Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Das Ministerium des Innern ist die Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg. In Erfüllung des gesetzlichen Auftrages wird mit dem vorliegenden Jahresbericht 2002 die Öffentlichkeit über die Arbeitsergebnisse unterrichtet. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 2 002 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Herausgeber: Ministerium des Innern des Landes Brandenburg Henning-von-Tresckow-Straße 9-13, 14467 Potsdam Redaktion und Layout: Abteilung Verfassungsschutz, Referat V/3 Telefon: (0331) 866 2552 Auflage: 4.000 Druckerei: Digital & Druck, Inh. Matthias Greschow, 03119 Welzow Telefon: (03 57 51) 27 888 DenText finden Sie im Internet unter www.verfassungsschutz-brandenburg.de Mai 2003 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 VORWORT Liebe Bürgerinnen, liebe Bürger, der jetzt vorliegende Verfassungsschutzbericht erscheintin einerZeit, in der die Auseinandersetzung mit einem schwergreifbaren Gegner, dem internationalen Terrorismus, nun schon geraume Zeit andauert. Im Jahr 2002 haben die Anschläge aufBali, in Djerba und in Mombasa erneut bewiesen, wie gefährlich die vom Islamismus verblendeten Feinde unserer weltoffenen Zivilisation sind. Angesichts der diffusen und allgegenwärtigen Bedrohungslage ist der Staat verpflichtet, alle geeigneten und angemessenen Mittel für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger einzusetzen. Brandenburg gehörte zu den ersten Bundesländern, die auf der Grundlage eines Bundesgesetzes zur Terrorismusbekämpfung im Vorjahr entsprechende Landesregelungen verabschiedet haben. Darin werden gerade auch dem Verfassungsschutz erweiterte Rechercheaufgaben zugewiesen. Wie wichtig solche Vorsorge ist, wurde auf tragische Art bestätigt: Nur zwei Tage nach dem Landtagsbeschluss explodierten die tödlichen Sprengsätze auf derInsel Bali. Die manchmal geäußerte Befürchtung, dass mit größerer Sicherheit die Freiheit abnehme, ist unbegründet; vielmehr gewährleistet erst größere Sicherheit die Wahrnehmung der Freiheitsrechte. Alle durch die neuen Regelungen möglichen Anfragen und Auskünfte sind rechtsstaatlich fundiert und unterliegen klar definierten Bedingungen und Kontrollen. Wir befinden uns keineswegs auf dem Weg zum Überwachungsstaat. Nicht von den Sicherheitsbehörden wird die freiheitliche Demokratie bedroht, sondern von denen, die sie aus Hass mit Terror bekämpfen. Ihnentreten wir entschlossen entgegen. Zwar ist es kaum möglich, eine allumfassende Sicherheit zu garantieren, aber wir werden nach besten Kräften dafür sorgen, dass Brandenburg weder Schauplatz noch Hinterland für irgendeine Form von Terrorismus wird. Dabei ist der Verfassungsschutz unverzichtbar. Seine Arbeit im Stillen ist ja kein Selbstzweck, sondern bildet einen wesentlichen Baustein unserer Sicherheitsarchitektur. Um den geheimen Planungen von Extremisten, vor allem auch den Anschlagsvorbereitungen von Terroristen auf die Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Spur zu kommen, setzt der Verfassungsschutz nachrichtendienstliche Mittel ein. Umfang und Art dieses Einsatzes sind rechtlich streng geregeltund werden wirksam kontrolliert. Das wohl ergiebigste dieser nachrichtendienstlichen Mittel ist der Einsatz menschlicher Quellen. Sie berichten der Behörde verdeckt, was extremistische oderterroristische Gruppierungen unternehmen. Das Themadieser so genannten V-Leute spielte eine ausschlaggebende Rolle bei dem Verbotsverfahren, das Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat beim Bundesverfassungsgericht gegen die rechtsextremistische "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) beantragt hatten. Dieses Verbotsverfahren wurdeeingestellt, weil drei der beteiligten Verfassungsrichter der Auffassung sind, dass ein unaufhebbares Verfahrenshindernis vorgelegen habe. Denn V-Leute hättenallein deshalb, weil sie in Leitungsgremien der NPD vertreten waren, einen zu großen Einfluss auf die Partei auch noch vor und während des Verbotsverfahrens gehabt. Zwar erklären die übrigenvier beteiligten Verfassungsrichter, dass eine solche Beeinflussung der NPD ganz und gar nicht erkennbarsei. Aber die Verfassungsschutzbehörden sind jedenfalls gehalten, die Modalitäten des Quelleneinsatzes kritisch zu prüfen. Für mich steht jedoch fest: Die NPD ist undbleibt eine verfassungsfeindliche Partei, die der Verfassungsschutz auch künftig beobachten muss -- soweit es erforderlich ist, auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Der Rechtsextremismus stellt nach wie vor eine wichtige gesellschaftspolitische Herausforderung dar. Zumal seine militante Ausprägungbleibt unverändert beunruhigend. Immer noch und immer wieder entlädt sich rechtsextremistisch motivierter Hass gegen Fremde und Andersdenkende in brutalen Gewalttaten, werden jüdische Gedenkstätten geschändet. Hochist die Zahl einschlägiger Propagandadelikte. Menschenverachtende Parolen, Pamphlete von Parteiideologen und gewaltverherrlichende Songtexte sind oft der Nährboden für spätere Gewalt. Linksextremistische Straftaten haben gegenüber dem Vorjahr ebenfalls zugenommen. Dabei steht der militant aufgeladene " Antifaschismus" den Taten aus dem rechtsextremistischen Milieu an Brutalität kaum nach. In der Szene wird bereits über gezielte Anschläge auf Prominente aus Politik, Wirtschaft und Verwaltungdiskutiert; deren Wagen werden schon jetzt "abgefackelt". Der Verfassungsschutz trägt mit seinen spezifischen Fachkenntnissen dazu bei, solche extremistischen Gefährdungen zu erkennen, zu bewerten und zu bekämpfen - möglichst schon, bevor sie sich zu Straftaten Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 verdichten. Mit seinen Informationen überdie Strukturen, Denkschablonen und Vorgehensweisen der jeweiligen extremistischen Gruppierungenleistet er hierbei eine bemerkenswerte Hilfe. Sie kommt nicht nur der Strafverfolgung, sondern vor allem auch der öffentlichen Auseinandersetzung mit den Erscheinungsformen des Extremismus zugute. Dochalle staatlichen Bemühungen fruchten nur, wenn die Gesellschaft selbst sich gegen Hass und Gewalt wendet. Jeder Bürger kann dazu einen Beitrag in seinem persönlichen Lebensumfeld leisten. Manche Provokationen oder Pöbeleien hätten entschärft, Tötungsdelikte hätten verhindert werden können, wenn die vielfach anwesenden Zeugen eingeschritten wären oder rechtzeitig Hilfe geholt hätten. Zivilcourage ist undbleibt ein wirksames Gegenmittel gegen menschenverachtende Taten, welches politische Etikett sie auchtragen. Wunduh Jörg Schönbohm Minister des Innern des Landes Brandenburg Potsdam, im April 2003 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Inhaltsverzeichnis Seite Politischer Extremismus -- Überblick Aktuelle Entwicklungstendenzen 10 Der neue Terrorismus -- globale Vernetzung, lokale Bedrohung 10 Verbot islamistischer Vereine 17 PKK/KADEK in kritischer Situation 19 Fortgang und Ende des NPD-Verbotsverfahrens 21 Querfronten und Zweckbündnisse 27 Rechtsextremismus im Alltag Extremistisch motivierte Gewalt 37 Erfassung extremistisch motivierter Straftaten 38 Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten 4 Linksextremistisch motivierte Gewalttaten 52 Extremistisch motivierte Straftaten in Brandenburg im Jahr 2002 -- statistische Übersicht Personenpotenziale 59 Rechtsextremisten Linksextremisten Ausländische Extremisten Mitgliederzahlen extremistischer Gruppierungen - statistische 88% Übersicht 6 Rechtsextremismus Subkulturell geprägte, gewaltbereite Rechtsextremisten Szenestrukturen 7 Subkulturelle Aktivitäten 3 Neonazis Ambitionen und Aktionen Organisationsformen 388 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Parteien und deren Nebenorganisationen 107 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) einschließlich Junge Nationaldemokraten (IN) 107 Deutsche Volksunion (DVU) 125 Die Republikaner (REP) 134 Vereine, Gesprächskreise, Publizistik 143 Vereine 143 Gesprächskreise und Publizistik 147 Linksextremismus 151 Autonome 154 Szenestrukturen 155 Kampagnen und Diskussionsthemen 158 "Antifaschismus" 161 "Antirassismus" 167 Weitere Aktionsfelder 170 Organisationen 174 Kommunistische Parteien und deren Nebenorganisationen 174 Trotzkisten 182 Anarchisten 185 Rote Hilfe e. V. (RH) 186 Ausländerextremismus 189 Islamisten 191 Arabische Islamisten 191 Türkische Islamisten 199 Linksextremisten und Nationalisten 204 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/ Freiheitsund Demokratie-Kongress Kurdistans (KADEK) 204 Türkische Linksextremisten 207 Iranische Linksextremisten 210 Nationalisten 2l Aktuelle Lage in Brandenburg 212 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Scientology-Organisation 215 Ein Fall für den Verfassungsschutz 216 Strukturen und Aktivitäten 220 Nutzung neuer Medien durch Extremisten 223 Rechtsextremisten 225 Linksextremisten 232 Ausländische Extremisten 235 Spionage und sonstige sicherheitsgefährdende Aktivitäten 239 Fremde Nachrichtendienste 240 Wirtschaftsspionage 241 Proliferation 242 Geheimschutz 245 Verfassungsschutz in Brandenburg 249 Auftrag und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde 251 Struktur und Konzepte der Verfassungsschutzbehörde 260 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde 261 Öffentlichkeitsarbeit 263 Anhang 267 Gesetze 268 Begriffserläuterungen 297 Abkürzungsverzeichnis 324 Sachund Personenregister 330 Adressen 340 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Politischer Extremismus -- Überblick Rechtsextremismus Linksextremismus Ausländerextremismus Scientology-Organisation Nutzung neuer Medien durch Extremisten Spionage undsonstige sicherheitsgefährdende Aktivitäten Verfassungsschutz n Brandenburg Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Politischer Extremismus -- Überblick Politischer Extremismus -- Überblick Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 POLITISCHER EXTREMISMUS -- ÜBERBLICK AKTUELLE ENTWICKLUNGSTENDENZEN Der neue Terrorismus -- globale Vernetzung, lokale Bedrohung Anschlagsserie reißt nicht ab Die Serie blutiger Anschläge, die auf das Konto islamistischer Terroristen gehen, nimmt kein Ende. Auch 2002forderte sie zahlreiche Opfer. Ein unübersehbares Zeichen dafür, dass der 11. September 2001 tatsächlich den Beginn einer neuen Form von weltweitem Terrorismus markiert! Am 11. April löste ein Selbstmörder vor der Synagoge "Al-Ghriba" auf Djerba (Tunesien) eine Explosion aus, die 19 Menschen das Leben kostete, darunter 14 deutsche Urlauber. Zunächst bekannte sich die "Islamische Armee zur Befreiung der Heiligtümer" zu dem Attentat. Sie war bereits für die Terroranschläge auf die US-Botschaftenin Nairobi (Kenia) und Daressalam (Tansania) am 7. August 1998 verantwortlich. Später, am 23. Juni, veröffentlichte der arabische Nachrichtensender "Al-Jazira" ein Band, in dem sich "Al-Qaida" ("Die Basis") -- die Spinne im Netz des islamistischen Terrors -- als Urheber zu erkennen gab. Eine Spur führte nach Mülheim/Ruhr (Nordrhein-Westfalen) zu einem deutschen Muslim, der sich in einem Lagerin Afghanistan ausbilden ließ, dort auf den "AlQaida"-Chef UsamaBin Ladentrafund Kontakte zu anderen "Al-Qaida"Mitgliedern knüpfte. Am 8. Mai sprengte sich ein Selbstmordattentäter vor dem SheratonHotel in Karatschi (Pakistan) in die Luft. Dieser Anschlag riss elf französische Ingenieure und drei Pakistani in den Tod. In der gleichen Metropole ereignete sich am 14. Juni ein weiterer Selbstmordanschlag, diesmal vor dem US-Konsulat. Zwölf Menschenstarben. Unklarist, ob "Al-Qaida" auch diese Taten zu verantworten hat. Rund 24 Stunden später, am 9. Mai, dem Tag des Sieges in Russland, endete eine Militärparade in Dagestan, der Nachbarrepublik von Tschetschenien, in einem Blutbad, als eine Bombe explodierte. Unter den 42 Opfern befandensich viele Kinder. Es gibt Anzeichen dafür, dass auch hier Verbindungen zu "Al-Qaida" bestanden haben. 10 Politischer Extremismus -- Überblick Selbstmordattentäter prägen das Gesicht des modernen Terrorismus 11 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Im Oktoberjagte eine Schreckensmeldung die andere und ließ die Welt den Atem anhalten. Am 6. Oktoberhielt vor der jemenitischen Küste ein mit Sprengstoff beladenes Bootauf den französischen Supertanker "Limburg" zu, rammte ihn und explodierte. Ein Matrose kam ums Leben. Das Feuer konnte gelöscht werden. "Al-Qaida" bekannte sich zu dem Anschlag Einer der schwersten und perfidesten Bombenanschläge ereignete sich am 12. Oktoberauf der Ferieninsel Bal (Indonesien). Vor zwei Diskotheken in Kuta detonierten kurz hintereinander zwei Autobomben, die 191 Menschenleben forderten. Ein weiterer Sprengsatz ging vor dem örtlichen US-Konsulat hoch. Unter den Opfern befandensich viele australische Touristen: auch sechs Deutsche kamen ums Leben, unter ihnen ein Ehepaar aus Brandenburg. Etwa zehn Aktivisten der indonesischen Terrororganisation "Islamische Gruppe" ("Jemaah Islamiyah") waren an der Vorbereitung des Doppelangriffs beteiligt. Die "Jemaah Islamiyah" steht mit "Al-Qaida" in Verbindung, ist quasi einer ihrer südostasiatischen Arme und kämpft für die Islamisierung des gesamten Archipels. "Al-Qaida" bekannte sich mit etwa vier Wochen Verspätung zu diesem Anschlag. Aber damit nicht genug. Am 23. Oktoberereignete sich eine der größten Geiselnahmen der jüngeren Geschichte. Tschetschenische Terroristen, 22 Männer und 19 Frauen, stürmten das Musical-Theater "Nordost" in Moskau und nahmen etwa 830 Geiseln, um den vollständigen Abzug der russischen Truppen aus der kaukasischen Teilrepublik Tschetschenien zu erzwingen. Als die Geiselnehmer begannen, einzelne Geiseln zu erschießen, wurde das Theater von russischen Spezialeinheiten unter Einsatz eines Kampfgases gestürmt. Etwa 700 Geiseln konntenbefreit werden, doch 128 ließenihr Leben, fast alle starben den Erstickungstod. Die 41 Geiselnehmer wurden allesamt vor Ort erschossen. Auf einem Bin Laden zugeschriebenen Tonband vom 13. November wird die Moskauer Geiselnahme als Sieg "Al-Qaidas" gefeiert. Ob die tschetschenischen Separatisten nicht nur im Sinne, sondern auch im Auftrag von "Al-Qaida" gehandelt haben, ist allerdings sehrfraglich. "Al-Qaida'" bekannte sich auch zu dem Doppelschlag vom 28. November bei Mombasa (Kenia). Ein gerade abgehobenes israelisches Charterflugzeug mit261 Passagieren entkam mit knapper Not zwei Boden-Luft-Raketen. Minuten später detonierte eine Bombe im israelischen Ferienhotel "Paradies" und tötete 16 Menschen. Einmal mehr hatte "Al-Qaida" in einem Land mit starken interethnischen, religiösen und sozialen Span12 Politischer Extremismus -- Überblick Der Bombenanschlag auf Bali forderte 191 Menschenleben 13 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 nungen so genannte weiche, d.h. nicht wirklich zu schützende, Ziele angegriffen. Wieder handelte es sich um einen Ort, wo die westliche Welt in Form des Tourismus auf die islamische trifft. Transnationales Netzwerk Wie kann eine einzelne Organisation eine derartige weltumspannende Schlagkraft entwickeln? Was ist das Geheimnis der "Effektivität" von "Al-Qaida" und worin bestehen die charakteristischen Unterschiede zu früheren Formen des Terrorismus? Der neue Terrorismusist transnational organisiert. Auch seine Ziele beschränken sich nicht auf den Sturz eines nationalen Regimes oder einer regionalen Ordnung. Hier geht es um einen Angriff aufdie internationale Weltordnung, um einen Krieg gegendie Staaten, die eine Vormachtstellung in der Welt genießen, schließlich um einen gnadenlosen Kampf gegen die westliche Zivilisation. Ein Netzwerk wie "Al-Qaida" agiert wie ein "global player", ein multinationales Unternehmen, das seine "Mitarbeiterteams" weltweit rekrutiert und sie mit grenzüberschreitenden Transaktionen finanziert, andere Terrorgruppenaber gleich "Franchise"-Partnern mit Ideen, Kapital und Beziehungen versorgt und sie auf eigene Rechnung handeln lässt. Wasdieses Netzwerkletztlich zusammenhält, ist ein Kernbestand an gemeinsamerIdeologie. Der islamistische Appell von "Al-Qaida" kann theoretisch Muslime aus allen Ländern der Erde ansprechen und nicht nur eine bestimmte Gruppe unter ihnen. Das Bekenntnis zum "Jihad", hier verstandenals "Glaubenskampf" auch mit den Mitteln desTerrors, schafft ncht nur ene pragmatsche Kampfgenossenschaft, sondern eine von tiefen religiösen Überzeugungen und starken Emotionen getragene Schicksalsgememschaft. "Al-Qaida" vertritt eine militante Version der pan-islamischenIdee. Hiernachsind die Nationalstaaten in der islamischen Welt lediglich ein Produkt des westlichen Kolonialismus und schwächen den Islam. Deshalb sei jeder Muslim verpflichtet, die "Umma", die ursprüngliche Gemeinschaft aller Muslime, in einem einheitlichen islamischen Staatsgebilde wiederherzustellen. Da dies nur mit Waffengewalt möglich sei, müsse jeder Muslim zum "Jihad" bereit sein. Weil diese Ideologie einestabilisierende und integrative Ressource darstellt, kann sich "Al-Qaida" ein Höchstmaßan Flexibilität in der Organisationsstruktur erlauben. Ein kleiner Führungszirkel ist mit verschiede14 Politischer Extremismus -- Überblick nen anderen Organisationen, mit Zellen von örtlich begrenzter Reichweite oder sogar mit unorganisierten Einzelpersonen (den so genannten "non-aligned Mujahedin") in unterschiedlich starkem Maße verbunden. "Al-Qaida" arbeitet mit vielen national oder regional agierenden Organisationen zusammen, die dabei völlig unabhängig bleiben, durch reisende Mittelsmänner jedoch aktionsbezogen koordiniert werden können Das Gleiche gilt für zellenförmige Gruppen fanatisierter Sympathisanten, die sich im Umkreis von Moscheen bilden und von Verbindungsleuten des Netzwerkes überhaupt erst aufgespürt und für den Krieg gegen die "Ungläubigen" rekrutiert werden. Da die einzelnen Gruppenoft gar nichts von der Existenz anderer Beteiligter wissen, bleibt die Gesamtstruktur unbeschädigt, wenn einzelne Mitkämpfer oder auch ganze Zellen auffliegen. So ist "Al-Qaida" durch spektakuläre Festnahmen während derletzten Monate zwar geschwächt, aber keineswegs funktionsuntüchtig geworden. Bereits im März wurde der PlanungschefBin Ladens, Abu Zubaydah, in Pakistan gefasst. Der Jemenit Ramzi Omaralias Bin al-Shib, verantwortlich für die Finanzen der Hamburger Zelle um Mohammed Atta, wurde am 11. September in Karatschi(Pakistan) festgenommen und den USABehörden überstellt. Im November wurde Abd al-Rahim al-Nashiri, der "Al-Qaida"-Chef der Golfregion, verhaftet. Am 1. März 2003schließlich gelang in Pakistan die Ergreifung von Khalid Scheich Mohammed, einem der meistgesuchten "Al-Qaida"-Führer, der u. a. den Einsatzbefehl für das Attentat in Djerba (siehe oben S. 10) gegeben habensoll. Wegender flexiblen Organisationsstruktur von "Al-Qaida" und verwandten Organisationen ist gleichwohl nicht mit einer Abnahme des Bedrohungspotenzials zu rechnen. Kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten werden die Gefährdungslage sogar noch weiter verschärfen. Denn es steht zu vermuten, dass "Al-Qaida" auf einen IrakKrieg mit Anschlägen antworten wird. Aber auch andere islamistische Gruppierungen könnten sich zur Gewaltanwendung aufgefordert sehen. Denn am 11. März 2003 rief die Azhar-Universität in Kairo, eine in der ganzen sunnitisch-muslimischen Welt hochangesehene Rechtsautorität, für den Fall eines amerikanischen Angriffs auf den Irak die Muslime in aller Welt zum "Jihad" auf. Damit bezogsich die Erklärung zwar nur auf den Verteidigungskampf, nicht etwa auf terroristische Aktionen; aber militante Gruppen werdensich von dieser Einschränkung nicht zügeln lassen. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Auch Deutschland im Visier Dass neben den USA und anderen westeuropäischen Ländern auch Deutschland ins Visier von "Al-Qaida" geraten ist, bezeugen mehrere Videos Bin Ladens undseines Stellvertreters Aymanal-Zawahiri. Eines davon hatte der arabische Fernsehsender "Al-Jazira" am 8. Oktober ausgestrahlt. Darin heißt es: "Wir haben in der Vergangenheit einige Botschaften an die Verbündeten der USA gerichtet, damit sie aufhören, an den Kreuzzügen der Amerikaner teilzunehmen." Und offenbar auf den Anschlag von Djerba (siehe oben S. 10) anspielend, drohte al-Zawahiri: "Die Mujahedin-Jugend sandte eine Botschaft an Deutschland und eine andere an Frankreich. Sollte die Dosis nicht ausreichend gewesensein, so sind wir bereit, natürlich mit Allahs Hilfe, die Dosis zu erhöhen." Am 12. November meldete sich Bin Laden in einem vermutlich authentischen Video persönlich zu Wort. Er kündigte an: "Ihr werdet getötet werden, wie ihr tötet." In diesem Zusammenhang nannte er ausdrücklich auch Deutschlandals eines der Länder, gegendie sich seine Drohungenrichten. Zellen arabischer "Mujahedin" ("Gotteskämpfer") habensich bereits in Deutschlandeingenistet. Manchesind enttarnt, andere womöglich noch nicht. Die berüchtigste von ihnen - jene der Attentäter vom 11. September 2001 -- wurde erstnach den massenmörderischen Anschlägenidentifiziert. Zwei wichtige Mittäter, die nicht an den Selbstmordflügen teilgenommenhatten, sind gefasst: der eben erwähnte Bin al-Shib und der Marokkaner Mounir al-Motassadegq, der die HamburgerZelle mit finanziellen Transaktionen unterstützt hatte. Wegen Beihilfe zum Mord von 3.045 Menschen und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde er am 19. Februar 2003 vom Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg zur Höchststrafe von 15 Jahren Haft verurteilt. Nach weiteren Verdächtigen wird gefahndet, gegen andere richten sich Ermittlungsverfahren. Zwischen dem 23. und 26. April ließ der Generalbundesanwalt bundesweit 23 Objekte, u. a. in Berlin, durchsuchen. Es wurden Schusswaffen, gefälschte Dokumente, PCs und umfängliches Schriftgut sichergestellt. Die Fundstücke erhärteten den Verdacht, dass ein terroristischer Anschlag vorbereitet wurde. Insgesamt vierzehn Personen wurden festgenommen; einer von ihnen war im Asylbewerberheim Neustadt/Dosse gemeldet. Gegen zehn Personenerging Haftbefehl, gegen fünf von ihnen hat der Generalbundesanwalt Anklage wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einerterroristischen Vereinigung erhoben. 16 Politischer Extremismus -- Überblick Allesamt waren sie Mitglieder der sunnitischen Bewegung "Göttliche Einheit" ("Al-Tawhid"). Diese Bewegung entstand Mitte der 80er Jahre in den Palästinenserlagern. Sie unterstützt den militanten "Jihad" und rechtfertigt Terroranschläge gegen westliche Einrichtungen als "spirituelle Wiedergeburt". Ihr geistiger Führer ist der Palästinenser Mahmoud Abu Omar alias Abu Qatada, der über Jahre von London aus seine Anhängerinstruierte (siehe auch unten S. 193). "Al-Tawhid" hat in verschiedenen arabischen und europäischen Staaten eigenständige Strukturen herausgebildet und unterhält intensive Beziehungen zu "Al-Qaida". So pflegte die in Deutschland aufgeflogene Zelle engen Kontakt zu dem "Al-Qaida"-Terroristen Ahmed Fadhil al-Khalaliyah alias Abu MosabalZagawi. Wie schnell der transnationale Terrorismus zu einer lokalen Bedrohungslage führen kann, zeigte sich letztes Jahr auch in Brandenburg. In Cottbus stand eine islamistische Personengruppe im Verdacht, Anschläge zu planen. Der Generalbundesanwalt veranlasste am 5. Oktober Durchsuchungen undsetzt die Ermittlungen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung fort (zu Einzelheiten siehe unten S. 213). Verbot islamistischer Vereine "AlAqgsae.V." Nachdemin der Bundesrepublik das Religionsprivileg im Vereinsrecht am 8. Dezember 2001 aufgehoben worden war, wurde noch im gleichen Jahr der "Kalifatsstaat" verboten (vgl. unten S. 202 PS.). 2002 ergingen Verbote gegen zwei weitere islamistische Vereine in Deutschland Gegen den in Aachen ansässigen Verein "Al Agsa e. V." erließ der Bundesminister des Innern am 5. August ein Verbot. Dem Verein wurde zur Last gelegt, dass er Gewaltanwendung zur Durchsetzung politischer und religiöser Ziele befürwortet und sich -- insbesondere durch Unterstützung terroristischer Aktivitäten der palästinensischen HAMAS (vgl. unten S. 196 PS.)-gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet hatte. In Aachen, Essen und Berlin wurden die Vereinsräume und Wohnungender Vorstandsmitglieder durchsucht. Das Vereinsvermögen in Höhe von 340.000 Euro wurde eingezogen. Es setzte sich größtenteils aus Spendengeldern zusammen, die angeblich für humanitäre Hilfe und soziale Zwecke in den palästinensischen Autonomiegebieten gesammelt worden waren, tatsächlich aber den Familien der "Märtyrer" zukommen 17 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 und zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes der HAMAS beitragen sollten. "Hizb ut-Tahrir" Am15. Januar 2003 verhängte der Bundesinnenminister ein Betätigungsverbot gegen einen weiteren islamistischen Verein. Es richtete sich gegen die "Islamische Befreiungspartei" ("Hizb ut-Tahrir al-Islami"/HuT). In mehreren Bundesländern, darunter auchin Berlin, wurden insgesamt 25 Objekte durchsucht; Vereinsunterlagen wurden beschlagnahmt. Im Zuge eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts auf Bildung einer kriminellen Veremigung warenbereits am 11. und 12. November 26 Wohnungen und Vereinsräume durchsucht worden. Der Vorwurf gegen den Verein lautete: Die HuT betreibteine aggressivkämpferische Propaganda. So ruft sie zur "Auslöschung" Israels und zur Tötung von Juden auf. Damit wendet sich die Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gibt zu erkennen, dass sie, entgegen eigenen Bekundungen, Gewaltals politisches Mittel nicht grundsätzlich ausschließt, auch wenn ihr in Deutschland Gewalttaten nicht nachzuweisensind. Ein Zitat möge exemplarisch diese Einstellung belegen: "Als Muslime muss uns klar sein, dass das Problem "Israel" für uns keine Grenzfrage, sondern eine Existenzfrage ist. Dieser zionistische Fremdkörper im Herzender islamischen Welt darf unter keinen Umständen bestehen bleiben. (...) Aufs Neue wiederholen wir die unabdingbare islamische Pflicht: Auf die zionistische Aggression in Palästina kannes nur eine Antwort geben: denJihad. Allah Der Erhabenebefiehlt: "Und tötet sie, wo immer ihr sie zu fassen bekommt, und vertreibt sie, von wo sie euch vertrieben haben!'" ("Explizit", Nr. 30 von März-Juni 2002; derletzte Satz ist ein Zitat aus dem Koran,Sure 2, Vers 191; Hervorhebungenim Original) In ihrem Publikationsorgan "Explizit", aufihrer Homepageund in Flugschriften betont die Organisation im Übrigenselber die Unvereinbarkeit ihres Islamverständnisses mit dem demokratischen Verfassungsstaat. Jegliche Partizipation an seinen Strukturen sei für Muslime verboten, nicht einmal die Teilnahme an Wahlen könne erlaubt werden: 18 Politischer Extremismus -- Überblick "Nachdemdas Regieren im Westen auf Unglauben und Sündhaftem basiert, und das Parlament anstelle Allahs gesetzgebende Tätigkeiten ausübt, Tätigkeiten des Kufr [Verweigerung des rechten Glaubens -- die Red.] und des Ungehorsams also, und der Gemeinderat ebenfalls Verbotenes begeht, ist die Teilnahme an Präsidentschafts-, Parlamentsund Gemeinderatswahlen im Westen verboten ( ) Die Wahl des Regenten wird zusätzlich noch mit der Sündebelastet, dass es sich um die Wahl eines ungläubigen Herrschers handelt, wo es islamisch doch verbotenist, dass ein Nichtmuslim die Regentschaft übernimmt." (zit. nach "Die politische Partizipation im Westen undder diesbezügliche Rechtsspruch des Islam. Hizb-ut-Tahrir in Europa", o. 0.2002, S.38 PS) Auf einer Podiumsdiskussion zum Thema "DerIrak -- ein neuer Krieg und die Folgen", die der Verein am 25. Oktober an der Technischen Universität Berlin veranstaltete, wurden die etwa 300 Teilnehmer gegen die USA undIsrael aufgehetzt. Öffentliches Aufsehenerregte die Veranstaltung auch durch die Teilnahme des NPD-Vorsitzenden Udo Voigt und des NPD-Prozessbevollmächtigten Horst Mahler (siehe auchunten S. 30). Die 1953 in Ost-Jerusalem gegründete HuTist eine pan-islamistisch orientierte Abspaltung der Muslimbruderschaft (siehe unten S. 196). Seit Mitte der 90er Jahre entfaltet sie rege Untergrundaktivitäten in mehreren mittelasiatischen Ländern, vor allem in Usbekistan. Die straff in Kleinstzellen organisierte Vereinigungtritt für die Wiedererrichtung des 1924 unter Atatürk abgeschafften Kalfats und die Einführung des streng islamischen Rechts, der Scharia, ein. In Deutschland verfügte die HuT zuletzt über etwa 150 Anhänger. PKK/KADEK in kritischer Situation Die in Deutschland mit einem Betätigungsverbotbelegte "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die sich seit April "Freiheitsund DemokratieKongress Kurdistans" (KADEK) nennt, steht gegenwärtig unter doppeltem Druck. Zum einen hat der KADEKihn selbst geschaffen, als er der türkischen Regierungeine Frist bis zum 15. Februar 2003 setzte: Bis dahin sollte diese sowohl die Haftbedingungen des Parteiführers Abdullah Öcalanerleichtern als auch maßgebliche Schritte zur Lösung des Kurdenproblems einleiten. Mit Ablauf des Ultimatums steht der 19 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 KADEKvor einem Glaubwürdigkeitsproblem. Denn erist nicht in der Lage, seine Forderungen gegenüber dem türkischen Staat militärisch durchzusetzen, andererseits muss die Partei die eigene Klientel bei der Fahne halten und weiterer Resignation vorbeugen. Deshalb hat der KADEK-Präsidialrat über sein Sprachrohr "Özgür Politika" am 13. Februar 2003 das "Ende des einseitigen Friedensprozesses und den Verteidigungskampf" verkündet. Dieser Kampf soll mit dem "demokratischen serhildan" verschränkt werden. Darunter werden verschiedene gewaltfreie Protestformen, aber auch Ordnungswidrigkeiten undziviler Ungehorsam verstanden. Eine Hintertür ließ sich der KADEK jedoch offen: Bis zur praktischen Umsetzung des Kampfes werde mansich bemühen, den ins Stocken geratenen Friedensprozess voranzubringen und gegebenenfalls den Entschluss zum Verteidigungskampf neu überdenken. In einer emotional derart aufgeheizten Situation kommt es erfahrungsgemäß immer wieder zu gewaltsamen Aktionen, auch wennsie nicht von der Parteispitze angeordnet sind. Davon sind insbesondere staatliche und halbstaatliche Einrichtungen der Türkei und anderer am vermeintlichen Komplott gegen Öcalanbeteiligter Staaten betroffen. Die ersten Scharmützel entwickelten sich im Übrigenbereits vor Ablauf der Frist. Nachdem die türkischen Streitkräfte Mitte Januar 2003 zwölf Guerillakämpfer bei Lice (Türkei) getötet hatten, holten kurdische Verbände am 27. Januar 2003 zu einem Vergeltungsschlag aus, der in Idil (Türkei) sieben türkische Soldaten das Lebenkostete. Die Sicherheitslage in Deutschland wird von den Reaktionen der hier lebenden Kurden berührt. Mit dem Schwerpunkt Deutschland führt der KADEKseit November eine europaweite Kampagnefür eine Verbesserung der Haftbedingungen Öcalans. Wie lange sie friedlich bleibt, ist schwer auszumachen. Die Gefahr, die von den in Deutschland lebenden Kurden ausgeht, wird sich jedoch nocherheblich erhöhen, sofern die Türkei tief in den Nordirak einmarschieren sollte, um die Entstehung eines unabhängigen Kurdenstaates zu verhindern. Dieses nicht unwahrscheinliche Kriegsszenario lastet drückend auf den Kurden, auch auf denen, die sich dem KADEK verbunden wissen. Falls es eintritt, wird sich der KADEK eventuell mit terroristischen Aktionen in der Türkei, aber womöglich auch in Europa wehren wollen. 20 Politischer Extremismus -- Überblick Fortgang und Ende des NPD-Verbotsverfahrens Das Problem der V-Leute Das Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), das Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag beim Bundesverfassungsgericht angestrengt hatten, trat bereits zu Jahresanfang in eine neue Phase. Der Zweite Senat des Gerichtes beschloss am 22. Januar einstimmig, die für Februar angesetzten Termine zur mündlichen Verhandlung aufzuheben. Denner hatte aus dem Bundesinnenministerium heraus die Information erhalten, dass eine der 14 vom Gericht geladenen Auskunftspersonen, der NPD-Funktionär Wolfgang Frenz, ein früherer V-Mann der Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen war. Wenig später wurden in den Medien die Namen weiterer -- ehemaliger oder aktiver -- Quellen der Verfassungsschutzbehörden in der NPD genannt. Anfang Februar übergaben die drei Antragsteller dem Gericht eine gemeinsameStellungnahme. Darin gingen die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller generell auf die Problematik von V-Leuten und Informanten ein. Sie führten aus, dass die Antragsteller gegenüber Personen, von denen de Verfassungsschutzbehörden auf geheimem Wege Informationenerhalten, eine Schutzpflicht wahrzunehmen hätten. Damit die persönliche Sicherheit solcher Personen nicht gefährdet werde, könne deren Identität nicht ohne weiteres offen gelegt werden. Dabei bezogen sie sich auf das sogenannte "Abhörurteil" des Bundesverfassungsgerichtes, wonach selbst die nachträgliche Offenlegung einer Überwachungsmaßnahmeund ihre nachträgliche Erörterung die Wirksamkeit in hohem Maße beeinträchtigen könne. In ihrem Schriftsatz legten die Verfahrensbevollmächtigten insbesondere dar, dass sich die antisemitischen Thesen des enttarnten ehemaligen V-Mannes Frenz mit wiederholten Bekundungen des Verfahrensbevollmächtigten der NPD, Horst Maahler, deckten; selbst in seiner Erwiderung auf die Verbotsanträge habe Mahler gleichartige Behauptungenaufgestellt. Damit sei widerlegt, dass es sich bei Frenz um einen "agent provocateur" des Verfassungsschutzes gehandelt haben könnte. Frenz habe seine Hetztiraden selbst zu verantworten. Schonals sich abgezeichnet habe, dass er sich in sie hineinsteigern werde, sei seine Tätigkeit als V-Mann nicht mehr vertretbar gewesen; sie sei deshalb von der nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzbehörde im Oktober 1995 beendet worden. 21 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Mit Schreiben vom 13. Februar informierten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller das Bundesverfassungsgericht darüber, dass neben den bereits bekannt gewordenen V-Leuten der Verfassungsschutzbehördenvier weitere - ehemalige oder aktuelle - mit Äußerungen in den Verbotsanträgen aufgeführt seien. Hierzu nahmen die Verfahrensbevollmächtigten der NPD, Mahler und Dr. Hans-Günter Eisenecker, Stellung. Eisenecker monierte, dass der NPD in den Verbotsanträgen Äußerungen oder Verhaltensweisen von V-Leuten zugerechnet würden, und vertrat die Auffassung, dass die Antragsteller im Sinne des Verfahrens verpflichtet seien, alle in der NPD tätigen ehemaligen undaktuellen Quellen aufzudecken. Mahler behauptete, dass durch die "kriminellen Machenschaften der verschiedenen inund ausländischen Geheimdienste" die verfassungsmäßigen Institutionen der Bundesrepublik Deutschlandbereits "innerlich zersetzt" seien; die verfassungsmäßige Ordnung sei damit zerstört. In der NPD führten die zahlreichen Enttarnungen von V-Leuten der Verfassungsschutzbehörden zu einem Klimader gegenseitigen Verdächtigung und Verunsicherung, so dass sich der Parteivorsitzende Voigt genötigt sah, per Sonderrundschreiben vom 4. Februar einzugreifen. Er erklärte: "Plötzlich werden(...) bedauerlicherweise sogar von vermeintlichen Mitstreitern aus unseren Reihen weitere Namen gestreut, die nun auch verdächtigt werden, VS-Spitzel zu sein. (...) Jeder Parteikameradist für uns so lange unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist, und jeder, der sich an Spekulationen und Verdächtigungen beteiligt, arbeitet dem Feind in die Hände." Die gegenseitigen Verdächtigungenvergifteten jedoch weiter das innerparteiliche Klima. Ihnenfiel z. B. Per Lennart Aae, früherer Leiter des Amtes Politik im Bundesvorstand, zum Opfer. Aae hatte die Prozesstaktik Maahlerskritisiert und ihnselbst als "geistesgestört" bezeichnet. Mahler wiederum nannte Aae in einem Schreiben an den Innenausschuss des Deutschen Bundestages vom 31. Januar einen V-Manndes Militärischen Abschirmdienstes. Aae wies dies umgehend zurück, konnte aber seiner Amtsenthebung nicht mehr entgehen. Um die im Verfahren aufgetretenen materiellen und prozessualen Rechtsfragen zu klären, setzte das Bundesverfassungsgericht im Mai einen Erörterungstermin mit den Prozessbevollmächtigten für den 8. Oktober fest und forderte zugleich eine ergänzende Stellungnahme der drei Antragsteller bis zum 31. Juli an. In diesem Beschluss stellte das Bundesverfassungsgericht detaillierte Fragen. Die Antragsteller sollten klären, 22 Politischer Extremismus -- Überblick in welchem Umfang und mit welcher Intensität Quellen innerhalb der NPD mitstaatlichen Stellen zusammengearbeitet haben. Denn anders könne nicht festgestellt werden, ob und ggf. inwieweit Personen, die im Auftrag der Verfassungsschutzbehörden handeln, die NPD steuern könnten. Sollten sich aus dem Geheimschutz oder anderweitig Gründe ergeben, die einer solchen Klärung hinderlich seien, müssten diese detailliert dargelegt werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte erstmals den Weg der Erörterung gewählt, um mit den Beteiligten juristische Probleme im Verfahren zu besprechen. Anschließend wollte der Zweite Senat darüber entscheiden, ob die ursprünglich für Februar angesetzte mündliche Verhandlung nachgeholt werdensolle. NPDnicht vom Verfassungsschutz gesteuert In einem EndeJuli eingereichten Schriftsatz widerlegten die Verfahrensbevollmächtigten der Antragsteller die Behauptung der NPD, die Partei werde durch V-Leute gesteuert. Weder ursprünglich noch heute sei die NPD das "Produkt" einer Steuerung, Prägung oder maßgeblichen Einflussnahme staatlicher Stellen. Die Verfassungsschutzbehörden hätten ein verfassungsfeindliches Verhalten der NPD oderihrer Organe niemals veranlasst oder unterstützt. Bei den in den Verbotsanträgen genannten Personen handele es sich ausnahmslos um überzeugte Rechtsextremisten, die bereits vor ihrer Anwerbung dem rechtsextremistischen Spektrum angehörten. Die Verfahrensbevollmächtigten betonten, der Einsatz von V-Leuten sei en rechtlich zulässges nachrchtendienstliches Mittel, das seine gesetzliche Grundlage im Bundesverfassungsschutzgesetz und in den entsprechenden Bestimmungen für die Landesbehörden für Verfassungsschutz habe. Da verfassungsfeindliche Ziele meist nicht offen propagiert würden, sei die versteckte Beobachtung unverzichtbar, um ein vollständiges Bild über extremistische Bestrebungenzu erlangen. Die Antragsteller versicherten, dass die Aufträge an V-Leute nicht weiter gegangen seien als die gesetzlichen Aufklärungsbefugnisse des Verfassungsschutzes. Dass die Verfassungsschutzbehörden Interesse auch an Quellen in den Vorständen der NPD hätten, sei selbstverständlich, da auf dieser Ebene Strategie und Taktik besprochen würden. Zu drei Stichtagen, an denen Veröffentlichungen der offiziellen Vorstandszahlen durch den Bundeswahlleiter erfolgten, lag der Anteil der Quellen in den NPD23 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Vorständen in Bund und Ländern unter 15 Prozent. Letztlich sei es aber die NPD selbst, die in ihrer Programmatik und in ihrem Auftreten den Beweis dafür liefere, dass sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele auf aggressiv-kämpferische Weise umzusetzen versucht. In seiner Stellungnahme vom 30. August qualifizierte der NPD-Prozessbevollmächtigte Mahler das Verfahren gegen die NPD als Geheimdienstverschwörung ab. Er beharrte darauf, dass der Verfassungsschutz die NPDgezielt unterwandert unddie Mitgliederradikalisiert habe. Man könne nicht mehr trennen zwischen den Aussagen von V-Leuten und denen der NPD. Die Partei werde verteufelt und zum Sündenbock gemacht. Mahler setzte in seinem Schriftsatz die Nachrichtendienste mit dem "organisierten Verbrechen" gleich und sah zudem weite Teile der staatlichen Institutionen von "kriminellen deutschfeindlichen Elementen" dominiert. Weiter behauptete Mahler, die Antragsteller hätten mit ihren "glaubenspolizeilichen Untersuchungen" -- nämlich den Schriftsätzen vom 19. Dezember 2001 und 8. Februar -- eine bestehende "Denkverbotszone" nochmals erweitert. Der Antisemitismus in der NPD sei eine "Abwehrreaktion" und der "Haß auf Juden" etwas "ganz Normales", ein "untrügliches Zeicheneines intakten spirituellen Immunsystems". Am 8. Oktober erörterte das Bundesverfassungsgericht den Fortgang des NPD-Verbotsverfahrens mit den Verfahrensbeteiligten. Das Gericht bezeichnete es als klärungsbedürftig, ob die V-Leute lediglich Wissen über die Partei abgeschöpft oder aber die NPD aktiv gesteuert hätten. Bundesinnenminister Otto Schily bekräftigte, dass der Verfassungsschutz keine V-Leutein die NPDeingeschleust habe; diese seien vielmehr "Fleisch vom Fleische der NPD", das in der Partei selbst herangewachsen sei. Hingegen warf Mahlerdie Frage auf, ob die Antragsteller gar noch während des Verfahrens durch V-Leute in den Leitungsgremien der NPD die Verteidigungsstrategie der Partei ausforschen und sich damit unzulässige Verfahrensvorteile zu verschaffen suchen. Hierzu vom Gericht befragt, antworteten die Antragsteller zunächst vorläufig und später mit einem neuerlichen Schriftsatz, dass keine V-Leute vom Verfassungsschutz eingesetzt seien, um die Prozessstrategie der NPD auszuspähen. Die Entscheidung vom 18. März 2003 Am 25. Februar 2003 gab das Bundesverfassungsgerichtschließlich bekannt, dass es am 18. März 2003 eine Entscheidung hinsichtlich des NPDVerbotsverfahrens verkünden werde. 24 Politischer Extremismus -- Überblick Dadurch sahen sich die Antragsteller am 7. März 2003 zu einer Gegenvorstellung veranlasst. Sie beantragten für den Fall, dass eine Einstellung des Verfahrens beabsichtigt sei, erst eine mündliche Verhandlung durchzuführen; denn aus ihrer Sicht sei aus prozessualen Gründen das Bundesverfassungsgericht nichtberechtigt, das Verfahrenlediglich auf Grund der Erörterung vom 8 Oktober einzustellen Am 13 März 2003 antwortete das Bundesverfassungsgericht, dass es am Verkündungstermin festhalte. Am 18. März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht, wie zuvor von vielen Seiten bereits erwartet, das Verfahren zum Verbot der NPD ein. Für eine Fortführung des Verfahrens hätten mindestens sechs der sieben beteiligten Richter votieren müssen. Drei Richter waren jedoch der Auffassung, dass ein nicht behebbares Verfahrenshindernis vorliege. Denn "die Beobachtung einer politischen Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren, unmittelbar vor und während der Durchführung eines Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Partei ist in der Regel unvereinbar mit den Anforderungenan ein rechtsstaatliches Verfahren". Vier Richterhielten dagegendie Fortsetzung des Verfahrens für geboten. Das Gericht dürfe auf eine Klärungin der Sache -- also auf die Feststellung, ob die NPD verfassungswidrig und verbotswürdig sei -- nicht verzichten, sofern dem nicht ein unüberwindliches Verfahrenshindernis entgegenstünde. Derzeit liege allerdings ein Verfahrenshindernis nicht vor. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass die NPD infolge nachrichtendienstlicher Beobachtung durchstaatliche Stellen an einer sachgerechten Verteidigung im Verbotsverfahren gehindert sei. Die gesetzliche Verpflichtung der Verfassungsschutzbehörden, verfassungsfeindliche Bestrebungen zu beobachten, werde auch durch ein Verbotsverfahren nicht aufgehoben. Des Weiteren betonten die vier Richter, es sei nicht einmal ansatzweise erkennbar, dass die NPD in erheblichem Maße vom Staat -- über die V-Leute -- fremdgesteuert sei. Die NPD sieht sich nach dem Beschluss des Gerichts erwartungsgemäß im Aufwind. Sie kündigte eine Kampagne "Von wegen Verbot: 1:0 für Deutschland Herr Schily" an. Mit ihr erhofft sie sich eine Aufklärung der Bevölkerung, so dass viele nun bald in der NPD "die einzige wirkliche politische Alternative in diesem Land" erkennen würden. Der erste Prozessbevollmächtigte der NPD, Mahler, erklärte indessen noch am 18. März 2003 seinen Austritt aus der Partei. Er habe sich ihr im Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Jahr 2000 lediglich aus Solidarität angeschlossen. Da die NPD sich aber am Parlamentarismus ausrichte, sei sie unzeitgemäß. Das parlamentarische System sei zum Untergang verurteilt, und mit ihm auch die NPD. Mit Mahler hat die NPD ihrenschrillsten Lockvogel für die Medienverloren. Die öffentliche Aufmerksamkeit für die Partei wird nach dem Verfahrensende ohnedies wieder schwinden Auch auf einen Zulauf neuer Mitglieder deutet gegenwärtig nichts hin. Prüfung des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel Das Verfassungsgericht weist in seinem Beschluss ausdrücklich darauf hin, dass die Verfassungsschutzbehörden die Pflicht haben, die freiheitliche demokratische Grundordnungzu schützen. Diese Pflicht werde auch dadurch erfüllt, dass auf gesetzlicher Grundlage bei gegebenem Anlass Gruppen undauch politische Parteien beobachtet werden. Denn aufdiese Weise könnefestgestellt werden, ob von solchen Personenzusammenschlüssen eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehe. Da verfassungsfeindliche Parteien sich häufig konspirativ verhielten, müssten auch die Verfassungsschutzbehörden in der Lage sein, Informationen verdeckt auf geheimem Wege zu gewinnen. Oft seiesnur unter Einsatz von Quellen möglich, Erkenntnisse überinterne Äußerungen zu erlangen; die würden aber benötigt, um öffentlich vorgebrachte Erklärungen der Partei recht bewerten zu können. Auch die Veröffentlichung möglicherweise nachteiliger Erkenntnisse in Verfassungsschutzberichten habe eine Partei hinzunehmen. Parteien genießen wegen ihrer Bedeutung für die freie Meinungsund Willensbildung des Volkes besondere Schutzund Bestandsrechte, die sich aus Artikel 21 Grundgesetz ergeben. Deshalb erinnert das Gericht daran, dass die besondere Stellung politischer Parteien im verfassungsrechtlichen Gefüge berücksichtigt werden müsse. So bedürfe die Beobachtung politischer Parteien mit nachrichtendienstlichen Mitteln nicht nur einer gesetzlichen Grundlage, sondern müsse auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gerechtfertigt sein. Solche Anforderungenan die Verhältnismäßigkeit habendie Verfassungsschutzbehörden beim Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bereits in der Vergangenheit berücksichtigt. Gleichwohl wissen sie sich aufgerufen, durch eine verbesserte Koordination untereinander sicherzustellen, dass z. B. nicht mehr V-Leute geworben undeingesetzt werden, als zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben unbedingt erforderlich ist. 26 Politischer Extremismus -- Überblick Der Einsatz menschlicher Quellenals nachrichtendienstliches Mittel birgt zwangsläufig Risiken. Diese können durch Professionalität und Vorsicht minimiert, freilich nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Die Grundsätze des Einsatzes von V-Leuten werden in diesem Bericht an anderer Stelle (siehe unten S. 254ff.) erläutert. Querfronten und Zweckbündnisse Gleiche Feindbilder Der Begriff "Querfront" bezeichnet die Strategie, Bündnisse zwischen extremistischen Strömungen über alle politischen Gräben hinweg zu schmieden. An diese Strategie knüpft sich bisweilen die kühne Hoffnung, herkömmliche Konfrontationen hinter sich lassen und die politische "Mitte" von zwei Seiten in die Zange nehmen zu können. Ihr historisches Vorbild hat diese Strategie in dem Versuch des einstigen Reichskanzlers von Schleicher, durch eine Koalition von Deutschnationalen mit Gewerkschaftern und dem Strasser-Flügel der NSDAP die Machtübernahme Hitlers zu verhindern. Dieser Versuch war seinerzeit rasch gescheitert. Ebenso verlieren sich heute die Denkspiele von "Querfront"Strategen in utopischen Träumereien. Wenn aber in der Realität, unabhängig vontheoretisch ausgeklügelten Konstrukten, punktuelle Zweckbündnisse zwischen politisch verfeindeten oder einander ideologisch fremden Strömungen entstehen, ist ihnen gewöhnlich keine Dauer beschieden. Denn zuweilen finden sich Organisationen, die konträr zueinander stehen, unversehens Seite an Seite, weil sie gegen einen gemeinsamen Feind vorgehen; vom Zusammenfall ihrer politischen Interessen sind sie dann womöglich selber irritiert. Etwas stabiler sind Allianzen, wenn die unterschiedlichen Ideologien der Beteiligten sich teilweise überschneiden. Rechts-, Linksund Ausländerextremisten stimmengrundsätzlich in der Ablehnung derfreiheitlichen demokratischen Grundordnung überein. Diese Übereinstimmunghat für ihre Absichten und Pläne zunächst keine praktischen Folgen. Eher schon ergeben sich gemeinsame Ansatzpunkte aus den gleichen Feindbildern Kapitalismus, USA-Imperialismus und Globalisierung sowie, für die meisten Extremisten gültig, die Juden und Israel. Aus diesen Feindbildern leiten Extremisten ihre Position in der politischen Auseinandersetzung ab. Kristallisationspunkte sind vor allem tagesaktuelle Streitfragen der Außenund Sicherheitspolitik. Im Mittelpunkt der Diskussion stehen gegenwärtig der Irak-Krieg, der Israel27 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Palästina-Konflikt, die Neuordnung Afghanistans, das Schicksal der Kurden und das der linksextremistischen Häftlinge in der Türkei sowie die weltwirtschaftliche Entwicklung im Zeichen der Globalisierung. Die meisten dieser Themen werden auch in breiten Kreisen der Gesellschaft lebhaft und kontrovers diskutiert. Hierbei wie auch bei anlassbezogenen Demonstrationen fallen die Beiträge von Extremisten kaum ins Gewicht. Gleichwohl hoffen manche extremistische Gruppierungen, durchihre aktive Beteiligung größere Aufmerksamkeit und Resonanzin der Öffentlichkeit zu finden. Andere setzen eher darauf, die Zustimmung und Kooperationsbereitschaft anderer extremistischer Gruppierungen, mit denen sie ansonsten wenig verbindet, zu gewinnen. So reizt manche Rechtsextremisten die Vorstellung, dass in einer "Querfront" die partikulären Interessen einzelner Organisationen hinter den wahren Interessen der "Volksgemeinschaft" zurücktreten könnten. Dieses Ansinnen lehnen die Linksextremisten fast durchweg ab. Sie pflegen lieber - teils schon seit Jahren -- die Solidarität mit Organisationen ausländischer Extremisten. Neben ihren "natürlichen" Bündnispartnern, den revolutionär-marxistischen Gruppen unterschiedlichster Herkunft, unterstützen sie aber auch Organisationen, die schon immer oder wenigstens nach ideologischen Häutungen den "nationalen Befreiungskampf" auf ihre Fahnen geschrieben haben; denn auch diese Organisationen richteten sich objektiv gegen den Weltimperialismus. Deshalberfreut sich beispielsweise die PKK/KADEK der Solidarität von Linksextremisten. Den "Befreiungsnationalismus" unterstützen auch Rechtsextremisten. Sie meinen, dass jedes Volk "für sich", also in einer "Blutsgemeinschaft" ohne Andersstämmige, und "frei" von jeder Fremdbestimmung leben solle. Indessenzeigt sich in vielen Fällen, dass eine nur partielle Interessenidentität schwerlich als Basis für ein gemeinsames politisches Handeln ausreicht. Im Negativen, im Feindbild, ist man sich zwareinig, aber die positiven Interessen und die Motive der extremistischen Akteure sind zu verschieden, als dass ein fundiertes Bündnis zustande kommen könnte. Der Brückenschlag nach dem Motto "Der Feind meines Feindes ist mein Freund" ist nichttragfähig. Denn werals Rassist Menschen anderer Abstammung für minderwertig hält, verfügt über zu wenig geistigen Spielraum, um partnerschaftliche Kooperationsformen einzugehen. Wer den Rassismus bekämpft und auch den Zionismus für rassistisch hält, wird sich, trotz übereinstimmender Frontstellung gegenIsrael, kaum mit rassistisch motivierten "Befreiungsnationalisten" verbrüdern und mit ihnen gemeinsam für ein freies Palästi28 Politischer Extremismus -- Überblick na demonstrieren. Wer die westliche nicht-muslimische Welt für moralisch verkommenhält und sowohl im Kapitalismus wie im Sozialismus nur Auswüchseeiner prinzipiellen Gottlosigkeit zu erkennen vermag, hat wenig Anreiz, mit den Verfechtern dieser Gesellschaftsformen zusammenzuarbeiten. Rassismus, Materialismus und Klassenkampf sind dem strengen Islam, nicht nurin seiner militanten Variante, gleichermaßen fremd Grundsätzlichgilt: Wer ideologische Widersprüche zudeckt, nimmt dafür logische in Kauf. Infolgedessen kostete bislang jeder mit einiger Konsequenz betriebene Versuch, über die verschiedenen extremistischen Lager hinweg miteinander ins Gespräch zu kommen oder gar gemeinsame Aktionsplattformen zu gründen, Akzeptanz im eigenen Lager. Zweckbündnisse dieser Art würden die eigene ideologische Identität aufweichen, fürchten interne Kritiker nicht zu Unrecht. Nicht selten enden Bemühungen, "Querfronten" zu errichten, in der Nische des Sektierertums. Dasgilt beispielsweise für den im Abseits befindlichen neonazistischen "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) (siehe unten S. 104 PS.) der auch in Brandenburg einige Anhängerhat. Sein Mitbegründer und derzeitiger Schriftleiter war früher Funktionär der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) in Berlin, wurde aber auf Grund seiner nationalbolschewistischen Aktivitäten aus der Partei ausgeschlossen. Heute ist er einer der maßgeblichen Propagandisten der "Querfrontstrategie". Der KDS sucht ohne Berührungsängste die Gunst der so genannten "Schurkenstaaten", um der eigenen Bedeutungslosigkeit zu entkommen und mächtige Verbündete gegen das ihm verhasste System zu gewinnen. Er verherrlicht aus nationalistischer Sicht die DDR, knüpfte Kontakt zum poststalinistischen Regime in Nordkorea und biederte sich bei der irakischen Botschaft mit einer Ergebenheitsadresse an Saddam Hussein an. Ein weiterer Vertreter der "Querfrontstrategie" ist der "bekennende Nationalanarchist" Peter Töpfer aus Berlin. Er ist mitverantwortlich für eine Website mit dem bezeichnenden Namen www.querfront.de. Mitte bis Ende der 90er Jahre gab er zusammen mit Andreas Röhler im "Verlag der Freunde" die Publikation "Sleipnir" heraus, in der Beiträge verschiedenster Autoren, gleich welche politische Position sie vertraten, abgedruckt wurden -- häufig ohne deren Zustimmung. Das Konzept von "Sleipnir" wardie grenzenlose Meinungsfreiheit. Häufig fanden sich Artikel im Heft, in denen der Holocaust geleugnet wurde. Die "Querfront"-Redaktion geht vorsichtiger zu Werke. Bislang ist es ihr aber nicht gelungen, "aus der politischen Sackgasse herauszukommen" und rechtsextremistische Auffassungen akzeptabler zu machen. 29 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 In der NPD gab es 1998 Bestrebungen, die Partei in Richtung Nationalbolschewismus umzupolen. Die DDR sei das bessere Deutschland gewesen, hieß es. Ein Arbeitskreis "Sozialisten in der NPD" trat ins Leben, zerfiel aber bald wieder. Seine Ideen konnten sich in der NPD nicht durchsetzen. Solidarisch gegen die USA und Israel Öffentliches Aufsehenerregte die NPD, als ihr Bundesvorsitzender Udo Voigt und ihr Prozessbevollmächtigter Horst Mahler auf einer Veranstaltung der wenig später verbotenen "Hizb ut-Tahrir" (HuT) auftauchten (siehe auch S. 19) und die Islamistenihrer Solidarität und der "aller aufrechten Deutschen" versicherten. Der ehemalige RAF-Terrorist Mahler engagiert sich auch für internationale Revisionisten-Kongresse, bei denen Holocaust-Leugner aus verschiedensten Ländern und Kulturkreisen ihre antisemitischen und antiamerikanischen Vorurteile wissenschaftlich zu verbrämen suchen. Der Antizionismus, also der Hass aufIsrael, dient heute vielen Antisemiten als Vehikel, Judenfeindschaft zu artikulieren, ohne das Tabu des Antisemitismus verletzen zu müssen. "Befreiungsnationalisten" gleich welcher Richtung und Islamisten hassen die USA, weil es die Schutzmacht Israels ist. Gerne greifen sie auf geschichtsrevisionistische Thesen zurück, da die Leugnung oder Verharmlosung des Holocausts dem Staat Israel die Legitimität seiner Existenzstreitig macht. Am 15. Februar 2003 -- wie später noch mehrfach -- demonstrierten weltweit Millionen von Menschenfür den Frieden. Bei den wenigsten von ihnen war das treibende Motiv Hass auf die USA. Doch mischten sich eben auch Extremisten unterschiedlicher ideologischer Richtung unter die Menge, etwain Berlin, wo die Demonstration unter dem Motto "Kein Krieg gegen den Irak" stand. Das Parteipräsidium der NPD hatte am 12. Februar 2003 mit der Parole "Volk steh auf!" -- einem Zitat aus der berühmt-berüchtigten "Sportpalast-Rede" von Goebbels -- zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Die Rechtsextremisten gaben sich auf der Straße allerdings meist nicht zu erkennen. Linksextremistische Gruppierungen hingegen machten mit Plakaten und Transparenten auf sich aufmerksam, ebenso wie palästinensische und türkische Extremistengruppen. Sie alle aber gingenals kleine Einsprengsel in der großen Masse der Teilnehmer unter. Anders verhält es sich bei kleineren Demonstrationen. So gab es am gleichen Tag in Bernau eine Demonstration unter dem Motto "Ohne uns 30 Politischer Extremismus -- Überblick -- Bernau gegen den Krieg", an der auch Aktivisten der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP)teilnahmen. Das hinderte einige Rechtsextremisten nicht an dem Versuch, ebenfalls mitzudemonstrieren und Flugblätter des "Nationalen Bündnisses Preußen" (siehe unten S. 143) zu verteilen. Allerdings traten ihnen andere Demonstrationsteilnehmer entgegen Linksextremisten lehnen -- bis auf verschwindend wenige Ausnahmen - jegliche Kontakte zu Rechtsextremisten ab. Diese allerdings hätten zumeist nichts gegen ein Zweckbündnis einzuwenden, sofern nur die Stoßrichtung "gegen die Imperialmacht USA" stimmt. Am 10. März 2003 protestierten in Neuruppin linksextremistische "Antifa"-Aktivisten lautstark, teils sogar handgreiflich dagegen, dassein AltNazi in Begleitung von etwa zwei Dutzend jugendlicher Rechtsextremisten inmitten der allmontäglich stattfindenden Friedensdemonstration geduldet wurde. Sie warfen den bürgerlichen Demonstrantenfalsch verstandene Toleranz vor, weil diese nicht bereit waren, die Rechtsextremisten an der Teilnahme zu hindern; sie konnten sich jedoch nicht durchsetzen. Ähnliche Szenenspielten sich auch in anderen Städtenab. Kontroversen unter Linksextremisten Unter Linksextremisten wird der Nahost-Konflikt äußerst kontrovers diskutiert. Strittig ist, mit welcher Konfliktpartei die "echte Linke" Solidarität üben müsse. Die DKPbezieht im Israel-Palästina-Konflikt einseitig Position für Palästina, da sie - wie andere Linksextremisten -- Israel als imperialistischen Brückenkopf der führenden westlichen Machteliten, insbesondere der USA, betrachtet. Ebenso argumentiert der antmpernalstische Intatvkreis "Libertad!" in einer Erklärung "Schluss mit der Besatzung! Solidarität mit Palästina!" "Libertad!" ruft dazu auf, die "linken Kräfte" innerhalb der palästinensischen Gruppen in Deutschland zu unterstützen und keine deutschen Waffenlieferungen anIsrael zuzulassen. Noch weiter gehtdie trotzkistische Vereinigung "Linksruck". Kaum eine andere linksextremistische Gruppierung in Deutschlandbestreitet so offen das Existenzrecht Israels und sucht ähnlich bedenkenlos einen Schulterschluss mit islamistischen Gruppen. In einem internen Thesenpapier fordert sie den "Aufbau einer Bewegung gegen den Irak-Krieg" undtritt für ein "antiimperialistisches Bündnis" mit islamistischen Gruppenein; das Existenzrechtdes Staates Israel negiert sie. Mit keiner Silbe hingegen werden in diesem Thesenpapier die Selbstmordanschläge von 31 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Palästinensern erwähnt -- offenbar werden sie als Mittel des "antiimperialistischen Kampfes" der Palästinenser stillschweigend akzeptiert. Die Debatte um denIsrael-Palästina-Konflikt spaltet auch das autonome Spektrum. In Ausgaben der Szene-Publikationen "INTERIM" und "Phase 2" wurde mehr oder minder uneingeschränkt Solidarität mit Israel bekundet. Die "INTERIM"-Ausgabe Nr. 550 vom 9. Mai konzentrierte sich ganz auf dieses Thema. Jenen Autonomen, die sich rückhaltlos für den Kampf der Palästinenser einsetzen, wurde vorgeworfen, ihr Eifer für die internationale Solidarität machesie blind für den unterschwelligen Antisemitismus in ihren Auffassungen. Sie projizierten ihre eigenen "revolutionsromantischen Vorstellungen" auf die Palästinenser, ließen dabei aber außer Acht, dass diese "armen Schweine" nicht nur arm, sondern viel zu oft auch "Schweine" seien. Die derart Gescholtenen reagierten mit empörten Gegenvorwürfen. So wurde in der folgenden "INTERIM"-Ausgabe Nr. 551 vom 6. Juni das Redaktionsteam der Nr. 550 -- die klandestin hergestellte "INTERIM" wird von ständig wechselnden Redaktionen betreut - heftig kritisiert, weil es nur über ein mangelhaftes Verständnis des Nahost-Konflikts verfüge. Mit plumpen Provokationen habees die "fatale Logik von Blöcken, Feindbildern und Spaltereien" bedient. Die rigorose Parteinahmefür Israel ist ein Markenzeichendes so genannten "antideutschen" Spektrums. Diese Streitpartei im linksextremistischen Spektrum sieht Deutschland ausschließlich als "Land der AuschwitzBetreiber, -Leugner und -Verdränger". Jede Kritik an Israel befördere gewollt oder ungewollt die ohnedies unübersehbare Renaissance des Antisemitismus. Deshalb sei uneingeschränkte Solidarität mit Israel ein unverzichtbares Element "linker" Politik. Die "Antideutschen" sammeln sich vor allem um die Zeitschrift BAHAMAS". Sie werden von der Mehrzahl der Autonomenheftig befehdet. Gelegentlich wird der Konflikt auch mit Gewalt ausgetragen. So wurde, einem Medienbericht zufolge, eine "BAHAMAS"-Veranstaltung zum Thema Israel am 10. April in Berlin von einer mit Schlagwerkzeugen und Messern bewaffneten Gruppe gestürmt. Wider die Globalisierung Immer noch hoffen Extremisten, die Anti-Globalisierungs-Bewegung werde ihnen Auftrieb verschaffen und neue Bündnisse ermöglichen. Bislang haben sich diese Hoffnungen aber nur in geringem Maße erfüllt. Denn die breite, ideologisch nichtfixierte Anti-Globalisierungs-Bewegung hat 32 Politischer Extremismus -- Überblick sich gegen die Unterwanderungsund Instrumentalisierungsversuche linksextremistischer Gruppen resistenter gezeigt, als zunächst vermutet. Rechtsextremisten haben ohnedies keinen Anschluss an diese Bewegung gefunden, da sie als Nationalisten, Fremdenfeinde und Antisemiten für die erdrückende Mehrheit der Globalisierungsgegner nicht als Bündnispartner in Betracht kommen Ebenfalls keine Akzeptanz finden die islamistischen Gegnerder westlichen Zivilisation, die unter dem Stichwort "Globalisierung" die freie, gewinnorientierte Weltwirtschaft als ein Grundübel verdammen. Gleichwohl versuchen Extremisten weiterhin, sich in die Anti-Globalisierungs-Bewegung einzuhängen. Während bei Autonomen das Interesse daran etwas zurückgegangen ist, weil sie bei Anti-Globalisierungs-Aktionen zu wenig Gelegenheit für spektakuläre Gewaltexzesse fanden, erweistsich das stärker theoretisch begründete Interesse kommunistischer Parteien wie der DKPals stabiler. Die DKP versteht die Anti-Globalisierungs-Bewegung als eine neue Basis für den Kampf gegen den Imperialismus. So stand das Motto "Kapitalistische Globalisierung - Alternativen -- Gegenbewegungen -- Rolle der Kommunistinnen und Kommunisten" über einer DKP-Konferenz am 29. und 30. Juni in Berlin, an der nach Angaben der Partei 33 kommunistische und Arbeiterparteien aus 31 Ländern teilgenommen haben. Bereits im Vorfeld dieser Konferenz hatte der DKP-Vorsitzende Heinz Stehr im Parteizentralorgan "Unsere Zeit" vom 5. April erklärt, dass "der Kampf gegen die imperialistische Globalisierung" sich zu einem "Kampfum gesellschaftliche Veränderungen" entwickeln müsse. Deshalb sollten die Kommunisten in der Anti-Globalisierungs-Bewegung "einigend und aktionsorientierend" wirken. Auch die NPD will in der Anti-Globalisierungs-Debatte nicht abseits stehen. Sie kritisiert die "multikulturalistische One-World-Ideologie", da diese derpolitischen, ökonomischen und kulturellen Überfremdung Deutschlands das Wort rede. Anstelle dessen propagiert sie eine autarke "raumorientierte Volkswirtschaft". Dahinter steht die rassistische Lehre vom Ethnopluralismus. Sie besagt, dass die Völker zwar gleichwertig seien, aber je für sich leben müssten und sich nicht miteinander vermischen dürften. Anhänger der NPD und Neonazis haben mehrere Anti-GlobalisierungsDemonstrationen initiiert oder mitgetragen. Die Demonstrationen am 1. Mai, zu denen die NPD jährlich aufruft, hatten diesmal das Thema "Arbeit statt Globalisierung" (vgl. auch unten S. 106). Unter dem Motto "Gegen ein Europa der Konzerne! Vielfalt erhalten -- Globalisierung be33 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 kämpfen!" lief gleichzeitig in Frankfurt a. M. die Konkurrenzveranstaltung der Neonazis, die Steffen Hupka organisiert hatte. Die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) veranstalteten am 27. Oktoberin Heidelberg eine Kundgebung "Globalsierung stoppen -- Stoppt die Weltpolizei USA". Die Beteiligung fiel bescheiden aus. Über eine eigene Internetplattform www gegen-globalisierung de will die JN neue Interessenten binden; doch scheiterte das Projekt bislang an personellen Engpässen. Zu derStrategie der "Querfront" passt, dass manche Rechtsextremisten auf Demonstrationen auch modisch die Annäherung an andere Spektren suchen: Sie tragen so genannte "Pali-Tücher" (Palästinensertücher), die früher nur im "lnken" Spektrum populär waren und als "AutonomenLook" galten. Extremismus im Alltag Bestrebungen und Einstellungen Die rechtsund die linksextremistischen Gruppierungen vermögen sich auch deshalb zu regenerieren, weil sie inmitten einer Alltagswelt existieren, von der her ihnen keineswegs immer und deutlich Ablehnung entgegenschlägt. Zumindest Rechtsextremisten glauben sich vielmehr bestätigt durch bestimmte Meinungen und Vorurteile, die in Teilen der Bevölkerung grassieren. Extremismus äußert sich in vielfältigen "weichen" und "harten" Erscheinungsformen: nicht nur in Mitgliedschaften bei extremistischen Organisationen, in der Teilnahmeanlegalen oder illegalen Propagandaaktionen extremistischer Personenzusammenschlüsse oder in entsprechend motivierten Gewalttaten, sondern auchin der Stimmabgabe für eine extremistische Partei, jaauch schonin Einstellungen und Haltungen. Die Erforschung der weicheren Erscheinungsformen bleibt der Wissenschaft, den Meinungsforschungsinstituten und der Publizistik vorbehalten. Die personenbezogene Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden setzt erst ein, wenn - in der Regel in einem Personenzusammenschluss -- zielgerichtete, politisch bestimmte Bestrebungen erkennbar werden. Sozialwissenschaftliche Studien verwenden einen anderen Begriff von Extremismus als die Verfassungsschutzbehörden. Sozialwissenschaftler zerlegen einen abstrakten Begriff wie Rechtsbzw. Linksextremismus in eine Mehrzahl konkret messbarer Indikatoren, die anschließend wieder34 Politischer Extremismus -- Überblick um zu einem Index zusammengefasst werden. Die Verfassungsschutzbehörden hingegen qualifizieren - in einem formalen Verfahren entsprechend den gesetzlichen Vorgaben - politisch bestimmte, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungenals extremistisch, wenn ihnen bestimmte Merkmale zukommen. Das sind im Falle des "Rechtsextremismus etwa übersteigerter Nationalismus, völkischer K.ollektivismus oder Rassismus. "Fremdenfeindlichkeit, soweit sie gewaltförmig oder ideologisch überhöht in Erscheinungtritt, wird als Teilphänomendes Rechtsextremismus begriffen. Einstellungen aber verdichten sich nicht notwendig zu Bestrebungen. So lassen sich fremdenoder demokratiefeindliche Ressentiments auch unter Anhängern und Wählern demokratischer Parteien finden. Sie sind aus Sicht des Verfassungsschutzes nicht als solche bereits extremistisch, können jedoch zum Nährboden werden, auf dem die Saat des Extremismus aufgeht. Die sozialwissenschaftliche Umfrageforschung zu Linksund Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewalt bietet den Verfassungsschutzbehörden einen wichtigen Fingerzeig auf das soziokulturelle Klima, in dem extremistische Bestrebungen gedeihen; sie beleuchtet den diffusen Hintergrund, vor dem sichdie einschlägigen Bestrebungen abzeichnen. Aktuelle Forschungsergebnisse Auch 2002 wieder wurde eine aktuelle Untersuchung durchgeführt. Sie stand unter dem Titel "Berlin-Brandenburg Bus". Diese FORSA-Umfrage zu "Politischen Einstellungenin der Region Berlin-Brandenburg" wurde von Prof. Dr. Oskar Niedermayer und Dr. Richard Stöss wissenschaftlich betreut. Das Design dieser repräsentativen Umfrage orientierte sich an dem, das bereits bei der Vergleichsstudie 2000 verwendet wurde. Zwischen März und Mai 2002 wurden insgesamt 1995 Personen ab 14 Jahrenin Berlin und Brandenburg befragt. Wie bereits bei der Stichprobe des Jahres 2000 lebten je ein Viertel der Befragten in Berlin-West, Berlin-Ost, im "engeren Verflechtungs-" (EVR) und "äußeren Entwicklungsraum" (ÄER) Brandenburgs. Die Ergebnisse sind somit sowohlzeitlich als auch örtlich vergleichbar. