Verfassungsschutzbericht 2016 Verfassungsschutzbericht 2016 4 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Erreichbarkeit Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Telefon: 030 90 129-440 Fax: 030 90 129-844 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de Pressestelle 030 90129-565 Vertrauliches Telefon 030 90129-400 Deutsch/Englisch 030 90129-401 Türkisch 030 90129-402 Arabisch Herausgeber Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Abteilung Verfassungsschutz Herstellung KOMAG mbH, Berlin Redaktionsschluss April 2017 Abdruck gegen Quellenangabe gestattet, Belegexemplar erbeten. Hinweis: Dieser Verfassungsschutzbericht erwähnt nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes. Vorwort 5 Vorwort Europa steht seit vielen Jahren im Fokus des internationalen islamistischen Terrorismus: Es gab Anschläge in Madrid, London, Paris, Brüssel und im vergangenen Jahr auch in Berlin. Am 19. Dezember kam es zum ersten schweren islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland. Der Attentäter raste mit einem gestohlenen LKW auf den Breitscheidplatz und tötete insgesamt zwölf Menschen. Die deutsche Sicherheitsarchitektur steht auf dem Prüfstand und viele sicherheitspolitische Fragen müssen diskutiert werden: Wie gehen wir künftig mit gewaltbereiten Islamisten um? Reichen die gesetzlichen Befugnisse aus? Müssen bestimmte Sicherheitsaspekte in einer Großstadt neu gedacht werden? Sind die beratenden Gremien optimal organisiert? Und: Was können wir präventiv tun? Die Bedrohungslage ist nach wie vor ernst. Mögliche Tatplanungen werden hoch konspirativ vorgenommen. Als Tatmittel reichen ein Messer, ein Beil oder eben ein Auto oder LKW. Das erschwert die Vorhersage oder gar das Verhindern von potenziellen Anschlägen ganz außerordentlich. Die vielen Erklärungen des so genannten IS machen es deutlich: Deutschland wird als Gegner wahrgenommen. Dabei dient vordergründig das militärische Engagement der Bundesrepublik als Kernargument, tatsächlich sind es jedoch unsere Freiheit und unsere Lebensweise, auf die islamistische Terroristen mit ihren Taten abzielen. Die letzten Monate haben auch gezeigt, wie wandlungsund anpassungsfähig der islamistisch motivierte Terrorismus ist. Rückkehrer, durch den IS entsandte Täter, ob Tätergruppen mit Verbindungen zu jihadistischen Netzwerken oder der Einzeltäter sind nur einige Beispiele für seine aktuellen Facetten. Berlin wird in den kommenden Jahren rasant wachsen. Experten gehen davon aus, dass die Bevölkerungszahl bis zum Jahr 2030 von derzeit rund 3,5 auf 3,8 Millionen Personen 6 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 wachsen wird. Das wäre ein Anstieg um 7,5 Prozent, womit auch eine enorme sicherheitspolitische Herausforderung einhergeht. Vor dem Hintergrund, dass einer aktuellen Studie zufolge fast die Hälfte der jungen Menschen in den europäischen Kernländern daran zweifelt, ob die Demokratie die beste aller Staatsformen ist, wird es von zentraler Bedeutung sein, gerade auch in der Gruppe der "Neu-Berliner" offensiv für die freiheitlichen europäischen Werte zu werben. Diese Notwendigkeit belegen auch die aktuellen Zahlen für Berlin. Der Salafismus ist noch immer die am dynamischsten wachsende Bestrebung des Islamismus in Deutschland. Bundesweit ist die Zahl der Salafisten inzwischen auf mehr als 10 000 angestiegen. In Berlin gehen wir von 840 Personen aus - 380 davon gewaltorientiert. Mehr als 920 Personen sind inzwischen bundesweit mit islamistischer Motivation in die Kampfgebiete nach Syrien/Irak ausgereist. Aus Berlin waren es mehr als 110. Eine Herausforderung bleiben allerdings nicht nur Jihadisten und Salafisten, die sich offen zum Kampf gegen unsere Demokratie bekennen. Radikalisierung wirkt oft als schleichendes Gift, das auch in den Hinterzimmern, sich vordergründig fortschrittlich und weltoffen gebender Moscheen legalistischer Islamisten verabreicht wird. Im Bereich des Rechtsextremismus bleibt zwar das Personenpotenzial im Vergleich zum Vorjahr nahezu konstant, die Entwicklung der Szene stagniert allerdings nicht. Vor allem muslimenfeindliche Gruppen und Zusammenschlüsse, die sich nach außen betont bieder präsentierten, scheinen Zulauf zu finden. Während der klassische, neonazistisch geprägte Rechtsextremismus weiterhin gesellschaftlich weitgehend isoliert bleibt, gelang es muslimenfeindlichen Gruppierungen zu mehreren Anlässen bis zu 3 000 Menschen für ihre Veranstaltungen zu mobilisieren - viele davon ohne Bezüge zum herkömmlichen Rechtsextremismus. Zur äußerst heterogenen rechtsextremistischen Szene Berlins, deren Akteure unterschiedliche ideologische Positionen, Ziele und Handlungsfelder bedienen, gehören aber auch weiterhin gewaltbereite Neonazis, in deren Fokus einmal mehr politische Gegner und Personen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, gerieten. Eine Serie von (vermutlich) rechtsextremistisch motivierten Angriffen auf Einrichtungen und Kraftfahrzeuge in Neukölln steht dabei beispielhaft für das ungebrochen hohe Gewaltund Gefährdungspotenzial der rechtsextremistischen Szene Berlins. Das linksextremistische Personenpotenzial in Berlin hat leicht zugenommen. Auch die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten hat sich nach jahrelangen Rückgängen stabilisiert und ist sogar leicht gestiegen. Während die traditionellen "Autonomen" nur leicht verloren, verzeichneten die vordergründig eher moderat auftretenden postautonomen Vorwort 7 Gruppierungen einen Aufwärtstrend. Sie profitieren zum einen davon, dass dem Jugendalter entwachsene Autonome ihr politisches Engagement in mindestens äußerlich weniger aggressiven Formen fortführen, zum anderen davon, dass auch bei jüngeren Aktivisten das Engagement in autonomen Kleingruppen als immer weniger zielführend betrachtet wird. Die Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels Mitte Juli 2017 in Hamburg machen deutlich, dass militante Begleitkampagnen aus der postautonomen Szene in schwere Gewalt münden können. Hier gilt es, die nötigen Analysen vorzunehmen und Lehren zu ziehen, um solche Entwicklungen künftig zu verhindern. Staat und Gesellschaft müssen sich abzeichnenden Mobilisierungsund Solidarisierungseffekten konsequent und frühzeitig entgegentreten. Diese Themenpalette zeigt sehr deutlich, dass wir einen gut aufgestellten Verfassungsschutz dringend brauchen. Es bleibt wichtig, auf Entwicklungen im Extremismus hinzuweisen und sich diesen entgegenzustellen. Wir müssen die Parolen und Dogmen der Extremisten klar als solche benennen. Und wenn Populisten sich den Sprachgebrauch von Extremisten zu eigen machen, dürfen wir nicht weghören. Meinungsfreiheit ist in unserer freiheitlichen Gesellschaft ein hohes Gut. Doch sie endet dort, wo andere in ihren Grundrechten eingeschränkt werden. Glaubensund Religionsfreiheit, Gleichberechtigung und das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben gelten für alle. Die Grundpfeiler unseres Grundgesetzes - Gleichheit, Freiheit, Menschenwürde - dürfen nicht durch Gewalt, Hass und Lügen beschädigt werden. Solche Entwicklungen frühzeitig zu erkennen und öffentlich zu benennen, bleibt zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes. Andreas Geisel Senator für Inneres und Sport 8 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Inhaltsverzeichnis I Verfassungsschutz Berlin 13 Struktur 14 Gesetzliche Grundlagen 15 Aufgaben und Befugnisse 15 Kontrolle 16 Arbeitsweise 17 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 22 Inhaltsverzeichnis 9 II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 27 1 Islamismus 28 1.1 Ideologie 28 1.2 Personenpotenzial 32 1.3 Anschläge in Deutschland und Europa 33 1.3.1 Anschlag in Berlin 33 1.3.2 Weitere Anschläge 36 1.3.3 Unterschiedliche Tätertypen 41 1.3.4 Jihadistische Propaganda 44 1.4 Transnationaler islamistischer Terrorismus 48 1.4.1 Islamischer Staat und al-Qaida 49 1.4.2 Anschlagspläne in Berlin 53 1.4.3 Ausreisen 54 1.4.4 Verfahren und Verurteilungen 55 1.5 Salafistische Bestrebungen 57 1.5.1 Aktivitäten und Trefforte in Berlin 59 1.5.2 Jihadisten-Treffpunkt in Berlin - Fussilet-Moschee verboten 63 1.5.3 Bundesweites Verbot der "LIES! Stiftung" 64 1.6 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen 65 1.6.1 Bewegung des Islamischen Widerstands (HAMAS) 66 1.6.2 Hizb Allah (Partei Gottes) 68 1.7 Gewaltbefürwortender Islamismus 71 1.7.1 Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) 71 1.8 Legalistischer Islamismus 73 1.8.1 Muslimbruderschaft 74 1.8.2 Milli Görüs-Bewegung (MGB) 79 1.9 Islamisten und die Flüchtlingsthematik 81 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 83 2.1 Ideologien extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen 83 2.2 Personenpotenzial 84 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 85 2.3.1 Ereignisse in den Kurdengebieten bestimmen Aktivitäten der PKK in Berlin 86 10 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 2.3.2 Exekutivmaßnahmen gegen PKK-Funktionäre in Deutschland 95 2.3.3 Ausblick 97 2.4 Ülkücü-Bewegung 98 3 Rechtsextremismus 100 3.1 Ideologien 100 3.1.1 Traditioneller Rechtsextremismus 100 3.1.2 Muslimenfeindlichkeit 102 3.2 Personenpotenzial und Straftaten 104 3.3 Muslimenfeindliche Gruppierungen und Netzwerke 107 3.3.1 Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg 109 3.3.2 Bürgerbewegung Pro Deutschland 116 3.3.3 Netzwerke extremistischer Hooligans (Hooligans gegen Salafisten) 121 3.4 Traditioneller Rechtsextremismus 122 3.4.1 NPD 122 3.4.2 Der III. Weg 131 3.4.3 Netzwerk Freie Kräfte 133 3.4.4 Netzwerk Rechtsextremistische Musik 141 3.4.5 Europäische Aktion 144 3.5 Fazit 145 4 Reichsbürger 147 5 Linksextremismus 150 5.1 Ideologie und Historie 150 5.2 Personenpotenzial und Straftaten 153 5.3 Aktuelle Entwicklungen 156 5.3.1 Die "Alternative für Deutschland" (AfD) als Feindbild der autonomen "Antifa" 158 5.3.2 Blockupy im "Herz des europäischen Krisenregimes" 164 5.3.3 Eine Spirale der Gewalt im Kampf um "autonome Freiräume" 168 5.3.4 Drastische Verschärfung der Tonlage 180 5.4 Fazit und Ausblick 181 6 Scientology Organisation 184 Inhaltsverzeichnis 11 7 Spionageabwehr und Geheimschutz 186 7.1 Spionageabwehr 186 7.2 Wissenschaftsund Technikspionage 187 7.3 Geheimund Sabotageschutz 189 7.3.1 Geheimschutz in der Wirtschaft 190 7.3.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen 191 III Anhang 195 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 196 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 208 Personenund Sachregister 211 Bildnachweis 220 Publikationsübersicht 223 12 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 I Verfassungsschutz Berlin 14 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Struktur Verfassungsschutzbehörde für das Land Berlin ist die Senatsverwaltung für Inneres und Sport. Die Aufgaben werden durch die Abteilung II wahrgenommen: Abteilung II Verfassungsschutz Abteilungsleiter Geheimschutz/ Mitwirkung Referat II A Referat II B Referat II C Referat II D Referat II E Referat II F Grundsatz RechtsAusländerSpionageBeschaffung LinksRecht extremismus extremismus/ abwehr extremismus Verwaltung Islamistischer ÖffentlichkeitsTerrorismus/ arbeit Gremien Islamismus IT Während das Grundsatzreferat II A Querschnittsaufgaben wie Verwaltung, Recht, Öffentlichkeitsarbeit und Informationstechnik abdeckt, sind die Auswertungsreferate II B, II C, II D und II F für die Analyse und Bewertung von Informationen zuständig. Das Referat II E beschafft Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Für die Aufgaben des Verfassungsschutzes standen 2016 Haushaltsmittel in Höhe von 13,43 Mio. Euro und 226,85 Stellen zur Verfügung. Gesetzliche Grundlagen 15 Gesetzliche Grundlagen Aufgaben und Befugnisse Die Arbeit des Verfassungsschutzes ist hinsichtlich der Aufgabenstellungen, der Befugnisse und der Kontrollverfahren im Grundgesetz und in Einzelgesetzen festgeschrieben.1 Von Bedeutung sind hier: * das Grundgesetz (GG), Artikel 73 und 87, * die Verfassung von Berlin, * das Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin (VSG Bln),2 * das Gesetz zur Beschränkung des Postund Fernmeldegeheimnisses (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) sowie das Gesetz zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz, * das Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG), * das Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG). 1 Detaillierte Darstellungen sowie Gesetzestexte sind auf der Internetseite des Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de/Grundlagen eingestellt. 2 Der vollständige Gesetzestext ist im Anhang abgedruckt und kann auf der Internetseite des Berliner Verfassungsschutzes unter www.verfassungsschutz-berlin.de abgerufen werden. 16 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Kontrolle Die Verfassungsschutzbehörde unterliegt bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben einer Kontrolle auf mehreren Ebenen: Öffentliche Kontrolle Revision durch Bürger und Kontrollinstanz Medien der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres und Sport Datenschutz Allgemeine Beauftragte für parlamentarische Datenschutz und Kontrolle durch das Informationsfreiheit Abgeordnetenhaus Debatten, Aktuelle Stunden, Parlamentarische Anfragen, Petitionen Abteilung II Verfassungsschutz Gerichtliche Besondere parlamenKontrolle tarische Kontrolle durch VerwaltungsAusschuss für Vergerichte fassungsschutz G10-Kommission Vertrauensperson Kontrolle von Eingrifdes Ausschusses für fen in das Postund Verfassungsschutz Fernmeldegeheimnis (noch nicht eingesetzt) nach Art. 10 GG Arbeitsweise 17 Arbeitsweise Der Verfassungsschutz Berlin hat laut Verfassungsschutzgesetz Berlin (VSG Bln) die Aufgabe, den Senat und das Abgeordnetenhaus, andere zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu unterrichten.3 Die Behörde beschafft Informationen, analysiert sie und unterrichtet Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit über ihre Erkenntnisse. Definition Extremismus Der Verfassungsschutz beobachtet extremistische Bestrebungen. Der Begriff Extremismus bezeichnet kein einheitliches Phänomen, sondern ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche politische Bestrebungen, "die sich in der Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates und seiner fundamentalen Werte und Spielregeln einig wissen".4 Die verfassungsmäßige Grenze des politischen Handelns ist in der Bundesrepublik Deutschland eindeutig festgelegt. Anlässlich des Verbots der "Sozialistischen Reichspartei" (SRP) bestimmte das Bundesverfassungsgericht 1952 den Kern des demokratischen Verfassungsstaates, die freiheitliche demokratische Grundordnung. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind zu rechnen: * die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem der Rechte auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und auf Leben, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, 3 Vgl. SSSS 1, 5 und 6 VSG Bln. 4 Uwe Backes / Eckhard Jesse: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. 4. Auflage, Bonn 1996, S. 45. 18 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit aller politischen Parteien, * das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition.5 Die Verfassungsschutzbehörden verwenden den Extremismusbegriff seit Anfang der 1970er Jahre in Abgrenzung zu dem Begriff des Radikalismus. Während extremistische Positionen die Grenze der verfassungsmäßigen Ordnung überschreiten, bezeichnet der Radikalismus Auffassungen, die zwar grundlegende systemoppositionelle Positionen vertreten, die sich aber mit ihrer fundamentalen Kritik innerhalb der Grenzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bewegen. Informationsbeschaffung Bei der Informationsbeschaffung ist zwischen offenen und verdeckt erhobenen Informationen zu unterscheiden. Der Verfassungsschutz erhält einen großen Anteil seiner Informationen aus allgemein zugänglichen Veröffentlichungen und Veranstaltungen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen nach dem VSG Bln eingesetzt werden, wenn verfassungsfeindliche Bestrebungen weitgehend konspirativ agieren und sich wegen der Abschottung auf andere Weise keine Informationen gewinnen lassen. Nach den Vorgaben des VSG Bln darf der Einsatz dieser Mittel nur erfolgen, wenn sie im Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel kommt deshalb erst dann in Betracht, wenn die anderen Mittel der Nachrichtenbeschaffung erschöpft sind, d.h. wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Zu den nachrichtendienstlichen Mitteln zählen der Einsatz von Vertrauenspersonen (so genannten V-Personen, die aus Beobachtungsobjekten berichten),6 die Observation sowie die Überwachung des Postund Fernmeldeverkehrs, deren besonders engen rechtlichen Voraussetzungen im Gesetz zu Artikel 10 GG geregelt sind. 5 Vgl. BVerfG 2, 1 ff.; BVerfG 5, 85 ff.; SS 6 VSG Bln. 6 Die Informationsbeschaffung durch V-Personen ist von großer Bedeutung für die Gewinnung von Informationen über verfassungsfeindliche, insbesondere gewaltbereite Organisationen. Der Einsatz von V-Personen steht in einem Spannungsfeld: Einerseits bedarf es des Schutzes der freiheitlichen Demokratie, andererseits der Beschaffung von Informationen durch Mitglieder extremistischer Organisationen. V-Personen sind Privatpersonen, die in der Regel der zu beobachtenden verfassungsfeindlichen Organisation angehören oder ihr nahestehen. Sie berichten über deren Strukturen und Aktivitäten. Der Gesetzgeber hat dieses Mittel der Informationsbeschaffung den Verfassungsschutzbehörden zugewiesen (SS 8 Abs. 2 Nr. 1 VSG Bln). Aufgrund der besonderen Sensibilität der Maßnahme sind dem Einsatz von V-Personen aber enge rechtsstaatliche Grenzen gesetzt. Voraussetzung beim Einsatz von V-Personen ist die Vertraulichkeit (so genannter Quellenschutz). Arbeitsweise 19 Zur Bekämpfung gewalttätiger, insbesondere terroristischer Bestrebungen dürfen Anfragen an Luftverkehrsunternehmen, Telekommunikationsanbieter und Kreditinstitute gestellt werden. Gerade zur Auflärung islamistischer terroristischer Netzwerke kann es erforderlich sein, Flüge festzustellen, Finanzierungsströme aufzuklären und Telefonverbindungsdaten zur Feststellung von Kontakten zu erlangen. Wegen der Eingriffstiefe dieser Befugnisse wurde die Umsetzung in den letzten zehn Jahren mehrfach auf Bundesebene evaluiert. In der Folge wurden die Befugnisse im Wesentlichen bestätigt, teilweise effektiver ausgestaltet. Informationsbearbeitung Die durch die Informationsbeschaffung gesammelten Rohdaten müssen gefiltert, systematisiert und analysiert werden. Dabei kommt der Informationstechnik für die Verarbeitung großer Datenmengen eine wichtige Rolle zu. Als bundesweite Verbunddatei existiert für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder das "Nachrichtendienstliche Informationssystem" (NADIS). Die Speichervoraussetzungen sind in den SSSS 10 und 11 des Bundesverfassungsschutzgesetzes geregelt (SS 6 Absatz 2 Satz 2 BVerfSchG). Anfang 2017 waren für Berlin 42 367 Datensätze im NADIS gespeichert (Anfang 2016: 38 752). Der weit überwiegende Anteil dieser Datensätze fällt auf die Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen, die nur mit Zustimmung der betroffenen Person erfolgt. Die übrigen verteilen sich auf die Aufgabenbereiche Rechtsund Linksextremismus, Spionageabwehr, Islamismus und sonstiger Extremismus mit Auslandsbezug. Für die Auswertung der Daten spielt die präzise Definition von Analysebegriffen etwa zur Risikobewertung und die Entwicklung von Instrumenten wie die computergestützte geografische Analyse eine wichtige Rolle. Durch letztere können lokale Schwerpunkte herausgearbeitet werden (vgl. "Im Fokus"Studien "Rechte Gewalt in Berlin" und "Linke Gewalt in Berlin" sowie zahlreiche Lageanalysen).7 Informationsweitergabe Die Informationsweitergabe an andere Behörden oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs ermöglicht es diesen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren zu ergreifen. Die Zusammenarbeit mit anderen 7 Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006. Berlin 2007; Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Linke Gewalt in Berlin. Berlin 2009; Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2012. Berlin 2014; Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Linke Gewalt in Berlin 2009 bis 2013. Berlin 2015. 20 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Behörden und Stellen geschieht auf Grundlage der Regelungen des VSG Bln über die Informationsweitergabe.8 Neben repressiven Maßnahmen dient auch die öffentliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus dem Schutz der Demokratie. Die Unterrichtung der Öffentlichkeit ist deshalb als Aufgabe im VSG Bln festgeschrieben.9 Zusammenarbeit mit anderen Behörden Bei der Weitergabe von Erkenntnissen über Personen wird danach unterschieden, ob es sich um Sicherheitsbehörden, andere öffentliche Stellen oder ausländische Institutionen handelt. * Bei der Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund besteht eine Informationspflicht für alle anfallenden Erkenntnisse, die für die Aufgabenerfüllung der anderen Behörden relevant sind (SS 6 Absatz 1 Bundesverfassungsschutzgesetz). * Die Zusammenarbeit mit Polizei und Staatsanwaltschaft wird durch besondere Übermittlungsbefugnisse flankiert. Wenn es zur Verhinderung und Verfolgung von Straftaten im Zusammenhang mit extremistischen Bestrebungen erforderlich ist, müssen Erkenntnisse weitergegeben werden (SS 21 VSG Bln), sofern keine Übermittlungsverbote (SS 28 VSG Bln) entgegenstehen. * An andere öffentliche Stellen dürfen Erkenntnisse über Personen insbesondere übermittelt werden, wenn sie die Informationen zum Schutz vor verfassungsfeindlichen Bestrebungen oder zur Strafverfolgung benötigen oder wenn es zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist (SS 22 VSG Bln). * Besondere Beschränkungen gelten für die Weitergabe personenbezogener Informationen an Personen und Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs oder an ausländische Stellen (SSSS 23, 24 und 25 VSG Bln). Angesichts der anhaltenden Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus haben die Innenminister die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren ausgebaut. 2004 hat das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow seine Arbeit aufgenommen. Neben Vertretern des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), des Bundeskriminalamtes (BKA), des Bundesnachrichtendiens- 8 Vgl. speziell SSSS 18 - 25 VSG Bln. 9 Vgl. SS 5 VSG Bln. Arbeitsweise 21 tes (BND), des Generalbundesanwalts (GBA) sowie ausländischer Partnerdienste sind die Länder jeweils mit Verbindungsbeamten der Polizei und der Verfassungsschutzbehörden dort vertreten. Das GTAZ ermöglicht, Informationen zum islamistischen Terrorismus umgehend gemeinsam zu analysieren und die operativen Maßnahmen abzustimmen. Gerade bei der Bewältigung besonderer Gefährdungslagen hat sich die Institution als nützlich erwiesen. Ende 2006 trat das Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizei und Nachrichtendiensten in Kraft.10 Von besonderer Bedeutung ist die "Anti-Terror-Datei" (ATD). Sie dient dem Erkenntnisaustausch zu Personen, die dem internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland zugerechnet werden. Das "Gemeinsame Internet-Zentrum" (GIZ) wurde im Januar 2007 eingerichtet. In ihm arbeiten Mitarbeiter von BfV, BKA, BND, MAD und GBA zusammen, um ihre Erkenntnisse in der Beobachtung islamistischer Aktivitäten im Internet zu bündeln. Die stetig wachsende Zahl islamistischer Webseiten belegt die zunehmende Bedeutung des Internets für militante Islamisten, die dieses Medium vor allem als Propagandaund Rekrutierungsinstrument intensiv nutzen. Vor diesem Hintergrund gewinnt auch die Analyse und Bewertung entsprechender Webseiten für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus an Bedeutung. Nach der Aufdeckung der Gruppierung "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) und ihrer Taten wurde analog zum Arbeitsgebiet islamistischer Terrorismus auch im Rechtsextremismus eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden auf den Weg gebracht. Im Dezember 2011 wurde das "Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" (GAR) eingerichtet, das im Wechsel beim BKA in Meckenheim und dem BfV in Köln tagte. Es dient der engeren Koordination und Kooperation zwischen den Nachrichtendiensten und den Polizeibehörden von Bund und Ländern und wurde im Herbst 2012 in dem neuen "Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) für alle Phänomenbereiche (außer Islamismus) eingegliedert. Eine "Verbunddatei Rechtsextremismus" (RED) für Polizeibehörden und Nachrichtendienste sowie eine "Koordinierte Internetauswertung Rechtsextremismus" (KIAR) nahmen ebenfalls 2012 ihren Betrieb auf. 10 Gesetz zur Errichtung gemeinsamer Dateien von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten des Bundes und der Länder vom 22.12.2006. 22 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes Die Information von Politik und Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung ist die zentrale Aufgabe des Berliner Verfassungsschutzes, die im Verfassungsschutzgesetz an erster Stelle genannt wird. Als das Landesamt für Verfassungsschutz im Jahr 2000 aufgelöst und die Abteilung II bei der Senatsverwaltung für Inneres und Sport gegründet wurde, war es politischer Konsens, dass der Öffentlichkeitsarbeit ein gewichtiger Stellenwert eingeräumt wird. Diesen Auftrag erfüllen wir seitdem mit großem Engagement. Wir informieren Senat, Parlament und die Öffentlichkeit über aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern - so weitgehend und intensiv wie möglich. Dem Verfassungsschutz sind selbstverständlich in der Art und im Umfang seiner offenen Informationen Grenzen gesetzt. Oftmals werden die politische Leitung und die parlamentarischen Kontrollgremien in vertraulicher oder nicht-öffentlicher Sitzung über gravierende Ereignisse und Entwicklungen informiert. Gleichwohl sind wir bestrebt, relevante und bemerkenswerte Aktivitäten und Veränderungen in den Extremismusspektren auch der Öffentlichkeit mitzuteilen. Sei es in wissenschaftlichen Analysen oder anlassbezogenen Lageanalysen im Internet - dem Thema angemessen informieren wir präzise und informativ. Weil wir dazu beitragen, die gesellschaftliche und politische Auseinandersetzung mit dem Extremismus zu führen, leistet der Verfassungsschutz einen aktiven Beitrag zur Prävention, indem er hinsichtlich extremistischer Hintergründe und Entwicklungen sensibilisiert. Wir informieren aber nicht nur in unterschiedlichen Publikationen und über das Internet. Wir halten auch Vorträge für Bildungseinrichtungen und interessierte Organisationen. Zudem veranstaltet der Berliner Verfassungsschutz Symposien zu seinen Themenfeldern. Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 23 Dies sind die Formate der Öffentlichkeitsarbeit im Einzelnen: Publikationen Der Berliner Verfassungsschutz hat mehrere Publikationsreihen entwickelt, um dem unterschiedlichen Informationsbedarf gerecht zu werden. Alle Publikationen können schriftlich bestellt werden und sind im Internet abrufbar. * Verfassungsschutzbericht: Den umfassendsten Überblick über die einzelnen Beobachtungsfelder geben die jährlichen Verfassungsschutzberichte. Sie informieren über das aktuelle Geschehen im extremistischen Spektrum, über die ideologischen Grundlagen des Islamismus, Rechts-, Linksund Ausländerextremismus sowie über die wichtigsten in Berlin vertretenen extremistischen Gruppierungen. * Reihe "IM FOKUS": Die Reihe behandelt einzelne Themenkomplexe des Extremismus wie rechte oder linke Gewalttaten oder Phänomene des Islamismus. Auch eine Broschüre zu Scientology liegt vor. Stärker als im Verfassungsschutzbericht steht die Auseinandersetzung mit der wissenschaftlichen Forschung im Vordergrund. 2016 wurde die Broschüre "Zerrbilder von Islam und Demokratie", die salafistische Argumentationen dekonstruiert, vollständig aktualisiert und neu herausgegeben. * Reihe "INFO": Die "INFO"-Reihe bietet praxisnahe kompakte Informationen über Erscheinungsformen des Extremismus. In dieser Reihe wurde 2016 die Broschüre "Rechtsextremistische Musik" in der vierten Auflage aktualisiert und herausgegeben. * Reihe "Infoflyer": Die Reihe "Infoflyer" klärt in kompakter Form über extremistische Aktivitäten auf, warnt vor Entwicklungen und Gefahren und bietet Hilfestellung bei praktischen Problemen an. * Lageund Wahlanalysen: Diese Reihe bietet kurze Analysen zu Detailthemen. * Die Broschüre "Verfassungsschutz Berlin: Sicherheit, Auflärung, Transparenz" gibt Basisinformationen über Aufgaben und Befugnisse, Arbeitsfelder und Vorgehensweisen des Verfassungsschutzes. 24 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Informationsfilme Erstmalig wurde 2016 ein Kurzfilm erstellt, der eine neue Reihe von Informationsfilmen über die Arbeit des Verfassungsschutzes und seiner Beobachtungsfelder eröffnet. Der Film gibt einen Überblick über die verschiedenen extremistischen Bestrebungen in Berlin, erläutert Ideologien, Strukturen und Betätigungsfelder. Veranstaltungsarbeit Der Berliner Verfassungsschutz hat am 14. Dezember einen Diskussionsabend des "Berliner Forums für Sicherheit und Gesellschaft" veranstaltet. Zum Thema "Muslime im Fokus von Rechtsextremisten" analysierten Experten aus Medien, politischer Bildung und Wissenschaft die Entwicklungen dieses Phänomens innerhalb und außerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Darüber hinaus hat der Berliner Verfassungsschutz zahlreiche Vortragsveranstaltungen durchgeführt. Dabei wurde sowohl über die Extremismusfelder, die der Verfassungsschutz beobachtet, als auch über die Arbeitsweise des Nachrichtendienstes informiert. Die Vortragsveranstaltungen wurden insbesondere von Polizei und Justiz sowie von schulischen und außerschulischen Bildungsträgern angefragt. Gremienarbeit Der Berliner Verfassungsschutz beteiligt sich in der Gremienarbeit am Dialog mit gesellschaftlichen Gruppen. Er arbeitet regelmäßig mit anderen Akteuren im "Berliner Beratungsnetzwerk" gegen Rechtsextremismus zusammen. Zudem gibt es eine Kooperation mit der "Beratungsstelle Kompass" (Deradikalisierungsnetzwerk gegen Salafismus), die mit Mitteln der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom "Violence Prevention Network" betrieben wird, sowie der Bildungsund Beratungsstelle "Annedore" der Stiftung SPI. Darüber hinaus steht der Berliner Verfassungsschutz im Austausch mit zahlreichen Organisationen aus Wissenschaft und Gesellschaft, mit denen er je nach Bedarf und Möglichkeit den Aufbau weiterer Kooperationen anstrebt. Internet Über den Internetauftritt unter www.verfassungsschutz-berlin.de können Aktuelle Meldungen, Informationen über die Grundlagen der Verfassungsschutzarbeit sowie die Veranstaltungen des Verfassungsschutzes Berlin, die Publikationen und der Kurzfilm abgerufen werden. Für Bürger und Politik: Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes 25 Bürgerund Hinweistelefon Das Bürgertelefon als Teil der Öffentlichkeitsarbeit nimmt Ihre Hinweise oder Fragen gerne entgegen. Zu erreichen sind wir unter der Telefonnummer 030 90 129-440 oder unter der E-Mail-Adresse info@verfassungsschutz-berlin.de. Daneben haben wir ein vertrauliches Telefon für Hinweise, z.B. zur Auflärung des islamistischen Terrorismus, an den Berliner Verfassungsschutz eingerichtet: - 030 90 129-400 (in deutscher Sprache) - 030 90 129-401 (in türkischer Sprache) - 030 90 129-402 (in arabischer Sprache) Die eingehenden Nachrichten werden von sprachkundigen Mitarbeitern bearbeitet. Darüber hinaus können auch vertrauliche E-Mails an die Adressen info@ verfassungsschutz-berlin.de oder aman@verfassungsschutz-berlin.de gesendet werden. 26 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 II Aktuelle Entwicklungen in den Beobachtungsfeldern 28 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 1 Islamismus 1.1 Ideologie Islamismus lässt sich als Bestreben politischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts definieren, den Islam zu ideologisieren und dort, wo dies möglich ist, entweder eine islamistische Herrschaft zu errichten oder die Gesellschaft zu islamisieren. Islamisten begreifen den Islam nicht allein als Religion, sondern als Herrschaftsideologie und als Gesellschaftssystem. Sie versuchen, ihre Vorstellungen auf legalem Wege oder gewaltsam durchzusetzen. Das zentrale Ideologem des Islamismus ist die Behauptung, dass der Islam nicht allein "Religion und Welt" verkörpere, sondern darüber hinaus eine unteilbare Einheit von "Religion" und "Politik" bilde. Dem hieraus abgeleiteten politischen Anspruch versuchen Islamisten mit dem Slogan, der Islam sei "Religion und Staat" (arabisch: "al-islam din wa-daula"), Nachdruck zu geben. Dieses ca. 100 Jahre alte Schlagwort wird in Bilddarstellungen häufig mit Koran (für Religion) und Schwert (für Politik) symbolisiert. Kennzeichnend für einige islamistiIslamismus sche Gruppen ist die Favorisierung Islamismus ist eine politische Ideofrühislamischer und mittelalterlicher logie der Neuzeit und steht für die Herrschaftskonzepte - etwa ein gloIdeologisierung der islamischen Rebales Kalifat, in dem die Führungsperligion. Er erhebt den Anspruch, der son (Kalif) zugleich die weltliche und Islam sei nicht nur Religion, sondern die religiöse Herrschaft ausübt. Darauch Herrschaftsideologie und Geüber hinaus begreifen Islamisten die sellschaftsordnung. Verbunden wird islamische Rechtsund Werteordnung dieser Anspruch mit der Forderung Scharia nicht allein als Recht, sondern nach Anwendung der islamischen als politisches und gesellschaftliches Rechtsund Werteordnung Scharia Ordnungsprinzip. So werben sie mit als politisches und gesellschaftliches dem Schlagwort der "Anwendung der Ordnungsprinzip. Scharia" meist für eine vollständige Umsetzung der Bestimmungen des Islamismus 29 islamischen Rechts. Schließlich versuTrotz ideologischer Gemeinsamkei- 1 chen insbesondere gewaltorientierte islamistische Gruppen, Gewalt durch ten der verschiedenen islamistischen Bezüge auf die Religion zu legitimieStrömungen existieren verschiederen. Hierbei reduzieren sie den Begriff ne, teils konkurrierende Konzepte, des Jihad (wörtl. "Bemühung") vorrandie von einer Ablehnung der Demogig auf die Bedeutung von Kampf und kratie bis zur Beteiligung an Wahlen kriegerischer Handlung und verstehen reichen. ihn nicht - wie im islamischen Recht Erhebliche Unterschiede bestehen fixiert - als eine vorrangig zum Zweim Bereich der Gewaltorientierung. cke der Verteidigung muslimischen Während "legalistische Islamisten" Territoriums zulässige Methode. Zunicht gewaltorientiert sind, gibt es dem wird der vermeintlich offensive JiGruppen, die zur Durchsetzung ihrer had zu einer individuellen Pflicht jedes Ziele Gewalt befürworten oder anMuslims erklärt. wenden. Trotz gemeinsamer ideologischer Zum Islamismus gehört auch der Merkmale folgen die islamistischen Salafismus in seiner politischen und Gruppen keinem einheitlichen Konjihadistischen Ausprägung. Hier finzept. Der Islamismus umfasst vielmehr den sich aktuell die radikalsten Aufunterschiedliche bis konkurrierende fassungen innerhalb des islamistiVorstellungen und Agenden, die meist schen Spektrums. von den differierenden politischen und gesellschaftlichen Bedingungen der Herkunftsländer bestimmt werden. Einige verketzern etwa Demokratie als vermeintlich unislamisch, während andere sich an Wahlen in ihrer Heimat beteiligen. Insofern gibt es keinen "Einheits-Islamismus". Abgesehen von den Netzwerken um "al-Qaida" und den "Islamischen Staat" existiert auch nicht so etwas wie eine "islamistische Internationale". Gewaltorientierung In der Frage des Einsatzes von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele bestehen zwischen den Organisationen erhebliche Unterschiede. Das Spektrum reicht von der Ablehnung jeglicher Gewaltanwendung bis zur pseudoreligiösen Legitimation von Terrorismus. Zwei Hauptgruppen sind zu unterscheiden: Die erste Kategorie bilden die nicht-gewaltorientierten Islamisten, die auch als "legalistische Islamisten" bezeichnet werden. Hierzu gehören Gruppen, die entweder nie gewaltorientiert waren (etwa die Anhänger der türkischen "Milli Görüs"-Ideologie) 30 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 oder die - häufig nach langen Phasen des Terrorismus - der Gewalt inzwischen abgeschworen haben (etwa die arabische "Muslimbruderschaft", MB). Das Fehlen der Gewaltorientierung gilt vor allem für die deutschen Ableger der "legalistischen Islamisten". Die zweite Kategorie bilden die gewaltorientierten Islamisten, die sich wiederum in drei Unterkategorien einteilen lassen. Zur ersten Unterkategorie gehören Gruppen, die Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele zwar befürworten, selbst aber vorrangig keine Gewalt ausüben. Dies betrifft etwa die in Deutschland seit Januar 2003 mit einem Betätigungsverbot belegte "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung", HuT). Zur zweiten Unterkategorie gehören Gruppen, die ihre terroristischen Aktivitäten vorrangig auf den Nahen Osten beschränken. Dies gilt etwa für die libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes") und die palästinensische "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS). Die dritte Unterkategorie gewaltorientierter Islamisten bilden schließlich transnational agierende Terrornetzwerke. Hierzu gehört in erster Linie das Netzwerk "al-Qaida" ("die Basis"), von dem inzwischen mehrere feste regionale Zweige existieren sowie die nicht fest mit "al-Qaida" verbundenen Organisationen. Zu den transnationalen Terrornetzwerken zählt seit 2014 der so genannte "Islamische Staat" (IS) in Teilen von Syrien und dem Irak, sowie die jihadistischen Gruppen, die dem selbsternannten Kalifen des IS seither die Treue geschworen haben. Ideologisch hebt sich der IS durch die exzessive Anwendung der "Verketzerung" (arab.: "Takfir") Andersgläubiger von "al-Qaida" ab, womit schwerste Verbrechen gegen Zivilisten und nicht dem IS folgende Muslime legitimiert werden. Salafismus Innerhalb des islamistischen Spektrums erweist sich der Salafismus in seiner politischen und jihadistischen Ausprägung als die seit Jahren dynamischste Bewegung - sowohl in Deutschland als auch auf internationaler Ebene. Salafismus bezeichnet eine unbedingte Orientierung an der muslimischen Urgesellschaft, wie sie im siebten Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel existierte. Salafisten glauben, in den religiösen Quellen des Islam ein genaues Abbild dieser idealisierten islamischen Frühzeit gefunden zu haben und versuchen, die Gebote Gottes wortgetreu umzusetzen. Dies führt häufig zu einer wörtlichen Auslegung des Koran sowie der Sunna (wörtl. Brauch), der Tradition des Propheten und Religionsstifters Muhammad (570-632). Das zumeist wortgetreue Verständnis religiöser Texte kann dazu führen, dass von ihnen frühislamische Herrschaftsund Rechtsformen be- Islamismus 31 fürwortet werden. Diese sind mit den Werten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. 1 Im Gegensatz zu den übrigen islamistischen Gruppen und Ideologien in Deutschland, die wie die "Milli Görüs"-Ideologie, MB, "Hizb Allah", HAMAS und HuT mehrheitlich nicht salafistisch ausgerichtet sind, verkörpert der Salafismus eine eher traditionelle Islamismus-Variante. Hierzu gehört neben der strikten Orientierung an der Gesellschaftsform des ersten muslimischen Gemeinwesens in Medina (gegr. 622 n. Chr.) auch ein Exklusivanspruch des eigenen Islam-Verständnisses gegenüber jeglichen anderen Islam-Interpretationen. So versuchen Salafisten, die Scharia meist in ihrer ursprünglichen Form durchzusetzen und beharren darauf, dass ihre Bestimmungen zeitlos seien und keinesfalls an heutige Umstände angepasst werden dürften. Insbesondere Muslime werden von Salafisten aufgefordert, salafistische IslamInterpretationen zu übernehmen und Vorschriften minutiös zu befolgen. Hierzu schreiben sie ein umfassendes Regelwerk vor. Dieses betrifft das Tragen so genannter "islamischer Kleidung" und die Übernahme alltäglicher Handlungen aus der Zeit des Propheten wie auch einer strikten Geschlechtertrennung und die Abgrenzung von einer nicht-muslimischen Umwelt. Hierzu gehört vor allem die - von den meisten anderen islamistischen Gruppen so nicht praktizierte - Diffamierung als "Ungläubige" (arab.: "kuffar"). Diese zielt bei Salafisten nicht allein auf Juden und Christen, sondern auch auf jene Muslime, die ihre politischen und gesellschaftlichen Auffassungen nicht teilen. Entsprechend gibt es einschlägige Aufforderungen zur Kontaktvermeidung und zum Abbruch der Beziehungen zu sämtlichen so genannten "Ungläubigen" sowie die Zurückweisung jeglicher Integrationskonzepte und Warnungen vor dem Zusammenleben von Nicht-Muslimen und Muslimen. 32 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 1.2 Personenpotenzial Im islamistischen Spektrum wird eine Unterteilung nach der Form der Gewaltorientierung der Organisationen vorgenommen. Zu den gewaltorientierten Organisationen zählen die Kategorien transnationaler islamistischer Terrorismus, Teile des Salafismus sowie regional gewaltausübende und gewaltbefürwortende Islamisten. Die legalistischen Organisationen dagegen lehnen Gewalt zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ab. Transnationale terroristische Netzwerke wie "al-Qaida", bzw. das "Islamische Emirat Kaukasus" und die "Mujahidin-Netzwerke", wozu auch die Terrororganisation "Islamischer Staat" zählt, agieren äußerst klandestin, haben unterschiedliche Strukturen und sind teilweise miteinander vernetzt. Das Personenpotenzial terroristischer Netzwerke in Deutschland ist quantitativ kaum zu erfassen. Das Personenpotenzial im Salafismus ist in Deutschland zwischen 2015 und 2016 von bundesweit 7 900 auf 9 400 Personen erneut deutlich angewachsen, gegenüber dem Vorjahr ist der Aufwuchs prozentual etwas höher. Seit Ende 2011, als das Personenpotenzial im Salafismus erstmals bundesweit mit 3 800 Personen angegeben wurde, hält die rasante Zunahme dieses Personenkreises unvermindert an. In Berlin ist bis Ende 2016 eine Zunahme von 680 auf 840 Salafisten zu verzeichnen, von denen 380 als gewaltorientiert gelten. Der Salafismus ist auch 2016 die am dynamischsten wachsende Bestrebung des Islamismus in Deutschland und auch in Berlin. Regional gewaltausübende Organisationen agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch. Sie verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und größtenteils gewaltfrei. Daneben existieren islamistische Gruppen, die Gewalt befürworten, selbst aber kaum gewaltausübend in Erscheinung treten. Das Personenpotenzial der regional gewaltausübenden Islamisten und das der gewaltbefürwortenden islamistischen Gruppen in Berlin ist 2016 mit zusammen 405 Personen gleich geblieben. Auch das Personenpotenzial legalistischer islamistischer Gruppierungen hat sich in Berlin 2016 nicht verändert. Von den 620 legalistischen Islamisten in Berlin sind 500 der "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) zuzurechnen, die übrigen 120 der "Muslimbruderschaft" (MB). Islamismus 33 Personenpotenzial Islamismus* Berlin 1 2015 2016 Transnationaler islamistischer Terrorismus, davon: mindestens 25 mindestens 25 Mujahidin-Netzwerke keine keine (z.B. al-Qaida / Islamischer Staat) gesicherten Zahlen gesicherten Zahlen Islamisches Emirat Kaukasus 25 25 Salafistische Bestrebungen 680 840 Regional gewaltausübende und gewaltbefürwortende 405 405 islamistische Gruppen, davon: Regional gewaltausübende Gruppen, davon: 320 320 Hizb Allah 250 250 HAMAS 70 70 Gewaltbefürwortende Gruppen, davon: 85 85 Hizb ut-Tahrir (HuT) 35 35 Sonstige 50 50 Legalistischer Islamismus, davon: 620 620 Muslimbruderschaft (MB) / IGD 120 120 "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) 500 500 Gesamt 1 730 1 890 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. 1.3 Anschläge in Deutschland und Europa Stärker als je zuvor stand Deutschland im Fokus des islamistischen Terrorismus. Es gab eine Serie jihadistisch motivierter Anschläge, für deren Begehung radikalisierte Einzeltäter bzw. Kleingruppen ohne eine feste Anbindung an eine Terrororganisation verantwortlich waren. 1.3.1 Anschlag in Berlin Der schwerste Anschlag in Deutschland ereignete sich am Abend des 19. Dezember in Berlin, der zwölf Menschenleben und 67 Verletzte forderte. Der tunesische Jihadist Anis Amri war mit einem gestohlenen Schwerlaster, dessen polnischen Fah- 34 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 rer er erschossen hatte, in die Budengasse des Weihnachtsmarktes auf dem Breitscheidplatz an der Gedächtniskirche gerast. Auf einer Strecke von ca. 80 Metern erfasste Amri Menschen und Verkaufsstände, bevor der Lastzug durch seine elektronischen Assistenzsysteme gestoppt wurde. Neben sieben Deutschen starben Bürger aus Tschechien, der Ukraine, Israel und Italien. Der Attentäter konnte nach dem Anschlag fliehen und begab sich zunächst in die Niederlande. Seine Flucht per Fernbus und Bahn führte ihn dann über Frankreich nach Norditalien. In den Morgenstunden des 23. Dezember fiel er an einem Bahnhof im Großraum Mailand einer italienischen Streife auf. Als diese ihn kontrollieren wollte, verletzte er mit einem Schuss einen Polizisten und wurde erschossen. Anis Amri war bereits 2011 nach Italien geflohen, nachdem er in Tunesien mehrere Straftaten verübt hatte. Nach einer gemeinschaftlichen Brandstiftung wurde er in Italien zu vier Jahren Haft verurteilt, in der er sich salafistisch radikalisiert haben soll. Kurz nach seiner Entlassung hatte er sich im Juni 2015 den Flüchtlingsströmen nach Nordeuropa angeschlossen und bei seinen Anmeldungen in Flüchtlingseinrichtungen in Deutschland insgesamt 14 Identitäten verwendet. Dabei soll er auch doppelte Sozialleistungen erschlichen haben. Nach der Ablehnung seines Asylbegehrens war Amri ausreisepflichtig. Amri wechselte seinen Aufenthaltsort mehrfach zwischen Nordrhein-Westfalen und Berlin. In Berlin hatte er mindestens drei Moscheen besucht, darunter mehrmals die "Fussilet-Moschee" in Moabit, die sich zum Treffpunkt für Sympathisanten des IS entwickelt hatte und am 8. Februar 2017 verboten wurde.11 Am 23. Dezember veröffentlichte die IS-nahe "Nachrichtenagentur" "A'maq"12 ein knapp dreiminütiges Video, das Amri in Berlin mutmaßlich selbst gedreht hat. In dem Video leistet er den Treueeid (Bay'a) auf den "Kalifen" des IS und droht den westlichen "Kreuzzüglern" mit Rache für die Tötung von Muslimen. Bei der Tat des Amri handelte es sich um den zweiten schweren Anschlag in Europa binnen eines Jahres, der mit einem Schwerlaster erfolgte. Bereits am 14. Juli hatte ein aus Tunesien stammender Jihadist auf der Strandpromenade in Nizza 86 Menschen mit einem LKW getötet und mehr als 400 verletzt. Die Art und Weise der Tatbegehung weist Parallelen auf und folgt mutmaßlich vorgeschlagenen Attentatsmustern in jihadistischen Propaganda-Magazinen. 11 Vgl. S. 63. 12 Vgl. S. 47f. Islamismus 35 Propaganda des IS glorifiziert Anschlag in Berlin und droht Deutschland Anfang Januar 2017 erschien die fünfte Ausgabe des IS-Magazins "Rumiyah"13 auf 1 dem IS zugerechneten Konten in Messengerdiensten. In der deutschsprachigen Ausgabe nimmt das Magazin auf zwei Seiten Bezug zu dem Anschlag in Berlin und verbindet die Lobpreisung des Attentäters Amri mit scharfen Drohungen gegen Deutschland. Mit der Ausführlichkeit des Artikels "Grenzenloser Terror" weicht die deutsche Ausgabe markant von den anderssprachigen ab. Hier wurde die Propaganda auf die Zielgruppe im deutschen Sprachraum zugeschnitten. Nachdem den Jihadisten in Deutschland zu einer "weiteren erfolgreichen Operation in Deutschland" gratuliert wurde, betonte der Artikel unter Bezug auf die behauptete Existenz von weiteren IS-Terrorzellen: "Dieser Anschlag ist nur der neueste Teil einer Serien von gesegneten Anschlägen, die von den mutigen, verdeckt in Deutschland operierenden Mudschahidin des Islamischen Staates ausgeführt wurden." 14 Anschließend wurde Deutschland in bislang nicht gekannter Deutlichkeit zu den "Kreuzfahrer-Nationen" gezählt, da es US-Militärstützpunkte beherberge, sich aktuell an der Anti-IS-Koalition beteilige und die kurdischen Peschmerga mit Waffen und Ausbildung unterstütze: "Zweifellos steht Deutschland ganz oben auf der Liste der Kreuzfahrer-Nationen, die sich am von den USA-geführten Kreuzzug gegen den Islamischen Staat und die muslimische Ummah (Gemeinde) beteiligen [...]" 15 13 Vgl. S. 46. 14 In: "Rumiyah", Ausgabe 5, Januar 2017, S.10. Schreibweise im Original. 15 In: "Rumiyah", Ausgabe 5, Januar 2017, S.11. 36 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Der Artikel schließt mit einer Attentatsdrohung, die explizit so genannte "weiche" Ziele umfasst, die sich in einer freiheitlichen Gesellschaft nicht vollständig schützen lassen: "[...] dies (ist) [...] erst der Anfang einer langwährenden Serie von Operationen, denn ihr seid nicht sicher vor den Mudschahidin (Gotteskämpfern), die unerkannt in eurer Mitte sind. Eure Schulen, Kirchen, Einkaufsmeilen und Wochenmärkte sind ungeschützt und ein leichtes Ziel! So macht euch auf etwas gefasst [...]" 16 1.3.2 Weitere Anschläge Bereits vor dem Anschlag in Berlin gab es mehrere islamistisch motivierte Anschläge, die sich nach der Art der Begehung, den Tätern und den Zielen unterschieden. Ansbach: erstes jihadistisches Selbstmordattentat in Deutschland Am 24. Juli kam es im bayerischen Ansbach zum ersten jihadistischen Selbstmordanschlag in Deutschland. Der 27 Jahre alte syrische Flüchtling Mohammad Daleel zündete in seinem Rucksack eine Bombe. Die Explosion im Außenbereich eines Lokals in der Altstadt verletzte 15 Personen, davon vier schwer. Der Attentäter selbst war das einzige Todesopfer. Der Jihadist hatte zuvor versucht, ohne Eintrittskarte die Kontrollen zu einem Musikfestival zu passieren. Als dies misslang, begab er sich zum unweit gelegenen Lokal, wo der Sprengsatz möglicherweise vorzeitig zündete. Daleel soll ursprünglich die Fernzündung der Bombe in einer Menschenmenge geplant haben mit dem Auftrag, die Explosion zu filmen, mutmaßlich für eine spätere propagandistische Verwendung. Im Nachgang zur Tat wurde ein Videobekenntnis des Attentäters in seiner Wohnung gefunden, in dem Daleel, wohl einer Textvorlage folgend, seine Treue zum "Kalifen" des IS bekundet. Drei Tage nach dem Anschlag nannte die IS-nahe "Nachrichtenagentur" "A'maq" den Jihadisten einen "Soldaten des Kalifats". 16 In: "Rumiyah", Ausgabe 5, Januar 2017, S.11. Islamismus 37 Würzburg: minderjähriger Flüchtling greift Touristen in Zug an Am Abend des 18. Juli kam es in einer Regionalbahn bei Würzburg zum Angriff 1 eines 17-jährigen Flüchtlings. Mit einem Beil und einem Messer verletzte der Minderjährige fünf Menschen, darunter vier Mitglieder einer fünföpfigen Touristenfamilie aus Hongkong, teils lebensgefährlich. Als er nach dem Nothalt des Zuges flüchtete, wurde er bei dem Versuch, nach ihm fahndende Polizisten anzugreifen, erschossen. Der Täter, Riaz Ahmadzai, mutmaßlich aus Afghanistan, war Ende 2015 als unbegleiteter Minderjähriger nach Deutschland gekommen und hatte bis zur Tat bei einer Pflegefamilie gewohnt. Vermutlich nach dem Tod eines Freundes in seiner Heimat hatte er sich zur Tat bereitgefunden und Kontakt zu Mitgliedern des IS hergestellt. Am Tag nach dem Anschlag wurde über "A'maq" ein Videobekenntnis veröffentlicht, in dem der Attentäter in paschtunischer Sprache mit arabischen Untertiteln ausführte, mit der Tat ein an Zivilisten im Nahen Osten vermeintlich verübtes Unrecht rächen zu wollen: "Ich bin einer der Soldaten des Kalifats und ich werde eine Märtyrer-Operation in Deutschland durchführen. Oh, ihr Ungläubigen, die Zeiten sind nun vorüber, in denen ihr in unsere Länder gekommen seid, um unsere Männer, Frauen und Kinder zu töten. Niemand hat euch zur Rechenschaft ziehen können. [...]. Die Soldaten des Kalifats werden euch [...] erreichen und euch in euren eigenen Häusern abschlachten. [...]" 17 Das Besondere der Anschläge in Ansbach und Würzburg ist, dass die Täter bis zur unmittelbaren Tatausführung über Kommunikationsdienste auf ihren Smartphones mit Hintermännern des IS, mutmaßlich in Saudi-Arabien, in Kontakt standen. Dies war bei anderen Anschlägen in Europa bislang nicht der Fall. Der minderjährige Attentäter Riaz Ahmadzai hat höchstwahrscheinlich seinen Angriff mit einem Beil gegenüber seinem Kontaktmann angekündigt. Dieser hatte ihn zunächst aufgefordert, doch besser ein Fahrzeug als Tatmittel zu nutzen. Erst dessen Hinweis, kein Fahrzeug steuern zu können und gegenwärtig auf einen Zug zu warten, brachte den Kontaktmann von anderen Tatszenarien ab. Auch als der Attentäter von Ansbach am Eingang des Konzertgeländes abgewiesen wurde, bestärkte ihn sein Kontaktmann, sich dem Lokal als nächstgelegene Alternative für einen Anschlag zu nähern. 17 Übersetzung der arabischen Untertitelung. 38 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Hannover: Messerangriff einer 15-Jährigen auf Bundespolizist in Hannover Am 26. Februar hatte die 15-jährige Deutsch-Marokkanerin Safia S. vor dem Hauptbahnhof Hannover durch ihr Verhalten eine Personenkontrolle der Bundespolizei ausgelöst. Dabei verletzte sie einen Beamten unvermittelt durch einen Messerstich in den Hals lebensgefährlich. Der Beamte überlebte nur durch eine Notoperation. Die Jugendliche hatte im Vorfeld über Kontakte zum IS verfügt und sich im Januar in der Türkei aufgehalten, mutmaßlich, um sich dem IS anzuschließen. Safia S. hatte schon seit Jahren Kontakte zur salafistischen Szene. Bereits als Neunjährige war sie bei Koran-Lesewettbewerben aufgetreten und von Protagonisten der deutschen Salafistenszene ausgezeichnet worden. Das Oberlandesgericht Celle verurteilte die inzwischen 16-Jährige am 26. Januar 2017 zu sechs Jahren Jugendhaft wegen versuchten Mordes und Unterstützung einer ausländischen Terrorvereinigung. Ein Bekannter von Safia S. erhielt eine Jugendstrafe von zweieinhalb Jahren wegen der Nichtanzeige einer geplanten Straftat. Er hatte von den Tatplanungen Kenntnis und diese auch ernst genommen. Beide Urteile sind noch nicht rechtskräftig.18 Essen: Bombenanschlag einer Kleingruppe auf Sikh-Tempel Am 16. April wurde während einer Hochzeitsfeier ein Bombenanschlag auf das Gebetshaus der Sikh-Gemeinde in Essen verübt, der drei Personen verletzte, darunter einen Priester schwer. Wenige Tage später stellte sich der 17-jährige Yusuf T. der Polizei und benannte zwei 16-Jährige als Mittäter. Die Ermittlungen zeigten, dass die drei Verdächtigen Mitglieder einer salafistischen Gruppe in einem OnlineNetzwerk gewesen waren und dort den "Islamischen Staat" verherrlichten. Yusuf T., mutmaßlich Haupttäter des Anschlags, hatte sich in der Gruppe als "Amir" (Anführer, Befehlshaber) bezeichnet. 18 Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Celle vom 26.1.2017. Islamismus 39 Am 7. Dezember begann vor dem Landgericht Essen das Jugendstrafverfahren gegen die drei minderjährigen Tatverdächtigen, die wegen versuchten Mordes, 1 gefährlicher Körperverletzung und Herbeiführung einer Explosion angeklagt sind. Bereits im Sommer waren zwei Mitwisser zu Haftstrafen verurteilt worden, die einmal zur Bewährung ausgesetzt wurde. Sie hatten sich durch die Teilnahme an einer Probesprengung im Winter der Vorbereitung einer Terrortat schuldig gemacht, ohne bereits das spätere Anschlagsziel in Essen zu kennen. Am 21. März 2017 verurteilte das Landgericht Essen die drei Heranwachsenden wegen gemeinschaftlich versuchten Mordes und Körperverletzung zu langen Haftstrafen nach Jugendstrafrecht. Yusuf T. wurde zu sieben, sein Mittäter zu sechs Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Ein zweiter Mittäter, der den Tipp auf die Sikh-Gemeinde gegeben hatte, aber bei der Tatausführung nicht dabei war, erhielt wegen Verabredung zum Mord eine Jugendstrafe von sechs Jahren.19 Frankreich: Zahlreiche Anschläge Frankreich war 2016 das europäische Land, das am häufigsten von islamistischen Anschlägen betroffen war. Neben dem Anschlag in Nizza gab es weitere Terroranschläge wie die Ermordung eines Polizistenpaares in Magnanville nordwestlich von Paris am 13. Juni durch einen Einzeltäter und den Angriff auf eine Kirche in der Normandie-Stadt Saint-Etienne-du-Rouvray am 26. Juli durch zwei Täter, bei dem ein katholischer Priester ermordet wurde. Alle drei Taten, bei denen alle vier Täter von Sicherheitskräften erschossen wurden, hat der IS propagandistisch für sich reklamiert. Den schwersten islamistischen Anschlag verübte ein vom IS inspirierter Jihadist am 14. Juli, dem französischen Nationalfeiertag, als er mit einem Lastwagen durch die Menschenmenge auf der abgesperrten Uferpromenade im südfranzösischen Nizza raste. Mit dem Fahrzeug tötete er 86 Menschen und verletzte mehr als 300 teils schwer. Unter den Todesopfern aus 21 Nationen befanden sich auch drei Personen aus Berlin. Der Täter Mohamad Bouhlel, 31-jähriger Tunesier, der als Lieferfahrer legal in Frankreich lebte, wurde noch im Fahr19 Pressemitteilung des Landgerichts Essen vom 21.3.2017, AZ: 12 b E - 1.37. 40 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 zeug von Polizisten erschossen. Die Ermittlungen zeigten, dass der Vater von drei Kindern mit kleinkrimineller Vergangenheit IS-Propaganda konsumiert und die Tat über Monate geplant hatte. Der IS, der mutmaßlich nicht an der Planung und Ausführung des Anschlags mitwirkte, hat diesen jedoch propagandistisch initiiert und den Täter später als "Soldaten des Kalifats" heroisiert, der diejenigen angegriffen habe, die sich an der Allianz gegen den IS beteiligen. Vorlage für die Begehungsweise dieses Anschlags scheinen aber Empfehlungen zu sein, die sich im jihadistischen Magazin "Inspire" des jemenitischen "al-Qaida"-Ablegers bereits 2010 finden. In einer eigenen Rubrik mit Anleitungen zur Durchführung von Terroranschlägen wurde empfohlen, als "ultimative Mähmaschine" einen Kleinlaster mit Stahlklingen auszurüsten und in eine Fußgängerzone zu fahren.20 Auch die Empfehlung des Beitrags, der Fahrer solle sich bewaffnen, um weiter zu töten, nachdem man sein Fahrzeug gestoppt hätte, ist vom Täter in Nizza umgesetzt worden. Belgien: Selbstmordanschläge in Brüssel Am 22. März wurde die belgische Hauptstadt von Selbstmordattentätern des IS angegriffen. Zwei Jihadisten zündeten morgens am Flughafen im Abstand von Sekunden ihre Sprengsätze, ein weiterer eine Stunde später in einer U-Bahnstation der Brüsseler Innenstadt. Die Bomben töteten 32 Menschen und verletzten mehr als 300. Ein vierter Selbstmordattentäter, der als dritter Täter am Flughafen seinen Sprengsatz nicht gezündet hatte, konnte später festgenommen werden. Der IS bekannte sich zeitnah über die ihm nahestehende "Nachrichtenagentur" "A'maq" zu dem Anschlag, offenbar aber ohne über Detailwissen zu verfügen. Der IS habe sich damit für die Beteiligung Belgiens an der Anti-ISKoalition rächen wollen. Die Ermittlungen führten zur Festnahme von etwa einem Dutzend Verdächtigen und zeigten, dass der Anschlag von einem größeren Personengeflecht geplant und ausgeführt wurde, das mit den Anschlägen in Paris im November 2015 in enger Verbindung stand. Weitere Attentatspläne dieses grenzübergreifenden belgisch20 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2010. Berlin 2011, S. 12 f und zum Magazin "Inspire" Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013. Berlin 2014, S. 51 ff. Islamismus 41 französischen Netzwerks hatten sich mutmaßlich gegen Frankreich gerichtet, wurden aber wegen des hohen Fahndungsdrucks, der die Jihadisten ihre Entde- 1 ckung fürchten ließ, geändert und Brüssel als Ziel vorzeitig gewählt. 