Verfassungsschutz Berlin Bericht 2017 Verfassungsschutz Berlin Bericht 2017 Vorblatt Das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin sieht in SS 26 eine Unterrichtung der Öffentlichkeit nur über erwiesene Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Absatz 2 des Gesetzes vor. Daher wird an der Erwähnung des Vereins Neuköllner Begegnungsstätte e.V. in den Jahresberichten 2015 und 2016 im Kapitel über die Muslimbruderschaft nicht festgehalten. Verfassungsschutzbericht 2017 Erreichbarkeit Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon 030 90129-440 Fax 030 90129-844 info@verfassungsschutz-berlin.de www.verfassungsschutz-berlin.de Pressestelle 030 90129-565 Vertrauliches Telefon 030 20054-507 Deutsch/Englisch 030 20054-532 Türkisch 030 20054-553 Arabisch Herausgeber Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Redaktionsschluss Mai 2018 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Alle Datumsangaben ohne Nennung von Jahreszahlen beziehen sich auf das Berichtsjahr. 4 Vorwort Vorwort Bei allen gesellschaftlichen und politischen Differenzen in unserem Land gibt es etwas, das uns eint und verbindet. Es sind die umfassenden Werte des Grundgesetzes. Freiheitsund Bürgerrechte sind unabdingbare und nicht verhandelbare Grundlage unseres Zusammenlebens. Extremisten jeglicher Art zielen genau auf diesen Konsens ab, indem sie ihn in Frage stellen beziehungsweise abschaffen wollen. Wer sich diesen Verhaltensund Denkweisen anschließt und die Grundund Freiheitsrechte anderer einzuschränken versucht, wendet sich gegen die Grundsätze unserer Verfassung. Hier müssen die Sicherheitsbehörden aktiv werden. Denn die Gewährleistung von Sicherheit gehört zu den Kernaufgaben des Staates, unabhängig davon, ob die Bedrohung aus dem Bereich des islamistischen Terrorismus, des Rechtsoder Linksextremismus oder extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen kommt. Dem Verfassungsschutz kommt hier eine wichtige Rolle zu: Er bildet ein Frühwarnsystem und informiert Politik, Staat und die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. Er signalisiert uns, wann Personengruppen die Arena der Demokratie verlassen und wann sie versuchen, unser politisches System zu überwinden, das auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beruht. Der vorliegende Verfassungsschutzbericht 2017 ist somit erneut ein Seismograph unserer Zeit und ihrer Zustände. 5 Das Jahr nach dem verheerenden Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz stand im Zeichen einer umfangreichen Aufklärung der Vorkommnisse rund um das Anschlagsgeschehen. Am 12. Oktober legte der vom Senat von Berlin eingesetzte Sonderbeauftragte Bruno Jost seinen 80-seitigen Abschlussbericht vor, in dem diverse Kritikpunkte am Behördenhandeln im "Fall Amri" benannt wurden. Seit Juli beschäftigt sich zudem ein Untersuchungsausschuss im Berliner Abgeordnetenhaus mit dem "Ermittlungsvorgehen im Zusammenhang mit dem Terroranschlag am Breitscheidplatz"1 und am 1. März 2018 hat auch der Deutsche Bundestag einen entsprechenden Untersuchungsausschuss eingesetzt. Die Berliner Behörden und ausdrücklich auch der Berliner Verfassungsschutz unterstützen diese Ausschüsse vorbehaltlos. Diese Unterstützung liegt auch im ureigenen Interesse des Verfassungsschutzes, geht es doch darum, die Aufklärung extremistischer und insbesondere terroristischer Bestrebungen immer weiter zu optimieren. Neben der Aufarbeitung des Terroranschlags auf dem Breitscheidplatz sorgten auch mehrere gravierende antisemitische Vorfälle in Berlin für breite Empörung. Der Berliner Verfassungsschutz widmet dem Thema Antisemitismus in diesem Bericht ein eigenständiges Kapitel, da sich Antisemitismus als eine bemerkenswerte Konstante in nahezu allen extremistischen Phänomenbereichen zeigt. Eine Konstanz, die zudem einhergeht mit einer auffallenden Wandlungsund Anpassungsfähigkeit. Während die klassischen Formen des Antisemitismus in der Öffentlichkeit immer seltener präsent sind, nimmt das Ausmaß des so genannten israelbezogenen oder antizionistischen Antisemitismus mittlerweile besorgniserregende Formen an. Emotionalisiert durch den Nahost-Konflikt und angereichert von Verschwörungstheorien, deren Reichweite sich nicht zuletzt durch das Internet enorm vergrößert hat, scheint als Israelkritik verpackter Antisemitismus in bestimmten gesellschaftlichen Kreisen zu einer beschämenden Art "Volkssport" geworden zu sein. Ein erster Schritt, 1 Abgeordnetenhaus von Berlin, Beschlussprotokoll vom 6.7.2017, Drucksache 18/0462. 6 Vorwort diesen inakzeptablen Tendenzen entgegenzuwirken, liegt in der Aufklärung darüber, was Antisemitismus ist und welche Akteure antisemitische Stereotype mit welcher Intention benutzen. Der Berliner Verfassungsschutz will mit seinen Ausführungen dazu beitragen, dass sich mehr Menschen klar positionieren; insbesondere dann, wenn er als vermeintlich legitime Kritik an der Politik Israels daherkommt. Wir müssen Antisemitismus klar als solchen benennen. Denn letztlich ist Antisemitismus in all seinen Erscheinungsformen ein Angriff auf Grundsätze unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der israelbezogene Antisemitismus ist insbesondere fester Bestandteil der Ideologie sämtlicher islamistischer Gruppierungen. Am sichtbarsten ist dies bei Organisationen wie der HAMAS oder der "Hizb Allah", die sich explizit über ihren Kampf gegen Israel definieren. Die vom Islamismus ausgehende Gefahr ist jedoch weder auf Antisemitismus oder Israelfeindlichkeit noch auf das von ihm ausgehende Gewaltpotenzial zu reduzieren. Auch durch die permanente islamistische Propaganda gegen demokratische Werte wie Pluralismus oder die Gleichheit von Mann und Frau wird unsere Gesellschaft herausgefordert. Dass eine solche Propaganda nach wie vor verfängt, zeigt die wachsende Anhängerschaft des Salafismus. Ende 2017 rechnete der Verfassungsschutz in Berlin 950 Personen salafistischen Bestrebungen zu. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Berichts sind es bereits 990 Personen. Dieses Personenpotenzial bildet auch den Nährboden, auf dem die Ideologie des so genannten "Islamischen Staates" (IS) weiter gedeiht. Auch wenn die "Staatsidee" des IS aktuell keine Grundlage mehr hat, existiert er als terroristisches Netzwerk weiter, das insbesondere im Internet ungebrochen gegen den Westen, die Demokratie und alle "Ungläubigen" hetzt. Der militärische Niedergang des IS in Syrien und Irak wird auch in Berlin dazu führen, dass sich die Zahl der Rückkehrer aus diesen Gebieten erhöht. Eine Personengruppe, die nicht nur die Sicherheitsbehörden vor große Herausforderungen stellen wird; gilt es doch, diese Menschen, zu denen auch viele Frauen und Kinder zählen, zu deradikalisieren und langfristig wieder in unsere Gesellschaft zu integrieren. 7 Die rechtsextremistische Szene wurde vor allem von zwei Entwicklungen geprägt. Auf der einen Seite bemühten sich die Protagonisten des muslimenfeindlichen Spektrums weiterhin darum, Anschluss an bürgerlich-konservative Kreise der gesellschaftlichen Mitte zu finden und gleichzeitig mit ihren muslimenund fremdenfeindlichen Parolen den öffentlichen Diskurs zu manipulieren. Auf der anderen Seite traten traditionelle und gesellschaftlich weitgehend isolierte Rechtsextremisten im vergangenen Jahr bei Großveranstaltungen mit mehreren tausend Besuchern so offen auf wie lange nicht mehr. Die größten Impulse gingen dabei sowohl im muslimenfeindlichen als auch im traditionellen Rechtsextremismus von aktionsorientierten Gruppierungen aus. Während rechtsextremistische Parteien wie die "Bürgerbewegung Pro Deutschland" oder die NPD in Berlin zunehmend an Handlungsfähigkeit einbüßten, gelang es beispielsweise der "Identitären Bewegung" immer wieder mit vermeintlich spontanen Protestaktionen die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Die Gruppe der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist weiter gewachsen. Über 500 Personen zählen in Berlin mittlerweile zu diesem Spektrum. Mit ihren Schreiben und persönlichen Auftritten provozieren und bedrohen sie vor allem Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes. Der Verfassungsschutz bietet hierzu regelmäßig Informationsveranstaltungen an, in denen über diese Szene aufgeklärt wird und Handlungsempfehlungen im Umgang mit ihr gegeben werden. Erhöht hat sich im vergangenen Jahr auch das linksextremistische Personenpotenzial. Der Anstieg beruht im Wesentlichen auf einem Zuwachs im nichtgewaltbereiten Spektrum. Dominiert wurden die Entwicklungen 2017 vor allem von den gewalttätigen Ausschreitungen im Rahmen des G20-Gipfels im Juli in Hamburg. Das hatte nichts mit einem "linken Protest" gegen den Gipfel zu tun, sondern war eine exzessive Gewaltorgie und Ausdruck blinder Zerstörungswut. In Berlin hat sich vor allem das Thema "Anti-Gentrifizierung" zum wichtigsten Aktionsfeld der linksextremistischen Szene entwickelt. Wohnungsnot, Mietsteigerungen und Verdrängungsprozesse waren Entwicklungen, die 8 Vorwort von Linksextremisten immer stärker für ihre eigene Agenda instrumentalisiert wurden. Dabei standen nicht die sozialen Auswirkungen der städtebaulichen Umstrukturierungen im Mittelpunkt, sondern die Möglichkeit, sich mit nichtextremistischen, zivilgesellschaftlichen Initiativen zu vernetzen. Auf diese Weise sollten Menschen außerhalb der eigenen Szene mit den Forderungen nach einer grundlegenden Veränderung des politischen Systems - bis hin zu dessen Abschaffung - manipuliert werden. Die hier skizzierten Entwicklungen verdeutlichen die Notwendigkeit einer umfassenden und flexiblen Sicherheitspolitik, die weder einseitig auf Repression noch auf Prävention ausgerichtet sein kann. In allen extremistischen Phänomenbereichen wird es darauf ankommen, demokratische Angebote zu entwickeln, die es den extremistischen Demagogen immer schwerer machen, mit ihren Parolen zu verfangen. Gleichzeitig müssen Anführer und Anstifter ausfindig gemacht und sanktioniert werden. Sowohl im präventiven als auch im repressiven Bereich fällt dem Verfassungsschutz dabei eine ganz zentrale Rolle zu. Mit den Informationen und Analysen, die er der Politik und der Öffentlichkeit zur Verfügung stellt, bleibt er ein unverzichtbares Instrument zur Beurteilung der Entwicklung des politischen Extremismus. Beispielhaft hierfür steht die im Januar 2018 veröffentlichte Lageanalyse zu den Angehörigen des salafistischen Spektrums in Berlin, mit der der Öffentlichkeit erstmals empirisch verlässliche Daten zu dieser Szene zur Verfügung gestellt wurden. Auch die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass es einfache Lösungen für komplexe Herausforderungen nicht gibt. Vielmehr geht es darum, sich diesen Herausforderungen mit zeitgemäßen und breiten Lösungsansätzen zu stellen. Ganz entscheidend ist dabei das Zusammenwirken von Politik, Sicherheitsbehörden und der Zivilgesellschaft. Andreas Geisel Senator für Inneres und Sport 9 Inhaltsverzeichnis I Verfassungsschutz Berlin 15 Struktur 16 Gesetzliche Grundlagen 17 Aufgaben 17 Arbeitsweise 20 Kontrolle 22 Zusammenarbeit 24 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 26 10 Inhaltsverzeichnis II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 31 1 Islamismus 34 1.1 Ideologie 34 1.2 Personenpotenzial 38 1.3 Aktuelle Entwicklungen 41 1.4 Salafistische Bestrebungen 48 1.5 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen 52 1.5.1 HAMAS 52 1.5.2 Hizb Allah 56 1.6 Gewaltbefürwortende Islamisten 60 1.6.1 Hizb ut-Tahrir 60 1.7 Legalistischer Islamismus 61 1.7.1 Muslimbruderschaft 63 1.7.2 Milli Görüs-Bewegung 64 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 70 2.1 Ideologie 70 2.2 Personenpotenzial 71 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 72 2.4 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 81 3 Rechtsextremismus 84 3.1 Ideologie 84 3.1.1 Traditioneller Rechtsextremismus 84 3.1.2 Muslimenfeindlichkeit 86 3.2 Personenpotenziale und Straftaten 88 3.3 Muslimenfeindliche Gruppierungen und Netzwerke 93 3.3.1 Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg 93 11 3.3.2 Bürgerbewegung Pro Deutschland 100 3.3.3 "Merkel muss weg"-Demonstrationen - Teil eines weitverzweigten muslimenfeindlichen Netzwerks 102 3.4 Traditioneller Rechtsextremismus 103 3.4.1 NPD 103 3.4.2 Der III. Weg 108 3.4.3 Netzwerk Freie Kräfte 110 3.4.4 Netzwerk Rechtsextremistische Musik 116 3.4.5 Europäische Aktion 119 3.5 Fazit und Ausblick 120 4 Reichsbürger und Selbstverwalter 124 5 Linksextremismus 130 5.1 Ideologie und Historie 130 5.2 Personenpotenziale und Straftaten 134 5.3 Aktuelle Entwicklungen 137 5.3.1 Der G20-Gipfel in Hamburg als Kristallisationspunkt linksextremistischer Aktivitäten 142 5.3.2 Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele 155 5.3.3 Anti-Gentrifizierung als wichtig(st)es Aktionsfeld der linksextremistischen Szene 158 5.3.4 Die AfD als Feindbild 167 5.4 Fazit und Ausblick 173 6 Sonderthema: Antisemitismus 178 6.1 Antisemitismus im Islamismus 181 6.2 Antisemitismus im nicht-islamistisch geprägten Ausländerextremismus 185 6.3 Antisemitismus im rechtsextremistischen Spektrum 186 6.4 Linksextremistischer Antisemitismus 191 12 Inhaltsverzeichnis 6.5 Fazit 195 7 Scientology Organisation 198 8 Spionageabwehr 202 8.1 Wirtschaftsschutz 205 8.2 Abwehr von Cyberspionage 207 9 Geheimschutz 210 9.1 Geheimschutz in der Wirtschaft 211 9.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen 212 III Anhang 217 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 218 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 233 Personenund Sachregister 237 Bildnachweis 245 Publikationsübersicht 248 13 14 I Verfassungsschutz Berlin 15 Struktur Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden durch eine gesonderte Abteilung wahrgenommen, die Abteilung II. Diese gliedert sich in sieben Referate: Abteilung II Verfassungsschutz Abteilungsleiter/in Geheimschutz/ Mitwirkung Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Referat II E Referat II F Referat II G Grundsatz RechtsIslamistischer SpionageBeschaffung LinksAusländerRecht extremismus Terrorismus/ abwehr extremismus extremismus Verwaltung Islamismus WirtschaftsÖffentlichschutz keitsarbeit Gremien IT Im Grundsatzreferat (II A) sind interne Querschnittsund Kontrollfunktionen gebündelt, etwa der behördliche Datenschutz, die Fachprüfgruppe, die Öffentlichkeitsarbeit, die Verwaltung, die Informationstechnik und die Rechtsberatung. In den Auswertungsreferaten (II B, II C, II D, II F, II G) werden die eingehenden Informationen verarbeitet, analysiert und bewertet. Das Beschaffungsreferat (II E) führt Ermittlungen durch und beschafft im Auftrag der Auswertungsreferate Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen 2017 Haushaltsmittel in Höhe von 14,82 Mio. Euro und 247,35 Stellen zur Verfügung. 16 Verfassungsschutz Berlin Gesetzliche Grundlagen Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, seiner Befugnisse und der Kontrollverfahren gesetzlich festgelegt. Von Bedeutung sind neben dem Grundgesetz (Art. 73 und 87 GG) und der Verfassung von Berlin insbesondere das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln), das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (G10) sowie das Gesetz zur Ausführung des Artikel-10-Gesetzes (AG G10) und das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG). Aufgaben Der Verfassungsschutz ist ein Frühwarnsystem, um Gefährdungen unserer Demokratie rechtzeitig zu erkennen. Die Freiheit, die unsere Verfassung allen Bürgerinnen und Bürgern garantiert, ist ein hohes Schutzgut. Im verfassungsrechtlichen Rahmen der Bundesrepublik haben auch radikale politische Ansichten ihren Platz. Die Grenzen der Freiheit werden allerdings überschritten, wenn Gegner der freiheitlichen demokratischen Grundordnung auf deren Beseitigung hinarbeiten oder Grundwerte unserer Verfassung antasten wollen. Ein Baustein der wehrhaften Demokratie, die sich die Abwehr solcher Aktivitäten zum Ziel gesetzt hat, ist der Verfassungsschutz. Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes ist es "den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung [...] zu unterrichten. Dadurch soll es den staatlichen Stellen insbesondere ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen" (SS 5 des Gesetzes über den Verfassungsschutz in Berlin). Zu 17 diesem Zweck sammelt und analysiert der Verfassungsschutz Informationen über extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen * gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, * gegen den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, * die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährden oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wurde durch das Bundesverfassungsgericht anlässlich des Verbots der rechtsextremistischen "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) am 23. Oktober 1952 definiert, als "...eine Ordnung, die unter Ausschluss jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage des Selbstbestimmungsrechts des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und der Gleichheit darstellt." Zu den wichtigsten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören: * die Wahrung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte * die Volkssouveränität * die Gewaltenteilung * die Verantwortlichkeit der Regierung * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung * die Unabhängigkeit der Gerichte * das Mehrparteienprinzip * die Chancengleichheit für alle politischen Parteien * das Recht auf die verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. 18 Verfassungsschutz Berlin Außerdem ist der Verfassungsschutz für die Spionageabwehr zuständig. Um möglichen Spionageaktivitäten auch präventiv zu begegnen, übernimmt der Verfassungsschutz Aufgaben des so genannten Geheimschutzes. In diesem Zusammenhang berät und unterstützt der Verfassungsschutz Verantwortliche in öffentlichen Stellen und sensiblen Wirtschaftsbereichen. Er führt die gesetzlich vorgesehenen Sicherheitsüberprüfungen von Mitarbeitern durch, die an sicherheitsempfindlichen Stellen eingesetzt werden bzw. die Zugriff auf staatliche Verschlusssachen erhalten sollen (personeller Geheimschutz). Zudem zeigt er Möglichkeiten auf, wie Informationen und Vorgänge geschützt werden können, deren Bekanntwerden die Sicherheit oder Interessen des Bundes oder eines seiner Länder gefährden können (materieller Geheimschutz). Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Sicherungsmaßnahmen, damit geheim zu haltende Informationen nicht Unbefugten in die Hände fallen. Von besonderer Bedeutung ist der Schutz von Informationen, die in Datenverarbeitungssystemen gespeichert sind. Der Verfassungsschutz wirkt ferner bei zahlreichen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen (z.B. bei Einbürgerungen, der Erteilung von Visa und Aufenthaltserlaubnissen oder dem Zutritt zu sicherheitssensiblen Bereichen an Flughäfen) mit. Im Rahmen dieser Mitwirkungsersuchen fließen die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes in den Entscheidungsprozess der anfragenden Behörden ein und leisten so einen direkten Beitrag zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. 19 Arbeitsweise Der Verfassungsschutz erhält einen großen Anteil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen. Zur zentralen Informationsquelle bei der offenen Informationsgewinnung hat sich das Internet entwickelt, das von extremistischen Organisationen für Propaganda-, Vernetzungsund Rekrutierungszwecke genutzt wird. Neben der Auswertung des Internets gewinnt der Verfassungsschutz seine Informationen aus Zeitungen, Flugblättern, Parteiprogrammen oder anderen Publikationen. Die Informationsgewinnung aus offenen Quellen stößt jedoch an Grenzen, wenn verfassungsfeindliche Bestrebungen konspirativ agieren und ihre wahren Absichten nicht nach außen treten lassen. Daher räumt das Gesetz dem Verfassungsschutz in begründeten Fällen die Möglichkeit ein, Informationen verdeckt mit nachrichtendienstlichen Mitteln zu gewinnen. Voraussetzung ist, dass die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise nicht möglich ist und die Anwendung des Mittels erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Nachrichtendienstliche Mittel sind z.B. Observationen, verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen und Befragungen. Unter engen Voraussetzungen ist auch eine Überwachung des Postund Telekommunikationsverkehrs nach dem Artikel-10-Gesetz zulässig. Die Überwachung darf nur erfolgen, wenn sie erforderlich ist, um drohende Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand bzw. die Sicherheit des Bundes oder eines Landes abzuwehren und tatsächliche Anhaltspunkte für bestimmte, schwerwiegende Straftaten vorliegen und die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Die Überwachung wird vom Senator für Inneres und Sport angeordnet und bedarf der Genehmigung der so genannten G10-Kommission. 20 Verfassungsschutz Berlin Zur Aufklärung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Bestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt werden. Gerade bei der Beobachtung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es wesentlich auf die Aufklärung von Reiserouten, Finanzierungsströmen, Kontakten und Kommunikationsverbindungen ankommen. Wegen der Eingriffstiefe dieser Befugnisse kommt ebenfalls das Genehmigungsverfahren des Artikel-10-Gesetzes zur Anwendung. Ein oftmals kontrovers diskutiertes nachrichtendienstliches Mittel ist der Einsatz von Vertrauenspersonen (V-Personen). Diese sind keine Angehörigen des Verfassungsschutzes, sondern gehören den verfassungsfeindlichen Gruppierungen selbst oder ihrem ideologischen Umfeld an und sind aus unterschiedlichen Gründen bereit, den Verfassungsschutz über verfassungsfeindliche Aktivitäten und Pläne zu informieren. Die Informationsgewinnung mittels V- Personen bewegt sich in einem Spannungsfeld, macht sich doch der Verfassungsschutz das Insiderwissen von Extremisten zunutze und muss dabei stets darauf achten, dass extremistische Bestrebungen durch diese Zusammenarbeit nicht mittelbar gestärkt werden. Der Einsatz menschlicher Quellen ist jedoch in vielen Fällen unverzichtbar, um Einblicke insbesondere in klandestin operierende Kleingruppen zu gewinnen und das Bedrohungspotenzial dieser Extremisten zutreffend einschätzen zu können. In den letzten Jahren wurden die internen Regularien und Standards für die Anwerbung und Führung von V- Personen bundesweit überprüft, neu gestaltet und vereinheitlicht. Eine zwingende Rahmenbedingung für den Einsatz von V-Personen ist, dass ihre Identität und ihre Verbindung zum Verfassungsschutz besonders geschützt sind. Ohne diese Vertraulichkeit wäre es nicht mehr möglich, künftige V-Personen für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. Die durch die Informationsbeschaffung gesammelten Rohdaten müssen gefiltert, systematisiert und analysiert werden. Dabei kommt der Informationstechnik für die Verarbeitung großer Datenmengen eine wichtige Rolle zu. Als bundesweite Verbunddatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des 21 Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Die Speichervoraussetzungen richten sich nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz2. Der weit überwiegende Anteil der im NADIS gespeicherten Datensätze entfällt auf die Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen, die nur mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgen. Die übrigen verteilen sich auf die Phänomenbereiche Rechtsund Linksextremismus, Spionageabwehr, Islamismus und sonstiger Extremismus mit Auslandsbezug. Kontrolle Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle auf unterschiedlichen Ebenen. Neben dem Senator für Inneres und Sport als dem politisch Verantwortlichen, der durch eine besondere Organisationseinheit für die Kontrolle des Verfassungsschutzes, die beim Staatssekretär für Inneres angesiedelt ist, unterstützt wird, finden Kontrollen durch den behördlichen Datenschutzbeauftragten und die Berliner Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit statt. Für die parlamentarische Kontrolle sieht die Verfassung von Berlin (Art. 46a VvB) einen besonderen Ausschuss des Abgeordnetenhauses vor. Dieser tagt grundsätzlich öffentlich, für Erörterung geheimhaltungsbedürftiger Angelegenheiten kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden. Der Senat ist verpflichtet, den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Der Ausschuss hat das Recht auf Erteilung von Auskünften, Einsicht in Akten, Zugang zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Dienstkräften. Kommunikationsüberwachungen nach dem Artikel-10-Gesetz und Anfragen an 2 SS 6 Abs. 2 Satz 2 BVerfSchG in Verbindung mit SSSS 10 und 11 BVerfSchG. 22 Verfassungsschutz Berlin Finanz , Flugund Telekommunikationsunternehmen unterliegen einer speziellen Kontrolle durch die G10-Kommission. Aufgaben einer Kontrolle auf mehreren Ebenen: Rechnungshof Öffentliche Kontrolle Kontrolle in der von Berlin durch Bürger und Senatsverwaltung für Medien Inneres und Sport Arbeitsgruppe der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Datenschutz Allgemeine Beauftragte für parlamentarische Datenschutz und Kontrolle durch das Informationsfreiheit Abgeordnetenhaus Debatten, Aktuelle Stunden, Parlamentarische Anfragen, Petitionen Abteilung II Verfassungsschutz Gerichtliche Besondere parlamenKontrolle tarische Kontrolle durch VerwaltungsAusschuss für Vergerichte fassungsschutz G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von Eingrifdes Ausschusses für fen in das Postund Verfassungsschutz Fernmeldegeheimnis nach Art. 10 GG 23 Zusammenarbeit Der Berliner Verfassungsschutz ist Teil der deutschen Sicherheitsarchitektur. Die Aufgaben des Inlandsnachrichtendienstes werden in der föderalen Struktur Deutschlands vom Bundesamt für Verfassungsschutz und den 16 Landesbehörden gemeinsam wahrgenommen. Die Stärke dieses Modells liegt darin, dass die eigentliche Beobachtung abgestimmt auf die jeweiligen Extremismusschwerpunkte auf Landesebene erfolgen kann, wo ein guter Einblick in die regionale extremistische Szene und eine eingespielte Zusammenarbeit mit den übrigen Landesbehörden besteht, die Beratung der Politik stattfindet und lokale Netzwerke für Deradikalisierung und Prävention ins Leben gerufen werden. Es besteht keine Überordnung oder Weisungsbefugnis des Bundesamtes gegenüber den Landesbehörden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat jedoch als Zentralstelle die Aufgabe, die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes zu koordinieren. Von der Polizei unterscheidet sich der Verfassungsschutz dadurch, dass er nicht für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr zuständig ist, sondern im Rahmen seiner Strukturaufklärung im Vorfeld konkreter Gefahren und Straftaten tätig ist, und nicht über polizeiliche Zwangsbefugnisse verfügt. Auch organisatorisch müssen Verfassungsschutz und Polizei getrennt sein (Trennungsgebot). Darüber hinaus muss der Datenaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei den Anforderungen des vom Bundesverfassungsgericht entwickelten informationellen Trennungsprinzips genügen. Dementsprechend ist er für ein mögliches operatives polizeiliches Tätigwerden nur zum Schutz eines herausragenden öffentlichen Interesses zulässig. Ein solches Interesse ist beispielsweise die Bekämpfung des internationalen Terrorismus oder die Verhinderung oder Verfolgung extremistischer Straftaten. Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus haben die Innenminister die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren ausgebaut. 2004 hat das "Gemeinsame Terroris24 Verfassungsschutz Berlin musabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow seine Arbeit aufgenommen. Neben Vertretern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendienstes (BND) und des Generalbundesanwalts (GBA) ist auch der Berliner Verfassungsschutz neben allen weiteren Landesbehörden für Verfassungsschutz dort vertreten. Das GTAZ ermöglicht, Informationen zum islamistischen Terrorismus umgehend gemeinsam zu analysieren und die operativen Maßnahmen abzustimmen. Gerade bei der Bewältigung besonderer Gefährdungslagen hat sich diese Kooperationsund Informationsanbahnungsplattform als nützlich erwiesen. Ende 2006 trat das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizei und Nachrichtendiensten in Kraft. Von besonderer Bedeutung ist die "AntiTerror-Datei" (ATD). Sie dient der Informationsanbahnung zu Personen, die dem internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden. Das "Gemeinsame Internet-Zentrum" (GIZ) wurde im Januar 2007 eingerichtet. In ihm arbeiten Mitarbeiter von BfV, BKA, BND, GBA und dem Militärischen Abschirmdienst (MAD) zusammen, um ihre Erkenntnisse in der Beobachtung islamistischer Aktivitäten im Internet zu bündeln. Nach der Aufdeckung der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und ihrer Mordserie wurde analog zum Bereich des islamistischen Terrorismus auch bei der Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf den Weg gebracht. Im Dezember 2011 wurde das "Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" (GAR) eingerichtet. Es dient der engeren Koordination und Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten und den Polizeibehörden von Bund und Ländern und wurde im Herbst 2012 in das neue "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) für alle Phänomenbereiche (außer Islamismus) eingegliedert. Auch der Berliner Verfassungsschutz ist dort mit einem Verbindungsbeamten vertreten. Eine "Verbunddatei Rechtsextremismus" (RED) für Polizeibehörden und Nachrichtendienste sowie eine "Koordinierte Internetauswertung Rechtsextremismus" (KIAR) nahmen ebenfalls 2012 ihren Betrieb auf. 25 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die Information von Politik und Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die zentrale Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes.3 Als das Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2000 aufgelöst und die Abteilung II bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport gegründet wurde, war es politischer Konsens, dass der Öffentlichkeitsarbeit ein gewichtiger Stellenwert eingeräumt wird. Diesen Auftrag erfüllen wir seitdem mit großem Engagement. Der Berliner Verfassungsschutz informiert Senat, Parlament und die Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern - so weitgehend und intensiv wie möglich. Dem Verfassungsschutz sind selbstverständlich in der Art und im Umfang seiner offenen Informationen Grenzen gesetzt. Oftmals werden die politische Leitung und die parlamentarischen Kontrollgremien in vertraulicher oder nicht-öffentlicher Sitzung über gravierende Ereignisse und Entwicklungen informiert. Gleichwohl ist der Verfassungsschutz bestrebt, relevante und bemerkenswerte Aktivitäten und Veränderungen in den Extremismusspektren auch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Sei es in wissenschaftlichen Analysen oder anlassbezogenen Lageanalysen im Internet - dem Thema angemessen informiert der Verfassungsschutz präzise und informativ. Weil er dazu beiträgt, die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus zu führen, leistet der Verfassungsschutz einen aktiven Beitrag zur Prävention. 3 SS 5 Abs. 1 VSG Berlin. 26 Verfassungsschutz Berlin Der Verfassungsschutz informiert aber nicht nur in unterschiedlichen Publikationen und über das Internet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten auch Vorträge für Bildungseinrichtungen und interessierte Organisationen. Zudem veranstaltet der Berliner Verfassungsschutz Symposien zu seinen Themenfeldern. Publikationen Der Berliner Verfassungsschutz hat mehrere Publikationsreihen entwickelt, um dem unterschiedlichen Informationsbedarf gerecht zu werden. Alle Publikationen können schriftlich bestellt werden und sind im Internet abrufbar.4 * Verfassungsschutzbericht: Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder geben die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Sie informieren über das aktuelle Geschehen im extremistischen Spektrum, über die ideologischen Grundlagen des Islamismus, Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. * "IM FOKUS": Die Reihe behandelt einzelne Themenkomplexe des Extremismus wie rechte oder linke Gewalttaten oder Phänomene des Islamismus. Auch eine Broschüre zu Scientology liegt vor. Stärker als im Verfassungsschutzbericht steht die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung im Vordergrund. * "INFO": Die "INFO"-Reihe bietet praxisnahe kompakte Informationen über Erscheinungsformen des Extremismus. * "Infoflyer": Die Reihe "Infoflyer" klärt in kompakter Form über extremistische Aktivitäten auf, warnt vor Entwicklungen und Gefahren und bietet Hilfestellung bei praktischen Problemen an. 4 Siehe www.berlin.de/sen/inneres/verfassungsschutz/publikationen. 27 * Lageund Wahlanalysen: Die Reihe bietet kurze Analysen zu Detailthemen. * "Verfassungsschutz Berlin. Sicherheit, Aufklärung, Transparenz": Die Broschüre gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. Informationsfilme 2017 wurde ein Kurzfilm über die "Reichsbürgerbewegung" erstellt. Er gehört in eine neue Reihe von Informationsfilmen über die Arbeit des Verfassungsschutzes und seiner Beobachtungsfelder. Veranstaltungsarbeit Am 28. November fand eine Kooperationsveranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung und des Berliner Verfassungsschutzes zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" statt. In Vorträgen und Workshops diskutierten Fachleute mit Vertreterinnen und Vertretern aus Sicherheitsbehörden, Justiz, Verwaltung und der Zivilgesellschaft die Entwicklung der Szene sowie Handlungsund Verhaltensempfehlungen. Darüber hinaus hat der Berliner Verfassungsschutz zahlreiche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurde sowohl über die Extremismusfelder, die der Verfassungsschutz beobachtet, als auch über die Arbeitsweise des Nachrichtendienstes informiert. Die Vortragsveranstaltungen wurden insbesondere von Polizei und Justiz sowie von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern angefragt. Gremienarbeit Der Berliner Verfassungsschutz beteiligt sich in der Gremienarbeit am Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Er arbeitet regelmäßig mit anderen Akteuren im "Berliner Beratungsnetzwerk" gegen Rechtsextremismus zusammen. Zudem gibt es eine Kooperation mit der "Beratungsstelle Kompass" (Deradikalisierungsnetzwerk gegen Salafismus), die mit Mitteln der Senatsverwaltung für 28 Verfassungsschutz Berlin Inneres und Sport vom "Violence Prevention Network" betrieben wird. Darüber hinaus steht der Berliner Verfassungsschutz im Austausch mit zahlreichen Organisationen aus Wissenschaft und Gesellschaft, mit denen er je nach Bedarf und Möglichkeit den Aufbau weiterer Kooperationen anstrebt. Internet Über den Internetauftritt unter www.verfassungsschutz-berlin.de können aktuelle Meldungen, Informationen über die Grundlagen der Verfassungsschutzarbeit sowie die Veranstaltungen des Verfassungsschutzes Berlin, die Publikationen und die Kurzfilme abgerufen werden. Bürgerund Hinweistelefon Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer 030 90129-440 oder unter der E-Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de. Daneben hat der Verfassungsschutz ein vertrauliches Telefon für Hinweise, z.B. zur Aufklärung des islamistischen Terrorismus, eingerichtet: - 030 20054-507 (in deutscher Sprache) - 030 20054-532 (in türkischer Sprache) - 030 20054-553 (in arabischer Sprache) Die eingehenden Nachrichten werden von sprachkundigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bearbeitet. Darüber hinaus können auch vertrauliche E-Mails an die Adressen info@verfassungsschutz-berlin.de oder aman@verfassungsschutz-berlin.de gesendet werden. 29 30 II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 31 32 1 Islamismus 33 1 Islamismus 1.1 Ideologie Islamismus Islamismus ist eine politische Ideologie und steht für die Ideologisierung des Islam. Er erhebt den Anspruch, der Islam sei nicht nur Religion, sondern auch Herrschaftsideologie und Gesellschaftsordnung. Daraus resultiert die Forderung nach Anwendung der islamischen Rechtsund Werteordnung Scharia als politisches und soziales Ordnungsprinzip. Trotz ideologischer Gemeinsamkeiten der islamistischen Strömungen existieren verschiedene, teils konkurrierende Konzepte, die von einer Ablehnung der Demokratie bis zur Beteiligung an Wahlen reichen. Erhebliche Unterschiede bestehen im Bereich der Gewaltorientierung. Während "legalistische Islamisten" nicht gewaltorientiert sind, gibt es Gruppen, die zur Durchsetzung ihrer Ziele Gewalt befürworten oder anwenden. Zum Islamismus gehört auch der Salafismus in seiner politischen und jihadistischen Ausprägung. Hier finden sich aktuell die radikalsten Auffassungen innerhalb des islamistischen Spektrums. Islamismus lässt sich als Bestreben politischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts definieren, den Islam zu ideologisieren und dort, wo dies möglich ist, entweder eine islamistische Herrschaft zu errichten, die Gesellschaft zu islamisieren oder mit islamistischen Auffassungen die Deutungshoheit über die Formen des gelebten Islam zu erringen. Islamisten begreifen den Islam nicht allein als Religion, sondern als Herrschaftsideologie und als Gesellschaftssystem. 34 Islamismus Das zentrale Ideologem des Islamismus ist die Behauptung, dass der Islam nicht allein "Religion und Welt" verkörpere, sondern eine unteilbare Einheit von "Religion" und "Politik" bilde. Dem hieraus abgeleiteten politischen Anspruch versuchen Islamisten mit dem Slogan, der Islam sei "Religion und Staat" (arab.: "al-islam din wa-daula"), Nachdruck zu geben. Dieser ca. 100 Jahre alte Begriff wird in Bilddarstellungen häufig mit Koran (für Religion) und Schwert (für Politik) symbolisiert. Kennzeichnend für einige islamistische Gruppen ist die Favorisierung frühislamischer und mittelalterlicher Herrschaftskonzepte - etwa ein globales Kalifat, in dem die Führungsperson (Kalif) zugleich die weltliche und die religiöse Herrschaft ausübt. Darüber hinaus begreifen Islamisten die islamische Rechtsund Werteordnung Scharia nicht allein als Recht, sondern als politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. So werben sie mit dem Schlagwort der "Anwendung der Scharia" meist für eine vollständige Umsetzung ihrer Bestimmungen. Schließlich versuchen insbesondere gewaltorientierte islamistische Gruppen, Gewalt durch Bezüge auf die Religion zu legitimieren. Hierbei reduzieren sie den Begriff des Jihad (wörtl.: Bemühung, auch: Streben nach Frömmigkeit) vorrangig auf die Bedeutung von Kampf und Krieg (offensiver Jihad) und verstehen ihn nicht - wie im islamischen Recht fixiert - als eine vorrangig zum Zwecke der Verteidigung muslimischer Gebiete zulässige Methode (defensiver Jihad). Zudem wird der vermeintlich offensive Jihad zu einer individuellen Pflicht jedes Muslims erklärt. Trotz gemeinsamer ideologischer Merkmale folgen die islamistischen Gruppen keinem einheitlichen Konzept. Der Islamismus umfasst vielmehr unterschiedliche bis konkurrierende Agenden, die meist von den differierenden politischen und sozialen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt werden. Einige verketzern etwa Demokratie als vermeintlich unislamisch, während andere sich an Wahlen beteiligen. Insofern gibt es keinen "Einheits-Islamismus". Abgesehen von den Netzwerken um "al-Qaida" und dem "Islamischen Staat" existiert auch keine "islamistische Internationale". 35 Gewaltorientierung In der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele bestehen zwischen den Organisationen erhebliche Unterschiede. Das Spektrum reicht von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung bis zur pseudoreligiösen Legitimation von Terrorismus. Zwei Hauptgruppen sind zu unterscheiden: Die erste Kategorie bilden die nicht-gewaltorientierten Islamisten, die auch als "legalistische Islamisten" bezeichnet werden. Hierzu gehören Gruppen, die entweder nie gewaltorientiert waren (etwa die Anhänger der türkischen "Milli Görüs"-Ideologie) oder die - häufig nach langen Phasen des Terrorismus - der Gewalt inzwischen abgeschworen haben (etwa die arabische "Muslimbruderschaft", MB). Das Fehlen der Gewaltorientierung gilt vor allem für die deutschen Ableger der "legalistischen Islamisten". Die zweite Kategorie bilden die gewaltorientierten Islamisten, die sich in drei Unterkategorien einteilen lassen. Zur ersten Unterkategorie gehören Gruppen, die Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zwar befürworten, selbst aber vorrangig keine Gewalt ausüben. Dies betrifft etwa die in Deutschland seit Januar 2003 verbotene "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung", HuT). Zur zweiten Unterkategorie gehören Gruppen, die ihre terroristischen Aktivitäten vorrangig auf den Nahen Osten beschränken. Dies gilt etwa für die libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") und die palästinensische HAMAS ("Bewegung des Islamischen Widerstands"). Die dritte Unterkategorie gewaltorientierter Islamisten bilden schließlich transnational agierende Terrornetzwerke. Hierzu gehört in erster Linie das Netzwerk "al-Qaida" ("die Basis"), von dem inzwischen mehrere regionale Zweige existieren sowie die nicht fest mit "al-Qaida" verbundenen Organisationen. Weiterhin zählen der so genannte "Islamische Staat" (IS) sowie die jihadistischen Gruppen, die sich dem IS angeschlossen haben, dazu. Ideologisch hebt sich der IS durch die exzessive Anwendung der "Verketzerung" (arab.: "Takfir") Andersgläubiger von "al-Qaida" ab, womit Verbrechen gegen Zivilisten und nicht dem IS folgende Muslime legitimiert werden. 36 Islamismus Salafismus Innerhalb des islamistischen Spektrums erweist sich der Salafismus in seiner politischen und jihadistischen Ausprägung als die seit Jahren dynamischste Bewegung - sowohl in Deutschland als auch international. Salafismus bezeichnet eine unbedingte Orientierung an der muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel existierte. Salafisten glauben, in den religiösen Quellen des Islam ein genaues Abbild dieser idealisierten Frühzeit gefunden zu haben und versuchen, die Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Dies führt häufig zu einer wörtlichen Auslegung des Koran sowie der Sunna (wörtl.: Brauch), der Tradition des Propheten und Religionsstifters Muhammad (570 - 632 n. Chr.). Das zumeist wortgetreue Verständnis religiöser Texte kann dazu führen, dass von ihnen frühislamische Herrschaftsund Rechtsformen befürwortet werden. Diese sind mit den Werten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. Im Gegensatz zu den übrigen islamistischen Gruppen und Ideologien in Deutschland, die nicht salafistisch ausgerichtet sind, verkörpert der Salafismus eine eher traditionelle Islamismus-Variante. Hierzu gehört neben der strikten Orientierung an der Gesellschaftsform des ersten muslimischen Gemeinwesens in Medina (gegr. 622 n. Chr.) auch ein Exklusivanspruch des eigenen Islam-Verständnisses gegenüber jeglichen anderen Islam-Interpretationen. So versuchen Salafisten, die Scharia5 meist in ihrer ursprünglichen Form durchzusetzen und beharren darauf, dass ihre Bestimmungen zeitlos seien und keinesfalls angepasst werden dürften. Insbesondere Muslime werden von Salafisten aufgefordert, salafistische Islam-Interpretationen zu übernehmen und Vorschriften zu befolgen. Ihr umfassendes Regelwerk betrifft u.a. das Tragen so genannter "islamischer Klei- 5 Scharia (wörtl.: "deutlicher, gebahnter Weg") bezeichnet als religiöses Gesetz die Lebensund Rechtsordnung der Muslime. Auf der Grundlage von Koran und Prophetentradition (Sunna) umfasst die Scharia die Gesamtheit aller religiösen und rechtlichen Normen sowie Methoden der Rechtsfindung und Vorschriften zur Interpretation. 37 dung", die Übernahme alltäglicher Handlungen aus der Zeit des Propheten wie auch einer strikten Geschlechtertrennung. Hierzu gehört vor allem die - von den meisten anderen islamistischen Gruppen so nicht praktizierte - Diffamierung als "Ungläubige" (arab.: kuffar). Diese zielt bei Salafisten nicht allein auf Juden und Christen, sondern auch auf jene Muslime, die ihre Auffassungen nicht teilen. Entsprechend gibt es Aufforderungen zur Kontaktvermeidung und zum Abbruch der Beziehungen zu so genannten "Ungläubigen" sowie die Zurückweisung jeglicher Integrationskonzepte und Warnungen vor dem Zusammenleben von Nicht-Muslimen und Muslimen. 1.2 Personenpotenzial Im islamistischen Spektrum wird eine Unterteilung nach der Form der Gewaltorientierung der Organisationen vorgenommen. Zu den gewaltorientierten Organisationen zählen die Kategorien transnationaler islamistischer Terrorismus, Teile des Salafismus sowie regional gewaltausübende und gewaltbefürwortende Islamisten. Die legalistischen Organisationen dagegen lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ab. Transnationale terroristische Netzwerke wie "al-Qaida" und die "MujahidinNetzwerke", zu denen auch der "Islamische Staat" und die "Islamistische nordkaukasische Szene" zählen, agieren klandestin, haben unterschiedliche Strukturen und sind teils miteinander vernetzt. Das Personenpotenzial terroristischer Netzwerke in Deutschland ist quantitativ kaum zu erfassen. Das Personenpotenzial im Salafismus ist in Deutschland zwischen 2016 und 2017 von 9 700 auf 10 800 Personen erneut deutlich angewachsen.6 Gegenüber dem Vorjahr fällt die Zunahme prozentual etwas geringer aus. Seit Ende 2011, als das Personenpotenzial erstmals bundesweit mit 3 800 Personen angegeben wurde, hat sich die Zahl der Salafisten damit nahezu verdreifacht. In 6 Vgl. www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/ zahlen-und-fakten-islamismus. 