Verfassungsschutz Berlin Bericht 2019 PRESSEFASSUNG Verfassungsschutzbericht 2019 Pressefassung Erreichbarkeit Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon 030 90129-440 Fax 030 90129-844 info@verfassungsschutz-berlin.de www.verfassungsschutz-berlin.de Vertrauliches Telefon 030 20054-507 Deutsch/Englisch 030 20054-532 Türkisch 030 20054-553 Arabisch Herausgeber Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Redaktionsschluss Februar 2020 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Alle Datumsangaben ohne Nennung von Jahreszahlen beziehen sich auf das Berichtsjahr. Vorwort Vorwort Gewalt und Terror von rechts haben 2019 weltweit für Trauer und Entsetzen gesorgt. In Christchurch, El Paso, Kassel und Halle verübten Rechtsextremisten Anschläge und töteten Menschen. Im Februar 2020 erschütterten die Morde von Hanau unser Land. Diese Taten zeigen uns schmerzhaft, in welcher Weise unsere Demokratie von rechtsextremistisch motivierter Gewalt und Terrorismus bedroht ist. Die Sicherheitsbehörden - und damit auch der Verfassungsschutz - müssen sich dieser Entwicklung stellen. Konspirative Netzwerke, abgeschottete Milieus im virtuellen Raum und sich stärker radikalisierende Einzeltäter müssen bei der Bewertung und dem Umgang mit Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus noch stärker in den Blick genommen werden. Einer intensiven Beobachtung der Aktivitäten von Rechtsextremisten im Internet fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Gerade im Internet verbreiten Rechtsextremisten, aber auch andere Verfassungsfeinde ihre Hetze mit einer Intensität, die sich zu einer ernsthaften Bedrohung für unser demokratisches Gemeinwesen entwickelt hat. Diesem Hass und den Bedrohungen im Netz widmet sich der diesjährige Verfassungsschutzbericht in einem Sonderkapitel. Menschen, die sich politisch, gesellschaftlich oder sozial engagieren, werden in der vermeintlichen Anonymität des Internets beschimpft, beleidigt und bedroht. Gezielt nutzen Verfassungsfeinde dafür die Möglichkeiten, die soziale Medien bieten. Dies hat nichts mit einer offenen Diskussionskultur zu tun. Das ist rohe, verbale Gewalt. Mit einem klaren 5 Ziel: Angst und Verunsicherung zu schüren. Die Attacken gegen Politikerinnen und Politiker im gesamten Bundesgebiet zeigen deutlich, wie schnell verbale Verrohung zu tätlicher Gewalt führen kann. Es liegt an uns allen, Verleumdungen und Beleidigungen im Internet nicht zu ignorieren, sondern ihnen auf allen Ebenen entgegenzutreten. Die Täter bekommen unser mutiges Paroli, die Betroffenen unsere volle Unterstützung und Solidarität. Wir dürfen den Feinden der Demokratie, den Extremisten und Populisten, nicht die Meinungsführerschaft im Internet überlassen. Rechtsextremismus und rechtsextremistische Gewalt sind in Berlin aber nicht nur ein virtuelles Phänomen. Erneut wurden im Berichtsjahr Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, bedroht. Hinzu kommen die immer wiederkehrenden Versuche diverser rechtsextremistischer Gruppierungen, Berlin als Bühne für ihre Veranstaltungen zu missbrauchen. Auf solchen Veranstaltungen propagieren Rechtsextremisten ihre menschenverachtende Ideologie, vernetzen sich und versuchen ein Klima der Angst zu erzeugen. Berlin stellt sich diesen neuen Herausforderungen mit aller Entschlossenheit. Im September 2019 konstituierte sich der "Runde Tisch gegen antisemitische Gewalt"; bereits im April 2019 wurde mit dem "Gemeinsamen Informationsund Bewertungszentrum Rechtextremismus" (GIBZ) eine Plattform geschaffen, in der sich die Berliner Sicherheitsbehörden noch enger über alle staatsschutzrelevanten Informationen aus dem Bereich Rechtsextremismus austauschen. Durch diese verstärkte Zusammenarbeit von Verfassungsschutz und Polizei können wir den Druck auf die rechtsextremistische Szene weiter verstärken. Der Staat muss deutlich machen, dass das inakzeptable Handeln derer, die sich gegen zentrale Werte unserer Demokratie stellen, rechtstaatlich verfolgt wird. Die gewachsene Bedrohung durch Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus darf nicht den Blick auf die Entwicklungen in anderen Phänomenbereichen verstellen. Erneut ist die Zahl der Salafisten in Berlin deutlich angestiegen. Dies ist weiterhin auf die verstärkten Aufklärungsbemühungen des 6 Vorwort Verfassungsschutzes zurückzuführen, der das Dunkelfeld dieser Szene zunehmend ausleuchtet. Es zeigt aber auch, dass diese Ideologie mit ihren vermeintlich klaren Regeln und einem einfachen "Freund-Feind-Weltbild" nach wie vor eine Anziehungskraft vor allem auf Jugendliche ausübt. Die Gefährdung durch den islamistischen Terrorismus ist nicht kleiner geworden. Neben den salafistischen und terroristischen Bedrohungen haben die Anhänger islamistischer Organisationen, wie etwa der HAMAS oder der "Hizb Allah", auch 2019 wiederholt versucht, Berlin als Bühne für antisemitische und israelfeindliche Propaganda zu missbrauchen. Mehrere solcher Auftritte konnten von den Behörden verhindert werden. Dies sind klare Signale, die deutlich machen, dass für Antisemitismus und Israelhass in Berlin keinen Platz ist. Auch die Gefährdung durch das linksextremistische Spektrum ist nicht kleiner geworden. Das zeigt die anhaltend hohe Zahl linksextremistisch motivierter Straftaten in Berlin. Angriffe auf Menschen, mit dem Ziel sie einzuschüchtern und ihre persönliche Freiheit einzuschränken, sind inakzeptabel. Versuche der linksextremistischen Szene, ihre Taten mit vermeintlich berechtigten sozialen oder gesellschaftlichen Anliegen zu rechtfertigen, können von ihrem eigentlichen Ziel nicht ablenken. Sie ändern nichts an ihrer Ablehnung des Rechtsstaates und unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Bedrohungen für unsere Demokratie sind unterschiedlich und dynamisch. Der politische Extremismus zeigt sich wandlungsund anpassungsfähig. Diese Entwicklungen müssen frühzeitig erkannt und bekannt gemacht werden. Das bleibt die Kernaufgabe des Verfassungsschutzes als Frühwarnsystem für unsere Demokratie. Andreas Geisel Senator für Inneres und Sport 7 Inhaltsverzeichnis I Verfassungsschutz Berlin 13 Struktur 14 Gesetzliche Grundlagen 15 Aufgaben 15 Arbeitsweise 18 Kontrolle 20 Zusammenarbeit 22 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 24 8 Inhaltsverzeichnis II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 29 1 Sonderthema: Hate Speech 32 Hasskommentare und Bedrohungen im Internet 32 Rechtsextremisten im Internet 35 Islamisten im Internet 41 Linksextremisten im Internet 45 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen im Internet 49 Fazit 50 2 Rechtsextremismus 54 Ideologie 54 Traditioneller Rechtsextremismus 54 Muslimenfeindlicher Rechtsextremismus 56 Personenpotenziale 58 Aktuelle Entwicklungen 59 Rechtsterrorismus und rechtsextremistische Gewalt 59 Rechtsextremistische Musikund Kampfsportveranstaltungen 67 Muslimenund Fremdenfeindlichkeit 71 Fazit und Ausblick 81 3 Reichsbürger und Selbstverwalter 86 9 4 Islamismus 92 Ideologie 92 Personenpotenziale 94 Aktuelle Entwicklungen 96 Salafistische Bestrebungen 96 Islamistischer Terrorismus 102 Terroristische Bedrohung durch jihadistische Netzwerke 104 "Rückkehrerinnen" und "Rückkehrer" 106 Fazit und Ausblick 107 Sonstige gewaltorientierte Islamisten 108 Legalistischer Islamismus 113 Antisemitismus und Israelhass 118 Fazit und Ausblick 122 5 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 124 Begriffsklärung 124 Personenpotenziale 124 Aktuelle Entwicklungen 125 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 125 Ülkücü-Bewegung 130 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) 132 6 Linksextremismus 136 Ideologie und Historie 136 Personenpotenziale 139 Aktuelle Entwicklungen 142 Gezielte Gewalt und Versuche der Einschüchterung 142 Der versuchte Aufstand 152 10 Inhaltsverzeichnis Schleichende Grenzverschiebungen 159 Fazit und Ausblick 164 7 Scientology Organisation 168 8 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 172 Spionageabwehr 172 Wirtschaftsspionage 176 Abwehr von Cyberspionage 178 9 Geheimschutz 182 Geheimschutz in der Wirtschaft 183 Mitwirkung bei gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen 184 11 III Anhang 189 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 190 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 204 Personenund Sachregister 208 Bildnachweis 209 Publikationsübersicht 211 12 I Verfassungsschutz Berlin Struktur Die Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden durch eine gesonderte Abteilung wahrgenommen, die Abteilung II. Diese gliedert sich in sieben Referate: Abteilung II Verfassungsschutz Abteilungsleiter Geheimschutz/ Mitwirkung Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Referat II E Referat II F Referat II G Grundsatz RechtsSalafistische SpionageBeschaffung LinksIslamismus / Recht extremismus und abwehr extremismus AusländerVerwaltung IslamistischWirtschaftsextremismus / Öffentlichterroristische schutz Prävention keitsarbeit Bestrebungen Gremien IT Im Grundsatzreferat (II A) sind interne Querschnittsund Kontrollfunktionen gebündelt, etwa der behördliche Datenschutz, die Fachprüfgruppe, die Öffentlichkeitsarbeit, die Verwaltung, die Informationstechnik und die Rechtsberatung. In den Auswertungsreferaten (II B, II C, II D, II F, II G) werden die eingehenden Informationen verarbeitet, analysiert und bewertet. Das Beschaffungsreferat (II E) führt Ermittlungen durch und beschafft im Auftrag der Auswertungsreferate Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen 2019 Haushaltsmittel in Höhe von 16,58 Mio. Euro und 257 Stellen zur Verfügung. 14 Verfassungsschutz Berlin Gesetzliche Grundlagen Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, seiner Befugnisse und der Kontrollverfahren gesetzlich festgelegt. Von Bedeutung sind neben dem Grundgesetz (Art. 73 und 87 GG) und der Verfassung von Berlin insbesondere das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 1 (VSG Bln), das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (G10) sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel-10-Gesetzes (AG G10) und das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG). Aufgaben Der Verfassungsschutz ist ein Frühwarnsystem, um Gefährdungen unserer Demokratie rechtzeitig zu erkennen. Die Freiheit, die unsere Verfassung allen Bürgerinnen und Bürgern garantiert, ist ein hohes Schutzgut. Im verfassungsrechtlichen Rahmen der Bundesrepublik haben auch radikale politische Ansichten ihren Platz. Die Grenzen der Freiheit werden allerdings überschritten, wenn Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auf deren Beseitigung hinarbeiten oder Grundwerte unserer Verfassung antasten wollen. In diesem Rahmen ist es Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes, "den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung [...] zu unterrichten. Dadurch soll es den staatlichen Stellen 1 Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungs schutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz. 15 insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen" (SS 5 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin). Zu diesem Zweck sammelt und analysiert der Verfassungsschutz Informationen über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen * gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, * gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, * die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wurde durch das Bundesverfassungsgericht definiert, als "... eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und der Gleichheit darstellt." Zu den wichtigsten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören: * die Wahrung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte * die Volkssouveränität * die Gewaltenteilung * die Verantwortlichkeit der Regierung * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung * die Unabhängigkeit der Gerichte * das Mehrparteienprinzip * die Chancengleichheit für alle politischen Parteien 16 Verfassungsschutz Berlin * das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Außerdem ist der Verfassungsschutz für die Spionageabwehr zuständig. Um möglichen Spionageaktivitäten auch präventiv zu begegnen, übernimmt der Verfassungsschutz Aufgaben des Geheimschutzes. Hierbei berät und unterstützt der Verfassungsschutz Verantwortliche in öffentlichen Stellen und sensiblen Wirtschaftsbereichen. Er führt die gesetzlich vorgesehenen Sicherheitsüberprüfungen von Mitarbeitern durch, die an sicherheitsempfindlichen Stellen eingesetzt werden oder die Zugriff auf staatliche Verschlusssachen erhalten sollen (personeller Geheimschutz). Zudem zeigt er Möglichkeiten auf, wie Informationen und Vorgänge geschützt werden können, deren Bekanntwerden die Sicherheit oder Interessen des Bundes oder eines seiner Länder gefährden können (materieller Geheimschutz). Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Sicherungsmaßnahmen, damit geheim zu haltende Informationen nicht Unbefugten in die Hände fallen. Von besonderer Bedeutung ist der Schutz von Informationen, die in Datenverarbeitungssystemen gespeichert sind. Der Verfassungsschutz wirkt ferner bei zahlreichen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen (z. B. bei Einbürgerungen, der Erteilung von Visa und Aufenthaltserlaubnissen oder dem Zutritt zu sicherheitssensiblen Bereichen, z. B. an Flughäfen) mit. Im Rahmen dieser Mitwirkungsangelegenheiten fließen die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes in den Entscheidungsprozess der anfragenden Behörden ein. 17 Arbeitsweise Der Verfassungsschutz erhält einen großen Anteil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Quellen. Eine zentrale Informationsquelle ist das Internet, das von verfassungsfeindlichen Organisationen und Gruppierungen für Propaganda-, Vernetzungsund Rekrutierungszwecke genutzt wird. Neben der Auswertung des Internets gewinnt der Verfassungsschutz seine Informationen aus Zeitungen, Flugblättern, Parteiprogrammen oder anderen Publikationen. Die Informationsgewinnung aus offenen Quellen stößt jedoch an Grenzen, wenn verfassungsfeindliche Gruppierungen ihre wahren Absichten nicht nach außen erkennen lassen. Daher räumt das Gesetz dem Verfassungsschutz in begründeten Fällen die Möglichkeit ein, Informationen verdeckt - mit nachrichtendienstlichen Mitteln - zu gewinnen. Voraussetzung ist, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise nicht möglich ist und die Anwendung des jeweiligen Mittels im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Nachrichtendienstliche Mittel sind z. B. der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen), die Observation oder die verdeckte Bildund Tonaufzeichnung. Unter engen Voraussetzungen ist auch eine Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs nach dem Artikel-10-Gesetz zulässig. Die Überwachung darf nur erfolgen, wenn sie erforderlich ist, um drohende Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand bzw. die Sicherheit des Bundes oder eines Landes abzuwehren, und tatsächliche Anhaltspunkte für bestimmte, schwerwiegende Straftaten vorliegen und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Die Überwachung wird vom Senator für Inneres und Sport angeordnet und bedarf der Genehmigung der sogenannten G10-Kommission des Abgeordnetenhauses von Berlin. 18 Verfassungsschutz Berlin Zur Aufklärung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Bestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt werden. Gerade bei der Beobachtung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es wesentlich auf die Aufklärung von Reiserouten, Finanzierungsströmen, Kontakten und Kommunikationsverbindungen ankommen. Wegen der Eingriffstiefe dieser Befugnisse kommt ebenfalls das Genehmigungsverfahren des Artikel-10-Gesetzes zur Anwendung. Ein oftmals kontrovers diskutiertes nachrichtendienstliches Mittel ist der Einsatz von Vertrauenspersonen. Diese sind keine Angehörigen des Verfassungsschutzes; sie bewegen sich i. d. R. in verfassungsfeindlichen Gruppierungen oder ihrem ideologischen Umfeld und sind aus unterschiedlichen Gründen bereit, den Verfassungsschutz über deren Aktivitäten und Pläne zu informieren. Die Informationsgewinnung mittels V-Personen bewegt sich in einem Spannungsfeld, macht sich doch der Verfassungsschutz das Insiderwissen von Extremisten zunutze und muss dabei stets darauf achten, dass extremistische Bestrebungen durch diese Zusammenarbeit nicht mittelbar gestärkt werden. Gleichwohl ist der Einsatz menschlicher Quellen in vielen Fällen unverzichtbar, um Einblicke insbesondere in klandestin operierende Kleingruppen zu gewinnen. Dies dient auch dazu, das Bedrohungspotenzial zutreffend einschätzen zu können. Die durch die Informationsbeschaffung gesammelten Rohdaten müssen gefiltert, systematisiert und analysiert werden. Dabei ist das Arbeitsaufkommen durch die Internetauswertung in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen. Bestandteil des Prozesses ist auch die Bewertung der Glaubhaftigkeit der erhobenen Informationen. Der Informationstechnik kommt für die Verarbeitung großer Datenmengen eine wichtige Rolle zu. Als bundesweite Verbunddatei verfügen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder über das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Die Speichervoraussetzungen richten sich nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz.2 Der weit 2 SS 6 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG in Verbindung mit SSSS 10 und 11 BVerfSchG. 19 überwiegende Anteil der im NADIS gespeicherten Datensätze entfällt auf die Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen, die nur mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgen. Die übrigen verteilen sich auf die Phänomenbereiche Rechtsund Linksextremismus, Spionageabwehr, Islamismus und sonstiger Extremismus mit Auslandsbezug. Kontrolle Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle auf unterschiedlichen Ebenen. Neben dem Senator für Inneres und Sport als dem politisch Verantwortlichen, der durch eine besondere Organisationseinheit für die Kontrolle des Verfassungsschutzes, die beim Staatssekretär für Inneres angesiedelt ist, unterstützt wird, finden Kontrollen durch den behördlichen Datenschutzbeauftragten und die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit statt. Für die parlamentarische Kontrolle sieht die Verfassung von Berlin (Art. 46a VvB) einen besonderen Ausschuss des Abgeordnetenhauses vor. Dieser tagt grundsätzlich öffentlich, für Erörterung geheimhaltungsbedürftiger Angelegenheiten kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Der Senat ist verpflichtet, den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Der Ausschuss hat das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Dienstkräften. Gemäß SS 36 VSG Bln hat der Ausschuss auch die Möglichkeit, eine Vertrauensperson zu beauftragen. Die Vertrauensperson kann Untersuchungen durchführen und dem Ausschuss über das Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung berichten. Kommunikationsüberwachungen nach dem Artikel-10-Gesetz und Anfragen an Finanz-, Flugund Telekommunikationsunternehmen unterliegen einer speziellen Kontrolle durch die G10-Kommission. 20 Verfassungsschutz Berlin Aufgaben einer Kontrolle auf mehreren Ebenen: Rechnungshof Öffentliche Kontrolle von Berlin durch Bürger und Medien Datenschutz Kontrolle Beauftragte für Verfassungsschutz Datenschutz und Arbeitsgruppe der Informationsfreiheit Leitung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung II Verfassungsschutz Kontrolle des Gerichtliche Abgeordnetenhauses Kontrolle Debatten, Aktuelle u.a. durch VerwalStunden, Parlamentungsund Verfastarische Anfragen, sungsgerichte Petitionen, Untersuchungsausschuss G10-Kommission Kontrolle durch Kontrolle von EingrifAusschuss des fen in das Postund Abgeordnetenhauses Fernmeldegeheimnis Ausschuss für nach Art. 10 GG Verfassungsschutz, Vertrauenspersonen 21 Zusammenarbeit Der Berliner Verfassungsschutz ist Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Die Aufgaben des Inlandsnachrichtendienstes werden in der föderalen Struktur Deutschlands vom Bundesamt für Verfassungsschutz und den 16 Landesbehörden gemeinsam wahrgenommen. Der Vorteil liegt darin, dass die eigentliche Beobachtung abgestimmt auf die jeweiligen Extremismusschwerpunkte auf Landesebene erfolgen kann, wo ein guter Einblick in die regionale extremistische Szene und eine eingespielte Zusammenarbeit mit den übrigen Landesbehörden besteht, die Beratung der Politik stattfindet und lokale Netzwerke für Deradikalisierung und Prävention ins Leben gerufen werden. Es besteht keine Überordnung oder Weisungsbefugnis des Bundesamtes gegenüber den Landesbehörden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat jedoch als Zentralstelle die Aufgabe, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zu koordinieren. Von der Polizei unterscheidet sich der Verfassungsschutz dadurch, dass er nicht für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr zuständig ist, sondern im Rahmen seiner Strukturaufklärung im Vorfeld konkreter Gefahren für die öffentliche Sicherheit tätig wird. Er verfügt dabei nicht über polizeiliche Zwangsbefugnisse. Auch organisatorisch müssen Verfassungsschutz und Polizei getrennt sein (organisatorisches Trennungsgebot). Darüber hinaus muss der Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei den Anforderungen des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten informationellen Trennungsprinzips genügen. Dementsprechend ist die Informationsübermittlung für ein mögliches operatives polizeiliches Tätigwerden nur zum Schutz eines herausragenden öffentlichen Interesses zulässig. Ein solches Interesse ist beispielsweise die Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder die Verhinderung oder Verfolgung verfassungsfeindlich motivierter Straftaten. 22 Verfassungsschutz Berlin Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus haben die Innenminister die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren ausgebaut. 2004 hat das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow seine Arbeit aufgenommen. Neben Vertretern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Generalbundesanwalts (GBA) ist auch der Berliner Verfassungsschutz neben allen weiteren Landesbehörden für Verfassungsschutz dort vertreten. Das GTAZ ermöglicht, Informationen zum islamistischen Terrorismus umgehend gemeinsam zu analysieren und die operativen Maßnahmen abzustimmen. Gerade bei der Bewältigung besonderer Gefährdungslagen hat sich diese Kooperationsund Informationsanbahnungsplattform als nützlich erwiesen. Nach der Aufdeckung der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und ihrer Mordserie wurde analog zum Bereich des islamistischen Terrorismus auch bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf den Weg gebracht. Im Dezember 2011 wurde das "Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" (GAR) eingerichtet. Es dient der engeren Koordination und Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten und den Polizeibehörden von Bund und Ländern und wurde im Herbst 2012 in das neue "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) für alle Phänomenbereiche (außer Islamismus) eingegliedert. Auch der Berliner Verfassungsschutz ist dort mit einem Verbindungsbeamten vertreten. 2019 wurde zur Förderung der engeren Zusammenarbeit bei der Aufklärung rechtsextremistischer Strukturen und Straftaten in Berlin das "Gemeinsame Informationsund Bewertungszentrum Rechtsextremismus" (GIBZ) unter der Geschäftsführung des Berliner Verfassungsschutzes gegründet.3 3 Zum GIBZ vgl. S. 63. 23 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die Information von Politik und Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die zentrale Aufgabe des Berliner 4 Verfassungsschutzes. Er informiert Senat, Parlament und die Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern - so weitgehend und intensiv wie möglich. Damit leistet er einen wichtigen Beitrag zur Extremismusprävention. Der Verfassungsschutz informiert insoweit nicht nur in unterschiedlichen Publikationen und über das Internet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten auch Vorträge für Bildungseinrichtungen und interessierte Organisationen. Zudem veranstaltet der Berliner Verfassungsschutz Symposien zu seinen Themenfeldern. Publikationen Der Berliner Verfassungsschutz hat mehrere Publikationsreihen entwickelt, um dem unterschiedlichen Informationsbedarf gerecht zu werden. Alle Publikationen können schriftlich bestellt werden und sind im Internet abrufbar. 5 * Verfassungsschutzbericht: Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder geben die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Sie informieren über das aktuelle Geschehen im extremistischen Spektrum, über die ideologischen Grundlagen des Islamismus, Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. 4 SS 5 Abs. 1 VSG Berlin. 5 Siehe www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen. 24 Verfassungsschutz Berlin * "Im Fokus": Die Reihe behandelt einzelne Themenkomplexe des Extremismus wie rechte oder linke Gewalttaten oder Phänomene des Islamismus. Auch eine Broschüre zu Scientology liegt vor. Stärker als im Verfassungsschutzbericht steht die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung im Vordergrund. * "Info": Die "Info"-Reihe bietet praxisnahe kompakte Informationen über Erscheinungsformen des Extremismus. * "Infoflyer": Die Reihe "Infoflyer" klärt in kompakter Form über extremistische Aktivitäten auf, warnt vor Entwicklungen und Gefahren und bietet Hilfestellung bei praktischen Problemen an. * Lageund Wahlanalysen: Diese Reihe bietet kurze Analysen zu Detailthemen. * "Verfassungsschutz Berlin. Sicherheit, Aufklärung, Transparenz": Die Broschüre gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. Informationsfilme Die Informationsfilme geben anschaulich und kompakt Auskunft über die Arbeit des Verfassungsschutzes und seiner Beobachtungsfelder. Veranstaltungsarbeit Der Berliner Verfassungsschutz hat zahlreiche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurde sowohl über die Extremismusfelder, die der Verfassungsschutz beobachtet, als auch über die Arbeitsweise des Nachrichtendienstes informiert. Die Vortragsveranstaltungen wurden insbesondere von Polizei und Justiz sowie von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern angefragt. 25 Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen Der Berliner Verfassungsschutz beteiligt sich in der Gremienarbeit am Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Er arbeitet regelmäßig mit anderen Akteuren im "Berliner Beratungsnetzwerk" gegen Rechtsextremismus zusammen. Zudem gibt es eine Kooperation mit der "Beratungsstelle Kompass" (Deradikalisierungsnetzwerk gegen Salafismus), die mit Mitteln der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom "Violence Prevention Network" betrieben wird. Internet Über den Internetauftritt unter www.verfassungsschutz-berlin.de können Informationen über die Grundlagen der Verfassungsschutzarbeit sowie die Veranstaltungen des Verfassungsschutzes Berlin, die Publikationen und die Kurzfilme abgerufen werden. 26 Verfassungsschutz Berlin Bürgerund Hinweistelefon Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer 030 90129-440 oder unter der E Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de. Daneben hat der Verfassungsschutz ein vertrauliches Telefon für Hinweise, z. B. zur Aufklärung des islamistischen Terrorismus, eingerichtet: * 030 20054507 (in deutscher Sprache) * 030 20054532 (in türkischer Sprache) * 030 20054553 (in arabischer Sprache) Die eingehenden Nachrichten werden von sprachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bearbeitet. Darüber hinaus können auch vertrauliche E-Mails an die Adressen vertrauliches-telefon@verfassungsschutz-berlin.de oder aman@verfassungsschutz-berlin.de gesendet werden. 27 28 II ktuelle E ntwicklungen A in den Beobachtungsfeldern 30 II 1 Sonderthema: Aktuelle Entwicklungen Hate Speech in den Beobachtungsfeldern 1 Sonderthema: Hate Speech Hasskommentare und Bedrohungen im Internet Mitte 2019 kam eine Umfrage unter mehr als 1 000 Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern zu einem bemerkenswerten Befund. Etwa 40 Prozent aller Rathäuser waren in der Vergangenheit schon mit Stalking, Beschimpfungen und Be- 6 drohungen konfrontiert. Dass Menschen ihre Unzufriedenheit mit politischen oder Verwaltungsentscheidungen artikulieren, ist weder eine neue Entwicklung noch per se verfassungsfeindlich. Demokratie lebt von der Auseinandersetzung und dem Ringen um politische Lösungen. Immer öfter werden dabei aber Grenzen überschritten. Dies sind zum einen Grenzen zur Strafbarkeit, aber auch Grenzen zur Verfassungsfeindlichkeit, die in der Konsequenz dazu führen, dass entsprechende Äußerungen für den Verfassungsschutz relevant werden. Letztlich wird durch "Hate Speech" der für eine freiheitliche demokratische Grundordnung wesentliche Diskurs zu gesellschaftlich relevanten Themen vergiftet. "Hate Speech" ("Hassrede") Der Begriff "Hate Speech" oder "Hassrede" ist vergleichsweise neu und bislang, insbesondere juristisch, noch nicht verbindlich definiert. Als Grundlage für eine Begriffsbestimmung wird allgemein die folgende Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates herangezogen: "Jegliche Ausdrucksformen, welche Rassenhass, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus oder andere Formen von Hass, die auf 6 Vgl. Erhardt, Christian: "Hasswelle: Kommunalpolitik - Aus Hetze werden Taten." Auf der Internetpräsenz "kommunal.de". Veröffentlicht am 25.6.2019. Abgerufen am 18. 11. 2019. 32 Hate Speech Intoleranz gründen, propagieren, dazu anstiften, sie fördern oder rechtfertigen, einschließlich der Intoleranz, die sich in Form eines aggressiven Nationalismus und Ethnozentrismus, einer Diskriminierung und Feindseligkeit gegenüber Minderheiten, Einwanderern 7 und der Einwanderung entstammenden Personen ausdrückt." Charakteristisch für "Hate Speech" sind demnach diffamierende und diskriminierende Inhalte, die Menschen herabwürdigen. Die Digitalisierung und die Etablierung sozialer Medien haben dazu geführt, dass immer mehr Menschen von solchen herabwürdigenden Äußerungen und Hasskommentaren betroffen sind. Massiv zugenommen haben Verunglimpfungen, Beleidigungen und Bedrohungen auf einer persönlichen Ebene. Solche "Hassreden" können strafund zivilrechtlich relevant sein, ohne in den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes zu fallen. Der dahinterstehende Mechanismus, insbesondere die Herabwürdigung von Menschen oder Gruppen, ist jedoch auch ein fester Bestandteil der Strategien verfassungsfeindlicher Bestrebungen. Wenn "Hate Speech" zudem die Motivation zugrunde liegt, die Gleichheit aller Menschen, die Menschenwürde, sowie zentrale Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu leugnen bzw. abschaffen zu wollen, dann ist "Hate Speech" verfassungsschutzrelevant. Entscheidend befördert wurde diese Entwicklung von den Möglichkeiten, die soziale Medien bieten. Anonym können Kampagnen gegen Institutionen und auch 7 Ministerkomitee des Europarates: Empfehlung Nr. R (97) 20 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten vom 30. 10. 1997 (Anhang), Straßburg 1997, S. 2. 33 Personen inszeniert werden. Immer öfter zeigt sich, dass Hass nicht im Internet bleibt, sondern sich das Verhalten von Menschen auch in der Realwelt verändert. So stieg nach der bereits zitierten Umfrage parallel zur Anzahl virtueller Beleidigungen und Bedrohungen auch die Zahl tatsächlicher Angriffe auf Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Wenn Politikerinnen und Politiker wegen ihrer Handlungen, ihrer Überzeugungen und ihres Engagements zur Zielscheibe von Hass und Gewalt werden, hat das mit politischer Auseinandersetzung nichts mehr zu tun, sondern ist eine Bedrohung für unser demokratisches System. Virtuelle Kampagnen werden von allen verfassungsfeindlichen Spektren initiiert und treffen längst nicht mehr nur Politikerinnen und Politiker. Die Kampagnen aus dem rechtsextremistischen Spektrum richteten sich in letzter Zeit vor allem gegen jene, die sich für eine humane Flüchtlingspolitik engagiert haben. Aus dem islamistischen Spektrum heraus werden "Ungläubige" - in einem Verständnis von den Anhängern anderer Glaubensrichtungen bis zu liberalen Musliminnen und Muslimen - regelmäßig zur Zielscheibe entsprechender Propaganda. Linksextremisten attackieren in ihren Internetveröffentlichungen Firmen, Immobilieneigentümer oder "Repräsentanten des Repressionsapparats". Mehrere Untersuchungen der letzten Jahre haben allerdings gezeigt, dass das Phänomen "Hate Speech" bzw. "Hateful Speech" im rechtsextremistischen Spektrum ein besonderes virulentes Problem ist.8 Für 2018 teilte das Bundeskriminalamt (BKA) mit, dass mehr als drei Viertel (77 Prozent) der Ermittlungsverfahren wegen Hasskriminalität im Netz gegen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten geführt wurden. 14 Prozent der entsprechenden Fälle wurden ausländischen oder religiösen Ideologien zugeordnet, knapp 9 Prozent bewertete das BKA als linksextremistisch motiviert.9 8 Vgl. Kreißel, Philip, Ebner, Julia, Urban, Alexander, Guhl, Jakob: "Hass auf Knopfdruck. Rechts extreme Trollfabriken und das Ökosystem koordinierter Hasskampagnen im Netz". Auf der Internetpräsenz "isdglobal.org". Veröffentlicht im Juli 2018. Abgerufen am 11. 12. 2019. 9 Vgl. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat: Politisch motivierte Kriminalität im Jahr 34 Hate Speech Unabhängig vom konkreten Urheber haben solche Kampagnen in erster Linie das Ziel, Menschen zu verunglimpfen, zu bedrohen und einzuschüchtern. In letzter Konsequenz kann das dazu führen, dass sich diese politisch, aber auch wirtschaftlich und sozial nicht mehr engagieren und damit die Demokratie an Rückhalt und Unterstützung verliert. Das nachfolgende Kapitel thematisiert die Nutzung des Internets durch Verfassungsfeinde und will damit ein Schlaglicht auf diese bedrohliche Entwicklung werfen. Rechtsextremisten im Internet Über das Internet organisieren und vernetzen sich Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten untereinander und verbreiten ihre rechtsextremistische 10 Weltanschauung. Über ausländische Server, Dischord-Kanäle oder geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken sind rechtsextremistische Inhalte in Form von Texten, Podcasts und Videofilmen jederzeit abrufbar. Auf diese Weise entstehen virtuelle Parallelwelten, in denen ungehemmt rassistische, antisemitische und demokratiefeindliche Propaganda ausgetauscht wird. Auf die Sperrung einschlägiger Profile reagieren Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten indem sie auf weniger bekannte Plattformen ausweichen oder eigene Internetpräsenzen erstellen. Dort teilen sie ihre Hassphantasien mit Gleichgesinnten - so z. B. auch der Attentäter von Halle - und radikalisieren junge Menschen. Dieser Fall steht exemplarisch dafür, wie durch sprachliche Verrohung und die Abwertung von Menschen und Menschengruppen durch Hasskommentare auch die Hemmschwelle zur Anwendung physischer Gewalt sinkt. 2018. Bundesweite Fallzahlen. Auf der Internetpräsenz www.bmi.bund.de. Veröffentlicht im Mai 2019. Abgerufen am 20.12.2019. 10 Bei "Discord" handelt es sich um eine Software, die es Gamern ermöglicht, sich in Foren, Chatgruppen und über Videokonferenzen auszutauschen und zu organisieren. 35 Hasskommentare in sozialen Netzwerken Vor allem in diversen sozialen Netzwerken lassen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten ihrem Hass immer häufiger freien Lauf. Im Schutz vermeintlicher Anonymität werden Menschen beleidigt, eingeschüchtert und bedroht. Diese Form "verbaler Gewalt" gehört mittlerweile zum Standardrepertoire der rechtsextremistischen Szene. Aussagen von Personen des öffentlichen Lebens, z. B. Politikerinnen und Politikern, werden auf zynische und verletzende Weise kommentiert und ganze Menschengruppen diffamiert. Insbesondere prominente Politikerinnen und Politiker werden dabei beleidigt und sogar mit dem Tod bedroht. Der Nutzer eines sozialen Netzwerkes poste11 te beispielsweise ein Bild auf dem er "Merkel hängen!" forderte. Ein anderer Nutzer kommentierte ein Bild der Bundeskanzlerin mit den Worten: "Und wieder die ewige Frage des Galeristen, hängen wir sie auf, oder stel12 len wir sie an die Wand?!" In einem anderen Kommentar wurde in Bezug auf die Bundeskanzlerin gefragt: "Warum erschiesst diese Frau niemanden?[sic] Die Deutschen haben 0 Eier" 13 Bezugnehmend auf eine deutsche Klimaund Migrationsaktivistin forderten Nutzer und Nutzerinnen eines sozialen Netzwerkes, sie zu "versenken". Ein anderer Nutzer schrieb etwa: "weit vorher versenken, direkt nach der Aufnahme [von Geflüchteten, Anm. d. Verf.]." 14 11 Twitter-Profil eines "Reichsbürgers", eingestellt und abgerufen am 5. 8. 2019. 12 Rechtsextremistisches Facebook-Profil, ohne Datum, abgerufen am 15. 1. 2020. 13 Rechtsextremistisches BitChute-Profil, eingestellt am 24. 6. 2019, abgerufen am 15. 1. 2020. 14 Rechtsextremistisches vk.com-Profil, eingestellt am 5. 7. 2019, abgerufen am 15. 1. 2020. 36 Hate Speech Auch ein anderer Nutzer forderte: "versenken ohne kompromis [sic]." Auch die Videofilme des selbsternannten "Volkslehrers" werden immer wieder mit menschenfeindlichen Inhalten kommentiert. Bezugnehmend auf einen Videofilm des "Volkslehrers" über die Stadt Marburg und der dortigen Zivilgesellschaft, insbesondere der in ihr engagierten Frauen, meinte ein Nutzer: 15 "An dieses Viehzeug, geht eh kein deutscher Mann." Solche Hasskommentare werden sowohl von Einzelpersonen gepostet, als auch gezielt von virtuell agierenden, rechtsextremistischen Netzwerken platziert. Letztere haben in den vergangenen Jahren mehrere Kampagnen, initiiert, um auf diese Weise den öffentlichen Diskurs zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Oft versuchen solche Kampagnen durch eine einseitige und tendenziöse Veröffentlichung von Nachrichten und Inhalten Stimmung gegen Personen oder Menschengruppen zu machen. In sogenannten "Raids" verabreden sich Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten dazu, in sozialen Netzwerken bestimmte Profile anzugreifen, Kommentarspalten "zuzuspammen" und massenhaft "likes" bzw. "dislikes" zu verteilen. Bestimmte Themen wie Migrationspolitik oder Kriminalitätsbelastung sollen in rechtsextremistischem Sinne aufgeladen und eine Meinungsführerschaft über diese Themen erlangt werden. So gelang es Rechtsextremisten 2017, mehrere ihrer Hashtags wie etwa "#merkelmussweg" oder "#reconquista" deutschlandweit in den Top20-Hashtags zu platzieren.16 15 Rechtsextremistisches BitChute-Profil, eingestellt am 7. 1. 2020, abgerufen am 15. 1. 2020. 16 Vgl.: Kreißel, Philip, Ebner, Julia, Urban, Alexander, Guhl, Jakob: "Hass auf Knopfdruck. Rechtsextreme Trollfabriken und das Ökosystem koordinierter Hasskampagnen im Netz", S. 16 ff. Auf der Internetpräsenz www.isdglobal.org. Veröffentlicht im Juli 2018. Abgerufen am 11. 12. 2019. 37 Regelmäßig werden auch Journalisten zur Zielscheibe rechtsextremistischer Kommentare. Solche Kommentare enthalten neben persönlichen Angriffen auch "alternative Fakten" oder es werden die Kontexte bestimmter Statistiken verdreht bzw. weggelassen. Mit Begriffen wie "Systemmedien" oder "Lügenpresse" sollen Journalisten und ganze Medien diskreditiert werden. Es gehört zum Aufgabenspektrum des Berliner Verfassungsschutzes, zu prüfen, ob sich hinter den Urheberinnen und Urhebern von Hasskommentaren verfassungsfeindliche Bestrebungen oder gewaltbereite Einzelpersonen verbergen. Relevante Hasskommentare, die im Rahmen der Internetauswertung auftauchen, werden an die Polizei weitergeleitet. Zusätzlich werden Hinweise auf Hasskommentare bundesweit von der Meldestelle "respect!" entgegenge17 nommen und geprüft. Hass durch Memes Rechtsextremistische Hetze wird häufig auch durch sogenannte Memes verbreitet. Bei Memes handelt es sich um kurze Texte, Bilder und Videos, oft auch in Kombination miteinander, die auf ironische Weise Bezug auf das aktuelle Zeitgeschehen nehmen. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten nutzen Memes, um ihre menschenfeindliche Ideologie als Humor erscheinen zu lassen. Ein Beispiel dafür ist ein Meme, das auf zynische Weise suggeriert, tote Asylsuchende seien ein Grund zur Freude für Bestattungsunternehmer: "Mir sind 1000 Asylanten als Kunden lieber als nur ein einziger Deutscher! Udo S. Bestattungsunternehmer" 18 Häufig werden auch eigentlich unpolitische Memes durch Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten instrumentalisiert, mit eigenen Inhalten aufgeladen und verfremdet, so z. B. "Pepe der Frosch". Bei "Pepe" handelt es sich um 17 Das Meldeformular ist unter folgender Internetadresse abrufbar: https://tickets.demokratiezentrum-bw.de/open.php. 18 Rechtsextremistisches Facebook-Profil, das mittlerweile vom Nutzer gelöscht wurde. 38 Hate Speech einen Comiccharakter des US-amerikanischen Zeichners Matt Furie aus dem Jahr 2005. Dieser zeigt einen Frosch mit dem Ausspruch "feels good man" (deutsch etwa "Mann, das fühlt sich gut an"). In einer rechtsextremistischen Abwandlung von "Pepe", wurde dessen Erscheinungsbild an Adolf Hitler angenähert und der Ausspruch zu "kill jews man" (deutsch etwa "töte Juden, Mann") abgeändert. Seither sind Dutzende weitere rechtsextremistische Abwandlungen von "Pepe" entstanden. Oft werden Memes auf Imageboards eingestellt. Das sind eigentlich unpolitische Internetseiten, auf denen die Nutzer hauptsächlich Bilder und Videos posten, die dort durch andere Nutzer kommentiert werden. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten missbrauchen solche Imageboards unter dem Deckmantel vermeintlicher Meinungsfreiheit zur Verbreitung ihrer Hetze. Solche Imageboards verfügen zum Teil über eine enorme Reichweite. "4chan", das Imageboard, auf dem das Video sowie das Manifest des Attentäters von 19 Christchurch gepostet wurden, war zeitweise unter den 100 meistbesuchten Internetseiten weltweit. Nach den rechtsextremistisch motivierten Attentaten von Christchurch, El Paso und Halle distanzierten sich die Betreiber dieser Imageboards schließlich von rechtsextremistischen Inhalten und begannen gegen diese vorzugehen. Einige Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten gründeten daraufhin eigene Imageboards. Morddrohungen via E-Mail Deutlich zugenommen haben in den letzten Jahren auch rechtsextremistische Drohmails, die zum Teil detaillierte Gewaltfantasien bis hin zu eindeutigen Morddrohungen enthalten. Während die Berliner Polizei noch im gesamten Jahr 2017 81 solcher E-Mails zählte, sind allein in der ersten Jahreshälfte 2019 über 200 derartige Schreiben bekannt geworden. Adressaten solcher Mails können Parteien, Vereine, religiöse Einrichtungen, Behörden und Privatpersonen werden, die nicht ins Weltbild gewaltbereiter Rechtsextremisten passen. 19 Zu Christchurch vgl. S. 59. 39 Solche Droh-E-Mails sollen Menschen einschüchtern und sie so in ihrem Sicherheitsempfinden und Handeln einschränken. Teilweise werden in den Schreiben auch erpresserische finanzielle Forderungen gestellt. Die Urheber solcher Mails agitieren sehr häufig unter Bezugnahme auf rechtsextremistische Personen und Organisationen, in deren Namen bereits Attentate begangen wurden. Sie versuchen so, ihren Drohungen und Forderungen zusätzliches Gewicht zu verleihen. Nicht selten werden solche Schreiben aus demselben Grund unmittelbar nach rechtsextremistischen Attentaten versandt. Die Absender bezeichneten sich in den E-Mails beispielsweise als "Nationalsozialistische Offensive", "Wehrmacht", "NSU 2.0", "Cyberreichswehr" sowie "Die Musiker des Staatsstreichorchesters". Sie verschickten die Schreiben über E-Mail-Dienstleister aus dem Ausland, vor allem aus den USA und Russland, wodurch sie hoffen, ihre Spuren verwischen zu können. Daneben wurden auch sogenannte Trash-Mailer benutzt. Hierbei handelt es sich um WegwerfE-Mailadressen, die nur wenige Stunden Bestand haben, ehe sie vom jeweiligen Anbieter samt aller Nutzerdaten gelöscht werden. Seit Juli wurden zudem bundesweit Drohschreiben bekannt, deren Urheber sich als Sympathisanten der militanten neonazistischen Gruppierung "Combat 18" 20 und der rechtsterroristischen "Atomwaffen Division Deutschland" (AWD)21 bezeichneten. Im Oktober wurde im Namen der AWD eine solche E- Mail versandt, die sich gegen eine Bundespolitikerin und einen Bundespolitiker richtete. Die E-Mail ging bei mehreren Empfängern ein, so auch medienwirksam bei der Redaktion einer Berliner Tageszeitung. Wörtlich hieß es in dieser Mail: 20 "Combat 18" wurde am 23. 1. 2020 durch den Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat verboten. 21 Die neonazistische "Atomwaffen Division" hat ihren Ursprung in den USA und beruft sich u. a. auf den rechtsextremistischen Autor James Mason und den 2017 verstorbenen Massenmörder Charles Manson. Mitglieder dieser Gruppierung, deren Wortund Bildsprache einen ausgeprägten Gewaltfetischismus offenbart, haben 2017 in den USA fünf Menschen ermordet. 40 Hate Speech "Ihr Leben wird im Jahr 2019 enden. Wir werden Sie ermorden, indem wir einen finanziellen Anreiz schaffen werden, Sie auf schlimmster Weise zu beseitigen. [...] Zur Zeit sind wir am Planen wie und wann wir Sie hinrichten werden, bei der nächsten öffentlichen Kundgebung? [...] Es ist unser Ziel, den Staat zu stürzen und vom Abschaum wie Ihnen, dem muslimi22 schen Dreck und all den anderen ausländischen Parasiten zu säubern." Die Droh-E-Mails umfassten auch Bombendrohungen, weshalb wiederholt vorsorglich Gebäude nach Sprengstoffen durchsucht werden mussten. In Berlin waren derartige E-Mails u. a. an die Bundesgeschäftsstelle von "Bündnis 90/ Die Grünen" sowie an die Bundesparteizentralen von SPD und der Partei "Die Linke" adressiert. Im Juli wurde deswegen z. B. die Bundesparteizentrale der Partei "Die Linke" vorrübergehend geräumt und nach Sprengstoff durchsucht. Im April konnte im Zuge der Ermittlungen gegen die Urheber solcher E-Mails ein erster Erfolg erzielt werden. Eine Person aus Schleswig-Holstein, die über 200 E-Mails unter dem Namen "Nationalsozialistische Offensive" versendet haben soll, wurde festgenommen und in Untersuchungshaft genommen. Islamisten im Internet Islamisten verfolgen mit ihren Hasskommentaren in sozialen Netzwerken dieselben Ziele wie Anhänger anderer extremistischer Ideologien. Die Betroffenen dieser Kommentare sollen in der Öffentlichkeit beleidigt, diskreditiert und herabgewürdigt werden. Dies kann bis hin zu Aufrufen zu deren physischer Vernichtung reichen. Diese Methode wird auch von der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) und deren Anhängern verfolgt. Die jihad-salafistische Propaganda des IS hat maßgeblich zu einer Verrohung des Tons und einer Radikalisierung in den 22 Schreibweise wie im Original. 41 sozialen Netzwerken beigetragen. Durch das Konzept des "individuellen Jihad" ermutigt die Terrororganisation Einzeltäter oder Kleinstgruppen in deren jeweiligen Heimatländern zur Begehung von Anschlägen gegen die "Ungläubigen". Die Aufrufe richten sich dabei nicht nur gegen Personen, sondern auch gegen Objekte, symbolische Orte oder ganze Landstriche. In diesem Kontext ist auch eine Aufforderung zur Verbrennung von Wäldern in Europa und Amerika zu sehen, die von einem Nutzer auf Telegram veröffentlicht wurde. Dort heißt es: "ISIS fordert seine Anhänger in Europa und Amerika auf, Wälder in Brand 23 zu setzen, um so ein Ökologischen Schaden bei den Kuffar zu verursa24 chen." Im Schutz der virtuellen Anonymität werden ebenfalls zahlreiche salafistische Hasskommentare gegen Juden oder den Staat Israel verbreitet. Bei jeder Eskalation des Konflikts im Nahen Osten nehmen antisemitische Anfeindungen auch in den sozialen Netzwerken dramatisch zu. Auf Facebook äußerte sich ein Nutzer im März beispielsweise wie folgt: "Möge Allah diese Ratten von Zionisten vernicht** und in der Hölle verb*enne* lassen! Die haben es anders NICHT verdient!!!" 25 Salafisten richten ihre Hasskommentare häufig auch gegen Protagonisten einer vermeintlichen Verschwörung gegen den Islam. Hierbei handelt es sich meist um Personen des öffentlichen Lebens wie Politiker, Wissenschaftler oder Autoren, denen eine feindliche Einstellung gegen den Islam unterstellt wird. 23 Arabischer Ausdruck für "Ungläubige". 24 Salafistischer Telegram-Kanal. Veröffentlicht am 11. 11. 2019. Abgerufen am 11. 11. 2019 (Schreibweise wie im Original). 25 Salafistisches Facebook-Profil. Veröffentlicht am 30.3.2019. Abgerufen am 11.11.2019 (Schreibweise wie im Original). 42 Hate Speech Insbesondere Muslime, die sich islamkritisch äußern oder lediglich für Toleranz und Offenheit gegenüber Andersdenkenden plädieren, werden zur Zielscheibe solcher Hasstiraden und Mordaufrufe. So heißt es etwa in einem Facebook-Posting über einen bekannten Islam-Kritiker: "Dieser Scharlatan Denkt wirklich er sei unantastbar .... warte nur ab du 26 Kanal Ratte[.] SubhanAllah Dieser Hund verdient ein Vermögen mit seinen Lügen und hat dann noch sein eigenes von den Steuern finanziertes 27 Sicherheitsteam[.]" In einer weiteren Mitteilung auf Facebook wird ein anderer Kritiker mit dem Teufel gleichgesetzt. Dort heißt es: 28 "Möge Allah diesen Shaytan vernichten. [...] Immer das selbe mit diesen Sekten Typen. Können nicht ein fünkchen Kritik einstecken aber kritisieren ohne ende. Möge Allah seine Zunge und Finger lähmen und sein 29 Rücken brechen. Wallahi er ist ein Shaytan, der die Menschen in die Irre 30 führt." Oftmals werden die Adressaten solcher Hasskommentare auch als "Heuchler" (arab.: Munafiqun) bezeichnet und als potenzielle Gefahr für den Islam dargestellt. Häufig bestehen solche Kommentare aus kurzen Mitteilungen in Form eines Bittgebets (arab.: Du'a), in denen Gott um Schutz angerufen und darum gebeten wird, die verhasste Person für deren angeblich verwerfliche Handlung zu strafen: 26 Die korrekte Schreibweise lautet: "subhan Allah". Der Ausdruck bedeutet "gepriesen sei Allah". 27 Salafistisches Facebook-Profil. Veröffentlicht am 9. 12. 2018. Abgerufen am 11. 11. 2019 (Schreibweise wie im Original). 28 Arabischer Ausdruck für "Teufel". 29 Arabischer Ausdruck für "bei Gott". 30 Salafistisches Facebook-Profil. Veröffentlicht am 17. 8. 2017. Abgerufen am 11. 11. 2019 (Schreibweise wie im Original). 43 31 "Möge Allah Subhana wa ta Ala uns vor den Munafiqun schützen und sie vernichten. Die lieber mit den Kufar zusammen arbeiten gegen uns. 32 Fürchtet Allah!" 33 Der arabische Ausdruck "Kafir" gehört inzwischen auch in den deutschsprachigen sozialen Netzwerken dieses Spektrums zu den am weitesten verbreiteten Beschimpfungsformen: 34 35 "Dieser Kafir möge Allah Subhanahu Wa Ta Ala ihn in Dunja und A khira 36 mit strenger Strafe erfassen. Wallahi er gehört geschlachtet." Das verwendete Vokabular ist Spiegelbild der salafistischen Ideologie, die sich 37 auf das Narrativ einer angefeindeten Urgemeinde fokussiert. Durch ihr religiöses Vokabular sind Salafisten in der Lage, teilweise auch nicht-salafistische Muslime anzusprechen und diese im Hinblick auf aktuelle Ereignisse zu radikalisieren. Eine typische Methode, um Gewaltanwendung zu legitimieren, ist der Bezug auf bekannte Referenzpersonen des jihadistischen Salafismus, wie etwa Ibn Taymiyyah.38 So heißt es in einem Telegram-Posting: 31 Die korrekte Schreibweise lautet: "subhanahu wa-ta'ala". Der Ausdruck bedeutet "Er sei gepriesen und erhaben". Es handelt sich um einen Segensspruch im Anschluss an die Nennung von Allah. 32 Salafistisches Facebook-Profil. Veröffentlicht am 16. 9. 2019. Abgerufen am 11. 11. 2019 (Schreibweise wie im Original). 33 Der Begriff "Kafir" bedeutet "Ungläubiger". Es handelt sich um den Singular von "Kuffar". 34 Die korrekte Schreibweise lautet "Dunya". Der Ausdruck bedeutet "Diesseits". 35 Arabischer Ausdruck für "Jenseits". 36 Salafistisches Facebook-Profil. Veröffentlicht am 1. 6. 2019. Abgerufen am 11. 11. 2019 (Schreibweise wie im Original). 37 Vgl. Ideologie Islamismus, S. 93 f. 38 Taqi ad-Din Ibn Taymiyyah (1263-1328) war ein prominenter mittelalterlicher islamischer Gelehrter. Er gilt als kompromissloser Verfechter der Reinigung des Islam durch eine Rückbesinnung auf dessen authentische Wurzeln. Mit seinen teilweise auch gewaltorientierten Aussagen ist er ein Vorbild für viele zeitgenössische Jihad-Salafisten. 44 Hate Speech 39 "Imam Ibn Taymiyyah sagt [...], dass wenn ein Muslim in Dar al-Harb eintritt [...] und Ungläubige oder deren Kinder entführt oder sie auf irgendeine Weise überfällt, dann ist der Besitz und das Blut der Ungläubi40 41 gen halal für den Muslim [...]." Während salafistische Imame in den einschlägigen Berliner Moscheen immer vorsichtiger agieren und kaum noch durch Hasskommentare auffallen, wächst die Anzahl salafistischer Internetnutzer weiter an, die im Schutz der Anonymität des virtuellen Raums solche Bedenken nicht hegen und teilweise offen zu Gewaltanwendung aufrufen. Linksextremisten im Internet Verbale Angriffe und Bedrohungen über einschlägige Websites und soziale Medien sind ein taktisches Mittel, das auch von der linksextremistischen Szene benutzt wird. Ziel ist die Einschüchterung, Bedrohung, Bloßstellung und Herabwürdigung von vermeintlichen Gegnerinnen und Gegnern in Staat, Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Das linksextremistische Portal linksunten.indymedia.org, das als Plattform zur anonymen Veröffentlichung von Texten - darunter zahlreiche Selbstbezichtigungen zu Gewalttaten sowie "Outings" - diente, wurde vom Bundesministerium des Innern im August 2017 verboten. In der Begründung hieß es, das Verbot sei auch als Zeichen gegen "linksextremistische Hetze im Internet" zu verstehen.42 Das Bundesverwaltungsgericht wies Klagen gegen dieses Verbot am 29. Januar 2020 als nicht begründet ab. 39 Arabischer Ausdruck für "Haus des Krieges", d. h. den Herrschaftsbereich der Nicht-Muslime, in dem das islamische Recht nicht gilt und in dem die Muslime somit eine untergeordnete Position einnehmen. 40 Arabischer Ausdruck für "erlaubt, zulässig". 41 Salafistischer Telegram-Kanal. Veröffentlicht am 29. 6. 2019. Abgerufen am 11. 11. 2019. 42 Bundesinnenminister verbietet den Verein mit der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia", bmi.bund.de, veröffentlicht am 25. 8. 2017. 45 Vor allem Vertreterinnen und Vertreter des Staates, der Sicherheitsbehörden und von Parteien, die von der Szene als "rechts", "reaktionär" oder "faschistisch" definiert werden, werden von Linksextremisten "geoutet" und verbal attackiert. Dass linksextremistische Akteure dabei auch nicht davor zurückschrecken, zur Tötung von Personen aufzufordern, zeigt u. a. eine Veröffentlichung aus dem Februar 2016. Seinerzeit wurde der damalige Innensenator in einem auf einer einschlägigen Internetseite veröffentlichten Text mit dem Tode bedroht. Hintergrund dieser Aktion waren polizeiliche Maßnahmen in der Rigaer Straße. Die damals verwandte Formulierung "Henkel in den Kofferraum" nahm deutlichen Bezug auf die Entführung und Ermordung des ehemaligen Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die "Rote Armee Fraktion" (RAF) 1977, dessen Leiche seinerzeit in einem Kofferraum gefunden worden war. Im Sommer 2019 bemühte eine einschlägige Internetpublikation das gleiche Ereignis und stellte die rhetorische Frage, warum "immer noch niemand" den ehemaligen Leiter einer Sicherheitsbehörde "in einen Kofferraum gesetzt und in einen laaaaaaaaaangen Urlaub gefahren" habe.43 Ebenfalls über eine einschlägige Internetseite wurde Mitte Dezember der vermeintliche Selbstmord eines Richters am Berliner Landgericht verkündet und ein "Nachruf" veröffentlicht.44 Der angebliche Freitod wurde in einen Zusammenhang mit einer Räumungsklage gegen das Szeneobjekt "Liebig34" gestellt und mit vermeintlicher Ausweglosigkeit im Hinblick auf die Urteilsfindung begründet. Der Richter sei auf der einen Seite politischem Druck und Versuchen der Einflussnahme seitens der Eigentümer ausgesetzt. Auf der anderen Seite würde ein Räumungsurteil bedeuten, dass er "den Rest seines Lebens mit Polizeischutz verbringen" müsse. Neben diesen massiven Drohungen wurde 43 Linksextremistischer Twitteraccount. Veröffentlicht am 19. 7. 2019. 44 Dabei handelt es sich um eine Falschmeldung ("Fake News"). 46 Hate Speech der Richter diskreditiert, indem ihm fachliche Inkompetenz und psychische La45 bilität unterstellt wurden. Ziel linksextremistischer Bedrohungen und Beleidigung im Internet ist auch regelmäßig die Polizei. Polizistinnen und Polizisten werden nicht nur häufig als "Schweine" entmenschlicht, sondern auch als "Nazis" diffamiert. So kommentierte die Gruppierung "Antifaschistische Koordination 36" im November: 46 "Die Nazis haben eine Nummer: 110!". In einem über eine einschlägige Internetseite veröffentlichten Text hieß es im März unter der Überschrift "(B) Unsere Propaganda bleibt der Angriff: Bullen sind Mörder" im Zusammenhang mit einer Brandstiftung an einer Polizeiwache, es gelte "weitere Angriffe auf die Bullen zu organisieren und ihr Gefühl der Unantastbarkeit Schritt für Schritt zu zerlegen". Weiter heißt es im Text: "Wir [...] versprechen [...], weiter auf die Schweine zu zielen". 47 In einem besonderen Fokus der Internetaktivitäten der linksextremistischen Szene Berlins steht regelmäßig auch die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Immer wieder kommt es zu sogenannten Outings, bei denen diffamierende Inhalte sowie persönliche Daten wie Wohnanschriften veröffentlicht werden. So veröffentlichten Unbekannte im Oktober über eine einschlägige Internetseite Namen und Adressen von AfD-Abgeordneten. Auf dieser Liste waren auch fünf Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus Berlin genannt. Die Aufzählung wurde kommentiert mit den Worten "Adressen wie 45 "Nachruf auf Richter M. B. (Liebig34 Prozess)", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 11. 12. 2019. Schreibweise im Original. 46 Linksextremistisch beeinflusster Twitteraccount. Veröffentlicht am 5. 11. 2019. 47 "(B) Unsere Propaganda bleibt der Angriff: Bullen sind Mörder!", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 4. 3. 2019. 47 selbstverständlich für Fanpost, kleine Geschenke und andere Annehmlichkeiten". Noch unmissverständlicher war der Post eines Users im Zusammenhang mit einem zunächst als Mordversuch bewerteten Angriff auf einen AfD-Politi48 ker in dem es hieß: "Lasst die Nazihütten brennen". Darüber hinaus dienen herabwürdigende Äußerungen auch dazu, innerhalb der linksextremistischen Szene Solidarität und Unterstützung für eigene Anliegen zu generieren. So wurde im Zusammenhang mit einer Durchsuchung im Szeneobjekt "Liebig34" im Juli u. a. von "Rigaer94" gepostet: "Heute morgen wurde die @Liebig34 [...] von den Schweinen geratzt. 49 Infos gibt's auf dem Kanal [...]". Schließlich gibt es auch Veröffentlichungen, die einen vorwiegend provokativen Charakter haben. Insbesondere die Gruppierung "Jugendwiderstand", die sich im Juni aufgelöst hat, nutzte soziale Medien, um ihr aggressives und provokantes Auftreten in der Realwelt auch virtuell möglichst breit zu streuen. Seine "Botschaften" verbreitete der "Jugendwiderstand" vor allem über Graffitis und Plakatierungen im öffentlichen Raum. Zahlreiche Schriftzüge an Hauswänden wie "Nazis vor den Schädel treten", "9mm für Zionisten" oder "Hipster klatschen" waren nicht nur Zurschaustellungen der eigenen Gewaltbereitschaft. Sie fungierten darüber hinaus als eine Art Markierung des eigenen "Territoriums" und waren in ihrer Plakativität vor allem auf eine möglichst breite öffentliche Aufmerksamkeit und "Empörung" ausgerichtet. Diese Aktivitäten wurden vom Jugendwiderstand mit entsprechenden Bildern oder kurzen Videos auch regelmäßig im Internet präsentiert. 48 Linksextremistisch beeinflusster Twitteraccount. Veröffentlicht am 29. 7. 2019. 49 Linksextremistisch beeinflusster Twitteraccount. Veröffentlicht am 20. 7. 2019. "Retweetet" von "Rigaer94". 48 Hate Speech Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen im Internet In diesem Spektrum ist es in der Regel der türkisch-kurdische Konflikt, an dem 50 sich gegenseitiger Hass im Netz entzündet. Die Hasskommentare, die von Akteuren des PKK-Spektrums verfasst werden, haben hauptsächlich die Türkei unter ihrem Präsidenten Erdogan und seine Gefolgsleute sowie "Kollaborateure" zum Ziel. In einer Vielzahl von Kommentaren wird der türkische Präsident beispielsweise als "Kerdogan" bezeichnet. Hierbei handelt es sich um ein kurdisches Wortspiel. "Ker" bedeutet im Kurdischen "Esel". Ein weiteres Beispiel betrifft Angriffe auf türkische Einrichtungen in Deutschland. Von einem Teil der Nutzer werden diese Aktionen durch entsprechende Kommentare begrüßt und gutgeheißen. Auch der Tod türkischer Soldaten wird von PKK-nahe Kommentaren mit Äußerungen wie "Ein Abschaum weniger" oder "Noch ein Faschist brennt in der Hölle" begrüßt. Auf der anderen Seite kommt in Hasskommentaren türkischer Rechtsextremisten eine nicht minder große Verachtung für die PKK und ihre Anhänger zum Ausdruck. Insbesondere pro-kurdische Veranstaltungen werden regelmäßig in beleidigender Form kommentiert und PKK-Anhänger dabei als "Kakalakenhaufen" [sic!], "Ratten", "Virus" und "Dreck" bezeichnet. Immer wieder stehen auch Politiker und Journalisten, die am türkischen Präsidenten oder der türkischen Politik Kritik üben, im Fokus türkischer Nationalisten. Diese werden mit Beleidigungen überzogen und ihnen werden weitere "Maßnahmen" angedroht, sollten sie ihr Verhalten nicht ändern. Bislang bewegen sich die meisten Anhänger sowohl der PKK als auch türkischnationalistischer Organisationen in getrennten Foren, Blogs und Portalen und 50 Unter extremistischen Bestrebungen ausländischer Organisationen fallen weitere Gruppierungen wie z. B. die PFLP (vgl. S. 132). Eine eindeutige Zuordnung von Hasskommentaren zu diesen Gruppierungen ist jedoch häufig schwierig, so dass hier der Schwerpunkt auf die Darstellung des türkisch-kurdischen Konflikts gelegt wurde. Zu Aktivitäten und antisemitischen Äußerungen anderer ausländischer Organisationen vgl. S. 118 f. 49 insofern in ihrer eigenen Filterblase. An den Stellen, an denen es im Internet zu einem direkten Aufeinandertreffen beider Seiten kommt - beispielsweise in den Kommentarspalten sozialer Netzwerke - zeigt sich allerdings schnell, wie aus gegensätzlichen politischen Auffassungen Hass erwächst. Fazit Die Ausführungen in diesem Kapitel zeigen, dass das Internet und insbesondere soziale Medien und deren Kommentarspalten spektrenübergreifend von Verfassungsfeinden intensiv genutzt werden. Die Ziele entsprechender Kampagnen sind in den meisten Fällen identisch. Es geht darum, Personen herabzuwürdigen, zu beleidigen, einzuschüchtern und zu bedrohen. In anderen Fällen sollen Institutionen in Misskredit gebracht werden. Die gezielte Meinungsund Stimmungsmache durch Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten geht mittlerweile weit über persönliche Beleidigungen und Bedrohungen hinaus. Durch Kampagnen, in deren Zuge massenhaft Kommentare und "likes" vergeben werden, soll die Meinungshoheit über bestimmte Themen gewonnen werden. Rechtsextremistische Positionen sollen mit dieser Strategie anschlussfähig für breite gesellschaftliche Schichten werden. Gezielt wird dabei eine rohe, teils herabwürdigende Sprache benutzt. Es werden Verschwörungstheorien platziert und "alternative Fakten" präsentiert. Durch die schiere Masse entsprechender Kommentare und Postings werden andere Meinungen marginalisiert und an den Rand gesellschaftlicher Diskurse gedrängt. Auf diese Weise wird gezielt eine Mehrheitsfähigkeit rechtsextremistische Narrative suggeriert. Das hat unmittelbaren Einfluss auf das gesellschaftliche Klima und den Meinungspluralismus. Auf die gestiegene Gefahr, die insbesondere von rechtsextremistischem Hass im Internet ausgeht, haben Politik und Sicherheitsbehörden in den vergangenen Monaten reagiert. Bereits am 1. Oktober 2017 trat das "Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken" (NetzDG) in Kraft. 50 Hate Speech Damit wurden den Betreibern sozialer Netzwerke verschiedene Berichts-, Beschwerdeund Löschpflichten auferlegt, um strafbare Inhalte zu entfernen bzw. den Zugang zu solchen Inhalten zu sperren. Im Oktober hat die Bundesregierung ein weiteres Maßnahmenpaket beschlossen, um gegen Rechtsextremismus, Antisemitismus und andere Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit vorzugehen. Die Betreiber von Online-Plattformen sollen verpflichtet werden, strafrechtlich relevante Beiträge und volksverhetzende Inhalte zentral zu melden und die IP-Adressen der Absender zu übermitteln. Darüber hinaus soll insbesondere der strafrechtlich relevante besondere Schutz von Politikerinnen und Politikern auf ehrenamtlich tätige Politikerinnen und Politiker erweitert werden. Auch Polizei und Verfassungsschutz bauen ihr Internetmonitoring aus. Für den Verfassungsschutz wird es insbesondere darauf ankommen, Protagonisten und Mechanismen rechtsextremistischer Stimmungsmache zu identifizieren. Hier wird es zum einen darum gehen, virtuelle Netzwerke und ihre Aktivitäten noch stärker in den Bick zu nehmen. Zum anderen müssen aber auch sich radikalisierende Einzelpersonen und Kleinstgruppen möglichst frühzeitig erkannt werden, um ein Eingreifen zu ermöglichen, bevor solche Radikalsierungen in der Anwendung von Gewalt münden. Politik und Sicherheitsbehörden werden damit noch stärker als bisher ihren Teil dazu beitragen, um sowohl Straftaten zu verhindern und zu verfolgen als auch verfassungsfeindliche Propaganda einzudämmen. Darüber hinaus muss es aber auch darum gehen, in der gesamten Internet-Community ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass das Internet weder ein rechtsfreier Raum noch eine offene Bühne für Verfassungsfeinde ist. Genau wie bei anderen Formen der sozialen Interaktion ist auch im Internet jeder Einzelne gefordert, verfassungsfeindlichen und menschverachtenden Positionen entgegenzutreten. 51 52 II 2 Rechtsextremismus Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 2 Rechtsextremismus Ideologie Traditioneller Rechtsextremismus Traditioneller Rechtsextremismus Der traditionelle Rechtsextremismus ist keine geschlossene politische Ideologie. Er beschreibt vielmehr eine Vielzahl von politischen und sozialen Vorstellungen von Ungleichheit. Diese fügen sich zu einer Gedankenwelt zusammen, in der die zentralen Leitsätze und Werte des freiheitlichen demokratischen Verfassungsstaats, seine Institutionen und Prozesse abgelehnt und bekämpft werden. Folgende Inhalte finden sich dabei in allen traditionellen rechtsextremistischen Strömungen. * Ablehnung des Gleichheitsprinzips * Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit * Antipluralismus und Autoritarismus Im traditionellen Rechtsextremismus wird Ungleichheit entlang von Kriterien wie Ethnie, Kultur oder politischer Einstellung konstruiert. Ungleichheit wird als Ungleichwertigkeit gedeutet. Damit legitimiert der traditionelle Rechtsextremismus Gewalt gegen als "minderwertig" diffamierte "Fremde" und "Andere". Nicht selten knüpfen traditionelle Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten ideologisch an den historischen Nationalsozialismus an. 54 Rechtsextremismus Es gibt keine einheitliche Definition des traditionellen Rechtsextremismus-Begriffs. In der Öffentlichkeit werden rechtsextremistische Personen nicht selten synonym als "Rechtsradikale" oder "Neonazis" bezeichnet. Die Begriffsvielfalt dokumentiert nicht nur eine definitorische Unschärfe, sie spiegelt zugleich auch die Heterogenität einer Szene wider, die verschiedene ideologische, strategische und organisatorische Konzepte verwendet. Allerdings ist ein Aspekt allen rechtsextremistischen Ideologien gemeinsam: Die Ablehnung des verfassungsrechtlich garantierten Gleichheitsprinzips. Dieses Prinzip garantiert allen Menschen, unabhängig von Geschlecht, Herkunft oder politischer Anschauung, Gleichheit vor dem Gesetz. Das Gleichheitsprinzip ist als fundamentaler Grundsatz der Gleichbehandlung und Gleichwertigkeit von Menschen zu verstehen. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten kategorisieren und diskriminieren Menschen auf der Grundlage von ethnischen, kulturellen, geistigen, körperlichen oder politischen Eigenschaften und Einstellungen. Diese Diskriminierung führt dazu, dass Personen und ganzen Personengruppen elementare Grundund Menschenrechte aberkannt werden. Aus dieser Abwertung von Menschen erwächst in letzter Konsequenz die Rechtfertigung von Gewalt und Terror gegen all jene, die von der rechtsextremistischen Ideologie als "fremd", "anders" oder "minder wertig" diffamiert werden. Der Überbewertung der eigenen Ethnie fällt im traditionellem Rechtsextremismus eine Schlüsselrolle zu. Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten erheben die Ethnie oder "Rasse" zum obersten Kriterium der Identität eines jeden Menschen. Die eigene "Rasse" und mit ihr die Nation werden überhöht und als überlegen gegenüber anderen definiert. Auf dieser Basis streben Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" an, in der individuelle Interessen einem "Volkswohl" untergeordnet sind. Mit dem Demokratieund auch dem Rechtsstaatprinzip haben weitere zentrale Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung keinen Platz in der rechtsextremistischen 55 Ideologie und werden von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten abgelehnt und bekämpft. Zum Spektrum des traditionellen Rechtsextremismus zählen in Berlin die Parteien NPD und "Der III. Weg" sowie die Netzwerke "Freie Kräfte" und "Rechtsextremistische Musik". Hinzu kommt ein Großteil des weitgehend unstrukturierten Personenpotenzials, das sich vor allem an Konzerten, Demonstrationen oder sonstigen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene beteiligt. Darüber hinaus sind auch Personen, die sich im Internet rassistisch, antisemitisch und NS-verherrlichend äußern (z. B. der sogenannte "Volkslehrer"), Teil der traditionellen rechtsextremistischen Szene Berlins. Muslimenfeindlicher Rechtsextremismus Muslimenfeindlicher Rechtsextremismus Diese Spielart des Rechtsextremismus erkennt den Islam nicht als Religion an. Sie diffamiert ihn pauschal als archaisches Glaubensund Wertesystem und wertet Muslime als nicht in die Gesellschaft integrierbare Gruppe ab. Sie fordert deshalb, die Zuwanderung von Menschen aus islamisch geprägten Kulturkreisen zu verbieten und will den hier lebenden Muslimen ihre Grundund Menschenrechte aberkennen. Dabei wird nicht zwischen Islam, Islamismus und islamistischem Terrorismus differenziert. In der Folge wollen Gruppen des muslimenfeindlichen Spektrums auch das Recht auf freie Religionsausübung für Muslime einschränken oder es ihnen ganz versagen. Beispielsweise wird ein Verbot des Baus von Moscheen und teilweise sogar die Ausweisung von Menschen muslimischen Glaubens aus Deutschland gefordert. 56 Rechtsextremismus Im Gegensatz zum traditionellen Rechtsextremismus betten muslimenund fremdenfeindliche Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten ihre Argumente nicht in die klassischen rechtsextremistischen Ideologien ein. In ihrer öffentlichen Argumentation fehlen Aspekte wie biologischer Rassismus, Antisemitismus, Autoritarismus oder Geschichtsrevisionismus. Sie überbetonen stattdessen die Bedeutung identitätsstiftender kultureller und gesellschaftlicher Unterschiede, etwa mit Verweis auf die Errungenschaften und Werte einer christlich-abendländischen Kultur, die mit einem vom Islam geprägtem religiösen Weltbild und damit verbundenen Traditionen und Moralvorstellungen unvereinbar seien. Die Überbetonung findet im sogenannten "Ethnopluralismus" eine moderne Entsprechung zum traditionellen Rassismus. Ethnopluralisten konstruieren auf der Grundlage kultureller Unterschiede Ungleichheiten zwischen Ethnien. Ethnopluralisten behaupten, es gäbe grundsätzliche und unveränderliche Merkmale von Menschengruppen. Jede Gruppe sei dabei umso besser und stärker, je ähnlicher sich ihre jeweiligen Angehörigen seien. Migrationsprozesse werden grundsätzlich als Gefahr definiert, da sie die vermeintliche Homogenität einer Ethnie oder eines Volkes bedrohen und zerstören würden. Ethnopluralisten schaffen auf dieser Grundlage Zerrbilder von Zuwanderern und Geflüchteten als eine permanente Bedrohung für die eigene Ethnie. Diese pauschal negative Stigmatisierung ist das sichtbarste Zeichen einer vermeintlichen Ungleichwertigkeit von Menschen, wie sie von allen rechtsextremistischen Ideologien behauptet wird. Auf der Basis "kultureller Zugehörigkeiten" und Herkunft werden Menschen abgewertet und ausgegrenzt. Insofern handelt es sich beim Ethnopluralismus um eine rassistische Ideologie, die lediglich auf den Begriff der "Rasse" verzichtet. Zu diesem ethnopluralistischen Konzept bekennt sich insbesondere die "Identitäre Bewegung" (IB). Neben der Berliner Regionalgruppe der "Identitären Bewegung" zählen in Berlin die Gruppierung "Wir für Deutschland" (WfD) sowie Kleinstgruppen wie "Bärgida" und "Patriotic Opposition Europe" zum Spektrum des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus. Darüber hinaus agiert auch 57 ein wachsender Anteil des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials vor allem im Internet - in sozialen Netzwerken, Foren und in diversen Kommentarspalten - explizit muslimenfeindlich. Zwischen den Gruppierungen und Anhängern des traditionellen und des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus bestehen Schnittmengen. Vereint in der Ablehnung einer pluralistischen Gesellschaft und in ihrem Hass auf Andersdenkende und "Fremde" verschwinden die Grenzen zwischen beiden Spektren in Berlin zunehmend. Personenpotenziale Personenpotenziale Berlin 2018 2019 Parteien, davon: 230 230 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" 210 200 (NPD) "Der III. Weg" 20 30 "DIE RECHTE" EP - in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen 490 490 Strukturen weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 800 810 Personenpotenzial Mehrfachmitgliedschaften gesamt 110 110 Gesamt (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) 1 410 1 420 davon: gewaltorientierte Rechtsextremisten 700 700 EP = Einzelpersonen In den vergangenen Jahren wurde in Berlin das sinkende Potenzial an traditionellen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten durch das Aufkommen des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus kompensiert. Damit erhöhte 58 Rechtsextremismus sich das Potenzial der rechtsextremistischen Personen 2019 gegenüber dem Vorjahr nur leicht auf 1 420 (2018: 1 410). Unter den parteigebundenen Strukturen in Berlin ist der Berliner Landesverband der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) mit 200 Personen die stärkste rechtsextremistische Partei, während in der neonazistischen Kleinstpartei "Der III. Weg" nunmehr rund 30 Personen aktiv sind. Unter dem in der Kategorie "parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen" geführten Personenpotenzial werden dem "Netzwerk Freie Kräfte" ca. 140 Personen (140 im Jahr 2018), der "Identitären Bewegung Regionalgruppe Berlin" (IB B) ca. 40 Mitglieder (40 im Jahr 2018), den rechtsextre51 mistischen "Reichsbürgern" ca. 150 Personen (150 im Jahr 2018) und dem "Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten" ca. 100 Personen zugerechnet. Gegenüber 2018 ergaben sich somit kaum Änderungen in diesem Personenpotenzial. Aktuelle Entwicklungen Rechtsterrorismus und rechtsextremistische Gewalt Weltweit sorgten 2019 mehrere rechtsextremistisch motivierte Terrorakte für Entsetzen. Ein australischer Rechtsextremist griff am 15. März zwei islamische Zentren im neuseeländischen Christchurch an und tötete dabei 51 Menschen. Im texanischen El Paso ermordete ein amerikanischer Rechtsextremist am 3. August bei einem Angriff auf einen Supermarkt 22 Menschen und verletzte 24 weitere Personen zum Teil schwer. Beide Taten waren rassistisch motiviert und Ausdruck der dem Rechtsextremismus grundsätzlich immanenten Gewaltbereitschaft. Der Rechtsextremismus begreift sich als "Ideologie der Tat". Viele traditionelle Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten sehen Gewalt als legitimes Mittel politischer Auseinandersetzungen an. Als "anders", "fremd" oder 51 Von 670 Reichsbürgern in Berlin waren 2018 150 Rechtsextremisten, im Jahr 2017 waren von 500 Reichsbürgern 110 Rechtsextremisten. 59 "minderwertig" abgewertete Menschen stehen als Feindbild im Fokus rechtsextremistischer Ideologien. Rechtsextremistische Gewalt richtet sich daher ganz überwiegend gegen die körperliche Unversehrtheit von Menschen. Das Jahr 2019 hat gezeigt, dass die Bereitschaft von Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten zur Begehung auch schwerster Straftaten, bis hin zu politisch motiviertem Mord und terroristischen Attentaten, zunimmt. Auch in Deutschland töteten Rechtsextremisten. In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni wurde der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke auf seiner Veranda erschossen. Dr. Lübcke hatte die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung während einer Diskussionsveranstaltung mit der Werteordnung der Bundesrepublik verteidigt. Dies genügte, um zum Ziel rechtsextremistischer Hetze und schließlich, nach allem was bislang zur Tat bekannt ist, einer politisch motivierten Tötung zu werden. Am 9. Oktober schoss ein bewaffneter Attentäter in Halle vor der dortigen Synagoge und einem türkischen Schnellimbiss um sich und brachte mehrere Sprengkörper zur Explosion. Der Attentäter erschoss zwei Menschen, nachdem ihm das Eindringen in die Synagoge misslang. In dieser befanden sich ca. 50 Personen, um gemeinsam den jüdischen Feiertag Jom Kippur zu begehen. Sie waren das eigentliche Ziel des offenbar antisemitisch motivierten Attentats. Der Attentäter filmte seine Tat und übertrug diese live über das Internet. Das Attentat von Halle ähnelte damit in frappierender Weise dem Anschlag von Christchurch, sowohl was die Tatausübung und die Wahl des Anschlagsziels betraf, als auch durch die Nutzung einer spezifischen Wortund Bildsprache und die Übertragung der Tat durch einen Livestream. Parallel zu diesen schweren Gewalttaten versuchten Rechtsextremisten auch mit diversen Drohschreiben, die per Post oder E-Mail versandt wurden, ein Klima der Angst zu erzeugen. Unterschrieben mit "NSU 2.0" oder "Staatsstreichorchester" wurden zahlreiche solche Drohschreiben an Vertreterinnen und Vertreter aus Zivilgesellschaft und Politik auch in Berlin versandt. Teilweise 60 Rechtsextremismus enthielten diese Drohschreiben sensible Informationen aus dem privaten Umfeld der Betroffenen. In der zweiten Jahreshälfte waren zudem verschiedene jüdische Vereine sowie Zeitungen Adressaten rechtsextremistisch und antisemitisch motivierter Drohschreiben. Diese Schreiben enthielten neben Beleidigungen und verschwörungstheoretischen Versatzstücken auch Gewaltfantasien und konkrete Morddrohungen. Trotz intensiver Bemühungen der Ermittlungsbehörden ist es bislang in den meisten Fällen nicht gelungen, die Absender dieser Schreiben zu identifizieren. Rechtsextremistische Gewalt in Neukölln Auch Berlin sieht sich schon seit längerem mit rechtsextremistischer Gewalt konfrontiert. Insbesondere im Bezirk Neukölln kam es in den letzten Jahren immer wieder zu zielgerichteten Gewaltakten. Von Juni 2016 bis Anfang 2018 zündeten Unbekannte in Neukölln mehrere Fahrzeuge von Personen an, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Danach kam es in unregelmäßigen Abständen immer wieder zu rechtsextremistischen Schmierereien, Sachbeschädigungen und Bedrohungen. Auch wenn die rechtsextremistische Szene in Neukölln eine relativ überschaubare Größe darstellt, sind ein Großteil ihrer Angehörigen erheblich radikalisiert und gewaltbereit. "Netzwerk Freie Kräfte" Rechtsextremistische Gewalt war und ist in Berlin auch mit dem "Netzwerk Freie Kräfte" verbunden. Dabei handelt es sich um ein lose organisiertes Netzwerk größtenteils neonazistisch geprägter Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, das seine Ursprünge 61 in der Kameradschaftsszene der frühen 2000er Jahre hat. Zentrales 52 Aktionsfeld des Netzwerks ist die "Anti-Antifa-Arbeit". Straftaten wie Sachbeschädigungen, Bedrohung und Körperverletzungen gehören zum Aktionsrepertoire des Netzwerks. Die Organisation von Demonstrationen und ideologischen Schulungen spielen mittlerweile, nicht zuletzt aufgrund fehlender Trefforte, eine untergeordnete Rolle. Das Netzwerk ist Teil des traditionellen Rechtsextremismus. Ihm gehören in Berlin rund 140 Personen an, die allerdings kaum als geschlossene Gruppe in Erscheinung treten. Regionale Schwerpunkte des "Netzwerkes Freie Kräfte" liegen in den Bezirken Pankow, Lichtenberg, Treptow-Köpenick, Marzahn-Hellersdorf und Neukölln. Auch 2019 setzte sich die rechtsextremistische Straftatenserie in Neukölln durch Graffiti und Schreiben drohenden Inhalts fort. So erhielt die stellvertretende Kreisvorsitzende der SPD-Neukölln ein solches Schreiben. Auch mehrere Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, wurden durch Graffiti an ihren privaten Wohnanschriften bedroht. Offensichtlich spähten Rechtsextremisten als politische Gegner begriffene Menschen aus und sammelten gezielt entsprechende Informationen. Die Auswahl der Opfer der Straftaten blieb unverändert: Ziele von Drohaktionen waren u. a. Bezirkspolitikerinnen oder Personen, die sich in Gruppen, 52 Die "Anti-Antifa-Arbeit" bezeichnet ein planvolles Agitieren und Vorgehen gegen als politische Gegner definierte Menschen und Gruppen. Typische Aktivitäten sind das "Outing", also das Ausforschen und anschließende Veröffentlichen privater Daten, sowie Beleidigungen und Bedrohungen, beispielsweise durch Drohgraffitos oder das Führen von "Feindeslisten", aber auch körperliche Angriffe. 