1.3.3 Unterschiedliche Tätertypen Bei der Einordnung und Bewertung des Anschlagsgeschehens in Deutschland und Europa in den letzten Jahren, vor allem aber seit den konzertierten Attentaten in Paris im November 2015 ist es hilfreich, die Täter, deren Hintergründe und ihre Beziehungen zu Terrororganisationen zu betrachten. Es lassen sich je nach Art der Beziehungen drei jihadistische "Tätertypen" voneinander abgrenzen. Zu unterscheiden sind demnach Täter, die fest in eine Terrororganisation eingebunden sind, solche, die nur zeitweise an eine Terrororganisation angebunden sind sowie solche, die losgelöst von einer Terrororganisation als "Inspirierte" handeln. Der erste Tätertypus bezieht sich auf Personen bzw. Gruppen, die über eine feste Anbindung an eine terroristische Vereinigung im Ausland verfügen und typischerweise durch Aufenthalte in den Heimatregionen dieser Terrororganisation Gelegenheit hatten, als Mitglieder aufgenommen und im Umgang mit Waffen ausgebildet zu werden. Dieser Tätertyp wird mit dem klaren Auftrag in sein Herkunftsland, bzw. in sein durch eine Migrationsbiographie entstandenes Bezugsland entsandt, terroristische Aktivitäten zu entwickeln. Dabei wirkt die Terrororganisation bei Zielauswahl und Finanzierung mit. Zu diesem Tätertypus zählen z.B. die Terrorgruppen, die der IS im Sommer und Herbst 2015 unter Ausnutzung der Flüchtlingsströme nach Frankreich und Belgien entsandte. Diese Gruppen verübten die Anschläge in Paris im November 2015 und in Brüssel im März 2016 mit zusammen über 160 Toten. Ein bedeutsames Beispiel für diesen Tätertypus ist aus deutscher Sicht die "Düsseldorfer Zelle" 21, deren vier Mitglieder im November 2014 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren. Dem Anführer der Zelle war es 2010 gelungen, in der afghanisch-pakistanischen Grenzprovinz Waziristan mit Angehörigen der Kern-"al-Qaida"-Führung in Kontakt zu treten. Diese beauftragten ihn, in Deutschland weitere Jihadisten zu rekrutieren, um Anschläge zu begehen. Die Herausforderungen der Sicherheitsbehörden liegen hier einerseits in der internationalen Kooperation mit dem Ziel, Gruppenbildungen und Reisebewegungen gewaltbereiter Jihadisten zu erkennen. Andererseits bieten sich den Behörden Chancen, die oft langwierigen Tatplanun21 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2014. Berlin 2015, S. 26. 42 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 gen aufzudecken, wenn die Mitglieder der Gruppe Aktivitäten zur Tatvorbereitung ergreifen, die beobachtbar sind. Den zweiten Tätertypus bilden Personen bzw. Gruppen, die zeitweise über Kontakte zu einer Terrororganisation im Ausland verfügt haben. Aus unterschiedlichsten Gründen - von Kriegsverletzungen, familiären Problemen bis hin zum Motivationsmangel - kehren diese in ihre Herkunftsbzw. Bezugsländer zurück. Dort agieren sie dann ohne eine Auftragserteilung oder Unterstützung bei Logistik und Finanzierung. Aus diesem Tätertypus ergibt sich die "Rückkehrer-Problematik", eine spezifische Gefährdung, die von Personen ausgeht, die zuvor im Umgang mit Waffen und Sprengstoff sowie in Kampftechniken ausgebildet worden sind und bei Kämpfen brutalisiert wurden. Hinzu kommt das Risiko, dass diesen Rückkehrern, die oft über breit gestreute, auch internationale Kontakte verfügen, in ihren vormaligen Bezugsgruppen nun als "gestandene Jihadisten" ein hohes Maß an Ansehen zuerkannt wird. Damit können sie ihrerseits den Anfangspunkt für die Gründung neuer terroristischer Zellen bilden, in denen sie dann als Anführer agieren. Ein Beispiel hierfür ist der Anschlag des Mehdi Nemmouche vom 24. Mai 2014 auf das jüdische Museum in Brüssel mit vier Todesopfern. Die von "ausländischen Kämpfern" (engl.: "foreign fighters") ausgehenden Gefahren stehen seit einigen Jahren im Zentrum der Arbeit deutscher wie europäischer Sicherheitsbehörden. Die mit jihadistischer Motivation erfolgten Reisebewegungen22 in den Krisenraum Syrien und Irak sind Gegenstand ständiger Überwachung und haben in Deutschland zu einer hohen Zahl an Ermittlungsund Strafverfahren geführt. Den dritten Tätertypus bilden ungebundene Einzelpersonen bzw. Kleinstgruppen, die im Regelfall über keine Kontakte zu einer terroristischen Organisation verfügen. Die Tatplanungen und die Zielauswahl dieser Jihadisten erfolgen vollständig autonom, weswegen sie auch als "einsame Wölfe" (engl.: "lone wolves") bezeichnet werden. Die Aufdeckung von Tatplanungen, die von "einsamen Wölfen" ausgehen, ist äußerst schwierig und, soweit sich diese außerhalb erkannter islamistischer Strukturen bewegen, nahezu unmöglich. Vor allem bei diesem Tätertypus - oftmals junge, charakterlich ungefestigte Persönlichkeiten - entfaltet die jihadistische Propaganda ihre stärkste Wirkung. Für 22 Vgl. S. 54f. Islamismus 43 diese "Inspirierten", die durch den Konsum von Propaganda "jihadistisch inspiriert" werden, besteht das Risiko, dass die Zeitspanne zwischen Tatplanung und 1 Tatausführung sehr kurz sein kann. Beispielhaft für eine kurzfristige Tatausführung mit Propagandabezug gilt in Deutschland der Anschlag des Arid Uka, der im März 2011 am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten erschoss und weitere verletzte, nach dem er zuvor Propaganda konsumiert hatte, die die vorgebliche Vergewaltigung einer Muslimin zeigte. Obgleich die Übergänge der Kategoriengrenzen dieser Modellsicht im Einzelfall durchaus fließend sein können, sind alle jihadistisch motivierten Anschläge, die in Deutschland ausgeführt werden konnten, sowie der Anschlag in Nizza der dritten Kategorie zuzurechnen. Alle Täter waren "Inspirierte", auf die jihadistische Propaganda intensiv eingewirkt hatte. Im Falle des Anschlags auf das Gebetshaus der Sikh-Gemeinde in Essen handelte es sich um eine Kleingruppe "einsamer Wölfe". Safia S., die jugendliche Attentäterin in Hannover, hat darüber hinaus Versuche unternommen, in die vom IS kontrollierten Gebiete auszureisen. Bei den Tätern in Ansbach, Würzburg und Berlin handelte es sich um Asylsuchende bzw. um Flüchtlinge. Den Tätern in Nizza und in Berlin wurde eine kriminalitätsbelastete Biographie nachgewiesen. Eine kriminelle Vergangenheit hatte auch die Mehrheit der Gruppenmitglieder, die die Anschläge in Paris und in Brüssel verübten, sie zählen jedoch zur ersten Kategorie. Eine Besonderheit weisen die Anschläge in Würzburg, Ansbach und Hannover auf, obwohl sie der Kategorie der ungebundenen Einzeltäter zuzurechnen sind: Alle Täter hatten im Vorfeld ihrer Anschläge Kontakte zu Hintermännern des IS, mutmaßlich im Ausland. Bei den Taten in Ansbach und Würzburg gilt zudem als gesichert, dass sie bis zur unmittelbaren Tatausführung mit diesen über Kommunikationsdienste auf ihren Smartphones Ratschläge erhielten und zur Tat ermutigt wurden. Diese "virtuelle Anbindung" an eine Terrororganisation ist ambivalent zu bewerten: Einerseits scheint ein Internetkontakt zu Personen, deren tatsächliche Anbindung an die Terrororganisation aus der Sicht eines radikalisierten Attentäters nicht völlig sicher sein kann, wenig geeignet, bereits eine formale Zugehörigkeit zu dieser Terrororganisation herzustellen. Andererseits ist es für die "einsamen Wölfe" entscheidend, auf die Wirksamkeit ihres vorher nur virtuell geleisteten Treueschwurs auf den so genannten "Kalifen" des IS vertrauen zu können. Sie müssen sich sicher sein, auch nach ihrem stets einkalkulierten Tod bei der Tat- 44 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 ausführung in der Propaganda, z.B. der des IS, als "Soldat des Kalifats" Anerkennung zu finden. Weitere Erkenntnisse zur Vorgehensweise von Jihadisten müssen zeigen, ob es sich hier um eine gesondert zu betrachtende Gruppe der "einsamen Wölfe mit virtueller Anbindung" an eine Terrororganisation handelt. 1.3.4 Jihadistische Propaganda Insbesondere die Anschläge von Würzburg, Hannover und Essen stehen beispielhaft dafür, dass die Propaganda des IS geeignet ist, insbesondere junge Menschen - oftmals auch Minderjährige - zu radikalisieren. Das Versprechen des IS, sie als "Soldaten des Kalifats" für ihre Taten - und gegebenenfalls auch für ihren Tod - zu rühmen, scheint zudem in mehreren Fällen zur Motivation für die Anschläge beigetragen zu haben. Bereits lange vor der Anschlagsserie 2016 stand Deutschland im Fokus jihadistischer Drohpropaganda. Dabei hat sich die mittlerweile mehrsprachige Propaganda professionalisiert, deren Formate wurden spezifiziert (Audios, Videos, Text oder Kurznachrichten) und auf unterschiedliche Zielgruppen zugeschnitten. Die Propaganda richtet sich vor allem an ein in Deutschland seit Jahren anwachsendes salafistisches Personenpotenzial, das sich bis zur Gewaltorientierung radikalisieren kann. Leitmotiv der Propaganda ist die Behauptung, Deutschland beteilige sich an einem "Kampf gegen den Islam" mit dem Ziel, diesen zu vernichten. Zur Begründung werden z.B. die Beteiligung an der Anti-IS-Koalition und die Unterstützung der kurdischen Peschmerga im Nordirak angeführt. Als weitere Motive gelten die vermeintliche Demütigung der Muslime und die Beleidigung islamischer Symbole. Hierzu zählt vor allem die klare Haltung der Bundesregierung im Streit um die in der dänischen Presse 2005 erschienen "Mohammad-Karikaturen" sowie die Ehrung eines ihrer Zeichner durch die Bundeskanzlerin 2010. Seit 2014 dominiert der so genannte "Islamische Staat" die jihadistische Propaganda und produziert fast täglich aufwendige und qualitativ hochwertige Audiound Videobotschaften sowie Publikationen, die dem Nutzungsverhalten eines medienaffinen Publikums entsprechen. Es sind oftmals junge Menschen aus den salafistischen Milieus, bei denen die Propaganda verfängt. Das belegen zahlreiche Ausreisefälle in das Konfliktgebiet Syrien/Irak. Die Propaganda des IS forderte aber nicht länger in erster Linie zur Ausreise auf, deren Hürden auch aufgrund staatlicher Maßnahmen zunehmend schwerer zu Islamismus 45 überwinden waren. Gefordert wurde vielmehr, den Jihad in den "Ländern der Ungläubigen" und "Kreuzzügler" auszuüben, ganz gleich mit welchen Mitteln. Dass 1 die Gefahr besteht, dass diese Propaganda Wirkung entfaltet, legte bereits die neunte Ausgabe des Jihad-Magazins "Inspire"23 von 2012 nahe, in der die Herausgeber verkündeten, dass man zahlreiche Anfragen junger "erwachter Muslime" aus westlichen Ländern erhalte, in denen diese anfragten, wie man gewaltbereite Jihadisten im Westen unterstützen könne. Die Wirkung jihadistischer Propaganda scheint auch die Wahl der Anschlagsziele in Deutschland beeinflusst zu haben. Die Auswahl ist symbolbehaftet, aber auch willkürlich. Mit dem Weihnachtsmarkt an einem geschichtsträchtigen Ort im Zentrum der deutschen Hauptstadt und dem Musikfestival in Ansbach sollten Symbole westlicher Lebensweise angegriffen werden, einmal mit Bezug zum Christentum und einer Weltstadt, im anderen Fall mit Bezug zu einem unbeschwerten Musikgenuss beider Geschlechter in einer freiheitlichen Gesellschaft. Der Anschlag auf den Sikh-Tempel in Essen scheint sich dem gegenüber mutmaßlich gegen eine Religionsgemeinschaft gerichtet zu haben, die von jihadistischen Salafisten als Ungläubige diffamiert wird. Der Angriff auf Touristen in einem Regionalzug bei Würzburg scheint eher willkürlich, ebenso wie der Angriff in Hannover auf einen Bundespolizisten, der auch willkürlich (irgend)einem Repräsentanten des Staates galt. Neben den Drohungen gegen Deutschland, die von der Führungsebene einer Terrororganisation ausgehen und im Regelfall fremdsprachig sind, gelang es deutschsprachigen Jihadisten über die Jahre mehrfach, in den Propagandaorganen verschiedener Terrororganisationen "aufzusteigen" und zu propagandistischen "Sprachrohren" zu werden. Damit konnten sie - gerade gegenüber jungen Salafisten - eine deutlich zielgruppengerechtere Ansprache gewährleisten. Zu den bekanntesten Medien des IS zählen aktuell die Internetmagazine "Dabiq" und "Rumiya" sowie die "Nachrichtenagentur" "A'maq". 23 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2012. Berlin 2013, S. 26. 46 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Rumiyah Bei dem Internetmagazin "Rumiyah" (arabisch für "Rom") handelt es sich um ein Propagandamagazin des IS. Dass Magazin wird von dessen Medienzentrum "alHayat" in unregelmäßiger Folge und in zahlreichen Sprachen herausgegeben und über verschiedene Kanäle in sozialen Netzwerken verbreitet. "Rumiyah" erschien erstmals Anfang September und ist mittlerweile das führende Propaganda-Format des IS. Im Vergleich zu anderen Formaten der IS-Propaganda sind die Inhalte weniger vom Streben geleitet, das "staatliche Handeln" des IS darzustellen und theologisch zu legitimieren. In "Rumiyah" dominieren lange, aber theologisch wenig anspruchsvolle Ausführungen über die Illegitimität westlicher wie orientalischer Regierungen und die Akte des Unglaubens, die die Feinde des IS fortlaufend begingen. Hinzu kommen "Märtyrergeschichten", die das Heldentum zu Tode gekommener Attentäter preisen. Gemeinsam ist dieser Propaganda eine Vernichtungsrhetorik, die von jedem Sympathisanten an jedem Ort die Begehung von Anschlägen gegen die genannten Feinde verlangt, egal mit welchen Mitteln. Diese bedingungslose Forderung, die Vergeltung für vermeintlich erlittenes Unrecht in die Heimatländer der "Feinde" zu tragen, entspricht der geänderten Terrorstrategie des IS und wäre damit eine "propagandistische Antwort" auf die gegenwärtig bedrängte Lage des IS. Dabiq Das Internetmagazin "Dabiq"24 zählte bis Mitte 2016 zu den führenden Propagandaformaten des IS. Inhaltliche Schwerpunkte waren die Verbreitung jihadistischer Ideologie, die vermeintlich religiöse Legitimation ihres gewaltsamen Vorgehens auch gegen Zivilisten und nicht dem IS anhängende Muslime sowie die Dokumentation von Kampfhandlungen. Letztmals erschienen ist "Dabiq" als 15. Ausgabe Ende Juli. Möglich scheint, dass die aktuelle Lage des IS mit einem zunehmenden militärischen Druck die erneute Herausgabe seither verhindert hat. Auffällig ist wegen seines Deutschlandbezugs ein Artikel in der 14. Ausgabe von "Dabiq", die im April erschien. Unter dem Titel "Töte die Vorbeter (Imame) des Unglaubens 24 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2014. Berlin 2015, S. 39 f. Islamismus 47 im Westen" wird in einem mehrseitigen Artikel dargelegt, warum eine ganze Reihe bekannter muslimischer Prediger "Akte des Unglaubens" begangen hätten. In deren 1 Folge seien sie zu Ungläubigen geworden, die es zu töten gelte. Die Beispiele umfassen nicht nur schiitische oder sufische Prediger, sondern auch salafistische, darunter den gut vernetzten Vertreter des politischen Salafismus in Deutschland Pierre Vogel. Vogel hatte sich wiederholt in sozialen Netzwerken gegen Gewalt ausgesprochen und die Anschläge in Paris vom November 2015 als religiös sündhaft bezeichnet. Bedeutsam ist die Nennung Vogels als Beispiel für die scharfe Abgrenzung des IS auch gegenüber politischen Salafisten. Damit wird deren Bedeutung als "Katalysatoren" in den salafistischen Milieus ihrer Aufenthaltsländer offenbar verkannt, da Prediger wie Vogel viele Muslime und Konvertiten erstmals in Kontakt mit salafistischer Ideologie gebracht haben. In vielen Fällen hat der Kontakt zum Spektrum des politischen Salafismus die Radikalisierung junger Salafisten eingeleitet, an dessen Ende sie zur Förderung oder Ausübung von Gewalt bereit waren. A'maq Zu den wichtigsten Sprachrohren der IS-Propaganda hat sich die ihm nahestehende "Nachrichtenagentur" "A'maq" entwickelt, die im Jahresverlauf durch eine zunehmende Zahl an Beiträgen und Verlautbarungen auffiel, darunter auch Bekennungen zu zahlreichen Anschlägen gegen westliche Interessen. Die Anfänge von "A'maq"25 liegen mutmaßlich im Spätsommer 2014, als die "Nachrichtenagentur" die Kämpfe um die kurdische Grenzstadt Kobane mit glorifizierenden Darstellungen unterstützte. Inzwischen verbreitet "A'maq" seine Propagandaprodukte über wechselnde Kanäle in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten. Mitte des Jahres entwickelten "A'maq"-Unterstützer eine eigene Anwendung für ein Smartphone-Betriebssystem, das umgehend zum Ziel von Software-Saboteuren wurde. Markenzeichen von "A'maq" ist die Schnelligkeit, mit der in Englisch und Arabisch auf aktuelle Ereignisse in bewusst knappen Formaten reagiert wird. Auch Eilmeldungen aus dem Innenleben des IS gehen offiziellen Erklärungen der Organisation manchmal Tage voraus. Zu den meisten Anschlägen von radikalisierten Einzeltätern in westlichen Ländern lagen von "A'maq" binnen 48 Stunden Bekennungen vor. Die Bedeu25 Für die Namensgebung "A'maq" finden sich zwei Deutungen. Wörtlich bedeutet A'maq als Plural "Tiefen" und wäre eine Anspielung auf die "(Un-)Tiefen des Internet", aus denen die "Nachrichtenagentur" trotz häufiger Plattformund Providerwechsel immer wieder neu "auftaucht". Schlüssiger ist aber ein Namensbezug, der zu dem des IS-Magazins "Dabiq" analog ist: Aus der Lebenspraxis des Propheten (Sunna) ist eine Überlieferung zur Eschatologie bekannt, nach der die entscheidende Schlacht der Muslime gegen ihre Feinde am Ende der Zeit entweder in al-A'maq oder in Dabiq stattfinden werde. Beide Namen bezeichnen Orte in der heutigen Südtürkei, bzw. in Nordsyrien. 48 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 tung der "Nachrichtenagentur" begründet sich also offenbar auch auf die jihadistischen Einzeltäter, denen es wichtig ist, dass sie eine schnelle Anerkennung als "Soldat des Kalifats" durch eine als authentisch angesehene "Institution" bekommen. Bislang liegen keine Informationen darüber vor, dass "A'maq" Teil der offiziellen Infrastruktur des IS zur Verbreitung seiner Propaganda wäre. Jedoch fallen bereits die zahlreichen Bekennungen zu Anschlägen durch "A'maq" auf, denen wiederholt Videos zugrunde lagen, die auf einem vorherigen Kontakt zu dem Attentäter aufbauten. Hinzu kommen die oft wortgleichen Erklärungen der "Nachrichtenagentur", die Attentäter hätten im Sinne des IS gehandelt. Diese Umstände sind ohne eine enge Anbindung und Koordination der "A'maq"-Organisatoren an die relevanten Führungskreise des IS nicht denkbar. 1.4 Transnationaler islamistischer Terrorismus Bereits seit 2014 wird das Geschehen in allen Beobachtungsfeldern des Islamismus von den Entwicklungen und Ereignissen im Regionalkonflikt des Nahen Ostens mit den Zentren Syrien und Irak, maßgeblich beeinflusst. Dies gilt für die Organisationen und Netzwerke des transnationalen Jihadismus wie dem "Islamischen Staat" - mit höchster Bedeutung für die Sicherheitslage weltweit -, über regional gewaltausübende Organisationen wie der "Hizb Allah" bis hin zu den Aktivitäten legalistischer Islamisten wie der Muslimbruderschaft in Deutschland und Berlin. Ende Februar hatte eine zwischen den USA und Russland für Syrien ausgehandelte Waffenruhe nur kurzzeitig gehalten. Die im Jahresverlauf zunehmend entschiedenere Parteinahme Russlands zugunsten des Assad-Regimes und die Mitwirkung schiitischer Milizen aus Iran und dem Libanon gingen einher mit einer Intensivierung des militärischen Engagements, das sich seit der Jahresmitte auf die nordsyrische Region um die einstige Millionenstadt Aleppo fokussierte. Aus der inzwischen weitgehend verwüsteten Metropole wurden die letzten Assad-Gegner Mitte Dezember vertrieben. Das Leiden trifft vor allem die syrische Zivilbevölkerung mit inzwischen fast einer halben Million Toten und Millionen Verletzter und Vertriebener, die die Flüchtlingslage in der Region verschärfen. Einer politischen Lösung ist der Konflikt 2016 nicht nähergekommen. Ungeklärt sind die Zukunft des Assad-Regimes sowie die Frage nach einem auch künftig multikonfessionellen Staat in einem territorial unveränderten Syrien. Islamismus 49 1.4.1 Islamischer Staat und al-Qaida Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) ist auch 2016 im Konfliktraum Sy- 1 rien und Irak der zentrale Akteur gewesen, der Einfluss auf die Sicherheitslage in vielen Staaten hat, sowohl im Nahen und Mittleren Osten wie auch in vielen westlichen Staaten. In den Reihen des IS sollen unverändert mehrere Zehntausend ausländische Kämpfer aktiv sein, vorrangig aus arabischen Staaten, jedoch auch mehrere Tausend Jihadisten aus Westeuropa. Der zunehmende militärische Druck hat die Attraktivität des IS für ausländische Kämpfer 2016 zwar vermindert, diese sind jedoch unverändert eine Säule der Terrororganisation. Das internationale Vorgehen gegen den IS unter Führung der USA hat dessen "Staatsgebiet" erhebliche Gebietsverluste zugefügt, darunter wichtige Städte wie das zentralirakische Falludscha. Die im November begonnenen Kämpfe zur Befreiung der nordirakischen Metropole Mossul, die seit Juni 2014 unter Kontrolle des IS steht, hielten zum Jahresende an. Das Vorgehen mit dem Ziel, die städtischen Zentren des IS vom Nachschub abzuschneiden, hat dessen Versorgungslage bereits erheblich geschwächt. Dennoch ist auch 2016 die territoriale Kontrolle des IS über noch zusammenhängende Gebiete in Syrien und dem Irak nicht völlig zusammengebrochen und es bleibt abzuwarten, ob der Verlust der wichtigen urbanen Zentren des IS, das irakische Mossul und das syrische Raqqa, diesen Zusammenbruch zur Folge haben wird. "Islamischer Staat" (IS) Die transnationale jihadistische Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) wurde am 29. Juni 2014 im nordirakischen Mossul gegründet. Ihr Führer Abu Bakr al-Baghdadi hat sich durch Akklamation eines Gelehrtenrates (Schura) zum vorgeblichen "Kalifen" aller Muslime ernannt. Mit dem Schwur (Bay'a) ihm gegenüber verpflichtet er seine Anhänger auf bedingungslose Loyalität. Nach den Eroberungen des IS in Teilen des Irak und in Syrien ist es erstmals einer jihadistischen Organisation gelungen, zusammenhängende Gebiete zu kontrollieren, in denen der IS versucht, staatsähnliche Strukturen zu etablieren. 50 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Der IS hat seinen Ursprung im jihadistischen Widerstand gegen die US-Invasion im Irak 2003. Die Vorläuferorganisation des IS war bereits seit 2003 im Irak aktiv und schloss sich 2004 formal der "al-Qaida" an. Mitte 2006 wurde der "Islamische Staat Irak" (ISI) ausgerufen und seit Mai 2010 von al-Baghdadi geführt. Im April 2013 benannte sich der ISI inmitten des syrischen Bürgerkrieges in "Islamischer Staat im Irak und Großsyrien" (ISIG) um, und al-Baghdadi beanspruchte die Führung der "al-Qaida"-Gruppen auch in Syrien. Dies führte einerseits zum Bruch mit der Führung der Kern-"al-Qaida", andererseits zur Feindschaft mit der seit 2011 in Syrien aktiven "Jabhat al-Nusra" (JaN), die zunächst alleiniger Zweig der "al-Qaida" in Syrien war, sich aber Ende Juli 2016 von "al-Qaida" lossagte. Mit der Ausrufung des "Kalifats" benannte sich der ISIG in "Islamischen Staat" um und unterstrich somit seinen globalen Anspruch, alle Muslime zu vertreten. Ideologisch vertritt der IS die rigideste Form des jihadistischen Salafismus, bei dem alle Andersgläubigen und -denkenden für ungläubig erklärt werden (Takfir). Dies legitimiere nach Auffassung des IS deren Tötung, auch wenn es sich um Muslime oder Zivilisten handelt. Auffällig im Handeln und in der Propaganda des IS ist das Streben, sich als "Staat" darzustellen. Seit der Intensivierung des syrischen Bürgerkrieges konnte der ISIG / IS machtfreie Räume nutzen, um Kontrolle über größere Gebiete zu erlangen. Das Bündnis mit sunnitischen Stämmen im Irak und das Zurückweichen der irakischen Armee hatten im Sommer 2014 die Ausrufung des IS zur Folge. Inzwischen haben zahlreiche jihadistische Organisationen außerhalb des IS-Territoriums dem "Kalifen" des IS die Treue geschworen und "Provinzen des IS" gebildet, darunter in Libyen, dem Sinai und im Jemen. Die Verwirklichung der "Staatsidee" und die Territorialverteidigung haben das Handeln des IS lange bestimmt. Der zunehmende militärische Druck der AntiIS-Koalition, großräumige Gebietsverluste und ein nachlassender Zustrom von Jihadisten - auch wegen scharfer Grenzkontrollen der Türkei - haben jedoch zu einer Veränderung der Terrorstrategie geführt. Der IS fordert seine Mitglieder und Unterstützer nun verstärkt dazu auf, Anschläge in ihren Heimatländern zu begehen. Die Vereinten Nationen, die USA, Deutschland und weitere Staaten haben den IS als Terrororganisation eingestuft. Islamismus 51 Gebietsverluste des IS leiten Änderungen der Terrorstrategie ein Die Gebietsverluste des IS einerseits, einhergehend mit einer hohen Zahl getöteter 1 Jihadisten, wie auch die verbesserte Grenzkontrolle der Türkei andererseits, was den Nachzug ausländischer Kämpfer erschwert, waren für die Terrororganisation Anlass, die terroristische Strategie zu ändern. Durch die Gebietsverluste des IS besteht die Gefahr, dass ausländische Kämpfer, die nicht aus dem Krisenraum stammen, verstärkt in ihre Herkunftsländer zurückkehren oder gar nicht erst ausreisen. Der IS hat dieses Szenario erkannt und seine Strategie daran angepasst. Die Propaganda des IS hat Jihadisten in europäischen Staaten mehrfach dazu aufgefordert, nicht länger nur die Ausreise in das "Staatsgebiet" des IS anzustreben, sondern an ihren Aufenthaltsorten Anschläge zu begehen. Missbrauch von Flüchtlingsströmen durch Jihadisten des IS Teil der geänderten Terrorstrategie des IS, mit der die in der Propaganda geforderten Anschläge von "Soldaten des Kalifats" in Europa umgesetzt werden sollen, ist auch die gezielte Ausnutzung der Flüchtlingssituation, insbesondere in Westeuropa. Der erstmals durch die Ermittlungen nach den Anschlägen von Paris im November 2015 belegte Verdacht, der IS habe die zeitweise nicht vollständig kontrollierten Flüchtlingsströme nach Europa zur gezielten Einschleusung von Jihadisten genutzt, die den Auftrag hatten, Anschläge zu verüben, hat sich inzwischen zur Gewissheit verdichtet. Bis zum Herbst lagen dem Bundeskriminalamt etwa 400 Hinweise zu möglichen Einschleusungen von Mitgliedern oder Unterstützern terroristischer Organisationen wie dem IS vor, die bis dahin in 40 Fällen die Einleitung förmlicher Ermittlungen nach sich gezogen hatten. Etwa 60 Asylbewerber waren einer Einbindung in terroristische Strukturen verdächtig. Bekannt war bereits seit 2015, dass der IS in syrischen Provinzzentren mehrere Tausend syrische Blankopässe erbeutet hatte. Ein entsprechender Hinweis ergibt sich aus der Festnahme von drei jungen Syrern Mitte September in SchleswigHolstein. Diese sind verdächtig, als Jihadisten im Auftrag des IS nach Europa gelangt zu sein. Sie waren Ende 2015 über die Südosteuropa-Route nach Deutschland gekommen und verfügten über syrische Pässe, die mutmaßlich der gleichen Fälscherwerkstatt des IS entstammten wie Dokumente, die nach den Anschlägen von Paris im November 2015 gefunden worden waren. Die Untersuchungshaft gegen die drei Beschuldigten dauert an. 52 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Al-Qaida: Ablösung der syrischen JaN aus strategischem Kalkül Ende Juli hatte sich die "Jabhat al-Nusra" (JaN, "Siegesfront") als syrischer Zweig vom "al-Qaida"-Netzwerk unter Führung von Aiman al-Zawahiri nominell losgesagt und ihren Namen in "Jabhat Fath al-Sham" (JFS, "Front zur Eroberung Großsyriens") geändert. Die JFS ist dabei aber ideologisch der "al-Qaida" treu geblieben. Ihr Versuch, als Teil eines moderaten, nicht-jihadistischen Widerstands angesehen zu werden, scheint strategisch motiviert zu sein, um als militärischer Kooperationspartner für andere Gruppen, die über Unterstützungsstrukturen - auch im Ausland - verfügen, akzeptabel zu sein. Kern-"al-Qaida" und seine Regionalorganisationen Seinen Ausgangspunkt hat der transnationale islamistische Terrorismus in der von Usama Bin Ladin Ende der 1980er Jahre gegründeten Organisation "al-Qaida" ("Die Basis"), die sich in den 1990er Jahren mit militanten Teilen ägyptischer Gruppen zu einem Netzwerk zusammenschloss. Bin Ladin wurde 2011 von US-Einheiten in Pakistan getötet. Nachfolger wurde sein Vertreter Aiman al-Zawahiri. Programmatische Grundlage der weltweiten Anschläge von "al-Qaida", die mit den Angriffen auf die USA am 11. September 2001 ihren Höhepunkt erreichten, war der von Bin Ladin 1998 unterzeichnete Aufruf der "Islamischen Weltfront für den Jihad gegen Juden und Kreuzzügler". Darin wurde die Tötung von Amerikanern zur Pflicht eines jeden Muslims erhoben und als Ziel die Verdrängung der USA von der Arabischen Halbinsel benannt. Statt Anschlägen dieser Kern-"al-Qaida" standen seit 2004 Terrorakte von Regionalorganisationen des Netzwerks, eigenständig operierender Kleingruppen und radikalisierter Einzeltäter ("homegrown-Terroristen") im Vordergrund. Die regionalen Zweige des Netzwerks haben sich seit 2003 herausgebildet und der Führung der Kern-"al-Qaida" die Treue geschworen. Zu ihnen gehört seit 2007 "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM), der zentrale Gewaltakteur im Maghreb und im westlichen Sahel. "Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) entstand 2009 durch die Fusion des jemenitischen und des saudischen Zweiges und hat sich zu einer schlagkräftigen Terrororganisation im Islamismus 53 Jemen entwickelt. Seit 2012 ist auch die somalische "Bewegung der Mujahidin- 1 Jugend", arabisch kurz "al-Shabab", fester Teil des Netzwerks. "Al-Shabab" ist seit 2006 für Angriffe und Entführungen westlicher Ausländer sowie für Attentate in der Region verantwortlich. Als "al-Qaida"-Ableger in Syrien galt bis Ende Juli 2016 die "Jabhat al-Nusra li-Ahl asch-Scham" (JaN, "Unterstützungsfront für das syrische Volk"), die seit 2013 mit dem ISIG, dem späteren IS, verfeindet ist. Nach ihrer Ablösung von "al-Qaida" benannte sich die JaN in "Jabhat Fatah asch-Scham" ("Front zur Eroberung Großsyriens") um. 1.4.2 Anschlagspläne in Berlin Im Rahmen verschiedener Exekutivmaßnahmen und Gerichtsverfahren sind in mehreren Fällen deutliche Anhaltspunkte und Belege bekannt geworden, denen zufolge Zielpersonen bzw. Angeklagte Anschlagspläne verfolgt hatten, die sich gezielt gegen die Symbolkraft Berlins als europäische Metropole und deutsche Hauptstadt richteten. In zwei Fällen kam es mutmaßlich zu Ausspähungshandlungen. In Schöneberg wurde Anfang November der gebürtige Tunesier Charfeddine T., mit Aliasnamen Ashraf al-T., unter dem Verdacht festgenommen, Mitglied der Terrororganisation "Islamischer Staat" zu sein. Der 27-Jährige mit Kampfnamen "Abu Jarrah al-Tunisi", der sich fälschlich als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte, soll in sozialen Netzwerken mit Führungspersonal des IS in Kontakt gestanden haben und zeitnah einen Messerangriff in Berlin geplant haben. Charfeddine T. wurde zunächst wegen Urkundenfälschung in Untersuchungshaft genommen und am 8. März 2017 nach Tunesien abgeschoben. Am 10. Oktober gelang in Leipzig die Festnahme des 22-jährigen syrischen Flüchtlings Jaber Albakr mithilfe syrischer Landsleute, die ihm arglos Unterkunft angeboten hatten. Zuvor waren bei der Durchsuchung seiner Wohnung in Chemnitz, in deren Vorfeld ihm zunächst die Flucht gelang, mehrere Hundert Gramm hochexplosiven Sprengstoffs sowie weitere Utensilien zum Bombenbau gefunden worden. Zu Albakr existierten nachrichtendienstliche Hinweise über mutmaßliche Kontakte zum IS. Er soll zunehmend konkretere Pläne für einen Bombenanschlag verfolgt haben und hatte mutmaßlich bereits im September einen der Berliner Flughäfen ausgespäht. Jaber Albakr, dessen Ermittlungsverfahren die Bundesanwaltschaft übernommen hatte, nahm sich am 12. Oktober in Untersuchungshaft in Leipzig das Leben. 54 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Vor dem Berliner Kammergericht wurde am 27. Oktober gegen den 19-jährigen Syrer Shaas Al M. Anklage erhoben, weil er sich als Mitglied des IS in Syrien an Waffen habe ausbilden lassen und mehrfach auch an Kampfhandlungen teilgenommen haben soll. Der Angeklagte war Mitte 2015 als Flüchtling nach Deutschland gekommen, soll aber weiter als Kontaktmann für ausreisebereite Jihadisten fungiert haben, von denen mindestens einer sich tatsächlich nach Syrien begab. In seinem Beschluss zur Fortdauer der Untersuchungshaft26 führte der Bundesgerichtshof aus, dass Al M., der auch selbst zur Ausführung eines Anschlags bereit gewesen sein soll, vor seiner Festnahme im März 2016 im Land Brandenburg bei mehreren Berlin-Aufenthalten den Alexanderplatz, das Brandenburger Tor und das Gebiet um den Reichstag als potenzielle Ziele ausgespäht hatte. 1.4.3 Ausreisen Den deutschen Sicherheitsbehörden lagen Ende 2016 Erkenntnisse zu mehr als 870 Personen vor, die aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, um dort mutmaßlich auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien oder dem Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Nachdem noch in den Vorjahren ein erheblicher Anstieg der Ausreisezahlen festgestellt wurde (von 240 Ende 2013 auf etwa 780 Ende 2015), zeichnet sich für 2016 insgesamt ein geringerer Anstieg ab. Die Gründe dafür liegen mutmaßlich einerseits in repressiven Maßnahmen wie dem Passentzug und einer hohen Strafandrohung bei einer Rückkehr nach Deutschland, andererseits in der verstärkten Kontrolle der Reiseströme. Etwa ein Fünftel der ausgereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel dieser Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien oder dem Irak beteiligt haben. Zu über 70 Personen liegen Erkenntnisse vor, nach denen sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Ferner liegen zu ca. 140 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Zudem wurden weitere Ausreiseplanungen bekannt, deren Umsetzung unterbunden werden soll. Die Zahl der von Behörden verhängten Ausreiseverbote bewegt sich bundesweit im niedrigen dreistelligen Bereich. 26 Beschluss des 3. Strafsenats des Bundesgerichtshofs vom 6.10.2016, AZ: AK 52/16, S. 7 f. Islamismus 55 Die Zahl der Berliner, die mit mutmaßlich jihadistischer Motivation in Richtung Syrien gereist sind, lag Ende 2016 bei mehr als 110 Personen, von denen ein Groß- 1 teil die Terrororganisation "Islamischer Staat" unterstützt. Etwa die Hälfte dieser Personen ist inzwischen aus dem Krisenraum zurückgekehrt. Etwa 20 Berliner sind im Konfliktraum zu Tode gekommen. 1.4.4 Verfahren und Verurteilungen Die auch 2016 gestiegene Zahl jihadistisch motivierter Ausreisen in den Krisenraum und eine Zunahme der Rückkehrer haben die Anzahl der Strafverfahren mit Bezug zu einer terroristischen Vereinigung im Ausland weiter ansteigen lassen. Dabei zeichnet sich inzwischen deutlich die Dominanz von Strafverfahren ab, die mit dem so genannten "Islamischen Staat" in Zusammenhang stehen. Im November führte die Generalbundesanwaltschaft mehr als 130 Verfahren gegen etwa 200 Beschuldigte, weitere 550 Verfahren mit etwa 700 Beschuldigten stehen unter der Führung der Staatsanwaltschaften der Länder. Es ist davon auszugehen, dass die Strafverfahren mit Terrorismusbezug weiter zunehmen werden, insbesondere dann, wenn der IS seine Territorien verliert und europäische Jihadisten aus dem Nahen Osten verdrängt werden. Exekutivmaßnahmen weisen zudem auf die Existenz überregionaler jihadistischer Netzwerke hin, die Kämpfer für den IS rekrutiert haben sollen. Anfang November wurden auf Betreiben des Generalbundesanwalts insgesamt fünf Verdächtige in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen festgenommen, die Jihadwillige radikalisiert und indoktriniert haben sollen, was mindestens im Fall eines jungen Mannes und seiner Familie zur Ausreise nach Syrien führte. Der mutmaßliche Anführer des Netzwerks, der 32-jährige Iraker Ahmad Abdulaziz A., Szenename "Abu Walaa", soll "Statthalter" des IS in Deutschland gewesen sein und befindet sich seither in Untersuchungshaft.27 Listen des IS begünstigen Strafverfolgung Eine besondere Rolle bei der Strafverfolgung von Jihadisten des IS kommt neben der Auswertung von sozialen Netzwerken dem Fund von offiziellen Dokumenten aus der Militärverwaltung zu, die den Medien zugespielt wurden. Sie umfassen mehrere Tausend Registrierungsbögen, mit denen der IS die Einreise, besondere Fähigkeiten und auch Verwendungswünsche eines Jihadisten erfasst bis hin zu 27 Pressemitteilung des GBA Nr. 55 vom 8.11.2016. 56 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 dessen Bereitschaft, als Selbstmordattentäter zu sterben. In mehreren Fällen haben diese Dokumente wichtige Hinweise gegeben, die Aktivitäten eines Jihadisten in Syrien aufzuhellen. Hohe Haftstrafe gegen IS-Jihadisten wegen Kriegsverbrechen Wegen der Strafhöhe und dem Umstand, dass auch die Begehung von Kriegsverbrechen gegen Menschen geahndet wurde, erlangt das Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8. November Bedeutung. Es verhängte gegen den 30-jährigen Deutschen Abdelkarim El B. eine Haftstrafe von achteinhalb Jahren wegen Mitgliedschaft im IS. Der Kaufmann aus Frankfurt hatte sich im September 2013 dem IS angeschlossen und mit eigenem Sturmgewehr an Kämpfen teilgenommen. Erst nach seiner Inhaftierung in der Türkei im Februar 2014 und der folgenden Auslieferung nach Deutschland wurde durch Kampfvideos, die der Verurteilte selbst gedreht hatte, seine Rolle als jihadistischer Kämpfer deutlich. Weil ein Video seine Mitwirkung an der Schändung und Verstümmelung eines getöteten syrischen Soldaten nachwies, ahndete das Gericht die Tat als Kriegsverbrechen.28 Urteil in der Türkei: Lebenslange Haft gegen IS-Terroristen aus Berlin Am 15. Juni erging vor einem Strafgericht in der anatolischen Provinzstadt Nigde das erste Urteil gegen Jihadisten des IS, bzw. seiner Vorläuferorganisation ISIG, in der Türkei. Mit extrem hohen Haftstrafen ahndete das Gericht den ersten schweren Anschlag des ISIG auf türkischem Boden, bei dem am 20. März 2014 bei einer Straßenkontrolle nahe Nigde drei türkische Staatsbürger starben, als Jihadisten das Feuer eröffneten. Zu den Tätern zählt der aus Berlin stammende Benjamin X., inzwischen 26-jährig, der wegen seiner Beteiligung zu viermal lebenslänglich mit mehr als 131 Jahren Haft verurteilt wurde. Der deutsche Staatsbürger X., Kind einer Chinesin und eines Mazedoniers, war Mitte 2013 gemeinsam mit seinem Vater nach Syrien ausgereist, um sich als Kämpfer dem ISIG anzuschließen. Auch nachdem sein Vater 2013 bei Kämpfen getötet wurde, blieb der Sohn dem ISIG treu.29 28 Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 8.11.2016. AZ: 5-2 StE 10/16 - 9 - 2/16. 29 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2014. Berlin 2015, S. 36 f. Islamismus 57 Letztes Verfahren gegen Jihadisten der "Deutschen Taliban Mujahidin" in Berlin Vor dem Berliner Kammergericht endete am 19. September der mutmaßlich letz- 1 te Prozess gegen ein Mitglied der Terrororganisation "Deutsche Taliban Mujahidin" (DTM) mit einer Jugendstrafe von drei Jahren für den inzwischen 27-jährigen Deutsch-Türken Sinan Sefik A. Die DTM war die bisher einzige Gruppe deutschsprachiger Jihadisten, die sich als Abspaltung der "al-Qaida" nahestehenden "Islamischen Jihad Union" 2009 in der afghanisch-pakistanischen Grenzprovinz Waziristan etablieren konnte. Nachdem bei einem Feuergefecht mit pakistanischen Militärs im Frühjahr 2010 drei DTM-Kämpfer starben, darunter ihr Anführer, löste sich die Gruppe rasch auf.30 Sinan Sefik A. hatte sich mit seiner Ehefrau noch 2009 als 20-Jähriger den DTM angeschlossen, den Umgang mit Kriegswaffen und Sprengstoff erlernt und an der Erstellung von gegen Deutschland gerichteter Drohpropaganda mitgewirkt. Nachdem der Verurteilte zwischenzeitlich in Pakistan untergetaucht war, stellte er sich und wurde nach seiner Rückreise im Dezember 2015 am Flughafen Tegel festgenommen. 1.5 Salafistische Bestrebungen Salafismus Mitglieder: Berlin 840 (2015: 680) davon gewaltorientiert: 380 (2015: 360) Der Begriff "Salafismus" bezeichnet eine auf wahhabitischem Gedankengut basierende traditionalistische Bewegung, die aus drei unterscheidbaren Strömungen besteht: dem quietistisch-puristischen, dem politischen und dem jihadistischen Salafismus. Vertreter des quietistisch-puristischen Salafismus entwickeln keine politisch zielgerichteten Aktivitäten gegen den demokratischen Rechtsstaat. Der politische Salafismus und der jihadistische Salafismus gelten hingegen als Formen des Islamismus, weil sie eine extremistische Ideologie darstellen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist.31 30 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2010. Berlin 2011, S. 17 ff, 162 und Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2011. Berlin 2012, S. 26 f, 31. KG AZ: (1) 172 OJs 1/16 (2/16). 31 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Salafismus als politische Ideologie. Berlin 2014. 58 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Salafisten fordern eine Gesellschafts-, Rechts-, und Herrschaftsordnung, die sich ausschließlich an einer wortgetreuen Auslegung von Koran und Sunna (zur Nachahmung empfohlene Lebensweise des Propheten) sowie an den so genannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab.: al-salaf al-salih) orientiert. Wegen der Umdeutung religiöser Normen zu verbindlichen politischen Handlungsweisen und dem Versuch, diese als salafistisches Regelwerk durchzusetzen, gilt der Salafismus als besonders rigide Ausformung innerhalb des Islamismus. Die Absolutsetzung frühislamischer Herrschaftsund Rechtsformen hat zur Folge, dass jedes Abweichen von dieser Norm, die als "wahrer Islam" propagiert wird, als verbotene Verfälschung bzw. "Neuerung" (arab.: bid'a) abgelehnt wird. Kennzeichnend für Salafisten ist auch eine dualistische Weltsicht, die nur zwischen "gläubigen Muslimen" und vermeintlich "Ungläubigen" unterscheidet. Viele Vertreter des Salafismus propagieren zudem einen aggressiven Antisemitismus und verunglimpfen sogar alle nicht-salafistischen Muslime als Ungläubige. Unter Berufung auf das angeblich religiöse Prinzip der "Loyalität [gegenüber wahren Muslimen] und Lossagung [von allem Nicht-Muslimischen]" (arab.: al-wala' wal-bara') fordern sie den Abbruch aller Beziehungen zur als "ungläubig" empfundenen Umwelt und Ablehnung aller, die ihre Ideologie nicht teilen. Politischer und jihadistischer Salafismus unterscheiden sich prinzipiell in der Wahl ihrer Mittel. Der politische Salafismus agiert mit intensiver Propaganda zur Verbreitung seiner Ideologie, die er als "Missionierung" (arab.: da'wa) bezeichnet. Der jihadistische Salafismus setzt hingegen auf eine Strategie der Gewaltanwendung. Er interpretiert den Jihad ausschließlich in seiner militanten Deutung und erklärt ihn im Widerspruch zu allen religiösen Traditionen sogar zur individuellen Glaubenspflicht eines jeden Muslim. Die Übergänge zwischen beiden Strömungen sind fließend. Islamismus 59 1.5.1 Aktivitäten und Trefforte in Berlin Die Aktivitäten des salafistischen Spektrums in Berlin sind unverändert vielfältig 1 und werden vom Geschehen in einer Reihe von Moscheen geprägt, bei denen salafistische Ideologie in unterschiedlichem Grad bestimmend ist. Öffentlich wahrnehmbare Demonstrationen und Aktivitäten wurden nur im Rahmen der "Lies!"Aktion bekannt. Diese hat der Bundesinnenminister Mitte November verboten, weil sie sich gegen die verfassungsgemäße Grundordnung Deutschlands richtete und dem Gedanken der Völkerverständigung zuwiderlief. Komplettiert wird das salafistische Spektrum der Stadt durch eine "salafistische Infrastruktur", die entsprechende Kleidung, Bücher und Lebensmittel zur Verfügung stellt. Bei der Verbreitung salafistischer Ideologie ist die Bedeutung des Internets ungebrochen. Dabei werden Informationen über salafistische Aktivitäten überwiegend auf sozialen Netzwerken, insbesondere Facebook-Seiten und YouTube-Kanälen verbreitet. Die Rezeption und Diskussion dieser Inhalte innerhalb der salafistischen Szene erfolgt mit Hilfe von Messenger-Diensten. Für die realweltliche Vernetzung der Szene bedeutsam sind "Islamseminare", von denen 2016 mindestens zwei in Berlin stattfanden und salafistischen Predigern aus dem Bundesgebiet eine Bühne boten. Im Gegenzug unternahm mit dem Imam der "As-Sahaba-Moschee" mindestens ein Berliner Imam eine bundesweite Vortragsreise. Zu den Treffpunkten von Salafisten zählen, abgesehen von den hier genannten, weitere Berliner Moscheen, darunter die "Ibrahim al-Khalil-Moschee" in Tempelhof. Die Moscheen werden, wenn sie Freitagspredigten in den entsprechenden Sprachen anbieten, auch von Flüchtlingen besucht. As-Sahaba/ Die Gefährten e.V. Die "As-Sahaba-Moschee" im Wedding ist seit Jahren als Treffpunkt der salafistischen Szene bekannt. Die Moschee und ihr Imam Ahmad Abul B., als Prediger unter dem Namen "Abul Bara'a" bekannt, sind dem politischen Salafismus zuzurechnen. "Abul Bara'a" hat sich wiederholt gegen Gewalt ausgesprochen und die Jihadisten des so genannten "Islamischen Staates" als irregeleitet bezeichnet. Dennoch fallen in seinen Predigten Aussagen auf, die klassische Elemente salafistischer Ideologie enthalten. Dazu zählen eine scharfe Abgrenzung gegenüber Andersgläubigen, was auch jene Muslime umfasst, die nicht dem Salafismus anhängen sowie der Glaube an eine globale Verschwörung, die das Ziel verfolge, den Islam zu erniedrigen und zu vernichten. 60 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Unter dem Titel "Das Übel, wenn man nicht versteht, wie man als Muslim mit Nichtmuslimen umgeht" wurde Anfang August eine Ansprache auf der Internetseite des Predigers veröffentlicht. Markant ist darin sein Bekenntnis zum salafistischen Prinzip der "Loyalität [gegenüber wahren Muslimen] und Lossagung [von allem Nicht-Muslimischen]" (arab.: al-wala' wal-bara'), dessen Höherwertigkeitsideologie er als Kern eines authentisch gelebten Islam propagiert: "Al-Wala' wal-bara', das sind unsere Maßstäbe für unsere Religion, darauf basiert unsere Religion! Hast Du kein wala' und kein bara', dann hast Du keine Religion! [...] Jeder, der kein Muslim ist, ist für uns ein Kafir (Ungläubiger)." 32 An anderer Stelle der Predigt richtet sich seine Kritik an die Regime in islamischen Ländern, die illegitim seien und das Ziel verfolgten, den Islam im Auftrag fremder Mächte zu erniedrigen. Dabei klingen auch antisemitische Klischees an: "[...] Und wie viele sitzen heute auf Stühlen [der Macht im Orient] im Auftrag der Kuffar (Ungläubigen) [und im Auftrag] von den Zionisten und den amerikanischen Terroristen [...]. Sie sitzen in ihrem Auftrag in unsere Ländern und haben nur eine Aufgabe [...]: Den Islam zu erniedrigen. [...] Das ist ihre einzige Aufgabe." 33 An anderer Stelle der Predigt will er das Selbstverteidigungsrecht der Muslime betonen, deren Feinde danach trachteten, diesen ihre Religion zu rauben. Dabei bedient sich "Abul Bara'a" jedoch klassisch jihadistischer Argumentationsweisen, mit denen die Gewalt gegen Ausländer und Militärallianzen - in denen auch muslimische Staaten mitwirken - legitimiert wird: "Habt ihr den Unterschied kennengelernt zwischen Kufr (Unglaube) und Islam? Ein Muslim ist gerecht zu jedem, der ihn nicht bekämpft, aber [...]: Wenn ein Muslim bekämpft wird, so ist es sein [...] Recht, ihn zu bekämpfen. [...] Wir sagen klar [über jeden], [...] der in die islamischen Länder hereinkommt, um uns unsere Religion zu nehmen, [...]: Es ist klar [erlaubt], sein Blut zu nehmen, [...] weil dieses Recht Allah [...] den Muslimen gegeben hat." 34 32 Schreibweise im Original. 33 Schreibweise im Original. 34 Schreibweise im Original. Islamismus 61 Gegen Ende seiner Predigt nimmt "Abul Bara'a" Bezug zu zwei Anschlägen in Deutschland, zum einen den Selbstmordanschlag in Ansbach und zu dem Amok- 1 lauf in München am 22. Juli. Dort hatte ein 18-jähriger Schüler in einem Einkaufszentrum neun Menschen erschossen und sich selbst getötet, als die Polizei ihn stellte. Obgleich er die Anschläge scharf verurteilt, bedient er ein salafistisches "Opfermythos", da der Anschlag in Ansbach dazu genutzt werde, den Islam als Quelle des Terrorismus zu diffamieren, während für den Amoklauf keine ideologische Begründung herangezogen worden sei: "Und bei uns [in Deutschland] sind das nicht Mujahidin (Gotteskämpfer), sondern es sind Terroristen wie jeder, der ein Anschlag macht [...]. Entweder psychisch krank oder ein Terrorist. [...] Ein Nazi, [...] der in München acht Muslime35 getötet hat, ist ein Amokläufer, psychisch verdreht. Aber der andere, der zweimal versucht hat, Selbstmord zu machen, in Ansbach und sich dort in die Luft gesprengt hat und in der Psychiatrie war [...]: Der macht das im Namen des Islam und der hat sich kurzfristig radikalisiert. Natürlich, [...] ISIS weiß, wo Ansbach liegt, [...] deswegen bekennen sie sich auch gleich dazu!"36 Zur Verbreitung seiner salafistischen Ansichten im Bundesgebiet unternahm "Abul Bara'a" so genannte "Deutschlandtouren", die er auf der Webseite der "AsSahaba-Moschee" ankündigte. Diese führten ihn von Juli bis September vor allem in den süddeutschen Raum und nach Niedersachsen, darunter nach München, Stuttgart und Hannover. Auch 2016 fanden in der "As-Sahaba-Moschee" wieder so genannte "Islamkurse" statt: Ein dreitägiges salafistisches Islamseminar vom 30. September bis 2. Oktober mit dem Gastreferenten Mohammed Benhsain alias "Abu Jamal" aus Bonn und ein eintägiger "Islamkurs" am 25. September mit Hassan Dabbagh aus Leipzig. Gastprediger auf dem 10. Jahresseminar der Al-Nur-Moschee Vom 16. bis 18. Dezember fand in der Neuköllner "Al-Nur-Moschee" das "10. Jahresseminar" statt, eine salafistische Großveranstaltung von überregionaler Bedeutung. Obgleich die Zählung der Veranstaltungsreihe im 35 Diese Aussage ist nicht korrekt. Die Zahl der Muslime unter den neun Opfern ist schwer zu bestimmen, betrug aber nicht acht. 36 Schreibweise im Original. 62 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Detail unklar ist, steht sie in der TradiSalafistische "Islamseminare" tion der "Deutschsprachigen IslamseWichtiges Strukturelement salafisminare", die mindestens seit 2004 in tischer Aktivitäten in Deutschland der Moschee abgehalten wurden und sind so genannte "Islamseminare", dem politischen Salafismus zuzurechseltener auch "Islamkurse" genannt. nen sind. Es handelt sich um teils mehrtägige Veranstaltungen mit detaillierten Das Seminar sollen mehr als 200 Män"Stundenplänen", die auch überrener und Frauen besucht haben, die gional Besucher anziehen. "Islamnach einem detaillierten Stundenplan seminare" dienen der Vermittlung in salafistischer Glaubenspraxis untereines salafistischen Islamverständwiesen wurden. Neben den fest an der nisses und salafistischer Ideologie, "Al-Nur-Moschee" tätigen Predigern der Werbung neuer Anhänger sowie luden die Organisatoren drei Gastder Kontaktpflege in den sonst inprediger aus dem Bundesgebiet ein: formell organisierten Netzwerken. Mohamed Ciftci aus Braunschweig, Salafistische "Islamseminare" haben Mohammed Benhsain aus Bonn und seit 2004 in allen Berliner MoscheAmen Ben Ali Dali, salafistischer Preen stattgefunden, in denen salafisdiger aus Mannheim. Ciftci ("Scheikh tisches Gedankengut gepredigt wird. Abu Anas") ist einer der bekanntesten Inzwischen scheint die Häufigkeit der Vertreter des politischen Salafismus in "Islamseminare" jedoch abzunehDeutschland und Leiter einer privaten men, mutmaßlich, weil der organisasalafistischen Islamschule. Er war Vortorische Aufwand und die Kosten die sitzender des mittlerweile aufgelösten Möglichkeiten der Moschee-Vereine Vereins "Einladung zum Paradies e.V." überfordern. und war bereits mehrfach Gastprediger an der "Al-Nur-Moschee". MohamProblematisch sind diese salafistimed Benhsain ("Scheikh Abu Jamal") schen Seminare auch wegen ihrer zählt ebenfalls zum Spektrum des poradikalisierungsfördernden Wirkung. litischen Salafismus und ist zudem als Die Veranstaltungen bieten einen Gastimam in der Berliner "As-SahabaRahmen zur Gruppenbildung und beMoschee" aufgetreten. einflussen durch charismatische Vortragende zumeist junge Menschen, die mit der extremistischen Ideologie in Kontakt gebracht werden. Islamismus 63 1.5.2 Jihadisten-Treffpunkt in Berlin - Fussilet-Moschee verboten 1 Am 8. Februar 2017 wurde der Verein "Fussilet 33 e.V." und die von ihm betriebene "Fussilet-Moschee" in Moabit durch den Senator für Inneres und Sport nach dem Vereinsgesetz verboten. Der Vollzug des Verbots umfasste in Berlin Durchsuchungsmaßnahmen der Moschee, von Wohnungen, Gewerberäumen und Hafträumen in Berliner Vollzugsanstalten sowie von zwei Objekten im Land Brandenburg und in Hamburg. Maßgeblich für das Verbot waren die vielfältigen Verstrickungen der Vereinsfunktionäre, der Prediger der Moschee und ihrer Besucher zu terroristischen Vereinigungen im Ausland, namentlich dem so genannten "Islamischen Staat" und der jihadistischen Miliz "Junud al-Sham" ("Soldaten Syriens"). Für diese terroristischen Gruppierungen hatte der Verein Spenden gesammelt und mit diesen Geldern auch in der Moschee rekrutierte Kämpfer unterstützt. Obwohl sich die Moscheebetreiber um mehr Besucher bemühten und eine Umbenennung im Internet zu "Masjid at-Tawbah" ("Moschee der Reue") erfolgte, waren die Besucherzahlen bereits 2016 rückläufig. Auch ein geplantes "Islamseminar" scheiterte kurzfristig, mutmaßlich aus finanziellen Gründen. Funktionäre und Imam der Fussilet-Moschee wegen Jihad-Werbung verurteilt Am 14. Juni wurde der 31-jährige russische Staatsangehörige Gadzhimurad K. vom Kammergericht Berlin wegen des Werbens um Mitglieder und Unterstützer für den IS und der Billigung von Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Er hatte ein Video mit dem Titel "Härte im Jihad" veröffentlicht, in dem er den IS verherrlichte und zudem öffentlich dazu aufrief, sich dem bewaffneten Kampf des IS anzuschließen. In einem Interview mit einem russischsprachigen Online-Magazin hatte er überdies versucht, die Gräueltaten durch den IS religiös zu rechtfertigen.37 Gadzhimurad K. war bis zu seiner Festnahme im Oktober 2015 als russischsprachiger Imam in der "Fussilet-Moschee" und als jihadistischer Prediger im Internet aktiv. Er nutzte seine herausgehobene Stellung in der salafistischen Szene Berlins, um neue Kämpfer für den IS zu werben 37 Pressemitteilung Nr. 31/2016 des Kammergerichts Berlin vom 14.6.2016; AZ: (1) 172 OJs 02/15 (04/15). 64 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 und sah sich dabei selbst als ein "Informationskrieger". Gadzhimurad K.s umfassendes Geständnis hatte sich strafmildernd ausgewirkt. Aufgrund der Aussagebereitschaft des Verurteilten gewann das Gericht tiefe Einblicke in die Entwicklung der Moabiter Moschee. Im Urteil heißt es, dass man seit der Vereinsgründung 2010 durch den selbsternannten "Emir" Ismet D. steten Zulauf hatte. Darunter waren viele Jugendliche aus der inzwischen nicht mehr existenten "Rahman-Moschee" in der Tromsöer Straße. Unter der Leitung des Ismet D. wurden Predigten und Unterrichte für eine hauptsächlich türkischund russischsprachige Klientel abgehalten, von der mehrere Personen sich jihadistisch radikalisiert haben. Im Januar 2015 wurden Ismet D. und Emin F. wegen des Vorwurfs, die Terrororganisation "Junud al-Scham" finanziell und logistisch unterstützt zu haben, festgenommen. Im Januar 2016 begann vor dem Kammergericht Berlin der Prozess. Bereits im September 2015 war mit Murat S. ein weiteres Mitglied der Unterrichtsgruppe aus der Moschee wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Der Jihadist war mehrfach nach Syrien gereist und hatte eine Waffenausbildung absolviert.38 1.5.3 Bundesweites Verbot der "LIES! Stiftung" Der Bundesminister des Innern hat am 15. November die "LIES! Stiftung" und den sie initiierenden Verein "Die Wahre Religion" (DWR) verboten und aufgelöst. Einher ging das Verbot mit über 190 Durchsuchungsmaßnahmen in zehn Bundesländern, darunter auch in Berlin, wo mehr als ein Dutzend Objekte betroffen waren. Kern der Verbotsverfügung war die Feststellung, dass das Netzwerk DWR, geleitet von dem gebürtigen Palästinenser Ibrahim Abou Nagie aus Bonn, unter Berufung auf den Islam und seine Quellentexte einen salafistischen Extremismus vertritt, dessen Regelwerke der Verein aggressiv und mit absoluter Verbindlichkeit umzusetzen trachtet. Mit der Befürwortung des bewaffneten Kampfes (Jihad) hatte sich die Vereinigung gegen die verfassungsgemäße Ordnung des Grundgesetzes und den Gedanken der Völkerverständigung gestellt. 38 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2015. Berlin 2016, S. 49. Islamismus 65 Bundesweit bekannt geworden war die "LIES! Stiftung" vor allem, weil sie in zahlreichen Städten Ortsgruppen gebildet und die Verteilung von kostenlosen Exem- 1 plaren des Koran in deutscher Sprache in der Öffentlichkeit organisiert hatte. Die Verbotsmaßnahme richtet sich ausdrücklich nicht gegen die Werbung für eine Religion oder die Verbreitung ihrer religiösen Schriften. Vielmehr hatten die Aktivisten über die Koranverteilungen zahlreiche junge Menschen erstmals mit salafistischer Ideologie in Kontakt gebracht und in vielen Fällen zu einer salafistischen Radikalisierung beigetragen. Für mindestens 140 Aktivisten und Unterstützer in den Ortsgruppen der "LIES! Stiftung" ist belegt, dass sie mit einer jihadistischen Motivation nach Syrien oder in den Irak ausgereist sind, um sich dort terroristischen Organisationen wie dem IS anzuschließen. Bis zum Verbot der "LIES!"-Kampagne hatten die Verteilaktionen auch im Berichtsjahr in unregelmäßiger Folge in Charlottenburg (Wilmersdorfer Straße und Joachimsthaler Platz) stattgefunden. Eine Neuerung stellte die mobile "Rucksackverteilung" der Schriften durch "LIES!"