38 Islamismus Berlin ist bis Ende 2017 eine Zunahme von 840 auf 950 Salafisten zu verzeichnen, von denen 420 als gewaltorientiert gelten. Damit entspricht Berlin dem bundesweiten Trend. Der Salafismus ist seit über sechs Jahren die am dynamischsten wachsende Bestrebung des Islamismus in Deutschland und auch in Berlin. Regional gewaltausübende Organisationen agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch. Sie verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und meist gewaltfrei. Daneben existieren islamistische Gruppen, die Gewalt befürworten, selbst aber kaum Gewalt ausüben. Das Personenpotenzial der regional gewaltausübenden Islamisten ist 2017 in Berlin gleichgeblieben, während das der gewaltbefürwortenden islamistischen Gruppen leicht gesunken ist. Diese Absenkung beruht auf Entwicklungen bei den sonstigen gewaltbefürwortenden Gruppen, für die in Berlin nunmehr nur noch Einzelpersonen (EP) nachweisbar sind. Das Personenpotenzial legalistischer islamistischer Gruppierungen in Berlin ist unverändert. Von den 620 legalistischen Islamisten in Berlin sind 500 der "Milli Görüs"-Bewegung zuzurechnen. Die übrigen 120 Personen entfallen auf die "Muslimbruderschaft" sowie auf weitere Einzelmitglieder der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland", die erstmals separat ausgewiesen werden. 39 Personenpotenzial Islamismus in Berlin* Berlin 2016 2017 Transnationaler islamistischer Terrorismus mindestens 25 mindestens 20 unterteilt nach den Personenpotenzialen einzelner Personenzusammenschlüsse: Mujahidin-Netzwerke keine gesicherten keine gesicherten (z.B. al-Qaida / Islamischer Staat) Zahlen Zahlen Islamistische nordkaukasische Szene ** 25 20 Salafistische Bestrebungen 840 950 Regional gewaltausübende und gewaltbefürwor405 355 tende islamistische Gruppen, davon: Regional gewaltausübende Gruppen, davon: 320 320 Hizb Allah 250 250 HAMAS 70 70 Gewaltbefürwortende Gruppen, davon: 85 35 Hizb ut-Tahrir (HuT) 35 35 Sonstige 50 EP Legalistischer Islamismus 620 620 Muslimbruderschaft (MB) / Islamische 120 120/ EP Gemeinschaft in Deutschland (IGD) "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) 500 500 Gesamt 1 890 1 945 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. ** Im Verfassungsschutzbericht 2016 noch als "Islamisches Emirat Kaukasus" aufgeführt. EP = Einzelpersonen 40 Islamismus 1.3 Aktuelle Entwicklungen Das Geschehen im Krisenraum Syrien und Irak war im Berichtsjahr einerseits geprägt von einer Zerschlagung der vom so genannten "Islamischen Staat" (IS) kontrollierten Territorien, andererseits von einer relativen Abnahme militärischer Aktivitäten durch die Einrichtung von "Deeskalationszonen" in verschiedenen Landesteilen. Im Jahresverlauf hat der IS sämtliche seiner Hochburgen verloren und konnte bis November weitestgehend aus dem Irak vertrieben werden. Auch in Syrien kontrolliert er nur noch wenige Areale abseits urbaner Zentren. Die militärische Hauptlast der Bodenkämpfe haben dabei die kurdischen Kämpferinnen und Kämpfer getragen, die von der internationalen Allianz gegen den IS unterstützt wurden. Obgleich die "Staatsidee" des IS damit keine reale Grundlage mehr und einen Großteil seiner Ressourcen und Einnahmequellen eingebüßt hat, existiert er als terroristisches Netzwerk weiter. Wiederholt hat die Propaganda des IS gefordert, nicht länger nach einer Ausreise in das "Staatsgebiet des IS" zu streben, sondern vielmehr Terroranschläge in allen Ländern zu begehen, die sich am Kampf gegen den IS beteiligen. Zum einen hat diese Propaganda bei radikalisierten Jihadisten verfangen und eine Serie von Terroranschlägen in Europa zur Folge gehabt, zum anderen ist festzustellen, dass die wiederholt befürchtete "Welle" von IS-Kämpfern, die in ihre Herkunftsländer zurückkehren, bislang nicht zu beobachten ist. 41 "Islamischer Staat" (IS) Die transnationale jihadistische Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) wurde Ende Juni 2014 im nordirakischen Mossul gegründet, als ein Gelehrtenrat (Schura) ihren Führer Abu Bakr al-Baghdadi zum vorgeblichen "Kalifen" aller Muslime ernannte. Nach den Eroberungen des IS von Teilen des Iraks und Syriens war es 2014 erstmals einer jihadistischen Organisation gelungen, zusammenhängende Gebiete zu kontrollieren, in denen sie zeitweise staatsähnliche Strukturen etablieren konnte. Der IS hat seinen Ursprung im jihadistischen Widerstand gegen die US-Invasion im Irak 2003, dessen Organisationen zunächst dem Terrornetzwerk "al-Qaida" angehörten. Zum Bruch mit der "alQaida" kam es 2013, als al-Baghdadi den Führungsanspruch im Irak auch nach Syrien ausweiten wollte, wo sich der Widerstand gegen das Assad-Regime jihadistisch radikalisiert hatte. Mit der Ausrufung des "Kalifats" und der Bezeichnung als "Islamischer Staat" unterstrich der IS seinen globalen Anspruch, alle Muslime zu vertreten. In der Folge schworen zahlreiche jihadistische Organisationen dem "Kalifen" des IS die Treue und gründeten "Provinzen des IS", darunter in Libyen, dem Sinai und im Jemen. Ideologisch vertritt der IS die rigideste Form des jihadistischen Salafismus, bei dem alle Andersgläubigen und -denkenden für ungläubig erklärt werden (Takfir). Dies legitimiere nach Auffassung des IS deren Tötung, auch wenn es sich um Muslime oder Zivilisten handelt. 42 Islamismus Die Verwirklichung der "Staatsidee" und die Territorialverteidigung haben das Handeln des IS lange bestimmt. Der zunehmende militärische Druck der Anti-IS-Koalition und großräumige Gebietsverluste haben im Jahresverlauf 2017 die "staatsähnlichen" Strukturen des IS in Syrien und Irak kollabieren lassen. Seither fordert der IS seine Mitglieder und Unterstützer verstärkt dazu auf, Anschläge in ihren Heimatländern zu begehen. Die Vereinten Nationen, die USA, Deutschland und weitere Staaten haben den IS als Terrororganisation eingestuft. Die Gefährdungslage in Deutschland Die Gefährdung der inneren Sicherheit durch islamistisch motivierte terroristische Anschläge ist unvermindert hoch. Berlin steht, wie auch der bisher schwerwiegendste Anschlag in Deutschland am 19. Dezember 2016 auf dem Breitscheidplatz gezeigt hat, in seiner Funktion als Hauptstadt besonders im Fokus. Bei dem Anschlag war der aus Tunesien stammende Jihadist Anis Amri mit einem gestohlenen Schwerlaster, dessen polnischen Fahrer er erschossen hatte, in die Budengasse des dortigen Weihnachtsmarktes gerast. Dabei tötete er weitere elf Menschen und verletzte mehr als 60. Der 24 Jahre alte Jihadist floh nach Italien, wo er am 23. Dezember im Großraum Mailand von einer italienischen Streife getötet wurde, als er bei einer Kontrolle auf die Beamten geschossen hatte. Es zeigte sich, dass Amri bereits in seiner Heimat straffällig geworden war und auch in Italien wegen Brandstiftung vier Jahre eingesessen hatte. In der Haft hatte er sich mutmaßlich salafistisch radikalisiert und sich im Juni 2015 den Flüchtlingen nach Nordeuropa angeschlossen. 43 Eine besondere Gefahr geht von organisatorisch ungebundenen Einzeltätern ("einsamen Wölfen")7 aus, da deren Radikalisierung oft unbemerkt verläuft und ihre terroristischen Aktivitäten durch Sicherheitsbehörden nur schwer wahrgenommen werden können. Für die Gefahr, die von einem Einzeltäter ausgehen kann, steht beispielhaft die Festnahme des Yamen A. Der Syrer war am 31. Oktober in Schwerin festgenommen worden, weil er geplant haben soll, möglichst viele Menschen mit einer selbstgebauten Bombe zu töten. Zuvor war aufgefallen, dass er Zutaten zum Bombenbau im Internet bestellt hatte. Bislang liegen keine Erkenntnisse vor, dass Yamen A. Kontakte zum IS oder Mittäter in Deutschland hatte.8 Ausreisen in Jihad-Gebiete Den deutschen Sicherheitsbehörden liegen Erkenntnisse zu inzwischen mehr als 960 Personen vor, die aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, um dort mutmaßlich auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien oder dem Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Bereits für 2016 zeichnete sich ein verlangsamter Anstieg dieser Ausreisezahlen ab,9 mutmaßlich als Folge repressiver Maßnahmen wie dem Passentzug, einer hohen Strafandrohung bei einer Rückkehr nach Deutschland sowie der verstärkten Kontrolle der Reiseströme. Weiterhin hat die weitgehende Zerschlagung der Strukturen des IS im Krisenraum die Kontaktanbahnung und Organisation der Reisewege erschwert. 7 Zu den verschiedenen Tätertypen unterschieden nach der Art ihrer Anbindung an eine terroristische Organisation vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 41 ff. 8 Pressemitteilung 14/2018 des Generalbundesanwalts vom 15.3.2017. 9 Vgl. www.verfassungsschutz.de/de/arbeitsfelder/af-islamismus-und-islamistischer-terrorismus/ zahlen-und-fakten-islamismus. 44 Islamismus Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen befindet sich wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien oder dem Irak beteiligt haben. Im Berichtsjahr wurde wiederholt die Verhaftung ausländischer Kämpfer des IS im Krisenraum bekannt. Es ist bislang keine verstärkte Rückreisetendenz festzustellen. Zu über 80 Personen lagen Erkenntnisse vor, nach denen sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Ferner liegen zu ca. 150 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind, darunter mindestens 20 als Selbstmordattentäter. Die Zahl der von Behörden verhängten Ausreiseverbote bewegt sich bundesweit unverändert im niedrigen dreistelligen Bereich.10 In Berlin lagen Ende 2017 für 120 Personen Erkenntnisse vor, dass sie jihadistisch motiviert in den Krisenraum Syrien und Irak ausgereist sind. Etwa die Hälfte dieser Personen ist aus dem Krisenraum zurückgekehrt, etwa 20 sind dort verstorben. Exekutivmaßnahmen und Gerichtsverfahren Die bereits in den Vorjahren festzustellende starke Zunahme von Ermittlungsverfahren mit Bezug zum islamistischen Terrorismus hat sich fortgesetzt. Im Januar 2018 informierte der Generalbundesanwalt die Medien, dass die Zahl der neu eingerichteten Verfahren mit Bezug zum islamistischen Terrorismus 2017 erstmals bei über 1 000 gelegen habe. Im Vorjahr waren es noch rund 200 Verfahren.11 Am 20. Juli verurteilte das Berliner Kammergericht (KG) den 43-jährigen Ismet D. und den 45-jährigen Emin F. wegen Unterstützung der syrischen Terroror10 Ebd. 11 Vgl. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.1.2018, S. 5. 45 ganisation "Junud al-Sham" zu je sechs Jahren Haft.12 Die beiden Jihadisten hatten unter der Führung von D. seit 2010 eine Gruppe gegründet, aus der der Verein "Fussilet 33 e.V." hervorging, der in Moabit eine Moschee betrieb. Die vielfältigen Verstrickungen der Vereinsfunktionäre dieser Moschee, ihrer Prediger und Besucher, zu terroristischen Vereinigungen im Ausland waren maßgeblich dafür, dass der Verein im Februar durch den Senator für Inneres und Sport nach dem Vereinsgesetz verboten und aufgelöst wurde. Das oben genannte Strafverfahren und Durchsuchungen bewiesen, dass die Moschee als Deckmantel für die Unterstützung von Terrororganisationen gedient, für diese Spenden gesammelt sowie die Rekrutierung von Kämpfern unterstützt hatte.13 Am 10. Mai verurteilte das Berliner Kammergericht den 31-jährigen Algerier Fayssal M. B. zu zwei Jahren und neun Monaten Haft wegen Unterstützung des IS und Diebstahls. Der Jihadist hatte Geld an einen Mittelsmann in der Türkei überwiesen, der damit u.a. ein Nachtsichtgerät und ein Zielfernrohr kaufen wollte, um es für den IS einzusetzen.14 Am 19. Mai verurteilte das Berliner Kammergericht den inzwischen 20-jährigen Syrer Shaas Al M. zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren Haft, weil er sich 2013 in seiner Heimat dem IS angeschlossen und auch an Kämpfen teilgenommen hatte. Als er Mitte 2015 als Flüchtling nach Deutschland kam, hielt er den Kontakt zum IS und beging zahlreiche Unterstützungshandlungen. Der Jihadist hatte zudem in Berlin Touristenziele ausgespäht und die gewonnenen Informationen an syrische Kontaktmänner weitergeleitet.15 Die Existenz von Strukturen in Deutschland zur Rekrutierung von Jihadisten für eine Ausreise in den Krisenraum Syrien und Irak wurde im Berichtsjahr besonders in zwei Fällen deutlich. Zum einen durch ein Urteil des Oberlan12 Pressemitteilung 42 des KG Berlin vom 20.7.2017, Az: 1-3/15. 13 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 63 f. 14 Pressemitteilung 26 des KG Berlin vom 10.5.2017, Az: 2A-2/16. 15 Pressemitteilung 28 des KG Berlin vom 19.5.2017, Az: 1-5/16. Vgl. auch Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 54. 46 Islamismus desgerichts Düsseldorf vom 26. Juli gegen Sven L., welches ihn wegen der Unterstützung einer Terrororganisation zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilte.16 Sven L., der über Jahre zu den bekanntesten deutschen Salafisten zählte, hatte spätestens seit 2013 dazu beigetragen, zwei Kämpfer an eine dem IS nahestehende Miliz zu vermitteln und sich 2013 selbst nach Syrien begeben, um Geld und Militärgerät zu übergeben. Seine Entwicklung steht für eine Radikalisierung im politischen Salafismus, die zunehmend Verstrickungen in den jihadistischen Salafismus umfasste, bis die Aktivitäten die Schwelle zur Strafbarkeit überschritten. Der zweite Sachverhalt betrifft den jihadistischen Prediger einer Hildesheimer Moschee, Ahmad Abdulaziz Abdullah A., der mit vier weiteren Personen aus Deutschland, der Türkei und Kamerun seit dem 5. September vor dem Oberlandesgericht Celle angeklagt ist, als "Statthalter des IS in Deutschland" agiert zu haben. Dem 33-jährigen Iraker wird vorgeworfen, den IS als Mitglied unterstützt und junge Menschen mit dem Ziel einer Jihad-Beteiligung radikalisiert und zur Ausreise nach Syrien und Irak bewegt zu haben. Die Ermittlungen zeigten, dass auch der Attentäter Anis Amri mit dem Prediger Kontakt hatte. Der Prozess dauert an.17 16 Pressemitteilung Nr. 26/2017 des OLG Düsseldorf vom 26.7.2017, Az: OLG Düsseldorf III-5 StS 1/16. 17 Pressemitteilung des OLG Celle vom 18.9.2017 und Pressemitteilung Nr. 62 des Generalbundesanwalts vom 20.7.2017. 47 1.4 Salafistische Bestrebungen Salafismus Mitglieder: Berlin: 950, davon gewaltorientiert: 420 (2016: 840, davon gewaltorientiert: 380) Der Begriff Salafismus bezeichnet eine auf wahhabitischem Gedankengut basierende traditionalistische Bewegung, die aus drei unterscheidbaren Strömungen besteht, dem quietistisch-puristischen, dem politischen und dem jihadistischen Salafismus. Vertreter des quietistisch-puristischen Salafismus entwickeln keine politisch zielgerichteten Aktivitäten gegen den demokratischen Rechtsstaat. Der politische Salafismus und der jihadistische Salafismus gelten hingegen als Formen des Islamismus, weil sie eine extremistische Ideologie darstellen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist.18 Salafisten fordern eine Gesellschafts-, Rechtsund Herrschaftsordnung, die sich ausschließlich an einer wortgetreuen Auslegung von Koran und Sunna (zur Nachahmung empfohlene Lebensweise des Propheten) sowie an den so genannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab.: al-salaf al-salih) orientiert. Wegen der Umdeutung religiöser Normen zu verbindlichen politischen Handlungsweisen und dem Versuch, diese als Regelwerk durchzusetzen, gilt der Salafismus als besonders rigide Ausformung innerhalb des Islamismus. Die Absolutsetzung frühislamischer Herrschaftsund Rechtsformen hat zur Folge, dass jedes Abweichen von dieser Norm, die als 18 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Salafismus als politische Ideologie. Berlin 2014. 48 Islamismus "wahrer Islam" propagiert wird, als verbotene Verfälschung bzw. "Neuerung" (arab.: bid'a) abgelehnt wird. Kennzeichnend für Salafisten ist auch eine dualistische Weltsicht, die nur zwischen "gläubigen Muslimen" und vermeintlich "Ungläubigen" unterscheidet. Sie verunglimpfen sogar alle nicht-salafistischen Muslime als Ungläubige. Zudem propagieren viele Vertreter des Salafismus einen aggressiven Antisemitismus. Politischer und jihadistischer Salafismus unterscheiden sich in der Wahl ihrer Mittel. Der politische Salafismus agiert mit Propaganda zur Verbreitung seiner Ideologie, die er als "Missionierung" (arab.: da'wa) bezeichnet. Der jihadistische Salafismus setzt hingegen auf eine Strategie der Gewaltanwendung. Er interpretiert den Jihad ausschließlich in seiner militanten Deutung und erklärt ihn im Widerspruch zu allen religiösen Traditionen sogar zur individuellen Glaubenspflicht eines jeden Muslim. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend. Die Aktivitäten des salafistischen Spektrums in Berlin sind unverändert vielfältig und werden vom Geschehen an einer Reihe von Moscheen bestimmt, bei denen die salafistische Ideologie in unterschiedlichem Grad dominiert. Ergänzt wird das salafistische Spektrum der Stadt durch eine entsprechende "salafistische" Infrastruktur, die entsprechende Kleidung, Bücher und Lebensmittel zur Verfügung stellt. Für die realweltliche Vernetzung der Szene bedeutsam sind so genannte "Islamseminare", die auch salafistischen Predigern aus dem Bundesgebiet eine Bühne bieten. Zu den Treffpunkten von Salafisten in Berlin zählen die "Al-Nur-Moschee", die "as-Sahaba-Moschee" und die "Ibrahim alKhalil-Moschee". 49 Al-Nur-Moschee Die "Al-Nur-Moschee" bot in den letzten Jahren wiederholt salafistischen Predigern eine Plattform um frauenfeindliche, homophobe und antisemitische Standpunkte öffentlich zu äußern. Bundesweit bedeutsam ist die "Al-Nur-Moschee" durch ihre jährlichen "Islamseminare". Dabei treten neben den regelmäßigen Predigern der Moschee auch eingeladene Referenten aus dem Bundesgebiet auf, die im Spektrum des politischen Salafismus überregional von Bedeutung sind. Salafistische "Islamseminare" Wichtiges Strukturelement salafistischer Aktivitäten in Deutschland sind deutschsprachige "Islamseminare", seltener auch "Islamkurse" genannt. Es handelt sich um teils mehrtägige Veranstaltungen mit "Stundenplänen", die auch überregional Besucher anziehen. "Islamseminare" dienen der Vermittlung eines salafistischen Islamverständnisses und salafistischer Ideologie, der Werbung neuer Anhänger sowie der Kontaktpflege in den informell organisierten Netzwerken. Salafistische "Islamseminare" haben seit 2004 in allen Berliner Moscheen stattgefunden, die dem Salafismus nahestehen. Problematisch sind diese salafistischen Seminare auch wegen ihrer radikalisierungsfördernden Wirkung, da sie zumeist junge Menschen mit extremistischer Ideologie in Kontakt bringen. Unter dem Motto "Ein Wochenende mit dem Qur'an" hatte die "Al-Nur-Moschee" vom 15. bis 17. Dezember zum "11. Jahresseminar" eingeladen und vor allem über soziale Medien beworben. Als auswärtige Referenten waren Mo50 Islamismus hammed Benhsain ("Scheikh Abu Jamal") aus Bonn, der in den Vorjahren mehrfach Gastimam der "as-Sahaba-Moschee" war, sowie ein jüngerer Prediger, Sameh El-B., angekündigt. Beide sind in der Szene bekannte Vertreter des politischen Salafismus. Am 11. Dezember wurde die Absage der Veranstaltung über die Online-Medien der Moschee ohne Nennung einer Begründung bekannt gegeben. As-Sahaba / Die Gefährten e.V. Die "as-Sahaba-Moschee" im Wedding zählt seit Jahren zu den bekannten salafistischen Moscheen Berlins und gilt als Treffpunkt der salafistischen Szene. Die Moschee und ihr Imam "Abul Baraa" sind dem politischen Salafismus zuzurechnen. Zur Verbreitung seiner salafistischen Ansichten im Bundesgebiet unternahm "Abul Baraa" so genannte "Deutschlandtouren" mit je zwei Vorträgen in Dortmund und in Bendorf, drei Vorträgen in Dormagen sowie weiteren in Pforzheim und Braunschweig. Die Vortragsreisen unterstreichen die Bedeutung, die der Prediger als Multiplikator salafistischer Ideologie in anderen Moscheegemeinden einnimmt. Die Bedeutung der "as-Sahaba-Moschee" als überregionaler Anziehungspunkt für salafistisch Interessierte zeigt sich auch 2017 in der zweimaligen Durchführung so genannter "Deutschsprachiger Islamseminare" bzw. "Islamkurse". Die beiden dreitägigen Veranstaltungen fanden vom 3. bis 5. März und vom 28. bis 30. April mit den Gastpredigern Mohammed Benhsain ("Abu Jamal") aus Bonn und Hassan Dabbagh ("Abu al-Hussein") aus Leipzig statt. In der Regel achten die Prediger in ihren Vorträgen darauf, dass ihre Äußerungen keinen Anlass für staatliche Sanktionen bieten. Problematisch sind diese 51 Seminare dennoch, weil sie einen Rahmen für Gruppenbildung und die Beeinflussung mit extremistischem Gedankengut durch oft charismatische Vortragende bieten. 1.5 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen Neben den salafistischen Bestrebungen, deren jihadistischer Anteil von terroristischen Netzwerken dominiert wird, existieren weitere islamistische Organisationen, deren Agenden Bezüge zur Gewalt aufweisen. Dazu gehören auch regional gewaltausübende Islamisten. Zu ihnen zählen in Deutschland insbesondere die palästinensische HAMAS und die schiitisch-libanesische "Hizb Allah". Beide Organisationen agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch und verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und gewaltfrei. 1.5.1 HAMAS HAMAS ("Bewegung des Islamischen Widerstands") Gründung: 1987 Mitglieder: Berlin: 70 (2016: 70) Die HAMAS, 1987 im Gaza-Streifen gegründet, hat ihre Wurzeln in der Muslimbruderschaft. In ihrer Charta von 1988 verneint die HAMAS das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" durch bewaffneten Kampf sowie die Errichtung eines islamischen Staates an. 52 Islamismus Durch ihre Kritik an den Friedensverhandlungen der Autonomiebehörde sowie durch ihr Netzwerk sozialer und karitativer Einrichtungen entwickelte sich die HAMAS zu einem politischen und gesellschaftlichen Faktor. Seit Juni 2007 übt sie im Gaza-Streifen die alleinige Kontrolle aus. Die HAMAS wird seit 2003 auf der Liste terroristischer Organisationen der Europäischen Union geführt. In Deutschland tritt die HAMAS nicht offen auf. Ihre Anhänger treffen sich in Moscheen und Islamischen Zentren. Als Berliner Treffpunkt von HAMAS-Anhängern gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ). Als Reaktion auf die politischen Entwicklungen im Nahen Osten wie der KatarKrise, dem gestiegenen Druck seitens der Regierungen der Palästinensischen Autonomiebehörde und Ägyptens begann im Berichtsjahr ein Prozess der politischen Neuausrichtung der HAMAS. 53 Hinzu tritt ein Wechsel in der Nahost-Politik der USA, die unter Präsident Trump von der Notwendigkeit einer Zwei-Staaten-Lösung im Nahostkonflikt abgerückt sind. Am 6. Dezember verkündete er, die USA würden Jerusalem als Hauptstadt Israels offiziell anerkennen und infolgedessen die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Daraufhin kam es in Berlin zu massiven Protesten von Muslimen bzw. pro-palästinensischen Demonstranten mehrheitlich vor der US-Botschaft. Die Organisation und Durchführung der Demonstrationen wurde überwiegend von palästinensischen Vereinen übernommen, unter ihnen auch die "Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (PGD), die ihren Sitz in Berlin hat. Am 13. Februar wurde Yahya Sinwar als Nachfolger von Ismail Haniyeh an die Spitze des HAMAS-Politbüros in Gaza gewählt. Der 55-jährige vertritt den Flügel der Hardliner innerhalb der Organisation, die das Existenzrecht Israels bestreiten und seine Vernichtung im bewaffneten Kampf befürworten. Er gilt als Mitbegründer des militärischen Arms der HAMAS, den "Izz ad-Din al-Qassam"Brigaden, und repräsentiert aufgrund seiner langen Haft in Israel auch die Gruppe der palästinensischen Häftlinge. Am 1. Mai präsentierte Khaled Mashal, der politische Führer der HAMAS, ein Dokument,19 das andeutet, einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967 mit Jerusalem als Hauptstadt akzeptieren zu wollen. Dabei wird betont, dass der Konflikt mit Israel politisch und nicht religiös motiviert sei. Die HAMASCharta von 1988 ist mit dieser Veröffentlichung jedoch nicht aufgehoben und das neue Papier lediglich ein auf die aktuelle politische Situation zugeschnittenes Strategiepapier. Zehn Jahre nach der gewaltsamen Machtübernahme durch die HAMAS im Gaza-Streifen und nach mehreren Versuchen, die innerpalästinensische Spaltung zu überwinden, zeichnet sich im Herbst eine Annäherung zwischen Fatah 19 "A document of General Principles & Policies". 54 Islamismus und HAMAS ab. Im September gab die HAMAS-Führung die Auflösung ihres im März geschaffenen Verwaltungskomitees bekannt und ebnete damit den Weg für die Übernahme der Regierung im Gaza-Streifen durch die Palästinensische Autonomiebehörde. Mitte Oktober einigten sich die Vertreter beider Organisationen unter ägyptischer Vermittlung auf ein Versöhnungsabkommen und kündigten Ende November Präsidentenund Parlamentswahlen bis Ende 2018 in den palästinensischen Autonomiegebieten an. Teilnehmer aus Berlin auf der "Konferenz der Auslandspalästinenser" Am 25. und 26. Februar fand in Istanbul die erste Konferenz der im Ausland lebenden Palästinenser, die "Conference for Palestinians Abroad", statt.20 Zu den Verantwortlichen der Veranstaltung zählte ein Berliner, der in den vergangenen Jahren mehrfach durch personelle Kontakte zur HAMAS-Führung aufgefallen ist. Das Treffen in Istanbul, angedacht als Gegenstück zum alljährlich stattfindenden PRC-Kongress in Europa (s.u.), richtete sich insbesondere an palästinensische Aktivisten und Sympathisanten aus dem Nahen Osten, Nordund Südamerika sowie Australien, denen eine Einreise in die EU nicht möglich oder zu beschwerlich ist. Die Konferenz hatte zum Ziel, die Rolle der palästinensischen Diaspora im Kampf um das Rückkehrrecht und die Gründung eines unabhängigen Palästinenserstaates mit Jerusalem als Hauptstadt zu stärken. Berliner Redner auf der PRC - Konferenz Die von dem in London ansässigen "Palestinian Return Centre" (PRC)21 organisierte diesjährige 15. "Konferenz der Palästinenser in Europa" fand am 15. April im niederländischen Rotterdam statt. Samir Falah, Präsident der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland" (IGD) und ein HAMAS-Anhänger aus Berlin traten als Redner auf. Mit rund 5 000 Teilnehmern (Malmö 2016: 14 000), 20 Ali Younes: Palestinian diaspora holds first global conference, in: Al Jazeera News vom 25.2.2017. 21 Das PRC gilt als die zentrale Propagandaorganisation der HAMAS in Europa und die seit 2003 jährlich in unterschiedlichen europäischen Ländern stattfindende Konferenz als deren zentrale Propagandaveranstaltung. 55 auch aus Berlin, war die Konferenz im Gegensatz zu den Vorjahren schlecht besucht, was sich mit der ähnlich gelagerten und kurz zuvor stattgefundenen Konferenz der Auslandspalästinenser in Istanbul erklären lässt. Anlässlich der vor 100 Jahren verabschiedeten Balfour-Deklaration22 erinnerte die Konferenz an das Dokument, das als wichtige Unterstützungshandlung für die Gründung Israels gilt. Weiterhin wurde an die Unverzichtbarkeit des "Rückkehrrechts" aller vertriebenen Palästinenser nach Israel erinnert.23 1.5.2 Hizb Allah "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 Mitgliederzahl: Berlin: 250 (2016: 250) Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") entstand 1982 als paramilitärische Bewegung, die aus ideologischen, regionalpolitischen und konfessionellen Motiven von Iran und Syrien unterstützt wird. Als ehemalige Kriegsmiliz im Libanon unterhält die "Hizb Allah" einen militärischen Flügel mit der Bezeichnung "Islamischer Widerstand" (arab.: "Al-Muqawama al-Islamiya").24 22 In der Balfour-Deklaration von 1917 erklärte sich Großbritannien bereit, die Errichtung einer "nationalen Heimstätte" für das jüdische Volk in Palästina zu unterstützen. 23 Door Carel Brendal: Europese Hamas leiding in eerste gelid tijdens Rotterdamse conferentie, in: CarelBendal.nl vom 25.4.2017. 24 Der UN-Sicherheitsrat forderte in zwei Resolutionen die Entwaffnung der "Hizb Allah", so 2004 mit Resolution 1 559 und 2006 mit Resolution 1 701. 56 Islamismus Die "Hizb Allah" negiert das Existenzrecht Israels und propagiert den bewaffneten Kampf gegen Israel. Aufgrund ihres sozialpolitischen Engagements verfügt die "Hizb Allah" unter den libanesischen Schiiten über eine große Anhängerschaft und ist seit 1992 im Parlament vertreten. Seit Oktober 2016 hat der Libanon mit Michel Aoun wieder einen Staatspräsidenten, der als maronitischer Christ ein Verbündeter der "Hizb Allah" ist. Wegen antisemitischer Propaganda sowie gegen Israel gerichteter Gewaltaufrufe wurde in Deutschland 2004 die Ausstrahlung des "Hizb Allah"-eigenen TV-Senders "al-Manar" ("Der Leuchtturm") unterbunden. 2008 erließ der Bundesminister des Innern zudem ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot gegen "Al-Manar". Die "Hizb Allah" ist von den USA, Kanada und Israel als Terrororganisation eingestuft. In Reaktion auf einen Anschlag in Bulgarien im Juli 2012, bei dem fünf Iraelis getötet wurden, beschlossen die Außenminister der EU am 22. Juli 2013, den militärischen Flügel der "Hizb Allah" in die "EU-Terrorliste" aufzunehmen. Die "Hizb Allah" hat sich im Verlauf des Syrienkrieges zu einer Größe entwickelt, die weit über die Grenzen des Libanon hinauswirkt. Auf Seiten der syrischen Regierungstruppen und mit ihren iranischen und russischen Verbündeten kämpft sie gegen den so genannten "Islamischen Staat", andere Terrorgruppierungen sowie Regimegegnern in Syrien. Das US-Repräsentantenhaus verabschiedete am 12. Oktober einen Gesetzesentwurf, der neue Sanktionen gegen die "Hizb Allah" vorsieht und Unterstützungsleistungen der Organisation, wie z.B. Finanzierung oder Waffenlieferun57 gen, unter Strafe stellt.25 "Tag des Sieges und der Befreiung" Der jährliche "Tag des Sieges und der Befreiung"26 des Südlibanon ist neben dem "al-Quds-Tag" das wichtigste politische Ereignis des "Hizb Allah"-nahen Spektrums in Berlin. Die jährliche Siegesfeier wird aber nicht nur von "Hizb Allah"-Sympathisanten begangen, sondern auch von Vertretern palästinensischer und weiterer arabischer Organisationen. Am 25. Mai fand in einem Neuköllner Festsaal eine Feierlichkeit anlässlich dieses Tages statt. Häufig kam es zu anti-israelischen und anti-zionistischen Aussagen, wie die Bezeichnung Israels als "israelischer Feind" oder der Ausruf "Tod den Zionisten". Die Glorifizierung gegen Israel gerichteter Terroranschläge als Widerstand sowie die Bezugnahme auf Hassan Nasrallah, den Generalsekretär der "Hizb Allah", gehörten ebenfalls zum Tenor der Veranstaltung. "Al-Quds-Tag" In diesem Jahr fiel in Berlin der Aufzug zum "al-Quds-Tag"27 am 23. Juni mit dem staatlichen Feiertag in der Islamischen Republik Iran zusammen. Die dies25 Vgl. "Hizballah International Financing Prevention Amendments Act of 2017", abgerufen unter www.congress.gov/bill/115th-congress/senate-bill/1595 am 27.6.2018. 26 Nach dem Libanonkrieg von 1982 besetzte die israelische Armee Teile des Südlibanons, um dort eine so genannte Sicherheitszone einzurichten. Da eine dauerhafte Besetzung wegen der Militäraktionen der "Hizb Allah" politisch nicht vermittelbar war, zog sich die israelische Armee im Jahr 2000 aus dem Libanon zurück. 27 Der "al-Quds-Tag" (nach dem arabischen Namen für Jerusalem) ist ein Gedenktag, der im Jahre 1979 vom damaligen iranischen Revolutionsführer Ayatollah Khomeini ausgerufen wurde und an die "zionistische Besatzung" Jerusalems erinnern sowie Solidarität mit dem "Befreiungskampf" der Palästinenser bekunden soll. Der "al-Quds-Tag", an dem weltweit bei Demonstrationen u.a. mit antisemitischen Parolen die Zerstörung Israels propagiert wird, ist auf den letzten Freitag des Monats Ramadan terminiert. 58 Islamismus jährige "al-Quds"-Demonstration verlief ohne Zwischenfälle. Jedoch wurde die anti-israelische Einstellung der Teilnehmer durch Slogans deutlich. Darüber hinaus wurden verschiedene Konflikte im Nahen Osten, wie der israelisch-palästinensische Konflikt, der Syrienkrieg und der Krieg im Jemen, thematisiert. Die "Hizb Allah"-nahen Vereine aus Berlin haben sich nicht erkennbar an der Mobilisierung für den "al-Quds-Tag" beteiligt, lediglich wenige Einzelpersonen, die entsprechenden Vereinen zugeordnet werden können, nahmen an der Veranstaltung teil. Besucher und Funktionäre des pro-iranischen "Islamischen Zentrums Hamburg e.V." (IZH)28 und der dazugehörigen "Imam-Ali-Moschee" unterstützen die "al-Quds"-Demonstration in Berlin und beteiligten sich in großer Zahl. 28 In Deutschland existieren eine Reihe islamischer Zentren und Organisationen regimetreuer Iraner, mit deren Hilfe das iranische Regime versucht, Einfluss auf hier lebende Schiiten unterschiedlicher Nationalität zu nehmen. Das größte und einflussreichste Zentrum ist das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH). Der Leiter des IZH gilt als der Vertreter des "Revolutionsführers" der Islamischen Republik Iran - derzeit Ayatollah Ali Chamenei - in Deutschland. Somit hat das IZH eine Schlüsselposition in der Propagierung und Durchsetzung iranischer Interessen in Deutschland und Europa. Vgl. Behörde für Inneres und Sport, Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg: Verfassungsschutzbericht 2016, S. 53 ff. 59 1.6 Gewaltbefürwortende Islamisten Gewaltbefürwortende islamistische Gruppen kennzeichnet, dass sie selbst keine Gewalt ausüben, die Gewalt anderer Gruppierungen jedoch propagandistisch einsetzen oder im Sinne ihrer Interessen legitimieren. Zu dieser Form des Islamismus wird in Deutschland die 2003 verbotene "Hizb ut-Tahrir" gezählt. 1.6.1 Hizb ut-Tahrir "Hizb ut-Tahrir" (HuT, "Partei der Befreiung") Gründung: 1953 Mitglieder: Berlin: 35 (2016: 35) Die "Hizb ut-Tahrir" wurde 1953 in Jordanien von Taqi ad-Din anNabahani (1909-1977) gegründet. Sie strebt nach der Überwindung nationalstaatlicher Strukturen, der Vernichtung des Staates Israel, der Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen sowie nach der Einführung der Scharia als sozialem Ordnungsprinzip. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Errichtung eines globalen Kalifats. Da die HuT in vielen Ländern verboten ist und ihre Anhänger verfolgt werden, agiert die Partei meist im Untergrund. Derzeitiger Vorsitzender der HuT ist der Jordanier Ata Abu al-Rashta, der im Libanon vermutet wird. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern gegen die HuT ein Betätigungsverbot, das vom Bundesverwaltungsgericht 2006 bestätigt wurde. Eine Klage gegen das Verbot vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheiterte 2012 ebenfalls. 60 Islamismus In Deutschland trat die HuT vor allem mit der Verteilung von Flugblättern und Zeitschriften in Erscheinung, die sich durch aggressive antisemitische Hetze auszeichneten. Seit ihrem Verbot tritt die HuT in Deutschland nicht mehr offen auf und beschränkt sich auf Treffen in Privatwohnungen sowie geschlossene Veranstaltungen. Daneben verbreitet sie ihre Ideologie über Webseiten im Ausland auch gezielt in Richtung deutschsprachiger Adressaten und beteiligt sich an gesellschaftlichen Debatten in sozialen Medien. In diesem Kontext propagiert die HuT ihre ablehnende Haltung gegenüber einer säkular-liberalen Gesellschaft und betont die Unvereinbarkeit von Islam und westlichen Werten, die die islamische Identität bedrohten. Soweit sich HuT-Anhänger zu erkennen geben, lehnen sie eine politische Partizipation in nicht-islamischen Staaten ab und plädieren für eine Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft. Aufgrund ihres oft aggressiven Auftretens und ihres sektenähnlichen Habitus sind die Mitglieder der HuT selbst innerhalb des islamistischen Lagers isoliert. In den letzten Jahren konnte auch in Berlin beobachtet werden, dass die HuT versucht, neue Unterstützer aus der jüngeren Anhängerschaft des salafistischen Spektrums zu gewinnen. 1.7 Legalistischer Islamismus In der Agenda legalistischer Islamisten spielt Gewalt keine Rolle. Zur Durchsetzung ihrer islamistischen Vorstellungen, die sie im Regelfall vor der Öffentlichkeit verbergen, bemühen sie sich, alle rechtlich gebotenen Chancen zu nutzen. Dabei sind sie bemüht, als vermeintliche Interessenvertreter der gesamten muslimischen Community aufzutreten. Innerhalb dieser Gemeinde machen sie verstärkt Werbung für eigene politische Interessen, um diese auf legalem Weg ("durch die Institutionen"), geschützt durch die Religionsfreiheit, durchzusetzen. 61 Die Form der Demokratiegefährdung, die von legalistischen Islamisten ausgeht, beruht insbesondere auf dem Aufbau von organisatorischen Strukturen im Rahmen der ihnen rechtlich gebotenen Möglichkeiten. Diese Strukturen dienen ihnen als Mittel, die Deutungshoheit über den gelebten Islam in Deutschland zu erlangen und dabei in Teilen islamistische Positionen als Formen eines vermeintlich nur konservativ ausgelegten Islam in der muslimischen Community durchzusetzen und zu verankern. Damit bestimmen sie zugleich öffentliche Debatten zur Integration und zum interreligiösen Dialog. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird derart nicht vorbehaltslos mitgetragen, sondern eine eher opportunistische Position zum deutschen Recht eingenommen. Organisationen des legalistischen Islamismus sind oft karitativ tätig, sei es durch Bildungsangebote oder soziale Projekte. Hinzu tritt eine angestrebte Nähe zu öffentlichen Institutionen, mit denen Kooperationen und Partnerschaften eingegangen werden. Dennoch werden von legalistischen Islamisten Positionen vertreten, so z.B. in Bezug auf das Staatsmodell oder die Gleichheit der Geschlechter, die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Zu den legalistischen Islamisten in Deutschland zählen die "Muslimbruderschaft" und die türkische "Milli Görüs"Bewegung. 62 Islamismus 1.7.1 Muslimbruderschaft "Muslimbruderschaft" (MB) / "Islamische Gemeinschaft in Deutschland" (IGD e.V.) Gründung: 1928 Ägypten (MB) 1960 Deutschland (IGD) Mitglieder: Berlin: 120 (2016: 120) Die von Hassan al-Banna 1928 in Ägypten gegründete "Muslimbruderschaft" (MB) ist die älteste arabische islamistische Gruppierung. Die pan-islamistische MB ist heute, teils unter anderen Namen, in vielen Ländern des Nahen Ostens vertreten, die dort sehr verschiedene Entwicklungen durchlaufen haben. Die ägyptische MB agierte von den 1940er bis zu den 1960er Jahren phasenweise auch militant. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt sie seit der Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 1970er Jahren. Die MB definiert den Islam als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sei und erhebt Koran und Sunna zur Richtschnur des politischen Handelns. Hieraus leitet sie ihre Forderung nach einer umfassenden Anwendung der Scharia und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die MB jedoch ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines "zivilen Staates mit islamischem Referenzrahmen" bzw. einer "islamischen Demokratie" reicht. Die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland ist die 1960 gegründete IGD, die Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen hat. 63 In einer abgestimmten Aktion brachen Saudi-Arabien, Ägypten, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain am 5. Juni ihre diplomatischen Beziehungen zu Katar ab und verhängten eine wirtschaftliche Blockade. Sie warfen dem Emirat vor, es unterstütze Terrororganisationen. Zu diesem wurde auch, laut offizieller Begründung, die "Muslimbruderschaft" 29 gezählt neben dem so genannten "Islamischen Staat" sowie iranischen Milizen. Die Ursachen der Krise sind dabei vielfältig und beruhen nur vordergründig auf den guten Beziehungen Katars zum Iran. Präsenz der IGD in Berlin Die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) als Vertretung der MB in Deutschland hat seit dem Sommer ihre Postanschrift in Berlin. Der Hauptsitz der IGD befindet sich unverändert in Köln. 1.7.2 Milli Görüs-Bewegung "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) Mitglieder: Berlin: 500 (2016: ca. 500) Die Ideologie der "Milli Görüs"-Bewegung beruht auf den politischen Konzepten von Necmettin Erbakan, die er mit den Begriffen "Milli Görüs" (Nationale Sicht) und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung) charakterisierte. Erbakan wollte die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus vereinen. Dazu sollte 29 Die Einstufung einer Organisation als "Terrororganisation" erfolgt nach nationalen Kriterien. Die "Muslimbruderschaft" wird in Deutschland nicht als Terrororganisation gelistet. 64 Islamismus die bestehende "nichtige" bzw. "falsche Ordnung" ("batil düzen") überwunden und durch eine "gerechte Ordnung" - mit globalen Anspruch - ersetzt werden, die sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. Erbakan lehnte wesentliche demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der "gerechten Ordnung" ab. Er propagierte die Überwindung des Laizismus, die Schaffung einer "neuen, großen Türkei" sowie die Errichtung einer "gerechten Wirtschaftsordnung" auf autoritär-korporatistischer Basis. In diesem Zusammenhang vertrat er auch offen antisemitische Stereotype. Auch nach Erbakans Tod 2011 wird das abgestrebte Gesellschaftsmodell von der "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) propagiert. In der politischen Landschaft der Türkei ist die "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) seit Jahrzehnten durch mehrere islamistische Parteien vertreten, die zum größten Teil von Erbakan gegründet und geführt wurden. Diese sicherten Erbakan von 1996 bis 1997 das Amt des Ministerpräsidenten, bevor ihn das Militär zum Rücktritt drängte. Trotz mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen gelang es Erbakan, seine Position als Führer der "Milli Görüs"-Bewegung zu behaupten und eine Spaltung seiner Anhängerschaft zu verhindern. Erst nach dem Verbot der "Fazilet Partisi" (Partei der Tugend, FP) im Jahr 2000 kam es zu einer Spaltung der "Milli Görüs"-Bewegung. Das Lager der Erneuerer löste sich unter der Führung des jetzigen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan sowohl organisatorisch als auch ideologisch von Erbakan und ging in der "Adalet ve Kalkinma Partisi" (Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung, AKP) auf. Die "Traditionalisten", die sich bis heute zur "Milli Görüs"Ideologie und deren Begründer Erbakan bekennen, gründeten im Juli 2001 65 unter der Führung des ehemaligen FP-Vorsitzenden Recai Kutan die "Saadet Partisi" (Partei der Glückseligkeit, SP). Der "Milli Görüs"-Bewegung werden in Deutschland mehrere Organisationen zugerechnet, insbesondere Teile der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) und die Tageszeitung "Milli Gazete" als propagandistisches Sprachrohr. Auch in Berlin sind darüber hinaus Aktivitäten des "Saadet Deutschland Regionalverein Berlin e.V." und der "Erbakan Stiftung" feststellbar. Saadet Deutschland Regionalverein Berlin e.V. Die offizielle Gründungsveranstaltung der "Deutschlandvertretung der Saadet Deutschland" fand am 27. Dezember 2013 in Köln statt. Am 19. Mai 2016 wurde der "Saadet Deutschland Regionalverein Berlin e.V." gegründet. Der SP Regionalverband Berlin hat umfangreiche Strukturen in Berlin aufgebaut, zu denen auch Facebook-Präsenzen einer Jugendgruppe ("Genc Kollari Berlin") und einer Frauengruppe ("Kadin Kollari Berlin") zählen. Erbakan-Stiftung 2013 wurde die "Erbakan-Stiftung" in der Türkei gegründet. Treibende Kraft war der Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. Ihm zufolge verfolge die Stiftung das Ziel, die Ideen seines Vaters wiederzubeleben und die "Milli Görüs"-Bewegung wieder enger auf diese Ideen zu verpflichten. Unter seiner Leitung wurde 2015 die "Europavertretung der Erbakan-Stiftung" in Solingen gegründet. Seit Januar 2015 gibt es ein Facebook-Profil der "Erbakan-Stiftung Berlin". Bisher informiert die Seite über Veranstaltungen von Fatih Erbakan im Bundesgebiet und in der Türkei und zeigt ältere Videos und Zitate von dessen Vater, dem 2011 verstorbenen Necmettin Erbakan. Bei den von der "Erbakan-Stiftung" durchgeführten Veranstaltungen handelt es sich größtenteils 66 Islamismus um Zusammenkünfte zu Ehren des Begründers der "Milli Görüs"-Bewegung. Sie belegen die Anbindung der "Saadet Partisi" und der "Erbakan-Stiftung" in Berlin an Erbakan und die von ihm geprägte "Milli Görüs"-Ideologie. Zentral sind die Glorifizierung Erbakans und der Versuch, die "Milli Görüs"-Weltsicht in Deutschland zu verbreiten. Am 26. Februar wurde in Berlin eine Gedenkveranstaltung für Necmettin Erbakan durchgeführt. Diese Gedenkveranstaltung wurde von der "Saadet Partisi Berlin" durchgeführt, an der auch die "Erbakan-Stiftung" teilnahm. Während der Veranstaltung waren Flyer und Flaggen von der "Saadet Partisi" sowie von der "Erbakan-Stiftung" zu sehen. 67 68 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 69 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 2.1 Ideologie Ideologien extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen Im Gegensatz zu den Beobachtungsfeldern Rechtsoder Linksextremismus sowie Islamismus verfügen extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen nicht über eine einheitliche ideologische Ausrichtung mit verschiedenen Ausprägungen. Es lassen sich vielmehr gegensätzliche Ideologien unterscheiden: * Linksextremisten: Diese folgen weitgehend der Ideologie des Marxismus-Leninismus und streben meist mit Gewalt die Etablierung eines sozialistischen bzw. kommunistischen Systems in ihren Heimatländern an. * Extreme Nationalisten: Nationalistische Ausländerorganisationen kennzeichnet ein auf ethnische, kulturelle und politisch-territoriale Unterschiede gegründeter Überlegenheitsanspruch der eigenen Nation sowie die Negierung der Rechte anderer Ethnien. In den meisten Fällen werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. 70 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten und die Durchsetzung ihrer Weltanschauung in Deutschland anstreben. Als extremistisch werden auch ausländische Organisationen eingestuft, die eine gewaltsame Veränderung der politischen Verhältnisse in den Heimatländern anstreben. Sie gefährden durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland. Ausländische Personenzusammenschlüsse werden schließlich als extremistisch bewertet, wenn ihre Tätigkeit gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 21 Abs. 1 GG) gerichtet ist. Organisationen, die sich gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten, bedeuten eine erhebliche Gefahr für die innere Sicherheit. Sie bilden den Nährboden für extremistische Auffassungen und schüren Hass, der auch zu terroristischer Gewalt führen kann. Bei nicht-islamistischen ausländerextremistischen Organisationen lassen sich linksextremistische und nationalistisch orientierte Gruppen unterscheiden. Meist werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. 