62 Rechtsextremismus Initiativen und Bündnissen für Flüchtlinge oder allgemein gegen Rechtsextremismus engagieren. Als eine Reaktion auf die Straftatenserie in Neukölln und die grundsätzlich hohe Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Szene wurde im April das "Gemeinsame Informationsund Bewertungszentrum Rechtsextremismus" (GIBZ) eingerichtet. In den regelmäßigen Sitzungen des GIBZ tauschen Vertreter des Berliner Verfassungsschutzes, des LKA Berlin und, anlassbezogen, auch der Staatsanwaltschaft Berlin staatschutzrelevante Informationen aus. Ziel dieses Informationsaustausches ist eine gemeinsame Bewertung rechtsextremistischer Aktivitäten, Strukturen und Personen, um insbesondere neue Bedrohungslagen frühzeitig zu erkennen. Ein Schwerpunkt der Arbeit im GIBZ ist der Abgleich von Erkenntnissen zu rechtsextremistischen Strafund Gewalttätern. Damit agiert das GIBZ innerhalb der gesetzlichen Regelungen für Verfassungsschutz und Polizei wie vergleichbare Einrichtungen auf Bundesebene (das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" - GTAZ und das "Gemeinsame Extremismus und Terrorismusabwehrzentrum" - GETZ). NPD und "Der III. Weg" Neben der anhaltenden Drohkulisse durch Rechtsextremisten in Neukölln war der organisierte Rechtsextremismus in Berlin 2019 weniger öffentlich sichtbar als in den Jahren davor. Neben einer einzigen Demonstration beschränkte sich die öffentliche Präsenz der NPD in Berlin auf sogenannte "Kiezstreifen" im Rahmen der "Schafft Schutzzonen"-Kampagne. Die NPD bedient sich damit des in der rechtsextremistischen Szene immer wieder propagierten Konzepts einer "Bürgerwehr". Die "Schafft Schutzzonen"-Kampagne soll in zwei Richtungen wirken. Sie ist zum einen rassistische Propaganda, mit der Falschmeldungen über "Ausländergewalt" und "Staatsversagen" verbreitet werden. Zum anderen richtet sie sich in Duktus und dem zum Teil uniformierten Auftreten als unterschwellige Drohung gegen Menschen mit Migrationshintergrund und gegen zivilgesellschaftlich Engagierte. Veröffentlichungen in den sozialen Medien, in denen die einheitlich gekleideten "Kiezstreifen" teilweise 63 in Begleitung von Hunden abgelichtet sind, sollen zudem eine hohe räumliche und zeitliche Dichte derartiger Streifgänge suggerieren. An den Aktivitäten, die im Rahmen dieser Kampagne bislang in Berlin stattfanden, beteiligten sich ausschließlich NPD-Aktivisten, darunter auch der Bundesvorsitzende der Partei. Die mediale Begleitung zu den "Kiezstreifen" erfolgt durch die NPD via Facebook und Twitter. Obwohl die entsprechende Berichterstattung regelmäßige und längere Patrouillen suggerierte, handelte es sich in vielen Fällen lediglich um kurze Treffen, bei denen Fotos geschossen und anschließend in den sozialen Medien verbreitet wurden. "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Mitglieder in Berlin: 200 (2018: 210) Die NPD gehört zum traditionellen Rechtsextremismus. Sie ist die älteste aktive rechtsextremistische Partei der Bundesrepublik. Sie verfügt mit den "Jungen Nationalisten" (JN) (bis 2018 "Junge Nationaldemokraten") über eine Jugendund dem "Ring Nationaler Frauen" (RNF) über eine Frauenorganisation. Die Bundesgeschäftsstelle der NPD befindet sich seit dem Jahr 2000 in Berlin. Der verfassungsfeindliche Charakter der NPD äußert sich vor allem in ihrer rassistischen und antisemitischen Ideologie. Die NPD vertritt das Konzept einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Der Bundesrat hatte in den Jahren 2001 und 2013 deshalb Parteiverbotsverfahren gegen die NPD angestrengt. 2017 entschied das 64 Rechtsextremismus 53 Bundesverfassungsgericht, die NPD nicht zu verbieten. Sie verfolge zwar unzweifelhaft verfassungsfeindliche Ziele. Die Partei verfügt jedoch nicht über das Potenzial, diese Ziele auch umzusetzen. Stattdessen reichten Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung im Juli 2019 einen Antrag auf Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung beim Bundesverfassungsgericht ein. Im Mai dieses Jahres versuchte die NPD, die "Schafft-Schutzzonen"-Kampagne im Europawahlkampf als Beispiel für gelungene Lokalund Sicherheitspolitik zu bewerben. Die gesamte Wahlkampagne erzeugte, nicht zuletzt wegen ihres Wahlspruchs "Migration tötet", eine gewisse mediale Öffentlichkeit. Die NPD vermochte diese in Berlin jedoch nicht in Wählerstimmen umzusetzen und erhielt lediglich 0,2 Prozent der Stimmen. Außerhalb der rechtsextremistischen Szene stieß die "Schafft-Schutzzonen"Kampagne nicht auf Interesse. Nach dem Ende des Europawahlkampfes und dem Verlust des einzigen Europaparlamentsmandats für die NPD erklärte die Partei, sich zukünftig stärker auf außerparlamentarische und "aktionsorientierte" Politik zu fokussieren. Dementsprechend verschob sich auch die Bildsprache der "Schafft-Schutzzonen"-Kampagne. Seit Mai wurde sie mehr und mehr von zum Teil bedrohlich wirkenden Aufnahmen uniformmäßig bekleideter NPD-Aktivisten in kämpferischen Posen dominiert. Mit solchen Inszenierungen versucht die NPD, politisch Andersdenkende einzuschüchtern und ihre zunehmende Bedeutungslosigkeit zu kaschieren. Auch die neonazistische Kleinstpartei "Der III. Weg" - bekannt für ihre martialisch inszenierten Aufmärsche - kündigte im Herbst an, in Berlin eigene "nationale Streifgänge" durchführen zu wollen. Auch wenn solche Aktivitäten 53 Vgl. BVerfG 144, 20-369. 65 bislang nicht festgestellt wurden, könnte die Ankündigung als Versuch, zukünftig auch in Berlin stärker öffentlich in Erscheinung zu treten, gewertet werden. Bislang ist "Der III. Weg" in Berlin nur mit internen Veranstaltungen und anonymen Verteilund Klebeaktionen in Erscheinung getreten. "Der III. Weg" Gründung (Berlin): 2015 Mitglieder in Berlin: unter 30 (2018: unter 20) Seit März 2015 ist die Partei "Der III. Weg" mit einem "Stützpunkt", wie sie ihre Regionalgruppen bezeichnet, in Berlin aktiv. Die Parteigründung im September 2013 fiel in den Zeitraum des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der Verbotsüberlegungen gegen das neonazistische Netzwerk "Freies Netz Süd" in Bayern und war ein weiterer Versuch von Rechtsextremisten, Strukturen zu schaffen, für die deutlich höhere Verbotshürden gelten als für Vereine und andere Organisationsformen. Die Aktivisten versuchen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Kampagnen, die sich insbesondere gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik richten, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Ideologisch ist die Partei "Der III. Weg" Teil des traditionellen Rechtsextremismus. Sie vertritt offen neonazistische und fremdenfeindliche Positionen, weshalb der Berliner Ableger insbesondere für Aktivisten des "Netzwerks Freie Kräfte", denen die NPD zu moderat agiert, attraktiv ist. 66 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Musikund Kampfsportveranstaltungen Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Das Berliner Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" ist ein konspirativ organisiertes Netzwerk aus Musikern, Vertrieben und Unterstützern. Das Netzwerk tritt nach außen nicht geschlossen in Erscheinung. Es dient seinen Mitgliedern, zu denen insgesamt 180 Personen gehören, vielmehr als logistische Basis und zur Mobilisierung zu szeneinternen Veranstaltungen. Die Akteure veröffentlichen Tonträger, veranstalten Konzerte und Festivalevents oder beteiligen sich an sonstigen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Den Kern dieser rechtsextremistischen Musikszene Berlins bilden die seit Jahren aktiven Bands "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T.), auch "X.x.X." genannt, "Die Lunikoff-Verschwörung", "Legion of Thor" und seit 2016 wieder "Macht & Ehre" sowie der "Rapper" "Villain 051" ("A3stus"). Die Charakterisierung dieser unterschiedlichen Akteure als Netzwerk weist auf ihre Gemeinsamkeiten in Bezug auf Ideologie, die dem traditionellen Rechtsextremismus zuzurechnen ist, und Aktivitäten hin. In den letzten Jahren war eine zunehmende Verzahnung zwischen dem Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" und der NPD wahrnehmbar. 67 Das Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" ist einer der aktivsten Bereiche des traditionellen Rechtsextremismus. Vor allem überregionale Großkonzerte bilden einen wesentlichen Szene-Schmelztiegel und Aktionskatalysator. Sie haben sich zu einem erfolgreichen Konzept der rechtsextremistischen Szene entwickelt. Berliner Bands wie "Die Lunikoff-Verschwörung" spielen auf beinahe jeder dieser Großveranstaltungen. Seit einigen Jahren ist ein Trend weg von konspirativ organsierten Konzerten in abgelegenen Gastwirtschaften, die nur durch persönliche Szenekontakte zugänglich waren, hin zu Konzertevents zu beobachten. Der Eventcharakter solcher Großveranstaltungen wird durch angegliederte Tattoo-Conventions, Kampfsportturniere, Auftritte von Volkstanzgruppen sowie Reden von rechtsextremistischen Politikerinnen und Politikern geprägt. Während reine Szene-Konzerte bisher meist wenige hundert Rechtsextremisten anzogen, sind die Teilnehmendenzahlen bei rechtsextremistischen Großveranstaltungen inzwischen nicht selten vierstellig. 2019 spielten Funktionäre der NPD erneut eine wichtige Rolle bei der Organisation und Durchführung dieser Großveranstaltungen. Rechtsextremistische Musiker und Bands profitieren davon, dass Konzerte als Demonstrationen oder politische Kundgebungen angemeldet werden und so vom Parteienprivileg geschützt sind. Gleichwohl hatten rechtsextremistische Großkonzerte im Jahr 2019 insbesondere infolge behördlicher Auflagen weniger Zulauf als noch 2018. Der Bundesorganisationsleiter und ehemalige Berliner NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke fungierte 2019 wie bereits im Vorjahr als Anmelder für die "Tage der nationalen Bewegung" am 5. und 6. Juli in Themar (Thüringen) mit mehreren rechtsextremistischen Bands wie "Die Lunikoff-Verschwörung" 68 Rechtsextremismus aus Berlin. Im Vergleich zum Vorjahr hatte sich die Zahl der Teilnehmenden jedoch auf unter 1 000 Besucher mehr als halbiert. Die Veranstaltung wurde auch von der rechtsextremistischen Szene als Misserfolg gewertet. Die Auflagen für das als politischer Protest angemeldete Großkonzert umfassten auch ein Alkoholverbot, das offenbar viele potenzielle Teilnehmende abschreckte. Für den 14. September kündigte Schmidtke daher ein weiteres Konzert in Themar an, das letztlich allerdings im Wirtshaus eines ehemaligen NPD-Kreisvorsitzenden mit nur 150 Teilnehmenden stattfand. In Berlin gab es 2019 zwar Liederabende in der NPD-Parteizentrale, aber, wie bereits in den Vorjahren, keine rechtsextremistischen Konzerte oder Veranstaltungen mit Eventcharakter. Rechtsextremistische Kampfsportveranstaltungen Neben der rechtsextremistischen Musik nimmt mittlerweile der Kampfsport eine zentrale Rolle innerhalb der rechtsextremistischen Szene ein. Während sich einzelne Szeneangehörige in den frühen 2000er Jahren darauf beschränkten, an unpolitischen Kampfsportturnieren teilzunehmen, bietet die rechtsextremistische Szene seit 2013 eigene Turniere an. Diese waren anfänglich konspirativ organisiert und nur einem ausgewählten Kreis Mitwissender zugänglich. Seit 2017 nahmen auch rechtsextremistische Kampfsportereignisse zunehmend Eventcharakter an. Regelmäßig orientiert sich die rechtsextremistische Kampfsportszene in Ideologie und Symbolik am historischen Nationalsozialismus. Kampfsportturniere dienen als ideologisches Vehikel zur vermeintlichen Aufrechterhaltung der "Wehrhaftigkeit des Volkes", wofür auch ein gesunder Lebensstil ohne Alkohol und Drogen, "NS Straight Edge" 54, propagiert wird. Zusätzlich dient Kampfsport neben rechtsextremistischer Musik als weiterer Erlebnisraum zur Rekrutierung neuer Anhänger. Dabei versuchen die Veranstaltenden allerdings, 54 "Straight Edge": engl. für "gerade Kante", stammt ursprünglich aus der Hardcore-Punk-Szene und verfolgt die Ideale von Reinheit und Stärke unter dem Slogan "Gesunder Geist - Gesunder Körper" (Vgl. Bundeszentrale für Politische Bildung vom 5.11.2018, Der extrem rechte Kampfsportboom, abzurufen unter http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/279552/der-extrem-rechte-kampfsportboom. 69 behördliche Auflagen einzuhalten und Alkoholexzesse einzudämmen. Damit wird nicht nur versucht, einem ideologischen Idealtypus von "Wehrhaftigkeit und Reinheit" zu entsprechen, sondern die Veranstaltungen einem breiteren Publikum zugänglich zu machen und so zu kommerzialisieren. Die Szene kooperiert zudem mit osteuropäischen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten, hauptsächlich aus Russland und der Ukraine. Osteuropäi55 sche rechtsextremistische Kampfsportlabels dienen dem Rechtsextremismus in Deutschland als Vorbild. Verbindendes Element ist hier nicht die Nation, sondern die "weiße Rasse". Für die Organisation von Veranstaltungen wird auf bestehende Strukturen des Netzwerks "Rechtsextremistische Musik" zurückgegriffen. So wurde das bisher für die Veranstaltenden erfolgreichste rechtsextremistische Kampfsportturnier, der "Kampf der Nibelungen" (KdN), sowohl als eigenständige Veranstaltung, als auch im Rahmen von rechtsextremistischen Konzerten ausgerichtet. Zuletzt sollte im Oktober im ostsächsischen Ostritz das siebte KdN-Turnier stattfinden. Dieses konnte erstmals verboten werden. Das Verbot wurde dadurch begründet, dass es sich bei dem KdN-Turnier um eine Veranstaltung zur Vorbereitung des politischen Kampfes und nicht um ein Sportturnier handelt. Bis zu seinem Verbot verzeichnete das KdN-Turnier einen immer höheren Zustrom an Besuchenden (Oktober 2016: ca. 300 Zuschauende, Oktober 2017: ca. 750 Zuschauende, Oktober 2018: ca. 850 Zuschauende). Die Art und Weise, wie Veranstaltungsorte angemietet und Kampfsport-Merchandise durch das rechtsextremistische Kampfsportnetzwerk vertrieben wurden, ähnelt stark den Vorgehensweisen des Netzwerks "Rechtsextremistische Musik". Durch die zunehmende Kommerzialisierung mittels einer immer höheren 55 Rechtsextremistische Kampsportlabels vertreiben Mode, treten als Sponsoren für Kampfsportevents auf und stellen eigene Kampfkader. Die unterschiedlichen Label prägt ein freundschaftlich-kooperatives Verhältnis, was zeigt, dass die gemeinsame Ideologie wirtschaftliche Interessen überwiegt. 70 Rechtsextremismus Reichweite der Kampfsportturniere finanzieren sich Veranstaltende und rechtsextremistische Kampfsportlabels. Über das Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" bestehen zudem Kontakte des Kampfsportnetzwerks auch nach Berlin. 56 Muslimenund Fremdenfeindlichkeit Migrationsfeindliche Inhalte dominieren seit spätestens 2015 die Propaganda aller rechtsextremistischen Strömungen. Mit der Instrumentalisierung steigender Geflüchtetenzahlen und der massenhaften Verbreitung von Falschmeldungen über "Ausländergewalt" sowie eine vermeintliche "Islamisierung" Deutschlands versuchen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten seitdem Anschluss an breitere gesellschaftliche Schichten zu erlangen. Häufig richtet sich die als "legitime Islamkritik" vorgebrachte migrationsfeindliche Propaganda unmittelbar gegen Musliminnen und Muslime. Als ideologischer aber auch aktionistischer Vorreiter dieses muslimenund fremdenfeindlichen Spektrums versteht sich die "Identitäre Bewegung" (IB). Die IB verfolgt mit ihrem Konzept der "Metapolitik" das Ziel, die Definitionshoheit über Begriffe, 57 Werte und Normen im "vorpolitischen" Raum zu erlangen. Mit "Metapolitik" beabsichtigt die IB, dass rechtsextremistische Thesen in der Gesellschaft als "normal" empfunden werden. Migrationsfeindliche Plakat-Aktionen der "Identitären Bewegung Deutschland" Die "Identitäre Bewegung" war 2019 weniger aktiv als in den Vorjahren. Staatliche Maßnahmen, wie Hausdurchsuchungen bei IB-Mitgliedern im Zuge von Finanzermittlungen, dürften zu einer gewissen Zurückhaltung beigetragen haben. Der IB Deutschland haben daneben wiederholte Löschungen und Sperrungen von Accounts in den sozialen Netzwerken zugesetzt. 56 Der Berliner Verfassungsschutz macht sich den Begriff der Fremdenfeindlichkeit nicht zu eigen, sondern beschreibt damit den Mechanismus, der Rechtsextremisten dazu anregt, auf rassistischer Grundlage Menschen zu diskriminieren und herabzuwürdigen. 57 Vgl. "Was ist unter dem Begriff Metapolitik zu verstehen?", Internetpräsenz der Identitären Bewegung, abgerufen am 12. 2. 2020. 71 Zudem wurde die für Juli geplante Demonstration der IB Deutschland in Halle verboten, da mit erheblichen Ausschreitungen durch den politischen Gegner gerechnet wurde. "Identitäre Bewegung Regionalgruppe Berlin" (IB B) Gründung: 2014 Mitglieder in Berlin: 40 (2018: 40) Die "Identitäre Bewegung" (IB) trat ab 2012 zunächst als Internetphänomen über zahlreiche Blogs und in den sozialen Netzwerken, vor allem zu den Themen "Überfremdung" und "Islamisierung", in Erscheinung. Seit 2014 verfügt die "Identitäre Bewegung" über den Vereinsstatus und ist seither zunehmend realweltlich präsent. Im selben Jahr trat die "Identitäre Bewegung Berlin Brandenburg" (IB BB) erstmals in Erscheinung. Seit 2019 wird die "Identitäre Bewegung Regionalgruppe Berlin" auf der Internetpräsenz der IB Deutschland als eigenständige Gruppierung, losgelöst von den Brandenburger "Identitären", geführt. Die IB gehört dem muslimenfeindlichen Rechtsextremismus an und unterscheidet sich sowohl ideologisch, als auch von ihrem Auftreten her von Akteuren des traditionellen Rechtsextremismus. Zentrale ideologische Säulen sind der Ethnopluralismus und das Narrativ des "Großen Austauschs", die die Unvereinbarkeit von Kulturen behaupten. Die "Identitäre Bewegung" inszeniert sich mittels einer popkulturellen Ästhetik sowie bildgewaltigen Auftritten als jugendlich und aktivistisch-rebellisch. 72 Rechtsextremismus In Berlin trat die "Identitäre Bewegung Regionalgruppe Berlin" (IB B) 2019 vor allem mit illegalen Plakatierungsaktionen in Erscheinung. Sie bediente sich 58 dabei dem sogenannten "Adbusting", dem Verfremden, Umgestalten oder Überkleben von kommerzieller Außenwerbung im öffentlichen Raum. Im Januar startete die IB Deutschland eine bundesweite Plakatierungsaktion "[...] gegen Linke Gewalt vor sämtlichen Parteibüros und Medienhäusern. Die Schreibtischtäter benennen!". In Berlin brachte die IB B Plakate an den Bundesparteizentralen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowie dem ARDHauptstadtstudio und den Redaktionsräumen einer Berliner Tageszeitung an. Ähnliche Plakatierungsaktionen fanden auch in Augsburg, Frankfurt am Main und Hamburg statt. Die Plakate bezogen sich auf einen Angriff gegen einen Bremer AfD-Politiker. Die IB B versuchte mit den Plakaten den Eindruck zu vermitteln, demokratische Parteien und Medien seien "geistige Urheber" dieser oder ähnlicher Gewalttaten. Im Rahmen zweier Aktionswochen im Februar und im April, die unter den Mottos "No-Go-Areas" bzw. "Der große Austausch" standen, wurden durch die IB B Plakate in Werbeschaukästen ausgetauscht. Diese waren lediglich durch das aufgebrachte Logo als Plakate der IB B erkennbar. Die Plakate der Aktionswoche im Februar zeigten die Aufschrift "WIE LANG NOCH? Wird es dauern, bis wir zur Minderheit im eigenen Land geworden sind?" und spielten damit auf den rechtsextremistischen Verschwörungsmythos der "Überfremdung" an. Im April zeigten die IB-Plakate die Silhouette einer augenscheinlich syrischen Stadt. Beschriftet waren sie mit der Aufforderung "go home. DER KRIEG IST VORBEI. Syrien braucht DICH." Mit dieser und ähnlichen Kampagnen verzerrt die IB die politische Situation im Nahen Osten und das Schicksal der Geflüchteten. Bereits 2018 versuchte die IB mit der eigens für diesen Zweck gegründeten NGO "Alternative Help Association" (AHA) unter dem Deckmantel 58 Adbusting ist ein aus den englischen Worten advertisement (Werbung) und to bust (zerschlagen) zusammengesetztes Kunstwort. 73 der Vor-Ort-Hilfe, syrisch-stämmige Geflüchtete zur Rückkehr in ihr Heimatland zu bewegen. Diese Aktionen sollten diese nicht nur verunsichern, sondern vor allem die öffentliche Meinung manipulieren. Es sollte der Eindruck erweckt werden, das Gros der Geflüchteten hätte keinen Anspruch mehr darauf, sich in Deutschland aufzuhalten. Der Verweis auf eine "Pflicht" sich an einem Wiederaufbau Syriens zu beteiligen, beinhaltet zudem auf perfide Weise den Vorwurf, die Geflüchteten würden sich diesem Wiederaufbau entziehen und so ihre Heimat verraten und stattdessen dem "deutschen Staat auf der Tasche liegen". Damit versuchte die IB in der für sie typischen Art und Weise mit vordergründig unverfänglichen Aktionen und Aufrufen ein Zerrbild von Geflüchteten und deren Schicksalen zu zeichnen. Eine Strategie, die klar auf Ausgrenzung und das Schüren von Vorurteilen abzielt. "Der Große Austausch" "Der Große Austausch" ist ein Verschwörungsmythos und rechtsextremistischer Kampfbegriff. Demnach verfolge eine nicht näher bestimmte "Elite" das Ziel, die Bevölkerung Europas systematisch durch Migrantinnen und Migranten, vor allem Muslime, zu ersetzen. Dies ziehe einen Identitätsund Kulturverlust der europäischen Völker nach sich. Die "Identitäre Bewegung" leitet aus diesem Verschwörungsmythos eine ihrer Kernforderungen nach sogenannter "Remigration" ab, d. h. die massenhafte Rückführung von allen Menschen mit Migrationshintergrund in ihre vermeintlichen 74 Rechtsextremismus Herkunftsländer."Der Große Austausch" geht zurück auf den französischen Rechtsextremisten Renaud Camus und dessen gleichnamigem Buch "Le grand remplacement" (Frankreich, 2011). Camus' Thesen schließen an eine Vielzahl rechtsextremistischer Verschwörungsnarrative an. Für Antisemiten besitzt etwa die Behauptung, eine geheime Elite bestimme die vermeintlichen Geschicke der Völker Europas, eine hohe Anziehungskraft und Plausibilität. Für Rassisten bietet hingegen die behauptete Ungleichwertigkeit von Kulturen einen ideologischen Anknüpfungspunkt. "Der Große Austausch" verneint humanitäre Notlagen z. B. infolge kriegerischer Auseinandersetzungen und politischer Verfolgung als mögliche Fluchtursachen von Menschen. Humanitäre Krisen würden vielmehr künstlich herbeigeführt, um Migration als Waffe gegen die Völker Europas einsetzen zu können. Der australische Rechtsterrorist, der im neuseeländischen Christchurch im März 51 Muslime während des Freitagsgebets ermordete, berief sich in seinem vorab veröffentlichten Pamphlet "The Great Replacement" explizit auf den Verschwörungsmythos des "Großen Austauschs" und rechtfertigte damit das muslimenfeindliche Attentat. 75 Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten "Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechts extremisten" Das "Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten" entstand 2015 aus mehreren Einzelpersonen und wenigen Gruppen, die zunächst nur lose über soziale Netzwerke miteinander verbunden waren. Die Akteure des Netzwerks verfolgen das Ziel, Grundwerte wie die Menschenwürde für Muslime außer Kraft zu setzen. Dieses Ziel soll durch die pauschale Diffamierung von Muslimen als kriminell und nicht integrierbar erreicht werden. Dadurch versuchen muslimenund fremdenfeindliche Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten ein gesellschaftliches Klima zu schaffen, das geeignet ist, Gewalt gegen Muslime und Migrantinnen und Migranten auszulösen. Ursprünglich vor allem im Internet aktiv, ist das "Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten" mittlerweile auch für die größten rechtsextremistischen Demonstrationen in Berlin verantwortlich. Wie bereits im Vorjahr versammelten sich Aktivisten des bundesweiten "Netzwerks von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten" am 3. Oktober, dem Tag der deutschen Einheit, zu einer Demonstration unter dem Motto "2. Tag der Nation" in Berlin. An der von "Wir für Deutschland e. V." (WfD), mit Unterstützung durch PEGIDA-München, organsierten Demonstration nahmen bis zu 1 700 Demonstrierende teil. Ein Großteil kam nicht aus Berlin, sondern reiste aus dem gesamten Bundesgebiet und vereinzelt auch aus dem europäischen Ausland an. Neben Anhängerinnen und Anhängern des Netzwerks waren auch die NPD sowie Personen, die im Spek76 Rechtsextremismus trum der gewaltorientierten HooliganSzene Nordrhein-Westfalens verortet werden, vertreten. Die aggressive Grundstimmung der Veranstaltung kam durch das Skandieren von Parolen wie "Wenn wir wollen, schlagen wir euch alle tot" oder "Ein Baum, ein Strick, ein Pressegenick" immer wieder klar zum Ausdruck. Die Berliner Polizei leitete im Zusammenhang mit der Demonstration insgesamt 36 Ermittlungsverfahren ein. Die Veranstaltung belegte zudem, dass die ideologischen Unterschiede zwischen den Akteuren des muslimenund fremdenfeindlichen Netzwerks und traditionellen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten immer weiter schwinden. Anfängliche Abgrenzungen des "Netzwerks von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten" zu Teilen des traditionellen Rechtsextremismus waren offenbar rein taktischer Natur. Die zur Schau gestellte inhaltliche Nähe spiegelte sich auch in den Themen der diesjährigen Reden wider. So gab es verschiedene geschichtsrevisionistische Redebeiträge, die sich gegen die kritische Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus richteten oder den "Vollzug einer vollständigen gebietsmäßigen deutschen Einheit" forderten. Daneben wurde in verschiedenen Redebeiträgen mit der Leugnung des Klimawandels ein für den Rechtsextremismus relativ neues Thema aufgegriffen und in den Beiträgen führende Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten diffamiert. Insgesamt diente die Veranstaltung bei weitem nicht mehr nur der muslimenfeindlichen Agitation, sondern ist mittlerweile eine zentrale Plattform für die phänomenbereichsübergreifende und überregionale Vernetzung von Akteuren aus dem muslimenund fremdenfeindlichen Spektrum, dem traditionellen Rechtsextremismus und der "Reichsbürgerbewegung". 77 Rechtsextremistische Splittergruppen im muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremismus Neben den dominanten Akteuren IB B und WfD sind in der muslimenund fremdenfeindlichen Szene in Berlin weitere Einzelpersonen und Kleinstgruppen aktiv. Bereits 2014 gründete sich mit den "Berliner Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes" ("Bärgida") ein Ableger der Gida-Bewegung. Die Gruppierung driftete im Laufe der Zeit zunehmend in das rechtsextremistische Spektrum ab. Nachdem "Bärgida" zu Beginn noch wöchentlich Demonstrationen anmeldete, an denen sich zahlreiche Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum beteiligten, entwickelte sich "Bärgida" spätestens mit dem Jahr 2018 zur reinen Darstellungsplattform muslimenund fremdenfeindlicher Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten. 2019 schaffte es "Bärgida" nur noch in monatlichen Abständen höchstens 30 Sympathisierende zur Teilnahme an ihren Demonstrationen zu bewegen. Über ihre eigenen Veranstaltungen hinaus beteiligten sich "Bärgida"-Mitglieder 2019 als Teilnehmende und Redner an rechtsextremistischen Veranstaltungen im Bundesgebiet. "Bärgida" vertritt die spezifische Ideologie des "Netzwerks von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten", kann damit aber kaum mehr Mobilisierungserfolge erzielen. Auf "Bärgida"-Veranstaltungen wurde zudem mehrfach die antisemitisch konnotierte These vertreten, die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen sei ein "Vorwand [...] um die von der internationalen Hochfinanz geplante Masseneinwanderung zu organisieren".59 59 Die Begriffe "internationale Hochfinanz" und "Ostküste" stehen für die angeblich die USA beherrschenden "jüdischen Bankiers". Es handelt sich um antisemitische Kampfbegriffe, die bereits von den Nationalsozialisten verwendet wurden. 78 Rechtsextremismus Die GIDA-Bewegung Ende Oktober 2014 begannen in Dresden Demonstrationen, die sich unter dem Label "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) gegen die deutsche Asylund Flüchtlingspolitik und eine vermeintliche "Islamisierung" Deutschlands richteten. Nach und nach entstanden lokale Ableger dieser Demonstrationen in mehreren Bundesländern, darunter auch Berlin. Mit PEGIDA und den davon inspirierten Ablegern entwickelte sich eine Bewegung, deren Zusammenhalt u. a. auf Vorurteilen gegenüber Geflüchteten, Migranten und Muslimen beruht. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verfolgen seit Entstehung der verschiedenen GIDA-Bewegungen, ob es rechtsextremisti60 sche Steuerungsoder Einflussnahmeversuche gibt. Ab Ende 2018 versuchten "Bärgida"-Anhängerinnen und Anhänger an den französischen "Gelbwesten-Protest" anzuknüpfen. Aus dem "Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten" war es zunächst die Kleinstgruppierung "Patriotic Opposition Europe", die das GelbwestenPhänomen zu vereinnahmen versuchte. Über das Internet mobilisierte "Patriotic Opposition Europe" zu Versammlungen, bei denen zum Tragen von gelben Westen aufgerufen wurde. An den Veranstaltungen, die zumeist vor dem Reichstagsgebäude und dem Bundeskanzleramt stattfanden, beteiligten sich in der Regel weniger als 100 Personen. Bislang ist der Versuch, durch die Anknüpfung an das französische Gelbwesten-Phänomen Menschen des bürgerlichen Spektrums für rechtsextremistische Ziele einzuspannen, gescheitert. Gleichwohl dienten auch diese Veranstaltungen für muslimenfeindliche 60 Vgl. Bundestagsdrucksache 18/6889. 79 Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten und "Reichsbürger" als Vernetzungsplattform. Rechtsextremistische Agitation und Selbstinszenierung über das Internet: der "Volkslehrer" aus Berlin Seit September 2017 veröffentlichte der selbsternannte "Volkslehrer" aus Berlin Videos auf Youtube, in denen er rechtsextremistische Verschwörungsund Reichsbürgerthesen vertritt. Der "Volkslehrer" war im realen Leben als Lehrer an einer Berliner Grundschule tätig und wurde 2018 aufgrund von Äußerungen auf dem von ihm betriebenen Youtube-Kanal vom Land Berlin gekün61 digt. Seitdem inszeniert er sich im Internet als "Opfer" einer vermeintlichen "Willkürjustiz" und wertet seine Kündigung als vermeintlichen Beweis für eine mangelnde Rechtsstaatlichkeit. Der Youtube-Kanal des "Volkslehrers" hatte zeitweise über 70 000 Abonnentinnen und Abonnenten, bevor dieser wegen seiner rechtsextremistischen Inhalte gesperrt wurde. Seitdem veröffentlicht der "Volkslehrer" Videos auf einer Ausweichplattform, die auch von vielen anderen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten weltweit genutzt wird, sowie auf seinem Blog. Daneben verbreitet er rechtsextremistische Inhalte über Kurznachrichtendienste und mobilisiert von dort zu Veranstaltungen und Demonstrationen. Inszenierte er sich zunächst als "unpolitisch" und jemand, der unbequeme Wahrheiten ausspricht, suchte der "Volkslehrer" spätestens seit 2018 immer stärker die Nähe zu traditionellen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten. In seinen Videos und auf entsprechenden Veranstaltungen bot er Holocaustleugnerinnen und Holocaustleugnern wiederholt ein Forum. Er selbst stellte dabei das historische Ausmaß des Holocaust subtil infrage. Der "Volkslehrer" sucht gezielt die Öffentlichkeit, um zu provozieren. Im Europawahlkampf warb er für die NPD und nahm auch an Veranstaltungen der neonazistischen Kleinstparteien "Die Rechte" und "Der III. Weg" teil. 61 Vgl. Urteil des ArbG Berlin vom 16.1.2019, Az.: 60 Ca 7170/18. 80 Rechtsextremismus Das Weltbild des "Volkslehrers" ist von klassischem Rassismus geprägt. Er lehnt Partnerschaften zwischen Menschen mit unterschiedlichem ethnischen Hintergrund ab. Eine Dating-App bezeichnete er z. B. in einem seiner Videos als ein Instrument der "Rassenmischung". Die Bundesrepublik betrachtet er als vermeintlichen Willkürstaat, der von einer "globalistischen Clique" gelenkt würde. Demokratische Parteien macht der "Volkslehrer" verächtlich. In einem diesbezüglichen Video äußert er: "[...] eine Partei ist eine BRD-Partei [...] und wir wissen ja, dass die BRD eine Organisation ist, die dem Deutschen Reich übergestülpt wurde, von den Alliierten installiert, mit dem Ziel, das deutsche Volk weiterhin zu beherrschen und möglicherweise auch zu bekämpfen." Mit solchen Aussagen findet der "Volkslehrer" auch bei rechtsextremistischen "Reichsbürgern" Anschluss. Fazit und Ausblick Weltweit ist eine wachsende Gefahr durch den Rechtsterrorismus zu verzeichnen. Die Tötung von Dr. Walter Lübcke und das Attentat von Halle dokumentieren, dass die Gefahr schwerster Gewaltverbrechen durch radikalisierte Rechtsextremisten erheblich an Bedeutung gewonnen hat. Diese Täter handeln zwar allein, radikalisieren sich aber häufig in einem virtuellen Milieu, in dem rechtsextremistische Thesen unhinterfragt verbreitet und konsumiert werden können. In diesen Milieus werden Zerrbilder der Realität konstruiert, durch die sich potenzielle Attentäter als Vollstrecker eines vermeintlichen "Volkswillens" wähnen. 81 In der rechtsextremistischen Szene Berlins sind im Jahr 2019 die Grenzen zwischen dem traditionellen und dem muslimenfeindlichen Rechtsextremismus weiter verwischt. Vor allem traditionelle Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten haben ihren Anspruch auf breite Akzeptanz und gesellschaftlichen Anschluss insgesamt aufgegeben. Sie fokussieren sich mehrheitlich mit einer offen neonazistischen Ausrichtung auf die eigene Szene und verherrlichen die NS-Diktatur und deren Repräsentanten. Auf anschlussfähige Themen und Thesen verzichten sie weitestgehend. Diese Entwicklung ist auch Folge des Aufstiegs anderer Akteure, denen es gelingt, rechtspopulistische und anschlussfähige rechtsextremistische Positionen in weit stärkerem Ausmaß in die Gesellschaft zu tragen. So bleibt der traditionellen rechtsextremistischen Szene nur der Bezug auf sich selbst und die Pflege ihres verfassungsfeindlichen Gedankenguts im Rahmen interner Veranstaltungen. Solche Veranstaltungen, wie etwa Musikund Kampfsportevents haben sich in den letzten Jahren zu Großveranstaltungen mit mehreren tausend Teilnehmenden entwickelt. 2019 stagnierte diese Entwicklung allerdings, was auch mit einem konsequenteren staatlichen Vorgehen und verstärktem zivilgesellschaftlichen Engagement zusammenhing. Trotz oder sogar wegen seiner fehlenden gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit wird die rechtsextremistische Szene zumindest in Teilen aggressiver und geht gewaltsam gegen diejenigen vor, die sich gegen sie engagieren. Parallel dazu werden Gruppierungen wie die "Identitäre Bewegung" oder "Wir für Deutschland" weiter versuchen, das gesellschaftliche Klima durch ihre muslimenfeindliche Agitation zu vergiften. Diese Szene wird in Foren, sozialen Netzwerken und auch auf Veranstaltungen und Kundgebungen massiv Stimmung gegen Geflüchtete, Politikerinnen und Politiker und das demokratische System machen. Hier wird es von entscheidender Bedeutung 82 Rechtsextremismus sein, dass solche Propaganda weder verharmlost wird, noch unwidersprochen bleibt. Dieser Mixtur aus muslimenfeindlichen Stereotypen und verschwörungstheoretischen sowie demokratiefeindlichen Versatzstücken wohnt nicht weniger Gefahrenpotenzial inne wie der klassisch rechtsextremistischen Ideologie. 83 84 II 3 Reichsbürger und Aktuelle Entwicklungen Selbstverwalter in den Beobachtungsfeldern 3 Reichsbürger und Selbstverwalter "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Personenpotenzial in Berlin: 670 (2018: 670), davon rechtsextremistisch: 150 (2018: 150) "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven - beispielsweise unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den demokratisch gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten sprechen sie die Legitimation ab. Sie definieren sich teilweise in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Die "Reichsbürgerszene" teilt überwiegend die Vorstellung, Deutschland würde von einer "BRD GmbH" verwaltet oder sei weiterhin von den Alliierten besetzt. Ideologisch vertreten rechtsextremistische "Reichsbürger" zusätzlich neben Verschwörungstheorien zum Teil revisionistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen. Für die Umsetzung ihrer Ideologie treten sie aktiv ein, z. B. mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Vertretern von Gerichten und Behörden. Die sogenannte "Reichsbürgerszene" bewegt sich in einem extremistischen, aber nicht notwendigerweise klassisch rechtsextremistischen 86 Reichsbürger und Selbstverwalter Spektrum. "Reichsbürger" bilden einen eigenen verfassungsfeindlichen Phänomenbereich. Aus ihrer Vorstellungswelt heraus gründen "Reichsbürger" "kommissarische Reichsregierungen" oder "provisorische Regierungssitze", um vermeintliche Regierungsund Amtsgeschäfte zu führen. Sie versuchen als selbsternannte Repräsentanten von vermeintlich anerkannten Staaten beispielsweise Kontakte zu ausländischen Botschaften oder der UNO herzustellen. Ein großer Teil der Anhänger versucht, die aus ihrer Sicht fehlende Legitimität der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten sowie Pseudorechtsgutachten zu belegen. Dies machen "Reichsbürger" bevorzugt in umfangreichen Schreiben üblicherweise an Behörden, Politiker und Gerichte deutlich. Darüber hinaus bringen die Aktivisten - überwiegend gegen Bezahlung - Fantasieausweise in Umlauf, die deren Inhaber als "Bürger", "Mitglied" oder auch "Diplomat" der jeweiligen Gruppierung ausweisen. Rechtsextremistische "Reichsbürger" Die meisten "Reichsbürger" haben kein geschlossenes ideologisches Weltbild. Ihre Argumentationen kreisen häufig in pseudojuristischer Diktion um den Versuch, eine vermeintliche Nichtexistenz der Bundesrepublik Deutschland zu belegen. In Verbindung damit wird z. B. auf das Deutsche Kaiserreich, die preußische Verfassung, die Weimarer Reichsverfassung oder auf nicht existente Fantasiekörperschaften Bezug genommen, in deren Rechtstradition sich die "Reichsbürger" sehen oder denen vorzustehen sie behaupten. Rechtsextremistische "Reichsbürger" dagegen verbinden häufig 87 die Behauptung, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat sei, mit fremdenfeindlichen Einstellungen oder einem ausgeprägten Antisemitismus. In ihrer Vorstellung wurden historische Ereignisse, wie z. B. der Zweite Weltkrieg oder die Gründung der Bundesrepublik Deutschland, von einer imaginierten jüdischen Weltverschwörung ausgelöst. Einige der rechtsextremistischen "Reichsbürger" leugnen den Holocaust. Die Mehrheit der "Reichsbürger" sind keiner Gruppierung zuzurechnen. Sie halten teilweise in sozialen Netzwerken, mit eigenen Videokanälen oder Internetpräsenzen zueinander Kontakt. Seit einigen Jahren werden zunehmend Aktivitäten der "Reichsbürger" in der Öffentlichkeit bekannt. Dabei geht es z. B. um Krönungszeremonien von selbsternannten Königen, Demonstrationen vor dem Reichstagsgebäude oder Störungen von Gerichtsverhandlungen und Behinderungen von Vollzugsmaßnahmen. Trotz der querulatorischen Auffälligkeiten verhielt sich die "Reichsbürgerszene" in Berlin bislang fast nur verbal aggressiv. Ihre Drohungen in Schreiben hatten für die Adressaten bislang üblicherweise keine weiteren Folgen. Die "Geeinten deutschen Völker und Stämme", eine Reichsbürgergruppierung aus Berlin, fiel allerdings in der Vergangenheit mehrfach durch Aktionen auf, die über verbale Attacken hinausgingen. Dazu zählen insbesondere 88 Reichsbürger und Selbstverwalter die beabsichtigten "Übernahmen" öffentlicher Dienstgebäude. Im Januar war z. B. das Rathaus Steglitz Ziel einer solchen Aktion. Am Morgen des 10. Januar erschienen zwei Vertreter der Gruppierung kurz hintereinander im Rathaus Steglitz. Sie gaben sich als Gerichtsvollzieher aus und bekundeten die Absicht, das Rathaus "übernehmen" zu wollen. Die "Reichsbürger" erhielten von den anwesenden Polizisten einen Platzverweis. Im Jahr 2019 verschickte die Gruppierung meist aggressive Schreiben an staatliche und private Stellen. Die Absender geben sich in diesen Schreiben als Hoheitsträger wie z. B. als "Stellvertretender Magistrat von Berlin" aus oder operierten mit Fantasiebezeichnungen wie "Juristikarin" des "Höchsten Gerichts der Geeinten deutschen Völker und Stämme". Die in Berlin wohnhafte Hauptprotagonistin der Gruppierung postete regelmäßig Videos auf einem eigenen Youtube-Kanal, in denen sie ihre kruden Thesen darlegte. Sie bot auch bundesweit kostenpflichtige Seminare an. Hauptziel der Gruppierung ist eine "Reaktivierung" staatlicher Hoheitsgebiete und deren "Rückübertragung" unter die Verwaltung der "Geeinten deutschen Völker und Stämme". Im September kam es an zwei Örtlichkeiten in Berlin und anderen Städten zu Durchsuchungen bei Mitgliedern der Gruppierung wegen des Verdachts der Nötigung von Verfassungsorganen und Bildung einer kriminellen Vereinigung. Als weitere Gruppen waren in Berlin die "Stiftung 36 Grad" und "Staatenlos. info Comedian e. V." aktiv. Die "Stiftung 36 Grad" versandte bundesweit "kommerzielle Pfandrechte" an staatliche aber auch private Institutionen. In diesen Schreiben wurden von den Adressaten Zahlungen in erheblicher Höhe gefordert. Bei Nichtzahlung wurde eine Veröffentlichung von Personendaten im US-Schuldnerverzeichnis UCC angedroht. Hierüber ist theoretisch die Geltendmachung dieser Forderung über ein maltesisches Gericht in Europa möglich (sogenannte "MaltaMasche"). Bislang konnten "Reichsbürger" jedoch in keinem Fall ihre Fantasieforderungen durchsetzen. Gegen den Hauptprotagonisten der Gruppierung wurde im Juni im Zuge laufender Ermittlungen wegen versuchter Erpressung 89 und Beihilfe zu versuchter Nötigung ein Haftbefehl vollstreckt. Als Reaktion darauf veröffentlichte die "Stiftung 36 Grad" eine Verlautbarung auf ihrer Internetseite, unter der sie zahlreichen namentlich genannten Personen aus Politik, Medien und dem öffentlichen Leben unverhohlen drohte und die Freilassung ihres führenden Aktivisten forderte. Dieser wurde im August wegen oben genannter Vorwürfe zu einer Haftstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wurde, verurteilt. Die Gruppierung "Staatenlos.info Comedian e. V." behauptet, das "Dritte Reich" bestehe seit 1945 fort. Sie erkennt die Bundesrepublik Deutschland als souveränen Staat und die bestehende Rechtsordnung nicht an. Sie betrachtet die Bundesrepublik als eine von den Alliierten eingesetzte "Besatzungsverwaltung". Nach eigenem Bekunden verfolgt "staatenlos. info Comedian e. V." das Ziel der Schließung eines Friedensvertrags zwischen Deutschland und den Alliierten. Daneben setzen sie sich vordergründig für die "kollektive Entnazifizierung aller Deutschen" ein. Hierzu können entsprechende "Entnazifizierungsanträge" bei "Staatenlos.info Comedian e. V." eingereicht werden. Im Jahr 2019 rief die Gruppierung unter dem Label "Gelbe-Westen Berlin" zu mehreren Demonstrationen auf, an denen sich auch Personen und Gruppierungen aus dem "Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechtsextremisten" beteiligten. Der "Reichsbürgerszene" zugerechnet werden auch sogenannte Selbstverwalter, die auf eigenen Liegenschaften ein imaginiertes staatsähnliches Gebilde gründen und sich dort auf außerbundesrepublikanischem Gelände wähnen. In Berlin sind "Selbstverwalter" in der "Reichsbürgerszene" nur Ausnahmeerscheinungen. 