-Aktivisten im Bereich des Rathauses Neukölln dar, die keine genehmigungspflichtige Sondernutzung des Straßenraumes darstellt. Von den Verteilungen wurden unregelmäßig Fotos auf der inzwischen abgeschalteten Facebook-Seite von "Die Wahre Religion" eingestellt, die eine wechselnde Beteiligung junger Salafisten belegen. Eine Mitwirkung bundesweit bedeutsamer Funktionäre der "LIES!"-Kampagne wurde in Berlin - anders als 2015 mit Ibrahim Abou Nagie oder Bernhard Falk - nicht bekannt. 1.6 Regional gewaltausübende islamistische Gruppen Neben den salafistischen Bestrebungen, deren jihadistischer Anteil von terroristischen Netzwerken dominiert wird, existieren weitere islamistische Organisationen, deren Agenden Bezüge zur Gewalt aufweisen. Dazu gehören auch regional gewaltausübende Islamisten. Zu den regional gewaltausübenden Organisationen in Deutschland zählen insbesondere die palästinensische HAMAS ("Bewegung des Islamischen Widerstands") und die schiitisch-libanesische "Hizb Allah" ("Partei Gottes"). Beide Organisationen agieren vor allem im Nahen Osten terroristisch und verhalten sich in Deutschland in der Regel zurückhaltend und gewaltfrei. 66 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 1.6.1 Bewegung des Islamischen Widerstands (HAMAS) "Bewegung des Islamischen Widerstands" (HAMAS) Gründung: 1987 Mitglieder: Berlin 70 (2015: 70) Die HAMAS wurde 1987 zu Beginn der ersten Intifada gegründet. Ihre Wurzeln liegen in der palästinensischen Muslimbruderschaft. Die HAMAS gab in den 1980er Jahren ihre vorwiegend religiös-unpolitische Haltung auf, um sich verstärkt der Konfrontation mit Israel zuzuwenden. In ihrer Charta von 1988 verneint die HAMAS das Existenzrecht Israels und strebt die "Befreiung ganz Palästinas" durch bewaffneten Kampf sowie die Errichtung eines islamischen Staates an. Durch ihre Kritik an den Friedensverhandlungen der Autonomiebehörde mit Israel sowie durch den Aufbau eines effizienten Netzwerkes von sozialen, karitativen und Bildungseinrichtungen entwickelte sich die HAMAS zu einem bedeutenden politischen und gesellschaftlichen Faktor. Bei den Kommunalwahlen 2004 und 2005 verzeichnete die HAMAS deutliche Erfolge und siegte auch bei den Parlamentswahlen 2006. Besonders hoch ist ihr Einfluss im Gazastreifen, wo sie seit Juni 2007 die alleinige Kontrolle ausübt. Die für 2016 anberaumten Kommunalwahlen in der Westbank und im Gazastreifen wurden auf unbestimmte Zeit verschoben. Die HAMAS wird seit 2003 auf der Liste terroristischer Organisationen der Europäischen Union geführt. In Deutschland tritt die HAMAS nicht offen auf. Ihre Anhänger treffen sich in Moscheen und Islamischen Zentren. Als Berliner Treffpunkt von HAMAS-Anhängern gilt das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ). Die Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mursi im Jahr 2013 bedeutete für die HAMAS einen schweren Schlag. Die neue ägyptische Führung beschuldigte die Organisation, in Terroranschläge auf ägyptischem Boden involviert zu sein und zerstörte oder flutete seither einen Großteil der Schmuggeltunnel, durch die zahlreiche Güter des täglichen Bedarfs, aber auch Waffen, vom Sinai in den Gazastreifen gelangten. Islamismus 67 Die ökonomische und soziale Lage im Gazastreifen ist seit dem Krieg im 1 Jahr 2014, bei dem weite Teile der Infrastruktur zerstört wurden, äußerst schlecht. Von der desolaten Situation profitieren vor allem jihadistische Organisationen, darunter auch der so genannte "Islamische Staat", die die HAMAS mit zunehmendem Selbstbewusstsein herausfordern und ohne Rücksichtnahme auf die Interessen der HAMASAutoritäten Angriffe gegen Israel durchführen. Eine Überwindung der innerpalästinensischen Spaltung ist trotz des im April 2014 zwischen Fatah und HAMAS unterzeichneten Versöhnungsabkommens weiterhin nicht absehbar. Im August wurde der Zweigstellenleiter der Hilfsorganisation "World Vision" im Gazastreifen, Mohammed al-Halabi, aufgrund des Verdachts der Spendenveruntreuung festgenommen. Als Mitarbeiter der international tätigen Hilfsorganisation steht er unter Verdacht, in den vergangenen Jahren bis zu 45 Mio. Euro Spendengelder an die HAMAS weitergeleitet zu haben, anstatt sie ihrem Ursprungszweck, der Förderung von Hilfsprojekten in Gaza, zuzuführen. Die HAMAS soll von diesem Geld ihren Tunnelbau und Waffeneinkäufe finanziert haben. Da auch deutsche Spendengelder in einer Höhe von rund 1,1 Mio. Euro zur HAMAS geflossen sein sollen, stellte die Bundesrepublik unverzüglich weitere Hilfszahlungen für "World Vision" ein. Die Organisation arbeitet an der Auflärung und hat eine Wirtschaftsprüfung angeordnet. In Israel hat der Prozess gegen al-Halabi im Februar 2017 begonnen. Aktivitäten von HAMAS-Anhängern in Berlin Wie in den vergangenen Jahren beeinflusste die Lage im Nahen Osten unmittelbar das Demonstrationsgeschehen in Berlin. Anlass zu Kundgebungen und Demonstrationen gaben alljährlich wiederkehrende Ereignisse wie der "Tag des Bodens", aber auch die Situation palästinensischer Gefangener, Übergriffe extremistischer israelischer Siedler auf Palästinenser und die anhaltenden Auseinandersetzungen um den Tempelberg. Am 7. Mai fand im schwedischen Malmö die "14. Konferenz der Palästinenser in Europa" statt. Die Konferenz wird seit 2002 jährlich in verschiedenen europäischen Städten abgehalten, wobei Malmö nach 2006 zum zweiten Mal Veranstaltungsort war. Organisiert wurde die Konferenz, zu der rund 14 000 Menschen 68 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 aus ganz Europa anreisten, durch das in London ansässige "Palestinian Return Centre" (PRC) mit Verbindungen zur HAMAS. Zu den Organisatoren gehörte auch die "Palästinensische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (PGD) mit Sitz in Berlin, deren Anhängerschaft ebenfalls vorwiegend aus HAMAS-Anhängern besteht. Thematische Schwerpunkte der diesjährigen PRC-Konferenz waren, neben Jerusalem und der Gaza-Blockade, die palästinensischen Flüchtlinge in Syrien bzw. im Libanon sowie die palästinensischen Gefangenen Israels. Aus der Bunderepublik Deutschland reisten rund 1 000 Personen an - allein aus Berlin waren es rund 400. 1.6.2 Hizb Allah (Partei Gottes) "Hizb Allah" ("Partei Gottes") Gründung: 1982 Mitglieder: Berlin 250 (2015: 250) Die schiitisch-islamistische "Hizb Allah" entstand 1982 als paramilitärische Bewegung, nachdem Israel militärisch in den libanesischen Bürgerkrieg (19761989) eingegriffen hatte. Aus ideologischen, regionalpolitischen und konfessionellen Motiven wird die "Hizb Allah" von Iran und Syrien unterstützt. Als einzige ehemalige Kriegsmiliz im Libanon unterhält die "Hizb Allah" eine Armee mit der Bezeichnung "Islamischer Widerstand" (arab. Al-Muqawama al-Islamiya).39 Die "Hizb Allah" negiert seit ihrem Bestehen das Existenzrecht Israels und propagiert den bewaffneten Kampf gegen Israel auch mit terroristischen Mitteln. Durch ihr sozialpolitisches Engagement verfügt die "Hizb Allah" unter den libanesischen Schiiten über eine erhebliche Anhängerschaft. Seit 1992 ist sie im Parlament vertreten und mittlerweile im Libanon zu einem festen Bestandteil des politischen Systems geworden. Nach einer Regierungskrise konnte 2014 im Libanon erstmals eine Regierung gebildet werden, die die beiden rivalisierenden Lager um die "Hizb Allah" und den früheren, 2005 ermordeten, Ministerpräsidenten Rafik Hariri vereint.40 Seit 2014 hat der Libanon erstmals 39 Der UN-Sicherheitsrat forderte in zwei Resolutionen die Entwaffnung der "Hizb Allah", so 2004 mit Resolution 1 559 und 2006 mit Resolution 1 701. 40 Der Regierungsbildung am 20.3.2014 waren im libanesischen Parlament zweitätige Diskussionen um die militärische Rolle der "Hizb Allah" vorausgegangen. Ein Kompromiss entzog der "Hizb Allah" ihr "Sonderrecht auf militärischen Widerstand gegen Israel" und gewährt nun allen Libanesen "das Recht zum Widerstand gegen die israelischen Besatzer, zur Abwehr ihrer Angriffe und zur Rücknahme des besetzten Gebiets". Islamismus 69 wieder einen Staatspräsidenten. Michel Aoun ist seit dem 31. Oktober 2016 1 Präsident des Libanon. Der maronitische Christ ist ein Verbündeter der "Hizb Allah". Damit ist die "Hizb Allah" wieder fest im konfessionellen Proporzsystem des Libanon verankert. Zum Ministerpräsidenten wurde erneut der Sunnit Saad al-Hariri ernannt. Wegen antisemitischer Propaganda sowie gegen Israel gerichteter Aufrufe zu Hass und Gewalt wurde in Deutschland 2004 die Ausstrahlung des "Hizb Allah"-eigenen TV-Senders "al-Manar" ("Der Leuchtturm") unterbunden; seit 2008 ist auch dessen öffentlicher Empfang untersagt. Im November 2015 wurde das Verbot des "Waisenkinderprojekt Libanon e.V." (WKP) gerichtlich bestätigt. Das WKP hatte Hinterbliebene von "Hizb Allah"-Kämpfern unterstützt und damit Sozialfürsorge für die Organisation betrieben. Die "Hizb Allah" ist von den USA, Kanada und Israel als Terrororganisation eingestuft. Als Reaktion auf den Anschlag auf einen Reisebus im bulgarischen Burgas im Juli 2012, bei dem fünf Israelis und der bulgarische Fahrer starben, beschlossen die Außenminister der Europäischen Union am 22. Juli 2013, den militärischen Arm der "Hizb Allah" in die Liste des "Gemeinsamen Standpunktes des Rates über die Anwendung besonderer Maßnahmen zur Bekämpfung des Terrorismus" (GASP, "EU-Terrorliste") aufzunehmen. Aktivitäten im Heimatgebiet Der Libanon droht, immer stärker in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt zu werden. Das 4,5 Mio. Einwohner zählende Land bot bis Anfang November mehr als eine Million registrierter Flüchtlinge Zuflucht und trägt damit eine Hauptlast der syrischen Flüchtlingskrise. Die "Hizb Allah" ist seit 2012 mit mehreren Tausend Soldaten auf Seiten des Assad-Regimes aktiv, während das libanesisch-sunnitische Lager um Saad al-Hariri die Rebellen unterstützt. Im Februar räumte Hassan Nasrallah, Generalsekretär der "Hizb Allah", erstmals öffentlich ein, dass seine Organisation auch im Irak aktiv am Kampf gegen den IS beteiligt ist. Dort sei man bereit, "fünfmal mehr Märtyrer zu opfern als in Syrien". Aufgrund ihrer Parteinahme für das Assad-Regime hat die "Hizb Allah" in der arabisch-islamischen Welt einiges von ihrem Nimbus als "legitime anti-israelische Widerstandsbewegung" eingebüßt. Angesichts ihrer 70 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 hohen Verluste im syrischen Bürgerkrieg steigt auch die Unzufriedenheit der eigenen Anhängerschaft. Mitte Mai ist Mustafa Badreddine, Generalstabschef der libanesischen "Hizb Allah", bei einem Luftangriff in Syrien ums Leben gekommen. Es ist davon auszugehen, dass Badreddine seit 2011 für die strategischen und militärischen Operationen der "Hizb Allah" in Syrien, einschließlich der Entsendung von "Hizb Allah"-Kämpfern aus dem Libanon, maßgeblich verantwortlich war. Aktivitäten in Berlin Grundsätzlich hält sich die "Hizb Allah" in Deutschland mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen zurück, auch aufgrund von Direktiven der Führung im Heimatland. Öffentlich beteiligten sich "Hizb Allah"-Anhänger in Berlin an der anti-israelischen Demonstration zum "Jerusalem-Tag" (arab.: al-Quds) am 2. Juli. Erstmalig wurde in diesem Jahr das Zeigen von "Hizb Allah"-Symbolen verboten. Der "Quds-Tag" wurde 1979 vom iranischen Regime aus Solidarität mit den Palästinensern ausgerufen, um die Ablehnung des Zionismus und die Nichtanerkennung der Existenz des israelischen Staates zum Ausdruck zu bringen. Der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini erklärte 1979 die "Befreiung" Jerusalems zur religiösen Pflicht eines jeden Muslim. Der jährliche "Tag des Sieges und der Befreiung"41 des Südlibanon ist neben dem "Quds-Tag" die wichtigste politische Veranstaltung des "Hizb Allah"-nahen Spektrums in Berlin, wird aber nicht nur von "Hizb Allah"-Sympathisanten begangen. Am 25. Mai gab es in einem Moabiter Festsaal dazu eine Feierlichkeit. Anti-israelische Aussagen und die Glorifizierung gegen Israel gerichteter Terroranschläge als Widerstand und der dabei Getöteten als "Märtyrer" zogen sich als Grundmotive durch die Veranstaltung. Auch der verstorbene Generalstabschef der libanesischen "Hizb Allah", Mustafa Badreddine, wurde in einer langen Reihe von "Märtyrern" gewürdigt. Anlässlich des höchsten schiitischen Feiertages, dem Aschura-Fest, mit dem die Schiiten dem Märtyrertod des Prophetenenkels Husain gedenken, richteten "Hizb Allah"-Anhänger am 12. Oktober eine Feierlichkeit aus. In sozialen Medien erschien wenig später ein Videomitschnitt der Veranstaltung, der zeigte, dass trotz 41 Nach dem Libanonkrieg von 1982 besetzte die israelische Armee weite Teile des Südlibanons, um dort eine so genannte Sicherheitszone einzurichten. Da eine dauerhafte Aufrechterhaltung der Besetzung aufgrund der militärischen Aktionen der "Hizb Allah" mit hohen Verlusten verbunden und politisch nicht vermittelbar war, zog sich die israelische Armee im Jahr 2000 aus dem Libanon zurück. Islamismus 71 des rein religiösen Hintergrundes einige Beiträge deutlich politische Bezüge aufwiesen. Es wurden Trauerverse gesungen, die positive Bezüge zum verstorbenen 1 iranischen Revolutionsführer Khomeini sowie zum derzeitigen Revolutionsführer Khamene'i enthielten: "Wir sind Söhne von Khomeini und rufen zur Treue gegenüber Ali Khamene'i [...] wir ziehen das Märtyrergewand an für Ali Khamene'i [...] wir schwören beim Herren des Himmels Ali Khamene'i die Treue [...]." 42 Mit den Versen werden die iranischen Revolutionsführer Khomeini und Khamene'i sowie das islamistische System der Islamischen Republik Iran glorifiziert. 1.7 Gewaltbefürwortender Islamismus Gewaltbefürwortende islamistische Gruppen kennzeichnet, dass sie selbst keine Gewalt ausüben, die Gewalt anderer Gruppierungen jedoch propagandistisch einsetzen oder im Sinne ihrer Interessen legitimieren. Zu dieser Form des Islamismus wird in Deutschland die 2003 verbotene "Hizb ut-Tahrir" gezählt. 1.7.1 Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) "Hizb ut-Tahrir" ("Partei der Befreiung") Gründung: 1953 Mitglieder: Berlin 35 (2015: 35) Die "Hizb ut-Tahrir" (HuT) wurde 1953 in Jordanien von Taqi ad-Din an-Nabahani (1909-1977) gegründet. Sie strebt nach der Überwindung nationalstaatlicher Strukturen, der Vernichtung des Staates Israel, der Befreiung der muslimischen Welt von westlichen Einflüssen sowie nach der Einführung der Scharia als politisches und gesellschaftliches Ordnungsprinzip. Im Zentrum ihrer Ideologie steht die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Die HuT ist eine panislamistische Organisation, die in fast allen Ländern des Nahen Ostens, Zentralasiens sowie Südostasiens aktiv ist. Die größte Anhängerschaft hat sie in Usbekistan und Indonesien. Da die HuT in vielen Ländern 42 Übersetzung aus dem Arabischen. 72 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 verboten ist und ihre Anhänger verfolgt werden, agiert die Partei meist im Untergrund. Die HuT versteht sich als elitäre Kaderpartei und versucht ihre Ideologie vor allem im akademischen Raum zu etablieren. Derzeitiger Vorsitzender der HuT ist der 1943 geborene Jordanier Ata Abu al-Rashta, dessen Aufenthaltsort im Libanon vermutet wird. In Syrien ist die HuT seit Beginn des Bürgerkrieges in den von Rebellen gehaltenen Gebieten aktiv. Sie unterhält dort keine bewaffneten Einheiten, betreibt jedoch den Aufbau ihrer Strukturen. Die Partei betrachtet Syrien als Grundstein für das von ihr angestrebte Kalifat. Der Ausrufung eines Kalifats durch den IS steht sie jedoch u.a. wegen dessen exzessiver Anwendung von Gewalt kritisch gegenüber. In Deutschland trat die HuT vor allem mit der Verteilung von Flugblättern und Zeitschriften in Erscheinung, die sich durch aggressive antisemitische Hetze auszeichneten. Am 10. Januar 2003 erließ der Bundesminister des Innern gegen die HuT ein Betätigungsverbot, das vom Bundesverwaltungsgericht mit Verweis auf Forderungen der Partei nach der Beseitigung des Staates Israel am 25. Januar 2006 bestätigt wurde.43 Eine Klage gegen das Betätigungsverbot in Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte scheiterte im Jahr 2012 ebenfalls. Die HuT setzte ihre Agitation jedoch mit konspirativen Mitteln fort und rekrutiert neue Mitglieder. Seit ihrem Verbot tritt die HuT in Deutschland nicht mehr offen auf und beschränkt sich auf Treffen in Privatwohnungen sowie auf geschlossene Veranstaltungen. Daneben verbreitet sie ihre Ideologie über Internetpräsenzen im Ausland auch gezielt in Richtung deutschsprachiger Adressaten. In diesem Kontext propagiert die HuT ihre ablehnende Haltung gegenüber einer säkular-liberalen Gesellschaftsordnung, Kultur und Lebensweise. Aufschlussreich war insofern eine deutschsprachige Erklärung der Frauenabteilung des "Zentralen Medienbüros" der HuT, die unter dem Titel "Muslimische Jugend - Pioniere der wahren Veränderung" Anfang Mai auf Internetseiten der HuT erschien. Bezugspunkt der Ausführungen 43 Vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG), Az.: 6A 6.05. Islamismus 73 war eine Konferenz in London am 7. Mai mit dem Titel "Eine globale Kampagne und internationale Frauenkonferenz", die sich gezielt an die weibliche muslimi- 1 sche Jugend wendete und von ihnen die Abkehr von "liberaler Kultur und Lebensweise" forderte, da diese "islamische Werte untergraben" würde. Der Text führt aus, was laut HuT unter "islamischen Werten" zu verstehen sei: "[...] Zu diesen Werten und Gesetzen gehören: Die Überzeugung vom Islam als spirituellen und politischen Din (Glauben), die islamischen Gesetze in Bezug auf die Frau, das Konzept der globalen Ummah (Gemeinde), die Befürwortung der Umsetzung der Scharia und die Wiedererrichtung des Kalifats nach der Methode des Propheten." Aufgrund ihres oft aggressiven Auftretens und ihres sektenähnlichen Habitus sind die Mitglieder der HuT selbst innerhalb des islamistischen Lagers isoliert. In den letzten Jahren haben sich vor allem jüngere HuT-Mitglieder ungeachtet der ideologischen Unterschiede44 auch im salafistischen Spektrum engagiert. Auch konnte beobachtet werden, dass die HuT versucht, neue Anhänger aus dem jüngeren salafistischen Spektrum zu gewinnen. 1.8 Legalistischer Islamismus Zum legalistischen Islamismus zählen die mitgliederstärksten islamistischen Organisationen in Deutschland. In der Agenda legalistischer Islamisten spielt Gewalt keine Rolle. Entweder waren die hierzu zählenden Organisationen nie gewaltorientiert oder sie haben der Gewalt abgeschworen. Zur Durchsetzung ihrer islamistischen Vorstellungen, die sie im Regelfall nicht gegenüber der Öffentlichkeit vertreten, bemühen sie sich, alle im Rahmen des geltenden Rechts möglichen Chancen zu nutzen. Organisationen des legalistischen Islamismus sind oft karitativ tätig, sei es durch Bildungsangebote oder soziale Projekte. In diesem Rahmen propagieren sie vermeintlich authentische islamische Normen und Werte, um den Grundstein einer aus ihrer Sicht wahrhaft islamischen Gesellschaft zu legen. Hinzu tritt eine angestrebte Nähe zu öffentlichen Institutionen, mit denen sie versuchen, Kooperationen und Partnerschaften einzugehen. Dennoch werden von legalistischen Islamisten Positionen vertreten, so z.B. in Bezug auf das Staatsmodell oder die Gleichheit der Geschlechter, die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Zu den legalistischen islamisti44 Die HuT sieht sich als elitäre Kaderpartei, während der Salafismus auf eine egalitäre Gemeinschaft abzielt. 74 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 schen Gruppierungen in Deutschland zählen die "Muslimbruderschaft" (MB) und die türkische "Milli Görüs-Bewegung" (MGB). 1.8.1 Muslimbruderschaft "Muslimbruderschaft" (MB)/ "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) Gründung: 1928 Ägypten (MB) 1960 Deutschland (IGD) Mitglieder: Berlin 120 (2015: 120) Die 1928 in Ägypten von Hassan al-Banna gegründete "Muslimbruderschaft" (MB) ist die älteste arabische islamistische Gruppierung. Die pan-islamistische Organisation ist heute, teils unter anderen Namen, in fast allen Ländern des Nahen Ostens vertreten und unterhält auch Zweige in westeuropäischen Ländern. Die nationalen Zweige der MB haben sehr verschiedene Entwicklungen durchlaufen. Die syrische MB konnte bereits Ende der 1940er Jahre Vertreter ins Parlament entsenden. Seit einem Aufstandsversuch in Hama 1982, den das Regime rücksichtslos niederschlug, ist die syrische MB eine reine Exilorganisation. Im Gegensatz dazu strebte die jordanische MB danach, ihre Ziele in Anlehnung an das Königshaus zu verwirklichen. Die ägyptische MB, die größte der MB-Organisationen, durchlief verschiedene historische Phasen: In ihrer Frühphase in den 1920er und 1930er Jahren konzentrierte sie sich auf die Bildung und Erziehung der Gläubigen. Von den 1940er bis zu den 1960er Jahren agierte sie auch militant und verübte zahlreiche Anschläge auf Staatsvertreter. Als nicht mehr gewaltorientiert gilt die ägyptische MB erst seit der Abspaltung ihrer militanten Flügel in den späten 1970er Jahren. Die MB definiert den Islam als ein "System", das "zu jeder Zeit und an jedem Ort" anwendbar sei und erhebt Koran und Sunna zur Richtschnur des politischen Handelns. Hieraus leitet die Organisation ihre Forderung nach einer umfassenden Anwendung der Scharia und nach Schaffung eines islamischen Staates ab. Ideologisch verkörpert die MB jedoch ein breites Spektrum, das bis zu der Forderung nach Schaffung eines "zivilen Staates mit islamischem Referenzrahmen" bzw. einer "islamischen Demokratie" reicht. Islamismus 75 Die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland ist 1 die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD), die aus der 1960 in München von dem ägyptischen MB-Mitglied Said Ramadan gegründeten "Moscheebau-Kommission e.V." hervorging. Die IGD hat Verbindungen zu einer Reihe von Vereinen. In Berlin zählen hierzu das "Interkulturelle Zentrum für Dialog und Bildung e.V." (IZDB), das "Islamische Kulturund Erziehungszentrum e.V." (IKEZ), und das "Teiba Kulturzentrum zur Förderung der Bildung und Verständigung e.V." (TKZ). Das TKZ verfügt über keine eigenen Räumlichkeiten mehr und nutzt für ihre Freitagspredigten stattdessen eine Turnhalle in Spandau. Die lange Zeit verbotene MB profitierte zunächst von den politischen Umbrüchen des "Arabischen Frühlings", die in Ägypten zum Sturz des Präsidenten Mubarak führten und nach jahrzehntelanger politischer Stagnation erstmals freie Wahlen ermöglichten. Nach ersten Erfolgen der MB bei den Parlamentswahlen 2011 wurde schließlich im Juni 2012 ihr Kandidat Muhammad Mursi zum Präsidenten gewählt. Begleitet von Massenprotesten der Opposition setzte das ägyptische Militär den Präsidenten am 3. Juli 2013 ab. Das Militärregime geht seither mit allen Mitteln gegen die "Muslimbruderschaft" vor. Die gesamte MB-Führung wurde festgenommen, die MB und alle ihre Ableger verboten und Vermögen sowie Immobilienbesitz der Organisation beschlagnahmt. Seither wurden hunderte MB-Anhänger in Schauprozessen zum Tode verurteilt, darunter auch der Führer der Organisation Muhammad Badi'a und Ex-Präsident Muhammad Mursi, dessen Todesurteil im November von einem Gericht zunächst aufgehoben wurde. Auch international ist die MB zunehmend isoliert. So haben nach Ägypten auch Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate die MB zur Terrororganisation erklärt, letztere auch mehr als 80 weitere MB-nahe Organisationen, darunter auch die "Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD). Selbst das Emirat Katar, ein langjähriger Förderer der MB, hat der Organisation unter dem Druck Saudi-Arabiens im September 2014 seine Protektion entzogen. Obwohl Katar die im Exil lebenden MB-Führer zwar nicht, wie gefordert, nach Ägypten auslieferte, mussten diese das Land verlassen und in anderen Staaten, darunter der Türkei, Zuflucht finden. 76 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Die Festnahme ihrer Führung und zehntausender Mitglieder, die Konfiszierung ihres Vermögens und ihre internationale Isolierung haben die "Muslimbruderschaft" erheblich geschwächt. Ungeachtet der tatsächlichen Machtverhältnisse verweigern MB-Vertreter weiterhin eine Anerkennung des ägyptischen Ex-Generals Abd al-Fattah as-Sisi als Präsident. Als Symbol des Protests der MB findet weiterhin eine stilisierte schwarze Hand mit vier ausgestreckten Fingern vor gelbem Hintergrund Verwendung. Die vier Finger (rabi'a heißt auf Arabisch "die Vierte") sind eine Anspielung auf den Platz vor der Rabi'a al-Adawiya-Moschee, auf dem Anhänger der MB ein Protestcamp errichtet hatten, bei dessen Räumung 2013 bis zu 800 Menschen von den Sicherheitskräften getötet wurden. Aktivitäten in Berlin Auch in Berlin wird das "Rabi'a-Symbol" gezeigt, wenn Sympathisanten und Anhänger des gestürzten Präsidenten Mursi demonstrieren. In den letzten Jahren ließ die Intensität der Proteste von MB-Anhängern jedoch spürbar nach. Lediglich bei symbolträchtigen Anlässen wie dem Jahrestag des Putsches sowie wie beim Besuch des ägyptischen Präsidenten as-Sisi Anfang Juli 2015 in Berlin mobilisierten MB-Anhänger zu Kundgebungen und Demonstrationen. Verbindungen von Berliner Vereinen zur MB und IGD Die Verbindungen der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) zu den vier Vereinen "Interkulturelles Zentrum für Dialog und Bildung e.V." (IZDB), "Islamisches Kulturund Erziehungszentrum e.V." (IKEZ) und "Teiba Kulturzentrum zur Förderung der Bildung und Verständigung e.V." (TKZ) in Berlin zeigt sich bei Veranstaltungen, insbesondere solchen im Bereich der Jugendarbeit. Diese werden von dem "Islamischen Jugendzentrum Berlin e.V." (IJB) seit 2012 veranstaltet und koordiniert.45 Die IJB bewarb eine Veranstaltung am 17. Juli in den Räumen des IZDB, um die Schulabschlüsse muslimischer Jugendlicher zu feiern und kooperierte bei der Durchführung mit allen Vereinen in Berlin sowie mit der IGD. Als gemeinsame Veranstalter fungierten 45 Das IJB wurde nach eigenen Angaben im Sommer 2010 unter dem Namen "Interkulturelles Jugendzentrum Berlin-Brunnenviertel" gegründet und Anfang 2011 als Verein eingetragen. Seit 2012 agiert dieser Verein als "IJB", ohne jedoch unter diesem Namen im Vereinsregister eingetragen zu sein. Dessen unbenommen nennt sich die IJB in ihrem Facebook-Account "ev" und kündigt für April 2017 eine Bildungsreise als "e.V." an. Islamismus 77 IGD und IJB bei der Durchführung der "YouCon", einer islamischen Jugendkonferenz, die am 24. und 25. Dezember im IZDB stattfand. Das IJB und führ- 1 ten gemeinsam eine "Winterhilfe" für Bedürftige während der Kälteperiode durch, bei der die Helfer Warnwesten mit den entsprechenden Vereinsemblemen trugen. Die der "Muslimbruderschaft" nahestehenden Organisationen in Deutschland und Berlin sind Teil eines europaweiten Geflechts von Institutionen, das die Strukturen der MB außerhalb ihres islamischen Kernraumes prägt. Die IGD ist seit ihrer Gründung Mitglied in der "Föderation Islamischer Organisationen in Europa" (engl. "Federation of Islamic Organisations in Europe", FIOE), dem europäischen Dachverband islamischer Organisationen, die als Ableger der MB gelten. Die FIOE hat ihren Sitz in Brüssel und vertritt die Auslandsbeziehungen der IGD. Auf Initiative der FIOE wurde 1997 der "European Council for Fatwa and Research" (ECFR) in London gegründet. Dabei handelt es sich um eine Organisation islamischer Gelehrter. Die ECFR mit Sitz in Dublin versucht sich an einer europakonformen Auslegung des islamischen Rechts und erlässt islamische Rechtsgutachten (arab.: fatwa) für die in Europa lebenden Muslime, die nach einem Ausgleich zwischen Vorgaben der Scharia und Erfordernissen der nationalen Rechtsnormen streben. Gründungsmitglied und seitdem Präsident ist der islamische Rechtsgelehrte Yusuf al-Qaradawi. Al-Qaradawi gilt als führender Ideologe der MB und verbreitet seine Rechtsgutachten mittels des ECFR in Europa. Gemeinsam mit der französischen Partnerorganisation war die FIOE bereits 1990 auch maßgeblich an der Gründung einer privaten islamischen Hochschule im französischen Chateau-Chinon beteiligt, in deren wissenschaftlichem Beirat auch alQaradawi mitwirkte. Es folgten weitere Institutsgründungen, zunächst in England und Ende 2012 auch in Frankfurt am Main. Der Direktor des dortigen "Europäischen Instituts für Humanwissenschaften e.V." (EIHW) erklärte seinerzeit, dass man zu einem Verbund europäischer Institute mit Partnern in Frankreich und England gehöre. Auch das EIHW erklärt in seiner Selbstdarstellung, die Institutsgründung folge dem Vorbild aus dem Ausland. Die institutionellen Beziehungen der MB-nahen Organisationen in Europa untereinander, insbesondere die der IGD in Deutschland, werden gegenüber der Öffentlichkeit kaum offen dargestellt. Deutlich wird die Nähe der Organisationen zur 78 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 MB über die persönlichen Verbindungen und Aktivitäten der für sie handelnden Funktionäre. Am 11. und 12. März fand die Gründungsveranstaltung des "FatwaAusschuss Deutschland" (FAD) mit mehr als 600 Teilnehmenden statt. Zu den Mitgliedern des Fatwa-Ausschusses des FAD gehören mehrere muslimische Gelehrte und Theologen, die der MB nahestehen. Dafür spricht der Umstand, dass diese in Personalunion für Organisationen handeln, die zum Geflecht der MB in Europa und Deutschland zählen. Der Vorsitzende des Fatwa-Ausschusses ist zugleich Dekan des EIHW in Frankfurt am Main und Mitglied des ECFR. In der Gesamtschau vor allem personeller Verflechtungen wird deutlich, dass der FAD als nationaler Ableger des europäischen ECFR agiert. Der FAD hat in Berlin zwei weitere Treffen angekündigt, die seinen institutionellen Status dokumentieren. Für den 30. April wurde im "Islamischen Kulturund Erziehungszentrum Berlin e.V." (IKEZ) zur "ersten Tagung zur Rechtspraxis für die muslimische Frau in Berlin" eingeladen. Drei der dort angekündigten Referenten sind Mitglieder des FAD, darunter ein Vorbeter einer der Moscheevereine mit Verbindungen zur MB in Berlin. Auf den social-media-Kanälen des FAD wurde für eine Veranstaltung am 5. Juni geworben, bei der der Austausch über die Vereinbarkeit zwischen Religion und Gesetz im Islam thematisiert werden sollte. Zu den dort geladenen drei Gelehrten und Theologen zählten wiederum zwei Funktionäre des FAD und, teils in Personalunion, zwei Vorbeter aus den Moscheevereinen mit Verbindungen zur MB in Berlin. Einerseits positioniert sie sich gegen jedwede Gewaltausübung im Namen des Islam und engagiert sich in der Integrationsund Präventionsarbeit. Andererseits unterhält sie Verbindungen zur MB. Die "Muslimbruderschaft" und die ihr nahestehenden Organisationen in Deutschland und in Europa wie die FIOE und der FAD lehnen die Demokratie nicht prinzipiell ab und sind durchaus für freie Wahlen und die Gewaltenteilung. Allerdings streben sie nach der Ausformung einer Rechtspraxis auf der Grundlage traditioneller und als authentisch erachteter islamischer Schriften. Damit fordern sie eine Form islamischer Rechtsschöpfung, die auf die Scharia als Hauptquelle des Islamismus 79 Rechts Bezug nimmt - zumindest für die in Deutschland lebenden Muslime. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird derart nicht vorbehaltslos mitge- 1 tragen, sondern eine rein opportunistische Position zum deutschen Recht eingenommen. Durch das Suchen nach Nähe zu öffentlichen Institutionen und dem Streben nach Projektpartnerschaften im öffentlichen Raum sind legalistische Islamisten bemüht, als vermeintliche Interessenvertreter der gesamten muslimischen Community aufzutreten. Innerhalb dieser Gemeinde machen sie verstärkt Werbung für eigene politische Interessen, um diese auf legalem Weg ("durch die Institutionen"), geschützt durch die Religionsfreiheit, durchzusetzen. 1.8.2 Milli Görüs-Bewegung (MGB) "Milli Görüs"-Bewegung (MGB) Mitglieder: Berlin: 500 (2015: 500) Die Ideologie der "Milli Görüs"-Bewegung beruht auf den politischen Konzepten von Necmettin Erbakan, die von ihm mit den Begriffen "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" ("Gerechte Ordnung") charakterisiert wurden. Erbakan wollte die türkischen Bürger unter dem Dach von Nationalismus und Islamismus vereinen, die bestehende "nichtige" bzw. "falsche Ordnung" (batil düzen) überwinden und sie durch eine "gerechte Ordnung" - mit letztlich globalem Anspruch - ersetzen, die auf der göttlichen Offenbarung begründet ist bzw. sich an den Prinzipien von Koran und Sunna orientiert. Erbakan lehnte wesentliche demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien wie Volkssouveränität oder Parteienpluralismus als unvereinbar mit der "gerechten Ordnung" ab und propagierte die Überwindung des Laizismus, die Schaffung einer "neuen, großen Türkei" sowie die Errichtung einer "gerechten Wirtschaftsordnung" auf autoritär-korporatistischer Basis. In diesem Zusammenhang vertrat er auch offen antisemitische Stereotype. Auch nach Erbakans Tod im Jahr 2011 wird das von ihm propagierte Gesellschaftsmodell von der "Milli Görüs"-Bewegung weiter verfolgt. 80 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 In der politischen Landschaft der Türkei ist die "Milli Görüs"-Bewegung seit Jahrzehnten durch mehrere islamistische Parteien vertreten, die zum größten Teil von Erbakan gegründet und geführt wurden. Diese erzielten in der Vergangenheit bei den Parlamentswahlen beachtliche Erfolge und sicherten Erbakan von 1996 bis 1997 das Amt des Ministerpräsidenten, bevor ihn das Militär zum Rücktritt drängte. Trotz mehrmaliger Parteiverbote und anschließender Neugründungen gelang es Erbakan, seine Position als Führer der "Milli Görüs"-Bewegung über Jahrzehnte zu behaupten und eine Spaltung seiner Anhängerschaft zu verhindern. Erst nach dem Verbot der "Fazilet Partisi" ("Partei der Tugend", FP) im Jahr 2000 kam es zu einer Spaltung der "Milli Görüs"-Bewegung. Das Lager der Erneuerer löste sich unter der Führung des jetzigen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan sowohl organisatorisch als auch ideologisch von Erbakan und ging in der "Adalet ve Kalkinma Partisi" ("Partei der Gerechtigkeit und Entwicklung", AKP) auf. Die "Traditionalisten", die sich bis heute zur "Milli Görüs"-Ideologie und deren Begründer Erbakan bekennen, gründeten im Juli 2001 unter der Führung des ehemaligen FP-Vorsitzenden Recai Kutan die "Saadet Partisi" ("Partei der Glückseligkeit", SP). Der "Milli Görüs"-Bewegung in Deutschland sind u.a. zuzurechnen: * Strukturen der "Saadet Partisi" * Strukturen der Erbakan-Stiftung * die Tageszeitung "Milli Gazete" * Teile der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Von diesen Organisationen bekennen sich die "Saadet Partisi" und die ErbakanStiftung offen zur Ideologie Erbakans. Sie haben seit 2013 mit der Etablierung von Strukturen außerhalb der Türkei begonnen, die vor allem der Unterstützung der Mutterpartei in der Türkei und der Verbreitung der "Milli Görüs"-Ideologie dienen. Im Jahr 2015 eröffnete die "Saadet Partisi" auch in Berlin ein Büro, in dem regelmäßig religiöse und politische Vorträge stattfinden. Fatih Erbakan, Sohn von Necmettin Erbakan und Vorsitzender, gründete nach dem Tod seines Vaters im Juni 2013 in der Türkei die Erbakan-Stiftung mit dem Ziel, die Ideen von Necmettin Erbakan wiederzubeleben. Anfang Januar 2015 wurde in Solingen die Deutschland-Zentrale der Erbakan-Stiftung gegründet, die die Weisung ausgab, in jedem Bundesland eine Vertretung zu eröffnen. Im Januar 2015 Islamismus 81 wurde eine Facebook-Präsenz der Erbakan-Stiftung Berlin eingerichtet, die auch über eine Veranstaltung in Berlin mit Fatih Erbakan am 13. Februar berichtete.46 1 Die "Milli Gazete", die in Deutschland seit Mai 2011 nur im Abonnement erhältlich ist, gilt als Sprachrohr der "Milli Görüs"-Bewegung. Dass Erbakans Ideologie für diese Zeitung unverändert von Bedeutung ist, wird anhand eines veröffentlichten Beitrags mit dem Titel "Was es bedeutet, für die Milli Gazete zu schreiben" deutlich.47 Dort heißt es unter anderem: "Für die Milli Gazete zu schreiben, bedeutet die Wahrheit der Milli Görüs zu präsentieren, ohne sich hinter den Begrifflichkeiten der "Realität" zu verstecken [...] bedeutet sich anzustrengen, damit das Volk gemäß Traditionen, Bräuchen und Regeln lebt, die nicht dem Islam widersprechen [...] bedeutet Widerstand gegen die ideologische Vergiftung junger Geister [...] bedeutet sich der Weltherrschaft der zionistischen Ideologen zu widersetzen [...] bedeutet Erbakan Hoca." Die IGMG ist aus der 1985 gegründeten "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT) hervorgegangen. 1995 wurde die AMGT in zwei unabhängige Vereine aufgeteilt. Von diesem Zeitpunkt an übernahm die IGMG die sozialen, kulturellen und religiösen Aufgaben der AMGT und die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) die Verwaltung des Immobilienbesitzes der ehemaligen AMGT. Referenzen an Erdogan und dessen Ideologie sind im Gegensatz zur "Saadet Partisi" und der Erbakan-Stiftung jedoch nur noch in Teilen feststellbar. 1.9 Islamisten und die Flüchtlingsthematik Unter den Besuchern der in diesem Bericht genannten Moscheen, auch den salafistischen, sind auch Flüchtlinge. Sie werden hier in ihrer Landessprache angesprochen, teilweise spielt auch die räumliche Nähe der Moscheen zu den Flüchtlingseinrichtungen eine Rolle. Nur in Einzelfällen liegen in Berlin Erkenntnisse zu islamistischen Radikalisierungsprozessen unter Migranten vor, die Folge von gezielten Ansprachen von Salafisten waren. Bislang ist nicht erkennbar, dass sich unter den Flüchtlingen ein signifikanter Anteil radikalisierter Islamisten befindet. Allerdings haben sich islamistische Orga46 Veröffentlicht auf Facebook am 14. und 17.2.2016. 47 "Milli Gazete", Ausgabe vom August 2015. 82 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 nisationen in Berlin als Akteure in der Flüchtlingshilfe positioniert und versuchen, ihren Einfluss auf Flüchtlinge zu erweitern. Mit Blick auf den Umstand, dass sich unter den Flüchtlingen ein hoher Anteil junger Männer ohne familiäre Anbindung in Deutschland befindet, können deren teilweise schwierigen Lebensumstände den Grad ihrer Anfälligkeit für die Angebote islamistischer Ideologen in Berlin erhöhen. Beratungsangebot des Berliner Verfassungsschutzes Um die Kompetenzen zu Islamismus, Salafismus und Radikalisierung zu stärken, bietet der Berliner Verfassungsschutz an, Betreiber und Mitarbeiter von Flüchtlingsunterkünften über die Problemfelder islamistischer Einflussnahme aufzuklären und sie für Auffälligkeiten, die einen Hinweis auf eine salafistische Radikalisierung geben können, zu sensibilisieren. Mit einer im Oktober 2015 erstellten und im Juni 2016 aktualisierten Handreichung werden Personen, die ehrenamtlich oder beruflich mit Flüchtlingen arbeiten über die wichtigsten Merkmale islamistischer Ideologie sowie über islamistische Akteure und Kampagnen in Deutschland informiert.48 48 Senatsverwaltung für Inneres und Sport: "Aktivitäten islamistischer Akteure im Zusammenhang mit der Flüchtlingssituation", Juni 2016. Siehe unter www.verfassungsschutz-berlin.de/publikationen. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 83 2 Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 2 2.1 Ideologien extremistischer Bestrebungen ausländischer Organisationen Ausländische Organisationen werden als extremistisch bewertet, wenn sie Ideologien extremistischer Bestresich gegen die freiheitliche demokrabungen ausländischer Organisationen tische Grundordnung richten und die Im Gegensatz zu den BeobachDurchsetzung ihrer Weltanschauung tungsfeldern Rechtsoder Linksexin Deutschland anstreben. tremismus sowie Islamismus verAls extremistisch werden aber auch fügen extremistische Bestrebungen ausländische Organisationen eingeausländischer Organisationen stuft, die eine gewaltsame Verändenicht über eine einheitliche ideolorung der politischen Verhältnisse in gische Ausrichtung mit verschieden Heimatländern anstreben. Sie gedenen Ausprägungen. Es lassen sich fährden durch Anwendung von Gewalt vielmehr gegensätzliche Ideologien oder darauf gerichtete Vorbereitungsunterscheiden: handlungen auswärtige Belange der * Linksextremisten: Diese folgen Bundesrepublik Deutschland. weitgehend der Ideologie des Marxismus-Leninismus und streben meist Ausländische Personenzusammenmit Gewalt die Etablierung eines soschlüsse werden schließlich als extrezialistischen bzw. kommunistischen mistisch bewertet, wenn ihre Tätigkeit Systems in ihren Heimatländern an. gegen das friedliche Zusammenleben * Extreme Nationalisten: Nationader Völker (Art. 21 Abs. 1 Grundgelistische Ausländerorganisationen setz) gerichtet ist. Organisationen, die kennzeichnet ein auf ethnische, kulsich gegen das friedliche Zusammenturelle und politisch-territoriale Unleben der Völker richten, bedeuten terschiede gegründeter Überlegeneine erhebliche Gefahr für die innere heitsanspruch der eigenen Nation Sicherheit. Sie bilden den Nährboden sowie die Negierung der Rechte anfür extremistische Auffassungen und derer Ethnien. schüren Hass, der auch zu terroristi- 84 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 scher Gewaltanwendung führen kann. In den meisten Fällen werden die AkBei nicht-islamistischen ausländerextivitäten ausländerextremistischer tremistischen Organisationen lassen Organisationen von den politischen sich linksextremistische und nationaVerhältnissen in ihren Herkunftslänlistisch orientierte Gruppierungen undern bestimmt. terscheiden. Meist werden die Aktivitäten ausländerextremistischer Organisationen von den politischen Verhältnissen in ihren Herkunftsländern bestimmt. Einige der in Deutschland ansässigen Organisationen lassen inzwischen jedoch Tendenzen zu eigenständigem Handeln erkennen. 2.2 Personenpotenzial Das Personenpotenzial linksextremistischer ausländischer Organisationen ist in den letzten Jahren nahezu konstant geblieben. Die in der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) organisierten kurdischen Linksextremisten stellen hier weiterhin das einzige zahlenmäßig relevante Personenpotenzial, das sich 2016 unverändert auf 1 100 Personen beläuft. Auch im Bereich der extrem-nationalistischen Organisationen ist in Berlin das Personenpotenzial gleichgeblieben, das von der türkischen "Ülkücü-Bewegung" bestimmt wird. Ihr werden aktuell etwa 400 Personen zugerechnet. Personenpotenzial extremistischer ausländischer Organisationen* Berlin 2015 2016 Gesamt 1 750 1 750 Linksextremisten, davon: 1 350 1 350 PKK 1 100 1 100 Sonstige 250 250 Extreme Nationalisten, davon: 400 400 Ülkücü-Bewegung 400 400 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 85 2.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 2 Gründung: 1978 Mitglieder: Berlin: 1 100 (2015: 1 100) Die 1978 gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) kämpft seit 1984 in einem Guerillakrieg für einen unabhängigen kurdischen Nationalstaat im Ländereck Türkei, Iran, Irak und Syrien. Die Gründe für die Entstehung der PKK lagen auch im nationalen Selbstverständnis der Türkei, das sich einer Anerkennung kurdischer Interessen verweigerte. Nach der Festnahme ihres Führers Abdullah Öcalan 1999 änderte die Partei ihre strategische Ausrichtung: Öcalan verkündete einen "einseitigen Waffenstillstand". Die PKK beschränkte sich seither auf Forderungen nach autonomer Selbstverwaltung der mehrheitlich kurdisch besiedelten Gebiete innerhalb des türkischen Staatsgebiets. Die Partei ist eine streng hierarchisch organisierte Kaderpartei mit einer strikten Parteidisziplin, einem ausgeprägten Märtyrerkult sowie einem extremen Personenkult um ihren Führer Abdullah Öcalan. Sie unterhält zahlreiche Unterorganisationen. Die PKK ist auf der europäischen Liste der terroristischen Organisationen verzeichnet und in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt. Die PKK in der Türkei Nach dem Strategiewechsel der PKK machte die türkische Regierung Zugeständnisse zur Beilegung des Konflikts, indem kurdische Minderheitenrechte, Sprache und Kultur, anerkannt wurden. 2004 kündigten die so genannten "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel, HPG), der bewaffnete Arm der PKK, den von Öcalan erklärten "einseitigen Waffenstillstand" auf. Die Kämpfe und Terroranschläge wurden in wechselnder Intensität fortgesetzt, bis Ende 2012 der Friedensprozess wiederaufgenommen wurde. Ein Anschlag in der türkischen Stadt Suruc im Juli 2015 führte zum Abbruch der Friedensverhandlungen und zu einer Welle der Gewalt. 86 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 2.3.1 Ereignisse in den Kurdengebieten bestimmen Aktivitäten der PKK in Berlin Die Aktivitäten der PKK in Deutschland und Berlin werden maßgeblich durch die Ereignisse in den kurdischen Gebieten der Türkei und Syriens bestimmt. Die Folgen des paradigmatischen Politikwechsels der türkischen Regierungspartei AKP (Adalet ve Kalkinma Partisi, "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei") gegenüber kurdischen Interessen und Bestrebungen 2015 haben sich 2016 noch stärker ausgeprägt. Hinzu treten die politischen Folgen des Putschversuchs vom Juli, zu denen mehrere Wellen von Verhaftungen zählen, die sich auch gegen mutmaßliche PKK-Funktionäre und -Anhänger richteten. Jahreswechsel 2015/16 - Eskalation des Konfliktes zwischen PKK und Türkei Seit Dezember 2015 war es vermehrt zu Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und Kämpfern der PKK in der südanatolischen Stadt Cizre gekommen. Ende Januar führte dies zu bundesweiten Demonstrationen in Deutschland. Unter dem Motto "Überall ist Sur - überall ist Cizir"49 rief der PKK-nahe Dachverband "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland"50 auch in Berlin zu einer Kundgebung am 30. Januar auf. NAV-DEM, der Dachverband der PKK-Anhänger in Deutschland, kritisierte den "Belagerungsund den Vernichtungskrieg des Erdogan und der AKP gegenüber dem kurdischen Volk".51 In sozialen Netzwerken warb ihr lokaler Ableger "NAV-DEM Berlin e.V." ebenfalls dafür, so dass die Teilnehmerzahl mit mehreren hundert Personen hoch ausfiel. Höhepunkt dieser Auseinandersetzungen war die Großoffensive des türkischen Militärs gegen Rebellen der PKK. Bei einem Angriff türkischer Sicherheitskräfte sollen dabei in der Nacht zum 8. Februar über 60 Personen getötet worden sein, darunter laut PKK-nahen Quellen zahl49 Sur: kurdische Schreibweise des Stadtbezirks Sur der Stadt Diyarbakir. Cizir: kurdische Bezeichnung der türkischen Stadt Cizre. 50 Kurdisch: "Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanyaye", kurz NAV-DEM. 51 PKK-nahe Website, abgerufen am 17.11.2016. Schreibweise im Original. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 87 reiche Zivilisten. Dies löste bundesweit eine Welle kurzfristig organisierter Proteste aus, die störungsfrei verliefen. Auch in Berlin kam es noch in der Nacht zu einer Spontanversammlung von einigen PKK-Jugendlichen, die eigentliche Protestveranstaltung wurde mit mehreren hundert Teilnehmern tags darauf veranstaltet. 2 Darüber hinaus rief NAV-DEM zu "bundesweiten zweitägigen Demonstrationen auf", "um der [sic!] aktuelle Kriegspolitik der AKP zu verurteilen" und sich der "Forderung nach einem Ende der Isolationshaft von Herrn Abdullah Öcalan Ausdruck zu verleihen." Sie "rufen alle solidarischen Kreise dazu auf, diese Forderungen mit ihrer Teilnahme an den Demonstrationen zu unterstützen."52 In diesem Zusammenhang rief NAV-DEM auch zu einem Protestmarsch von Brandenburg nach Berlin auf, der vom 9. bis zum 10. Februar stattfand. Aufhebung der Immunität von HDP-Angehörigen Das türkische Parlament hat im Mai nach einer Initiative der islamisch-konservativen AKP mit Zweidrittelmehrheit die Aufhebung der Immunität von mehr als einem Viertel seiner Abgeordneten beschlossen. Der Schritt richtete sich vor allem gegen die Fraktion der linksgerichteten und kurdennahen "Halklarin Demokratik Partisi" ("Demokratische Partei der Völker", HDP), der der Staatspräsident Erdogan vorwarf, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen PKK zu sein. Die angespannte Lage in der Türkei führte zu einer Vielzahl an Versammlungen und demonstrativen Aktionen, die deutlich zeigten, wie unmittelbar die Ereignisse in der Türkei eine Reaktion unter den Kurden in Deutschland - und auch in Berlin - hervorrufen: Am 16. Mai fanden in Berlin zwei prokurdische Kundgebungen statt. An dem einen Aufzug beteiligten sich rund 200 Personen. Sie protestierten gegen die Aufhebung der Immunität der türkischen Parlamentarier, insbesondere der HDPAbgeordneten. Im Gegensatz zu dieser friedlichen Kundgebung stand eine nicht angemeldete Spontanveranstaltung, die auch von deutschen linksextremistischen Gruppen unterstützt wurde. Rund 80 Personen blockierten mit Paletten eine Kreuzung in Kreuzberg und skandierten kurdische Parolen. Nach Steinwürfen und körperlichen Auseinandersetzungen mit Polizeikräften gab es mehrere Festnahmen. Festnahme von HDP-Angehörigen In der Nacht vom 3. auf den 4. November wurden in der Türkei die beiden Vorsitzenden der HDP festgenommen und gegen neun weitere Abgeordnete der HDP Haftbefehle vollstreckt, deren Immunität das türkische Parlament zuvor aufgeho52 Internetpräsenz des NAV-DEM, abgerufen am 14.11.2016. 88 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 ben hatte. Noch in derselben Nacht kam es bundesweit zu Protesten. In Berlin versammelten sich bis zu 150 Personen zu einem Spontanaufzug. Am 4. November organisierte "NAV-DEM Berlin e.V." kurzfristig einen weiteren Aufzug, um gegen die Verhaftungen in der Türkei zu protestieren. Bis zu 1 500 Teilnehmer demonstrierten an diesem Tag für die Freiheit der inhaftierten HDP-Angehörigen. Anschläge in der Türkei durch die TAK Die angespannte Situation in der Türkei verleitete die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) zu einigen schweren Terroranschlägen in der Türkei. Die TAK sind nach eigenen Angaben 2004 aus den "Volksverteidigungseinheiten" (HPG) - den Guerillaeinheiten der PKK - hervorgegangen und seitdem für zahlreiche terroristische Aktionen in der Türkei verantwortlich. Am 13. März kam es in Ankara neben Bussen von Armeeangehörigen und in der Nähe des Justizund Innenministeriums zu einer Bombenexplosion mit mindestens 37 Toten und hunderten Verletzten. Wenige Tage danach veröffentlichte die TAK ein Bekennerschreiben, in dem es hieß, der Anschlag sei die Rache für "unsere Zivilisten", die in den Kellern Cizres brutal umgebracht worden seien. "Unsere Einheit zielte auf die Sicherheitskräfte in Ankara, Hochburg des Faschismus und der Barbarei, um die AKP-Regierung wegen ihrer völkermörderischen Herrschaft in Cizre zur Rechenschaft zu ziehen.[...] Jedoch wurden bei dieser Aktion [...] die Verluste auf Seiten der Polizisten und Soldaten vertuscht und nur die zivilen Opfer betont. Wir stellten fest, dass auch bei dieser Aktion viele Polizisten getötet wurden. Allerdings sind Opfer in der Zivilbevölkerung als Folge des Krieges bei unseren Angriffen unausweichlich. Folglich ist das faschistische AKP-Regime für die Tode verantwortlich." 53 Am 7. Juni forderte eine Explosion in Istanbul mindestens elf Menschenleben, darunter einige Polizisten. In dem Bekennerschreiben der TAK heißt es, man habe diese Aktion "aufgrund des schmutzigen Krieges, der in Kurdistan geführt wird" und als "Rache für unser Volk" durchgeführt. Auch Touristen wurden vor weiteren Anschlägen gewarnt: 53 Internetauftritt der TAK, datiert vom 17.2.2016, abgerufen am 21.11.2012. Übersetzung aus dem Türkischen. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 89 "Wir warnen die Touristen erneut, die sich in der Türkei [momentan] aufhalten und eine Einreise in die Türkei planen! Die Ausländer sind nicht unser Ziel. Aber die Türkei ist schon lange kein Land mehr für sie, in dem sie sicher sind." 54 2 Bei Anschlägen am 10. Dezember in Istanbul explodierten zwei Bomben kurz hintereinander in der Nähe des Fußballstadions von Besiktas. Zuerst kam es zu einem Autobombenanschlag auf einen besetzten Polizeibus. Wenige Sekunden nach dieser Explosion sprengte sich im unmittelbaren Umfeld des ersten Anschlags ein Selbstmordattentäter in die Luft. Dabei kamen mindestens 44 Personen ums Leben, überwiegend Polizisten, über 150 Menschen wurden verletzt. Auch zu diesem Anschlag bekannte sich die TAK, auch wenn sie zugaben, dass das türkische Volk nicht das direkte Ziel der TAK gewesen sei. "Während die Gefangenschaft des Führers Apo55 weiterhin anhält, der Faschismus der Türkischen Republik-AKP in Kurdistan jeden Tag die Mütter foltert, mit den Leichen der jungen Mädchen spielt, Kinder ermordet, kann man nicht erwarten, dass man in der Türkei ein ruhiges Leben führen kann. [...] Denn für dieses Chaos ist nur der AKP-Faschismus verantwortlich." 56 Eröffnung des "Vertretung der demokratischen Selbstverwaltung von Rojava in Deutschland e.V." in Berlin Rojava, von vielen Kurden als "Westkurdistan" bezeichnet, ist ein von Kurden dominiertes Gebiet in Nordsyrien. Es besteht aus vier Kantonen (Efrin, Sehba, Kobane, Cizire) und teilt sich eine 700 km lange Grenze mit der Türkei. Zu den ca. vier Mio. Einwohnern, mehrheitlich Kurden und Araber, zählen auch Assyrer, Turkmenen und Armenier. Ende 2013, während des syrischen Bürgerkrieges, hatte das Assad-Regime die Kontrolle über die Kantone an der Nordgrenze aufgegeben. Die YPG, militärischer Arm des syrischen PKK-Ablegers, der PYD, trug maßgeblich dazu bei, die zeitweise vom IS eingenommenen Gebiete zu befreien, so dass lokale kurdische Kräfte die Kontrolle überneh54 Internetauftritt der TAK, datiert vom 10.6.2016, abgerufen am 21.11.2016. Übersetzung aus dem Türkischen. 55 "Apo" ist der Kurzname des PKK-Führers Abdullah Öcalan. 56 Internetauftritt der TAK, datiert vom 10.12.2016, abgerufen am 23.1.2017. Übersetzung aus dem Türkischen. 90 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 men konnten. Es gelang der PYD in diesem Gebiet, "Rojava" als autonom selbst verwaltete Region auszurufen und dort staatsähnliche Strukturen zu etablieren. Diese Selbstverwaltung von Rojava ist nun mit einem Büro für Kontaktund Öffentlichkeitsarbeit in Deutschland vertreten. Am 6. Mai wurde der Verein "Vertretung der demokratischen Selbstverwaltung von Rojava in Deutschland e.V." in Berlin eröffnet - in demselben Gebäude, in dem bereits "NAV-DEM Berlin e.V." ansässig ist. Zur Eröffnungsfeier war der Innenhof mit Fahnen der PYD und YPG geschmückt. Außerdem waren an diesem Tag hochrangige Vertreter der PYD anwesend, wie beispielsweise Sinem Mohamed, die Europavertreterin der Selbstverwaltung von Rojava. Die PKK-Bezüge der PYD zeigten sich auch in der Eröffnung dieses Büros, dessen Leiter Sipan Ibrahim als "Berliner Botschafter Westkurdistans" vor einem Großporträt des PKK-Führers Öcalan posierte. Laut Aussage Ibrahims solle Rojava kein eigener kurdischer Staat werden, vielmehr strebe man für Syrien ein föderales System an. Völkerrechtlich ist Rojava nicht anerkannt, ebenso wenig gilt der Verein als diplomatische Vertretung. Dies wollen syrische Kurden ändern, im Bemühen, sich als Partner des Westens zu etablieren. Vergleichbare Einrichtungen existieren inzwischen in Moskau, Stockholm und Paris. Mit Eröffnung der "Rojava-Vertretung" in Berlin verbindet die PYD Hoffnungen, diplomatische Beziehungen mit Deutschland eingehen zu können und die Öffentlichkeit über die Entwicklungen in "Westkurdistan" zu informieren: "Man wolle der Öffentlichkeit zeigen, dass in Rojava Kurden, Araber und andere Bevölkerungsgruppen geschwisterlich zusammenleben."57 Sorge um den Gesundheitszustand Öcalans führt zur Zunahme von Aktionen Nach dem gescheiterten Putsch am 15. Juli spitzte sich bei PKK-Anhängern die Sorge um den Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan zu. In sozialen Netzwerken, aber auch in PKK-nahen Medien wurde hierüber Besorgnis geäußert, da man seit langer Zeit kein Lebenszeichen von ihm bekommen hätte und nicht wisse, ob er noch lebe. Der Exekutivrat der "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans" (KCK)58 warnte die AKP und drohte ihr sogar mit den Worten: 57 "Junge Welt": Rojava-Vertretung in Deutschland. Artikel vom 9.5.2016, S. 5. 58 Die PKK hatte sich im Laufe der Jahre mehrfach umbenannt, zuletzt 2007 in "KCK". Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 91 "Jeder muss wissen, dass eine negative Behandlung unseres Führers den Krieg in unermessliche Dimensionen treiben wird. Jeder sollte mit dieser Verantwortung agieren." 59 Murat Karayilan, Oberkommandeur der "Volksverteidigungskräfte" (HPG), äußerte sich folgendermaßen: 2 "Wenn heute das Leben des Führers Apo in Gefahr ist, dann bedeutet es, dass auch das Leben aller führenden Politiker in der Türkei in Gefahr ist. Diese Fakten sind miteinander verknüpft. [...] Tausende Apo-Kämpfer sind die Garantie dieser Bedingung. Die Gefahr, die über Apo schwebt, verdeutlicht auch, dass alle führenden Politiker der Türkei in Gefahr sind. Daher sollte niemand seine Grenzen überschreiten. Unser Volk fordert in erster Linie, dass eine Delegation den Führer Apo sieht. Das sollte sofort sichergestellt werden. Ohne die Freilassung des Führers Apo wird sich in der Türkei weder eine Demokratie, noch Stabilität oder Wohlstand entwickeln können." 60 Wenige Tage nach dem Putschversuch kam es zu zahlreichen europaVereitelter Militärputsch in der Türkei weiten Aktionen, wie Hungerstreiks, und die Auswirkungen auf die PKK Mahnwachen und Demonstrationen, Am Abend des 15. Juli kam es in verbunden mit den Forderungen nach der Türkei zu einem Putschversuch "Freiheit für Öcalan" sowie einer Undurch Teile des türkischen Militärs, tersuchung seines Gesundheitszufür den der türkische Staatspräsident standes. Erst als am 12. September die Erdogan und die türkische RegieNachricht verbreitet wurde, dass Öcarungspartei "Partei für Gerechtigkeit lan anlässlich des islamischen Opferund Aufschwung" (AKP) die Anhänger festes Besuch von seinem Bruder empdes in den USA lebenden Predigers fangen durfte, nahmen die Aktionen und Erdogan-Widersachers Fethullah deutlich ab. Im Anschluss an den BeGülen verantwortlich machten. In der such hielt der Bruder Öcalans gemeinFolge verhängte Präsident Erdogan sam mit Hungerstreikenden eine Presam 20. Juli für zunächst drei Monate sekonferenz ab. Dabei wurde betont, den Ausnahmezustand im Land, was dass Abdullah Öcalan zwar eine Löihn legitimierte, Dekrete mit Geset59 Yeni Özgür Politika vom 18.6.2016, Seite 3. 60 Yeni Özgür Politika vom 11.8.2016, Online-Ausgabe. 