2.2 Personenpotenzial Das Personenpotenzial linksextremistischer ausländischer Organisationen ist in den letzten Jahren leicht gesunken. Die in der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) organisierten kurdischen Linksextremisten stellen hier weiterhin das einzige zahlenmäßig relevante Personenpotenzial, das sich 2017 unverändert auf 1 100 Personen beläuft (2016: 1 100). Der in der Türkei terroristisch aktiven "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) werden in Berlin 40 Personen zugerechnet. Unter den sonstigen linksextremistischen ausländischen Organisationen dominieren türkische Zusammenschlüsse. 71 Im Bereich der extremistisch-nationalistischen Organisationen ist in Berlin das Personenpotenzial gleichgeblieben, das von der türkischen "Ülkücü-Bewegung" bestimmt wird. Ihr werden aktuell etwa 400 Personen zugerechnet (2016: 400). Personenpotenzial extremistischer ausländischer Organisationen in Berlin* Berlin 2016 2017 Linksextremisten, davon: 1 310 1 340 PKK 1 100 1 100 DHKP-C --40 Sonstige 210 200 Extreme Nationalisten, davon: 400 400 Ülkücü-Bewegung 400 400 Gesamt 1 710 1 740 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Gründung: 1978 Mitglieder: Berlin: 1 100 (2016: 1 100) Die 1978 gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) kämpft seit 1984 für einen unabhängigen kurdi72 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen schen Nationalstaat im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien. Die Gründe für die Entstehung der PKK lagen auch im nationalen Selbstverständnis der Türkei, das eine Anerkennung kurdischer Interessen verweigerte. Nach der Festnahme ihres Führers Abdullah Öcalan 1999 änderte die Partei ihre strategische Ausrichtung: Öcalan verkündete einen "einseitigen Waffenstillstand". Die PKK beschränkte sich seither auf Forderungen nach autonomer Selbstverwaltung der mehrheitlich kurdischen Gebiete innerhalb der Türkei. Die Partei ist eine hierarchisch organisierte Kaderpartei mit einer strikten Parteidisziplin, einem ausgeprägten Märtyrerkult sowie einem extremen Personenkult um ihren Führer Öcalan. Sie unterhält zahlreiche Unterorganisationen. Die PKK ist auf der europäischen Liste der terroristischen Organisationen verzeichnet und in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt. Die PKK in der Türkei Nach dem Strategiewechsel der PKK machte die türkische Regierung Zugeständnisse zur Beilegung des Konflikts, indem kurdische Minderheitenrechte anerkannt wurden. 2004 kündigte der bewaffnete Arm der PKK den von Öcalan erklärten "einseitigen Waffenstillstand" auf. Die Kämpfe und Terroranschläge wurden in wechselnder Intensität fortgesetzt, bis 2012 der Friedensprozess wieder aufgenommen wurde. Ein Anschlag in der türkischen Stadt Suruc im Juli 2015 führte zum Abbruch der Verhandlungen und zu einer Welle der Gewalt. 73 Erlass des Bundesministeriums des Innern - Aktualisierung von Verboten Das Bundesministerium des Innern (BMI) aktualisierte das Verbot von Symbolen und Fahnen der PKK und ihrer Teilorganisationen. Verboten sind demnach u.a. Symbole der PKK-Jugendorganisation "Ciwanen Azad" und der Studentenorganisation (YXK), aber auch der PKK-Parteiableger PYD und YPG/YPJ. Außerdem heißt es in dem Erlass, dass die PKK inzwischen zunehmend auch auf Symbole ausweiche, die "für sich genommen zunächst keinen unmittelbaren Vereinsbezug aufweisen, namentlich gilt dies für eine Fahne auf gelbem und grün-gelbem Grund mit dem Abbild des PKK-Anführers Abdullah Öcalan. Öcalan ist der Gründer und Führer der Organisation. [...] Die Fahnen mit dem Bild Öcalans stehen inzwischen nicht nur gleichgewichtig neben der angestammten PKK-Symbolik, sie haben vielmehr gerade innerhalb von Versammlungen einen erheblichen Emotionalisierungseffekt und sind damit in besonderer Weise geeignet, den in Deutschland verbotenen Zusammenhalt der PKK zu fördern und nach außen hin unübersehbar zu demonstrieren." Seitdem kam es in Deutschland immer wieder zu Protesten, nicht nur kurz nach Veröffentlichung des Erlasses. Selbst im Zusammenhang mit dem G20Gipfel im Juli in Hamburg wurde das "Fahnenverbot" aufgegriffen und Transparente mit dem Aufdruck "Wir lassen uns unsere Farben nicht verbieten!" gezeigt. PKK-Anhängern gilt der Erlass des BMI als Versuch, die kurdische Identität zu negieren und der türkischen Regierung einen Gefallen zu tun. Als Folge einer zunehmenden Emotionalisierung, die nur wenig Anlass braucht um zu eskalieren, sind die Ereignisse bei einer Demonstration am 17. Juni in Berlin zu sehen. Rund 1 000 Teilnehmer aus Berlin und dem Bundesgebiet nahmen an dieser zunächst friedlich verlaufenden Demonstration teil. Als die Polizei versuchte das Zeigen verbotener Fahnen und Symbole zu unterbinden, kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen. 74 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen In der November-Ausgabe der "Sterka Ciwan"30 heißt es zum "Fahnenverbot": "Der deutsche Staat fürchtet sich heute mehr denn je vor einer Alternative. Aus diesem Grund verbieten sie alle Symbole die an die Ideologie von Reber APO31 ["Führer Apo"] erinnern. Sei es legale Studentenorganisationen oder angemeldete Vereine. Doch wir als Jugendbewegung richten uns nicht nach Legalität, sondern nach Legitimität. [...] werden wir durch Verbote keinen Schritt zurückweichen. Ob es legal oder illegal - werden wir die Ideologie von Reber APO ausleben, verbreiten, seine Symbole tragen und wenn es sein muss für die Revolution in Kurdistan in den Kampf ziehen." 32 PKK-Anhänger starten "langen Marsch" zum Jahrestag der Festnahme Öcalans Anhänger der PKK erinnern jährlich Mitte Februar mit einer Großdemonstration in Straßburg (Frankreich) an den Jahrestag der Festnahme ihres Parteigründers Öcalan. Öcalan war am 15. Februar 1999 in Kenia vom türkischen Geheimdienst aufgegriffen und in die Türkei verbracht worden, wo er seitdem auf der Gefängnisinsel Imrali eine lebenslange Haftstrafe verbüßt. In diesem Jahr fand die Kundgebung am 11. Februar statt. An der überwiegend friedlich verlaufenen Großveranstaltung nahmen, wie schon in den Vorjahren, jeweils etwa 10 000 Personen teil, davon ein Großteil aus Deutschland, darunter auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Berlin. 30 PKK-Zeitschrift der Jugend; kurdisch für "Stern der Jugend". 31 "Apo" ist der Kurzname des PKK-Führers Abdullah Öcalan. 32 Sterka Ciwan, "Die Revolution erfordert Radikalität", S. 43 ff. 75 Die PKK in Deutschland und Europa Nach zahlreichen Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen in Deutschland 1992 und 1993 und der Geiselnahme von 20 Personen im türkischen Generalkonsulat in München erfolgte am 22. November 1993 ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot der PKK in Deutschland, das sich auch auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. Da die PKK einen Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden erhebt, schuf sie bereits in den 1990er Jahren "Massenorganisationen" für Angehörige einzelner Interessen-, Berufsoder Religionsgruppen, um auf diese Weise ihren Einfluss auf alle wichtigen Bereiche kurdischer Aktivitäten in Deutschland zu gewinnen. Hierzu zählen u.a. der Jugendverband "Komalen Civan", die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (TJKE), der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK), die "Union kurdischer Familien" (YEK-MAL) sowie die "Islamische Gemeinschaft Kurdistans" (CIK). Die Anhänger in Deutschland sind nicht nur in den genannten "Massenorganisationen", sondern vor allem in örtlichen Vereinen aktiv. Deren Dachverband, die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM), wurde anlässlich der Neustrukturierung im Juni 2014 in das "Zentrum der demokratischen Gesellschaft der Kurden in Deutschland e.V." (NAV-DEM) umbenannt. Auch der umbenannte Verband unterliegt der Weisung des politischen Arms der PKK in Europa. 76 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen Wie bereits in den beiden Vorjahren fanden im Vorfeld der Kundgebung vom 1. bis 11. Februar mehrere regionale "lange Märsche" statt, so auch in Berlin. Dieser führte vom 1. bis 3. Februar von Potsdam nach Berlin. Diese bundesweit durchgeführten Aktionen verliefen überwiegend störungsfrei. Jedoch hatte ein während des Berliner Marsches abgespieltes Lied in kurdischer Sprache den Refrain "Hoch lebe Kurdistan, hoch lebe die PKK". Dies führte zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach dem Vereinsgesetz. Sorge um den Gesundheitszustand Öcalans Auf PKK-nahen Seiten in sozialen Netzwerken wurden Aussagen der KCK33 verbreitet, wonach man eingestand, dass es sich bei den Gerüchten um den Gesundheitszustand Öcalans um lancierte Nachrichten des türkischen Nachrichtendienstes handeln würde. Dennoch sei man um seine Gesundheit besorgt. Öcalan sei seit April 2015 in Isolationshaft, zuletzt habe sein Bruder ihn im September 2016 kurz besuchen dürfen. 33 KCK: Abkürzung für "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans". 77 "Die Zeit ist gekommen die Isolation zu brechen und die Mauern Imralis zum Einsturz zu bringen! Wir werden nicht schweigend und tatenlos zusehen, wenn das Leben unseres Repräsentanten Abdullah Öcalan in Gefahr ist. Die Kräfte des internationalen Komplotts, der faschistische türkische Staat und all jene, die ihnen freie Hand gelassen haben, werden die Verantwortung zu tragen haben, sollte ihm etwas zustoßen." 34 Kurze Zeit nach Bekanntwerden dieser Gerüchte fanden Spontandemonstrationen statt, so auch am 15. Oktober auf dem Alexanderplatz mit 200 Personen. Für den 16. Oktober riefen die PKK-nahen Vereine "Frauenrat Dest-Dan" sowie NAV-DEM Berlin in sozialen Netzwerken nahestehender Organisationen zur Teilnahme auf: "Wir sind besorgt um den Gesundheitszustand und um die Sicherheit des Führers des kurdischen Volkes Abdullah Öcalan. Wir werden die Aktionen so lange fortführen, bis wir eine Nachricht [ein Lebenszeichen] erhalten." Seitdem fanden in Berlin im Oktober nahezu täglich Aktionen statt, die sich auf den ersten Blick lediglich mit dem Gesundheitszustand Öcalans sowie der Forderung nach Freiheit für ihn beschäftigen. Gleichzeitig gab es auch immer wieder Verstöße gegen das Vereinsgesetz. So wurden z.B. während der Demonstration am 16. Oktober in Berlin "PKK" und "Serok Apo"-Rufe ("Führer Apo") skandiert. Öcalan wird seitens der Demonstrationsteilnehmer eben nicht, wie es nach außen hin propagiert wird, nur als "der Häftling" Abdullah Öcalan betrachtet, sondern steht sinnbildlich für die PKK. Eutelsat beendet Übertragung PKK-naher Fernsehsender Der französische Satellitenbetreiber Eutelsat soll auf Betreiben der türkischen Regierung entschieden haben, die Übertragung der PKK-nahen Fernsehsen34 Beitrag auf einer PKK-nahen Internetseite: "Die Totalisolation Abdullah Öcalans brechen!". 78 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen der "Ronahi TV" und "Sterk TV" sowie des kurdischen News Channel einzustellen. Diese Entscheidung wurde von PKK-nahen Medien und Organisationen scharf kritisiert und führte zu Protestveranstaltungen in Europa, so auch am 3. Mai in Berlin vor dem ARD-Hauptstadtstudio unter dem Motto "Aktion für die Presseund Meinungsfreiheit in der Türkei". Der 3. Mai ist der "Internationale Tag der Pressefreiheit." Exekutivmaßnahmen gegen Funktionäre der PKK Die deutschen Behörden gehen gegen Funktionäre der PKK vor. Allein im Berichtsjahr wurden einige PKK-Gebietsleiter mit Bezug nach Berlin inhaftiert bzw. verurteilt. Am 13. Februar wurde Cem A. vom Kammergericht Berlin wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Er war als Teilgebietsleiter der PKK in Berlin von Dezember 2013 bis April 2016 tätig. Am 17. März verurteilte das Kammergericht Berlin den im Vorjahr in Bremen festgenommenen PKK-Führungsfunktionär Ali H. D. wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu zwei Jahren und vier Monaten Haft. Er war Gebietsleiter der PKK in Berlin von Juli 2014 bis Juli 2015. Die Verteidigung kündigte Revision gegen das Urteil an. Das Oberlandesgericht Hamburg verurteilte den PKK-Funktionär Zeki E. ("Siyar") am 21. Juli wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung zu zwei Jahren und neun Monaten Haft. Er war von März 2013 bis Ende August 2014 Gebietsleiter in Darmstadt und Berlin. Am 18. Juli wurde der mutmaßliche PKK-Funktionär Zahir A. in Berlin festgenommen. Er wird beschuldigt, von März 2014 bis Ende Juni 2015 Gebietsleiter in Salzgitter gewesen zu sein. 79 Verbot der PKK-Jahresfeier in Berlin In Berlin wurde die geplante Saalveranstaltung zum 39. Jahrestag der PKK am 3. Dezember verboten. Öffentlich beworben wurde die Veranstaltung zwar als "Solidaritätsabend für die Bevölkerung in Afrin". In der Verbotsbegründung heißt es jedoch, dass es sich bei der geplanten Veranstaltung "nicht nur um eine bloße Musikveranstaltung mit ausschließlich kulturellen Darbietungen handelt, sondern um eine Betätigung zum Zwecke der Förderung bzw. Billigung der politischen Ziele der verbotenen PKK". Ähnlich wie im Vorjahr wurde die diesjährige Veranstaltung als eine Benefizveranstaltung angekündigt, um augenscheinlich einem Verbot vorzubeugen. Allerdings war schon aufgrund der Gestaltung der verkauften (und als Spende deklarierten) Eintrittskarten der PKK-Bezug zu erkennen. Dass die Karten ein Bild Öcalans als Zentralfigur der PKK zeigten, wäre nach dem Erlass des BMI vom 2. März vermutlich noch keine Erfüllung des Verbotstatbestandes. In Kombination mit den ebenfalls abgelichteten "Märtyrern", die seitens der PKK-Anhänger verehrt werden, da sie in Haft Selbstmord begangen, sich zu Tode gefastet haben oder bei Kampfhandlungen gefallen sind, steht Öcalan hier als Synonym für die PKK. Im Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin heißt es hierzu: "Insgesamt spricht mit der gebotenen hohen Wahrscheinlichkeit [...] alles dafür, dass es sich bei der Veranstaltung [...] nur vordergründig um eine kulturelle Musikund Solidaritätsveranstaltung mit der Bevölkerung in Afrin handelt, tatsächlich aber um eine getarnte PKK-Unterstützungsveranstaltung." 35 Für den 3. Dezember wurde daraufhin eine Protestkundgebung angemeldet. Die PKK-nahe Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) veröffentlichte hierzu am 4. Dezember einen Artikel, wonach "gegen das willkürliche Verbot einer Solidaritätsveranstaltung für Efrin protestiert" wurde: 35 VG Berlin VG 1 L 673.17. 80 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen "Zu der Aktion hatten NAV-DEM und der Frauenrat DEST-DAN aufgerufen. [...] Antifaschistische Gruppen forderten auf der Kundgebung die Aufhebung des PKK-Verbots und kritisierten das Verbot kurdischer Symbole. Gleichzeitig wurde mit Feuerwerkskörpern das Jubiläum der PKK-Gründung gefeiert und auf den Hausdächern Fahnen der PKK, YPG und YPJ geschwenkt." 2.4 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) Gründung: 1994 Mitglieder: Berlin: 40 Die DHKP-C entstand aus der 1978 in der Türkei gegründeten Organisation "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke"), die 1983 in Deutschland verboten wurde. Sie ist in der Türkei terroristisch aktiv und strebt nach einer klassenlosen Gesellschaft auf der Grundlage der marxistisch-leninistischen Ideologie. Seit 2002 ist sie auf der EU-Liste terroristischer Organisationen verzeichnet. Zum Aktionsspektrum der DHKP-C in der Türkei gehören Anschläge auf türkische, aber auch auf amerikanische Einrichtungen. In Deutschland ist sie seit 1998 nicht mit gewalttätigen Aktionen in Erscheinung getreten. Hier zählen vor allem Demonstrationen, Gedenken an "Märtyrer" und Hungerstreiks zu den bevorzugten Aktionsformen. Positionen der DHKP-C vertreten ihr nahestehende Organisationen wie die "Anatolische Föderation e.V." ("Anadolu Federasyonu"). 81 Im Dezember 2016 gelang in Hamburg die Festnahme eines Mannes, der im Verdacht steht, Europaleiter der DHKP-C zu sein. Im Rahmen der Aktion "Langer Marsch - Freiheit für Musa Asoglu" der "Anatolischen Föderation" kam es auch in Berlin zu Demonstrationen von DHKP-C-Anhängern. So fanden am 17. Februar und 3. März nahe dem Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz Kundgebungen mit nicht mehr als 15 Teilnehmern statt. Zu der Abschlusskundgebung des "langen Marsches" am 17. März auf dem Pariser Platz wurden 20 Teilnehmer angemeldet. Ab Mai 2017 erklärten DHKP-C-Anhänger auf mehreren Kundgebungen und Demonstrationen ihre Solidarität mit hungerstreikenden Akademikern in der Türkei. Am 13. Mai führten sie einen Sitzstreik vor einem türkischen Supermarkt am Kottbusser Tor und am Tag darauf einen eintägigen Hungerstreik vor dem Brandenburger Tor durch. Auch mit Protesten vor der türkischen Botschaft am 26. Juni und Aktionen am 19. und 20. Juli am Kottbusser Tor, sowie am 29. und 30. Juli am Heinrichplatz machten sie auf die Situation der Hungerstreikenden aufmerksam. 82 3 Rechtsextremismus 83 3 Rechtsextremismus 3.1 Ideologie 3.1.1 Traditioneller Rechtsextremismus Traditioneller Rechtsextremismus Mit der Bezeichnung traditioneller Rechtsextremismus verbindet sich keine geschlossene politische Ideologie. Der Begriff umschreibt vielmehr eine vielschichtige politische und soziale Gedankenwelt, die sich in ihrer Gesamtheit auf die Beseitigung oder nachhaltige Beeinträchtigung demokratischer Rechte, Strukturen und Prozesse richtet. Folgende Inhalte finden sich dabei in allen traditionellen rechtsextremistischen Strömungen. * Ablehnung des Gleichheitsprinzips * Überbewertung ethnischer Zugehörigkeit * Antipluralismus * Autoritarismus Im Kern handelt es sich beim traditionellen Rechtsextremismus - in all seinen Facetten - um eine autoritäre Ideologie der Ungleichheit. Kriterien für diese Ungleichheit, mit der Rechtsextremisten eine Ungleichwertigkeit verbinden, können u.a. die Ethnie, Kultur, Äußerlichkeiten oder politische Einstellungen sein. Hieraus resultiert auch die Legitimation von Gewalt, die dem traditionellen Rechtsextremismus immanent ist und sich gegen als "minderwertig" definierte "Fremde" richtet. 84 Rechtsextremismus Es gibt keine einheitliche Definition des Rechtsextremismus-Begriffs. In der Öffentlichkeit werden Rechtsextremisten nicht selten synonym als "Rechtsradikale" oder "Neonazis" bezeichnet. Die Begriffsvielfalt dokumentiert nicht nur eine definitorische Unschärfe, sie spiegelt zugleich auch die Heterogenität einer Szene wider, die verschiedene ideologische, strategische und organisatorische Konzepte verwendet. Hinter dem Begriff Rechtsextremismus verbergen sich verschiedene Einstellungen und Aktivitätsschwerpunkte. Allerdings eint ein ideologischer gemeinsamer Nenner alle Rechtsextremisten, der sich in unterschiedlicher Ausprägung und Intensität innerhalb der verschiedenen rechtsextremistischen Strömungen wiederfindet: Rechtsextremisten lehnen das Gleichheitsprinzip ab. Sie rechtfertigen mit einer verschiedenartigen Wertigkeit der Menschen politische, soziale und gesellschaftliche Diskriminierung bestimmter Personen und Gruppen. Diese Ungleichheit wird mit ethnischen, kulturellen, geistigen, körperlichen oder politischen Aspekten begründet. Im Ergebnis werden einzelnen als "fremd" definierten Personen oder Gruppen weniger Rechte zugestanden. Der Überbewertung der eigenen Ethnie fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Rechtsextremisten erheben die eigene Nation oder "Rasse" - zu der ein Mensch "naturgegeben" und damit ausschließlich durch seine biologische Abstammung gehört - zum obersten Kriterium der Identität. Damit einher gehen Rassismus und ein übersteigerter Nationalismus, auf deren Grundlage die eigene Nation oder "Rasse" überhöht und als überlegen definiert wird.36 Rechtsextremisten fordern einen ethnisch homogenen "Volkskörper" und propagieren eine "Volksgemeinschaft". In dieser Gemeinschaft sind individuelle Interessen und Meinungspluralismus dem völkischen Gedanken untergeordnet. Beides wird unter Rechtsextremisten als "schädlich" und die Gemeinschaft "zersetzend" bewertet. Dieser Antipluralismus trifft auch den Rechtsstaat, die 36 Neue rechtsextremistische Ideologieansätze argumentieren anstatt mit Begriffen wie Nation oder "Rasse" mit der "Höherwertigkeit" der eigenen Kultur. 85 politische Opposition oder den Parlamentarismus, die von Rechtsextremisten abgelehnt, delegitimiert und bekämpft werden. 3.1.2 Muslimenfeindlichkeit Muslimenfeindlichkeit Muslimenfeindlichkeit ist die extremistische Ausprägung der Islamkritik. In der Muslimenfeindlichkeit werden "rigoros ablehnende Auffassungen zum Islam" verbreitet.37 Muslimenfeinde lehnen den Islam als Religion und die Zuwanderung von Menschen aus den islamisch geprägten Kulturkreisen ab. Im muslimenfeindlichen Spektrum werden Muslime pauschal als Angehörige einer archaischen Religion mit Neigung zu gewaltsamer Missionierung bis hin zum Terrorismus diffamiert. Regelmäßig wird dort nicht zwischen Islam, Islamismus und islamistischem Terrorismus differenziert, vielmehr wird unterstellt, dass Gewalt und Terror gegen Nicht-Muslime von Muslimen gutgeheißen würden. Gruppen des muslimenfeindlichen Spektrums wollen das Recht auf freie Religionsausübung für Muslime einschränken bzw. teilweise - z.B. mit der Forderung nach einem Verbot des Baus von Moscheen - ganz versagen und verstoßen damit gegen Art. 4 Abs. 2 des Grundgesetzes, in dem der ungestörten Religionsausübung Verfassungsrang eingeräumt wird. 37 Pfahl-Traughber, Armin: Islamfeindlichkeit, Islamophobie - ein Wegweiser durch den Begriffsdschungel. 2014. Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung, Aufruf am 27.11.2016. 86 Rechtsextremismus Im Bereich des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus wird die Religion des Islam insgesamt zur politischen Ideologie erklärt, die totalitäre Züge trage. Die meisten Akteure im muslimenfeindlichen Bereich agieren auch ablehnend gegenüber anderen Zuwanderinnen und Zuwanderern (z.B. Menschen aus Afrika oder Sinti und Roma), deren kultureller Hintergrund ihre Integration in die Gesellschaft pauschal ausschließen würde. Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal zwischen traditionellem Rechtsextremismus und der Muslimenfeindlichkeit besteht darin, dass Muslimenfeinde ihre Argumente nicht in klassische rechtsextremistische Ideologien einbetten. In ihrer öffentlichen Argumentation fehlen Aspekte wie biologischer Rassismus, Antisemitismus, Autoritarismus oder Geschichtsrevisionismus. Sie überbetonen stattdessen die Bedeutung identitätsstiftender kultureller und gesellschaftlicher Unterschiede, etwa mit Verweis auf die Errungenschaften und Werte einer christlich-abendländischen Kultur, die mit einem vom Islam geprägtem religiösen Weltbild und damit verbundenen Traditionen und Moralvorstellungen unvereinbar seien. Dieses Konzept des "Ethnopluralismus" ist das moderne Pendant zum Rassismus der traditionellen Rechtsextremisten. Der Ansatz argumentiert nicht biologistisch. Er konstruiert vielmehr das vermeintlich "Fremde" anhand von Merkmalen wie Kultur oder Religion und zieht daraus in der Konsequenz die Notwendigkeit einer Trennung von Ethnien und Religionsgemeinschaften. Die sich daraus ergebende Unterscheidung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Religionszugehörigkeit oder kulturellen Wurzeln ist ein klassisches Merkmal rechtsextremistischer Ideologie. Teilweise vertreten Muslimenfeinde oder muslimenfeindliche Rechtsextremisten philosemitische und pro-israelische Positionen und grenzen sich damit bewusst vom traditionellen und in weiten Teilen stark antisemitischen Rechtsextremismus ab. Muslimenfeinde glauben, mit Juden oder Israelis das Bild von einem weltumspannenden feindlichen Islam zu teilen. 87 Der Begriff "Muslimenfeindlichkeit" stellt im Gegensatz zum Begriff der Islamfeindlichkeit auf die Menschen als Grundrechtsträger ab und thematisiert die Feindseligkeit gegenüber und die damit verbundene Benachteiligung sowie Herabwürdigung von Muslimen. Er ist damit im Sinne des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung konkreter als der Begriff der Islamfeindlichkeit, der über verfassungsschutzrechtliche Aspekte hinaus auch Fragen zur allgemeinen Religionskritik umfasst und daher nicht zur trennscharfen Abgrenzung geeignet scheint. 3.2 Personenpotenziale und Straftaten Personenpotenzial Rechtsextremismus in Berlin* Berlin 2017 Parteien, davon: 305 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 230 "Der III. Weg" 20 "DIE RECHTE" EP Bürgerbewegung Pro Deutschland 55 parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen 370 weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 855 Mehrfachmitgliedschaften Rechtsextremismus gesamt 100 Gesamtzahl der Rechtsextremisten 1 430 (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) davon: gewaltorientierte Rechtsextremisten 700 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab EP = Einzelpersonen 88 Rechtsextremismus 2017 wurde die Klassifizierung rechtsextremistischer Beobachtungsobjekte bei den deutschen Verfassungsschutzbehörden vereinheitlicht und Kategorien eingeführt, die sich außer bei Parteien nur noch am Organisationsgrad der Rechtsextremisten und nicht mehr an der Zugehörigkeit zu Organisationen, Gruppierungen und Netzwerken orientieren. Somit wird innerhalb dieser Kategorien auch nicht mehr zwischen muslimenfeindlichem und traditionellem Rechtsextremismus unterschieden. In den letzten Jahren wurde in Berlin die sinkende Zahl traditioneller Rechtsextremisten durch das Aufkommen des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus weitestgehend kompensiert. Trotz Mitgliederverlusten auf der Seite der traditionellen Rechtsextremisten blieb die Anzahl der Rechtsextremisten insgesamt gegenüber dem Vorjahr relativ stabil (2016: 1 450). Innerhalb des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus bietet sich ein uneinheitliches Bild. Während die "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" (IB BB) oder die Organisatoren der so genannten "Merkel-muss-weg"-Demonstrationen ihre Position innerhalb der Szene stärken und teilweise neue Mitstreiter gewinnen konnten, löste sich die muslimenfeindliche Partei "Bürgerbewegung Pro Deutschland" wegen Erfolglosigkeit auf. Allerdings blieben nahezu alle ehemaligen "Pro Deutschland"-Parteimitglieder zumindest als Einzelpersonen der Szene erhalten und vernetzen sich jetzt u.a. bei Demonstrationen. Bereits vor der Auflösung schmolz die Anzahl der Anhänger von "Pro Deutschland" von 105 (2016) auf 55 (2017). Ebenso verlor das muslimenfeindliche "Hooligans-gegen-Salafisten"Netzwerk wegen geringer Aktivität ca. 35 Aktivisten. Die "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" konnte hingegen zehn Personen für ihren Verein gewinnen. 89 Im Gegensatz zu den traditionellen Rechtsextremisten verfügen die Muslimenfeinde in Berlin nur über wenige Akteure. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Rechtsextremisten ist mit ca. 10 Prozent noch vergleichsweise gering. Durch einen hohen Motivationsund Aktivitätsgrad sind sie jedoch deutlich kampagnenfähiger als die meisten Angehörigen des traditionellen Rechtsextremismus. Auch in Teilen des traditionellen Rechtsextremismus lösten sich Rechtsextremisten aus Gruppen oder Netzwerken und verblieben als unorganisierte Einzelpersonen in der Szene. So konnten die so genannten "Nein-zum-Heim"Bürgerbewegungen, die von der NPD initiiert wurden und schwerpunktmäßig in Marzahn-Hellersdorf gegen die Unterbringung von Flüchtlingen agitierten, 2017 keine nennenswerte Anzahl von Rechtsextremisten mehr an sich binden. Die Berliner Sektion der Partei "Die Rechte" ist nicht mehr wahrnehmbar, auch dort sind die Mitglieder nur noch als Einzelpersonen in der Szene bzw. im "Netzwerk Freie Kräfte" aktiv. Bei den Parteien NPD und dem Berliner Stützpunkt des "III. Wegs" ergaben sich keine Veränderungen zum Vorjahr. Innerhalb des gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzials sind darüber hinaus 110 rechtsextremistische "Reichsbürger" (von insgesamt 500 Reichsbürgern in Berlin) enthalten. Der Trend, dass sich Rechtsextremisten teilweise von festen Gruppen abwenden und nur noch lose mit der Szene verbunden sind, ist Symptom der allgemeinen Krise insbesondere des traditionellen Rechtsextremismus. Allerdings zeigt die im Vergleich zum Vorjahr nahezu gleichbleibend hohe Zahl aller Rechtsextremisten, dass die Anziehungskraft rechtsextremistischer Ideologie weiterhin ungebrochen ist. 90 Rechtsextremismus Fallzahlen politisch motivierte Kriminalität - Rechts* 2016 2017 Gewaltdelikte 166 117 Propagandadelikte 736 812 sonstige Delikte 901 1 013 Gesamt 1 803 1 942 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2017" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/statistiken/index.html eingestellt. Während die Fallzahlen politisch motivierter Kriminalität 2017 insgesamt etwas abnahmen, steigt die politisch motivierte Kriminalität rechts seit 2014 kontinuierlich an. Für das Jahr 2017 wurden 8 Prozent mehr rechtsextremistisch motivierte Straftaten verzeichnet (2016: 1 803; 2017: 1 942). Bemerkenswert ist dabei die Fortsetzung des Trends, dass, sofern Täter oder Tatverdächtige ermittelt werden konnten, es sich häufig nicht um Personen handelt, die festen rechtsextremistischen Strukturen zuzurechnen sind. Insgesamt vermittelt die Statistik ein ambivalentes Bild: Während einige Deliktarten wie beispielsweise die Propagandadelikte zunahmen, sank die Anzahl der rechtsextremistischen Gewalttaten deutlich um 30 Prozent (2016: 166; 2017: 117). Körperverletzungen machten bei diesem Rückgang den größten Anteil aus (2016: 160; 2017: 94). Gewalt von Rechtsextremisten richtete sich in den letzten Jahren zuvorderst gegen Flüchtlinge, Flüchtlingsunterkünfte oder politische Gegner. Die Zuwanderung von 2015 hatte die Mobilisierungsfähigkeit der Szene vorübergehend erheblich gesteigert. Rechtsextremisten organisierten insbesondere in der Nähe von geplanten Flüchtlingsheimen in den Jahren 2014 bis 2016 wesentlich mehr Demonstrationen als 2017. Wegen dieser starken öffentlichen Präsenz trafen Rechtsextremisten beim Zuund Abstrom zu bzw. von Demonstratio91 nen öfter auf politische Gegner, womit sich mehr Gelegenheiten zu Strafbzw. Gewalttaten ergaben. Ebenso waren Rechtsextremisten wegen der vorübergehenden Mobilisierungsstärke in den Jahren zuvor motivierter, Straftaten gegen Asylbewerberheime zu begehen. Die Zahl dieser Angriffe nahm mit der allgemeinen Schwäche der rechtsextremistischen Szene 2017 deutlich ab (2016: 46; 2017: 22). Die abnehmende öffentliche Präsenz im Jahr 2017 verleitete Rechtsextremisten dazu, ihre Agitation zunehmend in die sozialen Netzwerke zu verlagern und dort rechtsextremistische Propaganda zu verbreiten. Eine gestiegene Sensibilisierung anderer Nutzer und der Betreiber sozialer Netzwerke gegenüber strafbaren Postings und Propaganda dürfte zu einem veränderten Anzeigeverhalten geführt haben. Somit wurden diesbezüglich 2017 deutlich mehr Ermittlungsverfahren eingeleitet als in den Vorjahren (2016: 736; 2017: 812). Dies dürfte auch für den Anstieg der Volksverhetzungsdelikte (2016: 311; 2017: 369) und für die gestiegene Zahl der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten (2016: 42; 2017: 74) gelten. 92 Rechtsextremismus 3.3 Muslimenfeindliche Gruppierungen und Netzwerke 3.3.1 Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg Gründung: 2012 (im Internet aktiv) seit 2014 Vereinsstatus Mitglieder: Berlin: unter 50 (2016: 30) Die "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" (IB BB) entfaltete ab 2012 zuerst ihre Aktivitäten im virtuellen Raum über zahlreiche Websites, Blogs und Profile in sozialen Netzwerken und in den darauffolgenden Jahren zunehmend in der Realwelt. Seit 2014 verfügt die "Identitäre Bewegung" über den Vereinsstatus.38 Bundesweit gibt es mehr als 15 regionale Gruppen mit untergeordneten Ortsgruppen mit jeweils eigenem Facebookauftritt. Bei ihrem Kampf gegen die vermeintliche "Überfremdung" der Gesellschaft nutzt die IB Stilmittel der Jugendund Popkultur und inszeniert ihre Ziele durch aktivistisch-rebellisches Auftreten. Dies zeigt auch die Bildsprache der "Identitären Bewegung". Sie nutzen als Logo den griechischen Buchstaben Lambda, der in einem Hollywoodfilm ("300") von den Spartanern auf Schutzschilden als Erkennungszeichen verwendet wurde. Die "Identitäre Bewegung" (IB) ist von allen Gruppierungen des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus öffentlich am stärksten präsent. Sie ist inter38 "Identitäre Bewegung Deutschland e.V.", registriert beim Amtsgericht Paderborn. 93 national vernetzt und pflegt Kontakte zu österreichischen muslimenfeindlichen Rechtsextremisten und der französischen "Generation identitaire". Die IB sieht die europäische Identität durch Masseneinwanderung gefährdet und spricht in einer Kampagne von dem "Großen Austausch", in dem sie behauptet, dass die europäische Bevölkerung durch meist muslimische Zuwanderer "ausgetauscht" werden würde. Die ausschließlich negative Darstellung von Migrantinnen und Migranten und die Überbetonung einer vermeintlichen europäischen Identität sind nicht weniger als die permanente verbale Ausgrenzung bestimmter Bevölkerungsgruppen, die mit der Forderung nach einer tatsächlichen Ausgrenzung dieser Gruppe einhergeht. Als programmatisches Schlagwort verwendet die IB den Begriff "Remigration". Dies bedeutet die Rückführung hier lebender Ausländer in ihre Herkunftsländer. Diese soll laut IB eine staatlich gelenkte, "friedliche Rückkehr in die eigene Heimat"39 sein. Es seien schon einige Migranten desillusioniert wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Da wäre, so die zynische Sorge der "Identitären Bewegung", ein staatliches Programm hilfreich gewesen, da sich diese Migranten auch für den Rückweg Schleppern hätten anvertrauen müssen. Die Frage, ob das "Remigrationskonzept" auf Zwang oder auf Freiwilligkeit basiert, lässt die IB offen. Der Gedanke, diese "Remigration" in großem Stil auch gegen Widerstand durchzuführen, wird mindestens nicht ausgeschlossen. Zudem betrifft dieses "Remigrationsprojekt" ausschließlich Menschen, die nach Vorstellungen der IB ethnisch nicht in die Gesellschaft passen würden und deren "eigene Heimat" demnach nicht Deutschland werden kann. Mit diesem 39 "Remigration - die einzige Lösung": Grundlagentext eingestellt auf der Homepage der "Identitären Bewegung", Aufruf am 15.9.2017. 94 Rechtsextremismus Konzept als Mischung aus Freiwilligkeit und offensichtlichem Zwang unterscheidet sich die IB nur in Nuancen von der NPD.40 In Berlin sprühte die "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" (IB BB) als Ausdruck dieses "Remigrationskonzepts" an mehrere Stellen (z.B. Oberbaumbrücke, Moschee am Görlitzer Bahnhof, East-Side-Gallery) auf arabisch "Geht nach Hause" auf den Boden.41 Im Fokus der IB BB stehen fast ausschließlich die Themen "Ausländer" bzw. "Migranten", insbesondere solchen muslimischen Glaubens, stets in Kombination mit Kriminalität, Terrorismus und Integrationsproblemen. Nicht nur in Bezug auf ideologische Schwerpunktthemen und -thesen sondern auch in ihrem Habitus und Erscheinungsbild bieten die Mitglieder der "Identitären" ein anderes Bild als traditionelle Rechtsextremisten. Vor einer in der Gesamtheit bürgerlich und eloquent erscheinenden Fassade gibt sich die IB BB vordergründig liberal, um bei bürgerlichen und studentischen Milieus anschlussfähig zu sein. Werbevideos und die eigene Internetseite sind von hoher Professionalität und sollen einen nach außen seriösen Eindruck vermitteln. Mit dieser Strategie gelang es der IB, insbesondere in Berlin, neue Mitstreiter zu gewinnen, die zuvor überwiegend noch keinen Bezug zu extremistischen Gruppierungen oder Ideologien hatten. 40 Steffen Kailitz: Verfassungsfeind NPD. Das nationalsozialistische Vertreibungsund Nationalisierungsprojekt der NPD, in: Freiheit und Recht 4/2007, S. 1 - 7, passim. 41 Aktion "Wegweiser Geht nach Hause"; eingestellt auf dem Facebookprofil der IB BB am 22.6.2017. 95 Aktivitäten In ihrer Anfangsphase machte die IB BB mit kurzen, im Internet dokumentierten Aktionen wie z.B. Plakataktionen vor dem Brandenburger Tor auf sich aufmerksam. Inzwischen sucht sie gezielt die Konfrontation mit politischen Gegnern, die als Gruppe diffus als "ewig gestrige Vertreter des linksliberalen Mainstreams" bezeichnet werden.42 Die IB verwendet hier häufig den Begriff der "68er" als Kampfbegriff und macht diese Gruppe für als politisch links wahrgenommene Veränderungen verantwortlich, die von ihr kritisiert und abgelehnt werden. Zu ihren Gegnern zählt die IB Stiftungen, Parteien, Nichtregierungsorganisationen und Ministerien. Mehrfach musste die Polizei Besetzungen von Parteizentralen und einem Bundesministerium durch IB-Aktivisten verhindern oder beenden. Ein Stiftungsgebäude wurde mit Plakaten beklebt und der Eingangsbereich mit Flatterband abgesperrt. Am 28. März sperrte die IB BB die Berliner Zentrale der Gewerkschaft Ver.di mit Flatterband ab und klebte an die Fassade Plakate gegen eine politische Aktion des niedersächsischen Ver.di-Landesverbands. Der Landesverband hatte eine "Handlungshilfe" veröffentlicht, anhand derer Ver.di-Mitglieder unter Kollegen Anhänger von rechtspopulistischen Parteien oder Organisationen, insbesondere der AfD, erkennen und im Arbeitsumfeld isolieren sollten. Am 19. Mai versuchten IB-Aktivisten, in das Bundesministerium für Justiz einzudringen, was die Polizei verhindern konnte. Auslöser war die Vorbereitung des so genannten "Netzwerkdurchsetzungsgesetzes", das Betreiber von sozialen Netzwerken gesetzlich verpflichtet, so genannte Hate-Speech zügig aus ihren Foren zu entfernen. Die IB bezeichnete das Justizministerium als "Zensurministerium" und "Stasi 2.0". Durch die auffällig häufige Verwendung von DDR-Symbolen (z.B. trug einer 42 Facebook-Profil der IB BB vom 13.9.2016, Aufruf am 15.11.2016. 96 Rechtsextremismus der IB-Aktivisten bei der versuchten Besetzung des Bundesjustizministeriums eine DDR-Uniform), setzt die IB BB das politische System in Deutschland mit einer Diktatur gleich, in der ein Machtzirkel autokratisch und von einer gelenkten Presse sekundiert regieren würde. Viele Rechtsextremisten, auch die "Identitären", sehen sich in diesem System in der Rolle der Fundamentalopposition. Mit zunehmendem Bekanntheitsgrad gelingt es der IB, Mittel und Aktivisten für deutlich aufwendigere Aktionen zu gewinnen. Bei einer spendenfinanzierten Aktion kreuzten IB-Aktivisten im August mit einem Schiff in den Aktionsbereich von Schiffen von Nichtregierungsorganisationen im Mittelmeer, um deren Rettungsaktivitäten von Schiffbrüchigen zu dokumentieren. Die IB beschuldigt diese NGOs, mit Schleppern zu kooperieren. Auf Transparenten an dem Schiff forderte die IB "Stopp human-trafficking" ("stoppt Menschenhandel") und warnte mit einem abgewandelten australischen Warnhinweis: "No Way - You will not make Europe Home" ("Niemals - Ihr werdet Europa nicht zu Eurer Heimat machen"). Nach dem Ende der Aktion "Defend Europe" ("Verteidigt Europa") wurde das angebliche Ergebnis von der IB propagandistisch als Erfolg verkauft. Demnach seien durch ihre Aktion Länder wie Italien darin bestärkt worden, die Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen einzuschränken. An "Defend Europe" beteiligte sich auch ein Funktionär der IB BB. 97 Am 19. Dezember stellte die IB auf dem Platz des 18. März direkt vor dem Brandenburger Tor drei Betonklötze ab, die Betonsperren nachempfunden waren, mit denen bundesweit Weihnachtsmärkte vor Anschlägen geschützt werden sollen. Die IB-Betonklötze hatten die Form von Legosteinen, da diese Schutzmaßnahmen bei Großveranstaltungen im Jargon der rechtsextremistischen Muslimenfeinde "Merkel-Legos" genannt werden. Sie waren u.a. beschriftet mit: "Den Opfern des islamistischen Terrors" sowie Städten in Europa, in denen Anschläge stattgefunden haben (Manchester, Brüssel, Paris etc.). Vor den Betonklötzen wurden Blumen und Bilder von getöteten Opfern islamistischer Terroranschläge abgelegt. Die IB suggerierte, dass die Opfer islamistischen Terrors Opfer zweiter Klasse seien, da diesen aus ideologischen Gründen nicht angemessen gedacht werde. In einer Erklärung der IB Deutschland nennt sie ihr Arrangement vor dem Brandenburger Tor "erstes europäisches Denkmal für die Opfer von Multikulti und Islamismus". Die Politik in Deutschland verweigere sich als Schlussfolgerung aus den Anschlägen weiterhin einer Politik sicherer Grenzen und "Remigration". Die Polizei räumte den Platz von den Betonklötzen. Die nationalen und internationalen Ableger der IB sind gut vernetzt. Einmal jährlich organisieren sie eine Großdemonstration von bis zu 800 Demonstranten. Diese fand mehrfach in Wien und 2017 mit 700 Teilnehmern in Berlin statt. Für diese Demonstration wählte die IB mit dem 17. Juni, dem Jahrestag des Volksaufstands in der DDR, ein symbolträchtiges Datum. 98 Rechtsextremismus Kontakte suchte die IB BB auch zu Organisationen außerhalb des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus wie z.B. nationalkonservative Burschenschaften, dem Magazin "Compact" oder Teilen der "Neuen Rechten" und der Jugendorganisation der AfD. Die IB BB hat mit ihrer Mischung aus Aktion und Theorie im Internet und einem bislang gewaltfreien Aktionismus eine Anziehungskraft auf ideologisch gleichgesinnte Menschen, die außerhalb der virtuellen Welt mit ihren extremistischen Ansichten bisher keinen Anschluss gefunden hatten. Ihre Gefahr liegt in erster Linie in der nach außen vermittelten Seriosität, der vermeintlichen Anschlussfähigkeit der Themen und der Vermittlung eines starken Gemeinschaftsgefühls. Durch diese Mischung sollen insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene angesprochen werden. Auf diese Zielgruppe sind auch ihre spektakulären Aktionen wie die versuchte Besetzung des Bundesministeriums der Justiz oder die Aktion "Defend Europe" ausgerichtet. 99 3.3.2 Bürgerbewegung Pro Deutschland "Bürgerbewegung Pro Deutschland" ("Pro Deutschland") / Landesverband Berlin Gründung: 2010 Mitglieder: Berlin: 55 (2016: 110) Die Partei "Bürgerbewegung Pro Deutschland" war vor ihrer Auflösung im November Teil der muslimenfeindlichen Szene Berlins. Das von "Pro Deutschland" vorrangig gegen Muslime verbreitete Überfremdungsszenario wurde dominiert von der Gleichsetzung von Islam und Islamismus und einem angeblich von Muslimen verursachten unüberwindlichen Wertekonflikt zwischen dem "Abendland" und dem orientalischen Kulturkreis. Neben diesem religiös-kulturellen Rassismus manifestiert sich der extremistische Charakter der Partei in der Forderung nach einer Rückführung spezifischer Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund sowie der Vernetzung mit anderen einschlägigen Parteien und Vereinen in Europa. "Pro Deutschland" war in Berlin der erste Akteur im Bereich des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus. Nachdem anfangs einige provokative Aktionen wie der Präsentation von Mohammed-Karikaturen vor islamischen Einrichtungen der Partei öffentliche Aufmerksamkeit beschert hatten, fiel es "Pro Deutschland" trotz eines weiterhin großen Engagements zunehmend schwerer, ihre extremistische Ablehnung von Zuwanderung in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Dies lag auch daran, dass andere, nicht extremistische Akteure zunehmend Positionen besetzen, die in abgemilderter Form deutlich mehr An100 Rechtsextremismus hänger fanden als die auf Provokation ausgerichteten Formulierungen von "Pro Deutschland". "Pro Deutschland" war im Hintergrund maßgebliche Initiatorin der so genannten "Merkel-muss-weg"-Demonstrationen,43 an der sich zuletzt nahezu ausschließlich Rechtsextremisten beteiligten. Diese Demonstration entwickelte sich auch unter Beteiligung einiger traditioneller Rechtsextremisten zur wichtigsten Vernetzungsplattform des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus. Auflösung nach langer Krise Bei Wahlen konnte "Pro Deutschland" die selbstgesteckten Ziele (Erlangung von Mandaten im Abgeordnetenhaus bzw. in Bezirksverordnetenversammlungen) nicht annähernd erreichen. Die Partei nahm an zwei Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und den Bezirksverordnetenversammlungen teil. Im September 2016 erreichte sie berlinweit lediglich 0,4 Prozent der Stimmen (gegenüber 1,2 Prozent bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2011). Nach diesen Wahlschlappen gab "Pro Deutschland" das Ziel auf, weiterhin Partei zu sein und kündigte an, nicht mehr zu Wahlen anzutreten. Sie wolle in erster Linie als Bürgerbewegung aktiv sein und sich auf Publikationen oder außerparlamentarische Aktionen beschränken. Wegen der geringen Reichweite und fehlender öffentlicher Resonanz dieser Aktionen beschloss "Pro Deutschland" am 11. November ihre Auflösung.44 Den Mitgliedern und den Mandatsträgern in einigen Kommunalparlamenten wie dem Wuppertaler Stadtrat wurde dazu geraten, sich der AfD anzuschließen. 43 Vgl. S. 102 f. 44 Auflösungserklärung der Partei "Bürgerbewegung Pro Deutschland", eingestellt auf der Homepage der Partei, aufgerufen am 13.11.2017. 