90 4 Islamismus 4 Islamismus Ideologie Islamismus Der Islamismus ist eine politische Ideologie und steht für die Ideologisierung des Islam. Er erhebt den Anspruch, der Islam sei nicht nur Religion, sondern auch Herrschaftsideologie und Gesellschaftsordnung. Daraus resultiert die Forderung nach Anwendung der islamischen Rechtsund Werteordnung Scharia als umfassendes politisches und soziales Ordnungsprinzip. Trotz ideologischer Gemeinsamkeiten der islamistischen Strömungen existieren verschiedene, teils konkurrierende Konzepte, die von einer Ablehnung der Demokratie bis zur Beteiligung an Wahlen reichen. Erhebliche Unterschiede bestehen im Bereich der Gewaltorientierung. Während "legalistische" Islamisten nicht gewaltorientiert sind, gibt es Gruppen, die zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt befürworten oder anwenden. Zum Islamismus gehört auch der Salafismus in seiner politischen und jihadistischen Ausprägung. Islamismus lässt sich als Bestreben politischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts definieren, den Islam zu ideologisieren und dort, wo es möglich ist, entweder eine islamistische Herrschaft zu errichten oder die Gesellschaft zu islamisieren. Islamisten begreifen den Islam nicht allein als Religion, sondern als Herrschaftsideologie und als umfassendes Gesellschaftssystem. 92 Islamismus Die zentrale Botschaft des Islamismus ist die Behauptung, dass der Islam eine unteilbare Einheit von "Religion" und "Politik" bilde. Dem hieraus abgeleiteten politischen Anspruch versuchen Islamisten mit dem Slogan, der Islam sei "Religion und Staat" (arabisch: al-islam din wa-daula), Nachdruck zu geben. Kennzeichnend für einige islamistische Gruppen ist die Favorisierung frühislamischer und mittelalterlicher Herrschaftskonzepte - etwa die Vorstellung eines globalen Kalifats, in dem der Kalif als Führungsperson zugleich die weltliche und die religiöse Herrschaft ausübt. Darüber hinaus begreifen Islamisten die islamische Rechtsund Werteordnung Scharia nicht allein als Recht, sondern als absolut geltendes politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. So werben sie mit dem Schlagwort der "Anwendung der Scharia" meist für eine vollständige Umsetzung ihrer Bestimmungen. Typisch für militante Islamisten ist es auch, den inhaltlich an sich weit gefassten Begriff des Jihad (wörtl.: Anstrengung) eng auszulegen und insbesondere die Bedeutung von Kampf und Krieg zu betonen. Jihad umfasst in seiner eigentlichen Bedeutung in erster Linie das individuelle Bemühen eines jeden Muslims, ein gottgefälliges Leben zu führen (sogenannter großer Jihad). Die kriegerische Auslegung des Begriffs (sogenannter kleiner Jihad) ist in ihrem eigentlichen Verständnis lediglich zur Verteidigung des Islam gestattet. Dies wird von militanten Islamisten offensiv, z. B. für die Begehung von Terroranschlägen, interpretiert. Zudem wird dieses Verständnis des Jihad zu einer individuellen Pflicht jedes Muslims erklärt. Salafismus Innerhalb des islamistischen Spektrums stellt der Salafismus in seiner politischen und jihadistischen Ausprägung eine besonders radikalisierungsfördernde Ideologie dar. Salafismus bezeichnet eine unbedingte Orientierung an der Vorstellung von einer muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel bestanden haben soll. Salafisten fordern eine Gesellschafts-, Rechts-, und Herrschaftsordnung, die sich ausschließlich an einer wortgetreuen Auslegung von Koran und Sunna sowie 93 an den sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab.: al-salaf al-salih) orientiert. Die Absolutsetzung frühislamischer Herrschaftsund Rechtsformen hat zur Folge, dass jedes Abweichen von dieser Norm, die als "wahrer Islam" propagiert wird, als verbotene Verfälschung bzw. "Neuerung" (arab.: bid'a) abgelehnt wird. Im Gegensatz zu den übrigen islamistischen Gruppen und Ideologien in Deutschland, die - wie die "Milli Görüs-Bewegung", "Muslimbruderschaft", "Hizb Allah", HAMAS und "Hizb ut-Tahrir" - mehrheitlich nicht salafistisch ausgerichtet sind, verkörpert der Salafismus eine besonders rigide Islamismus-Variante. Hierzu gehört auch ein Exklusivanspruch des eigenen ideologischen Verständnisses. So versuchen Salafisten, die Scharia meist in ihrer ursprünglichen Form durchzusetzen und beharren darauf, dass ihre Bestimmungen zeitlos seien und keinesfalls angepasst werden dürften. Insbesondere Muslime werden von Salafisten aufgefordert, die salafistische Ideologie zu übernehmen und ihre Vorschriften zu befolgen. Hierzu gehört vor allem die - von den meisten anderen islamistischen Gruppen so nicht praktizierte - Diffamierung als "Ungläubige" (arab.: kuffar). Diese zielt bei Salafisten nicht allein auf Juden und Christen, sondern auch auf jene Muslime, die ihre Auffassungen nicht teilen. Entsprechend fordern sie zur Kontaktvermeidung und zum Abbruch der Beziehungen zu diesen "Ungläubigen" auf. Personenpotenziale Transnationale terroristische Netzwerke, zu denen auch "al-Qaida", der "Islamische Staat" und die "Islamistische nordkaukasische Szene" zählen, sind zumeist dezentral organisiert und agieren hauptsächlich im Verborgenen. In ihrem Umfeld sind oftmals auch Einzeltäter und Kleinstgruppen aktiv, die zwar von der Ideologie inspiriert sind, aber keine direkte Anbindung an das jeweilige Terrornetzwerk haben. Daher ist das Personenpotenzial terroristischer Netzwerke in Deutschland schwer zu erfassen. 94 Islamismus Der Salafismus ist seit über acht Jahren die am dynamischsten wachsende Bestrebung des Islamismus in Deutschland und auch in Berlin. Im salafistischen Spektrum Berlins ist bis Ende 2019 eine Zunahme von 1 020 auf 1 140 Salafisten zu verzeichnen, von denen 470 (Ende 2018: 460) als gewaltorientiert gelten. Es gibt weitere gewaltorientierte islamistische Organisationen, von denen ein Teil vor allem im Nahen Osten terroristisch agiert. Der andere Teil übt selbst keine Gewalt aus, ist aber gewaltbefürwortend. Das Personenpotenzial in diesem Bereich ist aufgrund der statistischen Erfassung des Personenpotenzials regimetreuer Iraner angestiegen. Personenpotenziale Berlin 2018 2019 Transnationaler islamistischer Terrorismus/Islamismindestens 20 mindestens 30 tisch-terroristisches Personenpotenzial, davon: Mujahidin-Netzwerke keine gesicherten keine gesicherten (z. B. al-Qaida/Islamischer Staat) Zahlen Zahlen Islamistische nordkaukasische Szene 20 20 Salafistische Bestrebungen 1 020 1 140 Sonstige gewaltorientierte islamistische Gruppierun355 400 gen, davon: Hizb Allah 250 250 HAMAS 70 70 Hizb ut-Tahrir (HuT) 35 40 Sonstige, insbesondere regimetreue Iraner EP 40 Legalistischer Islamismus, davon: 600 600 Muslimbruderschaft (MB) einschließlich 100 100 Deutsche Muslimische Gemeinschaft (DMG) "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) 500 500 Gesamt 1 995 2 170 EP = Einzelpersonen 95 Aktuelle Entwicklungen Salafistische Bestrebungen Salafismus Mitglieder in Berlin: 1 140, davon gewaltorientiert: 470 (2018: 1 020, davon gewaltorientiert: 460) Der Begriff "Salafismus" bezeichnet eine auf wahhabitischem Gedankengut basierende Bewegung, die aus unterschiedlichen Strömungen besteht. Der Verfassungsschutz beobachtet den politischen und den jihadistischen Salafismus. Beide Strömungen stellen eine verfassungsfeindliche Ideologie dar, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ge62 richtet ist. Politischer und jihadistischer Salafismus unterscheiden sich prinzipiell in der Wahl der Mittel. Der politische Salafismus stützt sich auf Propaganda zur Verbreitung seiner Ideologie. Der jihadistische Salafismus setzt hingegen auf eine Strategie der Gewaltanwendung. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend. Anders als noch vor einigen Jahren agieren Salafisten in der Öffentlichkeit deutlich zurückhaltender. Dementsprechend ist seit einiger Zeit ein zunehmender Rückzug in die Privatheit bzw. in das Internet festzustellen. Die Szene zieht sich bevorzugt in kleine private, teilweise konspirativ agierende Zirkel 62 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: "Salafismus als politische Ideologie", Berlin 2014 (nur im Internet abrufbar). 96 Islamismus zurück, wo salafistisches Gedankengut unter Ausschluss der Öffentlichkeit vermittelt werden kann. Gleichwohl dienen Moscheen nach wie vor als Plattformen für salafistische Vortragsveranstaltungen oder als Trefforte zur Vernetzung der salafistischen Szene. Daneben verbreiten Salafisten ihre Ideologie aber auch auf speziell organisierten Pilgerreisen sowie an Infoständen. Salafistische Moscheen in Berlin Insgesamt existieren in Berlin mehr als 100 Moscheen, davon haben etwa 10 Prozent eine salafistische Ausrichtung oder sind als Treffort von Salafisten bekannt. Zu den wichtigsten unter ihnen gehören die "Al-Nur-Moschee", die "Ibrahim al-KhalilMoschee" und die "As-Sahaba-Moschee". Al-Nur-Moschee Die Neuköllner "Al-Nur-Moschee" ist die älteste salafistische Moschee in Berlin. Obwohl sie überwiegend von nicht-salafistischen Muslimen besucht wird, beläuft sich der Anteil von Salafisten unter den Besuchern auf etwa 25 Prozent. Da auch der Vorstand und die Hauptakteure diesem Spektrum zuzuordnen sind, handelt es sich bei ihr um eine salafistisch dominierte Einrichtung. Seit einiger Zeit sind die Verantwortlichen bemüht, in der Öffentlichkeit ein moderates Bild von ihrer Moschee zu vermitteln. Dennoch fallen in den Freitagspredigten immer wieder salafistische Äußerungen. Hierzu gehört etwa die Forderung nach einer Gesellschaft, die nach den Gesetzen des Islams regiert werden solle. Darüber hinaus wird eine vermeintliche Verschwörung des Westens gegen die islamische Welt unterstellt und die muslimische Minderheit der Schiiten als vom "wahren Glauben" abgewichen diffamiert. 97 Auch im Islamunterricht, der sich insbesondere an ein junges Zielpublikum richtet, kommt es regelmäßig zu salafistischen Aussagen. Ein bis zum Frühjahr in der Moschee lehrender Prediger befürwortete z. B. das von vielen Salafisten propagierte Züchtigungsrecht des Ehemanns an seiner Ehefrau, ebenso wie 63 eine Ungleichbehandlung der Geschlechter. Ibrahim al-Khalil-Moschee Die "Ibrahim al-Khalil-Moschee" in Tempelhof war bis 2015 eine Anlaufstelle für Jihad-Salafisten. In den Predigten gab es immer wieder entsprechende Äußerungen. Aus Sorge vor einer möglichen Schließung durch die Behörden wurde 2016 ein anderer Imam verpflichtet, der seither eine moderatere Linie vertrat. Nachdem er im April die Moschee verlassen hatte, gibt es dort seit Ende des Jahres einen neuen Vorbeter. Trotz der Bemühungen, sich zumindest nach außen hin moderat zu präsentieren, ist der Vorstand der Moschee weiterhin salafistisch geprägt. Das salafistische Personenpotenzial unter den Besucherinnen und Besuchern liegt bei knapp 40 Prozent. Die salafistische Orientierung der Moschee zeigte sich auch darin, dass im Februar zwei einschlägige Bücher64 beschlagnahmt wurden, die beide auf dem Index der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM)65 stehen. Sie lagen vor der Moschee auf Büchertischen zur Mitnahme aus. Darüber hinaus fand vom 3. bis zum 6. Oktober das Jahrestreffen der somalischen Gemeinden in der "Ibrahim al-Khalil-Moschee" statt.66 An ihm nahmen mehrere somalische Gelehrte aus Schweden, Norwegen und 63 Vgl. Audiodatei eines salafistischen Islamunterrichts. Veröffentlicht auf der Internetseite eines salafistischen Predigers am 26. 11. 2018. Abgerufen am 14. 11. 2019. 64 Hierbei handelte es sich um die deutschsprachigen Ausgaben von Abdul-Rahman al-Sheha: "Botschaft des Islam", o. O. 2011 und ders.: "Missverständnisse über Menschenrechte im Islam", o. O. 2013. 65 Die BPjM begründete ihre Indizierung u. a. damit, dass der Inhalt dieser Schriften eine verrohende und zu Gewalttätigkeit anreizende Wirkung auf Kinder und Jugendliche habe. 66 Vgl. Facebook-Profil der "Ibrahim al-Khalil-Moschee" (arabischsprachig). Veröffentlicht am 27. 9. 2019. Abgerufen am 8. 11. 2019. 98 Islamismus Großbritannien teil, die die salafistische Ideologie vertreten. Ausrichter war zwar ein somalischer Verein aus Hessen, die "Ibrahim al-Khalil-Moschee" vermietete hierfür aber ihre Räumlichkeiten. Auch wenn die Veranstaltung nicht explizit so bezeichnet wurde, wies sie dennoch das typische Format eines "Islamseminars" auf. Salafistische "Islamseminare" Wichtiges Strukturelement salafistischer Aktivitäten in Deutschland sind "Islamseminare", seltener auch "Islamkurse" genannt. Es handelt sich um teils mehrtägige Veranstaltungen, die auch überregional Besucher anziehen. "Islamseminare" dienen der Vermittlung eines salafistischen Islamverständnisses und salafistischer Ideologie, der Werbung neuer Anhänger sowie der Kontaktpflege in den informell organisierten Netzwerken. Salafistische "Islamseminare" haben seit 2004 in allen Berliner Moscheen stattgefunden, die dem Salafismus nahestehen. Problematisch sind diese salafistischen Seminare auch wegen ihrer radikalisierungsfördernden Wirkung, da sie zumeist junge Menschen mit extremistischer Ideologie in Kontakt bringen. As-Sahaba-Moschee Die "As-Sahaba-Moschee" in Wedding spielte auch 2019 eine wichtige Rolle bei der Verbreitung salafistischer Ideologie. Rund die Hälfte ihrer Besucher werden als Salafisten eingestuft. Maßgeblichen Einfluss auf die Ausrichtung der "As-Sahaba-Moschee" übt ihr Imam "Abul Baraa" aus, der in seinen Predigten salafistische und teilweise gewaltbefürwortende Positionen vertritt: 99 "Weil die gesamte Welt übereingekommen ist, dass sie den Islam bekämpfen wollen. Möge Allah [...] die bekämpfen, die den Islam bekämpfen. Oh Allah, zähle sie und töte sie bis auf den letzten. Verschone keinen 67 einzigen von ihnen." Dieses Verschwörungsdenken ist ein häufig wiederkehrendes Thema in seinen Predigten. "Abul Baraa" bemüht das Bild der Muslime als Opfer. Dabei handelt es sich um ein typisches Element der salafistischen Ideologie. So betont er etwa, dass "der Islam von allen Seiten bekämpft wird - sei es durch die Medien, sei es durch die Politiker, sei es sogar durch das Militär. Jeder und alles be68 kämpft den Islam." Ein weiterer Beleg für die salafistische Überzeugung von "Abul Baraa" ist seine dezidiert anti-schiitische Haltung. So hob er hervor: "Erstmal sollte eine Person wissen, dass wir nur einen Glauben haben, wie er uns vorgegeben wurde und nicht wie er später erfunden wurde [...]. Was damals keine Religion war, ist heute auch keine Religion. Wisst Ihr, wer die schiitische Glaubenslehre überbracht hat? [...] Ein jüdischer Munafiq." 69 67 Videobotschaft von "Abul Baraa": "Leute die im Monat Ramadan das Fasten akzeptieren aber andere Gebote aus dem Quran nicht erfüllen". Veröffentlicht auf "Youtube" am 31.5.2019. Abgerufen am 17.7.2019 (Schreibweise entspricht der Originaläußerung von "Abul Baraa"). Ein Teil dieses Zitats ist aus dem Arabischen übersetzt. 68 Videobotschaft von "Abul Baraa": "Die Versammlung. Was passiert nachdem die Menschen aus ihren Gräbern herauskommen?". Veröffentlicht auf "Youtube" am 6. 9. 2019. Abgerufen am 29. 10. 2019. 69 Videobotschaft von "Abul Baraa": "Ein Shiite fragt Abul Baraa eine Frage. Alhamdulillah haben wir erfahren das er danach den richtigen Weg angenommen hat". Veröffentlicht auf "Youtube" am 9.7.2019. Abgerufen am 23.10.2019 (Schreibweise entspricht der Originaläußerung von "Abul Baraa"). Der arabische Ausdruck "Munafiq" bedeutet "Heuchler" bzw. "eine Person, die den Glauben nur vortäuscht". Es handelt sich um einen in salafistischen Kreisen üblichen diskriminierenden Begriff. 100 Islamismus Wie in den Jahren zuvor hielt "Abul Baraa" auch 2019 wieder salafistische Vor70 träge außerhalb von Berlin - etwa in Dormagen und Braunschweig. Durch diese sogenannten Deutschlandtouren hat er bundesweit mittlerweile einen beträchtlichen Bekanntheitsgrad erlangt. Pilgerreisen mit salafistischen Predigern Seit Jahren beobachten deutsche Sicherheitsbehörden, dass führende Prota71 gonisten der salafistischen Szene Pilgerreisen für Gruppen nach Mekka und Medina (mit-)organisieren. An diesen Reisen nehmen regelmäßig salafistische Prediger teil - darunter auch aus Berlin. Zu ihnen gehört der Imam der "AsSahaba-Moschee", "Abul Baraa". Über die Webseite Bakkah-Reisen werden Pilgerfahrten mit ihm als Leiter angeboten. Immer wieder begeben sich Anhänger der salafistischen Ideologie auf diese Pilgerreisen, bei denen sie tagelang in einer kleinen Gruppe in Kontakt mit einflussreichen salafistischen Predigern stehen. Es ist davon auszugehen, dass zumindest Teile der Einnahmen aus den Reisen in die salafistische Mission fließen. Vor diesem Hintergrund wurde "Abul Baraa" zusammen mit weiteren Personen am 4. August auf dem Flughafen München die Ausreise zu einer Pilgerfahrt untersagt. Salafistische Infostände Trotz der im Gegensatz zu früheren Jahren feststellbaren größeren Zurückhaltung von Salafisten bei ihren öffentlichkeitswirksamen Propaganda-Aktivitäten fanden in Berlin auch 2019 salafistische Infostände statt. Im Vergleich zu 2018 war sogar ein deutlicher Anstieg dieser Veranstaltungen zu verzeichnen. Dies hängt vermutlich damit zusammen, dass die Initiatoren der "We love Muhammad"-Kampagne seit einiger Zeit eng mit dem salafistischen Verein 70 Facebook-Profil von "Abul Baraa". Abgerufen am 18. 9. 2019, 25.10.2019 und 11. 12. 2019. 71 Hierbei unterscheidet man zwischen der "großen" (arab.: Hajj) und der "kleinen Pilgerreise" (arab.: Umra). Die Hajj ist die fünfte Säule des Islam und Pflicht für jeden Muslim. Sie findet im letzten Monat des islamischen Kalenders statt. Im Gegensatz dazu ist die Umra keine religiöse Pflicht. Sie kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Jahr durchgeführt werden. 101 "IMAN" (Glaube) aus Österreich zusammenarbeiten, der auch schon an anderen Orten in Deutschland aktiv ist. Neben den Infoständen bietet "IMAN" Workshops an, in denen Multiplikatoren geschult werden, Nicht-Muslime nach einer bestimmten Methode zur Konversion zu bewegen. Die Infostände firmieren seit dem Frühjahr unter dem neuen Motto "Ist das Leben nur ein Spiel?" Auch das Design hat sich gegenüber der früheren "We love Muhammad"-Kampagne verändert. Die Aufmachung weist nun große Ähnlichkeit zu den Infoständen von "IMAN" auf, das Motto wurde komplett übernommen. Es scheint, dass man sich durch eine solche Annäherung in der Gestaltung der Infostände Synergieeffekte bei der Verbreitung der salafistischen Botschaft verspricht. An den Ständen wird neben einer deutschen Übersetzung des Koran auch salafistische Literatur angeboten. Problematisch an diesen Infoständen ist dabei nicht die Verteilung des Koran, sondern der Versuch, Nicht-Muslime ebenso wie Muslime, die nach salafistischer Überzeugung vom "rechten Pfad" abgewichen sind, zur Annahme eines Islams salafistischer Prägung zu bewegen und sie im Sinne dieser extremistischen Ideologie zu beeinflussen. Die Infostände fanden samstags an unterschiedlichen Plätzen in den Bezirken Mitte und Neukölln statt. Ein Kreis von mindestens sechs Personen kümmert sich abwechselnd um die Standbetreuung. Islamistischer Terrorismus Die Gefährdungslage in Deutschland Islamistische Terroristen interpretieren den bewaffneten Kampf "für die Sache Allahs" 72 als höchste Form eines gottgefälligen Lebens. Diese Fokussierung auf den "kleinen Jihad" im Sinne des bewaffneten Kampfes erfolgt durch mediale, logistische und finanzielle Unterstützung bis hin zur Teilnahme an Kampfhandlungen oder der Durchführung von Anschlägen. 72 Der arabische Terminus hierfür lautet "fi-sabili llah". Er wird auch mit "auf dem Wege Allahs" oder "um Allahs willen" übersetzt. 102 Islamismus Von entscheidender Bedeutung hierbei ist das ideologische Element des "individuellen Jihad". Dieses Konzept bezeichnet (selbst-)radikalisierte Einzeltäter oder autonom handelnde Kleinstgruppen, die eigenständig terroristische Gewalttaten in ihren Heimatländern - darunter auch in Deutschland - planen und durchführen, ohne eine direkte Anbindung an eine Terrororganisation zu haben. Eine vorherige Ausbildung in einem terroristischen Lager an den JihadSchauplätzen ist dadurch nicht mehr erforderlich. 73 Nicht nur das Attentat auf dem Breitscheidplatz 2016, sondern auch die vereitelten Anschlagsplanungen der vergangenen Jahre machen deutlich, dass Deutschland - und Berlin als Hauptstadt - weiterhin im Fokus des islamistischen Terrorismus steht und einer anhaltend hohen Gefährdung unterliegt. Für diese Einschätzung spricht auch die Verhaftung eines 26-jährigen Syrers, die am 19. November erfolgte. Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, seit Januar Bauteile und Chemikalien für den Bau einer Sprengvorrichtung beschafft zu haben. Diese sollte zu einem nicht bekannten Zeitpunkt an einem unbekannten Ort in Deutschland gezündet werden, um eine möglichst hohe Anzahl an Menschen zu töten und zu verletzen. Im August und September hatte der Verdächtige Aceton und Wasserstoffperoxidlösung erworben. Beide Chemikalien werden zur Herstellung des hochexplosiven Sprengstoffs Triacetontriperoxid (TATP) benötigt. 73 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 33 f. 103 Terroristische Bedrohung durch jihadistische Netzwerke 74 Die Tötung ihres Anführers Abu Bakr al-Baghdadi am 27. Oktober stellte nach der militärischen Niederlage in Syrien und dem Irak einen weiteren schweren Rückschlag für die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) dar. Trotz der Gebietsverluste und dem Scheitern des Staatsbildungsprojektes hat der IS jedoch als Ideologiequelle und Impulsgeber für terroristische Anschlagsvorhaben nach wie vor eine herausgehobene Bedeutung. "Islamischer Staat" (IS) Die transnationale jihadistische Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) wurde Ende Juni 2014 im nordirakischen Mossul gegründet. Nach den Eroberungen des IS von Teilen des Iraks und Syriens war es 2014 erstmals einer jihadistischen Organisation gelungen, zusammenhängende Gebiete zu kontrollieren, in denen sie zeitweise staatsähnliche Strukturen etablieren konnte. Mit der Ausrufung des "Kalifats" und der Bezeichnung als "Islamischer Staat" unterstrich der IS seinen globalen Anspruch, alle Muslime zu vertreten. In der Folge schworen zahlreiche jihadistische Organisationen dem "Kalifen" des IS die Treue und gründeten "Provinzen des IS", darunter in Libyen, dem Sinai und im Jemen. Ideologisch vertritt der IS eine besonders rigide Form des jihadistischen Salafismus, bei dem alle Andersgläubigen und -denkenden für ungläubig erklärt werden (arab.: Takfir). Dies legitimiere nach Auffassung des IS deren Tötung, auch wenn es sich um Muslime handelt. 74 Vgl. Audiobotschaft des IS-Sprechers Abu Hamza al-Qurashi: "Und wer erfüllt, wozu er sich Gott gegenüber verpflichtet hat, dem lässt er einen großartigen Lohn zukommen". Veröffentlicht auf Telegram am 31. 10. 2019. Abgerufen am 31. 10. 2019. 104 Islamismus Die Verwirklichung der "Staatsidee" und die Territorialverteidigung haben das Handeln des IS lange bestimmt. Der zunehmende mili75 tärische Druck der Anti-IS-Koalition, großräumige Gebietsverluste und ein nachlassender Zustrom von Jihadisten haben im Jahresverlauf 2017 die "staatsähnlichen" Strukturen des IS in Syrien und Irak kollabieren lassen. Die Vereinten Nationen, die USA, Deutschland und weitere Staaten haben den IS als Terrororganisation eingestuft. Nachdem der IS aus den von ihm eroberten Territorien zurückgedrängt worden war, fand eine Reorganisation im Untergrund statt. In der aktuellen Phase der asymmetrischen Kriegsführung verfolgt der IS eine mehrgleisige Strategie: In seinen Kerngebieten Irak und Syrien will man die Gegner mit einer "Hit-and-Run"-Taktik möglichst nicht zur Ruhe kommen lassen und durch nadel stichartige Angriffe einen Zermürbungskrieg gegen sie führen. Propagandistisch wird der IS weiter darauf abzielen, die Aktivitäten seiner "Provinzen" 76 hervorzuheben und durch weiteres Ausrufen von "Provinzen" sowie die Anerkennung von Gruppierungen eine territoriale Ausbreitung zu suggerieren, 75 Die offizielle Bezeichnung für dieses 2014 ins Leben gerufene Militärbündnis unter Führung der USA lautet "Internationale Allianz gegen den Islamischen Staat". Ihm gehören zahlreiche westliche, aber auch arabische Staaten sowie die Türkei an. Deutschland beteiligt sich ebenfalls an dieser Allianz. 76 Der Begriff "Provinz" (arab.: wilaya) bezeichnet hier eine Organisationseinheit des IS, die jeweils für ein bestimmtes Gebiet zuständig ist. So existieren u. a. die IS-"Provinzen" Syrien oder Irak, aber auch die IS-"Provinz" Khorasan, die Afghanistan, Pakistan, den Iran und Teile Zentralasiens umfasst. Der Zuschnitt der IS-"Provinzen" wurde in den vergangenen Jahren mehrfach verändert. 105 um den global-jihadistischen Anspruch der Organisation zu betonen. Im Westen wird der IS weiterhin bestrebt sein, terroristische Anschläge zu begehen, um gegenüber seinen Anhängern Stärke und Handlungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. Dies gilt nach wie vor auch für Deutschland und Berlin. 77 "Rückkehrerinnen" und "Rückkehrer" In den vergangenen Jahren war das Thema Ausreisen von Angehörigen der salafistischen Szene in das Herrschaftsgebiet des IS für deutsche Sicherheitsbehörden von zentraler Bedeutung. Für Berlin geht man aktuell von mehr als 135 Personen aus, die in die Region ausgereist sind. Rund ein Viertel von ihnen sind Frauen. Das Alter von etwa der Hälfte der Ausgereisten lag zwischen 20 und 30 Jahren, mehr als ein Drittel war älter als 30 Jahre. Rund 15 Prozent waren zum Ausreisezeitpunkt jünger als 20 Jahre, weniger als 10 Personen minderjährig. Zu rund 20 der ausgereisten Personen liegen Informationen vor, dass diese mutmaßlich im Kriegsgebiet verstorben sind. Nach Berlin zurückgekehrt sind bislang etwa 65 Personen, knapp 20 Prozent von ihnen sind Frauen. Aufgrund der militärischen Niederlage des IS und dem Verlust seines sogenannten "Kalifats" ist eine erhöhte Rückkehrerzahl zu erwarten. Hierbei spielt auch die Problematik von IS-Anhängern in kurdischen Gefangenenlagern eine große Rolle. Der Einmarsch der Türkei nach Nordsyrien hat die Situation zusätzlich verschärft. Soweit entsprechende Erkenntnisse vorlagen, wurden gegen die Rückkehrer Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, auf Bildung terroristischer Vereinigungen oder einer kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland78 eingeleitet und Gefährdereinstufungen durch die Polizei vorgenommen. 77 Der Begriff der "Rückkehrer" bezeichnet Personen, die in der Vergangenheit mit dem Ziel ausgereist sind, den IS in den von ihm eroberten Gebieten in Syrien und Irak zu unterstützen. Nicht alle haben tatsächlich diese Gebiete erreicht. 78 SSSS 89a, 129a, b StGB. 106 Islamismus Die Berliner Behörden haben sich durch ein "Ganzheitliches Handlungskonzept" auf den Umgang mit Rückkehrern eingestellt, das über die polizeiliche und nachrichtendienstliche Zuständigkeit hinausgeht. Das Konzept sieht auf den jeweiligen Einzelfall anzupassende Maßnahmen u. a. des Strafrechts, der Gefahrenabwehr, der Deradikalisierung, der Extremismusprävention, des Kinderbzw. Jugendschutzes und der Gesundheitsversorgung vor. Im August wurde in der Senatsverwaltung für Inneres und Sport eine Rückkehr-Koordinationsstelle eingerichtet, die für eine ressortübergreifende Abstimmung entsprechender Maßnahmen bei Rückreisefällen zuständig ist. Neben den Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden sind auch andere Einrichtungen, wie etwa Jugend-, Schulund Sozialämter, Kindertagesstätten und Jobcenter, in diesen Prozess eingebunden. Die Berliner Verfassungsschutzbehörde ist ständiges Mitglied der RückkehrKoordinationsstelle und nimmt an den Fallkonferenzen teil, bei denen sich die Vertreter der verschiedenen Behörden austauschen und ihre Maßnahmen abstimmen. Fazit und Ausblick Anhängerinnen und Anhänger des Salafismus agieren und agitieren zunehmend vorsichtiger. Parallel dazu bilden sich kleine, konspirative Gruppen, in denen insbesondere jihad-salafistische Personen ihre kompromisslosen und gewaltaffinen Positionen propagieren. Offensichtlich sollen den Sicherheitsbehörden keine Gründe für Verbote oder andere Exekutivmaßnahmen gegeben werden. Dies wird auch durch ein zunehmendes Ausweichen der salafistischen Protagonisten ins Ausland deutlich. So scheint es, dass unter den diversen Missionierungsaktivitäten Pilgerreisen mit salafistischen Predigern an Bedeutung gewinnen werden. Das Internet als Plattform zur Verbreitung der salafistischen Propaganda wird weiterhin eine große Rolle spielen. Bei einigen Salafisten sind im virtuellen Raum deutlich gewaltorientiertere Positionen zu finden. Bemerkenswerterweise 107 agieren dieselben Personen in der Realwelt häufig vorsichtiger und zurückhaltender. Die weitgehende Anonymität des Internets scheint hier eine enthemmende Wirkung zu haben. Gewaltphantasien werden teilweise offen ausgelebt. Mit Blick auf andere Extremismusbereiche ist eine wechselseitige Eskalation mit dem muslimenfeindlichen Spektrum im Rechtsextremismus vorstellbar. Sofern rechtspopulistische Parteien und Bewegungen mit ihrer pauschalen Islamablehnung weiterhin politischen und gesellschaftlichen Einfluss gewinnen, könnten deren Kritik und Ablehnung des Islam als Verstärker für den auch unter Salafisten beliebten Opfermythos "Der Westen gegen die Muslime" genutzt werden. Dies könnte einerseits der salafistischen Szene Zulauf aus bisher nicht-extremistischen muslimischen Kreisen bescheren. Andererseits kann dies zu einer Radikalisierung einzelner salafistischer Akteure oder Gruppen beitragen. Der Schritt zur Gewaltanwendung gegen den politischen Gegner ist dann nicht mehr weit. Sonstige gewaltorientierte Islamisten Neben den salafistischen Bestrebungen, deren jihadistischer Anteil von terroristischen Netzwerken dominiert wird, existieren weitere islamistische Organisationen, deren Agenden gleichfalls Bezüge zur Gewalt aufweisen. Dazu gehören zum einen islamistische Organisationen, die vor allem im Nahen Osten agieren, während sie sich in Deutschland in der Regel gewaltfrei verhalten. Zu ihnen zählen insbesondere die palästinensische HAMAS und die libanesische "Hizb Allah". Allerdings beteiligen sich Anhängerinnen und Anhänger dieser Organisationen an israelfeindlichen Veranstaltungen in Berlin.79 Zum anderen gibt es andere gewaltorientierte islamistische Gruppierungen, die selbst keine Gewalt ausüben, sie jedoch befürworten und Gewalt anderer Organisationen propagandistisch einsetzen oder im Sinne ihrer Interessen legitimieren. Hierzu zählt die in Deutschland seit 2003 verbotene "Hizb ut-Tahrir" (HuT). 79 S. hierzu auch S. 118 f. 108 Islamismus Hizb ut-Tahrir (HuT) "Hizb ut-Tahrir" (HuT) - "Partei der Befreiung" Gründung: 1953 Mitglieder in Berlin: 40 (2018: 35) Die in Jordanien von Taqi ad-Din an-Nabahani (1909 -1977) gegründete "Hizb ut-Tahrir" ist eine sunnitische panislamistische Organisation, die in fast allen Ländern des Nahen Ostens und Zentralund Südostasiens aktiv ist. Da sie zum Sturz der dortigen Regierungen aufruft, ist sie in den meisten mehrheitlich muslimischen Ländern verboten. Sie agiert meist im Untergrund. Derzeitiger Vorsitzender der HuT ist der Jordanier Ata Abu al-Rashta, der im Libanon vermutet wird. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern gegen die HuT ein Betätigungsverbot. In den meisten anderen westlichen Ländern ist die Organisation hingegen nicht verboten. Die Ideologie der HuT kennzeichnet die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie als vermeintlich unislamisch, eine ausgeprägte Judenfeindschaft einhergehend mit dem Aufruf zur Vernichtung des Staates Israel, ein Streben nach der Überwindung nationalstaatlicher Strukturen sowie nach der Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Errichtung eines weltweiten Kalifats sowie die Einführung der Scharia als politisches und soziales Ordnungsprinzip. 109 Aufgrund des bestehenden Verbots hat sich die Rekrutierungsstrategie der HuT verändert. Es werden überwiegend Gruppen in sozialen Medien, wie die 80 "Nebevi Cözüm Cemiyeti" (NCC) genutzt, bei denen die Wechselwirkungen zwischen diesen Gruppen und der HuT verschleiert werden. Es geht darum, junge gebildete Menschen für eine "islamische Identität" in Opposition zu einer "deutschen Identität" zu begeistern, um auf diese Weise eine ablehnende Haltung gegenüber dem deutschen Staat und seiner Gesellschaft zu fördern. Entsprechend der islamistischen Ideologie des HuT-Gründers an-Nabahani wird der Islam nicht als Religion, sondern als Herrschaftsideologie und als umfassendes Gesellschaftssystem verstanden. Das ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar. Aktuelle Debatten, z. B. um das "Kopftuchverbot", oder Diskriminierungserfahrungen von Muslimen werden von der HuT aufgegriffen und im Sinne ihrer Ideologie umgedeutet. So versuchte sie, eine Entfremdung junger Muslime von der Mehrheitsgesellschaft zu erreichen. 80 Türkisch für: "Gemeinschaft der prophetischen Lösungen". NCC versteht sich als Forum türkischer Akademiker, die sich zu islamischen Themen bilden wollen. 110 Islamismus HAMAS HAMAS ("Bewegung des Islamischen Widerstands") Gründung: 1987 Mitglieder in Berlin: 70 (2018: 70) Die im Gazastreifen gegründete sunnitische HAMAS entstammt dem palästinensischen Zweig der "Muslimbruderschaft" (MB). In ihrer Charta von 1988 verneint die HAMAS das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" durch den bewaffneten Kampf sowie die anschließende Errichtung eines "Islamischen Staates Palästina" an. Durch ihre Kritik an den Friedensverhandlungen der palästinensischen Autonomiebehörde sowie durch ihr Netzwerk sozialer und karitativer Einrichtungen hat die HAMAS politische und gesellschaftliche Bedeutung. Seit Juni 2007 übt sie im Gazastreifen die alleinige Kontrolle aus. Die HAMAS wird seit 2003 auf der Liste terroristischer Organisationen der Europäischen Union (EU-Terroristenliste)81 geführt. In Deutschland tritt die HAMAS nicht offen auf. Ihre Anhänger treffen sich in Moscheen und islamischen Zentren. 81 Die "EU-Terroristenliste" ist eine Liste von Personen, Vereinigungen und Organisationen, die an Terrorhandlungen beteiligt waren und restriktiven Maßnahmen unterliegen sollen. Sie wurde durch die Europäische Union im Dezember 2001 eingerichtet und wird regelmäßig überprüft. Vgl. www.consilium.europa.eu/de/policies/fight-against-terrorism/terrorist-list/. 111 Hizb Allah "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 Mitglieder in Berlin: 250 (2018: 250) Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") entstand 1982 als paramilitärische Bewegung, die aus ideologischen, regionalpolitischen und konfessionellen Motiven von Iran und Syrien unterstützt wird. Als ehemalige Kriegsmiliz im Libanon unterhält die "Hizb Allah" einen militärischen Flügel mit der Bezeichnung "Islamischer Widerstand" (arab.: "Al-Muqawama al-Islamiya"). Die "Hizb Allah", die im Libanon im Parlament vertreten ist, negiert das Existenzrecht Israels und propagiert den bewaffneten Kampf. Die "Hizb Allah" wird u. a. von den USA, Großbritannien und Israel als Terrororganisation eingestuft. Als Reaktion auf einen Anschlag in Bulgarien am 18. Juli 2012, bei dem fünf Israelis starben, beschlossen die EU-Außenminister am 22. Juli 2013, den militärischen Flügel der "Hizb Allah" in die "EU-Terroristenliste" aufzunehmen. 112 Islamismus Legalistischer Islamismus In der Agenda legalistischer Islamisten spielt Gewalt keine Rolle. Zur Durchsetzung ihrer islamistischen Vorstellungen, die sie in der Regel vor der Öffentlichkeit verbergen, versuchen sie, alle rechtlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen. Dabei sind sie bestrebt, als vermeintliche Interessenvertreter der gesamten muslimischen Glaubensgemeinschaft aufzutreten. Innerhalb dieser Gemeinschaft versuchen sie, eigene politische Interessen mit legalen Mitteln durchzusetzen. Ihre Organisationsstrukturen dienen als Mittel, die Deutungshoheit über den gelebten Islam in Deutschland zu erlangen und dabei auch islamistische Positionen im gesellschaftlichen Diskurs zu verankern. So versuchen sie, öffentliche Debatten zur Integration und zum interreligiösen Dialog in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird ebenfalls nicht vorbehaltslos mitgetragen. Legalistische Islamisten nehmen vielmehr eine opportunistische Position zum deutschen Recht ein. Einige legalistische Islamisten vertreten zudem offen Positionen, etwa zur Gleichbehandlung der Geschlechter, zum Antisemitismus oder zum Staatsmodell demokratischer Staaten, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht im Einklang stehen. Zu den legalistischen Islamisten in Deutschland zählen die "Muslimbruderschaft" und die türkische "Milli Görüs-Bewegung". 