92 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 sung des (PKK-) Problems für realisierzeskraft ohne Parlamentsbeteiligung bar hält und die Friedensverhandlungen zu erlassen. Im Zusammenhang mit erneut aufgenommen werden könnten. so genannten "Säuberungsaktionen" Dazu müsse der türkische Staat aber an soll es zu mittlerweile ca. 60 000 Enteiner Lösung interessiert sein: lassungen von Mitarbeitern - u.a. im Bereich Bildung, Justiz, Hochschulen, "Das Blut, die Tränen sollen nun aufhöFinanzen und Militär - gekommen ren. Die Lösung kann nicht einseitig ersein. Ende Juli ordnete die türkische folgen. Der Staat ist [in dieser AngeleRegierung die Schließung diverser genheit] die größte Partei. Wenn er Belandesweiter und auch lokaler Nachreitschaft zur Lösung signalisiert, dann richtenagenturen und mehrerer wird dieses Problem gelöst." 61 Fernsehsender, Radiostationen und Printmedien an. Gescheiterte Pläne für das "24. InternaAbsetzung von pro-kurdischen Bürtionale Kurdische Kulturfestival" in Köln germeistern im Südosten der Türkei Alljährlich wiederkehrende Anlässe sind Nach der Entlassung zehntausender für die Kurden in Deutschland von groStaatsbediensteter begann die türkißer Bedeutung. So stellt auch das "Insche Regierung aufgrund ihrer Sonternationale Kurdische Kulturfestival", dervollmachten, gewählte Gemeindas seit 1992 vorwiegend im September devertreter ihrer Ämter zu entheben. zelebriert wird, einen der Höhepunkte Wie das türkische Innenministerium der PKK-Großveranstaltungen dar. NeMitte September mitteilte, wurden ben der Pflege der kurdischen Kultur 24 der 28 abgesetzten Bürgermeister gilt diese Veranstaltung auch immer wegen des Vorwurfs von PKK-Konder Verbreitung politischer Botschaftakten abgesetzt, vier weitere wegen ten. Das Festival findet meist in NordVerbindungen zur Gülen-Bewegung. rhein-Westfalen statt, wobei eine TeilSie sollen durch regierungsnahe Benehmerzahl von 30 000 Personen nicht amte ersetzt worden sein. Viele der unüblich ist. In Mannheim war es am abgesetzten Bürgermeister gehörten Kulturfestival 2012 zu den schwersten der HDP an. Ausschreitungen von PKK-Anhängern in Deutschland seit den Aufständen nach der Festnahme Öcalans im Februar 1999 gekommen. Als die von den Ordnern des Veranstalters zur Unterstützung gerufene Polizei einem ausländischen Minderjährigen eine verbotene Fahne abnehmen wollte, hatten sich innerhalb kürzester 61 Yeni Özgür Politika vom 13.9.2016, S. 4. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 93 Zeit bis 1 500 zumeist jugendliche Teilnehmer eine Auseinandersetzung mit der Polizei geliefert.62 Die PKK in Deutschland und Europa 2 Nach zahlreichen Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen in Deutschland 1992 und 1993 und der Geiselnahme von 20 Personen im türkischen Generalkonsulat in München erfolgte am 22. November 1993 ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot der PKK in Deutschland, das sich auch auf die Nachfolgeorganisationen erstreckt. Da die PKK einen Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden erhebt, schuf sie bereits in den 1990er Jahren "Massenorganisationen" für Angehörige einzelner Interessen-, Berufsoder Religionsgruppen, um auf diese Weise Einfluss auf alle wichtigen Bereiche kurdischer Aktivitäten in Deutschland zu gewinnen. Hierzu zählen u.a. der Jugendverband "Komalen Civan", die "Kurdische Frauenbewegung in Europa" (TJKE), der "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK), die "Union kurdischer Familien" (YEK-MAL) sowie die "Islamische Gemeinschaft Kurdistans" (CIK). Die Anhänger in Deutschland sind nicht nur in den genannten "Massenorganisationen", sondern vor allem in örtlichen Vereinen aktiv. Deren Dachverband, die "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM), wurde anlässlich der Neustrukturierung im Juni 2014 in das "Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland e.V." (NAV-DEM) umbenannt. Auch der umbenannte Verband unterliegt der Weisung des politischen Arms der PKK in Europa. Ursprünglich hätte das "24. Internationale Kurdische Kulturfestival" am 3. September im Kölner Rhein-Energie-Stadion stattfinden sollen. NAV-DEM meldete es unter dem Motto "Freiheit für Öcalan, Status für Kurdistan" an. Der Betreiber des Stadions beendete jedoch die Verhandlungen mit den Organisatoren aufgrund von Empfehlungen der Kölner Polizei, die Risiken für die öffentliche Sicher62 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2012. Berlin 2013, S. 144. 94 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 heit anführte: Nach den Erfahrungen aus vergleichbaren Veranstaltungen - wie auch 2012 - sei damit zu rechnen, dass "massiv Werbung" für die in Deutschland verbotene PKK gemacht werde. Zudem müsse man angesichts der politischen Lage in der Türkei mit Auseinandersetzungen zwischen Besuchern des Festivals und Erdogan-Unterstützern rechnen. Vier Wochen zuvor hatte eine große "ProErdogan"-Demonstration mit 40 000 Teilnehmern in Köln stattgefunden, so dass nun viele Kurden verärgert auf die Absage des Stadionbetreibers reagierten. Daraufhin wurde eine Ersatzveranstaltung für das "24. Kulturfestival" angemeldet, dass am 3. September ausschließlich als Kundgebung, ohne Demonstrationszug, in Köln stattfand. Der "Marsch der Jugendlichen" zum Kulturfestival Zuvor war es im Zusammenhang mit dem alljährigen "Marsch der Jugendlichen"63 von Duisburg zum Veranstaltungsort nach Köln zu Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten, wahrscheinlich türkischstämmigen Nationalisten, gekommen. Rund 80 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Am dritten Tag wurde der Marsch seitens der Polizei aufgrund von Auflagenverstößen aufgelöst. Daraufhin veröffentlichte der PKK-nahe "Verband der Studierenden aus Kurdistan" (YXK) eine "Erklärung", in der die Polizei wegen der Auflösung des Marsches scharf kritisiert wurde: "Die gewaltsame Auflösung des langen Marsches zeigt uns ein weiteres Mal: das Ziel dieser Angriffe ist an erster Stelle die Jugend und der jugendliche Geist der kurdischen Freiheitsbewegung.(...) Unsere Forderungen, umgehenden und direkten Kontakt zu unserem Vorsitzenden Abdullah Öcalan zu erhalten, die Freilassung aller nach SS 129 a/b verurteilten und angeklagten revolutionären Gefangenen und die Aufhebung des Verbots der Arbeiter Partei Kurdistans PKK und ein Ende der Kriminalisierung der kurdischen Jugend, bleiben und bleiben nicht ungehört." 64 Als viele der jungen Teilnehmer in militärischer Formation auf dem Festival in Köln einmarschierten, wurden sie von den restlichen Besuchern unter Beifall wie Helden begrüßt. Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass es beim traditionellen "Marsch der Jugendlichen" gehäuft zu Störungen bzw. Ausschreitungen gekom63 Der "Marsch der Jugendlichen/ Langer Marsch" ist ein mehrtägiger Aufzug überwiegend jugendlicher PKK-Anhänger, der in jedem Jahr kurz vor dem "Internationalen Kulturfestival" stattfindet und zum Veranstaltungsort führt. 64 Internetpräsenz der YXK: "Polizeigewalt gegen den Langen Marsch" am 2.9.2016, abgerufen am 21.11.2016. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 95 men ist. Viele jugendliche PKK-Anhänger reagieren sehr emotional und aggressiv auf Provokationen jeglicher Art.65 Das "24. Kulturfestival" selbst, das von etwa 30 000 Teilnehmern aus dem Bundesgebiet sowie aus dem benachbarten Ausland (Frankreich, Belgien und Nieder- 2 lande) besucht wurde, verlief weitgehend störungsfrei. Auch innerhalb der Berliner Anhängerschaft wurden mehrere Busse für die Anreise organisiert. Festivalteilnehmer hatten bis zum Nachmittag verbotene Fahnen des PKK-Führers Abdullah Öcalan geschwenkt, Redner dessen Freilassung gefordert und den türkischen Präsidenten Erdogan für seine Kurden-Politik kritisiert.66 Neben verschiedenen kulturellen Darbietungen gab es viele Redebeiträge, u.a. von dem Co-Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtas, und des Co-Vorsitzenden der PYD, Salih Muslim. Dieser richtete folgende Botschaft an die türkische Regierung: "Wir wollen weder die Türkei noch Rojava teilen. Aber die Zeit derjenigen, die uns Separatismus vorwerfen, weil sie die Kurden in Rojava als Bedrohung ansehen, wird bald vorbei sein. (...) Wir wollen für Brüderlichkeit und Frieden einstehen, aber die Türkei unterstützt ISIS." 67 2.3.2 Exekutivmaßnahmen gegen PKK-Funktionäre in Deutschland In Europa erfolgte eine Reihe von Exekutivmaßnahmen. Da bereits im letzten Jahr in Deutschland zahlreiche Festnahmen von mutmaßlichen PKK-Funktionären durchgeführt wurden, musste sich bei Organisationsmitgliedern der Eindruck verfestigen, dass der Verfolgungsdruck im Rückzugsraum in Deutschland bzw. Europa zunimmt. Vor allem Festnahmen von Führungskadern der PKK in Deutschland trafen die Organisation unvorbereitet. PKK-nahe Organisationen reagierten entsprechend verärgert. 65 Dabei handelt es sich meist um rechtsextremistische / nationalistische Türken. 66 Kölner Stadtanzeiger: "Deutzer Werft: 30.000 Kurden demonstrieren friedlich in Köln. Polizei zufrieden", online, abgerufen am 21.11.2016. 67 Ebenda. 96 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Ausgewählte Festnahmen Mitte April wurde in Schweden ein PKK-Funktionär aufgrund eines deutschen Haftbefehls festgenommen. Er wurde an die deutschen Behörden überstellt und Anklage gegen ihn wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK erhoben. Er war von Mitte 2012 an Gebietsleiter von Darmstadt, von Mitte 2013 an Gebietsleiter in Berlin und von Mitte 2014 an Sektorleiter "Süd 2".68 In Bremen wurde am 25. April ein Funktionär der PKK u.a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung festgenommen. Ihm wird vorgeworfen, in den Jahren 2014 und 2015 Gebietsleiter in der Region Berlin und später in Bremen gewesen zu sein. Im Oktober wurde der Prozess gegen ihn in Berlin eröffnet. Ebenfalls im April wurde ein PKK-Funktionär aus Berlin inhaftiert. Ihm wird vorgeworfen, den Berliner Gebietsleiter der PKK unterstützt zu haben. Forderung nach Aufhebung des PKK-Verbots Sämtliche Prozesse wurden wie schon in der Vergangenheit in PKK-nahen, aber teilweise auch von linksextremistischen, deutschen Organisationen aufgegriffen, verbunden mit der Forderung nach Freilassung "aller kurdischen politischen Gefangenen". Die Tatsache, dass es sich um PKK-Funktionäre handelte, wird heruntergespielt. Sie werden als "kurdische Politiker" bezeichnet, die sich für eine politische Lösung der Kurdenfrage einsetzen. Dem deutschen Staat wird vorgeworfen, "den Verfolgungswünschen der Türkei im Bezug auf die Kurd*Innen nachzukommen." Es wird die Aufhebung des PKK-Verbots gefordert, das als Absurdität bezeichnet wird: "Diejenigen, die den Terrorismus bekämpfen und sich für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in Syrien und der Türkei einsetzen, werden von der deutschen Justiz des Terrorismus beschuldigt." 69 68 Pressemitteilung des Generalbundesanwalts vom 8.12.2016 - 65/2016. 69 "Rote Hilfe Berlin" (vgl. S. 154f) online: "Aufruf zur Prozessbegleitung von [....]", abgerufen am 18.11.2016. Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 97 Die PKK-Zeitung "Yeni Özgür Politika" geht sogar so weit, die deutsche Justiz als "Marionette der Türkei" 70 zu bezeichnen, die sich dem Willen der türkischen Regierung beugt. Im Zusammenhang mit der Urteilsbegründung gegen einen PKKFunktionär wurde gesagt: 2 "Als Gerichtsausschuss haben sie die Veränderung der Rolle der PKK sowie ihren Widerstand, den sie gegen den IS leisten, wohlwollend registriert. Aber die PKK ist nach wie vor eine Terrororganisation mit dem Ziel des Tötens." 71 2.3.3 Ausblick Immer wieder wird von der PKK nahestehenden Organisationen die Aufhebung des Betätigungsverbots gefordert. Als einer der Gründe wird die positive Rolle der PKK im Kampf gegen den so genannten "Islamischen Staat" (IS) hervorgehoben. Dem steht die gewaltorientierte Agenda der PKK entgegen, von der sich ihre Funktionäre nicht gelöst haben. Die PKK hat bei mehreren Spontanveranstaltungen bewiesen, dass sie in der Lage ist, in kurzer Zeit zahlreiche Anhänger zu mobilisieren. Die meisten dieser Veranstaltungen in Berlin verliefen weitgehend friedlich. Verantwortliche PKK-Aktivisten wirken beruhigend auf den Nachwuchs der Organisation ein, um den inzwischen erworbenen "guten Ruf" der PKK nicht zu gefährden. Aufgrund der politischen Situation in der Türkei muss weiterhin mit einer hohen Emotionalisierung und der Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt gerechnet werden, insbesondere wenn türkische Rechtsextremisten und PKK-nahe Gruppen aufeinandertreffen. Die Situation dürfte sich bei der geplanten Wiedereinführung der Todesstrafe drastisch verschärfen, zumal es Spekulationen darüber gibt, dass Abdullah Öcalan ein möglicher Kandidat dafür sei. 70 Yeni Özgür Politika vom 4.8.2016, Seite 1. 71 Ebenda. 98 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 2.4 Ülkücü-Bewegung Ülkücü-Bewegung Dachverband in Deutschland: ADÜTDF (Föderation der Türkischen Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V., Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) Mitglieder: Berlin 400 (2015: 400) Die Bewegung der türkischen Nationalisten entstand Anfang des 20. Jahrhunderts kurz vor dem Ende des Osmanischen Reiches und basiert auf einer nationalistischen und rassistischen Ideologie, die in ihrer Hochphase die Vereinigung aller Turkvölker unter Führung des Osmanischen Sultans als Ziel postulierte. Die türkische Nation wird ethnisch und kulturell als Ideal überhöht dargestellt. Hieraus begründet sich ein entsprechendes politisches und territoriales Anspruchsdenken. Der Islam ergänzt die Ideologie als prägnanter Teil erst seit den siebziger Jahren. Die vermeintliche Überlegenheit der türkischen Identität implementiert eine Abwertung von anderen Ethnien und Religionsgemeinschaften. Andere Volksgruppen und Religionsgemeinschaften werden zu Feinden des Türkentums erklärt, insbesondere Kurden, Armenier, Griechen, Juden, Christen, u.a. Die Bewegung richtet sich gegen den Gleichheitsgrundsatz und den Gedanken der Völkerverständigung. Der Nationalismus überwiegt zwar in der Ideologie, Rassismus und Antisemitismus sind der Bewegung jedoch immanent. Der Begriff Rechtsextremisten deckt diese Ideologieelemente mit ab. Die Anhänger der Bewegung sind als "Graue Wölfe" oder "Ülkücü-Bewegung" bekannt und bezeichnen sich selbst als Idealisten ("Ülkücü"). Reaktionen auf die Armenien-Resolution des Deutschen Bundestages Der Deutsche Bundestag hat am 2. Juli die Armenien-Resolution verabschiedet, in der die Ereignisse von 1915, bei denen bis zu 1,5 Millionen Armenier sowie Aramäer und Angehörige weiterer christlicher Minderheiten ums Leben gekommen sind, Extremistische Bestrebungen ausländischer Organisationen (ohne Islamismus) 99 parteiübergreifend als Völkermord eingestuft wurden. Angesichts scharfer Kritik der türkischen Regierung und der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland war es im Vorfeld der Verabschiedung auch in Berlin zu Kundgebungen und Demonstrationen von Resolutionsgegnern gekommen. 2 Am 29. Mai fand in Mitte einer der Aufzüge unter dem Motto "Großer Marsch gegen die Verleumdungen des Armenier Völkermordes - der Bundestag ist nicht zuständig, Parlamente sind keine Gerichte" statt. An der störungsfrei verlaufenen Versammlung nahmen bis zu 1 300 Personen teil, die einer möglichen Resolution kritisch gegenüberstanden. Unter den Teilnehmern des Aufzuges befanden sich auch vereinzelte Anhänger der Ülkücü-Bewegung. Nach Annahme der Resolution durch den Bundestag kam es durch anonym gebliebene Personen mit Türkei-Bezug zu Verunglimpfungen, Bedrohungen und Beleidigungen von türkischstämmigen Abgeordneten des Deutschen Bundestags, die der Resolution zugestimmt hatten. Bei der Sichtung einschlägiger deutschund türkischsprachiger Internetseiten sowie sozialer Netzwerke konnte eine Vielzahl an Beiträgen festgestellt werden, deren Verfasser dem Inhalt ihrer Aussagen nach offenkundig der Ülkücü-Szene zugeordnet werden können. Gescheiterter Putsch: Geringe Resonanz bei Ülkücü-Anhängern in Berlin Nach dem gescheiterten Putsch in der Türkei am 15. Juli kam es in sozialen Netzwerken in Deutschland zu Boykottaufrufen, Beleidigungen und Bedrohungen gegen Personen und Einrichtungen, die der so genannten "Gülen-Bewegung" nahestehen sollen, die aber nur in Einzelfällen der Ülkücü-Anhängerschaft zuzuordnen sind. Hinzu kam ein Boykottaufruf, der einige Berliner Einrichtungen und Gewerbetreibende nannte, aber im Unterschied zum Vorjahr nicht zu Gewalt gegen Personen und Sachen führte. Als Reaktion auf den versuchten Militärputsch fand am 31. Juli in Köln eine Großkundgebung mit ungefähr 30 000 Teilnehmern statt, die loyal zur türkischen Regierung stehen. Innerhalb der Berliner Ülkücü-Szene war keine besondere Mobilisierung zur Teilnahme an der Veranstaltung in Köln feststellbar. 100 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 3 Rechtsextremismus 3.1 Ideologien 3.1.1 Traditioneller Rechtsextremismus Es gibt keine einheitliche Definition des Traditioneller Rechtsextremismus Rechtsextremismus-Begriffs. In der ÖfMit der Sammelbezeichnung Rechtsfentlichkeit werden Rechtsextremisten extremismus verbindet sich keine nicht selten synonym als "Rechtsradigeschlossene politische Ideologie. kale" oder "Neonazis" bezeichnet. Die Der Begriff umschreibt vielmehr eine Begriffsvielfalt dokumentiert nicht nur vielschichtige politische und soziale eine definitorische Unschärfe, sie spieGedankenwelt, die sich in ihrer Gegelt zugleich auch die Heterogenität samtheit auf die Beseitigung oder einer Szene wider, die verschiedene nachhaltige Beeinträchtigung demoideologische, strategische und organikratischer Rechte, Strukturen und satorische Konzepte verwendet. HinProzesse richtet. Folgende Inhalte ter dem Begriff Rechtsextremismus finden sich dabei in allen rechtsexverbergen sich verschiedene Einsteltremistischen Strömungen: lungen und Aktivitätsschwerpunkte. Allerdings eint ein ideologischer ge- - Ablehnung des Gleichheitsprinzips meinsamer Nenner alle Rechtsextre- - Überbewertung ethnischer Zugemisten, der sich in unterschiedlicher hörigkeit Ausprägung und Intensität innerhalb - Antipluralismus der verschiedenen rechtsextremisti- - Autoritarismus schen Strömungen wiederfindet: Im Kern handelt es sich beim RechtsRechtsextremisten lehnen das Gleichextremismus - in all seinen Facetten heitsprinzip ab. Sie rechtfertigen mit - um eine autoritäre Ideologie der einer verschiedenartigen Wertigkeit Ungleichheit. Kriterien für diese Under Menschen politische, soziale und gleichheit, mit der Rechtsextremisten gesellschaftliche Diskriminierung beeine Ungleichwertigkeit verbinden, stimmter Personen und Gruppen. Die- Rechtsextremismus 101 se Ungleichheit wird mit ethnischen, kulturellen, geistigen, körperlichen können u.a. die Ethnie, Kultur, Äuoder politischen Aspekten begrünßerlichkeiten oder politische Einsteldet. Im Ergebnis werden einzelnen als lungen sein. Hieraus resultiert auch "fremd" definierten Personen oder die Legitimation von Gewalt, die dem Gruppen weniger Rechte zugestanden. Rechtsextremismus immanent ist und sich gegen als "minderwertig" Der Überbewertung der eigenen Ethdefinierte "Fremde" richtet. 3 nie fällt dabei eine Schlüsselrolle zu. Rechtsextremisten erheben die eigene Nation oder "Rasse" - zu der ein Mensch "naturgegeben" und damit ausschließlich durch seine biologische Abstammung gehört - zum obersten Kriterium der Identität. Damit einher gehen Rassismus und ein übersteigerter Nationalismus, auf deren Grundlage die eigene Nation oder "Rasse" überhöht und als überlegen definiert wird.72 Rechtsextremisten fordern einen ethnisch homogenen "Volkskörper" und propagieren eine "Volksgemeinschaft". In dieser Gemeinschaft sind individuelle Interessen und Meinungspluralismus dem völkischen Gedanken untergeordnet. Beides wird unter Rechtsextremisten als "schädlich" und die Gemeinschaft "zersetzend" bewertet. Dieser Antipluralismus trifft auch den Rechtsstaat, die politische Opposition oder den Parlamentarismus, die von Rechtsextremisten abgelehnt, delegitimiert und bekämpft werden. Ein offener Antisemitismus73 und die Verherrlichung des historischen Nationalsozialismus gehören zwar zum ideologischen Traditionsbestand des Rechtsextremismus, beides ist aber aufgrund aktueller Themen in der rechtsextremistischen Szene Berlins etwas in den Hintergrund getreten. 72 Neue rechtsextremistische Ideologieansätze argumentieren, anstatt mit Begriffen wie Nation oder "Rasse", mit der "Höherwertigkeit" der eigenen Kultur. 73 Unter Antisemitismus versteht man die Feindschaft gegenüber den Juden als Gesamtheit aufgrund stereotyper rassistischer, sozialer, politischer und / oder religiöser Vorurteile. Regelmäßig werden diese Vorurteile auch mit Kritik am Staat Israel und seiner Politik verbunden. 102 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 3.1.2 Muslimenfeindlichkeit Der Muslimenfeindlichkeit liegt, wie Muslimenfeindlichkeit dem traditionellen RechtsextremisMuslimenfeindlichkeit ist außerhalb mus, keine einheitliche geschlossene der Wissenschaft als Begriff für "riIdeologie zugrunde. Ein wesentliches goros ablehnende Auffassungen zum Element muslimenfeindlicher ArguIslam" gebräuchlich.74 Mit diesem Bementation bildet die Verengung der griff werden in der öffentlichen DisReligion Islam auf Ausprägungen des kussion überwiegend rechtspopuIslamismus. Dies führt zu einer auslistische Parteien, Blogs, Netzwerke schließlichen Zuweisung von Negativetc. belegt, die sich schwerpunktmämerkmalen (z.B. Zwangsehe, Ehrenßig mit dem Islam und Muslimen bemord), die sich im gesamten Spektrum schäftigen. muslimenfeindlicher Argumentationsmuster wiederfinden. Muslimenfeinde lehnen den Islam als Religion und die Zuwanderung Ein zentrales Unterscheidungsmerkvon Menschen aus dem islamisch mal zwischen traditionellem Rechtsgeprägten Kulturkreis ab. Im musextremismus und der Muslimenlimenfeindlichen Spektrum werden feindlichkeit besteht darin, dass Muslime pauschal als Angehörige eiMuslimenfeinde ihre Argumente nicht ner archaischen Religion mit Neigung in klassische rechtsextremistische zu gewaltsamer Missionierung bis Ideologien einbetten. In ihrer öffenthin zum Terrorismus diffamiert. Relichen Argumentation fehlen Aspekgelmäßig wird dort nicht zwischen Iste wie biologischer Rassismus, Anlam, Islamismus und islamistischem tisemitismus, Autoritarismus oder Terrorismus differenziert, vielmehr Geschichtsrevisionismus. Sie überwird unterstellt, dass Gewalt und betonen stattdessen die Bedeutung Terror gegen Nicht-Muslime von identitätsstiftender kultureller und Muslimen gutgeheißen würden. Der gesellschaftlicher Unterschiede, etwa Islam könne als archaische und gemit Verweis auf die Errungenschaften waltaffine Religion ausschließlich im und Werte einer christlich-abendlänislamistischen Sinne ausgelegt werdischen Kultur, die mit einem vom Isden. Gruppen des muslimenfeindlilam geprägtem religiösen Weltbild und chen Spektrums wollen das Recht auf damit verbundenen Traditionen und freie Religionsausübung für Muslime Moralvorstellungen unvereinbar sei74 Pfahl-Traughber, Armin: Islamfeindlichkeit, Islamophobie - ein Wegweiser durch den Begriffsdschungel. 2014. Homepage der Bundeszentrale für politische Bildung, Aufruf am 27.11.2016. Rechtsextremismus 103 en. Dieses Konzept des "Ethnopluraeinschränken bzw. teilweise - z.B. mit lismus" ist das moderne Pendant zum der Forderung nach einem Verbot des Rassismus der traditionellen RechtsexBaus von Moscheen - ganz versagen tremisten. Dieser Ansatz, der auf Vorund verstoßen damit gegen Art. 4 denker der "Neuen Rechten" zurückAbs. 2 des Grundgesetzes, in dem der geht, wird daher auch als "Rassismus ungestörten Religionsausübung Verohne Rassen" bezeichnet, da er nicht fassungsrang eingeräumt wird. biologistisch argumentiert. Er konstru- 3 iert vielmehr das vermeintlich "FremIm Bereich der Muslimenfeindlichkeit de" anhand von Merkmalen wie Kultur wird die Religion des Islam insgesamt oder Religion und zieht daraus die unzur politischen Ideologie erklärt, die bedingte Konsequenz einer Trennung totalitäre Züge trage. Die meisten von Ethnien und ReligionsgemeinAkteure im muslimenfeindlichen Beschaften. Die sich daraus ergebene reich agieren aber auch ablehnend Unterscheidung und Diskriminierung gegenüber anderen Zuwanderern von Menschen aufgrund ihrer Reli(z.B. Afrikaner oder Sinti und Roma), gionszugehörigkeit oder kulturellen deren kultureller Hintergrund ihre Wurzeln ist ein klassisches Merkmal Integration in die Gesellschaft paurechtsextremistischer Ideologie. Einischal ausschließen würde. gendes Merkmal dieses heterogenen Muslimenfeinde zielen darauf ab, extremistischen Spektrums ist eine Ängste, Unsicherheiten und Vorurteiablehnende, diskriminierende und teille zu schüren. Ihre Argumentationen weise menschenverachtende Haltung und Aussagen sind letztendlich dazu gegenüber Muslimen. Diese Haltung geeignet, den Boden für gewalttätige mündet häufig in der Forderung, den Verhaltensweisen gegenüber MusliIslam und seine Glaubensanhänger men oder Zuwanderern zu bereiten. aus der Gesellschaft der Bundesrepublik zu verbannen. Der Begriff "Muslimenfeindlichkeit" stellt im Gegensatz zum Begriff der Islamfeindlichkeit auf die Grundrechtsträger ab und thematisiert die Feindseligkeit gegenüber und die damit verbundene Benachteiligung sowie Herabwürdigung von Muslimen. Er ist damit im Sinne des Schutzes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung konkreter als der Begriff der Islamfeindlichkeit, der über verfassungsschutzrechtliche Aspekte hinaus auch Fragen zur allgemeinen Religionskritik umfasst und daher nicht zur trennscharfen Abgrenzung geeignet ist. 104 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 3.2 Personenpotenzial und Straftaten In Berlin existiert eine sehr heterogene rechtsextremistische Szene, deren Akteure unterschiedliche ideologische Positionen, Ziele und Handlungsfelder bedienen. Die Gruppierungen lassen sich in zwei Lager einteilen: Zum einen bestehen traditionelle rechtsextremistische Strukturen mit neonazistischer Orientierung. Die von den beiden Netzwerken "Freie Kräfte" und "Rechtsextremistische Musik" dominierte Szene verlor in den letzten Jahren durch Vereinsverbote sowie den Verlust von Trefforten zunehmend ihre Infrastruktur. Parteien wie die NPD, deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), "Die Rechte" und "Der III. Weg" bieten diesen in Netzwerken organisierten aktionsorientierten Rechtsextremisten legalistische Strukturen, die nur schwer verboten werden können, da sie unter das Parteienprivileg fallen. Zum anderen gewann in den letzten Jahren eine muslimenfeindliche Szene u.a. mit der "Bürgerbewegung Pro Deutschland", "Hooligans gegen Salafisten"/ "Bündnis Deutscher Hooligans" und der "Identitären Bewegung" an Bedeutung. Personenpotenzial Rechtsextremismus* Berlin 2015 2016 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 520 520 Neonazis 420 420 Parteien (insgesamt), davon: 380 360 NPD** 250 230 Die Rechte unter 20 unter 10 Der III. Weg unter 20 20 Bürgerbewegung Pro Deutschland 110 110 Sonstige rechtsextremistische Organisationen, davon: 230 250 Rechtsextremistische Reichsbürger 100 100 Europäische Aktion unter 10 unter 10 Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg 20 30 Gesamt 1 550 1 550 ./. Mehrfachmitgliedschaften 100 100 Tatsächliches Personenpotenzial 1 450 1 450 Davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 700 700 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. ** Die NPD-Zahlen beinhalten die Mitglieder der JN (2015: 30, 2016: 20). Rechtsextremismus 105 Nachdem im Jahr 2015 sowohl traditionelle rechtsextremistische als auch muslimenfeindliche Gruppierungen und Netzwerke durch die Themen Flüchtlingsunterbringung und Asylpolitik Zulauf erhielten, setzte sich dieser Trend 2016 nur im Bereich der Muslimenfeindlichkeit fort. Bei den subkulturellen Rechtsextremisten hat sich nach der Bildung von "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa, auch "Bündnis Deutscher Hooligans" (BDH)) quantitativ keine Veränderung ergeben. In diese Kategorie gehören weiterhin ca. 3 50 rechtsextremistische Hooligans. Aufgrund ihres Habitus und einer starken Gewaltneigung zählen die Hooligans zum subkulturellen Rechtsextremismus, sie pflegen dort allerdings keine Kontakte. HoGeSa ist vielmehr einer der Akteure im muslimenfeindlichen Rechtsextremismus und kooperiert mit Teilen des "Netzwerks Freie Kräfte". Der Bereich der "Neonazis", innerhalb derer das "Netzwerk Freie Kräfte" mit 150 Personen den relevantesten Personenzusammenschluss bildet, stagniert nach einem leichten Rückgang inzwischen bei konstant 420 Personen. Die geringe Außenwirkung, der mangelhafte Aktionsgrad und insbesondere das schlechte Wahlergebnis bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus hat die NPD ca. 20 Mitglieder gekostet. Der Berliner Landesverband der Partei "Die Rechte", der im Bereich der rechtsextremistischen Parteien wegen Inaktivität nicht mehr wahrnehmbar war, musste deutliche Mitgliederverluste hinnehmen. Lediglich "Der III. Weg" konnte sein Personenpotenzial und seine Bedeutung in der rechtsextremistischen Szene, anders als die NPD, steigern. Zwar sind noch vergleichsweise wenige Rechtsextremisten dort Mitglied, allerdings erreichen interne Veranstaltungen des "III. Wegs" eine hohe Breitenwirkung über die eigene Mitgliedschaft hinaus. Das Personenpotenzial der "Reichsbürger" ist nach einer Neubewertung der "Reichsbürgerszene" durch die Sicherheitsbehörden in Folge einer Ausweitung ihrer Aktivitäten sowie nach zwei schweren Gewaltvorfällen mit "Reichsbürgern" von 100 auf 400 Personen gestiegen. Nunmehr werden sämtliche und nicht nur die als rechtsextremistisch oder gewaltbereit bekannten "Reichsbürger" beobachtet. Die "Reichsbürger" bilden jetzt eine eigene extremistische Kategorie und werden bis auf die rechtsextremistischen "Reichsbürger" (ca. 100 Personen) nicht den "sonstigen Rechtsextremisten" zugerechnet. 106 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - Rechts* 2015 201675 Gewaltdelikte 143 158 Propagandadelikte 777 677 sonstige Delikte 746 753 Gesamt 1 666 1 588 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2016" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/statistiken/index.html eingestellt. Eine abschließende Bewertung der Fallzahlen "Politisch motivierte Kriminalität rechts" (PMK rechts) ist gegenwärtig noch nicht möglich, da die Polizei bei der ersten Veröffentlichung der PMK-Zahlen für das Jahr 2016 auf Erfassungsrückstände aufgrund des Anschlags am Breitscheidplatz hingewiesen hat. Insoweit ist es wahrscheinlich, dass nach der endgültigen Erfassung aller rechtsextremistisch motivierten Straftaten deren Gesamtzahl höher ausfällt als im Vorjahr. Bereits jetzt ist bei den Gewaltdelikten eine Steigerung um ca. 10 Prozent ausgewiesen (Gewaltdelikte 2015: 143 / 2016: 158), was maßgeblich aus dem Anstieg der Körperverletzungen (rechtsextremistisch motivierte Körperverletzungen 2015: 122/2016: 133) resultiert. Im Bereich der "sonstigen Delikte" gab es Zuwächse bei übler Nachrede/Beleidigung/Verleumdung (2015: 187/2016: 213) und den Verstößen gegen das Versammlungsgesetz (2015: 31/2016: 46). Aufgrund der gesunkenen Fallzahl der Propagandadelikte (2015: 777/2016: 677) ergibt sich bis zur endgültigen Erfassung aller PMK-rechts Straftaten die im Vergleich zum Vorjahr verminderte Gesamtzahl. Gewalt gegen Flüchtlingsunterkünfte und Parteien Im Zusammenhang mit der Flüchtlingsdebatte richteten Rechtsextremisten ihre Taten gegen Flüchtlingsunterkünfte, Flüchtlingsunterstützer und insbesondere auf die Parteien, die auf Bundesebene Regierungsverantwortung tragen, wie die Blockade der CDU-Bundesgeschäftsstelle am 21. Dezember durch Aktivisten der "Identitären Bewegung" belegt. 75 Vgl. Antwort auf die Schriftliche Anfrage 18/10535 beim Berliner Abgeordnetenhaus vom 27.2.2017. Rechtsextremismus 107 Im muslimenfeindlichen Rechtsextremismus gab es 2016 auf öffentliche Aufmerksamkeit zielende Straftaten (z.B. die kurzzeitige Besetzung des Balkons der Bundeszentrale der Partei "Bündnis 90/Grüne" durch Aktivisten der "Identitären Bewegung" am 19. November). Bislang wurden jedoch aus diesem rechtsextremistischen Bereich keine Angriffe gegen Menschen oder schwere Sachbeschädigungen bekannt. Bei neonazistischen Rechtsextremisten hingegen kam es zu einzelnen Gewalttä- 3 tigkeiten gegen Info-Stände demokratischer Parteien. Im August wurde durch die "Freien Kräfte Berlin-Neukölln" (FKBN) dazu aufgerufen, Wahlkampfstände von zwei Kandidaten der Partei "Bündnis 90/Grüne" zu "besuchen". Durch den abnehmenden Zuzug von Flüchtlingen nach Berlin hat sich die Lage bei den Gewalttaten gegen Flüchtlingsunterkünfte kaum entspannt. Nach den bislang vorliegenden Fallzahlen stagnierten diese auf hohem Niveau (2015: 45/2016: 44). Die rechtsextremistische Stimmungsmache gegen Flüchtlinge, an der sich sowohl Gruppierungen und Parteien des traditionellen Rechtsextremismus als auch des neueren muslimenfeindlichen Spektrums beteiligen, erzeugt in Teilen der Gesellschaft ein Klima, das Straftaten begünstigt. Dies passiert insbesondere in den sozialen Netzwerken. Die Anzahl der strafrechtlich relevanten Hasspostings und der eingeleiteten Ermittlungsverfahren lag 2016 bei 150. Darüber hinaus wurden und werden politische Gegner wieder verstärkt Opfer rechtsextremistischer Strafund Gewalttaten. Beispielhaft hierfür stehen die Angriffe gegen Einrichtungen und Kraftfahrzeuge von Personen in Neukölln, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. 3.3 Muslimenfeindliche Gruppierungen und Netzwerke Wie in anderen europäischen Staaten hat sich auch in Deutschland in den letzten Jahren eine muslimenfeindliche Szene etabliert. Einer der Schwerpunkte liegt in Berlin. Die Gleichgesinnten finden sich heute überwiegend über soziale Netzwerke oder verbreiten ihre Botschaften in Blogs. Die Anzahl von muslimenfeindlichen Blogs und Profilen in sozialen Netzwerken stieg 2015 im Zuge der Zuwanderungsdebatte deutlich an. Die kurzfristigen Erfolge der "Nein zum Heim"-Szene in den letzten Jahren, die ursprünglich unter dem Deckmantel unpolitischer Bürgerbewegungen von der NPD initiiert wurden, und des Berliner Gida-Ablegers Bärgida ("Berlin ge- 108 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 gen die Islamisierung des Abendlands") wirkten als Katalysatoren für das Anwachsen des muslimenfeindlichen Protests. Es bildeten sich in der muslimenfeindlichen Szene schon vor einigen Jahren Strukturen wie Parteien, Netzwerke und Gruppen. Teilweise handelte es sich um Ableger von Gruppierungen und Netzwerken aus anderen europäischen Staaten. Der Extremismusgehalt der Muslimenfeindlichkeit wurde im Fall der "Bürgerbewegung Pro Deutschland" ("Pro Deutschland") 2016 auch vom Berliner Verwaltungsgericht bestätigt. Die Partei hatte erfolglos gegen ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht 2013 des Berliner Verfassungsschutzes geklagt. Das Gericht wies die Klage in fast allen Punkten ab und stellte in seiner Urteilsbegründung vom 7. September fest, dass sich bei "Pro Deutschland" in der "Gesamtschau der Aktivitäten und Äußerungen [...] eine Herabsetzung und Verächtlichmachung insbesondere von Menschen muslimischen Glaubens [ergibt]".76 Einzelne Argumentationsmuster und Zitate, wie beispielsweise die Negation der Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Wulff ("Der Islam gehört [nicht] zu Deutschland"), werden auch von nicht extremistischen Parteien oder Netzwerken verwendet. Jedoch unterscheiden sich diese im Duktus deutlich von extremistischen Parteien und Gruppierungen. Diese nämlich diffamieren z.B. mit ihrer Rhetorik die gesamte islamische Religionsgemeinschaft als "gefährliche[n] Aberglaube[n] und geradezu ein Teufelswerk [...]. Der Islam ist weder friedlich, noch gehört er zu Deutschland."77 Es wird ein Bild vom Islam als eine archaische und mit den Werten des Grundgesetztes unvereinbare Religion gezeichnet und ausschließlich mit negativ konnotierten Motiven wie z.B. Unterdrückung der Frau, Ehrenmord, Todesstrafe und Gewalt in Verbindung gebracht. So schrieb etwa "Pro Deutschland" in einer Filmankündigung: "Viele nicht-muslimische Frauen in den westlichen Ländern leiden durch eingewanderte radikale Muslime. In der norwegischen Stadt Oslo werden die meisten Vergewaltigungen westlicher Frauen von Muslimen begangen, während pädophile muslimische Banden in Großbritannien Jagd auf junge muslimische Mädchen machen." 78 76 Urteil des VG Berlin vom 7.9.2016, VG 1 K71.15. 77 Interview des ehemaligen Vorsitzenden des Berliner Landesverbands von "Pro Deutschland", Lars Seidensticker vom 24.5.2012 mit einem neurechten Internetportal, Aufruf am 25.5.2012. 78 "Filmankündigung: Aisha & Muhammad", Internetseite von "Pro Deutschland" vom 23.6.2014, Aufruf am 11.8.2016. Rechtsextremismus 109 Zwar sind weitere Zuwanderergruppen (z.B. Afrikaner) ebenfalls von Pauschaldiffamierungen betroffen, jedoch stehen üblicherweise Muslime im Fokus der Agitation. Kritik an Flüchtlings-, Migrationsund Sozialpolitik ist, soweit sich diese nicht gegen die Menschenwürde richtet, legitimer Bestandteil einer offenen politischen Diskussion. Den extremistischen Äußerungen sind in diesem Bereich hingegen Pauschalisierungs-, Diskriminierungsund Ausgrenzungstendenzen immanent. Muslime 3 werden insgesamt als unerwünschte und unintegrierbare Personen dargestellt, wie in einem Posting eines Funktionärs von "Pro Deutschland" deutlich wird: Darüber hinaus versuchen Muslimenfeinde, mit kalkulierten Provokationen gewalttätige Reaktionen hervorzurufen. Im unmittelbaren Umfeld von Moscheen wurden z.B. mehrfach öffentlich Mohammed-Karikaturen gezeigt. Teile von Schweinekadavern, einem nach islamischer Vorstellung "unreinen Tier", wurden anonym vor Moscheen abgelegt, um Reaktionen zu provozieren und aus diesen eine angebliche besondere Gewaltbereitschaft von Muslimen konstruieren zu können. 3.3.1 Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" Gründung: 2012 (im Internet aktiv) seit 2014 Vereinsstatus Mitglieder: Berlin 30 (2015: 20) Die "Identitäre Bewegung Berlin-Brandenburg" (IB BB) entfaltete zuerst ihre Aktivitäten im virtuellen Raum über zahlreiche Websites, Blogs und Profile in sozialen Netzwerken. Im Jahr 2012 traten sie erstmals virtuell in Erscheinung und verbreiteten ihre Positionen überwiegend im Rahmen einer Gruppe auf Facebook. Seit 2014 verfügt die "Identitäre Bewegung" (IB) über den Vereinssta- 110 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 tus.79 Bundesweit gibt es mehr als 15 regionale Gruppen mit untergeordneten Ortsgruppen mit jeweils eigenem Facebookauftritt. Als Ableger des französischen "bloc identitaire" versteht sich die "Identitäre Bewegung" in Deutschland als Teil der "Neuen Rechten" und betont ihre Rolle als deren "metapolitischer und aktivistischer Arm".80 Die "Identitären" beziehen sich explizit auf den Ethnopluralismus als ideologische Basis. Bei ihrem Kampf gegen die vermeintliche "Überfremdung" der Gesellschaft nutzt die IB Stilmittel der Jugendund Popkultur und inszeniert ihre Ziele durch aktivistisch-rebellisches Auftreten. Dies zeigt auch die Bildsprache der "Identitären Bewegung". Sie nutzen als Logo den griechischen Buchstaben Lambda, der in einem Hollywoodfilm ("300") von den Spartanern auf Schutzschilden als Erkennungszeichen verwendet wurde. Die IB nutzt dieses Lambda als Symbol für den Widerstand einer kleinen Gruppe gegen eine große Übermacht. Die IB BB ist unter den "Identitären" in Deutschland ein sehr aktives Netzwerk. Berlin bietet als Sitz von Bundesregierung, Bundesministerien, Parteizentralen, Medien und Nichtregierungsorganisationen sowie symbolträchtigen Orten gute Möglichkeiten, sich Aufmerksamkeit zu verschaffen. Die IB BB entwirft in ihren Darstellungen Bedrohungsszenarien durch Masseneinwanderung, die ihrer Meinung nach den Verlust der eigenen Identität bedeuten. Zentrales Thema der IB ist die Behauptung, dass "die Deutschen [...] durch eine nie dagewesene Masseneinwanderung ausgetauscht [würden]" ("Der große Austausch"). Mit drastischer Wortwahl, der inflationären Verwendung des Begriffs der Identität und martialischer Musik in Videos wird ein "Existenzkampf" herbeigeredet. Durch die ausschließlich negative Konnotation von "Ausländern" bzw. "Migranten" versteht die IB "Pluralismus" als ein "Nebeneinander", in dem "Identität" durch Ausgrenzung erreicht werden soll. 79 "Identitäre Bewegung Deutschland e.V.", registriert beim Amtsgericht Paderborn. 80 Internetseite der "Identitären Bewegung", aufgerufen am 26.1.2016. Rechtsextremismus 111 Die IB BB-Aufforderung nach "Reconquista" (Rückeroberung) bedeutet das Zurückdrängen der Einwanderer und des Islam aus Europa. Während sich die IB nach außen gegen Rassismus abzugrenzen versucht ("Identitäre gegen Rassismus"), befürwortet sie das auf ethnische Ungleichheit angelegte Theoriekonzept des "Ethnopluralismus", wonach es grundsätzliche und unveränderbare Eigenschaften von Völkern gebe, die vor fremden Einflüssen zu schützen seien. "Neben dem Völkerrecht hat auch das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Identi- 3 tät des deutschen Staatsvolkes in einem Grundsatzurteil für notwendig erklärt: 'Das Festhalten an der deutschen Staatsangehörigkeit in Art. 116 (1), 16 (1) GG und damit an der bisherigen Identität des Staatsvolkes des deutschen Staates ist normativer Ausdruck dieses Verständnisses und dieser Grundentscheidung. Aus dem Wahrungsgebot folgt insbesondere die verfassungsrechtliche Pflicht, die Identität des deutschen Staatsvolkes zu erhalten' [...] Ein Zuviel an Zuwanderung, führt zur kulturellen Überformung, und somit zu verfassungswidrigen Deformation der völkerrechtlichen Identität des deutschen Staatsvolks." 81 Bei dem Zitat des Bundesverfassungsgerichts handelt es sich um eine sinnentstellende Verkürzung einer Textpassage aus einem Beschluss82, in dem das Gericht über die Frage zu entscheiden hatte, ob eine in der DDR erfolgte Einbürgerung eines italienischen Staatsbürgers auch für die Bundesrepublik Gültigkeit habe und bejahte dies mit dem Hinweis auf die Einheit Deutschlands und die bisherige Identität des deutschen Staatsvolkes. Über die zitierte Pflicht zur Wahrung der Identität des deutschen Staatsvolkes führt das Bundesverfassungsgericht weiter aus: "Diese Pflicht ist nicht statisch auf den Kreis derjenigen Personen begrenzt, die bei Inkrafttreten des Grundgesetzes deutsche Staatsangehörige waren, und auf jene, die später zufolge des Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetzes die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben und noch erwerben werden." Insofern ist in dem Beschluss gerade nicht eine ausschließende, sondern eine inklusive Identität gemeint. 81 Facebook-Profil der IB BB vom 11.11.2016, Aufruf am 15.11.2016. 82 BVerfG, Beschl. v. 21.10.1987 - 2 BvR 373/83. 112 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Auch nach Anschlägen durch islamistische Terroristen wurden derartige Schlüsse gezogen. Auf einer Grafik mit einem Motiv des Attentats von Nizza benannte die IB die Ursache des Terrors mit dem Schlagwort "Multikulti tötet".83 In einem anderen Text heißt es dazu unter der Überschrift: "+++ TERROROPFER - WAHNSINN - GRÜNE POLITIK +++: Der Islam gehört nicht zu Deutschland. Multikulti ist am Ende - begraben unter den hunderten Opfern des Terrors in Europa." 84 Mit solchen Äußerungen instrumentalisiert die IB den islamistischen Terror, um pauschal den Islam abzuwerten. Im Fokus der IB BB stehen fast ausschließlich die Themen "Ausländer" bzw. "Migranten", insbesondere solche muslimischen Glaubens, stets verbunden mit der Betonung auf Kriminalität, Terrorismus und Integrationsprobleme. Nicht nur in Bezug auf ideologische Schwerpunktthemen und -thesen sondern auch in ihrem Habitus und Erscheinungsbild bieten die Mitglieder der "Identitären" ein anderes Bild als traditionelle Rechtsextremisten. Vor einer in der Gesamtheit bürgerlich und eloquent erscheinenden Fassade gibt sich die IB BB vordergründig liberal, um für Angehörige bürgerlicher und studentischer Milieus anschlussfähig zu sein. Werbevideos oder die eigene Internetseite sind von hoher Professionalität und sollen einen nach außen seriösen Eindruck vermitteln. Mit dieser Strategie gelang es der IB in Deutschland, sukzessive neue Mitstreiter zu gewinnen, die bislang keinen Bezug zu extremistischen Gruppierungen oder Ideologien hatten. Durch einen Zugewinn an Mitgliedern und einer strafferen Struktur konnte die IB BB ihr Aktivitätsniveau 2016 quantitativ und qualitativ deutlich steigern. Dadurch stieg das Selbstbewusstsein der Akteure, die nun zunehmend die Konfrontation mit politischen Gegnern suchten oder sich durch auf größtmögliche öffentliche Wahrnehmung zielende Aktionen überregional Aufmerksamkeit verschafften, wobei die IB BB überwiegend durch Aktivisten aus anderen Bundesländern unterstützt wurde. 83 Facebook-Profil der IB BB, geteilt von einem Berliner IB-BB-Aktivisten vom 18.7.2016, Aufruf am 26.7.2016. 84 Facebook-Profil der IB Sachsen, geteilt von IB Deutschland vom 15.11.2016. Rechtsextremismus 113 Neben einer Reihe eigener Aktionen nahm die IB BB auch an Veranstaltungen anderer rechtsextremistischer Gruppierungen teil. Von Beginn an war die IB BB bei Kundgebungen des Berliner Ablegers der Gida-Bewegung "Bärgida" sowie weiteren muslimenfeindlichen Demonstrationen vertreten. Nachdem "Bärgida" zuletzt für die IB BB aufgrund des nachlassenden öffentlichen Interesses kein attraktives Umfeld mehr bot, nahmen IB BB-Angehörige an anderen Versammlungen und Kundgebungen teil, u.a. bei den "Merkel muss weg"-Aufzügen. 3 Am 4. April postete die IB eine Information zu einer Aktion vor der polnischen Botschaft, um ihre Solidarität mit Polen und Ungarn aufgrund der restriktiven Einwanderungspolitik dieser Länder zu artikulieren. Am 14. Mai demonstrierten ca. 20 IB-Mitglieder mit Politikermasken vor der türkischen Botschaft in Tiergarten und wandten sich gegen das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei und den angeblich wachsenden Einfluss dieses Landes auf die europäische Politik. Politische Gegner der "Identitären" waren vermehrt Ziel von Aktionen der IB BB. In der Nacht vom 17. zum 18. April beklebten Aktivisten der IB BB die Fassade des Bürogebäudes der Amadeu Antonio Stiftung in Mitte und sperrten den Gehweg des Eingangsbereiches mit rot-weißem Flatterband ab. Am 20. Juli betraten IB BB-Aktivisten die Räume der Stiftung in Stasi-Uniformen und wollten der Leiterin eine Urkunde überreichen, um die Tätigkeit der Stiftung in die Nähe von totalitärer Überwachung zu rücken. Aber auch Straßenaktionen gehören zum Repertoire der IB BB. Nachdem 2015 der Pankower Kreisverband der NPD bereits eine gleichgelagerte Aktion durchgeführt hatte, verteilte die IB BB unter dem Aktionsmotto "Ehrenschutz für unsere Frauen" in Potsdam Pfefferspray an Frauen, um ihnen "ein Mittel in die Hand zu geben, womit sie sich im Notfall schützen können".85 Auf dem Potsdamer Platz fand am 4. Juni eine so genannte Straßenkunstaktion statt. Einige Demonstranten der IB BB posierten mit Politikermasken, andere mit einer muslimischen Vollverschleierung und kritisierten eine angebliche Islamisierung Deutschlands. Am 11. Juni nahmen Berliner Aktivisten an einer Großdemonstration der "Identitären" in Wien teil. Zentrale Figur des deutschsprachigen IB-Netzwerks ist der österreichische IB-Aktivist Martin Sellner, der im Gegenzug am 17. Juni bei einer Demonstration der "Identitären Bewegung Deutschland" (IBD) in Berlin mit dem 85 Facebook-Profil der IB BB vom 9.5.2016, Aufruf am 15.11.2016. 114 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Titel "Aufstand gegen das Unrecht" als Redner auftrat. Für diese Demonstration wählte die IBD mit dem Jahrestag des Volksaufstands in der DDR ein symbolträchtiges Datum, womit die "Identitären" die aktuellen Verhältnisse als Diktatur und sich selber als Fundamentalopposition charakterisieren wollten. Mit ca. 150 Teilnehmern, darunter "Identitäre" aus dem gesamten Bundesgebiet und Österreich, war der Zuspruch für die erste eigene Demonstration der IBD sehr hoch. Slogans der IB BB waren: "Festung Europa, Macht die Grenzen dicht", "Heimat, Freiheit, Tradition, Multikulti Endstation", "Reconquista, Europa, Jugend". Bundesweite Aufmerksamkeit erregte die IB BB mit der kurzzeitigen Besetzung des Brandenburger Tors am 27. August, als Aktivisten der IB BB und anderer Landesverbände der IB ein Transparent befestigten ("Sichere Grenzen - sichere Zukunft"). Die Polizei beendete diese Aktion schnell und leitete Ermittlungsverfahren ein. Eine weitere Aktionsform der IB BB war die Störung von Medienveranstaltungen. Am 12. September hielten IB BB-Aktivisten Schilder bei einer Aufzeichnung einer Radiosendung im Gorki-Theater hoch und skandierten Parolen, da dort u.a. über das Thema Vollverschleierung diskutiert wurde. Als Grund für die Störung gaben sie auf ihrem Facebook-Profil an, dass die beiden Diskutanten "ewiggestrige Vertreter des linksliberalen Mainstreams"86 seien. Nach der Auffassung der IB BB würden diese in Schlüsselpositionen von Politik und Medien gesellschaftliche Diskurse und politische Willensbildungsprozesse steuern. Am Wochenende des 23. bis 25. September fand das IBD"Sommercamp" im Oderbruch statt. Es soll Selbstverteidigungskurse, Vortragsund Gesprächsrunden zu Programmatik und Aktivitäten sowie Austausch über ein Vernetzungstreffen mit französischen Aktivisten gegeben haben.87 Im November trat Martin Sellner in Berlin bei einer Konferenz des neurechten Magazins "Compact" als Redner auf. Am 19. November besetzten "Identitäre" kurzzeitig den Balkon der Bundesgeschäftsstelle der Partei Bündnis90/Grüne in Mitte. Sie befestigten dort Transparente mit der Aufschrift "Ihr habt unsere Frauen ganz vergessen". Auf den Trans86 Facebook-Profil der IB BB vom 13.9.2016, Aufruf am 15.11.2016. 87 Facebook-Profil der IB BB vom 26.9.2016, Aufruf am 20.12.2016. Rechtsextremismus 115 parenten wurden Orte aufgezählt, an denen es zu Übergriffen gegen Frauen durch Migranten gekommen war. Bei einer auch von Rechtsextremisten besuchten Mahnwache vor dem Kanzleramt nach dem Anschlag vom Breitscheidplatz am 21. Dezember wurde zu einer Spontankundgebung "Gegen Multikulti" aufgerufen. Am Abend blockierten 48 Personen der IB den Haupteingang der 3 CDU-Bundesgeschäftsstelle. An der Glasfront der Geschäftsstelle waren Bilder von einer von einem Flüchtling ermordeten Studentin mit der Aufschrift angebracht: "Maria L., 19 Jahre, Opfer durch Multikulti - Eure Schuld". Die Polizei löste die Sitzblockade auf. Alle Aktionen demonstrieren die Strategie der IB, mit geringem Aufwand durch provokative und gewaltfreie Aktionen ein Höchstmaß an öffentlicher Aufmerksamkeit zu generieren. Zentrale Rolle spielen dabei die nachträgliche Verbreitung der dokumentierten Aktionen in den sozialen Netzwerken sowie die von der IB erhofften Reaktionen der Adressaten. Diese sind üblicherweise Personen oder Gruppierungen, die sich für Flüchtlinge einsetzen, die aktuelle Flüchtlingspolitik der Bundesregierung unterstützen oder Medienvertreter, die nicht im Sinne der IB berichten. Die IB BB hat mit ihrer Mischung aus Aktion und Theorie im Internet und einem bislang gewaltfreien Aktionismus eine Anziehungskraft auf ideologisch gleichgesinnte Menschen, die außerhalb der virtuellen Welt mit ihren extremistischen Ansichten bisher keinen Anschluss gefunden hatten. Ihre Gefahr liegt in erster Linie in der nach außen vermittelten Seriosität und einer Art Agitprop mit gezielter Grenzüberschreitung, im Eigenjargon der IBD: "Greenpeace für Deutschland".88 Durch diese Mischung sollen insbesondere Jugendliche und junge Erwachsene angesprochen werden. Auf diese Zielgruppe sind auch spektakuläre Aktionen wie die kurzzeitige Besetzung des Brandenburger Tors ausgerichtet, bei der sich die IB BBAktivisten als politische Abenteurer präsentieren. 88 Facebook-Profil der IB Bayern vom 26.11.2016, geteilt von der IB Deutschland, Aufruf am 28.11.2016. 116 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 3.3.2 Bürgerbewegung Pro Deutschland "Bürgerbewegung Pro Deutschland" ("Pro Deutschland")/ Landesverband Berlin Gründung: 2010 Mitglieder: Berlin: 110 (2015: 110) Die Partei "Bürgerbewegung Pro Deutschland" ist Teil der muslimenfeindlichen Szene Berlins, durch die vor allem Ängste vor einer vermeintlichen "Islamisierung" Deutschlands geschürt wird. Das von "Pro Deutschland" vorrangig gegen Muslime verbreitete Überfremdungsszenario wird dominiert von der Gleichsetzung von Islam und Islamismus und einem angeblich von Muslimen verursachten unüberwindlichen Wertekonflikt zwischen dem "Abendland" und dem orientalischen Kulturkreis. Neben diesem religiös-kulturellen Rassismus manifestiert sich der extremistische Charakter der Partei in der Forderung nach einer Rückführung spezifischer Bevölkerungsgruppen mit Migrationshintergrund sowie der Vernetzung mit anderen einschlägigen Parteien und Vereinen in Europa. Die Instrumentalisierung von Ängsten und Vorurteilen der Bevölkerung gegen Flüchtlinge sowie die Pauschalisierung und Kriminalisierung von Flüchtlingen gehören zum grundsätzlichen Argumentationsmuster von "Pro Deutschland". Die muslimenfeindliche Partei "Pro Deutschland" hat seit ihrer Gründung die Strategie der Aufmerksamkeit durch maximale Provokation bei sparsamen Personaleinsatz verfolgt. Sie zeigte öffentlich Mohammed-Karikaturen unmittelbar vor Moscheen, kündigte die Aufführung von muslimenfeindlichen Filmen an und demonstrierte vor Moscheen und anderen islamischen Einrichtungen. Nachdem diese Provokationen der Partei in den ersten Jahren öffentliche Aufmerksamkeit beschert hatten, hatte es "Pro Deutschland" trotz eines weiterhin großen Engagements 2016 zunehmend schwerer, ihre extremisti- Rechtsextremismus 117 sche Position der Ablehnung von Zuwanderung in der Öffentlichkeit zu verbreiten. Dies lag auch daran, dass andere, nicht zwingend extremistische Akteure zunehmend Positionen besetzen, die in abgemilderter Form deutlich mehr Anhänger fanden als die zugespitzten Formulierungen von "Pro Deutschland". Diese Entwicklungen wurden von "Pro Deutschland" bis zu den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus 2016 nicht wahrgenommen. Dabei fing das Jahr aus Sicht von "Pro Deutschland" vielversprechend an. Für den 3 12. März hatte ein Berliner HoGeSa-Aktivist ("Hooligans gegen Salafisten"), der dem Bundesvorstand der "Pro Deutschland" angehört, eine Demonstration unter dem Motto "Merkel muss weg" angemeldet. Da einer der Hauptfunktionäre von "Pro Deutschland" ebenfalls in die Organisation der Demonstration einbezogen war, war deutlich erkennbar, dass "Pro Deutschland" mit Unterstützung des extremistischen HoGeSa-Spektrums für die Ausrichtung mitverantwortlich war. Allerdings trat "Pro Deutschland" nicht offiziell in Erscheinung und versuchte, die Demonstration als überparteiliche Veranstaltung zu charakterisieren. Zusätzlich sollten Biker und Rocker durch das Facebook-Profil "Wir Biker für Deutschland", das extra für den 12. März eingerichtet wurde, angesprochen werden. Ohne ihre Urheberschaft zu benennen, konnte "Pro Deutschland" dieser Demonstration ihren Stempel aufdrücken. Der Bundesvorsitzende Manfred Rouhs trat als Redner auf und der Anmelder, und "Pro Deutschland"-Funktionär war als Repräsentant auch ohne Nennung der Partei präsent. Auch wegen der Taktik von "Pro Deutschland", nicht als Organisator in Erscheinung zu treten, gab es für die erste Veranstaltung über das eigene muslimenfeindliche Spektrum hinaus großen Zuspruch. Von den ca. 3 000 teilweise aus dem ganzen Bundesgebiet angereisten Demonstrationsteilnehmern gehörten die meisten nicht zu extremistischen Gruppierungen. Aufgrund dieses Erfolgs wiederholten die Veranstalter die Demonstrationen am 7. Mai, 30. Juli und 5. November. Allerdings zeigten sinkende Teilnehmerzahlen, dass viele bürgerliche Personen nach den Erfahrungen mit der Kundgebung am 12. März nicht gemeinsam mit Extremisten demonstrieren wollten. Ein ähnliches 118 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Schicksal ereilte auch die wöchentliche Bärgida-Demonstration, dem Berliner Ableger der in Dresden als Pegida gegründeten deutschlandweiten "Gida"-Bewegung. Bärgida hatte in ihrer Gründungsphase mit über 300 Teilnehmern und einem Kern von Extremisten noch einen vergleichsweise hohen Zuspruch auch außerhalb ihrer Szene erhalten. Inzwischen ist die Teilnehmerzahl mit im Schnitt 60 Personen gesunken, der relative Anteil von Extremisten hier wie auch bei den "Merkel muss weg"-Demonstrationen hingegen inzwischen sehr hoch. Unter diesen waren auch Gruppen wie "Reichsbürger" und extremistische Hooligans (u.a. aus dem HoGeSa-Spektrum). Damit war es den Veranstaltern trotz zuletzt sinkender Teilnehmerzahlen gelungen, gruppenübergreifende und für die Szene identitätsstiftende regelmäßige Ereignisse zu etablieren, die neben muslimenfeindlichen Gruppierungen auch Rechtsextremisten wie beispielsweise NPD-Angehörige anzog und zumindest anfänglich auch bürgerliche Milieus ansprach. Im Wahlkampf zur Wahl des Abgeordnetenhauses von Berlin hielt "Pro Deutschland" keine nennenswerten Veranstaltungen unter ihrem Namen ab. Sie führte einen Wahlkampf, der sich auf das Aufhängen von Plakaten und Verteilung von Werbematerial beschränkte. Ein weiteres Mittel der Steigerung der öffentlichen Wahrnehmung war erneut die gezielte Provokation von politischen Gegnern. Wahlkampfhelfer von "Pro Deutschland" hängten direkt vor dem umstrittenen linken Wohnprojekt in der Rigaer Str. 94 in Friedrichshain ein Plakat mit dem Wahlslogan "Keine rechtsfreien Räume in Friedrichshain und Kreuzberg" auf. Es kam zu Auseinandersetzungen, die mit einem Polizeieinsatz endeten. Darüber hinaus war die Partei im Wahlkampf mit Aktionen oder Demonstrationen aber kaum wahrnehmbar. "Pro Deutschland" beschäftigte sich im Wahlkampf nahezu ausschließlich mit den Themen Asyl und Zuwanderung. Die Ursache für die Probleme Berlins sah die Partei überwiegend in der Zuwanderung: Rechtsextremismus 119 "Berlin ist schwer belastet durch kulturfremde und nicht integrierbare Zuwanderer. [...] Brandanschläge, politisch motivierte Kriminalität, tolerierter Drogenmissbrauch und Gewalt an Schulen durch hier chancenlose und integrationsunwillige Migranten, besonders aus dem moslemischen Kulturkreis, sind traurige Realität." 89 Die Slogans beschränkten sich im Wesentlichen auf muslimenfeindliche Thesen ("Islamisten/ Islamisierung stoppen"). Es wurde behauptet, dass es keinen Unter- 3 schied zwischen Islam und Islamismus gäbe: "Wieso der Islam? Es ist notwendig, sich von dem vernebelnden Gerede freizumachen, es gebe nicht den Islam, man müsse zwischen Islam und Islamismus unterscheiden [...]." 