101 3.3.3 "Merkel muss weg"-Demonstrationen - Teil eines weitverzweigten muslimenfeindlichen Netzwerks Zum muslimenfeindlichen Rechtsextremismus gehören auch rechtsextremistische Hooligans, die sich zuerst unter der Bezeichnung "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) bei einer gewalttätigen Demonstration in Köln formiert hatten. Zum Jahreswechsel 2014/2015 bildete sich ein Berliner Ableger, der sich in der Folgezeit u.a. "Bündnis Deutscher Hools" (BDH) nannte. Aus diesem Spektrum gründete sich nach jahrelangen Aktivitäten im virtuellen Raum am 15. Oktober der Verein "Wir für Deutschland" (WfD). WfD steht der muslimenfeindlichen "Bürgerbewegung Pro Deutschland" nahe und organisierte 2016 und 2017 in Berlin sieben Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik der damaligen Bundesregierung unter dem Motto "Merkel-muss-weg". Mit 2 000 bis 3 000 Teilnehmern hatte die erste "Merkel-muss-weg"-Demonstration am 12. März 2016 einen unerwartet hohen Zuspruch erfahren. Daher wiederholte WfD diese Kundgebungen im Mai, Juli und November 2016 sowie im März, Juli und September 2017. "Merkel-muss-weg" sollte anfangs ein über die rechtsextremistische Szene hinausreichendes Bündnis sein, entwickelte sich aber zunehmend zu einer rein rechtsextremistischen Veranstaltung, die zuletzt nur noch 330 Personen mobilisieren konnte. WfD betrachtete kurz vor der Bundestagswahl die Demonstration vom 9. September als Schlusspunkt der "Merkel muss weg"-Kampagne. Die "Merkel-muss-weg"-Demonstrationen waren zwischenzeitlich für die muslimenfeindliche Szene eine wichtige Vernetzungsplattform geworden. Es bildete sich dort eine Szene von lose or102 Rechtsextremismus ganisierten muslimenfeindlichen Extremisten, die sich regelmäßig zu Demonstrationen in und außerhalb Berlins trifft, jedoch in erster Linie in den sozialen Medien miteinander verbunden sind. Zu den Teilnehmern der "Merkel-mussweg"-Demonstrationen gehörten aber auch Rechtsextremisten ganz unterschiedlicher Couleur, darunter auch so genannte Reichsbürger. Bei den "Merkel-muss-weg"-Demonstrationen waren die meisten Teilnehmer Einzelpersonen und Kleingruppen, die aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten. Zudem bestehen inzwischen Bezüge in die Schweiz, nach Österreich und zu den osteuropäischen Nachbarstaaten. Ebenso reisten Berliner Muslimenfeinde zu Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet. 3.4 Traditioneller Rechtsextremismus 3.4.1 NPD "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Mitglieder: Berlin: 230 (2016: 230) Die aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" hervorgegangene NPD ist die älteste rechtsextremistische Partei in Deutschland. Sie verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendund mit dem "Ring Nationaler Frauen" (RNF) über eine Frauen-Organisation. 103 Die NPD, deren Bundesgeschäftsstelle sich seit dem Jahr 2000 in Berlin befindet, vertritt rassistische und antisemitische Positionen sowie das Konzept einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie und den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Aktivitäten hatte der Bundesrat ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD eingeleitet. Am 17. Januar entschied das Bundesverfassungsgericht, die NPD nicht zu verbieten, da sie zwar verfassungsfeindlich, aber zu unwichtig sei, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele tatsächlich auch erreichen zu können. Seit 2016 hat sie keine Mandate in Länderparlamenten mehr inne. Anders als von der NPD erhofft, führte der von der Partei als Erfolg bewertete Ausgang des Parteiverbotsverfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht nicht zu einem Aufschwung. Die Anti-Flüchtlingsheim-Kampagnen aus den Jahren 2014/2015, mit denen die NPD aus ihrer gesellschaftlichen Isolation ausbrechen wollte, waren letztendlich ohne Wirkung geblieben. Den Anschluss an bürgerliche, nicht extremistische Milieus hat die Partei mindestens vorübergehend verloren. Stattdessen finden inzwischen andere Akteure aus dem muslimenfeindlichen Rechtsextremismus oder auch rechtspopulistische Parteien deutlich mehr Anhänger und Wähler, was insbesondere nach den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus im September 2016 zu öffentlich artikuliertem Frust bei der NPD geführt hatte.45 45 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 125. 104 Rechtsextremismus Am härtesten traf die NPD allerdings das anhaltend desaströse Abschneiden bei Wahlen auch im Jahr 2017. Bei der Bundestagswahl im September unterschritt das Ergebnis der NPD mit 0,38 Prozent sogar die 0,5 Prozent-Grenze, ab der die Partei Wahlkampfkostenerstattung erhalten hätte. Das führt zu einer weiteren Verschärfung der finanziellen Krise der NPD. Der Berliner Landesverband konnte aufgrund eines Formfehlers nicht zur Bundestagswahl antreten, da deren Kreisverband 2 (Reinickendorf) die Delegierten für die Vertreterversammlung, bei der die Landesliste beschlossen wurde, zu früh gewählt hatte. Kaum Aktivitäten Mangels personeller Ressourcen und aufgrund innerparteilicher Querelen gelang es der NPD nicht, nennenswerte größere öffentlichkeitswirksame Aktionen zu organisieren. Stattdessen verlegte sie sich auf eigene Kleindemonstrationen ohne größere Außenwirkung. Dazu zählten Demonstrationen vor den Botschaften Frankreichs (am 6. März "Gegen Pariser Zustände" aufgrund von Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und Migranten mit der Polizei in Pariser Vororten) und Bahrein (am 27. Februar "Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Völkerunterdrückung - gegen die zunehmende Unterdrückung der dortigen schiitischen Bevölkerungsmehrheit durch das US-hörige Königshaus"). Themen ohne direkten Berlinbezug, ohne Provokationspotenzial und Demonstrationsorte, die keine hohe Publizität versprechen, dokumentieren die aktuelle Konzeptlosigkeit der NPD, mit der es ihr nicht einmal mehr gelingt, die eigene extremistische Klientel anzusprechen. Die mangelnde Strukturiertheit der Berliner NPD zeigt sich auch in ihrer personellen Aufstellung. So war deren geringe Außenwirkung auch Folge der ideenlosen und inaktiven Amtsführung des erst Ende 2016 gewählten neuen und ehemaligen Landesvorsitzenden Uwe Meenen (bereits Vorsitzender 2010 bis 2012). Nach nur einjähriger Amtszeit verzichtete Meenen aufgrund mangelnder Unterstützung auf eine erneute Kandidatur. Stattdessen wählten die De105 legierten seinen bisherigen Stellvertreter Andreas Käfer zum neuen Landesvorsitzenden. An der inhaltlichen und strategischen Ausrichtung der NPD wird sich dadurch wenig ändern - sie wird ihren radikalen und völkischen Kurs fortsetzen. Viele NPD-Mitglieder, insbesondere die des "Netzwerks Freie Kräfte", reagieren auf das geringe Aktivitätsniveau und die personellen Unbeständigkeiten in den Parteigremien inzwischen mit Resignation und in einigen Fällen mit Parteiaustritten. Verbotsverfahren Der vom Bundesrat gestellte NPD-Verbotsantrag wurde am 17. Januar vom Bundesverfassungsgericht als unbegründet abgewiesen.46 Das Gericht erkannte zwar an, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist, allerdings fehle es an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, dass ihr verfassungsfeindliches Handeln zum Erfolg führen kann ("Potenzialität"). Im Ergebnis ist die NPD somit schlicht zu bedeutungslos für ein Verbot. Aus der Berliner NPD wurden dazu zwei Stellungnahmen von den NPD-Kreisverbänden Pankow und Neukölln veröffentlicht. Der Pankower Kreisverband bzw. die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) Berlin bemühten sich in einem gleichlautenden Text nicht einmal, den erwiesenen Vorwurf der Verfassungsfeindlichkeit zu entkräften und bestätigten diesen sogar: "Wir [sind] stolz darauf, mit ganzem Herzen diese Gesellschaft und ihr System abzulehnen [...] Kämpfen wir gemeinsam für diese Heimat und wickeln diesen Staat ab." 46 Vgl. BVerfG-Urteil vom 17.1.2017, Az: 2 BvB 1/13. 106 Rechtsextremismus Der Neuköllner Kreisverband verwies darauf, dass die NPD im Falle eines erneuten Erstarkens jederzeit verboten werden könne. Dies setze jedoch voraus, dass die NPD in Zukunft erfolgreicher sei. Dafür lohne es sich trotz eines drohenden Verbots zu kämpfen: "Zwar haben wir den Wink des Staats verstanden, jedoch stehen wir in der Pflicht für Deutschland und werden so handeln." Trotz dieses Ausgangs wirkten die Belastungen des Verbotsverfahrens fort und setzten die NPD unter Druck. Neben den personellen und finanziellen Ressourcen, die das Verfahren gebunden bzw. verbraucht hatte, ist das Image der Partei durch die öffentliche Diskussion und die deutliche Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts, dass die NPD eine verfassungsfeindliche Partei ist, weiter beschädigt worden. Der erhoffte innerparteiliche Motivationsschub durch den Ausgang des Verfahrens blieb in Berlin wie auch in der Bundespartei aus. Es gab auch keine nennenswerten Solidaritätserklärungen oder eine wieder verstärkte Unterstützung aus anderen rechtsextremistischen Gruppierungen oder Netzwerken. Trotzdem bleiben der NPD genug aktive Mitglieder, um weiterhin wichtigste Stütze des traditionellen Rechtsextremismus in Berlin zu sein und diesem insbesondere Infrastruktur zur Verfügung zu stellen. Mit ihrer nach wie vor offen rechtsextremistischen Ausrichtung bietet sie Rechtsextremisten ein ideologisch passendes Angebot in vergleichsweise festen Strukturen. 107 3.4.2 Der III. Weg "Der III. Weg" Gründung: 2015 Mitglieder: Berlin: unter 20 (2016: unter 20) Seit März 2015 ist die Partei "Der III. Weg" mit einem Stützpunkt in Berlin aktiv. Die Parteigründung im September 2013 fiel in den Zeitraum des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der Verbotsüberlegungen gegen das neonazistische Netzwerk "Freies Netz Süd" in Bayern und war ein weiterer Versuch von Rechtsextremisten, Strukturen zu schaffen, für die deutlich höhere Verbotshürden gelten als für Vereine und andere Organisationsformen. Die Aktivisten versuchen mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Kampagnen, die sich insbesondere gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik richten, in die Gesellschaft hineinzuwirken. Ideologisch vertritt die Partei "Der III. Weg" offen neonazistische und fremdenfeindliche Positionen, weshalb der Berliner Ableger insbesondere für Aktivisten des "Netzwerks Freie Kräfte", denen die NPD zu moderat agiert, attraktiv ist. "Der III. Weg" hält Distanz zu anderen rechtsextremistischen Parteien oder Organisationen und bietet sich neonazistischen Fundamentalisten als vermeintlich "exklusive" Alternative zur NPD an. Der NPD hatten einige Rechtsextremisten vorgeworfen, dass sie sich bereits u.a. aufgrund ihrer parlamentarischen Arbeit (in Berlin in einigen Bezirksverordnetenversammlungen) zu einer etab108 Rechtsextremismus lierten bzw. "Systempartei" (Szenejargon) entwickelt habe. "Der III. Weg" hingegen geriert sich als reine Systemoppositionspartei. Thematisch verbreitete die Berliner Sektion des "III. Wegs" bei ihren wenigen öffentlichen Veranstaltungen homophobe Thesen und verteilte Flugblätter gegen Flüchtlingsunterkünfte. So warfen im Vorfeld des "Christopher Street Day" Mitglieder des "III. Wegs" Flugblätter von der Aussichtsplattform der Siegessäule ("Familie schützen - Homo-Propaganda stoppen!"). "Der III. Weg" zeigt offen seine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus. Wie bereits 2016 berichtete die Berliner Sektion des "III. Wegs" über eine Winterhilfsaktion ("Deutsche Winterhilfe", angelehnt an das nationalsozialistische "Winterhilfswerk des deutschen Volks") für deutsche Obdachlose. Zudem organisierte "Der III. Weg" u.a. eine Zeitzeugenveranstaltung mit einem ehemaligen SS-Angehörigen sowie eine parteiinterne Weihnachtsfeier in der "ehemaligen Reichshauptstadt Berlin". Mit seinen Aktivitäten konnte sich "Der III. Weg" in Berlin gegenüber der NPD weiter etablieren. Insbesondere findet die Partei in der neonazistischen Szene Zuspruch und wird dort als Alternative zur NPD wahrgenommen. Ein Indiz dafür sind die Teilnehmerzahlen der nicht öffentlichen Veranstaltungen des "III. Wegs", an denen nach eigenen Angaben bis zu 60 Besucher teilnahmen. 109 3.4.3 Netzwerk Freie Kräfte "Netzwerk Freie Kräfte" Das "Netzwerk Freie Kräfte" hat seine Ursprünge in der Kameradschaftsszene, die mit dem Netzwerkansatz Anfang der 2000er Jahre auf staatliche Repression in Form von Vereinsund Kameradschaftsverboten reagierte. Diese neonazistische Szene zeichnet sich durch lockere und z.T. konspirative, jedoch kaum noch bezirksübergreifende Organisationsstrukturen aus. In den letzten Jahren agierten die lokalen Strukturen weit mehr kiezbezogen als zu der Zeit, als die Gruppe der so genannten "Autonomen Nationalisten" im Netzwerk noch regelmäßig für bezirksübergreifende Aktionen sorgte. Der niedrigschwellige Zugang durch das Prinzip "Mitgliedschaft durch Mitmachen" sowie die "Anti-Antifa-Arbeit" 47 bilden zentrale Säulen im Selbstverständnis des "Netzwerks Freie Kräfte". Inzwischen dominieren illegale Aktivitäten wie z.B. Sachbeschädigung, Bedrohung und Körperverletzung das Aktionsrepertoire des "Netzwerks Freie Kräfte". Die Organisation von Demonstrationen, Schulungen oder Trainingsveranstaltungen ging aufgrund fehlender Infrastruktur (Trefforte) massiv zurück. 47 Die "Anti-Antifa-Arbeit" bezeichnet die organisierte Agitation gegen politische Gegner und beinhaltet Aktivitäten wie "Outing" (das Ausforschen und Veröffentlichen privater Daten), Beleidigung sowie Bedrohung, etwa in Form so genannter "Feindeslisten", aber auch körperliche Angriffe. 110 Rechtsextremismus NPD und Netzwerk: parallele Entwicklung Im "Netzwerk Freie Kräfte" setzte sich der personelle Aderlass der letzten Jahre fort. Der Rückgang der regelmäßig aktiven Unterstützer konnte nicht gebremst werden. Erneut wurden Wegbzw. Rückzüge ins "Privatleben" und Inaktivität insbesondere der älteren Anhänger nicht durch Neuzugänge kompensiert. Weiterhin fehlen den neonazistischen "Freien Kräften" charismatische Führungspersönlichkeiten, die stabile Strukturen bilden könnten. Das hat zur Folge, dass die Aktivisten des Netzwerks zunehmend nur noch lose an die Szene angebunden sind. Aktuell werden eine Immobilie in Pankow (so genanntes Jugendzentrum/JUZ) und die Bundesparteizentrale der NPD in Köpenick als Trefforte sporadisch genutzt. Allerdings konnte sich das JUZ in Pankow wegen dessen Randlage bislang nicht als berlinweiter Treffort etablieren und wird maßgeblich nur von Pankower Rechtsextremisten besucht. Somit nahm die Strukturlosigkeit im Netzwerk weiter zu. Nachdem sich ohnehin nach dem letzten Kameradschaftsverbot im Jahr 2009 (Kameradschaft "Frontbann 24") kaum noch Gruppen gebildet hatten, löste sich am 30. August eine nach den bis 2012 im Netzwerk dominanten gewaltbereiten "Autonomen Nationalisten" (AN) benannte neue Gruppierung auf. 111 Die Facebook-Konten der letzten öffentlich agierenden Gruppe "Freie Kräfte Berlin Neukölln" (FKBN) wurden mehrfach gesperrt, so dass sich die FKBN weitgehend aus der Öffentlichkeit zurückzog. Es verbleiben namenlose, kiezbezogene Personenzusammenschlüsse, die meist von einer Person geleitet werden und durch hohe Fluktuation und einem geringen Aktivitätsniveau gekennzeichnet sind. Fokus verstärkt auf NS-Thematik Das "Netzwerk Freie Kräfte" verengt seine politische Agitation nach dem Scheitern verschiedenster rechtsextremistischer Kampagnen, mit denen eine Breitenwirkung erzielt werden sollte (z.B. die von der NPD organisierten "Neinzum-Heim-Bürgerinitiativen") wieder auf Themen mit NS-Bezug, um sich, ähnlich wie die NPD, auf die extremistische Klientel zu konzentrieren, die für diese Themen weiterhin Interesse zeigt. Da es aktuell kaum Räume in Berlin gibt, in denen Rechtsextremisten sich ungestört mit diesen Themen auseinandersetzen können, findet das derzeit entweder im Internet oder bei wenigen Demonstrationen statt. Außer der NS-Verherrlichung gelang es dem "Netzwerk Freie Kräfte" nicht mehr, andere Themen in der Öffentlichkeit zu platzieren. Die Meinungsführerschaft in Bezug auf rechtsextremistische Themen verloren sie an Gruppen aus dem muslimenfeindlichen Rechtsextremismus. Aktivitäten Trotz oder wegen der aktuellen Krisensituation des traditionellen Rechtsextremismus bleibt die hohe Gewaltbereitschaft der Szene ungebrochen. Die Aggression richtet sich konzentriert gegen Personen oder Einrichtungen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. 112 Rechtsextremismus Die größte Häufung rechtsextremistischer Straftaten gab es in Neukölln und Wedding. Seit Dezember 2016 wurden dort regelmäßig Hausfassaden mit Graffiti gegen einzelne Hausbewohner beschmiert oder Brandstiftungen z.B. auf Kfz verübt. Besonders betroffen waren Bewohner der so genannten Hufeisensiedlung in Neukölln, wo Rechtsextremisten schon seit Jahren die Konfrontation suchen, die in Gewalttaten gipfelt. Eines der ersten Ziele war das Kfz einer Bezirkspolitikerin und Funktionärin eines Jugendverbands, dessen Neuköllner Zentrum mehrfach Ziel rechtsextremistisch motivierter Brandanschläge war. Einige Bürger wurden sogar wiederholt Opfer der Serie rechtsextremistischer Gewalttaten. Einem Neuköllner Buchhändler warfen Rechtsextremisten erst die Scheiben seines Ladens ein, kurze Zeit danach wurde sein Wagen angezündet. Die Rechtsextremisten versuchen mit Gewalt und mit Drohungen, die z.B. auf Häuserfassaden gesprüht werden ("Rote Ratte - linke Sau - wir kriegen Dich"), den Kiez in einen Angstraum zu verwandeln, eine vermeintliche Dominanz zu demonstrieren und so ihren Bedeutungsverlust zu kompensieren. 113 Unmittelbar vor dem Jahrestag der "Reichspogromnacht" gegen die Juden wurden in Neukölln mehrere so genannte Stolpersteine entwendet, auf denen an deportierte und ermordete Juden und andere Verfolgte des Naziregimes erinnert wird. Zeitpunkt und Tatbegehung legen einen antisemitischen und rechtsextremistischen Hintergrund nahe.48 Exakt ein Jahr zuvor veröffentlichten die FKBN auf ihrem Facebook-Profil am 9. November 2016 eine Karte, auf der jüdische und israelische Einrichtungen in Berlin aufgeführt waren. In Frakturschrift stand dazu "Juden unter uns!". Die Verfasser des Beitrags kommentierten die Karte mit: "Heut ist so ein schöner Tag!", womit auf die "Reichspogromnacht" und die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden im "Dritten Reich" angespielt wurde. Während die rechtsextremistische Gewalt in Neukölln und Wedding49 zunahm, war das "Netzwerk Freie Kräfte" in den letzten Jahren zunehmend weniger fähig, eigene öffentliche Veranstaltungen durchzuführen. Inzwischen werden Demonstrationen in Berlin überwiegend von auswärtigen Rechtsextremisten organisiert. Die größte Demonstration der traditionellen Rechtsextremisten in Berlin ("Rudolf Heß - Mord verjährt nicht, gebt die Akten frei, Recht statt Rache") am 19. August in Spandau wurde von Rechtsextremisten aus Nordrhein-Westfalen angemeldet und durchgeführt. Diese sorgten auch für einen hohen Zuspruch zu dieser Demonstration, denn der überwiegende Teil der 750 Demonstranten bestand aus auswärtigen Rechtsextremisten. 48 Vgl S. 190. 49 Der überwiegende Teil der Straftaten gegen politische Gegner wurde in Neukölln verübt, allerdings kam es auch vereinzelt in Wedding zu rechtsextremistischen Einschüchterungsversuchen durch Schmierereien. 114 Rechtsextremismus Die Szene wertete die Veranstaltung als Erfolg. Es sei gelungen, das Thema des Hitler-Stellvertreters Heß wieder in die Öffentlichkeit zu bringen. Einzelne Rechtsextremisten bemängelten allerdings die geringe Teilnehmerzahl, da zu Konzertveranstaltungen in der jüngsten Vergangenheit mehrere tausend Teilnehmer (z.B. Themar/Thüringen am 15. Juli) angereist waren. Trotz der internen Kritik war die Heß-Demonstration die größte Veranstaltung des traditionellen Rechtsextremismus des Jahres. Für traditionelle Rechtsextremisten war die Demonstration eine der wenigen Gelegenheiten, sich entgegen der aktuellen Krisensituation für einen Tag gemeinsam öffentlich zu präsentieren. Allerdings hatte dieses gemeinsame Großereignis keine nachhaltigen Effekte auf die Szene. Eine berlinweite Demonstration der damals noch existenten "Autonomen Nationalisten" ("Deutsche Kieze schaffen"), die für den 2. September geplant war, wurde wegen anhaltender Mobilisierungsschwäche sogar abgesagt. Im Mai beteiligten sich Angehörige des "Netzwerks Freie Kräfte" an einer Solidaritätsdemonstration der NPD für den während eines Hafturlaubs nach Ungarn geflüchteten rechtsextremistischen Holocaustleugner Horst Mahler. Ca. 60 Rechtsextremisten forderten vor der ungarischen Botschaft, dass dieser nicht an Deutschland ausgeliefert werden solle. Obwohl Mahler in der traditionellen rechtsextremistischen Szene als ehemaliger "Spiritus Rector" der Holocaustleugner in Deutschland keine dominierende Rolle spielte, werden ihm zumindest regelmäßig Solidaritätsadressen entgegengebracht, da die strafrechtliche Verfolgung von Holocaustleugnung in der rechtsextremistischen Szene als Gesinnungsstrafrecht angesehen wird. 115 3.4.4 Netzwerk Rechtsextremistische Musik Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Musik bildet einen wichtigen Bestandteil der rechtsextremistischen Erlebniswelt, in der die Grenzen zwischen politischen Zielen, Identitätsstiftung, Kommerz und Unterhaltung verschwimmen. Durch die Vermittlung von Feindbildern sowie Ideologiefragmenten in Liedtexten ist rechtsextremistische Musik ein verbindendes Element und für die Szene von enormer Bedeutung. Dem Berliner Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" gehören ca. 170 Personen an. In ihm agieren Bands, Liedermacher sowie Personenzusammenschlüsse im Umfeld der Bands. Die Akteure veröffentlichen Tonträger, veranstalten Konzerte und Festivals oder beteiligen sich an sonstigen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Den Kern dieser konspirativ organisierten Szene bilden die seit Jahren aktiven Bands "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T.), auch "X.x.X." genannt, "Die Lunikoff-Verschwörung", "Legion of Thor", "Punk Front" und "Second Class Citizen" sowie seit 2016 auch wieder "Macht & Ehre". Neben diesen Bands gehört der Liedermacher "Fylgien" zu den rechtsextremistischen Musikern in Berlin. Das seit 2014 aktive Duo "A3stus", das mit seinem rapartigen Stil in der Szene ein Novum darstellte, löste sich 2017 aus persönlichen Gründen auf.50 50 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechtsextremistische Musik. Berlin 2016. 116 Rechtsextremismus Das Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" trotzt weiterhin der allgemeinen Krise des traditionellen Rechtsextremismus. Die Mischung aus rechtsextremistischer Ideologie und einem gemeinsamen Musikerlebnis führt inzwischen sogar wieder verstärkt Interessenten an die rechtsextremistische Szene heran. Sämtliche Konzerte dienen neben der Stärkung des Zusammengehörigkeitsgefühls auch als Kontaktbörse oder zur Pflege alter Kontakte. Oftmals sind Konzerte erste Berührungspunkte für potenzielle Szeneneulinge. Teile des Berliner Netzwerks "Rechtsextremistische Musik" verfügen durch den Verkauf von Tonträgern, Konzertkarten und Fanartikeln über eine solide finanzielle Basis. Großveranstaltungen mit internationaler Band-Beteiligung erfahren weiterhin enormen Zuspruch. Am 15. Juli nahmen Berliner Bands an einem Konzert in Themar in Thüringen teil, zu dem ca. 6 000 Besucher aus ganz Europa, darunter auch Berliner Rechtsextremisten, anreisten. Bereits im Oktober 2016 konnten Veranstalter bei einem rechtsextremistischen Konzert in der Schweiz eine ähnlich hohe Besucherzahl verbuchen. In Berlin gab es 2017 weiterhin kein Konzert, allerdings sind mehrere rechtsextremistische Berliner Bands überregional aktiv. Tonangebend ist dabei weiterhin "Die Lunikoff-Verschwörung" bzw. "Lunikoff" als Solo-Interpret. Nach einigen Strafverfahren und teilweisen Haftstrafen in der Vergangenheit u.a. wegen Volksverhetzung verwenden die Bands und Musiker nahezu aus117 schließlich bekannte rechtsextremistische Codes, um weiterhin ihre antisemitische und rechtsextremistische Ideologie zu verbreiten. Exemplarisch stehen hierfür die Texte der "Lunikoff-Verschwörung". Auf der CD "Öl ins Feuer" spielt die Band mit antisemitisch konnotierten Begriffen wie z.B. "Ostküste", "Zinsknechtschaft" oder Z.O.G. ("Zionist Occupied Government") als Synonyme für eine angebliche jüdische Weltherrschaft. Das Thema "jüdische Weltverschwörung" zieht sich durch die gesamte CD. In dem Titel "(Ihr seid) das Pack" heißt es z.B.: "Im Hintergrund lenkt euer Boss/Ihr seid die Narren des Soros!" 51 Im Lied "Zerschlagt die Antifa" werden mit politischen Gegnern und Juden gleich zwei Feindbilder der Rechtsextremisten verknüpft: "Da kommt die Staatsjugend Mit bunten Haaren Wenig Hirn. Dafür viel Affentanz Wem sie wirklich dienen Werden sie nie erfahren Der US Ostküsten-Hochfinanz!" Das rechtsextremistische Duo "A3stus", das zu verschiedenen rechtsextremistischen Teilspektren Kontakt hatte, löste sich wegen persönlicher Differenzen auf. Ihr Frontmann "Villain051" will als rechtsextremistischer Liedermacher mit anderen Projekten weiter Musik machen. Er wurde im Dezember wegen seiner Liedtexte wegen Volksverhetzung und Verstoßes gegen das Jugendschutzgesetz verurteilt. 51 George Soros ist ein amerikanischer Finanzinvestor jüdischer Religionszugehörigkeit. 118 Rechtsextremismus 3.4.5 Europäische Aktion Die Szene der Holocaustleugner war nach den Verboten im Jahr 2009 von "Collegium Humanum", dem "Verein für die Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV), Haftstrafen für einige Mitglieder (z.B. Horst Mahler), der Gefahr anhaltender Strafverfolgung wegen Volksverhetzung bzw. Holocaustleugnung und auch wegen Überalterung insbesondere in Berlin stark ausgedünnt. Die "Europäische Aktion" (EA), die der Szene der Holocaustleugner zuzurechnen ist, pflegte Öffentlichkeitsarbeit nur noch über ihre wenig beachtete Internetpräsenz. In Berlin erregte das Strafverfahren gegen eine mehrfach vorbestrafte 89-jährige Holocaustleugnerin aus Nordrhein-Westfalen Aufmerksamkeit, die vom Berliner Amtsgericht im Oktober zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt wurde. Sie hatte bei einer Veranstaltung in einer Berliner Gaststätte am 30. Januar 2016 behauptet, dass es den Holocaust nicht gegeben hätte. Am 10. Juni beschloss die "Europäische Aktion" ihre Auflösung "in ihrer operativen Form",52 da alle EA-Ziele erreicht worden seien. In welcher Form und an welcher Stelle Ziele erreicht worden sind, gab sie nicht bekannt. Es würden aber weiterhin die Internetpräsenz der EA gepflegt und deren Anliegen durch Einzelpersonen in eigener Verantwortung weitergetragen werden. Tatsächlich dürfte die Auflösung vor allem wegen Inaktivität der Mitglieder und internen Streits der wenigen Aktivisten erfolgt sein. Zudem spielten Holocaustleugner auch in der rechtsextremistischen Szene und in der allgemeinen Öffentlichkeit eine zunehmend geringere Rolle. Das Provokationspotenzial durch Holocaustleugnung sank mit schwindendem öffentlichen Interesse für die absurden Thesen der Holocaustleugner. Andere Verschwörungstheorien beispielsweise aus der Szene der "Reichsbürger" hatten in den letzten Jahren wegen ihrer Dauerpräsenz in den Medien einen deutlich höheren Verbreitungsgrad. 52 Auflösungserklärung der EA auf ihrer Internetpräsenz, Aufruf am 13.11.2017. 119 3.5 Fazit und Ausblick Die rechtsextremistische Szene in Berlin vermittelt aktuell ein uneinheitliches Bild: Während der traditionelle Rechtsextremismus seit Jahren geschwächt ist, reüssieren Teile des muslimenfeindlichen Rechtsextremismus und schmieden Allianzen mit Teilen der so genannten "Neuen Rechten", um ihren gesellschaftlichen Einfluss zu steigern. Dies gelingt ihnen trotz einer in Relation zu den traditionellen Rechtsextremisten deutlich geringeren Anzahl an Aktivisten, da sie nur zehn Prozent des gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzials ausmachen. Die traditionellen Rechtsextremisten in Berlin haben es derzeit aufgegeben, mit vermeintlich anschlussfähigen Themen ihre Reichweite zu erhöhen. Ihre öffentlichen Aktionen haben inzwischen nur noch Bezug zur NS-Ideologie und gelten ausschließlich der eigenen Szene zur Identitätsstiftung und zur Abschottung gegenüber der Gesellschaft. Die Gefahr durch den muslimenfeindlichen Rechtsextremismus kann hingegen leicht unterschätzt werden, da sie ihren Extremismus im Gewand eines vermeintlich legitimen Beitrags zu öffentlichen Diskussionen über die Themen Zuwanderung oder Religionsausübung verschleiert. Neben der pauschalen Diskriminierung sollen bestimmten Bevölkerungsgruppen elementare Grundrechte wie die freie und ungestörte Religionsausübung, die in Artikel 4 des Grundgesetzes verankert ist, aberkannt werden, da Gruppen des rechtsextremistischen muslimenfeindlichen Spektrums das Recht auf freie Religionsausübung für Muslime einschränken bzw. teilweise - z.B. mit der Forderung nach einem Verbot des Baus von Moscheen - ganz versagen wollen. Der Erfolg rechtspopulistischer Akteure hat für einen Teil der traditionellen rechtsextremistischen Szene, aber insbesondere für rechtsextremistische Parteien, teilweise existenzielle Auswirkungen. Einerseits gingen ihnen Ressourcen wie Wählerstimmen und potenzielle neue Mitglieder verloren, andererseits 120 Rechtsextremismus lösten diese Erfolge bei vielen Mitgliedern rechtsextremistischer Parteien eine Sinnkrise und somit Frustration aus. Die Reaktionen auf die aktuelle Schwäche von Teilen der Szene fallen unterschiedlich aus: Während die Partei "Bürgerbewegung Pro Deutschland" ihre Auflösung erklärte und ihren Mandatsträgern in einigen Kommunalparlamenten den Eintritt in die AfD empfahl, reagieren Teile des traditionellen Rechtsextremismus insbesondere in Neukölln mit einer Welle von Gewalt gegenüber denjenigen, die sie für ihre aktuelle Krise verantwortlich machen. Die Berliner NPD wiederum ringt noch um eine strategische Ausrichtung nach dem Verbotsverfahren und der Bundestagswahl. Fluktuation beim Führungspersonal verhindert dabei einen zielgerichteten innerparteilichen Prozess, so dass die Entwicklung noch vollkommen offen ist. Trotz der aktuellen Krise insbesondere des traditionellen Rechtsextremismus bleibt die Mobilisierungsund Kampagnenfähigkeit sowie Gewaltbereitschaft der Szene weiterhin hoch. Demonstrationen von bis zu 750 Teilnehmern oder die massive Präsenz von muslimenfeindlichen Rechtsextremisten in der öffentlichen Wahrnehmung zeugen von einer weiterhin hohen Zugkraft rechtsextremistischer Inhalte zumindest auf eigene Mitglieder. Welchen Verlauf die Entwicklungen in der rechtsextremistischen Szene auch nehmen werden: Basis für die Existenz der traditionellen rechtsextremistischen und muslimenfeindlichen Szene bleibt weiterhin eine menschenverachtende Ideologie, die einige Gruppen nach außen kaschieren. Wie die nachlassende Zustimmung zu den "Merkel-muss-weg"-Demonstrationen oder den "Nein-zum-Heim"-Bürgerbewegungen zeigen, haben diese Verschleierungstaktiken von Rechtsextremisten bislang nur vorübergehend Erfolg. 121 122 4 Reichsbürger und Selbstverwalter 123 4 Reichsbürger und Selbstverwalter Reichsbürger und Selbstverwalter Mitglieder: Berlin: 500 (davon 110 Rechtsextremisten) (2016: 400 (davon 100 Rechtsextremisten)) "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - u.a. unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen. Die Anhänger der "Reichsbürgerszene" teilen die Vorstellung, Deutschland würde von einer "BRD GmbH" verwaltet und sei weiterhin von den Alliierten besetzt. Ideologisch vertreten rechtsextremistische "Reichsbürger" neben Verschwörungstheorien z.T. revisionistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein. Insbesondere gegenüber Gerichten und Behörden treten "Reichsbürger" aggressiv auf, versuchen Geschäftsprozesse zu stören und mit massenhaft versandten pseudojuristischen Schreiben Behördenmitarbeiter einzuschüchtern. 124 Reichsbürger und Selbstverwalter Berlin war eines der ersten Länder, in denen die Verfassungsschutzbehörde die so genannte "Reichsbürgerbewegung" in Gänze beobachtete. Sie bewegt sich in einem extremistischen, aber nicht notwendigerweise klassischen rechtsextremistischem Spektrum. Bis zu zwei Vorfällen im Jahr 2016 in Bayern und Sachsen-Anhalt, in denen Reichsbürger gegenüber Polizeibeamten Waffen einsetzten und dabei einen Beamten töteten, hatte nur der Teil der Szene im Fokus der Beobachtung durch die meisten Verfassungsschutzbehörden gestanden, der sich eindeutig rechtsextremistisch geäußert hatte und/oder als gewaltbereit bekannt war. Wegen der Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in Kombination mit steigender Gewaltaffinität wurde die Beobachtung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben auch auf nicht rechtsextremistische Anhänger der Reichsbürgerszene ausgeweitet. Daher stieg die Zahl der beobachteten Reichsbürger im Jahr 2016 deutlich an. Die weitere Steigerung gegenüber 2016 beruht auf einem verbesserten Informationsaufkommen der Verfassungsschutzbehörden. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder haben die Bearbeitung der "Reichsbürger"und "Selbstverwalterszene" auf Bundesebene seit Ende 2016 intensiviert und konnten so zahlreiche weitere Anhänger identifizieren. Für die kommenden Monate ist ein weiterer Anstieg des Personenpotenzials vor allem aufgrund der fortwährenden Aufklärung der Szene wahrscheinlich. Aus ihrer Vorstellungswelt heraus gründen Reichsbürger "kommissarische Reichsregierungen" oder "provisorische Regierungssitze", um vermeintliche Regierungsund Amtsgeschäfte zu führen und beispielsweise zu versuchen, Kontakte zu ausländischen Botschaften oder der UNO herzustellen. Ein großer Teil der Anhänger versucht, die vermeintliche Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten sowie Pseudorechtsgutachten zu belegen und so zu bekämpfen. Dies machen "Reichsbürger" bevorzugt in umfangreichen Schreiben, üblicherweise an Behörden, Politiker und Gerich125 te. Darüber hinaus bringen die Aktivisten - überwiegend kostenpflichtig - verschiedene Phantasieausweise und -dokumente in Umlauf, die deren Inhaber als "Bürger", "Mitglied" oder auch "Diplomat" der jeweiligen Gruppierung ausweisen. "Reichsbürger" sind in der Masse keiner Gruppierung zuzurechnen. Sie halten teilweise in sozialen Netzwerken, mit eigenen Videokanälen oder Internetpräsenzen zueinander Kontakt. Seit einigen Jahren werden zunehmend Aktivitäten der "Reichsbürger" in der Öffentlichkeit bekannt. Dabei geht es z.B. um veröffentlichte Krönungszeremonien von selbsternannten Königen, Demonstrationen vor dem Reichstagsgebäude oder Störungen von Gerichtsverhandlungen und Behinderungen von Vollzugsmaßnahmen. Trotz der querulatorischen Auffälligkeiten verhielt sich die "Reichsbürgerszene" in Berlin bislang vor allem verbal aggressiv. Ihre Drohungen in Schreiben beispielsweise an Richter, Staatsanwälte oder Sachbearbeiter von Behörden hatten für die Adressaten bislang keine physischen Folgen. Wie Fälle in der jüngsten Vergangenheit gezeigt haben, sind einzelne Vertreter der so genannten "Reichsbürgerbewegung" aber durchaus bereit, ihre Vorstellungen nicht nur mit Widerstandshandlungen, sondern auch mit Waffengewalt umzusetzen. Am 25. Januar wurden zwölf Wohnungen und weitere Räumlichkeiten von "Reichsbürgern" in Berlin und mehreren anderen Bundesländern durchsucht. Ihr Anführer, ein Rechtsextremist aus Baden-Württemberg, hatte mehrfach geäußert, Anschläge auf Polizisten, Juden, Muslime und Asylbewerber begehen zu wollen. Bei den Durchsuchungen wurden Waffen und Munition gefunden. Die Personen waren über soziale Netzwerke miteinander verbunden. 126 Reichsbürger und Selbstverwalter Die "Reichsbürger"-Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) forderte Mitte Oktober die Bezirksbürgermeisterin von Steglitz-Zehlendorf auf, ihren "Verwaltungssitz" (Rathaus Zehlendorf) zu räumen und die Schlüssel am 19. Oktober zu übergeben. An diesem Termin erschienen tatsächlich drei Personen der Gruppierung im Vorzimmer der Bezirksbürgermeisterin, um diese so genannte Räumungsverfügung durchzusetzen. Die Aktion wurde von der Polizei beendet. Mit einem Schreiben vom 30. Dezember forderte der selbsternannte "Stellvertretende Magistrat von Berlin" der Gruppe "Geeinte deutsche Völker und Stämme" den Bundespräsidenten auf, die Vorbereitung einer Konferenz zur Übergabe deutscher Hoheitsgebiete an die "GdVuSt" zu übernehmen. Diese Konferenz solle am 20. Januar 2018 im Berliner Abgeordnetenhaus stattfinden. Die Polizei konnte an dem betreffenden Tag vor Ort jedoch keine "Reichsbürger" feststellen. In Berlin waren bislang neben einer Vielzahl von einzelnen "Reichsbürgern" insbesondere die Gruppierungen "Die Exilregierung Deutsches Reich" und "Staatenlos" aktiv. Bei den Auftritten von "Staatenlos"-Anhängern bei Gerichtsverhandlungen kommt es in der Regel zu Störungen, Gerangel und lautstarken verbalen Ausfällen. Teilweise versuchen die "Staatenlos"-Anhänger auch unter Gewaltanwendung, in das Gerichtsgebäude zu gelangen. Zudem sucht "Staatenlos" in jahrelanger Dauerpräsenz mit einer Art Infostand vor dem Reichstagsgebäude die Öffentlichkeit. Die dort wie auf ihrer Internetseite getätigten Ausführungen sind mitunter vulgär und ehrabschneidend. Mit dem "Freistaat Preußen" sowie einem "Amt für Menschenrecht" waren auch Ableger von Gruppen mit Sitz in anderen Bundesländern in Berlin aktiv. Aktivisten beider Gruppierungen sind mit Widerstandshandlungen polizeilich bekannt geworden. Die Berliner Anlaufstelle des "Amts für Menschenrechte" in Neukölln wurde geschlossen. 127 Der "Reichsbürgerszene" zugerechnet werden auch so genannte "Selbstverwalter", die auf eigenen Liegenschaften ein imaginiertes staatsähnliches Gebilde gründen und sich dort auf außerbundesrepublikanischem Gelände wähnen. In Berlin sind "Selbstverwalter" in der "Reichsbürgerszene" nur Ausnahmeerscheinungen. 128 5 Linksextremismus 129 5 Linksextremismus 5.1 Ideologie und Historie Linksextremismus Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die auf einer Verabsolutierung der aufklärerischen Werte von Freiheit und Gleichheit beruhen, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Neben der Abschaffung der marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung, die allein keinen Anhaltspunkt für verfassungsfeindliche Bestrebungen begründet, streben Linksextremisten auch die Abschaffung der repräsentativen Demokratie an. Dieses, meist auf den Begriff des Kapitalismus reduzierte "System", soll entweder durch die Herrschaft einer zentralistischen Partei, durch dezentrale Selbstverwaltungen oder die Eliminierung jeglicher Regierungsstrukturen ersetzt werden. Verfechter solcher Ideen gründen Parteien und Organisationen, um bei Wahlen anzutreten oder für ihre Ziele öffentlich zu werben. Andere versuchen, zivilgesellschaftliche Initiativen zu unterwandern, um diese in ihrem Sinne zu beeinflussen. Organisationsund theorieferne "Autonome" setzen eher auf demonstrative bis militante Ausdrucksformen, um damit Signalwirkung zu erzielen - und missachten dabei bewusst das staatliche Gewaltmonopol. Gemeinsam ist ihnen die Neigung, soziale Problemlagen politisch zu instrumentalisieren und vordergründig im Gewand legitimer Gesellschaftskritik zu verschleiern. 130 Linksextremismus Die Erweiterung des Extremismusbegriffs um die Richtungsangabe "Links" ist historisch bedingt: Am Vorabend der Französischen Revolution saßen links vom Parlamentspräsidenten der Nationalversammlung die Kräfte, die sich gegen die alte feudalistische Ordnung auflehnten und den Werten der Aufklärung politisch die Bahn brachen. Als Linksextremismus erhält der Begriff heute seinen Gehalt in der Verabsolutierung der aufklärerischen Ziele von Freiheit und Gleichheit, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Versuche, diese Konzepte in die Realität umzusetzen, scheiterten sämtlich. Die Idee des Kommunismus setzt das Ziel der Gleichheit absolut und macht die kapitalistische Eigentumsordnung für die immensen sozialen Ungleichheiten am Beginn des Industriezeitalters verantwortlich. Marx und Engels unterscheiden in Besitzer ("Bourgeoisie") und Nicht-Besitzer ("Proletariat") von Produktionsmitteln, die ihre gegensätzlichen Interessen nach einem historischen Gesetz ("Historischer Materialismus") im Klassenkampf austragen. Durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie sollten mit den Produktionsverhältnissen ("Basis") schrittweise auch die Herrschaftsverhältnisse ("Überbau") überwunden werden. Über den Sozialismus und die "Diktatur des Proletariats" führe der Weg in den vollständig egalitären Kommunismus. In der Praxis fand die Arbeiterklasse jedoch nicht über ihr "Sein" selbständig zum revolutionären "Bewusstsein". Lenin ergänzte die Theorie daher um eine "Partei neuen Typs" als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse. Stalin erweiterte den Führungsanspruch der Partei zu einem quasi-religiösen Kult um seine eigene Person. Und Mao schließlich versuchte nach Ausschaltung der Feinde innerhalb und außerhalb des Apparats mit gewaltigen Umerziehungsprogrammen auch die innere Opposition der Menschen zu brechen. Am Ende stand bzw. steht in allen Fällen des "real existierenden Sozialismus" nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur über das Proletariat. Der so genannte "Marxismus-Leninismus" ist gleichwohl bis heute die programmatische Grundlage kommunistischer Parteien. 131 Anders als der Kommunismus verabsolutiert der Anarchismus nicht die Idee der Gleichheit, sondern die der Freiheit. In diesem Sinne gilt es zunächst nicht, das Eigentum abzuschaffen, sondern den Staat. Das Ziel ist eine herrschaftsfreie Gesellschaft ohne jegliche "Fremdbestimmung". Dennoch lehnen auch Anarchisten das Privateigentum als Herrschaftsform der Besitzenden über die Nicht-Besitzenden ab. Der Anarchismus verfügt über kein stringentes und vermeintlich wissenschaftliches Theoriegerüst, wodurch er sich vom Kommunismus unterscheidet. Es existieren eine Reihe von Auslegungen unterschiedlicher Vordenker. Überwiegend gemeinsam ist ihnen die Erwartung, dass die Menschen sich mit der Abschaffung hierarchischer Strukturen selbst organisieren, z.B. in dezentralen Räten. Der Weg dorthin muss entgegen landläufiger Meinung auch nicht zwingend gewaltsam sein, sondern setzt in der syndikalistischen Interpretation z.B. bei gewerkschaftlicher Organisierung an. Mit dem Anarchismus historisch verbunden bleiben jedoch die als "Propaganda der Tat" gedachten Attentate auf zahlreiche Staatsoberhäupter an der Wende zum 20. Jahrhundert. Die erhoffte Signalwirkung für einen "Aufstand der Massen" hatten diese jedoch nicht und so blieb die Idee des Anarchismus im Hinblick auf ihre Umsetzung nach anfänglich großer Resonanz eine Fußnote der Geschichte. Die auf dem Prinzip der "wehrhaften Demokratie" gründende Bundesrepublik Deutschland setzte durch das Verbot der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) - sie hatte zum revolutionären Sturz des Adenauer-Regimes aufgerufen - im Jahre 1956 ein Zeichen gegen den parteipolitischen Extremismus von Links. Im Kampf gegen den mit politischen Morden agierenden Linksterrorismus - mit dem Kulminationspunkt im "Deutschen Herbst" 1977 - erlebte die freiheitliche demokratische Grundordnung wohl ihre größte Bewährungsprobe. Die Strategie der "Roten Armee Fraktion" (RAF) zielte - erfolglos - darauf ab, den Staat durch Attentate auf seine Repräsentanten zu Überreaktionen zu provozieren, um dessen vermeintlich autoritäres und faschistisches Wesen zu demaskieren. Seit den 1980er Jahren wird das Bild vom Linksextremismus in 132 Linksextremismus Deutschland vor allem von den so genannten "Autonomen" geprägt, die mit ihrem martialischen Auftreten in "Schwarzen Blöcken" und oftmals krawallartigem Aktionismus manchmal den Eindruck eines eher unpolitischen Vandalismus erwecken. Doch diese Einschätzung bliebe vordergründig. Autonome grenzen sich vom strengen Dogmatismus und der kaderartigen Organisation kommunistischer Parteien wie auch von Linksterroristen ab. Wie Anarchisten besitzen sie kein geschlossenes Theoriegebäude. Die Unterwerfung unter einen organisierten Willen lehnen sie kategorisch ab. Diese Theorieund Organisationsferne ist wesentlicher Teil ihrer Ideologie, die das Individuum und seine Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt stellt. Das Prinzip der so genannten "Politik der ersten Person" beruht auf dem souveränen Handeln aufgrund individuellen Betroffenseins. Entscheidungen über das eigene Leben sollen nicht von Dritten stellvertretend getroffen werden. Dieses selbstermächtigende Politikverständnis manifestiert sich praktisch u.a. im militanten Widerstand gegen alles, was subjektiv als Missstand empfunden wird - nach dem Credo "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Aus dieser Haltung heraus lehnen Autonome sowohl das Repräsentationsprinzip wie auch das staatliche Gewaltmonopol ab. Im historischen Rückblick sind für Berlin drei Strömungen von Autonomen zu unterscheiden: Die Hausbesetzer-Szene Anfang der 1980er Jahre als Reaktion auf zunehmende Wohnraumspekulation, zweitens die "Antifa" Anfang der 1990er Jahre in Folge einer Welle fremdenfeindlicher Übergriffe sowie drittens und aktuell die (re)organisierten Postautonomen, die vor allem im Zuge von Globalisierungskritik und Finanzkrise Aufwind erhalten. Letztere sind nicht mehr als Autonome im ursprünglichen Sinne zu bezeichnen. Im politischen Protest u.a. gegen Kapitalismus, Gentrifizierung, Repression, Faschismus und Rassismus suchen und finden diese Strömungen in unterschiedlichem Ausmaß Anschluss an subkulturell verwandte oder ideologisch nahestehende Milieus. Das macht die Unterscheidung zwischen dem Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und für ein legitimes gesellschaftliches Anlie133 gen erheblich schwieriger als in anderen Phänomenbereichen des politischen Extremismus. 5.2 Personenpotenziale und Straftaten Linksextremisten führen ihren Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowohl mit legalen als auch mit illegalen Mitteln. Zu den legalen gehören Parteiund Vereinsgründungen sowie die Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen und das Erstellen von Publikationen zur Verbreitung ihrer politischen Ideen. Hierfür nutzen sie intensiv auch das Internet. Unter anderem dadurch, dass sie aktuelle Themen aufgreifen, die viele Menschen bewegen, sind sie bemüht, sich weit über ihr eigenes Spektrum hinaus zu vernetzen. Zu diesem Zweck versuchen sie außerdem andere Organisationen und Zusammenschlüsse zu unterwandern. Manchmal treten sie zu Wahlen an. Primäres Ziel ist es, Menschen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu gewinnen. Darüber hinaus kämpfen Teile der linksextremistischen Szene auch mit illegalen Mitteln gegen das ihnen verhasste "System". Dabei begehen sie Straftaten bis hin zu schwerer Gewalt gegen Repräsentanten und Institutionen von Staat und Wirtschaft, andere Personen oder Organisationen, die sie als politische Gegner betrachten, sowie gegen Fahrzeuge und Gebäude, deren Besitzer nicht in ihr Weltbild passen. Insofern sind sowohl die Personenpotenziale wie auch die Zahl der Straftaten wichtige quantitative Indikatoren für die aktuelle Entwicklung im Berliner Linksextremismus. 