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Die Skala "Traditionalistischer Sozialismus" beschreibtantikapitalistische, antiimperialistische und antifaschistische Denkmuster, die insbesondere bei Befürwortern deseinstigen "real existierenden Sozialismus" der DDRzu finden sind. Anarchistische Einstellungen wurdennicht abgebildet. Der Studie zufolge bekennensich im EVR Brandenburgs 27 Prozent der Bevölkerung zum "traditionalistischen Sozialismus", im ÄER Brandenburgs sind es sogar 30 Prozent. Zum Vergleich: In Berlin-West sind es 12 Prozent, in Berlin-Ost 23 Prozent. Es gibt also nicht nur ein Ost-West-, sondern auch ein Berlin-Brandenburg-Gefälle. Dieses "altlinke" systemkritische Potenzial orientiert sich aber ganz überwiegend an den Parteien des Verfassungsbogens. Frauen neigen deutlich stärker als Männer zum "traditionalistischen Sozialismus". Rechtsextremismus ist dieser Studie zufolge ein Einstellungssyndrom, das sich aus den Bestandteilen Autoritarismus, Nationalismus, ethnisch motivierte Fremdenfeindlichkeit, sozioökonomisch motivierte Fremdenfeindlichkeit, pro-nazistische Einstellungen und Antisemitismus zusammensetzt. Der FORSA-Studie zufolge wiesen 19 Prozent (2000: 21 Prozent) der befragten Brandenburger im EVR und 28 Prozent(2000: 22 Prozent) der Brandenburger im ÄER,aber "nur" acht Prozent (2000: 11 Prozent) der West-Berliner und 12 Prozent (2000:12 Prozent) der Ost-Berliner rechtsextremeEinstellungen auf. Das rechtsextreme Einstellungspotenzial ist in Brandenburg demnach etwa zweieinhalb Malso groß wie in Berlin. Die Schere zwischen Berlin und Brandenburg hat sich weiter geöffnet, wasvor allem aufdie deutliche Zunahmedes rechtsextremenEinstellungspotenzials in den Randregionen Brandenburgs zurückzuführen ist. Bei der Sympathieverteilung für rechtsextremistische Parteien schließt sich die Schere wieder. In Brandenburg hegensechs Prozent Sympathien für sie - überraschender Weise im EVR mehr als doppelt so viele wie im ÄER (neun Prozentzu vier Prozent). In Berlin sind es immerhinsieben Prozent. Eine starke Auswirkung auf extreme Einstellungsmuster haben der Umfrage zufolge ein niedriges Bildungsniveau, der Erwerbsstatus -- Arbeitslose, Arbeiter und Rentner weisen überdurchschnittlich hohe Werte auf -- und ein niedriges Einkommen. Bemerkenswert ist, dass das rechtsextreme Einstellungspotenzial mit zunehmendem Alter steigt. Eine Ausnahme bilden die 14bis 17-Jährigen, die ebenfalls relativ hoch rechtsextrem belastetsind, jedoch in ungleich höherem Maße dem Einstellungsmuster des "traditionalistischen Sozialismus" zuneigen, obwohl oder gerade weil sie die Zeit des DDR-Systems nur als Kleinkinder erlebt haben. 36 Politischer Extremismus -- Überblick "Rechte" und "linke" Systemkritik liegen in Brandenburg ganz nahebeieinander. 14 Prozent der Brandenburger, die sich selber "links" außen verorten, zeigen ein rechtsextremes Antwortverhalten. Umgekehrt bekennen sich 30 Prozent derer, die sich "rechts" außen einordnen, zum "traditionalistischen Sozialismus". 12 Prozent weisen sowohl rechtsextreme als auch traditionssozialistische Einstellungsmuster auf "Rechten" wie "linken" Systemkritikern darf jedoch nicht pauschalunterstellt werden, dass sie die Demokratie grundsätzlich ablehnen. Demokratieverdrossen sind in Brandenburg 43 Prozent der "Traditionssozialisten" und 48 Prozent der "Rechtsextremen". EXTREMISTISCH MOTIVIERTE GEWALT DieStatistik der einschlägigen Straftaten, insbesondere die der Gewalttaten, ist ein wichtiger Indikator für den aktuellen Entwicklungsstand des Extremismus. Zwar führen Extremisten ihren Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung keineswegs immermit gesetzwidrigen Aktionen und mit Gewalt, sondern zum Teil auch unter exzessiver Ausschöpfung der legalen Möglichkeiten, die das Recht auf freie Meinungsäußerung bietet. Sie nutzen die Gestaltungsspielräume, die das Grundgesetz allen Bürgern eröffnet, mit dem Ziel, eben diese grundgesetzliche Ordnung in wesentlichen Bestandteilen oder gänzlich abzuschaffen, sobald sie selbst an die Schaltstellen der Macht gelangt sind. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, zu deren Beobachtung die Verfassungsschutzbehörden gesetzlich verpflichtet sind ("Verfassungsschutz), liegen also bereits dann vor, wenn Personengruppenzielgerichtet gegen die obersten Wertprinzipien derfreiheitlichen demokratischen Grundordnung kämpfen oder aber auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden, ohne dadurch straffällig zu werden. Auch solche nicht verbotenen Aktivitäten müssenals extremistisch bewertet werden ("Extremismus). Bestrebungen gegendie freiheitliche demokratische Grundordnung reichen also weit über die extremistisch motivierten Straftaten hinaus bzw. manifestieren sich auch schon im Vorfeld strafbarer Handlungen. Sobald sie sich aber in Rechtsverstößen niederschlagen, werden sie zu einem Fall für die Strafjustiz. 37 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Erfassung extremistisch motivierter Straftaten Die Verfassungsschutzbehörde Brandenburg führt keine eigene Straftatenstatistik, sondern stützt sich in ihren Veröffentlichungen -- so auch in der vorliegenden -- auf die entsprechenden Aufstellungen des Landeskriminalamtes Brandenburg zu einschlägigen Delikten in Brandenburg. Soweit entsprechende Zahlen für die gesamte Bundesrepublik und die einzelnen Bundesländer geboten werden, gehen sie aufStatistiken des Bundeskriminalamtes (BKA) in der durch das Bundesministerium des Innern (BMI) autorisierten Fassung zurück. Seit Beginn des Jahres 2001 wenden die Polizeibehörden bei der Erfassung derStraftaten, die hier zu betrachten sind, ein völlig neues Verfahren an. Seither sollen Straftaten nach verbindlich abgestimmten und bundeseinheitlich angewandten Kriterien klassifiziert und bewertet werden. Bei der Interpretation dieser Kriterien zeigten sich 2001 noch länderspezifische Differenzen. Mittlerweile gab es weitere Fortschritte bei der Vereinheitlichung der Erfassungspraxis. Das neue Erfassungssystem beziehtsich auf "politisch motivierte Kriminalität" (PMK). Alle einschlägigen Straftaten werden einem der folgenden fünf Phänomenbereiche zugeordnet: = rechts - links = Ausländer = Staatsschutzkriminalität ohne explizite politische Motivation ! = nicht zuzuordnen. Die Straftaten in den Phänomenbereichen "rechts", "links", "Ausländer", "nicht zuzuordnen" werden sodann unterschieden in = Straftaten, die sich nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten und deshalb nichtals extremistisch motiviert zu betrachten sind = extremistisch motivierte Straftaten. Somit bilden die extremistisch motivierten Straftaten nur eine Teilmenge der in der PMK-Statistik erfassten Fälle. So ist z. B. die Summeder rechtsextremistisch motivierten Straftaten eine Teilmenge der Fälle, die im Phänomenbereich "rechts" registriert sind. 1 2002 wurden in Brandenburg 417 entsprechende Taten (2001: 1076) erfasst. 38 Politischer Extremismus -- Überblick Je nach Deliktsqualität zerfallen alle hier erwähnten Deliktsmengen auBerdem in: = Gewalttaten = Straftaten ohne Gewaltanwendung. Erwähnt sei noch, dass diepolizeiliche Statistik die einschlägigen Straftaten zusätzlich bestimmten Themenfeldern zuordnet. Zum Themenfeld "Hasskriminalität" gehören z. B. fremdenfeindlich und antisemitisch motivierte Straftaten. In diesem Bericht wird, entsprechend dem gesetzlich eingegrenzten Beobachtungsauftrag der Verfassungsschutzbehörden, nur auf die extremistisch motivierten Straftaten, dabei insbesondere auf die extremistisch motivierten Gewalttaten, eingegangen. Als Hintergrundinformation werden im Folgenden aber auch die Zahlen aus der Polizeistatistik für die weiter gefassten Phänomenbereiche "rechts", "Jinks" usw. angegeben. Erfasste Fälle Erfasst wurden in Brandenburg für 2002 = insgesamt 812 extremistisch motivierte Taten (2001: 401) '; sie sind eine Teilmenge der in der PMK insgesamterfassten 1.530 Taten (2001:2.062). Diese 812 Taten gliedern sich aufin _ 744 rechtsextremistisch motivierte Taten (2001: 356) ?; sie sind eine Teilmenge der im Phänomenbereich "rechts" erfassten 983 Taten (2001: 907). Zu diesen 744 Taten gehören 78 Gewaltdelikte (2001: 67) und 460 Propagandadelikte (2001: 97). = 42 linksextremistisch motivierte Taten (2001: 38) ?; sie sind eine Teilmenge der im Phänomenbereich "links" erfassten 78 Taten (2001: 69). Zu diesen 42 Taten gehören 20 Gewaltdelikte (2001: 19). 1 Die Vergleichsgröße bundesweit 12.759 (2001: 12.562) ? Die Vergleichsgröße bundesweit: 10.903 (2001: 10.054) 3 Die Vergleichsgröße bundesweit: 1.137 (2001: 1.895) Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 = drei von Ausländern begangene extremistisch motivierte Taten (2001: 3) !; dies entspricht zugleich der Gesamtmenge der im Phänomenbereich "Ausländer" erfassten drei Taten (2001: 4). Keine der drei Taten war ein Gewaltdelikt. = 23 nicht zuordenbare Taten (2001: 6) ?; sie sind eine Teilmenge der im Phanomenbereich "nicht zuzuordnen" erfassten 49 Taten (2001: 6). Zu diesen 23 Taten gehören ein Gewaltdelikt (2001: 0) und sieben Propagandadelikte (2001: 0). Besonders auffällig ist, dass der Statistik zufolge die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Taten sich gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt hat. Die tatsächliche Lage hat sich aber keineswegs so dramatisch verändert, wie diese Zahl auf den ersten Blick glauben machen könnte. Denn der Anstieg hat seine Ursache vor allem darin, dass die statistisch erfasste Zahl der Propagandadelikte sich fast verfünffacht hat. Dieser Umstand wiederum erklärt sich insbesondere daraus, dass Taten, die 2001 noch in großer Zahl unter die Kategorie "Staatsschutzkriminalität ohne explizite politische Motivation" fielen (vgl. Fußnote auf S. 38), nunmehr, nach einem verbesserten Erfassungsmodus, entsprechend als extremistisch motiviert bewertet wurden. Es handelt sich hierbei vor allem um Hakenkreuzschmierereien u. Ä. Kaum anders wird man den Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Gewaltstraftaten von 67 auf 78 zu werten haben. Denn die Gesamtzahl der Gewaltstraftaten im Phänomenbereich "rechts" -- von der, wie erwähnt, die rechtsextremistisch motivierten eine Teilmenge bilden - ist umgekehrt von 87 auf 81 zurückgegangen. Mithin ist jetzt bei nur noch drei dieser Taten (2001: 20) festgestellt worden, dass sie nicht extremistisch motiviert waren -- ein Beleg dafür, dass die Motivationslage noch intensiver als im Vorjahr erforscht wurde. 1 Die Vergleichsgröße bundesweit: 573 (2001: 511) 40 a Die Vergleichsgröße bundesweit: 146 (2001: 102) Politischer Extremismus -- Überblick Rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten Gewalt enthemmit, lässt sich kaum kontrollieren undzieht weitere Gewalttaten nach sich. Es kommtvor, dass Cliquen rechtsextremistischer Schläger unter Alkoholeinfluss wahllos auf ihre Mitmenschen einschlagen. Dabei trifft es nicht nur Menschen, die nichtin ihr enges Weltbild passen, sondern potenziell jedermann. Eines äußeren Anlasses -- undsei es nur eines Wortgefechtes -- bedarf es dazu nicht. Es genügt, dass die äußere Erscheinungeiner Person als andersartig, als fremd oderals nicht zur eigenen Subkultur gehörig empfunden wird. Ist die Enthemmungeinmal weit genugfortgeschritten, kann auchein bloß zufällig Anwesender Zielscheibe eines Angriffs werden. Das Opfer steht der Gruppe oft allein, wehrund hilflos gegenüber. Selbst wenn es jünger und schwächerist, kennen die Täter keine Zurückhaltung. Obwohlsie doch ohnehinin der Überzahlsind, fühlen sie sich beim Schlagenstark, mächtig und überlegen. Mit diesem Gruppengefühl kompensieren die einzelnen Täter nichtselten persönliche Defizite. Gruppenzwang und Konformitätsdruck sorgen dafür, dass keiner der Täter aus der Reihe schert und dass durch gegenseitiges Aufschaukeln das Geschehen unberechenbareskalieren kann. In vielen Fällen gibt es Zeugen, die durch frühzeitige Intervention, z. B. durch das Herbeirufen von Hilfe, die Tat hätten verhindern können. Dochoft bleiben sie passiv, so dass die Täter sich in ihrem Tun womöglich bestärkt fühlen. Gewalttaten dieser Art geschehenoft ganz unvermittelt, aus einem plötzlichen Impuls heraus. Deshalb sind sie kaum vorhersehbar und im Einzelnen zu verhindern. Gegen sie hilft insoweit nur eine allgemeine, gleichwohl gezielte Prävention. Denn die Cliquen, die zu solchen Taten disponiert sind, können von den Sicherheitsbehörden sehr wohl identifiziert werden. Unterschiedliche Motive für Tötungsverbrechen Bei manch ener schweren Straftat ist nicht von vornherein offensichtlich, ob sie nun rechtsextremistisch oder allgemeinkriminell motiviert war. Selbst wenndie Täter als Rechtsextremisten bekannt sind bzw. das Opfer den menschenverachtenden Vorstellungen der Rechtsextremisten vom "unwerten Leben" zu entsprechenscheint, bestätigt sich nicht immer die -- auf denersten Blick plausible - Annahme, dass das Gewaltverbrechen aus extremistischer Motivation begangen wurde. Ob eine Tat extremial Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 stisch motiviert war oder nicht, stellen die Strafverfolgungsbehörden fest. Im Laufe des Verfahrens kann sich, auf Grund neuer Erkenntnisse oder wegen unterschiedlicher Gewichtung einzelner Aspekte, die Bewertung so oder so verschieben; oft bringt erst das abschließende Gerichtsurteil endgültige Klarheit. Daneben werfen auch verschiedene gesellschaftliche Akteure ihre Bewertung einzelner Taten in die öffentliche Diskussion. Zuweilen differiert ihre Einschätzung, zumal wenn sie bestimmten politischen Ansichten entspringt, von der staatlicher Stellen. Mitunter wird in entsprechenden Veröffentlichungen sogar der Vorwurf erhoben, dass die Behörden ihre Statistiken durch Beschönigen oder Vertuschen aufbessern wollten. Dabei wirdfreilich übersehen, wie schwierig sich bisweilen die unvoreingenommene Ermittlung aller Tatumstände und der Motivlage der Verdächtigen gestalten kann. Die Verfassungsschutzbehörde ist an solchen Diskussionennicht beteiligt, da sie von vornherein aufeine eigenständige Qualifizierung entsprechender Taten nachstrafrechtlichen Gesichtspunktenverzichtet. Sie betrachtet solche Delikte vielmehr unter dem Aspekt, welchen Aufschluss sie über Entwicklungen in der militanten rechtsextremistischen Szene geben. Bei den im Folgenden geschilderten drei Fällen hat sich zwar die Annahme eines rechtsextremistischen Tathintergrundes nicht bzw. bisher nicht bestätigt. Dennoch sei hier auf sie eingegangen, zum einen wegenihrer Brutalität und ihrer schrecklichen Folgen, zum andern, weil sie Schlaglichter auf ein Milieu werfen, in dem sich typischerweise auch rechtsextremistische Verhaltensmuster herausbilden. Fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Vorurteile sind nicht das Monopol von Rechtsextremisten, sondern über diesen relativ engen Kreis hinaus weit verbreitet. Auch wenn das im Folgenden dargestellte Tötungsdelikt ncht aus rechtsextremistischen Motiven heraus begangen worden ist, zeigt es doch, dass selbst angepasst wirkende Jugendliche und junge Erwachsene zu brutalen Schlägern werden können, wenn sie Gelegenheit bekommen, ihren Frust, ihre Wut und Aggression an Menschen auszutoben, die sie nicht akzeptieren, weil sie ihnen fremd sind. 42 Politischer Extremismus -- Überblick In der Nacht zum 4. Mai wurden im Wittstocker Ortsteil Alt Daber zwei deutsch-russische Aussiedler, der eine 24 Jahre alt, der andere 21, von einer fünfköpfigen "Techno-Clique", weil sie diese um eine Zigarette angegangen hatten, brutal attackiert. 30 bis 50 Zeugen schauten untätig zu. Zunächst wurdendie beiden geschlagen und zusammengetreten, auch nochals sie längst wehrlos am Boden lagen. Einer der Angreifer rief: "Bleib endlich liegen, Scheiß-Russe!" Ein anderer wuchtete einen knapp 18 Kilogrammschweren Feldstein auf die schon reglosen Opfer. Spätestens diese Attacke überlebte der Ältere der beiden,ein junger Familienvater, nicht. Er fiel ins Koma und starb 20 Tage später. Der Jüngere überlebte schwer verletzt. Am 3. März 2003 erfolgte das Urteil durch das Landgericht Neuruppin. Der Werfer des Brockens wurde wegen Totschlagszu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, ein Mittäter ebenfalls wegen Totschlags zu sieben, ein anderer wegen versuchten Totschlags zu sechs, der dritte -- er war zur Tatzeit volltrunken -- zu zweieinhalb Jahren; der letzte bekamein Jahr auf Bewährung, weil er die Anderen gewähren ließ und später an dem Versuchbeteiligt war, die Tat zu vertuschen. Die Vorsitzende Richterin stellte fest, dass "Drogen, Alkohol, Selbstüberschätzung und Imponiergehabe" eine Rolle gespielt hätten. Die "sozial angepassten" Männer würdennicht ins Bild brutaler"rechter" Schläger passen, aber eine "diffuse Fremdenfeindlichkeit" habe die ganze Zeit unterschwellig mitgeschwungen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Gegen 14 weitere Personenlaufen Ermittlungsverfahren wegenVerdachtsder Falschaussage, Strafvereitelung und Beihilfe zum Totschlag. Im folgenden Fall sind die Täter Rechtsextremisten, und ihre Tat zeugt von einer tief wurzelnden menschenfeindlichen Gesinnung. Dennoch handelt es sich nicht um ein politisch motiviertes Delikt, sondern um eine so genannte Verdeckungstat. Das Motiv erschließt sich aus dem Tathergang. Inder Nacht zum1. Juni wurde ein 29-Jähriger in einem Rapsfeld nahe Neu Malisch(Landkreis Märkisch-Oderland) niedergestochen. ZumVerlauf: Beteiligt waren fünf Männer im Alter zwischen 19 und 26 Jahren, laut Staatsanwaltschaft allesamt "stramme Rechtsextremisten", und eine Frau. Nach einem Diskobesuchin Alt-Zeschdorf (Landkreis Märkisch-Oderland) bat das spätere Opfer um eine Mitfahrgelegenheit. ObwoHl die sechseigentlichin eine andere Richtung wollten, nahmensie den jungen Mann mit, weil sie ihn unterwegs ausrauben wollten. Auf einem einsamen Feldweg wurde er aus dem Wagen gezert und verprü43 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 gelt. Der Rädelsführer, ein 21-jähriger Nazi-Skin, verwendete dabei einen Axtstiel. Dann stellte sich heraus, dass der Überfallene keinen Centbei sich hatte. Es gelang ihm, sich loszureißen und zu fliehen. Dochals er seinen Peinigern zurief: "Eure Gesichter habe ich mir sowieso gemerkt", warsein Schicksal besiegelt. Der Neonazi gab den Befehl zur Liquidation: "Derdarf nicht am Leben bleiben, der packt sonst aus." Zwei Verfolger holten den jungen Mannein, einer stieß 30 bis 50 Mal zu. Als das Opfer nochein Röcheln vonsich gab,forderte der eine Täter den anderen auf: "Jetzt musst du es richtig machen. Wenn der aufsteht, sind wir geliefert." Zurückgekehrt, machte der Täter Meldung: "Ich habe ihm die Kehle durchgeschnitten." Im Auto fügte er hinzu, es habe Spaß gemacht. Dies sei der Kick seiner Karriere gewesen. Nachder Tat kehrte die Gruppe bei McDonald's ein. Bestimmte Täter haben so geringe intellektuelle Fähigkeiten, dass sie nur einige unverbundene Versatzstücke rechtsextremistischer Weltanschauung aufnehmen undsie dann gleich wieder vermengen. Im nachstehenden Fall vermochten sie nicht einmal die Klischees vom vermeintlich "]inken" Hip-Hopper und vom "Juden" auseinanderzuhalten. Mit dem Etikett "Jude" belegt, verlor das Opfer in den Augen der Täter sein Existenzrecht und wurde, auchhier aus nichtigem Anlass, bestialisch umgebracht. Am13. Novemberfanden Jugendliche aus Potzlow (Landkreis Uckermark)in ener Güllegrube die Leicheeines seit dem12. Juli vermissten 16-jährigen Schülers aus dem Nachbardorf. Hingeführt hatte sie einer der mutmaßlichen Mörderselbst, ein 17-Jähriger, der 20 Euro wettete, dass er wisse, wo sich die Leiche befinde. Er undsein 23-jähriger Bruder sowie ein 17-jähriger Kumpel hatten ihr Opfer buchstäblich zu Tode gefoltert. Dessen Martyriumbegann in einer Wohnungim Beisein von mindestens zwei Erwachsenen, die jedoch nicht eingriffen, obwohl das Opfer über zwei Stunden mit den Worten "voll schwul" und "linkes Judenschwein" beschimpft, geschlagen und mit Urin benässt wurde. Sie werdensich vor Gericht wegen unterlassenerHilfeleistung zu verantworten haben. Dann wurde der Geschundene mit dem Fahrrad mitten durch den Ort in einen Viehstall verbracht und dort erneut stundenlang auf das Viehischste gequält. ZumSchluss erschlugen sie ihn mit einem Stein. Zur Vertuschung der Tat wurde die Leiche in der Jauche versenkt. Das Tatmotiv mutet geradezu absurd an: Das Opfer habe "undeutsche Hosen" getragen und ausgesehen "wie ein Jude". Tatsächlich trug der 44 Politischer Extremismus -- Überblick Schüler sein Haar blondiert und hatte weit geschnittene Hip-Hop-Baggies an. Damit passte es nicht in das primitive Weltbild der drei Täter. Die Ich-Schwäche des Haupttäters erhellt aus dem Umstand, dass immer dann, wenn sein einsitzenderälterer Bruder Freiganghatte, er sich nach dessen Vorbild als Nazi-Skin gab, obwohl er ansonstenselber gefärbte Haare unddie für die Hip-Hopper-Szenetypischen weiten Hosen getragen habensoll. Die drei Täter standen unter starkem Alkoholeinfluss. Tags zuvorhatten sie einen amerikanischen Spielfilm gesehen, in demein Nazi-Skin drei Menschenauf brutale Art tötet. Am 19. Februar 2003 wurde Anklage erhoben. Fremdenfeindliche Übergriffe Knapp zwei Drittel der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten hatten einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Geradezu prototypisch für solche Fälle ist das folgende Beispiel. Denn auch hier gingen die Schläger gegenihr Opfer wegenseiner Hautfarbe vor, und Alkohol und Gruppendynamikspielten eine verhängnisvolle Rolle. Der23-jährige Mittäter der Bluttat von Potzlow war auch in eine Gewalttat verwickelt, die in der Nacht zum 17. August in Prenzlauverübt wurde Der Geschädigte, ein 33-Jahre alter Flüchtling aus Sierra Leone, wurde aufdem Weg nach Hause von einemarbeitslosen 20-Jährigen angepöbelt Umseinen Widersacher zu beruhigen, schlug der Afrikaner vor, zusammen ein Bier trinken zu gehen. Plötzlich fuhr ein PKW heran, stoppte, und zwei Männer, ein 17-Jähriger und jener Nazi-Skin aus Potzlow, sowie dessen 16-jährige Freundin stiegen aus, um sich den Schwarzen wegenseiner Hautfarbe "vorzunehmen". Die junge Frau beschimpfte ihn: "Neger, was machst du hier, Arschloch?" Unvermittelt begann der 20-Jährige auf den Schwarzeneinzudreschen. Die beiden anderen Männerschlugen mit; auch die Jugendlichebeteiligte sich an den Angriffen. Das Opfer wurde u. a. mit stahlkappenbewehrten Schuhen getreten und ging mehrfach zu Boden. Als die Täter merkten, dass Zeugen endlichdie Polizei gerufen hatten, flüchteten sie mit dem Fahrzeug, konnten abergestellt werden. Zwei der drei männlichen Täter machten aus ihrer rechtsextremistischen Gesinnung keinen Hehl. Die weibliche Jugendliche äußerte in ihrer Beschuldigtenvernehmung: "Es ist ein weißes Land, und da gehören nur Weiße hin und keine Schwarzen." Auch während der Gerichtsverhandlungzeigte sie keine Reue. Außerder Frau warenalle Täterstark alkoholisiert. Das Fahrzeug war am Vortag geraubt worden. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Gegen den 23-Jährigendie Bluttat in Potzlow warnoch nicht bekannt -- verhängte das Amtsgericht Prenzlau eine Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren; der 20-Jährige und die 16-Jährige bekamen Jugendstrafen von 14 und zehn Monaten, der 17-Jährige wurde zu einer Jugendstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Das traumatisierte Opfer gab an, etwa eine Woche nach dem Überfall hätten hm zwe Männer aufgelauert und hn mt den Worten bedroht: "Scheiß Neger, du bist schuld, dass unsere Freunde im Knastsitzen. Wir kriegen dich". Die meisten fremdenfeindlich motivierten Gewalttaten werden, wie im obigen Fall, spontan verübt. Manchmal aber locken die Täter ihr Opfer absichtsvoll in eine Falle. In der Nacht zum 3. August zelteten mehrere Jugendliche und ein 22Jähriger auf einem Sportplatz in Ludwigsfelde. Zwei aus der Gruppe besorgten Nachschuban alkoholischen Getränken. Unterwegs trafen sie auf einen 37 Jahre alten ehemaligen Vertragsarbeiter aus Mosambique, den sie schon zweimal gejagt und bedrohthatten. Sie forderten ihn auf, mitzukommen, im Stadion werde eine Party mit Musik gefeiert. Ihm werde nichts Arges geschehen, viele Ausländerseien dort. Er ging zum Sportplatz mit. Dort beschimpfte ihndie fünfköpfige alkoholisierte, "emotional verelendete Jugendclique mit diffuser rechtsradikaler Einstellung" -- so die Wertung desfallführenden Richters -- mit den Worten: "Du Neger! Du schwarze Sau!" Der 22-jährige Rädelsführer eröffnete die Marter, indem er eineBierflasche auf dem Schädeldes vor Angstparalysierten Opfers zertrümmerte und ihm eine zweite in den Mund rammte. Das Opfer wurde geboxt, getreten, entkleidet und weiter malträtiert. Zweider Täter sprangen auf dem Kopf und Körperdes Afrikaners herum,bis er das Bewusstsein verlor. Schließlich gingen die Täter schlafen und überließen das schwerverletzte Opfer seinemSchicksal. Am folgenden Tag meinte der Haupttäter, der Abendsei "geil" gewesen. Das Opfer erwachte nachmittags und schlepptesich ins Krankenhaus. Das Landgericht Potsdamstellte eine politisch motivierte Tat fest. Die Täter hatten sich im Prozess dazu bekannt, Ausländerzu verachten. Der 22-Jährige wurde wegen versuchten Mordeszu achteinhalb Jahren Haft, die beiden 16-jährigen Mittäter zu fünf und drei Jahren Jugendhaft verurteilt, die beiden 15-Jährigenerhielten zweiJahre auf Bewährung. Seit derTatist der ehemalige Vertragsarbeitertraumatisiert und wird von Angstattacken heimgesucht. Einmal meinteer, sein Peinigerstehe vor der Tür; in Pank versuchte er sich über den Balkon abzuseilen, stürzte und verletzte sich. Politischer Extremismus -- Überblick Sozialwissenschaftliche Umfragenbelegen, dass fremdenfeindliche Vorurteile keinesfalls nur von jungen Leuten geteilt werden. Im Gegenteil, wiederholt wurde ermittelt, dass die älteren Bürgerinnen und Bürger Brandenburgs durchschnittlich in weit höherem Maße von Vorurteilen geplagt werden als die jüngeren. Aber was die Anwendung von Gewalt betrifft, sind sie zurückhaltender, sie schlagen nur sehr selten zu Es gibt jedoch Ausnahmen, wie der folgendeFall zeigt. Ein Asylbewerber aus Togo wurde am22. Mai im Potsdamer Bahnhofsgebäude von einem 47-jährigen Arbeitslosenattackiert. Dem Täter missfiel, dass der AfrikanerFlugblätter, die zum Karneval der Kulturen nach Berlin einluden,verteilte. In einem Wutausbruchschlug er dem Opfer mit der Faust ins Gesicht. Dannbeleidigte erihn mit dem Wort "Arschloch". Nachdem ein Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes hinzu gekommen war, zeigte er den so genannten "Hitlergruß". Schließlich äußerte er: "Affe, du bist Dreck für mich", und begleitete diese rassistische Schmähung mit einer entsprechenden Geste. DerTäter wurde vom Amtsgericht Potsdam wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung sowie öffentlichen Verwendens von Kennzeichenverfassungswidriger Organisationenin Tateinheit mit Beleidigung zu einer Gesamtstrafe von 80 Tagessätzenverurteilt. Nicht selten haben fremdenfeindlich motivierte Schläger die Schule oder eine Ausbildung vorzeitig abgebrochen, sind auf die schiefe Bahn geraten und bereits mehrfach mit allgemeinkriminellen Taten oder Staatsschutzdelikten aktenkundig geworden. Der Hass auf alles Fremde ist oft der letzte Fixpunkt in ihrem orientierungslosen Leben. Im folgenden Fall konnten dre der ver verurteilten Täter trotz hres noch jungen Alters bereits aufeine langjährige Täterkarriere zurückblicken. Einer von ihnen war bereits in sieben Fällen, die von Diebstahl, schwerem Raub, Sachbeschädigung bis zu räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gemeinschaftlicher gefährlicher Körperverletzung reichten, angeklagt. Sechsmal wurde das Verfahren eingestellt, bevor er erstmalig zu einer halbjährigen Jugendstrafe auf Bewährungverurteilt wurde. Docher nutzte die Chancendes Jugendstrafrechts so wenig wie seine Mittäter. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Am Vormittag des 16. Februar trafen nahe Waßmannsdorf (Landkreis Dahme-Spreewald) vier alkoholisierte Heranwachsende bzw. Jungerwachsene auf einen joggenden Asylbewerber aus dem Libanon. Sie fragten ihn, ob er Ausländersei, was er bejahte. Sofort wurde er als "Scheiß Ausländer" beschimpft. Reflexartig stürzten sich die vier auf den Libanesen undtraktierten ihn mit Fäusten und Füßen. Ihre mit Stahlkappen versehenenSpringerstiefel waren geeignet, lebensgefährliche Verletzungen hervorzurufen. Das Opfererlitt ein Schädelhirntraumaersten Gradesund verschiedenartige Prellungen,u. a. an der Wirbelsäule. Die drei brandenburgischenTäter wurden vom Amtsgericht Königs Wusterhausen zu Jugendstrafen von zwei Jahren und zwei Monaten Freiheitsentzug bis zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilt. Bei Brandanschlägen wird mitunter billigend in Kauf genommen, dass Menschen umkommen. Zu den bevorzugten Zielen solcher Anschläge zählen Imbissstände, die von Ausländern betrieben werden. Im folgenden Fall vermischten sich Ausländerhass und Sexualneid, übermäßiger Alkoholkonsum und Gruppenzwang zu einer brandgefährlichen Mixtur: Am4. Juli brannte in Lehnitz (Landkreis Oberhavel) der mobile Imbiss eines Griechen vollständig ab. Einer der Brandstifter, ein 16-jähriger Schüler, hatte auf einer feuchtfröhlichen Feier von einem48-jährigenarbeitslosen Bekanntenerfahren, dass dessen Lebensgefährtin mit einemtürkischen Angestellten der Imbissbudeein sexuelles Verhältnis habensolle. Die beidenfassten den Entschluss, "die Buchte abzubrennen". Der vermeintlich Betrogeneschaffte ein Benzin-Öl-Gemisch herbeiund übergab es demJugendlichen. Dieser und zwei weitere Mitläufer, einer von ihnen ebenfalls ein Schuler, führten die Tat gemeinschaftlichaus. Alle Beteiligten standen unter erheblichem Alkoholeinfluss. In der Beschuldigtenvernehmunggabendie beiden Schüler Ausländerhass als treibendes Motiv an. Die Täter wurden zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren ohne Bewährung und 16 Monaten auf Bewährung verurteilt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. 48 Politischer Extremismus -- Überblick Antisemitisch motivierte Anschläge Die Aufklärungsquote fremdenfeindlich motivierter Gewaltdelikte ist hoch. Nebender professionellen Arbeit des polizeilichen Staatsschutzes ist dafür auch der Umstand verantwortlich, dass viele der rechtsextremistischen Täter spontan, aus der Situation heraus, handeln, ohne an die Folgen zu denken. Als Überzeugungstäter verwenden sie zudem häufig recht wenig Mühe darauf, ihre Täterschaft zu verdunkeln. Manchmal wähnensie sich gar im Einklang mit Volkes Meinung, bekennensich stolz zu ihren Taten und benennenfreimütig deren Motive. Ganz anders verhält es sich mit antisemitisch motivierten Straftaten. Die Aufklärungsquote ist deutlich niedriger, denn Antisemiten wissen, dass sie einen Tabubruch begehen. Deshalb scheuensie das Licht der Öffentlichkeit und gehen viel planvoller zu Werke. Sie verschicken anonyme Schmähschriften, beschmieren Synagogen und Gedenkstätten und schänden jüdische Friedhöfe, indem sie Grabsteine mit Hakenkreuzen verunstalten oder sie umstürzen. Damit rufensie, gegen ihre Absicht, die am jüdischen Volk begangenen Gräuel immer wieder schmerzlich in Erinnerung. Die Mahnund Gedenkstätte Belower Wald nach der Schändung -- 49 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Am 5. September, unmittelbar vor Rosch ha-Schana, demjüdischen NeuJjahrsfest, schändeten Unbekannte die Mahnund Gedenkstätte Belower Wald bei Wittstock. Sie zertrümmerten zwei Fenster und warfen Brandsätze in das Museum. Der Hauptausstellungsraum wurde durch den so entfachten Schwelbrand zerstört. Auf die Mahnstele sprühtensie in roter Farbe ein Hakenkreuz sowie die doppelte Sig-Rune, das Symbol der SS, und den Schriftzug "Juden haben kurze Beine". Geradedieser Satz legt nahe, dass es sich bei dieser Aktion umeine gezielte Provokation von Holocaust-Leugnerm handeln könnte. Denn diese behaupten seit Jahr und Tag,dass die Gräuel des Völkermordes nichts anderesseienals ein voninteressierter Seite immer wieder aufgewärmtes "Lügen-Märchen". Die Mahnund Gedenkstätte "Belower Wald" erinnert an den Todesmarsch von etwa 16.000 Insassender Konzentrationslager Sachsenhausen und Ravensbrück im April 1945. Tausende starben unterwegs vor Hunger, Kälte und Erschöpfung, allein auf dem provisorischen Lagerplatz im Belower Wald bis zu 800 Menschen. Die brandenburgischePolizei hat eine Sonderkommission "Belower Wald" eingerichtet und 25.000 Euro für Hinweise zur Ergreifung der Täter ausgelobt. -- Schmierereien an der Mahnstele und zerbrochene Fensterscheiben Politischer Extremismus -- Überblick Hass gegen "Linke" Etwa ein Viertel der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten war auf Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten zurückzuführen. Nicht selten handelt es sich um Revierkämpfe einschlägiger Cliquen, die sich gegenseitig die Dominanz in Jugendeinrichtungen und Stadtteilen streitig machen. Derartige Konflikte könnensich über längere Zeit allmählich verschärfen und dann plötzlich gewaltsam eskalieren. Manchmal werden einzelne Angehörige der jeweiligen Gegenszene zufällig entdeckt und gejagt, zusammengeschlagen oder-getreten, manchmal aber auch Schlägereien geplant herbeigeführt. Am 19. Mai entspann sich in einem vornehmlich von "Linken" besuchten Premnitzer Jugendclubfolgende Szene: Gleich einem Überfallkommando sprangen mehrere mit Holzlatten bewaffnete Jugendliche aus Gebüschen hervor und rannten auf die Terrasse des Clubs zu. Die vier dort Anwesendeneilten davon. Einen jedoch erwischtees. Ihn traf ein Schlag am rechten Arm, und er musste ambulant behandelt werden. Ermittelt wurden zwei Tatverdächtige, die als Angehörige derörtlichen rechtsextremistischen Szene bekanntsind. Das Verfahren gegen sie wurdespäter eingestellt. Es kommt auch vor, dass die politische Auseinandersetzung zugleich mit Worten und mit Schlägen ausgetragen wird. Dann siegt nicht das Argument, sondern die brachiale Übermacht. Oft demütigt der körperlich Stärkere auch noch den Unterlegenen, indemer ihn nötigt, die eigene Überzeugung zu verleugnen. Am 2. Februar, auf der Rückreise von einer "Antifa"-Demonstration in Berlin, trafen mehrere Jugendlicheim Alter zwischen 16 und 17 Jahren zwischen Biesenthal und Eberswalde in einem Zugabteil auf einen 22Jährigen Rechtsextremisten, der sie als "Zecken" bzw. "Bunte" qualifizierte, da einer von ihnen einen Irokesen-Haarschnitt trug. Der 22-Jährige informierte einen gleichaltrigen angetrunkenen Nazi-Skin. Dersah die Gelegenheitfür eine Prügelei gekommen: "Jetzt werden die Zecken geklatscht." Sie begabensich zu den jungen "Antifas". Der Nazi-Skinfragte einen von ihnen,der ein T-Shirt mit der Aufschrift "Gegen Nazis" trug, ob er etwas gegen Nazis habe. Dann habe er nämlich auch etwas gegen ihn, denn er sei ein Nazi. Der jugendliche "Antifaschist" versuchte zwar noch zu beschwichtigen, wurde aber von dem,der ihm zuerst begegnet 5l Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 war, sofort mit Fäusten und Springerstiefeln traktiert. Zugleich forderte ihnder Nazi-Skinauf, das beanstandete Kleidungsstück aus dem Fenster zu werfen. Das Opfer wagte keinen Widerstand und gehorchte. Einer seiner Reisebegleitertrug ein T-Shirt mit der Aufschrift "Ich scheiß darauf ein Deutscher zusein". Ängstlichfragteer, ob aucher sein T-Shirt aus dem Fenster werfen solle. Dem Nazi-Skin gefiel dieser Vorschlag, und so flog auchsein T-Shirt aus dem Zugfenster. Doch seine Willfährigkeit half ihmnichts. Auch er bekam einen Faustschlag ins Gesicht. Ebenso wurde ein dritter "Antifaschist" verprügelt. In Eberswalde angekommen, wurden die Opfer mit weiteren Schlägenund Tritten verabschiedet. Die Täter wurden in Angermündefestgenommen. Das Amtsgericht Eberswalde verurteilte beide am 27. November wegen schwerer Körperverletzung in Verbindung mit Nötigung, den Schlägerzueiner Freiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren, den Naziskin zu anderthalb Jahren auf Bewährung. Linksextremistisch motivierte Gewalttaten Gewalt, die von Linksextremisten verübt wird, ist in stärkerem Maße als die rechtsextremistisch motivierte ideologisch begründet. Der militant aufgeladene "Antifaschismus" dehumanisiert den politischen Gegner underklärt ihn zum Freiwild. So sind die Opfer linksextremistisch motivierter Gewalttaten, soweit diese sich gezielt gegen bestimmte Personen richten, überwiegendtatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Manch gewaltbereitem Autonomen genügt -- ebenso wie dem rechtsextremistischen Schlägerein Blick auf das Äußere, um den "Feind" auszumachen undihn mit gutem Gewissenin seiner körperlichen Unversehrtheit zu schädigen. Solche Attacken gelten als wohlverdiente Strafe für eine falsche Gesinnung undsollen abschrecken. In überschaubaren Szenezusammenhängengeht der einzelnen Gewalttat oft eine Geschichte wechselseitiger Eskalation voraus. Hierbei können sich kaum mehr kontrollierbare Dynamikenentwickeln. In der Regel steht die linksextremistische Kollektivgewalt der der Rechtsextremisten an Brutalität und Unfairness kaum nach. Revierkämpfe Linkswie Rechtsextremisten reagieren sehr empfindlich, wenn die Gegenseite Terraingewinne, sei es auf der Straße, sei es im Kampf um die öffentliche Meinung, zu erzielen versucht. Nicht immer kommtes zu ge- Politischer Extremismus -- Überblick waltsamen Auseinandersetzungen. Häufig begnügt mansich, den Gegner durch überlegene Präsenz oder Lautstärke einzuschüchtern. Doch können solche spannungsgeladenen Situationen leicht außer Kontrolle geraten und eskalieren. Die Polizei versucht deshalb bei Demonstrationen und anderen öffentlichen Veranstaltungen, die verfeindeten Gruppen auseinanderzuhalten, wird dabei aber häufig selber von beiden attackiert. Den einen gelten Polizisten als "Systemschergen", die anderen grölen "Deutsche Polizisten schützen die Faschisten". Auf demStadtfest in Rathenow am6. Septemberlieferten sich ungefähr 80 Sympathisanten der autonomen Szene und etwa 30 Rechtsextremisten verbale Auseinandersetzungen. Ein Polizeibeamter wurdetätlich angegiffen. Die "Antifaoffensive Westhavelland" erklärte am 10. Septemberhierzu: "Seit 1995 kames ja hier zu Übergriffen auf Flüchtlinge, Linksorientierte und Normalbürger, wobei wohldie Jahre 1998 und 1999, als selbst die Randzonendes Festes nicht mehr sicher waren, den Höhepunkt bildeten. Die Szeneriendes Festes glichen in den vergangenenJahren immer wieder 'national befreiten Zonen'. Doch dies sollte sich in diesem Jahr nicht wiederholen. Deshalb zeigten linksorientierte Jugendliche amFreitag und Samstag verstärkt Präsenz auf dem Fest." Die Aktion wird im Weiteren als Erfolg gefeiert. Erstmals sei es gelungen, ohne größere Übergriffe und Platzverweise auf demStadtfest zu bleiben und somit den Nazis zu zeigen, dasssie hiernicht alleine sind. Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen Die Autonomen bestreiten vehement das Gewaltmonopol des Staates. "Macht kaputt, was euch kaputt macht!" ist seit Jahrzehnten ihr Slogan, mit dem sie Gewalt als probates Mittel im politischen Kampf rechtfertigen. Dabei unterscheiden sie zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen. Die erstere wird mit gewissen Einschränkungen, die zweite uneingeschränktfür legitim erklärt, sobald es gegen das "System" und die politischen Gegner geht. Dass das Recht auf Eigentum ein unveräußerliches Menschenrecht ist, wird von den Autonomen verlacht. Am 10. November wurden die Scheiben einer Bank in der Potsdamer Innenstadt eingeschlagen. Die Täter bekannten sich in einem Selbstbezichtigungsschreiben, das bei der Anzeigenabteilung der "Märkischen AllgemeinenZeitung" einging, zu der Tat. Sie erklärten: 53 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Das "Abfackeln" von Autos gehört zum Markenzeichen autonomer Gewvalttäter, -- -- die sich häufig in der Hausbesetzerszene konzentrieren. Politischer Extremismus -- Überblick "Inden frühen Morgenstundendes 10.11.2002, zerschlugen wirin der BrandenburgerStraße die Schaufensterscheibender 'CitiBank'. Wir begründen diesen Anschlag mit unserer Auffassung, das die Politik des Kapitalismus krank und unmenschlichist. Da Banken Repräsentativ für den Kapitalismus einstehen und diesen auch in maßgeblicher Art und Weisepraktizieren und fördern, entschieden wir uns auf Grund dessen für eine Bankfiliale als Angriffsziel. Nunist unsselber natürlich klar, das durch das entglasen einer Bank sich die Verhältnisse nicht ändern werden, dochwar unsere Aktion viel mehr ein symbolisch gemeinter "Angriff auf den Kapitalismus, der die Gesellschaft zum nachdenkenanregen soll." (Schreibweise wie im Original) Am 23. November gingen erneut Scheiben zu Bruch. Etwa zehn bis fünfzehn Autonomezogenrandalierend durch die PotsdamerInnenstadt. Diesmal waren nicht nurdie Filialen verschiedener Bankenbetroffen, sondemauch eine Reihe weiterer Geschäfte. In diesem Falle verzichteten die Täterdarauf, ihr Zerstörungswerk im Nachhinein theoretisch zu überhöhen. Angriffe gegen die körperliche Unversehrtheit des politischen Gegners, gegen sein Hab und Gut und damit oft auch gegenseine Existenzgrundlage gehören gewissermaßen zum "antifaschistischen" Alltag der Autonomen. Gleichzeitig wollen sie handgreiflich beweisen, wer vor Ort das Sagen hat. Auchin Potsdam-Babelsberg wurden am 23. NovemberScheiben eingeworfen. Etwa zehn vermummte Personen gingen gewaltsam gegen denin derrechtsextremistischen Szene geschätzten Laden "Union Jack" vor. Sie drangenin die Geschäftsräumeein, rissen die Auslagenaus den Regalen und zerstörten weiteres Inventar. Der Inhaber des Ladens wurde bei dieser Aktion verletzt. Vermutlich war die Tat eine Reaktion auf die NPD-Demonstration, die am gleichen Tage in Potsdam stattgefunden hatte. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Extremistisch motivierte Straftaten in Brandenburg im Jahr 2002 - statistische Übersicht: Rechtsextremistisch motivierte Straftaten nach Deliktsqualität 744 a DI 2001 EI 2002 460 356 192 206 S S xS Ss & x & E SF Na N & &SF SSs? I s x - E SF ss XS S SF > Rn ss & im Jahresverlauf 2 EB Straftaten = 744 DD davon Gewalttaten = 78 8 P , s R g 9 10 9 9 , 2 =78 $ & x x R . 8 x$ & g& S$ ee>,--,--se=-->s ss' ES Ss es s se E s Pe Politischer Extremismus -- Überblick nach ausgewählten Themenfeldern? ED 2001 E 2002 200 162 110 93 38 5 Ss Ss > D N (r) g 2 Ss SS sg F PS Ss gs s sg g Ss Ss Ss sg .g ? Ss o S & Ss < " Die vorgelegte Statistik beruht auf Zahlenangabendes Landeskriminalamtes Brandenburg; die Verfassungsschutzabteilung des Ministeriums des Innern des Landes Brandenburgführt keine eigeneStraftatenstatistik. Esist zu beachten,dass eine Straftat mehreren Themenfeldern zugeordnet werden kann. Dementsprechend wirdsie in jedem der betreffenden Themenfelder mitgezählt. 57 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Linksextremistisch motivierte Straftaten nach Deliktsqualität EI 2001 42 EI 2002 38 x -| u I g 8 g s FE Na F S x $ gs (c) sg Ss = E u 11 EB Straftaten im Jahresverlauf DO davon Gewalttaten Politischer Extremismus -- Überblick PERSONENPOTENZIALE Rechtsextremisten Das rechtsextremistische Personenpotenzial in Brandenburg verringerte sich 2002 aufetwa 1.280 Personen (2001: 1.370). Auch bundesweit war die Anzahl der Rechtsextremisten rückläufig, sie sank auf 45.000 Personen (2001: 49.700). Mehrfachmitgliedschaften sind jeweils abgerechnet. Dem Spektrum der subkulturell geprägten, gewaltbereiten Rechtsextremisten sind bundesweit 10.700 Personen (2001: 10.400) zuzurechnen. In Brandenburg verringerte sich die entsprechende Zahl zwar geringfügig auf 580 Personen (2001: 600); sie liegt aber, gemessen an der Bevölkerungszahl, weiterhin über dem Bundesdurchschnitt. Nicht beziffert werden kann das breite Umfeld der einschlägigen Szene; es setzt sich aus rechtsextremistisch beeinflussten Jugendlichen zusammen, die bisher nicht durch Straftaten, sonstige herausgehobene Aktivitäten oder die Affinität zu rechtsextremistischen Organisationen auffällig geworden sind. Im Übrigen darf die brandenburgische Verfassungsschutzbehörde von Gesetzes wegen Jugendliche unter 18 Jahren nur unter stark eingeschränkten Voraussetzungen erfassen. Die bundesweit registrierte Zahl der Neonazis hat sich, nach dem deutlichen Anstieg im Jahr 2001, wieder auf 2.600 verringert (2001: 2.800). In Brandenburg hingegen nahm ihre Zahl geringfügig zu und beträgtjetzt 200 Personen (2001: 190). Den größten Anteil am rechtsextremistischen Personenpotenzial haben bundesweit nach wie vor die rechtsextremistischen Parteien. Der Mitgliederbestand der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD), der "Deutschen Volksunion" (DVU) und der "Republikaner" (REP) beträgt insgesamt noch 28.100 Personen (2001: 33.000). Während die DVU und die REP kontinuierlich Mitglieder verlieren, ist erstmals seit Jahren auch die NPD von einem solchen Rückgangbetroffen. In Brandenburg aber setzte sich für alle drei genannten Parteien - hier spielen sie seit jeher eine etwas geringere Rolle als im Bundesdurchschnitt -- der Abschwungdes Vorjahres fort. Hier haben sie zusammennur noch 500 Mitglieder (2001: 575); dabei mussten "Die Republikaner" erneut den stärksten prozentualen Mitgliederschwund hinnehmen. Mitglieder rechtsextremistischer Vereine und Weltanschauungsgemeinschaften, Ideologen und Anhänger der "Neuen Rechten", sowie Inhaber undBetreiber rechtsextremistischer Verlage und Vertriebsdienste fallen, wie auch in den Vorjahren, zahlenmäßig nicht ins Gewicht. 59 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Linksextremisten Während die Anzahl der Linksextremisten bundesweit auf 31.100 zurückging (2001: 32.900), stieg sie in Brandenburg leicht auf 715 Personen (2001: 670). Insbesondere nahm hier die Zahl der Autonomenauf 450 zu (2001: 400). Entgegen diesem Trend in Brandenburg -- der schon seit 1999 anhält - sank die Zahl gewaltbereiter Linksextremisten im gesamten Bundesgebiet aufjetzt noch 5.500 Personen (2001: 7.000). In linksextremistischen Parteien und Vereinen agierten bundesweit 26.000 Mitglieder (2001: 26.300); weitere 15.200 Personen (2001: 12.000) gehörten linksextremistisch beeinflussten Vereinigungenan. In Brandenburg wuchs die Zahl der Mitglieder linksextremistischer Vereinigungen geringfügig auf 305 (2001: 295). Mehrfachmitgliedschaften sind jeweils abgerechnet. Ausländische Extremisten Mitglieder ausländerextremistischer Organisationen sind bundesweit noch 57.350 Personen (2001: 59.100). Sie bilden, wie seit vielen Jahren, weit wenigerals ein Prozentder in der Bundesrepublik lebenden rund 7,5 Millionen Ausländer. In Brandenburg jedoch verdoppelte sich das extremistische Personenpotenzial beinahe auf mittlerweile 205 Personen (2001: 115). Bei diesem Zuwachsfallen insbesonderedie Islamisten - jetzt etwa 50 - ins Gewicht. Allerdings sind die absoluten Zahlen immer noch niedrig. Bundesweit ging die Zahl der Islamisten zwarleicht zurück, doch bildet sie, wie schonin denletzten Jahren, mit 30.600 Personen (2001: 31.950) das größte Kontingent unter den Extremisten ausländischer Herkunft. Diestärkste dieser Organisationenist die türkische "Islamische Gemeinschaft Milli Görüse.V." (IGMG) mit 26.500 Mitgliedern (2001: 27.500). In Brandenburgist sie nach wie vor nur mit Einzelmitgliedern vertreten. In linksextremistischen Ausländergruppierungen engagierten sich bundesweit 17.850 Personen (2001: 18.250). Die mitgliederstärkste unter ihnen, die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) bzw. der "Freiheitsund Demokratie-Kongress Kurdistans" (KADEK), verfügt, trotz des Betätigungsverbotes im Jahr 1993, über jetzt 11.500 Mitglieder (2001: 12.000); davon leben in Brandenburg nunmehr 100 (2001: 60). Die Mitgliederzahl der extrem-nationalistischen Ausländergruppierungen blieb bundesweit mit 8.900 Personen auf dem Stand des letzten Jahres. In Brandenburgstieg sie geringfügig auf 25 (2001: 20). 60 Politischer Extremismus -- Überblick Mitgliederzahlen extremistischer Gruppierungen -- statistische Übersicht ! Miitgliederzahlen rechtsextremistischer Gruppierungen Bundesrepublik Deutschland T.and Brandenburg 2001 2002 2001 2002 subkulturell geprägte, gewaltbereite 10.400 10.700 600 580 Rechtsextremisten? organisierte und 2.800 2.600 190 200 unorganisierte Neonazis NPD 6.500 6.100 205 190 IN' 350 450 30 15 DVU 15.000 13.000 270 230 REP* 11.500 9.000 100 8&0 sonstige rechtsextremisti3.950 3.950 25 35 sche Organisationen Summe 50.500 45.800 1.420 1.330 Mehrfachmitgliedschaften 800 800 50 50 rehlichen 49.700 45.000 1.370 1.280 Personenpotenzial "Die Zahlensind z.T. geschätzt. 2 Die Zahl der subkulturell geprägten, gewaltbereiten Rechtsextremisten, darunter Skinheads, wird unter Berücksichtigung von Dunkelzifferm und nöglichen Doppelzählungen aus folgendenTeilgrößenerrechnet: a) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die im Berichtsjahr straffällig gewordensind; b) bezifferbare Gruppenextremistisch motivierter, namentlich nicht bekannter Gewalttäter, die imbetrachteten Jahrstraffällig gewordensind; c) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die in vergangenen Jahren straffällig geworden und bei denen konkrete Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gewaltbereitschaft gegebensind; d) extremistisch orientierte Personen, denen keine einschlägigen Gewalttaten nachzuweisen sind, die aber auf Grund konkreter Einzelerkenntnisse (mutmaßlicheBeteiligung an Gewalttaten, Verhalten, Äußerungen usw.) als gewaltbereit gelten müssen. Mitgezählt sind auch JN-Anwätrter, d. h. solche Personen, die erst nach einer "Bewährungszeit" aufgenommen wurden. Es kannnicht unterstellt werden, dass jedes einzelne Mitglied der REP rechtsextremistische Ziele verfolgt und unterstützt. 61 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Mitgliederzahlen linksextremistischer Gruppierungen Bundesrepublik Deutschland Land Brandenburg 2001 2002 2001 2002 Autonome ! 7.000 5.500 400 450 Anarchisten 420 450 20 15 DKP 4.500 4.700 0 EN KPD 400 200 15 15 MLPD 2.000 2.000 50 40 Rote Hilfe 4.200 4.300 100 110 sonstige linksextremisti14.780 14350 40 50 sche Organisationen ? Summe 33.300 31.500 715 770 Mehrfachmitgliedschaften 400 400 45 55 eiefeiilfeihes 32.900 31.100 670 715 Personenpotenzial Die Zahl der Angehörigen autonomer Gruppenwird unter Berücksichtigung von Dunkelziffern und möglichen Doppelzählungenausfolgenden Teilgrößen errechnet: a) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die im Berichtsjahr straffällig gewordensind; b) bezifferbare Gruppen extremistisch motivierter, namentlich nicht bekannter Gewalttäter, die imbetrachtetenJahr straffällig gewordensind; c) namentlich bekannte extremistisch motivierte Gewalttäter, die in vergangenenJahren straffällig geworden undbei denen konkrete Anhaltspunkte für eine fortdauernde Gewaltbereitschaft gegebensind; d) extremistisch orientierte Personen, denenkeine einschlägigen Gewalttaten nachzuweisensind, die aber auf Grund konkreter Einzelerkenntnisse (mutmaßliche Beteiligung an Gewalttaten, Verhalten, Äußerungenusw.) als gewaltbereit gelten müssen. Mitglieder linksextremistisch beeinflusster Organisationen sind nicht mitgezählt. 62 Politischer Extremismus -- Überblick Miitgliederpotenzial extremistischer Ausländergruppierungen Bundesrepublik Deutschland Land Brandenburg 2001 2002 2001 2002 Islamisten 31.950 30.600 Einzelp. 50 davon IGMG 27.500 26.500 Einzelpersonen Linksextremisten ! 18.250 17.850 %0 130 davon PKK/KADEK! 12.000 11.500 0 100 Nationalisten 8.900 8.900 20 25 davon ADÜTDF 8.000 8.000 Einzelpersonen Summe 59.100 57.350 115 205 1 Mitglieder mit Verbot belegter Gruppierungensind mitgezählt. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 64 Rechtsextremismus Rechtsextremismus Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 RECHTSEXTREMISMUS Vier Personengruppen bilden im Wesentlichen das rechtsextremistische Spektrum: = Subkulturell geprägte, gewaltbereite Rechtsextremisten (vgl. ">Jugendszene, rechtsextremistisch orientierte) = Neonationalsozialisten, auch Neonazis genannt (vgl. "Neonazismus) = Mitglieder rechtsextremistischer Parteien und Vereinigungen (vgl. "Parteien, rechtsextremistische) = Mitglieder rechtsextremistischer Weltanschauungsgemeinschaften undintellektueller Zirkel, Inhaber und Betreiber rechtsextremistischer Verlage und Vertriebsdienste, Propagandisten des Revisionismus, Ideologen und Anhänger der ""Neuen Rechten". Die analytische Unterscheidung dieser Gruppen schließt jedoch nicht aus, dass es zwischen ihnen vielfache Berührungspunkte, Überschneidungen und auch Mischtypen gibt. Das Kernproblem des Rechtsextremismus in Brandenburg -- wie auch sonst in Ostdeutschland - ist Fremdenfeindlichkeit gepaart mit Gewaltbereitschaft. Besondere Aufmerksamkeit verdienen deshalb die subkulturell geprägten, gewaltbereiten Rechtsextremisten. Jedenfalls in Brandenburg kommt es nur ausnahmsweise vor, dass ein militanter Rechtsextremist zugleich Mitglied einer rechtsextremistischen Organisation ist. Zumeist handelt es sich um Jugendliche und junge Erwachsene, die sich in subkulturell geprägten Cliquen zusammenfinden. Gleichwohl wäre es eine Verkürzung des Problems, den Rechtsextremismus allein als ein Jugendphänomenhinzustellen. Denn militante Cliquen von Fremdenfeinden wähnen sich, wenn sie gegen ihnen missliebige Minderheiten gewalttätig vorgehen, nur zu oft im Einklang mit der schweigenden Mehrheit oder gar als Vollstrecker eines imaginierten Volkswillens. Dabei verkennen sie zwar, dass der weit überwiegende Teil der Bevölkerung Fremdenhass und Gewalt ablehnt; aber sie können sich immerhin durch Ängste, Vorurteile und Borniertheiten einer nicht unbeträchtlichen Minderheit bestätigt sehen. 66 Rechtsextremismus Solche Einstellungen und Verhaltensweisen festzustellen ist das eine, ihre Ursachen aufzuhellen das andere. Die Verfassungsschutzbehörden haben nicht den gesetzlichen Auftrag, die Ursachen rechtsextremistischen und fremdenfeindlichen Denkens und Handelns zu erforschen. Sie rezipieren aber die Ergebnisse der verschiedenen sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Ursachenforschung befassen, wie auchdie publizistische Diskussion zu dieser Thematik und berücksichtigen sie in ihrer Arbeit. Doch auch die wissenschaftliche Forschungliefert keine fertige Antwort auf die Frage nach den Ursachen des Rechtsextremismus. Denn ein umfassendes, konsistentes und allgemein anerkanntes Analyseund Erklärungsmodell liegt nicht vor. Viele, die nach den Ursachenfür die Zuwendungeines bestimmten Teils der Jugend zu Rechtsextremismus bzw. Fremdenfeindlichkeit fragen, vermuten sie in Erziehungsdefiziten: sei es weil die Familien, sei es weil die Schulen bei der Wertevermittlung versagt hätten. Die Eltern würden aus unterschiedlichen Gründen und Zwängen die Erziehung ihrer Kinder vernachlässigen; die Lehrer sähen sich nur noch für die Wissensvermittlung zuständig,nicht jedoch für die Einübung sozialer Kompetenzen und friedlicher Konfliktregelung. Die Integrationskraft von Vereinen, Verbänden, Kirchen und Milieus habe nachgelassen, den Individuen mangele es an gemeinschaftlichem Zusammenhalt und gesellschaftlicher Solidartät. Außerdem werden folgende Gründe angeführt: Der Staat habe das Problem zu lange ignoriert, Polizei und Justiz griffen zu wenig durch. Die Gesetze seien zu lasch. Politiker hätten zu sehr ihre partikulären Parteiinteressen im Blick und würden zu lange debattieren, statt gemeinsam zu handeln. Häufig werden die Medien gescholten, weil zu viel Gewaltdarstellung Gewaltbereitschaft fördere und die ausführliche Berichterstattung über extremistisch motivierte Gewalttaten Nachfolgetaten provoziere. Den Gewvalttätern selbst attestiert man Persönlichkeitsdefizite wie Gefühllosigkeit und Aggressivität sowie diffuse soziale Ängste, die sich etwa in der Meinung äußern, mansei fremden Mächtenausgeliefert, auf die man keinen Einfluss habe. Diese Liste von Adressatender Kritik ließesich beliebig verlängern. Ihr Umfangzeigt, wie enorm komplex die Probleme von Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Gewalt sind. 67 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Hier kannnicht erörtert werden, welche der Kritiken berechtigt sind, welche nicht. Ohne Schuldzuweisung soll im Folgendender gesellschaftliche und sozialpsychologische Hintergrund angeleuchtet werden, der die Begehung rechtsextremistisch, insbesondere fremdenfeindlich, motivierter Gewaltdelikte begünstigt. Manchererlebt de Freiheit, sch selbst verwirklichen zu können, als Zwang, das eigene Leben stets aufs Neue entwerfen und gestalten zu müssen, und fühlt sich dem nicht gewachsen. Orientierungsund Perspektivlosigkeit, mangelndes Selbstwertgefühl werden häufig durch Überidentifikation mit vermeintlich nicht hintergehbaren Gruppenzugehörigkeiten wie Rasse und Nation kompensiert. Der Abwertung, Diskriminierung und gar Drangsalierung anderer Menschen, bloß weil sie anders sind, entsprechen Selbstaufwertung, Identitätsund Prestigegewinne unter Gleichgesinnten. Auch autoritäre Einstellungen können Rechtsextremismus bzw. Fremdenfeindlichkeit begünstigen. So ist die Meinung weit verbreitet, es sei Aufgabe des guten und starken Staates, ideale, gemeint sind konfliktfreie, gesellschaftliche Verhältnisse zu schaffen. Der Staat habe sich um die Behebungsämtlicher sozialer Probleme zu kümmern, z. B. für genügend Ausbildungsund Arbeitsplätze zu sorgen, umstrittene, nicht allgemein akzeptierteKonkurrenz um knappe soziale Güter --z. B. Arbeitsplätze, soziale Sicherheit - fernzuhalten undgesellschaftliche Konflikte autoritativ zu entscheiden. Diese Konflikte werden zudem häufig ethnisiert, d.h. entlang der Unterscheidungslinie eigenes Volk/Ausländer interpretiert und so zusätzlich mit Bedeutungen und Wertungen aufgeladen. Wenn der Staat die an ihn gerichteten Erwartungennicht erfüllt, stellen sich schnell Enttäuschungen en, de zur Poltkoder gar Demokratieund Systemverdrossenheit führen; die wiederum bildet einen idealen Nährboden für den Ruf nach dem starken Mann, der die gesellschaftlichen Konflikte zu lösen verspricht. 