht über eine geschlossene Ideologie. Islamund Fremdenfeindlichkeit, die Ablehnung demokratisch gewählter Repräsentanten, Reichsbürger-Argumentationen und rechtsextremistische Argumentationsmuster sind jedoch klar erkennbar. Bereits im Vereinslogo fällt die Verwendung der "Lebensrune" auf. Es muss davon ausgegangen werden, dass der Verein hiermit bewusst eine Nähe zur Symbolik des historischen Nationalsozialismus herstellen möchte. Im "Dritten Reich" wurde die "Lebensrune" etwa als "Lebensborn"-Zeichen genutzt und fand unter anderem Verwendung in den Abzeichen der "NS-Frauenschaft", des "Deutschen Frauenwerkes" und des "Reichsbundes Deutsche Familie". Zudem war es Dienstrangabzeichen des Sanitätsdienstes der "Sturmabteilung" (SA) und Erkennungszeichen nationalsozialistischer Apotheker. Seit Oktober 2015 veranstaltet das "Bürgerbündnis Havelland" regelmäßig flüchtlingsfeindliche Demonstrationen in Rathenow (HVL). Vielfach wurde durch Vereinsmitglieder oder vom Verein gewonnene Veranstaltungsredner "das System" in Frage gestellt. Zum Teil wird offen zu Gewalt gegen den politischen Gegner und gegen den Staat aufgerufen. Von Anfang an bestanden Verbindungen der Organisatoren in die rechtsextremistische Szene. Michel Müller, langjährig bekannter Rechtsextremist und derzeit Vorsitzender des NPD-Kreisverbandes Havel-Nuthe, mobilisierte als einer der ersten für die Veranstaltungen des Vereins. Die Redebeiträge der führenden Protagonisten des "Bürgerbündnisses Havelland" - aber insbesondere die der eingeladenen Redner - zeigen die rechtsextremistische Ausrichtung des Ver82 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 eins. Staat, Gesellschaft und politische Eliten werden offen abgelehnt und diskreditiert. Politiker werden unisono als "Verbrecher", "Pack" und "Schweine" bezeichnet. Die Redner diffamieren Flüchtlinge und Asylsuchende als "illegale Fluchtsimulanten, Vergewaltigungstouristen, Mörder, Messerstecher und Mädchenmörder" und drohen diesen "den kurzen Prozess durch Bürgerwehren" an. Gleiches wird den politischen Repräsentanten angedroht: "Einst richtet das Volk und dann gnade Euch Gott". Mit Veröffentlichungen, wie "Wir haben schon einmal 40 Jahre Diktatur wegrevolutioniert. Dieses mal können es Ost und West gemeinsam schaffen."67, ruft der Verein offen zur Abschaffung der Demokratie im Wege einer Revolution auf. Das Vorgehen des Vereins ist geeignet, ein Klima der Angst und Einschüchterung zu schaffen. Es belegt klar, dass das "Bürgerbündnis Havelland" und seine Unterstützer die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ablehnen. Rechtsstaatliche Prinzipien, wie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte und der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft, werden zielgerichtet angegriffen. Die Demokratie als solche soll beseitigt werden. Die organisatorischen, ideologischen und personellen Überschneidungen mit der rechtsextremistischen Szene lassen darüber hinaus eine strukturelle Nähe zum herkömmlichen organisierten Rechtsextremismus erkennbar werden. Das "Bürgerbündnis Havelland" ist mit mehreren überregional agierenden islamund fremdenfeindlichen Gruppierungen vernetzt. Zu nennen sind insbesondere die "Bürgerbewegung Altmark" aus Stendal (Sachsen-Anhalt), das Bündnis "THÜGIDA"68 sowie die beiden Berliner Gruppierungen "Wir für Deutschland" und "Hand in Hand". Hauptaktionsform des Bürgerbündnisses waren wie in den vergangenen Jahren die Kundgebungen auf dem Märkischen Platz in Rathenow (HVL), aber auch die Teilnahme an islamund fremdenfeindlichen Demonstrationen in Berlin sowie an anderen Orten. Zu einigen Demonstrationen des Bürgerbündnisses wurden Redner eingeladen, die zum Teil tief im rechtsextremistischen Spektrum verhaftet sind beziehungsweise diesem zumindest nahestehen. Vielfach wurden rechtsextremistische Überzeugungen in den Redebeiträgen zum Ausdruck gebracht. Dieses soll an zwei Beispielen verdeutlicht werden: 67 Facebook-Seite Bürgerbündnis Havelland, 26.10.2018 (Zugriff am 25.03.2019). 68 Die Abkürzung der unter anderem in Thüringen aktiven Gruppierung "THÜGIDA" steht für "Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes". Rechtsextremismus 83 Kundgebung des "Bürgerbündnisses Havelland" am 17. Juni 2018 Zum bundesweit veranstalteten "Tag der Patrioten" versammelten sich etwa 40 Personen auf dem Märkischen Platz in Rathenow (HVL). Als Redner traten unter anderem Alexander Kurth (Rechtsextremist aus Sachsen), David Köckert (Rechtsextremist aus Thüringen, THÜGIDA) und die Berlinerin Elke Metzner auf. Gleich zu Beginn stellte der Vereinsvorsitzende des "Bürgerbündnisses Havelland", Christian Kaiser, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung in Frage. Er hieß in einem konkreten Fall Lynchjustiz gut. Kurth brachte seine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung direkt zum Ausdruck: "Wir werden gegen diese politischen Verhältnisse so lange auf die Straße gehen, bis dieses System hinweggefegt ist."69 Köckert äußerte sich gleichartig: "Wir werden uns wehren bis dieses System (...) zu Bruch geht."70 Kurth thematisierte zudem demokratische politische Prozesse und rief unverhohlen zu Gewalt auf: "Alle politischen Entscheidungen werden nach wie vor über die Köpfe unseres Volkes hinweg entschieden. (...) Einst richtet das Volk und dann gnade Euch Gott! (...) Und an diesem Tag an dem das Volk richtet, da kann ich jedem sagen, dass es dann keine fetten Diäten und keine fetten Mandate mehr geben wird, dann gibt es nur eins: Knüppel aus dem Sack, Knüppel aus dem Sack auf's Lumpenpack, auf's Lumpenpack, liebe Freunde!" Der Redebeitrag von Metzner schloss nahtlos an die Vorredner an. Man habe eine Botschaft an alle "illegalen Fluchtsimulanten, Vergewaltigungstouristen, Mörder, Messerstecher und Mädchenmörder": "Raus hier und verschwindet. Verschwindet bevor ein wütendes und aufgebrachtes Volk euch eines Tages den kurzen Prozess durch Bürgerwehren macht. (...) Aber solange die entscheidenden Schaltstellen der Macht immer noch in der Hand dieser Verbrecher liegen, werden wir den Widerstand egal in welcher Form auch fortsetzten."71 Kundgebung des "Bürgerbündnisses Havelland" am 5. November 2018 Bei der Demonstration in Rathenow (HVL) äußerte sich Kaiser mit Bezug auf den geplanten "UN-Migrationspakt" in volksverhetzender Art und Weise über Asylsuchende: "Wir kriegen zum Schluss alle. Da könnt ihr hier nicht mehr stehen. Dann ist hier alles schwarz. Dann ist alles voll mit kleinen Niggerlein."72 Auf einen Zwischenruf einer Demonstrationsteilnehmerin reagierte Kaiser in derselben Rede mit drastischen Worten: "Ja, genau. Die Kanacken müssen auch alle wieder raus."73 Zum Abschluss seiner Rede trug er noch das "Asylgedicht" vor: 69 Facebook-Seite "thugida" (Zugriff am 18.06.2018). 70 Facebook-Seite David Kockert (Zugriff am 18.06.2018). 71 Facebook-Seite "thugida" (Zugriff am 18.06.2018). 72 Facebook-Seite "Bürgerbündnis Havelland" (Zugriff am 15.11.2018). 73 Ebd. 84 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Herr Asylbetrüger, na wie geht's? Oh ganz gut, bring Deutschland Aids. Komme her aus Übersee hab Rauschgift mit, so weiß wie Schnee. Verteil im Sommer wie im Winter sehr viel davon an deutsche Kinder, muss nicht zur Arbeit, denn zum Glück schafft deutsches Arschloch in Fabrik. Hab Kabelfernsehen, lieg im Bett, werd langsam wieder dick und fett, zahl nicht Miete, Strom und Müllabfuhr das müssen blöde Deutsche nur. Auch Zahnarzt, Krankenhaus komplett zahlt jeden Monat deutscher Depp wird deutscher Depp mal Pflegefall verkauft ihm Staat Haus, Hof und Stall. Man nimmt ihm einfach alles weg, schafft vierzig Jahre umsonst, der Depp. Wenn deutscher Dummkopf ist gestorben müssen Erben Geld besorgen. Zum bezahlen Pflegeheim und Grab, was als Asylbetrüger umsonst ich hab. Man sieht, dass Deutscher ist Idiot, muss auch noch zahlen, wann ist tot. Ich liebe Deutschland - wo sonst auf Welt gibt's für Asylbetrüger auch noch Geld. Ist Deutschland pleite, fahr ich heim und sag: Leb wohl, Du Nazi-Schwein.74 Ende des Jahres 2018 zeichnete sich ab, dass führende Protagonisten des "Bürgerbündnisses Havelland" sich der Partei "Die Republikaner" zuwandten. Um Einfluss auf die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse nehmen zu können, 74 Ebd. Rechtsextremismus 85 trat der Vereinsvorsitzende Kaiser zur Bürgermeisterwahl 2018 in Rathenow (HVL) an. Ein Wahlkampfthema war die Sicherheit in der Stadt. Kaiser forderte seinerzeit eine Bürgerwehr. Bei den Kommunalwahlen 2019 plant das "Bürgerbündnis Havelland" mit eigenen Kandidaten unter dem Label der Partei "Die Republikaner" anzutreten. Das Bürgerbündnis hat seit seiner Gründung im Oktober 2015 stetig flüchtlingsfeindliche Proteste in der Stadt Rathenow organisiert und durchgeführt. Um eine gesellschaftliche Veränderung zu erreichen, wurde gezielt gegen die befürchtete Islamisierung Deutschlands, gegen Flüchtlinge und gegen den Staat als solchen mobil gemacht. Allerdings konnten trotz der beharrlichen Durchführung ziemlich erfolgloser Veranstaltungen nicht einmal die Rathenower Einwohner als primäre Zielgruppe inhaltlich erreicht werden. Dennoch werden auch künftig kleinere Veranstaltungen in Rathenow erwartet. Die fremdenfeindliche Hetze über das soziale Netzwerk Facebook wird zudem nicht an Schärfe abnehmen. Projekt "HABULA e. V." (Drachenbootverein) Bei dem "Projekt Habula" handelt es sich um einen eingetragenen Drachenbootverein aus der Region Velten (OHV) mit mehr als 20 Mitgliedern. Der Verein finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen. Hinzu kommen möglicherweise Mittel aus Spenden und von Sponsoren. Seit 2017 liegen Erkenntnisse mit Bezug zum politischen Extremismus vor. Diese beziehen sich auf die Mitgliedschaft von Rechtsextremisten im Verein und die daraus resultierende ideologische Ausrichtung des Vereins. Vordergründig geht es dem Verein um die Teilnahme an sportlichen Wettkämpfen. Jedoch weisen Selbstdarstellung, Mitgliedschaft und Aktivitäten in der Gesamtschau auf eine rechtsextremistische Ausrichtung hin. Die zeitweise an den Nationalsozialismus angelehnte Symbolik des Vereins auf Logos und Vereinskleidung knüpfte an die germanische Namensgebung an. Der Vereinsname ist im Logo in einer Art "gebrochener Schrift" ("Frakturschrift") gestaltet, mit Eichenlaub umrandet und war zeitweilig mit der Zeile "Furor Teutonicus" unterlegt. Der Terminus ist in der rechtsextremistischen Szene weit verbreitet und bedeutet in diesem Kontext "germanische Angriffslust". Die Frakturschrift erfreut sich unter Rechtsextremisten nach wie vor hoher Beliebtheit und kommt oft zur Anwendung. Gleiches gilt für den Ehrenkranz aus Eichenlaub. Der Name "Habula" ist abgeleitet aus der germanischen Bezeichnung der Havel. Bildmaterial, das im Internet veröffentlicht wurde, zeigte einzelne Mitglieder immer wieder in T-Shirts mit rechtsextremistischen Aufschriften beziehungsweise rechtsextremistischer Symbolik. Ein Mitglied trug beispielsweise bei einer Veranstaltung ein T-Shirt mit der Aufschrift "Nationalsozialisten seit 1922". Mehrere Mitglieder des Vereins sind in der rechtsextremistischen Szene aktiv, bei zwei Personen handelt es sich um Protagonisten der rechtsextremistischen Szene im Land Brandenburg. Die organisatorischen, ideo86 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 logischen und personellen Überschneidungen mit der regionalen rechtsextremistischen Szene lassen darüber hinaus eine strukturelle Nähe zum herkömmlichen organisierten Rechtsextremismus erkennbar werden. Aufgrund der öffentlichen Berichterstattung, der Erwähnung durch den Verfassungsschutz im August 2018 und ein Gerichtsverfahren begann der Verein in der Folgezeit, die Zurschaustellung rechtsextremistischer Symbolik zu vermeiden. "Bund für Gotterkenntnis" Vom Bund für Gotterkenntnis wurden 2018 keine Aktivitäten festgestellt. Bewertung / Ausblick Es wird auch zukünftig Teil der Strategie von Rechtsextremisten sein, sich in (Sport-)Vereinen zu organisieren, um ihre ideologische Ausrichtung vordergründig nicht zu erkennen zu geben. Zudem arbeiten PEGIDA-ähnliche Vereine, wie das "Bürgerbündnis Havelland", weiterhin an der Schaffung eines breiten islamund fremdenfeindlichen Netzwerks, durch die die sonst regional beschränkte Reichweite ihrer extremistischen Botschaften vergrößert werden soll. Rechtsextremismus 87 Parteiunabhängige Strukturen 5: Identitäre Bewegung Deutschland, Ortsgruppe Cottbus Sitz / Verbreitung Cottbus und Umland Gründung / Bestehen 4. Juli 2017 Struktur / Repräsentanten Die Ortsgruppe Cottbus der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) ist eine gut vernetzte Kleingruppe. Ihr bekanntestes Gesicht, der ehemalige Regionalleiter der "Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg", Robert Timm, ist zwischenzeitlich nach Berlin verzogen. Die Ortsgruppe Cottbus wird im studentischen Milieu der "Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg" (BTU) verortet. Es gibt jedoch auch nichtstudentische Mitglieder. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Der Ortsgruppe Cottbus der "Identitären Bewegung Deutschland" werden etwa zehn Mitglieder zugerechnet. Darüber hinaus dürfte sie über einen in etwa ebenso großen Unterstützerkreis verfügen. Veröffentlichungen Die Ortsgruppe der "Identitären Bewegung Deutschland" verfügt über keine eigenen Webseiten. Die Gruppe veröffentlicht stattdessen unter anderem auf den Internetseiten der "Identitären Bewegung Deutschland e. V." und der Bürgerinitiative "Ein Prozent e. V.". Kurzportrait / Ziele Die "Identitäre Bewegung Deutschland" ist ein aktionsorientiertes, stark internetbasiertes und europaweit aktives Netzwerk. Ihren Ursprung hat sie im "Bloc identitaire", einer aus verschiedenen regionalen Gruppen entstandenen politischen Bewegung in Frankreich, die der "Neuen Rechten" zugerechnet wird. Die Anhänger vertreten ethnopluralistische Positionen, wonach ein möglichst ethnisch und kulturell homogener Staat das Ziel politischen Handelns sein soll. Unter "identitär" verstehen sie, ihre jeweils eigene regionale, nationale und kulturelle Herkunft gegen Einflüsse von außen zu verteidigen und Traditionen zu bewahren. Am 10. Oktober 2012 gründete sich die "Identitäre Bewegung Deutschland" als FacebookGruppe. Knapp fünf Jahre später, am 4. Juli 2017, gab die "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" die Gründung der Ortsgruppe Cottbus bekannt. An diesem 88 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Tag demonstrierte die Ortsgruppe mit einem Banner in der Innenstadt von Cottbus und verteilte Pfefferspray an Frauen. Finanzierung Die Ortsgruppe Cottbus der "Identitären Bewegung Deutschland" wird von "Ein Prozent e. V." finanziell unterstützt. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die "Identitäre Bewegung" verbindet einen vehementen systemkritischen Antiliberalismus mit dem Ethnopluralismus. Liberalismus wird als geistige Immunschwächekrankheit abgelehnt und statt der bestehenden freiheitlichen Demokratie eine identitäre/organische Demokratie gefordert. Zur Durchsetzung des Ethnopluralismus propagiert sie einen Stopp der vermeintlichen Masseneinwanderung und Islamisierung Europas und Deutschlands. Dieses soll unter anderem durch eine Schließung der Grenzen sowie durch die Rückführung der Migranten in deren Heimatländer geschehen. Das einzige legitime Mittel zur Durchsetzung dieser Forderung sei der gewaltfreie, regelmäßige Aktivismus. Zugleich spricht die IBD von der Schaffung einer "Festung Europa", die ihre Grenzen verteidigen, aber tatsächlich Hilfebedürftige unterstützen solle. Die IBD distanziert sich zwar plakativ vom historischen Nationalsozialismus. Ihre rassistische Doktrin des Ethnopluralismus sowie ihr kollektivistischer Grundsatz, das Individuum mit seinen Menschenrechten der Nation unterzuordnen, sind aber unvereinbar mit den Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. In der fortwährenden IBD-Agitation werden Ausländer und Flüchtlinge teilweise pauschal diffamiert und verächtlich gemacht. In der Bevölkerung werden so irrationale Ängste hervorgerufen und Ablehnungen gegenüber Migranten gezielt geschürt. Somit trägt die IBD aktiv zur Schaffung eines fremdenfeindlichen Klimas bei. Auch wenn die IBD nicht gewaltsam gegen Ausländer und Flüchtlinge vorgeht, so sind ihre Aktionen und Veröffentlichungen in der Gesamtschau als rassistisch sowie fremdenund islamfeindlich zu bewerten. Bundesweit haben mehrere Mitglieder der IBD eine rechtsextremistische Vergangenheit. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die IB-Cottbus ist eine autark agierende, sehr stark mit der regionalen rechtspopulistischen Anti-Asylbewegung vernetzte Gruppe. Sie ist nicht weiter unter dem Dach der "Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg" tätig, die in der Form ohnehin nicht mehr existiert. Sie hat sich aufgespalten in die Regionalgruppen Berlin und Brandenburg, wobei die Regionalgruppe Brandenburg nur dem Namen nach existiert. Die IB-Cottbus ist die einzige IBD-Struktur im Land Brandenburg, nachRechtsextremismus 89 dem die Ortsgruppe Potsdam, die sich ebenfalls im Jahr 2017 gründete, im Jahr 2018 inaktiv war. Folgende Aktivitäten der IB-Cottbus waren im Jahr 2018 zu verzeichnen: * Im Januar 2018 wurde von der Bürgerinitiative "Ein Prozent e. V." ein Video mit zwei Protagonisten der IB-Cottbus veröffentlicht. Diese legen darin unter anderem ihre Beweggründe dar, für die IBD aktiv zu werden. * 12. Mai 2018: Propagandaaktion der IB-Cottbus, um auf die Opfer von Gewalt durch Flüchtlinge aufmerksam zu machen. * 4. Juni 2018: Aufkleber-Aktion der IB-Cottbus anlässlich des "Diversity-Days" an der BTU * 2. Dezember 2018: Demonstration der IB-Cottbus gegen den UN-Migrationspakt * Mitglieder der IB-Cottbus beteiligen sich regelmäßig an den Demonstrationen des asylfeindlichen Vereins "Zukunft Heimat". Sie sind zudem regelmäßige Besucher bei Veranstaltungen des "Bürgertreffpunkts Mühle Cottbus". Bewertung / Ausblick Bei der IB-Cottbus handelt es sich um eine aktionsorientierte Gruppierung, die in der Stadt Cottbus Fremdenhass und Islamfeindlichkeit fördert. Sie erzeugt mit modernen Ausdrucksformen und dem Bemühen um einen intellektuellen Anspruch besonders bei solchen Bevölkerungsschichten Resonanz, die traditionelle Rechtsextremisten bislang nicht erreichen konnten. In Teilen der Anti-Asyl-Bewegung der Region finden ihre Aktionen durchaus Zuspruch. Es wird damit gerechnet, dass die IB-Cottbus ihre Art von Protest in der Öffentlichkeit fortführt. 90 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Parteiunabhängige Strukturen 6: Kampfsportgruppen Sitz / Verbreitung Rechtsextremistische Kampfsportgruppen sind in Brandenburg eher im südlichen Teil des Landes vertreten. Gründung / Bestehen Die gegenwärtig älteste Kampfsportgruppierung in Brandenburg stammt aus dem Jahr 2008. Struktur / Repräsentanten Die Anhänger von rechtsextremistischen Kampfsportgruppierungen entstammen häufig dem Fußballhooligan-, Kampfsportsowie dem Securityund Türstehermilieu. Es bestehen durchaus Überschneidungen mit Rocker-Gruppen. Finanzierung Vermutlich finanzieren sich die Kampfsportgruppierungen durch Mitgliedsbeiträge, Sponsoring, Security-Einsätze und die Organisation von Szeneveranstaltungen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 125 Mitglieder bzw. Anhänger im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele In der rechtsextremistischen Gedankenwelt hat die Vorbereitung auf einen "Endkampf" und den "Tag X" schon immer eine besondere Bedeutung. Die Ausübung von Kampfsport entspricht der Überzeugung, sich für den angestrebten Zusammenbruch der staatlichen Ordnung zu wappnen und ist somit Ausdruck einer aggressiv-kämpferischen Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Durch die Flüchtlingskrise hat dieses Thema aus Sicht der Szene noch einmal besondere Brisanz erfahren. Rechtsextremisten beschwören dabei vermeintliche soldatische Tugenden, wie "Härte", "Unerbittlichkeit" und "Selbstüberwindung". In ihrem Selbstverständnis muss sich die rassische Überlegenheit auch in körperlicher Fitness widerspiegeln. Auch ein vermeintlicher "Volksgesundungsgedanke" spielt in der Ideenwelt der Rechtsextremisten eine Rolle. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Neben körperlicher Fitness verbinden Rechtsextremisten den Kampfsport mit neonationalsozialistischer Ideologie und vertreten rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Positionen gepaart mit einem hohen Gewaltpotenzial. Um das rechtsextremistische Verständnis von "Männlichkeit" in diesem Kontext zu verRechtsextremismus 91 mitteln, werden Selbstüberwindung, Härte, Disziplin und Kampfbereitschaft als identitätsstiftende Tugenden des "politischen Soldaten" propagiert. Der "Kampf" wird als ständige Lebensart der deutschen Rasse betrachtet, über den die Zukunftsfähigkeit des deutschen Volkes gesichert werden soll. Entwicklung im Berichtszeitraum "Kampfgemeinschaft Cottbus" Die Mitglieder der "Kampfgemeinschaft Cottbus" stammen überwiegend aus Cottbus und dem Landkreis Spree-Neiße. Die Gruppierung gründete sich vermutlich im Jahr 2017. Die "Kampfgemeinschaft Cottbus" ist eine lose Gruppierung von Rechtsextremisten aus dem gewaltbereiten Hooligan-, Kampfsport-, Securityund Türstehermilieu. Ihr können bis zu 115 Mitglieder zugerechnet werden. Bilder und Texte werden über das Bekleidungslabel "Black Legion" veröffentlicht. Die "Kampfgemeinschaft Cottbus" entwickelt sich in Cottbus und Umgebung als Sammelbecken für Rechtsextremisten mit hohem Gewaltpotenzial. Nach der Auflösung von "Inferno Cottbus", Mitte des Jahres 2017, suchten deren führende Akteure neue Betätigungsfelder und vertieften ihre schon vorhandene Allianz mit den teilweise aus dem Türsteherund Securitymilieu stammenden Protagonisten des rechtsextremistischen Labels "Black Legion". Kampfund Kraftsport stehen bei den Akteuren zur Erhaltung der Wehrhaftigkeit und zum Kampf gegen den politischen Gegner im Vordergrund. Aufgrund der Größe, Struktur und dem vorhandenen Gewaltpotenzial ist die Herausbildung einer absolut dominierenden Stellung im nicht parteigebundenen rechtsextremistischen Spektrum Südbrandenburgs das vermutliche Ziel der Gruppierung. Während "Inferno Cottbus" sich in früheren Tagen in der Regel selten selbst als gewaltsuchend darstellte, gilt dies für die "Kampfgemeinschaft Cottbus" sehr wohl. Die Schlagkraft und Aggressivität der Gruppierung wird dabei gern auf der Facebook-Seite des Labels "Black Legion" inszeniert. So wurde beispielsweise am 31. Dezember 2018 ein Bild veröffentlicht, auf dem etwa 60 Vermummte zu sehen sind. Sie posieren vor einer Industriebrache und sind teilweise mit Kanthölzern bewaffnet. Dazu tragen sie Bekleidung der "Kampfgemeinschaft Cottbus" und des Labels "Black Legion". Offenkundig soll dieses Bild der Machtdemonstration dienen. Über welches Personenpotenzial die Gruppierung verfügt, zeigte sich bei der von ihr organisierten Weihnachtsfeier am 7. Dezember 2018 in Cottbus, bei der durch die Polizei etwa 300 Personen festgestellt wurden. 