134 Linksextremismus Personenpotenzial Linksextremismus in Berlin* Berlin 2016 2017 Gewaltbereite Linksextremisten, davon: 970 980 Autonome 650 640 Postautonome 320 340 Nicht-gewaltbereite Linksextremisten, davon: 1 640 1 800 "Rote Hilfe e.V." 1 300 1 450 Sonstige 53 340 350 Linksextremistische Parteien 180 170 Gesamt 2 790 2 950 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Die Entwicklung des linksextremistischen Personenpotenzials in Berlin verläuft seit Jahren in die tendenziell gleiche Richtung. Wie seit 2012 zu beobachten, beruht der Anstieg auf einem Mitgliederzuwachs bei den eher unterstützend und propagandistisch wirkenden Organisationen, vor allem beim "Rote Hilfe e. V.", dem es erneut gelang, neue Mitglieder zu rekrutieren. Die Verschiebung zwischen den traditionellen Autonomen und den moderneren Postautonomen zugunsten Letzterer hat sich in der Dynamik verlangsamt, verläuft aber weiterhin in dieselbe Richtung. 53 Überwiegend orthodoxe Linksextremisten. 135 "Rote Hilfe e.V." (Ortsgruppe Berlin) Gründung: 1995 Mitglieder: Berlin: 1 450 (2016: 1 300) Die "Rote Hilfe" wurde unter historischer Bezugnahme auf einen von 1924 bis 1936 bestehenden gleichnamigen Vorläufer 1975 als eingetragener Verein neu gegründet. 1995 entstand die Ortsgruppe Berlin, die sich mittlerweile zur mit Abstand größten linksextremistischen Organisation der Stadt entwickelt hat. Die "Rote Hilfe" versteht sich gemäß Satzung als "linke Schutzund Solidaritätsorganisation" für alle, die aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt würden. Sie unterstützt von Strafermittlungen Betroffene materiell und politisch. Ausschlaggebend ist allein die politisch linke Motivation der Tat. Die "Rote Hilfe" versteht sich als Gegengewicht zu den "staatlichen Repressionsorganen", welche die bestehenden "Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse" verteidigen würden. Trotz der eindeutigen Ausrichtung verfolgen nicht alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen. Die an Statuten und Aktivitäten erkennbaren Bestrebungen der Organisation und ihrer Entscheidungsträger führen jedoch zu ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Da alle Mitglieder Beiträge zahlen und zudem Spenden akquiriert werden, verfügt die "Rote Hilfe" über erhebliche finanzielle Mittel. 136 Linksextremismus Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - Links* 2016 2017 Gewaltdelikte 379 250 Sonstige Delikte 847 928 Gesamt 1 226 1 178 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2017" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/ inneres/sicherheit/statistiken/index.html eingestellt. Die Anzahl der Strafund Gewalttaten ist gegenüber dem Vorjahr gesunken. Die Statistik 2016 spiegelte insbesondere die Geschehnisse rund um eine vermeintliche Räumung der Rigaer Straße 94 wider. Auch 2017 gab es ein zentrales Ereignis, das sich auch in der Statistik der Strafund Gewalttaten der Hauptstadt niederschlägt: die gewalttätig verlaufenen Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg. So kam es zu einer Reihe von Resonanzaktionen im Vorfeld sowie im Nachgang des Gipfels. Das Gewaltniveau bleibt daher weiterhin quantitativ hoch, die Hemmschwelle zu Angriffen auf Leib und Leben nicht nur verbal niedrig. 5.3 Aktuelle Entwicklungen Das Jahr 2017 war aus linksextremistischer Sicht dominiert vom Gipfel der G20-Staatsund Regierungschefs im Juli in Hamburg. Nach mehreren Jahren, in denen sich die linksextremistische Szene Berlins in einem Strukturwandel befand (bzw. partiell noch befindet) und teilweise in resignativer Selbstbetrachtung verharrte (autonome Antifa), vermittelten die Ereignisse in Hamburg identitätsstiftende Selbstwirksamkeitserfahrungen. 137 Folgerichtig wird in zahlreichen Veröffentlichungen aus dem autonomen Spektrum der "Geist von Hamburg" beschworen, den es zu konservieren und in Kämpfe vor Ort zu übertragen gelte.54 Die sich im Rahmen der Proteste gegen den G20-Gipfel manifestierende Gewalt stelle einen symbolischen Angriff auf Privateigentum und Kapital dar und setze ein "eindrückliches Zeichen dafür, dass die Grenzen der repressiven Ordnung überschritten werden können". Sie mobilisiere "für den militanten Kampf in den Betrieben und Stadtteilen".55 Auch die "Rigaer 94" sieht die Notwendigkeit, die "Revolte von Hamburg zurück in die Kieze (zu) tragen", nicht zuletzt, um die Kontrolle über den jeweiligen Stadtteil zu erlangen. Die Ereignisse von Hamburg seien geeignet, wieder "Anschluss an gesellschaftliche Prozesse" zu finden. "Revolte und Aufstand" seien in der Folge der Proteste auch anderswo möglich.56 Begleitkampagnen wie "United we stand",57 mit denen die im Rahmen der Proteste Festgenommenen unterstützt werden sollen, dienen nicht zuletzt dazu, den vermeintlichen "Geist von Hamburg" zu beschwören und das Thema in der öffentlichen Aufmerksamkeit zu halten. 54 Die Revolte aus Hamburg zurück in die Kieze tragen" in: "G20 Explorer. Das war der Gipfel. Autonomes Blättchen #30. Sep-Nov 2017". S. 30 ff. Schreibweise im Original. 55 "Links, gewaltbereit, demokratiefeindlich (Teil 1)" auf der Internetpräsenz "lowerclassmag". Veröffentlicht am 4.8.2017. Abgerufen am 7.8.2017. 56 "[Rigaer] Die Revolte von Hamburg zurück in die Kieze tragen" auf der Internetpräsenz "linksunten". Veröffentlicht am 4.8.2017. Abgerufen am 7.8.2017. 57 Vgl. hierzu die Internetpräsenz "unitedwestand" sowie "United we stand!" auf der Internetpräsenz "rote-hilfe". Veröffentlicht am 27.7.2017. Abgerufen am 16.11.2017. 138 Linksextremismus Ob es tatsächlich gelingt, die Dynamik von Hamburg in "Alltagskämpfe" zu übertragen, wird sich zeigen. Angriffe wie der schwere Landfriedensbruch in Alt-Treptow im November, bei dem Brandflaschen auf das Gebäude eines Gründerzentrums geworfen wurden, deuten darauf hin, dass zumindest der Versuch unternommen wird. Auch postautonome Zusammenschlüsse bewerten die Ereignisse von Hamburg als bahnbrechend. Sie haben sich maßgeblich in die Vorbereitungen der Gipfelproteste eingebracht mit dem Ziel, diese zu choreographieren. Dabei geht es ihnen einerseits um Öffentlichkeitswirksamkeit. Sie gerieren sich als "gemäßigte Protestierer" an der Schnittstelle zur Zivilgesellschaft. Gleichzeitig schaffen sie jedoch mit ihrer offensiven Aufforderung zu "zivilem Ungehorsam" (der unklar definiert bleibt) und einer mindestens unzulänglichen Abgrenzung gegenüber Gewaltausübung immer wieder freie Räume, in denen gewaltorientierte Gruppierungen und Einzelpersonen agieren. Dass dies kein Nebeneffekt, sondern kalkulierte Absicht ist, belegt z.B. eine Äußerung des "... um's Ganze!" - Bündnisses, in der es heißt, in Hamburg habe es "mit einer Beteiligung und Freude, wie es sie lange nicht mehr gab" stundenlang "geknallt". Aus politischer Militanz sei ein soziales Ereignis geworden, indem "Kids aus dem Viertel" gemeinsam mit "Aktivist*Innen aus ganz Europa" agierten. Die Strategie, den Protest zu spalten und militante Aktionsformen zu kriminalisieren, sei gescheitert. Im Gegenteil habe sich die Vielfalt der Aktionsformen ergänzt: 139 "Denn ohne militante Aktionen an anderer Stelle, die viel Polizei gebunden haben, wären wohl weder die Blockadefinger noch die Hafenblockade so relativ erfolgreich gewesen." 58 Das Bündnis, in dem die Gruppierung "TOP B3rlin" eine wichtige Rolle spielt, gibt mit diesem Resümee zu erkennen, dass es sich seiner autonomen Wurzeln nach wie vor verbunden fühlt. Die "Interventionistische Linke" (IL) sieht die Ausschreitungen von Hamburg ebenfalls im Kontext von Selbstermächtigung und stilisiert sie zu einem "Konflikt um Demokratie" sowie einem "Kampf um das Recht auf die Stadt". "NeuPolitisierte" und insbesondere "die Jugend" hätten der "Arroganz der Macht" die Stirn geboten.59 Auch die IL offenbart mit diesem Statement, dass ihre Distanzierung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ("Aktionskonsens") taktisch motiviert und beliebig ist. Sie sieht die Verantwortung für die Gewalteskalationen bei der Polizei und positioniert sich klar auf Seiten der Gewalttäter. Euphemistisch erklärt sie, die "Unterbrechung und Zurückweisung (der staatlichen) Ordnung" sei verständlich und könne nicht aus dem Kontext gelöst werden, in dem sie stattfand. "Wir haben schon vorher gesagt, dass wir uns nicht distanzieren werden und dass wir nicht vergessen werden, auf welcher Seite wir stehen." 60 58 "EIN GRUSS AUS DER ZUKUNFT. MITTEILUNG DES ...UMS GANZE!-BÜNDNIS ZUM VERLAUF DER G20-PROTESTE IN HAMBURG" auf der Internetpräsenz "umsganze". Veröffentlicht und abgerufen am 11.7.2017. Schreibweise im Original. 59 "Die rebellische Hoffnung von Hamburg. Eine erste, vorläufige Bilanz der Interventionistischen Linken" auf der Internetpräsenz "interventionistische-linke". Veröffentlicht und abgerufen am 12.7.2017. 60 Ebd. 140 Linksextremismus Insofern sind die Ereignisse von Hamburg geeignet, sich im kollektiven Gedächtnis der linksextremistischen Szene nachhaltig zu verankern. Um dessen mögliche Auswirkungen einschätzen zu können, ist es notwendig, einen detaillierteren Blick über die Hauptstadt hinaus auf die Geschehnisse rund um den Gipfel zu werfen. Für künftige Großproteste könnten diese Maßstäbe setzen - auch in Berlin. Für die Hauptstadt selbst ist aus linksextremistischer Sicht das Thema Anti-Gentrifizierung von besonderer Relevanz. Die Auswirkungen umfassender Stadtumstrukturierungen sind für immer mehr Menschen virulent und bieten insofern zahlreiche Anknüpfungspunkte für linksextremistischen Protest. So engagieren sich postautonome Gruppierungen in Stadtteilinitiativen bzw. lokalen Konflikten zwischen Gentrifizierungsgewinnern und -verlierern. Sie versuchen, diese in ihrem Sinne zuzuspitzen und sukzessive zu dominieren. Autonome fokussieren dagegen auf militante Aktionen gegen Neubauten, Firmen und Investoren als Symbole des verhassten kapitalistischen "Systems". Die Räumung des Stadtteilzentrums "Friedel 54" am 29. Juni wurde von der autonomen Szene zu einem Sinnbild für eine vermeintliche Bekämpfung von "Freiräumen" und einer schleichenden sozialen Verdrängung in Neukölln stilisiert - um auf diese Weise eine Betroffenheit über Szenegrenzen hinaus zu erzeugen. Dies gelang jedoch nur bedingt. Zwar gab es eine breite Solidarisierung und im 141 Rahmen der Kampagne gegen die Räumung wurden zahlreiche Straftaten in einen Zusammenhang zur "Friedel 54" gestellt. Gleichwohl gelang es nicht, ihr eine der "Rigaer 94" vergleichbare Bedeutung zu verleihen. Im Ergebnis verlief die Räumung keineswegs friedlich, jedoch vergleichsweise moderat. Hauptgegner der "Antifa" ist die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD). Wahlerfolge und ihre zunehmende Repräsentanz in Parlamenten stehen aus linksextremistischer Sicht für einen Rassismus der gesellschaftlichen Mitte, den es zu bekämpfen gelte. Das (Vereins-)Verbot des Internetportals "linksunten.indymedia",61 das von Linksextremisten u.a. zur Veröffentlichung von Diskussionsbeiträgen und Selbstbezichtigungsschreiben genutzt wurde, fand in der linksextremistischen Szene Berlins kaum Widerhall. 5.3.1 Der G20-Gipfel in Hamburg als Kristallisationspunkt linksextremistischer Aktivitäten Das Treffen der G20-Staatsund Regierungschefs am 7. und 8. Juli in Hamburg stellte das wichtigste Referenzereignis der linksextremistischen Szene 2017 dar. Anti-Kapitalismus Anti-Kapitalismus in linksextremistischem Verständnis bezieht sich auf Karl Marx, nach dessen Theorie durch die Produktionsauch die Herrschaftsverhältnisse überwunden werden sollen. Der Kampf gegen das 61 Vgl. die Pressemitteilung zum Thema auf der Internetpräsenz "bmi.bund.de". Veröffentlicht am 25.8.2017. 142 Linksextremismus "kapitalistische System" hat für Linksextremisten deshalb nicht nur die Abschaffung der marktwirtschaftlichen Ordnung, sondern auch der parlamentarischen Demokratie zum Ziel. Im Kapitalismus sehen sie u.a. die Ursache für Kriege (Imperialismustheorie) und Faschismus (Dimitroff-These). Und selbst Autonome finden im - von ihnen so bezeichneten - "Schweinesystem" Erklärungen für vermeintlich staatliche Repression sowie die Verdrängung aus "Freiräumen". Durch weltweite Wirtschaftsund Finanzkrisen am Beginn des neuen Jahrtausends hat die Marxsche Kapitalismusanalyse und damit der "klassische" Anti-Kapitalismus eine Renaissance erlebt. Viele Menschen fühlen sich zudem dem ökonomischen, politischen, sozialen und auch kulturellen Veränderungsdruck einer "entfesselten" Globalisierung nicht gewachsen. In per se nicht-extremistischen, aber globalisierungskritischen Bewegungen hoffen Linksextremisten daher Bündnispartner für ihre systemüberwindenden Ziele zu finden. Bereits ab Sommer 2016 wurde zu Protesten gegen den Gipfel aufgerufen. In Berlin formierten sich zunächst unabhängig voneinander zwei Vorbereitungskreise. Unter dem Namen "Autonom-anarchistische AntiG20-Vernetzung Berlin" trafen sich Autonome, u.a. aus dem "Häuserspektrum" (Hausbesetzer), zu regelmäßigen Gesprächen und Planungen. Die Plattform "#NoG20 Berlin Linksradikale Vernetzung in Berlin" umfasste dagegen eher größere autonome und postautonome Zusammenschlüsse. 143 Seit Anfang 2017 kooperierten diese beiden - sich ansonsten z.T. eher ablehnend gegenüberstehenden - Spektren in so genannten "Vollversammlungen gegen die Welt der G20 in Berlin". Dies kann als Indikator für den Stellenwert, der dem G20-Gipfel in der linksextremistischen Szene Berlins beigemessen wurde, gewertet werden. Dem entspricht auch die hohe Anzahl an lokalen und überregionalen Workshops, Konferenzen und Aktionstrainings, in deren Rahmen Strategien diskutiert und Praktiken "zivilen Ungehorsams" eingeübt wurden. Die bei der Berliner Mobilisierung federführende "Anti-G20-Vernetzung" äußerte in ihrem Aufruf: "Wir möchten unsere Utopien gegen die beschissene Welt der G20 in Stellung bringen. Es reicht uns! Wir wollen unsere Wut und unseren Widerstand unübersehbar auf die Straßen Hamburgs tragen! Wir rufen alle Gruppen und Menschen aus Berlin auf, zum G20 zu fahren und den Gipfel zum Desaster zu machen! ." 62 Im Rahmen einer so genannten militanten Begleitkampagne wurden ab August 2016 insgesamt ca. 50 Straftaten in Berlin verübt, die in einen Zusammenhang mit dem Gipfel-treffen gestellt wurden, darunter zahlreiche Brandanschläge auf Bahnanlagen, Funkmasten, Firmenund Diplomatenfahrzeuge, Ordnungsämter und Polizeidienststellen. 62 "Vive le Sabotage - Die Welt der G20 sabotieren!" auf der Internetpräsenz "antig20berlin. noblogs". Veröffentlicht und abgerufen am 14.12.2016. 144 Linksextremismus Auch die traditionelle "Revolutionäre 1. MaiDemonstration" stand 2017 im Zeichen der G20-Tagung. Sie wurde als gezielte Provokation unangemeldet durchgeführt und zog mit in der Spitze etwa 10 000 Teilnehmern durch Kreuzberg. Gegen Ende der Aufzugstrecke kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen mehr als 30 Polizeibeamte verletzt und rund 70 Personen festgenommen wurden. Die Organisatoren - im Wesentlichen "radikale linke | berlin" - verkündeten im Nachgang: "Wir sind vorbereitet, im Juli in Hamburg unser Recht auf Versammlung durchzusetzen." 63 "radikale linke | berlin" Gründung: 2014 Mitglieder: ca. 50 (2016: ca. 60) Die "radikale linke | berlin" wurde Ende 2014 gegründet, nach eigenen Aussagen von "Menschen mit politischer Praxis aus verschiedenen Strömungen, von ML64 bis autonomer Kleingruppe, von 63 "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration hat ein juristisches Nachspiel" auf der Internetpräsenz "neues-deutschland". Veröffentlicht am 6.5.2017. Abgerufen am 12.12.2017. 64 Gemeint ist "Marxismus-Leninismus". 145 Antifa bis Anarchismus". Sie versteht sich nach wie vor als "Gruppe im Aufbau". Es handelt sich somit um ein Sammelbecken, in dem sich u.a. Mitglieder der ehemaligen "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB), der "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) sowie anderer autonomer Gruppierungen neu organisieren mit dem Ziel, die Kleingruppenisolation zu überwinden und in größerem Verbund politisch handlungsfähiger zu werden. Bemerkenswert und ein Bruch mit traditionellen Gewohnheiten ist hierbei, dass ideologische und strategische Differenzen zugunsten einer Kooperation offensichtlich zurückgestellt werden. Die Erklärung der Gruppe, Militanz sei nicht das einigende Element der Mitglieder, ist nicht gleichzusetzen mit einer tatsächlichen Abkehr von Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele. Anders als die IL Berlin oder TOP B3rlin ist die "radikale linke | berlin" eine "klassische" autonome Gruppierung. Tatsächlich fanden im Rahmen des Gipfels insgesamt fast 50 Versammlungen und Aufzüge statt, die mit einer Vorabenddemonstration "Für eine solidarische Welt - gegen den G20-Gipfel in Hamburg! (Welcome to Hell!)", an der etwa 12 000 Personen teilnahmen, begannen. Der Aufzug war von Aktivisten des Bündnisses "Welcome to Hell" versammlungsrechtlich angemeldet worden. In Interviews hatten autonome Protagonisten im Vorfeld einen der "größten schwarzen Blöcke, die es in Europa jemals gegeben hat", angekündigt und geäußert, man wolle zwar "nicht gleich bei der ersten Provokation mit der Polizei" eine Eskalation, werde es aber nicht kampflos hinnehmen, wenn die Demonstration nicht starten dürfe. Diese Äußerungen sind im Sinne des "autonomen Selbstverständnisses" so zu 146 Linksextremismus werten, dass gewalttätige Aktionen grundsätzlich als "Widerstandshandlungen" gegen die von den "herrschenden Verhältnissen ausgehende Gewalt" angesehen werden. Folgerichtig hieß es im Hinblick auf den Verlauf der Demonstration: Werde man "angegriffen", werde es "natürlich knallen". Dass die autonomen Interviewpartner trotz dieser Aussagen bereits im Vorfeld von aktiver Gewaltausübung seitens der Demonstrationsteilnehmer ausgingen, belegen die ebenfalls im Interview getätigten Aussagen, das Ziel der "autonomen Vorabenddemonstration" sei es, zu erreichen, dass "nie wieder ein Gipfel in einer europäischen Großstadt" stattfinde. Zur Erreichung dieses Ziels seien "einige Leute bereit, ein gewisses Risiko einzugehen".65 Tatsächlich wurde die Demonstration kurz nach dem Start nach Anlegen von Vermummung sowie Flaschenund Steinwürfen auf Polizeibeamte aufgehalten. In der Folge kam es bis in die Morgenstunden zu gewalttätigen Ausschreitungen, bei denen zahlreiche, z.T. schwere Sachbeschädigungen begangen wurden. So schlugen Vermummte Scheiben an Banken, Geschäften sowie des Amtsgerichts Altona ein, errichteten Hindernisse auf Fahrbahnen, zündeten diese an und beschädigten geparkte Autos. An den Aktionen waren z.T. vierstellige Personengruppen beteiligt. 65 Vgl. zu den Zitaten "Zwei Alt-Autonome über G20. Das Outfit gehört dazu" auf der Internetpräsenz "taz". Veröffentlicht am 18.6.2017. Abgerufen am 22.6.2017. 147 Anti-Repression Der Kampf gegen vermeintliche staatliche Kontrolle und Repression ist konstitutiv für das Selbstverständnis von Autonomen und zugleich Ausdruck ihrer ideologischen Verwurzelung im Anarchismus. Die damit verbundene Ablehnung des staatlichen Gewaltmonopols ist das zentrale verbindende Element innerhalb der in Kleingruppen zersplitterten Szene. Repression bezeichnet in ihrem Verständnis alle Institutionen, die der Aufrechterhaltung von innerer Sicherheit und öffentlicher Ordnung dienen, neben der Polizei insbesondere Gerichte, Gefängnisse und Ämter. Staatliche Repräsentanten aus Polizei und Justiz werden als Vertreter eines "Repressionsapparats" wahrgenommen, der nur dazu diene, das "herrschende System" in seinem Bestehen zu sichern. Um die angeblich strukturelle Gewalt des Staates zu entlarven, wird bei Demonstrationen die Konfrontation mit der Polizei gesucht. Mit Plakaten wie "Hass auf Schweine" und Parolen wie "Ganz Berlin hasst die Polizei!" sollen andere Teilnehmer aufgewiegelt und zu Straftaten angestiftet werden. Für den 7. Juli war ein "Aktionstag" geplant, an dem zum einen die Zuund Abfahrten der Gipfelteilnehmer und zum anderen die Logistik des Hamburger Hafens nachhaltig gestört werden sollten. Die so genannte Hafenaktion war maßgeblich vom postautonomen Bündnis "...um's Ganze!" beworben worden, dem die Berliner Gruppierung "TOP B3rlin" angehört. 148 Linksextremismus Theorie Organisation Praxis TOP B3rlin Gründung: 2006 Mitglieder: Berlin: 60-70 (2016: 60-70) TOP B3rlin ist eine aus der ehemaligen "Antifaschistischen Aktion Berlin" (AAB) durch Abspaltung hervorgegangene antideutsche Gruppierung, die sich zunächst "Kritik & Praxis" nannte und in der linksextremistischen Szene Berlins weitgehend isoliert war. Nach einer sukzessiven Öffnung und Abwendung von antideutschen Haltungen entwickelte sich die Gruppierung in den letzten Jahren zu einem ernstzunehmenden postautonomen Akteur - mit nach wie vor deutlich erkennbaren Wurzeln in der autonomen Szene. Nicht zuletzt aus diesem Spektrum rekrutierte sie auch personellen Zuwachs. Sie ist in ihren Äußerungen und ihrem Auftreten gewaltbereiter einzuschätzen als die "Interventionistische Linke" (IL), mit der sie jedoch anlassbezogen kooperiert. Ideologisch ist sie dogmatischer und stärker im Marxismus verwurzelt als die IL. Sie ist ein tragender Akteur des bundesweiten postautonomen "...um's Ganze! Kommunistisches Bündnis". "TOP B3rlin" verfügt über internationale Kontakte und beteiligt sich auch an Veranstaltungen außerhalb Deutschlands. Die ebenfalls postautonome "Interventionistische Linke" (IL) - in der die Berliner Ortsgruppe mit Abstand die größte und einflussreichste ist - gehörte dagegen zu den Organisatoren so genannter Massen-Blockaden von Verkehrswegen der Gipfelteilnehmer. Unter dem Motto "Block G20 - Colour the Red Zone" zogen verschiedenfarbige so genannte Finger (Teildemonstrationen) 149 durch die Stadt, um die Zufahrt der Gipfelteilnehmer zum Messezentrum zu blockieren. Darüber hinaus sollten die verschiedenen Farben der Finger jeweils ein Protestthema symbolisieren. Erklärtes Ziel war, bis in die so genannte Verbotszone vorzudringen. Obwohl die IL im Vorfeld immer wieder betonte, keine gewalttätigen Ausschreitungen initiieren zu wollen ("Aktionskonsens"), gab sie zu erkennen, dass sie gewillt war und aktiv dazu aufrief, Verbote zu übertreten und damit polizeiliche Reaktionen zu provozieren. Insbesondere am Abend und in der Nacht des 7. Juli kam es erneut zu massiven gewalttätigen Ausschreitungen, u.a. im "Schanzenviertel", bei denen immer wieder Barrikaden errichtet, zahlreiche Fahrzeuge unbeteiligter Anwohner beschädigt oder in Brand gesetzt und diverse Geschäfte geplündert wurden. Zeitweise geriet die Situation außer Kontrolle. 150 Linksextremismus Interventionistische Linke (IL) Gründung: 1999 Mitglieder: Berlin: 250-270 (2016: 240-260) Die "Interventionistische Linke" ist ein bundesweiter Zusammenschluss überwiegend postautonomer Gruppierungen, der 1999 bzw. 2005 mit dem Ziel gegründet wurde, die gesellschaftliche (und politische) Isolation "klassischer" Autonomer zu überwinden. Der Aufbau überregionaler Strukturen, die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen sowie ein gemäßigteres Auftreten sollen eine Anschlussfähigkeit an breite Bevölkerungskreise ermöglichen. In der IL sind inzwischen zahlreiche relevante postautonome Gruppierungen organisiert. Ein Ziel des Prozesses hin zu einer "Organisationswerdung" ist, dass diese Gruppierungen ihre Autonomie aufgeben und sich in die IL hinein auflösen. Durch gemeinsame politische Arbeit soll innerhalb des "Systems" Akzeptanz für eine mehrheitsfähige revolutionäre Organisation als Alternative zu den bestehenden Verhältnissen geschaffen werden. Revolutionäre Zielsetzungen müssten deshalb mit nachvollziehbaren und erreichbaren Forderungen verbunden werden. Zur Berliner IL gehören auch Mitglieder der ehemaligen "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB) und weitere Akteure. 151 Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund werden die Proteste in Hamburg von der linksextremistischen Szene als Erfolg bewertet. Der "kleine Hamburger Aufstand" sei "ein Schritt nach vorne".66 Das selbstgesteckte Ziel, den G20-Gipfel zu stören, wurde erreicht.67 Es sei der Polizei zudem nicht gelungen, den Protest zu spalten.68 Ein "hohes Maß an spektrenübergreifender Solidarität erfahren zu haben", empfinde man als ermutigend. Es habe sich gezeigt, "wie vielfältige und unterschiedliche Formen des Widerstands sich zu einer erfolgreichen Gesamtdynamik entwickeln können".69 Euphorisch resümiert eine Publikation der autonomen Szene: "In der Schanze, ändert sich das, was wir Politik nennen, unsere Identitäten, unsere Aktionen (...) Es ist eine Rebellion, ein Aufruhr, gestartet und verteidigt von jenen "uns", den klassischen Aktivist*innen (...) Begonnen als Gipfel-Protest gegen G20, wird dies zur sozialen Revolte gegen die Bullenschweine, zur sozialen Rebellion. Im Schein der Feuer ist wieder alles möglich. Das Gefühl der Riots, Selbstbestimmung erfahrbar für so viele mehr." 70 66 "EIN GRUSS AUS DER ZUKUNFT. MITTEILUNG DES ...UMS GANZE!-BÜNDNIS ZUM VERLAUF DER G20-PROTESTE IN HAMBURG" auf der Internetpräsenz "umsganze". Veröffentlicht und abgerufen am 11.7.2017. Schreibweise im Original. 67 Presseerklärung des Bündnisses "Welcome to Hell" auf der Internetpräsenz "antig20berlin" Veröffentlicht am 8.7.2017. Abgerufen am 11.7.2017. 68 "EIN GRUSS AUS DER ZUKUNFT. MITTEILUNG DES ...UMS GANZE!-BÜNDNIS ZUM VERLAUF DER G20-PROTESTE IN HAMBURG" auf der Internetpräsenz "umsganze". Veröffentlicht und abgerufen am 11.7.2017. Schreibweise im Original. 69 Presseerklärung des Bündnisses "Welcome to Hell" auf der Internetpräsenz "antig20berlin". Veröffentlicht am 8.7.2017. Abgerufen am 11.7.2017. 70 "Die öffentliche Verschwörung: der Aufruhr in Hamburg" in: "G20 Explorer. Das war der Gipfel. Autonomes Blättchen #30. Sep-Nov 2017". S. 14. Schreibweise im Original. 152 Linksextremismus Äußerungen aus verschiedenen Spektren der linksextremistischen Szene belegen, dass das Zurückstellen eigener politischer Ziele und Handlungsprioritäten zugunsten eines gemeinsamen Agierens mit z.T. verteilten Rollen und Aufgaben als dynamisierender Faktor vor Ort, als ermutigendes "Gemeinschaftserlebnis" und als mögliche Perspektive für zukünftige politische Kämpfe aufgefasst wird.71 Auch die IL eröffnete bereits im Vorfeld einen Handlungsraum für Strafund Gewalttaten: "Sie brechen ihre eigenen Gesetze - warum sollen wir uns dann an ihre Gesetze halten?" 72 und ergänzte nach dem Gipfel, sie werde nicht vergessen, "auf welcher Seite" sie stehe.73 Eine Distanzierung von Strafund Gewalttaten unterblieb folgerichtig. Sie bekennt sich damit deutlich zu ihren autonomen Wurzeln und belegt dies auch dadurch, dass sie die gewalttätigen Ausschreitungen als rein 71 Vgl. hierzu u.a. "Der Mikro-Aufstand von Hamburg als materielles und diskursives Ereignis" auf der Internetpräsenz "blog.interventionistische-linke". Veröffentlicht im August 2017 (ohne Datum). Abgerufen am 23.8.2017. 72 Vgl. auf der Internetpräsenz "facebook/interventionistische-linke". Veröffentlicht und abgerufen am 3.7.2017. 73 "Die rebellische Hoffnung von Hamburg. Eine erste, vorläufige Bilanz der Interventionistischen Linken" auf der Internetpräsenz "interventionistische-linke". Veröffentlicht und abgerufen am 12.7.2017. 153 reaktive Gewalt verbrämt. So bezeichnet sie das Polizeikonzept zum Gipfel (und nicht die gewalttätigen Ausschreitungen) als eine "gesellschaftlich kaum mehr vermittelbare Gewaltstrategie".74 Die Situation in Hamburg sei nicht vergleichbar mit dem "kalkulierbare(n) 'linksextreme(n)' Krawall, wie er sich bei jeder 'Revolutionären 1. Mai Demo' ritualisiert und routiniert in einem Scharmützel mit der Polizei austrag(e)". Sie zeige vielmehr, dass die Gipfelproteste in Hamburg "eine weit gefasste Linke zusammenbringen" konnten.75 Auch die Gruppierung "TOP B3rlin" wertet die Proteste in Hamburg als Erfolg im Sinne einer aus ihrer Sicht "affektiven Politisierung", weil sich in den Ausschreitungen eine "Selbstermächtigung" vollzogen habe, die "(...) eine Ahnung davon [vermittle], wie es wäre, wenn die Stadt, die Läden, wenn alles allen gehören würde. Der tastende und solidarische Bezug aufeinander, der immer wieder zwischen unterschiedlichsten Gruppen und Einzelpersonen stattfand, ist das eigentliche Erstaunliche angesichts der Brutalisierungen, zu denen die kapitalistische Konkurrenz ihre Subjekte erzieht." 76 74 Vgl. hierzu "Der Mikro-Aufstand von Hamburg als materielles und diskursives Ereignis" auf der Internetpräsenz "blog.interventionistische-linke". Veröffentlicht im August 2017 (ohne Datum). Abgerufen am 23.8.2017. 75 Vgl. ebd. 76 "Nicht zynisch werden. Die Scherben sind zusammengekehrt, die Tränen getrocknet, die Analysen geschrieben. Zeit für die Frage: Was bleibt nach Hamburg?" auf der Internetpräsenz "jungleworld". Veröffentlicht am 10.8.2017. Abgerufen am 22.8.2017. 154 Linksextremismus 5.3.2 Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele Die Gewalteskalation in Hamburg wird in verschiedenen Äußerungen der linksextremistischen Szene im Nachgang zum G20-Gipfel z.T. differenziert bzw. kritisch gesehen. Unisono wird darauf hingewiesen, dass es sich dabei vor allem um reaktive Gewalt gehandelt habe, die durch polizeiliches Handeln provoziert worden sei. So betont die IL, man könne z.B. "die Feuer der Freitagnacht nicht aus dem Ausnahmezustand lösen, in dem sie stattfanden". Weiterhin führt sie aus, die Polizei habe sich "wie eine Besatzungsarmee aufgeführt und über Tage hinweg Menschen drangsaliert, geschlagen und verletzt." 77 Die Organisatoren der "Welcome to Hell"-Demonstration räumten ein, dass es sie "nicht unberührt" lasse, wenn an der "Schanze eine Dynamik entstand, die von dort anwesenden oder wohnenden Menschen als Bedrohung wahrgenommen wurde".78 Diese Äußerung dürfte auch vor dem Hintergrund zu sehen sein, dass es der linksextremistischen Szene in der Regel um eine "Vermittelbarkeit" militanter Aktionen geht - nicht zuletzt, um die Unterstützung 77 "Die rebellische Hoffnung von Hamburg. Eine erste, vorläufige Bilanz der Interventionistischen Linken" auf der Internetpräsenz "interventionistische-linke". Veröffentlicht und abgerufen am 12.7.2017. 78 Presseerklärung des Bündnisses "Welcome to Hell" auf der Internetpräsenz "antig20berlin". Veröffentlicht am 8.7.2017. Abgerufen am 12.7.2017. 155 bzw. Tolerierung ihres sympathisierenden bzw. des Wohnumfeldes nicht zu verlieren. Auch die "radikale linke | berlin" spricht von einer "teilweisigen Wahllosigkeit der Zerstörung".79 Das Bündnis "...um's Ganze!" kritisiert, dass "während der militanten Aktionen auch viel Macker-Scheisse passiert" sei und hinterfragt, "welchen Sinn es etwa haben soll(e) Kleinwagen anzuzünden und Unbeteiligte zu gefährden".80 Insofern werden die Gewalteskalationen in Hamburg von der linksextremistischen Szene Berlins zwar nicht grundsätzlich hinterfragt. In Ansätzen ist jedoch eine Diskussion über die Ziele, die im Rahmen von Aktionen angegriffen wurden, feststellbar. Die Entwicklungen in Hamburg zeigen deutlich, dass die spektrenübergreifende Affinität zu Gewalt als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele bzw. die verhaltende Abgrenzung postautonomer Zusammenschlüsse gegenüber Gewaltausübung dazu führen kann, dass der Grundsatz der Vermittelbarkeit dem "gemeinschaftsstiftenden Event" und - nicht zuletzt - der medialen Aufmerksamkeit geopfert wird. Im Nachgang zu den Ereignissen von Hamburg gibt es insofern keine grundsätzliche Debatte über die Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die Diskussionen drehen sich eher darum, wie diese Ereignisse für die weitere politische Arbeit vor Ort genutzt werden können. Von Seiten der "Rigaer 94" heißt es: 79 "#1 - Was bisher geschah" auf der Internetpräsenz "radikale-linke". Veröffentlicht am 22.7.2017. Abgerufen am 24.7.2017. Schreibweise im Original. 80 "EIN GRUSS AUS DER ZUKUNFT. MITTEILUNG DES ...UMS GANZE!-BÜNDNIS ZUM VERLAUF DER G20-PROTESTE IN HAMBURG" auf der Internetpräsenz "umsganze". Veröffentlicht und abgerufen am 11.7.2017. Schreibweise im Original. 156 Linksextremismus "Das Hamburger Ereignis scheint das Potenzial zu haben, wieder Anschluss an gesellschaftliche Prozesse zu finden und damit aus der deutschen linken Identität auszubrechen. Die Revolte und der Aufstand sind jetzt auch hier möglich." 81 Es liegt nahe, dass die Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt in der Folge dieser Ereignisse und ihrer szeneinternen Instrumentalisierung weiter sinken könnte. In Berlin war bereits in den vergangenen Jahren und nicht zuletzt im Zusammenhang mit den Ereignissen rund um die Rigaer Straße eine Emotionalisierung dieser Diskussion, die mit einer deutlichen Verschärfung der Tonlage einherging, festzustellen.82 So spricht die Gruppierung "AK 36" im Zusammenhang mit der Berliner Polizei von "Schlägerund Mörderbande", die aufgerüstet werde, "damit Polizeigewalt noch effektiver und leichter wird für die Hunde!" 83 Auch der Aufruf der "Rigaer 94" "zum Widerstand" verbunden mit einer Veröffentlichung von Fahndungsbildern, auf denen Polizisten abgebildet sind, die 2016 an der 81 "[Rigaer] Die Revolte aus Hamburg zurück in die Kieze tragen" auf der Internetpräsenz "linksunten". Veröffentlicht am 4.8.2017. Abgerufen am 7.8.2017. 82 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 172 ff. 83 Vgl. auf der Internetpräsenz "Twitter/AK36". Veröffentlicht am 16.10.2017. Abgerufen am 17.10.2017. 157 Teil-Räumung der "Rigaer 94" beteiligt gewesen sein sollen, spricht eine eindeutige Sprache: "Wir freuen uns über Hinweise, wo sie wohnen oder privat anzutreffen sind." 84 In dem Artikel heißt es im Zusammenhang mit den Ereignissen von Hamburg, es sei "kaum zu sagen, wer am widerlichsten von all den beteiligten Kreaturen" sei (aufgezählt werden u.a. Polizei, Medien, "Volk, sowie seine Vertreter"). Die Autoren verwehren sich gegen die szeneinterne Auffassung, die Ausschreitungen in Hamburg seien "staatlich herbeigeführt" worden, "um widerständige Strukturen (...) zu zerschlagen". Sie erklären, dass sie selbst "das Hamburger Staatsdesaster politisch gewollt haben" und "erneuern (ihr) Bekenntnis zum Kampf gegen den Staat, gegen die faschistischen Organisationen wie die Polizei, die Geheimdienste und rechte Strukturen sowie gegen die Kollaborateur_innen und Denunziant_innen in der Bevölkerung und der Presse".85 Nicht zuletzt die sich zuspitzende Gentrifizierungsdebatte könnte einen weiteren Nährboden für gezielte (Gewalt-) Eskalationen bieten. 5.3.3 Anti-Gentrifizierung als wichtig(st)es Aktionsfeld der linksextremistischen Szene Die aktuellen städtebaulichen Entwicklungen in Berlin mit ihren für viele Men84 "Rigaer94: Aufruf zum Widerstand und Veröffentlichung von Fahndungsbildern von Polizist_innen" auf der Internetpräsenz "linksunten". Veröffentlicht am 17.12.2017. Abgerufen am 18.12.2017. 85 Ebd. Schreibweise im Original. 158 Linksextremismus schen spürbaren Folgen wie Wohnungsnot, Mietensteigerung und Verdrängungsprozessen haben das Themenfeld "Anti-Gentrifizierung" sukzessive zum wichtigsten Aktionsfeld der linksextremistischen Szene werden lassen. Dabei geht es Linksextremisten nicht allein um Protest und Widerstand gegen die skizzierten Entwicklungen, sondern vor allem um eine Instrumentalisierung der sozialen Auswirkungen dieser Umstrukturierungen. Anti-Gentrifizierung Der Kampf gegen städtebauliche Umstrukturierungen mit der Folge einer Aufwertung von Kiezen - auch "Gentrifizierung" genannt - ist ebenso wie der Widerstand gegen vermeintliche Repression eng mit der Genese der Autonomen als politischer Bestrebung verbunden. Im Gegensatz zu vielen Stadtteilund Mieterinitiativen geht es ihnen jedoch nicht allein um den Erhalt sozialund wohnräumlich gewachsener Strukturen, sondern um die Etablierung so genannter autonomer Freiräume, die dem Zugriff des Staates entzogen und in denen rechtsstaatliche Normen außer Kraft gesetzt werden sollen. Als "Freiraum" deklarierte Gebiete oder Gebäude werden gegen rechtmäßige Räumungen gewaltsam "verteidigt" und noch nach erfolgten Sanierungen immer wieder angegriffen. Nicht selten mündet dies in schweren Sachbeschädigungen und mehr oder weniger spontanen Landfriedensbrüchen. Auch Neumieter und Eigentümer sowie ihre vermeintlichen "Erfüllungsgehilfen" in Senatsverwaltungen, Polizei und Justiz sowie Hausverwaltungen und Einrichtungen des Quartiersmanagements geraten in den Fokus ihrer Aktionen. Dabei entstehende Drohkulissen sind gewollt und zielen auf Machtausübung in Teilen des öffentlichen Raums. 159 Insbesondere postautonome Zusammenschlüsse nutzen diese zu dem Versuch, sich selbst als Scharnier zwischen linksextremistischem Widerstand und zivilgesellschaftlichen Initiativen zu etablieren. Sie treten vordergründig als moderate Initiatoren und Organisatoren von Protesten auf und etablieren sich auf diese Weise als Ansprechpartner. Über die eigentlichen Protestanlässe hinaus verstehen Postautonome ihre "Interventionen" aber zugleich als Türöffner für grundlegende gesellschaftliche Veränderungen, die letztlich in der Abschaffung des bestehenden politischen Systems und der Etablierung einer auf im weitesten Sinne marxistischen Grundsätzen basierenden Gesellschaftsordnung münden sollen. So instrumentalisierte z.B. die IL in der Einladung zu einer Veranstaltungsreihe zum Thema Wohnungsmarkt in Berlin die Angst von vermeintlich "47% der Berliner*innen, wegen Mietsteigerungen ihre Wohnung zu verlieren",86 um eine Strategiedebatte der "stadtpolitischen Bewegung Berlins" zu initiieren. Das Ziel sei "die Abschaffung des Privaten Wohnungsmarktes durch Überführung aller nicht selbst genutzten Wohnungen in Gemeingut. Wir wollen die Vergesellschaftung des Wohnungsmarktes, begriffen als Einheit von öffentlichem Eigentum und demokratischer Selbstverwaltung." 87 Dass es sich dabei um eine über die Bewältigung der stadträumlichen Umstrukturierungsprozesse hinausreichende strategische Zielsetzung handelt, offenbart nicht zuletzt der Titel der Veranstaltungsreihe: "Das Rote Berlin - Strategien für eine sozialistische Stadt". 86 "Das Rote Berlin - Strategien für eine sozialistische Stadt" auf der Internetpräsenz "interventionistische-linke". Veröffentlicht am 5.11.2017. Abgerufen am 9.11.2017. 87 Ebd. Schreibweise im Original. 160 Linksextremismus Neben diesem Versuch, auf lokale Proteste aufzusatteln und diese zu kanalisieren bzw. sukzessive zu dominieren, versuchen andere Akteure, Gentrifizierungsentwicklungen u.a. durch Besetzungen zu brandmarken. Auch sie agieren dabei häufig an der Schnittstelle zwischen zivilgesellschaftlichem Protest und darüber hinaus reichenden linksextremistischen Zielsetzungen. Das Thema "Besetzungen gegen Leerstand" ist eine Forderung, die seit Längerem u.a. von der "radikalen linken | berlin" propagiert wird. In der Vergangenheit gab es in Berlin diverse Besetzungen bzw. Besetzungsversuche leerstehender öffentlicher Gebäude. Dabei wurden verschiedene Szenarien propagiert, darunter die Absicht, in diesen Gebäuden soziale Zentren zu errichten, um auf diese Weise nicht nur die Bewohner des betreffenden Stadtteils anzusprechen, sondern auch verschiedene Themen an einem Ort zu bündeln. Die dahinter stehende Absicht dürfte sein, die Politik unter Druck zu setzen, aber auch möglichst viel Öffentlichkeitswirksamkeit zu entfalten, um als ein in diesem Themenbereich relevanter (und vermeintlich tatkräftiger) Akteur wahrgenommen zu werden.88 So genannte stille Besetzungen (u.a. im Juli in einer ehemaligen Teppichfabrik auf Alt-Stralau) dienen dagegen eher dazu, leerstehende Gebäude als Wohnund Arbeitsraum zu nutzen. Aber auch diese Aktionen wurden - spätestens bei ihrer Entdeckung - möglichst öffentlichkeitswirksam begleitet, zu Anti-Gentrifizierungs-Aktionen erklärt und zugleich weitere Besetzungen die88 Vgl. hierzu Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 168 ff. 161 ser Art angekündigt. Eine wichtige Rolle spielte dabei die autonome Gruppierung "Antifaschistische Koordination 36" (AK 36). "Antifaschistische Koordination 36" (AK 36) Gründung: 2015 Mitglieder: ca. 20 Die "Antifaschistische Koordination 36" wurde im August 2015 gegründet - vordergründig mit dem Ziel, die aus ihrer Sicht verkrusteten "Antifa"-Strukturen in Berlin aufzubrechen, um wieder "Einfluss auf gesellschaftliche Entwicklungen" zu gewinnen. In ihrer Gründungserklärung89 bezeichnet sie den Kapitalismus als "wichtigste Grundlage für das Bestehen neonazistischer Strukturen" und bezieht sich damit auf das linksextremistische Antifaschismusverständnis, nach dem der Faschismus dem Kapitalismus implizit ist. Der Staat sei "nicht nur deswegen von Grund auf abzulehnen". Darüber hinaus bezieht sich AK 36 auf weltweite "Befreiungskämpfe", insbesondere den kurdischen Kampf im Nahen Osten, der ein "emanzipiertes und selbstverwaltetes Gesellschafts-Modell" anstrebe. In der Praxis ist sie jedoch eher als Teil des autonomen "Anarcho"Spektrums wahrzunehmen. Ihre Mitglieder sind als hoch gewaltbereit einzuschätzen und verfügen über gute Kontakte in die "Rigaer 94". 89 "Gründungserklärung der "Antifaschistischen Koordination 36" auf der Internetpräsenz "ak36". Veröffentlicht am 6.8.2015. Abgerufen am 20.11.2017. 162 Linksextremismus Auch die Gruppierung "radikale linke | berlin" hat diverse Demonstrationen zum Thema veranstaltet oder zumindest beworben. So fand am 9. September in Kreuzberg eine Demonstration statt, die sich gegen die soziale Umstrukturierung von Wohnquartieren sowie für den Erhalt so genannter Freiräume einsetzte. Obgleich ein Großteil der Teilnehmer aus dem zivilgesellschaftlichen Spektrum stammte, war die Veranstaltung auch aus Sicht von Linksextremisten ein Erfolg, da sie ihre Sichtweise auf die Veränderungen im städtischen Raum propagieren konnten. Für den 22. September hatte sie zu einer Kundgebung unter dem Motto "Ohne Chefs und Miete. Ob Arbeitsoder Mietenkampf: gemeinsam Widerstand leisten" in Neukölln aufgerufen. Im Aufruf zu dieser Veranstaltung heißt es: "Unser Leben ist von sozialer Kälte und Isolation bestimmen. Doch uns eint mehr, als das uns trennt. Die verschiedenen Kämpfe - ob gegen hohe Mieten oder für bessere Arbeitsbedingungen - müssen wir gemeinsam führen. (...) Wir kämpfen für eine widerständige Nachbarschaft, die ihre Belange selbst in die Hand nimmt - solidarisch und selbstorganisiert von unten." 90 Auch hier ist deutlich der Versuch einer Instrumentalisierung von Problemlagen erkennbar. Vordergründig geht es um eine Solidarisierung zugunsten der gemeinsamen Bewältigung einer Situation, von der viele Menschen betroffen sind. Um sie zu erreichen, ist der Aufruf auch sprachlich in einer vermeintlich 90 "Aufruf: Für ein schönes Leben ohne Chefs & Miete" u.a. auf der Internetpräsenz "radikale-linke". Veröffentlicht und abgerufen am 19.9.2017. Schreibweise im Original. 163 empathischen Diktion gehalten. Dahinter steht jedoch eine klare strategische Absicht, die weit über die konkrete Situation hinausweist. Die "Rigaer 94" und autonome Freiräume Eine vollkommen andere Herangehensweise an das Thema Stadtumstrukturierung haben die Akteure der "Rigaer 94". Nicht zuletzt im Zusammenhang mit einem geplanten Erwerb der Liegenschaft durch die landeseigene Wohnungsbaugesellschaft Degewo haben Bewohner, die z.T. dem Personenzusammenschluss "Rigaer 94" angehören, wiederholt deutlich gemacht, dass es ihnen nicht darum geht, wer Eigentümer des Gebäudes ist, sondern dass sie es grundsätzlich ablehnen, dass sich die Liegenschaft in fremdem Eigentum befindet: "Wer auch immer dieses Haus sein Eigentum nennen sollte, es ist und bleibt unser Haus! Wir, die dort leben und kämpfen. Und es bleibt ein Stachel im System! Um das an dieser Stelle noch einmal klar zu stellen: Wir wohnen hier! Wir bleiben hier! Der Senat und die Bullen haben weder bei uns im Haus, noch auf der Straße, noch in unserem Leben irgendetwas zu suchen." 91 Damit manifestieren sie ihren Anspruch auf einen so genannten autonomen Freiraum, in dem die Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht gelten und den es gegen staatliche Eingriffe, aber auch gegen unerwünschte Mieter und Besucher mit allen Mitteln zu verteidigen gilt. 91 "Rigaer 94 ist und bleibt Risikokapital" auf der Internetpräsenz "facebook/Radikale-Linke-Berlin". Veröffentlicht am 13.9.2017. Abgerufen am 14.9.2017. 164 Linksextremismus "Rigaer 94" Gründung: 1990 Mitglieder: 30-40 (2016: 30-40) Bei der "Rigaer 94" handelt es sich um einen Personenzusammenschluss, der sich aus Teilen der Bewohner und Besucher eines Wohnprojekts sowie der darin befindlichen Veranstaltungsstätte "Kadterschmiede" in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zusammensetzt. Dieser ist zum harten Kern der autonomen "Anarcho"-Szene zu rechnen. Haus und Veranstaltungsräume gehören nach eigenen Angaben "zu den letzten offen (teil-)besetzten Räumen Berlins" und haben für die Szene eine hohe symbolische wie auch praktische Bedeutung. Sie sind Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen zur Erkämpfung bzw. Verteidigung "autonomer Freiräume". In Selbstdarstellungen bekennen sich die Protagonisten zum Anarchismus sowie zum Hass auf "Bullen, Staat und Repression". Im Zusammenhang mit einer vermeintlich drohenden Räumung des Objekts 2016, aber auch im Zuge einer gezielten Eskalationsstrategie der "Rigaer 94" seit 2016 kam und kommt es immer wieder zu zahlreichen, teils schweren Strafund Gewalttaten. Gleichwohl satteln die Akteure der "Rigaer 94" auf das Thema Anti-Gentrifizierung auf. Dabei verfolgen sie das Ziel, sich die Unterstützung von Nachbarn und Anwohnern zu sichern, indem sie sich vermeintlich mit ihnen gemeinsam gegen eine Umstrukturierung der wohnräumlichen Umgebung wehren. So berufen sie sich in einem Aufruf zwar auf Initiativen gegen Stadtumstrukturierung, denen sie ihre Solidarität erklären. Zugleich fordern sie unter Hinweis 165 auf ihre eigene, aus ihrer Sicht bedrängte Situation jedoch dazu auf "Kommt in den Nordkiez! Wir brauchen eure Unterstützung."92 Dabei bleiben sie verbal und in der Wahl ihrer Mittel äußerst gewalttätig und drangsalieren Nachbarn und Anwohner, sobald diese sich von ihnen distanzieren oder nach außen gesprächsbereit zeigen. Letztlich geht es der "Rigaer 94" bei diesen Auseinandersetzungen nicht um eine tatsächliche Unterstützung anderer von Umstrukturierungsmaßnahmen Betroffener, sondern um die möglichst nachhaltige Sicherung des eigenen "autonomen Freiraums" durch Einbeziehung des unmittelbaren Umfelds als "Vorfeld". Die Virulenz und Aktualität des Themas wird von den Akteuren der "Rigaer 94" nicht zuletzt dazu missbraucht, sich als Opfer (von Gentrifizierungsbestrebungen) zu gerieren und größtmögliche Öffentlichkeitswirksamkeit und Solidarität für die eigenen Ziele zu erreichen. Nach einer (vorübergehenden) Teil-Räumung im Jahr 2016, der unter dem Motto "1 Million Sachschaden" mit zahlreichen, z.T. schweren Resonanzstraftaten begegnet wurde, sank das Aktionsniveau 2017 ab. Dabei darf jedoch keinesfalls von einer Beruhigung der Situation ausgegangen werden. Im Gegenteil. Der geplante Erwerb des Gebäudes durch das Berliner Wohnungsbauunternehmen Degewo wird von den Akteuren ebenso abgelehnt wie die Übernahme durch einen privaten Investor. Konkrete Entwicklungen im Hinblick auf einen Eigentümerwechsel sowie insbesondere ein Räumungstitel dürften die Situation sofort wieder deutlich verschärfen. Aber auch 92 Ebd. 166 Linksextremismus unabhängig von konkreten Entwicklungen geht es der "Rigaer 94" um eine dauerhafte Konfrontation mit dem von ihnen verhassten "System": "Wir sehen den lokalen Kampf, der sich im Kiez verankert und vernetzt, als einen Punkt, an dem sich rebellische Perspektiven entwickeln und kristallisieren. Es ist ein Ort, an dem wir nicht in Teilbereichskämpfen verschwinden und nur ab und zu Berührungspunkte in Kneipen oder Bündnissen haben. Es geht um das Ganze, um Selbstverwaltung, um einen antifaschistischen Kiez ohne Autoritäten, ohne Bullen. Dafür müssen und werden wir in ständigem Konflikt mit diesen stehen (...)