68 Rechtsextremismus SUBKULTURELL GEPRÄGTE, GEWALTBEREITE RECHTSEXTREMISTEN Ein bemerkenswert großer Teil der brandenburgischen Jugendlichen sammelt sich in Cliquen, in denen Gewaltals Mittel der Auseinandersetzung akzeptiert und aus Lust am Tabubruch begangen wird. In solchen Cliquen dient Gewalt dem inneren Zusammenhalt. Die Mitglieder erleben gemeinsam die Angstlust der Gewalt; sie fühlen sich im Kreise ihrer Kameraden und Kameradinnen anerkannt und geborgen. Insbesondere von ich-schwachen Jugendlichen wird Gewalt als Gemeinschaftserlebnis geschätzt, zum einen, weil sie ihnen ein Gefühl von Stärke vermittelt, zum anderen, weil sie sich in der Erfahrung kollektiver Gewaltihrer Zugehörigkeit zur Clique undihrer sozialen Identität versichern. In manchen gemischtgeschlechtlichen militanten Cliquen demonstrieren männliche Jugendliche und Heranwachsende ihre Gewaltbereitschaft, um dem anderen Geschlecht zu imponieren. Zwar verüben weibliche Jugendliche weit weniger Gewaltdelikte als männliche, aber sie distanzieren sich auch nur selten von der Gewaltbereitschaft ihrer Freunde und Kameraden, feuern diese zuweilen sogaran. Die meisten Jugendlichen oder Heranwachsenden, die gewaltbereiten Cliquen angehören, stehen noch in einem Lehrverhältnis oder besuchen eine Gesamtbzw. Sonderschule. Der Anteil der Arbeitslosen unter ihnen ist kaum höherals bei ihren Altersgefährten sonst. In der Regel bleibt die Gewaltbereitschaft eine Episode in der Biografie der Täter, die mit dem Eintritt ins bürgerliche Leben, mit der Übernahme von Verantwortung in Berufund Familie endet. Solche Jugendcliquen ziehen häufig das politische Rechts-links-Schema zur Selbstidentifikation heran. Die jeweilige Gegenszene wird verteufelt. Äußerliche Merkmale -- etwa die Länge der Haare - reichen zur Feindmarkierung undals Anlass zur Gewaltanwendungaus. Für die Cliquenzugehörigkeit sind Kriterien wie Nachbarund Mitschülerschaft meist wichtigerals ideologische Präferenzen: In der Regel bestimmt nicht die politische Überzeugungdie Zugehörigkeit zu einer Clique, sondern umgekehrt die Zugehörigkeit die politische Überzeugung. Auffällig höher als in den sonstigen jugendlichen Subkulturen ist die Gewaltbereitschaft in "rechten" Cliquen, namentlich wenn sie von >Skinheads dominiert werden. 69 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Allerdings sind keineswegs alle Skinheads Rechtsextremisten; manche distanzieren sich sogar ausdrücklich von rechtsextremistischen Vorstellungen. Der subkulturelle Stil der Skinheadsist als Modetrend "in" und hat auf andere Jugendkulturen abgefärbt. Er ist vor allem in Ostdeutschland vielerorts alltäglich geworden. Das äußere Erscheinungsbild transportiert also nicht durchweg politische Botschaften und Provokationen Gleichwohl herrscht in der Skinheadsubkultur deren rechtsextremistisch geprägte Variante vor. Geradesie erweistsich als anziehendfür nachfolgende Jahrgänge ganz junger Menschen. Meist haben sich die Schläger rechtsextremistische Anschauungen nur sehr oberflächlich und bruchstückhaft angeeignet. Doch sind sie schnell dabei, aus nationalistischen, fremdenfeindlichen, rassistischen oder sozialdarwinistischen Motiven heraus aggressiv zuzuschlagen. Das spontane Ausleben ihrer Gewaltbereitschaft ist ein wichtiger Teil ihrer subkulturellen Identität, wird ihnen zum Selbstzweck und Programm. Insofern sind sie Rechtsextremisten der Tat. Wenn es in rechtsextremistisch orientierten Cliquen zu exzessiven Gewaltausbrüchen kommt, sind häufig übermäßiger Alkoholkonsum, Gruppendynamik und aufputschende Skinheadmusik, die mit ihren menschenverachtenden Texten eine Verstärkerfunktion hat, im Spiel. Rechtsextremistisch motivierte Gewalttäter sind kaum bemüht, ihre Tat zu verdunkeln. Häufig schlagensie auf öffentlichen Straßen und Plätzen unter den Augen von Passanten zu. Sie wohnenoft auchin der unmittelbaren Umgebungdes Tatortes. Etwa jeder dritte rechtsextremistisch bzw. fremdenfeindlich motivierte Straftäter ist ein Wiederholungstäter. Das demonstrative Revierverhalten "rechter" Jugendcliquen auf manchen öffentlichen Plätzen zu bestimmtenZeiten verängstigt viele Bürgerinnen und Bürger, insbesondere jene, die aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes dem Feindbild rechtsextremistischer bzw. fremdenfeindlicher Schlägerbanden entsprechen, und mindert ihre Lebensqualität. Das provokative und pöbelhafte Verhalten dieser jungen Leute wird häufig verwechselt mit der programmatisch konzipierten Errichtung "national befreiter Zonen" ! - tatsächlich erzeugt das Drohpotenzial solcher Cliquen eher so etwas wie temporäre "Angst-Räume". zum Thema"National befreite Zonen" siehe die ausführliche Darstellung auf der Website www.verfassungsschutz-brandenburg.de unter "Bibliothek"Publikationen "Online-Publikationen 70 Rechtsextremismus Skinheads widerstreben häufig allen Bemühungen, sie in rechtsextremistische Organisationen einzubinden. Andererseits scheut auch so mancher rechtsextremistische Parteifunktionär der älteren Generation vor rabiaten Skinheads zurück oder fürchtet zumindest, Skinheads könnten aufgrund ihres martialischen Äußeren den auf Ruhe und Ordnung bedachten Spießbürger abschrecken Diese Distanz hat rechtsextremistische Parteien und Organisationen jedoch nicht daran gehindert, von Fall zu Fall Skinheads für Demonstrationen zu mobilisieren. Entsprechenden Aufrufen folgen viele Skinheads, weil sie es verlockend finden, durch Aufmärsche brave Bürger zu verschrecken undsich eventuell sogar mit den politischen Gegnern der >" Antifa" prügeln zu können. Ansonsten finden die meisten Skinheads kein Gefallen daran, sich einer strengen Organisationsdisziplin zu unterwerfen und langatmige Schulungen übersich ergehen zu lassen. Sie ziehen das "Abhängen" in Cliquen Gleichgesinnter vor. Szenestrukturen Cliquenbildungen Der Zusammenhalt rechtsextremistisch orientierter Cliquen beruht zumeist auf Gewohnheit, Kameraderie und dem Mangel anattraktiven sozialen Alternativen, nicht auf vereinbarten Verbindlichkeiten oder gar festen Strukturen. Man trifft sich abends oder am Wochenende üblicherweise an bestimmten Orten, vor allem auf öffentlichen Plätzen, an Tankoder Haltestellen oder in Jugendclubs. Solche informellen, subkulturell geprägten Cliquen existieren u. a. in folgenden Orten undihrer näheren Umgebung: Bernau, Cottbus, Eberswalde, Frankfurt (Oder), Fürstenwalde, Königs Wusterhausen, Neuruppin, Oranienburg, Perleberg, Potsdam, Prenzlau, Rathenow, Schwedt und Wittstock. Aber auch in anderen Städten und ländlichen Regionen des Landes lassen sich teils zu-, teils abnehmende Ansätze solcher Cliquenbildungen beobachten. Mitunter wird der Zusammenhalt beschworen, indem sich die Clique einen martialisch klingenden Phantasienamen gibt. Noch seltener verfestigt sich eine Clique tatsächlich zu einem kameradschaftsähnlichen Gebilde. In Rathenow z. B. finden sich gleich mehrere rechtsextremistische subkulturell geprägte Gruppierungen. Die "White Warriors" sind kaum mehr als eine GruppeGleichaltriger, die gelegentlich zusammenkommen und durcheinschlägige Gewalttaten auffallen. Hingegen hat das "Hauptvolk" Strukturen entwickelt, die denen neonazistischer Kameradschaften (dazu siehe unten S. 95 ff.) schon nahe kommen. 71 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Skinheadorganisationen Nurin Einzelfällen lassen sich Skinheads in Brandenburg für straff geführte Organisationen gewinnen. Soweit diese originär im Skinheadmilieu verankert sind, wollen sie auch gar nichtin die Breite wachsen, sondern verstehen sich eherals Eliteorganisationen. Zu den internationalen Skinhead-Organisationen mit politisch-weltanschaulichem Anspruch gehören die "Hammerskins" und "Blood & Honour" (B&H). Die "Hammerskins", 1986 in den USAins Leben gerufen, sind seit Anfang der 90er Jahre in Deutschlandvertreten. Sie sind geprägt von einer rassistischen und antisemitischen Grundhaltung und verherrlichen den Nationalsozialismus; alle weißen Skinheads weltweit wollen sie in einer "Hammerskin-Nation" vereinen. Wegen ihres elitären Anspruchs sind die bundesweit etwa 100 Hammerskins in der Szene umstritten. Die wenigen Hammerskins in Brandenburg haben im Südosten des Landes inzwischen ein eigenes "Chapter" gebildet. Die einflussreichere B&H-Bewegung entstand 1987 in England undfasste seit 1994 in Deutschland Fuß. Sie propagiert ebenfalls den Nationalsozialismus und vertritt die rassistische "White Power"-Ideologie. International untergliedert sie sich in Divisionen, national in Sektionen. Die etwa 200 Mannstarke Division Deutschland wurde am 14. September 2000 samtihrer Jugendorganisation "White Youth" (WY) verboten. Einige ihrer 15 Sektionen, darunter auch "Brandenburg" und "BrandenburgSüd", versuchten zunächst, das Verbot zu umgehen. So wurde der Sampler "Blood & Honour Brandenburg" mit dem Emblem von B&H noch nach dem Verbot vermarktet. Auf Konzerten und in Fanzines wurde der Zahlencode "28" -- die beiden Ziffern stehen für den zweiten und achten Buchstaben im Alphabet, also B und H - verwendet. Der V7-Versandrichtete sein Angebot vielsagend an "Blonde & Hellhäutige". Die Strukturen der Organisation sind inzwischen zerschlagen. Bemühungen, sie zu reaktivieren, wurden nicht mehr bekannt. Aber Kontakte zwischen ehemaligen Mitgliedern bestehen noch und werden gelegentlich zur konspirativen Vorbereitung von Konzerten und beim Vertrieb von CDs oder Fanzines genutzt. Am 25. April veranlasste die Staatsanwaltschaft Halle Durchsuchungen bei 32 Personen, die verdächtigt werden, B&Htrotz des Vereinsverbotes fortgeführt zu haben -- etwa mit den B&H zuzurechnenden Konzerten am 21. September 2000 in Kaarßen-Laarve (Niedersachsen) und am 25. No72 Rechtsextremismus vember 2000 in Annaberg (Sachsen-Anhalt). Die Polizei stellte Propagandamaterial und Waffen sowie mehrere PCs, Telefone, Notizbücher und Kontounterlagen sicher. Auch drei einstige B&H-Aktivisten aus Brandenburg waren in die Durchsuchungen einbezogen. Im Ausland ist "Blood & Honour" nach wie vor präsent, da dort das Verbot in Deutschland keine unmittelbaren Auswirkungen hat. Aktivisten geben das gleichnamige Fan-Magazin heraus und veranstalten einschlägige Konzerte mit Bands ausaller Welt. Subkulturelle Aktivitäten Szenemusik als Einstieg Rechtsextremistische Organisationen können verboten werden oderzerfallen häufig vonalleine. Aber selbst wenn sie über Jahre oder gar Jahrzehnte Bestand haben, bleibt ihre Anziehungskraft begrenzt. Denn ihre Programmatik, ihr Führungspersonal und ihr Auftreten überzeugenjeweils immer nur einen geringeren Teil des rechtsextremistischen Spektrums. Viele, die ihm angehören, wollen sich ohnedies nicht an irgendeine Organisaton binden. Als Integrationsfaktor für das rechtsextremistische Spektrum ist deshalb eine feste Struktur von vornherein nur bedingt geeignet. Verbindend wirkt viel eher eine ideologische Grundorientierung, ein Lebensgefühl, zumalbei jungen Rechtsextremisten. Sie werden besonders stark von der Szenemusik geprägt. Diese drückt ihre Aggressionen, Wünsche und Ängste aus und transportiert mit den Texten, die sie begleiten, unterschwellig, aber um so stärker bewusstseinsbildend die ideologischen Botschaften, für die die Szene empfänglich ist. Viele rechtsextremistische Karrieren haben mit der Vorliebe für rechtsextremistische Skinheadmusik begonnen. Sie ist sozusagen die Einstiegsdroge für den Szenenachwuchs. Mit harten Beats werden den Hörern rassistische, antisemitische und Gewalt verherrlichende Botschaften eingehämmert. Sehr beliebt und eingängig sind auch neue oder umgeschriebene Texte zu Melodien schon bekannter Schlager und Stimmunsgslieder. Die auf Konzerten dargebotenen Textversionen sind häufig noch um einiges krasser als die auf den CDs, dennhier stacheln sich Bands und Publikum mt Wechselgesängen und "Hitlergruß"-Gesten gegenseitig an. Zudem versuchensich die Bands mit aggressiven, menschenfeindlichen Texten gegenseitig zu übertrumpfen. Das aufputschende Erlebnis solcher Konzerte und die Lust am Verbotenen -- die sich auch im heimli73 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 chen Hören strafwürdiger CDs im Kreise Gleichgesinnter ausleben kann -- machendie Szene für viele junge Leuteattraktiv. Die Hassund Gewaltparolen dieser Szene, die als Erkennungszeichen und Zugehörigkeitsmarken fungieren, brennensich in Denken und Fühlen ein und prägen je länger desto nachhaltiger das Verhalten der jugendlichen Fans von Skinheadmusik Sie unterwerfen sich dem subkulturellen Stilzwang, der Orientierung bietet undidentitätsstiftend wirkt. Der Name des rechtsextremistischen Labels "Identität durch Musik" (IDM) ist Programm. Die Skinheadsubkultur ist ein internationales Phänomen. So verschafft sie denen, die an ihr partizipieren, das Empfinden, einer weltweiten verschworenen Gemeinschaft anzugehören -- auch wenn ihr tatsächlicher Aktionsradius oft regional begrenztist und sich allenfalls durch Reisen zu Konzerten im Ausland gelegentlich weitet. Manche Skinheads investieren all ihre Energie, Zeit und Geld, ihren ganzen Enthusiasmus in ihre Vorliebe für die Szenemusik undeinschlägige Konzertbesuche. Skinheadbands und ihre CDs Die Anzahl der aktiven rechtsextremistischen Skinheadbands nahm bundesweit stark ab - vermutlich eine Folge der diversen Ermittlungsverfahren gegen Bandmitglieder. Aktuell werden etwa 95 einschlägige Bands gezählt. In Brandenburg heimisch sind "Barbaren" (Eisenhüttenstadt), "Frontalkraft" (Cottbus/Spremberg), "Kontra" (Eisenhüttenstadt), "Proissenheads" (Potsdam), "Sturm & Drang" (S.U.D.) (Senftenberg) samt dem Projekt "Confidentof Victory" (CoV), "Unbending Bootboys" (Potsdam), "Volkstro1" (Fürstenwalde) und "WEOR" (Frankfurt/Oder). Die Band "WEOR" hat die CD "Wir geben es zu" herausgebracht, ihre CD "Augenblicke und Erinnerungen" wurdeindiziert. Sie unterhält ebenso wie "Frontalkraft" und "Kontra" eine eigene Homepage. Die "Barbaren", die "Proissenheads", die "Unbending Bootboys" und "Volkstroi" blieben dagegen weitgehend inaktiv. Die weitaus aktivste, auch überregional bekannte Gruppe ist gegenwärtig S.U.D. bzw. CoV. Sie hat zuletzt die CD "Volk wie Brüder" veröffentlicht. Ansonsten sind die deutschen Bands, die in der Szene derzeit als "heiße Tipps" gelten und deren CDs besonders gefragt sind, in anderen Bundesländern zu Hause. 74 Rechtsextremismus nara Bereits seit Ende 2000 kursierte die CD "Noten des Hasses" in der Szene. Die Texte erfüllen unverkennbardenStraftatbestand der Volksverhetzung. Sie stacheln zum Rassenhass gegen Farbige und Juden auf. Auch Homosexuelle sowie Bürgerinnen und Bürger,die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, werden eingeschüchtert. Die als Refrain wiederholte Drohung "Die Kugel ist für dich" richtet sich gegen 16 Prominente sowie namentlich genannte Beamte des Landeskriminalamtes Berlin. Als Urheber der CD wurde eine Gruppe "White Aryan Rebels" (WAR) genannt. Sie war vorher noch nie in Erscheinung getreten. Niemand wusste, wer sich hinter der Bezeichnung WAR verbarg. Dieses Rätsel machte die CD in der Szene doppeltinteressant. Aber auch schon wegenihrer krassen Texte fand sie reißenden Absatz. Zuerst lief der Verkauf nur schleppend an; doch nachdem die CD in öffentlichen Medien angeprangert worden war, setzte in der Szene geradezu ein Run aufsie ein. Danach war die erste Auflage rasch vergriffen, eine zweite sollte 2002 produziert werden. Die hochkonspirative Gruppe WAR wurdedurch die Verfassungsschutzbehörde Brandenburgidentifiziert. Maßgeblich warin ihr allein eine Person, der Berliner Neonazi Lars Burmeister, der sich auf einige wenige Helfer stützte. Er und weitere Personen, die an der Produktion und am Vertrieb der CD beteiligt waren, wurdenstrafrechtlich belangt (siehe unten S. 85). 75 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Auch die CD "Komm zu uns!" der Gruppe "Sturm 18" (Nordrhein-Westfalen) ist sehr begehrt. Sie wird beworben als das "Härteste, was man seit der letzten "Tanzorchester Immervoll' gehört hat" (der aus Tarnungsgründen umschriebeneVergleich beziehtsich tatsächlich auf die CD "Ran an den Feind" der Berliner Kult-Band "Landser"). Das Kürzel 18 im Bandnamensteht für den ersten und den achten Buchstaben im Alphabet, also A und H -- gemeintist Adolf Hitler. "Sturm 18" ist jedoch nicht mit der gleichnamigen Band zu verwechseln, die Mitte der 90er Jahre in Zehdenick aktiv war. Gegendie Urheber der CD wird ermittelt, da die Texte augenscheinlich einen volksverhetzenden Charakter haben. Das Lied "Ich bin dabei" sei hervorgehoben, denn es spiegelt eine für Rechtsextremisten typische Haltung: Eigene Ohnmachtsgefühle werden mit Rachephantasien kompensiert. "Ihr Heuchler, ihr werdet zahlen, für die Verbote, die euch rein gar nichts nützen, kommt der Tag der Rache. Wir gehen in den Untergrund, autonom undmilitant. Wir werden Terroristen sein. Ja, und ich bin dabei." 76 Rechtsextremismus Das brandenburgische Ministerium für Bildung, Jugend und Sport reichte 2002 mehrfach Indizierungsanträge gegen einschlägige CDs bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften ein. Den Anstoß dazu hatte das Landeskriminalamt mit seinen Recherchen und Materialsammlungen gegeben. Einer der zur Indizierung vorgeschlagenen Tonträger "Ritter des Reiches" sei beispielhalber zitiert Unter dem Titel "Zyklon B" wird holprig und grob menschenverachtend gereimt: "Unser Führer schrieb ein Buch mit dem Gesuch, Juden zu vergasen. Also auf geht's nun, wir dürfen nicht ruhn und nicht verzagen, Juden einzusargen (-) Im Ofen brennt's, der Jude kennt's und weiß Bescheid, jetzt kommtseine Zeit. Dannwird's ihm mulmig im Bauch, gleich ist er nur noch Rauch" Augenscheinlich sind die Straftatbestände der Volksverhetzung und der unzulässigen Gewaltdarstellung berührt. Skinheadkonzerte Konzerte sind der wichtigste Integrationsfaktor der Skinheadszene. Meist ziehensie bloß wenige hundert Personenan, nur in seltenen Ausnahmefällen sind es mehr als tausend. Bei solchen Konzerten werden regelmäBig Propagandastraftaten begangen. Denn Bands und Publikum heizen sich mit volksverhetzenden Gesängen und verfassungsfeindlichen Gesten wechselseitig an. Aggressive Musik, exzessiver Alkoholmissbrauch und Gruppendynamik bilden ein explosives Gemisch, das sich spontan in Gewalttaten entladen kann. Die Song-Texte geben die Stichworte, gegen wen sich die Aggression richtensoll. Besondersbeliebt sind Konzerte, auf denen Bands aus dem angelsächsischen Raum auftreten. Ihre CDs sind in Deutschland häufig indiziert oder gar verboten und nur auf dem Schwarzmarkt zu erwerben. Da in 77 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 vielen Staaten das Grundrecht auf Meinungsfreiheit anders als in der Bundesrepublik gefasst ist, brauchen rechtsextremistische Bands dort nicht die Rücksichten zu nehmen, die ihnen in Deutschland durch die Strafgesetze auferlegt werden. Dementsprechend könnensie sich hemmungslos in ihren Liedern artikulieren. Bei Auftritten in Deutschland entscheiden sie von Fall zu Fall, ob sie hier strafbare Texte vortragen oder nicht. Einige rechtsextremistische "White Power"-Bands aus dem englischsprachigen Raum, etwa "Intimidation One" und "Max Resist", die eine Europatourneestarteten, sowie "Brutal Attack", "Extreme Hatred'" und "Race War" genießen geradezu Kultstatus. Manche deutsche Bands, wie die erwähnten "Landser", wetteifern mit ihnen abernicht ohne Erfolg um die Gunst des Skinheadpublikums. Seit 1998 sank de Zahl einschlägiger Konzerte in Deutschland zunächst wegendes hohen Verfolgungsdrucks. Denn Konzerte mit rechtsextremistischen Bands, die vorab bekannt werden, verbietet die Polizei oder die zuständige Ordnungsbehörde zumeist, um Straftaten zu verhindern. In Brandenburgist das fast immerder Fall. Doch im Jahre 2002 wurde dieser positive Trend erstmalig gebrochen: Bundesweit wurden etwa 80 einschlägige Konzerte registriert, in Brandenburg fanden sechsstatt. Zu den meisten dieser Veranstaltungenreisten nicht mehr als 200 Besucher an. Dennoch gab es Konzerte mit relativ hohen Teilnehmerzahlen häufiger als im Vorjahr. Das Land Brandenburg blieb wegen seiner besonders rigiden Verbotspraxis von Groß-veranstaltungen verschont. 2002 fanden hier lediglich einige kleinere "Events" statt, die z. T. eher den Charakterprivater Partys, Geburtstagsoder Abschiedsfeiern mit musikalischer Umrahmung hatten. Aber auch sie wurden, sofern entsprechende Vorbereitungen bekannt wurden und eine rechtliche Handhabe vorlag, von der Polizei unterbunden. Inzwischen haben Konzertausrichter aus der Skinheadszene Strategien entwickelt, um die staatliche Repression zu unterlaufen. Von Fall zu Fall wählen sie eine oder mehrere der folgenden Alternativen: = konspirative Vorbereitung des Konzerts = Veranstaltung auf abgelegenem Privatgelände = Verlagerung des Konzerts ins Ausland = Anmeldung des Konzerts als legale Veranstaltung und ggf. A fechtung eines Verbots auf dem Rechtswege 78 Rechtsextremismus = "Joint-Venture" mit Szeneunternehmern aus anderen subkulturellen Jugendmilieus, so dass der rechtsextremistische Charakter des Konzerts verschleiert wird. Bei konspirativem Vorgehen drohen zwarstrafrechtliche und finanzielle Risiken; aber sie werden von den Veranstaltern in Kauf genommen, weil ihnen lukrative Gewinne winken. Die Nachricht von einem bevorstehenden Konzert erhalten die Interessenten üblicherweise nicht in den Szenemedien, sondern über Telefonketten. Am Veranstaltungstag selbst werden sie per Handy in die Nähe des Konzertortes dirigiert. Wo das Konzert wirklich stattfindet, erfahren die Fans erst in letzter Minute. Dafür nehmensie selbst weiteste Anfahrtwege in Kauf,auch auf die Gefahr hin, dass das Konzert kurzfristig abgeblasen oder von der Polizei aufgelöst wird und sie unverrichteter Dinge -- entsprechendfrustriert -- die Heimreise antreten müssen. Beispielhalber sei ein im Internet auf der rechtsextremistischen Website www.hatecoretk.com veröffentlichter Bericht zitiert: "20.05.2002 Vergangenes Wochenende sollte eigentlich in DallgowDöberitz ein Konzert der Hooligan-Band stattfinden. Szenekundige Beamte hatten von dem Konzert erfahren, was sicher ein Mordsaufwand war(...). Manfantasierte eine Zahl von 800 Hooligans die erwartet wurden zusammenund schüchterte (...) den Bürgermeister ein, welcher daraufhin den gemieteten Raumeinseitig kündigte" (Schreibweise wie im Original) Gerneund relatv rskofre werden Konzerte besucht, de hinter der Grenze im benachbarten Auslandarrangiert werden, vor allem in Frankreich, Österreich und der Schweiz. So fand am 16. März ein Konzert im Elsass (Frankreich) vor knapp 1.000 Fans statt; auch das große "Blood & Honour"-Festivalam 12. Oktoberin Vorarlberg (Österreich) mit drei USamerikanischen und drei deutschen Bands hatte rund 1.000 Besucher, drei Viertel kamen aus Deutschland. Aus Brandenburg gastierte "Confident of Victory" mehrfach im Ausland, z. B. am 21. September auf dem "Ian-Stuart-Donaldson-Memorial"-Konzert im elsässischen Wissembourg. Rechtsextremisten versuchen, auch mit anderen, nichtextremistischen Musikszenen zu kooperieren. Als Anknüpfungspunkte und Schnittflä79 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 chen dienen Neuheidentum, Okkultismus und das ästhetisierende Spiel mit NS-Emblemen. Marktstrategisch dürfte dies für manchen Szeneunternehmerinteressant sein, die Szene selbst nimmt diese Aufweichung der Grenzen ihrer Subkultur eher skeptisch auf. Immerhäufiger stellen jedoch "Biker"-Clubs, etwa der Spremberger "MC Berserker" vor seiner Fusion mit dem Cottbuser "Gremium MC" oder die "Wild Cocks" aus Frankfurt (Oder), ihre Club-Räumlichkeiten Rechtsextremisten zur Verfügung. Auch kommtes vor, dass nichtextremistische Bands, insbesondere solche aus dem "Heavy Metal"-, "Black Metal"-, "Death Metal"-, "Gothic"und "Dark Wave"-Spektrum, gemeinsam mit rechtsextremistischen "Hatecore"-Bands auftreten. Umgekehrt ist z. B. die schon erwähnte Hooligan-Band "Kategorie C" auch unter Rechtsextremisten beliebt. So bleibt es nicht aus, dass sich das Publikum mischt. Am 15. Februar etwa fand in Eisenhüttenstadt ein Konzert mit einer einheimischen Vorgruppe und der rechtsextremistischen Gruppe "Infront" als "Haupt-Act" statt. Von den etwa 250 Anwesenden waren etwa 40 Prozent der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen. Zu Störungen bzw. größeren Auseinandersetzungen im Verlaufe des Konzertes kam esnicht. Einen Tag später, am 16. Februar,traten im Clubhaus des "MC Berserker" in Spremberg verschiedene NS-Metal-Bands auf. Zum Abschluss betrat auf vielfachen Wunsch der Frontmann von "Frontalkraft" die Bühne und spielte gemeinsam mit anderen Bandmitgliedern. Bei dem Konzert waren etwa 200 Angehörige der rechtsextremistischen Szene anwesend. Es wurde der "Hitlergruß" gezeigt und "Sieg Heil" skandiert. "Frontalkraft" hatte übrigens wenige Wochen vorher, am 26. Januar, in Forst auf einer szenetypischen "Geburtstagsfeier" musiziert, bei der etwa 200 Personen anwesend waren. Ein Großaufgebot von BGS-Beamten befand sich vor Ort, die Veranstaltung ging jedoch ohne exekutive Zugriffe zu Ende. Neuerdings kommtes häufiger vor, dass rechtsextremistische Konzertveranstaltungen den Ordnungsbehörden offen angezeigt werden. Etwaige Veranstaltungsverbote werden zuweilen erfolgreich auf dem Instanzenweg angefochten. Eine wichtige Vorbildrolle spielt der "Rechtskampf" des Hamburger Neonazis Christian Worch. Er gehtgerichtlich, und oft mit Erfolg, gegen Demonstrationsverbote vor. Seinen "Rechtskampf" will er auch auf "Rechtsrock"-Veranstaltungen ausweiten; denn er ist bestrebt, Skinheads mit kombinierten Politikund Musikangeboten für die neonazistische Sache zu vereinnahmen. 80 Rechtsextremismus Das deutschlandweit größte rechtsextremistische Skinheadkonzert des Jahres 2002 fand am 16. März in Dortmund statt; unter den weit über 1.000 Besuchern waren auch einige aus Brandenburg. Es spielten u. a. "Max Resist", "Intimidation One" und die einheimische Band "Oidoxie". Vereinzelt wurde der "Hitlergruß" gezeigt. Das Besondere war, dass dieses Konzert angemeldet worden war, und zwar vom Bandleader von "Oidoxie", der mit Worch eng zusammenarbeitet. Seine Band durfte bereits am 3. November2001 in Leipzig anlässlicheiner der zahlreichen von Worch gerichtlich durchgesetzten Demonstrationen auftreten. Worchs Strategie der legalen Anmeldung und des "Rechtskampfes" hat aus rechtsextremistischer Perspektive jedoch den entscheidenden Nachteil, dass der Veranstalter sich bemühen muss, die szeneüblichen Straftaten zu unterbinden, was den "Fun"-Aspekt solcher Veranstaltungen nicht unerheblich schmälert. Fanzines Fanzines -- ein Kunstwort, zusammengesetzt aus "Fan" und "Magazin" -- sind neben den Konzerten das zweite zentrale Kommunikationsmedium der Skinheadszene. Als Nachrichtenforum wird es jedoch mehr und mehr vom Internet verdrängt. Diese Hefte verbreiten Neuigkeiten aus der und für die Szene, Konzertberichte, Interviews mit Skinheadbands, Rezensionen von Tonträgern und anderen Fanzines und führen Bestelladressen für Fan-Artikel auf. Manche Fanzines beschränken sich auf Subkulturelles, andere betreiben extremistische Propaganda. Viele dieser Publikationen enthalten aber auch Berichte über rechtsextremistische Demonstrationen, Listen von inhaftierten Kameraden, sowie, je nach Ausrichtung, Beiträge zur germanisch-heidnischen Mythologie oder Ruhmreden auf "Helden" der deutschen Geschichte bis hin zu NS-GröBen. Fanzines verfestigen und verbreiten die Symbolik, die sich in der Skinheadszene herausgebildet hat. Häufig werden Zahlenoder Buchstaben-Kürzel verwendet: "88" z. B. steht für "Heil Hitler" (zweimal der achte Buchstabe im Alphabet), "19/8" für "Sieg Heil!", "28" fürBundH (Blood & Honour), die "14 Words" des amerikanischen Rechtsterroristen David Lane für die Parole aller Rassisten "We must secure the existence of our race and a future for white children" ("Wir müssen die Existenz unserer Rasse und eine Zukunft für weiße Kinder sichern") und "Rahowa" für "Racial holy war", den "heiligen Rassenkrieg". Martialische Titelund Bilder künden vonder Faszination der Gewalt. Immer wieder werden Straf- 8 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 verfahren gegen die Herausgeber von Fanzines eingeleitet: wegen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und andererStraftaten. Die meisten der deutschlandweit etwa 50 Fanzines haben nur eine Auflage von wenigen Hundert Exemplaren und sind zur Verbreitung in der regionalen Szene bestimmt. Einige wenige Fanzines sprechen ein überregionales Publikum an. In ihrer Aufmachung unterscheiden sich die einzelnen Fanzines nicht unerheblich voneinander, das Lay-outreicht von der einfachen Schwarz-WeißKopie bis zum mehrfarbigen Hochglanzdruck. In ihrer Machart sind sie sich jedoch sehr ähnlich. Die Hefte werden mehr oder weniger professionell produziert und zum Teil auch online publiziert. Die meisten Fanzines werden konspirativ erstellt, vervielfältigt, mit der Post verschickt oder auf Konzerten unter der Hand verkauft. Mitunter werden Fanzines auch vor und auf Schulhöfen verteilt oder getauscht. Auch in Brandenburg erscheinen einige Fanzines. In Guben wurdein einer Auflage von etwa 1.000 Exemplaren Nr. 12 von "Volkswille" erstellt, und in Cottbus gab es von "Combat 2000" die Ausgaben Nr. 3 und 4, je in einer Auflage von etwa 100 Stück. Die letztgenannte Nummer enthält eine Anleitung zum Bombenbau. Das Cottbuser Fanzine "Proissenpower" erschien lediglich mit einer neuen Ausgabe in sehr kleiner Auflage. 82 Rechtsextremismus Vertriebswege Die Nachfrage nach Konzerten und Tonträgern, aber auch nach Magazinen, Kleidung und sonstigen subkulturellen Accessoires hat einen entsprechenden Markt geschaffen. Auf der Angebotsseite spielen neben ideologischen auch kommerzielle Interessen eine wichtige Rolle. Zuweilen kollidieren diese Interessen. Manche Szeneaktivisten -- Organisatoren von Konzerten, Hersteller und Vertreiber von Tonträgern, Betreiber von Homepages -- nutzenihre internationalen Verbindungen unddie oft laxeren Gesetze im Ausland. Auch das Bemühen, Spuren zu verwischen, und nichtzuletzt das internationale Preisgefälle spielen bei ihrem Vorgehen eine Rolle. Nicht nur Konzerte werden ins grenznahe Ausland verlegt, sondern man lässt auch CDs, Covers und Booklets in Billiglohnländern brennen bzw. drucken. Anhand der oben erwähnten CD "Noten des Hasses" (siehe S.75) lässt sich anschaulich illustrieren, wie Produktionsnetzefür einschlägige Szeneartikel internationale Dimensionen gewinnen. Burmeister, der Texter, Sänger und Besitzer des Masterbands, beauftragte den Hammerskin Mirko Hesse aus Langburkersdorf (Sachsen) mit der Herstellung der CD. Nachdem die CD zunächst in Dänemark gepresst, die Auflage aber nach Zahlungsschwierigkeiten als rechtsextremistisch erkannt und vernichtet wurde, gab Hesse seinerseits eine Neupressung bei dem bayerischen Szene-UnternehmerAdrian Preißingerin Auftrag. Preißinger, der den Sitz seines Unternehmens von Deutschland in die Slowakei verlegt hatte, schaltete ein Presswerk in Bangkok (Thailand) ein. Das Booklet wurde auf Veranlassung des Cottbusers Toni Stadler in einer polnischen Werbeagentur in Gubin gedruckt. Abnehmerfand die CD vorallem in Deutschland, aber auch in Schweden, Ungarn und anderen Ländern. Auch bei regem Szene-Interesse ist das Marktsegment für solche Artikel begrenzt -- wie die einschlägige Szene selbst. Deshalb lässt sich mit der Produktion und dem Vertrieb von Musik und Fanartikeln Geld nur dann reichlich verdienen, wenn man geschickt vorgeht und die Konkurrenz aussticht. Das gelingt nur ganz wenigen. Im Allgemeinengilt: Je erfolgreicher Produzenten und Vertreiber von Skinheadartikeln sind, desto eher scheuensie das Risiko strafrechtlicher Verfolgung. Manche lassen zum Beispiel die Tonträger und Booklets, die sie produzieren und vertreiben, von Szeneanwälten aufstrafrechtliche Relevanz prüfen. Andere hingegen haben sich darauf spezialisiert, szeneweit mit möglichst krassen Texten Furore zu machen. Strafbarkeit wird bewusst in 83 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Kaufgenommen. Sie wird zum subkulturellen Gütesiegel. Musik mitstrafbaren Inhalten wird konspirativ, häufig im Ausland, produziert -- wie am Beispiel der CD "Noten des Hasses" gezeigt-und unterhalb des Ladentisches verdeckt gehandelt. Die Gewinnmargen, aber auch das Risiko strafrechtlicher Verfolgung und damit des finanziellen Ruins sind außerordentlich hoch Rechtsextremistische Skinhead-Musikartikel kann man nur über szeneeigene Kanäle erwerben. Sie werden in Szeneläden -- von denen es auch in Brandenburg etwa zehn gibt -- über oder unter der Ladentheke verkauft, je nachdem, ob sie erlaubt oder verboten sind. Daneben werden sie von fliegenden Händlern auf Konzerten oder im Vertriebshandel, auch über das Internet, feilgeboten. Von besonderer Bedeutungfür die Versorgung der rechtsextremistischen Skinhead-Szene mit illegalen Tonträgern sind ausländische Vertriebe, allen voran die Labels "Panzerfaust Records" und "Resistance Records" (beide USA). In Deutschland schreitet die Diversifizierung der Vertriebsstrukturen in der Skinheadszene fort. Hier gibt es inzwischen nur noch wenige Vertriebe mit großem Einzugsbereich, dafür aber immer mehrregionale Kleinvertriebe und Bauchladenhändler. Von den in Brandenburg ansässigen Vertrieben sind "Hatesounds" in Borkwalde (Landkreis Potsdam-Mittelmark) und "Freiheitswille" in Eberswalde (Landkreis Barnim) erwähnenswert. Ihr Umsatz ist bescheiden. Diese Entwicklung erklärt sich einerseits aus dem permanenten Druck der Strafverfolgungsbehörden auf die Großhändler, andererseits daraus, dass Tonträger über das Internet massenhaft vervielfältigt werden können (siehe unten S. 229 PS.). Fans komplettieren ihre oft umfangreichen privaten CD-Sammlungen eben nicht nur mit Originalen, sondern auch mit schwarz gebrannten CDs, so genannten "bootlegs". Gerade seltene oder nur unter der Handerhältliche Tonträger werden vonInteressenten, zum Teil aber auch von kommerziellen Trittbrettfahrern, gern kopiert. So entsteht quasi ein Schwarzmarkt des Schwarzmarktes, der Produzenten, Bands und Händlern das Wasser abgräbt. Die von den finanziellen Einbußen Betroffenen reagieren zwar mit wütenden Kampagnen auf das angeblich jüdische Verhalten der als "Kameradenschweine" beschimpften Schwarzbrenner, dochletztlich müssen sie sie ohnmächtig gewähren lassen. Denn eine Anzeige kommt für die originären Vertreiber häufig nicht in Betracht, weil sie sich dabei zugleich selbst belasten müssten. Die hohen Gewinnspannen zwischen Herstellung und Vertrieb rechtsextremistischer Tonträger, einschlägig bedruckter Textilien und von NSDevotionalien verleiten manch unbedarften Szeneaktivisten dazu, die 84 Rechtsextremismus unternehmerischen und strafrechtlichen Risiken des Geschäfts zu unterschätzen. Der Kampf um die Kundschaft indes ist hart, und so versuchen die Wettbewerber, sich unliebsamer Konkurrenten zu entledigen, indem sie sich gegenseitig -- mehr oder weniger begründet -- verdächtigen, eher am Geschäft als am gemeinsamen Kampf für Volk und Vaterland interessiert zusein, also die Skinhead-Bewegung zu verraten oder gar für den Staatsoder Verfassungsschutz zu "spitzeln". Verfahren gegen Produzenten undVertreiber Mehrere Szeneaktivisten bekamen zu spüren, dass der Rechtsstaat die Produktion und den Vertrieb von CDs mit strafwürdigen Texten nicht ungeahndet lässt. Das Amtsgericht Berlin-Tiergarten verurteilte Burmeister am 9. September wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Gewaltdarstellung rechtskräftig zu einem Jahr und zehn MonatenFreiheitsstrafe auf Bewährung. Stadler wurde am 11. November vom Landgericht Berlin wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährungverurteilt. Im Zusammenhang mit dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren wurde öffentlich bekannt, dass er eine Zeit lang als Vertrauensmannfür die Verfassungsschutzbehörde Brandenburg tätig war (dazu siehe auch unten S. 255). Doch hatte er, ohne den Verfassungsschutz zu informieren, ein wesentlich größeres Kontingent einschlägiger CDs vertrieben, als die Behörde aus operativen Gründen hinzunehmen bereit war. Außerdem hatte er heimlich das Booklet zur CD "Noten des Hasses" -- es enthält mehrere Abbildungen von Hakenkreuzen - erstellt und vervielfältigen lassen. Am 21. November wurde Hesse vom Landgericht Dresden wegen Volksverhetzung, Gewaltdarstellung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu vier Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Bei der Strafzumessung wurdeein früheres Urteil, das im Rahmen des Verfahrens gegen die Band "Landser" gegen ihn ergangen war, angerechnet. Hesse war Herausgeber des Skin-Magazins "Hass Attacke" und Inhaberdes Labels "Hate Records". Über Preißinger hatte er die CD "Noten des Hasses" in einer Gesamtauflagenstärke von 3.000 Exemplaren pressen lassen. Als Gegenleistung durfte er 200 Exemplare einbehalten. 85 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Preißinger selbst wurde am 19. Dezember vom Landgericht Dresden wegen Volksverhetzung, Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Gewaltverherrlichung sowie Einfuhr strafrechtlich relevanter Tonträger zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zu einer Geldstrafe in Höhe von 230.000 Euroverurteilt. Preißinger gab zu, an der Produktion und dem Vertrieb rechtsextremistischer Tonträger in einer Gesamtzahl von 46.000 Exemplarenbeteiligt gewesen zu sein. Er war Inhaber der "Agentur für Kommunikation" (AFK) in der Slowakei. Seine Geschäftskontakte reichten über Europa hinaus bis nach Thailand, Taiwan und in die USA. Ein weiteres Strafverfahren wegen Volksverhetzung und Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen ist gegen die Mitglieder der Berliner Band "D.S.T.", sowie gegen Hersteller und Vertreiber der CD "Ave et victoria" anhängig. Das Buchstabenkürzel D.S.T. steht wahlweise für "Deutsch, Stolz, Treue" oder auch "Dr. Sommer Team". Die Texte der CD sind fremden-, judenund politikerfeindlich, sie verherrlichen den Nationalsozialismus und leugnen dessen Verbrechen an den Juden. Die CD enthält u. a. Ausschnitte von RedenHitlers. Auf dem Cover sind Hakenkreuze und SS-Runen zu sehen. Der Erscheinungszeitpunkt der CD wurde zurückdatiert, um eine presserechtliche Verjährung vorzutäuschen. Tatsächlich wurde die CD jedoch erst Anfang 2002 produziert. 86 Rechtsextremismus Die Bandexistiert seit 1994 undist nichtzuletzt wegen ihrer Konzertauftritte in der Szene recht beliebt. Am 24. April durchsuchten Berliner und BrandenburgerPolizisten die Wohnungen und Geschäftsräume von zwölf Verdächtigen. Etwa 500 Stück der im europäischen Auslandhergestellten Auflage wurden beschlagnahmt. Schon frühere Veröffentlichungen der Band waren von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) auf den Index gesetzt worden. "D.S.T." hatte auch für den indizierten Sampler "Blood&Honour Brandenburg" einen Titel beigesteuert. Das von der Generalbundesanwaltschaft geführte Verfahren gegen die Mitglieder und den Produzenten der Band "Landser" wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung hatdie rechtsextremistische Skinmusik-Szene nicht in dem Maße verunsichert, wie erhofft. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. Die Band "Landser" entstand 1992 im Umfeld der Berliner "Vandalen -- Ariogermanische Kampfgemeinschaft". Sie liefert eigenen Bekundungen zufolge den "Soundtrack zur arischen Revolution". Mehrere ihrer Tonträger wurden indiziert oder waren gar Gegenstandstrafrechtlicher Maßnahmen. Die Band-Mitglieder, die sich selbst "Terroristen mit E- Gitarre" nennen, scheinen jedoch dazugelernt zu haben. Ihre jüngste CD, "Rock gegen ZOG", nimmtsich im Vergleich zu früheren Veröffentlichungen vergleichsweise harmlos aus. Die Kurzformel "ZOG" steht für "Zionist Occupied Government", die "zionistisch beherrschte Regierung" (vgl. unten S. 88). |_Brandenburg Et er 87 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 NEONAZIS Neonazis stellen sich ideologisch in die Tradition des historischen Nationalsozialismus. Viele beziehen sich insbesondere auf das 25-PunkteProgramm der NSDAP von 1920 und Hillers "Mein KampPS'. Doch genauso wenig wie sich der historische Nationalsozialismus auf eine geschlossene Weltanschauung berufen konnte, ist der heutige Neonazismus ein einheitliches Gebilde. Immer wieder kommt es im neonazistischen Spektrum zu erbitterten Auseinandersetzungen um die "reine Lehre" des Nationalsozialismus: Soll man sich mehr am nationalrevolutionären Flügel der GebrüderStrasser oder an den unbedingten Gefolgsleuten Hitlers orientieren? Ist der Straßenkämpfer der SA oder eher der "Herrenmensch" der elitären SS als Vorbild anzusehen? Trotz umfänglicher Schulungsbemühungen haben Neonazis oft nur rudimentäre Kenntnisse über den Nationalsozialismus. Wenn sie sich auf nationalsozialistische Führungsfiguren, Symbole und Riten beziehen, wollensie häufig nur deren außerordentlich hohen Provokationswert nutzen. Der Neonazismus unterscheidet sich von anderen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus neben seiner ideologischen Prägung vor allem durch seinen ausgeprägten Drang zum Aktionismus und die hohe Demonstrationsbereitschaft seiner Anhänger. Neonazis pflegen ein taktisches Verhältnis zur Gewalt. Sie sehen sich als Opfer des Systems, vertagen aber ihr Rachebedürfnis auf die Zeit nach der herbeigeträumten "Machtergreifung". In ihrem elitären Avantgarde-Bewusstsein, "die Ersten von morgen" zu sein, sehnen sie sich nach einer "neuen Ordnung", dem "Vierten Reich". Neonazis werden von einem rassistisch begründeten Freund-Feind-Denken beherrscht. Sie sehen sich im permanenten Kampf gegen das angeblich übermächtige "Weltjudentum" bzw. ZOG. Die Kurzformel ZOG - die auch zur Verschleierung gegenüber Außenstehenden benutzt wird-steht für "Zionist Occupied Government" ("zionistisch beherrschte Regierung"). Neonazis behaupten nämlich, dass die westlichen Regierungen, insbesondere die der USA und Deutschlands, von der amerikanischen "Ostküste" gesteuert würden und willfährig deren Streben nach Weltherrschaft unterstützten. Die "Ostküste" ist in dieser - schon von Hitler bemühten -- Verschwörungstheorie eine Chiffre für das "internationale Finanzjudentum". 88 Rechtsextremismus Die Verbrechen des Nationalsozialismus diskreditieren nach wie vor den gesamten Rechtsextremismus. Seine Anhänger sind deshalb politisch isoliert. Rechtsextremisten verfolgen verschiedene Strategien, um diese Isolation zu durchbrechen. Revisionisten leugnen oder verharmlosen zumindest den Völkermord an den europäischen Juden. Wersich hingegen zu den NS-Gräueltaten bekennt undsie glorifiziert, gibt sich bewusst als Neonazi zu erkennen. Rechtsextremisten anderer Schattierung meidenin der Regel die Neonazis, weil sie fürchten, mit ihnenidentifiziert zu werden. Ambitionen und Aktionen Brüchiger "Nationaler Widerstand" Seit ab Beginn der 90er Jahre eine Welle von Vereinsverboten ! die Neonazis überrollte, gelang es ihnen kaum noch, neue unangreifbare Strukturen aufzubauen. Stattdessen setzten sie als "Freie Nationalisten" teils auf lockere Kameradschaften, teils auf die Zugkraft von Kampagnen, teils auf Bündnisse mit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD). Das schützende Dach dieser Partei sollte ihnen helfen, ihren Aktionsdrang ungehindert zu entfalten. Der NPD wiederum waren die organisatorisch ungebundenen Neonazis willkommen, weil sie dieses Potenzial für ihren "Kampf um die Straße" (vgl. unten S. 116) mobil machen konnte. Das Aktionsbündnis unter der Bezeichnung "Nationaler Widerstand" schien beiden Seiten Gewinn zu bringen. Inzwischen hat sich dieses Zweckbündnis, jedenfalls als strategische Option, weitgehend überlebt. Anlassbezogen kommt es zwar noch vor, dass die früheren Bündnispartner gemeinsam auf die Straße gehen. Doch da die aktuelle Rechtsprechung zum Demonstrationsrecht den Neonazis nunmehr wieder erlaubt, öffentliche Veranstaltungen in Eigenregie zu organisieren (siehe unten S. 91 ff.), nutzen sie diese Möglichkeit, um als eigenständige Kraft wahrgenommenzu werden. Hauptakteur dabei ist der Hamburger Christian Worch. Auch die NPDhat ein Interesse daran, nicht ohne weiteres mit "Freien Nationalisten" in einen Topf geworfen zu werden. Denn sie musste Rücksicht auf das beim Bundesverfassungsgericht anhängige Verbotsverfahren nehmen und achtet nunmehr etwas genauer darauf, auf welche Mitstreiter sie sch einlässt. Mit spektakulären öffentlichkeitswirksamen Aktionen hält sie sich merklich zurück. 1 hierzu vgl. die umfassende Zusammenstellung "Verbotene rechtsextremistische Organisationen" auf der Website www.verfassungsschutzbrandenburg.de unter "Bibliothek "Publikationen "Online-Publikatio89 nen Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 So sind aus den zeitweiligen Bundesgenossen Konkurrenten um die Meinungsführerschaft im rechtsextremistischen Spektrum geworden. Das hinderte freilich einzelne NPD-Verbände und einzelne neonazistische Gruppierungennicht daran, unter dem Motto "Keine Grabenkämpfe!" an bestehende Gemeinsamkeiten zu appellieren und die Kooperation zu pflegen -- so auch in Brandenburg Andere Personen und Teilgliederungen hingegenpflegten fast liebevoll ihre Feindseligkeiten. Dieses Gegeneinander wurde bei der Doppeldemonstration am 8. Juni in Leipzig unübersehbar. Beide Kräfte demonstrierten gegen die so genannte "Wehrmachtsausstellung": am gleichen Tage, am gleichen Ort, zum gleichen Thema -- aber getrennt. Dem Aufruf des NPD-Landesverbandes Sachsen waren 1.100 Aktivisten und Mitläufer gefolgt. Neben führenden NPD-Funktionären ergriffen auch bekannte Nazis das Wort, denn keineswegs alle bekennenden Nationalsozialisten älterer wie jüngerer Jahrgänge, die nach Leipzig gekommen waren, schlossen sich der von Worch organisierten Konkurrenzveranstaltung an. Dessen Aufruf leisteten nur etwa 430 Anhänger Folge. Die Rivalität setzte sich im Laufe der Veranstaltungen sogar musikalisch fort, denn beide, sowohl die NPD als auch die Neonazis unter Worch, setzten rechtsextremistische Musik als Publikumsmagnet ein. Für die Gefolgsleute Worchs spielte die Skinheadband "Oidoxie" aus Dortmund, zur Unterhaltung der NPD-Anhängertraten die szene-bekannten Liedermacher Annett Moeck, Frank Rennicke und Jörg Hähnel auf. Im Anschluss an diese Ereignisse äußerte sich der Neonazi-Aktivist Steffen Hupka aus Sachsen-Anhalt, der nach langen Querelen im Dezember 2001 aus der NPD ausgeschlossen worden war,in einem offenen Brief mit aller Deutlichkeit zu den Gründen des Zerwürfnisses: Er warf der NPD diffuse Weltanschauung, Ineffektivität als Wahlpartei und Duldung von V-Leuten der Nachrichtendienste in den eigenen Reihen vor. Wörtlich schrieb er: "Der Vorstand einer 'nationalen' Organisation der a) aus Agenten und b) aus Unterstützern von Agentenbesteht und c) sich weigert, zu erklären, niemals für Geheimdienste gearbeitet zu haben, kann nicht national sein. Er befindet sich aber auchnicht in der Hand des Systems: Er ist das System! Dieser Vorstand wurde aber mit überwältigender Mehrheit im März auf dem Parteitag gewählt. Die Partei hat also genau den Vorstand, den sie sich wünscht. Die NPD ist somit erwiesenermaßeneine feindliche Organisation." 90 Rechtsextremismus Dochauch untereinander liegen die Neonazis immer wieder im Streit. Als Worch Partei für einen Kameradenergriff, der wegen seiner Kontakte zu Staatsschützern in der eigenen Szene angefeindet wurde, richtete sich der Unmut vieler Neonazis nunmehr gegen ihn selber. Er reagierte mit einem Artikel "Wider die anonymen Hetzer", den er im Internet veröffentlichte Darin erwähnte er einen seiner Kritiker namentlich Hiergegen wandte sich vehementeine "Initiative gegen Schwätzer und Selbstdarsteller". Sie verbreitete Anfang Dezembereinen Aufruf, in dem es heißt: "Schützt Personen undArbeitsstrukturen im nationalen Widerstand durch Anonymisierung! Meidet jeden, der sich dieser Selbstverständlichkeit widersetzt!" Seither spitzt sich der szene-interne Streit zwischen den Worch-Anhängern, die für Transparenz, und den Worch-Kritikern, die für Konspiration eintreten, immer mehr zu. Der "Nationale Widerstand" bildet also keineswegs eine geschlossene Front, sondern verausgabtsich in Grabenkämpfen. Demonstrationskampagne verebbt Im stehenden Feiertagskalender der Neonazis sind insbesonderefolgende Daten für Demonstrationen vorgemerkt: der Todestag Horst Wessels am 23. Februar, der "Führergeburtstag" am 20. April, der Todestag von Rudolf Hess am 17. August und der "Heldengedenktag" Mitte November. Darüber hinaus bieten weitere historische Daten oder auch aktuelle Ereignisse den Neonazis Anlass, auf die Straße zu gehen. Wichtige Gegenwartsthemen, mit denen die Neonazis im Jahre 2002 die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit suchten, waren u. a. die "Wehrmachtsausstellung", Globalisierung und Arbeit, die Politik der USA, der Nahost-Konflikt und der schon damals drohendeIrak-Krieg. Seit2000 haben Worch und Hupkaeine regelrechte "Demonstrationskampagne" für die Neonazis organisiert. Ausgangspunkt dafür war ein Erfolg Worchs beim Bundesverfassungsgericht; er hatte dort erreicht, dass eine Verbotsverfügung gegen die Demonstration am 20. August 2000 in Hamburg gegen den Springer-Verlag in letzter Instanz aufgehoben wurde. In seinem Grundsatzurteil führte das Bundesverfassungsgericht aus, dass ein Veranstaltungsverbot erst dann zulässig sei, wenn die verbietende Behörde auf Grund konkreter Tatsachenerkenntnisse mit an Gewissheit grenzender Wahrscheinlichkeit vorhersagen könne, dass aus der angemeldeten Veranstaltung heraus Straftaten verübt würden. Ermuntert durch diese Gerichtsentscheidung, meldeten Worch und Hupka oder ihre Strohmännerin der Folge zahlreiche Demonstrationen an und erstritten auf dem Rechtsweg, dass sie auch durchgeführt werden durften. 91 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Am 18. August 2001 war es den Neonazis seit 1997 erstmals wieder gelungen, einen zentralen "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" durchzuführen. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hatte einer Beschwerde des neonazistischen Szeneanwaltes Jürgen Rieger gegen ein Veranstaltungsverbot stattgegeben, und so versammelten sich etwa 900 Neonazis in Wunsiedel (Bayern) am Grab von Heß Für sie ist Heß der ideale "Hitler-Ersatz", der "Prototyp" des guten Nationalsozialisten. Man nenntihn "Friedensflieger" und "Märtyrer des Friedens", um ihn von den nationalsozialistischen Verbrechen des Angriffskrieges und des Völkermordes fern zu rücken. Sein "Bekennermut" vor dem Nürnberger "Tribunal der Sieger" 1946 undseine Standhaftigkeit als "längster Gefangener der Welt" gelten als vorbildlich. Die Legende will, dass sein "lebenslanger Opfergang" durch seine "Ermordung" gekrönt worden sei. Damitist Heß zur KultundIdentifikationsfigur der neonazistischen Szene avanciert. Am 17. August konnten die Neonazis den Erfolg vom Vorjahr nicht nur wiederholen, sondern sogar überbieten. Mit rund 2.500 Teilnehmern war der Gedenkmarsch in Wunsiedel die größte rechtsextremistische Veranstaltung des Jahres. Auch Brandenburger Neonazis waren dabei. Ermutigt durch die Ereignisse in Wunsiedel, war Worch bestrebt, weitere symbolträchtige Orte und Gedenktage für die neonazistische Szene zurückzuerobern. Ein solches Datum ist der so genannte "Heldengedenktag", den man auf dem Waldfriedhof nahe Halbe (Landkreis Dahme-Spreewald) begehen will. Die Inszenierungeines Totenkultes um die Gefallenen auf dem Gelände derletzten großen Kesselschlacht des 2. Weltkrieges soll dazu dienen, das sinnlose Selbstopfer der im Frühjahr 1945 noch verbliebenen Wehrmachtsund SS-Verbände zu verklären. Noch der Untergang des Nationalsozialismus wird von Worch undseinen Gesinnungskameraden heroisiert und mythisch überhöht. 1990 und 1991 waren Hunderte Neonazis auf dem Waldfriedhof zu groBen "Heldengedenkfeiern" aufmarschiert. Seit 1992 aber konnten sämtliche Versuche, an diese Mobilisierungserfolge anzuknüpfen, durch Versammlungsverbote zunichte gemacht werden. Worch schickte nun einen Strohmann vor, um für den 17. November eine Veranstaltung unter dem Motto "Ruhm und Ehre dem deutschen Frontsoldaten" anzumelden. Sie wurde verboten, weil das zuständige Ordnungsamt in dem Spektakel einen Verstoß gegen das Feiertagsgesetz des Landes Brandenburg erkannte. Worch legte Widerspruch ein, ob92 Rechtsextremismus 14. Dezember: Neonazis demonstrieren in Teupitz 93 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 siegte zunächst, unterlag aberin letzter Instanz vor dem Bundesverfassungsgericht. Statt eines Aufmarsches in Halbe fanden außerhalb Brandenburgs verschiedene kleinere Ausweichveranstaltungen zum "Heldengedenken" statt. An ihnenbeteiligten sich auch brandenburgische Neonazis, so auf Usedom, in Hoyerswerda und in Halle. In Rathenow und Ketzin (Landkreis Havelland) legten Rechtsextremisten Kränze nieder In Halbe selbst hinterließen zwei Mitglieder der "Gemeinschaft Deutscher Frauen" (GDF) einen Kranz. Worch konnte sich mit seiner Schlappe vor Gericht schlecht abfinden und meldete zum 14. Dezemberin Teupitz, einem Nachbarort von Halbe, einen Protestmarsch an, um die angebliche Behördenwillkür anzuprangern. Kaum 40 Neonazis mochten seinem Demonstrationsaufruf folgen. Dashielt ihn jedoch nicht davonab, für den 21. Dezemberneuerlich eine Demonstration anzumelden. Diesmal sollte sie durch Potsdam führen. Erklärtes Ziel war: "Schönbohm in die Wüste schicken". Gerade einmal 80 Kameraden fanden sich am Stadtrand dazu bereit. Die Innenstadt blieb ihnen verschlossen, weil dort eine Gegendemonstration stattfand. Zum 20. April leistete sich die Neonaziszene von Frankfurt (Oder) eine Blamage. Unter dem andeutungsreichen Motto "Die Gedanken sind frei, jedem die seinen..." wurde eine Demonstration in Frankfurt (Oder) angemeldet, zunächst verboten, dann aber gerichtlich erkämpft. Der Anmelder, dem es vermutlich nur darum ging, mit einer Scheinanmeldung ein Verbot zu provozieren, wurde von seinem Erfolg vor Gericht unangenehm überrascht. Jedenfalls erschien zu dem "Pflichttermin" gerade einmal ein Häuflein von zehn Rechtsextremisten. Man konnte sich aber nicht einigen, wer es anführen sollte. Sowohl der Anmelder als auch der Versammlungsleiter kniffen. So verzichtete manlieber auf den Marsch und ließ die Demonstration ausfallen. Um diese Scharte auszuwetzen, mobilisierte die "Freie Kameradschaft Frankfurt (Oder)" unter den neonazistischen Kameradschaften für eine Demonstration am 25. Mai. Die 60 Neonazis setzten sich dann tatsächlich unter dem Motto "Gegen die EU-Erweiterung -- Volksentscheid jetzt" in Bewegung und lauschten bei den Demonstrationsstopps Worchs Worten sowie einem örtlichen Liedermacher. Die bescheidenen Teilnehmerzahlen bei diesen und anderen Demonstrationen, die Worch initiierte bzw. bei denen er als Rednerauftrat, belegen eine gewisse Demonstrationsmüdigkeit in der Szene. Denn Worch und seine Anhänger haben den Handlungsspielraum, den sie durch die neueste Rechtsprechung gewonnen hatten, durch Hyperaktivismus überstra94 Rechtsextremismus paziert. Der Provokations-, Aufmerksamkeitsund Spaßwert von Aufmärschenhat sich durch deren allzu häufige Wiederholung abgenutzt. Allein in Leipzig hat Worch im Jahre 2002 sechs Demonstrationen angemeldet. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, so lange Demonstrationen anzumelden, bis er sein Ziel, am Völkerschlachtdenkmal aufmarschieren zu dürfen, erreicht haben würde. Kamen am 6. April noch 640 Personen seinem Aufrufnach, so waren es am Tag der Deutschen Einheit nur noch 345; zwischenzeitlich war die Schar der Worch-Getreuenauf ganze 130 Demonstranten zusammengeschmolzen. Viele Gesinnungskameraden Worchs können oder wollenso viel Starrsinn nicht mehrfolgen, sie fühlen sich von Worchfür seinen "Privatkrieg" mit den Behörden "verheizt" und verweigern ihm die Gefolgschaft. Zu einzelnen spektakulären Anlässen werden die Neonazis und ihr Anhang aber auch künftig massive Demonstrationszüge auf die Beine bringen. Der Aufmarsch in Wunsiedel etwa wird kaum derletzte seiner Art bleiben. Organisationsformen Kameradschaften Mit der rechtsstaatlichen Waffe des Vereinsverbots sind der Neonaziszene nachhaltige Schläge versetzt worden. Jüngst, am 7. März 2003, hat der Innenminister Schleswig-Holsteins das "Bündnis nationaler Sozialisten für Lübeck" verboten. Davor war am 5. April 2001 vom Innenminister des Freistaates Sachsen die Gruppierung "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) samt ihrer "Aufbauorganisation" (SSS-AO) verboten worden. Derzeit läuft vor dem Landgericht Dresden ein Verfahren gegen sieben ehemalige SSS-Mitglieder wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Um durch Verbote weniger angreifbar zu werden, gründeten NeonaziKaderseit Mitte der neunziger Jahre zahlreiche so genannte "freie", "autonome" oder "unabhängige Kameradschaften", die nur lokal oder regional agieren. Die Bezeichnung "Kameradschaft" verwendenfreilich auch Gruppierungen für sich, die eher rechtsextremistisch anpolitisierten Jugendcliquen ähneln. Um eine möglichst präzise Zuordnung zu erreichen, sprechen jedoch die Verfassungsschutzbehörden nur dann von einer neonazistischen "Kameradschaft", wenn die jeweilige Gruppierung folgende Merkmale aufweist: 95 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 = ein abgegrenzter Aktivistenstamm, der sich bemüht, die Fluktuation des Mitgliederbestandes gering zu halten = Ansätze von Organisationsstruktur und Organisationsdisziplin = Bereitschaft zu gemeinsamerpolitischer Arbeit aufder Basis einer neonazistischen Grundorientierung = Einsatz von Gewalt nur im Einzelfall nach taktischem Kalkül. Gleichwohl sind die Übergänge von echten neonazistischen Kameradschaften zu lokalen Jugendcliquen mit rechtsextremistischer Orientierungfließend (vgl. z. B. oben S. 71 zur Rathenower Gruppe "Hauptvolk"). Auchdie Herausgeberund Leserkreise von Fanzines (siehe oben S. 81 PS.) bzw. Kameradschaftszeitungen lassen sich nicht immereindeutig in Neonazis einerseits, Skinheads andererseits unterscheiden. Neonazistische Kameradschaften haben in der Regel etwa fünfbis 20 Mitglieder. Hinsichtlich ihrer strukturellen Verfestigung unterscheiden sie sich jedoch stark voneinander. Nur einige sind straff organisiert. Der harte Kern besteht oft nur aus wenigen Aktivisten, der restliche Mitgliederbestand ist, allen Bemühungen um Stabilität zum Trotz, einer ständigen Fluktuation unterworfen. Die Existenz solcher Kameradschaften ist deshalb oft von geringer Dauer. Manche Kameradschaften haben jedoch vereinsähnliche Strukturen herausgebildet. Mitunter geben sie eigene -- zumeist in unregelmäßigen Abständen erscheinende -- KameradschaftsZeitungen heraus. Derzeit werden bundesweit etwa 160 solcher Kameradschaften gezählt. Zum großen Teil handelt es sich um lokale Zusammenschlüsse ohne nennenswerte Außenwirkung. In Brandenburggibt es eine oder mehrere mindestens in folgenden Städten: Cottbus, Frankfurt (Oder), Fürstenwalde, Guben, Potsdam und Templin. Ansätze zur Bildung einer Kameradschaft sind aber auch in weiteren Städten Brandenburgs erkennbar. Insgesamt sind den brandenburgischen Kameradschaften rund 160 Mitglieder zuzurechnen. Selten treten brandenburgische Kameradschaften nach außenin Erscheinung. Der "Nationale Widerstand Fürstenwalde" hatte zwar eine eigene Website im Internet; sie war allerdings von schlechter technischer Qualität und wurde nicht aktualisiert, zuletzt war sie gar nicht mehr abrufbar. Kameradschaftsmitglieder aus Fürstenwalde veröffentlichten außerdem die 4. Ausgabe ihrer Schrift "Panzerbär". Die "Kameradschaft Cottbus" steht der NPD nahe; viele Mitglieder sympathisieren mit dieser Partei oder gehören ihr sogar an. Erklärlich wird 96 Rechtsextremismus das auch aus den Kontakten zu Frank Schwerdt, einem Neonazi aus Berlin, der zugleich als Bundesgeschäftsführer der NPD fungiert und damit in seiner Person die Idee des Brückenschlags zwischen NPD und Kameradschaften verkörpert. Die Cottbuser Kameradschaftsmitglieder treffen sich meist, um zu verschiedenen Anlässen -- etwa am "HitlerGeburtstag" - zufeiern Ihrem Anspruch nach wollen die Kameradschaften ihre Aktionsund Kampagnefähigkeit durch Vernetzung untereinandererreichen. Regelmäßige konspirative Treffen der Kameradschaftsführer sollen dem Zweck dienen, die Aktivitäten zu koordinieren. Die Mobilisierung der Kameraden erfolgt kurzfristigund anlassbezogen mittels der neuen Informationstechnologien: Internet, Handy und "Nationale Info-Telefone" (NIT). In der Praxis funktioniert dieses Modell aber nur gelegentlich, denn wegen seiner -- beabsichtigten -- Unverbindlichkeit ist es auf das fortdauernde persönliche Engagementder Aktivisten, ihren Elan, ihre Energie undihre Ausdauer angewiesen. Daran fehlt es aber zumeist gehörig. So erwies sich auch das als Vernetzungsstruktur konzipierte "Nationale und Soziale Aktionsbündnis Mitteldeutschland" (NSAM) als wenigeffektiv. kune ee mrbeigehen! a D ri IE Y E R F E In T O E = MerZLATT run nuE KA gore i s c h t s Bi cn neem c h e sn Der Karnpt umden |'. n Stadtkern entbrannf | Tee Die Kameradschaftszeitung "Panzerbär" aus Füstenwalde undihr historisches Vorbild, das gleichnamige "Kampfblatt für die Verteidigung von Groß-Berlin" vom April 1945 97 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Durch solche Erfahrungenbelehrt, setzen Neonazi-Aktivisten in Brandenburg wieder stärker auf verbindliche, übergreifende Strukturen. Nachdem hier der "Kameradschaftsbund Barnim" und das "Junge Nationale Spektrum" (INS) verblasst sind, profiliert sich nun der "Märkische Heimatschutz" (MHS) als regionales Sammelbecken für neonazistische Kameradschaften "Märkischer Heimatschutz" (MHS) Der MHSwurde am 24. November 2001 in Kerkow (Landkreis Uckermark) gegründet. Er umfasst etwa 35 neonazistisch anpolitisierte zumeist jugendliche oder jungerwachsene Mitglieder. Sein Vorsitzenderist der Neonazi Gordon Reinholz. Der MHS ist bestrebt, die Kameradschaftsszene in den Landkreisen Barnim, Uckermark, Märkisch-Oderland und Oberhavel zu koordinieren und unter einem Dach zu einen. Das Vereinsleben ist vergleichsweise rege. Die Mitglieder treffen sich in Sektionen und zu Gesamtveranstaltungen; ihnen werden politische Schulungen und Fahrten zu Aufmärschen angeboten. In einer Pressemitteilung anlässlich seiner Gründung hatte der MHS verkündet, er strebe an, Akzeptanz bei den Jugendlichen in der Gegend zu finden und den Zuzug von Ausländern zu verhindern. Es gehe ihm um "den Erhalt des deutschen Brandenburg" und den Schutz "Brandenburgs gegen Überfremdung durch raumfremde Volksangehörige"; nur eine hieran orientierte Arbeitsmarktpolitik könne verhindern, dass immer mehr junge Menschen auf der Suche nach einem Arbeitsplatz von Brandenburg nach Westdeutschland ziehen. Mittelfristig wolle der MHS als freie Wählergemeinschaft bei Gemeindewahlenantreten. Der MHS betreibt eine breite Öffentlichkeitsarbeit, um seine Vorstellung von einem "nationalen Sozialismus" zu propagieren. Hierfür setzt er verschiedene Medien ein: Flugblätter und Transparente, Zeitungen und Presseerklärungen; die Texte werden häufig auch auf der Internetplattform des "Nationalen Widerstandes Berlin-Brandenburg" (NWBB) www.nwbb.org veröffentlicht. Diese wird von Reinholz zusammen mit dem Berliner Neonazi Oliver Schweigert betreut. Als Sprachrohr des MHS dienen die beiden Publikationen "Lokalpatriot. Mitteilungsblatt des MHS aus Angermünde", von dem bisher vier Ausgaben erschienen sind, und die "Mitteldeutsche Jugend Zeitung" (MJZ), von der bislang sechs Nummern veröffentlicht wurden. 