92 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Mitglieder der Gruppierung konnten im Jahr 2018 bei folgenden rechtsextremistischen Veranstaltungen festgestellt werden: * 21. April 2018: "Schildund Schwertfestival" - Musikund Kampfsportveranstaltung in Ostritz (Sachsen) * 9. Juni 2018: "Tiwaz - Kampf der freien Männer" - Kampfsportveranstaltung in Grühnhain-Beierfeld (Sachsen) * 1. September 2018: "Sicherheit für Chemnitz" - rechtsextremistische Versammlung mit bürgerlicher Beteiligung in Chemnitz (Sachsen) * 13. Oktober 2018: "Kampf der Nibelungen" - Kampfsportveranstaltung in Ostritz (Sachsen) * 3. November 2018: "Schildund Schwertfestival" - Musikund Kampfsportveranstaltung in Ostritz (Sachsen) Die "Kampfgemeinschaft Cottbus" stellte zu den Veranstaltungen "Tiwaz" und "Kampf der Nibelungen" eigene Kämpfer, die teilweise kaum über sportliche Kampferfahrungen im Ring verfügten. Erwähnenswert hierbei ist, dass bei der Veranstaltung "Tiwaz" der ehemalige "Capo"75 von "Inferno Cottbus" sowie der Geschäftsführer eines Cottbuser Sicherheitsunternehmens als Kämpfer angekündigt waren. Über das Label "Black Legion", welches regelmäßig als Sponsor bei solchen Veranstaltungen auftritt, vernetzen sich die Cottbuser bundesweit sowie mit Rechtsextremisten aus dem europäischen Ausland. Die "Kampfgemeinschaft Cottbus" ist ein noch relativ junger Zusammenschluss, der jedoch über ein beachtliches Personen-, Unterstützerund Gewaltpotenzial verfügt. Ihre bisherigen Strukturen werden vermutlich in der Zukunft gefestigter werden und konkurrierende Gruppen werden über Druck oder Gewalt zur Seite gedrängt. Dass die "Kampfgemeinschaft Cottbus" bisher nicht öffentlich im Zusammenhang mit Fußballspielen des "FC Energie Cottbus" aufgetreten ist, mag ursächlich daran liegen, dass die Berichterstattung über "Inferno Cottbus" noch nicht lange zurückliegt und die Protagonisten bisher die mediale Aufmerksamkeit scheuen. Es ist zu vermuten, dass die Gruppierung versuchen wird, zukünftig ihren Herrschaftsanspruch, wie es zuvor "Inferno Cottbus" tat, im Stadion umzusetzen. Bisher konzentriert sich die Gruppierung auf rechtsextremistische Kampfsportevents. Da diese Veranstaltungen in den letzten Jahren deutlich an Popularität gewonnen haben, werden sowohl die "Kampfgemeinschaft Cottbus" als auch das Label "Black Legion" bei diesen weiterhin stark vertreten sein und vermutlich immer professioneller werdende Kämpfer in den Ring schicken. Aufgrund der Verstrickungen einiger Mitglieder in das Türsteherund Securitygewerbe ist es nicht ausgeschlossen, 75 Vorsänger von Fußballfangruppierungen im Fanblock. Rechtsextremismus 93 dass es zu Rivalitäten mit kriminellen Gruppierungen, beispielsweise aus dem Rockermilieu, kommt. "Northsidecrew" Die "Northsidecrew" (NSC) ist ein rechtsextremistischer Kampfsportverein. Sie verfügt in Lübben (LDS) mit der ehemaligen Diskothek "Players" über eigene Trainingsund Clubräume. Die Gruppierung gründete sich vermutlich im Jahr 2008. Sie verfügt über etwa zehn Mitglieder. Die NSC ist in der regionalen rechtsextremistischen Szene Südbrandenburgs besonders mit der rechtsextremistischen Fußballhooligan-Szene sowie darüber hinaus beispielsweise mit der "Barnimer Freundschaft" und den "Märkischen Skinheads 88" gut vernetzt. Der Verein führt in unterschiedlichen Abständen Szene-Veranstaltungen in seinen Trainingsräumen mit mehreren Dutzend Teilnehmern durch. Die NSC-Kämpfer treten regelmäßig für die rechtsextremistischen Bekleidungslabels "Black Legion" und "Greifvogel Wear" bei einschlägigen Kampfsportturnieren an und werden zum Beispiel bei Szenekonzerten als Security eingesetzt. Die Gruppe finanziert sich vermutlich durch Mitgliedsbeiträge und Sponsoring. Zudem ergeben sich Erlöse aus Szeneveranstaltungen. NSC-Mitglieder traten im Jahr 2018 bei den folgenden rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen als Kämpfer an: * 9. Juni 2018: "Tiwaz - Kampf der freien Männer" - Kampfsportveranstaltung in Grühnhain-Beierfeld (Sachsen) * 13. Oktober 2018: "Kampf der Nibelungen" - Kampfsportveranstaltung in Ostritz (Sachsen) Des Weiteren organisierte die Gruppierung in ihren Trainingsräumen Feiern für die rechtsextremistische Szene. Die NSC ist schon aufgrund ihres vergleichsweise langen Bestehens eine feste Größe im rechtsextremistischen Kampfsportmilieu und zumindest in Brandenburg der einzig fest in der Szene etablierte Kampfsportverein von Rechtsextremisten. Dieses Alleinstellungsmerkmal kommt der Gruppierung in der aktuell stark wachsenden rechtsextremistischen Kampfsportszene zugute. Bei den regelmäßig stattfindenden Kampfsportevents der Szene sind die NSC-Kämpfer fester Bestandteil. Vermutlich wird die Gruppierung auch zukünftig nur den kämpfenden und nicht den organisatorischen Teil von Kampfsportveranstaltungen übernehmen, da sie damit vermutlich für das Label "Black Legion" und die "Kampfgemeinschaft Cottbus" eine Konkurrenz darstellen würden. 94 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Bewertung / Ausblick Es besteht die Gefahr, dass das Aggressionspotenzial von Rechtsextremisten, die in körperlicher Auseinandersetzung geschult sind, sich zunehmend erhöht. "Kämpfe ohne Regeln" können zu einer Enthemmung der Gewalt führen. Zudem nutzen Rechtsextremisten den Kampfsport als Rekrutierungsfeld für Jugendliche. Darüber hinaus haben sich Kampfsportveranstaltungen wie der "Kampf der Nibelungen" oder "Tiwaz" zu Großevents der Szene entwickelt. Brandenburgische Teams, wie "Greifvogel Eskadron"76 oder "Black Legion", die regelmäßig an Kampfsportveranstaltungen teilnehmen, dienen insbesondere der Vermarktung der dahinterstehenden Bekleidungslabels. Ein Teil der Erlöse wird dann wiederum für Szeneveranstaltungen zur Verfügung gestellt. Auf diese Weise entsteht ein szeneinterner Geldkreislauf, welchen es weiterhin genauestens zu beobachten gilt. 76 Tritt für das rechtsextremistische Label "Greifvogel Wear" an. Rechtsextremismus 95 Weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial Sitz / Verbreitung Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial ist im gesamten Land Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen - Struktur / Repräsentanten - Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 1.125 Personen im Land Brandenburg Kurzportrait / Ziele Das weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial umfasst in Brandenburg rund 1.125 Personen. Die Zusammensetzung ist sehr heterogen. Hierunter fallen alle organisationsungebundenen Rechtsextremisten, wie zum Beispiel subkulturell geprägte Rechtsextremisten, Gewalttäter, Internet-Aktivisten, die keiner Organisation zugeordnet werden können, rechtsextremistische Skinheads, regelmäßige Besucher von rechtsextremistischen Demonstrationen oder Konzerten sowie Personen in informellen Kleinstgruppen, die keine Außenwirkung entfalten. Das weitgehend unstrukturierte Personenpotenzial bildet folglich keine geschlossene Szene. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Personen, die dem weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial zugeordnet werden, sind zumeist (wiederholt) durch rechtsextremistische (Gewalt-)Straftaten oder durch die Teilnahme an rechtsextremistischen Veranstaltungen, wie Konzerten und Demonstrationen, in Erscheinung getreten. Auch Personen, die im Internet durch fremdenfeindliche, menschenverachtende und rassistische Äußerungen auffallen oder die sich offen zum Nationalsozialismus bekennen, werden hierunter gefasst. Aus Sicht der Sicherheitsbehörden geht vom weitgehend unstrukturierten Personenpotenzial eine besondere Bedrohung aus, da Personen aus diesem Spektrum überproportional häufig (Gewalt-)Straftaten begehen. Aufgrund der fehlenden Anbindung an feste Strukturen ist eine Beobachtung des weitgehend unstrukturierten Personenpotenzials zudem schwierig. 96 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Entwicklung im Berichtszeitraum Anhaltend hohe Zahlen bei politisch motivierten (Gewalt-)Straftaten, regelmäßig durchgeführte Rechtsrock-Konzerte, rechtsextremistische Demonstrationen sowie verstärkte Aktivitäten bei Internet-Aktivisten ließen das Personenpotenzial im weitgehend unstrukturierten Rechtsextremismus im Jahr 2018 erneut anwachsen. Bewertung / Ausblick Von einem weiteren Anstieg des weitgehend unstrukturierten Personenpotenzials ist auszugehen. Rechtsextremistische Konzerte, Großveranstaltungen und Demonstrationen gewinnen wieder an Bedeutung in der Szene. Zudem bleiben (Gewalt-)Straftaten beziehungsweise Straftaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund auf einem hohen Niveau. Für Aktivisten bietet das Internet eine offene und kaum zu kontrollierende Bühne für menschenverachtende und rassistische Hass-Kommentare, denen schnell impulsgebende Wirkung bei Umsetzung tatsächlicher körperlicher Gewalt zukommen kann. Rechtsextremismus 97 Rechtsextremistische Hassmusik Sitz / Verbreitung Rechtsextremistische Hassmusiker sind vor allem im Süden und im Osten des Landes Brandenburg vertreten. Gründung / Bestehen Eine entsprechende Musikszene besteht seit den 1990er Jahren. Struktur / Repräsentanten 23 Bands 14 Liedermacher Mitglieder / Anhänger / Unterstützer - Kurzportrait / Ziele Rechtsextremistische Musik ist das verbindende und identitätsstiftende Element der Szene. Sie ist häufig der erste Berührungspunkt für Jugendliche. Dabei dient die Musik als Vehikel, um das neonationalsozialistische Gedankengut zu transportieren. Die verschiedenen Versatzstücke der rechtsextremistischen Ideologie werden in der Musik in griffigen Parolen und Slogans verpackt. Die Bandbreite der Liedtexte ist entsprechend groß. Sie reicht von antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Inhalten über germanische Mythologie bis hin zu antidemokratischen und systemfeindlichen Hetzereien und der Verherrlichung des NS-Regimes. Musik ist Teil einer rechtsextremistischen Erlebniswelt und dient der ideologischen Orientierung ihrer meist jungen Hörer. Von Liedermachern und Rap-Versuchen abgesehen, wird überwiegend Rock gespielt. Insbesondere die zumeist konspirativ vorbereiteten und durchgeführten Konzerte haben eine immense Bedeutung für den inneren Zusammenhalt der Szene. Der Musik kommt damit eine gemeinschaftsstiftende Funktion zu. Sie hat sich als probates Lockmittel erwiesen, um neue Anhänger an das rechtsextremistische Gedankengut heranzuführen. Zudem ist die Veranstaltung von Konzerten eine gute Möglichkeit für rechtsextremistische Gruppierungen, Gelder einzunehmen, die für den politischen Kampf benötigt werden. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Musik von Rechtsextremisten dient der Verherrlichung von Gewalt sowie des Nationalsozialismus. Bands sowie Liedermacher verbreiten - teils offen, teils verdeckt - rechtsextremistische, antisemitische sowie fremdenfeindliche Propaganda, het98 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 zen gegen ihre politischen Gegner und stacheln zu Gewalt an. Auf Konzerten kommt es immer wieder zu strafbaren Handlungen, wie dem Rufen nationalsozialistischer Parolen ("Sieg Heil" und "Heil Hitler"). Auch der verbotene Hitler-Gruß wird gezeigt. Rechtsextremistische Musik ist somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet. Entwicklung im Berichtszeitraum 2018 konnte die rechtsextremistische Musikszene in Brandenburg ihr bereits hohes Aktivitätsniveau nochmals steigern. Die Zahl der Bands hat sich auf 23 (2017: 20) und die der Liedermacher auf 14 (2017: 13) erhöht. Folgende aus Brandenburg stammende Bands waren 2018 aktiv: 1. Aryan Brotherhood (A.B.); Potsdam 2. Confident of Victory (C.O.V.); OSL 3. Exzess; MOL 4. Frontalkraft (FK); Cottbus 5. Frontfeuer; LOS 6. Feuer Frei; ohne regionale Zuordnung / einige Bandmitglieder kommen aus LOS 7. Handstreich inkl. Projekt Natürlich; Potsdam 8. Hausmannskost (HMK); Cottbus 9. Jungvolk; UM, 2018 wieder aktiv 10. Old School Rockerz; BAR, Neuaufnahme für 2018 11. Outlaw; OSL 12. Preussen Revolte; BAR 13. Projekt 8.8; LOS, 2018 wieder aktiv 14. Raritäten; BAR, vormals Exempel 15. Skrew You; LOS 16. SPN-S; SPN, kurzzeitig Unbeugsam, Neuaufnahme für 2018 17. Stahlhelm; TF 18. Stonehammer; LOS 19. Sons of Odin; LOS, Neuaufnahme für 2018 20. Skindogs; LOS 21. Uwocaust und Helfershelfer beziehungsweise Uwocaust und RAConquista; Potsdam, (vormals Uwocaust und alte Freunde) 22. Volkstroi; LOS 23. Band aus Südbrandenburg; OSL, Neuaufnahme für 2018 Rechtsextremismus 99 Inaktiv waren im Jahr 2018 folgende aus Brandenburg stammende Bands: 1. Barbaren; LOS 2. Deathfeud; LDS 3. Burn Down (B.D.); Potsdam Von folgenden aus Brandenburg stammenden Liedermachern wurden 2018 Aktivitäten festgestellt: 1. AK - Solingen (47); Cottbus 2. Björn (teilweise Brusi oder Herr B.!); Frankfurt (Oder) 3. Bloody 32; Cottbus, Neuaufnahme für 2018 4. Brenner; SPN 5. Fylgien; UM 6. Griffin; LOS 7. Martin; Potsdam 8. Moment; ohne regionale Zuordnung, Neuaufnahme für 2018 9. Paul (teilweise Bartender IB); Cottbus, Neuaufnahme für 2018 10. Preußen Standarte; BAR 11. Paladin; MOL, Neuaufnahme für 2018 12. Sten; Cottbus 13. Son of the Wind (S.o.W.); BAR 14. Toitonicus (auch Preussen.Wut und Thomas); HVL Der Liedermacher "Artgerecht" ist in ein anderes Bundesland verzogen. Von "Heimattreue" und "Mike" wurden 2018 keine Aktivitäten festgestellt. Auch wenn Rockmusik noch immer das bestimmende Genre innerhalb der rechtsextremistischen Hassmusik ist, haben in den letzten Jahren Rap und Hiphop an Bedeutung gewonnen. In Brandenburg ist diese Entwicklung 2018 wieder deutlich geworden. Mit "Bloody 32" und "Moment" sind nunmehr zwei rechtsextremistische Rapper aus Brandenburg aktiv. Besonders deutlich wird die rechtsextremistische Grundausrichtung in dem Lied "Babelsberg jagen!", welches nach eigenen Angaben von dem Textschreiber "MRX" verfasst und dem Rapper "Moment" gesungen wurde. In dem äußerst gewaltaffinen Lied werden beispielsweise die Opfer des nationalsozialistischen Vernichtungslagers in Auschwitz verhöhnt. So heißt es an einer Stelle: "Tot unterm Zug, Ihr seid so dämlich, ich sage Arbeit macht frei, Arbeit macht frei, Babelsberg 03". 100 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 In der jüngeren Vergangenheit entstanden verschiedene Bands im direkten Umfeld neonationalsozialistischer Organisationen. So gibt es beispielsweise enge Verflechtungen zwischen der "Kameradschaft Kommando Werwolf" und den Bands "Frontfeuer" und "Projekt 8.8". Zwischen Bruderschaften und dem Entstehen der Bands "Feuer Frei" und "Old School Rockerz" bestehen ebenfalls Verbindungen. Die neonationalsozialistische Gruppierung "Märkische Skinheads 88" aus Oberhavel war 2018 insbesondere an der Organisation und Durchführung von Musikveranstaltungen im Land Brandenburg und in Sachsen beteiligt. Personalfluktuation und Kurzlebigkeit von Bandprojekten samt Wechsel von Bandnamen sorgen dafür, dass vermeintlich neue Kapellen die Musikbühne betreten. Teile der Band "Old School Rockerz" nutzten bereits die Namen "Raritäten", "Preußenfront" und "Klänge des Blutes". Auch "Solo"-Auftritte von Mitgliedern, unter anderem der Bands "Frontalkraft", "SPN-S" und "Handstreich", finden bei Feiern und Liederabenden regelmäßig statt. Mit den Liedermachern "Fylgien", "Paul" und "Björn" sind im Land Brandenburg zudem Barden unterwegs, die nicht aus dem Umfeld rechtsextremistischer Bands stammen. Wegen des anhaltend hohen Drucks der Sicherheitsbehörden blieben die Konzertaktivitäten im Jahr 2018 auf einem sehr niedrigen Stand. Lediglich vier Konzerte (2017: 5) konnten durchgeführt werden. Wie bereits 2017 wurden zwei Konzerte im Vorfeld verhindert. * 26. Januar 2018: durchgeführtes Konzert im Landkreis OHV (organisatorische Beteiligungen: "Märkische Skinheads 88", "Northsidecrew", "Velten Skinheads") * 27. Januar 2018: durchgeführtes Konzert in Lübben (LDS) (organisatorische Beteiligungen: "Märkische Skinheads 88", "Northsidecrew", "Velten Skinheads") * 3. Februar 2018: verhindertes Konzert in Frankfurt (Oder) (organisatorische Beteiligung: "Kameradschaft Kommando Werwolf") * 17. Februar 2018: durchgeführtes Konzert im Landkreis OSL mit 120 Teilnehmern * 28. April 2018: durchgeführtes Konzert in Lübbenau (OSL) mit 100 Teilnehmern und unter anderem mit der Band Uwocaust (organisatorische Beteiligung: "Northsidecrew") * 7. Juli 2018 verhindertes Konzert in Burg (Spreewald, SPN) Rechtsextremismus 101 Darüber hinaus fanden im Jahr 2018 in Brandenburg acht Liederabende statt (2017: 7). Ein Liederabend konnte verhindert werden. * 27. Januar 2018: durchgeführter Liederabend in Motzen (LDS) mit 50 Teilnehmern * 10. März 2018: durchgeführter Liederabend in Roddan (PR) mit 100 Teilnehmern (organisatorische Beteiligung: "Freie Kräfte Prignitz") * 10. Juni 2018: durchgeführter Liederabend in Burg (Spreewald, SPN) (organisatorische Beteiligung: "Brigade 8 - Chapter Spreewald") * 15. Juni 2018: durchgeführter Liederabend in Wittstock (OPR) * 15. Juni 2018: verhinderter Liederabend in Prenzlau (UM) * 8./9. September 2018: durchgeführter Liederabend im Land Brandenburg mit "Zeitnah" und "Reichstrunkenbold" (Liedermacher stammen nicht aus Brandenburg) * 2. Oktober 2018: durchgeführter Liederabend in Hohenbocka (OSL) mit etwa 100-120 Teilnehmern * 3. November 2018: durchgeführter Liederabend in Lübben (LDS) mit etwa 50 Teilnehmern (organisatorische Beteiligung: "Northsidecrew") * 7. Dezember 2018: durchgeführter Liederabend in Prenzlau (UM) mit etwa 40 Teilnehmern Im bundesweiten Vergleich sind Aktivitäten brandenburgischer Bands vergleichsweise hoch. Das wird durch die Nähe zu Sachsen begünstigt, denn im dortigen Torgau (Ortsteil Staupitz) befindet sich ein Konzertort von bundesweiter Bedeutung, an dem 2018 wieder zahlreiche Aktivitäten stattfanden. Brandenburgische Bands sind daran seit Jahren beteiligt. So ist es nicht verwunderlich, dass im Jahr 2018 mehrere brandenburgische Hassmusiker sowie das Cottbuser Musiklabel "Rebel Records" Staupitz als Ort für eigene Veranstaltungen auswählten. Die brandenburgischen Musiker waren im übrigen Bundesgebiet weiter gefragt. So traten beispielsweise beim "Schild & Schwert-Festival" im sächsischen Ostritz vom 20. bis 22. April 2018 rechtsextremistische Bands ("Sons of Odin") und Liedermacher (Griffin) aus dem Land Brandenburg auf. Der in Königs Wusterhausen (LDS) ansässige Szenevertrieb "Erik and Sons" hatte auf dem von etwa 3.000 Personen besuchten Festival einen Verkaufsstand. Die Textillabels "Black Legion" (Cottbus) und "Greifvogel Wear" (Lindenau, OSL) unterstützten die Veranstaltung ebenso. Doch nicht nur innerhalb Deutschlands geben aus Brandenburg stammende Hassmusiker Konzerte. Nach einem verhinderten Konzert am 20. April 2018 in 102 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Polen konnten "Confident of Victory" (OSL) am 16. Juni 2018 vor 500 Besuchern in der Tschechischen Republik und Anfang November 2018 in Portugal auftreten. Neben eigenen Auftritten sind brandenburgische Rechtsextremisten in die Konzeption und Durchführung überregionaler Musikveranstaltungen federführend eingebunden. Am 10. November 2018 fand in Kirchheim (Thüringen) ein Konzert mit den Bands "Confident of Victory" (OSL), "Exzess" (MOL) und "Uwocaust" (Potsdam) statt. Anmelder und Ordner waren Hammerskins aus Brandenburg. Es nahmen 230 Personen teil. Bei dem für den 25. August 2018 geplanten und später untersagten Konzert "Rock gegen Überfremdung III" im thüringischen Mattstedt war beispielsweise Marcel Zech von der rechtsextremistischen "Barnimer Freundschaft" als stellvertretender Versammlungsleiter an der Organisation beteiligt. Ersatzweise wurden am 5. Oktober 2018 das "Rocktoberfest gegen Überfremdung" und am 6. Oktober 2018 das Konzert "Rock gegen Überfremdung III" jeweils im thüringischen Apolda durchgeführt. Auch hier war Marcel Zech ein Mitorganisator. An den Veranstaltungen nahmen jeweils etwa 750 - 800 Personen teil. An folgenden bundesweiten Konzerten und Veranstaltungen waren 2018 Akteure aus Brandenburg auf der Bühne oder als Organisatoren beteiligt: Datum Veranstaltungsort Bandname / Liedermacher / Organisation Teilnehmer 24.02.2018 Staupitz (Sachsen) Uwocaust (Potsdam); 250 Personen aus Brandenburg (OHV und Cottbus) waren in die Organisation eingebunden und als Ordner vorgesehen. 10.03.2018 Hoyerswerda SPN-S noch unter dem Namen 100 (Sachsen) Unbeugsam (SPN), Fylgien (UM) 31.03.2018 Staupitz (Sachsen) Confident of Victory (OSL) 20.04.2018 Polen Confident of Victory (OSL) verhindert 20.04.2018 Ostritz (Sachsen) Sons of Odin (LOS), Griffin (LOS); etwa 3.000 bis Verkaufsstand "Erik and Sons" (LDS); 22.04.2018 Unterstützung der Veranstaltung durch die Labels "Black Legion" (Cottbus) und "Greifvogel Wear" (OSL) Rechtsextremismus 103 Datum Veranstaltungsort Bandname / Liedermacher / Organisation Teilnehmer 05.05.2018 Mücka (Sachsen) Fylgien (UM) 16.06.2018 Tschechische Confident of Victory (OSL) 500 Republik 23.06.2018 Eschede Fylgien (UM) (Niedersachsen) 25.08.2018 Mattstedt Frontalkraft (Cottbus); untersagt (Thüringen) Verkaufsstand "Greifvogel Wear" (OSL); Mitorganisator: Marcel Zech ("Barnimer Freundschaft"); Nach Untersagung wurden für den 5.10.2018 und 6.10.2018 Ersatzveranstaltungen angekündigt (siehe unten). 05.10.2018 Apolda (Thüringen) Mitorganisator: Marcel Zech ("Barnimer 750 Freundschaft") 06.10.2018 Apolda (Thüringen) Mitorganisator: Marcel Zech ("Barnimer 800 Freundschaft"); ohne den geplanten Auftritt der Band Frontalkraft (Cottbus) 13.10.2018 Staupitz (Sachsen) SPN-S (SPN); 250 Verkaufsstand: "Rebel Records" (Cottbus); Personen aus Cottbus waren in die Organisation eingebunden und als Ordner vorgesehen. 02.11.2018 Ostritz (Sachsen) Griffin (LOS), Uwocaust (Potsdam); 1.200 bis Verkaufsstand: "Erik and Sons" (LDS) 03.11.2018 03.11.2018 Portugal Confident of Victory (OSL) 10.11.2018 Kirchheim Confident of Victory (OSL), Exzess 230 (Thüringen) (MOL), Uwocaust (Potsdam); Anmelder und Ordner unter anderem "Hammerskins" aus Brandenburg 104 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Datum Veranstaltungsort Bandname / Liedermacher / Organisation Teilnehmer 08.12.2018 Staupitz (Sachsen) Confident of Victory (OSL), Exzess 160 (MOL), Frontfeuer (LOS); Personen aus Brandenburg (OHV und Cottbus) waren in die Organisation eingebunden und als Ordner vorgesehen. 29.12.2018 Sachsen Confident of Victory (OSL), SPN-S (SPN) Die Produktion neuer Tonträger ist mit zehn Veröffentlichungen gegenüber dem Vorjahr gleichgeblieben. Lfd. Bandname Titel Art Hersteller Nr. 1 Herr B.! "Klänge der Heimat" CD Heimdall-Versand (auch in einer auf 44 (Wittenberg, SachsenStück limitierten Holzbox Anhalt) verfügbar) 2 Exzess "10 Wilde Jahre Live" CD Exzess Records (Strausberg, MOL) 3 Frontalkraft, Blitzkrieg, "Wir stehen fest" CD PC Records (Chemnitz, Confident of Victory Sachsen); OPOS Records (Lindenau, OSL); Rebel Records (Cottbus) 4 CD-Sampler unter "Freiheitsrock CD Freiheitsrock anderem mit Jungvolk, Gemeinschaft Leben" (Wolfertschwenden, Paladin Bayern) 5 Griffin "Griffin Whiteheart Live CD BH Records Croatia" 6 SPN-S "DEMO" CD Vertrieb nicht bekannt 7 Uwocaust und "Kaltblütig" CD PC Records (Chemnitz, RAConquista Sachsen) Rechtsextremismus 105 Lfd. Bandname Titel Art Hersteller Nr. 8 CD-Sampler unter "10. Tag der Deutschen CD PC Records (Chemnitz, anderem mit Projekt 8.8, Zukunft" Sachsen) Frontfeuer, Raritäten 9 Handstreich "Leben mit der CD PC Records (Chemnitz, Terrorgefahr" Sachsen) 10 Split-CD unter anderem "The Three Ass Kicks" CD Rebel Records Hausmannskost (Cottbus) Die Produktion und der Vertrieb von Tonträgern erfolgen meist über rechtsextremistische Musiklabels. Sie stellen Aufnahmetechnik zur Verfügung und verkaufen Tonträger über das Internet und in Ladengeschäften. Wie in den letzten Jahren waren "PC Records" in Chemnitz (Sachsen) und "Rebel Records" ("The Devils Right Hand Store") in Cottbus für die brandenburgische Szene ein wichtiger Auflaufpunkt. Ein weiterer einflussreicher Vertrieb ist "One People One Struggle Records" (OPOS Records) in Lindenau (OSL). Folgende rechtsextremistische Vertriebsund Tonträgerproduktionsstrukturen waren 2018 im Land Brandenburg aktiv: * Erik & Sons (Königs Wusterhausen, LDS): Textillabel * Exzess Records (Strausberg, MOL): Label, Vertrieb * K.S. Versand (Knochensack) (Bad Saarow, LOS): Vertrieb (Neuaufnahme für 2018) * Opos Records mit Textillabel Greifvogel Wear (Lindenau, OSL): Label, Vertrieb, Ladengeschäft * Rebel Records mit Textillabel Black Legion Wear (Cottbus): Label, Vertrieb, Ladengeschäft * Superbolle (Bestensee, LDS): Vertrieb (Neuaufnahme für 2018) Vom "Zentralversand" (Chorin, BAR) sind im Jahr 2018 keine Vertriebsaktivitäten festgestellt worden. Der "Fylgien-Versand" (Templin, UM) stellte im Laufe des Jahres 2018 seinen Vertrieb ein. Der Vertrieb "Superbolle" (Bestensee, LDS) warb auf seiner Internetseite für einen Liederabend am 22. Dezember 2018 im Süden von Berlin mit der Band "Kategorie C". Der Liederabend fand in Berlin vor etwa 50 Teilnehmern statt. 