." 93 5.3.4 Die AfD als Feindbild Wahlerfolge in den vergangenen Jahren und damit verbunden der Einzug in verschiedene Landesparlamente sowie den Deutschen Bundestag haben die politischen Einflussmöglichkeiten der AfD ("Alternative für Deutschland") verstärkt. Aus Sicht der autonomen "Antifa", die AfD-Wahlerfolge als symptomatisch für einen vermeintlichen "Rassismus der Mitte" wertet, bietet sie sich aus diesem Grund als "Feindbild" an. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass sich die "Antifa" angesichts zunehmenden zivilgesellschaftlichen Engagements im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise in einer Identitätskrise sah und ihre Legitimationsgrundlage hinterfragte,94 ist der Kampf gegen die AfD ein Aktionsfeld, das spektrenübergreifendes Agieren, große öffentliche Aufmerksamkeit und zahlreiche Anknüpfungspunkte an zivilgesellschaftlichen Protest verspricht. 93 Ebd. 94 Vgl. hierzu auch Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 158 ff. 167 Verschiedene Debattenbeiträge zeigen, dass innerhalb der linksextremistischen Szene kontrovers diskutiert wird, welche Ursachen die Erfolge der AfD möglich gemacht haben und wie man die Partei strategisch am besten bekämpfen sollte. So heißt es in einer Publikation, die AfD sei deshalb so erfolgreich, weil sie "ihre reaktionären Inhalte in eine moderne Hülle" packe. "Erprobte Antifastrategien - diskreditieren, blockieren und ausgrenzen" funktionierten deshalb nicht mehr.95 Die Kernfrage, die sich daraus ergebe, sei, ob "Linke bei der Suche nach Strategien gegen die AfD verstärkt auf eine Analyse der Klassenverhältnisse und ein Engagement in sozialen und betrieblichen Kämpfen setzen oder dezidiert Antirassismus und/oder Feminismus fokussieren [sollten]." 96 Auch in diesem Themenfeld wird also eine Diskrepanz zwischen "klassischer" Antifa-Arbeit, die primär in "direkte Aktionen" mündet und postautonomer Strategie deutlich. So heißt es in einem Beitrag der IL, dass "Antifa-Arbeit auf der Straße" zwar "weiterhin notwendig" sei, es reiche jedoch nicht mehr aus, sich darauf zu beschränken. Vielmehr müsse der "neoliberale Nährboden" stärker in die Analyse einbezogen werden.97 Einig sind sich sämtliche linksextremistische Teilspektren darin, dass die AfD bekämpft werden müsse. In den Monaten vor der Bundestagswahl wurde eine Vielzahl von Straftaten zum Nachteil der AfD begangen (zumeist Sachbeschädigungen). Von der AfD genutzte Veranstaltungsräume wurden angegriffen und die Vermieter bedroht. So beschädigten Unbekannte Fensterscheiben und zwei Eingangstüren eines Seminarraums, in dem ein vom AfD-Landesverband 95 "Was tun gegen die AfD? Zehn Vorschläge, wie der rechte Vormarsch gestoppt werden könnte". Veröffentlicht u.a. auf der Internetpräsenz "akweb". Ohne Datum. Abgerufen am 17.10.2017. 96 Ebd. 97 Ebd. 168 Linksextremismus geplanter Bürgerdialog stattfinden sollte. Die vermeintlichen Täter erklärten, sie hätten auf diese Weise "den dialog mit dem vermieter gesucht [...] unser argument: kaputte scheiben" 98 Darüber hinaus gab es wiederholt körperliche Angriffe auf Wahlkämpfer bzw. (Wahl-) Plakatierer. So wurde eine Person, die ein Wahlplakat der AfD bewachte, das zuvor mehrfach beschädigt worden war, mit Tritten attackiert. Im Zusammenhang mit Protesten gegen die AfD erschien zudem eine neue Auflage der "Recherche-Broschüre zur Berliner AfD" mit Angaben zu AfD-Mitgliedern in Bezirksverbänden, Stadträten, im Landesvorstand und den Fraktionen im Abgeordnetenhaus sowie zu Veranstaltungsorten.99 Die von diversen linksextremistischen Gruppierungen wie "North East Antifascists [NEA] Berlin"100 beworbene Broschüre firmiert unter dem Kampagnenlabel "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA).101 98 "[B] Glasbruch bei AfD-Veranstaltungsort" auf der Internetpräsenz "linksunten". Veröffentlicht am 15.8.2017. Abgerufen am 12.9.2017. Schreibweise im Original. 99 "(B) Neuauflage: Recherche-Broschüre zur Berliner AfD" auf der Internetpräsenz "linksunten". Veröffentlicht am 10.8.2017. Abgerufen am 11.8.2017. 100 "[Antifa Berlin] Neuauflage: Recherche-Broschüre zur Berliner AfD" auf der Internetpräsenz "antifa-nordost". Veröffentlicht am 7.7.2017. Abgerufen am 11.7.2017. 101 Vgl. hierzu auch Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2016. Berlin 2017, S. 161 f. 169 "North East Antifascists" (NEA) Gründung: 2007 Mitglieder: ca. 20 (2016: ca. 20) Die NEA sind eine autonome Antifa-Gruppierung, die neben der "radikalen linken | berlin" eine führende Rolle in der linksextremistischen Szene Berlins einnimmt. 2007 gegründet, zeichnet sie, dem Namen gemäß, für antifaschistische Aktionen im Nordosten der Stadt verantwortlich, beteiligt sich aber auch an berlinweiten und überregionalen Aktivitäten und kooperiert anlassbezogen mit anderen autonomen Gruppen. Um sie herum und aus ihr heraus sind eine Reihe anderer autonomer Gruppierungen entstanden. Mit diesen gemeinsam war sie in den letzten Jahren eine der federführenden Organisator(inn)en der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht". In einer Selbstdarstellung bezeichnen die NEA ihr ideologisches Fundament als "libertär" und verorten sich zwischen Anarchismus und Kommunismus. Breiteren Anschluss suchen sie vor allem mit den Themen Anti-Gentrifizierung und Flüchtlingsunterstützung. Die NEA treten nach außen vergleichsweise gemäßigt auf und verzichten darauf, ihre Gewaltbereitschaft allzu plakativ zur Schau zu stellen. Sehr offensiv betreiben sie "Outings" von vermeintlichen und tatsächlichen Rechtsextremisten, auch von Mitgliedern der AfD. Die Anfang 2016 durch das postautonome "...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" initiierte Kampagne, in dem die Gruppierung "TOP B3rlin" eine wichtige Rolle einnimmt, veröffentlichte im Vorfeld der Bundestagswahl ei170 Linksextremismus nen Aufruf "zur antirassistischen & antifaschistischen Intervention in die Wahlkämpfe".102 NIKA erklärte, man wolle die öffentliche Aufmerksamkeit im Wahlkampf nutzen, um dem Rechtsruck in Parlamenten und Behörden entgegenzutreten, die "Fans der Festung Europa" anzugreifen und gegen die "Akteure der Abschottung" vorzugehen. Insbesondere die AfD sollte bei ihren Veranstaltungen, an Ständen und in Parteizentralen besucht sowie ihre Plakate "bearbeitet", Wahlpartys sollten "gecrasht" werden. "Anti-Fra" (Anti-Faschismus und Anti-Rassismus) Bei dem Begriff "Anti-Fra" handelt es sich um ein Kompositum aus den Begriffen "Anti-Faschismus" und "Anti-Rassismus", das szeneintern zunehmend die traditionellen Begriffe ersetzt. Ursächlich hierfür dürfte neben sprachökonomischen Aspekten u.a. sein, dass sich der Begriff "Anti-Faschismus" aus linksextremistischer Sicht aus dem Kapitalismus ableitet und somit politisch eindeutig konnotiert ist. Klassische "Antifa"-Gruppierungen sahen sich in den vergangenen Jahren zudem zunehmend durch zivilgesellschaftliches Engagement im Zusammenhang mit den Themen Flucht und Migration in einer Identitätskrise. Der Begriff "Anti-Rassismus" erscheint dagegen deutlich unverfänglicher. Er bietet aus linksextremistischer Sicht vielfältige Anknüpfungspunkte an die Zivilgesellschaft mit dem Ziel, diese für eigene Zwecke zu instrumentalisieren, ein hohes Potenzial breiter öffentlicher Wahrnehmung und nicht zuletzt vielfältige Angriffsflächen für "Systemkritik". Damit verweist er wiederum auf den Anti-Faschismus. 102 UNSERE WAHL: DIE AUTORITÄRE FORMIERUNG DURCHBRECHEN! - GEGEN DIE FESTUNG UND IHRE FANS" auf der Internetpräsenz "nationalismusistkeinealternative". Veröffentlicht und abgerufen am 24.8.2017. 171 Gemeinsam mit autonomen Antifa-Gruppierungen rief NIKA unter dem Motto "Kein Raum der AfD" am 23. September zu einer Demonstration auf, in deren Rahmen die Wahlparty der AfD am Abend der Bundestagswahl "besucht" werden sollte.103 Tatsächlich fanden vor dem Lokal am Tag der Bundestagswahl mehrere Kundgebungen statt und es kam zu einzelnen Zwischenfällen. Auch nach der Bundestagswahl stand und steht die AfD im Fokus von Berliner Linksextremisten. So heißt es in einer Verlautbarung: "Wir werden den Reaktionären dieses Landes keine ruhige Minute lassen! Unser Widerstand ist euch sicher!" 104 Zum Bundesparteitag in Hannover Anfang Dezember mobilisierte ein breites Spektrum Berliner Gruppierungen und Zusammenschlüsse unter dem Motto "Unsere Alternative heißt Solidarität". An dieser teilnehmerstärksten Gegenveranstaltung beteiligte sich auch ein ca. 600 Personen umfassender "schwarzer Block". Bei Blockaden an den Zufahrtswegen zum Tagungsort, Ankettungen, Abbrennen von Pyrotechnik, Steinund Flaschenwürfen auf Polizeibeamte und versuchtem Durchbrechen von Polizeiabsperrungen wurden fünf Polizeibeamte verletzt. Zudem wurden auch zwei Delegierte der AfD auf dem Weg zum Tagungsort angegriffen und leicht verletzt. Es ist davon auszugehen, dass die vielfältigen Polarisierungen linksextremistischer "Teilkämpfe" (Anti-Rassismus, Anti-Faschismus, Anti-Kapitalismus) durch die Politik der AfD und die sich aus linksextremistischer Sicht durch sie verdichtenden Anknüpfungspunkte für "Systemkritik" (Rassismus der Mitte, 103 "Charlottenburg: Rechter Infrastruktur den Stecker ziehen!" auf der Internetpräsenz "keinraumderafd". Veröffentlicht am 15.9.2017. Abgerufen am 18.9.2017. Vgl. auch "[Berlin] AfD wird Wahlparty am Alexanderplatz (im Traffic Club) feiern" auf der Internetpräsenz "indymedia". Veröffentlicht am 23.9.2017. Abgerufen am 25.9.2017. 104 "WER SCHWEIGT, STIMMT ZU! MEHRERE TAUSEND [...] AUF DER STRASSE GEGEN RECHTSRUCK & AFD" auf der Internetpräsenz "nationalismusistkeinealternative". Veröffentlicht am 25.9.2017. Abgerufen am 26.9.2017. 172 Linksextremismus dem Kapitalismus vermeintlich immanenter Faschismus bzw. Neoliberalismus als vermeintlicher Nährboden für die Erfolge der AfD) auch weiterhin linksextremistische Agitationen, Aktivitäten und Strategien befeuern werden. 5.4 Fazit und Ausblick Trotz zahlund wortreicher Veröffentlichungen, die den "Geist von Hamburg" beschwören, ist es der autonomen Szene bislang nicht gelungen, den vermeintlichen Aufwind des gemeinschaftlichen und aus ihrer Sicht erfolgreichen Agierens im Rahmen des G20-Gipfels zu nutzen. Im Rahmen der öffentlichen Aufarbeitung der Geschehnisse versucht sie, die Gewalteskalation als Anti-Repressionsmilitanz zu rechtfertigen. Begleitkampagnen für die Festgenommenen sollen diese zu Opfern staatlicher Willkür stilisieren. Autonome Gruppierungen wie die "Antifaschistische Koordination 36" fordern einen "Ausbruch aus dem bestehenden Szene-Sumpf", um eine "höhere gesellschaftliche Intervention zu bewirken und den Druck der eigenen politischen Aktivitäten zu erhöhen". Sie kritisieren jedoch das Bemühen um einen (zumindest vermeintlichen) "demokratisch-gutbürgerlichen und gewaltfreien Konsens" anderer linksextremistischer Gruppierungen und mahnen, dass antifaschistische Arbeit - die zwingend auf "revolutionär antikapitalistische(r) Grundlage" erfolgen müsse - nicht ohne Militanz erfolgreich sein könne.105 Postautonome Gruppierungen haben in Hamburg erneut ihr instrumentelles Verhältnis zu Gewalt offenbart und gezeigt, dass ihnen letztlich der Schulterschluss mit anderen linksextremistischen Spektren wichtiger ist, wenn es darüber gelingt, breite Öffentlichkeitswirksamkeit zu entfalten und staatliche Maßnahmen zu diskreditieren. 105 "Gründungserklärung der 'Antifaschistischen Koordination 36'" auf der Internetpräsenz "ak36". Veröffentlicht am 6.8.2015. Abgerufen am 20.11.2017. 173 Damit legen sie ihre vermeintlich "gemäßigte Maske" ab, mit der sie in unterschiedlichsten so genannten Teilbereichskämpfen vorgeben, auf Seiten der Betroffenen zu deren Wohl zu agieren. Nach wie vor satteln sie auf nahezu alle gesellschaftlich relevanten Themen auf und bemühen sich auf diese Weise um eine hohe Anschlussfähigkeit. Das Themenfeld Anti-Gentrifizierung birgt insbesondere in Berlin ein nach wie vor hohes Eskalationspotenzial. Angriffe auf Neubauprojekte, Immobilienfirmen, Restaurants, Hotels und öffentliche Einrichtungen, die der Kooperation und/oder Unterstützung von Stadtumstrukturierung beschuldigt werden, sind nahezu an der Tagesordnung. Die Situation rund um die "Rigaer 94" wird Berlin weiterhin beschäftigen. Darauf lassen Aussagen der "Rigaer 94" schließen, wonach man "Revolte" und "Aufstand" nach G20 auch hier wieder für möglich hält.106 In diesem Zusammenhang sind auch Kampagnen gegen die Repräsentanzen international agierender (insbesondere Internet-) Konzerne in Berlin zu sehen, deren Aktivitäten von Linksextremisten in verschiedenen antikapitalistischen Teilbereichskämpfen gebrandmarkt werden. Neben konkreten Baumaßnahmen bzw. Immobilienkäufen dieser Konzerne stehen u.a. auch Bezahlung und Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten sowie das Thema "Industrie 4.0", ein Begriff, mit dem die so genannte vierte industrielle Revolution bezeichnet wird (Internet der Dinge und Dienste), im Fokus linksextremistischer Agitation. Es ist zunehmend mit Angriffen auf die "Logistik des Kapitals" zu rechnen. Zwischen den linksextremistischen Themenfeldern "Anti-Faschismus" und "Anti-Rassismus" ist seit 2015 eine zunehmende Schnittmenge zu beobachten, die ihren sprachlichen Ausdruck im Begriff "Antifra" findet. Linksextremistische Kapitalismuskritik wird auf diese Weise mit dem Kampf gegen einen vermeintlichen Rassismus der (gesellschaftlichen) Mitte verknüpft. 106 Vgl. S. 138. 174 Linksextremismus Hauptgegner der autonomen "Antifa" bleibt die AfD, die diese Rolle durch ihre hohe öffentliche Präsenz und wachsende Etablierung weiter festigt. Bei all dem ist zu berücksichtigen, dass sich die Tonlage der linksextremistischen Szene gegenüber ihren "Gegnern" in den vergangenen Jahren sukzessive verschärft hat. Dass daraus auch Taten folgen, hat der G20-Gipfel eindrücklich gezeigt. 175 176 6 Sonderthema: Antisemitismus 177 6 Sonderthema: Antisemitismus Das Jahr 2017 war in Berlin auch geprägt durch mehrere gravierende antisemitische Vorfälle. Auf Demonstrationen, die sich gegen die Entscheidung des US-Präsidenten richteten, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, wurden israelische Flaggen verbrannt, in Neukölln wurden mehrere "Stolpersteine"107 entfernt und in den sozialen Medien kursierte ein Video, auf dem ein jüdischer Restaurantbesitzer minutenlang von einem Passanten antisemitisch beschimpft und beleidigt wurde. Auch Kampagnen, die auf einen Boykott Israels abzielen, sorgten für Schlagzeilen. So wurde im August dazu aufgerufen, eine Musikveranstaltung in der Kulturbrauerei, auf deren Werbeplakaten das Wappen des Staates Israel abgebildet war, zu boykottieren. Bereits im Juni war die Veranstaltung einer Holocaust-Überlebenden an der Humboldt-Universität mit anti-israelischen Sprechchören massiv gestört worden. Für die beiden letztgenannten Vorfälle zeichnete die so genannte BDS-Kampagne verantwortlich. BDS steht für "Boycott, Divestment and Sanctions" und zielt auf eine kulturelle, wirtschaftliche und politische Isolation Israels ab. Die BDS-Kampagne, bei der es sich nicht um eine einheitliche Bewegung handelt, war bislang vor allem im englischsprachigen Raum aktiv. Mit ihren Forderungen nach einem uneingeschränkten Rückkehrrecht für Palästinenser und der Gleichsetzung Israels mit dem südafrikanischen Apartheid-Regime, stellen Teile von BDS das Existenzrecht Israels in 107 "Stolpersteine" ist ein Kunstprojekt, mit dem auf kleinen, in den Gehweg eingelassenen Betonquadern an Menschen erinnert wird, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt wurden. Bei vielen dieser Menschen handelte es sich um Juden. 178 Antisemitismus Frage und unterstellen Israel in Gänze eine rassistische Prägung. Nicht für alle antisemitischen Vorfälle waren Extremisten verantwortlich. Gleichwohl zeigt sich, dass es neben der fundamentalen Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und ihrer Werte durch Extremisten jeglicher Couleur auch erstaunliche Parallelen bei der Benutzung antisemitischer Stereotype gibt. Antisemitismus ist ein Phänomen, das sowohl unter Islamisten als auch unter Rechtsextremisten und Linksextremisten verbreitet ist. Dieses Kapitel will ein Schlaglicht auf die Verbreitung von Antisemitismus, seine Genese und historische Entwicklung werfen und ebenso aktuelle Fälle von Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins beleuchten. Die Darstellung wird zeigen, dass Extremismus und Antisemitismus eine lange gemeinsame Tradition verbindet. Dies im diesjährigen Verfassungsschutzbericht in einem eigenen Kapitel zu betonen, ist auch der Tatsache geschuldet, dass sich Qualität und Quantität antisemitischer Vorfälle in Berlin zu verändern scheinen. Antisemiten treten offener und aggressiver auf und forcieren eine Grenzverschiebung im öffentlichen Diskurs. Die nachfolgenden Ausführungen verfolgen insofern ein doppeltes Ziel: Zum einen soll in aller Deutlichkeit auf die Unvereinbarkeit antisemitischen Gedankenguts mit zentralen Grundsätzen unser Verfassungsund Gesellschaftsordnung hingewiesen werden. Darüber hinaus sollen diese Ausführungen helfen, antisemitische Stereotype - unabhängig davon, aus welchem extremistischen Spektrum sie stammen - zu erkennen, klar als solche zu benennen und sich schließlich unmissverständlich davon zu distanzieren. Da eine einheitliche und allgemein gültige Definition von Antisemitismus nicht existiert, wird bei den folgenden Ausführungen auf die Begriffsbestimmung zurückgegriffen, die im Abschlussbericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestages vom 7. April 108 vorgeschlagen 108 www.bundestag.de/dip21/btd/18/119/1811970.pdf. 179 wird. Dieser Bericht unterscheidet dabei zwischen einer Arbeitsdefinition, "die vor allem für die politische und praktische Auseinandersetzung mit diesem Themenbereich von Bedeutung ist"109 und einer "grundlegenden wissenschaftlichen Begriffsbestimmung".110 Aus wissenschaftlicher Perspektive unterscheidet der Bericht im Folgenden zwischen klassischen111 und neueren Ideologieformen des Antisemitismus, weist allerdings zugleich darauf hin, dass diese Idealtypen aktuell kaum noch alleinstehend existieren, sondern eng miteinander verknüpft sind. "Moderne Antisemiten" bedienen sich insofern eines regelrechten "Baukastens" an Vorurteilen und Stereotypen. Während klassische antisemitische Einstellungen nach dem Ende des 2. Weltkriegs öffentlich geächtet wurden (gleichwohl blieben sie als Einstellungsmerkmal von Einzelpersonen und bestimmten sozialen Gruppen erhalten), bildeten sich parallel zwei neue Formen des Antisemitismus heraus. Diese standen zum einen im Zeichen der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit ("sekundärer/post-Holocaust-Antisemitismus") und zum anderen rückte immer stärker der Umgang mit dem Staat Israel ("antizionistischer/israelbezogener Antisemitismus") in den Mittelpunkt antisemitischer Argumentationen. Während sich die erstgenannte Variante vor allem in der Leugnung des Holocaust oder einer Täter-Opfer-Umkehr ausdrückt, zielt der antizionis109 Ebd., S. 23. 110 Ebd., S. 23. 111 Als die fünf klassischen Ideologieformen des Antisemitismus benennt der Bericht den religiösen Antisemitismus, den sozialen Antisemitismus, den politischen Antisemitismus, den nationalistischen Antisemitismus und den rassistischen Antisemitismus. Vgl. ebd., S. 25 f. 180 Antisemitismus tische Antisemitismus auf die fortgesetzte Delegitimierung des Staates Israel.112 Dabei weist der Bericht ausdrücklich auf eine Grauzone ambivalenter Äußerungen hin, die sich zwischen legitimer Kritik an der Politik Israels und antizionistischem Antisemitismus bewegen.113 Den folgenden Ausführungen liegt die Arbeitsdefinition von Antisemitismus zugrunde, die nach dem Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus des Deutschen Bundestages vor allem für die politische und praktische Auseinandersetzung mit dem Thema von Bedeutung ist: "Der Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort und Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein." 114 6.1 Antisemitismus im Islamismus Für antisemitische Vorfälle in Berlin sind sowohl islamistische Gruppen als auch Einzelpersonen und kleinere Gruppen im Straßenland und auf Demonstrationen verantwortlich. Dies betrifft vor allem Beleidigungen und Drohungen 112 Ebd., S. 26 f. 113 Ebd., S. 27 f. 114 Vgl.: www.antisem.eu/projects/eumc-working-defintion-of-antisemitism/ 181 gegenüber Juden ("verfluchtes Volk"; "verschwindet Drecksjuden") sowie das Androhen und Verüben körperlicher Gewalt und Todesdrohungen ("Juden sollen sterben"). Antisemitismus gehört zum festen Bestandteil der Ideologie sämtlicher islamistischer (inkl. salafistischer und jihadistischer) Gruppen. Mit professioneller Propaganda verbreiten islamistische Gruppen häufig mit dem Islam begründete antisemitische Stereotype, und sie versuchen, diese Auffassungen auch unter nicht-extremistisch gesinnten Muslimen in Deutschland zu verankern.115 Im Zentrum der antisemitischen Agenda von Islamisten steht ausnahmslos die Delegitimierung des Existenzrechts Israels. Alle islamistischen Gruppen propagieren Gewaltanwendung gegen Israel und seine Staatsbürger und bewerben die Auslöschung des jüdischen Staates. Die in Deutschland 2003 verbotene Organisation "Hizb ut-Tahrir" (HuT) sowie die Terrornetzwerke "al-Qaida" und "Islamischer Staat" fordern darüber hinaus, Juden weltweit zu bekämpfen und zu töten. Außerhalb wie innerhalb Israels verübten die transnationalen Jihadisten sowie die regional gewaltausübende "Hizb Allah" und HAMAS eine Vielzahl von Anschlägen auf Juden. Die in Deutschland meist nicht offen agierenden islamistischen Gruppen wirken hauptsächlich im Ideologie-Transfer, der vor allem über moderne Kommunikationsmittel erfolgt. Selbstmordanschläge verherrlichende 115 Diese Stereotype betreffen vor allem Ausprägungen des religiösen Antisemitismus (Vorwurf einer historischen Feindschaft der Juden gegen den Islam), des politischen Antisemitismus (Vorwurf der jüdischen Weltherrschaft), des sozialen Antisemitismus (Vorwurf der jüdischen Dominanz der Wirtschaft), des antizionistischen Antisemitismus (Negierung des Existenzrechts Israels) sowie die Leugnung des Holocausts. 182 Antisemitismus und die Zerstörung Israels fordernde antisemitische Propaganda wird auch über islamistische Satellitensender wie "Al-Manar-TV" oder "Al-Aqsa-TV" verbreitet, die in Deutschland trotz Verbot über Satellit weiter zu empfangen sind. Vor allem die militärischen Auseinandersetzungen im Nahen Osten zwischen Israel und den Palästinensern haben sich in den vergangenen Jahren auch auf die Sicherheitslage in Berlin ausgewirkt. Regelmäßig kam es in diesem Zusammenhang nicht nur zu einem erhöhten Demonstrationsaufkommen, sondern auch zu einem Anstieg antisemitischer Strafund Gewalttaten. Beispielsweise wurden während des Libanonkriegs 2006 oder der kriegerischen Auseinandersetzungen in Gaza 2008/2009 und 2014 auf Demonstrationen einschlägige Transparente gezeigt und Kampfslogans wie "Tod Israel" und "Wir zerstören Tel Aviv" skandiert. Aus dem Umkreis islamistischer Gruppen wie etwa der "Hizb Allah", der HAMAS, der HuT und der "Milli Görüs"-Bewegung erfolgten in den vergangenen Jahren sowohl Todesdrohungen gegen Juden als auch Aufrufe zur Zerstörung Israels, die bezeichnender Ausdruck des von ihnen verfolgten Vernichtungsantizionismus bzw. Vernichtungsantisemitismus sind. Ein häufig verwendetes - auf den iranischen "Revolutionsführer" Khomeini zurückgehendes - Stereotyp ist die Bezeichnung Israels als "Virus" und "Krebsgeschwür", das gewaltsam zu entfernen sei.116 116 Vgl. Bericht des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus: Antisemitismus in Deutschland - Erscheinungsformen, Bedingungen, Präventionsansätze, Berlin 2011, S. 50. 183 Geballt zeigte sich dieser Hass auf den Staat Israel in Berlin auf den Demonstrationen zum alljährlichen - die "Befreiung Jerusalems" fordernden - "al-Quds"-Tag. Im Zuge dieser Demonstrationen, aber auch auf anderen öffentlichen Veranstaltungen, für deren Organisation vor allem Anhänger der schiitisch-libanesischen "Hizb Allah" und der Islamischen Republik Iran verantwortlich waren, wurden einschlägige antisemitische Plakate gezeigt und judenfeindliche Slogans skandiert. Hierzu gehörten vor allem Slogans wie "Tod den Juden!", "Tod Israel!" oder "Jude, Jude feiges Schwein, komm heraus und kämpf' allein!". In diesem Zusammenhang wurden Juden, der Staat Israel und auch die zionistische Bewegung mit dem Nationalsozialismus konnotiert ("Nazimörder Israel", "Zionisten sind Faschisten") und der Umgang Israels mit den Bewohnern des Gazastreifens mit der Vernichtung der Juden durch die Nationalsozialisten gleichgesetzt ("Stop Holocaust in Gaza"). 2017 wurden auf Demonstrationen zudem israelische Fahnen verbrannt und Träger israelischer Fahnen attackiert. Auch in salafistischen Moscheen Berlins erfolgten sowohl Aufrufe zum militanten Jihad gegen Juden in Israel, als auch Aufrufe zur weltweiten Tötung von Juden. 2014 sorgte eine auf den Gaza-Konflikt bezogene antisemitische Pre184 Antisemitismus digt eines Imams an der "Al-Nur-Moschee" für Aufsehen, die eine Fürbitte an Gott enthielt, die "zionistischen Juden zu vernichten" und "bis auf den letzten zu töten".117 Nach einer längeren juristischen Auseinandersetzung um die Frage der Strafbarkeit dieser Predigt verurteilte das Landgericht Berlin den Prediger 2016 in zweiter Instanz schließlich wegen Volksverhetzung nach SS 130 Absatz 1 Nr. 1 StGB. Mit seiner Vernichtungsrhetorik, so das Gericht, hat der Angeklagte zielgerichtet und vorsätzlich zum Hass gegen Juden aufgerufen. Die Predigt warf ein bezeichnendes Schlaglicht auf den manifesten, aber oftmals nicht-öffentlich propagierten Antisemitismus der salafistischen Szene. 6.2 Antisemitismus im nicht-islamistisch geprägten Ausländerextremismus Auch im nicht-islamistisch geprägten extremistischen Spektrum ausländischer Organisationen sind antisemitische Stereotype präsent. So ist Antisemitismus etwa bei rechtsextremistischen Türken Teil ihrer nationalistischen und rassistischen Ideologie, die in Deutschland im Wesentlichen der Dachverband "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." und meist unorganisierte Jugendliche vertreten. Die Anhänger der Bewegung sind als "Graue Wölfe" oder "Ülkücü"-Bewegung bekannt und bezeichnen sich selbst als Idealisten ("Ülkücü"). Die nationalistisch-rassistische "Ülkücü"-Ideologie basiert auf dem Überlegenheitsanspruch des Türkentums und der türkischen Nation sowie auf der Abwertung anderer Ethnien, Nationen und Religionsgemeinschaften. Zum übersteigerten Nationalismus der Bewegung gehören zwangsläufig rassistische und antisemitische Einstellungen. Nihal Atsis, einer der bedeutendsten sich offen als Rassist bekennenden Ideologen der "Ülkücü" in der Türkei, erklärte 1941 eine Vielzahl Völker zu Feinden der Türken, die Juden jedoch bildeten 117 Wörtlich heißt es in dem Bittgebet: "Oh Gott, vernichte die zionistischen Juden! Sie sind keine Herausforderung für dich. Zähle sie und töte sie bis auf den letzten! Verschone keinen einzigen von Ihnen!" 185 "den heimlichen Feind aller Völker." Wie andere extremistische Strömungen bedient die "Ülkücü"-Bewegung mittels Verschwörungstheorien klassische antisemitische Stereotype und Ressentiments. Zentral ist das Negativklischee vom Judentum als subversive Macht, das die Weltherrschaft anstrebe. 6.3 Antisemitismus im rechtsextremistischen Spektrum Die Feindschaft gegenüber Juden hat in der rechtsextremistischen Szene eine lange Tradition und gehört nach wie vor zu den prägenden ideologischen Merkmalen traditioneller Rechtsextremisten. Die Wurzeln dieser Feindschaft liegen im Aufkommen des "Rassen-Antisemitismus" ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts. War die Feindschaft gegenüber Juden bis dahin nahezu ausschließlich religiös oder sozial begründet, wurde ab diesem Zeitpunkt mit vermeintlich "wissenschaftlichen" Belegen die Stigmatisierung, Ausgrenzung, Vertreibung und letztendlich auch Vernichtung von Juden legitimiert.118 Der rassische Antisemitismus wurde später das ideologische Bindemittel der NSDAP. Mit der so genannten Machtergreifung Hitlers wurde Antisemitismus Staatsdoktrin. Hierauf berufen sich Neonazis nach wie vor, so dass der Antisemitismus bereits aus historischen Gründen dem traditionellen Rechtsextremismus immanent ist. Eine entscheidende Rolle bei der Genese des rechtsextremistisch motivierten Antisemitismus spielten auch Verschwörungsmythen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. In diesen auch als "Verschwörungsideologie" bezeichneten Vorstellungen zieht ein weltweit miteinander vernetztes jüdisches "Volk" im Geheimen die Fäden und ist damit verantwortlich für alle wirtschaftlichen, politischen und sozialen Probleme dieser Welt. Diese Verschwörungsvorstellungen wurden nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs durch Unterstellungen von Rechtsextremisten ergänzt, nach denen die Bundesrepublik Deutschland ein von den West-Alliierten oktroyiertes Gebilde sei, das von einflussreichen 118 Benz, Wolfgang, Antisemitismus im 19. und 20. Jahrhundert. Erschienen bei der Bundeszentrale für politische Bildung 2006, abrufbar unter www.bpb.de. 186 Antisemitismus jüdischen Kreisen maßgeblich initiiert wurde. Dabei beziehen sich Rechtsextremisten auch auf vermeintliche Belege aus historischen Dokumenten, aus denen hervorgehen soll, dass die Juden Deutschland immer schon vernichten wollten.119 Die so genannten Holocaustleugner, eine zuletzt zahlenmäßig kleine Gruppe, verbreiteten sogar, dass der Holocaust eine jüdische Inszenierung gewesen sei, um Deutschland zu unterjochen und hohe Wiedergutmachungszahlungen zu erpressen. Regelmäßigen, offenen und strafrechtlich relevanten Antisemitismus gab es bis 2009 insbesondere im Bereich des so genannten diskursorientierten Rechtsextremismus. Der 2009 verbotene "Verein zur Rehabilitation der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) hatte gar als zentralen und offiziellen Vereinszweck "die Widerlegung der so genannten Holocaustlüge". Dass mit dem Vereinsverbot aber weder die Protagonisten des Vereins, noch das dort propagierte Gedankengut verschwunden sind, zeigte sich u.a. auf einer Veranstaltung im Januar 2016. In eine Gaststätte in Tempelhof referierte die ehemalige Vorsitzende des VRBHV und bestritt dort, dass es den Holocaust gegeben habe. Die 89jährige wurde dafür vom Berliner Amtsgericht im Oktober 2017 zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt. Mit der Gründung der so genannten "Europäischen Aktion" (EA) im Jahr 2010 formierte sich die ehemalige Szene der Holocaustleugner neu. Die Agitation gegen die so genannte "Holocaust-Lüge" wurde bei der EA verklausuliert und dezenter formuliert als vormals beim VRBHV. 2017 gab die EA ihre Auflösung bekannt und teilte in einer Erklärung mit, dass einzelne ehemalige Mitglieder weiterhin die Ziele der EA verfolgen würden. 119 Exemplarisch wird dafür der sogenannte Morgenthau-Plan nach dem jüdisch-amerikanischen Finanzminister Henry Morgenthau von 1944 herangezogen, der vorsah, Deutschland nach der bereits absehbaren Kapitulation in einen reinen Agrarstaat umzuwandeln, damit es nie wieder einen Angriffskrieg führen könne. 187 Antisemitismus und Holocaustleugnung finden sich aber keineswegs nur in diesen diskursorientierten Zirkeln, sondern sind fester Bestandteil der Ideologie und des Handelns aller Gruppierung des traditionellen Rechtsextremismus. Eine der bekanntesten antisemitischen Provokationen der letzten Jahre wurde vom Berliner Landesverband der NPD initiiert. Im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus im Jahr 2011 posierte der damalige Spitzenkandidat der NPD auf einem Motorrad mit dem bewusst mehrdeutigen Slogan "Gas geben". Eines dieser Plakate wurde vor dem jüdischen Museum in Kreuzberg angebracht. Auch die beiden Netzwerke "Freie Kräfte" und "Rechtsextremistische Musik" lassen keinen Zweifel an ihrer Feindschaft gegenüber Juden. Häufiger findet man beispielsweise Äußerungen, die auf eine Relativierung des Holocaust abzielen, indem der Begriff von Rechtsextremisten entfremdet und mit aktuellen politischen Entwicklungen verknüpft wird. In Berlin fanden sich solche Äußerungen regelmäßig auf der anonym betriebenen Website der "Autonomen Nationalisten". 2015 hieß es dort etwa: 188 Antisemitismus "Der Zweite-Weltkriegs-Holocaust an den Deutschen heißt bis heute 'Befreiung', den Flüchtlings-Holocaust nennen sie jetzt 'Bereicherung'." 120 Antisemitische Klischees finden sich auch in den Texten diverser rechtsextremistischer Bands. Um die antisemitischen Inhalte zu kaschieren, wird dabei vordergründig die Politik Israels angeprangert. Die dahinterstehende Intention der Verunglimpfung aller Juden ist jedoch in vielen Fällen unschwer zu erkennen: "Kindermörder - Israel. Frauenmörder - Israel. Israel, USA - Menschenrechte ha ha ha" Wer wirft Bomben auf Frauen und Kinder - Israel Wer ist der Völker größter Schwindler - Israel [...] Und wer hat den Deutschen den Stolz gestohlen - Israel" 121 Typisch ist auch die Verwendung von Codes und Andeutungen. Begriffe wie "Ostküste",122 "Zinsknechtschaft", Z.O.G. (Zionist Occupied Government als Abkürzung für eine unter jüdischem Einfluss stehende deutsche Regierung) oder Auslassungen haben sich in der rechtsextremistischen Musikszene als Synonyme für die bei Rechtsextremisten imaginierte jüdische Weltherrschaft etabliert: 120 Auf dem Twitter-Account der AN-Berlin am 14.10.2015 und 15.12.2015 geteiltes Zitat, ANKommentar dazu: "Wahre Worte". 121 Liedtext (Auszug) aus: "Free Palästina" der rechtsextremistischen Berliner Band "D.S.T.", CD "Wehret den Anfängen", erschienen 2015. 122 Gemeint ist die US-amerikanische Ostküste, an der viele Finanzinstitute und die amerikanische Aktienbörse angesiedelt sind. Diese Institutionen werden aus der Sicht von Antisemiten angeblich von Juden dominiert und gesteuert. 189 "Mit Geldkarten will ZOG unser Bargeld abschaffen/ Hin zum gläsernen Bürger soll die Reise geh'n (...) Weil ich genau weiß, dahinter stecken die, dahinter stecken die, dahinter stecken die!" 123 Speziell öffentliche Gedenken an den Holocaust animieren Rechtsextremisten immer wieder zu antisemitischen Ausfällen. Die Berliner NPD etwa bezeichnete das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas als "Bundesschamanlage" bzw. "Holo-Mahnmal". Der Neuköllner NPD-Kreisver124 band veröffentlichte auf seinem Facebook-Profil eine Stellungnahme unter der Überschrift: "Fußgänger können nun gefahrlos den Bürgersteig passieren"125 und spielte damit auf die Entwendung mehrerer "Stolpersteine" im Bezirk Neukölln an. Am 9. November 2016 veröffentlichten die "Freien Kräfte Berlin Neukölln" (FKBN) auf ihrem Facebook-Profil eine Karte, auf der jüdische und israelische Einrichtungen in Berlin aufgeführt waren. In Frakturschrift stand dazu: "Juden unter uns!" Die Verfasser des Beitrags kommentierten die Karte mit: "Heut ist so ein schöner Tag!" und spielt damit auf die "Reichspogromnacht" am 9. November 1938 und die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden im "Dritten Reich" an. 123 Liedtext (Auszug) aus: "M.O.R.D" der rechtsextremistischen Berliner Band "Die LunikoffVerschwörung", CD "Öl ins Feuer", erschienen 2017. 124 Erklärung des NPD-Landesverbands, aufgerufen am 22.8.2006. 125 Facebook-Profil der NPD Neukölln, Posting vom 8.11.2017. 190 Antisemitismus Darüber hinaus gibt es auch Einzelpersonen aus der so genannten "Reichsbürgerbewegung", die sich dezidiert antisemitisch äußern. Dies passiert üblicherweise anonym im Internet. Im Januar wurden ein Berliner "Reichsbürger" und seine Lebensgefährtin wegen des Verdachts, einer Gruppierung anzugehören, dessen Anführer geäußert hatte, bewaffnete Anschläge u.a. auf Juden begehen zu wollen, vorübergehend festgenommen. Antisemitismus ist fester Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie, in der Rechtsextremisten das Feindbild des deutschfeindlichen, weltweit vernetzten Judentums aufrechterhalten. Dass nach wie vor die meisten antisemitisch motivierten Straftaten auf das Konto von Rechtsextremisten gehen, zeigt, dass sich dieser Antisemitismus nicht nur in verbalen Bedrohungen und Beleidigungen erschöpft. 6.4 Linksextremistischer Antisemitismus Auch im deutschen Linksextremismus gibt es eine "antisemitische Traditionslinie" - ausgehend von den Frühsozialisten und der Arbeiterbewegung über die marxistischen Klassiker und den linksextremistischen Terrorismus bis heute. Dieser Antisemitismus ist zum einen antikapitalistisch motiviert und basiert historisch auf einer Gleichsetzung von "Juden" und "Kapital". Theorielastiger und ebenfalls antikapitalistisch ausgerichtet ist die von Anti-Imperialisten vertretene Auffassung, eine auf die Ausweitung des eigenen Herrschaftsbereichs abzielende Politik sei dem Kapitalismus immanent. Sie brandmarken insbesondere die USA und seit dem Sechstagekrieg 1967 auch Israel als Protagonisten imperialistischer Bestrebungen. Nicht zuletzt die Solidarisierung mit palästinensischen Befreiungsbewegungen führte in der Folge zu z.T. eklatanten antisemitischen Äußerungen und Haltungen. Orthodoxe Linksextremisten dagegen betrachteten den Faschismus als chauvinistischste und reaktionärste Herrschaftsform des Kapitals und leiteten daraus ab, die deutsche Arbeiterbewegung könne per se nicht antisemitisch sein. 191 Bereits seit der Staatsgründung Israels wurde (und wird) linksextremistischer Antisemitismus häufig als Anti-Zionismus bzw. Anti-Israelismus verbrämt.126 Im Zusammenhang mit israelischen Aktionen gegen die Palästinenser bemühen Linksextremisten Vokabular wie "Holocaust", "Pogrom", "Vernichtungskrieg", "Völkermord", "Blut und Boden-Ideologie" und setzen diese insofern gleich mit Taten der Nationalsozialisten. Auch die Negierung des Existenzrechts Israels gehört in diesen Zusammenhang. Dass antisemitische Haltungen in der linksextremistischen Szene in einer langen Tradition stehen, zeigt ein Blick in die Geschichte. So verübten die "Tupamaros Westberlin" 1969 einen Anschlag auf das jüdische Gemeindehaus im damaligen West-Berlin. In der Taterklärung hieß es, "wahrer Antifaschismus" sei die Solidarisierung mit dem Kampf der Palästinenser gegen Israel. Die Ermordung israelischer Olympioniken in München 1972 wurde von der RAF und diversen linksextremistischen Gruppierungen begrüßt, und Demonstrationen gegen militärische Aktionen Israels im Libanon in den 80er Jahren fanden vor Synagogen und nicht vor israelischen Botschaften statt. Auch im Zusammenhang mit der jährlichen "al-Quds"-Demonstration kam es wiederholt zu antisemitischen Äußerungen einzelner Akteure, die zu szeneinternen Diskussionen und zu einem zumindest zeitweiligen Rückgang der linksextremistischen Beteiligung an der Demonstration führten. 126 Vgl. hierzu z. B. "Mutige Lesung zum Buch 'Die Antisemitenmacher'", in: "Rote Fahne" Ausgabe 1/2018. S. 18. 192 Antisemitismus So genannte Anti-Deutsche dagegen solidarisieren sich mit Israel und den USA aufgrund der historischen Schuld Deutschlands. Nach ihrer Auffassung konstituiere sich nationale Identität in Deutschland ausschließlich "völkisch" und über Antisemitismus. Insofern sei eine kommunistische Revolution nur gegen Deutschland möglich. Sie sehen sich in einer Allianz mit Israel und den USA im Kampf gegen den Islamismus, der von ihnen mit dem Nationalsozialismus verglichen wird. Diese - zahlenmäßig kleinen - Spektren der linksextremistischen Szene Berlins (jeweils weniger als 100 Personen) bekämpfen sich z.T. auch mit Gewalt. So warfen sich selbst als jüdisch definierende Antifaschisten den Anti-Deutschen eine Instrumentalisierung des Begriffs Antisemitismus vor, um auf diese Weise eigene politische Ziele zu erreichen. Grundsätzlich sei Antisemitismus innerhalb der deutschen "Linken" in vielfacher Weise existent und werde nach ihrer Ansicht häufig durch vermeintlichen Anti-Zionismus getarnt. Die anti-imperialistische Gruppierung "Jugendwiderstand Berlin" protestierte wiederum anlässlich der angekündigten Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels gemeinsam mit islamistischen Gruppierungen wie HAMAS und "Hizb Allah". Über die sozialen Medien forderte sie wiederholt "Tod dem Zionismus" und verkündete, es sei eine "besondere Ehre" gewesen, anlässlich einer Veranstaltung zum 50. Jahrestag der PFLP-Gründung127 eine Rede halten 127 "Popular Front for the Liberation of Palestine" ("Volksfront zur Befreiung Palästinas"), gegründet 1967. Die PFLP wird von der EU sowie den USA als Terrororganisation eingestuft. 193 zu dürfen. Als "proletarische Internationalisten" stehe die Gruppierung "fest an der Seite des palästinensischen Volks in seinem gerechten Kampf gegen Zionismus und Imperialismus".128 Im Rahmen der Veranstaltungen zum 1. Mai hatte die Gruppierung eine Kundgebung am Karl-Marx-Platz in Neukölln angemeldet, zu der sie unter dem Motto "Fick Israel und die USA" aufrief. "Jugendwiderstand" (JW) Gründung: 2015 Mitglieder: Berlin: 15-20 Die aus dem Umfeld der "Revolutionären Aktionszellen" (RAZ)129 hervorgegangene Gruppe "Jugendwiderstand" gibt sich streng dogmatisch, ist kaderartig organisiert und beschreibt sich selbst als "proletarische, revolutionäre und antiimperialistische Jugendorganisation", die "gegen dieses System, für den Sozialismus und die freie Zukunft des Kommunismus" kämpfe. In Berlin verortet sie sich im "Arbeiterviertel Neukölln". Sie ruft Jugendliche unter dem Motto "wehrt euch und kämpft" dazu auf, sich der Gruppierung anzuschließen und gemeinsam gegen Imperialismus, Revisionismus und Reaktion sowie für eine Revolution durch bewaffnete Machtergreifung einzusetzen. Über Graffitis, die sie als Fotos auf ihren Social Media-Präsenzen veröffentlicht, offenbart sie eine Verehrung für Mao und Stalin und ruft zum Boykott von 128 "Al Quds bleibt Falastin - Berlin steht fest an der Seite Palästinas!" auf der Internetpräsenz "jugendwiderstand". Veröffentlicht am 11.12.2017. Abgerufen am 20.12.2017. 129 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2011. S. 127. 194 Antisemitismus Wahlen auf. Das Parlament sei "eine Laberbude und ein Schweinestall, voll von Verbrechern, Heuchlern und Lügnern". Im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel Hamburg spricht "Jugendwiderstand" in pathetischer Diktion von erfolgreichen "Kämpfen in Volksvierteln", bei denen jedoch der "Schutz der Massen" zu gewährleisten sei, um "solche Kämpfe perspektivisch in Siege zu verwandeln und (...) Vertrauen der Massen in die Revolutionäre aufzubauen und ihre Mobilisierung und Politisierung zu stärken." 130 Die Gruppierung ist als gewaltbereit einzustufen. Sie ist in der linksextremistischen Szene Berlins weitgehend isoliert. Grundsätzlich ist gleichwohl davon auszugehen, dass in der linksextremistischen Szene Berlins dezidiert antisemitische Haltungen und Äußerungen nicht unwidersprochen bleiben und aktuell nicht breit vermittelbar sind. 6.5 Fazit Die vorstehenden Ausführungen zeigen, wie fest antisemitische Stereotype in den Ideologien nahezu aller extremistischen Gruppierungen und Akteure verwurzelt sind. Antisemitische Einstellungen sind allerdings nicht auf das extremistische Spektrum beschränkt. Zwar sind verschiedenen Studien zufolge die Zustimmungsraten in der Bevölkerung zu klassisch antisemitischen Stereotypen ("Die Juden haben zu viel Einfluss") seit Jahren rückläufig; bezogen auf israelbezogenen Antisemitismus ("bei der Politik, die Israel macht, kann ich gut verstehen, dass man was gegen Juden hat") schwanken sie jedoch, je nach Fragestellung, zwischen 30 und 40 Prozent.131 130 Zu sämtlichen Zitaten in diesem Absatz vgl. die Internetpräsenz "jugendwiderstand". Abgerufen am 20.12.2017. 131 Vgl. Zick, Andreas; Küpper, Beate; Krause, Daniela: "Gespaltene Mitte - Feindselige Zustände. Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2016"; S. 44 ff.; online abrufbar unter: www.fesgegen-rechtsextremismus.de/pdf_16/GespalteneMitte_FeindseligeZustände.pdf. 195 Diese offenkundige Anfälligkeit breiterer Gesellschaftsschichten für antisemitische Vorurteile bietet auch politischen Extremisten thematische Anknüpfungspunkte zur gesellschaftlichen Mitte. Versuche, ihre gesellschaftliche Isolation zu überwinden, sind mittlerweile von diversen Gruppen in allen extremistischen Spektren zu beobachten - Antisemitismus kann hier als Brücke oder "Türöffner" dienen. Im politisch rechten Spektrum sind es beispielsweise immer häufiger Verschwörungstheorien, die zwar modern verpackt daherkommen, im Kern aber immer wieder die jahrhundertealte Behauptung enthalten, hinter allen politischen und sozialen Verwerfungen stünden "die Juden". Unter Rechtsextremisten, insbesondere aber in der "Reichsbürgerszene" sind solche Ansichten weit verbreitet und dürften nicht unerheblich dazu beigetragen haben, dass sich das Personenpotenzial dieser Szene bundesweit erheblich vergrößert hat. In politisch linken Kreisen und unter Muslimen ist es hingegen nicht selten eine unreflektierte Solidarität mit dem palästinensischen Volk, dass die Tür für antisemitische Argumentationsmuster öffnet. Die immer populärer werdende Denunzierung Israels als ein "Apartheidstaat" oder Vergleiche Israels mit dem nationalsozialistischen Deutschland sind nur zwei Beispiele dafür, dass sich antisemitische Positionen mittlerweile auch in breiteren gesellschaftlichen und politischen Diskursen jenseits des explizit extremistischen Spektrums wiederfinden. Diese Entwicklung greift dabei längst nicht mehr nur eine bestimmte soziale oder religiöse Gruppe an. Vielmehr geht der moderne Antisemitismus immer häufiger mit einer wachsenden Rezeption und Akzeptanz auch anderer menschenund demokratiefeindlicher Positionen einher. Antisemitismus ist insofern nicht nur ein Angriff gegen Jüdinnen, Juden oder den Staat Israel, sondern auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und die darin verankerten Werte. 