98 Rechtsextremismus Im "Lokalpatriot" finden sich u. a. Berichte über rechtsextremistische Veranstaltungen, vor allem Demonstrationen, und Artikel zu außenund arbeitsmarktpolitischen Themen. In sämtlichen Ausgaben wird den Aktivitäten des politischen Widerparts -- vor allem der Verein "Pfeffer und Salz" aus Angermündeist ein Reizobjekthöchste Aufmerksamkeit zuteil Die "Mitteldeutsche Jugend Zeitung" (MJZ) begreift sich als "Rundbrief und Projekt von freien Kameradschaften aus Mitteldeutschland". Sie ist im Internet unter www.mjz.nwbb.org abrufbar. An der MJZ wirken insgesamtdreizehn rechtsextremistische Gruppierungen aus Sachsen und Brandenburg mit, darunter neben dem MHS die "Lausitzer Front" aus Guben und eine "Kameradschaft Cottbus". Reinholz fungiert als "Verantwortlicher für alle Ausgaben" und als einer von insgesamtfünf Schriftleitern. Auch die MJZ beschäftigt sich mit jugendspezifischen Themen wie Schule, Jugendsozialarbeit und Abwanderung von Jugendlichen nach Westdeutschland. Außerdem behandelt sie Fragen der Einwanderungspolitik und die Aktivitäten der Antifa. Nicht alle Beiträge sind eindeutig rechtsextremistisch geprägt. Fremdenfeindlichkeit und Systemverdrossenheit schwingen jedoch aufjeder Seite mit. Manche MJZ-Artikel ähneln thematisch undin ihrer Aufmachung denen in Schülerzeitungen. Die MJZ wird auch gezielt an brandenburgischen Schulen verteilt, da Schüler und Schülerinnen als Nachwuchs und Multiplikatoren der "freien Kameradschaften" geködert werdensollen. Besonders krass ist ein im "Stürmer"-Stil gehaltener Artikel, der, pseudonym von einem gewissen "Wolfswind" verfasst, in der Ausgabe 5 abgedruckt wurde. Aufhänger des mit der Überschrift "Der Vernichtungskrieg geht weiter" versehenenArtikels ist die Wiedereinreisegenehmigung für den türkisch-stämmigen jugendlichen Serientäter "Mehmet". Sie dient dem Autor als Beleg für die altbekannte neonazistische These eines "lange geplanten Völkermordes an Deutschland(...) mittels Totaldurchrassung und zwangsweiser(...) Massenüberfremdung". Der Autortischt seinen Lesern die revisionistische Mär auf, nicht die Deutschen hätten den Völkermord an den Juden verbrochen, sondern umgekehrt die Juden an den Deutschen. "Gemäß der jüdischen Holocaustrezepturen waren und sind es die fremdrassigen Exoten, die manins überdicht besiedelte RumpfDeutschland fluten ließ und läßt." Doch "Ausländerfeind" möchte er nicht genannt werden. Am Ende klagter: "(...) wer als Deutscher in 99 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Deutschland die Mißstände zur Sprachebringt, der wird von diesen Volksverrätern und Diätenbonzenals 'ausländerfeindlich' beschimpft". Nach wie vorsteht Reinholz in engem Kontakt zu Schwerdt. Gemeinsam mit ihm siehter sich für das Projekt "Nationaler Medienverbund" verantwortlich. Eine Fruchtdieses Projekts ist die Publikation "Uckermark Bote. Unabhängiges Informationsblatt". Dabei handelt es sich um ein vierseitiges Blättchen, von dem im November/Dezember die Ausgabe Nr.3 erschien. Die Auflageist gering, der Text aber auch online abrufbar. Inhaltlich unterscheidet sich der "Uckermark Bote" nicht von den zuvor genannten Publikationen. Die MHS-Flugblätter artikulieren die neonazistische Ideologie des Vereins auf grobschlächtige Weise. Seine Fundamentalopposition fasst der MHS etwa in folgende Parolen: "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht -- Gegen System und Kapital -- Lasst Euch nicht BRD'igen". Die Globalisierung der Wirtschaft und eine multikulturelle Gesellschaft seien abzulehnen. Statt dessen fordert der MHS eine nationale Volkswirtschaft und ein "Deutschland, das das Land der Deutschen ist und nicht der Ausländer aus der ganzen Welt". Überhaupt werden Ausländer mit dem Slogan "Stoppt die Asylantenflut" pauschalals Kriminelle und Drogendealer verunglimpft. Unter dem zunächst unverdächtig klingenden Motto "Gib Hass keine Chance" fordert der MHS die "Zerschlagung der Antifa". Er greift damit das Propaganda-Muster der "Anti-Antifa"-Kampagne auf. Diese Aktionskampagne wurde in den vergangenen Jahren weitaus energischer betrieben, hallt jetzt aber nur noch in solchen lokalen Auseinandersetzungen nach. 100 Rechtsextremismus Am 8. Mai, dem Jahrestag des Kriegsendes, nahm der MHS an einer Gedenkveranstaltung in der Uckermarkteil. Es wurden Flugblätter "8. Mai -- Wir feiern nicht!" verteilt. Die revanchistische Begründung wurde auf großen beschrifteten Leinentüchern, die an Autobahnbrücken befestigt wurden, nachgereicht: "Schlesien, Pommern, Ostpreußen - ewig heilger deutscher Boden" und "Ehre, Leben, Hab, Gut geraubt am 8 Mai" Der MHS provoziert gerne Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegnervor Ort. So entrollten MHS-Mitglieder am 12. September am Bahnhof Bernauein Transparent "Wir sind das Volk -- Für Freiheit, Recht und Selbstbestimmung". Damit wandtensie sich gegen eine Gruppe von "Linken" und Linksextremisten, die Plakate der "Partei Rechtsstaatliche Offensive" entfernen wollten. Am 1. November demonstrierten etwa 15 Mitglieder und Sympathisanten vor dem Angermünder Jugendkulturzentrum "Alte Brauerei" gegen ein Konzert, das der Verein "Pfeffer und Salz" organisiert hatte. Ein Transparent "Den Linken in die Suppe spucken. Nationaler Widerstand" hatte man mitgebracht. Drei Führungskader des MHS wurden vorläufig festgenommen, als sie nach einem Platzverweis den Straßenverkehr in der Stadt behinderten. Im Übrigenstellte der Verein "Pfeffer und Salz" wiederholt fest, dass Fenster und Fassade seines Büros mit Farbbeuteln beworfen worden waren. Einige MHS-Aktivisten fahren häufig zu neonazistischen Aufmärschen, die in und außerhalb der Region oder noch weiter abstattfinden: so am 9. März zur Demonstration der "Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands" (TWG) in Schwedt, am 25. Mai zum Aufzug der "Freien Kameradschaft Frankfurt (Oder)" in Frankfurt (Oder), am 17. August zur "Rudolf-Heß-Gedenkveranstaltung" in Wunsiedel oder zu dem Aufzug der 950 Rechtsextremisten, die am 12. Oktober in München "Gegen die Geschichtslügen politischer Ideologen -- Für die Ehre unserer Wehrmacht" marschierten. Nachdemfeststand, dass die "Heldengedenkfeier" am Volkstrauertag in Halbe verboten war,reisten sie zu einer Ausweichveranstaltung auf Usedom. Reinholz war zudem Initiator einer Demonstration am 7. Dezember im sächsischen Hoyerswerda, die unter dem Motto "Gegen Arbeitslosigkeit -- für soziale Gerechtigkeit" stand. Er hatte sie im Namen einer "Lausitzer Arbeitsloseninitiative e. V." angemeldet. Ein Viertel der rund 100 Teilnehmer wurde vom MHS gestellt. 101 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) Gründungsjahr: 1979 Sitz: Frankfurt/Main in Brandenburg aktiv seit: 1990 Mitglieder bundesweit: 600 Brandenburg: 35 Publikation: "Nachrichten der HNG" Internetadresse: www.hng-nachrichten.com Die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V." (HNG) ist die einzige bundesweit tätige neonazistische Vereinigung, die bislang von einem Verbot verschontgeblieben ist. Sie hat insofern von den Verboten profitiert, als ehemalige Mitglieder jetzt verbotener Organisationen zur HNG hinzustießen. Die Aktivitäten der HNGbeschränken sich zwar auf den Vereinszweck, nichtsdestoweniger kommtihr eine Klammerfunktion innerhalb derzersplitterten Neonaziszene zu. Aber sie genießt auch über die neonazistische Szene hinaus hohes Ansehen unter Rechtsextremisten. Die HNGbetreut jeweils zwischen 50 und 100 rechtsextremistische Gefangene und deren Angehörige. Sie suggeriert den Inhaftierten, sie seien keine gewöhnlichen Kriminellen, sondern politische Häftlinge, nicht Täter, sondern Opfer eines Unrechtssystems. Sie vermittelt Briefund Besucherkontakte für die Häftlinge, trägt dazu bei, dass die Delinquenten die Zeitihrer Inhaftierung zum Zweckeder weltanschaulichen Weiterbildung nutzen und dass sie nach ihrer Entlassung nahtlos in die Szene reintegriert werden können. Die HNGgibt allmonatlich die "Nachrichten der HNG" in einer Auflage von etwa 700 Exemplaren heraus. Fester Bestandteil dieses Info-Briefes sind zwei ständig aktualisierte Namenslisten: die eine führt vergleichsweise bekannte einsitzende Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland auf, die andere solche, die Briefkontakt wünschen. Diese Gefangenenlisten werden von zahlreichen rechtsextremistischen Publikationen -- manchmal nur auszugsweise -- abgedruckt. 102 Rechtsextremismus Die "Nachrichten der HNG" veröffentlichen regelmäßig an den Vorstand gerichtete Briefe von Inhaftierten, in denen diese über ihre Haftbedingungen klagen und sich beim Vorstand überschwänglich für dessen] moralische Unterstützung bedanken. Andere Artikel denunzierendie Justiz, Richter, Prozesse, Urteile und Haftbedingungen als "GesinnungsJustiz", jammern überdie "Verfolgung" " nationaler Deutscher" und verunglimpfen den demokratischen Rechtsstaat als "Unrechtsstaat". Eigentlich ist für Rechtsextremisten, insbesondere Neonazis, Solidarität mit den "Systemhäftlingen" Pflicht. Doch nur wenige HNG-Mitglieder bringensich aktiv in die Gefangenenhilfe ein. Auch mitder Beitragsmoral der HNG-Mitglieder steht es nicht zum Besten. Die HNG-Vorsitzende Ursula Müller veröffentlicht deshalb regelmäßig schwarze Listen der säumigen Mitglieder. NACHRICHTEN DER Die "Nachrichten der HNG" mit ihrer, kontinuierlich an Rudolf Heß erinnernden, Seite 3 Die HNG-Jahreshauptversammlung fand am 23. März in Hessisch Lichtenau (Hessen) mit etwa 200 Teilnehmern statt. Viele von ihnen waren Skinheads, darunter auch einige aus Brandenburg. Der Brandenburger Neonazi Hans-Christian Wendthat die Schriftleitung der "Nachrichten der HNG" an eine gewisse Mareike Brauchitsch abgegeben. Der Charakter des Blattes hat sich dadurch nicht erkennbar verändert. Nach Angabender Publikation werden etwa zehn Rechtsextremisten, die in brandenburgischen Vollzugsanstalten ihre Strafe verbüßen, von der HNG betreut. Die "Nachrichten der HNG" wurden zeitweise auch ins Internet eingestellt. Doch die Homepage der HNG wurde nur noch sporadischaktualisiert und warzuletzt gar nicht mehr abrufbar. 103 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Kampfbund Deutscher Sozialisten" (KDS) Der bundesweit etwa 70 Mitglieder zählende "Kampfbund deutscher Sozialisten" (KDS), der 1999 bei Cottbus gegründet wurde, vereint Hitler-Verehrer und Nationalbolschewisten. Er verfolgt eine "Querfrontstrategie", will also Rechtsund Linksextremisten unterschiedlicher Richtungen dafür gewinnen, sich in einer "Einheitsfront" für eine nationalistische Variante des Sozialismus einzusetzen. Weltanschauliche Divergenzen werden geleugnet oder durch gleichzeitige Übernahme gegensätzlicher Parolen retuschiert. Stalinisten werden z. B. damit umworben, dass die DDR einfach als Fortsetzung des Nationalsozialismus gedeutet wird. So haben die Anhänger des KDS auch keine Probleme, sich zur Fahne der DDR zu bekennen. Der Feind aber ist das liberalkapitalistische System, verkörpert insbesondere durch die USA unddas "internationale Judentum". Der unbedeutende undeinflusslose KDS -- andere Rechtsund Linksextremisten nehmen ihn nicht ernst -- macht gelegentlich von sich reden, weil seine Ideologie und seine Aktionen manchen Beobachter skurril anmuten. So erklärt sich der KDS solidarisch mit Staaten wie Irak und Nordkorea. Er proklamiert "Dem Schurkenstaat USA entgegentreten heißt: den Irak verteidigen!" Aufmerksamkeit erregten die Kontakte des KDS zur irakischen Botschaft. Der KDS hatte zunächst auf seiner Website www.kds-im-netz.de unter der Überschrift "Im NamenGottes des Allergnädigsten, aller Barmherzigsten" (Schreibweise wie im Original) einen offenen Brief Saddam Husseins an das amerikansche Volk und die westlichen Völker und Regierungen abgedruckt. Zum Dank wurdenVertreter des KDS am 17. Juliin derirakischen Botschaft empfangen. Auf der Website der NSDAP/AO war ein Foto eingestellt, das dieses Ereignis festhält. Am 21. August gratulierte der KDS dem irakischen Botschafter "zur unblutigen Beendigung der verbrecherischen Besetzung Ihrer Vertretung durch irakische 'Oppositionskräfte"". Damit bezog er sich auf die Tatsache, dass fünfbewaffnete Iraker -- zwei davon aus einem Asylbewerberheim in Brandenburg -- im Nameneiner gegen Saddam Hussein opponierenden Gruppe am 20. August die irakische Botschaft in Berlin besetzt hatten und noch am gleichen Tag von Polizeikräften festgenommen worden waren. Solche provokatv inszenierten Aktionen verleihen dem KDS den Schein internationaler Bedeutsamkeit, in dem er sich nur allzu gerne sonnt. Ähn104 Rechtsextremismus liche Verbindungen hatte es schonfrüher zur diplomatischen Vertretung Nordkoreas gegeben. Michael Koth, Gausekretär von Berlin/Brandenburg undfrüher Mitglied der KPD (vgl. unten S. 177 PS.), ist auch Schriftleiter der Organe des KDS "Der Gegenangriff" und "Wetterleuchten". Von beiden Publikationen erschienen 2002 zwei Nummern, die auch online abrufbarsind. "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO) Die NSDAP/AO versorgt Neonazis weltweit mit Devotionalien und Propagandamaterial. Auch in Brandenburg sind 2002 wieder eine Reihe NSDAP/AO-Klebezettel aufgetaucht. Entgegen ihrem Namenist die NSDAP/AO keine fest umrissene Organisation, sondern ein Verteiler-Netz für Propagandamaterialien, die in den USAerstellt und im Internet unter www.nazi-lauck-nsdapao.com gleich 21-sprachig beworben werden. Die "Spinne" in diesem Netz ist der USAmerikaner Gary Rex Lauck. Lauck betätigt sich auch als Provider neonazistischer Homepages. Gegen teure Bezahlungbietet er an, "sichere Webseiten in den USA" einzurichten und ins Internet einzustellen. Von diesem Angebot machen immer mehr deutsche Betreiber neonazistischer Homepages Gebrauch, da sie den Verfolgungsdruck der deutschen Behörden fürchten. Zu ihnen gehören z. B. die Macherder Online-Ausgabe der "Nachrichten der HNG". Andere suchen bei Lauck anonym unterzukommen, um strafrechtlicher Verfolgung zu entkommen. Die Betreiber der Homepage "Neo Germania" trieben es besonders weit. Sie boten u. a. ein Computerspiel namens "Suicide Bombing Game" an. Man konnte es herunterladen oder gleich online spielen. Ein virtueller palästinensischer Attentäter wird durch eineisraelische Einkaufspassage gesteuert. Ziel des "Spiels" ist es, die am Körper des Attentäters befindliche Bombe genau dann zu zünden, wenn sie möglichst viele Juden mit in den Todreißt. Auch ein umfängliches MP3-Musik-Archiv wurde angeboten, die interaktiven Elemente "Diskussionsforum" und "Chatbereich" gegen Bezahlung. Die Betreiber von "Neo Germania" haben sich wohl zu sicher gefühlt; jedenfalls wurde die Polizei bei einer Hausdurchsuchung am 11. Septemberfündig. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Schon in den vergangenen Jahren schockierte Lauck selbst hartgesottene Neonazis mit braunen Computerspielen wie einer antisemitischen Abwandlung der "Moorhuhnjagd" oder der "KZ-Ratten-Jagd". Im April 2002 erschien ein neues Spiel auf der Homepage der NSDAP/AO: "Die Säuberung 2". Bei dem "Spiel" geht es darum, einen Ball auf davidsternförmige Symbole, die "hakennasige Juden, Neger und Zigeuner" darstellen, zu schlagen. Werden diese Symbole gelöscht, leuchtet ein Hitler-Bild mit der Losung "Adolf Hitlerist der Sieg" auf. Die Verbreitung dieser menschenverachtenden "Spiele" ist in den USA, weil durch das Grundrecht der "freedom of speech" gedeckt, straffrei. Danebenveröffentlicht Lauck alle zwei Monate die Pamphlete "NS Kampfruf" in zwölf verschiedenen Sprachen. Hitler-Verehrung und rabiater Antisemitismus st ihr Markenzeichen. Seile - Marke Auschwitz namen 1a ragen his -- Te nm tn Pe u. NEIAPrARBoa Ed - Uncein SE BE - USA wweunaci-lauck-nsdapao.com un sn. WIEDER DA! Ausländer Raus ! KSDWFVACH Bon 64 Lincoln. NE GAS06 106 Rechtsextremismus PARTEIEN UND DEREN NEBENORGANISATIONEN "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) einschließlich "Junge Nationaldemokraten" (IN) NPD Gründungsjahr: 1964 Nj 7 Sitz: Berlin dieNebonsien wu in Brandenburg aktiv seit: 1990 Mitglieder bundesweit: 6.100 Brandenburg: 190 für Brandenburg relevante überregionale und regionale Publikationen: "Deutsche Stimme", "N - Nationale Nachrichten", "Zündstoff -- Deutsche Stimmefür Berlin-Brandenburg" Internetadresse: www.npd.net IN Gründungsjahr: 1996 ", Sitz: Riesa in Brandenburg aktiv seit: 1990 Mitglieder bundesweit: 450 Brandenburg: 15 für Brandenburg relevante überregionale und regionale Publikation: "Jugend -- wacht" Internetadresse: www.jn-buvo.de Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" entstand am 28. November 1964 als Sammelbecken für Rechtsextremisten, die seit dem 1952 ergangenen Verbot der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) einen organisatorischen Haltsuchten. Ihre erfolgreichste Zeit erlebte die NPD Ende der sechziger Jahre unter dem Vorsitz Adolfvon Thaddens, des ehemaligen Führers der "Deutschen Reichspartei" (DRP). Bis 1968 wuchs die 107 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 NPD bundesweit aufüber 28.000 Mitglieder an und schaffte den Sprung in sieben Landtage. Allerdings scheiterte sie bei der Bundestagswahl 1969 mit 4,3 Prozent der Wählerstimmenan der Sperrklausel. Nachdieser für sie enttäuschenden Niederlage wurde die NPD von einem raschfortschreitenden Niedergangereilt, der bis weit in die neunziger Jahre andauerte. 1995 war der absolute Tiefstand mit einer Mitgliederzahl von 2.800 Mitgliedern erreicht. Die Parteivorsitzenden Martin Mußgnug, der erfolglos für eine umfassende Kooperation aller Parteien des rechtsextremistischen Lagers warb, und nach ihm Günter Deckert, der die Partei einseitig auf>Revisionismus und rassistische Ausländerfeindlichkeit festlegte, hatten die Partei ins Abseits geführt. Auch die Wiedervereinigung Deutschlands hatte der NPD nicht den erhofften Aufschwung beschert. So wie andere rechtsextremistische Parteien auch, hatte sie die Gunst der Stunde zu nutzen versucht und am 18. Januar 1990 die Gruppierung "Mitteldeutsche Nationaldemokraten" (MND) ins Leben gerufen. Diese benannte sich später in NPD um und fusionierte auf einem Vereinigungsparteitag in Erfurt am 7. Oktober 1990 mit der West-NPD. Wahlpolitisch brachte dies keinen Erfolg: Bei den ersten gesamtdeutschen Wahlen 1990 erreichte die NPD nur 0,3 Prozent aller Zweitstimmen. Erst nachdem Udo Voigt 1996 zum Parteivorsitzenden gewählt worden war, änderte die NPD ihr Vorgehen. Sie löste sich vonder bis dahin beiihr vorherrschenden Vergangenheitsbezogenheit und konzentrierte sich auf wirtschaftliche und soziale Themen, die sie aus nationalistischer und rassistischer Perspektive beleuchtete. Zugleich entwickelte sie eine Strategie, die sich auf drei so genannte "Säulen" stützt: "Kampf um die Köpfe", "Kampf um de Straße" und "Kampf um de Parlamente". Der Strategewechsel ging einher mit einer zunehmenden Kooperation zwischen NPD, Neonazis und gewaltbereiten Skinheads. Dabei fungierten die "Jungen Nationaldemokraten" (IN), die Jugendorganisation der NPD, zeitweise als verbindendes Scharnier. Gleichzeitig verlagertedie Partei ihren organisatorischen Schwerpunkt n die ostdeutschen Bundesländer, da sie hoffte, ihr könne die dort anzutreffende Enttäuschung über die Folgen der Wiedervereinigung zugute kommen. Ähnlich wiein ihren Gründungsjahren versteht sich die NPD heuteals parteipolitische Repräsentanzeiner nationalistischen Kampfbewegung, die vonihr als "Nationale Außerparlamentarische Opposition" (NAPO) bezeichnet wird. 108 Rechtsextremismus Die NPD verabschiedete 1996 auf einem Parteitag in Ohrel (Niedersachsen) ein neues-1997 noch einmal überarbeitetes -- Parteiprogramm. Aber um die Stoßrichtung der NPD zu erkennen, genügt ein Studium des Parteiprogramms keineswegs. Eine wichtige Rolle bei der innerparteilichen Meinungsbildung undideologischen Prägungder Mitglieder spielen die offiziellen NPD-Medien (die Parteizeitung "Deutsche Stimme", die Beiträge im Internet), ihr Schulungsmaterial und ihre sonstigen programmatischen Schriften sowie die Reden und Veröffentlichungen führender NPDund JN-Funktionäre. Kernpunkteder Parteiideologie Obwohl die NPD von einem Verbot bedrohtschien, rückte sie von ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie um keinen Deut ab. Selbst den aggressiv-kämpferischen Charakter ihrer Propaganda mäßigte sie nur wenig. Deshalb tritt die Wesensverwandtschaft der Parteidoktrin mit dem Nationalsozialismus weiterhin unverkennbar zu Tage, etwa dadurch, dass die Partei das nationalsozialistische Schreckensregime verharmlost, immer wieder in die national-sozialistische Diktion verfällt und Repräsentanten des Nationalsozialismus rühmt. Zwarfallen die meisten eindeutigen Äußerungenin geschlossenen Veranstaltungen, also bei Schulungen und Treffen der Parteigliederungen, und werdenin der Regel nicht publik. Keine Scheu habenParteiaktivisten aber, eine Umkehr der Kriegsschuld auch öffentlich zu propagieren und damit die mörderische NS-Diktatur mindestens indirekt zu entlasten. Beispielhalber sei zitiert, wie sich der Vorsitzende des NPD-Landesverbandes Berlin-Brandenburg, Mario Schulz, am 8. Mai hierzu einließ: "Am 8. Mai (...) legte Deutschland die Waffen nieder. Von dem Wunsch getragen, das Leiden und das Morden an der deutschen Zivilbevölkerung zu beenden, wurdedie militärische Kapitulation erklärt. Dieser Wunsch sollte, wie wir heute wissen, nicht in Erfüllung gehen. Das (...) Morden der Besatzer ging weiter, die größte Vertreibung von Menschen, die dieser Planetje erlebte, begann erstjetzt richtig. Gleichwohl werden die Systemparteien von CDU bis PDS nicht müde, Jahr für Jahr am 8. Mai von Befreiung zu schwätzen. Statt an diesem Tag der deutschen Opfer der 'Befreiung' zu gedenken, (...) lobpreisen(sie) die Vergewaltiger, Plünderer und Mordbrenner der 'Roten Armee'. Seit 47 Jahren verhöhnensie die deutschen Opfer, denn jeder weiß, dass 1945 hier niemand 'befreit' wurde, von KZ-Insassen, Deserteu109 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 ren und Kriminellen einmal abgesehen. (...) Die BRD-Politiker aber sollten ihr Büßerhemd aufheben; sie werden es eines Tages brauchen. Wir arbeiten dran." ("Zündstoff", Nr. 2/2002, S. 2) Bereits im NPD-Parteiprogramm wird diese Propagandalinie ausgezogen: "Wir wehren uns gegen die moralische Selbstvernichtung unserer Nation durch die einseitige Schuldzuweisung zu Lasten Deutschlands, die Aufwertung des Landesverrats und die Verherrlichung alliierter Kriegsverbrecher." Die NPDfolgert aus dieser Geschichtsverdrehung, dass nicht etwa die NS-Diktatur, sondern vielmehr die Ordnung der Bundesrepublik ein Unrechtsregime sei. So behauptete der Bundesvorsitzende Voigt aufdem NPD-Parteitag am 16./17. März, die "BRD" sei auf den Bajonetten der Siegermächte errichtet worden, Deutschland werde von "Kollaborateuren regiert", und es finde ein "Ausverkauf deutscherInteressen statt". Aufder gleichen Liniefordert die NPD in ihrem Parteiprogramm die "Wiederherstellung Deutschlands" durch "Revision der nach dem Krieg abgeschlossenen Grenzanerkennungsverträge". Sie sehnt ein "neues Reich" herbei, in dem erst der "Nationalstaat der Deutschen" recht eigentlich wiedererstehe -- so beispielsweise der Parteitheoretiker Jürgen Schwab (in: "Deutsche Stimme", Nr. 7/2002). Auch mitdieserihrer Reichsideologie knüpft die NPD an die imperialistisch-hegemoniale und antidemokratische Vorstellungswelt des Nationalsozialismus an. Entsprechend wertet sie die freiheitliche demokratische Grundordnung als "System" ab, das sie abschaffen wolle. Die Gesellschaftsordnung, die von der NPD angestrebt wird, ist eine autoritäre Elitenherrschaft. Die einem solchen Regime Unterworfenen sollen sich aber als Glieder der "Volksgemeinschaft" sehen und daraus die Gewissheitzehen, dass sie allesamtan einer von der Natur gewollten und der Geschichte geadelten Schicksalsgemeinschaft teilhaben. Denn "Gemeinschaft" versteht die NPD prinzipiell in einem kollektivistischen Sinne: als über dem Individuum stehende, verpflichtende Instanz, die durch das Streben der Einzelnen nachfreier Entfaltung bedroht werde. Menschen fremder Herkunft schließt die Vorstellung einer "Volksgemeinschaft" aus, da diese als biologisch-genetisch begründete Abstammungsgemeinschaft verstanden wird. 110 Rechtsextremismus Fortgesetzt wird in programmatischen Äußerungender Partei wie in öffentlichen Redenihrer Aktivisten betont, dass Menschen unterschiedlicher Abkunft von ungleichem Wertseien. Darin kommt die rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Haltung der NPD unverkennbar zum Ausdruck. Die ideologische Basis dafür ist die im Parteiprogramm vorgetragene Konstruktion vom "lebensrichtigen" Menschenbilddeg "Wir stehen mit einem lebensrichtigen Menschenbild gegen Fremdherrschaft und Fremdbestimmung, gegen Überfremdung, Ausbeutung und Unterdrückung, für deutsche Freiheit, für Freiheit der Völker, für eine soziale Neuordnung in Deutschland, die unserem Menschenbild entspricht." Noch deutlicher kam die Fremdenfeindlichkeit der NPD in ihrem Wahlprogramm zur Bundestagswahl 2002 zum Vorschein. Mit unverhohlen rassistischer Diktion warnte die Partei vor "Überfremdung" und unterstellte, die "Politik der Kartellparteien" strebe ein "zusammengestückeltes, wirres Sammelsurium von egoistischen Individuen" an, die "kein natürliches Zusammengehörigkeitsgefühl mehr verbindet, die kein gemeinsames Aussehen" und "keine gemeinsame Abstammung" mehr hätten. Weiter propagierte das Wahlprogramm einen "Fünf-Punkte-Plan zur Rückführung der Ausländer". Er sieht unter anderem vor, Ausländer umgehend aus den Sozialund Rentenversicherungssystemen auszugliedern undes ihnen zu verwehren, Grund und Boden in Deutschland zu erwerben. In der NPD-Rhetorik werden Ausländer nahezu ausschließlich als Bedrohungfür Deutschland dargestellt. Häufig polemisiert die NPD gegen das "internationale Judentum", weil es angeblich das deutsche Volk daran hindere, einen Schlussstrich unter die Vergangenheitzu ziehen. Aber auch die Partei-Kommentare zur politischen Entwicklung im Nahen Osten sind durchgängig von . Die Aa antisemitischen Klischees bestimmt. 111 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Um Konsolidierung bemüht Der Mitgliederbestand der NPD bröckelt. Auch das Verbotsverfahren gegen die Partei minderte deren Attraktivität im rechtsextremistischen Spektrum: Die Vorsichtigen nahmen Abstand, und die Scharfmacherfanden, die Partei gebe sich zu moderat. Die Abgrenzung der Partei gegen bestimmte Neonazi-Aktivisten (vgl. oben S. 89 ff.) bewirkt, dass actionorientierte Interessenten aus der einschlägigen Jugendszene sich seltener als noch vor wenigen Jahren dauerhaft an die NPD binden. In dieser durchaus kritischen Lage hielt die NPD am 16./17. März in Königslutter (Niedersachsen) ihren 29. Bundesparteitag ab, den sie, um sich selber Mut zu machen, mit dem Motto "Deutschland wir kommen" versah. Er stand ganz im Zeichen des Bemühens, ein nach außen geschlossenes Erscheinungsbild zu bieten. Die Delegierten bestätigten mit deutlicher Mehrheit den bisherigen Bundesvorsitzenden Udo Voigt in seiner Funktion. Dem neuen Bundesvorstand gehört kein exponierter Kritiker Voigts mehr an. Funktionäre, die in der Vergangenheit Gegenpositionen zu Voigt bezogen hatten, etwa der frühere Vizevorsitzende Dr. Hans-Günter Eisenecker, sind aus diesem Gremium ausgeschieden. Unter Berufung auf sein Mandat als NPDProzessbevollmächtigter zeigte sich auch Horst Mahler nicht gewillt, Parteifunktionen zu übernehmen; er bevorzugtees, als "graue Eminenz" der Partei zu gelten, und versuchtein dieser Rolle, sich durch eigenwillige Vorstöße neben dem oder mitunter gar gegen den Bundesvorsitzenden zu profilieren. Zu den 19 Mitgliedern des jetzigen Bundesvorstandes gehört Karola Nachtigall, die ehemals dem NPD-Landesverband Berlin-Brandenburg vorstand. Voigts einziger Gegenkandidat, der einstige Parteivorsitzende Günter Deckert, scheiterte mit seinem Versuch, sich durch eine harsche Abrechnung mit der Parteiführung als Verkörperung eines Neuanfangs zu empfehlen. Seine Anhängerblieben in einer klaren Minderheitsposition. Ganz im Abseits fanden sich die Sympathisanten der -- bereits am 12. Januar förmlich aufgelösten -- "Revolutionären Plattform" (RPF) wieder, die einen offen neonazistischen Kurs der Partei befürworteten. Schon im Vorfeld des Parteitages war bei einem Strategietreffen am 9. März in Friedersdorf (Landkreis Dahme-Spreewald) klar geworden, dass die innerparteilichen Oppositionskräfte weder über ein klares politisches Konzept noch über die dafür notwendigen personellen Alternativen verfügen und vonihnen keine strategischen Impulse mehr zu erwarten sind. 112 Rechtsextremismus Als ihrem Kandidaten für den stellvertretenden Bundesvorsitz, dem schleswig-holsteinischen Neonazi und NPD-Landesvorsitzenden Peter Borchert, kein Erfolg beschieden war,brach der frühere RPF-Chef, der im Vorjahr aus der NPD ausgeschlossene Neonazi Steffen Hupka, endgültig mit der Partei. Die NPD sei nicht mehr reformfähig und nicht mehr Bestandteil des "Nationalen Widerstandes" Viele der neonazistisch orientierten NPD-Mitglieder warteten jedoch die weitere Entwicklung der Partei ab. Mit dieser Haltung korrespondierte die im Internet verbreitete Aussage des unabhängigen neonazistischen "Aktionsbüros Norddeutschland", dass eine Zusammenarbeit zwischen "dieser Partei und anderen Kräften des Widerstandes" nur punktuell erfolgen könne, nämlich dort, "wo Parteifunktionäre weiter denken können, als der von ihnen gewählte oder auch nicht gewählte Vorstand". Mit seiner Wiederwahl konnte Voigt seine Stellung innerhalb der Partei festigen. Aus dieser Position heraus gab er im Bemühen, innerparteiliche Gräben zuzuschütten, am 22. Mai zusammen mit Deckert und vier Vorstandsmitgliedern eine "Gemeinsame Erklärung" (siehe: "Deutsche Stimme", Nr. 6/2002) ab. In ihr wird der "Willen zur Aufklärung und Kooperation" bekräftigt und zugleich die Absicht bekundet, unter nicht mehr aufklärbare Sachverhalte -- gemeintsind Finanzquerelen und gegenseitige Unterstellungen -- einen endgültigen Schlussstrich zu ziehen. Voigt kündigte auf dem Parteitag eine offensivere Auseinandersetzung mit der "herrschenden politischen Klasse" in Deutschland an. Die Verwicklungin internationale Kriegseinsätze, der Spendenund Korruptionssumpf, die realen Arbeitslosenzahlen sowie das Zuwanderungsgesetz bezeichnete er als die "größten Fehler und Verbrechen" der Bundesregierung. Bekräftigung der "Drei-Säulen-Strategie" Mit seiner Wiederwahl konnte Voigt auch seine "Drei-Säulen-Strategie" bestätigt sehen. Dieses von ihm entwickelte Konzept bildet weiterhin die Basis der "Strategischen Leitlinien zur politischen Arbeit in der NPD". Unter dem letztgenannten Titel veröffentlichte der Bundesvorstand der NPD wenige Wochen vor der Bundestagswahl am 22. September ein Positionspapier. Hierin versichert die Partei, dass sie ihre Kräfte, ihre operativen Ziele sowie die taktisch-politische Auseinandersetzung um Sachfragen an ihrem Nutzenfür das strategische Fernziel der Partei, die Errichtung einer "neuen politischen Ordnung", messen wolle. Daneben 113 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 bietet der Text ideologietheoretische Erörterungen und taktische Empfehlungen für künftige Wahlen. So will die NPD "glaubhafte nationaldemokratische Themen" benennen, um eine Stammwählerschaft aufzubauen. In diesem Sinne stelle das Wählerpotential der PDS in "Mitteldeutschland" eine interessante Zielgruppe dar, denn die ostdeutsche Bevölkerung habe sich -- anders als die westdeutsche -- nicht durch das Wertesystem der "Besatzungsmächte" korrumpierenlassen. Ferner will die NPD Demonstrationen nicht mehr ohne eigene publizistische Flankierung organisieren, um den Medien nicht die "manipulative Interpretation" des Geschehens zu überlassen. Außerdem bekennt sich die NPD zur Zusammenarbeit mit Skinheads, die sie, in Anlehnung an den Jargon ihrer Jugendorganisation, "politische Soldaten" nennt, die man für den Aufbau der "Volksgemeinschaft" gewinnen müsse. Mit alledem will die Partei ihre "Drei-Säulen-Strategie (...) flexibel forcieren". Wie diese im Jahr 2002 taktisch ausgemünzt wurde, sei im Folgenden beleuchtet. "Kampf um die Köpfe" In die so genannte "Antisemitismus-Debatte", die sich bundesweit an Äußerungen des FDP-Politikers Jürgen Möllemann entzündethatte, griff auch die NPD ein. Sie nutzte die Gelegenheit, ihren eigenen teils unterschwelligen, teils unverhüllten Antisemitismus öffentlich zu artikulieren. Ein Artikel auf derInternetseite der NPD vom6. Juni attackierte den Zentralrat der Juden in Deutschland mit dem Vorwurf,die geistige Auseinandersetzung in Deutschland abzutöten: "Die Macht des Zentralrates legt sich bisher wie Mehltau über alle Bereiche des Geisteslebens. Es war kaum denkbar, frei und unbefangen über Deutschland, seine Vergangenheit und seine Zukunft laut nachzudenken. (...) Überall tauchen die Gesichter von Bubis, Friedmann oder Spiegel auf. Das Wort 'Antisemitismus' reichte, um jede Debatte zu beenden." Das Parteiorgan "Deutsche Stimme" zitierte in diesem Zusammenhang den für seine antisemitischen Ausfälle bekannten Parteianwalt Mahler: 114 Rechtsextremismus "Wenn man heute etwas über die jüdischen Organisationen sagt, ihre Politik, die gegen uns gerichtet ist, kritisiert, ist das 'Antisemitismus'. (...) Hier wird die Meinungsfreiheit unterdrückt, und es wird deutlich, dass wir ein besetztes Land sind. Und die jüdischen Organisationen sind eine Besatzungsmacht." (in. "Deutsche Stimme", Nr. 6/2002) In der "Deutschen Stimme" wurde die Diskussion um "national befreite Zonen" fortgeführt. Der Begriff der "national befreiten Zonen" geht auf ein 1991 vom "Nationaldemokratischen Hochschulbund e. V." (NHB) veröffentlichtes Konzept "Revolutionärer Weg konkret: Schafft befreite Zonen!" zurück. Darin wurde postuliert, dass durch die "Etablierung einer GEGENMACHT" Freiräume geschaffen werden müssten, "in denen WIR faktisch die Macht ausüben" !. Wie sich die NPD eine Machtübernahme aktuell vorstellt, erläuterte der Leiter des NPD-Arbeitskreises "Volk undStaat", Jürgen Schwab, in Nr. 4/ 2002 der "Deutschen Stimme". Unter dem Titel "Warum nationalbefreite Zonen?" entwarf er das Modell einer autonomen Gegengesellschaft, die sich dem staatlichen Zugriff entziehen und langfristig als Brückenkopf für eine "gesamtpolitische Umgestaltung" dienensolle. Er forderte regionale Schutzräume, in denen "nationale Bürger" unbehelligt leben könnten. Die totalitäre Gesellschaft habe den Staat erobert und führe einen "Vernichtungskampf" nicht nur gegen die Mitglieder der NPD, sondern darüber hinaus gegen einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung. Hiergegen böten "nationalbefreite Zonen" -- wie sie sich in "Mitteldeutschland" bereits bildeten -- jenen Schutz, den der Staat nicht gewähre. Im besten Falle seien "nationale Bürger" in ihnensicher vor derstaatlich finanzierten und medial legitimierten "Antifa" und könnten beispielsweise ungestört "nationale Konzerte" veranstalten. Im Berufsleben finde dort keine Diskriminierung mehr statt, man dürfe seine Meinung sagen, politisch mitwirken und müsse nicht fürchten, dass die Kinder wegen "rechter Eltern" benachteiligt würden. Auch setzten sich die Bürger in diesen Zonenerfolgreich gegen "Multikulti-Propaganda" in Kindergarten und Schule zur Wehr. Solche Schutzzonen könnten erst dann aufgelöst werden, wenn ganz Deutschland wieder in eine "befreite Zone" für deutsche Bürger, "die nicht nur Menschen, sondern auch Deutsche" sein wollen, umgewandelt sei. zum Thema "National befreite Zonen" siehe die ausführliche Darstellung auf der Website www.verfassungsschutz-brandenburg.de unter >Bibliothek "Publikationen >Online-Publikationen Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Einerseits spiegelt dieser Artikel wider, wie sehr sich Rechtsextremisten vom Schlage der NPD geistig und praktisch in der Defensive sehen; andererseits gibt er zu erkennen, dass die gleichen Leute trotz alledem die kulturelle und politische Machtergreifung anstreben. "Kampf um die Straße" Auch um ihre Mobilisierungsfähigkeit im "Kampf um die Straße" unter Beweis zu stellen, organisierte die NPD im Jahr 2002 etliche Demonstrationen zu unterschiedlichen Anlässen. Wieder ließ sie Neonazis und Skinheads mitmarschieren, ungeachtet der Spannungen im Verhältnis zu führenden Neonazi-Aktivisten (vgl. oben S. 89 PSf.). Dennoch gingen die Zahl der Demonstrationen und die der Teilnehmer insgesamt zurück. Unter dem Motto "Unsere Väter waren keine Verbrecher" protestierte der NPD-Landesverband Nordrhein-Westfalen am 2. Februar in Bielefeld gegen die dort gastierende "Wehrmachtsausstellung". Dem Demonstrationsaufruf waren etwa 1.700 Personen gefolgt, nicht nur NPD-Anhänger, sondern auchparteilose Neonazis. Derstellvertretende NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel appellierte an die Teilnehmer,sich "den Blutzoll der Wehrmachtssoldaten im Kampf um das Reich zum Vorbild zu nehmen". Er polemisierte gegen die Bundesregierung, forderte pauschaldie "Rückkehr der in Deutschland lebenden Ausländer" in ihre Heimatländer und befand zusammenfassend, dass es "Zeit für ein anderes System" sei. Auch ein beteiligter Neonazi äußerte die Hoffnung, dass dieser Staat "bald ein Ende haben möge". An einer weiteren NPD-Kundgebung gegen die "Wehrmachtsausstellung" beteiligten sch am 8. Jun n Leipzig rund 1.100 Personen, unter ihnen auch NPD-Anhänger und -Sym-pathisanten aus Brandenburg. Als Redner traten neben Voigt und Apfel die Altnazis Friedhelm Busse und Herbert Schweiger auf. Geschmälert wurde die Wirkung dieser Demonstration durch die von Christian Worch initiierte Konkurrenzveranstaltung (siehe oben S. 90). Am]. Mairiefde NPD gleich zu sechs Kundgebungen auf die Straße: in Berlin, Dresden, Göttingen, Ludwigshafen, Mannheim und NürnbergFürth. Gemeinsam mit Neonazis und Skinheads wandte sich die Partei gegen die weltweite Wirtschaftsverflechtung. In dem zentralen Flugblatt "Heraus zum 1. Mai" benutzte sie Parolen wie "Arbeit statt Globalisierung" und "Die Wirtschaft hat dem Volk zu dienen". Ausführlich widmete sich das Parteiorgan "Deutsche Stimme" der Rede des Parteivorsitzenden 116 Rechtsextremismus MEERE I HOHEN: DEM Sm EEE EEE BEE Om: BE on Tann nn Aa: u EEE ug En EENEE BEE u on En = eh Line init. a DTSRr Seit Jahren im Visier von NPD und Neonazis: die "Wehrmachtsausstellung" 117 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Voigt in Dresden, der -- so das Kampfblatt -- vor allem die "systemfreundliche Politik der Gewerkschaften angriff". Voigt meinte, "der DGB mache sich zum Verfechter der Globalisierung" und verschweige deren Mechanismen(zt. nach: "Deutsche Stimme, Nr. 5/2002). Insgesamtging die Beteiligung an den 1.-Mai-Kundgebungen der NPD im Vergleich zum Vorjahr etwas zurück Im Jahr 2001 hatten an fünf Aufmärschen etwa 3.300 NPD-Anhänger teilgenommen; zu den sechs Demonstrationen im Jahr 2002 versammelten sich rund 3.000 Teilnehmer, davonallein rund 1.000 in Dresden. "Kampf um die Parlamente" Bei ihren Versuchen, sich den Wählern als verheißungsvolle "Systemalternative" anzubieten, bleibt die NPD notorisch erfolglos. Auch 2002 erging es ihr nicht anders. Ihre Hoffnung, die Umstände des Verbotsverfahrens könnten ihr zusätzliche Sympathien einbringen, blieb unerfüllt. Etwa drei Monate vor der Bundestagswahl am 22. September veröffentlichte die NPD ihr Wahlprogramm unter dem Titel "Zukunft und Arbeit für ein besseres Deutschland!". Charakteristisch ist allein schon dessen stilistische Aufspreizung: Auf der einen Seite bediente sich die Partei einer aggressiv-kämpferischen Sprache und hämmerte Schlüsselbegriffe ein, die ihrem Anspruch, eine Systemalternative zu bieten, energisch Nachdruck verleihen sollen. Andererseits bemühte sich die NPD, als seriöser politischer Akteur zu erscheinen. Einem typisch populistischen Muster folgend, stilisierte sie sich zur einzig aufrichtigen Interessenvertretung der "kleinen Leute". Dahinter steht die Taktik, ganz unterschiedliche Zielgruppenerreichen zu wollen. In grellen Farben zeichnete die NPD ein Zerrbild der gesellschaftlichen undpolitischen Zustände in der Bundesrepublik Deutschland. Die Lage verschlechtere sich zusehends, die gesellschaftlichen Verfallserscheinungen seien unübersehbar. Überdies entwickle sich die Bundesrepublik Deutschland in wachsendem Maße zu einer totalitären Gesellschaft. Das herrschende"oligarchische" Parteienkartell habe sich den Staat zur Beute gemacht. Im Unterschied zu 1998 trat die NPD in allen Bundesländern mit Landeslisten zur Bundestagswahl an. Darüber hinaushatte sie in ausgewählten Wahlkreisen insgesamt 49 Direktkandidaten nominiert, davon drei in Brandenburg. 118 Rechtsextremismus Der Ausgang der Wahl am 22. September war für die NPD ernüchternd. Für die NPD stimmten bundesweit 215.232 Wähler (0,4 Prozent). Im Vergleich zur Bundestagswahl 1998 konnte sie zwar 88.661 Stimmen(0,1 Prozent) hinzugewinnen, jedoch verfehlte sie wiederum die für sie wichtige Marke von0,5 Prozent. Denn hätte sie dieses ihr Minimalziel erreicht, wärenihr die Wahlkampfkosten vom Staat zum Teil erstattet worden In allen Bundesländern, Mecklenburg-Vorpommern ausgenommen, entschieden sich 2002 etwas mehr Wähler für die NPD als vier Jahre zuvor. Ihre höchsten Ergebnisse erzielte sie in den ostdeutschen Ländern Brandenburg (1,5 Prozent), Sachsen (1,4 Prozent) und Sachsen-Anhalt (1,0 Prozent). In Brandenburg wählten 23.297 Personen die NPD -rund doppelt so viele wie 1998. Der Parteivorsitzende Udo Voigt erhielt als Direktkandidat im Wahlkreis Frankfurt (Oder)/Oder-Spree 2,3 Prozentder Erststimmen. a ea #11 Deutsche Stimme a n r ur Se nn BET a rt Ba in m e n Obgleich die NPD weit hinter der 5-Prozent-Hürde zurückblieb, sieht sie sich nach wie vor als Wahlpartei. In Zukunft will die NPD, so Voigt (in: "Deutsche Stimme", Nr. 10/2002), ihre Parteistrukturen insbesondere in den "mitteldeutschen" Ländern gezielt ausbauen. Sie werde außerdem die politischeInitiative ergreifen, um alle "nationalen Kräfte" zusammenzuführen. Konkurrenzwahlkämpfesollten im "nationalen Lager" künftig unterbleiben. Diesen Wünschen werden die übrigen rechtsextremistischen Parteien jedoch kaum willfahren. Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 22. September erhielt die NPD 7.703 Stimmen(0,8 Prozent). Sie büßte damit gegenüber der Landtagswahl 1998 0,3 Prozent ein und erhält auch hier keine Mittel aus der staatlichen Parteienfinanzierung. Um in deren Genuss zu kommen, hätte sie, wie stets bei Landtagswahlen, ein Prozent der Stimmen erzielen müssen. 119 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Junge Nationaldemokraten" (IN) Die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (IN) bildet laut Partei-Satzung einen "integralen Bestandteil der NPD". Die JN beschreiben sich selbst als eine "weltanschauliche-geschlossene Jugendbewegung neuen Typs mit revolutionärer Ausrichtung undstrenger innerorganisatorischer Disziplin, deren Aktivitäten hohe Einsatzund Opferbereitschaft abverlangt wird" (zit. nach Selbstdarstellung auf der Website der NPD, Schreibweise wie im Original). Eine Kaderorganisation, die das "Leitbild des politischen Soldaten" verkörpern und "autonomekonzeptionelle Vorstellungen" will, sind die IN aber schon lange nicht mehr,nicht einmal eine "fest geschlossene, homogene Jugendbewegung". Denn seit die NPD sich zur Neonaziund Skinheadszene hin geöffnet hat, nimmt sie viele junge Mitglieder direkt auf, ohne sie zuvor durch die JN schulen zu lassen. So sind die JN zu einem bloßen Anhängsel der Mutterpartei verkümmert. Gleichwohl erheben sie weiter den Anspruch, "Tatgemeinschaft" und "Keimzelle des neuen Deutschlands zu sein" (zit. nach Website des IJN-Bundesvorstandes). Am 16. November fand in Kirchheim (Hessen) der 31. ordentliche Jahreskongress der JN statt. Die Delegierten wählten Stefan Rochow zum neuen Bundesvorsitzenden. Rochow, zuletzt JN-Landesvorsitzender in Hessen, hatte früher als stellvertretender Bundesvorsitzender der in Teilen rechtsextremistischen "Jungen Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO) fungiert. Einer der Beisitzer im JN-Bundesvorstand ist Jens Pakleppa, ein führender JN-Aktivist aus Brandenburg. Auf dem Bundeskongress kündigte Rochow eine "ganzheitliche" politische Arbeit an. Die Organisation solle gestrafft, die politische Schulungsarbeit wieder aufgenommenwerden; daneben will man Jugendlichen verstärkt Angebote für eine "systemalternative Freizeitgestaltung" machen. Die etwa 70 Teilnehmer des Bundeskongresses verabschiedeten eine "Grundsatzerklärung der nationalistischen Jugend" mit dem Titel "Nationalismusist gelebte Solidarität!" Der Nationalismus gilt als "Ordnungssystem"; er solle einen Gegenpol bilden zu dem "die Souveränität der Völker unterdrückenden US-Imperialismus". Derzeit gibt es bei den JN allerdings kaum funktionierende Landesverbände; Reorganisationsbemühungen müssen immer wieder neu ansetzen. 120 Rechtsextremismus In Brandenburg existieren keine festen JN-Strukturen, auch wenn die Website des IJN-Bundesvorstandes die Existenz eines JN-Landesverbandes Berlin-Brandenburg vorgaukelt. Die wenigen Mitglieder in Brandenburg sind wet über das Landverstreut. Die JN-Mitgliederzeitschrift "Jugend -- wacht" behauptet, dass es "Stützpunkte" der JN in Potsdam, Cottbus, im Einzugsbereich des Spreewaldes und im Landkreis PrignitzRuppin gebe. Immerhin bilden die Aktivisten in Berlin und Brandenburg ein Netzwerk, das "Pfingstausflüge", "Kulturfahrten" oder "Volkstanzveranstaltungen" organisiert. Einige dieser JN-Aktivisten versuchen sich als Ideologen. So forderte der ehemalige Landesvorsitzende Andrew Stelter aus Berlin in "Jugend -- wacht", Nr. 2/2002, eine "raumorientierte Volkswirtschaft", damit das Problem der Arbeitslosigkeit gelöst werde. Inder gleichen Ausgabe der Zeitschrift finden sich Anklänge an die Sprache des Nationalsozialismus: "Als JN'ler stehen wir für einen neuen Typus Mensch, der die Gegenwart der Zukunft L.amidesveriml gestalten wird. Unsere salt " Ieriin - Hrumdenburp Zeitwirdkommen! Prmusch #2 411 11 12481 Berlin 121 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Aktuelle Entwicklung in Brandenburg Gemessenan ihrer Mitgliederzahl, hat die NPD-Bezirksorganisation Brandenburg -- eine seit 1997 bestehende Teilgliederung des gemeinsamen Landesverbandes Berlin-Brandenburg - ihren Zenit bereits überschritten. Anfang und Mitte der 90er Jahre wuchs der zunächst kümmerliche Mitgliederbestand der NPD im Land nur schleppend; dann bis 2000 recht kräftig, da die NPD junge Rechtsextremisten und Jugendliche mit einer Disposition für rechtsextremistische Einstellungen nicht ohne Erfolg umwarb. Entsprechendetablierten sich ab 1998 eigenständige Kreisverbände. Die im Jahr 2000erreichte Mitgliederhöchstzahl von 225 brökkelt aber seither ab. Die Parteiarbeit in den Kreisverbänden lahmt. Viele Mitglieder sind inaktiv, zeigen eine schlechte Zahlungsmoral und sind kaum noch für kontinuierliche Parteiarbeit zu begeistern. Von der Führungsebene erhalten sie keine strategischen Vorgaben, sondern allenfalls aktionistische Impulse, die nicht weit zu tragen vermögen. Der Vorstand des gemeinsamen Landesverbandes war offenbarintellektuell von der Aufgabe überfordert, eine klare Orientierung zu geben, wie sich die Mitglieder angesichts des Verbotsverfahren verhalten sollten. Er beschränkte sich im Wesentlichen darauf, Einzelaktivitäten anzustoßen. Öffentlich in Erscheinung trat der Landesverband insbesondere durch die Wahlwerbung zur Bundestagswahl, dazu durch drei Demonstrationen am 31. August in Schwedt sowie am 14. September und am 23. November jeweils in Potsdam. Die Demonstration in Schwedt unter dem eher harmlosen Motto "Für die gesicherte Zukunft aller Deutschen - für Arbeit und Lohn - Frieden und Freiheit" bot in erster Linie dem Bundesvorsitzenden eine unverfängliche Möglichkeit zur Selbstdarstellung. Hingegen stand bei den Veranstaltungen am 14. September und am 23. November die antisemitische und antiamerikanische Agitation im Vordergrund. Das lässt allein schon die Themenwahl erkennen: "Schluss mit der Masseneinwanderung russischer Juden -- Deutschland uns Deutschen" (14. September) und "Gegen U.S.-Terror - kein Blut für Öl" (23. November). Jährlich veranstaltet der Landesverband eine "Reichsgründungsfeier", seitdem die "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen" (BKP) (siehe unten S. 145 PS.) nicht mehr die Organisation dieser -- von schwülstig-pathetischem Nationalismus geprägten -- Rituale bewältigt. Laut Parteipresse fand die diesjährige Feier am 19. Januar bei Wildau (Landkreis Oder-Spree) statt. Der einstige Bundesjugendleiter der verbotenen "Wiking-Jugend" (W)J) Wolfram Nahrath soll einen Vortrag zum Thema"Der Mythos vom 122 Rechtsextremismus Reich" gehalten haben. Auf der folgenden Feier am 18. Januar 2003 traten u. a. Wolfgang Juchem,Vorsitzender der revisionistischen Kleinstgruppe "Aktion Freies Deutschland" (AFD), und der frühere stellvertretende NPD-Parteivorsitzende Eisenecker auf. Der NPD-Bezirksverband Brandenburg umfasst fünf Kreisverbände, deren Arbeitsfahigkeit zum Teil unter dem Mangel an verbindlichen Strukturen leidet. Das Parteileben ist damit in hohem Maße von der persönlichen Einsatzbereitschaft einzelner Mitglieder abhängig. Auch das Zusammenspiel zwischen den einzelnen Parteiebenen funktioniert nur mangelhaft. Vielmehr gefallen sich die Kreisverbändein "Eigenbröteleien und Abkapselungen vonder Arbeit des Bezirksund Landesverbandes", wie die NPD-Presse kritisch anmerkt(in: "Zündstoff", Nr. 4/2002). So hob der am 19. Oktober wiedergewählte brandenburgische Bezirksvorsitzende Ronny Reich in seinem Rechenschaftsbericht denn auch hervor, dass es beim "Aufbau von NPD-Strukturen in der Fläche noch viel zu tun gibt" (zit. nach: "Zündstoff", Nr. 4/2002). Die derzeit aktivste Parteigliederung ist mit Abstand der Kreisverband Prignitz-Ruppin. Dessen Vorsitzender Mario Schulz, zugleich Vorsitzender des Landesverbandes Berlin-Brandenbursg, treibt den "Kampf um die Straße" auf die Spitze. Er meldete wie im Vorjahr eine Vielzahl von Demonstrationen in Wittstock an. Dabei trat er nicht immer im Namen der NPD auf, sondern bediente sich auch fiktiver Organisationsbezeichnungen wie "Aktionsgemeinschaft Nordbrandenburg" oder "AG rechts hat Vorfahrt". Ähnlich hatte Schulz schon im Jahr 2001 unter dem Tarnnamen einer "Aktionsgemeinschaft der Anständigen" (AGA) oder einer "Aktionsgemeinschaft für Frieden und Selbstbestimmung" (AGFS) zu Demonstrationen aufgerufen. Damit suggerierte er, dass die von der NPD geschürten Ressentiments die "Volksmeinung" wiedergeben. Bei der Auswahl der Themen knüpft Schulz gern an Klischees und Vorurteile an: "Damals wie heute, Schluß mit dem angloamerikanischen Bombenterror" (15. Februar), "Arbeit statt Profite" (1. Mai), "Schluß mit der Befreiungslüge" (8. Mai), "Rudolf Heß damals wie heute, kapitalistische Kriegstreiber stoppen" (24. August, abgesagt), "Todesstrafe für Kinderschänder" (14. Dezember), "Steuern senken, statt Waffen verschenken" (27. Dezember). Während des Bundestagswahlkampfes sorgte Renald Christopeit, Mitglied des Kreisverbandes, in seiner Eigenschaft als NPD-Wahlkreiskandidat für einen Eklat. Bei einer Kandidatenvorstellung in Perleberg erklärte er sich außerstande, sowohl zur Tötung eines Spätaussiedlers in 123 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Wittstock (siehe oben S. 43) als auch zur Schändung der Gedenkstätte Belower Wald bei Wittstock (siehe oben S. 50) ein Wort des Bedauerns undder Distanzierung zu finden. Eher sporadische Aktivitäten gingen von denrestlichen Kreisverbänden aus. Der Kreisverband Havel-Nuthe machte immerhin mit einer ausländerfeindlichen Flugblattaktion gegen ein geplantes Asylbewerberheim in Potsdam-Bornstedt aufsich aufmerksam. Unter dem Deckmantel einer "Initiative Potsdam" forderte die NPD u. a. den sofortigen Stopp des Zuzugs von Ausländern. Weitere Parolen lauteten: "Keine Integration von Ausländern in unsere Städte und Gemeinden!" und "Keine Sozialleistungen für Ausländer!" Verantwortlich für das Flugblatt war der schon erwähnte Pakleppa. Der vormals recht aktive Kreisverband Spreewaldtritt kaum nochöffentlich in Erscheinung. Er beschränkt sich weitgehend auf interne Veranstaltungen. Seine Website wird, andersals früher, nicht mehr regelmäßig aktualisiert. a dr air per nr ee re B p m Kate dei Ba a ARTEi ARTEN hd a PT en ne eg nn a ---mn u Äundaei! Diät ME Baym er u jenen women sum hd nm imo dd TED Ten wu am m ii mm vn münden u init EN TE FE APERTeE 2 paopmmmmmmma vonumamm Dummmsnamgrna m: memmnn: n-ammml basm a I I {m} Hmm, we mem lem ve: mei fir cm Memm u Eigeiicl im 02 m: Een ep arme: ummen, mu: | mann m | mm: menu mm m uam Äimmn Tu i ai FG PR U N, a mem un rn mr mm gm m rn pen em = = 1 BEIDES m za. are -- NPD-Flugblatt "Kein Asylbewerberheim in der Kirschallee" 124 Rechtsextremismus "Deutsche Volksunion" (DVU) Gründungsjahr: 1987 Sitz: München Duu in Brandenburgaktivseit: 1991 EraEne Mitglieder bundesweit: 13.000 Brandenburg: 230 für Brandenburg relevante überregionale Publikation: "National-Zeitung/Deutsche Wochenzeitung" (NZ) Internetadresse: www.dvu.net Die "Deutsche Volksunion" (DVU) wurde im Januar 1987 von dem schwerreichen Münchner Verleger Dr. Gerhard Frey als Auffangbecken für ehemalige NPD-Mitglieder, die ihrer damals zerfasernden Partei den Rücken kehrten, gegründet. 1987 gelang der DVU der Einzugin die Bremische Bürgerschaft, 1992 in den Landtag von Schleswig-Holstein. Nach der Wende gründete Frey im März 1991 den DVU-Landesverband BerlinBrandenburg, später weitere Landesverbände in Ostdeutschland. Hier beteiligte sich die DVU dann auch an Landtagswahlen: 1998 in SachsenAnhalt, 1999 in Brandenburg. Frey zählt nach wie vor zu den finanzstärksten Rechtsextremisten in der Bundesrepublik. Er betreibt ein Geflecht von Verlagsund Vertriebsunternehmen. Hier wird nebenrevisionistischer Literatur, Tonträgern, Fahnen und Gedenkmedaillen auch die auflagenstärkste rechtsextremistische Wochenzeitung, die "National-Zeitung/Deutsche Wochenzeitung" (NZ), herausgegeben. Die DVU ist keine Partei im herkömmlichen Sinne. Sie ist vielmehr ein Instrument, mit dem Frey seine Geschäftsinteressen verfolgt. Von der Konzernzentrale in München aus steuert er die Partei zentralistisch und autoritär. Sie ist von seinen Spenden und Krediten abhängig. Die Zinsen werden Frey aus Mitgliedsbeiträgen, Einzelspenden und der Rückerstattung der Wahlkampfkosten bezahlt. Daneben profitiert er von steuerlichen Vorteilen. Zudem verlangt er von den Abgeordneten der DVU, dass sie Teile der Fraktionsgelder und Abgeordnetendiäten an die Parteizentrale nach München abführen. Wenn die DVUsich zur Wahl stellt, verfolgt sie also nicht nur politische Ziele, sondern lässt sich auch für die Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 finanziellen Interessenihres Vorsitzenden einspannen. Dasletzte Glied in der Kette sind die Mitglieder, die Frey als passive Beitragszahler und Konsumenten seiner Produkte braucht. Zugleich sieht sich Frey als Chefstratege und -ideologe der DVU. Nur er bestimmtdie politischen Inhalte und Aktivitäten der Partei. Außerdem nimmt er, selbst auf regionaler Ebene, Einfluss auf Personalentscheidungen, wobei die persönliche Loyalität der Kandidaten mehr gilt als ihre politischen Fähigkeiten. Die Teilnahme an Wahlen gehorcht keinem politischen Kalkül, sondern wird einer strengen Kosten-Nutzen-Analyse unterzogen. Werbesendungen in millionenfacher Auflage dienen im Wahlkampf dazu, Käuferfür die Produkte Freyszu finden. Die DVU will bei Wahlenin erster Linie Prozente machen, damit sie von der Wahlkampfkostenerstattung profitieren kann. An allzu viel Popularität ihrer Kandidatenist ihr nicht ernsthaft gelegen, denn die könnte die Vormachtstellung des Parteivorsitzenden schwächen. Den Abgeordneten ist kaum mehrals eine Marionettenrolle zugedacht. Einepolitische Basisarbeitfindet in der DVU kaumstatt. Innerparteiliches Leben wird damit im Keim erstickt. Die Landesverbände müssen sich ihre Veranstaltungen fast durchweg vonder Parteizentrale in München genehmigenlassen. Ideologische Grundpositionen In ihrem Programm bekennt sich die DVU formalzur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Dieses taktisch begründete Lippenbekenntnis machtsie selber jedoch unglaubwürdig, indem sie durch ihre politische Propaganda unaufgebbare Grundwerte der Verfassungsordnung fortwährend in Fragestellt oder negiert. Die wahre Zielsetzung der DVUerschließt sich am ehesten aus den Verlautbarungen in der Parteizeitung "National-Zeitung/Deutsche Wochenzeitung" (NZ) oder auf der Website derPartei. Die DVU-Propaganda besteht im Kern aus - Ausländerfeindlichkeit - kaum verhohlenem Antisemitismus = revisionistisch-tendenziöser Darstellung der NS-Vergangenheit (insbesondere Relativierung des Holocausts und der deutschen Kriegsschuld) = Herabsetzung des demokratischen Rechtsstaats. 126 Rechtsextremismus Die WEHRMACHT P : j 6 (r) 4, ! + Ussterbliche deutsche Solda ten Kriminalität Kosten Wahnsinnsplane Buchtitel aus dem Presseimperium von DVU-Chef Frey 127 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 In fremdenfeindlicher,gar rassistischer Manierpflegt die DVU das Feindbild "Ausländer". Menschen fremder Herkunft, die in Deutschland leben, gelten der Partei pauschal als Bedrohungfür die Sicherheit und als verantwortlich für die sozialen Probleme in der Bundesrepublik. Dieser Vorwurfrichtet sich zugespitzt gegen Asylbewerber. Der verfassungsfeindliche Charakter der DVU tritt auch darin zutage, dass sie sich unausgesetzt antisemitischer Hetze befleißigt. Dabei zielt sie nicht nur auf namhafte Repräsentanten des Judentums in Politik, Wirtschaft und Medien, sondern aufalle in der Bundesrepublik lebenden Juden und darüber hinaus auf Israel. Zwar leugnet die DVU die Verbrechen der Nationalsozialisten nicht ausdrücklich. Jedoch versucht sie unablässig, das Bild von der deutschen Geschichte zu revidieren und die Verbrechen des nationalsozialistischen Regimes durch wiederholte Hinweise aufhistorische Verbrechen anderer Völker zu relativieren. Zugleich zweifelt sie permanent die Zahl der Holocaust-Opfer an. Immerwieder diffamiert die DVU Verfassungsorgane und demokratische Politiker. Sie zielt darauf ab, das Vertrauen in denfreiheitlichen Rechtsstaat und seine Institutionen zu untergraben. Aktuelle Agitation Die NZ, von Frey im "DSZ - Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH" in München herausgegeben, ist das Sprachrohr der Partei. Sie spiegelt die Denkweise der Partei und prägt sie zugleich. Zudem ist sie mit einer wöchentlichen Auflage von 45.000 Exemplaren das meistgelesene rechtsextremistische Publikationsorgan in Deutschland überhaupt. Durch eine Flut aggressiver Schlagzeilen und diffamierender Unterstellungen werden die NZ-Leser einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen. Dabei knüpft die DVU an die Ängstederer an, die sich sozial benachteiligt fühlen: die Ängste vor Zuwanderung und EU-Erweiterung, vor Arbeitslosigkeit und wirtschaftlichem Abschwung. Solche Emotionen peitscht sie hoch zur Wut gegen die vermeintlichen Verursacher dieser Übel. Dies sind in der Schwarz-Weiß-Demagogie der DVU korrupte Politiker, kriminelle Ausländer und raffgierige Juden. Die NZ setzt, um Überfremdungsängste zu schüren, bewusst solche Angst fördernden Metaphern ein wie Flut, Schwemme, Welle, verwendet abwertende bzw. falsche Begriffe wie "Asylant" oder "Scheinasylant" statt Asylbewerber, "Zigeuner" statt Roma. 128 Rechtsextremismus Hier einige Beispiele von vielen, wie mit tendenziösen Schlagzeilen, Wortverbindungen und Berichten Aversionen gegen Menschenfremder Herkunft geschürt werden: "Türkischer Schüler schockiert mit Gewalttaten" oder "Prozess gegen Todesfahrer von Köln. Raser-,Spaß' junger Türken mit schrecklichen Folgen" (NZ, Nr. 13/02), "Hilflos vor grenzüberschreitender 'Auto-Mafia(r)" (NZ, Nr 17/02), "Moscheen-Inflation" (NZ, Nr. 13/02). Aufperfide Weise projiziert die DVU ihren - im Kern auf Judenin Deutschland zielenden -- Antisemitismus auf den StaatIsrael, indem sie ihn als Verbrecherstaathinstellt. Belege dafür findensich in Artikeln wie "Droht Palästinensern die Vertreibung" und "Werstoppt Scharons Vernichtungspolitik? -- Palästinensern droht Schicksal der Indianer" (NZ, Nr. 14/02) oder "Der Völkermord an den Palästinensern -- Darf sich Israel alles erlauben?" (NZ, Nr. 16/02). Herzlich willkommen, jeber Mehmet . Deustschlared ads Termipite Greene Torkea? National+ Zeitung 129 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Der dumpfe, aggressive Antisemitismus der Partei prägt auch sonst zahlreiche Artikel in der Parteizeitung. Immer wieder wird behauptet, "die Juden" zwängen die Deutschen zu überhöhten Wiedergutmachungsleistungen und sorgten ständig dafür, dass Deutschland noch Jahrzehnte nach dem Zweiten Weltkrieg eine Täterrolle zugeschrieben werde. Charakteristisch ist ein Interview der NZ mit dem britischen Revisionisten David Irving unter der Überschrift "Deutschland immer noch besetztes Land" (NZ, Nr. 21/02). Darinleitet Irving in verschwörungstheoretischer Manier aus dem angeblich bestimmendenEinfluss Israels und jüdischer Interessenorganisationen eine "geistige Besetzung Deutschlands" ab und tadelt die vermeintlich "einseitige Thematisierung deutscher Kriegsverbrechen im Zweiten Weltkrieg". Wieder und wieder polemisiert die DVU gegendie aus ihrer Sicht "extrem einseitige Vergangenheitsbewältigung" in Deutschland. So veröffentlichte die NZ unter der Schlagzeile "Auschwitz: Die Wahrheit. Neue Quellen, neue Erkenntnisse" (NZ, Nr. 30/02) einen Artikel aus der renommierten Fachzeitschrift "Osteuropa", in dem über neue Forschungsergebnisse zur Zahl der Opfer im Konzentrationslager Auschwitz berichtet wurde. Dieser Fachaufsatzstellte u. a. klar, dass wissenschaftliche Experten die mutmaßliche Zahl der Opfer im Konzentrationslager Auschwitz noch nie auf etwa vier Millionen beziffert haben. Die NZ suggerierte nun ihren Lesern, dass man in der Vergangenheit bewusst falsche Angabenzur Zahl der in Auschwitz Ermordeten verbreitet habe und nun erst die Wahrheit herausgekommensei. Eine Relation zwischen der Zahl der Opfer und der Zahl der Mitwisser konstruierend, wollte sie zudem beweisen, dass eine Mitschuld am Holocaust nur einer kleinen Tätergruppe und eine Mitwisserschaft gleichfalls nur einem eng begrenzten Personenkreis anzulasten sei. 130 Rechtsextremismus Die NZ rechnetin Beiträgen wie "Wer weiß, ob Günther Grass das durchhält..." (NZ, Nr. 8/02) und "Weiter Wirbel um Grass-Buch" (NZ, Nr. 9/02) das von anderen Völkern begangene Unrecht gegen die Schuld des NSRegimes auf. Grass wird eine vermeintliche "ideologische Wende" unterstellt, weil er in seiner Novelle "Im Krebsgang" an das Schicksal der Flüchtlinge und Vertriebenen aus den ehemaligen Ostgebieten erinnere Auch beklage der Autor, so die NZ, dass das Themaviel zu lange in der Öffentlichkeit verschwiegen wordensei. Die zitierten Artikel machen deutlich, dass die DVU mit Auslassungen und bewussten Fehlinterpretationenihre eigene ideologische Position zu untermauern sucht. Sotrifft es zwar zu, dass Grass in seinem Buch wie auchin Interviews die verbreitete Ignoranz gegenüber dem Schicksalder Vertriebenen kritisierte. Gleichzeitig wollte er aber mit seiner Novelle davor warnen, dass Rechtsextremisten dieses Themafür eigene Zwecke instrumentalisieren. Mobilisierungsschwächen Obwohl zahlreiche Wahlen anstanden, scheute die DVU das demokratische Kräftemessen und kandidierte bei keiner der anstehenden Wahlen. Frey ahnte wohl, dass er die Wähler nicht in der von ihm gewünschten Weise würde mobilisieren können. Nicht einmal der Landesverband Sachsen-Anhalt nahm an der dortigen Landtagswahl am 21. April teil, obwohl er vier Jahre zuvor das eindrucksvolle Ergebnis von 12,9 Prozent der Stimmenerzielt hatte. Die Gründe für diesen Verzichtlagen in finanziellen Problemen, jahrelangen personellen Quereleninnerhalb des Landesverbandes und in der Konkurrenz, die der DVUdurch die Abspaltung "Freiheitliche Deutsche Volkspartei" (FDVP) sowie die als rechtspopulistisch geltende "Partei Rechtsstaatliche Offensive" erwachsen war. Alle diese Faktoren ließen eine Wiederholung des Erfolges von 1988 aussichtslos erscheinen. Dass Frey mt seiner Partei persönliche Absichten verfolgt, wird für die DVU-Wähler und selbst für die DVU-Abgeordneten nach der Wahl meist schnell sichtbar. Deshalb ist es der DVU bishernicht gelungen, zweimal in dasselbe Landesparlament einzuziehen. Eine Ausnahme bildet, aufgrund der wahlrechtlichen Sonderstellung Bremerhavens, einzig das Land Bremen. Bisher habensich auchalle Landtagsfraktionen der DVU aufgelöst oder gespalten. Eine Ausnahmegibt es auchhier: Die Landtagsfraktion in Brandenburghat seit 1999 bisher Bestand. 