106 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Bewertung / Ausblick Rechtsextremistische Musik bleibt mit bis zu 3.000 Besuchern bei einem Konzert ein starkes Bindemittel für die gesamte Szene. Konzerte sind ein wichtiger Bestandteil der rechtsextremistischen Erlebniswelt. Daher wird der hohe Druck der brandenburgischen Sicherheitsbehörden auf die Szene konsequent aufrechterhalten. So konnten 2018 erneut rechtsextremistische Konzerte und Liederabende im Land Brandenburg verhindert werden. Die rechtsextremistische Szene wich 2018 auf bislang unbekannte und unverdächtige Veranstaltungsorte wie in Motzen (LDS), Lübbenau (LDS) und Roddan (PR) aus. Es gelang jedoch nicht, Liegenschaften für regelmäßige rechtsextremistische Musikveranstaltungen zu finden. Daher bleibt Brandenburg für größere Konzertaktivitäten weiterhin unattraktiv. Das Risiko eines Verbotes oder einer Auflösung erscheint zu hoch. Bands und Liedermacher nutzen daher Objekte in anderen Bundesländern, vornehmlich in Sachsen und Thüringen. Trotz allem wird der Trend zur Produktion rechtsextremistischer Tonträger anhalten. Bekannte Labels besorgen die Produktion und Vermarktung. Insbesondere Neulinge sowie Bands mit geändertem Namen nutzen das Internet, um auf sich aufmerksam zu machen. Auf diesem Wege verbreiten sie in eigener Verantwortung selbstproduzierte Tonträger in kleinen Stückzahlen. Rechtsextremismus 107 Immobilien der rechtsextremistischen Szene Um extremistisch-politische Arbeit wie Schulungen, Veranstaltungen, Konzerte oder Liederabende durchführen zu können, werden Immobilien benötigt, die sich möglichst im Eigentum eines Anhängers oder Sympathisanten befinden. Hat man auf solche Liegenschaften Zugriff, dienen sie in erster Linie dem Aufbau und der Verfestigung der Szene-Infrastruktur. Die Anforderungen an die Objekte sind vielfältig und unterscheiden sich je nach Anlass. Bad Freienwalde (MOL) Der ehemalige Landesvorsitzende der rechtsextremistischen Partei "DIE RECHTE" besitzt in Bad Freienwalde (MOL) ein Einfamilienhaus mit ausgebautem Nebengelass, welches szeneintern als "Sturmlokal" bezeichnet wird. Das Grundstück sowie das Nebengelass dienen der "Kameradschaft Märkisch Oder Barnim" als Treffort und für Szeneveranstaltungen. Beispielsweise fand dort am 14. April 2018 die Geburtstagsfeier des Grundstückseigners mit etwa 20 weiteren Rechtsextremisten statt. Burg (Spreewald) (SPN) Ein Mitglied der "Brigade 8 - Chapter Spreewald" verfügt in Burg (Spreewald, SPN) über ein Grundstück mit Fährbetrieb und einer Pension. Hier fanden im Berichtszeitraum mehrere Treffen der Gruppierung "Brigade 8 - Chapter Spreewald" statt, bei denen es wiederholt zu strafbewehrten Verbaläußerungen kam. Des Weiteren konnte am 9./10. Juni 2018 ein rechtsextremistischer Liederabend mit etwa 20 rechtsextremistischen Teilnehmern festgestellt werden. Frankfurt (Oder) In der Innenstadt von Frankfurt (Oder) hat die "Kameradschaft Kommando Werwolf" einen alten Luftschutzbunker gemietet und nutzt dieses etwa 200 m2 große Objekt für rechtsextremistische Veranstaltungen. So wurde die Polizei auf ein rechtsextremistisches Konzert am 3. Februar 2018 in dem Bunker aufmerksam, welches sie im Vorfeld verhinderte. Aufgrund des bestehenden behördlichen Drucks ist die Immobilie für die Gruppierung zunehmend unattraktiv geworden. 108 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Lübben (LDS) Der rechtsextremistische Kickbox-Verein "Northsidecrew" unterhält in Lübben (LDS) in der ehemaligen Diskothek "Players" seine Trainingsund Clubräume. Das Objekt wurde auch im Jahr 2018 für Feiern mit rechtsextremistischem Charakter genutzt. Mittenwalde OT Motzen (LDS) Ein 31-jähriger Rechtsextremist aus Zossen (TF) organisiert und veranstaltet in einem ehemaligen arabischen Restaurant im Mittenwalder Ortsteil Motzen (LDS) Szene-Events. So fand dort beispielsweise am 27. Januar 2018 ein rechtsextremistischer Liederabend mit etwa 50 Teilnehmern statt. Rathenow (HVL) Bei der Liegenschaft in Rathenow (HVL) handelt es sich um einen Kleingarten, der wiederholt durch die lokale rechtsextremistische Szene für Veranstaltungen, wie interne Feiern oder Liederabende, genutzt wird. Strausberg (MOL) In Strausberg (MOL) betreibt die rechtsextremistische Gruppierung "AO Strausberg" ihr Clubhaus in einem Garagenkomplex, in welchem Szenefeiern und Clubabende veranstaltet werden. Wandlitz OT Klosterfelde (BAR) Im Wandlitzer Ortsteil Klosterfelde (BAR) betreibt die rechtsextremistische Gruppierung "Barnimer Freundschaft" ihr Clubhaus auf einem ehemaligen Industriegelände. Die Immobilie wird weiterhin für Szenefeiern sowie für Liederabende genutzt, die jeweils mehrere Dutzend Rechtsextremisten anziehen. Rechtsextremismus 109 110 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Reichsbürger und Selbstverwalter Reichsbürger und Selbstverwalter 111 Reichsbürger und Selbstverwalter Sitz / Verbreitung In Brandenburg sind vier Gruppierungen den "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" zuzurechnen: "Die Exil-Regierung Deutsches Reich", "Freistaat Preußen/ Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches", "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" und "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Gründung / Bestehen 1985 wurde die erste "Kommissarische Reichsregierung" (KRR) in Berlin gegründet. In Brandenburg wurden seit dem Jahr 2000 immer wieder einzelne Gruppierungen aktiv. Struktur / Repräsentanten Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist sehr heterogen. Neben den vier Hauptgruppierungen setzt sie sich in Brandenburg aus kleineren Vereinen, regionalen Netzwerken und Einzelpersonen zusammen. Die Szene wandelt sich ständig und organisiert sich immer wieder neu. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Es gibt rund 650 Anhänger in Brandenburg, bei der die Mehrzahl keine feste Organisationsbindung hat. Es handelt sich mehrheitlich um Einzelpersonen und Angehörige örtlich loser Szenen, welche auf moderatem Niveau Zulauf aufweisen. Veröffentlichungen Alle vier Gruppierungen verfügen über einen eigenen Internetauftritt und bieten unter anderem Fantasiepapiere und teilweise Schriftsätze zum Download an. Daneben existieren Vernetzungsplattformen im Internet und ein vielfältiges Angebot an zumeist geschlossenen Foren in den sozialen Netzwerken. Einzelne Autoren und Autorenzusammenschlüsse aus dem verschwörungsideologischen Milieu veröffentlichen gezielt Monografien für die Angehörigen und Sympathisanten der Szene. Eine der Hauptveröffentlichungen ist der Titel "Die 'BRD-GmbH' oder zur völkerrechtlichen Situation in Deutschland und den sich daraus ergebenden Chancen für ein neues Deutschland". Der Verfasser dieser Schrift ist ein Aktivist aus der Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme". Der "Argo-Verlag" aus Marktoberndorf in Bayern bietet darüber hinaus mit dem "Magazin 200plus" eine Zeitschrift an, die sich an die Zielgruppe der "Reichsbürger und Selbstverwalter" wendet. 112 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Kurzportrait / Ziele "Reichsbürger und Selbstverwalter" in ihrer heutigen Ausprägung sind ein relativ junges Phänomen. Die Teilmenge der "Reichsbürger" orientiert sich an revisionistischen Ansichten und ist damit ein Teil der politischen Bewegung des Rechtsextremismus. Sie berufen sich in unterschiedlichster Form auf den Fortbestand des Deutschen Reiches und die angeblich fehlende Legitimation der Bundesrepublik Deutschland. Sie behaupten, Deutschland habe keine gültige Verfassung und sei damit als Staat nicht existent oder das Grundgesetz habe mit der Wiedervereinigung 1990 seine Gültigkeit verloren. Daraus folgern sie, dass alle Deutschen staatenlos seien. Daher fühlen sie sich auch nicht verpflichtet, den in der Bundesrepublik geltenden Gesetzen Folge zu leisten. Außerdem verneinen sie die Rechtmäßigkeit deutscher Gerichte und Verwaltungen. Die Bundesrepublik sei nur ein Unternehmen ("GmbH"), eine Scheinbehörde oder eine übergangsweise von den Alliierten eingesetzte Verwaltung. Manche "Reichsbürger" kündigen dieser angeblichen GmbH. Zudem fallen "Reichsbürger" durch antisemitische, ausländerfeindliche und revisionistische Äußerungen auf. Etwa 10 Prozent des Personenpotenzials sind dem Rechtsextremismus zuzuordnen. "Selbstverwalter" berufen sich in der Regel auf ein selbst definiertes Naturrecht, geben "Lebenderklärungen" ab und fühlen sich an Gesetze nicht gebunden. Sehr oft steckt dahinter der Versuch, sich Steuern, Bußgelder oder sonstiger finanzieller Verpflichtungen zu entledigen. Vorbild für diesen Teil der Szene sind die "souveränen Bürger" (Sovereign Citizens) oder "Freemen" in den USA. Ähnlich wie diese gründen "Selbstverwalter" seit einigen Jahren "Gemeinden", "Staaten" und andere Fantasiegebilde. Beide Milieus sind stark von Verschwörungsideologien beeinflusst. Das kann die Grundlage für weitergehende Radikalisierungsprozesse sein. Gerichte, Finanzämter, Polizei und andere Behörden werden seit Jahren in ihrer Arbeitsweise behindert. "Reichsbürger und Selbstverwalter" schrecken dabei auch nicht vor Einschüchterungsversuchen und Bedrohungen zurück. Seit Dezember 2016 wird das Milieu auf waffenrechtliche Erlaubnisse hin überprüft, um diese wo immer möglich zu entziehen und so den legalen Waffenbesitz in der Szene zu unterbinden. "Reichsbürger und Selbstverwalter" werden als Bestrebung mit erheblichem reaktivem Gewaltpotenzial eingeschätzt. Finanzierung "Reichsbürger und Selbstverwalter" finanzieren sich durch den Verkauf von Fantasiepapieren, Seminarangeboten, Vorträgen und Büchern. Rechtsextremismus 113 Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Ideologie und Aktivitäten von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind daher verfassungsfeindlich. Für "Reichsbürger und Selbstverwalter" stellt die bestehende politische und soziale Ordnung etwas fundamental Schlechtes dar, das durch eine grundlegende Umwälzung zugunsten eines anderen idealisierten Gesellschaftsmodells überwunden werden müsse. "Reichsbürger und Selbstverwalter" sehen sich als Gefangene oder Unterdrückte in einem ihnen fremden Feindstaat und verfolgen eine darauf ausgerichtete Widerstandsstrategie. Dazu gehört beispielsweise die Gründung von "Staatenbünden". Deren eigene Fantasie-Verfassungen dokumentieren deutlich, wie fundamental dieses Milieu die freiheitliche demokratische Grundordnung ablehnt. Der demokratische Rechtsstaat mit seiner unabhängigen Justiz hat in diesen Fehlinterpretationen, welche auf angeblichen "vernunftrechtlichen Überlegungen" beruhen, keinen Platz. Der extremistische Charakter der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ergibt sich auch aus ihrer Einstellung zur Gewalt. Die Androhung von "reaktiver" Gewalt ist im Milieu verbreitet. Entwicklungen im Berichtszeitraum Strukturierte Organisationsformen der "Reichsbürger und Selbstverwalter" "Kommissarische Reichsregierungen" (KRR) haben für die Szene insgesamt in den letzten Jahren an Bedeutung verloren, jedoch sind immer wieder neue Aktivitäten zu verzeichnen. In Brandenburg war in den letzten Jahren nur die Gruppierung "Die Exil-Regierung Deutsches Reich" aus dem Milieu der klassischen "KRR" oder "Exilregierungen" aktiv. "Die Exil-Regierung Deutsches Reich" hat sich 2012 von der jahrelang die Szene dominierenden "Exilregierung Deutsches Reich" abgespalten. Sie lehnt die bestehende politische Ordnung fundamental ab und möchte die Demokratie durch eine kaiserliche Monarchie ablösen. Bis dahin sieht sich die Gruppierung selbst als "legitime Regierung der Deutschen" an. In der Region Berlin-Brandenburg sind ihre Aktivitäten, wie beispielsweise die regelmäßigen "Funktionsträgertreffen", in den letzten Jahren jedoch immer mehr zurückgegangen. Im Jahr 2018 wurden gar keine Veranstaltungen mehr durchgeführt. In einem Appell wandte man sich an die Sympathisanten: "Wir haben Probleme, die es überall anders auch gibt. Eins dieser Probleme ist nun mal die Fluktuation. Die Gründe dafür sind so verschieden wie die Menschen, die an verschiedenen Stellen, wie zum Beispiel im Passund Meldeamt in Berlin, eine hervorragende Arbeit geleistet haben. Tatsache ist, sie arbeiten nicht mehr bei 114 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 uns und sie sind auch auf Grund ihrer hohen Kompetenz nicht so schnell zu ersetzen. Es ist einfach so. Daher dauert vieles leider länger als vorgesehen. Dazu kommt noch ein Angriff von Innen, der uns einige Aktive an der Basis gekostet hat. Für uns ist es wichtig, jetzt einiges klarzustellen: Ja, es gibt uns, so wie es unseren Heimatstaat gibt."77 Auf der Internetseite von "Die Exil-Regierung Deutsches Reich" finden sich fremdenfeindliche und antisemitische Aussagen. Sie betreibt antisemitische Schuldumkehr. Ebenso wird vom "Holocaust gegen die deutschen Völker" gesprochen, welcher inzwischen eine neue Qualität erreicht habe. Flüchtlinge werden "Invasoren" genannt. Darüber hinaus schwadroniert die "Die Exil-Regierung Deutsches Reich" über eine bevorstehende Weltherrschaft des "politischen Zionismus". Nationalstaaten sollen unter Druck gesetzt und zugunsten einer von Juden beherrschten "Neuen Weltordnung" ausgelöscht werden.78 Die Gruppierung "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" mit Sitz in Cottbus ist eine Nachfolgeorganisation des "Freistaats Preußen", damals eine der größten Vereinigungen des "Reichsbürger"-Milieus in Deutschland. Nach einer polizeilichen Maßnahme im Februar 2017 und internen Auseinandersetzungen spaltete sich der "Freistaat Preußen" im Frühjahr 2017. Ein kleiner Teil der Mitglieder gründete den "Freistaat Preußen - Deutsches Reich". Der verbliebene Teil nennt sich "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen". Zu den mit der "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" verbundenen Strukturen gehören die "Stadtgemeinde Cottbus" sowie der "Verein zur Förderung des Rechtssachverstandes in der Bevölkerung - Brandenburg" (RSV-Brandenburg). Die Gruppierung fällt regelmäßig mit revisionistischen und antisemitischen Äußerungen auf. In einem offenen Brief der "Cottbuser Preußen an Ursula Haverbeck"79 schreibt die Gruppierung: "Das die jüdische Weltgemeinschaft dem deutschen Volk den heiligen Krieg in der NY Times am 7. August 1933 erklärt hat, nachdem am 24. März im Daily Express der weltweite Boykott deutscher Waren erklärt wurde (...) dürfte Ihnen bekannt sein. Wir fassen kurz zusammen: Sie gefährden mit Ihren Aussagen die jährlichen Finanzierungen der jüdischen Weltgemeinschaft (...). Die Juden schlagen uns ihre sechs Millionen nicht zurück gekehrte um die Ohren. Wir kennen die Stelle aus der Tora. Das ist aber kein Grund als Holocaust Leugner inhaftiert zu werden. Ein Krieg ist immer Grausam und Todbringend, für alle Beteiligten. Der Holocaust ist nachweislich der 20 Millionen deutschen und der jüdischen Opfer des Krieges offenkundig, wovon ein 77 Internetseite "Die Exil-Regierung Deutsches Reich" (letzter Zugriff am 25.03.2019). 78 Vgl. ebd. (letzter Zugriff am 25.04.2019). 79 Ursula Haverbeck ist eine neonationalsozialistische Aktivistin und mehrmals verurteilte HolocaustLeugnerin. Rechtsextremismus 115 Großteil in den Napalmöfen von Dresden und anderen Städten eingeäschert wurden. Man nannte die Operationen nicht ohne Zynik, Feuersturm. Angeblich sollte der Faschismus und der Nationalsozialismus damit beseitigt werden."80 Die "Provinz Brandenburg - Freistaat Preußen" verunglimpft auf ihren Internetseiten die repräsentative Demokratie als abgekartetes Spiel von Politik und Wirtschaft gegenüber dem Staatsbürger und seinen Interessen. Stattdessen setzt die Gruppierung ihr vulgäres Demokratieverständnis von der politischen Homogenität des Volkes als absolut. So formuliert die Gruppierung: "Das Bindeglied (...) sind die Parteien. Es sind Vereine, welche wie Logen aufgebaut sind. Man hat sie bewußt zwischen Volk und Regierungen installiert, um die Völker von jeglicher Mitbestimmung abzuschneiden. Denn machen wir uns nichts vor, Sie werden zwar alle 4 Jahre befragt, welche der vielen Parteien die Erste sein darf, aber dann haben Sie 4 Jahre lang keinerlei Einfluß mehr auf irgendeine Entscheidung. Das hat absolut nichts mit Demokratie, Selbstund Volksbestimmung zu tun und wird weltweit erfolgreich propagiert und praktiziert. [...] Normal wäre, wenn der von Ihnen gewählte Abgeordnete/Volksvertreter (...) bei wichtigen Entscheidungen, in seinem Wahlkreis, an einem Nachmittag erscheint. Hier gäbe es dann eine öffentliche Diskussion seiner Wähler, über die anstehende Entscheidung, bis eine einheitliche Meinung zum Willen der Bevölkerung vorliegt."81 Das identitäre Demokratieverständnis (Einheit von Regierenden und Regierten) ist typisch für einen großen Teil der "Reichsbürger und Selbstverwalter". Einige Personen, die im Geflecht rund um den "Freistaat Preußen" aktiv waren, haben den "Freistaat Preußen/Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches" gegründet. Sie unterhalten vom südlichen Brandenburg aus Beziehungen zu Gruppierungen mit ähnlichen Namen im gesamten Bundesgebiet. Dazu zählen unter anderem der "Volksstaat Bayern", der "Bundesstaat Sachsen" oder der "Bundesstaat Baden". Teilweise verschicken diese Zusammenschlüsse gemeinsame "Anordnungen" an Verwaltungen in ganz Deutschland. Der "Freistaat Preußen/Administrative Regierung und Rechteinhaber des Präsidiums des Deutschen Reiches" ist dabei besonders aktiv. Im Landkreis Oberhavel wurde 2017 die Gruppierung "Geeinte deutsche Stämme und Völker" ins Leben gerufen. Die Gründerin wohnt in Berlin und war einige Jahre zuvor schon in der Region um die niedersächsische Stadt Melle aktiv. Dort organisierte sie mit dem Verein "Landmark e. V." verschwörungsideologisch geprägte 80 Internetseite "Provinz Brandenburg - Deutsches Reich" (letzter Zugriff am 25.03.2019). 81 Ebd. 116 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Veranstaltungen. Die Gruppierung "Geeinte deutsche Stämme und Völker" ist der Auffassung, es gäbe eine "Staatsform im höchsten Recht". Dies sei "der Naturstaat, der im engen und harmonischen Zusammenhang mit dem Grund und Boden steht auf dem er wirkt. Ein freier Zusammenschluss von Menschen die sich Ihrer Zusammengehörigkeit bewusst sind und unter Achtung der Natur diesen Staat auf dessen Boden errichtet haben."82 An anderer Stelle heißt es: "Gemeinsam haben wir schon viel erreicht. In ganz Deutschland haben sich zahlreiche Menschen zusammengeschlossen, sich die Rechte am Boden zurück geholt und Gebiete wieder ins höchste Recht gehoben."83 Die Aktivisten der "Geeinten deutschen Völker und Stämme" sind in Berlin sowie den brandenburgischen Landkreisen Oberhavel und Potsdam-Mittelmark aktiv. Dokumentiert sind antisemitische Äußerungen der Gruppierung, Forderungen nach einer Freilassung des Holocaust-Leugners Horst Mahler, die Gründung einer "Gebietskörperschaft Oranienburg" (Landkreis Oberhavel) und Interviews mit dem rechtsextremistischen "Volkslehrer". Lose Organisationsformen der "Reichsbürger und Selbstverwalter" Neben diesen Zusammenschlüssen haben sich in vielen Teilen Brandenburgs kleinere, unstrukturierte regionale "Reichsbürger"-Milieus herausgebildet. Die Mehrheit dieses unstrukturierten Milieus eint die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates mitsamt seiner Verwaltung. Immer wieder lässt sich in diesen unstrukturierten Milieus die Bildung loserer Netzwerke beobachten, die über die Grenzen der Bundesländer hinweg miteinander kooperieren. Das größte Netzwerk besteht im Norden des Landkreises Dahme-Spreewald und geht auf einen dort aktiven Unternehmer zurück. Der "Selbstverwalter" und verurteilte Gewalttäter Adrian U. aus Reuden (Sachsen-Anhalt) gehört ebenso wie die "OthalaRechtsmanufaktur" zu diesem Umfeld. Im Landkreis war auch das "Institut für Rechtsicherheit" aktiv, ein Klon von Mustafa Selim Sürmelis "Internationalen Centrum für Menschenrechte/Zentralrat Europäischer Bürger" aus Stade bei Hamburg. Sürmeli war "Rechtsbeistand" von Adrian U. 2018 verbreitete eine Anhängerin des Milieus aus dem Landkreis Oberhavel über soziale Medien "Steckbriefe" leitender Behördenmitarbeiter. Die Steckbriefe wurden als "Bundesstrafregister" bezeichnet. Die Frau hatte nach Behördenangaben dazu aufgerufen, Justizbedienstete und ihre Familien und Freunde auszuspähen. Die so entstandenen Filme und Daten sollten in das "Bundesstrafregister" eingehen. 82 Internetseite "Geeinte deutsche Stämme und Völker" (letzter Zugriff am 25.03.2019). 83 Ebd. Reichsbürger und Selbstverwalter 117 Bewertung / Ausblick Aktionismus und Aggression in Teilen der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" verstärken sich, so dass es zu Radikalisierungseffekten kommt. Die virale Verbreitung der Reichsbürger-Ideen wird sich fortsetzen und Sympathisanten für Aktivitäten mobilisieren. "Steckbrieflich" gesuchte Staatsanwälte und Vorsteher von Finanzämtern in Brandenburg sind erschreckende Beispiele für diese Tendenzen. Vor diesem Hintergrund bewertet der brandenburgische Verfassungsschutz die "Reichsbürger und Selbstverwalter" als Bestrebung mit teilweise erheblichem Gefahrenpotenzial. 118 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Linksextremismus Autonome......................................................................................................... 123 Rote Hilfe e. V................................................................................................... 134 Linksextremismus 119 Linksextremismus Linksextremistische Gruppierungen bekämpfen auf verschiedenem Wege das politische System der Bundesrepublik Deutschland. Auch 2018 waren sie - in unterschiedlicher Intensität - im Land Brandenburg aktiv. Bevor die einzelnen Gruppen und ihre Ideologien dargestellt werden, soll zunächst der Begriff "Linksextremismus" definiert werden. Für den brandenburgischen Verfassungsschutz ist "Linksextremismus" eine Sammelbezeichnung für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die auf einer Verabsolutierung der Werte von Freiheit und Gleichheit beruhen. Diese Bestrebungen haben sich zum Ziel gesetzt, die bestehende Rechtsund Gesellschaftsordnung zugunsten eines kommunistischen oder anarchistischen Systems zu überwinden. Kommunistische und anarchistische Gruppierungen setzen sich dabei gleichermaßen für einen revolutionären Bruch mit den Eigentumsund demokratischen Machtverhältnissen ein. Kommunistische Gruppierungen zielen hierfür zunächst auf die Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" unter der uneingeschränkten Führungsrolle einer kommunistischen Partei ab. Diese Partei soll einen allumfassenden Umbau von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft vorantreiben und den Übergang in eine klassenlose Gesellschaft vorbereiten. Ein solcher Alleinvertretungsanspruch einer einzelnen Partei steht beispielsweise klar im Widerspruch zu dem in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Recht auf Opposition, dem Parteienpluralismus und der Gewaltenteilung. In Brandenburg sind derzeit zwei linksextremistische Parteien aktiv. Es handelt sich zum einen um die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) sowie zum anderen um die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD). Diese beiden Parteien vertreten vehement den eben erwähnten Alleinvertretungsanspruch und streben ganz konkret ein politisches System nach Vorbild der ehemaligen DDR beziehungsweise der Sowjetunion an.8485 Demgegenüber lehnen anarchistische Gruppierungen sämtliche Herrschaftsstrukturen und somit jegliche Form von Staatlichkeit ab. Aus diesem Grund wollen sie die Bundesrepublik und ihre Institutionen zugunsten einer "herrschaftsfreien Gesellschaft" zerschlagen. Hierbei wird von einigen Gruppen auch der Einsatz von Gewalt als ein legitimes Mittel befürwortet. Anarchisten richten sich damit einerseits gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie andererseits gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist daher zwingend erforderlich. 