90 Insgesamt zielen die Aktivitäten und Äußerungen von "Pro Deutschland" auf eine Herabsetzung und Verächtlichmachung insbesondere von Menschen muslimischen Glaubens ab. Mit ihren Äußerungen werden Muslime pauschal als gewalttätig, instinktund fehlgeleitet sowie nicht integrierbar und somit als Menschen zweiter Klasse diffamiert. Ihnen wird das Lebensrecht als gleichwertige Persönlichkeiten und das Recht auf gleichberechtigte Teilhabe in der staatlichen Gemeinschaft abgesprochen. Allerdings führte der Wahlkampf nicht zu einem nachhaltigen Erfolg. Die Partei erreichte im September bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus in Berlin insgesamt lediglich 0,4 Prozent der Stimmen (gegenüber 1,2 Prozent bei den Wahlen 2011). Als Konsequenz aus dem schlechten Ergebnis kündigte "Pro Deutschland" an, vorerst nicht mehr zu Wahlen anzutreten. In der Erklärung heißt es: "Das umfassende politische Engagement der Bürgerbewegung Pro Deutschland in Berlin hat sich bei der Wahl am 18. September nicht in Wählerstimmen umsetzen lassen. Selbst in unseren Schwerpunkte-Bezirken Lichtenberg und Marzahn-Hellersdorf hat es nur für 1,7 bzw. 1,5 % gereicht - obwohl wir dort in den letzten Monaten die meisten Haushalte mehrfach mit unserer Zeitung "Pro Deutschland" beliefert haben und her89 Aus dem Wahlprogramm für die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin 2016, Kapitel: "Wir pro Berlin". 90 Aus dem Wahlprogramm für die Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin 2016, Kapitel: "Zuwanderung begrenzen, Islamisierung stoppen". 120 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 vorragend plakatiert waren. [...] Unser Wahlergebnis steht im schroffen Gegensatz zum großen Maß an Zustimmung, die wir im Wahlkampf [...] erfahren haben. Frauen und Männer haben uns demonstrativ auf die Schulter geklopft - und dann AfD gewählt." 91 Weiterhin kündigte die Partei an: "Wir werden künftig mehr Bürgerbewegung sein und weniger Partei. [...] [Wir werden] im kommenden Jahr weder bei den drei anstehenden Landtagswahlen kandidieren, noch bei der Bundestagswahl. [...] Den Wunsch der AfD-Führung, mit uns nicht zusammenarbeiten zu wollen, bewerten wir als schwerwiegenden politischen Fehler - aber wir akzeptieren ihn." 92 Nach der verlorenen Wahl wurden die virtuellen Präsenzen von "Pro Deutschland" (Homepage und Facebook-Profil) wieder zum wichtigsten Sprachrohr, wobei sie inhaltlich auf Kontinuität setzt und weiterhin muslimenfeindliche Agitation betreibt. Es werden Presseartikel zum Thema Asyl, Sozialund Sicherheitspolitik verlinkt und sparsam kommentiert. Vermengt wird die Aversion gegen bestimmte Einwanderergruppen bzw. gegen Asylund Zuwanderungspolitik mit einem Verschwörungsszenario, nachdem alles von vermeintlich linken Eliten in Medien und Politik gesteuert werde. "Pro Deutschland" bewirbt Artikel aus ihrem Versandhandel ("Versand für Querdenker"), in dem Propagandaartikel und Kleidung vertrieben werden. Darunter sind "Merkel muss weg"-Aufleber sowie T-Shirts mit Abbildungen von Wladimir Putin, Victor Orban und Donald Trump jeweils mit dem Untertitel: "German support team" versehen. Die Bewunderung einiger Extremisten für Putin und Russland überrascht in diesem Zusammenhang zunächst. Jahrzehntelang war unter Rechtsextremisten Russland (respektive die Sowjetunion) als ehemalige Besatzungsmacht Ostdeutschlands geächtet und der Begehung von Kriegsverbrechen beschuldigt worden. Das ist in einigen rechtsextremistischen Milieus anders geworden. Autoritäre Herrscher üben unabhängig von ihren ideologischen Dispositionen offenbar einen Reiz auf sie aus, da die als Autokratien wahrgenommenen Regierungssysteme als denkbare Alternative zur repräsentativen Demokratie gel91 Internetseite von "Pro Deutschland", Erklärung des Bundesvorstands von "Pro Deutschland" zum Ergebnis der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus vom 2.10.2016, Aufruf am 10.10.2016. 92 Ebenda. Rechtsextremismus 121 ten. Diese politischen Systeme dienen einigen Rechtsextremisten als Blaupause für eine Alternative zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Das Internet ist für "Pro Deutschland" weiterhin wichtigstes Rekrutierungswerkzeug, um potenzielle neue Mitglieder und Interessenten zu erreichen. "Pro Deutschland" setzt seit Jahren auf so genannte "Petitionen" und entwirft dafür Postkarten, auf denen Petenten mit ihrer Unterschrift angeblich bei Petitionsausschüssen von Landesparlamenten oder dem Bundestag bestimmte Themen ein- 3 bringen können. Aktuell verbreitet "Pro Deutschland" Postkarten mit einer Petition für ein generelles Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst. Die Intention, die "Pro Deutschland" mit diesen Aktionen verfolgt, ist ganz offensichtlich die Akquise von Adressen für eigene Zwecke. Die Adressaten der Kampagne sind Menschen mit muslimenfeindlichen Einstellungen ohne Anbindung an die Szene, die "Pro Deutschland" vereinnahmen möchte. 3.3.3 Netzwerke extremistischer Hooligans (Hooligans gegen Salafisten) Das HoGeSa-Netzwerk wurde 2014 durch eine gewalttätige Demonstration in Köln bundesweit bekannt. Zum Jahreswechsel 2014/2015 bildete sich ein Berliner Ableger, der in der Folgezeit unter wechselnden Aktionsbezeichnungen wie z.B. "Bündnis Deutscher Hooligans" (BDH) agierte. Die Berliner HoGeSa-Aktivisten pflegen Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen und unterstützten diese 2015 bei der Organisation von vermeintlich unpolitischen "Bürgerbewegungen" gegen Flüchtlingsheime. Sie bilden eine Schnittmenge zwischen der neuen muslimenfeindlichen Szene und den traditionellen Rechtsextremisten. Das HoGeSa-Netzwerk unterhält über einige Aktivisten Kontakt zu der Partei "Pro Deutschland". 2016 nahmen die organisierten eigenen Aktivitäten des HoGeSaSpektrums ab. Neben "Pro Deutschland" prägte das HoGeSa-Spektrum jedoch die "Merkel muss weg"Demonstration vom 12. März. So waren die Ordner teilweise HoGeSa-Aktivisten. Weiterhin ist der Berliner HoGeSa-Ableger Teil der "Bärgida"-Bewegung. 122 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 3.4 Traditioneller Rechtsextremismus 3.4.1 NPD "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) Gründung: 1964 Mitglieder: Berlin: 230 (2015: 250) Die aus der rechtsextremistischen "Deutschen Reichspartei" hervorgegangene NPD ist die älteste rechtsextremistische Partei in Deutschland. Sie verfügt mit den "Jungen Nationaldemokraten" (JN) über eine Jugendund mit dem "Ring Nationaler Frauen" (RNF) über eine Frauen-Organisation. Die NPD, deren Bundesgeschäftsstelle sich seit 2000 in Berlin befindet, vertritt rassistische und antisemitische Positionen sowie das Konzept einer ethnisch homogenen "Volksgemeinschaft" und lehnt die freiheitliche demokratische Grundordnung ab. Aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Ideologie und den gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Aktivitäten hatte der Bundesrat ein Parteiverbotsverfahren gegen die NPD eingeleitet. Am 17. Januar 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, die NPD nicht zu verbieten, da sie zwar verfassungsfeindlich, aber zu unwichtig sei, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele tatsächlich auch erreichen zu können. Die NPD ist seit der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern im September 2016 in keinem Landtag mehr vertreten. In Berlin verfügt sie seit der Abgeordnetenhauswahl 2016 auch über kein kommunales Mandat mehr. Seit November 2014 amtiert Frank Franz als Parteivorsitzender, nachdem er nach langen Personalund Strategiedebatten auf einem Parteitag als Nachfolger von Udo Pastörs gewählt wurde. Der Berliner Landesverband der NPD ist in neun Kreisverbänden organisiert und wird seit Oktober von Uwe Meenen geführt. Das Jahr 2016 war für den Berliner Landesverband der NPD sowohl von internen Querelen als auch von externen Faktoren wie dem NPD-Verbotsverfahren geprägt. Unter anderem wegen des vom Bundesrat angestrengten NPD-Verbotsverfahrens und der damit verbundenen noch stärkeren öffentlichen Darstellung der extre- Rechtsextremismus 123 mistischen Ideologie der NPD ließ die Außenwirkung der Partei deutlich nach. Die rechtsextremistischen Milieus aus dem "Netzwerk Freie Kräfte" und der NPD, die in Berlin eine große Schnittmenge bilden, separierten sich zunehmend und unterstützten sich nur noch eingeschränkt. Dabei versuchte die NPD, die zeitweilige Lethargie der vergangenen Jahre durch neue Aktionen und Kooperationsversuche zu überwinden. Die NPD hat nach der Breitenwirkung ihrer vorgeblich unpolitischen "Nein-zum-Heim"-Bürgerbewegungen in den letzten Jahren ihre Strategie geändert. Sie versuchte weiterhin, vermeintlich neutrale Bürgerbewegungen zu steu- 3 ern, zusätzlich führte sie Veranstaltungen unter eigenem Namen durch. Mit der Verknüpfung der Themen "Innere Sicherheit" und "Zuwanderung" konnten Rechtsextremisten in den letzten Jahren ihre öffentliche Wahrnehmung vorübergehend wieder steigern. Am stärksten war der Zuspruch über das eigene extremistische Milieu hinaus in Marzahn-Hellersdorf und anderen östlichen Bezirken. Dort vermutete die NPD auch weiterhin ein großes Unterstützerpotenzial und versuchte mittels "Nein-zum-Heim"-FacebookProfilen schwerpunktmäßig Teile der Bevölkerung für ihre Ziele zu gewinnen. Die Betreiber der Seite "Nein zum Heim - Marzahn-Hellersdorf" agierten nach außen anonym. Die Facebook-Seite war seit Januar regelmäßig aktiv und wurde vom Netzwerk der rechtsextremistischen "Nein-zum-Heim"-Seiten empfohlen. Die Berliner "Nein-zum-Heim"-Seiten hatten deutliche Bezüge zur NPD und anderen rechtsextremistischen Bestrebungen. Im Laufe des Jahres entwickelten sich die vermeintlich neutralen Bürgerbewegungen zu NPD-Wahlkampfplattformen, auf denen Wahlmotive und Wahlaufrufe der bzw. für die NPD gepostet wurden. Die Bürgerbewegungen konnten im Berichtsjahr allerdings nicht mehr die Reichweite erzielen und Menschen mobilisieren wie noch 2014/2015. Die NPD konzentrierte sich Anfang des Jahres auf wenige, dafür aber größere Aktionen. Da dafür das rechtsextremistische Potenzial in Berlin nicht ausreichend schien, verstärkte sie die Mobilisierung unter Brandenburger Rechtsextremisten. Für ihre Anti-Flüchtlings-Demonstration am 1. Februar in Pankow unter ihrem Kampagnenmotto "Das Boot ist voll - Asylflut stoppen" konnte sie mit ca. 100 Per- 124 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 sonen eine für ihre Verhältnisse hohe Teilnehmerzahl erzielen. Diese bereits Ende 2015 begonnene Demonstrationsreihe wurde noch am 29. Februar weitergeführt mit einer Kundgebung am S-Bahnhof Wartenberg in Lichtenberg. Trotz des relativ hohen Zuspruchs von ca. 130 Personen war dies die letzte größere Aktion der NPD vor dem Wahlkampf. In Köpenick initiierte die NPD jeden Freitag vor dem Rathaus eine als vermeintlicher Bürgerprotest unter der Bezeichnung "Nein zum Heim in Köpenick" getarnte Kundgebung "Gegen diese verfehlte Asylpolitik". Am 5. Februar sprach dort der NPD-Europaabgeordnete Udo Voigt. Allerdings gab es über das eigene extremistische Milieu hinaus keinen dauerhaften Zuspruch zu dieser Dauerkundgebung, die bereits im Frühjahr eingestellt wurde. Wahlen zum Abgeordnetenhaus Der Berliner Landesverband wurde im Wahlkampf durch Udo Voigt und den Bundesvorsitzenden Frank Franz unterstützt und konzentrierte sich auf die östlichen Stadtgebiete, da hier die Erfolgsaussichten für die NPD traditionell besser sind als in den westlichen Bezirken. Bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus verlor die NPD fast drei Viertel der Prozentpunkte gemessen am Ergebnis 2011 (2016: 0,6 %; 2011: 2,1 %). Wahlergebnisse der NPD 4,5 2011 2016 4 3,5 3 2,5 2 1,5 1 0,5 0 Berlin TreptowPankow MarzahnLichtenberg gesamt Köpenik Hellersdorf Rechtsextremismus 125 In den östlichen Bezirken musste sie sogar überproportional starke Einbußen hinnehmen. In Lichtenberg beispielsweise betrug ihr Stimmenanteil 2011 noch 3,5 Prozent, bei der Wahl musste sie sich mit 1 Prozent der Stimmen begnügen. Das gleiche Bild bot sich in Treptow-Köpenick (2016: 1,1 %; 2011: 4,1 %) und in Pankow (2016: 0,6 %; 2011: 2,1 %). In Marzahn-Hellersdorf erzielte sie mit 1,6 Prozent ihr bestes Ergebnis, aber auch dort verlor die NPD mehr als die Hälfte der Stimmen zu 2011 (Verlust von 2,4 Prozentpunkten). In den westlichen Bezirken lagen die Wahlergebnisse der NPD deutlich unter einem Prozent. 3 Die Berliner NPD reagierte mit Unverständnis auf das Wählervotum. Zwar habe die NPD wegen einer "Schweigemauer der Medien" Probleme in der Außendarstellung gehabt, wie es in einer Erklärung zur Wahl heißt.93 Allerdings sei dies durch eine hohe Präsenz mit Infoständen und Teilnahme an "Demonstrationen und Kundgebungen gegen die Massenzuwanderung" kompensiert worden. Dort sei die NPD deutlich aktiver als die direkte Konkurrenz gewesen. Diese sei nur durch Großplakate aufgefallen.94 Genutzt habe das Engagement der NPD aber nicht, da "dem Bürger Programmatiken und gegangene Wege von Parteien, Herkünfte von angeblich patriotischen Politikern und deren Finanzierung völlig egal [seien]".95 Viel wichtiger seien "der gefüllte Kühlschrank, der Fernseher mit dem ihnen die Lügen aufgetischt werden und das Auto vor der Haustür".96 Mögliche Konsequenzen zog die NPD daraus nicht, ebenso fehlen Selbstkritik oder das Eingeständnis eigener Unzulänglichkeiten. Anders als in der aktuellen Selbstdarstellung lag das Aktivitätsniveau der NPD jedoch deutlich unter dem der letzten Wahlkämpfe, insbesondere dem des Jahres 2011. Während sich damals das "Netzwerk Freie Kräfte", das in Berlin sehr stark für und in der NPD (bzw. deren Jugendorganisation JN) engagiert war, inhaltlich, ideologisch und auch bezüglich der Unterstützung bei den Wahlaktivitäten eingebracht hatte, gab es diesmal nur noch wenig Unterstützungsleistungen für die NPD. Eine Ausnahme bildete u.a. wegen des relativ aktiven Kreisverbands der Bezirk Neukölln, in dem sich die NPD überdurchschnittliche Ergebnisse erhoffte, tatsächlich aber nur ein Ergebnis von 0,7 Prozent gegenüber 3,1 Prozent der Stimmen im Jahr 2011 erreichte. Größere Demonstrationen oder eine Abschlusskundgebung gab es im Wahlkampf zur Abgeordnetenhauswahl nicht. Die NPD ver93 Erklärung des NPD-Landesverbands vom 19.9.2016, Facebook-Profil der NPD, Aufruf am 19.9.2016. 94 Ebenda. 95 Ebenda. 96 Ebenda. Schreibweise im Original. 126 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 fügte im Wahlkampf über deutlich weniger Unterstützer auf der Straße als noch 2011. Sie war diesmal nur mit einer Gruppe von ca. zehn Personen über einen Zeitraum von mehreren Wochen im Stadtgebiet unterwegs, um mobile Kurzkundgebungen abzuhalten. Den Wahlkampf im Jahr 2011 zum Berliner Abgeordnetenhaus hatte die NPD noch gezielt auf diese neonazistische Klientel mit rechtsextremistischen Provokationen ausgerichtet wie z.B. mit einem Rätsel, dessen Lösung "Adolf" lautete ("Gesucht wird ein deutscher Vorname, der etwas aus der Mode gekommen ist"). Zudem sorgte ein Plakat mit dem damaligen NPD-Bundesvorsitzenden und Berliner Spitzenkandidaten Udo Voigt für öffentliche Aufmerksamkeit, der auf einem Motorrad und dem Slogan "Gas geben" posierte, das auch vor dem Jüdischen Museum in Kreuzberg aufgehängt wurde. In dem sehr verhalten geführten Wahlkampf verzichtete die NPD auf derartige Provokationen und konzentrierte sich auf die Themen, mit denen sie in direkter Konkurrenz zu anderen Parteien mit ähnlicher inhaltlicher Schwerpunktsetzung stand und mit denen sie die höchsten Erfolgsaussichten verband: Asyl und Zuwanderung. Mit den Slogans "Asylbetrug macht uns arm", "Deutschland uns Deutschen", "Asylbetrüger? Nein Danke", "Islamisten abschieben" und "Statt Asylfinanzierung: Schnelle Abschiebungen" spitzte sie ähnliche Forderungen konkurrierender Parteien noch weiter zu. Zwar nahm sie auch Anleihen an rechtsextremistischer Ideologie ("Deutschland uns Deutschen - Türkei den Türken [...] Die NPD wünscht jedem Volk sein Land, nicht jedem Volk ein Stück Deutschland"97), hielt sich aber diesmal mit eindeutig extremistischen Slogans zurück. 97 Internetseite des Berliner NPD-Landesverbands, Presseerklärung "Berliner Plakatoffensive", aufgerufen am 9.12.2016. Rechtsextremismus 127 Eigenen Angaben zufolge wurden zudem 25 000 Plakate in der Stadt gehängt. Als herausragende Aktion wurde eine Verteilaktion von Energy-Drinks mit NPD-Aufdruck ("Energie für Deutschland") vor Schulen angekündigt. Zudem sollten diese Dosen auch Interessenten zugeschickt werden, wenn diese ihre persönlichen Daten über das Facebook-Profil der Berliner NPD angeben würden. So wollte die personell und finanziell stark unter Druck stehende Partei den Wahlkampf nutzen, um Adressen von potenziellen Interessenten zu beschaffen. Allerdings war auch diese Aktion wenig erfolgreich, die Gesamtmitgliederzahl der NPD ging in Berlin 3 im Jahr 2016 zurück. Neuer NPD-Landesvorsitzender Das für die NPD unbefriedigende Wahlergebnis und das schon vor der Wahl konfliktbeladene Verhältnis zwischen der NPD und dem "Netzwerk Freie Kräfte" dürften den Ausschlag dafür gegeben haben, dass der langjährige und in der Berliner rechtsextremistischen Szene bestens vernetzte Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke auf dem Landesparteitag der NPD am 8. Oktober abgewählt und durch den ehemaligen Landesvorsitzenden Uwe Meenen (Vorsitz von 2010 bis 2012) ersetzt wurde. Der neue Landesvorsitzende gilt als noch radikaler als sein Vorgänger Schmidtke, der zuletzt stark den Schulterschluss mit dem Bundesvorsitzenden Frank Franz suchte, der parteiintern als Relikt der "Apfel-Periode" gilt. Holger Apfel, der als Bundesvorsitzender die Partei von 2011 bis 2013 geführt hatte, war ein Verfechter eines ideologisch gemäßigten Kurses, den er selber mit "seriöser Radikalität" umschrieben hatte. Er stand damit gegenüber dem Berliner Landesverband mit dessen neonazistischen Ausrichtung in einem ständigen Konfliktverhältnis, das allerdings überwiegend nicht offen ausgetragen wurde. Uwe Meenen ist Vertrauter des von Apfel 2010 abgelösten damaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt, der die NPD bereits in den 90er Jahren für neonazistische Kräfte öffnete und dafür die Partei ideologisch radikalisierte. Die Amtsperiode von Meenen galt damals vielen Mitgliedern in der Berliner NPD als uninspiriert und lethargisch. Dass der umstrittene Meenen nun wieder den Parteivorsitz innehat, ist ein weiteres deutliches Symptom für die Krise der Berliner NPD. Der sich durch die personelle Veränderung abzeichnende aktuelle ideologische Rückfall des Berliner Landesverbands lässt eine Rückkehr von Voigt an die Spitze der Bundespartei möglich erscheinen. 128 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 NPD-Bürgerwehren Nachdem es Anfang des Jahres mehrere Aufrufe von Rechtsextremisten zur Gründung von Bürgerwehren gegeben hatte, blieben die so genannten Kiezstreifen des Pankower NPD-Kreisverbands die einzigen tatsächlichen Aktivitäten in diese Richtung. Es handelte sich dabei um eine Art uniformierte Straßenpräsenz (Jacken mit NPD-Logo), mit der für die NPD geworben wurde. Am 25. Februar waren zuletzt ca. 30 NPD-Anhänger unterwegs, die durch 50 Polizeibeamte begleitet wurden, da die auf reine Straßenpräsenz angelegte Veranstaltung als Versammlung angemeldet worden war. Der Pankower Kreisverband der NPD erklärte auf seinem Facebook-Profil, dass diese Kiezstreifen unbedingt fortzuführen seien, da sich in Karow und Buch die "anzüglichen Belästigungen gegenüber weiblichen Passantinnen [...] durch mutmaßliche Asylsuchende" häuften.98 Am Nachmittag des 17. Januar wurde ein Foto von einer größeren Menschengruppe, angeblich einer "Kiezstreife in Hellersdorf", gepostet. Ob es sich tatsächlich um ein Bild von der ersten Streife der selbsternannten Bürgerwehr handelte oder das von einer Demonstration "Gegen linke Gewalt und gegen Gewalt durch Ausländer", die ebenfalls am 17. Januar stattfand, ist unklar. Rechtsextremisten riefen schon oft zur Gründung von Bürgerwehren auf, ohne dass diese Aufrufe jemals umgesetzt wurden. Die Diskussion Anfang des Jahres nach den Vorfällen in der Silvesternacht 2015/16 in Köln hatte vorübergehend eine Grundstimmung geschaffen, in der entsprechende Aufrufe einen größeren Zuspruch erhielten als vorher. Dies machten sich Rechtsextremisten mit ihrer Kampagne zu Bürgerwehren zunutze. Das Thema Bürgerwehr dürfte auch durch eine behauptete Vergewaltigung einer 13-Jährigen durch "Personen mit südländischem Aussehen" im Januar einen Schub erhalten haben. Da das vermeintliche Opfer Russlanddeutsche war, sorgte dieser Fall in dem Milieu für entsprechende Furore. Da den später als falsch erwiesenen Schilderungen über die angebliche Gewalttat Glauben geschenkt wurde und dieser Fall Rechtsextremisten einen weiteren Beleg für deren klassisches Stereotyp vom "kriminellen Migranten" lieferte, thematisierte die NPD diese angebliche Vergewaltigung auf einer Kundgebung am 16. Januar in Marzahn-Hellersdorf ("Gegen die massenhaften sexuellen Übergriffe auf deutsche Frauen"). Auf seinem Facebook-Profil hat der damalige Berliner NPD-Landesvorsitzende ein Video ver98 Facebook-Profil der NPD Pankow vom 22.2.2016, aufgerufen am 23.12.2016. Rechtsextremismus 129 öffentlicht, auf dem eine angebliche Angehörige des vermeintlichen Vergewaltigungsopfers sprach. Die Person in dem Video beklagt u.a., dass die Polizei keine Sicherheit mehr gewährleiste und den Vorfall herunterspiele. Auf die Frage "wer schützt uns" ist ein Zwischenruf "Bürgerwehren gründen" zu vernehmen. Dieses Video hatte schnell über 300 000 Zugriffe. Auch russische Medien und deren deutschen Ableger (Russia Today, Sputnik) griffen dieses Thema auf und warfen deutschen Sicherheitsbehörden ideologische Voreingenommenheit vor. Obwohl die Polizei nach Ermittlungen deutlich formuliert hatte, dass die Berichte des Opfers 3 unzutreffend gewesen seien und eine Entführung und Vergewaltigung nicht stattgefunden habe, blieben die Betroffenen sowie die sie unterstützenden Rechtsextremisten bei ihrer Darstellung und zeichneten das Bild von Behörden und Medien, die Kriminalität von Ausländern bzw. Flüchtlingen bewusst bagatellisieren oder sogar leugnen würden. Die NPD nahm den Fall auf und versuchte, Kontakte in das Milieu der Russlanddeutschen zu knüpfen. Am 18. Januar demonstrierten ca. 30 Personen in Marzahn-Hellersdorf "Gegen linke Gewalt und gegen Gewalt durch Ausländer". Auch diese Veranstaltung stand in Verbindung mit der behaupteten Vergewaltigung, obwohl durch die Veranstalter kein direkter Bezug hergestellt wurde. Am selben Tag folgten ca. 250 Personen Aufrufen in sozialen Netzwerken, die auch von Berliner Rechtsextremisten unterstützt wurden, sich in Marzahn-Hellersdorf zu versammeln. Nach Aufforderung durch die Polizei verließen die überwiegend russisch sprechenden Versammlungsteilnehmer die Örtlichkeit. In der Nähe hielten sich ca. 20 Rechtsextremisten auf. Die Verbindungen zwischen Russlanddeutschen und der NPD beschränkten sich allerdings auf die Aktivitäten im Zusammenhang mit der angeblichen Vergewaltigung. Die Vorstellung von kriminellen Ausländern und einem deutschen Opfer, dem aufgrund von Behördenund Polizeiwillkür kein Glauben geschenkt worden sei, einte in Marzahn-Hellersdorf kurzzeitig die beiden Gruppen. Jedoch scheiterte die NPD mit ihrem Versuch, nennenswerte und nachhaltige Unterstützung aus dem Milieu der Russlanddeutschen zu akquirieren, da sich deutlich weniger ideologische Deckungsgleichheit ergab, als von der NPD anfangs erhofft. Es gab zahlreiche andere Bürgerwehr-Facebook-Seiten, die keine Resonanz bekamen oder reale Auswirkungen hatten. Im Laufe des Jahres legte sich die aufgeheizte Stimmung und die Pläne für die Gründung von Bürgerwehren wurden von Rechtsextremisten nicht weiterverfolgt. 130 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 NPD-Verbotsverfahren Bereits im Dezember 2013 hatte der Bundesrat ein Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz gegen die NPD initiiert und vor dem Bundesverfassungsgericht die Verfassungsfeindlichkeit der NPD dargelegt. Anfang März fand in Karlsruhe eine dreitägige mündliche Verhandlung statt. Das Verfahren hatte in den Jahren 2014 bis 2016 Kräfte der Bundespartei gebunden und ließ keine langfristigen Planungen zu, da ein Verbot zumindest nicht ausgeschlossen werden konnte. Zwar zeigte sich die NPD nach außen gelassen, allerdings wurden in der Öffentlichkeit erst gegen Ende 2016 Zweifel an einem tatsächlichen Verbot geäußert. Das Bundesverfassungsgericht kam in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 zu dem Schluss, dass die NPD zwar eine verfassungsfeindliche Partei sei, allerdings fehlten Anhaltspunkte, dass sie ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch durchsetzen könne. Sie sei demnach zu unbedeutend, um sie zu verbieten. Die Stimmungslage schwankte bei der NPD nach dem Urteilsspruch zwischen Jubel und Empörung: In einige Stellungnahmen wurde das Ergebnis des Verbotsverfahrens zum Triumph stilisiert, in anderen angemerkt, dass das Bundesverfassungsgericht die NPD durchaus als verbotswürdig ansah und sie nur wegen der aktuellen Irrelevanz nicht verbot. Die Genugtuung über das Urteil wurde in Schlagworten wie "einzige höchstrichterlich bestätigte Partei in Deutschland"99 oder "Nicht verboten! Ab heute sind wir wieder voll da!"100 verpackt. Einige Funktionäre sahen in dem Urteil ein Startsignal für eine verstärkte politische Agitation und warben in den sozialen Netzwerken für neue Mitglieder. Kritische Stimmen merkten jedoch an, dass das Urteil den Schluss zulasse, dass im Falle eines Erstarkens die NPD jederzeit verboten werden könne.101 99 Facebook-Profil der NPD Bund vom 17.1.2017, aufgerufen am 17.1.2017. 100 Ebenda. 101 Facebook-Profil der NPD Neukölln vom 18.1.2017, aufgerufen am 18.1.2017. Rechtsextremismus 131 Zwar ging das Verfahren im Ergebnis zugunsten der NPD aus, allerdings bestätigte das Gericht in seinem Urteil den Niedergang der ehemals in einigen Landesund aktuell nur noch wenigen Kommunalparlamenten vertretenen rechtsextremistischen Partei. Das Ende des Verbotsverfahrens dürfte ihr kurzfristig einen Motivationsschub verschaffen. Allerdings kann die NPD in der Konkurrenzsituation mit neuen Parteien derzeit keine relevante gesellschaftliche Konfliktlinie (z.B. Befürworter/Gegner der Flüchtlingspolitik) mehr besetzen, die für einen zukünftigen Erfolg entscheidend wäre. Mit ihrer insbesondere in Berlin weiterhin offen 3 nazistischen Ausrichtung bedient sie eine schwindende Klientel; den Anschluss an nicht-extremistische Milieus hat sie trotz mehrerer Versuche (z.B. "Nein-zumHeim-Initiativen" oder das Konzept der "seriösen Radikalität") dauerhaft verloren und muss sich zudem mit neuen Konkurrenten aus dem muslimenfeindlichen Spektrum auseinandersetzen. 3.4.2 Der III. Weg "Der III. Weg" Gründung: 2015 Mitglieder: Berlin unter 20 (2015: unter 20) Seit März 2015 ist die Partei "Der III. Weg" mit einem Stützpunkt in Berlin aktiv. Die Parteigründung im September 2013 fiel in den Zeitraum des vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahrens und der Verbotsüberlegungen gegen das neonazistische Netzwerk "Freies Netz Süd" in Bayern. Sie offenbart einen weiteren Versuch von Rechtsextremisten, Strukturen zu schaffen, für die deutlich höhere Verbotshürden gelten als für Vereine und andere Organisationsformen. Bisher liegt der Aktionsschwerpunkt der Partei "Der III. Weg" in Süddeutschland. Allerdings versuchen die Aktivisten mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Kampagnen, die sich insbesondere gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik richten, ihre öffentliche Wahrnehmung massiv auszubauen und in die Gesellschaft hinein zu wirken. 132 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Ideologisch vertritt die Partei "Der III. Weg" offen neonazistische und fremdenfeindliche Positionen, weshalb der Berliner Ableger insbesondere für Aktivisten des "Netzwerks Freie Kräfte", denen die NPD zu moderat agiert, attraktiv ist. Als Alternativangebot bietet "Der III. Weg" damit einen neuen legalistischen Betätigungsrahmen für Rechtsextremisten. Der Berliner "Stützpunkt" des "III. Wegs" avancierte in der Wahrnehmung einiger Rechtsextremisten in Berlin zu einer geeigneten Alternative zur NPD. Die Partei "Der III. Weg" versteht sich, obwohl sie in der Vergangenheit bei einzelnen Landtagswahlen antrat, in erster Linie als außerparlamentarische Opposition. Die NPD hatte in den letzten Jahren u.a. deswegen Rückhalt bei den Berliner "Freien Kräften" eingebüßt, weil sie sich nach deren Meinung mehr um Mandate in Parlamenten bzw. in Berlin in einigen Bezirksverordnetenversammlungen kümmerte als eine wirkungsvolle Oppositionsrolle einzunehmen. Von dieser Enttäuschung über die NPD konnte "Der III. Weg" in Berlin profitieren. Die geschlossenen Veranstaltungen des "III. Wegs" haben nach eigenen Angaben mit ca. 40 bis 60 Besuchern einen im Hinblick auf die Szene beachtlichen Zuspruch. Neben den internen Veranstaltungen hat "Der III. Weg" auch öffentlichkeitswirksam gegen Flüchtlinge oder Flüchtlingspolitik polemisiert. Die Partei verschickte an Politiker mehrerer Parteien Postkarten, auf denen die als Überfremdungsbefürworter diffamierten Adressaten per "Gutschein" zur Ausreise aus Deutschland aufgefordert wurden. In Berlin wurde die Karte u.a. an die damaligen Senatoren Dilek Kolat und Frank Henkel verschickt. Einen sozialen Anstrich wollte sich "Der III. Weg" mit seiner Aktion "Winterhilfe" geben, die sich allein schon sprachlich stark an das "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes" erinnerte, das ab 1933 Wintersammlungen "gegen Hunger und Kälte" organisierte. Nach dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren konnte "Der III. Weg" bisher nicht von dem erhofften Mitgliederzuwachs durch Eintritte ehemaliger NPD-Mitglieder profitieren. Ohne zusätzliche Alleinstellungsmerkmale gegenüber der NPD wird Rechtsextremismus 133 sich "Der III. Weg" im Parteienwettbewerb nur schwer als neue Alternative zur NPD präsentieren können. 3.4.3 Netzwerk Freie Kräfte "Netzwerk Freie Kräfte" Das "Netzwerk Freie Kräfte" hat seine Ursprünge in der Kameradschaftssze- 3 ne, die mit dem Netzwerkansatz Anfang der 2000er Jahre auf staatliche Repression in Form von Vereinsund Kameradschaftsverboten reagierte. Diese neonazistische Szene zeichnet sich durch lockere, z.T. konspirative und bezirksübergreifende Organisationsstrukturen aus. Neben einer informellen Grundstruktur verzichtet man auf strenge Hierarchien und formale Regelungen, um sich gegenüber äußeren Zugriffen abzuschotten. Die Netzwerkstruktur wird zur gezielten Kommunikation genutzt. Eine aus ca. zehn bis 15 Personen bestehende Führungsgruppe steuert die Kommunikation. In den letzten Jahren agierten die lokalen Strukturen in den Kiezen autarker als zu der Zeit, als die Gruppe der so genannten "Autonomen Nationalisten" im Netzwerk noch regelmäßig für bezirksübergreifende Aktionen sorgte. Diese seit etwa 2002 in Berlin präsente Gruppierung brachte einen an die linksautonome Szene anknüpfenden Stil, Habitus sowie Organisationsund Aktionsformen in das Netzwerk und wirkt auch nach ihrer Auflösung bis heute auf die Szene stilprägend. 102 Darüber hinaus bilden der niedrigschwellige Zugang durch das Prinzip "Mitgliedschaft durch Mitmachen" sowie die "Anti-Antifa-Arbeit"103 zentrale Säulen im Selbstverständnis des "Netzwerks Freie Kräfte". Im "Kampf um die Straße" streben die Aktivisten des Netzwerks nach einer öffentlichkeitswirksamen Darstellung ihrer Positionen und inszenieren Demonstrationen als identitätsstiftende Gemeinschaftserlebnisse. Ebenso gehören illegale Aktivitäten wie z.B. Sachbeschädigung, Bedrohung und Körperverletzung zu ihrem Aktionsrepertoire. Ergänzt werden diese Aktivitäten durch Vernetzungstreffen sowie Schulungs-, Vortragsund Trainingsveranstaltungen. 102 Zu "Autonomen Nationalisten" vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2013. Berlin 2014, S. 88 f. 103 Die "Anti-Antifa-Arbeit" bezeichnet die organisierte Agitation gegen politische Gegner und beinhaltet Aktivitäten wie "Outing" (das Ausforschen und Veröffentlichen privater Daten), Beleidigung sowie Bedrohung, etwa in Form so genannter "Feindeslisten", aber auch körperliche Angriffe. 134 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Das "Netzwerk Freie Kräfte" war im Berliner Rechtsextremismus in den vergangenen Jahren am stärksten von Veränderungen betroffen. Ausdifferenzierte Netzwerkstrukturen mit Führungsebene, Unterstützerkreise und Mitläufer sind dort in den letzten Jahren zunehmend weniger auszumachen. Feste Gruppierungen existieren kaum noch. In den sozialen Netzwerken werden - oft auch nur temporäre - Profile mit wechselnden Gruppenbezeichnungen angelegt, wiederholt mit den Abkürzungen FK ("Freie Kräfte"), NW ("Nationaler Widerstand") oder AN ("Autonome Nationalisten") als Namensbestandteil. Die aktuellen "Autonomen Nationalisten" entlehnen den im Netzwerk traditionsbeladenen Namen und sind mit den ursprünglichen "Autonomen Nationalisten" nicht identisch. Während der Kern des Netzwerks von ca. 70 Personen konstant aktiv ist, sind die restlichen Rechtsextremisten überwiegend locker an die Szene angebunden und neigen tendenziell zu spontanen Aktionen und Affekttaten. Das Netzwerk agiert stark kiezbezogen und ist auch von der dort herrschenden personellen Aufstellung abhängig. Für ein Funktionieren des Netzwerks ist eine Kombination aus aktiven bzw. anerkannten Führungspersonen und Rückzugsräumen erforderlich. Fehlt beides, gibt es eine Entwicklung wie in der ehemaligen Szene-Hochburg Schöneweide. Dort hat die Abwesenheit von Führungspersönlichkeiten und Trefforten das "Netzwerk Freie Kräfte" am deutlichsten verändert. Ursprünglich konzentrierte sich das rechtsextremistische Leben vor Ort im Bereich um die Brückenstraße, in der z.B. das rechtsextremistische Lokal "Zum Henker" und ein Laden mit Szeneartikeln angesiedelt waren. Es etablierte sich eine aktive Szene, die von dort aus regional und überregional Teile des "Netzwerks Freie Kräfte" steuerte. 2014 mussten die Kneipe sowie der Laden schließen, der vom damaligen NPD-Landesvorsitzenden geführt wurde. Zudem zogen Führungspersonen aus Schöneweide weg. Es blieben letztlich nur wenige Aktivisten im Kiez, die ohne Anweisung und Leitung sowie wegen fehlender Trefforte nur sehr sporadisch zu koordinierten politischen Aktionen fähig waren. Die Szene in Schöneweide versuchte seither vergeblich, sich wieder solche Rückzugsräume zu schaffen. Diese Entwicklung ist symptomatisch für das gesamte Netzwerk, dessen Angehörige weiterhin überwiegend im Ostteil der Stadt wohnen und dort auch politisch Rechtsextremismus 135 aktiv sind. Sie sorgte zwar für Veränderung im "Netzwerk Freie Kräfte", verursachte jedoch keinen Stillstand. Das Personenpotenzial der Rechtsextremisten im "Netzwerk Freie Kräfte" ist trotz eines Aderlasses in den letzten Jahren weiterhin vergleichsweise hoch, auch wenn die Sub-Netzwerke in den Kiezen noch mehr unter sich bleiben und nur wenige berlinweite Aktionen für alle Netzwerkaktivisten organisieren. Es gelang dem "Netzwerk Freie Kräfte" 2016 lediglich einmal, eine eigene grö- 3 ßere Veranstaltung zu organisieren. Am 2. April konnte es für eine Demonstration "Sicherheit statt Angst! Recht auf Zukunft - Mut zum Widerstand!" etwa 250 Personen mobilisieren. Wegen der Aktualität und des großen Interesses an dem Thema wurde diese Demonstration mit der Zuwanderungsdebatte in Verbindung gebracht. Öffentlichen Schulterschluss übten neben den "Freien Kräften" auch Mitglieder und Funktionäre von NPD und "Der III. Weg", die sich teilweise als Redner betätigten. Die Rechtsextremisten kleideten sich schwarz, vermummten sich teilweise, verhielten sich äußerst aggressiv und versuchten, einen schwarzen Block zu bilden. Mit dieser martialischen Machtdemonstration meldete sich das "Netzwerk Freie Kräfte" mit an linksextremistische Codes angelehnter Kleidung und Habitus nur vorübergehend wieder zurück. Auf einem Transparent drohten sie zudem: "Linksfaschisten haben Namen und Adressen - kein Vergeben und Vergessen - gemeinsam holen wir uns unsere Stadt zurück." Gegen einen der Organisatoren wurde ein Strafermittlungsverfahren eingeleitet, weil er über Megafon gesagt haben soll: "Ihr braucht die Asylanten nicht ins LaGeSo [Landesamt für Gesundheit und Soziales] stecken. Es gibt auch Orte wie Oranienburg-Sachsenhausen, Buchenwald und Ausschwitz." Freie Kräfte Berlin Neukölln (FKBN) Die Aggressivität der Szene, die sich immer wieder mit öffentlichkeitswirksamer Provokation und Einschüchterung Aufmerksamkeit erzwingen will, zeigte sich sehr deutlich auch in einer Aktion am 9. November, an dem u.a. des Pogroms des Jahres 1938 gegen die jüdische Bevölkerung gedacht 136 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 wird. Unter dem Facebookprofil "Freie Kräfte Berlin Neukölln" (FKBN) wurde eine Berlin-Karte veröffentlicht, auf der Adressen von ca. 70 jüdischen Einrichtungen, darunter die israelische Botschaft und Synagogen, Schulen, Denkmäler, Restaurants, Geschäfte und Friedhöfe, aufgelistet waren. In Frakturschrift stand dazu "Juden unter uns!". Die Verfasser des Beitrags kommentierten die Karte mit: "Heut ist so ein schöner Tag!", womit auf die "Reichspogromnacht" am 9. November 1938 und die Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden im "Dritten Reich" angespielt wurde. Die Provokation lag nicht nur in der Veröffentlichung der Liste, die als Aufforderung verstanden werden konnte, Straftaten gegen Juden und jüdische Einrichtungen zu begehen, sondern auch in der Ankündigung, für jedes von Facebook geschlossene Profil der Rechtsextremisten zehn neue zu erstellen. Tatsächlich wurden unmittelbar nach Löschung des Profils durch Facebook mehrere neue FKBN-Profile eröffnet. Trotz unmittelbarer Reaktionen von Öffentlichkeit und Facebook konnten die Rechtsextremisten ihre antisemitische Propaganda weiterhin in den sozialen Netzwerken verbreiten. Die FKBN wurden im Jahr 2010 durch die Internetseite "fbn.nw.am" bekannt, auf der regelmäßig rechtsextremistische Propaganda, darunter auch strafrechtlich relevante Inhalte, veröffentlicht wurden. Das Engagement der Neuköllner Rechtsextremisten wurde auch nach einer tiefgreifenden Veränderung der dortigen Szene weitergeführt. Nach dem Verlust von Trefforten und dem teilweisen Wegzug oder Inhaftierung von Szenegrößen waren sie nur noch eingeschränkt kampagnenfähig. Allerdings gelang es einem aktiven Stamm an Rechtsextremisten, zumindest Propagandaarbeit mit einem hohen Drohpotenzial fortzuführen. Schon im August hatten die FKBN über Facebook eine Karte mit Adressen linker Vereine, Parteien und Trefforte in Neukölln mit der Aufschrift "Neukölln wehrt sich gegen Linksextreme" veröffentlicht. Ebenfalls im August wurde dazu aufgerufen, Wahlkampfstände von zwei Kandidaten der Partei Bündnis 90/Grüne zu "besuchen": "Zeigt diesem Pack, dass sie in unserem Deutschen Rudow nicht Willkommen sind." 104 Unter Fotos beider Kandidaten stand: "Auch ihr habt Namen und Adressen!" Parallel zu diesen Veröffentlichungen kam es schwerpunktmäßig im Dezember in Neukölln zu einer Serie von rechtsextremistisch motivierten Straftaten. In der 104 Schreibweise im Original. Rechtsextremismus 137 Nacht des 12. Dezember versuchten Unbekannte, auf das linke Cafe "k-fetisch" einen Brandanschlag zu verüben. Ebenfalls wurde die Fensterscheibe eines Buchladens eingeworfen. Das "k-fetisch" war auf der oben genannten Liste aufgeführt. Mehrfach wurden bis Ende Dezember an Hausfassaden in Neukölln und in einem Fall in Kreuzberg die Namen einzelner Hausbewohner und beleidigende Inhalte (z.B. "rote Sau") gesprüht. In der Nacht zum 24. Dezember wurden mehrere Fenster einer Privatwohnung eingeworfen und zwei Räume durch mit Farbe gefüllter 3 Flaschen verwüstet. Dies sind Beispiele für die stark ausgeprägte Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen Szene in Neukölln. Auch wenn es sich quantitativ um eine überschaubare Gruppe handelt, sind deren Protagonisten radikalisiert, ideologisch gefestigt und gewaltbereit. Netzwerk Freie Kräfte und NPD Das Verhältnis des "Netzwerks Freie Kräfte" zur NPD war in den letzten Jahren durch starke Wechselseitigkeit geprägt. Angehörige des Netzwerks stellten in Berlin in der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) den größten Aktivistenstamm der Partei. Die NPD stellte sich sowohl ideologisch als auch personell auf die offen neonazistische Klientel aus dem Netzwerk ein und Infrastruktur wie z.B. ihre Parteizentrale zur Verfügung. Die Zusammenarbeit mit der NPD trug dazu bei, mit den "Nein-zum-Heim"-Bürgerbewegungen in Marzahn-Hellersdorf und anderen östlichen Bezirken kurzfristig auch Bürger über das eigene extremistische Milieu hinaus zu mobilisieren. Die Partei bot darüber hinaus, zumindest auf Bezirksebene, bescheidene KarriereOptionen und stellte auf ihren Wahllisten auch Angehörige des "Netzwerks Freie Kräfte" auf. Der Verein "Sozial engagiert in Berlin e.V." (SeiB e.V.), der als Tarnung für die Anmietung von Räumlichkeiten für das "Netzwerk Freie Kräfte" gegründet wurde, wurde maßgeblich von NPD-Mitgliedern initiiert. Allerdings verschlechterte sich 2016 das Verhältnis zwischen Partei und dem Netzwerk. Zwar verfügte der ehemalige NPD-Landesvorsitzende Sebastian Schmidtke noch über vielfältige Kontakte in alle Bereiche der aktionsorientierten rechtsextremistischen Szene in Berlin. Den Netzwerkern fehlte es seitens der NPD jedoch zunehmend an Impulsen und Unterstützung für ihre politische Agitation. Es herrschte Stillstand in der Berliner NPD, so die Einschätzung einiger Aktivisten, und es 138 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 wurde kritisiert, dass ein Engagement in der Partei weitgehend ergebnislos und somit sinnlos sei. Teilnahme an überregionalen Demonstrationen Obwohl es in Berlin ein mangelhaftes Angebot von kiezübergreifenden Aktionen oder Demonstrationen gab, nahmen Berliner Rechtsextremisten weniger an überregionalen Veranstaltungen teil als noch in den Vorjahren. Neben Versammlungen zum 1. Mai sind mehrere rechtsextremistische "Trauermärsche" und der "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) die zentralen Ereignisse im bundesweiten rechtsextremistischen Aktionskalender. Angehörige des "Netzwerks Freie Kräfte" nahmen u.a. an dem TddZ am 4. April, der 1. Mai-Demonstration in Plauen (Sachsen) und an dem rechtsextremistischen "Gedenken" an die Opfer der alliierten Bombenangriffe im Februar 1945 in Dresden teil. Dieses hatte in früheren Zeiten mehrere tausend Teilnehmer mobilisieren können und war für Rechtsextremisten das wichtigste überregionale Ereignis im Jahr. Zuletzt konnte dieser "Trauermarsch" aufgrund von Auflagen, Polizeimaßnahmen und Gegenprotesten nur noch eingeschränkt durchgeführt werden, was u.a. bei Rechtsextremisten zu Frustration und abnehmender Teilnahmebereitschaft führte. Verherrlichung von NS-Größen Das "Netzwerk Freie Kräfte" bekennt sich überwiegend offen zum historischen Nationalsozialismus. Die damit verbundene Verherrlichung von NS-Größen fand in der Vergangenheit nicht nur in geschlossenen Veranstaltungen oder im Internet, sondern häufig auch in der Öffentlichkeit statt. Im bayerischen Wunsiedel wurde jährlich ein Gedenkmarsch für den 1987 in Berlin verstorbenen Stellvertreter Hitlers, Rudolf Heß, abgehalten. Obwohl dieser Marsch seit 2005 regelmäßig verboten und das Grab der Familie 2011 eingeebnet wurde, kommen jährlich am Todestag von Heß weiterhin Rechtsextremisten aus der gesamten Bundesrepublik zusammen. In das Gedenken mischt sich die rechtsextremistische Verschwörungstheorie, dass Hess sich nicht selbst getötet habe, sondern ermordet worden sei. Auch Berliner Rechtsextremisten aus dem "Netzwerk Freie Kräfte" fuhren 2016 nach Wunsiedel, um die Gedenkveranstaltung zu besuchen. Aktuell findet die NSund insbesondere Heß-Verherrlichung vorwiegend im Internet statt, da sich Rechtsextremisten durch vermeintliche Anonymität vor strafrechtlichen Ermittlungsverfahren schützen wollen. In Anlehnung an linksextremistische Rechtsextremismus 139 Ausdrucksformen und Habitus formulieren Rechtsextremisten seit Jahren ihre Forderungen und Slogans auch für ein internationales Publikum verständlich auf Englisch: Rudolf Heß wird auf dem Twitter-Account der "Autonomen Nationalisten Berlin" zum Märtyrer stilisiert ("Martyrs ne- 3 ver die"). Ebenso wurde des Geburtstags von Josef Göbbels gedacht und ihm posthum "Alles Gute zum Wiegenfest" gewünscht. Auch Horst Wessel wird dort mit derartigen Elogen geehrt. Neues rechtsextremistisches "Jugendzentrum" (JUZ) Durch die Anmietung eines Objekts und dessen Nutzung als so genanntes Jugendzentrum versuchten Rechtsextremisten in Pankow, das Problem fehlender Trefforte zumindest für Teile der Pankower Szene zu lösen. Das Jugendzentrum existiert schon einige Zeit, die Aktivitäten der Berliner Szene wurden dadurch jedoch nicht nachhaltig inspiriert. Anders als bei den letzten von Rechtsextremisten genutzten Immobilien hat die Randlage eine größere Resonanz der Szene für das neue Objekt bislang verhindert. Aber auch die neue Kiezbezogenheit und die bei vielen Rechtsextremisten nur noch geringere Anbindung an das "Netzwerk Freie Kräfte" verhinderten, dass das JUZ bislang überregionale Bedeutung erlangte. Virtuelle Infrastruktur Bereits in den letzten Jahren wichen Berliner Rechtsextremisten auf das russische Netzwerk vk.com aus, in dem sie keine Einschränkungen wie bei den gängigen sozialen Netzwerken, auf denen ihre Profile inzwischen häufiger gelöscht werden, befürchten müssen. Allerdings sind Rechtsextremisten dort weitgehend unter sich, eine Verbreitung der Inhalte über die Szene hinaus ist mit diesem Anbieter aufgrund seiner in Deutschland geringen Reichweite nicht möglich. Daher versuchen insbesondere rechtsextremistische Gruppen, weiterhin Profile bei den konventionellen sozialen Netzwerken zu nutzen und bei Schließung ggf. neue einzurichten. Die wichtigste und größte Plattform zur Verbreitung rechtsextremistischer Propaganda und zur Vernetzung war das bundesweit genutzte Portal "Altermedia", dem deutschen Ableger eines internationalen Netzwerks von gleichnamigen Infor- 140 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 mationsplattformen. Bereits im Jahr 2011 wurden zwei der damaligen Betreiber von "Altermedia Deutschland" zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Die Plattform wurde jedoch auch nach dem Strafverfahren gegen den Hauptbeschuldigten weitergeführt. "Altermedia Deutschland" diente Rechtsextremisten bundesweit als Diskussionsund Vernetzungsplattform. Dort wurden tagesaktuelle Beiträge und Aufrufe veröffentlicht, die durch registrierte Nutzer kommentiert werden konnten. Im Forum der Internetseite wurden Informationen zu diversen Themen ausgetauscht und diskutiert, wobei regelmäßig volksverhetzende und holocaustleugnende Inhalte verbreitet und damit eine Vielzahl von Propagandadelikten begangen wurden. Die Betreiber und die Nutzer blieben anonym, weswegen die dort geposteten Aussagen zum Teil stark von Militanz und strafbaren Äußerungen geprägt waren. Auch Berliner Rechtsextremisten nutzten "Altermedia" als überregionale Medienseite, auf der man sich über geplante Veranstaltungen oder sonstige Themen informieren konnte, allerdings nicht zur Kommunikation. Die Kommunikation von Rechtsextremisten verlagerte sich zunehmend in die sozialen Netzwerke, weswegen "Altermedia" etwas an Bedeutung verlor. 2015 leitete der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlichen Betreiber der Internetplattform u.a. wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und weiterer Straftaten im Zusammenhang mit dem Betrieb der rechtsextremistischen Internetplattform ein. Unter den Betroffenen der Ermittlungsverfahren waren auch zwei Berliner Rechtsextremisten, von denen eine im Jahr 2014 nach Baden-Württemberg gezogen war. Am 27. Januar wurden mehrere Objekte durchsucht, darunter auch eines in Berlin. Der in Russland stehende "Altermedia"-Server konnte auf Betreiben deutscher Behörden abgeschaltet werden. Seitdem ist mit "Altermedia" das letzte verbliebene bedeutsame Internet-Portal des traditionellen Rechtsextremismus in Deutschland offline. Rechtsextremismus 141 3.4.4 Netzwerk Rechtsextremistische Musik Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" Musik bildet einen wichtigen Bestandteil der rechtsextremistischen Erlebniswelt, in der die Grenzen zwischen politischen Zielen, Identitätsstiftung, Kommerz und Unterhaltung verschwimmen. Durch die Vermittlung von Feindbildern sowie Ideologiefragmenten in Liedtexten ist rechtsextremistische Musik 3 ein verbindendes Element und für die Szene von enormer Bedeutung. Dem Netzwerk "Rechtsextremistische Musik" gehören ca. 170 Personen an. In ihm agieren Bands, Liedermacher sowie Personenzusammenschlüsse im Umfeld der Bands. Die Bedeutung der sonstigen, meist subkulturell geprägten Personenzusammenschlüsse, hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen, so dass dieses Netzwerk von rechtsextremistischen Bands dominiert wird. Die Akteure veröffentlichen Tonträger, veranstalten Konzerte und Festivals oder beteiligen sich an sonstigen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Den Kern dieser konspirativ organisierten Szene bilden die seit Jahren aktiven Bands "Deutsch, Stolz, Treue" (D.S.T.), auch "X.x.X." genannt, "Die LunikoffVerschwörung", "Legion of Thor", "Punk Front" und "Second Class Citizen" und seit 2016 auch wieder "Macht & Ehre". Neben diesen Bands gehört der Liedermacher "Fylgien" zu den rechtsextremistischen Musikern in Berlin. Das seit 2014 aktive Bandprojekt "A3stus" verdeutlicht mit seinem rapartigen Stil, dass die Szene auch auf alltagstaugliche Stilrichtungen zur Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts setzt.105 Die rechtsextremistische Musikszene bietet für Berliner Rechtsextremisten weiterhin mit Konzerten im ganzen Bundesgebiet und teilweise auch im Ausland eine wichtige Rekrutierungsund Ideologisierungsmöglichkeit. Rechtsextremistische Konzerte werden als Gelegenheiten genutzt, um Interessenten an die Szene heranzuführen, etablierte Szeneangehörige zu treffen und sich auszutauschen. Welche Anziehungskraft Musik in der rechtsextremistischen Szene hat, belegt eine musikalische Massenveranstaltung in der Schweiz am 15. Oktober. Mit 5 000 Zuhörern war das Konzert eine der größten europäischen rechtsextremistischen Ver105 Zur rechtsextremistischen Musikszene vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Rechtsextremistische Musik, Berlin 2016. 142 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 anstaltungen der letzten Jahre mit Bands aus der Schweiz und Deutschland. Ein kurzer Auftritt von "Lunikoff" wurde vom Publikum gefeiert. Rechtsextremistische Veranstaltungen mit annähernd so vielen Teilnehmern gab es 2016 nicht. Allerdings müssen Berliner Rechtsextremisten für Konzerte in andere Bundesländer oder ins Ausland reisen, da die rechtsextremistische Musikszene in Berlin kaum Außenwirkung entfaltet und nur wenige, zumeist kleinere Musikveranstaltungen im Stadtgebiet angeboten werden. Die Lunikoff-Verschwörung Die 2004 gegründete Band "Die Lunikoff-Verschwörung" zählt weiterhin über Berlin hinaus zu den populärsten deutschsprachigen rechtsextremistischen Bands. Sie ist regelmäßig bei Konzertveranstaltungen der größte Publikumsmagnet. Die Band wurde von dem ehemaligen "Landser"-Sänger Michael Regener zusammen mit den Mitgliedern der damals schon nicht mehr existenten Band "Spreegeschwader" gegründet. Der Musikstil der Band "Die Lunikoff-Verschwörung" ist geprägt von einer Mischung aus Rock und Balladen. Regener tritt als "Lunikoff" häufiger solo auf. Trotz besonderer Vorsicht bei der Textabfassung wegen drohender Strafverfahren werden die CDs der Band regelmäßig durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien als jugendgefährdend eingestuft. 2016 wurde die CD "Ebola im Jobcenter" u.a. aufgrund des folgenden Textabschnitts indiziert. "Zuwanderung in ungeahntem Ausmaß Das ist bitterer Ernst - längst mehr kein Spaß Es wird nicht besser von vor dem Fernseher schimpfen Es wird nicht besser, wenn du heimlich weinst Es wird erst besser, wenn du erkennst Dieser Staat ist unser Feind Nachts traust du dich kaum noch raus Wir sind längst nicht mehr Herr im eigenen Haus Der Journalist berichtet nichts Der Spießer sagt: "Widerstand? Nein." "Soll doch der Staat was tun!" "Doch dieser Staat ist unser Feind" ("Die Lunikoff-Verschwörung" - "Ebola im Jobcenter", 2015 - Titel: D.S.i.u.F.) Rechtsextremismus 143 A3stus/Villain051 Die Band "A3stus" und der unter dem Pseudonym "Villain051" bekannte Frontmann unterscheiden sich mit der Art und Weise ihrer Musik von anderen rechtsextremistischen Bands aus den Musikstilbereichen Rock oder Hardcore. Sprechgesang und melodischere, an Pop, Schlager und Liedermacherstil erinnernde Lieder erschließen der Band eine andere Hörerschaft, die sich von den Hardrock-Attituden anderer Bands nicht angesprochen fühlt. 3 Durch diesen zeitgemäßen Musikstil in Verbindung mit modernen Verbreitungsund Kommunikationswegen über das Internet wurde die Band schnell bekannt und hatte eine schnell wachsende Fan-Gemeinde. Insbesondere Auftritte bei Demonstrationen gegen die Flüchtlingspolitik brachten ihr bzw. "Villain051" über die rechtsextremistische Szene hinaus eine gewisse Bekanntheit. Spreegeschwader Nach mehreren Jahren Pause wurde "Spreegeschwader", eine der ehemals führenden rechtsextremistischen Bands, die sich im Jahr 2009 aufgelöst hatte, wieder aktiv. Zunächst wurde im Sommer eine "Spreegeschwader"-Facebookseite eingerichtet, in der vornehmlich die Historie der Band dargestellt wurde. Nur zwei Tage nach dem Anschlag auf dem Breitscheidplatz am 19. Dezember stellte der ehemalige Bandleader von Spreegeschwader bei YouTube und Facebook einen neuen Titel "Terror in Berlin" ein. Er ist alleine mit einer Gitarre zu sehen, Begleitinstrumente werden im Hintergrund eingespielt. In dem Text heißt es: "Der Terror des Islam wird weiter durch Deutschland ziehen - Wer hält sie endlich auf? Wer schmeißt sie alle raus? - Die potentiellen Mörder. Ja dann gibt's Applaus." 144 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 3.4.5 Europäische Aktion "Europäische Aktion" Gründung: 2010 Mitglieder: Berlin unter 10 (2015: unter 10) Die "Europäische Aktion" (EA) wurde im Jahr 2010 von ehemaligen Mitgliedern der im Mai 2008 verbotenen Organisationen "Collegium Humanum" (CH) und dem "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) gegründet. Der VRBHV unterstützte bekannte Holocaustleugner wie Horst Mahler bei Strafprozessen. Viele Funktionäre der EA sind zudem ehemalige Mitglieder rechtsextremistischer Gruppierungen wie der NPD oder der "Deutschen Liga für Volk und Heimat". Die Aktivisten der EA vermeiden Positionen, die unter die strafbewehrte Holocaustleugnung fallen. In typischen antisemitischen Codes und mit Antiamerikanismus kombinierten Äußerungen konstatieren sie z.B. die Existenz einer "jüdischen Weltverschwörung", die von der amerikanischen Ostküste aus operieren würde. Ein Kernanliegen der "Europäischen Aktion" besteht in der Errichtung einer "Europäischen Eidgenossenschaft", die die EA als Organisation eines "neuen europäischen Selbstbewusstseins" verkörpern würde. Die "Europäische Aktion" ist in Deutschland in die so genannte Landesleitung, Gebiete sowie Stützpunkte gegliedert. Die "Europäische Aktion" ist eine der wenigen überregional aktiven Gruppierungen des diskursorientierten Rechtsextremismus. Öffentliche Veranstaltungen führte ihr Berliner Gebietsverband 2016 nicht durch. Im diskursorientierten Rechtsextremismus sind v.a. Debattierzirkel als Kleingruppen aktiv, die in der öffentlichen Wahrnehmung nahezu unbemerkt bleiben. Sie treffen sich üblicherweise nicht an öffentlichen Orten und halten ihre Veranstaltungen selten vor Publikum ab. Die Bandbreite reicht von historischen Themen wie dem Völkermord an den europäischen Juden oder der Kriegsschuldfrage bis zu aktuellen Fragen zur Zuwanderung. Der diskursorientierte Rechtsextremismus Rechtsextremismus 145 bleibt eine Nische für rechtsextremistische Theoretiker und Sektierer, die nur in Einzelfällen Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen oder Parteien haben. Allerdings gibt es trotz der geringen Dichte von derartigen Diskussionsgruppen in Berlin weiterhin unregelmäßige Treffen. Im Januar referierte bei einer Vortragsveranstaltung in einer Gaststätte in Tempelhof eine einschlägig bekannte Holocaustleugnerin. Der Staatsschutz nahm nach entsprechenden Presseberich- 3 ten über die Inhalte ihres Referats ein Strafermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Volksverhetzung auf. Im November wurde sie wegen länger zurückliegender Veröffentlichungen, in denen sie wiederholt den Holocaust geleugnet hatte, zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 3.5 Fazit Die Gefahren, die von den traditionellen Rechtsextremisten für die freie Gesellschaft ausgehen, lassen sind nicht alleine an absoluten Zahlen, Personenpotenzialen oder Gruppierungen festmachen. Die fehlende Infrastruktur und die vordergründige Lethargie der rechtsextremistischen Szene, insbesondere von NPD und dem "Netzwerk Freie Kräfte", ist nur ein scheinbarer Widerspruch zur tatsächlichen Bedrohung, die von diesem extremistischen Phänomenbereich ausgeht. Wie der Zuspruch zu einigen Veranstaltungen des Jahres 2016 zeigt, verfügt die traditionelle rechtsextremistische Szene punktuell noch immer über ein enormes Mobilisierungspotenzial. Beispiel ist ein rechtsextremistisches Konzert mit Berliner Beteiligung in der Schweiz mit 5 000 Zuhörern. Auch die Gewaltaffinität ist weiterhin ungebrochen. Insbesondere die Angehörigen des "Netzwerks Freie Kräfte" fielen durch Gewalttätigkeiten auf, die sich in erster Linie gegen politisch Andersdenkende richteten. Die rechtsextremistischen Einschüchterungsversuche im Internet haben nach der Abschaltung der Anti-Antifa-Seite "nw-berlin.net" im Jahr 2012 wieder an Intensität zugenommen. Jetzt werden die Bedrohungen wie die Veröffentlichungen von Adressen missliebiger Personen oder Institutionen über Profile in sozialen Netzwerken verbreitet, die unmittelbar nach Löschung durch die Betreiber an anderer Stelle wieder eingestellt werden. Während der traditionelle Rechtsextremismus, insbesondere die NPD, nach wie vor weitgehend gesellschaftlich isoliert ist, bemühen sich muslimenfeindliche Gruppierungen darum, ein neues extremistisches Segment zwischen traditionellem 146 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Rechtsextremismus und bürgerlicher Mitte zu besetzen, das für viele mit Berührungsängsten zur rechtsextremistischen Szene zum Auffangbecken geworden ist. Auch wenn rechtsextremistische Phänomene für die freiheitliche demokratische Grundordnung besondere Herausforderungen darstellen, ist derzeit die Strahlkraft von deren Ideologien in die gesellschaftliche Mitte gering. Dies kann sich, wie die vorübergehenden Erfolge der "Merkel-muss-weg"-Demonstrationen oder der "Nein-zum-Heim"-Szene belegen, allerdings jederzeit ändern. Je intensiver virulente Themen wie beispielsweise Zuwanderung und Flüchtlinge von bestimmten Parteien und Gruppen eindimensional und negativ instrumentalisiert werden, desto stärker wird die Anziehungskraft simplifizierender und diffamierender Ideologien. Zu diesem Zweck versuchen muslimenfeindliche Gruppen, die politische und mediale Agenda zu beeinflussen und sich dort entsprechend in Szene zu setzen bzw. ihre Parolen zu verbreiten. Dafür reichen Aktionen von wenigen Minuten Dauer, wie z.B. die kurzzeitige Besetzung des Brandenburger Tors durch Aktivisten der "Identitären Bewegung". Reichsbürger 147 4 Reichsbürger "Reichsbürger" Mitglieder: Berlin 400 (davon 100 Rechtsextremisten) 4 (2015: 100 [nur Rechtsextremisten]) "Reichsbürger" und so genannte "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, u.a. unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Den demokratisch gewählten Repräsentanten sprechen sie die Legitimation ab, definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend und sind bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Die Szene der "Reichsbürger" ist äußerst heterogen. Sie setzt sich aus verschiedenen Einzelpersonen sowie Personenzusammenschlüssen zusammen, die teilweise in Konkurrenz zu einander stehen. Ein verbindendes Merkmal dieser Szene ist - mit unterschiedlichen Begründungen - die Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland sowie die Annahme, dass das Deutsche Reich völkerrechtlich bis heute fortbestünde, die Bundesrepublik Deutschland daher keine Existenzberechtigung habe und demzufolge ihre verfassungsmäßige Ordnung, Organe und Institutionen keine Legitimation besäßen. Die Anhänger der "Reichsbürgerszene" teilen die Vorstellung, Deutschland würde von einer "BRD GmbH" verwaltet und sei weiterhin von den Alliierten besetzt. Ideologisch vertreten rechtsextremistische "Reichsbürger" neben Verschwörungstheorien z.T. revisionistische, antisemitische und den Nationalsozialismus verherrlichende Positionen. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, wie beispielsweise mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber Gerichten und Behörden. 148 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Berlin war eines der ersten Länder, in denen die Verfassungsschutzbehörde die so genannte "Reichsbürgerbewegung" beobachtete. In der letzten Zeit ist eine personelle Ausweitung der "Reichsbürgerszene" festzustellen, die sich in einem extremistischen, aber nicht notwendigerweise klassisch rechtsextremistischen Spektrum bewegt. Wie zwei tragische Fälle im Jahr 2016 gezeigt haben, sind einzelne Vertreter der so genannten Reichsbürgerbewegung bereit, ihre Vorstellungen nicht nur mit Widerstandshandlungen, sondern auch mit Waffengewalt umzusetzen. Aus ihrer Vorstellungswelt heraus gründen "Reichsbürger" "kommissarische Reichsregierungen" oder "provisorische Regierungssitze", um vermeintliche Regierungsund Amtsgeschäfte zu führen und beispielsweise zu versuchen, Kontakte zu ausländischen Botschaften oder der UNO herzustellen. Ein großer Teil der Anhänger versucht, die vermeintliche Illegitimität der Bundesrepublik Deutschland im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten sowie Pseudorechtsgutachten zu belegen und so zu bekämpfen. Dies machen "Reichsbürger" bevorzugt in umfangreichen Schreiben, üblicherweise an Behörden, Politiker und Gerichte. Darüber hinaus bringen die Aktivisten z.T. kostenpflichtig verschiedene Phantasieausweise und -dokumente in Umlauf, die deren Inhaber als "Bürger", "Mitglied" oder auch "Diplomat" der jeweiligen Gruppierung ausweisen. "Reichsbürger" sind in der Masse keiner Gruppierung zuzurechnen. Sie halten über Internet in sozialen Netzwerken, mit eigenen Videokanälen oder Homepages zueinander Kontakt. Seit einigen Jahren werden zunehmend Aktivitäten der "Reichsbürger" in der Öffentlichkeit bekannt. Dabei geht es z.B. um veröffentlichte Krönungszeremonien von selbsternannten Königen, Demonstrationen vor dem Reichstagsgebäude oder Störungen von Gerichtsverhandlungen und Behinderungen von Vollzugsmaßnahmen. Trotz der querulatorischen Auffälligkeiten verhielt sich die Reichsbürgerszene in Berlin bislang vor allem verbal aggressiv. Ihre Drohungen in Schreiben beispielsweise an Richter, Staatsanwälte oder Sachbearbeiter von Behörden hatten für die Betroffenen üblicherweise keine Folgen. Am 25. August jedoch schoss erstmals ein "Reichsbürger" in Sachsen-Anhalt bei einem SEK-Einsatz auf die eingesetzten Beamten und wurde in dem darauf folgenden Schusswechsel schwer verletzt. Tragisch endete ein Polizeieinsatz in Bayern am 19. Oktober. Bei einem "Reichsbürger" in Georgensgmünd sollten Waffen eingezogen werden, die er als Jäger bis zum Entzug der Lizenzen legal besessen Reichsbürger 149 haben soll. Der "Reichsbürger" eröffnete das Feuer auf die Beamten und tötete einen Polizisten. Bis zu diesen Vorfällen hatte nur der Teil der Szene im Fokus der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden gestanden, der sich eindeutig rechtsextremistisch geäußert hatte und/oder als gewaltbereit bekannt war. Wegen der Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Gewaltaffinität wurde die Beobachtung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben auch auf nicht rechtsextremistische Anhänger der Reichsbürgerszene ausgeweitet. In Berlin waren bislang neben einer Vielzahl von einzelnen "Reichsbürgern" insbesondere zwei Gruppierungen, "Die Exilregierung Deutsches Reich" und "Staaten- 4 los", aktiv. Bei den Auftritten von "Staatenlos"-Anhängern bei Gerichtsverhandlungen kommt es in der Regel zu Störungen, Gerangel und lautstarken verbalen Ausfällen. Teilweise versuchen die "Staatenlos"-Anhänger auch unter Gewaltanwendung, in das Gerichtsgebäude zu gelangen. Zudem sucht "Staatenlos" in jahrelanger Dauerpräsenz mit einer Art Infostand vor dem Reichstagsgebäude die Öffentlichkeit. Die dort wie auf ihrer Internetseite gemachten ideologischen Ausführungen sind mitunter vulgär und ehrabschneidend. 2016 sind zwei weitere Akteure in Berlin in Erscheinung getreten, die ursprünglich aus anderen Bundesländern stammten: "Freistaat Preußen" sowie eine sich u.a. "Amt für Menschenrecht" nennende Gruppierung. Aktivisten beider Gruppierungen sind mit Widerstandshandlungen polizeilich bekannt geworden. Der Reichsbürgerszene zugerechnet werden auch so genannte Selbstverwalter, die auf eigenen Liegenschaften ein imaginiertes staatsähnliches Gebilde gründen und sich dort auf außerbundesrepublikanischem Gelände wähnen. 150 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 5 Linksextremismus 5.1 Ideologie und Historie Die Erweiterung des Extremismusbegriffs um die Richtungsangabe "Links" ist historisch bedingt: Am Vorabend der Französischen Revolution saßen links vom Parlamentspräsidenten der Nationalversammlung die Kräfte, die sich gegen die alte feudalistische Ordnung auflehnten und den Werten der Auflärung politisch die Bahn brachen. Als Linksextremismus erhält der Begriff heute seinen Gehalt in der Verabsolutierung der auflärerischen Ziele von Freiheit und Gleichheit, wie sie sich insbesondere in den Ideen von Kommunismus und Anarchismus ausdrücken. Versuche, diese Konzepte in die Realität umzusetzen, scheiterten sämtlich. Die Idee des Kommunismus setzt das Ziel der Gleichheit absolut und macht die kapitalistische Eigentumsordnung für die immensen sozialen Ungleichheiten am Beginn des Industriezeitalters verantwortlich. Marx und Engels unterscheiden in Besitzer ("Bourgeoisie") und Nicht-Besitzer ("Proletariat") von Produktionsmitteln, die ihre gegensätzlichen Interessen nach einem historischen Gesetz ("Historischer Materialismus") im Klassenkampf austragen. Durch den Sieg des Proletariats über die Bourgeoisie sollten mit den Produktionsverhältnissen ("Basis") schrittweise auch die Herrschaftsverhältnisse ("Überbau") überwunden werden. Über den Sozialismus und die "Diktatur des Proletariats" führe der Weg in den vollständig egalitären Kommunismus. In der Praxis fand die Arbeiterklasse jedoch nicht über ihr "Sein" selbständig zum revolutionären "Bewusstsein". Lenin ergänzte die Theorie daher um eine "Partei neuen Typs" als revolutionäre Avantgarde der Arbeiterklasse. Stalin erweiterte den Führungsanspruch der Partei zu einem quasi-religiösen Kult um seine eigene Person. Und Mao schließlich versuchte nach Ausschaltung der Feinde innerhalb und außerhalb des Apparats mit gewaltigen Umerziehungsprogrammen auch die innere Opposition der Menschen zu brechen. Am Ende stand bzw. steht in allen Fällen des "real existierenden Sozialismus" nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur über das Proletariat. Der so genannte "Marxismus-Leninismus" ist gleichwohl bis heute die programmatische Grundlage kommunistischer Parteien. Linksextremismus 151 Anders als der Kommunismus verabLinksextremismus solutiert der Anarchismus nicht die Linksextremismus ist ein SammelIdee der Gleichheit, sondern die der begriff für alle gegen die freiheitliFreiheit. In diesem Sinne gilt es zuche demokratische Grundordnung nächst nicht, das Eigentum abzugerichteten Bestrebungen, die auf schaffen, sondern den Staat. Das Ziel einer Verabsolutierung der aufläist eine herrschaftsfreie Gesellschaft rerischen Werte von Freiheit und ohne jegliche "Fremdbestimmung". Gleichheit beruhen, wie sie sich insDennoch lehnen auch Anarchisten das besondere in den Ideen von KomPrivateigentum als Herrschaftsform munismus und Anarchismus ausder Besitzenden über die Nicht-Besitdrücken. Neben der Abschaffung der zenden ab. Der Anarchismus verfügt marktwirtschaftlichen Wirtschaftsüber kein stringentes und vermeintlich ordnung, die allein keinen Anhalts- 5 "wissenschaftliches" Theoriegerüst, punkt für verfassungsfeindliche wodurch er sich vom Kommunismus Bestrebungen begründet, streben unterscheidet. Es existieren eine ReiLinksextremisten auch die Abschafhe von Auslegungen unterschiedlicher fung der repräsentativen Demokratie Vordenker. Überwiegend gemeinsam an. Dieses, meist auf den Begriff des ist ihnen die Erwartung, dass die MenKapitalismus reduzierte "System", schen sich mit der Abschaffung hiersoll entweder durch die Herrschaft eiarchischer Strukturen selbst organiner zentralistischen Partei, durch desieren, z.B. in dezentralen Räten. Der zentrale Selbstverwaltungen oder die Weg dorthin muss entgegen landläuEliminierung jeglicher Regierungsfiger Meinung auch nicht zwingend strukturen ersetzt werden. Verfechgewaltsam sein, sondern setzt in der ter solcher Ideen gründen Parteien syndikalistischen Interpretation z.B. und Organisationen, um bei Wahlen bei gewerkschaftlicher Organisierung anzutreten oder für ihre Ziele öffentan. Mit dem Anarchismus historisch lich zu werben. Andere versuchen, ziverbunden bleiben jedoch die als "Provilgesellschaftliche Initiativen zu unpaganda der Tat" gedachten Attentaterwandern, um diese in ihrem Sinne te auf zahlreiche Staatsoberhäupter zu beeinflussen. Organisationsund an der Wende zum 20. Jahrhundert. theorieferne "Autonome" setzen Die erhoffte Signalwirkung für einen eher auf demonstrative bis militante "Aufstand der Massen" hatten diese Ausdrucksformen, um damit Signaljedoch nicht und so blieb die Idee des wirkung zu erzielen - und missachAnarchismus im Hinblick auf ihre Umten dabei bewusst das staatliche Gesetzung eine Fußnote der Geschichte. 152 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Die auf dem Prinzip der "wehrhaften waltmonopol. Gemeinsam ist ihnen Demokratie" gründende Bundesredie Neigung, soziale Problemlagen publik Deutschland setzte durch das politisch zu instrumentalisieren und Verbot der "Kommunistischen Partei vordergründig im Gewand legitimer Deutschlands" (KPD) - sie hatte zum Gesellschaftskritik zu verschleiern. revolutionären Sturz des AdenauerRegimes aufgerufen - im Jahre 1956 ein Zeichen gegen den parteipolitischen Extremismus von Links. Im Kampf gegen den mit politischen Morden agierenden Linksterrorismus - mit dem Kulminationspunkt im "Deutschen Herbst" 1977 - erlebte die freiheitliche demokratische Grundordnung wohl ihre größte Bewährungsprobe. Die Strategie der "Roten Armee Fraktion" (RAF) zielte - erfolglos - darauf ab, den Staat durch Attentate auf seine Repräsentanten zu Überreaktionen zu provozieren, um dessen vermeintlich autoritäres und faschistisches Wesen zu demaskieren. Seit den 1980er Jahren wird das Bild vom Linksextremismus in Deutschland vor allem von den so genannten "Autonomen" geprägt, die mit ihrem martialischen Auftreten in "Schwarzen Blöcken" und oftmals krawallartigem Aktionismus manchmal den Eindruck eines eher unpolitischen Vandalismus erwecken. Doch diese Einschätzung bliebe vordergründig. Autonome grenzen sich vom strengen Dogmatismus und der kaderartigen Organisation kommunistischer Parteien wie auch von Linksterroristen ab. Wie Anarchisten besitzen sie kein geschlossenes Theoriegebäude. Die Unterwerfung unter einen organisierten Willen lehnen sie kategorisch ab. Diese Theorieund Organisationsferne ist wesentlicher Teil ihrer Ideologie, die das Individuum und seine Selbstverwirklichung in den Mittelpunkt stellt. Das Prinzip der so genannten "Politik der ersten Person" beruht auf dem souveränen Handeln aufgrund individuellen Betroffenseins. Entscheidungen über das eigene Leben sollen nicht von Dritten stellvertretend getroffen werden. Dieses selbstermächtigende Politikverständnis manifestiert sich praktisch u.a. im militanten Widerstand gegen alles, was subjektiv als Missstand empfunden wird - nach dem Credo "Macht kaputt, was euch kaputt macht". Aus dieser Haltung heraus lehnen Autonome sowohl das Repräsentationsprinzip wie auch das staatliche Gewaltmonopol ab. Linksextremismus 153 Im historischen Rückblick sind für Berlin drei Strömungen von Autonomen zu unterscheiden: Die Hausbesetzer-Szene Anfang der 1980er Jahre als Reaktion auf zunehmende Wohnraumspekulation, zweitens die "Antifa" Anfang der 1990er Jahre in Folge einer Welle fremdenfeindlicher Übergriffe sowie drittens und aktuell die (re)organisierten Postautonomen, die vor allem im Zuge von Globalisierungskritik und Finanzkrise Aufwind erhalten. Letztere sind nicht mehr als Autonome im ursprünglichen Sinne zu bezeichnen. Im politischen Protest u.a. gegen Kapitalismus, Gentrifizierung, Repression, Faschismus und Rassismus suchen und finden diese Strömungen in unterschiedlichem Ausmaß Anschluss an subkulturell verwandte oder ideologisch nahestehende Milieus. Das macht die Unterscheidung zwischen dem Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und für ein legitimes gesellschaftliches Anliegen erheblich schwieriger als in anderen Phänomenbereichen des politischen Extremismus. 5 5.2 Personenpotenzial und Straftaten Linksextremisten führen ihren Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sowohl mit legalen als auch mit illegalen Mitteln. Zu den legalen gehören Parteiund Vereinsgründungen sowie die Durchführung von öffentlichen Veranstaltungen und das Erstellen von Publikationen zur Verbreitung ihrer politischen Ideen. Hierfür nutzen sie intensiv auch das Internet. Unter anderem dadurch, dass sie aktuelle Themen aufgreifen, die viele Menschen bewegen, sind sie bemüht, sich weit über ihr eigenes Spektrum hinaus zu vernetzen. Zu diesem Zweck versuchen sie außerdem andere Organisationen und Zusammenschlüsse zu unterwandern. Manchmal treten sie zu Wahlen an. Primäres Ziel ist es, Menschen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu gewinnen. Darüber hinaus kämpfen Teile der linksextremistischen Szene auch mit illegalen Mitteln gegen das ihnen verhasste "System". Dabei begehen sie Straftaten bis hin zu schwerer Gewalt gegen Repräsentanten und Institutionen von Staat und Wirtschaft, andere Personen oder Organisationen, die sie als politische Gegner betrachten, sowie gegen Fahrzeuge und Gebäude, deren Besitzer nicht in ihr Weltbild passen. Insofern sind sowohl die Personenpotenziale wie auch die Zahl der Straftaten wichtige quantitative Indikatoren für die aktuelle Entwicklung im Berliner Linksextremismus. 154 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Personenpotenzial Linksextremismus* 2015 2016 Gesamt 2 640 2 790 Gewaltbereite Linksextremisten, davon 940 970 Autonome 660 650 Postautonome 280 320 Nicht-gewaltbereite Linksextremisten, davon 1 520 1 640 "Rote Hilfe e.V." 1 200 1 300 106 320 340 Sonstige Linksextremistische Parteien 180 180 * Die Zahlen bilden geschätzte Personenpotenziale ab. Die Entwicklung des linksextremistischen Personenpotenzials in Berlin entspricht weitgehend dem der Vorjahre. Das Personenpotenzial hat insgesamt erneut leicht zugenommen. Seit 2012 beruht diese Entwicklung auf einem Mitgliederzuwachs bei den eher unterstützend und propagandistisch wirkenden Organisationen, vor allem beim "Rote Hilfe e.V.", dem es beständig gelingt, neue Mitglieder zu rekrutieren. "Rote Hilfe e.V." (Ortsgruppe Berlin) Gründung: 1995 Mitglieder: Berlin 1 300 (2015: 1 200) Die "Rote Hilfe" wurde unter historischer Bezugnahme auf einen von 1924 bis 1936 bestehenden gleichnamigen Vorläufer 1975 als eingetragener Verein neu gegründet. 1995 entstand die Ortsgruppe Berlin, welche sich mittlerweile zur mit Abstand größten linksextremistischen Organisation der Stadt entwickelt hat. Die "Rote Hilfe" versteht sich gemäß Satzung als "linke Schutzund Solidaritätsorganisation" für alle, die aufgrund ihrer politischen Betätigung verfolgt würden. Sie unterstützt von Strafermittlungen Betroffene materiell und politisch. Ausschlaggebend ist allein die politisch linke Motivation der Tat. Die "Rote Hilfe" versteht sich als Gegengewicht zu den "staatlichen Repressionsorganen", welche die bestehenden "Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse" verteidigen würden. Trotz der eindeutigen Ausrichtung verfolgen nicht 106 Überwiegend orthodoxe Linksextremisten. Linksextremismus 155 alle Mitglieder des Vereins selbst verfassungsfeindliche Zielsetzungen. Die an Statuten und Aktivitäten erkennbaren Bestrebungen der Organisation und ihrer Entscheidungsträger führen jedoch zu ihrer Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Da alle Mitglieder Beiträge zahlen und zudem Spenden akquiriert werden, verfügt die "Rote Hilfe" über erhebliche finanzielle Mittel. Die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten hat sich nach jahrelangen Rückgängen stabilisiert und ist sogar leicht gestiegen. Während die traditionellen "Autonomen" nur leicht verloren, verzeichneten die vordergründig eher moderat auftretenden postautonomen Gruppierungen - wie in den Vorjahren - einen Aufwärtstrend. Sie profitieren zum einen davon, dass dem Jugendalter entwachsene Autonome ihr politisches Engagement in mindestens äußerlich weniger aggressiven Formen fortführen, zum anderen davon, dass auch bei jüngeren Aktivisten 5 das Engagement in autonomen Kleingruppen als immer weniger zielführend betrachtet wird. Fallzahlen Politisch motivierte Kriminalität - Links* 2015 2016 Gewaltdelikte 361 379 Sonstige Delikte 698 847 Gesamt 1 059 1 226 * Auszug aus dem Bericht "Lagedarstellung der Politisch motivierten Kriminalität in Berlin für das Jahr 2016" des Landeskriminalamtes Berlin (LKA). Der vollständige Bericht ist im Internet unter www.berlin.de/sen/inneres/sicherheit/polizei/kriminalstatistiken-und-lagebilder/2016/artikel.514326.php eingestellt. Die Zahlen für 2015 wurden z.T. abschließend korrigiert. 2016 spiegeln sich vor allem Ereignisse rund um die drohende Räumung verschiedener Szeneobjekte in der Statistik wider. Insbesondere im Zusammenhang mit der "Rigaer94" hat es Aufrufe zu militanten Kampagnen und gewalttätig verlaufene Demonstrationen gegeben. Auch 2016 machen Widerstandsdelikte und Landfriedensbrüche im Zusammenhang mit Versammlungen einen erheblichen Anteil aus. Im Vergleich der letzten zehn Jahre bleibt das Gewaltniveau nicht zuletzt deshalb quantitativ hoch. Weiterhin ist die Hemmschwelle bei Angriffen auf Leib und Leben von Polizisten niedrig. Die diesbezügliche Tonlage hat sich z.T. drastisch verschärft (siehe 5.3.4). 156 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 5.3 Aktuelle Entwicklungen Die Berliner linksextremistische Szene befindet sich seit einigen Jahren in einem Strukturwandel, der noch nicht vollständig abgeschlossen ist. Darüber wurde in den Berliner Verfassungsschutzberichten 2014 und 2015 ausführlich berichtet. Im vorliegenden Bericht wird analysiert, wie sich die Situation im Laufe des Jahres 2016 weiterentwickelt hat und wie versucht wurde, mit gezielten Kampagnen auch über die Szene hinaus Unterstützung zu gewinnen. Als Hintergrund des Strukturwandels konnte in den vergangenen Jahren eine Erstarrung in der Folge von fortdauernder Perspektivund Ideenlosigkeit ausgemacht werden, die auf der einen Seite zu Organisierungsdebatten und zu Zusammenschlüssen so genannter postautonomer Gruppierungen geführt hat. Auf der anderen Seite kam es zu einer Fragmentierung in militante Kleinund Kleinstgruppen. Auch auf dieser Ebene sind Versuche einer Restrukturierung zu erkennen, was durch Kampagnen unterstützt wurde. Alles in allem hat sich die linksextremistische Szene Berlins im Vergleich zu den Vorjahren wieder konsolidiert. Insofern erscheint es nur folgerichtig, dass 2016 durch ein gesteigertes Aktionsniveau gekennzeichnet war. Unter anderem ursächlich hierfür dürfte vor allem der erfolgreiche Versuch sein, das linksextremistische Spektrum durch thematisch breit gefächerte und übergreifende Kampagnen zu mobilisieren. Das Aufgreifen übergeordneter und oftmals überregionaler Themen dient zudem dem Ziel, Brükken in Spektren jenseits der linksextremistischen Szene zu eröffnen und zu etablieren, um auf diese Weise nicht nur den Aktionsradius zu vergrößern, sondern darüber hinaus den eigenen Politikansatz in diese Spektren hineinzutragen. Postautonome Gruppierungen verfolgen diese Strategie insofern erfolgreich, als sie ihr Personenpotenzial auch 2016 weiter leicht steigern konnten. Für das klassische autonome Spektrum gilt weiterhin, dass es sich zwischen frustrierter Lähmung und militantem Aktionismus bewegt. Ein Beleg hierfür ist die Auflösung der "Neuen antikapitalistischen Organisation" (NaO) im April.107 Die sich durch zunehmende Bedeutungslosigkeit in die Enge getrieben fühlende autonome "Anarcho"-Szene versuchte auch 2016, sich durch eine Vielzahl "militanter" Aktionen aus dieser Agonie zu befreien - zunächst jedoch ohne die beabsichtigten Nachahmungsund Solidarisierungseffekte. 107 Vgl. Senatsverwaltung für Inneres und Sport: Verfassungsschutzbericht 2015. Berlin 2016, S. 144 ff. Linksextremismus 157 Das änderte sich, als das immer wieder beschworene Szenario eines vermeintlichen Verlustes von Szeneobjekten durch Räumung Realität zu werden drohte. Objekte wie die "Rigaer 94" dienen als Orte mit hoher Symbolwirkung für die gesamte linksextremistische Szene. Die Entwicklungen rund um die Rigaer Straße sind zumindest in Teilen als gezielte Eskalationsstrategie zu werten, die aus Sicht der "Anarcho"-Szene erfolgreich war: Vor dem Hintergrund eines vermeintlich unverhältnismäßigen Polizeieinsatzes im Juni 2016 sowie einer breiten und relevanten (Anti-) Gentrifizierungsdiskussion gelang es, die erhofften Mobilisierungsund Solidarisierungseffekte zu erzielen. Darüber hinaus führten die Kampagnen "Berlin's 5 burning" und "Tag X" zu einer Vielzahl militanter und z.T. äußerst gewalttätiger Aktionen, die das Gefühl der Selbstwirksamkeit wiederbelebten. Kennzeichnend für 2016 ist insofern eine Gewaltspirale, die nicht nur zu einer Vielzahl erheblicher Strafund Gewalttaten führte, sondern mindestens zeitweise auch zu einer drastisch verschärften Tonlage, die bis zu offenen Mordaufrufen an Politikern und Polizisten reichte. Auch die autonome "Antifa" agierte kampagnenartig. Bereits 2015 zeichnete sich ab, dass sich die Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) aufgrund ihrer zunehmend rechtspopulistischer Tendenzen und diverser Wahlerfolge zu einem bundesweit relevanten "Feindbild" der linksextremistischen Szene entwickelt. Sie steht aus linksextremistischer Sicht repräsentativ für einen der Mehrheitsbevölkerung unterstellten "Rassismus der Mitte" und wird auf eine Stufe mit "Faschisten" gestellt. 2016 kam es zu zahlreichen Aktionen zum Nachteil der AfD, ihrer Mitglieder und Unterstützer, die von Sachbeschädigungen über so genannte Outings bis hin zu Körperverletzungen reichten. Auch hierzu wurde eine Kampagne ins Leben gerufen: "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA), bei deren Initiierung die Berliner Gruppierung TOP B3rlin eine tragende Rolle spielte. Weiterhin von hoher Relevanz, aber nicht mehr vergleichbar mit dem Vorjahr, war die Flüchtlingsthematik. Obwohl die Zahl der Anschläge gegen Flüchtlingsunterkünfte auf einem anhaltend hohen Niveau stagnierte, fand die "Antifa" nach eigenem Empfinden kein probates Mittel, sich über die eigene Klientel hinaus als 158 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Instanz zu (re)installieren. Zahlreiche Aussagen in Szeneveröffentlichungen deuten zudem darauf hin, dass auch in den eigenen Reihen die "antifaschistische Gegenwehr" als deutlich unzureichend und gekennzeichnet von Ohnmacht empfunden wird. 5.3.1 Die "Alternative für Deutschland" (AfD) als Feindbild der autonomen "Antifa" Die autonome "Antifa" sieht sich, wie eingangs beschrieben, seit längerem und insbesondere durch ein im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik stark gestiegenes zivilgesellschaftliches Engagement in einer Identitätskrise. Immer wieder wird eine vermeintliche Mobilisierungsschwäche kritisiert, die nicht zuletzt darauf zurückgeführt wird, dass es der Polizei in Berlin immer wieder gelinge, Aktivisten des "rechten" und des "linken" Lagers bei Demonstrationen voneinander zu trennen. Die Struktur der Berliner "Antifa" sei zudem gekennzeichnet durch "träges Mitläufertum" und "hierarchische Strukturen". Aufrufe im Duktus des Slogans "Antifa heißt Angriff" seien ersetzt worden durch die Forderung nach Gewaltfreiheit und einen entsprechenden Aktionskonsens. Beides führe letztlich dazu, dass die autonome "Antifa" nicht mehr zu unterscheiden sei vom antifaschistischen Engagement bürgerlicher Gruppierungen.108 Seit einigen Jahren versucht sie deshalb, sich mit zunehmendem Aktionismus gegen neue politische Akteure, die sich asylkritisch bis fremdenfeindlich gerieren, aus dieser Krise zu befreien. Thematisch ist seit 2015 eine zunehmende Verknüpfung der Aktionsfelder Anti-Faschismus und Anti-Rassismus festzustellen ("Antifra"). Ursächlich hierfür dürfte u.a. sein, dass sich der Begriff Anti-Faschismus aus linksextremistischer Sicht aus der Kapitalismuskritik ableitet und somit politisch "belegt" ist. Das Aktionsfeld Anti-Rassismus erscheint dagegen deutlich unverfänglicher und bietet aus linksextremistischer Sicht zahlreiche Anknüpfungspunkte an zivilgesellschaftlichen Protest (mit dem Ziel, diesen für eigene Zwecke zu instrumentalisieren), eine hohe Wahrscheinlichkeit breiter öffentlicher Wahrnehmung und zugleich vielfältige Angriffs108 Vgl. Artikel "[B] Wir sind dort, wo wir immer waren" auf der Internetpräsenz "linksunten". Veröffentlicht am 13.1.2016. Abgerufen am 13.1.2016. Linksextremismus 159 flächen für "Systemkritik". Letzteres Anti-Faschismus insbesondere vor dem Hintergrund, In der Bekämpfung des Rechtsextredass sich aus linksextremistischer mismus existiert ein breiter gesellSicht im Zusammenhang mit dem Theschaftlicher Konsens, den autonome ma Flüchtlingskrise ein "Rassismus der "Antifa"-Gruppierungen zu teils über(gesellschaftlichen) Mitte" offenbart, regionalen Bündnissen mit zivilgesellder sich - aus Szenesicht - z.B. in der schaftlichen Organisationen, Parteien Pegida-Bewegung, vor allem aber im und Gewerkschaften nutzen, um aus Zusammenhang mit der starken öfihrer gesellschaftlichen Isolation hefentlichen Präsenz und den Wahlerfolrauszutreten. Sie vereinbaren einen gen der "Alternative für Deutschland" "Aktionskonsens" und organisieren (AfD) ausdrückt und den es zu brandgemeinsame Blockaden gegen rechmarken und bekämpfen gelte. te Aufmärsche. Dadurch gerät oft- 5 Seit Gründung der AfD 2013, insbesonmals in den Hintergrund, dass diese dere aber seit Ende 2015, gab es vielfälGruppen ebenso wie Rechtsextremistige Aktionen gegen die Partei, ihre Reten die freiheitliche demokratische präsentanten und Mitglieder, die zum Grundordnung ablehnen. Ihre Bündeinen nach innen identitätsstiftend nispartner nutzen sie als Deckung für wirken, durch einen breiten Konsens militante Aktionen - auch gegen die der Ächtung bis weit ins bürgerliche Polizei. Der Staat und seine SicherSpektrum hinein aber auch eine Sigheitsbehörden werden pauschal vernalwirkung nach außen haben dürften. unglimpft. Explizit wird - entgegen dem staatlichen Gewaltmonopol - 2016 wurde in Berlin eine Vielzahl von die Notwendigkeit einer "antifaschisStraftaten (zumeist Sachbeschädiguntischen Selbsthilfe" betont. Dabei begen) zum Nachteil der AfD, ihrer Progehen "Antifas" Sachbeschädigungen tagonisten, ihrer Wohnund Parteian Läden und Lokalen, stören Veranräume sowie ihrer Veranstaltungsorte staltungen, spähen Daten vermeintlifestgestellt. Zudem gab es Drohungen cher oder tatsächlicher Neonazis aus gegen Parteimitglieder und auch imund veröffentlichen diese - im Szenemer wieder so genannte "Outings", bei jargon als "Outings" bezeichnet - mit denen persönliche Daten von bundesdem Ziel der Einschüchterung bis hin weit aktiven AfD-Mitgliedern - darunzu gewalttätigen Angriffen. 2016 ter zahlreiche Berliner - veröffentlicht richtete sich ein Großteil "antifaschiswurden. Auch die Landesvorsitzentischer" Aktionen gegen die AfD. de Berlin der AfD und stellvertretende Bundesvorsitzende war mehrmals 160 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Ziel von Aktionen. Bereits Ende 2015 Anti-Rassismus waren ihre Büround Privaträume mit Dieses Aktionsfeld zielt nicht allein Farbe und Steinen sowie ihr Privatwaauf einen sich in fremdenfeindlichen gen durch Brandstiftung beschädigt Vorfällen offenbarenden "Alltagsrasworden. sismus", sondern richtet sich gegen alle institutionellen BenachteiligunDie Stimmung gegen die AfD spitzgen von Zuwanderern oder Flüchtlinte sich im Verlauf des Jahres auch im gen. In dieser Hinsicht sind nicht nur Zusammenhang mit den Wahlen zum Linksextremisten aktiv, sondern auch Berliner Abgeordnetenhaus deutlich humanitäre Organisationen und anzu. ti-rassistische Initiativen, die sich für eine Verbesserung der sozialen, poli"Zeigt den AfDler*innen, dass sie wetischen und rechtlichen Lage von Migder in der BVV noch sonst irgendwo ranten engagieren. Linksextremisten ungestört ihren rassistischen, antifeunterstellen staatlichen Strukturen ministischen, sozialchauvinistischen, und Repräsentanten einen "systemneoliberalen Müll erzählen können, immanenten" Rassismus, mit dem ohne dafür kritisiert und angepöPrivilegien der "weißen Mehrheitsbelt zu werden! Stoppt die geistigen bevölkerung" verteidigt würden. Brandstifter*innen!" 109 Sie agieren militant vor allem durch symbolische Straftaten gegen InstiSo wurden Informationsund Wahltutionen wie die Ausländerbehörde, kampfstände der AfD attackiert und die Innenverwaltung oder Parteibüz.T. zerstört, Informationsmaterial ros und weiten ihre Forderungen auf der Partei vernichtet und Aktivisten eine Abschaffung nationalstaatlicher verbal sowie mit Farbe angegriffen. In Strukturen aus. den Tagen vor der Abgeordnetenhauswahl kam es sogar zu diversen KörperIm Zusammenhang mit einem aufverletzungen: An einem Infostand der kommenden Rechtspopulismus ist Partei in Neukölln wurde ein AfD-Mitseit 2015 eine zunehmende Verknüpglied von sechs Personen verprügelt fung der Aktionsfelder "Anti-Faschisund mit Pfefferspray besprüht. Einen mus" und "Anti-Rassismus" festzuTag später wurde in Kreuzberg eine stellen ("Antifra"). Person beim Anbringen von Wahlplakaten der Partei mit einer Flasche auf den Kopf geschlagen. 109 Artikel "Kein Raum der AfD! BVV-Sitzung kritisch begleiten" auf der Internetpräsenz antifa-nordost (NEA). Veröffentlicht am 4.11.2016. Linksextremismus 161 Aktionen gegen die AfD finden breiten Konsens in der linksextremistischen Szene Berlins und werden von verschiedenen Spektren der Szene unterstützt. Es kam zu zahlreichen spektrenübergreifenden Kooperationen, u.a. von klassischen Autonomen und so genannten Postautonomen. Anfang 2016 rief das Bündnis "...um's Ganze!", in dem die postautonome Berliner Gruppierung TOP B3rlin eine wichtige Rolle einnimmt, die bundesweite Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) ins Leben. Auf einer ersten Aktionskonferenz im Januar in Frankfurt am Main verständigten sich Teilnehmer aus ganz Deutschland, gemeinsam dem "völkischen Nationalismus von AfD und Pegida" entgegenzutreten. So wurde ein bundesweites Aktionswochenende mit dezentralen, gegen die AfD gerichteten Aktionen am 5. und 6. März bzw. die Störung des Wahlkampfes der AfD beschlossen. Vorgehen wolle man auch gegen die "Akteure der Abschottung und 5 einer Politik der staatlichen Entrechtung von Geflüchteten [...]" sowie die "bürgerliche Mitte", die die "Festung Europa" verantworteten.110 In den Kontext dieser Kampagne wurden immer wieder Aktionen, darunter Sachbeschädigungen und Körperverletzungen festgestellt. Theorie Organisation Praxis TOP B3rlin Gründung: 2006 Mitglieder: Berlin 60-70 (2015: 50-60) TOP B3rlin ist eine aus der ehemaligen "Antifaschistischen Aktion Berlin" (AAB) durch Abspaltung hervorgegangene antideutsche Gruppierung, die sich zunächst "Kritik & Praxis" nannte und in der linksextremistischen Szene Berlins weitgehend isoliert war. Nach einer sukzessiven Öffnung und Abwendung von antideutschen Haltungen entwickelte sich die Gruppierung in den letzten Jahren zu einem ernstzunehmenden postautonomen Akteur - mit nach wie vor deutlich erkennbaren Wurzeln in der autonomen Szene. Nicht zuletzt aus diesem Spektrum rekrutierte sie auch personellen Zuwachs. Sie ist in ihren Äußerungen und ihrem Auftreten gewaltbereiter einzuschätzen als die "Inter110 "PM: Nationalismus ist keine Alternative. Bundesweite Kampagne gegen die Festung Europa und ihre Fans" auf nationalismusistkeinealternative.net. Veröffentlicht am 1.2.2016. Abgerufen am 1.2.2016. 162 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 ventionistische Linke" (IL), mit der sie jedoch anlassbezogen kooperiert. Ideologisch ist sie dogmatischer und stärker im Marxismus verwurzelt als die IL. Sie ist ein tragender Akteur des bundesweiten postautonomen "...um's Ganze! Kommunistisches Bündnis". TOP B3rlin verfügt über internationale Kontakte und beteiligt sich auch an Veranstaltungen außerhalb Deutschlands. Im Rahmen der NIKA-Kampagne dürfte neben TOP B3rlin auch die Gruppe "North East Antifascists" (NEA) an Anti-AfD-Aktivitäten beteiligt gewesen sein. Darüber hinaus zeigen auch die Thematisierungen geplanter Aktionen durch die postautonome "Interventionistische Linke" (IL) Berlin, dass dieses Thema zu einem Schwerpunktthema der linksextremistischen Szene Berlins avanciert ist. North East Antifascists (NEA) Gründung: 2007 Mitglieder: Berlin 20 (2015: 20) Die NEA sind eine autonome Antifa-Gruppierung, die neben der "radikalen linken | berlin" eine führende Rolle in der linksextremistischen Szene Berlins einnimmt. 2007 gegründet, zeichnet sie, dem Namen gemäß, für antifaschistische Aktionen im Nordosten der Stadt verantwortlich, beteiligt sich aber auch an berlinweiten und überregionalen Aktivitäten und kooperiert anlassbezogen mit anderen autonomen Gruppen. Um sie herum und aus ihr heraus sind eine Reihe anderer autonomer Gruppierungen entstanden. Mit diesen gemeinsam war sie in den letzten Jahren eine der federführenden Organisatoren der "Antikapitalistischen Walpurgisnacht". In einer Selbstdarstellung bezeichnen die NEA ihr ideologisches Fundament als "libertär" und verorten sich zwischen Anarchismus und Kommunismus. Breiteren Anschluss suchen sie vor allem mit den Themen Gentrifizierung und Flüchtlingsunterstützung. Die NEA treten nach außen vergleichsweise gemäßigt auf und verzichten darauf, ihre Gewaltbereitschaft allzu plakativ zur Schau zu stellen. Sehr offensiv betreiben sie "Outings" von vermeintlichen und tatsächlichen Rechtsextremisten, auch von Mitgliedern der AfD. Linksextremismus 163 Neben diesem gemeinsamen Thema - dem Kampf gegen einen vermeintlichen "Rassismus der Mitte" - ist kennzeichnend, dass viele Aktionen in 2016 als "Kampagnen" durchgeführt wurden. Unter der Prämisse eines zeitlich befristeten und koordinierten Zusammenwirkens mehrerer Beteiligter zu einem Thema, das größtmögliche Öffentlichkeitswirksamkeit verspricht und mit einem definierten Ziel (z.B. Anti-Rassismus) ist es nicht nur gelungen, gemeinsam und spektrenübergreifend innerhalb der linksextremistischen Szene zu handeln, sondern darüber hinaus mit Gruppierungen bis weit hinein ins bürgerliche Spektrum zu kooperieren. Das Thema Anti-Rassismus erscheint zudem geeignet, auch den Forderungen der autonomen "Antifa" nach mehr Militanz Rechnung zu tragen. Brandstiftungen an Fahrzeugen und von Wahlmaterial, Steinund Farbbeutelwürfe auf Wohnhäuser, Parteiund Veranstaltungsräume sowie Körperverletzungen sind dafür ein star- 5 ker Beleg. Dass die autonome "Antifa" jedoch weiterhin Mobilisierungsschwierigkeiten hat, zeigte sich bei der "Silvio Meier-Demonstration". Bis 2013 war sie die für die linksextremistische Szene Berlins nach dem "Revolutionären 1. Mai" wichtigste Veranstaltung. Weder die Rückkehr nach Friedrichshain-Kreuzberg (2015 führte die Demonstration abweichend von der üblichen Route durch Marzahn), noch die weiterhin hohe Frequenz von Brandanschlägen auf Unterkünfte von Geflüchteten und sich häufende Angriffe von "Rechts" führten zu einer Erhöhung der Teilnehmerzahl. Mit in der Spitze 900 Personen blieb die "Silvio Meier-Demonstration" 2016 noch deutlich unter den Zahlen des Vorjahres (2015: etwa 1 300 Teilnehmer, 2014: 1 600 Personen, 2013 waren es noch 3 500 Teilnehmer). 164 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 5.3.2 Blockupy im "Herz des europäischen Krisenregimes" Die "Blockupy111 Plattform Berlin" ist Teil eines bundesweiten bzw. europäischen kapitalismusund globalisierungskritischen Netzwerks, dem neben linksextremistischen auch zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppierungen und Einzelpersonen angehören. Der Verfassungsschutz Berlin beobachtet lediglich die extremistischen Teile des Bündnisses. In der "Blockupy Plattform Berlin" agieren federführend die postautonomen Gruppierungen bzw. Organisationen "Interventionistische Linke" (IL) und "Theorie Organisation Praxis" (TOP B3rlin). IL und TOP B3rlin sind bedeutende und erfahrene Akteure im Themenfeld Anti-Kapitalismus und darauf ausgerichtet, nicht nur in Berlin, sondern auch bundesweit eine führende Rolle im linksextremistischen Spektrum einzunehmen. Die IL versucht dabei ihrem Selbstverständnis gemäß, in sämtlichen gesellschaftlich relevanten Fragestellungen zu "intervenieren" und die Diskussionen möglichst prägend zu beeinflussen. Dazu gehört eine umfassende Bündnispolitik mit linksextremistischen, vor allem aber auch zivilgesellschaftlichen Partnern mit dem Ziel einer möglichst breiten Vernetzung und sukzessiven Erweiterung des eigenen Handlungsfeldes. TOP B3rlin hat ihre Wurzeln im autonomen AntifaSpektrum und erweitert insofern den Aktionsradius sowie die Mobilisierungsbreite postautonomer Gruppierungen. Darüber hinaus darf auch ihre Rolle bei der Initiierung militanter Proteste nicht unterschätzt werden. 111 Der Name ist ein Kompositum aus den Anfangsbuchstaben des Wortes "Blockade" (bzw. engl. "to block" für "blockieren") und dem Namen der bankenund finanzwirtschaftskritischen Kampagne "Occupy" (von engl. "to occupy" für "besetzen"). Linksextremismus 165 Interventionistische Linke (IL) Gründung: 1999 Mitglieder: Berlin 240-260 (2015: 210-230) Die "Interventionistische Linke" ist ein bundesweiter Zusammenschluss überwiegend postautonomer Gruppierungen, der 1999 bzw. 2005 mit dem Ziel gegründet wurde, die gesellschaftliche (und politische) Isolation "klassischer" Autonomer zu überwinden. Der Aufbau überregionaler Strukturen, die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen sowie ein gemäßigteres Auftreten sollen eine Anschlussfähigkeit an breite Bevölkerungskreise ermöglichen. In der IL sind inzwischen zahlreiche relevante postautonome Gruppierungen organisiert. Ein Ziel des Prozesses hin zu einer "Organisationswerdung" ist, 5 dass diese Gruppierungen ihre Autonomie aufgeben und sich in die IL hinein auflösen. Durch gemeinsame politische Arbeit soll innerhalb des Systems Akzeptanz für eine mehrheitsfähige revolutionäre Organisation als Alternative zu den bestehenden Verhältnissen geschaffen werden. Revolutionäre Zielsetzungen müssten deshalb mit nachvollziehbaren und erreichbaren Tagesforderungen verbunden werden. Zur Berliner IL gehören neben den Genannten auch Mitglieder der ehemaligen ALB und weitere Akteure. "Blockupy" wendet sich gegen die europäische Krisenpolitik der so genannten Troika112, u.a. im Zusammenhang mit Griechenland. Der regionale Aktionsschwerpunkt von "Blockupy" lag bis 2015 in der Finanzmetropole Frankfurt am Main. Unter anderem die massiven Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der "Europäischen Zentralbank" (EZB) am 18. März 2015 wurden von der Plattform initiiert und getragen. Seit den öffentlichkeitswirksamen Protesten vom 18. März 2015 diskutiert die Plattform über ihre zukünftige Ausrichtung. Dabei steht ein Umzug nach Berlin und damit in das politische Zentrum Deutschlands mit dem Ziel einer Erhöhung der Wirkmächtigkeit im Fokus. Zwischenzeitlich plante man zudem eine federfüh112 Europäische Zentralbank, Internationaler Währungsfonds und Europäische Kommission. 166 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 rende Beteiligung an den Veranstaltungen rund um den 1. Mai in Berlin, die jedoch für 2016 verworfen wurde. Die Öffentlichkeitswirksamkeit, die Anti-Kapitalismus sich "Blockupy" von einem Umzug in Anti-Kapitalismus im linksextremisdas "Herz des Europäischen Krisenretischen Verständnis bezieht sich gimes" versprochen hat, blieb jedoch auf Karl Marx, nach dessen Theobislang aus. Das Jahr war gekennzeichrie mit den Produktionsauch die net durch mehrere Veranstaltungen, Herrschaftsverhältnisse überwunin deren Rahmen Zukunftsvorstellunden werden sollen. Der Kampf gegen diskutiert und Aktivisten an die gen das "kapitalistische System" hat Plattform gebunden werden sollten. für Linksextremisten deshalb nicht Von keiner dieser Veranstaltungen nur die Abschaffung der marktwirtging jedoch ein spürbarer Impuls aus. schaftlichen Ordnung, sondern auch Auch die Erweiterung der Themenpader parlamentarischen Demokralette von primär antikapitalistischen tie zum Ziel. Im Kapitalismus sehen zu sozialen, antirassistischen und resie u.a. die Ursache für Kriege (Imgionalen Aktionsfeldern führte bislang perialismustheorie) und Faschismus nicht zum beabsichtigten Erfolg. (Dimitroffthese). Und selbst Anarchisten finden im - von ihnen so Für das Wochenende vom 6. und 7. Febezeichneten - "Schweinesystem" bruar lud "Blockupy" zu einem "RatErklärungen für vermeintlich staatschlag" nach Berlin ein mit dem Ziel, liche Repression sowie die Verdrän"mit allen bisher an Blockupy Beteiliggung aus "Freiräumen". Durch weltten und mit allen zukünftigen Bündweite Wirtschaftsund Finanzkrisen nispartnern im Kampf gegen die Auam Beginn des neuen Jahrtausends steritätspolitik und für ein anderes hat die Marxsche KapitalismusanaEuropa der Demokratie, der Solidarilyse und damit der "klassische" Antät und der sozialen Rechte über zuti-Kapitalismus eine Renaissance künftige Strategien und Eingriffsmögerlebt. Viele Menschen fühlen sich lichkeiten zu beraten."113 Im Mai sollte zudem dem ökonomischen, politiein weiterer "Ratschlag" dazu dienen, schen, sozialen und auch kulturellen "konkret (zu) werden", eine verabreVeränderungsdruck einer "entfesseldete "Politik der Nadelstiche" zu in113 "Einladung zum Blockupy Ratschlag in Berlin am 6./7. Februar" auf der Internetpräsenz von Blockupy. Veröffentlicht am 17.12.2015, abgerufen am 28.1.2016. Linksextremismus 167 tensivieren.114 Beide Veranstaltungen ten" Globalisierung nicht gewachsen. konnten jedoch keine nachhaltige AuIn per se nicht-extremistischen, aber ßenwirkung entfalten. globalisierungskritischen BewegunAuch ein Aktionswochenende unter gen hoffen Linksextremisten daher dem Motto "Aktionstage gegen AuBündnispartner für ihre systemübersterität und Rassismus" vom 2. bis windenden Ziele zu finden. 4. September mit einer Blockade des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, einer Demonstration "Aufstehen gegen Rassismus" sowie dezentralen Aktionen zeigte, dass es "Blockupy" bislang nicht gelungen ist, an die Teilnehmerzahlen und das Akti- 5 onsniveau der Ereignisse rund um die EZB auch nur annähernd anzuknüpfen. Eine Sprecherin der Plattform kommentierte dies mit den Worten, dass man Berlin nicht mit Frankfurt vergleichen könne, da die Plattform dort vier Jahre aktiv gewesen sei.115 Sprachliche Formulierungen, mit denen "Blockupy"-Sprecher die Aktionstage kommentieren, deuten jedoch darauf hin, dass diese nicht nur im Hinblick auf die Teilnehmerzahlen weit hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.116 Nicht gerecht werden konnte die Plattform darüber hinaus dem eigenen Anspruch, mit den Aktionen breite internationale Aufmerksamkeit zu erlangen und internationale Aktivisten zur Teilnahme zu gewinnen. Auch die autonome Szene setzte bis auf einen Brandanschlag auf eine Arbeitsagentur am 2. September im Zusammenhang mit dem Aktionswochenende keine Akzente. Hier manifestierte sich bereits im Vorfeld spürbare Zurückhaltung. Ursächlich dafür könnte sein, dass die Themenfelder der Plattform auch für zahlreiche andere Gruppierungen und Spektren in der linksextremistischen Szene der Hauptstadt grundlegend sind und "Blockupy" 114 Artikel "Blockupy Aktiventreffen am 07 und 08 Mai 2016 in der TU Berlin" (sic!) auf der Internetpräsenz von Blockupy. Ohne Datum. Abgerufen am 8.11.2016. 115 Artikel "Ich bin froh, dass sich wieder was regt" auf der Internetpräsenz jungewelt.de. Veröffentlicht am 5.9.2016. Abgerufen am 5.9.2016. 116 "Immerhin haben wir mit dem Finanzund Arbeitsministerium zwei zentrale Institutionen blockiert, die für soziale Spaltungen nach innen und die Austerität nach außen stehen". Artikel "Aktionen in Berlin: Blockupy spricht von Erfolg" auf der Internetpräsenz Neues Deutschland. Veröffentlicht am 2.9.2016. 168 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 bislang keinen eigenen Akzent setzen konnte, der zu einer Kooperation mit anderen Spektren hätte führen können. Es bleibt insofern abzuwarten, ob es gelingt, "Blockupy" in der aktuellen Form aufrechtzuerhalten. Im Gespräch ist für 2017 ein europaweiter so genannter Gipfel der Prekären im Frühjahr als "erstes großes Europäisches Zusammenkommen. Mit allen gemeinsam einen Moment der Wut und der Offensive"117 sowie eine Beteiligung an den Protesten gegen den "G20"-Gipfel im Juli in Hamburg. Auch der 1. Mai ist erneut im Gespräch. Ohne klares eigenes Profil dürfte es jedoch schwerfallen, sich in diesen für die gesamte linksextremistische Szene relevanten Themenfeldern zu behaupten. 5.3.3 Eine Spirale der Gewalt im Kampf um "autonome Freiräume" Die Kampagne "Social Center 4 All" (SC4A) In Berlin zeichnen seit 2015 verschiedene linksextremistische Gruppierungen, darunter federführend die "radikale linke | berlin", für den Versuch der Etablierung eines "Sozialen Zentrums" verantwortlich. Bereits zum "Revolutionären 1. Mai" 2015 hatte die "radikale linke" im Vorfeld offensiv angekündigt, aus dem Aufzug heraus eine Hausbesetzung durchführen zu wollen, um dort anschließend ein "Soziales Zentrum" zu etablieren. Es gelang ihr jedoch seinerzeit nicht, innerhalb der Demonstration genügend Unterstützer zu mobilisieren, um tatsächlich ein ehemaliges Kaufhaus an der Wegstrecke zu besetzen. Auch weitere Versuche in 2015 sowie im März, im Mai und im September 2016 scheiterten. 117 Artikel "Blockupy Aktiventreffen am 07 und 08 Mai 2016 in der TU Berlin" (sic!) auf der Internetpräsenz von Blockupy. Ohne Datum. Abgerufen am 8.11.2016. Linksextremismus 169 radikale linke | berlin (rlb) Gründung: 2014 Mitglieder: Berlin 60 (2015: 50) Die "radikale linke | berlin" wurde Ende 2014 gegründet, nach eigenen Aussagen von "Menschen mit politischer Praxis aus verschiedenen Strömungen, von ML bis autonomer Kleingruppe, von Antifa bis Anarchismus". Es handelt sich somit um ein Sammelbecken, in dem sich u.a. Mitglieder der ehemaligen "Antifaschistischen Linken Berlin" (ALB), der erodierenden "Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin" (ARAB) sowie anderer autonomer Gruppierungen neu organisieren mit dem Ziel, die Kleingruppenisolation zu überwinden und in größerem Verbund politisch handlungsfähiger zu werden. Bemerkens- 5 wert und ein Bruch mit traditionellen Gewohnheiten ist hierbei, dass ideologische und strategische Differenzen zugunsten einer Kooperation offensichtlich zurückgestellt werden. Die Erklärung der Gruppe, Militanz sei nicht das einigende Element der Mitglieder, ist nicht gleichzusetzen mit einer tatsächlichen Abkehr von Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele. Anders als die IL Berlin oder TOP B3rlin ist die "radikale linke | berlin" eine "klassische" autonome Gruppierung. Unter zwei unterschiedlichen Labels - "Soziales Zentrum" und "Social Center 4 All" (SC4A) - wird seit 2015 gleichwohl dafür geworben, leer stehende Gebäude zu besetzen und so einen "Raum des Widerstands" zur "Entwicklung politischer Projekte, gemeinsamer Debatten und zur Schaffung sozialer Beziehungen" aufzubauen.118 Die "radikale linke | berlin" trat bei den Besetzungsversuchen vordergründig nur als Unterstützerin und nicht als Initiatorin auf, die Aktionen und deren politischer Hintergrund tragen jedoch ihre Handschrift. Möglicherweise will sie auf diese Weise die strafrechtliche Seite der Aktionen von Mitgliedern der Gruppe fernhalten, vor allem jedoch eine möglichst breite Unterstützung des politischen Anspruchs der Aktionen sicherstellen. 118 Blogpost "Veranstaltung: Einen Raum des Widerstands aufbauen!" auf der Internetpräsenz der "radikalen linken | berlin". Veröffentlicht am 16.10.2015. Abgerufen am 18.11.2015 bzw. Blogpost "Solidarität mit den BesetzerInnen der Englischen Straße! Stellungnahme der radikalen linken | berlin" auf ihrer Internetpräsenz. Veröffentlicht am 10.9.2015. Abgerufen am 18.11.2015. 170 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Das Wiederaufgreifen des Themas Hausbesetzungen soll nach innen der Bündelung von Ressourcen und Aktivitäten dienen. Nach außen ist zudem eine Symbolwirkung beabsichtigt: Angesichts von zunehmend prekären Verhältnissen auf dem Berliner Wohnungsmarkt soll auf Leerstand bzw. einen Mangel an bezahlbarem Wohnraum aufmerksam gemacht und zur Nachahmung aufgefordert werden. Vor dem Hintergrund einer Zuspitzung der Flüchtlingskrise erklärte die Gruppierung schließlich, im geplanten "Sozialen Zentrum" auch Notunterkünfte für Flüchtlinge einrichten zu wollen. Neben humanitären Gesichtspunkten dürfte hierbei das tatsächliche Ziel sein, tagesaktuelle Ereignisse öffentlichkeitswirksam mit eigenen Politikvorstellungen ("Ansätze für Systemkritik") zu verknüpfen. So heißt es folgerichtig in einem Artikel zum 5. März, es gehe um einen "Ort, an dem soziale und politische Aktivitäten gestartet werden und in der Aktion auch herrschende Regeln hinterfragt und durchbrochen werden" sollen.119 Dass es dabei keineswegs nur um humanitäre Unterstützung von Flüchtlingen geht, verdeutlicht die Aussage, es gehe um "ein Projekt, das widerständig ist, gegen Staat und Kapital gerichtet und die Eigentumsfrage stellt".120 Tatsächlich scheint gegenwärtig der Anti-Gentrifizierung Schwerpunkt der Aktion darauf zu lieDer Kampf gegen städtebauliche gen, "Soziale Zentren" in Form von Umstrukturierungen mit der FolStadtteilzentren einzurichten, um auf ge einer Aufwertung von Kiezen - diese Weise nicht nur möglichst viele auch "Gentrifizierung" genannt - ist Menschen erreichen, sondern auch diebenso wie der Widerstand gegen verse Themen an einem Ort bündeln vermeintliche Repression eng mit zu können. Neben der "radikalen linder Genese der Autonomen als poken | berlin" unterstützen weitere be119 "Social Center 4 all in Berlin. Bericht von der Konferenz und der Aneignung eines Gebäudes" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 6.3.2016. 120 Artikel "Individuelle Hilfsansätze sind eher kontraproduktiv. Aktivisten in vielen Städten wollen soziale Zentren. Mit Besetzungen fordern sie Platz für politische Räume" auf der Internetpräsenz jungewelt.de. Veröffentlicht am 24.12.2015. Linksextremismus 171 deutende linksextremistische Gruplitischer Bestrebung verbunden. Im pierungen und Zusammenschlüsse die Gegensatz zu vielen Stadtteilund Etablierung "Sozialer Zentren", darunMieterinitiativen geht es ihnen jeter die "North East Antifascists" (NEA) doch nicht allein um den Erhalt soziund die postautonome "Interventionialund wohnräumlich gewachsener stische Linke" (IL). Strukturen, sondern um die EtablieUm möglichst viel Öffentlichkeitswirkrung so genannter "autonomer Freisamkeit zu entfalten, aber auch, um räume", die dem Zugriff des Staates die Politik auf diese Weise unter Druck entzogen und in denen rechtsstaatzu setzen, ist davon auszugehen, dass liche Normen außer Kraft gesetzt weitere Besetzungsaktionen folgen werden sollen. Als "Freiraum" deklawerden. So heißt es in einer Erklärung rierte Gebiete oder Gebäude werden des Bündnisses zu einer "Praxiskonfegegen rechtmäßige Räumungen ge- 5 renz" am 13. und 14. Mai: waltsam "verteidigt" und noch nach erfolgten Sanierungen immer wieVor einiger Zeit haben wir uns getroffen, der angegriffen. Nicht selten mündet um die Idee eines sozialen Zentrums für dies in schweren Sachbeschädigunalle in Berlin mit Inhalt zu füllen. Es ist gen und mehr oder weniger sponklar: Wir brauchen dieses Zentrum und tanen Landfriedensbrüchen. Auch wir werden es uns nehmen!" 121 Neumieter und Eigentümer sowie ihre vermeintlichen "ErfüllungsgehilEine "Scheinbesetzung" im Oktober fen" in Senatsverwaltungen, Polizei sollte offensichtlich darauf aufmerkund Justiz sowie Hausverwaltungen sam machen, dass die Initiative trotz und Einrichtungen des Quartiersbislang mangelnden Erfolgs weitermanagements geraten in den Fokus geführt wird. So heißt es in einer Erihrer Aktionen. Dabei entstehende klärung, dass "die Pause, in denen ihr Drohkulissen sind gewollt und zielen nichts von uns hört, enger werden".122 auf Machtausübung in Teilen des öfBis zum Ende des Jahres kam es jedoch fentlichen Raums. zu keinen weiteren Aktionen. Auch die Einträge auf der Internetpräsenz wurden zuletzt nicht mehr aktualisiert. Dennoch ist damit zu rechnen, dass das Thema in einem geeigneten Moment wiederaufgenommen wird. 121 "Praxiskonferenz am 13./14. Mai" auf der Internetpräsenz "Social Center 4 All". Veröffentlicht am 8.5.2016. Abgerufen am 9.11.2016. 122 Artikel "Wir sind wieder da" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 15.10.2016. Schreibweise im Original. 172 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Gezielte Eskalationsstrategie der "Rigaer 94" bis zum "Tag X" Im Umfeld der Rigaer Straße in Friedrichshain ist es in der Vergangenheit immer wieder phasenweise oder punktuell zu Häufungen von - teils politisch motivierten - Strafund Gewalttaten gekommen. In den letzten Jahren haben diese jedoch in Anzahl und Schwere zugenommen. Dazu gehörten und gehören neben Sachbeschädigungen an Neubaubzw. Modernisierungsprojekten und Brandstiftungen an Fahrzeugen insbesondere Angriffe auf Polizeibeamte und deren Fahrzeuge, u.a. durch massive Steinwürfe von Dächern der umliegenden Gebäude. Zuletzt kam es sogar wiederholt - und das war bislang eher ungewöhnlich - zu Rechts-Links-Auseinandersetzungen. Einschlägige Protagonisten betrachten das Gebiet rund um die Rigaer Straße als so genannten "autonomen Freiraum", in dem Ansätze einer herrschaftsfreien Gesellschaft nach anarchistischen Vorbildern realisiert werden sollen. In "autonomen Freiräumen" wird rechtsstaatlichen Normen die Geltung abgesprochen und es gilt, sie gegen unerwünschte "Eindringlinge" zu verteidigen. Polizeiliche Präsenz wird daher als unerträgliche Provokation empfunden. Rigaer 94 Gründung: 1990 Mitglieder: Berlin 30-40 (2015: 30-40) Bei der "Rigaer 94" handelt es sich um einen Personenzusammenschluss, der sich aus Teilen der Bewohner und Besucher eines Wohnprojekts sowie der darin befindlichen Veranstaltungsstätte "Kadterschmiede" in der Rigaer Straße 94 in Friedrichshain zusammensetzt. Dieser ist zum harten Kern der autonomen "Anarcho"-Szene zu rechnen. Haus und Veranstaltungsräume gehören nach eigenen Angaben "zu den letzten offen (teil) besetzten Räumen Berlins" und haben für die Szene eine hohe symbolische wie auch praktische Bedeutung. Sie sind Ausgangspunkt und Rückzugsort von bzw. nach militanten Aktionen zur Erkämpfung bzw. Verteidigung "autonomer Freiräume". In Selbstdarstellungen bekennen sich die Protagonisten zum Anarchismus sowie zum Linksextremismus 173 Hass auf "Bullen, Staat und Repression". 