131 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass Frey auch in Zukunft politische Missstimmungen ausnutzen will und die DVU bei der einen oder anderen Wahl wieder antreten lässt. Er sucht sogar gelegentlich den Kontakt mit Konkurrenten, um durch Absprachenmit ihnen Stimmeneinbußen zu mindern; im Juni nahm er den Gesprächsfaden zum REP-Bundesvorsitzenden Schlierer wieder auf Auf dem Bundesparteitag am 12 Januar in Münchenhatte Frey allerdings nocherklärt, eine Zusammenarbeit mit den Konkurrenzparteien NPD und REP kommenicht in Betracht Frey bleibt in der Partei trotz aller Rückschläge unangefochten. Aufdem Bundesparteitag wurde er in seinem Amtbestätigt. Neu in den Bundesvorstand gewählt wurde als Beisitzerin die DVU-Fraktionsvorsitzende im Landtag Brandenburg, Liane Hesselbarth. Doch auch dieser Parteitag offenbarte den Abschwung der Partei: Er wurde nur von rund 200 Mitgliedern und Anhängern der DVUbesucht. Im Vorjahr waren es noch 500 gewesen. Die Organisatoren erklärten diese für sie enttäuschende geringe Beteiligung mit "ungünstigen äußeren Umständen". Ein weiteres Indiz für den Bedeutungsverlust der Partei: Erstmals seit 20 Jahren verzichtete sie aufihre traditionelle Kundgebung in der Passauer Nibelungenhalle. Bereits 2001 hatte diese Veranstaltung deutlich an Anziehungskraft verloren. Die DVU-Presse unterließ es, die diesjährige Absage zu kommentieren. Ein stillschweigender Verzicht erschien Frey offenkundig noch weniger blamabel als das Bild einer nur spärlich gefüllten Versammlungshalle. Das brandenburgische Gesicht der DVU Im September 1999 warde Parte mt 5,3 Prozent der Stimmenals bslang erste und einzige rechtsextremistische Partei in den Landtag Brandenburg eingezogen. Trotz dieses Erfolges ist es ihr aberseither nicht gelungen, ihren politischen Einfluss im Lande auszuweiten. Im Gegenteil: Der Mitgliederbestand sinkt immer weiter, die ohnehin schon spärlichen Aktivitäten stagnieren. Daran vermochte auch die DVU-Landtagsfraktion nichts zu ändern, die sich als der Aktionskern der Partei im Lande erwies. Da auch andere DVU-Landesverbände schwächeln, versucht die Partei seit zwei Jahren, hre Kräfte zu bündeln. Am 2. Februar 2003 rief die DVU zu einer größeren Veranstaltung nach Rehfelde (Sachsen-Anhalt). Etwa 250 Mitglieder und Anhänger der DVU kamen mit Bussen und Privatwagen aus nahezu dem gesamten Bundesgebiet. Die Veranstaltung fungierte zugleich als Landesparteitag der Landesverbände Brandenburg 132 Rechtsextremismus undBerlin. Bei der DVUist es keineswegs unüblich, dass Parteitage von Landesverbänden zusammengelegt und mit Gästen aus weiteren Bundesländern beschickt werden. Der Bundesvorsitzende Dr. Frey, dessen Auftritt gewöhnlich als Höhepunkt einer solcher Veranstaltung inszeniert wird, möchte ein nicht zu kleines Auditorium geboten bekommen. Der Ablauf ist ritualisiert: Freys aus bekannten Standardpassagen zusammengesetzte Rede wird mit frenetischen Hoch-Rufen und stürmischem Beifall gefeiert. Vor dem Auftritt Freys in der Rehfelder Gaststätte wurden die Vorstände der Landesverbände Berlin und Brandenburg neu gewählt. An die Spitze des Brandenburger Landesverbandes trat Sigmar-Peter Schuldt, Mitglied der DVU-Fraktion im Landtag Brandenburg. Zu seiner 1. Stellvertreterin wurde die Vorsitzende der DVU-Fraktion, Liane Hesselbarth, gewählt. Der vorherige Landesvorsitzende Axel Hesselbarth hatte seine Funktion zuletzt faktisch ruhen lassen. Abgesehen von Jubelveranstaltungen wiedieser hatte die DVU in Brandenburg noch nie ein nennenswertes Parteileben entfaltet. MancheParteigliederungen bieten zwar regelmäßig politische Stammtische an. Ihnen bleibt aber -- wie auch Bürgerbüros, gelegentlichen Informationsständen oder Festveranstaltungen -- eine nennenswerte Außenwirkung versagt. Selbst die Resonanz innerhalb der Partei ist meist bescheiden. Auch die parteinahe "Kommunalpolitische Vereinigung Demokratisches Brandenburge. V.", die im Jahr 2000 gegründet worden war, trat kaum hervor. 133 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Die Republikaner" (REP) Gründungsjahr: 1983 Sitz: Berlin in Brandenburg aktiv seit: 1990 Mitglieder bundesweit: 9.000 Brandenburg: 80 Unterorganisationen: "Republikanische Jugend" (RJ), "Republikanischer Bundder Frauen" (RBF), "Republikanischer Hochschulverband" (RHV), "Republikanische Mittelstandsvereinigung" (RMV),"Republikanischer Bund der öffentlich Bediensteten" (RepBB) für Brandenburg relevante überregionale Publikation: "Der Republikaner" Internetadressen: www.republikaner.de, www.republikanerbrandenburg.de Die Partei "Die Republikaner" (REP) wurde am 27. November 1983 in München gegründet. Ihr erster Vorsitzender, der Publizist Franz Schönhuber, prägte sie mehrereJahre, bis er 1994 im Streit zurücktrat. Ihm folgte sein ehemaligerStellvertreter Dr. Dr. Rolf Schlierer nach, der zuletzt auf einem ordentlichen Bundesparteitag der REP am 2./3. November 2002 in seinem Amt bestätigt wurde. ObwoHldie Partei in jedem Bundesland mit einem Landesverbandvertreten istund bei Bundestagswahlen regelmäßig antritt, liegt ihr Schwergewicht seit jeher in Süddeutschland. Insbesondere der mitgliederstarke Landesverband Baden-Württemberg -- der sich zwei Wahlperioden lang, bis zum März 2001, auch mit einer eigenen Landtagsfraktion öffentlich zu Wort meldete -- beeinflusst maßgeblich die innerparteiliche Willensbildung. Der organisatorische Aufbau in den ostdeutschen Bundesländern ist hingegen stecken geblieben. Dort sind die Landesverbände strukturund mitgliederschwach, die Parteiarbeit liegt seit Jahren weithin brach. Die REP habenbislang neun Parteiprogramme verabschiedet. Je intensiver in der Öffentlichkeit über die Verfassungsfeindlichkeit der Partei diskutiert wurde, desto gemäßigter fielen die Programmeaus. Das aktuelle 134 Rechtsextremismus Parteiprogramm stammt von 1993 und wurde zuletzt auf einem Bundesparteitag 2002 überarbeitet. In ihm bekennensich die REP zurfreiheitlichen demokratischen Grundordnung und geben sich als verfassungstreue "patriotische Alternative zu den Altparteien". Diese Selbstdarstellung geht auf ihren jetzigen Bundesvorsitzenden zurück. Er bemüht sich seit seinem Amtsantritt, die Partei in rechtskonservatives Fahrwasser zu lenken undihr ein seriöses und gemäßigtes Erscheinungsbild zu verpassen. In der Tat kann man nicht jedem REPMitglied verfassungsfeindliche Bestrebungen unterstellen. Gleichwohl verhehlen einflussreiche Gruppen und Funktionäre in der Partei nicht, dass sie den demokratischen Rechtsstaat ablehnen. Offizielles Organ der Partei ist die Monatszeitung "Der Republikaner". Daneben bauen die REP ihre Präsenz im Internet stark aus. Der eigene Web-Auftritt ist für die Partei das wichtigste Medium zur Vermittlung ihrer politischen Vorstellungen geworden. Ideologie undpolitische Zielsetzung Aufihrem Bundesparteitag am 11./12. Mai in Künzell (Hessen) beschlossen "Die Republikaner" unter dem Motto "Für unsere Zukunft" ein neues Grundsatzprogramm. Mit ihm wollen sie sich als "patriotische Alternative" präsentieren -- als eine seriöse Partei, die sich von Rechtsextremisten abgrenzt. Das Grundsatzprogramm enthält keine Formulierungen, die sich explizit gegendie freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Allerdings ist eine gewisse Affinität des insgesamt populistischen Konzepts zu rechtsextremistischen Positionen erkennbar, insbesondere be den Themen Ausländer, Asylbewerber und Natonalstaat. Gefordert werden z. B. Verschärfungen im Strafvollzug sowie im Ausländerund Asylrecht, die Reduzierung des deutschen Engagements in supranationalen Organisationen wie UNO, NATO und EU und die Stärkung des Nationalstaats. Auch ansonsten sind die Verlautbarungen der REP nicht mehrso reißerisch und aggressiv wie in den Vorjahren. Einzelne Gruppen und Funktionäre greifen aber mehr oder minder offen den Kernbestand der Verfassung an. Damit prägen sie das Gesamtbild der Partei mit. Insoweit die REP sich in fremdenfeindlicher Weise äußern, gegen Minderheiten agitieren, gegen das Demokratieprinzip hetzen oder mit anderen Rechtsextremisten zusammenwirken, liefern sie nach wie vor tatsächliche Anhaltspunkte für die rechtextremistische Ausrichtung der Partei. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Die fremdenfeindliche Propaganda der REP betont eine dem Gleichheitsgrundsatz widersprechende Rangabstufung zwischen Deutschen und Nichtdeutschen. Dabei argumentiert die Partei "ethnopluralistisch": Ausländer sollten nicht hier, sondern vielmehr, wie die Deutschen, in ihrer jeweiligen Heimat leben. Dem deutschen Volk drohe sonst der Untergang durch "Überfremdung" und die Gefahren einer "Multi-Konflikt-Gesellschaft". Daherschreckte der Bundesvorsitzende der Parte, Dr. Dr. Rolf Schlierer, auch nicht davor zurück, die Zuwanderungsfrage "in all ihren Facetten" zum zentralen Wahlkampfthema der Partei bei der Bundestagswahl 2002 zu machen. Kernpunkte der Propaganda waren "der Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt, die Plünderung unserer Sozialkassen, die gescheiterte Integration mit Bildungschaos, die Multi-Konflikt-Gesellschaft und der Umgang mit dem Islam". Die REP schüren Ängste vor Fremden, indem sie diese pauschalnicht nur für Arbeitslosigkeit, Bildungsnotstand und steigende Sozialkosten verantwortlich machen, sondern auch für Kriminalität und Drogenkonsum. In ihrer zentralen Wahlkampfzeitung verallgemeinerten sie Einzelbeispiele suggestiv zu einem Schreckensbild von verbrechensschwangeren "Ghettos und Parallelgesellschaften, die wir uns nicht leisten können und wollen". Mit solchen Zuspitzungen stellen die REP die Menschenwürde und die Menschenrechte der in Deutschland lebenden Ausländer in Frage. Diese Diffamierungsstrategie wenden die REP auch gegenüber anderen gesellschaftlichen Minderheiten an, wie etwa der Wahlkampfslogan "HomoEheist dekadent" zeigt. In teilweise verunglimpfender Weise attackieren die REP Institutionen und Repräsentanten derfreiheitlichen Demokratie. Den demokratischen Rechtsstaatstellen sie als untauglich, korrupt, volksfeindlich und nicht mehr reformierbar dar. Gegenüber demokratischen Parteien -- die nicht als Gegnerim politischen Wettbewerb gelten, sondern als moralisch minderwertig abqualifiziert werden -- fallen abschätzige Begriffe wie "Korruptionsparteien" oder "Altparteien", etwa wenn von einem "Einerlei aus Altparteien und Altkommunisten im Bundestag" die Rede ist. Auf der Internetseite des Landesverbandes Brandenburg werden den demokratischen Parteien sogar faschistoide Tendenzen unterstellt: 136 Rechtsextremismus "Der Faschismus ist ein Chamäleon. Er wechselt seine Farben. Die Diktatur war schon braun, knallrot und schwarz-grau. Der Faschismus kann auch rot und grün sein und gelbe und schwarze Flecke haben. (...) Die modernen Faschisten (...) können auch demokratisch gewählt worden sein". Einen ähnlichen Vergleich zieht ein Kommentar zur Pressefreiheit, den der REP-Ortsverband Herne im Internet verbreitet: "Ähnlich wie im 'Dritten Reich' und in der 'DDR' werden auch in dem freiesten Deutschland, was es angeblich je gegeben hat, Meinungen unterdrückt. Die Presse beruftsich bei ihrer selektiven Informationspolitik auf die 'Pressefreiheit'. Verstanden wird darunter vermutlich die Freiheit, (...) Meinungen zu unterdrücken (...)." Die REP tendieren nach wie vor dazu, das nationalsozialistische Regime zu verharmlosen undseine Verbrechen zu relativieren. Fortgesetzt agitieren sie gegen die angebliche "Umerziehung", die das deutsche Volk nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges von den Alliierten habe erdulden müssen. Diese "Umerziehung" werde sogar noch heute fortgesetzt. Darüber beklagt sich z. B. der brandenburgische REP-Landesverband mit einer Äußerung, die zugleich gegen die Wiedergutmachung an den Juden polemisiert, auf seiner Website: "Schmarotzer und Vergangenheitspfleger lehnen wir ab. Jede Nation soll ihre eigene Geschichte aufarbeiten und nicht unsere. Lehrmeister, Gestrige und Vasallen der Großmächte wollen ihre Spiele auf unsere Kosten betreiben". Dort verbreitet der REP-Landesverband nach wie vor auch die revanchistische Parole "Gegen das Vergessen von 113.000 km? deutschen Bodens, völkerrechtswidrig abgetrennt nach dem 2. Weltkrieg". Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung bei den REP ergebensich auch aus ihrer Zusammenarbeit mit anderen Rechtsextremisten. Der Parteivorsitzende Schlierer hatte früher nachdrücklich die Abgrenzung gegenüber anderen rechtsextremistischen Organsationen verfochten. Er folgte damit einem Beschluss des 137 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 REP-Bundesparteitags 1990 in Ruhstorf (Bayern). Freilich ist dieser Abgrenzungsbeschluss in der Partei stets umstritten geblieben. Immer wieder unterlaufen ihn REP-Mitglieder und -Teilgliederungen, viele sehenin ihm den Hauptgrund für die häufigen Wahlniederlagen derPartei. Gerade auch in den ostdeutschen Landesverbänden wird der Abgrenzungskurs abgelehnt. Hier bestehen kaum Vorbehalte gegen eine Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Gruppierungen. Als die in Teilen rechtsextremistische "Junge Landsmannschaft Ostpreußen" (JLO), logistisch unterstützt von dem Hamburger Neonazi Christian Worch, am 13. Februar in Dresden einen Trauermarsch zum Gedenken an die Bombardierung der Stadt am 13. Februar 1945 veranstaltete, zogen neben Neonazis und Skinheads auch Mitglieder von DVU, NPD und REP mit. Neben einem Vertreter des "Zentralrats der vertriebenen Deutschen e. V." ergriff auch ein REP-Funktionär aus Nordrhein-Westfalen das Wort. Bei einer rechtsextremistischen Diskussionsveranstaltung am 12. Oktober in Heusenstamm (Hessen)trat der ehemalige REP-Vorsitzende Franz Schönhuber auf. Er polemisiert nun schon seit Jahren gegen die Linie des derzeitigen REP-Vorstandes, dem eru. a. mangelnde Kooperationsbereitschaft gegenüber anderen rechtsextremistischen Gruppierungen vorwirft. Dass er einst selber einen Abgrenzungskurs verfocht, hat er längst öffentlich bereut. Viele REP-Mitglieder schätzenihn trotzdem noch. Sein Themaan diesem Taglautete bezeichnenderweise "Schluss mit dem rechten Bruderkrieg!" Nach Angabender virtuellen Partei "Freiheitlich-Unabhängig-National" (FUN)(vgl. unten S. 229) nutzten Mitglieder von NPD und REP diese Veranstaltung zu einem intensiven Meinungsaustausch. Sogar der Parteivorsitzende Schlierer selbst hält sich schon lange nicht mehr an den Abgrenzungsbeschluss: So berichtete die rechtsextremistische Zeitschrift "Nation & Europa" (Nr. 7-8/02), dass er Kontakt zum DVU-Vorsitzenden Frey aufgenommenhabe. Mit ihm stimmte er sich auch sonst schon gelegentlich vor Wahlen ab. Niederlagen vor Gericht Seit Jahren setzen sich die REP mit Prozessen gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Wehr. Häufig scheitern sie dabei vor Gericht. So wies das Verwaltungsgericht Wiesbaden mit Beschluss vom 26. Juni einen Eilantrag der REP ab, den Entwurf des hessischen Verfassungsschutzberichtes vorab zur Kenntnisnahme zu erhalten. Würde den REP das beanspruchte Anhörungsrecht zugestanden, so das 138 Rechtsextremismus Gericht, könnte die Herausgabe der Verfassungsschutzberichte, die in Erfüllung gesetzlicher Aufgaben erfolge, unangemessen verzögert oder gar vereitelt werden. DerPartei sei zuzumuten, den nachträglichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen. In einem anderen Fall hatten die REP im Wegeeiner Organklage versucht, bei der Höhe der staatlichen Parteienteilfinanzierung eine Berücksichtigung ehrenamtlicher Leistungen von Parteimitgliedern zu erstreiten. Nach geltendem Rechtbeeinflussen aber nur Mitgliedsbeiträge und Spenden die Höhe des staatlichen Zuschusses für die Parteien. Die REP sahen den Grundsatz der Chancengleichheit zwischen den Parteien verletzt. Mit einem am 27. Februar veröffentlichten Beschluss vom 6. Dezember 2001 wies das Bundesverfassungsgericht jedoch die Klage der REP zurück. Die Hoffnung der REP, durcheine für sie positive Entscheidung ihre prekäre finanzielle Situation verbessern zu können, hat sich damitzerschlagen. Voranschreitender Bedeutungsverlust Wahlniederlagen und Auseinandersetzungen um denrichtigen Kurs bestimmen seit Mitte der neunziger Jahre die Situation der REP und reiben die Partei auf. Deshalbverliert sie, trotz aller Bemühungender Parteiführung, immer mehr an Bedeutung. Auchim Jahr 2002 wieder liefen den REP Mitglieder und Wähler weg. Darüber hinaus hat die Partei finanzielle Probleme, die aus dem Verlust der Landtagsmandate in Baden-Württemberg im Jahre 2001, der sinkenden Mitgliederzahl und einer abnehmenden Spendenbereitschaft resultieren. Die Stimmeinbußen der REP bei Wahlen fielen drastisch aus. Bei der Bundestagswahl am 22. Septemberverlor die Partei im Vergleich zu 1998 Dreiviertel der Zweitstimmen und kam nur noch auf 0,6 Prozent - ein fast ebenso schlechtes Ergebnis wie das der NPD. Denkbar knapp konntesie sich gerade noch den Anspruch auf staatliche Teilfinanzierung sichern. Schon im Bundestagswahlkampf konnten die REP ihre organisatorischen Schwächen ncht mehr übertünchen. Sie vermochten insgesamt nur 150 Listenund Direktkandidaten zu nominieren, wenigerals die Hälfte gegenüber 1998. In Sachsen-Anhalt und Brandenburg waren die REP überhaupt nicht wählbar. Währendsie in Sachsen-Anhalt noch nicht einmal eine Landesliste zusammenbrachten, wurde die brandenburgische Landesliste zwar fristgerecht zum 18. Juli beim Landeswahlleiter in Potsdam eingereicht, dochfehlten die geforderten 2.000 Unterstützerunterschriften. 139 Verfassu ngsschutz berichL t a ndBrand enburg20 02 Es gibt e Analla Haushal ine temitTag espost SIR Ruck ge edmuß hen. Gehören Sin tepubkanis Sieauch chen zuFern Poli, m ie . Aabe i Gemde Yale"dle utsche n. = N Bnu (c) ta herun zur Ale Einerle , M m . iy, wer lha af en Sorten so Wahlkamp nen, ransaanz . Me a be Des iie Nacchen. uud Kain ind ne h du e, einen En terechaf Ee un n S ea n um f Ge nd , Grin , Ann i eien (F ey) ad Al Die Schuleist keine FraPer: Koruptonen der ur Her unauf Multikulti-Spielwiese Kein He Pne u, au an Pisa ii lat. airk ieh Zum ach. wi. Arute a Re Beinea su Aualaaeorin Near" un unseren nel a dr a Sauce [FF Hg Forinschen. sl! Aus Fle daFehr r dr x " kn ur aueiag fr yisine Char ef Sclule und mc aaut din ieFANe ig ehe 2 de a Inley verschweig F Pr an Poas d he n en, l p n s i. "auf i d a Y ro erTa sl oi ne gan,lie gen, g Su ne introier Ei D m ar ie abems ead m m onde icovloglsch e Scheuk deAn r eli mdermihwa Gab n i 'E W ei te re rn e lapp e Ak gehandenr , it , Mehmet", "Osama", fee un rc rang über"oe Rechtalee Gardiu a Ihren sure el de eh se Made "ibn unhirübelFreunde In shi an kung An a in enareh in anfang ah mareche Aber ara Alter zul en Misch ir Peerpe Re IS? V " an Nealnemiehte, Di Die Aekar 'RenUm Rich. hefler Users, Mir 'crmeeien ndde here, gel " . Int" maick ach Machen. Sei ker Ian he Aus eine rPostwurf sendung der "Re publikan er"vorde rBundesta 140 8swah l 2002 Rechtsextremismus Deshalb zog der Landesparteivorsitzende den Antrag auf Wahlteilnahme wieder zurück. Aber auch im übrigen Bundesgebiet hatte die Partei Mühe, die erforderlichen Unterschriftenquoren zu erfüllen, da die frustrierten Parteimitglieder nur schwer zu mobilisieren waren. Die REP führten ihren Wahlkampf lustlos. Der Hamburger Landesverbandstellte ihn, unter Ilinweis auf vorgebliche "massivste Wahlbenachteiligungen", gleich ganz ein. Mehrere nordund ostdeutsche Landesverbändezeigten sich verärgert über die aus ihrer Sicht mangelnde organisatorische und finanzielle Unterstützung durch den Bundesparteivorstand. Bei der zeitgleich zur Bundestagswahl stattfindenden Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern halbierte sich die Zustimmung zu den REP. DiePartei erreichte mit ihrer lediglich aus neun Kandidaten bestehenden Landesliste nur noch 2.421 Stimmen(0,3 Prozent). Zur Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 21. April traten die REPerst gar nicht an. Ein Gesamtergebnis von 1,1 Prozent erreichtensie bei den bayerischen Kommunalwahlen am 3. März. Auch dieses Resultat musste die Partei entmutigen, da es den Bedeutungsverlust eines der stärksten und einflussreichsten REP-Landesverbände widerspiegelt. Der Niedergang der Partei - ersichtlich an den rückläufigen Mitgliederzahlen und Wahlergebnissen -- wird vielfach ihrem Vorsitzenden Schlierer angelastet. Da es aber keine personelle Alternative zu ihm gibt, konnte er seine Position sogar noch festigen. Auf dem ordentlichen REP-Bundesparteitag am 2./3. November in Deggendorf (Bayern) wurde er erneut als Bundesvorsitzender bestätigt. Der Anführer der parteiinternen Opposition, Christian Käs, verließ im Maidie Partei. Viele seiner Anhängertraten ebenfalls aus der Partei aus. Käs, von 1991 bis Februar 2002 Vorsitzender des REP-Landesverbandes Baden-Württemberg undseit 1993 stellvertretender REP-Bundesvorsitzender, äußerte häufig unverhohlenrechtsextremistische Auffassungen und widersetzte sich dem Abgrenzungsbeschluss von Ruhstorf. Der Bundesvorstand hatte bereits am 11. Februar beschlossen, Käs seiner Parteiämter zu entheben, da ihm finanzielle Unregelmäßigkeiten vorgeworfen wurden. Obwohl die Fronten in der Partei sich nun geklärt haben, herrschtin ihr weiterhin große Unzufriedenheit. Denn einen Ausweg aus der Krise zeigt niemand. Weitere Parteiaustritte sind wahrscheinlich. Schon jetzt werden REP-Mitglieder von der DVU und anderen Parteien umworben. Die von jeher unbedeutenden Aktivitäten der REP-Unterorganisationen stagnieren oder gehen noch weiter zurück. 141 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Aktuelle Entwicklung in Brandenburg Der REP-Landesverband Brandenburgist organisatorisch und personell ausgezehrt. Als einer der schwächsten Landesverbände hat er nur noch rund 80 Mitglieder. Sein Profil vermochte er auch 2002 nicht zu schärfen. Der seit 2000 amtierende Landesvorsitzende Harri Wittstock ist mit seinen Bemühungen, den Landesverband neu zu organisieren und die eingeschlafenen Kreisverbände wiederzubeleben, vollends gescheitert. Darüber hinaus hat sich Wittstock dadurch, dass er die Landesliste zur Bundestagswahl kurzfristig zurückziehen musste, in den Augender führenden Funktionäre der Partei diskreditiert. Dochschon bei der Unterschriftensammlung für die Landesliste zur Bundestagswahl ergab sich der Verdacht, dass die Partei unlautere Methoden anwendet. Nach einem Pressebericht sollen REP-Mitglieder in Rathenow versucht haben, sich Unterstützungsunterschriften von Bürgern durch falsche Angaben zu erschleichen. Wittstock ist oft der einzige REP-Aktivist aus Brandenburg, der bei gemeinsamen Unternehmungen der ostdeutschen Landesverbände überhaupt in Erscheinungtritt. So nahm aus Brandenburg nur er an einer vom REP-Landesverband Sachsen vorbereiteten Sternfahrt zum Kyffhäuser am 16. Juni teil. Die Website des Landesverbandes wird kaum noch aktualisiert. 142 Rechtsextremismus VEREINE, GESPRÄCHSKREISE, PUBLIZISTIK Vereine "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) und "Nationales Bündnis Preußen" Die "Deutsche Liga für DeEuTscHE Lca d Volk und Heimat" rn (DLVH)trat in ihrem Gründungsjahr 1991 mit dem erklärten Ziel an, als neue Sammelpartei das zersplitterte rechtsextremistische Spektrum zu einen. In diesem Spektrum herrschen aber derart viele Rivalitäten, Ressentiments und Interessengegensätze, dass ein solches Vorhaben -- wie ähnliche vor ihm -- von vornherein zum Scheitern verurteilt war. Durch anhaltende Erfolglosigkeit zermürbt, gab die DLVH 1996 ihren Parteienstatus auf. Nach der Umwandlung in einen Verein legte die DLVHihren Mitgliedern ein neues Manifest vor; in ihm sind ausländerfeindliche Positionen unübersehbar. Die DLVHwird von einem "Sprecherrat" angeführt, dessen geschäftsführender Vorsitzender Jürgen Schützingerist. Der Aktivistenkern der DLVHist personell eng mitder rechtsextremistischen Publikation "Nation & Europa" verbunden. Wie diese Zeitschrift in Nr. 11-12/2002 berichtet, fand am 12. Oktober in Heusenstamm (Hessen) eine Diskussionsveranstaltung mit angeblich 270 Besuchern statt. Zuihr hattenneben der DLVH derVerein "Nation Europa Freunde e. V." unddie gleichfalls rechtsextremistische "Gesellschaft für Freie Publizistik" (GFP) eingeladen. U. a. referierte der ehemalige REP-Vorsitzende Franz Schönhuber. Er plädierte zum wiederholten Male für eine Einigung des rechtsextremistischen Lagers (vgl. oben S. 138). In Brandenburgtritt die DLVH nicht mehr öffentlich in Erscheinung. Hier gehörenihr nur noch wenige Einzelmitglieder an. Verzahnt mit der DLVH sind so genannte "Nationale Bürgerinitiativen". Bei ihnen handelt es sich um Kleinstgruppen im Norden Brandenburgs, die sich zu einem "Nationalen Bündnis Preußen" zusammengefunden haben. 143 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Bündnis RECHTS Brandenburg" (BR Brandenburg) Auch das "Bündnis RECHTS" (BR) gehört zu den Gruppierungen, die den Anspruch erheben, als Forum für alle "National-Denkenden" zu fungieren und das "rechte Lager" zu einen. Ursprünglich hatten sich unter dem Namen "Bündnis RECHTS für Lübeck" (BRL)in dieser Stadt Rechtsextremisten unterschiedlicher Couleur, von Führungskadern des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Norddeutschland" (NSAN) bis zu Mitgliedern verschiedener rechtsextremistischer Parteien und Vereine, zusammengetan, um an den dortigen Kommunalwahlen 1998 teilzunehmen. Damals wurde mit 3,6 Prozentein relativ beachtliches Wahlergebnis erzielt, das sich vor allem der Vorsitzende des Bündnisses, Dieter Kern, zugutehielt. Nach diesem Erfolg dehnte sich das Bündnis aus und errichtete Stützpunkte in neun Bundesländern. Auch in Frankfurt (Oder) gibt es eine Zelle namens "Bündnis RECHTS Brandenburg" (BR Brandenburg). Ihr neuer Leiter ist der Neonazi Michael Fischer. Nennenswerte Aktivitäten wurden 2002 nicht bekannt. Im Internet ist das BR Brandenburg nur mit seiner Adresse präsent. Die Kernorganisation in Lübeck hat viele Anhänger verprellt, weil sie auf ihrer Homepage einen 0190-Telefondienst installierte und sich an dessen Einnahmenbeteiligte. Schließlich zerbrach das BRL an persönlichen Zwistigkeiten. Im Oktoberspaltete sich ein "Bündnis nationaler Sozialisten für Lübeck" ab, das aus Neonazis -- darunter NPD-Kader - bestand. Sowohl diese Gruppierungals auch das BRL traten, nun als Konkurrenten, zur neuerlichen Kommunalwahl am 2. März 2003 in Lübeckan; beide blieben unter einem Prozent. Am 7. März 2003 wurde das "Bündnis nationaler Sozialisten für Lübeck" verboten. "Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands" (IWG) Die 1997 gegründete IWGist ein revanchistischer Verein, der die Rückgewinnung der ehemals deutschen Ostgebiete fordert. Die deutsche Staatsgrenze und die sie garantierenden, völkerrechtlich bindenden Verträge erklärt die IWGfür null und nichtig. Mit einer "Teil-Wiedervereinigung" von Westund "Mittel"deutschland will sie sich nicht abfinden. DerVerein mit Sitz in Pleinfeld (Bayern) hat nur wenige Mitglieder. Klaus Menzel hat Georg Palettaals Vorsitzenden abgelöst. 144 Rechtsextremismus Die IWG konzentriert sich darauf, eine Vielzahl von Demonstrationen anzumelden. Sie finden überall in Deutschland, jeweils unter dem Motto "Recht auf Heimat", statt. Auf seinen "Heimatseiten" im Internet ruft der Verein zur Teilnahme an diesen Demonstrationen auf. Das Mobilisierungspotenzial ist aber begrenzt. Es besteht aus Neonazis, Mitgliedern der NPDund jugendlichen Rechtsextremisten aus dem unorganisierten Spektrum. In Brandenburg unterhält die IWG Verbindungen insbesondere zum "Märkischen Heimatschutz" (vgl. oben S. 97 PSf.). Hier hatte der Verein vier Demonstrationen vorgesehen. Diese Häufung von IWG-Veranstaltungen gerade im Land Brandenburgerklärt sich aus dessen Nachbarschaft zu Polen. Die IWG versucht mit der Wahl der Demonstrationsorte ihrem revanchistischen Anliegen Nachdruck zu verleihen. Am 12. Januar in Frankfurt (Oder) konnte sie 50 Teilnehmer mobilisieren, am 9. Februar in Guben waren es 45 und am 9. März in Schwedt 130. Gegen Demonstranten in Schwedt wurden vier Strafanzeigen wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz aufgenommen. Letztmalig trat die IWG am 20. Juli in Cottbusin Erscheinung. Zunächst war die Demonstration für den 13. Juli angemeldet, dann aber verschoben worden. Als sich am 20. Juli unter den höhnischen Blicken von Gegendemonstranten neben Paletta nur noch neun Personen einfanden, wurde die Veranstaltung von ihm abgebrochen. "Berliner Kulturgemeinschaft Preußene. V." (BKP) In früheren Jahren war die "Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e. V." (BKP) über ihre Vereinsgrenzen hinaus bekannt, da sie mit ihren Veranstaltungen Interessenten aus dem gesamten rechtsextremistischen Spektrum von Berlin und Brandenburgs anzog. Diese Attraktivität hat sie inzwischen eingebüßt. 1990 und 1991 organisierte die BKP für die neonazistischen Aufmärsche zum Volkstrauertag auf dem Soldatenfriedhof in Halbe. Bis 1996 trat sie als Anmelderin dieser --ab 1992 regelmäßig verbotenen -- Veranstaltung auf. Seither beschränkensich die Aktivitäten der BKP darauf,in Berlin, gelegentlich aber auch im Land Brandenburg Auftritte rechtsextremistischer Rednerbei internen Szeneabenden vorzubereiten. Die jährliche Ausrichtung von "Reichsgründungsfeiern" hat die BKP jedoch an die NPD abgegeben. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Heimattreue Deutsche Jugend e. V." (HDJ) Die HDJ wurde 1990 von Funktionären des rechtsextremistischen "Bundes Heimattreuer Jugend -- Der Freibund e. V." (BHJ) gegründet, denen die Programmatik des "Freibundes" zu lasch war. Der Verein will erreichen, dass "wir uns selbstbeIn wußt und unverkrampft der eigenen Vergangen- i heit stellen". Hinter dieser Aussage verbirgt sich eine völkische undnationalistische Ideologie, die S En sich von derjenigen der verbotenen "Wiking-Ju- m gend" (WJ) wenig unterscheidet. Die HDJ bezeichnet sich selbst als eine aktive, "volksund heimattreue Jugendorganisation für alle deutschen Mädel und Jungen im Alter von 7 bis 25 Jahren". Der Verein spricht Kinder und Jugendliche an und versucht, sie durch Osterund Sommerlager, Fahrten und Sonnenwendfeiern für seine Anschauungen zu gewinnen. Er gibt in unregelmäßigen Abständen die Publikation "Funkenflug" heraus. In Brandenburg hat die HDJ nur Einzelmitglieder. Der Verein wird von einem "Freundesund Familienkreis der Heimattreuen Jugend" (FFK) finanziell, materiell und organisatorisch unterstützt. Insbesondere im Bereich der Bundesführung ist die HDJ personell eng mitrechtsextremistischen Organisationen wie der NPD und der BKP verquickt. Nach dem Unfalltod des Vorsitzenden Alexander Scholz am 6. Februar wurde der Verbandzeitweilig von dem in Brandenburg gemeldeten NPD-Aktivisten Laurens Nothdurft geleitet. Der NPD-Liedermacher Jörg Hähneltrug sein Repertoire in dem HDJ-Lager vor, das vom 29. bis 30. März in Bresegard (Mecklenburg-Vorpommern) stattfand. Darüber hinaus bestehen personelle Überschneidungen mit der Neonaziszene. So rief die HDJ auf ihrer Website dazu auf, den so genannten "2. Märkischen Kulturtag" am 6. September zu besuchen. Den ersten "Kulturtag" hatten die BKP und die NPD veranstaltet. Aber auch im Internet werden solche Verbindungslinien deutlich, denn viele neonazistische Websites verweisen auf die Homepage der HDJ. 146 Rechtsextremismus Gesprächskreise und Publizistik Ringen um die kulturelle Meinungsführerschaft Unabhängig von Organisationen, oft aber auchin geistiger Nähe zu bestimmten Parteien oder Vereinen, versuchenetliche Gesprächskreise und Einzelautoren, unter ihnen Anhänger der ""Neuen Rechten", das antidemokratische, oft rassistische, völkische oder heidnisch-religiöse Gedankengut des Rechtsextremismustheoretisch zu fundieren und zu modernisieren. Zugleich diskreditieren sie die parlamentarische Demokratie samt ihren Institutionen, da sie ihnen wegendes Gleichheitsprinzips, der Gewaltenteilung und des freien Meinungsstreits zwischen konkurrierenden politischen Kräften suspekt erscheint. Sie hingegen propagieren einen autoritären, den "Volkswillen" verkörperndenStaat. Mit ihrem Bemühen, rechtsextremistische Ideen und Projektein intellektuell anspruchsvoller Form darzubieten, verfolgen diese Theoretiker ein klar formuliertes Interesse: Sie wollen die kulturelle Meinungsführerschaft erringen, da sie eine wesentliche Voraussetzung für eine spätere Machtergreifung sei. Bisher haben sie eine "Kulturrevolution von rechts" jedoch nicht einmal ansatzweise erreicht. Selbst wenn in der Publizistik dieser Kreise Themenaus aktuellen politischen Debatten aufgriffen werden, bleibt eine breitere Resonanzaus. Manche der "neurechten" Ideologen verwischen bewusst die Unterschiede zwischen konservativen Haltungen und extremistischen Positionen. Sie finden ihr Forum häufig in Publikationen, die in der Grauzone zwischen Nationalkonservatismus, Rechtsradikalismus und Rechtsextremismusangesiedelt sind. Andere Publikationen verfolgen eine unzweideutig rechtsextremistische Richtung. Zu ihnen zählen z. B. die von Manfred Rouhs herausgegebene Vierteljahresschrift "Signal -- Das patriotische Magazin" oder "Nation & Europa" (NE). Die 1951 gegründete Zeitschrift NE aus Coburg hat mit monatlich 10.000 Exemplaren eine relativ hohe Auflage. Ihre Herausgeber sind Peter Dehoust und Harald Neubauer, einst Bundesgeschäftsführer der REP. Beide werbenseit Jahren, allerdings erfolglos, für die Aufhebungparteipolitischer Schranken im rechtsextremistischen Lager. Der ehemalige REP-Vorsitzende Franz Schönhuber kommt regelmäßig in der Zeitschrift zu Wort. Auch er verlangt in einer Vielzahl von Beiträgen ein Zusammenwirken "nationaler" Kräfte, sieht allerdings in Deutschland dafür keinerealistische Perspektive. 147 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 NEgreift tagespolitische Themen auf, um sie im rechtsextremistischen Sinne abzuhandeln. So beziehtsich ein Beitrag in Nr. 2/2002 "Frankfurter Schule: Volk ohne Bildung" auf die Ergebnisse der PISA-Studie. Die "deutsche Bildungskatastrophe" sei ein Resultat gezielter Politik. Denn zur Herrschaftsabsicherung in der globalisierten Welt werde der unermüdliche Nichtswisser gebraucht Zu diesem Zweck habe man US-amerikanische Bildungskonzepte, die mit Hilfe von Milliarden Dollar aus der Ölindustrie entwickelt wordenseien, in Deutschland übernommen. Der Tenorder Zeitschrift richtet sich grundsätzlich gegen das parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland. In Nr. 3/2002 wird die Bundestagswahl am 22. September als "Un-Wahl" bezeichnet. Sie sei eher belanglos, da man ohnehin keine echte Wahl hätte. Im Politbüro der KPdSU unter Breschnew sei es pluralistischer zugegangenals im Bundestag. Die Positionen der politischen Hauptkonkurrenten seien austauschbar. "Deutsches Kolleg" (DK) Die bekanntesten rechtsextremistischen Intellektuellen in Deutschland sind Reinhold Oberlercher und Horst Mahler. Sie verstehen sich als Vordenker deutschen Geistes und nutzen als Plattform für die Präsentation ihrer Konstrukte und Visionen den rechtsextremistischen Theoriezirkel "Deutsches Kolleg" (DK). Das DK wurde 1994 als Nachfolgeeinrichtung des Berliner Leserkreises der Wochenschrift "Junge Freiheit" gegründet. Durch das DKsoll eine "nationaleIntelligenz" heranund weitergebildet werden. Mehrmals im Jahr veranstaltet das DK Schulungen, in deren Mittelpunkt ideologische, politische und ökonomische Themen stehen. Sowohl Oberlercher als auch Mahler beanspruchen, die philosophische Tradition des deutschen Idealismus fortzuführen. Sie betrachten sich als Sprachrohre des "Weltgeistes" nach Hegelschem Verständnis. Tatsächlich verbinden ihre umfassenden Welterklärungsmodelle tendenziös verkürzte Ideen der Hegelschen Rechts-, Geschichtsund Religionsphilosophie mit nationalsozialistischer Volkstumspropaganda, krassem Antisemitismus und antidemokratischen Zukunftsentwürfen auf eine derart bizarre Weise, dass ihnen selbst bei Sympathisanten Unverständnis begegnet. Entsprechend wenig Anklang fand bisher das hochambitionierte DK-Bildungsprogramm. 148 Rechtsextremismus Auch von der Resonanz auf den "Aufstandsplan für das Deutsche Volk", den das DK am 15. und 16. Juni bei einer Veranstaltung in Thüringen vorstellte und anschließend im Internet verbreitete, waren die Autoren -- Oberlercher, Mahler und der Schulungsorganisator Uwe Meenen - enttäuscht. Der "Aufstandsplan" sowie ein weiterer Beitrag "von Reichsbürgern in Geschäftsführung ohne Auftrag für das Deutsche Reich" sehen die Einberufung einer "Ordnenden Nationalversammlung" vor, die eine "Neue Ordnung" für das "Deutsche Reich" als deutsche Verfassung verabschieden solle. Die "Reichsstatthalterschaft" müsse, notfalls unter Zuhilfenahme des Kriegsrechts, den Kampf gegen die Fremdherrschaft in Deutschland aufnehmen und die spätere Aburteilung der Verbrechen, die Politiker und Medien gegen das deutsche Volk begangen hätten, vorbereiten. Gleichzeitig müsse die deutsche Volksseele vom verderblichen "Gedankengift des jüdischen Ausrottungsrassismus" endgültig gereinigt und die "Horrifizierung des Nationalsozialismus" beendet werden. In der Textsammlung finden sich außerdem 216 Thesen Mahlers "Zur heilsgeschichtlichen Lage des Deutschen Reiches". "These 203" veranschaulicht noch einmal exemplarisch die oben charakterisierten Kernpunkte der Mahlerschen Ideologie: Die Losung heiße "Volk: Geist und Rasse", beide Momente seien gleich wichtige "Abwehrfronten gegen das Fremde". Und weiter: "Um die Juden vor der finalen Vernichtung im neu angefachtenFeuersturm des Judenhasses zu retten, ist das Deutsche Reichberufen, jetzt wirklich die Endlösung der Judenfrage herbeizuführen -- durch die Überwindung des Judaismus, wozu uns der DeutscheIdealismus die Leiter reicht." Viele der neonazistisch orientierten NPD-Mitglieder warteten jedoch die weitere Entwicklung der Partei ab. Mit dieser Haltung korrespondierte die im Internet verbreitete Aussage des unabhängigen neonazistischen "Aktionsbüros Norddeutschland", dass eine Zusammenarbeit zwischen "dieser Partei und anderen Kräften des Widerstandes" nur punktuell erfolgen könne, nämlich dort, "wo Parteifunktionäre weiter denken können, als der von ihnen gewählte oder auch nicht gewählte Vorstand". 149 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 150 Linksextremismus Linksextremismus Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 LINKSEXTREMISMUS Das linksextremistische Spektrum setzt sich im Wesentlichen aus zwei Personengruppen zusammen: - Unorganisierte " Autonome = Mitglieder linksextremistischer Parteien ("Parteien, linksextremistische) und Vereinigungen. Diese Unterscheidung wird gelegentlich dadurch verwischt, dass Autonomeeigentlich im Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis -- mitunter Organisationen, wenn auch kaum langlebige, bilden oder sich neben ihren Szeneaktivitäten in bestimmten Vereinen engagieren. Mitglieder linksextremistischer Organisationen müssen sich deren verfassungsfeindliche Programmatik undZielrichtung zurechnenlassen. Die unorganisierten Autonomen gebensich durch ihre Aktionen, vor allem durchihre politisch motivierten Gewalttaten, als Extremisten zu erkennen. Als ideologische Klammer für alle Spielarten des Linksextremismus fungiert der "Antifaschismus". Doch auch für manche Demokraten, die gegen den Rechtsextremismus auftreten, ist der Begriff "Antifaschismus" nicht ohne Weiteres mit negativen Konnotationen verbunden. Sie sind deshalb bereit, im Zeichen des "Antifaschismus" auch mit Linksextremisten -- Autonomenoder linksextremistischen Parteien -- zu kooperieren. Die Linksextremisten in "antifaschistischen Bündnissen" versuchen jedoch häufig, die demokratischen "Bündnispartner" zu vereinnahmen und für eigene Zwecke auszunutzen. Deshalb kommt es immer darauf an, von wem der Begriff "Antifaschismus" verwendet wird und welche Absichten sich mit dem "antifaschistischen Kampf" jeweils konkret verbinden. Der genuin linksextremistische "Antifaschismus" lässt sich trennscharf! eingrenzen: Im Verständnis von Linksextremisten bedeutet "Antifaschismus" nicht nur, gegen "faschistische", d. h. rechtsextremistische, Personen, Institutionen und Tendenzen vorzugehen -- man müsse auch die vermeintlichen Ursachen des Faschismus bekämpfen und schließlich beseitigen. Sie glaubt man in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung und denstaatlichen Institutionen der bürgerlichen Demokratie zu finden. Linksextremismus Denn der "Faschismus" wohneder kapitalistisch bestimmten Gesellschaft und Staatsform zwangsläufig inne. Wenn er als "offene Diktatur des Kapitals" manifest werde, sei dies nur die übelste, aggressivste Form der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Auf diese Weise benutzen linksextremistische Gruppierungen den "Antifaschismus", um ihren Kampf gegendie freiheitliche demokratische Grundordnung -- für sie eine mindestens "faschistoide" Ordnung -- zu rechtfertigen. Ihre Mitwirkung in Vereinen instrumentalisieren Autonome im Übrigen auch dafür, junge Leute, die sich gegen den Rechtsextremismus engagieren wollen, für ihre linksextremistische "Antifa"-Arbeit zu gewinnen. Dochexistieren auch unverkennbarlinksextremistische "Antifa"-Gruppen, die sich dadurch zu verbreitern suchen, dass sie insbesondere auf jugendliche Zielgruppen, vor allem Schüler oder Punker, werbend zugehen. Auf diese Weise missbrauchen Linksextremisten das an sich höchst erwünschte Bestreben gerade von Jugendlichen, rechtsextremistisch motivierter Gewalt wirksam entgegenzutreten. Auch ansonsten sind linksextremistische Personenzusammenschlüsse immer wieder bemüht, Bündnisse mit demokratischen Gruppierungeneinzugehen. Beispielsweise suchen sie Kontakte zu Bürgerinitiativen und Vereinen, die sich gegen Transporte von Nuklearmaterial, gegen gentechnische Versuche, gegendie Militärpolitik der Bundesrepublik o. Ä. wenden. Solche Bürgerinitiativen und Vereine nehmen ihre demokratischen Rechte in Anspruch, wenn sie Protest auf friedliche Weise äußern. Wenn jedoch Linksextremisten sich in derartige Protestaktioneneinklinken, benutzen sie diese vor allem als Mittel des Kampfes, den sie gegen das von ihnen so genannte "Schweinesystem" insgesamtführen. Bündnisse -- zumal anlassbezogene, die im Vorfeld von Demonstrationen geschlossen werden -- dienen Autonomen häufig nur als Plattform für Gewalttaten. Absprachen zu friedlichem Verhalten ignorieren sie, sobald dies ihnen zweckmäßig erscheint. Neben kurzlebigen Bündnissenerstreben manchelinksextremistischen Gruppenaber auch die dauerhafte Mitwirkungin Organisationen, die nicht von vornherein extremistischeZiele ansteuern, aber in ihrerpolitischen Strategie beeinflussbar scheinen. Der Grad dertatsächlichen linksextremistischen Beeinflussung unterscheidet sich von Fall zu Fall. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 ÄUTONOME Die Autonomen wollen, wie ihr Namesagt, selbstbestimmt leben. Die Abwehr jedweder Fremdbestimmung ist selbstverständlich noch nicht an sich verfassungsfeindlich. Erst dann, wenn Anhaltspunkte für einen zielgerichteten Kampf gegen Verfassungsgrundsätze hinzukommen, ist eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz gerechtfertigt. Durch das Bekenntnis zur Gewalt grenzen sich die Autonomen selbst von allen anderen Gruppierungen ab, die ansonsten "alternative Lebensformen" der verschiedensten Art praktizieren (vgl. auch "Jugendszene, linksextremistisch orientierte). Deshalb kann auch nicht die gesamte Hausbesetzerszene unterschiedslos als linksextremistisch qualifiziert werden. Falls "Besetzer" ohne politische Ambitionen tatsächlich nur Wohnraum suchen, werden sie, unabhängig von derstrafrechtlichen Würdigung ihres Verhaltens, vom Verfassungsschutz nicht ins Visier genommen. Andererseits ist unübersehbar, dass Autonome sich gerade in der Hausbesetzerszene konzentrieren und sie, nach Ort und Zeit in unterschiedlichem Grade, prägen. Mancherorts bestehen gemeinnützige Vereine, die bei Verhandlungen mitkommunalen Verwaltungenüber alternative Wohnoder Kulturprojekte und deren Finanzierung in Erscheinungtreten. Sofern derartige Vereine ihre alternativen Lebensentwürfe innerhalb der Rechtsordnung gestalten wollen, fallen auch sie nicht in den Blick der Verfassungsschutzbehörden. Dies gilt jedoch nicht für Autonome, die unter dem Deckmante] eines gemeinnützigen Vereins die Konfrontation mit der demokratischen Verfassungsund Rechtsordnung suchen. Autonome bekämpfendie freiheitliche demokratische Grundordnung und den Staat, weil sie an deren Stelle eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft wünschen, in der sie in absoluter Unabhängigkeit leben können. Sie haben kein geschlossenes ideologisches Weltbild, sondern verstehen sich als Fundamentalopposition gegen jegliche staatliche und gesellschaftliche Normen. Um ihre Vorstellungen von einem Leben ohne Unterdrückung durchzusetzen, wendensie oft erhebliche kriminelle Energie auf. Gewalt gilt den Autonomenals legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung, sofern sie nur "durchdacht", "begründet" und "vermittelbar" sei. Die Spanne reicht von Sachbeschädigungenbis hin zu schweren, lebensbedrohlichen Körperverletzungen. So nehmen Autonome bei Demonstra- Linksextremismus tionen bewusst in Kauf, dass Polizisten verletzt werden, denn diese repräsentieren in ihren Augenden verhasstenStaat, das "Schweinesystem". Auch wenn sie etwa Hakenkrallen in Oberleitungen von Gleisstrecken hängen, um ihrem Protest gegen Atommülltransporte Ausdruck zu geben, müssen sie gewärtig sein, dass durch die von ihnen ausgelösten Verkehrsunglücke Menschen zu Schaden kommen Einig sind sich die Autonomen, wenn es um Angriffe auf tatsächliche oder vermeintliche Neonazis geht: Verletzungensind einkalkuliert, ja beabsichtigt. So überschreiten manche autonome Kleingruppen bisweilen die Schwelle zum Terrorismus. Die Autonomenformieren sich zu meist losen und oftmals kurzlebigen Gruppen. Denn in der Regel lehnen Autonome aus ideologischen Gründen fest gefügte Organisationen und Hierarchien ab. Die Grundstruktur der autonomen Szene besteht aus offenen, halboffenen oder klandestinen Kleingruppen ohneorganisatorischen Rahmen auförtlicher Ebene. Deren Hochburgenliegen in städtischen Ballungszentren. Szenestrukturen Bundesweite Organisation aufgelöst Seit Beginn der 90er Jahre haben sich Autonome immer wieder bemüht, verbindlichere Strukturen in der Szene aufzubauen -- doch zumeist scheiterten diese Versuche über kurz oder lang. Am Anfang stand jeweils die Erkenntnis, dass die Kurzatmigkeit autonomer Politik, das Hetzen von Kampagne zu Kampagne an der Herausbildung einer kontinuierlichen Theorie und Praxis hindere und die Autonomen zu einem -- gesellschaftlich bedeutungslosen -- Nischenund Ghettodasein verdamme. Am Ende aber mussten die Beteiligten für gewöhnlich feststellen, dass Vereinbarungen überInhalt, Form und Zweck gemeinsamer Aktionen die Zusammenarbeit nicht auf Dauer zu tragen vermochten; man konntesich nicht einmal auf Regeln verständigen, wie mit unterschiedlichen Auffassungen umzugehen sei. 1992 war nach längeren Debatten die straff organisierte und militante "Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation" (AA/BO) -- die eigentlich dem organisationsfeindlichen Grundverständnis der Szene zuwiderlief -- gegründet worden. Sie sollte dem "antifaschistischen Kampf" Kontinuität und dauerhafte Schlagkraft verleihen. Autonome Gruppen aus verschiedenen Regionen Deutschlands ließen sich in die Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 AA/BO einbinden. Doch im April 2001 erklärte die AA/BO ihre Auflösung, nachdem sie wegen innerer Widersprüchebereits faktisch auseinandergebrochen war. Über ein neues Organisationsmodell wird seither diskutiert, doch bislang ohne praktische Folgen. Bald nach der Auflösung der AA/BO erschien die erste Ausgabe der Vierteljahrespublikation "Phase 2 -- Zeitschrift gegen die Realität", die, wie ihr Namesagt, eine zweite Phase der Organisationsbildung programmatisch unterstützen wollte. Die Autoren der "Phase 2" propagierten die Idee, dass dabei nicht nur der autonome "Antifa-Kampf", sondern auch weitere Themenfelder einbezogen werden müssten. Set offenkundig ist, dass sich vorerst keine neue Organisation formieren wird, widmet sich "Phase 2" vornehmlich theoretischen undstrategischen Fragen; im Mittelpunkt steht die fundamentale Gesellschaftskritik aus autonomer Sicht. Gruppierungen in Brandenburg undBerlin An der Grundsatzdebatte um neue Strukturen beteiligte sich engagiert auch die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB), ehemals eine der schlagkräftigsten Gruppierungen innerhalb der AA/BO. In der Region Berlin/Brandenburg war die AAB ohnehindie größte und straffste Organisation militanter Linksextremisten. Ihr Einfluss reichte in zahlreiche lokale Gruppenhinein. Aber auch die AAB wurdeein Opfer innerer Widersprüche. Im Jahr 2002 zerfiel sie zunächst in zwei Fraktionen, Anfang 2003 löste sie sich konsequenterweise gänzlich auf. In getrennten Erklärungen, die über das linksextremistische Internetportal "Indymedia" verbreitet wurden, begründeten die beiden Gruppenihre jeweilige Position undskizzierten Leitlinien ihrer künftigen Arbeit. Eine Gruppe charakterisiert sich selbst als "aktivistischen Teil" der AAB, während die andere als die vermeintlich "bessere Hälfte" der AAB die "Neubestimmung zeitgemäßerlinksradikaler Politik" vermittels inhaltlich-theoretischer Klärung an die erste Stelle setzt. Die "bessere Hälfte" meint, das Konzeptdes "revolutionären Antifaschismus" sei zu eng. Denn hiernach gelange manerst auf dem Umweg moralischer Empörungüber Nazis zur grundsätzlichen Kritik am Kapitalismus und am bürgerlichenStaat. Hingegenschlage die globalisierungskritische Bewegung ohne Umschweife das entscheidende Thema an. Deshalb komme es darauf an, in diese Bewegunginhaltlich hineinzuwirken und reaktionäre Ansätze in ihr auszugrenzen. Infolgedessen ist für die "bessere Hälfte", wie sie über "Indymedia" erklärte, der Antifaschismus Linksextremismus "(...) nicht mehr Drehund Angelpunkt unserer Argumentation (...). Wir werden aber weiterhin dort, wo sich in diesem Themenfeld die Möglichkeit des diskursiven Eingreifens in politische Geschehnisse bietet, aktiv werden -- wie z. B. gegen Naziaufmärsche und in geschichtspolitische Debatten (z. B. Wehrmachtsausstellung). (...) Bestandteil unserer Praxis werden bis auf weiteres folgende Politikfelder sein: Antikapitalismus, Antifaschismus, Jugendarbeit, Verankerung an der Uni und 'Kampf um die Köpfe'." Der "aktivistische Teil" hält, ebenfalls über "Indymedia", dagegen: Jene Kräfte, die neue theoretische Ansätze finden und diese mit der Praxis zusammenführen wollten, würden ihrem eigenen Anspruch keineswegs gerecht werden. Inhaltliche Positionsbestimmungen - z. B. bei der Diskussion um den drohenden Krieg gegen den Irak -- seien "auf irgendwann" verschoben worden. Da mit solchen theoretischen Diskussionen die Praxis intervenierender Aktionen blockiert werde, sei die Trennung der beste Weg. Sie selber, so betonen die "Aktivisten", würden sich auch weiter am Konzept der "verflossenen AAB" mit dem Antifaschismusals zentralem Ansatzpunkt orientieren. Im Übrigensei das Praxisfeld schon 1999, seit der Mobilisierung gegen den EU-Gipfel in Köln, um Aspekte der Globalisierungsund Neoliberalismuskritik erweitert worden. Wie sich die Auflösung der AAB auf die autonomen Kleingruppen in Brandenburg -- von denen einige mit der AAB kooperierten -- auswirken wird, bleibt abzuwarten. Mindestens müssen sie nun darauf verzichten, sich an einen aktionsstarken, kampfgestählten Partner in der Region anzulehnen. Das bedeutet aber keineswegs, dass die Autonomen in Brandenburg handlungsunfähig geworden wären. Manchelokale Kleingruppen durchlaufen zwar Schwächephasen oder zerbröseln gar; andere aber sind intakt, obschon auchsie häufig einer starken Fluktuation unterworfen bleiben; wieder anderebilden sich nach personellen Umbrüchenneu. Insgesamtist das autonome Personenpotenzial in Brandenburg sogar gewachsen. Autonome Gruppierungen bestehen vor allem in den größeren Städten des Landes Brandenburg wie Potsdam, Brandenburga. d. H., Frankfurt (Oder) und Cottbus, aber auch z. B. in Bernau, Eberswalde, Königs Wusterhausen, Neuruppin, Rathenow und Spremberg. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Absprachen zwischen den einzelnen Gruppen geschehen in der Regel informell. Vor allem auf dem Aktionsfeld "Antifaschismus" wird eine Vernetzung angestrebt. Dabei bleiben, ungeachtet des Zerfalls der AAB, autonome "Antifa"-Gruppierungen aus Berlin gesuchte Partner. Kampagnen und Diskussionsthemen Wechselnde Aktionsschwerpunkte Die Aktionen der Autonomen richten sich herkömmlicherweise direkt oder indirekt gegen die "Unterdrückungsmechanismen", denen die Menschenin der bürgerlichen Gesellschaft ausgeliefert seien. Dazu gehören aus autonomerScht Kapitalismus, Rassismus und das Patriarchat (Theorie der "triple oppression", der "dreifachen Unterdrückung"); teilweise wird die imperialistische Unterdrückung der Dritten Welt und die Versklavung von Tieren hinzugerechnet oder die staatliche Repression bzw. der Faschismus als Instrument der kapitalistischen Klassenherrschaft hervorgehoben. Aber nicht nur die entsprechenden Herrschaftsinstitutionen, sondern auch die Personen, die diese Unterdrückungsverhältnisse repräsentieren oder aus ihnen Nutzen ziehen, geraten dabei ins Visier. Je nachdem, welches Gewichtder einzelnen Unterdrückungsform beigemessen wird, verschieben sich die Schwerpunkte von Diskussionen und Aktionen der autonomen Szene. Darüber hinaus greifen die Autonomen Themenauf, die in der Gesellschaft kontrovers diskutiert werden. Häufig schließen sie sich an bereits bestehende gesellschaftliche Protestbewegungen an und versuchen, sie für ihre eigenen Zweckezu instrumentalisieren. Denn diese Bewegungen sind ihnen zum einen als Resonanzböden und Verstärker ihrer eigenen Kampagnen willkommen, zum andern wollen sie manipulativ auf sie Einfluss nehmen, um sie in eine militante Konfrontation mit dem Rechtsstaat zu drängen. Deshalb sind die Protestthemen selbst für die Autonomen oft nur ein Vorwand und austauschbar. Es genügt, wenn sie ihnen einen Anlass für Aktionen gegen das verhasste System liefern. Kampagnen, die an bestimmte Protestthemen anknüpfen, entfalten jedoch eine identitätsstiftende Wirkung in der Szene und sind darum für sie ein unentbehrlicher Stabilisator. Schon aus diesem Grunde möchten die Autonomen den Anspruch, solche Themen exklusiv oder mindestens als Avantgarde zu vertreten, nicht gerne aufgeben oder mit anderenteilen. Folglich erbittert es sie, wenn etwa beim Widerstand gegen die Nutzung der Atomenergie, beim Kampf gegen den Rechtsextremismus oder Linksextremismus in der Anti-Globalisierungs-Bewegung demokratische Kräfte dominieren. Sie reagieren darauf, indem sie entwedersich durch erhöhte Militanz innerhalb der Protestbewegung zu profilieren suchen oderihr Interesse an weiterem Engagementganz verlieren. Inletzter Zeit lässt sich denn auch die autonome Szene insgesamt schwerer mobilisieren. Ebenso schwindet die offentliche Resonanz auf Aktionen, die in den Augen der Autonomen gelungen waren. Selbst Anschläge bringen ihnenoft nicht das erhoffte Echo ein. Manche Aktionsfelder wie der von der militanten Hausbesetzerszene geführte "Kampf gegen Umstrukturierung" sind inzwischen fast gänzlich aufgegeben worden. Allenfalls beim "antifaschistischen" oder beim "antirassistischen" Kampf können nochgelegentlich Aufmerksamkeitsprämien gesammelt werden. Doch angesichts der vielfältigen staatlichen Maßnahmen und zivilgesellschaftlichen Aktivitäten gegen den Rechtsextremismus hat für die Autonomensogar das zentrale Aktionsfeld "Antifaschismus" etwas an Attraktivität verloren. Viele Autonome schätzen mittlerweile die Situation der Szene als kritisch ein. So klagte eine Aktivistin: "Der Rückzugder radikalen Linken, geographisch wie thematisch, ist eine Entwicklung, die wir mit Sorge betrachten. (...) Das Problembesteht darin, dass die radikale Linke derzeit nicht gerade einen Aufwärtstrend erlebt." (zit. nach: "junge Welt" vom 30. Juli) Drastischer beschrieb die Lage ein Beitrag der "autonomen gruppen" in der Szenezeitschrift "INTERIM" unter dem Titel "lote tragen keine KaTos ! "Die Linke ist in diesem Land so schwach wie seit Jahren nicht mehr. Das System steht momentan noch nicht einmal vor einem Legitimationsproblem. Konsum, der Fetisch des Geldes, das Patriarchat, Militarismus und vieles mehr feiern fröhlich ein Comeback oder erfreuen sich verschärfter Beliebtheit. Sie werden von keiner relevanten gesellschaftlichen Gruppe in Frage gestellt. Rassismus ist eine ebenso schlimme Realität wie das Anerkennen von Herrschaft und Ausbeutung als eine Art Naturgesetz. Die Linke - die es so auch nicht gibt -- ist auf sich selbst zurückgeworfen." (Nr. 549 vom 1. Mai) Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Gesteigerte Militanz Die szenetypische Klage über die eigene Ohnmacht beantworten einige Gruppenmit gesteigerter Militanz. Davon erhoffen sie sich sowohlaktivierende Impulse auf die Szene als auch Anstöße für neue Konzepte. Deshalb verstehen sie ihre Anschläge als Beleg für die eigene Handlungsfähigkeit, außerdem aber auch als Anknüpfungspunkte für strategische Diskussionen. Der Berliner Personenkreis, der sich "militante gruppe" (img) nennt, hat die Diskussion um "militante und bewaffnetePolitik" im Juni 2001 begonnen. In der autonomen Szenepublikation "INTERIM" wird sie weitergeführt. An ihr beteiligen sich mittlerweile auch die "autonome miliz" (am), die "revolutionäre aktion carlo giuliani" und ein Personenzusammenhang, der sich mitunter "Clandestino" nennt. Fast alle diese Gruppen haben mit Brandanschlägen bewiesen, dass sie es ernst meinen (vgl. auch untenS. 167). Die mgvertritt die Ansicht, dass man sich über die "militanten Interventionsmittel und Aktionsformen" zwar noch im Einzelnen verständigen müsse, aber jedenfalls "alle Aktionsformen unterhalb von politischen Exekutionen" unbedingt notwendigseien, und zwar: "sachschadenorientierte militante Praxen (vom wilden Plakatieren bis zu Brandund Sprengsätzen), personenschadenorientierte Praxen (direkte körperliche Konfrontation wie Verprügeln und Kübeln) und symbolische Politpraxen (Kommunikationsguerilla und 'diskursive Dissidenz')". INTERIM", Nr. 550 vom 9. Mai) Die mglässt dabei keinen Zweifel daran, dass für sie gezielte Angriffe auf Politiker und andere Repräsentanten des "kapitalistischen Systems" grundsätzlich in Betracht kommen: "Wir müssen neben anonymenInstitutionen die real verantwortlichen Personenkreise der kapitalistischen und imperialistischen Ausbeutungsund Unterdrückungsstrukturenins Visier unserer Politik nehmen." (ebenda) Über Exekutionen von Entscheidungsträgern ausPolitik, Wirtschaft und Wissenschaft sei sowohl aus logistischen als auch aus "repressionstechnischen Gründen" allerdings erst nach einer längeren intensiven Diskussion unter den militanten Gruppenzu entscheiden. 