84 85 120 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Die linksextremistische Szene lässt sich in drei maßgebliche Kategorien einteilen. Hierbei handelt es sich erstens um die oben bereits genannten Parteien, zweitens um parteiunabhängige beziehungsweise parteiungebundene Strukturen sowie drittens um ein weitgehend unstrukturiertes linksextremistisches Personenpotenzial. Linksextremistisches Personenund Organisationspotenzial in Brandenburg (zum Teil geschätzt) 2016 2017 2018 Parteien: Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 55 50 50 Marxistisch-Leninistische Partei EP84 EP EP Deutschlands (MLPD) Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene 215 225 30585 Strukturen - Rote Hilfe e. V. (RH) - Weitgehend unstrukturiertes linksextremistisches Personenpotenzial 210 220 240 - Autonome - Sonstige linksextremistische Organisationen 70 65 65 Mehrfachmitgliedschaften 50 50 50 Gesamtzahl der Linksextremisten 500 520 620 (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) Wie der vorangestellten Tabelle zu entnehmen ist, unterscheiden sich die Personenpotenziale der drei Kategorien erheblich. Während die beiden kommunistischen Parteien DKP und MLPD in Brandenburg kaum noch Mitglieder haben, können sowohl die gewaltbereiten Autonomen als auch der linksextremistische Verein "Rote Hilfe e. V." seit Jahren einen Personenzuwachs verzeichnen. Die fortschreitende Bedeutungslosigkeit der linksextremistischen Parteien ist im Wesentlichen auf jeweils zwei Gründe zurückzuführen. Die DKP besitzt zwar in 84 EP = Einzelpersonen. 85 Die Zahl beruht auf Eigenangaben der RH (Mitgliederrundbrief 3/2018). Linksextremismus 121 Brandenburg mehrere feste Ortsvereine, jedoch gelingt es diesen nicht, junge Menschen an sich zu binden. Die Partei ist nahezu ausschließlich von Altkadern geprägt. Zudem setzte sich auch 2018 ein innerparteilicher Streit über die ideologische Grundausrichtung weiter fort, sodass neben der Überalterung auch eine Zersplitterung der DKP konstatiert werden muss. In Anbetracht dieser Entwicklungen erscheint es äußerst unwahrscheinlich, dass die Partei zeitnah neue Mitglieder für die von ihr angestrebte Revolution gewinnen kann. Das gilt erst recht für die MLPD. Im Gegensatz zur DKP verfügt sie in Brandenburg über gar keine Strukturen. Lediglich einige wenige Parteimitglieder haben hier ihren Wohnsitz. Zudem ist auch der Mitgliederstamm der MLPD von einer anhaltenden Überalterung gekennzeichnet, was nicht zur Gewinnung neuer Kader beitragen dürfte. Letztlich muss festgehalten werden, dass sich die kommunistischen Parteien in Brandenburg in einer Abwärtsspirale befinden. Die schwach bis gar nicht vorhandenen Strukturen sowie der hohe Altersdurchschnitt verhindern Mitgliederzuwächse und eine politische Wahrnehmbarkeit. Folglich gingen weder von der DKP noch von der MLPD im Jahre 2018 nennenswerte politische Aktivitäten aus. Diese Feststellung gilt ebenfalls für die sonstigen linksextremistischen Organisationen. Hierunter werden diejenigen Gruppierungen zusammengefasst, die nicht unter eine der drei obigen Kategorien fallen. Dazu zählen zum Beispiel anarchistische Kleingruppen, wie die "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" (FAU). Im März 2018 gründete sich in Potsdam erstmals eine eigenständige Ortsgruppe der FAU in Brandenburg. Eigenen Angaben zufolge sieht sie ihre Aufgabe zunächst darin, "über die Grundlagen und alltäglichen Werkzeuge anarchosyndikalistischer Gewerkschaftsarbeit"86 in Potsdam zu informieren. Hieran wird deutlich, dass sich die FAU ideologisch am Anarchosyndikalismus orientiert. Dieser hat zum Ziel, mittels anarchistischen Gewerkschaften die bestehende Gesellschaftsordnung revolutionär zugunsten eines herrschaftsfreien Systems zu überwinden. Nachdem nunmehr die nachgeordneten Gruppierungen der linksextremistischen Szene dargestellt wurden, soll im Folgenden ein genauerer Blick auf die beiden bedeutendsten Akteure im brandenburgischen Linksextremismus geworfen werden. Hierbei handelt es sich sowohl um die gewaltbereiten Autonomen als auch um den Verein "Rote Hilfe e. V.". 86 Homepage "FAU Stadtsektion Potsdam": "Die Stadtsektion Potsdam stellt sich vor!", ohne Datum (letzter Zugriff: 02.12.2018). 122 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Autonome Sitz / Verbreitung Autonome Szenen finden sich landesweit in größeren Städten, so zum Beispiel in Potsdam, Cottbus, Finsterwalde (EE) und Frankfurt (Oder). Gründung / Bestehen In der alten Bundesrepublik entwickelten sich im Nachgang der Studentenbewegung von 1968 sowie den Aktivitäten der "Sponti-Szene"87 ab dem Ende der 1970er Jahre lokale autonome Szenen. Nach der Wiedervereinigung schlossen sich auch in Brandenburg Personen zu derartigen Gruppierungen zusammen. Struktur / Repräsentanten Die brandenburgischen Szenestrukturen sind zumeist nur lokal verankert und nicht dauerhaft in überregionale Bündnisse eingebunden. Im Zusammenhang mit szenetypischen Großveranstaltungen kam es jedoch bereits mehrfach zu zeitlich befristeten Kooperationen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Der autonomen Szene werden im Land Brandenburg etwa 240 Personen zugerechnet. Veröffentlichungen Die autonome Szene in Brandenburg berichtet über ihre Aktivitäten zumeist über das Internet. Hierfür werden einschlägige Szene-Portale ebenso genutzt, wie Blogs und soziale Netzwerke. Kurzportrait / Ziele Die autonome Szene besteht aus lokalen Personenzusammenschlüssen, deren Ziel die Überwindung des politischen Systems in Deutschland ist. Obwohl die autonome Szene zumeist kein in sich geschlossenes Weltbild vertritt, orientiert sie sich klar an anarchistischen Ideologien. So lehnen Autonome zum Beispiel Staaten als illegitime Herrschaftsapparate grundlegend ab. Bei genauerer Betrachtung fällt zudem auf, dass die autonome Szene vor allem durch eine "Anti-Haltung" geprägt ist. Das heißt, Autonome wissen zwar sehr genau, was sie politisch ablehnen und bekämpfen; eine konkrete Ausgestaltung der von ihr angestrebten 87 Als "Spontis" wurden in den 1970er und 1980er Jahren politisch linksorientierte Gruppen bezeichnet, deren Grundidee es war, mit einer "Spontaneität der Massen" für eine revolutionäre Überwindung des bestehenden Systems zu kämpfen. Hierfür besetzte die "Sponti-Szene" zum Beispiel Häuser oder rief zu wilden Streiks in Betrieben auf. Linksextremismus 123 "herrschaftsfreien Gesellschaft" bleiben diese jedoch oft schuldig. Die beschriebene "Anti-Haltung" lässt sich beispielsweise daran erkennen, dass die autonome Szene ihren politischen Kampf in unterschiedlichen und zum Teil bis weit in die politische Mitte anschlussfähigen Aktionsfeldern organisiert. Im Zentrum autonomer Politik stehen derzeit die Aktionsfelder "Antifaschismus", "Antirassismus" sowie die "Antirepressions-"88 und "Antigentrifizierungsarbeit". Unter dem Begriff "Antifaschismus" verstehen Linksextremisten einerseits den Kampf gegen Personen und Gruppen, die sie der rechtsextremistischen Szene zurechnen, andererseits aber auch den Kampf gegen das kapitalistische System und seine Repräsentanten als Ganzes. Diese doppelte Bedeutung des Begriffes "Antifaschismus" ist darauf zurückzuführen, dass Linksextremisten davon überzeugt sind, dass der Faschismus dem Kapitalismus innewohne. In dieser Konsequenz sei das auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beruhende politische System der Bundesrepublik Deutschland in seinem Kern selbst auch nur eine Spielart des Faschismus, da es auf einer kapitalistischen Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung basiere. Das heißt für Autonome im Umkehrschluss, dass ein Sieg über den Faschismus letztlich nur durch eine Zerschlagung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung möglich sei. Dieser Argumentation folgend ist der Kapitalismus auch in anderen Aktionsfeldern der Hauptgrund gesellschaftlicher Probleme. So unterstellen Autonome dem deutschen Staat einen systematischen Rassismus gegenüber Personen nichtdeutscher Herkunft. Der Grund für den angeblichen Rassismus deutscher Behörden ist nach Ansicht der autonomen Szene eine kapitalistische "Verwertungslogik" in der Migrationsund Flüchtlingspolitik. Demnach seien keine humanitären, sondern ausschließlich wirtschaftliche Kriterien entscheidend für die Zuwanderung nach Deutschland. Unter Gentrifizierung wird allgemein die soziale Verdrängung ansässiger durch wohlhabendere Bevölkerungsschichten verstanden. Auch diesem vor allem in städtischen Ballungszentren anzutreffenden Prozess kann nach Auffassung der autonomen Szene nur durch die Überwindung des Kapitalismus wirksam begegnet werden. Dabei bekommen Hausbesetzungen mit dem Ziel der Errichtung "herrschaftsfreier Rückzugsräume" eine symbolische Wirkung, welche bis weit in die gesellschaftliche Mitte reichende Sympathien erzeugen. Hieran wird deutlich, dass Autonome für die Lösung oftmals komplexer Probleme nur einfache mono88 Eine Erklärung autonomer "Antirepressionsarbeit" finden Sie unter anderem im nachfolgenden Kapitel zum Verein "Rote Hilfe e. V.". 124 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 kausale Erklärungsansätze liefern. Diese klare Feindbilder konstruierende Haltung ist äußerst typisch für Extremisten. Abschließend bleibt anzumerken, dass die autonome Szene ihren "Kampf gegen den Faschismus" und das "Zerschlagen des Systems" durchaus wörtlich nimmt und Gewalt als legitimes politisches Mittel klar befürwortet sowie gezielt einsetzt. Hauptziele autonomer Gewalttaten sind dabei einerseits Vertreter staatlicher Behörden, allen voran Polizeibeamte. Andererseits richtet sich autonome Gewalt gegen Rechtsextremisten beziehungsweise gegen Personen, die von der autonomen Szene für rechtsextremistisch gehalten werden. Finanzierung Die autonome Szene finanziert sich maßgeblich durch Spenden und Einnahmen aus der Organisation von Szeneaktivitäten, wie zum Beispiel Konzerten. Die Erhebung eines Mitgliedsbeitrages gibt es nicht. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit In Anlehnung an den Anarchismus kämpfen autonome Gruppierungen für eine revolutionäre Zerschlagung des deutschen Staates und seiner Institutionen zugunsten einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". Hierfür befürwortet der Großteil der Szene den gezielten Einsatz von Gewalt. Aus diesen Gründen richten sich Autonome eindeutig gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Folglich ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Entwicklungen im Berichtszeitraum Wie schon 2017 verzeichnete die autonome Szene in Brandenburg auch 2018 einen Zuwachs. Die Zahl der Anhänger stieg auf 240 (2017: 220). Größere Bündnisse existieren weiterhin nicht. Lokale, in sich nicht homogene Szenen sind jedoch vorhanden. So agieren vor allem regionale Gruppierungen mit unterschiedlichen Schwerpunkten. Vornehmlich sind diese in den größeren Städten wie Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder) aktiv. Daneben existieren noch in Finsterwalde (EE), Neuruppin (OPR), Prenzlau (UM), Bernau, Eberswalde (beide BAR), Oranienburg (OHV), Teltow, Stahnsdorf, Kleinmachnow (alle drei PM) und dem Westhavelland (HVL) autonome Szenen. Mit einem Gesamtpotenzial von etwa 95 Personen ist die autonome Szene Potsdam die größte im Land Brandenburg. In der Landeshauptstadt existiert eine ganze Handvoll kleinerer Gruppierungen, die keine festen Organisationen bilden oder Strukturen aufweisen. Die Gruppen treffen sich meist in unregelmäßigen Linksextremismus 125 Abständen in diversen städtischen Szenetreffs. Sie rekrutieren sich auch aus der Studierendenschaft. Abgänge gleichen sie immer wieder aus. Eine der aktivsten Potsdamer Gruppierungen ist die "Emanzipatorische Antifa Potsdam" (EAP). Bereits seit einigen Jahren sind zunehmend Schüler und Schülerinnen in der Szene aktiv und heben das Personenpotenzial an. Die Anwerbung junger Aktivisten wird durch die zunehmende Präsenz rechtspopulistischer Akteure in der Öffentlichkeit begünstigt. Denn viele der neuen Angehörigen sind nicht wegen einer geschlossenen linksextremistischen Weltanschauung oder gar fundamentaler gesellschaftlicher Umwälzungspläne in die Szene geraten. Vielmehr überhöhen sie ihre Vorstellung einer gerechten, weltoffenen Gesellschaft und sehen in "Rechten" ihre Gegner. Bei ihren Aktionen verlassen sie dann den demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmen. Oftmals werden die jungen Szeneangehörigen durch Altautonome und im besonderen Maße durch die "Rote Hilfe" radikalisiert sowie instrumentalisiert. Dieser Trend setzte sich auch 2018 fort. Während einige der jungen Aktivisten nur eine gewisse Zeit in der Szene verweilen oder eine gewisse Nähe zum Linksextremismus haben, radikalisierte sich ein nicht unerheblicher Teil. Zwar ist die autonome Szene stark fragmentiert, allerdings kooperieren einzelne Gruppierungen anlassbezogen mit anderen Kleinund Kleinstgruppen in verschiedenen Bündnissen und Initiativen. Zudem hat sich die Szene mit Demonstrationsund Blockadetrainings seit Jahren professionalisiert. Unterstützt durch intensive Schulungen der "Roten Hilfe" werden vermehrt im Geheimen - ohne öffentliche Bewerbung - entsprechende Verhaltensweisen eingeübt und später umgesetzt. Dabei werden nicht nur Tipps zur Verschleierung der Identität auf Demonstrationen gegeben, sondern auch Sitzblockaden geprobt. Die Gewaltaffinität der Szene wird auch durch die Vermittlung von offensiven Proteststrategien, wie etwa die Durchdringung von Polizeiketten durch "hit and run" Aktionen oder das gezielte Werfen von Steinen, verdeutlicht. Ein Beispiel hierfür war der antifaschistische Jugendkongress vom 19. bis 21. Oktober 2018 im sächsischen Chemnitz. Die Organisatoren luden zu Workshops und Aktionstrainings mit "praktischen Tipps und Tricks für einen Politalltag mit möglichst wenig Bullenstress" ein und vermittelten "zivilen Ungehorsam, Blockadetechniken mit dem Körper" und "Möglichkeiten des Handelns bei (Massen)Aktionen, Blockaden etc.".89 Weiterhin wächst die Gefahr, dass innerhalb der vorhandenen Infrastruktur Aktionen gegen den politischen Gegner und die Polizei geplant werden. 89 Homepage "timetoact.noblogs" (letzter Zugriff 18.12.2018). 126 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Die zweitgrößte autonome Szene Brandenburgs existiert in Cottbus. Sie verfügt über ein Potenzial von etwa 35 Personen. Zum Teil rekrutiert sie sich aus der lokalen Studierendenschaft. Die Fluktuation ist hoch und Antifa-Aktivitäten dominieren. In Cottbus existieren einschlägige Szene-Trefforte und Hausprojekte einer teilweise linksextremistischen Subkultur, die sich weiter radikalisiert. Eine Professionalisierung der Szene erfolgt durch Demonstrationsund Blockadetrainings, welche die "Rote Hilfe" tatkräftig unterstützt. Die "Autonome Antifa Cottbus" ist besonders bei der Koordination überregionaler Veranstaltungen tonangebend. 2018 ist mit dem "Kommunistischen Aufbau" eine weitere bereits in anderen Bundesländern aktive Gruppierung in Cottbus aufgetreten. Dieser orientiert sich ähnlich wie die DKP an einem geschlossenen marxistisch-leninistischen Weltbild, versucht aber durch moderne Aktionsformen insbesondere junge Menschen für sich zu gewinnen. Der "Kommunistische Aufbau" wirkt sowohl ideologisch als auch aktivistisch auf die Cottbuser Szene ein und verbreitet seine revolutionären Botschaften.90 Die Cottbuser Szene kooperiert eng mit derjenigen in Spremberg (SPN). Beide verfügen außerdem über Kontakte zu den Szenen in Forst (SPN) und Finsterwalde (EE). Zur autonomen Szene Frankfurt (Oder) gehören unverändert 30 Personen. Enge Verbindungen existieren zu Teilen der Studentenschaft, aus der neue Mitglieder gewonnen werden. Damit hält sie seit Jahren ein stabiles Personenpotenzial, wenngleich bis auf einen kleinen Mitgliederstamm die Akteure immer wieder wechseln. Die Szene sucht stets die Nähe zu bürgerlichen Aktivitäten und kann durch ihre studentischen Mitglieder Anschlussfähigkeit demonstrieren. Ein Beispiel hierfür ist eine Veranstaltung vom 5. Mai 2018 zum "200. Geburtstag von Karl Marx", welche sowohl das bürgerliche Lager als auch Linksextremisten anzog.91 Darüber hinaus versucht die Szene Frankfurts grenzübergreifend aktiv zu werden. Die autonome Szene in Finsterwalde (EE) konnte ihr Personenpotenzial auf 25 steigern. Daneben existiert ein breites subkulturell geprägtes Umfeld, das aktionsabhängig mobilisiert werden kann. Häufig kommt es zu Konfrontationen zwischen Angehörigen der linken und der rechten Szene. Der politische Kampf gegen die "Alternative für Deutschland" (AfD) ist dafür exemplarisch. Die Finsterwalder Szene ist bestens über Bundesländergrenzen hinweg vernetzt. Ein Beispiel hierfür ist die "Proletarische Autonomie Finsterwalde" (PAF). Gemeinsam mit der "Proletari90 Homepage "Kommunistischer Aufbau" (letzter Zugriff 18.12.2018). 91 Homepage "Kommunistische Partei Deutschlands": "Karl-Marx-Ehrung in Frankfurt (Oder)", 05.05.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018). Linksextremismus 127 schen Autonomie Magdeburg" (PAM) richtete die PAF am 16. März 2018 im Rahmen der "Back to Politics"-Aktionstage eine Vortragsveranstaltung in Finsterwalde aus.92 Im Zentrum des Vortrages standen die Aktionsfelder "Antirepression" und "Antigentrifizierung". In diesem Zusammenhang wurde zur Beteiligung an einer Demonstration in Magdeburg aufgerufen und die Haftentlassung eines Szeneangehörigen gefordert. Überregionales Kampagnenthema der autonomen und insbesondere postautonomen Gruppen in Deutschland und Brandenburg im Jahr 2018 war der Kohleausstieg und die damit verbundenen Proteste rund um den Hambacher Forst (Nordrhein-Westfalen), zu dem in allen linksextremistischen Hotspots mobilisiert wurde. Postautonome versuchen im Gegensatz zu Autonomen durch langfristig angestrebte Kampagnen die gesellschaftliche Isolation von Linksextremisten zu durchbrechen und breit angelegte gesellschaftliche Protestbewegungen von innen heraus zu radikalisieren. Sie sehen sich als Scharnier zwischen militanten Autonomen und gemäßigten Linken und pflegen dabei einen strategischen Umgang mit Gewalt. Folglich versuchen Linksextremisten zum Beispiel Umweltkampagnen für die eigenen Zwecke zu instrumentalisieren und zu unterwandern. Das Themenfeld dient der Szene zur Schaffung von Anschlussfähigkeit an die politische Mitte. Strafund Gewalttaten können so legitimiert und Aktivisten gewonnen werden. Ein dabei sehr erfolgreich agierendes Netzwerk postautonomer Gruppen in Deutschland ist die "Interventionistische Linke" (IL). Sie zielt auf die Überwindung des Kapitalismus mittels eines revolutionären Umbruchs ab. Umweltschutz ist nur eines von mehreren gesellschaftlich relevanten Themenfeldern, welches die IL zu unterwandern versucht. Selbst wenn nur von einer geringen Anwesenheit brandenburgischer Autonomer auszugehen ist, so waren die Ereignisse um die Besetzung des Hambacher Forstes dennoch der bundesweite Kristallisationspunkt der gesamten linksextremistischen Szene im Jahr 2018. Die massiven Proteste stellten nicht nur die Polizei in Nordrhein-Westfalen vor eine enorme Herausforderung, sondern zwischenzeitlich alle deutschen Sicherheitsbehörden. Die Ausschreitungen überlagerten die friedlichen Botschaften und Aktionen eines breiten Protestbündnisses. Die Handlungen von Linksextremisten und linksextremistisch beeinflussten Gruppierungen reichten von Sitzblockaden und Sachbeschädigungen bis zu versuchten oder tatsächlichen Körperverletzungen. So wurden etwa lebensgefährliche Fallen im Wald aufgestellt sowie Polizisten und Feuerwehrleute mit Fäkalien und Brandsätzen 92 Homepage "Proletarische Autonome": "Bericht zu unseren Aktivitäten rund um den Tag der politischen Gefangenen", 19.03.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018). 128 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 beworfen. Doch nicht nur in Nordrhein-Westfalen sondern auch in Brandenburg ist der Kohletagebau ein Thema, das Linksextremisten hinsichtlich der Tagebaugebiete Welzow-Süd und Jänschwalde (SPN) zu instrumentalisieren versuchen. Das Aktionsfeld "Antifaschismus" stellt für die autonomen Szenen in Brandenburg traditionell den größten Mobilisierungsfaktor dar und schafft Allianzen unter den regionalen Gruppen. Im Mittelpunkt steht eindeutig die Konfrontation mit dem politischen Gegner. Das gilt insbesondere im Rahmen von Veranstaltungsund Demonstrationsgeschehen. Sofern sich dabei entsprechende Möglichkeiten bieten, kommt es zu Konfrontationsdelikten mit dem "rechten" Spektrum und zu Angriffen auf die Polizei. Derartige Tatgelegenheiten werden seitens der linksextremistischen Szene gezielt gesucht und provoziert. Gewalt gegen den politischen Gegner wird als vermeintlich legitimes Mittel der Auseinandersetzung genutzt. Aktionen gegen die AfD sind dabei eines der primären Ziele linksextremistischer Betätigungen. Insbesondere im Vorfeld der Oberbürgermeisterwahlen in Potsdam vom 23. September 2018 sah sich die Partei Angriffen ausgesetzt. So wurde beispielsweise am 15. September 2018 der Wahlkampfstand des AfD-Kandidaten vor dem Rathaus Babelsberg von einer Gruppe vermummter Personen bedrängt. Unter den Tätern befanden sich auch Personen der autonomen Szene. Zuvor wurde bereits der AfD-Vorsitzende Alexander Gauland Opfer mehrerer Aktionen. Darüber hinaus waren zahlreiche Beschädigungen von Wahlplakaten der Partei feststellbar und in einigen Fällen wurden gar Wahlkampfhelfer bedroht oder körperlich angegriffen. Aktionen gegen die AfD fanden 2018 in ganz Brandenburg statt. Von allen Parteien war die AfD den meisten Straftaten ausgesetzt. Bereits 2017 nahm die AfD einen herausgehobenen Stellenwert innerhalb des Zielspektrums der aktionsorientierten linksextremistischen Szene ein. Ein Großteil der 207 links-motivierten politischen Straftaten die 2017 allein im Begründungszusammenhang mit dem Themenfeld "Bundestagswahlen" gemeldet worden waren, richtete sich gegen die Partei. Dieser Höchststand konnte 2018 nicht erreicht werden93. Allerdings wurden Büros der AfD in Finsterwalde (EE), Oranienburg (OHV) und Falkensee (HVL) im Jahr 2018 wiederholt angegriffen.94 Neben der AfD sind auch weiterhin rechtsextremistische Akteure im Fokus linksextremistischer Aktionen. Beispielsweise mobilisierte die "Emanzipatorische Antifa Potsdam" gegen Veranstaltungen von Rechtsextremisten wie etwa einen Aufmarsch der "Freien Kräfte Neuruppin/Osthavelland" am 18. März 2018. 93 Kleine Anfrage Nr. 3368 der CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag, Drucksache 6/8242 94 rbb: "Weiter Angriffe auf Brandenburger Parteibüros", 17.08.2018, https://www.rbb24.de/politik/ beitrag/2018/08/anschlaege-parteibueros-brandenburg.html (letzter Zugriff 18.12.2018). Linksextremismus 129 Ziel solcher Aktionen ist, den politischen Gegner massiv einzuschüchtern und zur Aufgabe zu bewegen. Beleidigungen beziehungsweise Bedrohungen bis hin zu Körperverletzungen gelten dabei als adäquates Mittel, um den "Feind" zu besiegen. Auf derartige körperliche Auseinandersetzungen bereitet sich die autonome Szene intern vor. Ein Beispiel hierfür stellt ein vom 8. bis 10. Juni 2018 in Potsdam durchgeführtes Kampfsportereignis dar. Bei diesem "Anti-Fascist-Martial Arts Event" wurden praktische Übungen und Workshops zu Strategien der Selbstverteidigung und Verhalten bei Angriffen gelehrt.95 Solche Veranstaltungen verdeutlichen die Gefahr, dass innerhalb der vorhandenen Rückzugsräume Aktionen gegen den politischen Gegner und die Polizei geübt und geplant werden. Somit sinkt Stück für Stück die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung. Die aggressive Stimmung autonomer Gruppen richtet sich aber nicht nur gegen selbstdefinierte "Rechte". Im Rahmen des Aktionsfeldes "Antirepression" agiert die Szene gegen die Polizei, andere staatliche Organe, Behörden und einzelne Abgeordnete des Landtages. Ihnen wird vorgeworfen "Faschisten" zu schützen, linkes Engagement zu unterbinden, die eigenen Kompetenzen illegitimer Weise auszubauen und somit einen Überwachungsstaat zu schaffen. Insbesondere wenn es um Maßnahmen des Staates und vermeintliche "Polizeigewalt" geht, gelingt es Linksextremisten häufig, mit ihrer Agitation Anschluss an das nicht-extremistische Spektrum zu finden und den bürgerlichen Protest für Ihre Ziele zu instrumentalisieren. Ein aktuelles Beispiel liefern die Demonstrationen des "Bündnisses gegen das neue Brandenburger Polizeigesetz". Zu der zentralen Kundgebung am 10. November 2018 in Potsdam hatte eine Vielzahl demokratischer Akteure aufgerufen. Allerdings mobilisierten auch linksextremistische Akteure für die Veranstaltung, darunter die DKP, die MLPD, der "Kommunistische Aufbau", die "Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union" und die "Emanzipatorische Antifa Potsdam".96 Anhand dieser Beispiele zeigt sich, dass sich durch die gemeinsamen Feindbilder "Staat", "Polizei" und "Behörde" Linksextremisten unterschiedlicher Couleur - trotz teils großer ideologischer und strategischer Differenzen - zusammenfinden. Weiterer thematischer Schwerpunkt 2018 war der "Antimilitarismus". Der Wiederaufbau der Potsdamer Garnisonkirche mobilisiert seit Jahren Gegner - auch aus der linksextremistischen Szene. Aus ihrer Sicht steht diese Kirche für den preußi95 Homepage "Rand.Gestalten" (letzter Zugriff 18.12.2018). 