196 7 Scientology Organisation 197 7 Scientology Organisation Scientology Organisation Mitglieder: Berlin: 130 (2016: 130) Die "Scientology Organisation" (SO) wurde 1954 in den USA gegründet. Der deutsche Ableger entstand 1971. Sie geht auf den amerikanischen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard zurück, welcher behauptete, die Welt von Armut, Krieg, Verbrechen, Krankheit und anderen Übeln befreien zu können. Seitdem verbreitet die SO ihre Ideologie weltweit im Rahmen von Publikationen, Kurssystemen, Veranstaltungen und im Internet mit dem Ziel, eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt zu schaffen. Durch die Anwendung scientologischer Ideologie und Techniken soll ein perfekt funktionierender Mensch, der so genannte "Clear", beziehungsweise der höher trainierte "operierende Thetan" erzeugt werden. Nur diesen Menschen sollen Bürgerrechte zugestanden werden, um mit ihnen eine scientologische Gesellschaftsordnung zu errichten. Außerhalb dieser Gesellschaft stehenden oder der SO gegenüber kritisch eingestellten Personen wird jeglicher Wert abgesprochen. Gegner und Kritiker werden von Scientology verfolgt und bedroht. Der Einstieg in die Organisation erfolgt in der Regel durch einen kostenfreien "Persönlichkeitsoder Stresstest", der als vermeint198 Scientology lich individuelle Lebenshilfe angeboten wird. Seine Auswertung durch einen speziell geschulten Scientologen wird immer Defizite aufzeigen, welche durch - dann kostenpflichtige - Seminare korrigiert werden sollen. Scientology manipuliert ihre Anhänger, unterwirft sie einer ständigen Kontrolle und beutet sie finanziell aus. Bis auf eine Kampagne der Scientology-Tarnorganisation "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) im Oktober am Potsdamer Platz, bei der angebliche Verstöße in der Psychiatrie in einer Ausstellung dargestellt wurden, war die "Scientology Organisation" in Berlin kaum wahrnehmbar. Weitere SO-Organisationen, z.B. der Verein "Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben", führten 2017 keine Veranstaltungen mit Außenwirkung durch. Üblicherweise klären diese Tarnorganisationen vordergründig über bestimmte Themen auf, allerdings geht es Scientology dabei weniger um seriöse Darstellungen als vielmehr um Mitgliederakquise. Die Mitgliederzahlen der SO stagnieren in Berlin allerdings weiterhin auf niedrigem Niveau. 199 200 8 Spionageabwehr 201 8 Spionageabwehr Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer geopolitischen Lage in Europa, ihrer Rolle in der Europäischen Union (EU) und der Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für andere Nachrichtendienste, d.h. für alle nicht-deutschen Nachrichtendienste, attraktiv. Diese Dienste sind in unterschiedlicher Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort Legalresidenturen. Darunter sind Stützpunkte eines anderen Nachrichtendienstes zu verstehen, die in einer Botschaft, einem Konsulat oder einer Presseagentur eingerichtet sind. Die dort als Diplomaten oder Journalisten getarnt arbeitenden Mitarbeiter betreiben, offen oder verdeckt, operative Informationsbeschaffung oder unterstützen nachrichtendienstliche Aktivitäten, die von den jeweiligen Zentralen in ihren Herkunftsländern geführt werden. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass die Russische Botschaft über etwa ein Drittel nachrichtendienstlich gebundener Mitarbeiter verfügen. Werden solchen Personen statuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zu ihrer Ausweisung aus Deutschland führen. Dies war im Juli der Fall, als das Auswärtige Amt den im Range eines 1. Botschaftssekretärs stehenden Residenten des vietnamesischen Geheimdienstes an der Botschaft der Sozialistischen Republik Vietnam zur "Persona non grata" erklärt hat. Der Diplomat musste die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 48 Stunden verlassen. Hintergrund war die Entführung eines vietnamesischen Staatsangehörigen und seiner vietnamesischen Begleiterin im Tiergarten unter Gewaltanwendung, als sie gegen ihren Willen in ein Fahrzeug gezerrt und offenkundig nach Vietnam verschleppt wurden. Die anschließenden polizeilichen Ermittlungen ergaben, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der vietnamesische Nachrichtendienst in diese Entführung eingebunden war. Im April 2018 begann vor dem Berliner Kammergericht der Prozess gegen einen vietnamesischen Staatsangehörigen wegen ge202 Spionageabwehr heimdienstlicher Agententätigkeit und Beihilfe zur Freiheitsberaubung. Er ist tatverdächtig, das Entführungsfahrzeug in Prag (Tschechische Republik) angemietet und nach Berlin gefahren zu haben. Neben dem Agieren aus den Legalresidenturen heraus sind unabhängig davon operative Aktivitäten festzustellen, die gänzlich ohne diplomatische Immunität ausgeführt werden. Schwerpunkte In Berlin als Hauptstadt und als Regierungssitz ist die Anzahl mit über 150 diplomatischen Vertretungen und folglich die Präsenz anderer Nachrichtendienste hoch. Die jeweiligen operativen Schwerpunkte dieser Dienste orientieren sich in der Regel an aktuellen politischen Vorgaben, wirtschaftlichen und technologischen Prioritäten sowie militärtaktischen und -strategischen Interessen. Angesichts dieser Aufgabenkataloge reichen die Ziele anderer Nachrichtendienste von der offenen und konspirativen Beschaffung von Informationen aus relevanten Objekten, bis hin zur Infiltration in Deutschland ansässiger Organisationen, aber auch der Ausspähung von Bürgern, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Nach Auffassung des Berliner Kammergerichts trifft dies auf den indischen Auslandsnachrichtendienst zu, als es im Januar einen gebürtigen Inder zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt hat. Demnach soll ein Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld von hauptamtlichen Mitarbeitern des Nachrichtendienstes auch über die indische Botschaft in der Tiergartenstraße geführt worden sein. Von diesen erhielt er nachrichtendienstliche Aufträge. Für das Kammergericht gilt als erwiesen, dass er von Januar 2013 bis Februar 2016 in 45 Fällen Personendaten, Wohnorte, Familienverhältnisse, Geburtsdaten, Reisewege und Aufenthaltsorte von überwiegend oppositionell eingestellten indischen Staatsbürgern, vor allem Sikhs, übermittelt hat, wozu er das Ausländerzentralregister und die Visadatei in An203 spruch genommen haben soll.132 Ein anderes Verfahren weist Analogien hierzu auf. Im März verurteilte das Berliner Kammergericht einen zuletzt in Bremen lebenden pakistanischen Staatsangehörigen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten. Es sah es als erwiesen an, dass dieser seit mindestens 2015 für den Nachrichtendienst der iranischen Revolutionsgarden tätig war. So spionierte er u.a. in Berlin den früheren Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und früheren Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages aus. Ziel sei es gewesen, eine Liste mit leicht zu treffenden Anschlagszielen zu erstellen, die im Rahmen der "asymmetrischen Kriegführung" eingesetzt werden sollten. Er trug Informationen zu Lebensgewohnheiten, zu Verwandten und Bekannten sowie Tätigkeiten und Termine der ausspionierten Personen zusammen.133 Offenkundiges Interesse an oppositionellen, auch in Berlin lebenden türkischen Staatsbürgern zeigte ein türkischer Nachrichtendienst, als er in einer an die Bundesrepublik Deutschland gerichteten Liste dazu aufgefordert hat, gegen Anhänger des Geistlichen Fethullah Gülen vorzugehen. Auf dieser Liste waren nicht nur vermeintliche Anhänger Gülens verzeichnet, sondern auch ein Mitglied des Deutschen Bundestages und eines des Abgeordnetenhauses von Berlin. Insgesamt handelte es ich um 60 in Berlin lebende Bürger bzw. in Berlin arbeitende Unternehmen. Insbesondere die "Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e. V." (DITIB) wurde mit entsprechenden Informationsweitergaben in Verbindung gebracht. Einige Länder sind darüber hinaus bemüht, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Waffen zu gelangen sowie die zu deren Herstellung erforderlichen Güter und Know-how zu erlangen. Dies ist meist mit dem Versuch verbunden, durch Lieferungen an Drittländer und die Beschaffung von 132 Vgl. Urteil des KG Berlin, Az. (2A) 3 StE 6/16-5 (1/16). 133 Vgl. Urteil des KG Berlin, Az. (2A) 3 StE 8/16-1 (4/16). 204 Spionageabwehr doppelt verwendungsfähigen Gütern ("dual use"-Güter) Kontrollmaßnahmen zu umgehen. Der Berliner Verfassungsschutz kooperiert in allen Belangen der Spionageabwehr eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das bei der Aufklärung aller nachrichtendienstlichen Aktivitäten federführend ist. 8.1 Wirtschaftsschutz Wirtschaftsspionage hat sich als gängige Bezeichnung für die Absicht anderer Nachrichtendienste etabliert, aus den Bereichen Wissenschaft und Technik in der Bundesrepublik Deutschland Informationen zu beschaffen, um Unternehmen anderer Staaten einen Vorteil zu verschaffen. Im Gegensatz zu dieser staatlich organisierten Wirtschaftsspionage gibt es die Industriespionage, die zumeist von Unternehmen im Kontext der Konkurrenzausspähung ausgeht. Deutschland unterhält keinen Nachrichtendienst, der für die deutsche Wirtschaft in anderen Staaten solcherart Informationen beschafft. Wirtschaftsspionage durch andere Staaten wird wesentlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Durch präventiven Wirtschaftsschutz sollen Forschungsund Technologieentwicklungen an Hochschulen und Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage und Wettbewerbsnachteilen geschützt werden. In Berlin sind nach Daten von 2016 über 170 000 Betriebe unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche als Arbeitgeber mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ansässig. Informationsund Kommunikationstechnologie, Medizintechnik, Biotechnologie, optische Technologien und Verkehrstechnik sowie kreative Dienstleistungen haben sich als Branchen mit Zukunftsperspektive in Berlin etabliert. Darüber hinaus gehört die Stadt zu den größten und vielfältigsten Wissenschaftsregionen in Europa. An vier Universitäten, an der Charite-Universitätsmedizin Berlin, sechs Fachhochschulen, vier Kunsthochschulen, ca. 30 privaten Hochschulen sowie über 60 Forschungsstätten studieren, lehren, forschen und arbeiten rund 200 000 Menschen aus aller Welt. 205 Die Erfolge der Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Ergebnis nicht nur von Entwicklungskosten, sondern von langjähriger Forschung und kreativer Ideen. Ein solches Know-how ist stets mit dem Risiko verbunden, durch Wissenschaftsund Technikspionage verloren zu gehen. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die Industrieund Handelskammer sowie der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Berlin-Brandenburg arbeiten zusammen bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in anderen Bereichen der inneren Sicherheit.134 Wesentlich geht es dabei um den Austausch von Informationen zwischen Wirtschaft und Sicherheitsbehörden, wobei die Wirtschaft über sie betreffende Spionageaktivitäten berichtet und die Sicherheitsbehörden zur IT-Sicherheit, den Schutz vor Wirtschaftsspionage und über politischen Extremismus informieren. Wenn Unternehmen von Wirtschaftsspionage betroffen sind oder Anhaltspunkte für entsprechende Aktivitäten haben, können sie den Kontakt zum Verfassungsschutz suchen, der Vertraulichkeit garantiert; zumal er nicht - wie Strafermittlungsbehörden - dem Strafverfolgungszwang unterliegt. Es unterliegt dem Opportunitätsprinzip, ob der Verfassungsschutz einen Sachverhalt zur Strafverfolgung an Polizei und Staatsanwaltschaft weiterleitet. Der Berliner Verfassungsschutz ist für die Beobachtung von Wirtschaftsspionage zuständig. Er unterstützt das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Erfüllung des nun im dortigen Gesetz verankerten Auftrags des präventiven Wirtschaftsschutzes bei seiner Beratung. 134 Die Zusammenarbeit besteht seit November 2010. 206 Spionageabwehr 8.2 Abwehr von Cyberspionage Einen beachtlichen Stellenwert bei der Beschaffung von Informationen nimmt die elektronische Aufklärung ein, die "Signals Intelligence" (SIGINT) genannt wird. Dabei steht das Bemühen im Mittelpunkt, in Infrastrukturen der Informationstechnologie einzudringen, um Informationen zu beschaffen oder um das IT-System zu beschädigen oder zu sabotieren. Angesichts der zunehmenden IT-Vernetzung in Wissenschaft und Technik sowie von Parlamenten und Verwaltungen ist dies ein bedeutsames Instrument nachrichtendienstlicher Arbeit, zumal der personelle Aufwand - und damit das Risiko einer Enttarnung - eher gering ist. Cyberspionage schließt Betrug, Fälschungen und unerlaubte Zugriffe auf IT-Systeme ein. Angriffe werden mit E-Mails mit spezifischen Anhängen, präparierten Websites oder USB-Sticks durchgeführt. Für die Beobachtung und Abwehr dieser komplexen Aktivitäten ist das "Nationale Cyber-Abwehrzentrum" zuständig, dass beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik angesiedelt und in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz vertreten ist.135 In Berlin gab es Cyberangriffe auf Computer-Netzwerke politischer Bildungseinrichtungen. So stellte das BfV im März einen Cyberangriff auf das Netzwerk der Konrad-Adenauer-Stiftung durch die Angriffskampagne "APT 28" fest. Diese Kampagne wird angesichts ihrer Möglichkeiten und des Vorgehens einem russischen Nachrichtendienst zuzuordnen sein. Im konkreten Fall erfolgte sie mit einer Spear-Phishing-E-Mail.136 Im April ereignete sich gleichfalls ein Angriff auf das Computernetzwerk der Friedrich-Ebert-Stiftung, der allerdings erfolgreich abgewehrt werden konnte. Mitarbeiter der Stiftung hatten SpearPhishing-E-Mails mit einer Domain als "gefakter" Login-Seite erhalten. Auf der gefälschten Website wird der Anwender aufgefordert, das Passwort erneut 135 Das "Nationale Cyber-Abwehrzentrum" nahm im April 2011 seine Arbeit auf. 136 Bei Spear-Phishing-E-Mails handelt es sich um Angriffe mittels schadhaften E-Mails mit einer vorgetäuschten Absenderadresse, um persönliche Daten und Daten der anzugreifenden Institution zu erlangen. 207 einzugeben. So hätten die Angreifer an die Login-Daten gelangen und Zugriff auf Interna erhalten. Bereits im Februar war ein solcher Angriff auf das Netz der CDU-Parteizentrale in Berlin erfolgt. Erfolgreiche Cyberangriffe können immense finanzielle, volkswirtschaftliche und politische Schäden hervorrufen. Ein unkontrollierter Abfluss von Informationen mit innenoder außenpolitscher Bedeutung bzw. Informationen zur politischen Ausrichtung der Bundesrepublik Deutschland wäre in seinen Konsequenzen fatal. 208 9 Geheimschutz 209 9 Geheimschutz Unverzichtbar ist der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bundesländer gefährden kann. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.137 Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat die Einrichtungen durch Rechtsverordnung festgelegt.138 Dazu zählen u.a. die Behörden zum Schutz der inneren Sicherheit und die Lagezentren und Leitstellen von Polizei und Feuerwehr. Die Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Sicherheitsüberprüfungen genannt) und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen ebenfalls gesetzlich vorgesehen. Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist. Im Jahr 2017 führte der Berliner Verfassungsschutz 686 Überprüfungen durch (2016: 556). 137 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2.3.1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17.12.2003 (GVBl. S. 617). 138 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl. S. 316). 210 Geheimschutz 9.1 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund oder Ländern aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards geschaffen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes oder eines Landes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags mit Verschlusssachen. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen." Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist die Verfassungsschutzbehörde.139 2017 wurden 200 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2016: 173). 139 SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln. 211 Um die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, unterstützt der Berliner Verfassungsschutz den Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg (SIBE-AK BR-BB) durch fachkundige Referenten und die Bereitstellung von Informationsmaterialien bei Seminaren und Tagungen. Dieser Arbeitskreis soll den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Austauschforum bieten. 9.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Der Verfassungsschutz wirkt bei Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren mit.140 Auf Antrag der Einbürgerungsbehörde wird geprüft, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Eine Einbürgerung ist ausgeschlossen,141 wenn * tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder 140 SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln. 141 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), vom 22.7.1913 in der im BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 11.10.2016 (BGBl. I, S. 2 218). 212 Geheimschutz * nach SS 54 Absatz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt. Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, dass bei Einbürgerungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. 2017 wurden 9 252 Anfragen bearbeitet (2016: 8 885). Vergleichbare Sicherheitsanforderungen gelten auch für das Aufenthaltsrecht von Ausländern.142 Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet hat oder sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewaltdelikten beteiligt.143 Zur Feststellung von Versagungsgründen können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die von ihnen erhobenen Personalien übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen.144 2017 gingen 9 916 Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde ein (2016: 7 083). Bei Flughäfen und kerntechnischen Anlagen handelt es sich um besonders schützenswerte Objekte. Unbefugte Handlungen durch Beschäftigte können Gefahren für das Objekt und für Leib und Leben anderer Menschen zur Folge haben. 142 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet i.d.F. vom 25.2.2008 (BGBl. I, S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.11.2016 (BGBl. I, S. 2 460) (AufenthG). 143 SS 54 Abs. 1 Nrn. 2 oder 4 AufenthG. 144 SS 73 Abs. 2 u. 3 AufenthG. 213 Aus diesen Gründen werden gem. SS 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) und SS 12 b Atomgesetz (AtomG) Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt, an denen der Verfassungsschutz mitwirkt. Im Jahre 2017 wurden nach dem LuftSiG 2 649 Anfragen durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2016: 3 752), nach dem AtomG 217 (2016: 247). Seit dem Jahr 2005 gibt es gesetzliche Regelungen über die Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und der Bewachungsverordnung. Seit dem 1. September 2005 sind die Verfassungsschutzbehörden der Länder an der Überprüfung von Personen beteiligt, die gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit solchen Stoffen betreiben wollen.145 Zuständige Behörde für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung in Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und technische Sicherheit. 2017 erfolgten 417 Anfragen (2016: 343). Wer gewerbsmäßig Leben und Eigentum fremder Personen bewachen will, bedarf einer Erlaubnis auf der Grundlage der Bewachungsverordnung durch die Gewerbeämter der Berliner Bezirke. In begründeten Einzelfällen können diese bei der örtlich zuständigen Verfassungsschutzbehörde anfragen ob Erkenntnisse vorliegen, die für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit der Antragsteller von Bedeutung sind.146 Im Jahr 2017 wurden auf dieser Basis 586 Anfragen durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2016: 24). 145 SSSS 7 u. 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz (SprengG), BGBl. I, S. 3 518, zuletzt geändert durch Art. 1 des dritten ÄnderungsG vom 15.6.2005 (BGBl. I, S. 1 676) Art. 35 des Gesetzes zur Umbenennung des BGS in Bundespolizei vom 21.7.2005 (BGBl. I, S. 1 818). 146 SS 9 Abs. 2 Nr. 2 BewachV. 214 Geheimschutz Ebenfalls zu den Mitwirkungsangelegenheiten gehören auf Grund des 7. Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 16. Mai 2007147 seit dem 24. Mai 2007 auch Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem BVFG.148 Durch die Überprüfung soll sichergestellt werden, dass Schwerkriminelle, gewaltbereite Extremisten und Terroristen nicht auf dem Weg des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern nach Deutschland kommen können. 147 BGBl. I, S. 748. 148 Neufassung des BVFG vom 10.8.2007; BGBl. I, S. 1 902. 215 216 III Anhang 217 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) SS 3 Dienstkräfte in der Fassung vom 25. Juni 2001, geändert durch (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzabteilung Art. V des Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBl. S. haben neben den allgemeinen Pflichten die sich 305), geändert durch Art. II des Gesetzes vom 5. aus dem Wesen des Verfassungsschutzes und Dezember 2003 (GVBl. S. 571), geändert durch Art. I ihrer dienstlichen Stellung ergebenden besonderen des Gesetzes vom 6. Juli 2006 (GVBl. Nr. 26, S. 712), Pflichten. Sie haben sich jederzeit für den Schutz geändert durch Gesetz vom 1. Dezember 2010 (GVBl. der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im S. 534), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes Sinne des Grundgesetzes und der Verfassung von vom 13. Juni 2018 (GVBl. S. 418). Berlin einzusetzen. Die Funktion des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt. Erster Abschnitt (2) Der Senat von Berlin kann jährlich bestimmen, Aufgaben und Befugnisse der in welchem Umfang Dienstkräften der Verfassungsschutzabteilung freie, frei werdende und neu Verfassungsschutzbehörde geschaffene Stellen in der Hauptverwaltung für Zwecke der Personalentwicklung vorbehalten werden. SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 4 Zusammenarbeit Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheit(1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, lichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des und der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die und ihrer Länder. Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der SS 2 Organisation Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie z. B. (1) Verfassungsschutzbehörde ist die Senatsverwaldas nachrichtendienstliche Informationssystem des tung für Inneres. Die für den Verfassungsschutz zuBundes und der Länder [NADIS] und die Schule für ständige Abteilung nimmt ihre Aufgaben gesondert Verfassungsschutz). von der für die Polizei zuständigen Abteilung wahr. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder (2) Die für den Verfassungsschutz zuständige dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Abteilung ist Verantwortlicher im Sinne des SS 31 Einvernehmen, das Bundesamt für VerfassungsNummer 7 des Berliner Datenschutzgesetzes vom schutz nur im Benehmen mit der Verfassungs13. Juni 2018 (GVBl. S. 418). Die Übermittlung an schutzbehörde tätig werden. andere Organisationseinheiten der Senatsverwaltung für Inneres ist ungeachtet der fachund dienstaufSS 5 Aufgaben der sichtlichen Befugnisse zulässig, wenn dies für die Verfassungsschutzbehörde Aufgabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbeandere zuständige staatliche Stellen und die Öffentschadet ihrer Verantwortung gegenüber dem Senator lichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokraim Übrigen in der Durchführung von Prüfungen und tische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit der Beurteilung von Prüfungsvorgängen unabhängig. des Bundes und der Länder zu unterrichten. Dadurch 218 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin soll es den staatlichen Stellen insbesondere ermögInneres im Benehmen mit dem Berliner Beauftragten licht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahfür Datenschutz und Informationsfreiheit bestimmt. men zur Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. Die Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde bei der (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner wertet die Verfassungsschutzbehörde Informationen, Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. März 1998 insbesondere sachund personenbezogene Daten, (GVBl. S. 26) geregelt. Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche deSS 6 Begriffsbestimmungen mokratische Grundordnung, den Bestand oder die (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 und 3 Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Verhaltensweisen oder Betätigungen von OrganisatiAmtsführung der Verfassungsorgane des Bundes onen, Personenzusammenschlüssen ohne feste hieoder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele rarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte haben, Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche 2 bezeichneten Schutzgüter. Für eine Organisation Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes oder eine unorganisierte Gruppe handelt, wer sie in für eine fremde Macht, ihren Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Ver3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgehaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einer setzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf oder für eine Organisation oder in einer oder für eine gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige unorganisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen Gesetzes erheblich zu beschädigen. der zuständigen öffentlichen Stellen mit (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbegerichtet sind, sind solche, die auf die Beseitigung dürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse oder Außerkraftsetzung wesentlicher Verfassungsanvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen grundsätze abzielen. Hierzu gehören: oder ihn sich verschaffen können, 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die und Abstimmungen und durch besondere Organe an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung sind oder werden sollen, in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum geheimer Wahl zu wählen, Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhal2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungstungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder mäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, Unbefugte, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parla4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einbürmentarischen Opposition, gerungsverfahren, jagdund waffenrechtlichen 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre VerantVerfahren sowie bei sonstigen gesetzlich vorgewortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, schriebenen Überprüfungen; die Mitwirkung ist nur 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, zulässig, wenn diese zum Schutz der freiheitlichen 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft demokratischen Grundordnung oder für Zwecke und der öffentlichen Sicherheit erforderlich ist; Näheres 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenwird in einer Verwaltungsvorschrift des Senators für 219 rechte. geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige auszu(3) Im Sinne dieses Gesetzes sind wählen, die den Einzelnen, insbesondere in seinen 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, die am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme hat Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder zu unterbleiben, wenn sie einen Nachteil herbeiführt, Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichzu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet tigten Erfolg steht. Sie ist nur solange zulässig, bis abzutrennen, ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes erreicht werden kann. oder eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, (4) Soweit in diesem Gesetz besondere Eingriffsbeden Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihfugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen rer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen (4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 3 voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen werden nur gefährdet, wenn innerhalb des GeltungsZwanges gegen Personen oder eine nicht unerhebbereichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder liche Einwirkung auf Sachen. durch Handlungen vorbereitet wird und diese sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen SS 8 Befugnisse der anderer Staaten richten. Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur ErfülSS 7 Voraussetzung und Rahmen für die lung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, und bei öffentlichen und nicht-öffentlichen Stellen, darf die Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehinsbesondere bei Privatpersonen, erheben, soweit mung ihrer Aufgaben nach SS 5 Abs. 2 nur tätig wernicht die anzuwendenden Bestimmungen des Berliden, wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte ner Datenschutzgesetzes oder besondere Regelungen für den Verdacht der dort genannten Bestrebungen in diesem Gesetz entgegenstehen; dies gilt auch oder Tätigkeiten vorliegen. dann, wenn die betroffene Person in eine Überprü(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die fung im Rahmen eines Akkreditierungsverfahrens Prüfung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 voreingewilligt hat. liegen, die dazu erforderlichen personenbezogenen (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimDaten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben, lichen Informationsbeschaffung, insbesondere speichern und nutzen. Eine Speicherung dieser Daten zur Erhebung personenbezogener Daten, nur in im nachrichtendienstlichen Informationssystem begründeten Fällen folgende nachrichtendienstliche (NADIS) oder in anderen Verbunddateien ist nicht Mittel anwenden: zulässig. Eine Speicherung der nach Satz 1 erhobe1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen nen personenbezogenen Daten in Akten und Dateien Informanten, zum Zweck der Spionageabwehr über den Ablauf eines Jahres seit der Speicherung überworbenen Agenten, Gewährspersonen und hinaus ist nur zulässig, wenn spätestens von diesem verdeckten Ermittlern, Zeitpunkt an die Voraussetzungen des Absatzes 1 2. Observation, vorliegen. Dasselbe gilt für das Anlegen personenbe3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videografieren zogener Akten. und Filmen), (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfas4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, sungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen 5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für Mittel, die Erhebung und Verarbeitung personenbezoge6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gener Informationen. Von mehreren möglichen und sprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel, 220 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für den Gegenstände und Quellen der Verfassungsallgemeinen Empfang bestimmten Kanälen sowie die schutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder Sichtbarmachung, Beobachtung, Aufzeichnung und geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Entschlüsselung von Signalen in KommunikationsDatenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen sich gesystemen, gen andere als die in SS 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 genann8. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher ten Personen nur richten, soweit dies zur Gewinnung oder gewerblicher Angaben (Legenden), von Erkenntnissen unerlässlich ist. 9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzulässig, wenn Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die 10. Überwachung des Brief-, Post-, und Fernmeldebetroffene Person weniger beeinträchtigende Weise verkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes vom möglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298; 2007 I S. 154), der Regel anzunehmen, wenn die Informationen das zuletzt durch Artikel 12 des Gesetzes vom 14. aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch August 2017 (BGBl. I S. 3202) geändert worden ist, eine Auskunft nach SS 27 gewonnen werden können. 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methoden, Die Anwendung eines Mittels gemäß Absatz 2 soll Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen erkennbar im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuInformationsbeschaffung, insbesondere das sonstige klärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichEindringen in technische Kommunikationsbezietendienstlicher Mittel nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 6 und hungen durch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; 7 ist grundsätzlich nur zur Informationsbeschaffung dem Einsatz derartiger Methoden, Gegenstände und über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokraInstrumente hat der Ausschuss für Verfassungstische Grundordnung zulässig, wenn diese Bestreschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin vorab bungen die Anwendung von Gewalt billigen oder sich seine Zustimmung zu erteilen. in aktiv kämpferischer, aggressiver Weise betätigen. Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus beDie Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür und 53 a der Strafprozessordnung), darf die Verfasergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise sungsschutzbehörde nicht von sich aus nach Satz 1 erreicht werden kann. Daten, die für das Verständnis Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen in Anspruch der zu speichernden Informationen nicht erforderlich nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht sind, sind unverzüglich zu löschen. Die Löschung bezieht. Die Behörden des Landes Berlin sind verkann unterbleiben, wenn die Informationen von pflichtet, der Verfassungsschutzbehörde technische anderen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu geben. sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informatiogetrennt werden können; in diesem Fall dürfen die nen einschließlich personenbezogener Daten mit den Daten nicht verwertet werden. Mitteln gemäß Absatz 2 erheben, wenn (5) Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorgader Mittel nach Absatz 2 sind in einer Verwaltungsnisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Pervorschrift des Senators für Inneres zu regeln, die sonen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher für den Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten Informationsbeschaffung regelt. Die Verwaltungsvornach SS 5 Abs. 2 bestehen, schrift ist dem Ausschuss für Verfassungsschutz des 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige Abgeordnetenhauses von Berlin vorab zur Kenntnis Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten zu geben. gewonnen werden können, (6) Für die Speicherung und Löschung der durch 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Maßnahmen nach Absatz 2 erlangten personenbeBestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforzogenen Daten gilt SS 4 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes derlichen Quellen erschlossen werden können oder entsprechend 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungs221 schutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch Schutze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuPersonen vorgesehen, kann die Maßnahme durch chen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall (8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgedurch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, meinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung Grundgesetzes). der hierbei erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor SS 9 Einsatz technischer Mittel die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt worden ist; bei Gefahr im Verzuge ist die zur Überwachung von Wohnungen richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gespro(4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach chene Wort darf mit technischen Mitteln ausschließden Absätzen 1 und 3 ist das Amtsgericht Tiergarten. lich bei der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gebiet der Spionageabwehr und des gewaltbereiten Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen politischen Extremismus heimlich mitgehört oder Gerichtsbarkeit entsprechend. aufgezeichnet werden. Eine solche Maßnahme ist (5) Der Senat unterrichtet die Kommission nach SS 2 nur zulässig, wenn sie im Einzelfall zur Abwehr einer des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit, in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), das insbesondere einer gemeinen Gefahr oder einer zuletzt durch Artikel I des Gesetzes vom 5. Dezember Lebensgefahr für einzelne Personen, unerlässlich ist, 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden ist, unverein konkreter Verdacht in Bezug auf eine Gefährdung züglich, möglichst vorab, und umfassend über den der vorstehenden Rechtsgüter besteht und der Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 und, soweit Einsatz anderer Methoden und Mittel zur heimlichen richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. Informationsbeschaffung keine Aussicht auf Erfolg SS 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu bietet. Die Sätze 1 und 2 gelten entsprechend für eiArtikel 10 Grundgesetz gilt entsprechend. nen verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Anfer(6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 3 tigung von Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen ist nach ihrer Beendigung der betroffenen Person in Wohnungen. Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der 3 dürfen nur auf Grund richterlicher Anordnung Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr getroffen werden. Bei Gefahr im Verzuge kann die zu erwarten ist. Die durch Maßnahmen im Sinne des Maßnahme auch durch den Senator für Inneres, Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Maßgabe des SS 4 des Artikel 10-Gesetzes verwendet Staatssekretär vertreten wird, angeordnet werden; werden. eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu SS 9a Eingriffe, die in ihrer Art befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als und Schwere einer Beschränkung des drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisdie Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht ses gleichkommen (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Beschränkung des Brief-, Postund FernmeldegeMittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforheimnisses gleichkommt und nicht den Regelungen derlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. des SS 9 unterliegt, wozu insbesondere das Abhören Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen eines Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde, Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mitder die Befähigung zum Richteramt hat. tel gehört, bedarf der Anordnung durch den Senator (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum 222 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den weis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch zuständigen Staatssekretär vertreten wird. genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, (2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des deren Daten für eine weitere Verwendung erforderGesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz gelten entsprelich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme chend. hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert (3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und, soweit sie für die SS 10 Registereinsicht durch die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht mehr benötigt werden, am Verfassungsschutzbehörde Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufkläfolgt, zu vernichten. rung - von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete VorbereitungshandZweiter Abschnitt lungen gegen die freiheitliche demokratische GrundDatenverarbeitung ordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder - von Bestrebungen, die durch Anwendung von SS 11 Speicherung, Veränderung und Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Nutzung personenbezogener Daten Deutschland gefährden, (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung von öffentlichen Stellen geführte Register, z. B. ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene persoMelderegister, Personalausweisregister, Passregisnenbezogene Informationen speichern, verändern ter, Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, und nutzen, wenn einsehen. 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 vorliegen oder 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen Daten durch die registerführende Stelle der Zweck Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder der Maßnahme gefährdet würde, und 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrich2. die betroffene Person durch eine anderweitige tendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder und 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, 3. eine besondere gesetzliche GeheimhaltungsvorGegenstände und Quellen der Verfassungsschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme schutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder nicht entgegensteht. geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung, im SS 5 Abs. 3 tätig wird. Falle der Verhinderung der Vertreter. In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personen(4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse bezogene Daten auch gespeichert, verändert und dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung verwendet werden. Gespeicherte Informationen sind und Bewertung von Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie zwingend erforderlich ist. für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (2) In Dateien gespeicherte Informationen müssen (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachdurch Aktenrückhalt belegbar sein. 223 (3) In Dateien ist die Speicherung von Informationen war, unzulässig war oder ihre Kenntnis für die aus der Intimsphäre der betroffenen Person unzuAufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist und lässig. schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt werden. SS 12 Speicherung, Veränderung und (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Verarbeitung von in Dateien gespeicherten personenbeNutzung personenbezogener Daten von zogenen Daten einzuschränken, wenn die Löschung Minderjährigen unterbleibt, weil Grund zur Annahme besteht, dass Die Speicherung personenbezogener Informationen durch die Löschung schutzwürdige Interessen der über Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht betroffenen Personen beeinträchtigt würden. In der vollendet haben, ist unzulässig. Verarbeitung eingeschränkte Daten sind entsprechend zu kennzeichnen und dürfen nur mit EinwilliSS 13 Speicherungsdauer gung der betroffenen Person verwendet werden. (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Spei(4) Die Verarbeitung von in Dateien gelöschten cherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung Informationen ist eingeschränkt. Unterlagen sind erforderliche Maß zu beschränken. Die in Dateien zu vernichten, wenn sie zur Erfüllung der Aufgaben gespeicherten Informationen sind bei der Einnach SS 5 nicht oder nicht mehr erforderlich sind, zelfallbearbeitung, spätestens aber fünf Jahre nach es sei denn, dass ihre Aufbewahrung zur Wahrung Speicherung der letzten Information, auf ihre Erforschutzwürdiger Interessen der betroffenen Person derlichkeit zu überprüfen. Sofern die Informationen notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, wenn Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, die Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung der sind sie spätestens zehn Jahre nach der zuletzt Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvergespeicherten relevanten Information zu löschen. tretbarem Aufwand getrennt werden können. (2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich oder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datengespeichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit sicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsder Speicherung zu überprüfen und spätestens gemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage nach fünf Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere und zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des Erkenntnisse nach SS 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur Berliner Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichErfüllung der Aufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine neten Handlungen verwendet werden. Fortdauer der Speicherung rechtfertigen. SS 15 Berichtigung und Einschränkung SS 14 Berichtigung, Löschung und der Verarbeitung personenbezogener Einschränkung der Verarbeitung persoDaten in Akten nenbezogener Daten in Dateien (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in in Akten gespeicherte personenbezogene Daten Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von dem zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. schutzwürdige Interessen der betroffenen Person (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Verarbeeinträchtigt sein können. beitung von personenbezogenen Daten in Akten (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien einzuschränken, wenn sie im Einzelfall feststellt, dass gespeicherten personenbezogenen Informationen ohne die Einschränkung schutzwürdige Interessen zu löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt von betroffenen Personen beeinträchtigt würden und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr 224 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin erforderlich sind. In der Verarbeitung eingeschränkte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu Dritter Abschnitt versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder überInformationsübermittlung mittelt werden. Eine Aufhebung der Einschränkung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. SS 18 Grundsätze bei der Informationsübermittlung durch die VerfassungsSS 16 Dateianordnungen (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist schutzbehörde sind in einer Dateianordnung im Beaktenkundig zu machen. In der entsprechenden Datei nehmen mit der oder dem Berliner Beauftragten für ist die Informationsübermittlung zu vermerken. Vor Datenschutz und Informationsfreiheit festzulegen: der Informationsübermittlung ist der Akteninhalt im 1. Bezeichnung der Datei, Hinblick auf den Übermittlungszweck zu würdigen 2. Zweck der Datei, und der Informationsübermittlung zugrunde zu 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speichelegen. Erkennbar unvollständige Informationen sind rungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener vor der Übermittlung im Rahmen der VerhältnismäPersonenkreis, Arten der Daten), ßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu 4. Eingabeberechtigung, vervollständigen. 