160 Linksextremismus So hat sich de mg vorerst damit begnügt, an bestimmte Personen scharfe Patronenzu versenden, z. B. im Juni 2001 an drei Vertreter der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zugunsten der ehemaligen Zwangsarbeiter und am 5. Februar an einen Berliner Sozialstadtrat. Die Gruppe "Clandestino" äußert Zweifel daran, ob eine solche Praxis hinreichend Akzeptanz in der Szenefinde: "Als radikale Linke schließen wir den bewaffneten Kampf nicht von vornherein aus, doch halten wir zum jetzigen Zeitpunkt die Bedingungennicht für erfüllt. (...) Seien wir doch ehrlich, unsere Praxis findet immer weniger Akzeptanz." INTERIM", Nr. 552 vom 20. Juni) Offenkundig hat der Diskussionsprozess sein Ziel, zu einem "abgestimmten inhaltlich-praktischen Agieren von Militanten zu gelangen", noch nichterreicht. Das an der Praxis der einstigen "Revolutionären Zellen" (RZ) orientierte Modell, militante Aktionen zu unternehmen und deren Sinn und Zweck einem breiten Sympathisantenumfeld plausibel zu machen, funktioniert bislang nicht. "Antifaschismus" Ideologie und Aktionsformen Der "antifaschistische Kampf" ist für das Selbstverständnis der Autonomen eminent wichtig. Denn erliefert ihnen das unerlässliche und völlig unstreitige Feindbild, und er sorgt zudem für den organisatorischen wie ideologischen Zusammenhalt zwischen den verschiedenen autonomen Gruppierungen. Nicht nurtatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten gelten als "Faschisten", auch der freiheitliche Rechtsstaat und die bundesdeutsche Gesellschaft insgesamt werdenals "faschistoid" charakterisiert. Ein "antisemitischer und rassistischer Konsens" sei tief in der Mentalitätsstruktur der Deutschen verankert. Zwei Beispiele für diese Haltung: Die Potsdamer Gruppe "progress [antifascist youth]" veröffentlichte auf der Website "inforiot" (vgl. unten S. 234) einen Demonstrationsaufruf, der sich gegen einen Aufzug der NPD am 14. Septemberin Potsdam (vgl. oben S. 122 und unten S. 165) richtete. Darin wird behauptet: 161 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Die Nazis snd aber nur die Spitze des Eisberges. Sie sprechen aus, was ein Großteil der Deutschendenkt, sich aber nichtzu sagentraut. Dieser antisemitische undrassistische Konsens zieht sich quer durch die postfaschistische Gesellschaft." "Wegsehen war schon immer Scheiße -- Gegen denrassistischen Konsens vorgehen! Nazistrukturen zerschlagen!" hieß das Motto einer Demonstration am 15. Juni in Rathenow, zu der - neben nichtextremistischen Organisationen - auch die AAB, die "JungdemokratInnen/Junge Linke" (ID/JL), die "Antifaschistische Aktion Potsdam" (AAPO) und weitere "Antifa"-Gruppen aufgerufen hatten. "Antifa"-Aktionen richten sich vor allem gegen Rechtsextremisten oder Personen, die für solche gehalten werden, aber auch gegebenenfalls gegen Institutionen und Repräsentanten von Staat und Gesellschaft. Das Spektrum der Aktionsformen reicht vom schlichten Überpinseln von "Nazischmierereien" bis hin zu schweren Gewalttaten. Diese werden mitunter spontan verübt, etwa wenn man "Nazis" in der Öffentlichkeittrifft undsie niederschlägt(vgl. z. B. unten S. 164 PS.). Häufiger aber werdensie geplant und konspirativ vorbereitet. Man forscht Wohnadressen und Treffpunkte von Rechtsextremisten aus, damit man ihnen auflauern und sie angreifen kann. Die Treffbzw. Veranstaltungsorte selbst sind Ziel nächtlicher Brandanschläge. Das Eigentum rechtsextremistischer Parteien, etwa Wahlplakate und Wahlstände, wird zerstört. Auf die letztgenannte Weise griffen Autonomebeispielsweise in den Bundestagswahlkampfein; sie störten im Übrigen auch Wahlkampfveranstaltungen bürgerlicherParteien. Bo 0 (c) Prtse ud 0: 17 = UF W005, BE IEH N, '272028 162 Linksextremismus Beliebt sind bei autonomen "Antifa"-Gruppen auch öffentlichkeitswirksame Kampagnen zum Thema "Antifaschismus". Sie können aber kaum verdecken, dass die Inhalte und Ziele der "antifaschistischen Arbeit" keineswegs klar definiert, sondern vielmehr Gegenstand zweifelnder Fragen oder heftiger Streitigkeiten innerhalb der autonomen Szene geworden sind Das zeigte sich beispielsweise, als das Berliner "Antifaschistische Aktionsbündnis III [A 3]" vom 27. Januar bis 3. Februarseine vierte "Antifaschistische Aktionswoche" veranstaltete. Sie stand unter dem weitgespannten Motto "Zusammen handeln gegen Nazis, Rassismus, totale Kontrolle", behandelte also auch Themen, die mit dem "Antifaschismus" unmittelbar nichts zu tun haben. Die erste dieser "Aktionswochen" hatte 1999 stattgefunden. Damals protestierten Autonome dagegen, dass die Bundesgeschäftsstelle der "Republikaner" in eine BerlinerVilla einzog, deren vormalige jüdische Besitzer einst von den Nationalsozialisten zwangsenteignet worden waren. An der diesjährigen Aktionswoche beteiligten sich aus Brandenburg die Gruppe "RedSideZ - JD/JL Blankenfelde" und mehrere " Antifa"-Initiativen. Zwei der Veranstaltungen fanden in Blankenfelde bzw. in Belzig statt. Die in Blankenfelde befasste sich mit der "Situation von Illegalisierten in der BRD". Im Rahmen der Aktionswoche startete auch eine so genannte "Frostschutztour 2002". Mit ihr sollten neue Interessenten gewonnen werden; denn man wollte "denenin Berlin und Brandenburg, die auch malin diese Szene rein schauen wollen, ohne gleich genauso werden zu müssen, die Möglichkeit bieten, das zu tun". In Brandenburg fanden gleich mehrere Informationsveranstaltungen statt. In deren Mittelpunkt standen vorallem Hausbesetzungenfrüherer Jahre, die als "heroisches" Kapitel in der Geschichte der Autonomen bewundert werden. Auf einer Veranstaltung in Erkner wurdedie staatliche "Überwachung" thematisiert. Offene Konfrontation gesucht " Antifa"-Gruppen treten Rechtsextremisten aber auchin aller Öffentlichkeit massiv entgegen, stets bereit, sie anzugreifen, wennsich eine Gelegenheit dafür bietet. So gehensie gegen Szenetrefforte von Rechtsextremisten nicht nur heimlich, sondern gegebenenfalls auch demonstrativ vor. Beispielsweise versammelten sich 40 Personen -- offenbar Teilnehmer und Sympathisanten 163 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 h Hr 'i n l M a T T U R I R , INee WEL ET a Ta BT Um "Faschoaufmärsche" zu verhindern oder empfindlich zu stören, organisieren militante "Antifa"-Aktivisten die direkte Konfrontation. 164 Linksextremismus des "Crossover-Summercamps" in Cottbus (siehe unten S. 169) -- am 8. August in Guben zu einer Spontandemonstration "gegen Nazis". Lautstark skandierten sie "Nazis verpissen, wir werden euch nicht vermissen" und "Nazis raus". Eine Person aus der rechtsextremistisch orientierten Szene wurde, als sie ihr Wohnhaus verließ, von Demonstranten beschimpft, geschlagen und getreten Einen Tag später besetzten etwa 100 Personen für eine Stunde eine Tankstelle in Cottbus-Sandow. Dort war wenige Tage zuvor ein Kubaner von drei Männern schwerverletzt worden. Doch vor allem um "Faschoaufmärsche" zu verhindern oder empfindlich zu stören, organisieren militante "Antifa"-Aktivisten die direkte Konfrontation auf der Straße. Darauf verzichten sie auch dann nicht, wenn solche Demonstrationen angemeldet und erlaubt worden sind. Oft attakkieren sie Rechtsextremisten bereits bei der Anreise. DerPolizei, die zugelassene Demonstrationen zu schützen hat, wird von den Autonomen vorgeworfen, mit den "Faschos" gemeinsame Sache zu machen. Deshalb greifen militante "Antifa"-Aktivisten auch Polizisten direkt an. Wenn diePolizei bei solchen Gelegenheiten auf Deeskalation setzt, kann aber die Angriffslust der Autonomenleicht ins Leere laufen. So verhinderte die Polizei am 14. Septemberin Potsdam erfolgreich Massenschlägereien zwischen den demonstrierenden NPD-Anhängern und "Antifa"Kämpfern. Das sorgte in der autonomen Szene für Verärgerung. Zwar wurde auf der Website "inforiot" noch resümiert: "Selbstredend entschlossener als die BürgerInnen gingen die schätzungsweise 500 unabhängigen Antifas vor, die sich zum Ziel gesetzt hatten nicht nur gegen den Naziaufmarsch zu protestieren sondern ihn auch aktiv zu verhindern." (Schreibweise wie im Original) Aber die AAPO zeigte sich, wie auch andere Gruppen, vor allem wegen des Vorgehens der Polizei unzufrieden, wie sie auf der Website "inforiot" bekundete: "Mit einer Mischung aus Verzögerung, Behinderung und Desinformation erschwerte die Polizei das sonst stets medienwirksam eingeforderte Engagement gegen Rechts. (...) Derzeit werden rechtliche Schritte gegen die Auflagen und Verbote geprüft." 165 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Als bekannt wurde, dass der Hamburger Neonazi Christian Worch für den 21. Dezember eine Demonstration in Potsdam unter dem Motto "Schickt Schönbohm in die Wüste" vorbereitete (vgl. auch oben S. 94), rief die Potsdamer Gruppe "progress [antifascist youth]" am 10. Dezember zu einer Gegendemonstration auf. Der hierzitierte Textausschnitt aus diesem Aufruf dokumentiert noch einmal beispielhaft die Ideologie, die Argumentationsstrategie und die Aktionsplanung der autonomen "Antifa". Er beginnt mit einer Bezugnahme auf Worch: "Dass seine Wahl diesmal auf Potsdam fiel, ist nicht zufällig. Zum einen ist Potsdam die Hauptstadt Brandenburgs und besitzt damit natürlich einen höheren Symbolgehalt als irgendein Kaff. Zum anderengilt es für Worchdie örtliche Naziszene zu stärken und die "Schande', denn genau als das könnte man die vorangegangenen beiden NPD-Veranstaltungenbezeichnen, zu mildern. Dochdie Nazis belassen es nicht nurbei ihren parteipolitischenVeranstaltungen: in letzter Zeit lässt sich in Potsdam eine massive Zunahme faschistischer Übergriffe beobachten. Insbesondere in Nachtbahnenund Bussen kommt es seit einigen Monatenhäufig zu brutalen Naziangriffen, bevorzugtes Ziel sind hier vor allem Flüchtlinge. (...) Aufgrund der Thematik und der Organisatoren ist damit zu rechnen das dieser Aufmarsch wesentlich größer wird als die beiden vorhergegangenen. Sorgen wir dafür das diese Demo ein mittelgroßes Unglück für die Nazis wird -- ein Unglück, von demsie sichhoffentlich nie wieder erholen werden. (...) Antifa heisst Angriff! Organisiert den antifaschistischen Selbstschutz!" (Schreibweise wie im Original) 166 Linksextremismus "Antirassismus" Der "antirassistische Kampf" der Autonomen hat sich in den letzten Jahren immer mehr auf den "staatlichen Rassismus" konzentriert. Die deutsche Asylgesetzgebung und der Umgang der Behörden mit Ausländern seien Beweis genug, dass der Rassismus dem bestehenden System immanent und dass die Ausgrenzung von Andersund Fremdartigen gewollt sei. Teils legal, teils illegal, in jedem Fall aber staatlich gedeckt, würden "Nicht-Deutsche" willkürlich diskriminiert -- nicht anders als sozialan den Rand Gedrängte wie Drogenabhängige, Bettler und Obdachlose. Gerade die Polizei behandle diese Gruppen immerrepressiver und brutaler. Der 11. September 2001, so lautet eine verbreitete These, liefere dem Staat den Rechtfertigungsgrund für ein verschärftes Vorgehen gegen Ausländer. Daher wird auch das so genannte Anti-Terror-Paket der Bundesregierung als rassistisch qualifiziert. Seit geraumerZeit ist das zum Bundesverwaltungsamt Köln gehörende Ausländerzentralregister (AZR) Ziel antirassistischer Agitation. Dort finde eine "rassistische Sondererfassung" von Personen ohne deutschen Pass statt. Unter dem Motto "AZR abschalten" wurde bundesweit für Protestdemonstrationen am 25. Mai mobilisiert. An ihnen nahmen in verschiedenen Städten Nordrhein-Westfalens dann aber nur 200 bis 600 Personen teil. Ein weiterer Angriffspunkt von "Antirassisten" ist der Umgang mit Flüchtlingen und Migrantenin der täglichen Behördenpraxis. So wird die Auszahlung von Leistungen an Flüchtlinge in Form von Warengutscheinen oder Chipkarten als rassistisch abgelehnt. Hierzu veröffentlichte das Szeneblatt "INTERIM", Nr. 555 vom 29. August, einen Beitrag der Berliner "Initiative gegen das Chipkartensystem", in dem solche Karten als "Überwachungsund Disziplinierungsinstrument der HERRschenden" bezeichnet wurden. Dem Textfolgte eine Adressenliste von 70 Berliner Lebensmittelläden, die an das Chipkartensystem angeschlossen sind. Schon vor diesem Aufruf kam es zu einschlägigen Gewalttaten: Unter anderem aus Protest gegen das Chipkartensystemlegte die "militante gruppe" (img) am 5. Februarin den Kellerräumen des Bezirksamtes Berlin-Reinickendorf einen Brandsatz und übersandte demverantwortlichen Stadtrat für Sozialwesen eine scharfe Patrone und ein Messer. Mit der gleichen Begründungbeschädigte die "autonome miliz" (am) am 11. Februar in Berlin eine Filiale der Supermarktkette "extra". 167 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Auch die sogenannte Residenzpflicht, nach der Asylbewerber nur mit behördlicher Genehmigung ihren Landkreis verlassen dürfen, wird von autonomen Gruppen bekämpft. Teilnehmer des "Antirassistischen Pfingstcamps" der JD/JL, das vom 17. bis 20. Mai in Jüterbog stattfand, sperrten auf einem Parkplatz vor einem Jüterboger Einkaufsmarktkurzzeitig eine Fahrspur Autofahrern und Passanten wurden Flugblätter in die Hand gedrückt. Über Lautsprecher verkündete ein Demonstrant, dass ab sofort die Freizügigkeit der Bürger eingeschränkt werde. Jeder Deutsche unterliege jetzt der "Residenzpflicht", die bislang nur für Asylbewerber gilt. Er dürfe nicht mehr ohne Genehmigung der "Inländerbehörde" seinen Landkreis verlassen. Allerdings ignorierten die meisten Jüterboger das Polit-Spektakel. Autonome Gruppen werfen dem Staat vor, er schiebe Flüchtlinge aus rassistischen Motiven ab und trage die Mitverantwortung dafür, dass manche der Abgeschobenen in ihren Heimatländern umgebracht würden. Mit Veranstaltungen, Demonstrationen und Kampagnen versuchen sie, den "rassistischen Staat" und dessen "Handlanger", z. B. Luftfahrtunternehmen und Flughafenbetreiber, zu treffen. Dabei schrecken sie auch vor Gewalttaten nicht zurück: Am 24. Juli verübten die "Autonomen Zellen 'In Gedenken an Ulrike Meinhof"" in Hamburg Brandanschläge auf zwei Kraftfahrzeuge eines Serviceunternehmens, die die Aufschrift "Lufthansa" trugen. In ihrer Taterklärung thematisierten die Verfasser vorallem die Abschiebung von Ausländern und die Behandlung von Flüchtlingen in Deutschland. Die Lufthansa sei Ziel der Anschläge, da sie in großem Umfang an Abschiebungen beteiligt sei und sich mit diesemdreckigen Geschäft eine goldene Nase verdiene. In der Nacht zum 4. Septembergriffen "Autonome Gruppen" den Mast einer Stromleitung zwischen Zeuthen und Kiekebusch (beide Landkreis Dahme-Spreewald) an. Der Mast knickte ab, allerdings wurdedie Stromversorgung des Flughafens Berlin-Schönefeld nicht, wie beabsichtigt, unterbrochen. Aus einem Bekennerschreiben unter dem Titel "No Border --No Nation -- Stop Deportation" geht hervor, dass mit der Aktion gegen einen Abschiebeflughafen die "rassistische und imperialistische" Flüchtlingspolitik getroffen werdensollte. 168 Linksextremismus Der Stellenwert des Themas "Antirassismus" für die autonome Szene zeigt sich nichtzuletzt daran, dass im Jahre 2002 erstmals gleich mehrere so genannte "Sommeroder Grenzcamps" in Deutschland, u. a. in Jena, Cottbus und Hamburg, stattfanden. In den Vorjahren hatte es jeweils nur ein Grenzcamp - als Höhepunkt der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" -- gegeben Außerdem nahmen deutsche "Antirassisten" auch noch an entsprechenden Camps im Auslandteil. Dasinternationale "No-Border-Camp" vom 19. bis 28. Juli in Straßburg richtete sich gegen dasin der Stadt ansässige "Schengener Informationssystems" (SIS), das in den Augen der Autonomen als Kontrollund Unterdrückungsinstrument gegen Migrantendient. Bei einer Demonstration gegen "Abschiebeknäste" am 24. Juli in Straßburg wurdeein Teilnehmer aus Brandenburg für 24 Stunden inhaftiert. Ihm wurde von der französischenPolizei vorgeworfen, an einer bewaffneten Versammlung teilgenommen zu haben. Das Camp in Cottbus war als "Crossover-Summercamp-Projekt" vom Berliner Verein "Crossover e. V." vorbereitet worden. Entstanden war die Idee zu diesem Camp aus "Unzufriedenheit über die mangelnde Thematisierung von Sexismus unddie Unterbelichtung feministischer Inhalte in antirassistischer Politik" bei den Grenzcamps, die in den Jahren zuvor im brandenburgischen Forst und am Flughafen Frankfurt/Main stattgefunden hatten. Nachdem in den Szenemedien "inforiot", "INTERIM" und "Phase 2" für das Camp mobilisiert worden war, fanden sich etwa 200 Teilnehmer vom 3. bis 11. August in Cottbusein. Sie widmeten sich der Suche nach "neuen Widerstandsperspektiven" gegen "Nationalismus', "Antisemitismus" und "Rassismus" sowie "Patriachalismus", "Kapitalismus" und "Heterosexismus". Im Aufruf zur Abschlusskundgebung am 10. August in Cottbus formulierten die Veranstalterihre Vision einer herrschaftsfreien Welt undstellten klar, dass sie nicht an "eine reformistische Verbesserung des bestehenden Systems glauben". Vielmehr seien sie der Meinung, "dass die fundamentale Umwälzung aller gesellschaftlichen Beziehungen in einem langwierigen Prozess der gesellschaftlichen Transformation (hin zu einem niemals abgeschlossenen Projekt einer Gesellschaft ohne Herrschaft) die einzige wirkliche Lösung darstellt". Allerdings scheint das Konzept, in einem Jahr mehrere Grenzbzw. Sommercamps mit unterschiedlichen Themenschwerpunkten abzuhalten, an seine Grenzen zu stoßen. Mehrere Szenemedien, u. a. "analyse und kritik - zeitung für linke Debatte und Praxis" (ak) und das Internetportal 169 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "inforiot", veröffentlichten Beiträge, in denenkritisiert wurde, dass die diesjährigen Camps je eigene, unreflektierte Themenschwerpunkte hatten und nicht in Beziehung zueinander gesetzt wurden. So meinte ein Teilnehmer des Cottbuser Sommercamps in "inforiot", man sei bei den verschiedenen Camps "der geforderten und dringend nötigen Auseinandersetzung um Standpunkte ( ) locker aus dem Weg gegangen" Weitere Aktionsfelder Kampagne gegen die Nutzung der Atomenergie Viele Anti-Atom-Initiativen -- demokratische, linksextremistisch beeinflusste oder linksextremistische -- haben Mobilisierungsprobleme, da ihr Thema an Brisanz verloren hat. In breiten Teilen der Anti-Atom-Bewegungist der so genannte Atomkonsens offenbar akzeptiert worden. Auch zogen aktuelle politische Kontroversen die Aufmerksamkeit stärker auf sich als der Transport abgebrannter Brennelemente. Dennoch sehen autonome Gruppen im Kampf gegendie friedliche Nutzung der Kernenergie weiterhin ein Vehikel für ihren fundamentaloppositionellen Aktionismus. So wurde noch in einem diesjährigen Aufruf, den die Zeitschrift "INTERIM" unter der Überschrift "Atomstaat als Angriffspunkt linksradikaler Praxis" veröffentlichte, unverhohlen zu Sabotagehandlungen aufgerufen: "Wir wissenselber, was zu tun ist, wir werden unsere Ziele nicht durch Appelle erreichen, wir werden das System nicht mit systemeigenen Mitteln überwinden(...). Atomkraft ist nur ein Symptomfür ein menschenfeindliches System. (...) Wir verstehen den Kampf gegen den Atomstaat als Teil des Kampfes gegen das bestehende System. (...) Direkte Aktionen sind möglich, Widerstand kann praktisch werden. Hau wech den Scheiß!" (Nr. 559 vom 24. Oktober) 170 Linksextremismus Gleichwohl gab es deutlich weniger militante Proteste gegen CASTORTransporte als noch im März und November 2001. Neue Hakenkrallenanschläge gegen Fahrleitungen der Deutschen Bahn AG wurdennicht bekannt. Hingegen gab es wiederum Anschläge auf Einrichtungen und Fahrzeuge vor allem der Deutschen Bahn AG undder Firma Siemens, die wegen der Tatmodalitäten oder anhand von Bekennerschreiben militanten Anti-Atom-Gruppen zuzurechnen sind. Die Bemühungen, den gewaltsamen Widerstand gegen den Transport abgebrannter Brennelemente zu koordinieren, standen unter dem Motto "TRAINSTOPPING 02 - Transporte-Stopp-Kampagne". Man vereinbarte, ausgewählte Transporte gezielt zu blockieren, um auf diese Weise die Aktionen zu konzentrieren und ihnen eine größere Resonanzin der Öffentlichkeit zu sichern. Den Transport abgebrannter Brennelemente aus dem norddeutschen Kernkraftwerk KrümmelAnfangJuli erklärte man zumersten Zielobjekt der Kampagne. Über das Internet wurden für den Tag X Aktionen im Raum Hamburg, Bremen, Münster, Karlsruhe, Neckarwestheim und am Grenzübergang angekündigt. Tatsächlich blieb die Beteiligung erneut weit hinter den Erwartungen zurück. Man beschränkte sich auf demonstrative Aktionen. An Protesten gegen den Transport abgebrannter Brennelemente aus der Wiederaufbereitungsanlage La Hague (Frankreich) in das Zwischenlager Gorleben (Niedersachsen) vom 11. bis 14. Novemberbeteiligten sich allein im Wendland nebeneiner beträchtlichen Zahl sonstiger Atomkraftgegnerauch 100 bis 150 Autonome. Etwa 100 Personengriffen am 11. Novemberin Dannenberg (Niedersachsen) am Rande einer demonstrativen Aktion Polizeibeamte an und verletzten zwei von ihnen leicht. Auch mehrere EinsatzwagenderPolizei wurden beschädigt. Am 12. November wurde der Transport in Mannheim etwa eine Stunde lang von zwei Personen gestoppt, die sich an den Schienenstrang gekettet hatten. Am Tag darauf folgten weitere Störaktionen in Niedersachsen: Brennende Reifenstapel oderGleisblockierer sollten verschiedenenorts den Transport verzögern. Mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei wurden demoliert. Der Straßentransport von Dannenberg in das Zwischenlager Gorleben am 14. Novemberverlief ohne wesentliche Behinderung. In Hamburg kam es daraufhin zu Resonanzaktionen gegen das Kundenzentrumder Hamburger Elektrizitätswerke und mehrere Banken. Ungefähr 20 Personen aus demautonomen Spektrum warfen Scheibenein underrichteten eine Barrikade aus brennenden Mülleimern. 171 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Kampagne gegen "Militarismus" DerProtest gegen den "Militarismus" artikuliert sich vor allem in Aktionen gegen öffentliche Auftritte von Soldaten der Bundeswehr. Wie in den Vorjahren gab es vereinzelte Versuche, Veranstaltungen der Bundeswehr zu beeinträchtigen. So störten 50 Personen, einem Aufruf der JD/JL folgend, ein Benefizkonzert der Bundeswehr am 25. Mai in Strausberg durch laute Parolen wie "Bundeswehr abschaffen" und eine Straßenblockade. Überwiegend friedlich verliefen die öffentlichen Gelöbnisse der Bundeswehr im Land Brandenburg. Dastraditionelle Gelöbnis am 20. Juli in Berlin war aber wieder Ziel von Störaktionen. Unter dem Motto "STOP WAR!" zog am 26. Januar ein "Antimilitaristischer Konvoi" von Berlin nach Potsdam. Unterstützt wurde er u. a. von der AAPO. Begründet wurde diese Aktion damit, dass der Bundeswehr im dritten Jahr der rot-grünen Regierung nunmehr der dritte Kriegseinsatz beschert werde. Deutschland spiele wieder in der ersten Liga der Großmächte mit. Wörtlich heißt es in dem über "Indymedia" verbreiteten Aufruf: "Es reicht uns. Um diese Kriegslogik zu durchbrechen, müssen wir den Entscheidungsträgern und Profiteuren an Ort und Stelle aufdie Pelle rücken." Die Abschlusskundgebung fand in Potsdam am Platz der Einheit statt. Danach zogen de Demonstranten zum Einsatzführungskommando der Bundeswehr in Geltow (Landkreis Potsdam-Mittelmark). ae Fu 2.0000 Kam 172 Linksextremismus Kampagne gegen Gentechnik Seit einigen Jahren klinken sich auch Autonomein die Proteste gegen die Anwendung der Gentechnik ein. In der Szenezeitschrift "INTERIM" resümierte ein namentlich nicht genannter Verfasser unter der Überschrift "Gentechnik und Rassismus -- Rassistische Fakten und genetische Fiktionen" den ideologischen Hintergrund dieser Aktionen: "Technologien wie die Gentechnologie entstehen weder im leeren sozialen Raum noch sind sie wertneutral. Sie sind eingebettet in HERRschaftsverhältnisse und müssen mit ihnen bekämpft werden." (Nr. 554 vom 18. Juli) Angriffsziel der Autonomensind oftmals Freilandversuchsanlagen; dort verursachen hre Aktionen im Einzelfall Schäden von erheblicher Höhe. Die gewaltbereiten Gentechnik-Gegner in Brandenburg engagieren sich vor allem im linksextremistisch beeinflussten "Barnimer Aktionsbündnis gegen gentechnische Freilandversuche". Ein Mitglied des "Barnimer Aktionsbündnisses" begrüßte in einer Diskussion, die im Juli und August innerhalb eines Internetforums geführt wurde, Verwüstungen von Versuchsanlagen: "Ernteaktionen, ob nun öffentlich oder heimlich in der Nacht, haben zu einem erheblichen Teil dazu beigetragen, dass sich die Gentechnikkonzerne in Europa nochnicht durchsetzen konnten. In diesemSinne: Vielen Dank analle Erntehelfer." Solche zerstörerischen Aktionen hatten wenige Monate zuvor in Brandenburg auch wieder stattgefunden: In der Nacht zum 22. März rissen unbekannte Täter aufeinem Versuchsfeld in Dahnsdorf(Landkreis Potsdam-Mittelmark), das von der "Biologischen Bundesanstalt für Landund Forstwirtschaft" betrieben wird, fast sämtliche gentechnisch veränderten Rapspflanzen heraus. Am Folgetag ging beider Lokalredaktion der "Märkischen Allgemeinen Zeitung" in Belzig eine knappeTaterklärung ein: "Der gentechnisch veränderte Raps bei Dahnsdorf (Brandenburg) wurde in der Nacht vom 21.03.02 zum 22.03.02 zerstört." Inder Nacht zum 17. Juni zerstörten Unbekannte auf demgleichen Gelände Versuchsfelder mit gentechnisch veränderten Kartoffelpflanzen. Dabei entstand hoher Sachschaden. Die Arbeit von insgesamtfünf Forschergruppen, deren Projekte vom Bundesministeriumfür Bildung und Forschung gefördert werden, war zunichte gemacht worden. 173 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 ORGANISATIONEN Kommunistische Parteien und deren Nebenorganisationen "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Gründungsjahr: 1968 Si: in Brandenburg aktiv seit: Essen 1990 DK P Jugendorganisation: "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAT) Studentenorganisation: "Assoziation Marxistischer Studierender" (AMS) Mitglieder bundesweit: 4.700 Brandenburg: 90 für Brandenburgrelevante überregionale und regionale Publikationen: "Unsere Zeit", "Roter Brandenburger" (DKP-Bezirkszeitung Brandenburg), "Trotz alledem!" (Zeitung der DKP Potsdam-Umland) Internetadresse: www.dkp.de Die DKPvertritt die "traditionskommunistische" Richtung des Linksextremismus. 1968 von Funktionären der 1956 verbotenen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gegründet, fungierte sie bis zum Fall der Mauer 1989 als Instrument der SED-Politik. Als danach die Unterstützung durch die DDRfortfiel, brach die DKP finanziell, organisatorisch und personell stark ein. Insbesondere junge undaktive Mitglieder verlieBen die Partei. Davon hat sich die DKP bis heute nicht erholt. Als theoretische Grundlageihres Wirkens betrachtet die DKP die "wissenschaftliche" Weltanschauung von Marx, Engels und Lenin, wie sie für das Staatsverständnis der DDR konstitutiv war. Sie versteht sich als "systemoppositionelle Partei", die aufeinen "revolutionären Bruch" mit dem Kapitalismus hinarbeitet. 174 Linksextremismus Die DKPist überaltert, denn das Durchschnittsalterihrer Mitglieder liegt bei etwa 59 Jahren. Veraltet ist offensichtlich auch ihr Parteiprogramm aus dem Jahr 1978. Ursprünglich hatte sich die Partei das Ziel gesetzt, auf dem 17. Parteitag 2004 ein neues Parteiprogramm zu verabschieden. Dazu wird es kaum kommen. Denn derZeitplan sah vor, dass zunächst auf dem 16 Parteitag-er fand vom 30 Novemberbis 1 Dezember in Düsseldorf statt -- ein Papier "Erste Grundlagen zur Diskussion und Erarbeitung eines Programmentwurfs" beraten und beschlossen werden sollte. Ein solcher Beschluss blieb jedoch aus, da auf dem Parteitag gravierende Meinungsunterschiede in zentralen programmatischen Punkten zu Tage traten. Strittig ist vor allem die theoretische Frage, welche Form die Konkurrenz zwischen den "imperialistischen Zentren" künftig annehmen werde. Die einen vertreten die Auffassung, diese Konkurrenz werde sich eher zuspitzen und womöglich die Gefahr eines Krieges zwischen den imperialistischen Mächten heraufbeschwören; die andern meinen, dass die transnationalen Konzerne eine imperialistische Weltordnung herbeiführen würden, in der diese Konkurrenz an Bedeutungverlieren werde. Dogmatische Streitigkeiten belasten die DKP ohnedies schonseit längerer Zeit; insbesondere einige DKP-Aktivisten aus Ostdeutschland versteifen sich auf stalinistische Auffassungen. Ungeachtet solcher internen Auseinandersetzungen um die wahre Lehre hält sich die DKPals ideologische Speerspitze der Arbeiterklasse für unentbehrlich. In den "Forderungen der DKP zu den Bundestagswahlen" beschriebdie Partei ihre Rolle folgendermaßen: "Die politische Entwicklung der vergangenenJahre, auchdie politische Entwicklung der Linkskräfte in Deutschlandhat gezeigt: Unser Land braucht eine kommunistische Partei, die festhält am sozialistischen Ziel, die den grundlegenden Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen anstrebt, die sich auf die Arbeiterklasse als entscheidende gesellschaftsverändernde Kraft orientiert unddie ihr theoretisches Fundamentin der (...) Anwendung und Weiterentwicklung der Theorie von Marx, Engels und Lenin für die heutigen Kampfbedingungen hat." Allerdings stellte die DKP zur Bundestagswahl keine Landeslisten auf, sondern trat nur in 15 Wahlkreisen mit Direktkandidaten an. Ihre Zurück175 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 haltung erklärte sie mit bündnispolitischen Erwägungen. Die DKPerhielt am 22. September wenigerals 0,1 Prozentder Erststimmen. Auch über den Wahlkampf hinaus war und ist die DKP bestrebt, durch Bündnisse mit anderenpolitischen und gesellschaftlichen Gruppen, auch nichtkommunistischen, zu größerem politischem Einfluss zu gelangen. So organisierte de DKP-Bezirksorganisation Brandenburg zusammen mit dem Landesverband Berlin-Brandenburg der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD), dem Landeskoordinierungsrat Brandenburg der "Kommunistischen Plattform" (KPF) der PDS und dem Stadtvorstand Cottbus der PDS eine Podiumsdiskussion am 30. April in Cottbus zum Thema: "Kapital, Krieg, Krise -- kein Ausweg in Sicht? Die Notwendigkeit der Aktionseinheit der Linken". Auf dem 16. Parteitag wurden HeinzStehr als Parteivorsitzender sowie Nina Hager und Rolf Priemer als seine Stellvertreter bestätigt. Als am 27. April bei Bernau die brandenburgische Landesdelegiertenkonferenz tagte, wurde Brigitte Müller als Vorsitzende der Bezirksorganisation Brandenburg wiedergewählt. Wie in anderen ostdeutschen Bundesländern ist die DKP auch in Brandenburg nur schwach vertreten. Ortsgruppen gibt es u. a. in Potsdam, Bernau und der Niederlausitz. Aus Sorge, dass ihr bundesweit der Parteinachwuchs ausgehe, veranstaltete die DKP am 2. Februar in Hannover einen "Jugendpolitischen Ratschlag". Nach einem Bericht des Partei-Zentralorgans "UnsereZeit" (UZ) seien vor allem die soziale und politische Lage der Arbeiterjugend in der Gegenwart und die Jugendpolitik in den Betrieben thematisiert worden. Vom 20. bis 21. April hielt die der DKP nahestehende Jugendorganisation SDAJin Essen ihren 16. Bundeskongress ab. Ihn besuchten laut UZ rund 100 Delegierte. Neben der Wahl des 29-köpfigen Bundesvorstandes stand die Verabschiedung einer Handlungsorientierung für die nächsten zwei Jahre im Mittelpunkt. In einer Solidaritätserklärung an die kommunistische Jugend Venezuelas gratulierte die SDAJ zum Sieg über die "Konterrevolution" und kritisierte zugleich den maßgeblich von deutschen Interessen beherrschten europäischen Imperialismus. Ihr jährliches Pfingstcamp veranstaltete die SDAJ vom 17. bis 20. Mai in Stadthagen (Niedersachsen), nach eigenen Angaben mit 300 jugendlichen Teilnehmern. Im Juli konstituierte sich in Schöneiche (Landkreis Oder-Spree) eine regionale SDAJ-Gruppe. 176 Linksextremismus "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) Gründungsjahr: 1990 ES) KPD Sitz: Berlin in Brandenburg aktiv seit: 1990 Jugendorganisation: "Kommunistischer Jugendverband Deutschlands" (KIVD) Mitglieder bundesweit: 200 Brandenburg: 15 für Brandenburg relevante überregionale Publikationen: "Die Rote Fahne", "Trotz alledem" Internetadresse: www.kommunistische-parteideutschlands.de Diestalinistische KPD wurde im Januar 1990 von ehemaligen SED-Mitgliedern in Berlin "wiedergegründet". Sie wird auch als KPD/Ost bezeichnet; damit unterscheidet mansie von der ebenfalls als KPD auftretenden Kleinstgruppe in Westdeutschland, die aus der ehemaligen "Kommunistischen Partei Deutschlands (Marxisten-Leninisten)" hervorgegangen ist. Die KPD knüpft an die 1918 gegründete KPD an, deren Erbe sie in der Tradition von Liebknecht, Thälmann und Pieck pflegt. In den 1994 beschlossenen "Grundsätzen und Zielen" bekennt sich die Partei ohne Einschränkung zu den Lehren von Marx, Engels und Lenin; sie erhebt den Anspruch, in ihrer Programmatik die Reinheit und Einheit des Marxismus-Leninismus zu bewahren. Ihr Zielist die Überwindungdes Kapitalismus auf "revolutionär-demokratischem" Weg. Bald.nach ihrer Gründunghatte die KPD annähernd 5.000 Personen vereint. Seitherist der Mitgliederbestand auf einen Bruchteil davon zusammengeschrumpft. Die bundesweit etwa 200 Mitglieder der KPD/Ost sind ganz überwiegend in Ostdeutschland beheimatet; darüber hinaus ist die Partei in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vertreten. Den organisatorischen Rahmen in Brandenburg bildet eine Landesorganisation mit Untergliederungen in Frankfurt (Oder) und Potsdam. DenBlick auf das Fernziel einer revolutionären Umwälzung gerichtet, steuert die KPD als Nahziel zunächst die Einheit aller kommunistischen 177 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Kräfte in Deutschland an. Dieses Vorhaben ist wegen offenbar schwer überbrückbarer ideologischer Differenzen im kommunistischen Lagerbisher gescheitert. Zwar bestehen Kontakte insbesondere zur DKP, zur "Kommunistischen Plattform" (KPF) der PDS wie auch zum "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" (AB); dauerhafte BündArbeiterklasse nisse kamenjedoch nicht zustande. # Besonders gelegen ist der KPD offensichtlich an SE einer Aktionseinheit mit der DKPFür sie warbz. B. der KPD-Vorsitzende in einem offenen Brief an die DKP,den im Märzdie Parteizeitung "Die Rote Fahne" veröffentlichte. Schon von 1990 bis 1996 hatte es zwischen den beiden Parteien einen inhaltlichen Dialog gegeben. Er war jedoch abgebrochen undseither nicht wieder aufgenommen worden. Anlässlich von Gedenktagen kommen Mitglieder beider Parteien aber immer wieder zueinanderso am 17. August, wenn der Ermordung Thälmanns im Konzentrationslager Buchenwald gedachtwird. Am 4. Maihielt die KPD in Berlin einen Wahlparteitag ab. Zur Bundestagswahl trat die Partei ohne Erfolg mit Landeslisten in Berlin, Thüringen und Sachsen an. Mittlerweile hat die Partei wieder eine Nachwuchsorganisation. Am 27. April wurdein Berlin der "Kommunistische Jugendverband Deutschlands" (KIVD) wiedergegründet. Der Beschluss dazu war bereits auf dem 21. Parteitag der KPD im März 2001 gefallen. Ähnlich wie die Mutterpartei, sieht sich der KJIVDtiefin der Geschichte der kommunistischen Bewegung verankert, wie auf der KPD-Website beteuert wird: "Diese wiedergegründete Jugendorganisation steht fest in der Tradition der unter Mitwirkung Karl Liebknechts im Jahre 1918 gegründeten Freien Sozialistischen Jugend, der sich daraus entwickelnden und seit 1920 bestehenden Kommunistischen Jugend Deutschlands, der als Jugendorganisation der Thälmannschen KPD seit 1925 umbenannte Kommunistischen Jugendverbandes Deutschland und der sich im Jahre 1946 gegründeten Freien Deutschen Jugend." (Schreibweise wie im Original) Der Parteivorsitzende Werner Schleese bezeichnete den KJVD als "Kampfreserve der KPD". 178 Linksextremismus "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) Gründungsjahr: 1982 Sitz: Gelsenkirchen in Brandenburg aktiv seit: 1990 Jugendorganisation: "Rebell" Kinderorganisation: "Rotfüchse" Frauenorganisation: "Courage" Mitglieder bundesweit: 2.000 Brandenburg: 40 für Brandenburg relevante überregionale Publikation: "Rote Fahne" Internetadresse: www.mlpd.de Die MLPDist 1982 aus dem im Jahre 1972 gegründeten "Kommunistischen Arbeiterbund Deutschlands" (KABD) hervorgegangen. Sie bekenntsich zu den Lehren von Marx, Engels, Lenin,Stalin und Mao Zedong. Die MLPD verstehtsich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Sie will mit einem revolutionären Bruch die Diktatur des Monopolkapitals durch die Diktatur des Proletariats ersetzen, damit der Sozialismus aufgebaut werden könne. Damit werde der Weg zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft gebahnt. Wegenihrer maoistischen Positionenist die MLPD innerhalb des linksextremistischen Spektrums weitestgehend isoliert und entwickelt sich hin zu einer Weltanschauungssekte. Am 18. Juni veranstaltete die MLPD zu ihrem 20-jährigen Bestehen einen Festakt im Arbeiterbildungszentrum Gelsenkirchen. In seiner Festrede vor rund 250 Gästenstellte der Parteivorsitzende Stefan Engel heraus, weshalb die Gründung der MLPD unausweichlich gewesensei: "Esist wichtig, dass man die Besonderheit unserer Partei richtig versteht. Sie ist notwendig geworden, weil einealte, traditionelle kommunistische Partei -- die KPD - zu einer bürgerlichen Partei entartet war. Sie war 1956 nicht nur in das Verbot getrieben worden, sondern hatte sich auch dem revisionistischen Kurs Chruschtschows 1956 auf dem XX. Parteitag angeschlossen." (zit. nach: "Rote Fahne", Nr. 25/02 vom 20. Juni) Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Bite Wr Lanmia Parma elarah MLPD Die Presseerklärung zum MLPD-Jubiläum ergänzte: "Die Gründung der MLPDwar auch eine Antwort auf den Verrat der SED-Führung am Sozialismus der DDR." Vordenker der MLPDund ihr Mitbegründer war Willi Dickhut, der, so die Parteimedien, bereits seit 1969 den Aufbau einer marxistisch-leninistischen Partei neuen Typs vorangetrieben habe. Anlässlich seines 10. Todestages fanden vom 9. bis 12. Mai verschiedene Gedenkveranstaltungen der MLPDstatt. Den größten Zulauf mit 1.300 Teilnehmern hatte die Auftaktveranstaltung am 9. Maiin der Stadthalle Wuppertal, bei der Engel das Lebenswerk Dickhuts würdigte. Einen Tag darauf wurde ein Willi-Dickhut-Museum im Arbeiterbildungszentrum Gelsenkircheneröffnet. Entgegenihrer bisherigen Praxis beteiligte sich die MLPD nicht miteigenen Kandidaten an der Bundestagswahl am 22. September. Vielmehr rief sie in ihrem Zentralorgan "Rote Fahne" am 6. September zu "aktivem Wahlboykott" auf. Da keine Partei eine Stimme verdiene, möge man den Wahlzettel durchkreuzen und damit ungültig machen. Zu früheren Bundestagswahlen hatte die MLPD allerdings Kandidaten undteilweise sogar Landeslisten aufgestellt, obwohl ein Wahlerfolg jeweils in weiter Ferne lag. Trotzdem warendie Mitglieder genötigt worden, sich im Wahlkampf bis an den Rand ihrer physischen Leistungskraft zu verausgaben und zusätzlich Wahlkampfspenden in vorgegebener Höhe zu erbringen. Der diesjährige Verzicht auf diese Praxis deutet aufeinen rasanten Verschleiß 180 Linksextremismus der Kaderhin. Offenbar erkennen immer mehr Parteimitglieder, dass ihr aufopferungsvoller Einsatz nicht zuletzt dazu dient, eine Clique hauptamtlicher Funktionäre zu finanzieren. Um aus ihrer Isolation herauszukommen, sucht die MLPD nach dem "Volksfront"-Konzept Aktionspartner im linksextremistischen Spektrum und darüber hinaus. Bündnisse kommen aber meist nur dort zustande, wo die Partei über ihre Tarnund Nebenorganisationen auftritt. Der Frauenverband "Courage" etwa engagiert sich aktiv in der Frauenbewegung. Dort bekämpft er die "spalterische und zersetzende Wirkung" des "kleinbürgerlichen Feminismus". Denn nach Auffassung der MLPD muss sich die Frauenbewegung eng mit der Arbeiterbewegung zusammenschlieBen, um gemeinsam mitihr für die Vorbereitung derinternationalen proletarischen Revolution zu kämpfen. Auch bei friedenspolitischen Themen sucht die MLPD eine Kooperation mit anderen Parteien und Organisationen. Dabei verfolgt sie das Ziel, "länderübergreifend den proletarischen Klassenkampf und aktiven Widerstand gegendie kriegstreibende Regierung zu entwickeln undzu stärken". Im Jahr 2002 beteiligte sich die MLPD, teils über ihre Tarnund Jugendorganisationen, an der "Achse des Friedens", die gegen den Deutschland-Besuch des US-amerikanischen Präsidenten Bush am 21. Maiprotestierte, daneben an den Ostermärschen und weiteren Demonstrationen. Wahrnehmbare eigene Akzentesetzte die Partei dabei nur mit ihren monatlichen Montagsaktionen gegen "Bush's New War" und die Beteiligung der Bundeswehr daran. Diese Aktionen begannen am 12. November 2001 und wurden nach Parteiangaben in verschiedenen Städten bis zum 10. Juni fortgesetzt. Dann allerdings wurden sie mangels öffentlicher Resonanzeingestellt. Um den künftigen Parteiaufbau zu sichern, geht die MLPD auch auf Kinder und Jugendliche zu. Dazu bedientsie sich ihrer Organisationen "Rebell" und "Rotfüchse". "Auf der Basis der proletarischen Denkweise" wird dem Nachwuchs eine intensive Schulung zuteil. Er soll, wie Engel erklärte, gefeit werden gegen den kleinbürgerlichen Antiautoritarismus, der die Disziplin und Kampfkraft der Jugend lähme und Egoismus, Individualismus, zum Teil auch Vandalismus undSelbstzerstörung erzeuge. Als diesjährigen Höhepunkt der Jugendarbeit bezeichnete Engel das Sommercamp, das vom 13. Juli bis 24. August in Alt Schwerin am Plauer See (Mecklenburg-Vorpommern) stattfand. 181 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Trotzkisten Kleingruppen und Zirkel Bundesweit agieren gut zwei Dutzend kleinerer Gruppen undZirkel, die sich auf Trotzki berufen ("Trotzkismus). Die meisten von ihnensind in einem der zahlreichen internationalen Dachverbände organisiert, die aus der 1938 von Trotzki gegründeten IV. Internationale hervorgegangensind. Typisch für trotzkistische Organisationen ist die Tendenz zu Abspaltungen, Fraktionierungen oder Umbenennungen. Entsprechend gering ist ihre öffentliche Ausstrahlung, ebenso ihr politischer Einfluss. Meist ohne Erfolg enden auch die Versuche, mittels der Methode des "Entrismus andere -- auch demokratische -- Organisationen oder Bewegungen zu unterwandern und von innen heraus Einfluss auf deren politische Entscheidungen zu nehmen. Dem Dachverband "International Socialists" (IS), einem der internationalen trotzkistischen Verbände, gehören in der Bundesrepublik drei Organisationen an: "Linksruck" (LR), die "Internationale Sozialistische Organisation" (ISO) und die "Internationalen Sozialisten". Die ISO bemüht sich, die in ihren Augen reformistischen Gewerkschaften "vonihrer bürokratischen Führung (zu) befreien" und zu "Kampforganisationen" umzuformen. "Linksruck" Die höchste Aktonsund Mobilisierungskraft im trotzkistischen Spektrum besitzt die Gruppe "Linksruck". Ihre Zentrale in Berlinleitet die einzelnen "Linksruck"-Ortsgruppen mit insgesamt 50 Mitgliedern in der Bundesrepublik an. Neben derZeitschrift "Sozialismus von unten" publiziert "Linksruck" die 14-tägig erscheinende Zeitung "Linksruck", die im Straßenverkauf angeboten wird. "Linksruck" will mit Hilfe dieser Zeitung ein Netzwerk von Lesern und Verkäufern bilden, um den Widerstand von unten aufzubauen. "Linksruck" bekenntsich zum Internationalismus und zum Klassenkampf: "Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nurinternational besiegt werden kann. Der Kampf findet darum nicht zwischen Ländergrenzen, sondern zwischen Klassengrenzen statt. Darum unterstützen wir als Internationalisten Arbeitskämpfein aller Welt ebenso, wie Bewegungenzur nationalen Befreiung unterdrückter Völker." ("Linksruck-Leitsätze") 182 Linksextremismus "Linksruck" setzt nicht nur auf eigene Aktionen, sondern engagiert sich intensiv auchin breiter angelegten Kampagnen und Demonstrationen, um bei Großveranstaltungen, die das Interesse der Medien finden, optisch zu dominieren und überdies junge Leute für die eigene Organisation werben zu können. Auf diese Weise gewinnt "Linksruck" tatsächlich neue Anhänger; doch viele der jugendlichen Aktivisten springen bald wieder ab. Außerdem wendet "Linksruck" gezielt die erwähnte EntrismusStrategie an. Dies stößt bei vielen Linksextremisten aufKritik. Seit Mitte der 90er Jahre kulminieren die "Linksruck"-Aktivitäten jährlich in den "Rosa-Luxemburg-Tagen". Auf ihnen werden die Aktivisten umfassend instruiert. Dieses Mal fanden sie vom 17. bis 20. Mai in Berlin statt. Sie dienten den Teilnehmern u.a. dazu, sich "inhaltlich und kreativ" auf die geplanten Proteste gegen den Besuch des US-amerikanischen Präsidenten Bush am 21. Mai vorzubereiten. Die Polizei beschlagnahmte mehrere Exemplare einer Ausgabe von "Linksruck" wegen der Titelgestaltung: Ein Foto Bushs war mit der Überschrift "UNWANTED in Berlin und anderswo -- George W. Bush. Der grösste Terrorist der Welt" versehen. Die Staatsanwaltschaft nahm Ermittlungen auf. Werbungin "Linksruck" für "Linksruck" 183 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Sozialistische Alternative" (SAV) Die "Sozialistische Alternative" (SAV - früher: "Sozialistische Alternative Voran") ist die deutsche Sektion eines weiteren, ebenfalls in London ansässigentrotzkistischen Dachverbandes, des "Committee for a Workers International" (CW]). Die SAV versteht sich als Partei, obwohl ihr die Merkmale einer solchen im rechtlichen Sinne fehlen. Sie hat 350 Mitglieder und verfügt über Ortsgruppen oder Anlaufstellen in mehreren deutschen Städten, darunter in Bernau. Die SAV konzentriert ihre politische Arbeit auf den Kampf gegen "kapitalistische Globalisierung" und Krieg. Strategisch zielt sie dabei eine "Einheitsfront" mit anderen Kräften an und sucht deswegen die MitEn Feet eg oT TH arbeit in breiteren Bündnissen. LIT sa Ta TE ST Im Sommer 2001 erklärte die SAV ihren kollektiven Beitritt zum Häln: 11 Yaptamkar globalisierungskritischen Netzonstrati(r) Fr werk ATTAC. Allerdings zeigten die meisten ATTAC-Mitglieder Groß e -- der SAV die kalte Schulter, wie die SAV selbstkritisch feststellen u musste. Auch sonst ist der Einfluss von Linksextremisten bei - ee A (c) ATTAC gering. gags Xr Bürhirk a Aufeiner Bundeskonferenz 2002 wurde die Gründung einer Jugendorganisation "widerstand international" (wi) bestätigt. Mit ihr will die SAV "radikalisierte Jugendliche" erreichen, die nicht der SAV beitreten möchten. Ssav Sorielistiache In Berlin ist die SAV besonders aktiv. Hier veranstaltete siein den Alturnaliva letzten Jahren um Ostern regelmäßig "Sozialismustage". In Brandenburgtritt die Organisation kaum in Erscheinung. Am 9. November organisierte sie in Prenzlau eine Veranstaltung zu Che Guevara, zu der Mitglieder aus Berlin anreisten, die ansonsten aber nur geringes Interesse weckte. 184 Linksextremismus Anarchisten Traditionell anarchistisch orientierte Gruppen sind weiterhin ohne nennenswerten Einfluss. Allerdings findensie mitihrer Agitationin der linksextremistisch orientierten Jugendszene eine gewisse Resonanz. Dies zeigt sich insbesondere an Kampagnen, die maßgeblich von Autonomen getragen, von Anarchisten aber theoretisch und propagandistisch unterstützt werden. Deren Aktivitäten beschränken sich in der Regel auf die Herausgabe diverser Schriften und Flugblätter. Die anarcho-syndikalistische Kleinstorganisation "Freie ArbeiterInnen Union -- Internationale Arbeiter Assoziation" (FAU-IAA) hat in Brandenburg eine geringe Anzahl von Mitgliedern und Sympathisanten gewonnen und verfügt über Ortsbzw. Kontaktgruppen im Land. Die FAUIAA will eine staatsfreie, klassenlose Ordnung durch revolutionäre Gewerkschaftsund Betriebsarbeit sowie durch "direkte Aktionen", wie zum Beispiel Besetzungen, Boykotts und Streiks, herbeiführen. In der "Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen" (FöGA) sind anarchistische Gruppen und Einzelpersonen aus der "Graswurzelbewegung" zusammengeschlossen. Sie engagieren sich insbesondere in den Kampagnen gegendie friedliche Nutzung der Kernkraft und gegen die Gentechnik; daneben auch auf dem Aktionsfeld " Antimilitarismus". Das publizistische Organ der FöGA, die monatlich erscheinende "graswurzelrevolution", veröffentlicht regelmäßig eine Liste so genannter "Graswurzelkontakte". Kontaktadressen gewaltfreier Anarchisten existieren demnach auch im Land Brandenburg, so in Cottbus, Potsdam, Eberswalde und Bernau. "Graswurzler" streben eine föderalistische, basisdemokratische Gesellschaft mit einer sozialistischen Wirtschaftsordnung an, in der alle Formen von Gewalt und Herrschaft abgeschafft sein sollen. Mit einer "gewaltfreien Revolution" wollen sie eine tiefgreifende gesellschaftliche Umwälzung herbeiführen. Die propagierte "Gewaltfreiheit" erfährt hier jedoch eine eigenwillige Definition dadurch, dass ausdrücklich Gewalt gegen Sachen in Form von Sachbeschädigungen, Sabotagehandlungen und Zerstörungen in die Konzeption "gewaltfreien" Handelns einbezogen wird. Dieses Argumentationsmuster haben sich auch Autonome zu eigen gemacht. 185 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Rote Hilfe e. V." (RH) Gründungsjahr: 1975 Sitz: Kiel ci zn in Brandenburs aktiv seit: 1993 Mitglieder bundesweit: 4.300 I Brandenburg: 110 für Brandenburgrelevante überregionale und regionale Publikation: "Die Rote Hilfe", "newsletter" Internetadresse: www.rote-hilfe.de Die "Rote Hilfe" versteht sich als "eine parteiunabhängige, strömungsübergreifende Schutzund Solidaritätsorganisation". Sie "geht dabei von dem Gedankenaus, dass es für die Linke im Kampf gegen die staatliche Repression notwendig ist, über alle Parteiund Organisationsgrenzen und über ideologische Differenzen hinweg, sich zu solidarisieren und zu organisieren". Deshalb vermittelt sie linksextremistischenStraftätern "linke" Anwälte und unterstützt sie finanziell. In ihrer Quartalszeitschrift berichtet sie über diverse einschlägige Prozesse. Beiträge der RH erscheinen regelmäßig auch im "Angehörigen Info", einer Monatsschrift, die von Angehörigen inhaftierter RAF-Terroristen herausgegeben wird. Während die RH in früheren Jahren eher von Angehörigen des orthodoxen kommunistischen Spektrums dominiert wurde, hat sie sich nun auch im autonomen Milieu verankert. In denletzten beiden Jahrenstieg die Mitgliederzahl der RH beträchtlich, 2002freilich schwächerals 2001. Offenbar kamen der RH Solidarisierungseffekte zugute, die in der linksextremistischen Szene organisationsübergreifend ihre Wirkung zeigten. Sie stellten sich ein, als die militanten Proteste gegen de Wiederaufnahme der CASTOR-Transporte mit Strafverfolgung geahndet wurden und nachdem dieitalienische Polizei 2001 in Genuarigoros gegen demonstrierende Globalisierungsgegner vorgegangen war, wobei ein Beteiligter ums Leben kam. 186 Linksextremismus In Brandenburg gehören der RH hauptsächlich Autonomean. Ortsgruppengibt es hier in Potsdam und, seit Ende März, in Strausberg, daneben Anlaufpunkte in Frankfurt (Oder), Rathenow und Senftenberg. Die Aktivisten treffen sich periodisch. Ein regelmäßig erscheinender Mitgliederrundbrief liefert Informationen aus dem Vereinsleben. Einer der Agitationsschwerpunkte der RH in Brandenburg ist der Kampf gegen die "Repression", die, so meint die RH, gerade hier gegen die "Linken" wüte. In ihrem "newsletter" und im Internet berichtete die RH zZ. B. überpolizeiliche Durchsuchungen oder polemisierte gegen Polizei und Verfassungsschutz. Besonders aktiv ist die Ortsgruppe Potsdam. Sie engagiert sich immer wieder in bundesweiten RH-Kampagnen. So meldete sie für den 23. November eine Demonstration an, die sich gegen den Aufmarsch des NPDLandesverbandes Berlin-Brandenburg in Potsdam (siehe oben S. 122) richtete. Außerdem mobilisierte sie für "fantasievolle und kreative Aktionen" zum "Internationalen Protesttag gegen Polizeigewalt" am 15. März und zum "Internationalen Tag des Gefangenen" am 18. März. Der 18. Märzist für die RH ein Schlüsseldatum. An diesem Tage unterstützten die Potsdamer Aktivisten auch eine Protestveranstaltung vor der spanischen Botschaftin Berlin, auf der die "Situation des politischen Gefangenen n Spanien" angeprangert wurde. RH-Anhänger aus Rathenow berichteten auf der Website "inforiot", dass sie an einer Eisenbahnbrückein ihrer Stadt ein Transparent mit der Aufschrift: "Bundesweiter Aktionstag 18. 03. -- Solidarität und Widerstand gegen staatliche Repression, Sicherheitswahn und Abschiebung! Freiheit für alle politischen Gefangenen" angebrachthätten. 187 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 188 Ausländerextremismus Ausländerextremismus 189 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 AUSLÄNDEREXTREMISMUS Nachihrer politischen Ausrichtung unterteilen sich Gruppierungen ausländischer Extremisten in: = islamistische (vgl. "Islamismus) 2 linksextremistische (vgl. "Linksextremismus) = nationalistische (vgl. "Nationalismus). Sie lassen sich auch im Hinblick auf die Staatsbzw. Volkszugehörigkeit ihrer Mitglieder in türkische, kurdische, arabische, iranische usw. sortieren. Zudem unterscheiden sie sich dadurch voneinander, welche Mittel -- friedliche, gewaltsame oder gar terroristische -- sie einzusetzen bereit sind. Gewaltsame bzw. auf Gewalt ausgerichtete Bestrebungen ausländischer Extremisten gefährden die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland und werden deshalb von den Verfassungsschutzbehörden bereits im Vorfeld beobachtet. Die Gründe dafür, dass Menschen ausländischer Herkunft sich in Deutschland extremistisch betätigen, liegen regelmäßig in politischen Konflikten, die ihre Herkunftsländer erschüttern. Einige militante Organisationen ausländischer Extremisten nutzen Deutschland als Rückzugsund Ruheraum, in dem ihre Kämpfer Kräfte sammeln. Andere bereiten hier neue Anschläge vor. Wieder andere unterstützen vonhier aus den politischen oder militärischen Widerstand an der Heimatfront finanziell. Dies geschieht meist im Verborgenen, zumal da Beschaffungskriminalität -- illegale Geschäfte, auch mit Rauschgift, oder Spendengelderpressung -- häufig die ergiebigste Geldquelle ist. Mancheeinschlägigen Organisationen versuchen aber im Gegenteil, die Öffentlichkeit für die Konflikte in ihren Heimatregionen zu sensibilisieren. Mit den Mitteln herkömmlicher Propagandaarbeit werben sie um Verständnis und Unterstützung. Um von den Medien wahrgenommen zu werden, entwickeln sie mitunter einen ausgeprägten Aktionismus, der sie auch vor Provokationen und Störungen der öffentlichen Ordnung nicht zurückschrecken lässt. Die eigene Klientel wird mit Kampagnen und Großveranstaltungen bei der Stange gehalten. 190 Ausländerextremismus Ausländerextremistische Organisationen reagieren hochsensibel auf die politischen Ereignisse im jeweiligen Heimatlandihrer Mitglieder. Spitzt sich die Lage dort zu, können die Ohnmachtserfahrung und die relative Sicherheit für Leib und Leben in der Fremde dazu führen, dass hier die Emotionen der verhinderten Kämpfer hochkochen und Aggressionen sich Bahn brechen Dann werden auch Sympathisanten mitgerissen, die sich vermutlich nicht extremistisch beeinflussen ließen, wenn sie bereits umfassendin die deutsche Gesellschaft integriert wären. Treffen ausländische Extremisten in Deutschland auf Landsleute, die sie als ihre politischen Gegner ansehen, kommtes häufig zu konfliktträchtigen Spannungen, die sich mitunter in Gewalttaten entladen. Mit Gewalt gehen nicht wenige ausländerextremistische Organisationen aber auch gegen eigene Mitglieder vor, wenn sie die Reihen von "Abweichlern" und "Spaltern" säubern und Abtrünnige bestrafen wollen. Das demokratische Deckmäntelchen, das sich solche Organisationen umhängen, ist fadenscheinig; denn fast immer sind sie auf eine autoritäre Führerpersönlichkeit ausgerichtet und funktionieren nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam. ISLAMISTEN Die meisten ausländischen Extremisten in Deutschland sind Mitglieder islamistischer Organisationen. Das Gros gehört türkischen Organisationen an. Die gefährlichsten Gruppensind jedoch arabischer Herkunft. Sie streiten für die religiöse und politische Einheit aller Muslime über nationale Grenzen hinweg. Arabische Islamisten Weltweit agierende Mujahedin Aus dem Islamismus erwachsen Gefahren, die aktuell die weltweit größte Herausforderung an die westlichen Demokratien und deren Sicherheit darstellen. Zwar sind bei weitem nicht alle Islamisten militant. Aber deren "Glaubenskampf" ("Jihad'") für die als göttlich verstandene Ordnung und gegendie freiheitliche Demokratie der westlichen Zivilisation nimmt oft genug gewalttätige oder gar terroristische Formen an. Mit dem "Glaubenskampf" werden auch Selbstmordattentate, mit denen möglichst viele "Ungläubige" in den Tod gerissen werdensollen, gerechtfertigt. 191 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Die militanten "Glaubenskämpfer", die an verschiedenen Fronten mit militärischen Mitteln oder durch Terror den Machtbereich der islamischen Welt zu verteidigen oder zu erweitern trachten, nennensich selber "Mujahedin", d. h. "Kämpfer für die Sache Gottes". Sofern sie verdeckt in der nicht-islamischen Welt operieren,sind sie entsprechend dem Zellenprinzip organisiert und international vernetzt, kooperieren anlassbezogen miteinander, agieren aber ansonsten weitgehend eigenständig. Ihr Netzwerk besteht aus Kleingruppen und Einzelpersonen, die sich teilweise islamistischen Strömungen wie "Takfir wa al-Hijra" ("Auszug aus der ungläubigen Gesellschaft") oder Organisationen wie "Al-Qaida" ("Die Basis") zurechnen, teilweise aber auch in keine Organisation eingebunden sind und entsprechendals "non-aligned Mujahedin" bezeichnet werden. Anfang der 80er Jahre eilten die Mujahedin zu Tausendenals Kriegsfreiwillige nach Afghanistan, um das islamische Land vonder atheistischen Sowjetmacht zu befreien. Seinerzeit wurden sie noch von den USA finanziell, mit Waffen und Logistik unterstützt. Ihr militärischer Erfolg inspirierte sie, auch ihre Heimatländer von westlich orientierten, häufig korrupten Machthabern zu befreien und Theokratien zu errichten. Viele kämpfen seither in ihren Heimatländern oder an verschiedenen Konfliktherden der Welt für einen islamistischen Gottesstaat. Andere bilden in den Ländern der westlichen Hemisphäre klandestineterroristische Zellen. Die persönlichen Kontakte, die die gut getarnten "Glaubenskrieger" oft noch zu Zeiten ihrer Ausbildungsphase in afghanischen Camps aufgebaut haben, kommen ihnen bei der Dokumentenund Finanzmittelbeschaffung zustatten. Von Algerien bis Indonesien habensie lang anhaltende, äußerst blutige Bürgerkriege angezettelt und bedienten sich dabei der Guerilla-Taktik - letztlich erfolglos. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Tschetschenien und in Kaschmir halten unvermindert an, in anderen Regionensind sie womöglich nur zeitweise abgeflaut. Zu ihrem Hauptfeinderklärten die Islamisten im vergangenen Jahrzehnt nunmehr jedoch die so genannten "Kreuzzügler" -- also die westliche Welt, insbesondere die USA, aber auch deren westliche Verbündete sowie Israel. Den USA wird vorgeworfen, sie protegierten die ihnen willfährigen autoritären Regimein den islamischen Ländern und betrieben eine israel-freundliche Nahost-Politik. Es gehe ihnen, wie einst den Kreuzfahrern des Mittelalters, darum, die Muslime dauerhaft in Abhängigkeit zu halten. 192 Ausländerextremismus Der Islamismus wird gespeist durch Ressentiments gegen die westliche Welt, die nicht nur von Mujahedin geteilt werden, sondern auch von breiten Bevölkerungsschichten in den islamischen Ländern. Denn täglich sehensie sich mit Korruption und Ungerechtigkeit konfrontiert und suchen die Ursache dafür im Einfluss des westlichen Materialismus, dem sie Gier und Dekadenz, Sittenund Gottlosigkeitnachsagen Das Reservoir perspektivloser junger Leute unterschiedlichsten Bildungsgrades, die mit der sozioökonomischen undpolitischen Situation in ihren Heimatländern unzufrieden sind, scheint schier unerschöpflich. Häufig genug kommt es erst während eines Auslandsaufenthalts zur schrittweisen Fanatisierung potenzieller Glaubenskämpfer. Gerade in den Staaten Westeuropas spielen dabei charismatische Imame, die zum Teil selber über Kampferfahrung verfügen, eine herausragende Rolle. Unter ihrem Einfluss werden enttäuschte junge Männer zu neuen Mujahedin. Ein bekannter Prediger des militanten Jihad war beispielsweise Mahmoud Abu Omar, genannt Abu Qatada (vgl. auch oben S. 17). Kassetten mit seinen Ansprachen und von ihm verfasste Pamphlete werden in ganz Europa verteilt. Zu seinen Schülern zählt auch der nach den Anschlägen vom 11. September in den USA inhaftierte Zacarias Moussaoui. Auch bei Hamburger Freunden des Mohammed Atta, des Hauptattentäters vom 11. September 2001, wurden Videokassetten mit solchen Predigten gefunden. Als weiteres Beispiel sei Abu Hamza al-Masri angeführt. Er stammt aus dem ägyptischen Alexandria, wirkte aber schonseit längerem als Imam und Leiter der Finsbury Park Moschee in London, die seit Anfang 1999 als Hochburg des Islamismus in Europa gilt. In den 90er Jahrentrat er als Gründer der "Unterstützer der Scharia" ("Ansar al-Scharia") in Erscheinung und wurde in den zurückliegenden Jahren auch durch Propaganda für die algerische "Bewaffnete Islamische Gruppe" ("Groupe Islamique Arme"/GIA) (siehe unten S. 198) bekannt. Er rief seit Jahren zum bewaffneten Kampf gegen die "Ungläubigen" auf. Seltener dagegen werden junge Leute schon vor ihrer Ausreise für den Jihad gewonnen und dann als so genannte "Schläfer" in nicht-muslimische Länder eingeschleust. Militante Islam-Schüler ebenso wie "Schläfer" können auf eine umfängliche Infrastruktur zurückgreifen, die sie mit Geld, gefälschten Papieren und der für ihre Aktionen notwendigen Ausrüstung versorgt. Finanziert werden die Mujahedin durch üppig fließende Spendengelder. Die mei193 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 sten Mujahedin stammen aus dem arabisch-sprachigen Raum. Andere kommenaus sonstigen traditionell islamischen Ländern; auch zum Islam konvertierte Westeuropäer bzw. US-Amerikaner sind dabei. Wie "non-aligned Mujahedin" in Deutschland vorgehen,zeigte der Frankfurter Terroristenprozess, in dem am 10. März 2003 ein Urteil erging. Die vier Algerier wurden wegen gemeinsamer Verabredung zum Mord und Vorbereitung eines Sprengstoffverbrechens zu hohen Haftstrafen zwischen zehn und zwölf Jahren verurteilt. Sie hatten einen Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarktzur Jahreswende 2000/2001 vorbereitet. Den Tätern konnte im Prozess jedoch keine Verbindung zu "Al-Qaida" nachgewiesen werden. Sie hatten zwar, wie die meisten Mujahedin, afghanische Ausbildungscamps durchlaufen, standen danach jedoch nur zu Londoner Glaubensbrüdern um denspirituellen Führer Abu Doha in Kontakt. Von dort wurden sie finanziell und mit gefälschten Kreditkarten unterstützt. Das internationale Netzwerk "Al-Qaida" Die nach wie vor wichtigste und gefährlichste islamistische Terrororganisationist "Al-Qaida". Aufihr Konto gehen zahlreiche Anschläge. Den konzertierten Terrorangriffen vom 11. September 2001 folgten weitere im Jahr 2002, die wieder Hunderte Menschenleben forderten und damit die Handlungsfähigkeit und andauernde Gefährlichkeit dieser Organisation wie der mit ihr kooperierenden Gruppen auferschreckende Weise bestätigten (siehe oben S. 10 ff.). "Al-Qaida" zielt immer möglichst hohe Opferzahlen an, um die eigene terroristische Schlagkraft zu demonstrieren, Angst und Entsetzen zu verbreiten undletztlich das Vertrauenin die Lebensund Verteidigungskraft der westlichen Welt zu unterminieren. Usama Bin Laden gibt diesem Terror ein Gesicht. Sein Geld und Eifer haben "Al-Qaida" als Organisation zumeist arabisch-stämmiger Afghanistan-Kämpfer ins Leben gerufen. Zwar ist es den USA undihren Partnern mit der Militäraktion in Afghanistan sowie durch internationalen Fahndungsdruck gelungen, der Organisation die lokale Operationsbasis zu entziehen und zumindest zeitweise ihre Strukturen zu schwächen. Aber die Funktionstüchtigkeit von "Al-Qaida" konnte noch nicht entscheidend gemindert werden. Diese hängtnicht allein an der Person Bin Ladens, der offenbar entkommen ist und sich von unbekannten Orten her mit immer neuen Botschaften meldet. Denn "Al-Qaida" ist mittlerweile ein weltweites Geflecht von lokalen und regionalen Terrororganisationen, die entsprechend dem Zellenprinzip strukturiert sind. 194 Ausländerextremismus Für die pan-islamistische Ideologie von "Al-Qaida" spielt die ethnische Herkunft des einzelnen Mitstreiters kaum eine Rolle. Ihre Bezugsgröße ist die weltweite Glaubensgemeinschaft der Muslime, nicht etwa ein Nationalstaat. Entsprechend ist auch die Organisationsstruktur von "AlQaida" überaus komplex. Denn "Al-Qaida" hat sich international mit anderen Terrorgruppen vernetzt (siehe auch obenS 11 f) Diese Gruppierungen haben sich keineswegs alle zugunsten von "Al-Qaida" aufgelöst, sondern existieren weiterhin unabhängig von "Al-Qaida" fort. "Al-Qaida" erfüllt auch nicht die Funktion einer Dachorganisation, die alle Gruppenoder Einzelpersonen dauerhaft zusammenschließen würde. Der Verbund ist wesentlich lockerer. Gestützt auf eine gemeinsame Ideologie, bilden sich wechselnde Kampfgemeinschaften für konkrete Projekte. So kann "Al-Qaida" auf die Ortskenntnis und die logistische Unterstützung (gefälschte Papiere, Unterbringung, Anwerbung neuer Mitglieder) der jeweiligen lokalen Gruppe und diese wiederum auf die Ausbildungszentren, Waffen und Technik sowie auf die finanziellen Mittel von "Al-Qaida" zurückgreifen. 