96 Homepage "Bündnis gegen das neue Brandenburger Polizeigesetz": "Unterstützer*innen", ohne Datum (letzter Zugriff 25.04.2019); Homepage "Inforiot": "Aufruf zur Demo gegen das Brandenburger Polizeigesetz", 02.11.2018 (letzter Zugriff 25.04.2019) 130 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 schen Militarismus. Am 21. März 2018 fanden sich mehrere Protestierende - darunter einige Linksextremisten - ohne vorherige Anmeldung auf der Baustelle der Kirche und in den Potsdamer Bahnhofspassagen zusammen, um die Bauarbeiten zu blockieren und zu protestieren.97 Das Themenfeld "Antigentrifizierung" wurde ebenso bedient. In der Nacht vom 10. auf den 11. März 2018 besetzte die "Proletarische Autonomie Finsterwalde" ein Mehrfamilienhaus in Finsterwalde (EE), um gegen die Wohnraumpolitik der Stadt zu protestieren.98 In Potsdam versuchten Linksextremisten im nichtextremistischen Bürgerbündnis "Potsdam - eine Stadt für alle", an Einfluss zu gewinnen und ähnlich wie beim Thema Kohleausstieg Anschlussfähigkeit zu demonstrieren. So beteiligten sich am 22. September 2018 bei einer Demonstration des genannten Bündnisses einzelne linksextremistische Akteure der "Emanzipatorischen Antifa Potsdam".99 Während dieses Protestes wurde für eine kurze Zeit die "Lange Brücke" in Potsdam blockiert. Das Aktionsfeld "Antirassismus" wurde 2018 vor allem durch die Proteste in Köthen (Sachsen-Anhalt) und Chemnitz (Sachsen) in der linksextremistischen Szene befeuert. Der von autonomer Seite regelmäßig gegenüber Sicherheitsund Ausländerbehörden geäußerte Vorwurf des "institutionellen" beziehungsweise "strukturellen Rassismus" bleibt dabei ein wichtiger Mobilisierungsfaktor für die Szene, der zugleich Anschlussfähigkeit an bürgerliches Engagement für Geflüchtete bietet. Bewertung / Ausblick Die linksextremistische Szene in Brandenburg wird sich weiterhin in den gesellschaftlichen und politischen Aktionsfeldern betätigen in denen sie sich Anschlussfähigkeit und Wirkung erhofft. Ihren Anhängern geht es grundlegend nicht nur um die Behebung von echten oder vermeintlichen Missständen, sondern um umfassende Veränderungen der gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse. So unterschiedlich die Aktionsfelder sind, so haben sie doch alle dieselbe Botschaft: Die Gründe für Armut und soziale Ungerechtigkeiten, Krieg, Flucht und Migration liegen im Kapitalismus. Staatliche Repression und Rechtsextremismus seien somit letztlich Instrumente zur Sicherung der sozial ungerechten 97 Potsdamer Neueste Nachrichten: Polizeieinsatz bei Garnisonkirche-Protest", 21.03.2018, "https:// www.pnn.de/potsdam/unangemeldete-demo-in-potsdam-polizeieinsatz-bei-garnisonkircheprotest/21280180.html (Zugriff 25.04.2019). 98 Homepage "Proletarische Autonome": "PAF: Scheinbesetzung in Finsterwalde", 20.03.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018). 99 Homepage "Emanzipatorische Antifa Potsdam": "Die neoliberale Stadt - keine Stadt für alle!", 04.10.2018 (letzter Zugriff 25.04.2019). Linksextremismus 131 Herrschaftsund Eigentumsverhältnisse. Die politische Fassade des kapitalistischen Systems sei aber auch der liberal-demokratische Verfassungsstaat der Bundesrepublik Deutschland, welchen es zu überwinden gelte. Folglich stehen Linksextremisten außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Im Jahr 2019 wird die linksautonome Szene in Brandenburg voraussichtlich weiterwachsen. Ein Teil der Anhänger wird mit zunehmendem Alter immer bürgerlicher und sucht dann Abstand. Neue, jüngere Mitglieder, Schüler und Schülerinnen oder Studenten und Studentinnen stoßen in diese Lücke. Mehr denn je lassen sich mit dem Kampagnenthema "Antifaschismus" neue Anhänger gewinnen. Ein großes Reizthema bleiben rechte und rechtsextremistische Parteien sowie Organisationen. Mit weiteren Farbanschlägen, Sachbeschädigungen und Körperverletzungen ist zu rechnen, insbesondere zum Nachteil der AfD. Aufgrund bestehender gesellschaftlicher Polarisierungen und der Wahlen im Jahr 2019 wird sich dieser Trend der zunehmenden Gewalt gegen Personen und Sachen vermutlich weiter verstärken. Es steigt nicht nur die Bereitschaft zur Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner, ebenso rücken die Polizei und kommunale Behörden als Vertreter des verhassten Staates ebenso wie global agierende Unternehmen zunehmend ins Fadenkreuz. Die Verknappung von bezahlbarem Wohnraum und der Kampf gegen die damit verbundene Neugestaltung der Städte bleibt ein zentrales Anliegen der Szene. Die Garnisonkirche in Potsdam wird zudem ein weiterer Schwerpunkt bleiben. Hinzu tritt im Themenfeld der "Antirepression" das Konfliktpotenzial, welches das neue Brandenburgische Polizeigesetz bietet. Geopolitische Veränderungen zum Nachteil der Kurden im Nordirak und Nordsyrien, welche durch Angriffe türkischer Streitkräfte oder deren Verbündeter möglich sind, könnten sehr wahrscheinlich zur Mobilisierung der linksextremistischen Szene für Proteste, Solidaritätsund Spendenaktionen mit Kurden in Brandenburg führen. Es ist zudem zu befürchten, dass die zunehmende Gewaltbereitschaft der Berliner und Leipziger Szene aufgrund der überregionalen Vernetzung der autonomen Szenen auf Brandenburg übergreifen kann. Die Vernetzung der linksextremistischen Szene wird sich insbesondere mit Hilfe der sozialen Medien weiter intensivieren. Neben Veröffentlichungen auf Facebook und Twitter, auf die seitens der autonomen Szene gerne zur Mobilisierung für Aktionen und Demonstrationen zurückgegriffen wird, achten Linksextremisten ansonsten jedoch stark auf die Nutzung verschlüsselter Kommunikationstechniken. Hierbei sind linksextremistische 132 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Akteure anderen Extremisten noch immer etwas voraus. Ziel ist es, durch anonymisierte Berichte im Internet eine "freie Gegenöffentlichkeit" zu etablieren. Hierbei werden auch gewaltverherrlichende Beiträge auf einschlägigen Szene-Portalen veröffentlicht. Nach dem erfolgreichen Verbot der maßgeblich von Linksextremisten genutzten Plattform "linksunten.indymedia" im Jahre 2017 veröffentlichen große Teile der autonomen Szene nunmehr auf der ähnlich lautenden Webseite "indymedia". Daher ist für 2019 zu erwarten, dass "indymedia" die Stellung als "Sprachrohr der Szene" weiter ausbauen und somit eine vollwertige Ersatzfunktion des verbotenen Portals "linksunten.indymedia" einnehmen kann. Es ist des Weiteren nicht auszuschließen, dass die brandenburgische Szene auch auf Proteste im Ausland, wie etwa die der Gelbwesten-Bewegung ("gilets jaunes") in Frankreich, Bezug nehmen und durch die eigene ideologische Brille interpretieren wird. So fordert der "Kommunistische Aufbau" mit Verweis auf Lenin nichts weniger als eine sozialistische Revolution, ruft zur Solidarität mit den französischen "Klassengeschwistern" auf und ermahnt die deutsche "ArbeiterInnenklasse", sie solle "lernen zu kämpfen wie in Frankeich"100. Aufgrund der hohen gesellschaftlichen Bedeutung, welche Klima-, Strukturwandel und Kohleausstieg in Brandenburg insbesondere für die Lausitz haben, werden Linksextremisten, darunter vor allem postautonome Gruppen, versuchen, größeren Einfluss an der Planung und Durchführung von Aktionen zivilgesellschaftlicher Umweltbündnisse zu gewinnen. An diesem Punkt ist anzumerken, dass es zwar noch keine Ortsgruppe des linksextremistischen Bündnisses "Interventionistische Linke" (IL) in Brandenburg gibt. Im Zusammenhang mit den zurückliegenden Klimaprotesten und der guten Vernetzung brandenburgischer Autonomer mit der Berliner autonomen und postautonomen Szene kann aber die Gründung einer brandenburgischen IL Ortsgruppe in Szenezentren wie Potsdam und Cottbus nicht ausgeschlossen werden. 100 Homepage "Kommunistischer Aufbau": "Gilets Jaunes: Lernen zu kämpfen wie in Frankreich?!", 26.12.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018) Linksextremismus 133 Rote Hilfe e. V. Sitz / Verbreitung Der Verein "Rote Hilfe e. V." (RH) hat seinen Sitz in Göttingen (Niedersachsen). Die RH hat bundesweit etwa 50 Ortsgruppen, fünf davon in Brandenburg. Diese befinden sich in Cottbus, Königs Wusterhausen (LDS), Neuruppin (OPR), Potsdam und Straußberg (LOS). Gründung / Bestehen Der Verein wurde 1975 gegründet. Seit den 1990er Jahren ist die RH auch in Brandenburg aktiv. Struktur / Repräsentanten Das wichtigste Gremium der RH ist der Bundesvorstand. Dieser wird alle zwei Jahre auf einer Delegiertenkonferenz neu gewählt und hat den Auftrag, die Arbeit des Vereins auf Bundesebene zu koordinieren und vor allem die finanziellen Mittel zu verwalten. Unterhalb des Bundesvorstandes gliedert sich der Verein in etwa 50 Ortsgruppen. Die brandenburgischen Ortsgruppen richten sich mit ihren juristischen Unterstützungsangeboten dabei in erster Linie an die linksextremistischen Strukturen in ihren Regionen. Zum Teil gibt es deutliche personelle Überschneidungen zwischen lokaler autonomer Szene und der jeweiligen RH-Ortsgruppe. Da die größte linksextremistische Szene Brandenburgs in Potsdam ansässig ist, überrascht es nicht, dass auch die größte Ortsgruppe der RH in der Landeshauptstadt wiederzufinden ist. Die aktivste Ortsgruppe der brandenburgischen RH sitzt allerdings in Cottbus. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer 305 Veröffentlichungen Die RH berichtet über ihre Aktivitäten zum einen auf ihrer Homepage und zum anderen in ihrer quartalsweise erscheinenden "Rote Hilfe Zeitung". Darüber hinaus gibt der Verein Flyer und Broschüren zum Umgang mit staatlichen Behörden heraus. Einzelne Ortsgruppen verfügen zudem über eigene Internetpräsenzen, so zum Beispiel die Ortsgruppen aus Cottbus, Königs Wusterhausen (LDS) und Potsdam. 134 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Kurzportrait / Ziele Linksextremistische Straftäter deuten die Verfolgung der von ihnen begangenen Taten zumeist als "staatliche Repression". Auf diese Weise soll die Bundesrepublik als Unrechtsstaat dargestellt werden, der vermeintlich rücksichtslos und unverhältnismäßig gegen politische Aktivisten aus dem linken Spektrum vorgeht. Auf diese angeblichen Missstände versuchen linksextremistische Gruppierungen, wie die RH, mit "Antirepressionsarbeit" aufmerksam zu machen. Hierzu zählt, die von Strafverfolgung betroffenen Aktivisten sowohl durch persönlichen Beistand als auch finanziell zu unterstützen, indem der Verein zum Beispiel Anwälte vermittelt, Gerichtskosten übernimmt und sogar verhängte Geldstrafen anteilig trägt. Die RH ist aufgrund ihrer Größe und der ihr zur Verfügung stehenden Finanzmittel dabei die bedeutendste Gruppierung im linksextremistischen Aktionsfeld "Antirepression". Obwohl der Verein selbst nicht gewalttätig agiert, so richtet er zumindest sein Angebot auch gezielt an gewaltbereite Autonome, indem er Straftäter mit juristischem und finanziellem Beistand unterstützt. Darüber hinaus organisieren die einzelnen Ortsgruppen der RH für inhaftierte Linksextremisten regelmäßig Solidaritätskampagnen. Auf diesem Wege sollen die Verurteilten während ihrer Haftzeit an die linksextremistische Szene gebunden werden. Somit deckt der Verein nicht nur das gesamte Spektrum der linksextremistischen "Antirepressionsarbeit" ab, sondern muss sich durch seinen juristischen Beistand für gewaltbereite Linksextremisten letztlich deren politische Ziele und Methoden zurechnen lassen. Die RH stellt klar: "Jede und jeder, die sich am Kampf beteiligen, soll das in dem Bewusstsein tun können, dass sie auch hinterher, wenn sie Strafverfahren bekommen, nicht alleine dastehen."101 Diese Haltung zeigt, dass die RH eine die Gewalt rechtfertigende Förderin der gewaltbereiten linksextremistischen Szene ist. Finanzierung Die RH finanziert sich maßgeblich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die RH definiert sich in ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation", die ihre juristischen Unterstützungsangebote "unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Weltanschauung" anbietet. Vor diesem Hintergrund gewährt der Verein regelmäßig auch gewaltbereiten Linksextremisten seine Hilfe. Durch sein Versprechen nach der Begehung von Straftaten juristischen und finanziellen Beistand zu leisten, sichert der Verein 101 Homepage Rote Hilfe Bundesverband: "Wer ist die Rote Hilfe", ohne Datum, Zugriff: 17.01.2019. Linksextremismus 135 das Handeln gewalttätiger Linksextremisten ab. Aus genau diesem Grund agiert er letztlich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Folglich ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Entwicklungen im Berichtszeitraum Die RH konnte in Brandenburg ihre Strukturen in den letzten Jahren kontinuierlich ausbauen. Trotz des deutlichen Anstieges auf nunmehr rund 305 Mitglieder (2016: 215, 2017: 225) ist sie noch immer in fünf Ortsgruppen (OG) organisiert: 40 Mitglieder in Königs Wusterhausen (LDS), 150 Mitglieder in Potsdam, fast 40 Mitglieder in Strausberg (MOL), knapp 30 Mitglieder in Neuruppin (OPR) und etwa 50 Mitglieder in Cottbus. Die RH hat in der gesamten linksextremistischen Szene Einfluss. Sie dient ihr als Scharnier und unterstützt die Szene mit Know-how, organisiert Veranstaltungen, Schulungen und Trainings. Bei den Aktionsund Blockadetrainings werden Strategien und Taktiken regelmäßig den aktuellen Gegebenheiten angepasst. Das Kerngeschäft der RH ist jedoch die Verteidigung und Beratung linksextremistischer Straftäter. Perfide sind ihre selbstaufgestellten Regeln, welche Straftäter unterstützungswürdig sind und wer nicht mit "Hilfe" bedacht wird. Wie der Verein selbst in seiner Publikation "Rote Hilfe Zeitung" regelmäßig darstellt, sind nur jene Straftäter einer Unterstützung würdig, die von ihren Straftaten - gleich welcher Schwere - überzeugt sind und keine Reue zeigen. Sobald ein Aktivist eine Überreaktion einräumt oder sich gar für eine begangene Beleidigung oder Körperverletzung entschuldigt, kann er nicht mehr mit der Solidarität der RH rechnen. Darüber hinaus fördert sie aktiv die Entmenschlichung von und die Enthemmung gegenüber Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen. So übernahm die RH 2018 die gegen eine "Genossin" verhangene Geldstrafe, die aufgrund von Beleidigungen wie "Scheißzivi" und "Drecksbulle" ausgesprochen wurde.102 Ein wichtiges Diskussionsthema innerhalb der Publikationen der "Roten Hilfe" blieb 2018 das Verbot der Internetseite "linksunten.indymedia", die als Plattform für linksextremistische Gewaltaufrufe diente. Die RH bezweifelt regelmäßig die Unabhängigkeit der Judikative, indem sie diese als "Klassenjustiz" diffamiert und zum offenen Widerstand aufruft. Sie befördert die Einstellung, dass es in Deutschland keine Meinungsund Pressefreiheit gebe: "Es wäre naiv, darauf zu bauen, dass die Justiz von sich aus Bürgerrechte wie die Meinungsfreiheit verteidigen würde. Die Gesetzesgrundlagen wurden schließlich genau von dem 102 "Die Rote Hilfe", 3/2018, S. 5. 136 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 staatlichen Apparat erlassen, der darauf abzielt, die bestehenden Verhältnisse aufrecht zu erhalten. (...) Den repressiven Angriffen der Klassenjustiz, die im Sinne der Profiteure bestehender Verhältnisse agiert, gilt es auf allen Ebenen entgegenzutreten."103 Die RH demonstriert damit deutlich ihre Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Darüber hinaus unterstützt sie gewalttätige Übergriffe auf Vertreter des Staates. Weithin ist sie die einzige linksextremistische Organisation in Brandenburg, die seit mehreren Jahren unabhängig von jedwedem Trend kontinuierlich wächst. Neben den bereits genannten Aktionsund Blockadetrainings unterstützt die RH die linksextremistische Szene unter anderem mit Tipps zum Verhalten bei Ermittlungsverfahren, Zeugenaussagen oder Hausdurchsuchungen.104 Ebenso werden Datenverschlüsselungen und andere szenespezifische Eigenschaften geschult. Mit den rückläufigen Flüchtlingszahlen ist eine gewisse Beruhigung der Aktivitäten der linksextremistischen Szene in diesem Aktionsfeld einhergegangen. Demgegenüber wurden kurdische Aktivisten, die verbotene Kennzeichen der PKK gezeigt haben, auch 2018 unverändert von der RH unterstützt. 105 Öffentliche Solidaritätsveranstaltungen sind sowohl im Frühjahr 2018 als auch Ende des Jahres bei Großkundgebungen wie zum Beispiel am 1. Dezember 2018 in Berlin unter dem Titel "Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten! Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK Verbot und Nationalismus" seitens der RH unterstützt worden.106 Bewertung / Ausblick Die RH wird voraussichtlich auch im Jahr 2019 weiterwachsen und ihren Einfluss und ihre Verbindungen in das nicht-extremistische Milieu erweitern. Das personelle und finanzielle Wachstum des Vereins wurde durch die Ende des Jahres 2018 kursierenden Gerüchte um ein mögliches Verbot noch befördert. Zu Spenden und Eintritten ruft die RH kontinuierlich auf.107 Flankierend wird sie weiterhin Aktionen mit ihrem Know-how unterstützen. Vorträge und Schulungen zum Umgang mit Polizei und Sicherheitsbehörden stehen im Vordergrund. Damit wirkt sie maßgeblich 103 "Rote Hilfe": "Verboten! Zur Kriminalisierung von Indymedia linksunten", Online-Broschüre, S. 14 (letzter Zugriff 18.12.2018). 104 "Die Rote Hilfe" 04/2018, S. 8. 105 Ebd. 106 Homepage "Rote Hilfe": "Rote Hilfe e.V. Berlin: Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten!", 05.12.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018). 107 Homepage "Rote Hilfe": "Rote Hilfe e.V. ist politische Akteur*in und leistet legitime Solidaritätsarbeit", 30.11.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018). Linksextremismus 137 an der Professionalisierung der gewaltbereiten autonomen Szene mit. Die linksextremistische Szene wird auch 2019 fragmentiert bleiben, doch die RH schlägt eine Brücke zwischen szeneinternen Gräben und wird als Konsensorganisation akzeptiert. Das verschafft ihr weit über das linksextremistische Spektrum hinaus Reputation. Es bleibt dabei, dass es sich in bestimmten linksorientierten Kreisen und bürgerlichen Protestbündnissen gehört, Mitglied dieser Straftäter unterstützenden Organisation zu sein. 138 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Islamistischer Extremismus Im Fokus: Islamistischer Extremismus im ländlichen Raum...................... 145 Extremistischer Salafismus........................................................................... 150 Islamistische nordkaukasische Szene.......................................................... 153 Muslimbruderschaft ("Jamiyat al-Ikhwan al-Muslimin")............................. 156 Islamistischer Extremismus 139 Islamistischer Extremismus "Islamistischer Extremismus" oder "Islamismus" bezeichnet eine Form des religiös legitimierten politischen Extremismus. Er ist abzugrenzen vom Islam als Weltreligion, deren Ausübung in den Bereich der Religionsfreiheit als "Sinndeutung der Welt im Ganzen" fällt und durch Artikel 4 des Grundgesetzes garantiert ist. Der islamistische Extremismus hingegen ist eine politische Ideologie, die den Anspruch erhebt, Staat und Gesellschaft gemäß ihrem Islamverständnis zu definieren und umzuformen. Dessen Anhänger zielen unter Berufung auf ihre politische Interpretation der religiösen Normen des Islams auf die teilweise oder vollständige Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab. Anhand des Gewaltbezugs lässt sich zwischen legalistischen, gewaltorientierten und jihadistischen Islamisten unterscheiden. Islamisten streben ein totalitäres System an - eine aus ihrer extremistischen Sicht wahre und unveränderliche, gottgewollte Ordnung. Diese sei, einmal errichtet, jeder von Menschen geschaffenen Ordnung überlegen. Somit steht der Islamismus insbesondere im Widerspruch zu dem die Demokratie konstituierenden Prinzip der Volkssouveränität. Das islamisch-theologische Verständnis vom Glauben an die Einheit und Einzigartigkeit Gottes (tauhid) bildet hierzu einen Gegenpol. Gemäß der Interpretation dieses Prinzips durch islamistische Extremisten sei Gott der einzige legitime Herrscher, Souverän, Richter und Gesetzgeber. Daraus abgeleitet wird eine Einheit von Staat und Religion (din wa daula), welche eine Gewaltenteilung obsolet mache. In dieser Konsequenz negieren islamistische Extremisten die von Menschen geschaffenen Verfassungen, Gesetze und moralischen Prinzipien, wie etwa die Gültigkeit universeller Menschenrechte, Individualität, Meinungsfreiheit oder die Gleichberechtigung der Geschlechter. Eine besondere Rolle spielen hier die "Hadd"-Strafen. Dabei handelt es sich um Strafen, die vermeintlich zum Schutz des Eigentums, der Sicherheit und der Moral verhängt werden können. Dazuzählen unter anderem die Todesstrafe für Ehebruch und Blasphemie oder das Abtrennen von Gliedmaßen für Diebstahlsdelikte. In dem folgenden Schaubild sind grundlegende Wesensmerkmale des Islamismus im Kontrast zum liberaldemokratischen Verfassungsstaat, wie er in Deutschland durch die freiheitliche demokratische Grundordnung definiert ist, dargestellt. 