2016 kam es im Zusammenhang mit einer vermeintlich drohenden Räumung des Objekts zu zahlreichen Strafund Gewalttaten. Mittels einer gezielten "Entwertung" des Kiezes soll zudem dessen sozialund wohnräumliche Zusammensetzung im eigenen Sinn beeinflusst werden. Auch deshalb kommt es immer wieder zu - teils schwerwiegenden - Sachbeschädigungen an Neubauten. Selbst Szeneobjekte wie die frühere "Liebig 14" werden nicht nur gegen rechtmäßige Räumungen gewaltsam "verteidigt", sondern noch nach erfolgten Sanierungen immer wieder angegriffen. Auch Neumieter und sogar Touristen können in den Fokus der Aktionen geraten. Die dabei entstehenden Drohkulissen sind gewollt, das latent militante Agieren dient der Abschreckung, Einschüchterung und letztlich der Machtausübung im öffentlichen Raum. 5 In der jüngeren Vergangenheit ist die autonome "Anarcho"-Szene jedoch in die Defensive geraten. Im linksextremistischen Spektrum der Hauptstadt hat sich in den letzten Jahren ein Strukturwandel vollzogen, der auf der einen Seite zu Zusammenschlüssen der autonomen "Antifa" und der Postautonomen in größeren Organisationseinheiten geführt hat, wie z.B. der "radikalen linken | berlin" und der "Interventionistischen Linken" (IL). Auf der anderen Seite ist es zu einer Fragmentierung in militante Kleinund Kleinstgruppen gekommen, deren einzige gemeinsame Basis Szeneobjekte wie die "Rigaer 94" sind. Während die "Organisierten" ihr Personenpotenzial halten und sogar ausbauen konnten, verlor das "Anarcho"Spektrum nicht nur an Zusammenhalt, sondern auch an Anhängern und damit an Schlagkraft. Um diesen Zusammenhalt wiederherzustellen, setzen "Anarchos" auf die Symbolkraft einschlägiger Szeneobjekte - nicht nur der "Rigaer 94", sondern gerade auch solcher, die sich an der Schnittstelle zwischen subkulturellen Milieus und Autonomen befinden. Dabei kommen ihnen vermeintliche oder tatsächliche Räumungsdrohungen gerade recht. Tatsächlich geht es ihnen oft aber gar nicht um die Objekte selbst, sondern darum, gegenseitige Mobilisierungsund Solidarisierungseffekte zu erzielen, um einerseits die zersplitterten Kleingruppenakteure zu einen und andererseits über den Szenerand hinaus sympathisierende Spektren zu Militanz anzustiften. Auch Demonstrationen zum Erhalt von bestimmten Szeneläden oder "Freiräumen" sowie nächtliche Brandanschläge auf Autos, bei denen in nachfolgenden Selbstbezichtigungsschreiben "solidarisch" bekundet wird, "je- 174 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 den Angriff, jede Räumung mit 1 Millionen Euro Sachschaden zu beantworten",123 dienen diesem Ziel. Insofern sind auch die Entwicklungen rund um die Rigaer Straße mindestens in Teilen als gezielte Eskalationsstrategie zu werten, um sich der Solidarität der gesamten Szene (und darüber hinaus) zu versichern und letztlich die eigene Wirkmächtigkeit zu stärken:124 "Die Polizei und der Senat hat einen Krieg angefangen, welchen sie nur verlieren kann. Eine Rote Linie wurde überschritten (...). Fakt ist, die Polizei und der Senat wird nun mit mächtigen Gegenreaktionen rechnen müssen, ja vielleicht sogar mit bewaffneten Kampfhandlungen." 125 Im Kern erkennbar wurde diese Strategie spätestens im Sommer 2015 im Zuge der so genannten "Lange(n) Woche der Rigaer Straße", die darauf angelegt war, Polizeieinsätze zu provozieren, um sich anschließend als angegriffene Opfer zu gerieren. Auch danach kam es immer wieder zu gezielten Provokationen. So wurde am 13. Januar ein Polizeibeamter, der in der Rigaer Straße verkehrsbedingte Ordnungswidrigkeiten ahndete, von vier Personen körperlich angegriffen, als er die Identität eines der Angreifer, der sich zuvor vermummt hatte, feststellen wollte. Anschließende polizeiliche Maßnahmen - irrtümlich hatte eine Zeugin berichtet, der Polizeibeamte sei in die "Rigaer 94" verschleppt worden - führten zu einer 123 Artikel "Aufruf & Erklärung 1 Millionen Sachschaden - Porsche legt vor" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 21.1.2016. 124 Vgl. hierzu auch den Artikel "#R94 - Wenn der Rauch sich legt" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 26.10.2016. 125 Artikel "(B) Bullen haben die Rigaer94 gestürmt und haben die XB Liebig betreten" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 14.1.2016. Schreibweise im Original. Linksextremismus 175 breiten bundesweiten Solidarisierung. Es hieß, die Polizeiaktion werde "die Szene wieder enger zusammen rücken lassen".126 Die faktische Teilräumung des Gebäudes in der Rigaer Straße 94 am 22. Juni durch die Hausverwaltung und die Sicherung dieser Maßnahme durch die Polizei auf Ersuchen der Verwaltung und zur Gefahrenabwehr spielte der linksextremistischen Szene in die Hände. Sie wurde als Beginn einer - aus ihrer Sicht möglicherweise zeitnah bevorstehenden - sukzessiven vollständigen Räumung der "Rigaer 94" skandalisiert. Die "Rigaer 94" selbst erklärte, die Räumung u.a. des Szenetreffpunkts "Kadterschmiede" zerstöre einen "maßgeblichen Teil unseres kollektiven Lebens". Die Anwesenheit von Wachpersonal zur Absicherung der Baumaßnahmen empfinde man "als akute Bedrohung". Die Erklärung endet mit den Worten: "Wir sind scheisse wütend, lasst es richtig knallen, schafft viele Gefahrengebiete, stürzt 5 Berlin ins Chaos!" 127 Bereits am 23. Februar war unter dem Motto "International Call - Berlin's Burning" ein Aufruf zur Verhinderung der Räumung "mehrerer Projekte in Berlin" veröffentlicht worden.128 Danach sollten seinerzeit diverse Szeneobjekte in Berlin von der Räumung bedroht sein. Hierauf wolle man entsprechend reagieren. Geplant seien für den "Tag X" dezentrale Aktionen an Zielen, die man "mit zwei bis drei Leuten angreifen" könne. "Zeitpunkt, Ort und Konfliktniveau" sollten dabei selbstbestimmt und nicht reaktiv sein.129 Der Artikel schloss mit den Worten "1 Million Sachschaden und Henkel im Kofferraum! Berlin's Burning!".130 Diese Forderung wurde anschließend auf "10 Millionen Sachschaden" erhöht.131 126 Kommentar zum Artikel "(B) Bullen haben die Rigaer94 gestürmt und haben die XB Liebig betreten" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 14.1.2016. 127 "Pressemitteilung zur Räumung heute" auf der Internetpräsenz der "Rigaer 94". Veröffentlicht am 22.6.2016. 128 Artikel "International Call - Berlin's Burning. Kurzaufruf: gegen die Räumung mehrerer Projekte in Berlin" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz. Veröffentlicht am 23.2.2016. 129 Artikel "Dezentrale Konzepte in Henkels Vietnam" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz. Veröffentlicht am 22.2.2016. 130 Artikel "International Call - Berlin's Burning. Kurzaufruf: gegen die Räumung mehrerer Projekte in Berlin" auf einer linksextremistischen Internetpräsenz. Veröffentlicht am 23.2.2016. 131 Artikel "Räumung Kadterschmiede - jetzt wird's teuer" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 23.6.2016. 176 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 In einschlägigen Internetpräsenzen sowie den sozialen Medien wurde folgerichtig der "Tag X" für den 22. Juni ausgerufen. Dieser gelte jedoch nicht nur am Tag der Räumung, sondern darüber hinaus in den darauf folgenden Tagen und Wochen.132 Die "Rigaer 94" selbst veröffentlichte neben der Presserklärung eine "Einladung zum weiteren Vorgehen", in der sie dazu aufrief, die Bewohner durch Anwesenheit zu unterstützen. Darüber hinaus lud man für den Zeitpunkt, zu dem "die Bullenabsperrungen lockerer werden, egal ob in 1, 2 oder 10 Tagen (...) alle in unseren Hof ein, um das Haus von Bullen und Securities zu befreien."133 Bereits 2002 sei es gelungen, die "Kadterschmiede" nach einer vorherigen Räumung "zurückzuholen".134 In den darauffolgenden Wochen Anti-Repression und Monaten kam es zu zahlreichen Der Kampf gegen vermeintliche Brandstiftungen an Firmenund Pristaatliche Kontrolle und Repressivatfahrzeugen -- nicht nur der gehoon ist konstitutiv für das Selbstverbenen Kategorie -, Farbschmierereiständnis von Autonomen und zuen mit Bezug zur "Rigaer 94" sowie gleich Ausdruck ihrer ideologischen diversen, z.T. schweren SachbeschäVerwurzelung im Anarchismus. Die digungen, u.a. an Parteibüros, Bankdamit verbundene Ablehnung des filialen und Immobilienbüros. Auch staatlichen Gewaltmonopols ist das der Brandanschlag auf zwei Diplomazentrale verbindende Element innertenfahrzeuge (der Botschaften von halb der in Kleingruppen zersplitterFrankreich und Georgien) wurde in ten Szene. Repression bezeichnet in den Zusammenhang mit der Rigaer ihrem Verständnis alle Institutionen, Straße gestellt.135 In der "Rigaer 94" die der Aufrechterhaltung von inneselbst kam es immer wieder zu Rangerer Sicherheit und öffentlicher Ordleien zwischen Bewohnern, Sympathinung dienen, neben der Polizei inssanten und vermeintlichen "Gästen" 132 Artikel "(B) Räumunder Kadterschmiede - HEUTE IST TAG X" (sic!) auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 22.6.2016. 133 Artikel "Einladung zum weiteren Vorgehen" auf der Internetpräsenz der "Rigaer 94". Veröffentlicht am 22.6.2016. 134 Artikel "Rigaer 94: Tag 2 nach der Räumung (Chronik)" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 24.6.2016. 135 Artikel "(B) Angriff auf Diplomatenautos - Soli Rigaer 94" auf der Internetseite linksunten. Veröffentlicht am 29.6.2016. Man wolle "die wachsende Bewegung, die Jugend die nach Perspektiven sucht und in ablehnender Haltung zu dem Bestehenden lebt" unterstützen. Die Inbrandsetzung des Fahrzeugs der georgischen Botschaft wird damit begründet, dass "kein Staatsmann sicher ist vor unserem revolutionären Feuer, wenn der georgische Diktator in den nächsten Tagen zu Besuch ist." Linksextremismus 177 auf der einen und Polizei und Securitybesondere Gerichte, Gefängnisse und Mitarbeitern auf der anderen Seite. Ämter. Staatliche Repräsentanten Vorläufiger Höhepunkt der Aktioaus Polizei und Justiz werden als Vernen zum Thema "Tag X" war die Detreter eines "Repressionsapparats" monstration "Rigaer 94 verteidigen! wahrgenommen, der nur dazu diene, Investor*innenträume platzen lasdas "herrschende System" in seinem sen!" am 9. Juli durch Friedrichshain. Bestehen zu sichern. Um die angebVon 500 Personen am Auftaktplatz lich strukturelle Gewalt des Staates wuchs der Aufzug in der Spitze nach zu entlarven, wird bei DemonstratioPolizeiangaben auf etwa 3 500 Pernen die Konfrontation mit der Polizei sonen an. Vor allem im Bereich der Rigesucht. Mit Plakaten wie "Hass auf gaer Straße stießen immer mehr TeilSchweine" und Parolen wie "Ganz nehmer dazu, die sich z.T. vermutlich Berlin hasst die Polizei!" sollen ande- 5 den Vorkontrollen entziehen wollten. re Teilnehmer aufgewiegelt und zu Die Versammlung war von ursprüngStraftaten angestiftet werden. lich 14:00 Uhr auf 20:30 Uhr (Kundgebung) bzw. 21:00 Uhr (Demonstrationsbeginn) verlegt worden - mutmaßlich, um im Schutz der Dunkelheit agieren zu können. Von Beginn an herrschte eine sehr aggressive und polizeifeindliche Stimmung. Die Aufzugspitze sowie weitere Demonstrationsteilnehmer hatten sich bereits unmittelbar nach dem Abmarsch vermummt. Von Beginn an und die gesamte Wegstrecke entlang gab es Angriffe auf Polizisten und Polizeifahrzeuge, z.T. erfolgten sie aus unmittelbarer Nähe und mit außerordentlicher Wucht. Immer wieder wurden Steine aus dem Straßenpflaster gelockert und auf die Polizei geworfen, ebenso Böller. Von den Dächern einschlägiger Szeneobjekte wurde Pyrotechnik gezündet. An der Wegstrecke wurde zudem eine so genannte Kugelbombe gefunden, die von der Polizei sichergestellt werden konnte. Im Bereich der Liebigstraße kam die Demonstration aufgrund heftiger Gewaltausbrüche zeitweise zum Stillstand, Gerüchte einer vorzeitigen Auflösung standen im Raum. Ein 75-jähriger Mann, der die Szenerie in der Liebigstraße fotografierte, wurde von Pyrotechnik, die gezielt in seine Richtung geworfen worden war und unmittelbar vor ihm explodierte, verletzt. Er musste zur stationären Behandlung in ein Krankenhaus eingeliefert werden. Im weiteren Verlauf der Nacht wurden im gesamten Stadtgebiet diverse Sachbeschädigungen und Brandstiftungen an Pkw und Baufahrzeugen festgestellt. In der Nacht bewarf eine Gruppe von 100 Personen am Kreuzberger Mariannenplatz erneut Polizeibeamte mit Steinen. 178 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Die Demonstration war die aggressivste und gewalttätigste seit der Räumung der Liebigstraße 14 Anfang 2011. Insgesamt wurden 123 Polizeibeamte verletzt. Zahlreiche Strafermittlungsverfahren u.a. wegen schweren Landfriedensbruchs, gefährlicher Körperverletzung, Widerstandshandlungen, versuchter Gefangenenbefreiung, Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz sowie Vermummung wurden eingeleitet, 86 Personen wurde die Freiheit beschränkt oder entzogen. Die Teilnehmerzahlen dieser - von vornherein auf Gewalt angelegten - Demonstration manifestieren einen Solidarisierungseffekt weit über die linksextremistische Szene hinaus in subkulturell verwandten und ideologisch nahestehenden Milieus. Trotz aller Differenzen und teilweise mangelnder szeneinterner Anbindung erfüllt die "Rigaer 94" eine wichtige - mindestens symbolische - Funktion für die gesamte linksextremistische Szene Berlins und darüber hinaus. Darauf deuten auch zahlreiche bundesweite Solidaritätserklärungen und Resonanzaktionen hin. Wiederholte Schilderungen vermeintlich massiver Polizeiübergriffe im Zuge der Räumung und der Bauarbeiten das Internet dürften zum Aufheizen der Stimmung beigetragen haben. Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang betont, dass auch unbeteiligte Anwohner der Rigaer sowie der umliegenden Straße(n) in ihrem Alltag und ihrer Bewegungsfreiheit beeinträchtigt seien. Die Aktionen nach dem 22. Juni werden von der linksextremistischen Szene in diesem Sinne als "Notwehr" euphemisiert. Man habe sich gezwungen gesehen, zu reagieren, "nicht zuletzt in der Hoffnung weitere Räumungen politisch nicht durchsetzbar zu machen."136 Dies dürfte aus Sicht der Szene umso mehr für die "Rigaer 94" gelten, die von ihr als elementar "für den radikalen Widerstand" angesehen wird. Angriffe auf die Flottwellstraße und auf die Alte Jakobstraße Dass das Thema Anti-Gentrifizierung für die linksextremistische Szene sehr virulent ist, belegen auch zwei Angriffe auf Neubauprojekte in Tiergarten bzw. Mitte. In der Nacht auf den 6. Februar verübte eine Gruppe von 20 bis 40 Vermummten in der Flottwellstraße in Tiergarten mehrere Brandstiftungen und erhebliche Sachbeschädigungen an Fahrzeugen und Gebäuden. Das Selbstbezichtigungsschreiben stellt die Tat in den Kontext angekündigter dezentraler Aktionen mit Bezug auf die Situation rund um die "Rigaer 94" und bezieht sich auf den Aufruf "Autonomer 136 Artikel "Autonome Gruppen zum Verhandlungsvorschlag von Müller / Lauer & Anschlagserklärung" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 9.7.2016. Schreibweise im Original. Linksextremismus 179 Gruppen", einen "Sachschaden von 1 Millionen Euro (...) zu stiften".137 In der Erklärung heißt es, die Verfasser hätten zunächst "in den Krieg gegen Flüchtlinge, der von Behörden und Nazis Hand in Hand geführt" werde, intervenieren wollen. Die "Aggression gegen autonome Räume und die Nachbarschaften, in denen diese verankert" seien, böten jedoch "neue Allianzen und Optionen an, die auch genutzt werden". Abschließend heißt es: "Unsere Gewalt bleibt dabei immer noch dosiert, auf den Flaschenwurf (...) von den Balkonen der Flottwellstraße haben wir nicht mit Steinen in ihre Wohnungen geantwortet. Wer an der Repressionsschraube dreht, bohrt sie sich nur selbst ins eigene Fleisch 5 (...)." 138 Am 29. Mai setzten mehrere Kleingruppen Vermummter nachts im Umfeld der Alten Jakobstraße in Mitte zahlreiche Fahrzeuge in Brand, bewarfen ein Hotel, ein Gebäude der Vattenfall AG und einen Einkaufsmarkt mit Steinen und Farbe und versuchten, das Gerüst eines Rohbaus in Brand zu setzen. Um die Anfahrt von Einsatzkräften zu behindern, streuten die Täter Krähenfüße, zogen Baken und Reifen auf die Fahrbahn und entzündeten sie. Ein Selbstbezichtigungsschreiben stellt die Tat in diverse Themenzusammenhänge. In erster Linie richte sie sich jedoch "gegen die Stadt der Reichen": "Wir haben uns in der Alten Jakobstraße ein Stelldichein gegeben um unsere Wut über Ausgrenzung, Vertreibung, Kontrolle und Verachtung gegenüber der Stadt der Reichen mit Farbe, Steinen und Feuer sichtbar zu machen." 139 137 Artikel "(B) Erklärung zum Angriff auf die Flottwellstraße" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 7.2.2016. 138 "Pressemitteilung zur Räumung heute" auf der Internetpräsenz der "Rigaer 94". Veröffentlicht am 22.6.2016. 139 Artikel "(B) Farbe, Steine und Feuer gegen die Stadt der Reichen!" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 29.5.2016. 180 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 In den Kommentaren zu diesem Schreiben wird dazu aufgerufen, die Aktionen nicht nur gegen Autos und "ähnlichen luxusscheiß" zu richten, sondern gegen "dieses gesindel" selbst: "Ob Bonzen oder Karren, alles legitime Ziele".140 Diese Äußerungen deuten darauf hin, dass der Szenekonsens, Gewalt nicht gegen Personen zu richten, seit einiger Zeit - und insbesondere im Zusammenhang mit dem Kampf gegen Gentrifizierung und für "autonome Freiräume" - spürbar erodiert. 5.3.4 Drastische Verschärfung der Tonlage Nicht zuletzt die jüngsten Ereignisse rund um die "Rigaer 94" markieren eine Entwicklung, die auf ein Sinken der Hemmschwelle im Hinblick auf bislang in der linksextremistischen Szene nicht vermittelbare Gewalt gegen Personen hindeutet. Dabei scheinen in Berlin gegenwärtig insbesondere die aus Sicht der linksextremistischen Szene aktuell virulenten Themenfelder Anti-Gentrifizierung und Anti-Faschismus bzw. Anti-Rassismus ("Antifra") Auslöser für eine Emotionalisierung der Auseinandersetzung zu sein. Formulierungen wie "Henkel in den Kofferraum" (und die mit dieser Formulierung assoziierte Entführung und der Tod von Hanns Martin Schleyer durch die "Rote Armee Fraktion" (RAF)) bzw. "Henkel töten", aber auch diverse Graffiti (ein stilisierter Galgen mit den Worten "Hängt Henkel" oder "Hier könnte ein Bulle hängen") sowie Äußerungen in Szeneartikeln deuten darauf hin, dass in der linksextremistischen Szene Gewalttaten gegen Personen deutlich emotionaler diskutiert werden und dass diese Diskussionen bis hin zur gezielten Tötung (bzw. Tötungsfantasien) politischer Gegner reichen.141 140 Ebenda. Schreibweise im Original. 141 So wurde z.B. am 12.8.2016 festgestellt, dass bei diversen Wahlplakaten eines CDU-Politikers zur Abgeordnetenhauswahl Fadenkreuze über das Gesicht des Kandidaten gesprüht worden waren. Angriffe auf Polizeibeamte sowie auf "Faschisten" (darunter werden in der Szene auch AfD-Mitglieder verstanden) waren von dem Konsens, dass es keine Todesfälle geben soll, bereits vorher ausgenommen. Allerdings ist auch hier eine seit Jahren zunehmende Gewaltbereitschaft im Hinblick auf die Inkaufnahme schwerer Verletzungen oder sogar den Tod festzustellen. Linksextremismus 181 Hinsichtlich der eigenen Aktionsformen wird zwar behauptet, es sei "Bestandteil der Planungen", dass "kein Bulle oder Nazi dabei sterben wird", man sehe jedoch die Gefahr, dass Szeneaktivisten oder Unbeteiligte durch die Polizei "ernsthaft verletzt werden [könnten] oder schlimmeres". Das würde in der Folge bedeuten, das eigene Verhältnis zur Gewalt "überdenken [zu] müssen".142 In einer Stellungnahme im Internet heißt es im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstrationsteilnehmer in der Liebigstraße: "In dem Moment haben wir uns wirklich Heckenschützen auf den Dächern gewünscht, welche uns vor dem Gewaltausbruch der Schweine [gemeint sind Polizisten] hätten retten können." 143 Die Entmenschlichung von Polizeibeamten durch die Titulierung als "Schweine" 5 oder "Abschaum" ist nicht neu. Graffitis wie "more dead cops" oder "Bullen töten" und Aussagen wie, man habe sich auf der Demonstration am 9. Juli "Heckenschützen" gewünscht oder man müsse mit "bewaffneten Kampfhandlungen" rechnen, versinnbildlichen jedoch eine Eskalationsstufe, auf der die Hemmschwelle gegenüber Leib und Leben sinkt und sogar der Schritt zur gezielten Tötung des "politischen Gegners" nicht mehr völlig undenkbar scheint. 5.4 Fazit und Ausblick Im Zuge der Auseinandersetzungen um die Rigaer Straße hat sich die Tonlage in der linksextremistischen Szene spürbar verschärft. Aufrufe zur Tötung politischer Gegner werden in höherer Frequenz und mit einer unmissverständlicheren Diktion veröffentlicht. Sie sind zudem z.T. prominenter platziert und bleiben vor allem zunehmend unwidersprochen. Daraus kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber noch keine grundlegend veränderte Gefährdungslage abgeleitet werden, die Situation muss vielmehr im Zusammenhang mit der zeitweise hoch emotionalisierten Situation rund um die Ereignisse in der Rigaer Straße gesehen werden. Das wiederum deutet jedoch nicht nur darauf hin, dass vergleichbare Auslöser 142 Artikel "(B) Farbe, Steine und Feuer gegen die Stadt der Reichen!" auf der Internetpräsenz linksunten. Veröffentlicht am 29.5.2016. Schreibweise im Original. 143 Artikel "[B] Demonstration "Rigaer 94 verteidigen! Investor*innenträume platzen lassen! + Dezentrale Aktionen [Eine Einschätzung]" auf der Internetseite linksunten. Veröffentlicht am 10.7.2016. 182 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 jederzeit zu einer Eskalation führen können, sondern lässt auch nicht mehr unmöglich erscheinen, dass diese im Sinne einer Gewaltspirale nicht mehr rein verbal bleiben könnte. Der langjährige Szenekonsens, keine Gewalt gegen Personen, insbesondere keine gezielten Tötungsdelikte auszuüben bzw. zu verüben, scheint partiell fragil und gefährdet. Als mögliche auslösende Momente sind hier in erster Linie die "Rigaer 94" und weitere von Räumung bedrohte Szeneobjekte zu nennen. Die Situation in der Rigaer Straße hat sich im Herbst zwar zwischenzeitlich aufgrund von Gerichtsentscheidungen mit aufschiebender Wirkung beruhigt - eine endgültige gerichtliche Klärung des Räumungsantrags der Eigentümer steht jedoch noch aus. Der Themenkomplex Anti-Gentrifizierung dürfte (neben Anti-Repression) grundsätzlich ein hohes Eskalationspotenzial beinhalten - wie die drastischen Aktionen in der Flottwellstraße im Februar und in der Alte Jakobstraße im Mai zeigen. Auch die Aktionsformen gegen die AfD könnten sich perspektivisch verschärfen. In diesem Zusammenhang sind nicht nur die Bundestagswahl, sondern auch zurückliegende und möglicherweise bevorstehende Wahlerfolge von Rechtspopulisten in anderen europäischen Ländern (und weltweit) zu berücksichtigen. Und auch der "Revolutionäre 1. Mai" ist in Berlin noch längst nicht tot. Trotz der in den letzten Jahren zu beobachtenden tendenziellen Befriedung versucht die Szene - insbesondere durch Einfluss der "radikalen linken | berlin" - immer wieder auf neuen Wegen Militanz zu initiieren. Erinnert sei daran, dass der Demonstrationszug 2016 mitten durch das stark besuchte "MyFest" lief und es zum Abschluss zu massiven Angriffen auf Polizeibeamte kam. Beim Blick über die Hauptstadt hinaus dürften Proteste gegen den G20-Gipfel am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg für die Sicherheitsbehörden eine sehr große Herausforderung im Bereich Linksextremismus darstellen. Linksextremismus 183 Der Tagungsort liegt im unmittelbaren Einzugsgebiet der autonomen Szene Hamburgs, die wiederum über enge und langjährige Verbindungen nach Berlin verfügt. Bereits im Sommer 2016 gab es erste Anschläge mit G20-Bezug in Berlin. Seit dem Herbst befassen sich führende Gruppierungen der Stadt, insbesondere die "radikale linke | berlin", die IL und TOP B3rlin, mit der Mobilisierung zu den Protesten. 5 184 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 6 Scientology Organisation "Scientology Organisation" Mitglieder: Berlin: 130 (2015: 130) Die "Scientology Organisation" (SO) wurde 1954 in den USA gegründet. Der deutsche Ableger entstand 1971. Sie geht auf den amerikanischen ScienceFiction-Autor L. Ron Hubbard zurück, welcher behauptete, die Welt von Armut, Krieg, Verbrechen, Krankheit und anderen Übeln befreien zu können. Seitdem verbreitet die SO ihre Ideologie weltweit im Rahmen von Publikationen, Kurssystemen, Veranstaltungen und im Internet mit dem Ziel, eine ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierende Welt zu schaffen. Durch die Anwendung scientologischer Ideologie und Techniken soll ein perfekt funktionierender Mensch, der so genannte "Clear", beziehungsweise der höher trainierte "operierende Thetan" erzeugt werden. Nur diesen Menschen sollen Bürgerrechte zugestanden werden, um mit ihnen eine scientologische Gesellschaftsordnung zu errichten. Außerhalb dieser Gesellschaft stehenden oder der SO gegenüber kritisch eingestellten Personen wird jeglicher Wert abgesprochen. Gegner und Kritiker werden von Scientology verfolgt und bedroht. Der Einstieg in die Organisation erfolgt in der Regel durch einen kostenfreien "Persönlichkeitsoder Stresstest", der als vermeintlich individuelle Lebenshilfe angeboten wird. Seine Auswertung durch einen speziell geschulten Scientologen wird immer Defizite aufzeigen, welche durch - dann kostenpflichtige - Seminare korrigiert werden sollen. Scientology manipuliert ihre Anhänger, unterwirft sie einer ständigen Kontrolle und beutet sie finanziell aus. Die "Scientology Organisation" bleibt in Berlin weiterhin kaum wahrnehmbar. PRAktionen wie in den vergangenen Jahren wurden 2016 nicht bekannt. Auch die Tarnorganisationen wie z.B. der Verein "Sag nein zu Drogen, sag ja zum Leben" Scientology Organisation 185 hatten keine Veranstaltungen mit Außenwirkung durchgeführt. Üblicherweise klären diese vordergründig über Drogen oder vermeintliche Verstöße in der Psychiatrie auf, allerdings geht es vielmehr darum, neue Interessenten für Scientology zu gewinnen. Die Mitgliederzahlen der SO stagnieren in Berlin weiterhin auf niedrigem Niveau. 6 186 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 7 Spionageabwehr und Geheimschutz 7.1 Spionageabwehr Die Bundesrepublik Deutschland ist wegen ihrer geopolitischen Lage in Europa, ihrer Rolle in der Europäischen Union (EU) und der Organisation des Nordatlantikvertrages (NATO) sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie für andere Nachrichtendienste, d.h. für alle nicht-deutschen Nachrichtendienste, attraktiv. Diese Dienste sind in unterschiedlicher Personalstärke an den jeweiligen amtlichen oder halbamtlichen Vertretungen in Deutschland präsent und unterhalten dort Legalresidenturen. Darunter sind Stützpunkte eines anderen Nachrichtendienstes zu verstehen, die in einer Botschaft, einem Konsulat oder einer Presseagentur eingerichtet sind. Die dort als Diplomaten oder Journalisten getarnt arbeitenden Mitarbeiter betreiben, offen oder verdeckt, operative Informationsbeschaffung oder unterstützen nachrichtendienstliche Aktivitäten, die von den jeweiligen Zentralen in ihren Herkunftsländern geführt werden. Werden solchen Personen statuswidrige Aktivitäten nachgewiesen, kann dies zu ihrer Ausweisung aus Deutschland führen. Neben dem Agieren aus den Legalresidenturen heraus sind unabhängig davon operative Aktivitäten festzustellen, die gänzlich ohne diplomatische Immunität ausgeführt werden. Schwerpunkte In Berlin als Hauptstadt und als Regierungssitz ist die Anzahl mit über 150 diplomatischen Vertretungen und folglich die Präsenz anderer Nachrichtendienste hoch. Die jeweiligen operativen Schwerpunkte orientieren sich in der Regel an aktuellen politischen Vorgaben, wirtschaftlichen und technologischen Prioritäten sowie militärtaktischen und -strategischen Interessen. Angesichts dieser Aufgabenkataloge reichen die Ziele der anderen Nachrichtendienste von der offenen und konspirativen Beschaffung von Informationen aus relevanten Objekten bis hin zur Infiltration in Deutschland ansässiger Organisationen, aber auch von Bürgern, die in Opposition zu ihren Regierungen im Heimatland stehen. Spionageabwehr und Geheimschutz 187 Einige Länder sind darüber hinaus bemüht, in den Besitz atomarer, biologischer oder chemischer Waffen zu gelangen sowie die zu deren Herstellung erforderlichen Güter und Know-how zu erlangen. Dies ist meist mit dem Versuch verbunden, durch Lieferungen an Drittländer und die Beschaffung von doppelt verwendungsfähigen Gütern ("dual use"-Güter) Kontrollmaßnahmen zu umgehen. Der Berliner Verfassungsschutz kooperiert in allen Belangen der Spionageabwehr eng mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das bei der Auflärung aller nachrichtendienstlichen Aktivitäten federführend ist. 7.2 Wissenschaftsund Technikspionage Wirtschaftsspionage hat sich als gängige Bezeichnung für die Absicht anderer Nachrichtendienste etabliert, aus den Bereichen Wissenschaft und Technik in der Bundesrepublik Deutschland Informationen zu beschaffen, um Unternehmen anderer Staaten einen Vorteil zu verschaffen. Im Gegensatz zu dieser staatlich organisierten Wirtschaftsspionage gibt es Industriespionage, die zumeist von Unternehmen im Kontext der Konkurrenzausspähung ausgeht. Deutschland unterhält keinen Nachrichtendienst, der für die deutsche Wirtschaft in anderen Staaten solcherart Informationen beschafft. Wirtschaftsspionage durch andere Staaten wird wesentlich vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Dieser Wirt- 7 schaftsschutz soll Forschungsund Technologieentwicklungen an Hochschulen und Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage und Wettbewerbsnachteilen schützen. In Berlin sind 170 513 Betriebe (Stand: 2015) unterschiedlicher Wirtschaftsbereiche als Arbeitgeber mit sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten ansässig. Informationsund Kommunikationstechnologie, Medizintechnik, Biotechnologie, Medizintechnik, optische Technologien und Verkehrstechnik sowie kreative Dienstleistungen haben sich als Branchen mit Zukunftsperspektive in Berlin etabliert. Darüber hinaus gehört die Stadt zu den größten und vielfältigsten Wissenschaftsregionen in Europa. An vier Universitäten, an der Charite-Universitätsmedizin Berlin, sechs Fachhochschulen, vier Kunsthochschulen, 31 private Hochschulen sowie über 60 Forschungsstätten studieren, lehren, forschen und arbeiten rund 200 000 Menschen aus aller Welt. Die Erfolge der Unternehmen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen sind Ergebnis nicht nur von Entwicklungskosten, sondern von langjähriger Forschung und kreativer Ideen. Ein solches Know-how ist stets mit dem Risiko verbunden, durch Wissenschaftsund Technikspionage verloren zu gehen. 188 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Cyberspionage Einen beachtlichen Stellenwert bei der Beschaffung von Informationen nimmt die elektronische Auflärung ein, die "Signals Intelligence" (SIGINT) genannt wird. Dabei steht das Bemühen im Mittelpunkt, in Infrastrukturen der Informationstechnologie einzudringen, um Informationen zu beschaffen oder um das IT-System zu beschädigen oder zu sabotieren. Angesichts der zunehmenden IT-Vernetzung in Wissenschaft und Technik sowie von Parlamenten und Verwaltungen ist dies ein bedeutsames Instrument nachrichtendienstlicher Arbeit, zumal der personelle Aufwand - und damit das Risiko einer Enttarnung - eher gering ist. Cyberspionage schließt Betrug, Fälschungen und unerlaubte Zugriffe auf IT-Systeme ein. Angriffe werden mit E-Mails mit spezifischen Anhängen, präparierten Websites oder USBSticks durchgeführt. Angesichts der Komplexität dieser Aktivitäten nahm im April 2011 ein "Nationales Cyber-Abwehrzentrum" seine Arbeit auf, in dem das Bundesamt für Verfassungsschutz vertreten ist. Gesetzesnovelle Angesichts der Bedeutung der Wirtschaftsspionage wurde dem Bundesamt für Verfassungsschutz im November 2015 durch eine Gesetzesnovelle die Aufgabe zugewiesen, die Öffentlichkeit über präventiven Wirtschaftsschutz zu unterrichten. Der Wirtschaftsschutz soll Forschungsund Technologieentwicklungen an Hochschulen und Wirtschaft vor Wirtschaftsspionage schützen. Damit trägt der Gesetzgeber der wachsenden Bedeutung der Wirtschaftsspionage Rechnung. Auch in Berlin wurden zahlreiche Versuche festgestellt, mit elektronischen Mitteln unerlaubt an Informationen zu gelangen. Eine Möglichkeit, sich vor solcherart Spionage zu schützen, ist die Weiterentwicklung von technischen Infrastrukturen. Auch die Identifikation von schützenswertem Know-how ist sehr wichtig, um dessen besonderen Schutz sicherzustellen. Ein wirksamer Schutz vor Spionage darf sich aber nicht nur auf Maßnahmen der IT-Sicherheit beschränken. Das Thema "Sicherheit" umfasst viel mehr als nur die alleinige Betrachtung der technischen Infrastrukturen. Die "Sicherheitslücke Mensch" ist nach wie vor eines der größten "Einfallstore" in Unternehmen. Die sicherste IT-Ausstattung ist wertlos, wenn die Mitarbeiter den Informationsschutz im Unternehmen nicht beachten oder sie über bestimmte Gefahren, wie z.B. verschiedene Ausforschungsmöglichkeiten, nicht aufgeklärt sind. Spionageabwehr und Geheimschutz 189 Kooperationen mit anderen Institutionen Im November 2010 vereinbarten die Senatsverwaltung für Inneres und Sport, die Industrieund Handelskammer sowie der Verband für Sicherheit in der Wirtschaft Berlin-Brandenburg eine enge Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität und in anderen Bereichen der inneren Sicherheit. Wesentlich geht es dabei um den Austausch von Informationen zwischen Wirtschaft und Sicherheitsbehörden, wobei die Wirtschaft über sie betreffende Spionageaktivitäten berichtet und die Sicherheitsbehörden zur IT-Sicherheit, den Schutz von Wirtschaftsspionage und über politischen Extremismus informiert. Wenn Unternehmen von Wirtschaftsspionage betroffen sind oder Anhaltspunkte für entsprechende Aktivitäten haben, können sie den Kontakt zum Verfassungsschutz suchen, der Vertraulichkeit garantiert; zumal er nicht - wie Strafermittlungsbehörden - dem Strafverfolgungszwang unterliegt. Es unterliegt dem Opportunitätsprinzip, ob der Verfassungsschutz einen Sachverhalt zur Strafverfolgung an Polizei und Staatsanwaltschaft weiterleitet. 7.3 Geheimund Sabotageschutz Unverzichtbar ist der Schutz von Informationen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit und die Inte- 7 ressen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Bundesländer gefährden kann. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Antrag der zuständigen öffentlichen Stelle daran mit, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Ausforschungen durch Unbefugte in sicherheitsempfindlichen Bereichen zu verhindern.144 Ferner sind sicherheitsempfindliche Stellen bei lebensund verteidigungswichtigen öffentlichen Einrichtungen zu schützen, deren Ausfall oder Zerstörung eine erhebliche Bedrohung für die Gesundheit und das Leben zahlreicher Menschen verursachen könnte oder die für das Funktionieren des Gemeinwesens unverzichtbar sind. Die Senatsverwaltung für Inneres und Sport hat die Einrichtungen durch Rechtsverordnung festgelegt.145 Dazu zählen u.a. die Behörden zum Schutz der inneren Sicherheit und die Lagezentren und Leitstellen von Polizei und Feuerwehr. 144 SS 5 Abs. 3 Nr. 1 u. Nr. 3 VSG Bln, Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz (BSÜG) vom 2.3.1998 (GVBl. S. 26) in der Fassung vom 25.6.2001 (GVBl. S. 243), zuletzt geändert durch Art. XV des Gesetzes vom 17.12.2003 (GVBl. S. 617). 145 Verordnung zur Festlegung der Arten lebenswichtiger Einrichtungen im Land Berlin vom 2.9.2003 (GVBl. S. 316). 190 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Die Verfassungsschutzbehörde überprüft bei öffentlichen Stellen und Wirtschaftsunternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (Sicherheitsüberprüfungen genannt) und trifft selbst oder veranlasst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Zum Zweck des personellen Sabotageschutzes sind Sicherheitsüberprüfungen ebenfalls gesetzlich vorgesehen. Die Verfassungsschutzbehörde wird nicht von sich aus tätig, sondern nur auf Antrag des Geheimschutzbeauftragten der Behörde, bei der die zu überprüfende Person beschäftigt ist (so genannte zuständige Stelle). Im Jahr 2016 führte der Berliner Verfassungsschutz 556 Überprüfungen durch (2015: 519). 7.3.1 Geheimschutz in der Wirtschaft Wirtschaftsunternehmen, die geheimschutzbedürftige Aufträge von Bundesund Landesbehörden ausführen, müssen vor Ausspähung fremder Nachrichtendienste geschützt und deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund oder Ländern aufgenommen werden. Es sollen Sicherheitsstandards geschaffen und eingehalten werden, um zu verhindern, dass Unbefugte Kenntnis von den im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen (Verschlusssachen) erhalten. Ein Unternehmen kann die Aufnahme in die Geheimschutzbetreuung grundsätzlich nicht für sich selbst beantragen. Voraussetzung für die Aufnahme eines Unternehmens in das Geheimschutzverfahren des Bundes oder eines Landes ist die öffentliche Ausschreibung eines Auftrags mit Verschlusssachen. Berliner Behörden schreiben geheimschutzbedürftige Aufträge im Amtsblatt für Berlin aus. Wesentlich für die Ausschreibung bei vertraulichen Staatsaufträgen ist die Formulierung: "Es können sich geeignete Firmen bewerben, die bereits dem Geheimschutz in der Wirtschaft unterliegen, bzw. die sich dem Geheimschutzverfahren in der Wirtschaft unterziehen wollen." Vor Auftragserteilung sind mindestens ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmens, ein Sicherheitsbevollmächtigter und auch die Firmenmitarbeiter, die von staatlicher Seite aus mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut werden sollen, einer freiwilligen Sicherheitsüberprüfung nach den Bestimmungen des BSÜG zu unterziehen. Mitwirkende Behörde bei der Sicherheitsüberprüfung ist die Verfassungsschutzbehörde.146 2016 wurden 173 Sicherheitsüberprüfungen für Angehörige Berliner Unternehmen durchgeführt (2015: 114). 146 SS 5 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 des VSG Bln. Spionageabwehr und Geheimschutz 191 Um die vertrauensvolle Kooperation der betroffenen Unternehmen mit den Sicherheitsbehörden zu vertiefen, unterstützt der Berliner Verfassungsschutz den Länderarbeitskreis der Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg (SIBE-AK BR-BB) durch fachkundige Referenten und die Bereitstellung von Informationsmaterialien bei Seminaren und Tagungen. Dieser Arbeitskreis soll den in sicherheitsempfindlichen Bereichen tätigen Berliner Unternehmen ein Austauschforum bieten. 7.3.2 Mitwirkung bei Einbürgerungsverfahren und sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen Überprüfungen Der Verfassungsschutz wirkt bei Überprüfungen in Einbürgerungsverfahren mit.147 Auf Antrag der Einbürgerungsbehörde wird geprüft, ob über Personen, die einen Antrag auf Einbürgerung gestellt haben, Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörden der Länder oder des Bundes vorliegen. Eine Einbürgerung ist ausgeschlossen,148 wenn * tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche 7 Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben oder die durch die Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder * nach SS 54 Absatz 1 Nummer 2 des Aufenthaltsgesetzes ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vorliegt. Im Januar 2001 legte die Senatsverwaltung für Inneres fest, dass bei Einbürgerungsbewerbern aus bestimmten Herkunftsländern stets eine Anfrage beim Verfassungsschutz zu erfolgen hat. Unabhängig von der Herkunft ist eine Anfrage auch immer dann zu stellen, wenn Anhaltspunkte für eine extremistische Haltung oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten vorliegen. 2016 wurden 8 885 Anfragen bearbeitet (2015: 7 401). 147 SS 5 Abs. 3 Nr. 4 VSG Bln. 148 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG), vom 22.7.1913 im BGBl. Teil III, Gliederungsnummer 102-1, veröffentlichte bereinigte Fassung zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 11.10.2016 (BGBl. I S. 2 218). 192 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Vergleichbare Sicherheitsanforderungen gelten auch für das Aufenthaltsrecht von Ausländern.149 Die Erteilung eines Aufenthaltstitels ist zu versagen, wenn der Ausländer die freiheitliche demokratische Grundordnung gefährdet hat oder sich zur Verfolgung politischer oder religiöser Ziele an Gewaltdelikten beteiligt.150 Zur Feststellung von Versagungsgründen können die Ausländerbehörden den Verfassungsschutzbehörden der Länder und weiteren Sicherheitsbehörden die von ihnen erhobenen Personalien übermitteln. Die angefragten Behörden teilen der Ausländerbehörde unverzüglich mit, ob Versagungsgründe vorliegen.151 2016 gingen 7 083 Anfragen bei der Verfassungsschutzbehörde ein (2015: 4 649). Bei Flughäfen und kerntechnischen Anlagen handelt es sich um besonders schützenswerte Objekte. Unbefugte Handlungen durch Beschäftigte können Gefahren für das Objekt und für Leib und Leben anderer Menschen zur Folge haben. Aus diesen Gründen werden gem. SS 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) und SS 12 b Atomgesetz (AtomG) Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt, an denen der Verfassungsschutz mitwirkt. 2016 wurden nach dem LuftSiG 3 752 Anfragen durch den Verfassungsschutz bearbeitet (2015: 3 013), nach dem AtomG 247 (2015: 225). Seit 2005 gibt es gesetzliche Regelungen über die Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz und der Bewachungsverordnung. Seit dem 1. September 2005 sind die Verfassungsschutzbehörden der Länder an der Überprüfung von Personen beteiligt, die gewerbsmäßig mit explosionsgefährlichen Stoffen umgehen oder den Verkehr mit solchen Stoffen betreiben wollen.152 Zuständige Behörde für die Durchführung der Zuverlässigkeitsüberprüfung in Berlin ist das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheit und technische Sicherheit. 2016 erfolgten 343 Anfragen (2015: 363). Wer gewerbsmäßig Leben und Eigentum fremder Personen bewachen will, bedarf einer Erlaubnis auf der Grundlage der Bewachungsverordnung durch die Gewerbeämter der Berliner Bezirke. In begründeten Einzelfällen können diese bei der örtlich zuständigen Verfassungsschutzbehörde anfragen, ob Erkenntnisse vorlie149 Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet i.d.F. vom 25.2.2008 (BGBl. I S. 162), zuletzt geändert durch Gesetz vom 4.11.2016 (BGBl. I S. 2 460) (AufenthG). 150 SS 54 Abs. 1 Nrn. 2 oder 4 AufenthG. 151 SS 73 Abs. 2 u. 3 AufenthG. 152 SSSS 7 u. 8a Abs. 5 Nr. 4 Sprengstoffgesetz (SprengG), BGBl. I S. 3 518, zuletzt geändert durch Art. 1 des dritten ÄnderungsG vom 15.6.2005 (BGBl. I S. 1 676) Art. 35 des Gesetzes zur Umbenennung des BGS in Bundespolizei vom 21.7.2005 (BGBl. I S. 1 818). Spionageabwehr und Geheimschutz 193 gen, die für die Beurteilung der persönlichen Zuverlässigkeit der Antragsteller von Bedeutung sind.153 Ebenfalls zu den Mitwirkungsangelegenheiten gehören aufgrund des 7. Gesetzes zur Änderung des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) vom 16. Mai 2007154 seit dem 24. Mai 2007 auch Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem BVFG.155 Durch die Überprüfung soll sichergestellt werden, dass Schwerkriminelle, gewaltbereite Extremisten und Terroristen nicht auf dem Weg des Verfahrens zur Aufnahme von Spätaussiedlern nach Deutschland kommen können. 7 153 SS 9 Abs. 2 Nr. 2 Bewachungsverordnung. 154 BGBl. I S. 748. 155 Neufassung des Bundesvertriebenengesetzes vom 10.8.2007; BGBl. I S. 1 902. 194 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 III Anhang 196 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin Gesetz über den VerfassungsSS 3 Dienstkräfte (1) Die Dienstkräfte der Verfassungsschutzabteilung schutz in Berlin haben neben den allgemeinen Pflichten die sich aus (Verfassungsschutzgesetz Berlin - VSG Bln) in der dem Wesen des Verfassungsschutzes und ihrer dienstFassung vom 25. Juni 2001, geändert durch Art. V des lichen Stellung ergebenden besonderen Pflichten. Sie Gesetzes vom 30. Juli 2001 (GVBl. S. 305), geändert haben sich jederzeit für den Schutz der freiheitlichen durch Art. II des Gesetzes vom 5. Dezember 2003 (GVBl. demokratischen Grundordnung im Sinne des Grund571), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. Dezember gesetzes und der Verfassung von Berlin einzusetzen. 2010 (GVBl., S. 534) Die Funktion des Leiters der für den Verfassungsschutz zuständigen Abteilung soll nur einer Person übertragen werden, die die Befähigung zum Richteramt besitzt. (2) Der Senat von Berlin kann jährlich bestimmen, Erster Abschnitt in welchem Umfang Dienstkräften der VerfassungsAufgaben und Befugnisse der schutzabteilung freie, frei werdende und neu geschaffene Stellen in der Hauptverwaltung für Zwecke der Verfassungsschutzbehörde Personalentwicklung vorbehalten werden. SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 4 Zusammenarbeit Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bund und Ländern in Angelegenheiten des VerfassungsBestandes und der Sicherheit der Bundesrepublik schutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit Deutschland und ihrer Länder. besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen (wie z.B. das nachrichtendienstSS 2 Organisation liche Informationssystem des Bundes und der Länder (1) Verfassungsschutzbehörde ist die Senatsver[NADIS] und die Schule für Verfassungsschutz). waltung für Inneres. Die für den Verfassungsschutz (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder zuständige Abteilung nimmt ihre Aufgaben gesondert dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im von der für die Polizei zuständigen Abteilung wahr. Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz (2) Die für den Verfassungsschutz zuständige Abteinur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde lung ist datenverarbeitende Stelle im Sinne des SS 4 Abs. tätig werden. 3 Nr. 1 des Berliner Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 17. Dezember 1990 (GVBl. 1991 S. 16, 54), das zuletzt durch Art. IX des Gesetzes vom 30. November 2000 SS 5 Aufgaben (GVBl. S. 495) geändert worden ist. Die Übermittlung an der Verfassungsschutzbehörde andere Organisationseinheiten der Senatsverwaltung (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Aufgabe, für Inneres ist ungeachtet der fachund dienstaufden Senat und das Abgeordnetenhaus von Berlin, andesichtlichen Befugnisse zulässig, wenn dies für die Aufre zuständige staatliche Stellen und die Öffentlichkeit gabenerfüllung nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. über Gefahren für die freiheitliche demokratische (3) Bei der Leitung der Senatsverwaltung für Inneres Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des wird eine Revision eingerichtet. Die Revision ist unbeBundes und der Länder zu unterrichten. Dadurch soll schadet ihrer Verantwortung gegenüber dem Senator es den staatlichen Stellen insbesondere ermöglicht im Übrigen in der Durchführung von Prüfungen und der werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Beurteilung von Prüfungsvorgängen unabhängig. Abwehr dieser Gefahren zu ergreifen. Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 197 (2) Zur Erfüllung dieser Aufgaben sammelt und wereine unorganisierte Gruppe handelt, wer sie in ihren tet die Verfassungsschutzbehörde Informationen, Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhalinsbesondere sachund personenbezogene Daten, tensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einer Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über oder für eine Organisation oder in einer oder für eine 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche deunorganisierte Gruppe handeln, sind Bestrebungen im mokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsoder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes führung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines erheblich zu beschädigen. Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, (2) Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, die gegen 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für sind, sind solche, die auf die Beseitigung oder Außereine fremde Macht, kraftsetzung wesentlicher Verfassungsgrundsätze 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundabzielen. Hierzu gehören: gesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige und Abstimmungen und durch besondere Organe Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und gehei(3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt auf Ersuchen mer Wahl zu wählen, der zuständigen öffentlichen Stellen mit 2. die Bindung der Gesetzgebung an die ver1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen fassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollim öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige ziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut und Recht, werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlaverschaffen können, mentarischen Opposition, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortan sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder lichkeit gegenüber der Volksvertretung, verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, oder werden sollen, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum und Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungs7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. bedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkennt(3) Im Sinne dieses Gesetzes sind nissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder 4. bei aufenthaltsrechtlichen Verfahren, Einbüreines Landes solche, die darauf gerichtet sind, die Freigerungsverfahren, jagdund waffenrechtlichen Verfahheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrren sowie bei sonstigen gesetzlich vorgeschriebenen schaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen Überprüfungen; die Mitwirkung ist nur zulässig, wenn oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen, diese zum Schutz der freiheitlichen demokratischen 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder Grundordnung oder für Zwecke der öffentlichen eines Landes solche, die darauf gerichtet sind, den Sicherheit erforderlich ist; Näheres wird in einer Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Verwaltungsvorschrift des Senators für Inneres im BeFunktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. nehmen mit dem Berliner Beauftragten für den Daten(4) Auswärtige Belange im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 3 schutz und für das Recht auf Akteneinsicht bestimmt. werden nur gefährdet, wenn innerhalb des GeltungsbeDie Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde bei der reichs des Grundgesetzes Gewalt ausgeübt oder durch Mitwirkung nach Satz 1 Nr. 1 und 2 sind im Berliner Handlungen vorbereitet wird und diese sich gegen die Sicherheitsüberprüfungsgesetz vom 2. März 1998 politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten (GVBl. S. 26) geregelt. richten. SS 6 Begriffsbestimmungen SS 7 Voraussetzung und Rahmen für die (1) Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2 Nr. 1 und Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde 3 sind politisch motivierte, zielund zweckgerichtete (1) Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, darf Verhaltensweisen oder Betätigungen von Organidie Verfassungsschutzbehörde bei der Wahrnehmung sationen, Personenzusammenschlüssen ohne feste ihrer Aufgaben nach SS 5 Abs. 2 nur tätig werden, hierarchische Organisationsstrukturen (unorganisierte wenn im Einzelfall tatsächliche Anhaltspunkte für den Gruppen) oder Einzelpersonen gegen die in SS 5 Abs. 2 Verdacht der dort genannten Bestrebungen oder Tätigbezeichneten Schutzgüter. Für eine Organisation oder keiten vorliegen. 198 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf für die 2. Observation, Prüfung, ob die Voraussetzungen des Absatzes 1 3. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Videografieren vorliegen, die dazu erforderlichen personenbezogenen und Filmen), Daten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben, 4. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, speichern und nutzen. Eine Speicherung dieser Daten 5. Mithören ohne Inanspruchnahme technischer im nachrichtendienstlichen Informationssystem Mittel, (NADIS) oder in anderen Verbunddateien ist nicht 6. Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich zulässig. Eine Speicherung der nach Satz 1 erhobenen gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel, personenbezogenen Daten in Akten und Dateien über 7. Beobachtungen des Funkverkehrs auf nicht für den den Ablauf eines Jahres seit der Speicherung hinaus ist allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen sowie die nur zulässig, wenn spätestens von diesem Zeitpunkt Sichtbarmachung, Beobachtung, Aufzeichnung und an die Voraussetzungen des Absatzes 1 vorliegen. DasEntschlüsselung von Signalen in Kommunikationsselbe gilt für das Anlegen personenbezogener Akten. systemen, (3) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungs8. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher schutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahoder gewerblicher Angaben (Legenden), men ergreifen; dies gilt insbesondere für die Erhebung 9. Beschaffung, Erstellung und Verwendung von und Verarbeitung personenbezogener Informationen. Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen 10. Überwachung des Brief-, Post-, und Fernmeldehat sie diejenige auszuwählen, die den einzelnen, verkehrs nach Maßgabe des Art. 10-Gesetzes, vom insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allge26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert meinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. durch Art. 5 Abs. 1 des Gesetzes vom 22. August 2002 Eine Maßnahme hat zu unterbleiben, wenn sie einen (BGBl. I S. 3390), Nachteil herbeiführt, der erkennbar außer Verhältnis 11. Einsatz von weiteren vergleichbaren Methoden, zu dem beabsichtigten Erfolg steht. Sie ist nur solange Gegenständen und Instrumenten zur heimlichen zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige er nicht erreicht werden kann. Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen (4) Soweit in diesem Gesetz besondere Eingriffsdurch Bild-, Ton-, und Datenaufzeichnungen; dem befugnisse das Vorliegen gewalttätiger Bestrebungen Einsatz derartiger Methoden, Gegenstände und Instruoder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen mente hat der Ausschuss für Verfassungsschutz des voraussetzen, ist Gewalt die Anwendung körperlichen Abgeordnetenhauses von Berlin vorab seine ZustimZwanges gegen Personen oder eine nicht unerhebliche mung zu erteilen. Einwirkung auf Sachen. Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), darf die VerfasSS 8 Befugnisse sungsschutzbehörde nicht von sich aus nach Satz 1 der Verfassungsschutzbehörde Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen in Anspruch (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen bezieht. Die Behörden des Landes Berlin sind verpflicheinschließlich personenbezogener Daten verarbeiten tet, der Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für und bei Behörden, sonstigen öffentlichen Stellen sowie Tarnungsmaßnahmen zu geben. nicht öffentlichen Stellen, insbesondere bei Privat(3) Die Verfassungsschutzbehörde darf Informatiopersonen, erheben, soweit die Bestimmungen dieses nen einschließlich personenbezogener Daten mit den Gesetzes dies zulassen. Ein Ersuchen der VerfassungsMitteln gemäß Absatz 2 erheben, wenn schutzbehörde um Übermittlung personenbezogener 1. sich ihr Einsatz gegen Organisationen, unorgaDaten darf nur diejenigen personenbezogenen nisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige PerDaten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft sonen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte unerlässlich sind. Schutzwürdige Interessen des für den Verdacht der Bestrebungen oder Tätigkeiten Betroffenen dürfen nur im unvermeidbaren Umfang nach SS 5 Abs. 2 bestehen, beeinträchtigt werden. 2. auf diese Weise Erkenntnisse über gewalttätige (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimlichen Bestrebungen oder geheimdienstliche Tätigkeiten Informationsbeschaffung, insbesondere zur Erhebung gewonnen werden können, personenbezogener Daten, nur in begründeten Fällen 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrefolgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: bungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlichen 1. Einsatz von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Quellen erschlossen werden können oder Informanten, zum Zweck der Spionageabwehr über4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtungen, worbenen Agenten, Gewährspersonen und verdeckten Gegenstände und Quellen der VerfassungsErmittlern, schutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 199 Datenerhebungen nach Satz 1 Nr. 2 dürfen sich gegen Extremismus heimlich mitgehört oder aufgezeichnet andere als die in SS 6 Abs. 1 Satz 2 und 3 genannten werden. Eine solche Maßnahme ist nur zulässig, wenn Personen nur richten, soweit dies zur Gewinnung von sie im Einzelfall zur Abwehr einer dringenden Gefahr Erkenntnissen unerlässlich ist. für die öffentliche Sicherheit, insbesondere einer (4) Die Erhebung nach Absatz 2 ist unzulässig, wenn gemeinen Gefahr oder einer Lebensgefahr für einzelne die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die Personen, unerlässlich ist, ein konkreter Verdacht in betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise Bezug auf eine Gefährdung der vorstehenden Rechtsmöglich ist; eine geringere Beeinträchtigung ist in der güter besteht und der Einsatz anderer Methoden und Regel anzunehmen, wenn die Informationen aus allgeMittel zur heimlichen Informationsbeschaffung keine mein zugänglichen Quellen oder durch eine Auskunft Aussicht auf Erfolg bietet. Die Sätze 1 und 2 gelten nach SS 27 gewonnen werden können. Die Anwendung entsprechend für einen verdeckten Einsatz technischer eines Mittels gemäß Absatz 2 soll erkennbar im VerMittel zur Anfertigung von Bildaufnahmen und hältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden SachverBildaufzeichnungen in Wohnungen. Maßnahmen nach halts stehen. Der Einsatz nachrichtendienstlicher den Sätzen 1 bis 3 dürfen nur aufgrund richterlicher Mittel nach Abs. 2 Satz 1 Nr. 6 und 7 ist grundsätzlich Anordnung getroffen werden. Bei Gefahr im Verzuge nur zur Informationsbeschaffung über Bestrebungen kann die Maßnahme auch durch den Senator für Innegegen die freiheitliche demokratische Grundordnung res, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen zulässig, wenn diese Bestrebung die Anwendung Staatssekretär vertreten wird, angeordnet werden; von Gewalt billigen oder sich in aktiv kämpferischer, eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich aggressiver Weise betätigen. Die Maßnahme ist unvernachzuholen. züglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder (2) Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als nicht auf diese Weise erreicht werden kann. Daten, drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die für das Verständnis der zu speichernden Infordie Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. mationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht zu löschen. Die Löschung kann unterbleiben, wenn mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer die Informationen von anderen, die zur Erfüllung Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforder Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit derlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht eines diesem Fall dürfen die Daten nicht verwertet werden. Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde, der die (5) Die näheren Voraussetzungen für die AnwenBefähigung zum Richteramt hat. dung der Mittel nach Absatz 2 sind in einer (3) Sind technische Mittel ausschließlich zum SchutVerwaltungsvorschrift des Senators für Inneres ze der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen zu regeln, die auch die Zuständigkeit für die AnordPersonen vorgesehen, kann die Maßnahme durch nung solcher Informationsbeschaffung regelt. Die den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall Verwaltungsvorschrift ist dem Ausschuss für Verdurch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird, fassungsschutz des Abgeordnetenhauses von Berlin angeordnet werden. Eine anderweitige Verwertung vorab zur Kenntnis zu geben. der hierbei erlangten Erkenntnisse zum Zwecke der (6) Für die Speicherung und Löschung der durch Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Maßnahmen nach Absatz 2 erlangten personenbezRechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ogenen Daten gilt SS 4 Abs. 1 des Art. 10-Gesetzes worden ist; bei Gefahr im Verzuge ist die richterliche entsprechend. Entscheidung unverzüglich nachzuholen. (7) Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungs(4) Zuständig für richterliche Entscheidungen nach schutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht den Absätzen 1 und 3 ist das Amtsgericht Tiergarten. im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes denen sie selbst nicht befugt ist. über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbar(8) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgekeit entsprechend. meinen Rechtsvorschriften gebunden (Art. 20 des (5) Der Senat unterrichtet die Kommission nach SS 2 Grundgesetzes). des Gesetzes zur Ausführung des Art. 10-Gesetzes in der Fassung vom 25. Juni 2001 (GVBl. S. 251), das zuletzt durch Art. 1 des Gesetzes vom 5. Dezember SS 9 Einsatz technischer Mittel zur 2003 (GVBl. S. 571) geändert worden ist, unverÜberwachung von Wohnungen züglich, möglichst vorab, und umfassend über den (1) Das in einer Wohnung nicht öffentlich gesprochene Einsatz technischer Mittel nach Absatz 1 und, soweit Wort darf mit technischen Mitteln ausschließlich bei richterlich überprüfungsbedürftig, nach Absatz 3. SS 3 der Wahrnehmung der Aufgaben auf dem Gebiet der des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Spionageabwehr und des gewaltbereiten politischen Grundgesetz gilt entsprechend. 200 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 (6) Eine Maßnahme nach den Absätzen 1 und 3 trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung, im ist nach ihrer Beendigung der betroffenen Person Falle der Verhinderung der Vertreter. mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der (4) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse Maßnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verzu erwarten ist. Die durch Maßnahmen im Sinne des wendet werden. Gespeicherte Informationen sind zu Satzes 1 erhobenen Informationen dürfen nur nach löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für Maßgabe des SS 4 Abs. 1 des Art. 10-Gesetzes verwendiese Zwecke nicht mehr benötigt werden. det werden. (5) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle, die Namen der Betroffenen, deren SS 9a Eingriffe, die in ihrer Art und Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, sowie der Zeitpunkt der Einsichtnahme hervorgehen. Schwere einer Beschränkung des Brief-, Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichdurch technische und organisatorische Maßnahmen kommen zu sichern und, soweit sie für die Aufgabenerfüllung (1) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere der Verfassungsschutzbehörde nach SS 5 Abs. 2 nicht einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmehr benötigt werden, am Ende des Kalenderjahres, meldegeheimnisses gleichkommt und nicht den das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Regelungen des SS 9 unterliegt, wozu insbesondere das Abhören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes mit dem verdeckten Einsatz technischer Mittel gehört, bedarf der Anordnung durch Zweiter Abschnitt den Senator für Inneres, der im Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatssekretär vertreten wird. Datenverarbeitung (2) Die SSSS 2 und 3 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Art. 10 Grundgesetz gelten entsprechend. (3) SS 9 Abs. 6 gilt entsprechend. SS 11 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Informationen (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung SS 10 Registereinsicht durch die ihrer Aufgaben rechtmäßig erhobene personenVerfassungsschutzbehörde bezogene Informationen speichern, verändern und (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Auflärung nutzen, wenn -von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienst1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder lichen Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 vorliegen oder -von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt 2. dies für die Erforschung oder Bewertung von oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtenLandes gerichtet sind oder dienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätig- - von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gekeiten nach SS 5 Abs. 2 erforderlich ist oder walt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen 4. dies zum Schutz der Dienstkräfte, Einrichtunauswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gen, Gegenstände und Quellen der Verfassungsgefährden, schutzbehörde gegen sicherheitsgefährdende oder von öffentlichen Stellen geführte Register, z.B. geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, 5. sie auf Ersuchen der zuständigen Stelle nach SS 5 Führerscheinkarteien, Waffenscheinkarteien, einsehen. Abs. 3 tätig wird. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personen1. die Auflärung auf andere Weise nicht möglich bezogene Daten auch gespeichert, verändert und erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der und Bewertung von Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Maßnahme gefährdet würde, und zwingend erforderlich ist. 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Auf(2) In Dateien gespeicherte Informationen müssen klärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde, und durch Aktenrückhalt belegbar sein. 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvor(3) In Dateien ist die Speicherung von Informaschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme tionen aus der Intimsphäre der betroffenen Person nicht entgegensteht. unzulässig. (3) Die Anordnung für die Maßnahme nach Absatz 1 Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 201 der Aufgaben nach SS 5 nicht oder nicht mehr erforSS 12 Speicherung, Veränderung und Nutderlich sind, es sei denn, dass ihre Aufbewahrung zur zung personenbezogener Informationen Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen von Minderjährigen Person notwendig ist. Die Vernichtung unterbleibt, Die Speicherung personenbezogener Informationen wenn die Unterlagen von anderen, die zur Erfüllung über Minderjährige, die das 14. Lebensjahr nicht der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit vollendet haben, ist unzulässig. unvertretbarem Aufwand getrennt werden können. (5) Personenbezogene Informationen, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der SS 13 Speicherungsdauer Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ord(1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speinungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsancherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung lage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke erforderliche Maß zu beschränken. Die in Dateien geund zur Verfolgung der in der jeweiligen Fassung des speicherten Informationen sind bei der EinzelfallbearBerliner Datenschutzgesetzes als Straftaten bezeichbeitung, spätestens aber fünf Jahre nach Speicherung neten Handlungen verwendet werden. der letzten Information, auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Sofern die Informationen BestrebunSS 15 Berichtigung und Sperrung persogen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 1 oder 3 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre nach der zuletzt gespeicherten nenbezogener Informationen in Akten relevanten Information zu löschen. (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass (2) Sind Informationen über Minderjährige in Dateien in Akten gespeicherte personenbezogene Informaoder in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, getionen unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von speichert, ist nach zwei Jahren die Erforderlichkeit der dem Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Jahren die Löschung vorzunehmen, es sei denn, dass (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat personennach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse bezogene Informationen in Akten zu sperren, wenn sie nach SS 5 Abs. 2 angefallen sind, die zur Erfüllung der im Einzelfall feststellt, dass ohne die Sperrung schutzAufgaben im Sinne dieses Gesetzes eine Fortdauer der würdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt Speicherung rechtfertigen. würden und die Daten für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. Gesperrte Informationen sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr genutzt oder übermittelt werSS 14 Berichtigung, Löschung und Sperden. Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn rung personenbezogener Informationen ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. in Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Informationen SS 16 Dateianordnungen zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie sind zu (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzbehörde sind in einer Dateianordnung im schutzwürdige Interessen der betroffenen Person Benehmen mit dem Berliner Beauftragten für den beeinträchtigt sein können. Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien festzulegen: gespeicherten personenbezogenen Informationen zu 1. Bezeichnung der Datei, löschen, wenn ihre Speicherung irrtümlich erfolgt war, 2. Zweck der Datei, unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabener3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speichefüllung nicht mehr erforderlich ist und schutzwürdige rungen, Übermittlung und Nutzung (betroffener Interessen der betroffenen Person nicht beeinträchtigt Personenkreis, Arten der Daten), werden. 4. Eingabeberechtigung, (3) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien 5. Zugangsberechtigung, gespeicherten personenbezogenen Informationen zu 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, sperren, wenn die Löschung unterbleibt, weil Grund 7. Protokollierung, zu der Annahme besteht, dass durch die Löschung 8. Datenverarbeitungsgeräte und Betriebssystem, schutzwürdige Interessen der betroffenen Person 9. Inhalt und Umfang von Textzusätzen, die der beeinträchtigt würden; gesperrte Informationen sind Erschließung von Akten dienen. entsprechend zu kennzeichnen und dürfen nur mit (2) Die Verfassungsschutzbehörde hat in angemesEinwilligung der betroffenen Person verwendet werden. senen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung (4) In Dateien gelöschte Informationen sind gesperrt. oder Änderung ihrer Dateien zu prüfen. Unterlagen sind zu vernichten, wenn sie zur Erfüllung 202 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 SS 17 Gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an StrafBundesgesetzliche Vorschriften über die Datenververfolgungsbehörden in Angelegenheiten arbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsdes Staatsund Verfassungsschutzes schutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den unberührt. Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden des Landes die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Dritter Abschnitt Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür beInformationsübermittlung stehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten, die im Zusammenhang mit Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2 stehen, SS 18 Grundsätze bei der Informationserforderlich ist. übermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen InformaSS 22 Übermittlung von Informationen an tionen ist aktenkundig zu machen. In der entspreden öffentlichen Bereich chenden Datei ist die Informationsübermittlung zu (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenvermerken. Vor der Informationsübermittlung ist der erfüllung gewonnenen, nicht personenbezogenen Akteninhalt im Hinblick auf den Übermittlungszweck Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde können zu würdigen und der Informationsübermittlung zuan andere Behörden und Stellen, insbesondere an grunde zu legen. Erkennbar unvollständige Informadie Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermittelt tionen sind vor der Übermittlung im Rahmen der werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der emVerhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher pfangenden Stellen erforderlich sein können. Auskünfte zu vervollständigen. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Informationen an inländische Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts SS 19 Informationsübermittlung zwischen übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben den Verfassungsschutzbehörden erforderlich ist oder der Empfänger die Informationen Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Bundesamt für Verfassungsschutz und die VerfasSS 5 Abs. 2 oder zur Strafverfolgung benötigt oder nach sungsschutzbehörden der Länder über alle AngelegenSS 5 Abs. 3 tätig wird. heiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der (3) Die empfangende Stelle von Informationen nach empfangenden Stellen erforderlich ist. Absatz 2 ist darauf hinzuweisen, dass sie die übermittelten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwenden darf, zu dessen Erfüllung sie ihr SS 20 Informationsübermittlung an den übermittelt wurden. Bundesnachrichtendienst und den Militärischen Abschirmdienst SS 23 Übermittlung von Informationen Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen an Personen und Stellen außerhalb des Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Inforöffentlichen Bereichs mationen einschließlich personenbezogener Daten, Personenbezogene Informationen dürfen an Personen wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz empfangenden Stellen erforderlich ist. Handelt die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn Landes erforderlich ist und der Senator für Inneres, der sich die Voraussetzungen aus den Angaben der ersuim Verhinderungsfall durch den zuständigen Staatschenden Behörde ergeben. sekretär vertreten wird, im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Die Verfassungsschutzbehörde führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zu- Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 203 griff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das mittlung von personenbezogenen Informationen nur dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der zulässig, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen des Zusammenhanges oder der Darstellung von Informationen nur für den Zweck verwenden, zu dem Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, an sachgemäßen Informationen das schutzwürdige dass die Verfassungsschutzbehörde sich vorbehält, um Interesse des Betroffenen überwiegen. Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Informationen zu bitten. SS 27 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24 Übermittlung von Informationen an (1) Die Behörden des Landes und die sonstigen der die Stationierungsstreitkräfte Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbePersonen des öffentlichen Rechts übermitteln von zogene Informationen an Dienststellen der Statiosich aus der Verfassungsschutzbehörde die ihnen nierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesbekannt gewordenen Informationen, insbesondere republik Deutschland dazu im Rahmen von Art. 3 des personenbezogene Daten, über Bestrebungen nach Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den SS 5 Abs. 2, die durch Anwendung von Gewalt oder Parteien des Nordatlantikpaktes über die Rechtsdarauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt stellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundeswerden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die republik Deutschland stationierten ausländischen Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanStreitkräfte vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183) waltlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei überverpflichtet ist. Die Übermittlung ist aktenkundig zu mitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen ihrer machen. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Informationen die übermittelten Informationen nur zu dem Zweck über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 2. verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übermittelt (2) Die Verfassungsschutzbehörde kann von jeder der wurden. in Absatz 1 genannten öffentlichen Stellen verlangen, dass sie ihr die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogeSS 25 Übermittlung von Informationen ner Daten übermittelt, wenn die Informationen nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit an öffentliche Stellen außerhalb des unverhältnismäßigem Aufwand oder nur durch eine Geltungsbereichs des Grundgesetzes den Betroffenen stärker belastende Maßnahme erhoDie Verfassungsschutzbehörde darf personenbeben werden können. Es dürfen nur die Informationen zogene Informationen an ausländische öffentliche übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen bereits bekannt sind. übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung (3) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen ihrer Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sinicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der cherheitsinteressen des Empfängers erforderlich betroffenen Person dient oder eine Begründung den ist. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Zweck der Maßnahme gefährden würde. Belange der Bundesrepublik Deutschland oder über(4) Die Übermittlung personenbezogener Informawiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen tionen, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a Person entgegenstehen. Die Übermittlung ist nur im der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsnur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür schutz zulässig. Sie ist aktenkundig zu machen. Der bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Art. 10-GeEmpfänger ist darauf hinzuweisen, dass die übermitsetzes genannten Straftaten plant, begeht oder telten personenbezogenen Informationen nur zu dem begangen hat. Auf die der Verfassungsschutzbehörde Zweck verwendet werden dürfen, zu dem sie ihm übernach Satz 1 übermittelten Informationen findet SS 4 mittelt wurden, und die Verfassungsschutzbehörde Abs. 6, auf die dazugehörenden Unterlagen findet sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene SS 4 Abs. 1 Satz 2 des Art. 10-Gesetzes entsprechende Verwendung der Informationen zu bitten. Anwendung. (5) Vorschriften zur Informationsübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen SS 26 Unterrichtung der Öffentlichkeit bleiben unberührt. Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die Öffent(6) Die Verfassungsschutzbehörde hat die überlichkeit mindestens einmal jährlich über Bestrebungen mittelten Informationen nach ihrem Eingang unverund Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 2. Dabei ist die Überzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung 204 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. über Telekommunikationsverbindungsdaten und Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, Teledienstnutzungsdaten einholen. Die Auskunft kann sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Trennung und zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt von anderen Informationen, die zur Erfüllung der werden. Telekommunikationsverbindungsdaten und Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unTeledienstnutzungsdaten sind: vertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standsind die Informationen gesperrt und entsprechend zu ortkennung sowie Rufnummer oder Kennung des kennzeichnen. anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der (7) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht Endeinrichtung, besondere Regelungen über die Dokumentation 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die Uhrzeit, übermittelnde Stelle die Informationsübermittlung 3. Angaben über die Art der vom Kunden in Anspruch aktenkundig zu machen. genommenen Telekommunikationsund TeledienstDienstleistungen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr SS 27a Übermittlung von Informationen Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (5) Auskünfte nach den Abs. 1 bis 4 dürfen nur auf durch nicht öffentliche Stellen an die Antrag eingeholt werden. Der Antrag ist von der Verfassungsschutzbehörde Leitung der Verfassungsschutzabteilung, im Falle ihrer (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Verhinderung von ihrem Vertreter schriftlich zu stellen bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und zu begründen. Über den Antrag entscheidet der und Finanzunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Senator für Inneres, im Fall seiner Verhinderung der Konten, Kontoinhabern und sonstigen Berechtigten Staatssekretär. Die Senatsverwaltung für Inneres sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und unterrichtet die Kommission nach SS 2 des Gesetzes zu Geldbewegungen und Geldanlagen einholen, wenn zur Ausführung des Art. 10-Gesetzes über die beschiedies zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen denen Anträge vor deren Vollzug. Bei Gefahr in Verzug nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 erforderlich ist und kann der Senator für Inneres, im Falle seiner Verhindetatsächliche Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und rung der Staatssekretär den Vollzug der Entscheidung Leben vorliegen. auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelanordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen fall zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben Abs. 5 des Art. 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe entvorliegen unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 sprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der des Art. 10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeidie geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen, tung und Nutzung der nach den Abs. 1 bis 4 erlangten sowie bei denjenigen, die an der Erbringung dieser personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen Dienstleistungen mitwirken, unentgeltlich Auskünfte über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen oder nicht notwendig erklärt, hat die SenatsverUmständen des Postverkehrs einholen. waltung für Inneres unverzüglich aufzuheben. Für (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall die Verarbeitung der nach den Abs. 1 bis 4 erhobenen bei Luftfahrtunternehmen unentgeltlich Auskünfte zu Daten ist SS 4 des Art. 10-Gesetzes entsprechend anzuNamen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von wenden. Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Transportleistungen und sonstigen Umständen des Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten nicht mitLuftverkehrs einholen, wenn dies zur Beobachtung geteilt werden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Art. 10-Gesetzes gewalttätiger Bestrebungen nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und findet entsprechende Anwendung. 3 erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für (6) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet im Gefahren für Leib und Leben vorliegen. Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss (4) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfür Verfassungsschutz des Abgeordnetenhauses fall zur Beobachtung gewalttätiger Bestrebungen über die Durchführung der Absätze 1 bis 5; dabei ist nach SS 5 Abs. 2 Nr. 2 und 3 und wenn tatsächliche insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Anhaltspunkte für Gefahren für Leib und Leben vorDauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum liegen unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des durchgeführten Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis Art. 10-Gesetzes bei denjenigen, die geschäftsmäßig 4 zu geben. Telekommunikationsdienste und Teledienste erbrin(7) Die Senatsverwaltung für Inneres unterrichtet gen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskünfte das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 205 jährlich über die nach den Absätzen 1 bis 5 durchgeführten Maßnahmen; Abs. 6 gilt entsprechend. Vierter Abschnitt (8) Das Grundrecht des Brief-, Postund FernmelAuskunftserteilung degeheimnisses (Art. 10 des Grundgesetzes, Art. 16 der Verfassung von Berlin) wird nach Maßgabe der Absätze 2, 4 und 5 eingeschränkt. SS 31 Auskunft an den Betroffenen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt einer natürlichen Person über die zu ihr gespeicherten SS 28 Übermittlungsverbote Informationen auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Die Übermittlung von Informationen nach den VorDie Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf schriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn Informationen, die nicht der alleinigen Verfügungs1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, berechtigung der Verfassungsschutzbehörde unterdass die Informationen zu löschen oder für die empliegen, sowie auf die Herkunft der Informationen und fangende Stelle nicht mehr bedeutsam sind, die Empfänger von Übermittlungen. 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf den Antrag 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass ablehnen, wenn das öffentliche Interesse an der unter Berücksichtigung der Art der Informationen und Geheimhaltung ihrer Tätigkeit oder ein überwiegendes ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der Geheimhaltungsinteresse Dritter gegenüber dem betroffenen Personen das Allgemeininteresse an der Interesse der antragstellenden Person an der Übermittlung überwiegen oder Auskunftserteilung überwiegt. In einem solchen 4. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen Fall hat die Verfassungsschutzbehörde zu prüfen, entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung geob und inwieweit eine Teilauskunft möglich ist. Ein setzlicher Geheimhaltungspflichten oder von BerufsGeheimhaltungsinteresse liegt vor, wenn oder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein können oder die Ausforschung des ErkenntnisSS 29 Minderjährigenschutz standes oder der Arbeitsweisen der Verfassungs(1) Informationen einschließlich personenbezogener schutzbehörde zu befürchten ist, Daten über das Verhalten Minderjähriger dürfen nach 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes solange die Voraussetzungen der Speicherung nach Nachteile bereiten würde oder SS 13 Abs. 2 erfüllt sind. 4. die Informationen oder die Tatsache der Spei(2) Informationen einschließlich personenbezocherung nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem gener Daten über das Verhalten Minderjähriger vor Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den berechtigten Interessen Dritter, geheimgehalten werVorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische den müssen. oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt Die Entscheidung nach den Sätzen 1 und 2 trifft der werden. Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein von ihm besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Ablehnung einer Auskunft ist zumindest SS 30 Nachberichtspflicht insoweit zu begründen, dass eine verwaltungsErweisen sich Informationen nach ihrer Übermittlung gerichtliche Nachprüfung der Verweigerungsgründe nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollgewährleistet wird, ohne dabei den Zweck der Ausständig oder unrichtig, so hat die übermittelnde kunftsverweigerung zu gefährden. Die Gründe der Stelle ihre Informationen unverzüglich gegenüber Ablehnung sind in jedem Fall aktenkundig zu machen. der empfangenden Stelle zu ergänzen oder zu (4) Wird die Auskunftserteilung ganz oder teilweise berichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung abgelehnt, ist die betroffene Person darauf hinzuweider Informationen führen könnte oder zur Wahrung sen, dass sie sich an den Berliner Beauftragten für den schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht wenerforderlich ist. Die Ergänzung oder Berichtigung ist den kann. Dem Berliner Beauftragten für den Datenaktenkundig zu machen und in den entsprechenden schutz und für das Recht auf Akteneinsicht ist auf sein Dateien zu vermerken. Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Senator für Inneres im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen des Berliner Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht 206 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 an den Betroffenen dürfen keine Rückschlüsse auf bestimmten Mitgliederzahl ist nur zulässig, soweit den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde sie zur Beteiligung aller Fraktionen notwendig ist. Es zulassen, soweit sie nicht einer weitergehenden werden stellvertretende Mitglieder gewählt, die im Fall Auskunft zustimmt. Der Kontrolle durch den Berliner der Verhinderung eines ordentlichen Mitglieds dessen Beauftragten für den Datenschutz und für das Recht Rechte und Pflichten wahrnehmen. Die Anzahl der auf Akteneinsicht unterliegen nicht personenbezogene stellvertretenden Mitglieder entspricht der Anzahl der Informationen, die der Kontrolle durch die Kommission ordentlichen Mitglieder. Kann das ordentliche Mitglied nach SS 2 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes seine Rechte und Pflichten nicht wahrnehmen, so zu Art. 10 Grundgesetz unterliegen, es sei denn, die wird es durch ein stellvertretendes Mitglied derselben Kommission ersucht den Berliner Beauftragten für den Fraktion vertreten. Datenschutz und für das Recht auf Akteneinsicht, die (3) Scheidet ein Mitglied aus dem Abgeordnetenhaus Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei oder seiner Fraktion aus, so verliert es die Mitgliedbestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen schaft im Ausschuss für Verfassungsschutz. Für zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu berichten. wählen; das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. Für stellvertretende Mitglieder des Ausschusses gelten die Vorgaben der Sätze 1 und SS 32 Akteneinsicht 2 entsprechend. (1) Sind personenbezogene Daten in Akten gespeichert, so kann dem Betroffenen auf Antrag Akteneinsicht gewährt werden, soweit GeheimhaltungsSS 34 Geheimhaltung interessen oder schutzwürdige Belange Dritter nicht (1) Die Öffentlichkeit wird durch einen Beschluss des entgegenstehen. SS 31 gilt entsprechend. Ausschusses ausgeschlossen, wenn das öffentliche (2) Die Einsichtnahme in Akten oder Aktenteile ist Interesse oder berechtigte Interessen eines einzelnen insbesondere dann zu versagen, wenn die Daten dies gebieten. Sofern die Öffentlichkeit ausgeschlossen des Betroffenen mit Daten Dritter oder geheimist, sind die Mitglieder des Ausschusses zur Verschwiehaltungsbedürftigen sonstigen Informationen derart genheit über Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen verbunden sind, dass ihre Trennung auch durch Verdabei bekannt geworden sind. Das gleiche gilt auch für vielfältigung und Unkenntlichmachung nicht oder nur die Zeit nach dem Ausscheiden aus dem Ausschuss. mit unverhältnismäßig großem Aufwand möglich ist. Die Verpflichtung zur Verschwiegenheit kann von dem In diesem Fall ist dem Betroffenen zusammenfassende Ausschuss aufgehoben werden, soweit nicht berechAuskunft über den Akteninhalt zu erteilen. tigte Interessen eines Einzelnen entgegenstehen oder (3) Das Berliner Informationsfreiheitsgesetz vom der Senat widerspricht; in diesem Fall legt der Senat 15. Oktober 1999 (GVBl. S. 561) findet auf die von der dem Ausschuss seine Gründe dar. Verfassungsschutzabteilung der Senatsverwaltung für (2) Die Vorschriften des Absatzes 1 gelten für stellverInneres geführten Akten keine Anwendung. tretende Mitglieder des Ausschusses entsprechend. SS 35 Aufgaben und Befugnisse Fünfter Abschnitt des Ausschusses (1) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die Parlamentarische Kontrolle allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten; er berichtet auch über den Erlass von SS 33 Ausschuss für Verfassungsschutz Verwaltungsvorschriften. Der Ausschuss hat Anspruch (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes auf Unterrichtung. unterliegt der Senat von Berlin der Kontrolle durch (2) Der Ausschuss hat auf Antrag mindestens eines den Ausschuss für Verfassungsschutz des Abgeordseiner Mitglieder das Recht auf Erteilung von Auskünfnetenhauses von Berlin. Die Rechte des Abgeordten, Einsicht in Akten und andere Unterlagen, Zugang netenhauses und seiner anderen Ausschüsse bleiben zu Einrichtungen der Verfassungsschutzbehörde sowie unberührt. auf Anhörung von deren Dienstkräften. Die Befugnisse (2) Der Ausschuss für Verfassungsschutz besteht des Ausschusses nach Satz 1 erstrecken sich nur in der Regel aus höchstens zehn Mitgliedern. Das auf Gegenstände, die der alleinigen VerfügungsbeVorschlagsrecht der Fraktionen für die Wahl der rechtigung der Verfassungsschutzbehörde unterliegen. Mitglieder richtet sich nach der Stärke der Fraktionen, (3) Der Senat kann die Unterrichtung über einzelne wobei jede Fraktion mindestens durch ein Mitglied Vorgänge verweigern und bestimmten Kontrollbevertreten sein muss. Eine Erhöhung der im Satz 1 gehren widersprechen, wenn dies erforderlich ist, um Gesetz über den Verfassungsschutz in Berlin 207 vom Bund oder einem deutschen Land Nachteile abzuS. 16, 54), das zuletzt durch Art. I des Gesetzes vom wenden; er hat dies vor dem Ausschuss zu begründen. 30. Juli 2001 (GVBI. S. 305) geändert worden ist, in der (4) Das Abgeordnetenhaus kann den Ausschuss für jeweils geltenden Fassung keine Anwendung. einen bestimmten Untersuchungsgegenstand als Untersuchungsausschuss (Art. 48 der Verfassung von Berlin) einsetzen. SS 3 des Gesetzes über die UnterSS 39 Inkrafttreten, Außerkrafttreten suchungsausschüsse des Abgeordnetenhauses von (1) Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung Berlin vom 22. Juni 1970 (GVBI. S. 925), zuletzt geänim Gesetzund Verordnungsblatt für Berlin in Kraft. dert durch Gesetz vom 24. Juni 1991 (GVBI. S. 154), SS 27a tritt außer Kraft, sobald das Bundesverfindet keine Anwendung. fassungsschutzgesetz vom 20. Dezember 1990 (BGBl. (5) Für den Ausschuss gelten im Übrigen die Be- I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Art. 9 des Gestimmungen der Geschäftsordnung des Abgeordnesetzes vom 16. August 2002 (BGBl. I S. 3202), gemäß tenhauses von Berlin. Art. 22 Abs. 2 des Terrorismusbekämpfungsgesetzes vom 9. Januar 2002 (BGBl. I S. 361, 3142) wieder in seiner am 31. Dezember 2001 maßgeblichen Fassung SS 36 Vertrauensperson gilt. Der Tag des Außerkrafttretens ist im Gesetzund des Ausschusses für Verfassungsschutz Verordnungsblatt für Berlin bekannt zu machen. Der Ausschuss für Verfassungsschutz kann zur Wahrnehmung seiner Kontrollaufgaben im Einzelfall nach Anhörung des Senats mit der Mehrheit seiner Mitglieder eine Vertrauensperson beauftragen, Untersuchungen durchzuführen und dem Ausschuss über das Ergebnis in nicht öffentlicher Sitzung zu berichten. Die Vertrauensperson soll die Befähigung zum Richteramt besitzen und wird für die Dauer der jeweils laufenden Wahlperiode vom Ausschuss für Verfassungsschutz mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder gewählt. Die Vertrauensperson erhält für ihre Dienstleistungen im Einzelfall auf Antrag eine Vergütung entsprechend den SSSS 8, 9 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 7 Absatz 3 des Gesetzes vom 30. Juli 2009 (BGBl. I S. 2449) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Die Höhe des Honorars richtet sich nach der Honorargruppe M 3. Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 37 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes kann das Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung nach Art. 13 des Grundgesetzes eingeschränkt werden. SS 38 Anwendbarkeit des Berliner Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die SSSS 6a, 10 bis 17 und 19 Abs. 2 bis 4 des Berliner Datenschutzgesetzes in der Fassung vom 17. Dezember 1990 (GVBI. 1991 208 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Extremistische Organisationen und Gruppierungen Islamismus / islamistischer Terrorismus Organisation/Gruppierung Seite Mujahidin-Netzwerke 33 Islamisches Emirat Kaukasus 33 Salafistische Bestrebungen 57f As-Sahaba/Die Gefährten e.V. 59ff Die Islamische Gemeinschaft in Berlin - Al-Nur-Moschee e.V. (IGB) 61f Ibrahim al-Khalil-Moschee - Islamische Gemeinschaft 59 Ibrahim Alkhalil Moschee e.V. Hizb ut-Tahrir (HuT) 71f Hizb Allah (Partei Gottes) 68f Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP) 69 Bewegung des Islamischen Widerstands (HAMAS) 66 Muslimbruderschaft (MB)/Islamische Gemeinschaft 74f in Deutschland e.V. (IGD) Milli Görüs - Bewegung (MGB) 79 Fussilet 33 e.V. 63f Extremistische Organisationen und Gruppierungen 209 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus) Organisation/Gruppierung Seite Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) (Partiya Karkeren Kurdistan) 85 Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) 88f Islamische Gemeinschaft Kurdistans (CÄdegK) 93 Kurdische Frauenbewegung in Europa (TJKE) 93 Partei der demokratischen Union (PYD) 89f Union kurdischer Familien (YEK-MAL) 93 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 94 Volksverteidigungseinheiten (YPG) 89f Volksverteidigungskräfte (HPG) 85 Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen 93 in Deutschland e.V. (NAV-DEM) NAV-DEM Berlin e.V. 86, 88, 90 Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) 90 Gemeinschaft der Kommunen der demokratischen Jugend 93 Kurdistans (KC) Ülkücü-Bewegung, Dachverband: ADÜTDF 98 Rechtsextremismus Organisation/Gruppierung Seite Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) / 122 Junge Nationaldemokraten (JN) Der III. Weg 131f Die Rechte 104 Bürgerbewegung Pro Deutschland 116 Rechtsextremistische Bürgerbewegungen 123f Netzwerk Freie Kräfte 133 Netzwerk Rechtsextremistische Musik 141 Identitäre Bewegung 109f Freie Kräfte Berlin Neukölln (FKBN) 135ff Europäische Aktion 144 210 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Linksextremismus Organisation/Gruppierung Seite Interventionistische Linke (IL) 165 North East Antifascists (NEA) 162 radikale linke | berlin 169 Rigaer94 172f Rote Hilfe e.V. 154f Theorie Organisation Praxis (TOP B3rlin) 161f Sonstige Organisationen / Gruppierungen Organisation/Gruppierung Seite Scientology Organisation 184 Reichsbürgerbewegung 147 Es wird darauf hingewiesen, dass nicht alle Beobachtungsobjekte des Berliner Verfassungsschutzes namentlich im Verfassungsschutzbericht und in der Auflistung aufgeführt werden. Personenund Sachregister 211 Personenund Sachregister ...um's Ganze! Kommunistisches Al-Nur-Moschee 61 f, 208 Bündnis 161 f al-Qaida 29 f, 32 f, 40 f, 49 f, 52 f, 57 "dual use"-Güter 187 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel 10. Jahresseminar 61 siehe AQAH 14. Konferenz der Palästinenser al-Qaida im islamischen Maghreb in Europa 67 siehe AQM 24. Internationales Kurdisches al-Qaradawi, Yusuf 77 Kulturfestival 92 f al-Rashta, Ata Abu 72 al-salaf al-salih 58 A al-Shabab 53 A., Ahmad Abdulaziz siehe Abu Walaa al-T., Ashraf 53 A., Sinan Sefik 57 Altermedia 139 f A'maq 34, 36 f, 40, 45, 47 f Altermedia Deutschland 140 A3stus 141, 143 al-Zawahiri, Aiman 52 AAB 161 AMGT 81 Abou Nagie, Ibrahim 64 f Amri, Anis 33 ff Abu Jarrah al-Tunisi 53 Amt für Menschenrecht 149 Abu Walaa 55 AN 133 f, 139 Abul Bara'a 59 ff Anarchismus 150 f, 162, 169, 172, 176 Adil Düzen 79 Anarcho-Szene 156 f, 172 f ADÜTDF 98, 209 an-Nabahani, Taqi ad-Din 71 Ahmadzai, Riaz 37 Ansbach 36 f, 43, 45, 61 Aktionskonsens 158 f Anti-Antifa-Arbeit 133 Al M., Shaas 54 Antifa 153, 157 ff, 162 ff, 169, 173 ALB 165, 169 Anti-Faschismus 158 ff, 180 al-Baghdadi, Abu Bakr 49 f Antifaschistische Aktion Berlin siehe AAB Albakr, Jaber 53 Antifaschistische Linke Berlin siehe ALB al-Banna, Hassan 74 Antifaschistische Revolutionäre Aktion al-Hayat 46 Berlin siehe ARAB al-Manar 69 Antifra 158, 160, 180 Al-Muqawama al-Islamiya 68 212 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Anti-Gentrifizierung 153, 157, 178, 180, Berlin gegen die Islamisierung 182 des Abendlands siehe Bärgida Anti-IS-Koalition 35, 40, 44, 50 Berlin's burning 157, 175 Anti-Kapitalismus 164, 166 Berliner Beratungsnetzwerk 24 Antikapitalistische Walpurgisnacht 162 Berliner Sicherheitsüberprüfungsgesetz Anti-Rassismus 158,160, 163, 180 siehe BSÜG Anti-Repression 176, 182 Betätigungsverbot 30, 72, 85, 93, 97 Antisemitismus 58, 98, 101 f, 223 Bewachungsverordnung 192 f Anti-Terror-Datei siehe ATD Bewegung der Mujahidin-Jugend, Apfel, Holger 127 arabisch kurz "al-Shabab" AQAH 52 siehe al-Shabab AQM 52 Bewegung des Islamischen ARAB 169 Widerstands siehe HAMAS Arbeiterpartei Kurdistans siehe PKK BfV 20 f, 187 f, 203 Assad-Regime 48, 69, 89 Bin Ladin, Usama 52 As-Sahaba/Die Gefährten e.V. 59, 208 BKA 20 f, 51 As-Sahaba-Moschee 59, 61 f bloc identitaire 110 ATD 21 Blockupy-Plattform Berlin 164 ff AtomG 192 BND 20, 21, 202 Atomgesetz siehe AtomG Bouhlel, Mohamad 39 Aufenthaltsgesetz siehe AufenthG BRD GmbH 147 AufenthG 191 f Breitscheidplatz 5, 34, 106, 115, 143 Ausländische Kämpfer siehe Brüssel 5, 40 ff, 77 foreign fighters BSÜG 15, 189 f, 197 Autonome 6 f, 133 f, 139, 151 ff, 161, Bundesamt für Verfassungsschutz 165, 170, 173, 176, 178 siehe BfV autonome Freiräume 168, 171 ff, 180 Bundeskriminalamt siehe BKA Autonome Nationalisten siehe AN Bundesnachrichtendienst siehe BND Bundesprüfstelle B jugendgefährdender Medien 142 B., Ahmad Abul siehe Abul Bara'a Bundesverfassungsgericht 17, 111, 122, Badi'a, Muhammad 75 130 Badreddine, Mustafa 70 Bundesverfassungsschutzgesetz Bärgida 107 f, 113, 118, 121 siehe BVerfSchG BDH 105, 121 Bundesvertriebenengesetz Benhsain, Mohammed 61 f siehe BVFG Beratungsstelle Kompass 24 Personenund Sachregister 213 Bündnis Deutscher Hooligans Die Wahre Religion siehe DWR siehe BDH Dimitroffthese 166 Bürgerbewegung Pro Deutschland DTM 57 siehe Pro Deutschland dual use-Güter 187 BVerfSchG 15, 19 f Düsseldorfer Zelle 41 BVFG 193 DWR 64 f C E CH 144 EA 104, 144, 209, 221 Ciftci, Mohamed 62 ECFR 77 f CIK 93, 209 Efrin 89 Cizir 86, 89 EIHW 77 f Cizre 86, 88 Einladung zum Paradies e.V. 62 Collegium Humanum siehe CH El B., Abdelkarim 56 Cyberspionage 188 EMUG 81 Erbakan, Fatih 80 f D Erbakan, Necmettin 79 f D., Ismet 64 Erbakan-Stiftung 80 f D.S.T./X.x.X. 141 Essen 38 f, 43 ff Da'wa 58 Ethnopluralismus 103, 110 f Dabiq 45 ff Europäische Aktion siehe EA Daleel, Mohammad 36 Europäische Eidgenossenschaft 144 Dali, Amen Ben Ali 62 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. Demokratisches Gesellschaftszentrum siehe EMUG der KurdInnen in Deutschland e.V. Europäisches Institut für siehe NAV-DEM Humanwissenschaften e.V. siehe EIHW Der III. Weg 104 f, 131 ff, 209, 221 European Council for Deradikalisierungsnetzwerk Fatwa and Research siehe ECFR gegen Salafismus 24 Extremismusbegriff 18, 150 Deutsch, Stolz, Treue siehe D.S.T. / X.x.X. Deutsche Liga für Volk und Heimat 144 F Deutsche Reichspartei 17 F., Emin 64 Deutsche Taliban Mujahidin siehe DTM FAD 78 Deutschsprachige Islamseminare 62 Fatwa-Ausschuss Deutschland Die Exilregierung Deutsches Reich 149 siehe FAD Die Lunikoff-Verschwörung 141 f Fazilet Partisi siehe FP Die Rechte 104 f, 209 FIOE 77 f 214 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 FK 104 f, 107, 123, 125, 127, 132 ff, 145, Geheimschutzbetreuung 190 209 Gemeinsamer Standpunkt des FKBN 107, 136, 209 Rates über die Anwendung besonderer Fkbn.nw.am 136 Maßnahmen zur Bekämpfung des Föderation der Türkischen Terrorismus siehe GASP, Demokratischen Idealistenvereine "EU-Terrorliste" in Deutschland e.V. (Almanya Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Rechtsextremismus siehe GAR Federasyonu) siehe ADÜTDF Gemeinsames Extremismusund Föderation Islamischer Terrorismusabwehrzentrum Organisationen in Europa siehe FIOE siehe GETZ Föderation kurdischer Vereine Gemeinsames Internet-Zentrum in Deutschland e.V. siehe YEK-KOM siehe GIZ foreign fighters 42, 49, 51 Gemeinsames TerrorismusabwehrFP 80 zentrum siehe GTAZ Franz, Frank 122, 124, 127 Gemeinschaft der Gesellschaften Freie Kräfte Berlin-Neukölln Kurdistans siehe KCK siehe FKBN Generalbundesanwalt siehe GBA Freie Kräfte siehe FK Gesetz über den Verfassungsschutz Freies Netz Süd 131 in Berlin siehe VSG Bln Freiheitliche demokratische Gesetz zur Beschränkung des Grundordnung 17 f, 22, 31, 57, 73, 79, Postund Fernmeldegeheimnisses 83, 103, 121 f, 146, 149, 155 ff, 159, (Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz) 191 f, 196 f, 199 f, 202 siehe G 10 Freiheitsfalken Kurdistans siehe TAK GETZ 21 Freistaat Preußen 149 GIZ 21 Fussilet 33 e.V. 63, 208 Göbbels, Josef 139 Fussilet-Moschee 34, 63 Graue Wölfe 98 Fylgien 141 Großer Austausch 110 Grundgesetz 7, 15, 17, 64, 83, 103, 108, G 111, 130, 196 ff, 199, 203, 207 G10 15 f, 18 GTAZ 20 f GAR 21 GASP, "EU-Terrorliste" 69 H GBA 21, 55, 96, 140 Halklarin Demokratik Partisi Geheimund Sabotageschutz 189 f ("Demokratische Partei der Völker") Geheimschutz 14, 186 ff siehe HDP Personenund Sachregister 215 HAMAS 30 f, 33, 65 ff, 208, 220 Interventionistische Linke siehe IL Hannover 38, 43 ff, 61 IS 5, 29 f, 32 ff, 63 ff, 69, 72, 74, 89, 97 HDP 87 f, 92, 95 ISI 50 Heß, Rudolf 138 f ISIG 50, 53, 56 Hizb ut-Tahrir (Partei der Befreiung) Islamfeindlichkeit 102 f siehe HuT Islamische Gemeinschaft in Hizb Allah (Partei Gottes) 30 f, 33, 48, 65, Deutschland e. V. siehe IGD 68 ff, 208, 220 Islamische Gemeinschaft Kurdistans HoGeSa 104 f, 117 f, 121 siehe CÄdegK Hooligans gegen Salafisten Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. siehe HoGeSa siehe IGMG HPG 85, 88, 91, 209 Islamische Jihad Union 57 Hubbard, L. Ron 184 Islamisches Jugendzentrum Berlin e.V. HuT 30 f, 33, 71 ff, 208, 220 siehe IJB Islamischer Staat im Irak und Großsyrien I siehe ISIG IB 104, 106 f, 109 ff, 146, 221 Islamischer Staat Irak siehe ISI IB BB 104, 109 ff Islamischer Staat siehe IS IBD 110 ff, 115 Islamischer Widerstand Ibrahim al-Khalil-Moschee 59, 208 ("al-Muqawama al-islamiya") 68 Ibrahim, Sipan 90 Islamisches Emirat Kaukasus 32 f, 208 Identitäre Bewegung Islamisches Kulturund Berlin-Brandenburg siehe IB BB Erziehungszentrum Berlin e. V. Identitäre Bewegung Deutschland siehe IKEZ siehe IBD Islamseminar 59, 61 ff Identitäre Bewegung siehe IB IS-Propaganda 40, 46 f IGD 33, 74 ff, 208 IZDB 75 ff IGMG 80 f IJB 76 f J IKEZ 66, 75 f, 78 Jabhat al-Nusra li-ahl asch-Scham IL 162, 164 f, 169, 171, 173, 183, 210, siehe JaN 221 Jabhat Fath al-Sham siehe JFS Imperialismustheorie 166 JaN 50, 52 f Industriespionage 187 Jerusalem-Tag (arab.: al-Quds) 70 Inspire 40, 45 JFS 52 Interkulturelles Zentrum für Dialog Jihad 29, 45, 52, 58, 63 f und Bildung e. V. siehe IZDB Jihadistischer Salafismus 45, 50, 57 f 216 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 JN 104, 122, 125, 137, 209 Legalresidenturen 186 Jugendzentrum siehe JUZ Legion of Thor 141 Junge Nationaldemokraten siehe JN Liebig 14 173, 178 Junud al-Sham 63 Lies! Stiftung 64 f JUZ 139 Lies!-Aktion 59 Liste terroristischer Organisationen K der Europäischen Union 66 K., Gadzhimurad 63 f Luftsicherheitsgesetz siehe LuftSiG Kadterschmiede 172, 175 f LuftSiG 192 Kalif 28 Lunikoff siehe Regener, Michael Kalifat 28, 72 Karayilan, Murat 91 M KCK 90, 209 Macht & Ehre 141 Kern-"al-Qaida" 41, 50, 52 Marsch der Jugendlichen 94 KIAR 21 Marxismus-Leninismus 83, 150 Know-how 187 f Masjid at-Tawbah 63 Kobane 47, 89 MB 30 ff, 48, 66, 74 ff, 208, 220 Komalen Civan 93 Meenen, Uwe 122, 127 Kommunismus 150 f Merkel muss weg-Aufzüge 113, 117 f, Kommunistische Partei 121, 146 Deutschlands siehe KPD MGB 32 f, 74, 79 ff, 208 Konkurrenzausspähung 187 Milli Gazete 80 f Koordinierte Internetauswertung Milli Görüs-Bewegung siehe MGB Rechtsextremismus siehe KIAR Milli Görüs-Ideologie 29, 31, 80 KPD 152 Mitwirkungsangelegenheiten 193 Kritik & Praxis 161 Mohammed-Karikaturen 44, 109, 116 Kurdische Frauenbewegung Moscheebau-Kommission e.V. 75 in Europa siehe TJKE Mujahidin-Netzwerke 32 f, 208 Kutan, Recai 80 Mursi, Muhammad 66, 75 f Muslim, Salih 95 L Muslimbruderschaft siehe MB Lambda 110 Muslimenfeindlichkeit 6, 102 ff, 113, Länderarbeitskreis der 116 ff, 131, 145 f Sicherheitsbevollmächtigten Berlin-Brandenburg N siehe SIBE-AK BR-BB Nachrichtendienstliche Mittel 14, 18 Landser 142 Nachrichtendienstliches Informationssystem siehe NADIS Personenund Sachregister 217 NADIS 19, 196, 198 O NaO 156 Öcalan, Abdullah 85, 87, 89 ff, 97 Nasrallah, Hassan 69 Opportunitätsprinzip 189 Nationaldemokratische Partei Outings 133, 157, 159, 162 Deutschlands siehe NPD Nationaler Widerstand siehe NW P Nationales Cyber-Abwehrzentrum 188 Palästinensische Gemeinschaft in Nationalismus ist keine Alternative Deutschland e.V. siehe PGD siehe NIKA Palestinian Return Center siehe PRC Nationalsozialismus 101, 138, 147 Partiya Karkeren Kurdistan siehe PKK NAV-DEM 86 ff, 90, 93, 209, 220 Pastörs, Udo 122 NAV-DEM Berlin e.V. 86, 88, 90, 209 Pegida 118, 159, 161 PGD 68 NEA 160, 162, 171, 210, 221 PKK 84 ff, 209, 212 f Nein zum Heim in Köpenick 124 Politischer Salafismus 47, 57 ff, 62 Nein zum Heim-Bürgerbewegung 123, Postautonome 6, 153 ff, 161 f, 164 f, 137 171, 173 Nein zum Heim-Marzahn-HellersPRC 68 dorf 123 Pro Deutschland 104, 108 f, 116 ff, Nein zum Heim-Szene 107, 131, 146 119, 209 Neonazis 6, 100, 104 f, 107, 126 f, 131 ff, Punk Front 141 137, 159 PYD 89 f, 95, 209, 220 Netzwerk Freie Kräfte 104 f, 123, 125, 127, 132 ff, 145, 209 Q Netzwerk Rechtsextremistische Quds-Tag 70 Musik 141, 209 Neue antikapitalistische Organisation R siehe NaO Rabi'a-Symbol 76 radikale linke | berlin siehe rlb RAF 152, 180 NIKA 157, 161 f Rahman-Moschee 64 Nizza 34, 39 f, 43, 112 Rechtsradikale 100 North East Antifascists siehe NEA Reconquista 111, 114 NPD 104 f, 107, 113, 118, 122 ff, 144, RED 21 209, 221 Regener, Michael 142 NW 134 Reichsbürger 104 f, 118, 147 ff, 210 Nw-berlin.net 145 Reichsbürgerbewegung 148, 210 218 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Revolutionärer 1. Mai 163, 168, 182 Social Center 4 All siehe SC4A Rigaer 94 157, 172 ff Sozial engagiert in Berlin e.V. Ring Nationaler Frauen siehe RNF siehe SeiB e.V. rlb 162, 168 ff, 173, 182 f, 210, 222 Soziales Zentrum 168 f RNF 122 SP 80 f Rojava 89 f, 95 Spionageabwehr 14, 19, 186 f, 189 Rote Armee Fraktion siehe RAF Spreegeschwader 142 f Rote Hilfe e.V. 96, 154 f, 210, 221 Sprengstoffgesetz 178, 192 Rumiyah 35 f, 45 f, 220 Sputnik 129 Russia Today 129 Staatenlos 149 Staatsangehörigkeitsgesetz siehe StAG S StAG 111, 191 S., Safia 38, 43 Suruc 85 Saadet Partisi siehe SP Sabotageschutz 189 f T Sag nein zu Drogen, T., Charfeddine 53 sag ja zum leben 184 T., Yusuf 38 f Saint-Etienne-du-Rouvray 39 Tag der deutschen Zukunft Salafismus 6, 24, 29 ff, 47, 50, 57 ff, 62, siehe TddZ 73, 82 Tag des Sieges und der Befreiung 70 SC4A 168 ff Tag X 157, 172, 175 ff Scharia 28, 31, 71, 73 f, 77 f TAK 88 f, 209 Schmidtke, Sebastian 127, 137 TddZ 138 Schwarze Blöcke 135, 152 Teiba Kulturzentrum zur Förderung Scientology Organisation siehe SO der Bildung und Verständigung e.V. Second Class Citizen 141 siehe TKZ Sehba 89 Terrororganisation Islamischer Staat SeiB e.V. 137 siehe IS Seidensticker, Lars 108 Theorie Organisation Praxis Selbstverwalter 147, 149 siehe TOP B3rlin Sellner, Martin 113 f TJKE 93, 209 SIBE-AK BR-BB 191 TKZ 75 f Sicherheitsüberprüfungen 190, 197 TOP B3rlin 157, 161 f, 164, 169, 183, SIGINT 188 210, 221 Signals Intelligence siehe SIGINT Traditioneller Rechtsextremismus 100, Silvio-Meier-Demonstration 163 102 f, 104 f, 107, 112, 121 f, 140, 145 SO 23, 184 f, 210 Trauermarsch 138 Personenund Sachregister 219 U VRBHV 144 Uka, Arid 43 VSG Bln 15, 17 f, 20, 22, 189 ff, 196 Ülkücü-Bewegung 84, 98 f, 209, 221 Union kurdischer Familien W siehe YEK-MAL Waffengesetz 192 Waisenkinderprojekt Libanon e. V. V siehe WKP Verband der Studierenden Wessel, Horst 139 aus Kurdistan siehe YXK Wir Biker für Deutschland 117 Verband für Sicherheit in der Wirtschaftsspionage 187 ff Wirtschaft Berlin-Brandenburg 189 Wissenschaftsund Verbunddatei Rechtsextremismus Technikspionage 187 siehe RED WKP 69, 208 Verein zur Rehabilitierung der Würzburg 37, 43 ff wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten siehe VRBHV X Vereinigung der Neuen Weltsicht X., Benjamin 56 in Europa e. V. siehe AMGT Verfassung von Berlin 15, 205 Y Versand für Querdenker 120 YEK-KOM 93 Verschlusssachen 190 YEK-MAL 93, 209 Vertrauenspersonen Yeni Özgür Politika 91 f, 97 siehe V-Personen YouCon 77 Vertrauliches Telefon 4, 25 YPG 89 f, 209 Vertretung der demokratischen YXK 93 f, 209 Selbstverwaltung von Rojava in Deutschland e.V. 89 f Z Villain051 143 Zentrales Medienbüro 72 Vk.com 139 Zum Henker 134 Vogel, Pierre 47 Voigt, Udo 124, 126 f Volksgemeinschaft 101, 122 Volksverteidigungseinheiten siehe HPG Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gel) siehe HPG V-Personen 18 220 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Bildnachweis Seite 5 Senatsverwaltung für Inneres und Sport Seite 33 picture-alliance Seite 35 picture-alliance Seite 36 picture-alliance Seite 38 picture-alliance Seite 38 picture-alliance Seite 39 picture-alliance Seite 40 picture-alliance Seite 46 Titelbild "Rumiyah" Seite 48 picture-alliance Seite 49 picture-alliance Seite 52 picture-alliance Seite 61 picture-alliance Seite 63 picture-alliance Seite 64 picture-alliance Seite 66 Logo HAMAS Seite 67 picture-alliance Seite 68 Logo "Hizb Allah" Seite 71 Logo "Hizb ut-Tahrir" Seite 72 Bild von einer islamistischen Internetseite Seite 74 Logo "Muslimbruderschaft" Seite 76 Logo Rabi'a Seite 85 Logo PKK Seite 86 picture-alliance Seite 86 unten: Banner von einer PKK-nahen Internetseite Seite 88 picture-alliance Seite 89 Logo PYD Seite 90 picture-alliance Seite 91 Bild von einer PKK-nahen Internetseite Seite 93 Logo NAV-DEM Bildnachweis 221 Seite 95 Bild von einer PKK-nahen Internetseite Seite 96 picture-alliance Seite 98 Logo Ülkücü Seite 98 unten: picture-alliance Seite 109 Post in einem sozialen Netzwerk Seite 109 unten: Logo "Identitäre Bewegung" Seite 110 Rechtsextremistische Internetseite Seite 114 picture-alliance Seite 115 picture-alliance Seite 116 picture-alliance Seite 117 picture-alliance Seite 118 picture-alliance Seite 121 picture-alliance Seite 122 Logo NPD Seite 123 picture-alliance Seite 126 picture-alliance Seite 126 picture-alliance Seite 130 picture-alliance Seite 130 picture-alliance Seite 131 Internetauftritt "Der III. Weg" Seite 132 Postkarte "Der III. 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Auflage, Berlin 2016. 156 Seiten. von Islam und Demokratie Argumente gegen extremistische Interpretationen von Islam und Demokratie Carpitilmis Islam ve Demokrasi Swr mshwh@ `n lslm wldymwqrTy@ Demokrasi lHry@ lqnwnEsitlik Rechtsstaat Islam ldymwqrTy@Islam Anayasal Düzen ldyn ImFokus Linke Gewalt in Berlin 2009 - 2013 1. Auflage, Berlin 2015. 70 Seiten. Rechte Gewalt in Berlin 2003 - 2012 Rechte Gewalt in Berlin 2003 - 2012 1. Auflage, Berlin 2014. 66 Seiten. Im Fokus Scientology - Eine kritische Bestandsaufnahme 1. Auflage, 2011. 83 Seiten. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Linke Gewalt in Berlin 1. Auflage, Berlin 2009. 84 Seiten. Linke Gewalt in Berlin ImFokus Rechte Gewalt in Berlin 2003 bis 2006 1. Auflage, Berlin 2007. 84 Seiten. Antisemitismus im extremistischen Spektrum Berlins 2. Auflage, Berlin 2006 (im Internet abrufbar). 56 Seiten. 224 Verfassungsschutzbericht Berlin 2016 Islamismus. Diskussion eines vielschichtigen Phänomens 2. Auflage, Berlin 2006 (im Internet abrufbar). 116 Seiten. Rechtsextremistische Skinheads Senatsverwaltung für Inneres Abteilung Verfassungsschutz 1. Auflage, Berlin 2003 (im Internet abrufbar). 86 Seiten. Reihe INFO Rechtsextremistische Rechtsextremistische Musik 4. überarbeitete Auflage, Berlin 2016. 70 Seiten. musik INFo Symbole und Kennzeichen des Rechtsextremismus 9. überarbeitete Auflage, Berlin 2015. 42 Seiten. Linksextremismus 1. Auflage, Berlin 2015. 66 Seiten. Salafismus als politische Ideologie 2. Auflage, Berlin 2014. 66 Seiten. Publikationsübersicht 225 Rechtsextremismus in Berlin 2. Auflage, Berlin 2014. 58 Seiten. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Islamismus 3. Auflage, Berlin 2006. 42 Seiten. Islamismus Info Sonstiges Verfassungsschutz Berlin: Sicherheit Aufklärung Transparenz Überarbeitete Neuauflage, Berlin 2017. 52 Seiten. Islamismus: Prävention und Deradikalisierung (DVD) 1. Auflage, Berlin 2011. 59 min. Diese sowie weitere Publikationen des Berliner Verfassungsschutzes können Sie unter der rückseitig angegebenen Adresse sowie telefonisch unter (030) 90 129-440 bestellen oder aber im Internet unter www.verfassungsschutz-berlin.de abrufen. Der Verfassungsschutz Berlin bietet zudem Vorträge zu den einzelnen Extremismusfeldern an. Nähere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter (030) 90 129-440. DER VERFASSUNGSSCHUTZ DIENT DEM SCHUTZ DER FREIHEITLICHEN DEMOKRATISCHEN GRUNDORDNUNG, DES BESTANDES UND DER SICHERHEIT DER BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND UND IHRER LÄNDER. Senatsverwaltung für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Klosterstraße 47, 10179 Berlin Tel (030) 90129-440 www.verfassungsschutz-berlin.de info@verfassungsschutz-berlin.de