1998 gründete Usama Bin Laden zusammenmit anderen Terroristenführern die "Internationale Kampffront gegen Juden und Kreuzzügler". Die hierzu verbreitete Erklärung unterzeichneten neben Bin Laden auch Ayman al-Zawahiri vom ägyptischen "Islamischen Jihad" ("Jihad Islami"/JD), AbuYasir Rifa'i Ahmed Taha von der gleichfalls ägyptischen "Islamischen Gemeinschaft" ("Al-Gama'a al-Islamiya"/GTD), Mir Hamzah von der "Vereinigung der Rechtsgelehrten Pakistans" ("Jamiat ul-Ulema i-Pakistan"/ JUP) und Fazlur Rehman von der pakistanischen "Bewegung der Mujahedin" ("Harakat ul-Mujahedin"/HUM). Mutmaßlich steht "Al-Qaida" mit Dutzenden weiterer Organisationen in Kontakt, ohne mit ihnenpersonell oderstrukturell fusioniert zu sein, u. a. mit der algerischen "Salafiya-Gruppe für die Predigt und den Kampf" ("Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat"/GSPC), mit der Organisation "Vater des Schwertführers" ("Abu Sayyaf") auf den Philippinen, mit der "Bewegung des islamischen Jihad" ("Harakat ul-Jihad alIslami"/HUJI) in Bangladesh, mit der palästinensischen "Islamischen Widerstandsbewegung" ("Harakat al-Mugawamaal-Islamiya'"/HAMAS) und der libanesischen "Partei Gottes" ("Hizb Allah"). Von Anfang an waren die Verbindungen zu ägyptischen Organisationen besonders eng, so zur "Islamischen Gemeinschaft" (GI) und zum "Islamischen Jihad" (ID. Aus diesen Kreisen kommt Aymanal-Zawakhiri, der Stellvertreter Bin Ladens. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Regionale Organisationen sunnitischer Islamisten Die Glist in Ägyptenseit 1981 verboten. Infolge des blutigen Anschlags von Luxor am 17. November 1997, dem 58 Touristen und vier Ägypter zum Opferfielen, hatte sie jegliche Sympathie bei der Bevölkerung verspielt. Seit 1998 hält sie sich in und außerhalb Ägyptens an ihren selbst erklarten "Waffenstillstand". Eine interne Opposition fordert aber die Rückkehr zum bewaffneten Kampf. In dem Ziel, die ägyptische Regierung zu stürzen und einen islamistischen Gottesstaatzu errichten, stimmen die Fraktionen jedoch überein. Deutschland wird von der Gl als Rückzugsund Ruheraum genutzt. Die GI gehtletztlich auf die "Muslimbruderschaft" (MB) zurück, die Keimzelle des sunnitisch-arabischen Islamismus. Stammland der MB ist Ägypten. Hier wurde sie 1928 von Hassan al-Banna gegründet. 1954 verbot der ägyptische Staatspräsident Nasser die MB. Sie ging in den Untergrund. Viele Mitglieder flohen ins Ausland und kämpften von dort aus für eine Ordnung, die allein auf der Scharia, dem islamischen Recht, basiert. Inzwischen hat die MB Ableger in über 70 Staaten. Heute lehnt sie Gewalt gegenZivilisten als politisches Mittel ab. Die Organisationen, die sich direkt oder indirekt von der MB herleiten, verfolgen allerdings in Bezug auf den bewaffneten Kampf unterschiedliche Strategien. Einige sind sich in dieser Frage sogar intern uneins. Manche habensich eindeutig zu Terrororganisationen entwickelt. Eine Tochter des ägyptischen Zweiges der MBist die "Islamische Gemeinschaft in Deutschlande. V." (IGD), die 1960 gegründet wurde. Ihre etwa 600 Mitglieder gelten als nicht militant. Das gleichegilt für die etwa 600 Anhänger des syrischen Zweigs der MB in Deutschland. Sie sind eingebundenin das "Islamische Zentrum Aachen" (IZ Aachen), die "Union muslimischer Studentenorganisationen in Europa e. V." (UMSO) bzw. die "Union für de in europäischen Ländern arbeitenden Muslime e. V." (UELAM). Der nunmehr 27. Jahreskongress des IZ Aachen fand unter Mitwirkung von UMSO und UELAMvom 19. bis 21. Juli in Aachenstatt. An ihm nahmen etwa 500 Personen teil. Die "Islamische Widerstandsbewegung" ("Harakat al-Mugawama alIslamiya"/HAMAS) wurde 1987 als der militärische Arm despalästinensischen Zweiges der MB gegründet. Unter der geistigen Führung von Scheich Ahmed Yasin ist sie für zahlreiche Selbstmordattentate in Israel verantwortlich. Die HAMAS erkennt das Existenzrecht Israels nicht an. Die "Al-Agsa-Intifada" -- der Aufstand, der durch Ariel Scharons Besuch auf dem Tempelbergin Jerusalem am 28. September 2000 ausgelöst 196 Ausländerextremismus wurde und dieisraelische Besetzung der palästinensischen Teilautonomiegebiete "abschütteln" soll -- dauert unvermindert an. An ihr beteiligen sich neben der HAMAS und der gleichfalls islamistischen Gruppierung "Palästinensischer Islamischer Jihad" ("Palestinian Islamic Jihad"/PIJ) auch die "Al-Agsa-Brigaden" ("Kata'ib Shuhada' al-Agsa"), die dem eher säkular-nationalistisch ausgerichteten Spektrum zuzurechnen sind, sowie die ursprünglich marxistisch-leninistischen Organisationen "Volksfront zur Befreiung Palästinas" ("Popular Front for the Liberation of Palestine"/PFLP) und "Demokratische Front zur Befreiung Palästinas" ("Democratic Frontfor the Liberation of Palestine"/DFLP). Im Jahr 2002 gingen 41 Anschlägeallein auf das Konto der beiden islamistischen Organisationen HAMAS und PIJ; den übrigen Gruppierungen wurden weitere elf zugerechnet. So hat der Teufelskreis von Terror und Vergeltung wieder Hunderte Todesopfer gekostet. In Deutschland vertritt der 1981 gegründete "Islamische Bund Palästinas" (IBP) die Interessen der HAMAS. Das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e. V." ist seine zentrale Begegnungsstätte. Der IBP unterstützt die HAMAS-Aktivitäten propagandistisch. Nicht nur rhetorisch, sondern auch mit Spendengeldern förderte der in Aachen eingetragene Verein "Al Agsa e. V." die terroristischen Anschläge der HAMAS. Deshalb wurde er am 5. August verboten (siehe obenS. 17). Auch die algerische "Islamische Heilsfront" ("Front Islamique du Salut"/FIS) ist ein Ableger der MB. Als Partei wurde sie 1989 gegründet. Nachdem sie 1991 die Wahlenzur algerischen Nationalversammlung gewonnen hatte, putschte das Militär, und die FIS wurde 1992 verboten und in den Untergrund bzw.ins Exil gedrängt. Mittels ihres bewaffneten Armes, der "Islamischen Heilsarmee" ("Armee Islamique du Salut"/AIS), kämpfte sie in einem brutalen Guerillakrieg für ein islamistisches Algerien. Doch seit 1997 hält sie sich an die Waffenruhe. Gelockt durch ein Amnestiegesetz für Islamisten, haben sich Teile der FIS am Dialog auf der Suche nacheiner politischen Lösung des Bürgerkrieges in Algerien beteiligt. Einige ehemalige Funktionäre der FIS kandidierten zu denalgerischen Parlamentswahlen am 30. Maifür die islamistische "Bewegung für die nationale Reform" (MRN). Die FIS selbst hat am 3. und 4. August an einem geheim gehaltenen Ort einen angeblich erfolgreichen Europakongress durchgeführt. Über das Internet gab sie ein Pressekommunique bekannt, worin sie betonte, weiterhin eine bedeutende Rolle bei der Überwindung von Gewalt, Unterdrückung und sozialer Verelendung in Algerien spielen zu wollen. In Deutschland hat die FIS etwa 300 Anhänger. 197 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Der Bürgerkrieg in Algerien hält jedoch unvermindert an und hat auch 2002 wieder Hunderte zivile Opfer kostet. Denn die "Bewaffnete Islamische Gruppe" ("Groupe Islamique Arme"/GIA), die sich 1994 von der FIS abgespalten hatte, und die "Salafiya-Gruppe für die Predigt und den Kampf" ("Groupe Salafiste pourla Predication et le Combat"/GSPC), die sich 1997 wiederum von der GIA gelöst hatte, sabotieren den Friedensplan. Der algerischen Armee gelang es zwar am 9. Februar, den Kommandanten der GIA zutöten, doch sein Nachfolger kündigte Ende Juni die Fortführung des Kampfes gegen die "Ungläubigen" an. Wegen der permanenten Massaker habendie islamistischen Kämpfer die Sympathien, auf die sie einst in der ärmeren, ländlichen Bevölkerung stießen, weitgehend eingebüßt. Die insgesamt etwa 50 GIAund GSPC-Anhänger in Deutschland nutzen ihr Exil als Rückzugsund Ruheraum. Sie unterstützen den bewaffneten Kampf in der Heimatfinanziell und logistisch. Doch kommen Terroranschläge dieser Gruppen auch in Europa vor. GIAund GSCP-Anhänger sind mit den "non-aligned Mujahedin" (siehe oben S. 11) vernetzt. Am. Julinahm die Polizei in Stuttgart einen mit internationalem Haftbefehl gesuchten hochrangigen GIA-Aktivisten fest, der in Frankreich zu fünf Jahren Freiheitsstrafe verurteilt worden war, weil er sich an einem Attentatsversuch gegen den als gemäßigt geltenden Vorsteher einer Pariser Moschee beteiligt hatte. Regionale Organisationen schiitischer Islamisten Die schiitische "Partei Gottes" ("Hizb Allah") kämpft für eine islamistische Theokratie nach iranischem Muster. Sie wurde 1982 im Libanon gegründet. Ihr militärischer Arm, der "Islamische Widerstand" ("Al-Mugawama al-Islamiya"), liefert Israel seit Jahr und Tag einen zähen Grenzkrieg. Auch die "Hizb Allah" will ihren "Todfeind" Israel vernichten und Jerusalem "befreien". Sie scheut vor dem Einsatz terroristischer Gewalt nicht zurück, auch nicht vor Selbstmordattacken. Die "Hizb Allah" sammelt in Deutschland regelmäßig Spendengelder, die den Familien der gefallenen Kämpfer zu Gute kommen sollen. Ihre etwa 800 Anhänger in Deutschland verhalten sich weitgehend gesetzeskonform. Sie werden von Mullahs aus dem Libanon geistlich betreut. Ihre zentrale Begegnungsstätte in der Bundesrepublik ist das "Islamische Zentrum Münster", das nunmehr in "Imam Mahdi Zentrum" umbenannt wurde. 198 Ausländerextremismus Türkische Islamisten Die türkischen Islamisten wollen dielaizistische Staatsordnung in der Türkei abschaffen und einen auf der Scharia, dem islamischen Recht, basierenden Gottesstaat errichten. Die Trennung von Staat und Religion soll aufgehoben werden. "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) Gründung: 1985 in Köln als "Vereinigung der neuen F Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) Sitz: Köln Anhänger bundesweit: 26.500 I CNC Brandenburg: Einzelpersonen Publikationen: "Milli Görüs & Perspektive", "Milli Gazete" (der IGMGnahe stehend) Internetadresse: www.igmg.de Die "Islamische Gemeinschaft der neuen Weltsicht e. V." ("Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V."/IGMG;) ist wie die "Europäische Moscheenbauund -unterstützungsgemeinschaft e. V." (EMUG) 1995 aus der vormaligen "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e V." (AMGT) hervorgegangen. Der umfangreiche Immobilienbesitz wird von der EMUG verwaltet. Die IGMG kümmert sich um die etwa 26.500 Mitglieder. Ihre Anhängerschar ist aber um ein Mehrfaches größer. Der IGM gehtes vor allem darum, eine türkische Parallelgesellschaft in Deutschland zu etablieren. Wenn sie Bekenntnisse zur Werteordnung des Grundgesetzes und zur Integration in die deutsche Gesellschaft ablegt, spielen taktische Überlegungeneine Rolle. Sie hat einen "legalistischen" Kurs eingeschlagen und versucht, ihre politischen Ziele miteinem "Marsch durch die Institutionen" zu erreichen. Herkömmlicherweise sieht es die IGMGals ihre Aufgabe an, ihre Mitglieder religiös, sozial und kulturell zu betreuen. Freilich nutzt sie ihre Angebote, um die Ideen des Islamismus und des Osmanentums zu verbreiten. 199 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Die IGMG erstrebt die Anerkennungals Religionsgemeinschaft. Denn mitihr erhielte sie die Möglichkeit, an allgemeinbildenden Schulen -- möglichst flächendeckend -- deutschsprachigen islamischen Religionsunterricht anzubieten. In ihren über 500 Moscheeund über 2.100 Ortsvereinen (Eigenangaben für Deutschland) sammelt die IGMG Mitgliedsbeiträge und Spendenund stellt Bescheinigungen für die rituelle Tötung von Schlachtvieh aus. Eine weitere wichtige Einnahmequelle sind unternehmerische Aktivitäten der IGMG-Funktionäre. Ein nicht unerheblicher Teil der Einnahmenwird für islamistische Aktivitäten in der Türkei abgezweigt. Die "Graue Eminenz" der IGMG ist Prof. Necmettin Erbakan, der von der Türkei her auf die Arbeit der IGMG Einfluss nimmt. Als türkischer Ministerpräsident musste er 1997 zurücktreten, da das laizistische Militär nicht dulden wollte, dass er die von ihm propagierte, auf der Scharia beruhende "Gerechte Ordnung" ("Adil Düzen") einführte. Er hat in der Türkei nacheinander mehrere islamistische Parteien gegründet, um das Verbot der jeweiligen Vorläuferpartei zu unterlaufen. Zuletzt wurde am 22. Juni die "Tugendpartei" ("Fazilet Partisi"/FP) verboten. cm u v-Seit dem1. Juli 2002 können die Sendungen von igmg.finin türkischer Sprache über Internet empfangen werden Die FP warallerdings schon durchinterne Flügelkämpfe zwischen "Traditionalisten" und "Erneuerern" gespalten. Aus ihren Reihen bildeten sich noch 2002die traditionalistisch-patriarchalische "Glückseligkeitspartei" ("SaadetPartisi"/SP), die Erbakan die Treuehält, und die religiöskonservative pro-europäische "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei" ("Adalet ve Kalkinma Partisi"/AKP) unter Recep Tayyip Erdogan, die sich vom Islamismus zu lösen scheint. Die AKP konnte bei den türkischen Parlamentswahlen am 3. November einen erdrutsch-artigen Wahlerfolg erzielen und sich die absolute Mehrheit der Sitze sichern, während die von der IGMG favorisierte SP klaran der 10-Prozent-Hürde scheiterte. 200 Ausländerextremismus Die integrationswilligen reformorientierten Kräfte in der IGMG haben durch das Wahlergebnis in der Türkei erheblichen Aufwind erfahren. Beispielsweise hatte sich der Generalsekretär der IGMG für die Unterstützung der AKP und damit gegen die Bevormundung der IGMG durch Erbakan ausgesprochen. Ihm schwebtvor, die IGMG könne die Brücke der Türkei nach Europa bilden Die an Erbakan festhaltenden Traditionalisten in der IGMG hingegen wurden durch die Entwicklung in der Türkei deutlich geschwächt. Inwieweit sie noch imstandesind, ihre Ziele mit Nachdruck zu verfolgen, bleibt abzuwarten. Einen zusätzlichen Rückschlagerlitten sie, als der Vereinsvorsitzende Mehmet Sabri Erbakan, ein Neffe Necmettin Erbakans, am 20. Oktoberauf einer Vorstandssitzung in der Kerpener IGMG-Zentrale überraschendseinen Rücktritt verkündete. Sein vormaliger Stellvertreter Yavuz Celik Karahan übernahm kommissarisch den Vorsitz. Doch die IGMG hatte schon zuvor unübersehbare Probleme. Sie zeigten sich bereits am 15. Juni auf der Generalversammlung der IGMG im Gelredome-Stadion von Arnheim (Niederlande). Obwohl Necmettin Erbakanselber als Redner angekündigt war,fanden sich statt der erwarteten 30.000 Besucher nur etwa 20.000 ein. Die Zurückhaltung hatte mehrere Gründe: Nach den Terrorattacken vom 11. September 2001 schlägt allen Islamisten Misstrauen entgegen; die IGMG muss zudem den Medien entnehmen, dass über ein Betätigungsverbot gegen den Verein spekuliert wird; dessen schlechte finanzielle Lage drückt auch intern die Stimmung. In ihren politischen und ideologischen Äußerungenist die IGMGohnedies vorsichtiger geworden. Antisemitische Ausfälle haben abgenommen. So hat die IGMG bereits mehrmals ihre Bücherbestände gesäubert undsich im April sogar vonihrer organisationseigenen Bücherei in Köln getrennt, weil sie fürchtete, Publikationen mit antisemitischen Inhalten könnten ihr sonst zugerechnet werden und im Falle eines Verbotsverfahrens schaden. Die IGMG hatte beim Verwaltungsgericht München einen Antrag gestellt, das Gericht möge dem Freistaat Bayern perErlass einer einstweiligen Anordnung untersagen, im Zusammenhangmit Berichten über "Milli Görüs e. V." Bildnisse von Usama Bin Laden zu verwenden und zu behaupten, der Verein wolle mit Hilfe eingebürgerter Muslime eine eigene Partei gründen. Der Antrag wurde mit Gerichtsbeschluss vom 11. Juni abgewiesen. 201 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 "Kalifatsstaat" Der "Kalifatsstaat" ("Hilafet Devleti"), der vormals "Verband der islamischen Vereine und Gemeinden" (ICCB) hieß, wurde mitsamt seiner Stiftung "Diener des Islam" sowie 19 Moscheevereinen (als Teilorganisationen) am 8. Dezember 2001 vom Bundesminister des Innern verboten. Laut Verbotsverfügung richtete sich der 1984 gegründete Verein "gegen die verfassungsmäßige Ordnung" und "den Gedanken der Völkerverständigung" und gefährdete "durch seine politische Betätigung die innere Sicherheit sowie sonstige erhebliche Belange der Bundesrepublik Deutschland". Am 16. September wurden weitere 16 Vereine als Teilorganisationen des "Kalifatsstaats" verboten. In diesem Zusammenhang wurden 108 Objekte in fünf Bundesländern durchsucht. Am 27. November wies das Bundesverwaltungsgericht die Klage des "Kalifatsstaats" undeiniger Teilorganisationen ab und erklärte das Verbot für rechtens. Es führte in seiner Entscheidung u. a. aus, dass die Behauptung einer eigenen Staatsgewalt, verbunden mit einem Gewaltanspruch gegenüber den eigenen Mitgliedern, gegen das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip verstößt. Der "Kalifatsstaat" wollte den islamischen Gottesstaat auf unmittelbarem Wegeherbeiführen, also mittels des "Jihad" im militanten Verständnis. Zuletzt hatte der "Kalifatsstaat" rund 1.100 Mitglieder und etwa 40 Moscheen. Dem 1995 verstorbenen Vereinsgründer Cemaleddin Kaplan war sein Sohn Metin Kaplan nachgefolgt. Diesen hatte das Oberlandesgericht Düsseldorf am 15. November 2000 wegenöffentlicher Aufforderung zu Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Bundesgerichtshof lehnte mit Beschluss vom 11. Juli 2002 eine vorzeitige Haftentlassung ab. Im März 2003 hatte Kaplan seine Haftstrafe verbüßt. Die Türkei hat ein Auslieferungsersuchen gestellt, da gegen Kaplan zwei Haftbefehle vorliegen. Ihm wird vorgeworfen, dass er 1998, anlässlich des 75. Jahrestages des Bestehens der Türkischen Republik, einen Anschlag auf das Atatürk-Mausoleum in Ankara mitgeplant und im Mai des gleichen Jahres in Köln zum Sturz der türkischen Regierung aufgerufen habe. Da die Türkei nunmehr die Todesstrafe abgeschafft hat, kam das Oberlandesgericht Düsseldorf dem türkischen Ersuchen nach underließ am 14. Januar 2003 einen Auslieferungshaftbefehl. Die etwa 800 verbliebenen Anhänger des "Kalifatsstaates" übten sich, solange die Klage gegen das Verbot lief, in Zurückhaltung. Doch schei202 Ausländerextremismus nen sie an ihren politisch-religiösen Zielen festzuhalten. Das Publikationsorgan des Kalifatsstaates "Ummet-i Muhammed" ("Die Gemeinde Mohammeds") wurde von der wöchentlich erscheinenden Nachfolgepublikation "Beklenen Adr-i Saadet" ("Das erwartete Jahrhundert der Glückseligkeit") mit türkischen, deutschen und holländischen Seiten abgelöst Auch tauchen noch einschlägige Flugblätter des Vereins auf -- m Metin Kaplan beieinerislamischen Neujahrfeier 203 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 LINKSEXTREMISTEN UND NATIONALISTEN "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Freiheitsund Demokratie-KongressKurdistans"(KADEK) Pas S Gründung: 1978(inderTürkei) er a Sitz: Nord-Irak V im Land Brandenburg aktiv seit: 1993 Publikationen: "Serxwebun" ("Unabhängigkeit"), "Özgür Politika" ("Freie Politik") (der PKK nahestehend) Anhänger bundesweit: 11.500 Brandenburg: 100 internationale Teilorganisation: "Kurdische Demokratische Volksunion" (YDK), vormals "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) Betätigungsverbot für die PKK und die ERNK in Deutschland durch den Bundesinnenminister am 26. November 1993 Umbenennung der PKK in "Freiheitsund Demokratie-Kongress Kurdistans" (KADEK) auf dem Parteikongress vom 4. bis 10. April 2002 Die "Arbeiterpartei Kurdistans" ("Partiya Karkeren Kurdistan"/PKK) war undst ene straff herarchsch aufgebaute Kaderorgansaton. Darüber kann auch ihr neuer Name "Freiheitsund Demokratie-Kongress Kurdistans" ("Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistan" /KADEK) nicht hinwegtäuschen. Die PKK wurde 1978 von Abdullah Öcalan gegründet, der sie seither autoritär führte. Zur Zeit des "Kalten Krieges" war sie marxistisch-leninistisch ausgerichtet, doch ihr eigentliches Anliegen war von jeher separatistisch-nationalistisch. Die PKK kämpfte, seit 1984 auch mit einem militärischen Arm, der "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" ("Atesen Rizgariya Gele Kurdistan"/ARGK), für einen "unabhängigen und demokratischen Kurdenstaat". Die PKK hat indessen den militärischen Kampf) gegen die Türkei verloren. 204 Ausländerextremismus Als die PKK in Europa eine zweite Front eröffnete und 1993 mehrere Gewaltwellen über Deutschland hereinbrachen, wurde ihr vom Bundesinnenminister verboten, sich in Deutschland zu betätigen. Die PKK arbeitete jedoch im Untergrund weiter. Das Parteiprogramm von 1995 stellte aber den politischen Kampfin den Vordergrund. 1996 wechselte Öcalan auch gegenüber Deutschland seine Strategie undhielt seine Gefolgschaft zum Gewaltverzicht an. 1998 wurde Öcalan aus seinem Unterschlupfin Syrien vertrieben, 1999 in Kenia ergriffen und in die Türkei gebracht. Seine Anhängerschaft in Deutschlandhielt sich seinerzeit nur bedingt an seine Weisung, von militanten Protestaktionen abzusehen. Öcalan ist nach wie vor der eigentliche Führerseiner Organisation, denn als Gefangenerdes türkischen Staates avancierte Öcalan zumindest für seine Parteigänger zu einem Nationalsymbol für die Unfreiheit des kurdischen Volkes. Die Umständeseiner Verhaftung werden mit einer Komplotttheorie erklärt, der zufolge sich nebender Türkei, den USA, Israel, Griechenland auch Deutschland gegen die Kurden verschworen habensoll. Nachdem die Türkei die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft hatte, wurde ÖcalansStrafmaß am 3. Oktober 2002in eine lebenslängliche Haft umgewandelt. Friedenskurs unter neuem Namen Die PKK habe ihre historische Mission erfüllt und alle Aktivitäten unter diesem Namen würden eingestellt, hieß es in der Abschlusserklärung des 8. Parteikongresses der PKK vom 4. bis 10. April, der gleichzeitig der Gründungskongress des KADEK war. Der KADEK unterscheidet sch allerdings kaum von der PKK, weder strukturell noch personell. Die Führung des KADEK wurde dem Generalvorsitzenden Öcalan und einem elfköpfigen Präsidialrat übertragen. Dem KADEKwird in der Kongresserklärung eine koordinierende Funktion bei der demokratischen Lösung der kurdischen Frage zugedacht. Gültige Staatsgrenzen sollten nicht angetastet werden. Zwar wird jeglicher Terrorismus verurteilt, aber eine Guerilla-Truppe zur Selbstverteidigung für notwendig erachtet. Spätestens seit Öcalans Inhaftierung hatte die PKK einen Friedenskurs eingeschlagen. Sie erklärte den Guerillakrieg für beendet und startete "Friedensinitiativen". In zahlreichen Kampagnen kämpfte die PKK seit- Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 her weitgehend friedlich für die offizielle Anerkennung der kurdischen kulturellen Identität durch den türkischen Staat. Eingebettet in die 2001 gestartete "Identitätskampagne" lief Anfang 2002 die Kampagne "Unsere Muttersprache ist unsere Existenzgrundlage" an. Ihr militärisches Potenzial mochte die PKKtrotz aller Friedensangebote nicht aufgeben. Die etwa 4.000 bis 5.000 Personenstarken militärischen Verbände zogensich in den Nord-Irak zurück. Seit 2000 heißensie nicht mehr "Volksbefreiungsarmee Kurdistans", sondern "Verteidigungseinheit des kurdischen Volkes" ("Hezen Parastini Gele Kurd"/HPG). Die PKK betrachtete ihreneinseitig deklarierten Friedenskurs als Vorleistung, für den sie entsprechende Gegenleistungen erwartete. Als sie, nunmehr als KADEK, am 2. Mai vom Rat der Europäischen Union in die Liste der Terrororganisationen aufgenommen wurde, sah sie sich in dieser Hoffnung getäuscht. Sie begann eine europaweite Protestkampagne unter dem Motto "Ich fordere Gerechtigkeit". In zahlreichen deutschen Städten versammelten sich die Aktivisten und Sympathisanten des KADEK zu Protestkundgebungen und Mahnwachen oderbeteiligten sich an Unterschriftenaktionen. Danebenhat die PKK/KADEK auch mit herkömmlichen Veranstaltungen ihre Mitgliederund Anhängerschar mobilisieren können, insbesondere anlässlich derfür sie politisch wichtigen Jahrestage. So erinnert die Parteiam 15. Februaran die Ergreifung Öcalans 1999, am 15. August an die Aufnahme des bewaffneten Kampfes 1984, am 9. Oktober an den "Beginn des Komplotts" zur Festnahme Öcalans 1998, am 26. November an das Betätigungsverbot für die PKK 1993 und am 27. November -- dem "Tag der nationalen Auferstehung" und "Fest der Freiheit" -- an die PKK-Gründung 1978. In zahlreichen Städten Deutschlands fanden zu diesen Daten jeweils kleinere dezentrale Demonstrationen und Fackelzüge statt. Das wichtigste Fest der Kurden, Newroz (Neujahrsfest) am 21. März, wird von der PKK/KADEK regelmäßig für politische Zwecke vereinnahmt. Die für Europa zentrale Festveranstaltung am 23. März in Düsseldorf besuchten 38.000 Teilnehmer. Das "10. Internationale Kurdistan-Kulturfestival" fand am 7. Septemberin der Gelsenkirchener "Arena auf Schalke" mit 45.000 Besuchern statt. 206 Ausländerextremismus Erneuter Strategiewechsel Der Ausgangder türkischen Parlamentswahlen am 3. November war für den KADEKeine herbe Enttäuschung. Drei Parteien hatten sich in einem Wahlbündnis zur pro-kurdischen "Demokratischen Partei des Volkes" (DEHAP) zusammengeschlossen. Obwohl dieses Bündnis vom KADEK massiv unterstützt wurde, verfehlte es den Sprung über die 10-ProzentHürde mit nur 6,2 Prozentklar. Auch die bisherigen Zugeständnisse des türkischen Staates -- die Abschaffung der Todesstrafe, das Recht auf Unterrichtung der Minderheitensprachen an nichtstaatlichen Schulen - konnten den KADEKnicht zufriedenstellen. Am 25. Novemberformulierte der Präsidialrat eine "eilige Verlautbarung zur Problemlösung". Ultimativ wurde die neue Regierung (dazu siehe oben S. 19) unter Druck gesetzt, sie möge die Beschränkung des Zugangs zu Öcalan bis zum 15. Februar 2003 lockern. Des Weiteren griff der KADEKdie alte Forderung nach einer Generalamnestie für die Guerillakämpfer wieder auf. Andernfalls bestehe Kriegsgefahr. Die Kriegsrhetorik des KADEK wurde genährt durch die Furcht, die Türkei werde einen Irak-Krieg nutzen, um die HPG im Nord-Irak militärisch aufzureiben. Auch 2002 wurden wieder mehrere hochrangige Kader der PKK/KADEK verhaftet und zum Teil wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und anderer Vergehen zu hohen Haftstrafen verurteilt. Türkische Linksextremisten Kleinparteien und Spaltergruppen Die türkischen Linksextremisten, von denen etwa 3.650 in Deutschland agieren, verfolgen ein gemeinsames Ziel: Sie wollen den türkischen Staat in einem revolutionären Umsturz gewaltsam zerschlagen und eine kommunistische Gesellschaft auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus oder des Maoismuserrichten. Auf dem Wegedorthin greifen sie, mindestens in der Türkei, auch zum Mittel des Terrors. Daneben gilt ihr Kampf den mit der Türkei verbündeten westlichen Staaten. In Deutschland wählen sie überwiegend die Form desfriedlichen Protestes. Allerdings wurden auch hier interne Auseinandersetzungen teilweise gewaltsam ausgetragen. Denn dieses Spektrum ist nicht nur in verschiedene Kleinparteien und -vereine zersplittert, sondern wird auch noch durch immer neue Flügelkämpfe innerhalb der einzelnen Organisationen und deren Abspaltungen geschwächt. 207 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" ("Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi"/DHKP-C) unddie "Türkische Volksbefreiungspartei-Front Revolutionäre Linke" ("Türkiye Halk KurtulusPartisi-Cephesi Devrimci Sol"/THKP-C) sind aus zwei rivalisierenden Flügeln der 1983 verbotenen "Revolutionären Linken" ("Devrimci Sol") hervorgegangen und wurden 1998 als deren Ersatzorganisationen vom Bundesminister des Innern verboten. Dennoch arbeiten sie Konspirativ weiter. Die DHKP-C hat in Deutschland etwa 750 Anhänger, darunter einige wenige in Brandenburg. Ihre größte Veranstaltung 2002 war ein Konzert am 16. November in Sindelfingen (Baden-Württemberg). Es erschienen 8.000 Gäste, darunter Aktivisten und Sympathisanten der Partei. Das Publikationsorgan der DHKP-C "Vatan" ("Heimat") wurde im März von "Ekmek ve Adalet" ("Brot und Gerechtigkeit") abgelöst. Seit Beginn 1998 verzichtet die DHKP-C in Deutschland auf Gewaltaktionen, so auch aufbewaffnete Auseinandersetzungen mit der THKP-C. In der Türkei kämpft die "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" ("Devrimci Halk Kurtulus Cephesi"/DHKC.), der militärische Arm der DHKP-C, allerdings weiterhin mit terroristischen Mitteln. Deren Anführer wurde am 20. August in Istanbul von türkischen Sicherheitskräften festgenommen. Im September versuchte ein DHKP-C-Aktivist, mehrere Handfeuerwaffen für den bewaffneten Kampf aus Deutschland über die bulgarischtürkische Grenze zu schmuggeln. Die türkischen Sicherheitsbehörden stellten die Waffen sicher, der Fahrer des Transportfahrzeuges flüchtete. Nach umfangreichen Recherchen konnten der mutmaßliche Täter und seine Komplizen ausfindig gemacht werden. Am 18. Februar 2003 wurden verschiedene Objekte - eines davon in Brandenburga. d. H.-durchsucht und Beweismittel sichergestellt. Wegenihrer Aktivitäten in der Türkei wurde die DHKP-C vom Rat der Europäischen Unionin die Liste derterroristischen Organisationen aufgenommen. In Deutschland wurden wieder mehrere Partei-Kader wegen Mitgliedschaft bzw. Rädelsführerschaftin einer terroristischen Vereinigungverurteilt. Die wesentlich kleinere THKP-C - sie zählt nur noch etwa 50 Mitglieder -- hat sich in zwei rivalisierende Gruppierungen aufgespalten. Die 1972 gegründete "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" ("Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist"/TKP/ML) hat ihre Einheit 1994 durch eine Spaltung verloren. Der "Partisan"-Flügel zählt bundesweit etwa 900 Mitglieder, das "Ostanatolische Gebiets208 Ausländerextremismus komitee" (DABK) 600. Entsprechend haben auch unterstützende Organisationen, die ihre Zugehörigkeit zur TKP/ML verschleiern, getrennte Strukturen ausgebildet. Ideologische Unterschiede gibt es aber nicht. Die - gleichfalls gespaltene -- "bewaffnete Frontorganisation" der TKP/ MList die "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO). Sie begehtterroristische Anschläge in der Türkei Auch den 30. Jahrestag der Parteigründung begingen die zerstrittenen Flügel getrennt. Die Jubiläumsveranstaltung des DABK am 18. Mai n Frankfurt/Main zog 4.000 Interessenten an; die des "Partisan"-Flügels fand am 25. Mai in Wuppertal mit 3.000 Besuchern statt. Unter den Teilnehmern waren nahezu alle linksextremistischen türkischen Gruppenvertreten. Die "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" ("Marksist-Leninist Komünist Partisi"/MLKP) wurde 1994 gegründet. Schon im Folgejahr spaltete sich die "Kommunistische Partei-Aufbauorganisation" (KPIÖ) aus ideologischen Gründen ab. Der MLKP gehören in Deutschland etwa 600 Mitglieder an, einzelne davon leben in Brandenburg. Seit Septembergibt die MLKP das "Internationale Bulletin" heraus, um über den "Klassenkampf" in der Türkei zu informieren. Die "Kommunistische Jugendorganisation" (KGÖ) der MLKPveranstaltete in Belgien ein Sommerlager. Auch in Deutschland wurdekräftig dafür mit dem Hinweis geworben, dass der "globale Widerstand der Jugendlichen gegen Einrichtungen undInstitutionen des Kapitals" im Mittelpunkt des Camps stünde. Todesfasten wird unterstützt Der Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen dauert an. Er forderte bis Ende 2002 nach Angabendes "Komitees gegen Isolationshaft" (IKM) 103 Tote. Begonnen hatte er am 20. Oktober 2000, weil seinerzeit etwa 800 inhaftierte Linksextremisten gegen die Einführung eines neuenZellentyps protestieren wollten. Einen Monatspäter wurde er von etwa 200 Beteiligten zu einem Todesfasten verschärft. Am 19. Dezember 2000 hatten türkische Sicherheitskräfte begonnen, den Widerstand der revoltierenden Gefangenen, die sich teilweise verbarrikadiert und bewaffnet hatten, zu brechen. In der Türkei, aber auch in Deutschland wie in ganz Europa fanden seither zahlreiche Solidaritätsaktionen statt, mit denen auf die Situation der 209 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 hungerstreikenden Häftlinge aufmerksam gemacht werden sollte. Es bildeten sich mehrere Solidaritätskomitees, darunter das von der DHKP-C gesteuerte IKM und das von der MLKP und der TKP/ML dominierte "Solidaritätskomitee mit den politischen Gefangenen in der Türkei" (DETUDAK). Zu Gedenkveranstaltungen für die beim Hungerstreik ums Leben gekommenen Häftlinge kamen aus dem gesamten linksextremistischen türkischen Spektrum 500 Personen am 12. Januar nach Leverkusen und 1.600 am 26. Januar nach Stuttgart. Allerdings gelang es den türkischen linksextremistischen Organisationen nicht, die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit im erwünschten Maße auf die Haftbedingungen in der Türkei zu lenken. Auch fiel es ihnen zusehends schwerer, die eigene Basis vom Sinn des Todesfastens zu überzeugen. Deshalberklärten achttürkische linksextremistische Organisationen gemeinsam am 28. Mai, das Todesfasten sei beendet. Die revolutionäre Aufgabe sei erfüllt, ideologisch und moralisch der Sieg errungen. Nur die DHKP-C verweigerte sich dem Abbruch des Hungerstreiks. Dochseit dem 2. Jahrestag der Gefängniserstürmung vom 19. Dezember 2000beteiligen sich wieder zwölf linksextremistische türkische und kurdische Organisationen an dem "unbegrenzten", für viele tödlichen Hungerstreik. Iranische Linksextremisten Seit 1981 führen die Linksextremisten deriranischen "Volksmodjahedin" ("Modjahedin-E-Khalq"/MEK) ihren Kampf gegen das theokratische Regime im Iran vom Ausland her. Die MEK wenden dabei eine Doppelstrategie an: Ihr militärischer Arm, die "Nationale Befreiungsarmee" ("National Liberation Army"/NLA), operiert vom Irak aus gegen denIran, auch mit terroristischen Mitteln. Auf politische Mittel beschränkt sich hingegen der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI); er wendet sich mit provokativen Aktionen gegendie iranische Staatsführung. Seitdem 3. Mai sind die MEK vom Rat der Europäischen Unionals Terrororganisation eingestuft. Dagegen protestierten sie in mehreren Demonstrationen, u. a. am 13. Mai in Brüssel und am 21. Juni in Kopenhagen. In Jüngster Zeit befürchten die MEK, dass mit dem möglichen Sturz ihres Schutzpatrons Saddam Hussein zugleich ihre Operationsbasis im Irak 210 Ausländerextremismus wegbrechen könnte. Ein Teil der Führungskader versuchtsich in Deutschland in Sicherheit zu bringen. Derzeit haben die MEK in Deutschland etwa 900 Mitglieder. Um den militärischen Widerstand zu finanzieren, werden immer wieder Betrugsund Geldwäschedelikte begangen: Spendengelder, von Tarnorganisationen mit aggressiven Methoden für humanitäre Ziele gesammelt, werden zweckentfremdet. Am 18. Dezember 2001 wurden auf Anordnungder Staatsanwaltschaft Köln 20 den MEK, dem NWRIund dem Verein "Iranische Flüchtlingshilfe e. V." zuzuordnende Objekte in Köln, Berlin und Münchendurchsucht sowie zwei Haftbefehle wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung erlassen. Die MEK, die um ihren Leumund und damit um ihre Spendenbasis fürchten, reagierten am 15. Februar mit einer Demonstration in Köln, ihrer Hochburgin Deutschland. 2.500 Personen fanden sich ein, darunter zahlreiche Sympathisanten. Nicht nur die Anhänger der MEK nutzen immer wieder die Gelegenheit von Staatsbesuchen, Gipfeltreffen oder Wahlen im Iran für propagandistische Aktionen. Auch die "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) protestiert ganz ähnlich mit Besetzungsaktionen, Demonstrationen und Störattacken gegen das Regimein der Heimat. Am 18. November besetzten API-Aktivisten aus Protest gegen den Besuch des iranischen AuBenministers das Rathausfraktionsbüro von "Bündnis 90/Die Grünen" in Köln. Die Aktion verlief friedlich. Hingegen störten etwa 25 API-Aktivisten massiv eine Veranstaltung der Evangelischen Akademie in Loccum (Niedersachsen) am 24. und 25. Oktober, die unter dem Motto "Iranein Land im Aufbruch" stand. Die API tritt für einen revolutionären Umsturz im Iran ein. Sie hat in Deutschland etwa 400 Mitglieder. Am 4. Juli verstarb der Gründer und Chefideologe der API, Mansour Hekmat. Nationalisten Die 1978 gegründete "Föderationder türkisch-demokratischen Idealistenvereine in Europa e. V." ("Avrupa Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyon"/ADÜTDF), in der Öffentlichkeit besser bekannt als "Graue Wölfe", ist extrem-nationalistisch und rassistisch ausgerichtet. Ihre Mutterpartei ist die "Partei der nationalen Bewegung" ("Milliyetci Hareket Partisi"/MHP) in der Türkei. Die ADÜTDF propagiert einen völkischen 21l Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Kollektivismus; das Individuum müsse sich dem Volksganzen unterordnen. Sie tritt für eine Synthese von Türkentum undIslam ein. Die etwa 8.000 ADÜTDF-Mitglieder in Deutschland -- darunter einige wenige in Brandenburg - verhalten sich seit Jahren unauffällig. Dass die Organisation um ein moderates Erscheinungsbild bemühtist, zeigt auch folgender Vorfall: Am 20. Mai verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf eine katholische Kirche in Kassel. Den Eingangsbereich besprühten die Täter zudem mit dem Schriftzug "Bozkurt" ("Grauer Wolf"). Die ADÜTDEFdistanzierte sich bereits am 21. Mai von diesem Anschlag. Es handele sich um ein "Komplott" mit dem Ziel, das friedliche Zusammenleben in Deutschland zu unterminieren. Die ADÜTDF setze sich für die Toleranz der Kulturen, der Religionen und der Traditionenein. Extremistische Sikh-Gruppen wie die "Internationale Jugendföderation der Sikhs" ("International Sikh Youth Federation"/ISYF) und die "Tiger des wahren Glaubens" ("Babbar Khalsa International"/BK) kämpfen im indischen Punjab für ein unabhängiges "Khalistan". Sie unterstützen den bewaffneten Kampf in Indien mit Spenden, die auch in Deutschland gesammelt werden. Mit den Geldern werden Terrorkommandos, aber auch die Hinterbliebenen der Märtyrer unterstützt. In Brandenburg sind jeweils Einzelmitglieder der ISYF und der BK bekannt. AKTUELLE LAGE IN BRANDENBURG Von den mehreren Zehntausend Ausländern, die in Brandenburg leben, gehören nur 205 unterschiedlichen extremistischen Gruppierungenan. Angesichts des geringen Mitgliederbestandes konnte bisher keine dieser Organisationen stabile Strukturen mit funktionierender Arbeitsteilung im Landeherausbilden. Die meisten der ausländischen Extremisten, die im brandenburgischen Speckgürtel der Hauptstadt leben, suchen vielmehr die Anbindung an Strukturen in Berlin. Aber auch jene, die verstreut in der Fläche Brandenburgs leben, lassen sich immer wieder für Aktivitäten mobilisieren, die jenseits der Landesgrenze stattfinden. Die PKK/KADEK, der etwa die Hälfte der ausländischen Extremisten in Brandenburg zuzurechnen sind, unternimmt immerhin Anstrengungen, ihre hiesigen Anhänger, die von Berlin aus gesteuert werden, in lokalen Strukturen zusammenzufassen. 212 Ausländerextremismus Nebenfesten Organisationen sind aber auch konspirative Kleinstgruppen beachtlich, zumal wenn sie militant sind. Eine Gefahr stellen insbesondere gewaltgeneigte islamistische Gruppendar, die Brandenburg als Rückzugs-, Ruheund Vorbereitungsraum nutzen könnten oder sich sogar hier erst herausbilden. Dass diese Gefahr nicht eingebildet, sondern realist, erwies sich, als die Sicherheitsbehörden auf eine kleine islamistische Zelle in Cottbus aufmerksam wurden. Gegensie erhob sich der Verdacht, dass sie im Verein mit Kontaktleuten in anderen Bundesländern Pläne für Anschläge schmiedete; zur unmittelbaren Vorbereitung eines Anschlags war sie offenbar jedoch nochnicht vorangeschritten. Die geheimen Ermittlungen hierzu, die der Generalbundesanwalt führte, wurden empfindlich gestört, als sie auf Grundeiner Indiskretion am 5. Oktober durch eine Pressemeldung öffentlich bekannt wurden. Daher musste eiligst gehandelt werden. Der Generalbundesanwalt veranlasste umgehend elf Durchsuchungen in Cottbus, Groß-Gerau (Hessen) und Leinfelden-Echterdingen (BadenWürttemberg). Belastendes Material wurde nicht gefunden; doch waren zwischen der Pressemeldung und dem Eintreffen der Beamten in den Wohnungen der Verdächtigen einige Stunden verstrichen -- Zeit genug, um gegebenenfalls verräterische Dokumente und gefährliche Substanzen beiseite zu schaffen. Einer der Hauptverdächtigen wurde bereits mit Abschiebehaftbefehl gesucht, er ist inzwischen in seine Heimat Algerien verbracht worden. Die Ermittlungen zum Fall dauern noch an. Um dasEntstehen weiterer derartiger Zellen rechtzeitig aufzuklären, geht der Verfassungsschutz jedem erdenklichen Verdachtsmoment, und sei es noch so vage, mit der gebotenen Sorgfalt nach. 213 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 214 Scientology-Organisation Scientology-Organisation 215 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 SCIENTOLOGY-ORGANISATION gegründet: 1954 in den USA 1970 erste Niederlassung in Deutschland Sitz: Los Angeles (Weltzentrale) Kopenhagen (Europazentrale) Mitglieder bundesweit: 5.000 bis 6.000 Brandenburg: Einzelpersonen Organisationsstruktur: in Deutschland insbesondere die "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD), der zehn "Kirchen", elf "Missionen" und zwei sog. "Celebrity Centers" nachgeordnet sind Publikationen: "Freiheit", "Impact", "International Scientology News", "Source", "Advance", "The Auditor" Die "Scientology-Organisation" (SO) verspricht jedem Interessenten, dass sie ihm "alle körperlichen Schmerzen" nehme, ihn zur "völligen geistigen Freiheit" führe und ihn zum "perfekten" Menschen mache. Die dem Einzelnen verheißene Perfektionierung könne aber -- so der verstorbene, aber weiterhin maßgebliche SO-Begründer L. Ron Hubbard -- nur durch bestimmte Techniken erreicht werden, die allein von der SO angeboten würden Wer dieses Angebot annimmt, muss freilich teuer dafür bezahlen. Damit offenbart die Organisation ihren wahren Charakter: den eines gut funktionierenden Unternehmens, das vor allem rücksichtsloses Gewinnstreben zur Handlungsmaxime erklärt hat. Ein Fall für den Verfassungsschutz Die "Scientology-Organisation" (SO) geht nach wie vor darauf aus, grundlegende Verfassungsprinzipien -- etwa die Menschenrechte, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung oder die Unabhängigkeit der Gerichte -- einzuschränken oder zu beseitigen. Allerdings versucht sie diese Absicht zu verschleiern. Deshalb auch wurde die Satzung der "Scientology 216 Scientology-Organisation Kirche Deutschland e. V." (SKD) am 2. Dezember 2001 geändert und in der neuen Fassung am 21. März beim Amtsgericht München eingetragen. Die SKD, eine von mehreren SO-Strukturen in Deutschland, verbreitet nach eigenem Bekunden den religiösen Glauben der Organisation. Unter der Überschrift "Zweck der Kirche" wird in dieser Satzung, $ 2 Nr. 6, festgelegt: "Die Mitglieder der SKD stimmenseit jeher darin überein, das Grundgesetz der BRD, die Verfassungen der Länder und das Recht und das Gesetz zu respektieren. Die Mitglieder sind von der einvernehmlichen Überzeugung geleitet, bei der Auswahl der Mittel und Wege zur Erfüllung der gemeinsamen Aufgaben der SKD, die Lehre von Scientology in dem vom Grundgesetz aufgezeigten Rahmenund stets im Einklang mit dem Gesetz der BRD auszuüben." Im Frühjahr informierte die SO brieflich mehrere Innenminister, auch den des Landes Brandenburg, über diese Satzungsänderung. Sie unterließ dabei nicht den Hinweis, dass das Bekenntnis der SO zu den demokratischen Grundwerten, wie Meinungsfreiheit, Völkerverständigung, Toleranz und Gewaltenteilung, in der neuen Satzung klar zum Ausdruck komme und auch deswegen keinerlei Anlass mehr für die Beobachtung der SO durch den Verfassungsschutz bestehe. In die gleiche Richtung zielten die wiederholten Versuche der SO im ersten Halbjahr, die Innenminister davon zu überzeugen, dass das Verwaltungsgericht Berlin mit seinem Urteil vom 13. Dezember 2001 den Verfassungsschutzbehörden eine weitere Beobachtung der SO untersagt habe. Entgegen dieser Auffassung hat das Verwaltungsgericht Berlin jedoch lediglich entschieden, dass die Berliner Verfassungsschutzbehörde keine SO-Mitglieder und -Mitarbeiter als V-Leute anwerben, einsetzen und bezahlen dürfe. Den Einsatz anderer nachrichtendienstlicher Mittel hat das Gericht der Berliner Verfassungsschutzbehörde nicht verwehrt. Und selbstverständlich bindet das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts auch nur das Land Berlin. Ein weiteres Mal wandte sich die SO an die Innenminister vor deren regulärer Herbsttagung; unter Hinweis auf einen Beschluss des Bundesarbeitsgerichts verlangte sie abermals, dass ihre Organisation von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr beobachtet werde. 217 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 :"Neve Zivilisation Solche "Volunteer Ministers" boten auch in den von Fluten bedrohten Regionen Brandenburgs Hilfe und "geistigen Beistand" an. 218 Scientology-Organisation Dasrein formale Bekenntnis der SO zum Grundgesetz und zu den Verfassungen der Länder vermag allerdings nicht darüber hinwegzutäuschen, dass sich die grundsätzliche Einstellung der SO nicht geändert hat. Denn sie folgt weiterhin den verfassungsfeindlichen Lehren des Organisationsgründers L. Ron Hubbard, dessen Schriften sie unablässig verbreitet und als Schulungsunterlagen verwendet In der von Hubbard propagierten "neuen" oder "geretteten Zivilisation" sollen Regeln gelten, die mit den Grundprinzipien unserer Verfassung nicht vereinbar sind. Allen Menschen, die nicht nach den SO-Methoden "geklärt" und damit "perfekt" sind, werden wesentliche Grundrechte abgesprochen. Deshalb sahen die Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder bisher keinen Grund, ihren Beschluss vom 5./6. Juni 1997 zu revidieren. Diese nochmals am 20. November 1998 bestätigte Entscheidung verpflichtet die Verfassungsschutzbehörden, allen Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO nachzugehen. Entsprechend hat etwa die Bayerische Staatsregierung mit Beschluss vom 12. November den dortigen Verfassungsschutz angewiesen, die verstärkte Beobachtung der SO fortzusetzen. Sie stützte sich dabei u. a. auf die Erkenntnisse der von ihr in Auftrag gegebenen wissenschaftlichen Expertise "Auswirkungen und Risiken unkonventioneller Psychound Sozialtechniken", die mittlerweile auch unter dem Titel "Gesundheitliche und rechtliche Risiken bei Scientology" (Lengerich: Pabst Science Publishers, 2002) im Buchhandel erhältlich ist. Diese Expertise stellt fest, dass die von der SO eingesetzten Psychound Sozialtechniken Risiken für die Gesundheit, Willensfreiheit und rechtliche Integrität der Betroffenen n sich bergen. Dafür gibt es weltweit zahlreiche Indizien. So wird in Irland derzeit ein Prozess geführt, in dem ein ehemaliges SO-Mitglied der Organisation die Verletzung von Verfassungsrechten durch Einschränkung der persönlichen Freiheit vorwirft. Auch die von SO angepriesenen Heilmethoden, zum Beispiel das Drogenentzugsprogramm Narconon, sind vom medizinischen Standpunkt aus sehr fragwürdig. In den USA hat die fehlerhafte Behandlung durch Scientologen möglicherweise sogar ein Todesopfer gefordert. 219 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Strukturen und Aktivitäten Hierarchischer Organisationsaufbau Die SO mitihren zahlreichen Unterund Nebenorganisationen ist weltweit wie ein straff geführter Wirtschaftskonzern aufgebaut. Die Schaltzentrale befindet sich in den USA; als Chefmanager fungiert Hubbards Nachfolger David Miscavige, der Vorstandsvorsitzende des SO-eigenen "Religious Technology Center" (RTC). Das RTC besitzt die Urheberrechte an allen Warenund Dienstleistungszeichen der SO und überwacht die Lizenzvergabe. Der Wirtschaftsverband "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) will die "Technologien" der SO im Wirtschaftsund Geschäftsleben verankern. Mehrere Organisationen sollen die Sicherheit der SO gewährleisten. So finanziert die "International Association of Scientologists" (ISA) aufwändige Kampagnen, um tatsächliche oder vermeintliche Angriffe auf die SO abzuwehren und Gegner der Organisation zu attackieren. Das "Office of Special Affairs" (OSA) bedient sich geheimdienstlicher Methoden, um der Verbreitung der SO den Weg zu ebnen. Strafund Arbeitslager für unbotmäßige SO-Mitglieder unterhält die "Sea Organisation", ein ordensähnliches SO-Gebilde. Sämtliche SO-Aktivitäten werden vom "Watchdog Committee" (WDC) überwacht. Bei alledem stellt sich die SO selbst als "Kirche" dar. Diesen Anspruch dokumentieren weltweit die "Church of Scientology International" (CSD) und in Deutschland die erwähnte "Scientology Kirche Deutschland e. V." (SKD), der die einzelnen "Kirchen", "Missionen" und "Celebrity Centers" (diese haben die Aufgabe, Prominente zu umwerben) nachgeordnet sind. In Brandenburg freilich hat die SO nochkeine dieser Einrichtungen etablieren können. Eigenwerbung in Brandenburg Hier beschränkte sich die SO darauf, gelegentlich ihr Werbematerial zu versenden. Nur einmaltrat die SO stärker hervor: Als auch Brandenburg im Sommer vom Hochwasser heimgesucht wurde, wollte die SO diese Situation ausnutzen -- ganz ebenso, wie sie es anderswo bei Naturkatastrophen oder auch politischen Umbrüchen häufig versucht. So genannte "Volunteer Ministers" ("Ehrenamtliche Geistliche") fuhren in die von den Fluten bedrohten Regionen und boten als Hilfe ihren "geisti220 Scientology-Organisation gen Beistand" an. Dass dieser missionarische Eifer Früchte trug, wurde allerdings nichtersichtlich. ! Die Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg hat ein "Vertrauliches Telefon" mit der Rufnummer (03 31) 2 70 02 30 eingerichtet. Wersich von der SO bedrängtsieht oder Informationen übersie weitergeben bzw. erhalten will, findet hier kompetente Ansprechpartner. Entdecken Sie Ihr wahres geistiger Poberziml! = mem |eg" Ein U ei "uw(r) Er ar er rar DEa | BEE zn Ze u er Le-ur 1 u ne Gut m Pan ü ee ei Fan wie am Am der m: na EEE nm mn mh un m weh m an Da uud zum una ame Prhemohun um cm mm bull una much Du Dan bein iu meh dm Bin dan men van nf be m mm nn mn din Übung m en Tan mm #2) mm hmm sung > cn ann anni nu: Mit solchen Flugblätter wirbt die SO auf Berliner Straßen um Aufmerksamkeit Weitere Angaben zur Scientology-Organisation, deren Ideologie und Strukturen auch auf der Website www.verfassungsschutz-brandenburg.de unter "Extremismus; die Publikation "Scientology -- Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes" findet sich dort unter "Bibliothek "Publikationen "Druckschriften. 221 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 222 Nutzung neuer Medien durch Extremisten Nutzung neuer Medien durch Extremisten 223 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 NUTZUNG NEUER MEDIEN DURCH EXTREMISTEN Die modernen Kommunikationsmittel werden selbstverständlich auch von Extremisten genutzt. Gerade das Internet mt seinen multmedalen Möglichkeiten dient ihnen als komfortables Medium der Selbstdarstellung und Werbung, als praktikabler Informationsspeicher und vor allem als Agitationsbasis für ihre z. T. menschenverachtende Propaganda. In quantitativer wie in qualitativer Hinsicht haben Extremisten in den letzten Jahren ihre Präsenz im Internet immerweiter ausgebaut. Diese Entwicklung wirdsich fortsetzen. Denn im Vergleich zu sonstigen Werbeträgern ist das Internet einerseits sehr kostengünstig, andererseits bietet es die Aussicht, einen sehr umfangreichen Adressatenkreis anzusprechen. Bei jungen Menschen -- deren Interesse über die herkömmlichen Medien(Zeitschriften, Flugblätter usw.) kaum zu weckenist -- findet das Internet breite Akzeptanz, es gehört mittlerweile zu ihrer Lebenswelt. So erreicht extremistische Propaganda im Internet sie am ehesten undinfiziert sie möglicherweise. Denn Internet-Surfer können -- durch Zufall oder dank gezielter Suche - leicht mit extremistischen Ideen und Angeboten bekannt werden, auf die sie ansonsten kaum gestoßen wären. Hingegen tauschen Extremisten, die einander kennen undvertrauen, im Internet oftmals verschlüsselte Botschaften aus. Sowohl die Inhaber von Homepages und die Betreiber von Diskussionsforen (Chats) als auch die System-Operatoren der Mailbox-Verbundnetze -- die mittlerweile ebenfalls ins Internet integriert sind -- sperren häufig den Zugang zu den entsprechenden Internet-Bereichen für alle Personen, die sich nicht mittels eines Passwortes anmelden können. Das Passwort als Zugangsberechtigung wird aber nur solchen Aspiranten mitgeteilt, die sich zuvor mit dem Nachweis ihres berechtigten Interesses sowie ihren persönlichen Daten ausgewiesen haben. Mithinist es gerade dem Verfassungsschutz aufgegeben, in von Extremisten abgeschottete Bereiche des Internets einzudringen und von dorther Informationen zu beschaffen. Wie Erfolge bei der Identifizierung einzelner anonymer Homepage-Betreiber belegen, können deutsche Extremisten nicht darauf hoffen, dauerhaft ihre Identität verbergen zu können. Das Internet ist kein rechts224 Nutzung neuer Medien durch Extremisten freier Raum. In Deutschland gelten sämtliche Rechtsvorschriften auch im Netz. Deshalb werden Extremisten, die in Deutschland bzw. von Deutschlandaus strafwürdige Texte und Symbole im Internet verbreiten oder zu Gewaltakten aufrufen, zur Verantwortung gezogen. Die Verbreitung inkriminierter Texte im Internet zu verhindern, ist aber nur engeschränkt möglch, da ausländische Provider n der Regel ncht nach deutschem Recht belangt werden können. Dennin vielen Ländern fallen, andersals in Deutschland, nationalsozialistische Agitation, Volksverhetzung oder Gewaltverherrlichung unter die freie Meinungsäußerung. Auch Verkaufsangebote von NS-Propagandamaterialien und Devotionalien aus der Zeit des Nationalsozialismus stehen in Ländern wie den USA nicht unterStrafe. Somit stoßen die deutschenStrafverfolgungsbehörden buchstäblich an Grenzen. Auch technische Maßnahmen, wie die freiwillige Sperrung bestimmter Adressen durch einzelne Provider, bringen keinen durchschlagenden Erfolg, da sie nur von Fall zu Fall wirksam sind. Somit versprechen Strafverfolgung oder Sperrung keinen umfassenden Schutz vor extremistischer Propaganda im Internet. Immerhin dämmen sie die Flut abstoßender Inhalte ein. Eine um so wichtigere Rolle fällt der Aufklärung und Medienerziehung zu. Auch dafür ist das Internet hervorragend geeignet. Gegenüber dem Internet haben Mailbox-Netze an Bedeutung verloren. Denn dank seiner rasanten technischen Weiterentwicklung bietet das Internet weitausvielfältigere Möglichkeiten der Information und der Vernetzung. Dennoch werden Mailboxsysteme nach wie vor von einem kleinen, aber überschaubaren Nutzerkreis geschätzt. WennRechtsextremisten aktuelle Informationen erhalten wollen, wählen sie oftmals auch die "Nationalen Info-Telefone" (NIT) an. Rechtsextremisten Weniger Homepages Rechtsextremisten sehen die Chance, dank der internationalen Struktur des Internets den Risiken einer Strafverfolgung durch deutsche Behörden auszuweichen. Deshalb werden deutschsprachige Neonazi-Websites -- zumalsolche, die nach deutschem Rechtstrafbar sind -- meist anonym über ausländische Providerins Netzgestellt. Dafür werden ausländische 225 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Provider, vornehmlich US-amerikanische und skandinavische, in Anspruch genommen. Aber mittlerweile auch über Anbieter aus dem südpazifischen Raum können Rechtsextremisten ihre Seiten ins Internet einstellen. Dennoch ist die Zahl der von deutschen Rechtsextremisten betriebenen Homepages set Ende 2001 von rund 1.300 aufnunmehr etwa 940 zurückgegangen. Der vorherige Trendeiner scheinbar unaufhaltsamen Zunahme rechtsextremistischer Internetpräsentationen aus Deutschland ist damit gebrochen. Hierfür gibt es mehrere Gründe. So bemühen sich nationale und internationale Sicherheitsbehörden mit Erfolg, anonymestrafrechtsrelevante Internet-Aktivitäten aufzuspüren und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Die Verfassungsschutzbehörde Nordrhein-Westfalen z. B. initiierte eine mittlerweile auch juristisch bestätigte Sperraktion, bei der Provider eine große Anzahl an Homepages mit rechtsextremistischen Inhalten sowie Weiterleitungsadressen (redirectories) abschalten mussten. Auch in den USA sperrten kommerzielle Provider einschlägige Angebote häufigerals früher. Deshalb wird es für Szeneprovider immer schwieriger, ihr Speicherplatzangebot über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten. Als beispielsweise der Anbieter "Front 14" aufgeben musste, fielen Dutzende rechtsextremistischer Websites weg. In Deutschland ermuntert "jugendschutz.net", die Zentralstelle der Bundesländer für Jugendschutz in Mediendiensten, die Provider zur Sperrung extremistischer Inhalte. Gleichwohl verschließen sich immer noch viele Provider den Appellen staatlicher und privater Einrichtungen. Werden bestimmte Angebote beanstandet, richten sie für sie an anderer Stelle einen neuen Speicherplatz ein. Für den Vertrieb einschlägigen Propagandamaterials undindizierter Tonträger nutzen Rechtsextremisten aber nicht nur die Websites, die aus der eigenen Szene heraus bestückt werden, sondern auch große InternetAuktionshäuser. Aufmerksame Beobachter dieses Treibens kritisieren solche Auktionshäuser dafür öffentlich. Aus Sorge um ihren Rufund das Geschäft lassen diese sich dann gegebenenfalls -- so etwa in Brandenburg -- vom Verfassungsschutz beraten, auf welche Weise sie aus der Masse der Angebote derartige unerwünschte Waren leichter herausfiltern können. Damit werden ihnen geeignete Vorsorgemaßnahmengegen Missbrauch erleichtert. 226 Nutzung neuer Medien durch Extremisten Daraufreagiert die Szene, indem sie doch wieder stärker auf eigene Strukturen baut. Aus diesem Grunde entstand beispielsweise "Unser Auktionshaus". Bei diesem Stuttgarter Internet-Unternehmen bleiben die tauschwilligen Rechtsextremisten weitgehend unter sich; wer an den Versteigerungenbeteiligt sein will, muss sich registrieren lassen. Aber "Unser Auktionshaus" bekam bald Schwierigkeiten Nachdem die Polizei am 26. November die Räumlichkeiten des Unternehmens wegen des Verdachts der Volksverhetzung durchsuchthatte, stellte es den Verkaufzeitweiligein. Bei ihren Internet-Aktivitäten setzen Rechtsextremisten, um der Verfolgung durch Sicherheitsbehörden oder auch Hackerangriffen von Linksextremisten zu entgehen, zunehmend technische Sicherheitsprogramme ein, die ihren Datenbestand und -verkehr vor unerwünschter Einsichtnahme Dritter schützen sollen. Zum Sicherheitsstandard gehören Antivirenprogramme und so genannte Firewalls; vereinzelt wird auch das Verschlüsselungsprogramm "Pretty Good Privacy" verwendet. Professionelle Internetspezialisten -- nicht nur aus rechtsextremistischen, sondern auch aus sonstigen extremistischen Kreisen -- sind dazu übergegangen, bestimmte Daten mittels der Steganografie zu verschlüsseln. So botendie Betreiber der Internet-Domain "Skinheadmeeting Notnagel" die Software "Steganos Security Suite" zum Download an. Mit diesem Programm kann der Anwenderversteckte Botschaftenin beliebige Dateien (Texte, Sounds, Videos, Programme) unsichtbar einbetten, aber auch seinen E-Mail-Verkehr schützen und mit Hilfe eines "Internet-Spurenvernichters" sämtliche Fährten, die durch Internet-Aktivitäten entstanden sind, löschen. Diskussionsforen und virtuelle Parteien Eine eigene Homepage einzurichten und sie wenig später gesperrt zu sehen -- das erscheint vielen Rechtsextremisten zu aufwändig und zu riskant. Stattdessen beteiligensie sich lieber an Internet-Diskussionsforen, dasie auchdort ihre Auffassungen gleichgesinnten Kameraden präsentieren können. So erfreuen sich diese Foren bei der rechtsextremistischen Internet-Gemeinschaft wachsenden Zuspruchs. Zum Teil vereinen sie mehrere Hundert Interessenten. Um als Teilnehmer an einem Diskussionsforum registriert zu werden, braucht man oft nur einen selbstgewählten Spitznamen anzugeben. Weitere Personalien, wie Echtname, E-MailAdresse, Homepage oder Wohnadresse, sind in der Regel nicht erforderlich. 