113 "Milli Görüs-Bewegung" (MGB) "Milli Görüs-Bewegung" (MGB) Mitglieder in Berlin: 500 (2018: 500) Die Ideologie der "Milli Görüs-Bewegung" beruht auf den politischen Konzepten von Necmettin Erbakan, die von ihm mit den Begriffen "Milli Görüs" (Nationale Sicht) und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung) charakterisiert wurden. Erbakan wollte die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus vereinen, die bestehende "nichtige" bzw. "falsche Ordnung" (batil düzen) überwinden und sie durch eine "gerechte Ordnung" - mit letztlich globalen Anspruch - ersetzen, die auf der göttlichen Offenbarung begründet ist bzw. sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. Erbakan lehnte wesentliche demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der "gerechten Ordnung" ab und propagierte die Überwindung des Laizismus, die Schaffung einer "neuen, großen Türkei" sowie die Errichtung einer "gerechten Wirtschaftsordnung" auf autoritär-korporatistischer Basis. In diesem Zusammenhang vertrat er auch offen antisemitische Stereotype. Auch nach Erbakans Tod im Jahr 2011 wird das von ihm propagierte Gesellschaftsmodell von der "Milli Görüs-Bewegung" (MGB) verbreitet. 114 Islamismus Mit etwa 500 Anhängerinnen und Anhängern ist die "Milli Görüs-Bewegung" (MGB) die zahlenmäßig größte Organisation des legalistischen Islamismus in Berlin. Hier werden u. a. die "Erbakan Stiftung" und die "Saadet Europa Regio82 nalverein Berlin e. V." (SP) als Organisationen der MGB zugerechnet. "Saadet Europa Regionalverein Berlin e. V." Bereits 2016 wurde in Berlin der örtliche Verein "Saadet Deutschland Regionalverein Berlin e. V." gegründet, der sich in diesem Jahr analog zur Deutschlandvertretung in "Saadet Europa Regionalverein Berlin e. V." umbenannte. Mit einer Jugendund einer Frauengruppe existieren umfangreiche Strukturen in Berlin. Die SP bekennt sich offen zu Erbakan und hält an den Kernzielen seiner Ideologie fest. Diese stellt die westliche Demokratie als zu überwindendes Unterdrückungssystem dar. Zudem hatte Erbakan sich bis zu seinem Tod immer wieder antisemitisch geäußert: "Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben einen starken Glauben, eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen." 83 Antisemitismus wird zudem häufig als Kritik am Staat Israel formuliert. Neben den als "Imperialisten" bezeichneten westlichen Staaten ist aus "Milli Görüs"Sicht eine angebliche "zionistische Verschwörung" schuld an politischen Missständen. Im Zentrum der Aktivitäten stehen auch für die SP die Glorifizierung Erbakans und das Bestreben, die "Milli Görüs"-Idee zu verbreiten. Dazu fand am 3. März eine Gedenkfeier im Bezirk Mitte statt. Dabei wies ein Redner darauf hin, dass Erbakan kein Theoretiker sei, der "utopische Träume träume": 82 Vormals "Saadet Deutschland Regionalverein Berlin e. V.". 83 Interview der Berliner Morgenpost mit Erbakan, online erschienen am 8. 11. 2010. 115 "Er plante, wie die Menschheit aus dem bestehenden Rad der Ausbeutung herauskommt, und hat die notwendigen Schritte zur Umsetzung dieses Plans vorgenommen. [...] Alle Menschen würden von der Macht der 'Milli 84 Görüs' aus dem "System der Ausbeutung" gerettet werden, sagte er." "Erbakan-Stiftung" Im Sommer 2013 wurde die "Erbakan-Stiftung" in der Türkei durch Fatih Erbakan - dem Sohn Necmettin Erbakans - gegründet, um die Ideen seines Vaters wiederzubeleben, die "Milli Görüs-Bewegung" wieder enger auf dessen Ideen zu verpflichten und sie dadurch zu stärken. Die "Europavertretung der Erbakan-Stiftung" wurde 2015 in Solingen gegründet. In Berlin gibt es seit Januar 2015 ein Facebook-Profil der "Erbakan-Stiftung Berlin". Die Seite zeigt ältere Videos und Zitate des Verstorbenen. Bei den von der Stiftung durchgeführten Veranstaltungen handelt es sich größtenteils um Zusammenkünfte zu Ehren des Begründers der "Milli Görüs-Bewegung". Sie belegen die Anbindung der "ErbakanStiftung" in Berlin an Erbakan und die von ihm geprägte "Milli Görüs"-Ideologie. Zentral sind weiterhin die Glorifizierung Erbakans und der Versuch, die "MilliGörüs"-Weltsicht zu verbreiten. 84 "Milli Gazete", Internetausgabe vom 15. 3. 2019. Abgerufen am 14. 2. 2020. 116 Islamismus Muslimbruderschaft (MB) "Muslimbruderschaft" (MB)/ "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" (DMG) Gründung: 1928 in Ägypten (MB), 1960 in Deutschland (DMG, ehemals IGD) Mitglieder in Berlin: 100 (2018: 100) Die von Hassan al-Banna 1928 in Ägypten gegründete "Muslimbruderschaft" (MB) ist die älteste arabische islamistische Gruppierung. Die pan-islamistische MB ist heute, teils unter anderen Namen, in vielen Ländern des Nahen Ostens vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. Die ägyptische MB agierte von den 1940er bis zu den 1960er Jahren phasenweise militant. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt sie seit der Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 1970er Jahren. Die MB definiert den Islam als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sei und erhebt Koran und Sunna zur Richtschnur des politischen Handelns. Hieraus leitet sie ihre Forderung nach einer umfassenden Anwendung der Scharia und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die MB jedoch ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines "zivilen Staates mit islamischem Referenzrahmen" bzw. einer "islamischen Demokratie" reicht. In Deutschland gilt die "Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG, ehemals: "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V." (IGD) als wichtigste und mitgliederstärkste Organisation von MBAnhängern. Sie hat ihren Sitz in Berlin. 117 Antisemitismus und Israelhass Im Zusammenhang mit dem Nahostkonflikt und vor allem in der ablehnenden Haltung gegenüber Israel finden extremistische Organisationen unterschiedlichster Couleur eine gemeinsame Basis. Dieses Thema vereint die oben benannten islamistischen Organisationen HAMAS, MB, HuT und "Hizb Al85 86 lah" mit der säkularen "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP). Auch wenn sie sich in ihren ideologischen Grundlagen unterscheiden, bilden Antisemitismus und der Hass auf Israel ein einigendes Fundament für die Anhängerinnen und Anhänger dieser Gruppierungen. HAMAS, MB, HuT, "Hizb Allah" und die PFLP negieren das Existenzrecht Israels und propagieren den bewaffneten Kampf bis zur Vernichtung Israels. Dies wird beispielsweise in dem Slogan "Palestine will be free - from the river to the sea", den nahezu alle islamistischen Organisationen benutzen, deutlich. Der Satz formuliert die Befreiung Palästinas vom Jordan bis zum Mittelmeer und impliziert damit die Vernichtung Israels. Verbot antisemitischer und israelfeindlicher Veranstaltungen In Berlin gab es 2019 mehrere Ankündigungen für Demonstrationen, Vorträge, Diskussionsrunden oder Konzerte, bei denen bereits im Vorfeld Erkenntnisse erlangt wurden, dass es sich um antisemitische bzw. israelfeindliche Veranstaltungen handeln würde. Die Berliner Senatsverwaltung für Inneres und Sport verbot in diesem Jahr mehreren Personen, bei Veranstaltungen in Berlin aufzutreten. Rechtsgrundlage dafür war jeweils SS 47 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), nach dem die politische Betätigung eines Ausländers verboten oder beschränkt werden kann. Vereitelter Auftritt einer PFLP-Aktivistin Am 15. März sollte die palästinensische PFLP-Aktivistin Rasmea Odeh eine Rede in Berlin halten. Odeh war 1970 in Israel wegen Beteiligung an einem 85 Zu den genannten Organisationen s. auch S. 109 ff. 86 Weiteres zur PFLP s. S. 132. 118 Islamismus Bombenanschlag am 21. Februar 1969 auf einen Supermarkt in Jerusalem zu lebenslanger Haft verurteilt worden und neun Jahre später aufgrund eines Gefangenenaustauschs freigekommen. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport Berlin verbot den geplanten Auftritt. Odeh wurde untersagt, sich in Berlin politisch zu betätigen. Nachdem das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die Entscheidung der Ausländerbehörde Berlin über die Aufhebung des Schengen-Visums bestätigt hatte, reiste Rasmea Odeh am 1. April freiwil87 lig aus. Beschränkungsmaßnahme gegen einen PFLP-nahen Kanadier Im Juni wurde gegen einen kanadischen Staatsbürger eine Beschränkung seiner politischen Betätigung verhängt. Er hatte sich in der Vergangenheit mehrfach antisemitisch geäußert und sich bundesweit an Aktivitäten der PFLP beteiligt. Am 22. Juni sollte er in Berlin als Referent bei einer Veranstaltung "Palästina und die Araber - amerikanischer Deal des Jahrhunderts vom Kompromiss bis zur Liquidation" auftreten. Am 30. August reiste auch er aus. Auftrittsverbot wegen israelfeindlicher Liedtexte Am 25. September verbot die Senatsverwaltung für Inneres und Sport den Auftritt zweier palästinensischer Musiker am Brandenburger Tor, da sie in ihren Liedern und Videos klassische antisemitische Vorurteile bedienten und eine nicht hinnehmbare Vernichtungsrhetorik verwendeten. Eines ihrer Lieder handelt von der Bombardierung Tel Avivs und anderer israelischer Städte durch einen "palästinensischen Widerstand". Der "al-Quds"-Tag in Berlin Auch die jährliche Demonstration anlässlich des sogenannten "al-Quds"Tages in Berlin wird regelmäßig durch die Veranstaltungsbehörde mit strengen Auflagen belegt. Dies betrifft die Verwendung und das Skandieren antisemitischer Slogans und die Symbolik israelfeindlicher Organisationen wie der 87 Vgl. OVG Berlin, AZ: OVG 3 S 20.19, Beschluss vom 29. 3. 2019. 119 "Hizb Allah". In der Kampagne zur Mobilisierung für die Demonstration am "al-Quds"-Tag 2019 warben die Organisatoren im Internet mit dem Slogan "Demonstration für einen gerechten Frieden in Palästina" und dem Hashtag "#BoycottApartheidIsrael". Eine Woche später erschien unter dem Titel "Sorgen um die Heimat" eine Rede des Sprechers der Organisatoren auf der Mobilisierungsseite im Internet. Darin wurde u. a. ausgeführt: "Lasst es nicht zu, dass die Israel-Lobby mit unseren eigenen Steuergeldern unsere Demokratie abbaut. Arbeitet an der Unabhängigkeit der Bundesrepublik gegenüber den Zionisten. Sie umgehen die demokratischen Strukturen und unterwandern unsere Demokratie. [...] Ich möchte nicht, dass meine Kinder und Enkelkinder genauso wie die Generation meiner Eltern vor aller Welt als Täter bezeichnet werden. Retten wir gemeinsam unsere Demokratie und unsere Kinder und Enkelkinder vor dem 88 schlechten Täter-Image in der Welt." Hier wird Israel in antisemitischem Duktus als Teil einer Allianz von "Kriegstreibern" diffamiert und die deutsche Kriegsschuld auf Israel projiziert. Organisatoren und Unterstützer des "al-Quds"-Tages in Berlin sind die Anhängerinnen und Anhänger der islamistischen Theokratie schiitischer Prägung im Iran. Zur iranischen Staatsdoktrin gehört auch eine stringente antisemitische Vernichtungsrhetorik gegen Israel, die bereits in den 1960er Jahren in Aussagen des späteren Revolutionsführers Khomeini nachweisbar ist. Führende Repräsentanten des Iran haben diese Doktrin wiederholt bestätigt, so z. B. der heutige Revolutionsführer Ali Khamenei in einem Tweet vom 3. Juni 2018: 88 Internetseite des "al-Quds"-Tages, abgerufen am 27. 5. 2019. 120 Islamismus "Unsere Haltung gegenüber Israel ist dieselbe Haltung, die wir immer vertreten haben. #Israel ist ein bösartiges Krebsgeschwür in der westasiatischen Region, das entfernt werden muss. Das ist möglich und es 89 wird passieren." Dem Iran nahe steht in Berlin die "Islamische Gemeinde der Iraner in BerlinBrandenburg e. V." (IGIBB). Sie ist mit dem "Islamischen Zentrum Hamburg e. V." (IZH) verbunden. Das IZH in Hamburg ist das einflussreichste Zentrum schiitischer, dem Iran nahestehender Muslime in Deutschland. Es zählt zu den ältesten islamischen Institutionen in Deutschland und ist neben der Botschaft die wichtigste Vertretung des Iran. Der Leiter des IZH gilt als Vertreter des "Revolutionsführers" des Iran in Deutschland und wird direkt von diesem ernannt. Damit hat das IZH eine Schlüsselposition in der Propagierung und Durchset90 zung iranischer Interessen in Deutschland und Europa. Die "al-Quds"-Demonstration am 1. Juni erreichte mit 1 200 Personen nicht die Teilnehmerzahl des Vorjahres. Zum weitgehend ruhigen Verlauf des Aufmarsches trugen Ermahnungen der Organisatoren bei, sich an die polizeilichen Auflagen und Anweisungen zu halten. Trotz dieser Ermahnungen und entgegen der unmissverständlichen Auflagen wurden auf der Demonstration Banner und Transparente mit antisemitischen Inhalten gezeigt. Darüber hinaus waren Bilder des iranischen Staatsoberhaupts und des Generalsekretärs der "Hizb Allah" zu sehen. Zahlreiche Teilnehmende stammten aus dem palästinensischen Spektrum. Teils sprachen sich diese gegen die "Apartheid in Israel" aus und verurteilten den Zionismus. 89 Tweet vom 3. 6. 2018, abgerufen am 9. 1. 2020. 90 Vgl. Behörde für Inneres und Sport, Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg: Verfassungsschutzbericht 2016, S. 53 ff. 121 Fazit und Ausblick Der "al-Quds"-Tag, aber auch verschiedene andere Veranstaltungen zeigen, dass der Nahostkonflikt unmittelbare Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Berlin hat. Manchmal unreflektiert, meist aber bewusst, werden Meinungen, Ideologien und Konflikte in Deutschland verbreitet, die mit dem hiesigen demokratischen Wertekanon unvereinbar sind. 2019 wies eine Reihe dieser von den Organisatoren bewusst provokant konzipierten Veranstaltungen auf. Das Jahr zeigt jedoch auch, dass diesem Gedankengut in Berlin keinen Raum gegeben wird und die Berliner Sicherheitsbehörden diesen Provokationen entschieden entgegentreten. Gegen antisemitische Gewalt Unter der Leitung des Innenstaatssekretärs der Senatsverwaltung für Inneres und Sport wurde, um jüdische Menschen und Einrichtungen in Berlin besser zu schützen und den vertrauensvollen Austausch zu fördern, im September der "Runde Tisch gegen antisemitische Gewalt" ins Leben gerufen. Neben Vertretern zahlreicher jüdischer Organisationen und Rabbinern sind u. a. Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft sowie die Polizei und der Verfassungsschutz daran beteiligt. Der runde Tisch soll einen offenen und direkten Austausch zu Fällen antisemitischer Gewalt ermöglichen, konkrete Sicherheitsfragen klären und den Betroffenen Hilfestellung bieten 122 II 5 Extremistische Bestrebungen Aktuelle Entwicklungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) in den Beobachtungsfeldern 5 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) Begriffsklärung Unter dem Begriff der extremistischen Bestrebungen ausländischer Organisationen bearbeitet der Verfassungsschutz sämtliche verfassungsfeindliche Bestrebungen, die zwar nicht im Inland entstanden sind, jedoch gleichwohl in Deutschland wirksam werden und nicht dem Bereich des Islamismus zugeordnet werden können. Diese Bestrebungen können dabei klassisch rechtsoder linksextremistisch geprägt sein. Der Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes ist aber auch dann eröffnet, wenn diese Bestrebungen gegen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder das friedliche Zusammenleben der Völker im Sinne von Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes gerichtet sind. Personenpotenziale Im Verlauf der letzten Jahre ist das Personenpotenzial linksextremistischer ausländischer Organisationen in Berlin insgesamt zurückgegangen. Dies kann darauf zurückzuführen sein, dass ehemalige Anhänger ihren Lebensmittelpunkt in Deutschland gefunden haben. Damit hat das Interesse an der Politik der jeweiligen Heimatländer nachgelassen. Einige Organisationen sind inzwischen soweit marginalisiert, dass extremistische Aktivitäten nicht mehr feststellbar sind. Die kurdischen Linksextremisten der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) bilden eine Ausnahme. Sie stellen unverändert das einzige zahlenmäßig relevante Personenpotenzial mit rund 1 120 Personen (2018: 1 120). Unter den sonstigen linksextremistischen ausländischen Organisationen dominieren weitere 124 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen türkische Zusammenschlüsse. Aber auch die säkulare "Volksfront für die Befreiung Palästinas" (PFLP), die in den letzten Jahren nicht gesondert ausgewiesen wurde, gehört dazu. Das Personenpotenzial im Bereich der extremistischnationalistischen Organisationen wird von der türkischen "Ülkücü-Bewegung" bestimmt. Es ist in Berlin gleichgeblieben und beträgt weiterhin etwa 400 Personen. Personenpotenziale Berlin 2018 2019 Linksextremisten, davon 1 360 1 330 PKK 1 120 1 120 nicht gesondert PFLP 20 ausgewiesen Sonstige 240 190 Extreme Nationalisten (Ülkücü-Bewegung) 400 400 Gesamt 1 760 1 730 Aktuelle Entwicklungen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung: 1978 Mitglieder in Berlin: 1 120 (2018: 1 120) Die 1978 gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" ("Partiya Karkeren Kurdistan", PKK) kämpft seit 1984 für einen unabhängigen kurdischen Nationalstaat im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien. Die 125 Gründe für die Entstehung der PKK lagen auch im nationalen Selbstverständnis der Türkei, die eine Anerkennung kurdischer Interessen verweigerte. Seit der Festnahme ihres Führers Abdullah Öcalan 1999 beschränkte sich die PKK auf Forderungen nach autonomer Selbstverwaltung der mehrheitlich kurdischen Gebiete innerhalb der Türkei. Die Partei ist eine hierarchisch organisierte Kaderpartei mit strikter Parteidisziplin, einem ausgeprägten Märtyrerkult sowie einem extremen Personenkult um ihren Führer Öcalan. Sie unterhält zahlreiche Unterorganisationen. Die PKK wird auf der europäischen Liste der terroristischen Organisationen ("EU-Terroristenliste") geführt und unterliegt in Deutschland einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot, das sich auch auf Nachfolgeorganisationen erstreckt. Die Anhänger in Deutschland sind nicht nur in den genannten "Massenorganisationen", sondern vor allem in örtlichen Vereinen aktiv. Hierzu zählen u. a. der Jugendverband "Tevgera Ciwanen Soresger" ("Revolutionäre Jugendbewegung", TCS), die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (TJKE), der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK), die "Union kurdischer Familien" (YEK-MAL) sowie die "Islamische Gemeinschaft Kurdistans" (CIK). Die im Mai 2019 gegründete "Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED) übernimmt dabei zunehmend als neue Struktur die Aufgaben des bisherigen Dachverbands, "Zentrum der demokratischen Gesellschaft der Kurden in Deutschland e. V." (NAVDEM). 126 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen "Die Isolation Abdullah Öcalans durchbrechen" Zu Beginn des Jahres stand für die PKK der Protest gegen die Haftbedingungen ihres Gründers Abdullah Öcalan in der Türkei im Vordergrund. Ab Dezember 2018 begaben sich in der Türkei inhaftierte PKK-Anhänger in einen unbefristeten Hungerstreik. Die Zahl der Hungerstreikenden stieg nach Angaben der PKK-nahen Nachrichtenagentur "Firat news" von anfangs wenigen hundert 91 bis Mitte März auf "7 000 PKK-Gefangene" an. Auch außerhalb der Türkei beteiligten sich PKK-Anhänger an der Aktion. Der Schwerpunkt der deutschlandweiten Unterstützungsaktionen verlagerte sich ab März nach Berlin, als vier Hungerstreikende aus dem Bundesgebiet in die Räumlichkeiten des PKK-Tarn92 vereins "NAV-DEM Berlin e. V." gebracht wurden. Um die Forderungen der Hungerstreikenden zu kommunizieren, fanden in Berlin bis Mai über 40 Versammlungen statt, an denen bis zu 300 Personen teilnahmen. Während eines Aufzugs am 26. April unter dem Motto "Solidarität mit den Hungerstreikenden! Wir brechen die Isolationshaft und werden Reber Apo93 befreien!" beschädigten Demonstrationsteilnehmer ein Fahrzeug, nachdem sie von dessen Insassen provoziert wurden.94 Blieb der überwiegende Teil der Versammlungen gewaltfrei, kam es in Berlin-Mitte jedoch am 8. Januar zu einem Angriff auf ein türkisches Cafe. Dabei wurden die Schaufensterscheiben zerstört und die Fassade mit Farbbeuteln in den kurdischen Farben beworfen. Die PKK-nahe 91 Vgl. Internetpräsenz "Firat news". Abgerufen am 13. 11. 2019. 92 Mit Wirkung zum 4. 6. 2019 hat sich der Verein "NAV-DEM Berlin e. V." in "Freie Kurdische Gemeinde Berlin e. V./Civaka Azad a Kurden Berline e. V." und mit Wirkung zum 8. 1. 2020 in "Freie kurdische Gemeinde Berlin e. V./Navenda kurdistaniyen Berline e. V." umbenannt. 93 "Apo" ist der Kurzname des PKK-Führers Abdullah Öcalan. Reber bedeutet "Führer". 94 Als Provokationen werden hierbei üblicherweise das Zeigen der türkischen Flagge oder des sogenannten "Wolfsgrußes" angesehen. 127 Nachrichtenseite "Nuce Ciwan" veröffentlichte ein Video des mutmaßlichen Tathergangs und berichtete, dass kurdische Jugendliche aus Berlin die Aktion gegen das "faschistische türkische Cafe" auf Grund der Totalisolation des "Vorsit95 zenden Abdullah Öcalans" durchgeführt hätten. Nachdem Öcalan von seinen Rechtsanwälten besucht werden durfte, wurde der Hungerstreik beendet. Einmarsch des türkischen Militärs in Nordsyrien Nach dem Beginn der türkischen Militäroffensive "Operation Friedensquelle" in Nordsyrien am 9. Oktober und den damit verbundenen Angriffen auf kurdische Einheiten, kam es in Berlin zu zahlreichen Protestversammlungen in Form von Aufzügen, Kundgebungen, Spontandemonstrationen und Mahnwachen. "Firat news" veröffentlichte bereits am 7. Oktober einen Aufruf des europäischen PKK-Dachverbands mit dem Titel "Widerstand ist der einzige Weg". Auch die in Europa aktive Jugendorganisation der PKK rief laut "Firat news" zum Widerstand auf. In der Erklärung hieß es: "Als kurdische und internationalistische Jugend müssen wir überall in Europa unsere Stimmen erheben. Nur wenn wir kämpfen, können wir erfolgreich sein." 96 Die Mobilisierung zu den Demonstrationen fand zum großen Teil über die Internetseiten von PKK-Massenorganisationen97 statt. Die Versammlungen verliefen im Wesentlichen störungsfrei. Da die PKK in Deutschland auf eine Aufhebung des Betätigungsverbots hofft, hat sie kein Interesse an einer 95 Vgl. "Kurdische Jugendliche zeigen Haltung gegen faschistisches Cafe", Internetpräsenz Nuce Ciwan, abgerufen am 10.1.2019. 96 Vgl. Internetpräsenz "Firat news". Abgerufen am 10. 12. 2019. 97 Vgl. S. 126. 128 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen Eskalation und Gewaltausbrüchen bei entsprechenden Veranstaltungen. Eine Ausnahme bildeten die Aufzüge am 10. und 12. Oktober, dort kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und außenstehenden "Provokateuren". Aus der Menge der bis zu 3 300 Teilnehmenden heraus wurden pyrotechnische Gegenstände abgebrannt und vereinzelt Flaschen und Steine in Richtung der Polizeieinsatzkräfte geworfen. Bis Ende November fanden innerhalb von sieben Wochen in Berlin über 25 Versammlungen und Demonstrationen zum Themenkomplex statt. Verbot der PKK-Jahresfeier Die für den 15. Dezember in einem Berliner Festsaal geplante Veranstaltung zum 41. Gründungstag der PKK wurde verboten. Der veranstaltende PKK-Tarnverein "Freie kurdische Gemeinde Berlin e. V./ Navenda kurdistaniyen Berline e. V." bewarb die Veranstaltung zwar öffentlich als Solidaritätsveranstaltung zur "Unterstützung des Widerstands in Rojava!", auf der verschiedene Künstler auftreten sollten. Tatsächlich sollte es sich jedoch um eine Veranstaltung zugunsten der politischen Ziele der PKK handeln. Fazit Wie auch in den letzten Berichtsjahren bestimmten hauptsächlich zwei Themen die öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen der PKK-Anhänger in Berlin: Zum einen die Sorge um die Situation ihres Führers Abdullah Öcalan in der türkischen Haft und zum anderen die militärischen Aktionen der Türkei in Nordsyrien. Einerseits gelang es der PKK, die Anzahl der durchgeführten Demonstrationen und Aktionen auf einem konstant hohen Niveau zu halten, andererseits zeigten sich jedoch mit der Halbierung der Teilnehmerzahlen im Vergleich zum 129 98 Vorjahr erste Ermüdungserscheinungen bei den Teilnehmenden. Dabei verliefen die Versammlungen im Wesentlichen störungsfrei und größere militante Aktionen blieben aus. Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass die PKK-Anhänger eine gewisse Empathie der Öffentlichkeit in Bezug auf die Situation der Kurden in Syrien verspüren und erhalten wollen. Gerade die Hungerstreikaktion der ersten Jahreshälfte mit der damit verbundenen Forderung nach "Bedingungen für den PKK-Gründer, in denen er als Vorsitzender einer legitimen Bewegung frei leben und arbeiten kann, um so 99 zur Lösung der kurdischen Frage beizutragen" zeigt, dass Abdullah Öcalan nach wie vor als die Führungsfigur im "kurdischen Freiheitskampf" angesehen wird. Ülkücü-Bewegung "Ülkücü-Bewegung" Dachverband in Deutschland: ADÜTDF (Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V., Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) Gründung: 1978 Mitglieder in Berlin: 400 (2018: 400) Die Bewegung der türkischen Nationalisten entstand Anfang des 20. Jahrhunderts kurz vor dem Ende des Osmanischen Reiches und 98 Während der Protestaktionen gegen die türkische Militäraktion "Operation Olivenzweig" versammelten sich in der ersten Jahreshälfte 2018 noch 7 000 bis ca. 7 600 Menschen in Berlin. Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2018, Berlin 2019, S. 74 f. 99 Vgl. Internetpräsenz "Firat news", abgerufen am 13. 11. 2019. 130 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen basiert auf einer nationalistischen und rassistischen Ideologie, die in ihrer Hochphase die Vereinigung aller Turkvölker unter Führung des Osmanischen Sultans als Ziel postulierte. Die türkische Nation wird ethnisch und kulturell als Ideal überhöht dargestellt. Hieraus begründet sich ein entsprechendes politisches und territoriales Anspruchsdenken. Der Islam ergänzt die Ideologie als prägnanter Teil erst seit den siebziger Jahren. Die vermeintliche Überlegenheit der türkischen Identität implementiert eine Abwertung von anderen Ethnien und Religionsgemeinschaften. Andere Volksgruppen und Religionsgemeinschaften werden zu Feinden des Türkentums erklärt, insbesondere Kurden, Armenier, Griechen, Juden und Christen. Die Bewegung richtet sich gegen den Gleichheitsgrundsatz und den Gedanken der Völkerverständigung. Der Nationalismus überwiegt zwar in der Ideologie, Rassismus und Antisemitismus sind der Bewegung jedoch immanent. Der Begriff des Rechtsextremismus deckt diese Ideologieelemente mit ab. Die Anhänger der Bewegung bezeichnen sich selbst als Idealisten ("Ülkücü"). Ihre bekanntesten Symbole und Erkennungszeichen sind der "Graue Wolf" ("Bozkurt") und der sogenannte Wolfsgruß (Finger der rechten Hand des ausgestreckten Arms formen den Kopf eines Wolfes). Größere öffentliche Veranstaltungen der Berliner "Ülkücü"-Anhänger blieben im Jahr 2019 aus. Vereinzelt kam es am Rande von PKK-nahen Demonstrationen zu Provokationen im Sinne der "Ülkücü"-Ideologie, was zu Konfrontationen mit den Demonstrationsteilnehmenden führte. 131 Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP) "Volksfront für die Befreiung Palästinas" ("Popular Front for the Liberation of Palestine", PFLP) Gründung: 1967 Mitglieder in Berlin: 20 Die PFLP wurde 1967 nach der arabischen Niederlage im Sechstagekrieg gegen Israel gegründet. Sie bekennt sich zu den marxistischleninistischen Grundsätzen und hat dadurch eine säkulare Prägung. Daneben wird sie von einem starken arabischen Nationalismus bestimmt, mit dem Ziel eines palästinensischen Staates in den Grenzen des historischen Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt. Damit ist nicht weniger gemeint, als die Vernichtung des Staates Israel. Ihre Hauptquartiere unterhält die PFLP in Gaza, Ramallah und Damaskus, wo die eigentliche Zentrale ihren Sitz hat. Somit ist die PFLP indirekt in den Krieg in Syrien involviert. Dabei bezieht sie eindeutig Stellung für die syrische Regierung und Präsident Assad. Die PFLP verfügt im Nahen Osten über einen bewaffneten Arm, die "Abu Ali Mustafa-Brigaden" (AAMB), welche sich zuletzt im Sommer 2014 an Kampfhandlungen gegen die israelische Armee beteiligt haben. Sowohl die EU als auch die USA führen die PFLP auf ihren Listen terroristischer Organisationen. Insbesondere in den 1960er/ 1970er 132 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen Jahren erlangte die Organisation durch spektakuläre Flugzeugentführungen und Geiselnahmen mit Todesopfern Bekanntheit (z. B. Entführung der Lufthansa-Maschine "Landshut" im Oktober 1977). Später übten Mitglieder der PFLP vor allem Sprengstoffanschläge in den besetzten Gebieten sowie in Israel aus. Sie legten eine Vielzahl von Autobomben. Die PFLP wird u. a. für die Ermordung des israelischen Tourismusministers im Oktober 2001 verantwortlich gemacht. Im Juni 2017 wurde eine israelische Grenzpolizistin in der Altstadt von Jerusalem durch Messerstiche getötet und mehrere Sicherheitskräfte verletzt. Die PFLP bestätigte die Angaben, dass die 100 Angriffe von Mitgliedern der HAMAS und der PFLP verübt wurden. 100 https://www.dw.com/de/wieder-tote-bei-messerangriff-in-israel/a-39287272/ Veröffentlicht am 16. 6. 2017. Abgerufen am 16. 12. 2019. 133 134 II 6 Linksextremismus Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 6 Linksextremismus Ideologie und Historie Der Begriff Linksextremismus erhält seinen Gehalt in der Verabsolutierung der aufklärerischen Ziele von Freiheit und Gleichheit, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Versuche, diese Konzepte in die Realität umzusetzen, scheiterten sämtlich. Die Idee des Kommunismus fordert die absolute soziale Gleichheit der Menschen und macht die kapitalistische Eigentumsordnung für die immensen sozialen Ungleichheiten am Beginn des Industriezeitalters verantwortlich. Marx und Engels unterscheiden in Besitzer ("Bourgeoisie") und Nicht-Besitzer ("Proletariat") von Produktionsmitteln, die ihre gegensätzlichen Interessen nach einem historischen Gesetz ("Historischer Materialismus") im Klassenkampf austragen. Durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie sollten mit den Produktionsverhältnissen ("Basis") schrittweise auch die Herrschaftsverhältnisse ("Überbau") überwunden werden. Über den Sozialismus und die "Diktatur des Proletariats" führe der Weg in den vollständig egalitären Kommunismus. In der Praxis fand die Arbeiterklasse jedoch nicht über ihr "Sein" selbständig zum revolutionären "Bewusstsein". Lenin ergänzte die Theorie daher um eine "Partei neuen Typs" als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse. Stalin erweiterte den Führungsanspruch der Partei zu einem quasi-religiösen Kult um seine eigene Person. Und Mao schließlich versuchte nach Ausschaltung der Feinde innerhalb und außerhalb seines Regierungsapparats mit gewaltigen Umerziehungsprogrammen auch die innere Opposition der chinesischen Bevölkerung zu brechen. Am Ende ergab sich in den Fällen des "real existierenden Sozialismus" nicht eine Diktatur des Proletariats, sondern eine Diktatur über das Proletariat. Der sogenannte Marxismus-Leninismus ist gleichwohl bis heute die programmatische Grundlage kommunistischer Parteien. 136 Linksextremismus Linksextremismus Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die auf einer Verabsolutierung der aufklärerischen Werte von Freiheit und Gleichheit beruhen, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Neben der Abschaffung der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, die allein keinen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen begründet, streben Linksextremisten auch die Abschaffung der repräsentativen Demokratie an. Dieses, meist auf den Begriff des Kapitalismus reduzierte "System", soll entweder durch die Herrschaft einer zentralistischen Partei, durch dezentrale Selbstverwaltungen oder die Eliminierung jeglicher Regierungsstrukturen ersetzt werden. Verfechter solcher Ideen gründen Parteien und Organisationen, um bei Wahlen anzutreten oder für ihre Ziele öffentlich zu werben. Andere versuchen, zivilgesellschaftliche Initiativen zu unterwandern, um diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. Organisationsund theorieferne "Autonome" setzen eher auf demonstrative bis militante Ausdrucksformen, um damit Signalwirkung zu erzielen - und missachten dabei bewusst das staatliche Gewaltmonopol. Gemeinsam ist ihnen die Neigung, soziale Problemlagen politisch zu instrumentalisieren und vordergründig im Gewand legitimer Gesellschaftskritik zu verschleiern. Anders als der Kommunismus verabsolutiert der Anarchismus nicht die Idee der Gleichheit, sondern die der Freiheit. In diesem Sinne soll zunächst nicht das Eigentum abgeschafft werden, sondern der Staat. Das Ziel ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft ohne jegliche "Fremdbestimmung". Dennoch lehnen auch 137 Anarchisten das Privateigentum als Herrschaftsform der Besitzenden über die Nicht-Besitzenden ab. Der Anarchismus verfügt über kein stringentes und vermeintlich wissenschaftliches Theoriegerüst, wodurch er sich vom Kommunismus unterscheidet. Es existieren eine Reihe von Auslegungen unterschiedlicher Vordenker. Überwiegend gemeinsam ist ihnen die Erwartung, dass die Menschen sich mit der Abschaffung hierarchischer Strukturen selbst organisieren, z. B. in dezentralen Räten. Der Weg dorthin braucht dabei nicht zwingend gewaltsam zu sein, sondern setzt in der syndikalistischen Interpretation z. B. bei einer gewerkschaftlichen Organisierung an. Mit dem Anarchismus historisch verbunden bleiben jedoch die als "Propaganda der Tat" gedachten Attentate auf zahlreiche Staatsoberhäupter an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die erhoffte Signalwirkung für einen "Aufstand der Massen" hatten diese jedoch nicht. Seit den 1980er Jahren wird das Bild des Linksextremismus in Deutschland vor allem von den sogenannten Autonomen geprägt. Autonome grenzen sich vom strengen Dogmatismus und der kaderartigen Organisation kommunistischer Parteien wie auch von Linksterroristen ab. Wie Anarchisten besitzen sie kein geschlossenes Theoriegebäude. Die Unterwerfung unter einen organisierten Willen lehnen sie kategorisch ab. Diese Theorieund Organisationsferne ist wesentlicher Teil ihrer Ideologie, die das Individuum und seine Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt stellt. Das Prinzip der sogenannten Politik der ersten Person beruht auf dem souveränen Handeln aufgrund individuellen Betroffenseins. Entscheidungen über das eigene Leben sollen nicht von Dritten getroffen werden. Dieses selbstermächtigende Politikverständnis manifestiert sich praktisch u. a. im militanten Widerstand gegen alles, was subjektiv als Missstand empfunden wird - nach dem Motto "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Aus dieser Haltung heraus lehnen Autonome sowohl das Repräsentationsprinzip und das staatliche Gewaltmonopol ab. 138 Linksextremismus Im historischen Rückblick sind für Berlin drei Strömungen von Autonomen zu unterscheiden: Die Hausbesetzer-Szene Anfang der 1980er Jahre als Reaktion auf zunehmende Wohnraumspekulation, zweitens die "Antifa" Anfang der 1990er Jahre in Folge einer Welle fremdenfeindlicher Übergriffe sowie drittens die (re)organisierten Postautonomen, die sich vor allem im Zuge von Globalisierungskritik und Finanzkrise konsolidieren konnten. Letztere sind nicht mehr als Autonome im ursprünglichen Sinne zu bezeichnen. Im politischen Protest u. a. gegen Kapitalismus, Gentrifizierung, Repression, Faschismus und Rassismus suchen und finden diese Strömungen in unterschiedlichem Ausmaß Anschluss an subkulturell verwandte oder ideologisch nahestehende Milieus. Der Verfassungsschutz differenziert aus diesem Grund sehr genau zwischen legitimen zivilgesellschaftlichen Anliegen, die im Rahmen des demokratischen Meinungspluralismus diskutiert werden und durch die Meinungsfreiheit geschützt sind, und unzulässigen Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Personenpotenziale Linksextremistinnen und Linksextremisten gründen Parteien und Vereine, führen öffentliche Veranstaltungen durch und erstellen Publikationen zur Verbreitung ihrer politischen Ideen. Hierfür nutzen sie intensiv auch das Internet. Unter anderem dadurch, dass sie aktuelle Themen aufgreifen, die viele Menschen bewegen, sind sie bemüht, sich weit über ihr eigenes Spektrum hinaus zu vernetzen. Zu diesem Zweck versuchen sie außerdem, andere Organisationen und Zusammenschlüsse zu unterwandern. Manchmal treten sie zu Wahlen an. Primäres Ziel ist es, Menschen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu gewinnen. 139 Personenpotenziale Berlin 2018 2019 Gewaltbereite Linksextremisten,, davon: 970 980 Autonome 610 600 Postautonome 360 380 Nicht-gewaltbereite Linksextremisten, davon 2 020 2 270 "Rote Hilfe e. V." 1 650 1 900 101 Sonstige 370 370 Linksextremistische Parteien 150 150 Gesamt 3 140 3 400 Die Entwicklung des linksextremistischen Personenpotenzials in Berlin verläuft seit Jahren in die tendenziell gleiche Richtung. Wie seit 2012 zu beobachten, beruht der Anstieg auf einem Mitgliederzuwachs bei den eher unterstützend und propagandistisch wirkenden Organisationen. Dem Verein "Rote Hilfe" gelang es nicht zuletzt im Kontext eines in der Presse diskutierten möglichen Verbots erneut, Mitglieder zu rekrutieren. Die Schwächung des "militanten" Kerns der linksextremistischen Szene, d. h. der "klassischen Autonomen" zugunsten der Postautonomen Strukturen und politischer "Vorfeldorganisationen" hat sich ebenfalls fortgesetzt. Dafür dürfte nicht zuletzt ausschlaggebend sein, dass sich linksextremistischen Akteuren in diversen Themenfeldern wie Gentrifizierungsentwicklungen, Klimakrise und vermeintlichem gesellschaftlichem "Rechtsruck" zahlreiche Anknüpfungspunkte an die Zivilgesellschaft bieten. 101 Überwiegend orthodoxe Linksextremisten. 140 Linksextremismus "Rote Hilfe e. V." (Ortsgruppe Berlin) Gründung: 1995 Mitglieder in Berlin: 1 900 (2018: 1 650) Die "Rote Hilfe" wurde unter historischer Bezugnahme auf einen von 1924 bis 1936 bestehenden gleichnamigen Vorläufer 1975 als eingetragener Verein neu gegründet. 1995 entstand die Ortsgruppe Berlin, die sich mittlerweile zur mit Abstand größten linksextremistischen Organisation der Stadt entwickelt hat. Die "Rote Hilfe" versteht sich gemäß Satzung als "linke Schutzund Solidaritätsorganisation" für alle, die aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt würden. Sie unterstützt von Strafermittlungen Betroffene materiell und politisch. Ausschlaggebend ist allein die politisch linke Moti102 vation der Tat. Die "Rote Hilfe" versteht sich als Gegengewicht zu den "staatlichen Repressionsorganen", welche die bestehenden "Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse" verteidigen würden. Trotz der eindeutigen Ausrichtung verfolgen nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen. Die Gegnerschaft der Organisation und ihrer Entscheidungsträger zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung führt jedoch zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Da alle Mitglieder Beiträge zahlen und zudem Spenden akquiriert werden, verfügt die "Rote Hilfe" über erhebliche finanzielle Mittel. 102 Vgl. hierzu u. a. "Wer ist die Rote Hilfe?" auf der Internetpräsenz der Roten Hilfe. Ohne Datum. 