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 7. Protokollierung, SS 19 Informationsübermittlung 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, zwischen den Verfassungsschutz9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der behörden Erschließung von Akten dienen. Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet Die Verfassungsschutzbehörde führt ein Verzeichnis das Bundesamt für Verfassungsschutz und die der geltenden Dateianordnungen. Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angemesAngelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der senen Abständen die Notwendigkeit der WeiterAufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. führung oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. SS 20 Informationsübermittlung an SS 17 Gemeinsame Dateien Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenden Bundesnachrichtendienst und den verarbeitung in gemeinsamen Dateien der VerfasMilitärischen Abschirmdienst sungsschutzbehörden des Bundes und der Länder Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem bleiben unberührt. Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die Voraussetzungen aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. 225 SS 21 Informationsübermittlung an zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit Strafverfolgungsbehörden in Angeledes Bundes oder eines Landes erforderlich ist und genheiten des Staatsund Verfassungsder Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall schutzes durch den zuständigen Staatssekretär vertreten Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den wird, im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der Verfassungsschutzbehörde führt über die Auskunft staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polinach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck zeibehörden des Landes die ihr bekannt gewordenen der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der EmpInformationen einschließlich personenbezogener fänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür beaufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu stehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empmit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 fänger darf die übermittelten personenbezogenen stehen, erforderlich ist. Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die SS 22 Übermittlung von Informationen Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, an den öffentlichen Bereich um Auskunft über die vorgenommene Verwendung (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerder Daten zu bitten. füllung gewonnenen, nicht personenbezogenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an SS 24 Übermittlung von Informationen die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermittelt an die Stationierungsstreitkräfte werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbeempfangenden Stellen erforderlich sein können. zogene Daten an Dienststellen der Stationierungs(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf persostreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik nenbezogene Daten an inländische Behörden Deutschland dazu im Rahmen von Artikel 3 des und juristische Personen des öffentlichen Rechts Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben den Parteien des Nordatlantikpaktes über die erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach der Bundesrepublik Deutschland stationierten SS 5 Abs. 2 oder zur Strafverfolgung benötigt oder ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. nach SS 5 Abs. 3 tätig wird. 1961 II S. 1183) verpflichtet ist. Die Übermittlung ist (3) Die empfangende Stelle von Daten nach Absatz aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist darauf 2 ist darauf hinzuweisen, dass sie die übermittelten hinzuweisen, dass die übermittelten Daten nur zu personenbezogenen Daten nur zu dem Zweck verdem Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie wenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt ihm übermittelt wurden. wurden. SS 25 Übermittlung von Informationen SS 23 Übermittlung von Informationen an öffentliche Stellen außerhalb des an Personen und Stellen außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes öffentlichen Bereichs Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezoPersonenbezogene Daten dürfen an Personen gene Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies wenn die Übermittlung zur Erfüllung ihrer Aufgaben 226 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen derlichen Informationen einschließlich personenbedes Empfängers erforderlich ist. Die Übermittlung zogener Daten übermittelt, wenn die Informationen unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesnicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur republik Deutschland oder überwiegende schutzmit unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch würdige Interessen der betroffenen Person entgegeneine den Betroffenen stärker belastende Maßnahme stehen. Die Übermittlung ist nur im Einvernehmen erhoben werden können. Es dürfen nur die Informit dem Bundesamt für Verfassungsschutz zulässig. mationen übermittelt werden, die bei der ersuchten Sie ist aktenkundig zu machen. Der Empfänger ist Behörde bereits bekannt sind. darauf hinzuweisen, dass die übermittelten perso(3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nenbezogenen Daten nur zu dem Zweck verwendet nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt wurden, betroffenen Person dient oder eine Begründung den und die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, Zweck der Maßnahme gefährden würde. um Auskunft über die vorgenommene Verwendung (4) Die Übermittlung personenbezogener Daten, der Informationen zu bitten. die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist SS 26 Unterrichtung der Öffentlichkeit nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel Öffentlichkeit mindestens einmal jährlich über Be10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder strebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Dabei ist begangen hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur nach Satz 1 übermittelten Informationen findet zulässig, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis SS 4 Abs. 6, auf die dazugehörenden Unterlagen findet des Zusammenhanges oder der Darstellung von SS 4 Abs. 1 Satz 2 des Artikel 10-Gesetzes entspreOrganisationen oder unorganisierten Gruppierungen chende Anwendung. erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung an die an sachgemäßen Informationen das schutzwürdige Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen Interesse des Betroffenen überwiegen. bleiben unberührt. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverSS 27 Übermittlung von Informationen züglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung an die Verfassungsschutzbehörde ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen der Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Personen des öffentlichen Rechts übermitteln von Vernichtung unterbleibt, wenn die Trennung von ansich aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen deren Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben bekannt gewordenen Informationen, insbesondere erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem personenbezogene Daten, über Bestrebungen nach Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall ist die VerarSS 5 Abs. 2, die durch Anwendung von Gewalt oder beitung solcher Informationen eingeschränkt und darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt entsprechend zu kennzeichnen. werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der besondere Regelungen über die Dokumentation staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen übermittelnde Stelle die Informationsübermittlung ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Inforaktenkundig zu machen. mationen über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2. (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von jeder der in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen verlangen, dass sie ihr die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erfor227 SS 27a Übermittlung von Informationen 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortkennung sowie Rufnummer oder Kennung durch nicht öffentliche Stellen an die des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder Verfassungsschutzbehörde der Endeinrichtung, (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten Uhrzeit, und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten genommenen Telekommunikationsund Teledienstsowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und Dienstleistungen, zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr dies zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und (5) Auskünfte nach den Absätzen 1 bis 4 dürfen nur tatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und auf Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist von der Leben vorliegen. Leitung der Verfassungsschutzabteilung, im Falle (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall ihrer Verhinderung von ihrem Vertreter schriftlich zu zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach stellen und zu begründen. Über den Antrag entscheiSS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche Anhaltsdet der Senator für Inneres, im Falle seiner Verhinpunkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen derung der Staatssekretär. Die Senatsverwaltung für unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel Inneres unterrichtet die Kommission nach SS 2 des Ge10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die setzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes über geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, die beschiedenen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gesowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser fahr im Verzug kann der Senator für Inneres, im Fall Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte seiner Verhinderung der Staatssekretär den Vollzug zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung Umständen des Postverkehrs einholen. der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden die bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes ist von Transportleistungen und sonstigen Umständen mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass des Luftverkehrs einholen, wenn dies zur Beobachdie Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die getung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 samte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Nr. 2 und 3 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltsden Absätzen 1 bis 4 erlangten personenbezogenen punkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen. Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen nach erklärt, hat die Senatsverwaltung für Inneres SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche Anhaltsunverzüglich aufzuheben. Für die Verarbeitung der punkte für Gefahren für Leib und Leben vorliegen nach den Absätzen 1 bis 4 erhobenen Daten ist SS 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig TeDas Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten lekommunikationsdienste und Teledienste erbringen dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht mitgeteilt oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes Telekommunikationsverbindungsdaten und Telefindet entsprechende Anwendung. dienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation im Abstand von höchstens sechs Monaten den und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordwerden. Telekommunikationsverbindungsdaten und netenhauses über die Durchführung der Absätze Teledienstnutzungsdaten sind: 1 bis 5; dabei ist insbesondere ein Überblick über 228 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im SS 30 Nachberichtspflicht Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen nach Erweisen sich Informationen nach ihrer Übermittlung den Absätzen 1 bis 4 zu geben. nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvoll(7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet ständig oder unrichtig, so hat die übermittelnde das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes Stelle ihre Informationen unverzüglich gegenüber jährlich über die nach den Absätzen 1 bis 5 durchgeder empfangenden Stelle zu ergänzen oder zu führten Maßnahmen; Absatz 6 gilt entsprechend. berichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung (8) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldeder Informationen führen könnte oder zur Wahrung geheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes, Artikel schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person 16 der Verfassung von Berlin) wird nach Maßgabe erforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist der Absätze 2, 4 und 5 eingeschränkt. aktenkundig zu machen und in den entsprechenden Dateien zu vermerken. SS 28 Übermittlungsverbote Die Übermittlung von Informationen nach den VorVierter Abschnitt schriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, Auskunftserteilung dass die Informationen zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erforSS 31 Auskunft an den Betroffenen dern, (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt einer 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass natürlichen Person über die zu ihr gespeicherten unter Berücksichtigung der Art der Informationen Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft. und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf der betroffenen Personen das Allgemeininteresse an Informationen, die nicht der alleinigen Verfügungsder Übermittlung überwiegen oder berechtigung der Verfassungsschutzbehörde unter4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen liegen, sowie auf die Herkunft der Informationen und entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gedie Empfänger von Übermittlungen. setzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufs(2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Antrag oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein überwiegendes Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenüber dem Interesse der antragstellenden Person an der SS 29 Minderjährigenschutz Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen Fall (1) Informationen einschließlich personenbezogener hat die Verfassungsschutzbehörde zu prüfen, ob und Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein Geheimnach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt haltungsinteresse liegt vor, wenn werden, solange die Voraussetzungen der Speiche1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die rung nach SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. Auskunftserteilung zu besorgen ist, (2) Informationen einschließlich personenbezogener 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet Daten über das Verhalten Minderjähriger vor sein können oder die Ausforschung des ErkenntnisVollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den standes oder der Arbeitsweisen der VerfassungsVorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische schutzbehörde zu befürchten ist, oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermit3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden telt werden. oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 229 4. die Informationen oder die Tatsache der SpeicheOktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf die von der rung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung nach, insbesondere wegen der überwiegenden für Inneres geführten Akten keine Anwendung. berechtigten Interessen Dritter, geheimgehalten werden müssen. SS 32a Unabhängige DatenschutzDie Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein von kontrolle (1) Jede Person kann sich an die Berliner Beauftragte ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest insoInformationsfreiheit wenden, wenn sie der Ansicht weit zu begründen, dass eine verwaltungsgerichtliche ist, bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Nachprüfung der Verweigerungsgründe gewährleiDaten durch die Verfassungsschutzbehörde in ihren stet wird, ohne dabei den Zweck der AuskunftsverRechten verletzt worden zu sein. weigerung zu gefährden. Die Gründe der Ablehnung (2) Die oder der Berliner Beauftragte für Datenschutz sind in jedem Fall aktenkundig zu machen. und Informationsfreiheit kontrolliert bei der Verfas(4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder teilweise sungsschutzbehörde die Einhaltung der Vorschriften abgelehnt, ist die betroffene Person darauf hinzuüber den Datenschutz. Soweit die Einhaltung von weisen, dass sie sich an die Berliner Beauftragte Vorschriften der Kontrolle durch die Kommission oder den Berliner Beauftragten für Datenschutz und nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel Informationsfreiheit wenden kann. Der oder dem 10-Gesetzes unterliegt, unterliegt sie nicht der Berliner Beauftragten für Datenschutz und InformaKontrolle durch die Berliner Beauftragte oder den tionsfreiheit ist auf ihr oder sein Verlangen Auskunft Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informazu erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres im tionsfreiheit, es sei denn, die Kommission ersucht die Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteifür Datenschutz und Informationsfreiheit, die lungen der oder des Berliner Beauftragten für DatenEinhaltung der Vorschriften über den Datenschutz schutz und Informationsfreiheit an den Betroffenen bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr der Verfassungsschutzbehörde zulassen, soweit sie darüber zu berichten. nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. (3) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, die Berliner Beauftragte oder den Berliner Beauftragten SS 32 Akteneinsicht für Datenschutz und Informationsfreiheit und ihre (1) Sind personenbezogene Daten in Akten oder seine schriftlich besonders Beauftragten bei gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Antrag der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben zu unterAkteneinsicht gewährt werden, soweit Geheimhalstützen. Den in Satz 1 genannten Personen ist dabei tungsinteressen oder schutzwürdige Belange Dritter insbesondere nicht entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. 1. Auskunft zu ihren Fragen sowie Einsicht in alle (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten insbesondere dann zu versagen, wenn die Daten Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu des Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimhalgewähren, die im Zusammenhang mit der Kontrolle tungsbedürftigen sonstigen Informationen derart nach Absatz 2 stehen, verbunden sind, dass ihre Trennung auch durch 2. jederzeit Zutritt zu allen Diensträumen zu Vervielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder gewähren. nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich Dies gilt nicht, soweit das für Inneres zuständige Mitist. In diesem Fall ist dem Betroffenen zusammenfasglied des Senats im Einzelfall feststellt, dass durch sende Auskunft über den Akteninhalt zu erteilen. die Auskunft oder Einsicht die Sicherheit des Bundes (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom 15. oder eines Landes gefährdet würde. 230 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten ohne Beschränkung auf SS 34 Geheimhaltung die Erfüllung der Aufgaben nach SS 5. Sie gelten ent(1) Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss des sprechend für die Verarbeitung personenbezogener Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche Daten durch andere Stellen, wenn diese der Erfüllung Interesse oder berechtigte Interessen eines Einzelnen der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlosnach SS 5 dient. SS 13 Absatz 1 und 4 des Berliner sen ist, sind die Mitglieder des Ausschusses zur Datenschutzgesetzes findet in diesen Fällen keine Verschwiegenheit über Angelegenheiten verpflichtet, Anwendung. die ihnen dabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt auch für die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Ausschuss. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit kann von dem Ausschuss aufgehoben werden, soweit Fünfter Abschnitt nicht berechtigte Interessen eines Einzelnen entgeParlamentarische Kontrolle genstehen oder der Senat widerspricht; in diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 gelten für stellvertretende Mitglieder des Ausschusses entspreSS 33 Ausschuss für Verfassungsschutz chend. (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle durch den Ausschuss für Verfassungsschutz des SS 35 Aufgaben und Befugnisse Abgeordnetenhauses von Berlin. Die Rechte des des Ausschusses Abgeordnetenhauses und seiner anderen Ausschüsse (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die bleiben unberührt. allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz besteht und über Vorgänge von besonderer Bedeutung in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Das zu unterrichten; er berichtet auch über den Erlass Vorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl der Mitvon Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat glieder richtet sich nach der Stärke der Fraktionen, Anspruch auf Unterrichtung. wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens vertreten sein muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 eines seiner Mitglieder das Recht auf Erteilung bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit von Auskünften, Einsicht in Akten und andere sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. Es Unterlagen, Zugang zu Einrichtungen der Verfaswerden stellvertretende Mitglieder gewählt, die im sungsschutzbehörde sowie auf Anhörung von deren Fall der Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds Dienstkräften. Die Befugnisse des Ausschusses nach dessen Rechte und Pflichten wahrnehmen. Die Satz 1 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der Anzahl der stellvertretenden Mitglieder entspricht alleinigen Verfügungsberechtigung der Verfassungsder Anzahl der ordentlichen Mitglieder. Kann das schutzbehörde unterliegen. ordentliche Mitglied seine Rechte und Pflichten nicht (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einzelne wahrnehmen, so wird es durch ein stellvertretendes Vorgänge verweigern und bestimmten KontrollbeMitglied derselben Fraktion vertreten. gehren widersprechen, wenn dies erforderlich ist, (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus um vom Bund oder einem deutschen Land Nachteile oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedabzuwenden; er hat dies vor dem Ausschuss zu schaft im Ausschuss für Verfassungsschutz. Für begründen. dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuss für wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als Ausschuss ausscheidet. Für stellvertretende MitglieUntersuchungsausschuss (Artikel 48 der Verfassung der des Ausschusses gelten die Vorgaben der Sätze 1 von Berlin) einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die und 2 entsprechend. Untersuchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses 231 von Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBl. S. 925), zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBl. S. Sechster Abschnitt 154), findet keine Anwendung. Schlussvorschriften (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die Bestimmungen der Geschäftsordnung des Abgeordnetenhauses von Berlin. SS 37 Einschränkung von Grundrechten Auf Grund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf SS 36 Vertrauensperson des Ausschusses Unverletzlichkeit der Wohnung nach Artikel 13 des für Verfassungsschutz Grundgesetzes eingeschränkt werden. Der Ausschuss für Verfassungsschutz kann zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben im Einzelfall SS 38 Anwendbarkeit des Berliner nach Anhörung des Senats mit der Mehrheit seiner Datenschutzgesetzes Mitglieder eine Vertrauensperson beauftragen, Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Untersuchungen durchzuführen und dem Ausschuss Verfassungsschutzbehörde finden die Bestimmungen über das Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung zu des Berliner Datenschutzgesetzes mit Ausnahme berichten. Die Vertrauensperson soll die Befähigung der SSSS 2 Absatz 9 und SS 13 Absatz 1 und 4 sowie der zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer der Bestimmungen der Teile 2 und 3 Anwendung. Die jeweils laufenden Wahlperiode vom Ausschuss für SSSS 31 und 36 Absatz 1 bis 4 und die SSSS 37 bis 39, 48, Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Drit50, 69 und 70 des Berliner Datenschutzgesetzes sind teln seiner Mitglieder gewählt. Die Vertrauensperson entsprechend anzuwenden. erhält für ihre Dienstleistungen im Einzelfall auf Antrag eine Vergütung entsprechend den SSSS 8, 9 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom SS 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung Artikel 7 Absatz 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. (BGBl. I S. 2449) geändert worden ist, in der jeweils SS 27a tritt außer Kraft, sobald das Bundesverfasgeltenden Fassung. Die Höhe des Honorars richtet sungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. sich nach der Honorargruppe M 3. I S. 2954, 2970), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097) geändert worden ist, wieder in seiner am 31. Dezember 2001 maßgeblichen Fassung gilt. Der Tag des Außerkrafttretens ist im Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin bekannt zu machen. 232 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Extremistische Organisationen und Gruppierungen Islamismus / islamistischer Terrorismus Organisation / Gruppierung Seite Mujahidin-Netzwerke 40 Islamistische nordkaukasische Szene 40 Salafistische Bestrebungen 48 f As-Sahaba / Die Gefährten e.V. 51 f Die Islamische Gemeinschaft in BerlinAl-Nur-Moschee e.V. (IGB) 50 f Ibrahim Alkhalil-Moschee - Islamische Gemeinschaft Ibrahim 49 Alkhalil Moschee e.V. Hizb ut-Tahrir (HuT) 60 Hizb Allah (Partei Gottes) 56 f HAMAS (Bewegung des Islamischen Widerstands) 52 f Muslimbruderschaft (MB) / Islamische Gemeinschaft 63 in Deutschland e.V. (IGD) Milli Görüs - Bewegung (MGB) 64 f 233 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) Organisation / Gruppierung Seite Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Partiya Karkeren Kurdistan 72 f Partei der demokratischen Union (PYD) 74 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 74, 76 Volksverteidigungseinheiten (YPG) 74 Frauenverteidigungseinheiten (YPJ) 74 Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Deutsch76 land e.V. (NAV-DEM), lokaler Ableger: "NAV-DEM Berlin e.V." Frauenrat DEST DAN e.V. 78 Ciwanen Azad 74 Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans (KCK) 77 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 81 Revolutionäre Linke (Devrimci Sol) 81 Ülkücü-Bewegung, Dachverband: ADÜTDF 72 234 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Rechtsextremismus Organisation / Gruppierung Seite Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) / 103 f Junge Nationaldemokraten (JN) Der III. Weg 108 Die Rechte 88 Bürgerbewegung Pro Deutschland 100 Wir für Deutschland 102 Netzwerk Freie Kräfte 110 Netzwerk Rechtsextremistische Musik 116 Identitäre Bewegung 93 Freie Kräfte Berlin Neukölln (FKBN) 112 Europäische Aktion 119 235 Linksextremismus Organisation / Gruppierung Seite Antifaschistische Koordination 36 (AK 36) 162 Interventionistische Linke (IL) 151 Jugendwiderstand (JW) 194 f North East Antifascists (NEA) 170 radikale linke | berlin 145 f Rigaer 94 165 Rote Hilfe e.V. 136 Theorie Organisation Praxis (TOP B3rlin) 149 Sonstige Organisationen / Gruppierungen Organisation / Gruppierung Seite Scientology Organisation 198 f Reichsbürger und Selbstverwalter 124 Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes namentlich im Verfassungsschutzbericht und in der Auflistung aufgeführt werden. 236 Personenund Sachregister Personenund Sachregister ... um's Ganze! Kommunistisches al-Quds-Tag 58 f, 184 Bündnis 139 f, 148 f, 152, 156, 170 al-Rashta, Ata Abu 60 #NoG20 Berlin Linksradikale Vernetzung Amri, Anis 6, 43, 47 in Berlin 143 Amt für Menschenrecht 127 AN 110 f, 115, 188 f A Anarchismus 130 ff, 146, 148, 165, 170 A., Ahmad Abdulaziz Abdullah 47 Anarcho 162, 165 A., Cem 79 Anatolische Föderation e.V. A., Yamen 44 (Anadolu Federasyonu) 81 f A., Zahir 79 an-Nabahani, Taqi ad-Din 60 A3stus 116, 118 Anti-Antifa-Arbeit 110 AAB 149 Anti-Deutsche 193 Abul Baraa 51 Antifa 110, 118, 133, 137, 142, 146, Adil Düzen 64 162, 167 ff, 175 AG G10 17, 222, 228, 230 Anti-Faschismus 192 f, 171 f, 174 AK 36 157, 162, 173, 236, 247 Antifaschistische Aktion Berlin siehe Aktionskonsens 140, 150 AAB Al M., Shaas 46 Antifaschistische Koordination 36 Al-Aqsa-TV 183 siehe AK 36 ALB 146, 151 Antifaschistische Linke Berlin siehe ALB al-Baghdadi, Abu Bakr 42 Antifaschistische Revolutionäre Aktion al-Banna, Hassan 63 Berlin siehe ARAB al-Manar-TV 57, 183 Antifra 171, 174 Al-Muqawama al-Islamiya 56 Anti-G20-Vernetzung 143 f Al-Nur-Moschee 49 f, 185, 233 Anti-Gentrifizierung 8, 141, 158 f, 161, al-Qaida 35 f, 38, 40, 42 165, 170, 174 al-Quds-Demonstration 59, 192 Anti-Imperialisten 191, 193 f 237 Anti-Kapitalismus 142 f, 172 Breitscheidplatz 6, 43 Antikapitalistische Walpurgisnacht 170 BSÜG 17, 210 f, 219 Anti-Rassismus 171 f, 174 Bundesamt für Sicherheit in der Anti-Repression 148 Informationstechnik 207 Antisemitismus 6 f, 49, 87, 177 ff, 249 Bundesamt für Verfassungsschutz Anti-Terror-Datei siehe ATD siehe BfV APT 28 207 Bundeskriminalamt siehe BKA ARAB 146 Bundesnachrichtendienst siehe BND Arbeiterpartei Kurdistans siehe PKK Bundesverfassungsgericht 18, 24, 104, As-Sahaba / Die Gefährten e.V. 51, 233 106 f As-Sahaba-Moschee 49, 51 Bundesverfassungsschutzgesetz siehe ATD 25 BVerfSchG Atsis, Nihal 185 Bundesvertriebenengesetz siehe BVFG Atomgesetz 214 Bündnis Deutscher Hools siehe BDH Autonom-anarchistische AntiG20Bündnis "Welcome to Hell" 146, 152, Vernetzung Berlin 143 f 155 Autonome 130, 133, 135, 138, 141, 143, Bürgerbewegung Pro Deutschland 145 ff, 151 ff, 159, 162 ff, 170, 173 f siehe Pro Deutschland Autonome Nationalisten siehe AN BVerfSchG 17, 22, 232 BVFG 215 B BDH 102 C Benhsain, Mohammed 51 Ciwanen Azad 74, 234, 245 Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz Clear 198 siehe BSÜG Collegium Humanum 119 Bewachungsverordnung 214 Conference for Palestinians Abroad 55 Bewegung des Islamischen Widerstands Cyberangriffe 207 f siehe HAMAS Cyberspionage 207 BfV 24 f, 205 ff, 218, 225, 227 BKA 25 D BND 25, 225 D., Ali H. 79 BRD GmbH 124 D., Ismet 45 238 Personenund Sachregister D.S.T. / X.x.X. 116, 189 siehe FP Dabbagh, Hassan 51 FKBN 112, 114, 190, 235 Der III. Weg 88, 90, 108 f, 235, 246 Föderation der Türkisch-DemokratiDeutsch, Stolz, Treue siehe D.S.T. / schen Idealistenvereine in DeutschX.x.X. land e.V. 185 Deutsche Reichspartei 103 Föderation kurdischer Vereine in Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) 81, Deutschland e.V. siehe YEK-KOM 234 FP 65 f DHKP-C 71 f, 81 f, 234, 245 Frauenrat Dest-Dan 78, 81, 234 Die Exilregierung Deutsches Reich 127 Freie Kräfte Berlin-Neukölln siehe FKBN Die Lunikoff-Verschwörung 116 ff, 190 Freies Netz Süd 108 Die Rechte 88, 90, 235 Freiräume 141, 143, 159, 163 ff Diktatur des Proletariats 131 Freistaat Preußen 127 Dimitroff-These 143 Friedel 54 141 f DITIB 204 Fussilet 33 e.V. 46 dual use-Güter 205 Fylgien 116 E G E., Zeki (Siyar) 79 G10 17, 20 ff, 221 ff, 227 ff EA 119, 187, 235 G20-Gipfel 8, 74, 137 f, 142 ff, 152, 155, Einbürgerungsverfahren 212, 219 173 ff, 195 El-B., Sameh 51 GAR 25 Erbakan, Fatih 66 GBA 25, 44 f, 47 Erbakan, Necmettin 64 ff GdVuSt 127 Erbakan-Stiftung 66 f Geeinte deutsche Völker und Stämme Ethnopluralismus 87 siehe GdVuSt Europäische Aktion siehe EA Geheimschutz 16, 19, 209 ff Geheimschutzbeauftragter 210 F Geheimschutzverfahren 211 F., Emin 45 Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Falah, Samir 55 Rechtsextremismus siehe GAR Fazilet Partisi (Partei der Tugend) Gemeinsames Extremismusund 239 Terrorismusabwehrzentrum siehe Heß, Rudolf 114 f GETZ Heß-Demonstration 114 f Gemeinsames Internet-Zentrum siehe Historischer Materialismus 131 GIZ Hizb ut-Tahrir Partei der Befreiung Gemeinsames Terrorismusabwehrsiehe HuT zentrum siehe GTAZ Hizb Allah (Partei Gottes) 7, 36, 40, 52, Gemeinschaft der Gesellschaften 56 ff, 182 ff, 193, 233, 245 Kurdistans siehe KCK HoGeSa 102 Generalbundesanwalt siehe GBA Holocaustleugner Horst Mahler 115, Generation identitaire 94 119 Gesetz über den Verfassungsschutz in Hooligans gegen Salafisten siehe Berlin siehe VSG Bln HoGeSa Gesetz zur Ausführung des ArtikelHooligans-gegen-Salafisten - Netzwerk 10-Gesetzes siehe AG G10 89 Gesetz zur Beschränkung des Postund Hubbard, L. Ron 198 Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu HuT 36, 40, 60 f, 182 f, 233, 245 Artikel 10 Grundgesetz) siehe G10 GETZ 25 I Gipfel der G20-Staatsund RegierungsIB 8, 93 ff, 235, 245 chefs 137, 142 IB BB 89, 93, 95 ff, 99 GIZ 25 Ibrahim al-Khalil-Moschee 49, 233 Graue Wölfe 185 Identitäre Bewegung Berlin-BrandenGroßer Austausch 94 burg siehe IB BB Grundgesetz 5, 17 f, 86, 120, 218 ff, Identitäre Bewegung siehe IB 226, 229, 232 IGD 39 f, 55, 63 f, 233 GTAZ 24 f IGMG 66 Gülen, Fethullah 204 IKEZ 53 IL 140, 146, 149 ff, 153 ff, 160, 168, H 236, 246 HAMAS 7, 36, 40, 52 ff, 182 f, 193, 233, Imam-Ali-Moschee 59 245 Imperialismustheorie 143 Haniyeh, Ismail 54 Industriespionage 205 240 Personenund Sachregister Interventionistische Linke siehe IL KIAR 25 IS 7, 35 f, 38, 40 ff, 57, 64, 182 Komalen Civan 76 Islamische Gemeinschaft in Deutschland Kommission für Verstöße der Psychiatsiehe IGD rie gegen Menschenrechte siehe Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. KVPM siehe IGMG Kommunismus 130 ff, 170, 194 Islamischer Staat siehe IS Kommunistische Partei Deutschlands Islamischer Widerstand ("al-Muqawama siehe KPD al-islamiya") 56 Konferenz der Auslandspalästinenser Islamisches Kulturund Erziehungszent55 f rum Berlin e. V. siehe IKEZ Konferenz der Palästinenser in Europa Islamisches Zentrum Hamburg e.V. 55 f siehe IZH Koordinierte Internetauswertung Islamistische nordkaukasische Szene Rechtsextremismus siehe KIAR 38, 40, 233 KPD 132 Islamkurse 50 f Kritik & Praxis 149 Islamseminare 49 ff Kurdische Frauenbewegung in Europa IZH 59 siehe TJKE Izz ad-Din al-Qassam-Briganden 54 Kutan, Recai 66 KVPM 199 J Jihadistischer Salafismus 42, 47 ff L JN 103, 106, 235 L., Sven 47 Jugendwiderstand 193 ff, 236, 247 Legalistische Islamisten 34, 36, 39 f, Junge Nationaldemokraten siehe JN 61 f Junud al-Sham 46 Legion of Thor 116 linksunten.indymedia 142 K Luftsicherheitsgesetz 214 Kadterschmiede 165 Lunikoff 116 ff, 190 Käfer, Andreas 106 Kameradschaft Frontbann 24, 111 M KCK 77, 234 M., B. Fayssal 46 241 Macht & Ehre 116 NAV-DEM Berlin 78, 234 Marx, Karl 131, 142 f NEA 169 f, 236, 247 Marxismus-Leninismus 70, 81, 131, 145 Nein zum Heim-Bürgerbewegung 90, Mashal, Khaled 54 121 MB 36, 39 f, 52, 62 ff, 233, 245 Nein zum Heim-Bürgerinitiativen 112 Meenen, Uwe 105 Netzwerk Freie Kräfte 90, 106, 108, Merkel muss weg - Demonstrationen 110 ff, 188, 235 89, 101 ff, 121 Netzwerk Rechtsextremistische Musik MGB 39 f, 62, 64 ff, 183, 233 116, 235 MillA(r) Gazete 66 NIKA 169, 171 f Milli Görüs 36, 39 f, 62, 64 ff, 183 North East Antifascists siehe NEA Milli Görüs - Bewegung siehe MGB NPD 8, 88, 90, 95, 103 ff, 111 f, 115, Mitwirkungsersuchen 19 121, 188, 190, 235, 246 Mujahidin-Netzwerke 38, 40, 233 NSU 25 Muslimbruderschaft siehe MB Muslimenfeindlichkeit 8, 86 ff, 98 ff, O 112, 120 f Öcalan, Abdullah 73 ff, 77 f, 80 Operierender Thetan 198 N Nachrichtendienstliches Informations- P system siehe NADIS Palästinensische Gemeinschaft in NADIS 22, 218, 220 Deutschland e.V. siehe PGD Nasrallah, Hassan 58 Palestinian Return Center siehe PRC Nationaldemokratische Partei DeutschParteiverbotsverfahren 104 lands siehe NPD Partiya Karkeren Kurdistan siehe PKK Nationales Cyber-Abwehrzentrum 207 PFLP 193 Nationalismus ist keine Alternative PGD 54 siehe NIKA PKK 71 ff, 234, 245 Nationalsozialismus 109, 124, 184, 193 Politik der ersten Person 133 Nationalsozialistischer Untergrund Politischer Salafismus 47 ff siehe NSU Popular Front for the Liberation of NAV-DEM 76, 78, 81, 234 Palestine" ("Volksfront zur Befreiung 242 Personenund Sachregister Palästinas) siehe PFLP Rote Hilfe e.V. 135 f, 236 Postautonome 133, 135, 139, 141, 143, 148 f, 151, 156, 160, 168, 170, 173 S PRC 55 Saadet Deutschland Regionalverein PRC-Konferenz 55 Berlin e.V. 66 Pro Deutschland 8, 88 f, 100 ff, 121, Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit) 235, 246 66 f Punk Front 116 Sabotageschutz 210 PYD 74, 234 Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben 199 R Salafismus 7, 28, 34, 37 ff, 42, 47 ff, 251 radikale linke | berlin 145 f, 156, 163 f, Schwarze Blöcke 133, 146, 172 161, 170, 236 Scientology Organisation siehe SO RAF 132, 192 Second Class Citizen 116 RAZ 194 Selbstverwalter 8, 28, 123 ff, 128, 236 RED 25 Selbstverwalterszene 125 Reichsbürger 8, 28, 90, 103, 119, 123 ff, SIBE-AK BR-BB 212 191, 196, 236 Sicherheitsüberprüfungen 19, 210 f Reichsbürgerbewegung 28, 125 f, 191 SIGINT 207 Reichsbürgerszene 124 ff, 128, 196 Signals Intelligence siehe SIGINT Remigration 94 f, 98 Sinwar, Yahya 54 Revolutionäre 1. Mai-Demonstration SO 27, 197 ff, 236, 247, 248 145, 154 Sozialismus 131, 194 Revolutionäre Aktionszellen siehe RAZ Spionageabwehr 16, 19, 22, 201 ff, 220, Revolutionäre Volksbefreiungspartei222 Front siehe DHKP-C Sprengstoffgesetz 214 Rigaer 94 137 f, 142, 156 ff, 162, 164 ff, Staatenlos 127 174, 236, 247 Sterka Ciwan 75 Ring Nationaler Frauen siehe RNF Sterk TV 79 RNF 103 Ronahi TV 79 Rote Armee Fraktion siehe RAF 243 T Verfassung von Berlin 17, 22, 218, 229, Tag des Sieges und der Befreiung 58 231 Theorie Organisation Praxis Verschlusssachen 19, 211 siehe TOP B3rlin Villain051 118 TJKE 76 VRBHV 119, 187 TOP B3rlin 140, 146, 148 f, 154, 170, VSG Bln 17, 26, 210 ff, 218 236, 246 Traditioneller Rechtsextremismus 8, 84, W 87, 89 f, 95, 101, 103, 107, 112, 114 f, Waffengesetz 214 117, 120 f, 186, 188 WfD 102, 235 Trennungsgebot 24 Winterhilfsaktion 109 Türkisch-Islamische Union der Anstalt Wir für Deutschland siehe WfD für Religion e. V. siehe DITIB Wirtschaftsschutz 16, 205 f Tupamaros Westberlin 192 Wirtschaftsspionage 205 f U Y Ülkücü-Bewegung 72, 185 f, 234 YEK-KOM 76 Unabhängiger Expertenkreis AntisemiYEK-MAL 76 tismus des Deutschen Bundestages YPG/YPJ 74, 81, 234, 245 179, 181, 183 YXK 74, 76, 234, 245 Union kurdischer Familien siehe YEK-MAL Z Zentrum der demokratischen Gesell- V schaft der Kurden in Deutschland e.V. Verband der Studierenden aus Kurdissiehe NAV-DEM tan siehe YXK Verbunddatei Rechtsextremismus siehe RED Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten siehe VRBHV 244 Bildnachweis Bildnachweis Seite 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 41 picture-alliance Seite 47 picture-alliance Seite 51 picture-alliance Seite 52 Logo HAMAS Seite 53 picture-alliance Seite 56 Logo "Hizb Allah" Seite 58 picture-alliance Seite 59 picture-alliance Seite 60 Logo "Hizb ut-Tahrir" Seite 63 Logo "Muslimbruderschaft" Seite 66 Logo "Saadet e.V." Seite 66 unten: Logo "Erbakan Vakfi" Seite 72 Logo PKK Seite 74 Logo YXK Seite 74 mittig-oben: Logo "Ciwanen Azad" Seite 74 mittig-unten: Logo YPJ Seite 74 unten: Logo YPG Seite 75 picture-alliance Seite 77 picture-alliance Seite 77 unten: picture-alliance Seite 81 Logo DHKP-C Seite 93 Logo "Identitäre Bewegung" Seite 94 picture-alliance Seite 95 picture-alliance Seite 95 unten: picture-alliance Seite 97 picture-alliance 245 Seite 97 unten: picture-alliance Seite 98 picture-alliance Seite 99 picture-alliance Seite 100 Logo "Bürgerbewegung Pro Deutschland" Seite 102 picture-alliance Seite 103 Logo NPD Seite 108 Logo "Der III. Weg" Seite 109 Abbildung auf einer rechtsextremistischen Internetseite Seite 109 unten: picture-alliance Seite 111 Foto: Polizei Berlin Seite 113 Foto: Polizei Berlin Seite 113 unten: Foto: Polizei Berlin Seite 114 picture-alliance Seite 115 picture-alliance Seite 117 rechtsextremistisches Musik-Cover Seite 117 unten: picture-alliance Seite 126 picture-alliance Seite 136 Logo "Rote Hilfe" Seite 138 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 139 picture-alliance Seite 141 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 141 unten: picture-alliance Seite 143 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 145 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 145 unten: Logo rlb Seite 147 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 149 Logo TOP B3rlin Seite 150 picture-alliance Seite 151 Logo IL Seite 153 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten 246 Bildnachweis Seite 155 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 157 Abbildung auf einer Internetseite mit linksextremistischen Inhalten Seite 158 Post in einem sozialen Netzwerk Seite 161 picture-alliance Seite 162 Logo AK36 Seite 163 Post in einem sozialen Netzwerk Seite 164 picture-alliance Seite 165 Logo "Rigaer 94" Seite 166 picture-alliance Seite 170 Logo NEA Seite 178 picture-alliance Seite 180 picture-alliance Seite 181 picture-alliance Seite 182 picture-alliance Seite 183 picture-alliance Seite 184 picture-alliance Seite 188 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 188 unten: picture-alliance Seite 190 Post in einem sozialen Netzwerk Seite 190 unten: Abbildung auf einer Internetseite mit rechtsextremistischen Inhalten Seite 192 Post in einem sozialen Netzwerk Seite 193 Post in einem sozialen Netzwerk Seite 194 Logo Jugendwiderstand Seite 198 Logo Scientology Organisation Seite 199 picture-alliance 247 Publikationsübersicht IM FOKUS IM FOKUS Zerrbilder von Islam und Demokratie Linke Gewalt in Berlin 2009 - 2013 2. Auflage, Berlin 2016. 156 Seiten. 1. Auflage, Berlin 2015. 70 Seiten. IM FOKUS IM FOKUS Rechte Gewalt in Berlin 2003 - 2012 Scientology - Eine kritische 1. Auflage, Berlin 2014 (im Internet Bestandsaufnahme abrufbar). 66 Seiten. 1. Auflage, 2011. (im Internet abrufbar). 83 Seiten. 248 Publikationsübersicht IM FOKUS IM FOKUS Linke Gewalt in Berlin Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006 1. Auflage, Berlin 2009. 84 Seiten. 1. Auflage, Berlin 2007. 84 Seiten. IM FOKUS IM FOKUS Antisemitismus im Islamismus. Diskussion eines extremistischen Spektrum Berlins vielschichtigen Phänomens 2. Auflage, Berlin 2006 (im Internet abrufbar). 2. Auflage, Berlin 2006 (im Internet abrufbar). 56 Seiten. 116 Seiten. 249 IM FOKUS INFO Rechtsextremistische Skinheads Rechtsextremistische Musik 1. Auflage, Berlin 2003 4. überarbeitete Auflage, Berlin 2016. 70 Seiten. (im Internet abrufbar). 86 Seiten. INFO INFO Symbole und Kennzeichen Linksextremismus des Rechtsextremismus 1. Auflage, Berlin 2015. 66 Seiten. 9. überarbeitete Auflage, Berlin 2015. 42 Seiten. 250 Publikationsübersicht INFO INFO Salafismus als politische Ideologie Rechtsextremismus in Berlin 2. Auflage, Berlin 2014 (im Internet 2. Auflage, Berlin 2014. 58 Seiten. abrufbar). 66 Seiten. INFO GRUNDSATZ-BROSCHÜRE Islamismus Verfassungsschutz Berlin 3. Auflage, Berlin 2006. 42 Seiten. Sicherheit Aufklärung Transparenz Überarbeitete Neuauflage, Berlin 2017. 52 Seiten. 251 DVD Islamismus: Prävention und Deradikalisierung 1. Auflage, Berlin 2011. 59 min. Diese sowie weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes können Sie unter der rückseitig angegebenen Adresse sowie telefonisch unter (030) 90 129-440 bestellen oder aber im Internet unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufen. 252 Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu unterrichten. SS5 Abs. 1 Satz 1 VSG Bln Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon 030 90129 - 440 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de