140 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Liberal-demokratischer Islamistischer Gottesstaat Verfassungsstaat Pluralismus Monismus Volkssouveränität Souveränität Gottes (tauhid) Gewaltenteilung Gewaltenkonzentration Rechtsstaatlichkeit und Willkürherrschaft durch von Islamisten parlamentarische Gesetze ausgewählte Normen aus religiösen Rechtsquellen wie Quran, Sunna und Scharia Menschenrechte und Menschenwürde Hadd-Strafen/Körperstrafen festgeschriebene Rollen und Rechte der Geschlechter pluralistische Gesellschaftsordnung homogene und identitäre Gesellschaftsordnung im Namen des Islams Wahlprinzip als konstituierendes Wahlen als Mittel zum Zweck/ Element der Demokratie Ablehnung von Wahlen Säkularismus, Religionsfreiheit Totalitärer Monotheismus: "Der Islam ist Religion und Staat" (din wa daula) Trotz des scheinbar engen ideologischen Korsetts der islamistischen Ideologie existiert eine Vielzahl von islamistischen Gruppen, welche sich hinsichtlich ihrer ideologischen Prämissen, Strategien, Mittel und geographischen Orientierungen unterscheiden und teils sogar, wie der syrische Bürgerkrieg verdeutlicht, gegenseitig bekämpfen. Die Sicherheitsbehörden unterscheiden zwischen legalistischen, gewaltorientierten und jihadistischen Islamisten. Erstere versuchen durch ein breites Portfolio an Maßnahmen, wie zum Beispiel karitative Dienste, Jugendund Erwachsenenbildung, Spendenaktionen, Vereinsgründungen und die Unterwanderung bestehender Institutionen und Organisationen, langfristig Einfluss auf Politik und Gesellschaft zu nehmen, um diese umzuformen. Vertreter des legalistischen Islams in Deutschland sind die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V." (IGMG) und die muslimbrudernahe "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG). Gewaltorientierte Islamisten wenden in Deutschland selten Gewalt an, sehen diese jedoch als durchaus gerechtfertigt an. Dies gilt besonders für den Palästina-Konflikt. Dort sind "HAMAS" und "Hizb Allah" aktiv. Für die Anhänger Islamistischer Extremismus 141 und Unterstützer beider Gruppen können zunächst auch Wahlen als ein Mittel zum Zweck der politischen Einflussnahme gelten. Das Wahlrecht und die verfassungsmäßigen Schranken werden allerdings nur so lange akzeptiert, bis eine Mehrheit erreicht ist, um das eigene Ziel - die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates - realisieren zu können. Für jihadistische Islamisten ist der bewaffnete Kampf das bevorzugte Mittel der Zielerreichung. Sie sehen sich selbst als "Mudjahedin" (Gotteskrieger), welche Gewalt auf Grundlage ihres Islamverständnisses ausüben und legitimieren. Der "Islamische Staat" (IS) und die regionalen Vertreter von Al-Qaida (AQ) gehören in diese Kategorie. Der Jihad wird dabei einseitig als Pflicht zum bewaffneten Kampf gegen Ungläubige interpretiert. Im Kontrast zum "kleinen" gewalttätigen (und damit hier terroristischen) Jihad bezeichnet der "große" Jihad das geistig-spirituelle Bemühen des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen. Gemäß den dargelegten ideologischen Grundlagen des islamistischen Extremismus ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg für die legalistisch orientierten Gruppierungen aus SS 3 Absatz Satz 1 Nummern 1 und 4 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz. Für gewaltorientierte und jihadistische Gruppen folgt die Zuständigkeit aus SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 3 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz. Aktuelle Entwicklungen im islamistischen Extremismus Der im Jahr 2017 eingeleitete Niedergang des "Islamischen Staates" (IS) hat sich auch im Jahr 2018 fortgesetzt. Seitdem betätigt sich dieser als terroristische Untergrundorganisation. Obwohl der IS militärisch geschlagen scheint, lebt er doch in den Köpfen vieler Menschen - auch in Europa - weiter. Noch immer ruft er seine Anhänger dazu auf, vor Ort terroristische Anschläge zu verüben. Hieraus resultiert ein weiterhin hohes latentes Terrorismusrisiko für Europa und Deutschland. Die Zahl weltweiter islamistischer Terroranschläge blieb auch im Jahr 2018 hoch. Ein Großteil der Anschläge wurde in Afghanistan, Syrien, Irak und Somalia verübt; zu zahlreichen Anschlägen kam es unter anderem auch in Nigeria, Pakistan und Mali. In Europa wurden ebenfalls Anschläge begangen, obwohl aktuell eine rückläufige Tendenz festzustellen ist. Einige Anschläge werden exemplarisch kurz beschrieben: Am 23. März 2018 waren die Orte Carcassonne und Trebes in Frankreich Ziele von Anschlägen. Der Attentäter tötete den Fahrer eines Autos, schoss vor einer 142 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Kaserne auf Soldaten und nahm in einem Supermarkt Geiseln. Vier Menschen starben, drei wurden verletzt. Der 26-jährige Attentäter wurde von der Polizei erschossen. Er hatte sich zum "Islamischen Staat" bekannt. Am 12. Mai 2018 griff ein in Tschetschenien geborener Franzose in Paris (Frankreich) mehrere Passanten an. Einer wurde getötet, vier weitere wurden verletzt. Die Polizei erschoss den Angreifer. Der Attentäter war den Behörden bekannt und als Gefährder eingestuft. Im belgischen Lüttich tötete ein Bewaffneter am 28. Mai 2018 zwei Polizistinnen und einen Passanten. Er hatte die Beamtinnen mit einem Messer angegriffen und ihnen die Dienstwaffen entwendet. Im Anschluss daran nahm er eine Geisel und verschanzte sich mit ihr. Die Polizei konnte die Geiselnahme beenden und erschoss den Täter. Die Geisel blieb unverletzt. Im australischen Melbourne wurden am 9. November 2018 ein Passant erstochen und zwei Menschen verletzt. Der aus Somalia stammende Attentäter wurde von der Polizei erschossen. Der Attentäter ist nach Polizeiangaben vom IS inspiriert worden, habe aber keinen direkten Kontakt gehabt. Immer wieder kommt es auch in Deutschland zu Verfahren nach SS 129 a/b Strafgesetzbuch108, was Hausdurchsuchungen sowie Verhaftungen nach sich ziehen kann. Im Jahr 2018 konnten in der Bundesrepublik mehrere Anschläge verhindert werden, da potenzielle Attentäter im Vorfeld von den Sicherheitsbehörden festgenommen wurden. Im Februar 2018 wurde im hessischen Eschwege ein 17-jähriger Iraker verhaftet. Dieser soll sich Bauanleitungen für ferngesteuerte Autosprengsätze beschafft und im Kontakt mit hochrangigen Mitgliedern des IS gestanden haben. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SS 89a Strafgesetzbuch ein. An diesem Fall zeigt sich, dass islamistische Einzeltäter zwar in ihrer Tatausführung allein agieren können, aber häufig über das Internet von islamistischen Strippenziehern angeleitet werden. Magomed-Ali C., ein 31-jähriger russischer Staatsbürger tschetschenischer Volkszugehörigkeit, ist im August 2018 in Berlin festgenommen worden. 108 Bildung einer terroristischen Vereinigung/Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Islamistischer Extremismus 143 Laut Anklageschrift des Generalbundesanwaltes hat er mit dem in Frankreich inhaftierten Islamisten Clement B. einen islamistisch motivierten Sprengstoffanschlag in Deutschland geplant. Magomed-Ali C. verkehrte in der Berliner FusiletMoschee, die auch von Anis Amri, dem Attentäter des Terroranschlages auf den Berliner Breitscheidplatz, regelmäßig aufgesucht wurde. Die Anklageschrift geht zumindest für 2016 von gemeinsamen Planungen aus. Im Dezember 2018 verurteilte das niedersächsische Oberlandesgericht in Celle zwei 22-jährige staatenlose Palästinenser, welche als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen waren, zu jeweils zweieinhalb Jahren Haft. Sie sollen auf SocialMedia-Kanälen IS-Propaganda verbreitet haben. Ihre Radikalisierung soll nach eigenen Angaben stark durch den palästinensisch-israelischen Konflikt in Verbindung gestanden haben. Hierbei zeigt sich, dass Antisemitismus nicht nur Bestandteil, sondern gleichwohl auch Nährboden für islamistisches Gedankengut ist. Personenpotenzial islamistischer Extremisten in Brandenburg 2015 2016 2017 2018 Islamistische 70 100 130 180 Extremisten Die Anzahl der islamistischen Extremisten in Brandenburg ist von 130 Personen im Jahr 2017 auf 180 Personen im Jahr 2018 merkbar gestiegen. Dies liegt einerseits an einer besseren Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden, aber auch an einer tatsächlichen Erhöhung des Personenpotenzials, welches in Brandenburg vorwiegend aus Migranten besteht. Ein weiterer Faktor sind die Selbstbezichtigungen von Asylbewerbern, welche angeben, sie seien Anhänger von regionalen islamistischen Gruppen - wie den "Taliban" in Afghanistan oder der "Al-Shabab" in Somalia - und daher nach Deutschland geflüchtet. Solche Hinweise müssen von den Sicherheitsbehörden bearbeitet werden und werden in der Statistik berücksichtigt. 144 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 IM FOKUS: Islamistischer Extremismus im ländlichen Raum Muslimische Religionslandschaft in Brandenburg Das Flächenland Brandenburg weist strukturell eine fragmentierte muslimische Religionslandschaft mit kleinen Gemeinden in urbanen Zentren und im regionalen Raum auf. Die Migrationsbewegung ab dem Jahre 2015 hat in Brandenburg zu einem signifikanten Anstieg an Geflüchteten aus Syrien, Irak, dem Kaukasus und Nord-Afrika geführt. Die Herausforderungen, die mit dieser Migrationsbewegung einhergehen, sind für das Land und die Kommunen - aber auch für die Geflüchteten und die muslimischen Gemeinden - erheblich. Eine Folge ist eine gestiegene Nachfrage nach muslimischer Infrastruktur in Form von Vereinen und Gebetsräumen, da viele Flüchtlinge nach persönlicher Orientierung und einem sozialen Gefüge in Brandenburg suchen. Dazu gehört der Wunsch, ihren Glauben zu praktizieren. Die vorhandene muslimische Infrastruktur ist für diesen Mehrbedarf nicht ausgelegt. Vor 2015 war die Anzahl der vor Ort lebenden Muslime oftmals so gering, dass sich die Frage nach einer eigenen Gemeinde nicht stellte. Nunmehr sind verstärkt Vereinsund Gebetsraumgründungen zu erkennen, um diesem Bedarf gerecht zu werden. Die meisten davon weisen keinen Islamismusbezug auf. Die Gebetsraumgründungen erfolgten überwiegend in Regionen mit hohen Zuwachsraten an Muslimen. Zumeist handelte es sich um Kleinund Mittelstädte, welche vergleichsweise zentral und nahverkehrsgünstig gelegen sind. Neugegründete muslimische Gemeinden in Brandenburg stellen zu Beginn einen losen Zusammenschluss an Gläubigen dar. Sie sind lokal orientiert und suchen in der Regel zunächst Kontakt zur Kommunalverwaltung und Zivilgesellschaft. Zumeist wird die Form des Moscheevereins gewählt, um sich einen organisatorischen wie juristischen Rahmen zu geben. Eine Gründungsinitiative hat ihren Impuls zumeist vor Ort und kann dann autark durch Personen vor Ort durchgeführt werden. Eine weitere Möglichkeit ist, dass externe Akteure um Unterstützung bei diesem lokalen Prozess gebeten werden. Drittens kann der Impuls auch von externen Strukturen ausgehen, welche sich vor Ort interessierte Personen zur Umsetzung suchen. Die nachfolgenden Fallbeispiele illustrieren, dass mit externen Einflüssen Probleme verbunden sein können, aber nicht müssen. Islamistischer Extremismus 145 Gebetsräume als nachgeordnete Komponenten von Radikalisierungsdynamiken Brandenburg zählt zu den Regionen in Deutschland, in denen islamistischer Extremismus wenig auftritt. Ein sehr kleiner Bruchteil der muslimischen Gesamtbevölkerung hegt Sympathie für oder verfügt über Bezüge zu islamistischen Denkmustern oder Strukturen. Nach bisherigen Erkenntnissen erfolgt eine Radikalisierung zumeist außerhalb von Gebetsräumen, das heißt in Privaträumen und online in entsprechenden Foren. Geschieht eine Radikalisierung in Gebetsräumen, so nachweislich überwiegend in bekannten, einschlägigen islamistischen Objekten, die in der Regel außerhalb Brandenburgs liegen. Eine weitere Komponente im Kontext von Radikalisierungsdynamiken bilden charismatische Prediger und bereits radikalisierte Personen im Hinblick auf ihr soziales Umfeld. Gebetsräume können für beide zuvor genannten radikalisierenden Elemente einen Anlaufpunkt zur Suche nach Zielgruppen sowie zum Verbreiten ideologisch-politischer Botschaften darstellen. Islamismus stellt somit auch muslimische Gemeinden vor Herausforderungen. Diese bilden als Akteure und Ansprechpartner vor Ort eine wichtige Institution bei der Gewinnung einer gemäßigten theologischen Deutungshoheit, dem Erkennen von extremistischen Frühstadien sowie dem schwierigen Versuch, radikalisierte Personen von ihrem Weg abzubringen. Aktuelle Entwicklungen im Phänomenbereich Islamismus im Umfeld von Gebetsräumen Vor dem Hintergrund eines starken Zuwachses an Muslimen und dem beschriebenen Fehlen einer flächendeckenden muslimischen Infrastruktur sind im Umfeld brandenburgischer Gebetsräume drei Entwicklungen zu erkennen, die eine Ausbreitung des Islamismus befördern könnten. Seit 2017 sind Expansionsbemühungen externer legalistisch-islamistischer Strukturen in das Flächenland Brandenburg zu erkennen. Als Beispiel können hier die Aktivitäten der muslimbruderschaftsnahen "Sächsischen Begegnungsstätte" (SBS) dienen. Die legalistischen Akteure nutzen das infrastrukturelle Vakuum sowie die erhöhte Nachfrage nach religiösen Angeboten aus, um an lokale Gemeinden anzudocken. Des Weiteren profitieren sie von fehlenden Ressourcen sowohl auf Seiten der muslimischen Gemeinden als auch der kommunalen Einrichtungen. Anschläge auf Leib und Leben sind von diesen Strukturen hier aktuell nicht zu befürchten. Sie streben jedoch eine Gesellschaftsordnung an, die sich an islamistischen Werten orientiert. Diese Werte sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 146 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 unvereinbar. Langfristiges Ziel bleibt die Errichtung eines islamischen Staates (Kalifat) mit Erhebung der Scharia zum alleinig relevanten Normengerüst für alle Lebensbereiche. Ohne fundamentale Umwälzungen kann so eine Ordnung an der Stelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht errichtet werden. Mit Blick auf die zahlreichen Geflüchteten in Brandenburg geht von diesen legalistischen Extremisten langfristig eine erhebliche Gefahr für den liberalen Rechtsstaat und die Demokratie aus. Unter dem Deckmantel der Hilfsbereitschaft wollen sich Muslimbrüder Zugang zu Geflüchteten verschaffen und deren prekäre Lebenssituation ausnutzen, um neue Anhänger zu gewinnen. Hier besteht das Risiko, dass sich extremistische Parallelkulturen bilden, die nicht mehr integrierbar sind und letztendlich die Gesellschaft spalten. Eine solche Spaltung wäre schwerlich umkehrbar und würde Extremismus weiteren Vorschub leisten. Die bereits erwähnte SBS versuchte in Brandenburg an der Havel Einfluss auf einen Gebetsraum auszuüben. Weitere erkannte Expansionsbemühungen beispielweise in Luckenwalde (TF), Senftenberg (OSL) und Cottbus verliefen bisher erfolglos. Die SBS wurde im Frühjahr 2016 mit Sitz in Dresden (Sachsen) gegründet. Eine starke Expansion innerhalb eines Jahres lässt darauf schließen, dass die SBS über größere Finanzmittel verfügt. Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte vor, die eine Zuordnung zur Muslimbruderschaft rechtfertigen. So hat Dr. Saad Elgazar, der Geschäftsführer der SBS, über einen längeren Zeitraum in sozialen Netzwerken Beiträge veröffentlicht, welche die Aktivitäten der Muslimbruderschaft beschreiben. Er verbreitete und kommentierte Beiträge von und über Yousuf AlQaradawi, einem der wichtigsten und öffentlichkeitswirksamsten Ideologen der Muslimbruderschaft. Beiträge über Hassan Al-Banna, dem Gründer der Muslimbruderschaft, wurden ebenso veröffentlicht wie die Ideologie von Sayyid Qutb. Qutb war einer der wichtigsten Ideologen des islamistischen Extremismus. Er wird von terroristischen Jihadisten zur Legitimation herangezogen. Derartige Veröffentlichungen tragen zur Verbreitung der extremistischen Ideologie der Muslimbruderschaft bei und bezeugen, dass sich Elgazar als ein Teil der Bewegung versteht. Wiederholt verwendet er in einigen seiner Beiträge die erste Person Plural, indem er Formulierungen wie "unsere Feinde", "unsere Methoden" oder auch "unser Krieg" wählt. Ebenso lassen sich antisemitische Haltungen in den Beiträgen erkennen. Beispielsweise wird in einem von ihm geteilten Video der Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, als Verräter bezeichnet. Im Hintergrund sieht man eine geografische Karte Palästinas ohne Israel. Elgazar kommentierte das Video mit den Worten: "Es gab für uns ein Land mit dem Namen Palästina - und wird es [wieder] werden." Islamistischer Extremismus 147 Weitere Hinweise auf eine ideologische Verbindung zur Muslimbruderschaft bezeugen Kontakte bei zahlreichen Veranstaltungen sowie das Auftreten von Rednern, Referenten und Gastimamen der Muslimbruderschaft in Objekten der SBS. Aufgrund der Presseberichterstattung zu den Aktivitäten der SBS sind viele Beiträge im Internet gelöscht worden. Dies zeugt von einer zielgerichteten Verschleierung tatsächlich vorhandener Absichten. Auch die Website der SBS wirkt vollkommen unverfänglich und soll eine weltoffene kommunikationsorientierte Organisation suggerieren. Hierbei handelt es sich um eine bekannte Doppelstrategie muslimbruderschaftsnaher Strukturen. Darüber hinaus konnten 2018 vereinzelt Einflussnahmeversuche seitens Berliner Funktionsträger mit Organisationsbezug aus dem Bereich des politischen Salafismus in der Brandenburger Peripherie festgestellt werden. Diese wurden von lokalen Gemeinden, mit oder ohne deren Wissen um die ideologische Einordnung der Person, bei der Errichtung oder dem Betrieb eines Gebetsraumes zur Unterstützung angefragt oder brachten sich als Unterstützer selbst ins Spiel. Während organisationsgestützte, legalistische Akteure versuchen nach Brandenburg zu expandieren, ziehen islamistische Zentren in Berlin gleichzeitig islamismus-affine Einzelpersonen aus Brandenburg an. Diese Personengruppe, eine kleine Minderheit, fühlt sich oftmals in ihrem lokalen Gebetsraum nicht ausreichend repräsentiert und hegt gleichsam den Wunsch nach einem streng-orthodoxen oder islamistischen Islamverständnis. Vor Ort reicht ihr Einfluss in der Regel nicht aus beziehungsweise ihre Einstellungen stoßen auf Widerstände, weshalb Berlin aufgrund seiner Zentralität, Angebotsvielfalt an Islamausrichtungen und bekannten Szeneobjekten eine Art Magnetwirkung entfaltet. Bislang konnten entlang dieser Anziehungseffekte keine nachhaltigen Strukturbildungen für Brandenburg erkannt werden. Es besteht dennoch das Risiko, dass über diese islamismusaffinen Einzelpersonen ein Ideologietransfer erfolgen kann, weil sie ihren Lebensmittelpunkt in Brandenburg haben und hiesige Gebetsräume weiterhin besuchen. Darüber hinaus besteht abstrakte die Gefahr, dass islamistische Organisationen diese Personen als Sprungbrett für ein strukturelles Vordringen in die brandenburgische Peripherie nutzen könnten. Drittens konnten 2018 erste konkrete Versuche seitens orthodoxerer "Newcomer" erkannt werden. Diese haben sich zum Ziel gesetzt, strukturell wie personell etablierte Moscheevereine mittels Kritik an ihrer Amtsführung und einer vermeintlich "falschen" Islamauslegung herauszufordern. Diese "Newcomer" speisen sich überwiegend aus Personen aus den Kernländern der Migrationsbewegung. Die 148 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Vorgehensweise folgt dabei dem Kalkül einer "feindlichen" Übernahme des Moscheevereins. Zunächst wird die Schaffung von Übernahmevoraussetzungen angestrebt. Die oppositionelle Kleingruppe verstärkt ihre politischen wie religiösen Positionen, übt sichtbare Kritik am Imam und dem Moscheevorstand bis hin zu deren Diskreditierung und forciert entlang dieser Strategie den Aufbau eines Unterstützernetzwerkes. Absicht ist es, sukzessive Ämter und später den Vorstand des Moscheevereins zu übernehmen, durchaus auch per Wahl, um anschließend eigene Schwerpunkte setzen und Gegenkräfte verdrängen zu können. Bislang waren solche Bemühungen in Brandenburg nicht erfolgreich. Weitere Effekte einer Herausforderung von etablierten Strukturen durch "Newcomer" können Spaltungen lokaler Gemeinden oder Absplitterungen vor Ort sein. Das immanente Risiko besteht, dass lokale Konfliktlinien verstärkt werden und dass die "Newcomer" bei erfolgreicher Übernahme oder Bildung von eigenen Strukturen einen Raum erlangen, den sie mit ihrer fundamentalen oder islamistischen Islamauslegung entscheidend mitprägen können. Islamistischer Extremismus 149 Extremistischer Salafismus Sitz / Verbreitung Es bestehen bisher keine festen Strukturen oder Anlaufstellen in Brandenburg. Gründung / Bestehen Der Salafismus orientiert sich an den frommen "Altvorderen" (arabisch: salaf), den ersten drei Generationen der Muslime nach dem Propheten Mohammed (7. bis 9. Jahrhundert). Der Salafismus hat eine unbedingte Orientierung an der muslimischen Urgesellschaft zum Ziel. Die Gesellschaftsund Religionsvorstellungen dieser Zeit gelten den Salafisten als Ideale, denen es nachzufolgen gilt. Dabei spielt die Besinnung auf die Quellen des Islams, insbesondere auf den Koran und die Überlieferung über das Leben des Propheten, eine zentrale Rolle. Der Ursprung jihadistischer Bestrebungen liegt in der Mudjahedin-Bewegung der 1980er Jahre in Afghanistan. Struktur / Repräsentanten In Deutschland existiert weder ein Dachverband für salafistische Strukturen noch eine politische Repräsentanz, zum Beispiel durch eine Partei. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer Der extremistische Salafismus verzeichnet in Deutschland einen ungebrochenen Zulauf. Er entwickelt insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene Anziehungskraft. Anerkennung und das Zugehörigkeitsgefühl zu einer besonderen Gemeinschaft, die Verwendung einer eigenen Sprache und eigener Slogans, ein besonderer Kleidungsstil sowie eine eigene Musikkultur sind prägende und attraktive Faktoren. Zentrales Element ist zudem die für eine Jugendkultur typische Abgrenzung. Die Mitglieder der Szene bezeichnen sich als "Brüder" und "Schwestern" und finden in ihr nicht selten eine Ersatzfamilie. Salafistische Prediger werden zu Idolen und zum Teil wie Popstars gefeiert. Brandenburg ist in dieser Hinsicht nicht mit den gewachsenen Strukturen in den alten Bundesländern vergleichbar, doch sind die Zahlen auch hier in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Derzeit werden 130 Personen (2017: 100) der salafistischen Szene zugerechnet. Generell lässt sich in Deutschland feststellen, dass der Trend der salafistischen Szene derzeit zu einem Rückzug aus der Öffentlichkeit führt und mit der Hinwendung zu konspirativen Zirkeln oder mit Aktionen unabhängiger Einzelpersonen einhergeht. 150 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Veröffentlichungen Es gibt zahlreiche Schriften salafistischer Ideologen, die in mehreren Sprachen, auch auf Deutsch, aufgelegt werden. Diese Veröffentlichungen sind im Internet in großer Zahl vorhanden. Kurzportrait / Ziele Das gemeinsame Ziel von Salafisten ist, einen schariakonformen "Gottesstaat" mit einem Kalifen als politischer und religiöser Autorität an der Spitze zu errichten. Hierzu müssen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft vollständig umgestaltet, also die freiheitliche demokratische Grundordnung zerschlagen werden. Im Salafismus gibt es zwei extremistische Strömungen, den politischen und den gewaltorientierten, jihadistischen Salafismus. Politische Salafisten haben zum Ziel, die Gesellschaft in einem langfristigen Prozess nach salafistischen Normen zu verändern. In Predigten und öffentlicher Missionierungsarbeit (Dawa) werden sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime aufgefordert, sich aktiv und offensiv für den Aufbau von Strukturen eines ihren salafistischen Vorstellungen entsprechenden islamischen Staatssystems einzusetzen. Jihadistische Salafisten sind hingegen bereit, zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt anzuwenden. Sie sehen es als die individuelle Pflicht eines jeden Muslims an, die Vision von einem "islamischen Staat" und den Kampf, gegen aus ihrer Sicht unislamische Verhältnisse, auch mit Waffengewalt umzusetzen. Der Übergang zwischen den beiden ideologischen Strömungen ist fließend. Durch seine radikalisierende Wirkung bildet der politische Salafismus nicht selten den Nährboden für terroristische Aktionen. Obwohl im politischen Salafismus die Anwendung von Gewalt nicht als Option für das eigene Handeln gilt, so wird religiös legitimierte Gewalt anderer Salafisten nicht kategorisch abgelehnt. Finanzierung Die Finanzierung erfolgt beispielsweise über Spenden aus dem Inoder Ausland. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Sowohl der politische als auch der jihadistische Salafismus vertreten eine antidemokratische und verfassungsfeindliche Ideologie: Demokratie wird von Salafisten als falsche "Religion" und die Teilnahme an Wahlen als "Götzendienst" betrachtet. Gesetze können demnach nur von Gott, aber niemals von einem gewählten Gesetzgeber erlassen werden. Somit wäre das deutsche Grundgesetz eine Gotteslästerung, da sich die Verfasser des Grundgesetzes nach Ansicht der Salafisten Kompetenzen angemaßt hätten, die nur Gott zustünden. Außerdem wird eine rigide Trennung von Mann und Frau sowohl in der Moschee als auch im öffentlichen Islamistischer Extremismus 151 Raum gefordert. Eine gemeinsame schulische Erziehung von Jungen und Mädchen und die Berufstätigkeit von Frauen werden grundsätzlich abgelehnt, dem Mann das Recht zugeschrieben, seine Frau (oder Frauen) zu schlagen. Diese Vorstellungen sind vollständig unvereinbar mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere dem Demokratieund dem Rechtsstaatsprinzip und einer auf der Menschenwürde basierenden politischen Ordnung. Insgesamt geht vom extremistischen Salafismus eine Gefährdung für die innere Sicherheit in Deutschland aus. Der Verfassungsschutz ist gemäß SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes zuständig. Entwicklungen im Berichtszeitraum In Brandenburg gibt es keine bekannten salafistischen Netzwerke. Bisher ist eine Orientierung von Einzelpersonen nach Berlin zu verzeichnen. Zu den bedeutenden Anlaufpunkten für radikale Predigten zählt unter anderem die Al-Nur-Moschee in Berlin. Sie gilt als Zentrum gewaltbereiter und fundamentalistischer Islamisten. Es zeichnen sich aber Tendenzen einer Ausdehnung von Berlin nach Brandenburg ab. Bedingt durch den Zuzug von Personen muslimischen Glaubens steigt auch der Bedarf an Moscheen und Gebetsräumen in Brandenburg und damit die Gefahr, dass diese von salafistischen Predigern als neue Missionierungsorte ausgewählt werden könnten. Bewertung / Ausblick Eine besonders anfällige Gruppe stellen die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge dar, die sich häufig in einem instabilen sozialen Umfeld befinden und sich deshalb auf der Suche nach Geborgenheit, Halt und Anerkennung der salafistischen Szene zuwenden könnten. Missionierungsversuche unter Migranten konnten in Brandenburg bisher jedoch nur vereinzelt festgestellt werden. Durch den militärischen Niedergang des IS sind die Zahlen der Salafisten, die aus Deutschland ausreisen, um auf der Seite des IS an Kämpfen teilzunehmen, fast vollständig eingebrochen. Die ideologische Anziehungskraft des IS ist jedoch weiterhin hoch. Von besonderer Bedeutung wird auch 2019 die Frage sein, wie mit IS-Rückkehrern verfahren wird und wie diese sich in Deutschland verhalten werden. Es ist schwer einzuschätzen, ob sie nach wie vor ihre terroristische Agenda verfolgen oder sich desillusioniert und traumatisiert ihren individuellen Schicksalen hingeben. Auch der Umgang mit zurückkehrenden IS-Witwen und ihren vaterlosen Kindern wird die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen stellen. 