141 Aktuelle Entwicklungen Linksextremistische Bedrohungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind aktuell vor allem auf drei Ebenen relevant. Zum einen der gezielten Gewaltausübung gegen staatliche und private Akteure mit dem Ziel der Einschüchterung. Im besonderen Fokus stehen dabei die Polizei, Parteien sowie Immobilienunternehmen und deren Kooperationspartner. Zum zweiten in dem Versuch der Wiederbelebung sogenannter Massenmilitanz, wie sie insbesondere für den "Revolutionäre(n) 1. Mai" lange Zeit prägend war, in der Hauptstadt aber inzwischen kaum noch wahrnehmbar ist. Insbesondere drohende Räumungen von Szeneobjekten sollten aus Sicht der linksextremistischen Szene dafür Anlass bieten - bisher jedoch ohne nennenswerten Erfolg. Das könnte sich mit dem 2020 drohenden Vollzug von Räumungen ändern. Und schließlich von hoher Relevanz sind subtile Einflussnahmen auf die öffentliche Meinungsbildung, die vornehmlich darauf abzielen, Grenzen des "politisch Legitimen" und rechtsstaatlich sanktionierten Verhaltens aufzuweichen bzw. zu verschieben. Dabei geht es im Kern darum, aktuelle Problemlagen wie z. B. Wohnraumknappheit, Mietensteigerungen oder Klimakrise als Einfallstore für linksextremistische Zielsetzungen zu nutzen. Gezielte Gewalt und Versuche der Einschüchterung Die quantitativ und qualitativ intensive Gewaltausübung durch die linksextremistische Szene Berlins hat sich trotz personeller Schwächung auch 2019 fortgesetzt. Im Zusammenhang mit einzelnen Taten wurde diskutiert, ob es sich um eine neue Qualität von Gewalt handele bzw. ob die Differenzierung in (vermeintlich legitime) Gewalt gegen Sachen und (vermeintlich nicht vermittelbare und damit unzulässige) Gewalt gegen Personen schleichend aufweiche. Tatsächlich existiert eine trennscharfe Linie zwischen beiden Formen der Gewaltausübung allein deshalb nicht, weil aus Sicht der linksextremistischen Szene Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten sowie gegen "Faschisten" grundsätzlich "legitim" ist. 142 Linksextremismus Angriffe auf Polizei und Justiz Das zeigt sich nicht zuletzt an zum Teil massiven und lebensbedrohlichen Angriffen mit Pflastersteinen auf Polizistinnen und Polizisten, wie sie auch 2019 wiederholt vorkamen. Von der linksextremistischen Szene als "Schweine" entmenschlicht, wurden diese von Hausdächern, Brücken oder als unmittelbares Gegenüber mit Steinen beworfen und mit Farbe oder Reizgas attackiert. Zu Beginn des Jahres legten Unbekannte an einem Polizeigebäude Feuer. In einer Tatbekennung hieß es dazu, die Aktion sei als Rache für "Polizeigewalt" zu verstehen. Dass die Tatausführenden den Tod von im Haus befindlichen Personen mindestens billigend in Kauf genommen haben dürften, zeigt diese Aussage: "Anstatt die eigene Opferrolle weiter zu zelebrieren, gilt es weitere Angriffe auf die Bullen zu organisieren und ihr Gefühl für Unantastbarkeit Schritt für Schritt zu zerlegen. (...) Wir (...) versprechen (...), weiter auf die 103 Schweine zu zielen." "Antifaschistische Koordination 36" (AK 36) Gründung: 2015 Mitglieder in Berlin: 20 (2018: 20) "Antifaschistische Koordination 36" wurde im August 2015 gegründet - vordergründig mit dem Ziel, die aus ihrer Sicht verkrusteten "Antifa"-Strukturen in Berlin aufzubrechen, um wieder "Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen" zu gewinnen. In ihrer 103 "[B] Unsere Propaganda bleibt der Angriff: Bullen sind Mörder!", auf der Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 4. 3. 2019. 143 104 Gründungserklärung bezeichnet sie den Kapitalismus als "wichtigste Grundlage für das Bestehen neonazistischer Strukturen" und bezieht sich damit auf das linksextremistische Antifaschismusverständnis, nach dem der Faschismus dem Kapitalismus implizit ist. Der Staat sei "nicht nur deswegen von Grund auf abzulehnen". Darüber hinaus bezieht sich AK 36 auf weltweite "Befreiungskämpfe", insbesondere der kurdischen Bevölkerung im Nahen Osten, die ein "emanzipiertes und selbstverwaltetes Gesellschafts-Modell" anstrebten. In der Praxis ist sie als Teil des autonomen "Anarcho"-Spektrums wahrzunehmen. Ihre Mitglieder sind als hoch gewaltbereit einzuschätzen und verfügen über gute Kontakte in die "Rigaer94". Im Zusammenhang mit einer Demonstration zum Erhalt "Autonomer Freiräume" 105 kam es im November zu einer schweren Sachbeschädigung an einem Dienstgebäude der Polizei. Vermummte Personen warfen Farbbeutel und versuchten, Fensterscheiben zu zerstören. Schließlich entzündeten sie an einer nahegelegenen Kreuzung mehrere Autoreifen. In einer Tatbekennung wurde die Aktion als militante Unterstützung der Demonstration bezeichnet. Am gleichen Abend flogen in der Rigaer Straße Steine auf Polizeifahrzeuge sowie vom Dach eines Hauses unmittelbar auf Polizeikräfte. Diese wurden zudem mit einem mit Farbe gefüllten Feuerlöscher angegriffen. 104 "Gründungserklärung der 'Antifaschistischen Koordination 36'" auf deren Internetpräsenz. Veröffentlicht am 6. 8. 2015, abgerufen am 20. 11. 2017. 105 Als "Autonomer Freiraum" werden in der Regel Szeneobjekte bezeichnet, die aus Sicht Autonomer geltenden Rechtsnormen und "bürgerlichen" Konventionen entzogen sein sollen. Sie werden von den jeweiligen Bewohnerinnen und Bewohnern als "Mikrokosmos" betrachtet, in dem sie eigene politische Vorstellungen und Lebensmodelle zu realisieren versuchen. Nach außen hin sind sie oft hermetisch abgeschottet. 144 Linksextremismus Neben Polizistinnen und Polizisten waren 2019 wiederholt auch Justizbedienstete Ziel von Angriffen aus der linksextremistischen Szene. Sie werden im Themenfeld "Repression" verantwortlich gemacht für aus Sicht der linksextremistischen Szene ungerechtfertigte staatliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Straftaten sowie vermeintlich schlechte Zustände in Gefängnissen. Neu ist, dass die Angriffe in ihrem privaten Umfeld erfolgten. So drangen Unbekannte in das Wohnhaus eines Justizmitarbeiters ein, beschmierten den Hausflur mit Parolen und installierten eine Überwurffalle an seiner Wohnungstür. Anti-Repression Der Kampf gegen vermeintliche staatliche Kontrolle und Repression ist konstitutiv für das Selbstverständnis von Autonomen und zugleich Ausdruck ihrer ideologischen Verwurzelung im Anarchismus. Die damit verbundene Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols ist das zentrale verbindende Element innerhalb der in Kleingruppen zersplitterten Szene. Repression bezeichnet in ihrem Verständnis alle Institutionen, die der Aufrechterhaltung von innerer Sicherheit und öffentlicher Ordnung dienen, neben der Polizei insbesondere Gerichte, Gefängnisse und Ämter. Sie werden als Teile eines "Repressionsapparats" wahrgenommen, der nur dazu diene, das "herrschende System" in seinem Bestehen zu sichern. Um die angeblich strukturelle Gewalt des Staates zu entlarven, wird bei Demonstrationen die Konfrontation mit der Polizei gesucht und die eigene Gewaltausübung als reaktiv verbrämt. 145 Angriffe auf die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) Häufig sind auch Vertreterinnen und Vertreter der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) Ziel von Angriffen. So wurden zahlreiche Sachbeschädigungen an Räumlichkeiten der Partei sowie an Wahlplakaten der AfD verübt. Eingeleitet mit einem indirekten Aufruf zu Straftaten ("Mensch kann randalieren", "Benehmt euch daneben") wurde eine Liste von AfD-Parteibüros im Bundesgebiet veröffentlicht, 106 darunter auch diverse Adressen in Berlin. Immer wieder kommt es zudem zu sogenannten Outings, in deren Rahmen z. B. Fotos veröffentlicht und Privatadressen von AfD-Funktionstragenden bekannt gegeben werden. Ein auf einer einschlägigen Internetseite veröffentlichter Text beschrieb, wie Morde an prominenten Repräsentantinnen und Repräsentanten der AfD 107 durchgeführt werden könnten. Der Artikel wurde von den Moderatoren der Seite gelöscht. "Anti-Faschismus" Der Begriff "Anti-Faschismus" leitet sich aus linksextremistischer Sicht aus dem Kapitalismus ab und ist politisch eindeutig konnotiert. Er begründet sich ideologisch auf die sogenannte Dimitroff106 "Feindesliste", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht am 10.11.2019. Inzwischen wurde der Text entfernt. Vgl. hierzu auch "Berlin: AfD-Kader geoutet", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 12.6.2019. "(B) Ehemaliger JA-Vorsitzender von Berlin geoutet", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 5.8.2019 sowie "Recherchen zur AfD - Zusammenfassung und Anmerkung", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 10.12.2019. 107 "Die AfD und der Wahlkampf", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 30. 1. 2019. 146 Linksextremismus 108 These, die die bürgerliche Demokratie und den Faschismus als zwei "typische" Ausprägungsformen des Kapitalismus betrachtet. Sobald der Kapitalismus in seiner "Entfaltung" bedroht sei, wandele 109 sich die Demokratie zwangsläufig in eine "faschistische Diktatur". Autonome "Antifa"und Postautonome Gruppierungen nutzen den in der Bekämpfung des Rechtsextremismus existierenden breiten gesellschaftlichen Konsens, um sich mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Parteien und Gewerkschaften im vermeintlich gemeinsamen Kampf gegen einen gesellschaftlichen "Rechtsruck" zu verbünden. Dabei geben sie nicht zu erkennen, dass ihr "Faschismus"-Verständnis eine Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung impliziert und sich insofern nicht nur gegen Rechtsextremismus wendet. Im Rahmen einer Kampagne waren linksextremistische Gruppierungen zudem darum bemüht, dass der AfD keine Räume für Parteiveranstaltungen zur Verfügung gestellt werden. Dabei wurden Inhaberinnen und Inhaber von Lokalitäten vermutlich bedroht, wie es in der Vergangenheit in sozialen Netzwerken festgestellt werden konnte, und Räumlichkeiten durch Sachbeschädigungen angegriffen.110 108 Georgi Dimitroff, bulgarischer Politiker und Generalsekretär der "Kommunistische(n) Internationale", definierte "Faschismus" 1935 als Form der Klassenherrschaft und eine "offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals". 109 Vgl. "Georgi Dimitroff: Die Offensive des Faschismus und die Aufgabe der Kommunistischen Internationale", auf der Internetpräsenz marxists.org. Ohne Datum. 110 Vgl. "(B) Kein Raum der AfD! - Sommernews", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 21. 8. 2019. Sowie "Nach Kündigung des Raumes. AfD-Landesparteitag droht auszufallen", tagesspiegel.de vom 27. 8. 2019. 147 "North East Antifascists" (NEA) Gründung: 2007 Mitglieder in Berlin: 15 -20 (2018: 20) "North East Antifascists" sind eine autonome "Antifa"-Gruppierung, die neben "radikale linke | berlin" und AK 36 eine führende Rolle in der linksextremistischen Szene Berlins einnimmt. 2007 gegründet zeichnet sie, dem Namen gemäß, für antifaschistische (u. a. "Anti-AfD"-) Aktionen im Nordosten der Stadt verantwortlich, beteiligt sich aber auch an berlinweiten und überregionalen Aktivitäten und kooperiert anlassbezogen mit anderen autonomen Gruppen. Um sie herum und aus ihr heraus sind eine Reihe anderer, dem autonomen Spektrum Berlins zuzurechnende Gruppierungen entstanden. Die NEA treten nach außen vergleichsweise gemäßigt auf und verzichten darauf, ihre Gewaltbereitschaft allzu plakativ zur Schau zu stellen. Offensiv betreiben sie "Outings" von vermeintlichen und tatsächlichen Rechtsextremistinnen und Rechtsextremisten. Angriffe auf Immobilienunternehmen Ebenfalls im Fokus der linksextremistischen Szene standen Unternehmen und Einzelpersonen, die von ihr im weitesten Sinne für Gentrifizierungsentwicklungen in Berlin verantwortlich gemacht werden. Zahllose Sachbeschädigungen sollen als "militante Protestform" verstanden werden und Immobilienfirmen, Baufirmen und Hausverwaltungen zum Rückzug nötigen bzw. Bewohnerinnen und Bewohner einschüchtern. So waren im Rahmen einer militanten Kampagne "Akteur*innen der Verdrängung 148 Linksextremismus 111 angreifen" im Frühjahr u. a. Wohnungsbauunternehmen, Neubauten und Parteien Ziele von Aktionen. Immer häufiger greifen linksextremistische Akteure neben Unternehmen, Institutionen und Behörden auch Personen, die diese aus ihrer Sicht repräsentieren, unmittelbar an. So beschädigten Unbekannte Anfang des Jahres das Privathaus eines Managers eines weltweit tätigen Konzerns an der Stadtgrenze zu Berlin. In einer Veröffentlichung auf einer von Linksextremisten genutzten Internetseite kritisierten sie die Geschäftstätigkeiten des Konzerns, der u. a. einen Firmen112 sitz in Berlin hat, und die Entwicklung der sogenannten Industrie 4.0, die aus Sicht der linksextremistischen Szene die "Entfesselung" des Kapitalismus dynamisiert. Im Zusammenhang mit Räumungsklagen gegen "Autonome Freiräume" wurden in Berlin mehrere Anwaltskanzleien attackiert, die die jeweiligen Eigentümerinnen und Eigentümer vertreten. Der Vorstand eines großen Wohnungsunternehmens erhielt eine Postsendung mit einer toten Ratte, auf die sein Name aufgetragen war. Ende des Jahres warfen Unbekannte Steine gegen Fenster des Wohnhauses einer Immobilienunternehmerin und beschädigten zwei private Pkw. In einem Selbstbezichtigungsschreiben offenbarten die Veröffentlichenden, dass sie eine Stellvertreterpolitik ablehnen und sich deshalb unmittelbar an vermeintlich 111 Siehe z. B. "(B) Akteur der Verdrängung angegriffen: Stephan von Dassel (Die Grünen)", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 12. 2. 2019. "(B) Akteur*innen der Verdrängung angegriffen (Zalando)", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 12. 2. 2019. "Akteur*innen der Verdrängung angegriffen (rent24, allianz)", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 12. 2. 2019. "(B) Akteur*innen der Verdrängung angegriffen (Studi-Living B.1 und herzBERLIN)", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 12. 2. 2019. "Akteur*innen der Verdrängung Alpträume bescheren!", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 12. 2. 2019. 112 Mit diesem Begriff wird Bezug genommen auf eine vierte "industrielle Revolution", deren Ziel die Digitalisierung der industriellen Produktion sein soll. 149 Verantwortliche wenden: Die Unternehmerin fungiere mit ihrer Firma als Hausverwalterin für die Eigentümerfirma des Szeneprojekts "Liebig34". Angriffe auf die Berliner Infrastruktur Eine andere Strategie verfolgen Sabotageakte, die eher mittelbar ansetzen und auf einen größeren Wirkradius abzielen. Dabei geht es in erster Linie um die Störung von Infrastruktur. In Berlin wurden seit 2011 mehrere schwere Brandanschläge mit Auswirkungen auf Infrastrukturen begangen, darunter 2018 an der Mörschbrücke in Charlottenburg. Im September legten Unbekannte in Lichtenberg Feuer in einem Kabelschacht der S-Bahn, wodurch der Bahnverkehr stark beeinträchtigt wurde. Anti-Kapitalismus Anti-Kapitalismus in linksextremistischem Verständnis bezieht sich auf Karl Marx, nach dessen Theorie durch die Produktionsauch die Herrschaftsverhältnisse überwunden werden sollen. Der Kampf gegen das "kapitalistische System" hat für Linksextremistinnen und Linksextremisten deshalb nicht nur die Abschaffung der marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern auch der parlamentarischen Demokratie zum Ziel. Im Kapitalismus sehen sie u. a. die Ursache für Kriege (Imperialismustheorie) und Faschismus (Dimitroff-These). So finden Autonome im - von ihnen so bezeichneten - "Schweinesystem" Erklärungen für vermeintlich staatliche Repression sowie die Verdrängung aus "Autonomen Freiräumen". Durch weltweite Wirtschaftsund Finanzkrisen am Beginn des neuen Jahrtausends hat die Marxsche Kapitalismusanalyse und damit der "klassische" Anti-Kapitalismus eine Renaissance erlebt. Viele 150 Linksextremismus Menschen fühlen sich zudem dem ökonomischen, politischen, sozialen und auch kulturellen Veränderungsdruck einer "entfesselten" Globalisierung nicht gewachsen. In per se nicht-extremistischen, aber globalisierungskritischen Bewegungen hoffen linksextremistische Akteure daher, Verbündete für ihre systemüberwindenden Ziele zu finden. Ziele von linksextremistisch motivierten Sabotageakten sind neben Bahntrassen insbesondere Kommunikationsschnittstellen wie z. B. Funkmasten. Auf diese Weise soll die Funktionsweise des "kapitalistischen Alltags" durchbrochen, Menschen zum Innehalten genötigt werden. Dabei gehen die Tatausführenden jedoch nicht davon aus, diese kurzfristig für die eigenen Ziele gewinnen zu können. Sie adressieren deshalb vor allem die linksextremistische Szene mit der Aufforderung zur Nachahmung. Letztlich geht es ihnen um die Initiierung einer "militanten Kampagne" mit dem theoretischen Fernziel eines "Aufstands": "[...] Die Gründe für eine Revolution wären gegeben. Aber nicht die Gründe machen eine Revolution - sondern die Menschen. [....] Es braucht das Eingreifen derer, die nicht länger zuschauen wollen. Zum Beispiel durch Angriffe auf das Funktionieren der Metropolen [...].113 Diese Anschläge haben insofern einen deutlich anderen Charakter als einzelne Angriffe auf die Polizei, auf Immobilienunternehmen und die AfD. Tatsächlich wird jedoch auch innerhalb der linksextremistischen Szene kontrovers diskutiert, dass durch diese Anschläge insbesondere zahllose Unbeteiligte in Mitleidenschaft gezogen werden. 113 "Herrschaftsnetze sind angreifbar", über "Neuer Anschlag einer Vulkangruppe in Berlin!", Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht am 26. 3. 2019. 151 "Vulkangruppen" Gründung: (2011) Mitglieder: nicht bekannt Unter der Bezeichnung "Vulkangruppen" begehen Unbekannte seit 2011 Brandanschläge in Berlin. In "Selbstbezichtigungsschreiben" verwendeten die Tatausführenden wechselnde Namen, die sich zumeist auf isländische Vulkane beziehen (z. B. "Grimsvötn", "Katla", "Ok"). Als Ziel wählten sie zumeist Kabelschächte an Bahntrassen. In einigen Fällen griffen sie Funkmasten oder Datenleitungen, teilweise auch Firmenfahrzeuge an. Diese Sabotageakte sollen die Verwundbarkeit der urbanen Mobilitätsund Kommunikationsinfrastruktur offenbaren, die öffentliche Ordnung stören und erheblichen Sachschaden anrichten. In mindestens acht Fällen ähneln sich die Texte in Aufbau, Stil und inhaltlichen Aussagen so, dass von einem (teil-)identischen Autorenkreis auszugehen ist. Auch ein Strategiepapier aus dem Jahr 2015 deutet auf eine feste Struktur. Bezugnahmen auf ein in Szenekreisen bekanntes Pamphlet sprechen dafür, sie ideologisch im anarchistischen Spektrum zu verorten. Der versuchte Aufstand Auch andere Autonome Gruppen versuchen, Militanz zu generieren. Dabei geht es darum, gegen "die herrschenden Verhältnisse" zu opponieren. Die Akteure versuchen, mittels zugkräftiger Themen über das eigene Milieu hinaus, Sympathie und Unterstützung zu gewinnen. Dabei streben die verschiedenen Spektren der Autonomen Szene kein politisches Agenda-Setting an. Vielmehr wollen sie ihre eigenen Anliegen durchsetzen oder um Unterstützung hierfür werben. Eine wesentliche Motivation liegt hierbei in der Bewahrung "Autonomer Freiräume". 152 Linksextremismus 2019 gab es verschiedene Versuche der Wiederbelebung sogenannter Massenmilitanz. "Revolutionärer 1. Mai" Dazu gehört zunächst die Verlegung der "Revolutionäre(n) 1. Mai-Demo" von Kreuzberg nach Friedrichshain. Ursächlich hierfür dürfte u. a. die vielfach beklagte "Befriedung" durch das "MyFest" in den vergangenen Jahren sein. Im Umkehrschluss sollte dieser Schritt demzufolge eine Wiederbelebung des 1. Mai als Tag der Straßenkämpfe mit sich bringen. Tatsächlich wiesen die Teilnehmendenzahlen gegenüber den Vorjahren jedoch einen weiteren Rückgang von 10 200 im Jahr 2017 auf 5 000 im Jahr 2019 auf. Die Lage blieb überwiegend friedlich. Lediglich im Nachgang der auch in diesem Jahr nicht angemeldeten "18 UhrDemo" kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen. In der linksextremistischen Szene wurde dies als Erfolg bewertet: "Wir bewerten die diesjährige Demonstration als einen wirklichen Erfolg. Es gelang, eine in den Vorjahren von Jahr zu Jahr an Ausdruck verlierende Demo wieder zu beleben." 114 Rückläufige Teilnehmendenzahlen und ein weitgehend friedlicher Verlauf können gleichwohl nicht zwangsläufig als Rückgang der Mobilisierungsfähigkeit gewertet werden. Eine Größenordnung von 5 000 Teilnehmenden bei einer unangemeldeten Demonstration, die noch dazu nicht im "gewohnten" 114 Linksextremistischer Twitteraccount. Veröffentlicht am 1. 5. 2019. 153 (Kreuzberger) Umfeld stattfand, zeigt, dass es der linksextremistischen Szene mit ihrer Strategie, durch eine vordergründige Thematisierung gesellschaftlicher Problemlagen gelingen kann, Zuspruch auch über ihre Klientel hinaus zu finden. Sie wird auch zukünftig die Veranstaltung zum Anlass nehmen, um möglichst viele Menschen für eine Teilnahme zu gewinnen und sie zu einer Eskalation im Rahmen der Demonstration aufzufordern. "radikale linke | berlin" Gründung: 2014 Mitglieder in Berlin: 35 (2018: 40) Die Gruppierung "radikale linke | berlin" wurde Ende 2014 gegründet, nach eigenen Aussagen von "Menschen mit politischer Praxis 115 aus verschiedenen Strömungen, von ML bis autonomer Kleingruppe, von Antifa bis Anarchismus". Es handelt sich um ein Sammelbecken, in dem sich u. a. Mitglieder der inzwischen aufgelösten Gruppierungen "Antifaschistische Linke Berlin" (ALB), "Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin" (ARAB) sowie anderer Autonomer Personenstrukturen neu organisierten mit dem Ziel, die Kleingruppenisolation zu überwinden und in größerem Verbund politisch handlungsfähiger zu werden. "radikale linke | berlin" übernahm federführend die Organisation der "Revolutionäre(n) 1. Mai-Demonstration". Sie war zeitweise als führende autonome Gruppierung der Hauptstadt anzusehen. Aktuell erodiert dieser Status. 115 Marxismus-Leninismus. 154 Linksextremismus Bedrohte Szeneobjekte Auch im Hinblick auf die Verteidigung "Autonomer Freiräume" gab es zahlreiche Versuche der Wiederbelebung von Militanz. Formal unabhängig voneinander, aber in enger zeitlicher Verknüpfung sahen sich zahlreiche szenerelevante Objekte durch Kündigung und/oder Räumungsklagen in ihrem Fortbestand bedroht. Dazu gehörten Veranstaltungsräume und Gaststätten, aber auch Projekte von hoher symbolischer Bedeutung wie "Liebig34". "Liebig34" Gründung: 1990 Mitglieder in Berlin: 20 -30 Bei "Liebig34" handelt es sich nach eigenen Aussagen um ein "anarcha-queer-feministisches Kollektiv", dessen innerer Kern zur Autonomen "Anarcho"-Szene zu rechnen ist. Besetzt seit 1990 und kurz danach teilweise legalisiert, wurde nach eigenen Aussagen 1999 entschieden, das Haus als Frauenprojekt, "ohne cis-Männer",116 weiterzuführen. Seit 2008 gehört das Objekt zu einem privaten Immobilienunternehmen. "Liebig34" versteht sich gemeinsam mit "Rigaer94" als Zentrum der autonomen Szene 116 Als "Cis-Männer" (bzw. "Cis-Frauen") werden Personen bezeichnet, deren Geschlechtsidentität demjenigen Geschlecht entspricht, das ihnen bei der Geburt zugeschrieben wurde. 155 Berlins und sieht das eigene Objekt als "Autonomen Freiraum", den es mit allen Mitteln zu verteidigen gelte. Spätestens seit Auslaufen des Pachtvertrags am 31. Dezember 2018 hat die Zusammensetzung der Hausgemeinschaft zum Teil gewechselt. In der Folge ist ein Anstieg von (militanten) Aktionen im Umfeld des Projekts festzustellen. Dennoch sind nicht alle dort wohnhaften Personen der linksextremistischen Szene zuzurechnen. Die Ereignisse rund um "Liebig34", aber auch die nach wie vor ungeklärte Situation bezüglich einer möglichen Teilräumung der "Rigaer94" verdeutlichen, dass die linksextremistische Szene bereits weit im zeitlichen Vorfeld drohender oder befürchteter Räumungen durch zum Teil massive Einschüchterungsversuche, verbal-aggressives Verhalten und Gewalttaten versucht, Eigentümer und mit ihnen Kooperierende wie Hausverwaltungen oder Anwaltskanzleien, Polizei und nicht zuletzt auch politische Verantwortung Tragende abzuschrecken. Die dahinterstehende Haltung der vollständigen Ablehnung des Rechtsstaates und der politischen Ordnung sowie jeglicher Fremdbestimmung lässt keine Haltung zu, die sachorientierte (Kompromiss-)Lösungen ermöglichen würde. 156 Linksextremismus "Rigaer94" Gründung: 1990 Mitglieder in Berlin: 30 -40 (2018: 30 -40) Bei "Rigaer94" handelt es sich um einen Personenzusammenschluss, der sich aus Teilen eines Wohnprojekts sowie der Veranstaltungsstätte "Kadterschmiede" in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zusammensetzt. "Rigaer94" ist zum Kern der Autonomen "Anarcho"-Szene zu rechnen. Das Projekt hat für die linksextremistische Szene eine hohe symbolische wie auch praktische Bedeutung und dient als Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen zur Erkämpfung bzw. Verteidigung "Autonomer Freiräume". In Selbstdarstellungen bekennen sich die Akteure zum Anarchismus sowie zum Hass auf "Bullen, Staat und Repression". Im Zusammenhang mit einer vermeintlich drohenden Räumung des Objekts 2016, aber auch im Zuge einer gezielten Eskalationsstrategie der "Rigaer94" seit 2016 kam und kommt es immer wieder zu zahlreichen, teils schweren Strafund Gewalttaten. Beide Projekte haben für die linksextremistische Szene Berlins und darüber hinaus eine hohe Symbolwirkung. Dabei spielt auch eine Rolle, dass sie benachbart im Friedrichshainer "Nordkiez" liegen, mit dem sogenannten Dorfplatz zwischen beiden Objekten.117 Zur Verteidigung ihrer Projekte in einem ansonsten zunehmend gentrifizierten Wohngebiet seien die 117 Dabei handelt es sich um die Straßenkreuzung Rigaer Straße / Liebigstraße, die von der Bewohnerschaft beider Szeneobjekte als "Dorfplatz" bezeichnet wird. 157 "kämpfenden Menschen aus den kleinen und großen Kollektiven des Widerstandes endgültig bereit, den entscheidenden Kampf um die Bastion 118 an ihrem Dorfplatz zu kämpfen." Anti-Gentrifizierung Der Kampf gegen städtebauliche Umstrukturierungen mit der Folge einer Aufwertung von Kiezen - auch "Gentrifizierung" genannt - ist ebenso wie der Widerstand gegen vermeintliche Repression eng mit der Genese der Autonomen als politischer Bestrebung verbunden. Im Gegensatz zu vielen Stadtteilund Mieterinitiativen geht es ihnen jedoch nicht um den Erhalt sozialund wohnräumlich gewachsener Strukturen, sondern um die Etablierung sogenannter "Autonomer Freiräume", die dem Zugriff des Staates entzogen und in denen rechtsstaatliche Normen außer Kraft gesetzt werden sollen. Als "Freiraum" deklarierte Gebiete oder Gebäude werden gegen rechtmäßige Räumungen gewaltsam "verteidigt" und auch nach erfolgten Sanierungen immer wieder angegriffen. Dabei entstehende Drohkulissen sind gewollt und zielen auf Machtausübung in Teilen des öffentlichen Raums. Der Versuch, die zahlreichen räumungsbedrohten Objekte von unterschiedlicher Szenerelevanz im Protest zu vereinen, gelang bisher nur sehr eingeschränkt. Der Vollzug von Räumungen könnte dies ändern. 118 Erklärung: Angriff auf die Polizei im Nordkiez von Friedrichshain, Internetpräsenz de.indymedia. Veröffentlicht und abgerufen am 22. 7. 2019. 158 Linksextremismus Schleichende Grenzverschiebungen Ratlosigkeit und rituell verhaftete Stagnation innerhalb der linksextremistischen Szene brachten sogenannte Postautonome Gruppierungen bereits zu Beginn der 2000er Jahre zu der Überlegung, dass zu ihrer Überwindung ein gewisser Organisierungsgrad und eine Modifizierung der Methoden hilfreich sein könnten. Bündnisse wie "Interventionistische Linke" (IL) und "...um's Ganze!" wurzeln im Autonomen Spektrum. Sie entstanden durch Zusammenschluss verschie119 dener Gruppierungen. Methodisch setzen sie - zumindest vordergründig - nicht auf Gewaltanwendung zur Erreichung der politischen Ziele. Sie verfolgen einerseits eine im weitesten Sinne entristische Strategie. Das bedeutet, dass sie versuchen, durch die Besetzung entsprechender Positionen u. a. in Politik, Verbänden, Stiftungen, Wirtschaft und Medien an der politischen Willensbildung mitzuwirken und diese in ihrem Sinn zu beeinflussen. Zum anderen setzen sie in der Mitte der Gesellschaft an, indem sie breit anschlussfähige Themen aufgreifen und diese in Kampagnen - niedrigschwellig und zuspitzend - so aufbereiten, dass möglichst viele Menschen zu einer aktiven Beteiligung motiviert werden. Dieses - vermeintlich dem zivilgesellschaftlichen Engagement vergleichbare - Vorgehen verdeckt, dass unter der Oberfläche tagesaktueller Problemlagen politische Ziele verfolgt werden, die auf eine Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen. 119 Bzw. die Auflösung von Gruppierungen in eine neue Struktur hinein (wie z. B. bei der IL). 159 "Interventionistische Linke" (IL) Gründung: 1999 Mitglieder in Berlin: 270-290 (2018: 260-280) "Interventionistische Linke" ist ein bundesweiter Zusammenschluss überwiegend postautonomer Gruppierungen, der mit dem Ziel gegründet wurde, die gesellschaftliche (und politische) Isolation "klassischer" Autonomer zu überwinden. Der Aufbau überregionaler Strukturen, die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen sowie ein gemäßigteres Auftreten sollen eine Anschlussfähigkeit an breite Bevölkerungskreise ermöglichen. Durch gemeinsame politische Arbeit soll innerhalb des "Systems" Akzeptanz für eine mehrheitsfähige revolutionäre Organisation als Alternative zu den bestehenden Verhältnissen geschaffen werden. Revolutionäre Zielsetzungen müssten deshalb mit nachvollziehbaren und erreichbaren Tagesforderungen verbunden werden. Im Rahmen von Aktionen, z. B. zum Thema Klimaschutz, setzt sie vor allem auf zivilen Ungehorsam. Dabei versucht sie unter Vorspiegelung von Legitimität möglichst viele Menschen zum Rechtsbruch zu bewegen und zu radikalisieren. Die im Rahmen von größeren Aktionen angewandte Taktik des zivilen Ungehorsams dient nicht zuletzt auch dazu, Selbstermächtigungserfahrungen durch provozierte Grenzüberschreitungen zu ermöglichen, die den Aktionsradius Schritt für Schritt erweitern sollen. Thematisch satteln Postautonome Gruppierungen insbesondere auf Gentrifizierungsentwicklungen - mit den für viele Menschen spürbaren Auswirkungen 160 Linksextremismus Verdrängung, Wohnraumknappheit und Mietenentwicklung -, Klimaproteste sowie einen angenommenen gesellschaftlichen "Rechtsruck" auf. Kampagnen im Zusammenhang mit Gentrifizierung Linksextremistische Akteure beschäftigen sich seit Jahren sehr intensiv mit dem Thema "Gentrifizierung" und dessen negativen Begleiterscheinungen und Folgen für viele Menschen. Kennzeichnend für postautonome Gruppierungen ist dabei, dass sie Proteste inhaltlich gezielt initiieren und verknüpfen, auf übergeordnete thematische Ebenen transferieren und dabei an der persönlichen Betroffenheit der Beteiligten ansetzen. Dabei brandmarken sie nicht nur einen vermeintlich "entfesselten Kapitalismus", sondern diskreditieren auch die repräsentative Demokratie. Auch "klassische" Autonome Gruppierungen engagieren sich im Zusammenhang mit Stadtumstrukturierung und Verdrängung. Dabei gerieren sie sich wie Postautonome Gruppierungen zum einen als Beistand vermeintlich Benachteiligter und von Gentrifizierungsmaßnahmen Betroffener, indem sie sich gegen Zwangsräumungen wenden. Darüber hinaus beteiligen sich linksextremistische Gruppierungen an Kampagnen wie "Besetzungen gegen Leerstand" oder für Enteignungen von Immobilienunternehmen. So instrumentalisieren sie z. B. den Wohnraummangel, indem sie Hausbesetzungen als geeignetes Mittel gegen Leerstand propagieren. Auf diese Weise erhoffen sie sich eine breite zivilgesellschaftliche Unterstützung bei Besetzungsaktionen. Zudem soll der eigene Handlungsspielraum auf Kosten staatlicher Akteure vergrößert werden. Im Zusammenhang mit Enteignungen geht es ihnen dagegen darum, eine breite zivilgesellschaftliche Zustimmung zur sukzessiven Abschaffung des Privateigentums "durch die Hintertür" zu erwirken. 161 Kampagne gegen Klimawandel Auch die große öffentliche Aufmerksamkeit und breite Anschlussfähigkeit, die mit dem Thema "Klimaschutz" verknüpft sind, werden von Linksextremistinnen und Linksextremisten genutzt, um sich als wirkmächtige Akteure zu profilieren. Dabei verbünden sie sich offensiv und zum Teil plakativ mit zivilgesellschaftlichen Initiativen. Ihnen geht es jedoch nicht nur um effektiven Klimaschutz, sondern auch hier um eine gezielte Diskreditierung von Staatlichkeit. Darüber hinaus versuchen sie, die - zumeist jungen - Klimaakteure zu vereinnahmen und zu radikalisieren. In Berlin sind in diesem Themenfeld insbesondere IL Berlin und die Berliner Ortsgruppe des Bündnisses "Ende Gelände" (EG) aktiv. "Ende Gelände" (EG) Berlin Gründung: 2015 Mitglieder in Berlin: 30 "Ende Gelände" Berlin bezeichnet sich als "Hybrid" zwischen Bündnis, Plattform und Gruppe und trat als "Bündnis" erstmals 2015 auf. Der Zusammenschluss geriert sich in seiner Außendarstellung als Klimaschutz-Akteur. Dabei wird verschleiert, dass die tatsächlichen Ziele weit darüber hinaus reichen. So bezeichnet sich die linksextremistische IL als maßgeblicher Bestandteil von EG.120 Das Bündnis zeigte z. B. wiederholt, dass es bei den von ihm organisierten "Massenaktionen des zivilen Ungehorsams" Gewaltanwendung mindestens billigend in Kauf nimmt. So wurden Teilnehmende 120 Vgl. "Solidarity will win. Alles eine Frage der Organisierung", Internetpräsenz der IL. Ohne Datum. S. 3. 162 Linksextremismus zu Baggerbesetzungen motiviert und Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten im Rahmen von EG-Aktionen positiv, Polizeimaßnahmen dagegen als "Repression" bewertet. Terminologisch lehnt sich EG eng an die Postautonome IL an. Auf eine Verortung des Bündnisses im linksextremistischen Spektrum deutet auch eine unmittelbare Verknüpfung der Themenfelder Anti-Kapitalismus und Anti-Fa121 schismus hin. Das Bemühen, an der öffentlichen und medialen Aufmerksamkeit zu partizipieren, dient nicht zuletzt dazu, eigene, über den zivilgesellschaftlichen Protest hinausreichende Forderungen effektiv zu platzieren und die Klimakrise zu einer Krise des politischen Systems zuzuspitzen. Dabei brandmarken linksextremistische Akteure eine vermeintliche Tatenlosigkeit von Verantwortung 122 Tragenden in Politik und Wirtschaft. Gezielt nutzen sie zudem auch in diesem Themenfeld Frustrationserfahrungen von jungen Menschen, die einerseits einen großen Handlungsdruck empfinden, sich andererseits jedoch von den Klimaschutzmaßnahmen politischer Verantwortlicher enttäuscht zeigen. Die IL Berlin veröffentlichte eine Broschüre, mit der eine "wachsende Organisierung" der Klimaschutzbewegung erreicht werden soll, die "entscheidend" sei.123 Dabei polarisiert sie zwischen Engagierten ("wir") und fiktiven anderen, die die Klimaschutzbewegung diskreditierten.124 121 Siehe hierzu S. 146 f sowie S. 150 f. 122 Siehe hierzu exemplarisch "Wütend und ungehorsam - Klimagerechtigkeit selber machen - Wir sind der Systemwandel!", Internetpräsenz von EG, ohne Datum. 123 "Solidarity will win. Alles eine Frage der Organisierung. Eine kleine Ratgeberin für Klimabewegte und solche, die es werden wollen", Internetpräsenz der IL, ohne Datum. Zitat auf S. 4. 124 Siehe ebd. 163 Im Hinblick auf die Protestform "ziviler Ungehorsam" argumentiert die IL Berlin, dieser könne deshalb nicht nur passiv und gewaltfrei sein, da das eine "gerechte Gesellschaft" voraussetze - die aktuell aber nicht gegeben sei. "Ziviler Ungehorsam" sei daher eher "strategisch" zu definieren. Darunter zu subsumieren sei nicht zuletzt auch ein "Regelbruch, der von vielen Menschen als 125 legitim angesehen" werde. Im "klassischen gewaltfreien Spektrum" gebe es zwar "viele Abwehrreflexe" gegen Gewaltausübung. Die Trennung "Müslis gegen Militante", "Pazifisten gegen Steineschmeißer" sei jedoch nicht zuletzt durch erfolgreiche Bemühungen des Postautonomen Spektrums, zu dem sich die IL zählt, überholt. Damit versucht die IL, eine Zusammengehörigkeit von Klimaaktivisten und Linksextremisten herzustellen. Fazit und Ausblick Trotz personeller Schwächung des Autonomen Spektrums ist die Zahl der von Linksextremistinnen und Linksextremisten in der Hauptstadt verübten Gewalttaten weiterhin hoch. Dies gilt in gleicher Weise für die Formen der Gewaltausübung, die zum Teil keine Rücksicht auf Leib und Leben Betroffener nimmt 125 "Streitgespräch Ziviler Ungehorsam. 'Trittbrettfahrer!' - 'Formfetischisten!'", taz.de, 26. 1. 2012, erneut veröffentlicht über twitter.com am 22.9.2019. 164 Linksextremismus oder diese sogar gezielt in Lebensgefahr bringt, wie u. a. die Brandlegung an einer Polizeidienststelle im Februar belegt. Für einen Großteil der Gewalttaten dürfte insbesondere das Autonome "Anarcho"-Spektrum verantwortlich sein. Der ersehnte "Aufstand" blieb auch 2019 aus. So konnten z. B. zahlreiche von Räumung bedrohte Szeneobjekte keine effektive und gemeinsame Strategie entwickeln, nachhaltigen öffentlichen Druck aufzubauen und/oder Räumungen abzuwenden. Diese Situation könnte sich jedoch durch den Vollzug von Räumungsbeschlüssen - insbesondere bei Objekten mit hoher Szenerelevanz - kurzfristig verändern. Postautonomen Gruppierungen gelang es über die Anknüpfung an gesellschaftlich breit anschlussfähige Themen, ihre Mitgliederzahlen weiter zu erhöhen. Die von ihnen ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung zeigt sich aktuell in subtilen Einflussnahmen auf die öffentliche Meinungsbildung und daraus resultierenden Grenzverschiebungen zu Lasten der Akzeptanz des Rechtsstaates und der politischen Ordnung. 165 166 II 7 Scientology Organisation Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 7 Scientology Organisation "Scientology Organisation" Mitglieder in Berlin: 130 (2018: 130) Die "Scientology Organisation" (SO) wurde 1954 in den USA gegründet. Der deutsche Ableger entstand 1971. Sie geht auf den amerikanischen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard zurück, der behauptete, die Welt von Armut, Krieg, Verbrechen, Krankheit und anderen Übeln befreien zu können. Seitdem verbreitet die SO ihre Ideologie weltweit im Rahmen von Publikationen, Kurssystemen, Veranstaltungen und im Internet mit dem Ziel, eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt zu schaffen. Durch die Anwendung scientologischer Ideologie und Techniken soll ein perfekt funktionierender Mensch, der sogenannte "Clear", erzeugt werden, der sich zum "operierenden Thetan" weiterentwickeln kann. Nur diesen Menschen sollen Bürgerrechte zugestanden werden, um mit ihnen eine scientologische Gesellschaftsordnung zu errichten. Außerhalb dieser Gesellschaft stehenden oder der SO gegenüber kritisch eingestellten Personen wird jeglicher Wert abgesprochen. Gegner und Kritiker werden von Scientology verfolgt und bedroht. Der Einstieg in die Organisation erfolgt in der Regel durch einen kostenfreien "Persönlichkeitsoder Stresstest", der als vermeintlich individuelle Lebenshilfe angeboten wird. Seine Auswertung durch einen speziell geschulten "Scientologen" wird immer Defizite aufzeigen, welche durch - dann kostenpflichtige - Seminare korrigiert werden sollen. Scientology manipuliert ihre Anhänger, unterwirft sie einer ständigen Kontrolle und beutet sie finanziell aus. 168 Scientology Die Entwicklung der SO in Berlin ist wenig dynamisch. Vom 20. bis zum 30. Mai organisierte lediglich die SO-Organisation "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte Deutschland e. V." (KVPM) eine Ausstellung zum Thema "Psychiatrie: Tod statt Hilfe!" am Potsdamer Platz. Sie fiel in den Zeitraum des jährlich stattfindenden "Hauptstadtkongresses Medizin und Gesundheit" im Mai. Die KVPM versuchte so, Kontakte zu Beschäftigten des Gesundheitssystems zu knüpfen. Hierfür warb man auf Flyern zur Veranstaltung gezielt um "Whistleblower", d. h. im Gesundheitssystem Beschäftigte sollten von den vermeintlichen Missständen in der Psychiatrie berichten. Die Ausstellung erzielte über ihre unmittelbare Präsenz am Potsdamer Platz hinaus kaum Außenwirkung und wurde auch medial nicht thematisiert. KVPM ist nur eine von vielen SO-Oganisationen, die vordergründig über bestimmte Themen aufklären. Allerdings geht es "Scientology" dabei weniger um seriöse Darstellungen als vielmehr um Mitgliederakquise. Zudem betreibt "Scientology" Mitgliederwerbung durch kostenlose "Persönlichkeitstests", Filmvorführungen und Besichtigungen der Zentrale in Charlottenburg. Diese Angebote werden von der Öffentlichkeit jedoch in der Regel ignoriert, so dass die Mitgliederzahlen der SO in Berlin unverändert auf niedrigem Niveau stagnieren. 169 170 II 8 Spionageabwehr und Aktuelle Entwicklungen Wirtschaftsschutz in den Beobachtungsfeldern 8 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Spionageabwehr Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer geopolitischen Lage in Europa, ihrer Rolle in der Europäischen Union (EU) und der Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für andere Nachrichtendienste, d. h. für alle nicht-deutschen Nachrichtendienste, attraktiv. Diese Dienste sind in unterschiedlicher Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort Legalresidenturen. Darunter sind Stützpunkte eines anderen Nachrichtendienstes zu verstehen, die in einer Botschaft oder einem Konsulat eingerichtet sind. Die dort als Diplomaten oder Journalisten getarnt arbeitenden Mitarbeiter betreiben, offen oder verdeckt, operative Informationsbeschaffung oder unterstützen nachrichtendienstliche Aktivitäten, die von den jeweiligen Zentralen in ihren Herkunftsländern geführt werden. Werden solchen Personen nachrichtendienstliche Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zu ihrer Ausweisung aus Deutschland führen. Schwerpunkte In Berlin als Hauptstadt und Regierungssitz ist die Anzahl mit über 150 diplomatischen Vertretungen und folglich die Präsenz anderer Nachrichtendienste hoch. Die jeweiligen operativen Schwerpunkte orientieren sich in der Regel an aktuellen politischen Vorgaben, wirtschaftlichen und technologischen Prioritäten sowie militärtaktischen und -strategischen Interessen. Angesichts dieser Aufgabenkataloge reichen die Ziele anderer Nachrichtendienste von der offenen und konspirativen Beschaffung von Informationen aus relevanten Objekten bis hin zur Infiltration in Deutschland ansässiger Organisationen, aber auch der Ausspähung von Bürgern, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. 