227 g2002 VerfassungsschutzberichtLandBrandenbur io n a ld e m o k r a t e n n "urge Nat Rechtsextremisten im Internet 228 Nutzung neuer Medien durch Extremisten In den interaktiven Foren wird rege diskutiert. Die Themenpalette ist breit. Informationen und Ratschläge zur Computertechnik werden ebenso ausgetauscht wie Ansichten zu politischen Tagesereignissen und Entwicklungstrends. Veranstaltungen oder Aktionen der rechtsextremistischen Szene werden angekündigt und im Nachhinein ausführlich kommentiert Ferner äußern sich viele Diskutanten zu rechtsextremistischen Standardthemen wie "Anti-Antifa", Revisionismus usw. Schließlich bieten die Foren eine Gelegenheit, Musikaufnahmen und Computerspiele zu tauschen. Dievirtuelle Politik-Simulation "dol2day" zieht auch Rechtsextremisten an. Seit sie begonnen haben, "dol2day" zu unterwandern, sind mehrere "virtuelle Parteien" und eine ganze Reihe vonInitiativen bräunlich eingefärbt. Manche der meist anonym agierenden "Mitglieder" propagieren unverhohlen rechtsextremistische Thesen. Größte virtuelle Sammlungsinitiative ist die Partei "Freiheitlich Unabhängig National" (FUN) mit über 300 Mitgliedern. Ihre Anhängerdiskutieren innerhalb eines passwortgeschützten Diskussionsforums, zu dem eine Person nur Zugang erhält, wenn drei FUN-Mitglieder für sie entsprechende Referenzen abgeben. Daneben entstanden inzwischen als Abspaltungen die "Nationalliberale Internet Partei" (NIP) und die "Nationale Liga Deutschlands" (NLD). Viele der virtuellen "Mitglieder" erklären unverblümt, dass sie einer rechtsextremistischen Partei angehören oder mitihr sympathisieren. Rechtsextremistische Musik im Internet Ein Schwerpunktrechtsextremistischer Internetaktivitäten liegt in der Verbreitung von Propagandamaterial und im Versandhandel. Die kommerzielle Werbung konzentriert sich auf einschlägige Musikartikel, bei denen zunehmend auch Produkte der Richtungen "Dark Wave" und "Black Metal" berücksichtigt werden. Auf hohes Interesse in der Szene stoßen CD-Besprechungen, Konzertberichte oder Hinweise aufeinschlägige Download-Möglichkeiten. Attraktiv sind vor allem Musikdateien im MP3-Format, die aus dem Internet direkt von Homepages oder Tauschbörsen heruntergeladen und über den PC, MP3oder DVD-Player abgespielt werden können. Neuerdings werden rechtsextremistische Text-, Audiound Video-Dateien auch über so genannte Peer-to-Peer-Verbindungen verbreitet. Mittels 229 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 eines kostenlosen File-Sharing-Services wie "eDonkey" lässt man sich mit einem Server verbinden, der seinerseits in ein Servernetzwerk eingebunden ist. Jeder User kann eigene Verzeichnisse auf seinem Rechner zum Suchen und Herunterladen freigeben und mit Hilfe des File-SharingService-Programms wiederum in fremden Verzeichnissen suchen und herunterladen Die Server dienen nur als Schnittstellen zwischen den Nutzern. Mittlerweile nutzen Rechtsextremisten aber auch Speicherkapazitäten, die ihnen Internet-Dienste - teilweise kostenfrei -- für Multimedia-Dateien zur Verfügung stellen. Damit erschließen sich ihnen zusätzliche Angebotsmöglichkeiten. So können mehrere User von unterschiedlichen Rechnern aus und unabhängig voneinander ein Archiv bestücken oder Titel abrufen, ohne dabei ihre Identität preisgeben zu müssen. Über die normalen Download-Möglichkeiten hinaus bieten rechtsextremistische Websites Radiosendungen an, die häufig Musik mit Propaganda kombinieren. Inwieweit diese -- vor allem auf Jugendliche zugeschnittenen -- Radiosendungen in der rechtsextremistischen Szene Anklang finden, kann nochnicht abgeschätzt werden. Bekannte einschlägige Radio-Projekte sind "Radio Germania", "Radio Freiheit" oder "Radio White". Das seit Anfang 2002 existierende "Odinsrage Radio" versteht sich als Plattform für "nationale Radio-Projekte" und bietet Anleitungen zur Erstellung eigenerInternet-Radiosendungen. Websites in Brandenburg Etwa 30 einschlägige Homepages werden von Brandenburgern verantwortet oder beziehen sich direkt auf Brandenburg. Sie sind, rein technisch gesehen, von ganz unterschiedlicher Qualität. Manche werden kaum gepflegt und bieten ein graues, phantasieloses Bild. Andere dagegen sind aufwändig gestaltet, werden stets auf dem neuesten Stand gehalten und zeugen vom Geschäftssinn der Betreiber. Denn nicht wenige dieser Websites dienen kommerziellen Interessen. Meist wird online ein Versandhandel mit einschlägigen Propagandamaterialien, Fanzines, Büchern, Tonträgern oder bedruckten T-Shirts betrieben. Einzelne Websites seien hier beispielhalber erwähnt. Die von Berlin aus betreute Website des "Nationalen Widerstandes Berlin-Brandenburg" - sie ist dem neonazistischen Spektrum zuzuordnen -- bringt auch Beiträge aus und über Brandenburg, so Berichte, Kommen230 Nutzung neuer Medien durch Extremisten tare und "Pressemitteilungen" aus dem "Märkischen Heimatschutz" (vgl. oben S. 97 ff.). Außerdem berichtet sie über Großveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene - selten allerdings zeitnah. Verlinkt war sie u. a. mit der Homepage des "Nationalen Widerstandes Fürstenwalde", solange diese noch abrufbar war. Die brandenburgische NPDst nur durch den Kreisverband Spreewald mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten. Dessen Website wurde inzwischen deutlich "abgespeckt". So finden sich aufihr fast keine aktuellen Nachrichten mehr aus dem Parteileben. Hin und wieder werden aktuelle politische Entwicklungen kommentiert. Kennzeichnend für den Hauptautor dieser Website ist, dass er mit volkserzieherischem Anspruch das "echte Deutschtum" beschwört. Die Website des brandenburgischen Landesverbandes der "Republikaner" erweckt den Anschein, dass der eine oder andere Kreisverband politisch etwas Eigenes zu sagen habe. Die meisten Statements sind allerdings schon Jahre alt und ähneln sich zu sehr, als dass man an eine Vielzahl von Urhebern glauben könnte. Telefonie Im Jahr 2002 waren acht "Nationale Info-Telefone" (NIT) aktiv. Die NIT bieten auf der technischen Basis eines Anrufbeantworters in der Regel wöchentlich einbis zweimal aktuelle Ansagetexte. Trotz der gemeinsamen Bezeichnung bilden NIT keinesfalls einen Verbund, sondern werden einzeln betrieben. Die NIT berichten überpolitische Ereignisse und Entwicklungen im Sinne gängiger rechtsextremistischer Argumentationsmuster. Sie wollen aber auch mit Terminhinweisen und Appellen für bestimmte Anlässe -- Demonstrationen und Kampagnen - mobilisieren. Dabei kommen Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene kaum als Zielgruppe in Betracht. Denn sie müssten ja überhaupt erst die Telefonnummern der NIT kennen. Zu besonderen Anlässen erfolgen meist Sondersendungen. Ohne großen Aufwand, mit nur geringen Kosten, können von jedem Telefon jederzeit-auch während der Anreise zu geplanten Veranstaltungen -- die Ansagen abgehört werden, die eventuell auch über Verbote, Polizeimaßnahmen, Ausweichveranstaltungen usw. aktuell Auskunft geben. Einige NIT-Ansagetexte werden auch in das Internet eingestellt, z. B. unter www.widerstand.com. 231 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Mobiltelefone sind ein wichtiges Kommunikationsmittel in der Szene geworden. Über sie werden beispielsweise Veranstaltungsund Aktionspläne konspirativ abgesprochen und weitergegeben. Wenn Rechtsextremisten Texte in SMS ("Short Message System") übermitteln, tauschen sie aber nicht nur aktuelle szenebezogene Mitteilungen aus. Se nutzen deses Medum auch für Propagandazwecke. So werden politischen Gegnern oder Ausländern, die Mobiltelefone besitzen, volksverhetzende Parolen oder Drohungen zugesandt. Um ihre Anonymität zu wahren, bedienen sich die Absender solcher SMS-Nachrichten zumeist rechtsextremistischer Homepages, die eine kostenlose Versendung von Kurzmitteilungen anbieten. Linksextremisten Websites als Informationsmittel Fast alle Gruppierungen des linksextremistischen Spektrums verfügen über eigeneInternetseiten. Intensiver als Rechtsextremisten gebrauchen sie das Internet, um über Sachinformationen gezielt Vernetzungsund Kommunikationsstrukturen aufzubauen. Die Werbung neuer Interessenten tritt dahinter zurück. Deshalb wird auf optische und akustische Reizelemente weitgehend verzichtet. Linksextremisten verbreiten auf ihren Websites Thesen, Programme, Manifeste, Berichte und sonstige Publikationen, aber auch Demonstrationsaufrufe. Außerdem koordinieren sie mit Hilfe des Internets, z. B. über Mailing-Listen, ihre Treffen und Aktionen. Der Anteil strafwürdiger Inhalteist bei linksextremistischen Websites deutlich niedriger als bei rechtsextremistischen. Neben den Websites einzelner Gruppierungen gibt es Angebote, die von informellen Netzwerkenerstellt, ausgebaut und regelmäßig aktualisiert werden. Diese Websites ähneln denen von Nachrichtenagenturen. Sie werden vor allem auch zur Verbreitung von Demonstrationsund Aktionsaufrufen genutzt. Daneben dienen diese Websites der linksextremistischen Szeneals Archiv und Diskussionsplattform. Schließlich stellen Linksextremisten Internetseiten auch anlassbezogen zu aktuellen Themenoder Aktionsschwerpunkten ein. Sobald sie ihren Zweck erfüllt haben, werden diese Websites wieder aus dem Netz genommen oder auf dem letzten Stand "eingefroren". Ein Beispiel dafür: Die Website www.halbe.da.ru berichtete unter dem Motto "Den Nazis 232 Nutzung neuer Medien durch Extremisten den Marsch blasen", mit welchen Aktionen autonome"Antifa"-Gruppen gegen den geplanten Aufmarsch von Rechtsextremisten am 17. November in Halbe vorgehen wollten (vgl. oben S. 92 ff.). Die Seite wurde seit dem 16. Novembernicht mehr verändert, aber auch nicht gelöscht. Ähnlich wie Rechtsextremisten befassen sich auch Linksextremisten mit der Frage, we se hre Internetseiten "sichern" oder anonym m Netz agieren können(siehe oben S. 227 PS.). Een ung run a deindymedia.org or a Einzelne Angebote Die linksextremistischen Parteien präsentieren sich nahezu sämtlich im Internet. Ansonsten sind die Websites insbesondere von autonomen Gruppen bemerkenswert. Deren Aktualität hat, aufs Ganze gesehen, jedoch deutlich nachgelassen. Meist nur sporadisch werden noch eigene Beiträge publiziert, etwa Berichte über Aktionen und Veranstaltungshinweise. Um Aktionsund Veranstaltungstermine anzukündigen, nutzen die meisten Veranstalter jedoch vorwiegend bundesweit bekannte Internet-Portale. Gut eingeführt sind die Portale "NADIR" aus Hamburg, "PARTISAN.net" aus Berlin und das Projekt "Indymedia". Sie haben allesamt ein hohes technisches Niveau erreicht. Zu ihrer Ausstattung gehören in der Regel leistungsfähige Suchmaschinen, Archivfunktionen, Virenscanner und Angebote, anonym im Netz zu surfen. Neuerdings ist es der "Linken Seite" gelungen, bundesweit als die führende Terminplattform anerkannt zu werden. Denn keine andere vergleichbare Seite bietet eine komprimiertere und übersichtlichere Darstellung einschlägiger Ankündigungen. 233 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Die nachträglichen Berichte über Veranstaltungen und Demonstrationen finden sich hingegen vorallem im Portal "Indymedia Deutschland". Dieses von Linksextremisten an sich geschätzte Portal wurde allerdings in den Streit hineingerissen, der sich im linksextremistischen Spektrum am Israel-Palästina-Konflikt entzündete (vgl. oben S. 31 PS.). Während "Indymedia Deutschland" missliebige politische Beiträge zu diesem Thema zensierte und dafür entsprechend getadelt wurde, führten innerredaktionelle Streitigkeiten bei "Indymedia Schweiz" und "Indymedia Frankreich" sogar zur vorübergehenden Schließung der dortigen Portale. Websites in Brandenburg In Brandenburg waren etwa zwei Dutzend linksextremistische oder linksextremistisch beeinflusste Websites aktiv. Die bekannteste unter ihnen, "inforiot", versteht sich als "Infosystem für alternative Politik und Kultur in Brandenburg". "inforiot" bietet seit 2001 linksextremistischen, aber auch nichtextremistischen Gruppen die Möglichkeit, sich selbst darzustellen, Termine anzukündigen und über politische Veranstaltungen zu berichten. Im Vordergrund der Berichterstattung stehen aktuelle Nachrichten zu Themen wie "Antifa", Rassismus, Ausländerfeindlichkeit, Videoüberwachung, Solidarität mit "politischen" Gefangenen und Antimilitarismus. Dokumentiert werden Artikel aus der Tagespresse, Eigenberichte aus der autonomen Szene, gelegentlich auch Beiträge, die kommentarlos von der Homepage des brandenburgischen Verfassungsschutzes übernommen werden. Ein aktueller "newsticker", Hinweise auf Infotelefone der "Antifa" und zur Rechtshilfe ergänzendie Seite. Ein Beispiel für den letzten Punkt: Anlässlich einer Demonstration der autonomen "Antifa" am 17. Novemberin Halbe (vgl. oben S. 92 ff.) führten Links zum so genannten "DemoEinmaleins", das von der "Roten Hilfe Leipzig" übernommen wurde. "inforiot" ist für die Szene auch deshalb immer wichtiger geworden, weil einige einschlägige Gruppierungen, z. B. die "Antifaschistische Aktion Potsdam" (AAPO) oder die "Antifaschistische Jugend Aktion Potsdam" (AJAP), ihre eigenen Internetaktivitäten ganz oder vorübergehend eingestellt haben. Andere Websites lokaler "Antifa"-Initiativen sind zwar noch im Netzzu finden, werden aber kaum gepflegt und sind mit ihrem Informationsangebot entsprechendinaktuell. 234 Nutzung neuer Medien durch Extremisten Ausländische Extremisten Ausländische Extremisten setzen immer stärker auf das Internet als Kommunikationsund Agitationsmedium. Die Zahl der einschlägigen Websites hat sich im Jahr 2002 sprunghaft erhöht -- ein Trend, der sich offenbar ungebrochen fortsetzt. Gleichzeitig kann man eine starke Fluktuation beobachten. So schnell neue Seiten hinzutreten, so rasch verschwinden ältere wieder. Viele Organisationen äußern sich auf ihren Websites in ihrer türkischen bzw. arabischen Muttersprache, aber es gibt auch Angebote in Englisch oder Deutsch. Eine Homepage mit speziellem Brandenburg-Bezugist bislang nichtfeststellbar. Die meisten Seiten sind sehr aufwändig gestaltet und mit Tondokumenten, zahlreichen Links oder Kurzfilmen ausgestattet. Viele bieten eine Einführung in die ideologischen Grundlagen und die Geschichte der Organisation, oftmals in gewaltverherrlichender Weise. So liefert HAMAS mit dem Beitrag "Glory Record" eine Dokumentation von 85 Bombenanschlägen und Selbstmordattentaten. Daneben werden aktuelle Meldungen aus den speziell interessierenden Regionen (Türkei, Kurdistan oder arabische Welt), Kommentare und politische Stellungnahmen von Führungspersönlichkeiten oder Kontaktmöglichkeiten per E-Mail oder über Diskussionsforen angeboten. Das Internet dient ausländischen Extremisten zu unterschiedlichen, teilweise sogar gegensätzlichen Zwecken. Die einen nutzen es, um ganz offen extremistische Ansichten zu verbreiten und dafür in der Öffentlichkeit zu werben. Mit diesem Ziel stellen sie entsprechende programmatische Erklärungen oder Redenihrer Führerein. Islamisten lösen gerne kämpferische Koransuren aus ihrem Kontext heraus und verwenden sie zur Rechtfertigung politisch motivierter Gewalt. So ging beispielsweise die am 15. Januar 2003 in Deutschland vom Bundesinnenminister verbotene Partei "Hizb ut-Tahrir" unter www.hizb-ut-tahrir.org vor. Gegen den StaatIsrael polemisierend, propagierte sie "die Entwurzelung dieses jüdischen Gebildes aus dem gesamten Boden Palästinas" und berief sich dabei auf die Sure 2, Vers 191 (vgl. das Zitat oben S. 18). Ähnlich äußern sich "Hizb Allah" (www.hizbollah.org) oder HAMAS (www.palestine-info.co.uk/hamas/). HAMAS beendet alle Presseerklärungen im Netz mit dem Wahlspruch: "Andit is a Jihaduntil either victory or martyrdom" ("Und es ist ein Glaubenskampf, der entweder im Sieg oder im Martyrium endet"). 235 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Tim ee hie A a SZ er en u in u En nm m Br er TIäAwTTzT Bine gern a er ne ------_e|n or er in Internetseiten der TKP/ML, der MLKP, der DHKC und der THKP-C (von oben nach unten) 236 Nutzung neuer Medien durch Extremisten Die Dreistigkeit, mit der Extremisten Gebrauch vom Internetmachen, zeigt das Beispiel der Seite www.jehad.net. In drei Handbüchern wird die Herstellung von Sprengstoffen und Giften beschrieben. Das Kapitel "Kräutergifte" erklärt, wie sich jeder Laie mit den einfachsten Mitteln in den Besitz einer chemischen Waffe wie Rizin bringen kann. Geringste Dosen dieses aus dem Sameneiweiß der Rizinuspflanze gewonnen Giftes, das tausendfach tödlicher wirken soll als Zyankali, führen bereits zu schweren Leberund Nierenschäden. Bislang ist kein Gegenmittel bekannt. Rizin wurde Anfang Januar 2003 voneiner britischen Anti-Terror-Einheit bei einer Razzia unter Islamisten in London gefunden. Andere Organisationen dagegen habenein Interesse daran, sich als unbedenklich hinzustellen, entweder um keinen Anlass für ein Verbot zu bieten (so etwa die IGMG in www.igmg.de), oder weil sie die Aufhebung eines bereits ergangenen Verbotes bewirken wollen (so die PKK/KADEK unter www.nadir.org). Außerdem wollen sie unverfänglich für ihre Ziele werben. Gerade in Deutschland vermeiden solche Organisationen offen extremistische odersonst politisch anstößige Äußerungen. Ihr Anliegen transportieren sie eher mit indirekten Argumentationen. Die zahlreichen Terminhinweise beziehen sich in der Regel auf interne Veranstaltungen, aber nur selten auf Demonstrationen oder spektakuläre Aktionen. Für diese wird in der Regel nicht im Internet, sondern mit anderen Mitteln mobilisiert. 237 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 238 Spionage undsonstige sicherheitsgefährdende Aktivitäten Spionage und sonstigesicherheitsgefährdende Aktivitäten 239 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 SPIONAGE UND SONSTIGE SICHERHEITSGEFÄHRDENDE AKTIVITÄTEN Fremde Nachrichtendienste konzentrieren sich heute zunehmend darauf, ihren Ländern durch illegalen Wissenstransfer günstige Ausgangspositionen im globalen Wirtschaftswettbewerb zu verschaffen. Ihre Ausspähungsversuche zielen auf modernes Know-how, wissenschaftliche Erkenntnisse und Wirtschaftsstrategien, dienen also der Wirtschaftsspionage. Die Wirtschaftsspionage ist selbstverständlich nicht das einzige Betätigungsfeld fremder Nachrichtendienste. Sie widmen sich weiterhin auch der "klassischen Spionage", also der Ausforschung politischer Entscheidungsprozesse und militärischer Geheimnisse. Außerdem nehmen sie Regimekritiker, die in Deutschlandleben, ins Visier. Neben "menschlichen Quellen" -- also Personen, die unbemerkt abgeschöpft oder aber als Informationsbeschaffer geworben werden -- gewinnen im Spionagegeschäft die neuen Kommunikationstechnologien eine Schlüsselrolle. Leistungsfähige Nachrichtendienste durchforsten weltweitdienstliche, geschäftliche und private Kommunikationsverkehre. Dafür bietet ihnen die rasante Entwicklung der Informationstechnik immer neue Einfallstore. Sie zapfen nicht nur bestimmte Telefone, Faxund Internetverbindungen an, sondern können die ungeheuren Mengen von Daten, die täglich elektronisch übertragen werden, mit Suchfiltern nach bestimmten Sachverhalten durchforschen. Dafür stehen ihnen aufwändige Einrichtungen, auch Satelliten, zur Verfügung. Nachrichtendienste, die sich selber vor ungebetenen Mithörern und Mitlesern schützen wollen, wehren sich mit immerraffinierteren Verschlüsselungstechniken. Fremde Nachrichtendienste Viele Staaten in der Welt sehen keinen Widerspruch darin, mit Deutschland politisch und wirtschaftlich zusammenzuarbeiten und es zugleich im Geheimen auszuforschen. Wegenihrer engen diplomatischen Beziehungen zu Deutschland legen sie aber Wert darauf, dass ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten einer öffentlichen Erörterung entzogen bleiben. Für fremde Nachrichtendienste aus unterschiedlichen Regionen der Welt bleibt Deutschland vor allem deshalb ein interessantes Aufklärungsziel, weil ihm dank seiner zentralen Lage in Europa undseiner politischen wie wirtschaftlichen Potenz international eine gewichtige Rolle zukommt. 240 Spionage undsonstige sicherheitsgefährdende Aktivitäten Alle Nachrichtendienste nutzen zum einen offene, jedermann zugängliche Informatonsquellen, z. B. Presse, Funk, Fernsehen unddas Internet, sonstige Publikationen und Datensammlungen, Messen und andere öffentliche Veranstaltungen; auch Kontaktpersonen, die abgeschöpft werden, gehören dazu. Zum andern beschaffen sie sich Informationen auf verdecktem Wege, um ihre wahren Absichten zu verschleiern. So tarnen sie ihre Mitarbeiter als Diplomaten, Geschäftsleute oder Journalisten. Häufig werden nachrichtendienstliche Mitarbeiter in Legalresidenturen (Botschaften, Konsulaten, sonstigen offiziellen Ländervertretungen) des jeweiligen Landes oder in Korrespondentenbüros eingesetzt. Auch staatliche Firmenniederlassungen oder Handelsunternehmen mit staatlicher Kapitalbeteiligung nehmen solches Personal auf; andere Nachrichtendienstler geben sich als Geschäftsoder Privatreisende aus. In Brandenburg habensich nur wenige diplomatische Vertretungen niedergelassen, aber immerhin etliche Firmen, an denen sich ausländische Staaten beteiligen. Bedeutsamer noch ist der Umstand, dass das Land Brandenburg die Hauptstadt Berlin nicht nur geographisch umschließt, sondern mit ihr auf vielfältige Weise verflochtenist. Entsprechend operiert das Personal fremder Nachrichtendienste, das sich legal oder verdecktin Berln aufhält, auch im Umland der Stadt. Wirtschaftsspionage Die Begriffe Konkurrenz-, Industrieund Wirtschaftsspionage werden häufig als Synonyme gebraucht. Aber es macht einen wesentlichen Unterschied, ob ein fremder Nachrichtendienst oder ein konkurrierendes Unternehmen Ausforschungen betreibt. Den Verfassungsschutz interessiert, gemäß seinem gesetzlichen Abwehrauftrag, allein die Wirtschaftsspionage, die -- staatlich gelenkt oder gestützt -- von fremden Nachrichtendiensten ausgeht. Bei der Konkurrenzoder Industriespionage eignet sich hingegen ein Unternehmen, häufig ein Wettbewerber im gleichen Marktsegment, die Leistungen eines anderen Unternehmens an. Im Einzelfall ist die Grenzziehung allerdings recht schwierig. Wirtschaftsspionage ! erstreckt sich auf fast sämtliche Unternehmensbereiche. Gefragt sind alle Erkenntnisse, Daten oder Informationen, die dabei helfen, einen wirtschaftlichen Vorsprung zu gewinnen bzw. auszu- 1 Weitere Informationen enthält die Broschüre "Wirtschaftsspionage", deren Text auf der Website www.verfassungsschutz-brandenburg.de unter "Bibliothek "Publikationen "Druckschriften zu finden ist und die 241 außerdem bestellt werden kann. Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 bauen und dabei eigene Entwicklungskosten und Lizenzgebühren zu sparen. Nachrichtendienste Russlands und der Ukraine haben sogar den gesetzlichen Auftrag, die Wirtschaft ihres Landes auf diese Weise zu unterstützen. Welche Informationen für einen fremden Nachrichtendienst von Interesse sind, hängt immer vom jeweiligen wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungsstand des Heimatlandes ab. Große Aufmerksamkeit finden für gewöhnlich Lasertechnik, Kernenergiewirtschaft sowie Medizin-, Biound Pharmaforschung. Ganz besonders interessieren sich fremde Nachrichtendienste auch für die elektronische Datenverarbeitung und -sicherung. Proliferation Beschaffungsnetze aufgebaut Die unkontrollierte Weitergabe konventioneller, atomarer, biologischer und chemischer Waffen (ABC-Waffen) sowie der Mittel und des Knowhow zu deren Herstellung werden unter dem Begriff Proliferation ! zusammengefasst. Gefährlich ist die Proliferation vor allem dann, wennsie so genannten Krisenländern zugute kommt. Dennbei diesen Ländern ist zu befürchten, dass von dort aus ABC-Waffen in einem bewaffneten Konflikt eingesetzt werden oderihr Einsatz zur Durchsetzungpolitischer Ziele angedroht wird. Derzeit gelten insbesondere einige Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordkorea als Krisenländer. Krisenländer bemühen sich auch aktuell darum, ihre Bestände an Massenvernichtungswaffen zu erweitern und die Lagerfähigkeit, Einsetzbarkeitund Wirkung bereits vorhandener Waffen zu verbessern. Da sie sich bereits in der Vergangenheit mit entsprechenden Gütern und Technologien eingedeckt haben und zunehmend auch untereinander zusammenarbeiten, können sie manche Teile inzwischen sogarselbstständig herstellen. In den Kernbereichen ihrer ABC-Waffenproduktion sind sie aber auch künftig von Lieferungen aus dem Ausland abhängig. Zur illegalen Beschaffung der benötigten Güter und Technologien aus dem Ausland setzen Krisenländer ihre Nachrichtendienste oder andere konspirativ arbeitende Beschaffungsnetze ein. Solche Beschaffungsnetze bestehen aus scheinbar privatwirtschaftlichen Unternehmen, InstitutioWeitere Informationen enthält die Broschüre "Proliferation -- das geht uns an!", deren Text auf der Website www.verfassungsschutz-brandenburg.de unter "Bibliothek "Publikationen "Druckschriften zu findenist. 242 Spionage undsonstige sicherheitsgefährdende Aktivitäten nen oder Organisationen, die aber tatsächlich im staatlichen Auftrag Güter und Know-how zu Herstellung von Massenvernichtungswaffen und Waffenträgersystemen beschaffen. Dabei werden der Endempfänger und die beabsichtigte Nutzungverschleiert. Zur Tarnung derartiger Beschaffungsaktionen werden mitunter schon für ein einziges illegales Geschäft kleine Unternehmen im eigenen Land oder im Ausland gegründet. Unmittelbar nach Abwicklung des Geschäftes werden diese Unternehmenwieder geschlossen. Da sich kleinere Küstenstaaten, die im internationalen Handel bereits eine wichtige Rolle spielen, als Standorte derartiger Unternehmen undfür beabsichtigte Umweglieferungen sensibler Güter besonders eignen, wickeln Krisenländer ihre Beschaffungsaktivitäten häufig gerade über diese Staaten ab. Um sensible Güter zu beschaffen, nutzen Krisenländer aber auch die eigenen Universitäten und Forschungseinrichtungen. So werden Güter für angebliche zivile Forschungsvorhabenbeschafft, dann abertatsächlich für die Herstellung und Weiterentwicklung von Massenvernichtungswaffen genutzt. Da so genannte Dual-Use-Güter sowohlzivil als auch militärisch verwendet werden können, lässt sich der tatsächlich beabsichtigte Einsatz oft schwer erkennen. Diesen Umstand machen sich Krisenländer zunutze, indem sie derartige Güterfür ihre Waffenprogramme beschaffen, dabei aber eine zivile Verwendungvortäuschen. Anhaltspunkte für illegale Aktivitäten von Krisenländern Nach Erfahrungen der Verfassungsschutzbehörden gibt es folgende Anhaltspunkte, die auf illegale Beschaffungsaktivitäten aus Krisenländern schließen lassen: 243 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 = Der tatsächliche Endverbleib der Güter ist unklar. = Der beabsichtigte Verwendungszweck weicht erheblich von der vom Hersteller vorgegebenen Produktbestimmung ab oder der Kundekann erst gar nicht erklären, wofür das Produkt gebraucht wird. - Angaben zum Verwendungszweck des Produktes werden verweigert. = Der Kunde handelt normalerweise mit militärischen Gütern. = Der Käufer verfügt nicht über das erforderliche Fachwissen. = Ohne erkennbaren Grund werden Zwischenhändler eingeschaltet. = Der Kunde wünscht eine außergewöhnliche Etikettierung oder Kennzeichnung der Ware. = Der Kunde bietet besonders günstige Zahlungsbedingungen an (Barzahlung, hohe Vorauszahlungen, ungewöhnliche Provisionen). = Der Käuferverzichtet auf Einweisung in die Handhabung der Ware, auf Serviceleistung oder auf Garantie. = Firmenangehörige des Käufers werden, um in der Bedienung geschult zu werden, zur Herstellerfirma nach Deutschlandgeschickt, obwohl ene Einweisung vor Ort praktischer und sinnvoller wäre. = Weitere Geschäftskontakte in Deutschland unterliegen einer besonderen Verschwiegenheit. Die Anschläge vom 11. September 2001 haben überdies gezeigt, welche Gefahren der Welt drohen könnten, wenn Terrororganisationen in den Besitz von Massenvernichtungswaffen kämen. Die Verbreitung solcher Waffen muss also nicht nur mit Blick auf Krisenländer, sondern auch auf international operierende Netzwerke von Terroristen verhindert werden. Der Verfassungsschutz hat neben anderen Institutionen den gesetzlichen Auftrag, die illegale Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und Waffenträgersystemen sowie die Weitergabe von Produkten und Know-how zu deren Herstellung frühzeitig zu erkennen und aufzuklären. Er kann damit zur Verhinderung illegaler Ausfuhren beitragen. Hierfür bietet die Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg Unternehmen und Forschungseinrichtungen vertrauensvolle und auf Wunsch vertrauliche Gespräche an. 244 Spionage undsonstige sicherheitsgefährdende Aktivitäten Geheimschutz Mitwirkung im Interesse der Sicherheit Die brandenburgische Verfassungsschutzbehörde ist gesetzlich verpflichtet, bei der Sicherung von Informationen, die anderen Behörden vorliegen und im öffentlichen Interesse geheimgehalten werden müssen, mitzuwirken. Sie hilft durch diese Mitwirkung, dass - die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes geschützt werden = dessen lebenswichtige Interessen nicht gefährdet werden = Unbefugte keine Kenntnis von Sachverhalten erlangen, die sie zum Nachteil unseres Bundeslandes oder der Bundesrepublik Deutschland verwenden könnten. Deshalbbeteiligt sich die Verfassungsschutzbehörde von Fall zu Fall an der Auswahl geeigneter Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im sogenannten Sicherheitsüberprüfungsverfahren und gibt Ratschläge, wie sensible Unterlagen technisch sicher aufbewahrt werden können. Im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse müssen zunächst, unabhängig von ihrer Darstellungsform, entsprechendeingestuft werden. Dazu hat die Landesregierung am 16. April 1991 eine "Verschlusssachenanweisung" verabschiedet, die alle Behörden des Landes bindet. In ihr wird definiert, was eine Verschlusssacheist, und geregelt, welcher Geheimhaltungsstufe die jeweilige Versschlusssache zugeordnet werden muss und wie mit ihr entsprechend umzugehenist. Je nach dem Grad der Schutzbedürftigkeit stuft die bearbeitende Behörde den Vorgang ein mit - Streng geheim u Geheim u VS-Vertraulich = VS-Nur für den Dienstgebrauch. Bei den öffentlichen Verwaltungen, in denen Verschlusssachen bearbeitet werden oder anfallen können, wird regelmäßig ein Mitarbeiter als Geheimschutzbeauftragter bestellt, sofern der Behördenbzw. Dienststellenleiter diese Funktion nicht selbst wahrnimmt. Seine Aufgabe ist es, die Beachtung und ordnungsgemäße Anwendung der Verschlusssachenanweisung sicherzustellen und den Personenkreis zu benennen und zu überprüfen, der mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werdensoll. Bei dieser Überprüfung stützt sich der Geheimschutzbeauftragte auf die fachliche Kompetenzder Verfassungsschutzbehörde. 245 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Überprüfung von Personen Personen, die sich mit Verschlusssachen zu befassen haben, werden auf der Grundlage des Brandenburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes überprüft. Dabei wird je nach dem Geheimhaltungsgrad der Verschlusssachen, zu denen die betreffenden Personen Zugang erhalten sollen, zwischen drei Stufen des Überprüfungsverfahrens unterschieden: = der einfachenSicherheitsüberprüfung (Ü1) = der erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü2) = der erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3). Erz den Kopi EU AEE u 0 0 dabei ee late ih, Ela ie TIER Ta a Plakat des Bundesamtes für Verfassungsschutz 246 Spionage undsonstige sicherheitsgefährdende Aktivitäten Zum Schutz vor terroristischen Anschlägen undjeder Art von Sabotageakten müssen Personen, die auf Verkehrsflughäfen oder in kerntechnischen Anlagentätig sind, auf ihre Zuverlässigkeit geprüft werden. Hierbei wirkt die Verfassungsschutzbehörde nach dem Luftverkehrsgesetz bzw. nach dem Atomgesetz mit. Alle Überprufungen werdenerst nach schriftlicher Einwilligung der jeweils betroffenen Personeingeleitet. Die Daten der Sicherheitsüberprüfungen werden in den Fällen der Ül und Ü2 - sofern zwischenzeitlich keine sicherheitserheblichen Erkenntnisse bekannt geworden sind - in regelmäßigen Abständen aktualisiert. Bei nach Ü3 überprüften Personen wird in der Regel nach zehn Jahren, falls nicht schon vorher erforderlich, eine Wiederholungsüberprüfung vorgenommen. Zuverlässigkeitsüberprüfungen finden nunmehr bereits nach Ablauf eines Jahres erneut statt. Dies fordert das Terrorismusbekämpfungsgesetz, das nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verabschiedet worden ist. Die Sicherheitsvorkehrungen sind seither generell verschärft worden. Entsprechend wurde das Personal in verschiedenen Sicherheitsbereichen aufgestockt. Damit wuchsauch die Zahl der Überprüfungen. Z. B. haben sich die Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftverkehrsgesetz im Vergleich zum Vorjahr mehrals verdreifacht (2001: 1.242 Fälle, 2002: 3.851). Insgesamtstieg die Zahl der Überprüfungsmaßnahmen -- Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen zusammengerechnet -- gegenüber dem Vorjahr um 146 Prozent. 247 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 248 Verfassungsschutz in Brandenburg Verfassungsschutz n Brandenburg 249 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 VERFASSUNGSSCHUTZ IN BRANDENBURG Der demokratische Rechtsstaat muss sich gegen Bestrebungen und Aktivitäten schützen, die auf seine Abschaffung hinarbeiten. Diefreiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland soll unangetastet bleiben. Zu dieser Grundordnung gehören nicht sämtliche Bestimmungen unserer Verfassung, sondern nur ihr Wesenskern, ihre obersten Wertprinzipien. Sie hat das Bundesverfassungsgericht in zwei Entscheidungen von 1952 und 1956 eindeutig definiert. Es sind dies: = die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte = das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen = die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht = die Chancengleichheit der Parteien sowie das Recht auf die Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition = die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung = die Unabhängigkeit der Gerichte - der Ausschluss jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft. An diese Prinzipien bindet sich unser Gemeinwesen nicht nur, es verteidigt sie auch gegen ihre Feinde. Unsere Demokratie ist wehrhaft. Damit unterscheidet sich die Bundesrepublik von der Weimarer Republik, die frei und demokratisch sein wollte, aber tatsächlich wertneutral und abwehrschwach war. Sie baute auf Toleranz und verzichtete darauf, militanter Intoleranz wirksam entgegenzutreten. Solieferte sie sich den Nationalsozialisten aus, die ihr den Garaus machten. Schon das Grundgesetz selbst sieht Einschränkungen von Grundrechten für diejenigen vor, die diese Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbrauchen. Auch das Strafrecht schützt das Wertgefüge der Demokratie: Bestimmte Taten, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung, die staatlichen Institutionen oder 250 Verfassungsschutz in Brandenburg die Sicherheit der Bundesrepublik richten, stehen als so genannte Staatsschutzdelikte unter Strafe. Schließlich gibtes eine Institution, die ausschließlich dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie dem Schutz der Sicherheit des Bundes oder eines Landes dient: den Verfassungsschutz als Behörde. Der administrative Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland folgt der föderativen Struktur unseres Staatswesens. Jedes Bundesland verfügt über eine eigene Verfassungsschutzbehörde; daneben gibt es das Bundesamtfür Verfassungsschutz zur Koordination und für länderübergreifende Aufgaben. Die einzelnen Landesverfassungsschutzbehörden - sie sind entwederals eigenständiges Landesamtorganisiert, oder das jeweilige Innenministerium unterhält für diese Aufgabe eine eigene Abteilung -- arbeiten auf der Grundlage des jeweiligen Landesverfassungsschutzgesetzes !. Die Tätigkeit des Bundesamtes für Verfassungsschutz, aber auch die Zusammenarbeit zwischen ihm und den Landesverfassungsschutzbehörden sind im Bundesverfassungsschutzgesetz ? geregelt. Auftrag und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde Bei der Erfüllung seines Auftrags ist der Verfassungsschutzstrikt an die Vorgaben des Gesetzes gebunden. Er ist ein Inlandsnachrichtendienst. Er hat keine exekutiven oder sonstigen polizeilichen Befugnisse, d.h. seine Mitarbeiter dürfen weder Personen kontrollieren noch festnehmen, keine Wohnungen durchsuchen oder Unterlagen beschlagnahmen. Er darf dann tätig werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für folgende Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen. = Bestrebungen, die gegendie freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben = sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht DerText des Brandenburgischen Verfassungsschutzgesetzes ist diesem Bericht beigegeben; er findet sich auch auf der Website www. verfassungsschutz-brandenburg.de unter "Bibliothek "Gesetze. Auszüge aus diesem Gesetz sind im Anhang dieses Berichts sowie auf der Website www.verfassungsschutz-brandenburg.de unter"Bibliothek "Gesetze zu finden. 251 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 = Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden = Bestrebungen, die gegen den Gedankender Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenlebender Völker gerichtet sind. Solche Bestrebungen und Tätigkeitensoll die Verfassungsschutzbehörde frühzeitig feststellen, beobachten und bewerten, um dann die Landesregierung, andere Behörden, aber auch, soweit möglich, die Öffentlichkeit zu unterrichten. Mit der Weitergabe ihrer Hinweise, Analysen und Berichte trägt die Verfassungsschutzbehörde dazu bei, Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu erkennen und abzuwehren. Daneben wirkt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen der zuständigen Stellen beim vorbeugenden personellen und materiellen Geheimschutz mit, d. h. bei Sicherheitsüberprüfungen oderbei technischen Sicherheitsmaßnahmen. Zur Erfüllung ihres Auftrags sammeltdie Verfassungsschutzbehörde Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen und wertet sie aus. Der überwiegende Teil der Informationen wird aus offenen, jedermann zugänglichen Quellen gewonnen, z. B. aus Zeitungen undZeitschriften, Flugblättern, Programmen oder Broschüren. Beiträge im Rundfunk, Fernsehen und Internet werden ausgewertet und öffentlich zugängliche Veranstaltungen besucht. Eine offene Informationserhebung ist jedoch nicht immer möglich oder effektiv. Dann können unter engen gesetzlichen Voraussetzungen so genannte nachrichtendienstliche Mittel angewendet werden: = Einsatz von Vertrauensleuten, geheimen Informanten und verdeckten Ermittlern 2 Observationen = Anwendungtechnischer Hilfsmittel wie Bildund Tonaufzeichnungen außerhalb des Schutzbereichs der Wohnung = Einsatz von Tarnpapieren und -kennzeichen = Überwachungdes Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs. Der verdeckte Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel bleibt den betroffenen Personen -- mindestens zunächst -- verborgen. Damit wird in ihr 252 Verfassungsschutz in Brandenburg Recht aufinformationelle Selbstbestimmungeingegriffen. Dieses aus den Grundrechten der Artikel 2 und 1 Grundgesetz durch das Bundesverfassungsgericht entwickelte Rechtsoll den Einzelnen davor schützen, dass seine Daten ohne gesetzliche Grundlage erhoben und weitergegeben werden können. Deshalb erhebt der Verfassungsschutz personenbezogene Daten nur dann mit nachrichtendienstlichen Mitteln, wenn er sie zur Erfüllung seiner Aufgaben unbedingt benötigt und sie auf anderem Wegenicht beschaffen kann. Aktuelle Entwicklungen Die Rechtsgrundlage für die Arbeit der brandenburgischen Verfassungsschutzbehörde, das Brandenburgische Verfassungsschutzgesetz (BbgVerfSchG) vom 5. April 1993, wurde am 24. Oktober durchArtikel 1 des Gesetzes zur Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes und zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle geändert: Der Verfassungsschutzbehörde wurden neue Aufgaben und Befugnisse zugewiesen (zu Einzelheiten siehe unten S. 256 PS.). Damit reagierte der Landesgesetzgeber auf die deutlich schärferen Herausforderungen, denen sich der Verfassungsschutz angesichts der Bedrohung durch den internationalen Terrorismus stellen muss. Um diesen Herausforderungen genügen zu können, mussten auch das Personal der Behörde aufgestockt und deren technische Ausstattung den neuen Bedingungen angepasst werden (siehe unten S. 260 PS.). Dieser Ausbau des Verfassungsschutzes rief Kritiker auf den Plan. Wiederstellten sie die Frage, wie zweckmäßig und wie sinnvoll die Institution Verfassungsschutz in Bund und Ländern überhaupt sei. Genährt wurden solche Bedenken durch mehrerlei Umstände: Den Sicherheitsbehörden in Deutschland war entgangen, dass die Anschläge vom 11. September 2001 in Deutschland vorbereitet wurden. Das Verfahren zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der NPD geriet ins Stocken und wurde schließlich am 18. März 2003 ganzeingestellt, weil die für das Verfahren maßgebliche Minderheit im Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts die NPD in erheblichem Maße durch V-Leute fremdgesteuert sah. Als das Landgericht Berlin am 11. November den früheren V-Mann des brandenburgischen Verfassungsschutzes Toni Stadler zu einer Bewährungsstrafe verurteilte, glaubten sich manchein ihrer Auffassung bestätigt, dass der Verfassungsschutz in kriminelle Machenschaften verstrickt sei. 253 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Diese und andere vermeintliche "Skandale" lösten auch Diskussionen über den föderalen Aufbau desinstitutionalisierten Verfassungsschutzes aus. Denn Fehlgriffe und Versäumnisse, so meinten einige, die sich öffentlich zu Wort meldeten, ließen sich eher vermeiden, wenn die Kompetenzen des Bundesamtes für Verfassungsschutz und der Verfassungsschutzbehörden der Länder gebündelt würden Gegen eine einzige Zentralbehörde spricht aber die dann kaum überschaubare und kontrollierbare Aufgabenkonzentration. Zudem würde die verfassungsmäßige Eigenständigkeit der Länder ausgehöhlt. Die Abstimmungsprobleme, die gelegentlich zwischen den Verfassungsschutzbehörden aufgetreten sind, lassen sich beheben, wenn gerade bei heiklen, besonders geheimhaltungsbedürftigen Operativrmaßnahmen -- etwa beim Einsatz von V-Leuten -- eine intensivere Koordination gesucht wird. Sie hat inzwischen bereits begonnen. Einsatz von Vertrauensleuten Auch wenn der Einsatz von V-Leuten öffentlich kritisiert wird -- verzichten können die Verfassungsschutzbehörden nicht auf ihn. Denn erist ein durch Gesetz vorgesehenes Mittel des Verfassungsschutzes, um Informationen zu beschaffen, die zur Erfüllung des gesetzlichen Auftrages erforderlich sind und auf andere Weise nicht gewonnen werden können. V-Leute sind keine Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde. Sie bewegensich als Privatpersonen aus eigenem Antrieb in verfassungsfeindlichen Gruppierungen oder in deren unmittelbarem Umfeld; sie finden sich aber bereit, planmäßig und verdeckt Informationen aus diesen Gruppierungen an eine Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben. Von Interesse für die Behörde sind dabei interne Absprachen, konspirative Planungen oder programmatische Festlegungen, die nach dem Willen ihrer Urheber geheim bleiben sollen. V-Leute beschaffen solche Informationen nicht nach eigenem Gutdünken, sondern gemäß dem Auftrag, den ihnen die Verfassungsschutzbehörde erteilt hat. Ein solcher Auftrag darf nicht weitergehen als die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde selbst. Deshalb wäre es unzulässig, wenn von einer V-Person verlangt würde, Dokumente in einer fremden Wohnung zu suchen und mitzunehmen. Denn das käme, obschon es heimlich geschähe, in die Nähe von polizeilichen Exekutivmaßnahmen. 254 Verfassungsschutz in Brandenburg V-Leute dürfen schließlich in der beobachteten Gruppierungkeine steuernde Funktion innehaben. Denn sonst bestünde die Gefahr, dass durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erst die Tatsachen geschaffen würden, die es zu beobachtengilt. Ihren Zweck erfüllen V-Leute nur, wenn ihren Informationen vertraut werden kann. Deshalb werden sie aufihre Zuverlassigkeit hin überprüft: bevorsie förmlich zur Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz verpflichtet werden, aber auch danachfortlaufend, damit nach Möglichkeit Sicherheitsrisiken rechtzeitig erkannt werden. Dabei wird auf die Lebensführung, aber auch den bisherigen Lebenslauf geachtet. Vorstrafen etwa sind mindestens dann ein Hindernis für die Zusammenarbeit, wenn anzunehmen ist, dass die V-Person aus eigenem Antrieb erneut straffällig werden könnte. Selbstverständlich aber dürfen V-Leute gerade auch dann keineStraftaten begehen, wenn sie Informationen für den Verfassungsschutz beschaffen. Deshalb wird jede V-Person regelmäßig darüberbelehrt, dass sie sich nichtin kriminelle Aktivitäten verstricken darf. Eine Verfassungsschutzbehörde vermag ihre V-Leute allerdings nicht ständig und umfassend zu kontrollieren. Sofern deren Berichte nicht anhand anderer Meldungen zum gleichen Sachverhalt gegengeprüft werden können, lassen sie sich nur nach Plausibilitätskriterien und unter Berücksichtigung der Fähigkeiten, Eigenschaften und Interessenlagen der jeweiligen V-Personbeurteilen. In das Privatleben von V-Leuten drängt sich die Verfassungsschutzbehörde ohnedies nicht hinein. Auch stehen ihr keine Zwangsmittel zu Gebote, um V-Leutezu disziplinieren. Deshalb kann nicht gänzlich ausgeschlossen werden, dass eine V-Person, auch wenn sie präzise angeleitet und intensiv geführt wird, doch einmalhinter dem Rücken des Verfassungsschutzes und entgegen seinen Weisungen auf eigene Faust Straftaten begeht. So hat sich z. B. Toni Stadler, ehemals V-Mann des Verfassungsschutzes Brandenburg, nicht an die mehrfachen und aktenkundigen Mahnungen der Behörde gehalten, strikt die Gesetze zu beachten. Er wusste aber: Falls er sich strafbar machen würde, müsste er die strafrechtlichen Konsequenzen selber tragen und könnte nicht mehr als V-Manntätig sein. So ist es auch gekommen (vgl. oben S.85). Die von gewisser Seite gegen die Verfassungsschutzbehörde Brandenburg erhobenen Vorwürfe, sie habe Stadler bei kriminellen Machenschaften gedeckt oder gar dazu angestiftet, werden durch die Fakten wider255 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 legt; die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags Brandenburg hat nach eingehender Prüfung aller Umstände und Aspekte des Falls festgestellt, dass die Verfassungsschutzbehörde pflichtgemäß und tadelsfrei gehandelt habe. Im Übrigen mussbeieiner V-Personnicht jede Handlung, die einenStraftatbestand erfüllt, zwangsläufig aucheine Straftat sein, also von der Rechtsprechung mit einer Strafe geahndet werden. Denn wie für jedermann sonst gelten auch für V-Leute die Rechtfertigungsund SchuldausschlieBungsgründedes Strafgesetzbuches. Begeht eine V-Person zum Beispiel eine strafbare Handlung, um eine drohende Gefahr an Leib oder Leben für sich selbst oder einen anderen abzuwehren, kann sie nach $ 34 Strafgesetzbuch gerechtfertigt sein. Eine Bestrafung erfolgt in diesem Falle nicht. Denkbarst dies etwa dann, wenn eine V-Person einen minder schwerenStraftatbestand erfüllt, um einer Enttarnung und deren unmittelbar drohenden Folgen -- etwa einem körperlichen Angriff enttäuschter Kameraden -- zu entgehen. Neue Befugnisse bei der Terrorismusbekämpfung Das Terrorismusbekämpfungsgesetz des Bundes vom 9. Januar hat dem Verfassungsschutz -- unmittelbar allerdings nur dem Bundesamtfür Verfassungsschutz -- neue Befugnisse zugewiesen und ihm damit weitere Möglichkeiten zur Informationsbeschaffung eröffnet. Wie dringlich der Kampf gegen den internationalen Terrorismus intensiviert werden und gerade auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln geführt werden muss, haben die Anschläge auf Bali oder in Djerba und in Mombasa nochmals zur Genüge bewiesen! Als eines der ersten Länder im Bund hat nun Brandenburg mit seinem Gesetz zur Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes und zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle vom 24. Oktober auchder eigenen Landesbehörde für Verfassungsschutz gleiche Aufgaben zugeteilt. Die neuen gesetzlichen Regelungen entsprechen inhaltlich denen, die schon der Bundesgesetzgeber getroffen hatte. Zur Sammlung von Informationen über Bestrebungen nach $ 3 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 BbgVerfSchG darf die brandenburgische Verfassungsschutzbehörde nun auch im Einzelfall _ bei Banken und Geldinstituten Auskünfte zu Konten, Konteninhabern, sonstigen Berechtigten und weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten sowie zu Geldbewegungen und Geldanlageneinholen 256 Verfassungsschutz in Brandenburg = bei Personen und Unternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser Dienstleistungen mitwirken, Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs erfragen bei Luftverkehrsunternehmen zu Namen und Anschriften, zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und zu sonstigen Umständen des Luftverkehrs um Auskunft ersuchen = bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, Auskünfte zu Telekommunikationsverbindungsdaten oder Teledienstenutzungsdaten einholen. Solche Anfragen bei Unternehmen haben den Zweck, Netzwerke von Terroristen aufzuspüren. Denn auchin der Bundesrepublik werden Kontakte geknüpft und Interessen verfolgt, die in die Planung von Terroranschlägen münden können. Um dies zu verhindern, muss der Verfassungsschutz frühzeitig über logistische Vorbereitungen und Finanzierungsquellen informiert sein. Ebenso nötig sind Informationen über die Kommunikationsund Reisewege einschlägiger Personen. Anders kommt man den streng konspirativ arbeitenden, international miteinander verflochtenen Terroristenzellen kaum auf die Schliche. Auch helfen diese Informationen, Ruheund Vorbereitungsräume, aber auch mögliche Anschlagsziele von Terroristen zu identifizieren. Die neuen Befugnisse des Verfassungsschutzes unterliegen jedoch -- ebenso wie Maßnahmenzur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses, die schonseit Jahren im Artikel 10-Gesetz und dem Gesetz zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes in Brandenburg gesondert geregelt sind -- strengen Voraussetzungen. Die hier in Rede stehenden Auskünfte dürfen nur auf Antrag des Leiters der Verfassungsschutzabteilung eingeholt werden. Über einen solchen Antrag hat der Minister des Innern zu entscheiden. Schließlich prüft die G10-Kommission des Landtags die Zulässigkeit und Notwendigkeit des Auskunftsersuchens, bevor es an das entsprechende Unternehmenergehen kann. Der G10Kommission obliegt es auch, die Nutzung und Verarbeitung der durch die Auskünfte gewonnenen Daten zu überwachen. 257 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Nachrichtendienstlich gewonnene Erkenntnisse im Gerichtsverfahren Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kann bestimmte Probleme in Gerichtsverfahren nach sich ziehen. Denn es kann passieren, dass Geheimhaltungserfordernisse und Rechte von Verfahrensbeteiligten kollidieren. Gerichtsverfahren sind geprägt von dem Prinzip, dass jeder Verfahrensbeteiligte gleichermaßen über das Wissen verfügen soll, das dem Gericht auch durch die Gegenseite offenbart worden ist. Nur dann kann auch das Grundrecht auf rechtliches Gehör vor Gericht -- das n Artikel 103 Grundgesetz geregelt ist-wirksam wahrgenommenwerden. Deshalb sind jedem Beteiligten zum Zweckeder Verteidigung umfassende Akteneinsichtsrechte garantiert. Wenn allerdings Erkenntnisse, die für einen Prozess erheblich sind, von einer Sicherheitsbehörde mit nachrichtendienstlichen Mitteln gewonnen wurden, müssen sie unter Umständen zwingend geheim gehalten werden, so dass der "Gegenseite" die Kenntnisnahme versagt bleibt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Informationen von V-Leuten stammen, deren Identität nicht bekannt gegeben werdendarf. Sowohlim Strafals auch im Verwaltungsprozess sind die Gerichte verpflichtet, von Amts wegendie rechtserheblichen Tatsachen zu ermitteln. Fordern sie also bestimmte Behördenauf, ihre Akten vorzulegen, müssen diese dem grundsätzlich nachkommen. Auch geladene Zeugen müssen regelmäßig aussagen. Dem können allerdings Geheimhaltungsinteressen, wie die oben erwähnten, entgegenstehen. Der Gesetzgeber hat deshalb die Sicherheitsinteressen von Bund und Ländern in der Weise berücksichtigt, dass er für bestimmte Fälle so genannte Sperrerklärungen zulässt. In $ 96 der Strafprozessordnung (StPO) ist geregelt, dass "die Vorlegung von Akten oder anderen in amtlicher Verwahrung befindlichen Schriftstücken durch Behörden undöffentliche Beamte(...) nicht gefordert werden (darf), wenn deren oberste Dienstbehördeerklärt, dass das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde". Auf diese Vorschrift hat sich das Sächsische Staatsministerium des Innern in dem Strafverfahren gegen Mitglieder der rechtsextremistischen Gruppierung "Skinheads Sächsische Schweiz" gestützt. Das Gericht hatte das dortige Landesamt für Verfassungsschutz zur Vorlage von Akten aufgefordert, das Landesamt aber hatte dies aus Gründen übergeordneter Geheimhaltungsinteressen verweigert. Das Sächsische Innenministerium als 258 Verfassungsschutz in Brandenburg oberste Dienstbehörde hat schließlich unter Verweis auf $ 96 StPO die entsprechende Sperrerklärung abgegeben. Auch die Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) enthält eine vergleichbare Regelung. Nach $ 99 Abs. 1 VwGO sind Behördenzur Vorlage von Urkunden und Akten und zur Erteilung von Auskünften verpflichtet. Wenn es aber für das Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes nachteilig wäre, dass der Inhalt von Urkunden bekannt wird oder bestimmte Auskünfte erteilt werden, oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder hrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage oder die Auskunftserteilung verweigern. Durch das Gesetz zur Bereinigung des Rechtsmittelrechts im Verwaltungsprozess vom 20. Dezember 2001 wurde mit einer Änderung des 8 99 Abs. 2 VwGO schließlich die Möglichkeit zur Durchführung eines so genannten in-camera-Verfahrens geschaffen. Hiernach wird, sofern eine Sperrerklärung vorliegt, auf Antrag eines Beteiligten in einem Zwischenverfahren das Oberverwaltungsgericht mit der Frage befasst, ob die Verweigerung der Aktenvorlage oder der Auskunft rechtmäßig war. Es bestehen in diesem Zwischenverfahren keine Akteneinsichtsrechte. Auch darf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht erkennen lassen, welcher Art und welchen Inhalts die geheimhaltungsbedürftigen Gegenständesind. Ein solches in-camera-Verfahren könnte zum Beispiel dann angezeigtsein, wenn ein Bürgerbei der Verfassungsschutzbehörde nach zu seiner Person gespeicherten Daten anfragt, aber keine umfassende Auskunft erhält und sich dagegen vor Gericht wehrt. Auch Prozesse, an denen die Verfassungsschutzbehörde nur mittelbarbeteiligt ist, Können in-cameraVerfahren nach sich ziehen -- so zum Beispiel, wenn jemandem wegen Sicherheitsbedenken die gewünschte Beschäftigung in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwehrt wird und er dagegenklagt. 259 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Struktur und Konzepte der Verfassungsschutzbehörde Organisatorische Gliederung und Haushalt Die Verfassungsschutzbehörde des Landes Brandenburg ist das Ministerium des Innern. Dessen Abteilung V (fünf) erfüllt die Aufgaben des Verfassungsschutzes. Die Abteilung V gliederte sich am Jahresende nach einer erneuten organisatorischen Straffung in folgende sechs Referate: Zentrale Dienste, Referat V/I Geschäftsprozesse,Technik Referat V/2 Recht, Datenschutz, G 1 0-Beauftragter, Personalentwicklung Grundsatzund Präventionsfragen Referat V/3 des politischen Extremismus, Kommunikation Referat V/4 Observation Beschaffung/Operative Auswertung Referat V/5 politischerExtremismus Referat V/6 Spionageabwehr, Geheimschutz Am 31. Dezember waren in der Abteilung V von 133 vorgesehenenPlanstellen 99 besetzt. Die Personalkosten beliefen sich auf 3.941.000 EUR An sonstigen Haushaltsmitteln standen 2002 insgesamt 1.527.500 EURzur Verfügung, davon wurden 1.343.250,11 EURausgegeben. 260 Verfassungsschutz in Brandenburg Geschäftsprozessoptimierung Die im Jahr 2000 eingeleitete Reorganisation der Verfassungsschutzbehörde wurde auch 2002fortgeführt. Sie schließt die Einführung eines durch DataWarehouse-Techniken unterstützten Content Management Systems (CMS) ein. Mit Hilfe einer optimierten Datenbasis will die Verfassungsschutzbehörde die Empfanger ihrer Informationen bestmöglich bedienen. Die Vorbereitungenfür die Implementierung des CMSgingen energisch voran. Das Informationsmanagement wurde bereits wesentlich verfeinert. Im Einzelnen wurden = die Geschäftsprozesse analysiert und Referenzprozessmodelle erstellt, damit künftig unnötige Parallelabläufe und Medienbrüche weitestgehend vermieden werden können = die weiteren Schritte bei der Verbesserung der Geschäftsprozesse definiert = ein Workflow modelliert, damit Vorgänge prozessorientiert bearbeitet und die noch existierenden unterschiedlichen Anwendungen integriert werden können = ein DataWare-Modell als Integrationsplattform aller vorhandenen informations-technischen Systeme beschrieben. Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes unterliegt einer umfangreichen und vielseitigen Kontrolle. Im Einzelnen sind das. = die Kontrolle durch den Minister des Innern = die allgemeine parlamentarische Kontrolle durch den Landtag = die besondere parlamentarische Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission des Landtags, die aufgrund ihres gesetzlichen Anspruchs von der Landesregierung umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und Vorgänge von besonderer Bedeutung sowie auf Verlangen auch über Einzelfälle unterrichtet wird = die Kontrolle durch die G 10-Kommission bei Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis 261 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Ei die Kontrolle durch den Bürger, dem unentgeltlich Auskunft und ggf. Akteneinsicht über die zu seiner Person gespeicherten Daten sowie den Zweck und die Rechtsgrundlage der Speicherung zusteht (Auskunft und Akteneinsicht dürfen nur insoweit versagt werden, als das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung der Erkenntnisse sowie der nachrichtendienstlichen Arbeitsmethoden und Mittel der Verfassungsschutzbehörde gegenüber dem Interesse der Person überwiegt) = die gerichtliche Kontrolle gegen Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde, sofern der Bürger geltend macht, in seinen Rechten verletzt zu sein = die Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht, der Zugang zu Unterlagen mit personenbezogenen Daten hat und der die Rechtmäßigkeit der Datenverarbeitung durch die Verfassungsschutzbehörde überprüft = die Kontrolle durch den Landesrechnungshof = die öffentliche Kontrolle durch die Berichterstattung in den Medien. Die Bürgerinnen und Bürger des Landes nehmen das Kontrollrecht, das ihnen gegenüber der Verfassungsschutzbehörde zusteht, mit Interesse wahr: Im Jahr 2002 gingen 27 Auskunftsersuchenein. In 14 Fällen waren allerdings keine Daten zur anfragenden Person bei der Verfassungsschutzbehörde gespeichert, so dass entsprechend geantwortet werden konnte. In den übrigen 13 Fällen erhielten die Auskunft Suchenden die Mitteilung, dass und -- soweit dem keine gesetzlichen Geheimhaltungsgründe entgegenstanden -- welche Daten zu ihnen gespeichert sind. 262 Verfassungsschutz in Brandenburg Öffentlichkeitsarbeit Der Verfassungsschutztritt an die Öffentlichkeit mit Berichten, wie dem hier vorliegenden, um pflichtgemäß über verfassungsfeindliche Bestrebungenzu informieren. Dasist ihm gesetzlich aufgetragen. Aberdie brandenburgische Verfassungsschutzbehörde will sich damit keineswegs begnügen, sondern ihr Wissen und ihr Urteilsvermögen noch umfassender nutzbar machen. Deshalbbietet sie sich als Gesprächs-, Beratungsund Kooperationspartnerfür alle engagierten Demokraten an,die in Brandenburg Kenntnisse über extremistische Gefährdungen brauchen oder selbst verbreiten wollen. Auf diese Weise unterstützt sie u. a. Präventionskonzepte und-initiativen. Der Einsatz moderner Kommunikationsmittel prägt immerstärker die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes. Seitdem die brandenburgische Verfassungsschutzbehörde im September 2001 mit einer eigenen Website ins Netz gegangen ist, hat sich dieses Medium als Informationsspeicher, Gesprächsplattform und Präventionshilfe bewährt. So bringt die Rubrik "News" im Durchschnitt einmal pro Woche zumeist tagesaktuelle Meldungen: Berichte über Ablauf und Hintergründe von Ereignissen, die mit extremistischen Bestrebungen im Zusammenhang stehen, oder Nachrichten aus der Arbeit des Verfassungsschutzes. Ein gutsortierter, auf Erweiterung angelegter Wissensfundus ist die "Bibliothek" mit Rechtsvorschriften, Online-Publikationen und Begriffserklärungen. Das fremdsprachige Angebot umfasst nunmehr auch Grundinformationen in polnischer Sprache. Nicht zuletzt der kommentarlose oder auch kommentierte Nachdruck von Meldungen auf anderen Websites, auch extremistischen oder extremistisch beeinflussten, beweist, dass www.verfassungsschutz-brandenburg.de von ganz unterschiedlichen Interessentengruppen wahrgenommen wird. Der brandenburgische Verfassungsschutz kann per E-Mail Fragen, Hinweise und Meinungsäußerungen empfangen; ebenso ist es möglich, Publikationen auf digitalem Wege zu bestellen. Beide Angebote werden von den Usern gern genutzt. Denn selbstverständlich erhalten sie, soweit möglich, immer prompt die gewünschten Auskünfte oder Postsendungen. Neben der Internetpräsenz ist der direkte Austausch mit interessierten Personen eine weitere wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes. Bei 263 Verfassungsschutzbericht Land Brandenburg 2002 Vorträgen und Seminaren, auf Diskussionsforen oder Lehrgängen, bei Projektwochenoder -tagen in Schulentraten seine Mitarbeiter mehrmals pro Monat als Referenten auf. Viele dieser Veranstaltungen fanden im Rahmender schulinternen Lehrerfortbildung statt. Sie hatten den Zweck, gerade Pädagogen, die Wissen und aktivierende Impulse an Jugendliche weitergeben sollen, die nötigen Kenntnisse über extremistische Gefahren zu vermitteln. Sehr häufig ging es dabei um das Problem "Schule ohne Gewalt". Die Anschläge des 11. September 2001 ließen besonders bei Schülern das Interesse für Vorträge über Terrorismus und Islamismus steigen. - Hingabe mn Die Rubrik "News" auf der Website des Brandenburgischen Verfassungsschutzes bringt zumeist tagesaktuelle Meldungen 264 Verfassungsschutz in Brandenburg Auch das Pädagogische Landesinstitut Brandenburg, Politische Stiftungen und die Fachhochschule der Polizei des Landes Brandenburg nutzten die Angebote des Verfassungsschutzes zu Vortrag und Dialog. Themendieser Veranstaltungen waren u. a. "Wehrhafte Demokratie", "Tolerantes Brandenburg", "Fremdenfeindlichkeit und Extremismus". Zielgruppenorientierte Angebote, die der Prävention dienen, werden künftig noch ausgebaut werden. Zum vierten Malin Folgestellte sich der Verfassungsschutz einem breiten Publikum auf dem "Brandenburg-Tag" vor, der dieses Mal am 7. September in Neuruppinstattfand. Wie in den Vorjahren kamen die Besucher nicht nur an den Stand, um über sie bewegende Fragen zu diskutieren, sondern oft ganz gezielt, um den aktuellen Verfassungsschutzbericht zu erhalten. Diese jährlich herausgegebene Publikation erschien 2002 in einer Auflage von 4.000 Exemplaren. Sie kann im Internet abgerufen bzw. auf Anfrage zugesandt werden. Neben dem Jahresbericht versendet der Verfassungsschutz an Interessenten weitere Publikationen zu den Themenbereichen Extremismus, Spionage oder Scientology.! Wer an Vorträgen, Informationsveranstaltungen bzw. Informationsmaterial interessiert ist oder sonst Fragen an die Verfassungsschutzbehörde Brandenburg hat, sollte sich telefonisch, schriftlich oder per E-Mail an sie wenden. Die Fachleute für Öffentlichkeitsarbeit gehen gern auf Wünsche und Hinweise ein. Ministerium des Innern Referat V/3 Henning-von Tresckow-Straße 9-13 14467 Potsdam Lelefon: (03 31) 8 66-25 52 Fax: (03 31) 8 66-2055 E-Mail: info@verfassungsschutz-brandenburg.de : Eine Liste der derzeit lieferbaren Druckschriften ist auf der Website www.verfassungsschutz-brandenburg.de unter "Bibliothek "Publikationen zufinden. 265