152 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Islamistische nordkaukasische Szene (INS) Sitz / Verbreitung Einzelmitglieder in Deutschland Gründung / Bestehen seit der Unabhängigkeitserklärung der Tschetschenischen Republik "Itschkerien" nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 (als vorwiegend separatistische Organisation) seit 2007 als "Kaukasisches Emirat" mit islamistischer Agenda Struktur / Repräsentanten keine gefestigten Strukturen mit erkennbarer Hierarchie Es existieren jedoch intensive Kennund Unterstützungsverhältnisse in Brandenburg, deutschlandweit sowie Vernetzungen im Ausland. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg werden derzeit 65 Personen der islamistischen nordkaukasischen Szene zugerechnet. Veröffentlichungen derzeit in Brandenburg nicht bekannt Kurzportrait / Ziele Trotz der Fragmentierung der islamistischen nordkaukasischen Szene eint sie die konsequente Ablehnung der russischen Föderation. Oberstes Ziel ist die Unabhängigkeit, welche die Tschetschenen in zwei Kriegen zu erlangen beziehungsweise zu verteidigen suchten. Aufgrund weitgehender militärischer Machtlosigkeit versucht die INS ihre politischen Forderungen mittels terroristischer Anschläge durchzusetzen. Teile der Bewegung bekennen sich zum terroristischen "Islamischen Staat" und damit auch zur globalen islamistischen Agenda. Finanzierung Spenden Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Das "Kaukasische Emirat" versucht im Nordkaukasus einen unabhängigen Staat zu gründen, dessen Herrschaftsform sich an einem islamistischen Kalifat orientiert. Ein Emirat stellt eine Verwaltungseinheit eines Kalifats dar. Da das beanspruchte Gebiet unter der Verwaltung der Russischen Föderation steht, versuchen die Islamistischer Extremismus 153 Islamisten auch mit Einsatz von terroristischen Mitteln die Russische Föderation zum Rückzug aus der Kaukasusregion zu zwingen. Zahlreiche Anschläge und Geiselnahmen mit vielen Todesopfern gehen auf das Konto des "Kaukasischen Emirates". Es wurde im Juni 2013 durch das Bundesministerium der Justiz als ausländische terroristische Vereinigung eingestuft und die Ermächtigung zur strafrechtlichen Verfolgung ausgesprochen. Die in Brandenburg lebenden nordkaukasischen Islamisten zeichnen sich durch ein Netzwerk von Kennund Unterstützungsverhältnissen aus, das sich bis nach Syrien zum IS erstreckt. Einige Nordkaukasier sind in die Krisengebiete ausgereist, um sich vor Ort dem IS anzuschließen. Andere betätigen sich als Schleuser, um weitere Anhänger der Organisation ins Land zu bringen oder schlichtweg Geldmittel zu akquirieren. Zudem gibt es eindeutige Belege, dass ausländische terroristische Organisationen durch Kämpfer, Logistik und Finanzen unterstützt werden. Ein offenes Propagandieren der eigenen Ideologie ist in Brandenburg nicht zu beobachten. Vielmehr agieren die Personen konspirativ und im Privaten. Vereine oder Moscheen, die als Treffpunkte dienen könnten, sind in Brandenburg nicht bekannt. Die INS wird in Brandenburg auf der Grundlage des SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 3 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz beobachtet. Sie gefährdet die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland durch Gewaltanwendung und darauf ausgerichtete Vorbereitungshandlungen. Entwicklungen im Berichtszeitraum Bundesweit spielen die Tschetschenen in der islamistischen Szene eine untergeordnete Rolle. In Brandenburg hingegen stellen sie einen großen Teil des islamistischen Personenpotenzials dar, vor allem in der Kategorie der gewaltbereiten Islamisten. Feste Strukturen konnten sich in Brandenburg auch 2018 nicht etablieren, obwohl einige Anhänger des "Kaukasischen Emirates" in Brandenburg aufhältig sind. Derzeit leben in Brandenburg schätzungsweise 6.000 Tschetschenen als Migranten. Nur etwa 7 Prozent werden als Flüchtlinge anerkannt, dennoch ist nur ein geringer Anteil in die Heimat zurückgekehrt. Das oftmals an traditionellen Strukturen ausgerichtete Gesellschaftsverständnis hindert die Integration und die schlechte Bleibeperspektive führt teils zu Frustration. Diese zeigt sich in Brandenburg durch gewaltsame Auseinandersetzungen mit anderen Asylbewerbern bis hin zu Sympathien für extremistische Bestrebungen. Während die ältere Generation immer noch an der Vorstellung eines unabhängigen Tschetschenien festhält, zeigt sich 154 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 bei den jüngeren Tschetschenen eine Umorientierung zu salafistischen Ideologien, meist in Richtung des IS. Aus der nationalen Agenda wird somit eine globale. Die Frage, ob die "Islamistische Nordkaukasische Szene" eher global als regional ausgerichtet ist, ist zentral für die Bewertung der Sicherheitslage. Die Tatsache, dass Tschetschenen bei Anschlagsplanungen in Europa bislang kaum in Erscheinung getreten sind, sprechen für eine nationale Agenda. Die Jihad-Reisen nach Syrien zum IS belegen dagegen eher eine globale Ausrichtung. Auch Personen aus Brandenburg haben in Syrien für ein Kalifat gekämpft und an den grausamen Menschenrechtsverletzungen mitgewirkt. Einige der Kämpfer sind tot, andere im Gefängnis und von einigen ist der aktuelle Aufenthaltsort unbekannt. Anlass zur Sorge bereitete im Jahr 2018 die oben genannte Verhaftung eines Tschetschenen in Berlin, der engste Kontakte zu Jihadisten pflegte, die eindeutige Anschlagsabsichten in Deutschland hatten. Dies ist - neben der Kampfteilnahme in Syrien - ein weiterer Beleg für die globale Ausrichtung des tschetschenischen Islamismus. Bewertung / Ausblick Das "Kaukasische Emirat" ist mittlerweile weitgehend in der Bedeutungslosigkeit versunken. Damit treten separatistische Interessen vermehrt in den Hintergrund, während die Orientierung zum IS gerade bei jungen Tschetschenen deutlich zu Tage tritt. Diese Umorientierung sowie die unterschiedlichen Gruppierungen mit verschiedenen Ausrichtungen, Motivationslagen und wechselnden Loyalitäten erschweren eine Prognose. Mehrere tausend Tschetschenen aus unterschiedlichen Nationen haben in Syrien gekämpft, zahlreiche wurden dort getötet. Sie gelten aufgrund ihrer ausgeprägten militärischen Fähigkeiten gepaart mit bedingungsloser Loyalität und Skrupellosigkeit als Elitekämpfer. Bislang ist noch nicht absehbar, wie sich diese Tschetschenen nach dem Niedergang des IS verhalten werden. Eine Rückkehr in ihr Heimatland ist angesichts der starken Repressalien, die durch das Regime des tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadyrow drohen, unwahrscheinlich. Denkbar ist dagegen ein Abzug in andere Kampfgebiete. Es ist nicht auszuschließen, dass ehemalige Kämpfer als Flüchtlinge nach Europa kommen. Da Brandenburg bereits über eine große tschetschenische Gemeinde verfügt, ist eine weitere Zuwanderung islamistisch-extremistisch oder gar jihadistisch orientierter Tschetschenen nicht unwahrscheinlich. Islamistischer Extremismus 155 Muslimbruderschaft ("Jamiyat al-Ikhwan al-Muslimin") Sitz / Verbreitung Ägyptische Muslimbruderschaft (MB) mit Hauptsitz in Kairo Deutscher Ableger mit Hauptsitz in Köln Die MB ist heute als pan-islamische Bewegung nicht nur in allen arabischen Ländern, sondern nach eigenen Angaben in 70 Staaten weltweit vertreten. Je nach Land und vorgefundenen Rahmenbedingungen - Repression, Partizipation oder (informeller) Toleranz - haben sich die Ableger der MB organisatorisch wie strukturell verschieden entwickelt. Sie eint aber unverändert die gemeinsam geteilte islamistische Ideologie. Gründung / Bestehen 1928 in Ägypten, in Deutschland seit den 1960er Jahren Struktur / Repräsentanten Die MB ist in Deutschland in verschiedenen, in das international verflochtene Netzwerk eingebundenen Gruppierungen vertreten. Als wichtigste Repräsentanz fungiert die Dachorganisation "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG). Sie gehört zu den Gründungsmitgliedern der "Föderation islamischer Organisationen in Europa" (FIOE), welche als europäisches Sammelbecken für MB-Organisationen gilt. Mitglieder / Anhänger / Unterstützer In Brandenburg haben Einzelpersonen Bezug zur "Sächsischen Begegnungsstätte" (SBS). Veröffentlichungen Die MB unterhält diverse Internetseiten und Auftritte in sozialen Netzwerken. Diese sind zum Teil deutschsprachig. Kurzportrait / Ziele Die MB stellt die älteste und wichtigste islamistische Massenbewegung sunnitischer Prägung dar. Hassan Al-Banna, der Gründer der MB, lehnte das damalige politische System in Ägypten, eine von der britischen Kolonialmacht gestützte konstitutionelle Monarchie, ebenso ab wie westliche Staatsund Gesellschaftsformen und säkulare Ideologien. Als Alternative sowie Quelle für das Wiedererstarken der Muslime propagierte Al-Banna die Errichtung eines "islamischen Systems" ("nizam islami") sowie die Rückbesinnung auf die Wurzeln des Islams. 156 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Für die MB ist dieses "islamische System", welches auf Koran und Sunna beruht, ein allumfassendes System zur Lösung jedes gesellschaftlichen Problems. Es ist somit dezidiert auch ein politisches Konzept. Als Fernziel steht die Ablösung der Regierungen der jeweiligen Heimatstaaten durch einen islamischen Staat auf Grundlage der Scharia. Al-Banna wandte sich durch seinen Aktionismus direkt an die muslimischen Massen und reagierte unmittelbar auf deren soziale, materielle und religiöse Bedürfnisse. Die MB entwickelte sich daher innerhalb weniger Jahre zu einer streng hierarchisch organisierten, politischen Massenbewegung, welche vielschichtige soziale, karitative und ökonomische Aktivitäten entfaltete. Die MB setzte von Anfang an auf eine "Graswurzel-Islamisierung" entlang missionarischer und pädagogischer Ansätze zur kulturellen Durchdringung der Gesellschaft. Die Geschichte der MB ist geprägt von einem Wechselspiel aus Verfolgung und Toleranz, wobei sich die Organisation als nachhaltig widerstandsfähig erwiesen hat. In den 1950er und 1960er Jahren zwangen Repressalien unter dem ägyptischen Präsidenten Nasser zahlreiche dort lebende Muslimbrüder ins Exil, so auch nach Westeuropa. Dieses hatte unter anderem eine Weiterverbreitung des Gedankengutes zur Folge. Des Weiteren setzte eine ideologische Radikalisierung in Teilen der Bewegung ein. Als Schlüsselfigur ist hier Sayyid Qutb (1906-1966) zu nennen. Qutb gilt als ein wesentlicher Vordenker des modernen, politischen Jihads. Seiner Auslegung nach sei es die Pflicht aller Muslime, die unislamischen Zustände zu beseitigen - auch unter Einsatz von Gewalt. Über die MB hinaus haben Qutb und seine Schriften bis heute großen Einfluss, besonders auf gewaltbefürwortende Gruppierungen. Innerhalb der MB war und ist Qutb allerdings umstritten. Die Kontroverse um seine Person und seine Schriften ging einher mit einer Spaltung der MB in einen radikalen Minderheitsund einen moderaten Mehrheitsflügel. Finanzierung Spenden, im arabischen Raum zum Teil auch eigene Geschäftszweige und vereinzelt staatliche Unterstützung Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Muslimbruderschaft hat die Umgestaltung der Länder mit muslimischer Mehrheitsbevölkerung in Staaten mit islamistischer Regierungsform auf Grundlage der Scharia als langfristiges Ziel. Gewalt wird zur Durchsetzung dieses Ziels in der Endphase nicht ausgeschlossen, ist aber kein vorrangiges Mittel. Die Bruderschaft lehnt säkulare, demokratische Staatssysteme, insbesondere deren Rechtsordnungen, ab beziehungsweise akzeptiert sie nur als Übergangsstadium. Islamistischer Extremismus 157 Eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz erfolgt auf Grundlage der Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und den Gedanken der Völkerverständigung nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1 und 4 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz. Entwicklungen im Berichtszeitraum In Brandenburg besteht nach wie vor der Einflussnahmeversuch der muslimbruderschaftsnahen "Sächsischen Begegnungsstätte" (SBS) auf einen Gebetsraum in Brandenburg an der Havel. Bezüglich weiterer avisierter Expansionsbemühungen konnten keine konkreten Umsetzungsschritte erkannt werden. In Deutschland tritt der Verein "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG) nur bei größeren Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam auf. Sie beruft sich stets auf Verfassungskonformität und distanziert sich von Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Die DMG verfolgt eine an der Ideologie der Muslimbruderschaft ausgerichtete, gewaltfreie Strategie der Einflussnahme im politischen und gesellschaftlichen Raum. Bewertung / Ausblick In Brandenburg ist gegenwärtig ein Rückgang der Expansionsbemühungen der SBS zu verzeichnen. Die Veröffentlichung der ideologischen Verortung der SBS stellt die Organisation zunehmend vor Herausforderungen bei der weiteren Ausdehnung und beschränkt zudem ihre Handlungsfreiheit. Dennoch können weitere Einflussnahmeversuche MB-naher Strukturen in Brandenburg künftig nicht ausgeschlossen werden. In Deutschland wird die DMG weiterhin bemüht sein, ihren Einfluss unter Muslimen auszubauen und als Ansprechpartner eines angeblich gemäßigten Islams für Politik und Gesellschaft in Erscheinung zu treten. In Ägypten ist die MB seit September 2013 verboten. Zudem ist die Bewegung als Terror-Organisation eingestuft. Der nach dem Militärputsch an die Macht gelangte Präsident Al-Sisi wird vermutlich mittelfristig an dem Repressionsregime gegen die MB festhalten. Auch in weiteren, aber nicht allen, nahöstlichen Ländern besteht ein Verfolgungsdruck gegenüber Anhängern der jeweiligen MB-Ableger. 158 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Auslandsbezogener Extremismus "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen.................................. 161 Auslandsbezogener Extremismus 159 Auslandsbezogener Extremismus Personenpotenziale auslandsbezogener extremistischer Organisationen in Brandenburg109 2016 2017 2018 Linksextremisten 100 95 100 davon PKK/ Nebenorganisationen 85 80 90 Nationalistische Extremisten 15 15 15 *gesamt 105 100 115 *Hier werden auch mit einem Verbot belegte Gruppen mitgezählt. Trotz teils akuter politischer Auseinandersetzungen in der ganzen Welt - so etwa im Siedlungsgebiet der Kurden - sind extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug im Land Brandenburg nach wie vor von untergeordneter Bedeutung. In Brandenburg gehörten im Jahr 2018 nur etwa 115 (2017: 100) Personen auslandsbezogenen extremistischen Organisationen an. Die meisten Personen davon verfügten über einen Migrationshintergrund. Dabei bleibt die Zahl wie in den letzten Jahren auf einem im Vergleich zu den anderen Phänomenbereichen relativ niedrigen und konstanten Niveau. Deutschland und damit auch Brandenburg dienen diesem Personenspektrum bereits seit Jahrzehnten als Rückzugsund in gewissem Maße als Rekrutierungsund Finanzierungsraum. Feste Strukturen von extremistischen Gruppierungen mit Auslandsbezug sind im Land Brandenburg weiterhin nicht feststellbar. Es handelt sich demnach zumeist um Einzelpersonen, die für derartige Gruppierungen aktiv werden. Sie orientieren sich in der Regel nach Berlin, wo entsprechende Strukturen vorhanden sind. Die in Deutschland bedeutendsten extremistischen Gruppierungen mit Auslandsbezug erwachsen aus den innenund außenpolitischen Konflikten der Türkei. Dabei lässt sich zwischen türkischen Rechtsund Linksextremisten unterscheiden. Die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ist die einzige auslandsbezogene extremistische Organisation im Land Brandenburg, die über ein zahlenmäßig relevantes Personenpotenzial verfügt. Im Jahr 2018 wurden etwa 90 Personen (2017: 80) der PKK und ihren Nebenorganisationen zugerechnet.109 109 Islamistische Extremisten werden nicht hier sondern in einem gesonderten Kapitel behandelt. 160 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Volkskongress Kurdistans" (KONGRA-GEL) und unterstützende Organisationen Sitz / Verbreitung Hauptsitz: Nord-Irak; Vertretung in Europa vor allem durch Kader der CDK ("Koordinasyon Civata Ekolojik - Demokratik a Kurd Li Ewropa") Gründung / Bestehen 1978 Struktur / Repräsentanten Die wichtigsten Gremien sind einerseits die "Vereinigten Gemeinschaften Kurdistans" (KCK) mit dem Gründer der PKK, Abdullah Öcalan, an der Spitze sowie andererseits die "Generalversammlung des Volkskongresses Kurdistans" (KONGRA-GEL). Als Schwesterpartei der PKK in Nordsyrien fungiert die PYD ("Partei der Demokratischen Union"). Die PKK unterteilt die Bundesrepublik in unterschiedliche Regionen und Gebiete. Um ihre politischen Ziele umzusetzen, greift die PKK zumeist auf kurdische Vereine vor Ort zurück. Der Dachverband der Vereine ist das "Demokratisch kurdische Gesellschaftszentrum Deutschland" (NAV-DEM), welches den Anspruch erhebt, eine demokratische Massenorganisation zu sein. Tatsächlich sind die Strukturen weder organisatorisch selbstständig noch ideologisch oder personell unabhängig von der PKK im Nordirak.110 Mitglieder / Anhänger / Unterstützer etwa 90 Unterstützer im Land Brandenburg Veröffentlichungen Die wichtigsten Publikationen sind der "Kurdistan Report", "Yeni Özgir Politika" (Neue Freie Politik), "Serxwebun" (Unabhängigkeit), "Sterka Ciwan" (Stern der Jugend) sowie "Newaya Jin" (Erlebnisse der Frauen). Zudem unterhält die PKK mehrere Fernsehsender, wie zum Beispiel "Mednuce", "Nuce TV" und "Ronahi TV". Des Weiteren ist die Gruppierung über eine Vielzahl von Webseiten im Internet aktiv. Kurzportrait / Ziele Die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) sieht sich als einzige legitime Interessenvertretung der Kurden. In den vergangenen Jahrzehnten hat sie sich immer wieder 110 Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.10.2010, https://www.hrr-strafrecht.de/hrr/3/10/3-179-10. php (Zugriff am 25.04.2019). Auslandsbezogener Extremismus 161 umbenannt (KADEK, KONGRA-GEL, KKK beziehungsweise KCK). Ursprünglich trat sie für die Errichtung eines unabhängigen Staates "Kurdistan" ein und versuchte, mit militärischen Mitteln und terroristischen Anschlägen ihre Ziele zu erreichen. Nach der Inhaftierung ihres Gründers Abdullah Öcalan wurde öffentlich nur noch eine kulturelle Autonomie der kurdischen Gebiete angestrebt. Im Zuge der territorialen Veränderungen im Nahen Osten seit dem Arabischen Frühling greift die PKK jedoch wieder zunehmend auf ihre Forderung nach einem länderübergreifenden föderalen Verbund aller Kurden zurück. Finanzierung Die Finanzierung der militärischen und politischen Aktivitäten der PKK erfolgt insbesondere über die kurdische Diaspora in Europa. Kurden spenden sowohl freiwillig als auch unter Druck an die Strukturen der PKK und deren Ableger in Nordsyrien. In den jährlichen Spendenkampagnen kommen mehrere Millionen Euro zusammen. Hinzu treten Erlöse aus dem Verkauf von Zeitschriften und Devotionalien sowie Einnahmen im Rahmen von Großveranstaltungen. Grund für die Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Aufgrund ihres auch in Deutschland gewalttätigen Vorgehens wurde die PKK am 26. November 1993 vom Bundesinnenminister mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegt. Seit 2002 ist sie von der Europäischen Union als terroristische Organisation gelistet. 2014 wurde diese Einstufung von der Europäischen Union erneut bekräftigt. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28. Oktober 2010 wird die PKK in Deutschland als terroristische Vereinigung im Ausland eingestuft. Damit können ihre Mitglieder nach SSSS 129a, 129b Strafgesetzbuch strafrechtlich verfolgt werden, deren Strafandrohung höher ist und für die im Ermittlungsverfahren weitergehende Ermittlungsmittel eingesetzt werden können. Bereits aufgrund des Gewaltbezuges der Organisation sowie aufgrund des Ziels, die politischen Verhältnisse in einem anderen Staat zu ändern, ergibt sich die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes Brandenburg nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz. Entwicklungen im Berichtszeitraum In Berlin und vor allem im Westen Deutschlands kam es auch im Jahr 2018 erneut zu zahlreichen Zusammenstößen zwischen PKK-Sympathisanten und türkischen Rechtsextremisten. Beide Lager trafen bereits im Vorjahr auf Demonstrationen im Zusammenhang mit dem mutmaßlich schlechten Gesundheitszustand des in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Öcalan gewaltsam aufeinander. Insbesondere die türkischen Militäraktionen gegen die PYD und deren militärischen Arm YPG ("Volksverteidigungseinheiten") forcierten 2018 den kurdischen Widerstand. 162 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Infolge der türkischen Angriffe auf die in Nordsyrien gelegene und durch Kurden kontrollierte Stadt Afrin kam es deutschlandweit zu mehr als 1.300 Demonstrationen. Die Teilnehmerzahlen schwankten dabei erheblich. Sie konnten im niedrigen zweistelligen Bereich liegen, zum Teil aber auch vierstellig sein. So versammelten sich beispielsweise am 17. März 2018 in Hannover (Niedersachsen) rund 11.000 Teilnehmer zu dem jährlich stattfindenden kurdischen Neujahrsfest unter dem Motto "Newroz heißt Widerstand - der Widerstand heißt Afrin". Auch in Potsdam rief am 9. Februar 2018 die YPG zu einer Demonstration für Solidarität mit Afrin (Nordsyrien) auf. Eine niedrige zweistellige Anzahl an Teilnehmern protestierte friedlich und störungsfrei. Im Kontrast zur Beteiligung an den überregionalen Großveranstaltungen im Frühjahr stand ein überraschendes Besuchertief zum kurdischen Kulturfestival am 8. September 2018 in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen). Hieran nahmen letztlich nur wenige tausend Menschen teil. Der Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan vom 27. bis 29. September 2018 in Berlin und Köln (Nordrhein-Westfalen) mobilisierte bundesweit sowohl Befürworter als auch Gegner des türkischen Staatsoberhaupts. An den Protesten beteiligten sich allerdings weniger Personen als gedacht. Sie verliefen zudem weitgehend friedlich. Die Selbstverbrennung des jungen Kurden Ümit A. aus Ingolstadt (Bayern) am 27. September 2018 richtete sich explizit gegen den Staatsbesuch und stellte eine seit den 1990er Jahren nicht mehr verwendete Protestform unter Kurden in Deutschland dar. Linksextremisten unterstützen seit jeher die Autonomiebestrebungen der Kurden und arbeiten dazu mit PKK-Anhängern und -Sympathisanten zusammen. Anlässlich einer Demonstration am 1. Dezember 2018 in Berlin unter dem Motto "Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten. Gemeinsam gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus" rief die linksextremistische "Rote Hilfe" zu einer Beendigung des seit 25 Jahren bestehenden PKK-Betätigungsverbots in Deutschland auf.111 Auch das linksextremistische Bündnis "Interventionistische Linke" zählte zu den knapp 50 Unterzeichnern. Eine erneute Zunahme von Solidaritätsaktionen und Spendenkampagnen seitens deutscher Linksextremisten ist gegenwärtig bislang nicht zu erkennen. Vereinzelte bundesweite Ausreisen in das Krisengebiet von Aktivisten, meist mit Kontakten zum linksextremistischen Milieu, in das Krisengebiet sind nach wie vor feststellbar. Die Anzahl ist jedoch gering und häufig kehren die Personen nach einem kurzen Aufenthalt - nicht selten frustriert und desillusioniert - nach Deutschland zurück. 111 Homepage "Rote Hilfe Berlin": "Wir rufen auf zur Demo gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus am 01.12.2018 in Berlin", 04.11.