172 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Russische Nachrichtendienste Die russischen Nachrichtendienste haben nach wie vor einen hohen Stellenwert in der russischen Gesellschaft und sind ein fester Bestandsteil der russischen Sicherheitsarchitektur. Der seit November 2018 von Vizeadmiral Igor Kostyukov geführte militärische Nachrichtendienst "Glavnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije" (GRU) untersteht dem Verteidigungsministerium der Russischen Föderation, das wiederum direkt dem Präsidenten Russlands unterstellt ist. Zu seinen operativen Aufgaben zählt die strategische und taktische Militäraufklärung sowie die Beschaffung militärisch nutzbarer Technologien. Ihm ist auch eine eigene operative Spezialeinheit unterstellt, die sogenannte "Speznas". Der zivile Auslandsnachrichtendienst "Slushba Wneschnej Rasweki" (SWR) wird gegenwärtig von Sergej Naryshkin geleitet, der seit 2016 amtiert. Dieser Nachrichtendienst arbeitet operativ auf allen Gebieten wie Wissenschaft und Technologie, Politik, Nachrichtendienste und Sicherheitsbehörden sowie der funkelektronischen Aufklärung. Er versucht, ein prorussisches Klima zu forcieren und mit Cyberoperationen Informationen zu erlangen. Überdies hat der Inlandsnachrichtendienst "Federalnaja Slushba Besopastnosti" (FSB) auch operativen Aufgaben, die sich im Rahmen des "Dienstes für Spionageabwehr" abbilden. Im Dezember 2019 erfolgte die Ausweisung von zwei russischen Diplomaten. Bei ihnen wird eine Anbindung an einen Nachrichtendienst Russlands angenommen. Dem voraus ging die Tötung eines Georgiers im "Kleinen Tiergarten" am 23. August. Ein Mann, der eine Handfeuerwaffe bei sich trug, näherte sich auf einem Fahrrad dem Opfer von hinten. Er schoss mehrmals auf das Opfer und traf es tödlich. Der Mann floh mit dem Fahrrad, kleidete sich in einem Gebüsch um und warf Garderobe, Perücke und Fahrrad in die Spree. Eintreffende Polizeibeamte vereitelten seine weitere Flucht. Das Amtsgericht Tiergarten erließ am Folgetag einen Haftbefehl wegen Mordes gegen einen Beschuldigten, der den Tatvorwurf abstreitet. Nach Mitteilung des Generalbundesanwalts 173 (GBA) bestehen hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass der Beschuldigte, ein russischer Staatsbürger, die Tötung in staatlichen Auftrag, entweder der Zentralregierung der Russischen Föderation oder der Regierung der Autonomen 126 Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation ausführte. Chinesische Nachrichtendienste Das chinesische Ministerium für Staatssicherheit (MSS) vereint den zivilen Inund Auslandsnachrichtendienst der Volksrepublik China. Er wird seit dem Jahre 2016 von Chen Wenqing geleitet, der zugleich Mitglied des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas ist. Diverse Büros des Nachrichtendienstes befassen sich neben der Informationsbeschaffung auch mit der Spionageabwehr, der inneren Sicherheit (einschließlich Kommunikationstechnik) sowie der Beobachtung und Verfolgung von Oppositionellen. Auch die Wissenschaftsund Technik-Spionage hat für den chinesischen Nachrichtendienst eine große Bedeutung, insbesondere um den wirtschaftspolitischen Masterplan "Made in China 2025" zu bedienen. Hierbei handelt es sich um einen 2015 vom chinesischen Ministerpräsidenten Li Keqiang formulierten strategischen Wirtschaftsplan, der China bis zum Jahr 2025 zu einer Industriemacht transformieren soll. Insbesondere die Schwerpunkte Informationsund Kommunikationstechnologien, High-End gesteuerte Werkzeugmaschinensysteme und Robotertechnologie, Elektrizitätsanlagen, Luftund Raumfahrttechnikanlagen, neue Werkstoffe, Schienenverkehrsanlagen und High-Performance-Medizingeräte sowie Landmaschinen, Schiffbautechnik, Energieeinsparungen und Elektromobilität werden darin genannt. Auch in Berlin wurde ein Einflussnahmeversuch im Bereich Software-Entwicklung für Hochtechnologie festgestellt. Zudem gelten der Politik in Deutschland sowie oppositionellen chinesischen Gruppen die besondere Aufmerksamkeit der chinesischen Nachrichtendienste. Die Oppositionsgruppen werden als systemfeindliche "Fünf Gifte" bezeichnet, 126 Vgl. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof: Pressemitteilung 56/2019 - Übernahme des Ermittlungsverfahrens wegen Mordes zum Nachteil des russisch-georgischen Staatsangehörigen Tornike K., Mitteilung zum Stand der Ermittlungen v. 4. 12. 2019, S. 1 f. 174 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz darunter Minderheiten wie die Uiguren, Tibeter, Falun-Gong-Bewegung, die demokratische Bewegung und die Aktivisten für eine Eigenstaatlichkeit der Insel Taiwan, die auch in Berlin auf ihre Anliegen aufmerksam machen. Be127 kannt geworden sind auch Cyberoperationen (APT 10 genannt ) Diese können insbesondere Berliner Unternehmen tangieren, die mit bzw. in China Geschäftsbeziehungen unterhalten. Türkische Nachrichtendienste Vor allem der mit Exekutivbefugnissen ausgestatte zivile türkische Nachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) operiert im Inund Ausland. Der von Dr. Hakan Fidan geleitete Nachrichtendienst ist direkt dem Staatspräsidenten unterstellt. Zu seinen Aufklärungszielen gehören die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) oder - vor allem nach Juli 2016 - oppositionelle Gruppen, Einzelpersonen oder Institutionen im Land Berlin, die gegenüber der türkischen Regierungspartei "Adalet ve Kalkinma Partisi" (AKP) eine tatsächliche oder vermeintlich kriti128 sche Grundhaltung aufweisen, darunter primär die "Gülen-Bewegung". Die operative Arbeit des MIT erfolgt in Berlin nicht allein durch die Türkische Botschaft und andere Vertretungen, sondern wahrscheinlich auch durch AKP-nahe Organisationen bzw. Vorfeldorganisationen. Der Berliner Verfassungsschutz kooperiert in allen Belangen der Spionageabwehr eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das bei der Aufklärung aller nachrichtendienstlichen Aktivitäten federführend ist. 127 APT (Advanced Persistent Threat - fortgeschrittene andauernde Bedrohung) benennt einen komplexen, zielgerichteten Cyberangriff auf Behörden oder Unternehmen. APT 10 wird der chinesischen Regierung zugerechnet, um an Geschäftsdaten von Unternehmen, aber auch an militärische und politische Staatsgeheimnisse zu gelangen. 128 Die Organisation des Predigers Fethullah Gülen wird von der türkischen Regierung für den versuchten Staatsstreich 2016 verantwortlich gemacht. 175 Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage hat sich als gängige Bezeichnung für die Absicht anderer Nachrichtendienste etabliert, aus den Bereichen Wissenschaft und Technik in der Bundesrepublik Deutschland Informationen zu beschaffen, um Unternehmen anderer Staaten einen Vorteil zu verschaffen. Im Gegensatz zu dieser staatlich organisierten Wirtschaftsspionage gibt es die Industriespionage, die zumeist von Unternehmen im Kontext der Konkurrenzausspähung ausgeht. Wirtschaftsspionage durch andere Staaten wird wesentlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz bearbeitet. Durch präventiven Wirtschaftsschutz sollen Forschungsund Technologieentwicklungen an Hochschulen und in der Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage und Wettbewerbsnachteilen geschützt werden. Die wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Erfolge der Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Ergebnis nicht nur von Entwicklungskosten, sondern auch von langjähriger Forschung und kreativen Ideen. Ein solches Know-how ist stets mit dem Risiko verbunden, durch Wissenschaftsund Technikspionage verloren zu gehen. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport unterhält mit der Industrieund Handelskammer sowie dem Verband für Sicherheit in der Wirtschaft BerlinBrandenburg eine enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in anderen Bereichen der inneren Sicherheit.129 Wesentlich geht es dabei um den Austausch von Informationen zwischen Wirtschaft und Sicherheitsbehörden, wobei die Wirtschaft über sie betreffende Spionageaktivitäten berichtet und die Sicherheitsbehörden zur IT-Sicherheit, den Schutz 129 Der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Berlin-Brandenburg (VSW BB) wurde 2010 von führenden Unternehmen aus der Region gegründet und umfasst aktuell knapp 40 Mitglieder. Den Rahmen der engen Zusammenarbeit zwischen der Senatsverwaltung für Inneres und Sport, der Industrieund Handelskammer (IHK) Berlin und VSW BB bildet die ebenfalls 2010 ins Leben gerufene Sicherheitspartnerschaft. Zur Pflege dieser Partnerschaft ist eine gemeinsame Koordinierungsgruppe eingesetzt, die in vierteljährigem Turnus tagt. 176 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz von Wirtschaftsspionage und über politischen Extremismus informieren. Wenn Unternehmen von Wirtschaftsspionage betroffen sind oder Anhaltspunkte für entsprechende Aktivitäten haben, können sie den Kontakt zum Verfassungsschutz suchen, der Vertraulichkeit garantiert; zumal er nicht - wie Strafermittlungsbehörden - dem Strafverfolgungszwang unterliegt. Es unterliegt dem Opportunitätsprinzip, ob der Verfassungsschutz einen Sachverhalt zur Strafverfolgung an Polizei und Staatsanwaltschaft weiterleitet. Der Berliner Verfassungsschutz ist für die Beobachtung von Wirtschaftsspionage zuständig. Er unterstützt das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Erfüllung des nun im dortigen Gesetz verankerten Auftrages des präventiven Wirtschaftsschutzes bei seiner Beratung. Zur Stärkung des behördlichen Wirtschaftsschutzes wurde im September eine Gruppe Wirtschaftsschutz innerhalb des Berliner Verfassungsschutzes aufgebaut. Diese Gruppe agiert als zentrale Ansprechstelle für Berliner Unternehmen zum Thema Wirtschaftsschutz. Sie kooperiert mit dem Bereich Wirtschaftsspionage/-schutz des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Kernstück des Wirtschaftsschutzes sind die Verbindungen zu den innovativen und technologieorientierten Unternehmen in Berlin. Der Verfassungsschutz bietet den Unternehmen in diesem Rahmen Beratungsgespräche an, die vorwiegend zur Sensibilisierung der Gesprächspartner für die Erscheinungsformen der Wirtschaftsspionage und Proliferation zum Inhalt haben. Die Gruppe Wirtschaftsschutz hält auf Einladung auch Vorträge zum Thema. 177 Abwehr von Cyberspionage Cyberspionage Stille Angriffe über die IT-Infrastruktur sind mittlerweile weit verbreitet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Elektronische Angriffe haben sich zu einer wichtigen Methode der Informationsgewinnung für andere Nachrichtendienste entwickelt und ergänzen als zusätzliche Informationsquelle die nachrichtendienstliche Ausforschung mit menschlichen Quellen. Cyberspionage ist ein zunehmend häufiger eingesetztes Mittel der Nachrichtengewinnung mit einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit. Einen beachtlichen Stellenwert bei der Beschaffung von Informationen nimmt die elektronische Aufklärung ein. Dabei steht das Bemühen im Mittelpunkt, in Infrastrukturen der Informationstechnologie einzudringen, um Informationen zu beschaffen oder um das IT-System zu beschädigen oder zu sabotieren. Angesichts der zunehmenden IT-Vernetzung in Wissenschaft und Technik sowie von Parlamenten und Verwaltungen ist dies ein bedeutsames Instrument nachrichtendienstlicher Arbeit, zumal der personelle Aufwandund damit das Risiko einer Enttarnung eher gering ist. Cyberspionage schließt Betrug, Fälschungen und unerlaubte Zugriffe auf IT-Systeme ein. Angriffe werden mit E-Mails mit spezifischen Anhängen, präparierten Websites oder USB-Sticks durchgeführt. Angesichts der Komplexität dieser Aktivitäten nahm im Jahr 2011 ein "Nationales Cyber-Abwehrzentrum" seine Arbeit auf, in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz vertreten ist. 178 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Erfolgreiche Cyberangriffe können immense finanzielle, volkswirtschaftliche und politische Schäden hervorrufen. Ein unkontrollierter Abfluss von Informationen mit innenoder außenpolitscher Bedeutung bzw. Informationen zur politischen Ausrichtung der Bundesrepublik Deutschland wäre in seinen Konsequenzen fatal. Am 5. Juni 2019 unterzeichnete der Senator für Inneres und Sport und der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz eine Verwaltungsvereinbarung über die Verlagerung der Aufgabe Cyberabwehr vom Berliner Verfassungsschutz auf das Bundesamt für Verfassungsschutz. In diesem Zeitraum konnten insgesamt vier Angriffe, bzw. Angriffsversuche auf Unternehmen, wissenschaftliche Einrichtungen oder andere Institutionen festgestellt werden. Entsprechende Sensibilisierungsmaßnahmen wurden eingeleitet. 179 180 II 9 Geheimschutz Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 9 Geheimschutz Unverzichtbar ist der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bundesländer gefährden kann. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicher130 heitsempfindlichen Bereichen zu verhindern. Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat diese Einrichtungen durch Rechts131 verordnung festgelegt. Dazu zählen u. a. die Behörden zum Schutz der inneren Sicherheit und die Lagezentren und Leitstellen von Polizei und Feuerwehr. Die Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz.132 Zum Zweck des personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen ebenfalls gesetzlich vorgesehen. 130 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2. 3. 1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17. 12. 2003 (GVBl. S. 617). 131 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2. 9. 2003 (GVBl. S. 316). 132 Der materielle Geheimschutz schafft die organisatorischen und technischen Vorkehrungen zum Schutz von Verschlusssachen. Er beinhaltet Regelungen zum Umgang mit Verschlusssachen, z. B. zur Herstellung, besonderen Kennzeichnung, Transport, Weitergabe und Aufbewahrung (Tresore, elektronische Sicherungen). 182 Geheimschutz Die Verfassungsschutzbehörde wird nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde tätig, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist. Im Jahr 2019 führte der Berliner Verfassungsschutz 601 Überprüfungen durch (2018: 983). Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund oder Ländern einbezogen werden. Es sollen Sicherheitsstandards eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes oder eines Landes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags mit Verschlusssachen. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen." Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den 183 Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicher133 heitsüberprüfung ist die Verfassungsschutzbehörde. 2019 wurden 157 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2018: 170). Um die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, unterstützt der Berliner Verfassungsschutz den Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg (SIBE-AK BR-BB) durch fachkundige Referenten und die Bereitstellung von Informationsmaterialien bei Seminaren und Tagungen. Dieser Arbeitskreis soll den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Austauschforum bieten. Mitwirkung bei gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Der Verfassungsschutz wirkt bei Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren mit.134 Auf Antrag der Einbürgerungsbehörde wird geprüft, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Dabei geht es insbesondere um eine Prüfung,135 ob Anhaltspunkte dafür vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die Antragstellenden Bestrebungen verfolgen oder unterstützen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind oder Hinweise auf sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. 2019 wurden 10 562 Anfragen bearbeitet (2018: 9 810). 133 SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln. 134 SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln. 135 SS 11 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), vom 22. 7. 1913 in der im BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 11. 10. 2016 (BGBl. I S. 2 218). 184 Geheimschutz Vergleichbare Sicherheitsanforderungen gelten auch für das Aufenthaltsrecht 136 von Ausländern. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet hat oder sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele 137 an Gewaltdelikten beteiligt. Zur Feststellung von Versagungsgründen können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die von ihnen erhobenen Personalien übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde dann mit, ob aus ihrer Sicht Versagungsgründe oder 138 Sicherheitsbedenken vorliegen. 2019 gingen 13 259 Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde ein (2018: 12 037). Bei Flughäfen und kerntechnischen Anlagen handelt es sich um besonders schützenswerte Objekte. Unbefugte Handlungen durch Beschäftigte können Gefahren für das Objekt und für Leib und Leben anderer Menschen zur Folge haben. Aus diesen Gründen werden gem. SS 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) und SS 12 b Atomgesetz (AtomG) Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt, an denen der Verfassungsschutz mitwirkt. Im Jahre 2019 wurden nach dem LuftSiG 3 425 Anfragen durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2018: 1 909). Nach dem AtomG wurden 178 Anfragen (2018: 193) bearbeitet. Seit dem Jahr 2005 gibt es gesetzliche Regelungen über die Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und der Bewachungsverordnung. Seit dem 1. September 2005 sind die Verfassungsschutzbehörden der Länder an 136 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet i.d.F. vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. 11. 2016 (BGBl. I S. 2 460) (AufenthG). 137 SS 54 Abs. 1 Nrn. 2 oder 4 AufenthG. 138 SS 73 Abs. 2 u. 3 AufenthG. 185 der Überprüfung von Personen beteiligt, die gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit solchen Stoffen betreiben 139 wollen. Zuständige Behörde für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung in Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und technische Sicherheit. 2019 erfolgten 441 Anfragen (2018: 467). Wer gewerbsmäßig Leben und Eigentum fremder Personen bewachen will, bedarf einer Erlaubnis auf der Grundlage der Bewachungsverordnung durch die Gewerbeämter der Berliner Bezirke. Bis zum 1. Juni 2019 hatten die Gewerbeämter die Möglichkeit, in begründeten Einzelfällen bei der örtlich zuständigen Verfassungsschutzbehörde anzufragen, ob Erkenntnisse vorliegen, die für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit von Bedeutung sind. Zum 1. Juni 2019 wurde durch die Vorgabe im Gesetz zur Änderung bewa140 chungsrechtlicher Vorschriften vom 4. November 2016 ein zentrales Bewacherregister beim Bundesamt für Wirtschaft und Außenkontrolle (BAFA) errichtet. Das zentrale Bewacherregister soll den Vollzug des Bewachungsrechts vereinfachen und verbessern. Mit dem 2. Gesetz zur Änderung der bewachungsrechtlichen Vorschriften141 wird festgelegt, dass bundesweit Daten zu Bewachungsgewerbetreibenden und Bewachungspersonal elektronisch auswertbar erfasst und auf den aktuellen Stand gehalten werden. Über das Register erfolgt die verpflichtende Regelanfrage bei der jeweiligen Landesbehörde für Verfassungsschutz bei bestimmten Bewachungsunternehmer und Wachpersonen.142 139 SSSS 7 u. 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz (SprengG), BGBl. I S. 3 518, zuletzt geändert durch Art. 1 des dritten ÄnderungsG vom 15. 6. 2005 (BGBl. I S. 1 676) Art. 35 des Gesetzes zur Umbenennung des BGS in Bundespolizei vom 21. 7. 2005 (BGBl. I S. 1 818). 140 BGBl 2016, I, S. 2 456. 141 BGBl I 2018, S. 2 666. 142 Dies betrifft Bewachungsunternehmer und Wachpersonen, die Flüchtlingsunterkünfte und zugangsgeschützte Großveranstaltungen bewachen sowie Schutzaufgaben im befriedeten Besitztum bei Objekten wahrnehmen, von denen im Fall eines kriminellen Eingriffs eine besondere Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen kann. 186 Geheimschutz Mit der Einführung der Regelanfrage stieg die Zahl der Anfragen deutlich an. 2019 wurden 4 862 durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2018: 1 184). Ebenfalls zu den Mitwirkungsangelegenheiten gehören auf Grund des 7. Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 16. Mai 2007 auch Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem BVFG. Durch die Überprüfung soll sichergestellt werden, dass gewaltbereite Extremisten nicht auf dem Weg des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern nach Deutschland kommen können. 2019 gab es keine Anfragen mit Bezug zum BVFG. 187 188 III Anhang Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) SS 3 Dienstkräfte in der Fassung vom 25. Juni 2001, geändert durch (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzabteilung Art. V des Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBl. S. 305), haben neben den allgemeinen Pflichten die sich geändert durch Art. II des Gesetzes vom 5. Dezember aus dem Wesen des Verfassungsschutzes und 2003 (GVBl. S. 571), geändert durch Art. I des Gesetihrer dienstlichen Stellung ergebenden besonderen zes vom 6. Juli 2006 (GVBl. Nr. 26, S. 712), geändert Pflichten. Sie haben sich jederzeit für den Schutz der durch Gesetz vom 1. Dezember 2010 (GVBl. S. 534), freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinzuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom ne des Grundgesetzes und der Verfassung von Berlin 13. Juni 2018 (GVBl. S. 418). einzusetzen. Die Funktion des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung Erster Abschnitt zum Richteramt besitzt. (2) Der Senat von Berlin kann jährlich bestimmen, Aufgaben und Befugnisse der in welchem Umfang Dienstkräften der VerfassungsVerfassungsschutzbehörde schutzabteilung freie, frei werdende und neu geschaffene Stellen in der Hauptverwaltung für Zwecke der Personalentwicklung vorbehalten werden. SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitSS 4 Zusammenarbeit lichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des und ihrer Länder. Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenSS 2 Organisation seitiger Unterstützung und Information sowie in der (1) Verfassungsschutzbehörde ist die SenatsverwalUnterhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie z. B. tung für Inneres. Die für den Verfassungsschutz zudas nachrichtendienstliche Informationssystem des ständige Abteilung nimmt ihre Aufgaben gesondert Bundes und der Länder [NADIS] und die Schule für von der für die Polizei zuständigen Abteilung wahr. Verfassungsschutz). (2) Die für den Verfassungsschutz zuständige (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürAbteilung ist Verantwortlicher im Sinne des SS 31 fen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im EinNummer 7 des Berliner Datenschutzgesetzes vom vernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz 13. Juni 2018 (GVBl. S. 418). Die Übermittlung an nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde andere Organisationseinheiten der Senatsverwaltung tätig werden. für Inneres ist ungeachtet der fachund dienstaufsichtlichen Befugnisse zulässig, wenn dies für die SS 5 Aufgaben der Aufgabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres Verfassungsschutzbehörde wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbe(1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, schadet ihrer Verantwortung gegenüber dem Senator den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, im Übrigen in der Durchführung von Prüfungen und andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentder Beurteilung von Prüfungsvorgängen unabhängig. lichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu unterrichten. Dadurch 190 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin soll es den staatlichen Stellen insbesondere ermögDie Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde bei der licht werden, rechtzeitig die erforderlichen MaßnahMitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner men zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. März 1998 (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und (GVBl. S. 26) geregelt. wertet die Verfassungsschutzbehörde Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Daten, Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über SS 6 Begriffsbestimmungen (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 und 3 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demosind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete kratische Grundordnung, den Bestand oder die Verhaltensweisen oder Betätigungen von OrganisaSicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet tionen, Personenzusammenschlüssen ohne feste hiesind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der rarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele 2 bezeichneten Schutzgüter. Für eine Organisation haben, oder eine unorganisierte Gruppe handelt, wer sie in 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche ihren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. VerTätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes haltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einer für eine fremde Macht, oder für eine Organisation oder in einer oder für eine 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetunorganisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen zes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker Gesetzes erheblich zu beschädigen. (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die gegen (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen die freiheitliche demokratische Grundordnung geder zuständigen öffentlichen Stellen mit richtet sind, sind solche, die auf die Beseitigung oder 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrunddenen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbesätze abzielen. Hierzu gehören: dürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen und Abstimmungen und durch besondere Organe oder ihn sich verschaffen können, der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt geheimer Wahl zu wählen, sind oder werden sollen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungs3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum mäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhalGewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, tungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlaErkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch mentarischen Opposition, Unbefugte, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verant4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, bürgerungsverfahren, jagdund waffenrechtlichen 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, Verfahren sowie bei sonstigen gesetzlich vorge6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft schriebenen Überprüfungen; die Mitwirkung ist nur und zulässig, wenn diese zum Schutz der freiheitlichen 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschendemokratischen Grundordnung oder für Zwecke rechte. der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist; Näheres (3) Im Sinne dieses Gesetzes sind wird in einer Verwaltungsvorschrift des Senators für 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder Inneres im Benehmen mit dem Berliner Beauftragten eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, die für Datenschutz und Informationsfreiheit bestimmt. 191 Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu Sie ist nur solange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzuoder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. trennen, (4) Soweit in diesem Gesetz besondere Eingriffs2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes befugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen oder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtiZwanges gegen Personen oder eine nicht unerhebgen. liche Einwirkung auf Sachen. (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 3 werden nur gefährdet, wenn innerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder SS 8 Befugnisse der durch Handlungen vorbereitet wird und diese sich Verfassungsschutzbehörde gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur Eranderer Staaten richten. füllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten und bei öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen, SS 7 Voraussetzung und Rahmen für die insbesondere bei Privatpersonen, erheben, soweit Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Berli(1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, ner Datenschutzgesetzes oder besondere Regelungen darf die Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehin diesem Gesetz entgegenstehen; dies gilt auch mung ihrer Aufgaben nach SS 5 Abs. 2 nur tätig werdann, wenn die betroffene Person in eine Überden, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte prüfung im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens für den Verdacht der dort genannten Bestrebungen eingewilligt hat. oder Tätigkeiten vorliegen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heim(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die lichen Informationsbeschaffung, insbesondere Prüfung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorzur Erhebung personenbezogener Daten, nur in liegen, die dazu erforderlichen personenbezogenen begründeten Fällen folgende nachrichtendienstliche Daten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben, Mittel anwenden: speichern und nutzen. Eine Speicherung dieser Daten 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen im nachrichtendienstlichen Informationssystem Informanten, zum Zweck der Spionageabwehr (NADIS) oder in anderen Verbunddateien ist nicht zuüberworbenen Agenten, Gewährspersonen und verlässig. Eine Speicherung der nach Satz 1 erhobenen deckten Ermittlern, personenbezogenen Daten in Akten und Dateien 2. Observation, über den Ablauf eines Jahres seit der Speicherung 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videografieren hinaus ist nur zulässig, wenn spätestens von diesem und Filmen), Zeitpunkt an die Voraussetzungen des Absatzes 1 4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, vorliegen. Dasselbe gilt für das Anlegen personen5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer bezogener Akten. Mittel, (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Ver6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gefassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen sprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel, Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für die 7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für den Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Inallgemeinen Empfang bestimmten Kanälen sowie die formationen. Von mehreren möglichen und geeigneSichtbarmachung, Beobachtung, Aufzeichnung und ten Maßnahmen hat sie diejenige auszuwählen, die Entschlüsselung von Signalen in Kommunikationsden Einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, systemen, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten 8. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher beeinträchtigt. Eine Maßnahme hat zu unterbleiben, oder gewerblicher Angaben (Legenden), wenn sie einen Nachteil herbeiführt, der erkennbar 192 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzulässig, wenn Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die 10. Überwachung des Brief-, Post-, und Fernmeldebetroffene Person weniger beeinträchtigende Weise verkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes vom möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298; 2007 I S. 154), der Regel anzunehmen, wenn die Informationen das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 14. aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch August 2017 (BGBl. I S. 3202) geändert worden ist, eine Auskunft nach SS 27 gewonnen werden können. 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methoden, Die Anwendung eines Mittels gemäß Absatz 2 soll Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuInformationsbeschaffung, insbesondere das sonstige klärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichEindringen in technische Kommunikationsbeziehuntendienstlicher Mittel nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 6 und gen durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; 7 ist grundsätzlich nur zur Informationsbeschaffung dem Einsatz derartiger Methoden, Gegenstände und über Bestrebungen gegen die freiheitliche demoInstrumente hat der Ausschuss für Verfassungskratische Grundordnung zulässig, wenn diese Bestreschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vorab bungen die Anwendung von Gewalt billigen oder sich seine Zustimmung zu erteilen. in aktiv kämpferischer, aggressiver Weise betätigen. Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus beDie Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür und 53 a der Strafprozessordnung), darf die Verfasergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise sungsschutzbehörde nicht von sich aus nach Satz 1 erreicht werden kann. Daten, die für das Verständnis Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen in Anspruch der zu speichernden Informationen nicht erforderlich nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht sind, sind unverzüglich zu löschen. Die Löschung bezieht. Die Behörden des Landes Berlin sind verkann unterbleiben, wenn die Informationen von pflichtet, der Verfassungsschutzbehörde technische anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu geben. sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informatiogetrennt werden können; in diesem Fall dürfen die nen einschließlich personenbezogener Daten mit den Daten nicht verwertet werden. Mitteln gemäß Absatz 2 erheben, wenn (5) Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorganider Mittel nach Absatz 2 sind in einer Verwaltungssierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen vorschrift des Senators für Inneres zu regeln, die richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Informationsbeschaffung regelt. Die VerwaltungsvorAbs. 2 bestehen, schrift ist dem Ausschuss für Verfassungsschutz des 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige Abgeordnetenhauses von Berlin vorab zur Kenntnis Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten zu geben. gewonnen werden können, (6) Für die Speicherung und Löschung der durch 3. auf diese Weise die zur Erforschung von BestreMaßnahmen nach Absatz 2 erlangten personenbebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderzogenen Daten gilt SS 4 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes lichen Quellen erschlossen werden können oder entsprechend 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der VerfassungsGegenstände und Quellen der Verfassungsschutzschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch behörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimnicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen erdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. suchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen sich (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgegegen andere als die in SS 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 meinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des genannten Personen nur richten, soweit dies zur Grundgesetzes). Gewinnung von Erkenntnissen unerlässlich ist. 193 SS 9 Einsatz technischer Mittel (4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach den Absätzen 1 und 3 ist das Amtsgericht Tiergarten. zur Überwachung von Wohnungen Für das Verfahren gelten die Vorschriften des (1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprocheGesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen ne Wort darf mit technischen Mitteln ausschließlich Gerichtsbarkeit entsprechend. bei der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem (5) Der Senat unterrichtet die Kommission nach SS 2 Gebiet der Spionageabwehr und des gewaltbereiten des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes politischen Extremismus heimlich mitgehört oder in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), das aufgezeichnet werden. Eine solche Maßnahme ist zuletzt durch Artikel I des Gesetzes vom 5. Dezember nur zulässig, wenn sie im Einzelfall zur Abwehr einer 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden ist, unverdringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit, inszüglich, möglichst vorab, und umfassend über den besondere einer gemeinen Gefahr oder einer LebensEinsatz technischer Mittel nach Absatz 1 und, soweit gefahr für einzelne Personen, unerlässlich ist, ein richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. SS 3 konkreter Verdacht in Bezug auf eine Gefährdung der des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel vorstehenden Rechtsgüter besteht und der Einsatz 10 Grundgesetz gilt entsprechend. anderer Methoden und Mittel zur heimlichen Infor(6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 3 mationsbeschaffung keine Aussicht auf Erfolg bietet. ist nach ihrer Beendigung der betroffenen Person Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für einen vermitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der deckten Einsatz technischer Mittel zur Anfertigung Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen in Wohzu erwarten ist. Die durch Maßnahmen im Sinne des nungen. Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 dürfen Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach nur auf Grund richterlicher Anordnung getroffen Maßgabe des SS 4 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die Maßnahme werden. auch durch den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, angeordnet werden; eine richterliche SS 9a Eingriffe, die in ihrer Art und Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Schwere einer Beschränkung des Brief-, (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als Postund Fernmeldegeheimnisses drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit gleichkommen die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegemehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer heimnisses gleichkommt und nicht den Regelungen Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erfordes SS 9 unterliegt, wozu insbesondere das Abhören derlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Miteines Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde, tel gehört, bedarf der Anordnung durch den Senator der die Befähigung zum Richteramt hat. für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum Schutze zuständigen Staatssekretär vertreten wird. der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Per(2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausführung sonen vorgesehen, kann die Maßnahme durch den des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz gelten entSenator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch sprechend. den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, an(3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. geordnet werden. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. 194 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin SS 10 Registereinsicht durch die des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung - von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstZweiter Abschnitt lichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Datenverarbeitung Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische GrundSS 11 Speicherung, Veränderung und ordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes Nutzung personenbezogener Daten oder eines Landes gerichtet sind oder (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung - von Bestrebungen, die durch Anwendung von ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene personenGewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandbezogene Informationen speichern, verändern und lungen auswärtige Belange der Bundesrepublik nutzen, wenn Deutschland gefährden, 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder von öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 vorliegen oder Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von geFührerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, einwalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen sehen. Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichten1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich dienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigerscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der keiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder Daten durch die registerführende Stelle der Zweck 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, der Maßnahme gefährdet würde, und Gegenstände und Quellen der Verfassungsschutz2. die betroffene Person durch eine anderweitige behörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimAufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, dienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder und 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach SS 5 3. eine besondere gesetzliche GeheimhaltungsvorAbs. 3 tätig wird. schrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personennicht entgegensteht. bezogene Daten auch gespeichert, verändert und (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung, im und Bewertung von Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Falle der Verhinderung der Vertreter. zwingend erforderlich ist. (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse (2) In Dateien gespeicherte Informationen müssen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken durch Aktenrückhalt belegbar sein. verwendet werden. Gespeicherte Informationen sind (3) In Dateien ist die Speicherung von Informationen zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie aus der Intimsphäre der betroffenen Person unfür diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. zulässig. (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, SS 12 Speicherung, Veränderung und deren Daten für eine weitere Verwendung erforderNutzung personenbezogener Daten von lich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme Minderjährigen hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert Die Speicherung personenbezogener Informationen aufzubewahren, durch technische und organisatoriüber Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht vollsche Maßnahmen zu sichern und, soweit sie für die endet haben, ist unzulässig. Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht mehr benötigt werden, am Ende 195 SS 13 Speicherungsdauer Informationen ist eingeschränkt. Unterlagen sind (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speizu vernichten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben cherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung nach SS 5 nicht oder nicht mehr erforderlich sind, erforderliche Maß zu beschränken. Die in Dateien es sei denn, dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung gespeicherten Informationen sind bei der Einzelschutzwürdiger Interessen der betroffenen Person fallbearbeitung, spätestens aber fünf Jahre nach notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Speicherung der letzten Information, auf ihre ErforUnterlagen von anderen, die zur Erfüllung der Aufderlichkeit zu überprüfen. Sofern die Informationen gaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretBestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, barem Aufwand getrennt werden können. sind sie spätestens zehn Jahre nach der zuletzt ge(5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich speicherten relevanten Information zu löschen. zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Daten(2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien sicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsoder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, gemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke der Speicherung zu überprüfen und spätestens und zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des nach fünf Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei Berliner Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichdenn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere neten Handlungen verwendet werden. Erkenntnisse nach SS 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur Erfüllung der Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine SS 15 Berichtigung und Einschränkung Fortdauer der Speicherung rechtfertigen. der Verarbeitung personenbezogener Daten in Akten SS 14 Berichtigung, Löschung und Ein(1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass schränkung der Verarbeitung personenin Akten gespeicherte personenbezogene Daten bezogener Daten in Dateien unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu verDateien gespeicherten personenbezogenen Daten merken oder auf sonstige Weise festzuhalten. zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Verergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch arbeitung von personenbezogenen Daten in Akten schutzwürdige Interessen der betroffenen Person einzuschränken, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass beeinträchtigt sein können. ohne die Einschränkung schutzwürdige Interessen (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien von betroffenen Personen beeinträchtigt würden gespeicherten personenbezogenen Informationen und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr zu löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt erforderlich sind. In der Verarbeitung eingeschränkte war, unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist und versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder überschutzwürdige Interessen der betroffenen Person mittelt werden. Eine Aufhebung der Einschränkung nicht beeinträchtigt werden. ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Verentfallen. arbeitung von in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten einzuschränken, wenn die Löschung SS 16 Dateianordnungen unterbleibt, weil Grund zur Annahme besteht, dass (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsdurch die Löschung schutzwürdige Interessen der schutzbehörde sind in einer Dateianordnung im Bebetroffenen Personen beeinträchtigt würden. In der nehmen mit der oder dem Berliner Beauftragten für Verarbeitung eingeschränkte Daten sind entspreDatenschutz und Informationsfreiheit festzulegen: chend zu kennzeichnen und dürfen nur mit Einwilli1. Bezeichnung der Datei, gung der betroffenen Person verwendet werden. 2. Zweck der Datei, (4) Die Verarbeitung von in Dateien gelöschten 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der 196 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin Speicherungen, Übermittlung und Nutzung (betroffeSS 20 Informationsübermittlung an den ner Personenkreis, Arten der Daten), Bundesnachrichtendienst und den Mili4. Eingabeberechtigung, 5. Zugangsberechtigung, tärischen Abschirmdienst 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem 7. Protokollierung, Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Infor9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der Ermationen einschließlich personenbezogener Daten, schließung von Akten dienen. wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, Die Verfassungsschutzbehörde führt ein Verzeichnis dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der geltenden Dateianordnungen. der empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angemessedie Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist nen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. wenn sich die Voraussetzungen aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 17 Gemeinsame Dateien Bundesgesetzliche Vorschriften über die DatenverSS 21 Informationsübermittlung an arbeitung in gemeinsamen Dateien der VerfassungsStrafverfolgungsbehörden in Anschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben gelegenheiten des Staatsund unberührt. Verfassungsschutzes Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsDritter Abschnitt anwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes die ihr bekannt gewordenen Informationsübermittlung Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür beSS 18 Grundsätze bei der Inforstehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mationsübermittlung durch die mit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 Verfassungsschutzbehörde stehen, erforderlich ist. Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist aktenkundig zu machen. In der entsprechenden Datei ist die Informationsübermittlung zu vermerken. Vor SS 22 Übermittlung von Informationen der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt im an den öffentlichen Bereich Hinblick auf den Übermittlungszweck zu würdigen (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerund der Informationsübermittlung zugrunde zu füllung gewonnenen, nicht personenbezogenen legen. Erkennbar unvollständige Informationen sind Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde können vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnisan andere Behörden und Stellen, insbesondere an mäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermittelt vervollständigen. werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenSS 19 Informationsübermittlung zwibezogene Daten an inländische Behörden und jurisschen den Verfassungsschutzbehörden tische Personen des öffentlichen Rechts übermitteln, Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bunwenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich desamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsist oder der Empfänger die Daten zum Schutz vor schutzbehörden der Länder über alle AngelegenheiBestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 oder ten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der zur Strafverfolgung benötigt oder nach SS 5 Abs. 3 empfangenden Stellen erforderlich ist. tätig wird. 197 (3) Die empfangende Stelle von Daten nach Absatz hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu 2 ist darauf hinzuweisen, dass sie die übermittelten dem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie personenbezogenen Daten nur zu dem Zweck verihm übermittelt wurden. wenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. SS 25 Übermittlung von Informationen an öffentliche Stellen außerhalb des SS 23 Übermittlung von Informationen Geltungsbereichs des Grundgesetzes an Personen und Stellen außerhalb des Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezoöffentlichen Bereichs gene Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie Personenbezogene Daten dürfen an Personen an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen zum Schutz der freiheitlichen demokratischen des Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesdes Bundes oder eines Landes erforderlich ist und republik Deutschland oder überwiegende schutzder Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall würdige Interessen der betroffenen Person entgegendurch den zuständigen Staatssekretär vertreten stehen. Die Übermittlung ist nur im Einvernehmen wird, im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Die mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig. Verfassungsschutzbehörde führt über die Auskunft Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck darauf hinzuweisen, dass die übermittelten persoder Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empnenbezogenen Daten nur zu dem Zweck verwendet fänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden, aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu und die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem um Auskunft über die vorgenommene Verwendung Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empder Informationen zu bitten. fänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die SS 26 Unterrichtung der Öffentlichkeit Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich über Bedass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, strebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Dabei ist um Auskunft über die vorgenommene Verwendung die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur der Daten zu bitten. zulässig, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von SS 24 Übermittlung von Informationen Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen an die Stationierungsstreitkräfte erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit Die Verfassungsschutzbehörde darf personenan sachgemäßen Informationen das schutzwürdige bezogene Daten an Dienststellen der StationierungsInteresse des Betroffenen überwiegen. streitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen von Artikel 3 des SS 27 Übermittlung von Informationen Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikpaktes über die an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen der Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausPersonen des öffentlichen Rechts übermitteln von ländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. sich aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen 1961 II S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung ist bekannt gewordenen Informationen, insbesondere aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf personenbezogene Daten, über Bestrebungen nach 198 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin SS 5 Abs. 2, die durch Anwendung von Gewalt oder (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt besondere Regelungen über die Dokumentation werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der übermittelnde Stelle die Informationsübermittlung staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei aktenkundig zu machen. übermitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Informationen über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2. SS 27a Übermittlung von Informationen (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von jeder der durch nicht öffentliche Stellen an die in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen verlangen, Verfassungsschutzbehörde dass sie ihr die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforder(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall lichen Informationen einschließlich personenbezogebei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten ner Daten übermittelt, wenn die Informationen nicht und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch eine sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und den Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhozu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn ben werden können. Es dürfen nur die Informationen dies zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tatbereits bekannt sind. sächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen Leben vorliegen. nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall betroffenen Person dient oder eine Begründung den zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach Zweck der Maßnahme gefährden würde. SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche Anhalts(4) Die Übermittlung personenbezogener Daten, punkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100a der unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist 10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte begangen hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen nach Satz 1 übermittelten Informationen findet SS 4 Umständen des Postverkehrs einholen. Abs. 6, auf die dazugehörenden Unterlagen findet SS 4 (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Abs. 1 Satz 2 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte Anwendung. zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung an die von Transportleistungen und sonstigen Umständen Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Beobachbleiben unberührt. tung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die über- 2 und 3 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltsmittelten Informationen nach ihrem Eingang unverpunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. züglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche Anhaltssind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die punkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen Vernichtung unterbleibt, wenn die Trennung von anunter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel deren Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig Teleerforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem kommunikationsdienste und Teledienste erbringen Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall ist die Veroder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über arbeitung solcher Informationen eingeschränkt und Telekommunikationsverbindungsdaten und Teleentsprechend zu kennzeichnen. dienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann 199 auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation Abgeordnetenhauses über die Durchführung der und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt Absätze 1 bis 5; dabei ist insbesondere ein Überblick werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der Teledienstnutzungsdaten sind: im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standnach den Absätzen 1 bis 4 zu geben. ortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des (7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes Endeinrichtung, jährlich über die nach den Absätzen 1 bis 5 durchge2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und führten Maßnahmen; Absatz 6 gilt entsprechend. Uhrzeit, (8) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmelde3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch geheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes, Artikel genommenen Telekommunikationsund Teledienst16 der Verfassung von Berlin) wird nach Maßgabe Dienstleistungen, der Absätze 2, 4 und 5 eingeschränkt. 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (5) Auskünfte nach den Absätzen 1 bis 4 dürfen nur SS 28 Übermittlungsverbote Die Übermittlung von Informationen nach den Vorauf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist von der schriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn Leitung der Verfassungsschutzabteilung, im Falle 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, ihrer Verhinderung von ihrem Vertreter schriftlich zu dass die Informationen zu löschen oder für die empstellen und zu begründen. Über den Antrag entscheifangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, det der Senator für Inneres, im Falle seiner Verhin2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erderung der Staatssekretär. Die Senatsverwaltung für fordern, Inneres unterrichtet die Kommission nach SS 2 des Ge3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass setzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes über unter Berücksichtigung der Art der Informationen die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Geund ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen fahr im Verzug kann der Senator für Inneres, im Fall der betroffenen Personen das Allgemeininteresse an seiner Verhinderung der Staatssekretär den Vollzug der Übermittlung überwiegen oder der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung 4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung geAmts wegen oder auf Grund von Beschwerden die setzlicher Geheimhaltungspflichten oder von BerufsZulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes ist gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach SS 29 Minderjährigenschutz den Absätzen 1 bis 4 erlangten personenbezogenen (1) Informationen einschließlich personenbezogener Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen die die Kommission für unzulässig oder nicht notnach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt wendig erklärt, hat die Senatsverwaltung für Inneres werden, solange die Voraussetzungen der Speicheunverzüglich aufzuheben. Für die Verarbeitung der rung nach SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. nach den Absätzen 1 bis 4 erhobenen Daten ist SS 4 (2) Informationen einschließlich personenbezogener des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Daten über das Verhalten Minderjähriger vor VollDas Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten endung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vordürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht mitgeteilt schriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt findet entsprechende Anwendung. werden. (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss für Verfassungsschutz des 200 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin SS 30 Nachberichtspflicht berechtigten Interessen Dritter, geheimgehalten Erweisen sich Informationen nach ihrer Übermittlung werden müssen. nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollDie Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft der ständig oder unrichtig, so hat die übermittelnde Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein von Stelle ihre Informationen unverzüglich gegenüber ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. der empfangenden Stelle zu ergänzen oder zu be(3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest insorichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung weit zu begründen, dass eine verwaltungsgerichtliche der Informationen führen könnte oder zur Wahrung Nachprüfung der Verweigerungsgründe gewährschutzwürdiger Interessen der betroffenen Person leistet wird, ohne dabei den Zweck der Auskunftsvererforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist weigerung zu gefährden. Die Gründe der Ablehnung aktenkundig zu machen und in den entsprechenden sind in jedem Fall aktenkundig zu machen. Dateien zu vermerken. (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder teilweise abgelehnt, ist die betroffene Person darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Berliner Beauftragte Vierter Abschnitt oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden kann. Der oder dem Auskunftserteilung Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist auf ihr oder sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres im SS 31 Auskunft an den Betroffenen Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt einer Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteinatürlichen Person über die zu ihr gespeicherten lungen der oder des Berliner Beauftragten für DatenInformationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft. schutz und Informationsfreiheit an den Betroffenen Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand Informationen, die nicht der alleinigen Verfügungsder Verfassungsschutzbehörde zulassen, soweit sie berechtigung der Verfassungsschutzbehörde unternicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. liegen, sowie auf die Herkunft der Informationen und die Empfänger von Übermittlungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Antrag SS 32 Akteneinsicht ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der (1) Sind personenbezogene Daten in Akten gespeiGeheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein überwiechert, so kann dem Betroffenen auf Antrag Aktengendes Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenüber einsicht gewährt werden, soweit Geheimhaltungsdem Interesse der antragstellenden Person an der interessen oder schutzwürdige Belange Dritter nicht Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen Fall entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. hat die Verfassungsschutzbehörde zu prüfen, ob und (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Geheiminsbesondere dann zu versagen, wenn die Daten haltungsinteresse liegt vor, wenn des Betroffenen mit Daten Dritter oder geheim1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die haltungsbedürftigen sonstigen Informationen derart Auskunftserteilung zu besorgen ist, verbunden sind, dass ihre Trennung auch durch 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet Vervielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisnur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich standes oder der Arbeitsweisen der Verfassungsist. In diesem Fall ist dem Betroffenen zusammenfasschutzbehörde zu befürchten ist, sende Auskunft über den Akteninhalt zu erteilen. 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom 15. oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Oktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf die von der Nachteile bereiten würde oder Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung 4. die Informationen oder die Tatsache der Speichefür Inneres geführten Akten keine Anwendung. rung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden 201 SS 32a Unabhängige Fünfter Abschnitt Datenschutzkontrolle (1) Jede Person kann sich an die Berliner Beauftragte Parlamentarische Kontrolle oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden, wenn sie der Ansicht SS 33 Ausschuss für Verfassungsschutz ist, bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes Daten durch die Verfassungsschutzbehörde in ihren unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle Rechten verletzt worden zu sein. durch den Ausschuss für Verfassungsschutz des (2) Die oder der Berliner Beauftragte für Datenschutz Abgeordnetenhauses von Berlin. Die Rechte des und Informationsfreiheit kontrolliert bei der VerfasAbgeordnetenhauses und seiner anderen Ausschüsse sungsschutzbehörde die Einhaltung der Vorschriften bleiben unberührt. über den Datenschutz. Soweit die Einhaltung von (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz besteht Vorschriften der Kontrolle durch die Kommission in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Das nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel Vorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl der Mit10-Gesetzes unterliegt, unterliegt sie nicht der glieder richtet sich nach der Stärke der Fraktionen, Kontrolle durch die Berliner Beauftragte oder den wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informavertreten sein muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 tionsfreiheit, es sei denn, die Kommission ersucht die bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. Es für Datenschutz und Informationsfreiheit, die Einwerden stellvertretende Mitglieder gewählt, die im haltung der Vorschriften über den Datenschutz bei Fall der Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereidessen Rechte und Pflichten wahrnehmen. Die chen zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber Anzahl der stellvertretenden Mitglieder entspricht zu berichten. der Anzahl der ordentlichen Mitglieder. Kann das (3) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, die ordentliche Mitglied seine Rechte und Pflichten nicht Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten wahrnehmen, so wird es durch ein stellvertretendes für Datenschutz und Informationsfreiheit und ihre Mitglied derselben Fraktion vertreten. oder seine schriftlich besonders Beauftragten bei (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben zu unteroder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedstützen. Den in Satz 1 genannten Personen ist dabei schaft im Ausschuss für Verfassungsschutz. Für insbesondere dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu 1. Auskunft zu ihren Fragen sowie Einsicht in alle wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Ausschuss ausscheidet. Für stellvertretende MitglieDaten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu der des Ausschusses gelten die Vorgaben der Sätze 1 gewähren, die im Zusammenhang mit der Kontrolle und 2 entsprechend. nach Absatz 2 stehen, 2. jederzeit Zutritt zu allen Diensträumen zu gewähren. SS 34 Geheimhaltung (1) Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss des Dies gilt nicht, soweit das für Inneres zuständige MitAusschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche glied des Senats im Einzelfall feststellt, dass durch Interesse oder berechtigte Interessen eines Einzelnen die Auskunft oder Einsicht die Sicherheit des Bundes dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlosoder eines Landes gefährdet würde. sen ist, sind die Mitglieder des Ausschusses zur (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten ohne Beschränkung auf Verschwiegenheit über Angelegenheiten verpflichtet, die Erfüllung der Aufgaben nach SS 5. Sie gelten entspredie ihnen dabei bekannt geworden sind. Das gleiche chend für die Verarbeitung personenbezogener Daten gilt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem durch andere Stellen, wenn diese der Erfüllung der AufAusschuss. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit gaben der Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 dient. kann von dem Ausschuss aufgehoben werden, SS 13 Absatz 1 und 4 des Berliner Datenschutzgesetzes soweit nicht berechtigte Interessen eines Einzelnen findet in diesen Fällen keine Anwendung. 202 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin entgegenstehen oder der Senat widerspricht; in Untersuchungen durchzuführen und dem Ausschuss diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine über das Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung zu Gründe dar. berichten. Die Vertrauensperson soll die Befähigung (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 gelten für zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer der stellvertretende Mitglieder des Ausschusses entjeweils laufenden Wahlperiode vom Ausschuss für sprechend. Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. Die Vertrauensperson erhält für ihre Dienstleistungen im Einzelfall auf SS 35 Aufgaben und Befugnisse des Antrag eine Vergütung entsprechend den SSSS 8, 9 des Ausschusses Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde Artikel 7 Absatz 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu (BGBl. I S. 2449) geändert worden ist, in der jeweils unterrichten; er berichtet auch über den Erlass von geltenden Fassung. Die Höhe des Honorars richtet Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat Ansich nach der Honorargruppe M 3. spruch auf Unterrichtung. (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten und andere UnterSechster Abschnitt lagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Schlussvorschriften Dienstkräften. Die Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der SS 37 Einschränkung von Grundrechten alleinigen Verfügungsberechtigung der VerfassungsAuf Grund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf schutzbehörde unterliegen. Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einzelne Grundgesetzes eingeschränkt werden. Vorgänge verweigern und bestimmten Kontrollbegehren widersprechen, wenn dies erforderlich ist, SS 38 Anwendbarkeit des Berliner um vom Bund oder einem deutschen Land Nachteile abzuwenden; er hat dies vor dem Ausschuss zu Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die begründen. Verfassungsschutzbehörde finden die Bestimmungen (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuss für des Berliner Datenschutzgesetzes mit Ausnahme einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als der SSSS 2 Absatz 9 und SS 13 Absatz 1 und 4 sowie der Untersuchungsausschuss (Artikel 48 der Verfassung Bestimmungen der Teile 2 und 3 Anwendung. Die von Berlin) einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die SSSS 31 und 36 Absatz 1 bis 4 und die SSSS 37 bis 39, 48, Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses 50, 69 und 70 des Berliner Datenschutzgesetzes sind von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBl. S. 925), zuletzt entsprechend anzuwenden. geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBl. S. 154), findet keine Anwendung. (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die BestimSS 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten mungen der Geschäftsordnung des Abgeordneten(1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung hauses von Berlin. im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. SS 27a tritt außer Kraft, sobald das Bundesverfassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 SS 36 Vertrauensperson des Ausschusses (BGBl. I S. 2954, 2970), das zuletzt durch Artikel 2 für Verfassungsschutz des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097) geDer Ausschuss für Verfassungsschutz kann zur ändert worden ist, wieder in seiner am 31. Dezember Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben im Einzelfall 2001 maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des Außernach Anhörung des Senats mit der Mehrheit seiner krafttretens ist im Gesetzund Verordnungsblatt für Mitglieder eine Vertrauensperson beauftragen, Berlin bekannt zu machen. 203 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Rechtsextremismus Organisation / Gruppierung Seite Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)/ 64 Junge Nationaldemokraten (JN) Der III. Weg 66 Netzwerk Freie Kräfte 61 f Netzwerk Rechtsextremistische Musik 67 Netzwerk von muslimenund fremdenfeindlichen Rechstextremisten 76 Identitäre Bewegung Regionalgruppe Berlin (IB B) 72 204 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Islamismus / islamistischer Terrorismus Organisation / Gruppierung Seite Mujahidin-Netzwerke 95 Islamistische nordkaukasische Szene 95 Salafistische Bestrebungen 96 As-Sahaba / Die Gefährten e. V. 99 ff Die Islamische Gemeinschaft in BerlinAl-Nur-Moschee e. V. (IGB) 97 f Ibrahim Alkhalil-Moschee - Islamische Gemeinschaft Ibrahim Alkhalil 98 f Moschee e. V. IMAN 101 f Hizb ut-Tahrir (HuT) 109 Nebevi Cözüm Cemiyeti (NCC) 110 Hizb Allah (Partei Gottes) 112 HAMAS (Bewegung des Islamischen Widerstands) 111 Muslimbruderschaft (MB) / Deutsche Muslimische Gemeinschaft 117 e. V. (DMG) Milli Görüs - Bewegung (MGB) 114 Saadet Europa Regionalverein Berlin e. V. 115 Erbakan-Stiftung 116 205 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Organisation / Gruppierung Seite Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (Partiya Karkeren Kurdistan) 125 f Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 126 Tevgera Ciwanen Soresger (TCS) 126 Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJKE) 126 Union kurdischer Familien (YEK-MAL) 126 Freie kurdische Gemeinde Berlin e. V. / Navenda kurdistaniyen Berli127 ne e. V. Islamische Gemeinschaft Kurdistans (CIK) 126 Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland 126 (KON-MED) Ülkücü-Bewegung, Dachverband: ADÜTDF 130 f Volksfront für die Befreiung Palästinas" / "Popular Front for the Li132 beration of Palestine" (PFLP) 206 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Linksextremismus Organisation / Gruppierung Seite Antifaschistische Koordination 36 (AK 36) 143 f Ende Gelände (EG) 162 f Interventionistische Linke (IL) 160 Liebig34 155 f North East Antifascists (NEA) 148 radikale linke | berlin 154 Rigaer94 157 Rote Hilfe e. V. 141 Vulkangruppen 152 Sonstige Organisationen / Gruppierungen Organisation / Gruppierung Seite Scientology Organisation 168 Reichsbürger und Selbstverwalter 86 Staatenlos.info Comedian e. V. 90 Stiftung 36 Grad 89 f Geeinte deutsche Völker und Stämme 88 f Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes namentlich im Verfassungsschutzbericht und in der Auflistung aufgeführt werden. 207 Personenund Sachregister Personenund Sachregister ... um's Ganze! Kommunistisches al-Quds-Tag 58 f, 184 Bündnis 139 f, 148 f, 152, 156, 170 al-Rashta, Ata Abu 60 #NoG20 Berlin Linksradikale Vernetzung Amri, Anis 6, 43, 47 in Berlin 143 Amt für Menschenrecht 127 AN 110 f, 115, 188 f A Anarchismus 130 ff, 146, 148, 165, 170 A., Ahmad Abdulaziz Abdullah 47 Anarcho 162, 165 A., Cem 79 Anatolische Föderation e.V. A., Yamen 44 (Anadolu Federasyonu) 81 f A., Zahir 79 ERSI ON an-Nabahani, Taqi ad-Din 60 V ÄU F I G E VORL A3stus 116, 118 Anti-Antifa-Arbeit 110 AAB 149 Anti-Deutsche 193 Abul Baraa 51 Antifa 110, 118, 133, 137, 142, 146, Adil Düzen 64 162, 167 ff, 175 AG G10 17, 222, 228, 230 Anti-Faschismus 192 f, 171 f, 174 AK 36 157, 162, 173, 236, 247 Antifaschistische Aktion Berlin siehe Aktionskonsens 140, 150 AAB Al M., Shaas 46 Antifaschistische Koordination 36 Al-Aqsa-TV 183 siehe AK 36 ALB 146, 151 Antifaschistische Linke Berlin siehe ALB al-Baghdadi, Abu Bakr 42 Antifaschistische Revolutionäre Aktion al-Banna, Hassan 63 Berlin siehe ARAB al-Manar-TV 57, 183 Antifra 171, 174 Al-Muqawama al-Islamiya 56 Anti-G20-Vernetzung 143 f Al-Nur-Moschee 49 f, 185, 233 Anti-Gentrifizierung 8, 141, 158 f, 161, al-Qaida 35 f, 38, 40, 42 165, 170, 174 al-Quds-Demonstration 59, 192 Anti-Imperialisten 191, 193 f 211 208 BildnachweisSeite 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport BildnachweisSeite 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 62 picture-alliance Seite 64 Logo NPD Seite 66 Logo "Der III. Weg" Seite 68 picture-alliance Seite 72 Logo "Identitäre Bewegung" Seite 74 picture-alliance Seite 77 picture-alliance Seite 78 picture-alliance Seite 81 picture-alliance Seite 88 picture-alliance Seite 97 Logo Al-Nur-Moschee (BILD OBEN) Seite 97 Senatsverwaltung für Inneres und Sport (BILD UNTEN) Seite 98 Logo Ibrahim al-Khalil-Moschee Seite 99 Logo As-Sahaba-Moschee Seite 103 picture-alliance Seite 105 picture-alliance Seite 109 Logo "Hizb ut-Tahrir" Seite 111 Logo HAMAS Seite 112 Logo "Hizb Allah" Seite 116 picture-alliance Seite 117 Logo "Muslimbruderschaft" Seite 121 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 125 Logo PKK Seite 127 picture-alliance Seite 128 Abbildung auf einer Internetseite der PKK-Jugend 209 Seite 129 picture-alliance Seite 130 Logo Ülkücü Seite 132 Logo PFLP Seite 141 Logo "Rote Hilfe" Seite 143 Logo AK 36 Seite 146 picture-alliance Seite 148 Logo NEA Seite 153 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 154 Logo rlb Seite 155 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 156 Abbildung Demoaufruf Seite 157 Logo "Rigaer94" Seite 160 Logo IL Seite 162 Logo "Ende Gelände" Seite 164 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 168 Logo "Scientology Organisation" 210 Publikationsübersicht Publikationsübersicht Senatsverwaltung für Inneres und Sport Zerrbilder von Islam und Demokratie Argumente gegen extremistische Interpretationen von Islam und Demokratie Carpitilmis Islam ve Demokrasi Swr mshwh@ `n lslm wldymwqrTy@ Demokrasi lHry@ lqnwnEsitlik Rechtsstaat Islam ldymwqrTy@Islam Anayasal Düzen ldyn ImFokus IM FOKUS IM FOKUS Zerrbilder von Islam und Demokratie Linke Gewalt in Berlin 2009 -2013 2. Auflage, Berlin 2016. 156 Seiten. 1. Auflage, Berlin 2015. 70 Seiten. Rechte Gewalt in Berlin 2003 - 2012 Im Fokus IM FOKUS IM FOKUS Rechte Gewalt in Berlin 2003 -2012 Scientology - Eine kritische 1. Auflage, Berlin 2014 (nur im Internet abrufbar). Bestandsaufnahme 66 Seiten. 1. Auflage, 2011 (nur im Internet abrufbar). 83 Seiten. 211 Rechtsextremistische musik INFo DER VERFAssuNGssCHuTZ DIENT DEm sCHuTZ DER FREIHEITLICHEN DEmokRATIsCHEN GRuNDoRDNuNG, DEs BEsTANDEs uND DER sICHERHEIT DER BuNDEsREPuBLIk DEuTsCHLAND uND IHRER LÄNDER. senatsverwaltung für Inneres und sport Abteilung Verfassungsschutz klosterstraße 47, 10179 Berlin Tel (030) 901 29-0 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de INFO INFO Islamismus Rechtsextremistische Musik 4. Auflage, Berlin 2018. 78 Seiten. 4. überarbeitete Auflage, Berlin 2016. 70 Seiten. INFO INFO Symbole und Kennzeichen Linksextremismus des Rechtsextremismus 1. Auflage, Berlin 2015. 66 Seiten. 9. überarbeitete Auflage, Berlin 2015. 42 Seiten. 212 Publikationsübersicht Rechtsextremismus in Berlin INFo DER VERFAssuNGssCHuTZ DIENT DEm sCHuTZ DER FREIHEITLICHEN DEmokRATIsCHEN GRuNDoRDNuNG, DEs BEsTANDEs uND DER sICHERHEIT DER BuNDEsREPuBLIk DEuTsCHLAND uND IHRER LÄNDER. senatsverwaltung für Inneres und sport Abteilung Verfassungsschutz klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon 030 90129 - 440 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de INFO INFO Salafismus als politische Ideologie Rechtsextremismus in Berlin 2. Auflage, Berlin 2014 (nur im Internet abrufbar). 2. Auflage, Berlin 2014 (nur im Internet abrufbar). 66 Seiten. 58 Seiten. 213 Verfassungsschutz Berlin Sicherheit Islamismus: Prävention und Aufklärung Transparenz Deradikalisierung (DVD) Überarbeitete Neuauflage, Berlin 2017. 1. Auflage, Berlin 2011. 59 min. 52 Seiten. Diese sowie weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes können Sie unter der rückseitig angegebenen Adresse sowie telefonisch unter (030) 90 129-440 bestellen oder aber im Internet unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufen. Der Verfassungsschutz Berlin bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusfeldern an. Nähere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter (030) 90 129-440. 214