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018). Auslandsbezogener Extremismus 163 Bewertung / Ausblick Die PKK und ihre Teilorganisationen in Deutschland riefen auch 2018 klar zu Gewalt auf. Diese richtete sich in Deutschland einerseits gegen Institutionen und Vereine, die der türkischen Regierung nahestehen. Andererseits begrüßte die PKKFührung auch Gewalt gegen Einrichtungen des deutschen Staates. Ziele waren hier unter anderem Polizeistationen, Gerichtsgebäude sowie Parteibüros von SPD und CDU. Die Täter begründeten ihre Taten so: "Wer den Krieg gegen unser Volk unterstützt und verteidigt, wird dafür bezahlen müssen. Wenn uns niemand zuhören will werden wir jede Innenstadt Europas in Schutt und Asche legen. Egal wie und egal was an diesem Tag brennt, Europa muss verstehen das wir nicht zulassen werden, dass Efrin fällt."112 Darüber hinaus wurden mit der Aktion "lebende Schutzschilde" Jugendliche aus Europa für die Ausreise in die Kampfgebiete im Nordirak angeworben.113 Gewalttätige Zusammenstöße zwischen der PKK und türkischen Rechtsextremisten sind in Brandenburg bislang nicht zu beobachten. Sie können für die Zukunft aber auch nicht ausgeschlossen werden. Aus der Gesamtschau ergibt sich für den brandenburgischen Verfassungsschutz daher weiterhin der Beobachtungsauftrag nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 Brandenburgisches Verfassungsschutzgesetz. Dieses gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die PKK Gewalt weiterhin als Mittel zur Durchsetzung politischer Interessen befürwortet. Auch zukünftig muss damit gerechnet werden, dass maßgeblich von der PKK beeinflusste Organisationen eine Umbenennung anstreben, um das Betätigungsund Kennzeichnungsverbot zu umgehen. Trotz des Rückgangs der Teilnehmerzahlen an Veranstaltungen und Demonstrationen im zweiten Halbjahr 2018 wird es der PKK auch zukünftig gelingen, größere Menschenmengen für ihre Ziele zu mobilisieren. Als Katalysatoren wirken dabei begründete Sorgen um den Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan, Angriffe der türkischen Armee auf die kurdischen Autonomiegebiete im Nordirak und Syrien sowie Massaker an der kurdischen Zivilbevölkerung im Nahen Osten. 112 Homepage "Indymedia": "Apoistische Jugendinitiative: Den Krieg in Efrin am 12.03.2018 auf Europas Straßen tragen!", 10.03.2018 (letzter Zugriff 18.12.2018) 113 Bundesamt für Verfassungsschutz: "Aktion 'Lebende Schutzschilde': Aufruf der PKK an europäische Jugendliche zur Ausreise in die Region Kandil", https://www.verfassungsschutz.de/ de/oeffentlichkeitsarbeit/newsletter/newsletter-archive/bfv-newsletter-archiv/bfv-newsletter-201803-archiv/bfv-newsletter-2018-03-thema-06 (letzter Zugriff 18.12.2018). 164 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Proliferation............................... 166 Materieller Geheimschutz............................................................................... 171 Personeller Geheimschutz............................................................................. 172 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz 165 Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz und Proliferation Der brandenburgische Verfassungsschutz arbeitet intensiv mit den anderen Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zusammen. Zudem steht er in engem Austausch mit dem Bundesnachrichtendienst, dem Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und anderen. Es gibt - unter Beachtung des Trennungsgebotes zwischen Polizei und Verfassungsschutz - darüber hinaus eine gute Zusammenarbeit mit der Landesund der Bundespolizei, dem Bundeskriminalamt, den Landeskriminalämtern und dem Zollkriminalamt. Spionage bezeichnet das Beschaffen und Erlangen nicht-öffentlich zugänglicher Informationen oder geschützten Wissens durch eine fremde staatliche Macht. Unverändert setzen eine Vielzahl von Staaten ihre Nachrichtendienste ein, um Informationen im politischen, militärischen und wirtschaftlichen Bereich auf diesem Weg zu gewinnen. Spionage stellt für sie ein effektives Mittel zur Sicherung unlauterer Interessensvorteile dar. Wirtschaftsschutz ist der präventive Bereich im Rahmen der Abwehr von Wirtschaftsspionage. Durch verschiedenste Mittel und Wege versuchen andere Staaten mithilfe ihrer Nachrichtendienste oder anderer staatlicher Organisationen das Know-how unserer heimischen Wirtschaft auf illegale Weise abzuschöpfen. Weiterhin sind in diesem Zusammenhang auch die Cyberabwehr (Abwehr elektronischer Angriffe mit nachrichtendienstlichem Hintergrund), der Schutz "Kritischer Infrastruktur" (KRITIS114), der Sabotageschutz und die Proliferationsabwehr115 als Aufgabengebiete zu nennen. 114 "KRITIS": Kritische Infrastrukturen sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Hierzu zählen beispielsweise: Energie, Finanzen/ Versicherungen, Informationstechnik/Telekommunikation, Ernährung, Wasser, Medien/Kultur, Staat/Verwaltung, Gesundheit und Transport/Verkehr. 115 Proliferationsabwehr: Verhinderung der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen und/oder Gütern, die zu deren Herstellung dienen. 166 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Die Grenzen zwischen eindeutig staatlich gelenkter Spionage und kriminellen Aktivitäten verschwimmen immer mehr. Generell lässt sich der Trend feststellen, dass ehemals getrennt agierende Akteure zuweilen auch untereinander kooperieren. So bedienen sich staatliche Nachrichtendienste auch anderer Organisationen oder krimineller Vereinigungen, mit denen sie dann intensiv zusammenarbeiten, um die tatsächliche Herkunft des Angreifers zu verschleiern oder die "Beute" zu teilen. Hinzu kommt die Tatsache, dass sich in einigen Staaten die Nachrichtendienste teilweise selbst finanzieren und somit wie kriminelle Akteure zur Beschaffung von Ressourcen auf Betrug und Diebstahl zurückgreifen. Die Spionageabwehr gehört zu den Aufgaben des brandenburgischen Verfassungsschutzes, SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes. Ihr Ziel ist es, Spionageaktivitäten gegnerischer Nachrichtendienste aufzuklären und zu verhindern. Aus diesem Grund werden Informationen über geheimdienstliche Aktivitäten gesammelt und ausgewertet. Hierbei geht es nicht allein um die Enttarnung von Agenten, sondern auch um die Aufklärung von Strukturen, Aktivitäten, Arbeitsmethoden und Zielrichtungen fremder Dienste. Zu den Hauptakteuren der Spionageaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland zählen nach wie vor die Russische Föderation, die Volksrepublik China und der Iran. Zusätzlich ist hier nunmehr die Türkei zu nennen, bei welcher schwerpunktmäßig die Ausspähung von Oppositionellen zu beobachten ist. Darüber hinaus sind Aktivitäten weiterer fremder Nachrichtendienste in Deutschland feststellbar. Ausländische Nachrichtendienste betreiben Spionage sowohl mit offener als auch mit verdeckter Informationsbeschaffung, wie etwa klassischer Agentenführung. Den größten Teil der Informationen erlangen sie durch die Auswertung öffentlich zugänglicher Quellen, zum Beispiel aus Zeitungen, Datenbanken oder dem Internet, sowie durch die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen oder wissenschaftlichen Projekten. Besonders sensible und deshalb auch entsprechend geschützte Informationen werden zumeist mit geheimen Beschaffungsmethoden gewonnen, beispielsweise durch das Eindringen in Informationssysteme, die Überwachung der Telekommunikation oder den Einsatz von Agenten im Zielobjekt. Botschaften aber auch Handels-, Reiseund Presseagenturen dienen den ausländischen Nachrichtendiensten als Spionage-Stützpunkte. Neben der klassischen Informationsbeschaffung versuchen fremde Nachrichtendienste, Einflussnahme durch Propaganda und Desinformationen auszuüben. Hierbei sind insbesondere die russischen Nachrichtendienste zu nennen. Über staatlich gelenkte Medien, soziale Netzwerke sowie staatliche Institutionen sind sie bemüht, das westliche Bündnis zu schwächen. Des Weiteren sollen auf dieSpionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz 167 sem Wege gesellschaftliche Verunsicherungen und negative Stimmungen gegen Deutschland erzeugt werden. Der Gebrauch sozialer Netzwerken macht es fremden Nachrichtendiensten leicht, potenzielle Zielpersonen ausfindig zu machen, diese zu kontaktieren und schlussendlich anzusprechen beziehungsweise nachrichtendienstlich zu nutzen. Dieser Weg der Kontaktaufnahme, oft auch mittels gefälschter Identitäten (Social-Engineering116), ist vermehrt festzustellen und wird auch in Zukunft verstärkt durch fremde Nachrichtendienste genutzt werden. Auch wenn es sich bei Brandenburg eher um einen mittleren Wirtschaftsstandort handelt, ist es von Aktivitäten fremder Nachrichtendienste betroffen. Dieses gilt nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass sich die Bundeshauptstadt Berlin im Zentrum Brandenburgs befindet und somit ein zusätzlicher Anziehungspunkt für ausländische Dienste gegeben ist. Vor diesem Hintergrund werden in Brandenburg gemäß des gesetzlichen Auftrages in SS 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes Informationen gesammelt und ausgewertet, um geheimdienstliche Tätigkeiten zu verhindern beziehungsweise aufzuklären. Grundsätzlich sind die Arbeitsweisen fremder Nachrichtendienste im Wesentlichen gleich - wenn auch die Gewichtungen einzelner Punkte, wie der Einsatz von "Technik", die Finanzausstattung, die Intensität oder die Quantität, durchaus variieren. Eine der häufigsten Methoden ist die Informationsgewinnung im Rahmen staatlicher oder wissenschaftlicher Veranstaltungen, wie zum Beispiel bei Delegationsbesuchen, Tagungen, Messen, Kongressen oder Symposien. Wie in der klassischen Spionage setzen fremde Nachrichtendienste hierbei auf "SocialEngineering", um an sensible Informationen einzelner Unternehmen oder staatlicher Stellen zu gelangen. Bei den von den Nachrichtendiensten ausgewählten Zielpersonen handelt es sich oftmals um arglose und zugleich hilfsbereite Mitarbeiter beziehungsweise Behördenvertreter. Ebenso sind Wissenschaftler und hochkarätige Manager Ziele fremder Wirtschaftsspionage. Zur Bekämpfung derartiger Vorgehensweisen bietet der brandenburgische Verfassungsschutz eine Fülle von präventiven Maßnahmen an. Im Mittelpunkt steht dabei die Sensibilisierung brandenburgischer Unternehmen für die Probleme und Folgen von Wirtschaftsspionage. Hierfür steht der Verfassungsschutz des Landes 116 "Social-Engineering" ist eine Strategie zur Gewinnung geheimer Informationen durch den Aufbau eines persönlichen Vertrauensverhältnisses. Hierfür werden oftmals gefälschten Identität gebraucht, um die Kontaktaufnahme zu ermöglichen. 168 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Brandenburg mit individuellen Vortragsveranstaltungen, Podiumsdiskussionen sowie vertraulichen Gesprächen der Wirtschaft aktiv zur Seite. Seine Angebote beziehen sich dabei nicht nur auf die Bekämpfung von Wirtschaftsspionage, sondern gleichermaßen auf Cyberund Proliferationsabwehr, Sabotageschutz und den Schutz der "Kritischen Infrastruktur". Vor etwa 20 Jahren begann eine Art elektronische Revolution. Von Beginn an war diese Entwicklung von einem starken nachrichtendienstlichen Interesse begleitet. Zunehmend wurden Dienstleistungen, wie zum Beispiel die normale Briefpost, das Telefax oder auch das Festnetztelefon fast vollständig von E-Mail, WhatsApp, Skype und anderen IPbasierten Dienstleistungen abgelöst. Dies eröffnete den Geheimdiensten völlig neue Mittel und Wege. Grundsätzlich brachten diese Entwicklungen sowohl für Unternehmen als auch für jeden einzelnen Bürger wirtschaftliche Vorteile und größere Freiheiten. ElectronicBanking, Online-Shopping und E-Gouvernment machen beispielsweise für viele Menschen das Leben leichter. Mit dem rasanten technischen Fortschritt gehen jedoch ernstzunehmende Risiken einher. Die Gefahr durch Ausspähung von vertraulichen und geheim zuhaltenden Informationen, die, wenn sie in falsche Hände geraten, zu erheblichen Schäden bis hin zur totalen Abhängigkeit führen können, ist nicht zu unterschätzen. Leider "helfen" viele Zielpersonen oder Unternehmen, auch im privaten Bereich, unfreiwillig bei dieser Art der Informationsbeschaffung. Es gilt höchste Vorsicht, wenn Kontaktanfragen oder verlockende Jobangebote unerklärlich und ungefragt an eine oder mehrere Personen herangetragen werden. Ein sehr freizügiger Umgang mit persönlichen Daten in sozialen Netzwerken oder veraltete Schutzmechanismen in Unternehmen machen es den Tätern zudem sehr leicht, an ihr Ziel zu gelangen. 80 Prozent der "Täter" in Unternehmen, Behörden oder anderen Bereichen sind "Innentäter", das heißt, dass die Betroffenen bei dem ausgespähten Unternehmen beziehungsweise der ausgespähten Behörde selbst tätig sind. Oft wissen diese Personen nicht einmal davon, dass durch sie Informationen weitergegeben werden. Zum Teil werden "Innentäter" aber auch für ihr Handeln bezahlt oder erpresst. In allen diesen Fällen hilft vor allem die Sensibilisierung im Vorfeld, welche beim brandenburgischen Verfassungsschutz, wie oben geschildert, einen wichtigen Stellenwert einnimmt. Vor einigen Jahren ließen sich die Teilbereiche der Spionageabwehr noch genau trennen. Dies ist jedoch einem steten Wandel unterzogen. Heute müssen die einzelnen Bereiche immer intensiver zusammenrücken und können in der Wahl der Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz 169 Mittel kaum noch voneinander getrennt werden. Spionageabwehr, Wirtschaftsspionage, Sabotageschutz, Proliferation, Cyberabwehr und Wirtschaftsschutz haben durch die elektronische Ausrichtung nunmehr viele Gemeinsamkeiten aufzuweisen. Eine unter den Sicherheitsbehörden abgestimmte Zusammenarbeit ist insbesondere bei nachrichtendienstlich gesteuerten Cyberangriffen wichtig. Bei der Analyse derartiger Angriffe zeigt sich in der Regel eine hohe informationstechnische Qualität. So werden zum Beispiel bisher unbekannte Sicherheitslücken in Softwareprodukten ausgenutzt. Andererseits weisen "Spear-Phishing"-Angriffe einen im Vorlauf auf einzelne Personen ausgerichteten intensiven Rechercheeinsatz auf, in dessen Ergebnis dem Opfer individuell zugeschnittene unauffällige E-Mails mit versteckter Schadsoftware zugespielt werden. Darüber hinaus sind breit angelegte Cyberattacken ein weit verbreitetes und zuweilen auch erfolgversprechendes Mittel der Spionage fremder Nachrichtendienste. Aus diesem Grund werden sie auch in allen Bereichen eingesetzt. Insbesondere die "Hidden Champions"117 sind aus Sicht der Spionageabwehr besonders schützenswert. Der jährliche Schaden für die deutsche Volkswirtschaft beläuft sich auf eine Höhe von etwa 50 bis 70 Milliarden Euro. Laut Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz kann sogar mit einem dreistelligen Milliardenbetrag gerechnet werden. Die hohe Dunkelziffer im Cyberbereich lässt sich dadurch erklären, dass Delikte aus Angst vor Nachahmern, Scham oder Sorge vor Rufschädigung nicht angezeigt werden oder schlicht weg nicht bemerkt werden. Durch Sicherheitspartnerschaften, wie zum Beispiel mit der Industrieund Handelskammer, durch die Zusammenarbeit mit Universitäten und durch die enge Abstimmung mit anderen Sicherheitsbehörden wird seitens des brandenburgischen Verfassungsschutzes gewährleistet, eine möglichst breite Front gegen Angreifer zu bilden und diese kontinuierlich weiterzuentwickeln. Die dargestellten Bedrohungen sind auch im Land Brandenburg akut und dessen sollte sich die Gesellschaft bewusst sein. Das Vorgehen fremder Nachrichtendienste wird auch in Zukunft vom Verfassungsschutz Brandenburg sehr ernst genommen werden. Hierbei werden alle notwendigen Schritte unternommen, um dem gesetzlichen Auftrag gerecht zu werden und die Gesellschaft zu schützen. 117 "Hidden Champions" sind Unternehmen, die in ihrer Branche zwar zu den Weltmarktführern gehören, aber in der Öffentlichkeit aufgrund eines Jahresumsatzes von maximal 3 Milliarden Euro oftmals kaum bekannt sind. 170 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Materieller Geheimschutz "Verschlusssachen" sind im öffentlichen Interesse geschützte Informationen, deren Preisgabe die Sicherheit der Menschen und die unseres freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats gefährden würde. Schriftstücke, Bildmaterialien, das gesprochene Wort und weitere Informationsträger können Verschlusssachen sein. Die Einstufung in die gesetzlich vorgesehenen und bundesweit einheitlich definierten Geheimhaltungsgrade - "VS-Nur für den Dienstgebrauch", "VS-Vertraulich", "Geheim" und "Streng Geheim" - richtet sich nach dem Inhalt. Am häufigsten sind die beiden erstgenannten Geheimhaltungsgrade. Der damit verbundene Geheimschutz erfolgt in materieller sowie personeller Hinsicht. Gegenüber anderen Behörden und Einrichtungen wirkt der Verfassungsschutz hier insgesamt als Sicherheitsdienstleister. Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von Verschlusssachen. Bei der entsprechenden Umsetzung unterstützt der Verfassungsschutz andere Behörden und geheimschutzbetreute Unternehmen. Grundlage dafür ist die Verschlusssachenanweisung des Landes Brandenburg vom 16. April 1991. Sie enthält Regelungen zur Aufbewahrung und Weitergabe von Verschlusssachen. Die Bearbeitung von Verschlusssachen erfolgt heutzutage fast ausschließlich im Bereich computergestützter Informationstechniken. Auch hierbei ergreift der Verfassungsschutz entsprechende Maßnahmen zum Schutz der Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität (Unverfälschtheit) der Daten. Vor einer Übermittlung werden sie hochgradig verschlüsselt. Auch die Speicherung erfolgt aufgrund der sehr hohen Schutzbedürftigkeit nach strengen Maßgaben. Sie sind höher als die des IT-Grundschutzes des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik. Grundlage dafür ist ein IT-Sicherheitskonzept. Es wird regelmäßig auf Wirksamkeit geprüft und neu angepasst. Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz 171 Personeller Geheimschutz Zuverlässigkeitsüberprüfungen Der Verfassungsschutz ist auf Antrag an Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. Die wichtigsten Rechtsgrundlagen dafür sind das Luftsicherheits-, das Atomund das Sprengstoffgesetz. Zusätzlich fällt der Abfrage des nachrichtendienstlichen Informationssystems zur Prüfung der Zuverlässigkeit nach Gewerbeordnung ebenfalls eine wichtige Rolle zu. Bewachungsaufgaben privater Dienstleister haben generell an Bedeutung und Komplexität gewonnen, insbesondere im Hinblick auf den Schutz spezieller Infrastrukturen oder von Großveranstaltungen. Die zuständige Ordnungsbehörde hat zur Prüfung der Zuverlässigkeit des Beschäftigten die unbeschränkte Auskunft aus dem Bundeszentralregister und eine Stellungnahme der für den Wohnort zuständigen Polizeibehörde einzuholen. Je nach Einsatzart ist darüber hinaus auch der Verfassungsschutz über Personenerkenntnisse anzufragen. Es gibt seit vielen Jahren bereits die Berufsausbildung zur "Fachkraft für Schutz und Sicherheit", diese stellt einen regulären Berufsabschluss dar. Daneben gibt es noch weitere Qualifikationen, bis hin zum studierten Sicherheitsfachwirt. Insbesondere öffentliche Auftraggeber sollten in ihren Ausschreibungen diese hoch qualifizierten Kräfte verlangen, um den gestiegenen und sensiblen Ansprüchen gerecht zu werden. 2018 gingen insgesamt 6.223 (2017: 7.155) Anfragen im Rahmen von Zuverlässigkeitsüberprüfungen ein: davon 5.299 (2017: 5.935) gemäß Luftsicherheitsgesetz, 78 (2017: 108) gemäß Atomgesetz, 242 (2017: 266) gemäß Sprengstoffgesetz und 604 (2017: 846) auf der Grundlage der Gewerbeordnung für das Bewachungsgewerbe. Sicherheitsüberprüfungen Rechtliche Grundlage für Sicherheitsüberprüfungen ist das "Brandenburgische Sicherheitsüberprüfungsgesetz" (BbgSÜG). Es gibt die Voraussetzungen und das Verfahren vor. So soll festgestellt werden, ob ein vorgesehener Geheimnisträger nach seinem bisherigen Verhalten prognostisch geeignet ist, mit übertragenen Verschlusssachen vertraulich umzugehen (vergleiche SS 1 BbgSÜG). Die Art der Sicherheitsüberprüfung (Ü1 / Ü2 / Ü3) richtet sich nach der Einstufung und der Anzahl der Verschlusssachen, zu denen eine Person künftig Zugang haben darf beziehungsweise sich diesen Zugang verschaffen kann. 172 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Anhaltspunkte, die gemäß SS 7 Absatz 1 BbgSÜG dem erfolgreichen Abschluss einer Sicherheitsüberprüfung entgegenstehen, sind: * Zweifel an der Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit; * eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste * oder Zweifel am Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Solche Anhaltspunkte können selbstverschuldet sein (beispielsweise Straftaten, finanziell bedenklicher Lebensstil) oder auch beim Lebenspartner bestehen, sofern er in eine Sicherheitsüberprüfung mit einzubeziehen ist (beispielsweise Ehepartner mit erheblicher Anzahl von Straftaten). In solchen Fällen kann es unter Umständen wegen vorliegender Sicherheitsrisiken zur Ablehnung kommen. Im Jahr 2018 wirkte der Verfassungsschutz Brandenburg beim Abschluss von insgesamt 336 (2017: 354) Sicherheitsüberprüfungen mit. In Brandenburg betrifft das Mitarbeiter von etwa 20 Behörden: Polizei, Staatskanzlei und Ministerien, Landtag, Gerichte sowie Staatsanwaltschaften. Spionageabwehr, Wirtschaftsschutz, Proliferation und Geheimschutz 173 174 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Verfassungsschutz durch Aufklärung Verfassungsschutz durch Aufklärung 175 Verfassungsschutz durch Aufklärung Der brandenburgische Verfassungsschutz lässt andere an seinen Erkenntnissen teilhaben und versteht sich konsequent als Partner der Zivilgesellschaft. Darauf beruht das zentrale Konzept "Verfassungsschutz durch Aufklärung". Daher hat der Verfassungsschutz im Jahr 2018 wieder zahlreiche Vorträge über extremistische Phänomenbereiche und Wirtschaftsschutz gehalten. Insgesamt nahmen an den 65 Veranstaltungen mehr als 2.700 Bürgerinnen und Bürger teil. Damit summiert sich die Zahl solcher Veranstaltungen seit 2008 auf insgesamt 1.129. Fast 42.000 Zuhörer wurden in diesem Zeitraum gezählt. Darunter waren interessierte Bürger, Feuerwehrangehörige, Parteimitglieder, Justizbedienstete, Unternehmer, Polizisten, Soldaten, Gewerkschaftler, Sozialarbeiter, Auszubildende, Angehörige von Verwaltungen und noch viele mehr. Verstetigt hat sich die erfolgreiche Kooperation mit der Koordinierungsstelle "Tolerantes Brandenburg", dem "Brandenburgischen Institut für Gemeinwesenberatung - demos", dem "Städteund Gemeindebund", dem "Landkreistag", der "Polizeifachhochschule" und der "Brandenburgischen Kommunalakademie". Gemeinsam wurden seit Sommer 2008 insgesamt 44 ganztägige Infoveranstaltungen für etwas mehr als 2.000 Teilnehmer angeboten. Darunter waren unter anderem Polizisten, kommunale Entscheidungsträger und Sozialarbeiter. 2018 stand die eintägige Fachtagung "Gefahren des Islamismus in Brandenburg - Chancen der Integration" mit 130 Teilnehmern im Mittelpunkt. Die Kooperation wird 2019 fortgesetzt. Dabei stehen die Wahlen des Jahres im Zentrum. Etabliert haben sich ebenso Fachtagungen, die der Verfassungsschutz Brandenburg selbst oder in Kooperation mit Verfassungsschutzbehörden anderer Bundesländer durchführt. Seit 2005 nahmen rund 2.800 Interessierte an insgesamt 18 Tagungen teil. Die letzte drehte sich um das Thema "Provokation und Propaganda - Neue Dynamiken antisemitischer Agitation" und zog rund 120 Gäste an. Sie wurde im Mai 2018 von den Verfassungsschutzbehörden Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen gemeinsam in Magdeburg (Sachsen-Anhalt) angeboten. Diese Kooperation wird im Jahr 2019 fortgesetzt. Der brandenburgische Verfassungsschutz selbst bot bereits im Februar 2019 eine Tagung in Potsdam unter dem Titel "Die neu-rechte Entgrenzung als Herausforderung für die Demokratie" an. 176 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018 Ein besonderes Highlight im Jahr 2018 war die Neuveröffentlichung des überarbeiteten und aktualisierten Handbuchs "Reichsbürger". Das fast 300 Seiten starke Werk ist ein Kooperationsprodukt von Mitarbeitern mehrerer Behörden und Einrichtungen, darunter sind auch Experten des brandenburgischen Verfassungsschutzes und des Landeskriminalamtes. Es wurde gefördert von den Landespräventionsräten in Brandenburg und Sachsen sowie von der Koordinierungsstelle "Tolerantes Brandenburg". Verfassungsschutz durch Aufklärung 177 178 Verfassungsschutzbericht des Landes Brandenburg 2018